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Außenpolitik gegenüber den Siegermächten 1954
Gersdorff Adenauers •
Beiträge zur Militärgeschichte Herausgegebe...
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von
Außenpolitik gegenüber den Siegermächten 1954
Gersdorff Adenauers •
Beiträge zur Militärgeschichte Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Band 41 /
R.
Oldenbourg Verlag München
1994
Adenauers Außenpolitik gegenüber den Siegermächten 1954 Westdeutsche Bewaffnung und internationale Politik
Von
Gero
R.
von
Gersdorff
Oldenbourg Verlag
München 1994
Die Deutsche Bibliothek
CIP Einheitsaufnahme -
Gersdorff, Gero von: Adenauers Aussenpolitik gegenüber den Siegermächten 1954 : westdeutsche Bewaffnung und internationale Politik / von Gero von Gersdorff. München : Oldenbourg, 1994 (Beiträge zur Militärgeschichte; Bd. 41) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss. ISBN 3-486-55980-X NE:GT -
© 1994 R.
Oldenbourg Verlag GmbH,
München
Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg i.B. Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-55980-X
Inhalt
Vorwort des
Herausgebers
.
.
11
.
11
.
13
.
15
.
19
Einleitung I. Fragestellung II. Forschungs- und Quellenlage III. Gang der Untersuchung
A. Der
Gegner
I. Die westdeutsche Aufrüstung im Ost-West-Konflikt als außenpolitisches Ziel
und Mittel Adenauers
II. Die
.
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
1. Die Ambivalenz der
sowjetischen Politik a. Großmachtpolitik mit Weltmachtanspruch b. Zur Militärpolitik in Europa c. Zur Entspannungspolitik der fünfziger Jahre
.
.
.
.
.
d. Zum Ziel eines neutralisierten Deutschland e. Die Haltung gegenüber der westdeutschen Aufrüstung
.
2. Adenauers a.
b. c.
d. e.
f. g.
h.
ostpolitische Konzeption
.
.
Zur personellen und institutionellen Beratung des Bundeskanzlers... Adenauers Einschätzung des ideologischen Gegners Adenauers Beurteilung des militärischen Feindes Die politische Gefahr: eine Isolierung Deutschlands Adenauers vorrangiges Ziel: die Isolierung der Sowjetunion Adenauers nachrangiges Ziel: die Wiedervereinigung. Adenauers vorrangiges Mittel: die Aufrüstung in der NATO und in der EVG. Adenauers nachgeordnete Verfahrensweise: deutsch-sowjetische Bezie.
.
.
.
hungen
3.
9
Ergebnisse
19 20 20 20 23 30 40 49 55 55 62 64 77 81 85 90
.
91
und offene
95
Fragen
.
B. Die Verbündeten
I. Die
Vereinigten
.
Staaten als
Führungsmacht
.
Bedeutung Westdeutschlands in Europa Grundlinien amerikanischer Außenpolitik
1. Die a.
.
b. Ökonomische
.
Beweggründe Militärstrategische Beweggründe d. Politisch-diplomatische Beweggründe e. Militärpolitische Sicherheitsgarantien und bündnispolitische Vorstellungen f. Alternativen zur EVG und die Entscheidung für die NATO-Lösung .
c.
.
.
.
...
2. Adenauers
Handlungsspielraum zwischen amerikanischen und deutschen
Interessen a. Zur personellen und institutionellen Beratung. b. Der Ost-West-Konflikt als bestimmender Handlungsrahmen .
.
c.
d.
Sozio-ökonomische Konvergenzen und Wiederaufbau Westdeutschlands
Sicherheitspolitik unter ungleichgewichtig-wechselseitiger Abhängig-
keit Nationalstaatliche Anforderungen zwischen Saar und Memel f. Territorialstaatliche Anforderungen: Souveränität und Gleichberech.
e.
.
tigung Spannungsverhältnis scher Kooperation
.
g.
zwischen
europäischer Integration
Ergebnisse
und offene
Fragen
.
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
.
1. Die Rolle Großbritanniens und Deutschlands in
Sicht a. Großbritanniens
Europa
aus
eingeschränkter Handlungsrahmen Entspannungspolitik und Neutralisierungspläne c. Militärpolitische Vorstellungen d. Bündnispolitische Präferenzen
.
.
.
.
Berücksichtigung der britischen Politik durch Adenauer. a. Zur personellen und institutionellen Beratung. b. Ostpolitische Interessenunterschiede c. Europapolitische Interessenunterschiede d. Souveränitätsforderung und Sicherheitsauflagen
2. Die
.
.
.
3.
Ergebnisse
und offene
Fragen
99 99 103 110 118 121 128
132 132 139 142 154 158 177
182 185
187
britischer
.
b.
99
und atlanti-
.
3.
99
.
187 187 191 195 199 207 207 210 215 221 227
7 Inhalt
III. Frankreich zwischen 1. Zur Rolle
Opposition
und Obstruktion.
230
französischer Sicht.
230 230 237 244
Frankreichs und Deutschlands
aus
Frankreichs
eingeschränkter Handlungsrahmen Außenpolitische Handlungsfreiheit durch Entspannungspolitik c. Militär- und bündnispolitische Vorstellungen d. Von der Ablehnung der EVG zur Zustimmung zum westdeutschen a.
.
b.
.
.
NATO-Beitritt
2. Adenauers
.
begrenzte Rücksichtnahme auf die deutsch-französische Ver-
ständigung a. Zur personellen und institutionellen Beratung b. Ostpolitische Interessenunterschiede c. Europapolitische Interessenunterschiede
.
256 256 263 266 270
.
272
.
.
.
.
d. Der NATO-Beitritt als Alternative 3.
Ergebnisse
C. Adenauers
und offene
Fragen
249
bündnispolitische Zielvorstellungen
.
I. Erste Phase: der atlantische Vorrang. II. Zweite Phase: der Kampf um die NATO-Mitgliedschaft III. Dritte Phase: zwischen EVG-Erwartungen und Gefolgschaft gegenüber den .
275 275 279
USA rV. Vierte Phase: Vorbereitungen für die Lösung des Junktims zwischen Souveränität und Wiederbewaffnung V Fünfte Phase: Souveränität und direkte NATO-Mitgliedschaft
291
D. Prioritäten in Adenauers
335
.
.
außenpolitischen Zielsetzungen
.
I. Zu Adenauers Informationsstand II. Adenauers Handlungspotential zwischen
.
III. IV
außenpolitischer Fremdbestimund Rücksicht innenpolitischer mung Nationalstaat und Territorialstaat im Prioritätenkonflikt: zur »Staatsräson« der Bundesrepublik Atlantische Kooperation und westeuropäische Integration im Prioritätenkonflikt: sachliche Dominanz und zeitlicher Vorrang Souveränität und Sicherheit: zum Verhältnis oberster Ziele Konsistenz der Zielverknüpfungen und Kontinuität der Grundorientierungen: zur Frage nach Adenauers »Gesamtkonzept« Fazit
336
.
339
.
.
Vn.
335
.
.
V. VI.
299 312
.
341 344 346 351
Vorwort des
Herausgebers
Die Adenauer-Studie Gero von Gersdorffs untersucht in einer an der Universität Freiburg im Breisgau entstandenen, für den Druck überarbeiteten Dissertation langfristige Konzeptionen und taktische Flexibilität in der Außen- und Sicherheitspolitik Adenauers, wie sie sich in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre anläßlich der Grundentscheidung zwischen westdeutscher Nationalarmee im atlantischen Bündnis und integriertem Anteil in einer Europaarmee herauskristallisierten. Das Thema, das auf den ersten Blick dem Motto »Männer machen Geschichte« verpflichtet zu sein scheint, steht jedoch stets zugleich mit politikwissenschaftlicher Systematik in den internationalen und innenpolitischen Rahmenbedingungen, die Adenauers konkreten Handlungskontext bestimmten. Mit den EntScheidungsprozessen besonders in Washington, London, Paris und Bonn werden auf breiter Quellengrundlage die jeweiligen nationalen Zielvorstellungen und Handlungsmuster verfolgt. Die verschiedenen Hemm- und Förderfaktoren, die sich dabei aus Innen-, Wirtschafts-, Finanz- und Budgetpolitik ergaben, werden ebenso berücksichtigt wie personale Gewichte, mit denen Einzelpersönlichkeiten der Zeit ihren Stempel aufdrückten. Die langjährigen, von wechselseitigem Mißtrauen geprägten internationalen Verhandlungen um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die zugleich Vertrauen in den zukünftigen deutschen Partner wachsen ließen, werden diplomatiegeschichtlich entsprechend dem Wechselspiel der Prioritäten und Aktionsmöglichkeiten des Bundeskanzlers in fünf chronologischen Phasen entwickelt und in farbiger ereignisgeschichtlicher Manier auf-
gelockert geschildert.
Dabei schält sich deutlich das Spannungsverhältnis teils konkurrierender, teils sich ergänzender Ziele zwischen westdeutscher, gesamtdeutscher, westeuropäischer und atlantischer Orientierung heraus. Im Beziehungsgeflecht von national- und territorialstaatlicher »Staatsräson«, von langfristig angestrebter westeuropäischer Integration und zeitlich wie sachlich vorrangiger atlantischer Kooperation wird die Kontinuität in den konzeptionellen Grundorientierungen Adenauers sichtbar. Als eine auf die Person Bundeskanzler Adenauers konzentrierte Studie fügt sich die Arbeit in das Großprojekt des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zu den »Anfängen westdeutscher Sicherheitspolitik« ein. Sie belegt zugleich die Tragfähigkeit der Brücke zwischen Politikwissenschaft und Zeitgeschichtsschreibung. Dr. Günter Roth
Brigadegeneral Amtschef des
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
Einleitung
I. Die
Adenauer-Ära wäre fast schon
Fragestellung
Ende gegangen nicht wegen einer WahlPartei den Bundeskanzler hätte stürzen wollen, son1954
zu
—
niederlage oder weil seine eigene dern weil mit dem Ende der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) am 30. August 1954 zugleich ein wesentlicher Teil des außenpolitischen Konzepts Konrad Adenauers gescheiten schien. Heinrich Krone als einer der Politiker, die den westdeutschen Regierungschef mit am besten kannten, vertraute seinem Tagebuch an, »daß Adenauer in der Nacht nach der negativen Abstimmung der Nationalversammlung in einer Aufwallung der Verzweiflung mit dem Gedanken umging, zurückzutreten«1. Nachdem die französische Nationalversammlung die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu Fall gebracht hatte, beschleunigte sich eine Entwicklung, die mit der außenpolitisch wichtigsten Weichenstellung für Deutschland endete: Die Bundesrepublik Deutsch-
land wurde im Mai 1955 souverän und trat dem nordatlantischen Bündnis bei. Dieser Beitritt markierte die bis heute bestimmende Westbindung deutscher Außenpolitik; zugleich stellte er die westdeutsche Sicherheitspolitik auf eine tragfähige Grundlage; schließlich drohte er allerdings auch, die weitere Entwicklung auf dem Weg einer bundesstaatlich organisierten Europäischen Politischen Gemeinschaft zu hemmen und im Ergebnis die Teilung Deutschlands weiter zu verfestigen. Bis zum Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft stand allerdings einzig und allein diese und nicht der westdeutsche Beitritt zum atlantischen Bündnis im Vordergrund der offiziellen außenpolitischen Konzeptionen der westeuropäischen Staaten. Dennoch konnte soviel wußten jedenfalls diejenigen Politiker, denen inoffizielle Informationen zugänglich waren spätestens seit Ende 1953 eine Ablehnung des Konzepts einer supranationalen Ordnung im westeuropäischen Rahmen gerade in Paris zumindest nicht ausgeschlossen werden. Angesichts des Tatbestandes, daß sich Adenauer nach dem 30. August 1954 auf die neue Situation erstaunlich rasch einzustellen vermochte, fragt es sich, ob er diesen Verlauf des Geschehens vorausgesehen hatte, das heißt, inwieweit er schon vor dem Ende der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft den Anschluß Westdeutschlands an die atlantische Allianz als Alternative und notwendige Ergänzung mit bedacht und ob er gegebenenfalls die damaligen internationalen Entscheidungsprozesse entsprechend mit beeinflußt hat. Um die Zeitspanne von Ende 1953 bis Herbst 1954, jene dramatische Phase, in der sich im diplomatischen Verhandlungsprozeß die für Deutschland so zentralen Entscheidun—
—
Tagebuchnotiz des damaligen Bundestagsabgeordneten und späteren Fraktionsvorsitzenden (1955—1961) der CDU, Heinrich Krone, Eintrag vom 26.9.1954, in: Adenauer-Studien III, S. 135. Krone war ein entschiedener Verfechter der Außenpolitik Adenauers.
12
gen bereits
Einleitung
abzeichneten, geht es in dieser Untersuchung. Sie konzentriert sich auf die
Außenpolitik Adenauers unter dem Gesichtspunkt seiner außenpolitischen Präferenzen und Optionen im Rahmen einer Analyse der internationalen Politik hinsichtlich der westdeutschen Wiederbewaffnung. Wenn notwendig, werden die Entwicklungslinien von 1949/50 bis Ende der Fünfziger Jahre mit einbezogen. Die Arbeit zielt vornehmlich auf die westdeutsche Sicht der Entwicklung mit der Fragestellung: Was war für Adenauer möglich und was sollte möglich werden? Zur Beantwortung wird versucht, eine Rangordnung wesentlicher außenpolitischer Ziele des Bundes-
kanzlers zu bestimmen. Dabei sind vor allem die Vorsicht und die Rücksicht, die der Bundeskanzler bei der Verwirklichung seiner außenpolitischen Ziele auf die Außen- und Innenpolitik walten zu lassen hatte, von besonderer Bedeutung. Eine nur am chronologischen Ablauf der Ereignisse orientierte Darstellung würde vielleicht den Blick zu sehr auf tagespolitisch wechselnde Prioritäten verengen. Eine mehr systematische Betrachtung, aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Einflußnahmen der Siegermächte und unterschiedlichen Problemfeldern, könnte das Zusammenwirken der Faktoren aus dem Blick verlieren. Um die Nachteile beider Betrachtungsweisen gering zu halten, werden daher zunächst die Bedingungen behandelt, die sich für Adenauer aus den Interessen der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs ergaben, und sodann seine außenpolitischen Zielvorstellungen in einem Kapitel phasenweise zusammengefaßt. In diesem Ansatz werden Adenauers Vorstellungen mit seinem tatsächlichen politischen Handeln verbunden, um so eine Deutung seiner Zielprioritäten für 1954 zur Diskussion zu stellen. Da Adenauer nicht nur reagierte, sondern gerade 1954 auch aktiv agierte, bezieht dies die weitere Frage ein: Wie wirkte sich Adenauers Verständnis von den Notwendigkeiten und Möglichkeiten seiner Außenpolitik im Gefüge internationaler Politik der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs aus? Hans-Peter Schwarz, der sich in zahlreichen grundlegenden Forschungsarbeiten mit Adenauers Außenpolitik befaßt hat und dessen bewährtes Begriffsinstrumentarium im folstellt hinsichtlich der übernommen wird, genden außenpolitischen Orientierung Adenauers fest: »Offenbar war er auch ständig bemüht, an einem Grundbestand höchster Ziele festzuhalten. So begegnet in seiner Außenpolitik ein relativ konstantes Grundmuster von langfristigen Erwartungen mit den korrespondierenden Einstellungen sowie von langfristigen Zielvorstellungen. Daraus hat er eine, ebenfalls langfristige, Strategie konzipiert, einen Satz von Handlungsmaximen, substanziellen Optionen und außenpolitischen Methoden, die auf die Erwartungen und Zielvorstellungen abgestellt waren«2. Den »Gesamtkomplex langfristiger Erwartungen und Einstellungen, Ziele und strategischer Maximen« nennt Schwarz »Konzept«; das »Bemühen, diese allgemeinen Erkenntnisse und Handlungsmaximen in mittelfristige und kurzfristige institutionelle, allianzpoliti-
sche, militärstrategische und innenpolitische Entscheidungen umzusetzen«, bezeichnet
als »Politik«3. Schwarz stellt zusammenfassend fest: »Die Untersuchung der Grundlinien Adenauerscher Außenpolitik zeigt also ein Doppeltes: einerseits ein ziemlich kon-
er
2 3
Schwarz, Das außenpolitische Konzept, S. 77. Ebd., S. 78.
13
Einleitung
sistentes und kontinuierlich festgehaltenes Konzept, andererseits erstaunliche Beweglichkeit und Lernbereitschaft in den einzelnen Problembereichen und Perioden«4. Die Ambivalenz von Flexibilität und Festigkeit kann auf der inzwischen verfügbaren Quellengrundlage für diesen Untersuchungszeitraum genauer bestimmt werden. Eine systematische Suche nach Prioritäten im außenpolitischen Denken und Handeln Adenauers soll präzisieren, inwieweit er sich nicht nur pragmatisch-taktisch von der »Gunst der Stunde«, sondern auch von langfristigen Zielvorstellungen leiten ließ. Sie soll als ein Beitrag neben anderen Forschungsansätzen zur Klärung der »zentrale[n] Kontroverse während der Adenauer-Ära führen, die auch in der Zeitgeschichte ihren Widerhall findet. Was hatte der Kanzler eigentlich mit Deutschland im Sinn? Hat er westdeutsche, gesamtdeutsche oder europäische Politik gemacht? Wo lagen seine Prioritäten5?« Eine Antwort soll hier in der Verknüpfung der äußeren, »objektiven« Rahmenbedingungen und Adenauers Vorstellungen als subjektivem Faktor in der Politik gefunden werden6. II.
Forschungs-
und
Quellenlage
Die umfangreiche Adenauer-Forschung und die zahlreichen Arbeiten zur westdeutschen Außenpolitik während der Aufbauphase der Bundesrepublik Deutschland weisen in der Deutung der außenpolitischen Zielsetzungen und Prioritäten Adenauers etliche offene Fragen und Widersprüche auf; schon dies zeigt eine Forschungslücke. Zudem sind auch zutreffende Urteile oft quellenmäßig unzureichend abgesichert. Beides läßt eine quellenorientierte Überprüfung und Weiterführung des erreichten Forschungsstandes wünschenswert erscheinen. Möglich wird sie durch inzwischen zugängliche zeitgenössische Akten amtlicher Provenienz. Diese Studie entstand im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg; dadurch war der Zugang zu nationalen Archivalien vor Ablauf der üblichen Sperrfristen möglich8. 4
5 6 7
8
Ebd., S.
106. Die verdienstvolle Studie von Siebenmorgen setzt den Schwerpunkt eines Konzepts auf die »an den strategischen Maximen und Zukunftswünschen bemessenen Richtlinien und erst in zweiter Linie die detaillierten Ausführungsanstrengungen bzw. Planungen«; vgl. ders., Gezeitenwechsel, Methodik und Forschungsstand, S. 407 f. Hier soll das Gewicht stärker darauf gelegt werden, Adenauers Konzept aus der Perspektive seiner nachdrücklich oder zumindest versuchsweise umgesetzten praktischen Politik zu analysieren. Schwarz, Adenauer und Europa, S. 473. Vgl. zu diesem Ansatz auch Weidenfeld, Konrad Adenauer und die EVG. Vgl. etwa die einschlägigen Forschungs- und Literaturberichte bei Schwarz, Der unbekannte Adenauer, sowie Grieser, Adenauer. Zur Sicherheitspolitik vgl. die Zwischenbilanz von Schwabe, Adenauer und die Aufrüstung; Noack, Scheitern; Westdeutschland 1945—1955; Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft; Zwischen Kaltem Krieg und Entspannung; siehe auch zu verschiedenen inneren Widersprüchen in Adenauers Außenpolitik: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 2; Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann; Weidenfeld, Adenauer und Europa; Rupieper, Der besetzte Verbündete, sowie Adenauer und die Deutsche Frage. Im Militärgeschichtlichen Forschungsamt wurde gleichzeitig das mehrbändige Werk »Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik« vorangetrieben. Für zahlreiche Gespräche, Anregungen und Hinweise auf Quellen bin ich den Herren Professor Dr. Hans-Erich Volkmann, Dr. Klaus A. Maier, Dr. Bruno
Einleitung
14
Da sich nach der
Fertigstellung Schwierigkeiten ergaben, aus den Akten des Bundesarchiv-Militärarchivs (Freiburg), des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes (Bonn) und besonders des Bundeskanzleramtes (Bonn) zu zitieren9, wurden noch gesperrte Quellenbelege dieser Aktenbestände aus der Studie herausgenommen und durch offenes Material ersetzt. Mittlerweile konnten vermehrt Archivalien aus dem Public Record Office (Kew/Richmond), aus den National Archives (Washington) und aus den Public Archives Canada (Ottawa) eingesehen werden; dadurch konnten auch Lücken in französischen, belgischen, niederländischen und italienischen Quellen teilweise ausgeglichen werden. Mangels sowjetischer Quellen mußte vieles hinsichtlich der Politik des Kreml im Spekulativen verbleiben und stärker auf die Interpretationen sowjetischer Politik im Westen
zurückgegriffen werden. Die anglo-amerikanische Praxis zur Freigabe von Quellen ist für die Fragestellung insgesamt vorzüglich. Zusammen mit amerikanischen, britischen und gerade für das Jahr 1954 auch französischen Dokumentationen sowie mit den Quelleneditionen des Bundesarchivs, der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien sowie mit den Beständen des Archivs für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung ergab sich eine so dichte Quellenlage auch in sensiblen Fragen, daß der Verzicht auf nicht freigegebene deutsche Quellen zwar bedauerlich bleibt, aber schließlich mehr als ausgeglichen werden konnte. Ohnehin erwies sich im Vergleich, daß die amerikanische und/oder britische Berichterstattung in Umfang und Detailgenauigkeit den deutschen Berichten oft überlegen war. Das ist auch nicht verwunderlich, da sich Kanzleramt und Auswärtiges Amt bis 1955 noch gewissermaßen im Aufbau befanden und die kanzlerzentrierte Ausübung der auswärtigen Politik in den Jahren des westdeutschen Wiederaufbaus, in denen Adenauer gleichzeitig Kanzler und Außenminister war, den Ausbau einer etwa im Vergleich zum britischen Foreign Office vielgliedrigen —
—
Behördenorganisation verzögerte. Die stenographischen Protokolle der Sitzungen des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit im Deutschen Bundestag geben Einblick in Versuche der Abgeordneten der Regierungsparteien, aber auch der in Sachfragen konstruktiv mitarbeitenden Opposition, in Fragen außenpolitischer Zielsetzungen von der Regierung vorab gehört zu werden. Die in den Ausschüssen verwendeten Argumente der zur Anhörung geladenen Regierungsvertreter dürfen allerdings nicht kurzschlüssig auf Einschätzungen und Zielsetzungen des Regierungschefs bezogen werden. Wie neben den Argumenten selbst auch die Aufbereitung der Informationen nahe legt, die für das Auswärtige Amt und die Dienststelle Blank teilweise akten9
Thoß und Dr. Norbert Wiggershaus dankbar; zur nationalen Quellenlage vgl. den vorzüglichen Archivbericht von Krüger/Ganser, Quellen, S. 121—146. Die gewährte Einsichtnahme in die Quellen war nicht mit der Genehmigung verbunden, Verschlußsachen zu zitieren. Den Mitarbeitern der Archive, insbesondere im Bundesarchiv-Militärarchiv, in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages, im Auswärtigen Amt, im Bundeskanzleramt sowie im Archiv für Christich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung danke ich für die stets freundliche und hilfsbereite Aufnahme.
15
Einleitung
mäßig nachvollzogen werden kann, war dieser Meinungsaustausch seitens der Regierung dem Bemühen geprägt, die Abgeordneten der Fachausschüsse vor allem davon zu überzeugen, daß die deutschen Interessen in den Details der internationalen Abmachungen so gut wie möglich durchgesetzt worden waren. Diese Archivalien spiegeln daher eher einen Teil des innenpolitischen Bemühens der Bundesregierung wider, die Zustimmung der Legislative für die Vertragswerke sicherzustellen, indem die außenpolitischen Hemmfaktoren den vorrangigen Zielen der westdeutschen Verhandlungsführung gegenübergevon
stellt wurden. Die Dienststelle Blank verfolgte die in- und ausländische Presse über Fragen zur Wiederbewaffnung. Im Vergleich der gesammelten Presseausschnitte mit den amtlichen nationalen und internationalen Aktenbeständen erwiesen sich manche bis heute schwer zugängliche Informationen, die sich in den damals noch zahlreicheren regionalen Presseorganen verbargen, als zutreffend. Ohne die Archivbestände wäre es jedoch nicht möglich gewesen, publizistische Indizienvermutungen von präziser Tatsachenberichterstattung zu trennen.
Durch Befragungen von damals in Schlüsselstellungen tätigen Personen durch Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes konnte das Archivmaterial abgerundet werden; dies gewährleistete auch ein besseres Verständnis für das Zeitkolorit. In Zweifelsfällen wurde jedoch dem Archivmaterial der Vorzug gegeben. Wegen unterschiedlicher Auflagen der befragten Weg- und Zeitgenossen Adenauers werden Befragungen nur im von den Befragten für vertretbar erachteten Umfang zitiert. III.
