DE ANIMA Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert
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DE ANIMA Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert
BOCHUMER STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE Herausgegeben von Kurt Flasch – Ruedi Imbach Burkhard Mojsisch – Olaf Pluta
Band 43
SASCHA SALATOWSKY
De Anima Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert
B.R. GRÜNER AMSTERDAM/PHILADELPHIA
De Anima Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert
SASCHA SALATOWSKY
B.R. GRÜNER AMSTERDAM/PHILADELPHIA
The paper used in this publication meets the minimum requirements of American National Standard for Information Sciences — Permanence of Paper for Printed Library Materials, ANSI Z39.48-1984.
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Gedruckt mit Unterstützung der Prof. Dr. Fritz-Peter Hager-Stiftung (Zürich).
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Internet at http://dnb.ddb.de.
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Sascha Salatowsky. De Anima : Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert / Sascha Salatowsky. p. cm. -- (Bochumer Studien zur Philosophie, ISSN 1384-668X; Bd. 43) Includes bibliographical references and index. 1. Aristotle. De anima. 2. Psychology. B415.S25 2006 128.092--dc22 2005058864 ISBN 90 6032 374 2 (hardbound) No part of this book may be reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other means, without written permission from the publisher. © by B.R. Grüner, 2006 Printed in The Netherlands B.R. Grüner is an imprint of John Benjamins Publishing Company John Benjamins Publishing Co. • P.O.Box 36224 • 1020 ME Amsterdam • The Netherlands John Benjamins North America • P.O.Box 27519 • Philadelphia PA 19118-0519 • USA
INHALTSVERZEICHNIS VORWORT
IX
ABBREVIATUREN
XI
1.
EINLEITUNG
1
1.1
Der Geist als zentraler Begriff der aristotelischen Philosophie
1
1.2
Wurzeln der zeitgenössischen Debatte
13
1.3
Transformationen des Aristotelismus
20
1.4
Die Aufgabe und ihre Erfordernisse
29
2.
DIE ARISTOTELISCHE PSYCHOLOGIE BEI LUTHER UND MELANCHTHON
35
2.1
Einleitung
35
2.2
Luthers Interpretation von De An. III 5 in der Heidelberger Disputation von 1518
39
2.2.1
Exkurs: Alexander von Aphrodisias’ Traktat De Anima
44
2.2.2
Luthers Interpretation des aristotelischen Seelenbegriffs
53
2.2.2.1
Die Sterblichkeit der Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien
54
2.2.2.2
Die Unsterblichkeit der Seele gemäß zweier Äußerungen des Aristoteles
57
2.2.2.3
Die Interpretation von De An. III 5
59
2.2.3
Die Unsterblichkeit der Seele aus theologischer Sicht
67
2.3
Melanchthons eklektische Psychologie
69
2.3.1
Exkurs: Simplicius’ De Anima-Kommentar
75
2.3.2
Melanchthons Platonisierung des aristotelischen Seelenbegriffs
91
2.3.2.1
Exkurs: Amerbachs Verständnis des Entelechiebegriffs
99
2.3.2.2
Melanchthons Motiv für die Umdeutung des Entelechiebegriffs
101
2.3.3
Die theologische Definition der menschlichen Seele
104
2.3.3.1
Exkurs: Pneu=ma bei Aristoteles und Galen
106
2.3.3.2
Melanchthons spiritus-Lehre
112
2.3.4
Die Bestimmung des menschlichen Geistes
116
V
Inhaltsverzeichnis
2.3.5
Die Unsterblichkeit der menschlichen Seele
126
2.4
Resümee
128
3.
PSYCHOLOGIE IM KATHOLISCHEN RENAISSANCE-ARISTOTELISMUS
133
3.1
Einleitung
133
3.1.1
Identität und Differenz in der Psychologie
146
3.1.2
Prolegomena zur Psychologie
150
3.2
Die Seele und ihre Vermögen
156
3.2.1
Der Streit um die Einheit der Seele
159
3.2.2
Die Verteilung der Seele und ihre Lokalisierbarkeit im Körper
172
3.3
Der Begriff der menschlichen Seele
180
3.3.1
Die Auseinandersetzung mit Averroes
184
3.3.1.1
Forma informans oder forma assistens?
185
3.3.1.2
Einheit oder Pluralität des Geistes?
203
3.3.2
Die Bestimmung der menschlichen Seele als substantia spiritualis
209
3.3.3
Phänomenologien des menschlichen Geistes
211
3.3.4
Theorien der Intentionalität
219
3.3.4.1
Exkurs: Die Theorie der formalen Identität bei Thomas
220
3.3.4.2
Die Geeignetheit des Geistes für die Erkenntnis der Dinge
225
3.3.5
Wesen und Funktion des intellectus agens
232
3.3.6
Debatten um die Unsterblichkeit der menschlichen Seele
246
3.3.7
Der Prozeß der natürlichen und wissenschaftlichen Erkenntnis
257
3.3.7.1
Exkurs: Die Modi des Wissens
263
3.3.7.2
Der natürliche Prozeß der undeutlichen Erkenntnis
271
3.4
Resümee
277
4.
DIE ARISTOTELISCHE PSYCHOLOGIE IM LUTHERTUM
283
4.1
Einleitung
283
4.1.1
Prolegomena zur Psychologie
297
4.2
Die Seele als Seins- und Wirkprinzip
306
4.2.1
Die Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen
317
4.2.2
Die menschliche Seele als e)nte/lexeia spiritualis
323
VI
Inhaltsverzeichnis
4.2.2.1 4.2.2.2
Glauben und Wissen: Die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele
330
Der Begriff des Geistes
337
4.2.2.2.1 Die Erkenntnis als Repräsentation des Gegenstandes
346
4.2.2.2.2 Die Einheit des Geistes in der Erkenntnis
355
4.3
368
Resümee
LITERATURVERZEICHNIS
373
INDEX NOMINUM
393
INDEX RERUM
401
VII
VORWORT Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im Winter 2003/4 am Fachbereich Philosophie der Freien Universität Berlin eingereicht habe. Ihre Fertigstellung gibt mir Gelegenheit, mich bei den Personen zu bedanken, die dieses Projekt über die Jahre mit ihren Anregungen begleitet haben. Zunächst gilt mein Dank dem Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Schmidt-Biggemann, der mir die Freiheit des Forschens ließ, das Werk aber begrenzte, als es auszuufern drohte. Die Teilnahme am Colloquium gab mir die Gelegenheit, das Thema wiederholt einem größeren Kreis zu präsentieren. Eine besondere Freude war es für mich, daß Herr Prof. Dr. Sparn das Werk als Zweitgutachter aus der Ferne betreute. Sein Wissen um die Philosophie des 16. und 17. Jh.s. war für mich an mehr als einer Stelle von großem Nutzen. Den Kommissionsmitgliedern, Herrn Prof. Dr. Leinkauf, Herrn PD Dr. Meier-Oeser sowie Herrn Dr. Lalla, danke ich für manches Gespräch und für den langen Atem zur Lektüre dieses Werkes. Danken möchte ich ferner ganz besonders Helmut Loos, der mich vor vielen Jahren auf die Spur des 16. und 17. Jh.s gebracht hat. Ohne seine Ideen wäre dieses Werk nie zustande gekommen. Henrik Wels danke ich für die vielen Gespräche rund um dieses Thema, für manche Anregung und für die Korrekturlektüre eines Teils dieser Arbeit. Ferner möchte ich sehr herzlich Herrn Prof. Dr. Mojsisch für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe Bochumer Studien zur Philosophie danken. Er unterzog sich der Mühe einer kompletten Korrekturlektüre und bewahrte mich damit vor der einen oder anderen Peinlichkeit. Die verbliebenen Fehler sind gleichwohl nur mir zuzurechnen. Schließlich möchte ich mich bei den beiden Stiftungen, der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenchaften sowie der Prof. Dr. Fritz-Peter HagerStiftung, für die Gewährung von großzügigen Druckkostenzuschüssen sehr herzlich bedanken. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Mutter, die mich in schweren Zeiten das Abitur machen ließ, als anderes dringlicher war. Im langen Blick zurück erscheint mir dies als die Bedingung alles Späteren. Ohne diese Möglichkeit wäre der Umweg zur Philosophie wohl nie gangbar gewesen. Die Philosophie kam spät, aber nicht zu spät, um das Leben an der richtigen Stelle zu beschweren. Berlin, im November 2005
Sascha Salatowsky
IX
ABBREVIATUREN I. Gängige Abkürzungen art.
articulus
c.
caput
con.
controversia
disp. disputatio
diss.
dissertatio
ex.
exercitatio
lc.
lectio
lib.
liber
pr.
problema
q.
quæstio
s.
sectio
t.
textus
th.
theorema
tr.
tractatus
II. Autoren/Werke Alexander
Alexander von Aphrodisias, De Anima liber cum Mantissa. Edidit Ivo Bruns. In: Commentaria in Aristotelem Graeca (CAG). Supplementum. Vol. 2. Berlin 1887. / De Anima Liber primus, Hieronymo Donato patritio Veneto interprete. De Anima Liber secundus, unà cum commentario de Mistione, Angelo Caninio Anglariensi interprete. Venedig 1555.
Averroes
Aristotelis opera cum Averrois commentariis, hier: Supplementum II. Aristotelis de anima libri tres, cum Averrois commentariis et antiqua translatione suæ integritati restituta. Venedig 1562. / Commentarius magnus in Aristotelis de anima libros. Recensuit F. Stuart Crawford. Cambridge 1953.
CHRP
Charles B. Schmitt (General Editor), The Cambridge History of Renaissance Philosophy. Cambridge 1988.
Coll. Conimbricense Collegium Conimbricense, Commentarii in tres libros de Anima Aristotelis Stagiritæ. Hac tertia editione, Græci contextus Latino è regione respondentis accessione auctiores, & emendatiores. Lyon 1604. CR
Philipp Melanchthon, Opera quæ supersunt omnia, in: Corpus Reformatorum. Vol. 1 − 28. Edidit Carolus Gottlieb Bretschneider & Henricus Ernestus Bindseil. Halle/Braunschweig 1834-1860. Reprint New York 1963.
XI
De Anima
Dannhauer
Johann Conrad Dannhauer, Collegium Psychologicum, in quo maxime controversae quaestiones, circa libros tres Aristotelis de anima proponuntur, ventilatur, explicantur. Straßburg 1660.
Evenius
Sigismund Evenius, ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam constitutione doctrina, inter scientiæ naturalis partes longè præstantissima, repetita, disputationibus undeviginti inclusa, & in Collegio privato Wittenbergæ exhibita. Wittenberg 1613.
Leuschner
Martin Leuschner, Tetras disciplinarum philosophicarum, hoc est Logicæ; Physicæ; Ethicæ; et Politicæ; ut et aliæ nonnullæ quæstiones & controversiæ Philosophicæ, ex variis disciplinas desumptæ ... Stettin 1633.
Lohr
Latin Aristotle Commentaries. II. Renaissance Authors. Florenz 1988.
Martini
Jacob Martini, Exercitationes nobiles de anima. Wittenberg 1606.
Melanchthon
Philipp Melanchthon, Commentarius de anima. Wittenberg 1540.
Pacius
Julius Pacius, ARISTOTELOUS PERI YUXHS BIBLIA TRIA. Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga interprete. Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros commentarius analyticus … Frankfurt 1596.
PL
Patrologia. Series latina. Bd. 1-221. Accurante J.P. Migne. Paris 1844ff.
Portio
Simone Portio, De mente humana disputatio. Florenz 1551.
Risse
Wilhelm Risse, Bibliographia philosophica vetus. Repertorium generale systematicum operum philosophicorum usque ad annum MDCCC typis impressorum. Pars 1. Philosophia generalis. Pars 2. Logica. Pars 3. Metaphysica. Pars 5. De anima. Pars 6. Philosophia naturalis. Pars 8. Theses academicae. Tomus 1. Index disputationum. Aargardus - Maes. Tomus 2. Index disputationum. Maestlinus - Zyra. Opera anonyma. Hildesheim u.a. 1998.
Scheibler
Christoph Scheibler, Liber de anima … in quo tota doctrina animæ, tùm in genere, tùm in specie, quoad singulos ejus gradus, & singulas animæ facultates, succinctè & clarè pertractatur. Editio secunda correctior & auctior. Gießen 1614.
Simplicius
In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hayduck. CAG 11. Berlin 1882. / Commentaria Simplicii in tres libros de anima Aristotelis, de Græca lingua in Latinam nuperrimè
XII
Abbreviaturen
translata. Evangelista Lungo Asulano Interprete. Venedig 1564. Edidit Charles Lohr. Nachdruck Frankfurt am Main 1979. Timpler
Clemens Timpler, Physicæ seu philosophiæ naturalis systema methodicum, in tres partes digestum … Pars tertia & postrema Physicæ, complectens Empsychologiam; Hoc est, doctrinam de corporibus naturalibus animatis, libris V. explicatam. Hanau 1622.
Toletus
Franciscus Toletus, Commentaria unà cum quæstionibus in tres libros Aristotelis de Anima, in: Opera omnia Philosophica. Tomus III. Köln 1615-16. Eingeleitet von Wilhelm Risse. Nachdruck Hildesheim 1985.
Ueberweg 17. Jh.
Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bände 1-4. Basel 1993-2001.
WA
Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Band 1-60 [wird fortgesetzt]. Weimar 1883ff.
Zabarella
Jacobus Zabarella, Commentarii in III. Aristotelis libros de anima. Frankfurt 1606. Nachdruck Frankfurt 1966.
Zedler:
Großes vollstae ndiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Kue nste. Band 1−64. Halle und Leipzig 1732-50. Nachdruck Graz 1961-64.
Die aristotelischen Werke, Zeitschriften sowie Lexika werden nach ihren gängigen Abkürzungen zitiert.
Editorische Notiz Alle Werke werden bei der ersten Nennung mit ihrem vollständigen Titel, ansonsten gemäß den Angaben der voranstehenden Übersicht zitiert. Bei den Kommentaren wird dabei die Bekker-Zählung von Aristoteles’ De Anima mit der im 16. und 17. Jh. üblichen textus-Angabe nach folgendem Muster kombiniert: Toletus, III 5, 430a19-25, t. 20, 140vb. Dies bedeutet: Toletus kommentiert aus De Anima, 3. Buch, 5. Kapitel, den Textabschnitt 430a19-25 bzw. nach der alten Zählung den textus 20, Seite 140 verso (Rückseite), Spalte b. Bei Disputationssammlungen wird neben der Seitenangabe jeweils noch die Zahl der Disputation benannt. Rechtschreibfehler wurden stillschweigend verbessert. XIII
1. Einleitung 1.1. Der Geist als zentraler Begriff der aristotelischen Philosophie Tanti est se ipsum cognoscere, quanti est philosophum esse.1
Die Heraufkunft einer neuen Philosophie und Naturwissenschaft beendete im Verlauf des 17. Jahrhunderts die lange Vormachtstellung der aristotelischen Philosophie an den höheren Schulen und Universitäten Europas. Sinnfällig wird diese veränderte Haltung gegenüber Aristoteles (384-322 v. Ch.) in einem von C. Hellemans angefertigten Porträt René Descartes’ (1595-1650), das ihn an einem Tisch sitzend bei der Abfassung einer Schrift zeigt. Sein rechter Fuß ruht dabei auf einem Buch, auf dem seitlich der Schriftzug Aristoteles zu lesen ist.2 Angesichts seiner eigenen Äußerungen über das von ihm verfolgte Philosophie- und Wissenschaftskonzept kann an der Aussage des Bildes kein Zweifel bestehen: Descartes tritt den Stagiriten mit Füßen.3 Diese Abkehr von der aristotelischen Tradition markiert einen der entscheidenden Wendepunkte in der Geschichte der Philosophie. 1 Cesare Cremonini, Lecturæ exordium / Habitum Patavii / VI Kalendas Februarii / MDXCI / quo is primum tempore / philosophiæ interpres ordinarius eo est profectus, in: Cesare Cremonini, Le Orazioni. A cura di Antonino Poppi. Padua 1998, 12-50, hier: 20. 2
Abgedruckt ohne Jahreszahlangabe in Rainer Specht, René Descartes in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt. Hamburg 21980, 48. 3 Deutlich wird dies z. B. an Descartes’ Brief an Marin Mersenne (1588-1648) vom 28.1.1641, in dem er sich über die Absichten seiner im selben Jahr veröffentlichten Meditationes de prima philosophia äußerte: »… et ie vous diray, entre nous, que ces six Meditations contiennent tous les fondemens de ma Physique. Mais il ne le faut pas dire, s’il vous plaist; car ceux qui favorisent Aristote feroient peutestre plus de difficulté de les approuver; et i’espere que ceux qui les liront, s’accoûtumeront insensiblement à mes principes, & en reconnoistront la verité avant que de s’appercevoir qui’ils détruisent ceux d’Aristote.« (Oeuvres de Descartes. Publieés par Charles Adam & Paul Tannery [zukünftig AT]. 13. Bände. Paris 1897-1913, hier: Bd. III, 297,31-298,7) Was Descartes von den Aristotelikern hielt, verdeutlicht eine Äußerung aus dem Discours de la méthode (Leiden 1637): »… et ie m’assure que les plus passionnez de ceux qui suivent maintenant Aristote, se croyroient hureux, s’ils avoient autant de connoissance de la Nature qu’il en a eu, encore mesme que ce fust a condition qu’ils n’en auroient iamais davantage.« (Sixième partie, in: AT 6, 70,12-16) Sie seien wie Efeu, so heißt es nachfolgend, der nie versuche, höher zu steigen als der Baum, der ihn trage, sondern wieder herunterkomme, wenn er den Wipfel erreicht habe. Auf ähnliche Weise gingen die Aristoteliker nie über ihr Schulhaupt hinaus, sondern sie machten sich unwissender, als sie es wären, wenn sie sich überhaupt aller Studien enthalten hätten. Ihre Art zu philosophieren sei sehr bequem für Leute mit einem mittelmäßigen Geist, denn die Dunkelheit der Distinktionen und Prinzipien, deren sie sich bedienten, habe zur Folge, daß sie über alles und jedes so kühn daherreden könnten, als verstünden sie etwas davon. Vgl. ferner a. a. O., Première partie, 4,31-5,3 und 8,18-22.
1
De Anima
Da das Neue im Vergleich zum Alten immer den Vorteil besitzt, als innovativ und unverbraucht zu gelten, steht in der landläufigen Meinung der Aristotelismus des 16. und 17. Jh.s im Vergleich zur nova philosophia & scientia auf verlorenem Posten. Er erscheint als ein rückwärtsgewandtes Philosophieren, das sich nicht den neuen Herausforderungen der Zeit gestellt hat.4 Als klassisches Beispiel gilt die Weigerung des Paduaner Aristotelikers Cremonini (1550-1631), durch das von Galileo Galilei (15641642) entwickelte Fernglas zu schauen, weil er dort astronomische Phänomene wahrgenommen hätte, die mit der geltenden aristotelischen Kosmologie unvereinbar waren. Auch die rastlose Reise Giordano Brunos (1548-1600) durch die mehr oder weniger stark vom Aristotelismus geprägten Städte Lyon, Genf, Paris, Oxford, Wittenberg, Helmstedt, Padua, Venedig und schließlich Rom, wo ihm von der Hl. Inquisition unter dem Vorsitz des Jesuiten Robert Bellarmini (1542-1621) – einer der schärfsten, aber auch brilliantesten Kontrovers-Theologen jener Zeit – der Prozeß gemacht wurde, der am 17.2.1600 mit dessen Verbrennung auf dem Campo de’ Fiori sein bitteres Ende fand, erscheint wie ein Abgesang auf die aristotelische Philosophie der katholischen, lutherischen und calvinistischen Orthodoxie. Gerade dieses Zusammenspiel beider – wie auch im Falle von Galileis Auseinandersetzung mit der Inquisition in den Jahren 1616 und 1633 – gilt der neueren Zeit als besonders verdammenswert, da hierdurch die naturwissenschaftlichen Fortschritte gewaltsam unterdrückt worden seien. Eine Beschäftigung mit dem Aristotelismus des 16. und 17. Jh.s habe daher, so die allgemeine Ansicht, allein philosophiehistorischen Wert für ein besseres Verständnis der neueren philosophischen und wissenschaftlichen Bewegungen, die mit ihrer Betonung der Empirie und der strikten Trennung von Wissenschaft und Theologie einen echten Neuanfang gesetzt hätten. Dieses Bild vom wissenschaftlichen Fortschritt wurde durch Kuhns These, nach der sich die Wissenschaft in Analogie zur Politik nicht durch kumulative Entwicklungsprozesse auszeichne, sondern durch revolutionäre Umwälzungen, »in denen ein älteres Paradigma ganz oder teilweise durch ein nicht mit ihm vereinbares ersetzt wird«5, zu einem Gemeinplatz der populärwissenschaftlichen Forschung. Der Untergang des Aristotelismus erschien vor diesem Hintergrund als ein üblicher Paradigmenwechsel, wie er sich auch in anderen Bereichen der Wissenschaften – sei dies nun die kopernikanische Revolution in der Astronomie, Lavoisiers ‘Entdeckung’ des Sauerstoffs in der Chemie oder Einsteins Entwicklung der Relativitätstheorie in der Physik – ereignet. Blumenberg hat dieses Konzept jedoch zu Recht mit der Begründung abgelehnt, daß jede Diskontinuität das Bestehen einer Kontinuität voraussetze, die durch die These 4 Selbst bei einem Kenner der Materie wie Dominik Perler heißt es noch jüngst: »In ihrem Bemühen, Aristoteles und vergangene Aristoteliker zu verstehen, vernachlässigen die Scholastiker die Beschäftigung mit aktuellen Problemen. Sie verharren in der Vergangenheit.« (René Descartes. München 1998, 14) 5
Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Zweite revidierte und um das Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage. Frankfurt am Main (11973) 1976, 104.
2
Einleitung
von einer wissenschaftlichen Revolution vernachlässigt werde. Er bevorzuge daher die »Vorstellung der ‘Umbesetzung’ eines intakt bleibenden und funktional vorausgesetzten Stellenrahmens, der partielle Veränderungen nicht nur ‘erträglich’, sondern vor allem ‘plausibel’ macht«6. Der Fortschritt der Wissenschaften ereigne sich in der Form einer Genesis und nicht als Revolution, die vergessen mache, daß der epistemologische Wandel nur auf der Grundlage einer allgemein akzeptierten Lehre möglich sei. Auch verdecke sie, daß die Neuerungen nicht über alle Zweifel erhaben seien. Dies belege gerade die Kontroverse um Galileis Fernrohr, das nach den Beschreibungen zu Verdoppelungen und Verzerrungen der astronomischen Phänomene geführt habe, so daß Cremonini seine Weigerung, durch das Fernrohr zu schauen, gut damit habe begründen können, daß er seinen Kopf nicht habe verwirren wollen.7 Vor diesem Hintergrund werde man »stutzig, ob wir nicht von den Leugnern der Jupitermonde, den Verweigerern des Fernrohrdurchblicks, in der Wissenschaftsgeschichte mit den von Galilei geprägten Formeln ein allzu bestimmtes Bild der Inferiorität hingenommen haben«8. Diese Ansicht vom wesenhaft genetischen Charakter des wissenschaftlichen Fortschritts setzt sich in der neueren Forschung immer mehr durch. Damit einhergehend kam es seit Charles B. Schmitts entsprechender Forderung aus dem Jahre 19739 zu einer Neubewertung des Renaissance-Aristotelismus, der nun nicht mehr ausschließlich als Verfallsphänomen in den Blick gerät, sondern als Teil des wissenschaflichen und philosophischen Wandels. So hat die Rede von einer wissenschaftlichen Revolution für die Historiker heutigentags bestenfalls noch einen »heuristischen Wert«10, wie Leijen6
Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt am Main 31996 (11981), hier: Vierter Teil, IV. Abschnitt, 596. 7 Vgl. hierzu auch Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus im Ende der aristotelischen Welt. Aspekte der Welt und des Denkens des Cesare Cremonini (1550-1631). Frankfurt am Main 1996, 394ff. 8 Hans Blumenberg, Genesis, Sechster Teil, III. Abschnitt, 766. Zur Auseinandersetzung um die alte und neue Kosmologie vgl. ausführlich Michael Weichenhan, »Ergo perit coelum …« Die Supernova des Jahres 1572 und die Überwindung der aristotelischen Kosmologie. Wiesbaden 2004. 9 Vgl. Charles B. Schmitt, Towards a Reassessment of Renaissance-Aristotelianism (1973), in: Ders., Studies in Renaissance Philosophy and Science. London 1981, Text VI, 159-193 (Originalpaginierung), hier: 159: »One of the tasks of the intellectual historian … is constantly to re-assess and to evaluate anew the judgements of earlier historians. Not only does new documentation come to light, and new methods of analysis and synthesis are developed, but our perspective on the past is constantly changing … I would like to focus upon a single issue and attempt to show that we are now approaching the stage where Renaissance Aristotelianism must be seen in a new light.« 10 Cees Leijenhorst & Christoph Lüthy, The Erosion of Aristotelianism. Confessional Physics in Early Modern Germany and the Dutch Republic, in: The Dynamics of Aristotelian Natural Philosophy from Antiquity to the Seventeenth Century. Edited by Cees Leijenhorst u. a. Leiden u. a. 2002, 375-411, hier: 375: »… the unresolved debate over the possible essence and chronology of the socalled Scientific Revolution has produced, among most historians of science, a belief that this concept has at best an heuristic value, but is not overly helpful as a characterisation of the protracted and tortuous birth of the modern scientific disciplines.« – Alle Übersetzungen ins Deutsche stammen, soweit nicht anders vermerkt, vom Verfasser.
3
De Anima
horst und Lüthy feststellen. Statt einer scharfen Entgegensetzung von RenaissanceAristotelismus und Neuer Wissenschaft fordern beide deshalb in der Nachfolge Blumenbergs Interpretationsmodelle, die mehr dialektisch angelegt sind und den evolutionären, statt revolutionären Charakter der nova scientia betonen. In den Mittelpunkt der Forschungen rückt daher immer stärker das Bemühen, das Werden dieser Neuen Wissenschaft und Philosophie aus diesem Aristotelismus – und zwar in seiner ganzen Vielfalt – heraus aufzuzeigen, wie dies zunehmend für Galilei und Descartes geschieht11. Nur auf diese Weise läßt sich überhaupt die Eigenart der Neuen Wissenschaft angemessen beschreiben. Das Verständnis des Neuen muß also parallel laufen mit einem solchen des Alten, dann zeigt sich der fließende Übergang von einem System ins andere. So unterscheidet Wallace bei Galilei zwei Stufen eines Wissenschaftskonzepts: »… during the first stage Galileo essentially pursued a progressive Aristotelianism, somewhat tempered by his rejection of reactionary teachings with which he came in contact; and … during the second stage, which was dominated by his rhetorical and polemical concerns, he turned the knowledge he had gained against a conservative Aristotelianism that was being used to maintain a philosophical and theological status quo.«12
Die nova scientia entsteht also nicht aufgrund eines imaginierten Neuanfangs auf angeblich leergefegter Tenne (so sehr Descartes dieses Bild auch bemühte13), sondern in einer klaren Absetzbewegung von einer bestimmten Form des Aristotelismus. 11 Bereits 1940 hat John Herman Randall auf die inhaltlichen Einflüsse des Aristotelismus auf Galilei insbesondere im Bereich der Methodik aufmerksam gemacht (vgl. The Development of Scientific Method in the School of Padua, in: Journal of the History of Ideas 1 (1940), 177-206. Erneut abgedruckt in: Ders., The School of Padua and the Emergence of Modern Science. Padua 1961). Randall konnte dabei auf die bloße Tatsache zurückgreifen, daß Galilei von 1587-1589 am Collegium Romanum der Jesuiten sowie von 1592-1610 in Padua, der Hochburg des säkularen Aristotelismus, Mathematik gelehrt hat und somit mit dem zeitgenössischen Aristotelismus vertraut war. Diesen Hintergrund aufzuhellen, bildet nunmehr einen Schwerpunkt der Galilei-Forschung. Vgl. hierzu William A. Wallace, Galileo and His Sources. The Heritage of the Collegio Romano in Galileo’s Science. Princeton 1984. William R. Shea and Mariano Artigas, Galileo in Rome. The Rise and Fall of a Troublesome Genius. Oxford 2003. Nicht anders verhält sich die Sache bei Descartes. Durch die von 1607-1615 erfolgte Ausbildung am Collège Royal in La Flèche der Jesuiten war auch er mit dem Aristotelismus der Zeit vertraut. Abseits seiner stilisierten Mißachtung des Aristotelismus (vgl. hierzu Anm. 3) hielt er dieses College noch 1638 für den besten Ort zum Erlernen der Philosophie: »Et ie dois rendre cét honneur à mes Maistres, que de dire qu’il n’y a lieu au monde, où ie iuge qu’elle s’enseigne mieux qu’à la Fléche.« (Brief vom 12. September 1638 an M. le Roy in: AT 2, 378,13-16) Vgl. hierzu Roger Ariew and Marjorie Grene (Ed.), Descartes and his Contemporaries. Meditations, Objections, and Replies. Chicago 1995. Dennis Des Chene, Physiologia. Natural Philosophy in Late Aristotelian and Cartesian Thought. Ithaca 1996. Roger Ariew, Descartes and the last Scholastics. Ithaca 1999. C. F. Fowler, Descartes on the Human Soul. Philosophy and the Demands of Christian Doctrine. Dordrecht 1999. Dennis Des Chene, Life’s Form. Late Aristotelian Conceptions of the Soul. Ithaca 2000. Ders., Spirits and Clocks. Machine and Organism in Descartes. Ithaca 2001. 12 William A. Wallace, Aristotelian Influence on Galileo’s Thought, in: Aristotelismo Veneto e Scienza Moderna. Ed. Luigi Olivieri. Vol. 1. Padua 1983, 349-378, hier: 350. 13 Vgl. hierzu Descartes, Regulae ad directionem ingenii, hier: Regula III, in: AT 10, 366,10368,12.
4
Einleitung
Diese Erkenntnis, daß das Studium des Renaissance-Aristotelismus unverzichtbar ist für das Verstehen der novatores14, dient hier als Ausgangsbasis für eine weitere Darstellung dieses Aristotelismus, in der jedoch nicht wie üblich nach seinem Einfluß auf die Neue Naturwissenschaft und Philosophie gefragt wird, sondern danach, was eigentlich mit dem Ende seiner Vormachtstellung verlorengegangen ist, was also im neuen System nicht überlebt hat. Damit wird dem Sachverhalt Rechnung getragen, daß trotz der postulierten Kontinuität der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte natürlich Brüche zwischen dem Neuen und Alten bestehen, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Die vorliegende Arbeit ist dabei Teil eines größeren Projektes zur Philosophiegeschichte, in dem dieser Verlust im Verlauf des Übergangs von der aristotelischen Philosophie des Geistes zur cartesischen Philosophie der Subjektivität aufgezeigt werden soll. Was es mit diesem Programm auf sich hat, soll die nachfolgende schematische Übersicht in einem ersten Umriß verdeutlichen: 1. Die Philosophie des Geistes kritisiert jeglichen Leib-Seele-Dualismus, geht stattdessen von der Einheit beider aus, indem sie die Seele als Seins- und Wirkprinzip des Körpers und seiner Organe bestimmt. Dies bedeutet zum einen, daß sie ihn, insofern er zunächst bloße Materie (u(/lh, materia) ist, als Form (ei)=doj, forma) in seinem Da-sein konstituiert und sich mit ihm als eins (e(/n) zu einem individuellen Lebewesen vereint. Zum andern sichert sie dessen Lebensvollzug, indem sie alle seine Funktionen wie Wachstum, Ernährung, Wahrnehmung und Denken bewirkt und so das Lebewesen in seiner Vollkommenheit (e)ntele/xeia, perfectio) hält. Hierfür ist sie mit verschiedenen Vermögen ausgestattet, deren höchstes beim Menschen der Geist (nou=j, intellectus15) 14 So auch Dennis Des Chene, Life’s Form, 4: »The study of late Aristotelianism is then indispensable to understanding the novatores.« 15 Gemeinhin wird der aristotelische Begriff nou=j mit Vernunft, Verstand oder Einsicht übersetzt (vgl. hierzu die Äußerungen von Rapp/Horn im Art. Vernunft; Verstand, Abschnitt II in: HWPh 11 (2001), 748-863, hier: 750-64). So hat auch Seidl Theilers ursprüngliche Übersetzung des Begriffs mit Geist z. B. in De An. III 4, 429a22 (vgl. Aristoteles, Über die Seele. Übersetzt von Willy Theiler. In: Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Band 13. Berlin (11959) 71986, 57) rückgängig gemacht und dafür Vernunft eingesetzt (vgl. Aristoteles, Über die Seele. Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Biehl und Otto Apelt. Hamburg 1995, 167). Dies ist aber sowohl im Blick auf die griechische als auch lateinische Tradition (vgl. hierzu die Texte von Enders, Speer und Leinkauf zum Artikel Vernunft; Verstand, Absch. III und IV in: HWPh 11 (2001), 764-809) irreführend, denn an der Wurzel der deutschen philosophischen Begrifflichkeit im frühen 17. Jh. ist Vernunft die Übersetzung von ratio bzw. dia/noia, während Verstand für intellectus & mens bzw. nou=j steht, wie das folgende Zitat von Georg Gutke (1589-1634) aus seiner Logik verdeutlicht: »Logica est habitus intellectualis instrumentalis, mentis nostræ discursum informans, ut ipsa verum à falso possit discernere. Logikh/ e)stin e(/cij nohtikh\ o)rganikh\, th\n
tou= nou= h(mete/rou dia/noian diamorfou=sa w(/j ta)lhqe\j, kai\ to\ yeu=doj a)kribw=j kai\ safw=j diakri=nai oi(/an te ei)=nai. Germanicè ita. Die Logica ist eine Fertigkeit unsers Verstandes / oder un-
serer vernue nfftigen Reden / die man alß ein instrument oder Werckzeug gebraucht / die unsers Verstandes vernue nfftige Reden also vollkommen macht / das gedachter Verstand die Warheit (das ist / alle discursen in allen faculteten) gar foe rmlich / und auß gewissen grue nden desto leichter schliessen koe nne.« (Logicæ divinæ, seu peripateticæ, ad rectæ rationis principia in abstractione Entis ut vocant,
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ist. Die Philosophie der Subjektivität vertritt dagegen einen scharfen Leib-SeeleDualismus mit der substantiellen Trennung beider als res extensa und res cogitans (bzw. anima, mens & intellectus16), deren Interaktion und Form der Einheit bzw. des Einssein unklar bleibt. Ryle spricht deshalb bei Descartes polemisch vom »‘dogma of the Ghost in the Machine’«17. 2. In der Philosophie des Geistes ist das Wahrnehmen immer das Wahrnehmen von etwas, das Denken immer das Denken von etwas. Dieses Gerichtetsein auf … zeigt das Schon-immer-Sein bei einem Gegenstand an. Nur diese Intentionalität ermöglicht auch das Erwerben von Wissen. Dabei hat sich der Geist im Denken an das zu Denkende anzugleichen (assimilatio scientis ad scitum), das in der theoria als ens necessarium dessen Verfügbarkeit vorausliegt. In der Philosophie der Subjektivität gibt es dagegen keine solche Intentionalität des Denkens, denn dort kommen alle geistigen Regungen in der Unmittelbarkeit der Selbstwahrnehmung überein: Ich bin es, der will, der sich etwas vorstellt, denkt oder fühlt.18 Folglich kann nichts in mir sein, dessen ich mir nicht bewußt bin. _________________________________________________________________________________________________________
revocatæ, et in synopsin in usum tironum redactæ, libri duo. Köln (an der Spree) 1631, hier: Præcognita, nr. III, 3f.) Diese Überordnung des Verstandes über die Vernunft liegt gemäß An. Post. II 19 in seiner Funktion als Vermögen der Prinzipienerkenntnis begründet, wie weiter unten deutlich werden wird. Dem Denken der Frühen Neuzeit entsprechend wären also Verstand & Verstehen die angemessene Übersetzung für nou=j & noei=n. Der Nachteil dieser Begrifflichkeit besteht jedoch darin, daß zum einen der Begriff Verstand seit Kant nicht mehr das oberste Vermögen bezeichnet, sondern der Vernunft untergeordnet worden ist und zum andern die Diskussionen um den nou=j paqhtiko/j & poihtiko/j (intellectus possibilis & agens) in De An. III 4 und 5 eine epistemologische und ontologische Dimension haben, die im Deutschen vom Begriff Verstand nicht umfaßt wird. Es geht hierbei um das Denken (to\ noei=n, De An. III 4, 429a13) in seiner allgemeinsten (vgl. 429a10f.: ginwskei=n & fronei=n) und zugleich speziellsten Form (vgl. An. Post. II 19, 100b15: der nou=j als e)pisth/mhj a)rxh/), und es geht um den intellectus agens, der von einigen Autoren mit Gott gleichgesetzt wird. Gott ist aber nicht Verstand, sondern Geist. Der Verfasser hält daher die Übersetzung von nou=j mit Geist trotz der damit einhergehenden Überschneidungen mit dem theologischen und medizinischen Gebrauch dieses Begriffs (für pneu=ma bzw. spiritus) insgesamt am geeignetsten zur Beschreibung dessen, worum es Aristoteles hierbei ging. Vgl. auch die Überlegungen von Werner Beierwaltes zur Übersetzung von Plotins Bestimmung des nou=j mit Geist in: Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen. Frankfurt am Main 2001, 17f. 16 Vgl. Descartes, Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animæ immortalitas demonstratur (Paris 1641), hier: Med. II, in: AT VII, 27,13-17: »sum igitur praecise tantùm res cogitans, id est, mens, sive animus, sive intellectus, sive ratio, voces mihi priùs significationis ignotae. Sum autem res vera, & vere existens; sed qualis res? Dixi, cogitans.« Weiter unten heißt es: »Sed quid igitur sum? Res cogitans. Quid est hoc? Nempe dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens, nolens, imaginans quoque, & sentiens.« (A. a. O., 28,20-22) Res cogitans, mens & intellectus werden also unterschiedslos verwendet. 17 Gilbert Ryle, Concept of Mind. London 1963 (11949), 15. 18 Descartes, Principia Philosophiæ (Amsterdam 1644), hier: I 9, in: AT 8,1, 7,20-23: »Cogitationes nomine, intelligo illa omnia, quæ nobis consciis in nobis fiunt, quatenus eorum in nobis conscienta est. Atque ita non modò intelligere, velle, imaginari, sed etiam sentire, idem est hîc quod cogitare.«
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Einleitung
3. Sofern der menschliche Geist für Aristoteles über keine angeborenen Kenntnisse verfügt, ist er zu Beginn seines je individuellen Lebens einer tabula rasa (vgl. De An. III 4, 429b29-430a2) vergleichbar, einer unbeschriebenen Tafel, die mit allem möglichen beschrieben werden kann. Auf ähnliche Weise muß der Geist alles lernen, um Wissen zu erwerben. Das Ziel einer jeden klassischen Philosophie – die Realisierung der Forderung des delphischen Orakels nach dem ‘gnw=qi seauto/n’ (‘Erkenne dich selbst’)19 – geschieht daher in der Philosophie des Geistes nur durch einen auf einen anderen (äußeren) Gegenstand gerichteten Erkenntnisakt, in dem sich der Geist gleichsam nebenher als der Erkennende erkennt. Locus classicus für diese Ansicht ist De An. III 4, 429b9.20 In der Philosophie der Subjektivität geschieht die Selbsterkenntnis dagegen unmittelbar aus dem cogito heraus: »Das Denken ist es; es allein kann nicht von mir abgetrennt werden.«21 Dem Geist ist also nichts gegenwärtiger als er sich selbst22, und weil vom Bewußtsein her das Sein erschlossen wird, ist dieses cogito zugleich das fundamentum inconcussum der Gewißheit für die eigene Existenz: ‘cogito, ergo sum’. In dieser Folgerung vom Denken auf die Existenz erkennt Maclean zu Recht »[an] apparent mixture of ontology and epistemology«23, denn das Denken sei nicht der Grund 19 Der jüdische Arzt und Philosoph Isaak ben Salomon Israeli (im 9. Jh.) hat diese Bestimmung der Philosophie in seiner 1140 ins Lateinische übersetzten Schrift Liber de definicionibus auf die kurze Formel gebracht: »Philosophiae vero descripcio ex scientia sua est quod philosophia est cognicio hominis sui ipsius …« Zitiert nach Theodor W. Köhler, Grundlagen des philosophischanthropologischen Diskurses im dreizehnten Jahrhundert. Die Erkenntnisbemühungen um den Menschen im zeitgenössischen Verständnis. Leiden u. a. 2000, 59. Köhler hat in dieser voluminösen Studie die immense Bedeutung dieser Definition für die Scholastik aufgezeigt (vgl. a. a. O., 441ff.). Bekanntlich hat auch noch Hegel seine Philosophie des Geistes unter dieses Motto gestellt: »Die Erkenntnis des Geistes ist die konkreteste, darum höchste und schwerste. Erkenne dich selbst, dies absolute Gebot hat weder an sich noch da, wo es geschichtlich ausgesprochen vorkommt, die Bedeutung nur einer Selbsterkenntnis nach den partikulären Fähigkeiten, Charakter, Neigungen und Schwächen des Individuums, sondern die Bedeutung der Erkenntnis des Wahrhaften des Menschen wie des Wahrhaften an und für sich, – des Wesens selbst als Geistes.« (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit den mündlichen Zusätzen, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden. Frankfurt am Main 1986, hier: Bd. 10, hier: § 377, 9) 20 Vgl. Aristoteles, De Anima. Recognovit brevique adnotatione instruxit W. D. Ross. Oxford 1956, hier: III 4, 429b9: »… kai\ au)to\j [sc. nou=j] de\ au(to\n to/te du/natei noei=n.« / »… und dann vermag er [sc. der Geist] auch sich selbst zu erkennen.« Theiler übersetzt hier mißverständlich mit: »… und dann vermag er aus sich heraus zu denken.« (Aristoteles, Über die Seele, 58) In diesem Zusammenhang geht es aber nicht um die Eigenmächtigkeit des nou=j, sondern um seine Selbstwahrnehmung im Denken eines anderen. – Vgl. ferner De An. III 7, 431a14-17 und III 4, 430a3-7. 21
Descartes, Med. II, in: AT VII, 27,8: »cogitatio est; hæc sola a me divelli nequit.« Vgl. a. a. O., 34,5f.: »… aperte cognosco nihil facilius aut evidentius meâ mente posse a me percipi.« Vgl. Ders., Principia Philosophiæ I 11, in: AT 8,1, 8,17-19: »Jam verò ut sciatur, mentem nostram non modò priùs & certiùs, sed etiam evidentiùs quàm corpus cognosci …« 22
23 Ian Maclean, Language in the mind: reflexive thinking in the late Renaissance, in: Philosophy in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Conversations with Aristotle. Edited by Constance Blackwell and Sachiko Kusukawa. Aldershot 1999, 296-321, hier: 298.
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des Seins. Durch Descartes’ Umkehrung dieses Verhältnisses werde das cogito gleichsam zeit- und daseinslos24, weil es jeder sinnlichen Vermittlung über ein außerhalb des Denken Seiendes ‘schon immer’ vorausliege: Das cogito muß nicht erst als Wissen erworben werden, das notwendig in der Zeit erfolgt, sondern ist die epistemologische Basis für jedes nachfolgende Wissen. 4. In der Philosophie des Geistes verläuft der Bildungsprozeß des Einzelnen nicht in sich gekrümmt, sondern in der Interaktion mit anderen. Der Wissenserwerb ist nie ein solipsistisches Unternehmen, das einer aus sich selbst heraus vollzieht, sondern ein intersubjektives, in dem jeder zur Wissens- und damit Wahrheitsfindung etwas beiträgt. Die Philosophie des Geistes ist dergestalt aus dem Geist für den Geist, wie in hegelscher Terminologie, aber im aristotelischen Sinne gesagt werden kann. Sie ist wesentlich Dialog, kein Monolog eines Einzelnen, wie wir ihn in Descartes’ Meditationes de prima philosophia finden, der ohne Interaktion mit seinen Mitmenschen bleibt. Das cogito ist dergestalt »outside language«25, wie Maclean betont, sofern es keine Interaktion mit anderen voraussetzt, oder es verfügt über eine Privatsprache, die mit niemandem geteilt werden kann, da sie absolut selbstreferentiell ist. Kenny nennt dieses Phänomen »the cartesian privacy«26. Diese Privatheit ist für Maclean wiederum der Grund, weshalb Descartes der Theorie von den angeborenen Ideen bedarf, »which calls into question the primacy of the cogito«27, da das Wissen als Wissen anders nicht sichergestellt werden könne. 5. Die Philosophie des Geistes zeichnet sich schließlich durch eine Immanenz und Transzendenz des menschlichen Geistes aus. Immanenz meint dabei den innerweltlichen Bereich, das Sein in dieser Welt der vor- und zuhandenen Dinge. Zugleich aber ist dieser menschliche Geist über diese Welt hinaus, sofern er im Durchdenken dieser Welt Anteil gewinnt am Denken Gottes, ja ein Wissen vom Denken Gottes erreicht. In der Philosophie des Geistes ereignet sich also sein Gott-ähnlich-Werden, so daß wiederum in hegelscher Terminologie gesagt werden kann: Der (göttliche) Geist ist nur für den (menschlichen) Geist. In der Philosophie der Subjektivität findet sich eine solche sachliche und begriffliche Zusammenführung beider nicht. 24 Vgl. a. a. O., 299: »… for Descartes the human subject is said to know itself immediately in two senses: in time, and in being simultaneously the object and subject of its own enquiry. This leads to the following problem: the present-to-itself subject actively thinks itself and of itself outside time …« 25 Ebd. 26 Anthony Kenny, Cartesian Privacy, in: The Anatomy of the Soul. Historical Essays in the Philosophy of Mind. Bristol 1973, 113-128, hier: 119: »The introduction of cogitatio as the defining characteristic of mind is tantamount to the substitution of privacy for rationality as the mark of the mental.« 27 Ian Maclean, Language, 299. Maclean verweist hierfür auf folgende Äußerung Descartes’: »Sed omnino sufficit ut id sciat cogitatione illa interna, quæ reflexam semper antecedit, & quæ omnibus hominibus de cogitatione et existentia ita innata est, ut, quamvis forte præjudiciis obruti, & ad verba magis quàm ad verborum significationes attenti, fingere possimus nos illam non habere, non possimus tamen revera non habere.« (Responsio ad sextas objectiones, in: AT VII, 422,12-18)
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Einleitung
Um die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Weisen der Selbstrealisierung des menschlichen Geistes bzw. Bewußtseins klären zu können, bedarf es umfangreicher Vorarbeiten, die mit dem Aufweis des Bestehens einer Philosophie des Geistes im Renaissance-Aristotelismus des 16. und 17. Jh.s beginnen müssen. Einen ersten Einstieg hierfür bietet die vorliegende Arbeit zur Rezeption der aristotelischen Psychologie. Bevor dies im einzelnen näher ausgeführt werden soll, ist zunächst zu verdeutlichen, daß es sich hier um ein originär aristotelisches Konzept handelt, ja daß der Stagirite zu Recht als der Begründer einer Philosophie des Geistes gelten kann, welche die Disziplinen der Logik, Psychologie und Metaphysik umfaßt. 1. In der Schrift Analytica posteriora II 19, 100b12 bestimmte Aristoteles die Funktion des nou=j im Wissenschaftsgefüge als Prinzipienerkenntnis, welche die Grundlage alles Wissens sei (e)pisth/mhj a)rxh/, 100b15). Sofern es nämlich keinen progressus ad infinitum des Wissens geben dürfe, müßten die Prinzipien des Wissens erkannt werden. Erst das Zusammen von e)pisth/mh & nou=j sichert also für Aristoteles das Wissen als Wissen. 2. In der Nikomachischen Ethik wie auch in der Metaphysik werden Gott und der Mensch im Begriff des Geistes zusammengeführt. Zunächst wird der nou=j neben der te/xnh, e)pisth/mh, fro/nhsij & sofi/a als einer der fünf Haltungen (e(/ceij) der Seele bestimmt (vgl. EN VI 3, 1139b16f.). Nachfolgend wird er wie in An. post. als ein Vermögen zur Prinzipienerkenntnis definiert (vgl. VI 6, 1140b31-1141a8). Sofern nun diese Prinzipien bei Aristoteles das höchste Erkenntnisobjekt sind, erhält der nou=j im Menschen den obersten Rang (vgl. X 7, 1177a20f.), ist die eu)daimoni/a – die Glückseligkeit als das Telos des Menschen, die nichts anderes ist als das Tätigsein der Seele gemäß der vorzüglichsten und vollkommensten Auszeichnung (vgl. I 7, 1098a16f.) – in ihrer höchsten Ausprägung ein Leben gemäß dem nou=j. Da aber dieses Leben im Geist eine vollkommene Autarkie erfordert, in der das reine Denken des Denkens (no/hsij noh/sewj, Met. XII 9, 1074b34) erfolgt, ist dem Menschen ein solches Leben nur vorübergehend möglich, und auch nur dann, wenn etwas Göttliches in ihm wohnt. In der partiellen geistigen Schau (h( qewri/a) als Tätigsein der Seele nähert sich der Mensch also dem Göttlichen an; gleichzeitig bestimmt sie aber die unübersteigbare Differenz zwischen dem göttlichen und menschlichen Geist: Jener befindet sich immer im Zustand der qewri/a als der ihm allein angemessene Tätigkeit (nou= e)ne/rgeia, Met. XII 7, 1072b27), und sie ist an sich selbst vollkommenes und ewiges Leben. Dem Menschen ist dagegen ‘nur’ ein Leben gemäß dem Geiste – o( kata\ to\n nou=n bi/oj – möglich. Aber auch dieses Leben ist, wie selten es auch statthat, etwas Göttliches, kommt doch in ihm die Transzendenz des Menschen, sein Streben nach dem Höchsten deutlich zum Vorschein (vgl. EN X 7, 1177b26-1178a8). 3. Am umfänglichsten hat Aristoteles den Begriff des nou=j in De Anima28 III 4 und 5 28 Noch Hegel hat diese Schrift als »das vorzüglichste oder einzige Werk von spekulativem Interesse über diesen Gegenstand« (Enzyklopädie III, in: Werke, Bd. 10, § 378, 11.) gelobt. Der wesentli-
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thematisiert. Er bestimmt ihn dort zunächst als das oberste Vermögen der menschlichen Seele, dessen Operation das noei=n ist, welches das nohto/n, das Denkbare, erkennt (vgl. III 4, 429a10f.). Nachfolgend unterscheidet er zwischen einem nou=j paqhtiko/j, der alles wird, und einem nou=j poihtiko/j, der alles macht (vgl. III 5, 430a14ff.). Diesem kommen neben den beiden gemeinsamen Attributen ‘abgetrennt’ (xwristo/j), ‘inaffiziert’ (a)paqe/j) und ‘unvermischt’ (a)migh/j) auch noch die Auszeichnungen ‘unsterblich’ (a)qa/natoj) und ‘ewig’ (a)i+/dioj) zu. In einem zweiten Schritt kann nun gezeigt werden, daß diese Philosophie des Geistes, insbesondere die Noetik aus De An. III 4 und 5, nicht nur »im Mittelpunkt des aristotelischen ‘Systems’ (stand), sondern überhaupt die mit höchster Intensität, größter Konstanz und unterschiedlichsten Ergebnissen rezipierte philosophische Theorie«29 ist. Denn seit Theophrast (372/69-288/7 v. Ch.), einem unmittelbaren Schüler des Aristoteles, war diese Geistphilosophie über die antiken Autoren Alexander von Aphrodisias (2./3. Jh. n. Ch.), Themistius (ca. 317-388) und Simplicius (ca. 5./6. Jh.), über die Araber Avicenna (980-1037) und Averroes (1126-1198), die Scholastiker des Mittelalters Albertus Magnus (um 1200-1280), Thomas von Aquin (1124-1274) und Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1349), um nur diese zu nennen, bis ins 16./17. Jh. hinein Gegenstand der heftigsten inneraristotelischen Auseinandersetzungen. Die These der vorliegenden Arbeit ist nun, daß sich gerade am Ende dieser langen Tradition im 16./17. Jh. eine neue Qualität dieser Geistphilosophie ausbildete, die mit vollem Recht Philosophia mentis genannt zu werden verdient. Denn neben den gängigen Disziplinen der Logik, Metaphysik und Psychologie, in denen dieser Begriff thematisiert wurde30, etablierte sich eine neue Disziplin mit dem Namen Intelligentia bzw. Noologia. Ferner verstand man alle genannten Wissenschaften als verschiedene Haltungen des menschlichen Geistes (habitus intellectuales animæ). Erst diese Habitualisierung führte zu ihrer Sammlung im Begriff des Geistes, wie die nachfolgende kurze Übersicht verdeutlicht: 1. Die Logik wird beim Paduaner Jacobus Zabarella (1533-1589), beim Wittenberger Jacob Martini (1570-1649) und seinem Schüler und späteren Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin Georg Gutke als habitus instrumentalis intellectualis definiert, als eine qualitative Bestimmung des menschlichen Geistes, durch die er in die Lage versetzt wird, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden.31 Hierfür bildet er _________________________________________________________________________________________________________
che Zweck einer Philosophie des Geistes könne nur der sein, den Begriff in die Erkenntnis des Geistes wieder einzuführen und damit den Sinn jener aristotelischen Bücher neu aufzuschließen. 29 Andreas Kamp, Philosophiehistorie als Rezeptionsgeschichte. Die Reaktion auf Aristoteles’ De Anima-Noetik. Der frühe Hellenismus. Amsterdam 2001, 12. 30 Selbst in der Ethik wurde gemäß EN VI 7-13 die Frage diskutiert, ob dem theoretischen oder praktischen Lebensvollzug der Vorrang gebühre: Ist ein Leben kata\ to\n nou=n höher zu schätzen als eines kata\ th\n fro/nhsin? 31 Vgl. Jacobus Zabarella, De natura Logicæ libri duo, in: Opera Logica. Köln 1597 (Nachdruck Hildesheim 1966), hier: lib. I, c. 20, 52B-C: »est enim logica habitus intellectualis instrumentalis, seu
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sich als ein Hilfsmittel die sogenannten Begriffe zweiter Ordnung (secundæ notiones) wie genus, species, nomen, verbum, conceptus, enunciatio & ratiocinatio etc., um mit ihrer Hilfe eine (vollkommenere) Erkenntnis der Dinge zu erreichen, die ihm ansonsten aufgrund seiner eigenen Schwäche – infirmitas mentis – nur unvollkommen gelänge oder gänzlich versagt bliebe. Das mentem informare ist so die spezifische Eigenschaft der Logik, die (Selbst-) Bildung des Geistes. Daneben kommt der (heidnischen) Logik des Aristoteles aber noch die Auszeichnung als »Logik Gottes«32 zu, wie es bei Gutke heißt. Damit gab er zu erkennen, daß sich Gott in seinem reinen Denken, wie es die Hl. Schrift bekundet, dieser idealen Logik bedient hat. Gleichwohl bleibt diese Logik von der menschlichen Logik sachlich und begrifflich unterschieden: Ein Verstehen der Trinität ist nur supra rationem möglich und erfordert eine andere Begrifflichkeit, den conceptus transcendentalis. 2. Die Metaphysik wird bei Martini und Gutke im Rekurs auf EN VI 7, 1141b2f. als habitus sapientiæ (sofi/a) bestimmt, der wiederum in sich die beiden habituellen Bestimmungen scientia (e)pisth/mh) & intellectus (nou=j) vereinigt.33 Die scientia ist eine Haltung, in der man die Ursachen der res necessariæ weiß, und der intellectus (in seiner engen Bedeutung) eine Haltung, in der man die ersten Prinzipien dieser Dinge kennt. Die Erkenntnis der Wissenschaft gründet also in den Prinzipien dieser Erkenntnis, die mithilfe des intellectus ermittelt werden. Die Metaphysik als sapientia ist damit, so Gutke, »die Vollkommenheit des [menschlichen] Geistes«34, da er nun die Prinzipien und Ursachen einer Sache benennen kann. Sofern nun aber, und dies ist der Höhepunkt von Gutkes spekulativer Philosophie, die höchste aller Vollkommenheiten in Gott ist, muß die höchste und geistige Metaphysik in ihm sein, und diese Metaphysik _________________________________________________________________________________________________________
disciplina instrumentalis à Philosophis ex Philosophiæ habitu genita, quæ secundæ notiones in conceptibus rerum fingit, & fabricat, ut sint instrumenta, quibus in omni re verum cognoscatur, & à falso discernatur.« Jacob Martini, Institutionum logicarum libri VII. Wittenberg 1610, hier: Proœmium, c. I, 1: »Logica est habitus intellectus Organicus mentis nostræ discursum informans, ut ipsa verum à falso accuratè discernere possit.« Zu Gutke vgl. Anm. 15. 32 Gutke, Habitus primorum principiorum, seu Intelligentia. Annexæ sunt appendicis loco Disputationes super eodem habitu tum in Academia Wittebergensi, tum in Gymnasio Berlinensi ventilatæ. Berlin 1625, hier: Præloquium, A6r: »Aristotelis enim Logica ipsius DEI Logica est …« 33 Vgl. Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo. Wittenberg (11608) 31615, hier: Lib. I, ex. II, th. II, 31f.: »Est itaque secundum Aristotelem & veritatem ipsa Metaphysica Sapientia, quippe quæ utrumque habitum, tam nou=n, quàm e)pisth/mhn, conjungit, principiaque simul & conclusiones respicit, quod proprium quoque sapientiæ esse docet Philosophus l.6. Moral. Nico. c.7.« Gutke, Primæ Philosophiæ, quam vulgo Metaphysicam vocant, pars generalis XIV disputationibus tùm publicis, tùm privatis ventilata in Illustrissima Academia Wittebergensi. Wittenberg 1618, hier: Disp. I (De natura et constitutione primæ Philosophiæ, Wittenberg 1615), Præloquium, thesis V, A3r: »Definitur itaque Metaphysica, quòd sit Sapientia contemplans Ens quatenus Ens, & quæ ei immediatè insunt.« A. a. O., q. V, B4v: »Cùm enim sapientia sit Metaphysica: Sapientia autem scientiâ & intelligentiâ constet …« 34
Gutke, Habitus, c. III, th. X, E4v: »… Metaphysica est perfectio mentis …«
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ist Mensch geworden.35 Der menschliche Geist, der sich in der Metaphysik vervollkommnet, ist also der ‘Ort’, an dem sich zugleich die geistige Metaphysik Gottes realisiert. 3. Die von Gutke als consiliarius der Metaphysik bezeichnete Schrift Habitus primorum principiorum seu Intelligentia von 1625 begründet eine neu strukturierte Erkenntnistheorie, in welcher der Geist als ein habitus intellectualis principalis die subtilitas rerum, die Relationalität und Verwandtschaft der Dinge untereinander betrachtet, aus der die ersten Prinzipien des Erkennens fließen.36 Denn obgleich die Metaphysik vom Prinzip handelt, seinen Begriff und seine Einteilung in das principium cognoscendi & essendi erörtert, bleibt unklar, worin diese Prinzipien ‘gründen’, und genau diese Frage ist Gegenstand der Noologie. Dabei kennzeichnet die Subtilität eine Ordnung, durch welche die Dinge aufgrund ihrer gegenseitigen Verwandtschaft und Verbindung wechselweise so aufeinander bezogen sind, daß der Mensch durch die Betrachtung dieser Ordnung erkennt, warum Gott weder etwas ihm selbst völlig Ähnliches noch auch etwas von ihm völlig Verschiedenes hat schaffen wollen. Aus dieser erkannten Verwandtschaft werden die Prinzipien ermittelt, auf die sich eine genaue und feste Erkenntnis mit Sicherheit stützen kann. Die Subtilität der Dinge verweist also zum einen auf ihr metaphysisches Fundament in Gott, dessen Schöpfung eine Erkennbarkeit der Dinge aufgrund ihrer Ähnlichkeit und Verwandtschaft gewährt und sicherstellt, und zum andern auf die Prinzipien der Dinge, die für jede Erkenntnis das Maß sind. Der Wittenberger Philosoph und Theologe Abraham Calov (1612-1686) hat hierauf aufbauend diese Funktion des intellectus in eine Gnostologia und Noologia ausdifferenziert. Der Unterschied zwischen beiden, die er jeweils habitus mentis principalis nennt, besteht für ihn darin, daß die Gnostologie das Erkennbare als Erkennbares betrachtet und damit die Grundlage jeder Erkenntnistheorie bildet, während die Noologie wie bei Gutke die affinitas rerum, die Verwandtschaft der Dinge zum Gegenstand hat, aus der die ersten Prinzipien des Erkennens fließen.37 4. Der Locus De anima erfährt im Verlauf des 16. und 17. Jh.s einige begriffliche und sachliche Veränderungen. Der bereits bei Aristoteles angelegte enge Zusammenhang von Körper und Seele führt in der protestantischen Schulphilosophie zur Fixierung des 35
Vgl. ebd.: »Metaphysica DEI spiritualis est homo facta.«
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Vgl. a. a. O., c, II, th. IX, C1v: »Intelligentia est habitus intellectualis principalis, contemplans subtilitatem, quatenus ex eadem principia cognoscendi fluunt.« Gutke verwies in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf EN VI 6, 1140b31-1141a8, wo Aristoteles als Gegenstand des nou=j die a)rxai/ bestimmt hat (vgl. a. a. O., c. I, th. VI, B4v). 37 Vgl. Abraham Calov, Scripta philosophica. I. Gnostologia. II. Noologia, seu habitus intelligentiæ. III. Metaphysicæ divinæ pars generalis. IV. Metaphysicæ divinæ pars specialis … Wittenberg 2 1673 (Lübeck 11651), hier: Gnostologia, Proœmium, th. I, 2: »Gnostologia est habitus mentis principalis, contemplans cognoscibile, quà tale.« A. a. O., Noologia, c. I, 38: »Noologia est habitus mentis principalis affinitatem rerum contemplans, quatenus ex eadem prima cognoscendi principia fluunt.«
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Begriffs Anthropologia und zur Ausbildung einer gleichnamigen philosophischen Disziplin, die sich als eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen aus den Bereichen Anatomia bzw. Somatologia und Psychologia – ebenfalls Neologismen der Zeit – zusammensetzt. In den Mittelpunkt der Psychologie rückt dabei die Bestimmung der anima rationalis (einschließlich des intellectus), die Zabarella und Martini ontologisch hinsichtlich ihres Seins (secundum esse) und epistemologisch hinsichtlich ihrer Funktion (secundum operationem) bestimmten.38 Da die Darstellung dieser vier Disziplinen den üblichen Rahmen einer Dissertation sprengen würde, beschränkt sich die vorliegende Arbeit zunächst auf die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jh. – in der Hoffnung, die übrigen Disziplinen im Rahmen des genannten Projekts eines Vergleichs der aristotelischen Philosophie des Geistes mit der cartesischen Philosophie der Subjektivität darstellen zu können. Die Psychologie bietet sich hierbei insofern als ein erster Einstieg an, weil an ihr nicht nur die epistemologische, sondern auch die ontologische Dimension des menschlichen Geistes verdeutlicht werden kann. Sie bietet also das unabdingbare Gerüst für die Königsdisziplin der Metaphysik mit ihrem instrumentum der Logik und ihrem consiliarius der Noologie. 1.2. Wurzeln der zeitgenössischen Debatte Ein erster Überblick über die Debatten des 16. und 17. Jh.s zur Naturphilosophie im allgemeinen und zur Psychologie im besonderen kann anhand einer Leseliste gewonnen werden, die Calov den Theologiestudenten im Rahmen seiner Isagoges ad SS. Theologiam libri duo von 1666 gegeben hat: »Für den allgemeinen Teil [sc. der Naturphilosophie] ist es hilfreich, von den neueren Autoren Scharfs Physik wie auch die des Sperling zu lesen. … Nicht ohne Nutzen aber wird man die Conimbricenser und Zabarella lesen, denen man, wenn Zeit ist, Rubius, Pererius und Toletus hinzufügen kann. Für den besonderen Teil der Naturphilosophie liest man neben Sperling, Scharf und Magirus auch Wendelin und Basson. Die spezifischen Dinge erklären umfangreich die Conimbricenser, Keckermann, Scaliger, Bartholin und Sennert, denen man von den Alten Aristoteles und Theophrast hinzufügt.«39
38 Vgl. Zabarella, De mente humana, in: De rebus naturalibus libri XXX. Frankfurt 21607 (Nachdruck Frankfurt 1966), hier: c. 1, 916A: »Duorum autem principium est anima, corporis animati tanquam forma, & operationum tanquam effectrix …« Martini, Exercitationes nobiles de anima. Wittenberg 1606, hier: Ex. I. De anima in genere. Wittenberg 1606, B2v-B4r: »Relinquitur igitur, quod anima sit forma: Quandoquidem forma dat esse rei … Verius rectiusque dicitur anima caussa & principium omnia agitationis in re animata, cum revera anima illud sit principium, quo vivimus, sentimus, movemur & intelligimus.« 39 Abraham Calov, Isagoges ad SS. Theologiam libri duo, De Natura Theologiæ, et Methodo Studii Theologici, piè, dextrè, ac feliciter tractandi, cum examine Methodi Calixitinæ. Wittenberg 1666. Liber secundus, 108 [eigene Paginierung]: »In parte Generali [sc. Physicæ] è recentioribus legere
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Calov empfahl also konfessionsübergreifend neben Aristoteles, dessen Werke Physica und De Anima seit den Übersetzungen von Jacobus Venetus (1231-1314), Michael Scotus (1175-1235) bzw. Wilhelm von Moerbeke (1215-1286) im Verlauf des 12. und 13. Jh.s verfügbar waren40, und Theophrast41 die lutherischen Autoren Johannes Scharf (1595-1660)42, Johannes Sperling (1603-1658)43, Johannes Magirus (gest. 1596)44, Caspar Bartholin (d. Ä., 1585-1629)45 und Daniel Sennert (1572-1637)46, aber auch die katholischen Schriftsteller Zabarella47, die Conimbricenser48, Antonius Rubius (im 16. _________________________________________________________________________________________________________
juvat Dn. Scharffii Physicam recognitam, ut & Dn. Sperlingium … Non absque fructu autem legentur Conimbrincenses & Zabarella, quibus, si vacat, addantur Rubius, Pererius, & Toletus. In speciali Physicâ, præter Sperlingium, Scharffium, Magirum, vel etiam Wendelinum ac Bassonem legantur, qui specialia non pauca enodant Conimbrincenses, Keckermannus, Scaliger, Bartolinus, Sennertus, quibus è Veteribus accedant Aristoteles & Theoprastus.« In den nachfolgenden Anmerkungen wird eine Bestimmung der Werke gegeben, auf die sich Calov wahrscheinlich bezog. Wo nicht auf eigene Quellen zurückgegriffen werden konnte, erfolgt der Nachweis der Titel nach Wilhelm Risse, Bibliographia philosophica vetus. Band 5. De anima. Band 6. Philosophia naturalis. Hildesheim 1998. Zum zeitgenössischen Hintergrund vgl. ferner Martin Lipenius, Bibliotheca Realis Philosophica. Frankfurt am Main 1682 (Nachdruck Hildesheim 1967), 59-67. 40
Vgl. hierzu Bernard G. Dod, Aristoteles latinus, in: CHLMP, 45-79, hier: 54-62. Danach übersetzte Jacobus Venetus die Schrift De Anima wohl im 12. Jh. aus dem Griechischen ins Lateinische. Sie wird gemeinhin als translatio antiqua bezeichnet. Eine neue Übersetzung fertigte Scotus ca. 1220-35 im Rahmen der Herausgabe der Aristoteles-Kommentare des Averroes an. Moerbeke überarbeitete schließlich um 1260 die Übersetzung des Venetus, die in dieser Gestalt bis ins 16. Jh. hinein von Bedeutung blieb. Sie ist noch in der berühmten Giunta-Ausgabe der Opera omnia Aristotelis (Venedig 1550-52) enthalten. Zu ihrem Einfluß im Renaissance-Aristotelismus vgl. 3.1. 41 Es ist merkwürdig, daß Calov auf Theophrast verwies, dessen fünf Bücher zur Physik und zwei Bücher zur Psychologie wir nur aus einigen Paraphrasen bei Themistius sowie Priscian kennen. Vgl. hierzu ausführlich Andreas Kamp, Philosophiehistorie, 89-114. 42 Johannes Scharf, Physica. Leipzig 21626. Manuale Physicum. Leipzig 1635. Pneumatica seu Pneumatologia [einschließlich einer Doctrina de anima rationali]. Wittenberg 1629. Dieses Werk war dem Verfasser leider nicht zugänglich. Zu Scharf vgl. Zedler 34, 932-35. Lohr, 409-10. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 500-501 und 509-512. 43
Johannes Sperling, Institutiones physicae. Wittenberg 1639. Synopsis physica. Leipzig 1640. Physica anthropologia. Wittenberg 1647. Meditationes in Julii Cæsaris Scaligeri Exotericas Exercitationes, De Subtilitate. Wittenberg 1656. Zu Sperling vgl. Zedler 38, 1516-18. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/2, 927 und 932-35. 44 Johannes Magirus, Physica peripatetica. Frankfurt 1597. Physiologiæ peripateticæ libri sex. Frankfurt 1603. Zu Magirus vgl. Zedler 19, 307. 45 Caspar Bartholin, Exercitatio de stellarum natura, affectionibus et effectionibus. Wittenberg 1607. Anatomicae institutiones corporis humani utriusque sexus. Wittenberg 1611. Systema physicum. Kopenhagen 1628. Zu Bartholin vgl. Zedler 3, 544f. Lohr, 34f. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/2, 1249f. 46
Daniel Sennert, Epitome naturalis scientiae. Wittenberg 1618. Hypomnemata physica. Frankfurt 1636. Zu Sennert vgl. Zedler 37, 74-77. Lohr, 417f. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/2, 928-32. 47 Zabarella, De rebus naturalibus libri XXX (vgl. Anm. 38). Commentarii in magni Aristotelis libros Physicorum, item in libros de Generatione et corruptione, item in Meteora. Frankfurt 1602.
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Jh.)49, Benedictus Pererius (1536-1610)50, Franciscus Toletus (1532-1596)51, Sébastian Basson (ca. 1574-1621)52 und Julius Caesar Scaliger (1484-1558)53 sowie die calvinistischen Autoren Marcus Friedrich Wendelin (1584-1652)54 und Bartholomäus Kekkermann (1572/3-1609)55 zur Lektüre. Der Grund für Calovs Interkonfessionalität dürfte zum einen an der auf lutherischer Seite praktizierten Trennung von Philosophie und Theologie liegen, so daß man von den theologischen Differenzen im Rahmen der philosophischen Wissensvermittlung weitestgehend absehen konnte56, zum andern an der _________________________________________________________________________________________________________
Commentarii in III. Aristotelis libros de anima. Frankfurt 1606 (Nachdruck Frankfurt am Main 1966). Zu Zabarella vgl. 3.1., Anm. 14. 48 Collegium Conimbricense, Commentarii in octo libros Physicorum Aristotelis Stagiritæ. Coimbra 1592. Commentarii in quatuor libros de Cœlo. Coimbra 1592. Commentarii in libros Aristotelis, qui Parva Naturalia appellantur. Lyon 1593. Commentarii in quatuor libros de Cœlo Aristotelis Stagiritæ. Lyon 1594. Commentarii in libros Meteorum Aristotelis Stagiritæ. Lyon 1594. Commentarii in tres libros De Anima Aristotelis Stagiritæ. Coimbra 1595. Commentarii in duos libros de Generatione et Corruptione. Mainz 1597. Zu den Conimbricensern vgl. 3.1., Anm. 5. 49
Antonius Rubius, Commentarii in octo libros Aristotelis de physico auditu, seu auscultatione. Compluti 1605. Zu Rubius vgl. Lohr, 395f. 50 Benedictus Pererius, De Communibus omnium rerum naturalium principiis et affectionibus libri quindecim. Rom 1562. Zu Pererius vgl. Zedler 27, 351. Lohr, 313-20. E. M. Rompe, Die Trennung von Ontologie und Metaphysik. Der Ablöseprozess und seine Motivierung bei Benedictus Pereira und anderen Denkern des 16. und 17. Jahrhunderts. Bonn 1968. 51 Franciscus Toletus, Commentaria unà cum quæstionibus in VIII libros de physica auscultatione. Venedig 1573. Commentaria unà cum quæstionibus in tres libros Aristotelis de Anima. Venedig 1575. Zu Toletus vgl. 3.1., Anm. 4. 52 Sébastian Basson, Philosophiæ naturalis adversus Aristotelem libri XII, in quibus abstrusa Veterum Physiologia restauratur, & Aristotelis errores solidis rationibus refelluntur. Genf 1621. Zu Basson vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd. 1/2, 873-76. 53 Julius Caesar Scaliger, Exotericarum Exercitationum Liber XV. De Subtilitate ad Hieronymum Cardanum. Paris 1557. Zu Scaliger vgl. Zedler 34, 511-13. Lohr, 408. 54 Marcus Friedrich Wendelin, Contemplationum physicarum sectio prima (-tertia). Hanau 1625. Zu Wendelin vgl. Zedler 54, 1997f. 55
Bartholomäus Keckermann, Systema physicum septem libris adornatum. Hanau 1610. Zu Kekkermann vgl. Willem Hendrik van Zuylen, Bartholomäus Keckermann. Sein Leben und Wirken. Leipzig 1934. Joseph S. Freedman, The Career and Writings of Bartholomew Keckermann, in: Ders., Philosophy and the Arts in Central Europe, 1500-1700. Teaching and Texts at Schools and Universities. Collected Studies. Aldershot 1999, Text VIII (1997), 305-364 [Originalpaginierung]. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 407-8 und 410-14. 56 Gleichwohl gab es natürlich auch kontroversphilosophische Werke, deren berühmtestes auf lutherischer Seite die dreibändige Philosophia Sobria des Philosophen und Theologen Balthasar Meisner (1587-1626) ist: Philosophia Sobria; Hoc est: Pia consideratio quæstionum philosophicarum in controversiis Theologicis, quas Calviniani moverunt Orthodoxis, subinde occurentium. Wittenberg 1614 (11611). Secunda pars Philosophiæ sobriæ, in qua Problemata Lexica & Logica, in Controversiis Papisticis subinde occurrentia, succinctè discutiuntur. Wittenberg 1627 (11617). Pars tertia Philo-
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Qualität dieser philosophischen Werke selbst, die keinesfalls immer rein aristotelisch sein mußten, wie die Werke von Sennert, Basson und Sperling belegen.57 Insbesondere die Nennung von Zabarella, Toletus sowie den Conimbricensern ließ vor dem geistigem Auge des gebildeten Lesers sogleich eine Topographie der verschiedenen Schulen der Aristoteles-Interpretation im Zusammenhang mit der Schrift De Anima entstehen, die bis weit in die Antike zurückreicht. Zabarella galt mit seinem Werk De Rebus naturalibus als Anhänger des Alexander von Aphrodisias. Toletus und die Conimbricenser folgten dagegen als Angehörige des Jesuitenordens in ihren Kommentaren weitestgehend der Interpretation des Thomas von Aquin. Beide Schulen richteten sich wiederum zum einen gegen den Averroismus, dessen Schulbegründer, der arabische Philosoph und Theologe Averroes, im Mittelalter als der Kommentator des Aristoteles galt und bis ins 17. Jh. hinein von großer Bedeutung blieb, zum andern gegen den Neuplatonismus, der in Simplicius seinen wirkmächtigsten Vertreter fand. Da ein Verständnis der diffizilen, zum Teil ausgesprochen subtilen Debatten zur aristotelischen Schrift De Anima im 16. und 17. Jh. ohne eine genauere Kenntnis der Positionen des Alexander, Simplicius, Averroes und Thomas nicht möglich ist, soll hier kurz zusammengefaßt werden, wie ihre Positionen hinsichtlich des Wesens und der Funktion der menschlichen Seele in dieser Epoche rezipiert worden sind: 1. Alexander galt als strenger Vertreter einer rein naturphilosophisch orientierten Psychologie, der insbesondere mit seiner These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele im Christentum viele Gegner fand. Er begründete diese Ansicht mit der untrennbaren Einheit von Körper und Seele, die durch die Seele als Seins- und Wirkprinzip des Körpers begründet wird. Stirbt dieser, so vergeht auch die Seele, weil dem aristotelischen Hylemorphismus gemäß keine Form ohne Materie bestehe. Die Beschreibung des nou=j u(liko/j (intellectus materialis) in De An. III 4 verstand Alexander nicht ontologisch, sondern epistemologisch, da er als oberstes, dem Menschen angeborenes Seelenvermögen nicht ihren Seinsstatus ändert, sondern allein die Funktion des Denkens vollzieht. Er ist vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen. Der nou=j poihtiko/j (intellectus agens) ist dagegen nur einer, kommt von außen in den Menschen hinein (nou=j qu/raqen) und bewirkt dadurch, daß der intellectus materialis das Denkbare wirklich denkt. Er allein ist unsterblich, ewig und göttlich. Intellectus materialis und intellectus agens sind daher zwei verschiedene Substanzen.58 _________________________________________________________________________________________________________
sophiæ Sobriæ, in qua problemata Ethica et Politica, in controversiis Papisticis subinde ocurrentia, studiose discutiuntur. Wittenberg 1625 (11623). Vgl. hierzu 4.1. 57 Auffällig ist das Fehlen von Hinweisen auf die novatores, die sich, wie gesehen, bewußt vom Aristotelismus abgewandt haben. 58 Vgl. Alexander von Aphrodisias, De Anima liber cum Mantissa. Edidit Ivo Bruns. CAG, Supplementum 2. Berlin 1887. Als lateinischer Text liegt zugrunde: Quæstiones naturales et morales et de fato, Hieronymo Bagolino Veronensi patre, & Ioanne Baptista filio interpretibus. De Anima Liber primus, Hieronymo Donato patritio Veneto interprete. De Anima Liber secundus, unà cum commentario de Mistione, Angelo Caninio Anglariensi interprete. Venedig 1555.
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2. Der Neuplatonismus zeichnet sich durch den Versuch aus, die platonische Seelenlehre59 mit der des Aristoteles in Übereinstimmung zu bringen. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist Simplicius’ De Anima-Kommentar60, der im 16. Jh. zum Mittelpunkt der Kontroverse um den Einfluß des Neuplatonismus auf den Aristotelismus wurde. Simplicius versuchte mit diesem Werk zu erweisen, daß Aristoteles mit den zentralen platonischen Lehren der Seelenwanderung, der kosmischen Hierarchie der Seelen und ihrer Selbstbewegung sowie mit der Bestimmung der menschlichen Seele als eines mittleren Charakters übereingestimmt habe. Aus letzterem ergab sich für Simplicius, daß die menschliche Seele nicht schlechthin vollkommen ist, sondern zugleich teilbar und unteilbar, geworden und ungeworden, sterblich und unsterblich. Er begründete dies wie bereits Plotin (204-270) mit ihrem vollständigen Abstieg aus der Ideen- in die Sinnenwelt, aus der sie sich selbst wieder herauszuarbeiten habe im erneuten Aufstieg zu den Ideen.61 Und genau diesen Prozeß erkannte Simplicius in der Beschreibung des intellectus possibilis & intellectus agens in De An. III 4 und 5, die er beide als Vermögen der menschlichen Seele bestimmte, so daß ihre Unsterblichkeit gewiß sei, und zwar a parte ante & post. 3. Averroes’ De Anima-Interpretation war insbesondere wegen ihrer These vom numerischen Einssein des Geistes in allen Menschen auf philosophischer wie theologischer Seite äußerst umstritten, wurde doch damit die Einheit selbst des Menschen als Individuum in Frage gestellt. Zwar bestimmte auch Averroes die menschliche Seele als forma informans und damit als vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen. Dies galt jedoch nicht für den intellectus, der in seiner Einheit von intellectus materialis, der die Formen aufnimmt, und intellectus agens, der die Formen bildet, eine forma assi-
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Vgl. hierzu Peter M. Steiner, Psyche bei Platon. Göttingen 1992.
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Vgl. Simplicius, In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hayduck. CAG 11. Berlin 1882. Als lateinischer Text liegt zugrunde: Commentaria Simplicii profundissimi et acutissimi Philosophi in tres libros de anima Aristotelis, de Graeca lingua in Latinam nuperrime translata. Evangelista Lungo Asulano Interprete. Venedig 1564. Nachdruck herausgegeben von Charles Lohr. CAGL XVI. Frankfurt am Main 1979. 61 Dies führte bei Plotin unter Berufung auf Platon (vgl. Phaid. 62b2-5, 67d1; Pol. 514a1ff.) zu einer Geringschätzung des Köpers: »Die Menschenseele aber, die, wie es heißt, alle Übel und Mühsal im Leibe erduldet, da sie dort in Schmerzen, Begierden, Ängste und alle andern Übel gerät, weshalb denn auch der Leib ihre Fessel und ihr Grab heißt …« (Seele – Geist – Eines. Enneade IV 8, V 4, V 1, V 6 und V 3. Griechischer Text und deutsche Übersetzung von Richard Harder. In einer Neubearbeitung fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler, eingeleitet von Klaus Kremer. Hamburg 1990, hier: Enn. IV 8.3.1-4) Insbesondere aufgrund dieses scharfen Dualismus von Körper und Seele vertrat Augustinus (354-430) die These von der größeren Affinität des Platonismus mit dem Christentum: »Si ergo Plato Dei hujus imitatorem, cognitorem, amatorem dixit esse sapientem, cujus participatione sit beatus, quid opus est excutere cæteros? Nulli nobis, quam isti, proprius accesserunt.« (De civitate Dei, lib. VIII, c. 5, in: PL 41, 229) Zur Interpretation des Leib-Seele-Dualismus bei Augustinus vgl. Ludger Hölscher, Die Realität des Geistes. Eine Darstellung und phänomenologische Neubegründung der Argumente Augustins für die geistige Substantialität der Seele. Heidelberg 1999.
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stens ist, die als substantia separata wirklich vom Körper getrennt ist. Der intellectus ist dergestalt in allen Menschen einer, ungeworden und unvergänglich.62 4. Mit Thomas’ Interpretation der aristotelischen Psychologie fand die katholische Kirche nach anfänglichen Schwierigkeiten – es sei an die Kontroversen von 1277 erinnert – eine Position, die mit den christlichen Dogmen am ehesten vereinbar zu sein schien. Er bestimmte die menschliche Seele (einschließlich des intellectus possibilis) in Übereinstimmung mit Alexander als forma informans corporis, so daß sie das Lebensprinzip ist, das in sich die vegetativen, sensitiven und kognitiven Vermögen vereinigt. Dergestalt gibt es keine Seelenvielheit in einem Menschen, sondern nur die eine anima rationalis in der Vielheit ihrer Vermögen. Der intellectus possibilis ist nicht ein einziger in allen Menschen, sondern er wird vervielfältigt gemäß der Zahl der Individuen. Gegen Alexander betonte Thomas wiederum, daß der intellectus agens keine substantia separata sei, sondern ein Vermögen der menschlichen Seele. Die ihm zukommenden Attribute ‘ewig’ und ‘unsterblich’ kennzeichnen daher ihre Unsterblichkeit. Intellectus agens & intellectus possibilis bilden dergestalt ein und dieselbe Substanz.63 Bereits dieser grobe Überblick – womit der Umfang der Rezeptionsgeschichte der aristotelischen Psychologie bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist64 – läßt erahnen, auf wie vielfältige Weise die aristotelische Psychologie durch all die Jahrhunderte hindurch interpretiert worden ist. Für den vorliegenden Zusammenhang mag es dabei von Nutzen sein, in einer ersten Übersicht diejenigen Fragen zu formulieren, die von jedem Rezipienten des 16. oder 17. Jh.s, sei er nun Alexandrist, Averroist, Thomist oder Neuplatoniker, beantwortet werden mußten: 1. Was ist die Seele in ihrer allgemeinsten Bestimmung, in der sie das allen Lebewesen (Pflanzen, Tiere und Menschen) Gemeinsame bezeichnet? Ist sie die Vollkommenheit 62 Vgl. Aristotelis opera cum Averrois commentariis. Hier: Supplementum II. Aristotelis de anima libri tres, cum Averrois commentariis et Antiqua tra[ns]latione suæ integritati restituta. His accessit eorundem librorum Aristotelis nova tra[ns]latio, ad Græci exemplaris veritatem, et scholarum usum accomodata, Michaele Sophiano interprete. Venedig 1562. Nachdruck Frankfurt am Main 1962. Als neuere kritische Ausgabe liegt vor: Averroes, Commentarius magnus in Aristotelis de anima libros. Recensuit F. Stuart Crawford. Cambridge 1953. 63 Vgl. Thomas von Aquin, Summae contra gentiles libri quatuor [zukünftig: Scg]. Lib. II, c. LVILXXXIX, in: Ders., Opera omnia. Ed. Leonina. Tomus I – L [wird fortgesetzt]. Rom 1882ff., hier: Opera 13,2, 403-548. Ders., Summa Theologiae [zukünftig: STh], liber I, q. 75-87, in: Opera 5, 194363. Ders., De unitate intellectus contra Averroistas, in: Opera 43, 291-314. 64
Innerhalb des Aristotelismus müßten neben den bereits genannten Autoren noch eine Vielzahl weiterer Scholastiker wie Ägidius Romanus, Albertus Magnus, Duns Scotus, Wilhelm von Ockham etc. berücksichtigt werden. Bei den neuplatonisch beeinflußten Autoren wären neben Simplicius noch Philoponus (ca. 490-570) und die neueren Exegeten wie Nicoletto Vernia (1420-1499), Marcantonio Zimara (1460-1532), Agostino Nifo (1469/70-1536) sowie Marcantonio Genua (1490/1-1563) in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Arbeit wird die Komplexität dieser Rezeptionsgeschichte durch Hinweise auf einige der jeweils berücksichtigten Autoren zu verdeutlichen versuchen, ohne die Quellen in jedem Einzelfall verifizieren zu können. Ein solches Unterfangen würde sich zu einer Geschichte der Rezeption der aristotelischen Psychologie auswachsen.
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des Körpers (actus bzw. perfectio corporis) als forma informans oder als forma assistens? Konstituiert also die Seele das Sein des Körpers, oder verleiht sie ‘von außen’ dem bereits existierenden Körper die ihm eigentümliche Tätigkeit, so wie der Schiffer das Schiff lenkt? Wie ist dabei der Zusammenhang von Körper und Seele zu denken? Ist die Seele ganz im ganzen Körper und zugleich in einem bestimmten Körperteil, oder ist ein Teil der Seele in diesem Körperteil, ein anderer Teil in einem andern? 2. Gibt es nur eine Seele in einem Lebewesen oder eine Vielheit von Seelen? Anders gefragt: Kommt jedem Seelenvermögen nur die je entsprechende individuelle Seele zu, so der potentia vegetativa die anima vegetativa, der potentia sensitiva die anima sensitiva, der potentia rationalis die anima rationalis, so daß es eine Vielheit von Seelen in ein und demselben Lebewesen gibt? Oder enthält die nächsthöhere Stufe der Seele die jeweils niedrigere Stufe in sich, so daß die anima sensitiva über die potentia vegetativa & sensitiva und die anima rationalis über die potentia vegetativa, sensitiva & rationalis verfügt, es also nur eine Seele in der Vielheit ihrer Vermögen gibt? 3. Kommt der anima rationalis dieselbe allgemeine Bestimmung der Seele zu wie den übrigen Lebewesen? Wodurch zeichnet sie sich aus? Wie entsteht sie? Wird sie unmittelbar von Gott erschaffen (Kreatianismus) oder durch Fortpflanzung (Traduzianismus) erzeugt? 4. Was ist der intellectus patiens (nou=j paqhtiko/j)? Ist er ein Vermögen der menschlichen Seele oder eine realiter von ihr abgetrennte Substanz? Anders gefragt: Sind die ihm von Aristoteles in De An. III 4 zugesprochenen Attribute ‘inaffiziert’, ‘unvermischt’ und ‘abgetrennt’ ontologisch, d. h. hinsichtlich des Seins, oder epistemologisch, d. h. hinsichtlich ihrer Funktion im Erkenntnisprozeß, zu verstehen? Wie kann man diesen Prozeß angemessen beschreiben? 5. Auch bei der Bestimmung des Wesens und der Funktion des intellectus agens (nou=j poihtiko/j) ist zu fragen: Ist er ein Vermögen der anima rationalis oder eine realiter von ihr abgetrennte Substanz? Sind die ihm von Aristoteles in De An. III 5 zugesprochenen Attribute ‘inaffiziert’, ‘unvermischt’, ‘abgetrennt’, ‘ewig’ und ‘unsterblich’ ontologisch oder epistemologisch zu verstehen? Was folgt hieraus für die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele? Ist sie secundum Aristotelem erweisbar, oder bleibt der Gläubige allein an Gottes Wort verwiesen? Welche Funktion kommt dem intellectus agens im Erkenntnisprozeß zu? Insbesondere die Fragen nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, der Einheit des Geistes und dem Wesen des intellectus agens verdeutlichen, warum der Locus De anima auch für die theologische Anthropologie von Interesse war. Es verwundert daher nicht, daß er zweimal Gegenstand konziliarer Entscheidungen war: Zum einen wurde auf dem Konzil von Vienne unter Clemens V. in der Konstitution Fidei catholicae vom 6.5.1312 gegen die dem Petrus Johannes Olivi (1247/8-1296) zugeschriebenen Irrtümer die Seele als »Form des menschlichen Leibes an sich und wesenhaft«65 65 Vgl. Heinrich Denzinger, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationem de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch –
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bestimmt. Zum andern hat Leo X. auf dem 5. Laterankonzil mit der Bulle Apostolici regiminis vom 19.12.1513 die beiden philosophischen Lehren, die menschliche Seele sei sterblich (Alexander, Pietro Pomponazzi) oder eine einzige in allen Menschen (Averroes, Siger von Brabant), für häretisch erklärt. Vielmehr sei sie wahrhaft die Form des menschlichen Körpers, unsterblich und entsprechend der Vielzahl der Körper, denen sie eingegossen werde, einzeln vervielfältigbar.66 Daß diese Konzilsentscheidungen auf katholischer Seite bis weit ins 16. Jh. hinein von großer Bedeutung blieben, belegen hinreichend die Schriften von Toletus und den Conimbricensern, wie im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird. Selbst Descartes verwies noch 1641 in seinen der Sorbonne gewidmeten Meditationes de prima philosophia auf das 5. Laterankonzil, um seinen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele als mit der katholischen Tradition in Übereinstimmung stehend zu beschreiben.67 1.3. Transformationen des Aristotelismus Im gemeinsam verantworteten Abschnitt The Concept of Psychology im Rahmen der Cambridge History of Renaissance Philosophy von 1988 äußern die Autoren Park und _________________________________________________________________________________________________________
Deutsch. Hrsg. von Peter Hünermann. Freiburg im Breisgau u. a. 381999, hier: Nr. 902, 389: »[De anima ut forma corporis.] Porro doctrinam omnem seu positionem temere asserentem, aut vertentem in dubium, quod substantia animae rationalis seu intellectivae vere ac per se humani corporis non sit forma, velut erroneam ac veritati catholicae inimicam fidei, praedicto sacro approbante Concilio reprobamus: definientes, ut cunctis nota sit fidei sincerae veritas ac praecludatur universis erroribus aditus, ne subintrent, quod quisquis deinceps asserere, defendere seu tenere pertinaciter praesumpserit, quod anima rationalis seu intellectiva non sit forma corporis humani per se et essentialiter, tamquam haereticus sit censendus.« 66
Vgl. a. a. O., hier: Nr. 1440, 483: »Cum itaque diebus nostris (quod dolenter referimus) zizaniae seminator, antiquus humani generis hostis [vgl. Mt 13,25], nonnullos perniciosissimos errores, a fidelibus semper explosos, in agro Domini superseminare et augere sit ausus, de natura praesertim animae rationalis, quod videlicet mortalis sit, aut unica in cunctis hominibus, et nonnulli temere philosophantes, secundum saltem philosophiam verum id esse asseverent: contra huiusmodi pestem opportuna remedia adhibere cupientes, hoc sacro approbante Concilio damnamus et reprobamus omnes asserentes, animam intellectivam mortalem esse, aut unicam in cunctis hominibus, et haec in dubium vertentes, cum illa non solum vere per se et essentialiter humani corporis forma exsistat, sicut in canone felicis recordationis Clementis papae V praedecessoris Nostris in Viennensi Concilio edito continetur, verum et immortalis, et pro corporum quibus infunditur multitudine singulariter multiplicabilis, et multiplicata, et multiplicanda sit. … Cumque verum vero minime contradicit, omnem assertionem veritati illuminatae fidei contrariam omnino falsam esse definimus …« 67 Vgl. Descartes, Meditationes, Epistola dedicatoria, in: AT 7, 2,31-3,8: »Atque quantum ad animam, etsi multi ejus naturam non facile investigari posse iudicarint, et nonnulli etiam dicere ausi sint rationes humanas persuadere illam simul cum corpore interire solâque fide contrarium teneri, quia tamen hoc condemnat Concilium Lateranense sub Leone 10 habitum, sessione 8, et expresse mandat Christianis Philosophis ut eorum argumenta dissolvant, & veritatem pro viribus probent, hoc etiam aggredi non dubitavi.«
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Kessler: »There are no satisfactory general accounts of psychology between 1350 and 1600.«68 Trotz der zwischenzeitlich erfolgten Studien hat diese Feststellung bis zum heutigen Tage nichts von ihrer Richtigkeit verloren. Die Forschung zu diesem Thema steckt noch immer in ihren Anfängen. Die Schwierigkeit mit dieser Disziplin, und dies sollte aus dem vorangehenden Abschnitt bereits deutlich geworden sein, liegt dabei nicht nur in der in ihr verhandelten Sache begründet, in der sich der Denkende selbst zum Gegenstand des Denkens wird, sondern auch in der schier unermeßlichen Fülle von Schriften, in denen dieser Gegenstand seit der Antike verhandelt worden ist – mit einer nicht weniger unermeßlichen Vielfalt an Positionen, seien diese nun aristotelischen oder platonischen Ursprungs. Wie bei der Rezeption der übrigen philosophischen Disziplinen des Aristoteles, so muß also auch in der Psychologie – mit einem Wort Schmitts – mit »many Renaissance ‘Aristotelianisms’«69 gerechnet werden. In seinem Buch Aristotle and the Renaissance hat er diese richtige Erkenntnis wie folgt begründet: »My point is that the single rubric Aristotelianism is not adequate to describe the range of diverse assumptions, attitudes, approaches to knowledge, reliance on authority, utilization of sources, and methods of analysis to be found among the Renaissance followers of Aristotle.«70
Der Renaissance-Aristotelismus präsentiert sich also als ein vielschichtiges Phänomen, das die Rede von einem monolitischen Block als historisch unhaltbar erweist. Diese These ist zwischenzeitlich zum Gemeinplatz der Forschung geworden. So spricht auch Charles Lohr von »several Aristotelianisms«71, und Lüthy, Leijenhorst und Thijssen gehen in ihrer gemeinsamen Einleitung zum jüngst veröffentlichten Sammelband zur Rezeption der aristotelischen Naturphilosophie davon aus, »that the term ‘Aristotelianism’ has no clear essence. There is no single definition of ‘Aristotelian’«72. So ließen sich die von Lohr in diesem Zusammenhang genannten Beispiele von Pomponazzis (1462-1525) säkularen Aristotelismus, von Melanchthons (1497-1560) protestanti68 Katharine Park and Eckhard Kessler, The Concept of Psychology, in: CHRP, 455-63, hier: 455 (Anm. 2). Dieser Zeitraum sollte sinnvollerweise bis 1650 verlängert werden, da auch die Schulphilosophie des 17. Jh.s inhaltlich und methodisch zur Renaissance-Philosophie zählt. 69 Charles B. Schmitt, Towards a Reassessement of Renaissance Aristotelianism (1973), in: Ders., Studies in Renaissance Philosophy and Science. Text VI. London 1981, 159-193 [Originalpaginierung], hier: 160. 70
Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance. Cambridge u. a. 1983, 10.
71
Charles Lohr, Jesuit Aristotelianism and Sixteenth-Century Metaphysics, in: PARADOSIS. Studies in Memory of Edwin A. Quain. New York 1976, 203-220, hier: 204: »Whereas in the earlier period Aristotelianism had been identical with Scholasticism and offered an essentially unified worldview, in the sixteenth century the differing needs of different classes of students in different lands broke up this unity, resulting, in the Renaissance, in not one, but several Aristotelianisms.« 72 Christoph Lüthy, Cees Leijenhorst and Johannes M.M.H. Thijssen, The Tradition of Aristotelian Natural Philosophy. Two Theses and Seventeen Answers, in: The Dynamics of Aristotelian Natural Philosophy, 1-29, hier: 1.
21
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schen Aristotelismus und des scholastischen Aristotelismus der Jesuiten ohne Schwierigkeiten durch weitere Schulen ergänzen (Albertismus, Scotismus und Ockhamismus etc.). Ja, die Zahl der Aristoteles-Schulen könnte man, wie Francesco Patrizi (1529-97) polemisch anmerkte, auf 12.000, jedenfalls auf eine unzählbare Größe erhöhen.73 Hier wie überhaupt für die gesamte Tradition muß man daher von einer Identität und Differenz im Aristotelismus sprechen. Daß dabei die Differenzen fundamental sein konnten, wird im Verlauf dieser Arbeit sichtbar werden. Ein erfolgreicher Versuch, diese Bandbreite der verschiedenen Aristotelismen durch alle Disziplinen hindurch aufzuzeigen, ist die bereits genannte und von Schmitt maßgeblich mitgestaltete The Cambridge History of Renaissance Philosophy. Das Pendant zu diesem Werk bilden zwei nicht weniger grundlegende neue Bücher zur Philosophiegeschichtsschreibung des 17. Jh.s. Zum einen ist dies der neue Ueberweg zur Philosophie des 17. Jh.s, der in insgesamt acht Teilbänden umfangreiche Studien zu allen Disziplinen der Philosophie in England74, Frankreich und den Niederlanden75, Spanien, Portugal und Italien76 sowie in Deutschland und in Nord- und Ostmitteleuropa77 enthält. Zum andern zählt hierzu die von Garber und Ayers edierte The Cambridge History of Seventeenth-Century Philosophy78. In beiden Werken zeigt sich die auch noch im 17. Jh. anhaltende Bedeutung der verschiedenen Aristoteles-Schulen wie auch der wachsende Einfluß der Neuen Philosophie eines Descartes und seiner Anhänger. Mit diesen Standardwerken im Rücken ist es nun leichter möglich, über die bisherigen Schwerpunkte zur Logik und Metaphysik79 hinaus die übrigen Disziplinen des Re-
73 Vgl. Francesco Patrizi, Discussiones Peripateticae. Basel 1581. Nachdruck herausgegeben von Zvonko Pandzic. Köln 1999, 145: »Quorum numerum [sc. sectæ Aristotelis] usque ad 12. millia ferunt pervenisse, qui scriptis aliquid vel philosophicum vel Theologicum mandarunt: quos, cùm tanto numero innumerabiles sint, silentio præterire est à fastidio procul.« 74
Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd. 3/1 und 3/2. England. Hrsg. von Jean-Pierre Schobinger. Basel
1988. 75
Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd 2/1 und 2/2. Frankreich und Niederlande. Hrsg. von Jean-Pierre Schobinger. Basel 1993. 76
Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd 1/1 und 1/2. Allgemeine Themen. Iberische Halbinsel. Italien. Hrsg. von Jean-Pierre Schobinger. Basel 1998. 77 Vgl. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1 und 4/2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nordund Ostmitteleuropa. Hrsg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Basel 2001. 78
Vgl. Daniel Garber and Michael Ayers (Ed.), CHSCP. Two Volumes. Cambridge 1998.
79
Vgl. Hans Emil Weber, Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der Orthodoxie. Leipzig 1907. Ernst Lewalter, Spanisch-jesuitische und deutsch-lutherische Metaphysik des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der iberisch-deutschen Kulturbeziehungen und zur Vorgeschichte des Deutschen Idealismus. Hamburg 1935. Nachdruck Darmstadt 1967. Max Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1939. Wilhelm Risse, Die Logik der Neuzeit. 1. Band 1500–1640. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. Walter Sparn, Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts. Stutt-
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naissance-Aristotelismus und der Schulphilosophie des 17. Jh.s in den Blick zu nehmen. In den letzten Jahren haben sich hierbei für die Forschung neben der Ethik80 die Physik und Psychologie als zentrale Disziplinen für ein Verständnis der verschiedenen Aristotelismen herauskristallisiert. Besonders in der Naturphilosophie versucht man hierbei der Phänomenvielfalt durch den Aufweis von sogenannten Transformationsprozessen gerecht zu werden. Natürlich ist dies kein eigentümliches Merkmal der Renaissance; vielmehr ist die aristotelische Philosophie seit ihrer Rezeption durch Theophrast verschiedenen Umgestaltungen unterworfen, wie Kessler zu Recht betont: »The history of Aristotelianism from Theophrastus to the present day must be seen by historians of philosophy as a continuous transformation of Aristotle’s philosophy, a process which even if devoted to a meticulous study of Aristotle’s original teaching that may well correct mis-takes of previous scholars, will never return to Aristotle himself.«81
Jede Aneignung der aristotelischen Philosophie (und damit auch jeder anderen Philosophie) ist also nach dieser These per se Transformation, da der Zeitenwandel sie in einen je anderen Kontext stellt, der einen unverfälschten Rückgriff auf das Original verhindert. Mulsow unterscheidet hierbei in Anknüpfung an Lohr und Kessler zwischen einer ausdifferenzierenden, innerhalb des Aristotelismus verlaufenden Transformation und einer integrativen, bei der es zur Überformung des Aristotelismus durch die neue Naturphilosophie kommt, die auf wesentlich anderen Prinzipien gründet.82 Was damit genauer gemeint ist, soll die folgende Übersicht verdeutlichen. 1. Erstmals hat Lohr hat in einem Aufsatz von 198883 die These aufgestellt, daß die sogenannte Pomponazzi-Affäre um die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele auf scholastischer Seite einen Transformationsprozeß ausgelöst habe, der den _________________________________________________________________________________________________________
gart 1976. Ulrich Gottfried Leinsle, Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik. Augsburg 1985. 80
Vgl. Jill Kraye, Moral philosophy, in: CHRP, 303-386. Dies., Eclectic Aristotelianism in the Moral Philosophy of Francesco Piccolomini, in: La presenza dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità. Atti del Colloquio internazionale in memoria di Charles B. Schmitt (Padova, 4-6 settembre 2000). A cura di Gregorio Piaia. Rom 2002, 57-82. David A. Lines, Aristotle’s Ethics in the Italian Renaissance (ca. 1300-1650). The Universities and the Problem of Moral Education. Leiden 2002. 81 Eckhard Kessler, The Transformation of Aristotelianism during the Renaissance, in: New Perspectives on Renaissance Thought. Essays in the History of Science, Education and Philosophy. Edited by John Henry and Sarah Hutton. London 1990, 137-147, hier: 137. 82 Vgl. Martin Mulsow, Frühneuzeitliche Selbsterhaltung. Telesio und die Naturphilosophie der Renaissance. Tübingen 1998, 34: »Wir können also von der Lohr-Keßler-These der Transformation des Aristotelismus sprechen, und ich werde die eine Variante der Tranformation – die von Lohr beschriebene – die ausdifferenzierende, die andere – die der neuen Naturphilosophie – die integrative nennen.« 83 Charles H. Lohr, The Sixteenth-Century Transformation of the Aristotelian Natural Philosophy, in: Aristotelismus und Renaissance. In memoriam Charles B. Schmitt. Hrsg. von Eckhard Keßler u. a. Wiesbaden 1988, 89-99.
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Aristotelismus durch die Aufnahme innovativer Elemente der neuen Naturwissenschaft in seiner Gestalt, insbesondere in der Metaphysik, Physik und Psychologie, wesentlich verändert habe. Deutlich werde dieser Prozeß beim Dominikaner Javelli (1470/21538), der in seinem Tractatus de animæ humanæ indeficientia von 1536 die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele der Metaphysik zugeordnet habe, indem er das Endliche und Unendliche, das ens creatum materiale (=Welt), das ens creatum immateriale (=menschliche Seele) sowie das ens increatum (=Gott) zum Gegenstand dieser Disziplin gemacht habe, um so Gottes Existenz sowie die Unsterblichkeit der menschlichen Seele beweisen zu können. Dadurch sei die Philosophie zur Metaphysik mit ihren Teilen der Naturtheologie, Kosmologie und Psychologie geworden, während die (metaphysikfreie) Naturwissenschaft das corpus mobile als Gegenstand zugewiesen bekommen habe.84 Aus diesem Sachverhalt folgert Lohr, daß der christliche Aristotelismus eines Javelli zu einer »emancipation of the natural sciences from the Aristotelian philosophy«85 geführt hat. Zur Begründung heißt es: »Whereas the Italian Aristotelians were reduced to offering simply an exegesis of the Philosopher’s text, the Scholastic interpreters could regard cosmology as a part of metaphysics and introduce the latest scientific developments into their commentaries on the Physics. It was thus – long before Galileo – that natural science was able to free itself of Aristotle and go its own way.«86
Für Lohr mündet also der Transformationsprozeß im christlich-scholastischen Aristotelismus nicht etwa in einer Umgestaltung der aristotelischen Naturphilosophie, sondern in einer Abkehr von ihr, die den Weg für die Neuen Wissenschaften ebnet! 2. Kessler hat dieses Interpretament unter expliziter Berufung auf Lohr aufgenommen. Er wendet diesen Begriff aber auch auf die außeraristotelischen Bewegungen des Platonismus und Humanismus an und spricht daher im Plural von »‘transformations’ of Aristotelianism«87. Die Notwendigkeit für diese Umgestaltung erkennt er zum einen in den Dogmen der Kirche von 1513, mit denen die aristotelische Philosophie habe übereinstimmen müssen, zum andern in der Neuveröffentlichung der antiken Kommentare 84 Zur anders gearteten Interpretation dieses Werkes von Javelli vgl. Dominick A. Iorio, The Aristotelians of Renaissance Italy. A Philosophical Exposition. Lewiston u. a. 1991, 141-158. 85
Charles H. Lohr, Transformation, 99.
86
Ebd. Fast wortgleich äußerte sich Lohr im Artikel Metaphysics der CHRP, 537-638, hier: 605: »The abandonment of Aristotle by the theologians [sic!] played an important part in the emancipation of the natural sciences from Aristotelian philosophy. … The formulation of an independent [sic!] philosophy dealing with God, the world and man sub ratione entis relieved the scientists of the obligation to relate their conclusions to Aristotelian [und nicht etwa theologischen!] principles. It was for this reason that the professors in the arts faculties of the Italian universities in the late sixteenth century were reduced to offering simply an exegesis of the Philosopher’s text and that – long before Galileo – natural philosophy was free to go its own way.« Auf das hier formulierte katholische Geschichtsbild wird zurückzukommen sein. 87
Vgl. Eckhard Kessler, Transformation, 139.
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des Simplicius, Philoponus und Alexander, welche die scholastischen Werke ersetzt hätten. Beide Faktoren hätten in der Folge zu vier verschiedenen Transformationen des Aristotelismus geführt: I. Bei den Naturphilosophen Pomponazzi, den Kessler »the torchbearer of free thinking«88 nennt, Simone Portio (1496-1554) und Zabarella finde sich eine unter Rückgriff auf Alexander89 durchgeführte rein naturphilosophisch orientierte Psychologie90, welche »Aristotle as the philosopher and the interpretation of Aristotle’s text as the genuine way of philosophising«91 ansehe. Dies bedeute, daß die psychischen Phänomene gemäß den Prinzipien der aristotelischen Naturphilosophie und nicht gemäß metaphysischer oder theologischer Vorgaben beschrieben worden seien. II. Bei Vernia und seinem Schüler Nifo, aber auch bei Genua und Francesco Piccolomini (1523-1607)92 komme es dagegen unter Rückgriff auf Simplicius und einem neuplatonisch verstandenen Averroes »to a spiritual interpretation of Aristotle, which tried to integrate Aristotelian natural philosophy into the framework of Neoplatonic cosmo-
88
A. a. O., 141.
89
Vgl. Olaf Pluta, The Transformations of Alexander of Aphrodisias’ Interpretations of Aristotle’s Theory of the Soul, in: Renaissance Readings of the Corpus Aristotelicum. Proceedings of the conference held in Copenhagen 23-25 April 1998, edited by Marianne Pade. Copenhagen 2001, 147-165, hier: 157-165. 90 Vgl. Eckhard Kessler, Metaphysics or Empirical Science? The two Faces of Aristotelian natural Philosophy in the Sixteenth Century, in: Renaissance Readings, 79-101, hier: 86: »If we take the approach from sense-perception and the reduction to local motion together, it becomes evident that the pura naturalia … on the basis of which Pomponazzi feels entitled to defend Alexander’s psychological position, represent a concept of natural philosophy which, while abandoning metaphysical principles and argumentation as used in the tradition of the Aristotelian Physics, is dedicated to a purely empirical explanation of the sensible world of material reality, in the tradition of the Aristotelian treatise On Generation and Corruption.« Ebenso in Physik oder Metaphysik. Zum Begriff einer Wissenschaft von der Natur in der Methodendiskussion der ‘Schule von Padua’ im beginnenden 16. Jh., in: Aristotelica et Lulliana magistro doctissimo Charles H. Lohr septuagesimum annum feliciter agenti dedicata. Ediderunt Fernando Domínguez et al. Den Haag 1995, 223-244, hier: 240. 91
Eckhard Kessler, Transformation, 140.
92
Vgl. Francesco Piccolomini, Librorum ad scientiam de natura attinentium partes quinque. Venedig 1596. Diese Schrift war dem Verfasser leider nicht zugänglich. Daß bei Piccolomini platonischhermetische Einflüsse wirksam waren, belegt Sandra Plastina, Concordia discors: Aristotelismus und Platonismus in der Philosophie des Francesco Piccolomini, in: Das Ende des Hermetismus. Historische Kritik und neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance. Dokumentation und Analyse der Debatte um die Datierung der hermetischen Schriften von Genebrard bis Casaubon (1567-1614). Hrsg. von Martin Mulsow. Tübingen 2002, 213-234. Eine knappe Übersicht zu Piccolominis Psychologie bietet Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 527-530. Vgl. ferner Emily Michael, The Nature and Influcence of Late Renaissance Paduan Psychology, in: History of Universities XII (1993), 65-94, hier: 69-75. Eine allgemeine Übersicht zu Leben und Werk Piccolominis bietet Lohr, 331-42.
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logy and to reconcile both with Christian dogma«93. Diese Umgestaltung könne die platonische Transformation des Aristoteles in der Renaissance genannt werden. III. Wie für Lohr, so zeigt auch für Kessler die Zweite Scholastik eines Cajetan und Javelli – und nicht etwa die Naturphilosophie eines Pomponazzi oder Zabarella – die fundamentale Differenz zwischen der aristotelischen Naturphilosophie und den Dogmen der Kirche auf. Dies führe auf der einen Seite zu einer »purely Christian metaphysics« und auf der andern zu einem Aristoteles als »merely the empirical observer of natural phenomena«94. Daß sich dieses Projekt nun gerade nicht mit dem der unter I. genannten Naturphilosophen deckt, begründet Kessler mit der reaktionären Grundhaltung dieser Philosophen, die sich wie Cremonini den neuen Errungenschaften der Naturwissenschaften verschlossen hätten. Die zweite Scholastik dagegen »freed Aristotelian physics from metaphysical limitations95 and allowed for a truly empirical science of nature, that is to say, a science open to all kinds of new discoveries about the world and gradually gaining its own empirical methodology.«96 Auch hier erscheinen also die Scholastiker als Trendsettter für die Neue Wissenschaft z. B. eines Galilei, dessen Ausbildung bei den Jesuiten für Kessler ein Indiz für die Richtigkeit seiner These ist. IV. Diese Neue Wissenschaft eines Galilei, Cardano (1501-1576), Telesio (15091588), Bruno und Campanella (1568-1639) kennzeichnet für Kessler die vierte Transformation des Aristotelismus, »which, rather than create a philosophical alternative to the Aristotelian tradition, sought a new and more radical means of its transformation«97. Über die neuplatonischen Versuche einer Transformation des Aristotelismus hinaus komme es hier zu einem völligen Neuansatz in der Naturphilosophie, der das Experiment in den Mittelpunkt des Interesses stelle. Diese Variante beschreibt Mulsow im Unterschied zu den eben beschriebenen ausdifferenzierenden Transformationen als integrative Transformation, die zwar noch innerhalb des Aristotelismus verlaufe, diesen jedoch wesentlich übersteige bzw. in einen expliziten Anti-Aristotelismus umschlagen könne.98 3. In einem früheren Aufsatz hat Kessler – noch ohne diesen Begriff zu gebrauchen – einen weiteren ausdifferenzierenden Transformationsprozeß innerhalb des Aristotelismus beschrieben, der in einer zunehmenden Abkehr von der naturphilosophischdeterministischen Rekonstruktion der Erkenntnis als eines natürlichen Prozesses, in 93
Eckhard Kessler, Transformation, 141.
94
Ebd.
95
In Metaphysics or Empirical Science spricht Kessler in diesem Zusammenhang von der Emanzipation der Naturphilosophie von der Tyrannei der nichtchristlichen Metaphysik: »With Javelli, as Charles Lohr has proved, the Second Scholastics begin and … natural philosophy is emancipated from the tyranny of metaphysics.« (83) 96
Eckhard Kessler, Transformation, 142
97
A. a. O., 144.
98
Vgl. Martin Mulsow, Selbsterhaltung, 33-35.
26
Einleitung
dem der Mensch weitgehend passiv bleibt, hin zu einer produktiven Rekonstruktion des Erkenntnisprozesses führe. Die (moderne) Frage sei nun, »wie das willentliche Element, die freie Aktivität des Subjekts, erklärt werden muß, damit es überhaupt in eine kausale Rekonstruktion der Erkenntnis integriert werden kann«99. Kessler verdeutlicht dies an Zabarella, der die Methodik des Erkennens anders als sein Kollege Piccolomini100 nicht an die Naturphilosophie und Ontologie zurückgebunden, sondern als ein Instrument der Logik verstanden habe, das der Mensch sich selbst bilde, um beim Erkenntnisprozeß möglichst sicher vom Bekannten zum Unbekannten fortzuschreiten. Gleichwohl komme auch Zabarella nicht umhin, im Anschluß an die alexandrinische Identifikation des intellectus agens mit Gott einen generellen Garanten der Erkennbarkeit der extramentalen Realität zu setzen, der die notwendige Bedingung für die Erkenntnis sei, indem er die sinnliche Welt durch das Erleuchten der Vorstellungsbilder erkennbar mache und garantiere, daß das, was der Mensch als Realität erkenne, im Sinne der Adäquationswahrheit erkannte Realität sei. Auch bei ihm sei also die Erkenntnistheorie ontologisch in Gott fundiert, mag auch die Weise des Erkennens eine andere sein als bei Piccolomini. Der dem Menschen zukommende intellectus possibilis wiederum verschaffe sich den Erkenntnisinhalt durch Abstraktion und Beurteilung selbst. »Wie bei Piccolomini besteht also auch bei Zabarella der eigentliche Erkenntnisakt nicht in einer kausal deterministisch rekonstruierbaren Produktion eines nur noch zu rezipierenden Erkenntnisbildes, sondern in der selbsttätigen Konstitution des Erkenntnisinhaltes durch den nicht kausal deteminierten sondern willentlich gesteuerten Akt des menschlichen Intellekts: Erkennen wird identisch mit Urteilen und ist darum den Verfahrensregeln der Logik und Methodologie unterworfen.«101
99
Eckhard Kessler, Von der Psychologie zur Methodenlehre. Die Entwicklung des methodischen Wahrheitsbegriffs in der Renaissancepsychologie, in: ZfphF 41 (1987), 548-70, hier: 558. 100
Gemäß Kessler unterschied Piccolomini beim Erkenntnisprozeß zwischen dem rezeptiven Akt des Erwerbs von Erkenntnisinhalten und dem produktiven Akt ihrer beurteilenden Verarbeitung. Jener Akt kennzeichnet den intellectus possibilis, sofern er vor jedem Erkenntnisakt keinen Inhalt in sich trägt und vom Vorstellungsbild zur Tätigkeit angeregt wird, dieser Akt dagegen den intellectus agens als ein dem Menschen eigenes Seelenvermögen, insofern er in der Tätigkeit selbsttätig abstrahiert, komponiert und schließt. Damit, so Kessler, beziehe Piccolomini in die psychologische Rekonstruktion des Erkenntnisprozesses die Regeln der Logik und Methodenlehre mit ein. Freilich bedürfe diese produktive Erkenntnistheorie, in der der Geist seine Erkenntnisinhalte selbst konstituiere, einer naturphilosophisch-ontologischen Absicherung, damit das, was er erkenne, auch mit der Realität im Sinne der Adäquationswahrheit übereinstimme. Diese Absicherung geschehe bei Piccolomini, »indem er einerseits die Prinzipien, nach denen der Intellekt tätig wird, als a priori gegeben und eingeboren setzt und andererseits den diskursiven Prozeß der menschlichen Erkenntnis als Nachvollzug der Struktur des natürlichen Schöpfungsprozesses versteht und damit die Selbsttätigkeit des menschlichen Intellektes wiederum natürlich-ontologisch bedingt sein läßt.« (Psychologie, 562) 101
A. a. O., 565.
27
De Anima
Für Kessler wird Zabarellas Erkenntnistheorie aufgrund ihrer Subjektivierung des Erkenntnisprozesses nicht nur zur Grundlage einer empirischen, sondern auch einer neuzeitlich experimentellen Wissenschaft, die nicht mehr das Wesen der Dinge selbst, sondern das methodisch Sichtbare an ihnen zu erkennen beanspruche. Ja, indem Zabarella die Wahrheit der Erkenntnis durch den göttlichen intellectus agens im voraus sicherstelle, bereite er Descartes’ Philosophie vor, dessen methodischer Wahrheitsbegriff zwar ebenfalls der Garantie des guten Gottes bedürfe, der aber wegen seiner Ontologiefreiheit zum Wegbereiter der neuzeitlichen Philosophie werde. 4. Jüngst hat schließlich Des Chene »the transformation of the science of the soul between 1550 and 1650«102 beschrieben. Es handelt sich dabei um eine Darstellung, welche sowohl die ausdifferenzierende Transformation innerhalb des Aristotelismus als auch die von dieser philosophischen Bewegung wegführende integrative Transformation in den Blick nimmt. Ziel der beiden Schriften Life’s form und Spirits and Clocks ist es, »to examine … certain key questions about the soul in general: its definition, the definition of life, the relation between the soul and its powers, the unity of the soul and the body.«103 Damit soll nicht nur ein Verstehen des Aristotelismus um seiner selbst willen ermöglicht, sondern auch der Hintergrund für die wissenschaftlichen Umwälzungen im 17. Jh. aufgehellt werden. Des Chene berücksichtigt für diese Aufgabe überwiegend die Schriften der von ihm so genannten liberalen Jesuiten Toletus, Francisco Suárez (1548-1617)104, Roderigo de Arriaga (1592-1667) sowie die Conimbricenser, während Zabarella der einzige Vertreter des radikalen italienischen Aristotelismus ist.105 Die Kritik an diesem Transformationskonzept sowie an der Auswahl der Autoren verdeutlicht zugleich die Aufgabe und Zielrichtung der vorliegenden Arbeit. 102
Dennis Des Chene, Life’s Form, VII.
103
A. a. O., 2.
104
Vgl. Francisco Suárez, Tractatus tertius de anima. Mainz 21622. Der Text ist Teil eines umfangreichen Kommentars zur Summa Theologiae des Thomas: Commentaria ac disputationes in primam partem D. Thomæ de Deo uno et primo. Tractatus primus. De divina substantia eiusque attributis. Tractatus secundus. De divina prædestinatione. Tractatus tertius. De sanctissimo Trinitatis mysterio. Lyon 1619. Commentaria ac disputationes in secundam partem D. Thomæ. De Deo effectore creaturam omnium. Tractatus primus. De angelis. Lyon 1620. Commentaria … Tractatus secundus. De opere sex dierum, seu De universi creatione, quatenus sex diebus perfecta esse, in libro Genesis cap. 1 refertur, & præsertim de productione hominis in statu innocentiæ. Tractatus tertius. De anima. Lyon 1621. Abgedruckt in Suárez, Opera omnia. Hrsg. von L. Vives. 28 Bde. Paris 1856-61, hier: Bde. 1-3. Der Tractatus de anima bleibt hier wegen seiner späten Veröffentlichung unberücksichtigt. Seine Rezeption erfolgte erst zu einem Zeitpunkt, der außerhalb der hier berücksichtigten Schriften liegt. 105 Vgl. Dennis Des Chene, Life’s Form, 3: »The texts here studied are mostly the work of liberal Jesuit scholastics: Franciscus Toletus, Franciscus Suárez, Petrus Fonseca, the Coimbran authors, Roderigo de Arriaga. The exception ist Eustachius, on whom I draw in part because of his importance to Descartes, and in part because he presents on some questions the Scotist position, even though much of his De Anima is drawn from the nominally Thomist Coimbra commentary by Emmanuel Goes. The Jesuit works, published between the 1570s and the 1620s, were not only used extensively in the schools through much of the seventeenth century, but came to represent – more of their Dominican
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Einleitung
1.4. Die Aufgabe und ihre Erfordernisse Der von Lohr und Kessler entwickelten, von Des Chene und Mulsow adaptierten These von den Transformationen des Aristotelismus liegt die gewiß richtige Erkenntnis zugrunde, daß die Rezeption immer vom zeitgenössischen Kontext abhängig ist, der das Verstehen von Texten mitbeeinflußt. Die These unterstellt jedoch, daß jede Rezeption des Aristotelismus eine Bewegung weg vom Original ist. Damit wird man jedoch denjenigen Aristotelikern nicht gerecht, welche ihre Interpretation gerade als ein Zurück zum Original verstanden, die erfolgten Transformationen also rückgängig zu machen versuchten. Diese als reaktionär zu desavouieren, wie Lohr und Kessler es tun, zeigt die Schwäche dieses Konzeptes an, das auch zu falschen historischen Schlußfolgerungen führt, wie im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird. Statt von Transformationsprozessen wird daher neutral von verschiedenen Weisen der Rezeption gesprochen, die eine Umformung beinhalten können, aber eben nicht müssen. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jh. im Rückgriff auf die wesentlichen Schulen der Antike und des Mittelalters – des Alexandrismus, Neuplatonismus, Averroismus und Thomismus – zu ermitteln und zu beschreiben. Sie geht also noch einen Schritt über das hinaus, was Mulsow als dringendes Desiderat der Forschung beschrieben hat, nämlich »die komplexe Transformation des Aristoteles über eine detaillierte Rezeptionsgeschichte der griechischen Aristoteleskommentatoren in der Renaissance mit der nicht minder komplexen Transformation des Aristotelismus im 16. Jahrhundert in Verbindung zu bringen«106. Diese komplexe historische Situation für das 16./17. Jh. nicht erfaßt zu haben, macht einen der Mängel von Des Chenes Werk aus. So bleiben die antiken Autoren Alexander und Simplicius vollkommen unberücksichtigt, während die Position von Averroes nur partiell Erwähnung findet, als dessen Anhänger in der Psychologie fälschlicherweise auch noch Pomponazzi und Zabarella genannt werden. Die Inblicknahme von den novatores her führt also zur Verengung der Sichtweise auf die Jesuiten und verhindert so einen angemessenen Zugriff auf die historische Situation. Ein weiterer inhaltlicher Mangel besteht darin, daß Des Chene gerade denjenigen Teil der aristotelischen Psychologie übergeht, an dem sich erst der Begriff der menschlichen Seele in seiner ganzen ontologischen und epistemologischen Dimension zeigt, nämlich die Lehre vom nou=j. Sie wird daher in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt des Interesses stehen. _________________________________________________________________________________________________________
and Franciscan counterparts – the ‘philosophy of the Schools’ among the novatores, especially those educated in Catholic universities. It is against the background of their version of Aristotle and their summaries of the tradition that works like Descartes’ Traité de l’Homme, Malebranche’s Recherche de la Vérité, and Gassendi’s Syntagma should be read … Within Aristotelianism itself, the dissident Averroism of the Paduan School, represented notably by Pietro Pomponazzi and Giacomo Zabarella, had a marked influence in France in the latter part of the sixteenth century …« 106
Martin Mulsow, Selbsterhaltung, 31 (Anm. 55).
29
De Anima
Im Blick auf dieses Programm ergibt sich folgende Gliederung und Fragestellung der Arbeit: 1. In einem ersten Schritt sind die griechischen De Anima-Kommentare von Alexander und Simplicius ausführlicher darzustellen (vgl. 2.2.1 und 2.3.1.). Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Lehre vom nou=j, an der sich besonders deutlich die Differenzen zwischen einem ‘originären’, von platonischen, stoischen und christlichen Einflüssen freien Aristotelismus und einem solchen neuplatonischer Provenienz zeigen. 2. Um dabei zugleich einen ersten Einstieg in die Rezeptionsgeschichte dieser beiden Autoren zu gewinnen, geschieht Alexanders Darstellung im Zusammenhang mit der Interpretation von Martin Luthers (1483-1546) Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation von 1518107 (vgl. 2.2.) und Simplicius’ Darstellung im Zusammenhang mit Melanchthons Commentarius de anima von 1540 bzw. dem überarbeiteten Liber de anima von 1552108 (vgl. 2.3.). Diese prima facie überraschende Zusammenstellung rechtfertigt sich vor dem Hintergrund einer expliziten Berufung Luthers auf Alexanders Ansicht von der Sterblichkeit der menschlichen Seele und eines in Teilen neuplatonischen Verständnisses der Seele bei Melanchthon. In bezug auf Luther stellen sich hierbei folgende Fragen: Welche Absicht verfolgte er mit seiner Interpretation von De An. III 4 und 5 im Rahmen einer sich mit der scholastischen Theologie auseinandersetzenden Disputation? Wie verstand er diese Lehre, und wie weit folgte er dabei Alexanders Position? Sind daneben Einflüsse anderer Schulen feststellbar? In bezug auf Melanchthon ist zu fragen: Wie begründete er die Aufnahme der aus theologischer Sicht höchst umstrittenen aristotelischen Psychologie in das curriculum Philosophiae? Unter welchen Prämissen erfolgte dabei die Rezeption dieser Lehre? Zu welchen Umgestaltungen kam es hierbei, und wie ist das Ergebnis zu bewerten? Ist diese Psychologie lutherisch, wie Kusukawa behauptet109, oder ist sie nicht doch eher eine eklektische Sammlung von verschiedenen philosophischen, medizinischen und theologischen Theorien? Welche inhaltlichen Differenzen sind zwischen dem Commentarius de anima und dem Liber de anima festzustellen? 3. Ein qualitativ anderes Niveau der Aristoteles-Interpretation findet sich im Renaissance-Aristotelismus, der Gegenstand des dritten Kapitels ist. Hier wird sich die ganze Komplexität und Subtilität des Locus De anima zeigen. Denn die nun im vollen Umfang erfolgende Rezeption der antiken Autoren führte zu mannigfaltigen Auseinandersetzungen innerhalb des Aristotelismus, so daß auch hier von Aristotelismen gespro107
Vgl. WA 59, 405-26.
108
Vgl. Melanchthon, Commentarius de anima. Wittenberg 1540. Ders., Liber de anima. Wittenberg 1552, in: CR 13, 5-178. 109 Vgl. Sachiko Kusukawa, The Transformation of Natural Philosophy. The Case of Philip[p] Melanchthon. Cambridge 1995, 4: »Melanchthon in fact used classical as well as contemporary authors in such a way as to render his natural philosophy Lutheran. That is, Melanchthon transformed traditional natural philosophy into a natural philosophy new and different from its predecessors because he believed in a faith which was also new and different.«
30
Einleitung
chen werden kann. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Standardwerke von Zabarella und Portio110 auf der einen Seite und von Toletus und den Conimbricensern auf der andern. Die Scheidelinie zwischen beiden Richtungen verläuft hierbei zwischen dem Alexandrismus der Italiener mit ihrer strikten Ablehnung des Neuplatonismus eines Simplicius und der thomistischen Rezeption des Aristoteles durch den Jesuitenorden. Daneben spielte der Averroismus sowie die neue Bewegung des Humanismus, der mit seiner Parole ad fontes die erneute Rezeption der Antike überhaupt erst möglich gemacht hat, eine bedeutende Rolle, so daß sich hier ein Gemengelage aus verschiedenen antiken, arabischen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Strömungen ergibt, welche diese Zeit so komplex und ihr Verstehen so schwierig machen. Folgende Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang: Wie kann die Identität und Differenz zwischen dem ‘originären’ und ‘christlichen’ Aristotelismus genauer bestimmt werden? Welche Änderungen bewirkte der Humanismus in der Rezeption der aristotelischen Psychologie? Wie verhält es sich mit der von Lohr und Kessler beschriebenen These einer Emanzipation der Naturphilosophie von Aristoteles durch den christlichen Aristotelismus? Sind tatsächlich die Jesuiten die Trendsetter der Neuen Naturwissenchaft, oder sind dies nicht vielmehr die radikalen Aristoteliker Zabarella und Portio mit ihrer Forderung nach einer libertas philosophandi und einer Emanzipation der Naturphilosophie von der christlichen Metaphysik, wie auch Michael betont111? Ist Kesslers These von der Subjektivierung des Erkenntnisprozesses bei Zabarella eine angemessene Beschreibung seiner von Aristoteles geprägten Epistemologie, für die gemeinhin der Satz gilt: Der Gegenstand ist das Maß und der Geist das Gemessene? Wird hiermit nicht zu Unrecht die cartesianische Umkehrung dieses Prinzips unzeitgemäß auf Zabarella vorverlegt? 4. Sparn hat den fehlenden Nachweis der Wirkungsgeschichte der mittelalterlichen Scholastik, der Jesuiten sowie des italienischen Aristotelismus in der Metaphysik der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophie des 17. Jh.s als Desiderat der Forschung bezeichnet hat.112 Im vierten und letzten Kapitel dieser Arbeit soll dies für die 110
Vgl. Simone Portio, De humana mente disputatio. Florenz 1551.
111
Vgl. Emily Michael, Nature and Influcene, 75f.: »Further, I would suggest that this Renaissance approach [sc. von Zabarella und Piccolomini] did not simply end with the rise of modern philosophy, but rather that, while Thomistic analyses were attacked and rejected as inadequate by the moderns, a variety of the doctrines adopted by these Paduan professors of natural philosophy … survive in some form in the modern period … That is, it raises the provocative possibility that the Paduans played a transitional role in the rise of early modern philosophy.« 112 Vgl. Walter Sparn, Metaphysik, 206: »Die Komplexität der Tradition, deren die neue Metaphysik sich bedient, war nicht Gegenstand der Untersuchung. Sie zu verstehen, bedürfte noch einiger philosophiegeschichtlicher Detailarbeit. Die beiden wichtigsten Fragen, die dabei zu klären anstünden, sind wohl diese: Erstens: in welcher Breite nimmt die protestantische Scholastik die mittelalterliche Philosophie selbständig auf und inwieweit ist sie, mit dem jeweiligen Ausgleich thomistischer und skotistischer Gesichtspunkte, durch Cajetan, Fonseca und Suarez vermittelt? Wie verläuft die Wirkungsgeschichte insbesondere Suarez’ je auf lutherischer und auf calvinistischer Seite im einzelnen? Stehen dabei theologische Entscheidungen der Gegenreformation zur Diskussion? Zweitens:
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Psychologie zumindest in Ansätzen aufgezeigt werden. Hierfür werden die bisher in der Forschung vollkommen übergangenen Werke der Lutheraner Jacob Martini113, Sigismund Evenius (1585/9-1639)114, Christoph Scheibler (1589-1653)115, Johann Conrad Dannhauer (1603-1666)116 und Martin Leuschner (1589-1641)117 zugrunde gelegt und in der nötigen Ausführlichkeit präsentiert. Da diese Autoren in verschiedenen Städten publiziert haben, liegt mit diesen Schriften ein repräsentativer Durchschnitt zur philosophischen Psychologie im Luthertum vor. Daneben werden die Werke der Calvinisten Julius Pacius (1550-1635)118 und Clemens Timpler (1563/4-1624)119 berücksichtigt, um zum einen ein abgerundeteres Bild der Schulphilosophie im 17. Jh. zu gewinnen und zum andern eventuell vorhandene konfessionelle Gegensätze sichtbar zu machen. Da mit diesem Kapitel Neuland betreten wird, stellen sich entsprechend grundsätzliche Fragen: Welches Verständnis vom Wesen der Psychologie bildete sich aus? War diese durch und durch aristotelisch? Auf welche Autoren griff man hierbei zurück? Schloß man sich ohne Einschränkung einer der genannten Schulen des Alexandrismus, Averroismus oder Thomismus an, oder wird ein eigenes lutherisches bzw. calvinistisches Profil in der Psychologie erkennbar? Gab es theologische Vorbehalte? Wurden gar der Vorgehensweise der Jesuiten entsprechend theologische Lehrsätze formuliert, deren Geltung auch in der Philosophie zu erweisen war? Welches Verhältnis von Philosophie und Theologie bildete sich folglich in der konkreten Arbeit an den Sachproblemen aus? Wurde man dabei den Anforderungen beider Disziplinen gerecht? Wie wurde schließlich das Abrücken von Melanchthons Schriften zur Psychologie begründet, die im Verlauf des 17. Jh.s vollkommen aus dem Unterricht verschwanden? _________________________________________________________________________________________________________
wie sieht die Wirkungsgeschichte des Paduaner Aristotelismus und Scaligers aus, und entsprechen die Grundsätze dieser Philosophie den konfessionsspezifischen Voraussetzungen ihrer Schüler?« 113 Vgl. Jacob Martini, Exercitationes nobiles de anima. Wittenberg 1606. 114 Vgl. Sigismund Evenius, ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam constitutione doctrina, inter scientiæ naturalis partes longè præstantissima, repetita, disputationibus undeviginti inclusa, & in Collegio privato Wittenbergæ exhibita. Wittenberg 1613. 115 Vgl. Christoph Scheibler, Collegium psychologicum. Gießen 1608/9. Ders., Liber de anima. Gießen 1614. 116
Vgl. Johann Conrad Dannhauer, Collegium Psychologicum, in quo maxime controversae quaestiones, circa libros tres Aristotelis de anima proponuntur, ventilatur, explicantur. Altdorf 1627. 117
Vgl. Martin Leuschner, Tetras disciplinarum philosophicarum, hoc est, Logicæ, Physicæ, Ethicæ, et Politicæ; ut et aliæ nonnullæ quæstiones & controversiæ Philosophicæ, ex varijs Disciplinis desumptæ. Stettin 1633. 118
Vgl. Julius Pacius, Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga interprete. Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros commentarius analyticus … Frankfurt 1596. 119
Vgl. Clemens Timpler, Physicæ seu philosophiæ naturalis systema methodicum, in tres partes digestum. Hier: Pars tertia & postrema Physicæ, complectens Empsychologiam; Hoc est, doctrinam de corporibus naturalibus animatis, libris V. explicatam. Quorum I. continet Empsychologiam generalem; II. Zoologiam generalem; III. Anthropologiam. IV. Therologiam. V. Phytologiam. Hanau 1622.
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Einleitung
5. Die Rezeption der aristotelischen Psychologie geschah bei den hier verhandelten Autoren vor dem Hintergrund verschiedener Philosophiekonzepte, welche die Leitlinien des Philosophierens vorgaben, mögen diese nun theologisch bedingt gewesen sein oder nicht. Ohne diese Konzepte hier ausführlich darstellen zu können, sollen doch wenigstens ihre Grundzüge ermittelt werden. Hierbei werden sich interessante Parallelen zwischen Autoren ergeben, die losgelöst von der konfessionellen Zugehörigkeit ein innovatives Zusammenspiel von Philosophie und Theologie ermöglichten.
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2. Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon 2.1. Einleitung Mundus certe non potest intelligere neque credere animam esse immortalem.1
Als sich Luthers Reformation von einer zunächst ausschließlich religiösen zu einer umfassenden geistigen Bewegung wandelte, die alle Bereiche des Lebens umfaßte, stellte sich in Wittenberg bald nach 1517 die Frage nach einer Schul- und Universitätsreform, die den neu formulierten Ansprüchen an ein gebildetes und christliches Leben in der Gemeinschaft genügen sollte. Melanchthon hat sich dieser Aufgabe nach seiner Berufung als Professor für Griechisch im Jahre 1518 gemeinsam mit Luther angenommen. Zu ihr gehörte auch der Aufbau einer neuen humanistisch-philosophischen Fakultät, die das Studium der Philosophie auf andere Weise betreiben sollte, als es nach Ansicht der Reformatoren an den scholastischen Universitäten mit ihrer Vermischung von Theologie und (aristotelischer) Philosophie bis dahin üblich war.2 Für diese Bildungsreform griff man auf den Humanismus des 15. und 16. Jhs. zurück. Wie ist dieses Programm näher zu verstehen? Der Humanismus mit seinem Rückgriff auf die griechische und römische Antike war im eigentlichen Sinne ein »Kultur- und Bildungsprogramm«3, weniger eine echt philosophische Bewegung. Deutlich wird dies an dem studia humanitatis genannten Curriculum, das seit dem späten 14. Jh. neben dem Trivium der Grammatik, Rhetorik und Dialektik und dem Quadrivium der Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik auch die Ethik, Politik, Ökonomie, Geschichte und Poetik umfaßte, die übrigen ‘echt’ philosophischen Disziplinen der (syllogistischen) Logik, Naturphilosophie und Meta1
WA 20, 70, 23f. (Annotationes in Ecclesiasten Salomonis, 1532).
2
Der Begriff der Scholastik wird erst mit Luther als terminus technicus für eine bestimmte Weise des Philosophierens und Theologisierens bestimmend. Vgl. Heinrich M. Schmidinger, ‘Scholastik’ und ‘Neuscholastik’ – Geschichte zweier Begriffe, in: Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Band. Rückgriff auf scholastisches Erbe. Hrsg. von Emerich Coreth u. a. Graz u. a. 1988, 23-53, hier: 37: »Unter dem Einfluß und der Autorität Martin Luthers (1483-1546) auf der einen und des Erasmus auf der anderen Seite setzt sich ‘Scholastik’ als Bezeichnung für die theologisch-philosophischen Schulen des Hoch- und Spätmittelalters durch. Erst jetzt also wird der bis heute geläufige Wortgebrauch üblich.« Es sei hier nur an Luthers frühe Disputatio contra scholasticam theologiam von 1517 erinnert, auf die gleich näher eingegangen wird. Zur scholastischen Theologie vgl. Ulrich G. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie. Paderborn 1995. 3
Paul Oskar Kristeller, Die humanistische Bewegung, in: Humanismus und Renaissance. Bd. I. Die Antiken und mittelalterlichen Quellen. Hrsg. von Eckhard Keßler. München 1974, 17. Vgl. auch ders., Humanism, in: CHRP, 113-137.
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physik aber im großen und ganzen vernachlässigte.4 Ziel dieser Bewegung war es, die griechischen und hebräischen Texte in Philosophie, Literatur und Theologie wieder im Original zu lesen. Dies setzte zum einen die Unterrichtung dieser Sprachen anhand neu zu gestaltender Grammatiken voraus, zum andern die Herausgabe entsprechender Texte, wobei man sie zugleich von den spuria zu reinigen hatte. So wurde das corpus Platonicum durch Ficino (1433-99) ins Lateinische übersetzt und 1484 mit einem Kommentar versehen veröffentlicht. Eine griechische Gesamtausgabe erschien 1499. Erasmus von Rotterdam (1465/6-1536) edierte 1516 den griechischen Text des Neuen Testaments zusammen mit einer neuen lateinischen Übersetzung. Auch das bisher nur rudimentär auf Lateinisch bekannte corpus Aristotelicum wurde in der berühmten editio princeps des Aldine 1495-8 im griechischen Urtext zugänglich gemacht.5 Hinzu kamen neue Übersetzungen, deren Ziel es war, die ‘barbarische’ Sprache der Scholastik zu überwinden und ein elegantes Latein zu präsentieren, das sich an Cicero und Quintilian orientierte, dabei aber dem sensus Aristotelis besser entsprechen sollte. Diese neue Haltung findet sich zuerst bei Leonardo Bruni (1370-1444), der den Versuch unternahm, »to humanize Aristotle by putting him in a polished Latin garb«6. Als ein typischer Vertreter des Humanismus übersetzte er die aristotelischen Schriften Nikomachische Ethik, Politik, Ökonomik & De Interpretatione ins ‘gereinigte’ Lateinisch, indem er zum einen eine kontextorientierte Übersetzung, statt einer bloßen Wort-fürWort-Übersetzung gab und zum andern eine lateinische Begrifflichkeit verwendete, statt griechischer Entlehnungen (res familiares statt oeconomica für h( oi)konomikh/ etc.). Einen Schritt weiter – und damit den Überstieg vom Humanismus zum Renaissance-Aristotelismus anzeigend – ging der byzantinische Gelehrte Johannes Argyropulos (1415-87), »who was inspired by the humanistic ideal of elegant Latin«7. Seine wirkmächtigen Übersetzungen vieler aristotelischer Schriften (u. a. Organon, Physik, Metaphysik, De Anima) wurden der neue Maßstab für das philologische Arbeiten am Text: »Even more than Bruni he turned away from the medieval verbum e verbo me-
4 Vgl. Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 15: »This distinction [sc. between humanism and scholasticism] recognizes the contrast between the traditional study of philosophy in the Italian universities centering upon logic and natural philosophy on the one hand and the cultivation of Aristotelian moral philosophy as a part of the studia humanitatis curriculum compromising grammar, rhetoric, poetry, and history, on the other.« 5 Zur Verfügbarkeit der platonischen und aristotelischen Werke vgl. Anthony Grafton, The availability of ancient works, in: CHRP, 767-791, hier: 777f. und 786f. 6
Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 67.
7
Katharine Park and Eckhard Kessler, The concept of psychology, in: CHRP, 458. Vgl. Brian P. Copenhaver, Translation, terminology and style in philosophical discourse, in: A. a. O., 77-110, hier: 82: »Of all the Byzantines, however, the most influential translator was Argyropulos, whose freer renderings of Aristotle ruled the arena of new translation in the fifteenth century and remained well known in the next.«
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
thod, introducing in its place a technique often bordering on paraphrase.«8 Diese Methode sollte für die nachfolgende Zeit bestimmend bleiben. In dieser humanistischen Tradition stand nun auch Melanchthon, als er 1518 nach Wittenberg kam. So plante er zusammen mit weiteren Gelehrten die Neuherausgabe der aristotelischen Schriften »im reinen griechischen Urtext, frei von dem scholastischen Beiwerk der mittelalterlichen Kommentare«9. Im Nachwort seiner noch in Tübingen verfaßten Institutiones Graecae Grammaticae von 1518 gab er dieses Vorhaben erstmals öffentlich bekannt.10 Auch in seiner Wittenberger Antrittsrede mit dem bezeichnenden Titel De corrigendis adolescentiae studiis vom 28. August 1518 verkündete er, gemeinsam mit anderen Gelehrten einen gereinigten Aristoteles herausgeben zu wollen.11 Daß dieses Projekt nicht realisiert wurde, ist bekannt. Denn an der Leucorea kam es als Konsequenz der Reformation zu einer vollkommenen Umgestaltung des artistischen Curriculums, in dem es aufgrund der Auseinandersetzungen mit dem scholastischen Aristotelismus zunächst keinen Platz für einen ‘gereinigten’ humanistischen Aristoteles gab. Deutlich wird dies an Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung von 1520, die den bekannten Rat enthält, die aristotelischen Werke Physik, Metaphysik, De Anima und Nikomachische Ethik von den Universitäten zu verbannen. Nur dessen Schriften zur Logik sowie die Rhetorik und Poetik sollten danach noch Grundlage des Unterrichts sein.12 Seit 1517 führte dieses 8 Vgl. Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 69f. Zur Wirkmächtigkeit seiner Übersetzung der Schrift De Anima vgl. 3.1. 9 Karl Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae. Berlin 1889 (Reprint Nieuwkoop 1964), 39. 10
Vgl. CR 1, 26 (Institutiones Graecae Grammaticae, 1518): »Accingimur enim non vano conatu ad instauranda Aristotelica, quo vel tandem nostri homines hac laudum parte cum aliarum gentium philosophis comparari recte queant. Nam quae in Aristotelem hactenus apud Germanos scripta sunt, a nescio quibus, veluti in stipem emendicata, adeo non referunt Aristotelem, ut indignum sit nobile peri/paton in hos rapsodos incidisse.« 11
Vgl. CR 11, 20 (De corrigendis adolescentiae studiis, 1518): »Ad haec male precatus nugis, obnixe a me contendit, Aristoteli purgando socias manus adicerem: conaturum omnia sese pro viribus, uti artium elementa vindicta barbarorum liberarentur.« Dieser Plan zur Wiederherstellung des echten Aristoteles sei notwendig, da gewisse Leute auf ihn verfallen seien, ihn verstümmelt und zerfetzt ins Lateinische übertragen hätten, so daß er nun selbst der weissagenden Sibylle Rätsel aufgebe. 12 Vgl. WA 6, 457,31-38 (An den christlichen Adel deutscher Nation von den christlichen Standes Besserung, 1520): »Was sein die Universiteten, wo sie nit anders, dann biszher, vorordnet, den, wie das buch Machabeorum sagt, Gymnasia Epheborum et Grece glorie, darynnen ein frey leben gefuret, wenig der heyligen schrifft und Christlicher glaub geleret wirt, und allein der blind heydnischer meyster Aristoteles regiert, auch weytter den Christus? Hie were nu mein rad, das die bucher Aristoteles, Phyisicorum, Metaphysice, de Anima, Ethicorum, wilchs biszher die besten gehalten, gantz wurden abthan mit allen andern, die von naturlichen dingen sich rumen …« Zur Logik, Rhetorik und Poetik heißt es an anderer Stelle: »Das mocht ich gerne leyden, das Aristoteles bucher von der Logica, Rhetorica, Poetica behalten, odder sie in ein ander kurtz form bracht nutzlich geleszen wurden, junge leut zuuben, wol reden und predigen, aber die Comment und secten musten abethan, unnd gleich wie Ci-
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Programm zur Umgestaltung der philosophischen (und theologischen) Fakultät in Wittenberg: So wurde zunächst 1518 ein neuer Lehrstuhl für Physik und Metaphysik nach neuer Aristoteles-Übersetzung (Argyropolus?) eingerichtet, der jedoch 1525 wieder abgeschafft wurde. Ferner wurden in den Jahren 1519 bis 1521 jeweils die beiden alten Lehrstühle für die aristotelische Naturphilosophie (u. a. Physik, Parva naturalia, De Anima) wie auch für die Große Logik jeweils nach Scotus und Thomas eingestellt. Auch die aristotelische Ethik wurde von 1517-32 (mit einer Ausnahme im Jahre 1524 durch Melanchthon) überhaupt nicht unterrichtet. Stattdessen wurden auf breiter Front die studia humanitatis gefördert und mit neuen Professuren ausgestattet: So wurde das studium trilingue (Lateinisch, Griechisch und Hebräisch) mit der dazugehörigen klassischen Literatur fester Bestandteil der universitären Ausbildung. Melanchthon selbst unterrichtete von 1518-25 Griechisch sowie von 1518-21 wiederholt Hebräisch. Seit 1521 lehrte er auch die neu gestaltete Logik. Die Mathematik wurde mit zwei Lehrstühlen versehen. Das Ergebnis dieser Bemühungen war in den frühen zwanziger Jahren eine »Symbiose von Humanismus und Reformation«13 und damit einhergehend eine Beseitigung des scholastischen Aristotelismus, wie aus Melanchthons unter einem Pseudonym veröffentlichter Oratio Didymi Faventini adversus Thomam Placentinum, pro Martino Luthero Theologo von 1521 deutlich wird.14 Genau diese Auseinandersetzung mit der Scholastik ist nun der Hintergrund für die Heidelberger Disputation vom 26. April 1518, in der Luther in einer ausführlichen Probatio zur 31. These erweisen wollte, daß Aristoteles die Welt für ewig gehalten hat, weil die menschliche Seele seiner Meinung nach sterblich ist. Diese Probatio zu De An. III 5 ist nachfolgend in einem ersten Schritt zu interpretieren (vgl. 2.2.). Im Verlauf der späten zwanziger, frühen dreißiger Jahre des 16. Jh.s kam es dann zu einer Neubewertung der aristotelischen Philosophie durch Melanchthon und Luther, die einer erneuten _________________________________________________________________________________________________________
ceronis Rhetorica on comment und secten, szo auch Aristoteles logica einformig, on solch grosz comment gelesen werden.« (A. a. O., 458,26-31) 13
Heinz Kathe, Die Wittenberger Philosophische Fakultät 1502-1817. Köln 2002, 47f. Zur weiteren Übersicht vgl. a. a. O., 47-71 sowie 455-470 (Verzeichnis der Professoren an der philosophischen Fakultät). Siehe ferner Heinz Scheible: Melanchthons Bildungsprogramm (1986), in: Ders., Melanchthon und die Reformation. Forschungsbeiträge. Herausgegeben von Gerhard May und Rolf Decot. Mainz 1996, 99-114. Ders., Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae, Philipp Melanchthon, am 16. Februar 1997. Hrsg. von Michael Beyer u. a. Leipzig 1996, 123-144. 14 Diese Schrift gilt als der »eigentliche Absagebrief an die Scholastik« (Karl Hartfelder, Melanchthon, 158, Anm. 1). Melanchthon rechtfertigte in dieser Verteidigungsschrift Luthers Verwerfung der aristotelischen Physik, Psychologie, Metaphysik und Ethik: »Non damnat Lutherus eam philosophiae partem, quae mathemata, quae gemmarum, plantarum et animantium naturas descripsit. Nam horum cognitionem fatetur ad sacra necessariam esse, soletque in loco uti, quoties res postulat, probat, inquam, pinguem illam rerum descriptionem, cuius auctores habemus apud latinos Plinium, apud Graecos Athenaeum, addo, si vis, Aristotelem … Damnat autem, si ignoras, eam philosophiae partem, quae de rerum principiis, ventorum ac pluviarum causis prodigiosas nugas comminiscitur, adeoque quidquid id est, quod Aristoteles vocat, fusika/ a)kroa/mata kai\ meta\ ta\ fusika\, damnat, quidquid de moribus a philosophis proditum est.« (CR 1, 301)
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
Rezeption ihrer Ethik und Naturphilosophie mit Ausnahme der Metaphysik den Weg ebnete. Für den vorliegenden Zusammenhang soll dies anhand von Melanchthons Commentarius de anima von 1540 bzw. des überarbeiteten Liber de anima von 1552 aufgezeigt werden (vgl. 2.3.). Es liegt hiermit die seltene Möglichkeit vor, daß wir von beiden Reformatoren Interpretationen zu ein und demselben philosophischen Text besitzen, die auf ihre Qualität hin miteinander verglichen werden können. 2.2. Luthers Interpretation von De An. III 5 in der Heidelberger Disputation von 1518 Mit der Disputatio contra scholasticam theologiam vom 4. September 1517 »brachte Luther zum erstenmal seinen während der Schriftauslegung allmählich erarbeiteten Gegensatz zur herrschenden Theologie in aller Form an die Öffentlichkeit.«15 Diese Auseinandersetzung erfolgte sowohl auf dem Gebiet der Theologie als auch auf dem der Philosophie, wie die Thesenreihe hinreichend verdeutlicht. So richten sich die Thesen 39 und 40 gegen diejenigen Aristoteliker, deren Rede von der Willensfreiheit und Gerechtigkeit, die durch wiederholte Akte erworben wird, dem diametral entgegensteht, von dem der Theologe zu reden hat: vom geknechteten Willen und der Rechtfertigung allein aus dem Glauben.16 Ist also der Begriff der Gerechtigkeit in der Theologie ein anderer, so verbiete es sich, den der Philosophie auf die Theologie zu applizieren, wie dies die Scholastik mit ihrer Vermischung beider Disziplinen getan habe. Sie erscheint in der nachfolgenden These explizit als Adressat der Kritik: »Die ganze aristotelische Ethik ist der Gnade schlimmster Feind. Gegen die Scholastiker.«17 Dieser »Kampf gegen die Moralisierung des Christlichen«18, gegen die scholastische Vermi15 Helmar Junghans, Vorwort zur Disputatio contra scholasticam theologiam, in: Studienausgabe (StA). Hrsg. von Hans-Ulrich Delius. Bd. 1-5. Berlin 1987-90, hier: Bd. 1, 163. Zur Auseinandersetzung mit der Scholastik vgl. Leif Grane, Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Disputatio Contra Scholasticam Theologiam 1517. Kopenhagen 1962. 16
Vgl. WA 1, 226,6-9 (Disp. contra scholast. theol., 1517): »39. Non sumus domini actuum nostrorum a principio ad finem, sed servi. Contra Philosophos. 40. Non efficimur iusti iusta operando, sed iusti facti operamur iusta. Contra philosophos.« Luther bezieht sich hier auf Sätze der Nikomachischen Ethik: Der Mensch ist Herr seiner Handlungen vom Anfang bis zum Ende (III 8, 1114b31f.). Der Mensch wird gerecht, indem er gerecht handelt (II 1, 1103a35f.). – Eine ähnliche Argumentation findet sich in der Probatio zur 25. These der Heidelberger Disputation von 1518: »Non ille iustus est, qui multum operatur, sed qui sine opere multum credit in Christum. Quia iusticia Dei non acquiritur ex actibus frequenter iteratis, ut Aristoteles docuit, sed infunditur per fidem. Iustus enim ex fide vivit Roma. 1. [17.]« (WA 1, 364,2-6) 17
WA 1, 226,10f.: »41. Tota fere Aristotelis Ethica pessima est gratiae inimica. Contra Scholasti-
cos.« 18
Gerhard Ebeling, Luthers Kampf gegen die Moralisierung des Christlichen, in: Ders.: Lutherstudien. Band III. Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches. Tübingen 1985, 44-73.
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schung von aristotelischer Ethik und Theologie gipfelt in der bekannten Schlußfolgerung: »Kurz, der ganze Aristoteles verhält sich zur Theologie wie die Dunkelheit zum Licht. Gegen die Scholastiker.«19 Jeglicher Versuch, mit der aristotelischen Begrifflichkeit und dem hieraus resultierenden Verständnis etwas zur Erhellung von theologischen Sachverhalten beizutragen, ist für Luther per se zum Scheitern verurteilt. Jeder Begriff muß für ihn in der Hl. Schrift eine neue, von der Philosophie abweichende Bedeutung erhalten, sofern die philosophische Hilfestellung nicht zu einer Umklammerung werden soll, die das Verständnis der Glaubensartikel verhindert. In der Heidelberger Disputation vom 26. April 1518 setzte Luther diesen »Totalangriff gegen die scholastische Theologie«20 fort. Deutlicher aber als in der Disputatio contra scholasticam theologiam liegt hier eine doppelte Stoßrichtung seiner Kritik vor, die neben der Scholastik auch direkt auf Aristoteles abzielt und seine philosophische Kompetenz an sich in Zweifel zieht. Dies zeigt eine nachträgliche Äußerung Luthers vermutlich aus dem Jahre 1524 zur Heidelberger Disputation: »Diese Schlußsätze sind von mir deshalb behandelt und disputiert worden, um erstens zu zeigen, wie lang und breit die Sophisten aller Scholastiker die Auffassung des Aristoteles verfehlt und ihre Träume gänzlich in die Bücher des nicht verstandenen Aristoteles hineingebracht haben. Sodann [um zu zeigen], daß man, auch wenn wir seinen Sinn weitestgehend bewahren (wie ich ihn überliefert habe), von ihm dennoch überhaupt keine Hilfe erhalten kann nicht nur für die Theologie oder die Hl. Schrift, sondern auch nicht für die Naturphilosophie selbst. Was nämlich könnte es zur Erkenntnis der Dinge nützen, wenn man über Materie, Form, Bewegung, Endliches, Zeit schwatzen und Sophismen machen kann mit Worten, die man von Aristoteles empfangen hat und die von ihm vorgeschrieben sind?«21
Aristoteles erscheint hier als ein Schwätzer, der nicht nur nichts zur Theologie beiträgt, sondern selbst für die Naturphilosophie keinen Nutzen hat. Deutlich wird dies aus den 19 WA 1, 226,27: »Breviter, totus Aristoteles ad theologiam est tenebrae ad lucem. Contra Scholasticos.« 20
Helmar Junghans, Vorwort zur Disputatio Heidelbergae habita, in: StA 1, 186. Zum Inhalt der Disputation vgl. Karl-Heinz zur Mühlen, Luthers Kritik am scholastischen Aristotelismus in der 25. These der »Heidelberger Disputation« von 1518, in: Ders., Reformatorisches Profil. Studien zum Weg Martin Luthers und der Reformation. Hrsg. von Johannes Brosseder u. a. Göttingen 1995, 4065. Ders., Die Heidelberger Disputation Martin Luthers vom 26. April 1518. Programm und Wirkung, in: A. a. O., 174-198. 21 WA 5, 377,7-16: »Hae conclusiones sunt a me tractate ac disputate, ut ostenderem primo quam [Kj., statt quod, vgl. Ebeling, LuSt II,3, 7 (Anm. 9)] longe lateque ab Aristotelis sententia aberrarint omnium Scholasticorum Sophiste ac plane sua omnia in Aristotelis non intellecti libros invexerint. Deinde ut, si quam maxime sensum eius teneamus (quemadmodum hic tradidi), tamen prorsus nihil adiumenti ex ipso haberi possit non solum ad Theologiam seu sacras literas, verum etiam ad ipsam naturalem philosophiam. Quid enim iuvet ad rerum cognitionem, si de materia, forma, motu, finito, tempore nugari et cavillari queas verbis ab Aristotele conceptis et prescriptis?« Übersetzung nach Theodor Dieter in: Ders., Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie. Berlin/New York 2001, 432 (Anm. 8). Dieter terminiert diese Äußerung unter Berufung auf Junghans auf das Jahr 1528. Damit wird aber Luthers Neubewertung der aristotelischen Philosophie zu weit nach hinten verschoben.
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
Thesen 29-40, die von der Philosophie handeln. Zu ihrem angemessenen Verständnis müssen jedoch die theologischen Thesen 1-28 beachtet werden, um das Ziel dieser Disputation richtig zu fokussieren. In ihrem Mittelpunkt steht die Frage nach der Notwendigkeit von guten Werken (Th. 1-10), nach dem liberum arbitrium, das für Luther nach dem Sündenfall ein bloßer Name ist (Th. 13-16), sowie der Gegensatz zwischen der paulinisch geprägten theologia crucis und der scholastischen theologia gloriae (Th. 19-2122). Mit seiner Rede von der Theologie des Kreuzes wendet sich Luther »sowohl gegen eine metaphysische als auch gegen eine moralische Gotteserkenntnis«23. Denn die Erkenntnis von Gottes unsichtbarem Wesen mittels seiner Werke, so Luther, bläht auf, macht blind und verstockt, führt zum Selbstruhm des Menschen. Sie sei durch eine Erkenntnis zu ersetzen, die das dem Menschen zugewandte, sichtbare Wesen Gottes in seiner Menschheit, Schwachheit und Torheit wahrnehme. Gott wolle aus dem Leiden erkannt werden und die Weisheit der unsichtbaren Dinge durch die Weisheit der sichtbaren Dinge, also Kreuz und Leid, verwerfen.24 Daher lautet Luthers, an Paulus orientierte paradoxe Forderung: Wer wirklich weise werden will, der suche die Weisheit nicht im ständigen Fortschritt, sondern werde ein Narr im ständigen Rückschritt. Genau diese Weisheit, die für die Welt Torheit ist, fordert Luther in dem Abschnitt ex philosophia für eine Beschäftigung mit der aristotelischen Philosophie: »Für den, der ohne Gefahr mit Aristoteles philosophieren will, ist es notwendig, daß er zuvor in Christus richtig zum Toren gemacht wird. Wie mit dem Übel der Begierde allein der Verheiratete recht umgeht, so philosophiert nur der Tor, d. h. der Christ, recht.«25 Was dieses Programm einer explizit christlichen Philosophie bedeutet, hat Luther in den Probationes näher erläutert: Gemäß 1 Kor 3,18 muß derjenige, der in der Welt weise sein will, zum Narren gemacht werden, damit er weise sei. Denn Gott habe die Weisheit der Welt in Christus zur Torheit gemacht. Jedes Philosophieren, auch das aristotelische, steht von nun an unter einem Vorbehalt: Sofern nicht die Gnade Christi hinzukommt, ist es eine verkehrte Liebe zum Wissen.26 Nur im stultificari in Christo, das 22
WA 1, 354,17-22 (Heid. Disp., 1518): »19. Non ille digne Theologus dicitur, qui ‘invisibilia’ Dei ‘per ea, quae facta sunt, intellecta conspicit’, 20. Sed qui visibilia et posteriora Dei per passiones et crucem conspecta intelligit. 21. Theologus gloriae dicit malum [sc. operis, vgl. a. a. O., 362,27f.] bonum et bonum [sc. crucis] malum, Theologus crucis dicit id quod res est.« 23
Karl-Heinz zur Mühlen, Luthers Kritik, 50.
24
Vgl. WA 1, 362,18f. (Heid. Disp., 1518): »Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei. Et Joh.10. [richtig: Joh 14,6] Nemo venit ad Patrem nisi per me.« 25
A. a. O., 355,2-5: »29. Qui sine periculo volet in Aristotele Philosophari, necesse est ut ante bene stultificetur in Christo. 30. Sicut libidinis malo non utitur bene nisi coniugatus, ita nemo Philosophatur bene nisi stultus, id est Christianus.« Dies erinnert an die Thesen 43 und 44 der Disputatio contra scholasticam theologiam: »Error est dicere: sine Aristotele non fit theologus. Contra dictum commune. Immo theologus non fit nisi id fiat sine Aristotele.« (WA 1, 226,14f.) 26 Vgl. WA 59, 410, 2-5 (Prob. Heid. Disp.): »Quia sicut libido est perversa cupiditas voluptatis, ita philosophia est perversus amor sciendi, nisi assit gratia Christi; non quod philosophia sit mala nec voluptas, sed quod cupido utriusque non potest esse recta nisi christianis.«
41
De Anima
dem per se gefahrvollen in Aristotele philosophari als der »Gestalt von Philosophie überhaupt«27 gegenübersteht, gelingt das rechte Philosophieren – und damit auch das gefahrlose Philosophieren mit Aristoteles. Dabei handelt es sich nicht bloß um einen kognitiven Vorgang als Überstieg von der sapientia mundi zur sapientia Dei, vielmehr ereignet sich eine Existenzveränderung: Nur der Christ philosophiert auf angemessene Weise, weil er sich durch sein (philosophisches) Wissen nicht aufblähen läßt (vgl. 1 Kor 8,1), weil er weiß, daß das Wissen zu den Dingen zählt, die zum Heil nichts beitragen, außer bei jenen, die in der Gnade stehen. Wie nämlich den Auserwählten alles zum Guten gereicht (vgl. Rm 8,28), so den Aufgeblasenen alles zum Schlechten.28 Als ein Beispiel für ein solches aufgeblasenes Wissen der Philosophie nennt Luther in der 31. These Aristoteles’ Ansicht von der Ewigkeit der Welt, die sich aus der Sterblichkeit der menschlichen Seele ergebe: »Es war leicht für Aristoteles, die Welt für ewig zu halten, weil die menschliche Seele seiner Meinung nach sterblich ist.«29 In der dazugehörigen Probatio, die erst 1979 durch Junghans veröffentlicht worden ist30, hat Luther diese These im Rekurs auf De An. III 4 und 5 umfassend belegt. Sie stellt, so Ebeling, »das mit weitem Abstand umfangreichste Stück detaillierter AristotelesInterpretation dar, das wir von Luther besitzen.«31 Zeitpunkt und Inhalt der Disputation lassen es als wahrscheinlich gelten, daß These und Beweis als kritische Antwort auf das V. Laterankonzil von 1513 konzipiert worden sind, auf dem, wie gesehen (vgl. 1.1.), die Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele unter Verwendung der aristotelischen Begrifflichkeit zum Dogma erklärt worden ist.32 Luther wollte dagegen 27
Theodor Dieter, Der junge Luther, 439.
28
Vgl. WA 59, 409,7-11: »Secunda [sc. ratio], quod secundum apostolum ‘scientia inflat’, ideo nisi sciatur, quod omnis scientia est de numero rerum, quae non prosunt ad salutem nisi his, qui sunt in gratia, omnino inflatur animus scientis. Sicut enim electis ‘omnia cooperantur in bonum’, ita illis omnia in malum.« 29 A. a. O., 410, 14f.: »31. Facile fuit Aristoteli mundum aeternum opinari, quando anima humana mortalis est eius sententia.« 30 Vgl. Helmar Junghans, Die probationes zu den philosophischen Thesen der Heidelberger Disputation Luthers im Jahre 1518, in: LuJ 46 (1979), 10-59. Zitiert wird nach der Ausgabe in WA 59, 409426. Vgl. auch den Text und die Übersetzung der Probatio zur 31. These von Gerhard Ebeling im Anhang seiner LuSt II,2 (Disputatio de homine. Zweiter Teil. Die philosophische Definition des Menschen. Tübingen 1982, 471-489) sowie seine umfassende Interpretation (a. a. O., 69-145). Noch detaillierter ist die Darstellung bei Theodor Dieter (Der junge Luther, 454-563), der Luthers Interpretation kritisch auf ihre Stichhaltigkeit hin prüft. – Die philosophischen Probationes sind in mehreren Handschriften überliefert. Von ihnen sind nur die ersten beiden Thesen in die Luther-Ausgabe des Johann Franz Buddeus von 1702 eingegangen. Es ist daher ausgeschlossen, daß die Lutheraner des 17. Jh.s diese Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation gekannt haben. Zur Überlieferungsgeschichte vgl. Helmar Junghans, Vorwort, in: WA 59, 405-8. 31
Gerhard Ebeling, LuSt II,2, 71.
32
Es muß weiterhin offenbleiben, ob Luther auch auf den sog. Immortalitätsstreit Bezug nahm, der 1516 nach der Veröffentlichung von Pomponazzis Tractatus de immortalitate animae ausbrach. Junghans betont in seinen Anmerkungen, daß sich eine »direkte Verwendung dieser Schrift für die
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
erweisen, daß Aristoteles die menschliche Seele aus philosophischen Gründen für sterblich gehalten habe und damit zu der rein theologischen Frage nach ihrer von Gott her verheißenen Unsterblichkeit nichts habe beitragen können, diese Frage vielmehr allein von der Theologie her im Rückgriff auf die Hl. Schrift beantwortet werden müsse. Im Blick auf die traditionellen Schulen der Aristoteles-Interpretation läßt dieser Ausgangspunkt sogleich vermuten, daß Luther weder die entsprechende Auslegung des Averroes noch die des Thomas für richtig gehalten haben wird. Vielmehr läßt seine Ansicht eine gewisse Affinität zu der Alexanders erkennen, auf den er sich auch explizit zur Stützung seiner These beruft: »Wie bekannt, hat dieser hervorragende Schüler des Aristoteles, Alexander von Aphrodisias, behauptet, daß die Seele nach der Ansicht seines Lehrers sterblich ist. Nun muß man aber doch glauben, daß ein solch hervorragender Schüler die Ansicht seines Lehrers vollkommen kennt.«33
Für Luther gab es also keinen Zweifel, daß Alexander mit seiner Interpretation die richtige Ansicht des Stagiriten aufgezeigt hat. Dies bedeutet aber nicht, daß der Reformator dessen Interpretation einfach übernommen hat. Denn dann hätte er den intellectus agens als Gott selbst bestimmen müssen, was seiner Grundintention zuwidergelaufen wäre, eine rein philosophieimmanente und damit in gewisser Weise areligiöse, jede Bezugnahme auf das Christentum vermeidende Interpretation zu geben. Diese inhaltliche Differenz spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Haltung beider Autoren gegenüber Aristoteles wider: Während Alexander als Exeget ‘nur’ dessen Ansicht, die allen anderen philosophischen Meinungen vorzuziehen sei, ermitteln und darstellen wollte, nahm Luther ihm gegenüber eine kritische Haltung ein, mit der er dessen Philosophie an ihrem eigenen Maßstab messen wollte, nämlich ein ausweisbares Wissen zu sein. Wo er diesen Anspruch nicht erfüllt sah, polemisierte er gegen Aristoteles, wie _________________________________________________________________________________________________________
philosophische These 3 der Heidelberger Disputation nicht feststellen (ließ)« (WA 59, 412f., Anm. 28). Auch im Personen- und Zitatenregister der WA (vgl. Bd. 63) findet sich kein Eintrag zu Pomponazzi. 33 WA 59, 412,17-413,2: » … insignis discipulus eius [sc. Aristotelis] Alexander Aphrodisaeus (ut notum) asserit animam mortalem iuxta sui magistri sententiam. At credendum est discipulum talem perfecte nosse praeceptoris sui sententiam.« Aufgrund der erst wenige Jahre zuvor in Italien veröffentlichten Werke Alexanders (vgl. hierzu Anm. 39) ist es unwahrscheinlich, daß Luther dessen Position durch eigene Lektüre kannte. Vielmehr ist anzunehmen, daß er nur über ein indirektes Wissen der allgemein referierten Ansicht des Exegeten verfügte. Zu ihm finden sich keine weiteren Nachweise in WA 63. Eine Vertrautheit mit den Ansichten von Averroes und Thomas kann aufgrund der Ausbildung bei seinem Lehrer Bartholomäus Arnoldi von Usingen (1465-1532) von 1501-05 in Erfurt vorausgesetzt werden, der dort Logik, Naturphilosophie und Psychologie unterrichtete. Ein Ausfluß dieser Tätigkeit ist die nur zwei Jahre nach Luthers Weggang veröffentlichte Schrift Exercitium de anima, die in ihrer Darstellung der via moderna Ockhams folgt. Vgl. hierzu Sebastian Lalla, Secundum viam modernam. Ontologischer Nominalismus bei Bartholomäus Arnoldi von Usingen. Würzburg 2003, 202-223. Theodor Dieter, Der junge Luther, 468-488. Es wird sich zeigen, daß Luthers Ansatz ein anderer ist.
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De Anima
dies in der Probatio wiederholt an solchen Sätzen wie: »Gib acht auf diesen schlüpfrigen Aal!«34 und: »Sieh doch diese gespenstischen Phantasiegebilde!«35 sichtbar wird. Trotz dieser Polemik nahm Luther gleichwohl für sich in Anspruch, mit seiner Interpretation die richtige (und dabei teilweise von Alexander abweichende) »Ansicht des Aristoteles«36 aufzuzeigen. Für die Darstellung ergibt sich damit folgende Aufgabe: In einem ersten Schritt ist kurz Alexanders Position zur aristotelischen Psychologie in ihren wesentlichen Zügen zu bestimmen (2.2.1.), ehe anschließend Luthers Satz-fürSatz-Interpretation von De An. III 5 zu erörtern ist (vgl. 2.2.2.), die in der Tat »etwas Singuläres (ist), das angemessene Beachtung verdient«37. So bietet sich die Möglichkeit, Luthers Auslegung hinsichtlich ihrer Stringenz mit einem der besten Exegeten des aristotelischen Werkes zu vergleichen. 2.2.1. Exkurs: Alexander von Aphrodisias’ Traktat De Anima Alexander von Aphrodisias (im 2./3. Jh. n. Ch.) erwarb sich in der Spätantike aufgrund seiner Interpretationen des aristotelischen Werkes wie auch seiner eigenen systematischen Schriften den Ruf eines ‘zweiten Aristoteles’. Dieser philosophischen Hochschätzung, die sich über das Mittelalter und die Renaissance bis ins 17. Jh. hinein hielt, entsprach freilich von Seiten der Theologie eine Verketzerung seiner These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele. Von besonderer Bedeutung war hierbei zu allen Zeiten seine Lehre vom nou=j, wie Moraux zu Recht betont hat: »Jahrhunderte lang, bei den Griechen, bei den Arabern, in der Scholastik des westlichen Mittelalters und sogar in der italienischen Renaissance, war sein [sc. Alexanders] Name mit besonderen Thesen über die menschliche Vernunft verbunden. Durch den starken Einfluß, den sie auf spätere Denker ausübten, sowie auch durch die leidenschaftliche Polemik, die sie oft hervorriefen, stellen diese seine Lehrmeinungen einen der interessantesten und geistesgeschichtlich wichtigsten Aspekte seiner Philosophie dar.«38
Alexanders Kommentar zu Aristoteles’ De Anima ist leider verschollen. Überliefert sind jedoch zwei Abhandlungen, die unter dem Titel De Anima liber primus & secundus erst am Ende des 15. bzw. zu Beginn des 16. Jh.s im griechischen Original bzw. in lateinischer Übersetzung veröffentlicht worden sind39, wobei in der Forschung umstrit34
WA 59, 416,16: »Observa anguilliam hanc lubricissimam!«
35
A. a. O., 417,20: »Vide larvas figmentorum!«
36 A. a. O., 410,19f.: »Quod autem Aristotelis sententia mundus sit aeternus et anima etiam mortalis, restat ostendere.« 37
Theodor Dieter, Der junge Luther, 432.
38
Paul Moraux, Der Aristotelismus bei den Griechen. Dritter Band. Alexander von Aphrodisias. Hrsg. von Jürgen Wiesner. Berlin/New York 2001, 317. 39 Der griechische Text wurde erstmals 1534 in Venedig veröffentlicht. Bereits 1495 erschien in Brescia die lateinische Übersetzung des ersten Buchs durch Hieronymus Donatus (1454-1511) unter
44
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
ten ist, ob das zweite Buch mit dem kleinen Traktat De Intellectu aufgrund einiger Unstimmigkeiten in der Lehre im Vergleich mit dem ersten Buch von Alexander selbst stammt.40 Für den vorliegenden Zusammenhang sind die folgenden drei Fragen zu klä_________________________________________________________________________________________________________
dem Titel Enarratio de anima ex Aristotelis institutione. Zahlreiche weitere Auflagen folgten bis 1559 (zum Teil unter dem Titel De anima ad mentem Aristotelis enarratio, novissime recognita cunctisque mendis expurgata, interprete Hieronymo Donato veröffentlicht). 1501 erschien separat der Traktat De intellectu (weitere Auflagen 1516 und 1528). Das zweite Buch erschien komplett erst 1546 in Venedig in der Übersetzung des Angelus Caninius (1521-1557) zusammen mit dem ersten Buch unter folgendem Titel: Quæstiones naturales et morales et de fato, Hieronymo Bagolino Veronensi patre, & Ioanne Baptista filio interpretibus. De Anima Liber primus, Hieronymo Donato patritio Veneto interprete. De Anima Liber secundus, unà cum commentario de Mistione, Angelo Caninio Anglariensi interprete. Weitere drei Auflagen folgten bis 1555 (hier benutzte Ausgabe). Eine kritische Edition des griechischen Textes lieferte Ivo Bruns: De Anima liber cum Mantissa, in: CAG. Supplementum, Vol. 2. Berlin 1887, 1-100 [Peri\ yuxh=j A], 101-185 [Peri\ yuxh=j B; einschließlich Peri\ nou=, 106-113]. Eine englische Übersetzung mit Kommentar bietet Athanasios P. Fotinis, The »De Anima» of Alexander of Aphrodisias. Milwaukee 1978. Jüngst ist von R. W. Sharples das zweite Buch (‘Mantissa’) ins Englische übersetzt worden: Alexander of Aphrodisias, Supplement to On the Soul. London 2004. Im folgenden wird jeweils der griechische Text nach Bruns und der lateinische Text nach der Ausgabe von 1555 nachgewiesen. 40 Auf diesen Sachverhalt hat bereits Averroes aufmerksam gemacht: »Quod autem dixit [sc. Alexander] in quodam tractatu quem fecit de Intellectu secundum opinionem Aristotelis videtur contradicere ei quod dixit in libro de Anima.« (Averroes, III 7, t. 36, 176E) F. Edward Cranz hielt das zweite Buch zumindest in Teilen für unalexandrinisch: »The two books of the De Anima differ markedly in form and content, and they were not originally a single work. Book I is generally recognized as authentic. Book II is almost certainly not by Alexander of Aphrodisias in its present form, though much of the material may be his or from his school.« (Alexander Aphrodisiensis, in: Catalogus Translationum et Commentariorum: Medieval and Renaissance Latin Translations and Commentaries. Vol. 1. Washington 1960, 77-135, hier: 84) Paul Moraux hat seine Ansicht im Laufe der Zeit geändert. Hielt er das Werk früher für nicht von Alexander stammend (vgl. Alexandre d’Aphrodise: Exégète de la noétique d’Aristote. Paris 1942, 132-142), so sah er es später als ein Frühwerk des Aphrodisiers an (vgl. Le ‘De Anima’ dans la tradition grecque. Quelques aspects de l’interprétation du traité, de Théophraste à Thémistius, in: Aristotle on Mind and the Senses. Proceedings of the Seventh Symposium Aristotelicum. Eds. G. E. R. Lloyd and G. E. L. Owen. Cambridge 1978, 281-324, hier: 304f.). Diese Ansicht vertrat er auch noch in dem kurz vor seinem Tod fertiggestellten Band zu Alexander von Aphrodisias: »Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob der kleine Traktat über den Intellekt wirklich von Alexander selbst stammt … Fest steht auf jeden Fall, daß der Verfasser, wenn er nicht Alexander selbst ist, in der geistigen Nähe des Aphrodisiers gesucht werden muß.« (Aristotelismus III, 387) Weiter unten heißt es: »Weitaus größere Probabilität kommt freilich einer anderen Hypothese zu, nämlich, daß wir es in De intellectu mit einer Frühschrift des Exegeten zu tun haben.« (A. a. O., 392) R. W. Sharples äußert sich in seinem Artikel Alexander of Aphrodisias: Scholasticism and Innovation (in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. Teil II: Principat. Bd. 36,2. Hrsg. von Wolfgang Haase. Berlin u. a. 1987, 1176-1243, hier: 1211-14) nicht deutlich zu dieser Frage, scheint aber der späteren Ansicht von Moraux zuzuneigen. Auch Dimitris Papadis zweifelt nicht an der Autorschaft Alexanders (vgl. Die Seelenlehre bei Alexander von Aphrodisias. Bern u. a.1991, 334ff.). – Der Traktat selbst besteht gemäß Moraux (Aristotelismus III, 386ff.) und Sharples (Alexander, 1211ff.) aus vier Teilen: Im ersten Teil (106,19110,3 [44rb-44vb]) erklärt der Verfasser seine eigene Theorie vom Nous in den drei Realisationen nou=j fusiko/j, nou=j e)n e(/cei & nou=j poihtiko/j (=nou=j qu/raqen). Im zweiten Teil (110,4-112,5 [44vb-45rb]) erörtert er die Lehre vom nou=j qu/raqen, wie er sie von Aristoteles von Mytilene gehört hat. Der dritte Teil – wiederum ein Referat der Ansicht des Aristoteles von Mytilene (112,5-113,12
45
De Anima
ren: 1. Wie bestimmt Alexander die Seele und ihr Verhältnis zum Körper? 2. Wie definiert er den nou=j fusiko/j bzw. nou=j e)pi/kthtoj und den nou=j poihtiko/j? 3. Was folgt hieraus für die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele? Alexander nimmt den Ausgang für die Bestimmung der Seele gut aristotelisch bei der ou)si/a – denn allein sie zeigt das ti/ e)stin einer Sache an –, die sich als eine körperliche Substanz in Materie (u(/lh) und Form (ei)=doj) ausdifferenziert.41 Während nun die u(/lh wie in der Kunst, so auch in der Natur das u(pokei/menon ist, das Zugrundeliegende, das zu etwas wird, weil es über das Vermögen verfügt, das ei)=doj in sich aufzunehmen, ist das ei)=doj selbst eine gewisse materielose Qualität, die jenes noch unbestimmte Zugrundeliegende (u(pokei/menon a)dia/foron) zu einem bestimmbaren Dies-da (to/de ti) macht, ihm damit das Sein verleiht, so daß beide ein Compositum bilden.42 Bezüglich des Zusammenhangs von Körper und Seele bedeutet dies, daß jener das u(pokei/menon ist, diese aber ei)=doj & fu/sij und damit dessen erste Vollkommenheit (h( prw/th teleio/thj sw/matoj fusikou=). Hieraus ergibt sich für Alexander, daß die Seele nicht eine in sich selbst bestehende Substanz ist, sondern immer die eines Körpers.43 Folglich ist sie forma informans44, kann daher ihre Funktionen nicht ohne den Körper vollziehen.45 _________________________________________________________________________________________________________
[45rb]) – antwortet auf den Einwand, daß dieser Geist nicht immateriell sein könne, wenn er e)n to/p% sei. In diesem Zusammenhang wird der nou=j poihtiko/j mehrmals qei=oj nou=j genannt (112,19 u. 25 [45rb]; 113,3 [45rb]). Im vierten Teil (113,12-24 [45va]) wendet sich der Autor gegen diese »stoisch gefärbten Ausführungen« (Moraux, Aristotelismus III, 387) des Aristoteles von Mytilene und trägt seine eigene Ansicht vor. – Nachfolgend wird auf den Traktat De intellectu nur dann zurückgegriffen, wenn sich Differenzen zum ersten Buch De Anima ergeben oder dort ein Sachverhalt deutlicher erklärt worden ist. 41
Vgl. Alexander, De Anima I, 2,10-3,2 [30rb].
42
Vgl. a. a. O., 10,7f. [31rb]: »h)=n ga\r kei/menon to\ kaq )o(\ e(ka/st% to\ ei)=nai/ e)sti, tou=t ) ei)n= ai to\ ei)=doj au)tou= kai\ th\n teleio/thta.« / »Iam enim asseveratum & positum est, id esse rei perfectionem ac speciem, per quod unaquæque res habet ut sit.« Vgl. ders., De Anima II, 101,15-28 [43rb]. 43
Vgl. Alexander, De Anima I, 12,7-9 [31va]: »o(/ti de\ ei)=doj h( yuxh\ tou= sw/matoj kai\ ou)k ou)si/a tij au)th\ kaq )au(th/n, ma/qoi tij a)\n kai\ a)po\ tw=n e)nergeiw=n au)th=j.« / »Quod enim anima species corporis sit, & non substantia quæpiam, quæ per se ipsa subsistat, ex ipsis animæ functionibus liquidissime perspicitur.« 44 Weder für forma informans noch für forma assistens gibt es bei Alexander ein griechisches Pendant. Der Sache nach intendierte er aber diese später so genannte Unterscheidung. 45
Donatus wie auch Caninius übersetzen das griechische Wort e)ne/rgeia fortwährend mit functio, so z. B. neben der in Anm. 43 genannten Stelle in De Anima I, 2,17 [30ra]; II, 103,18 [43va]; 104,35 [44ra] etc. Dieser Begriff erinnert an die vor einigen Jahren mit Vehemenz geführte FunktionalismusDebatte, die in der Forschung gemeinhin auf Hilary Putnams Aufsatz The Mental Life of Some Machines von 1966 (erneut abgedruckt in: Mind, Language and Reality. Cambridge 1975) zurückgeführt wird. Diese hat darin die Auffassung vertreten, daß geistige Zustände in materielle Strukturen übersetzt werden können, die somit nichts anderes sind als Funktionen, die im Körper realisiert werden. Als Vergleich dieser Funktion diente ihr dabei die Turing-Maschine, an der die logische Struktur geistiger Zustände aufgezeigt wird. Vermutlich ist der Begriff aber bereits von John Herman Randall in die Debatte um das mind-body-problem eingeführt worden, der gegen einen reduktiven Materialismus die notwendige Funktion der Seele zur Ausführung der körperlichen Tätigkeiten gerade im Rückgriff auf Aristoteles verteidigte: »In general, an activity or function, for Aristotle, though it always invol-
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
Alexander faßt dieses Verhältnis von Körper und Seele kurz und prägnant wie folgt zusammen: »Es ist deutlich, daß die Seele etwas im Körper ist und von ihm nicht abtrennbar.«46 Der Vergleich mit dem Schiffer in De An. II 1, 413a8f. kann für ihn deshalb nicht so verstanden werden, als ob die Seele wie der Schiffer gleichsam eine ou)si/a xwristh/ sei, eine forma assistens, die den Körper erst in seiner Vollkommenheit fertigstelle, denn hinsichtlich des Seins könnten die Seele und der Schiffer gar nicht miteinander verglichen werden. Das Schiff bestehe nämlich auch in Abwesenheit des Schiffers (der deshalb gerade nicht forma informans & perfectio navis sei), nicht aber der Körper in Abwesenheit der Seele. Vielmehr vergleiche Aristoteles die Seele mit der ars navigandi des Schiffers: Wie sich dieser eine te/xnh im Steuern ausbilde, so die Seele eine e(/cij für den körperlichen Vollzug ihrer Funktionen.47 Daher wird die _________________________________________________________________________________________________________
ves an instrument with a determinate structure, so that that kind of instrument is necessary to the performance of that function, and without that instrument the functioning cannot occur … is not to be understood merely, or adequately, in terms of its necessary instrument alone.« (Aristotle. New Yorck 3 1965, 41) So sei die Seele diejenige Kraft, diese Funktion zu vollbringen. Aristoteles sei daher nichts anderes als ein »functionalist and operationalist« (ebd.), wie insbesondere seine naturwissenschaftlichen Schriften bezeugten. Dominik Perler hat dagegen in seinem Aufsatz War Aristoteles ein Funktionalist?, der den Sachstand zur weiteren Debatte zwischen Burnyeat, Putnam und Nussbaum (vgl. im einzelnen den Sammelband Essays on Aristotle’s De Anima. Edited by Martha C. Nussbaum and Amélie Oksenberg Rorty. Oxford 1992) zusammenfaßte, zu Recht die These vertreten, »daß eine Gleichsetzung von Aristotelischer Seelentheorie und modernem Funktionalismus verfehlt wäre« (in: ZfphF 50 (1996), 341-362, hier: 349). Perler verweist hierfür auf das dreifache Prinzipsein der Seele als Lebens-, Einheits- und Bewegungsprinzip, das die notwendige Bedingung dafür ist, »daß ein Körper überhaupt belebt und zu gewissen Funktionen fähig ist« (a. a. O., 356). Was die Funktionalisten also voraussetzen, nämlich daß der Körper belebt ist, eine Einheit bildet und sich selbst bewegt, das sei für Aristoteles gerade dasjenige, was das Vorhandensein von Seele in einem Körper notwendig mache. Die Funktionalisten übersehen also gerade, daß die Seele wesentlich Seinsprinzip und nicht nur Funktionsprinzip ist, wie auch Annette Hilt betont: »Die Konzeption der psyche als wirkendes Funktionsgefüge, als Struktur oder als Strukturzusammenhang muß den Funktionalismus um den Begriff der immanenten arche und des internen Bewegtseins erweitern und darf trotz der engen Verschränktheit von Seele und Körper nicht die Differenz zwischen psyche als arche und dem synholon Lebewesen aufheben.« (Ousia – Psyche – Nous. Aristoteles’ Philosophie der Lebendigkeit. München 2005, 160f.) Es ist klar, daß diese Art von Funktionalismus weder hier bei Alexander noch, wie wir später sehen werden, bei den Aristotelikern des 16. und 17. Jh.s vorliegt. Die Bestimmung der Seele als principium operationum gründet immer in ihrer Bestimmung hinsichtlich des Seins (secundum esse) als forma informans. 46
Alexander, De Anima I, 12,22 [31va]: »dh=lon w(j tou= sw/mato/j e)sti/ ti [sc. h( yuxh/] kai\ a)xw/ristoj au)tou=.« / »profecto anima est aliquid corporis, & à corpore inseparabilis.« Ebenso a. a. O., 17,9-15 [32ra-b]: »Ei) de/ e)stin ei)=doj h( yuxh/, w(j de/deiktai, a)nagkai=on au)th\n a)xw/risto/n te ei)=nai tou= sw/matoj ou(= e)stin kai\ a)sw/maton kai\ a)ki/nhton kaq )au(th/n.« / »Cæterum si anima species est, sicut ostendimus, necessarium est illam à corpore inseparabilem esse, & suapte naturam immobilem atque incorpoream haberi.« Dies sind bereits deutliche Hinweise darauf, daß für Alexander die Seele sterblich ist, eben weil sie sich vom Körper nicht abtrennen kann. 47
Vgl. Alexander, De Anima I, 15,9-12 [31vb]: »a)ll )ou)de\ w(j o( kubernh/thj e)n tv= nhi\+ ou(/twj oi(=o/n te ei)=nai th\n yuxh\n e)n t%= sw/mati. ei) me\n ga\r to\n kubernh/thn ou(/twj lamba/noi tij w(j th\n te/xnhn th\n kubernhtikh/n, ei)/h a)\n w(j e(/cij tij kai\ ei)=doj e)n u(/lv h( yuxh\ e)n t%= sw/mati …« / »postremo non est in corpore anima velut gubernator in navi. At vero si ita gubernatorem accipis, quasi pro gubernatore artem gubernatoris intelligas, anima hoc pacto esse in corpore poterit, velut
47
De Anima
Seele gemäß De An. II 1, 412b5f. als »die erste Vollkommenheit eines natürlichorganischen Körpers«48 definiert, eine Vollkommenheit, die alle Lebewesen (Pflanze, Tier und Mensch) auszeichnet. Dies bedeutet aber nicht, daß alle Seelen von ein und derselben Art sind; vielmehr gibt es eine dreistufige Ordnung: yuxh/ qreptikh/, yuxh/ ai)sqhtikh/ kai\ o)rektikh/, yuxh/ nohtikh/. Diese Stufenfolge liegt für Alexander darin begründet, daß die Lebewesen über verschiedene Seelenvermögen verfügen, wobei die nächsthöhere Art jeweils die der niederen Art in sich enthält und damit vollkommener ist als diese.49 Für Alexander gibt es also keine Vielheit von Seelen in einem Lebewesen, sondern eine Vielheit von Vermögen in einer einzigen Seele.50 Ist damit die Substanz der Seele secundum esse in ihrer Unabtrennbarkeit vom Körper bestimmt, so gilt dies natürlich auch für ihre Vermögen. Deren Bestimmung kann daher für Alexander nur noch secundum operationem erfolgen, und genau dies geschieht auch in den nachfolgenden Abschnitten. Für unseren Zusammenhang ist hierbei allein der in der lateinischen Ausgabe des ersten Buches so genannte Locus De rationali virtute von Interesse.51 Alexander unterscheidet dort aufgrund der realen Differenz zwischen den notwendigen und kontingenten Gegenständen zwischen einer du/namij docastikh/ und einer du/namij e)pisthmonikh/. Beide Vermögen werden auch nou=j (in_________________________________________________________________________________________________________
habitus & species in materia.« Allein hinsichtlich der Funktion und nicht hinsichtlich des Seins werden also Seele und Schiffer miteinander verglichen, wie Alexander weiter unten nochmals betont: »ou)de\ oi( ei)=doj de\ le/gontej th\n yuxh\n tou= z%/ou, ei)=doj de\ w(j ou)si/an tina\ xwristh/n te kai\ au)th\n kaq )au(th/n, w(j th=j new\j to\n kubernh/thn (ei)=nai ga\r ka)kei=non ei)=doj th=j new\j kai\ teleio/thta) o)rqw=j le/gousin. ou) ga/r e)sti th=j new\j ei)=doj ou)/te teileio/thj o( kubernh/thj. e)/sti ga\r nau=j kai\ xwri\j tou= kubernh/tou.« / »Cæterum ii quoque vehementer errant, qui animam animalis quidem speciem faciunt, sed eam speciem sive formam velut substantiam aliquam separabilem & ipsam per se existentem affirmant, quomodo navi gubernator assistere dicitur. Gubernatorem enim speciem & perfectionem esse contendunt. Falluntur sanè, cum gubernator neque forma, neque perfectio navis sit. Abdicatio enim & absente gubernatore, nihilominus navem esse concedemus.« (A. a. O., 20,26-30 [32vb]) 48
A. a. O., 16,10 [32ra]: »e)ntele/xeia ou)=n h( prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=.« / »Est [sc. anima] igitur entelecheia prima corporis naturalis organici.« 49
Vgl. a. a. O., 16,18-17,1 [32ra]; De Anima II, 105,2-17 [44ra].