Gang der Untersuchung
Deutschland stand 1954 noch unter Besatzungsrecht. Der Rahmen außenpolitischer Möglichkeiten Adenauers wurde daher in besonderem Maße von der Politik der vier Siegermächte über Deutschland bestimmt. Deren außenpolitische Zielvorstellungen bilden deshalb den Ausgangspunkt der Untersuchung. Vor dem Hintergrund dieses historischen Bezugrahmens wird den Fragen nachgegangen, über welche Informationen der Bundeskanzler verfügte, ob und wie er diese wahrnahm10, wie er sie einschätzte und wie er sie mit seinen Zielsetzungen verband. Adenauers außenpolitische Zielbestimmungen werden, zumal sie 1954 eng mit der westdeutschen Wiederbewaffnung verknüpft waren, zunächst in den Rahmen des OstWest-Konflikts gestellt11. Daran schließt sich ein Überblick über die sowjetische AußenFür die hier
gewählte Fragestellung wichtiger noch als die »objektiven« Rahmenbedingungen sind die Wahrnehmungen, von denen Adenauers politisches Handeln mitbestimmt wurde; zur entscheidenden Rolle der subjektiven Wahrnehmung vgl. Deutsch, External Influence. Zur methodischen Diskussion der Perzeptionsfaktoren vgl. die Erörterungen bei Gantzel, System, hier bes. S. 122—124. Die internationalen Bedingungen des Ost-West-Konflikts als entscheidende Strukturvorgabe für die Ziele und Mittel westdeutscher Außenpolitik gehören zum Grundverständnis, unter dem die frühen Jahre der Bundesrepublik betrachtet werden müssen; dieser Aspekt wird besonders dezidiert vertreten von Hanrieder, West German Foreign Policy, und ders., Deutschland, S. XV —
16
Einleitung
politik an, wie sie sich aus westlicher Sicht darbot. Daraus resultierte bereits eine Reihe von prinzipiellen Vorentscheidungen fiir Adenauers Politik sowohl gegenuber der Sowjetunion als auch gegenuber den westlichen Siegermachten. Sodann ist nach Art und Ausmafi von Anpassungszwangen sowie Handlungsmoglichkeiten zu fragen, die der Kanzler bei seinen Entscheidungen von seiten der drei Westmachte zu beriicksichtigen hatte. Dabei liegt der Schwerpunkt in den Forderungen und Erwartungen der Vereinigten Staaten von Amerika, die als westliche Vormacht mit ihrem sicherheitspolitisch und okonomisch weltweiten Ausgreifen nicht nur Adenauers Politik, sondern auch die der britischen und franzijsischen Regierungen besonders in deren deutschland-politischemAktionsspielraum beeinflufiten, jedoch nicht bestimmten. Denn GroBbritannien und Frankreich, ja selbst die noch nicht souveriine Bundesrepublik Deutschland wollten und konnten sich mit einem betriichtlichen Teil ihrer nationalen Ziele im auflenpolitischen Verhandlungsprozefi wirkungsvoll behaupten. Die innenpolitischen Kdfte werden jeweils dort auf Adenauers Zielsetzungen bezogen, wo sie sich fur ihn am starksten ausgewirkt haben: so etwa mit Blick auf stets zu beriicksichtigende Wahlen in Bund und Landern hinsichtlich der Opposition und der Vertriebenenverbande auf dem Zielfeld Nationalstaat und Wiedervereinigung, bezuglich Wirtschaft und Gewerkschaften auf dem Zielfeld Wiederaufbau und Gesellschaftsordnung Westde~tschlands~~. In das Spannungsfeld aufien- und innenpolitischer Auflagen und Rucksichtnahmen ist Adenauers Bemuhen einzuordnen, Sicherheit und Souveriinitat fur die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken, west- und gesamtdeutsche Entwicklungen offenzuhalten sowie westeuropaische und atlantische Zusammenarbeit zu fordern. In der Darstellung wird versucht, auch dem Leser, der nur ein Kapitel oder einen ihm wichtigen Abschnitt liest, die wichtigsten Kategorien Adenauers und aussagekriiftige Quellenbelege zu bieten; dadurch bedingte gelegentliche Wiederholungen werden in Kauf genommen. Vor allem fiir den eiligen Leser sind die zusammenfassenden ,>Ergebnisseund offenen Fragen~gedacht - auch in der Hoffnung, ihn doch noch zur Lekture des Kapitels zu ,,reizene. In der Schl~Bbetrachtun~ werden dann die Prioritaten und Zielverknupfungen innerhalb des aufienpolitischen Konzepts Adenauers fur das Jahr 1954 in einer Zusammenschau zur Diskussion gestellt. Diese Studie erfuhr vielfaltige Forderung, fur die ich den hilfreichen Personlichkeiten und Institutionen dankbar bin. Zuerst mochte ich meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Dieter Oberndorfer, Lehrstuhl fiir Wissenschaftliche Politik der Albert-Ludwigs-Universitat Freiburg im Breisgau und Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts, fur sein aufgeschlossenes Interesse am gewahlten Thema und seine sachkundige Unterstiitzung danken. Sodann gilt mein Dank den Kollegen - insbesondere Herrn Professor Dr. Hans-Erich Volkmann - fiir kompetente Anregung und Kritik, Herrn Armin Huber lZ
Siehe dazu die zahlreichen Studien von Hans-Erich Volkmann, speziell zu den Religionsgemeinschaften die Beitfige von Anselm Doering-Manteuffel sowie - generell die Verschfinkung von Innenund Aui3enpolitik beriicksichtigend - Hans-Peter Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann.
Einleitung
17
für die findige Beschaffung von Spezialliteratur, Frau Cynthia Flohr für die Konkordanzund Verschlußsachenüberprüfung der BA-MA-Signaturen, Frau Thérèse Trésoret-Michaely und Herrn Dr. Adolph Dieckmann für das umsichtige Lektorat, Frau Anita Bosch und Frau Gabriele Reifsteck für das sorgfältig erstellte Manuskript, Frau Maria-Elisabeth Marschalt für den zügig gefertigten Fotosatz, sowie den Herren Dr. Wolfgang Michalka und Dr. Arnim Lang für organisatorische Unterstützung. Dem Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Herrn Brigadegeneral Dr. Günter Roth, danke ich für die Aufnahme in die Reihe »Beiträge zur Militärgeschichte«. Dankbar bin ich den Mitarbeitern in den Archiven; das gilt in besonderem Maße für das Bundesarchiv-Militärarchiv, das auch bei der Eliminierung von Verschlußsachenvermerken eine besonders geschätzte Hilfe war. Nicht zuletzt gilt der Dank meiner Frau Gisela für ihr anteilnehmendes Verständnis.
Teil A: Der
Gegner
I. Die westdeutsche
als
Aufrüstung im Ost-West-Konflikt außenpolitisches Ziel und Mittel Adenauers
Adenauers Außenpolitik blieb bis 1955 in hohem Maße eingespannt in die machtpolitischen Rivalitäten des Ost-West-Konflikts. Seitdem die Vereinigten Staaten als westliche Führungsmacht die Aufstellung westdeutscher Militärformationen gegen die als potentiellen Aggressor eingeschätzte Sowjetunion gefordert hatten, stand diese Thematik im Mittelpunkt der außenpolitischen Überlegungen und Handlungen des Bundeskanzlers. Schon bevor diese Forderung an ihn herangetragen worden war, hatte er erkannt, daß hier ein Verlangen der stärksten Siegermacht vorlag, aus dem er ein wirkungsmächtiges Instrument mit politischer Durchschlagskraft schmieden konnte1. Seit 1950 wurde dann die westdeutsche Aufrüstung sein zentrales Mittel, mit dem er eigene, weitergehende Ziele durchsetzen wollte. Von Anfang an versuchte er, militärische Sicherheit und politische Gleichberechtigung miteinander zu koppeln2. Um Ziele und Mittel seiner Konzeption im Entscheidungskontext genauer unterscheiden zu können, ist zunächst der Rahmen abzustecken, der ihm durch die Sowjetunion als dem Kontrapart im bipolaren System vorgegeben war. Diese außenpolitischen Voraussetzungen sind dann den entsprechenden Wahrnehmungen und Einschätzungen Adenauers zuzuordnen. Bewertet werden müssen vor allem das Auseinanderklaffen von proklamierter und teilweise in die Praxis umgesetzter sowjetischer Stabilisierungspolitik einerseits sowie einem auf hohem Niveau bereitgehaltenen Militärpotential und weiter verstärkter Rüstung in Verbindung mit weltrevolutionärem Anspruch andererseits. Zur schwer kalkulierbaren Ambivalenz, die insbesondere mit der »Überrüstung« der Sowjetunion zu konstatieren war, bieten verschiedene Interpretationen hilfreiche Erklärungsmuster für die militärisch geprägte sowjetische
Außenpolitik3.
Gründung der North Atlantic Treaty Organization (NATO) erklärte Adenauer am es eine der ersten Aufgaben einer westdeutschen Regierung sein werde, den vollen Beitritt zum Atlantikpakt herbeizuführen; vgl. Wettig, Entmilitarisierung, S. 250. 2 Die Gleichzeitigkeit der beiden Memoranden des Bundeskanzlers »zur Frage der Neuordnung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Besatzungsmächten« und »über die Sicherung des Bundesgebietes nach innen und außen« vom 29.8.1950 zielte vor allem auf ein inhaltliches Junktim: »Voraussetzung für eine deutsche Beteiligung an der Verteidigung Europas war für mich völlige Gleichberechtigung Deutschlands mit den anderen Völkern Europas«; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 345; die Memoranden sind abgedruckt in: Sicherheitspolitik der Bundesrepublik, Bd I, S. 79—85; zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte insbesondere des Sicherheitsmemorandums vgl. Foerster, Innenpolitische Aspekte; sowie Wiggershaus, Bedrohungsvorstellungen. 3 Vgl. Mechtersheimer, »Rüstungsmilitarismus«, S. 248 f. 1
Noch
vor
der
21.3.1949, daß
20
Teil A: Der
Gegner
Die Weltrevolutionstheorie: Danach stand das
Militärpotential im Dienste der Weltrevoderen lutionslehre, expansive Programmatik zugleich auch die Rechtfertigung traditioneller Großmachtpolitik mitlieferte. Die historische Theorie: In einer defensiven Variante wird das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis betont, das in der historischen Erfahrung wiederholter Invasionen besonders europäischer Mächte eine wesentliche Ursache hat. In ihrer offensiven Variante wird eine Kontinuität außenpolitischer Expansion Rußlands angenommen, die ungebrochen seit Zar Peter dem Großen die Außenpolitik dieser asiatisch-europäischen Macht prägte. Die Hegemonialtheorie: Wegen der radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen in den Staaten des sowjetischen Machtbereichs bedarf es der machtpolitischen Absicherung, die ohne militärische Präsenz in der Form von Besatzungstruppen nicht gewährleistet werden kann. In einer Imperialismusvariante wird auf ungleiche Nutzenverteilung zwischen der Hegemonialmacht und ihren Bundesgenossen hingewiesen. Die Theorie eines militärisch-industriellen Komplexes: Hiernach liegt eine Ursache für den überdimensionierten Ausbau des militärischen Bereiches im bürokratischen Entscheidungsprozeß, bei dem eine Interessenkonkordanz zwischen militärischer Führung, Verantwortlichen der Rüstungsindustrie und Vertretern einer expansiven Außenpolitik das —
—
Übergewicht gewinnt.
Die Kompensationstheorie: In der globalen Auseinandersetzung der Systeme sieht sich die Sowjetunion genötigt, ihre Defizite in den ökonomischen, technologischen und bündnispolitischen Entwicklungen durch militärische Macht auszugleichen. Alle diese Interpretationsmuster klingen wenn auch nicht in dieser Systematik in Adenauers zeitgenössischen Äußerungen wie in seinen »Erinnerungen« an. Während sich die sowjetische Politik wegen unzureichender Quellenlage nur annäherungsweise deuten läßt, können Adenauers Beurteilung der sowjetischen Politik und seine daraus gezogenen Folgerungen genauer bestimmt werden4. Zu bedenken ist dabei, daß seine Äußerungen je nach Kontext auch sein Bemühen widerspiegeln, in der aktuellen politischen Auseinandersetzung unmittelbar zu überzeugen bzw. sich nachträglich zu rechtfertigen. Bedeutender als seine an Varianten reichen Argumentationen bleiben aber die Maximen seines außenpolitischen Handelns, und diese gilt es herauszuarbeiten. —
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
1. Die Ambivalenz der a.
Großmachtpolitik
—
mit
sowjetischen Politik
Weltmachtanspruch
Globale Zielsetzungen in der sowjetischen Außenpolitik artikulierten sich auch nach Josef Stalins Tod in einer von revolutionärem Geist geprägten Ideologie des MarxismusLeninismus, die ihre Kraft den postulierten historischen Gesetzmäßigkeiten entsprechend
Vgl. Schwarz, Adenauer und Rußland; ders., Beurteilung und Verurteilung.
Adenauers
Ostpolitik; Niedhart/Altmann,
Zwischen
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive
und Defensive
21
erringenden kommunistischen Weltherrschaft dienstbar machte5. Die große Bedeutung der revolutionären Ideologie als Bewegungsgesetz wie als Legitimationsgrundlage expansionistischer Politik der Sowjetunion ist vielfach untersucht worden6. Auch die reziproke traditionsreiche Ideologie des Antikommunismus im antagonistischen Lager ist in ihrer nachhaltigen Wirkung bekannt7. Adenauers Einschätzung des ideologischen Faktors als Steuerungsmoment politischen Agierens in der sowjetischen Führung soll der
zu
daher im Rahmen seiner Perzeption sowjetischer Politik betrachtet werden8. So wichtig verbal geäußerte Zielsetzungen in der Politik sind, entscheidend für das Handeln bleiben in der Regel doch das verfügbare Machtpotential und die darauf beruhenden Realisierungsmöglichkeiten: 1954/55 kam der UdSSR trotz allen Zuwachses an Bedeutung und Macht in Europa noch kein voller Weltmachtcharakter zu9. Diese Gesamtbewertung muß allerdings regional und sektoral differenziert werden. Obwohl die Sowjetunion formal eine der Siegermächte gegenüber Japan war, konnten sich ihre Führer bei den Friedensregelungen der asiatischen Region gegen den dort bestimmenden Einfluß der Vereinigten Staaten kaum ins Spiel bringen10. Andererseits nahmen sie an anderen Stellen doch spürbar Einfluß auf die Gestaltung des asiatischen Kontinents, wie es etwa in ihrer Unterstützung der Volksrepublik China im Koreakrieg und besonders in den vietnamesischen Waffenstillstandsverhandlungen 1954 zum Ausdruck kam11. Damit zeichnete sich in Ansätzen eine Entwicklung ab, die es in der Folge der Sowjetunion in zunehmendem Maße erlaubte, neben den Vereinigten Staaten in das von den 5
6
Das weltrevolutionäre Element als Faktor sowjetischer Außenpolitik in Abgrenzung zum nationalen und totalitären Element untersucht Meissner, Triebkräfte, S. 16—22. Zu Nikita Chruscevs späterer (1959) Offensivstrategie im Sinne einer »Abgrenzung der Interessensphären mit den Vereinigten Staaten« vgl. Meissner, Sowjetunion, S. 528. Zur Wechselbeziehung zwischen revolutionärer Ideologie und nationalstaatlicher Expansion vgl. Aspaturian, Challenge, sowie Ulam, Soviet Ideology. Klaus v. Beyme hält ähnlich wie Adomeit, Sowjetmacht ideologische Einflüsse im außenpolitischen EntScheidungsprozeß der Sowjetunion für bedeutungsvoll, wenngleich beide Autoren letztlich ein hohes Maß an Rationalität und kalkulierter Risikobegrenzung durchgängig feststellen; dennoch »wäre es verfehlt, nach dem Vorbild älterer Totalitarismustheorien das aktuelle Verhalten immer direkt aus den ideologischen Aussagen herleiten zu wollen«; Zitat v. Beyme, Sowjetunion, S. 22. Vgl. Erdmenger, Mißverständnis, S. 142—160; vgl. auch die zeitgenössische Interview-Analyse westdeutscher politischer Eliten bei Kellermann, Party Leaders. Eine differenzierende Sicht des Wechselverhältnisses zwischen manipulierender Propaganda für ein ideologisch deformiertes Massenbewußtsein einerseits, der notwendigen Bedingung von historisch tatsächlich Erfahrbarem und der Resonanz innerhalb des Interessenspektrums der Angesprochenen andererseits bieten in selbstkritischem Ansatz: Crusius/Wilke, Antikommunismus, S. 74—76. Siehe unten, Kapitel II. 2. Grundlegend zur Begriffsbestimmung »Weltmacht«: Berle, Power, hier das Kapitel »Elements of International Power«, S. 412—418. Vgl. die Darstellung des ehemaligen Mitarbeiters im Politischen Planungsstab des State Department, Feis, Contest; aus kritischer Sicht schildern die Weichenstellungen amerikanischer Politik hinsichtlich Japans: Kolko/Kolko, Limits of Power, Kapitel 11 und 19. Zahlenangaben zum sowjetisch-chinesischen Warenaustausch in Osteuropa-Handbuch, Sowjetunion, S. 602; zum Anteil des sowjetischen bzw. chinesischen Einflusses in Korea und Indochina vgl. ebd., S. 593-610. —
—
7
8 9
10
11
22
Teil A: Der
Gegner
alten europäischen Großmächten in den ehemaligen Kolonien hinterlassene politische Vakuum als militärische Schutzmacht, aber auch als Handelspartner und Kreditgeber einzurücken; dabei richtete sich oft die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung des Nehmerlandes nach der des Hilfe gewährenden Landes. Weil aber der Umfang ihrer verfügbaren Produktivkräfte und deren wissenschaftlich-technische Qualität beschränkt waren, blieben die handeis- und militärpolitischen Möglichkeiten der Sowjetunion, sich hier als Weltmacht im vollen Wortsinn Geltung zu verschaffen, begrenzt. Das wird besonders augenfällig im Vergleich mit den USA12. Hinzu kamen in Asien Interessengegensätze zwischen der Volksrepublik China und der Sowjetunion, deren Bewertung bei der Beurteilung der sowjetischen Zukunftsaussichten durch Adenauer schon zu einem erstaunlich frühen Zeitpunkt eine besondere Rolle gespielt hat13. Den eindrucksvollsten Machtzuwachs erreichte die Sowjetunion, als sie in der Folge des Zweiten Weltkriegs ihre Position bis weit nach Mitteleuropa vorschieben konnte. In den von ihr zunächst militärisch kontrollierten Staaten bestimmte sie die gesellschaftliche Ordnung und erzwang dort ihr genehme Regierungen; sie erklärte sich zur Führungsmacht dieser Staaten und sicherte sich mit allen Mitteln deren dauerhafte Gefolgschaft. Während Moskau in Asien nicht zu übergehen war und in Ost-Mitteleuropa faktisch nach Belieben schalten und walten konnte, vermochte es seinen Anspruch auf Mitgestaltung in Westeuropa nur marginal zur Geltung zu bringen. Obwohl die Sowjetunion als eine der vier Siegermächte über Deutschland auch bei der Neuordnung Westeuropas Beachtung zu finden hoffte, reichte ihre Macht zu nicht mehr als zum Veto in der deutschen Frage und zur Verzögerung der westeuropäischen Einigung. Gegen die Orientierung Westdeutschlands und Westeuropas auf die vor allem ökonomisch und militärisch dominierenden Vereinigten Staaten hin erwies sie sich außerhalb ihres Herrschaftsbereiches praktisch als machtlos. 1954/55 konnte die Sowjetunion für eine global präsente Weltmachtpolitik nicht die notwendige Wirtschaftshilfe und das benötigte technisch-industrielle »know-how« bieten; die militärischen Kräfte dagegen überstiegen mit ihrer regionalen konventionellen Überlegenheit in Europa nach westlicher Einschätzung das zwingend erforderliche Maß zur Sicherung des eigenen Machtbereichs in diesem Raum. Die Folgerungen, die Adenauer aus diesen ökonomischen Belastungsgrenzen bei forcierten Rüstungsinvestitionen zog, waren, wie zu zeigen sein wird, für seine Politik gegenüber der östlichen Siegermacht mitentscheidend. Unter den ideologischen, wirtschaftlichen und militärischen Instrumenten sowjetischer Außenpolitik genoß letzteres offensichtlichen Vorrang; auf die Militärmacht weit mehr Der Aspekt wirtschaftlicher Ressourcen war auch Bestandteil von westlichen Bedrohungsanalysen; vgl. Public Record Office, London (PRO), Premier Minister's Office (PREM), 11/369, M.C. 33, 10 November 1951, Note by the Secretaries to the North Atlantic Military Committee on Estimate of the Relative Strength and Capabilities of NATO and Soviet Bloc Forces at Present and in the Immediate Future; welch überragende Bedeutung die wirtschafts- und finanzpolitischen Überlegungen gegenüber militärischen Erwägungen bei den Briten besaßen, zeigt in Kürze die Schlußfrage zum M.C. 33 Kräftevergleich: »But can we carry out the Medium Term Plan without going bankrupt?«;
ebd., Notiz
zu North Atlantic Council Defence Siehe unten, Abschnitt 2. »Adenauers ostpolitische —
—
vom
21.11.1951.
Konzeption«.
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
23
als auf Wirtschaftshilfe und eher blockintern auf die Ideologie stützte sich die sowjetische Führung, wo sie ihre Einflußzonen in Europa und Asien damals erhalten wollte14. Entsprechend wuchs sie auch auf dem militärtechnischen Gebiet zuerst in den Weltmachtstatus hinein, zunächst bei der Entwicklung nuklearer Sprengköpfe, von der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre an dann auch in der Herstellung der gleichermaßen notwendigen Einsatzmittel globaler Reichweite. Dabei kam dem Ausbau des konventionellen Militärapparats 1954/55 in Europa noch die größere Bedeutung zu, während für die Beurteilung zukünftiger Entwicklungen dem sich abzeichnenden atomaren Patt zwischen den beiden großen Nuklearmächten das ausschlaggebende Gewicht erst zuwuchs. Ein Teil der langfristigen Zielsetzungen des Bundeskanzlers hing maßgeblich davon ab, inwieweit er diese Entwicklung in sein Kalkül mit einbezogen hat. —
—
b. Zur Militärpolitik in Europa Die Ziele der sowjetischen Führung richteten sich 1954 sowohl nach Asien wie auch nach Europa. Die vorhandenen Kräfte ließen aber nur die Wahl eines außenpolitischen Schwerpunktes zu. Für diesen lag nicht nur aus traditionellen Gründen seitens der europäischen Großmacht Sowjetunion die Wahl Europas nahe. Hier erblickten Ministerpräsident Georgij Malenkov und der Erste Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Nikita Chruscev ähnlich wie vor ihnen Stalin das zumindest auf mittlere Sicht entscheidende politische und militärische Manövrierfeld, hier glaubten sie am dringendsten das hinzugewonnene Terrain auch im Sinne des »sozialistischen Internationalismus« sichern zu müssen, hofften sie am ehesten ein Gegengewicht schaffen zu können gegen die Vereinigten Staaten als dem machtpolitisch und ideologisch überlegen herausragenden Gegner. Ein Gegengewicht dazu war man im Kreml offensichtlich entschlossen gegen die weltweite amerikanische Überlegenheit sollte aufgebaut werden. Diese Überlegenheit fand ihren Ausdruck in einer Bündnis- und Stützpunktpolitik der USA, die von der sowjetischen Führung als wirkungsmächtige antikommunistische Einkreisung empfunden wurde. Kapital- und Warenströme im Welthandel liefen damals beinahe völlig an den sozialistischen Staaten vorbei; während den kapitalistischen Ländern wirtschaftspolitisch fast die ganze Welt offenstand blieben die sozialistischen Staaten durch ihre ökonomische Schwäche, durch ihre Autarkiepolitik und durch rigide westliche Embargobestimmungen in einer empfindlich spürbaren handelspolitischen Isolierung15. —
14
Eine zunehmende Zahl ersten
von Forschern ist inzwischen davon überzeugt, daß die Sowjetunion in der Nachkriegsdekade keinen expansiv-aggressiven Kurs steuerte, sondern vielmehr aus ihrer unüber-
sehbaren Schwäche heraus eine risikoscheue Politik betrieb. So schreibt Aron von einer »Fassade Aggressivität« und kennzeichnet so die sowjetische Einsicht in die eigene Schwäche: »Für die Historiker besteht heute kaum ein Zweifel, daß die Sowjets einen bewaffneten Konvoi durchgelassen hätten und die Blockade [i. e. in Berlin 1948, d. Verf.] in wenigen Stunden beseitigt gewesen wäre«; ders., Die impériale Republik, S. 118. Eine risikoscheue sowjetische Politik gegenüber Europa nach 1952 konstatieren Kolko/Kolko, Limits of Power, S. 715. Lothar Ruehl kommt zu dem Ergebnis, daß »die sowjetische Militärmacht in der Nachkriegsperiode zwischen 1945 und 1955 also eher in der Vorstellung als in der Wirklichkeit eine Bedrohung dargestellt« habe; ders., Die militärische Macht, S. 287; vgl. auch den sachkundig-subtilen Beitrag von Legvold, Der politische Nutzen. Zum Spannungsverhältnis von machtpolitisch-ideologisch begründetem Wirtschaftskrieg und expanvon
15
—
24
Teil A: Der
Gegner
Militärstrategisch zog sich um die Sowjetunion eine Kette von Stützpunkten für das strategische US-Bomberkommando und für die weltweit praktisch unangefochten operierende US-Marine zur Sicherung der lebenswichtigen Handels- und Versorgungswege16. Gegen diese umfassende Übermacht der USA und ihrer Verbündeten konnte die Sowjetunion im Untersuchungszeitraum nur ihre regional überlegenen konventionellen Landstreitkräfte und ein erst im Aufbau befindliches kontinentales Nuklearpotential in Europa ins Feld führen. Damit benutzte sie durch indirekten Druck besonders Nord- und Westeuropa als Faustpfand gegen das wirtschaftliche und militärische Engagement der Vereinigten Staaten im Atlantik und Pazifik, in Westeuropa und im Mittelmeerraum17. Zugleich dienten die in Mitteleuropa konzentriert stationierten Streitkräfte der Sowjet-
union als Pressions- und Interventionsinstrument, um die ihr westlich vorgelagerten verbündeten Staaten demonstrativ sicher im eigenen Machtbereich unter Kontrolle zu halten. Diese doppelte Stoßrichtung verminderte in einem allerdings schwer abzuschätzenden Maße den potentiell offensiven Charakter, der den sowjetischen Streitkräften und ihrer Dislozierung unter überwiegend europazentrischer Lagebeurteilung damals im Westen oft zugemessen wurde18. Inwieweit damit verbundene Bedrohungsvorstellungen Adenauers Zielsetzungen beeinflußt haben, wird gesondert betrachtet19. Ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis, das in einschlägigen historischen Erfahrungen wie dem Zweiten Weltkrieg seine Wurzeln hatte, veranlaßte die sowjetische Führung neben der vorrangigen Herrschaftssicherung zusätzlich, der Rüstung »im Zweifel lieber zuviel für die bündnis- und militärpolitisch instrumentierte Sicherheit« den Vorrang zu Als traditionelle Landmacht bevorzugte die Sowjetunion auch noch nach Stageben20. lins Tod dabei die Aufstellung, Ausrüstung und Unterhaltung von präsenten, kampfbe—
—
16
sionistischer Wirtschaftspolitik, sowie zu den Möglichkeiten und Grenzen einer auf Freihandel ausgerichteten Weltwirtschaft, Embargobestimmungen auf Dauer durchzuhalten, vgl. Adler-Karlson, Western Economic Warfare. Dazu gehörten neben den NATO-Staaten sowie den britischen und französischen Überseebesitzun-
gen u. a. Spanien, Marokko, Libyen, Saudi-Arabien, Persien, Pakistan, Formosa, Südkorea, Japan, Philippinen, Australien und Neuseeland. 17 Zur »Faustpfandtheorie« bezüglich Europa vgl. Wolfe, Soviet Power, S. 32—35; bei Wolfe finden sich auch Angaben über die Stärke der sowjetischen Streitkräfte und zahlreiche Verweise zu detaillierter Spezialliteratur. Zu amerikanischen Fehleinschätzungen der sowjetischen militärischen Bedrohung vgl. Evangelista, Stalin's Postwar Army; seine Analyse trifft tendenziell auch für die Mitte der fünfziger Jahre zu. 18 Vgl. dazu etwa die Wochenberichte der Organisation Gehlen, z. B. in: Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), BW9/2114, Lage Ost, 8.6.54-31.10.55, oder die Berichte des im Auftrag des Bundeskanzleramtes, Dienststelle Blank tätigen Nachrichtendienstes von Oberstleutnant a.D. Friedrich Wilhelm Heinz, in: BA-MA, BW 9/2134 (Sowjetische Besatzungszone (SBZ), Berichte Wiesbaden 1950-1955). 19 20
Siehe unten II. 2.c. »Moskau hat seit jeher eine historische Vorliebe dafür, sich auf seine Militärmacht zu verlassen und sich dabei auf zahlenmäßig große Armeen zu stützen. Die russische Reaktion auf Herausforderung oder Ungewißheit war stets eine Überversicherung durch Schaffung einer »Uber-Sicherheit« mit weitem Spielraum, so daß Rückschläge, Niederlagen oder Fehler aufgrund der vorhandenen Reserven an Soldaten und Waffen kompensiert und korrigiert werden konnten«; Ruehl, Die militärische Macht, S. 297.
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
25
reiten und möglichst weit vorgeschobenen Heeresdivisionen21. So sehr auch vom Potential her den sowjetischen Streitkräften aus regional-europäischer Sicht ein offensives Moment anhaftete, so ambivalent stellen sich zumindest in der Rückschau diese militärischen Anstrengungen dar; insgesamt dienten sie als Instrument einer defensiven Status-quo-Politik zur Bewahrung des sowjetischen Besitzstandes und eines rücksichtslosen Herrschaftsanspruchs in Ost- und Mitteleuropa. Dies wurde auch im Westen intern schon damals oft so eingeschätzt. Allerdings muß man genau unterscheiden: Wo es im nationalen Bereich um Bereitstellung für notwendig erachteter Finanzmittelzuweisung oder in internationalen bzw. bündnisinternen EntScheidungsprozessen um innere Festigkeit des Bündnisses und um höhere Verteidigungsanstrengungen der Mitgliedstaaten ging, betonten westliche Regierungen vor allem, daß die Situation bedrohlich war. Im Meinungsaustausch innerhalb der Regierungen, also abseits von Öffentlichkeit, mittelbewilligenden Abgeordneten und nach Rüstungsentlastung Ausschau haltenden Bündnispartnern, wurde erheblich differenzierter und realistisch abgewogener argumentiert. So berichtete der amerikanische Botschafter in Moskau, Charles Bohlen: »Fear of general
even
war
before the death of Stalin there was evidence that the Soviet Government
becoming genuinely concerned at the prospect that the intensity of the cold war resulting from their attitude and actions in postwar world was leading to a situation where events could take over with the consequent automatic progression towards general war which I believe at all times the Soviet —
was
Union has been
most
anxious
to
avoid22.«
Entsprechend unterschiedlich formulierte auch der NATO-Oberbefehlshaber, General Alfred Gruenther, seine Lagebeurteilung. Vor dem American Club in Paris, wo die Ratifizierung des EVG-Vertrages anstand, äußerte er, daß ihm die Verteidigungskräfte gegen einen entschieden vorgetragenen sowjetischen Angriff fehlten; ein deutscher Beitrag zur Verteidigung sei daher notwendig23. Im vertrauteren Kreis der bei Supreme Headquarters Allied Powers, Europe (SHAPE), akkreditierten Korrespondenten wird seine Einschätzung bereits genauer: can now use atomic weapons against an aggressor, delivered not only by long-range aircraft, but also by the use of shorter range planes, and of course by atomic artillery. In due time, guided missiles will be added to our delivery means. The air-ground team constitutes a very effective shield, and it would fight very well in case of attack. We think that it is of such strength that the Soviets do not now have in occupied Europe [...] sufficient air and ground forces to be certain of overwhelming the shield. Of course, the Soviets can move additional forces to overcome that deficiency. But if they do that, we should be able to get some warning of an impending attack. As a result of that warning, we
»We
21
Der Ausbau von entsprechenden, auch nuklear gerüsteten Luft- und Raketenstreitkräften wurde dem-
gegenüber später vorangetrieben; der umfangreiche Aufrüstungsschub auf dem Marinesektor begann größtenteils erst in den sechziger Jahren. 22 National Archives, Washington, D. C (NA), Diplomatie Branch (DB), Record Group (RG) 59 General Records of the Department of State, Records of the Policy Planning Staff, 1947—1953, Country and Area Files, Box 23, USSR, Telegram No 36 from Moscow (Bohlen) to Secretary of State, Juli 7, 1953; vgl. auch die entsprechenden Einschätzungen im State Department und Pentagon, in: Foreign Relations of the United States (FRUS) 1952-1954, Vol. VIII, S. 934-1263; das o.a. Telegramm ist abgedruckt ebd., S. 1193-1196. «Vgl. The Times, 8.1.1954. —
Teil A: Der
26
Gegner
ought to be able to increase our defensive strength considerably. In particular, we should be able to alert our air force. Although we probably do not have adequate strength now to meet successfully a determined Soviet invasion, we certainly do have a force which can make the attack extremely costly for
aggressor24.« wenige Tage später schrieb der NATO-Generalsekretär Lord Lionel Ismay an Win-
an
Nur ston
Churchill
—
personal
and confidential: also wirklich »intern«:
»I have had a long talk with Gruenther about Soviet strength. The upshot was that he was quite sure that, even without a German contribution, we already have sufficient force to hold any attack by the Soviet with the troops that they have at present in the front line. In other words, there would have to be a build-up before they launched an all-out attack: and this would give us good warning25.«
Eine derartige Lagebeurteilung in bezug auf den zukünftigen deutschen Beitrag konnte Gruenther verständlicherweise Tage zuvor in Paris schon aus politischen Gründen nicht äußern; im engsten Kreis brauchten die sonst üblichen Rücksichten jedoch nicht durchzuschlagen. Gruenthers optimistischer Kräftevergleich dürfte der Lagebeurteilung im Kreml vermutlich nahekommen. Denn die militärische Führung kennt die Schwächen der eigenen Streitkräfte meist hinreichend genau, während mögliche Defizite des Gegners im Zweifel weniger in die Waagschale geworfen werden. Diese Annahme mag auch für die folgenden Erläuterungen Ismays auf Churchills briefliche Fragen vom 8. Februar 1954 gelten: Die Sowjets hätten keine wesentlichen Truppenverschiebungen an ihrer Westfront vorgenommen, und bei SHAPE sei in den letzten zwei Jahren die Lageeinschätzung nicht nennenswert verändert worden; nach wie vor stünden den 30 sowjetischen M-day Divisionen in Mitteleuropa 18 westliche Divisionen gegenüber, so daß die geplanten deutschen EVG-Divisionen eine erhebliche Verbesserung bedeuteten; bei den Churchill irrtümlich genannten 80 Divisionen handele es sich möglicherweise um Satelliten- oder sowjetische Reservedivisionen; wenn Gruenther sage, der Schild sei hinreichend stark, so meinte er, daß er in den ersten zwei bis drei Wochen nicht überrannt werden würde; aus seiner [Ismays] Sicht müßten die Sowjets erkennen, daß 18 gute und ständig verbesserte Divisionen sowie dazu die Atomwaffen nicht so ohne weiteres aus dem Wege geräumt werden könnten26. Ismays Darstellung bezog sich im Schwerpunkt auf die Heeresverbände; das entsprach vor allem den in der Öffentlichkeit weit verbreiteten zeitgenössischen Bedrohungsszenarien27. Legt man den Schwerpunkt stärker auf die Bedrohung aus der Luft mit Atombomben, die Wirtschaftszentren der Sowjetunion zerstören konnten, sah die Lage aus 24
PRO, PREM 11/771, Transcript of General Gruenther's Remarks at SHAPE Correspondents' Lunch-
11 Jan 54. Ebd., North Atlantic Treaty Organization, Secretary General (Pug) [i.e. Lord Ismay, d.Verf.], Palais de Chaillot, 29th January, 1954 an Churchill. 26 Ebd., Brief Ismay an Churchill (Private and Secret), 12th February, 1954. eon
25
27
Das bemerkte General Gruenther zu Recht auf dem Korrespondenten-Luncheon vom 11.1.1954: »That's because you gentlemen are largely ground-force minded (Laughter). You fellows are too much under the influence of ground-forces. There's a tendency for you to always talk about divisions. But there's another extremely important element of force in the world today, and that is airpower.« (Wie Anm. 24).
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
27
sowjetischer Sicht sicher weit ungünstiger aus. Nach General Gruenthers Einschätzung waren westliche Luftangriffe der sowjetischen Luftverteidigung weit überlegen; gegen die hoch und schnell fliegenden B-47 Bomber besaßen die Sowjets kaum Wirkungsmöglichkeiten, so daß die Bomber von europäischen Basen mit hoher Zielgenauigkeit Industriezentren und andere ausgewählte Ziele auslöschen konnten; das wiederum mußte im Kreml nüchtern ins Kalkül gezogen werden und wirkte nach Gruenther ganz außerordentlich abschreckend28. Es ist anzunehmen, daß die Sowjetunion diese Bedrohung, die ja nicht nur aus Europa, sondern aus allen Richtungen von den den USA verfügbaren Abflugbasen her drohte, als sehr hoch eingeschätzt hat. Hinzu kam, daß die Sowjetunion 1954 einen massiven Einsatz amerikanischer Bomberkommandos auch nicht durch Abschreckung nennenswert verhindern konnte. Denn das Rüstungsprogramm für Langstreckenbomber lieferte wegen der konkurrierenden Produktion für die unverzichtbaren Luftverteidigungsverbände die ersten Badger- und Bison-Bomber nicht vor 1954/55, so daß zunächst noch auf den alten TU-4-Bomber hätte zurückgegriffen werden müssen29. Selbst eine abgemagerte und luftbetankte TU-4 hätte nur die nordöstlichen Industriebezirke und dortigen militärischen Ziele der USA erreichen können, wobei selbst von den Bombern, die die amerikanische Luftverteidigung hätten durchbrechen können, die meisten mit Flugzeug und Mannschaft verloren gewesen wären. Daher kam die Central Intelligence Agency (CIA) zu dem Ergebnis: »Until it has a heavy bomber available for operational use, the USSR will not have the reach most of the strategically important areas in the US on two-way mission .«
capability to
Weiter mußte in Moskau bedacht werden, daß nur ein Teil der wenigen verfügbaren Atombomben auf den unsicheren Weg nach Amerika geschickt werden konnten, da weitere, teilweise wichtigere Ziele rund um die Sowjetunion und insbesondere in Europa ebenfalls in der Zielplanung berücksichtigt werden sollten. Wie auch immer diese Alternativen der Zielplanungen zusammengestellt worden sind: die vermutlich geringe Nuklearkapazität der Sowjetunion mußte jede Kombination als völlig unzureichend erscheinen lassen. Für 1954 nahm die CIA einen sowjetischen Vorrat von ca. 200 Bomben als Pla28
Ebd.
Vgl. PRO, Cabinet Office (CAB) 131/16, D.C (55) 19, 8th July, 1955, Cabinet, Defence CommitSupply of Military Aircraft, Appendix III (Air Ministry, 3rd July, 1955). 30 NA, DB, RG 59, Policy Planning Staff, 1947-1953, Country and Area Files, Box 23, USSR, Central Intelligence Agency, National Intelligence Estimate (NIE-65), Soviet Bloc Capabilities Through 1957, Approved 9 June 1953. The following member organizations of the Intelligence Advisory Committee participated with the Central Intelligence Agency in the preparation of this estimate: The intelli-
29
tee,
organizations of the Department of State, the Army, the Navy, the Air Force, and the Joint Zitat S. 2. Der NIE-65 ist nahezu vollständig abgedruckt in FRUS 1952—1954, Vol. VIII, S. 1188—1192. Zur amerikanischen Lagebeurteilung, daß ein überraschender Luftwaffenangriff der Sowjetunion bis 1957 unwahrscheinlich sei und allenfalls der Verzweiflung entspringen könnte, vgl. NA, Modern Military Branch (MMB), RG 218, JCS, Geographie File (GF) 1951—1953, 350.09 USSR (12—19—49) Sec. 5, Decision on J. C.S. 1924/76, Magnitude and imminence of Soviet air threat to the United States 1957, vom 30.10.1953. gence
Staff;
—
Teil A: Der
28
Gegner
Bei einer vorsichtig geschätzten Verlustrate von 50 Prozent auf dem Weg zum Ziel verblieb ein Abschreckungspotential, das allenfalls gegenüber den europäischen und anderen Anrainerstaaten der Sowjetunion, nicht aber gegenüber dem Hauptgegner USA als wirkungsvoll genug erachtet werden konnte. Faßt man die einzelnen militärischen Teilbereiche zusammen, ohne auf die weltweit unterlegene, aber zur Küstenverteidigung geeignete sowjetische Marine näher einzugehen, so kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß der Kreml in einer rationalen Lagebeurteilung die wirkungsvolle westliche Abschreckung realistisch ins Kalkül gezogen hat. Dabei war das amerikanische Strategie Air Command (SAC) das Rückgrat von Abschreckung und Verteidigung zugleich. Es spricht alles dafür, daß die risikoscheue sowjetische Führung von jenen, die über genügend Informationen verfügten, im großen und ganzen intern zutreffend eingeschätzt wurde. So faßte General Gruenther seine Position folgendermaßen zusammen:
nungsgröße an31.
»I do
not believe that at present time the Soviet would launch an attack on us with the forces they have outside Russia. But my views might change when (i) The sattelite divisions have trained into first-class troops: and (ii) The Soviet are in a position to deliver >much heavier stuff< by air32.« —
Die britischen Chiefs of Staff urteilten Ende 1954 noch dezidierter: es sei überaus unwahrscheinlich, daß Rußland vorsätzlich einen Krieg vom Zaune brechen werde beson—
31
Der National Intelligence Estimate NIE-65 (wie Anm. 30, hier S. ßen für Rußland an: Date Possible Range Estimate
Mid-1953 Mid-1954 Mid-1955 Mid-1956 Mid-1957
Zwei Year
120 200 300 400 500
12) nahm folgende Planungsgrö-
80-240 135—400 200-600 265-800
335-1,000
Jahre später wurden diese Planungszahlen leicht nach oben gerechnet:
Mid-1955 Mid-1956 Mid-1957 Mid-1958 Mid-1959
Bombs
300 450-500 600-650 750—800
900-950; NA, MMB, RG 218, Records of the Joint Chiefs of Staff, GF 1954-56, 092 Western Europe (3-12-48) (2), Sec. 8, J. I.C. 558/332, 7 March 1955, Note by the Secretaries to the Joint Intelligence Commit-
tee on Atomic Warfare Capabilities of the USSR to Mid-1959, for Planning Purposes (Reference: J.I.C. 558/312), Aufstellung im Appendix: Statement on Probable Atomic Warfare Capabilities of 32
the USSR to Mid-1959 (Page revised by Corrigendum and Decision on 7 March 1955). PRO, PREM 11/771, Brief (Private) Ismays an Churchill, Paris, 20th March, 1954; Ismay ergänzte zu Gruenthers Stellungnahme: »As regards the first condition, it seems questionable whether the Soviet would regard satellite forces, however efficient, as safe enough to be employed on anything but garrison or line of communications duties at any rate at the beginning of the war. The main point is, however, that Gruenther, Alex [i.e. Lord Harold Alexander of Tunis, Field Marshal und britischer Verteidigungsminister bis 18.10.1954; d.Verf.] and Monty [i.e. Bernhard Montgomery of Alamein, Field Marshal und stellvertretender Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte 1951—1958; d.Verf.] all think exactly alike on the present position«, ebd. —
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
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ders in den nächsten drei bis vier Jahren, in denen es den westlichen Nuklearangriffen ausgesetzt sei, ohne selber die USA wirksam treffen zu können; selbst wenn es dazu in der Lage sein werde, bleibe die Abschreckung angesichts der zu erwartenden gegenseitigen Vernichtung wahrscheinlich erhalten33. Ähnlich äußerte sich auch Präsident Dwight D. Eisenhower gegenüber dem kanadischen Kabinett: trotz aller unversöhnlichen und bedrohlichen Töne, die eher der Schwäche des Kreml zuzuordnen seien, sei Rußland derzeit nicht zu einem Angriff bereit; angesichts der Stärke des freien Westens glaube er nicht, daß die Sowjets einen Krieg provozieren würden, aber sie würden den Westen etwa in Korea, Indochina, Iran und Mittelost zu schwächen versuchen34. Europa, wo die Kanadier eine gut ausgerüstete und trainierte Heeresbrigade einschließlich starker Luftwaffenunterstützung stationiert hatten, nannte Eisenhower in diesem Zusammenhang nicht. Die Frage, ob die sowjetische Führung 1954 in unstillbarem Machthunger mit einer aggressiven Expansionspolitik durch Unterjochung ganz Europas zur Weltherrschaft drängte, oder ob sie ihren im Zuge des Zweiten Weltkriegs erweiterten Herrschaftsbereich stabilisieren und auf dieser Basis mit dem Westen »koexistieren« wollte, scheint angesichts unzureichender militärischer Mittel plausibel zugunsten der letzteren Deutung beantwortbar zu sein. Die dafür maßgeblichen Faktoren Furcht und Defensive in der sowjetischen Führung hatte Churchill schon früh erkannt und dargelegt; sein damaliges Urteil erscheint im Rückblick ebenso wie seinerzeit zutreffend: »Mr. Churchill said that there was, perhaps, some significance in the Soviet emphasis on the development of fighter rather than of bombers. It was a defensive emphasis which revealed anxiety and suggested that fear was an important factor in Soviet actions .«
Darin stimmten Churchill und Eisenhower offensichtlich überein. Konsequenterweise lag schon wegen der militärischen Lagebeurteilung die vertretbare Annahme einer Entspannungs- und Koexistenzpolitik zumindest für die nächsten Jahre für die sowjetische Führung nahe. Voraussetzung blieb jedoch, daß der Westen die sowjetischen Interessen entsprechend ihrem Großmachtstatus leidlich berücksichtigte. Ob ein derartiger Modus vivendi erreichbar war, mußte erkundet werden und hing nicht allein vom Wohlverhalten der Sowjetunion ab. Denn bisher hatten sich die Amerikaner mehr, die Briten und Franzosen etwas weniger dagegen gewehrt,
Sowjetunion Einflußsphären und gleichberechtigte Mitsprache in der Weltpolitik zuzubilligen. gilt, erscheint im Fall der Sowjetunion oft als Ausweis Politik36.« aggressiv-expansionistischer »der
Was bei westlichen Mächten als Normalfall
33
PRO, CAB 131/14, D. (54) 43, 22nd December, 1954, United Kingdom Defence Policy, Memorandum by the Chiefs of Staff, approved Cab., 92nd Conclusion, 22.12.1954. Wegen der überragen-
den Bedeutung der nuklearen Abschreckung kamen die Chiefs of Staff und die britische Regierung zu der Entscheidung, modernste Nuklearwaffen einschließlich der Wasserstoffbombe sowie die dazugehörigen Einsatzmittel mit erstrangiger Priorität zu entwickeln und bereitzustellen; vgl. ebd. Public Archives Canada (PAC), RG 2, Series 16, Box 18, Vol. 36, Cabinet Conclusions, November 14th, 1953, Relations with the Soviet Union. Ebd., Box 14, Vol. 18, Cabinet Conclusions, January 14th, 1952, Policy toward the Soviet Union. Diese kritische Feststellung Gottfried Niedharts in einer Buchbesprechung in der ZEIT Nr. 16 vom 13. April 1984 wird durch die Aktenlage bestätigt. —
34
35 36
30
Teil A: Der
Gegner
Zur Entspannungspolitik der fünfziger fahre Der vorrangige Ausbau des militärischen Potentials ist aus dem sowjetischen Sicherheitsbedürfnis heraus erklärlich. Er erwies sich aber als hinderlich bei Versuchen, das eigene sozio-ökonomische System durch Außenbeziehungen zu stärken. Daher versuchte die sowjetische Führung in mehreren Phasen unterschiedlich nachhaltig, in vielen Richtungen die Möglichkeiten für friedliche Zusammenarbeit auszuloten. Sollte eine solche Außenpolitik auf Dauer wirkungsvoll glaubwürdig werden, mußten über verbale Beteuerungen der Propaganda hinaus materielle Zugeständnisse eingebracht werden. Auf derartige greifbare Positionsveränderungen hin soll im folgenden die damalige sowjetische Entspannungspolitik untersucht werden, um so den Spielraum zu umreißen, der Adenauer damals gegenüber der östlichen Siegermacht möglicherweise gegeben war. Die letztlich ausschlaggebenden Grenzen jeder westdeutschen Ostpolitik, die er u.a. wegen der Vorbehaltsrechte der drei westlichen Siegermächte beachten mußte, werden aus systematischen Gründen im Zusammenhang der von diesen Ländern her gegebenen Rahmenbec.
dingungen erörtert. vorsichtige Entspannungsbemühungen sind schon unter Stalin festzustellen37. Nachdem aufgrund der gegebenen Machtverhältnisse in der globalen Konfrontation weitere Expansionsversuche der Sowjetunion nicht nur keinen Erfolg mehr versprachen, sondern eher noch die westlichen Staaten zu größerem Zusammenhalt und vermehrten Rüstungsanstrengungen unter antikommunistischen Vorzeichen angehalten hatten, suchte Stalin zum Ende seiner Regierungszeit sein Land durch eine behutsame Entspannungspolitik aus der wirtschaftlichen und außenpolitischen Isolierung herauzuführen. Ideologisch wurde diese Wendung spätestens Ende 1951 durch das Postulat der Vermeidbarkeit eines Weltkriegs und der Möglichkeit langfristiger »friedlicher Koexistenz« unterschiedlicher Gesellschaftssysteme vorbereitet38. Außenpolitisch bewegten sich diese Koexistenzvorstellungen im vage umrissenen Konzept »eines neutralen Staatengürtels von Skandinavien bis zum Mittleren Osten [...], dessen Kernstück ein wiedervereinigtes neuErste
trales Deutschland bilden sollte«39. Die in den folgenden Jahren bis zur Genfer Außenministerkonferenz von 1955 und danach von der Sowjetunion vorgelegten zahlreichen Vorschläge zur weltweiten Entspannungsund besonders zum kollektiver Sicherheit in Europa« zielten mit hoher »System politik auf Priorität ein bündnisfreies, kontrolliert bewaffnetes Gesamtdeutschland. Die Vor37
38
39
Vgl.
den Beitrag von Geyer, Kriegskoalition; er entwickelt in diesem und einem weiteren Beitrag die Unterschiede der russischen sowie der sowjetischen Außenpolitik vor und nach der Oktoberrevolution; die These von einer durchgehenden Gleichförmigkeit aggressiv-expansiver Politik seit Peter dem Großen, wie sie in den fünfziger Jahren gern behauptet wurde, wird danach nicht mehr so undifferenziert zu halten sein. Für die Zeit nach 1945 bis 1955 stellt Geyer angesichts des »reaktiven Verlaufsmusters des Ost-Westkonflikts« (S. 376) einen deutlich defensiven Charakter sowjetischer Außenpolitik fest. Vgl. Shulman, Stalin's Foreign Policy, S. 184; er setzt den Beginn dieser Politik mit 1949 nach der Berliner Blockade an und sieht sie ebenfalls als Reaktion auf die amerikanische Politik. Meissner, Die Sowjetunion, S. 518. Zur Bedeutung der Begriffe »Friedliche Koexistenz« und »Entspannung« in der sowjetischen Völkerrechtslehre und Außenpolitik vgl. Meissner, Entspannungs-
konzept.
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
31
schlage zeigten zugleich, wie sehr die geplante westdeutsche Aufrüstung im Rahmen eines integrierten Westeuropa die Sowjetunion in ihrem geographisch und politisch zentralen Interessengebiet beunruhigte. Um die Isolierung, in die die Sowjetunion durch die überwiegend dogmatische und wenig bewegliche Politik Stalins geraten war, zu durchbrechen und geschäftsmäßigen, wenn nicht gut nachbarlichen Beziehungen Platz zu machen, wurde der sowjetisch-chinesische Widerstand in der koreanischen Kriegsgefangenenfrage aufgegeben; so konnte das Waffenstillstandsabkommen für Korea, um das man sich über zwei Jahre lang vergeblich bemüht hatte, am 27. Juli 1953 in Panmunjon abgeschlossen werden. Die Waffenstillstandsverhandlungen für Indochina, wo Frankreichs Armee trotz amerikanischer Unterstützung in aussichtsloser Lage kämpfte, wurden durch entscheidende Einflußnahme Außenminister Vjaceslav Molotovs am 21. Juli 1954 zum Vertragsabschluß gebracht. Die günstige militärische Position in Asien nutzte die sowjetische Führung wahrscheinlich aus zwei Gründen regional nicht voll aus: weil ein verstärktes amerikanisches Engagement auf dem asiatischen Kriegsschauplatz drohte40 und weil dafür in Europa über Frankreichs Veto gegen die geplante europäische Verteidigungsgemeinschaft ein der Sowjetunion wichtiger erscheinender Vorteil erhofft wurde41. Um den Entspannungswillen in der sowjetischen Deutschland- und Europapolitik genauer einschätzen zu können, empfiehlt es sich, diese über Europa hinaus in den Gesamtrahmen sowjetischer Außenpolitik einzuordnen. Aus den Angeboten, mit denen die sowjetischen Führer gegenüber anderen Ländern um eine bessere Zusammenarbeit warben, könnte bei allen Bedenken gegen einen zu eng gefaßten Analogieschluß hervorgehen, welche Forderungen sie für unabdingbar hielten und welche Zugeständnisse sie einzubringen bereit waren. Ob ihre neue außenpolitische Linie ernsthaft und wie ernsthaft sie war, könnte sich ansatzweise in den eingegangenen Risiken erweisen. Damit wird das Interesse von den eher marginalen bilateralen westdeutschen Möglichkeiten auf die für Adenauer weit wichtigere Frage gelenkt, wie attraktiv die internationalen Rahmenbedingungen gestaltet wurden, innerhalb derer die drei westlichen Siegermächte zu einer Verständigung über Deutschland aufgefordert wurden. Der Besuch einer sowjetischen Delegation unter Chruscevs und Nikolai Bulganins Führung in Peking im Herbst 1954 brachte China dringend benötigte Wirtschaftshilfe sowie die Bereitschaft der Sowjetunion, Port Arthur mitsamt den Anlagen dieses Marinestützpunktes entschädigungslos den Chinesen zu überlassen42. Im besonders schwierigen Verhältnis zu Japan kündigte Molotov in einem Interview im September 1954 Bemühungen —
40
41 42
—
Zum damals in Washington militärisch erwogenen Einsatz von Atomwaffen in Indochina und gegen China, was zu erheblichen Ausweitungen des regionalen Kriegs hätte führen können, vgl. Stebbius, United States, S. 219—222, und Werth, Nachbar, S. 438; vorsichtige Andeutungen Adenauers und Heinrich Brünings hierzu bei Krone, Aufzeichnungen, S. 134 und 136; ob sich hier ein interessanter Aspekt zu Adenauers Vertrauen auf die amerikanische »Politik der Stärke« ergibt, scheint fraglich; jedenfalls lehnten Eisenhower und John Foster Dulles Nukleareinsätze in allen derartigen Situationen aus mehr politischen als militärischen Gründen ab; vgl. Gaddis, Long Peace, S. 104—146. Vgl. Linde, Konfrontation, S. 609. Vgl. Brahm, Sowjetunion, S. 593—603.
32
Teil A: Der
Gegner
»Wiederherstellung normaler Beziehungen zwischen den beiden Ländern«43 an. Vor allem wegen der unüberbrückbar strittigen Besitzansprüche auf die Territorien von zwei Südkurileninseln und die Habomai-Inseln, welche die Sowjetunion als ihr in Kairo 1943 sowie in Jaita und in Potsdam 1945 zugesprochen betrachtete, konnten die Verhandlungen erst 1956 zu einem einigermaßen erträglichen Modus vivendi geführt werden44. Diese auf statusbedachte, völkerrechtliche und militärstrategische Überlegungen zurückgehende Hartnäckigkeit stand im Widerspruch zu Verfahrensweisen gegenüber den meisten anderen Ländern und konnte damit als ein Beispiel für die Ambivalenz sowjetischer Entspannungspolitik angeführt werden. Es gab der damals gängigen, aber in dieser Ausschließlichkeit nicht zu belegenden Behauptung Nahrung, die Sowjetunion gebe einmal unter ihre Herrschaft gebrachte Territorien kampflos nicht mehr her. Auch zeigte sich darin der hohe Stellenwert militärischer Beweggründe und die extensive Auslegung des Sicherheitsbedürfnisses in der sowjetischen Führung. Noch wichtiger scheint jedoch die prinzipielle Unantastbarkeit der amerikanisch-britisch-sowjetischen Vereinbarungen im Zweiten Weltkrieg gewesen zu sein, soweit es um ein Mißachten zuungunsten der sowjetischen Seite ging. Parallelen zur Verweigerung der Freigabe deutschen Gebietes drängten sich auf. In beiden Fällen handelt es sich um ehemals militärisch, wirtschaftlich, technologisch und der Bevölkerungszahl nach starke Staaten, die Rußland wiederholt mit Krieg überzogen hatten. Solche historischen, psychologisch wirksamen Begründungen konnten die Entscheidung im Falle Japans zwar weitgehend rationalisieren; die Gleichförmigkeit und Überzeugungskraft der Entspannungspolitik störten sie dennoch erheblich. Gegenüber dem Iran verzichtete die Sowjetunion im Abkommen vom 2. Dezember 1954 auf Gebietsansprüche in Aserbeidschan und erfüllte die persischen Ansprüche auf Goldund Dollarguthaben aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs45. Das hielt den Iran jedoch nicht davon ab, für amerikanische und britische Kredite dem Bagdad-Pakt beizutreten. Einer der frühen Versuche, nach Stalins Tod die starre Konfrontation zwischen Ost und West abzubauen, galt der Türkei. Hier bestanden strittige Ansprüche der armenischen und grusinischen Sowjetrepubliken auf türkisches Gebiet, die jetzt ohne Kompensation von Moskau fallengelassen wurden. In der Note vom 30. Mai 1953 erklärte Molotov, die Sowjetunion habe »keinerlei territoriale Forderungen an die Türkei zu stellen«46. Molotovs Hoffnung, dafür türkisches Entgegenkommen in den (seit dem MeerengenAbkommen von Montreux aus dem Jahre 1936) türkischem Hoheitsrecht unterstehenden Dardanellen einzuhandeln, erfüllte sich allerdings nicht. Zu den schwierigsten Feldern, auf denen Stalins dogmatische Haltung eine Annäherung verhindert hatte, gehörte Jugoslawien. Freilich setzten auch Josip Broz Titos Kooperation mit dem Westen und seine Versuche, eine eigenständige Balkanpolitik mit dem Ziel einer neutralen südosteuropäischen Föderation zu betreiben, von vornherein nicht zu starke Bindungen an die beiden antagonistischen Lager in Ost und West voraus. Konnzur
43
Archiv der
Gegenwart (AdG), XXIV. Jg., Vgl. Kindermann, Japan, S. 592-597. 43 Vgl. Daliin, Außenpolitik, S. 255-262.