50
Vgl. Alexander, De Anima I, 30,2-6 [34ra]: »dia\ tou=to ga\r kai/toi pollw=n ou)sw=n tw=n yuxikw=n duna/mewn, e)n oi(=j h( logikh\ du/nami/j e)sti, mi/a h( e)c a(pasw=n yuxh/, o(/ti mhdemi/a tw=n u(ste/rwn duna/mewn a)/neu th=j pro\ au)th=j oi(/a te ei)=nai, a)ll )ei)si\n w(j me/rh th=j au)th=j a(/pasai prostiqeme/nwn tai=j prw/taij tw=n deute/rwn kai\ dia\ tou=to au)/chsi/n te kai\ e)pi/dosin tw=n prw/twn lambanousw=n.« / »Quapropter cum animæ potestates complures sint, ubi rationalis vis est, ibidem una est ex omnibus anima. Nulla enim posteriorum potestatum potest absque præcedente subsistere: sed sunt ferè omnes velut partes, additis iis, quæ sunt potiora, posterioribus. Atque ob id additionem, sive auctarium quoddam ex prioribus faciunt.« A. a. O., 99,10-12 [43ra]: »ou) mh\n a)ll ) a)nagkai=on a)\n h)=n plei/ouj le/gein yuxa\j h(maj e)/xein, kai\ ei)=nai e(/kaston tw=n a)nqrw/pwn z%=a plei/w. ei) d )a)du/naton tou=to …« / »Quippe quod plures a nobis animas haberi necessarium esset
asserere, & singuli homines plura animalia esse viderentur: quæ res prorsus impossibilis est …« 51
Vgl. a. a. O., 80,16-88,16 [40va-41va]. Im Traktat De intellectu werden der nou=j u(liko/j und der nou=j e)pi/kthtoj nur sehr knapp in Hinsicht auf den Erkenntnisprozeß bestimmt (vgl. Alexander, De Anima II, 106,19-107,28 [44rb-44va]).
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
tellectus) genannt, der dem Menschen als ein Vermögen angeboren ist. Diese bildet sich dann nach und nach zu einer Haltung (e(/cij) aus.52 Damit ist klar, daß dieser Nous für Alexander kein von außen hinzukommendes Vermögen ist53, sondern eines, das dem Menschen angeboren ist und das er wesentlich durch fortwährende Bildung zu einer e(/cij ausgestaltet. Jenes angeborene Vermögen nennt er nou=j fusiko/j kai\ u(liko/j oder auch nou=j duna/mei (intellectus materialis bzw. possibilis), den erworbenen Habitus dagegen nou=j e)pi/kthtoj (intellectus secundum habitum), der jenen vollendet, aber nur den gebildeten Menschen zukommt. Denn obgleich alle das Vermögen haben, ihn zu erwerben, tun dies nur diejenigen, die üben und lernen und dabei Wissen erwerben.54 Nachfolgend bestimmt Alexander den nou=j e)pi/kthtoj im Zusammenhang mit dem Erkenntnisprozeß genauer, was hier nicht näher dargestellt zu werden braucht. Von diesem nou=j u(liko/j bzw. e)pi/kthtoj ist nun der nou=j poihtiko/j (intellectus agens) deutlich zu unterscheiden, den Alexander im Abschnitt De intellectu agente des ersten Buchs seiner Schrift De Anima näher bestimmt hat.55 Wie Aristoteles in De An. III 5, 430a10-14, so sieht auch er die Notwendigkeit der Einführung dieses Nous darin begründet, daß etwas sich nicht selbst bewirken, für sich selbst nicht Ursache sein kann. Wenn es also einen nou=j u(liko/j gebe, dann müsse es zugleich einen nou=j poihtiko/j geben, der die Ursache für dessen Habitus sei.56 Alexander versteht damit das 52
Vgl. Alexander, De Anima I, 81,13-15 [40va]: »gi/netai de\ o( a)/nqrwpoj ou)k eu)qu/j e)/xwn th/nde th\n e(c / in, a)ll )e)/xwn me\n du/namin kai\ e)pithdeio/thta tou= de/casqai au)th/n, u(/steron me/ntoi lamba/nwn au)th/n.« / »Gignitur autem homo, haudquaquam confestim hoc habitu præditus, sed idoneam duntaxat excipiendi habitus facultatem habens, deinceps autem habitum adipiscitur.« 53
Zum nou=j qu/raqen bei Alexander vgl. weiter unten.
54
Vgl. Alexander, De Anima I, 81,26-82,5 [40va].
55
Vgl. a. a. O., 88,17-91,6 [41va-b].
56
Vgl. a. a. O., 88,22-24 [41va]: »… a)nagkai=on dokei= kai\ e)pi\ tou= nou= tau/taj ei)=nai ta\j diafora/j. kai\ e)pei e)stin u(liko/j tij nou=j, ei)=nai tina dei= kai\ poihtiko\n nou=n, o(\j ai)/tioj th=j e(/cewj th=j tou= u(likou= nou= gi/netai.« / »In intellectu quoque easdem haberi differentias, necessarium videtur. Et quando intellectum quendam materialem esse concessimus, esse pariter agentem quempiam intellectum, qui eius habitus, qui in materiali intellectu producitur, causa sit.« Alexander verlegt damit die Differenz zwischen dem nou=j paqhtiko/j & nou=j poihtiko/j von der Seele (vgl. De An. III 5, 430a13: e)n tv= yuxv=) in den Nous selbst. Im Traktat De intellectu wird die Funktion des nou=j poihtiko/j etwas anders bestimmt. Dort heißt es: »Tri/toj de\ e)sti nou=j para\ tou\j proeirhme/nouj du/o o( poihtiko/j, di )o(\n o( u(liko\j e)n e(/cei gi/netai, a)na/logon w)\n ou(=toj o( poihtiko\j, w(/j fhsin o( A)ristote/lhj, t%= fwti/. w(j ga\r to\ fw=j ai)/tion gi/netai toi=j xrw/masin tou= duna/mei ou)=sin o(ratoi=j e)nergei/# gi/nesqai toiou/toij, ou(/twj kai\ ou(=toj o( tri/toj nou=j to\n duna/mei kai\ u(liko\n nou=n e)nergei/# nou=n poiei= e(/cin e)mpoiw=n au)t%= th\n nohtikh/n.« / »Tertius po-
stremo intellectus est præter memoratos duos, ipse activus, per quem materialis in habitum transit. Assimilis vero est hic activus, ut ait Aristoteles, lumini. Quemadmodum namque lumen facit, ut colores, qui potestate visiles sunt, actu visiles fiant: ita & tertius intellectus eum intellectum, qui potestate est & materialis, actu esse facit, ubi intellectivum habitum induxit.« (Alexander, De Anima II, 107,29-34 [44va]) Moraux beschreibt die Differenz zwischen beiden Fassungen korrekt wie folgt: »In De anima erfolgt die Entwicklung des nou=j u(liko/j zum nou=j e)n e(/cei ohne direkte Beteiligung des nou=j poihtiko/j; dieser wird nur als Ursache der Intelligibilität der mit der Materie verbundenen Formen angesehen. Die Denkkraft entwickelt sich teils durch einen natürlichen Wachstumsprozeß,
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De Anima
Verhältnis zwischen den beiden noi= zunächst rein epistemologisch: Der nou=j poihtiko/j ist nicht etwa die Ursache des Seins des nou=j u(liko/j, sondern die seines Erkennens, wodurch er zu einem nou=j e)pi/kthtoj wird. Dies verdeutlicht auch die nachfolgende nähere Bestimmung des nou=j poihtiko/j: Er ist die erste und ihrer Natur nach am meisten intelligible Form (nohto\n ei)=doj), und damit ist er »die Ursache der Erkenntnis aller übrigen Dinge«57, d. h. der Grund für die Erkennbarkeit von Welt überhaupt. Ferner wird er von Alexander in platonischer Terminologie (vgl. Pol. VI, 508c) als im höchsten Grade sichtbar (o(rato/n) und gut (a)gaqo/n) bestimmt: Sichtbar, weil er wie das Licht die Ursache für die Sichtbarkeit aller übrigen Dinge ist, gut, weil er die Ursache für die Gutheit aller anderen Dinge ist. Sofern er nun der epistemologische Grund für die Erkennbarkeit aller erkennbaren Dinge ist, ist klar, daß diese Funktion selbst im ontologischen Grund- und Prinzipsein gründet. Ist nämlich »ein solcher Geist das erste Verursachende, das die Ursache und das Prinzip des Seins aller übrigen Dinge ist, dann wird er wohl auch insoweit ein tätiger Geist sein, insofern er selbst die Ursache des Seins der zu erkennenden Dinge ist.«58 Die Seinsbestimmung des nou=j poihtiko/j als ai)ti/a & a)rxh/ der Welt geht also seiner Funktionsbestimmung als ai)ti/a & a)rxh/ der erkennbaren Dinge generisch voraus. Dem entspricht seine Auszeichnung gemäß De An. III 5, 430a17f. als schlechthin abgetrennt, inaffizierbar und unvermischt.59 Abgetrennt ist er, weil er in sich selbst frei von jeder Materie ist. Was nämlich materiebehaftet ist, das vergeht, wenn es sich von ihr trennt. Nicht jedoch so der nou=j poihtiko/j, der au)to\j kaq ) au)to/n, in sich selbst stehend und bestehend ist. Deshalb ist er auch inaffizierbar, denn das Affizierbare ist in der Materie und in einem Zugrundeliegenden. Schließlich ist er unvermischt mit der Materie, unvergänglich, reine Wirklichkeit und Form ohne Möglichkeit und Materie.60 Dieser Nous sei daher ehrwürdiger als jener dem Menschen zukommende nou=j u(liko/j, _________________________________________________________________________________________________________
teils durch zielbewußtes Üben und Lernen … In De intellectu dagegen ist es der nou=j poihtiko/j, der in seiner Eigenschaft als aktuelles Intelligibles den nou=j u(liko/j aktualisiert und dadurch die Entfaltung der Denkkraft bewirkt.« (Aristotelismus III, 389) Ebenso Robert W. Sharples, Alexander, 1207 und 1213. 57
Vgl. Alexander, De Anima I, 89,4f. [41va]: »kai\ to\ ma/lista dh\ kai\ tv= au(tou= fu/sei noh\ton eu)lo/gwj ai)/tion kai\ th=j tw=n a)/llwn noh/sewj.« / »Pari ratione quod maxime & suapte natura intelligible est, non immerito universæ cæterarum rerum cognitionis causa iudicabitur.« 58
A. a. O., 89,9-11 [41vb]: »e)/ti, ei) o( toiou=toj nou=j to\ prw=ton ai)/tion, o(/ ai)ti/a kai\ a)rxh\ tou= ei)=nai pa=si toi=j a)/lloij, ei)/h a)\n kai\ tau/tv poihtiko/j, v(= au)to\j ai)/tioj tou= ei)=nai pa=si toi=j nooume/noij.« / »Ad hæc si eiusmodi intellectus prima causa est, quæ cæterarum rerum essentiæ causa & principium est, profecto esse poterit eatenus intellectus agens quatenus cæteris rebus intellectis causa est ut sint …« 59
Vgl. a. a. O., 89,11f. [41vb] [Forts. der vorangehenden Anm.]: »kai\ e)/stin o( toiou=toj nou=j xwristo/j te kai\ a)paqh\j kai\ a)migh\j a)/ll% …« / »… atque is intellectus abiunctus, impassibilis & nulli rei commistus est.« 60
Vgl. a. a. O., 89,16f. [41vb]: »… a)/fqarto/j e)stin [sc. nou=j poihtiko/j], e)ne/rgeia w)\n kai\ ei)=doj xwri\j duna/mew/j te kai\ u(/lhj.« / »… incorruptibilis est actu ens, & forma citra potentiam atque materiam.«
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weil in allen Dingen das Wirkende und von der Materie Befreite ehrwürdiger sei als das Erleidende und der Materie Unterworfene.61 Auch wenn Alexander diesen Nous im ersten Buch nicht explizit ‘Gott’ nannte, wird doch aus der Entgegensetzung zum menschlichen nou=j u(liko/j wie auch aus der Bestimmung der Attribute deutlich, daß er ihn »mit der höchsten, göttlichen Vernunft identifizierte«62, wie Moraux zu Recht feststellt. Er ist damit wohl der unbewegte Beweger aus Met. XII 7.63 Wie nun das Zusammenspiel des nou=j poihtiko/j mit dem nou=j u(liko/j genauer zu verstehen ist, hat Alexander nachfolgend in einem Passus zu erklären versucht, der nicht weniger dunkel ist als das, was wir bei Aristoteles in diesem Zusammenhang lesen. Er enthält seine Antwort auf die Frage, in welcher Weise der nou=j u(liko/j unvergänglich ist. Ausgangspunkt ist für Alexander der von Aristoteles her bekannte Sachverhalt, daß dieser Nous im Denken (to\ noei=n) irgendwie das Gedachte selbst wird und sich in diesem Denken selbst denkt (vgl. De An. III 4, 429b9; 430a2f.), denn das Denken, so seine Erklärung, ist das Aufnehmen der gedachten Form und das ihr Ähnlichwerden. Dabei kann die mit der Materie verbundene Form (e)nu/loj ei)=doj) überhaupt nur dann aufgenommen und erkannt werden, wenn sie intelligibel ist. Intelligibel ist aber das Allgemeine und das Gemeinsame, das im Einzelnen und Materiellen gründet und von diesem abstrahiert wird.64 Nur sofern ein Gegenstand also erkannt wird, 61
Vgl. a. a. O., 89,19-21 [41vb]: »dio\ kai\ timiw/teroj ou(=toj o( nou=j tou= e)n h(mi=n te kai\ u(likou=, o(/ti e)n pa=sin to\ poiou=n tou= pa/sxontoj timiw/teron kai\ to\ xwri\j u(/lhj tou= su\n u(/lv.« / »Quas ob res iste intellectus amplioris dignitatis est, quam is qui habetur in nobis, & materialis appellatur. Cum in rebus omnibus, & agens patiente, & immateriale materiale præstantius sit …« 62
Paul Moraux, Aristotelismus III, 379. Ebenso Athanasios P. Fotinis, The »De Anima«, 328.
63
Vgl. R. W. Sharples, Alexander, 1206: »Thus it [sc. active intellect] is identical with the First Causa, the Unmoved Mover of Metaphysics L …« Papadis versteht den nou=j poihtiko/j dagegen als ein Vermögen der menschlichen Seele: »Die tätige Vernunft ist also ein Moment der menschlichen Seele und wird nicht erst ein solches, wenn sie von uns durch eine Einwirkung von außen seitens des göttlichen Nus gedacht wird. Sie entsteht also nicht bloß als Gedachtes, wobei die Wirksamkeit unseres Denkens unerklärt bliebe, sondern sie ist von Anfang an beim Menschen da, und zwar als das vorzüglichste substantielle Moment seines Seins, d. h. auch wenn sie nicht vom potentiellen Nus gerade erfaßt wird, und wenn sie schon vor dem Zustandekommen des Denkens überhaupt das ist, was das Denken in Gang setzt.« (Seelenlehre, 352f.) Dieser menschliche nou=j poihtiko/j geht jedoch im Rahmen der Embryogenese als nou=j qu/raqen »auf die direkte Wirksamkeit Gottes« (a. a. O., 350) zurück. Für diese Interpretation gibt es jedoch keinen Anhalt am Text, wie wir gleich sehen werden. Ferner kann Papadis nicht einsichtig machen, wie der nou=j poihtiko/j »als eine ontologisch vollkommene Substanz« (a. a. O., 336) zugleich mit dem nou=j paqhtiko/j »eine einzige substantielle Einheit« bildet, »nämlich die der Vernunftseele, so daß alle Beziehung von diesen beiden zueinander eine innere Angelegenheit ist.« (A. a. O., 344). Wie kann ein und dasselbe Vermögen in sich unterschiedliche ontologische Bestimmungen tragen, so daß der nou=j poihtiko/j »unvergänglich« und »unsterblich« (a. a. O., 340) ist, der nou=j paqhtiko/j dagegen »sterblich« (a. a. O., 362)? Mit dieser Aporie der widersprüchlichen ontologischen Bestimmung beider noi=, sofern man sie beide als ein Vermögen der menschlichen Seele bestimmt, werden auch die katholischen und lutherischen Philosophen zu kämpfen haben, wie der weitere Verlauf dieser Arbeit zeigen wird. 64
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,4f. [41vb]: »ta\ ga\r kaqo/lou kai\ koina\ th\n me\n u(/parcin e)n toi=j kaqe/kasta/ te kai\ e)nu/loij e)/xei.« / »Universalia enim & communia in singularibus & materialibus, substantiam habent.« Das Allgemeine ist also keine abgetrennte platonische Idee, sondern
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De Anima
kommt ihm Beständigkeit zu, ansonsten ist er nicht. Daher vergeht das vom Nous Abgetrennte, denn es ist nur, sofern es gedacht wird. Wegen der Identität von Nous und Intelligiblem gilt damit aber auch, daß ein solcher Nous vergänglich ist, denn er denkt nicht immer (vgl. De An. III 4, 430a5f.).65 Daneben gibt es aber noch ein anderes Intelligible, das ohne jede Materie existiert und deswegen an sich, aufgrund seiner eigenen Natur, der gemäß es sogar vom aktuellen Gedachtwerden abgetrennt sein kann, intelligibel ist.66 Daher ist auch derjenige nou=j, der dieses Intelligible denkt, unvergänglich. Dieser Nous ist nun weder der nou=j u(liko/j noch der nou=j e)n e(/cei – denn beide sind Vermögen der Seele, die vergehen, wenn sie vergeht67 –, sondern der nou=j e)nergei/#, »und dieser von außen kommende Geist entsteht in uns und ist unvergänglich.«68 Alexander bezieht sich mit diesem Begriff des nou=j qu/raqen auf den umstrittenen Passus De Gen. an. II 3, 736ab27-9, wo Aristoteles den nou=j im Zusammenhang mit der Frage nach der Embryogenese dahingehend bestimmt, daß er anders als die yuxh\ qreptikh/ und yuxh\ ai)sqhtikh/ von außen (qu/raqen) in den Menschen hineinkommt.69 Alexander verortet nun diese Bestimmung des nou=j qu/raqen nicht in einem ontologischen Kontext, wie Papadis70 behauptet, sondern in einem epistemologischen, sofern der nou=j e)pi/kthtoj durch die Aufnahme des a)/uloj ei)=doj ‘irgendwie’ den nou=j qu/raqen in sich aufnimmt. Sofern nämlich im Denken das Gedachte und das Denkende eins werden, wird der nou=j e)pi/kthtoj im Denken die immaterielle Form selbst. Diese Form kommt zwar auch von außen, ist aber nicht an sich nou=j; vielmehr wird sie erst dann nou=j, wenn sie gedacht wird. Das qu/raqen meint also kein extramundanes göttliches Entstehen, sondern ein intramundanes Erkennen, wo das zu erkennende Objekt ‘von außen’ _________________________________________________________________________________________________________
das vom Einzelnen Abstrahierte. Es ist also immer das Allgemeine von etwas, und das Einzelne wird immer im Lichte des Allgemeinen gesehen. 65
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,10f. [41vb]: »fqarto\j a)/ra o( toiao=toj nou=j, toute/stin ta\ toiau=ta noh/mata.« / »Corruptibilis igitur est istiusmodi intellectus, hoc est, istiusmodi considerationes.« 66 Zur Differenz zwischen dem e)nu/loj ei)=doj und dem a)/uloj ei)=doj vgl. a. a. O., 88,2-5 [41va] und 90,2-13 [41vb]. Aus dem Nachfolgenden wird klar, daß es sich beim a)/uloj ei)=doj um den Gegenstand des göttlichen Denkens – das Denken des Denkens – handeln muß. 67
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,14-16 [41vb]: »… e)kei=noj [sc. nou=j u(liko/j] me\n ga\r su\n tv= yuxv=, h(=j e)sti du/namij, fqeirome/nv fqei/retai, %(= fqeirome/n% sumfqei/roito a)\n kai\ h( e(/cij te kai\ h( du/namij kai\ teleio/thj au)tou= …« / »Hic [sc. intellectus materialis] enim cum anima cuius est potestas, corruptibilis simul interit: & eo intereunte, eiusdem habitus, & perfectio una corrumpitur.« 68
A. a. O., 90,19f. [41vb]: »… kai\ e)/stin ou(=toj o( nou=j o( qu/raqe/n te e)n h(mi=n gino/menoj kai\ a)/fqartoj.« / »Cæterum hic intellectus de foris in nobis genitus est, & incorruptibilis.« 69
Vgl. Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736b27-29: »lei/petai dh\ to\n nou=n mo/non qu/raqen e)peisie/nai kai\ qei=on ei)=nai mo/non: ou)qe\n ga\r au)tou tv= e)nergei/# koinwnei= h( swmatikh\ e)ne/rgeia.« / »Es bleibt daher übrig, daß allein der Geist von außen hineinkommt, und er allein ist göttlich, denn keine körperliche Tätigkeit hat Anteil an seiner [geistigen] Tätigkeit.« Zur ausführlichen Interpretation dieser Textstelle bei den Renaissance-Aristotelikern vgl. 3.3.1.1. 70
Vgl. Anm. 63.
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
in den Geist eintritt. Und genau bei dieser Aufnahme der intelligiblen Form ‘von außen’ nimmt der nou=j e)pi/kthtoj ‘von außen’ ‘irgendwie’ diesen nou=j qu/raqen in sich auf, der allein nou=j kaq ) au(to/ ist, eben weil er nicht actualiter vom nou=j e)pi/kthtoj gedacht werden muß, um intelligibel zu sein. Vielmehr ist er immer und auf unvergängliche Weise intelligibel, weil er allein die Intelligibilität des Intelligiblen ermöglicht und sicherstellt. Als ein solcher kann er natürlich weder ein Vermögen der menschlichen Seele noch eine Hexis sein.71 Sofern nun der nou=j e)pi/kthtoj diesen nou=j qu/raqen in sich aufnimmt, wird er gewissermaßen selbst unvergänglich im IntelligibelSein.72 »But this is not a personal immortality«73, wie Sharples richtig feststellt, sondern eine solche, die sich nur im Denken ereignet und die »sich der Mensch verdienen (muß), indem er Gott denkt und auf diese Weise etwas Göttliches in sich eindringen läßt«74. Dies verdeutlicht auch der letzte Satz dieses Kapitels zum nou=j poihtiko/j im ersten Buch von De Anima: »Deswegen ist es notwendig, bei denjenigen Dingen, die etwas Göttliches in sich haben, vorherzuwissen, was und von welcher Art sie sind.«75 Die Anwesenheit des göttlichen Nous im Menschen ist also das Resultat seiner Bemühungen um das Denken des Denkens. 2.2.2. Luthers Interpretation des aristotelischen Seelenbegriffs Es liegt auf der Hand, mit welchen spekulativen Erwägungen Alexanders Luther aufgrund seines Programms einer rein philosophieimmanenten, jeden transzendentalen Bezug ablehnenden Interpretation nicht einverstanden gewesen sein wird: Zum einen ist es die Bestimmung des nou=j poihtiko/j als Gott, zum andern dessen Anwesenheit 71
Vgl. Alexander, De Anima I, 90,20-91,4 [41vb]). Dem entspricht die Bestimmung des nou=j qu/raqen in De Anima II, 108,22-109,1: »… qu/raqen e)sti lego/menoj nou=j o( poihtiko/j, ou)k w)\n mo/rion kai\ du/nami/j tij th=j h(mete/raj yuxh=j, a)ll )e)/cwqen gino/menoj e)n h(min … to\ de\ toiou=ton ei)=doj kai\ h( xwri\j u(/lhj ou)si/a a)/fqartoj. dio\ kai\ poihtiko\j nou=j, o( kat ) e)ne/rgeian qu/raqen w)\n to\ toiou=ton ei)=doj, ei)ko/twj a)qa/natoj u(p )Ar ) istote/louj kalei=tai nou=j.« / »… est intellectus, qui extrinsecus advenire dicitur, ipse inquam activus, qui non est particula neque potestas aliqua nostræ animæ, sed à rebus externis in nobis gignitur … Talis vero forma ac substantia materia vacans incorruptibilis est. Quocirca intellectus activus, qui actu à rebus externis est eiusmodi forma, non iniuria immortalis ac sempiterna mens ab Aristotele appellatur.« 72
Vgl. Paul Moraux, Aristotelismus III, 382: »Insofern sie [sc. die potentielle Vernunft = nou=j e)n e(/cei] aus Begriffen besteht, die sich aus den sinnlich-wahrnehmbaren Dingen mit Hilfe der niedrigeren Erkenntnisvermögen abstrahiert hat, ist diese e(/cij vergänglich. Insofern sie sich aber dem transzendenten nou=j ähnlich gemacht hat, indem sie ihn dachte, ist dieser ‘von außen her’ (qu/raqen) in uns gekommen und bleibt unvergänglich.« 73
Vgl. R. W. Sharples, Alexander, 1208f.
74
Paul Moraux, Aristotelismus III, 382.
75
Alexander, De Anima I, 91,5f. [41vb] »dio\ oi(=j me/lei tou= e)/xein ti qei=on e)n au(toi=j, tou/toij pronohte/on tou= du/nasqai noei=n ti kai\ toiou=ton.« / »Quapropter res, quæ in se divinum quippiam habere debent, quid & quale idsit prænoscere posse necesse est.«
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De Anima
im Denken des Menschen in seinem Einswerden mit dem Gedachten. Beide Momente werden ihn zu sehr an die (scholastische) Vermischung von heidnischer Philosophie und christlicher Theologie erinnert haben, als daß er sie hätte akzeptieren können. Es ist also zu vermuten, daß er den nou=j poihtiko/j und sein Zusammenspiel mit dem nou=j paqhtiko/j auf eine andere Weise bestimmt hat. Dies wird die nachfolgende Darstellung belegen. Nachdem Luther in einem ersten Schritt nachgewiesen hat, daß die Welt für Aristoteles ewig ist76, ein Nachweis, der für den vorliegenden Zusammenhang nicht von Interesse ist, setzt er in einem zweiten Schritt die These, daß man auf zwei Weisen über die Seelenauffassung des Aristoteles philosophieren könne: »erstens nach seinen Prinzipien, zweitens nach dem, was er referierend vorgetragen hat.«77 Dabei verbindet Luther das Philosophieren gemäß den Prinzipien mit der Ansicht von der Sterblichkeit der Seele, das Philosophieren gemäß einiger Äußerungen mit der Ansicht von der Unsterblichkeit der Seele.78 Für Luther ist also evident, daß Aristoteles gemäß seinen Prinzipien die Seele für sterblich gehalten hat, während nur bestimmte Äußerungen dem zu widersprechen scheinen. 2.2.2.1. Die Sterblichkeit der Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien Luther benennt für das Philosophieren secundum principia Aristotelica insgesamt acht Argumente, von denen sich vier auf Textstellen beziehen, zwei maßgebliche Interpreten des Aristoteles benennen und zwei mehr psychologischer Art sind. Diese können wie folgt in fünf Punkte zusammengefaßt werden: 1. Luther verweist zunächst auf die alle Lebewesen umfassende Definition der Seele in De An. II 1, 412b5f.79, die er verkürzt als ‘Vollkommenheit des Körpers, der das Vermögen zu leben hat’ wiedergibt. Er folgert hieraus sogleich, daß damit die menschliche Seele wie auch die aller anderen Lebewesen sterblich ist, da ihr Aristoteles andernfalls
76
Vgl. WA 59, 410,21-411,14. Zur Interpretation siehe Theodor Dieter, Der junge Luther, 460-63.
77
WA 59, 411,16f.: »Duobus modis de anima iuxta Aristotelem licet philosophari: Primo secundum eius principia, secundo secundum eius recitata.« 78 Vgl. a. a. O., 412,1: »Primo secundum eius principia, quod anima sit mortalis.« A. a. O., 414,6: »Secundo iuxta recitata anima videtur immortalis.« 79
Vgl. Aristoteles, De An. II 1, 412b4-6: »ei) dh/ ti koino\n e)pi\ pa/shj yuxh=j dei= le/gein, ei)/h a)\n e)ntele/xeia h( prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=.« / »Wenn man also eine allgemeine Bestimmung für jede Art Seele geben soll, ist sie die vorläufige Erfüllung des natürlichen mit Organen ausgestatteten Körpers.« (Übersetzung Theiler, in: Aristoteles, Über die Seele, 25) Die Übersetzung von e)ntele/xeia h( prw/th mit vorläufige Erfüllung ist insofern unglücklich, als die erste Entelechie keinen vorläufigen Status der Seele kennzeichnet, sondern ihren endgültigen als Seinsprinzip. Denn die zweite Entelechie ändert nichts am ontologischen Zustand der Seele, sondern bezieht sich allein auf die Funktionen der Seele.
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eine eigene Definition hätte geben müssen.80 Er versteht also mit Alexander (und Thomas) die menschliche Seele als forma informans corporis und nicht als forma assistens, wie dies Averroes behauptet hat (vgl. hierzu 3.3.1.1.), denn die Seele ist die dem Körper das Sein verleihende Form, nicht die dem bereits existierenden Körper von außen hinzukommende Form. Von dieser Bestimmung schließt er sogleich auf ihre Sterblichkeit, da sie sich als Seinsprinzip nicht von ihrem Körper abtrennen kann.81 2. Zur Begründung dieser These verweist Luther auf den sogenannten Hylemorphismus der aristotelischen Philosophie. Aus dem ersten Buch der Physik82 entnimmt er dabei den Sachverhalt, daß das aus Materie und Form Zusammengesetzte dem Zerfall ausgesetzt ist und zugrunde geht. Er folgert hieraus, daß auch Leib und Seele als Materie und Form ein corruptibile continuum vel compositum83 bilden. Dieses Argument überzeugt freilich nur dann, wenn er zeigen kann, daß aus der Auflösung des Kompositum die Auflösung seiner Bestandteile, d. h. der Tod von Leib und Seele folgt. 3. Dies beweist er wie folgt: Nach Aristoteles bilden Materie, Form und Kompositum una res (vgl. Met. VII 10, 1034b34-35a1). Sofern nun der Mensch gemäß 1037a5-7 ein aus Seele und Körper zusammengesetztes Kompositum ist, dieses aber vergeht, folgt, daß auch die Seele des Menschen als Teil des compositum corruptibile vergänglich und sterblich ist.84 80 WA 59, 412,2-5: »Primo patet ex definitione animae libro 3 De anima, ubi animam vocat [sc. Aristoteles] actum corporis potentis vivere et hanc communem aliis animalibus facit. Ergo sicut aliae sic et ipsa est mortalis, alioqui propriam ei debuit dare definitionem.« 81 Für Dieter ist dieser Schluß »nicht überzeugend« (Der junge Luther, 491). Ebenso könne nämlich argumentiert werden, daß die Seele des Menschen nach Aristoteles ohne Vernunft sei, weil sie gemäß ihrer Definition in De An. II 1 auch die unvernünftigen Lebewesen umfasse. Das Eigentümliche der menschlichen Seele könnte also gerade unerwähnt bleiben, da Aristoteles doch die allgemeinste Definition der Seele (vgl. De An. II 1, 412a5f.) habe geben wollen. Dieter verkennt damit aber die Eigenart der aristotelischen Definition, die ja gerade darin besteht, das Allgemeine (genus proprium) und das Spezifische (differentia specifica) und damit das Wesen einer Sache zu benennen. D. h., dieser koino/tatoj lo/goj ist nicht die unbestimmteste Definition, sondern diejenige, worin die Seelen aller Lebewesen secundum esse übereinkommen. Insofern folgert Luther nicht zu Unrecht, daß Aristoteles der menschlichen Seele eine eigene Definition hätte geben müssen, wenn er ihr hinsichtlich des Seins eine gänzlich andere Qualität hätte zusprechen wollen. Wir werden im Verlauf dieser Arbeit sehen, daß einige Aristoteliker diesen umstrittenen Weg gegangen sind. Zu welchen Inkonsequenzen dies führt, wird sich zeigen. 82 Welche Stelle Luther hierbei im Blick hat, ist umstritten. Ebeling verweist auf Phys. I 9, 192a21f. (LuSt II/2,89f., Anm. 117). Für Dieter dagegen findet sich im ersten Buch »keine Belegstelle für Luthers Behauptung« (Der junge Luther, 495, Anm. 267). Auch der Verfasser konnte keinen entsprechenden Beleg finden. 83 Vgl. WA 59, 412,6-8: »Secundo, quod secundum Aristotelem 1 Physicorum compositum corrumpitur, at anima et corpus sicut materia et forma faciunt corruptibile continuum vel compositum …« 84
Vgl. a. a. O., 413,3-6: »Quinto, quia iuxta Aristotelem una res est materia, forma, compositum. Cum autem homo sit compositum corruptibile, necessario sequitur ex suis principiis anima ut partem corruptibilis compositi corruptibilem esse.» Für Dieter steht diesem Sachverhalt die Äußerung in Met. XII 3, 1070a24-27 entgegen, wonach der Nous später (nach dem Ableben des Körpers?) verbleibt
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4. Als ein weiteres Argument führt Luther Met. XII 8, 1073a29-73b1 an, wonach es genau so viele unsterbliche Geister gebe, wie ewige, sich bewegende Körper existierten. Hierzu zähle Aristoteles aber nicht die menschliche Seele. Ferner könne aus Phy. VIII 6, 259a15-19 und Met. XII 7, 1072a23-26 entnommen werden, daß Aristoteles aus der Bewegung der Körper auf die Existenz eines Bewegers schließe und für ihn kein Beweger existiere, für den es keinen Körper gebe. Hieraus folge, daß die Seele als Beweger des Körpers zu existieren aufhöre, wenn dieser aufhöre, beweglich zu sein, weil Aristoteles keine Möglichkeit habe, die Existenz der Seele zu behaupten, die die Wirklichkeit keines Körpers sei.85 Dieter hat dieses Argument, das in Inhalt und gedanklicher Struktur nicht ganz klar ist, in zwei Teile unterteilt: Im ersten folgert Luther danach vom Ausschluß der menschlichen Seele aus der Gruppe der unsterblichen Geister auf ihre Sterblichkeit.86 Im zweiten Teil schließt Luther von der Annahme, die Seele sei der Beweger des Körpers, auf die Sterblichkeit der Seele – dann nämlich, wenn der Körper aufhört beweglich zu sein. Denn die Seele ist nur, wenn sie die Wirklichkeit eines Körpers ist.87 5. Nachfolgend weist Luther zum einen auf Plutarch und Alexander hin, die referieren bzw. fest behaupten, daß die menschliche Seele nach Ansicht des Stagiriten sterblich _________________________________________________________________________________________________________
(Der junge Luther, 495). Dieser Beleg ist in der Tat einer der umstrittenen Äußerungen für die These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Hierauf wird in einem späteren Zusammenhang zurückzukommen sein (vgl. 3.3.6.). 85 Vgl. WA 59, 413,8-14: »Sexto, quod 12 Metaphysicae tot solum concludit [sc. Aristoteles] immortales mentes, quot sunt corpora mobilia perpetua. Et ibi nihil de anima loquitur nec eam inter eas numerat. Nunc autem cum principia Aristotelis sint talia, ut ex motu corporum concludat motorem esse 8 Physicorum, 12 Metaphysicae, et motorem non esse, cuique corpus non est, sequitur animamque cessare esse, quando corpus eius cessat esse mobile, quia non habet, quomodo asserat animam esse, cui nullum sit corpus [Kj. aus ‘cui nullus sit actus’ gemäß Theodor Dieter, Der junge Luther, 498f., Anm. 276].« 86 Für Dieter ist diese Argumentation nicht überzeugend. Denn bei der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele geht es »um eine perpetuitas a parte post und nicht um eine Ewigkeit wie bei den Gestirnsgeistern, so daß Aristoteles keinen Grund gehabt hat, die menschliche Seele in diesem Zusammenhang zu bedenken.« (Der junge Luther, 498) Folglich könne von hier aus kein Argument für oder gegen die Annahme der Unsterblichkeit der Seele entwickelt werden. Auch dieser Einwand Dieters ist nicht nachvollziehbar, denn es ist klar, daß es für Aristoteles – und allein dessen Ansicht will Luther ja ermitteln – keine perpetuitas a parte post, die nicht zugleich eine a parte ante ist, geben kann. Wenn die Seele also unsterblich ist, dann ist sie auch ewig. Gerade diesen Zusammenhang will Luther ja verdeutlichen. 87
Problematisch ist für Dieter in diesem Zusammenhang die Umkehrung des Satzes ‘alles was bewegt wird, wird von einem anderen bewegt’ in den Satz ‘es gibt keinen Beweger, für den es keinen Körper gibt’, denn das Sein des Bewegers hängt nicht vom Sein des Bewegten ab, »vielmehr hat das Bewegende ontologisch Priorität vor dem Bewegten.« (Der junge Luther, 502) Damit aber könne nicht länger behauptet werden, daß die Seele vergeht, wenn das corpus mobile zu existieren aufhört. Auch hier irrt Dieter, weil Luther gar keine ontologische Differenz zwischen einem äußeren Beweger und einem anderen Bewegten beschreibt, sondern auf den einfachen Sachverhalt rekurriert, daß die Bewegung eines Körpers einen Beweger dieses einzelnen Körpers, nämlich die Seele als das Prinzip von Bewegung, erfordert.
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sei88, und zum andern auf das explizite Schweigen des Stagiriten in dieser Frage, über die er, der doch sonst so wortreich und weitschweifig von allen Dingen rede, kaum zehn Worte verloren habe, als ob er nur über die Seele im allgemeinen habe schreiben wollen, um so sein Nichtwissen von der menschlichen Seele zu verbergen. Hieraus folge, daß Aristoteles zumindest nicht gewußt habe, ob die Seele unsterblich sei.89 Diesen Argumenten secundum principia Aristotelica stellt Luther im folgenden zwei Äußerungen des Stagiriten gegenüber, die zeigen sollen, daß er die Seele für unsterblich gehalten hat. Damit »rückt nun der bisher völlig übergangene nou=j, der intellectus, nach seinem aristotelischen Verständnis im Hinblick auf die Frage nach der Unsterblichkeit in den Brennpunkt«90, wie Ebeling zu Recht betont. 2.2.2.2. Die Unsterblichkeit der Seele gemäß zweier Äußerungen des Aristoteles Luther interpretiert in diesem Zusammenhang zwei Textstellen aus De Anima. In II 2, 413b24-27 wird der Nous wie folgt beschrieben: »Hinsichtlich des Geistes und des betrachtenden Vermögens ist damit noch nichts erwiesen, aber es scheint eine andere Seelengattung zu sein, und diese allein kann abgetrennt werden wie das Ewige vom Vergänglichen.«91 Dies, so Luther, sei jener einzigartige Beleg, der Aristoteles’ Ansicht von der Unsterblichkeit der Seele beweisen solle. Dabei sei die Formulierung vollkommen unbestimmt. Wenn überhaupt, beweise der Satz nur, daß der Geist wie 88 Vgl. WA 59, 412,10-413,2: »Tertio omnes philosophi ut Plutarchus (teste Laurentio) recitant, quod Aristoteles divinum quidem quiddam asserit esse animam et particeps immortalitatis, sed mortalem tamen asseruit. … Quarto insignis discipulus eius Alexander Aphrodisaeus (ut notum) asserit animam mortalem iuxta sui magistri sententiam. At credendum est discipulum talem perfecte nosse praeceptoris sui sententiam.« 89 Vgl. a. a. O., 413,15-414,5: »Septimo evidens argumentum est, vel nescisse saltem Aristotelem, an [anima] sit immortalis, ex eo, quod, cum sit tam verbosus et audax et prolixus in iis, quae novit, omnia reprehendendo et omnes reprobando sua asserendo, in hac re sola velut mutus nullam uspiam instituit disputationem propriam nec de ea alicubi ultra decem loquitur verba, cum non satis possit de aliis rebus loqui, quas novit. Octavo argumentum est eum nescisse saltem ex eo, quia, cum omnes philosophi de anima humana tantummmodo tractarent, solus ipse, ut angustiam evaderet, videtur ideo de anima in genere voluisse scribere, ut sic suam occultaret ignorantiam de anima humana, qua non posset errare in animalibus aliis mortalibus.« 90
Gerhard Ebeling, LuSt II,2, 103.
91
Aristoteles, De An. II 2, 413b24-27 (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 27): »peri\ de\ tou= nou= kai\ th=j qewrhtikh=j duna/mewj ou)de/n pw fanero/n, a)ll )e)/oike yuxh=j ge/noj e(/teron ei)=nai, kai\ tou=to mo/non e)nde/xetai xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i+/dion tou= fqartou=.« Argyropulos, dessen Text Luther für seine Studien zugrunde legte, übersetzte diesen Passus wie folgt: »de intellectu vero contemplativaque potentia nondum quicquam est manifestum: sed videtur hoc animae genus esse diversum, idque solum, perinde ac perpetuum, ab eo quod occidit seiungi separarique potest.» (De anima, in: Aristoteles latine: interpretibus variis. Edidit Academia Regia Borussica. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1831. Herausgegeben und eingeleitet von Eckhard Kessler. München 1995, 209-226, hier: 215a-b). Luthers Text vermerkt accidit (vgl. WA 59, 414,10) statt occidit. Letzteres ist dem griechischen Wort fqarto/j aber angemessener.
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etwas Ewiges, nicht aber selbst ewig sei. »Er ist etwas Göttliches und der Unsterblichkeit teilhaftig, freilich etwas [der Unsterblichkeit] Ähnliches, aber nicht wahrhaftig unsterblich.«92 Ferner spreche Aristoteles hier nur von der Abtrennbarkeit des Geistes, nicht aber von der der anderen Seelenteile, die gemäß 413b27-29 nicht abtrennbar seien. Was separabilis hier bedeutet, erklärt Luther wie folgt: »Offensichtlich redet er [sc. Aristoteles] über die Abtrennung in der Tätigkeit [sc. des Erkennens], nicht über eine substantielle [sc. Abtrennung], nämlich daß er [sc. der Geist] ohne Materie ist usw.«93 Wie ist die Formulierung separatio operationis genauer zu verstehen? Ebeling verweist zur Klärung des Ausdrucks auf 413b14f., wo Aristoteles zwischen einer gedanklichen und räumlichen Abtrennung, d. h. zwischen einer Abtrennung mittels abstrahierender Operation sowie einer substanzhaften Trennung als einer wirklichen Selbständigkeit differenziere. Da aber Aristoteles die räumliche Abtrennbarkeit der Seele vom Leib in 413a4f. verneine, müsse man folgern, daß er in 413b24-27 unter der Abtrennbarkeit des Nous bloß seine »begriffliche Unterscheidung« verstehe, nicht aber eine »Scheidung substantialer Art in dem Sinne, daß der intellectus dann ohne Materie«94 sei. Dieter hält diese Bestimmung zu Recht für »ganz unwahrscheinlich«95; vielmehr müsse die Unterscheidung zwischen der separatio operationis und der separatio substantiae in Anlehnung an Thomas96 als eine Unterscheidung secundum operationem – secundum esse verstanden werden. Danach ist die Seele zwar »unter dem Gesichtspunkt, daß sie Prinzip der intellektualen Tätigkeiten ist (‘intellectus’), vom Körper ‘getrennt’, da die geistigen Tätigkeiten im Unterschied zu den Sinneswahrnehmungen kein Körperorgan haben, das etwas von dem zu Denkenden erleidet. Dies impliziert jedoch keine Realunterscheidung in der Seele (quo ad substantiam), sondern eine Unterscheidung nur mit Bezug auf die geistigen Akte (quo ad actus).«97
Die Abtrennung, von der Aristoteles in De An. II 2, 413b24-27 spricht, ist also für Luther keine ontologisch-substantielle, sondern eine hinsichtlich der Tätigkeit des Geistes, sofern dieser im Denken nämlich keines äußeren Organs bedarf, und dergestalt ist er ohne Materie – anders z. B. als das Sehen, das der Augen bedarf –, obgleich er natürlich hinsichtlich des Seins nicht ohne Körper ist. Daher, so Luthers in sich schlüssige Folgerung, kann aus der genannten Textstelle nichts hinsichtlich der Frage nach der Unsterblichkeit der Geistseele, also secundum esse, entnommen werden. Mit dieser 92 Vgl. WA 59, 414,15-17: »… est [sc. intellectus] quoddam divinum et particeps immortalitatis, simile quidem, sed non vere immortale.« 93
A. a. O., 414,18f.: »Manifeste de separatione operationis, non substantiali loquitur, scilicet quod sit [sc. intellectus] sine materia, et cetera.» 94
Gerhard Ebeling, LuSt II/2, 105.
95
Theodor Dieter, Der junge Luther, 514.
96
Vgl. Thomas, Scg II 79, in: Opera 13, 498: »Si autem dicatur quod perfectio animae consistit in separatione eius a corpore secundum operationem, corruptio autem in separatione secundum esse, non convenienter obviatur.« 97
Theodor Dieter, Der junge Luther, 516.
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Differenzierung zwischen einer separatio operationis und einer separatio substantiae hat Luther die Begrifflichkeit beisammen, mit der er den weiteren Beweisgang bestreiten kann. Als zweiten Beleg für die scheinbare These von der Unsterblichkeit der Seele verweist Luther auf De An. III 5, 430a22f.: »Getrennt nur ist er [sc. der Nous] das, was er ist, und das allein ist unsterblich und ewig.«98 Auch hier spreche Aristoteles aber nicht vom Geist seiner Wesenheit nach (de intellectu essentialiter), sondern davon, wie er secundum operationem passiv und aktiv sei. Nicht in seinem Sein, sondern in seinem Verhältnis zu den möglichen Gegenständen des Verstehens (in ordine ad intelligibilia) werde er hier verhandelt, zu denen er sich als intellectus passivus & intellectus agens verhalte.99 Damit beschränkt Luther, so Ebeling, auch hier »die Gedankenführung des Aristoteles … streng auf die erkenntnistheoretische Fragestellung … und (wehrt) sich gegen ontologische Schlußfolgerungen«100, wonach der Geist bzw. die Seele unsterblich sei. Hieraus wird aber auch deutlich, daß für Luther der intellectus agens ein Vermögen der menschlichen Seele ist. An diesem Punkt unterscheidet sich also seine Interpretation deutlich von Alexanders Position, für den der göttliche nou=j poihtiko/j von außen in den nou=j e)pi/kthtoj hineinkommt im Denken des Denkens. Um diesen Ansatz zu belegen, gibt Luther im folgenden eine Satz-für-Satz-Interpretation von De An. III 5. Zum leichteren Verständnis und im Blick auf die späteren Diskussionen der Renaissance-Aristoteliker und der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophen wird der entsprechende Abschnitt aus De An. III 5 jeweils in deutscher Übersetzung vorangestellt, die sich an Luthers Textgrundlage – der lateinischen Übersetzung des Argyropulos – orientiert. 2.2.2.3. Die Interpretation von De An. III 5 Textus XVII, 430a10-14101: »Da es aber in der gesamten Natur zweierlei gibt, wovon das eine für jede Gattung die Materie ist – das ist offenkundig dasjenige, was all das in Möglichkeit ist – und das andere die Ursache und das alles Wirkende, das sich durch Wirken und Tätigsein auf
98 Aristoteles, De An. III 5, 430a22f. (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 59): »xwrisqei\j d ) e)sti\ mo/non tou=q ) o(/per e)sti/, kai\ tou=to mo/non a)qa/naton kai\ a)i/+dion …« Vgl. WA 59, 414,20f. (gemäß der Übersetzung des Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b): »separatus [sc. intellectus] vero id est solum quod est, atque id solum est immortale perpetuumque.« 99
Vgl. WA 59, 414,22-27: »Sed certum est, quod non loquitur de intellectu substantialiter, sed ut est passivus et agens … Ita hic facit [sc. Aristoteles] intellectum, non ut rem, sed in ordine ad intelligibilia. Ad haec enim se habet ut activus et passivus, passivus et agens.« 100
Gerhard Ebeling, LuSt II,2, 142.
101
Die Textabschnitte folgen der üblichen Einteilung der Renaissance-Aristoteliker. Luther zitiert dagegen im Rahmen seiner Interpretation fortlaufend ohne Einteilung.
59
De Anima eine solche Weise [zu einer Sache] verhält, wie sich die Kunst als Bedingung zur Materie verhält, müssen auch in der Seele dieselben Unterschiede vorliegen.«102
Für Luther ist klar, daß es für Aristoteles nicht eine einzige Materie in allen Dingen geben kann; vielmehr gelte es, in jedem Ding die spezifische Materie zu ermitteln, d. h. dasjenige, was der Möglichkeit nach ein solches Ding sein könne. Damit weise Aristoteles darauf hin, daß es auch beim Nous etwas gebe, das dem Vermögen nach Geist bzw. Sein-könnender Geist (potentia seu potens esse intellectus) sei. Was eine solche Materie als Möglichkeit in die Wirklichkeit bringe, das sei die Form- bzw. Wirkursache, die wie die Kunst alles das wirke, was zu dem entsprechenden Kompositum gehöre. Denn es gebe nichts, was alles von allem bewirke. Aristoteles folgere hieraus, daß auch in der Seele Materie und Form zu finden sein müßten.103 Luther bezieht also das über die Materie und Kunst Gesagte sogleich auf den Geist, der in sich die beiden Momente der Materie als Möglichkeit, etwas zu werden (= intellectus possibilis), und der Form als Wirklichkeit, etwas zu bewirken (= intellectus agens), enthält.104 Textus XVIII, 430a14-17: »Und zwar gibt es einen solchen Geist, der alles wird, und einen solchen, der alles wirkt, der wie ein Habitus ist und vergleichbar dem Licht. Denn auch das Licht macht ja gewissermaßen die Farben, die der Möglichkeit nach sind, zu Farben in Wirklichkeit.«105
Luther versteht unter dem intellectus possibilis die Materie alles Erkennbaren, denn er wird nicht alles, sondern nur das, wozu er der Möglichkeit nach werden kann. Der intellectus agens ist dagegen die Form alles Intelligiblen, d. h. die Form des intellectus possibilis. Durch ihn wird dieser dasjenige Erkennbare in Wirklichkeit, was er der Möglichkeit nach hat werden können. Wie also die Materie die Eigenschaft hat, alles zu werden, so hat der intellectus possibilis jene, alles Erkennbare zu werden, und deshalb wird er materia intelligibilium genannt. Und wie die Form die Eigenschaft hat, die 102 Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »Cum autem in omni natura sint quaedam, quorum alterum quidem unicuique generi materies est, quod id esse patet quod est potentia illa cuncta, alterum vero causa est et efficiens omnia, efficiendo atque agendo talem subiens rationem qualem ars condicionem ad materiam subit, necesse est et in anima differentias has easdem inesse.« 103
Vgl. WA 59, 415,2-13.
104
Dieter merkt in diesem Zusammenhang kritisch an, daß Luther damit »den Formbegriff in den Text« (Der junge Luther, 534) hineintrage, ohne dies an der vorliegenden Stelle belegen zu können. Diese Kritik ist aber unbegründet, denn für Aristoteles sind das Begriffspaar Materie-Form wie Möglichkeit-Wirklichkeit Relationalbegriffe, die immer aufeinander verweisen. Insofern kann Luther das Verhältnis von intellectus possibilis & intellectus agens durchaus als das von Materie und Form bestimmen, sofern jener in gewisser Weise Materie ist, die alles werden kann, und dieser in gewisser Weise Form, die das Erkennen verleiht. Dabei ist die Begrifflichkeit aber nicht ontologisch, sondern erkenntnistheoretisch zu verstehen, denn hinsichtlich des Seins ist der Geist forma corporis. Materia & forma stehen hier für die Begriffe potentia & actus, wie auch der nachfolgende Satz in De An. III 5, 430a14-17 verdeutlicht. 105
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »atque quidam est intellectus talis ut omnia fiat, quidam talis ut omnia agat atque efficiat, qui quidem ut habitus est quidam et perinde ac lumen. nam et lumen, colores, qui sunt potentia, actu colores quodammodo facit.«
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Materie ins Sein als dies Bestimmbare zu bringen, so hat der intellectus agens jene, das in Möglichkeit Erkennbare zu einem in Wirklichkeit Erkennbaren zu machen, und dergestalt ist er die forma omnium intelligibilium. Da aber im Erkenntnisakt das Erkennbare und der Geist eines sind, ist der intellectus agens zugleich forma possibilis intellectus: Durch ihn wird der intellectus possibilis das Erkannte selbst.106 Den Vergleich der Funktion des intellectus agens mit dem Habitus und dem Licht in 430a15-17 versteht Luther dahingehend, daß er – wie jede Form – insofern ein Habitus ist, als er die Möglichkeit bzw. Materie, d. h. das Intelligible und den intellectus possibilis, erworben hat und sie in sich enthält. Und dergestalt ist er auch in seiner Funktion mit der des Lichts vergleichbar – denn er ist nicht selbst das Licht, wie Luther betont –, weil er das mögliche Intelligible so zu einem wirklich Intelligiblen macht wie das Licht die der Möglichkeit nach sichtbaren Farben zu wirklich sichtbaren Farben.107 Diese Interpretation Luthers bedeutet trotz der vermeintlich metaphysischen Begrifflichkeit materia – forma keine Ontologisierung des Sachverhalts, wie gegen Dieter108 betont werden muß, sondern beschreibt den Verlauf des Erkennens: Der intellectus possibilis erkennt als Materie nur, indem er durch den intellectus agens in die Wirklichkeit gebracht wird und so das Intelligible wirklich erkennt. Genau in diesem Sinne muß der Satz: »So ist jede Form wirklich in einem Ding und volles Sein«109, verstanden werden. Der intellectus agens gibt dem intellectus possibilis in gewisser Weise das ‘Sein des Erkennens’, da es nun wirklich in ihm ist und nicht, wie zuvor, nur der Möglichkeit nach. Textus XIX, 430a17-19: »Und nur dieser Geist ist abtrennbar, unvermischt und inaffizierbar, weil er seinem Wesen nach Wirklichkeit ist. Immer nämlich ist das, was wirkt und tätig ist, von höherem Rang als das, was leidet, und das Prinzip selbst schlechterdings [höher] als die Materie.«110
Für Luther ist Aristoteles hier schlüpfrig wie ein Aal. Denn er sagt nicht, die Seele sei abtrennbar, leidensunfähg und unvermischt, sondern der intellectus agens. Wovon aber abtrennbar und wie? Gewiß nicht vom Körper, ist doch die Seele eins mit dem Körper. Abtrennbar also nur von seiner Materie, dem intellectus possibilis, und dies nur secun-
106 Vgl. WA 59, 415,15-20: »‘Atque quidam est intellectus talis, ut omnia fiat’ [430a14f.] (id est materia omnium intelligibilium. Non enim fit omnia nisi ea, ad quae potentia fieri potest), ‘quidem talis, ut omnia agat’ [a15] id est forma omnium sic potentia naturali intelligibilium, id est forma possibilis intellectus, quo fit, ut intellectus possibilis sit actu, quod potuit fieri potentia …« 107
Vgl. a. a. O., 415,20-416,13.
108
Vgl. Theodor Dieter, Der junge Luther, 533ff.
109
WA 59, 416,14: »Sic omnis forma actu in re et esse plenum.«
110
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »et is intellectus separabilis est et non mistus, passioneque vacat, cum sit substantia actus. semper enim id quod efficit atque agit, praestabilius est eo quod patitur, et principium omnino materia.«
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dum operationem, nicht secundum esse.111 Und genau auf diese Weise ist er auch unvermischt mit dem intellectus possibilis, erleidet nichts von ihm, weil er Form ist und seinem Wesen nach Wirklichkeit. Wessen Wirklichkeit und Vollkommenheit? Nicht des compositum, das der Mensch ist, sondern jenes Ganzen, das aus dem intellectus possibilis und dem intellectus agens konstituiert wird, und das ist das Wissen am Ende des Erkenntnisvorgangs, wenn das Intelligible gewußt wird.112 Luther setzt also eine epistemologische Differenz zwischen dem intellectus agens und dem intellectus possibilis, ohne daß er freilich den Sachverhalt erörtert, warum Aristoteles in De An. III 4 den intellectus possibilis mit denselben Attributen ausgezeichnet hat und worin dennoch die Differenz zwischen beiden secundum operationem besteht.113 Für ihn ist offenbar allein der Nachweis wichtig, daß diese Eigenschaften nicht der Seele, sondern dem intellectus agens zukommen und daß sie nicht ontologisch, sondern epistemologisch zu verstehen sind. Den Satz 430a18f. erkennt Luther als eine Parenthese: Es soll erklärt werden, warum dem intellectus agens all diese Bestimmungen habitus, lumen, non mixtus, separatus, vacuus passionis, substantia actus zukommen. Für Dieter ergibt sich dies »aus der ontologischen Höherrangigkeit dessen quod efficit et agit über das quod patitur«114. Das ist aber falsch. Auch hier muß daran festgehalten werden, daß Luther die Höherrangigkeit nicht secundum esse, sondern secundum operationem versteht. Hinsichtlich des Seins gibt es für ihn gar keine Differenz zwischen dem intellectus possibilis & intellectus agens, denn beide sind Vermögen der menschlichen Seele, die als forma corporis bestimmt worden ist. Die Differenz betrifft allein das Erleiden bzw. Wirken im Erkenntnisakt. Und sofern der intellectus agens in diesem Akt tätig ist, kommen ihm, so Luther, diese Bestimmungen als dem Ranghöheren zu.115
111 Dies ist der innovatorische Ansatz Luthers, der weder auf Alexander, Averroes noch Thomas zurückgeführt werden kann. 112
Vgl. WA 59, 416,16-417,2: »Observa anguillam hanc lubricissimam! Non dicit, quod anima sit separabilis et non mixta, sine passione, sed intellectus agens est separabilis. A quo? Nisi anima vel composito suo? At materia eius non est corpus, sed intellectus passivus, ut praedixit. Sic non est mixtus. Quo? Corpore? Non, sed non est mixtus sua materia, scilicet possibili intellectu. Sic non est passivus, quia est forma (inquit) et substantia actus. Cuius actus? Non compositi, quod est homo, sed, ut sequitur, totius illius, quod ex intellectu ut materia et intellectu agente constituitur, quo est scientia.« 113 Vorstellbar ist, daß Luther die Attribute des intellectus possibilis in Hinsicht auf den Gegenstand und den Körper bestimmen könnte: Abgetrennt von einem (äußeren) körperlichen Organ, unvermischt mit den Gegenständen und von ihnen nicht affizierbar. 114
Theodor Dieter, Der junge Luther, 549.
115
WA 59, 417,5-10: »Sequitur parenthesis: ‘Semper enim id, quod efficit atque agit, praestabilius est eo, quod patitur, ipsum principium omnino’ (id est efficiens causa praestabilior est quam) ‘materia’ [a18f.]. Id dicit causam reddens, cum intellectus agens sit habitus, lumen, non mixtus, separatus, vacuus passionis, substantia actus; dicitur scilicet: est agens, cui ut praestantiori haec conveniunt.«
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon Textus XX[a], 430a19-22: »Das wirkliche Wissen ist dasselbe wie der Gegenstand. Das mögliche Wissen ist in einem Einzelnen der Zeit nach früher, schlechthin aber nicht der Zeit nach früher. [Der Geist] versteht aber nicht einmal, ein anderes Mal aber nicht.«116
Obgleich die Sätze 430a19-21 wörtlich am Anfang von De An. III 7, 431a1-3 wiederkehren, werden sie von Luther – wie in der Zeit üblich und damit im Gegensatz zur heutigen opinio communis – ohne Bedenken als zum Zusammenhang gehörig interpretiert. Er erklärt den Satz 430a19 wiederum im Rückgriff auf das Materie-FormSchema. Dabei zeichnet sich jedoch ein Widerspruch zum bisher Gesagten ab: Wenn das Wissen aus der Materie als dem intellectus possibilis und der Form als dem intellectus agens zusammengesetzt ist, wie kann es dasselbe sein wie der erkannte Gegenstand? Luther erklärt diesen scheinbaren Widerspruch so, daß der intellectus possibilis, der gemäß 430a14f. alles wird, alles Erkennbare in Möglichkeit ist, da ja aus dem intellectus possibilis und dem Intelligiblen dasselbe wird. Offensichtlich besteht für ihn zwischen beiden Bestimmungen des Wissens folgender Zusammenhang: Der intellectus possibilis ist das Erkennbare in Möglichkeit, d. h. er ist dasselbe wie das Erkennbare. Da nun das Erkennbare bzw. der erkannte Gegenstand dasselbe ist wie das Wissen, ist der intellectus possibilis das Wissen. »Deswegen«, so Luther, »ist das Wissen ‘dasselbe, wie die’ erkannten ‘Dinge’ selbst und das aus den zwei Geistern als Materie und Form Zusammengesetzte selbst.«117 Diese Erklärung ist aber zumindest ungenau, denn ein Wissen, das dasselbe ist wie der erkannte Gegenstand, ist gerade kein Wissen in Möglichkeit, wie es der intellectus possibilis besitzt, sondern eines in Wirklichkeit, das dem intellectus agens zukommt bzw. das er im intellectus possibilis realisiert. Nur aus dem intellectus agens und dem Intelligiblen wird also dasselbe, denn allein die Form gibt das Sein des Erkennens. Noch verwirrender wird Luthers Interpretation zu 430a20-22, wonach das Wissen in Möglichkeit im Einzelnen der Zeit nach früher ist, absolut aber auch nicht der Zeit nach. Luther erkennt zunächst ganz richtig, daß hier vom Wissen des intellectus possibilis die Rede ist, das die Möglichkeit hat, Wissen in Wirklichkeit zu werden. Und dieses Wissen in Möglichkeit geht der Zeit nach dem Wissen in Wirklichkeit voraus, denn es besteht potentialiter ‘schon immer’, während das wirkliche Wissen erst realisiert werden muß. Absolut geht dieses Wissen jedoch nicht der Zeit nach voraus, denn es ist derselbe Gegenstand – die Seele – dasselbe Zusammengesetzte – das Wissen. Das wirkliche Wissen (scientia actu) ist also eins mit seinem Gegenstand, ist es doch das realisierte Wissen. Schlechthin betrachtet – wobei für Luther ‘schlechthin’ das Gewordensein, nicht das Werden kennzeichnet – ist daher das mögliche Wissen (scientia in potentia) nicht im Einzelnen der Zeit nach früher als jene scientia actu, denn das wirkliche Wissen ist der vollendete Wissenszustand, der Zustand, in dem das Wissen im 116 Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »scientia autem ea quae est actu, est idem quod res; ea vero quae est potentia, in uno prior est tempore: absolute autem non tempore. sed non nunc quidem intelligit [sc. intellectus], nunc autem non intelligit.« 117 WA 59, 417,18f.: »Ideo scientia ‘est idem, quod res’ ipsa intellecta et ipsum compositum ex duobus intellectibus ut materia et forma.«
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eigentlichen Sinne Wissen ist. Und genau dann, so Luthers Folgerung, ist der intellectus possibilis dasselbe mit dem wirklichen Wissen. In diesem Haben des Wissens erkennt er nicht einmal, ein anderes Mal aber nicht, sondern er erkennt immer, weil er Wissen in Wirklichkeit ist.118 Diese gewiß falsche Interpretation kommt dadurch zustande, weil Luther den Satz 430a22, auf den intellectus possibilis bezieht, statt – unter Außerachtlassung des vorangehenden Satzes 430a19-22 – auf den intellectus agens. Der intellectus possibilis als scientia in potentia wird also irgendwie zum intellectus agens als scientia actu.119 Eine andere sinnvolle Erklärung hält Luther für unmöglich, es sei denn, Aristoteles habe mit diesen Ausführungen Dunkleres sagen wollen, was niemand verstehen solle. Textus XXb, 430a22-25: »Abgetrennt aber ist er [sc. der Geist] allein das, was er ist, und das allein ist unsterblich und ewig. Daran haben wir aber keine Erinnerung, weil dieses zwar inaffizierbar, der passive Geist aber vergänglich ist, und ohne dieses erkennt er nichts.«120
Mit dem Satz 430a22f. gelangt Luther wieder an den Ausgangspunkt seiner Interpretation zurück. Ehe er diesen Passus in Hinsicht auf die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele interpretiert, faßt er das bisher Gesagte wie folgt zusammen: 1. Das wirkliche Wissen als compositum ist eins mit dem Gegenstand. 2. Das mögliche Wissen ist zeitlich früher als der Gegenstand oder das wirkliche Wissen. 3. Die Form des möglichen Wissens und des Zusammengesetzten ist der intellectus agens, der allein das ist, was er ist (actus). Da die Form nicht definiert werden kann – denn durch sie wird alles übrige definiert – und sie das Sein gibt, ist sie das, was sie ist, in sich selbst. Hieraus folgert Luther, daß nicht die ganze Seele vom Körper, sondern allein der intellectus agens abtrennbar ist von seinem compositum, dem wirklichen Wissen, und von seiner Materie,
118 Vgl. a. a. O., 417,20-418,10: »‘Ea vero, quae est potentia, in uno prior est tempore’ (id est intellectus possibilis, qui est potentia, ut fiat actu scientia, ideo praecedit solo tempore); ‘absolute autem neque tempore.’ Dicitur: Est eadem res scilicet anima, idem compositum, scilicet scientia. … ‘Absolute’ autem puto dictum, quod alii vocant in facto esse, non in fieri. Sic scientia possibilis in facto esse et absolute non sic habet, quod ‘nunc intelligit, nunc non intelligit’; id enim materiae esse in fieri convenit. ‘Sed non nunc quidem intelligit, nunc autem non intelligit.’ Id est scientia in potentia seu intellectus passibilis absolute acceptus non est prior tempore, quia idem cum scientia actu. Quia tunc non est talis, ut ‘nunc intelligat, nunc non intelligat’, quia est actu intelligentia seu scientia …« 119 Vgl. hierzu die berechtigte Kritik von Thedor Dieter, Der junge Luther, 553: »Luther beläßt es nicht dabei, sondern verirrt sich in einer Begriffsakrobatik, die dadurch veranlaßt ist, daß er irrtümlich meint, die Aussage ‘es ist nicht der Fall, daß er bisweilen denkt, bisweilen nicht denkt’, beziehe sich auf den intellectus possibilis statt auf den intellectus agens. Würde der intellectus1 [sc. possibilis] erkennen und auch nicht erkennen, so gäbe es immer wieder eine zeitliche Priorität des möglichen vor dem Wirklichen … Nun soll der intellectus possibilis aber unaufhörlich erkennen. Wie soll das möglich sein, obwohl er doch von Luther als quoddam, quod potentia sit intellectus verstanden wird?« 120
Argyropulos, in: Aristoteles latine, 223b: »Separatus vero id est solum quod est, atque id solum est immortale perpetuumque. non autem recordamur, quia hoc quidem expers est passionis, intellectus vero passivus exstinguitur, et sine hoc nihil intelligit.«
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dem möglichen Wissen, das der intellectus possibilis ist.121 Was soll das aber heißen? Wie kann der intellectus agens vom Wissen abtrennbar sein, und warum sollte er es? Was bedeutet hier Abtrennbarkeit? Unter Berücksichtigung dessen, was Luther früher zu dieser Stelle gesagt hat122, müßte er hier unter Abtrennbarkeit die separatio operationis verstanden haben, denn weder bedarf der intellectus agens für seine Tätigkeit eines Organs noch des intellectus possibilis als seine Materie. Das ergibt aber keinen Sinn. Denn die separatio operationis bezieht sich doch auf den Leib und damit auf ein körperliches Organ und nicht auf den immateriellen intellectus possibilis. Noch weniger kann die Abtrennbarkeit aber secundum esse verstanden werden, denn Luthers Interpretation liegt die Annahme zugrunde, daß Aristoteles nicht substantialiter vom Geist spricht. Vor diesem Hintergrund bleibt völlig unklar, was ‘Abtrennbarkeit’ in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Merkwürdig ist auch, daß Luther aus dem Satz: ‘Und das allein ist unsterblich und ewig’ (430a22f.) nicht auf die Unsterblichkeit des intellectus agens schließt, sondern auf die des intellectus possibilis: »Es ist klar, daß hier nicht die Unsterblichkeit der Seele angenommen wird, sonst wäre nicht die ganze Seele unsterblich, sondern [nur] der leidensfähige Geist und nicht das aus beiden Zusammengesetzte.«123 Diese Interpretation ist nicht nachvollziehbar124, zumal Luther wenig später einen Subjektwechsel hin zum intellectus agens vollzieht: »Also ist jener [sc. der tätige Geist] unsterblich wie jede Form oder jeder Akt, wie oben gesagt, in der Weise der Teilhabe, durch die der Gegenstand ist.«125 Hier versteht er die ‘Unsterblichkeit’ des tätigen Geistes streng epistemologisch im Sinne einer Teilhabe126 am Göttlichen und Ewigen, wie sie jeder Form zukommt. Was diese Teilhabe, die nur im wirklichen Wissen möglich ist, aber näherhin bedeutet, bleibt unklar. Auch die abschließende Interpretation des letzten Satzes von De An. III 5, 430a2325 ist unverständlich: Wir erinnern uns nicht allein durch den abgetrennten tätigen Geist, so Luther, weil die Verwirklichung nur bei Anwesenheit von Materie tätig ist. 121
Vgl. WA 59, 418,16-18: »Ideo ista separatio non potest intelligi de tota anima a corpore, sed [de intellectu agente] a suo composito, id est scientia actu, et sua materia, id est [scientia] in potentia, quae est intellectus possibilis.« 122
Vgl. a. a. O., 414,20-27.
123
A. a. O., 418,19-21: »Patet, quod hinc non ponitur animae immortalitas, alioqui non tota anima esset immortalis, sed possibilis [sc. intellectus], nec compositum ex utroque …« 124 Thedor Dieter gibt folgenden Erklärungsversuch: »Befremdlich ist, daß Luther meint, in dem Fall, daß ‘von hier aus’ (hinc) die Unsterblichkeit der Seele angenommen würde, wäre jedenfalls nicht die ganze Seele, sondern nur der intellectus1 [sc. possibilis] unsterblich. Warum gerade er? Man wird das so verstehen können: Wird der intellectus2 [sc. agens] als Form des intellectus1 und also als ‘abtrennbar’ verstanden, so kann, wenn auch die ‘Abtrennbarkeit’ der Seelenform vom Leib angenommen werden soll, nur noch von einer ‘Abtrennbarkeit’ des intellectus1 die Rede sein, weil nur er nach der ‘Abtrennung’ des intellectus2 als Kandidat übrig ist.« (Der junge Luther, 555, Anm. 557) 125
WA 59, 418,24f.: »Igitur est immortale illud [sc. intellectus agens] sicut quaelibet forma vel actus, ut supra, participative, quo est esse rei.« 126
Vgl. a. a. O., 412,14-16.
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Deshalb verwirklicht er nichts, wenn er für sich ist. Denn seine Inaffizierbarkeit meint gerade, daß er die intelligibilia nicht aufnimmt, sondern die Verwirklichung dieser Aufnahme bzw. dieses Affiziertwerdens (actus receptionis seu passionis) ist. Der intellectus possibilis wiederum ist die pure Rezeption und eben deshalb vergänglich, d. h. er ist nicht immer tätig, weil die Materie, die er selbst ist, bald hat und bald nicht hat. Was aber hat sie? Die Form, d. h. Wissen als Vollzug. Wird nämlich eine Form fortgenommen und abgetrennt und eine andere eingeführt, so ergibt sich, daß der intellectus possibilis ‘stirbt’, weil er nicht immer weiß.127 Ohne diesen intellectus possibilis aber erkennt der intellectus agens nichts, denn ohne ihn gibt es kein Wissen im Vollzug. Ein ontologisches Verstehen des Satzes 430a22f. erfordert also für Luther das Eingeständnis, daß die ganze Seele sterblich ist, während eine epistemologische Auslegung die Rede von der Abtrennbarkeit, Unsterblichkeit und Ewigkeit nur auf die Dauerhaftigkeit des Erkennens beziehen kann, wie er abschließend betont: »Wenn daher der leidensfähige Geist wesentlich zerstört wird, wie bestimmte Leute meinen, dann müssen sie zugestehen, daß die ganze Seele stirbt. Aber Aristoteles spricht vom Auslöschen und von der Dauer des Erkennens, nicht des Seins; und dennoch will er so erscheinen, als hätte er über das Wesen des Geistes gesprochen.«128
So sehr dieser Ansatz insgesamt von Inkonsistenzen geprägt ist und letztlich »zu keinem überzeugenden Ergebnis«129 führt, wie Dieter zu Recht betont, liegt ihm doch der diskussionswürdige Gedanke zugrunde, das Wesen des Nous in De An. III 5 (wie auch in III 4) allein secundum operationem zu bestimmen. Neben Alexanders Interpretation bietet er damit eine andere Möglichkeit für eine rein philosophieimmanente, jeden Bezug auf das Christentum ablehnende Bestimmung des Verhältnisses von intellectus possibilis & intellectus agens als Vermögen der menschlichen Seele. Beide Autoren gehen dabei von der plausiblen Annahme aus, daß Aristoteles sie für sterblich gehalten haben muß, und aus genau diesem Grund kann der Stagirite für Luther hinsichtlich der theologischen Frage ihrer Unsterblichkeit auch keine Autorität besitzen.130 Wie dieses Thema nach Luthers Ansicht verhandelt werden muß, soll hier kurz an zwei späteren Texten verdeutlicht werden.
127
Vgl. a. a. O., 418,25-419,6.
128
A. a. O., 419,8-11: »Quare, si intellectus passivus corrumpitur substantialiter, ut illi quidam volunt, habent concedere, quod tota extinguitur anima. Sed Aristoteles de extinctione perpetuitateque intelligendi, non essendi loquitur; et tamen quasi videri cupit locutus de essentia intellectus.« 129
Thedor Dieter, Der junge Luther, 559.
130
Dies verdeutlicht auch eine Äußerung Luthers in der Schrift An den christlichen Adel von des christlichen Standes Besserung von 1520, wo es heißt, Aristoteles lehre in »seinem besten [sic!] buch, de Anima, das die seel sterblich sey mit dem Corper, wie wol viel mit vorgebenen wortten yhn haben wolt erredten, als hetten wir nit die heyligen schrifft, darinnen wir ubirreichlich von allen dingen geleret werden, der Aristoteles nit ein kleynsten geruche yhe empfunden hat …« (WA 6, 458,7-10)
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2.2.3. Die Unsterblichkeit der Seele aus theologischer Sicht Aus den Annotationes in Ecclesiasten von 1532 kann entnommen werden, daß für Luther die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele weder von Aristoteles noch von Platon her beantwortet werden kann, da von ihr kein philosophischer Erweis möglich ist, keine Erkenntnis in der Form erlangt werden kann, daß der Mensch um die Unsterblichkeit weiß; vielmehr ist sie für ihn eine durch und durch theologische Frage, die nur von der Hl. Schrift beantwortet werden kann, und die allein angemessene Haltung ist in diesem Zusammenhang der Glaube. In dieser Frage waltet für Luther deshalb eine grundsätzliche Differenz zwischen Philosophie und Theologie: »Gewiß kann die Welt [sc. ohne göttliche Offenbarung und Gnade] weder erkennen noch glauben, daß die Seele unsterblich ist.«131 Der Begriff ‘Welt’ umfaßt hier nicht nur die vorchristliche Welt der heidnischen Philosophen Aristoteles und Platon, sondern auch die christliche Welt der Pseudotheologen, die sich in ihrer vanitas nicht an das geoffenbarte Wort halten, sondern in der eigenen Verkrümmung in sich selbst, im Bauen auf die Erkenntnis der ratio humana den Erweis suchen. Luther hält all diese sogenannten philosophischen Beweise für die Unsterblichkeit der Seele für null und nichtig, und zwar grundsätzlich: »Die Philosophen haben zwar die Unsterblichkeit der Seele erörtert, doch derart unbeteiligt, daß der Eindruck entstanden ist, sie hätten lauter Märchen von sich gegeben. Hauptsächlich Aristoteles aber disputierte von der Seele so, daß er sorgfältig und schlau überall darauf achtete, daß er nicht irgendwo von ihrer Unsterblichkeit spreche, und keinesfalls wollte er schildern, was er dachte. Plato trug eher das Gehörte als seine Ansicht vor. Ihre Unsterblichkeit kann nämlich durch keine menschliche Vernunft begründet werden, weil es eine [sc. andere] Sache ist, außerhalb des Sonnenlichts [sc. des Evidenten, was am Tage liegt] zu glauben, daß die Seelen unsterblich sind. In der Welt wird auf gewisse Weise weder sichtbar noch erkannt, daß die Seelen unsterblich sind.«132
Die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele kann für Luther aus der Welt heraus nicht beantwortet werden, weil es hierzu der göttlichen Offenbarung bedarf, die dem Menschen in der Hl. Schrift anvertraut ist. Wer sie nicht im Glauben annimmt, der kann von der immortalitas animae nicht nur nichts wissen, sondern er kann ihrer auch nicht gewiß sein. Was diese Gewißheit meint, wird aus Luthers Auslegung von 1. Mose 26,24 in der späten Genesisvorlesung von 1535-46 deutlich: Es ist das Vertrauen auf die Verhei131 WA 20, 70,23f. (Annotationes in Ecclesiasten Salomonis, 1532): »Mundus certe non potest intelligere neque credere animam esse immortalem.« 132
Vgl. a. a. O., 70,26-33: »Philosophi de animae immortalitate disputarunt quidem sed ita frigide, ut meras fabulas egisse videantur, potissimum vero Aristoteles sic de anima disputat, ut diligenter et callide caverit ubique, ne alicubi dissereret de eius immortalitate, neque voluit exprimere, quid sentiret. Plato retulit potius audita quam suam sententiam. Neque enim potest ulla ratione humana convinci eius immortalitas, quia res est extra solem credere animam esse immortalem. In mundo non videtur nec intelligatur certo animas esse immortales.«
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ßung des ewigen Lebens durch den Tod hindurch durch Gottes Wort. Unter Hinweis auf Jes 26,19 (‘Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! … und die Erde wird die Toten herausgeben.’) betont Luther, daß Gott hier mit den Toten so spricht, als ob sie leben, und dieses Wort sei das stärkste Zeugnis dafür, daß der Mensch nicht sterblich sei, sondern unsterblich auch im Tod.133 Dieses Paradoxon erklärt er wie folgt: Gott spricht allein mit dem Menschen (und nicht etwa auch mit den anderen Kreaturen) in seiner Sprache. Da aber diese Anrede nicht vergeblich sein kann, wie sie es wäre angesichts des Todes, muß der Mensch durch den Tod hindurch ewig leben, um sie vernehmen zu können.134 Nicht ontologisch-konstitutiv, sondern ontisch-situativ von Gottes Anrede her, von seiner darin ergangenen Verheißung deutet Luther die immortalitas. Wenn Jesus spricht: ‘So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich’ (Joh. 8,51), und: ‘Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern ein Gott der Lebendigen’ (Matth. 22,32), dann ist dem Gläubigen gewiß, daß er coram Deo auch im Tod unsterblich ist. Der Tod ist so nicht das letzte Wort über den gleichsam in unsterblicher Weise angeredeten und so unsterblich gemachten Menschen. »Unsterblichkeit ist nicht ein Besitz, sondern ein Ereignis, nicht Ausklammerung und Umgehung des Todes, sondern kommunikatives Neugesetztwerden im Tod durch Gott«135, wie Herrmann im Blick auf Luther formuliert. Nur diese Anrede Gottes verbürgt auch die resurrectio mortuorum, die Wiederauferstehung des ganzen Menschen nach der Verklärung des Leibes. Für Luther ist es eine närrische Vorstellung, daß nur die Seele bei Gott lebt, nicht aber der Leib: »Wenn man nun wolt sagen: Anima Abrahae vivit apud Deum, corpus hic iacet mortuum, die distinctio ist ein dreck! Die will ich anfechten. Es mus heissen: Totus Abraham, der gantze mensch soll leben.«136 Vor diesem Hintergrund ist für den Reformator jede theologische Debatte, die nur die Unsterblichkeit der Seele erörtert, nicht aber die Wiederauferstehung des ganzen Menschen, verkürzt und jede Debatte, die mit einer philosophischen Begrifflichkeit geführt wird, insbesondere mit der aristotelischen Bestimmung der Seele als forma corporis, verfehlt. Wer hier nicht 133 Vgl. WA 43, 481,24-26 (Enarrationes in primum librum Mose, 1536): »Ibi loquitur Deus cum mortuis non aliter, ac si viverent, atque hoc ipsum verbum est testimonium efficacissimum, quod non simus mortales, sed immortales etiam in morte.« WA 42, 61,3-6 (zu 1. Mose 2,3): »Deinde, ut etiam certam spem futurae et aeternae vitae animo retineremus. Nam omnia, quae in Sabbato Deus voluit agi, sunt evidentia signa alterius vitae post hanc vitam. Quid enim necesse est, Deum per verbum suum nobiscum loqui, si non vivendum est in futura et aeterna vita?« 134
Vgl. WA 43, 481,28-35 (zu 1. Mose 26,24): »Scit Deus hanc vitam momentaneam esse. Cur autem loqueretur nobiscum, et sic quidem, ut nostra lingua utatur, si non in perpetuum viveremus? Alioqui enim frustra ederet verbum suum propter momentum temporis tantum. Sed non frustra loquitur. … Cum solo homine loquitur. Ubi igitur et cum quocumque loquitur Deus, sive in ira sive in gratia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum significant nos tales creaturas esse, cum quibus velit loqui Deus usque in aeternum et immortaliter.« 135
Christian Herrmann, Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung. Studien zu den anthropologischen Implikationen der Eschatologie. Göttingen 1997, 103 136
WATR 5, Nr. 5534, 219,11-14 (Winter von 1542 auf 1543).
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von der Schrift und nur von der Schrift her argumentiere, der mache sich – wie die päpstliche Kirche – bloß lächerlich.137 2.3. Melanchthons eklektische Psychologie Als sich Melanchthon in den dreißiger Jahren des 16. Jh.s im Rahmen einer Neugestaltung der Naturwissenschaften unter protestantischer Perspektive auch dem Studium der Psychologie zuwandte, hatten sich bei ihm die Bedingungen für die AristotelesRezeption im Vergleich zu den frühen zwanziger Jahren erheblich gewandelt: Nicht mehr die polemische Auseinandersetzung bestimmte den Ton, sondern die Einsicht, daß allein die aristotelische Philosophie aufgrund ihrer ratio philosophandi von sich aus die Grenzen von Philosophie und Theologie beachtet, sie nicht miteinander vermischt, wie es in Melanchthons Oratio de philosophia von 1536 heißt.138 Denn eine Vermischung beider erzeuge die schwersten Irrtümer, wie er in seiner Schrift Philosophiae moralis epitomes libri duo von 1546139 betont hat. Es war also die Einsicht in das gut aristotelische Metabasis-Verbot – d. h. das Verbot, die Prinzipien, Begriffe etc. von einer Disziplin auf eine andere zu übertragen, ohne deren Eigentümlichkeiten im Blick zu haben –, die wie beim späten Luther140, so auch bei Melanchthon eine neue Rezeption der aristotelischen Philosophie (und nicht des scholastischen Aristotelismus!) ermöglichte: »Deswegen habe ich gesagt, daß man eine ganz bestimmte Art von Philosophie auswählen muß, eine solche, die am wenigsten sophistisch ist und die an137
Vgl. WA 7, 425,22-29 (Grund und Ursach aller Artikel, 1521): »Da her ists kummen, das newlich zu Rom [sc. auf dem V. Laterankonzil von 1513] furwar meisterlich beschlossen ist der heylig Artickel, das die Seele des menschen sey unsterblich, denn es war vorgessen ynn dem gemeinen glawben, da wyr alle sagen: ‚ich glewb eyn ewigs leben‘. Item, es ist auch beschlossen durch hilff Aristoteles, des grossen liechts der natur, das die seele sey ein weszenlich form des leybes, und der selben feiner artickel viel mehr, dye auffs aller zymlichst wol anstehen der Bepstlichen kirchen, auff das sie menschen trewn und teuffels lere behalte, die weil sie Christus lere und den glawben mit fussen tritt und vortilget.« 138
Vgl. CR 11, 282 (Oratio de philosophia, 1536): »Nec ego ignoro aliud doctrinae genus esse Philosophiam, aliud Theologiam. Nec ego illa ita misceri volo, ut confundit multa iura coquus, sed adiuvari Theologum volo in oeconomia methodi … Eruditam Philosophiam requiro, non illas cavillationes, quibus nullae res subsunt.« 139 Vgl. CR 16, 21 (Philosophiae moralis epitomes libri duo, 1546): »Imprimis opus est initio discernere genera doctrinae, videlicet Evangelium, legem Dei, et Philosophiam. Nam confusio horum generum parit horribiles errores.« 140 Vgl. hierzu die Disputatio de sententia: Verbum caro factum est (Joh 1,14) vom 11. Januar 1539, in der Luther »nach der Disputatio de homine (1536) das Verhältnis von Philosophie und Theologie am grundsätzlichsten« bedacht hat (Oswald Bayer, Theologie. HST 1. Gütersloh 1994, 121). Dort heißt es: »Differunt philosophia et theologia. Philosophia versatur circa cognoscibilia ratione humana. Theologia versatur circa credibilia, id est, quae fide apprehenduntur.« (WA 39 II, 6,26-28) Zur Interpretation vgl. Stefan Streiff, »Novis linguis loqui«. Martin Luthers Disputation über Joh 1,14 »verbum caro factum est« aus dem Jahr 1539. Göttingen 1993.
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gemessene Methode berücksichtigt: Von dieser Art ist die Lehre des Aristoteles.«141 Vor diesem Hintergrund stand auf reformatorischem Boden einer erneuten Rezeption auch derjenigen aristotelischen Schriften – mit Ausnahme der Metaphysik – nichts mehr im Wege, die ehemals dem Verdikt unterlagen. Hierzu gehörten neben der Nikomachischen Ethik auch die Physik und De Anima, die, wie in 2.1. gesehen, seit 1523 vom Unterricht an der Wittenberger Hochschule ausgeschlossen waren. Melanchthon beschäftigte sich wohl seit den frühen dreißiger Jahren mit dem Projekt einer neuen Physik, die zwar auf Aristoteles gründen, dabei aber den scholastischen Aristotelismus vermeiden sollte, der zu gehaltlos und dürftig sei.142 Da er sich hierbei zahlreichen Problemen gegenübergestellt sah, bat er Gelehrte wie Joachim Camerarius, Jacob Milich und Leonhard Fuchs um Mithilfe bei diesem Projekt. Aus einem Brief vom 30. April 1534 an Fuchs wird dabei ersichtlich, daß Melanchthon im Rahmen dieser Naturphilosophie von Anfang an nicht nur den Locus De anima zu verhandeln gedachte, sondern auch den Locus De corpore.143 Als sich aber die Schwierigkeiten bei der Fertigstellung der Physik als größer erwiesen, entschloß sich Melanchthon, die Behandlung der Loci De anima & corpore, die auch nicht frei von Problemen waren, vorzuziehen und separat 1540 unter dem Titel Commentarius de anima144 zu veröffentlichen. Diese Schrift gilt als »die erste von einem Deutschen – nach Albert dem Großen – verfaßte Psychologie«145. Obgleich sie nachfolgend zahlreiche Auflagen
141 CR 11, 282: »Ideo dixi unum quoddam Philosophiae genus eligendum esse, quod quam minimum habeat Sophistices, et iustam methodum retineat: talis est Aristotelis doctrina.« Auch gemäß der Oratio de vita Aristotelis von 1537 (vgl. a. a. O., 342-349), die Melanchthon erneut 1544 in etwas veränderter Gestalt unter dem Titel Oratio de Aristotele (vgl. a. a. O., 647-658) hielt, liegt der eigentliche Grund für die Neubewertung der aristotelischen Philosophie in ihrer Methodik begründet. 142 Vgl. CR 4, 1021 (Brief an Johann Naevius vom 8. November 1533): »Plurimum a vobis adiuvari possum in physicis adornandis. Vides enim illa Aristotelica, quae vulgo in scholis traduntur, nimis exilia et ieiuna esse.« 143 Vgl. CR 2, 718f.: »Scis in scholis Physica, quae sic vocantur A)ristote/leia vel potius Tartaretica aut similia, frigidis ac insulsis disputationibus referta esse. Nos igitur hic Physicam scribere instituimus, ac iam partem aliquam operis absolvimus … Nunc cum ad hominis et animae naturam accedimus, magnopere cupio inserere a)natomi/an, et partium naturas, varietates temperamentorum, id est kra/sewn, humanarum causas et species, quarum rerum nulla fit mentio in vulgaribus Physicis. Hic tua nobis opera plurimum prodesse poterit, si vel edas ipse, vel nobis mittas de his locis ea, quae maxime videbuntur digna cognitione. Nam Alexandri Benedicti pertenuis et puerilis libellus est [Benedictus veröffentlichte 1514 sein Werk Anatomice, sive de historia corporis humani libri quinque]. Vellem ex anatomicis Galeni confici iustum opus, adhibitis etiam usitatis hoc tempore nomenclaturis …« Der Grund für diese Einbeziehung des Locus De corpore dürfte in der Lektüre der galenischen Schriften liegen, die 1525 in Venedig erstmals komplett in griechischer Sprache veröffentlicht worden sind (vgl. hierzu 2.3.3.2.). 144
Vgl. Philipp Melanchthon, Commentarius de anima. Wittenberg 1540.
145
Peter Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland. Leipzig 1921, 80.
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erlebte146, war Melanchthon mit dem Ergebnis offensichtlich unzufrieden. Er ließ das Werk daher nach einer Überarbeitung im Jahr 1552 unter dem neuen Titel Liber de anima147 erscheinen, der Ausdruck des Bemühens ist, von einer bloßen Kommentierung der aristotelischen Schrift zu einer systematischen Abhandlung über die Seele fortzuschreiten. Bereits in seiner Oratio de philosophia von 1536 hat Melanchthon den Nutzen der Naturphilosophie für die Bildung im allgemeinen und für die Theologie im besonderen aufgezeigt. Gegen die grassierende Ungebildetheit, wie sie insbesondere bei den Anabaptisten festzustellen sei, die nicht einmal wüßten, was die Theologie zu verkünden habe und worin sie mit der Philosophie übereinstimme, müsse das allgemeine Studium der Philosophie gesetzt werden, das die Grundlage jeder Bildung sei. Dabei reiche es nicht aus, bloß die Grammatik und Dialektik zu kennen; vielmehr müsse man vieles auch aus der Physik sowie der Psychologie entnehmen, die beide für den Theologen sehr nützlich seien: »Eines großen Instruments ist derjenige Theologe beraubt, der jene höchst gebildeteten Disputationen über die Seele, die Sinne, die Ursachen des Strebens und der Affekte, die [angeborenen] Kenntnisse und den Willen nicht kennt. Und anmaßend handelt, wer sich als Dialektiker ausgibt, ohne jene Einteilungen der Ursachen zu kennen, die nur in der Physik gelehrt und nur von ihr her erkannt werden können.«148
Diesen Nutzen der Psychologie hat Melanchthon auch in seiner Epistola dedicatoria im Commentarius de anima gegen Angriffe der Anabaptisten verteidigt, die in ihr ein Zeichen für die Wiederkehr der verhaßten Scholastik sahen. Durch sie, so heißt es dort, lerne der Mensch nämlich die Quellen der tugendhaften Handlungen kennen. Auch zeige sie ihm die Struktur und den Aufbau unseres Körpers, die Ursachen von Krankheiten sowie deren Heilmittel. Wie sollte der Mensch denn sonst, so fragt Melanchthon, die Seele, ihre Vermögen und Funktionen kennenlernen? Diesen gleichsam weltlichen Nutzen der Psychologie ergänzte er durch einen theologischen, der sie auch von Gott her gerechtfertigt erscheinen ließ. Gott wolle nämlich, daß der Mensch sein mi-
146 Vgl. hierzu Hermann Schüling, Bibliographie der psychologischen Literatur des 16. Jahrhunderts. Hildesheim 1967, 183f. Risse, Bd. 5. 147 Vgl. Philipp Melanchthon, Liber de anima. Wittenberg 1553, in: CR 13, 5-178. Jürgen Helm weist bereits für 1552 zwei Auflagen nach (Zwischen Aristotelismus, Protestantismus und zeitgenössischer Medizin: Philipp Melanchthons Lehrbuch De anima (1540/1552), in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Jürgen Leonhardt. Rostock 1997, 175-191, hier: 175). Damit muß die Ansicht vom bisherigen Erstveröffentlichungsdatum 1553 revidiert werden. Die Zahl der nachgewiesenen Auflagen bis 1595 allein in Wittenberg erhöht sich so auf mindestens 19 Auflagen. Vgl. im einzelnen Schüling, Bibliographie, 184f. Risse, Bd. 5. 148 CR 11, 281: »Magno instrumento destitutus est Theologus, qui nescit illas eruditissimas disputationes, de anima, de sensibus, de causis appetitionum et affectuum, de noticia, de voluntate. Et arroganter faciet, qui se profitetur Dialecticum, si nescit illas causarum partitiones, quae traduntur tantum in Physicis, et intelligi non possunt nisi a Physicis.«
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rum opus betrachte, damit er bedenke, daß dieser so artifizielle menschliche Körper nicht aus Zufall entstanden, sondern das Werk einer mens æterna architectatrix sei.149 Von welcher Art die hieraus resultierende Psychologie ist, verdeutlicht eine Äußerung Melanchthons, in der er seine ratio philosophandi Aristotelica näherhin bestimmte: »Und weil in unserer Kirche einiges ein wenig anders gelehrt werden muß, als es von Aristoteles behauptet wird, bitte ich um Nachsicht, wenn ich bisweilen von den aristotelischen Lehren abgewichen bin.«150 Prima facie ist diese Äußerung nicht ungewöhnlich. Immer wieder ist von Philosophen und Theologen betont worden, daß bestimmte Lehren des Aristoteles dem christlichen Glauben widersprechen, so z. B. dessen Ansicht, daß die Welt ewig sei. Es wird sich aber im Verlauf dieses Kapitels zeigen, daß Melanchthon durch eine Theologisierung und zugleich Platonisierung eine massive Umgestaltung der aristotelischen Lehre vornahm. Natürlich ist diese Umgestaltung schon längst von der Forschung festgestellt worden. So nennen Stiening und Frank Melanchthons Psychologie im Blick auf den Liber de anima übereinstimmend eine »‘theologische Psychologie’«151 bzw. eine »‘theologische Anthropologie’«152. Ja, in gewisser Weise sei für Melanchthon »Anthropologie in ihrem Kern immer eine theologische. Ohne Theologie bleibt deshalb das eigentliche Wesen des Menschen verborgen.«153 Und auch die »Platonisierung des Entelechiebegriffs«154, womit »Melanchthon in signifikanter Weise von Aristoteles ab(weicht), indem er mit Cicero die Seele als e)ndele/xeia definiert«, was zu einer »Umdeutung« des »antidualistische(n) Konzept(s) der aristotelischen Psychologie«155 führt, ist von der Forschung richtig erkannt worden. Beide Einsichten sind im folgenden zu vertiefen und auf ihren absolut antiaristotelischen Kern zurückzuführen: 1. Die Theologisierung der Psychologie läßt sich verdeutlichen I. an der Hinzufügung einer theologischen Definition der Seele156, II. an der Verbindung der galenischen spi149
Vgl. Melanchthon, a2r-a3v (Epistola dedicatoria).
150
A. a. O., a5v: »Cunque nobis in Ecclesia quædam paulo aliter dicenda sint, quam dicuntur ab Aristotele, peto mihi veniam dari, si interdum ab Aristotelica phrasi discessi.« 151
Gideon Stiening, Psychologie, in: Melanchthon und die Marburger Professoren (1527-1627). Hrsg. von Barbara Bauer. Bd. I. Marburg 1999, 315-344, hier: 317. 152 Günter Frank, Philipp Melanchthons »Liber de anima« und die Etablierung der frühneuzeitlichen Anthropologie, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Hrsg. von Michael Beyer u. a. Leipzig 1996, 313-326, hier: 325. 153
Günter Frank, Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons (1497-1560). Leipzig 1995,
100. 154 Günter Frank, Veit Amerbach (1503-1557). Von Wittenberg nach Ingolstadt, in: Melanchthon in seinen Schülern. Hrsg. von Heinz Scheible. Wiesbaden 1997, 103-128, hier: 127. 155 Gideon Stiening, Deus vult aliquas esse certas noticias. Philipp Melanchthon, Rudolph Goclenius und das Konzept der notitiae naturales in der Psychologie des 16. Jahrhunderts, in: Melanchthon und die Marburger Professoren, 757-787, hier: 768. 156 Hierzu kann auch noch die Einführung des Locus De imagine Dei gezählt werden, den Melanchthon anhand des status integritatis, status corruptionis & status gratiae erklärt, deren Beschrei-
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
ritus-Lehre mit der Lehre vom spiritus sanctus, III. an der ursprünglich stoischciceronianischen Lehre von den notitiæ innatæ sowie IV. an der These von der Unsterblichkeit der Seele. Interessant ist hierbei der von der Forschung bisher nicht bemerkte Sachverhalt, daß sich diese Tendenz zur Theologisierung beim späten Melanchthon verstärkte. Denn gegenüber dem Commentarius de anima findet sich im Liber de anima eine Radikalisierung des theologischen Anspruchs und damit einhergehend der vollständige Verlust einer eigenständigen philosophischen Position. Unter Rückgriff auf eine Beschreibung Calovs, der bei Melanchthon in der Theologie zwischen drei aetates Philippi unterschied, um dessen Abfall von der ursprünglichen Confessio Augustana und damit den Rückfall in scholastische Positionen des Synergismus zu erklären157, kann man diesen Wandel in der philosophischen Konzeption in drei verschiedene Perioden unterteilen158: Der Zeit des Kampfes gegen Aristoteles (bis ca. 1523) folgte anschließend in einem längeren Zeitraum bis in die 1540er Jahre hinein die Neuaneignung des Aristoteles, wie sie noch den Commentarius de anima kennzeichnet. Auch diese Periode war natürlich schon von der Theologie her geprägt, aber noch nicht in dem Maße, wie es dann später in der dritten Periode geschah, die von den Initia doctrinæ physicæ von 1549159 über den Liber de anima von 1552 bis zu Melanchthons Tod im Jahre 1560 reichte. Es läßt sich also auch in seiner Philosophie ein Rückfall hinter die von ihm selbst formulierten Ansprüche des Protestantismus feststellen, der ursprünglich auf eine scharfe Trennung von Philosophie und Theologie abzielte. Das Resultat ist ausgesprochen merkwürdig: Es kam zu einer erneuten Vermischung beider Disziplinen, die Luther und Melanchthon ja gerade im Blick auf die Scholastik hatten überwinden wollen. Freilich haben sich zwischenzeitlich die Vorzeichen gewandelt: Gab es in der Scholastik ein Zuviel an Philosophie in der Theologie, so findet man bei Melanchthon nun ein Zuviel an Theologie in der Philosophie. Dies wird an den oben genannten Loci aufzuzeigen sein (vgl. 2.3.3. bis 2.3.5.). _________________________________________________________________________________________________________
bungen gewiß kein Thema einer philosophischen Psychologie sind (vgl. Melanchthon, 219r-221r. CR 13, 169-72). 157
Vgl. Abraham Calov, Criticus sacer, vel commentarii apodictico-elenchtici super Augustanam Confessionem. Leipzig 1646, 148-74 (zitiert nach Kenneth G. Appold, Das Melanchthonbild bei Abraham Calov (1612-1686), in: Melanchthonbild und Melanchthonrezeption in der Lutherischen Orthodoxie und im Pietismus. Hrsg. von Udo Sträter. Wittenberg 1999, 81-92, hier: 84f.). Danach folgte der frühen orthodoxen Tätigkeit eine orthodox-heterodoxe, die schließlich zum Lapsus Melanchthons führte. Bemerkenswert ist, daß Calov in diesem Zusammenhang bei Melanchthon in der Theologie einen zweideutigen Sprachgebrauch (orationes flexiloquae et ambiguae) und eine uneindeutige Lehre feststellte, ein Sachverhalt, der für seine philosophischen Schriften nur bestätigt werden kann. 158 Wollte man die frühe vorlutherische Phase mitzählen, in der Melanchthon noch in Tübingen den Plan faßte, einen ‘gereinigten’ Aristoteles zu veröffentlichen, so ergäben sich entsprechend vier Perioden. 159 Vgl. CR 13, 179-412. Zur Interpretation vgl. Sachiko Kusukawa, The Transformation of Natural Philosophy: The Case of Philip[p] Melanchthon. Cambridge 1995, 144-160. Barbara Bauer, Gott, Welt, Mensch und Sterne in Melanchthons Initia doctrinae physicae, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Jürgen Leonhardt. Rostock 1997, 149-172.
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2. Die Feststellung von einer Platonisierung des Entelechiebegriffs ist auf ihren neuplatonischen Ursprung zurückzuführen. Die allzu enge Fixierung der Forschung auf Cicero hat bisher verhindert, daß derjenige Autor in den Blick gerät, der die Entelechie auf ähnliche Weise als e)ntele/xeia a)telh/j verstanden hat wie Melanchthon, nämlich der Neuplatoniker Simplicius. In einem längeren Exkurs ist hierbei aufzuzeigen (vgl. 2.3.1.), daß er von der hermeneutischen Maxime einer im Großen und Ganzen identischen Lehre bei Platon und Aristoteles ausgegangen ist. Anschließend kann dann gezeigt werden, daß Melanchthons, von Simplicius beeinflußter Entelechiebegriff in Hinsicht auf die aristotelische Seelenbestimmung schlechterdings falsch ist (vgl. 2.3.2.). In einem weiteren Exkurs ist schließlich kurz die angemessene aristotelische Bedeutung des Begriffs der e)ntele/xeia darzustellen, wie sie sich bei Melanchthons Wittenberger Kollegen und ehemaligen Freund Vitus Amerbach (1503-1557)160 in seinen Quatuor libri de anima von 1542161 findet, die dieser nach ihrer beider Zerwürfnis »deliberately,
160 Melanchthon und Amerbach kannten sich seit den frühen zwanziger Jahren, wie ein Brief Melanchthons vom Februar 1522 an Amerbach belegt (vgl. CR 1, 564). Es ist zu vermuten, daß Amerbach auf Empfehlung von Melanchthon von 1522-26 in Wittenberg Philosophie studierte. Melanchthon wie Luther setzten große Hoffnungen auf ihn, den sie als »Mitstreiter« ihres reformatorischen Anliegens sahen, wie ein Brief Luthers an Agricola vom 27.6.1526 verdeutlicht: »Venit Vitus ad me, mi Agricola, futurus sunergo\j vester, ut graece dicam.« (WAB 4, 94,3f.) Von 1526-29 wirkte Amerbach auf Vermittlung Luthers in Eisleben neben Johann Agricola als Lehrer. 1529 folgte seine Magisterpromotion in Wittenberg, die bereits ein Jahr später zur Übernahme verschiedener Funktionen in der Artistenfakultät führte. Für unseren Zusammenhang ist hierbei von besonderem Interesse, daß er dort von 1535 bis 1542 – also genau dem Entstehungszeitraum des Commentarius de anima – den Lehrstuhl für Physik innehatte. Wohl im Verlauf des Frühjahrs 1541 – dies muß als terminus post quem gelten, da ansonsten die Fertigstellung der Quatuor libri de anima im Oktober 1541 mit ihrer Kritik an Melanchthon nicht zu erklären wäre – kam es zum endgültigen Zerwürfnis zwischen ihm und den beiden Reformatoren. Hierbei ging es zum einen um theologische Unstimmigkeiten bezüglich der Rechtfertigungslehre. Vgl. hierzu Melanchthons Brief vom November 1543 (?) an Amerbach, in dem es heißt: »Nec quisquam nostrum dixit, fide mortua aut sola noticia accipi remissionem peccatorum. Dicimus: fide, quae est assensus et in voluntate motus, clamans Abba pater, accipi remissionem peccatorum; nec divelli ab ea dilectio ac spes possunt. Sed sola excludit nostrum meritum … etc.« (CR 5, 232f.) Vgl. auch Luthers Brief an Lauterbach vom 9.2.1544 in WAB 10, 527,24-26: »Nostri ex nobis exisse, qui non fuit ex nobis. M. Vitum Amerbachium Ingolstadiam, ut succedat Eccio, blasphematurus nostrum verbum forte magis quam ille fecit.« Ferner ist es zu massiven Meinungsverschiedenheiten über die scientia de anima gekommen. So wird in CR 5, 232 folgende undatierte, wohl in Wittenberg öffentlich bekanntgegebene Notiz zitiert: »Constat aliquos veterum philosophorum ad insaniam versos, quos imitatus Amerbachius pro philosophari debacchari incoepit, inque convitia prolapsus pro scientia de anima docet inania, quae confinxerat somnia.« Hierbei ging es wohl insbesondere um den Streit um den Begriff der e)ntele/xeia und ihre Funktion im Zusammenhang mit der Seelendefinition. Da sich die theologischen und philosophischen Diskrepanzen nicht beseitigen ließen, verließ Amerbach im Laufe des Jahres 1543 Wittenberg und ging nach Ingolstadt, wo er zum Katholizismus rekonvertierte. Zu Amerbachs Leben und Werk vgl. Günter Frank, Amerbach, 103-128. 161
Vgl. Vitus Amerbach, Quatuor libri de anima. Straßburg 1542. Die Schrift selbst ist 1541 noch in Wittenberg fertiggestellt worden, wie die Præfatio verdeutlicht: »Datum Vitebergæ X. Calend. Octobris, Anno Domini M.D.XLI.« (A. a. O., 26)
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
it seems, in opposition to Melanchthon’s Commentarius de anima«162 veröffentlicht hat (vgl. 2.3.2.1.). Die Erörterung beider Punkte soll die Antwort auf die Frage ermöglichen, ob Melanchthons Eklektik163 aus Theologie, Medizin und platonisch-aristotelischer Philosophie ein gelungenes Beispiel für eine protestantische Psychologie darstellt. 2.3.1. Exkurs: Simplicius’ De Anima-Kommentar Mit Plotin164 (ca. 204-270) setzte eine neuplatonische Rezeption des Aristoteles ein, die über Jamblich (ca. 240/5-325), Philoponus165 (ca. 490-570) und Simplicius (5./6. Jh.) die Gestalt der aristotelischen Philosophie wesentlich verändert hat und bis ins 17. Jh. hinein von Bedeutung blieb.166 Bei diesem Versuch, eine Übereinstimmung von Aristoteles und Platon in der Philosophie zu erweisen, kam es auf der einen Seite zu einer Aristotelianisierung Platons167 und auf der andern zu einer »Platonization of Aristot162
Sachiko Kusukawa, Transformation, 108.
163
Zur Begriffsgeschichte vgl. Michael Albrecht, Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1993. Albrecht kommt in seinem Abschnitt über Melanchthon zu dem an sich richtigen Ergebnis, »daß er, bei allem beteuerten Nutzen des Aristoteles für die Kirche, eigentlich selbst ein Eklektiker war« (a. a. O., 117). Der nachfolgenden Einschätzung jedoch, daß sich Melanchthon in seinen Schriften wohl aus primär pädagogischen Gründen für die aristotelische Schule entschieden habe, liegt die falsche Annahme zugrunde, daß er dort einen reinen Aristotelismus bietet. Dies ist nachweislich falsch, wie das Nachfolgende belegen wird. Bei ihm kommt die Eklektik gerade im Gewande des Aristotelismus daher. 164 Vgl. Plotins Schriften. Griechisch-deutsch. Übersetzt von Richard Harder. Sechs Bände. Bd. I in der Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen von Richard Harder. Ab Bd. II fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler. Hamburg 1956-1967. Ficino machte die Enneaden 1492 in einer lateinischen Übersetzung der Gelehrtenwelt zugänglich. Erst 1580 erschien der Text im griechischen Original. Zu Plotin vgl. Henry J. Blumenthal, Plotinus’ Psychology. His Doctrines of the Embodied Soul. Den Haag 1971. Hilary Armstrong, Aristotle in Plotinus. The Continuity and Discontinuity of Psychē and Nous, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy. Supplementary Volume 1991. Aristotle and the Later Tradition. Oxford 1991, 117-127. 165
Vgl. Philoponus, In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hayduck. CAG XV. Berlin 1897. Der griechische Text wurde erstmals 1535 von Bartolomeo Zanetti in Venedig veröffentlicht. Lateinische Ausgaben folgten 1544, 1547, 1551 usw. 166 Zur Verfügbarkeit der Werke dieser antiken Autoren im 16. Jh. vgl. allgemein Anthony Grafton, The Availability of Ancient Works, in: CHRP, 767-791. Charles H. Lohr, Renaissance Latin Translations of the Greek Commentaries in Aristotle, in: Humanism and Early Modern Philosophy. Edited by Jill Kraye and M.W.F. Stone. London 2000, 24-40. 167 Matthias Perkams spricht in diesem Zusammenhang von einem »aristotelisierenden Neuplatonismus« (Aristoteles in platonischer Perspektive. Die Seelenlehre im Kommentar des ‘Simplikios’ zu Aristoteles’ De anima, in: TabulaRasa, Ausgabe 18, 1-16, hier: 1 (Online-Ausgabe). Auch Henry J. Blumenthal betont diese Tendenz: »… since Plotinus … the new Platonism had been more or less Aristotelianised: the controversies about whether or not Aristotelian views could be accepted by Platonists which had been current in the middle Platonic period were no longer live. By the time Simplicius and Philoponus composed their commentaries, Aristotle’s philosophy had been used as the stan-
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le«168. Für den vorliegenden Zusammenhang ist allein das zuletzt genannte Phänomen von Interesse. Dies soll hier anhand des De Anima-Kommentars von Simplicius169 aufgezeigt werden, der als Höhepunkt der neuplatonischen Rezeption gelten kann. Nicht ohne Grund war er noch für Zabarella der Hauptgegner im Kampf gegen die Platonisierung des Aristoteles, wie im dritten Kapitel zu zeigen sein wird. Das genannte Programm, Aristoteles und Platon miteinander auszugleichen, setzt bei Simplicius ein verändertes hermeneutisches Prinzip voraus: Ziel ist nicht (mehr) (wie noch bei Alexander), Aristoteles aus sich selbst heraus zu verstehen, d. h. die Schwierigkeiten einer Textstelle mit anderen, weniger unklaren Stellen aus dem übrigen corpus Aristotelicum zu erhellen, sondern Aristoteles als Fortsetzer und Vollender des Werkes seines Lehrers zu erweisen. Dies wird bereits aus der Einleitung zum Kommentar ersichtlich, wo Simplicius Aristoteles’ Psychologie eine Vollendung von Platons »göttlichen Betrachtungen«170 zu diesem Thema nannte. An späterer Stelle bezeichnete er ihn dann im Zusammenhang von De An. III 5 als ‘den besten Interpreten _________________________________________________________________________________________________________
dard introduction to Plato for at least two centuries. The tendency among certain modern scholars to see Aristotle simply as a Platonist has a precedent in the activities of the Neoplatonists …« (Neoplatonic Elements in the de Anima Commentaries, in: Aristotle Transformed. The Ancient Commentators and their Influence. Edited by Richard Sorabij. London 1990, 305-324, hier: 307) 168
Henry J. Blumenthal, Simplicius (?) on the First Book of Aristotle’s De Anima, in: Simplicius. Sa Vie, son Œvre, sa Survie. Édités par Ilsetraut Hadot. Berlin u. a. 1987, 91-112, hier: 91. 169
Vgl. Simplicius, In libros Aristotelis de anima commentaria. Ed. Michael Hayduck. CAG 11. Berlin 1882. Pico della Mirandola (1463-1494) gilt als Entdecker dieses Kommentars, der in den 80er Jahren des 15. Jh.s zu zirkulieren begann. So arbeitete Agostino Nifo (1469/70-1538) mit diesem Kommentar, lange bevor er 1527 in Venedig von Andreas Asulanus im griechischen Original veröffentlicht wurde. 1543 erschien die erste von Joannes Faseolus angefertigte lateinische Übersetzung in Venedig. 1553 wurde erneut in Venedig eine neue Übersetzung von Evangelista Lungo Asulanus unter folgendem Titel veröffentlicht: Commentaria Simplicii profundissimi et acutissimi Philosophi in tres libros de anima Aristotelis, de Graeca lingua in Latinam nuperrime translata. Evangelista Lungo Asulano Interprete. Hier liegt der von Lohr edierte Nachdruck aus Venedig von 1564 zugrunde. Der griechische Text ist auch in englischer Übersetzung verfügbar: Simplicius, On Aristotle. On the Soul 1.1-2.4. Translated by J.O. Urmson. Notes by Peter Lautner. London 1995. Ders., On Aristotle. On the Soul 3.1-5. Translated by Henry J. Blumenthal. London 2000. Im folgenden wird jeweils der griechische Text nach Hayduck und der lateinische Text nach der Ausgabe von 1564 nachgewiesen. – Die Schrift gilt zwischenzeitlich als pseudo-simplicianisch und wird von Carlos G. Steel (vgl. The Changing Self. A Study on the Soul in Later Neoplatonism: Iamblichus, Damascius and Priscianus. Brüssel 1978, 7) nun Priscian von Lydien zugeschrieben. Den ersten Zweifel an der Autorschaft des Simplicius formulierte bereits Francesco Piccolomini (1523-1604) in seiner Expositio in tres libros Aristotelis de anima von 1602. Vgl. hierzu die beiden Einleitungen von Lautner und Blumenthal zu den eben genannten englischen Ausgaben. Da Simplicius bei den hier berücksichtigten Autoren des 16. und 17. Jh.s noch als Urheber des Kommentars galt, wird in der vorliegenden Arbeit an der Zuschreibung festgehalten. 170
Simplicius, Proœm., 1,7-11 [A1va]: »polla\ me\n ou)=n kai\ maka/ria qewrh/mata peri\ au)th=j kai\ u(po\ Pla/twnoj parade/dotai … telewsame/nou de\ th\n Peri\ yuxh=j pragmatei/an tou= Ar ) istote/louj …« / »Nam licet præceptiones contemplationesque non paucæ, ac divinæ, à Platone de ea nobis concessæ fuerint … Verum cum Aristoteles extiterit, qui hanc tractationem de anima absolverit …«
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Platons’171. Genau diese Perspektive einer präjudizierenden Einheit von Platon und Aristoteles kritisierten neuere Kommentatoren wie Hicks und Ross172. Sofern man nämlich den Stagiriten nicht für den Fortsetzer und Vollender der platonischen Philosophie hält, trägt Simplicius’ Interpretation kaum etwas zu einem besseren Verständnis des aristotelischen Textes bei, wie auch Lautner betont: »The commentary on the De Anima is of value for the light it sheds on Neoplatonic, and especially Iamblichan, views of the soul; it has useful information about various Pythagorean views; it occasionally has value for elucidating Aristotle on points in detail. But it is not a trustworthy interpretation of the main doctrines of Aristotle.«173
Dieser mangelnde Nutzen liegt in der durch und durch neuplatonischen Ausrichtung des Werkes begründet, die auch dadurch deutlich wird, daß sich Simplicius auf Jamblich als den »besten Richter der Wahrheit«174 beruft, um so die Richtigkeit seiner Interpretation zu belegen.175 Damit wird natürlich zugleich implizit Alexanders Interpretation der aristotelischen Psychologie als einer antiplatonischen verworfen.176 Diese Frontlinie zwischen einem neuplatonischen und einem originären Aristotelismus werden die folgenden Ausführungen klar belegen.
171 A. a. O., III 5, 245,12 [64va]: »… o( tou= Pla/twnoj a)/ristoj e)chghth\j …« / »… præstantissimus Platonis interpres …« 172
Vgl. Robert Drew Hicks, Introduction, in: Aristotle, De anima. With Translation, Introduction and Notes by Robert Drew Hicks. Unchanged Reprint 1907. Amsterdam 1965, LXV: »Simplicius distorts Aristotle’s account in order, as far as possible, to adapt it to his own philosophical presuppositions …« Sir David Ross, Introduction, in: Aristotle, De anima. Edited, with Introduction and Commentary by Sir David Ross. Oxford 1961, 43: »His [sc. Simplicius’] discussion [sc. über den nou=j poihtiko/j] is short, but seems to have no other merit.« 173
Peter Lautner, Introduction, in: Simplicius, On Aristotle. On the Soul 1.1-2.4, 4.
174
Simplicius, Proœm., 1,11 [A1va] [Forts. von Anm. 170]: »… w(j t%= a)ri/st% th=j a)lhqei/aj kritv= dokei= t%= I)ambli/x% …« / »… ut & Iamblicho præstantissimo veritatis iudici videtur …« Vgl. auch die Bezugnahmen auf Jamblich in 1,18-20 [A1va]; 6,16 [A2vb] und öfter. 175 Vgl. Carlos G. Steel, Changing Self, 8f.: »Never does Priscianus [=Simplicius] formulate a doctrine that deviates from Iamblichus and he always tries to be in accord with him. Priscianus was thus not so much concerned with illuminating the actual meaning of the Aristotelian text. Rather he approached the work on which he will comment with the specific and developed vision of the soul which he had acquired from Iamblichus and he presented the meaning which the text must have in order to be in agreement with these presuppositions.« Da Jamblichs Werke zur Psychologie nur fragmentarisch überliefert sind (vgl. Iamblichus, De Anima. Text, Translation, and Commentary by John F. Finamore and John M. Dillon. Leiden u. a. 2002), rekonstruiert Steel dessen Ansichten überwiegend aus Stobaeus und Simplicius (vgl. a. a. O., 23-75). 176
Die Auszeichnung als »o( tou= Ar) istote/louj e)chghth/j« (Simplicius, I 4, 52,28 [15rb]) bzw. als »gnhsiw/teroj tw=n A)ristote/louj e)chghtw=n« (Simplicius, In Phys. 80,15) kann nicht über die grundsätzlich bestehende Differenz im Verständnis des Aristoteles hinwegtäuschen. Vgl. hierzu Henry J. Blumenthal, Alexander of Aphrodisias in the Later Greek Commentaries of Aristotle’s De Anima, in: Aristoteles. Werk und Wirkung. Zweiter Band. Kommentierung, Überlieferung, Nachleben. Hrsg. von Jürgen Wiesner. Berlin u. a. 1987, 90-106.
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Aus Simplicius’ Einleitung zum De Anima-Kommentar ergeben sich dabei die Grundzüge jener neuplatonischen Variante des Aristotelismus, die ihr Zentrum in der Beschreibung der Seele als eines mittleren Charakters finden: 1. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Betrachtung der Seele und des Geistes zur Mathematik, Physik oder Metaphysik gehöre, die ihren Ursprung in den entsprechenden Überlegungen von Aristoteles in De part. an. I 1, 641a17-b10177 hat, betont Simplicius, daß nur ein Teil der Seele Gegenstand der Naturphilosophie sei, nämlich ihre Bestimmung als Form sowie ihre Vermögen der Ernährung und Wahrnehmung, während der Nous und das Intelligible Thema der Ersten Philosophie bzw. Metaphysik seien. Weil nun Aristoteles in De An. III 4 und 5 auch vom Nous handele, gehöre die Abhandlung über die Seele als scientia media sowohl zur Naturphilosophie als auch zur Metaphysik.178 Daher, und dies betont Simplicius in Übereinstimmung mit Aristoteles, sei die Seele nicht (nur) Natur.179 Die Konsequenz jedoch, die er hieraus zieht, führt von Aristoteles weg: Er beschreibt nämlich im folgenden die menschliche Seele gemäß Platon und Plotin als ein Mittleres zwischen dem Natürlichen und Übernatürlichen. Sie gilt als zugleich teilbar und unteilbar, geworden und ungeworden, vergänglich und unvergänglich, wobei ein Teil von ihr mit dem Übernatürlichen und Ewigen Gemeinschaft hat, während ein anderer Teil in die vergängliche Natur hinabsteigt.180 Dies ver177
Aristoteles fragt dort, ob die ganze Seele oder nur ein Teil von ihr Gegenstand des Naturwissenschaftlers (fusiko/j) ist. Ist sie es nämlich als ganze, dann gibt es daneben keine weitere Philosophie, da in diesem Falle die Seele und ihre Vermögen – einschließlich des Geistes (nou=j) und seines Gegenstandes, das nohto/n – als Prinzip der Bewegung zu ein und derselben Wissenschaft gehören, da es nur einer Wissenschaft zukommt, über das einander Entsprechende zu handeln. Ist aber weder die ganze Seele noch alle ihre Teile Prinzip der Bewegung – denn bei den verschiedenen Lebewesen ist jeweils ein anderes ihr Prinzip –, dann ist nicht die ganze Seele Gegenstand des Naturwissenschaftlers. Hieraus folgt für Aristoteles, daß nicht die ganze Seele Natur ist, sondern nur ein Teil von ihr oder auch mehrere Teile (vgl. De Part. an. I 1, 641b10: »ou(de\ ga\r pa=sa yuxh\ fu/sij, a)lla/ ti mo/rion au)th=j e(\n, h)\ kai\ plei/w …«). 178
Vgl. Simplicius, Proœm., 3,25-27 [A2rb]: »e)pei\ ou)=n au)to\j kai\ peri\ tou= nou= th=j yux=hj, kai\ ou) peri\ tw=n fusikw=n mo/nwn au)th=j mori/wn poiei=tai lo/gon, dh=lon w(j ou)k e)/stin a(plw=j fusikh\ h( peri\ yuxh=j pragmatei/a.« / »Quoniam igitur etiam de animæ intellectu, neque vero de solis ipsius naturalibus particulis sermonem habet [sc. Aristoteles], constat tractationem de anima non esse simpliciter naturalem.« Vgl. hierzu auch Peter Lautner, Status and Method of Psychology according to the Late Neoplatonists and their influence during the Sixteenth Century, in: The dynamics of Aristotelian Natural Philosophy, 81-108, hier: 88-95. 179
Vgl. Simplicius, Proœm., 4,15f. [A2ra]: »fu/sij ga\r h( w(j swma/twn ei)dhtikh\ ai)ti/a, ou) yuxh/:« / »Natura enim est, quæ tanquam corporum formalis est caussa, non autem anima.« 180
Vgl. a. a. O., 3,18-21 [A2ra]: »kai\ dh=lon w(j h( peri\ yuxh=j e)pisth/mh toiau/th, e)peidh\ kai\ h( th=j yuxh=j ou)si/a toia/de, oi(/a me/sh tw=n te u(perfuw=n ei)=nai kai\ tw=n fusikw=n, kai\ oi(/a to\ me/n ti e)/xein toi=j u(perfue/si koinwnou=n, to\ de\ pro\j th\n fu/sin a)pokli=non:« / »Quandoquidem & substantia animæ talis est, ut media dicenda sit inter supranaturalia, & naturalia, habeatque aliquid cum supranaturalibus communicans, aliquid autem ad naturalia vergens & declinans.« A. a. O., 6,812 [A2vb]: »i(/na kai\ me/nv a(/ma kai\ metaba/llv dia\ th\n tw=n mo/nwj te meno/ntwn kai\ pa/ntv metaballome/nwn meso/thta h( h(mete/ra yuxh\ e(kate/r% pwj e)pikoinwnou=sa tw=n a)/krwn, w(/sper kai\ meri/zetai pwj kai\ oi(=on a(me/ristoj a(/ma gi/netai te kai\ a)ge/nhtoj u(pa/rxei, fqei/retai/ te tro/pon tina\ kai\ a)/fqartoj diasw/zetai.« / »… ut & maneat simul & mutetur anima
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steht Simplicius aber nicht so, als ob nun dieser Teil und damit die ganze Seele nicht in die Welt hinabsteigt, wie dies Plotin behauptet hat181; vielmehr vertritt er die These vom vollständigen Abstieg der Seele in die Sinnenwelt, weshalb sie auch der Veränderung unterworfen ist, lehnt aber ihr totales, unumkehrbares Verfallensein an diese Welt ab.182 Bereits aus diesen wenigen Bemerkungen wird deutlich, daß Simplicius die Frage nach dem Status der Seele mit einer platonischen Begrifflichkeit und unter Zugrundelegung der platonischen Hierarchie der Seelen diskutiert. 2. Er geht ferner von der Annahme aus, daß Thema von De Anima allein die Seele der sterblichen Lebewesen ist183, zu der auch die menschliche Seele gehört, die er yuxh\ logikh/ nennt. Er begründet dies damit, daß Aristoteles sich in diesem Werk nicht über die Weltseele (ou(rani/a yuxh/) geäußert habe. So referiere Aristoteles in De An. I 3, 407a3-6 ohne Kritik Platons Ansicht aus dem Timaios 34a1-4, wonach die Weltseele wie der Nous beschaffen sei. »Denn die Weltseele«, so Simplicius, »ist der reine und denkende Geist«184. 3. Simplicius nimmt für Aristoteles auch das neuplatonische Modell von der Abtrennbarkeit der Seele vom Körper a parte ante & post in Anspruch. Zur Begründung verweist er auf De An. III 5, 430a23-25. Danach können wir uns deshalb nicht an unser abgetrenntes Leben a parte ante erinnern, weil wir bereits gelebt haben, bevor wir in die Körper eingegangen sind.185 Hieraus folgert Simplicius offensichtlich, daß sich die Seele auch a parte post vom Körper abtrennen wird. _________________________________________________________________________________________________________
nostra ob medietatem tum ipsorum manentium, tum eorum omnino quæ mutantur, cum utroque cum extremo quodammodo communiter: quemadmodum est quodammodo dividitur: & quasi impartibilis simul fit, & ingenita existit. Corrumpiturque quodammodo, & incorruptibilis servat.« Die Nähe zur Beschreibung der Seele als Orizon æternitatis et temporis bei Hermes Trismegistos ist offensichtlich. 181
Vgl. Plotin, Enn. IV.8.8.1-3: »Kai\ ei) xrh\ para\ do/can tw=n a)/llwn tolmh=sai to\ faino/menon le/gein safe/steron, ou) pa=sa ou)d )h( h(mete/ra yuxh\ e)/du, all )e)sti/ ti au)th=j e)n tw=? noht%= a)ei/ …« / »Und wenn man denn so kühn sein soll wider die geltende Meinung die eigene Ansicht bestimmter auszusprechen: auch unsere Seele ist nicht gänzlich hinabgesunken, sondern immer bleibt ein Teil ihres Wesens in der geistigen Welt …« (Übersetzung Richard Harder) Vgl. ferner Enn. IV.1.1.12-14; IV.4.12.20-50. 182
Vgl. Simplicius, Proœm., 6,12-15 [A2vb]: »dio\ ou)/te me/nein ti au)th=j qhso/meqa kata\ to\n Plwti=non a)ei\ w(sau/twj kai\ kaqarw=j ou)/te pantelw=j proi+e/nai e)n tv= ei)j ge/nesin r(opv=, a)ll ) o(/lh pro/eisi kai\ me/nei ei)likrinw=j e)n tv= pro\j ta\ deu/tera r(opv=.« / »Ideoque neque aliquam ipsius portionem remanere ponendum, semper eodem modo, & sincere secundum Plotinum, neque omnino pervenire in illo incursu ad generationem. Sed tota pervenit, pureque manet in illo ad hæc posteriora incursu.« 183
Vgl. a. a. O., 3,29f. [A2rb]: »o( de\ skopo\j au)th=j [sc. pragmatei/a] dokei= peri\ mo/nhj th=j e)n toi=j qnhtoi=j z%/oij ei)=nai yuxh=j:« / »Intentio autem ipsius [sc. tractatio] videtur esse de sola mortalium animalium anima.« Ebenso 4,12f. [A2rb]; 81,12-14 [22va] und öfter. 184 Vgl. a. a. O., 4,1 [A2rb]: »lo/goj ga\r kaqaro\j kai\ noero\j h( tou= panto\j yuxh/ …« / »Ratio namque est pura & intelligens ipsi universi anima …« Die Übersetzung von lo/goj mit Geist rechfertigt sich hier vom Kontext her, denn es geht hier gerade nicht um den menschlichen Logos, sondern um den göttlichen Nous. 185
Vgl. Simplicius, Proœm., 4,9-11 [A2rb].
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4. Daß er damit auch die These von der Unsterblichkeit der Seele vertritt, wird aus seinen knappen Anmerkungen zum menschlichen Nous deutlich, der auf seiner höchsten Stufe dem Wesen nach Tätigkeit ist und damit den transzendenten Nous der Weltseele in seiner Wirksamkeit nachahmt bzw. sich mit ihm vereinigt. Und nur in diesem Zustand ist er unsterblich, da er dann in sich selbst fortwährend die Beständigkeit enthält und rein ist in seinem (von den Sinnen) abgetrennten Leben.186 All diese Punkte bestätigen nochmals das oben beschriebene hermeneutische Prinzip von Simplicius’ Interpretation: Es geht nicht so sehr darum, den aristotelischen Text zu erklären, als ihn in Übereinstimmung mit der Lehre Platons und der Neuplatoniker zu bringen. Dies läßt erahnen, wie er die Schrift De Anima insgesamt interpretiert hat. Im folgenden soll dies anhand seiner Darstellung von De An. II 1, III 4 und 5 aufgezeigt werden. Hierbei ist zu fragen: Was bedeutet die Bestimmung der menschlichen Seele als eines mittleren Charakters für die Kommentierung von De Anima? Anders gefragt: Wie muß Simplicius diese Schrift interpretieren, um sie in Übereinstimmung mit der platonischen These von der Mittelstellung der Seele zu bringen? Und wie muß er den Begriff der Seele (und des Geistes) fassen, um sie in ihrer Veränderung zugleich in ihrem wesentlichen Sein als Ewiges und Unsterbliches erweisen zu können? Hierbei wird sich zeigen, welch große Bedeutung – und dies sei hier gerade im Blick auf Melanchthon betont – in diesem Zusammenhang dem Begriff der Entelechie zukommt. In Anknüpfung an De An. II 1,412a6-10 bestimmt Simplicius zunächst gut aristotelisch u(/lh als ein Unbestimmtes (a)o/ristoj), Unvollkommenes (a)telh/j) und nur der Möglichkeit nach Seiendes (duna/mei), während ei)=doj gerade das Bestimmte (o(/roj), Vollkommene (teleio/thj), Erste (prw/th) und die für sich selbst seiende Substanz (kaq )au(th\n ou)si/a) ist. Und dieses ei)=doj nennt er nachfolgend gemäß Aristoteles e)ntele/xeia, wobei er diesen Neologismus korrekt als »das, was in der Vollkommenheit sein Sein hat«187, bestimmt. Etwas, das über die Entelechie verfügt, ist also in seinem Sein vollkommen, bedarf nichts darüber hinaus, um seine Funktionen erfüllen zu können. Man würde erwarten, daß dies für ein Lebewesen bedeutet: In seiner Einheit von Körper und Seele kann es die Funktionen des Ernährens, Fortpflanzens, Bewegens etc. ausführen, die es in seinem Da-sein kennzeichnen. Doch genau diese vollkommene Freiheit des Seins gewährt Simplicius dem Lebewesen nicht. Denn die Seele ist zwar ei)=doj bzw. e)ntele/xeia, die das Lebewesen zu einem to/de ti bzw. einer determinata existentia macht, das so in seinem Sein als Da bestimmt ist. Sie ist diese Form – 186
Vgl. a. a. O., 5,15-18 [A2va]: »kaq )h(\n kai\ to\n e)cvrhme/non mimei=tai [sc. du/namij qewrhtikh/] nou=n, kai\ e)/sti tv= ou)si/# e)ne/rgeia. kaq )h(\n mo/nhn e)sti\n a)qa/natoj, w(j di )au)th=j toi=j ai)wni/oij sunaptome/nh kai\ w(j a)ei\ me\n to\ mo/nimon e)/xousa, a)kraifne\j me\n e)n tv= xwristv= zwv= …« / »… secundum quam etiam seiunctum imitatur [sc. potentia contemplativa] intellectum. Estque ex his substantia actus, secundum quem solum immortalis existit, tanquam cum sempiternis per illum colliget: & tanquam stabile ipsum semper habens, purum quidem & sincerum in separabili vita …« 187
Vgl. Simplicius, 84,4f. [23rb] (zu De An. II 1, 412a9): »to\ de\ ei)=doj e)ntele/xeia, w(j teleio/thj kai\ e)n teleio/thti e)/xon to\ ei)=nai …« / »forma vero actus: ut quæ perfectio sit, & in perfectione suum habeat esse …«
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und zwar zugleich als forma informans und forma assistens188 –, aber eben nur als ei)=do/j ti, was soviel heißt wie: In gewisser Weise Form, aber nicht schlechthin.189 Simplicius begründet dies mit der zweifachen Bedeutung der Entelechie, die zum einen gemäß 412a10f. wie die Wissenschaft ist und zum andern wie der aktuelle Vollzug von Wissen. Jede reine und erste Form ist aber unteilbar, so daß in ihr ou)si/a und e)ne/rgeia eines sind, was dem Zustand der zweiten Entelechie entspricht. Dies gilt nun aber gerade nicht für die Seele: Sie ist nämlich nicht unteilbar, da bei ihr ou)si/a und e)ne/rgeia nicht eines sind, was dem Zustand der ersten Entelechie, den Aristoteles auch e(/cij nennt, entspricht. Denn diese Einheit würde voraussetzen, daß sie immer tätig ist, was nicht der Fall ist. »Daher ist sie Vollendung gemäß dem Habitus, nicht aber geschieht das Tätigsein vom Habitus her.«190 Prima facie scheint diese Bestimmung der Seele als e)ntele/xeia kata\ th=n e(/cin nicht unaristotelisch zu sein. Ein genauerer Blick zeigt aber, daß hier eine ontologische Abwertung der Seele geschieht, in der ihre Vollkommenheit zu einer a)telh\j e)ntele/xeia wird. Dies wird aus den Kommentaren zu De An. II 1, 412a20f. und a22-28 deutlicher: 1. In 412a20f. definiert Aristoteles die Seele bekanntlich als »Form des natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben hat«191. Simplicius bestimmt die Seele dagegen als meta\ ta\ ei)/dh, als ontologisch nach den Formen bzw. den Ideen192 seiend, 188 Dahinter steht die platonische Bestimmung der Seele als ein Mittleres. Dies verdeutlichen Simplicius’ Äußerungen zum locus classicus dieser Diskussion De An. II 1, 413a8f.: Vgl. a. a. O., 96,6-10 [26vb]: »… dia\ tou/twn e)pi\ th=j au)th=j to\ sunamfo/teron o(r#= [sc. Aristoteles]. h( ga\r w(j
xrwme/nh e)ntele/xeia kai\ a)xw/risto/j pv t%= o(/lwj xrh=sqai kai\ xwristh/ pv w(j e)cvrhme/nwj u(phretou=nti t%= o)rga/n% xrwme/nh. ei) de\ kai\ pv= me\n xrh=tai, pv= de\ mhd ) o(/lwj, w(j to\ tou= plwth=roj dhloi= para/deigma, to\ mh\ xrw/menon au)th=j pa/ntv e)sti\ xwristo/n.« / »… per hæc
autem, quæ nunc dicit, in eadem utrumque considerat. Actus enim, qui ut utens est, tum quadam ratione inseparabilis est, quia undequaque utatur, tum quadam ratione separabilis, quatenus seiunctim, & separatim corpore sibi inserviente utatur. Si autem & quadam ratione utitur, & quadam non omnino utatur, veluti ipsius nautæ exemplum indicat, quæ portio ipsius non utitur, separabilis omnino est.« Soweit also die Seele e)ntele/xeia ist und somit den Körper gebraucht, ist sie forma informans und damit von ihm nicht abtrennbar. Soweit sie aber von ihm abgetrennt ist und ihn gleichsam ‘von außen kommend’ gebraucht, ist sie forma assistens wie der Schiffer auf dem Schiff. Wie beides zusammengeht, macht gerade die Schwierigkeit von Simplicius’ Position aus. Vgl. zur Schiffs-Metaphorik ferner a. a. O., Proœm., 4,19-32 [A2rb-va]; 51,28-53,1 [15rb-va] (zu De An. I 1, 407b23); 87,18-25 [24rb] (zu II 1, 412a20). 189
Vgl. a. a. O., 84,9 [23rb] (zu De An. II 1, 412a10): »Ei)=do/j ti me/llwn kai\ th\n yuxh\n
ti/qesqai …« / »Constiturus animam esse aliquam formam …« 190
Vgl. a. a. O., 84,18f. [23rb]: »dio\ kata\ th\n e(/cin e)sti\n e)ntele/xeia, kai\ ou)x h( a)po\ th=j e(/cewj e)ne/rgeia.« / »Quare secundum habitum est actus, non autem hic actus ab habitu fit.« 191
Aristoteles, De Anima II 1, 412a19f. (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 24): »a)nagkai=on a)/ra th\n yuxh\n ou)si/an ei)=nai w(j ei)=doj sw/matoj fusikou= duna/mei zwh\n e)/xontoj.« 192
Die doppelte Bedeutung von ei)=doj als (aristotelische) Form und (platonische) Idee war natürlich der geeignete Anknüpfungspunkt für die Neuplatoniker, um die Einheit von Aristoteles und Platon in der Seelenlehre aufzeigen zu können.
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De Anima
denn sie ist in der Zeit in einem Körper.193 Folglich ist sie als e)ntele/xeia kata\ th=n e(/cin gerade nicht identisch mit der transzendenten Idee194, da sie dann wahrhaft ei)dhtikh\ ou)si/a wäre und damit ewig, unteilbar und nicht in einem Körper, und ihr Wesen wäre ihr Tätigsein. Simplicius verstärkt diese ontologische Abwertung der Seele bis zu der Aristoteles direkt widersprechenden Aussage, daß die Seele »keine Form [ist], sondern Logos, und die Logoi sind wesentliche Ursachen zweiter Ordnung.«195 Mit der Bestimmung der Seele als »Logos im Umkreis der Lebensform«196 »bezeichnet ‘Simplikios’ eine bestimmte Wirkkraft der Idee, die deren Gehalt in die Verbindung mit dem Körper einbringt.«197 Anders gesagt: Die Seele ist nicht schlechthin ei)=doj, weil sie in einem Körper ist und mit ihm in einem Verhältnis steht, das sie als forma informans zwar selbst wesentlich konstituiert und dabei als forma assistens den Körper als ein Organon benutzt, das damit aber zugleich ihre Abhängigkeit von ihm anzeigt. 2. Diese ontologische Unterordnung der Seele unter die ei)dhtikh\ ou)si/a verdeutlicht für Simplicius gerade ihre Bezeichnung als e)ntele/xeia prw/th in De An. II 1, 412a27, die er »als eine nicht schlechthin vollkommene Vollkommenheit«198 versteht. Denn die 193
Vgl. Simplicius, 86,17-19 [24ra] (zu De An. II 1, 412a20): »e)pei\ ga\r to\ koinv= pa/sv u(pa/rxon e(pizhtei= e)n toi=j qnhtoi=j z%/oij yuxv=, ou) to\ xwristo\n kai\ e(autou= o)\n a)podi/dwsin au)tv= ei)=doj, a)lla\ to\ sw/matoj o(ristiko/n. tou=to ga\r a(pa/sv koino/n. kai\ meta\ ta\ ei)/dh me\n h( yuxh/. a)me/ristoj ga\r h( ei)dhtikh\ ou)si/a …« / »Quoniam quidem, quod omni, quæ in animalibus est mortalibus, commune inest animæ, investigat, non ipsi formam separabilem, quæque per se forma sit, & ex iure suo assigant, sed formam corporis determinatricem, hæc enim omni animæ communis est. At anima post formas est ipsas. Siquidem formalis substantia indivisibilis est.« 194 So auch Matthias Perkams, Aristoteles, 4: »Diese Verwirklichung einer Möglichkeit, also ein ganz aristotelischer Gedanke, hilft ‘Simplikios’ zu erklären, was die transzendente Idee, die jede menschliche Seele hat, ohne dass sie mit ihr identisch ist, mit dem aus Körper und Seele bestehenden Wesen Mensch zu tun hat. ‘Simplikios’ benutzt also das aristotelische Konzept der entelécheia, um zu verdeutlichen, was das platonisch verstandene eîdos der Seele für das beseelte Lebewesen bedeutet. Das eîdos – zumindest insofern es eine transzendente reine Idee bezeichnet – ist also für ihn nicht dasselbe wie die entelécheia.« 195
Simplicius, 87,12-14 [24rb] (zu De An. II 1, 412a20): »h( de\ tw=n qnhtw=n z%/wn yuxh\ e)ntele/xeia fusikou= sw/matoj, ou)k ei)=doj ou)=sa a)lla\ lo/goj. kai\ oi( lo/goi de\ ei)dhtikai/ ei)si deute/rwj ai)ti/ai.« / »Mortalium vero animalium anima naturalis corporis actus est, & perfectio, non quæ forma sit, sed ratio. At rationes quidem formales sunt causæ, licet secundo modo.« Der Begriff lo/goj kann hier nicht mit Vernunft, Verstand oder ähnliches übersetzt werden, sondern kennzeichnet den Abstieg der Seele von den Ideen zu den von ihr abgeleiteten Logoi, wie auch Steel betont: »Here it must be noted that by logos is not meant, in the first instance, a rational activity but primarily the unfolding or discursivity of the eidos.« (Changing Self, 127). Deutlich wird dies aus 217,31f. [57rb] (zu De An. III 4, 429a10), wo es heißt: »… e(ka/sth yuxh\ u(poba=sa ei)j to\ o(rizo/menon kai\ ei)j lo/gon a)nti ei)/douj.« / »… unaquæque anima … accedens ad rem determinatam, & ad rationem loco formæ.« 196
Simplicius, 86,30 [24ra] (zu De An. II 1, 412a20): »h( de\ yuxh\ lo/goj tij peri\ to\ ei)=doj to\ zwtiko/n …« / »Anima vero ratio est quædam circa vitalem distincta formam …« 197
Matthias Perkams, Aristoteles, 6.
198
Simplicius, 89,24-26 [24vb] (zu De An. II 1, 412a26): »safw=j ga\r kai\ o( A)ristote/lhj to\ ou(/tw pro/teron tv= gene/sei a)pe/dwken, kai\ dia\ tou=to tv= yuxv= prosh/kein th\n prw/thn
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Frage, warum die Seele erste Entelechie ist und nicht e)ntele/xeia kata\ to\ e)nergei=n, beantwortet Simplicius mit ihrer bereits erwähnten Differenz von e)ne/rgeia und ou)si/a: Da sie nicht immer tätig ist, kann ihr Wesen nicht in der Tätigkeit liegen. Ihre Vollkommenheit ist damit eine immer nur je vorübergehende, sofern sie nur dann vollkommen ist, wenn sie tätig ist.199 Wie kann dann aber erklärt werden, daß die Seele, obgleich sie ungeworden (a)ge/nhtoj) ist, zunächst unvollkommen ist, später aber vollkommener wird, wenn sie nämlich tätig ist?200 Offensichtlich geht es hier um die Differenz von Sein und Werden, um das, was Steel identity in change nennt: »The soul undergoes substantial change without, however, losing its identity. It is precisely as identity-in-change that it is ‘the middle between the divisible and the indivisible’.«201 Es ist also ihr beschriebener Doppelcharakter, der sie sich wesentlich ändern und sich genau in dieser Änderung erhalten läßt! Was diese Differenz für die menschliche Seele bedeutet, beschreibt Simplicius wie folgt: »Auch sie [sc. die menschliche Seele] ist gewiß rein, soweit es ihr zukommt, indem sie ihre Unsterblichkeit, ihre Beständigkeit und Unteilbarkeit in ihrem abgetrennten, dem Denken gewidmeten Leben erhält. Denn abgetrennt ist sie das, wie er [sc. Aristoteles] sagen wird [sc. in De An. III 5, 430a17], was sie ist. In ihrer Hinneigung zum Äußeren [sc. dem nicht Intelligiblen] aber bleibt sie, ohne sich vollkommen zu verlieren.«202
Die menschliche Seele ist also als e)ntele/xeia prw/th unvollkommen, sofern bei ihr Tätigkeit und Wesen voneinander getrennt sind, und sie wird damit in gewisser Weise, indem sich ihr epistemologischer Zustand ändert, obwohl sie ontologisch betrachtet ungeworden ist. D. h., sie wird vollkommen im Vollzug des Denkens, und in diesem Vollzug wird sie unsterblich, obgleich sie in gewisser Weise aufgrund ihrer Abkunft _________________________________________________________________________________________________________
e)ntele/xeian w(j mh\ pantelw=j telei/an.« / »Manifeste namque & ipse Aristoteles quod hoc modo est prius, id generationi assignavit, atque idcirco animæ primum actum quadrare, convenireque, at qui non omnino perfectus sit.« Daß diese Bestimmung der e)ntele/xeia h( prw/th als ‘nicht schlechthin vollkommen’ (e)ntele/xeia a)telh/j) nicht den Sinn der aristotelischen Bestimmung in De An. II 1 trifft, ist klar, denn die erste Vollkommenheit der Seele besteht für ihn ja gerade darin, dem Lebewesen zwischen dem Werden und Vergehen (also gerade ohne Blick auf das a parte ante & post) das Sein zu verleihen. 199
Vgl. Simplicius, 88,31-89,1 [24va-b] (zu De An. II 1, 412a22).
200
Vgl. a. a. O., 89,22-24 [24vb] (zu De An. II 1, 412a26). Nachfolgend verweist Simplicius auf Met. I 8, 989a15: »e)/sti to\ tv= gene/sei u(/steron tv= fu/sei pro/teron …« 201
Carlos G. Steel, Changing Self, 52.
202
Simplicius, 90,12-15 [25ra] (zu De An. II 1, 412a26): »kai\ a)kraifne\j [sc. yuxh\ logikh/] me/n, o(/son au)tv= prosh/kei, to\ a)qa/naton kai\ mo/nimon kai\ a)me/riston a)polamba/nousa e)n tv= xwristv= kai\ noer#= zwv=. xwrisqei=sa ga/r, w(j e)rei=, e)/stin o(/per e)sti/n. e)n de\ tv= pro\j ta\ e)/cw r(opv= ou) pantelw=j me\n a)polei/pousa e(auth\n me/nei …« / »Quæ [sc. anima] purum quidem, quatenus ipsi convenit, immortale ipsum & permanens & indivisibile assumit, idque inseparabili & intelligenti vita. Separata namque, ut dicet postea, est quod est. In eo vero ad exteriora incursu, non omnino quidem sinit manere.«
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vom transzendenten Nous (schon immer) unsterblich ist. Sie ändert sich also wesentlich in ihrem Sein und in ihrem Wissen und bleibt doch dieselbe.203 Wie man sich diese identity in change der menschlichen Seele vorzustellen hat, kann Simplicius’ Bestimmung des Nous im Zusammenhang mit der Kommentierung von De An. III 4 und 5 entnommen werden. Hier muß sich zeigen, inwieweit sich die Seele durch die verschiedenen Stufen des Wissens in ihrem Sein wandelt und doch mit sich identisch bleibt. In seinem umfangreichen Proœmium zu De An. III 4 betont Simplicius gleich eingangs gegen Alexander, daß Thema hier nicht sei, was und wie beschaffen der abgetrennte Nous der Seelen (o( xwristo\j tw=n yuxw=n nou=j) sei – nämlich erste Substanz, unteilbar, Leben in seiner höchsten Form, äußerste Wirksamkeit, ewig, vollendet, einzig und Ziel und Ursache von allem –, denn dieser göttliche Nous sei Gegenstand von Aristoteles’ Met. XII 9, wie auch Jamblich betont habe; vielmehr gehe es hier um das Wiebeschaffensein des an unserer Seele Anteil habenden Nous.204 Dieser Nous zeichnet sich durch die Besonderheit aus, daß er als ei)=doj unteilbar ist – weshalb ihn Simplicius auch a)me/ristoj gnwstikh\ ou)si/a nennt –, zugleich jedoch Anteil am Denkvermögen der logikh\ yuxh/ hat und sie dadurch in ihrem Wesen bestimmt. Dies bedeutet nun aber keine Aufhebung der ontologischen Kluft zwischen ‘oben’ und ‘unten’. Die Seele bleibt als Ganze eingesenkt in das Abgeleitete und Teilbare und steigt so, wie gesagt, von den Ideen zum lo/goj hinab: »Denn jede Form [bzw. Idee] ist unteilbar, da sie Bestimmung und Vollendung ist. Die Seele aber ist nicht unteilbar, wie ihre diffundierende Tätigkeit zeigt …«205 Hieraus ergibt sich für Simplicius, daß auch dieser an der Seele teilhabende Nous nicht Thema von De An. III 4 sein kann; vielmehr ist dies allein die ihm untergeordnete logikh\ yuxh/.206 Darauf weist für ihn auch der 203 Vgl. Carlos G. Steel, Changing Self, 65: »The soul remains in itself and simultaneously proceeds from itself.« 204
Vgl. Simplicius, 217,28f. [57rb] (Proœm. zu De An. III 4): »ma=llon de\ nu=n poi=o/j tij o( u(po\ th=j h(mete/raj yuxh=j metexo/menoj nou=j r(hte/on.« / »Nunc vero magis occassio expostulat, ut dicamus, qualisnam ille sit intellectus, cuius anima nostra facta sit particeps.« 205
A. a. O., 217,32f. [57rb]: »a)me/riston ga\r a(/pan ei)=doj, e)peidh\ kai\ o(/roj kai\ teleio/thj: h( de\ yuxh\ ou)k a)me/ristoj, w(j h( a)nelittome/nh au)th=j dhloi= e)ne/rgeia …« / »Omnis enim forma indivisibilis est: quandoquidem, & terminus est & perfectio. Anima vero non est indivisibilis, id quod revoluta eius actio denotat …« Steel beschreibt in diesem Zusammenhang die Abhängigkeit des Logos vom Eidos wie folgt: »It is important that each ei)=doj - o(/roj is, as such, indivisible and therefore can undergo non change or development since this would imply division. It is the deteminded thing that changes whereas the determining factor (or the eidos) always remains entirely what it is. Therefore, one may also call the eidos simple (a(plou=j) – not in the sense of a contradiction or restriction but because it anticipates in itself, as an undivided unity, all the properties and logoi that develop out of it. Indeed, to each eidos corresponds a multiplicity of logoi. Thus the eidos of the natural body embraces a multiplicity of physical logoi which unfold, in the division of time and space, the totality of the properties lying together, simultaneously, in the undivided eidos. These logoi directly ‘in-form’ matter and give to it quality, shape, and size which correspond with the eidos.« (Changing Self, 126) 206
Vgl. Simplicius, 218,29-32 [57va] (Proœm. zu De An. III 4): »e)/sti toi/nun o( prokei/menoj skopo\j ou) peri\ tou= metexome/nou u(po th=j yuxh=j nou= ou)de\ e)/ti ma=llon peri\ tou= a)meqe/ktou, a)lla\ peri\ th=j logikh=j ou)si/aj: e)peidh\ kai\ peri\ yuxh=j h( pragmatei/a, mo/rion de\ kai\ o(
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erste Satz von De An. III 4, 429a10f. hin, denn das ginwskein= kennzeichnet das theoretische Wissen der logikh\ yuxh/, die auch Wahrnehmung und Vorstellung umfaßt, während das fronei=n ihren praktischen Bezug anzeigt.207 Diesen Logos der logikh\ yuxh/ unterteilt Simplicius nachfolgend auf dreifache Weise208 in einen u(liko\j kai\ duna/mei kai\ paqhtiko\j lo/goj (hier paqhtiko\j lo/goj1 genannt), einen ebensolchen Logos höherer Stufe (hier paqhtiko\j lo/goj2 genannt) und einen prw=toj ou)siw/dhj lo/goj. Diese Einteilung bedeutet keineswegs eine ontologische Differenz zwischen verschiedenen Seelen, sondern eine epistemologische innerhalb der (je individuellen) einen Seele, die aber gleichwohl wesentlich ist. Simplicius beschreibt diesen Sachverhalt wie folgt in einem Satz, dessen Begrifflichkeit nicht ganz stringent ist: »Damit stellt sich die Frage, ob es drei Geister [noi==lo/goi] in uns gibt als voneinander getrennte Substanzen [ou)si/ai], oder ob es einen Geist und eine Substanz gibt, eine Substanz, die sich nur dem Begriff nach unterscheidet und sich bald als Ganzes zu sich selbst hinwendet, sich bald dem Äußereren zuneigt und an sich selbst unvollkommen oder vollkommen ist. Selbst wenn sich nun diese [sc. drei] Substanzen [=noi==lo/goi] voneinander unterscheiden sollten, so sind sie nicht hinsichtlich des Zugrundeliegenden [d. h. hinsichtlich des Trägers] voneinander getrennt, sondern diese drei stehen im Umkreis der einen und ersten [sc. Substanz] beisammen, unterschieden aber von dem Leben des einen gemäß den verschiedenen Logoi.«209
Klar ist, daß für Simplicius die trei=j noi= zwar Substanzen sind, aber nicht im ontologischen Sinn, da sie in der einen Seele als ihrem u(pokeime/non sind, sondern epistemologisch gedacht, weil sie wesentlich voneinander unterschiedene Weisen des Wissens bezeichnen, in denen sich die Seele selbst wesentlich wandelt, und zwar nicht nur epistemologisch, sondern nun auch ontologisch, und in diesem Wandel zugleich mit sich _________________________________________________________________________________________________________
lo/goj th=j a)nqrwpi/nhj yuxh=j, o(/ti mi/a h)=n h( o(/lh.« / »Est itaque proposita nostra intentio non de
intellectu ab anima participato, neque adhuc multo magis de illo quod nulli participatur, sed de rationali tantum substantia: quandoquidem etiam tractatio de anima est. Ratio autem ipsa particula est humanæ animæ, quoniam tota est una.« Ebenso a. a. O., 220,15-17 [58ra]. 207
Vgl. a. a. O., 221,39-222,6 [58rb].
208
Simplicius spricht in 219,27-29 [57vb] von einer zwei- oder dreifachen Unterteilung des Logos, je nachdem, ob man den unvollkommenen Logos noch einmal in sich selbst unterteilt in Abhängigkeit des Abfalls von der Ideenwelt. Im folgenden wird die dreifache Unterteilung zugrunde gelegt. Vgl. auch die nachfolgende Anmerkung. 209
Simplicius, 222,17-22 [58va] (zu De An. III 4, 429a10): »w(j ei)=nai th\n zh/thsin, po/teron trei=j ei)sin e)n h(mi=n noi= w(j kai\ xwrizo/menai a)llh/lwn ou)si/ai h)\ ei)=j me\n o( nou=j kai\ mi/a ou)si/a, t%= lo/g% de\ diaforoume/nh, po/te me\n ei)j e(auth\n o(/lh e)stramme/nh, po/te de\ e)/cw r(e/pousa, kai\ au(/th h)\ a)telh\j h)\ telei/a: w(j ei) kai\ dia/foroi ai( ousi/ai, a)ll )ou) xwrizo/menai t%= u(pokeime/n%, peri\ de\ mi/an ai( trei=j th\n prw/thn sunista/menai, diaforou/menai de\ tv= tou= e(no\j kata\ diafo/rouj lo/gouj zwv=.« / »Adeo ut hoc sit inquirendum: utrum tres sint in nobis intellectus, tanquam etiam substantiæ ab invicem separatæ. Aut an unus quidem intellectus, & una substantia, ratione autem variata & diversa: Aliquando quidem tota in seipsam conversa, aliquando autem ad exteriora declinata, eademque aut perfecta, aut imperfecta. Adeo ut licet diversæ sint substantiæ, non tamen subiecto sint separatæ, sed circa unam primam illæ tres sint constitutæ, sed diversæ efficiantur ex vita unius secundum diversas rationes.«
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selbst identisch bleibt.210 Wie diese prima facie paradoxe Beschreibung näherhin zu verstehen ist, belegt die folgende Übersicht des dreigeteilten Logos: 1. Der paqhtiko\j lo/goj1 ist gekennzeichnet durch seine vollkommene Hinneigung zur äußeren Welt. Er muß dergestalt die sinnlichen Objekte in sich aufnehmen, um Wissen erwerben zu können, das freilich ein abgeleitetes Wissen ist, weil es nicht direkt aus den Ideen geschöpft ist. Ein solcher Logos wird daher bei der Aufnahme der sinnlichen Formen bestimmt (to\ paqei=n) und verfügt über das Wissen nur dem Vermögen nach.211 In diesem Zustand ist die Seele von sich selbst und ihrem Logos am weitesten entfernt gemäß ihrem Grad der Verfallenheit an die sichtbare Welt.212 2. Auch der paqhtiko\j lo/goj2 befindet sich noch in einem Zustand des Bestimmtwerdens. Sofern er sich aber bereits wieder der intelligiblen Welt zugewandt hat, sich also peri\ th\n ou)si/an, im Umkreis des Wesens aufhält, wird er durch die intelligiblen Objekte bestimmt und ist damit im Vergleich zum paqhtiko\j lo/goj1 vollkommener. Da dieser Aufenthalt bei der Wesensschau aber nur ein vorübergehender ist – denn diese e)ne/rgeia kommt ihm nicht immer zu213 –, ist auch er noch ein duna/mei lo/goj, aber von höherer Potentizialität. Denn er bildet sich eine e(/cij des Wissens aus, die desto vollkommener wird, je öfter sie ausgeübt wird. Dieser paqhtiko\j lo/goj2 hat sich also von sich aus der intelligiblen Welt zugewandt, um dort seiner Vollkommenheit ansichtig zu werden. 3. Der prw=toj ou)siw/dhj lo/goj ist dagegen vollkommen abgetrennt vom Körper – er bedarf also keines körperlichen Organs, um erkennend tätig sein zu können, sondern ist tätig aus sich selbst heraus – und enthält in sich die für ihn eigentümlichen intelligiblen Objekte, von denen er nichts erleidet, da er sie nicht von außen hat, sondern aus sich selbst hervorbringt. Und genau durch diesen Logos, so Simplicius, geschieht »die 210
So versteht auch Steel den eben zitierten Passus: »Consequently, the three ‘substances’ [sc.
noi==lo/goi] may not be understand as different ‘subjects’ (u(pokei/mena). They are only differentiated
insofar as the one and the same soul can realize its rational essence on substantially different levels: as abiding undivided in itself, as proceeding out of itself into total division, and as reverting upon itself and recovering its unity.« (Changing Self, 136) 211
Vgl. Simplicius, 219,11f. [57va] (Proœm. zu De An. III 4): »e)/stai ou)=n o( me\n u(liko\j kai\ duna/mei kai\ paqhtiko/j, o( e)/cw r(e/pwn kai\ sumpefurme/noj tai=j deute/raij gnw/sesin, o( a)telh\j kai\ o(/loj e)/cw.« / »Erit quidem igitur & materialis & potestate, & passiva altera [sc. ratio], quæ ad extra declinat, & quæ complicata est cum secundis cognitionibus, quæ imperfecta est, & tota ad extra vergit.« 212
Vgl. a. a. O., 219,2-5 [57va]: »… to\n [sc. lo/gon] de\ kaq )o(\n e)cistame/nh th=j e)n au(tv= monh=j o(/lh pro\j ta\ deu/tera a)potei/netai, h)\ pantelw=j tw=n ai)ti/wn a)fistame/nh dia/ te th=n a)f ) e(autou= kai\ th\n a)po\ tw=n u(perte/rwn pollh\n tou= lo/gou a)po/stasin …« / »Altera [sc. ratio] vero, secundum quam anima exurgens & recendens a suimet mansione, tota extenditur ad hæc secunda. Aut omnino a causis recedens, ob magnum recessum rationis tum a seipsa, tum a superioribus …« 213
Vgl. a. a. O., 219,12-14 [57va-b]: »o( [sc. lo/goj] de\ e)n probolv= me\n a)lla\ plhrou/meoj kai\ to\ te/leion e)/xwn, o(/mwj de\ peri\ th\n ou)si/an kai\ ou) kat )au)th\n th\n ou)siw/dh e)ne/rgeian …« / »Altera [sc. ratio] vero, quæ in occursu quidem est, promendo, nihilominus perfecta est & perfectionem habet. Quæ tamen circa substantiam versatur, at non secundum ipsam substantialem actionem …«
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Umwendung der Seele zu sich selbst und die Vereinigung mit dem Höheren«214. Er nennt ihn prw=toj lo/goj, weil er das Ersterkannte (prw/ton gnwsto/n) in der Seele und zugleich die erste Erkenntnis (prw/th gnw/sij)215 ist, und ou)siw/dhj lo/goj, weil er, soweit er dies vermag, wesenhaft e)ne/rgeia ist dia\ th\n pro\j nou=n sunafh/n, wegen seiner Vereinigung mit dem transzendenten Nous.216 Da dieser Zustand aber immer nur ein momentaner ist, bleibt die Differenz zwischen jenem Logos und diesem Nous selbstverständlich bestehen.217 Wie kann aber diese Dreiteilung des Logos mit De An. III 4 und 5 in Übereinstimmung gebracht werden, wo bekanntlich nicht vom Logos, sondern ausschließlich vom Nous die Rede ist? Gegen diesen offensichtlich erhobenen Einwand218 kommt Simplicius in seinem Kommentar von De An. III 4 nun doch nicht umhin, seinen Begriff des lo/goj mit dem aristotelischen des nou=j gleichzusetzen, also das zuvor begrifflich Geschiedene in Eins zu fassen: »Aber er [sc. Aristoteles] nennt den Geist auch Logos.«219 Dies bedeutet, daß die epistemologische Bestimmung der logikh\ yuxh/ in ihren drei Weisen des Logos-Seins mit der bei Aristoteles erfolgten Zwei- bzw. Dreiteilung des nou=j in einen nou=j paqhtiko/j, nou=j e)pi/kthtoj & nou=j poihtiko/j als ein gemäß De An. III 5, 430a13 rein innerseelisches, jeden Bezug auf den transzendenten Nous ausschließendes Phänomen übereinstimmen und folglich Alexanders Bestimmung des nou=j poihtiko/j als Gott falsch sein muß. Wie Simplicius diesen Aufweis durchführt, soll der folgende Überblick verdeutlichen: 1. Seiner Ansicht nach ist Thema von De An. III 4 und 5 die logikh\ yuxh/ in ihren drei Weisen des Logos-Seins220, die sich durch einen unterschiedlichen epistemologischen 214
A. a. O., 218,42-219,2 [57va]: »… to\n [sc. lo/gon] me\n xwristo\n kai\ plh/rh a)f )e(autou= tw=n oi)kei/wn gnwstw=n, kaq )o(\n h( ei)j e)auth\n th=j yuxh=j e)pistrofh\ kai\ pro\j ta\ krei/ttw sunafh/ …« / »Altera [sc. ratio] quidem separabilis, & propriis cognoscibilibus ex seipsa plena: per quam partem fit conversio animæ in seipsam, & contactus cum præstantioribus.« 215
Was dies für die Selbsterkenntnis des Geistes bedeutet vgl. unten zu Anm. 230.
216
Vgl. Simplicius, 219,21-23 [57vb] (Proœm. zu De An. III 4).
217
Vgl. hierzu Carlos G. Steel, Changing Self, 133f.: »Does not every distinction which exists between the soul and intellect here fall away? Certainly not! For the human soul, undivided intellection is merely a ‘moment’ within its total rational life and thererfore is never present in a pure state. The soul is, indeed, never entirely established in itself, never fully separated form the inferior lives. Therefore, even its highest logos remains bound to the lower logoi whic proceed from it and shares in their potentiality and division. This implies that the soul never escapes discursivity and never enjoys perpetual intellection since even its highest ‘part’ is affected by potentiality.« 218
Vgl. Simplicius, 220,25f. [58ra] (Proœm. zu De An. III 4).
219
A. a. O., 220,38 [58rb]: »… a)lla\ nou=n kalei= kai\ to\n lo/gon.« / »Cæterum solam quoque rationem intellectum appellat …« 220
Vgl. a. a. O., 220,15-17 [58ra]: »… e)/sti toi/nun o( pa=j lo/goj t%= A)ristote/lei e)n tou/toij peri\ th=j logikh=j yuxh=j, a)ll )ou) peri\ tou= metexome/nou u(p )au)th=j nou= prw/twj.« / »Totus igitur sermo hoc in loco ab Aristotele habetur de rationali anima, non autem de intellectu sibi participato principaliter.«
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Status auszeichnen. Anders gesagt: Das Denken geschieht auf dreifache Weise221 und kennzeichnet so den jeweiligen Status des Logos bzw. Nous als Denkvermögen. Auf der untersten Stufe steht der paqhtiko\j nou=j, den Simplicius in aristotelischer bzw. alexandrinischer Terminologie auch du/namei kai\ a)telh\j bzw. u(likoÜj nou=j222 nennt und der nichts anderes ist als der oben bestimmte paqhtiko\j lo/goj1. Durch seine vollkommene Hinneigung zum Körper oder zur körperlichen Wahrnehmung denkt er nicht aus sich selbst heraus, sondern wie die Wahrnehmung der sinnlichen Objekte bedarf, so benötigt er intelligible Objekte, um denken zu können. Da diese aber aufgrund der sinnlichen Objekte von der Vorstellung gebildet werden, ist diese Art des Denkens, obgleich es ohne Zuhilfenahme eines körperlichen Organs geschieht, noch nicht vollkommen dem Intelligiblen zugewandt.223 Was bedeutet es nun aber, daß dieser paqhtiko\j nou=j in De An. III 4, 430a24f. als vergänglich (fqarto/j) bezeichnet wird? Angesichts der für Simplicius nicht zu bezweifelnden, mit Platon übereinstimmenden Ansicht, daß für Aristoteles »der wesenhafte Geist der Seele unsterblich und ewig ist«224, ist klar, daß die Vergänglichkeit des paqhtiko\j nou=j keine ontologische im Sinne des mh\ o)\n ist, sondern eine epistemologische, die durch die Selbstbewegung der Seele hin zur intelligiblen Welt überwunden wird. Denn die Frage, ob der erleidende und unvollkommene Geist als dieses Ganze materiell und dem Vermögen nach ist, solange er erleidend ist, und ob er deswegen auch vergänglich ist, insofern er erleidend ist, beantwortet Simplicius wie folgt: »Er wird aber immateriell, ein Geist in Wirksamkeit und das Intelligible in der Vereinigung mit dem, was das Tätige ist, vollkommen immateriell aber und vollkommener Geist in seinem Aufstieg zu dem, was tätig ist. So daß die Vergänglichkeit des erleidenden Geistes nicht im Außersichsein mit dem Nicht-Seienden besteht, sondern in der Vereinigung mit dem höherrangigen Sein der abgetrennten, beseelten Substanz, die sich selbst hochhebt zu dem Leben, das sich entwickelt hat, das sich aber nicht weiter entwickelt, sondern in sich bleibt, gleichsam im [eigenen] Urgrund seiend. Fürwahr ist daher der erleidende Geist [nur] als erleidender vergänglich.«225
221
Vgl. a. a. O., 223,14f. [58vb] (zu De An. III 4, 429a13): »trixw=j de\ to\ noei=n au)th=j [sc. logikh\ ou)si/a] …« / »Cum vero triplex ipsius [sc. rationalis substantia] intelligere …« 222
Vgl. a. a. O., 222,27f. [58va]; 223,17 [58vb]; 247,31 [65ra].
223
Vgl. a. a. O., 223,17-224,16 [58vb-59ra] (zu De An. III 4, 429a13). Zur weiteren Bestimmung des nou=j u(liko/j gemäß De An. III 4, 429a15-b4 als inaffiziert, dem Vermögen nach seiend, unvermischt etc. vgl. a. a. O., 224,18-228,39 [58ra-60rb] (zu De An. III 4, 429a15-b4). 224
A. a. O., 246,17f. [64vb] (zu De An. III 5, 430a23): »E)pisth=sai a)/cion t%= panti\ lo/g%, [%(=] qarrw=n to\n ou)siw/dh th=j yuxh=j nou=n a)qa/naton kai\ a)i+/dion a)pofai/netai [sc. Aristoteles] …« / »Sciendum est, quod cum in omni sese firmet ratione, substantialem animæ intellectum immortalem & perpetuum esse asserit.« 225
A. a. O., 247,31-39 [65ra-b]: »h)\ o( paqhtiko\j nou=j u(liko\j h)=n kai\ duna/mei kai\ au)to\ tou=to paqhtiko\j kai\ a)telh\j nou=j to\ o(/lon tou=to, e(/wj a)/n paqhtiko\j v)=: kai\ dia\ tou=to kai\ fqarto\j v(= paqhtiko/j. a)/uloj de\ gi/netai kai\ e)nergei# nou=j te kai\ nohto\j e)n tv= pro\j to\ poiou=n sunafv=, telei/wj de\ a)/uloj kai\ nou=j te/leioj e)n tv= ei)j to\n poiou=nta a)nadromv=. w(j ei)=nai th\n fqora\n tou= paqhtikou= nou= ou)k ei)j to mh\ o)/n e)/kstasin, a)ll ) ei)j to\ kreitto/nwj o)\n su-
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Der paqhtiko\j nou=j verliert also sein Bestimmtsein und damit seine epistemologische Vergänglichkeit im Sinne des Noch-nicht-vollkommen-Wissens, was zugleich ein Noch-nicht-vollkommen-Sein bezeichnet, »by the usual Neoplatonic process of ascent and assimilation to a higer level of beeing«226. Wie sich dieser Aufstieg im Wissen und Sein vollzieht, belegen die nächsten beiden Stufen. 2. Auf der zweiten Stufe steht der nou=j kata\ e(/cin, der dem oben genannten paqhtiko\j lo/goj2 bzw. dem nou=j e)pi/kthtoj bei Alexander entspricht. Simplicius bestimmt diesen im Zusammenhang mit De An. III 4, 429b5ff. näher als denjenigen Geist, der nicht mehr von den sinnlichen Formen vervollkommnet wird, sondern von den ‘äußersten Spuren der intelligiblen Formen’. Von diesen angeregt sucht er die intelligiblen Formen selbst, die Simplicius in platonischer Manier als transzendente, unteilbare Substanzen versteht227, die jener nicht als solche aufnehmen, sondern zu denen er nur das Verhältnis einer vorübergehenden Teilhabe (me/qecij) gewinnen kann, die desto stärker wird, je vollkommener er sich von diesen Formen gleichsam einen Habitus (in seiner verstärkten Hinneigung zu sich selbst und den intelligiblen Formen) ausbilden läßt.228 Er bleibt also auch hier immer noch in gewisser Weise passiv (daher paqhtiko\j lo/goj2). Als eine Konsequenz dieses epistemologischen Prozesses des Werdens der wesentlichen Erkenntnis des Intelligiblen stellt sich für Simplicius gemäß De An. III 4, 429b9 das Denken seiner selbst ein, das für ihn – gegen Alexander gewendet229 – nicht _________________________________________________________________________________________________________
nai/resin th=j xwrisqei/shj yuxikh=j ou)si/aj, ei)j e(auth\n kai\ th\n proelqou=san a)nastellou/shj zwh/n, ou) proi+ou=san e)/ti a)ll )e)n t%== me/nein w(j e)n ai)ti/% u(pa/rxousan. o( d )ou)=n paqhtiko\j w(j paqhtiko\j fqarto/j.« / »An passibilis intellectus materialis erat & potestate, & hoc
ipsum passibilis & imperfectus intellectus, id totum existens, quantisper passibilis sit & iccirco etiam corruptibilis est, quatenus passibilis existit? Immaterialis autem fit & actu intellectus & intelligibilis in contactu, & complicatione cum efficiente facto. Perfecte autem immaterialis & perfectus fit intellectus in recursu in efficiente ipsum facto. Adeo ut passibilis intellectus corruptio sit, non recessus ille in non ens, sed contractio in id, quod præstantiori modo est: cum animata illa separata substantia in seipsam quoque illa revocet, quod ad extra provenit, quæ non amplius provenit, sed in ipso manere, tamquam in caussa stat. Passibilis igitur intellectus, quatenus passibilis, est corruptibilis.« 226 Henry J. Blumenthal, Nous pathētikos in Later Greek Philosophy, in: Aristotle and the Later Tradition. Oxford 1991, 191-205, hier: 201. 227
Vgl. Simplicius, 224, 34f. [59ra] (zu De An. III 4, 429a15): »ou)si/ai ga\r a)me/ristoi kai\ o(/roi ta\ nohta\ kai\ pa=n ei)=doj:« / »Intelligibilia namque & forma omnis substantiæ sunt indivisibiles & termini.« 228
Vgl. a. a. O., 229,9-13 [60rb] (zu De An. III 4, 429b5): »… ou)x u(po\ tw=n ai)sqhtw=n teleiou/menoj [sc. nou=j u(liko/j], a)lla\ tou/toij me\n w(j e)sxa/toij i)/xnesi tw=n ei)dw=n e)pibai/nwn, e)nteu=qen de\ e)pi\ th\n au)tw=n tw=n ei)dw=n zh/thsin e)geiro/menoj tv= ei)j e(auto\n sunneu/sei, kai\ tau/tv tv= menou/sv th=j yuxh=j kai\ prwti/stv sunapto/menoj ou)si/# …« / »… non quidem ab ipsis sensibilibus perfectus [sc. intellectus materialis], sed ijs quidem, tanquam extremis formarum vestigijs superveniens, inde vero ad ipsarum formarum inquisitionem excitatus, in illa in semet inclinatione, & ea ratione coniunctus cum animæ manente & maxime prima substantia …« 229
Vgl. Alexander, De Anima II, 109,14-17 [44vb]: »e)/ti de\ le/goit )a)\n au(to\n noei=n o( nou=j ou)x v(= nou=j e)stin, a)ll )v(= kai\ au)to\j nohto/j. w(j ga\r nohtou= a)ntilh/yetai, w(/sper kai\ tw=n a)/llwn e(ka/stou tw=n nohtw=n, ou)x w(j nou=.« / »Præterea dici posset intellectum semet intelligere, non qua-
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erst nach der Erkenntnis des Intelligiblen gleichsam aus dem Augenwinkel heraus geschieht, sondern direkt und zusammen in dem einen Erkenntnisprozeß. Ehe er also eines anderen ansichtig wird, hat er sich bereits als derjenige erkannt, der erkennt.230 3. Auf der dritten und letzten Stufe der dem Menschen möglichen Erkenntnis steht der ou)siw/dh nou=j (=nou=j poihtiko/j231), den Aristoteles in De An. III 5 genauer bestimmt hat und der dem oben genannten prw=toj ou)siw/dhj lo/goj entspricht. Für Simplicius kommt diesem Nous wesentlich das Wirksamsein und das Denken der Ideen zu. Er vereinigt die menschliche Seele mit dem über ihr seienden Nous (nou=j u(pe\r au)th\n yuxh\n), der zwar noch unterhalb des göttlichen Nous steht, aber doch von einer a)me/ristoj gnwstikh\ ou)si/a gekennzeichnet ist. Notwendig für diesen Aufstieg in die Ideenwelt ist eine vollkommene Abtrennung von der Sinnenwelt und von allen bloß abgeleiteten Lebensformen.232 Die dem nou=j poihtiko/j gemäß De An. III 5, 430a17f. beigelegten Attribute versteht Simplicius wie folgt: xwristo/j meint nicht ein ontologisches Abgetrenntsein vom Körper, sondern ein epistemologisches Unabhängigsein von den Erkenntnis der sinnlichen Dinge; a)paqh/j ist das Freisein von jedem äußeren Einfluß beim Erkennen; vielmehr vervollkommnet sich der Nous aus sich selbst heraus gemäß seiner ihm eigenen Wirksamkeit; a)migh/j ist das Freisein von jeglicher Verwobenheit mit den sinnlichen Dingen; tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia meint schließlich die Einheit von Substanz und Tätigsein: Im Denken der Ideen besteht das Wesen des nou=j poihti_________________________________________________________________________________________________________
tenus intellectus, sed quatenus intelligibilis ipse quoque est. Apprehendet enim ceu rem intelligibilem, quemadmodum quælibet alia intelligibilia, non ut intellectu.« 230
Vgl. Simplicius, 230,12-14 und 26f. [60vb] (zu De An. III 4, 429b9): »Ou) kata\ sumbebhko\j t%= ta\ nohta\ e)/xein kai\ ei)=nai pwj o( au)to\j toi=j nooume/noij ei)/desin, w(j prohgoume/nwj ta\ ei)/dh a)ll )ou)x e(auto\n now=n, w(j o( A)le/candroj bou/letai, kai\ e(auto\n de\ now=n prohgoume/nwj … a(/pac de\ teleiwqei\j au)to\j [sc. u(liko\j nou=j] e(auto\n kai\ ta\ e)n au)t%= ei)/dh noei= a)paqw=j kat )e)ne/rgeian telei/an.« / »Non per accidens intelligendum est, quod intelligibilia habeat, idemque quodammodo cum intellectis formis sit. Adeo ut principaliter formas, non autem seipsum intelligat, ut Alexander opinatur, sed principaliter quoque seipsum intelligit … Ubi vero semel fuit perfectus, ipse seipsum, & quæ sunt in se formas, intelligit & sine passione ulla, & perfecta cum actione.« Wie bereits erwähnt (vgl. 1.1.), findet sich diese Selbstreflexivität des Geistes auch bei Descartes. Ein weiterer Vertreter war Augustinus, wie aus seiner Schrift De Trinitate deutlich wird: »Quid enim tam cogitationi adest, quam id quod menti adest? aut quid tam menti adest, quam ipsa mens?« (Lib. X, 7.10, in: PL 42, 979) Weiter unten heißt es: »Nihil enim tam novit mens, quam id quod sibi praesto est: nec menti magis quidquam praesto est, quam ipsa sibi.« (Lib. XIV, 4.7, in: A. a. O., 1040; vgl. hierzu Ludger Hölscher, Die Realität des Geistes. Eine Darstellung und phänomenologische Neubegründung der Argumente Augustins für die geistige Substantialität der Seele. Heidelberg 1999, 205ff.) Auch in der anfänglich Augustinus zugeschriebenen, wohl aber aus dem Umfeld der Zistersienser des 12. Jh.s stammenden anonymen Schrift De Spiritu et anima heißt es: »Animus corporis dominator, rector, habitator videt se per se: per se ipsum semetipsum videt. Non quærit auxilium corporalium oculorum, imo vero ab omnibus corporis sensibus tanquam impedientibus, & strepentibus abstrahit se ad se, ut videat se in se, ut noverit se apud se.« (Cap. II, in: PL 40, 779-832, hier: 781) 231
Vgl. Simplicius, 240,30 [63ra] (Proœm. zu De An. III 5); 242,37 [63vb] (zu De An. III 5, 430a14) etc. 232
Vgl. a. a. O., 240,2-241,26 [63ra-63va] (Proœm. zu De An. III 5).
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon ko/j.233 Hier schließt sich nun der Kreis zum oben beschriebenen nou=j paqhtiko/j:
Nachdem sich dieser nämlich aus seinem Bestimmtsein von den sinnlichen Objekten heraus- und hochgearbeitet hat zu den intelligiblen Objekten, verliert er seine epistemologische Vergänglichkeit und gewinnt seine epistemologische und ontologische Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit, die in der Koinzidenz von ou)si/a und e)ne/rgeia, von Sein und Denken besteht: Das Denken ist das Sein, und umgekehrt.234 Damit können nun die epistemologischen Qualitäten des Abgetrennt- und Unvermischtseins zugleich als ontologische Qualitäten verstanden werden, die den Tod von sich ausschließen, vielmehr Träger des Lebens sind.235 Dieser Sprung von der Epistemologie zur Ontologie wird sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit als das Kardinalproblem eines Erweises für die Unsterblichkeit der Seele erweisen. Nach diesem längeren Exkurs zu Simplicius kann nun Melanchthons Seelenbegriff in den Blick genommen werden. 2.3.2. Melanchthons Platonisierung des aristotelischen Seelenbegriffs Melanchthons philosophischen Ausgangspunkt hat Maurer in seiner Biographie Der junge Melanchthon als durch und durch platonisch bezeichnet: Aufgrund der Ausbildung bei seinem Großonkel Johannes Reuchlin (1455-1522) in Tübingen, der in seiner Bibliothek Ficinos Plotin- und Platonübersetzungen besaß, sei er schon früh mit der (neu)platonischen Philosophie vertraut gewesen, und diese »Anhänglichkeit an den Platonismus (hat Melanchthon) sein Leben lang festgehalten. Sofern er Philosoph ist, 233
Vgl. a. a. O., 243,10-29 [63va-64ra] (zu De An. III 5, 430a17).
234
Vgl. a. a. O., 240,18-20 [63rb] (Proœm. zu De An. III 5): »… w(/sper h( ei)j th\n a)krota/thn e(auth=j ou)si/an a)nadromh\ th=j yuxh=j kai\ h( e)n tau/tv monh\ e(ni/zei kai\ th\n e)ne/rgeian tv= ou)si/# dia\ th\n ei)/sw o(/lhn stroph/n:« / »Quemadmodum recursus animæ ad supremam suimet substantiam, & permanentia in illa unit & copulat cum substantia actionem, idque ob totam conversionem ad interiora factam.« Auch Carlos G. Steel bemerkt zu dieser Stelle: »However, when the human soul abandons each ‘projection’ outside of itself and returns entirely into itself, then its estranged activity is identified again with the substance from which it had proceeded. Thinking then becomes identical with being as the proper immanent perfection of the intellectual essence.« (Changing Self, 145) 235
Vgl. Simplicius, 246,35-247,2 [64vb-65ra] (zu De An. III 5, 430a23): »kai\ a(/ma noou=n te kai\ nohto\n e)pidei/caj [sc. Aristoteles] kai\ a(plou=n, w(j ou) kata\ me/roj noou=n kai\ noou/menon a)ll ) o(/lon a)/mfw, o(/ti kai\ a)qa/naton kai\ a)i/dion a)pefh/nato. to\ ga\r xwristo\n kai\ a(plou=n kai\ e(autou= o)\n kai\ e(auto\ zwou=n kai\ teleiou=n, w(j kai\ e)n tv= e)/cw r(opv= deute/raj u(perblu/zein zwa/j te kai\ ou)si/aj, ou) mo/non a)/dekton qana/tou te kai\ fqora=j, a)lla\ kai\ prohgoume/nwj dei/knutai zwh=j te kai\ ou)si/aj oi)stiko\n kai\ dia\ tou=to kai\ a)qa/naton.« / »Cumque simul & intelligens & intelligibile demonstravit [sc. Aristoteles] esse quoque simplex, tanquam non per partes intelligens & intellectus, sed secundum totum utraque, quod etiam immortale & perpetuum sit enuntiavit. Quod enim separabile est & simplex & suiipsius est, seiipsumque perficit & vivificat ita, ut in declinatione ad exteriora secundas effundat vitas & substantias, non solum recipere mortem & corruptionem demonstratur, sed etiam principaliter vitam & substantiam præstare demonstrat, & ideo quoque immortale.«
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De Anima
ist er also Platoniker geblieben.«236 Für die in den 30/40iger Jahren erfolgende Aristoteles-Rezeption bedeutete dies, »daß gerade dieser Aristoteles platonisch – und das hieß wie im Mittelalter neuplatonisch – gedeutet werden mußte.«237 Das entsprechende Rüstzeug für ein solches Verständnis eignete sich Melanchthon durch eine direkte Lektüre der Neuplatoniker Porphyrius, Jamblich und Priscian an, wie Brandis anhand einiger Exemplare der Wittenberger Bibliothek für den oben genannten Zeitraum nachgewiesen hat.238 Er ging dabei wie Simplicius und die übrigen Neuplatoniker von der selbstverständlichen These einer grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen Platon und Aristoteles aus. Deutlich wird dies aus der von ihm 1538 in Wittenberg gehaltenen Oratio de Platone, in der er auf den byzantinischen Humanisten Theodor Gaza (14001476) Bezug nimmt, um den zwischen Kardinal Bessarion (1403-1472) und Trabezuntios (1395-1484) schwelenden Streit über den Vorrang der platonischen oder aristotelischen Philosophie salomonisch wie folgt zu schlichten: Jedem von beiden sei sein Ort zuzuweisen. Um Platon richtig zu verstehen, müsse man mit der Aristoteleslektüre beginnen. Nachfolgend heißt es dann: »Ich glaube, daß dies für Aristoteles der Grund war, warum er nach der bis dahin so wenig ausgebildeten Methode trachtete, so daß er das, was er von Platon hörte und annahm, sammelte, und nachdem er es in eine gewisse Ordnung gebracht hatte, lehrte er es den Späteren unverändert. Und wenn er auch einiges verbessern wollte, so liegt im Ganzen dennoch keine große Verschiedenheit in den Sachen vor.«239 236 Wilhelm Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation. Bd. 1: Der Humanist. Göttingen 1967. Bd. 2: Der Theologe. Göttingen 1969. Studienausgabe Göttingen 1996, hier: Bd. 1, 88. Gewiß falsch ist Scheibles Ansicht, wonach »Reuchlins Philosophie ihm [sc. Melanchthon] aber fremd (blieb), ebenso der Pythagoreismus und der Platonismus.« (Art. Melanchthon, Philipp, in: RGG4 5 (2002), 1003) 237
Wilhelm Maurer, Melanchthon, 92.
238
Vgl. Carl G. Brandis, Luther und Melanchthon als Benützer der Wittenberger Bibliothek, in: ThSt Kr 90 (1917), 206-221, hier: 214. Brandis verweist auf einen Sammelband von 1497, der u. a. Schriften von Jamblich (De mysteriis Ægyptiorum, Chaldæorum et Assyriorum), Proklos (In Platonicum alcibidadem de anima, atque dæmone) und Priscian (Expositio in Theophrastum de sensu phantasia & intellectu) enthalte, die mit Melanchthons handschriftlichen Anmerkungen versehen seien, Werke also, in denen sich ein neuplatonisches Verständnis von der Seele findet. Es bedürfte weiterer Nachforschungen in den nun in Jena befindlichen Werken, ob sich dort auch Hinweise auf eine Simplicius-Lektüre finden. Vielleicht besaß Melanchthon ja den von Jacob Schegk (1511-1587) 1544 in Tübingen edierten griechischen Text von Aristoteles’ De Anima, dem eine Teilausgabe von Simplicius’ Kommentar beigebunden war. Dies wäre ein zusätzliches Indiz für die stärkere neuplatonische Ausrichtung des Liber de Anima. 239 CR 11, 413-425, hier: 423: »Et hanc fuisse Aristoteli causam arbitror, cur methodum adeo exiliter consectaretur, ut ea quae a Platone acceperat, collecta, et quadam oeconomia atque ordine distributa, posteris integre traderet. Etsi quaedam limare etaim ac corrigere voluit, rerum tamen in summa non magna est dissimilitudo.« In einer nachfolgenden Äußerung betont Melanchthon, daß Aristoteles inhaltlich vieles aus Platon entnommen habe: »Multa ornamenta et Aristoteles ex Platone decerpsit, quae adhibita methodo explicat. Nam divisiones iustitiae, quae sunt admodum utiles, sumpsit a Platone, easque magis inclusit dialecticis metis. Platonis etiam inventum est, discrimen specierum iustitiae, iuxta proportiones, Arithmectiam et Geometricam. Verum in Aristotele dialectia integra est. Et Physi-
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
Diese Einschätzung prägte nun auch seine De Anima-Interpretation des Aristoteles, wie die nachfolgende Darstellung zeigen wird. Melanchthon begann seinen Commentarius de anima mit der begrifflich korrekten Wiedergabe der aristotelischen Seelendefinition: »Die Seele ist die erste Vollendung eines natürlich-organischen Körpers, der in Möglichkeit Leben hat.«240 Diese Definition sei aber so dunkel, daß sie eher die eines bloßen Namens als eines Dings zu sein scheine, denn welcher Schwindel erfasse einen, wenn er das Wort e)ntele/xeia höre. Obgleich nämlich die gelehrtesten Männer seit Jahrhunderten die Bedeutung dieses Wortes zu ermitteln versucht hätten, sei bisher überhaupt nicht klar, was Aristoteles damit habe sagen wollen. Daß aber Melanchthon nicht ernsthaft am Verständnis des Begriffs zweifelt, verdeutlicht die nachfolgende Paraphrase der Definition: »Die Seele ist eine Endelechia, d. h. eine fortwährende Bewegung, oder das Leben selbst eines natürlichen Körpers …«241 Zur Begründung dieser Interpretation verweist Melanchthon zunächst auf den Hylemorphismus, mit dessen Hilfe Aristoteles das gesamte belebte und unbelebte Naturgeschehen erklärt habe: Wie ein Stein aus Materie und Form bestehe, wobei die Form ihn in seiner spezifischen Gestalt kenntlich mache – rem esse talem –, so sei auch ein Tier aus Materie und Form zusammengesetzt. Mögen Löwe und Rind auch hinsichtlich der Materie ähnlich sein, so unterschieden sie sich doch in ihrer je spezifischen Gestalt (exædificatio). Um hierbei genauer zwischen den belebten und unbelebten Dingen zu differenzieren, habe Aristoteles diese forma substantialis bei den Lebewesen e)ndele/xeia genannt: »Aristoteles nennt diese Gestalt bei allen Dingen im allgemeinen Form, aber bei den Lebewesen nennt er diese wesentliche Form auf besondere Weise e)ndele/xeia, weil jenes, wodurch ein Lebewesen ein solches ist, eine gewisse fortwährende Bewegung oder Leben ist.«242
Die forma animalis ist also für Melanchthon mehr als die bloße Gestalt oder Struktur; sie ist eine fortwährende Bewegung, durch die ein Lebewesen erst als ein je spezifi_________________________________________________________________________________________________________
ca sunt eruditius inchoata ab ipsis laribus, ut ita dicam, hoc est a primis initiis et perducta ad descriptionem naturae animalium. Ethica etiam simplicius traduntur. Amemus igitur utrunque …« Wie bei Simplicius, so erscheint auch hier Aristoteles als bloßer Vollender der Philosophie Platons, weshalb beide geschätzt werden müßten. 240
Melanchthon, 7r: »Anima est actus primus corporis physici, organici, potentia vitam habentis.«
241
A. a. O., 8r: »Anima est Endelechia, id est agitacio, seu vita ipsa corporis physici …« Zur Verdeutlichung seiner Ansicht übersetzt Melanchthon im Liber de anima die aristotelische Seelendefinition wie folgt: »Anima est Endelechia prima corporis physici organici, potentia vitam habentis.« (CR 13, 12). Für ihn ist es dabei merkwürdigerweise unerheblich, ob der Begriff e)ndele/xeia mit agitatio oder mit actus übersetzt wird; entscheidend sei die Übereinstimmung mit Aristoteles in der Sache: »Haec Aristotelica si quis perspicit, etiam hic intelliget, quo consilio Animam dicat esse Endelechiam, id est, agitationem, seu actum, ut veteres verterunt.« (ebd.) 242 Melanchthon, 9v: »Hanc [sc. exædificationem] generaliter in omnibus rebus Aristoteles nominat formam, sed in viventibus peculiariter nominat formam substantialem e)ndele/xeian, quia illud, quo vivens est tale, est quædam agitatio continua, seu vita.« Bereits hier wird deutlich, daß Melanchthon auf ähnliche Weise wie Simplicius danach trachtet, die Seele als unvollkommene und daher in Bewegung befindliche Substanz aufzuzeigen.