44
46
Ebd.,
S. 242.
14.9.1954, S. 4734f.
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
33
derartige regionale Bestrebungen schon eine unkalkulierbare Eigendynamik entfalso hielt Stalin die ideologische Häresie, wie sie etwa in der vom sowjetischen Modell abweichenden wirtschaftlichen und staatlichen Organisation Jugoslawiens praktiziert wurde, für mindestens ebenso gefährlich47. Denn nationalkommunistische Autonomiebestrebungen, die statt sich dem politisch-ideologischen Führungsanspruch Moskaus unterzuordnen auf einem eigenen, gleichberechtigten Weg zum Sozialismus beharrten, konnten die Gefolgschaft in sowjetischen Herrschaftsbereich generell in Frage stellen. Trotz aller schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten entschloß sich die sowjetische Führung nach langer interner Diskussion dennoch, den Ausgleich selbst zu einem hohen Preis zu suchen48. Zu Beginn des Besuchs in Belgrad Ende Mai 1955 übernahm Chruscev für die Sowjetunion die Alleinschuld am Zerwürfnis mit Jugoslawien und rehabilitierte Tito mit seinen Anhängern. In bezug auf die künftige Gestaltung der Beziehungen wurde mit einer gemeinsamen Regierungserklärung in der von Tito geforderten Klarheit zugesichert: die »Beachtung des Grundsatzes der gegenseitigen Achtung und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, gleichgültig ob aus wirtschaftlichen, politischen oder ideologischen Gründen, da Fragen innerer Ordnung, unterschiedlicher Gesellschaftssysteme und unterschiedlicher Entwicklungsformen des Sozialismus Angelegenheiten ausschließlich der Völker in den einzelnen Ländern« seien49. Damit wurde der machtpolitisch brisante ideologische Konflikt mit Tito zunächst einmal ausgeklammert. Das nahezu vollständige Eingehen auf dessen Forderungen räumte
ten
ten,
—
—
den
Weg frei für eine bessere zwischenstaatliche Zusammenarbeit; das Risiko nachfol-
gender partieller Unabhängigkeitsforderungen auch in den anderen Volksdemokratien schätzte die sowjetische Führung wohl als mit den ihr verfügbaren Machtmitteln noch kontrollierbar ein. Für diese mit nicht zu unterschätzenden Unwägbarkeiten verbundene Aussöhnung lockerte Jugoslawien als Gegenleistung die sich entwickelnden engeren Bindungen an den Westen, die Tito etwa mit dem Balkanpakt vom 28. Februar 1953 noch einzugehen bereit schien50. Darüber hinaus erhielt die Sowjetunion wertvolle Unterstüt47
Zu Jugoslawiens eigenem Weg zum Sozialismus vgl. Furtak, Jugoslawien, sowie zu Stalins Aktionen gegen Titos »Insubordination« Heuser, Western »Containments S. 210f.; zu Jugoslawiens Kurs politischer Unabhängigkeit auch von der NATO vgl. PAC, RG 25, Acc. 90—91/008, Vol. 45, 50030-P-40, Pt. 2, Under-Secretary of State for External Affairs, 16.9.1954, Pt. 4; zur Opposition mehrerer NATO-Staaten gegen den türkischen Vorschlag, Jugoslawien enger an die NATO zu binden, vgl. ebd., Tel. 650, from SecState, Ottawa, to the Canadian Permanent Representative to the North Atlantic Council, Paris, bzgl. Balkan Military Alliance, 8.10.1954, Pt. 3 und 4; zu Titos Desinteresse an engeren NATO-Bindungen vgl. ebd., Tel. 486, from Canadian Ambassador, Ankara, to SecState, Ottawa, 16.12.1954, Pt. 3. Zur internen sowjetischen Diskussion und den sie begleitenden Machtkämpfen vgl. Leonhard, Kreml, S. 148-155. »Erklärung der Regierung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien und der Sowjetunion vom 2. Juni 1955«, in: Europa-Archiv (EA) 1955, S. 7970-7972; hier S. 7971. Zu Jugoslawiens Beitritt zum Balkanpakt vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VIII, S. 590—673, bzw. zur amerikanischen Jugoslawienpolitik ebd., S. 1264—1435. Aus britischer militärischer Sicht vgl. etwa PRO, DEFE 5/53, COS (54) 177, 1.6.1954, Proposal that Turkey, Greece and Yugoslavia should convert the Balean Pact into an alliance, sowie PRO, DEFE 4/71 COS (54) 71st Meeting, 14.6.1954, Annex to J. P. (54) 53; zum Balkan-Pakt vom 28.2.1953 sowie zum Vertrag über Bündnis, politische Zusam-
48
49
50
—
Teil A: Der
34
Gegner
zung in außenpolitischen Fragen und einen wichtigen Vermittler bei Kooperationsbemühungen mit neutralen Staaten, bei denen Tito großes Ansehen besaß. Nicht zuletzt wurde in der sowjetischen Haltung gegenüber Jugoslawien ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der proklamierten Entspannungsbereitschaft gesehen. Die Versöhnung mit dem langjährig verfemten »Häretiker« sollte der Moskauer Führung einen Teil der Glaubwürdigkeit bringen, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Europapolitik gesehen wurde51. Zu Beginn des Jahres 1955 entschlossen sich die sowjetischen Führer trotz interner Meinungsverschiedenheiten hierüber zu einem Rückzug aus Österreich. Ihr Versuch, die österreichische mit der deutschen Frage zu verknüpfen, hatte sich zum wiederholten Mal auf der Berliner Außenministerkonferenz Anfang 1954 als wenig erfolgversprechend herausgestellt. Zur Jahreswende 1954/55 hatten die neuen Verträge zur Einbindung Westdeutschlands in das westliche Bündnissystem (NATO und Westeuropäische Union [WEU]) in Frankreich und den anderen beteiligten Staaten die nötige Zustimmung gefunden; es mußte nun auch noch damit gerechnet werden, daß die Westteile Österreichs dem NATOGebiet zugeschlagen werden würden. Schon aus diesem Grunde mochte ein politischer und militärischer Rückzug aus Österreich machtpolitisch vertretbar erscheinen, falls die österreichische Neutralität ein-, der »Anschluß« an Deutschland ausgeschlossen und die Verbindung zwischen den NATO-Gebieten Europa-Mitte und Südeuropa unterbrochen werden konnten. Dies sah der abgeschlossene Staatsvertrag dann auch vor52. Innerhalb der propagierten Koexistenzpolitik kam bezüglich der skandinavischen Staaten dem sowjetisch-finnischen Verhältnis eine Schlüsselrolle zu53. Zwar war trotz demonstrativen Wohlwollens an die Rückgabe der Gebiete wie Westkarelien mit Wiborg nicht zu denken. Aber immerhin erhielt Finnland die als sowjetischer Marinestützpunkt genutzte Halbinsel Porkkala-Udd wieder unter eigene Hoheit54. Entsprechend der geforderten und als beispielgebend herausgestellten Neutralitätspolitik Finnlands drängte die Sowjetunion es auch nicht zum Beitritt in den Warschauer Pakt, zumal mit einer finnischen Mitgliedschaft im östlichen Verteidigungspakt die sorgsam beobachtete Neutralimenarbeit und gegenseitige Hilfe zwischen Griechenland, Türkei und Jugoslawien vom 9.8.1954 vgl. BA-MA, BW 9/2873. Zur damaligen militärpolitischen Bedeutung Jugoslawiens innerhalb der westlichen Eindämmungspolitik vgl. Heuser, Western »Containments S. 155—183. Zum deutsch-jugoslawischen Kreditabkommen vgl. Kabinettsprotokolle 1954, 24. Sitzung, S. 112f., und 26. Sitzung, S. 121 f. 51 Zu detaillierten Maßnahmen der Sowjetunion für eine Normalisierung der Beziehungen zu Jugoslawien und deren Bedeutung für die sowjetische Außenpolitik vgl. Hoensch, Sowjetische Außenpoli-
tik,
52
53
S. 443-447.
Vgl. dazu »Die Ergebnisse der sowjetisch-österreichischen Besprechungen in Moskau vom 12. bis 14. April 1955«, in: EA 1955, S. 7975f., und den Text des Staatsvertrages in EA 1956, S. 8745-8772. Zu weiteren denkbaren Überlegungen im Kreml vgl. Hoensch, Österreich, S. 508 f., Rauchensteiner, Sonderfall, S. 321—335, sowie auf erweiterter Quellengrundlage aspektreich weiterführend Thoß,
Modellfall Österreich? Vgl. zu den sowjetisch-finnischen Beziehungen Guiton, Die auswärtige Politik Finnlands; zur außenund innenpolitischen Bewegungsfreiheit vgl. Wagner, Finnland und die UdSSR, sowie Fritsch, Beziehungen Finnlands. Zur damaligen amerikanischen Einschätzung finnischer Politik als bei aller Rücksichtnahme gegenüber der Sowjetunion nach Westen orientiert und sogar die Sicherheit des Westens fördernd FRUS 1952-1954, Vol. VIII, S. 755-779. Wortlaut des Übergabeprotokolls in AdG 1956, S. 5587. —
—
54
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
35
Frage gestellt worden wäre. Vielmehr bevorzugte der Kreml die finnische Mitgliedschaft im Nordischen Rat, um dort die Position der Neutralitätspolitik zu stärken. Die finnische Innenpolitik, an der die kommunistische Partei nur mit Minderheit beteiligt war, konnte sich weitgehend freie Gestaltungsmöglichkeiten sichern. Zusammenfassend betrachtet55 und auf ein zukünftiges Gesamtdeutschland übertragen scheinen die führenden Politiker im Kreml mit ihren außenpolitischen Einzelaktionen demnach folgende Zielvorstellungen als Grundlage für eine gedeihliche Zusammenarbeit für unverzichtbar gehalten zu haben: Die Einbindung Westdeutschlands in das von den Vereinigten Staaten organisierte Lager sollte gestoppt und nach Möglichkeit rückgängig gemacht werden; Deutschland sollte keine antisowjetische Außen- und Militärpolitik betreiben können; normale Wirtschaftsbeziehungen wurden angestrebt. Eine so verstandene Neutralität mußte nicht zwingend die Übernahme sowjet-ideologischer Überzeugungen, eine erklärte außenpolitische Gefolgschaft oder die Mitgliedschaft in militärischen oder wirtschaftlichen Bündnissen der Sowjetunion einschließen. Um aus der außenpolitischen Isolierung und Einkreisung herauszukommen und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden, schien es der sowjetischen Führung sogar tragbar, machtpolitische und ideologische Positionen aufzugeben, ohne immer unmittelbar einen Nutzen daraus zu ziehen. Solche Investitionen mit Blick auf die Zukunft können als ein Indiz dafür gewertet werden, daß die Entspannungspolitik für eine friedliche Koexistenz nach Stalins Tod ernsthaft und langfristig angelegt war, zumal sie längere Zeit beibehalten wurde, obwohl ihr zunächst kein überragender Erfolg beschieden da insbesondere die sich deutlicher als Großbritannien und FrankStaaten war, Vereinigten reich einer Koexistenzpolitik widersetzten. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die sowjetischen Zielvorstellungen auch eine Reihe von Optionen enthielten, die geeignet waren, die erklärte Entspannungspolitik ins Zwielicht zu rücken. Unentschiedenheit in wichtigen Fragen, gegenläufiges Beharren auf für unabdingbar gehaltenen Positionen wie etwa in Japan und verspätete, halbherzige Konzessionen wie in Deutschland konnten die Außenpolitik in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre wohlbegründet auch als gefährlich erscheinen lassen. Insbesondere der Wunsch, die Vereinigten Staaten aus Europa hinauszudrücken, bestärkte in höchstem Maße den Argwohn des Westens gegenüber einer als bedrohlich eingeschätzten UdSSR. Wohin die neue Beweglichkeit sowjetischer Außenpolitik führen würde, war damals für die Zeitgenossen jedenfalls nicht klar erkennbar und zunächst auch wohl innerhalb der sowjetischen Führungsmannschaft nicht ausdiskutiert. Immerhin konnte man Entwicklung und Verlauf sowjetischer Initiativen und Reaktionen sorgfältig studieren. Und man konnte sich der Gegebenheit bewußt bleiben, daß Außenpolitik kein Geschäft einseitiger Willenserklärungen, sondern mühseligen Verhandeins um allseits tragbare Kompromisse blieb. Beides geschah besonders sorgfältig in Großbritannien und Frankreich. Bei tat Schwedens in
55
Zur Entspannungspolitik unter dem Aspekt der die Zeit 1953—1955 kennzeichnenden internen Führungskämpfe im Kreml vgl. verschiedene Aufsätze von Meissner, Sowjetrußland, S. 62—164; Wassmund, Kontinuität, S. 98—105; Rauch, Geschichte der Sowjetunion, S. 497—508; zu den Auswirkungen der Führungskämpfe in der Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten vgl. Hoensch, Sowjetische Osteuropa-Politik, bes. Kapitel 4. Neuorientierung, 1953—1955, S. 88—106.
36
Teil A: Der
Gegner
aller Vorsicht und vielfältiger Rückversicherung erkannte Churchill mehr noch als die britische Regierung Verständigungsmöglichkeiten in der sich andeutenden sowjetischen Entspannungspolitik, setzte dies jedoch nur selten zu risikobereiten Regierungsbeschlüssen um. Dem britischen Kabinett lag eine Auflistung über neun interne und 41 außenpoli-
tisch bedeutsame sowjetische Maßnahmen vor, aus denen ganz überwiegend spannungsmindernde Absichten zu entnehmen waren56. Wenn daraus auch noch nicht der Schluß gezogen wurde, daß der Kreml zu weitgehenden Zugeständnissen in den wichtigsten Problemfeldern wie Abrüstung oder Deutschland/Österreich bereit war, wurden doch die Chancen ebenso gesehen wie die Notwendigkeit für die »Western powers, who should meet Soviet conciliatory moves half way with a view to reaching agreement on specific outstanding questions«57. Zum Entgegenkommen auf halbem Weg gehörte nach Churchill auch die Anerkennung berechtigter Sicherheitsbedürfnisse der Sowjetunion. »What must not be forgotten by us, and will I hope be remembered by the Soviets, is the safety of Russia against another Hitlerite invasion. It is along these lines of thought that, without prejudice to other things I have set down, our minds might adventurously travel58.«
Allerdings bestanden schwerwiegende Meinungsunterschiede innerhalb des britischen Kabinetts bezüglich einer west-östlichen Verständigungspolitik und zur amerikanischen Rußlandpolitik. Das Foreign Office stellt dazu nüchtern fest: Im amerikanischen Wahlkampf der Republikaner werde angenommen, daß angesichts der erschütterten Situation hinter dem Eisernen Vorhang nun die Zeit für eine wie auch immer zu ermutigende und zu fördernde Befreiung der Satellitenstaaten reif sei; gegen eine derartige Politik der Nadelstiche, die den unglücklichen Völkern der unterjochten Staaten nicht helfen, sondern nur weitere Drangsalierungen zufügen würde, werde sich die britische Außenpolitik zur Wehr setzen; es solle versucht werden, Dulles zu gut vorbereiteten, informellen Gesprächen mit den Russen auf hoher Ebene zu überreden, wie sie Premierminister Churchill angeregt habe59. 56
PRO, CAB 129/61, C. (53) 187, 3rd July, 1953, Cabinet, Foreign Ministers' Meeting in Washington.
Policy Towards the Soviet Union and Germany, Memorandum by the Acting Secretary of State for Foreign Affairs, Annex, Soviet Policy, Calendar of events since Stalin's death. Der entsprechende Regierungsbeschluß findet sich in PRO, CAB 128/26, C.C. (53) 39th Conclusions, 6th July, 1953, Minute 3. Policy towards Soviet Union and Germany. 57 PRO, CAB 134/766, A.O.C. (53) 14 (Revised), 17th April, 1953, Cabinet, Atlantic (Official) Committee, Ministerial Meeting of the North Atlantic Council: April, 1953. Annex B. Conclusions of Foreign Office paper on recent developments in the U. S. S.R. 58 PRO, CAB 129/61, C. (53) 194, 7th July, 1953, Cabinet, Policy Towards the Soviet Union and Germany, Note by the Acting Secretary of State for Foreign Affairs (Lord Salisbury), I circulate for the information of my colleagues the note by the Prime Minister, W. S. C. [i. e. Churchill; d. Verf.] 6th July, 1953. Churchills Memorandum ist abgedruckt bei Steininger, Ein unabhängiges Deutschland; hier S. 138f.; Steiningers Dokumentation geht mit breiter Quellengrundlage detailliert auf die eigenwillige Gipfelpolitik Churchills ein, die ihn in Gegensatz zu seinem Außenminister und seinem Kabinett brachte; vgl. auch Seidon, Churchill's Indian Summer, S. 396—409, und Foschepoth, Churchill, —
1286-1301. 59
PRO, CAB 129/61, C. (53) the Soviet Union.
187
(wie Anm. 56); hier:
Punkt 4.
Anglo-American
differences about
II. Die
37
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
nicht zuletzt an der amerikanischen Außenpolitik, wie man in London zutreffend erkannte, daß kein ernsthafter Versuch, den Verhandlungsspielraum mit der Sowjetunion kompromißbereit auszuloten, unternommen wurde, obwohl das State Department durch seinen Moskauer Botschafter Bohlen über denkbare Chancen durchaus hinreichend informiert worden war. Bohlen hielt dafür, die sowjetischen Friedensfühler nicht als bloße Propagandakampagne abzutun, weil in all dem nicht nur größere Gefahren, sondern auch größere Chancen geboten würden; es sei ganz unübersehbar, daß die sowjetische Regierung für einen längeren Zeitraum zu ordentlichen diplomatischen Beziehungen bei geminderten Spannungen zurückkehren wolle; insbesondere die neue Politik gegenüber Ostdeutschland, die durch die Ereignisse des 17. Juni 1953 wohl nicht geändert worden seien, könne nicht einfach als taktisches Manöver abgetan werden; zwar solle die Aufrüstung Deutschlands nach wie vor verhindert werden, aber anders als früher zielten die jetzigen Entwicklungen auf ernsthaftere politische und diplomatische Anstrengungen60. Gegen diese Anregungen standen in Washington andere Auffassungen über die vermuteten Ziele der Sowjetunion. Insbesondere das Pentagon votierte für den weiteren Ausbau militärischer und politischer Positionen im Sinne einer »Politik der Stärke«. Die meisten Mitglieder der Joint Chiefs of Staff äußerten tiefe Besorgnis, sobald Verhandlungen mit der Sowjetunion auch nur erörtert wurden. Was auch immer Malenkov und seine Mannschaft initiierten, es wurde stets als gefährlich und feindlich gesonnen gedeutet. Aus dieser Sicht konnte selbst der scharfe Kurs Außenminister Dulles', der beunruhigend genug mit dem Gedanken »on security arrangements which should satisfy U.S.S.R.«61 spielte, als ein gemäßigter Kompromißkurs innerhalb der politischen Kräfte Washingtons gelten62. In der Tat hatte Dulles vielfältige Faktoren mit zu berücksichtigen: Eisenhowers verhaltene Entspannungsversuche, Reduzierung der Haushaltsbelastungen, abnehmende Verhandlungschancen angesichts des absehbaren nuklearen Patts, Entspannungswünsche europäischer Verbündeter, öffentlicher Druck insbesondere in den Vereinten Nationen und anderes mehr. Im Ergebnis entwickelte die amerikanische Rußlandpolitik bis zur westdeutschen Wiederbewaffnung jedoch keine substantiellen Kompromißvorschläge, sondern zielte mehr darauf, den Verbündeten den auch und gerade von Adenauer gewünschten Nachweis zu erbringen, daß eben mit den Kremlherrschern keine Verhandlungsergebnisse zu erreichen waren. Allenfalls kurzfristig konnten daher die Minimalziele der Briten konsensfähig gehalten werden:
Es
lag daher
—
—
Telegram Bohlen vom 7.7.1953 (wie Anm. 22). Zu dieser Einschätzung gelangte Bohlen nach sorgfältiger Prüfung, denn er änderte seine noch im März 1953 ganz gegenläufig formulierte Meinung; vgl. NA, DB, RG 59, Policy Planning Staff, Box 23, USSR, Policy Implications of Stalin's Death, prepared by Mr. Bohlen, recorded 3/10/53. 61 NA, DB, RG 59, Policy Planning Staff, Box 23, USSR, Memorandum from Mr. Beam to Mr. Bowie, September 23, 1953; vgl. auch das »Solarium Project«, in: FRUS, 1952—1954, Vol. II, Teil 1, 60
—
62
S. 327 und passim, insbesondere Eisenhowers Memorandum an Dulles vom 8.9.1953, ebd., S. 460— 463. Zur Einschätzung der sowjetischen Politik seitens der U.S.Joint Chiefs of Staff vgl. The History of the Joint Chiefs of Staff, Vol. 5, z.B. S. 46f., 52f., 192-200.
Teil A: Der
38 »to
Gegner
discourage Mr. Dulles from any dangerous new initiatives intended to provoke early liberation movebehind the Iron Curtain [...] to persuade the Americans to keep the door open for high-level
ments
and informal four-Power talks«
.
Im weiteren Verlauf des Jahres 1953 stellten dann das Londoner Foreign Office und das Washingtoner State Department, unterstützt vom britischen Botschafter in Moskau, William Hayter, den Schulterschluß gegen Churchills Gipfeldiplomatie und Frankreichs Aus-
flüchte mit der ebenso schlichten wie wirkungsvollen Behauptung wieder her, daß sich die sowjetischen Ziele seit Stalins Tod nicht geändert hätten64. Und bis Ende 1954 herrschte die Sprachregelung vor:
»that Soviet long-term aims have in no way changed. Like Stalin, the present Soviet leaders want to divide the Western Allies, prevent Europe from uniting and cause our American friends to turn their backs on the world. But unlike Stalin and here surely is the danger they are using more subtle and skilful tactics in the pursuit of these aims65.« —
—
Letztlich setzten sich im Westen gegenüber einer möglicherweise ernsthaft kompromißbereiten Entspannungspolitik der Sowjetunion diejenigen durch, denen es vor allem anderen um eine starke Einheitsfront der »freien Welt« gegen kommunistische Bedrohung ging. Es wäre jedoch ein fundamentaler Irrtum, selbst bei anzunehmenden sowjetischen Entspannungsbemühungen, dem Westen die alleinige Schuld an deren Scheitern zuzuweisen. Denn allzuoft erfolgten sowjetische Kompromißvorschläge zu halbherzig und zu spät, so daß auch bei sorgfältiger Lagebeurteilung deren Interpretation als Taktik und Propaganda nicht als offensichtlich abwegig abgetan werden konnte. Die internen Führungskämpfe im Kreml und der Übergang einer von Stalin als eigene Domäne gehüteten Außenpolitik auf eine kollektive Führung und eine an kreativ-eigenständiges Handeln nicht gewöhnte Beamtenschaft im sowjetischen Auswärtigen Dienst werden ihren Teil zu dieser noch weniger als üblich konsistenten und kontinuierlichen Politik beigetragen haben. Ohnehin wurde im Zuge der Revision stalinscher Politik in erheblichem Umfang Ballast abgeworfen, so daß das politische System in Moskau wohl bereits an die Grenze des machtpolitisch Verkraftbaren gegangen zu sein glaubte. Zu wirklich an die Wurzeln greifenden Veränderungen in den außenpolitischen Beziehungen war vielleicht Stalin Anfang der fünfziger Jahre in der dafür notwendigen Machtposition; in einer die Macht balancierenden und um Macht rivalisierenden kollektiven Führung mit zwangsweise im sowjetischen Lager gehaltenen Verbündeten, aus der Position des auf allen Gebieten Unterlegenen war der Irrtumsspielraum für eine kooperative Politik mit den westlichen Staaten auch objektiv eng begrenzt. Und nicht zu unterschätzen sind wie stets in der Außenpolitik auch schlicht handwerkliche Fehler. Die übervorsichtig-dilettan—
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63 64
187 (wie Anm. 56); hier: Conclusion (4) und (6). Cold War, S. 64 und 79; vgl. z. B. die EntScheidungsprozesse im Vorsiehe Young, Quellennachweis lauf zur Berliner Konferenz 1954 FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 690, 697-740, sowie die Festlegungen in den Tripartite Official Talks, Paris, October 21 November 2, 1953, Ergebnisdokumente, PRO, CAB 129/64, C (53) 316. PRO, CAB 134/767, A.O.C. (54) 12, 10th December, 1954, Cabinet, Atlantic (Official) Committee, Ministerial Meeting of the North Atlantic Council, Paris 17th and 18th December, Annex B, Draft for a Statement by the Secretary of State.
PRO, CAB 129/61, C. (53)
—
65
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
39
tische und USA-fixierte Art, mit der etwa Churchills bilaterale Gesprächsangebote vom Kreml ungenutzt blieben, weil sich die sowjetische Führung wohl keinerlei außenpolitischen Mißerfolg erlauben zu können meinte, gab sogar der erste Sekretär der sowjetischen Botschaft in London, Georgiyi Rodionov, Mitte August 1954 in einem intern und freimütig geführten Gespräch mit Frank Roberts zu: »I said the Russian leaders were surely entirely responsible for the fact that they had not yet met the Prime Minister. It seemed to me that they had gone out of their way to rebuff the idea he had put before them. To my surprise, Mr Rodionov immediately admitted that this was quite true. He added that the responsibility must be shared. He said that the British Cabinet and the Kremlin had obviously been equally determined to prevent or postpone such a meeting. I took this opening to remind Mr. Rodionov that the Prime Minister himself had not been prepared to come to Moscow and that any meeting would have to be on neutral ground. I then probed into the reasons for the Soviet leaders' reluctance to arrange such a meeting. Mr. Rodionov said they were naturally most concerned to ensure that such a meeting should be successful and pave the way to further reductions of tensions. If the meeting achieved no definite result it would create great disillusionment and uncertainty, thus doing much more harm than good. He indicated that the Russian leaders were by no means sure what the Prime Minister wanted to do at such a meeting and, with their naturally suspicious outlook, were reluctant to commit themselves to something the outcome of which they could not quite foresee66.«
Die im Westen
so
gefürchtete und vom Kreml nur unzureichend ausgelotete Möglich-
keit, daß Moskau die westlichen Regierungen auseinanderdividieren wolle und könne, war ja durchaus keine überängstliche Einbildung. Denn unterschiedliche Auffassungen und Zielprioritäten trennten 1953/54 partiell nicht nur Amerikaner, Briten, Franzosen und Deutsche, sondern auch innerhalb der Regierungen gab es teilweise erheblich auseinanderdriftende Meinungen, wie sie bei Eisenhower, Dulles und dem Pentagon, bei Churchill und Anthony Edens Foreign Office, bei Joseph Laniel und Georges Bidault,
bei Adenauer und den national orientierten Politikern um Jakob Kaiser und Teilen der kleineren Koalitionsparteien, bei Walter Ulbricht und Otto Grotewohl, Rudolf Herrnstadt, Wilhelm Zaisser festgestellt werden können. Das Ergebnis dieser diffusen Gemengelage zeigt in beide Richtungen: einerseits mußte es der sowjetischen Führung, in der unter Malenkov, Chruscev, Lavrentij Berija (bis zu seinem Sturz), Anastas Mikojan und Vladimir Semenov wahrscheinlich Molotov als gehorsamster ehemaliger Gefolgsmann Stalins der stärkste Skeptiker hinsichtlich der Entspannung blieb, noch weitaus schwieriger gefallen sein als etwa in der Frage der EVG den westlichen Mächten bei ungleich besserem Informationsstand, zu erkennen, inwieweit und mit welchen rechtzeitigen Kompromißangeboten sie den Gang der internationalen Entwicklung im Sinne eines für sie noch erträglichen Verlaufes hätten mitbestim—
66
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PRO, CAB 129/70, C. (54) 271, 18th August, 1954, Cabinet, Anglo-Russian Relations, Note by the Prime Minister, Annex: Conversation between Sir Frank Roberts and the First Secretary of the Soviet
embassy, August 14, 1954 (Frank K. Roberts). Dem Gespräch vorausgegangen waren die beiden Noten der Sowjetunion für ein Vier-Mächte-Treffen vom 24. Juli und 4. August 1954, die damit das russische Desinteresse an bilateralen (Vor-)Gesprächen deutlich machten. Zur Einschätzung Rodionovs und seiner freimütigen Offenheit in internen Gesprächen vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 1, S. 752 f. Mit dem oben angeführten Cabinet Paper erfolgte Churchills Abgesang seiner eigenwilligen Gipfelgesprächsbemühungen. —
Teil A: Der
40
Gegner
können67; andererseits war
anders, als das in der Rückschau verführerisch nahescheint durchaus nicht abzusehen, daß es den im Westen hinsichtlich damals —, zuliegen der Entspannung ebenso skeptischen Kräften in den verschiedenen Regierungen unter amerikanischem Druck gelingen konnte, das westliche Bündnis geschlossen zu halten und die Bundesrepublik hinzuzugewinnen. Eine der Forschungskontroversen für die fünfziger Jahre diskutiert einerseits mit beachtlichen Gründen vom Westen vielleicht versäumten Chancen konsequenter Entspannungspolitik. Eine dagegen kaum diskutierte versäumte Gelegenheit liegt andererseits in der eben nur halbherzigen sowjetischen Entspannungspolitik dieser Jahre. Inwieweit Adenauer die durchaus erkennbare defensive Komponente der sowjetischen Politik, in der vielleicht mehr steckte als nur eine bedingte Atempause im Kampf um die Weltherrschaft, wahrgenommen, wie er die darin etwa enthaltenen Chancen und Risiken eingeschätzt und in Verbindung mit seiner Beurteilung der Politik der anderen drei Besatzungsmächte seinen Zielsetzungen zugrunde gelegt hat, ist weiter unten zu untersuchen. men
—
—
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d. Zum Ziel eines neutralisierten Deutschland Ein Kerngedanke, der sich wie ein roter Faden durch die angeführten Beispiele sowjetischer Entspannungspolitik zieht, ist die Idee, einen Gürtel neutraler Staaten um den sowjetischen Machtbereich zu schaffen: einen »cordon sanitaire« von nicht in gegnerischen Militärbündnissen stehenden Staaten rings um die lange Grenze der Sowjetunion. Mit Finnland und Schweden als neutralen Staaten hoffte die sowjetische Führung, die wegen ihrer eisfreien Häfen handeis- und militärpolitisch sowie rüstungswirtschaftlich wichtige Ostsee als ein »Meer des Friedens« absichern zu können. Ein neutrales wiedervereinigtes Deutschland sollte zusammen mit der Schweiz und mit einem neutralen Österreich den zentralen Teil des unruhigen Mitteleuropa als Gefahrenherd entschärfen. Mit Ungarn, Rumänien und Bulgarien als Verbündeten und Jugoslawien als neutralem Staat hätten Streitigkeiten in diesem traditionell spannungsreichen Vielvölkergebiet regionalisiert werden können; bei einem guten Einvernehmen mit der Türkei und mit Persien wäre auch im Bereich des Mittleren Ostens eine unmittelbare Gefährdung zurückgedrängt, eventuell sogar der sowjetische Einfluß im Mittelmeerraum und in den erdölfördernden Staaten erweitert worden. In der Gesamtschau stellte sich ein solches Konzept als nicht völlig unerreichbar und als für die Sowjetunion potentiell so attraktiv dar, daß der sowjetischen Führung in der Ausformung der »Neutralisierung« Risiken wie Entwicklungen bis hin zur Preisgabe des kommunistischen Systems in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erwägenswert erschienen sein mögen. Die damals noch vorherrschende Überzeugung, mit der kommunistischen Ideologie sowie der Gesellschafts- und Wirtschaftsorganisation den kapitalistischen Staaten auf weite Sicht überlegen zu sein, konnte die Risikobereitschaft für ein solches Konzept nur erhöhen, ja selbst ungewöhnliche Zugeständnisse für eine 67
Zu Zaisser, Herrnstadt, Malenkov und bes. zu »Zweifeln Die Haltung, S. 39 f. mit Verweis auf neue Quellen.
an
der Sonderrolle Berijas« vgl. Lindemann,
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
41
Auflockerung der gespannten Außenbeziehungen rechtfertigen. Diese Annahme liegt insbesondere für diejenigen nahe, die den Anteil der Ideologie an außenpolitischen Entscheidungen im Kreml hoch ansetzten. Der Schlüssel zu einer derartigen Neuordnung Europas verbarg sich hinter der Art der Einordnung Deutschlands in das europäische Staatengefüge. Daher nahm die deutsche Frage im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende in der sowjetischen Außenpolitik »einen erstrangigen Platz ein«68. Die hinter den verschiedenen sowjetischen Vorschlägen zur deutschen Wiedervereinigung stehende Konzessionsbereitschaft und damit auch die Ernsthaftigkeit, mit der die Entspannungspolitik von Moskau im Sinne ausgewogener Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten betrieben wurde, wird in der Literatur kontrovers beurteilt, da der unzugängliche sowjetische Aktenbestand eindeutige Interpretationen noch nicht zuläßt69. Diese Kontroverse, die von beiden Seiten mit beachtlichen Argumenten vorgetragen wird, soll hier nicht nachgezeichnet werden. Es ist zumindest bislang nicht auszuschließen, daß der deutschlandpolitische Teil der sowjetischen Entspannungspolitik mit all seiner phasenweisen Abhängigkeit von internationalen Wechselwirkungen nicht nur Taktik und Propaganda, sondern »ernst gemeint« war im Sinne eines notfalls »bürgerlichen«, jedenfalls kontrolliert neutralisierten Deutschland. Als mit aller Vorsicht vor geheimdienstlichem Spiel- und Desinformationsmaterial einzuordnende Ergänzung zugunsten dieser Annahme mag ein Bericht des westdeutschen nationalen Informationsdienstes Friedrich Wilhelm Heinz (FWH) dienen, wonach die Stalin-Note vom März 1952 für die Führung der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hinreichender Anlaß zu ernsthafter Beunruhigung gewesen ist:
»Aus verschiedenen ostzonalen und Karlshorster Quellen, die unabhängig voneinander berichten und sich bisher immer als zuverlässig erwiesen haben, ging eine Reihe von Nachrichten ein, die in ihrer Abstimmung und nach sorgfältiger Kontrolle folgende Lagebeurteilung auf Seiten der Sowjetunion und vom Blickwinkel der SED-Führung her ermöglichen. 1) Die SED-Führung (Ulbricht usw.) war von dem sowjetischen Angebot vorher nicht unterrichtet worden. Das Gleiche gilt für die Führung der französischen und italienischen kommunistischen Partei. So war der erste Eindruck des sowjetischen Angebotes für diese ausgesprochen bestürzend. Man hält es für wahrscheinlich, daß die Sowjetunion tatsächlich bereit ist, die deutsche Einheit hinzunehmen, wenn damit die Heraushaltung Deutschlands aus jener Mächtegruppierung erreicht wird, die man in Moskau als >Angriffsblock< bezeichnet. Diesen >Angriffsblock< sieht man in erster Linie in einer immer enger werdenden Militärallianz USA Westdeutschland, die sich nach sowjetischer Auffassung zwangsläufig aus der deutschen Wiederaufrüstung ergeben muß. Im Gegensatz zu diesem >Angriffsblock< stehend wird der >Händlerblock< gesehen, der unter Führung Englands Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten umfassen wird und eine langfristige Verständigung mit der Sowjetunion erstrebt. Truman und Dean Acheson neigen nach sowjetischer Auffassung mehr dem >Händlerblock< zu, während Eisenhower, noch mehr aber Gruenther, Ridgway und das Pentagon im Endergebnis ihrer Politik die bewaffnete Auseinandersetzung erstreben. [...] —
Eine offizielle sowjetische Darstellung findet sich bei Belezki, Politik, S. 115—199. Vgl. auch den Artikel »Wie sehen es die Sowjets? Moskaus Einschätzung von Ursprung, Konzeption und Ergebnis der Bonner Ostpolitik«, in: Der Spiegel, Nr. 18/1978, S. 34—41.
Vgl. die einschlägigen, wenngleich teilweise kontroversen Studien von Foschepoth, Graml, Hillgruber, Loth, Rupieper, Schwarz, Staritz, Steininger, Volkmann, Wettig
u.a.
Teil A: Der
42
Gegner
SED-Führung, die damit rechnet, kaltherzig geopfert zu werden, wenn damit das sowjetische Ziel erreicht wird, war man befriedigt von der ersten spontanen Ablehnung des Moskauer Angebotes durch Bonn. Man hatte befürchtet, Westdeutschland werde bei allen Vorbehalten doch mit eigenen konstruktiven Gegenvorschlägen antworten. Am stärksten befürchtete man, Westdeutschland werde angesichts der immer wieder durch Frankreich verzögerten Europa-Armee-Lösung den Gedanken einer deutschen Nationalarmee aufgreifen und damit der »Volkspolizei« die politische und weltanschauliche Grundlage entziehen. Ferner war man in Sorge darüber, Westdeutschland werde nicht starr die nationalstaatliche Rückgabe der Gebiete jenseits von Oder/Neisse fordern, sondern sich bereiterklären, etwa nach dem Beispiel der Saarvorschläge in Verhandlungen einzutreten, die neurartige staatsrechtliche und personenrechtliche Lösungen in den 1945 von den Polen und Tschechen übernommenen Gebieten erstreben. 2) Die jetzt in Moskau überreichte Antwortnote der Westmächte wird in SED-Kreisen praktisch als Absage und damit als Scheitern des sowjetischen Friedensschrittes gewertet. Man ist von dieser Entwicklung hochbefriedigt, da sie den Fortbestand des kommunistischen Regimes in der Zone gewährleistet. Die in Moskau überreichte Note hat nach SED-, aber auch nach Karlshorster Informationen folgende Vorgeschichte: England und Amerika seien ursprünglich geneigt gewesen, in versöhnlichem Sinne zu antworten und eine Viererkonferenz für Mai vorzuschlagen. Wortführer dieses Vorschlages seien Anthony Eden und Dean Acheson gewesen. Churchill und Truman, ursprünglich auf der Linie ihrer Außenminister liegend, seien jedoch umgefallen, als sich Eisenhower in die Verhandlungen eingeschaltet habe. [...] In Karlshorster Kreisen will man wissen, daß der deutsche Bundeskanzler sich der Eisenhower-Schuman'schen Auffassung angeschlossen habe. Während man jedoch in Karlshorst annimmt, der Kreml werde die Bemühungen fortsetzen, glaubt die SED-Führung, Rußland werde unter keinen Umständen zustimmen, daß die politischen Verhältnisse in der Zone durch eine neutrale Kommission offiziell als das festgestellt werden, was sie tatsächlich sind, nämlich als Terrorregime einer kleinen Minderheit, und Rußland werde ebensowenig in ein Gespräch über die deutsche Einheit eintreten, wenn es dem einheitlichen Deutschland gestattet werde, nach seiner Wiederbewaffnung sich dem »Angreiferblock« anzuschließen. So hält man nach Auffassung der SED-Führung die Verhandlungen praktisch für gescheiten und stellt befriedigt fest, daß die Sowjet-Union nun die zweite Seite ihrer Aktivität, nämlich die Drohung, forciert. [...] 4) Es verdient jedoch, ausdrücklich hervorgehoben zu werden, daß man in Karlshorst den »Fortbestandsoptimismus« der SED-Führung nicht teilt, sondern fest davon überzeugt ist, dem »Händlerblock« zum Siege verhelfen zu können. Man verweist darauf, daß a) ein Friedensschluß in Korea, einem anlaufenden oder gewählten amerikanischen Präsidenten als Morgengabe gebracht, diesen Präsidenten einer Verständigung auf die Dauer geneigt machen wird, b) ein Zurückpfeifen von Ho-Tschi-Minh und eine Beendigung des kostspieligen und unpopulären Indochinakrieges Frankreich endgültig auf die EuropaArmee und die westdeutsche Aufrüstung verzichten läßt, c) die Drohung mit der in der Zone und den Satellitenstaaten konzentrierten militärischen Macht in Verbindung mit verlockenden Handelsangeboten England gleichfalls von allen europäischen Risiken, also der Europa-Armee, zurückhalten wird70.« In der
Auch wenn man derartigen Berichten quellenkritisch nicht mehr als einige Plausibilität zubilligen will, spricht doch einiges dafür, daß die SED-Führung sich hier als VerhandBA-MA, BW 9/2147, Bundeskanzleramt, Der Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen (Blank), Bonn, den 29. März 1952,
Ausfertigung (1. Ausf. dem Herrn Bundeskanzler, 2. Ausf. dem Herrn Staatssekretär im Bundeskanzleramt), FWH-Dienst Nr. 4a/52, Betr.: Der sowjetische Friedensschritt und die Folgen seines eventuellen Scheiterns, Bl. 287—291. Vgl. zum Hintergrund auch Handakte Jakob Kaiser, in: Kosthorst, Jakob Kaiser, S. 216f. Ob eine der Quellen der Pressesprecher Außenminister Georg Derringers, Gerald Rummler, gewesen ist, geht aus diesen Archivalien nicht hervor; vgl. aber Rupieper, 3.
Der besetzte Verbündete, S. 253 f.
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
43
lungsobjekt innerhalb eines deutschland- und europapolitischen Neuansatzes im Kreml betrachtet hat. Sollte sich dies durch in absehbarer Zeit zu erwartende Quellenfreigaben bewahrheiten, dann hat die Ostberliner Lagebeurteilung damals durchaus der in den westlichen Hauptstädten entsprochen und würde damit nahtlos ins Bild passen. Bis zur Auswertung sowjetischer Quellen bleibt es allerdings letztlich ungeklärt, welche Minimalziele sich die sowjetische Führung in den jeweiligen Phasen ihrer Deutschlandpolitik gesetzt hatte und bis wieweit sie Risiko- und Kompromißbereitschaft in wichtigen Detailregelungen bei westlichem Entgegenkommen gezeigt hätte. Die Berliner Konferenz vom Januar/Februar 1954 kann jedenfalls angesichts der westlichen Maximalzielfestlegungen kaum als Probe hierfür gelten. Wie den Quellen und deren Auswertung durch Young71 für die vorbereitende Bermudakonferenz im Dezember 1953 und bei Rupieper72 für die Berliner Außenministerkonferenz mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, ging es dem State Department, dem Foreign Office, dem Quai d'Orsay ähnlich wie Adenauer lediglich darum, den Weg für die Westbindung Westdeutschlands außen- und jeweils innenpolitisch zu ebnen. Dazu sollte die Sowjetunion in Berlin gezwungen werden, gleichsam einen Offenbarungseid zu leisten oder im Falle des programmierten Mißerfolgs als für das Scheitern Schuldige am Pranger zu stehen. Die Meinungsführerschaft für diesen Kurs gebührt Dulles, den Churchill als den Hauptgegner seiner im Keime erstickten Gipfeldiplomatie pointiert schildert: »This fellow but evil can
preaches like a methodist minister and his bloody text is always the same. That nothing come out of meeting with Malenkov73.« Allerdings mußte Dulles für den Konfrontationskurs wahrlich keine Herkulesarbeit leisten.
Hatte doch Bidault bereits
zuvor
unmißverständlich klar
gemacht,
daß
united Germany was incompatible with the E.D.C., in other words that the E.D.C. and Western integration are dependent on the maintenance of a divided Germany74.« Und im britischen Kabinett wurde selbst die Preisgabe der DDR durch die Sowjetunion »a
noch als
expansionistische
Alternative der
Sowjets apostrophiert:
»The alternative expansionist Soviet policy would be to abandon the Communist regime in Eastern Germany, allow genuinely free elections and gamble upon the resulting all-German Government being weaned away from association with the West in the hope that it would sooner or later fall under Russian domination. While we must be prepared for a Soviet move from the first [i. e. die defensive Alternative verstärkter sowjetischer Kontrolle über Ostdeutschland und Berlin; d. Verf.] to the second policy, there has been no sign so far that the Russians are in fact prepared to make what they must regard as a major gamble, since they would be running the risk that they would merely have added another 18 million anti-Communist Germans to the Federal Republic and so to the strength of the West. They would also have set a dangerous precedent of retreat in Eastern Europe. The recent rioting in Berlin and in the Soviet Zone has been a warning to them of the dangers of an apparently more liberal policy75.«
Vgl. Young, Churchill. Vgl. Rupieper, Berliner Außenministerkonferenz, und ders., Der besetzte Verbündete, S. 375—380. 73 PRO, PREM 11/418 (7 Dec); Quellenangabe nach Young, Churchill, S. 904. 74 71
72
75
PRO, FO 371/103 666/C 1071/62, Bericht des britischen Botschafters in Paris, Sir Oliver Harvey, an das Foreign Office vom 29. Juni 1953; vgl. Foschepoth, Churchill, S. 1295, Anm. 42. PRO, CAB 129/61, C. (53) 187 (wie Anm. 56), hier Punkt 7. Alternative Soviet policies towards Germany.
Teil A: Der
44
Gegner
von Wechselwirkungen ist mit Wilfried Loth der im Kreml möglicherweise erwogene »Verzicht auf den einseitigen Zugriff auf die DDR als ausgezeichnetes (und im Grunde zugleich einziges) Mittel«76 einzuordwas nicht zu vernen. Der Preis, den Molotov als Ausgangspunkt für Verhandlungen wechseln ist mit einem erwarteten Verhandlungsendergebnis dafür vortrug, war hoch. Zunächst ist nicht verwunderlich, daß ein geteiltes Deutschland mit Westdeutschland in der EVG aus sowjetischer Sicht einem wiedervereinigten Deutschland in der NATO vorzuziehen war77. Um das zu erreichen, hätte jedoch der Kreml keine Vier-Mächte-Konferenz benötigt. Mit dieser zielte er vielmehr auf ein neutralisiertes Gesamtdeutschland mit begrenzten Streitkräften unter Vier-Mächte-Kontrolle in Anlehnung an die Potsdamer Beschlüsse; dabei blieb allerdings unklar, wie tief solche Kontrollen, die zumindest eine Mitgliedschaft in westlichen Militärbündnissen kategorisch ausschlössen, greifen sollten und mit welchen wirksamen Mitteln sie zu gewährleisten waren78. Obwohl einige Anzeichen für den nachdrücklichen Verhandlungswunsch Molotovs, der sich wiederum während der Konferenz eng mit der kollektiven Führung in Moskau abstimmte, auch in der deutschen Frage sprechen, wurden die sowjetischen Kontrollkriterien von den Wesmtächten nicht genauer erkundet; obwohl Molotov zur weiteren Klärung der Positionen am 30. Januar 1954 eine nicht-öffentliche Sitzung der Außenminister anregte, was eher für Verhandlungsinteresse als für Propagandabedürfnisse sprach, gingen die Westmächte derartigen Detaildiskussionen aus dem Weg; denn sie waren »unter gar keinen Umständen bereit, eine Neutralisierung Deutschlands zuzulassen« und blieben »auf ihre Maximalziele fixiert«79. Diese Haltung der Westmächte ist besonders dann verständlich, wenn man die sowjetischen Wiedervereinigungsangebote als ernsthaft, weil aus Sicht des Kreml machtpolitisch rational begründet, einschätzt. In der Tat hätte ein neutralisiertes Deutschland eher die relativ schwächere Sowjetunion im »Nullsummenspiel« des Kalten Krieges begünstigt; dies kann unter anderem in komplementärer Sicht die westlichen Ablehnungen begründen. Denn die auf Gesamtdeutschland zielende sowjetische Politik hätte dem Kreml
In dieses nach Chancen und Risiken offene Kräftefeld
—
—
76
Loth, Blockbildung,
S. 10.
Vgl. die Unterredung des sowjetischen Botschafters in London, Jacob Malik, mit dem parlamentarischen Staatssekretär im Foreign Office, Harold A. Nutting, in: PRO, CAB 129/65, C. (54) 36, 30th January, 1954, Cabinet, Relations with the Soviet Union, Note by the Secretary of State for Foreign Affairs, Annex (Bericht Nuttings, Berlin, 27.1.1954). 78 Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 752f.; PRO, CAB 129/65, C. (54) 44, 11th February, 1954, Cabinet, Relations with the Soviet Union, Note by the Secretary of State for Foreign Affairs, Annex (Bericht Frank K. Roberts über seine Unterredung mit Botschafter Malik vom 30. Januar 1954, Berlin, 31.1.1954); vgl. auch die ergiebige Dokumentation von Rupieper, Berliner Außenministerkon77
79
ferenz; hier bes. Dokument III. Vgl. Rupieper, Berliner Außenministerkonferenz, passim;
Zitate S. 446 und 439. Bezüglich der Viermächte-Kontrolle hatte sich die britische Regierung in Abstimmung mit dem State Department bereits festgelegt: »If the Russians propose quadripartite controle of German rearmament, we could point out that past experience shows that an imposed control is unlikely to be effective«; PRO, CAB 129/65, C. (54) 10, 11th January, 1954, Cabinet, The Problem of Security in Europe, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (A. Eden, 10.1.1954). —
II. Die
45
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
viele Chancen eröffnen können: Mit einem bündnisfreien Deutschland wären das amerikanische Engagement in Europa und das westliche Paktsystem entscheidend eingeengt worden; der mit den Potsdamer Beschlüssen erweiterte sowjetische Besitzstand in Europa wäre anerkannt und die neuen Grenzen wären festgeschrieben worden; die dazu notwendigen Vier-Mächte-Gespräche hätten die sowjetische Diplomatie aus ihrer Isolierung heraus zur weltpolitischen Mitgestaltung geführt. Das alles mochte einen erheblichen Preis wert sein, wenn nur eine derartige zukünftige Entwicklung gesichert werden konnte: sei es durch gesamtdeutsche Wahlbedingungen, von der sich der Kreml wohl eine kommunistische Regierungsbeteiligung versprochen hat, oder noch besser gegebenenfalls zusätzlich einen vorab im Friedensvertrag durch die Siegermächte garantierten neutralen Status Deutschlands. In dieser Kernfrage konnte jedoch keine Einigkeit zwischen den Siegermächten hergestellt werden, zumal die Westmächte, soweit sie überhaupt an einer Wiedervereinigung interessiert waren, die begründete Hoffnung hegen konnten und jedenfalls verbal vertraten, daß ihnen bei uneingeschränkter Bündnisfreiheit das ganze Deutschland in den Schoß fallen würde. Bei einem derartigen außenpolitischen und militärischen Status Gesamtdeutschlands war jedoch jegliche Wiedervereinigung für die Sowjetunion indiskutabel. Somit blieb die sowjetische Initiative, »die im stärksten Maße bereit war, nationalem deutschen Interesse Rechnung zu tragen und zu einem geregelten Verhältnis mit dem Westen zu gelangen«80, schon aufgrund der Verfahrensweise der Westmächte von vornherein zum Scheitern verurteilt. Soweit es die sowjetische Bereitschaft zu Kompromissen betrifft, mag die größte Chance für eine diskutable Lösung der deutschen Frage in der Zeit zwischen Stalins Tod und dem Aufstand vom 17. Juni 1953 gelegen haben, durch den im Kreml das Risiko des neuen Kurses kraß bewußt gemacht wurde81. Jedenfalls konnte sich die Moskauer Führung nach ihrer erneuten personellen Umgruppierung angesichts der wenig verhandlungsbereiten Haltung im Westen nicht zu weiteren materiellen Zugeständnissen schon vor Beginn etwaiger Verhandlungen durchringen. So variierte der Notenwechsel zur Vorbereitung der Berliner Außenministerkonferenz zwischen Juli 1953 und Januar 1954 neben nicht unerheblichen Verfahrensfragen die bereits bekannten gegensätzlichen Standpunkte. Entsprechend standen sich auch während der Konferenz die konträren Zielsetzungen unvermittelt gegenüber82. Molotov bemühte sich wie bisher darum, die Anerkennung der Potsdamer Beschlüsse als rechtsverbindliche Ausgangsgrundlage durchzusetzen nicht —
—
—
80
81
Meissner, Die Sowjetunion, S. 521 mit nachfolgender ausführlicher Begründung; gut belegt mit dem Aktenbestand des Office of the High Commissioner for Germany (HICOG) bei Graml, Legende. Vgl. Löwenthal, Vom kalten Krieg, S. 619; ebenso Ulam, Expansion, S. 506—512, 535—538; mit der
Entwicklung der Wasserstoffbombe hält er die sowjetische Bereitschaft für Konzessionen in der deutschen Frage für erheblich geringer, S. 551, 559. 82 Detaillierte Quellen zur Vorbereitung und Durchführung der Berliner Außenministerkonferenz in FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 601—1233; zur britischen Meinungsbildung und Zielfestlegung im Kabinett vgl. PRO, CAB 128/26, Cabinet Conclusions C. C. (53) 39; 42; 45; 48; 49; 50; CAB 128/27, C.C. (54) 2; 3; 9; 10; Cabinet Papers CAB 129/61, C. (53) 194; CAB 129/62, C. (53) 236; 242; CAB 129/63, C. (53), 256; CAB 129/64, C. (53) 316, CAB 129/65, C. (54) 13; 36; 44; Botschaftertelegramme und interne Memoranden des Foreign Office verstreut in PRO, PREM 11/369; 419; 618; 619.