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sches ist. Zu Recht habe daher Cicero, der gegen ungerechtfertigte Angriffe zu verteidigen sei243, das Wort e)ndele/xeia von e)ndele/xej hergeleitet, was soviel wie ‘fortlaufend, ununterbrochen’ bedeute, und dies sei ein im Griechischen durchaus gebräuchliches Wort.244 Falsch sei dagegen die Übersetzung der e)ntele/xeia als eine perfectio interior, denn Aristoteles habe nicht die anima rationalis definieren wollen, sondern die Seele, wie sie allen Lebewesen zukomme.245 Auch der Sache nach, so Melanchthon, deckt sich diese Herleitung mit Aristoteles’ Intention, die Seele als eine Bewegung zu bezeichnen, und zwar als eine unvollendete und damit – im schlechten Sinne – fortwährende, welche die forma erst noch erwerben müsse: »Weil Aristoteles eine Bewegung bezeichnen wollte, nicht ein vollkommenes Sein, sondern eine Bewegung und ein Erwerben der Form, suchte er ein geeignetes Wort, das eine Bewegung bezeichnet, welche die Form [erst noch] erwerben muß.«246 Und genau auf diese Weise habe Aristoteles die Bewegung auch in Phy. III 1-3 bestimmt, und deshalb habe Themistius die Endelechia richtig als eine Bewegung hin zur Form interpretiert.247 Um klären zu können, ob diese Interpretation der Entelechie als 243
Vgl. Melanchthon, 11r-v: »Ego vero eos, qui flagellant Ciceronem, ac putant Aristotelis sententiam non satis assecutum esse, falli ipsos pocius iudico, ac procul ab Aristotelis sententia deerrare.« Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß Melanchthon hier auch Amerbach im Blick hat. 244
Vgl. a. a. O., 11v-12r: »Usitatissime græcis e)ndele/xej est continuum, et e)ndele/xeia continui-
tas.« 245
Vgl. a. a. O., 11v: »Ideo enim malunt [sc. diejenigen, die Cicero bekämpfen] verti interiorem perfectionem, quia cogitant hic rationalem animam definiri, quæ intus in corpore locum aliquem teneat, velut gubernator in navi sedet certo loco, videlicet ad gubernaculum. Ideo imaginantur Entelechiam significare naturam intus perficientem & ornantem corpus.« Im Liber de anima nennt Melanchthon Argyropulos als Vertreter dieser Ansicht: »Argyropylus Ciceronem reprehendit, et maluerunt alii quidam verti Endelechiam, perfectionem interiorem, quasi to\ e)nto\j teleiou=n. Hanc imaginationem adparet eos non sumpsisse ex Aristotele, sed ad eum attulisse, cum tantum de anima hominis dici arbitrarentur, et hanc videlicet naturam separabilem habitare cogitarent in parte corporis certa, sicut in navi gubernator sedet ad gubernaculum. Haec aliunde ad Aristotelem allata sunt, non sunt ex ipso sumpta. Cicero rectius vidit consilium Aristotelis.« (CR 13, 14) 246 Melanchthon, 12r-v: »Is [Aristoteles] cum vellet significare motum, non esse absolutum quiddam, sed agitationem & acquisitionem formæ, quæsivit idoneum vocabulum, quod agitatio ad formam acquirendam significaretur.« 247 A. a. O., 12v: »Nec aliud est Entelechia in tertio physicorum, nisi continua agitacio, sicut Themistius recte interpretatur inquiens, esse itionem ad formam.« Zumindest in den Themistii libri paraphraseos in libros de anima findet sich im Zusammenhang mit De an. II 1 keine Bestätigung dieser These, denn dort erklärt Themistius die Entelechie gut aristotelisch als einen habitus perfectionis: »Hanc igitur formam & speciem siquis enthelechiam [sic!]: idest verbum ex verbo perfectihabiam appellet: haud iure [sic!] repræhendetur: ceu novo usus & horrenti vocabulo. Nam si supradicat nobis vera sunt: & perfectio rei e sua cuique forma ducitur: & a forma res habet: diviter & bene habere & perfecte possit. Nihil utique aliud id nominis significaverit quod eum quem exprimere volumus habitum perfectionis [h( e)ntele/xeia h)\ th\n e(/cin th=j teleio/thtoj].« (Themistii libri paraphraseos. Interprete Hermolao Barbaro. Venedig 1499. Ed. Charles Lohr. Unveränderter Nachdruck Frankfurt am Main 1978, 77v) Zum griechischen Text vgl. CAG 5,3 (Ed. Richard Heinze). Berlin 1899, 39. – Vielleicht hat Melanchthon seinen Studien den von Moerbeke übersetzten Text des Themistius zugrunde gelegt, der die Entelecheia fortwährend mit endelichia übersetzte (vgl. Commentaire sur le traité de
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
unvollendete Bewegung im Zusammenhang der Seelendefinition haltbar ist, muß Phy. III 1-3 in den Blick genommen werden. Thema ist dort die ki/nhsij, die sich als Ortsbewegung, Veränderung, Entstehen und Vergehen zeigt (vgl. Phy. III 1, 201a11-15). Um das ihnen Gemeinsame zu bezeichnen, nennt Aristoteles die ki/nhsij einen Prozeß, der ein der Möglichkeit nach Seiendes in die Wirklichkeit (e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia) bringt: »Das ZurWirklichkeit-Kommen des Möglichen, insofern es möglich ist, das ist ganz offenkundig: Veränderung.«248 Die ki/nhsij findet also genau dann statt, wenn die Verwirklichung (e)ntele/xeia) sich vollzieht. Ein Beispiel: Ein Architekt entwirft ein Haus, das damit zunächst der Möglichkeit nach ist. Der Vorgang des Bauens selbst ist die e)ne/rgeia, das Im-Werk-Sein, bzw. die e)ntele/xeia, und genau diesen Vorgang des Bauens nennt Aristoteles auch ki/nhsij. Hierbei ist aber zu beachten, daß diese Gleichung ki/nhsij = e)ne/rgeia = e)ntele/xeia nur bedingt richtig ist. Denn die Kinesis ist zwar eine Art Energeia, aber eine unvollendete249 oder, wie es in Phy. VIII 5, 257b8f. heißt: »… es ist Veränderung ‘die noch nicht zu Ende gekommene Ziel-Tätigkeit eines Veränderbaren’.«250 Die Kinesis als eine e)ntele/xeia a)telh/j251 ist dergestalt für Aristoteles nur ein defizienter Modus der e)ntele/xeia in ihrer eigentlichen Bedeutung. Denn die Entelecheia des Hauses ist nicht sein Im-Bau-Sein, sondern seine Fertigstellung, in der es seine Funktion erfüllt: Schutz vor der Witterung zu bieten. Dies wird aus Met. IX deutlich, wo Aristoteles die vielfache Bedeutung der Begriffe du/namij, e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia erläutert. Da sich auch Melanchthon im Liber de anima auf diese _________________________________________________________________________________________________________
l‘âme d‘Aristote. Traduction de Guillaume de Moerbeke. Édition critique et étude sur l‘utilisation du Commentaire dans l‘œvre de saint Thomas, par G. Verbeke, in: Corpus Latinum Commentariorum in Aristotelem Graecorum. Tome I. Leiden 1973, 92f.). Gleichwohl ergibt sich natürlich aus dem Zusammenhang die von Themistius intendierte Bedeutung des Begriffs. 248 Aristoteles, Physik. Bücher I-IV. Übersetzt, mit einer Einleitung und mit Anmerkungen herausgegeben von Hans Günter Zekl. Hamburg 1987, hier: Phy. III 1, 201b4f.: »… h( tou= dunatou=, v(= dunato/n, e)ntele/xeia fanero\n o(/ti ki/nhsi/j e)stin.« 249 Vgl. Aristoteles, Phy. III 2, 201b27-33: »Dafür, daß Veränderung unbestimmbar zu sein scheint, liegt die Ursache darin, daß man sie im Bereich des Seienden weder auf der Seite der Möglichkeit noch unter die wirkende Tätigkeit einordnen kann: weder, was ein ‘irgendwieviel’ sein kann, verändert sich mit Notwendigkeit, noch das, was schon wirklich ein ‘so-und-so-viel’ ist, und Veränderung scheint zwar eine Art Wirksamkeit zu sein, aber eine noch nicht zu Ende gebrachte. Ursache davon ist: Noch unvollkommen ist das Mögliche, dessen Verwirklichung sie ist.« / »… h(/ te ki/nhsij
e)ne/rgeia me\n ei)=nai tij dokei=, a)telh\j de/: ai)/tion d¡ o(/ti a)tele\j to\ dunato/n, ou(= e)stin e)ne/rgeia.« In gewisser Weise ist also die Kinesis weder Dynamis noch Energeia, denn sie ist mehr
als die bloße Möglichkeit, aber in ihrem Im-Werk-Sein eben noch unvollendet. 250 Aristoteles, Phy. VIII 5, 257b8f.: »… e)/stin d¡ h( ki/nhsij e)ntele/xeia kinhtou= a)telh/j.« Auch in De An. III 7, 431a6f. betont Aristoteles diesen Sachverhalt: »h( ga\r ki/nhsij tou= a)telou=j e)ne/rgeia, h( d )a(plw=j e)ne/rgeia e(te/ra, h( tou= tetelesme/non.« Damit dürfte er sich auf die genannten Stellen der Physik-Vorlesung beziehen. 251
Wie gesehen, war genau dies die von Simplicius ermittelte Bedeutung der Entelechie als eine nicht schlechthinnige vollkommene Vollkommenheit (mh\ pantelw=j telei/an e)ntele/xeian, vgl. oben 2.3.1., Anm. 198).
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Stelle berief, um seine Gleichsetzung motus = actio = continua agitatio (ki/nhsij = e)ne/rgeia = e)ndele/xeia a)telh/j) zu rechtfertigen252, ist ein weiterer Exkurs nötig, um die Richtigkeit seiner Argumentation beurteilen zu können. Aristoteles betont dort gleich zu Beginn, daß die Bedeutung der e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia mehr umfaßt als nur die ki/nhsij (vgl. Met. IX 1, 1046a1f.). Denn obgleich sie am meisten Bewegung zu sein scheint253, zeigt sich bei genauerer Betrachtung doch eine gewisse Differenz zwischen beiden. Wie nämlich die ki/nhsij, und zwar jede, wesentlich unvollendet ist (vgl. Met. IX 6 1048b29: ki/nhsij a)telh/j), weil in ihr Werk (e)/rgon) und Ziel (te/loj) nicht zugleich sind, so ist die e)ne/rgeia ein Im-Werk-Sein, wo der Vollzug des Werkes zugleich das Ziel, wo die Tätigkeit zugleich die Vollendung (e)ntele/xeia) ist. Aristoteles formuliert dies wie folgt: »Denn Ziel ist das Werk, das Werk aber ist die Verwirklichung. Daher ist auch der Ausdruck ‘Verwirklichung’ von ‘Werk’ gebildet und zielt auf die Vollendung.«254. Sofern also das Werk im Im-Werk252
Vgl. CR 13, 14: »Et in nono meta\ ta\ fusika\ rursus dicit [Aristoteles], idem esse e)ne/rgeian et e)ndele/xeian.« Dieser Versuch Melanchthons, im Liber de anima weitere Stellen aus dem corpus Aristotelicum für seine These anzuführen, dürfte eine Reaktion auf Amerbachs Quatuor libri de anima sein. 253
Vgl. Aristoteles, Met. IX 3, 1047a30-32: »e)lh/luqe d¡ h( e)ne/rgeia tou)/noma, h( pro\j th\n e)ntele/xeian suntiqeme/nh, kai\ e)pi\ ta\ a)/lla e)k tw=n kinh/sewn ma/lista. dokei= ga\r h( e)ne/rgeia ma/lista h( ki/nhsij ei)=nai …« / »Der Ausdruck ‘Verwirklichung’ aber, der mit der ‘Vollendung’ in Beziehung steht, ist von den Bewegungen vornehmlich auch auf anderes übergegangen. Es scheint nämlich Verwirklichung vornehmlich Bewegung zu sein.« (Aristoteles, Metaphysik. Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz. Stuttgart 21984, 225) Melanchthon fokussiert allzusehr auf diese Bedeutung: »Ciceronis interpretationi suffragatur & Plutarchi interpretatio, qui e)ntele/xeian ait usurpari pro e)nergei/a, recte iudicat. Nam & in tertio physicorum, Aristoteles promiscue usurpat hæc duo, & in libris de generatione Animalium, discernens suo more potentiam & actum, promiscue utitur pro actu utraque voce endelechiæ & energiæ. Non autem est obscura significatio e)ne/rgeiaj, quæ signifcat, non ociosam formam, sed efficatiam, & Aristoteles ipse inquit, motum esse e)ne/rgeian.« (Melanchthon, 13v-14r) 254
Aristoteles, Met. IX 8, 1050a21-23 (Übersetzung Schwarz in: Aristoteles, Metaphysik, 235): »to\ ga\r e)/rgon te/loj, h( de\ e)ne/rgeia to\ e)/rgon, dio\ kai\ tou)/noma e)ne/rgeia le/getai kata\ to\ e)/rgon kai\ suntei/nei pro\j th\n e)ntele/xeian.« Michael-Thomas Liske erklärt diesen Zusammenhang wie folgt: »Auch in Met. Q 8, 1050 21ff. bringt Aristoteles den funktionalen Aspekt, repräsentiert durch ‘érgon’ und ‘enérgeia’, zusammen mit dem teleologischen, repräsentiert durch ‘télos’ und ‘entelécheia’. ‘Érgon’ ist das der Sache eigentümliche Werk, ihre Funktion. ‘Enérgeia’ bedeutet wörtlich: am Werk sein; es bezeichnet ein Tätigsein; dabei ist aber stets mitgedacht, daß in diesem aktuellen Tätigsein das entsprechende Vermögen (du/namij) oder die Disposition, die diese Tätigkeit ermöglicht, aktualisiert ist. So kann Aristoteles ‘érgon’ und ‘enérgeia’ identifizieren. Denn es ist das eigentümliche Werk (e)/rgon), d. h. die Aufgabe der betreffenden Disposition, aktuell in dieser Weise tätig zu sein; etwa ist es das Werk des Vermögens zur Betrachtung (qewrhtikh/), tatsächlich Theorie zu betreiben (qewrei=n, 1050a12). Weiterhin kann Aristoteles ‘enérgeia’ und ‘entelécheia’ als austauschbar betrachten. ‘Entelécheia’ meint, daß man etwas seinem Ziel oder seiner Zweckbestimmung, seinem télos also, zuführt. Weil nun aber laut [1050a] 9ff. der Zweck einer Disposition wie des Sehvermögens darin besteht, aktuell im Sinne dieses Vermögens tätig zu sein (e)ne/rgeia), ist die Verwirklichung des Vermögens (e)ne/rgeia) nichts anderes, als daß man es seiner Bestimmung zuführt (e)ntele/xeia).« (Aristoteles und der aristotelische Essentialismus. Individuum, Art, Gattung. München 1985, 253)
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Sein sein Ziel in sich enthält, ist es zugleich in seiner Vollendung. So sind das Abmagern, Bauen, Lernen und Gehen unvollendete Bewegungen. Denn einer kann nicht abmagern und zugleich abgemagert sein, bauen und zugleich gebaut haben etc., sondern es handelt sich um verschiedene Dispositionen. Denn das Bauen ist als Werk nicht zugleich das Ziel, sondern es geschieht peri\ to\ te/loj (Met. IX 6, 1048b19), in Hinsicht auf ein der ki/nhsij selbst äußeres Ziel: die Fertigstellung des Hauses zum Schutz vor der Witterung. Anders verhält sich dieser Sachverhalt dagegen beim Sehen, da es als Werk zugleich in sich sein Ziel enthält. Ist es nämlich im Werk (Vollzug des Sehens), dann ist es das, was es in sich enthält: Das Sehen. Sein e)/rgon ist sein te/loj, seine e)ne/rgeia seine e)ntele/xeia, gewissermaßen das Letzte, worüber hinaus es nichts gibt (vgl. 1048b18-35). Und sofern das Auge wegen Blindheit nicht sehen kann, ist es ein Auge auf bloß homonyme Weise (vgl. De An. II 1, 412b18-22). Genau auf diese Weise sind auch Werk/Funktion und Ziel im Denken vereint, ein Vorgang, der nichts anderes bezeichnet als den Denkakt, die vollendete Tätigkeit (e)ne/rgeia telh/j), oder, mit anderen Worten, die zweite Vollendung (e)ntele/xeia deu/tera).255 Eng verknüpft mit dieser zweiten Bedeutung der e)ne/rgeia ist ihre dritte als ei)=doj, die einer Sache, welche zunächst nur der Möglichkeit nach ist, das Sein und damit das ihr spezifische Aussehen, die sichtbare Gestalt gibt. Dies ist gleichsam die ontologische Dimension der Energeia. Denn während sie als Im-Werk-Sein eine Tätigkeit an einem Vorhandenen ist, wie das Sehen des Auges, ist sie als ei)=doj das nichtmaterielle Seins- und Gestaltungsprinzip, dasjenige, was das Auge überhaupt zu einem Auge macht. Wie ist dieser Vorgang näherhin zu verstehen? Die Materie als solche (prw/th u(/lh, prima materia) ist schlechthin unbestimmt (vgl. Met. VII 11, 1037a27; IX 7, 1049b2) und bezeichnet die nur denkbare Möglichkeit, daß sie der Stoff zu jedem beliebigen Gegenstand hätte sein können. Realiter kommt die Materie aber immer nur als bereits so und so geformte vor. Und auch die Form ist immer die Form an etwas; sie ist »keine subsistierende Entität«256 und keine Welt hinter den Dingen, sondern ist deren je sichtbare Gestalt. Sie prägt den Dingen gleichsam ihr Sein auf und ein. Und diese Gestaltwerdung der Materie zur Form hat Aristoteles als den Übergang von der du/namij zur e)ne/rgeia erklärt: Die u(/lh ist der Möglichkeit nach, weil sie zur Form (ei)=doj) gelangen kann. Sobald sie aber in Wirklichkeit ist, ist sie in der Form und damit in ihrem Wesen.257 So ist die Materie des Auges der Möglichkeit nach dieses konkrete Auge, weil sie so strukturiert ist, daß sie es actualiter werden kann. Sobald das ei)=doj sie aber geformt hat, ist sie in Wirklichkeit, ist sie dieses konkrete Auge. Sofern also u(/lh und du/namij sowie ei)=doj und e)ne/rgeia einander entsprechen – denn die Materie ist der 255
Dies ist ja der Grund, weshalb Aristoteles wiederholt betont, daß sich die Energeia auf die Entelecheia hin ausspannt (vgl. z. B. 1047a30f., 1050a23). Sofern eben die Energeia Werk und Ziel in sich enthält, ist sie vollendet, und dergestalt ist sie die Entelecheia der Tätigkeit. 256
Michael-Thomas Liske, Aristoteles, 215.
257
Vgl. Aristoteles, Met. IX 8, 1050a15f.: »… e)/ti h( u(/lh e)/sti duna/mei o(/ti e)/lqoi a)\n ei)j to\ ei)=doj. o(/tan de/ ge e)nergei/a? h)=?, to/te e)n tw=? ei)/dei e)sti/n.«
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Möglichkeit nach das, was die Form in Wirklichkeit ist –, kann Aristoteles folgern: »Es ist also offenbar, daß das Wesen und die Form Verwirklichung ist.«258 Energeia bezeichnet also in diesem Zusammenhang das Sein einer so und so geformten Sache (vgl. Met. IX 6, 1048a30-32). Welche von diesen drei Bedeutungen der e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia als Bewegung, Im-Werk-Sein oder Form der Seelendefinition in De an. II 1 zugrunde liegt, ist nun offensichtlich: Die e)ne/rgeia muß als ei)=doj verstanden werden und nicht etwa als ki/nhsij, von der in diesem Zusammenhang überhaupt nicht die Rede ist. Denn Aristoteles beginnt die Erörterung über die Seele mit der Frage nach ihrer ou)si/a, und da diese nach Met. VII als u(/lh und ei)=doj bestimmt wird, stellt sich sogleich die Frage, ob die Seele ou)si/a als Materie oder Form ist. Sofern nun aber der Körper u(/lh ist, dürfte die Seele Substanz sein als die Form eines natürlichen Körpers: »Notwendig ist also die Seele Wesenheit im Sinne der Form des natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben hat. Die Wesenheit ist aber Erfüllung.«259 Aristoteles versteht die ou)si/a in diesem Zusammenhang also als e)ntele/xeia h( prw/th, da die Seele in ihrem Im-WerkSein, in Ausübung ihrer Funktionen (Ernährung, Wachstum, Wahrnehmung, Denken etc. als e)/rgon), die das Überleben sichern und gewährleisten, in gewisser Weise die Vollendung des Lebewesens ist (e)n-te/loj-e)/xein): Es erfüllt und vollendet sich in seinem Leben. Damit ist die Seele Lebensprinzip (vgl. De An. II 2, 414a12f.), nicht das Leben selbst, wie Melanchthon behauptet hat. Sie ist das Wesen in der Vollendung, die sich dadurch auszeichnet, daß das Lebewesen lebt. Insofern ergibt sich folgerichtig die Reihe yuxh/=ou)si/a=ei)=doj=e)ntele/xeia prw/th. Damit erweist sich im Zusammenhang mit der Seelendefinition die platonisierende Deutung der e)ntele/xeia als e)ndele/xeia, die, wie gesehen, ihren Ursprung bei Simplicius haben dürfte, von Cicero unter der Begrifflichkeit continua agitatio fortgeführt und von Melanchthon aktualisiert worden ist, als falsch. Gewiß definierte Aristoteles die ki/nhsij in Phy. III 2 als e)ne/rgeia bzw. e)ntele/xeia a)telh/j; dies ist aber gerade nicht die Bedeutung, die der Seelendefinition zugrunde liegt. Denn da das Wort e)ne/rgeia auf vielfache Weise ausgesagt wird (analog zum Wort du/namij, vgl. Met. V 12, 1019a15ff.; IX 1, 1046a1-5), muß dessen Bedeutung dem jeweiligen Kontext entnommen werden. Sofern also Melanchthon die Energeia bzw. Endelecheia in der Seelendefinition ausschließlich als Kinesis versteht, unterliegt er der ‘Mutter aller Irrtümer’, der Äquivokation. Denn eine genaue Lektüre von De An. II 1 im Zusammenhang mit Met. IX hätte ihm zeigen müssen, daß die Energeia dort gerade keine ki/nhsij a)telh/j bezeichnet, sondern eine Vollendung (e)ntele/xeia), die e)/rgon & te/loj zugleich in sich enthält. Dem entspricht es, wenn Aristoteles es in De An. I 3 und 4 ablehnt, die Seele als Bewegung zu verstehen (vgl. De An. I 4, 408b30f.), sie stattdessen a)rxh\ 258
A. a. O., 1050b2: »… w(/ste fanero\n o(/ti h( ou)si/a kai\ to\ ei)=doj e)ne/rgeia e)stin.«
259
Aristoteles, De An. II 1, 412a19-21 (Übersetzung Theiler in: Aristoteles, Über die Seele, 24): »a)nagkai=on a)/ra th\n yuxh\n ou)si/an ei)=nai w(j ei)=doj sw/matoj fusikou= duna/mei zwh\n e)/xontoj. h( d¡ ou)si/a e)ntele/xeia.« Melanchthon ließ diesen Abschnitt, der doch immerhin die Seelendefinition vorbereitet, vollkommen unberücksichtigt.
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon kinh/sewj (vgl. II 2, 413b12) nennt, dasjenige, wovon die Bewegung ihren Ausgang
nimmt. Genau in diesem Sinne hat auch Amerbach in seinen Quatuor libri de anima den Begriff der e)ntele/xeia im Zusammenhang mit der Seelendefinition verstanden, wie der nachfolgende kurze Exkurs verdeutlicht. 2.3.2.1. Exkurs: Amerbachs Verständnis des Entelechiebegriffs Amerbach beginnt die Erörterung der Seelendefinition mit der gewichtigen Frage, ob Cicero mit seiner Deutung der e)ntele/xeia als e)ndele/xeia den Aristoteles mißverstanden habe.260 Um diese Frage zu beantworten, versucht er die originäre Ansicht des Aristoteles über die Seele zu ermitteln, dessen Definition er unter Hinweis auf De An. II 1, 412a19-21 sowie 412a27f. wie folgt paraphrasiert: »Die Seele ist daher Substanz als Form, oder sie ist die erste Vollendung eines natürlichen, mit Organen versehenen Körpers, der in Möglichkeit Leben hat.«261 Anders als Melanchthon nimmt Amerbach damit auf korrekte Weise Ausgang vom Begriff substantia (ou)si/a), die er unter Hinweis auf De An. II 1, 412a6-10 genauer als forma (ei)=doj) bzw. als actus primus (e)ntele/xeia) bestimmt. Dabei läßt er keinen Zweifel daran, daß das Wort e)ntele/xeia eine perfectio bezeichnet und von Themistius (sic!) richtig von te/loj & e)/xein hergeleitet worden ist. »Das Wort e)ntele/xeia bedeutet im Griechischen dasselbe wie im Lateinischen eine ‘Vollendung besitzen’, die Vollendung oder Vollkommenheit selbst. Es stimmt gut mit dem Wort e)ne/rgeia überein, und gewöhnlich gebraucht Aristoteles sie in seinen Disputationen auf dieselbe Weise und ohne Unterschied. Deswegen muß man dieses Wort mit einem t und nicht mit einem d schreiben, so, wie es auch in den griechischen Handschriften geschrieben worden ist, und es ist eine Tatsache, daß auch Themistius dieses Wort von te/loj, d. h. Ziel, und e)/xw, d. h. ich habe, her erklärt.«262
Im Wissen um die vielfache Bedeutung des Begriffs e)ne/rgeia fügt Amerbach sogleich hinzu, daß die Gleichsetzung mit dem Begriff e)ntele/xeia nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie gerade nicht als motio, sondern als perfectio verstanden wird. Perfectio beschreibt nämlich einen Zustand, in dem ein Ding sein Ziel in sich enthält. So ist die 260 Vgl. Amerbach, Quatuor libri de anima, 28: »Ut enim alios omittam, nonne Cicero putatus est à multis magnæ doctrinæ viris etiam definitionem animæ, quod caput est universi negocij, in hoc authore [sc. Aristoteles] non intellexisse?« 261
A. a. O., 35: »Est itaque Anima Substantia, sicut forma, vel actus primus corporis naturalis, instrumentalis, vitam habentis potentia.« 262 A. a. O., 36f.: »Vox e)ntele/xeia significat Græcis idem, quod Latinis habens perfectionem, seu ipsa perfectio, vel absolutio, vel consumatio, nec male convenit cum voce e)ne/rgeia, et utitur his ferè pro eodem, ac sine discrimine Aristoteles in his disputationibus. Propterea hæc dictio scribenda est per t non per d. Sicut recta scripta est in usitatis Græcis codicibus, & est facta, quod Themistius etiam ostendit à te/loj id est finis, & e)/xw, id est habeo.« Der ausdrückliche Hinweis auf Themistius wendet sich gegen Melanchthon, der ihm, wie gesehen (vgl. Anm. 247), eine andere Etymologie des Wortes zugeschrieben hat.
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Seele Vollendung eines Lebewesens, ohne der es ein solches gar nicht wäre, es sei denn auf bloß homonyme Weise. Denn als forma beseelt sie das Lebewesen, gibt ihm sein Sein, das sich in seiner Gestalt (ei)=doj) kundtut. Diesen Prozeß, so Amerbach, nannte Aristoteles genauerhin actus primus, denn ein Lebewesen sei auch dann beseelt, wenn es nicht aktuell tätig sei im Sinne des actus secundus.263 Amerbach erklärt diese Differenzierung zwischen den beiden unter Hinweis auf De An. II 1, 412a22-27, wo Aristoteles die Entelechie zum einen mit der Wissenschaft (w(j e)pisth/mh) und zum andern mit dem aktuellen Vollzug von Wissen (w)j to\ qewrei=n) vergleicht. Hieraus folgert er, daß die Seele offensichtlich eine e)ntele/xeia im Sinne der Wissenschaft als ein Habitus ist. Wie dies zu verstehen ist, verdeutlicht er mit einer zweiten Analogie: Mit dem Dasein der Seele gibt es auch Wachen und Schlafen. Dabei ist das Wachen dem Vollziehen von Wissen vergleichbar, der Schlaf der Wissenschaft als Hexis ohne Vollzug (mh\ e)nergei=n, 412a26). Früher aber der Entstehung nach ist die Wissenschaft. Aus diesem Vergleich ergibt sich nun, daß die Seele eine e)ntele/xeia h( prw/th ist, d. h. ein Zustand (habitus), in dem ein Lebewesen gleichsam untergründig sein Telos in sich enthält, ohne actualiter tätig sein zu müssen. Die Seele ist dergestalt, so Amerbach, Quelle und Prinzip aller Tätigkeiten, eben actus primus.264 Das bedeutet auch, daß die Seele Prinzip der Bewegung ist, nicht die Bewegung selbst, wie bereits Aristoteles gegen Plato betont habe (vgl. De An. I 3) und wie erneut gegen Cicero betont werden müsse. Vielmehr sei die Seele unbeweglich, wie aus De An. II 4, 415b9ff. ersichtlich sei. Folglich sei jener Starrsinn, der sich noch heutigentags auf die ciceronianische Schreibweise der e)ndele/xeia berufe, obwohl die Codices allesamt e)ntele/xeia überliefern, zu bekämpfen.265 Es ist klar, daß Amerbach auch hier Melanchthon im Blick hatte, der sich jedoch offensichtlich auch durch die besten Argumente seines ehemaligen Freundes nicht hat überzeugen lassen. Vielmehr wird aus einem Brief Melanchthons vom 22. Oktober 1542 – also unmittelbar nach Erscheinen der Quatuor libri de anima – an Veit Dietrich deutlich, wie groß das Zerwürfnis zwischen beiden zwischenzeitlich geworden war: »Ich bitte Dich, sieh Dir an, was Amerbach über die Seele zusammengeschrieben hat; denn ich bedauere gewiß nicht, daß er in unklaren Dingen seine Meinungen vertritt. Aber ich möchte ihn dennoch nicht mit Gift, Schmähworten und Verleumdungen übergießen, auch wenn ich selbst
263 Vgl. Amerbach, Quatuor libri de anima, 38: »Primus autem actus est Anima: quia forma est animalis velut ociosi, & nihil utentis vita, cum vitæ usurpatio secundus quiddam actus sit.« 264
Vgl. ebd.: »Nam sicut in anima sunt vigilia & somnus duæ quædam affectiones, ita ipsa Anima est alijs habitus, alijs actio secundum habitum, vere tamen, & proprie, ut vult Aristoteles habitus, vel quod idem est, actus primus, hoc est fons, aut origo, aut principium, aut causa omnium operationum.« 265
Vgl. a. a. O., 51: »Et primum quidem quæ illa est pertinacia perpetuo pugnare pro dictione
e)ndele/xeia cum e)ntele/xeia in Ciceronis etiam codicibus, & quidem castigatissimis inveniatur
scriptum …«
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon das mit Geduld ertrage. Selbst bei Gutgesinnten erweckt er Abneigung. Ich werde ihm antworten, wenn ich mehr Zeit habe.«266
Sofern man nicht den Starrsinn als letzte Erklärung für das Festhalten Melanchthons am Endelechiebegriff auch noch in seiner Überarbeitung des Liber de anima gelten lassen will, stellt sich die Frage nach dem Motiv. 2.3.2.2. Melanchthons Motiv für die Umdeutung des Entelechiebegriffs Frank und Stiening erkennen das Motiv für die Platonisierung des Entelechiebegriffs zu Recht in Melanchthons Theologie.267 Stiening benennt hierfür die folgenden drei Gründe: 1. Melanchthon habe das monistische Körper-Seele-Konzept des Aristoteles deshalb umgehen müssen, weil sein Gott als Geist in der Welt sich nur in einer Seele des Menschen offenbaren könne, die nicht vollständig an den Körper gebunden sei. 2. Er habe nur so die Unsterblichkeit der Seele garantieren können. Sofern sie nämlich nicht forma corporis sei und damit auch nicht mit dem Leib vergehe, unterscheide sie sich substantiell vom Körper. Damit »entontologisiert Melanchthon nicht etwa den Seelen-Begriff«, wie Stiening kritisch gegen Frank268 einwendet, sondern »spiritualisiert« ihn, »indem er ihn als entscheidende Realisation des göttlichen Anderen in der Welt konstruiert, einer ‘ontologischen Priorität dieser Geistigkeit’ das Wort redet«269, wie Stiening unter Berufung auf Schmidt-Biggemann270 betont. 266 CR 5, 207: »Inspice quaeso Amerbachii to\ su/gramma peri\ yuxh=j, quem quidem non moleste fero dicere suas sententias de rebus ambiguis. Sed tantum aspergere eum veneni, contumeliarum et calumniarum nollem, etsi hoc quoque pra/wj fe/ro. Ipse sibi bonorum odia accersit. Et respondebo cum erit plus otii.« (Übersetzung Günter Frank, Veit Amerbach, 127) Die Antwort, wenn es sie denn gab, ist nicht überliefert. 267 Vgl. Günter Frank, Veit Amerbach, 127: »Die Platonisierung des Entelechiebegriffs, wie sie bei Melanchthon zu beobachten ist, gehört in den Mittelpunkt seiner theologischen Anthropologie, die … ein Geflecht verschiedener philosophischer Theorien unterschiedlicher Traditionen darstellt.« Ebenso Gideon Stiening, Deus, 768. 268 Vgl. Günter Frank, Veit Amerbach, 123: »Sofern Melanchthon die Entelechie der menschlichen Seele als immaterielles Lebensprinzip begreift und damit den Hylemorphismus der aristotelischen Tradition aufgibt, erweist sich der Kern der Debatte um die Schreibweise des Entelechiebegriffs als Preisgabe der prinzipiellen, und zwar ontologischen Materiebezogenheit der menschlichen Seele. Eine solche Position rückt Melanchthon in die Nähe der platonisch-franziskanischen Tradition des Mittelalters, die auf der einen Seite eine Form-Materie-Dualität zu etablieren versuchte und auf der anderen Seite gerade durch diese Entflechtung des ontologischen Form-Materie-Konzepts jener Konsequenz entging, die aus der aristotelischen Auffassung resultierte: der Sterblichkeit der Seele als substantieller Form des Leibes.« 269
Gideon Stiening, Deus, 769.
270
Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt am Main 1998, 51.
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3. Den entscheidenden Grund für die ‘Theologisierung’ des Entelechiebegriffs erkennt Stiening aber darin, daß Melanchthon mit ihm die streng teleologische Orientierung im aristotelischen Seelenbegriff eliminieren wollte. Denn der Mensch »als rein geistiges Wesen ist in Melanchthons Psychologie keineswegs Selbstzweck, sondern hat als Abbild Gottes die Funktion, die Erkenntnis Gottes als Geist und Schöpfer zu gewährleisten.«271 Bei dieser Argumentation, die auf den ersten Blick einiges für sich hat, muß zunächst beachtet werden, daß Melanchthon zwischen einer Unsterblichkeit der Seele und einer Wiederauferstehung des ganzen Menschen unterscheidet. Die Unsterblichkeit der Seele kennzeichnet sie in ihrem Zwischenstadium, während die Wiederauferstehung des ganzen Menschen nach dem Ende aller Tage im Jüngsten Gericht erfolgt (vgl. 2.3.5.). Von einer Negierung des antidualistischen Konzepts der aristotelischen Psychologie durch Melanchthon kann also nur in Hinsicht auf die Unsterblichkeit der Seele die Rede sein, nicht jedoch in Hinsicht auf die Wiederauferstehung des ganzen Menschen. Denn letzteres wäre widersinnig, verheißt sie doch gerade die vollkommene Einheit von Körper und Seele. Selbst so bleiben aber Zweifel an Stienings These: Warum sollte sich Gott nur einer Seele offenbaren können, die nicht vollständig an den Körper gebunden ist? Und warum ist die Seele als Endelechie weniger an ihn gebunden denn als Entelechie? Auch die Einführung des Locus De corpore scheint dem platonisch-stoischen Dualismus zu widersprechen. Denn das Interesse an der körperlichen Verfaßtheit des Menschen, wie sie in der Anatomie zum Ausdruck kommt, entspringt, wie Cunningham für Melanchthon gezeigt hat, auch einem theologischen Interesse: »That anatomy was totally God-centred.«272 Sofern nämlich, wie es bei Melanchthon heißt, »Gott soviel Fertigkeit bei der Gestaltung des menschlichen Körpers aufgewendet hat, wollte er gewiß, daß sein bewunderungswürdiges Werk so betrachtet wird, daß wir verstehen, daß diese so kunstfertig gestalteten und angeordneten Werke keinesfalls zufällig ins Sein kommen, sondern daß es einen ewigen Geist gibt, der baumeisterlich tätig ist.«273
Eine Geringschätzung des Körpers als Folge eines Leib-Seele-Dualismus mißachtet also gerade Gottes Werk, das es zu bewundern gilt. Auch Nutton hat auf diesen engen Zusammenhang von Anatomie und Theologie hingewiesen: »at Wittenberg anatomy was taught within a broad context that emphasized the theological and moral dimensions of the subject as much as the merely technical or therapeutic.«274 Melanchthon ha271
Gideon Stiening, Deus, 770.
272
Andrew Cunningham, The Anatomical Renaissance. The Resurrection of the Anatomical Projects of the Ancients. Aldershot 1997, 231. Zur Bedeutung der Anatomie für die Theologie vgl. auch Jürgen Helm, Zwischen Aristotelismus, Protestantismus und zeitgenössischer Medizin, 175-191. 273 Vgl. Melanchthon, a3v: »Et cum Deus tantum adhibuerit artis in fabricando humano corpore, voluit profecto, tam mirum opus conspici, ut cogitaremus tam artificiose fabricatas & distributas machinas nequaquam casu ortas esse, sed esse mentem æternam architectatricem.« 274 Vivian Nutton, Anatomy in Wittenberg, in: Medicine and the Reformation. Ed. by Ole Peter Grell and Andrew Cunningham. London u. a. 1993, 11-32, hier: 17.
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be dabei den ganzheitlichen, Körper und Seele umfassenden Aspekt des Menschen betont, dessen körperliche Gesundheit die seelische beeinflusse.275 Für Kusukawa rührt schließlich Melanchthons Versuch, die »ganze Natur des Menschen«276 zu beschreiben, von Luthers Theologie her, die eben den Menschen in seiner Einheit als Person und nicht in seinem Leib-Seele-Dualismus in den Blick genommen habe: »Following Luther’s view of ‘the whole man’ as an object of salvation, Melanchthon pursued, as much as he could, the discussion of the nature of the whole man in his Commentarius de anima.«277 Vor diesem Hintergrund erscheint es wahrscheinlicher, daß Melanchthon mit der Umdeutung der Entelechie zur Endelechie die Abhängigkeit des Menschen in seinem Sein von Gott aufzeigen wollte. Sofern nämlich die Seele itio ad formam und nicht forma corporis ist, hat sie noch nicht das vollkommene Sein (non absolutum esse), ist also unvollendet, harrt noch der perfectio.278 Und diese Vollendung – das ist das Entscheidende – wird von Gott realisiert als Schöpfer der menschlichen Seele. Melanchthon entsubstantialisiert und entontologisiert damit in der Tat den Begriff der Seele, wie mit Frank gegen Stiening betont werden muß, denn ki/nhsij und e)ndele/xeia kennzeichnen gerade dieses Noch-nicht. Gleichwohl ist Stienings These von der Spiritualisierung und damit einhergehenden Ontologisierung des Begriffs der Seele bei Melanchthon ebenfalls in gewisser Weise richtig, wie die Erörterung seines Locus De spiritibus gleich zeigen wird. Nachdem nämlich die Seele als Endelechie, d. h. als ein noch unvollkommenes Sein bestimmt und damit entontologisiert worden ist, ist sie sozusagen ‘offen’ für eine Ontologisierung durch den spiritus, der seine Abkunft von Gott hat. Diese These findet ihre Bestätigung an der theologischen Definition der Seele bei Melanchthon, die nun zu erläutern ist.
275 Vgl. a. a. O., 12: »Melanchthon, and his Lutheran followers, posited a strong interaction between body and soul, and hence a knowledge of medicine, the art of the healthy body, was essential if one was to preserve the health of the soul. Anatomy revealed not only the structures, arrangement, and purpose of the body, but also the ways in which the activities of the Christian soul were mediated in thought, imagination, or will.« 276
Vgl. Melanchthon, 1r-v: »Nec vero locupletior, nec eruditior, nec dulcior ulla pars est physices, quàm hæ disputaciones de Anima. Etsi enim substancia Animæ non satis perspici potest, tamen viam ad eius agnitionem monstrant actiones. Itaque cum de actionibus dicendum erit, potenticæ seu vires discernentur, describentur organa, qua in re simul tota corporis, ac præcipue humani, natura explicanda est. Itaque hæc pars, non solum de anima, sed de tota natura hominis, inscribi debebat.« 277
Sachiko Kusukawa, Transformation, 99.
278
Insofern stimmt Stienings Argument, daß Melanchthon die Teleologie im aristotelischen Seelenbegriff eliminiert: Der Mensch ist das noch unvollkommene Sein. Dem entspricht es, wenn Melanchthon in der Ethik die actio virtutis als finis hominis durch die Gotteserkenntnis ersetzt: Alles kommt von Gott, und alles ist auf Gott zu beziehen, so lautete das Resümee. Es gibt kein philosophisches Telos in der Psychologie und Ethik.
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2.3.3. Die theologische Definiton der menschlichen Seele Daß für Melanchthon mit der philosophischen Definition der Seele als Endelechie das Wesentliche über die anima humana noch nicht ausgesagt ist, belegt seine Kritik an der Unvollständigkeit dieser Definition. Bisher, so heißt es, sei nämlich völlig unklar, was die menschliche Seele sei, worin ihre Wirk- und Finalursache bestehe und ob sie vom Körper abtrennbar sei: »Wenn wir nun auch bereits bedacht haben, was die Seele des Rindes und des Löwen ist, so ist jedoch aus den philosophischen Beschreibungen noch nicht ersichtlich, was die Denkseele des Menschen oder sein Geist ist, woher er ist, ob er ein Lebens- und Körpergeist ist oder etwas im Menschen Abtrennbares, das ihn wie sein nächstes Instrument gebraucht.«279
Melanchthon stimmt hier mit Luther überein, der auf ähnliche Weise in seiner Disputatio de homine von 1536 die These vertreten hat, daß die Philosophie weder die causa efficiens noch die causa finalis und nur eingeschränkt die causa formalis des Menschen ermitteln könne.280 Daher bedarf für Melanchthon die philosophische Seelendefinition der Ergänzung durch eine theologische, die im Commentarius de anima wie folgt lautet: »Die Denkseele ist der erkennende Geist, welcher der andere Teil der Substanz des Menschen ist und nicht zugrunde geht, wenn er sich vom Körper abgetrennt hat, sondern unsterblich ist. Diese Definition hat keine naturwissenschaftlichen Gründe, sondern ist aus den Hl. Schriften entnommen.«281
Melanchthon kombiniert also die philosophische Begrifflichkeit mit der theologischen, indem er die anima rationalis als spiritus intelligens definiert. Was bedeutet dies im einzelnen? 279 CR 13, 16: »Etsi autem utcunque iam cogitamus, quid sit bovis aut leonis anima, tamen de anima rationali hominis, seu de mente, quid sit, et unde sit, an sit spiritus vitalis et animalis, aut in homine res separabilis, utens ut organo proximo, spiritu vitali et animali, nondum ex his descriptionibus philosophicis liquet.« 280 Vgl. WA 39 I, 175, 26-35: »12. Ut qui [sc. homo] vix materialem eius causam videamur satis videre. 13. Nam Philosophia efficientem certe non novit, similiter nec finalem. 14. Quia finalem nullam ponit aliam, quam pacem huius vitae, et efficientem nescit esse creatorem Deum. 15. De formali vero causa, quam vocant animam, numquam convenit, numquam conveniet inter Philosophos. 16. Nam Aristoteles quod eam definit actum primum corporis vivere potentis, etiam illudere voluit lectores et auditores.« Diese polemische Spitze gegen die aristotelische Definition der Seele, daß sie nämlich nichts erkläre, ist eine späte Reminiszenz an die Heidelberger Disputation von 1518. 281 Melanchthon, 15v: »Anima rationalis est spiritus intelligens, qui est altera pars substantiae hominis, nec extinguitur, cum a corpore discessit, sed immortalis est. Haec definitio non habet physicas rationes, sed sumpta est ex sacris literis.« Melanchthon hat diese Definition unter der Überschrift Definitio Animae usitata in Ecclesia unverändert in seinen Liber de anima übernommen, obgleich sie zwischenzeitlich, wie er selbst vermerkt, einige Kritik (von Amerbach?) erfahren hat. Gleichwohl halte er an ihr fest, weil sie von der Schrift her gerechtfertigt sei: »Haec definitio non habet physicas rationes. Et quanquam nonnulli contra eam multa disputant, tamen nos quidem in his initiis doctrinae eam retinebimus, quia in Ecclesia propter haec dicta usitata est …« (CR 13, 16).
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1. Genus-Bestimmung der Definition ist der Begriff spiritus, der hier im theologischen Sinne als pneu=ma mit allen seinen aus der Hl. Schrift zu entnehmenden Facetten zu verstehen ist.282 Die besondere Bedeutung dieser Auszeichnung des Menschen als Geist ergibt sich dadurch, daß Gott selbst Geist ist (Joh. 4,24: Pneu=ma o( qeo/j). Den spiritus bestimmt Melanchthon genauerhin als eine substantia spiritualis, eine geistige, im und durch den Hl. Geist gewirkte Substanz, die von Gott kommt, zu ihm zurückkehrt und deshalb unsterblich ist in der Abtrennung vom Leib.283 Substantialität meint damit kein In-sich-selbst-Stehen, sondern ein Von-Gott-her-und-auf-ihn-zu-Sein, das keiner Vergänglichkeit unterliegt, sondern unsterblich ist. Damit steht Melanchthon in der Nachfolge Augustins, dessen wirkmächtige Definition der menschlichen Seele als Geist bzw. substantia spiritualis284 bis ins 17. Jh. hinein Eingang gefunden hat in die theologischen und philosophischen Debatten, was weiter unten sowohl für die Jesuiten als auch für die Lutheraner gezeigt wird (vgl. 3.3.2. und 4.2.2.). Für Melanchthon ergibt sich aus dieser Auszeichnung der menschlichen Seele als spiritus eine wesentliche Differenz zwischen den drei Seelenarten anima vegetativa, sentiens & rationalis, die zwar alle drei dem Menschen zukommen, so daß er eine Vielheit von Seelen in sich enthält, wie Melanchthon unter Berufung auf De Gen. an. II 3, 736b27-29 betont, die aber nicht auf gleiche Weise entstehen: Während nämlich jene beiden Seelen auf ‘natürlichem’ Weg durch Fortpflanzung (ex traduce) entstehen, wird die anima rationalis gemäß Gen 2,7 individuell von Gott in einem singulären Akt je neu erschaffen.285 Me282 Zur Bedeutung dieses Begriffs in der Hl. Schrift vgl. den Artikel Geist in: HWPh 3 (1974), 154-190, hier: 162-167 sowie den Artikel Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben in TRE 12 (1984), 170254, hier: 170-196. Zur philosophisch-medizinischen Tradition des Begriffs vgl. nachfolgend 2.3.3.1. und 2.3.3.2. 283
Vgl. Melanchthon, 15v: »Est igitur anima spiritus, qui discedens a corpore, tamen non extinguitur. Voco autem spiritum, substantiam quandam spiritualem.« 284 Vgl. Augustinus, De Trinitate, lib. II, 8.14, in: PL 42, 854: »Anima quippe cum sit substantia spiritualis …« Bereits Putscher hat betont, daß Augustin nicht mehr zwischen anima & spiritus unterschieden, beide »öfter sogar ausdrücklich für identisch erklärt« habe (Pneuma, Spiritus, Geist. Vorstellungen vom Lebensantrieb in ihren geschichtlichen Wandlungen. Wiesbaden 1973, 136) Auch Hölscher erkennt bei Augustin eine Abkehr von der Trichotomie Geist-Seele-Körper und eine Hinwendung zum Dualismus, da er »den Unterschied zwischen Geist (spiritus) und Seele (anima) nicht wie den zwischen Seele und Leib als substantiell betrachtet« hat (Die Realität des Geistes, 329). 285 Vgl. Melanchthon, 16r-17r: »Vulgo recepta est sententia, unam tantum in homine animam esse, sed si dicimus vegetativam & sentientem tantum e)ndelexei/aj esse, hoc est agitationes certarum partium corporis, seu temperamenta, Rationalem vero animam, spiritum esse, non erit absurdum dicere tres esse animas in homine. Nam & Aristoteles in secundo de generatione Animalium [vgl. II 3, 736a35-736b29] inquit, Animas quarum actio corporalis est, non aliunde accedere, sed nasci in corporibus, nec simul fieri animatum & fœtum, hoc est animam vegetativam prius esse in fœtu quam sentientem. De mente vero addit postea, Mens sola extrinsecus accedit, eaque sola divina est, nihil enim cum eius actione communicat actio corporalis. … Cæterum sententia recepta est, et probata pijs omnibus, animas rationales divinitus tunc novas creari, & inferi corporibus … Et consentaneum est spiritualem naturam non oriri a corporali. Sed anima sentiens & vegetativa sunt ex traduce, hoc est propagantur & oriuntur ex natura seminum …«
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lanchthon schließt sich damit im Commentarius de anima der allgemeinen katholischen Ansicht vom Kreatianismus der Geistseele an und lehnte dabei explizit die von Origenes vertretene Ansicht ab, wonach alle Seelen von Gott zugleich mit der Entstehung der Welt erschaffen worden seien.286 2. Die differentia specifica der Geistseele kennzeichnet Melanchthon mit dem klassischen philosophischen Begriff des intelligere. Als Substantiv verweist intellectus auf den griechischen Begriff des nou=j, der das Kernstück der aristotelischen Psychologie ist. Was er genauerhin bedeutet, wird von Melanchthon im Locus De potentia rationali seu mente näher erläutert (vgl. 2.3.4.). Melanchthon kombiniert also mit seiner Bestimmung der menschlichen Seele als spiritus intelligens verschiedene theologisch-philosophische Traditionsströme miteinander, die nicht unmittelbar zusammengehören. In den folgenden Abschnitten soll daher der Hintergrund dieser Definition weiter aufgehellt werden. Neben dem eben genannten Locus ist hierfür der Abschnitt De spiritibus im Commentarius de anima von besonderer Bedeutung, der ein »sehr illustratives Beispiel für die Verbindung medizinischer Kenntnisse mit theologischen Einsichten«287 bietet (vgl. 2.3.3.2.). Dies setzt einen Rückgriff auf Galens Schrift De placitis Hippocratis et Platonis voraus, da sich Melanchthon in diesem Zusammenhang explizit auf sie berief. In einem ersten Schritt muß freilich Aristoteles’ pneu=ma-Lehre in den Blick genommen werden, welche die Grundlage für alle späteren Erklärungsversuche legte. Von hier aus zeigt sich dann deutlicher, was von der merkwürdigen Verbindung der spiritus animalis & vitalis mit dem spiritus sanctus in Melanchthons Liber de anima zu halten ist. 2.3.3.1. Exkurs: Pneu=ma bei Aristoteles und Galen Der Begriff pneu=ma wird in De An. nur ein einziges Mal in II 8, 420b20 erwähnt. Dies läßt auf seine nur geringe Bedeutung für die Psychologie schließen, wo es zunächst um die grundsätzliche Bestimmung des Leib-Seele-Verhältnisses geht. Danach ist die Seele als forma bzw. perfectio corporis Ursache und Anfang des lebendigen Körpers 286 Im Liber de anima hat Melanchthon diese deutliche Äußerung über die Entstehung der anima rationalis zurückgenommen: »An racionales animae singulorum hominum de novo creentur a Deo, et corporibus infundantur, an vero ex traduce oriantur? … Sed fateamur, nos mirandum opus sapientiae et potentiae Dei in creatione mundi non penitus perspicere. … Sed hanc disputationem abrumpo, et iuniores moneo, ut discernant ea, quae utcunque mentis humanae acie penetrari possunt, ab aliis, quae pervestigari non possunt. Simus hac sapientia contenti, quod vita, sensus, ratiocinatio et electio ostendunt, esse in nobis animas, et esse eis insitas noticias, et alias dotes, quae testantur, et esse Deum, et animas ab ipso conditas esse. Adiungamus et testimonia divinitus tradita, quae adfirmant, Deum semper vitae datorem et conservatorem esse … Et agnoscamus eum fontem et custodem nostrae vitae esse.« (CR 13, 17f.) 287
Jürgen Helm, Die »spiritus« in der medizinischen Tradition und in Melanchthons »Liber de anima«, in: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit. Hrsg. von Günter Frank und Stefan Rhein. Sigmaringen 1998, 219-237, hier: 219.
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
(ai)ti/a kai\ a)rxh\ tou= zw=ntoj sw/matoj, II 4, 415b8), Ursprung der (örtlichen) Bewegung (b10, b21f.) und Prinzip der Lebewesen (a)rxh\ tw=n z%/wn, De An. I 1, 402a6f.). Diese enge Verknüpfung von Leib und Seele, ihr Einssein (II 1, 412b6-9) scheint nun jede Vermittlung eines Dritten überflüssig zu machen. Gleichwohl stellt sich die schwierige Frage, wie es möglich ist, daß die immaterielle Seele die Bewegung eines materiellen Körpers bewirken könne. Die Antwort auf diese Frage gibt Aristoteles in seinen biologischen Schriften, »in which an important role is assigned to the ‘innate pneuma’ or the ‘innate vital heat’ or the ‘natural fire’ in the explanation of everything that lives and grows. In these writings this pneuma or vital heat has a mediatory function between the soul of the individual creature and its perceptible body.«288
Das pneuma ist also ein Instrument (o)/rganon) für die Seele289, und zwar das bedeutendste290, das die Vermittlung von Seele und Körper bewirkt und so das Gehen und Sehen, aber auch die Arbeit der inneren Organe ermöglicht. Zu seiner näheren Bestimmung sind die folgenden Fragen zu beantworten: Welche Funktion kommt ihm genauerhin zu? Von welcher Substanz ist es, und wie ist sein Verhältnis zur Seele zu bestimmen? Liegt mit diesem Konzept ein Widerspruch zu De An. vor? Die Beantwortung dieser Fragen erfordert ein umfangreicheres Eingehen auf die Schrift De Generatione animalium, in der Aristoteles im zweiten Buch auf das pneuma zu sprechen kommt. Er beschreibt dort die Embryogenese als einen epigenetischen Prozeß. Danach ist die embryonale Entwicklung »eine Kette von Neubildungen, bei der die völlige Ausdifferenzierung des Lebewesens erst am Ende steht«291. Der Stagirite beginnt seine Untersuchung in II 1, 733b23f. mit der fundamentalen Frage, wie ein Lebewesen (Pflanze, Tier, Mensch) aus einem Samen bzw. Sperma entstehe.292 Denn alles, was beseelt wird, wird aus etwas (was natürlich eine creatio ex nihilo ausschließt) durch die Vermittlung von etwas selbst wiederum etwas. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert Aristoteles genauerhin die Frage, durch welche Vermittlung die Organe und Körperglieder der Lebewesen gebildet werden. Werden sie von außen her gebildet oder durch etwas, 288
A. P. Bos, The Soul and its Instrumental Body. A Reinterpretation of Aristotle’s Philosophy of Living Nature. Leiden u. a. 2003, 8. 289 So lautet auch die gängige Bezeichnung bei den Renaissance-Aristotelikern. Vgl. Zabarella, De Partitione animæ, in: Ders., De rebus naturalibus libri XXX, 727-764, hier: c. 9, 747B: »… spiritum autem vitalem esse instrumentum prius … anima enim immediate utitur vitali spiritu …« 290
Vgl. J. M. Rist, On Greek Biology, Greek Cosmology and Some Sources of Theological Pneuma (1985), in: Ders., Man, Soul and Body. Essays in Ancient Thought from Plato to Dionysius. Aldershot 1996, Kap. V, 27-47, hier: 28: »Since the soul is form, and in a sense immaterial … then how can an immaterial soul effect, or in Aristotle’s language, ‘move’, a material body? In fact it moves it through the agency of ‘organs’, ‘instruments’, and the most important of these instruments is the inborn pneuma.« 291
Wolfgang Kullmann, Aristoteles und die moderne Wissenschaft. Stuttgart 1998, 284.
292
Für das Nachfolgende vgl. Anthony Preus, Science and Philosophy in Aristotle’s Biological Works. Hildesheim u. a. 1975, 64-92. A. P. Bos, Soul, 146-156.
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das in ihnen ist und entweder ein Teil der Seele oder die Seele selbst ist oder sie in sich enthält (733b31-734a1)? Ersteres lehnt Aristoteles ab, da der Werdeprozeß eines Organs im Samen bzw. Embryo nicht von etwas außerhalb seiner selbst bewirkt werden kann. Gleichwohl kann es auch nicht ein rein interner Prozeß sein, weil hierbei ein Organ aus einem anderen entstehen würde, was unmöglich ist. Würde nämlich die Leber aus dem Herzen entstehen, dann müßte es dieselbe Form haben wie die Leber (734a1633). Es besteht aber noch eine weitere Aporie: Nichts kann schlechthin aus sich selbst werden. Zur Auflösung all dieser Aporien vergleicht Aristoteles nachfolgend den Werdeprozeß mit einem Automaten. Wird ein Teil von ihm von außen in Bewegung gesetzt, so folgen die übrigen Teile nach (734b4-14). Der Automat ist also zugleich passiv und aktiv: Passiv, indem er den äußeren Anstoß erleidet, aktiv, indem er sich nun selbst in Bewegung hält. Preus nennt ihn aus diesem Grund einen »‘moved mover’«293. Ein solcher bewegter Beweger ist nun auch der Samen (bzw. das Embryo). Denn das, was ihn ‘produziert’ – das Sperma des Männchens und das Menstruationsblut des Weibchens –, bewirkt die ‘erste’ Bewegung, der dann die anderen nachfolgen. In gewisser Weise bewirkt also der Samen bzw. Embryo selbst als moved mover die Bildung seiner Organe und Körperglieder, denn er besitzt eine solche e)nou=sa ki/nhsij (b16f.), ist eine solche a)rxh/ (b23), daß jedes von seinen Gliedern und Organen beseelt ist, wenn dieser Werdensprozeß endet, und erst dann ist er bzw. genauer das neugeborene Lebewesen ein bestimmbares Individuum (to/de ti, b18) und ein Wesen, das lebt (ou)si/a, De Part. an. I 1, 641b32). In De Gen. an. II 2 bestimmt Aristoteles diese fu/sij tou= spe/rmatoj noch genauer, denn es stellt sich die Frage, »how semen can be the sort of material to be able to carry, to transfer, such a complicated set of movements and powers«294. Die Antwort gibt Aristoteles in 735b37-736a2: »Der Samen ist also das Zusammen von pneuma und Wasser, und das pneuma ist warme Luft. Deswegen ist die Natur des Samens feucht, weil es aus Wasser besteht.«295 Das pneuma ist nach dieser ersten Bestimmung als qermo\j a)h/r ein materieller Bestandteil des Samens. In II 3, »one of the most important chapters in the GA«296, auf das im Verlauf dieser Arbeit noch mehrmals zurückzukommen sein wird, vergleicht Aristoteles dann das pneuma mit dem göttlichen Äther. Dort heißt es: »Das Vermögen aller Seelen scheint in Verbindung mit einem Körper zu stehen, der sich von den sogenannten Elementen [sc. Feuer, Wasser, Luft und Erde] unterscheidet und göttlicher ist. Wie sich nun die Seelen in ihrer Würdigkeit und Unwürdigkeit voneinander unterscheiden, so unterscheidet sich auch eine solche Substanz [sc. von den übrigen]. Denn in jedem Samen ist 293
Anthony Preus, Science, 70.
294
A. a. O., 76.
295
Aristoteles, De Gen. an. II 2, 735b37-736a2: » E )/ sti me\n ou)=n to\ spe/rma koino\n pneu/matoj kai\ u(/datoj, to\ de\ pneu=ma/ e/sti qermo\j a)h/r. dio\ u(gro\n th\n fu/sin o(/ti e)c u(/datoj.« Hieraus ergibt sich auch die Bedeutung des pneuma als Atem. 296
Anthony Preus, Science, 76.
108
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon das enthalten, was ihn fortpflanzungsfähig macht, die sogenannte Wärme. Dieses ist aber weder Feuer noch eine andere solche Kraft, sondern das im Samen und Schaum eingeschlossene pneuma, und es ist die Substanz im Samen, die den Elementen der Sterne entspricht.«297
In der Forschung besteht Einigkeit, daß Aristoteles hier pneuma und Äther zwar miteinander vergleicht, aber nicht miteinander identifiziert, denn der Äther ist ein astrales Element.298 Für Preus ist das pneuma eine besondere Materie, die göttliche Implikationen trägt: »Aristotle puts a considerable weight on the fateful theory that pneuma is a special material quite unlike anything else one might find in the world, but rather strikingly like the material which one might find out of this world. There is something of the myth-maker about Aristotle here; he seems to bring the gods, or at least the divine, down to the earth in order to explain that which he finds otherwise inexplicable.«299
Auch für Bos folgt aus dieser Textstelle, daß »Aristotle claims here [sc. De Gen. an. II 3, 736b29ff.] that wherever life or the possibility of life manifests itself in the sublunary sphere, we also find a presence of the divine«300, obgleich damit die Differenz zwischen den himmlischen Elementen und den sublunaren Lebewesen nicht aufgehoben werde. Ja, der Passus De Gen. an. III 11, 762a19ff., wonach in gewisser Weise alles ‘voll von Seele’ sei (a21), da in jedem pneuma qermota/th yuxikh/ vorhanden sei, könne daher als Manifestation einer göttlichen Wirklichkeit verstanden werden. Diese Vergöttlichung der Funktion des pneuma scheint jedoch unangemessen. Seine Auszeichnung als qeio/teroj (und gerade nicht als qeio/tatoj) gegenüber den vier Elementen bezieht sich ja gerade nicht auf eine irgendwie geartete göttliche Herkunft, sondern auf die ‘göttliche’ Eigenschaft der Selbstbewegung und Selbstorganisation des Lebewesens, die durch das pneuma realisiert wird. In De Motu an. 10 bestimmt Aristoteles das pneuma als angeboren (pneu=ma su/mfuton, 703a10), das alle Lebewesen besitzen und durch das sie über eine gewisse Kraft und Stärke verfügen. Als Sitz dieses pneuma nennt er das Herz (a16f.), das auch
297
Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736b29-737a1: »Pa/shj me\n ou)=n yuxh=j du/namij e(te/rou sw/matoj e)/oike kekoinwnhke/nai kai\ qeiote/rou tw=n kaloume/nwn stoixei/wn: w(j de\ diafe/rousi timio/thti ai( yuxai\ kai\ a)timi/# a)llh/lwn ou(/tw kai\ h( toiau/th diafe/rei fu/sij. pa/ntwn me\n ga\r e)n t%= spe/rmati e)nupa/rxei o(/per poiei= go/nima ei)=nai ta\ spe/rmata, to\ kalou/menon qermo/n. tou=to d )ou) pu=r ou)de\ toiau/th du/nami/j e)stin a)lla\ to\ e)mperilambano/menon e)n t%= spe/rmati kai\ e)n t%= a)frw/dei pneu=ma kai\ h( e)n t%= pneu/mati fu/sij, a)na/logon ou)=sa t%= tw=n a)/strwn stoixei/%.« 298 Für Paul Moraux ergibt sich aus dieser Stelle deutlich, »daß Aristoteles das warme Pneuma niemals mit der Seele identifiziert, sondern es nur als ihr Instrument, als ihren körperlichen Träger betrachtet hat« (Art. Quinta essentia, in: Pauly-Wissowa 47 (1963), 1171-1263, hier: 1205). Ferner sei klar, daß es zwischen Äther und Pneuma nur eine Analogieverhältnis gebe, da die Naturkraft des Pneuma der des Gestirnelements ähnlich sei. 299
Anthony Preus, Science, 90.
300
A. P. Bos, Soul, 163.
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Sitz der vegetativen und sensitiven Seele ist.301 Nachfolgend beschreibt er die Funktion dieses pneuma als a)rxh\ kinh/sewj. Danach »ist es von Natur aus dazu geeignet, in Bewegung zu setzen und Kraft zu verleihen. Die spezifischen Leistungen der Bewegung bestehen aber in Stoßen und Ziehen, so daß es notwendig ist, daß sich das [der Bewegung dienende] Werkzeug sowohl ausdehnen als auch zusammenziehen kann. Eine solche Beschaffenheit hat aber das Pneuma …«302
Es ist also aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit in der Lage, »die von der unbewegten Seele ausgehenden Bewegungsimpulse aufzunehmen und vermittels seiner eigenen Bewegung (Kontraktion und Ausdehnung) an die zu bewegenden Körperteile weiterzuleiten«303, so Kollesch. Dergestalt ist es die Mitte (to\ me/son) zwischen der Seele und den Körpergliedern, da »die einzelnen Bewegungen des Lebewesens nicht direkt die Körperorgane bewegen, sondern diese erst durch das pneuma auf sie übertragen werden«304. Nur deshalb kann es ja der Seele als ein Instrument dienen, mittels dessen sie Beginn und Ende einer körperlichen Bewegung, sei sie nun extra- oder intracorporal (Verdauung, Sinneswahrnehmung etc.), vollzieht. Hieraus ergibt sich für Preus die Bestimmung des pneuma als »organizer«305, weil es als ein Vehikel der Seele den Körper strukturiere, ihn in Bewegung setze und wieder zur Ruhe bringe. Deutlich werde dies aus De Gen. an. III 11, 762b16-18, wo Aristoteles den Teil des Seelenprinzips, der entweder im pneuma eingeschlossen sei oder sich dort ausdifferenziere, als dasjenige bestimme, welches das Embryo bewirke und die Bewegung einflöße.306 Auch 301 Gemäß De Gen. an. II 1, 734a27f., 735a23f., II 5, 741b15f. und De Part. An. III 4, 666a10ff. entsteht im Embryo zuerst das Herz, denn es ist die materielle a)rxh\ der körperlichen Prozesse. So ist es Ursprung der Blutgefäße (De Hist. an. III 2, 511b10ff., De Part. an. III 4, 665b16ff.), welche die Nahrung in den ganzen Körper transportieren (De Gen. an. II 6, 743a1ff.), Sitz der Sinneswahrnehmung (De Part. an. III 4, 666a13ff., De Gen. an. II 6, 743b25f.), Ursprung der Bewegung (De Gen. an. II 6, 742b35) und damit Sitz der vegetativen und sensitiven Seele (De Part. an. II 1, 647a25ff.). Deutlich heißt es in De Gen. an. II 4, 740a3f: »Deswegen wird zuerst das Herz [durch die Seele] in Wirklichkeit ausdifferenziert« (»dio\ a)pokri/netai prw=ton h( kardi/a e)nergei/# …«). Es ist die materielle a)rxh/, von der die nachfolgende körperliche Ordnung der Lebewesen (u(/steron h( diako/smhsij tou= sw/matoj, a8) ihren Ausgang nimmt. Die immaterielle a)rxh/ ist dagegen die Seele, denn sie ist a)rxh\ tw=n z%/wn (De An. I 1, 402a6f.). Von ihr nimmt qualitativ alles seinen Anfang. 302 Aristoteles, De Motu an. 10, 703a18-21 (Übersetzung von Jutta Kollesch, in: Aristoteles, Über die Bewegung der Lebewesen. Über die Fortbewegung der Lebewesen. Übersetzt und erläutert von Jutta Kollesch, in: Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Band 17, Teil II und III. Darmstadt 1985, 21): »fai/netai d )eu)fuw=j e)/xon
pro\j to\ kinhtiko\n ei)=nai kai\ pare/xein i)sxu/n. Ta\ d )e)/rga th=j kinh/sewj w)=sij kai\ e(/lcij, w(/ste dei= to\ o)/rganon au)ca/nesqai/ te du/nasqai kai\ suste/llesqai. Toiau/th d )e)sti\n h( tou= pneu/matoj fu/sij.« 303
Jutta Kollesch, Anmerkungen, in: Aristoteles, Über die Bewegung der Lebewesen, 58.
304
Annette Hilt, Ousia, 142.
305
Anthony Preus, Science, 88.
306
Vgl. Aristoteles, De Gen. an. III 11, 762b16-18: »to\ d e) )napolambano/menon h)\ a)pokrino/menon e)n t%= pneu/mati th=j yuxikh=j a)rxh=j ku/hma poiei= kai\ ki/nhsin e)nti/qhsin.«
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
Bos betont diesen instrumentellen Charakter des pneuma. Er definiert es als einen »subtle, fine-material physikon sôma which as organon (instrument) of the soul is active and present throughout the gross-material, visible body of man, animal and plant.«307 Dieser materiell-physische Körper sei weder sicht- oder berührbar noch mit irgendwelchen näherhin bestimmbaren Körperteilen ausgestattet. Im Unterschied zum visible body nennt Bos das pneuma daher auch einen »‘soul-body’«308 Da das pneuma schließlich die Impulse der im Herzen zentrierten Seele in den ganzen Körper transportiere, müsse es zugleich, gleichsam ubiquitär, im ganzen Körper sein.309 Galen (ca. 129 bis nach 204 n. Ch.) hat sein Verständnis des pneuma insbesondere im 7. Buch seiner Schrift De placitis Hippocratis et Platonis entwickelt. Die Bedeutung dieser Lehre für die Ausübung der Funktionen der Lebewesen ist unbestritten, denn »the existence of pneuma within the body as a requisite of animal life is a basic tenet of Galen’s biological and medical doctrine«310. Gegen die Stoa311 und mit Aristoteles verstand er dabei das pneu=ma nicht als ou)si/a der Seele oder als deren Haus, sondern als das prw=ton o)/rganon, mit dem die Seele alle Sinneswahrnehmungen und willentlichen Bewegungen realisiert.312 Anders als Aristoteles, aber in Übereinstimmung 307
A. P. Bos, Soul, 12.
308
A. a. O., 35.
309
Bos zieht aus seiner Interpretation die Konsequenz, »that sôma organikon in the definition of the soul in De anima II 1 [412a27f.; b5f.] means ‘the body which is the soul’s instrument’ [sc. the pneuma] for producing the visible body and for sense perception and locomotive activity« (a. a. O., 179f., vgl. auch 3). Diese Konsequenz kann jedoch nicht nachvollzogen werden, weil sie sachlich und begrifflich dem Text von De An. II 1 nicht gerecht wird. Wäre dies nämlich so, dann bliebe ja das Verhältnis von Seele und Körper gänzlich ungeklärt. Vielmehr ist die Beschreibung des pneuma in der Physiologie die genauere Explikation des sôma organikon in der Psychologie. D. h., Physiologie und Psychologie ergänzen einander dergestalt, daß jene mit dem pneuma in De Motu an. 10 die physiologisch-körperliche Ursache für die Bewegung des Körpers benennt, während diese in De An. III 10 die o)/recij als psychologische a)rxh\ kinh/sewj bestimmt. Vgl. hierzu die korrekten Bemerkungen von Jutta Kollesch, in: Aristoteles, Über die Bewegung der Lebewesen, 58f. Die Merkwürdigkeit von Bos’ Ansatz wird auch daran sichtbar, daß er die gesamte Interpretationsgeschichte seit Alexander (sic!) für falsch halten muß: »But this theory can only be argued if it can be shown that the explanation of Aristotle’s philosophy went astray not just from 1964 [dem Jahr von Bos’ Lektüre von Jägers Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung (Berlin 1923, 21955)] or 1923, but from the time of Alexander of Aphrodisias, who worked around AD 200.« (Soul, 4) 310
Owsei Temkin, On Galen’s Pneumatology, in: Gesnerus 8 (1951, Heft 1/2), 180-189, hier: 187.
311
Zum Begriff des pneuma in der Stoa vgl. Peter Barker, Stoic contributions to early modern science, in: Atoms, pneuma, and tranquility: Epicurean and Stoic themes in European thought. Edited by Margaret J. Osler. Cambridge 1991, 135-154. A. A. Long, Stoic Psychology, in: The Cambride History of Hellenistic Philosophy. Edited by Jonathan Barnes et al. Cambridge 1999, 560-584, hier: 561-569. 312 Vgl. Galen, De placitis Hippocratis et Platonis / On the Doctrines of Hippocrates and Plato. Edition, Translation and Commentary by Phillip de Lacy. 3 Teilbände. Berlin 1978-84, hier: VII 3.21: »… to\ prw=ton d )au)th=j [sc. yuxh=j] o)/rganon ei)/j te ta\j ai)sqh/seij a(pa/saj tou= zw/?ou kai\ prose/ti ta\j kaq )o(rmh\n kinh/seij tou=t )ei)=nai to\ pneu=ma …« / »… and that the soul’s first instrument for all the sensations of the animal and for its voluntary motions as well is this pneuma …«
111
De Anima
mit dem alexandrinischen Mediziner Erasistratos unterteilte Galen dieses pneu=ma nachfolgend auf zweifache Weise in ein zwtiko\n pneu=ma (spiritus vitalis) und yuxiko\n pneu=ma (spiritus animalis)313: Danach entsteht das zwtiko\n pneu=ma im Herzen durch die eingeatmete Luft und durch das Verdampfen der Säfte, insbesondere des Blutes, und verteilt sich über die vom Herzen wegführenden Arterien über den ganzen Körper. Seine Aufgabe ist es zum einen, die übrigen Körperteile mit der für das Leben benötigten angeborenen Wärme (e/)mfutoj qermasi/a, innatus calidus) zu versorgen, die ihren Sitz im Herzen hat, und zum andern als Material für eine Verfeinerung zu dienen, aus dem im Gehirn, genauer im sogenannten rete mirabile (ple/gma diktuoeide/j) und in den Hirnventrikeln, das yuxiko\n pneu=ma entsteht, das für die Sinneswahrnehmung und die Bewegung der Körperglieder notwendig ist.314 Wie für Aristoteles, so diente also auch für Galen das pneu=ma als ein Mittler zwischen der materielosen Seele und dem Körper zum Vollzug der seelischen Funktionen. 2.3.3.2. Melanchthons spiritus-Lehre Die erstmalige Veröffentlichung von Galens Schriften in griechischer Sprache im Jahre 1525 in Venedig sorgte nicht nur für einen steigenden Einfluß dieser Lehre in der Philosophie und Medizin der Renaissance315, sondern war auch für Melanchthon von »ganz entscheidende(r) Bedeutung«316, und zwar sowohl für den medizinisch-naturphilosopischen Bereich im allgemeinen als auch für die spiritus-Lehre im besonderen. So bat Melanchthon z. B. am 5. Dezember 1533 in einem Brief an Camerarius um Hinweise auf Äußerungen Galens über das temperamentum und andere Teile des menschlichen Körpers.317 Und in seiner Praefatio in Galenum aus dem Jahre 1538, die wahrscheinlich für die im selben Jahr in Basel von Camerarius veröffentlichte, leicht
313
Galen lehnte die Existenz eines dritten, von der pneumatischen Ärzteschule gelehrten pneu=ma fusiko/n (spiritus naturalis) ab. Er erwähnte es überhaupt nur an einer Stelle seines Werkes, und zwar in seiner Schrift Methodus medendi XII 5: »ei) de/ e)sti\ ti kai\ fusiko\n pneu=ma, perie/xoit )a)\n kai\ tou=to kata/ te to\ h(=par kai\ ta\j fle/baj.« / »Und wenn es dort auch einen spiritus naturalis gibt, dann befindet sich dieser wohl in der Leber und in den Venen.« (vgl. Claudii Galeni opera omnia, ed. Kühn, Bd. 10, 839f.) Temkin hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Galen sich hier betont vorsichtig äußerte, da »in the Galenic system a natural spirit, as distinctly differentiated from the vital spirit, has little meaning. It has no specific function to fullfil …« (On Galen’s Pneumatology, 185f.) 314
Vgl. Galen, De placitis Hippocratis et Platonis, VII 3.27-29; 4.1; II 8.36-44.
315
Vgl. hierzu Nikolaus Mani, Die griechische Editio princeps des Galenos (1525), ihre Entstehung und ihre Wirkung, in: Gesnerus 13 (1956, Heft 1/2), 29-52. 316
Jürgen Helm, Die »spiritus«, 226.
317
CR 2, 687: »Cum autem in Galeno verseris, quo nos quoque utimur, te rogo, ut nobis impertias, si quos locos invenies, quos arbitrabere nobis profuturos, de Temperamentis, deque aliis, quae Physici magis quam Medici quaerunt.«
112
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
überarbeitete Version der Opera omnia Galeni verfaßt worden ist318, findet sich folgender Lobpreis auf Galen: »Es gibt nämlich keinen besseren Autor für diesen Teil der Philosophie, den wir Naturphilosophie nennen, als Galen, der die ganze Naturphilosophie sehr gelehrt darstellt in seinen Erörterungen, in denen er Beweise sucht für die Vermögen in den Lebewesen, für die Ursachen des Entstehens, die Temperamente, die Sinnesorgane, die Ursachen der Bewegung in den Sinnesorganen, die Ursachen von Krankheiten und ihrer Heilmittel, die Verwandtschaft von Qualitäten und die Sympathie vieler Dinge in der Natur. Niemand außer Galen allein hat dies erörtert. Und so ist die Naturphilosophie von Aristoteles begonnen, von Galen allein aber vollendet worden.«319
Galen erscheint hier also als dritte Autorität neben Platon und Aristoteles, so daß die Bedeutung seiner medizinisch-philosophischen Lehre für den nur zwei Jahre nach dieser Eloge veröffentlichten Commentarius de anima kaum überschätzt werden kann, wie auch Kusukawa betont320. Bereits auf den ersten Seiten wird er über ein dutzendmal genannt.321 Ja, Melanchthon wich nur dann von dessen Lehre ab, wenn es neuere medizinische Erkenntnisse gab, die sie als falsch erwiesen haben. Als ein Beispiel hierfür sei auf das rete mirabile verwiesen, das im Commentarius de anima unter Berufung auf Galen noch ausführlich beschrieben wird322, während im Liber de anima wohl aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Veröffentlichung der Schrift De humani corporis fabrica libri septem des Andreas Vesalius (1514-1564), von der Melanchthon ein eigenes Exemplar besaß, die Existenz dieses Organs bezweifelt wird.323 Im vorliegenden 318
Vgl. hierzu die Erwägungen bei Sachiko Kusukawa, Transformation, 84, Anm. 43.
319
CR 3, 493f.: »Nullus enim extat autor uberior eius partis philosophiae, quam Physicen vocamus, quam Galenus, qui universam Physicen eruditissime complexus est in his disputationibus, in quibus quaerit demonstrationes de potentiis in animantibus, de generationum causis, de temperamentis, de sensuum organis, de causis actionum in sensibus, de morborum et remediorum causis, de qualitatum cognatione, de sumpaqei/a plurimarum rerum in natura. Haec praeter unum Galenum nemo disputat. Itaque inchoata ab Aristotele Physica, ab uno Galeno absoluta sunt.« 320 Vgl. Sachiko Kusukawa, Transformation, 85: »Melanchthon thus yearns for a ‘reborn Galen’, because he will be useful for students for the study of truth and conducts. In fact Galen played a very important role indeed in Melanchthon’s work on the soul, which began to be printed in June 1539 and was ready at the beginning of 1540 as the Commentarius de anima.« 321
Vgl. Melanchthon, 1v, 4v-6v, 10v, 15v usw. So erläuterte er zuerst die galenisch-platonische Dreiteilung der Seele, wobei sich das h(gemoniko\n bzw. logistiko\n me/roj im Kopf, das e)piqumhtiko\n me/roj in der Leber und das qumoeide\j me/roj im Herzen befinde, weil von hier aus die aristotelische Ansicht über die Seele besser erkannt werden könne (vgl. a. a. O., 4v-6v). 322
Vgl. a. a. O., 107r-v.
323
Vgl. CR 13, 72: »Nominat Galenus contextum quendam arteriarum intra os basilare, substratum toti cerebro, ple/gma diktoeide/j, quod nuncuparunt Arabes Rete mirabile. Sed in capite hominis hunc insignem contextum negant esse.« Vgl. Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica libri septem. Basel 1543, 310 und 642f. Zur Vesalius-Rezeption Melanchthons vgl. Sachiko Kusukawa, Transformation, 114-123. Wolfgang U. Eckart, Philipp Melanchthon und die Medizin, in: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit, 183-202. Hans-Theodor Koch, Melanchthon und die Vesal-Rezeption in Wittenberg, in: A. a. O., 203-218. Vesalius setzte mit seinen Untersuchungen
113
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Zusammenhang wird sich zeigen, daß die ungewöhnliche Aufnahme des Locus De spiritibus in Melanchthons Psychologie insbesondere auf die Rezeption von Galens Schrift De placitis Hippocratis et Platonis zurückgeführt werden kann. Der spiritus ist für Melanchthon nichts Immaterielles, sondern ein feiner Dampf – subtilis vapor –, der aus dem Blut mit der Kraft des Herzens gekocht und entzündet wird, so daß er sich im ganzen Körper wie ein Flämmchen ausbreitet. Von ihm gibt es zwei und nicht etwa drei Arten, wie Melanchthon in Übereinstimmung mit Galen betont324: Die spiritus vitales sind Flämmchen, die im Herzen aus dem reinsten Blut entstehen, die Lebenswärme zu den übrigen Gliedern transportieren und ihnen die Kraft gewähren, Tätigkeiten auszuführen, die sie durch die Lebenswärme bewirken. Als instrumentum zum Transport dieser spiritus dienen dabei die Arterien und Venen. Die spiritus animales entstehen durch eine Verfeinerung der spiritus vitales in den Hirnventrikeln, wo sie durch die Kraft leuchtender, der Mischung des Gehirns angepaßt und in die Nerven wie Licht eingegossen werden, um sie anzutreiben und Tätigkeiten der Wahrnehmung und die Ortsbewegung zu bewirken. An anderer Stelle nennt Melanchthon die spiritus animales Werkzeuge der Tätigkeiten der inneren Sinne.325 Insgesamt, werden durch die spiritus vitales und animales die »wichtigen Tätigkeiten bewirkt, wie Erhaltung des Lebens, Ernährung, Fortpflanzung, ferner Wahrnehmung, Bewegung, Denken und die Affekte im Herzen.«326 Auch hier zeigt sich also, daß Melanchthon im Unterschied zu Aristoteles, der all diese Tätigkeiten der Seele zuschrieb und das pneu=ma als ihr o)/rganon bestimmte, anima rationalis und spiritus in ihrer Funktion einander gleichsetzt.327 Ferner kommt es im Liber de anima zu einer Zusammenführung der beiden medizinischen spiritus vitalis & animalis mit dem theologischen spiritus sanctus. Dies ist ein weiteres deutliches Zeichen für die zunehmende Theologisierung der Psychologie beim späten Melanchthon. Denn dort heißt es: _________________________________________________________________________________________________________
einen Neuanfang in der Anatomie, indem er im Unterschied zu gewissen Auswüchsen in der Scholastik den Vorrang des Faktischen, d. h. die aufgrund eigener anatomischer Untersuchungen gewonnene Erfahrung gegenüber der bloßen Berufung auf einen autoritativen Text als die dieser Wissenschaft allein angemessene Haltung bestimmte. Vgl. hierzu Andrew Cunningham, The Anatomical Renaissance, 88-166. 324 Vgl. Melanchthon, 135v: »Alij addiderunt tertiam, scilicet spiritum naturalem in Epate, qui fovet sanguinem, & in sanguine halitus excitat. Sed Galenus dubitat an hanc speciem ponat, inquiens, ei) d )e)sti\ ti pneu=ma fusiko\n [aus Methodus medendi, vgl. Anm. 313]. Nam etsi spiritum in Epate esse necesse est, tamen is per arterias eo transvehitur, et actio est eius spiritus, qui vitalis vocatur, calore vivifico sanguinis generationem adiuvare.« Im Liber de anima fällt der Bezug auf Galen weg: »Quidam addiderunt tertiam speciem, videlicet spiritum naturalem in epate, qui ibi fovet sanguinem, et in sanguine halitus excitat. Sed commodius est dicere, vitalem spiritum a corde etiam ad epar transvehi, qui calorem vivificum epatis adiuvat in generatione sanguinis. Est enim cor fons vitae.« (CR 13, 88) 325
Vgl. insg. CR 13, 54f., 69f., 88. Weniger ausführlich in Melanchthon, 134r-135v.
326
CR 13, 88: »Spiritu vitali et animali actiones praecipuae efficiuntur, vitae conservatio, nutritio, generatio, deinde sensus, motus, cogitatio, adfectus in corde.« 327
Vgl. Melanchthon, 15v: »Est igitur anima spiritus …«
114
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon »Und, was noch bewundernswerter ist, der Hl. Geist selbst vermischt sich in den frommen Menschen mit diesen Geistern und bewirkt so, daß sie durch das göttliche Licht stärker leuchten, damit die Gotteserkenntnis klarer, die Zustimmung fester ist und die Bewegungen zu Gott hin brennender werden.«328
Was Melanchthon damit meint, ob »er lediglich die Sprache der medizinischen Tradition (benutzt), um im Sinne einer Analogie die Wirkung des Heiligen Geistes zu erklären«, oder ob er »tatsächlich von einer den körperlichen ‘spiritus’ vergleichbaren Einflußnahme des ‘Spiritus sanctus’ auf den Menschen aus(geht)«329, wird nur klar, wenn man sich zuvor die Affektenlehre und die Funktion des Hl. Geistes bei Melanchthon vergegenwärtigt, wie sie sich aus dem Liber de anima ergeben. Der Affekt ist eine Bewegung im Herzen, die einer Erkenntnis folgt, also immer kognitiv vermittelt ist, wie Melanchthon gut aristotelisch feststellt.330 Medium dieser physiologischen Übertragung der Erkenntnis vom Gehirn zum Herzen, als Sitz und Quelle der Affekte, sind die spiritus vitales & animales: »Wenn wir also einen Gegenstand erfassen und entscheiden, daß er gut oder schlecht ist, dann bringen ihn die in der Erkenntnis bewegten Geister zum Herzen, das, sozusagen geschlagen und gestoßen, erregt wird und den Gegenstand erstrebt oder vor ihm flieht.«331 So ist der Zorn ein affectus mixtus aus Getroffensein und dem Streben nach Rache. Aus der Erkenntnis: ‘mir geschieht Unrecht’ entsteht eine Bewegung im Herzen, mit der der betroffene Mensch das Ärgernis zurückweist und zugleich versucht, den Urheber zu bestrafen (‘ich nehme Rache’). Bei diesem Vorgang sendet das Herz das Blut und die spiritus gleichsam als Soldaten aus, um das Objekt zurückzuschlagen.332 Dieses physiologisch-erkenntnistheoretische Modell der beiden spiritus dient Melanchthon zunächst als ein Muster, das die Wirkung des Hl. Geistes beschreibt: Wie jene als Medien die Erkenntnis vom Gehirn zum Herzen transformieren, wo der Affekt entsteht, so ist der Hl. Geist das von Christus in das menschliche Herz ausgegossene Medium für die Frohe Botschaft. Aus physiologischer Sicht besteht seine Funktion im Entflammen des Herzens bzw. im Entzünden einer mit Gott übereinstimmenden Bewegung im Herzen und Willen, aus psychologischer Sicht im Wirken einer neuen Lie-
328
CR 13, 88f.: »Et, quod mirabilius est, his ipsis spiritibus in hominibus piis miscetur ipse divinus spiritus, et efficit magis fulgentes divina luce, ut agnitio Dei sit illustrior, et adsensio firmior, et motus sint ardentiores erga Deum.« 329
Jürgen Helm, Die »spiritus«, 221.
330
Vgl. CR 13, 58 »Alter motus in corde nominatur Adfectus, qui cogitationem sequitur, et accenditur noticiis …« Aristoteles spricht in De An. I 1, 403a3 von »pa/qh th=j yuxh=j«, von Widerfahrnissen der Seele, und mit seiner bekannten Formulierung »ta\ pa/qh lo/goi e)/nuloi/ ei)sin« (403a25) will er gerade auf den engen Zusammenhang von Denken und Affekt hinweisen. 331
CR 13, 128: »Ergo cum apprehendimus obiectum, et iudicamus bonum aut malum esse, spiritus moti in agnitione, feriunt cor, quod quasi ictum et pulsatum, cietur, et aut expetit obiectum, aut fugit.« 332
Vgl. a. a. O., 127.
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De Anima
be und Freude zu Gott und zu Christus.333 Doch diese Analogie zwischen dem Hl. Geist und den spiritus vitalis & animalis hinsichtlich ihrer Funktion hat ihre Grenze. Sofern nämlich der Hl. Geist den Willen und damit die Affekte, die ihren Sitz im Herzen haben, in Einklang mit Gott bringt, erneuert er damit zugleich die beiden spiritus, indem er sich mit ihnen mischt. Dadurch werden sie gereinigt und im Herzen die schlechten Affekte von den neuen guten verdrängt; auch wird die Gotteserkenntnis klarer und fester. Aufgrund der körperlichen Wirkung nennt Helm dieses Phänomen eine »‘Physiologie der Geistwirkung’«334. Diese Einflußnahme des Hl. Geistes auf die spiritus bedeutet nun nichts anderes, als daß beide zu seiner Wohnstätte werden: »Laßt uns daher unsere Natur genau beobachten und sie aufmerksam lenken, und laßt uns bedenken, daß unsere Geister die Wohnstätte des Hl. Geistes sein müssen, und laßt uns zu Gottes Sohn beten, daß er selbst die Teufel von uns fernhält und den Hl. Geist in unsere Geister eingießt.«335
Indem Melanchthon eine religiöse Dimension einführt, den Kampf zwischen Gott und dem Teufel, der die Herzen besetzt und damit die Geister im Herzen stört, gerät die philosophische Psychologie bzw. Anthropologie, die weltlicherseits sehr wohl Mittel für die Affektberrschung bereithält336, an ihre Grenzen. Deshalb bedarf sie auch nach Ansicht Melanchthons der Ergänzung von Seiten der theologischen Psychologie, die eben von den Wirkungen des Hl. Geistes zu berichten weiß. Nur er vermag es, den Willen und das Herz als Sitz der Affekte auf Gott hin auszurichten. 2.3.4. Die Bestimmung des menschlichen Geistes Auch die Erörterung des menschlichen Geistes im Abschnitt De potentia rationali seu Mente richtete Melanchthon im Liber de anima sogleich mit dem ersten Satz auf die agnitio Dei aus: 333 Vgl. a. a. O., 171: »…ac Spiritum sanctum effundit [scil. Christus] in corda nostra, ut vero amore et laetitia cum aeterno patre et ipso copulemur. Ita restituitur in nobis vita et iusticia aeterna, et renovatur imago Dei verbo lucente in mente, ut agnitio Dei sit clarior et firmior, et Spiritu sancto accedente motus congruentes cum Deo in voluntate et corde.« 334
Vgl. Jürgen Helm, Die »spiritus«, 236.
335
CR 13, 89: »Aspiciamus igitur naturam nostram, et diligenter eam regamus, et sciamus, oportere spiritus nostros esse domicilium Spiritus sancti, et oremus filium Dei, ut ipse depellat a nobis diabolos, et spiritum divinum in nostros spiritus transfundat.« 336 Vgl. CR 13, 129f.: »Addenda est etiam doctrina valde utilis et vere philosophica, de regendis adfectibus … Ita in homine duplex est gubernatio, altera despotikh/, qua mens et voluntas cogunt locomotivam, ut externa membra vel reprimantur, vel incitentur, ut in ardentissima siti possunt tamen mens et voluntas imperare manibus, ne poculum attingant. … Ita per locomotivam velut carcere membra externa coherceri possunt, etiamsi adfectus in corde repugnent. … Secunda gubernatio in homine est ea, quae nominatur politikh/, cum non tantum externa membra per locomotivam cohercentur, sed ipsum cor congruit cum recta ratione, et honesta voluntate, motum persuasione.« Hier gilt also nicht mehr die berühmte Äußerung der Loci communes von 1521: affectus affectu vincitur.
116
Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon »Wenn auch die menschliche Geistesschärfe das Wesen der Dinge nicht durchdringen kann, so will Gott dennoch, daß es von den Menschen betrachtet wird, damit wir darin die Zeugnisse von Gott selbst betrachten, die [uns] zeigen, daß es einen Gott gibt und von welcher Art er ist.«337
Die Betrachtung des Wesens der Dinge durch den menschlichen Geist geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern in Hinsicht auf die Gotteserkenntnis. An anderer Stelle hat Melanchthon diese Ausrichtung des menschlichen Geistes noch deutlicher formuliert: »Der menschliche Geist ist geschaffen zur Erkenntnis des einen Gottes …«338 Wie bereits die Ergänzung der philosophischen Definition der Seele durch die theologische, so verdeutlicht auch die Lehre vom menschlichen Geist, daß für Melanchthon der Mensch nicht durch eine mit philosophischen Mitteln erarbeitete Erkenntnis zu einer vollständigen Durchsichtigkeit seiner selbst gelangt, sondern nur durch die Gotteserkenntnis, um deretwillen er überhaupt von Gott erschaffen worden ist. Eben darin liegt für Melanchthon die besondere Auszeichnung des menschlichen Geistes: »Wie aber der Mensch erschaffen worden ist, damit in ihm die Gotteserkenntnis leuchtet und Gott ihm seine Weisheit und Güte mitteilt, so wollte er [auch], daß der menschliche Geist das deutlichste Zeugnis von Gott selbst ist.«339 Dieses höchste Vermögen der menschlichen Seele, die potentia rationalis seu mens, unterteilt Melanchthon in den intellectus und die voluntas. Für den vorliegenden Zusammenhang interessiert allein der Locus De intellectu. Melanchthon definiert ihn wie folgt: »Er ist ein Vermögen des Geistes, welches das Einzelne und Allgemeine erkennt, es bedenkt, beurteilt und Schlußfolgerungen zieht, das gewisse angeborene Kenntnisse besitzt oder die Prinzipien der großen Künste und das über einen selbstreflexiven Akt verfügt, durch den es seine Handlungen erkennt und beurteilt [und die Fehler verbessern kann].«340
Sofern man die aristotelische Lehre von den fünf habitus intellectuales animi (vgl. EN VI 3, 1139b16f.) zugrunde legt, beschreibt Melanchthon hier vermischt Bestimmungen der scientia (e)pisth/mh), prudentia (fro/nhsij) und des intellectus (nou=j): Während die scientia eine sichere und feste Kenntnis ist, von der aus Urteile und Schlußfolgerungen möglich sind, richtet sich der intellectus auf die Prinzipienerkenntnis. Die prudentia wiederum beurteilt die beabsichtigten und die erfolgten Handlungen hinsichtlich des337
CR 13, 137: »Etsi penetrari acie humana mentis rerum natura non potest, tamen vult Deus eam ab hominibus aspici, ut in ea consideremus testimonia de ipso, quae ostendunt et esse Deum, et qualis sit.« 338
A.a.O, 143: »Est et condita mens humana ad agnitionem unius Dei …«
339
A. a. O., 138: »Sicut autem homo conditus est, ut in eo luceat noticia Dei, et ut ei Deus communicet suam sapientiam et bonitatem, ita mentem humanam voluit evidentissimum de ipso testimonium esse.« 340 Melanchthon, 205r-v: »Est potentia mentis cognoscens, recordans, iudicans & ratiocinans singularia et universalia, habens insitas quasdam noticias, seu principia magnarum artium. Habens item actum reflexum, quo suas actiones cernit et iudicat.« Die wortgleiche Definition in CR 13, 142 enthält den Zusatz: »… et errata emendare potest.«
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sen, was für den Menschen gut oder schlecht ist. Was also bei Aristoteles verschiedene geistige Haltungen kennzeichnet, die je verschiedene Gegenstände haben und sich diesen auf je verschiedene Weise nähern, das faßt Melanchthon zu der einen umfassenden Bestimmung des menschlichen Geistes zusammen. Als Gegenstand des Geistes benennt er »Gott und das ganze Weltall«341, alles in der Welt überhaupt Vor- und Zuhandene, kurz das ens quam late patet, das Seiende in seiner denkbar umfassendsten Bestimmung. Diesen Gegenstand unterteilt er wiederum in einen äußeren und inneren: Dabei wird das obiectum externum über die Sinne an den Geist mittels Abbilder übermittelt, so daß die Sinne »Boten des Geistes und Zeugen der Erfahrung«342 sind, die den Geist zur Betrachtung der außerhalb seiner liegenden Gegenstände anregen, während das obiectum internum seinen Ursprung nicht in den Sinnen hat, sondern dem Menschen als eine Kenntnis eingeboren ist. Damit ergänzte Melanchthon den Sensualismus durch die Lehre von den notitiae innatae, die »von zentraler Bedeutung für seine Anthropologie und philosophische Theologie«343 sind. Wie ist sie genauer zu verstehen? Das »unaristotelische Konzept der notitiae naturales«344, so Stiening, hat seinen Ursprung in der Stoa. Dort wurden die koinai\ e)/nnoiai, die allgemeinen Begriffe, prolh/yeij, Grundannahmen, genannt, die ausschließlich durch Abstraktion von den durch Sinneswahrnehmung entstandenen Vorstellungen gebildet werden.345 Cicero modifizierte diese Theorie der koinai\ e)/nnoiai, indem er ihre sensualistische Entstehung leugnete und stattdessen ihren »erfahrungsunabhängigen Innatismus«346 betonte: Die notiones communes sind damit ideae innatae, angeborene Vorstellungen, wie dem Menschen z. B. die Vorstellung der Existenz von Göttern angeboren ist.347 An diese stoisch-ciceronianische Tradition knüpft Melanchthon nun mit seiner Lehre von den notitiae innatae an. Als Grund für diese Einfügung weist er zum einen darauf hin, daß die Theorie des Sensualismus allein nicht ausreiche, das Erkennen der Ge341
Melanchthon, 206r-v: »… Deus et tota rerum universitas est obiectum intellectus, ad cuius agnitionem conditi sumus.« 342
Vgl. CR 13, 143: »Etsi autem non omnis cognitio in mente humana a sensu oritur, ut numeri et multa principia, tamen ideo conditi sunt sensus, ut rerum, quae foris sunt, simulachra ad intellectum transmittunt, et sint nuncii mentis et testes experientiae, imo etiam ut excitent intellectum ad aspectionem rerum, quae extra eum sunt, ut hos quoque intuens, componat, dividat, quaerat universalia, iudicet, aspiciat krith/ria, et emendet errata.« 343
Günter Frank, Die theologische Philosophie, 94.
344
Gideon Stiening, Deus, 767.
345
Vgl. Sextus Empiricus, Adversus math. VIII, 56: »Alles Denken geht von der sinnlichen Wahrnehmung aus oder vollzieht sich jedenfalls nicht ohne diese … Und allgemein ist in einem Begriff nichts zu finden, dessen Kenntnis man nicht aus sinnlicher Gegebenheit besitzt.« (Zitiert nach Gideon Stiening, Deus, 772) 346
Gideon Stiening, Deus, 773.
347
Vgl. Cicero, De natura deorum II,12: »Itaque inter omnis omnium gentium summa constat; omnibus enim innatum est et in animo quasi insculptum esse deos.«
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
genstände zu erklären, und zum andern, daß der Mensch über Kenntnisse verfüge, die nicht über die Sinne vermittelt sein können. Deutlich heißt es: »Lassen wir uns nicht von dem allgemeinen Satz verwirren: Nichts ist im Geiste, was nicht vorher in den Sinnen wahr. Dies wäre nämlich, sofern man es recht versteht, sehr abwegig. Denn die allgemeinen Begriffe und die Urteilsentscheidung waren nicht zuvor in den Sinnen.«348
Melanchthon läßt sich bei dieser Frage erst gar nicht auf den alten Streit zwischen Platon und Aristoteles und ihren jeweiligen Gefolgsleuten um die Ideenlehre ein, sondern beruft sich für die Legitimierung seiner Lehre von den notitiae innatae, zu denen er eine natürliche Kenntnis der Zahlen, die Fähigkeit zur Schlußfolgerung, überhaupt die geometrischen, naturwissenschaftlichen und ethischen Prinzipien zählte349, auf Röm 2,15, wo es heißt, daß das Gesetz in die Herzen der Menschen geschrieben worden ist. Dabei bestätige nicht nur das äußere Wort Gottes, sondern auch das innere Wort des Gewissens diese Lehre: Es klagt an, sofern man schlecht handelt, es rechtfertigt und entschuldigt, sofern man gut handelt. Folglich können diese angeborenen Kenntnisse als vitæ duces ac magistrae nur von Gott sein.350 Sie sind »mithin unmittelbare Einwirkungen des transzendenten Gottes in den Erkenntnisapparat des Menschen. Gott als Ursprung ihrer Existenz im menschlichen Geist ist somit einziger und zureichender Grund ihrer Wahrheitsfunktion«351, wie Stiening zu Recht betont. Von hier aus wird klar, warum Melanchthon den Sensualismus als alleiniges Erkenntnisprinzip für nicht ausreichend ansah. Sofern die menschliche Natur aufgrund des Sündenfalls ge348 CR 13, 144: »Nec turbemur vulgari dicto: Nihil est in intellectu, quin prius fuerit in sensu. Id enim nisi dextre intelligeretur, valde absurdum esset. Nam universales noticiae et diiudicatio non prius fuerunt in sensu.« 349
Vgl. a. a. O., 143f.: »Vetus contentio est inter Aristotelicos et Platonicos, an sint alique in mentibus noticiae nobiscum natae? Sed simplicius et rectius est retinere hanc sententiam, esse aliquas noticias in mente humana, quae nobiscum natae sunt, ut numeros, ordinis et proportionum agnitionem, intellectum consequentiae in syllogismo. Item principia geometrica, physica et moralia.« Im Commentarius hat Melanchthon noch die argumentative Auseinandersetzung mit Aristoteles geführt: »Aristoteles in secundo posteriorum Analyticorum negat nobiscum nasci principiorum noticias, sed foris quæri, & certitudinem principiorum esse ex obiectorum perspicuitate, seu evidentia, ut cum magnitudinem videmus, & cogitamus totum ac partes eius, statim ratiocinamur totum maius esse partibus. Et convincimur rebus ipsis, ut certam esse hanc sententiam statuamus. Sic intelligit principia natura nota esse, quia scilicet eis adsentimur sine alio testimonio. Est hoc quidem argute cogitatum de geometricis principijs, quorum termini sunt oculis subiecti. Sed principia non subiecta sensui, unde agnoscuntur? ut numeri, intellectus ordinis, & principia moralia. Nec illa totius & partium collatio fieri posset, nisi in mente prius existeret numerorum & ordinis noticia, & intellectus syllogisticæ connexionis.« (209v-210r). 350
Vgl. a. a. O., 211r: »Fateamur ergo koina\j e)nnoi/aj divinitus nobis attributas esse, tanquam vitæ duces ac magistras … Id est Dei dona sunt in mentibus certæ noticiæ & iudicium gubernans vitam actque actiones.« CR 13, 138: »Impossibile est noticias numerorum et alias, et discrimen honestorum ac turpium, ortas esse a bruta natura, aut casu sic nasci. Est igitus mens architectatrix sapiens.« 351
Gideon Stiening, Deus, 775.
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De Anima
schwächt ist, so daß die angeborenen Kenntnisse gleichsam nur noch Funken sind352, bedarf es einer Instanz, die das Wissen sichert, und diese kann allein Gott sein. Damit aber, so Stienings Resultat, gründet Melanchthons »Erkenntnistheorie vollständig auf theologischen Prämissen«353. Die Bedeutung dieser notitiae innatae für die »Geistphilosophie Melanchthons«354 hat Frank in seinem Aufsatz zur Unsterblichkeit der Seele bei Melanchthon erhellend beschrieben, indem er sie als ‘fundamentalphilosophische Prinzipien’, die gleichwohl von der Theologie her begründet werden, in vierfacher Hinsicht bestimmte: 1. Die notitiae innatae sind »geistphilosophische Elemente«355, die Gott, wie es bei Melanchthon heißt, dem menschlichen Geist in der Schöpfung als ‘Strahlen der göttlichen Weisheit’ eingestreut hat.356 Sie sind – entsprechend dem Urbild-AbbildVerhältnis im Sinne des platonischen Exemplarismus – Elemente des Unendlichen, durch die der menschliche Geist am göttlichen Geist partizipiert, so Frank, der hierin die »philosophische Auffassung von einer Wesensverwandtschaft zwischen göttlichem und menschlichem Geist«357 erkennt. Denn mit dieser Verwandtschaft verbinde sich die metaphysische Annahme einer Unendlichkeitsidee als bleibende Partizipation des menschlichen Geistes am göttlichen, die in den geistphilosophischen Elementen der notitiae naturales konkret realisiert werde. 2. Die angeborenen Kenntnisse sind »das gnoseologische Erkenntnismedium, das jegliche Erkenntnis voraussetzt und begleitet«358. Wie es nämlich in den Augen ein Licht gibt, so Melanchthon, durch welches das Sehen geschieht, »so gibt es auch im Geist des Menschen ein gewisses Licht, durch welches wir zählen, die Prinzipien der Wissenschaften erkennen und zwischen gut und böse unterscheiden.«359 Sofern nun dieses Licht mit den notitiae innatae identifiziert wird360, sind diese Kenntnisse das gnoseologisch Erste, wovon jede Erkenntnis ihren Ausgang zu nehmen hat. Sie sind aber nicht nur erkenntnistheoretisch das Erste, sondern auch qualitativ, da sie von Gott eingestreut sind. Diese noticiae aeternae, wie sie Melanchthon auch nennt, geben also Zeugnis ab von Gott und seiner Vorsehung. Sie sind damit gewissermaßen das theolo352
Vgl. CR 13, 138: »Esset autem haec lux in nobis multo clarior, si natura hominum non languefacta esset, sed tamen adhuc reliquiae sunt scintillae tantae, ut, de numeris nulla est dubitatio.« 353
Gideon Stiening, Deus, 776.
354
Günter Frank, Philipp Melanchthons Idee von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, in: ThPh 68 (1993), 349-367, hier: 359. 355
A. a. O., 361.
356
Vgl. CR 13, 138: »… et hae noticiae radii sunt sapientiae divinae.«
357
Günter Frank, Melanchthons Idee, 362.
358
Ebd.
359
CR 13, 144: »Ut igitur lumen est in oculis, quo fit visio: ita in mentibus lux quaedam est, qua numeramus, agnoscimus principia artium, discernimus honesta et turpia.« 360 Ebd.: »Hanc lucem esse noticias divinitus sparsas in mentibus nostris, recte dicitur, quae qualis lux sit, tunc cernemus, cum archetypum Deum intuebimur.«
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gische gesicherte fundamentum inconcussum, um ein Wort Descartes’ zu entlehnen. Insofern bestätigt Frank mit seiner These von der gnoseologischen Erkenntnisfunktion der noticiae innatae Stienings Resultat von der theologisch fundierten Erkenntnistheorie. 3. Mit dem »erkenntnispsychologisch-noetische(n) Aspekt«361 der Lehre von den eingeborenen Kenntnissen verweist Frank auf die faktische Preisgabe des erfahrungsbezogenen Erkenntnisrealismus der aristotelischen Tradition. Ursprung der menschlichen Erkenntnis seien für Melanchthon eben die eingeborenen Kenntnisse, die, wie gesehen, gerade nicht aus den Sinnen hervorgehen. 4. Schließlich sind diese Kenntnisse in »erkenntnistheoretischer Hinsicht«362 das Konstitutionsprinzip für Melanchthons Wissenschaftstheorie. Sind nämlich diese Kenntnisse das gnoseologisch Erste, so müssen sie dies auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht sein. Denn die allgemeinen Erkenntnisprinzipien, die aus den angeborenen Kenntnissen resultieren – z. B. daß das Ganze größer ist als seine Teile –, sind die Basis jeder Wissenschaft. Diese Theologisierung der Erkenntnistheorie führte Melanchthon nun nicht nur bei den notitiae innatae durch, sondern auch bei den aktuell, aus der Betrachtung des obiectum externum gewonnenen Erkenntnissen. Er nannte sie »eine Tätigkeit des Geistes, wodurch er den Gegenstand auffaßt, gleichsam ein Abbild des Gegenstandes formend, den er denkt.«363 Und diese Abbilder oder Ideen sind nichts anderes als der Vollzug des Erkennens (actus intelligendi). Dabei wird die sinnliche Form eines Gegenstandes von der äußeren an die innere Wahrnehmung übergeben, wo durch das Gehirn und die spiritus vitalis & animalis die Gedanken gebildet werden, die eben Abbilder der Gegenstände sind. Daß der Mensch aber in Bildern denkt, ist für Melanchthon dem bewundernswürdigen Ratschluß Gottes zu verdanken, der will, daß es im Menschen Schatten (umbrae) gibt, die etwas von ihm selbst bezeichnen. Dieser Schatten umfaßt z. B. die Kenntnis von Jesus Christus, der, im Denken vom ewigen Vater erzeugt, ein Abbild von ihm ist.364 Sofern der menschliche Geist also in Bildern denkt, denkt er in Strukturen, die Gott vorgegeben hat, und da er will, daß der Mensch eine Kenntnis von ihm gewinnt, stellt er seinen Sohn als sein eigenes Abbild vor. Gott offenbart sich damit in der dem Menschen eigentümlichen Denkweise in Bildern. Dies belegt nochmals die von Frank so genannte ‘Wesenverwandtschaft zwischen göttli361
Günter Frank, Melanchthons Idee, 363.
362
Ebd.
363
CR 13, 145: »Noticia est mentis actio, qua rem adspicit, quasi formans imaginem rei, quam cogitat.« Hier ist eine gewisse Anlehnung an die aristotelische Theorie von den species intelligibiles aus De An. III 4 erkennbar. Freilich wird diese philosophische Theorie auch hier sogleich durch die Theologie überlagert, wie das Nachfolgende verdeutlicht. 364
Vgl. CR 13, 145: »Mirando autem consilio Deus noticias voluit esse imagines, quia in nobis umbras esse voluit significantes aliquid de ipso. Aeternus pater sese intuens gignit filium cogitando, qui est imago aeterni patris.«
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De Anima
chem und menschlichem Geist’, sofern die Kenntnisse Abbilder des göttlichen Geistes im menschlichen Geist sind. Diese Theorie der noticiae innatae bezeichnet den wesentlichen Teil der differentia specifica in der Definition des intellectus. Wie gesehen, lautet seine Genusbestimmung potentia mentis. Was Melanchthon mit dieser Bestimmung meint, wird aus seiner Bezugnahme auf die Theorie des intellectus patiens & agens aus De An. III 4 und 5 deutlicher. Dabei läßt er den Streit um die Bestimmung beider hinsichtlich ihres Seins (secundum esse), wie er zwischen Alexandristen, Averroisten und Thomisten geführt worden ist, zunächst beiseite und gibt eine, wie er glaubt, ‘einfache und klare Erklärung’ ihrer Funktionen (secundum operationem)365: »Aristoteles unterscheidet also zwei Aufgaben des Geistes. Die eine ist das Ermitteln, die andere das Ermittelte zu erkennen oder das Gesagte gleichsam zu akzeptieren. Die eine Aufgabe kennzeichnet nämlich das Wesen des Geistes im Besonderen, das, wenn es etwas ermittelt, tätiger Geist genannt wird, oder handelnder Geist. So nämlich nenne ich ihn lieber, aber ich folge der gewöhnlichen Bezeichnung. Wenn er aber das von anderen Ermittelte erkennt, wird er passiver Geist genannt, wie im Leben überhaupt, in den Künsten, in privaten und öffentlichen Angelegenheiten, in der Kriegskunst, in der Dichtung und Rhetorik die einen klüger sind als die anderen und geeigneter sind zur Ermittlung als die anderen. Wir gebrauchen also entweder unsere Ermittlungen oder die der anderen.«366
Diese Erklärung ist nun alles andere als klar. Wieso stellt Melanchthon die Begriffe invenire & accipere in den Mittelpunkt der Differenzbestimmung, die er vielleicht in Anlehnung an das gi/nesqai & poiei=n in De An. III 5, 430a15367 versteht? Was bedeuten sie näherhin? Und wie ist diese Bestimmung der beiden intellectus – denn es sind nur zwei und nicht drei, wie Petersen meint368 – durch Melanchthon zu verstehen? Sind 365 Vgl. a. a. O., 147: »Etsi magnae sunt contentiones de intellectu agente et patiente, tamen si sumimus ab actionibus discrimen, simplex et perspicua est haec explicatio.» Melanchthon, 212r: »Fugio novas interpretationes.« 366 A. a. O., 212v-213r: »Discernit igitur Aristoteles duo officia intellectus. Alterum est invenire, alterum inventa intelligere, & agnoscere, seu tanquam dictata accipere. Una est enim substantia intellectus in singulis, quæ cum invenit aliquid, dicitur intellectus agens, aut faciens, sic enim malim appellare, sed sequor consuetudinem. Cum vero ab alijs inventa intelligit, dicitur patiens, ut in omni vita, in artibus, in consilijs privatis & publicis, in strategematis, in Poetica, in eloquentia, alij alijs perspicaciores sunt & inventione plus valent. Utimur ergo vel nostris inventis, vel alienis.« Ähnlich lautet die Bestimmung in CR 13, 147f. 367 Die Frage in De An. III 4 ist bekanntlich, wie der Geist beschaffen sein muß, damit er denken, d. h. das Intelligibile in sich aufnehmen kann. Hieraus resultiert in De An. III 5 die Bestimmung des intellectus patiens als dasjenige, das alles Intelligible wird, und des intellectus agens als dasjenige, das alles intelligibel macht, vergleichbar dem Licht, das alles sichtbar macht. Hierauf wird im Verlauf dieser Arbeit an verschiedenen Stellen zurückzukommen sein. 368
Vgl. Peter Petersen, Geschichte, 83: »Der nou=j poihtiko/j ist die alles schaffende Kraft, die ihrem Wesen nach reine Wirklichkeit ist (tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia). Diese ursprüngliche, schöpferische Kraft wird unter Melanchthons Händen zu einem intellectus inventor, der eins aus dem andern erfinde, während der Intellekt die dargebotenen Gegenstände ordne, einteile, aus ihnen Schlüsse ziehen und sie beurteile. Der leidende [sc. Intellekt] dagegen abstrahiere von den Phantasmata, d. h. er trage die Gegenstände zusammen, forsche nach den Zeichen und folgere aus ihnen die Ursachen und Wir-
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Die aristotelische Psychologie bei Luther und Melanchthon
beide Vermögen einer menschlichen Seele, oder beziehen sie sich auf verschiedene Personen oder gar auf verschiedene Intelligentien? Für Kessler setzt Melanchthon im Zusammenhang mit seiner intellectus-Theorie bewußt einen Neuanfang: »Instead of following one of the proposed interpretations of Aristotle’s text, he introduced a new approach based on the activities of the intellect.«369 Danach sei die inventio ein Vermögen des intellectus agens, die gemeinhin in der Dialektik verhandelt werde und die darin bestehe, Neues zu ermitteln, Syllogismen zu bilden und diese zu beurteilen, während die acceptio ein Vermögen des intellectus possibilis sei, die, wiederum in der Dialektik grundgelegt, die Aufnahme des Ermittelten sei. Beide seien aber offensichtlich nicht Vermögen ein und desselben Menschen, sondern verschiedener: Während nämlich der intellectus agens wenigen ingeniösen Menschen zukomme, sei der intellectus possibilis ein Vermögen der vielen, weniger begabten Menschen, wie Melanchthons Beispiele in diesem Zusammenhang zeigten.370 Für Kessler verortet Melanchthon damit die Intellekt-Theorie in einem epistemologischpädagogischen Kontext: Die Klugen helfen mit ihrem Wissen den weniger Klugen bei der Erkenntnis. Auch Frank versteht die Funktionen der beiden intellectus gemäß der gegebenen Beschreibung als zu einem epistemologischen Kontext gehörig: Danach ist der intellectus agens Urheber der Erkenntnis, der die Gegenstände wahrnimmt, zusammenstellt, einteilt, Schlußfolgerungen zieht und beurteilt, während sich der intellectus patiens allein auf die Erkenntnis und Beurteilung der Begriffsbildungen bezieht. Anders als für Kessler vertritt Melanchthon aber für Frank »die Einheit des individuellen, menschlichen Intellekts (intellectus agens et patiens)«371. Für ihn sind also beide intellectus Vermögen ein und desselben Menschen. Diese These ist aber offensichtlich nicht haltbar, denn Melanchthon ordnet den intellectus agens den wenigen ingeniösen Menschen zu, während der intellectus possibilis den vielen geistig minder bemittelten Menschen zukommt. Beiderlei Verhältnis ist damit in der Tat ein epistemologisch-pädagogisches372: _________________________________________________________________________________________________________
kungen, sehe auf Vergleiche und Anspielungen und wähle danach, was am geeignetsten sei.« Diese Dreiteilung des intellectus findet am Text jedoch keinen Anhalt. 369
Eckhard Kessler, Psychology, in: CHRP, 518.
370
Vgl. ebd.: »In any case, the examples which he [sc. Melanchthon] adduced to prove that the inventive faculty of the agent intellect was not equally distributed among men prefigured the later development of the concept of genius.« 371
Günter Frank, Melanchthons Idee, 357.
372
Amerbach hat diese Verhältnisbestimmung zwischen beiden intellectus kritisiert: »Nec sequor sententiam eorum, qui hunc locum exponunt rhetorice magis, quam philosophice, cum faciunt ex intellectu faciente, seu agente ingenium inveniens, & excogitans aliquid per sese, patientem contra, quod illa percipit, quæ ab alijs sunt excogitata, & animadversa in natura, & artibus. Sic enim non esset in omni anima intellectu prædita utraque hæc vis faciendi, & patiendi, sed una tantum.« (Quatuor libri de anima, 191) Genau die gleiche Kritik finden wir bei Georg Liebler (1524-1600): »Melanc[h]thonis quoque non acceptamus opinionem, licet valde concinnam et popularem: qui facientem intellectum in iis arbitratur, qui primum aliquid inveniunt, et excogitant, patientem vero in iis, qui inventis utuntur, iisque assentiuntur. Nam Aristoteles in uno eodemque homine intellectum agentem
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Wie nämlich das Licht den Augen hilft, um sehen zu können, so Melanchthon, so hilft der intellectus agens als inventor dem intellectus possibilis, der das Ermittelte aufnimmt. Und wie sich die Materie zur Form verhält, nämlich als eine zu prägende, so verhält sich der intellectus possibilis zum intellectus agens, nämlich als ein zu bildender.373 Eine gewiß falsche Interpretation des aristotelischen Textes von De An. III 4 und 5, die den Kontext des dort Gesagten vollkommen außer acht läßt. Auch Melanchthons Verständnis der Attribute ‘abtrennbar, unvermischt und inaffizierbar’ des intellectus agens aus De An. III 5, 430a17f. läßt keine stringente Theorie erkennen. Vielmehr änderte er seine Ansicht im Laufe der Zeit, wie ein Vergleich der entsprechenden Passagen verdeutlicht. So heißt es im Commentarius de anima: »Er [sc. Aristoteles] fügt auch hinzu, daß er [sc. der wirkende Geist] abtrennbar, unvermischt und nicht dem Leiden unterworfen, sondern inaffizierbar ist, was einige für eine Erklärung der Unsterblichkeit [der menschlichen Seele] halten. Und ich habe nichts dagegen. Wenn er aber von den Handlungen spricht, dann bedeutet dies, daß es für diesen Geist kein Hindernis gibt, daß er sich nicht an den begegnenden sinnlichen Dingen abarbeitet, sondern sich von ihnen weiter entfernt und sich vieles aus der Ferne wie in einem Spiegel anschaut.«374
Melanchthon hält also zum einen ein ontologisches Verständnis der Attribute für möglich, die auf diese Weise ein Ausweis für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele sind (vgl. hierzu 2.3.5.). Zum andern versteht er die Attribute in Übereinstimmung mit Luthers Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation auch epistemologisch. Damit zeigt er an, daß der intellectus agens in seinem Erkennen von den sinnlichen Gegenständen unbeeinflußt ist. Vielmehr betrachtet er sie ‘aus sicherer Entfernung’, indem er von ihren Bedingungen des Hier und Jetzt abstrahiert, so daß dieser Erkenntnis gleichsam Ewigkeit zukommt. Wie diese Epistemologie mit der Ontologie zusammengeht, erklärt Melanchthon nicht. Im Liber de anima versteht er dagegen die Attri_________________________________________________________________________________________________________
et patientem ponit, Philippus in diversis.« (Disputationes physicæ tres de anima. Tübingen 1593, 37. Zitiert nach Sachiko Kusukawa, Between the De anima and dialectics: a prolegomenon to PhilippRamism, in: Sapientiam amemus. Humanismus und Aristotelismus in der Renaissance. Festschrift für Eckhard Kessler zum 60. Geburtstag hrsg. von Paul Richard Blum. München 1999, 127-139, hier: 131, Anm. 18) Unreflektiert übernommen wurde Melanchthons Ansicht von seinem Schüler Victorinus Strigelius (1524-69): »Intellectus agens, id est, excellens et heroica ingenii felicitas est acumen ingenij eximium et singulare, quod paucis contingit. Intellectus patiens est ingenium mediocre, quod accipit dictata ab alijs.« (Philippi Melanchthonis libellum de anima notae brevis et eruditae, traditae in Academia Jenensi. Leipzig 1590, 253) 373 Vgl. CR 13, 148: »Ut lumen oculos adiuvat, ita ait [sc. Aristoteles] intellectum patientem ab inventore adiuvari. Necesse est enim nos aut invenire ipsos consilia, aut aliorum inventis, tanquam dictatis uti … Praeterea inquit Aristoteles [vgl. De An. III 5, 430a10-14], hunc inventorem intellectum velut artem esse, alterum ut materiam, quam format et expolit artifex, ut praeceptor format ac erudit discipulum.« 374 Melanchthon, 214r: »Addit [sc. Aristoteles] etiam esse separabilem [sc. intellectum agentem], non mixtum, non obnoxium laesioni seu a)paqv=, quæ aliqui interpretantur de immortalitate, nec ego repugno. Sed si de actionibus loquitur, significat hunc intellectum non impedimentum esse, non immorari rebus obvijs ac sensibilibus, sed longius recedere & multa procul tanquam ex specula prospicere.«
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bute rein ontologisch, wie die Neufassung des eben zitierten Absatzes aus dem Commentarius de anima verdeutlicht: »Er [sc. Aristoteles] fügt auch hinzu, daß er [sc. der tätige Geist] abtrennbar, unvermischt und nicht dem Leiden unterworfen, sondern inaffizierbar ist, was einige für eine Erklärung der Unsterblichkeit [der menschlichen Seele] halten. Und ich habe nichts dagegen. Und mir ist es lieber, daß dies in Hinsicht auf die Unsterblichkeit verstanden wird, insbesonders weil Aristoteles anderswo sagt: Der Geist kommt von außen hinzu. Denn dies sind seine Worte im zweiten Buch De Generatione animalium [sc. II 3, 736b27f.]: ‘Es bleibt übrig, daß der Geist allein von außen hinzukommt und allein göttlich ist.’ Auf diese Weise deutet er an, daß er den himmlischen Geist für den Urheber hält, der das Licht im Gehirn vorbereitet. Wie dieser Geist aber beschaffen ist und wohin er entschwindet, entfaltet er nicht in den Büchern, die wir haben.«375
Angesichts seiner theologisch fundierten Erkenntnistheorie der noticiae innatae verwundert es nicht, daß Melanchthon das Interesse an der aristotelischen Erkenntnistheorie, die sich an den Phänomenen abarbeitet, verliert und den Schwerpunkt auf das Theorem von der Unsterblichkeit der Seele verlagert, um so Aristoteles als einen ihrer Verfechter vereinnahmen zu können. Hierbei identifiziert er nun offensichtlich den aristotelischen nou=j poihtiko/j als ein menschliches Seelenvermögen mit »jenem Geist, der als Urbild in den geistphilosophischen Prinzipien sein Urbild im menschlichen Geist geschaffen hat«376, d. h. mit Gott selbst. Er ist nicht nur der Ermöglichungsgrund jeglicher Erkenntnis, sofern er den menschlichen Geist erleuchtet, sondern stellt mit seiner Anwesenheit im menschlichen Geist dessen Unsterblichkeit sicher. Nur so wird verständlich, warum Melanchthon nachfolgend ausgerechnet unter Berufung auf Averroes eine weitere Erklärung gibt, wonach der intellectus agens niemand anderes sei als Gott: »Auch wenn die Vermutung des Averroes verspottet wird und vielleicht mit Aristoteles unvereinbar ist, so ist sie dennoch, wenn sie richtig verstanden wird, nicht ungereimt. Wenn er nämlich sagt, daß der tätige Geist Gott selbst ist, der die vorzüglicheren Regungen in den Menschen bewirkt, dann spricht er richtig, denn die vorzüglichen und gesunden Gedanken werden von Gott selbst angezeigt und gelenkt, wie Salomon sagt: ‘das Auge sieht und das Ohr hört, beides macht Gott’.«377
375 CR 13, 149: »Addit [sc. Aristoteles] etiam esse separabilem [sc. intellectum agentem], non mixtum, non obnoxium laesioni seu a)paqv=, quae aliqui interpretantur de immortalitate. Nec ego repugno. Et malim de immortalitate intelligi, praesertim cum alibi dicat Aristoteles: Mens extrinsecus accedit. Haec enim verba eius sunt in secundo de generatione [sc. II 3, 736b27f.]: Lei/petai de\ to\n nou=n mo/non qu/raqen e)peisie/nai kai\ qei=on ei)=nai mo/non. Inclinat enim eo, ut mentem existimet coelestem quandam facem esse, quae lucem cerebro praebeat, sed qualis sit, quo avolet, non explicat in his libris, quos habemus.« 376
Günter Frank, Melanchthons Idee, 365.
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CR 13, 149: »Etsi autem Averrois divinatio deridetur, et fortassis ab Aristotele aliena est, tamen si dextre intelligitur, non est absurda. Cum enim ait, facientem intellectum esse ipsum Deum cientem excellentiores motus in hominibus, vere dicit, excellentes et salutares cogitationes a Deo ipso monstrari et regi, ut Salomon inquit, ut oculus videat, et auris audiat, Deus facit utrumque.«
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Diese doppelte Bestimmung des intellectus agens als ein Vermögen der menschlichen Seele in ihrer Individualität und als Gott, womit das Fundament für die Individualität der Seele gerade aufgehoben wird, erscheint in der Tat »wie eine Quadratur des Kreises«378, die nicht beseitigt werden kann. Gerade die Berufung auf Averroes ist dabei nicht ohne Pikanterie, ist doch seine These vom numerischen Einssein des intellectus agens in allen Menschen auf dem 5. Laterankonzil von 1513 als häretisch verurteilt worden (vgl. 1.1.). Wie Melanchthon all diese Unstimmigkeiten sinnvoll hätte erklären können, ist nicht zu erkennen. 2.3.5. Die Unsterblichkeit der menschlichen Seele Auch der Locus De immortalitate animae humanae, mit dem Melanchthon seine beiden Werke zur Psychologie beschließt, macht diese Interpretation nicht einsichtiger. Denn hier bestimmt er den intellectus agens wiederum als ein Vermögen der menschlichen Seele, wie der nachfolgende Passus aus dem Liber de anima verdeutlicht: »Ich glaube, daß Aristoteles wie viele andere gebildete und ehrenwerte Menschen mehr dieser Ansicht gewesen ist, daß die Seele der Menschen nach dem Untergang der Körper gerade nicht zerstört wird, auch wenn sein Denken mit vielen Zweifeln verwirrt ist. Im dritten Buch De Anima spricht er so vom tätigen Geist, daß man meinen könnte, er wollte lieber glauben, jener sehr wertvolle Funken in der Seele des Menschen wird nicht mit dem Körper zerstört. Und anderswo unterscheidet er den Geist von der vegetativen und sensitiven Seele, indem er sagt [De An. II 2, 413b24-27]: ‘Hinsichtlich des Geistes ist noch nichts deutlich, aber es scheint eine andere Seelengattung zu sein, und diese allein kann sich abtrennen, wie das Ewige vom Vergänglichen’.«379
Wie gesehen, hat Luther die Attribute der Unsterblichkeit und Ewigkeit in De An. III 5, 430a22f. streng epistemologisch im Sinne der (platonischen) Teilhabe am Göttlichen und Ewigen verstanden, wie sie jeder Form zukommt (vgl. 2.2.2.3.). Melanchthon sieht sie dagegen als – wenn auch von Zweifeln durchsetzte – Beweise für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele an. Auch den Satz aus De An. II 2, 413b24-27 liest er als einen weiteren Beweis für diese Ansicht, während Luther darauf verwiesen hat, daß man aus diesem Satz nichts Gewisses entnehmen könne, da die Formulierung vollkommen unbestimmt sei (vgl. 2.2.2.2.). Es zeigt sich hier ein kategorialer Unterschied zwischen Luther und Melanchthon in ihrer beider Interpretationsweise: Während Luther den Kontext der Sätze beachtet, gleitet Melanchthon – und dies als Philologe! – 378
Günter Frank, Melanchthons Idee, 359.
379
Vgl. CR 13, 178: »Aristoteles existimo ut alios plurimos, eruditos et modestos homines magis hoc sensisse: animas hominum non prorsus extingui post corporum interitum, etiamsi multae dubitationes ceu venti hanc eius cogitationem turbarunt. In tertio libro de Anima sic de intellectu agente loquitur, ut existimari possit, maluisse eum hoc sentire, illum praestantiorem igniculum in anima hominis non extingui cum corporibus. Et alibi discernit mentem ab anima vegetativa et sentiente, inquiens: Peri\ de\ tou= nou= ou)de/n pw fanero/n, a)ll )e)/oike yuxh=j ge/noj e(/teron ei)=nai, kai\ tou=to mo/non e)nde/xetai, xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i/dion tou= fqartou=.«
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gleichsam über die Sätze hinweg, ohne sich näher mit dem sensus Aristotelis auseinanderzusetzen. Im weiteren Verlauf des Locus De immortalitate animae humanae wird freilich deutlich, daß den philosophischen Beweisen für die Unsterblichkeit ohnehin keine entscheidende Bedeutung zukommt.380 Denn die Beantwortung sowohl der Frage nach der Wiederauferstehung des ganzen Menschen als auch der nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, die sich bis zur resurrectio mortuorum vom Körper abtrennt, erfolgt im folgenden allein von der Hl. Schrift her. Für die erste Frage ist dies natürlich vollkommen richtig, da die Philosophie von einer Wiederauferstehung des ganzen Menschen in seiner Einheit als Körper und Seele nichts weiß. Allein Christus ist der Garant für diese Wiederauferstehung, wie der folgende Hymnus verdeutlicht. »Das leuchtende Zeugnis dafür, daß nach diesem sterblichen Leben ein ewiges Leben folgt, besteht darin, daß der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, nach seinem Tod am Kreuz wieder zum Leben erwachte. (…) Laßt uns deshalb auf Christus sehen, wie er nach seiner Auferstehung vom Tode mit den Aposteln vertrauten Umgang pflegt, sanft mit ihnen spricht, auf die Zeugnisse von seinem Leben hinweist und vieles andere lehrt. Laßt uns die Lehre hinzunehmen, durch die er selbst auf das deutlichste bekräftigt, er werde leibliches Leben nach dem Tode allen Menschen zurückgeben und diejenigen, die in diesem Leben sich zu Gott bekehrt hätten, würden daraufhin in alle Ewigkeit so in der himmlischen Kirche leben, daß sie im Genusse von Gottes Weisheit, Gerechtigkeit und Freude ihn von Angesicht schauen und dankbar preisen.«381
Voraussetzung dieser Wiederauferstehung vom Tod am Ende aller Tage im Jüngsten Gericht ist für Melanchthon die Bekehrung zu Gott, die auch ein willentlicher Akt des Menschen ist, was von orthodoxer Seite zum altbekannten Vorwurf des Synergismus führte. Die andere Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele bzw. genauer nach der Abtrennung des spiritus vom Körper und seinem Fortleben ohne den Körper 380 Vgl. ebd.: »Sed philosophorum dubitationes relinquamus, et caliginem animarum nostrarum, quae peccatum secuta est, deploremus, et maiore cura vocem divinam de voluntate Dei, de beneficiis domini nostri Iesu Christi, et de restitutione vitae perpetuae concionantem audiamus …« Von diesen starken Zweifeln scheint die platonische Philosophie ausgenommen zu sein, denn in der Oratio de Platone heißt es an zwei Stellen: »Audiebat [sc. adolescens] enim Philosophum [sc. Plato] magno studio de Deo, deque immortalitate disserentem, ut epistolae testantur quae adhuc extant. Porro haec fundamenta sunt verae virtutis, tenere rectam de Deo et de immortalitate animorum sententiam: Haec philosophia regibus digna est.« (CR 11, 418) »Disputat [sc. Plato] enim satis graviter de immortalitate animorum humanorum, et Philosophiae finem ubique constituit agnitionem Dei …« (A. a. O., 424) Das von Melanchthon benannte Ziel der Philosophie, nämlich die agnitio Dei, ist also theologisch fundiert und platonisch motiviert. 381 CR 13, 172: »Illustre testimonium est de vita perpetua secutura post hanc mortalem vitam, quod filius Dei dominus noster Iesus Christus crucifixus et mortuus, postea revixit … Intueamur igitur Christum in hac Apostolorum consuetudine, postaquam ex morte revixit, dulcissime cum eis colloquentem, et testimonia de sua vita ostendentem, ac multa docentem. Et adiungamus ad hoc exemplum doctrinam, in qua planissime adfirmat ipse, redditurum se esse vitam in corporibus omnibus hominibus post mortem, et eos, qui in hac mortali vita ad Deum conversi fuerunt, in omni aeternitate deinceps in coelesti Ecclesia ita victuros esse, ut Deum coram intueantur et fruantur eius sapientia, iusticia et laeticia, et vicissim eum gratia celebrent.«
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bis zu dessen Wiederauferstehung beantwortet der Reformator von Lk 23,43 her: Wenn die Seele des Schächers vergehen würde, dann wäre er nicht noch am selben Tage mit Christus im Paradies. Folglich ist der spiritus fortdauernd und ewig.382 Was Melanchthon damit meint, wird im Rückgriff auf seine theologische Definition der anima humana als spiritus intelligens und der näheren Bestimmung dieses spiritus als spiritus vitalis & animalis deutlich. Sofern sich nämlich in frommen Menschen der Hl. Geist mit ihnen mischt, so daß sie dessen Wohnstätte werden, wird ersichtlich, daß für Melanchthon der durch den Hl. Geist gewirkte spiritus (intelligens) als spiritus separabilis & superstes das im eigentlichen Sinne Unsterbliche im Menschen ist. Damit erweist sich ein letztes Mal, daß Melanchthons philosophische Psychologie im Kern eine theologische Anthropologie ist. 2.4. Resümee Die Darstellung von Luthers Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation sowie von Melanchthons Commentarius bzw. Liber de anima hat zwei vollkommen verschiedene Weisen des Umgangs mit der aristotelischen Lehre der Seele und des Geistes erbracht. Beide Interpretationen sind der Versuch, der Sache des Protestantismus auch in der Philosophie Geltung zu verschaffen, wobei der Wandel in der Beurteilung des Aristoteles zu beachten ist: Während Luther in seiner frühen Disputation von 1518 um die Freiheit der Theologie von der Philosophie rang, was eine kritische, zuweilen polemische Haltung gegenüber Aristoteles nach sich zog, hat Melanchthon in seinen Werken von 1540 bzw. 1552 das Programm einer (vermeintlich) in Aristoteles grundgelegten Psychologie ausgestaltet. Dabei ergab der Rückgang auf Alexanders’ De Anima und Simplicius’ Commentaria in libros Aristotelis de Anima interessante Einsichten in die Traditionsbezüge beider Autoren. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse sollen nochmals kurz zusammengefaßt werden. 1. An Alexanders ‘originären’, von platonischen, stoischen und christlichen Lehren unbeeinflußten Aristotelismus besteht kein Zweifel. Deutlich wird dies an der Bestimmung der untrennbaren Einheit von Körper und Seele, die nicht theologisch durch eine Unsterblichkeit der Seele oder platonisch durch eine Seelenwanderung überhöht wird, sondern die Vergänglichkeit beider im Tod impliziert. Diese fundamentale Endlichkeit aller Lebewesen kann auch der Mensch (ontologisch) nicht überwinden. Allein im Denken, das ihn am meisten vom Tier unterscheidet, kristallisiert sich so etwas wie eine ‘geistige’ Unvergänglichkeit heraus, indem der nou=j e)pi/kthtoj in der Einheit von Denken und Gedachten den nou=j qu/raqen ‘irgendwie’ in sich aufnimmt und ihm inso382 Vgl. a. a. O., 173: »Sed alia quaestio est: An humana anima sit spiritus separabilis a corpore, et superstes cum discessit a corpore, qui intelligat, et adficiatur laeticia aut dolore. Id confirmant haec dicta. Matthei 10. [?] Christus diserte inquit: Corpus occidunt, animam vero occidere non possunt. Ad latronem inquit [Lk 23,43]: Hodie eris mecum in paradiso. Si exhalans anima dissiparetur, certe non esset una cum Christo. Est igitur spiritus superstes.«
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fern ähnlich wird, als dessen fortwährendes Intelligibelsein in diesem Moment des Denkens auf ihn selbst übergeht. Allein der Geist ist also der ‘Ort der Unvergänglichkeit’, und die Philosophie ist diejenige Disziplin, die das Denken in dieser reinen Form in ihrer fortwährenden Arbeit an den Begriffen möglich macht. 2. Luthers Bezugnahme auf Alexander als Gewährsmann zur Stützung seiner These, wonach Aristoteles die Geistseele für sterblich gehalten habe, verdeutlichte, wie sehr ein ‘heidnischer’ Aristoteles einem Theologen in seinem Kampf gegen die scholastische Theologie von Nutzen sein konnte. Denn ein solcher Aristoteles erwies (wenn auch nur ex negativo) gerade die Differenz von Philosophie und Theologie, die zu verteidigen Luther – bis hin zu der gewagten These von ihren verschiedenen Wahrheitsbereichen383 – nicht müde wurde und zur Forderung nach einer neuen theologischen Begrifflichkeit führte.384 Das hiermit verfolgte Programm ist klar: Luther forderte eine Theologie, die nicht den Regeln und Worten der Philosophie unterworfen, sondern von ihnen frei ist.385 Dem alexandrinischen Aufweis von der Sterblichkeit der menschlichen Seele gemäß den Prinzipien der aristotelischen Philosophie entsprach damit der Glaube an ihre Unsterblichkeit gemäß der Verheißung in der Hl. Schrift. Damit konnte die Theologie die scholastische Vermischung beider Disziplinen auch von der Philosophie her kritisieren. Geschah dieser Differenzerweis von Philosophie und Theologie bei Luther anfänglich auch im Kampf gegen die (aristotelische) Philosophie selbst, so konnte er sie später in seinen Disputationen De homine von 1536 und zu Joh 1,14: Verbum caro factum est von 1539 positiv als eine Wissenschaft würdigen, die ihren eigenen Gegenstand hat, dabei aber mit ihrem Metabasis-Verbot die jeweiligen Grenzen der Wissenschaften beachtet. 3. Der Versuch, die These von der Sterblichkeit der Seele bei Aristoteles von De An. III 5 her zu beweisen, geschah bei Luther auf rein philosophieimmanente Weise: Mit der Annahme, daß der Stagirite dort den intellectus agens nicht secundum esse, sondern secundum operationem bestimmte, versuchte Luther, die scheinbar ontologische Begrifflichkeit (separabilis, immortalis etc.) als eine epistemologische zu erweisen. 383 Vgl. WA 39,2 (Disputatio de sententia: Verbum caro factum est (Joh 1,14), 1539), 3,1-4,1: »1. Etsi tenendum est, quod dicitur: Omne verum vero consonat, tamen idem non est verum in diversis professionibus. 2. In theologia verum est, verbum esse carnem factum, in philosophia simpliciter impossibile et absurdum. 3. Nec minus, imo magis disparata est praedicatio: Deus est homo, quam si dicas: Homo est asinus. 4. Sorbona, mater errorum, pessime definivit, idem esse verum in philosophia et theologia. 5. Impieque damnavit eos, qui contrarium disputaverunt.« 384
Vgl. WA 39 I, 229,6-19 (Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann vom 1. Juni 1537): »Scitis, quod physica semper attulit et affert aliquid mali et incommodi theologiae, propterea, quia una quaeque ars habet suos terminos et sua vocabula, quibus utitur, et ea vocabula valent in suis materiis. Iuristae sua habent, medici sua, physici sua. Haec si transferre ex suo foro et loco in aliud volueris, erit confusio nullo modo ferenda. Nam tandem obscurat omnia. Si tamen vultis uti vocabulis istis, prius quaeso illa bene purgate, füret sie mal zum Bade.« Vgl. hierzu ausführlich Stefan Streiff, »Novis linguis loqui«. 385 Vgl. WA 39,2, 7[C],36f.: »Fides non est regulis seu verbis philosophiae adstricta aut subiecta, sed est inde libera.«
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Diese Interpretation hat ihren entscheidenden Bezugspunkt in De An. III 4, 430a5f., auch wenn sich Luther selbst nicht explizit auf diese Stelle berief: Dort beginnt Aristoteles bekanntlich mit der Erörterung des Erkenntnisprozesses (vgl. 429a13), die zu der Frage führt, warum der Nous nicht immer erkennt (430a5f.), und genau diese Frage will er mit seinen Erörterungen in III 5 beantworten. Die Bestimmung des intellectus agens als ein Vermögen der menschlichen Seele zielte für Luther also allein auf dessen Funktion im Erkenntnisprozeß ab. Daß diese Interpretation letztlich in eine Aporie mündete, lag nicht nur an der fehlenden Sorgfalt Luthers – so beachtete er nicht immer den logischen Zusammenhang des Textes –, sondern auch an der nicht zu leugnenden ontologischen Dimension des intellectus agens, die Alexander richtig erkannt hat: Die Psychologie ist in ihrem Höhepunkt nicht oder nicht ausschließlich eine Epistemologie, sondern eine spekulative Philosophie des Geistes. 4. Simplicius’ neuplatonische Interpretation von Aristoteles’ De Anima markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Rezeption dieses Werkes: Die Angleichung von Platon und Aristoteles in der Frage nach der Selbstbewegung der Seele und hinsichtlich ihrer Bestimmung als eines mittleren Charakters – als zugleich sinnlich und intelligibel, sterblich und unsterblich, teilbar und unteilbar etc. –, der ihrem Abstieg in die Sinneswelt geschuldet ist und durch ihren Aufstieg in die Ideenwelt kompensiert werden muß, war in der Antike und dann wieder im 15./16. Jh. von großer Bedeutung für den Versuch einer eklektischen Philosophie unter platonischen Prämissen. Genau aus diesem Grunde erschien der Neuplatonismus mit seinem scharfen Leib-SeeleDualismus, der Tendenz zur Weltverneinung und seiner These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele auch vielen christlichen Autoren dem Christentum affiner zu sein. Simplicius gelang es dabei, Aristoteles’ Lehre so zu verändern, daß die sumfoni/a mit Platon als Vollendung der Philosophie erschien. Es konnte jedoch an seinem Verständnis der e)nte/lexeia als e)nte/lexeia a)telh/j sowie an seiner Logos-Lehre gezeigt werden, daß diese Interpretation mit der aristotelischen Psychologie unvereinbar ist. 5. Gleiches gilt für Melanchthons De Anima-Interpretation, die nicht nur starke neuplatonische Elemente enthält – ohne daß sich eine direkte Simplicius-Lektüre nachweisen läßt –, sondern auch theologische Lehren, die zu einer kompletten Überformung der aristotelischen Psychologie führten. So zeigte sich in der Auseinandersetzung mit Amerbach um den Begriff der e)nte/lexeia die theologische Absicht Melanchthons, die philosophische Bestimmung der Seele als e)nede/lexeia bzw. itio ad formam als eine unvollkommene zu erweisen, die notwendig der Ergänzung durch die Theologie bedarf, welche die Seele im Sinne Augustins als substantia spiritualis bestimmt.386 Auch seine spiritus-Lehre war nach diesem Muster konzipiert: Mag auch die Philosophie durchaus Mittel zur Affektbeherrschung bereithalten, so gelingt dies nach Melanchthon erst dann vollkommen, wenn sich der sanctus spiritus mit den physiologischen spiritus ver386 Vor diesem Hintergrund ist es kein »Mißverständnis«, wie Frank behauptet, »eine Wertung beider Konzepte [sc. Melanchthons und Amerbachs] hinsichtlich ihrer Aristotelesauthenzität zu fällen.« (Veit Amerbach, 127) Als ob es keinen Maßstab gäbe, mit dem man über Nähe oder Ferne zum sensus Aristotelis entscheiden könnte!
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mischt und so der Wille des Menschen in Einklang mit Gott gebracht wird. Schließlich ließ auch die Rezeption der stoisch-neuplatonischen Theorie von den angeborenen Ideen kein Zweifel daran, daß Gott allein das Wissen dieser Welt sichert, indem er die Ideen als Strahlen seiner Weisheit in den menschlichen Geist einstreut. Vor diesem Hintergrund erweist sich jegliches Bemühen einer weltlichen Philosophie, ein vollkommenes Leben in Theorie und Praxis zu führen, als per se vergeblich und eitel. Sie bedarf immer der Ergänzung seitens der Theologie, die allein dieses Leben von Gott her ermöglicht. 6. Diese philosophisch-theologische Eklektik gereichte freilich beiden Disziplinen nicht zum Vorteil. Denn anders als Luther gelang es Melanchthon mit diesem Program nicht, die Differenz von Philosophie und Theologie offenzuhalten. Seine krude Vermischung beider Disziplinen, die jeden philosophischen Locus theologisiert und verchristlicht, beraubt der Philosophie die Möglichkeit, aus sich selbst heraus die Kraft für ein besonnenes und der Wahrheit dienliches Argumentieren zu entwickeln, und hindert die Theologie, das Andere ihres Glaubens in Differenz zur Philosophie deutlich zu machen. Dies ist auch der Grund, weshalb Melanchthons Psychologie zu Recht von Frank und Stiening eine ‘theologische Anthropologie’ bzw. ‘theologische Psychologie’ genannt worden ist. Das Werk ist nur vordergründig eine philosophische Psychologie, das sich um ein Verständnis der aristotelischen Lehre bemüht. 7. Vor diesem Hintergrund ist es aus philosophischer (und auch aus theologischer) Sicht verständlich, wenn Melanchthons Werke zu Beginn des 17. Jh.s an den lutherischen Hochschulen mehr und mehr durch andere Schriften, die dem sensus Aristotelis angemessener waren, ersetzt worden sind. Der Anlaß hierfür liegt im Bekanntwerden der Lutheraner mit den Werken des spanischen und italienischen RenaissanceAristotelismus begründet, der mit den Errungenschaften des Humanismus und einem veränderten philosophischen Interesse eine Neuinterpretation der aristotelischen Schriften unternahm. Dies ist im nun folgenden Kapitel aufzuzeigen.
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3. Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus 3.1. Einleitung ARISTOTELHS APANTA1
Der spanische, portugiesische und italienische Renaissance-Aristotelismus des 16. Jh.s vereint in sich Altes und Neues, Tradition und Fortschritt. Er gilt als die Zweite Scholastik2, und dennoch ist er mehr als die bloße Wiederholung der Ersten Scholastik des Mittelalters, hat er doch die Errungenschaften des Humanismus in sich aufgenommen, der sich ja gerade durch eine Absetzbewegung von ihr im Rückgriff auf die Antike auszeichnete. Wir finden hier also, wie Schmitt es nannte, »a sound and, in its way, progressive fusion of medieval scholasticism and Renaissance humanism.«3 Dieser Zusammenschluß von Humanismus und Scholastik geschah freilich in den verschiedenen Zentren des Aristotelismus auf uneinheitliche Weise. An den spanischen und portugiesischen Universitäten wurde im Verlauf des 16. Jh.s ein neuer Orden bestimmend, der 1539 durch Ignatius von Loyola (1491-1556) mit einigen Freunden in Rom gegründet und bereits 1540 durch Papst Paul III. anerkannt worden ist: Der Orden der Societas Jesu. Berühmte Vertreter dieses Ordens waren neben Petrus Fonseca (1528-1599), Benedictus Pererius (1535-1610) und Francisco Suárez (1548-1617) der aus Cordoba stammende Franciscus Toletus (1532-96)4 sowie die 1 »Aristoteles omnia« / »Aristoteles ist alles« – Inschrift von Zabarellas Emblem, das ein Buch auf einem Podest zeigt. Abgedruckt in: Jacobus Philippus Tomasinus, Illustria virorum elogia iconibus exornata. Padua 1630, 140. Reprint in: Nicholas Jardine, Keeping Order in the School of Padua: Jacobo Zabarella and Francesco Piccolomini on the Offices of Philosophy, in: Method and Order in Renaissance Philosophy of Nature. The Aristotle Commentary Tradition. Edited by Daniel A. Di Liscia u. a., Aldershot 1997, 183-209, hier: 199. Auch ein Porträt zeigt Zabarella mit einem Buch, auf dem Spruch ARISTOTELHS APANTA abgedruckt ist. Vgl. Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Reihe A. Band 1−36 [wird fortgeführt]. München 1986ff., hier: Bd. 28, 192. 2
Vgl. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRPH, 507: »The ‘second scholastic’.« Ulrich G. Leinsle nennt diese Schulphilosophie die »Scholastik der Neuzeit« oder »neuzeitliche Scholastik« (Die Scholastik der Neuzeit bis zur Aufklärung, in: Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Band. Rückgriff auf scholastisches Erbe. Hrsg. von Emerich Coreth. Graz 1988, 54-69, hier: 54). 3
Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 21.
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Toletus wurde 1532 in Cordoba geboren. Er studierte Philosophie in Zaragoza und Theologie in Salamanca u. a. beim Thomisten Domingo de Soto (1494/5-1560), wo er seit 1554 auch Philosophie unterrichtete. 1558 trat Toletus in den Jesuitenorden ein. Von 1559-63 lehrte er Philosophie am Collegium Romanum, das 1551 von den Jesuiten gegründet worden war. Aus dieser Lehrtätigkeit sind seine Kommentare zur Logik und Naturphilosophie hervorgegangen, die alle in den hier zugrunde liegenden Opera omnia philosophica I-V (Köln 1615/6. Nachdruck herausgegeben und eingeleitet
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Autoren des Collegium Conimbricense5. Sein besonderes Kennzeichen war das Zusammen von Theologie und Philosophie, das zu einem umfassenden Bildungsprogramm führte, von dem wir in den verschiedenen Studienordnungen der Jesuiten von 1586, 1591 und 1599 einen eindringlichen Eindruck vermittelt bekommen.6 Hierzu gehörte auch die »Integration des Humanismus«7. So findet sich in der Studienordnung von 1586 unter der Überschrift De studiis humanitatis, hoc est, grammaticae, historiae, poeticae et rhetoricae unter Verweis auf Ignatius die Ermahnung, daß »uns zu diesen Studien nicht nur der Nutzen, sondern [auch] die offensichtliche Notwendigkeit … anhalten muß«8. Zu diesem Kanon der studia humanitatis gehörte die ganze Bandbreite der klassischen griechischen und lateinischen Autoren wie Demosthenes, Xenophon, Homer, Euripides, Sophokles, Thukydides, Quintilian, Cicero, Plutarch etc. _________________________________________________________________________________________________________
von Wilhelm Risse. Hildesheim u. a. 1985) enthalten sind: Introductio in dialecticam Aristotelis, Rom 1561; Commentaria una cum quæstionibus in universam Aristotelis logicam, Rom 1572; Commentaria una cum quæstionibus in octo libros Aristotelis de physica auscultatione, Venedig 1573; Commentaria una cum quæstionibus in duos libros Aristotelis de generatione et corruptione, Venedig 1575; Commentaria unà cum Quæstionibus in tres libros Aristotelis de Anima, Venedig 1575. Letzteres Werk erlebte bis 1625 europaweit mindestens 23 Auflagen. Bereits 1576 erschien eine Ausgabe in Köln. In Deutschland folgten bis 1625 fünf weitere Auflagen (vgl. hierzu die einzelnen Nachweise bei Risse, Bd. 5). Von 1563-69 hielt Toletus am Collegium Romanum theologische Vorlesungen u. a. über die Summa theologiae des Thomas. 1569 ernannte ihn Pius V. zum Theologen der Poenitentiarie, dem Gericht der römischen Kurie, und der Heiligen Inquisition sowie zum Prediger am päpstlichen Hof. Seit 1571 war er auch als Nuntius der römischen Kurie tätig. Aufgrund dieser Tätigkeiten wurde er 1593 als erster Jesuit zum Kardinal ernannt. Bis zu seinem Tod im Jahre 1596 in Rom wirkte er wesentlich an der Gestaltung der verschiedenen Studienordnungen der Jesuiten mit. Zu Leben und Werk vgl. Zedler, Bd. 44, 1121-23. Lohr, 458-61. 5 Initiiert von Petrus Fonseca und fortgeführt von Emmanuel de Goes (1542-1597), Cosmas de Magelhães (1551-1624), Balthasar Alvarez (1561-1630) und Sebastian de Couto (1567-1639) veröffentlichte das Collegium Conimbricense zwischen 1592 und 1598 zahlreiche Kommentare zu den Hauptwerken der aristotelischen Naturphilosophie, die bereits in der Einleitung genannt worden sind (vgl. 1.2., Anm. 48). Für den vorliegenden Zusammenhang ist allein der De Anima-Kommentar von Interesse, der nach folgender Auflage zitiert wird: Commentarii Collegii Conimbricensis Societatis Iesu in tres libros de Anima Aristotelis Stagiritæ hac tertia editione, Græci contextus Latino è regione respondentis accessione auctiores, & emendatiores. Lyon 1604 (Coimbra 11595). Das Werk wurde bis zum Jahr 1629 europaweit mindestens 18mal neu aufgelegt, davon allein sechsmal (erstmals 1600) in Köln. Vgl. hierzu die Nachweise bei Risse, Bd. 5. Zu den Conimbricensern im allgemeinen vgl. Lohr, 98f. John P. Doyle, Art. The Conimbricenses, in: Routledge Encyclopedia of Philosophy 2, 406-408. Ders., Introduction, in: The Conimbricenses, Some Questions on Signs. Translated with Introduction and Notes by John P. Doyle. Milwaukee 2001, 15-29. 6
Vgl. Monumenta paedagogica societatis Iesu. Ed. Ladislaus Lukács. Vol. 5. Ratio atque institutio studiorum societatis Iesu (1586, 1591, 1599). Rom 1986. 7 Paul Richard Blum, Philosophenphilosophie und Schulphilosophie. Typen des Philosophierens in der Neuzeit. Stuttgart 1998, 50. 8 Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1586), 111: »Porro ad haec studia non utilitas modo, sed evidens necessitas … debet nostros impellere …«
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Auch in Italien war der Humanismus ein fester Bestandteil der schulischen und universitären Ausbildung.9 So wurde um 1500 in Padua die lectura Humanitatis Græcæ & Latinæ an der Universität institutionalisiert.10 Ein bedeutender Vertreter dieser Disziplin war Francesco Robortello (1516-67), der dort in den fünfziger und sechziger Jahren die Professuren für Ethik und Politik sowie Rhetorik und Poetik innehatte und zahlreiche Schriften zu diesen Disziplinen veröffentlichte.11 Hierzu gehörte auch die Schrift In librum Aristotelis de Arte Poetica explicationes von 1548, »the first of the great commentaries«12 zur aristotelischen Poetik, die in der Scholastik gänzlich unbekannt war. Bereits im Untertitel dieser Schrift verdeutlichte Robortello dabei den humanistischen Anspruch: Unter Berücksichtigung von mehreren griechischen Codices einen von Entstellungen gereinigten Text zu präsentieren, der es überhaupt erst möglich mache, diesen difficillimus, ac obscurissimus liber zu verstehen.13 Diese Forderung ad fontes finden wir auch noch bei seinem Schüler Jacobus Zabarella (1533-89)14, ohne Zweifel einer der luzidesten Aristoteliker aller Zeiten. Obgleich er, wie Tomasinus in seiner Illustrium virorum elogia von 1630 betonte, ein Mann ge9
Vgl. hierzu Paul F. Grendler, The Universities of the Italian Renaissance. Baltimore u. a. 2002, 199-248. 10
Vgl. Jacobus Philippus Tomasinus, Gymnasium Patavinum libris V. comprehensum. Utini 1654. Nachdruck [ohne Ortsangabe] 1986, 340. 11 Zu Biographie und Werk vgl. Lohr, 388. David A. Lines, Aristotle’s Ethics in the Italian Renaissance (ca. 1300-1650). The Universities and the Problem of Moral Education. Leiden 2002, 439. 12
Brian Vickers, Rhetoric and Poetics, in: CHRP, 715-45, hier: 718.
13
Vgl. Francesco Robortello, In librum Aristotelis De Arte Poetica explicationes. Qui ab eodem Authore ex manuscriptis libris multis in locis emendatus fuit, ut iam difficillimus, ac obscurissimus liber, à nullo ante declaratus, facilè ab omnibus possit intelligi. Florenz 1548. Nachdruck herausgegeben von Bernhard Fabian. München 1968. 14 Zabarella wurde 1533 in Padua geboren, wo er die humanitates bei Robortello und Joannes Faseolus, dem Übersetzer des De Anima-Kommentars von Simplicius, die Logik bei Petrus Arquanus und Bernardius Tomitanus sowie die Naturphilosophie bei Marcantonio Genua studierte. 1564 wurde er dort ordentlicher Professor der Logik, 1568 zweiter, 1577 erster außerordentlicher Professor der Naturphilosophie und 1585 schließlich zweiter ordentlicher Professor für die Naturphilosophie. Aus diesen Vorlesungstätigkeiten resultierten die zahlreichen Werke Zabarellas zur Logik und Naturphilosophie, die in den Opera logica von 1578 (hier verwendete Auflage Köln 1597. Nachdruck herausgegeben von Wilhelm Risse. Hildesheim 1966) und der posthumen Sammlung De Rebus naturalibus libri XXX. Quibus quæstiones, quæ ab Aristotelis interpretibus hodie tractari solent, accuratè discutiuntur von 1590 (hier verwendete Ausgabe Frankfurt 1607. Nachdruck Frankfurt am Main 1966) zusammengefaßt worden sind. Letzteres Werk, dessen Vorgänger die 1586 veröffentlichte Textsammlung De Naturalis scientiæ constitutione ist, erlebte bis zu den Opera Omnia von 1654 europaweit mindestens 12 Auflagen. Zabarella starb 1589 in Padua vermutlich durch Selbstmord, wie einer Anmerkung von Tomasinus zu entnehmen ist: »Voluente fato migravit è vita anno salutis MDLXXXVIIII« (Illustrium virorum elogia iconibus exornata. Padua 1630, 139). Riccoboni äußerte sich in seiner Oratio in obitu Iacobi Zabarellae (veröffentlicht Padua 1590) begreiflicherweise nicht zu dieser Frage. Zu Leben und Werk vgl. ferner Freher, 1482f. Zedler 60, 980-82. Lohr, 497-503. Heikki Mikkeli, An Aristotelian Response to Renaissance Humanism: Jacopo Zabarella on the Nature of Arts and Sciences. Helsinki 1992.
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wesen sei, der von Natur aus ad Eloquentiam & Græcas literas geführt worden sei15, geht man wohl nicht fehl in der Annahme, daß Zabarella von Robortello das humanistische Rüstzeug für eine kritische Textexegese vermittelt bekommen hat.16 Auch für ihn gehörte der Vergleich mehrerer griechischer Codices des Aristoteles, von denen er selbst mehrere besaß, zum Standard einer korrekten philologischen Arbeit. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, von all diesen Codices abzuweichen, sofern der überlieferte Text keinen Sinn ergab, wie ein Beispiel aus seinen erst posthum 1605 in Venedig veröffentlichten Commentarii in III. Aristotelis libros de anima belegt.17 Wir sehen hier also eine echt philosophische Freiheit, die den sich aus dem Kontext ergebenden Sinn über die Textüberlieferung stellt. Das Ergebnis all dieser humanistischen Bemühungen um einen ‘gereinigten’ Aristoteles sind die von Isaac Casaubon (1559-1614) herausgegebenen Opera omnia von 1590, die den griechischen Text zusammen mit neuen lateinischen Übersetzungen bieten, die, so heißt es im Untertitel, »dem griechischen Zusammenhang besser entsprechen als die jüngeren und älteren Interpreten«18. Ziel dieser Unternehmung war dabei, so Kessler, die »Vereinigung der im 16. Jahrhundert auseinander driftenden philosophisch-sachlichen mit den humanistisch-sprachlichen Kriterien«19 oder mit anderen Worten die Vereinigung eines echt philosophischen Interesses mit einer Philologie als Grundlage einer korrekten wissenschaftlichen Arbeit. Daß Casaubons Werk dieses Ziel offensichtlich erreichte, belegen für Kessler zwei Tatsachen: Zum einen wurde es 1597 und 1607 in leicht veränderter Form vom Zabarella-Schüler Pacius (1550-1635) neu ediert bzw. 1605 in gleicher Gestalt nochmals aufgelegt. Zum andern wurden die in 15 Vgl. Tomasinus, Illustrium virorum elogia, 136: »Ad Eloquentiam primùm, & Græcas literas naturâ duce ferri visus est …« 16 Es ist wohl eine Reminiszenz an Robortello, wenn Zabarella im zweiten Buch seiner Schrift De Natura logicæ in den Kapiteln 13-23 ausführlich die Rhetorik und Poetik als Teil der Logik bestimmt hat (in: Opera logica, 1-102, hier: 78A-100C). 17 Vgl. Zabarella, Commentarii in III. Aristotelis libros de anima. Frankfurt 21606 (Venedig 11605; weitere Auflagen 1619 und 1654 als Teil der Opera omnia). Nachdruck Frankfurt am Main 1966, hier: III [4], t. 11, 841C: »Græci quidem codices omnes, quos habeo, habent, a)/llw [vgl. De An. III 4, 429b13], sic etiam legitur in textu Simplicii, tamen Simplicius ita horum verborum interpretatione non sumit, a)/llw, sed a)/llo, & similiter Themistius ita interpretatur, ut sumat, a)/llo, quare rationi consonum est, ut in codice aliquo antiquo legerint, a)/llo, ut omnino credo legendum esse …« An anderer Stelle vermerkte Zabarella, daß er drei griechische Codices der Schrift De Anima besaß (vgl. a. a. O., III [5], t. 17, 873E). 18 Vgl. ARISTOTELOUS TOU STAGEIRITOU TA SWZOMENA. Operum Aristotelis Stagiritæ philosophorum omnium longe principis nova editio, græcè & latinè … ex bibliotheca Isaaci Casauboni. Latinæ interpretationes adiectæ sunt quæ Græco contextui melius responderent, partim recentiorum, partim veterum interpretum: in quibus & ipsis multa nunc emendatius quam antehac eduntur. Tomus primus & secundus. Lyon 1590. Genf 21605. Zu Casaubon vgl. Lohr, 81. Anthony Grafton, Protestant versus Prophet: Isaac Casaubon über Hermes Trismegistus, in: Das Ende des Hermetismus, 283-303. 19
Eckhard Kessler, Einleitung, in: Aristoteles latine, VII-XXXI, hier: XVII.
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ihm versammelten lateinischen Übersetzungen zum Grundstock der letzten großen Aristoteles-Ausgabe der Renaissance durch Wilhelm Du Val (1575-1646) im Jahre 1619 in Paris.20 Für unseren Zusammenhang ist hierbei eine Änderung bemerkenswert: Du Val ersetzte die ältere De Anima-Übersetzung des Argyropolus21 durch die neue kongeniale des Pacius, die dieser im Rahmen seines 1596 veröffentlichten Kommentars Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine gegeben hatte.22 Der Grund für diese Änderung dürfte in der geforderten Vereinigung von einem echt philosophischen Interesse mit einer grundsoliden philologischen Arbeit liegen, die noch Schmitt in den höchsten Tönen lobte23. Diese Bemühung um den griechischen Urtext des Aristoteles ging mit einer breiten Rezeption der antiken Autoren Alexander, Themistius, Simplicius und Philoponus einher, deren Werke im Mittelalter zum großen Teil unbekannt waren und die nun im 16. Jh., wie im 2. Kapitel gesehen, erstmals im griechischen Original bzw. in neueren lateinischen Übersetzungen zugänglich gemacht wurden. Ihr Einfluß auf die Renaissance kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden, wie auch Grendler betont: »The Middle Ages had an Averroistic Aristotle, a Thomistic Aristotle, an Albertine Aristotle, and so on. Now the Renaissance began to have an ancient Greek Aristotle, or better, several ancient Greek Aristotles.«24 So ist von Nicoletto Vernia (1420-1499) bekannt, 20 Vgl. Aristotelis opera omnia, quæ extant, græcè & latinè, veterum ac recentiorum interpretum, ut Adriani Turnebi, Isaaci Casauboni, Julij Pacij studio emendatissima. Authore Guillelmo Du Val, Philosophiæ græcæ & latinæ in Parisiensi Academia Regio Professore, & Doctore Medico. Paris 1619. Zu Du Val vgl. Lohr, 130. 21
Vgl. Opera omnia Aristotelis (Ed. Casaubon). Tomus primus, 379-407.
22
Vgl. Julius Pacius, Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga interprete. Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros commentarius analyticus … Frankfurt 1596. Abgedruckt in: Aristotelis opera omnia (Ed. Du Val). Tomus primus, 616-661. 23 Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 83-85: »For example, with the precision and care of the scrupulously accurate translator he [sc. Pacius] clearly indicated words introduced into his Latin version that had no correspondence in the Greek text. Thus he supplied missing verbs, clarified suppressed antecedents, and generally tried to give a precision to the Latin which is often missing the Greek. All of this is obvious to the reader, since the additions are printed in italic type. In the Physics he also adds marginal glosses clarifying obscure points. This helps the reader with the problem of teminology and once again shows that Pacius considered his translation more a conventional representation of the Urtext than a replacement for it. Following medieval tradition he was quite willing to retain terms such as homonymum or substantia, nor did he hesitate upon occasion to bring untranslatable Greek terms into his version, not even bothering to naturalize them by transliterating them into Roman characters. The use of Greek terms allowed him to deal rather successfully with thorny problems such as how to bring Greek discussions involving distinctions between definite and indefinite article into intelligible … Latin. In this way Pacius represents a return to the medieval technique of William of Moerbeke. On the other hand, he was certainly heir of the humanist tradition, knowing how to collate and emend different versions of the text, being aware of the importance of representing a Greek text as well as a Latin version, and recognizing his own historical place in a long line of interpreters.« 24
Paul F. Grendler, Universities, 227.
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daß sein »dramatic shift from literal Averroism to opposition of Averroes resulted in great part from his later study of the commentators, particularly Themistius and Simplicius«25. Ein ähnlich großer Einfluß der Neuplatoniker lag bei Agostino Nifo (1469/70-1536)26, Marcantonio Zimara (1460-1532)27 sowie bei Marcantonio Genua (1490/1-1563)28 vor, bei dem, so Kessler, »the real breakthrough of Neoplatonism into Renaissance psychology«29 geschah. Was diese Rezeption für den RenaissanceAristotelismus bedeutete, ist bis jetzt von der Forschung noch nicht umfassend untersucht worden. Daß einige Aristoteliker jedoch die Gefahr erkannten, die aus einer Platonisierung des Aristoteles resultierte, wird aus Folgendem deutlich: Simone Portio (1496-1554)30, der durch seine Ausbildung bei Pomponazzi antiplatonisch gesinnt war, setzte sich in seinem Hauptwerk De humana mente disputatio von 1551 neben Philoponus insbesondere mit Simplicius auseinander, dem er eine Vermischung von Platon und Aristoteles vorwarf.31 In dieser Einschätzung ist ihm Zabarella gefolgt, der in seinem De Anima-Kommentar wie auch in seinen systematischen Abhandlungen – sicher als Reaktion auf seinen Lehrer Genua32 – nicht müde wurde, immer wieder auf die 25 Vgl. Edward P. Mahoney, Nicoletto Vernia on the Soul and Immortality, in: Philosophy and Humanism: Renaissance Essays in Honor of Paul Oskar Kristeller. Ed. by Edward P. Mahoney. Leiden / New York 1976, 144-163, hier: 163. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 492494. 26
Vgl. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 497: »Nifo apparently had abandoned his Averroist orientation and had entered into the vast sea of Neoplatonic syncretism.« Siehe ferner Edward P. Mahoney, Marsilio Ficino’s Influence on Nicoletto Vernia, Agostino Nifo and Marcantonio Zimara, in: Marsilio Ficino e il ritorno di Platone 2. Ed. Gian Carlo Garfaguini. Florenz 1986, 509-531, hier: 517-524. 27
Vgl. a. a. O., 525-530.
28
Vgl. Marcantonio Genua, Disputatio de intellectus humani immortalitate. Venedig 1565. Ders., In tres libros Aristotelis de anima exactissimi commentarii. Venedig 1576. Beide Werke wurden erst postum veröffentlicht. 29
Vgl. Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 524.
30
Portio wurde 1496 in Neapel geboren, studierte zunächst in Bologna Philosophie bei Achillini und Pomponazzi, später Philosophie und Medizin in Pisa bei Nifo. Dort lehrte er auch von 1520-25 Logik und Naturphilosophie. Nachfolgend war er von 1529-45 Philosophieprofessor in Neapel, ehe er erneut nach Pisa zurückkehrte und dort von 1547 bis zu seinem Tod im Jahre 1554 Philosophie lehrte. Bekannt sind seine Werke De coloribus oculorum von 1550 (vgl. hierzu Martin Mulsow, Selbsterhaltung, 107-110) sowie De humana mente disputatio von 1551. Nur handschriftlich überliefert sind seine Vorlesungen zur Metaphysik, De partibus animalium, Physik und weiteren naturwissenschaftlichen Themen (vgl. hierzu Stefano Perfetti, Aristotle’s Zoology and its Renaissance Commentators (1521-1601). Leuven 2000, 127-136). 31
Simone Portio, De humana mente disputatio. Florenz 1551, hier: c. 4, 21: »Simplicius verò sententias Platonis, & Aristotelis coacervans …« 32
Auch Peter Lautner sieht diesen unmittelbaren Zusammenhang von Genuas Neuplatonismus und Zabarellas Simplicius-Kritik: »… I shall concentrate on Zabarella’s De anima commentary to show that his dissent from the Neoplatonism of his teacher Marc Antonio Genua goes together with his negative attitude towards the methodological remarks found in Ps.-Simplicius’ De anima commenta-
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Fehler der Aristoteles-Interpretation des Simplicius hinzuweisen. So heißt es zu Beginn seines Kommentars von De An. III 4: »Ich werde insbesondere Simplicius’ Auslegung referieren, nicht weil ich überall dessen Schimären betrachten wollte, sondern damit die Zuhörer eine Vorstellung von seiner Ansicht über den menschlichen Geist haben, von der ich glaube, daß sie von Aristoteles’ Ansicht sehr weit entfernt ist …«33
Für Portio und Zabarella, der dessen Disputatio de mente humana nachweislich kannte34 und ihr viele Argumente und Gedanken entnahm, war dieser aus ihrer Sicht fatale Einfluß des Neuplatonismus auf die aristotelische Philosophie unter Rückgriff auf Alexanders rein naturphilosophische Interpretation zu beseitigen. Denn Alexander, so Portio, habe »viel Licht zu den Worten des Aristoteles beigetragen, damit wir dessen Ansicht desto unverstellter wahrnehmen können«35. Welche Lehren hiermit gemeint sind, wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels deutlich werden. Hier genügt die vorläufige Erkenntnis, daß die Rezeption des Neuplatonismus wie auch des Alexandrismus in der Philosophie (wie allgemein in der Kunst und Architektur auch) zu »processes of Hellenization«36 führte. Diese Hellenisierung war offensichtlich von dem humanistischen Gedanken getragen, damit näher am Ursprung der aristotelischen Philosophie zu sein. Denn die Übereinstimmung mit den ältesten Kommentatoren galt als ein Zeichen für die Wahrheit der Position. Neben diesen antiken und humanistischen Texten wurden in der Renaissance auch weiterhin die mittelalterlichen Autoren rezipiert, die den fortdauernden Einfluß der Ersten Scholastik anzeigen. So legten Toletus wie auch Zabarella ihren Kommentaren zu De Anima die von Moerbeke überarbeitete translatio antiqua des Jacobus Venetus aus der Mitte des 12. Jh.s zugrunde, während Magelhães (1551-1624) in seinem Kommentar der Conimbricenser die Übersetzung des Argyropulos neben den griechischen Ori_________________________________________________________________________________________________________
ry.« (Status and Method of Psychology according to the Late Neoplatonists and their Influence during the Sixteenth Century, in: The Dynamics of Aristotelian Natural Philosophy, 81-108, hier: 103) 33 Zabarella, III [4], t. 1, 656C: »Referam imprimis expositionem Simplicii, non quod ubique velim considerare ipsius Chymæras, sed ut auditores aliquam habeant cognitionem sententiæ Simplicii de intellectu humano, quam ego puto alienissimam esse à mente Aristotelis …« 34 Vgl. Zabarella, De Mente humana, in: De Rebus naturalibus, 915-978, hier: 954A: »Simon Portius in libro suo de mente humana …« 35 Vgl. Portio, c. 4, 21: »Alexander denique & si multum luminis verbis Aristotelis attulerit, quo apertius eius sententiam perciperemus …« Im Anschluß kritisierte Portio zwei Ansichten Alexanders, mit denen er nicht übereinstimme: »duo tamen semper in eius Placitis minus me delectarunt. Unum quòd intellectus agens Deus sit, nam si Deus est, qua ratione nobis corruptibilibus unitur … Alterum est, quòd cum Aristoteles asserat, quòd quicquid Deus operatur, motu ac lumine cœli id perficiat; si hoc ita est, quo pacto facultatem nostram intelligendi illuminans perficiet, & non lumine cœli, sed proprio, ac peculiari suæ essentiæ: & qua ratione Aristoteles agentem intellectum, lumini & habitui comparavit?« (Portio, c. 4, 21f.) Wie es sich mit dieser Kritik verhält und wie Zabarellas Ansicht hierzu ist, ist weiter unten zu zeigen (vgl. 3.3.5.). 36
Stefano Perfetti, Aristotle’s Zoology, 32.
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ginaltext setzte.37 Auch bei der Kommentierung der einzelnen Textstellen zeigt sich der große Einfluß dieser Scholastik. Es gab kaum einen Sachverhalt, wo nicht neben den genannten antiken und arabischen Kommentatoren (Avicenna, Avempace und Averroes) auf den einen oder anderen Scholastiker, sei dies nun Thomas, Albertus Magnus (1193-1280), Ägidius Romanus (1247-1316), Johannes Duns Scotus (1270-1308) oder Wilhelm von Ockham (ca. 1280-1349/50), Bezug genommen wurde. Besonders der Rekurs auf Thomas verdeutlicht dabei zwei weitere Differenzen zwischen den Jesuiten und den radikalen Aristotelikern: zum einen die Bedeutung der Autorität des Thomas in Theologie und Philosophie und zum andern die unterschiedliche Verhältnisbestimmung beider Disziplinen. Zu 1. Die Bedeutung der Autorität des Thomas in Philosophie und Theologie bei den Jesuiten ergibt sich klar aus den verschiedenen Fassungen ihrer Ratio Studiorum. So heißt es im Abschnitt De opinionum delectu in theologica facultate der Ratio studiorum von 1586 kurz und knapp: »In der Theologie sollen wir der Lehre des Thomas folgen …«38 Aus den Regulae professoris philosophiae der Ratio studiorum von 1591 und 1599 ergibt sich die thomistisch bestimmte ratio philosophandi Aristotelica.39 Die Regeln lauten im einzelnen: 37
Die hieraus resultierenden sprachlichen Differenzen seien an einem Beispiel verdeutlicht: De An. II 1, 412b4-6: »ei) dh/ ti koino\n e)pi\ pa/shj yuxh=j dei= le/gein, ei)/h a)\n e)ntele/xeia h( prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=.« / »Wenn man nun etwas Gemeinsames von jeder Seele sagen soll, so ist sie wohl die erste Vollendung eines natürlichen, organischen Körpers.« Die antiqua translatio von Venetus/Moerbeke lautet: »Si autem aliquod commune in omni anima oportet dicere, erit utique actus primus corporis organici physici.« (zitiert nach Averroes, II 1, 51vE [138,1-3]). Zabarella wandelt die Übersetzung leicht ab in primus actus corporis naturalis instrumentalis (II 1, t. VII, 148F) und belegt so das Bemühen, eine eigene lateinische Begrifflichkeit, statt griechischer Lehnwörter zu verwenden. Argyropulos übersetzte: »si igitur commune quid de omni anima sit dicendum, ipsa perfectio prima primusque actus est corporis naturalis, cuius partes sunt instrumenta.« (Aristoteles latine, 214b) Es fällt auf, daß die Venetus-Übersetzung in einem knapperen Latein gehalten ist. 38
Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1586), 6: »In theologia doctrinam S. Thomae … nostri sequantur …« 39 Vgl. a. a. O., 98 (Constitutiones des Ignatius; 4 Par. cap. 14 § 3): »In logica, inquiunt, et philosophia naturali et morali et metaphysica doctrina Aristotelis sequenda est …« Von Anfang an umfaßte dabei das curriculum Philosophiæ bei den Jesuiten einen Großteil des corpus Aristotelicum, das innerhalb von drei Jahren wie folgt gelehrt wurde: Im ersten Jahr die Logik (Kategorien, Peri Hermeneias, Analytica priora & posteriora, Topik, Sophistische Widerlegungen), im zweiten Jahr die Physik über einen Zeitraum von sechs Monaten, De Caelo und das 1. Buch De Generatione et corruptione ebenfalls über einen Zeitraum von sechs Monaten und im dritten Jahr das 2. Buch De Generatione, die drei Bücher De Anima über einen Zeitraum von fünf Monaten und abschließend die Metaphysik über einen Zeitraum von mindestens vier Monaten. Die Ethik war – wie gesehen – Bestandteil der studia humanitatis. Zur Studienordnung der Jesuiten vgl. Paul Richard Blum, Philosophenphilosophie, 146-158. Zur Studienordnung in Padua vgl. Paul F. Grendler, Universities, 267ff. Aus der Übersicht von Cesare Cremoninis (1550-1631) Vorlesungen bei Heinrich C. Kuhn (vgl. Venetischer Aristotelismus im Ende der aristotelischen Welt. Aspekte der Welt und des Denkens des Cesare Cremonini (1550-1631). Frankfurt am Main 1996, 89) wird ersichtlich, daß in Padua die aristotelische Naturphilosophie im folgenden Sechsjahreszyklus vorgetragen worden ist: 1590 De Anima III. 1591 Physicorum VIII. 1592 De Generatione et Corruptione. 1593 De Anima I & II. 1594 Physicorum I &
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1. Ziel des curriculum Philosophiae ist es, auf die Theologie vorzubereiten. 2. Von Aristoteles ist nur dann abzuweichen, wenn etwas anderes an allen Universitäten gelehrt wird oder wenn seine Lehre dem christlichen Glauben widerspricht. 3. Diejenigen Interpreten des Aristoteles, die sich nicht um den christlichen Glauben verdient gemacht haben, sind nur in Auszügen zu lesen und im Unterricht zu behandeln. Der Lehrer soll sich davor hüten, seine Schüler mit den Gedanken solcher Autoren zu affizieren. 4. Aus diesem Grunde trägt der Lehrer die Abweichungen des Averroes nur gesondert vor, und wenn er etwas Richtiges gesagt hat, dann ist dies ohne Lob vorzutragen, und wenn möglich, dann ist zu erweisen, daß er es von einem anderen übernommen hat und damit keine Originalität beanspruchen kann. 5. Der Lehrer schließt sich keiner Schule an, weder den Averroisten noch den Alexandristen. Er verschweigt nicht deren Irrtümer, sondern bringt sie ans Tageslicht und untergräbt damit desto stärker ihre Autorität. 6. Dagegen spricht der Lehrer von Thomas immer nur ehrenvoll, folgt ihm willig nach, sooft es geht, und weicht von ihm nur ab, wenn es gar nicht anders geht.40 Deutlich ist also die Stoßrichtung der Jesuiten insbesondere gegen Averroes, der gleichsam dämonisiert wird, aber auch gegen Alexander, während Thomas kanonisiert wird. Etwas Vergleichbares findet sich auf Seiten der radikalen Aristoteliker nicht: Vielmehr werden bei Pomponazzi, Portio und Zabarella deren Positionen ohne Vorbe_________________________________________________________________________________________________________
II. 1595 De Caelo. 1596 De Anima III etc. Es fällt auf, daß in diesem Zyklus die zoologischen Schriften des Aristoteles zumindest systematisch nicht verhandelt worden sind. Dies verwundert nicht, da sie erst im Verlauf des 16. Jh.s veröffentlicht und kommentiert worden sind. Vgl. hierzu grundlegend Stefano Perfetti, Aristotle’s Zoology. Danach wurden die Libri de animalibus (Hist. an., De part. an. & De gen. an.) erst 1476 durch Theodor Gaza veröffentlicht (vgl. a. a. O., 11ff.). Die Rezeption dieser naturwissenschaftlichen Werke begann 1521 mit der Auslegung der ersten vier Bücher der Schrift De part. an. durch Pomponazzi (vgl. a. a. O., 33ff.), die Perfetti jüngst veröffentlicht hat (vgl. Pomponazzi, Expositio super primo et secundo De partibus animalium. A cura di Stefano Perfetti. Pisa 2004). Einen ersten Höhepunkt erreichte die Kommentierung mit den 1546 posthum veröffentlichten Expositiones in omnes Aristotelis libros: De historia an. libri IX, De partibus animalium libri IIII ac De generatione animalium libri V des Agostino Nifo, die er vermutlich in den dreißiger Jahren des 16. Jh.s ausgearbeitet hat (vgl. Perfetti, Aristotle’s Zoology, 85-120). Einer der Gründe für die Rezeption all dieser Werke lag wohl in dem Bemühen, dadurch den in De Anima nicht umfassend beschriebenen Zusammenhang von Körper und Seele von den physiologischen Schriften her deutlicher zu machen. Dies betont auch Perfetti im Zusammenhang mit einem Kommentar des Antonio Scaino zu De Anima und den Parva naturalia von 1599: »It is apparent that the plan is to deliver – so to say – a complete course on the soul and its relation with bodily functions.« (A. a. O., 186) Von besonderer Bedeutung war hierbei auch De gen. an. II 3, wie der weitere Verlauf dieses Kapitels belegen wird. 40
Vgl. Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1591), 283; Ratio studiorum (1599), 397. Dieser Vorrang des Thomas in der Philosophie galt bei Suárez selbst gegenüber Aristoteles, dessen Geistlehre von den Theologen und christlichen Philosophen umfangreicher gelehrt worden sei, wie folgende Anmerkung belegt: »Disputavit Aristoteles de hac materia 3. lib. de Anim. à cap. 4. … etsi verò pleraque de intellectu pronuntiet, multo verò plura Theologi, ac philosophi Christiani, nominatim D. Thom. … tradere solent.« (Tractatus de anima, lib. IV, Proœmium, 167a)
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halte ermittelt und geprüft, denen man dann je nach der Überzeugungskraft ihrer Argumente folgt oder nicht. Zu 2. Worauf diese ratio philosophandi Aristotelica der Jesuiten hinausläuft, ist klar: Die Philosophie wird erneut – wie bereits in der Ersten Scholastik – in ihrer alten Funktion als ancilla theologiæ41 rezipiert: »Within the Catholic Church the Jesuits and other religious orders attempted to maintain the Scholastic Aristotle in the service of Catholic theology.«42 Lohr erkennt hierin das Bemühen, gegen Pomponazzis säkularen Aristotelismus das scholastische Erbe zu bewahren und die Einmütigkeit in der Philosophie gegen abweichende Lehren zu sichern. Auch Kessler sieht im Jesuitenorden unter Rückgriff auf die Scholastik eines Thomas und Scotus »a rebirth of Christian philosophy in its own right«43. Aristoteles bleibe zwar die Grundlage in der Naturphilosophie, »nonetheless, a certain withdrawal from the Aristotelian position was obvious«44. Deutlich werde dies an den Propositiones aliquot fide tenenda, quibus vera debet esse philosophia consentanea45 des Toletus, die er seinem Kommentar zu Aristoteles’ De Anima vorangesetzt habe. Deren Ziel sei nicht die Erklärung dieser Schrift gewesen, sondern die Rationalisierung der christlichen Lehre. Auch hier betont Kessler also eine gewisse Abständigkeit der Neuscholastik von Aristoteles (vgl. 1.3.). Anders sieht dies Simmons, der in ihr einen Höhepunkt des Aristotelismus überhaupt erkennt: »Far from beeing a degenerate form of Aristotelianism designed to buttress Catholic doctrine, the version of Aristotelianism expressed in these textbooks [sc. of the Jesuits] represents a vital and constructive moment in the long history of Scholastic Aristotelianism: it advances new and interesting positions; it produces quite sober interpretations of Aristotle; and it develops rigorously philosophical arguments. The Jesuits certainly do have their own way of doing Aristotle commentary, but this way is by no means a philosophically inferior one: they prove themselves to be good Christians, and good philosophers, and good Aristotelians.«46
Wie es sich mit dieser Bewertung der Philosophie der Jesuiten verhält, kann ein Vergleich mit dem radikalen Aristotelismus verdeutlichen, der eine solche Instrumentalisierung der aristotelischen Philosophie vehement abgelehnt hat.47 Als eindringliches 41 Zum Begriff und seiner Tradition vgl. Max Seckler, »Philosophia ancilla theologiae«. Über die Ursprünge und den Sinn einer anstößig gewordenen Formel, in: ThQ 171 (1991), 161-187. 42 Charles H. Lohr, Jesuit Aristotelianism and Sixteenth-Century Metaphysics, in: PARADOSIS. Studies in Memory of Edwin A. Quain. New York 1976, 203-220, hier: 205. 43
Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 507.
44
A. a. O., 508.
45
Vgl. Toletus, Propositiones aliquot fide tenenda, quibus vera debet esse philosophia consentanea, in: Toletus, 6vb-8rb. Siehe hierzu 3.1.1. 46
Alison Simmons, Jesuit Aristotelian Education: The De anima Commentaries, in: The Jesuits. Cultures, Sciences, and the Arts, 1540-1773. Edited by John W. O’Malley. Toronto 2000, 522-537, hier: 525. 47
Vgl. Charles B. Schmitt, Aristotle and the Renaissance, 30: »In Padua there was a strong tradition of secular study of Aristotle aimed at understanding the text in its own right with little concern for the theological implications of this.«
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Beispiel mag hier Zabarellas programmatische Oratio in exordio lectionis philosophiæ dienen, die er am 6.11.1585 anläßlich seiner Berufung auf die zweite ordentliche Professur der Naturphilosophie in Padua gehalten hat. Er unterscheidet darin zwischen einer doppelten Weise des Philosophierens: Die eine bestehe aus den Prinzipien, die Gott dem menschlichen Geist durch den Glauben eingegeben habe, und könne vera philosophia genannt werden, weil sie frei von jedem Irrtum sei. Sie sei jedoch nicht Gegenstand des Philosophen, sondern des Theologen. Die andere, dem Philosophen angemessene Weise des Philosophierens stütze sich dagegen allein auf die menschlichen Fähigkeiten und habe die menschlichen und göttlichen Angelegenheiten zum Gegenstand. Mag sie auch nicht frei von Irrtümern sein und uns nicht mit dem vertraut machen, was zu glauben sei, so führe sie uns doch »bis zu den ihr gegebenen Grenzen«48, bis dorthin also, wo die Philosophie und die Vernunft ende und die Theologie und der Glaube beginne. Zabarella fordert also eine Freiheit des Philosophierens, die selbst auf die Gefahr von Irrtümern hin gegen die Vereinnahmung von Seiten der Theologie zu verteidigen ist. Man geht wohl nicht Fehl in der Annahme, daß der Paduaner hierbei insbesondere die Jesuiten und die Scholastiker des Mittelalters mit ihrer ratio philosophandi im Blick hatte. Daß hier für die radikalen Aristoteliker eine unglückselige Kontinuität bestand, die bis zu den ältesten christlichen Autoren zurückreichte, wird daraus ersichtlich, daß Portio es Philoponus geradezu absprach, als ein Anhänger der schola Alexandrina sowie als Christianus ein echter Naturphilosoph und Peripatetiker zu sein; vielmehr sei er ein Zerstörer der Philosophie, weil er sie nicht sorgfältig von der Theologie unterscheide, stattdessen die Prinzipien der einen Wissenschaft in die andere übertrage und somit eine Kategorienverwechslung (meta/basij ei)j a)/llo ge/noj) vollziehe, welche die Wahrheit zerstöre: »Selbst wenn wir sehen, daß sich Philoponus in seiner Ansicht über die Seele und die anderen, die mit ihm übereinstimmten, zu Philosophen ernannt haben, so werden wir sie gewiß keine Naturphilosophen nennen, da man nicht denjenigen, der die Prinzipien der Geometrie zerstört, einen Geometer nennen kann. Wenn nämlich diese Philosophen die erwähnte Physik mit den heiligsten und wahrsten Dekreten unserer Religion vermischen, dann kann man [nur] schließen und folgern, daß sie [sc. die Physik] weder gottesfürchtig ist noch die Natur betrifft und in kein-
48
Vgl. Zabarella, Oratio in exordio lectionis philosophiae, in: Rivista critica di storia della filosofia 21 (1966), 286-90, hier: 287: »Hinc orta est duplex philosophandi ratio, una ex principiis quae a divina bonitate sunt mentibus nostris infusa per fidem eaque vera philosophia dicenda est ac divinitus nobis tradita sapientia quae omni prorsus errore omnique deceptione vacat. De hac ut non in praesentia nos attinente nullus nobis habendus est sermo. Altera ratio est quam nos propositam habemus, humana iure nuncupata; tota namque humanis viribus nititur et eius principia, sive de naturalibus et humanis, sive etiam de divinis rebus loquamur, a sensibus deducta sunt, quocirca et imperfecta admodum est et aliquo errore non caret, nec per eam omnino discimus quid secundum veritatem asserendum credendumque sit, sed solum ad quos usque terminos ratio nos humana perducat.«
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De Anima ster Weise mit den Dingen selbst übereingestimmt hat. Daher verwirft die peripatetische Schule mit bestem Recht derartiges und diese Naturphilosophen, die keine sind.«49
Echte Peripatetiker und Naturphilosophen können also für Portio nur diejenigen sein, welche die Differenz von Philosophie und Theologie beachten und die Philosophie in ihrem Bemühen, die Wahrheit zu erkennen, ernst nehmen. Daß dies eine immer wieder neu zu erringende Position war, ergibt sich gerade aus dem Kampf dieser radikalen Aristoteliker gegen die Jesuiten, wie er sich am Ende des 16. Jh.s in Padua ereignete. Dort wurde das um 1558 von den Jesuiten übernommene Gymnasium in den nächsten Jahrzehnten gegen die alteingesessene Universität, dem Studio di Padova im Palazzo del Bò, zu einer Art »Paralleluniversität«50 mit Lehrstühlen für Logik, Philosophie, Mathematik, Grammatik sowie den studia humanitatis ausgebaut. Gegen diese Konkurrenz wandte sich Cremonini – Zabarellas Nachfolger auf dem Lehrstuhl der Naturphilosophie – in seiner Orazione contro I Gesuiti a favore dello Studio di Padova von 159151, in der er den Jesuiten vorwarf, die offizielle Universität zerstören und sich zum Monopolisten mit absolutem Wahrheitsanspruch erheben zu wollen. Neben dem gewiß eigenen Interesse an der Beibehaltung des Status quo ging es gerade um die »Bedrohung der berühmten Patavina Libertas«52, die Portio und Zabarella für sich in Anspruch genommen haben: eine Freiheit des Denkens, die durch eine Theologisierung der Philosophie und eine Dogmatisierung der theologischen Wahrheit gefährdet schien. Bevor dies im einzelnen zu erweisen sein wird, gilt es noch auf einen formalen Wandel innerhalb des Aristotelismus aufmerksam zu machen, der für die neuzeitliche Philosophie charakteristisch werden sollte: Der Übergang von der bloßen Kommentierung des Aristoteles zur systematischen Abhandlung eines Themas53, in welcher der Stagirite zwar noch den Inhalt, aber nicht mehr den ordo doctrinæ – die Anordnung des Wissen nach der für den Menschen leichteren Weise des Erkennens – bestimmte. Es ist zu auffällig, wie in allen Bereichen der Philosophie die Kommentare durch 49 Portio, c. 3, 12 f.: »Quòd cùm Ioan. Grammacticum in hac sua de Anima sententia & alios, qui cum illo consenserunt, philosophos facere videamus: eos certè naturales non appellabimus, cum ne Geometram quidem eum qui principia Geometriæ demolitur appellare liceat. Nam cum hi Philosophi physica pronuntiata cum sanctissimis, & verissimis nostræ religionis decretis confundant: quod inde colligunt, ac concludunt, nec religiosum, nec physicum, minimeque cum rebus ipsis respondens fuerit: optimo igitur iure eiusmodi ceu non naturales philosophos schola Peripatetica reiicit.« Das Neuplatonische bei Philoponus erkannte Portio in den folgenden Lehren: Abtrennung der Seele vom Leib nach dessen Tod, Aufstieg der Seele zu den Ideen sowie Seelenwanderung (transmigratio animæ). (vgl. a. a. O., c. 2, 11f.). Philoponus stand damit für Portio in unmittelbarer Nähe zu Simplicius. 50
Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus, 98.
51
Cesare Cremonini, Orazione contro I Gesuiti a favore dello Studio di Padova (Venezia, 20 dicembre 1591), in: Ders., Le Orazioni, 59-69. 52
Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus, 107.
53
Vgl. hierzu Charles B. Schmitt, The Rise of the Philosophical Textbook, in: CHRP, 792-804, hier: 796-801.
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systematische Abhandlungen zur Physik, Metaphysik, Psychologie etc. ersetzt werden, als daß dahinter nicht eine neue Weise des Philosophierens zum Vorschein kommen sollte: Es finden sich hier die ersten Anzeichen für den Übergang von der Schulphilosophie zur neuzeitlichen Philosophie des 17. und 18. Jh.s, zur, wie Blum sie nennt, »Philosophenphilosophie«54, die in der Systematisierung des Verstehens sich zunehmend von den Bindungen an eine bestimmte ratio philosophandi löste, um die Sache selbst auf vielfältigere bzw. ganz andere Weise (Subjektivität versus Objektivität) in den Blick zu nehmen. Den Übergang von der bloßen Kommentierung des Aristoteles hin zu einer systematischen Darstellung des Wissens über die Seele verdeutlicht bereits der Titel von Toletus’ Schrift: Commentaria unà cum quæstionibus in tres libros Aristotelis de anima. Er vereinigt damit noch beide Weisen des Philosophierens, indem er seinem Kommentar zugleich mehr als siebzig Quæstiones folgen läßt, »which resemble a systematic treatise«55. Nicht anders verhält sich dies beim Commentarius in tres libros de anima Aristotelis der Conimbricenser: »Intended to serve as a standard textbook within a cursus of Christian philosophy, the commentary itself, while giving the Greek text along with a Latin translation, was confined to a rather brief explanation, while the philosophical analysis as such was again transferred to the quaestiones which followed each chapter and discussed the psychological problems from the Christian point of view.«56
Simmons nennt diese Quæstiones »a rational reconstruction; that is, they effectively reconstruct Aristotle’s thought from first, or at least relatively fundamental, principles of his own philosophical system«57. Deutlich voneinander getrennt sind beide Weisen des Philosophierens hingegen bei Zabarella: 1590 erschien zunächst posthum die Schrift De Rebus naturalibus, in der er »with incomparable clarity and lucidity«58 in dreißig mehr oder weniger umfassenden systematischen Abhandlungen neben der allgemeinen Bestimmung der Naturwissenschaft und des Begriffs der Natur die einzelnen Disziplinen der Kosmologie, Biologie und Psychologie erläuterte. Zu Standardwerken 54
Paul Richard Blum, Philosophenphilosophie, 15.
55
Eckhard Kessler, The Intellective Soul, in: CHRP, 511.
56
A. a. O., 512f.
57
Alison Simmons, Jesuit Aristotelian Education, 526.
58
John Herman Randall, The Career of Philosophy. Vol. I. From the Middle Ages to the Enlightenment. New York 31966, 84: »Heir of both the Alexandrians and the Averroists, and with the encyclopedic interests that embraced the entire range of scientific studies, he [sc. Zabarella] was able in De rebus naturalibus (1590) to discuss each of the problems elaboreted by the Paduans for over three hundred years, and with incomparable clarity and lucidity to sum up their collectiv wisdom in fresh contact with Aristotle’s own words. … With an exact knowledge of the Aristotelian text – he had a number of Greek codices – he combines a simplicity, a naturalness, and a directness of thought that bring him as close to the elusive Aristotelian spirit as any confessed follower has ever managed to come. Indeed, Aristotle’s thought has been made so transparently his own that it seems unjust to call him a follower: it is Aristotle himself, speaking in the Latin of Padua …«
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der Psychologie wurden dabei die Abhandlungen De Facultatibus animæ, De Partitione animæ, De Mente humana, De Speciebus intelligibilibus, De Mente agente sowie De Ordine intelligendi, die wiederum – sinnfälliger kann der Übergang von der bloßen Kommentierung des Aristoteles zur Systematisierung des Wissens kaum sein – in den Commentarius in III. Aristotelis libros de anima in etwas anderer Reihenfolge, aber thematisch weitestgehend korrekt vom Herausgeber Lazarus Zetzner (1551-1616) – »the most important figure in the transmission of Zabarella to Northern Europe«59 – in den fortlaufenden Kommentar eingefügt worden sind.60 Die Systematisierung des Wissens führte also zu einer von Aristoteles’ Schrift De Anima abweichenden Anordnung des Stoffes. Gleichwohl bleibt diese Schrift bis weit ins 17. Jh. hinein Grundlage der Vorlesungen an den Universitäten. 3.1.1. Identität und Differenz in der Psychologie Als eine geeignete Einführung in den zeitgenössischen Kontext der Debatten im Renaissance-Aristotelismus können die Propositiones aliquot Fide tenendæ, quibus vera debet esse Philosophia consentanea des Toletus dienen, die er seinem eigentlichen Kommentar zur aristotelischen Schrift De Anima als »a convenient vademecum to the expressed views of the Church on the rational soul«61 voransetzte. Er begründete diese Vorgehensweise mit den Irrtümern der Philosophen, die vermieden und widerlegt werden müßten, damit die wahrhaftige Philosophie bestehen könne. Er berief sich hierfür auf das 5. Laterankonzil von 1513, auf dem die beiden philosophischen Lehren, die menschliche Seele sei sterblich (Alexander) oder eine einzige in allen Menschen (Averroes), als ketzerisch verdammt worden sind (vgl. 1.2.). Vielmehr sei die menschliche Seele, so heißt es dort unter Berufung auf das Konzil von Vienne von 1312, wahrhaft an sich die Form des menschlichen Körpers, unsterblich und entsprechend der Vielzahl der Körper, denen sie eingegossen wird, einzeln vervielfältigbar. Diese Konzilsentscheidungen und die damit zusammenhängenden Lehrsätze wolle er, so Toletus, ins Gedächtnis zurückrufen, um sie im Glauben erneut zu befestigen.62 59 Ian Maclean, Mediations of Zabarella in Northern Germany, 1586-1623, in: La presenza dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità. Atti del Colloquio internazionale in memoria di Charles B. Schmitt (Padova, 4-6 settembre 2000). A cura di Gregorio Piaia. Rom 2002, 173-198, hier: 178. 60
De Mente humana im Anschluß an De An. II 1, 413a10 (vgl. Commentarius, 177-241). De Partitione animæ im Abschnitt De An. II 2 nach 413b24 (285-322). De Facultatibus animæ im Anschluß an De An. II 3, 415a13 (369-412). De Speciebus intelligibilibus im Abschnitt De An. III 4 nach 429b9 (785-812). De Mente agente und De Ordine intelligendi aufeinander folgend im Anschluß an De An. III 5, 430a25 (911-946 und 945-982), womit der unvollständige Kommentar endet. 61
Dennis Des Chene, Life’s Form. Late Aristotelian Conceptions of the Soul. Ithaca 2000, 47.
62
Vgl. Toletus, 6vb. Zur Verdeutlichung, daß alle diese Thesen auf Thomas zurückgeführt werden können, werden im folgenden jeweils die entsprechenden Kapitel aus dessen Summae contra gentiles libri quatuor (nachfolgend: Scg, in: Ders., Opera 13,2, 403-548) angeführt.
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1. Die Geistseele (anima rationalis & intellectiva) ist nicht eine einzige in allen Menschen, sondern sie ist vielfältig, war und wird dies sein gemäß der Vielheit der Menschen.63 Sie ist so jedem Individuum auf je einzigartige Weise eigen. Mit diesem Lehrsatz wandte sich Toletus gegen Averroes und seine Anhänger Siger von Brabant und Boethius von Dacien mit ihrer These vom Einssein des Geistes in allen Menschen. Er nannte diese Ansicht einen »Wahnsinn«64 und berief sich hierfür neben der genannten Konzilsentscheidung von 1513 auch auf Albertus Magnus, Thomas von Aquin65 und Ägidius Romanus. 2. In jedem Menschen gibt es nur eine Seele und nicht viele.66 Für diesen Lehrsatz verwies Toletus auf Augustinus, der gegen die Ansicht der Manichäer, wonach es im Menschen zwei Seelen gebe, die anima sensitiva und die anima intellectiva, daran festgehalten habe, daß es im Menschen nur eine Seele, nämlich die anima rationalis, gebe. Der eigentliche Gegner dieses Lehrsatzes ist jedoch wiederum Averroes, der die Ansicht von der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen vertreten hat. 3. Die Geistseele ist an sich selbst und ihrer Substanz nach forma corporis, die der Materie das Sein gibt und bewirkt, daß Seele und Körper an sich eine Einheit bilden.67 Sie ist für Toletus als die dem Menschen eigentümliche Seele genau so zu definieren wie die anima vegetans der Pflanze und die anima sentiens des Tiers. Als forma corporis ist sie genauerhin forma informans, nicht forma assistens, wie er gegen Platon und Gregor von Nyssa unter Berufung auf das Konzil von Vienne von 1312 und das 5. Laterankonzil betonte. Auch diese These richtet sich in erster Linie gegen Averroes. 4. Die Geistseele wird unmittelbar von Gott erschaffen.68 Dieser sogenannte Kreatianismus, wie er auf katholischer Seite auch von Thomas69 vertreten worden ist, verwirft den Traduzianismus, wonach die Seele des Kindes aus der Seele der Eltern durch Fort63 Vgl. Toletus, 6vb: »Prima propositio, Anima rationalis & intellectiva non est una numero in omnibus hominibus, sed est, & fuit, & erit plurificata secundum individuorum hominum pluralitatem …« 64 Ebd.: »Oppositum habuit Averroes, qui unicum Intellectum numero assistentem omnibus hominibus posuit. Contra quam amentiam scripserunt multi viri docti …« 65 Vgl. Thomas, Scg II 73, in: Opera 13,2, 459: »Quod intellectus possibilis non est unus in omnibus hominibus.« 66 Vgl. Toletus, 7ra: »Secunda propositio. In unoquoque homine una est anima, & non plures.« Thomas, Scg II 58, in: Opera 13,2, 409: »Quod nutritiva, sensitiva et intellectiva non sunt in homine tres animæ.« 67 Vgl. Toletus, 7rb: »Tertia propostio. Anima rationalis secundum se, & suam substantiam, est corporis forma, materiamque informat, & cum ipsa unum per se facit.« Thomas, Scg II 68, in: Opera 13,2, 440: »Qualiter substantia intellectualis possit esse forma corporis.« Scg II 69, in: A. a. O., 447: »Solutio rationum, quibus supra probatur quod substantia intellectualis non potest uniri corpori ut forma.« Scg II 70, in: A. a. O., 449: »Quod secundum dicta Aristotelis oportet ponere intellectum uniri corpori ut formam.« 68
Vgl. Toletus, 7rb: »Quarta propositio. Anima rationalis à solo Deo est creata.«
69
Vgl. Thomas, Scg II 87, in: Opera 13,2, 537: »Quod anima humana producatur in esse a Deo per creationem.«
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pflanzung (ex traduce) entsteht. Vertreter dieser Ansicht waren u. a. Tertullian und Luther. 5. Die Geistseele ist spiritus, nicht Körper oder aus Körpern zusammengesetzt.70 Toletus verwies hierfür auf Lk 23,46 und Gal 5,17, wo das Geistsein des Menschen in Differenz zum Körpersein betont wird. Körper und Seele sind nicht ein und dasselbe, mögen sie auch eine Einheit bilden. 6. Gegen die Gnostiker und Manichäer betonte Toletus, daß die menschliche Seele weder ein Teil der göttlichen Substanz ist, noch aus der göttlichen Substanz hervorgeht.71 Allein Gottes Substanz ist ewig, während die menschliche Seele nicht ewig ist, denn sie war nicht vor den Körpern da, wie der nachfolgende Lehrsatz verdeutlicht. 7. Die Geistseele wird nicht zeitlich vor dem Körper erschaffen. Vielmehr wird sie zugleich mit der Zeugung des Körpers, die auf natürliche Weise durch Fortpflanzung geschieht, von Gott erschaffen (vgl. Lehrsatz 4) und mit dem Körper vereinigt, wie gegen Origenes betont wird.72 8. Die menschliche Seele geht nicht zugrunde, wenn der Körper zugrunde geht, sondern bleibt bestehen in alle Ewigkeit.73 Für diesen Lehrsatz verwies Toletus auf Mt 22, 32, wonach Christus nicht ein Gott der Toten, sondern ein Gott der Lebenden ist. Die zeitgenössischen Gegner dürften Pomponazzi und Portio gewesen sein. 9. Es findet kein Übergang der menschlichen Seele von einem Körper zum andern statt (transmigratio animæ)74, vielmehr verbleibt die Seele immateriell im Himmel, wie Toletus gegen die Phythagoreer und die Häretiker der Albanenser und Albigenser unter Berufung auf Athanasius betonte. 10. Alle natürlichen Gründe, die von den Philosophen gegen die Unsterblichkeit der Seele und die anderen Glaubenswahrheiten verkündet worden sind, sind sophistisch, nichtig und widerlegbar. Denn die wahrhafte Philosophie widerstreitet nicht der göttlichen Wahrheit.75 Dieser Lehrsatz richtet sich gegen solche Philosophen wie Pompo70
Vgl. Toletus, 7va: »Quinta propositio. Anima rationalis est spiritus, nec est corpus, nec ex corporibus conflata.« Thomas, Scg II 56, in: Opera 13,2, 403: »Per quem modum substantia intellectualis possit corpori uniri.« Scg II 65, in: A. a. O. 435: »Quod anima non sit corpus.« 71 Vgl. Toletus, 7vb: »Sexta. Anima non est Dei substantia, nec ex Dei substantia.« Thomas, Scg II 85, in: Opera 13,2, 533: »Quod anima non sit de substantia Dei.« 72
Vgl. Toletus, 7vb: »Septima. Anima non fuit creata ante corpus, sed simul à Deo creatur, & corpori infunditur.« Thomas, Scg II 83, in: Opera 13,2, 520: »Quod anima humana incipiat cum corpore.« 73 Vgl. Toletus, 7vb: »Octava. Anima rationalis non corrumpitur, corrupto corpore, sed manet in æternum duratura.« Thomas, Scg II 79, in: Opera 13,2, 498: »Ex præmissis igitur manifeste ostendi potest animam humanam non corrumpi, corrupto corpore.« 74 Vgl. Toletus, 8ra: »Nona. Animæ manentes post corpora, non subintrant alia corpora, nec transmigrant de uno in aliud.« 75
Vgl. a. a. O., 8ra-b: »Decima. Omnes rationes naturales, quæ contra animæ immortalitatem, & alias veritates Fidei à Philosophis factæ fuerunt, sunt sophisticæ, & vanæ, & solubiles. Nec enim philosophia vera repugnat veritati divinæ.«
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nazzi und Portio, welche unter Hinweis auf die Prinzipien der aristotelischen Philosophie die These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele vertreten haben. Toletus berief sich zur Stützung seiner Ansicht erneut auf das 5. Laterankonzil, das mit seinem Postulat vom einheitlichen Wahrheitsbegriff jede Diskussion um die doppelte Wahrheit unterbinden wollte. Dabei galt natürlich der Vorrang des Glaubens gegenüber der Vernunft, wie auch Toletus betonte. Was folglich mit dem Glauben nicht übereinstimme, das könne in der Philosophie nicht wahr sein. Toletus formulierte mit diesen Propositiones aliquot, die im Verlauf dieses Kapitels ausführlicher erläutert werden, diejenigen theologischen Lehrsätze, die später den Schülern der Jesuiten-Collegien in der Ratio studiorum von 1586 als verbindlich vorgeschrieben worden sind, wie der Abschnitt De Studio philosophiæ belegt: 1. In jedem Menschen gibt es nur eine Seele. 2. Die Geistseele ist gemäß Aristoteles unsterblich, wird nicht von der Potenz der Materie hervorgebracht und ist wahrhaft die Form des menschlichen Körpers. 3. Es kann auf philosophische Weise bewiesen werden, daß die menschliche Seele unsterblich, nicht eine in allen Menschen und die natürliche Form des Körpers ist, so daß die von Aristoteles in De An. II 1 gegebene Definition der Seele auch auf sie zutrifft, auf vermittelte Weise auch auf den Geist. 4. Die menschliche Seele hängt, solange sie im Körper als forma corporis ist, nicht von ihm ab, sondern besteht wahrhaft an sich.76 Auch wenn hier keine Namen genannt werden, so ist doch klar, daß in der Psychologie insbesondere der Averroismus, weniger der Alexandrismus als der eigentliche Gegner dieses thomistisch orientierten Jesuitenordens fungierte. Wie diffizil hierbei die Konstellation zwischen einer Ablehnung des Averroes und Alexander auf der einen Seite und ihrer Zustimmung auf der anderen Seite war, belegt die Bibliotheca selecta de Ratione Studiorum des italienischen Jesuiten Antonio Possevino (1533/4-1611) von 1593. Dort heißt es zum Locus De anima rationali: »Wir nehmen an und sagen mit Aristoteles und dem natürlichen Licht, daß die Geistseele mit Alexander die wahre seingebende Form ist, mit Averroes, Themistius, Simplicius und Philoponus unsterblich ist, mit Alexander und Galen vervielfältigbar ist gemäß der Vielheit der Individuen und mit Averroes und den anderen nicht aus dem Vermögen der Materie herausgeführt wird.«77 76 Vgl. Monumenta paedagogica, Ratio studiorum (1586), 107: »Enixe quoque studeant communiores magisque nunc approbatas Philosophorum sententias tueri; quales exempli gratia sunt, quæ sequuntur: … 8. In uno homine una tantum est anima. 9. Anima rationalis secundum Aristotelem est immortalis, nec educitur de potentia materiae, et est vere proprieque corporis forma. 10. Naturaliter demonstrari potest animam rationalem esse immortalem, nec unam in omnibus; et ita naturalem esse corporis formam, ut definitio animae ab Aristotele tradita ei competat univoce, secundum gradum etiam intellectum. 11. Anima rationalis, dum est in corpore et ut est forma corporis, ab eo non dependet, sed vere ac proprie per se subsistit.« 77 Antonio Possevino, Bibliotheca selecta de Ratione Studiorum ad disciplinas, et ad salutem omnium gentium procurandam. Venedig 1603, hier: Vol. II, lib. XII, tr. I, c. XV, 74: »…accipimus, ac dicimus cum Aristotele atque in Lumine Naturæ, Animam Rationalem esse veram formam informan-
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Possevino versuchte, so Fowler, »with such mixing and matching of the opposing Aristotelian schools«78 den gleichsam gereinigten Aristoteles aus den verschiedenen Schulen des Aristotelismus der Zeit herauszudestillieren. Denn der Weg zur Wahrheit führte für Possevino offensichtlich nicht über einen Autor, sondern über mehrere – ganz im Sinne der Ansicht des Aristoteles, wonach jeder die Wahrheit nicht schlechthin verfehle, sondern zu ihrer Findung etwas beitrage (vgl. Met. II 1, 993a30-b7). Daher müsse man sich der Mühe unterziehen, die Position eines jeden, auch eines Averroes und Alexander, im einzelnen zu prüfen, um entscheiden zu können, wer von den Interpreten etwas Richtiges über die Psychologie des Aristoteles ausgesagt habe. Es wird sich zeigen müssen, welche Haltung Toletus und die Conimbricenser eingenommen haben. Keinesfalls kann im vorhinein davon ausgegangen werden, daß die genannten Lehrsätze von Toletus »steer a careful path among intolerable alternatives«79, wie Des Chene behauptet. Denn die ganz andere Weise des Philosophierens bei Zabarella und Portio, die unter Berufung auf die libertas philosophiæ theologische Vorgaben ablehnten, kann sich ja als der angemessenere Weg auch für die Theologie erweisen. Um klären zu können, in welchen Punkten die Jesuiten mit den radikalen Naturphilosophen übereinstimmten und in welchen nicht, sind insbesondere die in Toletus’ Lehrsätzen 1-3, 5, 8 und 10 verhandelten Themenfelder (Vielheit der Seelen oder Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen, Definition der Seele, Unsterblichkeit der Seele) zu erörtern. Daneben ist auch die von Toletus in seinen Propositiones merkwürdigerweise überhaupt nicht erwähnte Lehre vom Geist (nou=j, intellectus) in den Blick zu nehmen, in der das Wesen und die Funktion des intellectus patiens und des intellectus agens besprochen worden sind. Gerade an ihrer philosophischen bzw. theologischen Interpretation scheiden sich die aristotelischen Schulen des Alexandrismus, Averroismus und Thomismus. Ihr gilt daher im folgenden das besondere Augenmerk, da hier am besten die Einheit und die Differenz in der Psychologie des Renaissance-Aristotelismus kenntlich gemacht werden kann. 3.1.2. Prolegomena zur Psychologie Den wissenschaftlichen Standards der Zeit gemäß setzten Toletus und die Conimbricenser ihren Kommentaren Quæstiones proœmiales bzw. Proœmium genannte Einführungen voran, in denen sie 1. die Bestimmung dieser Disziplin als scientia de anima, 2. ihren Nutzen, 3. ihren Gegenstand, 4. die Zuordnung ihres Gegenstandes zur Mathema_________________________________________________________________________________________________________
tem cum Alexandro, Immortalem, cum Averroe, Themistio, Simplicio, et Philopono, multiplicatam ad multiplicationem individuorum cum eodem Alexandro et Galeno, et non eductam ex potentia materiæ cum Averroe, et aliis.« Zitiert nach C. F. Fowler, Descartes on the Human Soul. Philosophy and the Demands of Christian Doctrine. Dordrecht u. a. 1999, 76. Zu Possevino vgl. Paul Richard Blum, Philosophenphilosophie, 37-50. 78
Vgl. C. F. Fowler, Descartes, 76.
79
Dennis Des Chene, Life’s Form, 49.
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tik, Physik oder Metaphysik und 5. schließlich ihre Verortung im Wissenschaftskanon erörterten.80 Das Proœmium vermittelte dergestalt præcognita über diese Wissenschaft, die das Verstehen des komplexen Gegenstandes selbst erleichtern sollten. 1. Toletus begann seine Quæstiones proœmiales mit der Frage, ob die scientia de anima eine Wissenschaft sei. Dies setze zum einen voraus, daß es überhaupt so etwas wie ‘Seele’ gebe, und zum andern, daß sie auf wissenschaftliche Weise bestimmt werden könne. Zu I. Daß man der Seele Sein zuschreiben muß, belegen für Toletus die drei Phänomene motus, cognitio & figura: Nur was sich selbst aus sich selbst heraus zu bewegen vermag, ist beseelt. So ist ein Stein nach allgemeiner Ansicht unbeseelt, weil ihm das Vermögen der Selbstbewegung fehlt. Sofern nun das Lebewesen sich aus sich selbst heraus zu bewegen vermag, ist die Seele Prinzip der Selbstbewegung eines Lebewesens (vgl. De An. I 2, 403b25-27). Sie ist beim Menschen ferner Prinzip des Denkens, das den Menschen allein vom Tier unterscheidet und die höchste Realisation des Beseeltseins kennzeichnet. Schließlich konstituiert sie das Lebewesen in seiner individuellen Gestalt, indem sie es zu einem Dies-da in seinem Hier und Jetzt macht. Wo also eins von diesen drei Phänomenen sichtbar werde, so Toletus, dort existiere notwendigerweise eine Seele. Zu II. Daß die Seele wissenschaftlich bestimmt werden kann, gründet in der Möglichkeit ihrer Definierbarkeit, die sie zu einem Allgemeinen macht – denn von einem Einzelnen kann es keine Definition und damit keine Wissenschaft geben (vgl. Met. VII 15) – und die ihre Eigenschaften (Met. IV 1), Ursachen und Prinzipien (vgl. Met. VI 1 sowie An. Post. I 23) benennt. All dieses zu bestimmen, ist aber Aufgabe einer Wissenschaft. Folglich gibt es eine Wissenschaft von der Seele.81 2. Die Conimbricenser begannen ihre Erörterungen mit dem Aufweis des Nutzens dieser scientia de anima als Disziplin. Sie überrage wegen der Vortrefflichkeit ihres Gegenstandes alle anderen Bereiche der Philosophie, gehe es in ihr doch letztlich um den Menschen selbst und seine Selbsterkenntnis. Die scientia de anima als Wissen von der Seele sei nichts anderes als die Realisierung der klassischen Forderung des Delphischen Orakels nach dem gnw=qi seauto/n, wie die Conimbricenser in Übereinstimmung mit Alexander82 und Zabarella83 betonten: »Niemand kann sich selbst erkennen, wenn 80
Vgl. Toletus, 1ra: »Quatuor igitur nobis in præsentia discutienda sunt. Primùm, an de Anima poßit esse scientia: quam postquam esse ostenderimus, discutiemus cuius artificis sit talem tradere scientiam, an Physici, an Metaphysici, an cuiusvis alterius; quod sit Physici munus id est, tertiò tractabitur in qua Physicæ parte, & loco hæc Tractatio sit collocanda; & tandem quartò quod sit huius Tractationis obiectum & materia …« Coll. Conimbricense, 1: »De utilitate, ordine, materia subiecta, & partitione horum librorum.« A. a. O., 6: »Quæstio unica. Num intellectivæ animæ contemplatio ad Physiologiæ doctrinam pertineat.« 81
Vgl. Toletus, 1ra-vb.
82
Vgl. Alexander, De Anima I, 1,4f. [30ra]: »prosta/tetai de\ kai\ prokhru/ttetai to\ gnw=qi seauto\n u(po\ tou= Puqi/ou …« / »præcipitur autem à Pythio Apolline, & publica ferè præconis voce promulgatur: Nosce te ipsum …« 83 Vgl. Zabarella, De Mente humana, in: De Rebus naturalibus, 915-978, hier: c. 1, 915A-D: »Nulla res est, cuius notitiam illi, qui rerum scientiam inquirunt, & sapientes evadere cupiunt, magis indagare, atque enixius pervestigare deberent, quam illa animæ præstantissima pars, qua homines sumus,
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er nicht die Natur und das Wesen seiner Seele erkannt hat.«84 Damit ist keine bloß partikuläre Selbsterkenntnis des je Einzelnen in seinem Sein und Tun gemeint, sondern die philosophische Erkenntnis des allgemeinen Begriffs von der Seele und vom Geist. Sofern nun dieser Begriff das Wahrhafte des Menschen anzeigt, ist die scientia de anima für die Conimbricenser in bestimmter Hinsicht die Grundlage für die Ethik und Metaphysik, ja die Grundlage jeglicher Erkenntnis der Wahrheit (vgl. De An. I 1, 402a4-6). So seien die Affekte, Tugenden und Laster als Gegenstände der Ethik nichts anderes als seelische Phänomene, deren genauere Erkenntnis damit ein Wissen von der Seele selbst voraussetze. Die Metaphysik wiederum handele von den Intelligenzien und hebe damit die Seele über sich selbst hinaus zu Gott als die Quelle aller Vollkommenheit. Daß die scientia de anima damit die Grundlage jeglicher spekulativen Philosophie ist, verdeutlichten die Conimbricenser, indem sie die Seele unter Berufung auf Hermes Trismegistus als Orizon æternitatis et temporis bestimmten. Die Seele sei dergestalt das Zusammen von Geistigem und Körperlichem, das zugleich ihre Grenze bezeichne, und fungiere so gleichsam als Einfallstor des Göttlichen.85 3. Gegenstand der scientia de anima war für Toletus und die Conimbricenser nicht etwa der beseelte Körper, wie Paulus Venetus behauptet hat, sondern die Seele selbst, wie unter Berufung auf eine ganze Reihe von Autoren wie Simplicius, Philoponus, Alexander, Albertus und Thomas etc. betont wurde, und zwar aus den folgenden beiden Gründen86: 1. Aus An. Post. I 9 ist ersichtlich, daß jenes Gegenstand einer Wissenschaft ist, dessen Definition in ihr ermittelt wird. In De Anima wird aber die Definition der Seele, nicht die des beseelten Körpers ermittelt. Ergo. 2. Der Titel der aristotelischen Schrift De Anima zeigt selbst an, daß dieses Werk von der Seele handelt und nicht vom beseelten Körper. Zabarella lehnte diese Argumentation mit der Begründung ab, daß Gegenstand der Naturwissenschaft ganz allgemein der Körper sei, und zwar der himmlische wie der irdische, insofern er in sich die Natur als das Prinzip der Bewegung habe.87 Gegenstand der Psychologie sei damit weder die Seele selbst noch das Lebewesen, sondern der beseelte Körper als eine Art des natürlichen Körpers: _________________________________________________________________________________________________________
& quam solam hominem ipsum esse plures Philosophi existimarunt: cur enim non fatui potius, quam sapientis hominis esse fateamur ad cœli & elementorum, & rerum aliarum cognitionem adipiscendam omne studium conferre, seipsum autem ignorare? … Hæc autem, quam proposuimus de anima humana disputatio, cum ipsa per se dignissima est, in quam summa cum diligentia incumbamus, siquidem res nostra agitur, quum ad nos ipsos cognoscendos hæc maxime pertinere videatur …« 84 Coll. Conimbricense, 1: »… sententia foribus templi Delphici ab Amphictionibus inscripta commonebat, maxime eniti quisque debet, ut se ipsum norit: nosse autem se nemo potest, nisi animi sui naturam, et dignitatem perspectam habeat.« 85 Vgl. a. a. O., 2: »Denique communi ratione, ad omnem Philosophiæ partem opportuna est hæc de animo meditatio; quia cùm animus rationis, consiliique particeps (ut Trismegistus in Asclepio ait) sit veluti Orizon æternitatis, & temporis, atque intelligibilis, corporæque naturæ nexus, ac confinium …« 86
Vgl. hierzu Toletus, 6ra-vb. Coll. Conimbricense, 4.
87
Vgl. Zabarella, De Naturalis scientiæ constitutione liber unicus, in: De Rebus naturalibus, 1-134, hier: c. 2, 3F-4A: »… sed hac tempestate videntur omnes in hanc sententiam convenisse, quod corpus
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Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus »Aus demselben Grund muß man sagen, daß in den Büchern De Anima Gegenstand der beseelte Körper im allgemeinen ist, der alle sterblichen Lebewesen umfaßt, weil dort von der Form dieses Körpers gehandelt wird, nicht allein von der Form des Lebewesens. Denn die Seele wird definiert als eine erste Vollkommenheit und als die Form des lebendigen Körpers. Daher wird sie auf die Weise betrachtet, wie sie definiert wird, nämlich als das gestaltgebende Prinzip des lebendigen Körpers. Weil nämlich dasjenige der Gegenstand ist, dessen Prinzipien betrachtet werden, kann es in den Büchern De Anima keinen anderen Gegenstand geben als den beseelten Körper …«88
Gegen die beiden von Toletus und den Conimbricensern genannten Argumente wandte Zabarella ein, daß nicht immer das, was definiert werde, zugleich Gegenstand der Wissenschaft sei und eine Schrift nicht immer nach ihrem Gegenstand benannt werde, sondern manchmal auch nach der Absicht des Autors, wie er unter Hinweis auf seine eigene Schrift De Tribus Præcognitis betonte. Und genau dies sei hier der Fall: Ziel der Schrift De Anima sei es, die Seele als Prinzip des belebten Körpers zu erweisen.89 4. Die Frage, ob die Betrachtung der Seele und des Geistes zur Mathematik, Physik oder Metaphysik gehöre, hat ihren Ursprung in den entsprechenden Überlegungen von Aristoteles in De part. an. I 1, 641a17-b10. Wie gesehen (vgl. 2.3.1.), hat Simplicius aufgrund dieser Äußerungen in seinem De Anima-Kommentar die These vertreten, die pragmatei/a th=j yuxh=j sei Gegenstand einer scientia media, nämlich teils der Physik, teils der Metaphysik. Toletus und die Conimbricenser schlossen sich dagegen der Ansicht von Alexander, Averroes, Albertus und Thomas an, wonach die Betrachtung der anima vegetativa, sensitiva & intellectiva allein zur Physik gehöre.90 Um dabei dem katholischen Dogma vom Kreatianismus der menschlichen Seele gerecht zu werden, die gerade ihre Supranaturalität gewährleistet, diffenzierten die Conimbricenser genau_________________________________________________________________________________________________________
universale sumptum, quod & cœlestia & inferiora omnia complectatur, quatenus naturale, hoc est, quatenus habens in se ipso naturam, quæ motus principium esse definitur, sit commune subiectum totius scientiæ naturalis: quam sententiam ego absque dubio veram esse censeo …« 88
A. a. O., c. 38, 119A-B: »hac eadem ratione dicendum est in libris de Anima subiectum esse corpus animatum universe sumptum, quod omnia viventia mortalia comprehendat, quia ibi de huius forma agitur; non de sola animalis forma; definitur enim anima esse actus primus, & forma viventis corporis: eo igitur modo consideratur, quo definitur, nempe ut principium formale viventis corporis. Quoniam igitur illud est subiectum, cuius principia considerantur, nullum aliud esse potest eorum librorum subiectum, nisi corpus animatum …« 89 Vgl. Zabarella, De Tribus præcognitis, in: Opera logica, 497-530, hier: c. 6, 512A-513C: »Ex his, quæ dicta sunt, colligere possumus, quid intersit inter subiectum libri, & scopum, seu (ut vocant) intentionem authoris in eo libro: nam discrimen hoc est, quòd nomen subiecti id, quod notum est, respicit; nomen autem intentionis refertur ad ignota, quæ investiganda proponuntur … Dicunt etiam complures, in libris de Anima subiectum esse animam, nec vident eam ut principium subiecti, non ut subiectum considerari; illud enim est subiectum, cuius formale principium est ipsa anima. est autem principium animati corporis, & ut eius principium consideratur, ut in ipsius animæ definitione apparet: igitur corpus animatum est eorum librorum subiectum. anima verò est res considerata tanquam principium subiecti, eiusque declaratio est intentio Aristotelis in ijs libris, sed non subiectum.« 90 Vgl. Toletus, 3va-b: »Physici est tractare de anima sensitiva, & vegetativa. … Physicus agit de anima rationali, si secundum suam substantiam consideretur.«
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er zwischen drei Weisen ihrer Betrachtung und näherten sich so wieder der Position des Simplicius an91: 1. Ist sie mit dem Körper vereinigt und übt in ihm ihre Funktionen aus, dann ist sie Teil der Physik. 2. Trennt sie sich vom Körper ab und geht so zu den Intelligenzien über, gehört ihre Betrachtung zur Metaphysik, denn dann hat sie keine Gemeinschaft mehr mit der Materie. Dieser Status ist ihr aber nicht auf natürliche Weise eigen, sondern præter naturam. 3. Hinsichtlich ihres Wesens, nach dem sie forma corporis ist, gehört sie wiederum zur Physik, da die Seele selbst als Prinzip der Bewegung Natur ist. Umstritten war dabei freilich, ob sich die Seele bereits mit dem Wahrnehmungsvermögen über die Natur erhebt oder erst mit dem Geist.92 Auf diese Frage wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit zurückzukommen sein. 5. Toletus und die Conimbricenser lehrten die scientia de anima im naturwissenschaftlichen Kanon vor den Büchern De Animalibus93, wie gegen Alexander und Averroes unter Berufung auf Theophrast, Avicenna, Albertus Magnus und Thomas betont wurde. Denn gemäß dem ordo doctrinæ müßten zuerst die Prinzipien und Ursachen verhandelt werden. Die Seele sei aber Prinzip der Lebewesen (vgl. De An. I 1, 402a6f.: a)rxh\ tw=n z%/wn). Ergo.94 Was geschieht aber, wenn dieses Prinzip nicht bekannt ist? Muß man dann nicht von dem Zusammengesetzten als dem für uns Bekannteren ausgehen, folglich die Bücher De Animalibus vor der scientia de anima verhandeln? Toletus verneinte diese Konsequenz mit der Begründung, daß der ordo doctrinæ nicht immer dem ordo nostræ cognitionis folge, sondern manchmal auch dem ordo naturæ. 91
Für das Nachfolgende vgl. Coll. Conimbricense, 7f.
92
Vgl. Toletus, 4va: »Ita anima natura dicitur, non quidem respectu sensationis, vel intellectionis, sed respectu augmentationis, & nutritionis, & motus localis, quæ exercentur à sensitiva, & rationali.« Zabarella, De Natura, in: De Rebus naturalibus, 231-252, hier: c. 4, 237D-E: »Idem confirmatur alio Aristotelis testimonio in 1. libro de Partibus animalium, cap. 1. ubi concedit animam esse naturam; quamvis enim de mente dubitet, an sit natura, & principium motus, de nutriente tamen, ac de sentiente animæ parte non dubitat eas esse principium motus, & nomine naturæ participare, unde colligit pertinere ad philosophiam naturalem loqui de aliqua saltem anima; vult igitur aliquam saltem animam esse naturam.« 93 Für Toletus (vgl. 5ra) ergab sich damit folgende Einteilung der Schriften: 1. Die Physik handelt von den allgemeinen Prinzipien und Eigenschaften aller natürlichen Körper, wie Materie, Form, Bewegung, Ort, Zeit etc., 2. De Cœlo vom ewigen Himmel als einen einfachen Körper, 3. De Generatione et corruptione von den übrigen einfachen Körpern, die werden, sich bewegen und vergehen, 4. De Meteora von den vermischten und unvollkommenen Körpern, 5. De Mineralibus von den Mineralien, 6. De Anima von der Seele im allgemeinen und ihren spezifischen Vermögen, die nicht allen Lebewesen auf gleiche Weise zukommen, 7. De Animalibus von den Tieren und 8. De Plantis von den Pflanzen. Wie bereits erwähnt (vgl. Anm. 39), war nur ein Teil dieser Schriften Bestandteil des curriculum Philosophiæ. 94 Vgl. Toletus, 5va: »Liber de anima anteponendus est libris de animalibus, & plantis: & sic sextum obtinet locum. Hæc conclusio probatur primò ordine doctrinæ. Principia & causæ sunt prius tradenda: sed anima est principium animatorum: ergo ipsius consideratio prius est tradenda.« Coll. Conimbricense, 3: »Sed … statuendum est cum Theophrasto … & D. Thoma, quem recentiores fere sequuntur eam [sc. scientia de anima] proxime sequi post libros Meteororum; atque antecedere totam disciplinam ad res animatas pertinentem … ita congruebat ut initium commentationum de rebus animatis, esset consideratio animæ, quæ rerum animatorum commune principium est.«
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Danach bilden immer die Prinzipien den Anfang der Wissenschaft, auch wenn sie uns nicht bekannt sind.95 Diese auch von Piccolomini geteilte Ansicht wurde von Zabarella abgelehnt, da der Mensch in der Lehrdarstellung immer dem ordo doctrinæ, niemals dem ordo naturæ folge. Denn die Anordnung werde nicht ontologisch vom Gegenstand vorgegeben, sondern sei ein instrumentum mentis, das sich der Mensch selbst bilde, um die Teile eines jeden Lehrfaches so anzuordnen, daß das betreffende Fach desto leichter erlernt werden könne.96 Der ordo doctrinæ wird also für Zabarella grundsätzlich in einem pädagogischen Zusammenhang angewandt, da er dabei unseren Erkenntnisstand berücksichtigt und somit nicht vom Wesen oder der Dignität des Gegenstandes abhängt. Für die theoretischen Wissenschaften bedeutet dies, daß wir gemäß dem ordo compositivus zuerst mit dem beginnen, was uns bekannter ist. Bekannter sind uns nun die Körperteile der Lebewesen als die einfachsten Prinzipien, da diese den Sinnen zugänglicher sind. Folglich beginnen wir in der Lehranordnung mit den Schriften De Animalibus, um erst anschließend die Seele als immaterielle, sinnlich nicht wahrnehmbare Form in den Blick zu nehmen.97 Daß diese Vorgehensweise auch für die Psychologie selbst gilt, belegt eine Äußerung Zabarellas in De Methodis, die als Ausgangspunkt für die Darstellung des Systems der Psychologie im Renaissance-Aristotelismus gelten kann. Dort heißt es: »Nachdem die Materie [sc. der Körper der Lebewesen] erkannt war, wandte er [sc. Aristoteles] sich in den Büchern Über die Seele der Untersuchung der Form zu. In dieser Abhandlung wahr95 Vgl. Toletus, 5vb: »Ordo enim doctrinæ non semper conformatur ordini nostræ cognitionis, sed aliquando ordini naturæ. Unde in effectibus, & causis tradendis, potius sequitur ordinem naturæ: à causis enim incipit scientia …« 96 Vgl. Zabarella, De Methodis, in: Opera Logica, 133-334, hier: lib. I, c. 11, 154C: »Nos igitur dicimus, ordinem doctrinæ esse instrumentalem habitum, per quem apti sumus cuiusque disciplinæ partes ita disponere, ut quantum fieri possit, optimè ac facillimè illa disciplina discatur.« Zu Zabarellas Auseinandersetzung mit Piccolomini um den ordo naturæ & doctrinæ vgl. im einzelnen Hans Emil Weber, Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der Orthodoxie. Leipzig 1907, 49-54. Neal W. Gilbert, Renaissance Concepts of Method. New York 1960. John Herman Randall, The development of scientific method in the school of Padua, in: Ders., The School of Padua and the Emergence of Modern Science. Padua 1961. Wilhelm Risse, Die Logik der Neuzeit. 1. Band 1500–1640. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. Ulrich Gottfried Leinsle, Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik. Augsburg 1985, 42-53. Eckhard Kessler, Method in the Aristotelian Tradition: Taking a Second Look, in: Method and Order, 113-142. Nicholas Jardine, Keeping Order in the School of Padua, in: a. a. O., 183209. – Auf Zabarellas ordo- und methodus-Lehre wird in 3.3.7. zurückzukommen sein. 97
Vgl. Zabarella, De Naturalis scientiæ constitutione, c. 35, 109A-C: »… contra vero in libris de animalibus egit [sc. Aristoteles] de materia animalium, quam de forma, quoniam partes animalium, quæ sunt eorum proxima materia, sensiles sunt, & notiores, anima vero insensilis, & ignotior, & eius consideratio ardua, multisque, ac magis difficultatibus referta est, ut Aristoteles ipse testatur in proœmio librorum de Anima; eaque fuit Aristotelis mens in primo libro de partibus Animalium, quando dixit agendum prius esse de materia, quam de forma, non enim ea tantum ratione ductus est, quod materia secundum ordinem naturæ dirigitur ad formam, sed quod animalium partes, si bene cognitæ sint, cognitionem animæ faciliorem reddunt, idque potissimum respexit, quando ibi dixit esse de anima agendum, sed prius esse dicendum de materia …« Vgl. ferner a. a. O., c. 42, 132F-133A.
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De Anima te er bestmöglich die Ordnung vom Allgemeinen zum Besonderen. Da er nämlich die allgemeine Seele der Pflanzen und Tieren betrachten konnte, wollte er mit dieser beginnen. Anschließend sprach er über die spezifische Seele der Tiere, welche die sinnliche [sc. Seele] genannt wird, endlich über die Seele des Menschen …«98
In der Tat begann Aristoteles, nachdem er im ersten Buch seiner Schrift De Anima die Ansichten der Vorgänger zum Begriff der Seele dargestellt, sie auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft, dabei eine Vielzahl von Aporien festgestellt hat, im zweiten Buch gleichsam von vorn, um nun selbst zunächst den allgemeinsten Begriff (koino/tatoj lo/goj, 412a5) von der Seele zu ermitteln, der alle Lebewesen, nämlich Pflanzen, Tiere und Menschen, umfassen sollte. Im Anschluß an ihre allgemeinste Definition in 412a27f. folgte dann ab De An. II 3 die Bestimmung der verschiedenen Seelenvermögen, die verschiedenen Lebewesen zukommen und diese daher genauer in ihrer Funktion bestimmen, als dies jene allgemeine Definition vermag. Aristoteles befolgte also in seiner Schrift De Anima den ordo compositivus doctrinæ, indem er mit der Bestimmung der Seele als Prinzip der Lebewesen begann (vgl. I 1, 402a6f.), und zwar nicht, weil das Prinzip das der Natur nach erste ist, sondern weil wir nur durch eine Kenntnis von der Seele als Prinzip zur Erkenntnis ihrer Vermögen und damit zum vollständigen Wissen ihrer selbst gelangen können. 3.2. Die Seele und ihre Vermögen Daß die Renaissance-Aristoteliker der eben genannten Anordnung gefolgt sind, kann ihren systematischen Abhandlungen zur Seele entnommen werden, die Gegenstand dieses dritten Kapitels sind. Dem widerspricht es nicht, wenn bei ihnen der Locus De anima in genere den Beginn ihrer Abhandlungen markiert, denn in concreto zielen sie sogleich auf den Locus De anima rationali ab. Dies liegt in der philosophischen und theologischen Ausnahmestellung des Menschen vor allen anderen Lebewesen begründet, ändert aber nichts an der Reihenfolge des ordo doctrinæ. So erörterte Toletus unmittelbar nach seinem Kommentar zu De An. II 1 zunächst die allgemeine Frage nach der Substanz der Seele und anschließend sogleich die spezifische Frage, ob die menschliche Seele forma assistens sei und damit eine in allen Menschen oder forma informans und damit individuell in jedem einzelnen Menschen.99 Auch die Conimbricenser diskutierten ebenfalls im Anschluß an De An. II 1 nur kurz die beiden allgemei98 Zabarella, De Methodis, lib. I, c. 14, 162D-E: »… cognita materia se contulit ad considerationem formæ in libris de Anima, in qua tractatione ordinem ab universalibus ad particularia optimè servavit: quoniam enim aliqua considerari poterat communis anima stirpium & animalium, ab hac voluit exordiri: deinde de propria animalium anima, quæ sensitiva dicitur, tandem de hominis anima sermonem fecit …« 99
Vgl. Toletus, II 1, q. 1, 39rb: »An Anima sit substantia.« Q. 2, 40vb: »An definitio animæ sit univoca? sive (quod in idem recidit) an sit anima assistens, & una in omnibus hominibus? an sit informans, & in singulis diversa.«
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nen Fragen, ob Aristoteles die Seele richtig definiert habe und ob sie eine Substanz sei, um anschließend in den Fragen drei bis sieben ausschließlich die anima intellectiva in den Blick zu nehmen.100 Bei Zabarella schließlich fehlt gänzlich ein Traktat De Anima in genere. Vielmehr begann er seine Erörterungen zur Psychologie in De Rebus naturalibus mit der Abhandlung De Facultatibus animæ, der sich die Schrift De Partitione animæ anschließt. Erst nach der Erörterung der verschiedenen Seelenvermögen des Ernährens, Wachsens und der Sinneswahrnehmung folgt dann die Abhandlung De Mente humana. Diese Vorgehensweise liegt darin begründet, daß Zabarella mit dieser Schrift zweierlei erweisen wollte: 1. All das, was Aristoteles in De An. II 1 ganz allgemein über die Seele gesagt hat, daß sie nämlich principium constitutivum ist, d. h. die dem Körper das Sein verleihende Form (forma informans corporis), trifft auch auf die mens humana zu. 2. Aristoteles hat die Seele von De An. II 3 bis III 4 allein als principium operationum, das die Funktionen und Tätigkeiten des Lebewesens ermöglicht, in den Blick genommen.101 Zabarella setzte also bei seinen gebildeten Lesern præcognita voraus, allgemeine Vorkenntnisse über die aristotelische Bestimmung der Seele, die er in De Mente humana in ein wirkliches Wissen überführen wollte. Dieser Anordnung wird nach reiflicher Überlegung gefolgt. Das bedeutet, daß der allgemeine Seelenbegriff hier zunächst nicht näher erläutert wird. Vielmehr soll diese Darstellung erst im Locus De anima rationali erfolgen (vgl. 3.3.), wo zu zeigen sein wird, daß die allgemeine Definition der Seele aus De An. II 1 auch auf die menschliche Seele zutrifft. Diese Vorgehensweise läßt sich insofern rechtfertigen, als die Frage, was die menschliche Seele sei, bei den Autoren nicht nur vor dem Hintergrund von De An. II 1 und 2, sondern insbesondere vor dem von De An. III 4 erfolgte. Im vorliegenden Zusammenhang werden daher nur die Abschnitte De facultatibus animæ (vgl. 3.2.1.) und De partitione animæ (3.2.2.) erörtert. Zur Vergegenwärtigung dessen, worum es hierbei genauer ging, sei kurz das Wesentliche aus De An. II 1 und 2 bezüglich dieser beiden Loci zusammengefaßt. Die allgemeine Definition der Seele als »erste Vollendung eines natürlichen Körpers, der in
100
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 1, 54: »Rectè ne Aristoteles animam definierit; an non.» Q. 2, 69: »Sit de anima quidpiam subsistens, an non.« Q. 3, 76: »Utrum Animæ intellectivæ à Deo creentur, an non.« Q. 4, 84: »Quonam puncto temporis videatur anima intellectiva in corpus infundi.« Q. 5, 87: »Utrum omnes animæ intellectivæ naturæ dignitate pares sint.« Q. 6, 94: »Sit ne anima intellectiva vera hominis forma, an non?« Q. 7, 101: »Utrum animæ rationis participes ad numerum hominum multiplicentur, an non?« 101 Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 1, 916A-C: »Duorum autem principium est anima, corporis animati tanquam forma, & operationum tanquam effectrix; ob id in initio 2. lib. de Anima Aristoteles universe omnis animæ naturam, & essentiam declaravit per respectum, quem habet ad corpus, cuius est anima; deinde in context. 33 [sc. De An. II 4, 415a14ff.] eiusdem lib. proposuit in tota sequente eius operis parte singularum animæ facultatum naturas ex operationibus declarandas, & post diligentem & vegetantis & sentientis partis declarationem, quæ in eo 2. lib. habetur, sumpsit in 3. lib. declarandum quid sit humana mens, respectu operationis tantum, non respectu corporis; quid enim respectu corporis sit, iam in initio 2. lib. de omni anima universe docuerat …«
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Möglichkeit Leben hat«102, verdeutlicht den engen Zusammenhang von Körper und Seele, so daß für Aristoteles beide eins (e(/n, De An. II 1, 412b6) sind. Der Grund für dieses Einssein ist nicht außerhalb dieses Verhältnisses zu suchen, sondern es ist die Natur selbst von Körper und Seele, eins zu sein, genau so, wie auch Wachs und Figur als Kerze eins sind. Sind nun gemäß Met. VIII 6, 1045b17-19 Materie und Form ein und dasselbe, jene als Möglichkeit, diese als Verwirklichung, so ist der ‘Stoff’ des Menschen der Möglichkeit nach derjenige Mensch, wie der später durch die Form beseelte und damit verwirklichte. Der pflanzliche, tierische und menschliche Körper ist dem Vermögen nach also das, was er in Wirklichkeit durch die Seele ist: ein natürlicher, organischer Körper. Daher gilt: Keins ist ohne das andere. Nur beide zusammen bilden ein Lebewesen (413a3103).104 Für Aristoteles ergibt sich hieraus auch, daß weder die Seele als Ganzes noch ein bestimmter Teil (to\ me/roj) von ihr, wenn sie von Natur aus teilbar ist, vom Körper abtrennbar ist, denn bei einigen Teilen liegt die erste Vollendung in ihnen selbst. Hingegen hindert nichts, so der Stagirite, daß einige Teile abtrennbar sind, weil sie nicht die Vollendung von irgendeinem Körper sind (De An. II 1, 413a3-7). Welche Teile dies sind, wird aus De An. II 2 deutlicher. Dieses Kapitel beginnt mit der Ausgangsthese, daß das Beseelte sich gegenüber dem Unbeseelten durch das Leben auszeichnet (413a20-22). Von ‘Leben’ spricht Aristoteles dann, wenn eine von den folgenden Bestimmungen vorliegt: Geist, Wahrnehmung, Ortsbewegung und Stehen sowie Bewegung als Ernährung, Schwinden und Wachstum (a22-25).105 Diese sind nun nichts anderes als Vermögen (duna/meij, a26) der Seele. Da nun nicht alle Vermögen allen Lebewesen zukommen, stellt sich erneut die Frage, ob jedes von diesen Vermögen selbst Seele ist oder ein Teil von ihr, und wenn ein Teil, ob er nur dem Begriffe oder dem Orte nach abtrennbar ist (413b13-15). Während dies nun für einige Seelenvermögen 102
Aristoteles, De An. II 1, 412a27f.: »dio\ h( yuxh/ e)stin e)ntele/xeia h( prw/th sw/matoj fusi-
kou= duna/mei zwh\n e)/xontoj.« 103
Vgl. a. a. O., 413a2f.: »a)ll )w(/sper o)fqalmo\j h( ko/rh kai\ h( o)/yij, ka)kei= h( yuxh\ kai\ to\ sw=ma z%=on.« Diesen engen Zusammenhang von Seele und Körper verdeutlicht auch die Bestimmung der Affekte als »lo/goi e)/nuloi« (De An. I 1, 403a25). Damit weist Aristoteles darauf hin, daß die Affekte nie rein körperlich, sondern ‘immer schon’ kognitiv vermittelt sind. 104
Vgl. hierzu Toletus, II 1, t. 7, 38va: »quare ex corpore & anima fiat ens per se? Unum enim, & ens, pari modo dicuntur, & se sequuntur. Ut enim est ens per se, & per accidens, ita unum, & ut ex anima, & corpore fit ens per se, ita unum per se. Fit autem ens per se, quia anima est actus, quod propriè est; ob id animatum ab anima dicitur esse, & unum esse.« Zabarella, II 1, t. 7, 151A: »Ex anima igitur & corpore fit unum; quia anima est forma, & actus, corpus vero materia, & potentia. Sumitur enim hic corpus non pro toto composito, sed pro eo, quod est materia, & altera pars compositi.« 105
Vgl. Aristoteles, De An. II 2, 413a22-25: »pleonaxw=j de\ tou= zh=n legome/nou, ka)\n e(/n ti tou/twn e)nura/rxv mo/non, zh=n au)to\ famen, oi(=on nou=j, ai)/sqhsij, ki/nhsij kai\ sta/sij h( kata\ to/pon, e)/ti ki/nhsij h( kata\ trofh\n kai\ fqi/sij te kai\ au)/chsij.« In 413b22f. verknüpft Aristoteles die Wahrnehmung mit der Vorstellung und dem Streben (fantasi/a & o)/recij): Jene ist nicht ohne diese beiden. Die Aufzählung der Vermögen ist also nicht abschließend zu verstehen, auch wenn es natürlich nicht unendlich viele gibt.
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leicht zu erkennen ist – so leben Pflanzen und bestimmte Insekten weiter, wenn man sie zertrennt, weil ihre Seelen der Wirklichkeit nach eine Einheit, der Möglichkeit nach aber eine Vielheit sind (b16-21) –, ist dies für den Nous noch nicht deutlich. Er scheint nämlich eine andere Seelengattung zu sein, und das allein kann abgetrennt werden wie das Ewige vom Vergänglichen.106 3.2.1. Der Streit um die Einheit der Seele Gegenstand dieses Locus ist die Seele als principium operationum. Aus dem in De An. II 1 und 2 Gesagten ergaben sich für Renaissance-Aristoteliker hauptsächlich zwei Fragen: 1. Von welcher Qualität sind diese verschiedenen Seelenvermögen? Unterscheiden sie sich realiter von der Seele, oder sind sie mit ihr identisch? 2. Gehen die verschiedenen Tätigkeiten eines Lebewesens aus verschiedenen Seelen hervor oder nur aus einer mit verschiedenen Vermögen ausgestatteten Seele? Anders gefragt: Liegt eine Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen in einem Lebewesen vor oder eine Vielheit von Seelen, sofern eine Seele nur die ihr spezifische Funktion ausüben kann?107 Insbesondere die letzte Frage war wegen ihrer theologischen Implikationen äußerst umstritten, wie dies ja bereits der dritte Lehrsatz der Propositiones aliquot des Toletus angezeigt hat. Um die erste Frage, ob sich die Vermögen realiter von der Seele unterscheiden, beantworten zu können, muß für Zabarella zunächst der Begriff der Differenz geklärt werden. Die formale Differenz bezieht sich auf ‘Dinge’, die an ein und demselben subiectum vorkommen, die reale Differenz dagegen auf solche, die in verschiedenen subiecta sind. Da nun die Vermögen und die Seele in ein und demselben subiectum, dem beseelten Körper, sind, spielt im vorliegenden Zusammenhang die formale Differenz keine Rolle. Zu fragen ist daher, »ob die Vermögen etwas auf wesentliche Weise von der Substanz selbst der Seele real Getrenntes sind, oder ob sie dasselbe sind wie jene«108. Letztere Ansicht wurde u. a. von Duns Scotus und Gregor von Rimini vertreten und damit begründet109, daß auch die Seele wie jede substantielle Form das unmittelba106
Vgl. Aristoteles, De An. II 2, 413b24-27: »peri\ de\ tou= nou= kai\ th=j qewrhtikh=j duna/mewj ou)de/n pw fanero/n, a)ll )e)/oike yuxh=j ge/noj e(/teron ei)=nai, kai\ tou=to mo/non e)nde/xetai xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i/+dion tou= fqartou=.« 107 Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, in: De Rebus naturalibus, 683-728, hier: c. 1, 685A: »quæritur enim, an à substantia animæ distinguantur [sc. facultates], an potius sint idem quod illa; quæritur etiam, quo discrimine ipsæ discrepent inter se, & quot sint …« Die Conimbricenser erörterten nur die erste Frage: »Utrumne animæ potentiæ re ipsa ab ea [sc. essentia animæ] differant, an non« (II 3, q. 4, 140), während sich Toletus nur mit der zweiten auseinandersetzte: »An in uno viventi sint plures Animæ?« (II 3, q. 7, 60vb) 108 Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 2, 685 E-F: » … quærimus enim quum simul sint [sc. potentiæ & anima] in eodem, an potentiæ sint quid reale distinctum essentialiter ab ipsa animæ substantia, an idem sint, quod illa.« 109
Vgl. hierzu a. a. O., 686A-687E. Coll. Conimbricense, II 3, q. 4, art. 1, 140f.
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re Prinzip ihrer Tätigkeiten ohne ein vermittelndes Vermögen sei. Denn die substantielle Form sei Natur, die wiederum das unmittelbare Prinzip der Bewegung. Also bedürfe die Seele keiner vermittelnden Vermögen. Die Struktur des Arguments ist klar: Wenn kein agens & movens etwas unmittelbar hervorbringen kann, sondern eines vermittelnden Vermögens bedarf, dann kann auch das Vermögen selbst nichts unmittelbar bewirken, sondern bedarf wiederum eines anderen vermittelnden Vermögens und so ad infinitum. Nach der anderen Ansicht, die u. a. von Thomas110, Albertus, Ägidius und Cajetan vertreten worden ist, unterscheiden sich dagegen die Vermögen sehr wohl von der Substanz der Seele. Denn das natürliche Vermögen sei eine Qualität zweiter Art und damit geeignet, bestimmte Tätigkeiten von Natur aus auszuführen. Da nun die Seelenvermögen geeignet seien, bestimmte Tätigkeiten von Natur aus auszuführen – wie das Sehen des Auges –, wären sie Qualitäten der zweiten Art (aptitudines naturales ad operandum) und damit wesentlich von der Substanz der Seele verschieden. Wäre dies nicht der Fall, dann würden sich die Vermögen nicht voneinander unterscheiden. So könnte man jedoch das Blindsein nicht mehr erklären: Beim Blinden sei nämlich die Seele secundum esse im Auge, denn sie sei zugleich im ganzen Körper, nicht aber secundum operationem. Deshalb müsse zwischen der Substanz der Seele und ihren Vermögen unterschieden werden. Dies werde auch aus De An. II 2, 413b11-13 deutlich, wo Aristoteles die Seele das Prinzip der verschiedenen Vermögen des Nährens, Wahrnehmens etc. genannt habe.111 Dieser Ansicht haben sich auch die Conimbricenser112 und mit gewissen Einschränkungen Zabarella angeschlossen, der jedoch beide Positionen wie folgt kritisierte: »Ich schließe mich in dieser Auseinandersetzung mehr der Ansicht des Thomas und der übrigen Genannten an, kann sie jedoch nicht vollkommen akzeptieren. Vielmehr glaube ich, daß bei ihr eine gewisse Berichtigung vorzunehmen ist. Ich meine nämlich, daß die ganze Wahrheit in dieser Sache in den beiden genannten Ansichten niedergelegt ist. Die eine Aussage ist gegen Scotus von der Art: Die Seelenvermögen sind der Sache nach von der Substanz selbst der Seele unterschieden und sind Qualitäten der zweiten Art. Die andere Aussage ist gegen Thomas und die anderen [von der Art]: Die Seelenvermögen sind keine mittleren Akteure zwischen der Seele und der Tätigkeit, wie Thomas und Ägidius glaubten, sondern sind nur gewisse Bedingungen und Geeignetheiten der Seele zum Tätigwerden.«113
110 Vgl. Thomas, STh I, q. 77, art. 1, in: Opera 5, 236: »Respondeo dicendum quod impossibile est dicere quod essentia animae sit eius potentia.« 111
Vgl. Aristoteles, De An. II 2, 413b11-13: »nu=n d )e)pi\ tosou=ton ei)rh/sqw mo/non, o(/ti e)sti\n h( yuxh\ tw=n ei)rhme/nwn tou/twn a)rxh\ kai\ tou/toij w(/ristai, qreptik%=, ai)sqhtik%=, dianohtik%=, kinh/sei.« Auch aus 413a26-28 ergibt sich, daß Aristoteles zwischen der Seele und ihren Vermögen eine reale Differenz gesetzt hat. 112
Vgl. Coll. Conimbricense, II 3, q. 4, art. 2, 141: »Amplectenda tamen est sententia D. Thomæ … Ægidij … M. Alberti … & aliorum complurium asserentium omnes potentias distingui re ipsa ab anima …« 113 Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 4, 690D-F: »Ego in hac controversia licet magis ad Thomæ, & aliorum prædictorum opinionem accedam, eam tamen penitus recipere non possum, sed adhibendam ei esse puto quandam correctionem; arbitror enim totam huiusce rei veritatem in duobus
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Zabarella folgte also insoweit Thomas’ Ansicht, als die Seelenvermögen von der Substanz der Seele unterschieden sind.114 Denn ein Vermögen setzt als potentia operandi bzw. aptitudo ad operandum in einem Ding eine frühere Natur voraus, der es nachfolgt. Die Seelenvermögen gehen dergestalt von der Seele als ihrem Prinzip und Ursprung hervor. Sie ist jedoch nicht deren subiectum; vielmehr ist dies der beseelte Körper. Wie nämlich die Tätigkeiten dem Lebewesen als ihrem Subjekt zugeschrieben werden, der Seele aber als Prinzip und Ursache, so auch die Vermögen. Warum sie keine causa media bzw. agentia media sind, ergibt sich für Zabarella daraus, daß sie nicht die unmittelbare Ursache der Betätigung sind. Wenn nämlich jemand läuft, dann ist hierfür die nächste Ursache nicht die potentia currendi, sondern die Seele selbst. Das Vermögen ist bloß die Bedingung oder die natürliche Geeignetheit für die Betätigung, nicht die Ursache selbst. Denn die Betätigung nimmt ihren Ausgang nicht vom Vermögen, sondern von dem, was in actu ist. Die zweite Frage nach der Differenz zwischen den verschiedenen Seelenvermögen betraf »the integral unity of the soul«115 und war von eminenter theologischer Bedeutung: Gibt es eine Vielheit von Seelen als wesentliche, voneinander unterschiedene Formen in ein und demselben Lebewesen oder eine Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen? Anders formuliert: Gibt es in der Pflanze allein die anima vegetativa, im Tier die anima vegetativa & anima sensitiva und im Menschen neben diesen beiden auch noch die anima intellectiva, oder ist in einem Lebewesen jeweils nur eine Seele mit ihren verschiedenen Vermögen, die der Möglichkeit nach die übrigen Seelen in sich enthält?116 Als Vertreter der Ansicht von der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen galten insbesondere Philoponus, aber auch die Manichäer sowie Averroes und seine Schüler117, zu denen in diesem Zusammenhang auch Pomponazzi gerechnet werden _________________________________________________________________________________________________________
dictis esse constitutam: alterum adversus Scotum tale est; facultates animæ sunt re distinctæ ab ipsa animæ substantia, & sunt qualitates secundæ speciei: alterum vero adversus Thomæ, & alios est, facultates animæ non sunt agentia media inter animam, & operationem, ut Thomas, & Ægidius existimarunt, sed sunt solummodo conditiones quædam, & aptitudines animæ ad operandum.« 114 Daß Zabarella auch hier seinem Konzept einer rein naturphilosophischen Darstellung der Psychologie treu geblieben ist – auch auf die Gefahr eines (theologischen) Irrtums hin –, belegt eine kleine Anmerkung zu Thomas, in der es der Paduaner ablehnte, auf übernatürliche Erklärungen für die Differenz von Seele und Vermögen zurückzugreifen: »… quod differat posse ab esse, probat ibi Thomas ratione supernaturali, quæ aliena est à nostra consideratione; nos autem id probare possumus ratione naturali …« (A. a. O., c. 3, 690B) 115
Dennis Des Chene, Life’s form, 154.
116
Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 60vb: »Nos disputamus in præsenti solùm de animarum pluralitate, ut sit sensus: An in animali duæ sint animæ distinctæ, altera sensitiva, altera vegetativa, & in homine præter has sit etiam intellectiva? an potius sit una in unoquoque in substantia, in virtute contines plures?« 117 Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 61rb. Portio, c. 2, 11. Zabarella, II 1, t. 11, 167C-F. Toletus’ Verweis auf eine Textstelle aus der Physik des Averroes, wonach dieser dort die These von der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen vertreten hat, ließ sich nicht verifizieren: »Præterea sexto, ex Averroes 6. Phys. co. 50, dicit; quod cor & caput, & huiusmodi partes differunt specie: ergo habent diversas animas. Confirmatur: quia os non sentit, caro sentit: ergo non potest eandem habere animam.« (II 3, q. 7,
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kann.118 Die gegenteilige Ansicht vom numerischen Einssein der Seele in einem Lebewesen ist von Augustinus, Albertus, Avicenna und Thomas119 vertreten worden.120 Auch Alexander und Simplicius können dieser Position zugerechnet werden.121 Wel_________________________________________________________________________________________________________
61ra; vgl. Aristotelis opera cum Averrois commentariis, vol. IV, 279rB-D). Auch in seinem De Anima-Kommentar scheint Averroes diese These nicht vertreten zu haben. So heißt es zu De An. I 5, 411b5-14, wo Aristoteles gegen Platon das Einssein der Seele vertritt: »Innuit [sc. Aristoteles] Platonem, qui opinatur quod anima essentialiter dividitur in corpore divisiones membrorum, quibus agit suas actiones diversas, & quod non communicantur in aliquo membro, ita quod pars intelligens est in cerebro tantum, & desyderans in corde tantum, & nutriens in hepate [vgl. Platon, Timaeus, 70B, 71A, 73C-D]. … manifestum est per se quod anima, quæ est in singulis individuis nobis est unica: quid igitur copulat partes animæ, ita quod potest dici esse una? Non enim potest aliquis dicere quod hoc sit corpus, quod copulet partes animæ: quoniam magis rectum est dicere quod corpus est unum, quia anima est una, non econverso.« (I 5, 45vF-46rA) Mag dieser Abschnitt auch die These von einer Vielheit der Seelen in einem Lebewesen nicht vollends ausschließen, so ist hierüber auch im locus classicus De An. II 3, 414b28-415a5 nichts zu lesen. Für Averroes spricht Aristoteles hier ohne Zweifel von verschiedenen Seelenvermögen, nicht aber von verschiedenen Seelen: »… quærendum est igitur post cognitionem istius definitionis universalis definitio propria uniuscuiusque virtutis animæ, scilicet quod est anima plantarum, & quod anima hominis propria illi, et quæ bruti.« (II 3, t. 31, 65vD [176,36-38]) Zabarella spricht daher diese Position von der Seelenvielheit zu Recht nicht Averroes selbst, sondern den Averroistæ zu (vgl. De Facultatibus animæ, c. 5, 697E-F; c. 8, 699B-706B; vgl. jedoch auch Anm. 121). 118 Vgl. Pietro Pomponazzi, Tractatus de immortalitate animae / Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele. Übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Burkhard Mojsisch. Hamburg 1990, hier: c. 1, 6: »Ex quibus tota colligi potest conclusio, non simplicis scilicet naturae esse [sc. hominem], cum tres animas, ut fere ita dixerim, includat: vegetativam videlicet, sensitivam et intellectivam …« 119 Vgl. Thomas, Scg II 58, in: Opera 13,2, 410: »Relinquitur igitur quod omnes actiones animae quae sunt in nobis, ab anima una procedunt. Et sic non sunt in nobis plures animae.« 120
Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 61vb. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 6, 698B-699B.
121
Zu Alexander vgl. oben 2.2.1., Anm. 50. Simplicius spricht im Zusammenhang von De An. II 1, 413a3-7 zwar von h( o(/lh yuxh/ (95,24 [26va]), meint damit aber keine Seelenvielheit in einem Lebewesen, wie aus seinem Kommentar zu De An. II 2, 413b13 deutlich wird: »… a)lla) mo/ria pa/saj mia=j e)ti/qeto yuxh=j …« / »… sed omnes vitas esse unius animæ partes …« (100,32-101,1 [29ra]). Vgl. auch die Äußerung in 5,32f. [A2vb]: »kai\ mi/an th\n e)n e(ka/st% z%/% ei)=nai bou/letai [sc. Aristoteles] yuxh\n …« / »unamque in unoquoque animali vult [sc. Aristoteles] esse anima …« h( o(/lh yuxh/ meint also keine Gesamtheit der Seelen, sondern umfaßt die verschiedenen Vermögen der einen Seele. Es ist daher unverständlich, daß sich Zabarella im Zusammenhang mit De An. II 2, 413b13-15 sowohl auf Alexander als auch auf Simplicius und Averroes berief, um seine These von der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen zu stützen: »… voluit [sc. Aristoteles] enim in homine esse tres animas secundum substantiam distinctas, vegetalem, sensitivam, & intellectivam, non tamen loco distinctas, ut Plato, sed ita ut singulæ totum corpus informent, vegetalis totum, sensitiva totum, intellectiva totum. Hoc modo hunc locum interpretantur Themistius, Simplicius, & Averroes, & hæc enim fuit mens Alexandri in primo suo libro de anima capite ultimo. Dicit enim, Si partes animæ essent loco distinctæ in animali, essent multæ animæ non partes unius; dum enim de solis potentiis loquimur, certum est, quod etiam si ponantur loco distinctæ, non propterea fit, ut ponantur multæ animæ, sed una esse potest animæ substantia, quam omnes insequuntur.« (II 2, t. 19, 270C-D) Diese Passage konnte nicht verifiziert werden.
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cher Ansicht die Renaissance-Aristoteliker gefolgt sind, wird das Nachfolgende verdeutlichen. Dem zweiten Lehrsatz der Propositiones aliquot entsprechend schloß sich Toletus auch in der systematischen Erörterung der Ansicht des Thomas an und ging hierbei von folgender These aus: »In einem Menschen gibt es eine Seele, die Geistseele, und sie umfaßt der Möglichkeit nach die übrigen Seelen.«122 Er fand für diese Ansicht in Portio einen prominenten Verbündeten auf Seiten der radikalen Naturphilosophen, der Philoponus’ These von der Dreiheit der Seelen mit den Worten verwarf, daß »nichts Absurderes in der Philosophie und nichts, was mehr von Aristoteles abweicht, verteidigt werden kann«123. Polemisch fragte er, mit welchem Leim sich denn die Seelen verbänden, damit sie ein Lebewesen bildeten. Genau diese Frage, was denn die Einheit des Lebewesens bewirke, habe Aristoteles bekanntlich in De An. I 5, 411b6f. gestellt und in b12 selbst mit dem Hinweis beantwortet, daß dies die eine Seele sei (h( yuxh\ e(/n). Aus der Tatsache nun, daß es mehrere partes sive facultates animæ gebe, die verschiedener Organe bedürften, um ihre Tätigkeiten auszuführen, könne nicht gefolgert werden, daß es mehrere Seelen gebe, denn gemäß De Part. an. III 4, 666a10ff. entstehe in einem Embryo zuerst das Herz, dem alle diese Vermögen angeboren seien.124 Daß die Substanz der Seele eine ist, die diese Vermögen der Möglichkeit nach in sich enthält, wird für Portio auch aus De An. II 3, 414b28-32 ersichtlich: Wie nämlich, so heißt es dort, das Dreieck in einem Viereck enthalten ist, so auch das Nährende im Wahrnehmenden.125 Portio verstand diesen Passus so, daß die nächsthöhere Seelenstufe immer auch die Vermögen der niederen Seele(n) umfasse. So »(enthält) die Geistseele dem Vermögen nach in sich die Wahrnehmungs- und Nährseele, die Wahrnehmungsseele aber [enthält in sich] die Nährseele, weil im Höheren das Untere enthalten ist, wodurch es weiter und größer ist.«126 Damit trägt Portio dem Sachverhalt aus De An. II 4, 415a23-25 Rechnung, daß für Aristoteles die niedere Seele zugleich als du/namij einer 122
Toletus, II 3, q. 7, 61vb: »In homine uno una est anima, & ea est rationalis, virtute alias continens.« 123 Portio, c. 3, 17: »Siquidem animas tres substantia discretas in tribus subiectis propriis in homine constituit [sc. Philoponus]; quo nihil absurdius in philosophia, nihilque quod magis cum Aristotele dissentiat, defendi potest.« Vgl. auch a. a. O., c. 2, 11. 124
Vgl. hierzu 2.3.3.1., Anm. 301.
125
Vgl. Aristoteles, De An. II 3, 414b28-32: »paraplhsi/wj d )e)/xei t%= peri\ tw=n sxhma/twn kai\ ta\ kata\ yuxh/n: a)ei\ ga\r e)n t%= e)fech=j u(pa/rxei duna/mei to\ pro/teron e)pi/ te tw=n sxhma/twn kai\ e)pi\ tw=n e)myu/xwn, oi(=on e)n tetragw/n% me\n tri/gwnon, e)n ai)sqhtik%= de\ to\ qreptiko/n.« Die Schwierigkeit dieser Textstelle rührt daher, daß nicht klar wird, ob to\ ai)sqhtiko/n & to\ qreptiko/n die Seele selbst bezeichnet oder ihre Vermögen. 126
Portio, c. 3, 18: »Unamque asseruit [sc. Aristoteles] esse animæ substantiam, quæ has facultates potentia in se complectitur, non aliter quàm in circulo quadratum, & triangulum contineri docuit Euclides. Rationalis enim anima potentia, & virtute sensitivam, & vegetalem; sensitiva verò, vegetalem continet: quòd in superiori inferior, qua amplior & capacior est contineatur.« Portios Wortgebrauch ist hier ungenau, denn die Geistseele enthält jeweils die Vermögen der Nähr- und Wahrnehmungsseele in sich, nicht diese selbst.
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höheren Seele bezeichnet wird.127 Eine Seelenvielheit in verschiedenen Teilen des Körpers hätte für Portio nämlich die absurde Folge, daß die einen sterben, während die anderen dagegen weiterleben. Wie sollte sich aber ein Lebewesen nach dem Tod der Nährseele noch ernähren können? Aus alledem sei klar, daß es im Menschen nur die eine, mit verschiedenen Vermögen ausgestattete Geistseele gebe.128 Toletus konnte sich Portios Argumentation, dessen Schrift er in diesem Zusammenhang erwähnte129, nicht vollends anschließen. Zwar ergab sich auch für ihn aus De An. I 5, 411b12 das Einssein der Seele in einem Lebewesen, wie er unter Berufung auf Simplicius betonte.130 Und genau wie Portio, so verstand auch er den Passus in II 3, 414b28-32 dahingehend, daß das Nährvermögen im Wahrnehmungsvermögen und dieses wiederum im Denkvermögen so enthalten ist wie das Dreieck im Viereck. Das Dreieck sei im Viereck und das Viereck im Achteck aber nicht in Wirklichkeit enthalten, sondern nur der Möglichkeit nach, und genau auf diese Weise enthalte die anima rationalis in sich die niederen Vermögen der anima sensitiva und die der anima vegetativa.131 Ein und dieselbe menschliche Seele denkt also durch das Denkvermögen, nimmt durch das Wahrnehmungsvermögen wahr und ernährt sich durch das vegetative Vermögen. Ferner verstand Toletus unter me/rh in II 1, 413a4 anders als Philoponus und Zabarella nicht die verschiedenen Seelenarten (partes substantiales bzw. species animæ secundum substantiam distinctas132), sondern ihre einzelnen Vermögen und berief sich hierfür erneut auf Simplicius, aber auch auf Alexander, Themistius und Thomas.133 Hätte Aristoteles an dieser Stelle von verschiedenen Seelenarten gesprochen,
127
Vgl. Aristoteles, De An. II 4, 415a23-25: »h( ga\r qreptikh\ yuxh\ kai\ toi=j a)/lloij u(pa/rxei, kai\ prw/th kai\ koinota/th du/namij e)sti yuxh=j, kaq )h(/n u(pa/rxei to\ zh=n a(/pasin.« / »Denn die Ernährungsseele kommt auch den übrigen Wesen zu; sie ist die unterste und allgemeinste Seelenkraft, dank der allen das Leben zukommt.« (Übersetzung Theiler, in: Aristoteles, Über die Seele, 30) 128
Vgl. Portio, c. 3, 19: »… iacto hoc ceu fundamento colligimus, rationalem animam, quum sit principium, quo intelligimus, & id, quo sentimus, non igitur discretis principiis homo est homo, & animal & vivens; sed una est anima, diversis tamen prædita facultatibus.« 129
Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 52vb: »Simon Portius, libello de mente humana …«
130
Vgl. a. a. O., t. 19, 50rb: »Et quia hæc quæstio, ut dicit Simplicius, soluta fuit lib. 1. [sc. De An. I 5, 411b5-12] ubi determinatum est, unam tantum in uno esse animam, secundum substantiam, multiplices autem illius esse potentias …« 131 Vgl. a. a. O., III 3, t. 31, 58rb: »Figuræ sic se habent, quod priores sunt in consequentibus, non actu, sed virtute et potestate: ut Trigono in Tetragono, & Tetragonum in Pentagono, & sic de alijs: ita enim est in animalibus. Vegetativa enim in sensitiva non actu, sed potestate: quia potest sensitiva præstare operationes, quæ vegetativæ sunt, & utraque est in intellectiva.« 132
Vgl. hierzu das im Zusammenhang mit der Anm. 149 Gesagte.
133
Toletus, II 1, t. 11, 39ra: »Quid intelligit Aristoteles per partes? Philoponus dicit, partes substantiales & species, ut sit sensus: animæ aliquæ inseparabiles sunt, id est, sensitivæ, & vegetativæ, quia sunt actus corporum: at rationalis non est actus corporis, ob id separabilis est … Altera expositio Simplicij, Themistij, Alexandri, S. Thomæ, Caietani & aliorum, quòd per partes intelligat potentias, sitque sermo de anima humana, ut, quantum ad aliquas potentias, sit inseparabilis, id est organicas,
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von denen die einen vom Körper abtrennbar seien, die anderen aber nicht, dann hätte er seiner eigenen Seelendefinition widersprochen, die alle Seelenarten als forma informans und damit als nicht abtrennbar vom Körper bestimmt habe. Abtrennbar könnten daher nur die Vermögen sein, nicht aber die Seelen selbst.134 Worin Toletus aber Portio nicht gefolgt ist, das war die Frage nach dem Seelentod. Was hat es damit auf sich? Locus classiscus für diese Diskussion war ein Passus aus De Gen. an. II 3, in dem Aristoteles den Prozeß der Embryogenese beschrieben hat: Danach besitzt jeder Samen bzw. Embyro zuerst die yuxh\ qreptikh/, denn sie kommt allen Lebewesen zu (736a35f.), wie Aristoteles unter Hinweis auf De An. II 4, 415a23-25135 betonte. Anschließend kommt die yuxh\ ai)sqhtikh/ hinzu, durch die sich das Tier auszeichnet (736b1). Denn nicht zugleich wird ein Tier und ein Mensch oder ein Tier und ein Pferd, denn das te/loj wird zuletzt, und das je Eigentümliche ist das te/loj des Werdens eines einzelnen Lebewesens (b2-5). So ist das Eigentümliche des Tieres seine Wahrnehmung, das des Menschen sein Denken, so daß dieses sich zuletzt entwickelt.136 Die »große Schwierigkeit«, so Scaliger, besteht also in der Frage, »auf welche Weise die Seelen im Fötus aufeinander folgen«137. Hier bieten sich zwei Antworten an: Entweder vergeht die Nährseele nicht, sondern wird von der nachfolgenden Wahrnehmungsseele umfaßt und diese von der Geistseele wie die Schalen einer Zwiebel, oder die erste Seele stirbt, wenn die zweite hinzukommt und sie wiederum, wenn die dritte. Die immense theologisch-naturwissenschaftliche Bedeutung dieser Frage liegt auf der Hand: Auf der einen Seite mußte »die Natürlichkeit des embryogenetischen Prozesses und auf der andern die creatio der anima rationalis bewahrt werden … – und dies ohne die substantielle Einheit der menschlichen Natur zu gefährden«138, wie De Angelis zur Recht betont. _________________________________________________________________________________________________________
quales sunt sensitivæ, & vegetativæ: quantum ad alias, sit separabilis, quia non sunt organicæ, scilicet secundum Intellectum … Et hoc etiam confirmatur …« 134
Dieses Argument macht Toletus’ spätere These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele nicht einsichtiger. Je enger nämlich der Zusammenhang von Körper und Seele bestimmt wird, desto schwieriger wird einsehbar, wie sich die anima rationalis von ihm abtrennen kann, noch zumal, wenn sie eine Substanz mit der anima sensitiva bildet (vgl. hierzu 3.3.6.). 135
Vgl. oben Anm. 127.
136
Vgl. Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736a35-b7: »o(/ti me\n ou)=n th\n qreptikh\n e)/xousi yuxh\n fanero/n … proio/nta de\ kai\ th\n ai)sqhtikh\n kaq )h(\n z%=on. ou) ga\r a(/ma gi/netai z%=on kai\ a)/nqrwpoj ou)de\ z%=on kai\ i(/ppoj, o(moi/wj de\ kai\ e)pi\ tw=n a)/llwn z%/wn. u(/staton ga\r gi/gnetai to\ te/loj, to\ d )i)/dio/n e)sti to\ e(ka/stou th=j gene/sewj te/loj. dio\ kai\ peri\ nou=, po/te kai\ pw=j metalamba/nei kai\ po/qen ta\ mete/xonta tau/thj th=j a)rxh=j, e)/xei t )a)pori/an plei/sthn …« Zur Aporie bezüglich des Nous vgl. 3.3.1.1. 137
Julius Caesar Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV. De subtilitate, ad Hieronymum Cardanum. Lyon 1615 (Paris 11557), hier: ex. CCXC, s. 2, 679: »Ardua difficultas. Quomodo animæ sese in fœtu subeant.« 138 Simone De Angelis, Zwischen generatio und creatio. Zum Problem der Genese der Seele um 1600 – Rudolph Goclenius, Julius Caesar Scaliger, Fortunio Liceti, in: Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit. Bd. 2. Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem
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Toletus entschied sich unter Berufung auf Thomas und damit gegen Portio für die zweite Variante, wonach die erste Seele vergeht, wenn die zweite sich ausbildet. Denn der Mensch führe zuerst das Leben einer Pflanze (vgl. 736b12f.), »weil der Samen [bzw. der Embryo] die Pflanzenseele aufnimmt und später die Wahrnehmungsseele. Nachdem diese aber hinzugekommen ist, wird die vorangehende Nährseele zerstört. Später kommt die Geistseele hinzu, wodurch die Wahrnehmungsseele zerstört wird, so daß nur eine Seele im Menschen verbleibt.«139
Um das Einssein und die Einheit der menschlichen Seele zu retten, schreckte Toletus also nicht vor der merkwürdigen Idee des Seelentods im embryogenetischen Prozeß des Menschen zurück, eines Seelentods, der jeweils einen Substanzwechsel erforderlich macht.140 Nur so konnte das theologische Interesse, auf das er explizit verwies141, gewahrt werden, da allein der Individualseele das ewige Leben oder die ewige Verdammnis zugesprochen werden kann. Folglich gibt es im Menschen realiter nur eine Seele, nämlich die anima rationalis, die in sich die vegetativen und sinnlichen Vermögen der anderen Seelen, die gestorben sind, enthält.142 Auf welche Weise sie für Toletus in den Menschen hineingelangt, ist weiter unten in 3.3.1.1. im Zusammenhang mit der Frage nach dem nou=j qu/raqen zu erörtern. Wie Portio, so lehnte auch Scaliger diese Lösung vom Seelentod als absurd und lächerlich ab. Denn die Konsequenz wäre, daß der Fötus, nachdem die erste Seele zugrundegegangen ist, sterben und in der zweiten Seele wiedergeboren würde. Und der ‘arme’ Mensch würde, nachdem auch diese zweite Seele zugrundegegangen ist, erneut sterben und ein drittes Mal in der letzten Seele wiederauferstehen. »Und was im höchsten Grade schwierig und zugleich traurig ist: Bei der ersten Zeugung wird nicht der _________________________________________________________________________________________________________
Atheismus. Wissenschaftsprozesse im Zeitraum von 1500 bis 1800. Hrsg. von Lutz Danneberg u. a., Berlin 2002, 94-144, hier: 106. 139 Vgl. Toletus, II 3, q. 7, 63ra: »… quia semen recipit animam plantæ, & postea animam sensitivam: hac tamen adveniente; destruitur vegetativa præcedens, & post venit intellectiva, & per hanc destruitur sensitiva, ita ut una maneat tantum in homine.« 140 Gleichwohl vertrat Toletus unter Hinweis auf Scotus die These von einer Formenvielfalt in einem Lebewesen: »Qui ponunt plures animas, plures etiam ponunt in uno substantiales formas: sed non omnes, qui ponunt plures formas, consequenter ponunt plures animas. Scotus enim … & alij ponunt in vivente formas plures, sed illarum tantùm unam dicunt animam. Nos disputamus in præsenti solùm de animarum pluralitate …« (Vgl. a. a. O., 60vb) Wie Seelentod und Formenvielfalt zusammengehen könnten, erklärte er freilich nicht. 141 Vgl. a. a. O., 62va: »Adde Sanctorum etiam Patrum, & Conciliorum pleraque testimonia, unam tantum animam in homine asserentium, & non esse diversas in homine, sensitivam, & rationalem …« 142 Vgl. a. a. O., 62vb: »Quamvis in uno una tantùm sit anima in substantia, tamen potentiæ ipsius multæ sunt. Explico. In homine est una anima rationalis in substantia, tamen in ipsa est Intellectus, sensus, & vegetativa potentia. In animali una est anima sensitiva in substantia, tamen sensus & vegetativa potentia sunt in ipsa. In planta una est anima vegetativa in substantia, sunt etiam potentiæ vegetativæ, scilicet nutritiva, auctiva, generativa.«
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Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus
Diktator Cäsar erzeugt, sondern Mangold oder Kopfsalat«143, wie Scaliger polemisch anmerkte. Um freilich selbst der inakzeptablen Alternative zwischen Seelenvielheit und Seelentod zu entgehen, mußte er zwischen einer Embryogenese des Tieres und einer des Menschen unterscheiden: Während die Seele eines Hundes ein und dieselbe ist als Embryo und als geborener Hund, so daß hier keine Seelenvielheit vorliegt, sondern der Hund nur insofern zunächst das Leben einer Pflanze führt, als er noch der Organe entbehrt, die sich erst im Verlauf der Embyrogenese ausbilden, ist dies beim Menschen vollkommen anders: »Die neu geschaffene Seele kommt nämlich vom Himmel nach der Ausbildung des Fötus: Durch die Seele wird dann der Mensch jene Masse.«144 Auch Scaliger sah sich also wie Toletus gezwungen, den natürlichen embryogenetischen Prozeß beim Menschen durch den Kreatianismus zu ersetzen. Im Gegensatz hierzu ist klar, daß Zabarella im Rahmen der Naturphilosophie keinesfalls auf einen extramundanen Schöpfungsakt der Geistseele zurückgreifen wollte. Wie begründete er daher seine These von der Seelenvielheit? Er leugnete zunächst nicht den Vorteil, der sich aus der These vom Einssein der Seele ergibt, da so alle Vermögen im Menschen in ein und derselben Seele als ihrer Substanz seien. Die Schwierigkeit entstehe aber, sofern die Vermögen in Hinsicht auf die verschiedenen Lebewesen betrachtet würden, denn so gingen sie aus verschiedenen Seelen hervor. So hänge das Nährvermögen im Tier von der anima sensibilis ab, in der Pflanze dagegen von der anima vegetans, mit der Konsequenz, daß die Vermögen, die in ein und demselben Lebewesen nur einer wesentlichen Form zugrunde lägen, zugleich in verschiedenen Lebewesen verschiedenen Formen folgten, was merkwürdig sei.145 Denn so sei die anima sensibilis eines, ein anderes aber die facultas sensibilis: Diese komme dem Menschen zu, jene dagegen nicht. Zabarella folgte deshalb der Ansicht der Averroisten, wonach es in einem Lebewesen mehrere der Substanz nach voneinander verschiedene Seelen gebe.146 Damit knüpfte er an die von ihm im Traktat De Communi rerum generatione et 143 Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCXC, s. 2, 680: »Et quod maxime arduum æque, ac miserum est: in prima generatione non generabitur Cæsar Dictator, sed Beta, aut Lactuca.« 144 Ebd.: »Advenit enim à Cælo nova creata anima post fœtus articulationem: qua anima tunc massa illa, homo fit.« Vgl. ferner a. a. O., ex. CCCVII, s. 20, 761. 145 Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 5, 697C-D: »… ob id aliud esse dicunt animam sensibilem, aliud facultatem sensibilem, sic aliud animam nutritivam, aliud facultatem nutritivam; & sensibilem animam in solis brutis inesse, non in homine, esse tamen & in homine, & in brutis sensibilem facultatem; & nutritivam animam in solis plantis inesse, non in animalibus, in omnibus tamen & plantis, & brutis animalibus & homine inesse facultatem nutritivam. Hæc dicentes illud meo quidem iudicio mirabile pronuntiare videntur, omnes facultates in eodem vivente insequi unam tantum formam substantialem, singulam vero facultatem in diversis viventibus diversas etiam formas insequi …« 146
Vgl. a. a. O., c. 8, 699B-C: »Contraria vero Averroistarum opinio, quam ego Aristotelem fuisse arbitror, illis argumentis maxime comprobatur, quibus alias ostendimus [vgl. die nachfolgende Anm.] animam, & formam mistionis in eodem vivente esse duas re distinctas formas: quum enim in illis res ita manifesta sit, ut eam negare vanum esse videatur, inde colligimus nihil esse absurdi, si plures quoque in eodem simul existere formas asseramus …«
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De Anima
interitu aufgezeigte Formenvielheit an, wo es heißt: »Ich glaube nämlich, daß es in den beseelten Körpern notwendigerweise viele Formen gibt«147, und zwar zum einen die forma mistionis, die aus dem Zusammenspiel der vier Elemente hervorgeht, zum andern die Seele als forma informans addita formæ mistionis. Hieraus ergab sich für Zabarella die Seelenvielheit in einem Lebewesen: »Das allein will ich anmerken, daß Aristoteles in den Büchern De Anima für gewöhnlich die ganze Sammlung der Seelen in ein und demselben Lebewesen die ganze Seele nennt, daß er aber eine einzelne jener [Seelen] einen Teil der [ganzen] Seele nennt.«148 Für diese These verwies er auf die folgenden Textstellen aus De Anima: 1. Das Wort me/rh in De An. II 1, 413a4 steht für die species animæ secundum substantiam distinctas. Gegen das von Toletus zu dieser Stelle vorgebrachte Argument, daß es hier um die Seelenvermögen gehe, wandte Zabarella ein, daß Vermögen Qualitäten seien, von denen nicht gesagt werden könne, daß sie vom Körper abtrennbar seien. Ferner liege hier kein Widerspruch mit der allgemeinen Seelendefinition vor, denn was allgemein bestimmt sei, müsse am Einzelnen verifiziert werden. Daher habe Aristoteles hier zweifelnd und nicht zustimmend gesprochen.149 2. Das Wort yuxh/ in 413b13 bedeutet die vollkommene Seele, die dem Lebewesen ohne Mitwirkung einer anderen Seele das Sein gibt. Daher ist weder die vegetative noch die sensitive Seele im Menschen in diesem vollen Sinne Seele, sondern nur pars animæ (b14).150 3. Auch mit seiner Interpretation von II 3, 414b28-32 widersprach Zabarella dem von Portio und Toletus zu dieser Stelle Ausgeführten, denn für ihn hat Aristoteles hier nicht von den Seelenvermögen gesprochen, sondern von der Substanz jener Seelen der (ganzen) Seele.151 Er habe nämlich die tota anima immer nach ihrem letzten Teil benannt. Dies bedeute, daß die ganze Seele die anima sensibilis (=das Viereck) sei, die dem Vermögen nach in sich die anima vegetans (=das Dreieck) enthalte. ‘Dem Vermögen nach’ verstand Zabarella hier materialiter und nicht formaliter, denn das Viereck kön147 Zabarella, De Communi rerum generatione et interitu, in: De Rebus naturalibus, 393-426, hier: c. 2, 395F: »De corporibus vero animatis dissentio penitus à negantibus multitudinem formarum in quolibet vivente; credo enim in his ex necessitate plures formas inesse …« 148 Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 706D: »… id solum notare volo, Aristotelem in libris de Anima solitum esse totam animarum collectionem in eodem vivente appellare animam totam, illarum autem singulam appellare partem animæ …« 149
Vgl. Zabarella, II 1, t. 11, 167E-168C.
150
Vgl. a. a. O., II 2, t. 19, 270D-E: »Dicimus igitur secundum hos omnes interpretes Græcos, & Averroem [vgl. Anm. 117], quod prima quæstio ita intelligenda est, ut nomine animæ absolute prolato intelligamus animam perfectam, quæ sufficiat ad dandum esse rei complectum, sine ope alterius [sc. animæ], qua ratione nulla dictarum est anima, dum accipiantur ut iunctæ simul in eodem vivente, sed quælibet est pars tantum animæ, non anima perfecta.« 151
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 710C: »nam Aristoteles ibi [sc. 414a32f.] non de facultatibus loquitur, sed de ipsa substantia illarum partium animæ, quum eas in contextu præcedente vocasset animas …«
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ne in zwei Dreiecke unterteilt werden, die materiell-räumliche Teile von ihm seien und nicht bloße formale Eigenschaften. Daher gilt: Die anima vegetativa & sensitiva sind materielle Teile der ganzen anima rationalis.152 4. Diese Ansicht stützte Zabarella abschließend mit einem Hinweis auf III 4, 429a10f., wo Aristoteles von dem Teil der Seele spricht, mit dem sie erkennt und verständig ist.153 Für den Paduaner nannte Aristoteles hier die ganze Seele eine omnium animæ partium collectio154, eine Sammlung aller Teile der Seele, d. h. aller Seelen der ganzen Seele. Diese Sammlung umfaßt die Nährseele mit ihren fundamentalen Vermögen des Ernährens, Wachsens und Zeugens (=anima vegetativa), die Wahrnehmungsseele mit ihren Vermögen des Wahrnehmens und Sich-Bewegens (=anima sensitiva) sowie die Geistseele mit ihrem Vermögen des Denkens (=anima rationalis). Ein weiteres entscheidendes Argument für seine These von der Seelenvielheit entnahm Zabarella aus dem Passus De Gen. an. II 3, 736a35ff., dessen Interpretation durch Toletus er an einem Punkt für falsch hielt. Richtig sei zwar, daß hier die Embryogenese gemäß dem ordo temporis beschrieben werde und nicht gemäß dem ordo naturæ. Richtig sei auch, daß Aristoteles hier nicht von den operationes animæ spreche, sondern von ihrer substantia, denn es gehe um das Werden eines Lebewesens, und bekanntlich gebe die Form das Sein, nicht die nachfolgende Tätigkeit.155 Falsch sei aber Toletus’ Ansicht, daß eine Seele in einem Lebewesen vergehe, wenn eine andere entstehe, es also jeweils zu einem Form- und damit Substanzwechsel komme. Denn aus De Respiratione 8, 474b10f.156 sei deutlich, daß 152 Vgl. a. a. O., c. 9, 711B-C: »Quoniam igitur Aristoteles animam totam solet nominare ab ultima parte, quæ continet alias tanquam forma materiam, & actus potestatem, ideo ubi duæ partes animæ inesse considerantur, vegetans, & sensibilis, totam vocat sensibilem, à qua dicit vegetantem contineri potestate; ubi vero & hæ, & rationalis, totam vocat rationalem, & hanc dicit continere alias potestate …« 153
Vgl. Aristoteles, De An. III 4, 429a10f.: »peri\ de\ tou= mori/ou tou= th=j yuxh=j %(= ginw/skei te
h( yuxh\ kai\ fronei= …« 154
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 706E. Ebenso in: Ders., III [4], t. 1, 657C-661A.
155
Vgl. Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 8, 703A-D: »Sed clarissime significavit hanc sententiam Aristoteles in 2. libr. de Ortu animal. cap. 3. quando dixit, conceptum in utero prius habere animam vegetantem, postea recipere sensibilem, qua est animal, ac demum rationalem, qua est homo; sic enim asseruit has esse diversas animæ partes; neque ad id confugere aliquis potest, ut dicat Aristotelem ibi ordinem naturæ considerare, non ordinem temporis, nam Aristoteles manifestissime de tempore loquitur … ideo plures ex adversariis hoc videntes, & negare non audentes, dixerunt Aristotelem ibi non de ipsa animæ substantia loqui, sed de operationibus … Sed hæc interpretatio à verbis Aristotelis alienissima est; ibi namque non de operationibus, sed de ipsa substantia animæ loquitur: & adeo manifestum est quæstiones ibi ab Aristotele proponi de substantia animæ, non de operationibus, ut id negare pertinacis admodum hominis esse videatur: clara etiam sunt verba illa (non simul animal fit, & homo, nec simul animal & equus) forma enim est, quæ dat esse, & rem constituit, nec fit homo, vel animal ab operatione, sed à forma.« 156
Vgl. Aristoteles, De Respiratione 8, 474b10f.: »Ta\j me\n ou)=n a)/llaj duna/meij th=j yuxh=j a)du/naton u(pa/rxein a)/neu th=j qreptikh=j …« / »Nun können die anderen Seelenvermögen ohne das Nährvermögen nicht existieren …«
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De Anima »der Tod vorzugsweise und unmittelbar die Zerstörung der Nährseele ist. Ohne diesen Teil der [ganzen] Seele können aber die übrigen Teile, die Wahrnehmungs- und die Geistseele, nicht im Körper verbleiben. Deswegen folgt notwendigerweise aus dem Untergang jener Seele, daß zugleich auch die anderen [Seelen] untergehen oder sich vom Körper abtrennen. Daher gibt es [nur] einen Untergang und Tod des Lebewesens, nicht viele.«157
Zabarella lehnte damit zu Recht Toletus’ nicht überzeugende Interpretation von De Gen. an. II 3 ab, der nicht erklären konnte, warum eine Seele stirbt, wenn eine andere hinzukommt, und warum es einer Seelenvielheit im Embryo bedarf, wenn doch die Geistseele über alle Vermögen der niederen Seelen verfügt. Zugleich konnte Zabarella damit gegen Portio und Scaliger erweisen, daß die Seelenvielheit gerade die inakzeptable These vom Seelentod in der Embryogenese verhindert. Die Crux dieser Argumentation liegt freilich darin, daß so die Unsterblichkeit der menschlichen Seele nicht mehr bewiesen werden kann, denn der Tod der anima vegetativa ist auch der Tod der anima rationalis (vgl. hierzu 3.3.6). Eine weitere Konsequenz aus De Gen. an. II 3, 736a35ff. ergab sich für Zabarella daraus, daß keine Form die Tätigkeiten ausführen könne, die zu einer anderen Form gehörten. Daher sei es notwendig, im Tier die anima vegetans von der anima sentiens zu unterscheiden und im Menschen die anima vegetans und anima sentiens von der anima rationalis. Hieraus folgerte Zabarella gegen Toletus, daß der Mensch zugleich Lebewesen, Tier und Mensch sei, denn die verschiedenen Seelen bezeichneten das Genus, nicht das Lebewesen selbst: So konstituiert die anima vegetans nicht die (einzelne) Pflanze, sondern das Lebewesen, denn sie ist das allgemeine Genus von Pflanze und Tier. Die anima sensibilis bringt wiederum nicht das Tier hervor, sondern ist das allgemeine Genus von Tier und Mensch. Nur die anima rationalis konstituiert den Menschen als Menschen. »Mit diesem Argument wird also nichts anderes gezeigt, als daß der Mensch, wenn in ihm drei verschiedene Formen sind, zugleich ein Lebewesen, ein Tier und ein Mensch ist. Wer aber kann dieses bestreiten? Aus dem Gesagten folgere ich, daß es notwendig ist, daß es im Menschen genauso viele Formen gibt wie im Tier. Denn wie im Menschen eine Nährseele ist, durch die er ein Lebewesen ist, eine Wahrnehmungsseele, durch die er ein Tier ist, und eine Geistseele, durch die er ein Mensch ist, so ist es notwendig, daß im Pferd neben der Nährseele, durch die es ein Lebewesen ist, auch eine Wahrnehmungsseele als die eigentümliche Form ist, durch die es ein Tier ist.«158 157 Zabarella, De Facultatibus animæ, c. 9, 707B: »… cuiuslibet viventis mors est præcipuè, & immediatè destructio animæ vegetantis, absque hac autem animæ parte non possunt reliquæ partes, sensibilis, & rationalis, in corpore remanere; ideo ex illius interitu aliæ quoque per necessariam consequutionem simul intereunt, vel à corpore separantur; unus igitur est viventis interitus, & una mors, non plures …« 158 A. a. O., 707D-E: »nil ergo aliud eo argumento ostenditur, nisi quod si in homine sint hæ tres distinctæ formæ, homo est simul vivens, & animal & homo, hoc autem quis negare potest? ex his colligo necessarium esse, ut quot sunt formæ in homine, tot sint etiam in quolibet bruto: sicut enim in homine est anima vegetans, qua est vivens, & anima sensibilis, qua est animal, & anima rationalis, qua est homo; ita in equo necesse est præter vegetantem, qua est vivens, & sensibilem, qua est animal, esse etiam propriam formam …«
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Für Zabarella gibt es also eine Hierarchie der Seelen, deren höchste im Menschen die anima rationalis159 ist, die es alleine verdient, im vollen Sinne Seele genannt zu werden. Ein abschließendes Urteil über die verschiedenen Positionen zur Frage nach der Einheit der Seele fällt schwer, insbesondere im Blick auf die Diskussion über den Seelentod in der Embryogenese: 1. Die These von der Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen, wie sie von Portio und Toletus vertreten worden ist, ist am ehesten mit den Textstellen De An. I 5, 411b5-14; II 3, 414b28-415a5 und III 4, 429a10f. vereinbar. In Zabarellas Interpretation müßte der Singular h( yuxh/ dagegen jeweils als collectio animarum und der Singular to\ mo/rion jeweils als pars animæ, d. h. als eine Seele der collectio animarum verstanden werden. So wäre der Satz in 414b31f.: »ti/j e(ka/stou yuxh/, oi(=on ti/j futou= kai\ ti/j a)nqrw/pou h)\ qhri/ou«, nicht wie folgt zu verstehen: ‘was die Seele eines jeden Lebewesens ist’, sondern: ‘was die Seelen eines jeden Lebewesens seien’. Bei der gewohnten sprachlichen Genauigkeit eines Aristoteles ist ein solches Verständnis jedoch unwahrscheinlich. 2. Ferner folgt aus Zabarellas These von der Seelenvielheit eine Differenz im Seelenbegriff, da nicht jede Seele forma informans corporis sein kann. Dies führt zur Auszeichnung allein der anima rationalis als einer vollkommenen Seele und zur Degradierung der anima vegetativa & sentiens zur pars animæ. Damit wird aber die allen Lebewesen gemeinsame Definition von De An. II 1 unterhöhlt. 3. Schließlich bleibt unklar, warum eine Seele nicht über mehrere Vermögen verfügen kann, die verschiedenen Lebewesen zukommen. So enthielte die Seele eines höheren Lebewesens alle Vermögen der Seele des jeweils niederen Lebewesens in sich, so daß eine Stufenfolge der Seelen entstünde. Busche nennt dies eine »kausale Bedingungshierarchie«160, da das Denken Vorstellen (vgl. De An. III 7, 431a14-17) und das Vorstellen Wahrnehmen (III 8, 432a7-10) voraussetzt. 4. Die These von der Seelenvielheit findet allein in De Gen. an. II 3 ihr Fundament, wo Aristoteles die Embryogenese als zeitlichen Prozeß des Sich-Ausbildens mehrerer Seelen in einem Lebewesen beschreibt. Das theologische Dogma von der Individualität der menschlichen Seele führte bei Toletus zur absurden These vom Tod der niederen Seelen bei der Zeugung der jeweils höherrangigen Seelen, die von Portio und Scaliger 159 Der anima rationalis kommen zwei Vermögen zu: das Erkenntnisvermögen (facultas cognoscendi) und das Strebevermögen (facultas appetendi, seu volendi). Ihre Differenz liegt in ihren verschiedenen Gegenständen, den res necessariæ & res contingentes, sowie in ihrem modus operandi begründet: »nam mens nostra cognoscit patiendo & recipiendo species à phantasia, per quam receptionem dicitur fieri res ipsæ; obiectum igitur, ut cognoscatus, ad animam ferri oportet, & in ea recipi: sed in volendo trahitur potius mens ad prosequendum obiectum: quod etiam in se diversitatem habet, nam cognoscitur quatenus ens, appetitur autem quatenus bonum.« (A. a. O., c. 13, 725B-C) Diesen zwei Vermögen des Geistes entspricht gemäß De An. III 10, 433a14f. die Unterscheidung zwischen dem intellectus speculativus und dem intellectus practicus. 160 Hubertus Busche, Die Seele als System. Aristoteles’ Wissenschaft von der Psyche. Hamburg 2001, 16.
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De Anima
zu Recht verworfen worden ist. Aus naturphilosophischer Sicht ist freilich Scaligers Lösung ebensowenig akzeptabel, da die These von der nova creatio der menschlichen Seele phänomenologisch nicht einholbar ist, folglich nicht Bestandteil der Philosophie sein kann. Hier überzeugt allein Zabarellas Interpretation des aristotelischen Textes, der trotz oder gerade wegen seiner These von der Seelenvielheit den Tod des Lebewesens allein vom Sterben der anima vegetativa abhängig machte. Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem Nous zukommt, ist in 3.3.1.1. zu erörtern. 3.2.2. Die Verteilung der Seele und ihre Lokalisierbarkeit im Körper Die Frage nach der Verteilung der Seele und ihrer Lokalisierbarkeit im Körper, wie sie die Renaissance-Aristoteliker im Anschluß an De An. II 1 und 2 erörterten, scheint auf den ersten Blick mit ihrer Bestimmung als einer immateriellen Form im Widerspruch zu stehen, denn was immateriell ist, ist weder teil- noch lokalisierbar. Bekanntlich war dies auch Hegels Vorwurf an die ‘vormalige Metaphysik’, welche »die Seele zu einem Dinge, folglich zu etwas zwar ganz Abstraktem, aber gleichwohl sogleich nach sinnlichen Verhältnissen Bestimmtem machte«161, indem sie diese in den Raum gesetzt habe. oIst diese Kritik berechtigt, oder ist es nicht vielmehr so, daß das, was in einem Körper ist, dort auch lokalisierbar sein muß, und zwar formaliter, nicht etwa materialiter?162 Offensichtlich muß zwischen verschiedenen Hinsichten auf die Seele unterschieden werden, und genau damit begannen die Aristoteliker ihre Erörterungen. So diskutierte Toletus diesen Themenkomplex im Anschluß an De An. II 2 anhand der beiden Fragen: »Ist die Seele im ganzen Körper oder nur in einem Teil von ihm?«, und: »Ist die Seele unteilbar?«163 Bei jener Frage geht es um die ganze Seele hinsichtlich ihrer Substanz und ihrer verschiedenen Vermögen, bei der zweiten um ihre Teilbarkeit hinsichtlich ihrer Quantität. Zabarella systematisierte dieses Thema in seiner Schrift De Partitione animæ, indem er die beiden von Toletus getrennt voneinander verhandelten Fragen unter dem bewußt doppeldeutigen Begriff partitio, was Teilung und Verteilung bedeutet, zusammenführte. Hieraus ergab sich für ihn eine dreifache Fragestellung: »Erstens muß untersucht werden, ob die ganze Seele gemäß ihrem Wesen im ganzen Körper ist wie auch in jedem beliebigen Teil des Körpers; zweitens, ob die ganze Seele gemäß ihrer Quantität im ganzen Körper ist und in einem einzelnen Teil; drittens schließlich, ob die ganze Seele gemäß all ihrer Vermögen nicht nur im ganzen Körper ist, sondern auch in jedem beliebigen 161
Hegel, Enzyklopädie. Dritter Teil, Bd. 10, § 388, 46.
162
Es geht also in diesem Zusammenhang nicht um die Frage nach der ontologischen oder – in den Worten von Des Chene – integralen Einheit der Seele – denn diese ist Gegenstand des vorherigen Locus De facultatibus animæ –, sondern um ihre »functional unity« (Dennis Des Chene, Life’s Form, 153). 163 Vgl. Toletus, II 2, q. 4, 52va: »An anima sit in toto corpore? an verò in aliqua tantùm eius parte.« A. a. O., q. 5, 54rb: »Utrùm omnis anima sit indivisibilis.«
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Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus Teil, oder ob sie eher gemäß dem einen Vermögen in einem Teil ist, gemäß einem andern in einem andern …«164
Die Conimbricenser diskutierten diese Fragen nach dem Ganzsein der Seele hinsichtlich ihrer Substanz, Quantität und ihrer verschiedenen Vermögen anders als Toletus bereits im Anschluß an De An. II 1.165 Jedoch erörterten sie zuvor die Frage nach der Teilbarkeit der Seele.166 Dies ist insofern merkwürdig, als sie damit weder Toletus noch Zabarella folgten, für die die Frage nach der Quantität der Seele gleichbedeutend ist mit der Frage nach ihrer Teilbarkeit. Damit diskutierten die Conimbricenser die Quantität gleichsam auf doppelte Weise, einmal hinsichtlich der Teilbarkeit und zum andern hinsichtlich des Ganzseins der Seele, wobei sie die Frage nach der Teilbarkeit der Seele auf ähnliche Weise erörterten wie Toletus. Es wird mit der Frage nach der quantitativen Teilbarkeit der Seele begonnen, da die Conimbricenser bei der anderen Frage nach ihrem Ganzsein in einem Körper zwischen ihren teilbaren und unteilbaren Arten unterschieden. Gegen die Tendenz einer Materialisierung und Verortung des Immateriellen begannen die Jesuiten ihre Erörterungen mit der Feststellung von der wesentlichen Unteilbarkeit der immateriellen Seele. Denn von den drei Bedeutungen des Begriffs divisibilis als 1. wesentliche Teilbarkeit in Form und Materie, 2. als Teilbarkeit hinsichtlich der Vermögen einer Sache und 3. als quantitative Teilbarkeit, die eine räumliche Ausdehnung evoziere, sei hier allein die dritte Bedeutung in Ansatz zu bringen, da die Seele nicht aus Materie und Form bestehe, sondern eine immaterielle Form sei, so daß sie auf »wesentlich-natürliche Weise unteilbar«167 ist, wie Toletus betonte. Unstrittig ist auch, daß sie hinsichtlich ihrer verschiedenen Vermögen teilbar ist, wie weiter unten gezeigt werden wird. Die Schwierigkeit besteht also allein hinsichtlich der Quantität, so daß zu fragen ist: Ist die ganze Seele als forma informans gemäß ihrer Quantität im ganzen Körper und nicht bloß ganz in einem Körperteil, sondern eher als Teil in einem Teil, oder ist sie auch ganz in einem einzelnen Teil? Anders gefragt: Ist sie quantitativ teilbar und ausgedehnt, weil sie in einem Körper ist, der an sich teilbar und ausgedehnt 164
Zabarella, De Partitione animæ, in: De Rebus naturalibus, 727-764, hier: c. 1, 728C-D: »ideo primum quæri potest, an tota [sc. anima] secundum essentiam, & in toto corpore sit, & in qualibet eius parte; secundo an tota secundum quantitatem sit & in toto, & in in singula parte; tertio demum, an anima tota, id est, secundum omnes facultates suas sit non solum in toto, sed etiam in qualibet parte, an potius secundum aliquam facultatem sit in aliqua parte, & secundum aliam in alia …« 165
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 9, art. 1, 112: »Sit ne tota anima in toto corpore, & tota in qualibet eius parte.« Zur Erläuterung, wie das totum zu verstehen ist, heißt es: »… animadvertendum est, totum … sumi tripliciter. Primo enim modo dicitur totum integrale, seu quantum. Secundo, totum potestate, seu virtute, quod videlicet multas vires seu potentias continet [sc. anima], quæ etiam ab Aristotele in his libris nonnunquam partes vocantur. Tertio, totum essentiale, quod partibus essentiæ seu Physicis, seu Metaphysicis constat.« (A. a. O., art. 2, 114) 166
Vgl. a. a. O., q. 8, art. 1, 106: »Sint ne omnes Animæ divisibiles, an non.«
167
Toletus, II 1, q. 5, 54rb: »Nam animam esse indivisibilem essentialiter physicè, certum est …« Dies meint genau die integrale Einheit der Seele.
173
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ist?168 Diese Frage ist also nicht etwa einem Mißverständnis des Wesens der Seele geschuldet, sondern dem Sachverhalt, daß die Seele in einem Körper ist. Und damit ist zu klären, wie sie in diesem Körper ist. Toletus und die Conimbricenser verwarfen in diesem Zusammenhang zunächst die beiden extremen Ansichten des Platonikers Simplicius, wonach alle Seelen unteilbar sind169, und der radikalen Naturphilosophen Pomponazzi und Jandun, wonach alle See-
168 Vgl. Toletus, II 2, q. 5, 54va: »Ita etiam anima sic sit in toto corpore, ut quod animæ est in manu, non sit id, quod est in capite & hoc non sit aliud: sic enim erit tota anima in toto corpore, & pars in parte corporis. Quod si aliter se habet, & sit ita, ut id prorsus, quo est in manu, sit id quod in capite aliisque corporis partibus, tunc anima dicetur indivisibilis omni modo, & tota in toto, & tota in qualibet parte corporis. Secus vero erit divisibilis per accidens: atque hoc quidem de omni anima quærimus: & hic est quæstionis sensus.« Zabarella, De Partitione animæ, c. 10, 752B-E: »Sequitur ut anima secundum suam quantitatem, & extensionem considerantes videamus, an vere sit extensa per universum corpus, ita ut tota secundum suam quantitatem in toto corpore sit, non tota in parte, sed potius pars in parte; an potius tota etiam in singula parte esse dicatur. … Nunc autem de sola anima informante sermone facientes quærimus, an omnis anima, quæ sit forma dans esse corpori viventi, & materiam informans, sit quanta per accidens, & extensa ad extensionem materiæ, ita ut sit pars in parte, an potius sit tota in qualibet parte.« Ebenso Coll. Conimbricense, II 1, q. 8, art. 1, 107. 169 Simplicius klärt die Frage nach der Teilbarkeit im Zusammenhang mit De An. II 2, 413b15-27 von den verschiedenen Vermögen und von der Art der Lebewesen her (vgl. 100,29-103,8 [28ra-va]): So ist die pflanzliche Seele hinsichtlich all ihrer Vermögen des Erzeugens, Ernährens und Wachsens eine unteilbare Einheit, und zwar gerade weil sie in den zerschnittenen Pflanzen jeweils als ganze (h( o(/lh futikh\ yuxh/, 101,25f. [28rb]) ist. Dies bedeutet aber, wie Simplicius unter Bezugnahme auf De An. II 2, 413b18f. betont, daß in einer Pflanze dem Vermögen nach viele Seelen sind, die in ihr erst dann sichtbar werden, wenn sich Sprößlinge bilden, die sich von ihr abtrennen. Gleiches gelte jedoch nicht für das Tier, denn dieses verfüge nicht über viele Seelen dem Vermögen nach, da hier der Fortpflanzungsprozeß ein anderer sei. Vielmehr lebe jeder Teil eines Tieres, wenn man es teile, für sich ein ganzes Leben (h( o(/lh e(ka/teron mori/on zwh/, 102,6 [28rb]). Wie man sich diese Teilbarkeit des Lebewesens zusammen mit der Unteilbarkeit der Seele genauer vorzustellen hat, bleibt unklar. Eine Sonderstellung kommt für Simplicius dem Nous bzw. Logos (und damit der logikh\ yuxh/) zu: Dieser ist ontologisch vollkommen abtrennbar vom Körper, weil er gemäß De An. II 2, 413b26 ein e(/teron ge/noj yuxh=j (102,24f. [28va]) ist, und zugleich hinsichtlich seines Denkens unteilbar. Er ist abtrennbar, weil er im Denken keines der körperlichen Organe gebraucht, und er ist weder teilbar, noch gebraucht er das Teilbare, denn er denkt gemäß der unteilbaren Einheit: »… e(te/ra te kat )
ou)si/an h( logikh\ yuxh\ tw=n loipw=n kai\ pa/ntv au)tw=n pote xwrizome/nh kai\ a)i/dioj ou)=sa e)kei/nwn fqeirome/nwn, o(/sai tou= fqartou= sw/matoj i)di/wj ei)si\n e)ntele/xeiai. to/ ge mh\n xwristo\n kai\ a)po\ pasw=n e)/xei tw=n o(poiouou=n sw/matoj a)xwri/stwn. h( ga\r qewri/a xwristh/ e)stin e)ne/rgeia, au(/th de\ ou)si/aj xwristh=j kai\ di )o(/lhj zw/hj, ma=llon de\ au)to\ tou=to zwh=j ou)/shj kai\ o(/lhn e(auth\n tv= qewri/# a)poplhrou/shj kai\ ou)/te meristh=j (tou=to me\n ga\r ou)d )a)/llo ti ei)=doj, kai\ ou)x h(/kista gnwstiko/n) a)ll )ou)de\ merist%= xrwme/nhj, dia\ to\ kaq )o(/rouj bai/nein kai\ dia\ th\n ei)j e(auth\n kai\ ei)j to\ a)me/riston su/nneusin.« / »Cum rationalis anima ex sui sub-
stantia sit a reliquis diversa, omninoque ab ipsis tandem separabilis, perpetuaque remaneat, his corruptis, quæ seorsum corruptibilis corporis actus est. Siquidem separabile ipsum ab omnibus iis habet, quæ quamvis ratione a corporibus sunt inseparabiles. Contemplatio enim separabilis est actio: ipsa vero est separabilis substantiæ actio, & eius quidem quæ per seipsam totam vivat. Magis autem hoc ipsum vita est, quæ seipsum totam contemplatione perficit, neque vere divisibilis (huiusmodi nec alia quædam est forma, nec multo magis cognoscitiva ipsa) nec etiam ipso divisibili utitur, eo quod semper per terminos procedat, atque adeo ob declinationem in seipsam & in ipsum indivisibile factam
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len teilbar sind, als falsch. Anders als Simplicius behauptet habe, zeigten verschiedene Phänomene der Natur an, daß zumindest einige Seelen teilbar seien. So wachse und gedeihe ein abgerissener Ast. Ebenso lebten durchtrennte Würmer weiter. Hieraus folge aber wiederum nicht, daß alle Seelen teilbar seien. Die Jesuiten begründeten diese Ansicht theologisch damit, daß die anima rationalis im Falle der Teilbarkeit keine substantia spiritualis wäre. Denn dann wäre sie wie die übrigen teilbaren Formen von der Materie abhängig und damit sterblich.170 Uneinig war man sich freilich darin, welche Seelenart teilbar sei und welche nicht. So folgte Toletus der Ansicht von Alexander, Albertus und Ägidius Romanus, wonach alle Seelen der niederen und höheren Lebewesen, mit Ausnahme der Geistseele, teilbar und akzidentell ausgedehnt sind171, während die Conimbricenser sich der Meinung von Thomas172 anschlossen, wonach nur die Seelen der niederen Lebewesen teilbar sind, während die der höheren (einschließlich der anima rationalis) unteilbar und damit akzidentell unausgedehnt sind.173 Grundsätzlich war man sich also einig, daß die Geistseele als ganze unteilbar ist im ganzen Körper und in jedem beliebigen Teil des Körpers.174 _________________________________________________________________________________________________________
…« (102,30-103,4 [28va]) Insgesamt also vertritt Simplicius in der Tat die These von der Unteilbarkeit aller Seelen, wenn auch mit den notwendigen Differenzierungen zwischen ihnen. 170
Vgl. Toletus, II 2, q. 5, 54va-b. Coll. Conimbricense, II 1, q. 8, art. 1, 107f.
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Toletus, II 2, q. 5, 55vb: »Mihi est probabilius, omnes alias animas perfectorum ac imperfectorum animalium esse divisibiles …« Toletus begründete dies mit folgendem Syllogismus: Was mit der Materie verbunden ist, das ist vollkommen in sie eingesenkt und erhält damit deren materielle Bedingungen wie die Ausdehnbarkeit. Alle natürlichen Formen, mit Ausnahme der geistigen Formen, sind eingesenkt in die Materie. Also sind alle diese Formen in der Materie ausgedehnt und teilbar. 172
Vgl. Thomas, Scg II 72, in: Opera 13,2, 457: »Si igitur est aliqua forma quae non dividatur divisione subiecti, sicut sunt animae animalium perfectorum …« 173 Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 8, art. 3, 110: »Utraque earum opinionum … videtur admodum probabilis. Quare utriusque argumenta diluemus, ut quam quisque volet amplectatur; etsi nos priorem [sc. sententia Thomæ] libentius tueamur.« Hierfür wurde wie folgt argumentiert: Jede Form, die sich auf den ganzen Körper und seine abtrennbaren Teile ohne Unterschied bezieht, ist teilbar, und jede, die dies nicht tut, ist unteilbar. Alle Formen, mit Ausnahme der vollkommenen Lebewesen, beziehen sich ohne Unterschied auf den ganzen Körper und seine abtrennbaren Teile. Also sind diese Formen teilbar, während die Formen der vollkommenen Lebewesen unteilbar sind und unausgedehnt. Als Beweis gilt die Erfahrung, daß bei unvollkommenen Lebewesen wie den Würmern in den abgetrennten Teilen die Seele verbleibt. Bei den vollkommenen Lebewesen ist dies nicht der Fall. Mag auch hier eine Gliedmaße nach ihrer Abtrennung noch zucken, so liegt dies nicht an dem noch Vorhandensein der Seele, sondern am spiritus vitalis. Ähnlich verhalte sich dies bei Geköpften, so das drastische Beispiel der Conimbricenser. Diese Ansicht stützten sie auch durch einen Hinweis auf De An. II 2, 413b15-24, wo Aristoteles zwischen unvollkommenen Lebewesen, die geteilt werden können, und vollkommenen, die dies nicht können, unterschieden hat. 174 Vgl. Toletus, II 2, q. 5, 55rb: »Anima rationalis, quam superius esse verè formam probavimus, est indivisibilis tota in toto corpore, & tota in qualibet corporis parte.« Coll. Conimbricense, II 1, q. 9, art. 3, 110f.: »… formas verò perfectorum haud ita se habere, ideoque in parte materiæ asservari non posse, non quòd omnes indivisibiles sint, id enim soli intellectivæ animæ competit …«
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Zabarella lehnte dagegen explizit sowohl die Ansicht von Albertus Magnus als auch von Thomas ab, setzte statt dessen eine Ausdehnung und damit Teilbarkeit der ganzen Seele aller Lebewesen im ganzen Körper und in jedem seiner Teile, schloß sich also der zweiten, von Pomponazzi und Iandun vertretenen Ansicht an und begründete dies philosophisch wie folgt: »Ich glaube nämlich, daß in der Philosophie des Aristoteles diese Ansicht die sichere und unwiderlegliche ist, daß jede Form, die der Materie das Sein gibt und das Zusammengesetzte konstituiert, ausgedehnt ist gemäß der Ausdehnung der Materie. Daher ist die ganze Form gemäß ihrer Ausdehnung im ganzen Körper, nicht aber ganz in einem Teil, sondern ein Teil in einem Teil.«175
Das Einssein der Form mit der Materie bewirke notwendigerweise, daß beide auf gleiche Weise ausgedehnt seien, so daß in einem Teil der Materie ein Teil der Form sei. Darin unterscheide sich ja die forma informans von der forma assistens: Während diese weder einer Materie unterworfen noch durch sie ausgedehnt sei, keine Teile besitze, sondern in jedem Teil des Körpers ganz auf unteilbare Weise enthalten sei, sei die forma informans in der Materie, der sie das Sein gebe. Daher sei es notwendig, daß sie hinsichtlich ihrer Quantität gemäß der Teilbarkeit des Körpers teilbar sei. Die theologischen Auswirkungen dieser Bestimmung liegen auf der Hand und sind bereits benannt worden: Wenn die anima rationalis hinsichtlich ihrer Quantität (und Substanz) mit dem Körper sehr eng verwoben ist, dann erscheint es schwer erklärlich, wie sie sich nach dessen Ableben von ihm soll abtrennen können. Auf dieses Problem wird zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen sein (vgl. 3.3.6.). Im Zusammenhang mit der zweiten Frage, ob die ganze Seele gemäß ihrer Substanz im ganzen Körper sei oder nur in einem Teil von ihm, verwarfen die Jesuiten Platons Ansicht, wonach es drei Seelenteile in einem Lebewesen gibt, die sich an drei verschiedenen Stellen im Körper lokalisieren lassen, nämlich das Streben in der Leber, der Zorn im Herzen und die Vernunft im Gehirn (vgl. Tim. 69b-72d). Wäre dies so, dann wäre nicht der ganze Körper organisch, sondern nur ein Teil von ihm, und die Seele wäre nicht Anfang und Quelle des Lebens, wenn sie nicht alle Tätigkeiten – wie das Wachsen, Wahrnehmen, Sich-Bewegen etc. – ausüben würde. Dies bedeute nun aber wiederum nicht, wie Albertus und Portio behauptet hätten, daß das Herz gemäß De Motu an. 10, 703a15ff. Sitz der Seele sei, so daß sie in den übrigen Körperteilen nicht ihrer Substanz, sondern nur ihren verschiedenen Vermögen nach sei.176 Diese hätte nämlich zur Folge, daß dann die übrigen Körperteile entweder andere formæ substantiales oder gar keine besäßen. Beides sei aber unmöglich. Gäbe es nämlich mehrere 175 Zabarella, De Partitione animæ, c. 11, 755A: »… credo enim in philosophia Aristotelis firmam & irrefragabilem esse hanc propositionem, omnis forma informans materiam, & constituens compositum, est extensa ad extensionem materiæ, proinde tota [sc. forma] secundum extensionem suam in toto est, non tota autem in parte, sed pars in parte …« 176
Vgl. Portio, c. 7, 41: »Quòd autem non sit [sc. anima] in toto corpore, significavit Philosophus in libello de Iuventute & senectute ubi ait, cor esse animæ sedem … Hinc aperte accipis, animam esse in corde, & non in toto corpore.«
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formæ substantiales in einem Kompositum, dann wäre es nicht eines, sondern ein Zusammenschluß mehrerer wesentlicher Formen, was Aristoteles in De An. I 5, 411a26b12 abgelehnt habe. Vielmehr müsse die Seele eine sein, die gemäß II 2, 413b16-21 im ganzen Körper sei. Wäre dagegen ein Körperteil ohne wesentliche Form, dann kämen ihm kein Vermögen zu, und dergestalt wäre er unbelebt. Hieraus folgerten Toletus und die Conimbricenser in Anschluß an Thomas177, daß die ganze Seele hinsichtlich ihrer Substanz zugleich im ganzen Körper und in jedem seiner Teile sei.178 Wie sollte sie sonst forma corporis organici bzw. principium vitæ sein, wenn sie nicht zugleich ganz im ganzen Körper wäre?179 Zabarella entwickelte dagegen in der Auseinandersetzung mit den genannten drei Ansichten auch hier eine eigene Position. Von besonderer Bedeutung war für ihn dabei die Wahrung der Einheit der Seele, die er ja mit seiner These von der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen nicht einsichtiger gemacht hat. Gegen Platon betonte er dabei, daß mit dessen These von der (ontologischen, nicht fakultativen) Lokalisierung dreier Seelenteile (d. h. für Zabarella: dreier Seelen) an drei verschiedenen Stellen im Körper die Einheit des Lebewesens nicht bewahrt werden könne. Denn wo es drei verschiedene, einander nicht untergeordnete formæ substantiales gebe, dort gebe es drei verschiedene Komposita, die, eben weil sie an verschiedenen Stellen des Körpers seien, der Seele nicht untergeordnet seien. »Wir aber, die wir sagen, daß diese Seelenteile [sc. die verschiedenen Arten der ganzen Seele] nicht örtlich voneinander verschieden sind, sondern alle zugleich denselben Körper gestalten 177 Vgl. Thomas, Scg II 72, in: Opera 13,2, 456: »Per eadem autem ostendi potest animam totam in toto corpore esse, et totam in singulis partibus. Oportet enim proprium actum in proprio perfectibili esse. Anima autem est actus corporis organici, non unius organi tantum. Est igitur in toto corpore, et non in una parte tantum, secundum suam essentiam, secundum quam est forma corporis.« 178
Vgl. Toletus, II 2, q. 4, 53ra: »Anima secundum suam substantiam est in omnibus animalis partibus, quæ ad ipsius pertinent constitutionem.« Coll. Conimbricense, II 1, q. 9, art. 2, 114: »Anima tam divisibilis, quàm indivisibilis informat quamlibet partem corporis. … Adde cum unicuique composito naturali una tantum insit forma substantialis … necessario animam in toto corpore esse …« 179 Dem Verfasser ist unverständlich geblieben, warum die Conimbricenser im folgenden – nachdem sie also bis jetzt die Teilbarkeit bzw. Unteilbarkeit der Seele hinsichtlich ihrer Quantität und hinsichtlich der Substanz ihr Ganzsein im ganzen Körper und in jedem seiner Teile bestimmt haben – diese Ansicht noch weiter ausdifferenzieren und dabei zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Die eine These lautet dabei: »Anima divisibilis, ut est totum primo [=totum quantum]; vel tertio modo [=totum essentiale], non inest tota in qualibet parte corporis. Hæc ex eo ostenditur, quia cum anima divisibilis extensione materiæ, & quantitatis dilatetur, & extensa sit; oportebit singulas eius portiones singulis materiæ partibus respondere, atque adeo non erit tota quoad substantiam in qualibet parte corporis.« (A. a. O., 115) Die Seele der niederen Lebewesen ist also weder hinsichtlich der Quantität noch hinsichtlich der Substanz ganz in jedem Teil des Körpers. Wie paßt dies aber mit dem bisher Gesagten zusammen? Sofern nämlich auch sie forma informans ist, wie könnte sie hinsichtlich der Substanz und Quantität nicht ganz in jedem Teil des Körpers sein? Die nachfolgende These stimmt dagegen mit dem bisher Gesagten überein: »Anima indivisibilis, ut est totum tertio modo [=totum essentiale], est tota in qualibet parte corporis, secundum rationem verò totius primo modo [=totum quantum] sumpti dici potest esse in qualibet parte corporis negativè.« (A. a. O., 116) Die Seele der höheren Lebewesen ist also hinsichtlich der Substanz und der Quantität in jedem Teil des Körpers.
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De Anima und bilden, verfallen nicht auf diese Absurdität, sondern bewahren aufs Beste die Einheit des Lebewesens. Wir sagen nämlich, daß sie einander untergeordnet sind, so daß der letzte Teil alle in sich enthält.«180
Die Einheit des Lebewesens gründete also für Zabarella in der ontologischen Einheit der Vielheit der Seelen, deren höchste – beim Menschen die anima rationalis – alle übrigen Seelen in sich enthält.181 Wo ist diese ganze Seele, die collectio specierum omnium animæ, aber lokalisiert? Ist sie in einem ausgezeichneten Teil des Körpers, wie Albertus und Portio behauptet haben, oder ist sie Thomas und den Jesuiten gemäß zugleich in allen seinen Teilen? Für Zabarella trafen beide Ansichten nicht ganz das Wahre: »Wie ich nämlich meine, daß das absurd ist, was Albertus sagt, wonach die Seele gemäß ihrer Substanz ausschließlich im Herzen sei, so glaube ich auch, daß die gegenteilige Ansicht falsch ist, die Seele sei zugleich in allen Teilen des Körpers.«182 Wären nämlich alle Körperteile zugleich ohne jede Ordnung beseelt, d. h., wäre die ganze Seele zugleich im ganzen Körper und allen seinen Teilen, wie Thomas behauptet hat, dann müßte die vom Körper abgetrennte Hand leben, was aber offensichtlich nicht geschieht. An Albertus’ Ansicht sei wahr, daß Aristoteles gemäß das Herz der ausgezeichnete Körperteil der Lebewesen sei183, in dem die Seele entstehe, sich vorzugsweise aufhalte und gleichsam verwurzelt sei.184 Später breite sie sich dann von hier auf den ganzen Körper aus, so daß sie als esse principale im Herzen sei, in den übrigen Körperteilen aber als esse participatum.185 Nur dank dieser Verbreitung im ganzen Körper könne die Seele auch ihre doppelte Funktion als forma informans corporis und als principium operationum erfüllen. »Aus dem Gesagten ist deutlich, daß die Seele ge180 Zabarella, De Partitione animæ, c. 3, 731B: »nos autem, qui dicimus has partes animæ non distingui locis, sed omnes simul informare idem corpus, in hoc absurdum non incidimus, sed optime animalis unitatem servamus; dicimus enim eas esse subordinatas, ita ut ultima contineat omnes …« 181 Zabarella bestätigt in De Partitione animæ explizit seine Ansicht von der Vielheit der Seelen aus De Facultatibus animæ: »Unus est, ut nomen partis pro parte subiecta, hoc est, pro specie sumamus, nomen autem totius pro omnium specierum animæ collectione, sicut Aristoteles frequenter in lib. de Anima vocat animam totam, & partes animæ, ita ut quæstio sit, quum in eodem vivente plures inesse posse animas ordine quodam dispositas iam alibi ostenderimus, tanquam formas substantiales distinctas …« (Vgl. a. a. O., c. 2, 729F-730A) 182 A. a. O., c. 5, 734E: »ut enim absurdum esse arbitror id, quod ait Albertus, animam secundum suam substantiam in solo corde esse; ita & contrariam sententiam, quod in omnibus corporis partibus æque resideat anima, falsam esse existimo …« 183
Zabarella (vgl. a. a. O., 735B) verwies in diesem Zusammenhang explizit auf De Part. an. III 35. Vgl. daneben die weiteren Nachweise in 2.3.3.1, Anm. 301. 184 Hubertus Busche nennt dies die »Zentriertheit der Seele« im Herzen, das als ihr »Eingreifpunkt« (a)rxh/) (Seele, 20) gilt. 185 Vgl. Zabarella, De Partitione animæ, c. 5, 735C: »primum enim quod generatur, est cor animalis, & in eo radicatur anima, postea vero illi cæteræ partes aggenerantur, ad quas statim protenditur anima non tantum secundum facultates, sed etiam secundum essentiam, ad extensionem enim subiecti corporis, anima quoque extenditur: hac igitur ratione habet anima in corde esse principale, in reliquis autem partibus habet esse participatum …«
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mäß ihrer Substanz nicht allein im Herzen ist, sondern in allen [Körper-] Teilen, nicht jedoch in allen zugleich, sondern in einer gewissen Ordnung.«186 Allein diese Ansicht sichere die Individualität und damit die Einheit des Lebewesens. Denn ‘beseelt’ und ‘eins’ müsse zugleich das ganze Lebewesen sein. Es sei aber nur dann beseelt, wenn in allen seinen Teilen die Substanz der Seele sei, nicht bloß in einem vorzüglichen Teil. Auch in der Beantwortung der letzten Frage, ob die ganze Seele mit allen ihren Vermögen zugleich in jedem Teil des Körpers ist oder nur mit einem Vermögen in einem Körperteil, mit einem anderen in einem anderen, bestand keine Einigkeit zwischen Toletus und den Conimbricensern auf der einen und Zabarella auf der andern Seite. Die Jesuiten folgten dabei der Ansicht von Albertus, wonach die Seele mit all ihren Vermögen nicht zugleich in jedem Körperteil sei.187 Dies wurde damit begründet, daß nur der Geist, der Wille und das Nährvermögen in jedem Körperteil sind, während alle übrigen organischen Vermögen an einem bestimmten Ort und damit voneinander getrennt sind. So ist das Sehen nur in den Augen, das Bewegen nur in den Nerven, weil nur dort die jeweiligen Dispositionen vorliegen. Es gebe also Vermögen, die eines bestimmten Organs bedürften, um tätig sein zu können. Ein Organ könne aber nicht zugleich ganz in jedem Körperteil sein. Folglich könnten auch nicht alle Seelenvermögen zugleich in jedem Körperteil sein, wie Alexander behauptet habe. Wäre nämlich die Substanz der Seele in jedem Körperteil, dann müßten dort auch alle Vermögen sein, denn diese folgten der Substanz nach. Ferner sei aus De An. II 2, 413b16-29 deutlich, daß für Aristoteles die Seelenvermögen bloß begrifflich, nicht örtlich voneinander getrennt seien. Daher seien sie in jedem beliebigen Körperteil. Hiervon nehme er zweifelnd nur den nou=j aus. Zabarella wählte auch hier den mittleren Weg, indem er teils der Ansicht des Albertus, teils der des Alexander folgte: »Ich glaube nämlich, daß alle Seelenvermögen in einer Hinsicht in jedem beliebigen Körperteil sind, in einer anderen nicht.«188 Und zwar sind sie secundum originem in jedem Körperteil, nicht aber secundum subiectum. So ist das Sehvermögen allein im Auge als seinem subiectum; ursprünglich ist es aber auch im Fuß, da ja auch dort die Seele ist, so daß der Fuß das Sehvermögen aufnehmen könnte, wenn er Augen hätte. Zabarella begründete diese auf den ersten Blick merkwürdige Ansicht letztlich doch überzeugend wie folgt: Wenn die Seele ihrer Natur nach geeignet ist, alle Tätigkeiten zu bewirken, dann muß gemäß Alexanders Argumentation dort, wo die Substanz der Seele ist, auch das Vermögen sein, das aus ihr hervorgeht. Weil nun aber die Materie nur das in sich aufnimmt, wozu sie in der Lage und geeignet ist, so nimmt sie nicht jedes Vermögen in sich auf. Folglich ist nicht in jedem 186 A. a. O., 736D: »Ex his ergo patet animam secundum substantiam suam non in solo corde inesse, sed in omnibus membris; non tamen in omnibus æqualiter, sed ordine quodam …« 187 Toletus, II 2, q. 4, 53rb: »Anima, secundùm omnes suas potentias, non est in qualibet corporis parte.« Coll. Conimbricense, II 1, q. 9, art. 2, 114: »Anima, ut est totum potestate, sive divisibilis, sive indivisibilis sit, non continetur tota in qualibet parte corporis.« 188 Zabarella, De Partitione animæ, c. 14, 762B: »… puto enim facultates animæ in qualibet corporis parte omnes aliqua ratione inesse, aliqua etiam ratione non inesse …«
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Körperteil secundum subiectum jedes Seelenvermögen. So nimmt nicht jeder Körperteil das Sehvermögen in sich auf, weil nicht alle dafür geeignet sind, sondern eben nur die Augen, und in dieser Hinsicht sei die Argumentation von Albertus und den Jesuiten richtig. Dergestalt, so Zabarella, könne aus beiden Ansichten der wahre Sinn der Frage nach dem Ganzsein der Seelenvermögen in einem Körper ermittelt werden. 3.3. Der Begriff der menschlichen Seele Mit dem Locus De anima rationali beginnt die Untersuchung derjenigen Seelenart, die für einen jeden Renaissance-Aristoteliker »the most important object of study for the scientia de anima«189 war, wie Des Chene zu Recht feststellt. Denn gemäß der von Aristoteles genannten Stufenfolge des Lebens ist weder die Bestimmung der anima vegetativa der Pflanzen noch die der anima sensitiva der Tiere das Ziel der Psychologie, sondern die Bestimmung der anima rationalis des Menschen. Dies setzt nun wiederum die Erkenntnis des Geistes (nou=j, intellectus, mens190) als ihr höchstes Vermögen voraus. Ziel dieser Disziplin ist daher die Realisierung der Forderung des Delphischen Orakels nach dem gnw=qi seauto/n: Erkenne dich selbst in deinem Sein und Tun. Wie bereits erwähnt (vgl. 3.1.2.), steht dieser Spruch allen Traktaten zur Seele gleichsam als Motto voran. Was es mit dieser Selbsterkenntnis auf sich hat und wie sie sich realisiert – das zu ermitteln, ist Aufgabe des Locus De anima rationali. Denn nur in ihrem Vollzug erkennt sich der Mensch als Geist, wird er seiner Bestimmung gerecht, Geist zu sein. So sehr also ein Wissen vom Kosmos, von der Welt und ihren natürlichen Dingen zur Wahrheit vieles beiträgt, so findet sie ihr Zentrum allein in der Erkenntnis des menschlichen Geistes, in dem sich das Wissen und das Gewußte zur Wahrheit vereinen (vgl. De An. I 1, 402a4-6). Diese Einzigartigkeit der menschlichen Seele, die sie weit über die übrigen Lebewesen hinaushebt, wurde von den Renaissance-Aristotelikern an vielen Stellen immer wieder bewundernd beschrieben. So nannte sie Toletus in neuplatonischer Terminologie eine gewisse mittlere Substanz zwischen dem rein Körperlichen und Geistigen, da 189
Dennis Des Chene, Life’s form, 19.
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Der Begriff nou=j wurde mit intellectus bzw. mens übersetzt: »… nou=j, quod dicitur mens, & intellectus.« (Toletus, II 1, t. 11, q. 2, 43rb) In der Regel wurde freilich der Begriff intellectus verwandt, selbst bei solchen Autoren wie Portio und Zabarella, die ihre Traktate De Mente humana bzw. De Mente agente nannten. Dies werden die nachfolgenden Abschnitte hinreichend belegen. Deutlich wird dies auch aus Zabarellas Übersetzungen der entsprechenden Textstellen in seinem De AnimaKommentar: »nou=j kai\ du/namij qewrhtikh/« (II 2, 413b24f.) / »intellectus & speculativa potentia« (lib. II, t. 21, 322C); »to\ dianohtiko/n kai\ nou=j« (414b18) / »cogitativum, & intellectus« (lib. II, t. 29, 354E) und »nou=j paqhtiko/j« (III 5, 430a24f.) / »passivus intellectus« (lib. III, t. 20, 891C). Bezeichnet der Begriff nou=j in aller Regel das Vermögen der menschlichen Seele, kann er im weiten Sinne auch für diese selbst stehen, wie Zabarella unter Hinweis auf Aristoteles betonte: »etenim Aristoteles de mente humana, quam & animam rationalem, & intellectum potestate, seu patientem appellavit …« (De Mente humana, c. 1, 915D)
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sie weder reine Intelligenz sei wie die Engel noch reine sinnliche Form wie die anima sensitiva der Tiere. Sie erkenne nämlich auf geistige Weise und sei dergestalt das Prinzip des Wahrnehmens, das den Intelligenzen nicht zukomme, und sie nehme wahr und sei dergestalt das Prinzip des Erkennens, über das die Tiere nicht verfügten. Weil also die Geistseele weder ohne Wahrnehmung noch ohne Erkennen sei, werde sie gewöhnlich ‘Horizont der geistigen und körperlichen Formen’ genannt.191 Auch Zabarella betonte unter Hinweis auf EN X 7, 1178a5-8, daß der Mensch im Geistsein am meisten seiner Natur entspreche und durch ihn im höchsten Grade Mensch sei, ein Mittleres zwischen dem Sterblichen und Unsterblichen, zwischen dem Irdischen und Göttlichen. Das Leben gemäß dem Geist (o( kata\ to\n nou=n bi/oj) sei gerade nichts dem Menschen Transzendentes (supra hominem), sondern charakterisiere ihn am besten in seinem betrachtenden Dasein: contemplativa hominis vita est maxime humana. In dieser Tätigkeit des Geistes bestand für Zabarella die perfectio mentis, die freilich ephemer war. Den Grund hierfür erkannte er in der Verfaßtheit des Menschen als ein Mittleres zwischen dem Irdischen und Göttlichen, das freilich nicht im Sinne einer platonischen participatio an beiden Extremen, sondern im Sinne einer aristotelischen similitudo mit ihnen zu verstehen sei. Es gehe nicht um eine durch einen Aufstieg zu den Ideen zu bewerkstelligende Teilhabe am Göttlichen, sondern um ein Gott-ähnlich-Werden in der contemplatio als den höchsten Akt des menschlichen Denkens.192 Mit dem Locus De anima rationali steht also der Höhepunkt der aristotelischen Philosophie zur Diskussion, in dem es um die Bestimmung des nou=j geht. Damit werden jene beiden Kapitel zum Gegenstand des Interesses, die seit jeher als besonders dunkel gelten, nämlich De An. III 4 und 5.193 So kritisierte Zabarella gleich zu Beginn seiner 191 Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 46va: »Anima rationalis non est purè intellectualis substantia, nec purè sensitiva forma: sed media quædam substantia utrunque complectens. Est enim sic intellectualis, ut sit principium sentiendi, in quo ab Intelligentijs differt: sic autem sensitiva, ut sit principium intelligendi, ut differt à puris formis, & hoc utrumque sub una simplici substantia continet. unde dici solet horizon formarum specierum, & corporalium, ut cognovit Aristoteles cùm in homine idem fecit principium sentiendi, & intelligendi secundùm substantiam.« 192 Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 950F-951C. In seinem Commentarius de anima heißt es: »Certe admirabilis est animæ natura, & elata supra corporis conditiones, præcipue vero animæ intellectivæ.« (III 4, t. 6, 744E) 193 Welche Bedeutung diesem neuen Thema beigemessen wurde, wird daraus ersichtlich, daß Averroes und Zabarella mit De An. III 4 das dritte Buch beginnen ließen: Vgl. Averroes, III 1 [4], t. 1, 136rB [379,7-12]: »Aristotelis de anima liber tertius. Cum complevit [sc. Aristoteles] sermonem de virtute imaginativa, quæ sit, & quare, incœpit perscrutari de rationabili, & quærere in quo differt ab aliis virtutibus comprehensivis, scilicet virtute sensus & imaginationis.« Zabarella, III [4], t. 1, 655B: »Liber tertius. Primus contextus [sc. De An. III 4, 420a10-13] est veluti proœmium huius partis, quæ est de humano intellectu …« Die Jesuiten folgten dagegen der sectio Græcorum, wonach es sich um das vierte Kapitel des dritten Buches handelt, der Einteilung also, der auch heutigentags noch gefolgt wird: Vgl. Toletus, III 4, t. 1, 129ra: »Caput Quartum. De parte autem animæ [vgl. De An. III 4, 429a10]. Hic sumunt Arabes initium libri tertij: nos tamen Græcorum sectionem secuti, superius principium fecimus.« Dort heißt es unter der Überschrift In tertium librum Aristotelis de anima. Caput primum [zu De An. III 1, 424b22]: »In huius libri sectione, varij sunt Arabes à Græcis interpretibus. Illi enim initium à Capite sequenti quarto sumunt, in quo de intellectu disputare incipit Aristoteles. Hi
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Schrift De Mente humana diese obscuritas bezüglich des nou=j paqhtiko/j (intellectus possibilis) in De An. III 4 wie folgt: »… Aristoteles hat nämlich vom menschlichen Geist … teils offenkundig in den drei Büchern über die Seele, teils nebenbei in vielen anderen Büchern auf so verschiedene, zweifelhafte oder zumindest dunkle Weise gesprochen, daß seine Worte zu den verschiedensten, ja gegensätzlichsten Ansichten, und zwar auch von den ernsthaftesten Interpreten, gezogen worden sind. Ja, es fehlten nicht jene, die gewagt haben zu behaupten, daß Aristoteles doppeldeutig gewesen sei und über diese Sache nichts Gewisses habe aussagen wollen.«194
Eine ähnliche Kritik an der Beschreibung von Wesen und Funktion des nou=j poihtiko/j (intellectus agens) aus De An. III 5 findet sich in seinem Traktat De Mente agente: »Nachdem die Funktionen des tätigen Geistes erkannt worden sind, muß auch sein Wesen betrachtet werden, was auch Aristoteles tat, aber so kurz und dunkel, daß durch seine Äußerungen nicht hinreichend klar zu sein scheint, was er denn bei ihm sei. Dadurch geschah es, daß die Interpreten seine Worte auf verschiedene, einander widersprechende Ansichten bezogen haben.«195
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verò à præsenti Capite. Et quamvis parum hoc referat ad rei veritatem consequendam, mihi tamen rationabilius esse visum est, Græcos authores sequi; quippe qui in his, quæ ad verba Aristotelis pertinent, maiore digni sunt authoritate, & propter linguæ peritiam, & propter antiquitatem: quos etiam sequuti sunt Boetius, & Argyropolus, & inter ipsos expositores S. Thomas.« (Vgl. III 1, t. 128, 112va) Coll. Conimbricense, III 4, 360: »Arabes tertij libri principium hinc fecere: Græci verò interpretes tertio ab hinc capite, quorum nos secuti fuimus sectionem.« Für beide Seiten gibt es gute Argumente: Averroes und Zabarella betonen damit den thematischen Neuanfang, da Aristoteles bisher zwar gelegentlich auf den Nous verwiesen hat (vgl. De An. II 2, 413b24-27; II 4, 415a11-13 etc.), ihn aber erst jetzt zum Gegenstand der Untersuchung macht. Die Jesuiten können zum einen auf die historische Überlieferung verweisen, zum andern darauf, daß die Stufenfolge des Lebens einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Vermögen setzt, so daß der Nous in einer Reihe mit den übrigen Vermögen steht, die alle von der anima rationalis umfaßt werden. 194
Zabarella, De Mente humana, c. 1, 915D-E: »… etenim Aristoteles de mente humana … tum ex professo in tribus de anima libris, tum obiter in aliis pluribus ita aut varie, ac dubie, aut saltem obscure loquutus est, ut ad diversas, imo etiam contrarias sententias à gravioribus quoque interpretibus eius verba distracta sint; nec defuerint, qui eum ancipitem fuisse, & nihil certi hac de re statuisse affirmare ausi sint.« Vgl. ferner a. a. O., c. 13, 971B: »Superest ut respectu etiam operationis naturam eius [sc. anima rationalis] declaremus, quod facere sibi proposuit Aristoteles in 3. lib. de Anima; sed ita obscure, ut pars illa maxime omnium ambigua esse, & interpretatione indigere videatur, quum propter multa, & magna interpretum dissidia non satis liqueat, quid de hac animæ parte doceat ea tractatione Aristoteles.« 195
Vgl. Zabarella, De Mente agente, in: De Rebus naturalibus, 1007-1042, hier: c. 9, 1021A-B: »Cognitis officiis intellectus agentis est quoque eius natura consideranda; quod etiam Aristoteles fecit, sed ita breviter, & obscure, ut per eius dicta non satis liquere videatur, quisnam sit apud eum intellectus agens; quo factum est ut interpretes ad varios, & inter se contrarios sensus verba Aristotelis traxerint …« Auch in seinem De Anima-Kommentar hat Zabarella diese Abschnitt De An. III 5 einen »tractatus … difficillimus« (III [5], t. XVII, 872A) genannt. Diese Feststellung der obscuritas ist zu einem Topos der Forschung geworden wie eine Äußerung von Willy Theiler belegt: »Es gibt kein Stück der antiken Philosophie, das wie die halbe Seite dieses Kapitels [sc. De An. III 5] eine solche Masse der Erklärungen hervorgerufen hat. Seine Dunkelheit und übermäßige Kürze sind berüchtigt.
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Die Problematik bei der Bestimmung des Geistes als intellectus possibilis & intellectus agens scheint dem zu beschreibenden Phänomen immanent ist. Der Geist wäre uns damit nicht das Nähste und Vertrauteste, wie Augustinus und Descartes gemutmaßt haben – obgleich er gleichwohl das Konkreteste ist, wie Hegel betont hat –, sondern er ist dasjenige in uns, das sich zunächst und zumeist jedem direkten Zugriff entzieht und sich nur auf dem Umweg über das Denken eines anderen (Intentionalität) zeigt. Dies werden die folgenden Abschnitte belegen. Dabei werden im folgenden nicht nur die systematischen Traktate der RenaissanceAristoteliker berücksichtigt, sondern auch ihre Kommentare zu De An. III 4 und 5, die eine von der Forschung noch gar nicht ausgeschöpfte Quelle sind.196 Den Zusammenhang von System und Kommentar verdeutlicht dabei eine Äußerung von Toletus am Ende seines Kommentars zu De An. III 5: »Viele außerordentliche Schwierigkeiten zeigen sich in diesem Kapitel, die der Reihe nach zu diskutieren sind.«197 Die Notwendigkeit einer systematischen Erörterung des Locus De anima rationali ergab sich also daraus, daß in einem Kommentar nicht alle Aporien in De An. III 4 und 5 beseitigt werden konnten. Außerdem boten die systematischen Traktate die Möglichkeit einer über Aristoteles hinausführenden Darstellung dessen, was aus theologischer Sicht über die menschliche Seele zu sagen ist. Im einzelnen betraf dies die folgenden Themenkomplexe (in der Reihenfolge ihrer Anordnung in den Schriften): 1. In der Auseinandersetzung mit Averroes (vgl. 3.3.1.) galt es zu zeigen, daß die menschliche Seele (einschließlich ihres Geistvermögens) wie die übrigen Seelenarten der Pflanzen und Tiere gemäß De An. II 1 secundum esse als forma informans und nicht als forma assistens zu bestimmen ist (3.3.1.1.) und der intellectus possibilis nicht einer in allen Menschen ist, sondern vervielfältigt wird gemäß der Anzahl der Individuen (3.3.1.2.). 2. Eine Eigentümlichkeit der philosophischen Psychologie der Jesuiten ist ihre über Aristoteles hinausgehende und an Augustinus anknüpfende Bestimmung der menschlichen Seele als substantia spiritualis. Es ist aufzuzeigen, was mit dieser theologischen Definition genauer gemeint ist und worin aus Sicht der Jesuiten die Notwendigkeit dieser Ergänzung bestand (3.3.2.). _________________________________________________________________________________________________________
Fehlte es, man würde von der naturalistischen Psychologie aus, die uns dargeboten wird, nichts vermissen.« (Anmerkungen, in: Aristoteles, Über die Seele, 142) 196 Allein Zabarella hat den Weg in die neuere Forschung gefunden, wie die Kommentare von Hicks und Ross belegen, die ihn als nützlichen Interpreten schätzten, auch wenn sich beide hinsichtlich seiner Auslegung von De An. III 5 nicht einig waren: »Throughout this chapter [sc. De An. III 5], as in the last [sc. III 4] I have derived invaluable aid from Zabarella, who in the main follows Alex.[ander] Aphr.[odisias] …« (Aristotle, De Anima. Ed. Hicks, 498) »Zabarella, who is often a useful guide on Aristotelian questions, has a long discussion of the chapter [sc. De An. III 5] is his De Rebus Naturalibus … but this discussion has not the clarity which often characterizes him …« (Aristotle, De Anima. Ed. Ross, 44) 197 Toletus, III 5, t. 20, 140vb: »Multæ & insignes in hoc capite difficultates occurrunt, quæ ordine sunt discutiendæ.«
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3. Neben der Frage nach der ontologischen Bestimmung des intellectus possibilis stellte sich in einem zweiten Schritt die nach seiner Funktion im Erkenntnisprozeß (vgl. 3.3.3.): Wie erkennt er einen Gegenstand, und wie erkennt er sich selbst? Ist er eine pura potentia passiva, oder hat er ein aktives Element in sich? 4. Zum genaueren Verständnis des Erkenntnisprozesses galt es für die Aristoteliker ferner, die Theorie von den species intelligibiles darzustellen (vgl. 3.3.4.). Was sind sie, und welche Funktion kommt ihnen im Erkenntnisprozeß zu? 5. Insbesondere die Lehre vom intellectus agens war zwischen den RenaissanceAristotelikern umstritten (vgl. 3.3.5.). Ist er Gott, eine göttliche Kraft oder ein Vermögen der menschlichen Seele? Uneinig war man sich auch, welche Funktion er im Erkenntnisprozeß erfüllt. 6. Von besonderer Brisanz war ferner die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele (vgl. 3.3.6.). Kann auf rein philosophische Weise von Aristoteles her ihre Unsterblichkeit bewiesen werden? Die ganze Problematik hing hierbei an ihrer Bestimmung als forma informans: Wie kann sie sich, die mit dem Körper eines ist, dennoch nach dessen Ableben von ihm abtrennen? 7. Schließlich stellte sich die Frage, was der menschliche Geist in welcher Reihenfolge erkennt (vgl. 3.3.7.). Denn die Bestimmung der species intelligibiles ließ die Frage nach dem Gegenstand des Geistes noch unbeantwortet. Hier stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen. Die Erörterung all dieser Punkte führte nach Ansicht der Renaissance-Aristoteliker zu einem vollständigen Wissen über die menschliche Seele secundum esse & operationem. Dies wird das Nachfolgende belegen. 3.3.1. Die Auseinandersetzung mit Averroes Mit dem Bekanntwerden der psychologischen Schriften des Averroes im Verlauf des 13. Jh.s entbrannte eine heftige Debatte um die beiden folgenden Fragen: 1. Ist die menschliche Seele wie die der Pflanzen und Tiere forma informans, oder ist sie eine sich von dieser unterscheidende forma assistens? 2. Ist der intellectus possibilis einer in allen Menschen, oder ist er vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen? Beide Fragen thematisierte Thomas in dem kurz vor seinem Tod veröffentlichten Traktat De unitate intellectus contra Averroistas, der eine unmittelbare Replik auf die 1269/70 veröffentlichten Quaestiones in tertium de anima des Siger von Brabant (um 12401281/84) war. Während dieser im Anschluß an Averroes die These vom menschlichen Geist als forma assistens und von der unitas intellectus vertrat198, war für Thomas der intellectus possibilis ein Vermögen des Menschen und so als Teil der Seele wie diese selbst forma informans corporis und als solcher wiederum wie diese selbst vervielfäl198 Vgl. hierzu Olaf Pluta, Siger von Brabant: Quaestiones in tertium De anima, in: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Mittelalter. Hrsg. von Kurt Flasch. Stuttgart 1998, 292-317.
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tigbar gemäß der Anzahl der Individuen199. Diese Kontroverse mündete in der großen Verurteilung von 219 averroistischen, alexandrinischen und thomistischen Thesen im Jahre 1277 in Paris.200 Wenig später wurde die Bestimmung der menschlichen Seele als forma informans auf dem Konzil von Vienne 1312 dogmatisiert und auf dem 5. Laterankonzil von 1513 bestätigt. Dort wurde, wie gesehen (vgl. 1.1.), als ein weiteres Dogma bestimmt, daß die anima intellectiva entsprechend der Vielzahl der Körper, denen sie eingegossen werde, einzeln vervielfältigbar sei. In diese Tradition gehört nun auch die Auseinandersetzung der Renaissance-Aristoteliker mit Averroes, der durch die Veröffentlichung der großen Giunta-Ausgabe des Aristoteles von 1550-52 erneut zum »prime commentator on Aristotle«201 wurde. Die Autoren erörterten dabei beide Themenkomplexe als zum selben Kontext gehörig.202 Es wird mit der Frage nach der Seinsbestimmung der menschlichen Seele begonnen. 3.3.1.1. Forma informans oder forma assistens? Auf den ersten Blick mag die Bestimmung der menschlichen Seele als forma informans oder als forma assistens keinen großen Unterschied erkennen lassen. Sie ist jedoch von großer Bedeutung sowohl für die Frage nach ihrer Einheit mit dem Körper als auch für die nach ihrer Unsterblichkeit. Denn ihre Bestimmung als forma informans setzt ein inniges Seinsverhältnis mit ihrem Körper, das als ein ‘immer schon’ vorhandenes, schlechthin nicht auflösbares Verhältnis erscheint, so daß beide auf jene Weise 199
Vgl. Thomas, De unitate intellectus contra Averroistas, in: Opera 43, 291-314. Ders., ScG II 73, in: Opera 13,2, 459: »Quod intellectus possibilis non est unus in omnibus hominibus.« Ders., STh I, q. 76, art. 2, in: Opera 5, 216: »Utrum intellectivum principium multiplicetur secundum multiplicationem corporum.« Zur Interpretation vgl. Kurt Flasch, Thomas von Aquino: De unitate intellectus contra Averroistas, in: Interpretationen, 245-269. 200
Vgl. Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277. Das Dokument des Bischofs von Paris. Übersetzt und erklärt von Kurt Flasch. Mainz 1989. 201 Charles B. Schmitt, Renaissance Averroism Studied through the Venetian Editions of AristotleAverroes (with Particular Reference to the Giunta Edition of 1550-2), in: L’averroismo in Italia. Rom 1979, 121-142, hier: 131: »There can be little doubt that the monumental edition of Aristotle and Averroes … is the most important of all the Renaissance editions in which Averroes is the prime commentator on Aristotle … It is perhaps the best example of what we have called the philosophical reaction of the philological humanism.« 202
Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 40vb: »An definitio animæ sit univoca? sive (quod in idem recidit) an sit anima assistens, & una in omnibus hominibus? an sit informans, & in singulis diversa.« Toletus kommt auf diese Frage im Zusammenhang mit De An. III 4 zurück: »An Intellectus possibilis sit potentia animæ? Vel: (quod in idem recidit) an Intellectus possibilis sit informans, an substantia separata?« (III 4, q. 10, 133ra) Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, 94: »Sit ne anima intellectiva vera hominis forma, an non?« A. a. O., q. 7, 101: »Utrum animæ rationis participes ad numerum hominum multiplicentur, an non?« Zabarella, De Mente humana, c. 2, 916D: »Quæstio, an anima rationalis sit forma hominis, & quæstionis declaratio.« A. a. O., c. 10, 962A: »Averrois ac Themistii opinio de intellectus unitate, & eorum argumenta.«
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eines (e(/n, vgl. De An. II 1, 412b6) sind wie das Wachs und die Figur in der Kerze, die für uns nie als voneinander Getrennte wahrnehmbar sind. Und je inniger diese Einheit ist, desto schwieriger wird erklärbar, wie sich die menschliche Seele nach dem Ableben des Körpers von diesem soll abtrennen können. Umgekehrt gilt jedoch: Ihre Bestimmung als forma assistens zeigt ihr Verhältnis mit dem Körper als ein bloß akzidentelles an, das in dem Moment endet, wenn der Körper stirbt und die Seele ihn verläßt, und zwar auf die Weise, wie der Schiffer beizeiten das sinkende Schiff verläßt (vgl. De An. II 1, 413a8f.). Ihre Unsterblichkeit ließe sich vor diesem Hintergrund viel plausibler erklären. Das Problem um die Bestimmung der Seele als forma informans sive assistens erweist sich dergestalt als das Kardinalproblem für ein angemessenes Verständnis ihres Begriffs, und von hier aus wird auch die Bedeutung ersichtlich, die diese Frage für die Renaissance-Aristoteliker aus philosophischer und theologischer Sicht haben mußte. Die Auseinandersetzung mit Averroes brachte es dabei mit sich, daß diese Frage nicht nur vor dem Hintergrund von De An. II 1203, sondern auch von III 4 zu beantworten war. Denn Averroes vertrat ja die Ansicht, daß der Geist dort auf eine Weise bestimmt werde, die mit der Seelendefinition in De An. II 1 nicht vereinbar sei. Vor diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, wenn dieser Sachverhalt erst hier erörtert wird. In einem ersten Schritt gilt es zunächst zu klären, worin die begriffliche Differenz zwischen der forma informans & forma assistens für die Renaissance-Aristoteliker bestand. Übereinstimmend definierten sie die Form (ei)=doj) in ihren Kommentaren und systematischen Abhandlungen als eine solche, welche die unbestimmte Materie (u(/lh) als zunächst pure Möglichkeit in eine Gestalt bringt, sie zu einem bestimmbaren Diesda (hoc aliquid=to/de ti) macht, sie also ihrer Möglichkeit entsprechend bildet und strukturiert (daher forma informans). Sie ruft die Materie damit gleichsam ins Sein – Aristoteles nennt das ei)=doj in Met. V 8, 1017b15 deshalb auch to\ ai)/tion tou= ei)=nai – und ist dergestalt nichts anderes als das principium individuationis.204 Genau diesen 203 Sofern nämlich die menschliche Seele forma informans ist, trifft auf sie genau die Definition zu, die von Aristoteles in De An. II 1 ermittelt worden ist. Daher ist der Locus De anima in genere der angemessene Ort für ihre Erörterung. Dies verdeutlicht auch eine Äußerung von Toletus im Zusammenhang mit De An. II 2: »Sensus ergo quæstionis est: an in animæ definitione comprehenderit omnem animam; an actus tantum sumatur pro informante? & si vis clarius: an anima rationalis secundum substantiam suam sit corporis forma? Et quamvis sit multum cum hac coniuncta materia de immortalitate ipsius, nihil tamen hic ea de re tractabitur, sed suo loco libro 3. solum ergo hic de informatione tractabo.« (II 2, q. 2, 41ra) Keineswes geht es also darum, die Studenten so schnell wie möglich gegen Averroes zu impfen, wie Des Chene vermutet: »Although the problem of the forma assistens arises only for the human soul, it is typically dealt with early in Book 2 in quæstiones on the definition of the soul – in order, I suppose, that students should be inoculated against Averroism as quickly as possible.« (Life’s Form, 77, Anm. 19) 204 Dies verdeutlicht Zabarella in seiner Schrift De Constitutione individui (in: De Rebus naturalibus, 373-394, hier: c. 5, 381A-382C; vgl. hierzu auch Averroes, II 1, t. 8, 53rC [143,96f.]) Die Form bestimmt als ratio singularitatis das Individuum in seiner wesentlich-konkreten Existenz (individua substantia), sei dies nun eine Pflanze, ein Tier oder ein Mensch. Jedes von ihnen wird durch die Form zu einem Individuum (hoc aliquid). Dabei muß die Frage nach der Vielheit der Individuen einer Art
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Prozeß habe Aristoteles auch in De An. II 1, 412a6-9 beschrieben, wie Zabarella betont.205 Aus 412a9f. ergebe sich hierbei klar, daß er ei)=doj und e)ntele/xeia miteinander identifiziert habe. Vor diesem Hintergrund darf für die Renaissance-Aristoteliker der Begriff e)ntele/xeia keineswegs im Sinne von Cicero und Melanchthon als eine e)ndele/xeia (continuata motio & perennis, vgl. 2.3.2.) verstanden werden. Unter Berufung auf Themistius206, Simplicius207 und Scaliger208 wird dieser Begriff vielmehr von e)ntele\j & e)/xein hergeleitet, so daß er ein Insichhaben des Endes, eine perfectio bedeutet209, in der die Form die Materie vervollkommnet, eben weil sie die Kraft besitzt, ein Dies-da zu konstituieren210 und es in seinem Fertigsein zu halten: _________________________________________________________________________________________________________
von der Frage nach dem Einssein des je einzelnen Individuums unterschieden werden. Wie nämlich die Materie aufgrund ihrer Verteilung und Ausdehnung die Ursache der Vielheit der Individuen ist, so ist die Form die Ursache des Unterschieds der Individuen untereinander, oder, positiv formuliert, die Ursache des Einsseins des Individuums, das sich dadurch von allen anderen Individuen unterscheidet, und dies kennzeichnet seine Vollkommenheit. Denn die Funktion der Form ist es, etwas Unbestimmtes zu etwas Bestimmtem zu machen, d. h. ein Dies-da zu konstituieren, wie aus De An. II 1, 412a8f. ersichtlich ist. Dies geschieht, indem die Form dem (noch unbestimmten) Individuum das Wesen und die Existenz verleiht, so daß zwischen einer forma essentiæ und einer forma existentiæ unterschieden werden muß: Jene konstituiert das Wesen des Lebewesens, das der jeweiligen Art eigentümlich ist und mit dem alle Individuen dieser Art übereinstimmen. Dergestalt bestimmt sie als forma animalis das Tier als Tier und als forma hominis den Menschen als Menschen. Die Ausgestaltung der je spezifischen Existenz, die dem Wesen gleichsam hinzugefügt wird, ist dagegen die Funktion der forma existentiæ. Erst diese forma specifica konstituiert die Singularität des Individuums, das sich dadurch von jedem anderen Individuum durch die ihm allein zukommenden Merkmale, die es als ein bestimmtes Dies-da kennzeichnen, unterscheidet. Obgleich also allein die Form das Individuationsprinzip ist, ist die Materie in diesem Prozeß die conditio sine qua non, weil die spezifische Form die Singularität nur verleihen kann, wenn das Lebewesen existiert; existieren kann es aber nur aufgrund der Materie. 205 Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 7, 933B: »… est igitur considerandum, quam materiam, & quam formam ibi Aristoteles sumat; certe non sumit aliam formam, quam informantem, neque aliam materiam, quam habentem potestatem ad esse, & hoc recipientem à forma; nam dicit materiam secundum se non esse hoc aliquid, sed esse ens potestate, & à forma fieri hoc aliquid …« 206
Vgl. 2.3.2., Anm. 247.
207
Vgl. 2.3.1., Anm. 187.
208
Vgl. Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 12, 745f.: »Si sciunt, quid sit ei)=doj, quid morfh\, quid lo/goj, quid to\ ti\ h)=n ei)=nai: non ignorabunt, quid est Entelechia … Hoc enim est, e)n: quod innuit maximus Poetarum: Totosque infusa per artus. Hoc est, te/loj: quia est ultima forma sub cælestibus: & princeps inferiorum, finis, ac perfectio. Hoc est, e)/xein: posse.« A. a. O., s. 39, 790f.: »Est [sc. anima] enim pars compositi, quia e)n. Hoc namque est stoixei=on, id est, ex quo fit aliquid, & in eo est. Tum sit est e)/xon, est forma: quia habet materiam: neque solum habet, sed etiam continet, ut sit unum. Neque solum continet, sed etiam regit … Est ergo substantia, qua continentur accidentia, non continent: fluunt à substantia, non ipsam regunt. Tum autem est perfectio & finis.« 209
Vgl. Portio, c. I, 7: »Inde ergo aperte habes, entelechiam esse primam perfectionem corporis.«
210
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, 49: »Formam verò, cum sit actus, & entelechia habere vim constituendi hoc aliquid.«
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De Anima »Das Wort e)ntele/xeia aber, wie wir aus Themistius entnehmen, ist bei den Griechen ein ungebräuchliches Wort und wird hergeleitet von e)ntele/j, was vollendet und vollkommen heißt, etwas, das sein Ende in sich enthält. Denn te/loj heißt Ende. Dieses Wort bezeichnet aber eine Vollkommenheit und eine Verwirklichung in Hinsicht auf ein anderes, und es scheint keine andere Bedeutung zu haben, wie Themistius sagt, als das griechische Wort telei/wsij, das keine abstrakte Form und Verwirklichung bezeichnet, sondern im eigentlichen Sinne die Vollendung eines anderen ist, und deswegen werden von Aristoteles mit diesem Wort keine anderen Formen bezeichnet als die materiellen, denn sie sind die Vollkommenheiten und die Vollendungen eines natürlichen Körpers.«211
Die e)ntele/xeia kennzeichnet also den Zustand eines Seienden in seinem je gegenwärtigen Vollkommensein, und zwar vom Anfang bis zum Ende, d. h., sie sichert und hält es in diesem vollkommenen Sein, worüber hinaus es nichts weiter bedarf, um sein zu können. Die Conimbricenser bestimmten die Entelechie aus diesem Grunde als eine feste Haltung (habitus), in der die Vollkommenheit nicht kommt und geht, sondern fest verharrt, gleichsam eine zweite Natur, eine possessio perfectionis ist, wie unter Berufung auf Hermolaus Barbarus betont wird: »Wie nämlich die Materie ein Seiendes der Möglichkeit nach und deswegen unvollkommen ist, so vollendet die Form umgekehrt das Seiende, und die e)ntele/xeia ist gleichsam eine e(/cij tou= teleio/thtou, d. h., ein Habitus und der Besitz der Vollkommenheit oder eine vollendete Vollkommenheit.«212
Die Jesuiten spielen mit dieser Bestimmung der Entelechie als eine Hexis explizit auf De An. II 1, 412a10f. an, wo Aristoteles zwischen einer ersten und zweiten Entelechie unterscheidet. Jene sei wie ein Wissen bzw. eine Wissenschaft (w(j e)pisth/mh), diese wie ein Betrachten (w(j to\ qewrei=n). Die e)ntele/xeia h( prw/th ist dabei nichts anderes als die das Sein verleihende Form (ei)=doj), bezeichnet aber genauer den Prozeß des Werdens eines Dings aus seiner ungestalteten Materie hin zu seinem Gegenwärtigsein als Ende, seinem Sich-im-Fertigsein-Halten, seinem verwirklichten Sein als ein Diesda, mit all seinen ihn auszeichnenden spezifischen Merkmalen. Der Vergleich mit der Wissenschaft ist folglich so zu verstehen: Wie die Wissenschaft eine feste Haltung ist, in der man über ein Wissen verfügt, so ist auch die erste Entelechie eine Hexis, »das 211 Zabarella, II 1, t. 2, 113B-C: »Nomen vero e)ntele/xeia (ut ex Themistio colligimus) inusitatum est apud Græcos, & deducitur ab e)ntele/j, quod est perfectum, completum, habens finem suum: Nam te/loj est finis. Significat autem hæc vox perfectionem, & actum respectu alterius, nec videtur aliam habere significationem, (ut ait Themistius) quam Græca dictio telei/wsij, quæ non potest significare formam abstractam, & actum abstractum, sed proprie complementum alterius, ideo hoc vocabulo non significantur ab Aristotele aliæ formæ, quam materiales: quia sunt perfectiones corporum naturalium, & eorum complementa.« Vgl. Toletus, II 1, t. 2, 36rb: »Ubi nota, quòd actus Græcè est e)ntele/xeia, explicat Themistius optimè perfectionem. Id enim quod inconsummatum consummat, imperfectum perficit, incompletum complet; id actus hic dicitur; talis est forma respectu materiæ ipsam perficiens; ob id dicitur, quòd per formam iam est hoc aliquid, id est, perficitur & completur.« 212
Coll. Conimbricense, II 1, q. 1, art. 7, 66: »Sicut enim materia ens potentia est, ideoque imperfecta; ita è converso forma rem absolvit, estque e)ntele/xeia quasi e(/cij tou= teleio/thtou, id est, habitus, ac possessio perfectionis, sive actus perfectus.«
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Sein selbst«213 bzw. »der Anfang der Betätigung«214. Die e)ntele/xeia h( deu/tera ist dagegen die forma operans bzw. die operatio fluens à forma. Ihr Vergleich mit dem Betrachten zielt daher auf den Vollzug ab: Wie nämlich das Betrachten der aktuelle Vollzug von Wissen ist, so ist die zweite Entelechie der Vollzug einer Form.215 Diese zweite Entelechie ist nun nicht mit der forma assistens zu verwechseln, denn diese kommt von außen hinzu, wie Zabarella betont.216 Sie verleiht nämlich einem bereits existierenden Ding die ihm zugehörige Tätigkeit (e)ne/rgeia, operatio), zu der es zwar ein natürliches Vermögen besitzt, die es aber aus eigener Kraft nicht vollziehen kann, so daß es der Hilfe eines anderen bedarf (anders also als das Feuer, das sein Züngeln ‘selbst’ vollzieht).217 Zabarella verdeutlicht dies anhand des locus classicus De An. II 1, 413a3-9: Ein Schiff hat seine Gestalt, sein spezifisches Aussehen, wodurch es als ein solches erkennbar ist. Diese Gestalt erhält es durch die Anordnung der Hölzer, wodurch es gleichsam ins Sein kommt und so als ein Dies-da (to/de ti), als dieses konkrete Schiff bestimmbar wird, was mit dem Terminus technicus forma informans bezeichnet wird. Der Schiffer übernimmt dagegen von außen das in seinem Sein fertiggestellte Schiff und übt den actus navigandi aus, das Lenken des Schiffs, das in seiner 213 Toletus, II 1, t. 2, 36va: »Actus duplex est. Alter est, esse ipsum. Alter est operatio. Ille dicitur primus, & est ipsa forma ut scientia. Alter est secundus, & est operatio fluens à forma.« 214 Coll. Conimbricense, II 1, 48: »Verisimilior est ac magis recepta interpretatio Simplicij, Themistii, Philoponi, D. Thomæ, & aliorum aientium dividi actum generatim sumptum in actum primum, qui principium est operandi, & in actum secundum, qui est ipsa operatio; quomodo scientia, quæ est habitus, à quo contemplatio egreditur, dicitur actus primus; ipsa verò contemplatio actus secundus …« 215 Zabarella (vgl. II 1, t. 2, 114B-C) verdeutlicht diese Differenz zwischen den beiden Entelechien anhand des folgenden Beispiels: Der actus primus des Feuers ist seine Form, sein Aussehen, wodurch es das ist, was es zu sein hat. Dies ist die Vollkommenheit hinsichtlich seines Gegenwärtigseins. Der actus secundus dagegen kennzeichnet die Bewegung des Feuers, sein Züngeln als die Form im Vollzug, und erst mit ihm ist die höchste Perfektion erreicht. Denn erst der Vollzug ist die Vollkommenheit der Form, mag er auch der Natur nach später sein als die erste Entelechie. 216 Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 7, 935D-E: »propterea non dicitur actus primus nisi forma materialis, quæ à sua operatione distinguitur; & significat formam dantem esse, quia res materialis duas habet distinctas perfectiones: una est proprium esse specificum, quod habet à forma, ideo forma dicitur prima perfectio corporis naturalis, ad differentiam secundæ perfectionis, quæ est operatio; ut actus primus ignis nihil aliud est, quam forma per quam est ignis, hæc enim est prima perfectio, quæ rei essentiam significat, ascendere autem est secunda ignis perfectio; res enim non habet suam integram perfectionem dum est otiosa; sed quando edit suam naturalem operationem. Ex his igitur patet, formam, quæ non informet materiam, sed solum assistat alicui corpori, non posse dici illius actum, nec primum, nec secundum …« 217 Vgl. a. a. O. c. 2, 916E-917B: »Forma duplex est: una materiam informans, & dans esse specificum, & rem constituens tanquam differentia adiecta generi … Altera est forma, quæ non dat esse, sed ipsi rei iam constitutæ, & habenti esse specificum supervenit tanquam præstantius quoddam, & dat solum operationem ad quam res illa potestatem quidem habet naturalem, sed eam edere propriis viribus suis non potest, ideo eget ope alicuius nobilioris, quod eius naturam, & conditionem excedat; ab eo igitur non recipit esse, sed recipit operationem …« Ebenso Toletus, II 2, q. 2, 41ra. Coll. Conimbricense, II 1, q. 6. art. 2, 95f.
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Geeignetheit, navigiert zu werden, begründet liegt, eine Fähigkeit, die das Schiff aber aus sich selbst heraus nicht vollziehen kann, und dieser actus navigandi wird forma assistens genannt.218 Ist die Geistseele nun forma informans oder forma assistens.219 Anders gefragt: Verleiht sie dem Menschen das Sein und hält ihn darin als seine perfectio, oder ergänzt sie etwas an ihm, verleiht ihm die eigentümliche Tätigkeit – die Erkenntnis – als eine realiter von der Materie abgetrennte Form?220 Handelt es sich also bei der in De An. II 1 gegebenen Definition der Seele um eine univoke Definition, die eben auch für die menschliche Seele gilt, oder ist sie äquivok bzw. analog zu verstehen, so daß die menschliche Seele mit ihrem Vermögen des Geistes von ihr nicht erfaßt wird?221 Wie gesehen, haben Alexander und – mit gewissen Einschränkungen – Simplicius die menschliche Seele als forma informans bestimmt.222 Mit Alexander hat sich Aver218
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 2, 917B-D.
219
Die pflanzlichen und tierischen Seelen werden übereinstimmend als forma informans definiert, so daß sich hier die Frage nach der forma assistens gar nicht stellt. Vgl. nur Toletus, II 2, q. 2, 41ra: »Difficultas autem de tota est de anima rationali, de vegetativa enim & sensitiva omnes fatentur esse actus informantes: de rationali est controversia.« 220
Zabarella, De Mente humana, c. 2, 918B-C: »Quoniam igitur anima rationalis humana est forma quædam existens homini, quærimus nunc, qualisnam forma sit, an informans materiam habentem potentiam ad esse, constituens humanam speciem sub animali genere tamquam differentia dividens ipsum genus, ita ut homo per eam sit homo, & absque illa non sit homo: an potius sit solum assistens, ita ut homo per aliquam aliam formam sit homo, & ipsi iam constituto, & habenti suum esse specificum sub animali genere, hæc tamquam præstantior quædam forma superveniat, quæ non det illi ut sit homo, sed solum ut sit quoddam eminentius homine, nempe det illi solam operationem nobilem & præstantem, qualis est intellectio …« 221 Toletus, II 2, q. 2, 41ra: »Unde qui hanc [sc. animam rationalem] dicunt non informare; dicunt esse definitionem analogam: qui dicunt informare; dicunt illam univocam esse.« Der Sprachgebrauch rührt von Cat. 1, 1a1-12 her, wonach homonym (lat. aequivok) diejenigen Dinge heißen, wenn sie nur einen Namen gemeinsam haben, aber die dem Namen entsprechende Definition des Seins verschieden ist. Synonym (lat. univok) heißen dagegen diejenigen Dinge, wenn sie den Namen gemeinsam haben und die dem Namen entsprechende Definition des Seins dieselbe ist. 222
Während die Zuordnung von Alexander bei den Autoren unumstritten war – vgl. nur Toletus’ Äußerung: »Prima [sc. sententia] est S. Thomæ, Alexandri, Aegidij, & ferè Latinorum, quòd definitio est univoca animæ, quæ rationalis corporis est forma informans.« (II 2, q. 2, 41ra) –, gingen die Ansichten über Simplicius prima facie auseinander. Für Toletus und die Conimbricenser hat er wie Philoponus und Themistius die urplatonische Ansicht von der Seele als forma assistens vertreten: »Alia est sententia Philoponi … & Simplicii … qui animam rationalem non informantem credunt, sed solum utentem corpore, sicut nauta est navi; ita tamen, ut quælibet anima sit in suo corpore. Quæ sententia fuit Platonis, & Greg. Nysseni …« (Toletus, II 2, q. 2, 41ra-b) »Præterea non esse animum formam hominis asseruit Simplicius lib. 1 huius operis textu septimo, & Philoponus … Themistius … Averroes …« (Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 96) In der Tat kann man an der genannten Stelle bei Simplicius lesen: »o( de\ A)ristote/lhj w(/sper pro\j t%= ei)/dei, ou(/tw kai\ pro\j t%= a)meri/st% ma=llon ti/qetai th\n yuxh/n, tou=to me\n w=j ou) meristh/n, tou=to de\ w(j ou) mo/non tw=n meristw=n, a)lla\ kai\ th=j peri\ ta\ sw/mata merizome/nhj ou)si/aj e)cvrhme/nhj th=j logikh=j yuxh=j.« / »Ari-
stoteles vero, ut ex parte formæ, ita & ex parte impartibilis potius animam collocat. Atque ut ea quidem sit non tanquam partibilis, illud vero, ut non a partibilibus tantum, sed etiam a substantia circa
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roes insbesondere in seinem Kommentar zu De An. III 4 auseinandergesetzt, wo er die anima rationalis bzw. den intellectus materialis als forma assistens223 definierte und sich damit der neuplatonischen Position anschloß. Zabarella referierte dessen Position ausführlich in De Mente humana und benannte die entscheidenden Textstellen aus De Anima, die für den vorliegenden Zusammenhang zugrunde gelegt werden.224 1. Aus der zweiten Definition der Seele in De An. II 1, 412b4-6225 ergibt sich für Averroes, daß Aristoteles die Seelendefinition in forma dubitationis eingeführt hat, die Allgemeinheit dieser Definition also noch zweifelhaft sei, da die Vollkommenheit in der Geistseele von anderer Art sei als die der Pflanzen- und Tierseele. Daher liege hier ein äquivoker Sprachgebrauch vor, wie später aus De An. III 4 ersichtlich werde.226 2. Aus De An. II 1, 413a3-9 läßt sich für Averroes nichts Bestimmtes entnehmen. Es sei noch nicht deutlich, ob alle Seelenteile vom Körper wirklich unabtrennbar seien.227 3. Auch in De An. II 2, 413b24-27228 erkennt er einen äquivoken Sprachgebrauch im Bezug auf den Seelenbegriff. Denn es scheint doch eher so zu sein, »daß jener [Geist] eine andere Seelengattung ist, und wenn er Seele genannt wird, dann [nur] gemäß einer _________________________________________________________________________________________________________
corpora compartita abiuncta & separata sit rationalis anima.« (I 1, t. 7 [402b1], 11,33-37 [2va]) Diese Stelle stimmt mit der oben in 2.3.1. gegebenen Interpretation überein, wonach die Seele für Simplicius zugleich forma informans & forma assistens ist. Dies hat auch Zabarella erkannt, der bei Simplicius zwischen zwei Weisen der Informiertheit unterschied, so daß er sowohl der alexandrinischen als auch der neuplatonisch-thomistischen Position zugeordnet werden kann: »… fatentur ergo Platonici [sc. Plotin, Ficino] informationem, non tamen eo modo, quem statuit Alexander, sed eo potius modo quem D. Thomas posuit, ipsi namque ponunt informationem cum separabilitate. Patet autem hoc, considerantibus ea, quæ à Simplicio dicuntur, qui in omnibus Platonicorum sententias defendere nisus est; ipse enim non negat animam rationalem esse formam hominis, & informare materiam, ut apud eum legere in multis locis possumus … sed videtur cum Platonicis dicere esse duo genera formarum materiam informantium: & aliam ita dare esse materiæ, ut nihil aliud sit, quam actus talis rei, proinde inseparabilem esse ab eo, cuius est actio: aliam vero esse formam, cuius essentia non in hoc tantum est constituta, ut sit actus alterius, sed ipsa quoque secundum est aliquid eo respectu absolutum, proinde potest esse sine illo, cuius est forma; talem igitur esse putavit animam rationalem humanam.« (De Mente humana, c. 3, 923A-C) 223
Wie bei Alexander und Simplicius, so findet sich auch bei Averroes weder dieser Begriff noch der der forma informans. Auch bei ihm weisen die Beschreibungen aber auf diese Differenz hin. 224
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 5, 923E-925E.