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Teil A: Der
Gegner
für die Grenzvereinbarungen, die (jenseits öffentlichkeitswirksamer Beteuerungen im Blick auf Westdeutschland) bei allen vier Siegermächten als im wesentlichen unstrittig gelten konnten sowie darauf aufbauend für Deutschland und Österreich einen Status der kontrolliert bewaffneten Neutralität auszuhandeln. Eden trug den im Kern gleichgebliebenenen Vorschlag für eine aus freien Wahlen hervorgegangene deutsche Regierung vor, der militärpolitische Bündnisse und Koalitionen, die so gut wie sicher mit dem Westen abgeschlossen worden wären, unbenommen bleiben sollten. Zu den Beweggründen der unbeirrbaren westlichen Ablehnung sowjetischer Vorstellungen über ein neutralisiertes Deutschland wurde der französische Außenminister Bidault bereits in der Eröffnungsrede der Berliner Konferenz deutlich, wobei es ihm vordergründig um die erläuternde Rechtfertigung der französischen Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ging, deren Ratifizierung vor allem in der französischen Nationalversammlung noch ausstand: nur
—
»Auf Grund der Lehren der Vergangenheit muß es vermieden werden, in einen Zustand zurückzufalin dem ein Land im Mittelpunkt Europas den Osten gegen den Westen auszuspielen und seine Stärke zu vermehren vermag, indem es abwechselnd beiden Lagern Zugeständnisse abzwingt und so zum Schiedsrichter wird, nachdem es vorher nur Gegenstand der Politik war. Dies ist ein wesentlicher Grundsatz im Hinblick auf die Sicherheit der vier Mächte einschließlich der Sowjetunion83.«
len,
Über die Notwendigkeit, Deutschland auf Dauer unter Kontrolle zu halten, waren sich
die vier Außenminister offenbar einig; strittig blieb der Weg. Den Westmächten schien durchaus nicht nur unter machtpolitischen Gesichtspunkten in einer bipolar strukdie Kontrolle eines bis auf weiteres geteilten Deutschland innerhalb turierten Welt der westlichen Allianz besser gewährleistet als bei einem neutralisierten Gesamtdeutschland zwischen den Blöcken, dessen Kontrolle entweder unzumutbar oder undurchführbar hätte werden können. Insoweit wies der Standpunkt der Westmächte einen praktikablen und weniger risikoreichen Weg zum insoweit gemeinsamen Ziel. Der Sowjetunion blieben als Alternative zu ihrer Neutralitätspolitik immer noch die Integration der DDR in ihren Machtbereich und darüber hinaus ihre unbestrittenen Mitbestimmungsrechte bezüglich der zukünftigen Gestaltung Deutschlands, wann immer dieser »Gegenstand der Politik« auf der Traktandenliste der Westpolitik erscheinen mochte84. Dem militärstrategischen Teil der westlichen Einkreisungspolitik konnte der Kreml nach seiner bis 1953 entwickelten Wasserstoffbombe etwas gelassener als früher begegnen. Die in diplomatischen Monologen leerlaufenden Versuche, eine Wiedervereinigung Deutschlands anzubieten, die auf einem kollektiven europäischen Sicherheitssystem mit einem neutralisierten Staatengürtel aus Deutschland, Österreich und der Schweiz als Zentrum basieren sollte, zeigten scheinbar ein letztes sowjetisches Einlenken: im Gegensatz zur Berliner Konferenz zu Jahresbeginn erklärte die sowjetische Führung nun ihre Bereitschaft, auch den zunächst abgelehnten Eden-Plan zu diskutieren85; darüber hinaus gab sie ihr Einver—
—
Bödigheimer, Verhandlungen, S. 6505. Vgl. die Note vom 23.10.1954, in: Die deutsche Frage 1952—1956, S. 84. 85 Nicht als Verhandlungsziel, aber als durchaus wahrscheinlich hinzunehmende Minimalposition hat die sowjetische Führung allem Anschein nach den Status quo mit verstärktem Ausbau der DDR als Ergebnis der Berliner Konferenz mit eingeplant; vgl. oben Anm. 66, 77 und 78. 83
84
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
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ständnis zu gesamtdeutschen Wahlen unter internationaler Kontrolle und verzichtete auf eine vorab zu bildende, paritätisch zusammengesetzte gesamtdeutsche Regierung86. Diese Offerten, die eher offiziös als offiziell über die Prawda veröffentlicht wurden, zielten bewußt und erkennbar auf Westdeutschland. Da Adenauer und die Westmächte der vollständigen und damit auch militärischen Westintegration absoluten Vorrang eingeräumt hatten, konnte die sowjetische Führung inzwischen wohl auch problemlos ihre Angebote großzügiger ausstatten; die Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung war absehbar minimal, ihr Propagandawert beträchtlich, der Rechtfertigungscharakter vor der Geschichte vielleicht einmal nützlich87. Die Ratifizierung des westdeutschen Beitritts zur NATO und zur Westeuropäischen Union sowie die Absetzung Malenkovs im Februar 1955 zogen einen Schlußstrich unter Pläne, auf der Grundlage der Potsdamer Beschlüsse ein bündnisfreies Deutschland unter Freigabe der sowjetisch besetzten Zone zu erreichen. Konnten die Ergebnisse der Potsdamer Beschlüsse nicht auf dem Wege internationaler Verhandlungen allseitig anerkannt werden, so sollte dieses Kardinalziel sowjetischer Außenpolitik nun hauptsächlich durch Machtpolitik erreicht werden. Von der Mitte der fünfziger Jahre an richtete sich die Deutschlandpolitik unter Chruscev überwiegend auf die Konsolidierung des erreichten Besitzstandes, hier insbesondere auf die internationale Anerkennung der DDR und Einbeziehung des wirtschaftlichen wie militärischen Potentials dieses Staates in den sowjetischen Machtbereich, zumal die Aufrüstung Westdeutschlands geduldet werden mußte. Die Verschiebung des politischen Schwerpunktes hin auf die Zwei-Staaten-Theorie wäre eventuell bei einem früheren Machtwechsel im Kreml ebenfalls früher erfolgt, wie die nachrangigen, parallel zu den Wiedervereinigungsangeboten laufenden Bemühungen um eine Aufwertung des Status der DDR vermuten lassen. Die zahlreichen Machtverschiebungen innerhalb der sowjetischen Führung werfen zugleich die Frage auf, inwieweit die verschiedenen sowjetischen Vorschläge zur Deutschlandpolitik und zu einem System europäischer Sicherheit in den internen Macht- und Richtungskämpfen innenpolitisch hätten eingelöst werden können. Die These, daß ein frühzeitiges und flexibles Eingehen der Westmächte nicht: der Bundesrepublik auf die sowjetischen Vorschläge spätestens seit Stalins März- und Aprilnoten 1952 die Kräfte gestützt hätte, die vermutlich zu Kompromissen bereit waren, muß notwendigerweise spekulativ bleiben; angesichts der doch über weite Strecken offensichtlich reaktiven Außenpolitik der Sowjetunion spricht jedoch einiges für diese Annahme88. Die kategorisch starre Entschiedenheit, mit der der Westen unter amerikanischem Drängen am in seinem Machtbereich gelegenen Teil Deutschlands ohne nennenswerte Konzessionsbereitschaft festhielt, zeigt auf der anderen Seite die engen Grenzen, innerhalb derer der Siegermacht Sowjetunion überhaupt die Möglichkeit einer Mitgestaltung offenstand. —
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»Erklärung der Sowjetregierung vom 15. Januar 1955«, in: EA 1955, S. 7345—7346. Im Analogieverfahren entsprechend der Beweisführung bei Loth, Teilung, S. 287, indiziert diese risikoreiche Konzessionsbereitschaft eher Mangel an Verhandlungsbereitschaft. 88 Die »Wechselwirkungen von weltpolitischen Konstellationen auf der einen und innenpolitischen Gruppenauseinandersetzungen und Machtkämpfen auf der anderen Seite« untersucht Wassmund, Kontinuität; vgl. auch die zahlreichen Veröffentlichungen von Meissner.
86 87
Teil A: Der
48
Gegner
Wie eng und damit jede historische Analyse sowjetischer Politik über die unzureichende Quellenlage hinaus erschwerend innenpolitische Machtkonfigurationen und außenpolitischer Verhandlungsspielraum zusammenhingen, mag ein letztes Beispiel veranschaulichen. Am Rande der Genfer Konferenz trafen sich am 19. Juli 1955 Bulganin, Chruscev, Molotov, Grigori Shukov und Jacob Malik zum vertraulichen Abendessen bei Premierminister Eden und Außenminister Harold Macmillan. Eden hatte, nachdem er Premierminister geworden war, die unter Churchill noch abgelehnte und von Eden konterkarierte Verständigungspolitik mit der Sowjetunion seit März 1955 vorsichtig, aber zielstrebig aufgegriffen, so daß die Russen zu diesem Zeitpunkt eine größere Gesprächsbereitschaft bei der britischen Regierung annehmen durften; dies um so mehr, als Edens Vorbedingung von 1953/54, die Westbindung Westdeutschlands, inzwischen erfüllt war. In dieser außenpolitisch offeneren Situation hinderten anscheinend ähnlich wie 1953/54 innere Machtrivalitäten die Kremlführung an einem mutigeren Verhandlungsvorstoß in der deutschen Frage. —
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»Bulganin said that he wanted to say something to me which he had said to nobody else. It was really not possible for his Government to return to Moskow from this Conference having agreed to the immediate unification of Germany. They were a united Government and reasonably solidly based in the country but this was something that Russia would not accept and if they were to agree to it, neither the Army nor the people would understand it and this was no time to weaken the Government. The people would say this was something Stalin would never have agreed to. On this therefore he simply could
not meet us.
discussion with him, and later with Krushchev, it emerged that while they could not unification of Germany now, they might be prepared to consider terms of reference for the agree the Foreign Secretaries, which would contemplate such unification together with other compensating conditions. At Bulganin's request I repeated after dinner to Krushchev the kind of directive I hoped we might give the Foreign Secretaries. This would consist of:— (1) an instruction to study the unification of Germany, having regard to the security of all concerned; (2) study of a security pact for Europe, or a part of it; (3) study of the limitation of forces and armaments in Germany and in the countries neighbouring Germany, and (4) study of the possibility of creating a demilitarised area. Both, Bulganin and Krushchev appeared to agree that such terms of reference were acceptable ones for the Foreign Secretaries, but they said it would be necessary to draft and to study them. Molotov being present by this time, I suggested that as an expert draughtsman he should try his hand at the task. 5. In a long experience of talks with Russians, I think that this was the most important and certainly the frankest conversation that I have known. I have not thought it useful to repeat the many compliments to Britain and references to a personal part in relations in years gone by. All this could properly be ascribed to a desire to divide us from the Americans. But I do not think that this would be a complete explanation. It is rather my impression that they regard us as the only possible bridge between themselves and the United States and that they are anxious that this bridge should be built. The French were never mentioned, the United States were always referred to with respect, and as being our friends from whom we should not be divided .« 4. In further to
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89
PRO, CAB 129/76, C. P. (55) 99, 27th July, 1955, Cabinet, Four-Power Talks, Note by the Secretary of the Cabinet. At the direction of the Prime Minister I circulate the attached records of conversations which took place at Geneva, outside the Conference room, for the personal information of members of the Cabinet. These records should be returned to me when they have been read. (Signed) Norman Brook, Cabinet Office, S.W. 1, 27. July, 1955; hier: Annex »Germany«, A. Eden, 19th July, 1955.
II. Die
49
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
Nicht angesprochen wurde anscheinend das Gewicht und die Mitsprache der DDR-Regierung. Insgesamt wird jedoch deutlich, daß bei einer zukünftigen Analyse nach Öffnung sowjetischer Archive den Faktoren der sowjetischen Innenpolitik, den internen Positionskämpfen und der blockinternen Konsensfähigkeit verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden muß. Die Haltung gegenüber der westdeutschen Aufrüstung Auf zweierlei prinzipiell verschiedene Weisen drohte die Bewaffnung Westdeutschlands in die Wirklichkeit umgesetzt zu werden. Zunächst war von amerikanischer Seite 1949/50 an ein westdeutsches NATO-Kontingent gedacht worden; nach dem französischen Einspruch verlagerte sich dann ab Mitte 1951 die Planung ganz auf eine strukturelle europäische Integration, um schließlich 1954/55 doch in der assoziativen Form der atlantischen Allianz verwirklicht zu werden. Diese beiden Alternativen westdeutscher Aufrüstung atlantische Kooperation und westeuropäische Integration bewertete die sowjetische Führung unterschiedlich. Ein NATO-Beitritt Bonns wurde wegen der nach einer Aufstellungsphase zu erwartenden, erheblich gesteigerten Wirkungsmöglichkeit und wegen des dadurch verfestigten amerikanischen Engagements in Europa besorgt als eine gefährliche militärische und politische Bedrohung empfunden. Ihr mochte man noch mit größeren Rüstungsanstrengungen, Forcierung der Nuklearbewaffnung und vermehrter Truppenpräsenz in Osteuropa begegnen können; im übrigen galt die These, daß die »kapitalistischen Gegensätze« innerhalb dieses Bündnisses ökonomisch konkurrierender Nationalstaaten dessen Effizienz und Dauerhaftigkeit begrenzen werde. Als möglicherweise gefährlicher unter Betonung des politisch-ökonomischen Aspektes vor dem militärischen wurde dagegen jeder Zusammenschluß in Europa gefürchtet, der auf einer strukturellen Integration basierte oder wirksam darauf abzielte. Da dies bei der EVG der Fall schien, richtete sich der sowjetische Widerstand mit aller Vehemenz besonders gegen diese Form einer deutschen Remilitarisierung. Hinzu kam, daß gerade das EVG-Projekt dem Ziel der angestrebten Neutralisierung dauerhaft diametral entgegenstand. Außenminister Molotov hatte wiederholt zu verstehen gegeben, daß für ihn von der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, falls sie zustande komme, im Vergleich zum westdeutschen NATO-Beitritt eine potenzierte Gefahr ausgehen würde: e.
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»Aber ich muß sagen, daß die NATO und die EVG nicht ein und dasselbe sind. Die erste Organisation besteht bereits, die zweite erst auf dem Papier. Es gibt einen weiteren Unterschied. Die NATO ist nicht zur Wiederherstellung des deutschen Militarismus geschaffen worden. Die EVG ist geschaffen worden, um den deutschen Militarismus wiederherzustellen. Die Schlußfolgerung ist einfach: wenn die EVG geschaffen werden wird, so werden unsere Meinungsverschiedenheiten zum Quadrat erhoben werden. Was die NATO angeht, so schätzen wir sie auf verschiedene Weise ein .«
Diese Auffassung hatte Tradition und wurde auch über 1955 hinaus etwa in bezug auf die Europäische Gemeinschaft beibehalten. Bereits 1915 hatte sich Wladimir I. Lenin gegen ein Vereinigtes Europa ausgesprochen, da er die Unterdrückung des Sozialismus durch —
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90
Die deutsche
Frage 1952-1956,
S. 64.
50
Teil A: Der
Gegner
die europäischen Kapitalisten für sicher hielt91. Ein Jahr später ergänzte er und auch hierin dürfte trotz der dazwischen liegenden historischen Entwicklung eine Konstante der sowjetischen Politik liegen —, daß Vereinigte Staaten von Europa ohne Beteiligung Rußlands abzulehnen seien92. Die Gefahr wurde in den fünfziger Jahren nicht nur darin gesehen, daß jedes Bündnis, an dem die Sowjetunion nicht beteiligt wurde, eine potentielle Bedrohung darstelle; diese Komponente war in der westdeutschen Nationalarmee als NATO-Kontingent ja auch enthalten. Vor allem die politischen und wirtschaftlichen Verschmelzungseffekte, die der militärischen Integration erklärtermaßen hätten folgen sollen, um der partiellen Integration Bestand zu verleihen, ließen diese Entwicklung so beunruhigend erscheinen. Denn gerade die wirtschaftlichen Verflechtungen in einem einheitlichen Wirtschaftsraum betrachtete die sowjetische Führung als einen objektiven, gesetzmäßigen Prozeß, der als weitgehend irreversibel galt. Damit drohte aus Moskauer Sicht, wenn der wirtschaftlichen auch noch eine politische Integration Westeuropas folgen sollte, an der sowjetischen Westflanke eine heikle und wahrscheinlich beständige Akkumulation von Macht unter antisowjetischem Vorzeichen. Gegen jede supranationale westeuropäische Integration sprach aus sowjetischer Sicht weiterhin, daß es ungleich schwerer, wenn nicht unmöglich werden würde, die einzelnen Länder zum eigenen Vorteil gegeneinander auszuspielen und besonders die französischen und britischen Interessen an guten Beziehungen zur Sowjetunion auch etwa auf Kosten eines weiterhin geteilten und schwachen Deutschlands zu aktivieren. Vielmehr war eine Entwicklung zu befürchten, die ein westeuropäisches Kollektivsystem mit Westdeutschland als treibender Kraft veranlassen konnte, auf Stärkung der eigenen Position durch Wiedervereinigung einerseits, auf Schwächung der Sowjetunion und ihrer Verbündeten andererseits zu drängen. Obschon ein derartiger Kurs keineswegs zwingend in Aussicht stand, schien er als eine risikoreiche Möglichkeit eher in der Evolution der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu liegen als in der die nationalstaatliche Souveränität betonenden NATO-Konzeption. Noch ideologisch wie realpolitisch schwerwiegender mußten die wirtschaftspolitischen Folgen eines westeuropäischen Zusammenschlusses eingeschätzt werden. Eine enge wirtschaftliche Symbiose mit effizienzsteigernder internationaler Arbeitsteilung und Konzentration auf einem erweiterten Markt ließ einen reichen Ertrag erwarten. Der mit der Entspannungspolitik erklärtermaßen auf den Wirtschaftsbereich verlagerte Wettstreit mußte dann gegen diesen zusätzlichen Vorteil des kapitalistischen Lagers bestanden werden. Mit der ökonomischen Konsolidierung im Westen wurde es auch im ideologischen Kampf schwieriger, durch initiierte innenpolitische Unruhen etwaige Umstürze oder wahlbedingte Regierungswechsel zu fördern. Vielmehr konnte umgekehrt das sozialistische Lager durch überproportional wachsenden Lebensstandard beim Gegner bedrohlich bedrängt werden: eine These, deren Gehalt besonders Adenauer ebenso wie Oppositonsführer (bis 1952) Kurt Schumacher und seinem Nachfolger Erich Ollenhauer unter dem Begriff »Magnetwirkung eines demokratisch-sozialistischen Westeuropa« in West—
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91 92
Lenin, Über die Lösung, S. 342—346. Ders., Imperialismus, S. 286.
II. Die
Sowjetunion zwischen Offensive und Defensive
51
deutschland bereits propagandistisch nutzten. So ist es verständlich, daß »die supranationale Verklammerung von EVG und Montanunion in der EPG93 (>das kosmopolitische Bündnis von Militarismus und Monopolkapitalismus73
176
Ebd., S. 86. Ebd., S. 171; das Interesse vieler Firmen geht aus den Akten der Dienststelle Blank deutlich hervor:
(Akte Freyer: Schriftwechsel mit Firmen), BW9/417 und 418 (Verteidigungswirtschaft, Luftfahrtindustrie, Besprechung betr. Rüstungswirtschaft, Verbandsvertreter und z.B. BA-MA, BW9/206
Herren der Dienststelle Blank beim BDI am 11.6.1954); BW 9/567a-b und 568a-b (Industrie: Schriftverkehr und Bewerbungen), BW 9/3534 (Verband zur Förderung der Luftfahrt).
Teil B: Die Verbündeten
152
angelaufen war, alsbald darum bemüht, die deutsche Industrie in angemessenem Umfang an der Rüstungsfertigung zu beteiligen177. Aus den vielen Deutungsmöglichkeiten für die auffallende Zurückhaltung des BDI in seinem beanspruchten »gerechten Anteil« am Beschaffungsprogramm sind hier eine politische und eine organisationssoziologische Erklärung herauszustellen. Der BDI wollte wehr
Adenauers Position im Herbst 1954, also bevor die Pariser Verträge inhaltlich im wesentlichen unter Dach und Fach gebracht worden waren, nicht auch noch durch innenpolitisch-wirtschaftliche Forderungen zusätzlich erschweren, zumal gerade die Rüstungsproduktion des ehemaligen deutschen Gegners im Brennpunkt des Verhandlungsinteresses keineswegs nur der französischen Verhandlungspartner stand. Der BDI wußte genau, daß ihm eine Beeinflussung des Bundeskanzlers dort, wo dieser unter internationalen Verhandlungszwängen stand, am wenigsten gelingen konnte. Zum zweiten vertrat der BDI vornehmlich große und exportorientierte Wirtschaftsinteressen, während die Mehrzahl der Anfragen nach Rüstungsaufträgen an die Dienststelle Blank von kleineren und mittleren Unternehmen kamen, die vornehmlich im Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) bzw. in den regionalen Industrie- und Handelskammern organisiert waren. Und der DIHT wurde eben nicht in dem Maße wie der BDI in den Entscheidungsprozeß eingeschaltet was nicht den Schluß zuläßt, daß bei seiner stärkeren Beteiligung das Endergebnis wesentlich anders ausgesehen hätte. Daß die personelle Verflechtung des Regierungshandelns gerade mit dem wichtigsten außenhandelsorientierten Wirtschaftsverband derart enge kooperative Züge annehmen konnte, weist symptomatisch auf eine Reihe grundsätzlicher Übereinstimmungen zwischen Bundesregierung und Wirtschaft, aber auch auf die Anerkennung des Primats der Außenpolitik vor der Wirtschaftspolitik hin: sozio-ökonomische Auffassungen liberal-kapitalistischer Grundmuster bildeten die gemeinsame Basis. Daß die eindeutige Parteinahme für den Westen, der amerikanischen Forderung entsprechend, auch militärisch zu instrumentieren sei, darüber bestand Konsens. Ob die Parteinahme europazentrisch in der EVG oder hegemonial strukturiert in der NATO erfolgte, blieb trotz unterschwelliger Verbandspräferenzen für eine weniger integrativ-bindende Form der Entscheidung des Bundeskanzlers überlassen. Auf die historisch und geographisch sich anbietenden Geschäftsbeziehungen mit dem Ostblock verzichtete die Wirtschaft zunächst (jedenfalls überwiegend und im demonstrativen Teil) zugunsten der als übergeordnet anerkannten Prärogative außenpolitischer Konfrontationsmuster. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Zurückhaltung hinsichtlich eines angemessenen Anteils an dem entstehenden westdeutschen Rüstungsbedarf fiel zwar wegen der binnenwirtschaftlichen Gesamtsituation nicht allzu schwer. Wie die nach den Verhandlungen um die Pariser Verträge geltend gemachten Interessen an einer nationalen Rüstungswirtschaft vermuten lassen, stand hinter dieser Zurückhaltung aber weniger ein im Lauf der Jahre ohnehin abgeschwächtes »Abrüstungssyndrom«, als vielmehr bewußte Unterordnung unter internationale Zwänge und unter eine »Staatsräson«, die der Regierung die anstehenden Verhandlungen aus übergeordneten Interessen zu erleichtern versuchte. Dadurch, daß der BDI seine Interessen zunächst unter weitgehendem Verzicht —
177
Vgl. Brandt, Rüstung und Wirtschaft,
S. 150 f.
I. Die
Vereinigten
Staaten als
153
Führungsmacht
auf eine eigene Rüstungsproduktion definierte, verblieb Adenauer hier zunächst ein kaum eingeschränkter Handlungsspielraum für die außenpolitischen Verhandlungen. Das hatte Gewicht, weil Großbritannien und vor allem Frankreich nach dem Scheitern der EVG an Begrenzung und Kontrolle eines zukünftigen deutschen Rüstungssektors weiterhin interessiert blieben. Für die außenpolitische Verhandlungssituation des Jahres 1954 noch höher zu bewerten als die innenpolitische Unterstützung Adenauers aus dem ökonomischen Bezugsfeld ist die ebenfalls wirtschaftspolitisch fundierte Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten. In nahezu allen wesentlichen ökonomischen Bezügen bestand 1954 eine gar nicht zu überschätzende grundsätzliche deutsch-amerikanische Übereinstimmung. Dem amerikanischen Vorrang wirtschaftlicher Expansion entsprachen auf westdeutscher Seite Kapitalschwäche, Warenmangel, technologisches Gefälle und Interesse für Methoden modernen Managements. Dem dominanten politischen Einfluß, soweit er sich auf das Übergewicht der ökonomischen »Belohnungsmacht« abstützte, öffnete sich die Bundesregierung deshalb aus einer Summe von Gründen gerne. Den Strukturprinzipien des amerikanischen Wirtschaftsliberalismus folgten besonders der Wirtschaftsminister und die Mehrheit der exportorientierten Industrie aus Überzeugung; so konnten die Ansätze des weltweiten Freihandelssystems zu einer beiderseitig vorteilhaften Wirtschaftsverflechtung stabilisiert und ausgebaut werden. Die von Dulles so nachdrücklich geforderte westeuropäische Integration machte sich die Bundesregierung in erster Linie aus politischen Gründen zu eigen; die sich ergänzenden deutsch-amerikanischen Kapital- und Handelsinteressen benötigten die Integrationskomponente nicht zwingend, ja konnten durch denkbare atlantisch-europäische Konkurrenz sogar gefährdet werden. Diesen Aspekt hat Erhard durch seine besonders ausgeprägte wirtschaftspolitische Freihandels-Orientierung bedingt klarer gesehen als der Außenpolitiker Adenauer. Die Systemkongruenz liberalkapitalistischer Gesellschafts- und Produktionsordnung in beiden Staaten Voraussetzung und Folge der engen wirtschaftlichen Kooperation erleichterte auch die bündnispolitische Zusammenarbeit; die von den Vereinigten Staaten bestenfalls kritisch betrachtete Konzeption der Einheitsgewerkschaft und die teils befürworteten, teils beargwöhnten westdeutschen Mitbestimmungsmodelle konnten zu Recht als stabilisierende Modifikationen der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse gelten obwohl ein latentes Mißtrauen gegenüber diesen von den USA skeptisch beobachteten Entwicklungen bis heute nicht ganz geschwunden ist. Die geforderte westdeutsche Aufrüstung soweit sie unter dem amerikanischen Wunsch nach finanzieller Entlastung sowie militärischem Schutz von Eigentumsordnung und Investitionen stand fand bei Adenauer ebenfalls, wenn auch aus vorrangig politischen Gründen, nachdrückliche Unterstützung. Das Ostembargo begrüßte und bestärkte Adenauer demonstrativ, obwohl es den Wünschen und der Praxis einiger westdeutscher Unternehmungen zuwiderlief. Innerhalb der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen wie der außen- und wirtschaftspolitischen Wechselwirkungen in Westdeutschland gilt zusammenfassend für den Bundeskanzler tendenziell, daß für seinen außenpolitischen Handlungsspielraum Abhängigkeiten in ihrem Gewicht hinter unterstützender Konvergenz nach innen und außen zurücktraten. Im Außenaspekt ist das Element gegenseitiger Ergänzung höher zu bewerten —
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Teil B: Die Verbündeten
154
als das ungleicher deutsch-amerikanischer Abhängigkeit. Im Innenaspekt folgten Unterstützung und Gefolgschaft der Kapitalinteressen aus grundsätzlicher Übereinstimmung hinsichtlich gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Ordnungsvorstellungen. Adenauers Außenpolitik und die damit verbundene Außenwirtschaftspolitik sicherten einen derart spürbar steigenden Wohlstand, daß keine der gesellschaftlich bestimmenden Kräfte die ihm zu Grunde liegenden Weichenstellungen ohne Not prinzipiell in Frage stellen wollte. Innerhalb der Verschränkungen von politischen, militärischen und ökonomischen Interdependenzen bot sich Adenauer im Bereich der Wirtschaft ein kontinuierlich steigendes, außenpolitisch zu verwertendes Potential, dessen Bündniswert dem in Aussicht gestellten militärischen Instrumentarium überlegen war. Mehr noch als gegenüber den Vereinigten Staaten wurde dieses Potential bedeutungsvoll gegenüber Frankreich, und zwar in doppelter Weise: es machte Westdeutschland gefährlich und attraktiv zugleich. Den konstruktiven Teil der wirtschaftlichen Dynamik brachte der Bundeskanzler den den diese für ihn Konstellation auch erkenbot, günstige gemeinschaftsbezogenen Hebel, nend und nutzend daher gerade Frankreich gegenüber in Form von wirtschaftlichen Konzessionen und Kompromissen bewußt und auf Unterstützung für Mendès France zielend in die Verhandlungen ein. Und selbst gegenüber den USA und Großbritannien sollte sich die ökonomische Potenz etwa in den diversen Abkommen zu den Stationierungskosten sowie zum Finanz- und Devisenausgleich als außenpolitisch instrumentierbar erweisen. —
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d. Sicherheitspolitik unter ungleichgewichtig-wechselseitiger Abhängigkeit Das Bedrohtheitsgefühl in der westdeutschen Bevölkerung war seit dem Beginn des KoreaKrieges bis Mitte 1954 signifikant gesunken178. Dennoch hielten sich die Befürworter und Gegner einer Wiederbewaffnung Mitte 1953 ungefähr die Waage, wobei die Zahl der Gegner bis in den Mai 1955 hinein leicht überwog179; bemerkenswert blieb über die ganze Zeit der auffallend hohe Anteil der Unentschiedenen in einer außen- wie innenpolitisch so zentralen Frage180. Das erklärt sich zum großen Teil durch den Vorrang, der dem Auf- und Ausbau der wirtschaftlichen Existenz in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre zukam. Darüber hinaus verhinderten Gedanken an politische und wirtschaftliche Folgen vermehrte Zustimmung. Die Opposition artikulierte derartige Bedenken mit ihren Warnungen, daß die Aufrüstung unter enger Bindung an antisowjetische Bündnisse die 178
Vgl. die Befragungsergebnisse bei Noelle/Neumann, Jahrbuch 1947—1955, S. 354; im Mai 1954 antworauf die Frage: »Machen Sie sich Sorgen, daß in diesem Jahr ein neuer Weltkrieg ausbrechen
teten 179 180
könnte?« 16% mit Ja und 84% mit Nein. Ebd., S. 360f., und dies., Jahrbuch 1957, S. 296.
Im September 1954 urteilten von den befragten Männern 35%, daß das Scheitern der EVG Vorteile für Deutschland habe (gegen 33% Nachteil-Votum); im Juli 1954 votierten angesichts des bevorstehenden Endes der EVG 51 % der befragten Männer für eine selbständige deutsche Armee; die mehrheitliche Bevorzugung einer Nationalarmee gegenüber der westeuropäischen Integrationslösung blieb seit Mitte 1953 bis November 1954 ungebrochen; vgl. Noelle/Neumann, Jahrbuch 1947—1955, S. 363 und 372 f.
I. Die
Vereinigten Staaten als Führungsmacht
155
Wiedervereinigung erschweren, die demokratische Ordnung gefährden sowie den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der gesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik verlangsamen könne. Hinzu kam die im November 1954 breiter diskutierte Diskrepanz zwischen amerikanischer Abschreckungsstrategie und einer für Deutschland möglicherweise günstigeren Strategie wirksamer Verteidigung181. Während militärstrategisch argumentierende Gegner Unterstützung erhielten durch Pläne des Obersten a. D. v. Bonin, die in der Presse einige Zeitlang diskutiert wurden, versicherte sich die Bundesregierung beruhigender Stellungnahmen des Obersten Alliierten Befehlshabers in Europa, General Gruenther182. In der zweiten Beratung der Pariser
auf die
militärstrategischen
Verträge ging Adenauer am 25.2.1955 ausdrücklich
Bedenken ein und
argumentierte:
»Solange wir nicht zur NATO gehören, sind wir im Falle eines heißen Krieges zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten das europäische Schlachtfeld, und wenn wir in der Atlantikpaktorga-
sind, dann sind wir dieses Schlachtfeld nicht mehr183.« Es ist allerdings durchaus zweifelhaft, ob diese Worte die tatsächliche Einschätzung des Bundeskanzlers wiedergeben. Man wird wohl auch in dieser Frage annehmen dürfen, daß er diese den Tatsachen widersprechende Sicherheitsillusion aus Gründen argumentativer Taktik gewählt hat. Gewiß hat seine so plakativ einfache und eindeutig-bestimmte Behauptung in der Öffentlichkeit beruhigend und überzeugend gewirkt. Insbesondere hat sie der aktuellen parlamentarischen Auseinandersetzung, die zum Schaden der Pariser Verträge hätte ausgehen können, apodiktisch Einhalt geboten. Und das war das Ziel seiner Einrede. Es war Adenauer nicht entgangen, daß Sicherheit im existentiellen Sinne besonders angesichts der gefährdeten geopolitischen Lage Deutschlands und damit auch der Bundesrepublik militärisch überhaupt nicht mehr zu gewährleisten war. Nach seiner Überzeugung konnte Sicherheit nicht national und noch weniger im Arrangement mit dem als Gegner perzipierten Blocksystem erreicht werden. Neutralisierung und kollektive Sicherheitssysteme fielen daher für ihn auch aus sicherheitspolitischen Gründen kategorisch als Alternativen aus. Ihm kam es wegen der Ungewissen politischen Zukunft des westdeutschen Teilstaates vordringlich darauf an, Verbündete und wenn es ging, gleichzeinisation
tig
gleichberechtigte Mitwirkungsrechte
zu
erringen.
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Eines hielt er 1954/55 noch mehr als 1949/50 für unumstößlich: wenn die Integrität des Staatsgebietes nicht mehr militärisch zu sichern war, konnte nur noch die bündnis—
VgL FAZ vom 2.11.1954, Westdeutsches Tageblatt Dortmund, Lüdenscheider Nachrichten, Der Spiegel, alle vom 3.11.1954; vgl. auch Craig, Germany, S. 239—242. 182 Vgl. BA-MA, BW 9/2403, Handakte Heusinger zum »Fall Bonin«, mit Bonins strategischen Alternativplanungen und Stellungnahmen aus der Dienststelle Blank; zum Gesamtzusammenhang vgl. die Untersuchung und Dokumentation von Brill, Bonin; zur veröffentlichten Diskussion vgl. die Beiträge zur Strategiedebatte von B. H. Liddell Hart in der FAZ vom 8. und 9.2.1955 sowie die zahlreichen Kommentare in dieser Zeitung von Adelbert Weinstein; zur Inanspruchnahme Gruenthers durch die Bundesregierung vgl. den Beitrag »»Verteidigung nach vorn!« General Gruenther zur Frage des deutschen Verteidigungsbeitrages« im Bulletin Nr. 28 vom 10.2.1955, S. 226. 183 Deutscher Bundestag, Verhandlungen. Sten.Ber., 70. Sitzung, 25.2.1955, S. 3736. 181
Teil B: Die Verbündeten
156
politische Verpflichtung des amerikanischen Nuklearpotentials wenigstens die Ungewisse Sicherheit der Abschreckung garantieren. Wenn wir bei Adenauer die »Westbindung als dominantes sicherheitspolitisches Strukturprinzip«184 annehmen, dann bestand in der sicherheitspolitischen Bevorzugung der Vereinigten Staaten das durchgreifend strukturierende Element innerhalb dieser Westbindung. Für die westeuropäische Einigung mochten noch so viele gute Gründe sprechen, sicherheitspolitisch konnte selbst ein noch in weiter Ferne liegendes dem geeintes Westeuropa vorläufig gegnerischen Blocksystem nicht Paroli bieten. Im Vergleich zur durchaus auch gegebenen wechselseitigen Abhängigkeit, mit der die USA ihre sicherheitspolitischen Interessen in bezug auf die Bundesrepublik definiert hatten, wogen für ihn die dringlichen Bedürfnisse Westdeutschlands ungleich schwerer. Das mußte sich auf Adenauers Handlungsspielraum einschrän—
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kend auswirken. Zu verweisen ist dabei auf eine Reihe von Gefahren, die dem Bundeskanzler das Ungleichgewichtige im sicherheitspolitischen Beziehungsmuster immer wieder in Erinnerung riefen. Bündnispolitisch verunsicherten ihn die inneramerikanischen Diskussionen um den budgetentlastenden »New Look«, um einen Vorrang Asiens, um Neutralisierung Mitteleuropas, um bilaterale amerikanisch-sowjetische Einigung und um isolationistische Tendenzen der amerikanischen Außenpolitik. Gerade ein neuer Isolationismus konnte sich die aktuelle militärstrategische Diskussion zunutze machen, wonach in der Relation zum erweiterten Nuklearpotential die Bedeutung konventioneller Truppen angeblich mehr oder weniger obsolet geworden seien, weswegen die USA sich auf eine »periphere Verteidigung« zurückziehen könnten. Mögliche besorgniserregende Entwicklungen wie öfters in ihrer Wahrscheinlichkeit eher überbetonend, sorgte sich Adenauer, daß derartige strategische Auffassungen sich durchsetzen könnten. Seine Bedenken lagen weniger in den unerträglichen Folgen im Kriegsfall; ob Adenauer sich überhaupt ein konkretes Kriegsbild gemacht oder gar mehrere alternativ bis dahin durchdacht hat, ist ohnehin durchaus noch fraglich. Sicher ist, daß er sich bei vielen Gelegenheiten durch amerikanische Gesprächspartner sachkundig zu machen versuchte185. Jedenfalls sah er, daß derartige 184
Haftendorn, Adenauer,
185
Strategiekonzeption entwickelt habe, die »es ermöglichen werde, jeden eventuellen Angriff ohne den Einsatz von Atomwaffen zurückzuschlagen«, vgl. ders., Bündnis, S. 236. Dieses Urteil ist wohl der suggestiven Kraft in Adenauers öffentlicher Argumentation erlegen; die notwendige Berücksichtigung des nuklearen Potentials nicht nur für das Abschreckungs-, sondern auch für das europäische Verteidigungssystem war m. E. für Adenauer ab 1953, spätestens 1954 zumindest in der großen Linie erkennbar; vgl. BA-MA, BW 9/2295, EVG-Dokumente, Interimsausschuß 11.6.52—2.8.54, Besprechung Adenauer General Ridgway am 15.6.1953, u.a. bzgl. Stationierung atomarer Artillerie, Bl. 203—207, hier Bl. 207; BW 2/4041 (Handakte Heusinger, Denkschriften an Bundeskanzler 1954/55; Militärischer Führungsrat 1956/57; zu Atomwaffen 23.11.1954, Bl. 161-165); BW 9/2577 (Handakte Kielmansegg, NATO-Verhandlungen 1954/55); BW 9/2403, Bonins Pläne zu einer rein nationalen, konventionellen Verteidigung. Insbesondere in den amerikanischen Quellen stößt man gelegentlich auf Adenauers Interesse an Einsatz und Wirkung von Nuklearwaffen; vgl. z.B. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 773 und 841. Zu Adenauers wenig detailliertem Kenntnisstand über Nuklearwaffensysteme und deren taktische oder strategische Einsatzoptionen vgl. Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, S. 158.
S. 92. Grosser nahm an, daß Adenauer eine
—
I. Die
Vereinigten Staaten
als
Führungsmacht
157
Strategieänderungen unmittelbar auf seine gesamte Politik durchzuschlagen drohten186. Verhandlungswert seines Militärbeitrags, der auf Grund der langen Verhandlungsdauer über die EVG ohnehin nicht mehr allzu hoch angesetzt werden durfte, mußte unweigerlich weiter sinken, wenn Aufmarschraum und konventionelle Truppen für einen kontinental-europäischen Verteidigungskrieg von den USA als zweitrangig betrachtet wurden. Sein 1950 noch so wirkungsmächtiges Instrument für die internationalen Verhandlungen wäre dann politisch noch mehr abgewertet worden, als das inoffiziell schon der Fall war. Dieser Zusammenhang erklärt, warum der Bundeskanzler einer auf den ersten Blick so marginalen, eher militärfachlichen Diskussion soviel Aufmerksamkeit schenkte. Ein weiteres unberechenbares Risiko lag in finanziellen Unsicherheiten, unter denen die Stationierung amerikanischer Truppen in Europa angesichts budgetärer Verpflichtungen der Regierung Eisenhower standen. Würden diese nicht nur den Osten beunruhigenden, sondern auch nach Westeuropa beruhigend wirkenden Truppen vermindert werden, wenn erst die deutschen Verbände verfügbar waren? Die ausweichende Zusicherung, die Dulles Adenauer am 13. Dezember 1953 gab, konnte jedenfalls nicht unbedingt als
Denn der
Schutzbrief für ihren Verbleib gewertet werden187. Schließlich befürchtete er irrtümlich bereits 1953, nachdem er Pressemeldungen die allgemein verbreitete Meinung entnommen hatte, die Sowjetunion verfüge bereits über einsatzfähige Kernfusionsbomben, daß dadurch der amerikanische Willen zur atomaren Abschreckung der »massive retaliation« paralysiert werden könne188. Wie Adenauer Gefahren und Chancen auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik gewertet hat, so überwogen dementsprechend für ihn tendenziell die Gefahrenmomente. Er hat aus der sicherheitspolitischen Perspektive seinen Verhandlungsspielraum 1954 als enger bemessen eingeschätzt, als dies 1950 noch der Fall war. Damals begrenzten die politischen und wirtschaftlichen Faktoren seine Möglichkeiten; 1954 lagen dort die Verhältnisse günstiger, auf dem Sektor Militärpolitik jedoch ungünstiger. Das sicherheitspolitische Abhängigkeitsgefälle zwischen den USA und der Bundesrepublik hat ihm die vorrangige sicherheitspolitische Bedeutung der NATO vor der EVG geläufig werden lassen: eine Auffassung, die sich bei ihm während der Agonie der EVG noch verstärkt hatte. Während im vorigen Abschnitt der Bundeskanzler durch die positive Entwicklung der sozio-ökonomischen Konvergenzen in seinem Verhandlungspotential als begünstigt betrachtet werden kann, ist er im Bereich der Sicherheitspolitik eher als in seinen Möglichkeiten gemindert einzuschätzen. 186
Vgl. in unterschiedlichen Verknüpfungen Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 256, 303, und 315f. Er scheint übrigens stets neben den Gefahren auch die geringeren Chancen solcher Entwicklungen gesehen zu haben; vgl. im Gespräch mit Adenauer am 19.10.1953 Sulzberger, A Long Row, S. 755. Meist jedoch bediente sich der Kanzler der Argumentation bzgl. »periphere Verteidigung« der USA, »bei der Deutschland nur die Rolle eines Schlachtfeldes zukomme«, mehr zur innenpolitischen Durchsetzung seiner Außenpolitik; vgl. etwa Kabinettsprotokolle 1953, 2. Sitzung, TOP B, S. 462; insgesamt gilt jedoch das Urteil bei Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, S. 51: »Bekanntlich gibt es nur etwas, was Adenauer ähnlich unruhig fürchtet wie die Rote Armee und die Fünfte —
Kolonne
Moskaus, nämlich den eingefleischten Isolationismus der Amerikaner.«
Vgl. Adenauer, Erinnerungen 188 187
Vgl.
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1953—1955, S. 237. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 841.
Teil B: Die Verbündeten
158
Nationalstaatliche Anforderungen zwischen Saar und Memel Die Argumente gegen die Aufrüstungspolitik des Bundeskanzlers hatten sich 1954/55 womöglich noch mehr und intensiver als 1952 bei der Beratung des EVG-Vertrages auf das damit verbundene Problem der Zukunft Gesamtdeutschlands zugespitzt. Ein territorialstaatliches, »bundesrepublikanisches« Staatsbewußtsein hatte sich noch nicht herausgebildet. Vielmehr verstand sich das unter Besatzungsrecht stehende Provisorium Bundesrepublik von den Parteien über das Bundesverfassungsgericht bis hin zur hier fast einhelligen westdeutschen öffentlichen Meinung als Teilstaat, den es im Osten wie im Westen um seine angestammten Lande zu ergänzen galt. Die in der Präambel des Grundgesetzes fixierte Forderung nach Vollendung der Einheit Deutschlands entsprach allgemeinem Konsens. Gesamtstaatliche Denkfiguren, wie sie widersprüchliche Identitätstheorien boten, nach der die Bundesrepublik als Nachfolgerin des Deutschen Reiches nur ein gesamtdeutsches Staatsgebiet und nur eine gesamtdeutsche Staatsangehörigkeit kennt, unterlegten und verstärkten Gesamtstaatsorientierungen. Mehr noch, Kernstaatstheorien, Fortbestandstheorien, Alleinvertretungsansprüche und Wiedervereinigungspostulate riefen zu einer eher offensiv-kämpferischen als zu einer mehr abwartenden Deutschlandpolitik auf und das ist in der Tat in der zeitgenössischen Publizistik überwiegend nachzuvollziehen. Die Staats- und völkerrechtlich phantasievoll aufbereiteten Idealkonstruktionen für ein Deutschland in den Grenzen von 1937 entsprachen keineswegs nur den Wunschvorstellungen innerhalb der Regierungsparteien. Vehementer, in ihrer Risikobereitschaft bei der Auslotung von Chancen für einen Vier-Mächte-Friedensvertrag für Deutschland auch konsequenter, hatte die SPD-Opposition eine gesamtdeutsche Orientierung zum Zentrum ihrer Politik erklärt. Umgesetzt auf die Sicherheitspolitik hatte Schumacher im Sinne einer Vorwärts-Verteidigung gefordert, die entscheidende Schlacht im Kriegsfall »östlich von Weichsel und Njemen«189 zu schlagen. Nicht zur Kenntnis genommen und verdrängt wurde quer durch alle Parteien wie in der Bevölkerung die die Potsdamer Beschlüsse nachvollziehende Definition des Alliierten Kontrollrats: »Deutschland besteht aus dem gegenwärtigen deutschen Gebiet zwischen Oder-Neiße-Linie und den gegenwärtigen Westgrenzen190.« Mit den dagegen erhobenen Nationalstaatsansprüchen brachte sich die Bundesregierung jedoch in argumentative wie reale Schwierigkeiten, weil man schon damals erkannt hatte, daß die wahrscheinliche Folge der Aufrüstung im westlichen Bündnis zumindest auf mittlere Sicht »Westintegration statt Wiedervereinigung«191 sein würde. Das zeigte sich auch in ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Aufrüstung, gegen die die Opposition behauptete, daß durch die damit verbundenen Verträge ein westdeutscher Staat »NATO-fähig« gemacht und aus dem gesamtdeutschen Staat herausgelöst werden würde192. e.
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189 190 191 192
Zur Bewertung des Schumacher-Zitats vgl. Löwke, Für den Fall, S. 64. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd I, S. 510. Vgl. Foschepoth, Westintegration, S. 29—60. Unter Berufung auf die Artikel 20, 79 und 146 Grundgesetz argumentierte der »Kronjurist« der SPD, Arndt, für die Opposition gegen die supranationale Westintegration: »Eine derartige Entscheidung präjudizierte nicht nur eine Ausgliederung der Saar, des Landes Berlin und der angeblichen
I. Die
Vereinigten
Staaten als
Führungsmacht
159
Während der Bundeskanzler nicht nur von der Opposition, sondern auch aus den Reihen der Regierungskoalition zu Fortschritten in Richtung »Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit« gedrängt wurde, ließ sich außenpolitisch kaum etwas für Gesamtdeutschland bewegen. Wenn wir die stets auf Hoffnung gestimmten Äußerungen Außenminister Dulles' zugrunde legen, so konnte Adenauer das Ausmaß des amerikanischen Durchsetzungswillens bezüglich der territorialen Ansprüche Deutschlands nur schwer erkennen. Daher blieben für den Kanzler Zeitpunkt, Art und Umfang einer zu erwartenden Unterstützung durchaus problematisch. Soweit die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie in Frage standen, mußte Adenauer damit rechnen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten Rücksicht nehmen würde auf die Vorbehalte europäischer Staaten gegen eine das europäische Gleichgewicht gefährdende Ausdehnung Deutschlands, auf ethnische, insbesondere polenstämmige Minderheiten in den USA und eventuell auch auf die gegenüber der Sowjetunion eingegangenen völkerrechtlichen Bindungen und Zusagen. Weit weniger als die westdeutsche Presse und Publizistik konnte der westdeutsche Regierungschef die Augen vor unausweichlichen Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft und des verlorenen Krieges verschließen. Oder ist er doch den weitergehenden Illusionen, die seine schlechter informierten, ja propagandistisch irregeführten Zeitgenossen hegten, auch selbst erlegen? Seine insistierenden Ansprüche auf Gebiete jenseits von Oder und Neiße gewissermaßen die Spitze des Eisbergs seiner Wiedervereinigungsforderungen lassen das möglich erscheinen, erlauben allerdings auch eine gegenteilige Interpretation. Adenauers Wiedervereinigungsforderung unter Einbeziehung der Oder-Neiße-Gebiete, die er in einer Rede am 6. Oktober 1951 in Berlin aufstellte, kann auch als blockierende Reaktion auf Otto Grotewohls Vorstoß »Deutsche an einen Tisch« vom 15. September 1951 verstanden werden; die britische Hochkommission gewann jedenfalls den Eindruck, daß der Kanzler an gesamtdeutsche Wahlen nicht nur nicht glaubte, sondern sie so bewußt verhindern wollte193. Im November 1951 pries der Regierungschef in Hannover die geplante EVG als Mehrzweckwaffe auch mit Blick auf die deutschen Ostgebiete an; auch hier müssen die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden: er sprach vor Vertriebenen aus diesen Gebieten194. Am 14. November 1951 verlangte er von den Alliierten Hochkommissaren unter Hinweis auf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene sowie auf ein sonst zu erwartendes Scheitern der mit Schuman- und Pleven-Plan angestrebten europäischen Integration die Erklärung, daß auch die westlichen Siegermächte die westdeutschen Ansprüche auf Rückgabe —
—
193
194
»Deutschen Demokratischen Republik« aus dem deutschen Staat«; vgl. den »Schriftsatz der Abgeordneten Dr. Arndt und Dr. Reismann vom 14.6.1953, abgedr. in Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd 2, S. 182—223, hier S. 202. Im Ergebnis hielt er fest: »Den Geltungsbereich des Grundgesetzes zum Kernstaat proklamieren, hieße die von auswärtigen Mächten de facto aufgezwungene deutsche Spaltung auch de jure deutscherseits anzuerkennen«; ebd., S. 205. Daß sich mit den Wehrergänzungen das Wesen des Staates hin zum Weststaat und damit zur Verfestigung der deutschen Teilung entwickeln würde, hat ebenfalls als Rechtsgutachter der Opposition Professor Dr. Rudolf Smend herausgestellt; vgl. ders., Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd 1, S. 153. Vgl. Steininger, Chance, S. 45, dort auch weitere Quellenangaben; vgl. auch die zwiespältige Haltung des State Department bezüglich der Wiedervereinigung, ebd., S. 55. Vgl. Foschepoth, Adenauer, S. 43.
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Teil B: Die Verbündeten
der Oder-Neiße-Gebiete unterstützten. Das lehnten die Hochkommissare unmißverständlich ab: jene Gebiete unterlägen weder west-, noch ostdeutscher Jurisdiktion; die Westalliierten müßten sich gegenüber der Sowjetunion bis zum Friedensvertrag offenhalten und die politische Situation auch im Hinblick auf Tschechen und Polen in Rechnung stellen; Adenauer habe kein Recht, über die Oder-Neiße-Gebiete zu befinden; im übrigen bezöge sich die Formulierung zu Deutschland in den Grenzen von 1937 auf Besatzungsregelungen und sei keine Verpflichtung zur Gebietsrückgabe an Deutschland; Unterstützung der Wiedervereinigung und Wiederbewaffnung hätten nicht die Wiedererlangung der Ostgebiete zum Ziel; vielleicht könne in Zukunft einmal die deutsche Grenze jenseits der derzeitigen Sowjetzone verlaufen; eine derartige Hoffnung sei nicht illusionär195. McCloy deutete Adenauers Vorstoß als in der Sache nicht ganz ernsthaft, sondern eher unter dem Aspekt vorgebracht, innenpolitisch den Alliierten die Schuld in dieser Frage zuschieben zu können, soweit der Kanzler nicht nur den Handlungsspielraum im Westen ausloten wolle196. Drei Tage später sprach der Kanzler den Westmächten das Recht ab, in Verbindung mit dem Begriff Wiedervereinigung einen Unterschied zwischen den Gebieten östlich oder westlich der Oder-Neiße zu machen; der Bundestag werde die gemeinsame Integrationspolitik nicht akzeptieren, wenn auch nur der kleinste Hinweis gegeben würde, daß die Alliierten die Rückgabe der Ostgebiete nicht unterstützten197. Da McCloy es für unwahrscheinlich hielt, daß Adenauer und seinen außenpolitischen Beratern die gegenläufige Position der Alliierten in dieser Frage nicht gewärtig war, vermutete der Hochkommissar, daß der Kanzler die Alliierten zur Modifikation ihrer Haltung drängen wollte, um innenpolitisch bei den Ostvertriebenen für gute Stimmung zu sorgen; McCloy hielt es für möglich, daß der Kanzler seine »extreme Forderung« zurückziehen könne, und blieb bei seiner Auffassung, die Wiedervereinigung beschränke sich auf die vier Besatzungszonen198. Am 21. November 1951 diskutierten die Außenminister Acheson, Eden und Schuman die Problematik einschließlich Adenauers Vorschlag, die Gebietsansprüche im Geist der Atlantik-Charta zu erfüllen, ausführlich; es blieb bei der Definition »Wiedervereinigung der vier Besatzungszonen«, wobei im übrigen Achesons mittlerer Kurs zwischen Edens harter und Schumans verständnisvollerer Haltung im Sinne eines zukunftsoffenen, zu nichts verpflichtenden Formelkompromisses eingeschlagen wurde199. Im Dezember 1951 entschärfte Adenauer dann das Thema Wiedervereinigung, indem er streng vertraulich erklärte, daß die Integration der Bundesrepublik Voraussetzung für eine Wiedervereinigung sei, auch wenn er dies nicht öffentlich sagen könne200. Wie Adenauers frühere und spätere Äußerungen zu den Ostgebieten vermuten lassen, handelte es sich bei seinen weitgehenden, wenig konziliant formulierten Forderungen 193
Vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1580—1582. Vgl. auch die deutsche Parallelüberlieferung dieser Besprechung anhand der Aufzeichnung Grewes, Adenauer und die Hohen Kommissare 1949—1951, S. 570-579. FRUS 1951, ebd., S. 1582. ebd., S. 1585. ebd., S. 1585f. ebd., S. 1598-1602. ebd., S. 1613.