225
Vgl. Aristoteles, De An. II 1, 412b4-6: »ei) dh/ ti koino\n e)pi\ pa/shj yuxh=j dei= le/gein, ei)/h a)\n e)ntele/xeia h( prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=.« 226 Vgl. Averroes, II 1, t. 7, 51vF-52rA [138,11-20]: »Dixit Si igitur aliquod universale, &c. idest, si igitur possibile est definire animam definitione universali, nulla definitio est magis universalis quam ista, nec magis conveniens substantiæ animæ: & est quod anima est prima perfectio corporis naturalis organici. Et induxit hunc sermonem in forma dubitationis, cum dixit, Si igitur dicendum est, &c. excusando à dubitatione accidente in partibus istius definitionis. perfectio enim in anima rationali, & in alijs virtutibus animæ fere dicitur pura æquivocatione: ut declarabitur post.« 227
Vgl. a. a. O., II 1, t. 11, 55rA [148,22-32].
228
Zum griechischen Text mit deutscher Übersetzung vgl. 2.2.2.2., Anm. 91.
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Äquivokation.«229 Folglich kann nur er allein unter allen Seelenvermögen sich vom Körper abtrennen und vergeht nicht, wenn dieser vergeht. 4. Das entscheidende Argument für die Bestimmung des intellectus als eine forma assistens entnimmt Averroes jedoch aus De An. III 4. Für ihn beginnt Aristoteles dort mit der Untersuchung des intellectus materialis (auch virtus rationabilis genannt), der sich von den anderen Seelenvermögen dadurch unterscheide, daß er eine vom Körper abgetrennte, vollkommen immaterielle Substanz sei.230 Damit gibt Averroes sogleich gegen Alexander zu erkennen, daß dieser intellectus materialis für ihn nur in gewisser Weise ein menschliches Seelenvermögen ist – denn er ist angeboren231 und Teil der Seele232 –, in anderer Weise aber nicht, »weil er weder Körper ist noch ein Vermögen in einem Körper.«233 Diese ontologische Bestimmung ergibt sich aus seinen beiden Attributen: So ist er zwar eine virtus passiva – sofern er die intelligiblen Formen in sich aufnehmen muß –, zugleich aber ist er gemäß 429a15-18 inaffizierbar (non passivus), weil er durch diese Aufnahme in seinem Sein nicht verändert wird, also non transmutabilis ist. Und deshalb ist er gemäß 429a19-21 auch unvermischt (non mixtus) mit einem Körper. Wäre er nämlich Körper oder ein Vermögen in einem Körper und damit mit ihm vermischt, dann hätte er eine bestimmte Form, die verhindern würde, daß er eine andere Form in sich aufnehmen könnte.234 »Aus diesen beiden [Gründen] folgt, daß jene Substanz, die materieller Geist genannt wird, keine von jenen materiellen Formen in sich besitzt. Und weil diese materiellen Formen entweder Körper sind oder Formen in einem Körper, ist klar, daß jene Substanz, die materieller Geist genannt wird, kein Körper ist und keine Form in einem Körper. Sie ist daher vollkommen unvermischt mit der Materie.«235 229
Vgl. Averroes, II 2, t. 21, 59vD [160,24-161,1]: »… & dicit [sc. Aristoteles], sed tamen videtur esse [sc. intellectus] aliud genus animæ, &c. idest, sed tamen melius est dicere, & magis videtur esse verum post perscrutationem, ut istud sit aliud genus animæ. &, si dicatur anima, erit secundum æquivocationem.« 230
Vgl. a. a. O., III [4], t. 1, 136rC-vD [379,23-380,41]; t. 4, 138rA-B [385,58-386,90].
231
Vgl. a. a. O., t. 5, 148F [405,524 f.]: »… quia intellectus materialis, qui innatus est …«
232
Vgl. a. a. O., t. 1, 136rC [379,20]: »… ipsam [sc. virtutem] esse diversam ab aliis virtutibus animæ …« A. a. O., t. 3, 137rB [382,13-15]: »… necesse est quod ista pars animæ per quam fit formare est virtus non transmutabilis a forma quam comprehendit …« 233 A. a. O., t. 3, 137rA-B [382,6-11]: »Cùm narravit quòd primo necesse est perscrutari de hac actione, quæ est formare per intellectum, utrum est passiva, aut activa, incœpit ponere illud, quod vult declarare, scilicet ipsum esse de virtute passiva quoquo modo, & quod est non transmutabile, quia non est corpus, neque virtus in corpore.« 234 Vgl. a. a. O., t. 4, 137vE [383,17-384,21]: »idest necesse est ut sit non mixtus, ut comprehendat omnia, & recipiat ea. Si enim fuerit mixtus, tunc erit aut corpus, aut virtus in corpore. &, si fuerit alterum istorum, habebit formam propriam, quæ forma impediet eum recipere aliquam formam alienam.« 235 A. a. O., 138rA-B [385,74-386,80]: »Et ex his duabus sequitur quòd ista substantia, quæ dicitur intellectus materialis, nullam habeat in sui natura de formis materialibus istis. Et, quia formæ materiales sunt aut corpus, aut formæ in corpore, manifestum est quòd ista substantia, quæ dicitur intellectus materialis, non est corpus, neque forma in corpore: est igitur non mixtum cum materia omnino.«
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Dieser intellectus materialis ist also nicht nur immateriell, sondern in gewisser Weise auch formlos, weil er weder eine materielle Form in sich enthält noch irgendeine Form der materiellen Formen ist. Daher, wie Averroes sibyllinisch erklärt, ist er »ein anderes Seiendes, das von der Form und Materie [abgetrennt ist] und sich zugleich aus ihnen zusammensetzt.«236 Deshalb habe der intellectus materialis keine andere Natur als die possibilitas, die von allen materiellen und intelligiblen Formen frei sei. Er ist damit »der Möglichkeit nach alle Weisen der materiell-allgemeinen Formen, und in Wirklichkeit ist er nichts von dem Seienden, bevor er es erkennt.«237 In einer umfassenden Auseinandersetzung mit Alexander, dessen Bestimmung des intellectus materialis als virtus generata238 Averroes als nichtig verwirft239, betont er nachfolgend unter Berufung auf Theophrast und Themistius240, daß Aristoteles in De An. III 4 den intellectus materialis als ungeworden, abgetrennt, ohne körperliches Organ, einfach, inaffizierbar und damit unveränderlich, ewig und unvergänglich bestimmt habe.241 Der intellectus materialis sei daher eine überindividuelle242, transzendete Kraft, 236
A. a. O., 138rC [386,89f.]: »Est [sc. intellectus materialis] igitur aliud ens a forma et materia et concreato ex eis.« 237 A. a. O., t. 5, 139rA [387,23-26]: »… idest definitio igitur intellectus materialis est illud, quod est in potentia omnes intentiones formarum materialium universalium, & non est in actu aliquod entium, antequam intelligat ipsum.« 238
Vgl. a. a. O., 142vD [393,196-394, 201]: »Alexander … dicit quod magis convenit Naturalibus, scilicet sermonem concludentem quod intellectus materialis est virtus generata, ita quod existimamus de eo quod opinatur et in aliis virtutibus animæ, esse præparationes factas in corpore per se a mixtione et complexione.« 239
Vgl. a. a. O., 143vD [395,246]: »Sed hoc quod dixit Alexander nihil est.«
240
Vgl. a. a. O., 139vE [389,57-59]: »Et hoc idem induxit Theofrastum et Themistium et plures expositiores ad opinandum quod intellectus materialis est substantia neque generabilis neque corruptibilis.« 241
Vgl. a. a. O., 143rB [395,228-234]: »Et ista opinio [sc. Alexandri] in substantia intellectus materialis maxime distat à verbis Aristotelis et eius demonstratione. A verbis autem, ubi dicit quod intellectus materialis est separabilis [429b5], & quod non habet instrumentum corporale [429a26], & quod est simplex [429b23], & non patiens [429a15, b23], idest non transmutabilis, & ubi laudat Anaxagoram in hoc, quod dixit quod est non mixtum cum corpore [429a18-20« A. a. O., 149vE [406,564574]: »Et ideo opinatus est Themistius quod nos sumus intellectus agens, & quod intellectus speculativus nihil est aliud nisi continuatio intellectus agentis cum materiali tantum. Et non est, sicut existimavit, sed opinandum est quod in anima sunt tres partes intellectus. Quarum una est intellectus recipiens [=intellectus materialis]. Secunda autem est efficiens [=intellectus agens]. Tertia autem factum [=intellectus speculativus]. Et duæ istarum trium sunt æternæ, scilicet agens & recipiens: tertia autem est generabilis & corruptibilis uno modo, æterna autem alio modo.« Im Vergleich zum mittleren Kommentar (der freilich in der Renaissance nicht rezipiert worden ist) stellt dies, so Alfred L. Ivry, eine beträchtliche Veränderung der ursprünglichen Ansicht dar, wonach der intellectus materialis eine Disposition der menschlichen Seele sei: »The material intellect in the Long Commentary is now to be seen as its own substrate, as it were, no longer requiring another faculty as its base, neither in the body nor in the heavens. It is now its own eternal substance, comparable in its immaterial substantiality to the Agent Intellect, like it a universal substance, one for all mankind.« (Averroes’ Three Commentaries on De Anima, in: Averroes and the Aristotelian Tradition. Sources, Constitution and
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die zwar in der menschlichen Seele, aber (in gewisser Weise) kein Vermögen von ihr sei.243 Dies wird abschließend auch aus der Interpretation des Textabschnitts 429a24-29 deutlich, wonach allein die anima rationalis ‘Ort der Formen’ (to/poj ei)dw=n, 429a27f.) sei. Denn nur sie nehme die Formen geistig auf, während die anderen Vermögen der Seele ‘Formen in Materie’ seien.244 In der geläufigen Begrifflichkeit heißt dies: Die anima rationalis bzw. der intellectus materialis ist für Averroes nicht forma informans materiam, sondern forma assistens.245
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Reception of the Philosophy of Ibn Rushd (1126-1198). Edited by Gerhard Endress and Jan A. Aertsen. Leiden u. a. 1999, 199-216, hier: 209 f.) 242
Vgl. hierzu 3.3.1.2.
243
Hier wird die Differenz zum Neuplatonismus eines Simplicius deutlich, für den der paqhtiko\j
lo/goj ein Vermögen der menschlichen Seele ist (vgl. 2.3.1.). 244 Vgl. Averroes, III 4, t. 6, 154vD [417,97-100]: »Idest, sed ista consimilitudo non debet accipi in intelligendo omnes partes animæ, sed tantum in anima rationali. aliæ enim partes animæ sunt formæ in materijs, rationalis autem non.« 245
Ein neuerer Vertreter dieser Ansicht scheint Hubertus Busche zu sein, für den der nou=j unter Berufung auf De An. II 1, 413a6-9 ebenfalls »keine ‘Vollendung (entelecheia) des Körpers’ mehr ist« (im Sinne der forma informans), sondern »eine unabhängige Ganzheit« (Seele, 93f.) (im Sinne einer forma assistens): Wie nämlich der Schiffer das Schiff verläßt, wenn es an den Klippen zerschellt, so der Nous den Körper, wenn dieser stirbt. Anders als Averroes ist für Busche dieser Nous aber keine immaterielle, sondern eine materielle Substanz. Denn gegen die Scholastiker, welche die »unausrottbare Legende von der Immaterialität des Verstandes erfunden (haben) (was nachweislich schlecht begründet ist)« (A. a. O., 68), vertritt Busche die absurde These, daß »der nous, als Substrat der höchsten Seele, auch die höchste Natur haben muß und folglich aus Äther als dem ‘göttlichen’ Element der Gestirne besteht« (A. a. O., 73). Er sieht ihn mit dem prw=ton sw=ma aus De Cæl. I 3, 270b21 ‘vergemeinschaftet’, denn alle Attribute, die Aristoteles dem Nous beilege, kämen auch dem Äther zu. Genauer sei dieser Nous »ein physischer Punkt aus ewiger Materie« (a. a. O., 76). In bezug auf De Anima bedeutet dies für Busche: Der Nous gehört gemäß II 2, 413b24-26 einer anderen Gattung (sic!) an als die Seele. Gemäß III 4, 429a10f. ist er nämlich ein (materielles) Teilchen (mo/rion), mit dem die Seele erkennt, und gemäß III 4, 429a24f. ist er unvermischt mit bzw. abgetrennt (vgl. 429b5) vom Körper (vgl. a. a. O., 68-70). Sofern nun der Nous als einziges Substrat der Seele bei der Zeugung nicht mit dem Sperma übertragen wird, ist für Busche klar, daß er gemäß De Gen. an. II 3, 736b27f. ‘von außen’ hinzukommt. Daß diese Interpretation falsch ist, wird sich nachfolgend aus dem von den Scholastikern zu diesen Textstellen Gesagten ergeben. Wie unhaltbar diese These ist, wird bereits daraus ersichtlich, daß Busche die Differenz zwischen dem intellectus possibilis und intellectus agens nicht sinnvoll erklären kann. Sie »scheinen … tatsächlich zwei real getrennte Teile zu sein«, dergestalt nämlich, daß »es nur der tätige Verstand (ist), d. h. der ätherische Punkt, welcher ‘eines und zusammenhängend’ (ei(=j kai\ sunexh/j) und dabei zugleich ‘ungeteilt’ bzw. ‘unteilbar’ (a)merh/j) ist (An. I 3, 407a6-10). Dagegen dürfte der leidende Verstand identisch sein mit der Peripherie des punktuellen Gemeinsinns, also dem Vermögen [sic!] der Vorstellungen. Entsprechend ist ‘leidender Verstand’ der Name für das Vorstellungsvermögen, sofern es dem arbeitenden Punkt des tätigen Verstandes Phantasmen zur gedanklichen Durchleuchtung präsentiert.« (A. a. O., 77) Der intellectus possibilis ist damit gerade kein Äther, obwohl auch er Nous ist. Gleichwohl verwendet Busche fortwährend die Attribute aus De An. III 4 und 5 zur Bezeichnung des einen Nous als Äther.
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Toletus, Zabarella und die Conimbricenser lehnten diese Ansicht von Averroes unter Berufung auf Alexander, Thomas und ‘beinahe alle Lateiner’246 sowie auf das Konzil von Vienne von 1312 und das 5. Laterankonzil von 1513247 ab. So nannte Toletus diese Ansicht mit deutlichen Worten eine »Torheit«248 und einen »Wahn, der besser von ihm [sc. Averroes] nicht veröffentlicht worden wäre«249; vielmehr sei »die Geistseele gemäß ihrer Substanz die seingebende Form«250. Auch Zabarella betonte, »daß diese Ansicht des Averroes gemäß der Wahrheit selbst der Sache wie auch gemäß der Philosophie des Aristoteles vollkommen falsch ist und daß dagegen die Ansicht jener wahr ist, die sagen, daß die menschliche Geistseele wirklich die Form des Menschen ist, durch die der Mensch Mensch ist und in seiner Art bestimmt wird.«251
Schließlich hielten es auch die Conimbricenser für gewiß, »daß die Geistseele die wahre und eigentliche Form des Menschen ist und als eine solche seinem Körper das Sein gibt.«252 Um diese Ansicht als die dem sensus Aristotelis allein angemessene zu erweisen, widerlegten die Renaissance-Aristoteliker ausführlich die von Averroes angeführten Textstellen. Daß es hierbei zwischen ihnen auch charakteristische Unterschiede gab, hing wiederum mit der alles bestimmenden Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele zusammen. Die Auseinandersetzung mit Averroes ist also zugleich eine Auseinandersetzung zwischen den Alexandristen und Thomisten um die wahre ratio philosophandi Aristotelica. Dies wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels deutlicher werden. Zu 1. Für Zabarella weist bereits der Superlativ koino/tatoj lo/goj in De An. II 1, 412a5f. darauf hin, daß Aristoteles keine Seelenart und kein Seelenvermögen von der in 412a27f. bzw. 412b4-6 gegebenen Definition habe ausschließen wollen, wie dies auch andere Äußerungen in diesem Zusammenhang (z. B. 412b4 und b10) belegten. 246 Vgl. Toletus, II 2, q. 2, 41ra: »Prima [sc. sententia] est S. Thomæ, Alexandri, Aegidij, & ferè Latinorum, quòd definitio est univoca animæ, quæ rationalis corporis est forma informans.« 247 Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 97: »Ne Physicis tantùm rationibus certemus; esse animam hominis veram, ac propriam eius formam docet Orthodoxa fides omni certior Philosophia.« Im Anschluß werden die bereits genannten Konzilsentscheidungen (vgl. 1.1.) zitiert. 248
Toletus, II 1, q. 2, 41vb: »Probatur ergo Averrois stultitia.«
249
A. a. O., 43va: »Ex quibus omnibus liquet profectò illud Averrois monstrum esse alienum à tota Aristotelica doctrina, ipsiusque proprium somnium esse, atque delirium, quod melius foret ipsi non propalasse.» 250 A. a. O., 46va: »Ex hac natura sequitur …, quòd anima rationalis sit secundum suam substantiam forma informans …« 251
Zabarella, De Mente humana, c. 6, 925F-926A: »Hanc Averrois sententiam ego & absolute secundum ipsam rei veritatem, & secundum philosophiam Aristotelis falsam esse existimo, veram autem alteram illorum qui dicunt animam rationalem humanam vere formam hominis esse, qua homo est homo, & in specie constituitur …« 252 Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 96: »Negari non potest, animam intellectivam esse veram, ac propriam hominis formam, eiusque corpus ut talem informare.«
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Gegen Averroes müsse daher betont werden, daß Aristoteles in 412b4-6 gerade nicht in forma dubitationis spreche, als ob die menschliche Seele von dieser allgemeinen Definition ausgenommen werden müßte. Vielmehr sei das Nachfolgende in De An. II 2 eine Spezifizierung dieser Definition der Seele hinsichtlich ihrer verschiedenen Vermögen (=Seelen), nicht ihre substantielle Neufassung, wie aus 413a22-25 ersichtlich sei, wo Aristoteles die allgemein bestimmte Seele in ihre vier Vermögen (nou=j, ai)/sqhsij, ki/nhsij & trofh/) unterteile. Wie nämlich die Nährseele das sei, wodurch die Pflanze lebe, sich selbst ernähre und sich fortpflanze etc., und die Wahrnehmungsseele dasjenige, wodurch das Tier lebe, d. h. neben den genannten Vermögen noch die Fähigkeit der örtlichen Bewegung und der Sinneswahrnehmung besitze, so sei die Geistseele dasjenige, wodurch der Mensch lebe, dem neben den genannten Vermögen noch das Denken zukomme. »Demnach ist deutlich«, so Zabarella, »daß Aristoteles zu Beginn des zweiten Buches von De Anima die Seele im umfassenden Sinn definiert haben wollte, so daß in ihrer Definition und ganzen Wesensbestimmung die Geistseele mit enthalten ist«253, wie auch Toletus und die Conimbricenser betont haben254. Zu 2. In De An. II 1, 413a6-9 erweist Aristoteles für Zabarella dreierlei: I. Es ist deutlich, daß die ganze Seele oder einige ihrer Teile (=Vermögen) vom Körper hinsichtlich des Seins nicht abtrennbar sind, weil sie die Entelechie eines natürlichen Körpers sind. II. Es hindert nichts, daß einige Teile abtrennbar sind, weil sie keine Vollendung des Körpers sind. III. Unklar ist, ob die Seele auf solche Weise actus corporis ist wie der Schiffer auf dem Schiff.255 Zu I. Daß die Seele hinsichtlich des Seins nicht vom Körper abtrennbar sei, belege ihre Definition als actus corporis in De An. II 1, 412a27f. Dies gelt auch für diejenigen Teile der Seele, die ohne ein körperliches Organ ihre Tätigkeiten nicht ausführen könnten. So würde das Sehvermögen ohne Augen nicht sehen können. Zu II. Es gibt ein Vermögen der Seele, das anorganisch ist, und dies ist der Nous. Hieraus folge aber nicht, wie Averroes behauptet habe, daß er hinsichtlich des Seins vom Körper abtrennbar sei, denn er sei als ein Vermögen der Seele wie diese selbst forma informans. Zweifelhaft sei allein, ob er hinsichtlich seines Unorganischseins vom Körper abtrennbar sei, wie Zabarella unter Berufung auf Alexander betont. Dieser Zweifel werde aber erst in De An. III 4 und 5 aufgelöst.256 Zu III. Aus De An. II 1, 253 Zabarella, De Mente humana, c. 7, 932F: »Manifestum igitur est, Aristotelem in initio secundi libri de Anima ita ample acceptam animam definivisse, ut animam rationalem ea definitione, totaque illa naturæ animæ declaratione complexus sit …« 254
Vgl. Toletus, II 1, t. 11, q. 2, 43ra. Coll. Conimbricense, II 1, q. 6, art. 2, 97.
255
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 943B-D.
256
Vgl. a. a. O., 945C-D: »… ideo optima est illorum verborum interpretatio, quam Alexander Aphrodisiensis adduxit, dicens Aristotelem ibi de intellectus separabilitate non asseveranter, sed sub dubio loqui. Nullum igitur argumentum ex eo loco sumere Averroistæ possunt: quia quando Aristoteles negat intellectum esse alicuius corporis actum, non negat ut informantem, sed solum ut organicum, idque asseveranter profert, separabilitatem vero sub dubio …« Ders., II 1, t. 11, 171E: »Habemus ergo in hac parte [sc. 413a3-7] hoc tanquam corollarium ab Aristotele deductum ex definitione animæ, quod multæ partes animæ (si non anima tota) sunt inseparabiles; nam de aliqua parte, nempe de intellectu, dubium est, & dubium ad id tantum pertinet, an intellectus sub definitione animæ com-
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413a8f. kann nur entnommen werden, daß bis jetzt unklar sei, ob die Seele aller Lebewesen (und nicht etwa nur die anima rationalis mit ihrem Vermögen des intellectus) auf solche Weise actus corporis sei wie der Schiffer auf dem Schiff. Zabarella versteht diesen Vergleich gegen Averroes und mit Alexander257 und Toletus258 nicht etwa ontologisch, sondern in Hinsicht auf die Eigenschaft des Lenkens. Zu fragen sei allein, ob sie den Körper so lenke wie der Schiffer das Schiff.259 Zu 3. Für Portio muß gegen den ersten Anschein, wonach der Geist in De An. II 2, 413b24-27 von der allgemeinen Definition der Seele ausgeschlossen wird und damit als abtrennbar vom Körper erscheint, daran festgehalten werden, daß er eine facultas animæ ist, und dies aus dem einfachen Grund, weil er gemäß III 8, 432a3-10 ohne die species sensibiles nichts erkennen kann. Daher ist er genausowenig von den sinnlichen Vermögen der Seele abtrennbar, wie diese von den vegetativen Vermögen der Seele abtrennbar sind. Portio führt nachfolgend diese Textstelle unter Berufung auf Alexander und gegen Philoponus und Simplicius260, die ihren Sinn vollkommen verdreht hätten, auf ihren richtigen Kern zurück: Danach können allein die vegetativen Vermögen einer Pflanze von ihr selbst räumlich abgetrennt werden, gerade weil sie diese in ihrem Sein konstituieren. »Aber über den theoretischen Geist, auf welche Weise er von den übrigen Teilen der Seele abgetrennt wird, ist noch nichts erklärt worden. Wir können nämlich nicht sagen, daß er räumlich und in bezug auf das Zugrundeliegende abgetrennt wird, weil er weder einem Zugrundeliegenden das Sein verleiht noch ein Teil des Körpers ist.«261
Auch Zabarella hat in seinem Kommentar zu De An. II 2, 413b24-29 betont, daß Aristoteles hier dubitativ und nicht assertorisch spreche, wie die Worte ‘noch nicht deut_________________________________________________________________________________________________________
prehendatur; cum ex ea non possit colligi nisi inseparabilitas, non ad definitionem ipsam labefactandam: in tertio autem libro omnis dubitatio tolletur.« 257
Vgl. 2.2.1., Anm. 47.
258
Vgl. Toletus, II 1, t. 11, 39rb sowie a. a. O., q. 2, 42ra.
259
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 946A-D: »multi [sc. Averroistæ] igitur putant Aristotelem comparare animam cum nauta, quatenus nauta non dat esse navi, in hoc tamen decipiuntur; quia in eo non consistit Aristotelis comparatio, neque in eo anima est similis nautæ, sed in eo tantum, quod regit corpus, sicuti nauta regit navim, & hoc animæ regimen non est contrarium informationi, sed simul est cum informatione … ideoque immanifestum esse; an anima præterquam quod est actus informans, sit etiam actus gubernans, sicuti nauta dicitur actus navis; huius veritatis argumentum clarissimum est, quod Aristoteles non de sola anima rationali hoc dicit, sed de anima universe …« Vgl. hierzu auch seinen Kommentar zu II 1, t. 11, 175C. 260
Vgl. Simplicius, 102,28f. [28va]: »… kai\ to\ e)/oiken ou)k a)mfibo/lwj ei)/rhken, w(j t%= Al ) eca/ndr% dokei= (ou)de\ ga\r pollh\ h( toiau/th tou= e)/oike para\ toi=j palaioi=j xrh=sij), a)ll ) a)nti\ tou= pre/pei kai\ fai/netai.« / »Verbum autem, videtur, non est dubitative dictum, quemadmodum visum est Alexandro. Neque enim verbi, videtur, talis usus apus priscos frequens fuit, sed pro convenit, atque adeo apparet.« 261
Portio, c. 17, 76: »Sed de intellectu speculativo, quomodo à cæteris animæ partibus secernatur, nondum explicatum est: non enim dicere possumus ipsum loco, & subiecto separari, quoniam nullum subiectum informat, nec est aliqua corporis particula.«
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lich’ (ou)de/n pw fanero/n, b25) und ‘es scheint’ (e)/oike, ebd.) anzeigen. Demnach müsse man secundum veritatem sagen, daß bis jetzt vom Nous nichts Gewisses ausgesagt werden könne, da dieser ja erst in De An. III 4 und 5 thematisiert werde. Allein secundum apparentiam könne man sagen, daß der Nous vom Körper wirklich abtrennbar und damit unsterblich sei.262 Merkwürdig ist nun, daß Toletus und die Conimbricenser der Erklärung dieser Textstelle von Portio und Zabarella nicht gefolgt sind, obgleich auch sie gegen Averroes die anima rationalis als forma informans bestimmt haben. Sie verstanden den Zweifel in 413b24-27 vielmehr so, daß bis jetzt noch unklar sei, ob der Nous ein organisches oder ein vom Organ abgetrenntes Vermögen sei: Ist letzteres der Fall, woran die Jesuiten nicht zweifelten, dann ist er nicht nur hinsichtlich des Begriffs, sondern auch hinsichtlich des Seins vom Körper abtrennbar. Die mit einem solchen Vermögen ausgestattete Seele könne sich dann post mortem vom Körper und allen ihren übrigen Vermögen abtrennen und bliebe zusammen mit dem intellectus allein ewig und unvergänglich. Denn Aristoteles spreche in 413b26f. nicht zweifelnd von der Unsterblichkeit, sondern zustimmend, wie Simplicius und Philoponus richtig erkannt hätten. Das e)/oike bedeute daher: manifestum est.263 Diese Weise der Jesuiten, zweifelhafte Äußerungen über den Nous mit einer Eindeutigkeit zu versehen, die der Text nicht bietet, wird noch wiederholt zu beobachten sein. Damit wird offensichtlich die These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele vorbereitet, auf deren Beweis für die Jesuiten alles zuläuft (vgl. 3.3.6.). Zu 4. Hinsichtlich der Interpretation von De An. III 4, 429a18-21 sowie a24-27 stimmten Zabarella und Toletus darin überein, daß ‘unvermischt sein’ hier entweder secundum esse oder secundum operationem bedeuten könne. Letztere Bestimmung könne sich wiederum entweder auf das aufzunehmende Objekt oder auf den Körper beziehen, der für die Aufnahme benötigt werde. Für beide Philosophen ist jedoch klar, daß die erste Weise (secundum esse) hier von Aristoteles überhaupt nicht thematisiert wird, denn die ganze Seele sei actus primus corporis als forma informans, und insofern sei der Geist hinsichtlich des Seins mit dem Körper vermischt.264 Daher werde er in 429a18-21 allein in Hinsicht auf die intelligiblen Objekte unvermischt genannt, weil er keins von ihnen in sich enthalte. Wäre dies nämlich der Fall, so könnte er nicht alle in 262
Vgl. Zabarella, II 2, t. 21, 324C-D. Ders., De Mente humana, c. 9, 947B-F.
263
Toletus, II 2, t. 21, 50va: »Et hinc colligitur animæ immortalitas, contra Alexandrum, qui locum hunc dicit legendum dubitative propter illud verbum. At Simplicius & Philoponus & alij docent, & bene, tale verbum assertive intelligendum, ac si diceret: Manifestum est.« Ebenso Coll. Conimbricense, II 2, 122. 264
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 948F-949A: »quare necesse est intellectum hac ratione esse cum corpore commistum, non quidem vera mistione, quæ non est nisi corporis cum corpore, sed illa, quæ competere potest incorporeo cum corporeo, nam forma corpus aliquod constituens insinuat se in omnes partes materiæ, in qua inest, & ita dicitur comisceri cum materia; sic igitur intellectus secundum suum esse non est immistus, sed potius commistus cum corpore, prout nomine commistionis nil aliud denotamus, quam veram materiæ informationem, & constitutionem speciei.«
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sich aufnehmen. Dieser Sachverhalt wird für Zabarella und Toletus auch durch den Vergleich des Geistes mit der Sinneswahrnehmung verdeutlicht: Beide kommen darin überein, daß sie affizierbar (pa/sxein, 429a14) sind, sofern sie an ihre Gegenstände, den species sensibiles bzw. intelligibiles, verwiesen bleiben, um ihre Tätigkeit ausführen zu können – es gibt kein Sehen ohne Wahrzunehmendes und kein Denken ohne zu Denkendes –, und zugleich inaffizierbar (a)paqh/j, a15), sofern sie nichts von diesen Gegenständen in sich enthalten265, unterscheiden sich aber darin, daß die Wahrnehmung hinsichtlich der Objekte nicht schlechthin unvermischt (a)migh/j, 429a18) ist. Denn jede Sinneswahrnehmung richte sich nicht ganz auf das Seiende, sondern nur auf eine bestimmte Eigenschaft von ihm. So richte sich das Auge nur auf die Farben, von denen es keine in sich enthalte. Daher sei es allein in dieser Hinsicht unvermischt mit seinem Objekt. Der Geist muß dagegen »weil er alles denken kann [vgl. 429a18], vollkommen und in Hinsicht auf alle Dinge inaffiziert sein und darf mit keinem anderen Ding etwas gemeinsam haben. Er ist daher vollkommen und gänzlich unvermischt mit den Naturen der anderen Dinge, so daß er sie alle erkennen kann.«266 Die zweite fundamentale Differenz zwischen der Sinneswahrnehmung und dem Geist bestehe gemäß 429a24-27 darin, daß jene secundum operationem an ein körperliches Organ verwiesen bleibe, während dieser unvermischt sei mit dem Körper, da er keines Organs bedürfe. »Wenn der Geist erkennt, indem er die Gegenstände aufnimmt, dann ist es notwendig, daß er bei dieser Aufnahme nicht den Körper gebraucht, in dem er ist, [sondern] daß er selbst es ist, der etwas aufnimmt, weder der Körper noch ein Teil von ihm.«267 Weder aus De An. III 4, 429a18-21 noch aus a24-27 könne also Averroes, so das Resümee von Toletus und Zabarella, ein Argument für seine Ansicht gewinnen, daß der Nous secundum esse unvermischt sei mit dem Körper, denn an beiden Textstellen werde er allein secundum operationem in den Blick genommen. 265 Vgl. a. a. O., c. 13, 971D-F: »… ante omnia hoc fundamentum statuit [sc. Aristoteles], intellectum similem in hoc esse sensui, quod patiendo intelligit, sicut etiam sensus patiendo sentit: quum enim in nobis ipsis experiamur, nos quandoque esse actu intelligentes, quandoque non actu, sed potestate solum, nulla autem res possit seipsam ducere de potestate ad actum, necesse est intellectum ab alio pati; non potest autem pati, nisi ab ipsismet obiectis intelligendis, id enim quod est potestate tale, fit actu tale ab illo, quod iam sit actu tale; sic enim etiam sensus ab obiectis sensibilibus patitur, ut iam docuerat Aristoteles in 2. lib. Quoniam igitur patiendo, & recipiendo obiecta intellectus intelligit, hinc infert Aristoteles ipsum esse inaffectum, id est, non habere in sua essentia ipsam obiectorum naturam sed potestate solum, quia si actu haberet in seipso naturam sui obiecti, non posset illud recipere, & in hoc quoque similem esse dicit intellectum sensui: quod sicut sensus non habet actu in seipso obiecta sensibilia, sed potestatem ea recipiendi; ita neque intellectus habet actu obiecta intelligibilia, sed solum recipiendi potestatem …« Ebenso Toletus, III 4, t. 2, 129vb-130ra. 266 Zabarella, De Mente humana, c. 13, 972C-D: »… at intellectus, quia res omnes cognoscere aptus est, debuit omnino & absolute, & respectu omnium esse inaffectus, & cum nulla alia re quicquam habere commune; est igitur absolute, & penitus immistus cum aliarum rerum naturis, ut eas omnes intelligere possit …« Ebenso Toletus, III 4, t. 4, 130ra. 267
Zabarella, De Mente humana, c. 13, 973C: »… quum enim intelligat [sc. intellectus] recipiendo obiecta, necesse est, ut in hac receptione non utatur corpore, in quo est, ut ipse sit recipiens, non corpus neque ulla corporis pars …« Ebenso Toletus, III 4, t. 4, 130rb.
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Über die von Averroes genannten Textstellen aus De Anima hinaus setzte sich Zabarella nachfolgend noch mit einer anderen Stelle auseinander, die von einigen, nicht näher bestimmten Averroisten als ein weiterer Beleg für die Bestimmung der Seele als forma assistens genannt worden ist und die auf ähnliche Weise wie die dem intellectus agens beigelegten Attribute in De An. III 5 zu den unterschiedlichsten Interpretationen Anlaß gegeben hat. Es handelt sich hierbei um den Passus De Gen. an. II 3, 736b2729, auf den bereits mehrfach Bezug genommen worden ist, der aber erst jetzt seiner vollen Klärung zugeführt werden kann. Er lautet: »Es bleibt also übrig, daß allein der Geist von außen hineinkommt, und er allein ist göttlich, denn keine körperliche Tätigkeit hat Anteil an seiner [geistigen] Tätigkeit.«268 Zum Verständnis dieser schwierigen Textstelle, und darauf legte Zabarella besonderen Wert, muß der ganze Kontext beachtet werden, in dem dieser Satz steht. Es ist bereits weiter oben im Zusammenhang mit der Frage nach der Einheit der Seele gezeigt worden, wie Toletus und Zabarella den Passus 736a35-b3 auf unterschiedliche Weise verstanden haben (vgl. 3.2.1): Während der Jesuit dort von einem ‘Seelenwechsel’ sprach, da in der Embryogenese durch die neu hinzukommende Seele die jeweils vorangehende zerstört werde, entnahm der Paduaner aus diesem Passus sein stärkstes Argument für die These von der Vielheit der Seelen in einem Lebewesen. Unerörtert blieb dort noch die von Aristoteles gestellte Frage, wann, wie und woher der Mensch den nou=j erwerbe (b5f.). Genau auf diese Aporie gibt der Passus 736b27-29 seine bei den Interpreten äußerst umstrittene Antwort. Für die Conimbricenser ist diese Textstelle ein deutlicher Beleg, daß für Aristoteles »die menschliche Seele nicht aus dem Schoß der Materie herausgeführt wird, sondern von Gott erschaffen wird und unsterblich ist.«269 Das lei/petai dh\\ sei folglich nicht als ein Unbestimmtlassen des Sachverhalts (restat autem) zu verstehen, sondern als Schlußfolgerung aus dem zuvor Gesagten (restat igitur), welche die Differenz zu den übrigen Seelenarten benenne. Die Beschreibung der Psychogenese in De Gen. an. II 3 galt für die Conimbricenser also nur für die Pflanzen und Tiere, während die Rede vom nou=j qu/raqen den Kreatianismus der anima rationalis anzeigt, die ihr theologisches Pendant in Gen 2,7 findet, wonach Gott Adam das spiraculum vitæ (pnoh\ zwh=j) von außen eingehaucht hat.270 Am äußersten Punkt der Spekulation über die causa efficiens 268
Aristoteles, De Gen. an. II 3, 736b27-29: »lei/petai dh\ to\n nou=n mo/non qu/raqen e)peisie/nai kai\ qei=on ei)=nai mo/non: ou)qe\n ga\r au)tou= tv= e)nergei/# koinwnei= h( swmatikh\ e)ne/rgeia.« 269
Vgl. Coll. Conimbricense, Tractatus de anima separata, in: Commentarius de anima, 499-596, hier: Disputatio prima. De immortalitate, & natura Animæ rationalis. Art. 2. Quid Aristoteles in re proposita iudicarit, 503: »Quibus verbis significat Aristoteles animum humanum non educi è gremio materiæ, sed divinitus creari, atque adeo immortalem esse … Nec audiendi sunt, qui susceptæ opinionis retinendæ studio, hunc locum alio detorquent, & de intellectu agente, id est, de Deo intelligendum arbitrantur; cum Aristoteles non de Deo, sed de anima: nec de Divino, sed de humano intellectu eo loco palam disserat.« 270
Vgl. Gen 2,7: »… kai\ e)/plasen o( qeo\j to\n a)/nqrwpon xou=n a)po th=j gh=j kai\ e)nefushsen ei)j to\ por/swpon au)tou= pnoh\n zwh=j, kai\ e)ge/neto o( a)/nqrwpoj ei)j yuxh\n zw=san.« / »formavit
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der menschlichen Seele stimmten für die Conimbricenser Philosophie und Theologie also dahingehend überein, daß Gott selbst in einer nova creatio deren Sein unmittelbar begründet! Kann eine größere Affinität zwischen beiden Disziplinen beschrieben werden? Portio hielt diese Gleichsetzung von nou=j qu/raqen und pneu=ma für dummes Geschwätz, wie aus folgender Äußerung deutlich wird: »Aus dem, was bestimmt worden ist, wirst du sehr leicht die Irrwege der Lateiner und vieler Griechen bei der Behandlung dieser Textstelle vermeiden können, die glaubten, daß der Satz ‘der Geist [mens] kommt von außen hinzu’ [sc. De Gen. an. II 3] bedeute, daß unser Geist [intellectus] von Gott erschaffen wird, oder, wie andere interpretieren, mit uns vereint wird, nachdem wir vollendet worden sind. Aber dieses ist gewiß dummes Zeug …«271
Portio lehnte damit den Kreatianismus explizit ab, wie er von Thomas und den Jesuiten vertreten worden ist, denn für ihn ist der intellectus ein Seelenvermögen, das genau wie die übrigen Vermögen von Natur aus beim Fortpflanzungsprozeß entsteht, so daß er als Teil dieser gewordenen Seele secundum esse nichts anderes ist als forma informans: »Das Geistvermögen wird zusammen mit dem Menschen erzeugt.«272 Von welchem nou=j hat Aristoteles aber dann in De Gen. an. II 3 gesprochen? Gewiß nicht vom unvergänglichen göttlichen Geist, der allein die Intelligibilität der Welt ermögliche und sicherstelle, wie Alexander behauptet habe (vgl. 2.2.1.), sondern vom intellectus in actu273 als ein Vermögen der menschlichen Seele, den Portio unter Berufung auf Gaza auch mens nannte.274 Denn da er eine absoluta, simplex & nuda potentia sei, der, bevor er erkenne, überhaupt nicht tätig sei, kämen seine beiden Tätigkeiten (das Haben von Wissen und das aktuelle Erkennen) von außen hinzu: »jede Tätigkeit von ihm geschieht von außen her, nämlich vom Intelligiblen und vom Geist her, der tätig genannt wird.«275 Es sei also recht bedacht allein die Tätigkeit als actus secundus, die von außen hinzukomme, denn nur das Erkennen vollziehe sich ohne körperliches Organ. _________________________________________________________________________________________________________
igitur Dominus Deus hominem de limo terrae, et inspiravit in faciem eius spiraculum vitae, et factus est homo in animam viventem.« 271 Portio, c. 15, 65: »Ex quibus sit constitutis facillimè poteris Latinorum, & multorum Græcorum in huius loci tractatione ambages effugere, credentium per mentem de foris advenire, innui, intellectum nostrum à Deo creari, vel, ut alii interpretantur uniri nobiscum postquàm evasimus perfecti, sed hæ sanè nugæ sunt …« 272
A. a. O., 69: »… intellectus potentia unam cum homine generetur …«
273
Vgl. a. a. O., 64f.: »Iccirco Philosophus cum dixit, sola mens extrinsecus advenit, loquitur de intellectu in actu …« 274
Vgl. a. a. O., 69: »Quare in hoc divinavit Gaza cum nou=n mentem vertit, quoniam mens iuxta ætatem augetur, & decrescit. Intellectus enim facultatem potius significare videtur … Mens autem, quæ significat intelligentiam in actu, sola extrinsecus adveniat …« 275
A. a. O., 64: »omnis actus ipsius [sc. intellectus] est ab extrinsecus, nempe ab intelligibili, & ab intellectu qui dicitur agens. Habet enim ab hoc primum actum, qui est, ut scientia; habet, & actum secundum, ipsam considerare, & intelligere.«
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Gegen Portios Interpretation wandte wiederum Zabarella ein, daß es in De Gen. an. II 3 nicht um die Bestimmung des actus secundus gehe, sondern um die des actus primus. Es stelle sich nämlich die Frage, ob die Geistseele einschließlich ihres Geistvermögens bei der Embryogenese von außen hinzukomme oder nicht.276 Ferner sei nicht nur der Geist in seinem Denken von außen bestimmt, sondern auch die Wahrnehmung, denn das Sehen geschehe ebenfalls durch ein äußeres sinnliches Objekt und durch das Licht, das Aristoteles mit dem Wirken des intellectus agens verglichen habe. Ausgangspunkt für ein Verständnis des Passus 736b27-29 ist für Zabarella daher die Frage, ob alle Seelenvermögen (d. h. alle Seelen) bereits vorher existieren (gemäß der platonischen Ansicht von der Seelenwanderung), ehe sie von außen in die Materie eingehen, oder ob sie bereits in diese eingeboren sind, so daß keine von außen hinzukommt, oder ob einige vorher existieren, andere aber eingeboren sind. Wie für Portio, so ist nun auch für Zabarella klar, »daß zum einen gemäß der Ansicht des Aristoteles, zum andern absolut gemäß der Wahrheit der Sache schlechthin keine Seele auf diese Weise von außen hinzukommt, sondern alle ohne Ausnahme in die Materie selbst des Werdens eingeboren werden«277. So könnten sämtliche Funktionen der vegetativen und sensitiven Seele nicht losgelöst von einem körperlichen Organ vollzogen werden, sondern nur in und mit ihm: Es gibt kein Sich-Ernähren ohne Mund (bzw. ohne Wurzeln bei den Pflanzen) und kein Sehen ohne Augen. Folglich könnten die vegetativen und sensitiven Seelen nicht ‘von außen’ in das Lebewesen hineinkommen, sondern seien ‘schon immer’ (als Anlagen) vorhanden. Das extrinsecus accedere bedeute also nichts anderes als das præfuisse extra corpus, das zunächst Außerhalb-des-Körpers-GewesenSein. Für Zabarella ist dies bei den Seelen der Pflanzen und Tiere unmöglich, nicht aber beim Geist, denn dieser gebrauche bei seiner Tätigkeit kein körperliches Organ. Eine endgültige Klärung, wie es sich damit verhalte, führe Aristoteles jedoch weder hier noch in De An. II 1, 413a3-7. Denn das lei/petai dh\ dürfe daher nicht als restat igitur, sondern müsse als restat autem verstanden werden, wie der Paduaner gegen To276
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 9, 954B-C: »Sed alii posteriores Alexandreii sententiam Portii non receperunt, quia revera verbis Aristotelis accomodari non potest: Aristoteles enim ibi quæstionem proponit de ipsa animæ substantia, de actu primo, non de actu secundo, quærit enim de facultatibus animæ, an extrinsecus adveniant, nec ne; nomen autem facultatis apud Aristotelem semper sumitur pro anima ipsa, nunquam pro operatione …« Auch hier bestätigt Zabarella also seine Ansicht von der collectio animarum. 277 Zabarella, De Mente humana, c. 9, 957B: »… ut tum secundum sententiam Aristotelis, tum absolute secundum rei veritatem nulla prorsus anima hoc modo extrinsecus accedat, sed omnes nulla excepta in ipsa generationis materia innascantur …« Anders als Portio leugnete Zabarella damit aber gerade nicht das unmittelbare Erschaffensein der Geistseele durch Gott, sondern bettete diesen Kreatianismus gleichsam in den natürlichen Werdensprozeß ein. Als solche wird sie von Gott erschaffen und ist zugleich (schon immer) dem Körper eingeboren: »anima vero rationalis ita in materia innascitur, ut ab agenti naturali non attingatur, neque de materiæ potestate educatur, sed à Deo creetur; non enim ita creari animam humanam dicendum est, ut prius extra corpus à Deo producatur, deinde creata inducatur in corpus, sed ut in ipsomet humano corpore à Deo immediate creetur, & eodem momento creata, & infusa dicatur …« (vgl. a. a. O., 957C-D) Zabarella betonte nachfolgend, daß ungewiß sei, was Aristoteles über diese Sache gedacht und ob er eine solche Schöpfung für möglich gehalten habe.
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letus betont. Aristoteles ziehe nämlich keine Schlußfolgerung aus dem bisher Gesagten, wonach allein der Geist von außen komme, sondern gebrauche eine dictio adversativa, formuliere also einen Zweifel, wie es sich denn mit ihm verhalte, »und zwar so, daß der Zweifel über ihn bestehenbleibt, ob er von außen hinzukommt oder nicht.«278 Diese Interpretation, so Zabarella, stimme auch mit der Ansicht des Averroes überein, der in seiner sehr knappen Äußerung zu dieser Stelle ebenfalls nur von einem Zweifel gesprochen habe, was seine Schüler freilich nicht bemerkt hätten.279 Mag es nun auch im Zusammenhang mit De Gen. an. II 3, 736b27-29 bei den italienischen und spanischen Aristotelikern Unstimmigkeiten hinsichtlich des Verständnisses des nou=j qu/raqen gegeben haben, so änderte dies nichts an der grundsätzlichen Übereinstimmung, daß die menschliche Seele mit ihrem höchsten Vermögen des nou=j genauso wie die pflanzliche oder tierische Seele als forma informans zu bestimmen ist. Zu welchen Schwierigkeiten dies im Zusammenhang mit der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele führte, ist weiter unten zu erläutern (vgl. 3.3.6.). Zunächst gilt es, den zweiten Themenkomplex in der Auseinandersetzung mit Averroes in den Blick zu nehmen. 3.3.1.2. Einheit oder Pluralität des Geistes? Nicht weniger umstritten als Averroes’ Bestimmung der Seele als forma assistens war seine These vom (numerischen) Einssein des intellectus (possibilis) in allen Menschen. Mit dieser These glaubten die Renaissance-Aristoteliker zum einen die theologisch gebotene Sicherstellung der Einheit der Person im Angesicht Gottes in Frage gestellt, die eine notwendige Bedingung der persönlich zugesprochenen Rechtfertigung sei, und zum andern schien sie die aus ethisch-politischer Sicht notwendige Individualität eines jeden Einzelnen zu verhindern, der für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden müsse. Die Conimbricenser ordneten diesen ganzen Problemkomplex zunächst in den historischen Kontext der antiken Philosophie und Theologie ein. Danach hätten sich bereits in der Antike zu diesem Thema zwei Ansichten ausgebildet: Für Empedokles, Pythagoras und Platon (vgl. Tim. 42a-d) gibt es eine metemyu/xwsij (transanimatio), eine Seelenwanderung von einem Körper zu einem andern, und zwar nicht nur beim Men278
A. a. O., 959D: »… adeo ut dubium de ipso [sc. intellectu] maneat, an extrinsecus accedat, nec-
ne.« 279 Vgl. a. a. O., 959D-E»… cognovit enim Averroes verba illa ab Aristotele sub dubio esse prolata, & recte usus est dictione adversativa [tamen] ideo & admiratione, & risu dignum est, quod Averroistæ, dum Averrois sententiam tueri volunt, ita illis Aristotelis verbis innitantur, & ita inflati incedant, ut putant se demonstrasse, neque animadvertant ipsiusmet Averrois interpretationem huic eorum sententiæ refragari …« In der Tat heißt es im Kommentar des Averroes zu dieser Textstelle: »De intellectu tamen dubium est, cùm eius operatio non videatur communicare cum organo corpore.« (Aristotelis opera cum Averrois commentariis, hier: Sextum Volumen, Pars II, De Generatione animalium, 75F)
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schen, sondern auch beim Tier. Diese Ansicht sei dann über die Albanenser und Albigenser auch in die christliche Lehre eingedrungen und dort von Athanasius, aber auch von Augustinus bekämpft worden.280 Gemäß der zweiten Ansicht habe Aristoteles die Lehre von der unitas intellectus vertreten, der allen Menschen zukomme. So hätten ihn jedenfalls einige Autoren wie Theophrast, Themistius, Simplicius281 und Averroes interpretiert, mögen sie auch nicht in allen Punkten übereingestimmt haben.282 Da aber Averroes diese Ansicht mit vielen Argumenten gegen die peripatetische und wahre Lehre verteidigt habe, so die Conimbricenser, sei er hier der bei weitem wichtigste Gegner der Auseinandersetzung. Der Cordubenser begründete seine Ansicht in einem ausführlichen Exkurs zu De An. III 4, 429a21-24. Er ging hierbei von der, wie er betonte, sehr schwierigen Frage aus, auf welche Weise der intellectus materialis, der weder wird noch vergeht, einer ist in allen Individuen.283 Er benannte hierfür u. a. die folgenden drei Argumente: 1. Wenn der intellectus materialis vervielfältigbar wäre gemäß der Anzahl der Individuen, dann würde er ein hoc aliquid sein, also entweder ein Körper oder ein Vermögen in einem Körper. Und dergestalt wäre er eine forma materialis, was aber unmöglich ist, denn jedes Materielle ist dem Vermögen nach erkennbar (vgl. De An. III 4, 430a5-9). Jedes dem Vermögen nach Erkennbare ist aber Gegenstand des intellectus materialis. Also wäre derselbe Geist Gegenstand seiner selbst, würde sich selbst bewegen und sich selbst erfassen und erkennen, was unmöglich ist.284 280
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 7, art. 1, 101.
281
Zabarella verwies in diesem Zusammenhang auf folgende Textstelle bei Simplicius: »mi/a ga\r ou)=sa h( yuxh\ h( h(mete/ra, h( logikh\ fhmi, a(/ma te me/nei mi/a kai\ plhqu/netai e)n tv= pro\j sw/ma r=opv= …« / »Nam cum una sit anima nostra, rationalis inquam, tum simul una manet, tum multiplex redditur in declinatione illa ad corpus …« (223, 28f. [58vb]), und kritisierte diese Ansicht mit folgenden Worten: »Videtur quidem Simplicius in 2. context. illius libr. 3. dicere animam rationalem secundum se unam esse, per suam autem in corpus progressionem multiplicari: sed hoc aliis pluribus Simplicii figmentis annumerandum est; multa enim dicit, quæ simul esse nequeunt …« (De Mente humana, c. 10, 962E) 282 Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 7, art. 1, 101f.: »Sed relicta huius sententiæ absurditate, quæ iamdiu exolevit, & inter poetarum subulas versatur, occurrit alia sententia existimantium in disciplina Aristotelis ponendam esse unam duntaxat animam intellectricem sive unum intellectum, qui omnibus hominibus assistat … sic enim Aristotelem interpretati sunt eius discipuli & scholæ successor Theophrastus, Themistius, Simplicius, Averroes, aliique non pauci, etsi non omnes eodem modo de huiusmodi intellectu locuti fuerint.« 283
Vgl. Averroes, III 4, t. 5, 146vF-147rA [401,424-402,431]: »Quæstio autem secunda, dicens quomodo intellectus materialis est unus in numero in omnibus individuis hominum, non generabilis neque corruptibilis … hæc quidem quæstio valde est difficilis, & maximam habet ambiguitatem.« 284
Vgl. a. a. O., 147rA-B [402,432-440]: »Si enim posuerimus quod iste intellectus materialis est numeratus per numerationem individuorum hominum continget ut sit aliquid hoc, aut corpus, aut virtus in corpore. Et, cum fuerit aliquid hoc, erit intentio intellecta in potentia. Intentio autem intellecta in potentia est subiectum movens intellectum recipientem, non subiectum motum. Si igitur subiectum recipiens fuerit positum esse aliquid hoc, continget ut res recipiat seipsam, ut diximus, quod est impossibile.«
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2. Wenn der intellectus materialis vervielfältigbar wäre gemäß der Anzahl der Individuen, dann würden auch die Erkenntnisse ins Unendliche vervielfältigbar sein. So wären deine und meine Erkenntnis ein und desselben Gegenstandes der Zahl nach vollkommen verschieden, obwohl sie doch der Art nach eine sind, was absurd ist.285 3. Schließlich wäre es auch unmöglich, daß ein Schüler vom Lehrer etwas lernen könnte. Vielmehr müsse das Wissen im Lehrer eine Kraft haben, im Schüler dasselbe Wissen zu bewirken. Folglich müsse der intellectus materialis einer sein.286 Auch diese Ansicht hielten die Renaissance-Aristoteliker übereinstimmend für absurd: »Es ist falsch gemäß der wahren Philosophie und Vernunft sowie gemäß Aristoteles, daß es [nur] eine seingebende Form in allen Menschen geben soll«287, so Toletus. Diese Ansicht sei so unvereinbar mit der Vernunft, so töricht und frevelhaft, daß sie einer Widelegung kaum würdig sei. Auch für Zabarella war diese These nichts anderes als eitles Geschwätz, da sich bereits aus dem Erweis der menschlichen Seele als forma informans hinreichend ergeben habe, daß sie gemäß der Anzahl der Individuen vervielfältigt werden müsse.288 Schließlich schlossen sich die Conimbricenser dem harten Urteil von Duns Scotus an, wonach es Averroes verdient habe, wegen dieses Unsinns aus der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen zu werden.289 Zur Begründung ver285
Vgl. a. a. O., 152rC-vD [411,707-717]: »Et iste modus, secundum quem posuimus essentiam intellectus materialis, dissolvit omnes quæstiones contingentes huic, quod ponimus, quod intellectus est unus & multa. Quoniam, si res intellecta apud me, & apud te fuerit una omnibus modis, continget quod, cùm ego scirem aliquod intellectum ut tu scires etiam illud ipsum, & alia multa impossibilia. Et si posuerimus eum esse multa, continget ut res intellecta apud me et apud te sit una in specie et due in individuo; et sic res intellecta habebit rem intellectam, et sic procedit in infinitum.« 286
Vgl. ebd. [411,717-719]: »Et sic erit impossibile ut discipulus addiscat à magistro, nisi scientia, quæ est in magistro, sit virtus generans, & creans scientiam, quæ est in discipulo …« Nicht weniger merkwürdig ist Averroes’ Erkenntnistheorie. Sofern nämlich der intellectus materialis nur einer ist in allen Menschen, kann jeder einzelne Mensch in Wirklichkeit nur unter der Bedingung erkennen, daß sich der überindividuell gewordene Geist mit ihm verbindet: »Dicamus igitur quod manifestum est quod homo non est intelligens in actu nisi propter continuationem intellecti cum eo in actu.« (A. a. O., 148rC [404,501-503]) Dies geschieht wie folgt: Der von den einzelnen Menschen abgetrennte Geist verbindet sich mit ihnen durch Bilder, die in der Vorstellung eines jeden vorhanden sind. Und von diesen durch das Licht erleuchteten Bildern werden die species intelligibiles an den Geist selbst übermittelt, mit denen er die notiones rerum auffaßt. – Hier wird das platonische Muster der Teilhabe ersichtlich. 287
Vgl. Toletus, II 1, q. 2, 45rb: »Falsum est secundum veram Philosophiam, & rationem, & secundum Aristotelem, quòd sit una forma informans in omnibus hominibus.« 288
Zabarella, De Mente humana, c. 10, 962B-C: »Licet per ea, quæ hactenus dicta sunt, aliud quoque Averrois dogma sit reprobatum, nempe id, quod dixit, mentem humanam unam tantum numero esse in tota humana specie: quia si est forma materiam informans, & qua homo est homo, necesse est ut iuxta numerum individuorum hominum sit multiplicata: attamen ad uberiorem huius erroris confutationem, & ut argumentorum quibus ad hoc probandum Averroes usus est, vanitas manifesta fiat, libet aliqua separatim de hac re scribere.« 289
Vgl. Coll. Conimbricense, II 1, q. 7, art. 2, 103: »Hæc tamen Commentatoris, seu commentitoris potius de unitate intellectus sententia, adeò stulta est, ut meritò Scotus … dixerit dignum esse Averroem, qui ob has ineptias ex hominum communione averruncetur.«
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wiesen die Aristoteliker insbesondere auf die in der eigenen unhintergehbaren Erfahrung gründenden Individualität jedes einzelnen, die den Geistmonismus als unhaltbar erweist290: Wenn er nämlich nur einer in allen Menschen wäre, dann wären alle Menschen nur einer, und ich wäre du und du wärst ich, was absurd ist und unserer eigenen Erfahrung widerspricht. Alle hätten dann auch denselben Willen, dieselbe Erinnerung. Und wie könne dann erklärt werden, daß der eine gut, der andere schlecht, der eine klug, der andere dumm sei? Folglich konstituiere jede einzelne Seele mit ihren Vermögen einen einzelnen Menschen. Auch sei das aktuelle Vollziehen des Wissens als actus secundus vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Menschen, also auch der actus primus, d. h. die Geistseele als forma informans. Denn die Verschiedenheit der Tätigkeiten indiziere eine Verschiedenheit der Formen: Weil nämlich meine Erkenntnis nicht deine ist und nicht alle Menschen zugleich ein und dieselbe Sache erkennen, kann nicht ein Geist allen Menschen zukommen. Schließlich wäre es mit mit dem menschlichen Selbstverständnis nicht vereinbar, wenn das Denken nicht von jedem selbst ausgeht, sondern von einem transzendenten Vermögen. Nachfolgend widerlegte Zabarella in einem zweiten Schritt Averroes’ Argumente wie folgt291: Zu 1. Der Geist könne sich sehr wohl selbst erkennen, wie aus De An. III 4, 429b9292 ersichtlich sei. Zabarella hat diesen Satz in seinem Kommentar unter Berufung auf Alexander und gegen Simplicius293 wie folgt verstanden: Der intellectus in habitu294 erkennt sich selbst, wenn er anderes erkennt, da er ja der erkannte Gegenstand selbst wird, indem er dessen species intelligibilis in sich aufnimmt (vgl. hierzu 3.3.4.2.). Diese Selbsterkenntnis ist aber secundario & per accidens, non per se & principaliter, wie auch Toletus295 und die Conimbricenser296 unter Berufung auf Thomas297 betonten. Es
290 Vgl. Toletus, II 1, q. 2, 45rb-46rb. Zabarella, De Mente humana, c. 11, 964B-967A. Coll. Conimbricense, II 1, q. 7, art. 2, 103f. 291
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 12, 968B-970F.
292
Vgl. Aristoteles, III 4, 429b9: »… kai\ au)to\j [sc. nou=j] de\ au(to\n to/te du/natai noei=n.«
293
Zu Alexander und Simplicius vgl. 2.3.1., Anm. 229 und 230.
294
Nach übereinstimmender Ansicht der Renaissance-Aristoteliker beginnt Aristoteles mit dem Textabschnitt 429b5-9 mit der Erörterung des intellectus in habitu, nachdem er zuvor vom intellectus possibilis gehandelt hat: »De Intellectu in potentia hucusque egit [sc. Aristoteles], nunc tractat de Intellectu in habitu.« (Toletus, III 4, t. 8, 131ra) Zabarella versteht die Differenz zwischen beiden wie Alexander dahingehend, daß der intellectus possibilis dem Kind zukommt, das noch nichts erkannt hat, während der intellectus in habitu im Erwachsenen ist, der bereits eine Haltung des Erkennens erworben hat. Es handelt sich also um eine qualitative Differenz ein und desselben individuellen Geistes, der im Laufe der Zeit verschiedene Stufen des Wissens durchläuft. Der intellectus in habitu kennzeichnet dabei für den Paduaner diejenige Stufe, von der aus die Frage, wie der Geist erkennt, beantwortet werden kann (vgl. Zabarella, III [4], t. 8, 775A). 295 Toletus, III 4, q. 11, 138rb: »Intellectus seipsum intelligit, non quidem per se primò, & directè; sed indirectè ex alterius externi cognitione.«
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sei unmöglich, so Zabarella, daß der Geist sich auf unmittelbare Weise selbst erkenne, denn zum einen werde er nicht von sich selbst affiziert und zum andern könne er nicht zugleich etwas anderes und sich selbst erkennen. Vielmehr könne er sich nur gleichsam aus den Augenwinkeln und nebenher – »e)n pare/rg%«298, wie es in Met. XII 9, 1074b35f. heißt – erkennen, indem er sich auf seinen Erkenntnisakt beziehe, ihn auf sich selbst zurückbiege (re-flectere): »Es ist daher notwendig, daß der Geist sich selbst so erkennt, daß er sich als verschieden von den anderen Gegenständen erkennt, die er in sich aufnimmt, d. h., daß er seine charakteristische wirkliche Natur erkennt, nicht nur jene geistige Entität, die er erwirbt, wenn er anderes erkennt. Denn diese zu erkennen, heißt nicht, sich selbst zu erkennen, sondern anderes. Deshalb sollten wir sagen, daß der Geist sich selbst erkennt, insofern er über seine Tätigkeit reflektiert, wenn er anderes erkennt. Er erkennt nämlich, daß er erkennt. Ferner erkennt er, daß er eine solche Natur besitzt, die geeignet ist, alles zu werden, und die der Möglichkeit nach ist, bevor sie wirklich erkennt.«299
Toletus hat dieses Phänomen der Selbstreflexion wie folgt erhellend beschrieben: Das erste (logisch, nicht generisch betrachtet300), was der Geist auffaßt, ist nicht er selbst, _________________________________________________________________________________________________________
296 Coll. Conimbricense, III 8, q. 7, art. 2, 449: »Respondemus cum D. Thom. … animam nostram non cognoscere se in hoc vitæ statu per suam essentiam, sed interventu specierum intelligibilium, quas abstrahit à sensibus.« 297 Vgl. Thomas, De Veritate, q. 10, art. 8, in: Opera 22,2, 322: »Unde mens nostra non potest se intelligere ita quod se ipsam immediate apprehendat, sed ex hoc quod apprehendat alia devenit in suam cognitionem …« Zu Thomas vgl. Richard Heinzmann, Ansätze und Elemente moderner Subjektivität bei Thomas von Aquin, in: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität. Hrsg. von Reto Luzius Fetz. Bd. 1. Berlin 1998, 414-433. 298
Aristoteles, Met. XII 9, 1074b35f.: »fai/netai d )a)ei\ a)/llou h( e)pisth/mh kai\ h( ai)/sqhsij kai\ h( do/ca kai\ h( dia/noia, au(th=j d )e)n pare/rg%.« Für ihn gilt diese Vermitteltheit der Erkenntnis also nicht nur für die dia/noia und den nou=j (vgl. hierzu Met. XII 7, 1072b19 f.: »… au(to\n de\ noei= o( nou=j kata\ meta/lhyin tou= nohtou=:«), sondern auch für die ai)/sqhsij und do/ca (vgl. EN IX 9, 1170a29-33). An dieser Bestimmtheit des Erkennens von einem anderen her findet jeder Versuch einer Angleichung von neuzeitlicher Subjektphilosophie und aristotelischer Philosophie der Intentionalität ihre Grenze. Klaus Oehler betont daher zu Recht im Zusammenhang mit der aristotelischen Erkenntnistheorie: »Die eigentliche Funktion der psychischen Akte besteht nicht in der Reflexivität, sondern in der Intentionalität.« (Die Lehre vom Noetischen und Dianoetischen Denken bei Platon und Aristoteles. Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte des Bewußtseinsproblems in der Antike. Hamburg 21985 (11962), 201) Das Denken der Seele ist daher »nach Aristoteles primär und wesentlich nicht freischwebend spontanes, produzierendes, sondern an die durch die Einsicht vermittelten Gehalte gebundenes Denken.« (A. a. O., 199) 299
Zabarella, III [4], t. 8, 782F-783A: »Necesse est igitur, ut intellectus ita seipsum intelligat, ut cognoscat se ut diversum ab aliis rebus, quas recipit, id est, ut cognoscat propriam naturam realem, non tantum illam entitatem spiritalem, quam acquirit, dum intelligat alia, hanc enim intelligere non est se intelligere, sed alia. Quare dicamus, quod intellectus seipsum intelligit, quatenus supra suam operationem reflectitur, dum alia intelligit, cognoscit enim se intelligere, proinde cognoscit se habet naturam talem, quæ est apta fieri omnia, & quæ erat in potentia priusquam actu intelligeret.« 300
Generisch betrachtet ist der intellectus possibilis tabula rasa (vgl. hierzu 3.3.3.). Hier ist aber der intellectus in habitu Thema, der bereits Erkenntnisse in sich enthält. Es geht hier also um die Klärung eines logischen Sachverhalts, nicht um die Klärung, wie ein Kind zum ersten Mal erkennt.
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sondern dasjenige, dessen Form von den Sinnen aufgenommen wird, d. h. ein äußerer Gegenstand, wie dieses Pferd dort. Und in diesem Erkennen wendet er sich dem Erkenntnisakt selbst zu, biegt sich auf diesen Akt selbst zurück und bemerkt, daß er diesen Gegenstand erkennt und daß er es ist, der diesen Erkenntnisakt vollzieht. Da diese cognitio reflexa, so Toletus, aber von einem äußeren Gegenstand ihren Anfang nimmt, wird sie mit Recht indirekt genannt. Es sei nämlich keine wirkliche Umwendung, sondern eine durch einen Gegenstand vermittelte, durch den der Geist seinen Erkenntnisakt erkenne, und dies heiße, sich selbst zu erkennen.301 Erst durch die Erkenntnis von etwas anderem ist also für die Renaissance-Aristoteliker die philosophische Erkenntnis seiner selbst als Geist möglich, die gerade nicht partikulär ist, sondern wahrhaft allgemein, da sie auf das Denken als Denken abzielt. Zu 2. Bei der Erkenntnis muß für Zabarella zweierlei unterschieden werden: Formal betrachtet, ist jede Erkenntnis singulär, denn sie ist eine einzelne Qualität in einem Individuum. Zugleich aber ist sie inhaltlich durch das, was sie darstellt, teils allgemein, teils einzeln. Wenn ich nämlich ein Pferd erkenne, dann ist diese Erkenntnis durch die Repräsentation allgemein, formal betrachtet ist sie aber singulär. Insofern vervielfältigt sich die Erkenntnis nicht ins Unendliche, sondern findet im Allgemeinen ihren Ruhepunkt, da es darüber hinaus keine Erkenntnis gibt. Zu 3. Für Zabarella ist das Denkvermögen wie auch das Wissen des Lehrers von dem des Schülers qualitativ und quantitativ unterschieden, denn beide sind in je verschiedenen Individuen. Dennoch erwirbt der Schüler vom Lehrer Wissen, da er beim Hören die Worte auffaßt, die etwas bedeuten und auf etwas verweisen. Daher sei es keineswegs absurd, wenn der intellectus possibilis vervielfältigt werde gemäß der Anzahl der Individuen, da auch so die Einheit des Wissens im Allgemeinen gewahrt bleibe. Vielmehr würde umgekehrt aus Averroes’ These Absurdes folgen: Gäbe es nämlich im Lehrer und Schüler nur ein und dasselbe Denkvermögen, dann müßte der Schüler nichts lernen, weil er bereits ‘alles’ wüßte, was der eigenen Erfahrung offensichtlich widerspreche.302 Mit diesen Bestimmungen der menschlichen Seele als forma informans und als vervielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen ist die Auseinandersetzung der spanischen und italienischen Renaissance-Aristoteliker mit Averroes beendet. In der Sprache der Logik bedeutet dies, daß das genus der Seele als e)ntele/xeia h( prw/th bestimmt worden ist, ein Begriff, der jedes Lebewesen in seiner perfectio auszeichnet. Gleichwohl findet sich bei den Jesuiten eine weitere Bestimmung der menschlichen Seele, die 301 Vgl. Toletus, III 4, q. 11, 136rb-va: »Intellectus quidem non convertitur in seipsum, ut in obiectum primum & proximum, ut Philoponus vult: sed ex actu suo se advertit, & actum suum ex obiecto. Verbi gratia: intelligo equum, ex hoc quòd equum intelligo, converto me ad ipsummet actum intelligendum, & ex actu ipso converto me ad ipsam potentiam, vel habitum, vel speciem: tamen talis cognitio reflexa ab obiecto externo ortum habet, sine cuius consideratione non fit: ob id indirecte dicitur. Non enim est vera conversio: sed in obiecto ipso, vel per obiectum, actum cognosco meum, scilicet me intelligere, & potentiam similiter, & habitum.« 302
Zur näheren Ausgestaltung dieser Erkenntnistheorie vgl. 3.3.7.
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sich nicht ohne Schwierigkeiten in die vorliegende philosophische Diskussion einordnen läßt, nämlich ihre Bestimmung als substantia spiritualis. Der Grund für diese Ergänzung verweist auf die bestehende Differenz zwischen den radikalen Naturphilosophen und den Jesuiten hinsichtlich der ratio philosophandi Aristotelica, die nachfolgend näher bestimmt werden soll (vgl. 3.3.3.). 3.3.2. Die Bestimmung der menschlichen Seele als substantia spiritualis Es ist bereits bei Melanchthon gezeigt worden, daß der Ursprung der Bezeichnung substantia spiritualis wohl auf Augustinus zurückgeht (vgl. 2.3.3.). Ihre theologische und philosophische Rezeption im Mittelalter kann hier im einzelnen nicht weiter verfolgt werden. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es, Thomas’ Quaestio disputata de spiritualibus creaturis als den wahrscheinlichen Bezugspunkt der Jesuiten in den Blick zu nehmen. Die ganze Disputation mutet mit ihren Thesen wie ein philosophischer Traktat zur aristotelischen Psychologie an, obgleich es gleichwohl um eine theologische Bestimmung der menschlichen Seele geht: 1. Ist die substantia spiritualis ein Kompositum aus Materie und Form? 2. Kann sie sich mit dem Körper vereinigen? 3. Vereinigt sie sich mit dem Körper mittels eines Mediums? etc.303 Wie Augustin, auf den Thomas gleich zu Beginn seiner Disputation verweist, setzt auch er anima humana und substantia spiritualis einander gleich. Anders als jenem geht es ihm hierbei freilich um einen Ausgleich zwischen der philosophischen Bestimmung der Seele als forma corporis und ihrer theologischen als substantia spiritualis. Anders formuliert: Thomas versucht zu erweisen, daß die menschliche Seele zum einen actus sive perfectio corporis ist, indem sie dem Körper das Sein verleiht, und zum andern gottgewirkte Substanz, die in sich selbst ruht, also keines anderen bedarf, um vollkommen zu sein. Deutlich wird diese doppelte Bestimmung der Seele aus der Antwort auf die zweite Frage: »Man muß sagen, daß die Schwierigkeit dieser Frage daher rührt, weil die geistige Substanz ein gewisses in sich selbst bestehendes Ding ist. Die Form muß aber in einem anderen sein, d. h. in der Materie, deren Wirklichkeit und Vollkommenheit sie ist. Daher scheint es gegen das Prinzip der geistigen Substanz zu verstoßen, daß sie Form des Körpers ist … Es ist [daher] nötig, daß das Sein der menschlichen Seele über die körperliche Materie hinausgeht, und nicht wird sie vollkommen von ihr umfaßt, aber dennoch auf irgendeine Weise von ihr berührt. Insofern also die menschliche Seele das Sein der körperlichen Materie überschreitet, vermögend in sich zu bestehen und aus sich heraus tätig zu sein, ist sie eine geistige Substanz. Insofern sie aber von der Materie berührt wird, ihr ihr Sein mitteilt, ist sie Form des Körpers.«304
303 Vgl. Thomas, Quaestio disputata de spiritualibus creaturis, in: S. Thomae Aquinatis Opera omnia curante Roberto Busa S.I. Stuttgart u. a. Tomus 3, 352-368, hier: 353: »Propositio 1. Et primo enim quaeritur: utrum substantia spiritualis sit composita ex materia et forma. 2. Secundo quaeritur utrum substantia spiritualis possit uniri corpori. 3. Tertio quaeritur utrum substantia spiritualis, quae est anima humana, uniatur corpori per medium.« 304 A. a. O., 355: »Dicendum quod difficultas huius quaestionis ex hoc accidit, quia substantia spiritualis est quaedam res per se subsistens, formae autem debetur esse in alio, id est in materia, cuius
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Was bei Augustin gerade das Eigentümliche der theologischen Bestimmung der Seele gegenüber der Philosophie anzeigt, nämlich das wesentliche von Gott Gewirktsein als Geist, das vereint – man könnte auch sagen: vermischt – Thomas nun, indem er die Immanenz, das In-einem-Körper-Sein der Seele, mit der Transzendenz, ihrem Überden-Körper-Hinaussein im Geist nach seinem Ableben verbindet, um so die philosophischen Schwierigkeiten mit der Unsterblichkeit der Seele zu beseitigen.305 Für Thomas läßt sich also offensichtlich nur mit der Bestimmung der menschlichen Seele als substantia spiritualis die Überwindung ihrer innigen Einheit mit dem Körper als forma corporis plausibel machen. Bereits Flasch hat auf dieses Grundproblem der thomistischen Philosophie, das seine ganze Tragweite im Zusammenhang mit dem Dogma von der Unsterblichkeit entfaltet, aufmerksam gemacht: »Wenn die Seele wesentlich die Prägung eines Körpers zu einem menschlichen Leib ist und wenn dies ihre Definition ist, dann ist nicht einzusehen, was sie ohne einen Leib noch sein kann. Dann verliert die Seele mit dem Tod des Leibs jedenfalls ihre Hauptaufgabe, mehr noch, sie verliert ihr in dieser Definition gefaßtes Wesen.«306
Je enger also die Verknüpfung der Geistseele mit dem Körper ist, desto schwieriger wird es, ihre Unsterblichkeit von der Philosophie her erweisen zu können. Die Einfügung der theologischen Bestimmung der substantia spiritualis ist damit dem aristotelische Naturalismus geschuldet, der kein transzendentes Über-den-Körper-Hinaussein kennt. Nicht anders stellt sich dieser Sachverhalt bei den Jesuiten dar. Wie gesehen (vgl. 3.1.1.), hat Toletus die anima humana in der fünften These seiner Propositiones aliquot als spiritus bestimmt.307 Auch die Conimbricenser setzen gleich im Anschluß an die Bestimmung der menschlichen Seele als forma informans die These, daß sie auch »Geist oder eine geistige Substanz«308 sei. Dies bedeutet zunächst einmal, daß die Seele weder Körper noch aus Körpern zusammengesetzt, sondern etwas Immaterielles ist, weshalb sie spiritus (oder forma) genannt wird. Damit wird die Ansicht der antiken Autoren Zenon, Anaximander, Cleanthes und Chrysippus abgelehnt, welche die Seele für etwas Körperliches hielten, sei dies nun Feuer oder Luft. Sofern sie nämlich Funktionen ausübe, die über die Natur und die Bedingungen des Körpers _________________________________________________________________________________________________________
est actus et perfectio. Unde contra rationem substantiae spiritualis esse videtur quod sit corporis forma … oportet quod esse animae humanae superexcedat materiam corporalem, et non sit totaliter comprehensum ab ipsa, sed tamen aliquo modo attingatur ab ea. In quantum igitur supergreditur esse materiae corporalis, potens per se subsistere et operari, anima humana est substantia spiritualis; in quantum vero attingitur a materia, et esse suum communicat illi, est corporis forma.« 305
Wie dies freilich geschehen soll, ist nicht vorstellbar. Denn wie kann der Körper sterben, solange die Seele, die als sein Lebensprinzip bestimmt worden ist, in ihm ist? Wenn überhaupt, dann kann also die Seele den Körper nur vor dessen Ableben verlassen. 306
Kurt Flasch, Thomas, 256.
307
Vgl. Toletus, 7va: »Quinta propositio. Anima rationalis est spiritus, nec est corpus, nec ex corporibus conflata.« 308 Coll. Conimbricense, II 1, q. 1, art. 6, 62: »Anima intellectiva est spiritus, sive substantia spiritualis.«
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hinausgingen, müsse sie eine immateriell-geistige Substanz sein. Die Conimbricenser begründen dies aus philosophischer Sicht mit ihren beiden Vermögen des Denkens und Wollens, die beide auf immaterielle Weise vollzogen werden: Wie das Denken die allgemeinen, von Gestalt, Farbe etc. abstrahierten Formen aufnimmt und hieraus Begriffe formt, so liegen das Wollen und Nichtwollen oberhalb der Sinne und des sinnlichen Begehrens.309 Entspricht diese mit Thomas übereinstimmende Erklärung nun dem, was ansonsten in der Philosophie forma genannt wird, so wird anschließend die theologische Dimension des Begriffs spiritus bzw. substantia spiritualis verdeutlicht, welche über den philosophische Bereich weit hinausgeht. Denn dieser Geist wird gemäß Gen 2,7 als von Gott gewirkt bestimmt und wird damit gewissermaßen zu einem göttlichen Geist, wie die Conimbricenser unter Berufung auf Ambrosius betonen.310 Eine ganze Reihe weiterer Belegstellen aus der Hl. Schrift (Lk 23,46, Rm 8,11 und Gal 5,17 etc.), kirchliche Autoritäten wie Augustinus und Gregor von Nyssa sowie Hinweise auf zahlreiche Konzilsentscheidungen belegen nachfolgend das Neue am Menschen: Sein Geistsein, das von Gott kommt und zu ihm zurückkehrt, wenn der Körper wieder zu Staub wird.311 Die theologische Wesensbestimmung des Menschen als substantia spiritualis ist so das Einfallstor der nicht weniger theologischen Destination des Menschen als unsterblich, wie weiter unten deutlicher wird (vgl. 3.3.6.). Zunächst ist zu beschreiben, was diese doppelte philosophisch-theologische Bestimmung der menschlichen Seele als forma corporis und substantia spiritualis für die Nous-Lehre der Jesuiten bedeutet und worin sie sich von der der radikalen Naturphilosophen Portio und Zabarella unterscheidet. Dabei werden zwei unterschiedliche Konzepte einer ratio philosophandi Aristotelica sichtbar, die fundamentale Differenzen aufweisen. Denn die Übereinstimmung hinsichtlich der Bestimmung der anima rationalis als forma informans verdeckt die Unterschiede, die nicht nur epistemologischer, sondern auch ontologischer Natur sind und erst bei einer genaueren Lektüre erkennbar werden. Verschiedene Phänomenologien des menschlichen Geistes sind das Ergebnis. 3.3.3. Phänomenologien des menschlichen Geistes Die menschliche Seele ist von den Jesuiten und den radikalen Naturphilosophen in der Auseinandersetzung mit Averroes ontologisch als forma informans bestimmt worden. Da diese Definition auch der tierischen und pflanzlichen Seele zukommt, ist damit gemäß den Regeln der Logik das genus proximum aller Lebewesen secundum esse benannt. Um die differentia specifica der anima rationalis zu ermitteln, galt es nun noch 309
Vgl. a. a. O., 63.
310
Vgl. ebd.: »Corroboratur quoque eadem veritas, Patrum testimonium ut D. Ambrosij, qui in libro de Noë & arca ait, animum rationalem divinum quendam esse spiritum …« 311
Vgl. a. a. O., 64: »Præterea idem colligitur tum ex nonnullis sacræ paginæ locis, quibus anima humana spiritus appellatur, ea significatione, qua spiritus à corpore distinguitur, ut Ecclesiastæ ultimo, revertatur pulvis in terram suam, unde erat, & spiritus redeat ad Deum, qui dedit illum.«
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in einem zweiten Schritt, den Begriff des Geistes hinsichtlich seiner Funktion (secundum operationem) näher zu bestimmen. Dies geschah unter Bezugnahme auf De An. III 4, wo Aristoteles den intellectus possibilis mit zahlreichen Attributen versehen hat, von denen einige bereits im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Averroes erläutert worden sind. Von besonderer Bedeutung war hierbei seine Bestimmung in 429a21f. als ein Vermögen.312 Während Toletus sich mit dieser Bestimmung im Anschluß an De An. III 4, 429b9 auseinandersetzte, erörterten die Conimbricenser sie erst im Anschluß an De An. III 8, wo Aristoteles die Ausführungen über die Seele und ihre verschiedenen Vermögen zusammenfaßte.313 Für Portio war diese Bestimmung derart zentral, daß er den intellectus possibilis in seinem Traktat immer mit dem Zusatz potentia versah.314 Auch Zabarella erläuterte im zweiten Teil seiner Schrift De Mente humana auschließlich den intellectus possibilis in Hinsicht auf dessen Tätigkeit (respectu operationis) und gab so zu erkennen, daß erst mit ihr das Wesen der menschlichen Seele vollkommen erkannt wird.315 In ihren Kommentaren zu De An. III 4, 429a21f. haben Toletus, die Conimbricenser und Zabarella diese Äußerung dem Kontext entsprechend als epistemologische und nicht als ontologische Beschreibung des Geistes verstanden: Er ist weder Körper noch mit einem Körper vermischt.316 Vielmehr sei er aus sich selbst heraus nichts anderes als ein rein geistig-immaterielles Vermögen, das die intelligiblen Formen in sich aufnehmen könne.317 Anders gesagt: Er ist alles der Möglichkeit nach – daher sein Name intellectus possibilis –, weil er alles in sich aufnehmen und denken kann. »Sein Wesen ist daher nichts anderes als dieses, daß er vermögend ist, d. h. in reiner Möglichkeit, wie
312
Vgl. Aristoteles, De An. III 4, 429a21f.: »w(/ste mhd )au)tou= [sc. nou=j] ei)=nai fu/sin mhdemi/an
a)ll )h)\ tau/thn, o(/ti dunato/j.« 313
Vgl. Toletus, III 4, q. 9, 131ra: »An Intellectus secundùm se sit pura potentia.« Coll. Conimbricense, III 8, q. 1, 418: »Utrum intellectus patiens sit potentia passiva: & omnino pura potentia, an non.« 314
Vgl. Portio, c. VI, 26: »An intellectus potentia sit æternus, & diversa substantia ab agente.«
315
Vgl. Zabarella, De Mente humana, c. 13, 970F-971B: »Quid mens humana sit respectu corporis ex iis, quæ hactenus dicta à nobis sunt, satis manifestum esse arbitror: nam si communem animæ definitionem in 2. de Anima lib. ab Aristotele traditam singulis animæ partibus (ut consilium Aristotelis fuit) aptare velimus, nil aliud est anima vegetans, quam actus primus viventis, hoc est, forma, qua vivens est vivens; nil aliud est anima sensibilis, quam actus primus animalis, id est, forma, qua animal est animal; nil aliud est anima rationalis, quæ mens humana dicitur, quam actus primus hominis, seu forma, qua homo est homo: aliud quoque, quod ex hoc deducitur, declaravimus, nempe ipsam esse non posse unam numero in tota specie humana, sed iuxta individuorum hominum numerum esse multiplicatam. Superest ut respectu etiam operationis naturam eius declaremus …« 316 Coll. Conimbricense, III 4, 362: »Declarat [sc. Aristoteles] naturam intellectus possibilis docens illum nec corporeum esse, nec rebus corporeis mistum, aut ex iis concretum.« 317 Vgl. Toletus, III 4, t. 5, 130rb: »… intellectum esse in pura potentia, in genere intelligibilium, nihilque ex se habere aliud, quàm quòd potentia sit, recipereque possit.«
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eine Tafel, auf der noch nichts geschrieben steht«318, so Zabarella unter Hinweis auf De An. III 4, 429b31-430a2. Die Kommentatoren sind also übereinstimmend sder Meinung, daß die Beschreibung des Geistes als potentia omni actu privata sich nur auf den Erkenntnisprozeß beziehen kann, nicht aber auf das Sein der Seele, das ja in De An. II 1 hinreichend als forma informans bestimmt worden ist. Um so überraschter ist man, daß Toletus diese Bestimmung des Geistes wenige Seiten später ontologisiert, indem er sie als ein Beweis für die Unsterblichkeit der Seele verstanden wissen will: »Wenn auch diese Frage [sc. ob der Geist pura potentia sei] schwierig ist, so ist sie dennoch sehr nützlich, da aus ihrer Auflösung bewiesen wird, daß der Geist weder ein organisches Vermögen noch ein Körper ist. Diese beiden [sc. Bestimmungen] tragen zugleich vieles bei zum Beweis für die Unsterblichkeit der Geistseele.«319
Man fragt sich, wie es zu dieser Kategorienverwechslung kommen kann. Denn daß der Geist weder ein organisches Vermögen noch ein Körper ist, bezieht sich doch allein auf seine Tätigkeit des Erkennens, hat somit keinerlei ontologische Bedeutung. Hinsichtlich des Seins ist die Geistseele als forma informans sehr wohl in einem Körper, wie ja auch Toletus im entsprechenden Zusammenhang betont hat (vgl. 3.3.1.1.). Auch hier kann das dahinterstehende Problem auf Thomas zurückgeführt werden, das Flasch wie folgt beschreibt: »Die Lehre des Thomas von der Individualität des möglichen Intellekts war eine philosophische Gratwanderung. Thomas definierte mit Aristoteles die Seele als Form des Leibes. Form und Stoff haben eine wesenhafte Beziehung aufeinander und stehen zueinander in Proportion. Dann aber sollte der Intellekt kein körperliches Organ haben, gleichwohl sollte er aber für seine immer allgemeinen Erkenntnisse auf ein sinnliches Phantasiebild angewiesen sein. Es ist schwer einzusehen, wieso seine nach dem Tod vom Leib ‘abgetrennte’ Seele überhaupt noch ‘Seele’ heißen darf, wenn Seele als Formgrund des Leibes definiert wird.«320
Die Bestimmung der Seele als forma corporis nötigt also nicht nur zur Ergänzung durch ihre theologische Definition als substantia spiritualis, sondern auch zur Umformung des Geist-Begriffs. Nur so ist es zu verstehen, warum Toletus die Organlosigkeit des Geistes zugleich epistemologisch und ontologisch deutet. Mit dieser begrifflichen Erweiterung versucht er offensichtlich die These von der immortalitas animæ humanæ vorzubereiten. Es wird sich zeigen, daß damit der Geist jedoch unter der Hand zu einer forma assistens wird, die sich a parte post vom Körper abtrennen kann. Um seine These plausibel zu machen, muß Toletus erweisen, daß die pura potentia sowohl eine ontologische wie auch eine epistemologische Bedeutung hat. Hierfür un318
Zabarella, III 1 [4], t. 5, 731A-B: »ergo eius [sc. intellectus] natura nulla alia est, nisi hæc, quod possibilis est, id est in pura potentia, & tanquam tabella, in qua nihil est depictum …« 319 Vgl. Toletus, III 4, q. 9, 131ra: »Quamvis autem ardua sit hæc quæstio, tamen est valde utilis: quippe ex ipsius resolutione convincitur, Intellectum non esse organicam potentiam, nec esse corpus: quæ duo simul multum conducunt ad immortalitatem animæ rationalis probandam.« 320
Kurt Flasch, Thomas, 264.
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terscheidet er wie auch das Collegium Conimbricense zwischen einer pura potentia im Bereich des Seienden (in genere entium sive rerum) und einer im Bereich des Intelligiblen (in genere intelligibilium). Was dies bedeutet, erklären die Conimbricenser wie folgt: Im Bereich des Seienden ist der Geist kein reines Vermögen, weil er seiner Natur nach forma & actus ist, d. h. Seinsprinzip des Menschen. Was nämlich principium operandi ist, das ist zugleich forma & actus primus. Nun ist der intellectus possibilis aber Wirkpinzip, denn er ist Grund und Bedingung des Erkennens. Also ist er zugleich actus & forma. Die Conimbricenser bestätigen hier also nochmals die Funktion der Geistseele als principium constitutivum. Ausschließlich im Bereich des Intelligiblen ist der Geist dagegen reines Vermögen, wie gegen Platon behauptet wird, denn er ist gleichsam eine tabula rasa, weil er nichts vom Intelligiblen in sich enthält, bevor er es aufnimmt.321 Nur in Hinsicht auf die Funktion gilt also: »Der Geist ist frei von jeder Natur, deren Form er zuerst in sich aufnimmt, und frei von dem, von dem er zuerst bewegt wird.«322 Die zweite Bestimmung, wonach er anders als das Wahrnehmungsvermögen kein organisches Vermögen ist, das durch den Körper erkennt323, beweist Toletus u. a. durch Hinweise auf De An. III 4, 429a15-18, a24-27 sowie a29-429b5. Und was oben als These von der Unsterblichkeit der Seele gesetzt war, wird hier zu ihrem Beweis: »Wenn der Geist ein organisches Vermögen wäre, dann würde er, wenn das Organ vergeht, auch vergehen, und so würde folgen, daß die Seele nach dem Tod des Geistes entbehrt und daß sie so gar nichts erkennt, was absurd ist und falsch.«324 Auch hier folgert Toletus also von der Organlosigkeit des Geistes, die doch keine Körperlosigkeit bedeutet, auf seine Unsterblichkeit und vermischt damit erneut die epistemologischen und ontologischen Attribute des Geistes miteinander. Diese Ontologisierung der Organlosigkeit des Geistes bestätigt er auch in der nächsten Quæstio, wo er nochmals die Frage erörtert, ob der intellectus possibilis ein Seelenvermögen im Sinne der forma informans sei oder eine substantia separata im Sinne der forma assistens325, eine Frage also, die er bereits im Zusammenhang mit De An. II 1 erörtert hat, die er aber nun nochmals im Blick auf De An. III 4 thematisiert. Hier heißt es: »Der erleidende Geist ist weder ein Vorstellungsvermögen noch irgendein im Körper unmittelbar einwohnendes Vermögen.«326 Damit wird er zu einem gleichsam trans321
Vgl. Coll. Conimbricense, III 8, q. 1, art. 2, 421f.
322
Toletus, III 4, q. 9, 131va: »Intellectus est denudatus ab omni natura, cuius primò speciem recipit, & ab omni eo, à quo primo movetur.« 323
Vgl. a. a. O., 132rb: »Intellectus possibilis non est virtus organica, quæ per corpus intelligat, sicut sensus.« 324
A. a. O., 132va: »Si esset [sc. intellectus] potentia organica, ergo, corrupto organo, corrumperetur, & ita sequeretur, animam post mortem carere intellectu, & ita nihil intelligere omninò: quod & absurdum est, & erroneum.« 325
Vgl. a. a. O., q. 10, 133ra: »An Intellectus possibilis sit potentia animæ? Vel: (quod in idem recidit) an Intellectus possibilis sit informans, an substantia separata?« 326
A. a. O., 134va: »Intellectus possibilis non est vis imaginativa, nec aliqua facultas in corpore immediatè inhærens.«
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zendenten Vermögen, das sich von der anima rationalis unterscheidet: Denn obgleich sie aus ihren beiden wesentlichen Teilen besteht, nämlich dem intellectus possibilis und dem intellectus agens327, und sie mit diesen als forma informans bestimmt worden ist, relativiert Toletus diese Ansicht nachfolgend, indem er den Geist als eine vis non organica animæ bestimmt.328 Damit setzt er ohne Zweifel eine Differenz in der Seele: Zum einen ist sie forma informans corporis, zum andern ist der Geist an sich betrachtet hinsichtlich des Seins vom Körper abgetrennt, also forma assistens.329 Weil er jedoch der Sinneswahrnehmung bedarf, ist er nicht vollkommen vom Körper abgetrennt und unvermischt mit ihm, sondern nur secundum quid.330 Trennt er sich jedoch von diesem Körper nach dessen Ableben, dann ist er unsterblich. Die theologische Bestimmung der anima rationalis als substantia spiritualis verbindet sich hier also mit der philosophischen Bestimmung des Nous als substantia separata secundum quid zur gemeinsamen Destination des seelisch-geistigen Menschen als unsterblich! Daß Portio und Zabarella als echte naturales philosophi scholæ Peripateticæ eine solche ontologische Umdeutung des nou=j aufgrund theologischer Notwendigkeiten abgelehnt haben, liegt auf der Hand. Wie gesehen, wird dies bei Portio bereits daraus deutlich, daß er den intellectus fortlaufend mit dem Zusatz potentia versieht, der seinen ontologischen Status gegenüber der menschlichen Seele kennzeichnet: Er ist im Sinne Alexanders ein Vermögen – und sonst nichts: »Das Geist als Vermögen hat nämlich keine Wirklichkeit und keine bestimmte Natur, sondern seine Natur ist die [pure] Möglichkeit, bevor er erkennt.«331 Portio bezieht sich hierbei auf mehrere Textstellen aus De An. III 4, die den intellectus possibilis allein in seiner epistemologischen Funktion bestimmen: Grundlegend ist hierfür seine Benennung als dunato/j in 429a21f. Für Portio ergibt sich hieraus klar, daß er eine facultas cognoscendi ist, die sein Substanzsein gerade ausschließt.332 Er verweist in diesem Zusammenhang auf den einleitenden Satz 327 Vgl. a. a. O., 134ra: »Intellectiva anima non componitur substantialiter ex duplici parte realiter distincta, id est, intellectu possibili, & agenti, ita ut hi intellectus sint partes duæ substantiales animæ.« 328
Vgl. a. a. O., 134va: »Intellectus est vis non organica animæ informantis corpus.«
329
Die Argumentation gegen Averroes’ These von der Seele als forma assistens kehrt sich hier also vollkommen um und führt geradezu zur Übernahme seiner Position! Damit argumentierten die Jesuiten auf dem Höhepunkt ihrer Geistlehre durch und durch averroistisch, um die Unsterblichkeit der Seele beweisen zu können. Vgl. hierzu 3.3.6. 330 Vgl. Toletus, III 4, q. 9, 134vb: »Hinc sequitur unum notandum, quòd iste gradus intellectualis naturæ, ut talis considerationis, si per se esset, utique separatus esset à corpore: at quia non est purus, sed simul cum gradu sensibilis & animalis naturæ, trahitur ad corpus, non ratione sui per se, sed ratione aliorum graduum, qui cum ipso identificati sunt: tamen ipse ex se manet abstractus.« Es ist klar, daß Toletus hier vom Geist hinsichtlich des Seins und nicht hinsichtlich der Tätigkeit spricht, denn in dieser Hinsicht ist er ja realiter vom Körper abgetrennt, eben weil er organlos ist. 331 Portio, c. 6, 33: »Intellectus enim potentia nullum habet actum, nullam certam naturam; sed eius natura est potentia antequam intelligit.« 332 Substanz ist allein die Seele. Vgl. hierzu a. a. O., c. 7, 38: »Reliquum ergo est, ut dicamus … intellectum potentia aboleri cum anima, quæ est substantia …« A. a. O., 43: »Etenim nullibi intellec-
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429a10-13 von De An. III 4, wonach der Geist darauf hin untersucht wird, worin er sich von der Sinneswahrnehmung unterscheidet und wie er denkt. Für Portio kommt dabei die Inaffizierbarkeit den Sinnen auf andere Weise zu als dem Geist, obgleich sie beide facultates cognoscendi sind. Denn der Geist erleidet vom Objekt keine vera passio, da er es nicht materialiter, sondern seiner Geistigkeit entsprechend als immaterielle Form aufnimmt.333 Dieser affizierbaren Inaffizierbarkeit334 entspricht es, wenn er anders als die Sinneswahrnehmung unvermischt ist mit einem körperlichen Organ oder einem Objekt (vgl. 429a18), d. h. wenn er mit nichts etwas gemeinsam hat, sondern schlechthin einfach ist (429b22-25). Diese Bestimmung wird für Portio auch aus dem Vergleich des Geistes mit der unbeschriebenen Tafel in 430a1f. deutlich: Wie diese selbst, bevor etwas auf ihr niedergeschrieben wird, keine bestimmte Natur hat, sondern ‘blank’, pura potentia ist, so auch der Geist: Bevor er denkt, ist er der Wirklichkeit nach nichts von dem Intelligiblen. Erst das Denken von etwas macht ihn daher zu einem intellectus in actu, indem er das Gedachte wirklich wird.335 Die Einheit von Denken und Gedachtem ist dergestalt die Einheit von Geist und Wirklichkeit, und diese Einheit ist jeder (modernen) Trennung in Subjekt und Objekt vorgängig, sofern der Geist im Denken schon immer bei einem anderen ist. Für einen Peripatetiker wie Portio kann es kein Bei-sich-selbst-Sein des Geistes (im Sinne des Denkens seiner selbst) geben, ohne daß er zugleich, vielmehr zuvor (im Sinne eines schon immer) bei einem anderen ist. Dies macht auch einsichtig, warum Portio an anderer Stelle das Werden des Geistes als einen natürlichen Prozeß schildert, der mit der Geburt beginnt und im Alter mit seiner perfectio endet. Was bereits Alexander mit der Bezeichnung des nou=j als e)pi/kthtoj angedeutet hat, wird hier im Rahmen einer Phänomenologie des Geistes aufgenommen und umfassender ausgeführt: Danach ist uns der Geist als ein natürliches Vermögen zwar angeboren, er muß aber das ganze Leben hindurch fortwährend geschult werden, damit er seine Vollkommenheit erreicht. Denn wie wir die Hände nicht sofort von Geburt an angemessen gebrauchen, sondern uns üben müssen, »so kommt uns auch der Geist, der eine natürliche Sache ist, nicht unmittelbar in seiner Fülle zu, _________________________________________________________________________________________________________
tum potentia III. de Anima (in quo omnem rationem intellectus potentia explicavit) esse substantiam affirmavit; sed solum de eo hæc prædicata protulit [sc. Aristoteles], ipsum esse potentia, impassibilem, simplicem, separabilem ab organo, & immixtum, quæ omnia conveniunt intellectui, ut facultas cognoscendi tamen nunquam dixit, illum esse substantiam, quod quidem summè necessarium erat, ad rationem intellectus explicandam.« 333 Vgl. a. a. O., c. 18, 78: »Verum differentia, qua impassibilis est sensus, & qua intellectus, inferius Aristoteles explicabit [sc. De An. III 4, 429a29-b5], ubi docet, quare cognoscentes facultates, ut mens, & ratio ab obiecto non patiantur vera passione, quemadmodum antiquiores censuerunt: sed sint susceptivæ non rerum materialium, sed specierum …« 334 Affizierbar, sofern das Denken ein Affiziertwerden von Seiten des Intelligiblen ist (vgl. 42924f.: »… ei) to\ noei=n pa/sxein ti/ e)stin …«), inaffizierbar, sofern es nichts Materielles vom Intelligiblen erleidet. 335
Vgl. Portio, c. 6, 28 sowie c. 19, 80f.
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sondern [erst] im Alter«336. Was uns die Erfahrung täglich lehrt, daß die alten Menschen weiser und klüger sind als die jungen, die wiederum leichter lernen, wird hier von Portio wissenschaftlich eingeholt: Der Geist wird, was er ist, allein durch das Erwerben von Wissen. Durch den häufigen Gebrauch dieses Wissens bildet sich der Habitus der Wissenschaft aus, der sich mit zunehmendem Alter immer stärker verfestigt und die eigentliche perfectio mentis ist, die aber, wie Portio bedauernd hinzufügt, nur »kurze Zeit währt«337. Denn die Erinnerung als Hort der Wissenschaft lasse im hohen Alter nach, weil der Mensch zu diesem Zeitpunkt zu viel wahrgenommen und bedacht habe. Was also der Höhepunkt des Geistseins ist – der ausgebildete Habitus der Wissenschaft –, ist zugleich der Grund des Nachlassens seiner Kräfte: Ein Zuviel an Wissen stumpft ab, läßt den Geist nach und nach wieder ‘leer’ werden wie eine unbeschriebene Tafel. Daß Zabarella dieser phänomenologischen Beschreibung des Geistes als ein Werden im Wissen zugestimmt haben wird, wird weiter unten im Zusammenhang mit der Beschreibung des natürlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses deutlich werden (vgl. 3.3.7.). Auch für ihn ist ausschließlich im Denken des Geistes das Wesen des Menschen zu suchen. Der wesentliche Unterschied zu Portio besteht bei Zabarella nun darin, daß für ihn der Geist nicht nur pura potentia ist, sondern auch actus. Anders gesagt: Da für ihn, wie bereits gezeigt wurde (vgl. 3.2.1.), das höchste Vermögen eines Lebewesens zugleich das Wesen der Seele bestimmt, ist der Geist zwar hinsichtlich seiner Denktätigkeit ein reines Seelenvermögen, hinsichtlich seines Seins aber, da er die Seele selbst ist, Form des Körpers. Ihm kommen also zwei Seinsweisen zu, »eine eigentümliche und eine erworbene, denn an sich selbst ist er Form des Körpers, und gewiß die edelste Form; hinsichtlich der Tätigkeit aber und insofern er geeignet ist, alles zu werden – weil eine Sache zu erkennen heißt, sie auf geistige Weise zu werden –, wird er an sich selbst so genannt, daß er alles der Möglichkeit, nichts aber der Wirklichkeit nach ist.«338
Zabarella knüpft mit dieser doppelten Bestimmung des Geistes an das von ihm in De Mente humana eingangs Gesagte an: Die Seele (und damit eben auch die Geistseele) ist zum einen principium constitutivum als forma corporis animati und zum andern principium operationum als effectrix. Sofern die Geistseele forma corporis sei, könne der Geist secundum esse nicht pura potentia animæ bzw. die præparatio & aptitudo animæ ad omnes rerum species recipiendas & cognoscendas sein, wie Alexander, Thomas und Portio behauptet haben. Wäre er nämlich hinsichtlich des Seins pura potentia, dann würde er nicht von der Be336
A. a. O., c. 7, 39: »Ut igitur manu, non iam inde ab ortu naturæ uti possumus, sed cum eam natura absolvit, perficitque (procedente namque ætate manus suum opus maxime efficere potest) ita etiam mens, quæ res naturalis est, non protinus, sed in senectute maxime nobis contingit …« 337
A. a. O., 38: »Postremo habemus, intellectum perfici in senectute, eique astipulatur Aristoteles XII. Metaph. sed perfectio durat pauco tempore.« 338 Zabarella, De Mente humana, c. 14, 977C: »Ita igitur etiam intellectus duas habet entitates, unam propriam, alteram acquisitam, nam secundum se est forma corporis, & nobilissima quidem forma; sed respectu operationis, & quatenus est aptus omnia fieri, quia intelligendo rem aliquam dicitur fieri res illa spiritualiter, sic dicitur secundum se esse omnia potestate, & nihil actu …«
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stimmung der Seele in De An. II 1, 412b4-6 als actus & forma corporis umfaßt werden, was der Absicht des Aristoteles widerspreche, einen koino/tatoj lo/goj, eine allgemeine, alle Seelenarten umfassende Definition zu geben. Dergestalt sei der Geist als anima intellectiva hinsichtlich des Seins gemäß De An. II 1 actus corporis, hinsichtlich der Tätigkeit gemäß De An. III 4 pura potentia.339 Alles nämlich, was Aristoteles in De An. III 4 secundum operationem über den Geist ausgesagt habe, komme ihm als anima intellectiva und nicht als facultas animæ zu, wie Zabarella gegen die genannten Alexandristen wie Portio (aber auch gegen Alexander selbst und Thomas) unter Hinweis auf zahlreiche Textstellen betont340: Wenn der Geist in 429a14 und 429b25 als affizierbar bestimmt wird, so ist damit die anima intellectiva (yuxh\ nohtikh/) gemeint. Denn nicht das Vermögen erleidet etwas – es ist allein die ratio patiendi & recipiendi –, sondern die Seele selbst. Deshalb wird der Geist in 429a22 auch als dunato/j und nicht als du/namij bestimmt, da er als anima potens und nicht als potentia affiziert wird. Ferner habe Aristoteles in 429a27-29 nicht den Geist selbst zum locus specierum gemacht, sondern die anima intellectiva. Das stärkste Argument für seine These gewinnt Zabarella aber aus De An. III 8, 432a2, wo Aristoteles den Geist als ei)=doj ei)dw=n bestimmte, was der Paduaner wie folgt erklärt: »‘Form’ in Hinsicht auf den Körper, ‘der Formen’ in Hinsicht auf die Tätigkeit«341. ‘Form’ bezeichne das Wesen des Geistes hinsichtlich seines Seins, wie es von Aristoteles in De An. II 1 ermittelt werde, während ‘der Formen’ sich auf die species intelligibiles beziehe, die vom Nous aufgenommen werden und Gegenstand von De An. III 4 sind.342 »So bezeugt er [sc. Aristoteles] nämlich, daß der Geist eine Form ist, und zwar eine solche, die für alle Formen aufnahmefähig ist. Daher ist der Geist nicht bloß die Geeignetheit und das Vermögen der Seele, sondern 339
Vgl. Zabarella, III [4], t. 5, 732D-E: »Natura animæ intellectivæ declaratur ab Aristotele duobus modis, uno per respectum ad corpus; altero per respectum ad operationem circa obiecta intelligibilia, ideo propter horum duorum respectuum diversitatem, convenit ei tum nomen actus, tum nomen potentiæ, nam respectu corporis est actus, & ita Aristoteles in principio secundi libri dixit omnem animam esse actum corporis. At respectu operationis est in pura potentia ad omnia intelligibilia, qualis est consideration intellectus in hoc tertio libro, quare nomen actus, & nomen potentiæ in ipsa anima non opponuntur unvicem …« 340 Vgl. a. a. O., 732A-C: »… hoc autem in loco [sc. 429a21-24], dicunt [sc. sectatores Alexandri], Aristotelem non loqui de anima intellectiva, quæ est forma substantialis, sed solum de intellectu, qui est potentia quædam illius animæ, non est anima, neque forma substantialis, cum igitur intellectus hic sumatur pro sola potentia, & facultate animæ, non pro anima, recte dicit Aristoteles, nullam esse aliam eius naturam nisi hanc, quod possibilis est, & nihil est actu ex entibus, sed pura, & nuda facultas animæ. … Hæc sententia mihi nunquam placere potuit, quoniam attributa omnia, quæ adscribit Aristoteles intellectui, conveniunt ipsi ut animæ intellectivæ, non ut facultati animæ.« Ebenso in: Ders., De Mente humana, c. 14, 974F-975E. Dort unter Hinweis auf Thomas und Alexander. 341 Zabarella, De Mente humana, c. 15, 978D: »formam respectu corporis, formarum respectu operationis …« 342
Genauerhin müßte ei)=doj ei)dw=n also mit forma specierum übersetzt werden. Forma ist der klassische Begriff im Zusammenhang mit dem Hylemorphismus, während species ein Terminus der Erkenntnistheorie ist.
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er ist die Seele selbst, welche die Form des Menschen ist.«343 Diese doppelte Seinsweise des Geistes als forma & facultas faßt Zabarella abschließend in folgender Definition zusammen: »Der Geist ist die Form des Menschen, die, da sie nichts von dem Seienden in Wirklichkeit ist, geeignet ist, alles geistig aufzunehmen und zu erkennen.«344 In dieser Bestimmung secundum esse & operationem ist der Geist die Einheit von Sein und Denken, eine Einheit freilich, die sich anders als bei Simplicius nicht in der transzendenten Welt der Ideen ereignet, sondern im Hier und Jetzt des Seins-in-dieser-Welt. Sofern der Geist also vollständig erst im Blick auf seine Tätigkeit erkannt werden kann, stellt sich die Frage, was das Denken ist und wie es beschrieben werden kann. Was ist Gegenstand des Denkens? Ist es das Ding selbst oder die species intelligibilis (nohto\n ei)=doj), von der schon des öfteren die Rede war? Die Antworten auf diese Fragen sind in den nachfolgenden Abschnitten zur Intentionalität (vgl. 3.3.4.) und zum Prozeß natürlicher und wissenschaftlicher Erkenntnis (3.3.7.) zu geben. Die Theorie von der species intelligibilis erfordert dabei auch die Klärung der Funktion des intellectus agens im Erkenntnisprozeß (3.3.5.). Seine daneben gegebene ontologische Bestimmung ist dabei zugleich von entscheidender Bedeutung für die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele (3.3.6.). Hier wird sich nochmals zeigen, wie es um die Einheit von Denken und Sein im Renaissance-Aristotelismus bestellt ist. 3.3.4. Theorien der Intentionalität Die Erkenntnistheorie, zu der für Aristoteles auch die Wahrnehmungstheorie gehört – denn das Wahrnehmen ist ein Unterscheiden (krinei=n, vgl. De An. III 9, 432a16) und damit eine Weise des Erkennens –, ist neben der Lehre vom Geist derjenige Locus, der von der neueren Philosophie am schärfsten kritisiert worden ist. So empfiehlt Burnyeat, diese Theorie ‘zum alten Eisen zu schmeißen’345. Freilich gibt es auch neuere Autoren wie Perler, die ihre Bezüge zur modernen Theorie der Intentionalität herstellen. Sein Ausgangspunkt ist dabei der einfache Sachverhalt, daß »unser Sehen immer ein Sehen von etwas ist, unser Denken ein Denken an etwas und unser Sprechen ein Sprechen über etwas«346. All diese Weisen des Sehens, Hörens, Denkens und Sprechens haben notwendigerweise einen Bezug zu etwas, richten sich auf etwas, so daß es ein 343 Zabarella, De Mente humana, c. 14, 976E-F: »… sic enim testatur [sc. Aristoteles] intellectum esse formam, eamque talem, quæ omnium formarum est receptiva; non est igitur sola aptitudo, & facultas animæ, sed est anima ipsa, quæ est forma hominis.« 344 A. a. O., c. 15, 978B: »intellectus est forma hominis, quæ quum nullum ex entibus sit actu, ea omnia recipere spiritualiter, & cognoscere apta est …« 345 Vgl. M. F. Burnyeat, Is an Aristotelian Philosophy of Mind Still Credible? A Draft, in: Essays on Aristotle’s De Anima, 15-26, hier: 26: »Hence all we can do with the Aristotelian philosophy of mind and its theory of perception as the receiving of sensible forms without matter is what the seventeenth century did: junk it.« 346
Dominik Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter. Frankfurt am Main 2002, VII.
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Sehen und Hören von nichts, ein Denken an nichts nicht geben kann. Den verschiedenen Wahrnehmungsvermögen und dem Geist eignet also die Fähigkeit der Intentionalität, die Fähigkeit, sich auf etwas zu beziehen. Wie ist das möglich? Die Antwort auf diese Frage soll hier zunächst anhand einer »der einflussreichsten mittelalterlichen Intentionalitätstheorien, die bis weit in die Neuzeit hinein diskutiert wurde«347, nämlich der Theorie des Thomas von Aquin, dargestellt werden. In einem zweiten Schritt ist dann die Theorie der Intentionalität bei Toletus, Zabarella und den Conimbricensern in den Blick zu nehmen. 3.3.4.1. Exkurs: Die Theorie der formalen Identität bei Thomas Thomas’ Leitmotiv im Zusammenhang mit der Theorie der Intentionalität ist die gut aristotelische These, daß eine Person sich nur dann kognitiv auf etwas beziehen kann, wenn ihr Geist sich dem zu erkennenden Gegenstand angleicht (vgl. De An. III 4, 430a3-5): »Man muß sagen, daß jede Erkenntnis durch eine Angleichung des Wissenden an das Gewußte erfolgt.«348 Der menschliche Geist wird gleichsam eins mit dem Gegenstand, der erkannt werden soll. Daher kann Thomas auch sagen: »Das Intelligible in Wirklichkeit ist der menschliche Geist in Wirklichkeit«, oder: »Das Erkannte in Wirklichkeit ist der menschliche Geist in Wirklichkeit«349. Dieses »Modell der formalen Identität«350 besagt, daß die kognitive Bezugnahme nur dann gelingt, wenn der menschliche Geist im Vollzug des Denkens mit dem zu erkennenden Gegenstand identisch wird. Wie kommt es aber zu dieser kognitiven Assimilation von Denken und Gedachtem? Und aufgrund welcher Fähigkeiten ist der Geist imstande, sich dem erkennbaren Gegenstand anzugleichen? Als »kognitives Kriterium«351 der Erkenntnis benannte Thomas den Sachverhalt, daß der erkennende Mensch sich darin von der nicht-erkennenden Blume unterscheidet, daß diese nur die eigene Form hat, während jener imstande ist, auch die Form eines anderen Dinges in sich aufzunehmen.352 Ein Beispiel: Der Mensch, der selbst durch 347
A. a. O., 31.
348
Thomas, De Veritate, q. 8, art. 5, in: Opera 22, 235: »Dicendum quod omnis cognitio est per assimilationem scientis ad scitum.« 349 Thomas, STh I, q. 14, art. 2, in: Opera 4, 168: »Unde dicitur in libro de anima, quod sensibile in actu est sensus in actu, et intelligibile in actu est intellectus in actu.« A. a. O., q. 85, art. 2, in: Opera 5, 334: »Ad primum ergo dicendum quod intellectum est in intelligente per suam similitudinem. Et per hunc modum dicitur quod intellectum in actu est intellectus in actu, inquantum similitudo rei intellectae est forma intellectus …« 350
Dominik Perler, Theorien, 31.
351
A. a. O., 33.
352
Thomas, STh I, q. 14, art. 1, in: Opera 4, 166: »… considerandum est quod cognoscentia a non cognoscentibus in hoc distinguuntur, quia non cognoscentia nihil habent nisi formam suam tantum; sed cognoscens natum est habere formam etiam rei alterius, nam species cogniti est in cognoscente.«
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seine eigene substantielle Form strukturiert ist, ist auch imstande, die substantielle und akzidentelle Form einer Rose zu haben. Er kann nämlich zum einen erfassen, was ihr strukturierendes Prinzip ist, und dieses Prinzip durch Wahrnehmungs- und Denkprozesse in sich aufnehmen, und er kann zum andern die akzidentelle Form der Röte erfassen und in sich aufnehmen. Die Aufnahme geschieht dabei nicht auf materielle, sondern auf immaterielle, geistig-intentionale Weise: Die Form wird im Affizierten ohne Materie aufgenommen, insofern es sich dem Tätigen gemäß der Form angleicht. So hat die Form im Wahrnehmungssinn intentionales bzw. geistiges Sein.353 Was ist im Zusammenhang mit der Wahrnehmung unter einem esse intentionale sive spirituale im Gegensatz zu einem esse naturale zu verstehen? Locus classicus für die Theorie von den sinnlich wahrnehmbaren Formen ist De An. II 12, 424a17-19, wo Aristoteles die Wahrnehmung als aufnahmefähig für die wahrnehmbaren Formen ohne die Materie bestimmt hat.354 Er verglich diese Aufnahmeweise mit dem Wachs, das von einem Siegelring das Zeichen (to\ shmei=on, a20) aufnimmt ohne das Eisen. Es nimmt also die Form des Siegels in sich auf, aber nicht in seiner eisernen Form, sondern in seiner ihm gemäßen ‘wächsernen’ Form. Auf ähnliche Weise nimmt nun das Auge die wahrnehmbare Form auf sehende Weise auf, das Ohr auf hörende Weise etc. Wie dieser intentionale Wahrnehmungsakt genauer geschieht, beschreibt Thomas wie folgt: Bei der Wahrnehmung kommt es anders als bei einer natürlichen Veränderung, wo die Form des Verändernden mit dem esse naturale im Veränderten aufgenommen wird, wie die Form der Hitze im Erhitzten, zu einer geistigen Veränderung. Hierbei wird die Form des Verändernden mit einem geistigen Sein im Veränderten aufgenommen, wie die Form der Farbe in die Pupille, die dadurch ja nicht gefärbt wird. Für die Tätigkeit des Wahrnehmungssinnes ist also eine immutatio spiritualis erforderlich, durch die eine Aufnahme der wahrnehmbaren Form im Wahrneh353 Vgl. Thomas, In libros de anima II et III, hier: lib. 2, lc. 24, n. 3, in: Opera omnia (Busa), Tomus 4, 357: »et ideo forma recipitur in patiente sine materia, inquantum patiens assimilatur agenti secundum formam, et non secundum materiam. et per hunc modum, sensus recipit formam sine materia, quia alterius modi esse habet forma in sensu, et in re sensibili. nam in re sensibili habet esse naturale, in sensu autem habet esse intentionale sive spirituale.« Zabarella hat in seiner Schrift Libri duo de Visu als ursprüngliche Bedeutung des Begriffs intentio das Aufmerken des Geistes, sein gezieltes Sich-richten-auf … bei der Betrachtung eines Gegenstandes benannt: »Ego dico intentionem nil aliud esse, quam attentionem, ac diligentiam animæ in alicuius rei consideratione, quo fit, ut intentum etiam sumamus pro attento …» (in: De Rebus naturalibus, 855-914, hier: c. 6, 871A) Diese Bedeutung sei dann später von den Philosophen zur Bezeichnung jedes Begriffs und jeder Form, sei dies nun die species sensibilis oder die species intelligibilis, die beide geistig-immaterielle Formen sind, die das reale Objekt repräsentieren, verwendet worden. Hieraus habe sich dann die Differenzierung zwischen den intentiones primæ & secundæ ergeben (vgl. hierzu Zabarella, De Natura Logicæ, lib. I, c. 3, 6AF). Jene repräsentieren den Gegenstand selbst auf unmittelbare Weise in der Seele, wie der Begriff ‘Stein’, diese nur auf mittelbare Weise, wie der Begriff ‘Gattung’. Schließlich sei der Begriff ‘intentio’ auch auf außerseelische Verhältnisse angewandt worden, so daß das, was die Repräsentation eines anderen sei, ein esse intentionale genannt werde, obgleich es nicht in der Seele sei. 354
Vgl. Aristoteles, De An. II 12, 424a17-19: »Kaqo/lou de\ peri\ pa/shj ai)sqh/sewj dei= labei=n o(/ti h( me\n ai)/sqhsi/j e)sti to\ dektiko\n tw=n ai)sqhtw=n ei)dw=n a)/neu th=j u(/lhj …«
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mungsorgan entsteht.355 Diese geistige Veränderung im Wahrnehmungssinn ist also Voraussetzung des geistigen Seins einer Form im Wahrnehmungsorgan. Was geschieht aber mit dieser wahrgenommenen Form? Zum einen werden im sensus communis die einzelnen Formen zusammengeführt, zum andern werden im Vorstellungsvermögen (phantasia) auf der Grundlage der wahrgenommenen Formen sogenannte Phantasmata hergestellt, die erinnerlich sind. Da von ihnen die species intelligibiles abstrahiert werden, muß kurz erklärt werden, was sie sind. Perler betont, daß für Thomas die Phantasmata weder Sinneseindrücke – sie sind bereits durch den sensus communis synthetisiert –, noch Begriffe – diese werden vom Geist gebildet –, noch piktoriale Repräsentationen – es gibt auch auditive, taktile, haptische etc. Vorstellungen –, sondern ähnliche Darstellungen des Wahrgenommenen sind, wobei die similitudo als Übereinstimmung oder Übereinkunft in der Form (secundum convenientiam vel communicationem in forma) zu verstehen ist. Anders formuliert: Die Ähnlichkeitsrelation zwischen dem Phantasma und dem Gegenstand selbst ist eine »Übereinstimmung in der Form bzw. … ein gemeinsames Haben einer Form«356. Die Präsenz eines Phantasmas ermöglicht so die Intentionalität auf der Ebene der Wahrnehmung und Vorstellung: »Die Bezugnahme des Phantasmas auf einen Wahrnehmungsgegenstand wird dadurch gewährleistet, (i) dass das Phantasma in einer Kausalrelation zum Wahrnehmungsgegenstand steht (es wird ja auf der Grundlage einer visuellen, taktilen, auditiven usw. Wahrnehmung gewonnen) und (ii) dass das Phantasma und der Wahrnehmungsgegenstand in einer Form übereinstimmen. Vollständige Intentionalität ist nur möglich, wenn eine Kausalrelation und eine Übereinstimmng in der Form vorliegen.«357
Da sich ein Phantasma aber nur auf Singuläres bezieht, ist es nicht ausreichend zur Erkenntnis von etwas als etwas, nämlich zur Erkenntnis eines Einzelnen im Lichte des Allgemeinen. Hierfür bedarf es einer spezifisch intellektuellen Tätigkeit, die vom Phantasma eine species intelligibilis abstrahiert. Nur wenn dies geschieht, ist für Thomas eine intellektuelle Bezugnahme auf einen Gegenstand möglich. Was ist unter dieser Abstraktion zu verstehen, und was ist eine species intelligibilis? Für Thomas besteht das Abstrahieren des Allgemeinen vom Besonderen bzw. der species intelligibilis vom Phantasma darin, die Natur der Form zu betrachten, und zwar unabhängig von den individuellen Prinzipien, die durch das Phantasma repräsentiert
355 Vgl. Thomas, STh I, q. 78, art. 3, in: Opera 5, 254: »Est autem duplex immutatio: una naturalis, et alia spiritualis. Naturalis quidem, secundum quod forma immutantis recipitur in immutato secundum esse naturale, sicut calor in calefacto. Spiritualis autem, secundum quod forma immutantis recipitur in immutato secundum esse spirituale; ut forma coloris in pupilla, quae non fit per hoc colorata. Ad operationem autem sensus requiritur immutatio spiritualis, per quam intentio formae sensibilis fiat in organo sensus.« 356
Dominik Perler, Theorien, 55.
357
A. a. O., 58.
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werden.358 Die bei dieser Abstraktion gewonnene species intelligibilis versetzt in die Lage, das Wesen eines Gegenstandes, das ein Allgemeines ist, zu erkennen. Die Abstraktion geschieht dabei von der individuellen, nicht aber von der allgemeinen wahrnehmbaren Materie aus. Die species intelligibilis ist dergestalt nichts anderes als die »Darstellung des Wesen selbst des Dinges, und sie ist gewissermaßen das Wesen und die Natur des Dings gemäß dem intelligiblen Sein, nicht gemäß dem natürlichen Sein, wie es in den Dingen vorkommt.«359 Wie also der Form des wahrgenommenen Gegenstandes im Wahrnehmungsorgan das esse intentionale sive spirituale zukommt, und wie das Phantasma eine ähnlich Darstellung des Wahrgenommenen gemäß einer Übereinstimmung oder Übereinkunft in der Form ist, so ist die species intelligibilis eine similitudo, die gewissermaßen das Wesen eines Dings secundum esse intelligibile ist. Im gesamten Erkenntnisprozeß ist also die Form des Gegenstandes auf immaterielle, geistig-intentionale Weise gegenwärtig. Erkennen heißt dergestalt nichts anderes, als im Prozeß einer zunehmenden Vergeistigung durch die Wahrnehmung über die Vorstellung zur Erkenntnis des Einzelnen im Lichte des Allgemeinen zu gelangen, in der man über ein Wissen des Wesens des Dings gemäß dem intelligiblen Sein verfügt. In der Forschung ist dabei umstritten, ob die species intelligibilis der primäre Gegenstand des Denkens ist (id quod intelligitur) oder dasjenige, wodurch gedacht wird (id quo intelligitur). Während Spruit unter Berufung auf STh I, q. 85, art. 2360 die These vertritt, daß die species intelligibilis ausschließlich das quo intelligitur ist361, ist für Perler die species beides, das quo & quod intelligitur, je nachdem, ob sie ontologisch oder epistemologisch betrachtet wird. Hierfür verweist er auf eine Äußerung aus dem frühen Sentenzenkommentar des Thomas, wo es heißt: 358 Vg. Thomas, STh I, q. 85, art. 1, in: Opera 5, 331: »Et hoc est abstrahere universale a particulari, vel speciem intelligibilem a phantasmatibus, considerare scilicet naturam speciei absque consideratione individualium principiorum, quae per phantasmata repraesentantur.« 359 Thomas, Quaestiones de quodlibet VIII, q. 2, art. 2, in: Opera 25,1, 59: »Sed intellectus cognoscit ipsam naturam et substanciam rei, unde species intelligibilis est similitudo ipsius essentiae rei et est quodam modo ipsa quidditas et natura rei secundum esse intelligibile, non secundum esse naturale, prout est in rebus ...« Vgl. auch Ders., STh I, q. 85, art. 2, in: Opera 5, 334: »Unde similitudo rei visibilis est secundum quam visus videt; et similitudo rei intellectae, quae est species intelligibilis, est forma secundum quam intellectus intelligit.« 360
Vgl. Thomas, STh I, q. 85, art. 2, in: Opera 5, 333f.: »Sed contra, species intelligibilis se habet ad intellectum, sicut species sensibilis ad sensum. Sed species sensibilis non est illud quod sentitur, sed magis id quo sensus sentit. ergo species intelligibilis non est quod intelligitur actu, sed id quo intelligit intellectus. Respondeo dicendum quod quidam posuerunt quod vires cognoscitivæ quæ sunt in nobis, nihil cognoscunt nisi proprias passiones. … et secundum hoc, intellectus nihil intelligit nisi suam passionem, idest speciem intelligibilem in se receptam. Et secundum hoc, species huiusmodi est ipsum quod intelligitur. Sed hæc opinio manifeste apparet falsa …« 361 Vgl. Leen Spruit, Species intelligibilis. From Perception to Knowledge. Volume one. Classical Roots and Medieval Discussions. Volume two. Renaissance Controversies, Later Scholasticism, and the Elimination of the Intelligible Species in Modern Philosophy. Leiden u. a. 1994/5, hier: Vol. 1, 159: »The intelligible species is characterized as ‘quo intelligitur’. It is not a ‘quod intelligitur’, because scientific knowledge concerns res, rather than species oder intentions.«
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De Anima »Zum dritten Punkt ist zu sagen, daß gemäß Avicenna die intelligible Form auf zweifache Weise betrachtet werden kann: entweder gemäß dem Sein, das sie im Geist hat, und dann hat sie ein einzelnes Sein; oder gemäß der Tatsache, daß sie die Darstellung eines so erkannten Dings ist, insofern sie zur Erkenntnis dieses Dings führt, und in dieser Hinsicht hat sie eine Universalität.«362
Hinsichtlich des Seins, so erklärt Perler diese Textstelle, ist die species intelligibilis eine Entität, die im Intellekt als esse singulare existiert. Damit ist sie ein individuelles Akzidens des Intellekts, d. h. ein kognitives Hilfsmittel (=id quo intelligitur). Ist sie dagegen inhaltlich als similitudo einer erkannten Sache bestimmt, dann ist sie das, was kognitiv im Intellekt ist und was von ihm erkannt wird (=id quod intelligitur): das Wesen einer Sache, und da dieses Wesen allgemein ist, hat die species einen universalen Charakter.363 Die Richtigkeit dieser Interpretation kann auch von der von Spruit zitierten Stelle in STh I, q. 85, art. 2 her gewonnen werden. Thema dieser quæstio ist die Art und Weise und die Reihenfolge des Erkennens – de modo et ordine intelligendi. Zu diesem Themenkomplex gehört auch die Frage, ob die von den Phantasmata abstrahierten intelligiblen Formen sich zu unserem Geist als ein id quod intelligitur oder als ein id quo intelligitur verhalten. Als These wird formuliert, daß sich die species als ein id quod intelligitur verhält, denn das aktuell Gedachte ist im Denkenden, weil es der jetzt dieses Bestimmte denkende Geist selbst ist. Von der gedachten Sache ist aber außer der species intelligibilis abstracta nichts im aktuell denkenden Geist. Folglich ist eine solche species das in Wirklichkeit Gedachte.364 Gegen diese These werden von Thomas nun zwei Einwände formuliert: 1. Wenn das, was der Mensch denkt, nur die in der Seele befindliche Form wäre, so würde folgen, daß all unser Wissen nicht auf die Dinge ginge, die außerhalb der Seele sind, sondern nur auf die in der Seele befindliche species intelligibilis. 2. Es würde der Irrtum der Alten folgen, wonach alles, was so scheint, wahr ist (vgl. Met. IV 5, 1009a8). Damit wäre aber Widersprüchliches zugleich wahr, weil jeder immer nur über seine eigene Affektion urteilen würde, so daß jedes Urteil wahr wäre. Hieraus folgert Thomas den von Spruit insoweit auch richtig erkannten Sachverhalt: »Und deshalb muß man sagen, daß die intelligible Form sich zum Geist
362
Thomas, Commentarius in librum secundum Sententiarum, dist. 17, q. 2, art. 1, ad 3, in: Opera omnia (Busa), Tomus 1, 173: »Ad tertium dicendum, quod secundum Avicennam species intellecta potest dupliciter considerari: aut secundum esse quod habet in intellectu, et sic habet esse singulare; aut secundum quod est similitudo talis rei intellectae, prout ducit in cognitionem eius, et ex hac parte habet universalitatem …« 363
Vgl. Dominik Perler, Theorien, 72f.
364
Vgl. Thomas, STh I, q. 85, art. 2, in: Opera 5, 333: »Ad secundum sic proceditur. Videtur quod species intelligibiles a phantasmatibus abstractæ, se habent ad intellctum nostrum sicut id quod intelligitur. Intellectum enim in actu est in intelligente, quia intellectum in actu est ipse intellectus in actu. Sed nihil de re intellecta est in intellectu actu intelligente, nisi species intelligibilis abstracta. Ergo huiusmodi species est ipsum intellectum in actu.«
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verhält, wie das, wodurch der Geist denkt.«365 Oder anders formuliert: Die Darstellung der gedachten Sache, welche die species intelligibiliis ist, ist diejenige Form, der gemäß der Geist erkennt. Weil nun aber, so fährt Thomas fort, der Geist auf sich selbst reflektiert, so denkt er gemäß ein und derselben Reflexion sowohl sein eigenes Denken als auch die Form, durch die er denkt. »Und so ist die intelligible Form sekundär das, was gedacht wird. Aber das, was primär gedacht wird, ist das Ding, dessen Darstellung die intelligible Form ist.«366 Die species intelligibilis ist also zum einen dasjenige, wodurch der Geist denkt, und zugleich dasjenige, was gedacht wird, dies aber nur auf sekundäre Weise, sofern sie die Repräsentation eines wirklichen Dinges ist. Dieser knappe Durchgang durch die Intentionalität der Vorstellungs- sowie der intellektuellen Akte bei Thomas ergibt somit zwei verschiedene intentionale Beziehungen, wie Perler abschließend betont: »(a) Ein Wahrnehmungsakt richtet sich auf eine Form, sodass diese mit individuierenden Eigenschaften im Phantasma präsent ist. (b) Ein intellektueller Akt richtet sich auf eine Form, sodass diese ohne individuierende Eigenschaften in einer intelligiblen Species präsent ist.«367
Spruit nennt diese Lösung, mit der Thomas das Problem der formalen Vermittlung von der Wahrnehmung über die Vorstellung zur Erkenntnis klärt, »(the) ‘canonical’ theory of intelligible species – touchstone for all subsequent discussions.«368 Daß diese Theorie auch noch für die Jesuiten und Zabarella ein ‘Probierstein’ war, ist nun aufzuzeigen. 3.3.4.2. Die Geeignetheit des Geistes für die Erkenntnis der Dinge Der Locus De speciebus intelligibilibus gehört mit in den Umkreis der epistemologischen Bestimmung des menschlichen Geistes. Seine oben durch Zabarella gegebene Definition als forma formarum ließ zunächst noch unbestimmt, was denn genauer unter formarum als species intelligibiles zu verstehen ist und wie ihre Aufnahme geschieht. Genau diese Fragen sind Gegenstand des hier zu verhandelnden Locus, dessen Bedeutung für die aristotelische Erkenntnistheorie bei den Renaissance-Aristotelikern unumstritten war, mag auch die Frage nach seinem Ort im Kommentar verschiedentlich beantwortet worden sein. So erörterte Toletus diesen Themenkomplex im Anschluß an De An. III 7369, während die Conimbricenser ihn bereits im Anschluß an De An. III 5
365 A. a. O., 334: »Et ideo dicendum est quod species intelligibilis se habet ad intellectum ut quo intelligit intellectus.« 366
Ebd.: »Et sic species intellectiva secundario est id quod intelligitur. Sed id quod intelligitur primo, est res cuius species intelligibilis est similitudo.« 367
Dominik Perler, Theorien, 76.
368
Leen Spruit, Species intelligibilis I, 156.
369
Vgl. Toletus, III 7, q. 21, 164va: »An sint species intelligibiles necessariæ?«
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thematisierten370. Zabarella wiederum, so Spruit, »was the last philosopher of the sixteenth century to take the issue of the intelligible species so seriously that he devoted a separate treatise to it«371, nämlich den Traktat De Speciebus intelligibilibus372, der in seinem Commentarius de anima im Anschluß an De An. III 4, 429b9 abgedruckt worden ist373. Für diese verschiedenen Anordnungen gibt es jeweils gute Gründe. Für Zabarella könnte man auf De An. III 4, 429a27f. verweisen, wo der Geist als to/poj ei)dw=n (locus specierum) bestimmt wird.374 Die Conimbrincenser können mit der Anordnung nach De An. III 5 den Zusammenhang zwischen dem intellectus agens und seiner Funktion als Verursacher der species intelligibiles verdeutlichen. Toletus könnte sich schließlich auf De An. III 7, 431b2ff. berufen, wo Aristoteles das Wie des Erfassens der intelligiblen Formen näherhin erörtert hat. Doch auch eine Anordnung nach De An. III 8 wäre unter Hinweis auf 432a2 möglich, wo der Geist als ei)=doj ei)dw=n (forma formarum bzw. specierum) bestimmt wird. All diese verstreuten Äußerungen galt es nun, im Locus De speciebus intelligibilibus zu systematisieren. Daß diese Erkenntnistheorie einen entscheidenden Unterschied zwischen Platon und Aristoteles markiert, hat Zabarella gleich zu Beginn seiner Schrift in scharfen Worten gegen Simplicius’ Versuch einer Kombination von platonischen und aristotelischen Elementen betont. »Wir erörtern daher diese Sache [sc. über die species intelligibiles] gemäß den Prinzipien der Philosophie des Aristoteles, und vor allem verwerfen wir die ihm offensichtlich widersprechende Ansicht des Simplicius und der Platoniker und schließen sie vollkommen von unserer Erörterung aus, da eine zu lange Abhandlung erforderlich wäre, um die Ansicht des Aristoteles über den menschlichen Geist und seine Funktion mit der Ansicht des Platon zu vergleichen.«375
Den Hauptunterschied erkannte der Paduaner darin, daß die Platoniker den menschlichen Geist mit angeborenen Ideen (rationes ideales in se naturaliter insitas, & consubstantiales, non ut extrinsecus impressas) ausgestattet haben, der nichts von den Phantasmata aufnimmt, sondern von diesen allein angeregt wird zur Betrachtung der (trans-
370 Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 3, art. 1, 381: »Utrum necessariò dandæ sint in nostro intellectu species intelligibiles, an non?« 371
Leen Spruit, Species Intelligibilis II, 226.
372
Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, in: Ders., De Rebus naturalibus, 979-1006.
373
Vgl. Zabarella, III [4], 785-812.
374
Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 1, 979A: »De mente humana agens Aristoteles in 3. de Anima libro frequenter specierum intelligibilium mentionem fecit; dixit enim ipsam esse locum specierum …« 375 Vgl. a. a. O., 979C-980A: »Nos igitur hac de re secundum principia philosophiæ Aristotelis disputaturi, ante omnia Simplicii, & Platonicorum sententiam tamquam Aristoteli manifeste adversantem reiicimus, & ab hac nostra disputatione penitus excludimus; quippe quum nimis longa oratione opus esset ad Aristotelis de mente humana, eiusque operatione sententiam cum Platonis opinione conferendam …«
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zendentalen) Ideen376, während ihn Aristoteles als tabula rasa bestimmt hat, als vollkommen unvermischt mit den intelligiblen Objekten, die er erst im Verlaufe des Erkenntnisprozesses durch Abstraktion von den species sensibiles mithilfe der Phantasmata in sich aufnimmt. Für Zabarella besteht die Differenz zwischen platonischer und aristotelischer Erkenntnistheorie also nicht nur in einem je verschiedenen Verständnis des Begriffs ei)=doj (dort angeboren, hier durch Abstraktion aufzunehmen), sondern auch in der unterschiedlichen Bestimmung des menschlichen Geistes (dort vermischt, hier unvermischt mit den Ideen). Das Erkennen ist somit bei Platon wesentlich ein Rückbinden an die ewigen Ideen im Aufstieg zu ihnen im Sinne der Teilhabe (me/qecij), während es bei Aristoteles ein eigens vom Geist selbst zu initiierender Prozeß der fortschreitenden Abstraktion ist, an dessen Ende es zur Übereinstimmung von Denken und Gedachtem (species intelligibilis) kommt. Diese aristotelische Theorie ist freilich nicht ohne Schwierigkeiten: Was meint die Übereinstimmung von Denken und Gedachtem? Wie geschieht die Aufnahme der intelligiblen Formen? Was sind sie genauer, und worin besteht ihre Funktion im Erkenntnisprozeß? Ja, es gab sogar Autoren wie Theophrast, Themistius und Avempace, welche diese Funktion und damit das Sein dieser Formen schlechthin bestritten. Denn zum einen sei unklar, wer oder was sie bewirke, da sie weder der Geist wegen seiner reinen Rezeptivität noch das Phantasma wegen seiner Materialität hervorbringen könne, zum andern, wie sie im organlosen Geist aufbewahrt werden könnten. Folglich erkenne der Geist nicht durch die intelligible Form, sondern allein durch die Phantasmata. Für die Jesuiten und Zabarella gab es dagegen keinen Zweifel, daß die species intelligibiles im Erkenntnisprozeß unverzichtbar sind377, was sie mit zahlreichen Stellen aus De An. III 4-8 belegten378: So habe Aristoteles den intellectus possibilis als aufnahmefähig für die intelligiblen Formen bestimmt (429a15f.). Damit bringe er sie zwar nicht aus sich selbst hervor, wie von Theophrast zu Recht betont worden sei; vielmehr be376
Wie in 2.3.1. gesehen, hatte Simplicius das nohto\n ei)=doj (species intelligibilis) in platonischer Tradition als eine transzendentale Idee verstanden, die nichts anderes sei als eine ou)si/a a)me/rista, an welcher der Geist nur Anteil gewinnen könne. 377
Vgl. Toletus, III 7, q. 21, 164vb: »Species intelligibiles sunt in Intellectu necessariò ad intelligendum.« Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 2, 980B: »Quum Aristoteles species rerum intelligibilium tanquam ad intellectionem necessarias manifeste posuerit …« Coll. Conimbricense, III 5, q. 3, art. 2, 382: »Hæc tamen opinio probanda non est, sed cum schola Peripatetica, communi Philosophorum approbatione, asserendum dari in intellectu species intelligibiles …« 378
Eine umfassendere Darstellung von Aristoteles’ Erkenntnistheorie müßte von De An. II 5 den Ausgang nehmen, denn die »denkende Erfahrung des Seienden ist für Aristoteles an die sinnliche Erfahrung gebunden. Das bedeutet: das im Denken Erfahrbare ist dem Menschen nicht direkt in seiner reinen Form, sondern zunächst immer nur in und an dem durch die Wahrnehmung vermittelten Sinnfälligen gegeben.« (Klaus Oehler, Lehre, 189) Einschlägig ist hierfür De An. III 8, 432a4f.: »… e)n toi=j ei)/desi toi=j ai)sqhtoi=j ta\ nohta/ e)sti …« / » … so sind in den wahrnehmbaren Formen die denkbaren enthalten …« (Übersetzung Theiler) Ohne sinnliche Wahrnehmung kann es für Aristoteles kein Lernen und Verstehen geben, was im deutlichen Gegensatz zur platonischen AnamnesisLehre steht (vgl. hierzu 3.3.7.1.).
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dürfe er hierfür des intellectus agens, der sie aufnahmefähig mache (430a14-17). Gleichwohl, so die Renaissance-Aristoteliker, spricht dies nicht gegen ihre Notwendigkeit im Erkenntnisprozeß, der von einer zunehmenden Immaterialisierung und Vergeistigung – denn nicht der Stein ist in der Seele, sondern dessen immaterielle Form (431b29f.) – gekennzeichnet ist, in dem die Phantasmata nur der erste, wenn auch notwendige Schritt sind, da die Seele gemäß 431a16f. niemals ohne Phantasmata erkennt. Und in 431b2 heiße es wiederum, daß der Geist die species intelligibiles in den Phantasmata erfasse, so daß er zu Recht als to/poj ei)dw=n (429a27f.) bestimmt werde, da sich dort die Einheit von Denkendem und Gedachtem ereigne (430a2-5). Folglich seien sowohl die Phantasmata wie auch die species intelligibiles notwendige Bestandteile des Erkenntnisprozesses. Wie bestimmte man nun die species intelligibilis? Wie Thomas, so nannten die Conimbricenser sie eine imago rei intelligendæ, ein Abbild oder – besser noch, weil es nicht nur um optische, sondern auch um taktile, auditive ‘Bilder’ etc. geht – eine Repräsentation des zu erkennenden Gegenstandes. Sie ist also zunächst einmal nicht der Gegenstand selbst, sondern dessen Repräsentation, das quo intelligitur, nicht das quod intelligitur.379 Und als ein solches principium intelligendi bewirkt sie zusammen mit dem intellectus agens die Erkenntnis. Dabei wird sie dem intellectus possibilis eingeprägt, weshalb sie auch eine species impressa genannt wird, denn als ein dem Geist Inhärierendes ist sie anders als das Phantasma, das (noch) dem Körper inhäriert, etwas vollkommen Immaterielles. Ferner betonten die Conimbricenser wie auch Toletus unter Berufung auf Thomas380 gegen Avicenna, daß sie im Geist, genauer im Gedächtnis nach der aktuell vollzogenen Erkenntnis aufbewahrt bleibt. Dies belegten sowohl Äußerungen des Aristoteles (vgl. De An. III 4, 429a27f.; III 7, 431b1-8) wie auch die Tatsache, daß wir uns erinnern: Wie es nämlich eine memoria sensitiva gebe, welche die species sensibiles aufbewahre, so auch eine memoria intellectiva, welche die species intelligibiles erinnerungsfähig mache, wie auch Augustinus in seinen Confessiones381 gelehrt habe.382 379 Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 3, art. 2, 383. Toletus hat die species sensibiles als ein simulachrum quoddam rei, & imago, obiectum repræsentans (II 12, q. 33, 109ra) bestimmt. Dies gilt analog auch für die species intelligibiles. 380
Vgl. Thomas, Scg II 74, in: Opera 13,2, 469f.
381
Vgl. Augustinus, Confessiones, lib. X, c. VIII.12 (PL 32, 784): »… et venio in campos et lata praetoria memoriae, ubi sunt thesauri innumerabilium imaginum de cujuscemodi rebus sensis invectarum. Ibi reconditum est quidquid etiam cogitamus …« 382 Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 3, art. 2, 384: »Nam cognitio intellectiva multo est perfectior quàm sensitiva: ergo si ad sensitivam cognitionem conservantur species, ut fatetur Avicenna, multo maiori iure conservabuntur ad intellectivam; maximè cum intellectus possibilis multo firmior sit, quàm esse materiæ corporeæ, quæ sensim fluit, & amittitur, in qua tamen sustentantur potentiæ sensitivæ. Deinde, quia si hæc positio vera esset, nulla prorsus ratio memoriæ daretur in parte intellectiva, nec recordaremur nos elicuisse conceptus rerum universalium, quod est contra experientiam.« Toletus, III 7, q. 21, 165ra: »Species manent in intellectu, etiam cessante actuali intellectione: & respectu harum dicitur intellectus memoria.«
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Zabarella hielt weder diese noch die gegenteilige, von Heinrich von Gent und Johannes Bacconius vertretene Ansicht, wonach es nur außerhalb des Geistes bleibende Formen, die sogenannten species expressæ gebe, für schlechthin wahr; vielmehr wählte er auch hier die mittlere Position. Danach » kann die Erkenntnis ohne eine Einprägung der intelligiblen Form in den Geist nicht geschehen, die gewissermaßen verschieden ist vom hervorbringenden Phantasma und von der aufnehmenden Substanz des Geistes.«383 Denn die Partei um Heinrich von Gent gehe fehl in der Meinung, daß es im Geist vor dem Erkenntnisakt keine intelligible Form gebe, und die andere Partei um Thomas täusche sich darin, daß sie die intelligible Form nach der Erkenntnis im Geist verbleiben lasse. Vielmehr werde die Form im Geist nur so lange aufbewahrt, wie der Erkenntnisakt andauere, weil die in den Geist aufgenommene Form und die Erkenntnis der Sache nach dasselbe seien.384 Um diese These, die Zabarella betont vorsichtig formuliert (puto, credo, arbitror), zu stützen, muß er die folgenden drei Sachverhalte erweisen: 1. Da das Vorstellungsvermögen ohne die intelligible Form nicht hinreichend für eine Erkenntnis ist, muß die Form vom Phantasma in den Geist eingeprägt werden. 2. Weder geht die intelligible Form der Zeit nach der Erkenntnis voran, noch wird sie nach der Erkenntnis aufbewahrt. 3. Der Geist ist ein Habitus, so daß er etwas betrachten kann, wann er es will. Zu 1. Da bei der Erkenntnis eine Vereinigung des Geistes mit dem Intelligiblen geschieht, der Geist also die erkannte Sache selbst wird, dies aber nur geschehen kann, wenn etwas in den Geist aufgenommen wird, was vorher dort nicht war – und das sind gewiß nicht die Dinge selbst (vgl. De An. III 8, 431b25-432a1) –, müssen die species intelligibiles in den Geist eingeprägt werden. Bliebe nämlich das Intelligible außerhalb des Geistes, so könnte es nicht zur Einheit beider kommen. Für Zabarella genügt hierfür auch nicht das mittels der Wahrnehmung gewonnene Phantasma. Es prägt als forma producens dem Geist zwar die Form ein, wird aber nicht selbst in den Geist aufgenommen. Daher bedarf es noch einer weiteren Form, der forma producta in patiente. »Aber das Phantasma ist die aktive Form im Geist, und der Geist erleidet etwas vom Phantasma; also muß es neben dem Phantasma noch eine andere von ihm hervorgebrachte Form geben.«385 Und diese forma producta sei die species intelligibilis, die der Geist erkenne, indem er sie beurteile, und so sei die species impressa als species intelligibilis die Erkenntnis selbst, wie aus De An. III 4, 430a3-5 und III 7, 431a1f. (vgl. auch Met. XII 9, 1075a3-5) ersichtlich werde, wo Aristoteles die Einheit von Geist und Intelligiblem, von Denkendem und Gedachtem im Erkenntnisakt betont habe. Für Za383 Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 5, 986C-D: »Ego in hac difficultate neutri opinioni adhærendum puto, sed mediam quandam viam tenendam … credo intellectionem fieri non posse sine impressione speciei intelligibilis in intellectu, quæ sit quiddam diversum tum à phantasmate producente, tum à substantia intellectus recipiente …« 384 A. a. O., 986D-E: »ego enim arbitror tam diu servari in intellectu speciem, quam diu intellectus intelligit actu, quia puto speciem in intellectu receptam, & intellectionem reipsa idem esse …« 385 A. a. O., 988C-D: »at phantasma est forma agens in intellectum, & intellectus à phantasmate patitur; ergo necesse est præter phantasma dari aliam formam ab ipso productam in intellectu …«
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barella ist also die species intelligibilis nicht das quo intelligitur, sondern das quod intelligitur. Sofern nämlich sie und die Erkenntnis dasselbe sind, die Erkenntnis aber die Einheit des Geistes mit der erkannten Sache ist, ist klar, daß die species intelligibilis die Sache selbst ist. Ein Beispiel: Das aktuelle Wissen von einem Pferd ist das ‘geistige’ Pferd selbst als das Wißbare. Der Unterschied ist nur einer der Betrachtungsweise: Wenn das Wißbare auf den Geist selbst bezogen wird, in dem es als das Gewußte ist und von dem es beurteilt wird, dann wird es eine Erkenntnis genannt. Wenn es aber auf das äußere Objekt bezogen wird, dann wird es dessen Form, Abbild oder das ‘geistige’ Objekt genannt.386 Für Spruit folgt hieraus: »Zabarella took the cognitive act and the impressed species to be two aspects of the same phenomen, considered in relation to the intellect and to the external object, respectively.«387 Anders gesagt: Die Einheit von intelligibler Form (ei)=doj nohto/n) und Erkenntnis (no/hsij) ist die Einheit von Intelligiblem (noou/menon) und Geist (nou=j).388 Zu 2. Daß die intelligiblen Formen weder der Zeit nach der Erkenntnis vorangehen noch nach ihrem Vollzug aufbewahrt bleiben, ergibt sich für Zabarella klar aus De An. III 4, 430a3-5: Sofern Denkendes und Gedachtes dasselbe sind, ist die in den Geist eingeprägte Form die Erkenntnis selbst, und deshalb kann sie nicht der Zeit nach der Erkenntnis vorangehen, sondern wird immer im aktuellen Vollzug der Erkenntnis mit aufgenommen, ja ist diese selbst. Daher verbleibt sie nach der Erkenntnis auch nicht im Geist, sondern vergeht mit dieser selbst – anders als die Wahrnehmungen und Phantasmata (vgl. De An. III 2, 425b24f.), die in den Sinnesorganen bzw. im Gedächtnis aufbewahrt bleiben. Es gibt also keinen Habitus der intelligiblen Formen, vielmehr
386
Vgl. a. a. O., 989A-B: »etenim nil aliud est intellectio, quam species impressa, ut asserit apertissime Arist. in cont. 15. 27. 37 libr. 3. de Anima [vgl. De An. III 4, 430a3-5; III 7, 431a1f.], dum inquit scientiam, & scibile idem esse, non quidem scibile materiale, quod extra animam est, sed scibile spirituale, quod est in anima; hoc enim scibile idem est ac scientia, quæ actu est: ut actualis cognitio equi est equus ipse spiritualis; discrimen est solum secundum rationem, hoc est, secundum diversas considerationes: nam si referatur ad ipsum intellectum, in quo est, & à quo iudicatur, dicitur intellectio; si vero ad obiectum externum, vocatur species, & imago illius, seu illud ipsum spiritualiter.« 387
Leen Spruit, Species intelligibilis II, 232.
388
Auch Klaus Oehler stellt im Zusammenhang mit den beiden Textstellen De An. III 4, 430a2-5 und Met. XII 9, 1075a3-5 fest: »Diese Identität der im Einsehen (no/hsij) aktuellen Einsicht (nou=j) mit dem Eingesehenen (noou/menon), das heißt mit dem aktuell Einsichtigen (e)nergei/# nohto/n), welches durch den Vollzug der Einsicht im Einsehen aus einem potentiell Einsichtigen (duna/mei nohto/n) hervorgegangen ist, entspricht der Identität der aktuellen Sinneswahrnehmung mit dem Wahrgenommenen, das heißt mit dem aktuell Wahrnehmbaren [vgl. De An. II 12, 424a25; III 2, 425b26 f.].« (Lehre, 193) Hier zeigt sich, daß die Übersetzung von nou=j mit ‘Einsicht’ unglücklich ist, denn sein Vergleich mit der Wahrnehmung in De An. III 4 zielt ja nicht auf die nähere Beschreibung der unvermittelten Prinzipienerkenntnis ab, sondern auf das Denken in seiner allgemeinsten Form, zu der gemäß De An. III 4, 429a10 f. das ginwskei=n & fronei=n, das theoretische Wissen sowie das praktische Sich-verhalten-zu … gehören. Der nou=j muß hier also in seiner weiten Bedeutung als Denken verstanden werden.
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müssen diese immer wieder neu vom Vorstellungsvermögen im Geist hervorgebracht werden, denn er erkennt gemäß De An. III 7, 431a16f. nie ohne Phantasmata.389 Zu 3. Was sind dann aber jene Haltungen, die dem Geist als bleibende zugeschrieben werden und weshalb er intellectus in habitu genannt wird? Wenn nach der Erkenntnis keine Form in ihm verbleibt, was kann dann noch Habitus genannt werden? Für Zabarella ist es die Geeignetheit des Geistes zur Erkenntnis der Dinge. »Ich sage daher, daß im Geist aus vielen Erkenntnisvorgängen eine gewisse größere Geeignetheit oder bestimmte Haltung für die Erkenntnis derselben Dinge erworben wird, die er vorher nicht hatte, und diese Geeignetheit wird erworbene Haltung genannt. Denn unser Geist wird ungebildet geboren; er ist ungeeignet, die Erkenntnis der Dinge sogleich zu erfassen. Deswegen muß er sich abmühen und untersuchen, lernen und entdecken. Nachdem er aber einmal eine Sache verstanden hat, wenn er sie lange genug betrachtet hat, erwirbt er sich einen Habitus, d.h. eine gewisse qualitative Haltung, durch die es ihm möglich ist, jene Sache [jederzeit], wenn er will, ohne Übung und ohne Mühe zu betrachten.«390
Nachdem der Geist einmal die Form, die er von der Vorstellung erhält, aufgenommen und damit die Sache verstanden, eine Kenntnis von ihr gewonnen hat, wird er, obgleich die Form nicht aufbewahrt wird, geeigneter, dieselbe Sache mit neuerlicher Aufnahme ihrer Form ohne Mühe sogleich zu erkennen. Und diese erworbene Geeignetheit – aptitudo acquisita – wird Habitus genannt, eine Haltung, die der Geist vorher nicht besaß. Zabarella verdeutlicht diesen Sachverhalt durch einen Vergleich mit der Wahrnehmung: Die Wahrnehmung des Menschen ist von Geburt an tätig, so daß sie keiner Unterrichtung und keiner Übung bedarf. Vielmehr kann sie sofort ohne Mühe die sinnli389
Vgl. Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 6, 994E-F: »… putat [sc. Aristoteles] enim solum phantasma remanere fixum in parte memorativa post imaginationem, speciem vero intelligibilem non manere in intellectu fixam post intellectionem, dici tamen illius memoriam conservari, quatenus phantasma, à quo produci potest, servatur impressum in parte memorativa, quod phantasia potest iterum imaginari, & iterum producere speciem eius in intellectu …« Leen Spruit kritisiert diese Ansicht wie folgt: »As long as the species is conceived as an act, this instantaneous generation and corruption may be comprehensible, but it is problematic to compass the discontinuous existence of an entity.« (Species intelligibilis, 233). Diese Kritik geht jedoch ins Leere; denn es wird ja, wenn auch nicht die species, so doch das Phantasma aufbewahrt, das Zabarella dem Erinnerungsvermögen zuordnet, wo es zusammen mit dem intellectus agens die species hervorbringen kann. Dergestalt ist zwar nicht die Kontinuität der species gesichert, sehr wohl aber die des Phantasmas, ohne dem der Geist nicht erkennt. Zabarellas Interpretation ist nicht nur von De An. III 7, 431a16f., sondern auch von III 7, 431b2f. her gerechtfertigt, wo es heißt, daß das Erkennen die intelligiblen Formen in den Phantasmata erfaßt. 390
Zabarella, De Speciebus intelligibilibus, c. 8, 1000C-D: »Dico igitur acquiri in intellectu ex multiplicatis intelligendi actibus quandam maiorem aptitudinem seu habilitatem ad easdem res intelligendas, quam non habebat prius, eaque dicitur habitus acquisitus, nam mens nostra nascitur rudis, & inepta ad rerum cognitionem statim capiendam, ideo necesse est ut laboret, & investiget, ut discat, & inveniat; sed postquam semel rem aliquam apprehendit, si diu in eius contemplatione versetur, acquirit habitum, id est, habilitatem quandam, qua potest, quando vult, rem illam speculari absque exercitio, & absque labore …« Die Übersetzung von habilitas mit ‘qualitativer Haltung’ rechtfertigt sich aus folgender Anmerkung von Zabarella: »Si quis autem quærat, quidnam sit hæc habilitas, quæ vocatur habitus, ego arbitror esse qualitatem …« (A. a. O., 1002E)
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che Form aufnehmen, und diese Qualität nennt man Habitus. Der Geist wird dagegen nicht mit einem solchen Habitus geboren, sondern muß ihn eigens erwerben: »Der Geist ist also, nachdem er den Habitus erworben hat, so beschaffen, wie die Wahrnehmung von Natur, nur mit dem Unterschied, daß jene qualitative Haltung im Geist erworben wird, während sie in der Wahrnehmung von Natur aus ist; aber an sich selbst betrachtet ist diese qualitative Haltung dieselbe. Wie es also in der Wahrnehmung keine eingeprägte Form des Gegenstandes gibt und keinen Akt, der aufzunehmen ist, sondern die bloße qualitative Haltung, Geeignetheit und das Vermögen, tätig zu werden, so bezeichnet im Geist dieser Habitus nicht die eingeprägte Form, sondern allein die qualitative Haltung und Geeignetheit, die Form sofort aufzunehmen.«391
Worin diese habilitas des Geistes, seine Geeignetheit und Fähigkeit zur Aufnahme der intelligiblen Formen gründet, erörterte Zabarella nicht. Sie wird erst später in der lutherischen Schulphilosophie des frühen 17. Jh.s Gegenstand von Gutkes spekulativer Erkenntnistheorie im Rahmen seiner Schrift Habitus primorum principiorum. Dies hofft der Verfasser in einem anderen Zusammenhang zeigen zu können. 3.3.5. Wesen und Funktion des intellectus agens Der Locus De intellectu agente gründet auf dem höchst umstrittenen Kapitel De An. III 5, das mit seiner Bestimmung des Wesens und der Funktion des nou=j poihtiko/j392 (intellectus agens) ohne Zweifel eine der umstrittensten Passagen des ganzen aristotelischen Werkes ist und seit Theophrast als Ausgangspunkt aller nur erdenklichen Erklärungsversuche gedient hat. Ja, der Dominikaner Durandus a S. Porciano (ca. 1270/51334) hat die These vertreten, daß es eines solchen intellectus agens als pars animæ gar nicht bedürfe, weil er weder in den Phantasmata noch im intellectus possibilis wirke.393 In ihren Kommentaren zur Textstelle 430a10-14 wie auch in ihren systemati391 Vgl. a. a. O., 1002 C-D: »… talis igitur est intellectus postquam acquisivit habitum, qualis est sensus natura, proinde cum eo tantum discrimine, quod illa habilitas in intellectu est acquisita, in sensu autem est naturalis, sed ipsa secundum se considerata habilitas eadem est: quemadmodum igitur in sensu nulla nascitur impressa species obiecti, & nihil illius actus, qui recipiendus est, sed mera habilitas, & aptitudo, & potentia operationi proxima; sic in intellectu hic habitus nullam significat impressam speciem, sed solam habilitatem, & aptitudinem ad speciem statim recipiendam.« 392
Der Begriff ist nicht von Aristoteles selbst geprägt worden, entspricht aber seiner Beschreibung dieses Geistes als desjenigen, der alles macht (»o( de\ [sc. nou=j] t%= pa/nta poei=n …«) in De An. III 5, 430a15. 393
Vgl. Durandus a Sancto Porciano, Petri Lombardi Sententias Theologicas Commentariorum libri III. Venedig 1571, hier: lib. I, distinctio III, p. II, q. V, 27ra: »Responsio, quia potentiæ innotescunt per actus, operatio etiam fecit scire formam ut assumptum est in arguendo, ideo si necessarium est ponere intellectum agentem, hoc erit propter aliquam operationem eius necessariam ad actum intelligendi, operatio autem intellectus agentis non potest intelligi nisi in fantasmata, vel nisi in intellectum possibilem, sed nec in fantasamata nec in intellectum possibilem habet aliquam actionem ut declarabitur, ergo fictitium est ponere intellectum agentem.« Es fällt auf, daß nur Toletus (vgl. III 5, q. XIII, 141ra) und die Conimbricenser (vgl. III 5, q. I, art. I, 371) in diesem Zusammenhang auf Durandus verweisen, nicht aber Zabarella. Dies liegt aber darin begründet, daß jener allein auf die Frage
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schen Abhandlungen haben die Renaissance-Aristoteliker dagegen deutlich gemacht, daß dessen Existenz aufgrund seiner Funktion im Erkenntnisprozeß notwendig sei. Wie es nämlich in der Natur zwei Prinzipien gebe, zum einen die Materie, die der Möglichkeit nach ist und alles wird, und zum andern die Wirkursache, die in Wirklichkeit ist und alles macht und so die Materie von der Möglichkeit in die Wirklichkeit führt, so gibt es auch in der Seele einen Geist, der als potentia bzw. materia intellectionis im Erkennen alles wird (=intellectus possibilis), und einen Geist, der alles erkennbar macht (=intellectus agens) – denn nichts vermag sich selbst von der Möglichkeit in die Wirklichkeit zu führen.394 Der Begriff des Geistes realisiert sich also auf zweifache Weise als intellectus possibilis und als intellectus agens, so daß gut hegelianisch gesagt werden kann: Der Geist ist nur für den Geist. Nur etwas, das selbst Geist (=intellectus agens) ist, kann bewirken, daß der (andere) Geist (=intellectus possibilis) erkennt. Sofern nämlich das Intelligible auf immaterielle Weise von ihm aufgenommen wird, muß das, was das Intelligible intelligibel macht, selbst immateriell und intelligibel sein, und dies kann nur ein Geist sein. Damit stellten sich den Autoren dieselben beiden Fragen wie im Zusammenhang mit der Erörterung des intellectus possibilis: 1. Wer oder was ist dieser intellectus agens? Bildet er zusammen mit dem intellectus possibilis ein _________________________________________________________________________________________________________
abzielt, »utrum videlicet ex aliqua operatione possit convinci intellectum agentem esse partem animæ nostræ« (Lib. I, distinctio III, p. II, q. V, 27vb), eine Frage, die Zabarella mit Durandus verneint hat. Insofern konnte Zabarella Durandus’ Argumentation als eine weitere Bestätigung seiner These, daß der intellectus agens Gott sei, verstehen. Zur Rezeption von Durandus im 14. Jh. vgl. Burkhard Mojsisch, Der tätige Intellekt in sich und in seiner glückvermittelnden Funktion – eine mittelalterliche QUAESTIO, in: Words, Texts and Concepts cruising the Mediterranean See. Studies on the sources, contents and influcences of Islamic civilization and Arabic philosophy and science. Dedicated to Gerhard Endress on his sixty-fifth birthday. Leuven 2004, 331-352, hier: 342. Der Verfasser dankt Herrn Prof. Mojsisch für diesen Hinweis. 394
Zu den Kommentaren vgl. Toletus, III 5, t. 17, 140ra: »Incipit [sc. Aristoteles] à necessitate, probans opus esse ponere Intellectum agentem tali syllogismo. In omni natura, id est, in omni effectu, & re facta, duo principia necessaria sunt: unum materia: quæ sit potentia omnia illius generis: alterum efficiens, quod talem materiam & potentiam in actum redigat; quod sit, ut ars ad materiam suam. Sed intelligere est quid effectum: ergo oportet duo hæc principia facere. unum quod sit, ut materia intellectionis, alterum, ut efficiens: & hoc est Intellectus agens.« Ebenso Coll. Conimbricense, III 5, 368. Zabarella, III [5], t. 17, 872C. Zu den systematischen Traktaten vgl. Zabarella, De Mente agente, in: De Rebus naturalibus, 1007-1042, hier: c. 1, 1007A-C: »Præter humanam mentem, quæ patibilis dicitur, censuit Aristoteles necessariam esse alteram mentem agentem, sine qua nequeat in homine intellectio fieri … quoniam igitur humana mens patiendo intelligit, & apta est omnia intelligere, proinde omnia pati, & omnia fieri; necesse est aliquod illi agens respondere, quod omnia intelligibilia faciat, idque non esse nisi mentem …« Ebenso Portio, c. 21, 82. Toletus, III 5, q. 13, 140vb-141vb. Coll. Conimbricense, III 5, q. 1, art. 1 und 2, 369-374. – Das Argument, daß nichts sich selbst von der Möglichkeit in die Wirklichkeit führen kann, überzeugt nur, sofern der intellectus agens als Gott bzw. göttliche Kraft bestimmt wird, der bzw. die per definitionem ein ewiges agens ist. Im entgegengesetzten Fall stellt sich nämlich die Frage, wie sich der intellectus agens selbst als ein Vermögen der menschlichen Seele dauerhaft im Wirken (e)ne/rgeia) hält. Bedarf er dann nicht selbst wiederum eines anderen agens, und so ad infinitum?
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Vermögen der menschlichen Seele, oder ist er eine substantia separata? 2. Welche Funktionen kommen ihm im Zusammenhang mit dem Erkenntnisprozeß zu?395 Es wird sich zeigen, daß mit diesem Abschnitt der Übergang von der Psychologie zur Metaphysik bzw. Theologie erfolgt. Denn die Klärung der Frage, wer oder was dieser intellectus agens sei, hat in jedem Fall aufgrund der ihm in De An. III 5, 430a23 beigelegten Attribute a)qa/natoj & a)i/+dioj metaphysische Implikationen, sei es, daß man ihn als ein Vermögen der menschlichen Seele versteht und so ihre Unsterblichkeit erweisen kann, sei es, daß er Gott oder eine andere substantia separata ist, womit der eben genannte Erweis zumindest vom locus classicus De An. III 5 her unmöglich wird. Daß dieser Sachverhalt von erheblicher theologischer Bedeutung ist, braucht kaum hervorgehoben zu werden: Wer die These vertritt, der intellectus agens sei Gott, der gerät mit der Konzilsentscheidung von 1513 mit ihrer Dogmatisierung der Unsterblichkeit in Konflikt. Erst vor diesem theologischen Hintergrund läßt sich Zabarellas Anmerkung verstehen, die er seinem Traktat De Mente agente vorangesetzt hat: »Das jedoch will ich vor allem anderen betonen, daß ich von dieser Sache allein gemäß den Prinzipien der Philosophie des Aristoteles sprechen werde, da meine Absicht in allen diesen Büchern keine andere ist, als das, was Aristoteles gedacht hat, zu untersuchen und seine Ansicht, soviel an mir liegt, klar und deutlich zu machen.«396
Da nach seiner Interpretation der intellectus agens Gott selbst ist, wie weiter unten gezeigt wird, ergibt sich im Umkehrschluß die Sterblichkeit der menschlichen Seele. Ist nämlich allein der gemäß De An. III 5, 430a25 vergängliche (fqarto/j) intellectus possibilis ein Vermögen der menschlichen Seele, nicht aber der intellectus agens, so können ihr dessen Attribute ‘unsterblich und ewig’ nicht zukommen. Um also nicht der Häresie zu verfallen, muß Zabarella betonen, daß er hier allein gemäß den Prinzipien des Aristoteles, und das heißt eben ad hominem, philosophiert. Daß für ihn der intellectus agens kein Vermögen der menschlichen Seele ist, wird auch daraus deutlich, daß er – wie Portio – zuerst dessen Tätigkeit und erst anschließend dessen (eigentlich in der Metaphysik zu erörterndes397) Wesen bestimmt – anders 395 Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 1, 1007C: »Duo autem sunt, in quibus tota est huiusce rei difficultas constituta: unum, quid sit hæc mens agens, an sit pars aliqua animæ nostræ, necne, & quæ sit eius natura; alterum vero, quænam sint eius officia in nostra intellectione …« Ebenso Portio, c. 21, 83. Toletus, III 5, q. 13 und 14, 140vb-144va. Coll. Conimbricense, III 5, q. 1, art. 2, 372-374; q. 2, art. 1 und 2, 376-381. 396 Zabarella, De Mente agente, c. 1, 1007E-1008A: »Id tamen ante omnia protestari velim, me hac de re secundum principia tantum philosophiæ Aristotelis esse disputaturum, quum non aliud in his omnibus libris consilium meum sit, quam quid senserit Aristoteles, investigare, & eius sententiam, quantum in me est, planam, & manifestam reddere.« 397
Vgl. hierzu Zabarella, III [5], t. 17, 871D-E: »In primo contextu [sc. De An. III 4, 429a10-13] proposuit [sc. Aristoteles] agendum de particula animæ, quæ dicitur intellectus possibilis, ibi namque ostendimus, quod appellatione particulæ animæ non comprehenditur intellectus agens, cum enim sit quid abstractum per essentiam, est secundum se alienus à negotio physico, nec alia ratione potuit à naturali philosopho considerari, quam ut concurrens ad operationem intellectus nostri possibilis, qui sine illius ope non intelligeret.« Der intellectus agens ist also nur insoweit Gegenstand der Naturphi-
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also als in der Schrift De Mente humana, wo er genau umgekehrt zuerst das Sein des menschlichen Geistes und anschließend dessen Wirken erörtert hat. Der Grund hierfür liegt für Zabarella darin, daß Gottes Sein uns unbekannter ist als sein Wirken. Damit folgt der Paduaner auch hier nicht etwa dem ordo naturæ – denn danach wäre das Wesen eines Dings der Natur nach früher zu erörtern als seine Tätigkeit –, sondern dem ordo doctrinæ, nach dem immer vom für uns Bekannteren zum Unbekannten fortgeschritten werden muß.398 Hier wird bereits ein charakteristischer Unterschied zu den Jesuiten deutlich, die genau umgekehrt zuerst das Wesen des intellectus agens bestimmen und anschließend dessen Funktion. Dies liegt eben darin begründet, daß der intellectus agens für sie ein Vermögen der menschlichen Seele ist, dessen Wesen durch die vorangegangenen Erläuterungen zum intellectus possibilis in gewisser Weise mitaufgehellt worden ist. Da die Wesensbestimmung des intellectus agens Auswirkungen auf die Beschreibung seiner Funktionen im Erkenntnisprozeß hat, muß mit dieser Bestimmung begonnen werden. Wie gesehen, hat Alexander den nou=j poihtiko/j als ewig aus sich selbst heraus seiend und ewig in sich selbst stehend und damit als unsterblich bestimmt. In diesem Sein unterscheidet er sich somit wesentlich vom nou=j u(liko/j (=paqhtiko/j). Er ist daher kein Vermögen der menschlichen Seele – denn diese vergeht als forma informans zusammen mit dem Körper–, sondern eine substantia separata, die spätere Autoren wie Toletus mit Gott identifiziert haben.399 Simplicius hat dagegen den nou=j poihtiko/j _________________________________________________________________________________________________________
losophie, als es um dessen Funktion im Erkenntnisprozeß geht, nicht aber um dessen Wesensbestimmung, die eher Gegenstand der Metaphysik ist. Gleichwohl erörterte Zabarella in De Mente agente der Tradition gemäß auch das Wesen des intellectus agens. 398
Vgl. Zabarella, De Mente agente, 1007D-E: »nam ipse quoque Aristoteles hæc utraque [sc. natura & officia] de mente agente in 3. de Anima libro tractasse comperitur; & quamvis ordine naturæ dicendum prius esset de ipsius essentia, postea vero de officiis, tamen in hoc quoque Aristotelem imitati; de officiis prius agemus, deinde vero de eius natura; progrediendum enim semper est à facilioribus, & ab iis, quorum cognitio ducere nos facilius in aliorum notitiam possit; cognitis enim huius intellectus officiis, facilius quid ipse sit indagare, atque invenire poterimus, quod etiam Aristoteles movit, ut prius de ipsius in humana intellectione officiis, postea vero de essentia loqueretur.« Portio, c. 21, 83f.: »… similiter & de intellectu, quem vocat [sc. Aristoteles] factivum, primo opus, deinde substantiam assequitur.« 399 Vgl. Toletus, III 5, t. 20, q. 14, 143va: »In hac re variæ sunt opiniones Philosophorum, sicut in alijs fere omnibus. Alexandri fuit prima sententia, qui putavit intellectum agentem esse Deum ipsum …« So auch Portio und Zabarella, wie weiter unten deutlich werden wird. Die Zuordnung von Themistius, Theophrast und Averroes zu dieser Ansicht war umstritten. So betonte Toletus, daß diese Autoren den intellectus agens und den intellectus possibilis für eine Substanz gehalten hätten, die als ganze abgetrennt sei (vgl. a. a. O., 143rb). Zabarella schrieb ihnen dagegen die Position Alexanders zu: »ego tamen puto Themistium & Averroem statuisse intellectum agentem distinctum essentialiter a patiente, ita ut duæ formæ, & duæ intelligentiæ distinctæ, & ambæ humanæ; hanc enim sententiam legere apud Themistium possumus in context. 20. lib. 3 de Anima, & apud Averroem in Commentar. 4.5.18.20 eiusdem libr. ubi hos duos intellectus vocat duas substantias æternas …« (De Mente agente, c. 9, 1021D) Bei Themistius heißt es an der genannten Stelle: »Atque hic intellectus [sc. agens] ut superius dixi adiunctus impatibilis impermixtusque est: proinde eius ingenium tale non est: ut interim intelligat: interim cesset: nam hoc accidit intellectui agenti qua intellectui potentiæ iungit. Quom vero secum ipse est: quom natura eius sola spectat: quod nihil aliud est quam actus merus: tum infatigabi-
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bzw. prw=toj ou)siw/dhj lo/goj als ein Vermögen der menschlichen Seele bestimmt, der sich nur dem Begriff, nicht aber dem Wesen nach vom nou=j paqhtiko/j unterscheidet. Beide bilden daher ein und dieselbe Substanz. Dieser Ansicht ist auch Thomas gefolgt400, dem sich wiederum die Jesuiten angeschlossen haben: »Daß aber dieser [sc. tätige] Geist nicht außerhalb der Seele ist, sondern ihr einwohnt, so daß er ihr natürliches Vermögen ist … beweist neben anderen der göttliche Thomas … und dasselbe ist von uns zu Beginn des zweiten Buches dieses Werkes gezeigt worden.«401 Der intellectus agens ist daher weder Gott, wie Toletus gegen Alexander und Philoponus betont402, noch sonst eine substantia separata neben Gott403. Vielmehr sei er ein natürliches Vermögen der menschlichen Seele, das sich allein begrifflich, nicht aber wesentlich vom intellectus possibilis unterscheidee. Denn der intellectus agens sei keine forma assistens, wie gegen Averroes betont wird, sondern forma informans, und er komme jedem Individuum auf je besondere Weise zu. Es sei absurd, ausgerechnet den intellectus agens als das principium functionis vitalis humanæ außerhalb der Seele selbst zu situ_________________________________________________________________________________________________________
lis: immortalis: æternus: semper intelligens. & semper intellectus a se est: non alia re …« (Paraphrasis in libros de anima, lib. III, c. 26, t. 20, 93v) Im vorangehenden Kapitel verglich er freilich den intellectus agens mit Gott, woraus zu entnehmen ist, daß er nicht selbst Gott ist: »Est enim intellectus agens ceu architectus quidam: fabricatorque notionum. Propter quod et deo maxime assimilatur: nam & deus quodammodo ipse res est & quodammodo creator & opifex rerum.« (c. 25, t. 19, 93r) Für Averroes waren sowohl der intellectus agens als auch der intellectus materialis abgetrennte Substanzen, wie wir an einer der genannten Stellen lesen können: »Et fuit necesse attribuere has duas actiones in nobis animæ, scilicet recipere intellectum, & facere eum, quamvis agens & recipiens sint substantiæ æternæ …« (III 3 [5], t. 18, 161vD-E [439,71-75]) 400
Vgl. Thomas, Scg II 76, in: Opera 13,2, 480: »Cum enim agens et recipiens sint proportionata, oportet quod unicuique passivo respondeat proprium activum. Intellectus autem possibilis comparatur ad agentem ut proprium passivum sive susceptivum ipsius: habet enim se ad eum agens sicut ars ad materiam, ut dicitur in III de Anima. Si igitur intellectus possibilis est aliquid animae humanae, multiplicatum secundum multitudinem individuorum, ut ostensum est; et intellectus agens erit etiam eiusmodi, et non erit unus omnium … Si igitur intellectus possibilis sit pars animae et non sit substantia separata, ut probatum est, intellectus agens, per cuius actiones fiunt species intelligibiles in ipso [sc. intellectu possibili], non erit aliqua substantia separata, sed aliqua virtus activa animae.« Scg II 78, in: A. a. O., 493: »Ex his manifeste habetur quod intellectus agens non sit substantia separata, sed magis aliquid animæ …« A. a. O., 494: »Patet autem quod nec ex verbis Aristotelis haberi potest quod intellectus agens sit quædam substantia separata: sed quod sit separatus hoc modo quo supra dixit de possibili, scilicet ut non habet organum.« STh I, q. 79, art. 4, in: Opera 5, 267: »Respondeo dicendum quod intellectus agens de quo Philosophus loquitur, est aliquid animae.« 401
Coll. Conimbricense, III 5, q. 1, art. 2, 373: »Quòd verò hic intellectus non sit extra animam, sed ei insitus ut naturalis eius potentia … demonstret præter alios D. Thomas … idemque à nobis probatum fuit initio libri 2. huius operis.« Ebenso Toletus, III 5, q. 14, 143va-b: »… putat [sc. Thomas] enim agentem intellectum esse animæ virtutem, & facultatem quandam, quæ cum phantasmate species imprimit in possibili Intellectu.« Weiter unten heißt es: »Probabiliter Intellectus agens est virtus animæ, & facultas re distincta à possibili.« (A. a. O., 144rb) 402
Vgl. a. a. O., 143vb: »Intellectus agens non est Deus. Hæc est contra Alexandrum quod & conatur Philoponus multis argumentis …« 403
Vgl. a. a. O., 144ra: »Intellectus agens non est substantia aliqua alia separata præter Deum.«
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ieren. Toletus verwies für diese Ansicht insbesondere auf De An. III 5, 430a14, wo Aristoteles den intellectus agens zur differentia animæ nostræ gezählt habe. Gott könne aber nicht Teil einer innerseelischen Differenzbestimmung sein, da er durch nichts beschränkt werde. Auch sei er kein Habitus (430a15). Schließlich mache er nicht nur die species intelligibiles erkennbar, sondern wirke schlechthin alles, sei die Ursache alles Seins. Daher könne Aristoteles den intellectus agens nicht als Gott verstanden haben.404 Portio und Zabarella hielten diese Ansicht, die sie im Kern auf Simplicius zurückführten, für vollkommen unvereinbar mit den Prinzipien der peripatetischen Philosophie: »Aus keinem Grund ziemt es sich daher für einen Peripatetiker anzunehmen, daß der tätige Geist und der Geist in Möglichkeit als eine Substanz Vermögen unserer Seele sind«405, so Portio. Bei Zabarella heißt es ähnlich: »Alle Ansichten, mit denen man behauptet, daß diese beiden Geister [sc. der passive und tätige Geist] eine Substanz sind, sind falsch und können keineswegs mit den Prinzipien des Aristoteles übereinstimmen.«406 Portio begründete seine Ansicht im Ausgang von der einleitenden Textstelle 430a10-14, die nur auf den ersten Blick das von den Jesuiten Behauptete anzeige, nämlich daß 1. intellectus agens & intellectus possibilis Vermögen der Seele seien und nicht von außen hinzukämen und 2. der intellectus possibilis wie der intellectus agens ewig sei. Eine sorgfältige Interpretation von 430a17-19 zeige nämlich, daß zwischen beiden eine ontologische Differenz walte, die zu einer anderen Bestimmung des intellectus agens zwinge, da beiden die ihnen in De An. III 4 und 5 beigelegten Attribute nicht auf dieselbe Weise zukämen, wie Portio in Übereinstimmung mit Zabarella betont hat.407 Zwar würden beide unvermischt, inaffizierbar und abtrennbar genannt, dem intellectus agens kämen diese Attribute aber in einem höheren Grade zu, weil das Aktive immer nobler sei als das Passive (vgl. De An. III 5, 430a18f.). Die Trennungslinie verlief dabei für Zabarella genau zwischen der epistemologischen und ontologischen Ebene von De An. III 4 und 5: So ist der intellectus patiens gemäß III 4, 429a26f. secundum operationem abgetrennt vom Organ. Der intellectus agens ist dagegen gemäß III 5, 430a18 secundum esse abgetrennt vom Organ und ganzen Körper, da er eine 404
Vgl. a. a. O., 143vb: »Intellectus agens dicitur esse differentia animæ nostræ, unà cum possibili: at Deus nullo modo est alicuius entis differentia, nec alicui generi limitatur: non ergo Intellectus agens est Deus. … Iste Intellectus dicitur lumen & habitus, id est, forma: at Deus non est forma, nec habitus alicuius, non ergo Aristoteles per agentem intellectum intelligit Deum.« Auffällig ist, daß Toletus sich nicht mit der Bestimmung des intellectus agens als lumen auseinandersetzt. Denn das Gott das Licht ist – wer würde dies bestreiten (vgl. Joh 1,5.7-9; Luk 2,32; 1. Tim 6,16 etc.)? 405 Portio, c. 6, 33: »Nulla itaque ratione decet philosophum Peripateticum asserere intellectum agentem, & intellectum potentia esse unius substantiæ animi nostri facultates.« 406
Zabarella, De Mente agente, c. 10, 1022D: »Hæ omnes sententiæ, quibus statuitur hos duos intellectus unam esse substantiam, falsæ sunt, & cum principiis Aristotelis minime convenire possunt …« 407
Vgl. Portio, c. 21, 84: »Proinde in multis convenit [sc. intellectus agens] cum intellectu potentia, attamen pluribus quoque ab eodem secernitur …« Zabarella, De Mente agente, c. 11, 1027A-B: »… illæ conditiones alio modo agenti competant, alio patienti …«
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vollkommen abgetrennte substantia immaterialis und damit eine forma assistens ist. Ferner wird der intellectus possibilis in 429a18 in seiner Tätigkeit als unvermischt mit den intelligiblen Objekten und in 429a25f. als unvermischt mit einem Körperorgan bei der Aufnahme der Form bestimmt. Der intellectus agens wird dagegen in 430a18 secundum esse & operationem als vollkommen unvermischt mit einem Körper oder einem Körperteil bestimmt. Schließlich ist der intellectus possibilis gemäß 429a15 inaffizierbar secundum operationem, da er nichts von den intelligiblen Gegenständen erleidet. Der intellectus agens ist dagegen gemäß 430a18 wiederum hinsichtlich seines Seins vollkommen inaffizierbar, eben weil er ohne Materie ist. Für Zabarella kommen damit dem intellectus patiens die genannten Bestimmungen nur zu, »insofern er bloße Möglichkeit ist, und sie ergeben sich aus dem, was er im Affiziertwerden erkennt. Dem tätigen Geist aber kommen sie zu, insofern er reine Wirklichkeit ist, und sie ergeben sich aus dem, was er wirkt, und er ist dem Wesen nach seine Tätigkeit.«408 Anders als beim intellectus possibilis gibt es also beim intellectus agens keine Differenz zwischen Wesen und Tätigkeit: Sein Wesen ist seine Tätigkeit und umgekehrt. In bezug auf die oben geführte Debatte um die forma informans bedeutet dies: Der intellectus possibilis ist forma informans, der intellectus agens dagegen forma assistens. »Wenn der leidende Geist die spezifische Form ist, wodurch der Mensch Mensch ist, dann überragt jener [sc. der tätige Geist] die menschliche Natur, indem er alles im Menschen übersteigt und vorzüglicher ist als der Mensch selbst. Er kann daher nicht die das Sein gebende Form sein, weil keine höhere, das Sein gebende Form die letzte und spezifische Differenz übersteigen kann; er übersteigt sie aber so, wie ein Schiffer das bereits gebaute Schiff übersteigt. Auf jegliche Weise muß man daher eingestehen, daß der tätige Geist nicht die Form eines Körpers ist, sondern eine vollkommen immaterielle Substanz.«409
Was dies genauer bedeutet, ist weiter unten zu zeigen. Zuvor ist kurz Portios Position darzustellen. Für ihn ergab sich die Richtigkeit seiner Sichtweise aus 430a22f.: Wenn sich der intellectus possibilis secundum operationem vom Körper abtrennen kann, dann kommt dies dem intellectus agens im höheren Grade zu. Daher habe Aristoteles dort mit Bedacht hinzugefügt, daß der intellectus agens nur abgetrennt das sei, was er sei. Damit habe er deutlich angezeigt, daß allein der intellectus agens secundum esse & operationem abgetrennt vom Körper ist, während die mens nostra bzw. der intellectus potentia dies nur hinsichtlich der Tätigkeit vermag. Unter den Geistern »ist daher allein dieser 408 Zabarella, De Mente agente, c. 11, 1027 D-E: »nam patienti competunt [sc. conditiones], quatenus est mera potestas, & inferuntur ex eo quod patiendo intelligit; agenti autem competunt, quatenus est purus actus, & inferuntur ex eo quod agit, & est per essentiam sua actio …« Vgl. auch ders., III [5], t. 19, 887D-888E. 409
Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 11, 1026A-B: »si intellectus patibilis est forma specifica, qua homo est homo, ergo omne illi superveniens in homine, & excellentius ipso, excedit humanam naturam, nec potest esse forma informans, quia nulla forma informans nobilior potest ultimæ ac specificæ differentiæ supervenire, sed ita superveniet, ut nauta supervenit navi iam constitutæ & formatæ: omnibus igitur modis fateri oportet intellectum agentem non esse alicuius corporis formam, sed esse substantiam penitus immaterialem.«
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[sc. intellectus agens] unsterblich und ewig.«410 Die von Toletus vorgebrachte Textstelle 430a13f., wonach Aristoteles den intellectus agens zur differentia animæ nostræ gezählt, ihn folglich für ein Vermögen der menschlichen Seele gehalten habe, wird von Portio mit dem einfachen Hinweis widerlegt, daß der Stagirite anders als beim intellectus possibilis in 429a10 hier in 430a14 mit Bedacht von einem Unterschied (h( diafora/) und nicht von einem Teil (to\ mo/rion) gesprochen habe.411 Dies verdeutlichen für ihn auch die Vergleiche mit der Kunst in 430a12 sowie mit dem Licht in a15-17, die beide ein Wirken von außen anzeigen: Wie die Kunst einen Gegenstand von außen gestaltet, so auch der intellectus agens, wenn er das mögliche Intelligible wirklich intelligibel macht und den intellectus possibilis so formt, daß er in Wirklichkeit erkennt. Ferner ist er wie das Licht, das von außen her – es ist nämlich keine pars oculi – das Sehen überhaupt erst ermöglicht, von einem ewigen, lichthaften Körper ausgesandt wird und damit von höchster und edelster Qualität ist. Diesem Licht entspricht nun der intellectus agens mit seinen beiden genannten Funktionen, indem er das mögliche Intelligible sowie das Denken des Menschen gleichsam erhellt. Wie dies genauer geschieht, wird weiter unten bei der Beschreibung der Funktion dieses intellectus agens deutlicher werden. Zunächst gilt es zu zeigen, wie Portio und Zabarella diesen intellectus agens hinsichtlich seines Wesens genauer bestimmt haben. Wie bereits erwähnt, hat Portio in seinen einleitenden Bemerkungen Alexanders Ansicht kritisiert, wonach der intellectus agens Gott sei. Denn es sei nicht einsehbar, warum sich Gott mit uns, die wir vergänglich sind, vereinen sollte. Auf diese Schwierigkeit kommt Portio im Locus De intellectu agente zurück. Als consensus aller Peripatetiker bestimmt er dort zunächst die Ansicht, daß eine »gewisse göttliche Kraft ausgesät und in die materiellen Dinge eingestreut wird, durch welche die Dinge intelligibel werden: welche Kraft Aristoteles abgetrennte und ewige Substanz nannte, Alexander Gott«412. Gegen diese Bestimmung des intellectus agens als Gott oder eine andere höhere Intelligenz413 wendet Portio nun ein, daß dies nicht mit den Prinzipien des Aristoteles übereinstimmen könne. Denn was nur immer Gott unterhalb des Himmels in dieser Welt bewirke, das bewirke er indirekt durch die Bewegung und das Licht des Himmels. Aus welchem Grunde daher Gott ohne jegliche vermittelnde Bewegung direkt in den Menschen hineinwirken solle, sei schwer zu verstehen. Portio bewahrt da410
Portio, c. 21, 84: »Postremò inter intellectus, hic solus immortalis est, & perpetuus …«
411
Vgl. a. a. O., 85: »Est itaque intellectus agens differentia animæ nostræ, ut operatur; & huius causa, consultò differentiam, & non partem dixit, de intellectu autem potentia, eum esse animæ partem dixit, qua anima intelligit, & sapit …« 412 A. a. O., 87: »Congruum igitur erat, vim quandam divinam disseminari, & inspergi materiatis rebus, qua res fierent intelligibiles: quam quidem virtutem Aristoteles vocavit substantiam separatam, & æternam; Alexander Deum …« 413 Vgl. Pomponazzi, Tractatus de immortalitate animæ, c. 10, 132: »… unde ad rationem dicitur, quod intellectus possibilis est secundum quid immortalis, sed ipse agens vere immortalis est, cum sit una intelligentiarum; neque ipse est pars aliqua humanae animae, sicut Themistius et Averroes existimaverunt, sed tantum motor.«
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mit bis in die letzte Konsequenz hinein die naturwissenchaftlichen Prinzipien des Aristoteles, nach denen es ein direktes Wirken (des heidnischen, nicht christlichen) Gottes unterhalb des Himmels nicht geben könne. Daß dies dem fundamental widerspricht, was die Hl. Schrift verkündet, liegt auf der Hand. Mit dieser Argumentationsweise zeigt Portio demnach deutlich an, warum er sich selbst für einen echten peripatetischen Naturphilosophen hielt: In der Philosophie ist allein aus philosophischen Gründen zu argumentieren und die Theologie des Christentums unberücksichtigt zu lassen. Wie man sich das Wirken dieser unbestimmten Kraft vorstellen muß, beschreibt Portio wie folgt: Der von Gott bewegte Himmel teilt allen vergänglichen materiellen Körpern die entsprechenden Formen mit. Eine Ausnahme hiervon bildet der intellectus possibilis, der gleichsam ein instrumentum animæ ist: Ihm werden die intelligiblen Formen nicht indirekt durch die Bewegung oder das Licht mitgeteilt; vielmehr sendet der intellectus agens durch diese Formen, die wiederum für den intellectus possibilis Instrumente sind, eine gewisse Kraft aus, durch welche jener in seinem Erkennen vervollkommnet wird. Und diese Kraft, so betont Portio nochmals, nannte Aristoteles substantia in actu (bzw. intellectus agens), »die Gott, der den Dingen gegenwärtig ist, damit sie vom Geistvermögen als intelligible aufgenommen werden können, fortwährend schenkt.«414 Im nochmaligen Rückgriff auf den Vergleich des intellectus agens mit dem Licht in 430a15 bedeutet dies: Die Kraft des intellectus agens ist dem Licht als Substanz der immer präsenten Sonne vergleichbar, das uns von ihr entgegengeworfen wird. Gott ist damit gleichsam die Sonne selbst: Wie er die Kraft für die Erkennbarkeit der Welt ausssendet, so sendet die Sonne das Licht für die Sichtbarkeit der Welt aus. Gott ist dergestalt »alles«415, wie Portio resümierend feststellt. In dieser spekulativen Erkenntnistheorie ermöglicht also der (heidnische) Gott die Erkennbarkeit der Welt. Nicht weniger unspekulativ, sich derselben Lichtmetaphorik bedienend ist Zabarellas Wesensbestimmung des intellectus agens, wobei er keinen Zweifel daran läßt, daß dieser nicht bloß eine von Gott ausgehende Kraft ist, sondern Gott selbst: »Weil also der tätige Geist nur eine der himmlischen Intelligenzen sein kann, die den Himmel bewegen, welche von ihnen wird er sein? Die höchste, die Gott ist, oder eine von den anderen, die zweite Intelligenzen genannt werden? Die Vernunft zwingt uns zu gestehen, daß allein die erste diese Aufgabe verrichten kann.«416 414
Portio, c. 21, 88: »… hanc virtutem Aristoteles vocat substantiam in actu, quam semper Deus præsens rebus, ut ab intellectu potentia recipi intelligibilia possint, elargitur …« 415 A. a. O., 88f.: »Ex his sic explicatis, iam rationi satisfieri potest, quare Deus omnia; quæ huic mundo inferiori elargitur, motu, ac lumine tribuat, hoc enim intelligendum est de formis ac virtutibus, quæ in materia naturali recipiuntur: sed virtutem in ipsis rebus dispersam qua res fiunt intellectæ; materialibus, veluti in subiecto non recondit Deus: sed fiunt intellectæ ab hac virtute, ut in intellectu potentia reconduntur.« 416 Zabarella, De Mente agente, c. 13, 1030F: »Quum igitur mens agens non possit esse nisi aliqua cœlestium mentium, quæ cœlos movent, quænam ex eis erit intellectus agens? an suprema, quæ Deus est, an aliqua ex aliis, quæ secundæ intelligentiæ appellantur? ratio nos cogit ut solam primam hoc munere fungi posse fateamur …« Auch Cremonini vertrat diese Ansicht: »intelligibile nihil aliud est quam prima causa, et Deus, quare intellectus agens erit Deus.« (Expositio in librum tertium de anima,
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Als die prima intelligentia bewegt Gott nicht nur den Erd-, sondern den ganzen Himmelskreis. Er ist die erste Ursache aller Dinge, alles lenkend, alles vollendend, alles bewahrend in seiner umfassenden Kraft. Zur Stützung dieser These beruft sich Zabarella zum einen auf Alexander und zum andern – und dies ist gewiß überraschend – auf Platon. Wie für Portio, so ist auch für ihn dabei die Lichtmetaphorik von 430a15 von besonderer Bedeutung. Dies wird anhand der beiden Textstellen von Alexander und Platon deutlich, auf die der Paduaner in diesem Zusammenhang verweist. 1. Ausgangspunkt für die Bezugnahme auf Alexander ist dessen Bestimmung des menschlichen Geistes als instrumentum intellectus divini417. Denn allein der menschliche Geist, so Zabarella, sei geeignet, das Licht des göttlichen Geistes aufzunehmen und im Erkennen alles zu werden, womit sich die oben genannte These – der Geist ist nur für den Geist – bestätigt. Alexander habe dies mit folgendem argumentum doctissimum, efficacissimum & vere peripateticum erwiesen: Überall, wo es Substanz und Akzidens gibt, ist es notwendig, daß das Akzidens seine Beschaffenheit von der Substanz erhält. Denn diese ist das primum & maximum ens, das Akzidens dagegen bloß ein secundum ens. So ist unter allen sichtbaren Dingen das Licht das erste Sichtbare. Das Licht der Sonne ist aber das am meisten von allen Sichtbare und damit am meisten Substanz, weil es alles andere sichtbar macht. Ebenso werden die der Möglichkeit nach erkennbaren Dinge vom intellectus agens zu den der Wirklichkeit nach erkennbaren Dingen gemacht, und dergestalt ist er das primum & maximum omnium intelligibile und damit am meisten Substanz.418 Obgleich Alexander diesen intellectus agens selbst nicht ausdrücklich Gott nannte, kann für Zabarella niemand anderes damit gemeint sein, denn: »Am meisten von allen erkennbar ist aber Gott, und er ist das erste Erkennbare in der Gattung der Intelligibilia. Also kann nichts anderes als tätiger Geist festgesetzt werden als allein Gott.«419 _________________________________________________________________________________________________________
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36 [Manuskript], abgedruckt in: Heinrich C. Kuhn, Venetischer Aristotelismus, 612). Zur Geistlehre Cremoninis vgl. a. a. O., 186-243. Auch in der neueren Sekundärliteratur zu Aristoteles findet diese Ansicht wieder vermehrt Anhänger. John Herman Randall beruft sich hierfür sogar explizit auf Zabarella: »My own judgment is that the most probable answer arrived at by such a method is that of Pomponazzi and Zabarella. It seems clear that for Aristotle the ‘active intellect’ must be something that is more than merely human. It may well be ‘the greater’ or the cosmic ‘nous’ of Anaxagoras, to whom Aristotle specifically refers throughout. Thus it is likely that as an Aristotelian interpretation Thomas Aquinas’ is inaccurate. In any event, the ‘active intellect’ is quite impersonal: Aristotle leaves non doubt on that score.« (Aristotle. New York 1960, 103) Vgl. ferner L. A. Kosman, What does the Maker Mind Make?, in: Essays on Aristotle’s De anima, 343-358, hier: 353. Jonathan Lear, Aristotle: the desire to understand. Cambridge 1988, 137. Anders dagegen Klaus Oehler, Lehre, 203. 417
Vgl. Alexander, De Anima II, 112,18-20 [45rb]: »o( ga\r h(me/teroj nou=j su/nqeto/j e)stin e)/k te th=j duna/mewj, h(/tij o)/rgano/n e)sti tou= qei/ou nou=, o(\n duna/mei nou=n o( Ar ) isto-te/lhj kalei= …« / »Noster enim intellectus compositus est, tum ex potestate, quæ est organum divini intellectus, quem intellectum in potestate Aristoteles nominat …« 418
Vgl. 2.2.1., Anm. 57.
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Zabarella, De Mente agente, c. 13, 1031E-F: »… maxime autem omnium intelligibilis Deus est, & est primum in genere intelligibilium; ergo nil aliud statui potest intellectus agens nisi solus Deus …«
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2. Daß auch Platon den intellectus agens als Gott bestimmt hat, belegt Zabarella mit einem Hinweis auf das 6. Buch der Politeia, in dem zwischen den verschiedenen Sinnesvermögen differenziert wird (vgl. 507c-508e). So bedarf das Sehvermögen neben der Farbe noch des Lichts, das die in Möglichkeit sichtbaren Dinge zu den in Wirklichkeit sichtbaren Dingen macht. Als den Ursprung dieses Lichts bestimmte Platon die Sonne, von der die Farbe ihre Sichtbarkeit und das Sehvermögen das Sehen hat, und diese Sonne ist ein Sprößling des Guten, d. h. Gottes, wie Zabarella hinzufügt. Wie also Gott das primum intelligibile ist, so die Sonne das primum sensibile, und wie sich Gott in der intelligiblen Welt zum menschlichen Geist und Intelligiblen als derjenige verhält, der alles erkennbar macht, so verhält sich die Sonne in der sichtbaren Welt zum Sehvermögen und zu den sichtbaren Dingen als diejenige, die alles sichtbar macht, wie Zabarella in deutlicher Affinität zu Portio formuliert. Sie sei die Ursache sowohl des Sehvermögens, das nur aufgrund der Anwesenheit von Licht sehe, als auch der sichtbaren Dinge, die nur aufgrund des Vorhandenseins von Licht sichtbar seien. Gott wiederum sei die Ursache für die Existenz des menschlichen Geistes und aller übrigen innerweltlichen Dinge, wie auch dafür, daß jener sie erkenne und diese überhaupt erkennbar seien. Hieraus aber, so Zabarella, werde deutlich, »daß Platon Gott für den wirkenden Geist gehalten hat und ihn mit dem Licht vergleicht, so daß angenommen werden kann, daß Aristoteles dies von Platon übernommen hat«420. Ein gewiß überraschendes Ergebnis: Zabarella hält die aristotelische Psychologie aufgrund ihrer ausgebildeten Lichtmetaphorik in ihrem Höhepunkt der Nous-Lehre für durch und durch platonisch!421 420 A. a. O., 1032C: »manifestum igitur est Platonem existimasse Deum esse intellectum agentem, & eum cum lumine comparasse, ita ut credi possit Aristotelem id à Platone accepisse …« Auch in dieser Ansicht ist Randall Zabarella gefolgt: »But it [sc. the nous that makes all things] is a Platonic metaphor into which all the great ‘Knowers’ – those who make sheer knowing their aim – seem to fall in the end. It is a metaphor that points to facts. The ‘active intellect’ is clearly a Platonic myth, like the very similar Platonic myth of Book Lambda of the Metaphysics.« (Aristotle, 104f.) 421
Nachfolgend versucht Zabarella auf nicht sehr überzeugende Weise zu zeigen, daß diese Bestimmung des intellectus agens als Gott auch von Thomas vertreten worden sei: »… inquit [sc. Thomas] enim aliquos dixisse intellectum agentem esse quandam substantiam à materia abiunctam inferiorem Deo, aliquos vero existimasse Deum ipsum esse intellectum agentem. Priorem sententiam inquit esse Catholicæ fidei repugnantem, & magnum eam sequi absurdum: quum enim cuiusque rei perfectio in nobilissima eius operatione consistat; nobilissima autem nostra operatio sit coniunctio animæ nostræ cum illo, à quo lumen recipit, esset perfectio nostra constituta in coniunctione cum alio præter Deum, quod absurdum atque impium est: in hoc igitur Thomas nobis consentit. Alteram vero sententiam, quod sit intellectus agens, non dicit esse Catholicæ fidei repugnantem, imo asserit quorundam Catholicorum sententiam fuisse; Catholicos enim certe non nominaret, si impiam, & Catholicæ fidei adversantem esse eorum opinionem arbitraretur.« (De Mente agente, c. 14, 1033C-D) Auch für Thomas müsse es oberhalb des menschlichen Geistes etwas geben, von dem seine Erkenntnis abhänge, und da es neben Gott keine andere Intelligenz gebe, müsse er es sein, wie Thomas selbst unter Berufung auf Alexander betont habe. Er selbst gestehe also zu, daß Gott als Erstursache alles erkennbar mache, was gewiß wahr und notwendig sei, weil nämlich dasjenige das Ersterkannte sei, welches das Übrige zu dem in Wirklichkeit Intelligiblen mache. Er weiche aber von Alexanders Ansicht ab, indem er verneine, daß Gott der intellectus agens sei, weil Gott die causa universalis und damit der menschlichen Erkenntnis inadäquat sei. Vielmehr habe Thomas geglaubt, daß die aktive Kraft des
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Daß diese unterschiedliche Wesensbestimmung des intellectus agens bei den Jesuiten auf der einen und den italienischen Naturphilosophen auf der anderen Seite Auswirkungen auf dessen Funktionsbestimmung im Rahmen des Erkenntnisprozesses hat, liegt auf der Hand. Man kam zwar in der Benennung einer dreifachen Aufgabe des intellectus agens überein – nämlich die Phantasmata zu erleuchten, den Gegenstand wirklich intelligibel zu machen und im intellectus possibilis die intelligiblen Formen hervorzubringen422 –, die nähere Ausführung wird aber zeigen, daß das unterschiedliche Verständnis des Wesens des intellectus agens Einfluß auf seine Funktion im Erkenntnisprozeß hat. Als die allgemeinste Funktion des intellectus agens bestimmt Zabarella das Wirken (agere), indem er etwas von der Möglichkeit in die Wirklichkeit bringt. Worin der intellectus agens aber wirke und auf welche Weise, dies sei bei den Interpreten höchst umstritten. Zabarella verweist in diesem Zusammenhang auf Thomas, für den der intellectus agens in den Phantasmata wirkt423, und auf Simplicius, für den der intellectus agens dagegen im intellectus possibilis ohne Einwirkung der Phantasmata wirkt424. Für jene Ansicht gilt De An. III 5, 430a15-17 als Beleg, wo Aristoteles die Funktion des intellectus agens mit dem Licht vergleicht: Das Licht macht die Farben, die in Möglichkeit sind, zu Farben in Wirklichkeit. Wie aber das Licht nicht in den Augen wirkt, sondern im farbigen Objekt, das es in die Wirklichkeit bringt, so wirkt der intellectus agens in den Phantasmata, den Gegenständen des intellectus possibilis, nicht in ihm selbst. Für die Ansicht des Simplicius wird dagegen 430a10-15 als Beleg genannt, wo Aristoteles aus der Existenz des intellectus possibilis auf die des intellectus agens schließe, der unmittelbar in ihm wirke. Für Zabarella ist nun weder die eine noch die andere Ansicht vollkommen wahr, denn der intellectus agens verwandle die Phantasmata von möglichen Intelligiblen zu wirklichen Intelligiblen, d. h. er wirke nicht in ihnen, sondern im intellectus possibilis, wie gegen Thomas, und zwar mit ihnen, wie gegen Simplicius betont werden müsse.425 Der intellectus agens wirke nämlich im intellectus patiens nicht gleichsam losgelöst von den Phantasmata und schreibe ihm seine _________________________________________________________________________________________________________
menschlichen Geistes der intellectus agens sei, die als von Gott erschaffene causa secunda die Vorstellungen zu dem in Wirklichkeit Erkennbaren mache. Dies sei aber, so Zabarella unter Verweis auf das bisher Gesagte, falsch (vgl. a. a. O., 1034D-E). 422
Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 2, art. 1, 376: »Tria officia intellectui agenti à Peripateticis tribuuntur. Primum est illustrare phantasmata. Secundum, efficere obiectum intelligibile actu. Tertium, producere in intellectu patiente species intelligibiles.« Für Zabarella wird dies das Nachfolgende verdeutlichen. Portio erörtert diese Frage in seinem Traktat De Mente humana nicht umfassender über das bisher Gesagte hinaus. 423
Vgl. Thomas, ScG II 77, in: Opera 5, 488: »Est igitur in anima intellectiva virtus activa in phantasmata, faciens ea intelligibilia actu, et haec potentia animae vocatur intellectus agens.« 424
Vgl. Simplicius, 243,2f. [63vb]: »… o(moio/thta e)mfai/nei [sc. Aristoteles] pro\j to\n e)nergei/# ta\ e)n t%= paqhtik%= n%= duna/mei gnwsta\ a)potelou=nta ei)/dh …« / »… hac ratione similitudinem manifestat cum intellectu, qui actu perficit formas in passibili intellectu potestate cognoscibiles.« 425
Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 3, 1009F-1011D.
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Erkenntnis zu – wie aus De An. III 7, 431a16f. ersichtlich sei, erkenne der intellectus patiens nicht ohne Phantasmata –, sondern er wirke als Intelligibles. Wie geschieht dies? »Er wirkt als ein mit den Phantasmata verbundener, so daß aus beiden ein vollkommener Gegenstand konstituiert wird, und dieser vermag im passiven Geist eine Form hervorzubringen. Deshalb gibt es nur ein Wirkendes [in der Erkenntnis], das Phantasma selbst. Das Licht des tätigen Geistes aber ist kein abgetrennt Wirkendes, sondern ist die Vollkommenheit des Phantasmas, die den vollkommenen Gegenstand konstituiert und den passiven Geist zu bewegen vermag. Deswegen ist die Ansicht jener richtig, die sagen, daß der tätige Geist eher als Intelligibles wirkt denn als Erkennendes.«426
Er wirkt als ein Intelligibles, weil er das der Möglichkeit nach intelligible Objekt zu einem in Wirklichkeit intelligiblen macht, und als ein solcher ist er – wie bei Portio – der Ermöglichungsgrund jeglicher Erkenntnis, d. h. er »(hat) die Aufgabe, Erkennen überhaupt in seinem Unterschied zur sinnlichen Wahrnehmung möglich zu machen«427, wie Kessler zu Recht betont. Wird nämlich, so Zabarella, der tätige Geist ein Wirken als Intelligibles genannt, dann ist er der Grund für die Erkennbarkeit alles anderen und die Wirklichkeit und die Vollkommenheit, durch die alles intelligibel wird. Und dies geschieht, indem er alles unterscheidbar macht. Diese Form der Abstraktion sei der vom intellectus patiens vollzogenen Abstraktion vorgängig, die sich beide wie folgt unterschieden: Bei der ersten Abstraktion wird ein Gegenstand von einem anderen unterschieden (actus distinguendi rem à re), so daß beide als Unterschiedene sichtbar werden. Bei der zweiten Abstraktion wird ein von einem anderen Gegenstand bereits abstrahierter Gegenstand aufgefaßt und begriffen (actus accipiendi unam rem dimissis aliis). Beide Abstraktionsprozesse werden nun nicht von ein und demselben Geist realisiert, sondern der eine ist Aufgabe des intellectus agens, der andere die des intellectus possibilis: »Wenn das Abstrahieren das Auffassen eines Dings ist, das von anderen abgezogen worden ist, dann ist dies gewiß nicht die Aufgabe des tätigen Geistes, sondern des passiven. Denn dieser erkennt das im Phantasma hervorleuchtende Wesen, und er nimmt es ohne die Bedingungen der Materie auf und ohne das, was im Phantasma ist. Dies wird von anderen ‘abstrahieren’ genannt. Dies könnte er aber nicht tun, wenn nicht vorher alles im Phantasma als Unterschiedenes erscheinen würde, eine Unterscheidung, die das Werk des tätigen Geistes ist.«428
426 A. a. O., c. 4, 1012A-B: »agit igitur ut iunctus phantasmatibus, ita ut ex utrisque unum constituatur obiectum perfectum, & potens in intellectu patibili speciem producere: quare unum tantum est agens, ipsum phantasma, lumen vero intellectus agentis non est agens separatum, sed est perfectio phantasmatis, quæ constituit obiectum perfectum, & potens movere intellectum patibilem. Ideo recta est illorum sententia, qui dicunt intellectum agentem esse agentem ut intelligibilem potius, quam ut intelligentem.« 427
Eckhard Kessler, Psychologie, 563f.
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Zabarella, De Mente agente, c. 6, 1017D-E: »… quia si abstrahere est accipere unum dimissis aliis, certe non intellectus agentis officium est, sed patientis, hic enim quidditatem intelligit in phantasmate emicantem, & eam accipit absque conditionibus materiæ, & absque aliis, quæ in eo phantas-
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Der tätige Geist macht also die Welt intelligibel, indem er alles unterscheidbar macht, indem er alles, was im Phantasma ist, illuminiert und dadurch als Unterschiedenes sichtbar macht. Nur weil also alles (schon immer) unterscheidbar ist, kann der intellectus possibilis überhaupt das eine vom anderen unterscheiden. Wie kann das Abstrahieren aber eine Tätigkeit des intellectus possibilis sein, sofern doch seine Weise des Erkennens von Aristoteles als ein pasxei=n (De An. III 4, 429b24f.) bestimmt worden ist? Gegen diesen Einwand der Averroisten verwies Zabarella auf die Dialektik des Erkennens, das passiv und aktiv verläuft: »Man muß verneinen, daß die Funktion des passiven Geistes allein das Erleiden ist. Mag auch Aristoteles gesagt haben, daß das Erkennen ein Erleiden ist, weil es in Hinsicht auf den Ursprung ein Erleiden ist und weil wir leichter durch das Erleiden als durch das Tätigsein zur Erkenntnis seiner Natur geführt werden, so ist dennoch das Erkennen auch ein Tätigsein. Denn das Erkennen besteht nicht nur in der Aufnahme der Formen, die ein Erleiden ist, sondern auch in ihrer Beurteilung, die ein Tätigsein ist …«429
Auch die Funktion des intellectus possibilis ist also ein agere. Daß man hieraus gleichwohl nicht auf eine Subjektivierung des Erkenntnisprozesses schließen kann, wie dies Kessler behauptet hat430, wird im Zusammenhang mit der Klärung der Modi des Wissens deutlich werden (vgl. 3.3.7.1.). Diese transzendente Dimension, in der Gott als intellectus agens der Ermöglichungsgrund jeglicher Erkenntnis ist, findet sich bei den Conimbricensern nicht. Sofern nämlich der intellectus agens ein Vermögen der menschlichen Seele ist, kann er nicht das Erkennen als Erkennen sicherstellen, sondern ist Teil des innerseelischen Erkenntnisprozesses. Daher verstanden die Conimbricenser seine oben genannten drei Funktionen wie folgt: Seine erste Aufgabe besteht darin, die Phantasmata zu erleuchten. Dies geschieht nun nicht auf die Weise, daß er ihnen eine Qualität einprägt, wie Thomas behauptet hat, denn dann müßte das, was er einprägt, entweder geistig oder körperlich sein. Beides sei aber unmöglich, wie Durandus gezeigt habe. Wenn die species impressa nämlich geistig wäre, dann könnte sie nicht vom Körper aufgenommen werden, und wenn körperlich, dann könnte das Phantasma keine immaterielle Qualität sein. Aber auch Cajetans Ansicht, wonach der intellectus agens das Phantasma objektiv erleuchte, indem er sich zu ihm verhalte wie das Licht der Sonne zur Farbe (im Sinne Zabarellas also als Ermöglichungsgrund von Erkennbarkeit überhaupt), sei falsch, weil unklar bliebe, was er bewirke, wenn er weder im Phantasma noch mit ihm wirke. Vielmehr illuminiere er effectivè, indem er das Phantasma anrege zur Hervorbringung _________________________________________________________________________________________________________
mate sunt, & sic eam ab aliis abstrahere dicitur: at facere id non posset, nisi prius omnia in phantasmate distincta apparent, quæ distinctio est opus intellectus agentis …» 429
A. a. O., c. 7, 1018F-1019A: »… sed negandum esse, patibilis intellectus officium esse solum pati, quia licet Aristoteles dixerit intelligere esse pati, quia secundum originem est pati, & facilius ad cognoscendam eius naturam ducimur per pati, quam per agere, tamen intelligere est etiam agere; nam cognoscere non in sola specierum receptione, quæ passio est, consistit, sed etiam in receptarum iudicatione, quæ est actio …« 430
Vgl. 1.2, Anm. 101.
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der species intelligibiles.431 Was man sich hierunter genauer vorzustellen hat, bleibt jedoch unklar. Die zweite Funktion des intellectus agens besteht für die Conimbricenser darin, den Gegenstand in Wirklichkeit intelligibel zu machen. Wie nämlich der intellectus possibilis an sich nur in Möglichkeit alles Erkannte ist, so ist das Intelligible auch nur an sich in Möglichkeit und muß erst vom intellectus agens zu einem in Wirklichkeit Intelligiblen gemacht werden. Dies geschieht, indem der intellectus agens zusammen, wie mit Zabarella und gegen Thomas betont wird, mit dem von ihm erleuchteten Phantasma die species intelligibilis des zu erkennenden Gegenstandes im intellectus possibilis hervorbringt, was zugleich die dritte Funktion des intellectus agens kennzeichnet. Auch hier betonen die Conimbricenser abschließend nochmals, daß die species intelligibiles nichts anderes sind als Repräsentationen des Gegenstandes.432 3.3.6. Debatten um die Unsterblichkeit der menschlichen Seele Es gibt wohl kaum eine Frage, die von den Theologen und Philosophen bis in die Neuzeit hinein heftiger diskutiert worden ist als die nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Pluta hat gezeigt, daß diese Frage »im späten Mittelalter zu den meistdiskutierten und meistumkämpften Themen (gehörte)«433. Die Dogmatisierung der Unsterblichkeit der menschlichen Seele auf dem 5. Laterankonzil von 1513 zeigt an, daß dieses Problem auch noch in der Renaissance von besonderem Interesse war. Der Grund hierfür dürfte nicht zuletzt im Wirken solcher Philosophen wie Pomponazzi gelegen haben, der unter Berufung auf Aristoteles die menschliche Seele essentialiter et vere für sterblich und nur in gewisser Weise (secundum quid) für unsterblich gehalten hat.434 Er begründete dies insbesondere damit, daß das Erkennen nicht ohne Phantas431
Vgl. Coll. Conimbricense, III 5, q. 2, art. 1, 376-8.
432
Vgl. a. a. O., art. 2, 379: »Quo patet reddere obiectum intelligibile actu, nihil esse aliud, quàm efficere ut obiectum repræsententur in specie intelligibile. Quod intellectus agens præstat, dum unà cum phantasmate illustrato producit speciem rei intelligendæ in intellectum patientem.« 433
Olaf Pluta, Kritiker der Unsterblichkeitsdoktrin in Mittelalter und Renaissance. Amsterdam 1986, 2. 434
Vgl. Pomponazzi, Tractatus de immortalitate animæ, c. 9, 78: »Cum itaque primus modus ponens intellectivum realiter distingui a sensitivo in mortalibus secundum omnes impugnatus sit modos et secundus ponens, quod intellectivum et sensitivum sunt idem re et tale est simpliciter immortale et secundum quid mortale, sit valde ambiguus nec convenire videatur Aristoteli, reliquum est, ut ponamus ultimum modum, qui ponens sensitivum in homine identificari intellectivo dicit, quod essentialiter et vere hoc est mortale, sed secundum quid immortale.« A. a. O., 88: »Quare anima humana apud Aristotelem absolute pronuntianda est mortalis. Verum cum sit media inter abstracta simpliciter et immersa materiae, quoquo modo de immortalitate participat, quod et sua essentialis operatio ostendit. Nam non dependet a corpore tamquam subiecto, in quo convenit cum intelligentiis et differt a bestiis; et indiget corpore ut obiecto, in quo convenit cum bestiis. Quare et mortalis est.« Zu dieser Lehre vgl. Olaf Pluta, Kritiker der Unsterblichkeitsdoktrin, 50-65, sowie die Einleitung von Burkhard Mojsisch zur lateinisch-deutschen Ausgabe des Tractatus de immortalitate animae, IX-XXVIII.
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mata geschieht (vgl. De An. III 3, 427b14f., III 7, 431a16f., III 8, 432a6-10). Hieraus ergab sich für ihn, daß die Geistseele secundum operationem nicht ohne Körper sein kann. Wäre sie nämlich von ihm abtrennbar (und unsterblich), dann würde sie entweder keine Tätigkeit ausüben und wäre funktionslos, oder sie würde eine Tätigkeit ausüben, wäre dabei aber ohne Vorstellung tätig, was der Ansicht des Aristoteles widerspreche. Folglich sei sie als forma informans sterblich, während sie nur secundum operationem in gewisser Weise unsterblich sei, da sie nicht vom Körper als einem Zugrundeliegenden abhängig sei, denn sie erkenne – anders als die Sinneswahrnehmung, die der Augen, Ohren etc. bedarf – ohne Organ.435 Daß diese Frage nach der Unsterblichkeit auch nach der Pomponazzi-Affäre keineswegs »von eher peripherer Bedeutung«436 war, wie Kessler merkwürdigerweise behauptet, sondern bis ins weit ins 17. Jh. hinein die Debatten bestimmte, wird in diesem Abschnitt wie auch weiter unten im Zusammenhang mit der lutherischen Schulphilosophie (vgl. 4.2.2.1.) deutlich werden.437 In einem ersten Schritt ist zunächst die Position der Jesuiten in dieser Frage zu erläutern. Wie gesehen, hat Toletus in seiner 10. These der Propositiones aliquot alle natürlichen Gründe, die gegen das Dogma von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele stehen, für sophistisch, nichtig und auflösbar erklärt.438 Im Anschluß an den Kommentar zu De An. III 5, 430a25 nahm er diesen Themenkomplex auf zweifache Weise in den Blick: Zum einen secundum Aristotelem und zum andern secundum philosophiam.439 Nicht anders verfuhren die Conimbricenser, die den Locus De immortalitate 435 Vgl. Pomponazzi, Tractatus, c. 9, 90-98. Erst im letzten Kapitel seiner Schrift relativierte Pomponazzi seine Ansicht dahingehend, daß er die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele aus philosophischer Sicht als ein neutrum problema bezeichnet, das nur von Gott gelöst werden könne und in der Hl. Schrift auch gelöst worden sei, weshalb die Unsterblichkeit der Seele aus theologischer Sicht gewiß sei (a. a. O., c. 15, 228ff.). 436
Eckhard Kessler, Psychologie, 549.
437
Vgl. hierzu auch Emily Michael, Nature and Influence, 67f.: »The immortality controversy raised at Padua, where a denial of the soul’s immortality was associated, in particular, with Pietro Pomponazzi, raged throughout the sixteenth century … For the next century and a half [sc. nach dem Laterankonzil von 1513], personal immortality was viewed as a critical and pressing philosophical problem, and was routinely considered in the discussion of the human psychology in courses and works on natural philosophy and medicine.« Michael verweist dort auf mehr als zwei Dutzend Traktate von Genua bis More, die sich ausschließlich mit dieser Frage beschäftigt haben (a. a. O., 88f.). Selbst für den Begründer der Philosophie der Subjektivität, Descartes, war diese Frage nicht obsolet, wie sein Widmungsbrief der Meditationes de prima philosophia von 1641 an die theologische Fakultät der Sorbonne bezeugt: »Semper existimavi duas quæstiones, de Deo et de Anima, præcipuas esse ex iis quæ Philosophiæ potius quàm Theologiæ ope sunt demonstrandae [sic!]: nam quamvis nobis fidelibus animam humanam cum corpore non interire, Deumque existere, fide credere sufficiat, certe infidelibus nulla religio, nec fere etiam ulla moralis virtus, videtur posse persuaderi, nisi prius illis ista duo ratione naturali probentur.« (AT VII, 1,7-2,4) 438
Vgl. 3.1.1., Anm. 75.
439
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 144vb: »An rationalis Anima sit immortalis secundum Aristotelem.« A. a. O., q. 16, 148va: »An secundum philosophiam anima rationalis sit immortalis.«
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animæ für so bedeutsam hielten, daß sie eigens einen Tractatus de anima separata verfaßten, der als Anhang des Commentarius in tres libros de anima abgedruckt worden ist.440 Zur Begründung verwies man im Proœmium dieser Abhandlung darauf, daß Aristoteles sich in seiner Schrift De Anima über die anima separata nicht geäußert habe, ihr Verständnis aber für den Theologen und Philosophen gleichermaßen notwendig und nützlich sei. Obgleich eher ein Gegenstand des Metaphysikers als des Naturwissenschaftlers, werde sie hier gleichwohl aus Gründen der Vollständigkeit erörtert.441 Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es, die Argumente secundum Aristotelem in den Blick zu nehmen.442 Diese werden jeweils, soweit möglich, mit den entgegenstehenden Interpretationen von Portio und Zabarella konfrontiert, deren Position – die Unmöglichkeit des Erweises der Unsterblichkeit der Seele von Aristoteles her und damit die These von ihrer Sterblichkeit – in einem zweiten Schritt ausführlicher darzustellen ist. Toletus begann seine Erörterung mit einer Erinnerung an zwei wesentliche Topoi des thomistischen (und in diesem Falle auch alexandrinischen) Aristotelismus: Die Geistseele ist forma informans, und sie ist nicht eine in allen Menschen, sondern ver-
440
Coll. Conimbricense, Tractatus de anima separata [zukünftig: Tractatus], 500: »Disputatio prima. De immortalitate, & natura Animæ rationalis. Art. 1. Diversæ philosophorum veterum sententiæ circa animæ immortalitatem.« A. a. O., art. 2, 501: »Quid Aristoteles in re proposita iudicarit.« A. a. O., art. 3, 505: »Animam rationalem immortalem esse naturali lumine demonstratur.« 441 Vgl. a. a. O., 499 (Proœmium): »Quoniam Aristotelis libris superioribus nihil de anima separata disseruit, de qua multæ, ac graves quæstiones inter Philosophos, Theologosque versantur, quarum explicatio, & intelligentia non minus necessaria, quam iucunda est: operæ pretium duximus eam disputationem in præsenti suscipere, licet enim consideratio eorum, quæ ad animam præcisè, ut extra corpus est spectant, Metaphysici potius, quam Physiologi sit, ut in primi libri proœmio commonuimus, quia tamen scientia de anima sine hoc quasi supplemento absolutionem suam adipisci non poterat, fortasseque in libris primæ Philosophiæ apud Aristotelem commentatio hæc non adeo opportunum locum habet, istiusmodi tractationem superioribus libris potius attexere, quam illuc reijcere statuimus.« 442
Toletus benannte für den Erweis der Unsterblichkeit der menschlichen Seele secundum philosophiam mehr als 60 Gründe, die naturwissenschaftlicher, metaphysischer oder ethischer Art sind. Dies geschah in folgender Anordnung: »Sit igitur prima conclusio. Animam rationalem esse immortalem, etiam ratione naturali ostenditur. … Primum ergo id ostendemus, ex potentiarum animæ capacitate infinita & obiecto. Et primò quidem, Intellectus, deinde secundò, voluntatis. Rursus tertiò, ex appetitibus animæ varijs à natura insitis. Quartò, & quintò, ex operibus eius à corpore separatis, tam voluntatis, quàm Intellectus. Sextò ex generatione animæ, & causis corruptionum, quæ in anima rationali esse non possunt. Septimò, ex convenientia eiusdem animæ rationalis cum Angelis, & Deo. Octavò, ex premio, & pœna bonis malisque debitis. Nonò ex fine ultimo & beatitudine nostra, quæ in hac vita esse non potest. Decimò, ex varijs virtutibus, & earum actionibus, quæ perirent: & vitijs, quæ contra sequerentur. Undecimò, ex pugnantia sensus cum ratione, & contra. Duodecimò, ex maiori omnium Rerumpublicarum, imò omnium ferè hominum consensu. Tertiodecimò, ex maiori denique utilitate, securitate, & decentia huius opinionis, quàm contrarie.« (III 5, q. 16, 149ra) Die Conimbricenser begnügten sich mit der Angabe von acht ebenfalls physikalischen, metaphysischen und ethischen Gründen (vgl. Tractatus, disp. 1, art. 3, 505-511).
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vielfältigbar gemäß der Anzahl der Individuen.443 Genau diese Bestimmung der Geistseele als forma informans führt nun aber im Zusammenhang mit der Frage nach ihrer Unsterblichkeit zu einem Problem, auf das bereits mehrfach hingewiesen worden ist: Je enger das Verhältnis von Körper und Seele ontologisch und epistemologisch bestimmt wird – also secundum esse als forma informans und secundum operationem als Abhängigkeit des Erkennens von der Vorstellung, die in der körperlichen Wahrnehmung gründet –, desto schwieriger ist einzusehen, wie die Seele nach der Trennung vom Körper noch weiterleben könnte. Wie gesehen, war genau dies die Position von Alexander, Luther und Pomponazzi. Die Jesuiten verschwiegen nun diese beiden »major difficulties«444 nicht, hielten sie aber, wie auch die übrigen Einwände, die physikalischer und metaphysischer Natur sind, für auflösbar und damit für erweisbar, daß secundum Aristotelem die »Geistseele nicht vergeht, wenn der Körper vergeht«445. Von besonderer Bedeutung war hierbei natürlich der Aufweis, daß die Geistseele als forma informans zugleich forma assistens ist. Die Conimbricenser formulierten diesen Sachverhalt wie folgt: »Die Denkseele ist eine in sich gründende geistige Substanz. Also ist sie unsterblich.«446 Was bereits die nähere Bestimmung des intellectus possibilis secundum operationem erwiesen hat, nämlich die philosophische Bestätigung der theologischen Definition der Geistseele als substantia spiritualis durch den Erweis des Nous als substantia separata secundum quid (vgl. 3.3.3.), ist nun auch secundum esse von der (aristotelischen) Philosophie her aufzuzeigen. Anders formuliert: Es kommt bei den Jesuiten zu einer Zusammenführung des theologischen Geschehens der transzendenten Geistwerdung (als pneu=ma, spiritus) in Gott mit dem philosophischen Geschehen des ontologischepistemologischen Geistseins (als nou=j, intellectus) des Menschen gemäß De An. III 4 und 5. Damit wird nun nichts anderes als seine Sonderstellung coram Deo betont. Für einen Philosophen wie Pomponazzi war dies natürlich ein willkürlicher Akt, der mit einem Philosophieren aus Gründen nichts mehr zu tun hatte.447 Aus rein philosophi443 Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 144vb: »Sed, antequam ad controversiam accedam, illud unum supponendum est, quod aliàs pro viribus in Aristotele manifestavimus, Animam intellectivam formam esse dantem Esse; nec unam in omnibus hominibus, sed plures.« 444
C. F. Fowler, Descartes, 87.
445
Toletus, III 5, q. 15, 145rb: »Animam rationalem non destrui, destructo corpore, Aristoteles docet: & oppositum est contra ipsius doctrinam.« Die Conimbricenser führten diese Position auf Theophrast zurück, »qui cum tot annos Aristotelem in Lycæo deambulantem audierit, credibile omnino est sæpè hæc de re cum eo fuisse commentatum, ac quid sentiret, cognovisse.« (Tractatus, disp. 1, art. 2, 502) 446 Vgl. a. a. O., art. 3, 505: »Anima rationalis est substantia, per se subsistens, & spiritualis. Ergo est immortalis.« Damit bestätigt sich die oben genannte These (vgl. 3.3.2.), daß die Bestimmung der Seele als geistige Substanz ihre Unsterblichkeit sichert. 447
Vgl. Pomponazzi, Tractatus, c. 8, 68-70: »Tertium dictum est, quod talis anima est vere forma hominis et non tantum ut motor. Huic quidem dicto ego consentio, si ponitur materialis; verumtamen si ponitur immaterialis, ut ipse [sc. Thomas] dicit, non videtur esse notum. Oportet enim talem essen-
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scher Sicht gewiß ein richtiger Einwand – nur widerspricht diese Ansicht dem christlichen Glauben, der hier für die Jesuiten verbindlich ist, nach dem der Mensch ein Geschöpf Gottes ist, dem damit eine Sonderstellung zukommt. Mit Pomponazzi ist aber wiederum kritisch zu fragen: Kann so secundum Aristotelem argumentiert werden? Um diese Frage zu beantworten, gilt es, diejenigen Argumente der Jesuiten kritisch in den Blick zu nehmen, die sich auf Textstellen des corpus Aristotelicum beziehen, und dagegen die Äußerungen von Portio und Zabarella zu setzen. Dabei wird sich zeigen, daß sich die Jesuiten für ihre Ansicht erstaunlicherweise auf dieselben Textstellen berufen haben, die Averroes für seine These von der Bestimmung der anima rationalis als forma assistens angeführt hat (vgl. 3.3.1.1.). Vor diesem Hintergrund wird die Widersprüchlichkeit der Position der Jesuiten mehr als deutlich, die mit ihrer doppelten Bestimmung der Seele als forma informans & substantia spiritualis teils alexandrinisch, teils averroistisch und damit insgesamt thomistisch argumentierten. 1. Für Toletus ergibt sich aus De An. I 4, 408b18-29 »klar und deutlich die Unsterblichkeit des intellektiven Teils [der Seele]«448. Auch für die Conimbricenser nennt Aristoteles hier »unseren Geist göttlich und ohne Anteil am Sterben und Erleiden«449. Auch wenn sich bei Portio und Zabarella kein Nachweis zu dieser Stelle finden ließ, ist klar, daß beide diese Interpretation abgelehnt hätten. Denn der Kontext zeigt deutlich an, daß Aristoteles hier nichts Gewisses vom Geist ausgesagt, sondern in der Form eines Zweifels gesprochen hat: Der Nous scheint (e)/oiken, b18) als eine gewisse Substanz von außen einzutreten und nicht zu vergehen. Auf welche Weise er etwas Göttlicheres ist und inaffizierbar, müßte erst noch erwiesen werden. Folglich kann diese Textstelle nicht als ein Beleg für die Unsterblichkeit der Seele angeführt werden. 2. Toletus und die Conimbricenser verweisen ferner auf De An. II 1, 413a6f., wo es heißt, daß einige Teile der Seele abtrennbar sind, weil sie von keinem Körper die Vollendung sind. Während nämlich die organischen Vermögen (wie die vegetativen und sinnlichen) secundum esse vom Körper nicht abtrennbar sind, weil sie ihn zur Ausübung ihrer Funktionen bedürfen, vermag dies der Geist, weil er ohne Organ ist, wie Toletus unter Berufung auf Simplicius, Themistius, Thomas, aber auch Alexander betont.450 Insbesondere aus dem Kommentar der Conimbricenser zu dieser Stelle wird _________________________________________________________________________________________________________
tiam esse hoc aliquid et per se stans. Quomodo igitur fieri poterit, ut sit actus et perfectio materiae, cum tale, scilicet actus materiae, sit, non quod est, sed quo aliquid est … Quodsi dicitur hoc esse peculiare animae intellectivae, hoc est valde suspectum et voluntarie dictum.« 448
Toletus, III 5, q. 15, 145va: »Primum sit ex 1. de anima text. 66 ubi dicit, quod amare, cogitare, & similia destruuntur cum corpore: at intellectus divinum quid & impassibile est. Vide clarè immortalitatem intellectivæ partis.« 449
Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503: »Nam 1. de anima cap. 4. text. 65. & 66. appellat intellectum nostrum divinum, interitus, & passionis expertem.« 450
Vgl. Toletus, II 1, t. 11, 39ra: »Altera expositio Simplicij, Themistij, Alexandri, S. Thomæ, Caietani & aliorum, quòd per partes intelligat potentias, sitque sermo de anima humana, ut, quantum ad aliquas potentias, sit inseparabilis, id est organicas, quales sunt sensitivæ, & vegetativæ: quantum ad alias, sit separabilis, quia non sunt organicæ, scilicet secundum Intellectum … Et hoc etiam con-
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erneut die doppelte alexandrinisch-averroistische Bestimmung der anima rationalis als forma informans und als forma assistens deutlich: »Weil er [sc. Aristoteles] die Seele als Vollendung des Körpers definiert hat, könnte vielleicht jemand aufgrund dessen meinen, daß die Seele keinesfalls vom Körper abtrennbar ist. Dabei zeigt sich, daß dies hinsichtlich einiger Teile der Seele deutlich ist, die ohne Zweifel so sehr die Vollendung des Körpers sind, daß sie vollkommen der Materie unterworfen und mit ihr verwoben sind; nichts verhindert jedoch, daß einige [andere Teile] so sehr von der Materie befreit sind, daß sie außerhalb ihrer bestehen können.«451
Im Tractatus haben die Conimbricenser diese Textstelle als einen weiteren Beleg für die Unsterblichkeit der Seele benannt452, denn was secundum esse vom Körper abtrennbar sei, das sei auch unsterblich. Wie gesehen (vgl. 3.3.1.1.), hat Zabarella jedoch bereits gegen Averroes betont, daß diese Textstelle nicht als eine ontologische Beschreibung des Nous zu verstehen ist – denn er ist ja, wie auch die Jesuiten zugestehen, forma informans –, sondern als eine epistemologische Bestimmung: Fraglich ist hier also allein, ob der Nous vom Körper abtrennbar ist, insofern er hinsichtlich des Denkens keines Organs bedarf. Gleichwohl ist er ja in einem Körper. 3. Als weiteres Zeugnis für ihre These verwiesen die Jesuiten ferner auf De An. II 2, 413b24-27. In ihrer Auseinandersetzung mit Averroes um die Bestimmung der Seele als forma informans hatten sie diese Textstelle dahingehend verstanden, daß Aristoteles hier nicht zweifelnd von der Abtrennbarkeit des Nous vom Körper secundum esse gesprochen habe, sondern zustimmend. Hieraus ergab sich für sie die Unsterblichkeit der Seele (vgl. 3.3.1.1.). Diese Einschätzung wird von ihnen hier im Locus De immortalitate animæ bestätigt.453 Doch auch hier gilt, was bereits Luther (vgl. 2.2.2.) sowie Portio und Zabarella in ihrer Auseinandersetzung mit Averroes zu dieser Stelle vorgebracht haben: Es kann nicht mehr entnommen werden, als geschrieben steht (‘es ist noch nicht deutlich etc.’). 4. Locus classicus der These für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele war für die Jesuiten jedoch De An. III 5, 430a22f., wo Aristoteles, so Toletus, »sagt, daß der _________________________________________________________________________________________________________
firmatur …« Die Berufung auf Alexander ist nicht gerechtfertigt, da er die Abtrennbarkeit des nou=j u(liko/j secundum esse gerade abgelehnt hat, wie gezeigt worden ist (vgl. 2.2.1.). 451 Coll. Conimbricense, II 1, 53: »Quia animam corporis actum definierat posset ex eo quispiam fortasse opinari, animam neutiquam esse à corpore separabilem. Occurrit igitur, manifestum id quidem esse, quoad aliquas animæ partes, quæ nimirum ita sunt actus corporis ut materiæ prorsus addictæ, affixæque sint, nihil tamen obstare, quominus aliquæ ita sint à materia liberæ, ut extra illam cohærere valeant.« 452 Vgl. Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503: »In 2. item lib. cap. 1. t. 11. ait [sc. Aristoteles] nihil obstare, quominus aliquæ partes animæ separabiles sint, quia nullius corporis sunt actus.« 453 Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 145va: »Secundum ex 2. de anima text. 21. Intellectum aliud genus animæ esse dicit à sensitivo, & vegetativo, & id posse ab his separari, sicut perpetuum à corruptibili.« Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503: »Et cap. 2. text. 21 ait intellectum, qui speculatur, esse aliud quoddam genus animæ à sentiente, & vegetante distinctum, quod perinde, atque perpetuum ab eo, quod occidit, seiungi, separarique possit.«
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Geist in Wirklichkeit, mit dem wir denken, hinsichtlich der Tätigkeit nach dem Körper nicht verbleibt, dennoch an sich selbst und seinem Sein nach unsterblich ist.«454 Dieser Interpretation lag natürlich die Annahme zugrunde, daß der intellectus agens ein Vermögen der menschlichen Seele ist. Es ist aber im vorangehenden Abschnitt gezeigt worden, daß dies nicht der Ansicht des Aristoteles entsprechen kann und zu den bereits benannten Widersprüchlichkeiten in der Argumentation der Jesuiten führt. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, wie ein und dasselbe Vermögen der Seele als intellectus possibilis gemäß 430a25 sterblich und zugleich als intellectus agens gemäß 430a23 unsterblich sein kann. Als einzig plausible Erklärung – auch wenn sie nicht alle Schwierigkeiten des De Anima-Textes beseitigt – bleibt daher die von Portio und Zabarella unter Berufung auf Alexander gegebene Bestimmung des intellectus agens als göttliche Kraft bzw. Gott selbst, die bzw. der allein gemäß den peripatetischen Prinzipien unsterblich und ewig ist. 5. Neben der bereits in 3.3.1.1. diskutierten Textstelle De Gen. an. II 3, 736b27-29 galt für die Jesuiten ferner De An. I 4, 408b18f.455 als Beleg für die These, daß der Nous als eine gewisse Substanz von außen, und das heißt eben von Gott her in den Körper eintrete und nicht vergehe. Damit habe Aristoteles den göttlichen Schöpfungsakt der menschlichen Seele als Kreatianismus beschrieben. Im Zusammenhang mit Met. XII 3, 1070a24-26, wo er die Frage gestellt habe, ob auch später (nach dem Untergang des Körpers?) etwas verbleibe, und in diesem Zusammenhang den Nous erwähnt habe456, sei klar, daß es für ihn kein Sein der Geistseele ante corpus, sehr wohl aber eines post mortem gebe, auch wenn er sich hierüber nicht weiter geäußert habe.457 6. Schließlich versuchten Toletus und die Conimbricenser das von Pomponazzi vorgebrachte Argument zu widerlegen, wonach der Geist ohne Phantasmata nichts erkenne, daher sterblich sei. Dagegen müsse betont werden, daß Aristoteles hier nur vom Geist eines jungen Menschen spreche, der noch nichts erkannt habe. Nachdem er nämlich einmal die species intelligibilis in sich aufgenommen habe, bedürfe er nicht mehr der Vorstellung.458 Erst recht sei dies kein Argument im Zusammenhang mit der anima se-
454
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 145va-b: »Tertium est ex 3 de anima text. 20. ubi dicit, quod intellectus in actu, quo contemplamur, quantum ad operationem non manet post corpus, tamen secundum se, ac suum esse immortalis est.« Ebenso Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 503. 455
Vgl. Aristoteles, De An. I 4, 408b18f.: »o( de\ nou=j e)/oiken e)ggi/nesqai ou)si/a tij ou)=sa, kai\
ou) fqei/resqai.« 456
Vgl. Aristoteles, Met. XII 3, 1070a24-26: »ei) de\ kai\ u(/stero/n ti u(pome/nei, skepte/on: e)p ) e)ni/wn ga\r ou)de\n kwlu/ei, oi(=on ei) h( yuxh\ toiou=ton, mh\ pa=sa a)ll o ) ( nou=j: pa=san ga\r a)du/naton i)/swj.« 457
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 145vb: »Aristoteles non posuit animas ante corpus, existentes.» A. a. O., 146ra: »De statu animæ post mortem, quædam habemus ab Aristotele non parvi momenti …» 458
Vgl. Toletus, III 5, q. 15, 146vb.
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parata, deren modus cognoscendi von der Materie vollkommen abgetrennt sei.459 Wenn dies tatsächlich so ist, dann fragt sich freilich, warum Aristoteles diesen Sachverhalt mehrmals ohne Einschränkungen betont (vgl. De An. III 3, 427b14f., III 7, 431a16f., III 8, 432a6-10) und wie der Satz: Nihil est in intellectu quod prius non fuerit in sensu, jemals eine solche Bedeutung erlangen konnte, wenn er doch nur vom jungen Menschen gilt. Auf diese Frage wird im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein (vgl. 3.3.7.). Zunächst gilt es, die Positionen von Portio und Zabarella in ihrer Auseinandersetzung mit den christlichen Autoren zur Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele secundum Aristotelem zu verdeutlichen. Portio begann seinen Traktat mit der charakteristischen Äußerung, daß die menschliche Seele ein mittleres Wesen zwischen Gott und den niederen Lebewesen sei. Dies bedeutet aber gerade kein platonisches sowohl-als auch, nämlich daß die Seele zugleich sterblich und unsterblich ist wie bei Simplicius, sondern ein aristotelisches weder-noch. Denn Aristoteles habe gelehrt, daß die Seele »weder vollkommen ewig ist noch vollkommen vernichtet wird, und so ist es eine Tatsache, daß im Menschen etwas Göttliches entdeckt wird, wodurch er unter der Führung der Natur den übrigen Lebewesen an Vortrefflichkeit und Rang vorangeht.«460 Dieser ontologischen Beschreibung des doppelten Charakters der Seele als weder unsterblich noch sterblich, entspricht die Bestimmung des mittleren Charakters, wie sie Zabarella in seiner Schrift De Mente humana gegeben hat.461 In strenger Anlehnung an das von Aristoteles Gelehrte und unter Außerachtlassung der christlichen Dogmen zielen die italienischen Naturphilosophen in dieser Frage auf ein philosophisches Programm ab, das die similitudo, das Gott-ähnlich-Werden als eine Aufgabe benennt, die im Geistsein ihr Fundament findet. Ziel ist nicht ein von der Theologie her geforderter ontologischer Beweis von der Unsterblichkeit der Seele, sondern der rein philosophische Aufweis, daß nur im Geistsein die Angleichung an Gott gelingt. Alles andere ist ein Abweichen von dem der Philosophie allein Möglichen. Nur vor diesem Hintergrund wird einsichtig, weshalb Portio und Zabarella mit solcher Vehemenz den Einfluß des Christentums zurückdrängen wollten: Es gibt in der Frage nach der Unsterblichkeit keinen Ausgleich zwischen Philosophie und Theologie. Dies wird das Nachfolgende bestätigen. Portios gesamter Traktat zielt auf die Beantwortung der folgenden Frage ab: Ist der menschliche Geist ewig oder nicht?462 Auch hier wandte er sogleich die für ihn charak459 Vgl. Coll. Conimbricense, Tractatus, disp. 1, art. 2, 504. Die Conimbricenser widmen sich dieser Frage ausführlicher in seiner vierten Disputation De actuali cognitione animæ separatæ: »An anima separata actum cognitionis revera exerceat.» (A. a. O., disp. 4, art. 1, 563) 460
Portio, Præfatio, 5: »Hac quoque ratione, ac via de animo hominis agens [sc. Aristoteles], eum nec omnino æternum esse; nec penitus aboleri edocet, sicque factum est, ut aliquid in homine esse divinum deprehendatur, quo is Natura duce, cæteris animantibus præstantia, ac nobilitate anteeat …« 461
Vgl. 3.3., Anm. 192.
462
Vgl. Portio, c. 5, 22: »Quoniam propositum nobis est disserere, an intellectus, & mens nostra æterna sit, nec ne …«
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teristische Methode an: Die Antwort auf diese Frage wird nicht von der Theologie her gesucht, sondern allein von den naturphilosophischen Prinzipien des Aristoteles her. Der Stagirite habe als ewig zum einen die aus sich selbst heraus existierende, von jeder Materie freie substantielle Form bestimmt und zum andern die ewige Bewegung, wie sie das corpus cœleste charakterisiere, das notwendigerweise einen ewigen unbewegten Beweger voraussetze, wie aus Phy. VIII 6 deutlich sei. Betrachtet man nun, so Portio, den menschlichen Geist auf diese drei Ewigkeiten hin, so gibt es ohne Zweifel nichts, was seine Ewigkeit beweist. Sofern nämlich die Bedingungen der Form aus ihren Funktionen erkannt werden, gibt es in ihm als forma informans keine Bewegung oder Tätigkeit, die fortwährend ist, sondern alles wird durch den Schlaf unterbrochen und zerstört.463 Bereits mit diesem einfachen Rückgriff auf die Prinzipien der aristotelischen Naturphilosophie wird die gesamte metaphysische Diskussion um die Unsterblichkeit der Seele secundum Aristotelem aus den Angeln gehoben: Wenn alle Tätigkeiten des Menschen vergehen, muß man dann nicht ohne zu zögern schließen, daß auch er vergeht? »Wenn man nämlich den Körper des Menschen betrachtet, der fortwährenden Veränderungen unterworfen ist, Schwinden und Wachstum erleidet und von gegensätzlichen Qualitäten umgetrieben wird – auf welche Weise [dabei] seine Form, welche die Materie informiert, beseelt und zugleich mit dem Körper affiziert wird, ewig sein kann, sehe ich nicht.«464
Gegen diese Overtüre, die in ihrer Deutlichkeit keinen Zweifel läßt, wird nun ein Einwand vorgebracht, der zu einer ausführlicheren Diskussion dieser Frage zwingt: Sowohl der intellectus possibilis als auch der intellectus agens werden in De An. III 4 und 5 als einfach, unvermischt und abtrennbar bestimmt. Hieraus ergibt sich offensichtlich zum einen, daß beide substantiæ æternæ sind, und zum andern, daß der intellectus possibilis damit ebenfalls unvergänglich und ewig ist. Portio setzt gegen die erste These die bereits erörterte Ansicht, wonach der intellectus possibilis vom intellectus agens wesentlich verschieden ist, und zwar deshalb, weil beiden die in De An. III 4 und 5 genannten Attribute nicht auf dieselbe Weise zukommen, sondern jenem secundum operationem, diesem aber secundum esse (vgl. hierzu 3.3.5.). Folglich sind sie nicht von ein und derselben Substanz. Dem widerspricht auch nicht De An. III 5, 430a13f., wonach beide eine Differenz innerhalb der Seele selbst sind. Denn der intellectus possibilis wird als Materie, der intellectus agens dagegen als Form und Ursache bestimmt. Alle Aristoteliker seien sich aber gemäß Phys. II 1 darin 463 Vgl. a. a. O., 24: »Quare si per rationes, quibus ad hæc perquirenda usus est Aristotelem licet mihi mentis humanæ æternitatem eius probet, quoniam si mentem humanam, ut formam, & ut motorem accipimus, cum formæ conditiones ex functionibus, & actionibus cognoscantur; nulla prorsus est in homine motio, aut operatio quæ continua, & perennis sit, sed omnes quiete intercipiuntur, & abolentur.« 464
Ebd.: »Nam si corpus spectes hominis, cùm perpetuiis obiiciatur mutationibus, & decrementa, incrementaque patiatur, & contrariis agitetur qualitatibus, quonam pacto eius forma, quæ materiam informat, & ut sic dicam, animat, afficiturque simul cum corpore, æterna esse possit, non video.«
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einig, daß Materie und Form nicht in einer Substanz zusammenkommen465, weil ansonsten ein und dasselbe zugleich in Möglichkeit und Wirklichkeit wäre. Dies sei aber mit dem Satz vom Widerspruch unvereinbar, wonach etwas nicht zugleich sein und nicht sein könne. Folglich seien intellectus possibilis & intellectus agens nicht von ein und derselben Substanz. Die zweite These widerlegt Portio mit dem erneuten Hinweis auf das peripatetische Prinzip, daß sich Ewiges nicht unmittelbar mit Vergänglichem vereinigt. Da nun der intellectus possibilis im Denken den vergänglichen Phantasmata unterworfen ist, kann er selbst nicht ewig sein kann.466 Wir würden nämlich gleichsam das Ewige zum Vergänglichen herunterziehen, es unvollkommener machen, als es ist, wenn es ohne Vermittlung mit dem Vergänglichen kommunizierte und damit in gewisser Weise von ihm abhängig wäre. Auch hier rückt Portio also wieder die alten Maßstäbe zurecht, die durch die Einführung von platonischen und christlichen Elementen in die aristotelische Philosophie verschoben worden waren. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf De Long. & brevi. vitæ 2, 465a, wo Aristoteles ganz allgemein die Vergänglichkeit der Lebewesen beschrieben hat, die nicht nur den Körper betrifft, sondern auch die Seele, die mit ihm auf natürliche Weise verbunden ist. Dieses Vergehen der Seele, so Portio, umfasse alle ihre paqh/mata, sei dies nun das Wissen, Vergessen, Sich-Erinnern, Sehen etc., sowie alle ihre Vermögen, die ohne die Substanz der Seele gerade nichts vermögen: »Es bleibt also übrig … daß das Geistvermögen zusammen mit der Seele zerstört wird, welche die Substanz ist. Aus demselben Grund muß man die Vergänglichkeit des Menschen zusammen mit dem Vergehen der anderen Lebewesen eingestehen. Wie nämlich [deren] Vergänglichkeiten durch die Substanz bestimmt werden, so auch die des Menschen. Die wahre Substanz des Menschen wird also die Vergänglichkeit sein, nicht die Abtrennbarkeit.«467
Die Sterblichkeit der Seele bzw. des ganzen Menschen ergibt sich für Portio also aus dem Widerschein der eigenen Erfahrungen: Was sich uns am Menschen zeigt, ist, daß nichts Bestand hat, alles dem Vergehen unterworfen ist, sei dies nun das Wissen, die Gesundheit, das Sehen oder jede andere Tätigkeit. Und von diesen Phänomenen wird auf die Substanz des Menschen geschlossen, die damit ebenfalls dem Werden und Vergehen unterworfen sein muß. Für Portio ist dies so evident, daß er sich anders als Pom465
Dem entspricht es, wenn Aristoteles auch in De An. II 1, 412a6-10 Form und Materie als verschiedene Substanzen benennt. Dies bedeutet aber nicht, daß beide nicht gleichwohl eines sind. So bilden ja auch Körper und Seele als Materie und Form gemäß 412b5-9 eine Einheit. 466 Wie gesehen, war dies genau die Argumentation von Pomponazzi, die zur These von der wesentlichen Sterblichkeit der menschlichen Seele führte. 467
Portio, c. 7, 38: »Reliquum ergo est … intellectum potentia aboleri cum anima, quæ est substantia: eiusdemque rationis confitendum est esse corruptionem hominis, cum interitu aliorum animalium, atque ut aliæ corruptiones ad substantiam, ita hominis quoque ad substantiam terminabitur: eritque vera hominis corruptio, & non separatio.« Vgl. a. a. O., 46: »Summè igitur necessarium est in philosophia Aristotelis affirmare, intellectum potentia esse facultatem animæ nostræ, qua homo intelligit, & sapit principio existente in ipso; corruptibilem, & generabilem.«
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ponazzi nicht einmal die Mühe macht, die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele aus theologischer Rücksichtnahme als ein neutrum problema zu kennzeichnen. Prima facie wäre nun zu erwarten, daß Zabarella Portios und Pomponazzis Ansicht von der Sterblichkeit der menschlichen Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien geteilt hat. Denn sein Beharren auf die Bestimmung der anima intellectiva als forma informans sowie des intellectus agens als Gott, auf den allein sich damit die Attribute a)i+/dioj & a)qa/natoj in De An. III 5, 430a23 beziehen, läßt keinen anderen Schluß zu. Daß dem nicht so ist, kennzeichnet eine weitere der zahlreichen Merkwürdigkeiten, wie sie im Verlauf dieses Kapitels festgestellt worden sind. So erörtert Zabarella am Ende von De Mente agente die Frage, ob das Sterblichsein des intellectus possibilis in 430a25 eines hinsichtlich des Seins oder der Funktion bedeute. Im klaren Widerspruch zu allen seinen vorherigen Äußerungen zu diesem Thema beantwortet er diese Frage an dieser Stelle dahingehend, daß der intellectus patiens nicht hinsichtlich seiner Substanz sterblich sei, sondern allein hinsichtlich seiner Unvollkommenheit und seines Affiziertwerdens im Denken durch die species intelligibiles.468 Anders als Pomponazzi, für den die menschliche Seele als forma informans hinsichtlich des Seins sterblich ist und nur hinsichtlich ihrer Tätigkeit in gewisser Weise unsterblich, dreht Zabarella also die Vorzeichen gleichsam um und bezieht das Attribut fqarto/j auf den epistemologischen Prozeß, nicht auf den ontologischen Status der Seele. Dies ist aber, wie gesagt, mit seinen bisherigen Äußerungen nicht vereinbar. Daß hinter dieser Interpretation theologische Implikationen stehen, wird aus zwei Äußerungen Zabarellas deutlich. So spricht er in De Communi rerum generatione et interitu zwar von einem »Vergehen der Seele«469, betont aber in De Inventione æterni motoris liber unus, daß hierbei die Sterblichkeit der pflanzlichen und tierischen Seelen von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele unterschieden werden müsse: Jene Seelen sterben als Folge des Sterbens der Körper, denen sie einwohnen. Denn das, was im eigentlichen Sinne stirbt, sei das Lebewesen, nicht die Seele. Dies gelte jedoch nicht für die menschliche Seele: »Ich nehme die menschliche Seele immer aus; wir sollten ihrer Unsterblichkeit gemäß der wahren Theologie sehr gewiß sein«470. Auch aus einer anderen Äußerung im Zusammenhang mit De An. II 1, 413b24-27 wird deutlich, daß diese Ansicht nicht von Aristoteles her gedeckt ist, sondern allein auf dem Glauben beruht: 468 Vgl. Zabarella, De Mente agente, c. 16, 1041B: »Probabilior est quorundam aliorum interpretatio, qui dicunt intellectum patientem mortalem esse, non quidem secundum substantiam, sed tantum ratione suæ imperfectionis, & patibilitatis; eatenus enim interire dicitur, quatenus desinit esse imperfectus, & recipere obiectum à phantasia.« 469 Zabarella, De Communi rerum generatione et interitu, in: De Rebus naturalibus, 393-426, hier: c. 3, 400E: »Quod enim post recessum animæ maneat aliquandiu forma mistionis, ostenditur duobus his fundamentis constitutis; non idem est interitus amimæ, ac formæ mistionis; & forma mistionis non potest in toto corpore interire, nisi prius intereat anima.« 470 Zabarella, De Inventione æterni motoris liber unus, in: De Rebus naturalibus, 253-270, hier: c. 2, 256C-D: »animam humanam semper excipio, de cuius immortalitate ut secundum veram Theologiam certissimi esse debemus …«
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Psychologie im katholischen Renaissance-Aristotelismus »Deswegen trägt Aristoteles in De An. III 5, 430a22-25 seine Ansicht vor und sagt, daß allein der tätige Geist abgetrennt und unsterblich, der erleidende Geist aber vergänglich ist. So löst er nämlich auch den gegenwärtigen Zweifel und erklärt die Ursache dieses Scheinens. Denn die Ursache, warum unser Geist als abtrennbar und unsterblich erscheint, ist die Vermischung des göttlichen Lichtes mit ihm. Ich glaube, daß man diese Ansicht des Aristoteles falsch und ungläubig nennen kann, die auch von der christlichen Wahrheit verworfen wird.«471
Anders als in De Mente agente versteht Zabarella hier in seinem Kommentar das Attribut fqarto/j auf einmal ontologisch und gerade nicht epistemologisch. Man muß dies wohl so verstehen, daß er in De Mente agente den Versuch einer theologischen Ehrenrettung Aristoteles’ unternimmt, während er in De Inventione æterni motoris und in der eben zitierten Stelle rein theologisch und ohne Rücksichtnahme auf die Prinzipien der aristotelischen Philosophie argumentiert. Vor diesem Hintergrund läßt sich wohl die These vertreten, daß die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele für Zabarella nicht so sehr ein philosophisches, als vielmehr ein theologisches Thema war, und in dieser Erkenntnis würde er mit Luther übereinstimmen. 3.3.7. Der Prozeß der natürlichen und wissenschaftlichen Erkenntnis Nachdem bis jetzt die Geistseele als forma corporis bestimmt worden sind, die geeignet ist, alle species intelligibiles aufzunehmen und zu erkennen, und nachdem gezeigt worden ist, welche Funktion dem intellectus agens im Erkenntnisprozeß zukommt, sei es wie bei Portio und Zabarella als göttliche Kraft bzw. als Gott selbst, sei es wie bei den Jesuiten als ein Vermögen der menschlichen Seele, bedarf es zum Abschluß dieser erkenntnistheoretischen Bestimmungen noch der Beantwortung der Frage, was der menschliche Geist in welcher Reihenfolge erkennt. Während Zabarella dieses Thema in seiner Schrift De Ordine intelligendi erörtert hat472, findet sich die entsprechende Diskussion der Jesuiten in ihren Kommentaren zu Phy. I 1473, dem locus classicus für diese Frage. Bei Zabarella ist hierbei die interessante, von der Forschung bisher gar nicht beachtete Feststellung zu machen, daß er die Schrift De Ordine intelligendi nicht nach dem 471 Zabarella, II 2, t. 21, 325D-E: »Ideo proferens sententiam suam Aristoteles in text. 20. tertij libri [sc. De Anima III 5, 430a22-25], dicit solum intellectum agentem esse separatum & immortalem, possibilem autem intellectum esse corruptibilem. Sic enim & soluit dubium præsens, & causam huius apparentiæ declarat, causa enim cur intellectus noster videatur separabilis, & immortalis, est commistio divini luminis cum eo. Hanc puto esse Aristotelis sententiam licet falsam, & impiam, & à Christiana veritate reprobatam …« 472
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, in: De Rebus naturalibus, 1041-1076.
473
Vgl. Toletus, Commentaria unà cum Quæstionibus in octo libros Aristotelis de Physica auscultatione [im folgenden: Physica] (Venedig 11573), in: Ders., Opera omnia IV, 7va-14rb. Coll. Conimbricense, Commentarii in octo libros Physicorum Aristotelis Stagiritæ: Qui nunc primum græco Aristotelis contextu, latino è regione respondenti aucti, duas in partes ob studiorum commoditatem sunt divisi [im folgenden: Physica] (Coimbra 11592). Lyon 1594 (Nachdruck Hildesheim 1984), 46-81.
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von ihm in De Methodis und Apologia de doctrinæ ordine so vehement gegen Piccolomini vertretenen ordo doctrinæ angeordnet hat (vgl. 3.1.2.), sondern nach dem ordo naturalis & necessarius. Wie ist das zu verstehen? Für Zabarella kennzeichnet diese Differenz den Unterschied von Logik und Naturwissenschaft: Während jener ordo doctrinæ arbiträr und als ein Instrument Gegenstand der Logik ist, da er von uns zur leichteren Anordnung der Lehre, d. h. zur besseren Vermittlung der zu lehrenden Dinge hervorgebracht wird, gehört die Betrachtung der natürlichen Ordnung zur Naturwissenschaft, da eine solche Ordnung notwendigerweise der Natur unseres Geistes folgt, die zu erkennen ist.474 Die Schrift De Ordine intelligendi, und nur diese, folgt daher dem ordo naturalis, weil es bei der Frage um die Reihenfolge des Erkennens darum geht, den natürlichen Fortgang von dieser Erkenntnis zu jener nachzuvollziehen und nicht eine logische Anordnung zur leichteren Erkenntnis des zu Lernenden zu geben. Diese Schrift begleitet sozusagen das menschliche Erkennen auf seinem Weg zur (Selbst-)Erkenntnis. Im vorliegenden Zusammenhang sind dabei für Zabarella wie auch für die Jesuiten zwei Fragen von Interesse: 1. Was wird vom Geist früher (generisch, nicht logisch) erkannt, das Einzelne oder das Allgemeine475? Anders gefragt: Was ist sein primum cognitum? 2. Wird von ihm das mehr oder weniger Allgemeine früher erkannt?476 474 Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 1, 1041D-1042E: »Arbitrarius vero est ille doctrinæ ordo, de quo nos alias in libris Logicis plura scripsimus; eius enim consideratio ad Logicum pertinet, quum sit Logicum instrumentum, & ex abitrio nostro fabricatum … Alius demum necessarius prosus, ac naturalis est, ideoque eius consideratio non ad Logicum, sed ad Naturalem Philosophum attinet, quum eiusmodi ordo naturam mentis nostræ insequi necessario videatur … sic doctrinæ ordo arbitrarius est, neque est menti nostræ naturalis, sola autem facultas procedendi ab hoc ad illud naturalis est; ideo de facultate disserit Philosophus naturalis, de ipso autem ordine loquitur Logicus, à quo de eo tanquam de re arbitraria regulæ & præcepta traduntur: at si quis sit menti humanæ naturalis ordo, ita ut non ipsa tantum facultas, ipsumque utendi arbitrium sit ei naturale, sed ipsemet ordo, cuius variandi nullum nos arbitrium habeamus, de hoc agere naturalis Philosophi officium est, ad plenam cognitionem naturæ humani intellectus …« 475 Das Allgemeine ist für die hier verhandelten Renaissance-Aristoteliker nicht ein bloßer Begriff, wie die Nominalisten behauptet haben, sondern es gründet außerhalb des Geistes im Einzelnen. Dies hat Zabarella wiederholt betont: »… substantia verò universalis neque est non ens, neque extra singularem reperitur, sed in ea includitur, & una tum ea existit: substantiam enim universalem pro illa natura communi accipimus, quæ universale in multis nuncupari solet. Nam hæc à substantia individua non distinguitur, & utriusque eadem est existentia: itaque in substantijs individuis tota substantiæ categoria existere dicitur, quia licet non existat nisi singularis, eadem tamen à nobis per solam mentalem abstractionem redditur universalis.« (De Propositionibus necessariis libri duo, in: Zabarella, Opera logica, 345-412, hier: lib. I, c. IV, 352E-F) Vgl. ferner ders., Commentarii in duos Aristotelis libros Posteriores Analyticos, in: A. a. O., lib. I, c. IIX, 769A-B; lib. I, c. XX, 949F-950A; lib. II, c. c. XV, 1276A-B. Vgl. ferner Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 22, 765: »Universalia sunt res extra intellectum.« 476 Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 1, 1043C: »… considerandum primo loco est, utrum prius à mente nostra cognoscatur, an singulare, an universale; deinde vero inter universalia an prius apprehendantur universaliora, quam minus universalia, an è contrario hæc prius, quam illa.« Toletus verhandelte beide Fragen zusammen im Abschnitt: »An universalia sint nobis notiora singularibus?« (Physica I 1, q. 5, 10vb) Die Conimbricenser erörterten sie dagegen wie Zabarella getrennt voneinan-
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Bevor diese beiden Fragen jedoch beantworten konnten, mußte zuvor aufgezeigt werden, daß der Geist überhaupt das Einzelne erkennt. Denn einige Averroisten vertraten die Ansicht, daß das Einzelne gemäß De An. II 5, 417b22-24477 ausschließlich Gegenstand der Sinneswahrnehmung ist. Es sei nicht vorstellbar, wie der organlose, von der Materie vollkommen abgetrennte Geist bei seiner rein geistigen Tätigkeit das materielle Einzelne in sich aufnehmen und erkennen könne. Ferner würde sich die Sinneswahrnehmung nicht mehr vom Geist unterscheiden, wenn beide das Einzelne erkennen würden. Daher sei es das Proprium des Geistes, das Allgemeine zu erkennen. Ferner wäre die Unterscheidung zwischen dem sinnlich Wahrnehmbaren und dem Intelligiblen in De An. III 8, 431b21-23 hinfällig. Wäre nämlich das Einzelne erkennbar, dann wäre alles erkennbar, und damit gäbe es keinen Unterschied zwischen dem Wahrnehmbaren und Intelligiblen. Für die Jesuiten und Zabarella bestand trotz dieser Einwände einiger Averroisten kein Zweifel, »daß unser Geist auch das Einzelne erkennt«478. Zabarella begründete dies mit der Stufenfolge des Erkenntnisprozesses: Was nur immer ein niederes Vermögen erkennt, das erkennt auch das höhere, und wo immer ein niederes Vermögen endet, dort beginnt das höhere. Wie nämlich die Sinne nur das Gegenwärtige wahrnehmen, so das Phantasma das Gegenwärtige und das Abwesende: »So nämlich muß man das höhere Vermögen der Seele vom niederen unterscheiden, so daß es alles das erkennen kann, was auch das niedere Vermögen erkennt, und daneben noch anderes. Wie daher das Wahrnehmungs- auf das Vorstellungsvermögen ausgerichtet wird, so das Vorstellungsvermögen auf den Geist, und deswegen muß es einen Unterschied zwischen Geist, Vorstellungs- und allen Wahrnehmungsvermögen geben, so daß der Geist alles das erkennen kann, was das Vorstellungs- und das Wahrnehmungsvermögen erkennen, und auch anderes neben jenen. Weil also das Vorstellungs- und das Wahrnehmungsvermögen das Einzelne erkennen, muß auch der Geist das Einzelne erkennen und ferner das Allgemeine, das weder das Vorstellungsnoch das Wahrnehmungsvermögen erkennt.«479 _________________________________________________________________________________________________________
der: »Sintne maxime universalia notiora nobis cognitione confusa actuali, an non?« (Physica I 1, q. 3, 64) Und: »Sitne singulare primo cognitum à nostro intellectu, an non?« (A. a. O., q. 4, 73) 477
Vgl. Aristoteles, De An. II 5, 417b22-24: »ai)/tion d )o(/ti tw=n kaq )e(/kaston h( kat )e)ne/rgeian ai)/sqhsij, h( d )e)pisth/mh tw=n kaqo/lou: tauta= d )e)n au)tv= pw/j e)sti tv= yuxv=.« 478
Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 3, 1044D: »Ego cum aliis pluribus arbitror intellectum nostrum etiam singularia cognoscere …« Ebenso Toletus, Physica I 1, q. 5, 12ra: »… nam singulare non repugnat ab intellectu cognosci, si immateriale sit …« Bei den Conimbricensern kann man dies aus ihrer Stellungnahme zur Frage: »Sitne singulare primo cognitum à nostro intellectu, an non?« (Physica I 1, q. 4, 73) ersehen. Hierauf wird gleich zurückzukommen sein. 479 Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 3, 1044F-1045A: »sic enim distinguenda est facultas animæ superior ab inferiore, ut possit omnia cognoscere, quæ cognoscit inferior, & alia præterea. Quoniam igitur ut senus ad phantasiam, ita phantasia ad intellectum dirigitur, eiusmodi debet esse discrimen intellectus, & phantasiæ, & sensuum omnium, ut intellectus cognoscere illa omnia possit, quæ phantasia, & sensus cognoscunt, & alia quoque præter illa, quoniam igitur phantasia & sensus cognoscunt singularia, debet intellectus quoque singularia cognoscere, & præterea universalia, quæ nec phantasia, nec sensus cognoscit.«
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Für Zabarella verdeutlicht dies auch der Vergleich des Denkens mit der Sinneswahrnehmung in De An. III 4, 429a13ff.: Während diese unvermischt ist mit ihrem jeweils spezifischen Objekt, so das Sehen mit der Farbe, ist der Geist vollkommen unvermischt in Hinsicht auf alle Dinge, weil er das Allgemeine und das Einzelne erkennt. Er zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß er von keinem Organ beschränkt wird, und dieses Freisein von … ermöglicht ihm, alles zu erkennen. Ferner erkennt er, daß er erkennt (vgl. 430a1-4). Jede Erkenntnis ist aber singulär. Also hat er, wenn er erkennt, daß er jetzt dieses Ding erkennt, eine singuläre Erkenntnis. Deswegen ist es notwendig, daß der Geist, wenn er das Allgemeine durch Abstraktion von den Dingen erkennt, auch das Einzelne erkennt, von dem er abstrahiert. »Auf welche Weise nämlich kann er das Allgemeine und dessen Allgemeinheit erkennen, wenn er nicht das Einzelne erkennt, von dem es ausgesagt wird? Auf welche Weise kann er das Allgemeine mit dem Einzelnen vergleichen und ihre Übereinstimmung oder Differenz erkennen, wenn er nicht beide gesondert voneinander erkennt?«480
Für Zabarella steht und fällt also jede Erkenntnistheorie mit der Möglichkeit der Erkenntnis des Einzelnen. Denn die Abstraktion des Allgemeinen vom Einzelnen kann seiner Ansicht nach nur gelingen, wenn das Einzelne zuvor erkannt wird. Wer dies negiere, hebe jede Wissenschaft auf. Vor diesem Hintergrund widerlegt Zabarella die oben genannten Argumente der Averroisten wie folgt: Aristoteles schreibt zwar dem Geist in der Tat in De An. II 5, 417b22f. die Erkenntnis des Allgemeinen zu, weil sie ihm eigentümlich und das Ziel seines Erkennens ist. Nirgends jedoch sagt er, daß der Geist ausschließlich das Allgemeine erkennt. Vielmehr ist die Erkenntnis des Einzelnen ein notwendiger Schritt zur Erkenntnis des Allgemeinen. Auch ist der Geist keine forma separata à materia (=forma assistens), sondern forma informans, wie Zabarella unter Hinweis auf seine Schrift De Mente humana betont. Damit bilden Körper und Seele (einschließlich des Geistes) secundum esse eine Einheit. Allein secundum operationem ist der Geist abgetrennt von einem körperlichen Organ und nimmt als ein solcher die Gegenstände auf immaterielle Weise in sich auf. Diese Immaterialität des Aufnehmens ist aber keine Eigentümlichkeit des Geistes, da auch die von einem Organ abhängige Sinneswahrnehmung die species sensibiles ohne Materie aufnehme (vgl. De An. II 12, 424a18f.). Entscheidend ist vielmehr die Immaterialität des Gegenstandes, wie von Aristoteles in III 8, 431b29f. betont worden ist: Nicht der Stein ist in der Seele, sondern dessen Form. Sofern also die Form des Einzelnen nicht materiell, sondern geistig ist, kann der Geist auch das Einzelne erkennen.481 Dem steht auch nicht der Satz in 431b21-23 entgegen, 480 A. a. O., 1046B: »quomodo enim cognoscere potest universale, & eius universalitatem, nisi cognoscat singularia, de quibus prædicatur? quomodo potest comparare universale cum singulari, & eorum convenientiam ac differentiam cognoscere, nisi utrumque seorsum cognoscat?« 481 Vgl. a. a. O., c. 4, 1048A-B: »singulare enim, quod extra animam existit, materiale est, neque recipi in intellectu potest, imò neque in sensu, quum Aristoteles dicat [sc. De An. II 12, 424a17-19] sensorium recipere species sine materia; species autem ipsius singularis non est materialis, sed spiritualis; nihil igitur prohibet, quin eiusmodi species in intellectu recipi possit …«
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denn dort wird nur der jeweils eigentümliche Gegenstand der Wahrnehmung und des Geistes bestimmt. Hieraus folgt gerade nicht, daß der Geist das Einzelne nicht erfassen kann. Erkennt also der Geist auch das Einzelne, so stellt sich die Frage, ob er gemäß dem ordo generationis zuerst das Einzelne oder das Allgemeine erkennt. Mag auch die Bedeutung dieser Frage auf den ersten Blick nicht ersichtlich sein, so geht es hierbei gleichwohl darum, von woher unser Denken – generisch, nicht logisch betrachtet – seinen Ausgang nimmt. Wie bereits bei Melanchthon gezeigt worden ist (vgl. 2.3.4.), hängt hiermit auch die Frage nach den notitiæ innatæ zusammen. Bei den Aristotelikern standen sich in diesem Zusammenhang zwei Ansichten gegenüber: Während für Thomas482 und Javelli der Geist zuerst das Allgemeine erkennt, vertraten Gregor von Rimini, Scotus und Ockham die genau entgegengesetzte Ansicht. Toletus483, Zabarella484 und die Conimbricenser485 folgten nun übereinstimmend der zweiten Ansicht, die sie wie folgt begründeten: Der Geist als tabula rasa prägt sich zuerst die species rei singularis ein und bildet hieraus zunächst den conceptus rei singularis, bevor er von diesem Begriff den conceptus rei universalis abstrahiert. Ferner ist, wie gesagt, das Einzelne der eigentliche Gegenstand der Sinneswahrnehmung, von welcher der Geist in der natürlichen Reihenfolge des Erkennens abhängt. Daher gilt für die Renaissance-Aristoteliker zu Recht der Satz: Nihil in intellectu, quod prius non fuerit in sensu. Dieser Vorrang der Erkenntnis des Einzelnen vor der des Allgemeinen ergibt sich für Zabarella auch aus dem schwierigen Passus De An. III 4, 429b16-20, wo Aristoteles beide Erkenntnisformen mit einer geraden und gekrümmten Linie vergleicht: »Es ist deutlich, daß die Erkenntnis des Einzelnen mit der geraden Linie verglichen wird, die des Allgemeinen aber mit der gekrümmten Linie, nicht umgekehrt, wie die Gegner interpretieren; denn das Einzelne wird geradewegs von der Vorstellung zum Geist gebracht, gleichsam ohne große Schwierigkeit, das Allgemeine aber nicht geradewegs, sondern [es wird] durch die 482 Vgl. Thomas, STh I, q. 86, art. 1, in: Opera 5, 347: »Respondeo dicendum quod singulare in rebus materialibus intellectus noster directe et primo cognoscere non potest. Cuius ratio est, quia principium singularitatis in rebus materialibus est materia individualis: intellectus autem noster … intelligit abstrahendo speciem intelligibilem ab huiusmodi materia. Quod autem a materia individuali abstrahitur, est universale. Unde intellectus noster directe non est cognoscitivus nisi universalium. Indirecte autem, et quasi per quandam reflexionem, potest cognoscere singulare …« 483 Vgl. Toletus, Physica I 1, q. 5, 12ra-b: »Singulare sensibile sub ratione singularis sensibilis secundum Aristotelis viam, non est primò intellectum: dico singulare sensibile, seu materiale, nam singulare non repugnat ab intellectu cognosci, si immateriale sit: at singulare materiale non est primò intelligibile. … at quod sub ea ratione, qua à sensu percipitur, sit primò intellectum …« 484
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 5, 1051C-D: »Mihi tamen verior videtur Scoti, & Gregorii Ariminensis opinio, quod singulare sit primo cognitum …« Weder für Toletus (Physica I 1, q. 5, 11rb) noch für die Conimbricenser (Physica I 1, q. 4, a. 1, 73) war Scotus ein Vertreter dieser Ansicht. 485 Vgl. Coll. Conimbricense, Physica I 1, q. 4, art. 2, 74: »Asserendum tamen est priùs à nobis singularia, quàm universalia intelligi.«
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De Anima Reflexion des Lichts des tätigen Geistes von der Vorstellung zum [passiven] Geist [gebracht].«486
Der Geist erkennt also das Einzelne direkt durch die Vermittlung der Sinne und der Vorstellung, während er das Allgemeine nur mittels einer abstrahierenden Reflexion erkennen kann. Dies verdeutlicht für Zabarella auch der Satz aus den An. Post. II 19, 110b3f., wo es heißt, daß jede beweisende Wissenschaft von der Erkenntnis der ersten Prinzipien abhängt. Diese werden uns aber, so Zabarella, aus den einzelnen Dingen durch Induktion bekannt. Also sei das, was vom Geist zuerst erkannt werde, ein Einzelnes. Schließlich gelte auch hier der Sachverhalt: Wo das niedere Vermögen ende, dort beginne das höhere. Da die Wahrnehmung nur das gegenwärtige Einzelne auffasse, müsse die Vorstellung das gegenwärtige und das vergangene Einzelne präsentieren, und deshalb sei es die prima operatio des Geistes, dieses Einzelne aufzufassen. Die Beantwortung der zweiten Frage hinsichtlich der Reihenfolge des Erkennens des Allgemeinen – ob zuerst das mehr oder weniger Allgemeine erkannt wird, z. B. der Begriff des Körpers eher als der des Lebewesens, der wiederum eher als der des Tieres und des Menschen, der Gattungsbegriff also eher als der Artbegriff – die Antwort auf diese schwierige Frage, so betont Zabarella nochmals, geschieht hier nicht gemäß dem ordo doctrinæ der arbiträren Logik, sondern gemäß dem ordo naturæ des natürlichen Erkenntnisprozesses: »Wir sprechen [hier] aber nur von der Ordnung der Zeit und des Ursprungs und von der undeutlichen Erkenntnis allein, d. h. vom ersten rohen Eindruck dieser einfachen Empfindungen in uns.«487 Dem ordo naturæ liege daher der ordo cognitionis confusæ zugrunde, während der ordo doctrinæ den ordo cognitionis distinctæ zum Gegenstand habe. Hieraus folge ein generischer, nicht logischer Vorrang des ordo cognitionis confusæ vor dem ordo cognitionis distinctæ. Denn es sei klar, daß eine undeutliche Erkenntnis der Zeit und dem Ursprung nach einer deutlichen Erkenntnis eines Gegenstandes vorangehe. In De Ordine intelligendi wird also mit dem ordo naturæ bzw. dem ordo cognitionis confusæ die Grundlage jeglichen Wissens und jeglicher Wissenschaft zum Thema. Wie ist diese Differenz zwischen einer undeutlichen und deutlichen Erkenntnis zu erklären? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es der Klärung der verschiedenen Weisen des Wissens bzw. Erkennens. Damit wird Aristoteles’ Analytica Posteriora zum Gegenstand der Erörterung, eine Schrift, die für Zabarella zum einen auf den Beweis als »Instrument des Wissens« und auf das Wissen selbst als
486
Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 5, 1052B-C: »… manifestum est cognitionem singularis comparari cum linea recta, universalis vero cum linea flexa & fracta, non è contrario, ut adversarii interpretantur; singulare namque recta fertur à phantasia ad intellectum, proinde absque magna difficultate, universale vero non recta, sed per reflexionem luminis intellectus agentis à phantasia ad intellectum …« 487
A. a. O., c. 6, 1054C-D: »… loquimur autem de temporis tantum, atque originis ordine, & de sola cognitione confusa, hoc est de prima rudi horum simplicium conceptuum impressione in nobis …« Zabarella nennt diese Kenntnis genauer eine actualis confusa cognitio (vgl. a. a. O., c. 11, 1060D)
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»Nutzen des Instruments«488 abzielt. Der Beweis ist also nur um willen des Wissens. Was heißt es aber, etwas zu wissen? 3.3.7.1. Exkurs: Die Modi des Wissens In An. Post. I 2, 71b9-12 hat Aristoteles das Wissen wie folgt definiert: »Zu wissen nun glauben wir eine jede Sache schlechthin, und nicht auf die sophistische, die zufällige Weise, wann immer wir von der Ursache glauben Kenntnis zu besitzen, aufgrund derer die Sache besteht, daß sie ihre Ursache ist, und daß sie sich nicht anders verhalten kann.«489
Für Zabarella beginnt Aristoteles die Schrift An. Post. aus zwei Gründen mit der Definition des Wissens: Zum einen ist es das letzte und spezifische Ziel, mit dem der ordo resolutivus beginnt, zum andern muß man wissen, was das Wissen ist, um überhaupt den Beweis als das instrumentum sciendi definieren zu können. Das Wissen schlechthin bezeichne nämlich ein vollkommenes Wissen, denn nicht nach Art der Sophisten, die das Wissen der Dinge nicht aus der Natur der Sache erlangen, sondern aus den Akzidentien, wolle Aristoteles das Wissen definieren.490 Die Definition des Wissens bestehe dabei aus der Angabe des genus proximum und der differentia specifica, wobei das Wort ginw/skein (b11) quasi als Gattungsbegriff gesetzt werde, weil es im weitesten Sinne das umfasse, was zum Wissen gehöre. Die differentia specifica bestehe wiederum aus zwei Teilen: Aus dem Gegenstand, dessen causa efficiens gewußt werden müsse, und aus dem Subjekt des Wissens, in dem es als ein Unveränderliches sei. »Aristoteles aber hat nicht ohne Grund diese [sc. vier Artbestimmungen] auf zwei reduziert. Weil nämlich das Wissen ein Akzidens des Geistes ist, das in der Seele ist, hängt es teils von ihr als von einem Subjekt, teils von der gewußten Sache als von einem Objekt ab. Wenn wir daher sagen: wissen, dann sind zwei Bedingungen erforderlich: eine in der Sache, die andere in unserer Seele …«491
488 Vgl. Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. I, c. 1, t. 1, 620B-C: »quis autem sit horum librorum finis, declaratum est à nobis diligentissimè in operibus Logicis [vgl. De Natura logicæ, lib. I, c. 18, 46A-B; De Methodis, lib. IV, c. 19, 318F], ubi diximus, duos esse huius artis fines, unus est demonstratio tanquam instrumentum sciendi, quod ad fabricandum proponitur, alter est scientia tanquam huius instrumenti utilitas, cuius gratia demonstratio quæritur; propterea ibi diximus, demonstrationem esse internum finem huius artis, scientiam verò externum, & ultimum, & præcipuum.« 489
Aristoteles, An. Post. I 2, 71b9-12 (Übersetzung Detel in: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Herausgegeben von Hellmut Flashar. Band 3, Teil II. Erster und zweiter Halbband. Übersetzt und erläutert von Wolfgang Detel. Berlin 1993, hier: Hb. I, 18): »E) pi/stasqai de\ oi)o/meq )e(/kaston a(plw=j, a)lla\ mh\ to\n sofistiko\n tro/pon to\n kata\ sumbebhko/j, o(/tan th/n t )ai)ti/an oi)w/meqa ginw/skein di )h(\n to\ pra=gma/ e)stin, o(/ti e)kei/nou ai)ti/a e)sti/, kai\ mh\ e)nde/xesqai tou=t )a)/llwj e)/xein.« 490
Vgl. Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. 1, 616A-B; lib. I, c. 2, t. 7, 646B.
491
A. a. O., 647C: »Aristoteles autem non absque ratione eas [sc. differentias specificas] videtur ad duas redegisse: propterea quod scientia est accidens spirituale, quod in animo est, & pendet tum ab
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Zabarella hält also an der gut aristotelischen Theorie fest, daß ein Wissen nicht nur vom Subjekt, dem Wissenden, abhängt, sondern auch vom Objekt, dem Gewußten, so daß Kesslers in der Einleitung (vgl. 1.2.) zitierte These von der Subjektivierung des Erkenntnisprozesse von hier aus gesehen relativiert werden muß. Denn hinter dieser Ansicht steckt die ebenfalls aristotelische Erkenntnis, daß sich der Wissenende und das Gewußte zueinander verhalten wie das Gemessene und das Maß, und dabei ist gemäß Met. X 1, 1053a31-33 nicht etwa der Geist das Maß, sondern der Gegenstand, dem er sich angleichen muß, um ihn erkennen zu können.492 Wie wird aber Wissen erworben? Wird es überhaupt erworben? Denn das Menonsche Paradoxon lautete doch gerade, daß es unmöglich sei, etwas zu suchen, von dem man nicht wisse, was es sei, so daß man gar nichts suchen könne, weil man es entweder schon wisse oder aber nicht wisse, wonach man suchen solle.493 Aristoteles hebelt dieses Paradoxon in An. Post. I 1, 71a 27-29 mit folgendem Satz aus: »Aber es ist klar, daß man so weiß, daß man allgemein weiß, schlechthin jedoch nicht weiß.«494 Der Stagirite führt damit einen Unterschied von einem ‘zu wissen’ in Möglichkeit und im allgemeinen und einem ‘zu wissen’ in Wirklichkeit und im besonderen ein: Was einer lernt, das weiß er in einer Hinsicht schon, in einer anderen jedoch nicht (vgl. I 1, 71b58). Aristoteles weist damit auf den Unterschied in der Art und Weise des Wissens von jeweils ein und derselben Sache hin. Wie ist diese Ausdifferenzierung des Wissens zu verstehen? Für Zabarella bedeutet das kaqo/lou e)pi/statai hier ein ‘zu wissen’ im undeutlichen und unvollkommenen Sinne, das a(plw=j e)pi/statai dagegen ein ‘zu wissen’ in deutlicher und vollkommener Weise.495 Sofern nämlich Aristoteles auf die Feststellung des Menon, daß wir nur dasjenige suchen können, was wir schon kennen, antworte, daß es in diesem Zustand weder ein vollkommenes Wissen noch ein schlechthinniges Nicht_________________________________________________________________________________________________________
animo ut à subiecto, tum à re scita tanquam ab obiecto, quocirca ut dicamur scire, duæ requiruntur conditiones: una in re: altera in animo nostro …« 492
Vgl. Aristoteles, Met. X I, 1053a31-33: »… kai\ th\n e)pisth/mhn de\ me/tron tw=n pragma/twn le/gomen kai\ th\n ai)/sqhsin dia\ to\ au)to/, o(/ti gnwri/zome/n ti au)tai=j, e)pei\ metroun=tai ma=llon h)\ metrou=sin.« Gegen die in der neueren Forschung allzu unreflektiert vertretene These von der Subjektivität des Erkennens als das Kennzeichen der neuzeitlichen Philosophie nach Descartes sollte folgende Äußerung Hegels nachdenklich stimmen: »… von den Begriffen der Dinge aber werden wir noch viel weniger sagen, daß wir sie beherrschen oder daß die Denkbestimmungen, von denen sie der Komplex sind, uns dienen; im Gegenteil muß sich unser Denken nach ihnen beschränken, und unsere Willkür oder Freiheit soll sie nicht nach sich zurichten wollen.« (Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erstes Buch. Vorrede zur zweiten Ausgabe, in: Werke 5, 25) Es ist also der objektive Begriff, der das Wesen des Dings ausmacht. 493
Vgl. Platon, Menon, 80d ff. Bekanntlich antwortete Sokrates hierauf mit seiner Anamnesislehre.
494
Aristoteles, An. Post. I 1, 71a 27-29 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I, 18): »a)lla\ dh=lon w(j w(di\ me\n e)pi/statai, o(/ti kaqo/lou e)pi/statai, a(plw=j d )ou)k e)pi/statai.« 495
Vgl. Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. I, c. 1, t. 4, 640A: »… sumit enim hîc Aristoteles has duas dictiones, universaliter, & simpliciter, ut invicem oppositas: nam universaliter hîc significat confusè, & imperfectè: simpliciter verò significat particulariter, distinctè, & perfectè.«
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wissen gebe, sondern ein undeutlich-unvollkommenes Wissen, eine cognitio imperfecta, dann weise er auf den Übergang von einem ‘zu wissen’ in Möglichkeit zu einem ‘zu wissen’ in Wirklichkeit hin, ein Wissen, das in gewisser Weise ein neues Wissen sei, da man es auf diese Weise vorher so nicht besessen habe. Aristoteles’ Lösung besteht also für Zabarella darin, »daß es neben dem vollkommenen Wissen von einer Sache und dem vollkommenen Nichtwissen gewissermaßen eine mittlere Weise der Erkenntnis gibt, die eine unvollkommene und mögliche Erkenntnis ist, von der der Überstieg zu einem vollkommenen Wissen erfolgt gleichsam [als Überstieg] von der Möglichkeit zur Wirklichkeit.«496
Der Mensch geht ‘schon immer’ (logisch, nicht generisch) von einem allgemeinen ungefähren Wissen von einer Sache aus, das durchaus mit einem einzelnen Nichtwissen in Wirklichkeit vereinbar ist. Sein Weltverhältnis ist so, daß es ein vollständiges Nichtwissen nicht geben kann. Vielmehr erwirbt er schlechthin-aktual, was er allgemein-potentiell bereits weiß. Hier zeigt sich, daß das Streben zu wissen, die o)/recij tou= ei)de/nai, mit der die Metaphysik beginnt (vgl. I 1, 980a20), in der Überführung des potentiell-allgemeinen Wissens497 in ein partikulär-aktuales Wissen besteht und so zur »Sicherung unseres schon immer getätigten (Vor)Wissens von den o)/nta zu einem gesicherten Wissen von den o)/nta«498 führt, wie Königshausen betont. Diese Sicherstellung des Wissens als Wissen ist der Weg vom Vorwissen bzw. von der Vorkenntnis zum begründeten Wissen, das um die (vier) Ursachen einer Sache weiß.499 Dieser Übergang von einem unvollkommenen zu einem vollkommenen Wissen eines Gegenstands kennzeichnet das, was Detel in seinem Kommentar zu den An. Post. das Vertiefungstheorem genannt hat. Ausgehend von dem Anfangssatz der An. Post. I 1, 71a1-2, wonach »jede Unterweisung und jedes verständige Erwerben von Wissen aus bereits vorhandener Kenntnis (entsteht)«500, versteht Detel – anders als Wieland501 – 496 A. a. O., t. 5, 641F: »… eius [sc. Aristoteles] solutio in hoc consistit, quòd præter scientiam rei perfectam, & perfectam ignorantiam datur medius quidam cognitionis modus, quæ dicitur cognitio imperfecta, & potentialis, à qua ad perfectam scientiam transitus datur tanquam à potestate ad actum …« So auch die Conimbricenser: »Est autem inter huiusmodi cognitiones [sc. zwischen den vier genera cognitionis, nämlich der cognitio confusa actualis & potentialis sowie der cognitio distincta actualis & potentialis; vgl. hierzu 3.3.7.2.] non parum discriminis. Nam confusa distinctam præit, ut asseruit Aristoteles cap. 1. huius libri text. 2. [vgl. Phy. 184a16-21] … Id verò inde confirmat Scotus … quia progressus naturæ est ab imperfecto ad perfectum per medium; confusa autem cognitio quasi medium est inter ignorationem & inter notitiam distinctam.« (Physica I 1, q. 2, art. 1, 57) 497 Das Wissen des allgemeinen Satzes A a B ist potentiell auch Wissen des singulären Satzes A a C , falls B a C gilt. 498 Johann-Heinrich Königshausen, Ursprung und Thema von Erster Wissenschaft. Die aristotelische Entwicklung des Problems. Amsterdam 1989, 53. 499 Zur aristotelischen Vier-Ursachen-Lehre vgl. Phy. II 3, 194b23-195a3; An. Post. II 11, 94a20b26. Zur Erklärung dieser Lehre, wonach die Ursachen ‘Erklärungskraft’ haben und ‘Erklärungen’ konstituieren, vgl. Wolfgang Detel in: Aristoteles, An. Post., Hb. II, 55-58. 500 Aristoteles, An. Post. I 1, 71a1-2 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I, 17): »Pa=sa didaskali/a kai\ pa=sa ma/qhsij dianohtikh\ e)k prou+parxou/shj gi/netai gnw/sewj.«
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die didaskali/a in erster Linie nicht als eine didaktische Belehrung in einem Lernkontext, sondern als einen Prozeß der Vertiefung von bereits gegebenen Wissen durch die konkrete Konstruktion von befriedigenden Demonstrationen. Denn die An. Post. handelten von einem »wesentlichen methodologischen Schritt der wissenschaftlichen Forschung, nämlich der Aufdeckung von (aristotelischen) Ursachen«502. Auch die ma/qhsij dianohtikh/ werde von Aristoteles nicht auf deduktive oder demonstrative Argumente eingeschränkt, sondern in An. Post. I 1, 71a2-11 und I 18, 81a39f. auch auf die Induktion angewandt. Folglich beziehe sich die ma/qhsij nicht nur auf das Lernen, sondern auch auf die wissenschaftliche Forschung. Dieser Prozeß der Vertiefung von bereits gegebenem Wissen durch dessen Demonstration und Erklärung kann daher für Detel zu folgendem Vertiefungstheorem zusammengefaßt werden: »Eine aristotelische Wissenschaft W zielt (i) auf die Etablierung von Prinzipien als allgemeinen Sätzen auf der Grundlage von Induktionen mittels Einsicht; (ii) ferner auf die Entdeckung von Prinzipien qua Prinzipien, d. h. von allgemeinen Sätzen, die möglichst viele Theoreme von W zu demonstrieren und zu erklären gestatten; (iii) schließlich, auf der Grundlage bereits etablierten Wissens von allgemeinen Sätzen, auf die Vertiefung dieses Wissens durch Entdeckung der Erklärungen für bereits bekannte allgemeine Fakten.«503
Das Vertiefungstheorem zeigt also auf, daß zum Prozeß wissenschaftlicher Forschung nicht nur die Etablierung von Prinzipien als allgemeine Sätze gehören (vgl. An. Post. II 19), sondern auch die Entdeckung von Prinzipien als Prinzipien sowie die kausale Vertiefung von bereits gegebenem Wissen (vgl. An. Post. I 1 bis II 18). Daß dieses Theorem auch Zabarellas Erkenntnistheorie zugrunde liegt, wird aus seiner Interpretation von An. Post. I 1 deutlich. Er betont dort, daß Aristoteles mit seinem Anfangssatz (71a1-2) gegen die platonische Anamnesis-Lehre argumentiere. Sofern Platon nämlich verneine, daß es so etwas wie einen Beweis geben könne, das Wissen vielmehr eine Erinnerung sei, so daß wir nichts Neues kennenlernen könnten, vielmehr nur das, was wir bereits wüßten, hebe er jeden Beweis auf und damit das, was Wissenschaft auszeichne: ein nachvollziehbares und beweisbares Wissen zu sein. Hiergegen setze Aristoteles seine These, wonach jedes beweisende Wissen aus præcognita bestehe. Denn Subjekt dieses Satzes sei die scientia conclusionis demonstrativæ, die Aristoteles hier didaskali/a (doctrina) und ma/qhsij dianohtikh/ (disciplina dianoetice) nenne, während das Prädikat die Erkenntnis der Prinzipien bezeichne. Der Sinn des Satzes sei daher folgender: »Das Wissen der _________________________________________________________________________________________________________ 501 Vgl. Wolfgang Wieland, Die aristotelische Physik. Untersuchungen über die Grundlegung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles. Göttingen 1962, 53: »Die deduktiv-axiomatische Methode dient niemals dazu, Wissen zu gewinnen, sondern immer nur dazu, schon gewonnenes Wissen darzustellen. So dient sie vornehmlich didaktischen Zielen.« 502
Wolfgang Detel, Anmerkungen, in: Aristoteles, An. Post., Hb. II, 18.
503
Wolfgang Detel, Einleitung, in: A. a. O., Hb. I, 285.
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Schlußfolgerung wird durch die vorangehende Kenntnis der Prinzipien erworben.«504 Auch für Zabarella sind die An. Post. Also nicht eine Lehrdarstellung, sondern eine scientia demonstrativa, die um die Ursache eines Gegenstandes weiß und die notwendig Vorkenntnisse voraussetzen muß. In An. Post. I 1, 71a11-13 hat Aristoteles zwei von ihnen benannt: »Auf zweifache Weise jedoch ist es notwendig, bereits Kenntnisse zu besitzen. Denn es ist notwendig, von einigen Dingen im voraus anzunehmen, daß sie sind, von anderen zu verstehen, was das Gesagte ist, von wieder anderen dagegen beides …«505 Für Zabarella hat Aristoteles hier die vier möglichen modi præcognoscendi – »was das Wort bezeichnet, ob der Gegenstand existiert, was er ist und ob er ein solcher ist«506 – auf zwei reduziert: auf das ‘Daß’ und ‘Was’. Denn zum einen werde durch die Benennung des ‘Was’ sowohl das ‘Was des Wortes’ wie das ‘Was des Gegenstandes’, zum andern durch die Benennung des ‘Daß’ sowohl das undifferenzierte ‘Ob des Gegenstandes’ wie das ‘Ob er von der und der Art ist’ umfaßt. Es hänge dabei jeweils vom allgemeinen Bekanntheitsgrad einer Sache ab, inwieweit eine Vorkenntnis zu exemplifizieren sei. Sofern nun jedes Wissen aus einer bereits bestehenden Vorkenntnis hervorgeht, ist klar, und damit wird an bereits Gesagtes angeknüpft, daß es (logisch gesehen) keinen schroffen Übergang von einem vollständigen Nichtwissen zu einem vollkommenen Wissen geben kann; vielmehr gibt es, wie Zabarella betont hat, einen modus medius cognoscendi, ein ungefähres Wissen von einem Gegenstand, das auf Vorkenntnissen beruht (vgl. An. Post. I 1, 71a27-29; 71b5-8). Dieses »undeutlich-mögliche Wissen ist gewissermaßen ein Mittleres zwischen einem wirklichen und vollkommenen Wissen und einem vollkommenen Nichtwissen.«507 Aristoteles nennt diese Differenz zwischen der cognitio confusa & distincta508 auch die zwischen dem h(mi=n gnwrimw/teron und dem tv= fu/sei gnwrimw/teron, dem für uns Bekannteren und dem der Natur nach Bekannteren. So heißt es in An. Post. I 2, 71b33-72a1: »Vorrangig aber ist etwas, und be504
Zabarella, Commentarius in libros An. Post., lib. I, c. 1, t. 1, 621D: »… ut sensus totius propositionis [sc. An. Post. I 1, 71a1-2] sit, scientia conclusionis acquiritur ex præcedente principiorum cognitione …« 505
Aristoteles, An. Post. I 1, 71a11-13 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I, 17): »dixw=j d )a)nagkaion proginw/skein: ta\ me\n ga/r, o(/ti e)/sti, prou+polamba/nein a)nagkai=on, ta\ de/, ti/ to\ lego/meno/n e)sti, cunie/nai dei=, ta\ d )a)/mfw …« 506
Zabarella, Commentarius in libros An. Post, lib. I, c. 1, t. 2, 630B: »… ita quatuor tantùm relinquuntur præcognitiones, quid significet nomen, an res sit, quid sit, & an talis sit, has tamen Aristoteles ad duas redigit, quid sit, & quod sit …« 507 A. a. O., t. 3, 635D-E: »… & hæc confusa, & potentialis cognitio medium quoddam est inter actualem perfectamque cognitionem, & perfectam ignorationem …« 508
Auch Toletus unterscheidet zwischen diesen beiden Arten des Wissens: »Adverte præterea, notitiam esse duplicem: alteram quidem confusam; alteram distinctam: confusa dicitur cognitio totius, non cognitis ipsis partibus, ut qui hominem cognosceret per aliquod accidens, non per partes naturæ ipsius, haberet cognitionem confusam. Distincta verò est cognitio totius per suas partes, ut qui hominem cognosceret per animal rationale, aut per rationalem animam, & corpus, distinctè cognosceret.« (Physica I 1, q. 5, 10ra).
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kannter, auf doppelte Weise. Denn es ist nicht dasselbe, vorrangig von Natur aus zu sein und in bezug auf uns vorrangig, und auch nicht bekannter und für uns bekannter.«509 Aus der Erklärung dieser Bestimmung bei Zabarella kann deutlich gemacht werden, wie bei ihm in der Tat die Methodologie zur Erkenntnistheorie wird, so Kesslers These (vgl. 1.3.), und wie der Übergang von der cognitio confusa zur cognitio distincta nichts anderes bezeichnet als die Vorgehensweise der methodus resolutiva, welche die Methode der nicht-analytischen Schriften ist. Dies erfordert kurz eine nähere Bestimmung dessen, was Zabarella unter dem Begriff Methode versteht. Im dritten Buch von De Methodis hat er sie als »ein geistiges Werkzeug« definiert, »das die Erkenntnis von Unbekanntem aus Bekanntem bewerkstelligt.«510 Als eine schlußfolgernde Kraft (vis illativa) mit einem Ausgangs- und Endpunkt (terminus a quo & terminus ad quem) sei sie nichts anderes als ein Syllogismus, denn nur dieser folgere etwas Unbekanntes aus etwas Bekanntem. Wie der ordo naturalis, so wird also auch die Methode Teil des Erkenntnisprozesses. Da hierbei der Fortgang notwendigerweise entweder von der bekannten Ursache zur unbekannten Wirkung oder umgekehrt verläuft, kann es für Zabarella nur zwei wissenschaftliche Methoden geben: Die methodus demonstrativa schließt aus der bekannten Ursache auf die unbekannte Wirkung, während die methodus resolutiva von der bekannten Wirkung zur unbekannten Ursache verläuft.511 Daß diese beiden Methoden allein hinreichend sind für die Erkenntnis aller Dinge, erklärt er wie folgt: Der Wissenserwerb zielt entweder auf eine Substanz oder auf ein Akzidens ab. Jene wird mittels der methodus resolutiva ermittelt, die gleichsam in einer rückführenden Auflösung, in einem Rückschritt zu den Wirkungen dieser Substanz sie selbst als Ursache dieser Wirkungen in ihrem Wesen erfaßt. Die Akzidentien wiederum werden mittels eines Beweises (methodus demonstrativa) ermittelt, der die Ursache der Akzidentien benennt und damit zu ihrem vollständigen Wissen führt.512 Diese Beschreibung der beiden Methoden besagt nun für Zabarella nichts anderes, als daß auf der einen Seite der Weg von den Prinzipien, von der bekannten Ursache zur unbekannten Wirkung genommen wird, der Weg vom der Natur nach Bekannteren (tv= fu/sei gnwrimw/teron) zum für uns Bekannteren (h(mi=n gnwrimw/teron) als methodus 509
Aristoteles, An. Post. I 2, 71b33-72a1 (Übersetzung Detel, Aristoteles, An. Post., Hb. I, 19): »pro/tera d )e)sti\ kai\ gnwrimw/tera dixw=j: ou) ga\r tau)to\n pro/teron tv= fu/sei kai\ pro\j h(ma=j pro/teron, ou)de\ gnwrimw/teron kai\ h(mi=n gnwrimw/teron.« 510
Zabarella, De Methodis, lib. III, c. 2, 224E-225A: »Methodus est intellectuale instrumentum faciens ex notis cognitionem ignoti …« 511
Vgl. a. a. O., lib. III, c. 4, 230E-F: »…duæ igitur scientificæ methodi oriuntur, non plures, nec pauciores, altera per excellentiam demonstrativa methodus dicitur, quam Græci kuri/wj a)po/deicin, vel a)po/deicin tou= dio/ti vocant; nostri, potissimam demonstrationem, vel demonstrationem propter quid appellare consueverunt: altera, quæ ab effectu ad causam progreditur, resolutiva nominatur: huiusmodi enim progressus resolutio est, sicuti à causa ad effectum dicitur compositio. Methodum hanc vocant Græci sullogismo\n tou= o(/ti, vel dia\ shmei/wn, nostri demonstrationem quia, vel syllogismum a signo, vel secundi gradus demonstrationem. Has duas methodos in Aristotelis disciplina reperio, demonstrativam, & resolutivam …« 512
Vgl. a. a. O., lib. III, c. 17, 264F-265C.
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demonstrativa, und auf der anderen Seite der Weg zu den Prinzipien hin und damit von der bekannten Wirkung zur unbekannten Ursache, der Weg vom für uns Bekannteren zum der Natur nach Bekannteren als methodus resolutiva. Die Wahl der Methode ist also nicht beliebig, sondern hängt vom jeweiligen Wissensstand ab: Die methodus demonstrativa wird allein in der Mathematik angewandt, wo die Prinzipien bekannt sind, wo das der Natur nach Bekanntere auch das für uns Bekanntere ist, und sie wird in den beiden Analytiken bewiesen513, während die methodus resolutiva in allen nichtanalytischen Wissenschaften angewandt wird, wo uns die Prinzipien unbekannt sind514. Dieser kurze Exkurs hat den Zusammenhang von Wissen und Methode verdeutlicht, auf den Aristoteles in An. Post. I 2, 71b33-72a1 anspielt. Zabarella interpretiert diesen Satz in De Methodis nun so, daß in der natürlichen Reihenfolge der Dinge die Ursache früher ist als die Wirkung. Erlangt man also aus der Kenntnis der Ursachen das Wissen von den Wirkungen, so bedient man sich der mit dem Wesen der Dinge übereinstimmenden methodus demonstrativa und schreitet so von dem der Natur nach Bekannteren zum Unbekannten fort. Der Natur nach bekannt heißt nun für Zabarella dasjenige, dessen Erkenntnis nicht von etwas anderem abhängt, wie dies bei der Ursache der Fall ist; der Natur nach unbekannt heißt dasjenige, dessen Erkenntnis notwendigerweise von der Kenntnis eines anderen abhängt, wie bei der Wirkung.515 Aufgrund der imbecillitas 513
Vgl. An. Pr. I 1, 24a 10-11 und An. Post. II 19, 99b 15-17. Da beide Analytiken auf das vollkommene Wissen abzielen, ein Wissen, das in der Kenntnis der Ursachen und der Wirkungen besteht, behandeln sie vorrangig die methodus demonstrativa. 514 Als ein Beispiel für diese methodus resolutiva nennt Zabarella die Schrift De Anima, wo sich gleich am Anfang (vgl. De An. I 1, 402a11-16) die Überlegung findet, ob es eine Methode gebe für alles, wovon wir die ou)si/a erkennen wollen, so wie für die Akzidentien den Beweis (a)po/deicij; zur Diskussion dieser Äußerungen in der aristotelischen Rezeptionsgeschichte vgl. Eckhard Kessler, Method in the Aristotelian Tradition: Taking a Second Look, in: Method and Order in Renaissance Philosophy of Nature, 113-142, hier: 119-128.). Für Zabarella zeigt sich hier zunächst eine Bestätigung seiner These, daß Aristoteles nur zwei Methoden zur Erlangung der Kenntnis von allem und jedem angewandt hat. Sofern nämlich die a)po/deicij, die nach der methodus demonstrativa verfährt, hier für die Erkenntnis der Akzidentien angesetzt wird, ist klar, daß die Erkenntnis des Wesens der Seele gemäß der methodus resolutiva zu erfolgen hat. Ist uns nämlich das Wesen eines Dings unbekannt, dann müssen wir von dem für uns Bekannteren, den Akzidentien, zum Unbekannten, der Substanz, fortschreiten. Denn auch die Akzidentien tragen, wie es in De An. I 1, 402b22-25 heißt, sehr viel zur Erkenntnis des Wesens einer Sache bei. Als eine i(stori/a peri\ th=j yuxh=j (I 1, 402a3f.) folgt die Schrift De An. insgesamt, so Zabarella, der methodus resolutiva als einer demonstratio ab effectu (De Methodis, lib. III, c. 13, 253A-D, und III 19, 271B-C). Damit haben wir den Sachverhalt, daß die Schrift De An. nach dem ordo compositivus angeordnet ist (vgl. 3.1.2.), d. h. mit der Bestimmung der Seele als Prinzip beginnt. Weil uns dieses Prinzip aber unbekannt ist, erfolgt der Wissenserwerb nach der methodus resolutiva von den Akzidentien, d. h. von den Seelenvermögen her. Nur das Zusammen von Ordnung und Methode gewährt also ein vollständiges Wissen von einer Sache, wie Zabarella selbst betont: » … ideo neque solus ordo, neque sola methodus perfectam rerum scientiam præbere potest, sed ambo requiruntur; ordo enim solus nihil docet: methodus verò sine ordine docet quidem, sed perfectam scientiam non parit, vel cum summo discentis labore, & summa cum difficultate …« (A. a. O., lib. III, c. 17, 265D) Weitere Belege für die methodus resolutiva sind EN I 2, 1095b 1-5; Met. VI 3, 1029b 3-12 und Phys. I 1, 184a 16-21. 515
Vgl. Zabarella, De Methodis, lib. IV, c. 10, 295F-296A.
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animæ humanæ seien dem Menschen aber nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen bekannt. Diese Kenntnis der Wirkungen ohne Kenntnis ihrer Ursachen sei aber eine unvollkommene. Vielmehr müßte sich der Mensch in einem Zustand befinden, in dem er die Ursachen vor den Wirkungen erkennen und so die Natur in ihrer natürlichen Reihenfolge der Dinge nachahmen könne. Und genau dies sei das Programm der beiden Analytiken, in denen Aristoteles nur das vollkommene Wissen, das eben in der Kenntnis der Ursachen bestehe, und nicht das unvollkommene Wissen, das nur die Wirkungen kenne, berücksichtigt habe.516 Beide Analytiken, die auf den Beweis der Wirkungen abzielen, berücksichtigen also nicht den Zustand, in dem wir uns als Erkennende befinden, sondern in dem wir uns befinden sollten. Denn das distinkt-perfekte Wissen ist eben der Vorrang des tv= fu/sei gnwrimw/teron vor dem h(mi=n gnwrimw/teron. Folglich heißt das von Natur aus Bekanntere nicht so, sofern wir uns im Zustand der Unkenntnis befinden, sondern, sofern wir bei unserer Suche nach der Erkenntnis der Dinge die Natur nachahmen. Auf diese Weise, so Zabarella, habe Aristoteles beide Erkenntnisweisen uns, nicht der Natur zugeschrieben, so daß die Unterteilung in das ‘für uns’ und in das ‘der Natur Bekanntere’ folgenden Sinn habe: »Einige Dinge heißen ‘bekannter’ nicht der Natur nach, sondern für uns, andere heißen ‘bekannter’ der Natur nach und nicht für uns, d. h. nicht für uns, sofern wir von der Ordnung der Natur abweichen, aber für uns, sofern wir die Natur nachahmen und die Dinge in der Weise erkennen, in welcher sie erkannt werden müssen.«517
Das ‘bekannter der Natur nach und nicht für uns’ bezeichnet also unsere Abweichung von der Naturordnung, wenn wir die Ursachen nicht kennen, während das ‘bekannter der Natur nach und für uns’ unsere Nachahmung der Natur kennzeichnet, wenn wir die Ursachen kennen. Was aber ist das für uns Bekanntere? In An. Post. I 2, 72a1-5 heißt es: »Ich nenne dabei in bezug auf uns vorrangig und bekannter das der Wahrnehmung Nähere, schlechthin vorrangig und bekannter das Entferntere. Es ist aber am entferntesten das Allgemeinste, am nächsten jedoch das Einzelne, und diese sind einander entgegengesetzt.«518 Da beide Analytiken der metho516 Vgl. a. a. O., 296E-F: »Aristoteles igitur tradere nobis volens methodum & instrumentum, quo ad rerum cognitionem duceremur, perfectam cognitionem primariò respexit, & primariò docere voluit instrumentum illud, quod naturalem rerum ordinem imitando perfectam nobis scientiam traderet, qua ita res cognosceremus, ut cognoscendæ sunt: in qua sua primaria tractatione non respexit ingenij nostri imbecillitatem, qui causas, à quibus progrediendum esset, sæpenumerò ignoramus, sed solùm quænam sit methodus perfectam scientiam tradens, consideravit.« 517
A. a. O., 297D-E: »alia [sc. res] dicuntur notoria, non secundùm naturam, sed nobis; alia verò natura, non nobis, id est, non nobis ut ordini naturæ adversantibus, sed nobis ut naturam imitantibus, & res cognoscentibus eo modo, quo sunt cognoscendæ …« 518
Aristoteles, An. Post. I 2, 72a1-5 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post, Hb. I, 19): »le/gw de\ pro\j h(maj me\n pro/tera kai\ gnwrimw/tera ta\ e)ggu/teron th=j ai)sqh/sewj, a(plw=j de\ pro/tera kai\ gnwrimw/tera ta\ porrw/teron. e)/sti de\ porrwta/tw me\n ta\ kaqo/lou ma/lista, e)gguta/tw de\ ta\ kaq ) e(/kasta. kai\ a)nti/ketai tau=t )a)llh/loij.« Das kaqo/lou ma/lista in 72a4 ist also anders zu verstehen als das kaqo/lou in 71a28. Dort bezeichnete es ein ‘zu wissen’ im un-
deutlichen und unvollkommenen Sinne (cognitio confusa), während es hier gerade für das vollkom-
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dus demonstrativa folgen, kann der Weg hier nur vom Allgemeinsten, das das der Natur nach Bekanntere ist, zum Einzelnen führen, dem für uns zunächst und zumeist Bekannteren, von dem wir aufgrund unserer Geistesschwäche immer dann ausgehen müssen, wenn wir unser Wissen (vom Allgemeinen) noch nicht beweisen können, sondern erst noch als ein solches sicherstellen müssen. Dies ist die Vorgehensweise der nichtanalytischen Schriften gemäß der methodus resolutiva, wie nun anhand der Interpretationen von Toletus, Zabarella und den Conimbricensern zu Phy. I 1 zu zeigen ist. Damit wird die Beantwortung der zweiten Frage hinsichtlich der Reihenfolge des Erkennens des Allgemeinen vorbereitet: Wird zuerst das mehr oder weniger Allgemeine erkannt? 3.3.7.2. Der natürliche Prozeß der undeutlichen Erkenntnis Wie bereits erwähnt, liegt dem ordo naturalis der ordo cognitionis confusæ zugrunde, während der ordo doctrinæ den ordo cognitionis distinctæ zum Gegenstand hat. Da es im vorliegenden Zusammenhang um den ordo naturalis geht, bleiben die cognitio distincta actualis & potentialis des ordo doctrinæ unberücksichtigt. Ebensowenig wird die cognitio confusa potentialis thematisiert, da sie sich aus der cognitio confusa actualis ergibt. Allein diese undeutlich-aktuelle Kenntnis ist also Gegenstand im Zusammenhang mit der Frage nach der Reihenfolge der Erkenntnis des Allgemeinen.519 Diese kann für Zabarella wiederum zweierlei sein: Entweder ist sie das (generisch, nicht logisch betrachtete) erste begriffliche Auffassen eines Gegenstandes, über den man vorher noch nicht verfügte – wenn ich mir z. B. zum ersten Mal im Geist den noch undeutlichen Begriff ‘Pferd’ bilde –, oder sie ist die aktuell-habituelle Erkenntnis eines bereits früher erkannten Gegenstandes. Dies ist dann der Fall, wenn ich z. B. gerade ein Pferd sehe und es mit meinem bereits erworbenen Begriff ‘Pferd’ vergleichen kann. Jene Erkenntnis nennt Zabarella eine cognitio actualis originalis confusa, diese eine cognitio actualis habitualis confusa.520 Hieraus resultieren zwei Fragen: Was ist das (generisch) Ersterkannte der undeutlich-ursprünglichen Erkenntnis, das mehr oder weniger Allgemeine, und was ist das Ersterkannte der undeutlich-habituellen Erkenntnis, das mehr oder weniger Allgemeine? _________________________________________________________________________________________________________
mene Wissen (cognitio perfecta) steht. Das kaqo/lou ist also wie das kaq )e(/kaston nicht nur ein Relationalbegriff, sondern auch ein Funktionalbegriff, dessen Bedeutung sich erst aus dem Kontext ergibt. 519
Vgl. hierzu Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 11, 1060B-E. Toletus, Physica I 1, q. 5, 11ra-b. Coll. Conimbricense, Physica I 1, q. 2, art. 1, 57. 520 Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 11, 1061B: »cognitio nostra actualis confusa duplex est, una originalis, altera vero habitualis …« Diese Unterscheidung führt Zabarella auf seinen Lehrer Genua zurück (vgl. a. a. O., c. 9, 1057A-B). Sie findet sich weder bei Toletus noch bei den Conimbricensern.
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Im Zusammenhang mit der ersten Frage standen sich in der Scholastik die Positionen von Thomas und Scotus gegenüber, die Zabarella und die Conimbricenser umfassend referierten.521 Thomas hat in der Summa Theologiae die These vertreten, daß das Ersterkannte das am meisten Allgemeine ist.522 Er begründete dies u. a. mit einem Hinweis auf Phy. I 1,184a23f., wo Aristoteles den Weg vom (unbestimmt) Allgemeinen als dem für uns Bekannteren zum Einzelnen beschreibt. Das (unbestimmte) Ganze werde nämlich immer früher erkannt als dessen Teile. Das mehr Allgemeine sei aber eher das Ganze als das weniger Allgemeine. Auch die Erfahrung zeige uns, daß wir eher das Genus eines Lebewesens bestimmen könnten als dessen Art. Unsere Erkenntnis schreite also von einem konfuseren, weil allgemeineren Wissen zu einem deutlicheren, weil spezifischeren Wissen fort. Für Scotus ist dagegen die species specialissima als das weniger Allgemeine das Ersterkannte523, denn je allgemeiner und unbestimmter ein Gegenstand sei, desto schwieriger könne er von uns im Rahmen der cognitio confusa actualis erkannt werden. Sein Hauptargument lautet dabei wie folgt: Die causa naturalis ist hinreichend geeignet, ohne irgendwelche Hindernisse die vollkommenste Wirkung hervorzubringen. Der menschliche Geist ist als causa naturalis geeignet, den conceptus perfectissimus aufzufassen, der nichts anderes ist als der conceptus speciei specialissimae. Denn der um einiges allgemeinere Begriff (conceptus alicuius communioris) sei weniger vollkommen als der besondere Begriff, weil er das Einzelne weniger genau bestimme. Dies bedeute, daß für den menschlichen Geist nicht das ens das undeutlich Ersterkannte sei, sondern der Begriff homo, weil dieser der vollkommenste und ihm am meisten affine sei. Erst später bilde er dann die allgemeineren Begriffe ‘Körper’ und ‘Lebewesen’ aus. Wie vor ihm bereits Genua und Zimara524, so versuchte auch Toletus in einer komplizierten Argumentation beide Ansichten miteinander auszugleichen. Zunächst stimmte er der These von Thomas zu, wonach das Ersterkannte das ens sei: »Je allgemeiner etwas ist und je angemessener dem Seienden, desto bekannter ist es uns. Daher wird zuerst die Gattung, zuletzt die unterste Art erkannt.«525 Toletus begründete diese An521
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 7 und 8, 1055A-1057A. Coll. Conimbricense, Physica I 1, q. 3, art. 1 und 2, 64-67. 522
Vgl. Thomas, STh I, q. 85, art. 3, in: Opera 5, 336: »Est ergo dicendum quod cognitio singularium est prior quoad nos quam cognitio universalium, sicut cognitio sensitiva quam cognitio intellectiva. Sed tam secundum sensum quam secundum intellectum, cognitio magis communis est prior quam cognitio minus communis.« 523 Vgl. Duns Scotus, Ad IV. libros magistri sententiarum. Tomus I und II. Edidit P. Marianus Fernandez Garcia. Rom 1912, hier: lib. I, dist. III. q. 1 & 2, art. 6, nr. 356: »His praeintellectis, primo pono ordinem originis in cognitione eorum actuali quae concipiuntur confuse. – Et quoad hoc dico: primum actualiter cognitum confuse est species specialissima cuius singulare efficacius et fortius primo movet sensum, sive sit audibile, sive visibile, sive tangibile: quodcumque enim individuum fortius movet sensum eius species primo cognita est cognitione confusa.« 524
Vgl. hierzu Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 9 und 10, 1057A-1059E.
525
Toletus, Physica I 1, q. 5, 11va: »Quo universaliora sunt & propinquiora enti, sunt nobis notiora: unde primò genus, ultimò species ultima cognoscitur.«
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sicht zum einen mit der Abhängigkeit des Erkennens von der Sinneswahrnehmung. Danach wird zuerst jenes Allgemeine vom Geist erkannt, dessen Einzelnes zuerst die Sinne bewegt. Das Einzelne des Allgemeineren bewegt aber zuerst die Sinne, so daß man zuerst ein (unbestimmt) Seiendes wahrnimmt, dann einen Körper, dann ein Lebewesen. Zum andern verweist Toletus auf die allgemeine Regel, daß jedes Vermögen zuerst seinen eigentümlichen Gegenstand erfasse. Dieser sei beim Geist das Seiende. Also werde es zuerst von ihm erkannt. Gegen diese Ansicht gibt es aber einen gewichtigen Einwand, der von Porphyrius, Themistius und Philoponus vorgebracht worden ist: Wenn das Allgemeine durch Abstraktion von den einzelnen Dingen und vom weniger Allgemeinen gewonnen wird, dann müssen zuerst diese erkannt werden. Toletus trägt diesem Einwand mit einer weiteren These Rechnung, ohne daß klar wird, wie zwischen beiden Positionen ein Ausgleich möglich wäre: »Zwischen den Universalien ist der bestimmte Begriff das von unserem Geist zuerst Erkannte.«526 Unter dem conceptus specificus versteht Toletus nicht Scotus’ conceptus speciei specialissimae, sondern einen vom Individuum unmittelbar abstrahierten Begriff, sei dies nun ein Gattungs- oder Artbegriff, wie der Begriff animal. Toletus beweist diese Ansicht wie folgt: Ein conceptus genericus wird im natürlichen Gang des Erkennens durch Abstraktion von einzelnen Wörtern bzw. ‘Begriffen’ gebildet. Die ersten Wörter bzw. ‘Begriffe’ sind aber individuell-spezifisch. Also nimmt die erste Abstraktion von diesen conceptus specifici ihren Ausgang. Auch die Conimbricenser versuchten einen Ausgleich zwischen den beiden genannten Positionen, indem sie die Erkenntnis des mehr oder weniger Allgemeinen auf zweifache Weise unterschieden: Wie es eine Erkenntnis gibt, die durch impedimenta verhindert wird, so gibt es eine, die frei von ihnen ist. Ist letzteres der Fall, dann ist die species infima das Ersterkannte. Liegt ersteres vor, dann ist das mehr Allgemeine, das Seiende in seiner Unbestimmtheit, das Ersterkannte.527 Je größer also die Beeinträchtigungen, desto allgemeiner und damit unbestimmter die cognitio confusa actualis. Diese Argumentation überzeugt aber aus folgendem Grund nicht: Wenn keine impedimenta vorliegen, wie kann dann noch von einer cognitio confusa actualis gesprochen werden? Müßte unser Geist dann nicht sogleich einen conceptus distinctus bilden können, weil eine cognitio distincta vollkommener ist als eine cognitio confusa? Zabarella folgte wohl aus diesem Grunde der Ansicht des Thomas: »Das Ersterkannte in der aktuell-ursprünglich-undeutlichen Erkenntnis ist das am meisten Allgemeine.«528 Er begründete dies u. a. mit einem Hinweis auf Phy. I 1, wo Aristoteles Überlegungen anstellte, nach welcher Methode naturwissenschaftliches Wissen erworben 526
A. a. O., 12va: »Inter universalia conceptus specificus est primò cognitum ab intellectu nostro.«
527
Vgl. Coll. Conimbricense, Physica I 1, q. 3, art. 3, 68: »Prima [assertio], Si nihil sit, quod impedimentum inferat, id quod ex communibus naturis à nostro intellectu primùm concipitur, est species infima. … Secunda assertio, Si non amoveantur impedimenta, magis universalia priùs à nobis concipientur, quàm minùs universalia.« 528 Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 12, 1061E-F: »primum [sc. cognitum] cognitione actuali originali confusa est maxime universale …«
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wird. Von einem Wissen spricht man nur dann, so der Stagirite in Anlehnung an das in An. Post. I 2, 71b9-12 Gesagte, wenn man die Ursachen und Prinzipien von einem Gegenstand besitze und dieser sich nicht anders verhalten könne (vgl. 184a12-14). Auch in der Physik müsse daher der Versuch gemacht werden, die Prinzipien der natürlichen Gegenstände zu bestimmen (a14-16). Diese Vorgehensweise, so Zabarella, entspreche der methodus demonstrativa, die, wie gesehen, aus der Kenntnis der Prinzipien und der Ursachen die Wirkungen eines Gegenstandes ermittle, um so ein vollkommenes Wissen von ihm zu erlangen. Da uns aber die Prinzipien in der Naturwissenschaft nicht bekannt seien, führe der Weg vom für uns Bekannteren und Deutlicheren zu dem von Natur aus Bekannteren und Deutlicheren – der Weg der methodus resolutiva. Genau diesen Übergang von der methodus demonstrativa zur methodus resolutiva vollziehe Aristoteles von 184a14-16 zum nachfolgenden Passus a16-21: »Es ergibt sich damit der Weg von dem uns Bekannteren und Deutlicheren zu dem in Wirklichkeit Deutlicheren und Bekannteren. Denn was uns bekannter ist und was an sich ist, ist nicht dasselbe. Deshalb muß also auf diese Weise vorgegangen werden: Von dem der Natur nach Undeutlicheren, uns aber Deutlicheren hin zu dem, was der Natur nach deutlicher und bekannter ist.«529
Wir müssen also Zuflucht bei der methodus resolutiva suchen, die uns von dem für uns Bekannteren zu dem der Natur nach Bekannteren, den Prinzipien, führen soll. Für Zabarella ist dies ein Zeichen dafür, daß die methodus resolutiva eine zweitrangige ist und Dienerin der beweisenden Methode. Wenn uns nämlich die Prinzipien bekannt wären, dann wäre die methodus resolutiva überflüssig, da wir sogleich die Ursachen der Wirkungen erkennen würden. Doch aufgrund der imbecillitas animæ humanæ sind uns die Prinzipien unbekannt, von denen aus die Wirkungen zu demonstrieren wären, so daß wir, von der Notwendigkeit gezwungen, Zuflucht zu einem zweitrangigen Weg nehmen.530 Hieraus ergibt sich für Zabarella, daß der Zweck der beweisenden Methode 529
Aristoteles, Phys. I 1, 184a16-21: »pe/fuke de\ e)k tw=n gnwrimwte/rwn h(mi=n h( o(doj kai\ safeste/rwn e)pi\ ta\ safe/stera tv= fu/sei kai\ gnwrimw/tera. ou) ga\r tau)ta\ h(mi=n te gnw/rima kai\ a(plw=j. dio/per a)na/gkh to\n tro/pon tou=ton proa/gein e)k tw=n a)safeste/rwn me\n tv= fu/sei h(mi=n de\ safeste/rwn e)pi\ ta\ safe/stera tv= fu/sei kai\ gnwrimw/tera.« Weder Toletus noch die Conimbricenser erörtern in ihrem Kommentar zu Phys. I 1 diesen Methodenwechsel. Für sie ist klar, daß die Naturwissenschaft von den Prinzipien ausgehen muß. Den genannten Passus verstehen sie so, daß Aristoteles hier näher bestimmt, von welchen Prinzipien ausgegangen werden muß, nämlich von den für uns allgemeineren und undeutlicheren: »Ut autem probationis vis eluceat, advertendum est institutum Aristotelis esse explicare à quibusnam principiis exordiri velit. Quia namque paulò ante à principiis progrediendum sibi esse dixerat, posset alicui in dubium venire, esset ne à principiis rerum comuniorum an minus communiorum initia ducturus.» (Coll. Conimbricense, Physica I 1, t. 2, 48) Ebenso Toletus, Physica I 1, t. 2, 10ra. Beide Autoren übersehen damit, daß man in der Naturphilosophie nur dann von den Prinzipien ausgehen kann, wenn sie bekannt sind. 530 Vgl. Zabarella, De Methodis, lib. III, c. 18, 267A-D: »nos autem de illa resolutiva methodo sermonem facimus, quæ rerum ignotarum ex notioribus cognitionem parit, & in alijs scientijs locum habet, præsertim in scientia naturali; quum enim propter ingenij nostri, viriumque nostrarum imbecillitatem ignota nobis occurrant principia, ex quibus demonstrandum est, ab ignotis autem progredi non possimus: ideo necessitate coacti ad secundariam viam confugimus, quæ est methodus resolutiva ad
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in einem vollkommenen Wissen besteht, in der Erkenntnis von etwas durch dessen Ursache, der Zweck der rückführend-auflösenden Methode dagegen in der Ermittlung dieses Wissens. Was ist nun im Zusammenhang mit der undeutlich-ursprünglichen Erkenntnis das für uns Bekanntere? In Phys. I 1, 184a21-23 heißt es: »Uns ist aber vor allem deutlich und durchsichtig das mehr Vermengte. Später erst werden aus diesem bekannt die Grundbausteine und die Prinzipien, wenn man es auseinandernimmt.«531 Das uns zunächst Gegebene ist, vom ersten Eindruck her betrachtet, komplex und undifferenziert. Das sugkexume/non, wörtlich das Zusammengegossene, ist dasjenige Zusammengesetzte, das noch nicht bestimmt und differenziert ist. Um nun die noch unbekannten Prinzipien erkennen zu können, muß man von diesem Zusammengesetzten als dem Undifferenzierten, das das für uns Bekanntere ist, ausgehen. Deswegen, so der nächste Satz der Physik-Vorlesung, muß man vom Allgemeinen zum Einzelnen gehen (a 23f.). Die sugkexume/na sind hier als das undifferenzierte Allgemeine »im Sinne des Unbestimmt-Allgemeinen«532 zu verstehen, während das Einzelne gerade die Prinzipien kennzeichnet – nochmals ein Hinweis darauf, daß kaqo/lou und kaq )e(/kaston Funktionalbegriffe sind, die je aufeinander verweisen.533 Ist das sugkexume/non ein unbestimmt Allgemeines, das für uns im ordo cognitionis confusæ bekannter ist als das weniger unbestimmt Allgemeine, so kann es auch als ein Ganzes (to\ o(/lon) bezeichnet werden, denn das Ganze ist für die Sinneswahrnehmung immer bekannter als die Teile, und das Allgemeine ist eine Art des Ganzen, denn es umfaßt vieles als seine Teile (a 24-26). Die Wahrnehmung sieht zunächst und zumeist das Vermengte als Ganzes und als undifferenziertes Allgemeines, wie z. B. den Körper gegenüber dem Punkt, den Menschen gegenüber Kallias dem Menschen. So heißt es auch in An. Post. II 19, 100a16-b1: »in der Tat nämlich wird zwar das Einzelne wahrgenommen, aber die Wahrnehmung richtet sich auf das Allgemeine, wie etwa auf Mensch, jedoch nicht auf Kallias den Menschen.«534 Selbst die Wahrnehmung, die es mit dem Einzelnen zu tun hat, geht also »nicht auf das Einzelne als Einzelnes, sondern faßt es unter einem Allgemeinheitsaspekt auf«535, nämlich als ein undifferenziertes All_________________________________________________________________________________________________________
principiorum inventionem ducens, ut ex eis inventis postea effectus naturales demonstremus. quare methodus resolutiva secundaria est, & ministra demonstrativæ; quam sententiam apud Aristotelem legere possumus in proœmio primi libri Physicorum …« 531
Aristoteles, Phys. I 1, 184a 21-23: »e)/sti d )h(mi=n to\ prw=ton dh=la kai\ safh= ta\ sugkexume/na ma=llon. u(/steron d )e)k tou/twn gi/gnetai gnw/rima ta\ stoixei=a kai\ ai( a)rxai\ diairou=si tau=ta.« 532
Wolfgang Wieland, Physik, 90.
533
Das kaqo/lou ist in Phys. I 1, 184a23f. also nicht so zu verstehen wie in An. Post. I 2, 72a4f.
534
Aristoteles, An. Post. II 19, 100a16-b1 (Übersetzung Detel, in: Aristoteles, An. Post., Hb. I, 83): »… kai\ ga\r ai)sqa/netai me\n to\ kaq )e(/kaston, h( d )ai)/sqhsij tou= kaqo/lou e)sti/n, oi(=on a)nqrw/pou, a)ll )ou) Kalli/ou a)nqrw/pou.« 535
Wolfgang Wieland, Physik, 88, Anm. 3.
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gemeines. Der Wahrnehmungsakt richtet sich auf ein Einzelnes, Kallias, und gibt so die bestimmteste Kenntnis des Einzelnen (vgl. Met. I 1, 981b11), während das Wahrgenommene, der Inhalt der Wahrnehmung, zunächst als ein undifferenziertes Allgemeines, z. B. als ‘Mensch’, wahrgenommen wird. Auch die folgenden beiden Beispiele in 184b10-14 beschreiben das Allgemeine in dieser unbestimmten Form: Die Wörter o)/noma & lo/goj sagen undifferenziert (a)diori/stwj, b11) ein Ganzes aus, wie zum Beispiel ‘Kreis’. Erst die Definition bestimmt durch Angabe des genus proximum und der differentia specifica, was mit dem unbestimmten Wort eigentlich gemeint ist. Auf ähnliche Weise nennen auch die Kinder zuerst jeden Mann Vater und jede Frau Mutter, bevor sie differenzieren (b12-14). Die zunächst vermeinte Verallgemeinerung erweist sich als falsch, da eben nicht alle Männer Väter sind. Erst die Differenzierung, die das Besondere des (allgemeinen) Namens ‘Vater’ betont, zeigt zugleich die geeignete Verallgemeinerung des Namens ‘Vater’ an, denn der Name ist ein Allgemeines.536 Für Zabarella bezeichnen all diese Beispiele unsere zunächst und zumeist undeutliche Erkenntnisweise (cognitio confusa), nach der das Ersterkannte das am meisten Allgemeine im Sinne des noch unbestimmt Allgemeinen ist.537 Daher führt die aristotelische Argumentation in der Naturphilosophie von der undeutlichen Erkenntnis zur deutlichen: »[Aristoteles] beweist die zu bewahrende Ordnung in der zu lehrenden vollkommenen Wissenschaft der natürlichen Dinge aus der Ordnung unserer undeutlichen Erkenntnis, indem er gleichsam die künstliche Ordnung aus unserer natürlichen Ordnung des Lernens aufzeigt.«538
Hieraus ergibt sich, daß wir gemäß dem ordo naturalis zuerst das mehr Allgemeine im Sinne des unbestimmt Allgemeinen erkennen als das weniger Allgemeine. Und hierin soll der ordo doctrinæ dem ordo naturalis folgen, indem er durch die Nachahmung der natürlichen Neigung unseres Geistes eine klare und deutliche Erkenntnis eines Gegenstandes erreicht. Abschließend unterscheidet Zabarella in Beantwortung der Frage, was das Ersterkannte der undeutlich-habituellen Erkenntnis sei, zwischen zwei Weisen dieser Erkenntnis: Da im intellectus possibilis kein Eindruck der species intelligibilis, des Er-
536
Vgl. Wolfgang Detel, Anmerkungen, in: Aristoteles, An. Post., Hb. II, 873ff.
537
Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 12, 1062B-D: »Postea vero probans Aristoteles illam conclusionem [sc. daß das mehr Allgemeine uns bekannter ist als das weniger Allgemeine und daß von jenem zu diesem fortzuschreiten ist] assumpsit eam minorem, universalius est nobis notius, quam tribus argumentis confirmavit, nec potuit intelligere alio modo notius, quam cognitione confusa, quod manifestum est in tribus illis argumentis: totum enim est notius sensui, quam partes cognitione confusa: nomen est nobis notius, quam definitio, cognitione confusa, ut etiam expresse ibi Aristoteles testatur, dum inquit nomen significare totum quoddam confuse: prima quoque puerorum cognitio quando omnem virum vocant patrem, & omnem fœminam matrem, est cognitio confusa …« 538
A. a. O., 1062E-F: »… ordinem enim servandam in tradenda perfecta scientia rerum naturalium confirmat [sc. Aristoteles] ex ordine cognitionis nostræ confusæ, tamquam ex ordine nostro addiscendi naturali probans ordinem artificiosum …«
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faßten als Begriff verbleibt, wie Zabarella unter Hinweis auf früher Gesagtes betont539, kann der Geist aktuell nur erkennen, wenn er von einem Phantasma bewegt wird. Dieses ist aber das Produkt entweder eines gegenwärtigen äußeren Gegenstandes oder eines früher eingeprägten Bildes in der Erinnerung, ohne daß der äußere Gegenstand gegenwärtig wäre. Im letzteren Falle, so Zabarella, kann über diese habituelle Erkenntnis in Hinsicht auf das Ersterkannte nichts Gewisses ausgesagt werden, denn das Ersterkannte kann sowohl das mehr wie auch das weniger Allgemeine sein. Sofern nämlich der Geist alle Haltungen in sich enthält, die allgemeineren und die weniger allgemeinen, kann er jederzeit denken, was er will. Er kann zuerst das Wesen des Körpers betrachten, anschließend das Wesen des Lebewesens, sei dies nun ein Löwe oder ein Mensch, oder umgekehrt zuerst das Wesen des Menschen etc. Im andern Fall, sofern die habituell-undeutliche Erkenntnis von der Gegenwart eines äußeren Gegenstandes herrührt, ist das Ersterkannte das weniger Allgemeine, dessen Akzidentien die Sinne bewegen. Da der äußere Gegenstand immer zuerst die Wahrnehmung bewegt, die sich, wie gesagt, im Wahrnehmungsakt auf ein Einzelnes richtet, so wird auch der Geist durch die Wahrnehmung vom weniger allgemein Erfaßten bewegt.540 3.4. Resümee Die ausführliche Darstellung der philosophischen Psychologie der Jesuiten auf der einen Seite sowie der radikalen Naturphilosophen auf der andern Seite hat die Richtigkeit der Schmidtschen These von den verschiedenen Aristotelismen auf eindringliche Weise bestätigt. Der Renaissance-Aristotelismus war kein monolithischer Block; vielmehr zeigt sich eine Vielfalt von Positionen, die in der Psychologie untrennbar mit den Schulen des Alexandrismus, Averroismus und Thomismus sowie des Neuplatonismus eines Simplicius verknüpft waren. Diese Differenzen lagen nicht nur in den Schwierigkeiten des aristotelischen Textes selbst begründet, der zu mannigfaltigen Fragen und zu unterschiedlichen Interpretationen hinreichend Anlaß gab, sondern auch in den unterschiedlichen Philosophiekonzepten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten: Auf der einen Seite der Systemzwang der Theologie, der eine philosophische Interpretation des Aristoteles forderte, die mit den Dogmen der katholischen Kirche übereinstimmen mußte, und auf der anderen Seite eine Philosophie, die aus sich selbst heraus und ohne Rückgriff auf die Theologie ihr Konzept einer libertas philosophiæ verwirklichen wollte. Dieser Differenz im Aristotelismus entsprach gleichwohl eine Identität, die in der ratio philosophandi Aristotelica gründete. Kurz gesagt, handelte es sich hierbei um ein Philosophieren aus Gründen – daher die Vorliebe für das syllogistische Argument und die Betonung der Methodik – und um ein Arbeiten am Begriff, das in einer hochgestochenen, formalen Begrifflichkeit mündete, die gleichwohl den konkreten Phäno539
Vgl. 3.3.4.2., Anm. 389.
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Vgl. Zabarella, De Ordine intelligendi, c. 13, 1068F-1069D.
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men abgewonnen war. Diese Philosophie war der Versuch, die mögliche Erkennbarkeit der Welt in ihre reale Erkenntnis, d. h. in eine Weltaufgeschlossenheit durch den Menschen zu überführen. Das vorliegende Kapitel hatte zum Ziel, diese Identität und Differenz im Renaissance-Aristotelismus anhand der philosophischen Psychologie aufzuzeigen. Einige Aspekte sollen hier nochmals – auch als Vorbereitung auf das nachfolgende Kapitel zur Psychologie in der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophie des 17. Jh.s. – kurz verdeutlicht werden. 1. Übereinstimmend galt die scientia de anima als eine philosophische Disziplin, die eine ontologische und funktionale Bestimmung der Seele mit all ihren Vermögen des Ernährens, Bewegens, Wahrnehmens und Denkens zu geben hat. Diese wird zum einen im umfassenden Sinne als forma informans corporis bestimmt und ist damit nichts anderes als das Seinsprinzip (principium constitutivum) der verschiedenen Lebewesen Pflanze, Tier und Mensch. Als ein solches Prinzip konstituiert sie ein Einzelnes als ein Dies-Da, als ein in seiner Körperlichkeit (sw=ma qua u(/lh), Gestalt bzw. Lebensform (ei)=doj) und in seinem Wesen (ou)si/a) so und nicht anders in seiner konkreten Existenz bestimmtes Individuum. Die Seele ist dergestalt das principium individuationis. Sofern sie als forma immateriell ist, kann auf ihr Sein nur von ihren Funktionen her geschlossen werden, die sie damit zugleich als Wirkprinzip (principium operationum) erweisen: Sie ist Anfang und Ende – a)rxh/ & te/loj – aller Tätigkeiten eines Lebewesens. 2. In ihrem Höhepunkt ist die scientia de anima ein Teil der Philosophie des Geistes, wie die enstprechenden Traktate De Mente humana & De Mente agente bei Portio und Zabarella belegen. Dabei wird der intellectus possibilis (nou=j paqhtiko/j) als derjenige bestimmt, der, da er nichts vom Seienden in Wirklichkeit ist, geeignet ist, alles geistig aufzunehmen und zu erkennen. Diese Bestimmung hat drei Implikationen: I. Daß er alles auffaßt, ist seiner Unvermischtheit mit einem körperlichen Organ geschuldet. II. Was er auf geistig-immaterielle Weise auffaßt, sind die species intelligibiles, die von den Phantasmata dem Geist eingeprägt werden. Sie sind nichts anderes als der ‘geistige’ Gegenstand. In der Erkenntnis sind also der Geist und der erkannte Gegenstand ein und dasselbe. III. Das Auffassen und Erkennen ist immer eines von etwas. Jedem Erkenntnisversuch liegt daher ein Sich-Beziehen-auf … zugrunde. Die aristotelische Erkenntnistheorie ist damit zugleich eine Theorie der Intentionalität. 3. Hieraus ergibt sich auch, daß die Erkenntnis des Geistes, in der die philosophische Psychologie ihren Anfang und zugleich ihr Ende findet, gut aristotelisch allein über die Erkenntnis eines anderen (äußeren) Gegenstandes geschieht und nicht als unmittelbare Selbsterkenntnis nach Art des cartesischen cogito. Sie verläuft nicht nach innen, sondern nach außen im Blick auf das Wirkliche, bei dem sich gleichsam nebenher (e)n pare/rg%) die e)ne/rgeia des Denken zeigt, die zur Erkenntnis führt, daß ich es bin, der dieses denkt und erkennt. Sofern nun die Erkenntnis des Wirklichen nur im Begriff möglich ist – denn allein dieser faßt die Vielheit in eine Einheit –, ist die Philosophie im allgemeinen wie die Psychologie im besonderen ein Arbeiten am Begriff. Die Erkenntnis des Geistes gründet also in der Erkenntnis des Begriffs. Sofern nun dieser Begriff sich ausdifferenziert in einen conceptus primus & secundus, muß eine Philosophie des
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Geistes neben der Psychologie auch die Disziplinen der Logik und Metaphysik umfassen. 4. Als Seins-, Individuations- und Wirkprinzip ist die Geistseele die perfectio hominis. Sie ist diejenige Form, die den Menschen über seine Natürlichkeit hinausführt in die Transzendenz des immateriellen, rein geistigen Denkens. Zabarella nannte sie deshalb auch eine Form, »die am meisten von allen die Materie informierenden Formen über diese erhoben ist«541. Die höchste dem Menschen erreichbare Vollkommenheit bestand daher für die Renaissance-Aristoteliker im Leben gemäß dem Geist – o( kata\ to\n nou=n bi/oj (EN X 7, 1178a6f.) –, das im Durchdenken der Wahrheit und im Tun des Guten die dem Menschen im hic et nunc allein mögliche eu)daimoni/a ermöglicht. 5. Dieser weitgehenden Identität in der Bestimmung der Seele und des Geistes entsprach bei den Renaissance-Aristotelikern eine Differenz, die ihren Grund insbesondere in den dem intellectus agens in De An. III 5, 430a23 beigelegten, ontologischen Attributen ‘ewig’ und ‘unsterblich’ fand. Je nach Lesart wurde er nämlich entweder wie bei den Jesuiten als ein Vermögen der menschlichen Seele verstanden, der damit die Unsterblichkeit zukommt, oder wie bei Portio und Zabarella als eine göttliche Kraft bzw. Gott selbst, so daß von De An. III 5 her ein Erweis der Unsterblichkeit der Seele unmöglich wird. Gemäß dieser letzten – gut begründeten – Ansicht verhindert gerade die begriffliche Fassung der anima rationalis als forma informans ihre Überformung durch einen transzendentalen Begriff des Geistes. Ansonsten wäre nämlich das Vermögen in der Lage, das Wesen der Seele in Hinsicht auf das Sein zu verändern. Genau diese Absurdität kennzeichnet die Position der Jesuiten, die durch die ontologische Differenz zwischen dem sterblichen intellectus possibilis und dem unsterblichen intellectus agens noch verstärkt wird: Wie kann ein und dasselbe Vermögen der menschlichen Seele zugleich sein und nicht sein? Jede Antwort auf diese Frage kommt nicht umhin, für die menschliche Seele eine von der aristotelischen Philosophie her nicht gerechtfertigte Sonderstellung zu beanspruchen. 6. Genau diesen Anspruch erhoben die Jesuiten mit ihrer rein theologischen Bestimmung der anima rationalis als substantia per se subsistens & spiritualis. Wie bei Melanchthon – und diese Übereinstimmung erweist sich nun als das deutlichste Zeichen einer auch bei ihm wirksamen Verchristlichung der aristotelischen Philosophie im neuscholastischen Gewande –, wird damit zum einen gemäß Gen 2,7 ihre unmittelbare Schöpfung von Gott her (Kreatianismus) und zum andern ihr In-sich-selbst-Stehen und damit Freisein vom sterblichen Körper a parte post betont. Wie sich freilich diese diese Bestimmung der Seele als forma assistens mit derjenigen als forma informans vereinbaren läßt, bleibt vollkommen unklar. 7. Die Differenz im Geistbegriff zeigt die Paradigmen eines rein naturphilosophisch ausgerichteten alexandrinischen Aristotelismus eines Portio und Zabarella sowie eines christlich transformierten thomistischen Aristotelismus der Jesuiten an: Sofern die 541 Vgl. a. a. O., c. 12, 1065E-F: »… anima nostra rationalis, quæ maxime omnium formarum materiam informantium elata est supra materiam …«
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Übereinstimmung mit den theologischen Dogmen das Maß aller Dinge ist, kann es keine libertas philosophiæ geben. Wie in der Scholastik, so findet sich die Philosophie auch bei den Jesuiten in der unangemessenen Position der ancilla theologiæ wieder und muß sich von der Theologie her sagen lassen, was sie zu lehren hat. So eröffnete Toletus seinen De Anima-Kommentar mit den Propositiones aliquot Fide tenendæ, quibus vera debet esse Philosophia consentanea, die ex cathedra Petri die Wahrheit auch der Philosophie verkünden, am Ende des Kommentars nochmals bestätigt worden sind542 und so den ganzen Rahmen der Philosophie bestimmen, innerhalb dessen sie ihr Geschäft zu erledigen hat. Auf ähnliche Weise unterwarfen auch die Conimbricenser ihre De Anima-Interpretation vorab dem Iudicium der Hl. Inquisition, das dem Text vorangestellt worden ist.543 Der Philosophie lag damit ein ihr fremdes Konzept zugrunde, das sie nicht in ihr Wesen kommen ließ. 8. Hiergegen wandten sich Portio und Zabarella mit ihrem Konzept der Freiheit der Philosophie von der Theologie. Was Portio dabei in seiner Disputatio de mente humana gegen Philoponus vorgebracht hat, gilt gleichermaßen für die Jesuiten: Eine Naturphilosophie, die das Ergebnis einer Vermischung mit den Dogmen der Theologie ist, entspricht weder den Anforderungen der Philosophie noch denen der Theologie und stimmt auch nicht mit den Dingen selbst überein. Es gilt also die gesetzten Grenzen zwischen den Disziplinen zu beachten, um eine Kategorienverwechslung (meta/basij ei)j a)/llo ge/noj) zu vermeiden. Nur so kann man sich den Phänomenen auf angemessene Weise nähern, die mit der je spezifischen Methodik und Begrifflichkeit der einzelnen Disziplinen zu erklären sind. Der theologische Begriff der Seele kann daher nicht ohne weiteres mit dem philosophischen Begriff der Seele gekoppelt werden, weil beide verschiedenen Kontexten angehören. Die Freiheit der Philosophie von der Theologie muß daher ein konstitutives Moment ihrer selbst sein. In der radikalsten Form bedeutet dies eine Freiheit, die selbst auf die Gefahr eines Irrtums hin gegen die Vereinnahmung durch die Theologie zu verteidigen ist, wie dies Zabarella in seiner Oratio in exordio lectionis philosophiæ von 1585 gefordert hat. 9. Im Verein mit dem genau entgegengesetzten lutherischen Konzept einer Freiheit der Theologie von der Philosophie ergab sich so am Ende des 16. Jh.s die Möglichkeit eines Zusammenspiels von radikaler italienischer Philosophie und protestantischer Theologie, das zur gegenseitigen Schärfung des Blickes und damit zum besseren Verständnis der Eigenarten beider Disziplinen führen konnte. Dies war die bedeutsame 542
Vgl. Toletus, III 13, 179r: »Hæc Commentaria unà cum Quæstionibus in libros Aristotelis de Anima, nil continent Fidei Catholicæ, aut bonis moribus, contrarium, & sunt utilia, quæ studiosis Philosophiæ prælegantur.« 543
Vgl. Coll. Conimbricense, De Anima, unpaginiert: »Iudicium eorum, qui ad hos commentarios ex officio Sanctæ Inquisitionis recognoscendos constituti fuerunt. Recognovimus, atque accurate expendimus hos cursus Conimbricensis commentarios in tres libros Aristotelis de Anima, cum apposito Tractatus de anima separata, et nihil in eis invenimus, quod a fide ac vera Religione alienum sit; imo vero eos esse censuimus, qui ob rerum tractandum copiam, atque sermonis præstantiam, prosperos ubique gentium, humanæ, et divininæ philosophiæ successus, literarum candidatis sint allaturi.«
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historische Konstellation, in der die Lutheraner ihre Studien zur Psychologie begannen. Im nächsten Kapitel ist zu zeigen, ob sie die Möglichkeiten, die sich ihnen durch die Rezeption der Renaissance-Aristoteliker boten, genutzt haben.
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4. Die aristotelische Psychologie im Luthertum 4.1. Einleitung to\ tw=n a)nqrw/pwn ge/noj h)\ ga\r mo/non mete/xei tou= qei/ou tw=n h(mi=n gnwri/mwn z%/wn, h)\ ma/lista pa/ntwn.1
Die Situation an den philosophischen Fakultäten der lutherischen Universitäten des frühen 17. Jh.s hatte sich im Vergleich zur Reformationszeit grundlegend geändert: Die philosophischen Umwälzungen des Renaissance-Aristotelismus und die theologischen Auseinandersetzungen mit den Katholiken und Calvinisten, die in einem Zeitalter des Konfessionalismus mündeten, führten auf Seiten der Lutheraner zu einem veränderten Anspruch an die Philosophie, dessen sichtbarstes Zeichen die ‘Wiederkehr der Metaphysik’2 ist, die bei Luther und Melanchthon, wie erwähnt, aus dem Kanon der philosophischen Disziplinen ausgeschlossen geblieben war. Dies erforderte ein neues Philosophiekonzept, dessen Grundzüge kurz anhand folgender Punkte aufgezeigt werden sollen: 1. Der Humanismus als Grundlage des Studiums. 2. Der Vorrang der aristotelischen Philosophie. 3. Die Rezeption des Renaissance-Aristotelismus. 4. Die Auseinandersetzungen mit den Jesuiten und Calvinisten um die Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie. 5. Die Abkehr von Melanchthons Schriften. Zu 1. In der fortwährenden Bedeutung des Humanismus für die Ausbildung an den Gymnasien und Hochschulen zeigt sich eine deutliche Kontinuität mit der Reformation. So baute in Gießen bzw. Marburg die Universität auf der Grundlage einer »selbstverständlichen humanistischen Bildung und Gelehrtenkultur«3 auf. Nichts anderes galt 1 Aristoteles, De Part. an. II 10, 656a7f.: »Das Geschlecht der Menschen ist entweder allein von den uns bekannten Lebewesen des Göttlichen teilhaftig oder am meisten von allen.« Motto des Sigismund Evenius auf dem Titelblatt seiner ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam constitutione doctrina, inter scientiæ naturalis partes longè præstantissima, repetita, disputationibus undeviginti inclusa, & in Collegio privato Wittenbergæ exhibita. Wittenberg 1613. 2 Vgl. Walter Sparn, Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1976, 5: »[Jacob] Martinis pointiertes Argument [sc. daß Luther für sein Werk De Servo arbitrio metaphysische Kenntnisse vorausgesetzt habe] charakterisiert einen der erstaunlichsten Vorgänge in der Geschichte der protestantischen Universitäten. In demselben Wittenberg, das Luthers Anathema gehört und in dem Melanchthon, für das ganze protestantische Deutschland mustergültig, die Metaphysik aus der Bildungsorganisation ausgeschlossen hatte, kann kaum einhundert Jahre später die Verteidigung der Metaphysik als das echte Luthertum auftreten.« 3
Anton Schindling, Die Universität Gießen als Typus einer Hochschulgründung, in: Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte. Hrsg. von Peter Moraw und Volker Press. Marburg 1982, 83-113, hier: 106.
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für Wittenberg.4 Deutlich wird dies an der Ausgestaltung der philosophischen Fakultät: Beide Universitäten haben um 1606/7 jeweils acht ordentliche Lehrstühle für Rhetorik, Logik bzw. Dialektik (einschließlich Metaphysik), Ethik (einschließlich Politik und Hauswirtschaft), Physik (einschließlich De Anima), Mathematik, Poetik (einschließlich Geschichte), Griechisch und Hebräisch.5 Aus der von Kurfürst Christian II. erlassenen Universitätsordnung für Wittenberg vom 6.5.1606 sowie aus den Statuten der 1625 nach Marburg verlegten Gießener Universität, die 1629 erlassen, 1650 bei der Zurückverlegung der Universität nach Gießen übernommen wurden und bis 1879 in Kraft waren, wird diese humanistisch-philosophische Tradition deutlich: Danach wurden im Rahmen des Poetik-Unterrichts Vergil, Ovid, Horaz, Juvenal, Plautus etc. und im Rahmen des Griechisch-Unterrichts Homer, Hesiod, Thukydides, Pindar, Euripides, Sophokles etc. gelesen.6 Zu 2. In den eigentlichen philosophischen Disziplinen war Aristoteles die unbestrittene Grundlage des Unterrichts. Dies lag in seiner im Vergleich zu den übrigen Schulen »vollkommeneren Weise des Philosophierens»7 begründet, wie der Jenenser Johann Gerhard (1582-1637) in seiner Schrift Methodus Studii Theologici von 1620 betonte, einer ratio philosophandi, die sich durch eine kluge Methodik, durch ein Abzielen auf das Allgemeine sowie die Benennung von Gründen auszeichnet, wie einer Anmerkung des Calvinisten Bartholomäus Keckermann (1572/3-1609) entnommen werden kann: »Und dieses ist bewundernswert an den aristotelischen Schriften, daß sie die wesentlichen und nächsten Ursachen der Dinge so genau untersuchen und erklären, daß die Alten mit Recht gesagt haben, das Ingenium des Aristoteles habe im Vergleich mit allen anderen Ingenien diese drei Dinge besessen: Es ist sehr methodisch gewesen; es war dem Allgemeinen verpflichtet, hing nicht dem Individuellen und Einzelnen an; und schließlich war es den Ursachen verpflichtet, war nicht zufrieden mit der Erklärung der nackten Wirkungen und Kräfte, sondern erhob sich zur Betrachtung der Ursachen selbst, woraus die Dinge entspringen und wodurch sie sicher erkannt werden.«8
4
Vgl. Heinz Kathe, Die Wittenberger Philosophische Fakultät, 163-263.
5
Vgl. Urkundenbuch der Universität Wittenberg. Teil 1 (1502-1611). Teil 2 (1611-1813). Bearbeitet von Walter Friedensburg. Magdeburg 1926/7, hier: Teil 1, Universitätsordnung vom 6.5.1606, 641-710, hier: 671-674: »Caput 12. Von der philosophischen facultet, ihren lectionibus und andern nützlichen exercitiis.« Wilhelm Martin Becker, Das erste halbe Jahrhundert der hessendarmstädtischen Landesuniversität, in: Die Universität Gießen von 1607-1907. Beiträge zu ihrer Geschichte. Festschrift zur dritten Jahrhundertfeier herausgegeben von der Universität Gießen. Erster Band. Gießen 1907, 137. 6 Vgl. Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 672-674. Statuta Academiae Marpurgensis deinde Gissensis de anno 1629. Die Statuten des Hessen-Darmstädtischen Landesuniversität Marburg 1629-1650 / Gießen 1650-1879. Hrsg. von Hans Georg Gundel. Marburg 1982, 154-166. 7 Johann Gerhard, Methodus Studii Theologici. Publicis prælectionibus in Academia Jenensi Anno 1617 exposita. Jena 1620, s. II, c. II, 132: »Philosophiam Aristotelicam præferendam esse reliquis, tum propter perfectiorem philosophandi rationem …« 8 Bartholomäus Keckermann, Præcognitorum Philosophicorum libri duo: Naturam Philosophiæ explicantes, et rationem eius tum docendæ, tum discendæ monstrantes, in: Ders., Opera omnia. To-
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Aus diesen Gründen war Aristoteles auch für die lutherische und calvinistische Schulphilosophie der Philosoph schlechthin, wie die gängigen Auszeichnungen als »Haupt der Philosophen«9 bei Abraham Calov (1612-1686)10 und »Erster der Philosophen«11 bei Clemens Timpler (1563/4-1624)12 belegen. Niemals wäre es dabei jedoch einem Peripatetiker in den Sinn gekommen, der bloßen Autorität des Aristoteles zu folgen, wenn nicht seine Philosophie der Vernunft gemäß gewesen wäre. Sie allein war Maßstab des Philosophierens, wie bereits Zabarella deutlich gemacht hat13, denn »nichts ziemt dem Philosophen mehr als die Liebe zur Wahrheit und die maßvolle Freiheit des Urteilens, und nichts ist unangemessener, wie Scaliger bezeugt, als den Geist als Herr _________________________________________________________________________________________________________
mus Primus. Complectens Præcognita Philosophiæ, Gymnasia, variaque Systema Logica, Systema Physicum, Astronomicum, Geographicum, Metaphysicæ Compendium, aliaque lectu dignissima. Genf 1614, hier: lib. II, c. IV, 58. »Est hoc mirabile in Aristotelis scriptis, quod rerum essentiales & proximas caussas tam accuratè perscrutentur & explicent, ut merito veteres dixerint, Aristotelis ingenium præ reliquis omnibus ingeniis hæc tria habuisse: quod fuerit maximè meqodiko/n: 2. quod fuerit filokaqo/lou, hoc est, amans universalium, non hærens circa Individua & singularia; & denique filai/tion amans caussarum, non contentum declaratione nudorum effectuum, & virtutum, sed elevans sese ad considerationem ipsarum caussarum, unde res proficiscuntur, & per quas solidè cognoscuntur.« Ebenso Clemens Timpler, Exercitationum Philosophicarum Sectiones X. In quibus quæstiones selectæ et utiles, præsertim Metaphysicæ, ultra quadringentas, accurate & dilucide discutiuntur & enodantur. Hanau 1618, hier: s. II, q. XXVI, 77f. 9 Abraham Calov, Scripta Philosophica. I. Gnostologia. II. Noologia, seu habitus intelligentiæ. III. Metaphysicæ divinæ pars generalis. IV. Metaphysicæ divinæ pars specialis … Wittenberg 21673, hier: Metaphysicæ divinæ pars generalis (Rostock 11636). Præfatio ad lectorem, 88: »Aristoteles philosophorum princeps …« 10
Zu Calov vgl. Kenneth G. Appold, Abraham Calov’s Doctrine of »Vocatio« in its Systematic Context. Tübingen 1998. Volker Junk, Das Ganze der Heiligen Schrift. Hermeneutik und Schriftauslegung bei Abraham Calov. Suttgart 1999. Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 572 und 575-578. 11 Clemens Timpler, Philosophiæ practicæ systema methodicum in tres partes digestum. Hanau 1608, Epistola Dedicatoria, 2v: »… Aristotelis Philosophorum Coryphæi …« 12
Timpler wurde 1563 oder 1564 in Stolpen (Sachsen) geboren. Er studierte von 1582-87 am calvinistischen Gymnasium illustre Anhaldinum in Zerbst (Anhalt), erwarb den Magisterabschluß 1589 in Leipzig. 1592 verließ er die Stadt, weil er die lutherische Konkordienformel von 1577 nicht unterzeichnen wollte, und ging nach Heidelberg, wo er an öffentlichen Disputationen als Respondent und Präses teilnahm, privat Philosophie unterrichtete und Theologie studierte. Keckermann war dort einer seiner Schüler. 1595 übernahm Timpler die Physik-Professur am Gymnasium illustre Arnoldinum in Steinfurt. Von 1600 bis zu seinem Tod am 28.2.1624 hatte er dort den Lehrstuhl für Philosophie inne. In dieser Zeit verfaßte er seine zahlreichen Schriften zu vielen Disziplinen der Philosophie. Von besonderer Bedeutung war hierbei seine Schrift Metaphysicæ systema methodicum von 1604 (vgl. 4.2.2.2.). Zu Timplers Leben und Werk siehe ausführlich Joseph S. Freedman, European Academic Philosophy in the Late Sixteenth and Early Seventeenth Centuries. The Life, Significance, and Philosophy of Clemens Timpler (1563/4-1624). Hildesheim 1988. Vgl. ferner Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 415f. und 418-23. 13 Vgl. Zabarella, Oratio in exordio lectionis Philosophiae, 290: »Nunquam etiam sola Aristotelis authoritate ad aliquid comprobandum contentus ero, sed rationem semper adhibebo; hoc enim vere ingenium ac philosophicum est et hac quoque ratione videbor Aristotelem imitari, quippe qui nihil unquam sine ratione pronuntiasse videtur.«
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aller Dinge zu einem Knecht fremder Meinungen zu machen und die Autorität anderer mehr zu schätzen als die Wahrheit«14, so Timpler. Daß Aristoteles als caput philosophorum bezeichnet wurde, bedeutete also nicht, ihm blind zu folgen. Zu 3. Die Neubewertung der aristotelischen Philosophie durch die Lutheraner und Calvinisten wurde durch die Rezeption der katholischen Renaissance-Aristoteliker entscheidend befördert. Auf die große Bedeutung der Italiener in diesem Zusammenhang hat bereits Weber aufmerksam gemacht, der Zabarella zu Recht den »eigentliche(n) Repräsentant(en) des italienischen Einflusses«15 nannte. So lobte Gerhard ihn wegen seiner perspicuitas16, und Keckermann nannte ihn das »Licht und den Glanz Italiens«17. Dieses Lob galt auch für die Naturphilosophie im allgemeinen und für die Psychologie im besonderen, wie die Auszeichnungen als »Koryphäe«18 durch den Wittenberger Jacob Martini (1570-1649)19 bzw. als »unsere Autorität«20 durch Sigismund Evenius 14
Timpler, Philosophiæ practicæ systema methodicum. Epistola dedicatoria, 2v: »Verum cum nihil magis deceat Philosophum, quàm amor veritatis, & moderata iudicandi libertas: nihilque iniquius sit, teste Scaligero, quàm rerum omnium dominatorem intellectum humanum facere servum alienarum opinionum; plusque auctoritati aliorum, quàm veritati tribuere.« 15 Hans Emil Weber, Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus im Zeitalter der Orthodoxie. Leipzig 1907, 18. 16
Vgl. Gerhard, Methodus studii theologici, s. II, c. III, 136: »Ex Interpretibus Zabarella propter perspicuitatem ... legendus.« 17
Vgl. Keckermann, Præcognitorum Logicorum tractatus tres, hier: tr. II, c. IV, in: ders., Opera omnia. Tomus primus, 125: »… ab illo lumine & ornamento Italiæ Iacobo Zabarella …« A. a. O., c. V, 131f.: »Eodem anno [sc. 1578], Iacob. Zabarella Philosophus Patavinus, primum edidit libros Logicos, ob raram in Italo perspicuitatem, amœnam copiam, & dispositissimum ordinem suscipiendos. In his eminent illi quatuor de Methodis, quibus lumen omnis Methodi, ut & Demonstrationis, imò præcipuarum doctrinarum Logicarum maximum in Germania accendit, sic ut verè dicere possimus, unico Zabarellæ deberi, quod germani hodie Italis in doctrina Aristotelis Logica nihil velint concedere.« 18
Martini, Theorematum physicorum exercitatio prima. De Definitione, subiecto et divisione physices. Wittenberg 1604, A3v: »… xo/rhfhoj Zabarella …« 19 Martini gilt als der »führende Wittenberger Logiker und Metaphysiker im frühen 17. Jahrhundert« (Walter Sparn, Die Schulphilosophie in den lutherischen Territorien, in: Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 475-587, hier: 502). Er wurde am 16.10.1570 im Stift Halberstadt zu Langenstein geboren. Seine Schulausbildung erhielt er dort und in Aschersleben. 1590 wechselte er auf die Universität Helmstedt, wo er »dem Herrn Theologo Doctori Hoffmanno recommendiret« (Johannes Scharf, Militia Christiana, Geistlicher Christlicher Streit oder hochberue hmter GlaubensKampff … Bey sehransehnlicher Volckreicher und Christlicher Leichbegae ngnue ß des hochEhrwue rdigen / GroßAchtbaren und Hochgelarten Herrn / Jacobi Martini … Wittenberg 1650, 109). Vgl. hierzu die näheren Ausführungen weiter unten. 1593 ging Martini nach Wittenberg, wo er im selben Jahr den Magistergrad erwarb. Anschließend unterrichtete er dort an der philosophischen Fakultät. 1597 wurde er zum Rektor des Gymnasiums in Norden berufen. Dort ereilte ihn wenig später der Ruf an den Hof des Grafen Etzard als Prediger. Hier kam es zu einer ersten Disputation mit den Jesuiten. Später wurde er vom Grafen Johannes beauftragt, ein Interim und Consensus zwischen der calvinistischen und lutherischen Religion zustande zu bringen. Weil er sich weigerte, dies in der geforderten Form umzusetzen, mußte Martini unter abenteuerlichen Umständen fliehen. Er gelangte nach Hamburg, anschließend nach Hildesheim, wo er zusammen mit Polycarp Leyser (1552-1610) erneut mit den Jesuiten disputierte. Hier erreichte ihn
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Die aristotelische Psychologie im Luthertum
(1585/9-1639)21 anzeigen. Daneben gab es aber den nicht zu unterschätzenden Einfluß der Jesuiten. So wurden in der Metaphysik Fonseca22 und Suárez23 bestimmend24, in der _________________________________________________________________________________________________________
1602 der Ruf auf die Professur der Logik in Wittenberg. Dort hat er »auch die Metaphysicam zu erst bey dieser Universitae t auf- und im Schwang gebracht« (Scharf, Militia Christiana, 112). Der früheste Beleg hierfür sind die 1604 in Wittenberg veröffentlichten Theorematum Metaphysicorum Exercitationes Quatuordecim, die auf Disputationen aus dem Jahre 1603 zurückgehen. 1604 hielt er eine Disputationsreihe über die Physik, die im gleichen Jahr unter dem Titel Theorematum physicorum generalium exercitationum decem in Wittenberg veröffentlicht worden ist. 1606 disputierte er ferner über die Psychologie (vgl. hierzu Anm. 49). In den folgenden Jahren folgten zahlreiche weitere Schriften zur Logik und Metaphysik. 1618 erschien sein Vernunfftspiegel, eine der ersten philosophischen Abhandlungen auf Deutsch, in der er gegen die ‘enthusiastischen Vernunftstürmer’ Andreas Cramer, Wenzeslaus Schilling und Johann Angelius von Werdenhagen aus Magdeburg ankämpfte, welche die Philosophie als eine heidnische Angelegenheit von den Universitäten verbannen wollten. 1623 wurde Martini zum Professor der Theologie ernannt und nahm den gradus Doctoris Theologiæ an. 1627 wurde er nach dem Tod Balthasar Meisners Präpositor der Schloßkirche. Er war wiederholt Dekan der philosophischen und der theologischen Fakultät wie auch Rektor der Universität. Er starb am 30.5.1649 im hohen Alter von 79 Jahren. – Ein umfangreiches Werkverzeichnis findet sich in: Henning Witte, Memoriæ Theologorum nostri seculi clarissimorum renovatæ decas sexta. Frankfurt 1675, 714-727. 20 Sigismund Evenius, ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam constitutione doctrina (vollständiger Titel vgl. Anm. 1), hier: Disputationum Anthropologicarum UNDECIMA. De anima in genere. Wittenberg 1613, A3r: »… Zabarella nos autoritas …« 21
Evenius ist heutigentags nur noch als ein »Pädagoge des 17. Jahrhunderts« bekannt (Ludolf Bremer, Sigismund Evenius (1585/89-1639). Ein Pädagoge des 17. Jahrhunderts. Köln u.a. 2001). Er wurde 1585 oder 1589 in Nauen in der Mark Brandenburg geboren. Seine Schulbildung erhielt er wohl in Berlin-Spandau. Am 23.4.1602 immatrikulierte er sich in Wittenberg an der philosophischen Fakultät, wo er von Martini unterrichtet wurde. Daneben hörte er theologische Vorlesungen bei Salomon Geßner (1559-1605), Leonhard Hutter (1563-1616) und Friedrich Balduin (1575-1627). 1608 erwarb er den Magistergrad und unterrichtete nachfolgend Logik und Mathematik. 1611 wurde er Adjunkt der philosophischen Fakultät. In dieser Eigenschaft disputierte er 1612 zunächst privatim über die Ethik (im selben Jahr in Wittenberg veröffentlicht unter dem Titel HQIKH seu Doctrina de moribus universa) und anschließend von 1612-13 über die Anthropologie (vgl. Anm 1). 1613 wurde Evenius zum Rektor des Gymnasiums in Halle an der Saale berufen, welche Funktion er bis 1621 innehatte. In dieser Eigenschaft lernte er 1618 Wolfgang Ratke (1571-1635) kennen, der zu dieser Zeit mit seinen neuartigen pädagogischen Überlegungen die Debatten an den Schulen und Universitäten bestimmte (vgl. hierzu ausführlich Ludolf Bremer, Evenius, 13-65). Evenius wurde im Dezember 1621 zum Rektor des Gymnasiums in Magdeburg berufen. In den folgenden Jahren erlitt diese Stadt großes Unheil: 1625 fiel ein Viertel der Stadtbevölkerung der Pest zum Opfer. Im März 1629 kam es im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges zu einer ersten Belagerung der Stadt durch die kaiserlichen Truppen unter Wallenstein. Da sich die Stadt standhaft weigerte, die Truppen aufzunehmen, vielmehr ein Bündnis mit Gustav Adolf schloß, wurde sie im Winter 1630/1 unter Tilly belagert und schließlich im April 1631 erorbert. Von den ehemals 30 000 Einwohnern überlebten nur 5 000 dieses Inferno. Evenius gelang es, sich und seine Familie unter Aufgabe seines gesamten Besitzes freizukaufen. Er flüchtete nach Wittenberg, wo er von Martini aufgenommen wurde. Schließlich gelangte er über Halberstadt und Regensburg 1634 nach Weimar, wo er bis zu seinem Tod durch die Pest am 17.9.1639 Schul- und Kirchenrat bei Herzog August dem Frommen war. 22 Vgl. Pedro Fonseca, Commentariorum in libros Metaphysicorum Aristotelis Stagiritæ tomi quatuor. Köln 1615 (11577). Nachdruck Hildesheim 1964.
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Logik und Naturphilosophie Toletus und die Conimbricenser. Daneben wurden aber auch die antiken Autoren Alexander und Simplicius sowie die Araber Avicenna und Averroes, ja selbst die Scholastiker Albertus, Thomas, Scotus und Javelli ausgiebig rezipiert. Von den neueren Autoren standen Pomponazzi, Portio und Scaliger im Mittelpunkt.25 Dies führte auf lutherischer Seite zu der ungewöhnlichen Situation, daß die Werke der Katholikern und Calvinisten einerseits zur Lektüre empfohlen wurden26, sie andererseits aber als Grundlage für die interkonfessionelle Auseinandersetzung dienten, wie der nachfolgende Punkt verdeutlicht. Zu 4. Neben der unter Punkt 2 genannten perfectior ratio philosophandi Aristotelica gab es noch einen weiteren Grund für die Rezeption dieser Philosophie: die theologischen Auseinandersetzungen mit den Jesuiten und den Calvinisten. Dies beweist eine Äußerung von Gerhard, wonach »die aristotelische Philosophie vor den übrigen [Philosophien] zu bevorzugen ist … aufgrund der Gegner, mit denen der Theologe in die Arena hinabsteigen muß, denn viele von ihnen verwenden die aristotelische Philosophie, sooft sie diese auch mißbrauchen.«27 Auch der Calvinist Georg Hornius verwies in seiner Schrift Historiæ philosophicæ libri septem von 1654 explizit auf die Jesuiten als Grund für die Rezeption der aristotelischen Schriften: »… viele Orthodoxe erforschen die aristotelische Philosophie nur aus dem Grund, weil sie glauben, daß sie ohne diese mit den Jesuiten nicht angemessen disputieren können.«28 Die Verwendung der aristotelischen Begrifflichkeit bei den kontroverstheologischen Gesprächen seitens der _________________________________________________________________________________________________________ 23 Vgl. Francisco Suárez, Metaphysicarum Disputationum, in quibus et universa naturalis theologia ordinate traditur, et quæstiones omnes ad duodecim Aristotelis libros pertinentes accurate disputantur, tomus prior … Tomus Posterior … Salamanca 1597. 24
Vgl. hierzu ausführlich Ernst Lewalter, Metaphysik, 24ff.
25
Vgl. folgendes Beispiel von Martini, das die Fülle der rezipierten Autoren durch die Jahrhunderte hindurch belegt: »Pertinet autem hæc consideratio ad Physicam, & eius pars est: Anima enim est h( a)rxh\ tw=n zw/wn lib. 1. De anima. cap. 1. [402a6f.] Ergo sub definitione naturæ lib. 2. Phys. Text. 3. traditâ, comprehenditur. Zabar. de nat. cap. 4. Perer. lib. 7. phys. cap. II. Licet dissentiant, Simpl. lib. 2. phys. cap. I. t. 1. & 3. Alb. ibidem tract. 1. cap. 2. & alii. Ergo & subiectum Philosophiæ naturalis, quod certissimè corpus naturale statuitur (ex mente Philosophi lib. d Meta. cap. 1. Albert. in init. Phys. cap. 3. Zabar. de Const. Phys. cap. 2. Licet & hîc dissentiant Thom. in proœ. Phys. Iavel. 1. Phys. q. 1. Dd. Conimbr. in proœm. physico, q. 4. Savonar. in Epit. Phys. lib. 7. concl. 7. Tol. in prol. phys. Scotus & Scotistæ) suis limitibus animum eiusque facultates includit. Videatur Zabar. lib. de Constitut. Phy. nat. cap. 32. Tol. lib. 1. de an. in proœ. q. 4. Dd. Conimb. lib. 1. de an. in proœm.« (Exercitationum nobilium Peri\ th=j yuxh=j prima. De anima in genere. Wittenberg 1606, A3v) 26
Dieser Sachverhalt ist bereits in der Einleitung (vgl. 1.1.) an Calovs Leseliste zur Naturphilosophie deutlich geworden und gilt auch für alle anderen philosophischen Disziplinen, wie dessen Werk Isagoges ad SS. Theologiam hinreichend belegt. 27
Gerhard, Methodus studii theologici, s. II, c. II, 132 (Fortsetzung von Anm. 7): »… tum propter adversarios, cum quibus theologo in arenam descendendum, illorum enim plerique philosophia Aristotelica utuntur, quandoque etiam abutuntur.« 28
Georg Hornius, Historiæ philosophicæ libri septem. Leiden 1654, 315: »… multi orthodoxi non alia de causa philosophiam Aristotelicam rimentur, quam quod absque ea non posse cum Jesuitis recte disputari videant.« Zitiert nach Ernst Lewalter, Metaphysik, 9, Anm. 2.
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Jesuiten zwang demnach die Lutheraner und Calvinisten, sich ebenfalls dieser Philosophie zu bedienen. Dies führte zu der gewichtigen Frage nach der grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie. Sparn hat drei Voraussetzungen benannt, mit denen dieses Verhältnis bei den Lutheranern programmatisch geklärt worden ist: I. Mit der »Verwendung eines abstrakten Philosophiebegriffs«29, nämlich mit der Unterscheidung zwischen einer Philosophia in abstracto bzw. ratione essentiæ (=idealis) und einer Philosophia in concreto bzw. ratione existentiæ (=realis), wie sie erstmals vom Wittenberger Balthasar Meisner (1587-1626) im ersten Band seiner bekannten Philosophia sobria von 1611 konzeptionell ausgeführt worden ist30, konnten die tatsächlichen Widersprüche zwischen Philosophie und Theologie der Philosophia in concreto, d. h. dem Philosophen selbst, seinem Irrtum oder Überwollen, zugerechnet werden. Die exorbitante These von der doppelten Wahrheit, wie sie der Helmstedter Daniel Hoffmann (1538-1621) unter Berufung auf Luthers Disputation An hæc propositio sit vera in Philosophia: Verbum caro factum est von 153931 vertreten hat32, konnte daher mit der o. g. Ausdifferenzierung insoweit widerlegt werden, als ein Widerspruch von Philosophie und Theologie nur realiter aufgrund eines Irrtums des Philosophen, nicht aber formaliter aufgrund einer wesentlichen Differenz zwischen beiden Disziplinen möglich ist, denn das Wahre stimmt gemäß EN I 8, 1098b11f. immer mit dem Wahren überein, wie Calov betonte.33 29
Walter Sparn, Metaphysik, 14.
30
Vgl. Balthasar Meisner, Philosophia Sobria; Hoc est: Pia consideratio quæstionum philosophicarum in controversiis Theologicis, quas Calviniani moverunt Orthodoxis, subinde occurentium. Wittenberg 1614 (11611), hier: sect. IV, c. II, q. III, 642f. »Distinguendum esse reor, inter Philosophiam ratione ou)si/aj, & inter Philosophiam ratione u(pa/rcewj consideratam. Ratione essentiæ consideratur, quando sumitur prout in se est, vel esse de jure debet. Ratione existentiæ, quando accipitur, non qualis esse debebat de jure, sed qualis de facto esse solet, quin etiam in hac imbecillitate naturæ humanæ esse potest.« Dieses Konzept wurde von Martini (vgl. Vernunfftspiegel. Wittenberg 1614, 738) und Calov (vgl. Systema locorum theologicorum. Tomus primus generalis. De Natura Theologiæ, Religione, Revelatione divina, Scriptura S. & Articulis fidei in genere. Wittenberg 1655, c. I, q. XIV, 74) übernommen. 31 Vgl. WA 39 II, 3-33, hier: 3, th. 4: »Sorbona, mater errorum, pessime definivit, idem esse verum in philosophia et theologia.« Zur Interpretation vgl. Bengt Hägglund, Theologie und Philosophie bei Luther und in der occamistischen Tradition. Luthers Stellung zur Theorie von der doppelten Wahrheit. Lund 1955. 32
Vgl. hierzu Walter Sparn, Doppelte Wahrheit? Erinnerungen zur theologischen Struktur des Problems der Einheit des Denkens, in: Zugang zur Theologie. Hrsg. Friedrich Mildenberger u.a. Göttingen 1979, 53-78, hier: 59ff. Markus Friedrich, Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits und seiner Wirkungen auf das Luthertum um 1600. Göttingen 2004, hier: 253ff. 33
Vgl. Calov, Systema locorum theologicorum I, 68f. Für Meisner ist damit das Problem der doppelten Wahrheit noch nicht in seiner ganzen Tiefe erfaßt, denn die Philosophia in abstracto ist seiner Ansicht nach im Hier und Jetzt nicht realisierbar. Daher können nicht alle Fehler und Irrtümer der Philosophia in concreto dem Philosophen zugeschrieben werden; vielmehr gibt es eine »bleibende
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II. Mit dem »vorweggenommene(n) Ausgleich zwischen der Freiheit der Philosophie von fremder Autorität und ihrer Unterordnung unter die Theologie und ihren Autoritätsanspruch«34 wurde die Philosophie erneut in ihre alte scholastische Funktion als ancilla theologiæ eingesetzt.35 Dies setzte die Klärung der Frage nach dem usus & abusus Philosophiæ in Theologia voraus.36 Dabei war zwischen Calvinisten und Lutheranern weder das ‘Ob’ noch die formale Angabe des usus triplex philosophiæ (usus organicus zur Erklärung der Begriffe, usus kataskeuastiko/j zur Festigung der eigenen Position und usus a)naskeuastiko/j zur Widerlegung des Gegners in kontroverstheologischen Fragen37) umstritten, sondern allein das ‘Was’ dieser Verwendung bzw. das ‘Wie’ ihrer Beschränkung. Die Prüfung dieses legitimierten Gebrauchs in der praktischen Arbeit hatte freilich zum Ergebnis, daß die Lutheraner den Calvinisten und Katholiken mit dem Vorwurf des abusus Philosophiæ in Theologia die theologische und philosophische Kompetenz bestritten.38 _________________________________________________________________________________________________________
Differenz« (Walter Sparn, Metaphysik, 169) zwischen Philosophie und Theologie. Vgl. hierzu ausführlich Meisner, Philosophia Sobria I, sect. IV, c. II, q. III, 641-654. 34
Walter Sparn, Metaphysik, 15.
35
Vgl. Jacob Werenberg, Metaphysicæ disputationibus XX. Comprehensa, & in Academia Witebergensi privatim proposita. Wittenberg 1609, Præfatio, A 3v: »… ita dum Theologia libera est, Philosophia captiva tenetur: Theologia domina est, Philosophia famula, rectè dicere possumus: Theologia Philosophiæ gloria est: Philosophia Theologiæ ornamentum.« Ebenso Meisner, Philosophia Sobria I, 27: »Secundus modus in Theologiam, hoc est, accuratam articulorum fidei notitiam, est injurius, dum Philosophiæ, quæ ministrare debebat, dominium in ipsam sublimissimam sapientiam Theologicam conceditur, quod fit, quando de controversiis Theologicis secundum rationis nostræ dictamen judicare volumus. Debebat Philosophia non instar hæræ dominari, sed instar pedisequæ ancillari Theologiæ …« 36
Vgl. a. a. O., 6: »Quæstio generalis. An & quis sit Philosophiæ in Theologia usus?«
37
Die Terminologie ist von Gerhard eingeführt worden: »Triplex est Philosophiæ in Theologia usus o))rganiko\j, kataskeuastiko/j, a)naskeuastiko/j.« (Methodus studii theologici, s. II, c. I, 93) Zur Erklärung vgl. a. a. O., 92-107. Vgl. hierzu auch Richard Schröder, Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik. Tübingen 1983, 26ff. Meisner hat noch genauer einen fünffachen usus Philosophiæ in Theologia benannt (vgl. Philosophia Sobria I, 13-22): Sie dient 1. hinsichtlich des subjectum cognoscens zur Schärfung der Geisteskraft und 2. hinsichtlich des objectum cognoscendi a. zur Erklärung philosophischer Termini, b. zum Verständnis der quæstiones & conclusiones mixtæ (didaskali/a), c. zur Widerlegung der Gegner (e)/legxoj) und d. zur genauen Interpretation der Hl. Schrift (e)ch/ghsij). Für die Calvinisten vgl. Keckermann, Præcognitorum Philosophicorum libri duo, lib. I, c. IV, 35-41. 38
Vgl. hierzu neben Meisners Philosophia Sobria auch Caspar Fincks Schediasmatum, sive controversiarum Theologicarum et Philosophicarum, Logicarum, Rhetoricarum, Grammaticarum, Poëticarum, Physicarum & Ethicarum pars prima (Gießen 1608). Meisner und der Gießener Finck (15781631) setzten sich in diesen kontroversphilosophischen Schriften mit den entgegenstehenden Ansichten insbesondere von Rudolph Goclenius d. Ä. (1547-1628), Keckermann und Timpler auseinander, um die philosophischen, aber auch theologischen Differenzen zwischen den Lutheranern und Calvinisten aufzuzeigen. Meisner stellte hierbei eine erstaunliche Affinität der Reformierten mit den Katholiken fest, die in der Bezeichnung von Timpler als »Papizans« (Philosophia Sobria I, sec. III, c. VI, q. IV, 579) gipfelte.
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Die aristotelische Psychologie im Luthertum
III. Mit der »prinzipielle(n) Trennung der theologischen und der philosophischen Sphäre«39, so Sparn, setzte man das von Aristoteles genannte Metabasis-Verbot (vgl. An. post. I 7, 75a38-75b20) in die Praxis um. Jede Disziplin verfügt über einen bestimmten modus considerandi, eine spezifische res considerata sowie über ihr eigentümliche Prinzipien, so daß es nicht statthaft ist, einen Überstieg von einer Gattung in eine andere (meta/basij ei)j a)/llo ge/noj) durchzuführen. Dieses Metabasis-Verbot wurde von den Lutheranern als Maß der Beurteilung der katholischen und calvinistischen Theologie und Philosophie verwendet. Ihr Ergebnis war der bekannte Vorwurf einer »micofilosofoqeologi/a«40, da nach ihrer Ansicht die Katholiken und Calvinisten die Differenzen von Theologie und Philosophie nicht beachtet, vielmehr philosophische Termini und Theoremata auf die res sacræ appliziert hätten. Denn von der Philosophie aus die Glaubensdinge erkennen zu wollen, bedeute gemäß Chrysostomus nichts anderes, als ein heißes Eisen nicht mit der Zange, sondern mit den Fingern anzufassen. Zu 5. Die Rezeption der Renaissance-Aristoteliker hatte zur Folge, daß Melanchthons Lehrschriften »das philosophische Interesse je länger desto weniger befriedigen (konnten).« Denn hierfür waren sie, wie Weber richtig feststellt, »zu humanistisch«41 und damit zu wenig philosophisch. Gerade die Konfrontation mit den Werken der katholischen Renaissance-Aristoteliker mit ihrer hochgestochenen Begrifflichkeit ließ die Lutheraner (und Calvinisten) erkennen, daß Melanchthons Schriften ungeeignet waren, den originären sensus Aristotelis zu ermitteln. Zu dieser Erkenntnis brauchte es aber zumindest in Wittenberg einige Zeit. Denn noch 1603 erkundigte sich das dortige collegium philosophicum in einer Stellungnahme zu einem früheren Entwurf der Universitätsordnung, ob Melanchthons philosophische Schriften »nicht neben anderen compendiis alhier«42 erhalten werden könnten. Zur Begründung verwies man darauf, daß die Studenten so auf leichte Weise an die Philosophie herangeführt werden könnten. Dies gelte nicht nur für die Logik, sondern auch für die Physik, »sonderlich belangende die doctrinam de anima vel homine, weil Aristoteles dieselbe nirgentz ganz und zusammen tractieret hat, die jugent aber vor allen anderen partibus physices diese wissen soll und mit vleiß zu hören pfleget, als bittet collegium philosophicum ihre churf. g. wolle noch wie zuvor gnedichst vergonnen, daz Philippi libellus de anima publice auch gelesen werde, damit nicht die auditores a publicis ad privatos praeceptores sich zu wenden uhrsach haben, welches dan ihnen gewunscht sein, den publicis laboribus aber zu merklichem nachtheil gereichen wurde.«43 39
Walter Sparn, Metaphysik, 15.
40
Gerhard, Methodus studii theologici, s. II, c. II, 132. – Ein Begriff, den die Calvinisten ironischerweise auch auf die Katholiken anwandten: »… scientia illa artificiosa seu potius confusa illa micofilosofoqeologi/a, quam Theologiæ Scholasticæ nomine venditant.« (Johann Heidegger, Corpus theologiæ christianæ, 18. Zitiert nach Paul Althaus, Die Prinzipien der deutschen reformierten Dogmatik. Leipzig 1914 (Nachdruck Darmstadt 1967), 13) 41
Emil Weber, Scholastik, 14.
42
Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 628.
43
A. a. O., 629.
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Es überrascht nun, daß man dieser Bitte der philosophischen Fakultät von Seiten des Kurfürsten nicht gefolgt ist. Ausdrücklich heißt es in der Universitätsordnung von 1606 zur Physik: »Der sechste professor soll physicam profitiern. und da wöllen wir abermals, daß solches ex fontibus geschehe. darumb so soll dieser professor … die libros Aristotelis physicos, als de auscultatione et motu, de coelo et de mundo, de ortu et interitu, de meteoris, de anima und die Parva naturalia lesen … will er aber etwas von compendiis publicis lesen, so mag er das compendium M. Georgi Libleri, welches ganz und gar auf den Aristotelem gerichtet und aus demselben gezogen, für sich nehmen und der studirenden jugend fein kurz und rund expliciren. die andern compendia wie auch die libros de anima domini Philippi wöllen wir ad scholas privatas remittiert haben.«44
Wie ist es zu erklären, daß der Kurfürst anfangs offensichtlich gegen den Willen der philosophischen Fakultät die Schriften Melanchthons von der Universität verbannt sehen wollte? Friendensburg hielt das kurfürstliche Interesse an einer Lektüre ex fontibus für bloß vorgeschoben und vermutete einen dahinterstehenden Einfluß der orthodoxen Theologen: »Daß aber hier [sc. bei der Untersagung der Benutzung der Lehrbücher Melanchthons] der Einfluß des siegreichen strengen Luthertums sich geltend machte, kann um so weniger bezweifelt werden, als die orthodoxe Theologie auch ferner die philosophischen Disziplinen überwachte.«45 Diese Vermutung überzeugt jedoch aus zwei Gründen nicht: Zum einen waren viele Theologen in Personalunion auch Philosophen. Wie sollte es folglich möglich sein, daß ein und dieselben Personen als Philosophen den Erhalt, als Theologen aber das Verbot der melanchthonischen Schriften forderten? Zum andern bliebe unverständlich, warum es diesen orthodoxen Theologen nicht gelungen ist, Melanchthons Schrift Loci communes, die für sie doch von erheblich größerer Bedeutung war, von der Universität zu verbannen, wenn sie beim Kurfürsten über einen so großen Einfluß verfügt haben sollten.46 Vielmehr kann man wohl davon aus44
A. a. O., 673. Bei der Schrift des Tübinger Physik-Professors Georg Liebler handelt es sich um die Epitome philosophiae naturalis ex Aristotelis libris excerpta von 1561. 45
Walter Friedensburg, Geschichte, 504.
46
Christian II. hat in derselben Universitätsordnung von 1606 gegen den Willen zumindest einiger orthodoxer Theologen ausdrücklich diese Lektüreverpflichtung beibehalten, wenn auch mit einer für Melanchthon wenig schmeichelhaften Begründung: »Wir sint wol berichtet, wie etliche lieber diß buch [sc. Loci communes] gar hindangesetzt haben wollen, weil unterdessen nicht allein viel feine und rundere bücher in dieser materien ausgegangen weren, sondern auch Philippus in den letsten locis viel geendert hette, das seinen schriften, so zu lebzeiten Lutheri ausgegangen, nicht gemes ist. aber wir lassen uns das nicht irren, sondern wöllen, daß eben darumb diese loci gelesen werden, damit der professor ursach habe der jugend zu weisen, wie Philippus nicht allein seine locos, sondern auch das gemeine symbolum unserer kirchen, die Augspurgische Confession, ohne der churfürsten und stände vorbewusst gefährlich verendert habe.« (Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 654) Wenn man also bereits 1602 »in Wittenberg aufhörte, nach Melanchthons ‘Loci’ zu lesen« (Theodor Mahlmann, Die Bezeichnung Melanchthons als Praeceptor Germaniae auf ihre Herkunft geprüft. Auch ein Beitrag zum Melanchthon-Jahr, in: Melanchthonbild und Melanchthonrezeption, 135-222, hier: 169), so kann dies nicht auf kurfürstliche Anordnung hin geschehen sein, sondern nur aus eigenem Antrieb
292
Die aristotelische Psychologie im Luthertum
gehen, daß für das Verbot der philosophischen Werke Melanchthons philosophische und nicht theologische Gründe den Ausschlag gaben: Das kaum in die Tiefe eindringende Kompendienwissen, das ein echtes Philosophieren verhinderte; die verwirrende Durchmischung von theologischer und philosophischer Begrifflichkeit; die Uneindeutigkeit seiner Lehren sowie die Entstellung des Aristoteles durch Einfügung von platonisch-ciceronianischen und galenischen Elementen, wie dies auch im 2. Kapitel deutlich geworden ist. Daß dies je länger, desto stärker auch den Philosophieprofessoren selbst klar wurde, belegen zwei Tatsachen: Zum einen verschwand Melanchthon im Verlauf des 17. Jh.s aus dem Kanon der Lektüreempfehlungen, der gewiß nicht durch obrigkeitliche Anordnungen bestimmt worden ist. Während ihn z. B. Meisner noch 1614 in seiner Dissertatio de summo bono als einen ersten Einstieg in die Ethik zur Lektüre empfahl47, erwähnte ihn Calov knapp fünfzig Jahre später in diesem Zusammenhang überhaupt nicht mehr.48 Gleiches gilt für die Naturphilosophie (vgl. 1.1.). Man kann vermuten, daß für Calov hierbei die eben genannten philosophischen Gründe eine Rolle spielten. Zum andern belegen die philosophischen Texte selbst den nur noch marginalen Einfluß der Schriften Melanchthons: Weder in der Ethik noch in der Physik oder Psychologie spielten sie noch eine größere Rolle. Entscheidend für die Beförderung dieser Erkenntnis war, wie erwähnt, der wachsende Einfluß des spanischen und italienischen Renaissance-Aristotelismus, dessen Texte im 16./17. Jh. in Deutschland verfügbar wurden. _________________________________________________________________________________________________________
der Theologen. Mahlmann weist in diesem Zusammenhang auch nach, daß die Erzählung, wonach Hutter bei einer öffentlichen Disputation Melanchthons Bild von der Wand gerissen und mit Füßen getreten habe, ins Reich der Legende gehöre (vgl. a. a. O., 164-174). Die Reserviertheit der Orthodoxen gegenüber Melanchthon lag bekanntlich in seinem Abfall von der ursprünglichen Confessio Augustana begründet, die er nach Luthers Tod einer Überarbeitung unterzogen hat. Die Orthodoxen erkannten in dieser neuen Fassung eine zu große Nachgiebigkeit gegenüber den anderen Konfessionen sowie einen Rückfall in den überwunden geglaubten Synergismus (vgl. oben 2.3., Anm. 157). 47
Vgl. Meisner, Dissertatio De summo bono. Cui præmissa sunt præcognita ethica et annexa coronis De virtute. Wittenberg 1614, PROLEGOMENON II. De ETHICA IN SPECIE, q. X, 57: »Huic ergo, ut germano authori, libros istos adscribimus, adeoque Aristotelem tanquam optimum morum magistrum præ aliis eligimus & commendamus. Ut verò quis progressus faciat expeditiores, utile est ante omnia, brevem cognoscere epitomen seu compendium, qualia sunt Philippi, Heilandi, Golii &c. Inde à compendiis ad ipsos fontes deveniendum, & textus Aristotelicus cognoscendus. Tertiò legendi sunt commentatores & interpretes, ut ex veteribus Alexander Aphrodiensis, Eustratius, Averroes, Thomas, Tataretus, Javellus: ex recentioribus Camerarius, Zwingerus, Acciaiolus, Magirus, Casus, quibus adjungendi sunt alii scriptores Ethici, peculiarem ordinem sequentes, ut Danæus, Keckermannus, inprimis verò Piccolomineus.« Bereits für Meisner dienten die Kompendien Melanchthons nur für einen ersten, keineswegs zureichenden Einstieg in die Thematik. 48
Vgl. Calov, Isagoges ad SS. Theologiam. Liber secundus PÆDIA THEOLOGICA, De Methodo Studii Theologici, piè, dextrè, feliciter tractandi, s. II, 116: » Commendantur autem in Philosophia Practicâ generali quantum ad Synopses seu Præcepta, Ethica Horneji, Christiani Matthiæ, Jac. Martini, Golii vel Keckermanni, ut & Compendium Bartholini. Quoad pleniorem pertractionem Conimbrincenses, Piccolomineus, Casus, Disputationes Practicæ Keckermanni, & è priscis Aristotelis Ethicâ, quam resolvit Magirus …«
293
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Die Zeit war über Melanchthon hinweggegangen, ohne daß es noch größerer Debatten bedurft hätte. Für die Psychologie wird dies das vorliegende Kapitel verdeutlichen. Diese grobe Übersicht zum veränderten Philosophiekonzept im Luthertum, läßt im großen und ganzen erahnen, welche Konstellationen in der philosophischen Psychologie zu erwarten sind. Gleichwohl bleibt die Frage, ob das in abstracto formulierte Konzept so auch in concreto umgesetzt worden ist. Dies wird insbesondere im Zusammenhang mit der alles bestimmenden Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele zu ermitteln sein. Folgte man hierbei Portios und Zabarellas These von der Sterblichkeit der anima rationalis gemäß den Prinzipien der aristotelischen Philosophie, oder schloß man sich der Interpretation der Jesuiten an, wonach sie auch secundum Aristotelem unsterblich sei? An der Beantwortung dieser Frage läßt sich das Verhältnis von Philosophie und Theologie in der philosophischen Psychologie der Lutheraner genauer bestimmen. Wie lösten sie die Spannungen zwischen einer durchaus geforderten libertas philosophiæ auf der einen Seite und ihrer Funktion als ancilla Theologiæ? Welcher Einfluß ist hier von den radikalen italienischen Naturphilosophen bzw. den Jesuiten feststellbar? Dieser Themenkomplex soll hier vorrangig im Blick auf die lutherische Schulphilosophie des frühen 17. Jh.s unter Berücksichtigung folgender Schriften bearbeitet werden: Martinis Exercitationes nobiles de anima von 160649, Christoph Scheiblers (15891653)50 Collegium psychologicum von 1608/951 bzw. der überarbeitete Liber de anima von 161452, Evenius’ ANQRWPOLOGIA seu, de hominis secundum corpus et animam 49
Vgl. Jacob Martini, Exercitationes nobiles de anima. Wittenberg 1606.
50
Scheibler ist neben Martini der zweite bedeutende Philosoph der lutherischen Schulphilosophie in den Disziplinen der Logik und Metaphysik. Er wurde am 6.12.1589 in Armsfeld in Waldeck geboren, besuchte zunächst das Pädagogicum in Marburg und begann dort bereits 1603 mit dem Studium der Philosophie. 1606 wechselte er nach Gießen und erwarb dort 1607 bei der ersten Promotion in Gegenwart des Universitätsgründers Landgraf Ludwig V. unter Caspar Finck den Magisterabschluß. Anschließend war er Adjunkt an der philosophischen Fakultät. In dieser Zeit hielt er seine Disputationen über die Psychologie (vgl. die nachfolgende Anm.). 1610 wurde er zum Professor der griechischen Sprache sowie der Logik und Metaphysik ernannt. Daneben versah er auch den Unterricht in der Naturphilosophie. Sein Opus metaphysicum von 1617 (mindestens acht weitere Auflagen bis 1665) brachte ihn den Titel eines ‘protestantischen Suárez’ ein und wurde sogar in Genf und Oxford nachgedruckt. Nachdem 1624 die Universität von Gießen nach Marburg verlegt worden war, nahm Scheibler die Position des Superintendenten und Archigymnasiarch in Dortmund an, wo er weiter Philosophie, aber auch Theologie lehrte und entsprechende Schriften veröffentlichte. Er starb am 10.11.1653. Zu Leben und Werk vgl. ausführlich BBK 9, 56-65 sowie Ueberweg 17. Jh. Bd. 4/1, 535 sowie 538-40. 51 Vgl. Christoph Scheibler, Collegium psychologicum I. de anima in genere, eiusque pimo gradu, anima vegetante; II. de anima sentiente eiusque tribus potentiis, sensitiva, appetitiva et locomotiva; III. de anima rationali eiusque duabus potentiis intellectu et voluntate. Gießen 1608/9. 52 Christoph Scheibler, Liber de anima … in quo tota doctrina animæ, tùm in genere, tùm in specie, quoad singulos ejus gradus, & singulas animæ facultates, succinctè & clarè pertractatur. Editio secunda correctior & auctior. Gießen 1614 (hier verwendete Auflage). Das Werk wurde nochmals 1627 in Marburg und 1654 in Gießen veröffentlicht und war Bestandteil der 1657 in Gießen veröffentlichten Opera philosophica. Ut sunt I. Logica. II. Metaphysica. III. Liber de anima.
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Die aristotelische Psychologie im Luthertum
constitutione doctrina von 161353, Johann Conrad Dannhauers (1603-1666)54 Collegium psychologicum von 162755 und schließlich Martin Leuschners (1589-1641)56 Tetras disciplinarum philosophicarum, hoc est, Logicæ, Physicæ, Ethicæ, et Politicæ von 163357. Daneben wird noch auf den 1597 veröffentlichten De Anima-Kommentar58 des
53
Vgl. Anm. 1.
54
Dannhauer zählt wie viele andere lutherische Theologen der Orthodoxie zu den Vergessenen und Verkannten. Er wurde am 24.3.1603 in Köndringen im Breisgau geboren. Bereits mit sieben Jahren wurde er an die Schule nach Straßburg geschickt, wo er anschließend auch Philosophie studierte. Das Studium beendete er 1621 mit dem Erwerb des Magistergrades. 1622 wurde er aufgrund seiner poetischen Begabungen, die er auch theologisch fruchtbar machte, zum Poeta laureatus gekrönt. 1624 begann er mit dem Studium der Theologie. 1625 begab er sich auf eine mehrjährige peregrinatio studiorum, die ihn nach Marburg zu Balthasar Mentzer (1565-1627) und Johann Winckelmann (1551/2-1626), nach Altdorf zu Georg König (1590-1654) und nach Jena zu Johann Gerhard und Johann Major (1564-1644) führte. In all diesen Städten führte er philologische und philosophische Disputationen durch, u. a. in Altdorf zur Psychologie. 1628 wurde er zum Inspektor des PredigerCollegiums in Straßburg berufen. Dort wurde er 1629 Professor der Rhetorik. In den folgenden Jahren veröffentlichte er seine beiden Schriften zur Hermeneutik (Idea boni interpretis et malitiosi calumniatoris, Straßburg 1630. Hermeiosophia sive Hermeneutica sacra, Straßburg 1654), die ihn zu einem der ersten Vertreter einer allgemeinen Theorie des Auslegens werden ließen (vgl. hierzu Eckhard Kessler, Logica universalis und Hermeneutica universalis, in: La presenza dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità, 133-171, hier: 158ff). 1633 wurde Dannhauer Professor der Theologie, in welcher Eigenschaft er zahlreiche Schriften zur Dogmatik (u. a. seine berühmte ODOSOFIA Christiana seu Theologia positiva in certam, Plenam et Cohærentem Methodum redacta, Straßburg 21666), zur Gewissenskasuistik (vgl. Liber conscientiæ apertus, sive Theologiæ conscientiariæ tomus prior. Straßburg 21679), aber auch polemische und erbauliche Werke verfaßte. 1634 erlangte er den Doktorgrad in der Theologie. In den nachfolgenden Jahren wurden ihm verschiedene kirchliche Funktionen übertragen (Präses des Kirchenkonvents, Dekan des Thomasstifts, Pfarrer am Münster). Er starb am 7.11.1666. Zu Leben und Werk vgl. ausführlich RE 4, 460-4. Freher, Theatrum virorum eruditione clarorum, 664. Zedler 7, 137f. Jöcher 2, 27f. Lohr, 123. 55
Vgl. Johann Conrad Dannhauer, Collegium psychologicum, in quo maxime controversae quaestiones, circa libros tres Aristotelis de anima proponuntur, ventilantur, explicantur. Adornatum olim in Almâ Noricorum Altorfina, nunc veri ita flagitante Studiosorum desiderio, recognitum, actum, & indice rerum ornatum, à mendis purgatum ac quartâ vice editum (Altdorf 11627). Straßburg 41660 (hier verwendete Ausgabe). Weitere Auflagen: Straßburg 1630 und 1643. 56 Von Leuschner ist fast nichts mehr bekannt. Er wurde 1589 in Meissen geboren, 1621 Professor der Rhetorik, später dann Rektor der Philosophie am Gymnasium in Stettin. In dieser Eigenschaft unterrichtete er in den Disziplinen der Logik, Ethik, Politik, Physik und Psychologie, wie die genannte Disputationssammlung belegt. Am 12.10.1637 hielt er die Leichenpredigt auf den Theologen Daniel Cramer. Er starb am 18.1.1641 in Stettin. 57 Vgl. Martin Leuschner, Tetras disciplinarum philosophicarum, hoc est, Logicæ, Physicæ, Ethicæ, et Politicæ; ut et aliæ nonnullæ quæstiones & controversiæ Philosophicæ, ex varijs Disciplinis desumptæ. Stettin 1633. 58 Vgl. Julius Pacius, ARISTOTELOUS PERI YUXHS BIBLIA TRIA. Aristotelis de Anima libri tres, græce et latine, Iul. Pacio à Beriga interprete. Accesserunt eiusdem Pacii in eosdem libros commentarius analyticus … Frankfurt 1596. Weitere Auflagen folgten 1611 in Hanau und 1621 in Frankfurt.
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Zabarella-Schülers Julius Pacius (1550-1635)59 sowie auf Timplers in mehreren Teilen erschienene Schrift Physicæ seu philosophiæ naturalis systema methodicum60 zurückgegriffen. Bereits die Titel dieser Schriften verdeutlichen, daß in der lutherischen Schulphilosophie der im späten Renaissance-Aristotelismus begonnene Übergang von der bloßen Kommentierung der aristotelischen Schrift De Anima61 zur Systematisierung des Verstehens fortgesetzt worden ist. Dabei wurde die Disputation zur vorherrschenden Form des Philosophierens. Die Biographien der Autoren und die Umstände der Durchführung dieser Disputationen zeigen dabei an, daß die Psychologie – obgleich ein Teil der Naturphilosophie – in der Regel nicht vom Lehrstuhlinhaber für Physik, sondern im Wechsel von verschiedenen Gelehrten unterrichtet wurde, die als Professoren (Martini, Scheibler und Leuschner) oder Adjunkten (Evenius und Dannhauer) einen entsprechenden Lehrauftrag erhalten hatten. Daß damit jedoch kein kontinuierlicher Unterricht in dieser Disziplin gewährleistet war, wird aus der Tatsache ersichtlich,
59 Pacius wurde 1550 in Beriga in der Nähe von Vicenza geboren. Er studierte in Padua von 156570 u. a. bei Zabarella Philosophie und anschließend dort bis 1574 Jurisprudenz. Kurze Zeit später konvertierte er zum Calvinismus, floh aus diesem Grunde nach Genf, wo er von 1575-85 Philosophie und Recht lehrte. Anschließend unterrichtete er von 1585-94 in Heidelberg die Jurisprudenz. Weitere Stationen als Professor der Philosophie bzw. des Rechts folgten in Sedan (1595), Nimes (1597-1600), Montpellier (1600-16), Valencia (1616-20), Padua (1620-21) und erneut in Valencia bis zu seinem Tod im Jahre 1635. Ein Großteil seiner philosophischen Werke zur Naturwissenschaft und Logik stammen aus den 90er Jahren des 16. Jh.s: Aristotelis Stagiritæ Peripateticorum Principis Organum. (Morges 11584) Frankfurt 31597 (Nachdruck Hildesheim 1967). Commentarius Analyticus in Porphyrii Isagogen et Aristotelis Organum. Frankfurt 1597 (Nachdruck Hildesheim 1966). Aristotelis de Cœlo lib. IIII; De Ortu & interitu II; Meteorologicorum IIII; De Mundo I. Parva (ut vocant) naturalia græcè & latinè. Frankfurt 1601. 60
Vgl. Timpler, Physicæ seu philosophiæ naturalis systema methodicum, in tres partes digestum. Pars prima; complectens Physicam Generalem. Hanau 1605 (31613). Pars altera Physicæ, complectens Apsychologiam: Hoc est, doctrinam de corporibus naturalibus inanimatis, libris quatuor explicatam. Quorum I. continet Uranologiam. II. Astrologiam. III. Stoecheiologiam. IV. Mixtologiam. Hanau 1609. Pars tertia & postrema Physicæ, complectens Empsychologiam; Hoc est, doctrinam de corporibus naturalibus animatis, libris V. explicatam. Quorum I. continet Empsychologiam generalem; II. Zoologiam generalem; III. Anthropologiam. IV. Therologiam. V. Phytologiam. Hanau 11607 (31622; hier verwendete Auflage). 61
Die Schrift Commentarii in Aristotelis philosophorum principis de Anima, & Parva Naturalia dictos libros (Frankfurt 1605) des Straßburger Mediziners und Philosophen Johann Ludwig Hawenreuter (1548-1618) ist der letzte De Anima-Kommentar eines lutherischen Autors, der den griechischen Originaltext mit einer eigenen Übersetzung bietet. Hawenreuter gab bereits 1597 Zabarellas Opera logica in Deutschland heraus und sorgte so für dessen frühzeitige Rezeption. Vgl. hierzu Sachiko Kusukawa, Mediations of Zabarella in Northern Europe: The Preface of Johann Ludwig Hawenreuter, in: La presenza dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità, 199213. Welche Wertschätzung Zabarella bei Hawenreuter genoß, belegt seine Præfatio zu den Opera logica: »Nec immeritò sanè Zabarellæ opera placent. Quàm breviter enim & perspicuè in tabulis proposuit, quæ prioribus Organi libris traduntur? Quàm copiosè & diligenter enarravit, quæ in pretiosissimo posteriorum Analyticorum volumine ab Aristotele docentur? Quàm accuratè dissolvit ea dubia, quæ ad scientiæ arcem tendentem remorari potuissent?« (Zabarella, Opera logica, Præfatio, 3r)
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daß Scheibler seinen Liber de anima »zur privaten Übung der Studenten«62 geschrieben und Evenius seine Disputationen in Collegio privato63 durchgeführt hat. Entgegen der Festlegung in den Universitätsordnungen war der Locus De anima also offensichtlich kein fester Bestandteil des Curriculums an den lutherischen und calvinistischen Universitäten. Die Präsentation der Psychologie im Rahmen von Disputationen hatte ferner zur Folge, daß ihr Umfang im Vergleich zu den Schriften der katholischen Autoren um ein Vielfaches geringer war, was nicht ohne Auswirkungen auf den Inhalt blieb: Die einzelnen Loci wurden nicht mehr in der Ausführlichkeit erörtert, wie dies auf katholischer Seite üblich war. Was dort noch Gegenstand umfangreicher Abhandlungen war, das reduzierte sich bei den Lutheranern auf eine kurze Darstellung der einzelnen Argumente für diese oder jene Ansicht. Angesichts der Verfügbarkeit der katholischen Werke beschränkte man sich offensichtlich auf das im Rahmen einer Disputation Notwendige. Oftmals reichte die bloße Angabe eines Namens, der Verweis auf eine Schrift, um dem gebildeten Leser den Kontext zu verdeutlichen. Die Psychologie der Lutheraner muß also vor diesem umfassenden Hintergrund der katholischen (und auch calvinistischen) Literatur verstanden werden. Dies wird das vorliegende Kapitel belegen. 4.1.1. Prolegomena zur Psychologie Die Psychologie war auch für die Lutheraner ein Teil der Naturphilosophie, wie aus den Disputationen von Martini und Leuschner zur Physik und Psychologie ersichtlich wird. Danach wird in den Prolegomena zur Physik zunächst ihre Definition, ihr Gegenstand und ihre Einteilung ermittelt, welche Bestimmungen Rückwirkungen auf die Psychologie haben. So definierte sie Leuschner gemäß Met. XI 7, 1064a15f als eine Wissenschaft von den natürlichen Körpern, die in sich das Prinzip von Bewegung und Ruhe haben64, während Martini sie unter Hinweis auf Met. V 1, 1025b26f. als eine Wissenschaft bestimmte, die ein Seiendes betrachtet, das sich zu bewegen vermag65. 62 Vgl. Scheibler, Liber de anima, 3v-4r (Epistola dedicatoria): »Atque hac de causa, antehac scribere cœpi ad privatum studiosorum (ipse studiosus adhuc) Exercitium has Disputationes Psychologicas, in quibus breviter & succinctè persecutus sum, quæ ad historiam animæ, ejusque diversarum facultatum pertinuerunt.« 63
Vgl. Anm. 1.
64
Vgl. Leuschner, Dissertationum physicarum prima. De Physices natura & constitutione. Ut & de tribus principiis corporum naturalium internis, materia, forma, & privatione. Stettin 1625, A3r: »Et definitur [sc. Physica]: Scientia corporum naturalium, quatenus in se principium motus & quietis habent.« 65
Martini, Theorematum physicorum exercitatio prima, A3r: »Altera [sc. definito] & quidem omnibus numeris absoluta 5. Metaph. 1. H( fusikh\ qewretikh\ [sc. e(pisth/mh] tij a)\n ei)/h, a)lla\ qewrhtikh\ peri\\ toiou=ton o)\n o(/ e)sti dunato\n kinei=stai.«
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Ihre Genus-Bestimmung ist in beiden Definitionen scientia, weil sie auf eine feste und gewisse Erkenntnis der schlechthin notwendigen Dinge abzielt, die sich nicht anders verhalten können und dem menschlichen Tun nicht unterworfen sind. Diese Betrachtung geschieht hier aber nicht in Hinsicht auf das Seiende als Seiendes wie in der Metaphysik, sondern in Hinsicht auf den natürlichen Körper, der sich selbst aus der Ruhe heraus zu bewegen vermag. Allein dieser natürliche Körper, und nicht der künstlich hergestellte, ist Gegenstand der Physik. Diese so konstituierte Wissenschaft wird in einen allgemeinen und besonderen Abschnitt unterteilt. In jenem werden die Prinzipien, Ursachen und allgemeinen Eigenschaften der natürlichen Körper erörtert. Hierbei geht es insbesondere um die Klärung der Begriffe natura, actus, potentia, forma, materia, substantia, locus, tempus, motus etc., die bei der Beschreibung aller Naturphänomene Verwendung finden.66 So wird die Natur von Martini unter Berufung auf Phys. II 1, 192b21-23 als »Ursache und Prinzip« definiert, »das etwas bewegt und zur Ruhe bringt, in dem es auf wesentliche, nicht akzidentelle Weise ist«67, und genau auf diese Weise sei auch die Seele Natur68. Im speziellen Teil der Physik wird in Anlehnung an die übrigen naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles (De Caelo, De Generatione et corruptione, De anima, Parva naturalia, De Historia animalium, De Partibus animalium etc.69) über die verschiedenen Arten des natürlichen Körpers gehandelt. Hierbei wird zunächst zwischen den einfachen Körpern wie den Himmeln und den verschiedenen Planeten sowie den aus verschiedenen Elementen zusammengesetzten Körpern, die dem Entstehen und Vergehen unterworfen sind, unterschieden. Diese zusammengesetzten Körper sind wiederum entweder unbeseelt oder beseelt. Die unbeseelten ‘äußeren’ Körper wie Wind, Regen 66 Vgl. Martinis Disputations-Übersicht: Theorematum physicorum exercitatio secunda: De Principiis rerum naturalium in genere. Tertia: De Primis rerum naturalium principiis in specie. Quarta: De Natura. Quinta: De Causis per se et per accidens. Sexta: De Loco et vacuo. Septima: De Tempore. Octava: De Quanto & infinito. Nona: De Moto generice considerato. Decima: De Speciebus motus. 67
Martini, Theorematum physicorum exercitatio quarta. De Natura. Wittenberg 1604, A4v: »Naturam definimus causam & principium, ut id moveatur & quiescat, in quo primo, per se, & non ex accidente inest.« 68
Vgl. a. a. O., B4r [Corollaria]: »Num anima sit natura? A[ffirmatio].« In seiner ersten Disputation De anima in genere im Rahmen der Exercitationes nobiles de anima hat Martini diese Bestimmung der Seele als Natur unter Berufung auf Aristoteles wie folgt begründet: »Pertinet autem hæc consideratio [sc. de anima in genere] ad Physicam, & eius pars est: Anima enim est h( a)rxh\ tw=n z%/wn lib. 1. de an. cap. 1. [402a6f.] Ergo sub definitione naturæ lib. 2. phys. tex. 3. [sc. 192b21-23; vgl. auch b13-15] traditâ, comprehenditur.« (Ex. I, A2r) Der Syllogismus lautet: Die Seele ist das Prinzip der Lebewesen. Prinzip der Lebewesen und aller natürlichen Körper ist aber die Natur, denn sie ist Prinzip und Ursache von Bewegung und Ruhe dieser Körper. Folglich ist die Seele Natur, ist doch ihr subiectum das corpus naturale. 69 Dabei ging man davon aus, daß Aristoteles nicht alle Bereiche der Naturphilosophie bearbeitet und selbstverständlich Fehler gemacht hat, die zu korrigieren waren. Deshalb war zum einen die Naturphilosophie durch eigene Darstellungen zu vervollständigen – so verfaßten Theophrast und Albertus Magnus eine Schrift über die Mineralien –, zum andern das Werk des Aristoteles auf seine Richtigkeit und Begründetheit zu überprüfen.
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und Regenbogen sind Gegenstand der Schrift über die Meteore; die ‘inneren’ Körper wie Metalle und Steine werden in der Schrift über die Mineralien behandelt. Die beseelten Körper – Pflanze, Tier und Mensch – sind schließlich Gegenstand der Schriften über die Lebewesen (De Plantis, De Animalibus, De Anima etc.).70 In welcher Reihenfolge diese aber zu lehren sind, darüber kam es zum Streit zwischen Timpler und Evenius. Der Steinfurter vertrat dabei die Ansicht, daß Aristoteles mit seiner Anordnung der Schriften eine Verletzung des von ihm selbst wiederholt betonten Metabasis-Verbots begangen habe. Nachdem er nämlich zunächst in seiner Physik über den natürlichen Körper und seine Prinzipien gehandelt und anschließend die unbeseelten Körper perspicuè & ordinatè bestimmt habe, sei er von den einfachen zu den vermischten Körpern übergegangen, die teils unbeseelt, teils beseelt seien. Dabei habe er die letzteren in der Reihenfolge De Anima, Parva naturalia, De Historia animalium, De Partibus animalium etc. gelehrt, was falsch sei. Denn so habe er das Allgemeine mit dem Besonderen vermischt und viele physikalische Eigenschaften fälschlicherweise den beseelten Körpern zugeschrieben, als ob die Seele ein subiectum recipiens wäre.71 Statt dessen sei im Bereich der Empsychologia zuerst über den beseelten Körper im allgemeinen zu handeln. In einem zweiten Schritt müsse zwischen animal (to\ z%==on) und planta (to\ futo/n) unterschieden werden.72 Da nun die Lehre über die Pflanzen nichts zur besseren Erkenntnis von Tier (bestia, o( qh/r) und Mensch (homo, a)/nqrwpoj) beitrage, sei zuerst über das ihnen Gemeinsame zu handeln, »und zwar an erster Stelle über den Menschen und an zweiter Stelle über die Tiere«73. Erst anschließend folge dann der 70
Vgl. Leuschner, Dissertationum physicarum IV: De præstantissimo & pulcherrimo rerum omnium creatarum domicilio mundo, ut & de cœlo, & stellis perpertuis ac novis. V: De corporibus sublunaribus elementis cùm in genere, tùm in specie consideratis, ut & de mixtione mixtorum corporum constitutione requisitis & affectionibus. VI: De corporibus imperfectè mixtis Meteoris cùm in genere, tùm in specie consideratis, ut & de eorum causis, requisitis & effectis. VII: De corporibus perfecte mixtis inanimatis, metallis sc. & lapidibus tàm pretiosis quàm vulgaribus, ut & succis terrestribus, eorumque affectionibus & requisitis. VIII: De anima in genere. 71 Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 1, 4f.: »Etsi verò Philosophus [sc. Aristoteles] omnes & singulos libros, in quibus de corporibus viventibus, & iis rebus, quæ circa hæc considerari possunt, tractat eo ordine, quo iam in toto eius opere dispositi sunt, non conscripsit: tamen hoc inde luculenter apparet, illam partem Physicæ, quam nos Empsychologiam vocamus, non esse methodicè ab eo traditam & explicatam; & sic multis occasionem in hoc doctrinæ genere errandi esse præbitam: præsertim verò in eo, quod generalia cum specialibus confuderit, & plerasque affectiones physicas competentes ipsis corporibus viventibus, animæ tanquam subiecto recipienti attribuerit.« 72 Timpler spricht mit dieser Differenz zwischen animal & planta der Pflanze natürlich nicht das Beseeltsein ab. Der Begriff animal ist hier also nicht der Oberbegriff für alle Lebewesen, sondern umfaßt nur die Tiere und Menschen. Dies läßt sich im Deutschen nicht angemessen wiedergeben. 73 Timpler, lib. I, c. I, pr. 1, 5: »Itaque primum de corpore animato in genere egi. Deinde corpus animatum in animal & plantam divisi: Et cum viderem doctrinam de plantis nihil facere ad meliorem & faciliorem animalis cognitionem, primum de animali in genere, tanquam nobiliore specie corporis animati tractavi: Deinde animal in hominem & bestiam distribui, ac priore loco de homine, posteriore de bestia egi …«
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Locus De plantis, so daß sich insgesamt folgende Anordnung ergebe: 1. Empsychologia generalis. 2. Zoologia. 3. Anthropologia. 4. Therologia. 5. Phytologia.74 Timpler berief sich hierfür auf Zabarellas ordo-Lehre, wonach die perfekte Erkenntnis eines Gegenstandes im Fortgang von der Erkenntnis derjenigen Dinge, die zur Wesenskonstitution etwas beitragen (ta\ ou)siw/dh), zur Erkenntnis derjenigen Dinge besteht, die dem Wesen als Akzidentien nachfolgen (ta\ e)pousiw/dh), im Übergang also von der Gattung zur Species. Daß bei Timpler dahinter aber gerade kein epistemologisches Konzept stand, sondern ein ontologisches – anders also als bei Zabarellas ordo doctrinæ –, wird daraus ersichtlich, daß er diesen ordo als ordo nobilitatis verstand, da »der Mensch nicht vom Tier abhängt, weder dem Wesen noch der Erkenntnis nach«75. Auf diesen Widerspruch zu Zabarella wies zu Recht Evenius hin, der sich dessen Ansicht zu eigen machte, daß das Kriterium für die Anordnung allein die für uns leichtere Weise des Erkennens sei. Da die Körperteile am meisten Materie sind, damit sinnlich wahrnehmbar und uns zunächst bekannter, die Seele dagegen Form ist, damit sinnlich nicht wahrnehmbar und uns zunächst unbekannter, sei klar, daß der Fortgang gemäß dem ordo doctrinæ von der Materie zur Form zu erfolgen habe. Daher sei der Locus De anima nicht vor, sondern nach den Büchern De Animalibus zu lehren, wie Zabarella in seiner Schrift De Naturalis scientiæ constitutione klar gezeigt habe (vgl. 3.1.2.). Timplers Sticheleien gegen Aristoteles entbehrten daher jeder Grundlage.76 Einig war man sich bei den Lutheranern und Calvinisten hinsichtlich der engen Verknüpfung von Körper und Seele, die im Gegensatz zum Platonismus als ein echtes Charakteristikum der aristotelischen Philosophie galt. Dieser Tatbestand führte schon früh in der Scholastik zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen, die, wenn auch 74 Die Empsychologia generalis handelt von der Natur des beseelten Körpers im allgemeinen, von Leben und Tod sowie von den Vermögen des Ernährens, Wachsens und Zeugens. Die Zoologia bestimmt die Natur und den Körper (Knochen, Nerven, äußere und innere Organe, spiritus vitalis etc.), die Sinneswahrnehmung, das Bewegungsvermögen, die Atmung sowie das Wachen und Schlafen des Lebewesens. Die Therologia erörtert die Natur der Tiere im allgemeinen, benennt einige Unterschiede zwischen den verschiedenen Tierarten und bestimmt abschließend die charakteristischen Eigenschaften der Zoophyten, Insekten, Vögel, Fische, Schlangen und Vierfüßler genauer. Die Pythologia hat die Natur der Pflanze, ihr Werden und Vergehen zum Thema, benennt die Differenzen zwischen den verschiedenen Pflanzenarten und erläutert abschließend den Aufbau der Pflanzen. Zum Inhalt der Anthropologia vgl. wird weiter im Text. 75 Timpler, lib. III, c. I, pr. 2, 257: »Iam autem homo non dependet a bestia, neque in essendo, neque in cognoscendo. Ergo non necesse est, ut prius de bestia, quam de homine tractetur: sed satis est. si ordo nobilitatis observetur.« 76 Vgl. Evenius, disp. XI, A3r: »Quamvis si maximè pragmatei/a nostra esset generica, Zabarellæ nos autoritas tueri poterat, qui lib. de constitut. scient. natur. cap. 32. Animæ doctrinam non, ut alij, post Meteororum statim tractatum ante totam disciplinam ad res animatas pertinentem, sed post libros de historia, partibus & incessu animalium tradendam non sine gravi ratione statuit, partes siquidem animalium, quæ eorum proxima sunt materia, sensiles sunt & notiores, animæ verò cognitio insensilis & ignotior multisque ac magnis difficultatibus referta, ut ipse testatur Aristoteles in proœmio librorum de anima [vgl. 402a10f.]. Confert eundem Zabar. ibid. cap. 34. ut ita præter rem insectetur & cavilletur Aristotelem Timplerus lib. 1. emps. cap. 1. problem. 1.«
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noch nicht dem Begriff, so doch der Sache nach als eine philosophische Anthropologie bezeichnet werden kann.77 Die Fixierung des Begriffs Anthropologia und die Ausbildung einer sich aus den Bereichen der Anatomia bzw. Somatologia und Psychologia zusammensetzenden gleichnamigen philosophischen Disziplin in der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophie des 16./17. Jahrhunderts erscheint vor diesem Hintergrund als der Schlußpunkt einer langen, durch den Renaissance-Aristotelismus vermittelten Tradition. Dies muß insbesondere gegen Marquard betont werden, der in seinem Lexikon-Artikel zur Anthropologie die These vertreten hat, daß dieses vermutlich mittelalterliche Wort – Köhlers Studie belegt das Gegenteil – im 16. und 17. Jh. seine alte theologische Bedeutung, nach der es die Akkomodation Gottes an den menschlichen Sprachgebrauch bezeichne, verloren habe und nun im Rahmen der protestantischen Schulphilosophie die Emanzipation der Philosophie von der Theologie repräsentiere. »Dort, wo man – bei M. HUNDT, O. CASMANN [dort falsch Cassmann], C. BUTELIUS/ J. RHETE, S. EVENIUS [dort falsch: Gvenius] u. a. – einen Ausdruck für die ‘psychologia’ speziell des 77 Vgl. hierzu die umfassende Studie von Theodor W. Köhler, Grundlagen des philosophischanthropologischen Diskurses im dreizehnten Jahrhundert. Die Erkenntnisbemühungen um den Menschen im zeitgenössischen Verständnis. Leiden u. a. 2000. Köhler weist dort nach, daß es den Fachterminus ‘Anthropologie’ weder in der antiken noch in der mittelalterlichen Philosophie gegeben hat und folglich auch keinen Teilbereich der Philosophie mit diesem Namen (a. a. O., 28). Gleichwohl bestehe kein Zweifel, »daß es im Untersuchungszeitraum – und zwar nicht erst nach 1277 – in der Tat zur Ausbildung eines eigenständigen philosophisch-anthropologischen Diskurses gekommen ist.« (A. a. O., 625) Dessen wissenschaftstheoretisches Profil sieht Köhler durch drei Hauptmerkmale bestimmt: 1. Ein durch das Erkenntnisziel einer philosophischen Gesamterfassung des Menschen bestimmter Untersuchungsbereich, der den Körper, die Seele und ihrer beider Zusammenhang, d. h. seine ontologische Konstitution umfaßt. 2. Eine formal philosophische Untersuchungsperspektive mit einer Abgrenzung von der theologischen und medizinischen Sicht auf den Menschen und mit einer Bezugnahme auf die Natur bei der anthropologischen Begriffsbildung. 3. Eine explizit reflektierte wissenschaftssystematische Positionierung der Erkenntnisbemühung um den Menschen, die von der Philosophie insgesamt zu bewältigen ist und nicht von einer Spezialwissenschaft De homine. Als frühestes Beispiel für eine solche Anthropologie verweist Köhler auf das vierte Buch der 1124 verfaßten Philosophia des Wilhelm von Conches (1080-1145), in dem sich eine umfangreiche Abhandlung über den Menschen als leib-seelisches Wesen findet (vgl. a. a. O., 55ff.). Und noch eines ist an dieser Schrift bemerkenswert: Wilhelm hat ausdrücklich betont, daß er im vorliegenden Buch vom Menschen nicht im Hinblick auf die Erschaffung des ersten Menschenpaares sprechen werde, also in einer theologischen Perspektive, sondern im Hinblick auf den gegenwärtig existierenden, faktisch erfahrbaren Menschen: sein tägliches Erschaffenwerden, seine Gestaltung, seine Geburt, seine Altersstufen, seine Organe und ihre Funktionen. Damit zählen seine Aussagen »über den menschlichen Körper, speziell über die Struktur des Gehirns, … zu den frühesten Zeugnissen für die Einarbeitung arabischmedizinischen Wissens in einem scholastischen Traktat.« (a. a. O., 60). Gleiches gilt für den 1300 veröffentlichten Liber de homine des Raimundus Lullus (um 1235-1315), der im ersten Buch über das Sein des Menschen in körperlicher und seelischer Hinsicht, im zweiten über den Tod und im dritten über das Gebet gehandelt hat (vgl. a. a. O., 239ff.). Diese ganzheitliche Ausrichtung war freilich keine Eigentümlichkeit der philosophischen Anthropologie, wie Köhler belegt. Denn auch die theologische Anthropologie thematisierte die körperliche und seelische Konstitution des Menschen aus biblischer Sicht. So gliederte Albertus Magnus in seiner Schrift De homine den ersten Hauptteil in die drei Abschnitte über die Seele, den Leib und das Kompositum (vgl. a. a. O., 196ff.). Dies gilt schließlich auch für die Summa theologiae (1266-73) des Thomas von Aquin (vgl. a. a. O., 201ff.).
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De Anima Menschen suchte, wurde ‘A.’ Titel einer philosophischen Disziplin. Ihre konventionell anmutende Definition – ‘A. est doctrina humanae naturae’ [Casmann] – verdeckt, was durch Ausbildung dieser Disziplin geschieht: unterm Titel ‘A.’ emanzipiert sich die Schulphilosophie aus der theologisch orientierten metaphysischen Tradition und stellt sich der Frage: wie ist der Mensch zu bestimmen, wenn nicht (mehr) durch Metaphysik und (noch) nicht durch mathematischexperimentelle Naturwissenschaft?«78
Wie Marquard diese These unter Berufung auf die genannten Autoren aufstellen konnte, bleibt vollkommen unverständlich, da diese philosophische Anthropologie gerade im Rahmen der, wie er es nannte, theologisch orientierten Schulmetaphysik dieser Zeit entstand und nicht durch eine Abkehr von ihr. Mit Ausnahme von Hundt waren alle genannten Autoren Vertreter dieser Tradition. Für Evenius dürfte dies bereits aus dem bisher Gesagten deutlich geworden sein. Dies kann auch leicht für den Calvinisten Otto Casmann (1562-1607) aufgezeigt werden79, dessen 1594/96 in zwei Teilen erschienene Schrift Psychologia anthropologica als eines der frühesten Beispiele für eine philosophische Anthropologie dieser Zeit gilt.80 Dabei belegen die von Marquard nur unvollständig wiedergegebene Definition der Anthropologie und mehr noch die entsprechenden Erläuterungen zu ihr die theologisch-metaphysische Bedeutung dieser philosophischen Anthropologie: Indem Casmann sie als eine Lehre von der menschlichen, in ihrer doppelten irdischen Gestalt als spiritus & corpus eine wesentliche Einheit bildenden Natur81 bestimmt, nimmt er ganz selbstverständlich Bezug auf den göttlichen Schöpfungsakt der Seele gemäß Gen 2,7 78
Odo Marquard, Art. Anthropologie, in: HWPh 1 (1971), 362-374, hier: 363.
79
Die 1605 in Stettin gehaltene Disputation Anthropologia seu Synopsis considerationis hominis quoad corpus et animam von Christophorus Butelius bleibt hier wegen ihrer Kürze unberücksichtigt. Sie liegt inhaltlich aber auf der üblichen schulphilosophischen Linie. 80 Vgl. Otto Casmann, Psychologia anthropologica; sive animæ humanæ doctrina, Methodicé informata, capitibus dissecta, singulorumque Capitum disquisitionibus, ac controversarum quæstionum ventilationibus illustrata. Hanau 1594. Secunda pars anthropologiæ: hoc est Fabrica humani corporis; methodicè descripta … Hanau 1596. Diese Schrift gilt in der Forschung gemeinhin »als Begründung der ‘Anthropologie’« (Wilhelm Schmidt-Biggemann, Die Schulphilosophie in den reformierten Territorien, in: Ueberweg 17. Jh, Bd. 4/1, 392-474, hier: 417f.). Dieses Urteil wird man angesichts der Studien Köhlers nur noch in bezug auf die begriffliche Fixierung, nicht aber der Sache nach aufrechterhalten können. Der zweite Teil der Psychologia anthropologica spielt mit dem Titel explizit auf Vesalius’ 1543 veröffentlichte Schrift De humani corporis fabrica libri septem an. 81 Vgl. Casmann, Psychologia anthropologica. Pars prima, 1f.: »ANTHRPOLOGIA est doctrina humanæ naturæ. Humana natura est geminæ naturæ mundanæ, spiritualis & corporeæ in unum hyphistamenon unitæ, particeps essentia … Mosaica enim Genesis hominem describit creaturam ad imaginem & similitiudinem Dei factam, corpore per creationem primum ex terræ pulvere formato hinc verò ex humano semine per generationem propagato: ac spiritu seu vitarum spiraculo in faciem corporis vivificandi inspiratio, in unum hyphistamenon coniunctis constantem.« Vgl. a. a. O., 10: »Eorum [sc. hominum] mens & intelligentia est, qui sunt ad imaginem & similitudinem Dei creati. Intellectus enim & ratio vi imaginis divinæ inest animæ. Imago quippe Dei non modo consistit in certis qualitatibus, certa dignitate & honore, sed etiam in animæ potentia & facultate summa, nimirum ratione, hoc est, intelligentia & voluntate, quibus Deum creatorem nostrum referimus.«
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sowie auf ihre in Gen 1,27 benannte Gottähnlichkeit. Zu Recht nennt Stiening daher Casmanns philosophische Anthropologie eine »säkularisierte Theologie«82. Diese Bedeutung der Anthropologie für die Theologie hat auch dessen Lehrer Goclenius in seiner Epistola dedicatoria zur Psychologia anthropologica verdeutlicht, da für ihn die Loci De imagine Dei in homine, De libero arbitrio, De hypostatica unione & perixwrh/sei duarum naturarum in Christo etc. nur vor dem Hintergrund eines sicheren Wissens um die menschliche Natur erkannt werden könnten.83 Auch der von Goclenius veröffentlichte Sammelband YUXOLOGIA: hoc est, De hominis perfectione, animo, et in primis ortu hujus von 159084 enthält interdisziplinär Artikel von Juristen, Naturphilosophen und Theologen zur Frage nach der Entstehung der Seele und bestätigt damit den Sachverhalt, daß die philosophische Anthropologie bzw. Psychologie für die Autoren der Zeit eine unbestrittene theologische Dimension hat. Damit erhielt die Aufgabe, die Differenz von philosophischer und theologischer Anthropologie nicht aus den Augen zu verlieren, eine besondere Bedeutung, und angesichts der hieraus resultierenden Schwierigkeit verwundert es nicht, daß sich an diesem Thema die Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen entzündeten.85 Ein gelungenes Beispiel für die formale Bestimmung der inhaltlichen Differenz beider Anthropologien findet sich in Meisners ANQRWPOLOGIA sacra von 1618:
82
Gideon Stiening, Verweltlichung der Anthropologie im 17. Jahrhundert? Von Casmann und Magirus zu Descartes und Hobbes, in: Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit. Bd. 2. Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem Atheimus. Wissenschaftsprozesse im Zeitraum von 1500 bis 1800. Hrsg. von Lutz Danneberg u.a. Berlin u.a. 2002, 174-218, hier: 194. 83
Vgl. Rudolphus Goclenius ad doctrina et virtute præstantem virum Othonem Casmannum, in: Casmann, Psychologia anthropologica. Pars prima, ohne Paginierung: »Valde nobilis est, ut novisti, Domine Casmanne, doctrina de anima hominis, natura, essentia, viribus, functionibus & affectionibus: de quibus proponit gravissimas quæstiones Aristoteles lib. De anima primo. Ut enim nunc non dicamus, naturæ cognitionem sine illa imperfectam esse; magnum affert adjumentum ad cognoscenda ea, quæ primæ sunt philosophiæ, quæ in rebus sola intelligentia comprehensis versatur. Sed & Ethicus, & Jureconsultus, & Medicus & Theologus à Psychologia hac aliqua ex parte instructus est fructuose … De Theologo res est clarissima. Difficiles sunt disputationes de Imagine Dei in homine: De naturalibus notitiis: De Vitiositate nativa: de Libero arbitrio: de hypostatica unione & perixwrh/sei duarum naturarum in Christo: de koinwni/a i)diwma/twn: de Communione e)nergeiw=n utriusque naturæ ad unum a)pote/lesma seu effectum personale. Hic si theologus non sit filosofi/dion, si rudis sit doctrinæ veræ de animo, facile in matæologiam incidet.« 84 Vgl. Goclenius, YUXOLOGIA: hoc est, De hominis perfectione, animo, et in primis ortu hujus, commentationes ac disputationes quorundam Theologorum & Philosophorum nostræ ætatis … Marburg 1590. Nach Stiening weist dieser Sammelband »als erster überhaupt den Terminus Psychologie als Titel und damit als eigenständiges Thema« (Psychologie, in: Melanchthon und die Marburger Professoren, 322) auf. Zur Übersicht dieses Sammelbandes vgl. a. a. O., 321-325. 85
Erst das Zusammen beider Anthropologien würde ein angemessenes Urteil über die Qualität der Studien De homine und über das Verhältnis von Philosophie und Theologie in der Frühen Neuzeit ermöglichen. Dieses Projekt harrt noch der Erfüllung.
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De Anima »Der Mensch wird entweder hinsichtlich seines Wesens und seiner [körperlichen] Teile oder hinsichtlich seiner verschiedenen Zustände erkannt. Die erste Erkenntnis ist eine mehr philosophische und konstituiert die naturwissenschaftliche Anthropologie. Die zweite Erkenntnis ist der Theologie eigen und wird deswegen nicht unpassend die heilige oder christliche Anthropologie genannt.«86
Die Schwierigkeit, diese Differenz zwischen den beiden Anthropologien in concreto umzusetzen, wird allein daraus ersichtlich, daß die philosophische Klärung des Begriffs der Seele hinsichtlich der causa efficiens & finalis unweigerlich theologische Implikationen hat, die man zwar im Rahmen der Naturphilosophie unberücksichtigt lassen kann, wie Portio es tat, die damit aber nicht beseitigt sind. Vor diesem Hintergrund erweist sich Marquards These von der Loslösung der Anthropologie von der ‘theologisch orientierten metaphysischen Tradition’ im Blick auf die von ihm genannten Autoren Casmann, Evenius und Butelius als unzeitgemäß. Deren Anthropologien stehen noch ganz im zeitgenössischen, interdisziplinären Horizont einer ganzheitlichen ontologischen und heilsgeschichtlichen Betrachtung des Menschen hinsichtlich seines Körpers und seiner Seele. Dies belegt gerade die Ausdifferenzierung der philosophischen Anthropologie in eine Anatomia bzw. Somatologia auf der einen und in eine Psychologia auf der andern Seite, wie entsprechende Äußerungen von Martini und Evenius in diesem Zusammenhang verdeutlichen.87 Welchen Inhalt die philosophische Anthropologie im Luthertum hatte, kann folgender Übersicht bei Evenius entnommen werden: »1. Über das Wesen und die Einteilung der Anthropologie. 2. Über die Haare, Zehen- und Fingernägel. 3. Über die Säfte und Körpergeister. 4. Über die Haut, Knochen und Knorpel. 5. Über die Venen, Arterien und Nerven. 6. Über das Fleisch. 7. Über die zur Verdauung bestimmten Teile des untersten Körperbereichs88 und anderen verwandten Teilen. 8. Über die zur Blutver86
Balthasar Meisner, ANQRWPOLOGIAS Sacræ, in qua status naturæ humanæ, & articuli eò spectantes qetikw=j exponuntur. Disp. I. Ad statum integritatis pertinens. De Imagine Dei, ad quam homo fuit conditus. Wittenberg 1618, A2r: »Cognoscitur autem homo, vel secundum essentiam partesque vel secundum status diversos. Prior cognitio magis est Philosophica, & construit a)nqrwpologi/an Physicam: posterior Theologiæ est propria, ideoque a)nqrwpologi/a sacra vel Christiana non in commode nuncupatur.« 87 Vgl. Martini, ex. I, A2r: »Quemadmodum duæ sunt partes hominis essentiales, Corpus & Anima: ita etiam Anthropologia, quæ hominis naturam & essentiam scrutatur, duobus absolvitur tractatibus: quorum prior Corporis qewri/an proponit, & Anatomikh\; posterior Animæ humanæ essentiam venatur, & yuxologikh\, dicta est. De illâ egimus in decem nostris exercitationibus Anthropologicis: de hâc sequentes cum Deo benè juvante und fortunante præcipient disputationes …« Die Exercitationes anthropologicæ waren dem Verfasser leider nicht zugänglich. – Evenius, Disputationum Anthropologicarum prima. De Natura et Constitutione Anthropologiæ. Wittenberg 1612, B2v: »Ex divisionis hujus [sc. die Einteilung des Menschen in Seele und Körper] fundamento usitata hujus Physicæ partis subdivisio desumta est, ut altera dicatur yuxologikh\, Animæ essentiam & affectiones pertractans; Altera swmatologikh\ circa corporis naturam occupata.« 88
In der siebenten Disputation De Cavitatis infimæ partibus coctioni primæ destinatis & cognatis alijs erläutert Evenius genauer, was unter den seltenen Begriff cavitas zu verstehen ist: »Doctrinæ gratiâ nos illam sectabimur Divisionem, quam Natura ipsa aliquo modo videtur monstrasse, & instituitur secundum Cavitates seu spatia certa, membris & functionibus eorundem peculiaribus nobilitata
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Die aristotelische Psychologie im Luthertum sorgung und Zeugung bestimmten Glieder des untersten Körperbereichs. 9. Über den mittleren Körperbereich oder über die Teile des vitalen Vermögens. 10. Über den obersten Körperbereich oder über die Teile des animalischen sinnlichen Vermögens. 11. Über die Seele im allgemeinen. 12. Über die Seelenvermögen im allgemeinen. 13. Über die vegetative Seele und ihre Vermögen. 14. Über die wahrnehmende Seele im allgemeinen. 15. Über die inneren Sinne und über das Bewegungsvermögen. 16. Über das Wesen der Vernunftseele. 17. Über den Geist. 18. Über den Willen. 19. Über den Ursprung und die Unsterblichkeit der Vernunftseele.«89
In der Somatologie werden also der äußere Körperaufbau sowie die Funktionen der inneren Organe näher bestimmt. Die Psychologie handelt anschließend zunächst vom allgemeinen Begriff der Seele, der dann anhand ihrer verschiedenen Vermögen spezifiziert wird. Höhepunkt einer jeden Psychologie war dabei die Lehre vom menschlichen Geist, der die höchste Vollkommenheit der menschlichen Seele kennzeichnet. Seinen Begriff zu ermitteln, war daher die vorzüglichste Aufgabe einer jeden Psychologie, wie auch aus Martinis und Timplers Einteilung ihrer Schriften deutlich wird.90 In der protestantischen Schulphilosophie deutet sich damit das Werden einer Philosophie des Gei_________________________________________________________________________________________________________
suisque interstitijs sejuncta, Ventres vulgus Medicorum appellat. … Et harum Cavitatum juxta usitatam doctrinam numerant tres: Infimam, quæ concoctionis, nutritionis & generationis, seu facultatis Naturalis membra à diaphragmate ad Abdominis finem … includit; Mediam, quæ respirationis motus & affectuum seu facultatis vitalis ab eodem diaphragmate ad colli claviculas; & Supremam, quæ sensuum seu facultatis animalis à fine Mediæ ad capitis verticem.« (Evenius, disp. VII. Wittenberg 1613, A3r) 89
Evenius, Syllabus disputationum Anthropologicarum, )(2r-4r: »Disputatio I. De Natura et Constitutione Anthropologiæ. II. De Pilis & Unguibus. III. De Humoribus & Spiritibus. IV. De Cute, Osibus & Cartilagine. V. De Venis, Arterijs & Nervis. VI. De Carne. VII. De Cavitatis infimæ partibus coctioni primæ destinatis & cognatis alijs. IIX. De Cavitatis infimæ membris sanguinificationi & generationi destinatis. IX. De Cavitate Media, seu partibus Facultatis vitalis. X. De Cavitate suprema seu partibus Facultatis Animalis. Disputatio XI. De Anima in genere. XII. De Animæ Facultatibus in genere. XIII. De Anima Vegetativa ejusque facultatibus. XIV. De Anima Sensitiva in genere. XV. De Sensibus Interioribus & potentiâ Motivâ. XVI. De Animæ Rationalis Essentiâ. XVII. De Intellectu. XIIX. De Voluntate. XIX. De Animæ Rationalis origine & Immortalitate.« 90 Vgl. Martini, Series exercitationum nobilium peri\ th=j yuxh=j, A2r-3v: »Exercitatio prima est de Anima in genere, nempe explicat definitionem animæ, & quæ ad illam pertinent. Exercitatio secunda, agit de potentijs animæ in genere. Exercitatio tertia, explicat quæstionem, an una tantùm, & non tres distinctæ & subordinatæ animæ dentur in homine. Exercitatio quarta, est de potentia vegetativa in genere, & in specie de Nutritiva facultate. Exercitatio quinta, de facultate augmentativa. Exercitatio sexta, de facultate procreatrice & ministris vegetativæ potentiæ. Exercitatio septima, de vita & morte. Exercitatio octava, de potentia sensitiva in genere. Exercitatio nona, de tactu. Exercitatio decima, de visu. Exercitatio undecima, de auditu. Exercitatio duodecima, de odoratu & gustu. Exercitatio decima tertia, de sensibus internis, atque de vigilia, somno & insomnijs. Exercitatio decima quarta, de animæ facultate motiva. Exercitatio decima quinta, de potentia rationali & in specie de intellectu. Exercitatio decima sexta, & ultima, de voluntate humana.« Timpler, Empsychologia, Index librorum, capitum, et problematum, 13-19 [eigene Paginierung]: »Empsychologiæ liber III. In quo Anthropologia explicatur. Cap. I. De natura hominis. II. De facultatibus propriis hominis. III. De intellectione & cogitatione naturali hominis. IV. De iudicatione & ratiocinatione. V. De inventione & dispositione. VI. De approbatione & improbatione. VII. De volitione & nolitione. VIII. De persecutione & fuga, loquela & numeratione. IX. De risu & fletu.« Daß Timpler in seine Anthropologie wesentliche Teile der Logik und Rhetorik integrierte, spricht nicht für eine klare Trennung der Disziplinen.
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stes an, die sich noch ungeordnet in den verschiedenen Disziplinen der Logik, Psychologie, Metaphysik und Noologie Bahn bricht und nach einer Systematisierung verlangt. 4.2. Die Seele als Seins- und Wirkprinzip Die Erörterungen zur Psychologie, deren Gegenstand nach einhelliger lutherischer und calvinistischer Ansicht nicht etwa die Seele selbst ist, wie Toletus und die Conimbricenser behauptet haben, sondern gemäß Zabarellas Ansicht (vgl. 3.1.2.) das corpus animatum91, beginnen auf lutherischer Seite mit einer in der Regel De anima in genere genannten allgemeinen Bestimmung der Seele, wie sie allen Lebewesen (Pflanze, Tier, Mensch) zukommt. Ihre Differenzierung ergibt sich erst aus der Stufenfolge der verschiedenen Seelenvermögen, deren oberstes Vermögen, der intellectus, das Eigentümliche der menschlichen Seele kennzeichnet. Sie gerät damit von Anfang an als ein Teil des natürlichen Entstehens- und Vergehensprozesses in den Blick und ist so der adäquate Gegenstand der Naturphilosophie. Dem Vorgehen einer Disputation entsprechend, wonach das zu Erweisende ihren Ausgang bildet, setzen die lutherischen Schulphilosophen Aristoteles’ allgemeine Definition der Seele aus De An. II 1, 412a27f. an den Anfang ihrer Erörterungen: »Die Seele ist die erste Vollendung eines natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben hat.«92 Dabei bedarf es keines weiteren Beweises – nur Skeptiker und Hirnlose fordern diesen, so Leuschner93 –, daß es so etwas wie die Seele überhaupt gibt, ist doch jedem ihr Sein aus ihren Tätigkeiten – dem Ernähren, Wachsen, Wahrnehmen, Denken als Kennzeichen des Lebens – ersichtlich. Aufgrund unserer eigenen, unbezweifelbaren Erfahrung94 schließen wir von der Wirkung – den Tätigkeiten – auf die Existenz der Seele als Ursache dieser Wirkung: Wo es Leben in seinen verschiedenen Ausgestaltungen gibt, dort gibt es auch eine Seele, wie Martini betont. »Denn die Seele ist das Leben, aus dem das Lebendigsein im Lebewesen hervorgeht. Ihr charakteristisches 91
Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 2, 5. Evenius, disp. XI, A3r.
92
Martini, ex. I, th. 1, A2r: »Anima est actus primus corporis naturalis potentiâ vitam habentis.« Ebenso Scheibler, pars I, disp. I (De definitione animæ), 3. Evenius, disp. XI (De Anima in genere), A4r. Leuschner, disp. VIII (De Anima in genere). Stettin 1625, A3v. Pacius, lib. II, c. 1, 235. Dannhauer erörterte in seiner ersten Disputation die Definition der Seele bereits unter einer bestimmten Fragestellung, wobei er die gängige Bestimmung: »anima est actus corporis habentis vitam« zugrunde legte (disp. I, con. I, 9). Auch Timpler ging von Aristoteles’ Seelendefinition aus, hielt diese aber nicht für schlechthin wahr: »Et propterea etiam Aristoteles lib. 2. De anima cap. 1. animam in genere definit prw/thn e)ntele/xeian sw/matoj fusikou= o)rganikou=. Quod etsi simpliciter non est verum …« (Lib. I, c. I, pr. 5, 7) Hierauf wird weiter unten zurückzukommen sein. 93 Vgl. Leuschner, disp. VIII, A2r-v: »Animam esse, licet adeo manifestum sit, ut qui id negare velit, aut ad Pyrrhonicorum & Scepticorum castra jam abijsse, aut cerebrum in calcaneo habere putetur …« 94 Evenius spricht in diesem Zusammenhang von einer »experientia manifestissima« (Disp. XI, A3v).
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Merkmal ist es, die Tätigkeiten des Lebens auszuführen.«95 Auch wenn wir also mit unseren Sinnen die Seele aufgrund ihrer Immaterialität nicht wahrnehmen können, so sind wir uns doch ihrer Existenz von ihren Wirkungen her gewiß. Die Seelendefinition setzt sich den Vorgaben der Logik gemäß aus der Gattungsund Differenzbestimmung zusammen. Ihr genus ist actus primus, die lateinische Übersetzung des griechischen Begriffs der e)ntele/xeia h( prw/th. Ausgangspunkt zur Klärung dessen, was es mit dieser Bestimmung auf sich hat, ist für die Lutheraner die Beschreibung der Seele als substantia (ou)si/a)96, die gemäß De An. II 1, 412a6-9 auf dreifache Weise bestimmt wird als Materie, Form und das aus beiden Zusammengesetzte. Die materia (u(/lh) sei dabei an sich unbestimmbar, die pure Möglichkeit, etwas zu sein, weshalb sie potentia (du/namij) genannt werde. Die forma (ei)=doj) hat für Scheibler gemäß Zabarella eine dreifache Funktion: Sie gibt der Materie das Sein, wird tätig im Compositum und individualisiert die Materie zu einem Dies-da (hoc aliquid=to/de ti) – im Bereich der Lebewesen das Kennzeichen für das Sein des Individuums mit seinen ihm eigentümlichen Merkmalen. Sofern der Seele alle diese drei Funktionen zugesprochen werden, ist sie für Scheibler Form und damit zugleich terminus & mensura des Lebewesens: Grenze, weil sie die Natur der Materie auf einen bestimmten Bereich beschränkt – ein Mensch gebärt nur einen Menschen –, Maß, weil die Materie ihrer Natur nach keine spezifische Größe und Gestalt hat, sondern diese von der Form erhält.97 »Weil also die Seele das Sein an sich verleiht, die Materie erfüllt und vollendet und ein bestimmtes Individuum der Wirklichkeit nach konstituiert, folgt, daß die Seele Form und Vollendung ist«98, wie Martini betonte. Für die Lutheraner wie auch für Pacius war dabei unstrittig, daß dieser Neologismus e)ntele/xeia nicht im Sinne Ciceros oder Melanchthons als e)ndelexeia, als fortwährende Bewegung, zu verstehen ist. Dies sei nicht nur eine falsche, sondern auch eine lächerliche Erklärung, so Pacius.99 Viel95 Martini, ex. I, th. 1, A3r: »Anima enim vita est, à qua esse vivens in vivente emanat; cujus proprium est, operationes vitæ exercere.« 96 Per se ausgeschlossen, wenn auch einer Widerlegung würdig, sind damit alle anderen Versuche antiker Philosophen, die Substanz der Seele als Feuer, Luft, Blut, Samen, Bewegung, Harmonie, spiritus vitalis oder etwas Ähnliches zu bestimmen. Vgl. hierzu ausführlich Martini, ex. I, th. 1, A3vB2r. 97
Vgl. Scheibler, pars I, disp. II (De quibusdam generalibus quæstionibus de anima), 18f.: »Quod autem anima forma sit corporis animati & docet Zab. 2. de anima ad contex. 37. & clarum est ex inspectione officiorum formæ, quæ tria sunt, primum, ut det esse, 2. ut operetur in composito, & 3. ut distinguat rem à re. Hinc enim vocatur terminus, & mensura. Terminus quidem, quia naturam materiæ certis quibusquam limitibus terminat, ut per hominis quidem formam speciem hominis sortiatur, per equi verò formam ad equi speciem contrahatur. Mensura verò, quia materia suapte naturâ nullam habet propriam magnitudinem vel figuram, sed certâ quadam forma, dum ad certam speciem eam terminat, propriam quandam magnitudinem figuramque requirit, quæ accomoda sit operationi formæ.« 98 Martini, ex. I, th. 1, B2v: »Quia igitur anima dat esse per se, complet & perficit materiam, certumque individuum in actu constituit, sequitur quod anima sit forma & e)ntele/xeia.« 99 Vgl. Pacius, lib. II, c. 1, 233: »Itaque non solum falsa, sed etiam inepta & ridicula est expositio M. Tulli, qui libro primo Tuscul. quæstio. inquit Aristotelem præter quatuor elementa ponere quintum
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mehr sei das Wort, wie unter Berufung auf Scaliger100 betont wird, von e)n & te/loj & e)/xein herzuleiten, was wörtlich ein In-sich-Haben-des Ziels bedeute, so daß die e)ntele/xeia den Zustand einer Vollkommenheit (perfectio) kennzeichne. »Da wir die Meinung Ciceros verwerfen, der das Wort e)ntele/xeia mit einem d schreibt und sie als eine gewisse fortwährende Bewegung interpretiert, sagen wir, daß sie nichts anderes ist als eine im Inneren sich vollendende Vollkommenheit; dies wird aus der Zusammensetzung des Wortes bewiesen. Es setzt sich nämlich aus e)n & te/loj & e)/xein zusammen, so daß [etwas, das über die e)ntele/xeia verfügt,] gleichsam eine innere Perfektion besitzt, wie Scaliger das Wort auflöst. Daher übersetzt Barbarus das Wort mit ‘Vollkommmenheit habend’.«101
Die e)ntele/xeia unterscheidet sich also darin von der e)ndele/xeia, daß sie gerade keine fortwährende Bewegung ist, sondern das Zu-einem-Ende-gekommen-Sein einer Bewegung in ihrer Vollkommenheit. Diese bezeichnet daher einen Zustand (habitus) des Sich-im-Fertigsein-Haltens, der solange andauert, wie das Leben währt. Perfectio ist deshalb kein einmaliger Augenblick, sondern umfaßt das ganze Leben vom Anfang bis zum Ende. Dieser Zustand kann nur zerstört werden, indem eine Krankheit dauerhaft dazwischentritt. Martini erörterte in diesem Zusammenhang ausführlich die Schwierigkeiten mit dem Begriff e)ntele/xeia, dem er eine dreifache Bedeutung zuschrieb102: 1. Es gibt einen actus imperfectus (e)ntele/xeia a)telh/j), der einen Prozeß des Werdens von etwas kennzeichnet, das nicht mehr der bloßen Möglichkeit nach ist, aber auch noch nicht in vollkommener Wirklichkeit, sondern gewissermaßen ein Mittleres zwischen beiden. So ist die Bewegung gemäß ihrer Definition in Phy. III 1, 201b4f. die Verwirklichung des der Möglichkeit nach Seienden. Dies kennzeichnet für Martini aber den defizienten Modus der Entelechie (vgl. hierzu 2.3.2.), da die Kinesis hier die Bewegung hin zur Form (itio & progressio ad formam) ist, noch nicht deren Vollendung. 2. In der zweiten Bedeutung ist die e)ntele/xeia ein actus (primus) perfectus, die Form selbst des vollkommenen Dings, das nicht mehr wird, sondern ist, und dieses Sein kennzeichnet sein Vollkommensein. 3. In der dritten Bedeutung ist die e)ntele/xeia die nachfolgende Betätigung, die actus secundus genannt wird und ihren Ursprung im actus primus hat. In die_________________________________________________________________________________________________________
essentiæ genus, quod novo vocabulo vocat e)ntele/xeian, id est, motionem continuatam ac perennem … Hæc Cicero multis modis peccans.« 100
Vgl. 3.3.1.1., Anm. 208.
101
Leuschner, disp. VIII, A3v: »Nos rejectâ hîc Tullij sententia, qui per d eam [sc. e)ntele/xeia] scribit & continuatam quandam motionem interpretatur, dicimus, e)ntele/xeian nihil aliud esse, quam actum intrinsecè perficientem, sicuti hoc testatur vocis compositio. Est enim ex e)n & te/loj & e)/xwn quasi intus perfectionem habens, ut resolvit Scaliger Exer. 307. Sect. 12. & 39. Unde Barbarus vertit perfectihabiam.« Zu Barbarus’ Themistius-Übersetzung vgl. 2.3.2., Anm. 247. Evenius, disp. XI, A4v: »E)ntele/xeian ab e)ndelexei/a multum differre, hæc enim continuam agitationem, illa actum denotat intrinsecum, seu id, cujus esse non est in alterius potestate, sed aliud in eius potestate. Scalig. exerc. 307. sect. 39. Est enim e)n intus, ut pars compositi; te/loj seu perfectio, quæ formæ propria; & e)/xei continet compositum, ut sit unum illudque regit …« Ebenso Scheibler, pars I, disp. I, 5. 102
Für das Nachfolgende vgl. Martini, ex. I, th. 1, B3r-v.
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ser Bedeutung bestimme sie Aristoteles in De An. II 1, 412a11 und a23, indem er das Betrachten als aktuellen Wissensvollzug (to\ qewrei=n) vom Wissen (e)pisth/mh) als Habitus unterscheide. Sofern Cicero und Melanchthon uns fortwährend, so Martini, statt der e)ntele/xeia die e)ndele/xeia als continua motio unterschieben wollten, unterlägen sie der Mutter aller Irrtümer, der Äquivokation, weil sie eine uneigentliche Bedeutung an die Stelle der eigentlichen setzten.103 Mit ihrem Verständnis der Entelechie als e)ntele/xeia a)telh/j (=continua motio) träfen sie daher weder den aristotelischen Sinn noch die eigentliche Bedeutung des Wortes im Zusammenhang mit der Seelendefinition in De An. II 1, 412a27f.: »Denn 1. ist diese fortwährende Bewegung ein Akzidens, was Aristoteles von der Seele verneint. 2. ist eine solche Bewegung unvollkommen und besteht im Werden. Die Seele wird aber nicht, sondern ist die vollendete Form. 3. tadelte Aristoteles in De An. I [3] jene, die glaubten, daß die Bewegung das Wesen der Seele sei.«104
Für Leuschner muß daher die Seele als actus perfectus bzw. forma informans verstanden werden und nicht als forma assistens, wie Averroes behauptet habe. Denn die Seele sei auf keine Weise vom Körper abhängig, sondern umgekehrt bestehe eine Abhängigkeit des Körpers von der Seele, und zwar auf die Weise, wie das Schiff vom Schiffer abhänge, das nur in der Bewegung in seinem Wesen sei. Daher sei die Seele forma informans materiam: Die wesentliche, der Materie das Sein gebende Form, »das Innerste in sich enthaltend, alles durchwandernd und durchdringend.«105 Deshalb habe Aristoteles die Seele in der Definition genauer e)ntele/xeia h( prw/th genannt: Sie ist als erste Vollendung Ursache und Prinzip aller Lebewesen (vgl. De An. I 1, 402a6f.), denn sie gibt ihnen das Sein und hält sie im Fertigsein als in der ihnen erreichbaren Vollkommenheit. Evenius sah diese Bestimmung der Seele als principium constitutivum auch von von Gen 2,7106 her bestätigt: Nachdem Gott dem Menschen das spiraculum vitæ eingehaucht habe, sei er mit einer anima vivens versehen gewesen. Daher nehme er »das Sein … von diesem [Lebens-]Hauch als Form«107 auf. Als e)ntele/xeia h( 103 Vgl. a. a. O., B3v: »Quod itaque attinet illos, qui continuam motionem dixerunt e)ntele/xeian, inter quos Cicero lib. 1. Tuscil. qq. primus vocem illam ita vertit: & Dn. Melancht. in principio libelli de anima, idem innuere videtur, ubi pro vocabulo hoc græco continuam agitationem nobis substituit.« 104 A. a. O., B4r: »Nam 1. continuata ista agitatio est accidens, quod de anima negat Philosophus. 2. Ejusmodi motus est ens imperfectum, in fieri consistens: Anima verò non fit, sed perfecta forma est. 3. lib.1. de an. reprehendit Philosophus illos, qui putabant motum de animæ essentia esse.« 105 Vgl. Leuschner, disp. VIII, B1r: »Non enim est [sc. anima] in subjecto corpore, tanquam accidens in subjecto, nec tanquam nauta in navi aut clavus in rota; Sed tanquam forma substantialis in sua materia, intima perixwrh/sei omnia permeans ac pervadens. Etenim forma assistens nullo modo à corpore dependet, sed potius corpus dependet ab ipsa in agendo, & est solùm aliquid extrinsecum, unde nec ingreditur compositum, atque adeo nec confert esse, sed operationem aut motum saltem extrinsecum, ei rei cui assistit.« 106
Vgl. 3.3.1.1., Anm. 270.
107
Evenius, disp. I, B1v: »Scripturæ oraculo Gen. 2. v. 7. quod post inspiratum à Deo in faciem hominis vitæ spiraculum, homo factus fuerit in animam viventem; to\ ei)=nai ergo ab hoc spiraculo accepit, ut forma.«
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De Anima deu/tera ist die Seele für Evenius das Prinzip aller Tätigkeiten des Lebewesens, indem sie dafür sorgt, daß es wächst, sich ernährt, wahrnimmt oder denkt etc., je nach dem Grad der Ausprägung der Seele. Dergestalt sei die Seele in der Tat das Seins- und Wirkprinzip aller Lebewesen.108 Wie erwähnt, lautet die differentia specifica in der Seelendefinition in De An. II 1, 412a27f.: ‘ein natürlicher Körper, insofern er in Möglichkeit Leben hat’. Für die Lutheraner wird hierdurch die Beschaffenheit des Körpers eines Lebewesens auf zweifache Weise genauer bestimmt: 1. Er ist kein künstlicher, sondern ein natürlicher, weil er in sich das Prinzip von Bewegung und Ruhe hat, und dieses Prinzip ist die Seele.109 2. Er ist ein solcher Körper, der in Möglichkeit Leben hat, d. h., er ist mit einem solchen Vermögen versehen, das es ihm ermöglicht, tätig zu werden. Das Wort ‘Leben’ steht dabei für: aptitudo operandi. So verfügt ein Leichnam, selbst wenn er noch mit den Gliedern und Organen versehen ist, nicht mehr über diese Geeignetheit, tätig zu werden, eben weil er nicht mehr lebt. Sehr wohl verfügt aber ein Lebewesen, das schläft, über diese Geeignetheit, denn es erhält während des Schlafs die lebenserhaltenden Funktionen aufrecht und kann nach dem Aufwachen alle übrigen sofort ausüben. Sofern Aristoteles diese Bestimmung in 412b5f. in die knappe Formulierung ‘ein natürlich-organischer Körper’ verändert, bedeutet dies keine neue Spezifizierung, sondern die genauere Fassung desselben Sachverhalts: Die aptitudo operandi erfordert einen mit Organen und Gliedern versehenen Körper, die sich in Gestalt und Aufbau voneinander unterscheiden und der Seele als Instrumente zur Ausführung ihrer verschiedenen Funktionen dienen.110 Je vollkommener dabei die Seele ist und je mehr Funktionen sie auszuführen in der Lage ist, desto mehr Organe benötigt der Körper. Als erste Vollendung eines natürlichen, mit Organen ausgestatteten Körpers kann die Seele nicht selbst Körper ist; genausowenig kann sie aber ohne ihn sein (vgl. De An. II 2, 414a19f.), und dies, so Evenius, gilt nicht nur für die pflanzliche und tierische Seele, sondern auch für die menschliche, die ihrer Natur nach in einem Körper ist, von dem sie in Hinsicht auf ihre Funktion des Einprägens abhängig ist. Wie nämlich ohne Materie als du/namij keine Form als e)ne/rgeia existiere, vielmehr beide ‘irgendwie’ (vgl. Met. VIII 6, 1045b20f.) eines seien, so existiere auch keine Seele als e)ntele/xeia ohne Körper. Der Grund für diese Einheit von Körper und Seele könne daher nicht au108
Vgl. ebd.: »Cum enim forma non constitutionis tantum & distinctionis, sed operationis quoque sit principium …« 109
Vgl. Martini, ex. I, th. 1, B4v. Scheibler, pars I, disp. I, 9. Leuschner, disp. VIII, A3v. Wie bereits erwähnt, ist die Seele deshalb auch Natur, da die Natur das Prinzip von Bewegung und Ruhe dessen ist, in dem sie wesentlich und nicht auf bloß akzidentelle Weise ist. 110
Vgl. Scheibler, pars I, disp. I, 10: »… quod anima sit actus corporis ORGANICI, id est, habentis organa ad functiones animæ in corpore obeundas. Organicum enim significat enim id, quod distinctas habet partes instrumentales, & variis instrumentis præditum est …« Martini, ex. I, th. 1, B4v: »Cum igitur anima inter formas Physicas sit plurimum operationum, quas non explet, nisi mediante corpore: sequitur quod secundum pluralitatem operationum animæ sint distincta organa in materia, per quæ anima agat & operetur.«
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ßerhalb dieser Einheit selbst gesucht werden, da die Seele nur in ihrer Verbindung mit dem Körper dessen perfectio verwirklichen könne. Beide bildeten eine solche Einheit wie das Wachs und die Figur: Keins ist ohne das andere.111 Evenius wandte sich in diesem Zusammenhang kritisch gegen Timpler, der statt dieser wesentlichen Einheit einen Dualismus von Körper und Seele gesetzt hat, der in einem gegenüber der klassischen ontologischen Bestimmung als forma corporis verengten Verwendung des Begriffs in seiner rein funktionalen Bestimmung als principium operationum begründet liegt. Dies kann wie folgt verdeutlicht werden: 1. Ausgangspunkt des ersten Buchs der Empsychologia ist das subiectum proprium & adæquatum dieser Disziplin, nämlich das corpus animatum, das Timpler als einen »mit einer vegetativen Seele versehenen natürlichen Körper«112 definiert. Diese anima vegetans bestimmt er nachfolgend als die forma propria & specifica des beseelten Körpers. Was nur immer mit ihr versehen sei, das sei ein corpus animatum. 2. Diese Bestimmung ist jedoch nicht ontologisch zu verstehen. Dies wird daraus ersichtlich, daß für Timpler die aristotelische Definition der Seele als actus primus bzw. als forma substantialis ‘nicht schlechthin wahr ist’113. Er begründet dies damit, daß »die [vegetative] Seele den beseelten Körper ohne den organischen Körper nicht konstituieren kann«114. Die vegetative Seele sei gerade nicht das principium constitutivum, sondern das principium internum, das alle Vitaloperationen des beseelten Körpers bewirke.115 Anders gesagt: Sie ist zwar forma specifica, aber nicht forma generica, die der beseelte Körper vom natürlichen Körper erhält.116
111 Vgl. Evenius, disp. XI, B1v: »Caussam conjunctionis Animæ cum corpore præter duas hasce partes non esse quærendam, nec formam corporis animati præter animam. Quia enim Anima e)ntele/xeia est, corpus verò rationem obtinet duna/mewj; Jam verò to\ duna/mei kai\ to\ e)nergei/# e(/n pw/j e)stin, ut docet Philosophus in calce lib. 8. Metaph. & probat ratio, cùm e)ntelexei/aj sit perficere & informare, duna/mewj verò recipere & ab actu perfici: statim hæc duo & immediatè unum sint necesse est. Unde rectè dicit Philosophus lib. 1. de an. § 6 [richtig II 1, 412b6-8]: Non oportet quærere, quomodo unum sit anima & corpus, sicut nec, quomodo cera figurata, nec omninò materies cujusque & id, cujus est materies.« Was dies für die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele bedeutet, wird weiter unten zu erläutern sein (vgl. 4.2.2.1.). 112 Timpler, lib. I, c. I, th. 4, 1: »Est autem corpus animatum corpus naturale, animâ vegetante præditum.« Vgl. auch a. a. O., pr. 3, 6: »Et cum hac plane congruit ea quæ in theoremate quarto est assignata, quando scilicet corpus animatum dicitur corpus naturale anima vegetante præditum.« 113
Vgl. Anm. 92.
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Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 5, 7: »… animam sine corpore organico corpus animatum constituere non posse.« 115
Vgl. ebd.: »Anima enim est principium internum efficiens omnium operationum vitalium, quæ in corporibus naturalibus deprehenduntur.« 116 Vgl. a. a. O., th. 27-29, 3: »27 Forma alia est generica, alia specifica. 28 Generica forma est, quam corpus animatum habet à corpore naturali generatim accepto. 29 Specifica forma est anima vegetans. Per illam enim corpus animatum est animatum, & essentialiter ab aliis substantiis, sive viventibus sive vitæ expertibus, distinguitur.«
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3. Diese Degradierung der Seele wird bei Timpler auch daraus ersichtlich, daß er Aristoteles’ Ansicht, wonach die Seele forma corporis naturalis organici sei, für falsch hielt.117 Er begründete dies damit, daß die Seele nicht die Formursache dieses natürlichorganischen Körpers sei. Vielmehr besitze dieser bereits sein vollkommenes Wesen, bevor sich die Seele mit ihm vereine.118 Daher sei die Seele nur die Form desjenigen beseelten Körpers, der sich realiter & essentialiter vom natürlich-organischen Körper unterscheide. Diese für einen Aristoteliker mehr als merkwürdigen Äußerungen machen deutlich, daß für Timpler die Seele als forma specifica keineswegs Seinsprinzip des Lebewesens ist, sondern nur Wirkprinzip, da sie allein die entsprechenden Tätigkeiten hervorruft. Diesen Äußerungen entsprechend ist die Seele daher nach der gängigen Bestimmung eine forma assistens, keine forma informans! 4. Diese Entbindung der Seele von ihrer Funktion als Seinsprinzip führt auch dazu, daß sie nicht (mehr) die causa efficiens des beseelten Körpers ist. Denn die mittelbare causa efficiens prima ist für Timpler Gott, von dem alle Lebewesen ihren Ursprung haben, während die unmittelbare causa efficiens secunda der spiritus vitalis ist, »der von der äußeren Wärme des umgebenden Körpers im Samen hervorgerufen und bewirkt wird, als ob ein weiser Handwerker die Materie vorbereitet und anordnet, bis die Seele in sie eingeführt wird, und so wird durch die wesentliche Vereinigung beider [sc. von spiritus & anima] der ganze beseelte Körper hervorgebracht.«119
Der spiritus vitalis besitzt für Timpler also einen generischen Vorrang gegenüber der Seele, die erst später (unmittelbar von Gott) in den Körper eingeführt wird und folglich nicht das Lebewesen in seinem Sein konstituiert. 5. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß für Timpler die Einheit der Seele mit dem Körper keine substantielle, sondern eine bloß akzidentelle ist.120 Er begründet dies auf dreifache Weise: I. Die Einheit bedeutet keine Vermischung beider, sondern
117 Vgl. a. a. O., pr. 8, 10f.: »Aristoteles libr. 2 de anima cap. 1. [sc. 412b5f.] definit animam quod sit e)ntele/xeia prw/th sw/matoj fusikou= o)rganikou=, hoc est, actus primus corporis naturalis organici. Per actum autem primum nihil aliud intelligit, ut ipse sese explicat, quam formam substantialem. Per corpus naturale organicum tale corpus, quod potentiâ vitam habet, hoc est, quod aptis & idoneis organis est instructum ad obeundas vitales operationes. Iam igitur quæritur, utrum hæc sententia Aristotelis … est vera? Argumenta pro thesi negante sunt hæc …« 118
Vgl. ebd.: »Si anima non est causa per quam corpus naturale organicum est tale, sequitur illam non esse ipsius formam. Sed verum prius. Ergo & posterius. Assumptio probatur, quia corpus naturale organicum perfectam habet essentiam, antequam anima cum eo uniatur.« 119
A. a. O., th. 18, 2: »Immediata [sc. causa efficiens secunda] est spiritus vitalis, qui ab externo calore corporis ambientis in semine excitatus & adiutus, tanquam sapiens artifex materiam præparat & disponit, donec anima in eam introducatur, atque ita per utriusque essentialem unionem totum corpus animatum generetur.« 120 Vgl. a. a. O., c. I, pr. 9, 12: »Unio autem seu copulatio animæ cum corpore organico est accidens, & non substantia.«
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»die Vereinigung zweier Substanzen«121. Denn das hieraus entstehende Kompositum Mensch (bzw. Pflanze und Tier) ist eine Substanz, die sich wesentlich von den beiden anderen Substanzen Körper & Seele unterscheidet.122 II. Diese Vereinigung geschieht ohne jegliche Veränderung bei Seele und Körper sowie ohne Mitteilung ihrer Eigenschaften: »Denn die Seele bleibt Seele, und der Körper bleibt Körper. Weder verwandelt sich jene in diesen noch dieser in jene. Auf ähnliche Weise behalten beide ihre Eigenschaften, und nicht teilt die Seele dem Körper und der Körper der Seele wegen dieser Einheit wirklich ihre Eigenschaften mit.«123 Dies hat zur Folge, daß die Seele nichts vom Körper erleidet, wie es an anderer Stelle unter Berufung auf den Satz vom Widerspruch aus Met. IV 6 heißt.124 III. Diese Vereinigung ist daher keine unmittelbare, sondern eine durch das temperamentum vitale bzw. den spiritus vitalis vermittelte.125 6. Gleichwohl ist für Timpler die Seele als eine substantia incorporea in einem Körper wie an einem Ort (in loco, e)n to/p%), denn zum einen wird der Körper in 2. Cor 5,4 und 2. Petr 1,13 domicilium seu tabernaculum animæ genannt und zum andern existiert die Seele gemäß ihrer Substanz im Körper, solange sie mit ihm vereint bleibt.126 Sie ist in ihm aber nicht auf körperliche Weise (swmatikw=j), indem sie einen Ort einnimmt und ausfüllt, sondern auf geistige Weise (nohtikw=j) als contactus virtualis, wie Timpler unter Berufung auf Thomas und Johannes von Damaskus betont. Dies ergibt sich für ihn auch daraus, daß sie nicht von einem Organ umfaßt wird. 121
A. a. O., pr. 10, 13: »… unionem animæ cum corpore organico non esse conmixtionem aut confusionem, sed copulationem duarum substantiarum …« 122 Vgl. a. a. O., lib. III, c. I, pr. 7, 261: »Denique alii asserunt hominem esse substantiam realiter distinctam à corpore & anima, tum separatim, tum coniunctim acceptis. Atque hæc postrema sententia sola vera est …« 123
A. a. O., lib. I, c. I, pr. 10, 13: »Anima enim manet anima, & corpus manet corpus: neque aut illa in hoc, neque hoc in illam convertitur. Similiter utraque retinet suas proprietates, neque propter unionem aut anima corpori, aut corpus animæ realiter eas communicat.« 124
Vgl. a. a. O., pr. 13, 16: »Sunt quidem Philosophi, qui putant animam infusam in corpus organicum & cum eo unitam aliquid ab eo realiter perpeti: Et hoc inde probant, quod bene vel male affecto corpore, anima quoque bene vel male afficiatur. Sed hæc opinio pugnat cum principio Metaph. l. 4. cap. 6. Q. 17. probato, quod statuit neque corpus posse agere in spiritum, neque vicissim spiritum à corpore pati.« 125
Timpler läßt hier deutlich anklingen, daß der Tod des corpus animatum nicht nur die Auflösung der Körper-Seele-Einheit bedeutet, sondern zugleich ihrer beider Untergang: »Ideoque etiam fit, ut quam diu tale temperamentum durat, tam diu etiam naturaliter duret unio animæ cum corpore organico, adeoque ipsum etiam corpus animatum. Hoc verò destructo, necesse sit ipsam etiam unionem animæ cum corpore organico dissolvi, adeoque totum compositum interire.« (A. a. O., 14) 126 Vgl. a. a. O., pr. 11, 14f.: »Sunt nonnulli, qui simpliciter negant animam esse in corpore tanquam locatum in loco … Verum hæc sententia falsa est propter sequentes rationes. 1, quia corpus passim in Scriptura appellatur domicilium seu tabernaculum animæ. 2, quia nulla creatura potest esse illocalis: Ideoque ubicunque illa existit secundum suam substantiam, ibi in loco est. Ac proinde cum anima secundum suam substantiam existat in corpore organico, & quamdiu cum eo unita manet, alibi neque existat, neque opereatur, necesse est, ut concedamus, illam in corpore organcio tanquam locatum in loco esse.«
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7. Timpler hält abschließend auch diejenige Ansicht von der Verteilung der Seele für falsch, wonach sie zugleich ganz im ganzen Körper und ganz in jedem Körperteil sei, mögen sie auch beinahe alle Philosophen und Theologen für richtig gehalten haben. Denn kein Geschöpf, zu denen gemäß Gen 2,7 auch die menschliche Seele gehört, kann zugleich an mehreren Orten sein. Eine Ubiquität der Seele wäre nur möglich, wenn sie zugleich ganz im ganzen Körper wäre und ganz in jedem seiner Teile. Da aber die körperlichen Teile localiter voneinander geschieden sind, ist es unmöglich, daß sie zugleich an mehren Orten sein kann. Folglich ist sie nur ganz im ganzen Körper, nicht aber zugleich ganz in seinen Teilen.127 Timpler weist also dem Begriff der (vegetativen) Seele insgesamt eine rein operative Funktion zu, die zu einem radikalen Dualismus zwischen ihr und dem Körper führt, ein Dualismus, der an Descartes’ Bestimmung der Seele als res cogitans und des Körpers als res extensa erinnert.128 Hier wie dort erleidet die Seele nichts vom Körper, da beide Substanzen realiter voneinander geschieden sind. Für Evenius sind all diese Bestimmungen ein weiteres Kennzeichen für die schwerwiegenden Irrtümer, die sich in Timplers Werk finden, der »mit vollen Backen gegen die Erfahrung, die gesunde Vernunft sowie den ganzen Chor der Weisen anschreit«129, um seine Absurditäten zu verteidigen. So sei die Seele nicht nur Wirk-, sondern auch Seinsprinzip, wie Evenius im Blick auf das bisher Gesagte betont. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es daher, die Kritik an den Punkten 5 bis 7 in den Blick zu nehmen. Zu 5. Für Evenius ist im Gegensatz zu Timpler die Einheit von Körper und Seele keine akzidentelle, sondern eine wesentliche. Beide kommen als Materie und Form in einer Natur zusammen, so daß es keiner dritten Substanz bedarf, die erst die Einheit zwischen beiden herstellen müßte.130 Ferner folge aus dem Einssein, daß es sehr wohl eine 127 Vgl. a. a. O., pr. 12, 15f.: »An anima sit tota in toto corpore & in qualibet eius parte tota? Sententia affirmativa hactenus ab omnibus fere Philosophis & Theologis fuit approbata … Verumtamen si accuratius rei veritas expendatur, statim falsitas huius sententiæ apparebit. Cum enim nulla creatura possit simul & semel esse nisi in uno numero loco: anima autem sit creatura: omnino sequitur illam quoque non posse simul & semel esse nisi in uno numero loco. Iam autem necesse esset, animam esse simul & semel in pluribus locis, si illa simul esset tota in toto corpore & in qualibet eius parte tota. Siquidem partes, quæ constituunt totum corpus organicum, localiter inter se distant, ita ut ubi una sit, altera non sit, neque esse possit … Anima enim dicitur informare totam materiam & singulas eius partes non alia ratione, quam quatenus aptas & idoneas eas reddit ad obeundas vitæ functiones. Ad hanc autem informationem non requiritur præsentia illius localis in singulis partibus, sed tantum in toto corpore organico.« Was dies für die Frage nach der Ubiquität des Leibes Christi im Abendmahl bedeutet, liegt auf der Hand: Sie ist nicht localiter & realiter gemeint, sondern symbolice. 128 Es bedürfte weiterer Untersuchungen, um festzustellen, ob Descartes während seiner Zeit in Leiden intensiveren Kontakt mit der calvinistischen Schulphilosophie hatte. Vielleicht gehörte hierzu ja auch die Lektüre von Timplers Texten. 129 Evenius, disp. XI, B2r: »Quis enim posterius hoc ei [sc. Timpleri] largiatur, cum Experientia & sana ratio & totus Sophorum chorus plenis buccis reclamitet?« 130 Vgl. ebd.: »… cum potentia & actus ejusdem generis suopte ingenio in unam coeant naturam, ut nullo aliunde quæsito vinculo aut nexu ex iis unum fiat …« Vgl. ferner ders., disp. I, B1v: »Nihil
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Kommunikation der Eigenschaften zwischen Körper und Seele gebe. Wie könnte der Körper ansonsten beseelt werden, wenn er keinerlei Veränderungen von der Seele erleiden würde? Und wie könnte die Seele ihre Funktionen mithilfe ihrer Vermögen ausüben, wenn es zwischen ihr und dem Körper kein Zusammenspiel gäbe?131 Zu 6. Für Evenius wie bereits zuvor für Meisner sind Timplers Äußerungen, wonach die Seele im Körper wie an einem Ort sei, dummes Geschwätz.132 Denn Aristoteles habe in Phys. IV 2, 209b17-34 deutlich gemacht, daß die Form auf andere Weise in der Materie sei als ein Gegenstand an einem Ort: Während die Form von der Materie nicht abtrennbar (a)xwristo/j) sei, gelte dies sehr wohl für den Ort in bezug auf den Gegenstand. Folglich vergleiche Timpler hier Dinge miteinander, die getrennt gehörten: Die Seele sei als forma auf unkörperliche und unausgedehnte – weil ohne Weite, Tiefe und Höhe –, d. h. auf bloß geistige Weise im Körper. Im Wissen um die Differenz von forma & locatum sei es aber kein Widerspruch, wenn der Körper in 2. Cor 5,4 und 2. Petr 1,13 als domicilium seu tabernaculum animæ bezeichnet werde, denn jede Wohnung habe einen Ort, wie auch Gott Wohnung nehme im Herzen der Frommen. Zu 7. Auch Timplers Urteil über die Verteilung der Seele im Körper hielt Evenius – wiederum in Übereinstimmung mit Meisner – für »allzu hitzig und übereilt, da er weder die Differenz des Begriffs ganz noch die des Begriffs Seele betrachtet hat«133. Denn die Seele, so Meisner, ist »nicht nur ganz im ganzen Körper, sondern auch [ganz] in den einzelnen und allgemeinen Teilen des Körpers«134. Um dies zu beweisen, unterschieden Evenius und Meisner – wie auch Leuschner, Scheibler und Dannhauer – den Begriff totum in der Nachfolge Zabarellas (vgl. 3.2.2.) auf dreifache Weise: secundum quantitatem, secundum essentiam und secundum potestatem.135 Danach ist die ganze _________________________________________________________________________________________________________
ergo nobis commune cum illorum sententia, qui animam revera hominis formam esse non concedunt, sed vinculum potius illud, quod animam & corpus simul unit & connectit.« 131 Daß diese Identität von Körper und Seele für Evenius auch eine Differenz beinhaltet, ergibt sich aus dem theologisch notwendigen Sachverhalt von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, der eine andere, und zwar theologische Bestimmung der Seele als substantia spiritualis erforderlich macht, wie weiter unten deutlich werden wird. Die ratio philosophandi, die eine solche Folgerung von Aristoteles her, wie bei Alexander, Portio und Zabarella gesehen, nicht begründen kann, wird also auch hier wie bei den Jesuiten von der Theologie her aufgehoben. 132 Vgl. Meisner, Philosophia Sobria I, sect. III, c. VI, q. III, 611: » Ita enim disputat Timplerus l. 1. Empsychol. c. 1. probl. 11. … [vgl. Anm. 126] Crassum hoc nugamentum est, quod & ab ipsis sanioribus Calvinianis redarguitur.« Evenius, disp. XI, B3r: »Timplerum quod attinet, crasso ille sensu animam in corpore ut in loco esse statuit, quem crassum conceptum non potest non crassa & absurda illa sequi opinio.« 133 Evenius, disp. XI, B2v: »Quæ Timpleri censura nobis nimis videtur calida & intempestiva, non considerata, nec totius, nec animarum diversitate …« 134 Meisner, Philosophia Sobria I, sect. III, c. VI, q. II, 605: »Proinde statuimus & affirmamus, animam non in toto duntaxat corpore totam, sed in singulis quoque ac universis corporis partibus totam reperiri & existere …« 135 Vgl. Evenius, disp. XI, B2v: »Est enim Totum, ut passim docent Metaphysici, vel Integrale seu quantum; vel Essentiale, partibus essentiæ Physicis vel Metaphysicis constans; vel Potentiale, quod
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Seele secundum essentiam im ganzen Körper und nicht nur in einem Körperteil, wie gegen Albertus Magnus betont wird. Wäre nämlich die Seele hinsichtlich ihres Wesens ausschließlich im Herzen als organum essentiæ animæ, ihre verschiedenen Vermögen als organa facultatum dagegen in den übrigen Körperteilen, so wäre nicht der ganze Körper beseelt, sondern nur jener Teil, in dem das Wesen der Seele wäre. Ist sie also essentialiter im ganzen Körper, so ist sie für Leuschner und Martini gleichwohl principaliter bzw. radicaliter im Herzen, das früher beseelt wird als die übrigen Körperteile.136 Secundum quantitatem ist die ganze Seele dagegen nicht in jedem beliebigen Körperteil, sondern nur ein Teil in einem Teil. Da sie sich nämlich als forma informans materiam über den ganzen Körper ausdehnt, kann nur ein Teil von ihr in diesem Teil, nicht aber zugleich in einem anderen sein, so Scheibler.137 Secundum potestatem ist die Seele in jedem beliebigen Teil des Körpers, aber nur secundum originem, nicht secundum subiectum. So ist das Sehvermögen allein in den Augen als seinem subiectum, aber ursprünglich ist es auch im Fuß, da ja auch im Fuß die Seele ist, die jenem Vermögen folgt, so daß der Fuß das Sehvermögen aufnehmen könnte, wenn er Augen hätte.138 Daß diese Verteilung der Seele hinsichtlich ihres Wesens, ihrer Quantität und ihrer Vermögen auch für die anima rationalis gilt, betonte Leuschner in einem anderen Zusammenhang.139 Timplers zweiter Fehler in diesem Zusammenhang bestand nach Ansicht von Evenius darin, daß er nicht die ontologische Differenz zwischen den drei Seelenarten beachtet hat, da die Frage nach der Anwesenheit der Seele im Körper im Blick auf diese Differenz beantwortet werden müsse. So stimmten zwar anima sensitiva & anima rationalis darin überein, daß sie beide secundum essentiam ganz im gan_________________________________________________________________________________________________________
multas includit potentias.« Ebenso Meisner, Philosophia Sobria I, sect. III, c. VI, q. II, 605. Leuschner, disp. VIII, B1r. Scheibler, lib. I, disp. II, 23. Dannhauer, disp. I, con. IV, 18-25. 136 Vgl. Leuschner, disp. VIII, B1v: »Licet verò animæ essentia in omnibus corporis animati partibus sit, nec nulla eâ destituatur: non tamen æque & eodem modo in illis est, sed in corde habet suum esse principale, in reliquis esse participatum. In corde siquidem radicatur, ideoque cor prius animatur quam reliqua corporis membra, ad quæ postea animæ substantia diffunditur.« Ebenso Martini, disp. II, q. 2, B3v. 137
Vgl. Scheibler, pars I, disp. II, 24: »De secundo respondeo: Animam secundum quantitatem non esse in qualibet parte totam, sed partem in parte. Cùm enim anima sit extensa ad extensionem materiæ, consequens est, partem … quæ extensa est ad pedem, non esse in manu, non in capite, non in alio membro …« 138 Vgl. Leuschner, disp. VIII, B2r: »Præterea cum ab Anima jugis fiat plurium variarumque potentiarum fluxus, quæritur, an omnes eas anima in omnibus corporis partibus simul obtineat? Ad quod dicendum videtur, omnes in qualibet corporis parte inesse secundum originem, sed non secundum subjectum: Nam visiva facultas est in solo oculo, ut in subjecto, sed originaliter est etiam in pede. Etenim in pede est anima, quam illa facultas insequitur, ita ut reciperet pes facultatem visivam, si haberet oculum.« 139 Vgl. Leuschner, Disputationum undecima. De anima rationali. Stettin 1627, A3r: »Ut autem anima quemadmodum veram Formam decuit, non parti sed toti corpori unita est, sic etiam non tantùm est in parte corporis, sed in toto tota, & in qualibet parte tota, quia est a)diai/retoj. Essentialiter dico & secundum potentias, non, ut vocant, quantitativè.«
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zen Körper und ganz in seinen Teilen seien. Zu beachten sei aber die Abhängigkeit der jener Seele vom Körper: Vergehe dieser, so sterbe auch sie. Anders verhalte es sich dagegen mit der menschlichen Seele: Als spiritus seu substantia spiritualis hänge sie secundum esse nicht vom Körper ab, verfüge statt dessen über das Privileg der Unsterblichkeit. Wo immer sie also sei, dort sei sie ganz.140 Diese Auszeichnung der anima rationalis als substantia spiritualis, die sich, wie bei den Jesuiten gesehen, nicht mit ihrer Bestimmung als forma informans verträgt, wird an späterer Stelle ausführlicher zu thematisieren sein (vgl. 4.2.2.). Auch hier bahnt sich offensichtlich dieselbe Theologisierung der philosophischen Anthropologie an, wie wir sie bereits bei Melanchthon und den Jesuiten festgestellt haben. Zuvor gilt es den Locus De facultatibus animæ in den Blick zu nehmen. 4.2.1. Die Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen Nachdem die Seele unter Bezugnahme auf De An. II 1 in ihrer allgemeinsten Bestimmung in Hinsicht auf alle Lebewesen definiert worden ist, galt es nun in einem zweiten Schritt, die Seelen der einzelnen Lebewesen, d. h. die der Pflanze, des Tiers und des Menschen, gemäß De An. II 2 in ihrer je spezifischen Eigenart genauer zu bestimmen. Hierfür untersuchten die Lutheraner die verschiedenen Seelenvermögen, da die Seele selbst nur anhand ihrer Wirkungen erkannt werden kann. In diesem Zusammenhang stellte sich auch hier jene Problematik, die bereits im Renaissance-Aristotelismus kontrovers diskutiert worden ist: Kommt jedes Vermögen nur der je entsprechenden, individuellen Seele zu, das heißt die potentia vegetativa der anima vegetativa, die potentia sensitiva der anima sensitiva und die potentia intellectiva der anima rationalis, so daß es eine Vielheit von Seelen in ein und demselben Lebewesen gibt, oder enthält die nächsthöhere Stufe der Seele das Vermögen der niederen Stufe jeweils in sich, so daß die anima rationalis auch über die Vermögen der anima vegetativa & anima sensitiva verfügt, es also nur eine Seele in der Vielheit ihrer Vermögen gibt? Evenius klärte zunächst den Begriff des Seelenvermögens, das er »als eine gewisse natürliche Kraft oder Einwirkung« definierte, »die von der Seele als Erstursache ausgeht und in den Körper ohne Vermittlung aufgenommen wird, damit die Tätigkeit desto leichter ausgeführt werden kann.«141 Anders als der Habitus, der erst durch häufige 140 Vgl. Evenius, disp. XI, B3r: »De anima verò Rationali seu Hominis aliter res habet. Hæc enim quia spiritus seu substantia spiritualis, partem extra partem non habens; nec à corpore etiam secundum esse suum dependens; privilegio denique gaudens immortalitatis, ubicunque est, ibi est tota, & ita sicut tota in toto est corpore, ita tota in singulis ejus est partibus.« 141
Evenius, Disputationum Anthropologicarum duodecima. De Animæ facultatibus in genere. Wittenberg 1613, A3v: »Definimus autem Facultatem animæ vim seu affectionem quandam naturalem ab anima ut caussa prima fluentem inque corpus sine medio receptam promtioris operationis gratiâ.« Ebenso Martini, Exercitationum Nobilium Peri\ th=j yuxh=j secunda. Quæ est prior de animæ potentiis in genere. Wittenberg 1606, A1r: »Potentia animæ est vis quædam peculiaris, quâ primò ad operationem redditur apta anima.«
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Handlungen erworben und so dem Lebewesen eingeprägt werden müsse, gehe das angeborene Vermögen unmittelbar, ohne Widerstand und ohne Anstrengung aus der Seele hervor und mache sie so geeignet für die Ausübung der verschiedenen Tätigkeiten (aptitudo ad operandum). Dies bedeute aber nicht, daß die Vermögen damit die Ursache der Seele seien; vielmehr kennzeichneten sie Zustände, Beschaffenheiten und Geeignetheiten der Seele selbst.142 Sie sind also Qualitäten zweiter Ordnung bzw. accidentia inseparabilia, so Leuschner143. Gleichwohl ist nicht die Seele ihr subiectum, sondern der beseelte Körper, in dem sich diese Vermögen realisieren. Die Seele ist vielmehr das dektiko\n prw=ton kai\ i)/dion aller ihrer Vermögen, wie Evenius144 unter Hinweis auf Zabarellas De Facultatibus animæ (vgl. 3.2.1.) betonte. Wie läßt sich die Differenz zwischen der Seele und ihren Vermögen näher bestimmen? Evenius unterschied in diesem Zusammenhang – auch hier in der Nachfolge Zabarellas – zunächst zwischen einem discrimen reale & formale. Dabei lehnte er die radikale Position einiger nicht näher benannter Philosophen ab, wonach die Vermögen sich realiter von der Seele unterschieden, da sie nicht nur aptitudines, sondern auch principia operationum productiva seien. Dies sei falsch, so Evenius in Übereinstimmung mit Zabarella, weil nicht das Vermögen, sondern die Seele selbst Wirkursache einer Handlung sei. Falsch sei auch Scotus’ Ansicht, wonach es keine reale Differenz zwischen Vermögen und Seele gebe, denn die verschiedenen Tätigkeiten könnten nicht von einem principium immediatum hervorgebracht werden, da sie verschiedenen Gattungen angehörten, die wiederum verschiedenen Prinzipien zugeordnet werden müßten. Sofern die Seele aber nur ein einziges Prinzip sei, könne sie nicht das principicum immediatum aller ihrer Tätigkeiten sein; vielmehr bedürfe sie verschiedener Vermögen, die diesen Tätigkeiten entsprächen.145 Daher liege hier in der Tat ein discrimen
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Vgl. Evenius, disp. XII, B1v: »Si ergo potentiæ … maximè sunt necessariæ, non quidem ut caussæ proprie sed ut conditiones seu propensiones & aptitudines proximè ab anima fluentes …« 143 Vgl. Leuschner, disp. VIII, B3v: »Aliqui contra sentiunt, facultates animæ, ut & alias omnes, esse qualitates secundæ speciei, ac reipsa ab anima differre, et recte quidem. Sunt enim potentiæ vel facultates animæ revera tantum proprietates atque accidentia inseparabilia illius, & ab ea secundum essentiam distincta …« 144 Vgl. Evenius, disp. XII, B2v: »Statuimus ergo nos Animam omnium suarum facultatum prw=ton esse dektiko\n; hæc enim quia e)ntele/xeia est tou= sw/matoj o)rganikou= duna/mei zwh\n e)/xontoj …« 145 Vgl. a. a. O., A4v: »… hæ [sc. operationes] enim cùm sint genere diversæ & non possint reduci in unum principium immediatum, cùm quædam earum sint actiones, quædam passiones & aliis huiusmodi differant differentiis, quas diversis oportet attribui principiis. Cùm ergo essentia animæ sit unum tantum principium, non potest immediatum suarum actionum omnium esse principium, sed pluribus & diversis indiget potentiis diversitati harum actionum correspondentibus.« Damit werden die Vermögen für Evenius aber nicht zu principia operationum, wie Scaliger behauptet hat (vgl. Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 16, 754f.), vielmehr sind sie als Akzidentien und Mittler der Seele principia instrumentalia (vgl. Evenius, disp. XII, B4r).
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reale zwischen den akzidentellen Vermögen und ihrer substanziellen Seele vor, wie auch Martini und Leuschner betonten.146 Die Zahl dieser Vermögen teilten die Lutheraner übereinstimmend unter Hinweis auf Aristoteles in die bekannte Trias: potentia vegetativa, sensitiva & intellectiva ein.147 Denn die in De An. II 2, 413a23-25 genannten fünf Vermögen (potentia vegetativa, sensitiva, appetitiva, motiva secundum locum, & intellectiva) können gemäß 413b1123 auf diese drei reduziert werden, da sowohl das Strebe- wie auch das Bewegungsvermögen zum Wahrnehmungsvermögen gehören: Wo es Wahrnehmung gibt, dort gibt es auch Vorstellung und Streben sowie Bewegung von einem Ort zum andern, mag es auch Tiere geben, die sich actualiter wegen eines organischen Defekts nicht bewegen können. Aus diesen drei Seelenvermögen ergibt sich die Stufenfolge der Seelen von der anima vegetativa über die anima sensitiva zur anima rationalis, der wiederum die Stufenfolge der Lebewesen (Pflanze, Tier, Mensch) entspricht. Damit ist aber noch nicht die quæstio vexata geklärt, ob in einem Menschen mehrere, sich der Art und dem Wesen nach voneinander unterscheidende Seelen existieren, nämlich die anima vegetativa, sensitiva & rationalis, wie Pomponazzi und Zabarella behauptet haben, oder ob ihm gemäß der Ansicht von Portio und den Jesuiten nur die anima rationalis zukommt, welche die Vermögen der anima vegetativa & sensitiva in sich enthält. Die Bedeutung dieser Frage für die Lutheraner wird bereits daraus ersichtlich, daß Martini sie in einer eigenen Disputation erörtert hat, die er mit dem Theorema begann: »Es gibt im Menschen [nur] eine Seele, nicht drei voneinander unterschiedene und einander untergeordnete Seelen.«148 Damit verneinte er, wie auch Evenius149, Dannhauer150, Leuschner151, Scheibler152 sowie Pacius153, die von Zabarella in seiner Schrift 146 Vgl. Martini, ex. II, A2v: »Ergo non sunt [sc. potentiæ] idem cum anima essentialiter.« Für Leuschner vgl. Anm. 143. 147
Vgl. Martini, ex. II, B1v. Evenius, disp. XII, C1r-v. Scheibler, pars I, disp. III (De gradibus & facultatibus animæ in genere), 29. Leuschner, disp. VIII, B3r. 148
Martini, Exercitationum nobilium Peri\ th=j yuxh=j tertia. Quæ est posterior de animæ potentiis in genere. Wittenberg 1606, A2r: »Una, non tres distinctæ & subordinatæ animæ dantur in homine.« 149
Vgl. Evenius, disp. XI, B4r-C1r: »Averroes, cujus patrocinium suscipit Zabarella lib. de facultatibus animæ cap. 8. & seqq. Partem animæ vegetantem & sentientem & intelligentem distinctas in eodem vivente formas esse substantiales statuit, ut in homine, sic & in bruto sentientem & vegetantem. … Contrarium plerique statuunt & Philosophi & Theologi, unam in quolibet vivente & homine præcipuè esse animam.« Wie erläutert, ist die Zuordnung von Averroes wohl nicht richtig (vgl. 3.2.1., Anm. 117). 150 Vgl. Dannhauer, disp. I, con. III, 14: »An in animato quovis duæ sint formæ, altera anima, altera forma mixti. & an in homine tres sint diversæ realiter animæ? Utrumque asserit Zabarella … Sed neutrum nobis est ad palatum …« 151 Vgl. Leuschner, disp. VIII, B3r: »Diversæ autem vitæ radicationes diversos arguunt animæ gradus vel species: Animam videlicet vegetantem, sentientem & ratiocinantem, quæ licet in perfectioribus animalibus v. g. in homine omnes conveniant, non tamen triplicis, sed uiuns animæ rationem
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De Facultatibus animæ gegebene These, wonach es im Menschen eine collectio animarum gebe. Evenius nannte diese Ansicht in deutlichen Worten eine ‘Schwätzerei’154. Wie gesehen, hat der Paduaner seine Ansicht damit begründet, daß keine Form diejenigen Tätigkeiten ausführen könne, die zu einer anderen Form gehörten. So könne die anima rationalis nicht die Tätigkeiten der anima vegetativa oder der anima sensitiva ausführen. Folglich müsse der Mensch, da er zugleich Lebewesen, Tier und Mensch sei, eine Vielheit von Seelen in sich enthalten. Dieser Ansicht hat sich auch Timpler angeschlossen155, der den (katholischen und lutherischen) Gegnern eine falsche Bedeutung und damit Verwendung von genus & species vorwarf. Da nämlich jede species an der Form ihres genus teilhabe, sei die anima vegetans nicht die artspezifische Form der Pflanze, sondern die des beseelten Körpers, der als Gattung Pflanze, Tier und Mensch umfasse. Ähnlich sei die anima sentiens nicht die artspezifische Form des Tiers ist, sondern die des Lebewesens, das der Gattungsbegriff von Tier und Mensch sei.156 Folglich enthalte das Tier neben der vegetativen Seele auch die wahrnehmungsfähige Seele.157 In bezug auf den Menschen bedeute dies, daß er nicht nur, »insofern er ein beseelten Körper ist, eine vegetative Seele besitzt, und insofern er ein Lebewesen ist, eine wahrnehmungsbegabte Seele besitzt«158, sondern daß ihm darüber hinaus auch noch die anima rationalis zukomme, sofern er _________________________________________________________________________________________________________
sustinent.« An anderer Stelle heißt es in bezug auf den Menschen: »Et si cujuslibet corporis est aliquis Actus, erit unus tantum: Duo enim Actus non actuant unam potentiam. Ergo una tantum erit anima in homine, quæ vegetet, sentiat, & ratiocinetur.« (disp. XI, A3r) 152
Vgl. Scheibler, pars I, disp. III, 29f.: »Dico disertè gradus: quia una anima continetur in altera, nempe inferior in superiori. Ut sensitiva præsupponat vegetantem. Rationalis autem utramque, & vegetantem & sentientem.« 153
Vgl Pacius, lib. II, c. III, 264: »Ita enim anima sensitiva in se continet vegetativum: & ita semper anima superior potestate in se continet inferiores. quod est notandum etiam ad eam quæstionem, utrum in uno & eodem animato sint multæ animæ. nam sicuti est unum quadratum, licet potestate contineat multos triangulos: ita est una anima (exempli gratia) intellectiva, licet contineat multas facultates.« 154
Vgl. Evenius, disp. XI, C1r [Forts. von Anm. 149]: »Pugna siquidem illa sensus & rationis sufficienter per facultates distinctas videtur excusari posse, quicquid etiam ogganniat Zabarella.« 155 Vgl. Timpler, lib. III, c. I, th. 38-40, 255f.: »38 Forma hominis alia est communis, alia propria. 39 Communis forma est anima partim vegetans, partim sentiens. 40 Forma propria & specifica est anima rationalis. Per hanc enim homo est homo, & essentialiter a bestiis distinguitur.« Vgl. a. a. O., pr. 35, 298: »An præter animam rationalem sit etiam in homine anima vegetans & sentiens? Statuitur thesis affirmativa.« 156 Vgl. Timpler, lib. I, c. I, pr. 15, 17: »Anima enim vegetans non est forma specifica plantæ, sed corporis animati, quatenus est genus plantæ & animalis. Similiter anima sentiens non est forma specifica bestiæ, sed animalis, quod est genus hominis & bestiæ.« 157 Vgl. a. a. O., 18: »… sed tantum indicat ex tribus illis nominatis animæ speciebus, solam vegetantem in planta reperiri, in bestia vero præter vegetantem solam sentientem.« 158 A. a. O., lib. III, c. I, pr. 35, 298: »… necesse est, ut homo, quatenus est corpus animatum, habeat animam vegetantem; quatenus animal, habeat animam sentientem.«
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vernunftbegabt und mit einem Geist versehen sei. Die klassische Definition des Menschen als animal anima rationali præditum (bzw. verkürzt als animal rationale) benenne daher auf korrekte Weise sein genus proximum und zugleich die differentia specifica: Er ist ein Lebewesen, das mit einer anima rationalis als seiner forma specifica159 versehen ist.160 Dies ergibt sich für Timpler auch daraus, daß die causa efficiens nicht von dem abgetrennt werden kann, was sie bewirkt. Folglich müßten demjenigen, der über die Vermögen und Funktionen der anima vegetans & sentiens verfüge, notwendigerweise auch diese Seelen selbst zukommen. Dies sei nun offensichtlich beim Menschen der Fall. Denn ansonsten kämen ihm nicht die Gattungsbezeichnungen corpus animatum & animal zu, wenn er nicht neben der anima rationalis auch die anima vegetans & sentiens in sich enthielte. Gegen diese von Zabarella und Timpler vertretene Ansicht haben die lutherischen Autoren zahlreiche philosophisch-theologische Gründe vorgebracht, die ihre These von der Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermögen stützen sollten. Nachfolgend werden nur die wichtigsten erläutert: 1. Evenius wies darauf hin, daß der These von der Seelenvielfalt kein einheitlicher Seelenbegriff zugrunde liege. Wenn die Geistseele erst dann hinzukomme, nachdem die Vegetativ- und Wahrnehmungsseele bereits den Körper beseelt hätten, könne sie nicht dessen forma informans sein. Dies widerspreche aber der allgemeinen Definition der Seele in De An. II 1.161 2. Martini lehnte die These von der Formen- und damit Seelenvielfalt mit der Begründung ab, daß jedes Ding wie nur ein Wesen, so auch nur eine Form in sich enthalte.162 Gegen das von Zabarella und auch Timpler vorgebrachte Argument, wonach die Seele die gleichsam letzte Form sei, von der das spezifische Wesen und die Einheit des Le159
Vgl. a. a. O., pr. 33, 295: »An anima rationalis sit forma specifica hominis? … Est autem thesis affirmativa vera.« Wie diese anima rationalis von Timpler inhaltlich weiter bestimmt wird, ist in 4.2.2. zu erörtern. 160
Vgl. a. a. O., pr. 5, 259: »Communis & in schola Physicorum trita definitio hominis est, qua dicitur esse animal rationale. Eaque perfecta est, si per rationale intelligatur non id, quod est intelligens, aut facultate ratiocinandi instructum, sed id, quod præditum est anima rationali.« 161
Vgl. Evenius, XI, B4v: »Absurdum sequeretur hoc, Animam rationalem non esse actum primum corporis organici, cùm non primò adveniat, sed vegetativa potius & deinde sensitiva, & post has demum Rationalis.« 162 Vgl. Martini, ex. III, A3v: »Verum enimverò diversas animæ potentias & facultates admittimus: plures tamen animæ species in homine non constituimus. 1. Quia ut una res unam habet Entitatem & essentiam: ita etiam habet unam tantùm formam.« Obgleich auch Scheibler die These von der Einheit der Seele vertrat, hielt er gleichwohl unter Berufung auf Zabarella an der These von der Formenvielfalt fest: »Zabarella tamen minus absurdum putat, sive tres, sive decem, sive centum ponantur formæ in eodem composito de facult. an. c.8. & confirmat hanc sententiam de gener. & Inter. c.2. inde, quia in homine duo distincti, & contrarii sunt motus, animalis ut progressio, & naturalis, quando motu recto cadit de turri. … Cui rationi addo ego hanc. Si homo non habet plures formas, Ergo homo non erit corpus, non animal, non mixtum, quia hæc omnia sunt per suas formas id, quod sunt. Si ergo hæc universalia sint in homine, necesse est, ut etiam eorum formæ sint in homine.« (Scheibler, pars I, disp. III, 36) Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie beide Thesen zusammengehen können.
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bewesens abhingen, so daß ihr die übrigen formæ substantiales untergeordnet seien163, wandte Martini unter Berufung auf Thomas ein, daß der begrifflichen Formenvielfalt keine in der Sache selbst entsprechen muß, denn die begriffliche Ausdifferenzierung vervielfältigt nicht das Wesen und die Form der Sache.164 3. Martini setzte sich in diesem Zusammenhang ausführlich mit Zabarellas umstrittener Interpretation der Textstelle De An. II 3, 414b28-32165 auseinander, wonach Aristoteles dort nicht von den Seelenvermögen, sondern von der Substanz jener ganzen Seele spreche, die in sich die übrigen Seelen so enthalte wie das Viereck das Dreieck.166 Für Martini lag hier – in Übereinstimmung mit Portio und Toletus – eine unzulässige Vervielfältigung von Substanzen vor, da sich aus De An. II 4, 415a23-25 klar ergebe, daß die niedere Seele der nächsthöheren Seele zugleich als du/namij diene. Der Vergleich zwischen Figur und Seele sei daher wie folgt zu verstehen: Wie das Viereck das Dreieck nicht realiter, sondern bloß virtualiter in sich enthält – da die Substanz des Dreiecks nicht der Raum des Vierecks ist, sondern die bestimmte Anordnung dreier Linien zueinander, die gerade nicht die Substanz des Vierecks ausmachen –, so enthält auch die anima sensitiva die anima vegetativa nur virtualiter in sich, denn diese ist in jener nicht secundum essentiam, sondern secundum potestatem enthalten. Beide Seelen sind wiederum dem Vermögen nach in der anima rationalis.167
163
Für Zabarella vgl. 3.2.1., Anm. 158. Timpler, lib. III, c. I, pr. 35, 299: »Deinde anima vegetans & sentiens, cum sint formæ substantiales, illa corpors viventis, hæc animalis: idcirco non possunt esse facultates animæ rationalis; siquidem omnis facultas, cum sit qualitas, est accidens. Rursus forma hominis, quatenus est homo, est sola anima rationalis, quæ est substantia expers omnium partium.« 164 Martini, ex. III, A3v: »Formas subordinatas non necessum est extra mentem in re ita dari, ut dantur in intellectu per differentias subordinatas subordinati conceptus: Non enim conceptus multiplices universales subordinati multiplicant essentiam & formam rei, ut alicubi rectè monet Thomas.« 165
Vgl. 3.2.1., Anm. 125.
166
Vgl. 3.2.1., Anm. 152. Timpler hielt diesen Vergleich für gänzlich ungeeignet zur Verdeutlichung des Sachverhalts von der Vielheit der Seelen im Menschen: »Denique quod ad simile attinet, de numero maiore & quadrangulo, illud planè est dissimile, neque ad animam rationalem nisi cum mica salis accomodari potest.« (Lib. III, c. I, pr. 35, 299) 167 Vgl. Martini, ex. III, A4v-B1v: »In quo igitur consistit similitudo figurarum & potentiæ animæ? In eo: quod quemadmodum quadrangulum non excludit, sed includit trigonum, hoc est, figura posterior semper includit virtualiter priorem: ita enim quando datur anima, quæ à facultate sensitiva denominatur sentiens, adeoque perfectior est, illa non excludit, sed includit potestate in illa ipsa facultate vim vegetandi: & sicut trigonum & tetragonum sunt in pentagono: Sic illud vegetativum & sensitivum virtualiter est in eo, quod est rationale … Non enim substantia trianguli consistit in spacio quadranguli; sed in trium linearum inclinatione. Ubi igitur trina illa inclinatio non est, ibi & substantia trianguli non est: Atqui in quadrangulo illa trina inclinatio non est: Ergo etiam in quandrangulo non est triangulum secundum essentiam. Manet igitur certa & immota nostra sententia hoc modo: Quemadmodum in quadrangulo est triangulum: ita anima vegetativa est in sensitiva, & hæ in rationali: Atqui triangulum non est secundum essentiam in quadrangulo, sed tantùm virtute & potestate: Ergo etiam anima vegetativa secundum essentiam non est in sensitiva, ita, ut alia sit essentia vegetativæ, alia sensitivæ animæ; neque hæ sunt in anima rationali: sed tantùm virtute, potestate & efficacia.«
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4. Wenn es im Menschen viele Seelen gäbe, dann wäre der Mensch nicht ein Lebewesen, sondern drei, gleichsam ein vielleibiger und -seeliger Geryon, wie Martini und Leuschner unter Berufung auf Scaliger betonten.168 5. Schließlich sahen Martini und Evenius ihre Ansicht vom Einssein der menschlichen Seele auch von der Hl. Schrift und Theologie her gedeckt. Denn aus Gen. 2,7 sei ersichtlich, daß der Lebensodem nur einem einzelnen Menschen eingehaucht worden sei. Auch in 1. Thess 5,23 und Hebr 4,12 werde nur von einer Seele des Menschen gesprochen. Dies hätten auch die Kirchenväter wie Augustinus und das Konzil von Konstantinopel bezeugt.169 »Wir folgern daher, daß es im Menschen nicht viele Seelen gibt, sondern nur eine einzige Geistseele, die jene dreifache Funktion des Ernährens, Wahrnehmens und Erkennens leistet.«170 Nachdem bis jetzt die einheitliche Bestimmung aller Seelenarten im Mittelpunkt des Interesses stand – zum einen als forma informans und zum andern ihr jeweiliges Einssein in der Vielheit ihrer Vermögen –, fokussiert sich in den folgenden Disputationen der Blick der Lutheraner ausschließlich auf die anima rationalis, um deren Eigentümlichkeiten näher zu bestimmen. Es wird sich zeigen, daß letztlich die Frage nach ihrer Unsterblichkeit hierfür den Anlaß bot. 4.2.2. Die menschliche Seele als e)ntele/xeia spiritualis Das Besondere an der Bestimmung der anima rationalis, durch die sich der Mensch allein vom Tier unterscheidet171, ist, daß er hier in seiner doppelten Gestalt als Geist (pneu=ma, spiritus) und Körper, als immateriell und materiell, himmlisch und irdisch, unsterblich und sterblich, als ein Mittleres zwischen Herrlichkeit und Niedrigkeit in den Blick kommt, wie Leuschner unter Berufung auf Thomas und Gregor von Nazianz
168 Vgl. a. a. O., B2v: »Si plures essent animæ in homine: non esset homo unum animal, sed tria animalia, vel omninò tergeminus Briareus, tricorpore polu/morfoj sive polu/yuxoj Geryon.« Ebenso Leuschner, disp. VIII, B3r. 169 Vgl. Martini, ex. III, B3r. Evenius, disp. XI, B4v. Für Timpler beweisen diese Hinweise auf die Hl. Schrift gar nichts: »Etsi enim sacra scriptura non mentionem facit nisi animæ rationalis; tamen non sequitur, animam vegetantem & sentientem ab eadem negari. Imò, quando distinguit inter animam & spiritum, videtur voce spiritus, ut quidam interpretes explicant, intelligere animam rationalem; voce anima vegetantem & sentientem.« (Lib. III, c. I, pr. 35, 300) Dies wäre freilich eine neue areligiöse Bedeutung vom Begriff anima in der Hl. Schrift. 170 Martini, ex. III, C2r: »Concludimus igitur, plures unâ in homine non esse animas, sed unicam illam spiritualem, quæ triplex illud vegetandi, sentiendi & intelligendi officium præstat.« Martini setzt hier offensichtlich anima spiritualis & anima rationalis einander gleich. Dies wird auch aus den nachfolgenden Ausführungen deutlich werden. 171
Vgl. Scheibler, pars III (De anima rationali), disp. I (De animæ rationalis definitione), 357: »Cum actum sit hactenus de anima vegetante & sentiente, nunc disquirendum est, de RATIONALI, quâ solâ à brutis secernimur.«
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betonte172, als einer, der mit einem Körper bekleidet ist, aber nicht mit ihm stirbt, so Evenius in platonischer Terminologie und wiederum unter Berufung auf Gregor173. Damit wird auf die Immanenz und Transzendenz des Menschen verwiesen, darauf, daß er Natur ist und in der Welt lebt, zugleich aber Geist ist und über sie hinausstrebt. Denn wie, so fragt Evenius, könnte der Mensch auf körperliche Weise Gott und die Engel, die vollkommen immateriell sind, wahrnehmen? Die anima rationalis ist folglich der ‘Ort’, wo sich das gnw=qi seauto/n in immanenter und transzendenter Weise verwirklicht. Sofern die anima rationalis auch mens genannt wird, verweist deren Etymologie, so Leuschner unter Hinweis auf Thomas, auf das Gerundivum mensurandum, das Gemessenwerden, weil die mens (=nou=j) im Intelligiblen (ta\ nohta/) ihr Maß findet.174 Das die anima rationalis Auszeichnende ist also ihr kognitives Vermögen, dem sie ihren Namen verdankt. Dabei entspricht den verschiedenen Tätigkeiten dieses Vermögens eine begriffliche Vielfalt der anima rationalis, der man in ihren Nuancierungen im Lateinischen wie im Deutschen kaum gerecht zu werden vermag: Sie wird, so heißt es bei Scheibler, »wegen der Verschiedenheit ihrer Tätigkeiten auch mit anderen Namen bezeichnet: Geist, wenn sie erkennt. Vernunft, wenn sie richtig urteilt. Erinnerung, wenn sie sich erinnert. Wille, wenn sie will. Weisheit, wenn sie weiß.«175 Der Begriff anima rationalis umfaßt also das gesamte geistige Vermögen des Menschen, wie es im Wissen und Wollen zum Ausdruck kommt. Um diesen Begriff daher in seiner Fülle er172 Vgl. Leuschner, disp. XI, A2r: »Animam Rationalem (quæ Spiritus) & corpus humanum (quod materia) innuo, quæ sapientissimus naturæ autor ita devinxit, ut in unum suppositum (hominem) appositè conspirare queant, Thom. … Unde hominem dicunt Horizontem corporeorum & incorporeorum … Et Nazianzenus … eum appellat terrenum & cœlestem, caducum & immortalem, visibilem & intelligibilem, medium inter magnitudinem, & humilitatem, eundem Spiritum & carnem.« 173 Vgl. Evenius, Disputationum Anthropologicarum decima sexta. De animæ rationalis essentia. Wittenberg 1613, A2r: »Tres creavit DEUS, scitè inquit Gregorius …: Unum, qui carne non tegitur; Alium, qui carne tegitur, sed cum carne non moritur: Tertium, qui carne tegitur, & cum carne moritur. Primus Angelorum, Secundus Hominum, Tertius Brutorum est Animalium.« 174 Vgl. Leuschner, disp. XI, A2r: »Hæc [sc. anima rationalis] alio nomine dicitur Mens … Thomæ à mensurando, quia mensurat ta\ nohta\ Græcis lo/goj kai\ nou=j appellatur.« Wie bei den Renaissance-Aristotelikern (vgl. 3.3.7.1), so ist diese Bestimmung des Geistes, der sich dem Intelligiblen angleicht, ein erster Hinweis auf die ‘Objektivität des Erkenntnisprozesses’: Der Gegenstand ist das Maß des Erkennens, nicht der Geist. Vgl. hierzu auch 4.2.2.2. 175 Scheibler, pars III, disp. I, 359: »Appellatur [sc. anima rationalis] etiam aliis nominibus pro diversitate operationum. Mens [nou=j] dum intelligit. Ratio [lo/goj, dia/noia] dum discernit. Memoria (intellectiva) [mnhmosu/nh] dum recordatur. Voluntas [bou/lhsij] dum vult. Animus [sofi/a] dum sapit.« Scheibler verwies hierfür auf Gregor Reischs Margarita philosophica von 1503. Evenius führte diese Bestimmung auf Isidor von Sevilla zurück (vgl. disp. XII, B3v). Von hier aus wird sie dann Eingang in das anonyme Werk De Spiritu et anima gefunden haben, wo es heißt: »Dicitur namque anima dum vegetat, spiritus dum contemplatur, sensus dum sentit, animus dum sapit, dum intelligit mens, dum discernit ratio, dum recoratur memoria, dum vult voluntas« (Cap. XIII, in: PL 40, 785) Zur Klärung der Begrifflichkeit vgl ferner Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 2, 729: »De Animo, Anima, Mente, Intellectu, Ratione, Ratiocinatione, Dianœa.«
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schließen zu können, muß die menschliche Seele hinsichtlich ihres Seins und ihrer Funktion in den Blick genommen werden. Genau auf diese doppelte Hinsicht haben die lutherischen Schulphilosophen bei ihrer Definition der Geistseele abgezielt, indem sie diese als forma bzw. actus corporis bestimmt und im Denken ihr eigentümliches Vermögen erkannt haben. So definierte Martini sie unter Berufung auf De An. II 2, 414a12f. als »geistige Vollkommenheit des menschlichen Körpers, der in Möglichkeit Leben, Wahrnehmung und Denken hat.«176 Evenius bestimmte sie als eine »Vollkommenheit des organischen Körpers, oder das Genus der Seele ist dasjenige, wodurch wir erkennen und das Erkannte wollen und ihm folgen, oder [sie ist] die spezifische Form des Menschen, durch die ihm sein Wesen und seine Tätigkeit eignen.«177 Scheibler wiederum nannte sie etwas ungeschickt eine »Vollkommenheit des Menschen, insofern er Mensch ist.«178 Leuschner schließlich definierte sie als eine »unsterbliche Vollkommenheit des menschlichen Körpers, durch die der Mensch erkennt.«179 Alle Autoren setzen als Genusbestimmung den Begriff e)ntele/xeia h( prw/th bzw. actus primus.180 Damit wird verdeutlicht, daß actus primus diejenige forma ist, aus der die Tätigkeit als actus secundus folgt. Sofern nun die Seele Seins- und Wirkprinzip des Menschen ist, dasjenige also, was das Leben verleiht und die lebenserhaltenden Funktionen gewährt181, ist sie actus primus.182 Scheibler betont in diesem Zusammenhang unter Berufung auf Thomas, Toletus, Zabarella und die Conimbricenser, daß die menschliche Seele forma informans sei, da sie sich dem Körper einpräge und mit ihm das unum per se essentiale compositum bilde, und nicht etwa forma assistens, wie Averroes, Philoponus und Themistius behauptet hätten. Denn sie hänge in gewisser Weise vom Körper ab, da sie der Vorstellungen bedürfe, die durch die Sinneswahrnehmung gebildet würden. Folglich sei sie die »wahre, innere und seingebende Form 176
Vgl. Martini, ex. I, C1v: »Anima verò hominis in specie ita potest describi, quod sit
e)ntele/xeia spiritualis corporis humani potentiâ vitam, sensum & intellectum habentis. Aristoteles
lib. 2. de an. t. 24.« Der Zusatz spiritualis findet sich natürlich bei Aristoteles nicht. Ihm liegt die theologische Dimension des Menschseins zugrunde, auf die weiter unten einzugehen sein wird. 177 Evenius, disp. XVI, A4r: »Anima Rationalis est e)ntele/xeia corporis organici, seu id animæ genus, quo intelligimus & intellecta libere volumus & exequimur, vel: Actus seu Forma hominis specifica, per quam Homo essentiam atque operationem sibi propriam obtinet.« 178
Scheibler, pars III, disp. I, 359: »Anima rationalis est actus hominis, ut homo est.«
179
Leuschner, disp. XI, A2v: »Finimus eam [sc. animam rationalem] suo modo perfectè … Actum corporis humani immortalem, quo homo intelligit.« 180
So auch Timpler, lib. III, th. 41, 256: »Unde etiam physicè rectè definitur [sc. anima rationalis] actus primus hominis, quatenus est homo.« 181 Vgl. Leuschner, disp. XI, A2v: »Actum dicimus non accidentalem, qualis Color est colorati, sed prw/thn ou)si/an ut vocat Aristoteles … quæ perficiendo materiam dat esse composito & operari.« 182 Vgl. Scheibler, pars III, disp. I, 361: »Animam vocari actum, non quatenus actus pro actione sumitur (Sic enim accidens esset animæ,) sed quatenus sumitur pro ipsa forma …«
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des Menschen«183 oder das principium essendi substantiale. Hieraus ergeben sich für Scheibler drei Folgerungen: »1. Es gibt nicht ein und dieselbe Geistseele für alle Menschen. 2. Die Einheit der menschlichen Seele mit dem Körper ist nicht die Form des Menschen, wie Casmann in seiner Psychologia anthropologica meint. 3. Die Geistseele kann in gewisser Weise Natur genannt werden, was Simplicius verneint.«184
Die erste Folgerung richtet sich gegen Averroes, der, wie gesehen (vgl. 3.3.1.2.), die Ansicht vertreten hat, daß in allen Menschen ein und derselbe Geist existiert. Für Scheibler vervielfältigt sich dagegen jede spezifische Form gemäß der Zahl der Individuen einer Art. Genau eine solche Form (als forma informans) sei aber die anima rationalis. Die zweite Folgerung kritisiert Casmann, aber auch Timpler: Da jede Art nur eine spezifische Form besitzt, diese beim Menschen aber die anima rationalis ist, kann ihre Einheit mit dem Körper nicht eine weitere forma hominis sein. Denn was, so fragt Evenius, würde die Seele machen, wenn sie bereits mit dem Körper vereint wäre? Vielmehr sei sie allein dessen Seins- und Wirkprinzip. »Dumm ist, wer dies verneint, und blind, wer das nicht sieht.«185 Schließlich betont Scheibler gegen Simplicius, daß sie eine forma corporis naturalis und als eine solche damit in gewisser Weise selbst Natur ist, ist sie doch das Prinzip der körperlichen Bewegung. Bei Martinin und Leuschner wird bei der Bestimmung der differentia specifica der Geistseele ein theologisches Interesse sichtbar, das im Zusammenhang mit der Frage nach dem ihrem Ursprung und ihrer Unsterblichkeit auf eine Ergänzung bzw. Veränderung der philosophischen Definition abzielt. Denn daß die menschliche Seele e)ntele/xeia spiritualis ist, heißt für Martini nicht nur, daß sie von jeder Körperlichkeit frei ist, sondern auch, daß sie auf vorzügliche Weise spiritus ist, wie auch Dannhauer betont186, hat Gott doch dem Menschen bei seiner Erschaffung den Lebensodem eingehaucht (Gen. 2,7). Die geistige Vollkommenheit der menschlichen Seele ist für den Wittenberger also das Resultat ihres vom göttlichen Geist gewirkten Ursprungs. Gleiches gilt auch für die Frage nach ihrer Unsterblichkeit, auf die Leuschner in diesem Zusammenhang mit ihrer Bestimmung als actus immortalis verweist: Die Unsterblichkeit ist gewiß, weil sie dem Menschen von Gott verheißen ist. Der geistigen Vollkommenheit aufgrund ihres göttlichen Ursprungs entspricht so eine unsterbliche Vollkommenheit aufgrund des göttlichen Willens, den Menschen mit sich zu versöhnen. Wie bei Melanchthon (vgl. 2.3.3.), so ist also auch bei Martini und Leuschner im Zusam183
A. a. O., 363: »Anima rationalis est vera, intrinseca & informans forma hominis.«
184
A. a. O., 365: »Primò. Non esse omnium hominum unam eandemque animam rationalem. Secundò quòd unio animæ humanæ cum corpore non sit forma hominis, ut Casmannus putat in Psychol. Tertiò animam rationalem certa ratione posse dici naturam, quod negat Simplicius …« 185 Evenius, Disputationum anthropologicarum DECIMA SEXTA. De animæ rationalis essentia. Wittenberg 1613, A4v: »Bardus est qui hoc negat, cæcus qui non videt.« 186 Vgl. Dannhauer, disp. I, con. IV, 20: »Nego de anima immateriali & rationali, de qua verum est illud animam esse totam in toto & totam in qualibet parte: idque probatur quia est spiritus …«
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menhang mit der Frage nach dem Woher und Wohin der menschlichen Seele, ihrer causa efficiens & finalis, das theologische Interesse vorherrschend. Beides ist im folgenden genauer aufzuzeigen. Mit der Bezeichnung der Geistseele als e)ntele/xeia spiritualis wahrt Martini den Zusammenhang zum gottgewirkten Ursprung der Seele in Adam. Doch gilt dieser Kreatianismus auch noch heutzutage? Anders gefragt: Wie gelangt die Geistseele heutigentags in den Körper? Martini verweist für diese schwierig zu beantwortende Frage187 auf insgesamt vier Ansichten, die sich hier im Laufe der Diskussionen herausgebildet haben: 1. Origenes gemäß hat Gott alle Seelen zugleich im Schöpfungsakt erschaffen und bewahrt sie im Himmel auf, um sie nach und nach im Augenblick der Geburt dem Körper einzugeben. Martini lehnt diese Ansicht ab, weil die Hl. Schrift nichts von einer Präexistenz der Seele berichte. 2. Die Pythagoreer vertraten die Ansicht, daß eine bestimmte Anzahl von unsterblichen Seelen unmittelbar von Gott erschaffen worden sind. Damit werden sie aber für Martini nolens volens gezwungen, eine Seelenwanderung (metemyu/xwsij) von einem Körper in einen anderen anzunehmen, um nicht die Zahl der Seelen ins Unendliche wachsen zu lassen. Spöttelnd fragte Leuschner in diesem Zusammenhang, ob denn Hectors Seele inzwischen die Seele eines gallischen Hahnes sei.188 3. Dem Kreatianismus gemäß erschafft Gott fortwährend neue Seelen, so daß im Zeugungsakt nur die Körper hervorgebracht werden. Als Vertreter dieser Ansicht verwiesen Martini und Leuschner auf Petrus Lombardus, Thomas, Toletus und die Conimbricenser, aber auch auf Scaliger sowie die Reformierten Calvin, Timpler189 und Keckermann.190 4. Auch wenn Martini deren Argumente für durchaus diskussionswürdig hielt191, folgte er wie auch Evenius, Leuschner und Dannhauer 187 Vgl. Martini, ex. I, C2v: »Origo igitur animæ manifesta est ex Moyse, nempe quod primo parenti inspirata sit à Deo: Verùm difficilis hic oritur quæstio: Quomodo hodiè anima in corpora nostra veniat.« 188
Vgl. Leuschner, disp. VIII, A4r.
189
Vgl. Timpler, lib. III, c. I, pr. 30, 291: »Concludo igitur, animas hominum non à parentibus per generationem propagari; sed à Deo ex nihilo in corporibus perfectè formatis & dispositis creari, creatasque cum iisdem virtute spiritus vitalis uniri ad producendum totum compositum.« 190
Vgl. Martini, ex. I, C2v. Leuschner, disp. VIII, A4v.
191
Vgl. Martini, ex. I, C2v: »Altera [sc. opinio] quibusdam rationibus probabilibus defendi potest.« Martini referierte u. a. die folgenden Argumente: 1. Wie die Seele Adams unmittelbar von Gott erschaffen wurde, so werden auch die Seelen aller anderen Menschen unmittelbar von Gott aus dem Nichts erschaffen. Ansonsten ergäbe sich eine Diskontinuität im Werden. 2. Immaterielles widerstreitet der Zeugung, wird daher unmittelbar erschaffen. Die Seele ist immateriell. Also wird sie unmittelbar von Gott erschaffen. 3. Was unsterblich ist, das entsteht nicht auf natürliche Weise. Die Seele ist unsterblich. Ergo. – Hiergegen argumentierte Martini wie folgt (vgl. a. a. O., C4r-v): 1. Adam ist nicht nur hinsichtlich der Seele, sondern auch hinsichtlich des Körpers unmittelbar erschaffen worden. Dies aber wird uns Heutigen nicht zuteil, deshalb bedürfen wir eines natürlichen Zeugungsaktes. 2. Es muß zwischen einer bloß natürlichen und einer übernatürlichen Zeugung unterschieden werden. Letztere kommt gewiß der Seele zu. Gleichwohl folgt hieraus nicht, daß sie deshalb unmittelbar von Gott erschaffen wird. Vielmehr geschieht sie auf außergewöhnliche, für uns nicht weiter verstehbare Weise durch göttlichen Segen. Hier gilt der Satz Avicennas, daß die Zeugung des Menschen noch
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der vierten Ansicht, wonach die Seele des Menschen von den Eltern im Zeugungsakt – cum traduce & per traducem – weitergegeben wird.192 Uneinigkeit bestand hierbei zwischen Martini und Meisner, ob auch Luther, Melanchthon und Augustinus diese Ansicht vertreten haben. Während Martini dies bejahte193, sah Meisner in ihnen Vertreter der Ansicht, die aufgrund der Unsicherheiten in dieser Frage eine e)poxh/ empfahlen194. _________________________________________________________________________________________________________
oberhalb der (sonstigen) Wunder ein bewundernswertes Werk sei. 3. Was post rem gilt, muß nicht auch ante rem gelten. Von der Unsterblichkeit der Seele kann daher nicht auf ihr unmittelbares Erschaffensein durch Gott geschlossen werden. 192 Vgl. a. a. O., C4v: »Si igitur anima hominis non creatur immediatè à DEO, sequitur necessariò eandem à parentibus propagari …« Evenius, Disputationum Anthropologicarum Decimanona et ultima. De Animæ Rationalis origine & Immortalitate. Wittenberg 1613, A4r: »Sic ergo statuimus: Animas unà cum corporibus à parentibus in sobolem propagari, & non quidem ex semine, ut materia educi, sed de anima parentum, ut facem de face accendit.« Leuschner, disp. VIII, A4v: »Alij, animam à parentibus propagari asserunt & in genito esse ex traduce, non tanquam ex materia elementari, sed cum traduce & per traducem. … Huic sententiæ, cum vera & sacris consentanea videtur, & nos subscribimus …« Auch Dannhauer verneinte nach dem Sechstagewerk ein unmittelbares Geschaffenwerden der Seele von Gott, verwies vielmehr auf den concursus divinus gemäß Gen 2,2, wonach Gott nicht mehr selbst schaffe, sondern die Schöpfung bewahre: »Animæ post Hexaëmeron non creantur immediatè à Deo, sed earum productio pertinet ad divinum concursum.« (Disp. VI (De animæ humanæ origine dilucidata), th. II, 147) 193
Vgl. Martini, ex. I, C2v: »Quidam animam hominis à parentibus propagari statuunt: in qua sententia olim fuisse … Augustinus … approbat etiam eandem Lutherus, Phil. Melancht. in princip. lib. de an. …« Zu Luther und Augustinus vgl. die nachfolgende Anm. Zu Melanchthon vgl. 2.3.3., Anm. 285 und 286. 194 Vgl. Meisner, Philosophia Sobria I, sec. III, c. VI, q. 1, 589: »Verum audaculos hosce missos facio, & Lutheri potius atque Augustini modestiam approbans, in re tam difficili & subtili, præsertim tacente Scriptura, nihil temere affirmo, ne idem mihi obtingat, quod olim juveni isti Vincento Victori, qui cum reprehendens illa Augustini e)poxh\ & cunctationem, certo se demonstrare posse animarum creationem assereret, gravi objurgatione ab Augustino repressus est, quod de re tanta, tamque obscura, quam per ætatem non satis posset considerare, tam temere pronunciaret.« Meisner verwies in diesem Zusammenhang auf Augustins epistola 157, wo es heißt: »Si origo animæ lateat, dum tamen redemtio clareat periculum non est. Neque enim in Christum credimus, ut nascamur, sed ut renascamur, quomodocunque nati fuerimus.« Das Zitat konnte in PL 33, 674-693 (CSEL 44, 449-488) nicht verifiziert werden. Aus der Epistola 166 ad Hieronymum wird aber deutlich, daß Augustin zumindest die Theorie des Kreatianismus aus schwerwiegenden theologischen Bedenken abgelehnt hat: »… et dic [sc. Hieronymus] mihi, si animae singillatim singulis hodieque nascentibus fiunt, ubi in parvulis peccent peccantes in Adam, ex quo caro est propagata peccati, aut, si non peccant, qua iustitia creatoris ita peccato obligantur alieno, cum exinde propagatis membris mortalibus inseruntur, ut eas, nisi per ecclesiam subuentum fuerit, damnatio consequatur, cum in earum potestate non sit, ut eis possit gratia baptismi subveniri … obsecro te, quo modo haec opinio defenditur, qua creduntur animae non ex illa una primi hominis fieri omnes sed sicut illa una uni ita singulis singulae?« (Epist. 166, IV 10, in: PL 33, 725 [CSEL 44, 560,10-561,13]) Von Luther zitierte Meisner ohne jeglichen Nachweis folgenden Satz: »me nihil publice velle affirmare de illa quæstione, sed privatim apud me tenere sententiam de traduce.« In seiner Genesis-Vorlesung von 1536 hat Luther jedoch eindeutig die These vom Traduzianismus vertreten: »Primus homo ex gleba factus est a Deo, deinde propagari coepit genus humanum ex semine masculi et feminae.« (WA 42, 34,33f. zu Gen. 1,14b) »Creato autem sic masculo et femina postea ex earum sanguine divina benedictione generatur homo. Quanquam autem haec cum brutis communis generatio est, non tollit tamen illam gloriam originis nostrae primae …« (A. a. O., 64,20-22 zu Gen 2,7)
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Zur Stützung der Ansicht vom Traduzianismus benannten die Lutheraner eine Vielzahl von theologischen und philosophischen Gründen, von denen hier nur die wichtigsten benannt seien195: 1. Gott vollendete am sechsten Tag sein Schöpfungswerk und ruhte am siebten Tag. Folglich erschafft er nicht täglich und unmittelbar die Seelen, sondern bewahrt die Schöpfung in einem concursus divinus. 2. In Gen 1,28 heißt es: ‘Gott segnete den Menschen und sprach zu Adam und Eva: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde.’ Dies könne nur durch Fortpflanzung geschehen. 3. Das Kind wird von seinen leiblichen Eltern gezeugt, und nur diese Zeugung ist das Fundament der Beziehung zwischen ihnen. 4. In einem univoken Zeugungsakt teilt der Zeuger dem Gezeugten dieselbe Natur und dasselbe Wesen mit. Die Zeugung des Menschen ist aber univok, weil die gezeugte Person die gleiche Natur hat wie der Zeuger. 5. Wenn der Zeuger nicht die Form des Menschen zeugte – denn die Zeugung ist die Hervorbringung der Form –, dann könnte von ihm nicht gesagt werden, daß er einen Menschen zeugt. 6. Der Mensch entsteht aus einem Menschen, wie Aristoteles in Phy. II 1, 193b8 formuliert hat. Der Mensch ist aber nicht nur ein corpus humanum, sondern ein aus Körper und Seele bestehendes Wesen (animal rationale). Weil also die Seele den Menschen in seinem Wesen konstituiert, so folgt hieraus, daß die Seele bei der Zeugung des Menschen aus einem anderen Menschen hervorgeht. 7. Wenn der Mensch nicht die Seele des Menschen hervorbrächte, dann wäre der Mensch unvollkommener als die Tiere, die ihre Seelen durch Fortpflanzung selbst zeugen196. Den Grund für diese Bevorzugung der »traduzianische[n] Auffassung von der Entstehung der individuellen Seele« im Luthertum erkennt Sparn zu Recht in der »soteriologische[n] Betonung der Ganzheitlichkeit des Menschen«197: Wie der Mensch im Zeugungsakt in seiner Einheit von Leib und Seele entsteht198, so wird er auch als ganzer wiederauferstehen am Ende aller Tage. Damit verweist der erste Aspekt der differentia specifica in der Definition der anima rationalis, nämlich die e)ntele/xeia spiritualis, auf den zweiten Aspekt des actus immortalis. Ist dies die einheitliche Position der Lutheraner in der Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele? Und wie wurde Aristoteles in diesem Zusammenhang interpretiert? Welche Position vertraten Pacius und Timpler in dieser Frage?
195 Vgl. Martini, ex. I, C4v-D1r. Evenius, disp. XIX, A4r-v. Dannhauer, disp. VI, th. II, 147-153. Leuschner, disp. VIII, A4v. 196 Das letzte Argument könnte von den Anhängern des Kreatianismus aber auch in sein Gegenteil verkehrt werden: Gerade weil Gott die Seele unmittelbar schafft, ist der Mensch aufgrund dieses göttlichen Schöpfungsaktes vollkommener als die Tiere. 197
Walter Sparn, Schulphilosophie, in: Ueberweg 17. Jh., Bd. 4/1, 494.
198
Diese Ansicht zog freilich die schwierige Frage nach sich, auf welche Weise denn die Seele von den Eltern erzeugt werde. Zu den diskutierten Modellen – 1. Die Seele ist dem Vermögen nach in der Materie des Samens. 2. Die Seele wird von den Seelen der Eltern ‘entzündet’, ist aber auf vollkommene Weise im Samen. 3. Sie wird von der Mutter weitergegeben – vgl. Martini, ex. I, D1v-D2v.
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4.2.2.1. Glauben und Wissen: Die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele Die Überschrift zeigt die grundsätzliche Schwierigkeit an, welche die Lutheraner und Calvinisten – wie auch die Katholiken – zu klären hatten: Ist die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele allein von der Theologie und vom Glauben her zu beantworten, oder kann sie von der Philosophie her, und zwar zum einen ihren Prinzipien gemäß und zum andern der Ansicht des Aristoteles gemäß, bewiesen oder zumindest aufgezeigt werden? Es ist bereits gezeigt worden, daß Aristoteles für Luther in dieser Frage keinerlei Autorität besaß (vgl. 2.2.3.). Auch für Melanchthon kam den Beweisen der Philosophen für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele keine entscheidende Bedeutung zu, obgleich er sie immerhin von Aristoteles her für möglich hielt (vgl. 2.3.5.). Es überrascht nun, daß einige Lutheraner in dieser Frage eine gänzlich von Luther abweichende Position eingenommen haben. Sofern nämlich Martini der Frage nach der Unsterblichkeit folgendes Theorema voransetzte: »Die Seele des Menschen ist auch nach Platons und Aristoteles’ Ansicht unsterblich«199, stellte er sich nolens volens in die thomistische Tradition eines Toletus und der Conimbricenser, für die den Prinzipien der Philosophie gemäß wie auch der Ansicht des Aristoteles gemäß ein philosophischer Erweis der Unsterblichkeit der Seele möglich ist (vgl. 3.3.6.). Auf ähnliche Weise argumentierten Evenius200 und Leuschner201 sowie die Calvinisten Pacius und Timpler202, während Scheibler und Dannhauer eine differenziertere Position 199
A. a. O., D3r: »Anima hominis immortalis est etiam ex sententia Platonis & Aristotelis.«
200
Vgl. Evenius, disp. XIX, B4v: »Nos ex philosophiæ etiam meditullio huic immortalitati fidem non contemnendum fieri posse existimamus, testimoniis Platonis & Aristotelis summorum philosophorum confirmatam.« 201 Leuschner vertrat die These, daß die menschliche Seele in Hinsicht auf ihre Erschaffung und Fortpflanzung endlich sei: »Circa finitatem observandum, quod anima sit Ens dependens (1) respectu creationis, quia ei)=nai suum à DEO tanquam suo Creatore & causa efficiente obtinet. Quicquid verò extra Deum est, finitum est. E[rgo] & animæ essentia à DEO certis limitibus erit circumscripta. (2) Respectu generationis: Finitum non potest producere infinitum. Atqui causa producens animam (sc. homo) est finita. E[rgo].« (Disp. VIII, A4r) Hieraus könne aber nicht gefolgert werden, daß sie sterblich sei: »Nec licet subsumere, animam si a parentibus propagetur esse mortalem, quoniam quæ sunt generata, etiam intereant … Valet enim illud axioma tantum de materialibus & compositis. Anima autem composita non est, sed simplex … Si anima operatur sine corpore, existere potest extra corpus, quia unumquodque agit, secundum quod est actu. … Quod Aristoteles ratione assecutus intellectum vocavit a)qa/naton kai\ a)i+/dion l. 3. de anim. c. 5 [430a23] …« (Disp. XI, A4r) Leuschner verstand die genannten Attribute des intellectus agens also ontologisch. 202 Wie bereits erwähnt (vgl. 4.2., Anm. 125), hat Timpler die These vertreten, daß der Tod des corpus animatum auch den Untergang des ganzen Kompositum einschließlich der Seele bedeutet. Dies gilt nun aber aufgrund des besonderen Schöpfungsaktes nicht für die menschliche Seele: »An anima rationalis sit immortalis? Vulgata & nobilis quæstio est hæc de animæ rationalis immortalitate, in qua etsi summus deberet esse omnium hominum inter se consensus, ad defendendam dignitatem & excellentiam humanæ naturæ, qua illa à Deo præ omnibus aliis animantibus [sic!] ornata est: tamen nescio, qui factum est, ut etiam hîc opinionum discrepantia extiterit … Ut igitur veritas huius quæ-
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vertraten, die der aristotelischen Philosophie und der lutherischen Theologie mehr gerecht wird. Beide Ansichten sollen im folgenden erläutert und auf ihre philosophische Stringenz hin überprüft werden. Unberücksichtigt bleiben hierbei die theologischen und ethischen Beweise für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele203, da es im vorliegenden Zusammenhang allein um die Frage geht, ob die naturphilosophischen Prinzipien der (aristotelischen) Philosophie hinreichend sind, diese Unsterblichkeit zu erweisen. Anders gesagt: Es sind die Konsequenzen der Bestimmung der Seele als forma informans zu verdeutlichen. Wie gesehen, hat Martini die menschliche Seele als e)ntele/xeia spiritualis bestimmt. Daß diese differentia specifica bei ihm nicht nur ihre causa efficiens, sondern auch ihre causa finalis und damit Unsterblichkeit kennzeichnet, wird aus den folgenden naturphilosophischen Argumenten deutlich204: 1. Die menschliche Seele entsteht nicht auf dieselbe Weise wie die übrigen natürlichen Formen. Also vergeht sie nicht zusammen mit dem Körper, sondern ist von ihm abtrennbar. 2. Was unabhängig von der Materie tätig ist, d. h. seine Tätigkeiten ohne körperliches Organ vollzieht, das geht mit dem Körper nicht zugrunde. Auf eine solche Weise aber ist die menschliche Seele tätig. Also ist sie unsterblich. Zur Begründung verwies Martini auf das Denken des Geistes, der gemäß De An. III 4, 429a24f. keines Organs bedarf. Je mehr er dabei von den Sinnen abstrahiert, desto vollkommener ist er. Die Koinzidenz von eigentümlicher Tätigkeit und Wesen führt nun dazu, daß die menschliche Seele desto vollkommener ist, je mehr sie sich vom Körper abtrennt. Ihrer besonderen Genesis entspricht also ihr Exodus aus dem Körper. 3. Diejenige Form, die nicht nach Art der übrigen natürlichen Formen die Materie formt und sich in ihr ausdehnt, kann sich von der Materie abtrennen. Die menschliche Seele aber formt den Körper nicht durch Ausdehnung. Ergo. Martinis Argumentation zielt insgesamt darauf ab, die Einzigartigkeit der menschlichen Seele zu erweisen, indem ihr Form-Begriff von dem der natürlichen Form unterschieden wird. Diese Argumentation überzeugt jedoch aus folgenden Gründen nicht: Zu 1. Die besondere Genesis der menschlichen Seele gemäß Gen 2,7 wird beim natürlichen Zeugungsakt durch Fortpflanzung (Traduzianismus) gerade nicht betont. Es ist allein der (unbestimmte) concursus divinus, der das Sein und Werden der Lebewesen _________________________________________________________________________________________________________
stionis elucescat, primum certis argumentis animæ immortalitatem demonstrabimus.« (Lib. III, c. I, pr. 32, 292) Vor diesem Hintergrund wird klar, weshalb Timpler einen scharfen Leib-Seele-Dualismus beim Menschen vertrat. Da es keine Mitteilung der Eigenschaften zwischen beiden gibt, die Seele gleichsam forma assistens ist, läßt sich ihre Loslösung vom Körper plausibel erklären. 203
Vgl. hierzu Martini, ex. I, D3v. Timpler, lib. III, c. I, pr. 32, 292f. Evenius, disp. XIX, B4v. Es wird auf Textstellen der Hl. Schrift (Mt 10,28; Apg 7,59; 2. Kor 5,1-5; Luc 16,22 etc.) verweisen, auf das Phänomen des Gewissens, das uns nach guten oder schlechten Taten erfreut oder plagt und so bezeugt, daß es ein anderes Leben gibt, in dem der Mensch von Gott den ewigen Lohn oder die ewige Strafe für seine Taten erhält, sowie auf die providentia Dei, die das ewige Leben verheißt. 204
Für das Nachfolgende vgl. Martini, ex. I, D3r-v.
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sichert. Auch unabhängig davon liegt ein unzulässiger Schluß von der Weise des Entstehens auf die des Vergehens vor. Was auf andere Weise entsteht als anderes, kann sehr wohl auf dieselbe Weise vergehen. Zu 2. Auch bei der Beschreibung der Organlosigkeit des Geistes liegt ein unzulässiger Schluß von einer Tätigkeit auf eine ontologische Bestimmtung vor. Denn der Geist (und nicht etwa die ganze menschliche Seele) ist nur hinsichtlich seiner Tätigkeit, nicht aber hinsichtlich seines Seins als forma corporis unabhängig vom Körper. Zu 3. Es bleibt unklar, inwiefern die menschliche Seele den Körper auf andere Weise formt als die übrigen natürlichen Formen, denn auch sie ist von Martini als forma informans bestimmt worden, die ganz im ganzen Körper und ganz in seinen Teilen ist. Anderfalls wäre sie die von Averroes behauptete forma assistens. Insgesamt legte Martini in all diesen Punkten Bestimmungen der menschlichen Seele zugrunde, die mit seinen bisherigen Äußerungen nicht vereinbar sind. Ferner zeichnet sich eine Ontologisierung der Attribute des Geistes aus De An. III 4 und 5 ab, die weiter unten zu diskutieren sein wird (vgl. 4.2.2.2.). In einem zweiten Schritt verwies Martini auf Thomas, Ägidius, Toletus, Pererius, Piccolomini und viele andere, die alle überzeugend bewiesen hätten, daß Aristoteles – neben Platon205 – die These von der Unsterblichkeit der Seele vertreten habe.206 Für Martini sind hierfür die Textstellen De An. II 2, 413b24-27, De An. I 4, 408b29, De An. III 5, 430a23 und Met. XII 3, 1070a24-26 einschlägig.207 Obgleich er sie nicht näher erläuterte, verstand er sie offensichtlich wie folgt: In den ersten beiden Textstellen spricht Aristoteles nicht dubitativ über den Nous, sondern affirmativ, so daß dessen Abtrennbarkeit, Ewigkeit, Göttlichkeit und Inaffizierbarkeit gewiß ist. Ferner ist für Martini der intellectus agens ein Vermögen der menschlichen Seele, dessen Attribute a)qa/natoj & a)i/+dioj hinlänglich seine Unsterblichkeit anzeigen. Dieser Ansicht – gerade im Blick auf De An. III 5 – sind auch Pacius208 und Evenius209 gefolgt. Auch für 205 Vgl. a. a. O., D3v: »Platonem quòd attinet, extra controversiam est, eum firmiter animæ immortalitatem credidisse.« 206 Vgl. a. a. O., D4r: »Aristotelem, animam immortalem esse, firmiter statuisse probant Thom. 2. cont. gent. c. 79 Ægid. lib. 3. de an. c. 4. Tolet. lib. 3. de an. q. 15. Perer. lib. 6. de rebu. natu. c. 19. Piccol. lib. 2. de mente, & multi alii.« 207 Vgl. ebd.: »Rationes sunt, 1. quia Aristoteles concedit animam rationalem separabilem & perpetuam esse, lib. 2. de an. c. 2. t. 21 & 22. [sc. 413b24-27] [peri\ de\ tou= nou= kai\ th=j qewrhtikh= j duna/ m ewj ou) d e/ n pw fanero/ n ,] a)ll e ) )/oike yuxh=j ge/noj e(/teron ei)=nai, kai\ tou=to mo/non e)nde/xetai xwri/zesqai, kaqa/per to\ a)i+/dion tou= fqartou=: Videtur hoc animæ genus esse diversum, idque solum, perinde atque œternum, ab eo quod occidit, separari, sejungique potest. 2. Quia docet eam esse divina & passione vacare. o( de\, inquit, nou=j i)/swj qeio/tero/n ti kai\ a)paqe/j e)stin. lib. 1. de an. c. 4. t. 66 [sc. 408b29]. 3. lib. 3. de an. c. 5. [sc. 430a23] intellectum agentem expresse dicit a)qa/naton kai\ a)i/+dion. 4. lib. l Met. c. 3. t. 17. [sc. 1070a24-26] innuit, quod nihil prohibeat, intellectum post corpus remanere.« 208
Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 381: »Declarat aliam proprietatem, qua intellectus agens seiungitur à patiente, & ab aliis facultatibus animæ: quia solus hic intellectus separatur à corpore, & post hominis obitum permanet.« Die Textstelle De An. II 2, 413b24-27 verstand Pacius anders als Martini, da Aristoteles hier nicht affirmativ, sondern dubitativ gesprochen habe, wie Alexander (und auch Portio und
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Timpler gab es keinen Zweifel, daß Aristoteles in NE X 7, 1177a20f. und 1177b261178a8 sowie in De Part. an. II 10, 656a7f. – jene Textstelle also, die Evenius seiner Disputationssammlung vorangestellt hat – die These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele vertreten hat.210 Es ist gleich zu zeigen, wie Dannhauer die Textstellen aus De Anima auf eine andere Weise verstand. In einem dritten Schritt setzte sich Martini abschließend mit den Gegnern seiner Ansicht auseinander, zu denen er Plutarch, Pomponazzi, Portio, Cajetan und insbesondere Alexander zählt, »der jenen allen Anlaß zum Zweifeln gegeben und sich als erster von allen nicht geschämt hat, Aristoteles eine solche Ansicht anzudichten, als ob er die Unsterblichkeit der Seele verneint hätte.«211 Alexander erscheint hier als die Wurzel allen Übels, der mit seiner Interpretation den Geist der Häresie unter den Aristotelikern verbreitet habe. Martini setzte sich dabei hauptsächlich mit dessen, auch von Pomponazzi, Portio und Zabarella vertretenen Argument auseinander, wonach der Geist der Vorstellungen bedürfe, so daß die Seele vom Körper nicht abtrennbar sei. Für Martini muß dabei zwischen der Tätigkeit der Seele, die in einem Körper ist, und dem Wesen selbst der Seele unterschieden werden. Nur jene sei unbeständig, während das Wesen abtrennbar und beständig sei.212 Auch hier bleibt aber völlig unklar, wie er diese Äußerung mit seiner Wesensbestimmung der Seele als forma corporis vereinbaren kann. _________________________________________________________________________________________________________
Zabarella) richtig erkannt habe. Es wäre nämlich unverständlich, wenn das Wort e)/oike in b25 affirmativ verstanden würde, obgleich Aristoteles unmittelbar zuvor gesagt habe, daß über den Nous noch nichts deutlich sei (ou)de/n fanero/n, ebd.). Ferner spreche Aristoteles dort nicht von einer Abtrennung der Seele vom Körper, sondern von einer Abtrennung eines Teils der Seele von anderen Teilen, also ob sich der Geist von der Sinneswahrnehmung und den anderen Vermögen abtrennen könne. Die Antwort auf diese Frage trage aber nichts zum Problem der Unsterblichkeit der Seele bei (vgl. Pacius, lib. II, c. II, 253). 209 Evenius, disp. XIX, C1r: »De Aristotele multi subdubitant, existimantes eum tanquam dubium hac de re nihil certi pronunciasse, cùm tamen certò constet, à Platonis dogmate eum huic non deviasse, cum to\n nou=n faciat xwristh\n, a)migh=, a)paqh=, e)nergei/# o)/nta lib. 3. de an. cap. 5 [sc. 430a17f.], & in aliis locis compluribus.« 210 Vgl. Timpler, lib. III, c. I, pr. 32, 293: »Unde Aristoteles lib. 10. Ethicor. c. 7 & 8 ait mentem esse divinum quippiam & Deo maximè cognatum. Item libro 2. De partibus animalium, cap. 10. Hominum genus aut solum ex omnibus animalibus nobis notis divinitatis esse particeps, aut omnium maximè. Ergo cum immortalitas propriè competat divinæ naturæ, etiam anima rationalis hominis eius est particeps.« Es ist auffällig, daß sich Timpler für seine These von der Unsterblichkeit der Seele hier nicht auf den locus classicus De An. III 5, 430a23 berief (vgl. hierzu 4.2.2.2.1.). 211
Martini, disp. I, D4v: »Ex quibus rationibus & testimoniis satis liquet, quid de immortalitate animæ statuerit Philosophus, ut nihil faciendum sit judicium Plutarchi de placit. Phil. Pomponatii de immort. ani. Portii de mente humana. Cajetani de an. c. 2. & præcipuè Alexandri, qui omnibus illis dubitandi ansam præbuit, & omnium primus Aristoteli affingere non erubuit, quasi animæ immortalitatem negasset.« Es überrascht, daß Martini hier Zabarella unerwähnt ließ. Dies ist aber wohl dessen (freilich wenig überzeugenden) Äußerungen geschuldet, die menschliche Seele sei hinsichtlich ihrer Substanz unsterblich (vgl. 3.3.6.). 212 Martini, disp. I, D4v: »Distinguendum enim est inter operationem animæ in corporis existentis … & inter ipsam animæ essentiam. Operatio quidem & intellectio talis, qualis animæ in corpore convenit, non manet: Essentia verò separabilis est & manet.«
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Hierfür müßte er zeigen, wie sie als eine solche nach dem Tod des Körpers weiter bestehen könnte. Dies würde freilich eine vollkommen neue Bedeutung der Seele als forma corporis sein. Martinis These entbehrt folglich eines überzeugenden Beweises. Erstaunlicherweise findet sich bei Dannhauer eine genau entgegengesetzte Interpretation der genannten und einiger anderer Textstellen des Aristoteles. Er beantwortete nämlich die Frage, ob Aristoteles die Seele für unsterblich gehalten habe, wie folgt: »Er [sc. Aristoteles] scheint in der Tat unschlüssig zu sein und unklar zu reden. Ich sage aber, daß er eher zu jener Ansicht neigt, die die Unsterblichkeit der Seele verneint.«213 Für diese These verwies Dannhauer auf die nachfolgenden Textstellen des aristotelischen Œvre: 1. In De Cælo I 12, 283b12-22 bindet Aristoteles a)rxh/ & te/loj dergestalt aneinander, daß dasjenige, was einen Anfang hat, auch ein Ende hat. Da die Seele aber einen Anfang hat – denn sie ist nicht von Ewigkeit her –, hat sie auch ein Ende. 2. Wenn die Seele unsterblich wäre, dann gäbe es mehrere Unendlichkeiten, was Aristoteles in Phy. III 4-5 verneint habe. Bekanntlich sei für ihn aber die Welt von Ewigkeit her (vgl. De Cælo II 1, 284b2-5). Dannhauer gebrauchte damit das gleiche Argument wie Luther in seiner Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation: Aus der unbestrittenen Ansicht von der Ewigkeit der Welt bei Aristoteles, ergibt sich klar, daß er die Seele für sterblich gehalten haben muß, da es ansonsten mehrere Unendlichkeiten gäbe. 3. Aus Met. XII 3, 1069b35-1070a4 ist ersichtlich, daß dem Hylemorphismus gemäß die Form immer zugleich mit der Materie ist. Sollte die Seele also hinsichtlich des Seins ohne Körper sein, dann müßte Aristoteles auch die Existenz der platonischen Ideen zugestehen, was er bekanntermaßen ablehnt.214 4. Die Textstellen De An. I 4, 408b18f. bzw. b29 beweisen für Dannhauer in der Nachfolge Zabarellas nichts, da Aristoteles dort die particula dubitandi e)/oiken bzw. i)/swj gebraucht hat. 5. Auch aus der Textstelle De An. II 2, 413b24-2 kann für Dannhauer nichts Gewisses entnommen werden kann, worin er erneut mit Luthers Interpretation übereinstimmt.215 6. Schließlich beziehen sich für Dannhauer die dem intellectus agens in De An. III 5, 430a17f. beigelegten Attribute ‘abgetrennt, unvermischt, inaffzierbar’ nicht auf das 213
Dannhauer, disp. V (De somno vigilia et anima rationali in genere), con. I, 128: »Sanè videtur [sc. Aristoteles] fluctuare & balbutire, inquam eam magis sententiam propendere, quæ animæ immortalitatem negat …« 214 Dannhauer widerlegte damit zwar nicht den Passus Met. XII 3, 1070a24-26, auf den sich Martini bezog, verwies aber zu Recht auf den Kontext von Met. XII 3. Ferner setzte Martini als erwiesen, was Aristoteles hier nur als Frage formulierte, nämlich ob der Nous nach dem Vergehen des Körpers verbleibt. 215 Dannhauer betonte in diesem Zusammenhang nochmals, daß Aristoteles in De An. seine Meinung in der Schwebe lasse; gleichwohl neige er sich mehr der Ansicht von der Sterblichkeit der Seele zu: »Respondeo non dicimus Aristotelem absolutè negare animæ immortalitatem, sed suam opinionem suspensam relinquere, & magis favere ejus mortalitati …« (Disp. V, con. I, 131)
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Sein, sondern auf die Tätigkeit, »weil das Wesen Vollzug ist, sein ganzes Wesen [aber] beinahe nichts anderes ist als Vollzug; hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß die Seele überlebt«216. Wie für Luther, so stand also auch für Dannhauer das Kapitel De An. III 5 im Zusammenhang mit der von Aristoteles in De An. III 4 entwickelten Erkenntnistheorie, so daß die Attribute des intellectus agens nicht ontologisch, sondern nur epistemologisch, nämlich in bezug auf seine Tätigkeit im Denkprozeß, verstanden werden dürfen.217 Vor diesem Hintergrund erweist sich die von Martini gegebene Interpretation, nach der ein und dieselbe Begrifflichkeit zugleich secundum esse & operationem zu verstehen ist, insgesamt als unhaltbar.218 Noch einen Schritt weiter als Dannhauer ging Scheibler, der ganz im Sinne Luthers und ausdrücklich gegen die Conimbricenser (und damit auch gegen seine eigenen lutherischen Kollegen Martini, Evenius, Leuschner und Dannhauer) die These vertrat, daß die Seele aus philosophischer Sicht sterblich sei: »Unsere Seele ist ihrer Natur nach vergänglich und sterblich.«219 Auf diese Weise zog er als Philosoph die Konsequenz aus der Definition der Seele als forma corporis und begründet dies als Theologe mit 1. Tim 6,16: Gott allein ist unsterblich. Was nicht Gott sei, könne seiner Natur nach nicht unsterblich sein, und was nur immer von etwas anderem abhängig sei, das könne verändert werden, so daß es seiner Natur nach vergänglich sei. Beides treffe aber auf die menschliche Seele zu: Sie ist nicht Gott, und sie ist als ens dependens abhängig von ihm. Ist sie von Natur aus sterblich, so wird sie unsterblich allein, weil Gott es will: »Unsere Seele ist infolge der Gnade unsterblich.«220 Diese Unsterblichkeit ist eine Verheißung an den Gläubigen, kein philosophisches Postulat, das ontologisch bewiesen werden könnte. Für Scheibler hat daher Pererius zu Recht die immortalitas animæ ‘precaria, rediviva & instaurativa’ genannt: Sie wird aus Gnade gewährt, ist eine Wiederauferstehung und Erneuerung im Sein. Aus diesem Grunde gilt ferner: 216 Ebd.: »Is [sc. intellectus agens] dicitur loco cit. xwristo\j, a)migh\j ... kai\ a)paqh\j ratione operationis: quia ou)si/a e)sti\n e)ne/rgeia, ejus ferè tota essentia nihil est nisi actus, inde tamen inferri nequit, post mortem eam [sc. animam] esse superstitem.« 217 Dannhauer erläuterte leider nicht, wie er den schwierige Passus De An. III 5, 430a19-25 im einzelnen verstand. Er hätte sich hierbei an der erkenntnistheoretischen Interpretation Zabarellas orientieren können – mit dem einen Unterschied, daß Dannhauer den intellectus agens als ein Vermögen der menschlichen Seele bestimmte (vgl. hierzu 4.2.2.2.2.). 218
Obgleich Dannhauer eine Beweisführung der Unsterblichkeit der Geistseele von Aristoteles her ablehnte, hielt er dennoch ihren philosophischen Erweis grundsätzlich für möglich: »An Anima hominis sit immortalis? Affirmativa liquida est ex scripturis: Nihilominus & Philosophi argumentis probabilibus eam colligunt …« (Disp. V, con. I, 127) Er benannte für diese Ansicht die folgenden Argumente, die freilich nicht sehr überzeugend sind: 1. Die Natur der Seele ist geistig und unteilbar, weil sie ganz in jedem Körperteil ist. 2. Der Geist strebt nach Unsterblichkeit. Dieses desiderium naturale kann nicht vergeblich sein. 3. Die Seele kann unabhängig vom Körper Denken. Also kann sie auch ohne ihn leben. 219
Scheibler, pars III, disp. III (De animæ humanæ immortalitate, ejusque statu post hanc vitam), 384: »Prima [propositio]: Anima nostra naturâ suâ est corruptibilis & mortalis.« 220
A. a. O., 385: »Secunda: Anima nostra ex gratia est immortalis.«
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»Wenn auch unsere Seele vergänglich ist, so ist dennoch nicht vergänglich wie die anderen und besonders die vermischten natürlichen Körper.«221 Die natürliche Vergänglichkeit der Seele, wie sie in These 1 formuliert wurde, wird durch die Gnade Gottes zwar nicht aufgehoben, aber sie verliert ihre Wirksamkeit: Sie vermag die Seele nicht zu zerstören, die aufgrund der Wirksamkeit Gottes ewig widerstehen kann und damit unvergänglich wird und bleibt. Scheibler vergleicht diese unvollkommene Vergänglichkeit der Seele als werdende Unvergänglichkeit mit brennbaren Stroh, das niemals vollkommen verbrennt. Am Ende aller Tage wird dann der ganze Mensch wiederauferstehen. Diese schlechthinnige Abhängigkeit von der Gnade Gottes wird von Scheibler auch dadurch verdeutlicht, daß er Origenes’ These von der ewigen Präexistenz der Seele ablehnt: »Unsere Seele ist nicht ewig von Ewigkeit her, d. h. sie existiert nicht vor ihrem Körper.«222 Damit bestätigt er zum einen die These vom Traduzianismus und zum andern setzt er Gottes Heilsgeschehen in sein unumstößliches Recht: Wäre die Seele ewig, dann gäbe es kein Heilsgeschehen, das Gott in Christus initiiert hat. Die nächste These: »Unsere Seele wird nicht zerstört«223, scheint prima facie im Widerspruch zur ersten Bestimmung zu stehen, wonach die menschliche Seele vergänglich ist. Dort ist sie aber, wie Scheibler betont, als sterblich bloß der Möglichkeit nach bestimmt worden, während sie hier als unsterblich der Wirklichkeit nach bestimmt wird. Damit kommt er zwar zu keinem anderen Ergebnis als die übrigen lutherischen Autoren; gleichwohl besteht ein wichtiger Unterschied in der Argumentation: Während Martini, Evenius und Leuschner unter Berufung auf Aristoteles die menschliche Seele auch aus philosophischer Sicht für unsterblich hielten, da sie aufgrund ihres besonderen Formseins, das sie hinsichtlich der Tätigkeit und des Seins vom Körper unabhängig macht, ontologisch-konstitutiv unsterblich ist, ist sie dies für Scheibler nur ontischsituativ, indem ihr Gott aus Gnade die Unsterblichkeit zuspricht, die im Glauben an sein Wort als gewiß angenommen wird. Und weil dies ausschließlich eine theologische Argumentation ist, bedarf es keines Rekurses, oder schärfer noch, kann es keine Bezugnahme auf Aristoteles geben: Die Unsterblichkeit ist allein vom Willen und Wirken Gottes abhängig.224 221
Ebd.: »Tertia: Anima nostra etsi sit corruptibilis, tamen non est corruptibilis sicut corpora naturalia alia, & imprimis mixta.« 222
A. a. O., 386: »Quarta: Anima nostra non est perpetua perpetuitate ante, h. e. anima nostra non extitit ante corpus.« 223
A. a. O., 387: »Quinta: Anima nostra non corrumpitur.«
224
Scheibler hat diesen harten Gegensatz von Philosophie und Theologie hinsichtlich der Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele im Kapitel De anima separata des zweiten Buchs seines Opus metaphysicum (Genf 1636 [Gießen 11617]) etwas entschärft. Dort heißt es im Ausgang von der Theologie: »Hac in re dico I. Anima humana non est omnimodo immortalis, ut nullo prorsus modo posse desinere.« (Lib. II, c. V, titulus II, art. III, 662) Scheibler begründet dies mit der Kreatürlichkeit der menschlichen Seele, die zu ihrer Bewahrung des influxus divinus bedarf, der aus der freien Gnadenwahl Gottes entspringt. Diese Position, daß die menschliche Seele nicht per se unsterblich ist, ist augustinisch, wie ein Brief an Hieronymus verdeutlicht: »anima hominis immortalis est secundum quendam modum suum; non enim omni modo sicut deus, de quo dictum est, quod solus habeat
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4.2.2.2. Der Begriff des Geistes Der Abschnitt über die facultas rationalis bzw. den intellectus bildet im Rahmen der Psychologie das Zentrum der Philosophie des Geistes. Mit ihr gerät in den Blick, was der Geist hinsichtlich seiner Funktion (secundum operationem) ist.225 Auch hier gilt also, was über die Seele in Hinsicht auf alle Lebewesen formuliert worden ist: Die Geistseele kann nur von ihren Tätigkeiten her in ihrem Wesen angemessen verstanden werden. Diese resultieren wiederum aus ihren beiden höchsten Vermögen des Denkens und Wollens, der potentia intelligendi & volendi.226 An diesen Vermögen zu zweifeln, so betont Evenius, hieße am Denken und Wollen selbst zu zweifeln, denn die Evidenz _________________________________________________________________________________________________________
immortalitatem [1. Tim 6,16]; nam de animae mortibus sancta scriptura multa commemorat, unde illud est: Sine mortuos sepelire mortuos suos [Mt 8,22; Luc. 9,60]. sed quod ita moritur alienata a vita dei, ut tamen in natura sua vivere non omnino desistat, ita mortalis ex aliqua causa invenitur, ut etiam immortalis non sine ratione dicatur.« (Epist. 166 II 3, in: PL 33, 721 [CSEL 44, 548,14-549,4]) Aus dieser Kreatürlichkeit der menschlichen Seele ergab sich für Scheibler, daß sie »non est immortalis à parte Ante« (Opus metaphysicum, lib. II, c. V, titulus II, art. III, 663). Ferner sei sie forma hominis, und damit entstehe sie per generationem. Stimmt dies soweit mit dem im Liber de anima Gesagten überein, so gilt dies nicht mehr für die dritte These: »Anima rationalis est naturâ immortalis, indeque naturali lumine & ex principiis naturæ potest doceri probabiliter, eam non interire. Idem autem de fide certum est.« (Ebd.) Diese These untermauerte er nachfolgend durch Hinweise auf die Schriften Platons (nicht auf die des Aristoteles!), auf Pererius’ Schrift De Communibus omnium rerum naturalium principiis et affectionibus libri quindecim sowie auf den Tractatus de anima separata der Conimbricenser. Ferner nannte er die providentia Dei sowie die immateriellen operationes animæ als Beweise für die Unsterblichkeit ex natura. Angesichts der konsequenten und überzeugenden Argumentation im Liber de anima erscheint dies jedoch als ein Rückschritt. 225 In diesem Locus De facultate rationali sive De intellectu faßten die Lutheraner alles das über den Geist zusammengefaßt, was bei Zabarella noch Gegenstand verschiedener Abhandlungen war: De mente humana, De mente agente, De speciebus intelligibilibus & De ordine intelligendi. 226
Vgl. Evenius, Disputationum anthropologicarum decimaseptima. De Intellectu. Wittenberg 1613, A2v: »Oriuntur autem ex hac ut ex Definitione [sc. animæ] apparet, primariæ facultates duæ, quarum altera intelligibilia percipimus, quæque alias dicitur Intellectus; alterâ intellecta, vel electa expetimus, vel reprobata aspernamur & rejicimus, quæ est & dicitur Voluntas.« Ebenso Martini, Exercitationum nobilium Peri\ th=j yuxh=j decimaquinta. De Facultate rationali et in specie de intellectu. Wittenberg 1606, th. II, A3r. Scheibler, pars III, disp. IV (De Intellectu & ejus objecto), 397. Daß diese Vermögen noch weiter ausdifferenziert werden können, ist für diese Autoren unstrittig. Insofern läuft Timplers Kritik an der Insuffizienz dieser Einteilung ins Leere: »Nam primum planè insufficiens est distributio illa generalis facultatum hominis in intellectum & voluntatem. Non enim homo à Natura tantum habet facultatem naturalem intelligendi & volendi; sed præterea etiam multis aliis facultatibus est instructus, quæ à facultate intelligendi & volendi omnino sunt distinctæ, & hominem à bestiis discriminant.« (Lib. III, c. II (De facultatibus propriis hominis), pr. 3, 307) Die statt dessen von ihm gegebene Einteilung der anima rationalis in die acht Klassen facultas intelligendi & cogitandi, facultas ratiocinandi & iudicandi, facultas inveniendi & disponendi, facultas approbandi & improbandi, facultas volendi & nolendi, facultas persequendi & fugiendi, facultas loquendi & numerandi, facultas ridendi & flendi (vgl. a. a. O., 304f.) wurde von Scheibler als nicht weiterführend kritisiert, da viele dieser Vermögen in den facultates intelligendi & volendi zusammengefaßt werden könnten (vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 396).
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rühre von der eigenen, nicht hintergehbaren Erfahrung derselben her.227 Martini unterscheidet dabei beide hinsichtlich des Ziels, der Handlungsweise und des Gegenstandes wie folgt voneinander: Während die facultas intelligendi auf das Erkennen abzielt, indem sie die species intelligibiles in sich aufnimmt, um so den Gegenstand als ens zu erkennen, erstrebt die facultas volendi den erkannten Gegenstand, indem sie ihn als ein bonum zu erreichen versucht.228 Daß dies keine real-substanzielle Teilung der anima rationalis bedeutet, betont Evenius: Wäre der Geist wie auch der Wille eine andere, von der Seele unterschiedene Substanz, dann würde sie »wie eine Maschine«229 von außen bewegt werden, was absurd sei. Evenius bewahrt damit auch hier die Einheit der Seele in der Vielfalt ihrer Vermögen. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt die Bestimmung des intellectus. Nach Scheibler eignet diesem Begriff eine gewisse Vieldeutigkeit, die seinen verschiedenen Funktionen geschuldet ist: »Er [sc. der Geist] wird erstens verstanden als Geistseele [mens] selbst … Zweitens als das Denkvermögen, welches das Charakteristikum der Geistseele ist. Drittens als der Gedanke selbst – [der] durch die Handlung und Bewegung der Geistseele [bewirkt wird] –, der die Erkenntnis ist. Viertens auch als Habitus der Prinzipien, der auch Intelligentia genannt wird, so daß er, wie wir sagen, der fünfte Habitus der Geistseele ist: praktische Erfahrung, Umsichtigkeit und Klugheit, Wissenschaft, Geist und Weisheit.«230
227
Vgl. Evenius, disp. XVII, A2v: »Dari Facultates in hac etiam animæ parte liquidum existimamus esse, nec operosiore indigere probatione, aliter siquidem se anima habet nostra dum vult, aliter dum intelligit, & aliàs hoc, aliàs illo modo producit operationes.« 228 Vgl. Martini, ex. XV, A3r-v: »Atque duarum harum facultatum discrimen manifestissimum est: Quandoquidem aliud est cognoscere, aliud rem cognitam appetere: deinde duo isthæc diverso fiunt operandi modo. Illud quidem patiendo & recipiendo species, ut res ad mentem ferantur: Hoc verò persequendo, ita, ut mens ad objectum feratur & trahatur. Tandem objecti quoque diversitas discrimen monstrat: Res enim intellectu cognoscimus, quatenus entia: voluntate verò appetimus easdem, quatenus bonæ.« 229 Evenius, disp. XVII, A3r: »Si enim Intellectus esset alia substantia ab anima hominis, moveretur tanquam machina suique motus haberet principium extra se, sicut artificialia.« 230 Scheibler, pars III, disp. IV, 399: »Cæterum antequam intellectum definiamus, notanda est ambiguitas in eo vocabulo. Accipitur enim primò pro ipsa mente … Secundò pro facultate intelligendi, quæ est adjunctum mentis. Tertiò pro ipsa noh/si, mentis nimirum actione & motu, quæ est intellectio. Quartò etiam pro habitu principiorum, qui & intelligentia dicitur, ut cùm dicimus quinque esse habitus mentis: Artem, Prudentiam, Scientiam, Intellectum & Sapientiam.« Vgl. die ähnliche Beschreibung der verschiedenen Bedeutungen des Begriffs bei Timpler: »Vox siquidem intellectus humani sumitur vel pro anima rationali, vel pro facultate, vel pro actu intelligendi, vel pro habitu principiorum, vel pro homine intelligente.« (Exercitationum Philosophicarum Sectiones X, s. I., q. III, 3) In der Empsychologia betonte Timpler, daß man stets die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs intellectus beachten müsse – auch um die Differenz zur ratio im Blick zu behalten: »Intellectus verò, & ratio modò sumitur pro anima rationali, modò pro facultate intelligendi; modò pro ipsa intellectione; modò pro ipso homine intelligente & ratione utente. Itaque diligenter videndum est, in qua significatione vocabula illa in diversis locis usurpentur, ne homonymia eorum nobis imponat, & in errores noxios imprudentes inducat.« (Lib. III, c. III, pr. 3, 324f.)
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Der Begriff intellectus (nou=j) bezeichnet also im uneigentlichen Sinne die Geistseele (anima rationalis, mens) selbst; insofern steht er als der wesentliche Teil der menschlichen Seele für das Ganze. Im eigentlichen Sinne kennzeichnet er das Denkvermögen (facultas intelligendi), durch das sich der Mensch allein vom Tier unterscheidet. Ferner steht er für den Gedanken bzw. für die Erkenntnis selbst (intellectio), die aus dem Denken gewonnen wird. Schließlich ist er gemäß An. Post. II 19, 100b12 das Haben und das Verfügen über die gesammelten Prinzipien in einer verfestigten Haltung (habitus principiorum) und so einer der fünf von Aristoteles in der EN VI 3, 1139b16f. genannten habitus intellectualis animæ (neben sapientia, scientia, prudentia & ars). In dieser Bedeutung ist er Gegenstand der von Gutke begründeten Intelligentia.231 Im vorliegenden Zusammenhang geht es um den intellectus in der zweiten und dritten Bedeutung als facultas intelligendi und als intellectio. Denn das Denken im weiteren bzw. das Erkennen im engeren Sinne kann ohne das Gedachte bzw. Erkannte nicht sinnvoll bestimmt werden. Beide Bedeutungen stehen daher im Mittelpunkt dieses Abschnitts, um von ihnen her der Begriff des Geistes zu klären. Die Lutheraner wie auch Timpler betonen zunächst das Verwiesensein des Geistes als Denk- bzw. Erkenntnisvermögen an das Gedachte bzw. Erkannte. So definiert Martini den intellectus als »ein Vermögen der Geistseele, mit dem der Mensch die erkennbaren Dinge begreift und beurteilt.«232 Timpler bestimmt ihn als dasjenige Vermögen, »durch das der Mensch geeignet ist zur Erkenntnis des Erkennbaren.«233 Auch für Evenius ist der Geist »ein solches Vermögen der Geistseele, mit dem der Mensch das Erkennbare begreift.«234 Scheibler definiert den Geist unter Verweis auf De An. III 4, 429a23235 als »das, womit das erkennbare Ding erkannt, aufgefaßt und beurteilt wird.«236 Auch Leuschner betont schließlich diesen Zusammenhang von intellectus & intellectio: »Der Geist ist ein Vermögen der Geistseele, mit dem sie das Erkennbare erkennt und beurteilt.«237 In diesem Prozeß des Auf- und Erfassens, des Erkennens, Verstehens, Unterscheidens und Beurteilens geschieht das Auf-den-Begriff-Bringen, das Er- und Begreifen des Erkannten als die eigentliche Tätigkeit des Geistes. Was dies 231
Vgl. Georg Gutke, Habitus primorum principiorum, seu Intelligentia. Berlin 1625.
232
Martini, ex. XV, th. 3, A3v: »Intellectus est facultas potentiæ rationalis, quâ homo res intelligibiles percipit atque dijudicat.« Die Formulierung facultas potentiæ rationalis ist unglücklich gewählt. Gemeint ist, daß der Geist ein Vermögen der Geistseele ist. 233 Timpler, lib. III, c. II, th. 6, 304: »Facultas intelligendi est, per quam homo aptus est ad cognoscendum intelligibile.« 234 Evenius, disp. XVII, A3v: »Definimus autem Intellectum facultatem animæ Rationalis eam, qua homo percipit intelligibilia.« 235
Vgl. Aristoteles, De Anima III 4, 429a23: »le/gw de\ nou=n %(= dianoei=tai kai\ u(polamba/nei h(
yuxh/.« 236
Scheibler, pars III, disp. IV, 399: »Intellectus est, quo res intelligibilis cognoscitur sive apprehenditur & judicatur, ex Aristot. lib. 3. de anim. c. 4.« 237
Leuschner, disp. XI, A4v: »Intellectus est Facultas animæ rationalis qua cognoscit ta\ nohta\ & judicat.«
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genauerhin bedeutet, ist durch die Erklärung dieser Definitionen in Hinsicht auf ihre Bestimmungen des genus, subiectum, obiectum & modus intelligendi aufzuzeigen. Alle Definitionen benennen als Genusbestimmung des Geistes die facultas animæ rationalis. Gemäß EN II 4, 1105b20 befinden sich drei ‘Dinge’ in der Seele: pa/qh, duna/meij & e(/ceij. Für Leuschner ist der Geist weder ein Widerfahrnis (pa/qoj) der Seele, da er verbleibt und nicht vergeht, noch ein Habitus (e(/cij), da er von Natur aus jedem Menschen zukommt, nicht erst erworben werden muß (anders also als in seiner Funktion als habitus primorum principiorum), sondern ein Vermögen (du/namij).238 Er ist somit wie die übrigen Seelenvermögen des Ernährens, Wahrnehmens etc. eine aptitudo ad operandum. Gegenüber all diesen Vermögen zeichnet er sich dadurch aus, daß er hinsichtlich seiner Tätigkeit keines körperlichen Organs bedarf. Da er aber nicht ohne Phantasmata erkennt (vgl. De An. III 7, 431a16f.), erkennt er nur das, was zuvor in den Sinnen war (nihil est in intellectu, quin prius fuerit in sensu), und allein in Hinsicht auf seinen Gegenstand bedarf er eines Organs, nämlich der Sinne.239 Sein subjectum operationis (=materia, in quam operando aliquid introducitur) ist der Mensch, weil er in einem Körper ist und der Phantasmata bedarf. Sein subjectum inhæsionis (=substantia, cui insunt accidentia) ist die Geistseele, sofern sie im eigentlichen Sinne das Zugrundeliegende des intellectus ist, aus der er als ein Vermögen hervorgeht.240 Als das objectum des Geistes wird von den Lutheranern übereinstimmend das Intelligibile (ta\ nohta/) oder jedes Seiende (omne ens) benannt, denn der nou=j paqhtiko/j wird gemäß De An. III 5, 430a14f. alles241 bzw. ist nach III 8, 431b21 in gewisser Weise alles Seiende242.243 Umstritten war hierbei auf lutherischer Seite, ob ausschließlich 238
Vgl. ebd.: »Finimus Facultatem, ta\ e)n tv= yuxv= gino/mena tri/a e)sti/, pa/qh duna/meij e(/ceij l.2.Ethic.Nicom.c.4. non autem est pa/qoj cum maneat neque e(/cij cum natura adsit. E. duna/mij.« 239
Vgl. Martini, ex. XV, A2v: »Ex quo manifestum est, intellectum & voluntatem potentias animæ inorganicas esse, & per seipsas agere, ita ut intelligere & velle sint propriæ mentis actiones, neque Mens sive Ratio per corpus aut organum, ut per medium QUO, intelligat. Opus quidem habet phantasmate: quandoquidem nihil est in intellectu, quin prius fuerit in sensu, animaque dum in corpore est, nunquam sine phantasmate intelligit lib.3.de an.c.7. Eo tamen, non ut organo, sed ut objecto utitur.« Auf diese Frage nach dem Sensualismus wird in 4.2.2.2.2. zurückzukommen sein. 240
Vgl. Evenius, disp. XVII, A3v: »Subjectum hujus Facultatis, ut & Voluntatis, solus est Homo Operationis, scil. & Denominationis, Inhæsionis verò Anima est Rationalis.« Zur genaueren Erklärung des Begriffs subjectum vgl. Meisner, Dissertatio de summo bono, PROLEGOMENON II, q. IV, 31: »Subjectum in scriptis Philosophorum multifariam accipitur.1. Pro subjecto generationis, quod est materia ex qua aliquid sit, & vocatur Physicum. 2. Pro subjecto prædicationis, quod est nomen, de quo prædicatur verbum, & dicitur Logicum. 3. Pro subjecto tractationis, quod est objectum, circa quod aliqua disciplina versatur, & nuncupari solet Scientificum. 4. Pro subjecto inhæsionis, quod est substantia, cui insunt accidentia, quod appellatur Recipiens. 5. Pro subjecto operationis, quod est materia, in quam operando aliquid introducitur, & vocari potest subjectum operationis.« 241
Vgl. Aristoteles, De An. III 5, 430a14f.: »… kai\ e)/stin o( me\n toiou=toj nou=j t%= pa/nta
gi/nesqai …« 242
Vgl. a. a. O., III 8, 431b21: »… h( yuxh\ ta\ o)/nta pw/j e)sti pa/nta.« Auch wenn Aristoteles hier von der Seele spricht, belegt der nachfolgende Satz, daß hiermit der nou=j gemeint ist, denn die Aufnahme des intelligiblen Seienden (b21f.) ist dessen Aufgabe. Er allein wird damit alles Seiende.
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das wirklich existierende Seiende (ens reale) oder auch das bloß gedachte Seiende (ens rationis) und damit in gewisser Weise auch das Nicht-Seiende (non ens, nihil) Gegenstand des Geistes sei, wie Timpler behauptet hat. Während Evenius diese Objektbestimmung der Metaphysik unter Berufung auf Martini ablehnte, war für Dannhauer auch das ens rationis Gegenstand des Geistes. Wie wurden diese unterschiedlichen Ansichten begründet?244 Timpler hat in seinem Metaphysicæ systema methodicum von 1604 die gängige Bestimmung des Gegenstandes der Metaphysik als ens qua ens als zu eng kritisiert. Vielmehr sei ihr Gegenstand das omne intelligibile, sei dies nun das ens reale, das ens rationis oder gar das nihil.245 Damit öffnete Timpler der Metaphysik den gesamten Bereich des Wißbaren, sei dies nun ein reales Ding im Lichte des Allgemeinen oder ein bloßes Gedankending, dem außerhalb des Geistes keine Existenz zukommt, oder schließlich das Nichts, das durch die Kenntnis von etwas als ein Nicht-etwas erkannt wird. Auch der modus considerandi der Metaphysik war für ihn wiederum nicht das gängige quatenus ens, da es viele Attribute gibt, die nicht dem Seienden als Seiendem zukommen, sondern sofern es Substanz oder Akzidens ist. Vielmehr ist der allein angemessene modus considerandi das quatenus est intelligibile, da das Intelligible vom Menschen durch das natürliche Licht der Vernunft ohne die materiellen Bedingungen des Hier und Jetzt in der Weise der Abstraktion erkannt werde.246 Gegen diese Ansicht betonte Martini in seinen Exercitationum metaphysicarum libri duo von 1608, daß Gegenstand der Metaphysik auschließlich das ens per se & reale _________________________________________________________________________________________________________ 243 Vgl. Martini, ex. XV, A3v: »Objectum intellectus sunt res intelligibiles, hoc est, omnia nohta\ …« Evenius, disp. XVII, A4v: »Progredimur ad Objectum, quod in Definitione dicimus intelligibilia, ta\ nohta\, qualia sunt Entia. Hinc Philosophus Animam nostram dicit fieri posse omnia quodammodo …« Scheibler, pars III, disp. IV, 399f: »Intelligibile est, quicquid ab intellectu cognoscitur. Cognoscitur autem ab intellectu omne ens …« Leuschner, disp. VIII, B1r: »Objectum ejus [sc. intellectus] est Ens omne …« 244
Vgl. hierzu auch die Darstellungen bei Max Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1939 (Nachdruck Hildesheim 1992), 163f. und 173-179. Walter Sparn, Metaphysik, 188-195. Ulrich Gottfried Leinsle, Ding, 238f. (zu Martini) und 363-369 (zu Timpler). 245
Vgl. Timpler, Metaphysicæ systema methodicum, libris quinque comprehensum. Hanau 21612 ( 1604), hier: liber primus, c. I, pr. 5, 7: »Proinde nos latius extendimus rem in Metaphysica consideratam, ut sub ea pa=n nohto\n, hoc est, Omne intelligibile comprehendatur …« A. a. O., pr. 6, 8: » Quia res considerata in Metaphysica est omne ens tam reale quam rationis, tam increatum quam creatum, tam substantia quam accidens.« A. a. O., c. II (De Nihilo & Essentia), th. 3 und 4, 22: »Intelligibile porrò dicitur omne, quod intellectu percipi ac comprehendi potest. Estque vel nihil, vel aliquid.« Timpler hat diese Ansicht in seiner Empsychologia bestätigt: »Hinc ad obiectum intellectionis humanæ referuntur: 1: non tantum aliquid, sed etiam nihil, quatenus per accidens, nempe per notionem alicuius de ipso negati intelligitur …« (Lib. III, c. III (De intellectione & cogitatione naturali hominis), pr. 6, 327) 1
246 Vgl. Timpler, Metaphysicæ systema methodicum, liber primus, c. I, pr. 5, 7: » Quocirco etiam hac in re veritatis amore à vulgato ac recepto tam veterum quam recentiorum Philosophorum placito recedimus, modumque considerandi solius Metaphysicæ proprium & adæquatum statuimus hunc, nempe Quatenus ab homine naturali rationis lumine sine ullo materiæ conceptu est intelligibile.«
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und nicht auch noch das ens rationis (einschließlich des nihil) sei. Das ens reale bestimmte er als ein Seiendes, »das nicht nur im Geist gebildet wird, sondern auch unabhängig von der Tätigkeit der Seele oder dem Diskurs des Geistes in der natürlichen Wirklichkeit besteht.«247 So existiere ein Pferd wirklich, unabhängig davon, ob der Mensch es denke oder nicht. Das ens rationis dagegen, das auch noema noematum, intentio secunda etc. genannt werde, sei ein Seiendes, das dem durch die Tätigkeit des Geistes begriffenen Ding zeitlich nachfolge und in der Welt unabhängig von dieser Denktätigkeit nicht existiere.248 Hierzu gehören für Martini alle Nominalbegriffe der Logik, wie Gattung, Art, Aussage, Syllogimus etc., aber auch die Erfindungen und Chimären, denen in der Wirklichkeit nichts entspricht, wie der Zyklop oder Bacchus. Genau aus diesem Grunde kann das non ens bzw. nihil kein Gegenstand des Geistes sein, denn es ist kein Erkennbares, sondern ein bloß Vermeintes, dem keine Wißbarkeit und damit keine Wissenschaftlichkeit zukomme, wie auch Evenius unter Berufung auf Martini gegen Keckermann, Timpler, Ramus betonte.249 Dahinter stand für Evenius die Befürchtung, daß der Geist mit der epistemischen Gleichstellung von ens & nihil zugleich auf das Wahre und Falsche ausgerichtet und so durch beide in gleicher Weise vollendet wird. Allein durch die Negierung des nihil kann diese metaphysische Bedrohung der Eigenschaften des Seienden als unum, verum, bonum, ens & aliquid250 ver247
Jacob Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo. Wittenberg (11608) 31615, lib. I, ex. II, th. IV, 34 und 36: »Ens illud Metaphysicum non est Ens per accidens, neque ens rationis; sed ens per se & ens reale. … Ens reale est, quod non solum in intellectu formatur, sed quod, cessante animi actione Intellectusvè discursu, nihilominus in rerum natura persistit …« 248 Vgl. a. a. O., 37f.: »Ens itaque rationis (quod etiam noema noematum, noema secundum, intentionem secundam, vocem intentionis secundæ dicunt) est, quod rem sequitur mente conceptam per operationem intellectus, quodque in mundo, operatione illa cessante, nihil est positivi.« Ebenso in a. a. O., ex. III, th. 2, 49-54. Diese fundamentale Differenzbestimmung zwischen dem ens reale & ens rationis geht auf Zabarellas Distinktion zwischen der prima & secunda notio als Real- und Nominalbegriff zurück, um so den Unterschied zwischen Realwissenschaften (einschließlich der Metaphysik) und Logik kenntlich zu machen: »Est omnium communis sententia, quæ solæ secundæ (ut vocant) notiones, seu secundò intellecta à Logico tractentus, quum primas [sc. notiones] considerare Philosophi potius, quam Logici munus esse videatur: sunt autem primæ notiones nomina statim res significantia per medios animi conceptus, ut animal & homo, seu conceptus ipsi, quorum hæc nomina signa sunt: secundæ verò sunt alia nomina his nominibus imposita, ut genus, species, nomen, verbum, propositio, syllogismus, & alia eiusmodi, sive conceptus ipsi, qui hæc nomina significantur. Nominibus quidem primæ notionis statim res ipsa significata extra animum respondet, quocirca hæc opus nostrum esse non dicuntur … At secundas notiones nemo negaret opera nostra, & animi nostri figmenta esse …« (De Natura logicæ, in: Opera logica, hier: lib. I, c. III, 6A-C) 249
Vgl. Evenius, disp. XVII, A4v: »Ut ita falsò scripserit Timplerus lib. 3. de empsychologia. cap. 3. probl. 6 [vgl. Anm. 245], ad objectum intellectionis humanæ, non tantum aliquid, sed etiam nihil, quatenus per accidens, nempe per notionem alicujus de seipso negari intelligitur … Imò hic ipse [sc. Keckermann] error fecit, ut Timplerus in Metaphysicæ, & Ramæi in objecti Logicæ assignatione turpissimè fuerint hallucinati, Ens & non-Ens pariter disciplinis hisce assignantes, cùm tamen Non-Ens non gnwsto\n sive nohto\n, sed docasto\n tantùm, multò minus e)pisthto\n esse possit, ut latè hac de re disserit Philosophus noster Iacobus Martini exerc. 3. Metaph. theor. 2.« 250 Vgl. hierzu Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, lib. I, ex. III, th. I, 49: »Deinde modi, qui sequuntur Ens, quorum generales vulgò quinque numerantur, omnesque cum Ente conver-
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hindert werden. Dannhauer hielt dieses Argument jedoch für nicht stichhaltig, denn unabhängig von dem Sachverhalt, daß der Zyklop an sich eine Chimäre sei, sei der Erkenntnisvollzug selbst real. Deshalb sei auch das non ens Gegenstand des Geistes, insofern er es denke.251 Während Martini und Evenius also auf das Realsein des Gegenstandes abzielten und damit auf die Objektivität des Erkennens der wirklichen Außenwelt252, fokussierten Timpler und Dannhauer auf den subjektiven Erkenntnisvollzug unabhängig vom Realsein des Gegenstandes. Dies bedeutet nun keinen Übergang zur neuzeitlichen Subjektivität des Erkennens, wonach der Geist sich aktiv seine Welt im Erkennen schafft, denn auch für Timpler und Dannhauer galt weiterhin der Vorrang des Gegenstandes als Maß vor dem Geist als das Gemessene. Das omne ens umfaßte für die Lutheraner und Timpler sowohl das Allgemeine wie auch das Einzelne: »Der Gegenstand des Geistes ist daher jedes Seiende, und zwar sowohl das Einzelne wie auch das Allgemeine«253, so Martini. Daß das Allgemeine Gegenstand des Geistes ist, bedurfte für die Lutheraner keines weiteren Beweises, denn es sei im höchsten Sinne Seiendes und wahr und dergestalt sein vorzüglichster Gegenstand, wie Evenius betonte254. Leuschner gab in diesem Zusammenhang folgende antiplatonische Bestimmung des Begriffs: »Das Allgemeine ist weder eine außerhalb des Geistes abgetrennt existierende Idee, wie Plato und Heraklit, noch ist es ein bloßes Wort, wie die Nominalisten behauptet haben, sondern es ist etwas, das wirklich im Einzelnen gründet, die formale Einheit aber im Geist hat.«255 Das Allgemeine ist also _________________________________________________________________________________________________________
tuntur. Sunt enim affectiones Entis Universales unitæ & simplices, nempe Unum, Verum, Bonum, Res, Alquid; quibus si addatur ipsum Ens, sed sunt, quæ inter se convertuntur, vulgò transcendentia dicat, quòd omnia prædicamenta transcendant, & de omnibus generibus dicantur: Ens, Unum, Res, Aliquid, Verum, Bonum.« 251 Dannhauer, disp. VII (De intellectu et voluntate), con. I, 187: »Generaliter objectum intellectus est omne Ens, latissimè sumtum, tam reale, quam rationis, tam universale, quam singulare, quam accidens. Probo de singulis. I. Intellectus cognoscit entia realia … II. Intellectus cognoscit entia rationis, nam quid aliud est effectio Entis rationis, quàm illius cognitio, cognoscendo enim producit Ens rationis non propriè, sed juxta ejus capacitatem … Fabrica autem Entis rationis ita se habet; Intellectus concipit aliquam rem mente suâ, e.g. Chimæram, illa cognitio est realis …« 252 Vgl. hierzu Martini, Vernunfftspiegel, II. Buch, I. Kap., 733: »Das objectum oder ding / das verstanden werden soll / ist die mensur: die cognition aber oder wissenschaft ist das mensuratum, das gemessen wird.« 253
Martini, ex. XV, A3v: »Objectum igitur eius [sc. intellectus] est omne ens, adeoque tàm singulare, quàm universale.« Ebenso Scheibler, pars III, disp. IV, 400 und 402. Evenius, disp. XVII, B1r. Leuschner, disp. XI, B1r. Dannhauer, disp. VII, con. I, 189. Timpler, lib. III, c. III, pr. 6, 327. Zur Thematik im Rahmen der Metaphysik vgl. Max Wundt, Schulmetaphysik, 210-213. 254 Vgl. Evenius, disp. XVII, B1r: »Et de Universalibus quidem nemo dubitat, hæc enim ut maximè sunt Entia & maximè vera, ita maximè quoque ab Intellectu cognoscuntur.« 255
Leuschner, disp. XI, B1r: »Universale non est Idea extra mentem separata existens, ut Plato & Heraclytus: neque nudum nomen ut Nominales asseruerunt, sed aliquid quod revera in singularibus fundatur, Formalem autem & unitatem habet in Intellectu.«
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immer das Allgemeine von etwas Einzelnem, in dem es wirklich gründet.256 Wäre es dagegen eine unabhängig vom Geist existierende Idee, dann gäbe es keine Vermittlung mit dem Einzelnen, wäre das Allgemeine ein bloßes Wort, ein figmentum, von dem es kein Wissen geben könnte, so Scheibler.257 Das Allgemeine wird dabei durch eine operatio mentis258 gebildet, und zwar mittels einer Abstraktion von vielen einzelnen Dingen, deren Ähnlichkeit man erkannt hat259, und ist so nichts anderes als ein Begriff (conceptus), dessen Bildung bekanntlich eine der Funktionen des Geistes ist.260 Von hier aus wird ersichtlich, daß die Arbeit am Begriff (und damit am Allgemeinen) die alleinige Aufgabe der Philosophie ist. Nur in dieser Arbeit kann sich die Erkenntnis realisieren, wie im nächsten Abschnitt deutlich wird. Daß auch das Einzelne, das Scheibler in seinem Opus metaphysicum von 1617 als dasjenige definierte, »was hier und jetzt ist und vielen nicht gemeinsam ist«261, Gegenstand des Geistes ist und von ihm erkannt werden kann, wird von den Lutheranern un256 Vgl. hierzu auch Martinis Definition des universale in seinen Exercitationum metaphysicarum libri duo: »Universale univocum est unum quid nomine & ratione, quod aptum est, ut in pluribus insit, & divisim in illis multiplicetur, ideoque de pluribus etiam prædicatur.« (lib. I, ex. VIII, th. V, 257f.) Hieraus wird deutlich, daß das Allgemeine hinsichtlich seines Namens und seiner Definition eines ist, zugleich aber in vielen Dingen enthalten ist und von diesen vielen ausgesagt wird. Martini nannte dies eine unitas conjuncta cum communitate. So bezeichnet der Begriff homo als ein Allgemeines die Gattung der vielen Menschen, ist also in vielen, muß aber zugleich auf jeden einzelnen Menschen wie ‘dieser Mensch Petrus’ zutreffen und von ihm ausgesagt werden können. Das Allgemeine ist daher, wie gesagt, ‘schon immer’ im Einzelnen grundgelegt. 257 Scheibler, pars III, disp. IV, 402: »Profitemur autem primum longè nos abesse ab illorum opiniones, qui opinantur universalia esse tantùm in intellectu, & non etiam in rebus extra ipsum. Nam si non sunt revera universalia; non erunt scientiæ, sed figmenta, quando in singularibus consideravero id, quod nusquam & nihil est.« 258 Vgl. Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, lib. I, ex. VIII, th. VIII, 266: »Unitatem universalem non esse ante mentis operationem, neque in rebus ipsis inveniri, sed per intellectus functionem insurgere, sumto fundamento sive occasione ex ipsis singularibus.« 259 Vgl. a. a. O., th. IX, 284: »Universalia fiunt ab intellectu per abstractionem præcisionis.« Scheibler, Opus metaphysicum, lib. I, c. VII, titulus VII, art. IV, 104: »Igitur universale Primò non fit per abstractionem realem; Nam universalia extra singularia non sunt … Secundò: Nec fiunt ea per abstractionem negativam. Nam universalia (veluti homo) ad singularia (veluti Socratem) habent realem identitatem. Unum igitur de alio negari non potest.« Zu Scheiblers Opus Metaphysicum vgl. Ulrich Gottfried Leinsle, Ding, 329-337. 260 Vgl. hierzu ausführlich Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, lib. I, ex. VIII, th. VIII, 273: »Ad universalis enim constitutionem duplex requiritur operatio intellectus: naturalis & artificialis sive Logica. Naturalis operatio est, qua mens ipsam rei naturam concipit, quæ ita concepta dicitur conceptus rei formalis, quia ipsam quiditatem, seposito modo individuante, nudè repræsentat: atque conceptus iste nondum est ipsum Universale; sed oportet, secunda operatio logica accedat, & nudum illum conceptum quasi inclinet, eique relationem imprimat, qua sua inferiora respiciat, & aptus fiat illis multis inferioribus inesse & attribui.« 261
Scheibler, Opus metaphysicum, lib. I, c. VII, th. II, 87: »Singulare est, quod est hic et nunc: vel quod non est commune (incommunicabile) multis, numero distinctis, ut: Socrates, hæc terra, hic Angelus.«
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ter Berufung auf Scaliger, Pererius, Piccolomini, Zabarella und die Conimbricenser (vgl. 3.3.7.) gegen einige Scholastiker wie Capreolus und Cajetan, aber auch gegen die antiken Autoren Philoponus und Alexander262 betont und wie folgt begründet:263 1. Der Geist richtet sich auf das Seiende, also auf alles, was unter die Katgeorie ‘Seiendes’ fällt. Das Einzelne fällt aber unter diese Kategorie, folglich ist es Gegenstand des Geistes. 2. Der Geist erkennt das Allgemeine durch Abstraktion vom Einzelnen, indem er zwischen ihnen eine Ähnlichkeit entdeckt und so eine Erkenntnis gewinnt. Wie könnte er aber diese similitudo erkennen, wenn er nicht zuvor das Einzelne erkannt hat, von dem das Allgemeine ausgesagt wird? Also ist es notwendig, daß der Geist bei der Bildung des Allgemeinen auch das Einzelne erkennt. 3. Die Induktion ist eine Denkbewegung des Geistes, die gemäß An. Post. II 19, 1003-5 beim Einzelnen beginnt. 4. Der Geist bildet einzelne Sätze wie: Sokrates ist ein Lebewesen. Also erkennt er das Einzelne. Wie könnte er sonst ein Einzelnes im Lichte des Allgemeinen beschreiben? 5. Die Phantasmata sind singularia, die vom Geist korrigiert werden. Dies könnte nicht geschehen, wenn er sie nicht erkennt. 6. Gott, die materia prima und die Sonne sind je Einzelnes und werden gleichwohl vom Geist erkannt. 7. Schließlich erkennt sich der Geist selbst als ein je einzelner. Die Gegner dieser Ansicht verweisen hiergegen auf die Textstelle De An. II 5, 417b2224, in der Aristoteles das Einzelne als Gegenstand der Wahrnehmung, das Allgemeine jedoch als Gegenstand des Geistes bestimmt hat.264 Zur Klärung dieses Sachverhalts unterscheiden Scheibler und Martini zwischen dem Allgemeinen als obiectum perfectionis bzw. proprium des Geistes und dem Einzelnen als sein obiectum adæquationis bzw. commune. Das Allgemeine kennzeichnet dabei den Zustand der Vollkommenheit des Gegenstandes und des Geistes: Wie der Gegenstand erst als ein Allgemeines ‘vollkommen’ ist, da er nur in seiner Abstraktheit vollständig erkannt werden kann, so ist der Geist erst in der Erkenntnis des Allgemeinen vollkommen. Nur in ihr kommt er zur Ruhe, da das Einzelne aufgrund seiner Materialität unendlich bestimmbar ist und damit letztlich unbestimmbar bleibt. Gleichwohl ist auch das Einzelne ein angemessener Gegenstand des Geistes, weil er sich auf alles richtet, was ihm entgegensteht, also auch auf das Einzelne.265 Auch hier erhebt sich jedoch folgender Einwand: Zeigt nicht gera262
Vgl. Alexander, De Anima I, 83,10-12 [40vb].
263
Für die nachfolgenden Argumente vgl. Martini, ex. XV, A3v-A4v. Evenius, disp. XVII, B1r. Scheibler, pars III, disp. IV, 400f. Leuschner, disp. XI, B1v. Dannhauer, disp. VII, con. I, 189. 264
Vgl. 3.3.7., Anm. 477.
265
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 408: »Cùm objectum potentiæ (ut etiam scientiæ) duplex sit, unum adæquationis, quod complectitur omnia, quæ potentiæ objiciuntur. Alterum perfectionis, quod continet ea, in quibus nobiliori modo potentia occupatur, describi in propositio axiomate posterius objectum intellectus sit imprimis universalium.« Martini, ex. XV, A4v: »… repetimus distinctionem objecti intellectus in commune & proprium. Illud res omnes & consequenter individua quoque complec-
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de die Materialität des Einzelnen an, daß es kein Gegenstand des Geistes sein kann, da zwischen ihm und dem immateriellen Geist keine Proportion besteht? Dannhauer hält dieses Argument für nicht schlüssig, da ja auch das Wahrnehmungsvermögen das materielle Einzelne in sich aufnimmt, aber eben nicht materialiter, sondern gemäß De An. II 12, 424a18f. als forma sensilis sine materia. Und genau auf diese Weise, nur mit einem noch höheren Grad an Abstraktion, nehme auch der Geist den immateriellen Gegenstand als forma (sive species) intelligibilis in sich auf.266 Auch der Einwand, wonach der Geist nicht die Hilfe der Sinne nötig hätte, wenn er das Einzelne erkennen würde, beweist für Dannhauer nichts, eben weil er ohne Hilfe der Sinne nichts erkennt. Um schließlich einen weiteren Einwurf zu entkräften, wonach die Existenz des intellectus agens überflüssig wäre, wenn das Einzelne selbst in Wirklichkeit das Intelligible wäre, unterscheidet Martini zwischen zwei Realisationen des Einzelnen: Das Einzelne ist entweder ein Wahrnehmbares (to\ ai)sqhto/n) und damit Gegenstand der Sinneswahrnehmung, oder es wird durch die Vermittlung des intellectus agens ein Intelligibles (to\ nohto/n) und ist so Gegenstand des Geistes.267 Wie erkennt der Geist das Allgemeine und das Einzelne, und welches von beiden erkennt er (generisch, nicht logisch) zuerst? Damit wird der Locus De modo & ordine intelligendi zum Thema, der sich mit der Art und Weise sowie der Reihenfolge des Erkennens beschäftigt. Er gehört in den weiteren Umkreis des Locus De intellectione & cogitatione naturali hominis, in dem näher bestimmt wird, was eine Erkenntnis ist. Die Psychologie wird somit auch in der lutherischen und calvinistischen Schulphilosophie Teil der Erkenntnistheorie, die daneben Gegenstand der Logik und Metaphysik bleibt. 4.2.2.2.1. Die Erkenntnis als Repräsentation des Gegenstandes Der Geist ist als ein Vermögen der Geistseele bestimmt worden, mit dem sie die erkennbaren Dinge begreift und beurteilt. Diese Definition umfaßt damit auch die nähere Bestimmung der Erkenntnis als die differentia specifica des Geistes, die »nichts anderes (ist) als die Aufnahme der erkennbaren Formen und ihre Beurteilung.«268 Martini parallelisiert damit intellectus & intellectio bis in die Begrifflichkeit hinein miteinander, um die Austauschbarkeit beider anzuzeigen: Der Geist ist nur in der Erkenntnis (bzw. im weiteren Sinne im Denken), et vice versa. Auch Scheibler definiert die intellectio auf ähnliche Weise als »Auffassen und Urteilen«, sieht diese operationes aber als _________________________________________________________________________________________________________
titur: hoc verò de universalibus duntaxat intelligendum est, in quorum cognitione intellectus à sensibus distinguitur.« 266
Vgl. Dannhauer, disp. VII, con. I, 190: »nam & ipse [sc. sensus] formas a)/neu u(/lhj suscipit, & sane ut hic homo componitur ex hac materia, ita homo universalis ex materia communi, proinde nec universale caret omni materia, sed intellectus materiale prius xwri/zei kai\ fwti/zei …« 267
Vgl. Martini, ex. XV, B1r.
268
Vgl. a. a. O., C3v: »Est [sc. intellectio] itaque nihil aliud, quam receptio specierum intelligibilium & earundem dijudicatio.«
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ein »Tätigsein der [ganzen] Seele«269 und nicht bloß des Geistes an. Denn diese actio (e)ne/rgeia) als aktiver Vollzug des Erkennens sei eine operatio vitalis, eine die ganze Seele des Menschen in seinem Wahrnehmen und Denken bestimmende Tätigkeit, die folglich auf das principium vitale, die Seele selbst, bezogen werden müsse. Scheibler weist damit (in Übereinstimmung mit Zabarella270) auf den engen Zusammenhang von Erkenntnis und Wahrnehmung hin, der gemäß De An. II 11, 424a5f. ebenfalls das krinei=n zukommt. Die alleinige Ursache der Erkenntnis sei folglich nicht das Intelligible, wie Ägidius Romanus zu Recht betont habe. Mit der Bezeichnung der Erkenntnis als Auffassen und Beurteilen verweisen Martini und Scheibler (erneut in Übereinstimmung mit Zabarella271) auf den passiven und aktiven Part des Geistes im Erkennen, der eben nicht nur in der passiven Aufnahme der species intelligibilis besteht – sie wird gemäß De An. III 4, 429a29 als ein Erleiden (pa/sxein) bestimmt, da sich die Gegenstände der Wahrnehmung wie dem Geist von sich her präsentieren –, sondern auch in der aktiven Beurteilung des Erkannten als wahr oder falsch, gut oder schlecht, die gemäß De An. III 6 die eigentliche Leistung des Geistes ist, die er aus sich selbst heraus vollzieht. Sofern der intellectus possibilis auch intellectus patiens genannt wird, wird damit allein auf seine Rezeption der intelligiblen Formen angespielt, nicht aber auf seine aktive Funktion des Beurteilens, die im Anschluß an diese Rezeption erfolgt (vgl. hierzu auch 4.2.2.2.2.). Auch Timpler hat diese aktive und passive Funktion der Erkenntnis betont, die er etwas tautologisch als »die Erkenntnis des Gegenstandes als des erkennbaren Dinges, insofern er erkennbar ist«272, definierte. Er lehnte damit die Ansicht nicht näher genannter Naturphilosophen ab, wonach die Erkenntnis aufgrund der Aufnahme der unkörperlich-geistigen species intelligibiles eine rein passive sei. Denn »das Erkennen ist kein Erleiden und Aufnehmen der erkennbaren Formen, sondern ein Erkennen des erkennbaren Gegenstandes.«273 Aus diesem Grunde verwarf er auch (wohl in der Nachfolge von Durandus a S. Porciano) mit deutlichen Worten Aristoteles’ Einteilung des 269 Scheibler, pars III, disp. IV, 406: »Nunc de intellectione, qua est actio animæ, qua dicitur apprehendere & judicare …« 270 Zabarella hat in seinem Kommentar zu De An. III 4, 429a10-13 betont, daß das ginw/skein (cognoscere) in a10 etwas dem Geist und der Wahrnehmung Gemeinsames bezeichnet, denn auch die Wahrnehmung erkennt, insofern in ihr etwas von etwas unterschieden wird (vgl. Zabarella, III [4], t. 1, 661A-D). 271
Vgl. 3.3.5., Anm. 429.
272
Timpler, lib. III, c. III (De intellectione & cogitatione naturali hominis), th. 4, 322: »Intellectio est cognitio obiecti rei intelligibilis, quatenus est intelligibile.« 273
A. a. O., pr. 5, 325: »Communis opinio Physicorum est, intellectionem hominis esse passionem, & sic receptionem speciei incorporeæ & spiritualis. Sed quod illa opinio omnino sit falsa, probatur rationibus sequentibus: 1. quia intelligere non est pati & recipere speciem intelligibilem, sed cognoscere rem intelligibilem.« Timpler radikalisiert damit Zabarellas, Martinis und Scheiblers Bestimmung des intellectus als pati & agere, indem er dessen passives Moment gleichsam negiert. Dies ist aber falsch, da das Erkennen nicht ohne ein Eingeprägtwerden der Formen geschehen kann.
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Geistes in einen intellectus patiens & agens in De An. III 4 und 5 als ein vanum & putidum figmentum, mit der bis jetzt beinahe alle Naturwissenschaftler unnütze Zeit vergeudet hätten. Wie nämlich das Erkennen allein und ausschließlich actio, nicht passio sei, so sei auch das Erkenntnisvermögen selbst aktiv und nicht passiv, so daß die Einteilung in einen intellectus patiens & agens falsch sei.274 Die causa efficiens principalis der Erkenntnis ist für Timpler daher auf uneigentliche Weise teils die Geistseele selbst, teils das Erkenntnisvermögen, teils der äußere und innere Sinn. Die nächste und eigentliche Wirkursache sei aber die »aktuelle Repräsentation des intelligiblen Gegenstandes durch das dem Gehirn und dem Lebensgeist eingeprägte Bild.«275 Daß der Steinfurter unter simulachrum bzw. imago nun nicht (nur) eine piktoriale (oder auditive, taktile oder haptische) Repräsentation versteht, sondern (auch) die begriffliche Fassung des Gegenstandes, die überhaupt erst eine Erkenntnis möglich macht, wird aus folgender Anmerkung deutlich: »Da der Mensch nichts erkennen kann, wenn ihm nicht der erkennbare Gegenstand durch ein passendes oder unpassendes Bild repräsentiert wird, folgt, daß die Begriffe notwendig sind für die Erkenntnis des Menschen. Die Begriffe sind nämlich nichts anderes als Bilder oder Nachbildungen der einzelnen wie der allgemeinen, außerhalb des Menschen existierenden Dinge.«276
Timpler beschreibt damit sehr genau den Zusammenhang von imago & conceptus, der desto stärker ist, je konkreter ein Begriff ist, wie z. B. beim Begriff Körper, desto schwächer jedoch, je abstrakter ein Begriff ist, wie dies beim Begriff Seele der Fall ist, von der wir uns kein rechtes Bild machen können. Ist also keine Erkenntnis ohne die Ausbildung eines Begriffs möglich, der – mit den Worten Hegels – »nur für das Denken (ist)«277, wird deutlich, warum die Philosophie allein im Arbeiten am Begriff, der 274 Vgl. Timpler, lib. III, c. III, pr. 5, 326: »Ex his autem, quæ dicta sunt, licet colligere, quam vanum & putidum sit figmentum illud Aristotelis de duplici intellectu agente & patiente; in quo tamen explicando hactenus omnes ferè Physici tempus frustra & miserè consumpserunt. Sicut enim intellectio hominis propria tantum [sic!] est actio, & non passio; ita etiam potentia intelligendi eiusdem propria tantum est activa, & non passiva.« Timpler hat diese Einteilung in einen intellectus patiens & agens bereits an einer früheren Stelle kritisiert: »Quod enim de intellectu patiente & agente somniat Aristoteles, id falsum esse patet ex ipsa utriusque definitione, in qua facultati intelligendi ea attribuntur, quæ partim organorum sunt propria, quibus intellectio perficitur, partim ipsius hominis, qui intellectionem exercet.« (lib. III, c. II, pr. 3, 307) Timpler argumentiert hier also rein erkenntnistheoretisch und verneint damit jede ontologische Differenz zwischen dem intellectus agens & intellectus possibilis. 275 A. a. O., lib. III, c. III, th. 10, 321: »Proxima [sc. causa efficiens principalis intellectionis] est repræsentatio actualis obiecti intelligibilis per simulachrum cerebro & spiritui animali impressum.« 276 A. a. O., pr. 9, 332: »Cum homo nihil intelligere possit, nisi obiectum intelligibile ei per imgaginem vel propriam, vel alienam repræsentetur; sequitur, conceptus necessario requiri ad intellectionem hominis. Sunt enim nihil aliud conceptus quam imagines seu simulachra rerum tam singularium, quam universalium extra hominem existentium.« 277
Hegel, Wissenschaft der Logik, Vorrede zur zweiten Ausgabe, in: Werke 5, 25. Hegels Philosophie selbst ist nichts anderes als ein Arbeiten am Begriff. Vgl. hierzu nur die Einleitung zum eben genannten Werk, wo es heißt: »Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbstbewußtsein und hat die Gestalt des Selbsts, daß das an und für sich Seiende gewußter Begriff, der Be-
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die Repräsentation der Wirklichkeit ist, ihre Aufgabe und ihr Ziel finden kann. Daß diese Erkenntnis die Schulphilosophie des 17. Jh.s prägte, ergibt sich auch aus einer Anmerkung von Martini in seinen Exercitationum metaphysicarum libri duo278 und erklärt zu einem guten Teil ihren Begriffsformalismus, dem jedoch die Gefahr der Erstarrung immanent ist. Wie kommt es nun aber zur Begriffsbildung und damit zur Repräsentation des Gegenstandes im Geist? Sofern die Begriffe imagines & simulachra sind, geht ihre Entstehung für Timpler auf die sinnlichen Gegenstände zurück. Jeder von ihnen übermittelt dabei seine species sensibilis an die sinnlichen Organe, so daß die Form durch die Vermittlung der Sinne vom Menschen wahrgenommen wird. Dies kennzeichnet den Realismus dieser Philosophie, ihr Verwiesensein an das ens reale. Nach erfolgter Wahrnehmung wird diese Form bzw. das Bild des sinnlichen Gegenstandes in das Gehirn eingeprägt und gleichsam konserviert. Dieses Bild wird phantasma seu conceptus singularis genannt. Aus diesem und vielen anderen ähnlichen Bildern bildet sich der Geist dann im Gehirn durch Abstraktion den conceptus universalis279, der folglich kein figmentum rationis ist, sondern eine qualitas realis, die direkt von den sinnlichen und intelligiblen Objekten hervorgebracht wird. Daher ist der Allgemeinbegriff im eigentlichen Sinne nicht Gegenstand des Geistes, sondern durch seinen Verweischarakter eher dessen instrumentum. Für Timpler sind die Begriffe dem Menschen dergestalt nicht angeboren (im Sinne der koinai\ e)/nnoiai), sondern müssen von ihm selbst im Ausgang von der Sinneswahrnehmung erst gebildet werden. Damit scheide auch die Möglichkeit einer illuminatio aus – selbst jene durch Gott –, denn das Erwerben von Wissen sei allein Sache des Denkens. Ein entsprechender Sprachgebrauch in der Hl. Schrift sei bloß metaphorisch zu verstehen.280 Bei den Lutheranern findet sich eine ähnliche Beschreibung des modus intelligendi, die sich aber darin auf charakteristische Weise von Timpler unterscheidet, daß an der aristotelischen Ausdifferenzierung des Geistes in einen intellectus agens und intellec_________________________________________________________________________________________________________
griff als solcher aber das an und für sich Seiende ist. Dieses objektive Denken [sc. im Begriff] ist denn der Inhalt der reinen Wissenschaft.« (A. a. O., 43) Vgl. ferner die §§ 19-25 der Enzyklopädie der Wissenschaften, Erster Teil, Die Wissenschaft der Logik, in: Werke 8, 67-92. 278 Vgl. Martini, Exercitationum metaphysicarum libri duo, liber primus, ex. I, th. I, 9: »Constat enim tum per Aristotelem lib. peri\ e(rm. c.1. tum per ipsam veritatem, scripturas non rerum, sed conceptuum signa & imagines esse. Quum igitur Philosophia non conceptus & noh/mata: sed pra/gmata ipsa, mediantibus conceptibus, quorum propria sedes est animus humanus, repræsentare debeat …« 279
Timpler, lib. III, c. III, pr. 9, 332: »Atque illi [sc. conceptus] quidem primum omnium oriuntur à rebus sensibilibus, quatenus suas species ad organa sensuum transmittunt, ut iis mediantibus ab homine sentiantur. Peracta autem sensione species illæ seu imagines rerum sensilium cerebro & spiritui animali imprimuntur, & sic ibi conservatæ, dicuntur phantasmata seu conceptus singulares. Ex his postea homo quandocunque vult, elicit noemata, seu conceptus universales, qui sunt simulachra rerum universalium. Cerebrum igitur cum spiritu animali est sedes naturalis conceptuum humanorum.« 280
Vgl. a. O., pr. 10, 333f.: »Neque est quod obiiciat dicta Scripturæ sacræ, in quibus Deus dicitur illuminate corda hominum. Illa enim illuminatio non propriè, sed tropicè est intelligenda. Quod enim tenebræ & lumen sunt in mundo, præsertim ære, id est ignorantia & cognitio veritatis in homine.«
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tus possibilis festgehalten wird (vgl. hierzu 4.2.2.2.2.). Wie Timpler, so betont auch Evenius den instrumentellen Charakter der phantasmata sensibilia und species intelligibiles (bzw. ihrer entsprechenden Begriffe). Daher sind die species intelligibiles (in erster Linie) nicht das quod intelligitur, wie Zabarella behauptet hat (vgl. 3.3.4.2.), sondern das quo intelligitur: »Weil jedoch Gegenstand nicht die [erkennbare] Form selbst ist, sondern das Ding durch die Form, die eher eine gewisse Weise des Erkennens ist, wie Scaliger … sagt, und dem Geist dient, rechnen wir sie [sc. die species intelligibiles] lieber zu den instrumentellen Ursachen.«281 Was versteht Evenius genauer unter einem phantasma sensibile und einer species intelligibilis? Das phantasma sensibile ist eine aus einer Wahrnehmung gewonnene piktoriale, auditive, taktile oder haptische Repräsentation eines Gegenstandes, kurz: ein simulacrum. Dieses Phantasma bewegt den intellectus agens, der im intellectus possibilis die species intelligibilis hervorbringt. Die Frage, warum das Phantasma allein nicht zur Erkenntnis ausreicht, findet für Evenius seine Erklärung darin, daß es anders als die species intelligibilis noch nicht vollkommen von den materiellen Bedingungen der species sensibilis befreit ist. Dies bedeutet, daß die species intelligibilis nicht nur objektiv wie das Phantasma – sofern sich beide auf ihren Gegenstand beziehen –, sondern auch formaliter intelligibel ist, da erst sie, und nicht schon das Phantasma, die immaterielle, vom intellectus possibilis erkannte Form ist.282 Species intelligibilis und Phantasma unterscheiden sich also darin, daß jene von diesem eingeprägt wird und durch die Vereinigung des Geistes mit dem erkannten Gegenstand in ihn aufgenommen wird, während dies beim Phantasma als forma producens, wie Evenius unter Berufung auf Zabarella betont, nicht geschieht. Die species intelligibilis ist damit »weder eine Substanz noch ein Akzidens, sondern die Darstellung oder das Bild des wesentlichen und akzidentellen Seienden«283, wie Scaliger zu Recht festgestellt habe. D. h., sie repräsentiert einen materiellen Gegenstand, der in Wirklichkeit erkennbar ist, so Scheibler284, und ist damit ein quo intelligitur. 281 Evenius, disp. XVII, B2r: »Sed simulacra potius illa, quæ vel remotius vel magis prope ad hanc operam [sc. der Erkenntnis] faciunt, ut est Phantasma sensile & species intelligibilis; Quæ duo quamvis ad objectum videantur proprie spectare, quia tamen objectum non est species ipsa, sed res per speciem, quæ intelligendi potius quidam est modus, ut ait Scaliger l. d. sect. 21. & proinde intellectui inservit, inter causas instrumentales ea maluimus referre.« Vgl. Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 21, 763: »Neque est species obiectum intellectionis: sed intelligendi modus.« 282
Vgl. Evenius, disp. XVII, B2v: »Phantasma ergo sensile est illud, quod movet intellectum, & ex quo in phantasia existente species producitur intelligibilis in Intellectu patiente, quæ non objectivè tantum, ut phantasma, sed formaliter etiam est intelligibilis.« 283
Vgl. ebd.: »Quod si quæratur: Quid sit ea species intelligibilis? Respondemus neque substantiam esse neque accidens, sed Entis tàm substantialis quàm accidentalis similitudinem seu imaginem.« 284
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 402: »Cæterum, ut intellectus universalia cognoscat, opus habet abstractione eorundem à singularibus, quâ intellectus ministerio sensuum colligit ex rebus singularibus species quasdam sive similitudines naturales, quibus res ipsæ sine ulla individuali differentia (quales sunt hîc & nunc) repræsentatantur hoc ordine …« A. a. O., 406: »Nam sicut dantur species
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Daß diese Repräsentation der species intelligibilis das Ergebnis einer Abstraktion unter Absehen von den individuellen Bedingungen des Einzelnen ist, wird bei Evenius aus der (logischen, nicht generischen) Beschreibung der intellectio als eines Erkenntnisprozesses deutlich, die er unter Berufung auf Piccolomini gibt: Danach wird die species sensibilis eines außerhalb des Geistes existierenden Dings durch die äußeren Sinne aufgenommen und an das Vorstellungsvermögen ‘übergeben’. Dort wird sie durch die Vergegenwärtigung des Gegenstandes zum Phantasma, wobei sie noch mit den materiellen Bedingungen behaftet ist. Dieses Phantasma bewegt den intellectus agens, der es wiederum erleuchtet und durch die Abstraktion von der Zeit, dem Ort und den anderen individuellen Umständen reinigt und so die species intelligibilis hervorbringt. Erst diese, und nicht schon die species sensibilis, ist das in Wirklichkeit Erkennbare, weil nur sie vollkommen immateriell ist, ein, mit Thomas gesprochen, esse intentionale sive spirituale (vgl. 3.3.4.1.) hat, das allein vom immateriellen Geist erkannt werden kann. Diese species intelligibilis prägt nun der intellectus agens dem intellectus possibilis als ein wirklich Erkennbares ein, der diese Form in Hinsicht auf ihre Ursachen, Eigentümlichkeiten, Akzidentien etc. untersucht und sie so zu einer erkannten Form (species intellecta) macht.285 Von der Wahrnehmung des Einzelnen über die Bildung eines Phantasmas kommt es so zur Prägung einer species intelligibilis, die nichts anderes ist als der abstrakte, von seinen individuellen Eigenschaften abgezogene Gegenstand selbst oder, nochmals mit Scheiblers Worten, die immaterielle Repräsentation des Gegenstandes286 und damit der Begriff selbst. Und in diesem Zustand des Habens der species intelligibilis hat der Geist ein Wissen von diesem und jenem (einzelnen) Gegenstand als ein Allgemeines, ist er dasselbe wie der erkannte Gegenstand selbst »gemäß der Repräsentation«287, so Evenius, und zwar »auf geistige Weise«288, wie Martini unter Hinweis auf De An. III 4, 430a2-5 betont. _________________________________________________________________________________________________________
sensiles, quæ sensui repræsentant objectum sensile, apud Aristot. l. 2. de anima [sc. II 12, 424a1724], ita etiam dandæ sunt species intelligibiles, quæ intellectui repræsentent suum objectum. Neque enim ipsa substantia vel res intellecta est in intellectu. … Cæterum species intelligibilis … est accidens spirit[u]ale, quod a phantasia intellectui transmissum rem materialem repræsentat.« 285 Vgl. Evenius, disp. XVII, B2v: »Hinc ergo Intellectio sequitur ipsa hoc modo: Rei extra mentem existentis species sensibus percepta externis & ad phantasiam delata & materialibus adhuc conditionibus, quas ta\ ku/kl% vocat Aristoteles, immersa & implicita, movet Intellectum agentem, qui excitatus phantasma hoc illuminat, & abstractione temporis, loci aliarumque circumstantiarum purgat & speciem exinde intelligibilem elicit, intellectuique possibili imprimit, qui receptam examinat ulterius investigando causas, propria, accidentia, effecta, partes & similia.« 286 Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 402f.: »Sensus externi percipiunt speciem rei singularis, quam offerunt sensui interno, qui præbet phantasiæ occasionem haurendi aliâ phantasmata, quæ cum adhuc quadantenus materialia sint, depurantur & illustrantur lumine mentis agentis, ut in intellectum patientem species intelligibiles imprimere possint, quæ species intelligibiles tum sine ulla singularitatis admistione naturas universales repræsentant.« 287
Vgl. Evenius, disp. XVII, B3r: »Intellectum nostrum fieri rem ipsam secundum similitudinem
…«
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Nachdem die Weise des Erkennens näher bestimmt worden ist, stellt sich abschließend die Frage nach dem ordo intelligendi: Erkennt der Geist zuerst (generisch, nicht logisch) das Einzelne oder das Allgemeine? Für Scheibler »(erkennt) der Geist das Einzelne früher als das Allgemeine.«289 Wie Martini290, so folgt er damit der Ansicht Toletus, Zabarellas und der Conimbricenser (vgl. 3.3.7.), deren Implikationen hinsichtlich des damit zugrundeliegenden Erkenntnisbegriffs Scheibler der Erörterung des ordo intelligendi unter Berufung auf Pererius voransetzt291: 1. Es geht um eine geistige, nicht sinnliche Erkenntnis. 2. Diese cognitio intellectiva ist wiederum keine cognitio distincta – denn hier ist ohne Zweifel das Allgemeine das Ersterkannte, da wir bei einer solchen Erkenntnis die Ursache eines Gegenstandes wissen –, sondern eine cognitio crassa & confusa, eine undeutliche Erkenntnis, von der wir im natürlichen Prozeß des Erkennens ausgehen, wenn wir nur die Wirkungen, nicht aber die Ursache eines Gegenstandes kennen, wie Scheibler unter Hinweis auf die Conimbricenser und Zabarella betont.292 Damit liegt hier, auch wenn Scheibler dies nicht eigens erwähnt, der ordo naturæ zugrunde. 3. Bei der cognitio confusa wiederum geht es nicht um eine cognitio complexa, sondern um das einfache Auffassen der Dinge (simplex apprehensio rerum). 4. In Frage steht das Ersterkannte in Hinsicht auf den Vorrang der Zeit und des Ursprungs, nicht der Dignität. Im Blick auf diese Bestimmungen des zugrundeliegenden Erkenntnisbegriffs ergibt sich für Scheibler, daß weder das mehr noch das weniger Allgemeine das Ersterkannte ist.293 Anders als Zabarella, der die Frage, ob das Ersterkannte das mehr oder weniger Allgemeine sei, unabhängig von der Frage erörterte, ob das Einzelne oder das Allgemeine das Ersterkannte sei, bezieht Scheibler beide Fragen aufeinander. Während für Zabarella (vgl. 3.3.7.2.) dabei das Ersterkannte in der aktuell-ursprünglich-undeut_________________________________________________________________________________________________________ 288
Martini, ex. XV, B2v: »Cùm porrò Intellectus cum re intelligibili debeat uniri, species intelligibilis producitur & introducitur, per quam res intellecta & ipse intellectus unum redduntur, non quidem per naturam, sed intelligibiliter, ut inquit Philosophus.« 289
Scheibler, pars III, disp. IV, 403: »Intellectus priùs cognoscit singulare, quàm universale.«
290
Vgl. Martini, ex. XV, B1v-B2r.
291
Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 403.
292
Vgl. a. a. O., disp. V (De distinctionibus intellectus & intellectionis, sive cognitionis), 414: »Cognitio distincta est, quâ rem omnibus, quæ in ea continentur, enucleatè inspectis, cognoscimus, veluti cùm hominem sic intelligimus, ut explicata perceptione cuncta ejus essentialia prædicata teneamus. Confusa cognitio est, quâ rem iis, quæ in ea continentur, promiscuè tantum ac permixtim cognitis, apprehendimus.« Vgl. auch Martini, ex. XV, B2r: »Ut quæstio hæc [sc. was das Ersterkannte ist] rectè decidatur, distinguendum est inter cognitionem distinctam & confusam. Confusa cognitio est quando totum quoddam, ijs, quæ in eo habentur, confusè & promiscuè cognitis, apprehendimus. Cognitio verò distincta est, quando totum omnibus, quæ in eo habentur, perfectè & exquisitè cognitis, intelligimus. Ad distinctam itaque cognitionem quod attinet non inficias imus, eâ non cognosci posse singularia ante universalium cognitionem: Verùm quoad confusam cognitionem rectissimè contra Thomam & ejus sectatores probatum est, primum cognitum singulare esse.« 293 Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 403f.: »Nunc ad hanc rem dico primò: Magis universale non est primum cognitum. … Secundò: minus universale non est primum cognitum.«
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lichen Erkenntnis das am meisten Allgemeine und nicht das weniger Allgemeine ist, erörtert Scheibler diese Frage überhaupt nicht, sondern sieht sie sogleich im Zusammenhang mit der Frage, ob das Einzelne oder das Allgemeine das Ersterkannte sei. Von hier aus gesehen, kann es keinen Zweifel an folgender Aussage geben: »Das Allgemeine wird nur durch die Abstraktion vom Einzelnen erkannt. Also ist es notwendig, daß zuerst das Einzelne erkannt wird, weil das Abstraktum nicht erkannt werden kann, wenn nicht jenes erkannt wird, von dem es abstrahiert wird …«294 Damit gelangt Scheibler zwar zum gleichen Ergebnis wie Zabarella, es bleibt aber unklar, wie er von hier aus den ganzen Themenkomplex aus Phys. I 1 erklären will. Denn dort betont Aristoteles ja gerade, daß das Ersterkannte im ordo naturæ das undifferenziert Allgemeine ist. Offensichtlich hat Scheibler diesen ganzen Problemkreis hier nicht im Blick.295 Im Zusammenhang mit der Erkenntnistheorie erörterten den Lutheraner auch die Frage nach der Selbsterkenntnis, genauer nach der Erkenntnis des Geistes. Vor dem Hintergrund, daß das Erkennen die Repräsentation eines äußeren, materiellen Gegenstandes ist, ist klar, daß der Geist sich nicht auf diese direkte Weise selbst zum Gegenstand werden kann, denn er kann sich als etwas Immaterielles nicht selbst mithilfe einer species intelligibilis repräsentieren. Scheibler unterscheidet daher unter Berufung auf Scaliger zwischen einer cognitio recta vel reflexa. Jene ist diejenige Erkenntnis, wodurch der Geist den äußeren Gegenstand durch ein einfaches Erfassen erkennt. Bei der reflexiven Erkenntnis biegt sich dagegen der Geist auf sich selbst zurück, und dabei erkennt er sich selbst in seinem Erkenntnisakt, d. h. er erkennt, daß er es ist, der erkennt. In dieser Selbsterkenntnis trennt sich der Geist nicht von sich selbst, indem er sich sich selbst als einen anderen gegenüberstellt, sondern er verdoppelt sich in gewisser Weise im Erkennen des äußeren Gegenstandes und seiner selbst, wie Scaliger betont.296 Auch Dannhauer hält eine Selbsterkenntnis des Menschen nur über die Vermitt294 A. a. O., 404: »Universale non cognoscitur nisi per abstractionem à singulari. E. necesse est prius cognosci singulare, quia non potest cognosci abstractum, nisi cognoscatur illud, à quo abstrahatur …« 295 Evenius erörterte zwar die Frage nach dem Ersterkannten in Hinsicht auf das mehr oder weniger Allgemeine, nicht aber, ob das Einzelne oder das Allgemeine das Ersterkannte ist. In Beantwortung jener Frage, für die er auf die ausführlichen Erörterungen von Thomas, Piccolomini, Zabarella und die Conimbricenser verwies, folgte er ganz Zabarellas Begrifflichkeit und Lösung, wonach in der cognitio actualis originalis confusa das Ersterkannte das am meisten Allgemeine, in der cognitio habitualis confusa dagegen je nach Belieben das Ersterkannte das mehr oder weniger Allgemeine oder das Einzelne sei: »Primum cognitum, de quo Thomas, Piccolomini, Zabarella, Conimbricense & alij fusè disputant, cognitione actualis originalis confusa esse maximè universale … De cognitione verò habituali confusa si quæratur, absente objecto intellectus & universale & singulare pro lubitu expromere & contemplari potest.« (Disp. XVII, B3v) 296
Vgl. Scheibler, pars III, disp. V, 416: »Cognito est recta vel reflexa. Et recta sive directa est, quâ anima cognoscit ea, quæ extrinsecus cognoscenda objiciuntur. Reflexa est, quando ipsa in se ipsam recurvatur & reflectitur, cognoscendo & se, & actus suos, nempe quod cognoscat. Vide Scal. …« Bei Scaliger heißt es: »intellectus noster non intelligit se per speciem: sicuti cætera entia materialia: sed per reflexionem. Hoc autem in immaterialibus , & facile, & semper fit. Sunt enim eius actiones duæ: una recta, altera reflexa. Prima quidem cognoscit aliquid. Secunda cognoscit se & cognosce-
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lung der immateriellen Form eines materiellen Gegenstandes für möglich: Aus den Denktätigkeiten ermittelt der Geist hierbei in einem discursus, in einem Hin und Her zwischen dem Gegenstand und seinem Erkennen auf indirekte Weise die Erkenntnis seiner selbst. Diesen discursus nennt Dannhauer treffend auch eine circulatio, einen Kreislauf, der sich um das Erkennen des anderen und seiner selbst herum vollzieht.297 Den von den Anhängern Augustins298 vorgebrachten Einwand, daß der Seele nichts gegenwärtiger sei als ihr Wesen, widerlegt er dabei wie folgt: Der Geist ist sich selbst gegenwärtig nur im Sein des Gegenstandes, nicht in der Weise des Erkennens. Denn für das Erkennen bedarf er der species intelligibilis des Gegenstandes, so daß er immer an dessen Sein verwiesen bleibt. Ein In-sich-selbst-Bleiben, eine Introspektion ist daher ohne Erkenntnis, weil es ‘nichts’ zu erkennen gibt. Deshalb, so Dannhauer, ist der Geist sich selbst gegenwärtig nur »im Sein des Dings, nicht aber in der Weise des [Selbst-]Denkens«, oder er sich selbst gegenwärtig »auf entitative Weise«, da er im Sich-selbst-Denken der ihm äußerlich seienden Dinge bedarf, und nicht »auf objektive Weise«299, indem er sich sich selbst als einen Gegenstand gegenüberstellt, was unmöglich ist. Maclean nennt diese entitative Weise der Selbsterkenntnisse zu Recht eine »existentielle«, da sie nur über das Anwesendsein von Seienden realisiert werden kann: »The mind’s self-awareness is therefore an understanding of itself of an ontological, even perhaps hermeneutic kind … that is to say, that it moves from the known (the object of perception) to the unknown of which the known is a sign (the mind itself).«300
Die entitative Selbsterkenntnis ist also der Grund, weshalb es überhaupt so etwas wie eine Philosophie des Geistes geben kann: Wenn der Geist sich selbst intuitiv erkennen könnte, ohne aus sich herausgehen, ohne etwas anderes erkennen zu müssen, dann gäbe es keine Philosophie des Geistes, weil er sich selbst genug wäre, weil er sich ‘schon immer’ erkannt hätte, nicht erst nach einer Selbsterkenntnis streben müßte. Dabei bestätigt die eigene Erfahrung den aristotelischen Sachverhalt, daß eine Erkenntnis des Geistes nur über die Erkenntnis eines äußeren Gegenstandes erfolgen kann. Genau dies _________________________________________________________________________________________________________
re, & cognoscendi habere potestatem. Qua reflexione seipsum, tametsi non disiungit, tamen geminat.« (Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 2, 731) 297 Vgl. Dannhauer, disp. VII, con. I, 194: »… etiam intellectus ad seipsum contemplandum requirit speciem rei materialis, foris enim ex actibus colligit per discursum à posteriori seipsum, nam dum sensus percipit per modum quasi rectum, intellectum seipsum intelligit per circulationem …« 298 Merkwürdigerweise berief sich Scheibler für die Ansicht einer diskurisven Selbsterkenntnis auch auf Augustin, obgleich der gemeinhin als ein Vertreter der intuitiven, nicht über den Gegenstand laufenden Selbsterkenntnis angesehen wurde: »De posteriori hac cognitioni [sc. reflexa] controversia non levis. Sunt enim qui putant, animam nec in se nec in actu suo reflecti. Sed præterquam quod res ipsa se luculente declaret, docet id Augustinus l. 9. de Trinitate c. 3. cùm inquit: Mentem per se ipsam nosse, quia incorporea est.« (Scheibler, pars III, disp. V, 416f.) 299 Vgl. Dannhauer, disp. VII, con. I, 194: »Quamvis intellectus sibi sit satis præsens in esse rei, non tamen in modo cognoscendi, quo indiget specie ad se cognoscendum, omnia enim cognoscimus, ut aliquando sensata, quod alii exprimunt; Intellectus est sibi præsens entitativè, non objectivè.« 300
Ian Maclean, Language, 311.
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beschreibt Dannhauers discursus des Geistes mit den Gegenständen. Wie sie ihm begegnen, und wie er sie in den einzelnen philosophischen Disziplinen zur res considerata macht, ist dabei die Grundlage für die Unterscheidung der theoretischen und praktischen Wissenschaften. Von hier aus wird auch ersichtlich, warum die Frage nach der Erkenntnis des Geistes danach drängt, die verschiedenen Disziplinen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, nämlich die Psychologie, Metaphysik, Logik und Noologie, in der einen umfassenden Philosophie des Geistes zu sammeln, die seinen Begriff realisiert. 4.2.2.2.2. Die Einheit des Geistes in der Erkenntnis Es ist bereits erwähnt worden, daß die Lutheraner anders als Timpler an der aristotelischen Ausdifferenzierung des Geistes in einen intellectus agens und intellectus possibilis festgehalten und beide als ein Vermögen der menschlichen Seele bestimmt haben. Die Fragen, worin die Notwendigkeit für diese Ausdifferenzierung besteht und wie die dem intellectus patiens und intellectus agens in De An. III 4 und 5 beigelegten Attribute genauer zu verstehen sind, wurden systematisch entweder wie bei Martini, Evenius, Dannhauer und Leuschner im Rahmen des umfassenden Locus De intellectu erörtert oder wie bei Scheibler innerhalb eines De distinctionibus intellectus & intellectionis genannten Locus. Die vorliegende Überschrift verweist dabei auf das Ziel dieser Erörterung, nämlich die Einheit des Geistes in seinen vielfältigen Funktionen zu erweisen. Die Lutheraner betonten eingangs, daß der Geist seinem Wesen nach einer, seiner Tätigkeit nach aber vielfältig ist. So heißt es bei Scheibler: »Wenn auch die Seele und der Geist ein einfaches und unteilbares Wesen besitzt, wie Aristoteles sagt, so wird er wegen der Verschiedenheit der Vermögen und Tätigkeiten auf verschiedene Weise unterschieden«301, so daß er sich hinsichtlich seiner Vermögen ausdifferenziert in einen intellectus patiens & agens und hinsichtlich seiner Tätigkeit in einen intellectus speculativus & practicus. Den Grund für jene Ausdifferenzierung erkannten Martini und Evenius im Anschluß an De An. III 5, 430a10-19 in der Tatsache, daß nichts sich selbst von der Möglichkeit zur Wirklichkeit, von der Passivität zur Aktivität führen könne.302 301
Scheibler, pars III, disp. V, 409: »Etsi anima adeoque & intellectus sit essentia simplex &
a)me/ristoj, dicente Aristotele, tamen propter varietatem potentiarum & operationum variè distingui-
tur.« 302 Vgl. Martini, ex. XV, B2v: »Atque hinc oritur distinctio Intellectus in agentem & patientem. Existimavit enim Aristoteles in mente humana præter id, quod aptum est fieri omnia, quodque materiæ rationem & locum obtinet, dandum adhuc esse aliquid, formæ rationem sustinens, quod sit aptum facere omnia, scilicet actu intelligibilia. Atque ita (ut ait Alexander Aphrod. in 2. de an. c. 18.) agentem intellectum per analogiam introduxit. Quemadmodum enim in alijs rebus omnibus est agens, & patiens, & quod ex utroque proficiscitur: Ita putavit, non tantùm patientem intellectum dandum esse, sed & agentem, qui actu intellectus sit; cum nullus actus nisi per actum producatur …« Evenius, disp. XVII, B3r: »Intellectionem esse & Actionem & Passionem, quatenus complexu suo utriusque generis operationes involvit, & proinde necessariò intellectum agentem & patientem esse ponendum, cùm nihil semet à potentia ducat ad actum.« Wie bereits im Zusammenhang mit dem Renaissance-
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Sofern nämlich der intellectus patiens alles wird, da er alle intelligiblen Formen in sich aufnehmen kann, bedarf es der Setzung eines intellectus agens, der alles intelligibel macht und der jene Eigenschaft des intellectus patiens, alles zu werden, in die Wirklichkeit überführt, in der er gewissermaßen alles Seiende ist (vgl. De An. III 8, 431b21). Diese Ausdifferenzierung ist daher für Evenius nicht so zu verstehen, als ob es zwei der Sache nach voneinander unterschiedene Geister gäbe, »sondern der Sache nach ist es ein Geist, der, insofern er die erkennbaren Formen offenbart, der tätige Geist ist, insofern er deren Zugrundeliegendes ist, der erleidende oder materielle Geist ist.«303 Oder in den Worten von Scheibler: »Was aber zur Unterscheidung des tätigen und erleidenden Geistes gehört, sagen wir erstens, daß der tätige und erleidende Geist sich nicht hinsichtlich des Wesens voneinander unterscheiden. Wie sich auch der tätige Mensch nicht vom erleidenden Menschen unterscheidet. Denn wir glauben, daß hier durch beide Geister die Geistseele in Hinsicht auf die Erkenntnis bezeichnet wird. Aber die Seele kann sich nicht wirklich von sich selbst unterscheiden. Zweitens: Das aktive und das passive Vermögen des Erkennens unterscheiden sich wirklich voneinander. Sie sind nämlich [verschiedene] Qualitäten der Seele selbst …«304
Intellectus patiens & intellectus agens sind also zwei verschiedene Vermögen ein und derselben Seele, so daß sie sich nicht substantialiter bzw. secundum esse, voneinander unterscheiden, sondern nur realiter bzw. secundum operationem in Hinsicht auf ihren Part im Erkenntnisprozeß.305 Hieraus ergab sich für die Lutheraner und Pacius die Ablehnung von Alexanders, Portios und Zabarellas Ansicht, wonach der intellectus agens Gott bzw. eine göttliche _________________________________________________________________________________________________________
Aristotelismus betont wurde (vgl. 3.3.5., Anm. 394), überzeugt dieses Argument nur dann, wenn sich intellectus agens & patiens substantialiter voneinander unterscheiden. Dies ist aber bei den Lutheranern nicht der Fall, wie das Nachfolgende verdeutlichen wird. 303 Evenius, dips. XVII, B2r: »Non autem ita cogitandum quasi duplex eiusmodi dicatur Intellectus re distinctus … sed re unus est, qui quatenus enudat species, agens est, quatenus earum est subjectum patiens seu materialis.« 304 Scheibler, pars III, disp. V, 410: »Quod verò attinet ad distinctionem intellectus agentis & patientis, dicimus nos primò: Ipsum intellectum agentem & patientem non differe substantialiter. Sicut neque homo agens differet à se patiente. Nam per intellectum utrinque putamus hîc significari ipsam animam rationalem in respectu ad intellectionem. At anima ipsa non potest à se differre realiter. Secundò: Potentia intelligendi activa & potentia intelligendi passiva differunt realiter. Sunt enim illæ qualitates [sc. diversæ] ipsius animæ …« Auch Dannhauer vertrat diese These diese, ohne sie weiter zu begründen: »Q. 3. Intellectus agens & patiens num different realiter? Nihil cogit realem diversitatem agnoscere …« (Disp. VII, con. II, 208 [richtig: 198]) 305 Unterscheiden sich beide nicht wesentlich voneinander, sind vielmehr der Sache nach eines, so entfällt die Möglichkeit, zwischen beiden eine ontologische Differenz zu setzen, nämlich die, den intellectus agens als unsterblich, den intellectus possibilis dagegen als sterblich zu setzen. Konsequent war hierin nur Scheibler. Freilich geschah dies auf Kosten einer Nichtberücksichtigung der verschiedenen Attribute aus De An. III 4 und 5, die er überhaupt nicht erörterte. Er hätte sie aber nach dem bisher Gesagten wie Luther epistemologisch, nicht ontologisch verstehen müssen. Martini und Evenius interpretierten die Attribute dagegen ontologisch, wie das Nachfolgende verdeutlichen wird.
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Kraft sei. Scheibler nannte diese Ansicht »absurd«306 und Evenius »wahnsinnig«307. Auch für Pacius »irren«308 die Anhänger einer solchen Ansicht, und für Martini ist sie »von der Wahrheit selbst entfernt«309. Hierfür benannte man u. a. die folgenden drei Gründe: 1. Jedes agens naturale perfectum hat ein ihm eigenes Vermögen, tätig zu sein, so daß es das macht, was ihm natürlich ist. Der Mensch aber ist ein solches agens naturale perfectum. Also hat er auch das ihm eigene Vermögen, tätig zu sein. Da seine eigentümliche Tätigkeit die Erkenntnis ist, muß er über das Vermögen der Erkenntnis verfügen. Denn es wäre absurd, wenn der Mensch an ein anderes verwiesen bleibt, das das Denken erst ermöglicht, so Scheibler.310 2. Für Martini ist Thema in De An. III 4 und 5 nicht die forma assistens & externa, sondern die forma informans & intrinsecus operans (sic!), d. h. der menschliche Geist. Daher habe Aristoteles den intellectus agens in 430a14 eine Differenz in der Seele genannt, wie auch Philoponus zu Recht betont habe.311 3. Alles, was wird, wird in etwas und aus etwas. Nun wird das Allgemeine bzw. Intelligible im intellectus patiens. Also bedarf es noch etwas, aus dem es wird, und dies ist der intellectus agens als ein principium activum. Denn jedes passive Element braucht ein aktives Element, da sich in der Natur nichts von selbst aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit bringen kann. Der menschliche Geist verfügt aber über die Möglichkeit des Erkennens, wird also alles in der Aufnahme der intelligiblen Formen. Wer aber alles wird, für den ist das Erkennen ein Erleiden (vgl. De An. III 4, 429b24f.). Damit er nun das Intelligible wirklich erkennen kann, muß etwas das in Möglichkeit Intelligible zu einem wirklich Intelligiblen machen, und dies ist der intellectus agens. Intellectus patiens & intellectus agens bedingen also einander: »Bei Tageslicht betrachtet ist es klarer: Wo ein erleidender Geist gesetzt wird, dort muß auch ein tätiger Geist gesetzt werden. Wird dieser aufgehoben, dann auch jener«312, wie
306 Scheibler, pars III, disp. V, 409: »Ubi in principio notanda est absurda sententia Zabarellæ, qui in lib. de mente agente, c. 11. Intellectum agentem & patientem esse duas substantias essentialiter distinctas ait, & illam esse formam immaterialem, & à materia prorsus abjunctam. Et addidit c. 12. Intellectum agentem non posse esse ullam intelligentiam præter illam, quæ movet orbes cœlestes.« 307 Evenius, disp. XVII, B3r-v: »Vanam esse Alexandri & Zabarellæ opinionem quod, quia Deus maximè omnium sit intelligibilis, & in genere intelligibilium primum, intellectus agens nihil aliud statui possit, nisi ipse Deus.« 308 Pacius, lib. III, c. VI, 379: »Quapropter errant, qui ex his verbis colligunt intellectum agentem esse Deum.« 309
Martini, ex. XV, B3r: »Alexander … Deum, Avicenna … Dæmonem seu Intelligentiam, homini assistentem, statuerunt. Verumenimverò & ab Aristotele & à veritate ipsa hæc sententia aliena est.« 310
Vgl. Scheibler, pars III, disp. V, 409f. Wie gesehen, haben weder Portio noch Zabarella behauptet, daß der intellectus agens das Denken des menschlichen Geistes im Sinne einer unmittelbaren Einwirkung ermöglicht; vielmehr ermöglicht er die allgemeine Erkennbarkeit von Welt überhaupt. 311
Vgl. Martini, ex. XV, B3r.
312
A. a. O., B3v: »… luce meridianâ clarius est, posito intellectu patiente, poni & agentem, & hoc sublato etiam illum tolli.«
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Martini betont. Folglich sei der intellectus agens »Teil der Seele und Form der menschlichen Seele.«313 Von hier aus betrachtet wird nochmals deutlich, wie unhaltbar die These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele ist (vgl. 4.2.2.1.). Sofern nämlich der intellectus agens Teil und Form der Seele im Sinne der forma informans ist, bleibt vollkommen unerklärlich, wie die Bestimmung des intellectus agens als a)qa/natoj kai\ a)i+/dioj in De An. III 5, 430a23 damit vereinbart werden kann. Denn eine forma informans kann nicht zugleich abtrennbar und unsterblich sein im Sinne einer forma assistens. Gleiches gilt für die übrigen vier Attribute des intellectus agens in De An. III 5, 430a17f. (abtrennbar, inaffizierbar, unvermischt und seinem Wesen nach Wirklichkeit314), die nicht ontologisch, sondern epistemologisch verstanden werden müßten. Daß weder Martini noch Evenius315 und Pacius dies getan haben, ist ihrer These von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele secundum Aristotelem geschuldet, die der Sache nach aber unhaltbar ist und von Dannhauer und Scheibler auch so erkannt worden ist. Dies wird die nachfolgende Erörterung aller Attribute des intellectus agens & intellectus possibilis bei Martini und Pacius nochmals belegen. 1. Für beide kommt die Bestimmung des Abgetrenntseins (xwristo/j, separabilis) sowohl dem intellectus possibilis (vgl. De An. III 4, 429b4f.) als auch dem intellectus agens (vgl. III 5, 430a17) secundum operationem zu, da beide immateriell sind und kein körperliches Organ gebrauchen, anders als z. B. das Sehen, das ohne das Auge nicht vollzogen werden kann. Wenn nämlich beide eines körperlichen Organs bedürften, dann wären sie dadurch bereits in ihrem Freisein von jeder Bestimmung beschränkt.316 In diesem Falle könnte dann der intellectus possibilis nicht alles werden und der intellectus agens nicht alles machen. Dieser Identität secundum operationem entspricht nun für Martini und Pacius eine Differenz secundum esse. Wie nämlich der intellectus possibilis gemäß 430a24f. seiner Natur nach vergänglich ist, weil er vom Körper secundum esse nicht abtrennbar ist, so ist der intellectus agens gemäß 430a23 unsterblich, »weil allein dieser Geist vom Körper abgetrennt wird [und zwar hinsicht313
Vgl. a. a. O., B3r: »Est igitur intellectus agens pars animæ & forma humanæ animæ …«
314
Vgl. Aristoteles, De An. III 5, 430a17f.: »kai\ ou(=toj o( nou=j xwristo\j kai\ a)paqh\j kai\
a)migh/j, tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia.« 315
Vgl. Evenius, disp. XVII, B2r: »Unde præstantiam ipsius Intellectus agentis accuratius expendens Philosophus lib. 3. de anima. § 19. titulos honorarios illi tribuit, quod sit xwristo\j kai\ a)mighÜj kai\ a)paqh\j, tv= ou)si/# w)\n e)ne/rgeia; nec enim organo corporeo est affixus, nec ex perceptis corporibus concretus, sed omnis expers passionis & corruptionis, quo ipso homo Deo superisque mentibus evadit simillimus.« 316 Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 380: »Declarat [sc. Aristoteles] aliquot attributa huius intellectus agentis. Primo est separabilis, id est, non organicus, & omnino non utitur corpore. Ne intelligas esse separabilem à corpore, quia sine corpore consistat post hominis mortem: nam hoc postea discursus est. Sed intellige, quandiu homo vivit, intellectum agentem esse à corpore ominio separatum: quia sive eius essentiam, sive eius operationem spectemus, non utitur corpore. Idem supra diximus de intellectu patiente.« Dort hieß es knapp: »Consequens est, intellectum esse separatum ab omnibus rebus.« (A. a. O., c. V, 370)
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lich des Seins!] und nach dem Tod des Menschen verbleibt.«317 In Martinis Worten heißt dies: Der intellectus agens »ist von der allgemeinen Gemeinschaft mit dem Körper nicht nur hinsichtlich seiner Tätigkeit abtrennbar, sondern auch hinsichtlich seiner Substanz. Er ist nämlich unsterblich und besteht auch an sich nach dem Vergehen des Körpers fort.«318 Erst im Zustand des Abgetrenntseins secundum esse ist dieser intellectus agens also das, was er wesentlich ist (vgl. a23f.). Diese Eigenschaft kommt dem intellectus possibilis so nicht zu, da er ein Kompositum und gemäß 430a24f. seiner Natur nach vergänglich ist. Wie Zabarella und Portio, erkannten also auch Pacius und Martini eine ontologische Differenz zwischen dem intellectus agens & intellectus possibilis, mit dem entscheidenden Unterschied freilich, daß für die Italiener der intellectus agens Gott selbst bzw. eine göttliche Kraft ist, für Pacius und Martini aber ein Vermögen der menschlichen Seele. Letzteres ist aber unmöglich: Wie sollten sich zwei Vermögen, die simplex in essentia sind, sich zugleich ontologisch wesentlich voneinander unterscheiden können, so daß das eine Vermögen hinsichtlich seiner Substanz abtrennbar ist, das andere aber nicht? Was für eine Einheit sollte dies sein? Und wie sollte es möglich sein, daß ein Vermögen der Seele sterblich, das andere aber unsterblich ist? Welche monströse Form müßte einer solchen Seele zukommen? Müßte sie nicht zugleich forma informans & forma assistens sein? Und würde dies nicht bedeuten, daß ein Seelenvermögen die Kraft hätte, die Substanz der Seele zu verändern? Und wie sollte es möglich sein, daß aus einem Teil der Seele die Unsterblichkeit der ganzen Seele, ja des ganzen Menschen folgt? 2. Martini verstand die zweite Bestimmung, wonach der intellectus agens unvermischt (a)migh/j, immistus) ist, auf zweifache Weise: Zum einen ist er unvermischt mit den Objekten, denn er enthält nicht ihre Natur in sich, sondern hat das Vermögen, sie aufzunehmen.319 Zum andern ist er unvermischt mit dem Körper, weil er ohne Organ ist. Wenn er nämlich seine Funktionen vollzieht, dann geschieht dies ohne den Körper. Beide Weisen des Unvermischtseins kommen auch dem intellectus patiens zu: Er ist unvermischt mit den Objekten, weil er nur ihre intelligiblen Formen in sich aufnimmt (vgl. De An. III 4, 429a15-20), und unvermischt mit dem Körper, weil er ansonsten bereits eine bestimmte Beschaffenheit hätte (vgl. 429a24-27). Dieses Unvermischtsein bedeutet für Martini aber eher eines in Hinsicht auf die Tätigkeit als in Hinsicht auf das Sein. Sofern nämlich der intellectus patiens ein compositum ist, ist er hinsichtlich des
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A. a. O., c. VI, 381f.: »Declarat [sc. Aristoteles] aliam proprietatem, qua intellectus agens seiungitur à patiente, & ab aliis facultatibus animæ: quia solus hic intellectus separatur à corpore, & post hominis obitum permanet.« 318
Martini, ex. XV, B4r: »Peculiari verò adhuc modo intellectus agens: nempe quod ab universo corporis consortio sit separabilis, non quoad operationem duntaxat: verùm etiam quoad subsistentiam. Immortalis enim est, ac corpore intereunte per se deinde subsistit.« 319
Diese Erklärung ist falsch, denn der intellectus agens ist ja gerade nicht das Vermögen für die Rezeption der intelligiblen Formen, sondern dasjenige Vermögen, das sie gleichsam ‘von außen’ intelligibel macht.
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Seins nicht ohne den Körper.320 Auch hier bleibt freilich unklar, wie sich diese ontologische Differenz mit der substantiellen Einheit des Geistes vertragen könnte. 3. Für die dritte Bestimmung des intellectus agens als inaffizierbar (a)paqh/j, impassibilis) unterschieden Pacius und Martini unter Berufung auf Thomas321 zunächst eine zweifache Bedeutung des Begriffs: Etwas erleidet etwas von etwas anderem, wenn es entweder von ihm unterworfen wird, unabhängig davon, ob dies seiner Natur entspricht oder nicht (passio corruptiva), oder wenn es dasjenige aufnimmt, das den Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit bewirkt (passio perfectiva). Beide Weisen des Erleidens kommen dem intellectus agens jedoch nicht zu. Vielmehr ist er schlechthin und in jeder Hinsicht inaffizierbar, weil er in sich selbst vollkommen ist, nicht erst von einem Objekt vervollkommnet werden muß, denn er ist wesentlich actus. Anders jedoch der intellectus patiens: Weil er nur in Möglichkeit das Intelligible ist, erleidet er etwas gemäß der dritten Weise, wenn er in Wirklichkeit das Intelligible wird. Dieses Erleiden ist aber eine passio perfectiva, ein Erleiden, das auf einen vollkommeneren Zustand abzielt, auf das Wissen nämlich.322 4. Die größte Differenz zwischen dem intellectus agens und dem intellectus patiens liegt für Martini in dessen vierter Bestimmung vor, wonach er seinem Wesen nach Wirklichkeit ist. Während nämlich der intellectus patiens nur der Möglichkeit nach alles Intelligible ist und dieses erst in Wirklichkeit werden muß, trifft dies auf den intellectus agens nicht zu: »Er ist nicht ein solcher, der notwendigerweise etwas werden muß, was er noch nicht ist, oder der etwas aufnehmen muß, was er noch nicht hat«323; vielmehr ist er ‘schon immer’ Wirklichkeit, ist eine virtus activa, die im Menschen gleichsam das Tätigkeitsprinzip ist. Eine kritische Prüfung der von Martini und Pacius gegebenen Interpretation der Bestimmungen des intellectus agens, in denen er sich wesentlich vom intellectus possibilis unterscheidet324, zeigt ohne Zweifel, daß es eine substantielle Einheit zwischen beiden nicht geben kann. Denn damit würde nicht nur das Verhältnis zwischen der Seele 320 Vgl. Martini, ex. XV, B4v. Pacius hat das Attribut des Unvermischtseins beiden Vermögen nur in Hinsicht auf den Körper zugeschrieben: »commune secundo hic intellectus agens non est mixtus, sed seiunctus à rebus omnibus. Idem etiam superiori cap. diximus de intellectu patiente.« (lib III, c. VI, 380) Dort heißt es: »Sequitur alia proprietas intellectus [sc. patiens], quod non est permixtus cum corpore.« (lib. III, c. V, 370) Dies ist zwar richtig in bezug auf den intellectus agens, nicht aber in bezug auf den intellectus patiens, denn dieser ist auch unvermischt mit den Gegenständen. 321
Vgl. Thomas von Aquin, STh I, q. 79, art. 2, in: Opera 5, 259.
322
Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 380: »Intellectus patiens est impatibilis passione corruptiva, sed non est impatibilis passione perfectiva: (immo intelligere est quiddam pati: unde vocatur intellectus patiens, quia patitur ab obiecto intelligibili …) sed intellectus agens est omnino impatibilis tam perfectiva quam corruptiva passione; propterea quod ex se ipso est perfectus, nec perficitur ab obiecto; & quia (ut inquit Aristoteles) essentialiter est actus.« Ebenso Martini, ex. XV, B4v-C1r. 323 Martini, ex. XV, C1r: »… [sc. intellectus agens] non talis, cui necesse sit fieri aliquid, quod nondum sit, vel recipere aliquid, quod nondum habeat.« 324 Vgl. Pacius, lib. III, c. VI, 381: »Cum igitur intellectus patiens sit separabilis, impermixtus & impatibilis: multo magis intellectus agens erit talis: alioquin non esset præstantior patiente.«
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und ihren Vermögen unklar, sondern auch das zwischen den Vermögen selbst. Ist nämlich die Seele nach einhelliger Ansicht forma corporis, d. h. forma secundum suam essentiam, der Geist aber ihr Vermögen, kann er sich gerade nicht, wie Pacius behauptet hat325, vom Wesen der Seele, und zwar secundum esse, unterscheiden. Wie sollte das möglich sein? Genauso wenig kann es aber eine ontologische Differenz zwischen dem intellectus agens & intellectus patiens innerhalb der einen Seele geben. Im Vergleich zu der von Martini, Pacius und Evenius gegebenen Interpretation zeigt sich hier nochmals, daß Alexander, Portio und Zabarella die einzig sinnvolle Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem intellectus possibilis & intellectus agens gegeben haben: Der intellectus agens ist kein Vermögen der menschlichen Seele, sondern kennzeichnet die Wirksamkeit Gottes oder einer göttlichen Kraft zur Sicherstellung der Erkennbarkeit der Welt im ganzen. Dieser Erklärung würde auch eher die Bestimmung der zweifachen Funktion des intellectus agens innerhalb des Erkenntnisprozesses entsprechen, wie sie die Luther und Pacius gegeben hat. Danach erleuchtet er zum einen die Phantasmata und macht so das der Möglichkeit nach Intelligible zu einem in Wirklichkeit Intelligiblen, zum andern bringt er im intellectus possibilis die species intelligibiles hervor, so daß er erkennt.326 Die eine Tätigkeit zielt auf den Gegenstand ab, indem die species intelligibiles von den Phantasmata abstrahiert werden (xwri/zein) und so das der Möglichkeit nach Intelligible zu einem in Wirklichkeit Intelligiblen gemacht wird. Hierfür beruft sich Martini auf De An. III 5, 430a15-17, wo Aristoteles die Funktion des intellectus agens durch einen Vergleich mit dem Licht verdeutlicht habe: Wie sich das Licht zu den Farben verhält, indem es die Farben in Möglichkeit zu solchen in Wirklichkeit macht, die damit für die Augen sichtbar werden, so verhält sich der intellectus agens zu den Phantasmata, die noch den materiellen Bedingungen unterliegen, gleichsam noch ‘dunkel’ sind und so der Erkenntnis entgegenstehen und sie verhindern. Indem er diese mit seinem angeborenen Licht illuminiert (fwti/zein), so Martini, fügen sie sich als so illuminierte in die Natur der Intelligibilia ein und breiten sich damit auf ähnliche Weise in Richtung auf den intellectus patiens aus wie die Farben, die durch das Licht ihre species sensibiles in Richtung auf das Wahrnehmungsvermögen aussenden. Wie die Farben also erst durch das Licht zu wirklichen, weil nun sichtbaren Farben werden, so werden auch die Phantasmata erst durch den intellectus agens zu den species intelligibiles als dem wirklich Erkennbaren. Diese Illumination der Phantasmata geschehe nicht nur formaliter, als ob 325 Vgl. a. a. O., c. V, 371: »Nec moveri debemus eò quòd anima sit forma corporis: quia est forma secundum suam essentiam, ut apparet ex definitione animæ. Sed intellectus est facultas, quæ distinguitur ab essentia.« 326 Vgl. Martini, ex. XV, C1r-v: »Alia [sc. operatio intellectus agentis] est, quæ versatur circa objectum, & species intelligibiles à phantasmatibus vel à species sensibilibus in phantasia expressis abstrahit, & ita ex potestate intelligibilibus facit actu intelligibilia … Altera intellectus hujus operatio dirigitur ad intellectum patientem. Iunctus enim cum phantasmatibus illuminatis ad intellectum patientem se quasi convertit, producendo in eo speciem intelligibilem, & per consequens ipsum actum intelligendi.« Ebenso Pacius, lib. III, c. V, 367. Evenius, disp. XVII, B2r. Scheibler, pars III, disp. V, 410. Dannhauer, disp. VII, con. III, 207f. [richtig: 197]. Leuschner, disp. XI, B1v.
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ihnen nur eine Qualität eingeprägt würde, auch nicht nur objektiv, als ob sie derselbe Gegenstand blieben, sondern auf bewirkende Weise, indem sie zu species intelligibiles werden. »Denn der tätige Geist erhebt nach Art des äußeren Lichts durch seine Strahlen auf aktive Weise die Phantasmata zur hervorzubringenden intelligiblen Form.«327 Die zweite Tätigkeit des intellectus agens zielt für Martini dagegen auf den intellectus patiens ab: Verbunden mit den illuminierten Vorstellungen, wendet sich jener in einem zweiten Schritt dem intellectus patiens zu, bringt in ihm die species intelligibilis hervor und bewirkt so dessen actus intelligendi. Diese beiden Tätigkeiten kennzeichnen den intellectus agens daher nicht in seinem Erkennen, sondern in seinem Wirken (efficere): Weder nimmt er die species intelligibilis in sich auf, obgleich er sie hervorbringt, noch ist er in der bloßen Möglichkeit des Erkennens, sondern er ist der actus intelligendi, er bewirkt das Erkennen, wie Martini an anderer Stelle betont, nicht erkennt er selbst.328 Daher werde er nur auf formale Weise ‘intelligens’ (bzw. intellectus) genannt, ‘agens’ aber, weil er die Erkenntnis im intellectus patiens bewirke. Nachfolgend hat Martini Wesen und Funktion des intellectus patiens im Erkenntnisprozeß nochmals genauer bestimmt: »Der erleidende Geist ist gleichsam das Zugrundeliegende und die Materie, dem die erkennbaren Formen eingeprägt werden und der alles aufnimmt und alles erkennt.«329 Wie ist diese Wesensbestimmung als veluti subjectum & materia zu verstehen? Offensichtlich nicht als Bestimmung secundum esse, denn in dieser Hinsicht ist er wie die Seele selbst forma informans. Folglich kann es hier nur um die Bestimmung secundum operationem gehen, was die Partikel veluti auch anzeigen soll. Der intellectus patiens ist also nicht in materieller Hinsicht subjectum & materia, sondern bloß formaliter, da es hier um die Beschreibung eines geistigen Prozesses geht. 1. Als das erste Proprium des intellectus patiens benennt Martini seine Bestimmung als pura potentia. Er verweist hierfür zum einen auf An. Post. II 19, 100b5-17330, zum an327
Martini, ex. XV, C1v: »Intellectus namque agens instar luminis externi, radijs suis activè phantasmata elevat ad speciem intelligibilem producendam.« 328 Vgl. a. a. O., C2v: »Agens [sc. intellectus] enim non intelligit, sed facit intelligere, sive efficiens est intellectionis …« 329 A. a. O., th. V, C1v: »Intellectus patiens est veluti subjectum & materia, cui species intelligibiles imprimuntur, quique omnia recipit, & omnia intelligit.« Martini verweist nachfolgend auf die Vielzahl der Bezeichnungen des intellectus patiens, die davon abhingen, ob er mehr in Hinsicht auf sein Sein oder in Hinsicht auf seine Tätigkeit bestimmt werde: So wird er secundum operationem intellectus patiens, patibilis, passibilis oder passivus genannt, weil er die species intelligibiles in sich aufnimmt. Ferner wird er intellectus in potentia genannt, weil er über die Möglichkeit des Erkennens verfügt. An sich nämlich erkennt er nichts in Wirklichkeit, sondern er kann nur dann (wirklich) etwas erkennen, wenn er in die Wirklichkeit des Erkennens überführt wird. Ferner wird er intellectus possibilis genannt, weil er es vermag, die erkennbaren Formen in sich aufzunehmen, durch deren Vermittlung in ihm eine wirkliche Erkenntnis zustande kommt. Schließlich nennt man ihn auch intellectus compositus, denn secundum esse ist er mit dem Körper verbunden. 330 Obgleich Martini diesen Verweis nicht genauer erläutert, versteht er diesen schwierigen Passus anscheinend wie folgt: Aus dem Vergleich des nou=j (paqhtiko/j) mit der e)pisth/mh ergibt sich, daß
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dern auf De An. III 4, 429b31-430a2, wo Aristoteles den nou=j paqhtiko/j mit einer Schreibtafel vergleiche, die in Wirklichkeit noch unbeschrieben sei, die aber potentialiter mit allen möglichen Zeichen beschrieben werden könne. Auf ähnliche Weise sei der nou=j paqhtiko/j reine Möglichkeit. 2. Sein zweites Proprium ist es, alle intelligiblen Formen, gleichsam als ihr subjectum, in sich aufzunehmen und durch ihre Vermittlungsfunktion den Gegenstand wirklich zu erkennen. Und weil er alle erkennbaren Formen in sich aufnimmt, wird er alles (pa/nta gi/nesqai, De An. III 5, 430a14f.). Was dieses omnia fieri bedeutet, erläutert Martini mit einem langen Zitat aus Scaligers Exotericarum Exercitationum liber XV: Der menschliche Geist ist keine potentia pura im Sinne der materia prima, da diese auch in der Vereinigung mit der Form das bleibt, was sie war, eine gewisse Substanz, die sich durchhält. Der intellectus (agens) ist dagegen als forma nostra wesentlich, abtrennbar, unvergänglich und ewig.331 Aus ihm und der species intelligibilis, die er aufnimmt, bildet sich der intellectus informatus, der durch sich selbst gebildete und Wissen besitzende Geist im Erkenntnisprozeß. »Daher wird der Geist nicht schlechthin«, so Scaliger, denn hinsichtlich des Seins ist er bereits, »und er wird nicht die [erkennbare] Form selbst, sondern er wird unter der Form«332, und zwar wird er alles, da er alle species intelligibiles aufgrund seines Freiseins von jeglicher Bestimmtheit in sich aufnehmen kann. 3. Als das dritte Proprium des intellectus patiens benennt Martini das Erkennen, das durch den intellectus agens bewirkt wird. Dieses Erkennen vollzieht der intellectus patiens ohne Organ, so daß er in dieser Hinsicht mit dem Körper unvermischt und abtrennbar ist. 4. Das vierte und letzte Proprium ist seine Vergänglichkeit gemäß De An. III 5, 430a24f.333, die jedoch nicht, so Martini, als wesentliche, sondern als bloß akzidentelle Vergänglichkeit zu verstehen ist: »D. h. seine Einheit mit der Sinneswahrnehmung verbleibt nicht nach dem Vergehen und dem Tod des Menschen. Denn jedes Zusammengesetzte ist auflösbar und nicht ewig.«334 Selbst die von Aristoteles in 430a24f. be_________________________________________________________________________________________________________
der nou=j der Anfang des Wissens ist (a)rxh/ e)pisth/mhj, 100b15). Also ist er selbst noch nicht Wissen, sondern die Möglichkeit zu wissen und damit pura potentia. 331 Diese Bestimmung kann nur auf den intellectus agens zutreffen, nicht aber auf den intellectus patiens. Insofern paßt diese Textstelle nicht in den von Martini verhandelten Zusammenhang. 332 Scaliger, Exotericarum exercitationum liber XV, ex. CCCVII, s. 6, 740: »Non igitur fit intellectus simpliciter. Si enim intellectus est (est vero) forma hominis: & per intellectionem equi fieret (ut tu [sc. Cardano] perversè ais) equus: homo fieret equus. At non fit intellectus ipsa species, sed sub specie.« Vgl. Martini, ex. XV, C2r-v. 333
Vgl. Aristoteles, De An. III 5, 430a24f.: »… o( de\ paqhtiko\j nou=j fqarto/j …«
334
Martini, ex. XV, C2v: »Tandem dicitur intellectus hic corruptibilis & dissolubilis, quod tamen de corruptione non essentiali, sed accidentali intelligendum est: hoc est, compositio ejus cum sensu non manet post corruptionem & mortem hominis. Omne enim compositum est dissolubile & non æternum.« Bereits im Zusammenhang mit der Erörterung der Attribute des intellectus agens hat Martini betont, daß dem intellectus possibilis diese Eigenschaft der Vergänglichkeit nicht schlechthin zu-
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schriebene Vergänglichkeit des intellectus possibilis wird also unter der Hand von Martini in eine bloß akzidentelle verändert. Auch Pacius hielt den intellectus possibilis für unsterblich, hat diese Ansicht aber ausdrücklich nicht Aristoteles zugeschrieben.335 Er bemerkte nämlich ganz richtig, daß für den Stagiriten der Nous ohne die Phantasmata nichts erkennen kann, die wiederum von der Sinneswahrnehmung abhängig sind. Da nun nach dem Tod des Körpers keine Phantasmata verbleiben, scheint damit auch der Nous wie die Seele selbst vergänglich zu sein, wie dies ja auch Pomponazzi betont hat. Pacius hielt diese Begründung freilich für nicht überzeugend, da der intellectus patiens auch die immateriellen Dinge erkennt, die nicht unter die Sinneswahrnehmung fallen, wie Gott, die Intelligenzien etc. Daher sei er nicht von den Phantasmata abhängig und »folglich ist er unsterblich gemäß dem von Aristoteles selbst in De An. I 4, 408b18-29 gelegten Fundament, und weder hinsichtlich des Gegenstandes noch hinsichtlich des Organs hängt er vom Körper ab.«336 Auch hier fragt sich, wie Martini und Pacius diese ontologische Abtrennbarkeit des intellectus patiens vom Körper und seine hieraus resultierende Unsterblichkeit mit der Definition der Seele und all ihrer Vermögen als forma informans in Übereinstimmung bringen können: Als das »höchste Vermögen unserer Seele«337 kann er keinen anderen ontologischen Status haben als diese selbst, die seine ou)si/a ist. Ist daher die Seele als forma informans vergänglich, so auch ihre Vermögen. Von hier aus erweist sich Scheiblers philosophische These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele erneut als die einzig sinnvolle. Wie realisiert sich dieser intellectus patiens und welche Zustände (conditiones & status) kennzeichnen ihn im Verlauf des Erkenntnisprozesses? Pacius, Martini, Evenius und Leuschner unterschieden wie Toletus und Zabarella338 gemäß De An. III 4 drei verschiedene Zustände des intellectus patiens im Erkenntnisprozeß: 1. Die potentia des intellectus in potentia (nou=j duna/mei, vgl. De An. III 4, 429a21f.) unterteilte Martini in eine pura potentia und eine potentia adjunctum habens habitum. In pura potentia befindet sich der Geist, wenn der Mensch geboren wird und aufgrund des Fehlens der species intelligibiles nichts wirklich erkennen kann, denn in diesem Zustand »besitzt der Geist nichts als seine Natur und sein Wesen, und ihm kommen _________________________________________________________________________________________________________
kommt: »Quæ proprietas patienti [sc. intellectui] non ita simpliciter convenit, cum enim compositus sit, est quoque natura sua dissolubilis.« (A. a. O., B4v) 335 Pacius, lib. III, c. VI, 388: »Ego autem existimo intellectum quidem patientem esse immortalem, sed Aristotelem habuisse eum pro mortali.« 336 Ebd.: »… consequenter est [sc. intellectus patiens] immortalis, secundum fundamentum ab ipso Aristotele iactum libr. I. de anima. cap. 1 [richtig 4]. part. 18. & neque ratione obiecti, neque ratione organi pendet à corpore.« 337 A. a. O., c. V, 366: »Exposita priori parte facultatis intellectivæ, quam vocavit [sc. Aristoteles] phantasiam, transgreditur ad alteram partem [sc. in De An. III 4, 429a10], quæ verè & propriè dicitur intellectus: atque hæc est suprema animæ nostræ facultas …« 338
Vgl. 3.3.1.2., Anm. 294.
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keine angeborenen intelligiblen Formen oder, wie andere sie nennen, Ideen zu.«339 Dem entspricht der bereits erwähnte Vergleich des intellectus patiens mit einer tabula rasa in De An. III 4, 430a1, auf der noch nichts geschrieben steht.340 Evenius verstand diesen Vergleich wie folgt: Wie die Schreibtafel frei ist vom Beschriebenen und damit geeignet, alle nur möglichen Zeichen aufzunehmen, so ist der intellectus patiens vollkommen frei von jeglicher angeborenen Idee – denn das Innere verhindert die Aufnahme des Äußeren (vgl. 429a20f.) – und damit geeignet, alle von außen kommenden Formen aufzunehmen.341 Martini, Evenius und Leuschner schlossen sich damit dem bekannten Satz an: Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu.342 Scheibler und Dannhauer lehnten diese Lehre dagegen ab, da der Geist nicht nur das Sinnliche und Materielle erkenne, sondern auch das Unsinnliche und Immaterielle, zu denen eben auch die angeborenen Prinzipien gehörten, von denen Paulus in Röm 2,15 gesprochen habe.343 Dannhauer verweis in diesem Zusammenhang insbesondere auf die 339 Martini, ex. XV, C2v: »In pura potentia est [sc. intellectus possibilis], quando consideratur, ut nobiscum nascitur, & in hanc vitam prodit: sic enim nihil aliud habet, quam suam naturam & essentiam & nullas secum nohta\j species, sive ut alij vocant, ideas secum adfert.« 340
Vgl. Leuschner, disp. XI, B2r: »Ille [sc. intellectus] vocatur ab Aristotele l. 3. de anim. nou=j
duna/mei qui est in potentia ad intelligendum, & comparatur rasæ Tabulæ l. 3. de anim. c. 4.« 341 Vgl. Evenius, disp. XVII, B3r: »Species vel notitias connatas nullas dari. Receptivum enim nudum esse debet à recipiendo, cum intus existens prohibeat extrinsecum. Aristoteles 3. de an. § 4: paremfaino/menon kwlu/ei to\ a)llo/trion kai\ a)ntifra/ttei.« 342 Niemand von den genannten Autoren äußerte sich in diesem Zusammenhang zu der Textstelle Röm 2,15, die Melanchthon als Ausgangspunkt für seine These von den notitiæ innatæ gedient hat (vgl. 2.3.4.). Auch Pacius scheint jener Ansicht gefolgt zu sein, verwies aber gleichwohl darauf, daß der Geist auch Dinge erkennt, die nicht den Sinnen zugänglich sind. Die notitiæ innatæ erwähnte er bei dieser Aufzählung jedoch nicht: »… namque intellectus patiens intelligit etiam ea quæ non possunt in phantasia, id est, res per se immateriales, quæ non cadunt sub sensum, ut Deum, intelligentias abstractas, & semetipsum …« (lib. III, c. VI, 388) Timpler vereinigte dagegen die beiden Lehren des Sensualismus und Innatismus, indem er zwischen zwei Weisen des menschlichen Wissenserwerbs unterschied: Zum einen wird es durch Lernen und Übung durch die Vermittlung der Sinne erworben, zum andern wird es von Gott dem Menschen unmittelbar und außerhalb des natürlichen Lernprozesses eingegeben. Dies verdeutlicht für Timpler insbesondere die Prinzipienerkenntnis, die auf zweierlei Weise geschieht: Zum einen erfolgt sie auf natürlichem Wege unter Rückgriff auf das Wahrgenommene per inductionem singularium – so daß, wenn die Sinneswahrnehmung fehlt, die Prinzipienerkenntnis und damit jegliche Wissenschaft unmöglich wird –, zum andern wird die Wahrheit einiger Prinzipien, die sogenannten koinai\ e)/nnoiai, vom Menschen aufgrund einer ihm angeborenen vis naturalis seu promptitudo erkannt. »His igitur positis, videtur thesis affirmativa quæstionis esse vera de omni intellectione & cognitione humana, quæ studio hominis æquiritur, non verò de ea, quæ à Deo immediatè & extraordinariè quibusdam hominibus infunditur.« (lib. III, c. III, pr. 8, 331) 343 Vgl. Scheibler, pars III, disp. IV, 405: »Sunt in anima nostra connata principia, quæ vocantur notitiæ insitæ, quas etsi multi Peripatetici negent, tamen liquidò apparet, eas animæ inesse, etiam ex scriptura, quæ testatur ad Rom.c.2.v.15. opus legis scriptum esse in cordibus hominum …« Dannhauer, disp. VII, con. III, 213 [richtig: 203]: »Denturne nobiscum notitiæ innatæ? Affirmamus: ducti I. autoritate scripturæ, Rom 1. & 2. qua præsupposita tale struitur argumentum. Quæcunque notitiæ 1. omnibus hominibus insunt. 2. atque ita ut captivæ quasi teneantur per iniquitatem, 3. eo fine, ut homines omnes sint inexcusabiles. 4. sunt fanera\, imò 5. in Hominibus: Rursus quæ 6. fu/sei insunt, &
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ethische Dimension der notitiæ innatæ, welche die Menschen unentschuldbar machen. Daher sei der Vergleich des Geist mit der unbeschriebenen Tafel nicht zum Teil richtig. Als potentia adjunctum habens habitum wird der intellectus in potentia bezeichnet, wenn er im Verlauf seines Bildungsprozesses zwar schon einige Erkenntnisse gewonnen hat, vieles aber noch nicht weiß und von vielen Dingen keine species intelligibiles besitzt. 2. Auf der zweiten Stufe wird der Geist als intellectus in habitu (nou=j e)n e(/cei, vgl. De An. III 4, 429b5-9) bezeichnet, weil er die intelligiblen Formen nun erworben hat. Auch in diesem Zustand ist er noch in gewisser Weise der Möglichkeit nach, aber anders als im vorherigen Zustand, da er nun sowohl über die species intelligibiles als auch über die potestas respectu operationis verfügt und tätig werden kann, wann immer er will.344 Damit ist er dem Habitus der Wissenschaft (e)pisth/mh) vergleichbar, über den ein Wissender verfügt, auch wenn er dieses Wissen actualiter gerade nicht gebraucht. Und in diesem Zustand, so Pacius, vermag er sich dann auch selbst zu erkennen. 3. Der dritte Status charakterisiert den intellectus in habitu in seinem aktuellen Erkennen als intellectus in actu (nou=j e)nergei/#, vgl. De An. III 4, 429b10-21), indem er die intelligiblen Formen actualiter gebraucht und so die e)ne/rgeia intellectionis vollzieht.345 Dabei ist der intellectus patiens nicht bloß passiv, insofern er das Erkennen erleidet (vgl. De An. III 4, 429b24f.), sondern auch aktiv, indem er die aufgenommenen species intelligibiles betrachtet und beurteilt. Sein Erleiden ist daher, wie Evenius betont, keine passio corruptiva, sondern eine passio perfectiva, ein Erleiden, das in der natürlichen Begebenheit gründet, daß der erleidende Geist zunächst nur über ein Wissen der Möglichkeit nach verfügt, nicht aber über eines der Wirklichkeit nach. Im Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit des Wissens geschieht dabei die perfectio intellectus, indem er alle Dinge nach und nach durch Fleiß und Lehre erkennt.346 Martini und _________________________________________________________________________________________________________
inscriptæ in cordibus nostris: Illæ notitiæ nobis sunt innatæ, adeoque testantur, intellectum non esse tabulam prorsus nudam.« 344 Vgl. Pacius, lib. III, c. V, 373: »… secundo loco docet [sc. Aristoteles] hunc intellectum adhuc aliquo modo esse potestate, non tamen eodem prorsus modo, quo antea. Nam ab initio erat tantum potestate: nunc vero dicitur quidem potestate respectu operationis; quia etiamsi non operetur, tamen potest operari …« 345
Vgl. Martini, ex. XV, C3r. Evenius, disp. XVII, B4r. Leuschner, disp. XI, B2r. Pacius, lib. III, c. V, 373. Alle Autoren weichen damit in dieser Frage von Zabarella ab, der die These vertreten hat (vgl. 3.3.4.2.), daß die species intelligibilis nach der Erkenntnis nicht im Geist verbleibt, sondern vergeht, so daß auf sie als erworbene im Erkenntnisprozeß nicht zurückgegriffen werden kann. Vielmehr wird der intellectus in habitu, nachdem er die intelligible Form einmal aufgenommen und damit den Gegenstand verstanden hat, geeigneter, denselben Gegenstand mit neuerlicher Aufnahme seiner Form ohne Mühe sogleich zu erkennen. Die Lutheraner schreiben dagegen dem intellectus in habitu auch das Erinnerungsvermögen zu, so daß dort nicht die Phantasmata, sondern die intelligiblen Formen aufbewahrt werden, auf die im Erkenntnisprozeß zurückgegriffen werden kann. Zabarellas Interpretation ist jedoch von De An. III 7 her gerechtfertigt. 346 Vgl. Evenius, disp. XVII, B2v-B3r: »Intellectum patientem non ita pati, ut nihil agat, sed maxime post receptam speciem intelligibilem esse operosum. Est enim eius paßio non corruptiva, sed
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Scheibler unterteilen diesen intellectus in actu im Blick auf die Verschiedenheit der Gegenstände, die entweder res necessariæ oder res contingentes sind (vgl. EN VI 3, 1139b20ff.), gemäß De An. III 9, 432b27-29 in einen intellectus speculativus (nou=j qewrhtiko/j) und intellectus practicus (nou=j dianohtiko/j). Jener zielt auf das Wissen der notwendigen Dinge und die Erkenntnis der demonstrierbaren Prinzipien ab, die Gegenstand der Physik, Mathematik und Metaphysik sind. Sein Ziel ist das Wissen des Wahren und Falschen. Der intellectus practicus erkennt dagegen nicht nur das Gute und Schlechte, sondern vollzieht auch dasjenige, was er als gut erkannt hat. Er kommt also nicht in der Erkenntnis zur Ruhe, sondern schreitet zur Praxis fort.347 Als differentia specifica der Definition des intellectus patiens hat Martini, wie gesehen, das Eingeprägtwerden aller intelligiblen Formen benannt, indem er sie aufnimmt, erkennt und beurteilt. Diese Tätigkeiten verweisen auf die beiden Vermögen des Erkennens, die potentia apprehensiva & judicativa, denn nur was aufgefaßt und begriffen worden ist, kann beurteilt werden. Genauerhin sprach man auf lutherischer Seite übereinstimmend von einer dreifachen operatio intellectus in der klassischen Trias BegriffUrteil-Schluß348: 1. Die apprehensio simplex oder die cognitio rerum simplicium ist das _________________________________________________________________________________________________________
perfectiva, cùm enim ex primæva sua origine in potentia sit, ad actum & perfectionem sibi accomodatam deducitur res omnes progressu temporis accedente studio & doctrina intelligendo.« Ebenso Scheibler, pars III, disp. V, 411. Dannhauer, disp. VII, con. 3, 208 [richtig: 198]. 347 Vgl. Martini, ex. XV, C3r-v: »Intellectus denique in actu distinguitur in speculativum & practicum. Speculativus dicitur nou=j qewrhtiko/j & e)pisthmoniko/j, id est, scientificus vel circa scientias occupatus, ut circa intelligentiam principiorum demonstrabilium, scientiam physicam, Mathematicam, Metaphysicam. Est autem intellectus hic, qui inquirit tantum cognitionem, quæ cum acquisita est, perfunctus est suo officio … Intellectus verò praktiko\j interdum etiam dicitur dianohtiko\j, hoc est, versans non solum circa verum aut falsum in rebus, nec solum eo fine ut sciat & perfectior fiat in sese ista scientia, sed circa talia occupatus objecta, quæ aliquid agendum suscipiendumve opere ipso postulent, eo fine, ut quid bonum vel malum in rebus sit, cognoscat, non quidem in illa cognitione quiescendo, sed referendo & applicando ea ad opus ac fugiendo denique malo, & prosequendo ac faciendo bono.« Ebenso Scheibler, pars III, disp. V, 411f. 348 Zur Verdeutlichung sei betont, daß die Darstellung dieser drei operationes intellectus zur Psychologie gehört. Aufgabe der Logik ist es dagegen, die drei Grade der secundæ notiones zu betrachten, die aus jenen drei Tätigkeiten vom Geist selbst gebildet werden. Vgl. hierzu Zabarella, De Natura logicæ, lib. I, c. 3, 7A-D: »Propterea magnopere animadvertendum est, ut rectè intelligamus id, quod ab omnibus dici solet, logicum tres illas nostri intellectus operationes considerare; simplicium apprehensionem, compositionem, ac divisionem, & ratiocinationem: si enim simpliciter intelligamus, logicum has mentis nostræ operationes considerare, decipimur: quia ea tractatio à facultate logica alienissima et, quum ad solos libros de Anima pertineat, ubi de humanæ mentis natura, ac de eius operationibus sermo fit: sed intelligendum est considerari à logico tres gradus secundarum notionum, qui ex illa triplici mentis nostræ operatione ab ipsa mente nostra generantur, & producantur: nam … hæ secundæ notiones non significant res prout sunt, sed prout à nobis mente concipiuntur: triplex autem est nostra conceptio, aut enim simpliciter rem apprehendimus, ex qua apprehensione oritur formatio harum notionum, genus, species, nomen, verbum, & aliarum similium: aut huiusce rei conceptum cum illius conceptu conferimus coniungendo, vel separando, quam operationem vocamur enunciationem, quæ in affirmationem & negationem dividitur. Quare enunciatio est secunda notio, quæ ex secunda operatione intellectus ortum habet; aut tandem ab hoc ad illud discurrimus, & unum ex alio colligimus, quam operationem vocamus ratiocinationem, tanquam secundam hanc notionem in tertia intel-
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einfache Erfassen und Begreifen eines einzelnen Gegenstandes, wie dieses Pferd oder dieser Löwe dort, worin der Geist zur Ruhe kommt. Leuschner nannte diese Erkenntnis unter Berufung auf Suárez veritas concepta, die begrifflich gefaßte Wahrheit, das Wissen um den Gegenstand in seinem Sein, das der Unwissenheit entgegensteht. Diese Erkenntnis kann direkt oder reflexiv sein, je nachdem, ob neben dem erkannten Gegenstand auch noch erkannt wird, daß ich erkenne.349 Martini wies darauf hin, daß auch bei dieser simplex apprehensio bereits eine Abstraktion stattfindet, sofern hierbei das eine vom anderen abgehoben und so begriffen wird.350 2. Die compositio & divisio oder die enunciatio ist eine Aussage, bei der aus einfachen Begriffen ein Satz gebildet wird, der wahr oder falsch sein kann.351 3. Bei der ratiocinatio bzw. dem discursus schließlich wird aus mehreren Aussagen etwas geschlußfolgert, so daß neues Wissen erworben wird.352 4.3. Resümee Die erstmalige Darstellung der Psychologie in der lutherischen und – in einem geringeren Umfang – der calvinistischen Schulphilosophie des frühen 17. Jh.s hat einige Aspekte ihres Philosophierens verdeutlicht, die im Blick auf die bisherigen Studien zum Luthertum, die sich fast ausschließlich mit der Logik und Metaphysik befaßt haben, zu einer teils differenzierten, teils veränderten Sicht zwingen. 1. Am Ende des dritten Kapitels ist auf die bedeutsame historische Konstellation hingewiesen worden, die sich den Lutheranern zu Beginn des 17. Jh.s in der Gestalt von _________________________________________________________________________________________________________
lectus operatione generantes.« Der dreifachen Tätigkeit des Geistes im Erkennen entspricht also eine dreifache Begrifflichkeit des Geistes, mit deren Hilfe er sein Erkennen begreift. Die natürliche Weise des Erkennens wird so durch eine ‘künstliche’ Begrifflichkeit auf den Begriff gebracht: Der Tätigkeit des Begreifens entspricht das Bilden des Begriffs von Begriffen (conceptus conceptuum, vgl. a. a. O., 6D), der Tätigkeit des Urteilens das Bilden des Begriffs des Urteils etc. 349 Vgl. Leuschner, disp. XI, B2v: »Prima [sc. intellectio] est cognitio rerum simplicium, quas intellectus nudè apprehendit, … vocat hanc Suarez veritatem conceptam, cui opponitur ignorantia, estque duplex, recta, quæ est in prima statim apprehensione, & reflexa quoties ipsam intelligimus intellectionem.« 350 Vgl. Martini, ex. XV, C3v: »Est itaque intellectio simplex, quæ notiones rerum simplices tantùm apprehendit & cognoscit. Apprehensio hæc consistit in abstractione. Abstractio est separatio unius ab alijs, & apprehensio sive intellectio unius, relictis, hoc est, non apprehensis sive non intellectis reliquis.« 351 Vgl. Evenius, disp. XVII, B3v: »Compositio & Divisio, ubi conjuncta cognoscit, è quibus confiunt propositiones.« 352
Vgl. Martini, ex. XV, C3v: »Operatio intellectus composita est, quæ res simplices componit, dividit & dijudicat. Estque hæc rursus duplex: vel nohtikh\ vel dianohtikh\. Nohtikh\ [=enunciatio] est, quando mens sine discursu notiones simplices disponit componendo vel dividendo; atque hoc propter judicium. Anima enim nostra disponendo judicat … Dianohtikh\ [=ratiocinatio] est, qua mens ex compositis vel divisis illis discurrit & perfectè judicat.« Ebenso Scheibler, pars III, disp. V, 413.
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Luthers radikaler Theologie sowie von Portios und Zabarellas radikaler Philosophie und der Möglichkeit ihres Zusammenspiels geboten hat. Als Leitlinie galt die These, daß der Freiheit der Theologie von der Philosophie eine Freiheit der Philosophie von der Theologie entsprechen muß, um ein angemessenes Theologisieren und Philosophieren zu ermöglichen. Für die Psychologie hätte dies in der Nachfolge Luthers, Portios und Zabarellas eine rein philosophieimmanente, jeden Rekurs auf die christliche Theologie353 vermeidende Interpretation des aristotelischen Textes bedeutet. Insbesondere bei der Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, deren Antwort wesentlich von der Bestimmung des intellectus agens in De An. III 5 abhängt, hat sich jedoch gezeigt, daß die Lutheraner dieses Konzept mit Ausnahme von Scheibler und – mit gewissen Einschränkungen – Dannhauer nicht umgesetzt haben. Statt dessen findet sich bei Martini, Evenius und Leuschner ein Zurückbiegen in den durch die Jesuiten rezipierten Thomismus. Nun ist dieser Einfluß u. a. von Weber, Lewalter, Wundt, Sparn bereits hinreichend für die Logik und Metaphysik nachgewiesen worden.354 Nach den Studien zur Psychologie muß aber gegen Troeltsch355 betont werden, daß die Gefahr für das lutherische Philosophie- und Theologiekonzept gerade nicht im vermeintlichen Naturalismus oder Pantheismus auf Seiten des radikalen italienischen Aristotelismus lag, sondern in der erneuten Vermischung von Philosophie und Theologie auf Seiten der Jesuiten. Denn die Ergänzung der philosophischen Definition der menschlichen Seele als forma informans durch ihre theologische Bestimmung als substantia per se subsistens & spiritualis vermischt zwei verschiedene modi considerandi und führt damit zu der bereits erwähnten Kategorienverwechslung. Unter dem Gewand der Einheit von Philosophie und Theologie wird dabei ihre Differenz und Unvereinbarkeit hinsichtlich des Seelenbegriffs nur verdeckt. Portios und Zabarellas Philosophiekonzept zeichnet sich dagegen, wie gesehen, durch eine strikte Trennung von der Theologie aus, das die Grenzen beider Disziplinen beachtet und eine Überformung der philosophischen Begrifflichkeit durch eine theologische vermeidet. Gerade weil dieses Konzept zu einigen der Theologie widersprechenden Thesen führt, wie die von der Sterblichkeit der menschlichen Seele gemäß den aristotelischen Prinzipien, bietet es der Theologie die Möglichkeit, das ihr Eigene um so deutlicher herauszustellen. Erst aus der klaren Einsicht in die Differenz von Philosophie und Theologie gewinnt letztere also überhaupt ihren Sinn. 2. Dies scheinen Scheibler und Dannhauer erkannt zu haben, als sie die Äußerungen über den intellectus agens in De An. III 5 secundum operationem und nicht secundum 353 Daß auch Aristoteles’ Philosophie auf eine Theologie zustrebt, muß angesichts von Met. XII kaum betont werden. Insofern bedeutet die Gleichsetzung von Gott und intellectus agens, wie sie Alexander und Zabarella vollzogen, die konsequente und nachvollziehbare Umsetzung dieses Programms. 354 Vgl. Emil Weber, Scholastik, 38ff. Ernst Lewalter, Metaphysik, 37ff. Max Wundt, Schulmetaphysik, 40ff. Walter Sparn, Metaphysik, 11f., 206. 355 Vgl. Ernst Troeltsch, Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon. Göttingen 1891, 204f.
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esse verstanden, was zur Folge hatte, daß sie den Erweis der Unsterblichkeit der Seele von Aristoteles her für unmöglich hielten. Dannhauer konnte dabei überzeugend zeigen, daß den beiden intellectus keine verschiedenen, eine Seinsdifferenz bezeichnenden Attribute zukommen können, da sie sich nur realiter hinsichtlich des Erkennens, nicht aber substantialiter hinsichtlich des Seins voneinander unterscheiden. Deshalb sind die Attribute in De An. III 5 für ihn secundum operationem zu verstehen. Scheibler ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er die philosophische These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele an den Anfang seiner Erörterung setzte. Dieser Ansicht konnte er dann die theologische These entgegensetzen, daß die Seele durch die Gnade Gottes unsterblich sei. Er zog damit die Konsequenz aus Pomponazzis, Portios und Zabarellas auf Alexander gründende Argumentation, die bei Abzug aller theologischen Rücksichtnahmen doch klar anzeigt, daß die Seele von Aristoteles her für sterblich gehalten werden muß. Damit vertrat Scheibler letztlich die gleiche Ansicht wie Luther in seiner Interpretation von De An. III 5 im Rahmen seiner Probatio zur 31. These der Heidelberger Disputation. 3. Obgleich Martini und Evenius Zabarella für den Bereich der Naturphilosophie als »Koryphäe« bezeichneten, hat dies offensichtlich nicht die Erkenntnis befördert, daß dessen Philosophiekonzept der lutherischen Theologie affiner ist als das der Jesuiten. Es erscheint paraox, daß sich bei ihnen wie auch bei Leuschner und dem Calvinisten Pacius statt dessen ein Zurückbiegen in den Thomismus findet, den sie in der Nachfolge Luthers doch gerade theologisch und philosophisch hatten überwinden wollen. Ihre Bestimmung des intellectus agens mit seinen Attributen ‘unsterblich’ und ‘ewig’ als ein Vermögen der menschlichen Seele und die gegenüber dem aristotelischen Original in De An. II 1, 412a27f. um die Adjektive spiritualis bzw. immortalis ergänzte Definition der Seele als entelecheia spiritualis bzw. actus immortalis rührte wie bei den Jesuiten von einem Systemzwang der Theologie zu einer Verchristlichung des Aristoteles her, der mit seinen Lehren nicht im Widerspruch mit den Glaubensartikeln stehen durfte. Hieraus ergaben sich einige Inkonsequenzen: Sowohl die Bestimung der anima rationalis als forma informans wie auch die des intellectus agens als pars & forma (informans) humanæ animæ widerstreiten schlechterdings seiner ontologischen Bestimmung als unsterblich. Auch ist eine stringente Interpretation von De An. III 5 nicht mehr möglich, sofern die Attribute wechselweise secundum operationem oder secundum esse verstanden werden. 4. Hinter diesem Zwang zur Verchristlichung des Aristoteles stand gewiß das gewichtige Problem der doppelten Wahrheit, das an den lutherischen Universitäten seit dem Streit mit Daniel Hoffmann in den 1590er Jahren virulent war und einer Lösung zugeführt werden mußte. Von Meisner bis hin zu Calov galt dabei auf lutherischer Seite die Maxime, daß die Widersprüche zwischen Philosophie und Theologie nur in concreto bzw. ratione existentiæ, nicht aber in abstracto bzw. ratione essentiæ bestehen, diese folglich in der Arbeit an den konkreten Phänomenen zu beseitigen sind. Vor diesem Hintergrund sah man sich offensichtlich genötigt, die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele nicht nur von der Theologie, sondern auch von der Philosophie
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her positiv zu beantworten. Denn in der Philosophie könne nicht falsch sein, was in der Theologie wahr sei. Gewiß kann es nur eine Wahrheit für ein und denselben Sachverhalt geben; gleichwohl kann sie für die vorliegende Frage aus den genannten Gründen von Aristoteles her nicht aufgezeigt werden. Damit steht die Philosophie nicht ratione essentiæ im Widerspruch zur Theologie, sondern nur ratione existentiæ, sofern mit den vorliegenden aristotelischen Bestimmungen der Seele und des Geistes ein Beweis unmöglich ist. Genau diese konkrete Schwierigkeit mit Aristoteles haben Scheibler und Dannhauer erkannt, deren Lösung darin bestand, diese konkrete Differenz von Philosophie und Theologie auszuhalten, wie dies Scheibler tat, bzw. nicht-aristotelische philosophische Beweise für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele zu benennnen, wie dies Dannhauer versuchte. 5. Webers These, wonach Melanchthons Lehrbücher das philosophische Interesse im Luthertum je länger desto weniger befriedigen konnten, kann bestätigt werden. Seine gelegentliche Auszeichnung als »Philippus noster« kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sein Commentarius bzw. Liber de anima den veränderten Bedingungen des Philosophierens nicht mehr genügen konnte. Deutlich wurde dies insbesondere am Begriff der Entelechie, deren Verständnis als Endelechie jedem gebildeten Aristoteliker als absurd erscheinen mußte, da die Seele die perfectio eines jeden Lebewesens ist und nicht dessen itio ad formam, wie Melanchthon in neuplatonischer Manier behauptet hat. Allein seine theologische Definition der menschlichen Seele als spiritus intelligens, die in Augustinus ihren Ursprung hat, wirkte bei Martini und Evenius unter der veränderten Bezeichnung substantia spiritualis fort und diente als theologischer Aufweis für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Vollkommen übergangen wurde von den Lutheranern Melanchthons intellectus-Lehre, die in ihrer Widersprüchlichkeit nicht einmal den Mindeststandards philosophischer Redlichkeit genügen konnte. Das Mangelhafte seiner Philosophie wurde ihnen insbesondere durch die Lektüre der Renaissance-Aristoteliker verdeutlicht, die eine andere ratio philosophandi Aristotelica präsentierten, die in ihrer teilweise sehr subtilen Art weit von dem entfernt war, was Melanchthon mit seinem eklektischen Aristotelismus geboten hat. 6. Die Definition des Geistes als ein Vermögen der menschlichen Seele, womit das Intelligible begriffen und beurteilt wird, orientiert sich an der Bestimmung des nou=j in De An. III 4, 429a23. Sein Charakteristikum ist das Denken, das sich als Erkennen und Auffassen oder, in der klassischen Trias, als Begreifen, Urteilen und Schlußfolgern realisiert. Dieser Vollzug des Denkens ist dabei die ‘subjektive’ Seite des Begriffs des Geistes, während seine ‘objektive’ Seite der Gegenstand als das Maß des Denkens ist. Der Geist mißt sich dergestalt dem zu erkennenden Gegenstand an, so daß es zur Einheit von Denken und Gedachtem kommt. In diesem Denken des Gegenstandes erkennt er dann auch, daß er es ist, der erkennt, und so geschieht in der Erkenntnis des anderen zugleich das reflexive Erkennen seiner selbst, die Realisierung der Forderung des delphischen Orakels nach dem gnw=qi seauto/n in philosophischer Hinsicht. Die Philosophie in ihrer eigentlichen Bedeutung als ein Arbeiten am Begriff ist deshalb der Ort, wo sich der Begriff des Geistes realisiert. Ein wesentliches Merkmal dieses Geistes ist also
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sein Selbstverhältnis, und zwar nicht nach Art einer Introspektion, sondern im Sinne eines Verhaltens des individuellen Geistes zu seiner Um- und Mitwelt, aber auch – in der reinen qewri/a – zum ‘absoluten’ Geist, den intellectus agens, den Portio und Zabarella als göttliche Kraft bzw. als Gott selbst verstanden. Hegels dialektischer Satz: ‘Der Geist ist nur für den Geist’, erweist sich also auch für das 16. und 17. Jh. in ihrem Bemühen um den Begriff des Geistes als zentral. 7. Im vorliegenden Zusammenhang wurde dies anhand der philosophischen Psychologie mit ihrer Bestimmung des intellectus possibilis und des intellectus agens hinsichtlich ihres Wesens und ihrer Funktion aufgezeigt. Der Verfasser hofft, das vollständige Programm einer Philosophie des Geistes mit den weiteren Disziplinen der Logik, Metaphysik und Noologie in einem anderen Zusammenhang geben zu können. Dabei wird insbesondere das Werk eines Autors zu berücksichtigen sein, der mit seiner Schrift Habitus primorum principiorum seu Intelligentia von 1625 die spekulative Disziplin für den Begriff des Geistes begründet hat: Georg Gutke, der Rektor des Grauen Klosters zu Berlin.
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INDEX NOMINUM Kursiv gedruckte Seitenangaben verweisen auf Namensnennungen ausschließlich in den Anmerkungen.
Asulanus, Evangelista Lungo 76 Athanasius 148, 204 Augustinus, Aurelius 17, 90, 105, 110, 130, 147, 162, 183, 204, 209, 211, 228, 323, 328, 336, 354, 371 Avempace 140, 227 Averroes 10, 14, 16f., 20, 25, 29, 43, 45, 55, 62, 125f., 138, 140f., 146f., 149f., 152-154, 161, 162, 181-185, 186, 190-200, 204-206, 208, 212, 215, 235, 236, 250f., 288, 309, 319, 325f., 332 Avicenna 10, 140, 154, 162, 223, 228, 288, 327 Ayers, Michael 22 Bacconius, Johannes 229 Balduin, Friedrich 287 Barbarus, Hermolaus 98, 188, 308 Barker, Peter 111 Bartholin, Caspar 13f. Bartholomäus Arnold von Usingen 43 Basson, Sébastian 13, 15 Bauer, Barbara 73 Bayer, Oswald 69 Becker, Wilhelm Martin 284 Beierwaltes, Werner 6 Bellarmin, Robert 2 Benedictus, Alexander 70 Bessarion, Johannes 92 Blum, Paul Richard 134, 140, 145, 150 Blumenberg, Hans 2-4 Blumenthal, Henry J. 75-77, 80, 89 Boethius von Dacien 147
Ägidius Romanus 18, 140, 147, 160, 175, 332, 347 Agricola, Johann 74 Albertus Magnus 10, 18, 140, 147, 152154, 160, 162, 175f., 178f., 288, 298, 301, 316 Albrecht, Michael 75 Alexander von Aphrodisias 10, 16, 18, 20, 25, 29f., 43-56, 59, 62, 66, 76f., 84, 87, 89, 111, 128-130, 137, 139, 141, 146, 149-154, 162, 164, 175, 179, 185, 190, 191, 192f., 195, 197, 201, 206, 215-218, 235f., 239, 241, 242, 249-252, 288, 315, 332, 333, 345, 356, 361, 369, 370 Althaus, Paul 291 Alvarez, Balthasar 134 Ambrosius 211 Amerbach, Vitus 74, 94, 96, 99f., 101, 104, 123, 131 Anaximander 210 Angelis, Simone De 165 Appold, Kenneth 73, 285 Argyropulos, Johannes 36, 38, 57, 59, 60f., 63f., 94, 137, 139, 140, Ariew, Roger 4 Aristoteles passim Aristoteles von Mytilene 45f. Armstrong, Hilary 75 Arquanus, Petrus 135 Arriaga, Roderigo de 28 Artigas, Mariano 4 Asulanus, Andreas 76 393
De Anima
Cremonini, Cesare 1-3, 26, 140, 144, 240, Cunningham, Andrew 102, 114 Dannhauer, Johann Conrad 32, 295f., 306, 315, 316, 319, 326, 327, 328f., 330, 333-335, 341, 343, 345, 346, 353-355, 356, 358, 361, 365, 367, 369-371 Demosthenes 134 Descartes, René 1, 4, 5-8, 13, 20, 22, 28, 32, 90, 126, 183, 247, 264, 314 Des Chene, Dennis 4-6, 28-30, 146, 150, 161, 172, 180, 186 Detel, Wolfgang 263f., 265f., 267f., 270, 275, 276 Dieter, Theodor 40, 42-44, 54-56, 58, 60, 61f., 64, 65, 66, 68 Dietrich, Veit 100 Dod, Bernhard D. 14 Domingo de Soto 133 Donatus, Hieronymus 44, 47 Doyle, John P. 134 Du Val, Wilhelm 136 Duns Scotus, Johannes 18, 38, 140, 142, 159f., 166, 205, 261, 265, 272, 288, 318 Durandus a S. Poricano 232, 233, 245, 347 Ebeling, Gerhard 39, 42, 55, 57-59 Eckhart, Wolfgang U. 113 Einstein, Albert 2 Enders, Markus 5 Erasistratos 112 Erasmus von Rotterdam 36 Euripides 134, 284 Evenius, Sigismund 32, 283, 286f., 294, 296f., 299-302, 304, 306, 308, 309311, 314-321, 323-327, 328f., 330, 331, 332, 335-339, 340, 341-343, 345, 350f., 353, 355-358, 361, 364366, 368, 369-371 Faseolus, Joannes 76, 135
Bos, Abraham P. 107, 109, 111 Brandis, Carl G. 92 Bremer, Ludolf 287 Bruni, Leonardo 36 Bruno, Giordano 2, 26 Bruns, Ivo 45 Buddeus, Johann Franz 42 Burnyeat, Miles F. 47, 219 Busche, Hubertus 171, 178, 194 Butelius, Christophorus 301, 304 Cajetan von Thiene 26, 160, 245, 333, 345 Calov, Abraham 12-15, 73, 285, 288, 289, 293, 370 Calvin, Johannes 327 Camerarius, Joachim 70, 112 Campanella, Tommaso 26 Caninius, Angelus 45, 47 Capreolus, Johannes 345 Cardano, Girolamo 26 Casaubon, Isaac 136 Casmann, Otto 301-304, 326 Chrysippus 210 Chrysostomus 291 Cicero 36, 72-74, 94, 98-100, 105, 118, 134, 187, 293, 307, 309 Cleanthes 210 Collegium Conimbricense 13f., 15, 16, 20, 27f., 30f., 134, 139, 145, 150154, 156, 157, 159, 160, 173-175, 177, 179, 182, 185, 187, 188, 189f., 195f., 198, 200, 203-206, 210-212, 214, 220, 225f., 227, 228, 232-234, 236, 245-247, 248, 249-252, 253, 258f., 261, 265, 271-273, 274, 280, 288, 325, 327, 330, 335, 337, 345, 352, 353 Copenhaver, Brian P. 36 Couto, Sebastian de 134 Cramer, Andreas 287 Cramer, Daniel 295 Cranz, F. Edward 45
394
Index nominum
Heraklit 343 Hermes Trismegistos 79, 152 Herrmann, Christian 68 Hesiod 284 Hicks, Robert D. 77, 183 Hieronymus 336 Hilt, Annette 47, 110 Hölscher, Ludger 17, 93, 105 Hoffmann, Daniel 289, 370 Homer 134, 284 Horaz 284 Horn, Christoph 5 Hornius, Georg 288 Hundt, Magnus 301f. Hutter, Leonhard 287, 293 Ignatius von Loyola 133f., Iorio, Dominick A. 24 Isaak ben Salomon Israeli 7 Isidor von Sevilla 324 Ivry, Alfred L. 193 Jamblich 75, 77, 84, 92, 92 Jandun, Johannes von 174, 176, Jardine, Nicholas 133, 155 Javelli, Crisostomo 24, 26, 261, 288 Johannes von Damaskus 313 Junghans, Helmar 39f., 42 Junk, Volker 285 Juvenal 284 Kamp, Andreas 10, 14 Kant, Immanuel 6 Kathe, Heinz 38, 284 Keckermann, Bartholomäus 13, 15, 284, 286, 290, 327, 342 Kenny, Anthony 8 Kessler, Eckhard 21, 23-29, 31, 36, 122f., 133, 136, 138, 142, 145, 155, 244f., 247, 264, 268, 269, 295 Koch, Hans-Theodor 113 Köhler, Theodor W. 7, 301, 302 König, Georg 295 Königshausen, Johann-Heinrich 265 Kollesch, Jutta 110, 111, 116
Ficino, Marsilio 36, 75, 91, Finck, Caspar 290, 294 Flasch, Kurt 185, 210, 213 Fonseca, Petrus 133, 134, 287 Fotinis, Athanasios P. 45, 51 Fowler, Colin F. 4, 150, 249 Frank, Günter 72, 74, 101, 103, 118, 120f., 123, 125f., 130, 131 Freedman, Joseph S. 16, 285 Friedensburg, Walter 284, 292 Friedrich, Markus 289 Fuchs, Leonhard 70 Galen 74, 106, 111-113, 149, 293 Galilei, Galileo 2-4, 26 Garber, Daniel 22 Gaza, Theodor 92, 141, 201 Genua, Marcantonio 18, 25, 135, 138, 271, 272 Gerhard, Johann 284, 286, 288, 290f., 295 Geßner, Salomon 287 Gilbert, Neal W. 155 Goclenius, Rudolph d. Ä. 290, 303 Goes, Emmanuel de 134 Grafton, Anthony 36, 75, 136 Grane, Leif 39 Gregor von Nazianz 323f. Gregor von Nyssa 147, 190, 211 Gregor von Rimini 159, 261 Grendler, Paul F. 135, 137, 140 Gutke, Georg 5, 10-13, 232, 339, 372 Hägglund, Bengt 289 Hartfelder, Karl 37f. Hawenreuter, Johann Ludwig 296 Hegel, Georg W. F. 7, 9, 172, 183, 264, 348 Heidegger, Johann 291 Heinrich von Gent 229 Heinzmann, Richard 207 Hellemans, C. 1 Helm, Jürgen 72, 102, 106, 112, 115, 116
395
De Anima
Mani, Nikolaus 112 Marquard, Odo 301f., 304 Martini, Jacob 10f., 13, 32, 283, 286, 287-289, 294, 296-298, 304-307, 310, 316, 317, 319, 322f., 325-328, 329, 330-336, 337, 338f., 340, 341343, 344, 345-347, 351f., 355, 357371, Maurer, Wilhelm 91 Meisner, Balthasar 15, 287, 289, 290, 293, 303, 315, 316, 328, 340, 370 Melanchthon, Philipp 21, 29f., 32, 35, 37-39, 69-75, 80, 91-95, 98, 100-106, 112-131, 187, 209, 261, 279, 283, 291-293, 307, 309, 317, 326, 328, 365, 371 Mentzer, Balthasar 295 Mersenne, Marin 1 Michael, Emily 25, 31, 247 Milich, Jacob 70 Mikkeli, Heikki 135 Moerbeke, Wilhelm von 14, 94, 139, 140 Mojsisch, Burkhard 233, 246 Moraux, Paul 44, 45f., 49, 51, 53, 109 Mühlen, Karl-Heinz zur 40f. Mulsow, Martin 23, 26, 28f., 138 Nifo, Agostino 18, 25, 76, 138, 141 Nussbaum, Martha C. 47 Nutton, Vivian 102 Ockham, Wilhelm von 10, 18, 43, 140, 261, Oehler, Klaus 207, 227, 241 Origenes 106, 148, 327, 336 Ovid 284 Pacius, Julius 32, 136f., 295, 296, 306, 307, 319, 320, 329f., 332, 356-361, 364, 365, 366, 370 Papadis, Dimitris 45, 51, 52 Park, Katharine 20, 36 Patrizi, Francesco 22 Pererius, Benedictus 13, 15, 133, 332,
Kopernikus, Nikolaus 2 Kosman, L. A. 241 Kraye, Jill 23 Kristeller, Paul Oskar 35 Kuhn, Heinrich C. 3, 140, 144, 241 Kuhn, Thomas S. 2 Kullmann, Wolfgang 107 Kusukawa, Sachiko 29, 73, 75, 103, 113, 119, 129, 296 Lalla, Sebastian 43 Lautner, Peter 76, 77, 78, 138 Lavoisier, Antoine 2 Lear, Jonathan 241 Leijenhorst, Cees 3, 21 Leinkauf, Thomas 5 Leinsle, Ulrich G. 23, 35, 133, 155, 341, 344 Leuschner, Martin 32, 295-297, 299, 306, 309, 310, 315f., 318f., 323-327, 329, 330, 335f., 339f., 341, 343, 345, 355, 361, 364f., 366, 368-370 Lewalter, Ernst 22, 288, 369 Leyser, Polycarp 286 Liebler, Georg 123, 292 Lines, David A. 23, 135 Lipenius, Martin 13 Liske, Michael-Thomas 96f. Lohr, Charles H. 14f., 17, 21, 23f., 25, 26, 29, 31, 75f., 94, 136, 142 Long, A. A. 111 Lullus, Raimundus 301 Luther, Martin 30, 35, 37-44, 53-69, 74, 103f., 124, 126, 128-131, 148, 249, 251, 257, 280, 283, 289, 293, 328, 334f., 356, 369f. Lüthy, Christoph 3, 21 Maclean, Ian 7f., 146, 354 Magelhães, Cosmas de 134, 139 Magirus, Johannes 13f. Mahlmann, Theodor 292 Mahoney, Edward P. 138 Major, Johann 295
396
Index nominum
Pythagoras 203 Quintilian 36, 134 Rapp, Christof 4 Randall, John Herman 4, 46, 145, 155, 241f. Ramus, Petrus 342 Ratke, Wolfgang 287 Reisch, Gregor 324 Reuchlin, Johannes 91 Riccoboni, Antonio 135 Risse, Wilhelm 14, 22, 71, 134, 155 Rist, John. M. 107 Robortello, Francesco 135f. Ross, Sir David 77, 183 Rubius, Antonius 13f., 15 Ryle, Gilbert 6 Scaino, Antonio 141 Scaliger, Julius Caesar 13, 15, 165-167, 170f., 187, 258, 288, 308, 318, 323, 324, 327, 345, 350, 353, 363 Scharf, Johannes 13f., 286 Schegk, Jacob 92 Scheible, Heinz 38, 95 Scheibler, Christoph 32, 294, 296f., 306, 307, 308, 310, 315f., 319, 320f., 323, 324-326, 330, 335-336, 337, 338f., 341, 343, 344-347, 350-353, 354, 355-357, 361, 364f., 367, 368, 369-371 Schilling, Wenzeslaus 287 Schindling, Anton 283 Schmidinger, Heinrich M. 35 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 101, 302 Schmitt, Charles B. 3, 21f., 36f., 133, 137, 142, 144, 185, 277 Schröder, Richard 290 Schüling, Hermann 72f. Scotus, Michael 14 Seckler, Max 142 Seidl, Horst 5 Sennert, Daniel 13-15 Sextus Empiricus 118
335, 337, 345, 352 Perfetti, Stefano 138f., 141 Perkams, Matthias 75, 82f. Perler, Dominik 2, 47, 219, 220, 222225, Petersen, Peter 70, 122 Petrus Lombardus 327 Petrus Johannes Olivi 19 Philoponus 18, 25, 75, 137f., 143, 144, 149, 152, 161, 163f., 190, 197f., 236, 273, 280, 325, 345, 357 Piccolomini, Francesco 25-28, 76, 155, 332, 345, 351, 353 Pico della Mirandola 76 Pindar 284 Plastina, Sandra 25 Platon 17, 67, 75-80, 88, 91f., 100, 113, 119, 127, 130, 138, 147, 176f., 190, 202f., 214, 226f., 241f., 253, 264, 266, 293, 332, 337, 343 Plautus 284 Plotin 6, 17, 75, 78f., 91, Pluta, Olaf 25, 184, 246 Plutarch 56, 134, 333 Pomponazzi, Pietro 20f., 23, 25f., 29, 42f., 138, 141, 148f., 161, 162, 174, 176, 239, 246f., 249f., 252, 255f., 288, 319, 333, 364, 370 Portio, Simone 25, 31, 138f., 141, 143f., 148-150, 161, 163-166, 170f., 176, 178, 187, 197f., 202, 212, 215-218, 233, 234, 235, 237-240, 242, 244, 248, 250-257, 278-280, 288, 294, 304, 315, 319, 322, 332, 333, 356, 357, 359, 361, 369f. Porphyrius 92, 273 Possevino, Antonio 149f. Preus, Anthony 107f., 109-113 Priscian von Lydien 14, 76, 92, 96 Proklos 92 Putnam, Hilary 46f. Putscher, Marielene 105
397
De Anima
301, 313, 322-325, 327, 330, 332, 353, 360 Thukydides 134, 284 Timpler, Clemens 32, 285f., 290, 296, 299f., 305, 306, 311-315, 320f., 322f., 326f., 329f., 331, 333, 338, 339, 341-343, 347-349, 355, 365 Toletus, Franciscus 13, 15f., 20, 27, 30f., 133, 139, 142, 145-154, 156, 158, 159, 161f., 163-166, 169-175, 177, 179f., 181, 183, 185f., 188-190, 195-200, 202f., 205-207, 210, 212214f., 220, 225f., 227, 228, 232-234, 235-237, 239, 247f., 249, 250-252, 258f., 261, 267, 271-273, 274, 280, 288, 322, 325, 327, 330, 332, 352, 364 Tomasinus, Jacobus Philippus 133, 135, 136 Tomitanus, Bernardius 135 Trabezuntios 92 Troeltsch, Ernst 369 Venetus, Jacobus 14, 139, 140 Vergil 284 Vernia, Nicoletto 18, 25, 137 Vesalius, Andreas 113, 302 Vickers, Brian 135 Wallace, William A. 4 Weber, Hans Emil 22, 155, 286, 291, 369, 371 Weichenhan, Michael 3 Wendelin, Marcus Friedrich 13, 15 Werdenhagen, Johann Angelius von 287 Werenberg, Jacob 290 Wieland, Wolfgang 265, 266, 275 Wilhelm von Conches 301 Winckelmann, Johann 295 Witte, Henning 287 Wundt, Max 22, 341, 343, 369 Xenophon 134 Zabarella, Jacobus 10, 13f., 16, 25-29, 31, 76, 107, 133, 135-139, 140, 141,
Sharples, R. W. 45, 50, 51, 53 Shea, William R. 4 Siger von Brabant 19, 147, 184 Simmons, Alison 142, 145 Simplicius 10, 16-18, 19, 25, 29-32, 7492, 94f., 98, 130, 135, 137f., 144, 149, 152-154, 162, 164, 174f., 187, 190, 191, 194, 197f., 204, 206, 219, 226, 235, 237, 243, 250 Sophokles 134, 284 Sparn, Walter 22, 31, 283, 286, 289, 290, 291, 329, 341, 369 Specht, Rainer 1 Speer, Andreas 5 Sperling, Johannes 13-15 Spruit, Leen 223-226, 230, 231 Steel, Carlos G. 76f., 82, 83, 84, 86f., 94 Steiner, Peter M. 17 Stiening, Gideon 72, 101-103, 108, 118121, 131, 303 Stobaeus 79 Streiff, Stefan 69, 129 Strigelius, Victorinus 124 Suárez, Francisco 28, 133, 141, 287, 288, 368 Telesio, Bernardino 26 Temkin, Owsei 111f. Tertullian 148 Theiler, Willy 5, 7, 54, 56, 59, 81, 164, 182, 227, Themistius 10, 14, 94, 95, 99, 104, 137f., 149, 164, 187f., 190, 193, 204, 227, 235, 250, 273, 308, 325 Theophrast 10, 13f., 24, 154, 193, 204, 227, 232, 235, 249, 298 Thijssen, Johannes M. 21 Thomas von Aquin 10, 16, 18, 28, 38, 43, 55, 58, 62, 140-142, 146, 147, 148, 152-154, 160-164, 166, 175178, 184f., 191, 195, 206, 207, 209f., 213, 217f., 220-225, 228, 236, 242, 243, 245f., 249f., 261, 272f., 288,
398
Index nominum
143-146, 150-153, 155, 157, 158, 160f., 162, 164, 167-173, 174, 176181, 185f., 187, 188, 189, 190, 191, 195-200, 202f., 204, 205-207, 212f., 215, 217-220, 226f., 229-232, 233, 234f., 236, 237-244, 246, 248, 250253, 256-274, 276-280, 285f., 294, 296, 300, 306f., 315, 318-322, 325, 333f., 342, 345, 347, 350, 352f., 356, 357, 359, 361, 364, 366f., 369f. Zanetti, Bartolomeo 75 Zenon Zetzner, Lazarus 146 Zimara, Marcantonio 18, 138, 272 Zuylen, Willem Hendrik van 16
399
INDEX RERUM Es werden hauptsächlich nur die Begriffe aus dem Haupttext nachgewiesen. Kursiv gedruckte Seitenangaben verweisen auf Nennungen in den Anmerkungen.
e)pisth/mh 6, 9, 100, 117, 188, 309, 362 ki/nhsij 95-98, 103, 108, 110, 196 koinai\ e)/nnoiai 118f., 349, 365 lo/goj 79, 82-90, 174, 324 - koino/tatoj 55, 156, 195, 218 - paqhtiko/j 85f., 88f., 194 - prw=toj ou)siw/dhj 85-87, 90, 236 me/qecij 89, 227 meta/basij 143, 280, 291, 299 nou=j 5, 6f., 9f., 12, 29, 44, 46, 48-54,
Griechische Begriffe (auch in deutscher Umschrift) a)i+/dioj 10, 234, 256, 330, 332, 358 a)migh/j 10, 90, 199, 333, 358, 359 a)qa/natoj 10, 53, 88, 234, 256, 330,
332, 358 a)paqh/j 10, 90, 199, 333, 358, 360 a)rxh/ 50, 98, 107f., 110, 111, 154, 278 gnw=qi seauto/n 7, 151, 180, 324 gnwrimw/teron h(mi=n/gnwrimw/teron tv= fu/sei 267f., 270 dia/noia 5, 207, 324 du/namij 48, 95, 97, 163, 218, 307, 310,
57, 59, 80, 84, 87-91, 106, 117, 125, 150, 159, 165, 172, 174, 180f., 194, 196-201, 207, 211, 215, 230, 242, 249, 251f., 324, 332, 339, 358, 363, 364, 367, 371 - duna/mei 49, 364 - e)n e(/cei/kata\ e(/cin 45, 49, 52, 53, 89, 366 - e)nergei/# 52, 366 - e)pi/kthtoj 46, 48, 49f., 52f., 87, 89, 128, 216 - qu/raqen 16, 45, 49, 51, 52f., 128, 166, 194, 200-203 - paqhtiko/j 6, 10, 19, 49, 51, 54, 8789, 91, 182, 235f., 278, 340, 362, 363 - poihtiko/j 6, 10, 16, 19, 45, 46, 4954, 87, 89-91, 125, 182, 232, 235 - u(liko/j 16, 48, 49-52, 88, 235, 251 - fusiko/j 45, 46, 49 ou)si/a 46, 81-84, 90f., 98f., 108, 111, 227, 269, 277, 289, 307, 364 pneu=ma 6, 105-12, 200f., 249, 323 to/de ti 46, 80, 108, 186, 307
322 dunato/j 215, 218 ei)=doj 5, 46, 52, 80-82, 84, 97-100, 186-
188, 227, 278, 307 - ei)dw=n 218, 226 - nohto/n 50, 219, 227, 230 e)ne/rgeia 46, 81, 83, 86f., 90f., 95-100, 189, 233, 278, 310, 333 e)ndele/xeia 72, 93f., 96, 98-100, 102f., 105, 130, 187, 307-309, 371 e)ntele/xeia 5, 74, 80-83, 93-103, 130, 187f., 194, 196, 307-310, 323, 371 - a)telh/j 74, 81, 83, 95f., 98, 130, 308f. - deu/tera 98, 189, 310 - prw/th 82f., 98, 100, 188, 208, 307, 309, 325 - spiritualis 325, 326f., 329, 331, 370 e(/cij 9, 47, 49, 81, 86, 188, 340 401
De Anima
344, 348f., 368 esse intentionale 221f., 351 esse naturale 221 esse singulare 224 forma 61, 93f., 99f., 103, 168, 189, 214, 298, 307-309, 311, 315, 325, 346 - assistens 17-19, 47, 55, 81f., 147, 156, 176, 183-186, 189-192, 194, 200, 203, 213-215, 236, 238, 249251, 279, 309, 312, 325, 331, 332, 357-359 - corporis 55, 62, 68, 101, 103, 106, 147, 149, 154, 157, 171, 177, 209, 211, 213, 217f., 257, 260, 278, 311, 325, 332-335, 361 - formarum 226 - informans 17-19, 46f., 55, 81f., 147, 156f., 165, 168, 171, 173, 176, 178, 183-186, 189-191, 194, 196, 198, 201, 203, 206, 208, 211, 213-215, 235f., 238, 247-251, 254, 256, 260, 278f., 309, 312, 316f., 325f., 331f., 357-359, 362, 364, 369f. - producens 229, 350 - producta 229 - substantialis 93, 176f. habitus 10-12, 49, 60-62, 81, 89, 100, 188, 217, 230-232, 237, 308, 317, 339f. id quo/quod intelligitur 223f., 228, 230, 250 intellectio vgl. Erkenntnis intellectus (vgl. mens) 5f., 11-13, 106, 117, 118f., 150, 180, 192, 197f., 249, 337-340, 346, 366 - agens 6, 16-19, 26, 27, 59-66, 122126, 150, 182-184, 194, 200f., 215, 226, 228, 231-246, 252, 254-257, 262, 279, 330, 332, 334f., 346, 348350f., 355-363, 369f., 372 - in actu 201, 216, 366 - in habitu 206, 207, 231
to/poj ei)dw=n 226, 228 u(/lh 5, 46, 80, 97, 186, 278, 307 fqarto/j 57, 88, 159, 234, 256f., 363 xwristo/j 10, 90, 315, 333, 358 yuxh/ 48, 84f., 87, 98 - ai)sqhtikh/ 48, 52, 165 - qreptikh/ 48, 52, 165, - logikh/ 79, 84f., 87, 174 - nohtikh/ 48, 218 - futikh/ 174
Lateinische Begriffe actus 189f., 298, 308f. - corporis 196-198, 209, 218, 325 - immortalis 325, 326, 329, 370 - primus 100, 198, 201, 206, 214, 308, 325 - secundus 100, 201f., 206, 308, 325 agitatio/motio continua 93, 96, 98, 187, 309 ancilla theologiae 142, 280, 290, 294 anima (vgl. auch Seele) - rationalis/intellectiva 13, 18f., 94, 104f., 106, 114, 147, 153, 157, 161, 164-166, 169-171, 175f., 178, 180, 185, 191, 194, 197f., 200, 209-211, 215, 218, 250f., 256, 279, 294, 316f., 319-324, 326, 329, 338f., 370 - sensitiva/sentiens 18, 105, 147, 153, 161, 164, 165, 167-171, 180f., 316f., 319-322 - separata 248, 252f. - vegetativa/vegetans 18, 105, 147, 153, 161, 164, 168-171, 180, 311, 317, 319-322 cognitio - confusa 267f., 271-273, 276, 352, 353 - distincta 267f., 273, 352 - imperfecta 265 conceptus 261, 272f., 278, 322, 342,
402
Index rerum
ratio philosophandi 69, 72, 140, 142f., 145, 195, 209, 211, 277, 284, 288, 315, 371 scientia 11, 63f., 78, 117, 151-154, 266f., 298, 339 secundum esse/operationem 13, 48, 58f., 52, 65f., 122, 129, 160, 183f., 198f., 201, 211f., 217-219, 237f., 247-251, 254, 260, 317, 335, 337, 356, 358f., 361f., 369f. species 164, 168, 217, 261, 320 - expressa 229 - impressa 228f., 245, 272f. - intelligibilis 121, 184, 199, 205, 206, 218f., 221, 222-230, 237, 245f., 252, 256f., 276, 278, 338, 346f., 350f., 353f., 361-364, 366 - sensibilis 197, 199, 221, 227f., 260, 349, 351 spiritus 6, 35, 72f., 103-106, 112, 114116, 127f., 130, 148, 210f., 249, 302, 317, 323, 326 - animalis 106, 112, 114-116, 348 - intelligens 104, 106, 128, 371 - vitalis 106, 112, 114-116, 175, 312f. substantia 58f., 62, 99, 164, 168f., 238, 240, 307, 313 - separata 18, 214f., 234-236, 239, 249 - spiritualis 105, 130, 175, 183, 209211, 213, 215, 249f., 279, 315, 317, 369, 371
- in potentia 364, 366 - materialis 16f., 190, 192-194, 204f. - possibilis/patiens/passivus 6, 17-19, 26, 27, 59-66, 122-124, 150, 182184, 194, 206f., 208, 212, 214f., 227f., 232-246, 249, 252, 254-257, 262, 276, 278f., 347-351, 355-364 - practicus 171, 355, 367 - speculativus 171, 197, 355, 367 mens (vgl. intellectus) 6, 72, 117, 157, 180, 201, 238, 324, 338f. methodus 268f., 271, 274 notitia innata 73, 118-122, 125, 261, 366 ordo - cognitionis confusæ 262, 271, 275 - cognitionis distinctae 262, 271 - compositivus 155f., 269 - doctrinae 144, 154-156, 235, 258, 262, 271, 276, 300 - generationis 261 - naturae 154f., 169, 235, 258, 262, 268, 271, 276, 352f. - resolutivus 263 - temporis 169 perfectio 99, 103, 106, 181, 187, 190, 209, 216f., 279, 308, 311, 366, 371 potentia 60, 122, 161, 201, 212, 215, 233, 307, 364, 367 - intellectiva/rationalis 19, 117, 238, 317, 319, 337 - passiva 183 - pura 213f., 216-218, 362-364 - sensitiva 19, 317, 319 - vegetativa 19, 317, 319 principium 12, 50, 61f., 177, 228, 318, 326 - constitutivum 157, 214, 217, 278, 309, 311 - individuationis 186, 278 - operandi/operationum 47, 100, 157, 159, 178, 214, 217, 278, 311, 318
Deutsche Begriffe abstrahieren/Abstraktion 27, 51, 58, 118, 124, 211, 222-224, 227, 244f., 260-262, 273, 331, 341, 344-346, 349, 351, 353, 361, 368 abtrennbar/abgetrennt/unabtrennbar etc. 10, 19, 47f., 50, 52, 57f., 61, 64-66, 79f., 83f., 86, 88, 90f., 104, 124f.,
403
De Anima
270, 273, 275f., 343-346, 351-353 Eklektik 30, 75, 131, 371 Embryogenese 52, 107, 165-167, 169171, 200f. Entelechie vgl. e)ntele/xeia Erkenntnis (vgl. Wissen) 27, 50, 52, 61, 63, 89, 117-121, 152, 184, 205-208, 213, 219-225, 227-235, 240, 243246, 257-262, 265-268, 271-278, 298, 324, 338f., 346-352, 361-366 - Erkenntnistheorie 120f., 125, 218, 219, 225-227, 240, 260, 266, 268, 278, 346 - Selbsterkenntnis/Erkenntnis des Geistes 7, 89, 151f., 180, 206f., 258, 278, 345, 353-355 Ewige/ewig/Ewigkeit (vgl. a)i+/dioj) 10, 16, 18f., 38, 42, 54, 56-59, 64-66, 68, 78, 80, 82, 84, 88, 102, 124, 126-128, 148, 159, 166, 193, 198, 227, 234f., 237, 239, 252-255, 279, 332, 334, 336, 363, 370 Form (vgl. ei)=doj, forma) 5, 16, 46, 5053, 55, 60-67, 80-82, 84, 89, 93f., 97f., 126, 146, 149, 158, 173, 176, 186-188, 192f., 195, 205, 208f., 213f., 216-218, 220-222, 254f., 279, 307, 310, 313f., 349 Funktion 12, 16, 48, 54, 150, 154, 156f., 159, 178, 182, 184, 202, 210, 212, 214f., 219, 226f., 232-235, 239, 243, 245-247, 250, 256f., 278, 310, 337 Gegenstand/Objekt 6f., 31, 51, 63-65, 115, 118, 121, 152f., 155, 184, 204206, 208, 219, 222f., 228, 243f., 246, 260-264, 267, 271-274, 340-355, 361-364 Geist (vgl. nou=j, pneu=ma, intellectus, spiritus), auch passim, 5-11, 56-66, 87-91, 116-125, 180-184, 197-241, 258-264, 271-277, 341-371 Definition des Geistes 219, 339, 371
159, 178, 190, 192f., 196-198, 213, 215, 237-239, 247, 253f., 256f., 259f., 321, 332-334, 343, 358f. affizierbar/affiziert/inaffizierbar etc. 10, 19, 50, 61, 64, 66, 124f., 192f., 199, 207, 216, 218, 221, 237f., 250, 254, 256, 332, 358, 360 Allgemeines 51, 117, 151, 156, 184, 208, 222f., 258-262, 270-277, 343346, 349, 351-353, 357 Anamnesis-Lehre 227, 264, 266 Anordnung vgl. ordo Anthropologie 12, 19, 72, 116, 128, 300-305, 317 Aristotelismus 2-5, 9, 17, 21-26, 28-31, 36-38, 69f., 77f., 128, 131, 133, 138, 142, 144, 146, 150, 155, 219, 248, 277-279, 283, 293, 296, 301, 317, 369, 371 - Alexandrismus/alexandrinisch 27, 29, 31f., 88, 129, 139, 149f., 185, 248, 250f., 277, 279 - Averroismus/averroistisch 16, 29, 31f., 137, 149f., 185, 250f., 277 - Jesuitenorden 16, 22, 26, 28f., 31f., 133f., 140-145, 149f., 369 - Thomismus/thomistisch 29, 31f., 137, 140, 149f., 185, 210, 248, 250, 277, 279, 330, 369f. Bewegung (vgl. ki/nhsij) 56, 88, 93100, 107f., 110-115, 130, 151f., 154, 158, 160, 196, 239f., 254, 297, 307310, 326 Denken 5-9, 11, 16, 21, 51-54, 58f., 83, 88-91, 97, 128f., 151, 165, 169, 171, 181, 183, 196, 199, 202, 206, 208, 211, 216f., 219f., 223-225, 227-230, 251, 255f., 260f., 325, 331, 337-339, 346f., 371 Dies-da (vgl. to/de ti) 46, 151, 186-189, 307 Einzelnes 51, 117, 151, 222f., 258-262,
404
Index rerum
Kreatianismus 19, 106, 147, 153, 167, 200f., 202, 252, 279, 327, 328f. Logik 9-11, 13, 26, 284, 306, 346, 355, 369, 372 Materie (vgl. u(/lh) 5, 16, 46, 50-52, 55, 58-61, 63-66, 93, 97f., 109, 124, 147, 149, 154, 158, 173, 176, 186f., 193, 233, 254f., 300, 307, 309f., 313f., 331, 334, 362 Metaphysik 9-11, 13, 23, 140, 234, 283f., 287, 298, 302, 306, 341, 346, 355, 369, 372 Methode (vgl. methodus) 268f. Möglichkeit/Vermögen (vgl. du/namij, potentia) 50, 59-61, 63, 80f., 93, 95, 97-99, 158f., 161, 163f., 186, 193, 207, 212, 215, 217, 233, 238, 255, 306-308, 310, 325, 336, 357, 360363, 366 Natur 78, 154, 298, 310, 324, 326 Neuplatonismus vgl. Platonismus Noologie 12f., 306, 355, 372 Nous vgl. nou=j ontologisch/epistemologisch (vgl. auch secundum esse/operationem) 13, 16, 19, 27, 29, 50, 52, 58f., 61f., 65f., 68, 81-85, 87f., 90f., 97, 101, 124f., 128130, 155, 177f., 184, 192, 198f., 201, 211-215, 223, 225, 237, 249, 251, 253, 256f., 278f., 300, 304, 311, 316, 332, 335-337, 358-361, 364, 370 organlos/Organlosigkeit (vgl. auch abtrennbar/Abtrennbarkeit) 213f., 227, 250, 259, 331f., 340, 358f. Phantasma/Vorstellung 85, 88, 222f., 227-232, 243-247, 252, 255, 258, 277f., 340, 345, 349-351, 361f., 364 Philosophie 32f., 35f., 38-44, 53-55, 66f., 69-73, 75, 91f., 104, 112f., 127131, 134, 140-145, 201, 209f., 237, 240, 253, 257, 277, 280, 283-286, 287, 288-294, 301-303, 330, 336,
Einssein/Vielheit des G. 17f., 147, 183f., 203-208, 248f., 317, 320-323 materieller Geist vgl. intellectus materialis passiver/erleidender Geist vgl. intellectus possibilis tätiger Geist vgl. intellectus agens Gott 8f., 11f., 19, 24, 27, 41, 43, 51, 53, 68, 71, 87, 101-103, 184, 201, 202, 234-237, 239-242, 252, 256, 312, 326-329, 335, 356, 359 - göttliche Kraft 184, 239f., 252, 257, 279, 356f., 359, 372 Herz 108f., 110, 114-116, 119, 176, 178, 316 Humanismus 24, 31, 35-38, 131, 133135, 283 Hylemorphismus 16, 55, 93, 101, 218, 334 Idee 81f., 84, 86, 90, 121, 131, 181, 219, 227, 334 - angeborene Ideen 130, 226, 365 Immaterielles/immateriell 46, 52, 65, 88, 101, 107, 110, 114, 148, 155, 172f., 192f., 194, 210-212, 216, 221, 223, 228, 233, 238, 245, 260, 278, 323, 346, 350f., 353f., 358, 364f. Intelligibles/intelligibel 51-53, 60-63, 88, 214-216, 233, 239, 241-246, 259, 324, 340f., 346f., 357, 360f. - intelligible Form vgl. species intelligibilis Intentionalität/intentional 6, 183, 219225, 278 Körper/Leib 5, 12, 16, 18-20, 46-48, 5456, 58, 61, 64, 71f., 79-82, 88, 90, 93, 98f., 101-104, 106-108, 110-116, 126-128, 146-149, 152-154, 158, 192, 196-199, 204, 210-215, 235238, 247, 249-251, 297-300, 304306, 309-318, 323-327, 331-334, 336, 340, 357-360, 363f.
405
De Anima
164, 169, 220, 242, 319, 346, 361 Leib-Seele-Verhältnis 5, 55, 101-103, 106f., 130, 147, 158, 249, 260, 300f., 310-314 Seele als Seins- und Wirkprinzip 5, 16, 19, 47, 54, 55, 149, 185-194, 214, 278f., 298, 306-312, 318, 325 Seelentod 166f., 170-172, 200 Seelenvermögen 16-18, 48f., 158173, 179f., 195f., 201, 212f., 217f., 234-237, 259, 279, 317-319, 338 Seelenvielheit/-einheit 18, 47, 105, 147, 149, 159, 161-172, 177f., 200, 317, 319-323 Seelenwanderung 144, 148, 202f., 327 Verteilung/Lokalisierung der Seele 110, 113, 172, 176-179, 313-316 Sterblichkeit/sterblich (auch Vergänglichkeit/vergänglich) 10, 16f., 19f., 23, 38, 42-44, 47, 54-57, 66, 73, 79, 91, 159, 175, 246f., 253-257, 279, 313, 317, 330, 335, 363f. Substanz/Wesen 16, 18f., 46, 48, 80, 84f., 88, 90, 98f. 104, 150, 152, 158161, 163, 166, 172f., 176-179, 182, 192, 212, 215, 217f., 223f., 235, 238f., 279, 313, 359 teilbar/Teilbarkeit/unteilbar etc. 17, 78, 81-84, 89, 130, 158, 172-176, 335, 355 Theologie 32f., 35f., 39-41, 43f., 54, 67, 69, 71-73, 75, 101-103, 118, 120, 128-131, 134, 140-144, 201, 209f., 240, 253f., 256f., 277, 280, 283, 289294, 301-303, 317, 330, 336, 369-371 Traduzianismus 19, 147, 328f., 331, 336 Unsterblichkeit/unsterblich (auch Unvergänglichkeit/unvergänglich) 42, 46, 50-55, 57-59, 64f., 66-68, 73, 78, 80, 83f., 88, 91, 101f., 105, 124-128, 148f., 165, 170, 184-186, 193, 198,
369-371 Philosophie des Geistes 5-10, 13, 120, 130, 278, 305f., 337, 354f. Philosophie der Subjektivität 5-8, 13, 207 Platonismus 16f., 24, 29, 31, 72, 74-76, 91f., 130, 138f., 180, 277, 300 Psychologie 9f., 13, 16, 18, 21, 23-25, 29-32, 44, 69-72, 75-77, 102, 106, 114, 116, 128, 130f., 149f., 152, 155, 180, 234, 242, 277-279, 294, 296f., 301, 303-306, 346, 355, 368f., 372 Repräsentation 208, 222, 225, 228, 246, 348-351 Samen 107-109, 165f., 312 Schiffer 47, 189f., 194, 197, 238, 309 Scholastik 25, 30, 35, 38-41, 71, 73, 129, 133, 135, 139f., 142, 280, 300 Schreibtafel 7, 213, 216f., 363, 365f. Sein 46, 55, 59, 61, 64, 80, 83f., 89, 91, 94, 97f., 100, 103, 147, 151, 157, 168f., 176, 186-190, 195, 197, 209, 219, 252 Seele (vgl. yuxh/, anima), passim Definition der Seele 48, 54f., 72, 78, 81, 93, 98f., 104-106, 151f., 157f., 190f., 195f., 306f., 309-311, 317 Geistseele (vgl. anima rationalis) 58, 106, 114, 129, 147-149, 163-167, 169f., 175, 181, 190f., 195f., 202, 206, 210, 213f., 217, 247-249, 252, 257, 279, 321, 323, 325-327, 338340, 346, 348, 356 Geistvermögen 183, 201f., 240, 255 Nährseele (vgl. anima vegetativa) 163-166, 169f., 196, 320f. Nährvermögen 158, 160, 164, 167, 169, 179 Wahrnehmungsseele (vgl. anima sensitiva) 163, 165f., 169f., 196, 320f. Wahrnehmungsvermögen 154, 160,
406
Index rerum
210, 213-215, 234, 239, 246-257, 279, 315, 326, 330-336, 358f., 369371 vermischt/unvermischt 10, 19, 50, 61f., 123f., 192, 198f., 216, 237f., 254, 260, 278, 334, 358f. Vollendung/Vollkommenheit (vgl. e)ntele/xeia) 5, 18, 46-48, 65f., 80-83, 95f., 98, 103, 158, 187f., 198, 250, 306-309, 326, 345 Vorstellung vgl. Phantasma Vorstellungsvermögen 214, 222, 229, 231, 259, 351 Wahrnehmung 5, 58, 85, 88, 111f., 114, 118, 121, 158, 165, 181, 196, 199, 201, 215f., 219, 221-223, 230-232, 244, 259-261, 273, 275-277, 319, 325, 345-347, 349-351, 363f. Wirklichkeit (vgl. e)ne/rgeia) 50, 60-64, 95, 97f., 158f., 164, 193, 209, 215, 217, 233, 238, 244, 255, 307f., 336, 342, 349-351, 356-358, 360f. Wissen/Wissenschaft 63f., 85-89, 217, 262-266, 268-270, 297, 309, 338, 344, 349, 360, 363, 366-368
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Bochumer Studien zur Philosophie herausgegeben von Kurt Flasch, Ruedi Imbach, Burkhard Mojsisch, Olaf Pluta: 43 SALATOWSKY, Sascha: De Anima. Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert. 2006. xiii, 407 pp. 42 SCHMIDT, Kirsten, Klaus STEIGLEDER und Burkhard MOJSISCH (Hrsg.): Die Aktualität der Philosophie Kants. Bochumer Ringvorlesung Sommersemester 2004. 2005. xii, 264 pp. 41 WELS, Henrik: Aristotelisches Wissen und Glauben im 15. Jahrhundert. Ein anonymer Kommentar zum Pariser Verurteilungsdekret von 1277 aus dem Umfeld des Johannes de Nova Domo. Studie und Text. 2004. clxxii, 162 pp. 40 IREMADZE, Tengiz: Konzeptionen des Denkens im Neuplatonismus. Zur Rezeption der Proklischen Philosophie im deutschen und georgischen Mittelalter. Dietrich von Freiberg – Berthold von Moosburg – Joane Petrizi. 2004. xii, 265 pp. 39 ACKEREN, Marcel van: Das Wissen vom Guten. Bedeutung und Kontinuität des Tugendwissens in den Dialogen Platons. 2003. x, 370 pp. 38 WEBER, Stephanie: Richard Billingham “De Consequentiis” mit Toledo-Kommentar. Kritisch herausgegeben, eingeleitet und kommentiert. 2003. xxviii, 335 pp. 37 GRASS, Rainer: Schlußfolgerungslehre in Erfurter Schulen des 14. Jahrhunderts. Eine Untersuchung der Konsequentientraktate von Thomas Maulfelt und Albert von Sachsen in Gegenüberstellung mit einer zeitgenössischen Position. 2003. x, 264 pp. 36 DEWENDER, Thomas: Das Problem des Unendlichen im ausgehenden 14. Jahrhundert. Eine Studie mit Textedition zum Physikkommentar des Lorenz von Lindores. 2002. x, 430 pp. 35 MOJSISCH, Burkhard und Orrin F. SUMMERELL (Hrsg.): Die Philosophie in ihren Disziplinen. Eine Einführung. Bochumer Ringvorlesung Wintersemester 1999/2000. 2002. viii, 286 pp. 34 MALMSHEIMER, Arne: Platons ‘Parmenides’ und Marsilio Ficinos ‘Parmenides’-Kommentar. Ein kritischer Vergleich. 2001. x, 325 pp. 33 KAMP, Andreas: Philosophiehistorie als Rezeptionsgeschichte. Die Reaktion auf Aristoteles' De Anima-Noetik. Der frühe Hellenismus. 2001. viii, 315 pp. 32 ASMUTH, Christoph, Alfred DENKER und Michael VATER (Hrsg.): Schelling. Zwischen Fichte und Hegel/ Between Fichte and Hegel. 2000. viii, 423 pp. 31 REHN, Rudolf: Sprache und Dialektik in der Aristotelischen Philosophie. 2000. xii, 357 pp. 30 WELS, Henrik: Die Disputatio de anima rationali secundum substantiam des Nicolaus Baldelli S.J. nach dem Pariser Codex B.N. lat. 16627. Eine Studie zur Ablehnung des Averroismus und Alexandrismus am Collegium Romanum zu Anfang des 17. Jahrhunderts. 2000. viii, 153 pp. 29 KAHNERT, Klaus: Entmachtung der Zeichen? Augustin über Sprache. 2000. x, 271 pp. 28 KANDLER, Karl-Hermann, Burkhard MOJSISCH und Franz-Bernhard STAMMKÖTTER (Hrsg.): Dietrich von Freiberg. Neue Perspektiven seiner Philosophie, Theologie und Naturwissenschaft. Freiberger Symposion: 10–13 März, 1997. 1999. viii, 287 pp. 27 ERFURT, Thomas von und Stephan GROTZ: Abhandlung über die bedeutsamen Verhaltensweisen der Sprache. [Tractatus de Modis significandi.]. Aus dem Lateinischen übersetzt und eingeleitet von Stephan Grotz. 1998. liv, 116 pp. 26 KRATZERT, Thomas: Die Entdeckung des Raums. Vom hesiodische “χάος” zur platonischen “χώρα”. 1998. x, 128 pp. 25 ASMUTH, Christoph (Hrsg.): Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes. 1997. vi, 320 pp. 24 STEMICH HUBER, Martina: Heraklit. Der Werdegang des Weisen. 1996. x, 282 pp. 23 OMMERBORN, Wolfgang: Die Einheit der Welt. Die Qi-Theorie des Neo-Konfuzianers Zhang Zai (1020– 1077). 1996. iv, 349 pp. 22 HOENEN, Maarten J.F.M.: Speculum philosophiae medii aevi. Die Handschriftensammlung des Dominikaners Georg Schwartz († nach 1484). 1994. xii, 169 pp. 21 JECK, Udo Reinhold: Aristoteles contra Augustinum. Zur Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Seele bei den antiken Aristoteleskommentatoren, im arabischen Aristotelismus und im 13. Jahrhundert. 1994. xvi, 521 pp. 20 CHAPPUIS, Marguerite: Le traité de Pierre d’Ailly sur la Consolation de Boèce, Qu. 1. Édition et étude critiques. 1993. xlii, 438 pp. 19:2 FLÜELER, Christoph: Rezeption und Interpretation der Aristotelischen Politica im späten Mittelalter. 2. Teil. 1993. viii, 206 pp. 19:1 FLÜELER, Christoph: Rezeption und Interpretation der Aristotelischen Politica im späten Mittelalter. 1. Teil. 1993. xvi, 335 pp.
18 KUKSEWICZ, Zdzisław (Hrsg.): Aegidius Aurelianensis. Quaestiones super De generatione et corruptione. 1993. xxviii, 237 pp. 17 OOSTHOUT, Henri: Modes of Knowledge and the Transcendental. An introduction to Plotinus Ennead 5.3 [49]. 1991. vii, 200 pp. 16 HENRY, Desmond Paul: Medieval Mereology. 1991. xxv, 609 pp. 15 BILLERBECK, Margarethe (Hrsg.): Die Kyniker in der modernen Forschung. Aufsätze mit Einführung und Bibliographie. 1991. viii, 324 pp. 14 IMBACH, Ruedi: Laien in der Philosophie des Mittelalters. Hinweise und Anregungen zu einem vernachlässigten Thema. 1989. 174 pp. 13 SUAREZ-NANI, Tiziana: Tempo ed essere nell’autunno del medioevo. Il ‘De tempore’ di Nicola di Strasburgo e il dibattito sulla natura ed il senso del tempo agli inizi del XIV secolo. 1989. xxiv, 250 pp. 12 PERLER, Dominik: Prädestination, Zeit und Kontingenz. Philosophisch-historische Untersuchungen zu Wilhelm von Ockhams ‘Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei respectu futurorum contingentium’. 1988. x, 332 pp. 11 HEFFERNAN, George: Am Anfang war die Logik. Hermeneutische Abhandlungen zum Ansatz der ‘Formalen und transzendentalen Logik’ von Edmund Husserl. 1988. viii, 255 pp. 10 PLUTA, Olaf (Hrsg.): Die Philosophie im 14. und 15. Jahrhundert. In memoriam Konstanty Michalski (1879–1947). 1988. lx, 640 pp. 9 KACZMAREK, Ludger (Hrsg.): Destructiones modorum significandi und ihre Destruktionen. 1994. xii, 120 pp. 8 WASCHKIES, Hans-Joachim: Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels. 1987. iv, 711 pp. 7 PLUTA, Olaf: Kritiker der Unsterblichkeitsdoktrin in Mittelalter und Renaissance. 1986. xii, 138 pp. 6 PLUTA, Olaf: Die philosophische Psychologie des Peter von Ailly. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie des späten Mittelalters. 1987. 336 pp. 5 EVANS, Joseph Claude: The Metaphysics of Transcendental Subjectivity. Descartes, Kant and W. Sellars. 1984. xii, 138 pp. 4 ZUM BRUNN, Emilie: Le dilemme de l’être et du néant chez Saint Augustin. Des premiers dialogues aux ‘Confessions’. 1969. Reprint avec additions de l’auteur. 1984. iv, 102 pp. 3 MOJSISCH, Burkhard (Hrsg.): Sprachphilosophie in Antike und Mittelalter. Bochumer Kolloquium, 2.–4. Juni 1982. 1986. viii, 488 pp. 2 BONATTI, Luigi: Uncertainty. Studies in Philosophy, Economics and Socio-political Theory. 1984. xii, 132 pp. 1 KÜHN, Wilfried: Das Prinzipienproblem in der Philosophie des Thomas von Aquin. 1982. xxxviii, 555 pp.