Vgl. 197 Vgl. 198 Vgl. 199 Vgl. 200 Vgl. 196
I. Die
Vereinigten Staaten als Führungsmacht
161
neben anderen Beweggründen auch und wahrscheinlich in erster Linie um ein Einrammen von Rechtsansprüchen gegenüber den Pflichten seitens der westlichen Siegermächte: teils wollte er sich generell für später viel Verhandlungsmasse sichern, teils wollte er aktuell wie hier Ende 1951 gegen das Grotewohl-Angebot einen Ost-West-Dialog über Deutschland erschweren, wenn möglich verhindern, solange die Westintegration Westdeutschlands nicht dauerhaft gesichert war. Während er sein aktuelles Ziel vor allem wegen der Interessenlage der Westmächte erreichte, gelang ihm in seiner generellen Zielsetzung immerhin ein bescheidener Teilerfolg: zumindest die Amerikaner wurden in ihrer Haltung, eher die polnischen als die deutschen Territorialforderungen zu berücksichtigen, schwankend, zumal Truman und Acheson ohnehin jeden Bezug zum Potsdamer Abkommen nach Möglichkeit vermieden201. Eine in diesem Zusammenhang günstige Gelegenheit bot sich dem Kanzler dann kurz nach der Stalin-Note am 17. März 1952. In seinen Überlegungen zur Antwortnote der Westmächte an Stalin schlug er den drei Hochkommissaren vor, nicht eigens auf die OderNeiße-Linie einzugehen, um einem Abkommen mit einem zukünftigen freien Polen nicht vorzugreifen und bis dahin keine deutsch-polnische Verstimmung zu verursachen; selbst Sir Ivone Kirkpatricks eher vage gehaltenem Vorschlag, auf die Vorläufigkeit der Potsdamer Übereinkunft hinsichtlich der Ostgebiete zu verweisen, mochte er nur zögerlich zustimmen202. Obwohl er auch diesmal wieder darauf hinwies, daß keine deutsche Regierung die Oder-Neiße-Linie als Grenze akzeptieren könne, zog er es verhandlungstaktisch vor, daß seine sonst gegen Widerstände angemahnten Interessen diesmal mehr auf Initiative der Westmächte hin gewahrt werden würden. Wenig später empfahl ihm in Paris auch Außenminister Schuman, einem Grenzvorbehalt bezüglich der Ostgebiete in der westlichen Antwortnote zuzustimmen203. Graml schließt aus Adenauers gesamten Reaktionen in jener Zeit, daß der Kanzler u. a. mit einem Verzicht auf einen von den Westmächten festgeklopften Territorialvorbehalt künftige Verhandlungen mit dem Osten offenhalten wollte204. Eine solche Interpretation ist zwar nicht zwingend, aber möglich und wahrscheinlich auch zutreffend. Wenn man ihr folgt, ergibt sich für die Frage der Ostgebiete, daß sie Adenauer zumindest zeitlich nicht für so vordringlich hielt wie die Wahlfrage und die Bündnisfreiheit, was ebenfalls durchaus plausibel erscheint. Der Hinweis der Westmächte in ihrer Antwortnote vom 25. März 1952, daß durch die Potsdamer Beschlüsse 1945 die Grenzen Deutschlands nicht festgelegt, sondern die end—
201 202
—
Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 356, 358-360, 375, 384, 429 und öfter. Vgl. ebd., S. 182 f. Siehe dazu auch die deutsche Version des Verlaufsprotokolls der Sitzung vom
17.3.1952, Adenauer und die Hohen Kommissare 1952, S. 28f; Adenauers in der amerikanischen wiedergegebene Bemerkung, daß auf die Oder-Neiße-Linie in der westlichen Antwortnote
Version
eigens Bezug genommen werden sollte, ist in der deutschen Überlieferung nur indirekt als Verweis auf eine zukünftige friedensvertragliche Regelung enthalten; zu Adenauers Prioritäten bei dessen Treffen mit Eden, Schuman und US-Botschafter James Clement Dunn am 20.3.1952 vgl. Rupieper, Der besetzte Verbündete, S. 252 f. Vgl. Graml, Sowjetische Notenkampagne, S. 28; da ohne Quellenangabe, stützt sich Graml wahrscheinlich auf noch nicht allgemein zugängliche Archivalien. Vgl. ebd., S. 28f.; allerdings ist für Graml Adenauers Behandlung der Ostgebietsproblematik nur ein Teil seiner weiter gefaßten Argumentation. nicht
203
204
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Teil B: Die Verbündeten
gültigen Entscheidungen territorialer Fragen einer Friedensregelung vorbehalten worden seien, wird Adenauer als zunächst hinreichend eingeschätzt haben. Im Juni 1952 konkretisierte der Kanzler seine Vorstellungen zur Lösung des Problems vertraulich in einem Gespräch mit dem einflußreichen Leiter des Auslandsdienstes der »New York Times«. Unter Betonung eines zukünftig notwendigen guten Verhältnisses zwischen Polen und Deutschland stellte er sich vor, »die fraglichen Gebiete entweder einem Kondominium Deutschlands und Polens oder der Verwaltung durch die UNO zu unterstellen, und zwar unter absoluter Gleichstellung der in diesen Gebieten lebenden Bevölkerungsteile«205. Hierbei nahm Adenauer ausdrücklich Bezug auf ähnliche, bereits 1947 von ihm geäußerte Vorstellungen206. Eine vergleichbare Situation wie im Herbst 1951 ergab sich ab Ende Mai 1953. Stalin war im März gestorben. Adenauer hatte kurz zuvor in Gesprächen mit und Ansprachen von Churchill dessen dringenden Wunsch nach Verhandlungen mit der neuen sowjetischen Führung erfahren und war dadurch alarmiert. Die neue französische Regierung Laniel erwog ähnlich wie ihre Vorgängerinnen gerade in dieser Zeit ganz konkret wieder den Versuch, durch ein Vier-Mächte-Arrangement den Kopf aus der EVG-Schlinge zu bekommen207. Schließlich hatte auch noch Eisenhower selbst mit seiner Ansprache »A Chance for Peace« der ganzen, den Kanzler ängstigenden Entspannungseuphorie Mitte April 1953 Schwung verliehen. All das werde, so befürchtete der Kanzler, die sowjetische Regierung beflügeln, mit neuen deutschland- und europapolitischen Initiativen Churchills Ernsthaftigkeit auf den Prüfstand, die neue französische Regierung in EVG-verweigernde Versuchung sowie die nationalistischen und neutralistischen Kräfte im westdeutschen Wahlkampf auf Abwege zu führen; was ihn an seiner empfindlichsten Stelle dem dadurch in Frage gestellten Wahlsieg am 6. September 1953 treffen würde208. Es drohten also ein weiteres Mal Ost-West-Gespräche, deren mögliche Ergebnisse aus Sicht des Kanzlers aller Wahrscheinlichkeit nach dann auf Kosten wenn überhaupt Deutschlands erzielt werden würden. Abgekartet würde das ganze Spiel um Deutschlands Zukunft aus seiner Sicht voraussichtlich auf der in Kürze geplanten Außenministerkonferenz, zu der sich die drei Regierungschefs der USA, Englands und Frankreichs treffen wollten ohne Adenauer! Höchste Zeit also, spürbar auf die Bremse zu treten. —
—
—
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Da die Lage nicht nur ernst, sondern überaus bedrohlich und dazu noch heikel im taktischen Vorgehen schien, mußte der beste Mann mit scharfer Munition an die Front: Blankenhorn durfte wieder einmal die Koffer packen. Hallstein sorgte inzwischen zunächst über Botschafter Bruce in Paris, tags darauf über Hochkommissar Conant in Bonn dafür, daß Blankenhorn als persönlicher Emissär des Kanzlers von Eisenhower auch empfangen —
Adenauer, Teegespräche 1950—1954, S. 308; nach Sulzbergers Darstellung, Auf schmalen Straßen, S. 464, erwartete Adenauer, daß man eine UN-Treuhänderschaft Deutschland übertragen werde. 206 Vgl. Adenauer, Teegespräche 1950—1954, S. 308 mit Quellennachweis und Zitat S. 696f., Anm. 13. 205
Vgl. zum von Massigli vorgetragenen Wunsch der französischen Regierung nach einer Vier-Mächte-Konferenz noch vor der EVG-Ratifizierung PRO, CAB 128/26, C. C. (53), 40th Conclusions, 8thjuly, 1953, Bericht Lord Salisbury, Punkt 5, S. 20. 208 Vgl. zu Adenauers Befürchtungen das Gespräch Hallsteins und Blankenhorns mit David Bruce in 207
Paris
am
9.7.1953, FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 484 f.
I. Die
Vereinigten
Staaten als
163
Führungsmacht
werden würde. Blankenhorn bekam zwei freundliche, aber auch fordernde Briefe Adenauers an Eisenhower mit, in denen der Hinweis auf die bevorstehenden Bundestagswahlen deutlich genug auch das amerikanische Interesse am Wahlausgang anklingen ließ. Das beigefügte Memorandum sattelte dann auf die geläufigen Maximalforderungen Adenauers für die Wiedervereinigung zwei weitere drauf: ein aus christlichem wie Naturrecht abgeleitetes Heimatrecht für alle Vertriebenen und eine Regelung für die Ostgebiete im Geiste internationaler friedlicher Zusammenarbeit, weil keine deutsche Regierung jemals die Oder-Neiße-Linie würde anerkennen können209. Damit hatte der Kanzler hinreichend klar gemacht, daß ein Abweichen von der bislang gemeinsamen Politik westdeutscher Westintegration und Aufrüstung zugunsten entspannungssuchender OstWest-Gespräche auf seinen massiven Widerstand stoßen würde; das galt um so mehr für den Fall, daß man ihn nicht rechtzeitig und umfassend schon bei den Vorüberlegungen in den Entscheidungsprozeß einbezog. Mit der ausweichenden Bemerkung Eisenhowers, die Blankenhorn für Adenauer am 4. Juni 1953 mit auf den Rückweg bekam, wonach die beiden Zusatzforderungen des Kanzlers von Dulles im Benehmen mit London und Paris zu prüfen seien, war Adenauer weniger zufrieden als mit der glücklichen Fügung, daß die Bermudakonferenz auf Dezember 1953 verschoben wurde. Zur Abrundung ließ er Blankenhorn Mitte Juni 1953 das Thema noch einmal in London ansprechen; diesmal mit einer neuen Variante: eine »europäische Lösung«, die den jetzt ansässigen Polen ihr Lebensrecht unter internationaler Kontrolle bewahren sollte210. Wie Eisenhower vierzehn Tage zuvor legte sich auch das Foreign Office hierzu in keiner Weise fest. Nicht zuletzt wegen der in Paris anstehenden Ratifikation des EVG-Vertrages wäre eine Diskussion über die Ostgebiete schon im Hinblick auf Generalvertrag und zukünftige Saarregelung nicht nur abgelehnt worden, sondern hätte ausgesprochen kontraproduktiv gewirkt. Und Adenauer wußte nur zu gut, daß er damit sogar seine ihm weit wichtigeren Westverträge zusätzlich gefährdet hätte. Konsequenterweise meldete er seine Ansprüche auch zunächst nur in Washington und mit Verzögerung in London an: mit dem ausdrücklichen Hinweis, die ebenfalls zuständige Siegermacht Frankreich zunächst nicht darüber zu informieren211. Wie aus den Londoner Neun-Mächte-Verhandlungen und Pariser Verträgen vom Oktober 1954 ersichtlich, blieb der Kanzler wie nicht anders zu erwarten in der Frage der Ostgebiete ohne Erfolg212. Gegenüber den Westmächten hatte er sein schwaches Blatt ausgereizt, ohne es durch störrisches Insistieren zu überreizen: ein Passus hinsichtlich deutscher Rechtsansprüche auf sowjetisch und polnisch besetzte Ostgebiete war nicht in die Verträge hineinzubekommen. Es erscheint insoweit zumindest für die Zeit nach dem Sommer 1953 ganz unwahrscheinlich, daß er in dieser Frage tatsächlich Illusionen erlegen ist. Dazu kannte er die Vorbehalte der Alliierten zu genau. Hinzu kommt, daß er —
209
210 2» 212
—
Vgl. zum gesamten Ablauf der Ereignisse FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1606 f., Vol. VII, Teil 1, S. 459—471, bes. Adenauers Memorandum, ebd., S. 462, weitere kungen, sowie Diary of David K.E. Bruce, ebd., S. 484. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 474f.
Vgl. Vgl.
ebd.
FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1312 und 1354.
Quellenverweise
in den Anmer-
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Teil B: Die Verbündeten
seine Rechtsansprüche zeitlich entsprechend innen- und außenpolitischen Gefahrenmo-
angemahnt hat. Generelle Überlegungen zur langfristigen deutschen Verhandlungsstrategie, aktuelle Reaktionen in Verbindung mit seinem Potsdam-Trauma, Wahltaktik etc. überlagern sein Thematisieren der Ostgebiete zu sehr, als daß der Schluß zwingend wäre, er habe seine Forderung im Glauben an realistische Verwirklichungschancen gestellt213. Dagegen bestanden in Washington weit weniger Bedenken gegen eine Wiedervereinigung der vier Besatzungszonen bis zur Oder-Neiße-Linie, sofern die engen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bindungen Deutschlands an die USA nicht gelockert werden würden. Darin traf sich Dulles mit den Auffassungen Adenauers, wovon die Diskussion um die Bindungsklausel des Artikel 7 Absatz 3 des Generalvertrags zeugt. Nach Grewes skeptisch-realistischem Urteil »hat Dulles wohl auch in einem gewissen Umfang geglaubt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland wünschenswert sei als ein verstärktes Potential gegenüber dem Übergewicht der Sowjets in Europa; und insofern ist er sicherlich derjenige westliche Politiker gewesen, der in der Deutschlandfrage relativ am stärksten engagiert war«214. Hinsichtlich des Einsatzes, den die Vereinigten Staaten für das Ziel der Wiedervereinigung oder im amerikanischen Sinn präziser formuliert: für die Befreiung der Bevölkerung in der DDR215 bereitstellen konnten, hatte Adenauer zu beachten, daß durch die grundsätzliche Ablehnung aller Vorstellungen eines neutralen, nicht an die Vereinigten Staaten gebundenen und in die westeuropäische Staatenwelt einbezogenen Deutschland, wie sie in der Stalin-Note von 1952 anklangen, allen Wiedervereinigungskonzepten außerordentlich enge Grenzen gesetzt waren. Darin stimmten die amerikanischen Vorstellungen mit Adenauers Konzeption überein. Einen wesentlichen Grund dafür stellt Rupieper aus der Sicht amerikanischer Deutschlandpolitik fest: »Für Adenauer besaß die deutsche Einheit nur einen untergeordneten Stellenwert auf seiner Liste der politischen Prioritäten216.« Als der Aufstandsversuch in der DDR am 17. Juni 1953 einen Anlaß zur »Befreiung« bot, kam weder in Washington noch in Westeuropa ernsthaft der Gedanke an eine Einmischung in den östlichen Machtbereich auf. Die Wahrscheinlichkeit gefährlicher internationaler Verwicklungen wurde als zu risikoreich eingeschätzt. Das galt um so mehr, als »die westeuropäischen Regierungen nie gewünscht [haben], daß die amerikanische Diplomatie für die »Befreiung« Osteuropas Risiken eingehen möge«217. Auch hier liegt Übereinstimmung mit Adenauers Vorstellungen vor. menten
sehr gezielt
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Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Schwarz, bleibt jedoch in seinen Folgerungen behutsamer; vgl. ders., Legende, Diskussionsbeitrag S. 83. 214 Grewe, Diskussionsbeitrag während der »Rhöndorfer Gespräche« am 1.6.1978, in Entspannung und 213
Wiedervereinigung, S. 54. Auf Formulierungsunterschiede mit inhaltlichen Folgen machte Krekeler aufmerksam: »Für eine Wiedervereinigung nach dem Modell der großen Einigungsbestrebungen des 19. Jahrhunderts war in der amerikanischen Öffentlichkeit keine Zustimmung zu erhalten. Nur wenn man die Wiedervereinigung als Freiheitsproblem erklärte, konnte man der Aufmerksamkeit und der Zustimmung der Amerikaner sicher sein«; ders., Diskussionsbeitrag Krekelers, in Entspannung und Wiedervereinigung, S. 69. 216 Rupieper, Der besetzte Verbündete, S. 300. 217 Aron, Republik, S. 119.
215
I. Die
Vereinigten Staaten
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Führungsmacht
165
Darin, daß sich die USA mit massiveren diplomatischen Pressionen zurückhielten, und
wie die Berliner Außenministerkonferenz Anfang 1954 zu Adenauers Beruhigung ein weiteres Mal deutlich machte in Verhandlungen nicht bereit waren, für die Wiedervereinigung einen Preis zu zahlen, konnte er nicht ohne Grund das stillschweigende Einverständnis aller drei Westmächte vermuten, sich zumindest zunächst mit dem Status quo nicht allzu ungern abfinden zu wollen. Wann die Hoffnung auf die Politik der Stärke Früchte tragen würde, mochte die Zukunft erweisen. Bei der Gewichtung der Folgewirkungen wird man auch bezüglich der Wiedervereinigung dem Urteil eines beide Seiten kennenden Weg- und Zeitgenossen Adenauers folgen dürfen: —
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»Die Geschichte wird eines Tages Adenauer vielleicht vorwerfen, er habe sich mit der Trennung der beiden Deutschland zu bereitwillig abgefunden. Mit Fug und Recht könnte er darauf erwidern, daß dafür jene die Verantwortung trügen, die den Krieg begonnen, wie auch die Alliierten, die ihn gewonnen hätten. Wie echt seine Verbundenheit mit den deutschen Ostgebieten auch gewesen sein mag es gab wenig oder nichts, was er hier ausrichten konnte218.« —
Dennoch hat der Bundeskanzler seine Hoffnungen nicht aufgegeben. Sein langes Insistieren auf die ihm innenpolitisch erhebliche Schwierigkeiten bereitende Bindungsklausel wird in diesem Kontext nicht nur als Beruhigung gegen im Westen vorhandene RapalloÄngste219 verständlich, sondern auch als ein Mittel, das die Westalliierten auf die Wiedervereinigung verpflichten sollte. Das hielt er aus guten Gründen für nötig, auch wenn juristische Absichtserklärungen ohne Konkretisierung der Rechtspflichten und Rechtsfolgen nur eine begrenzte Zugkraft haben konnten. Insoweit trafen sich selbst hier noch Absichten und gemeinsames Mißtrauen Dulles' und Adenauers im Ziel gegenseitiger Kontrolle. Mit der Bindungsklausel wollten beide aber auch einer rein nationalen Politik der Wiedervereinigung einen Riegel vorschieben, die statt der vorrangigen festen Einbindung in den Westen eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West ermöglicht hätte. Anders als die gesamtdeutschen Vorbehaltsrechte der Besatzungsmächte (in bezug auf Wiedervereinigung, friedensvertragliche Regelungen für Deutschland als Ganzes sowie in bezug auf Berlin im Artikel 2 Generalvertrag), die die Besatzungsrechte für die Zukunft einseitig fortschrieben, verpflichtete die Bindungsklausel theoretisch beide Seiten zum Zusammenwirken für ein als gemeinsam erklärtes Ziel. Praktisch aber blieb der Bundes8
McCloy, Adenauer, S. 425. Vgl. auch die generellen Wertungen bei Hanrieder: »Germany's weakness and dependence on the Western powers did not leave the Adenauer government much room for maneuver«; und die Politik oriented toward Moscow was much more passive and vague, because it was merely an appendage of Bonn's Washington-oriented policy«; vgl. ders., Crisis, S. 131 bzw. 88 f. Wie extrem eng der Handlungsspielraum Adenauers in den ersten Jahren der Bundesrepublik gewesen ist, beleuchtete eine sich in den Rahmen der westlichen Wiedervereinigungspolitik glaubwürdig einpassende Darstellung Herbert Wehners: »Damals gab es eine Abmachung zwischen den drei Westmächten und dem damaligen Bundeskanzler, schriftlich ich habe die Unterlage gehabt —, wonach auch, wenn ein solches Plebiszit dort drüben und hier [i.e. freie gesamtdeutsche Wahlen unter UNO-Aufsicht, d. Verf.] positiv ausgehe, noch viele Jahre die Bundesrepublik als Staat erhalten bleiben müsse, damit das, was hier getan worden ist, Verfassung und Einrichtungen, nicht aufging wie ein Stück Zucker in einem Waschlappen«; vgl. Der Spiegel 7/1979, S. 22. Adenauer wies selbst auf Dulles' Furcht vor einer deutschen Rapallo-Politik hin, ders., Erinnerungen 1953—1955, S. 303; vgl. auch Oberndörfer, Dulles, S. 236f. »—
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Teil B: Die Verbündeten
kanzler im Westen auf sich allein gestellt, wenn es um Fortschritte in der deutschen Frage ging. Von Dulles wie von den amerikanischen Regierungen insgesamt durfte er nicht viel mehr erwarten als begrenzte verbale diplomatische Unterstützung des jeweiligen westdeutschen Regierungsstandpunktes. Ob Adenauer die Möglichkeiten überschätzt hat, die sich hinter der Befreiungspolitik von Dulles, die mehr hätte sein können als Rhetorik, verbargen, läßt sich heute leichter beurteilen als zu dem Zeitpunkt, in dem sich Adenauer entscheiden mußte220. Wenn man mit Joffe in Adenauers Politik »eine verbesserte und erweiterte Neuauflage der Stresemannschen Locarno-Politik«221 erblickt, dann allerdings hat er sich nicht im Ergebnis, wohl aber in der Zeitdimension verrechnet. Sicher ist, daß Adenauer mit mehr gerechnet hat als mit einem Verharren auf dem Status quo. Seine Äußerungen hierzu, die von ihm in der Öffentlichkeit und im kleinen Kreis überliefert wurden, lassen bei aller »taktischen Beweglichkeit« kaum eine andere Deutung zu. Ein zeitlich später liegendes Beispiel deutet auf seine Beurteilung der Gesamtkonstellation hin, auch wenn die Bestimmtheit, die keinen Zweifel mitschwingen läßt, der Euphorie des Augenblicks zugute gehalten werden mag: anläßlich des Vollzugs des westdeutschen NATO-Beitritts konstatierte er sinngemäß: »Wir sitzen nun im stärksten Bündnis der Geschichte. Es wird uns die
Wiedervereinigung bringen222.« Gerade der Zusammenhang mit dem NATO-Bündnis deutet auf eine zeitliche Fehleinschätzung des Bundeskanzlers hin. Die mit den Pariser Verträgen von den Vereinigten Staaten eingegangene Unterstützung der Wiedervereinigung hatte jedenfalls keinen materiellen Rückhalt in der amerikanischen Militärpolitik. Die ermöglichte nicht mehr als Status-quo-orientierte Sicherheitspolitik und konnte westdeutsche Ambitionen auf Grenzrevision im Osten nicht erfüllen. Schließlich: nicht nur Dulles, aber besonders er, hat in Adenauer immer wieder Erwartungen wach gehalten, die der amerikanischen Seite vielleicht nicht einmal als unerfüllbare Erwartungen erschienen sein mögen223 was Adenauers wohl kurzfristigere Zeitvorstellungen um so verständlicher machen würde. —
Auf den Generalvertrag verweisend, schätzte Schwarz dagegen, »daß diese Politik der ersten Eisenhower-Administration gegenüber Deutschland mehr als Rhetorik gewesen ist«; ders., Das atlantische Sicherheitssystem, S. 157. Zur Gesamteinschätzung amerikanischer Befreiungsrhetorik vgl. aber pointiert Rupieper, Der besetzte Verbündete, S. 320: »Es gab weder eine Strategie noch Pläne für die Befreiung Osteuropas. Die Befreiungsideologie war politischer Hokus-Pokus.« 221 Joffe, Westverträge, Ostverträge, S. 112. 222 Ruehl, Adenauers Politik, S. 57; siehe zu Adenauers präzisen Äußerungen den Exkurs hierzu in Morsey, Deutschlandpolitik, S. 50—54. Mit der beginnenden Trennung der Problembereiche Wiedervereinigung und Abrüstung, wie sie sich seit der Genfer Konferenz 1955 abzeichnete, modifizierte Adenauer auch seine Beurteilung der Wiedervereinigungschancen. 223 Sicher zielten die amerikanischen Äußerungen primär auf Außenwirkung; aber daß ihm ausschließlich Luftschlösser vorgegaukelt wurden, davon mußte Adenauer in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre nicht ausgehen. So gilt wohl die Einlassung des Botschafters Bruce aus dem Jahre 1958 für 1954/55 nur mit Einschränkungen: »Nevertheless, we must show full fidelity to an ally, Bonn, who desires unification«, vgl. Sulzberger, Giants, S. 518; übrigens läßt dies auch die Deutung zu, daß Adenauers Wunsch nach Wiedervereinigung zumindest in der amerikanischen Perzeption als Konstante seiner Politik aufgefaßt wurde, der Tribut zu zollen war. Mit Blick auf die deutsche Innenpolitik urteilt Schwabe: »Im Interesse der Verwirklichung des westdeutschen Verteidigungsbeitrags wagten es die 220
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I. Die
Vereinigten
Staaten als
Führungsmacht
167
Im Hinblick auf Adenauers
Konzeption ist in erster Linie bedeutungsvoll, daß er die deutsche Frage für spätere, womöglich günstigere Konstellationen offenhalten konnte. Dieses Ergebnis wird heute allzu leicht als eine belanglose Selbstverständlichkeit gese-
hen. Und doch mußte es damals erst einmal gegen die verständlichen Interessen zumindest der europäischen Verhandlungspartner und Kontrahenten an einem definitiv verminderten Status Deutschlands durchgesetzt werden. Daß dies gelang, wird man allerdings nur zu einem geringeren Teil dem Verhandlungsgeschick des Bundeskanzlers zurechnen dürfen; als stärker erwiesen sich der Ost-West-Konflikt, die Dominanz der Vereinigten Staaten und die für viele akzeptable Alternative, statt einer sofortigen und definitiven Lösung in Form eines vorläufig nur eingeschränkt handlungsfähigen Gesamtdeutschland bis zur Oder-Neiße ein auf nicht absehbare Zeit geteiltes Deutschland wirkungsvoller unter Kontrolle halten zu können. Beide Seiten also, Adenauer und seine Verhandlungspartner, setzten damit auf die Zukunft aus teilweise verschiedenen Gründen: so mancher unter den Alliierten vielleicht in der stillschweigenden Hoffnung auf Verfestigung des deutschen Status quo, Adenauer sicher in der offen geäußerten Hoffnung auf dessen Überwindung. Die außenpolitische Selbstfesselung, die Adenauer als einen Preis für das Offenhalten der deutschen Frage immer wieder entrichtet hat, verhinderte in einem schwer abzuschätzenden Umfang, daß die Bundesregierung beispielsweise ihr wirtschaftspolitisches Gewicht in Fortschritte bei der Osteuropa- und Deutschlandpolitik umsetzte. Daß das möglich gewesen wäre, wird vielfach angenommen224. Die damit aufflammende weitere Kontroverse über tatsächlich oder angeblich »versäumte Gelegenheiten« soll hier nicht denn zumindest für 1955 die bis hatte Adenauer sich konzepZeit werden; fortgeführt tionell vorrangig auf zuverlässige, vertrauensbildende Westbindung festgelegt, und das schloß eine wirklich aktive Ostpolitik damals noch aus. Auch innenpolitisch blieb diese Politik nicht ohne Wirkung. Sie nährte und verstärkte Hoffnungen besonders bei der großen Zahl der Vertriebenen noch zu Zeiten, wo zu weitgehende Illusionen eher behutsam hätten abgebaut als bestärkt werden können. Die wechselseitige Verstärkung von Erwartungen der Bevölkerung und bestärkendem Echo der Regierung führte so nicht nur zu einer Verlangsamung des Anpassungsprozesses bei vielen Vertriebenen, sondern vor allem zu einem Mangel an Glaubwürdigkeit, den Adenauer gegen Ende seiner Regierungszeit noch selbst zu spüren bekam. konnte auch die die der Kanzler der »kleinen Wiederwecken, Hoffnungen Bedeutung der im der in seiner außenpolitischen KonSaar Westen, vereinigung« Rückgliederung hat225. Souveränität, Westintegration mit der Voraussetzung einer zeption zugewiesen westlichen Regierungen nicht, die deutschen Hoffnungen auf Wiedervereinigung auf ein realistisches Maß zu reduzieren, weil dies die Opponenten Adenauers nur bestärkt und die Verabschiedung des EVG-Vertrages vielleicht sogar fraglich gemacht hätte«; ders., Konrad Adenauer, S. 27. Besonders im Hinblick auf die Abkommen mit Polen beklagen Gradl und Krekeler Versäumnisse durch die starre Ostpolitik Adenauers; vgl. Entspannung und Wiedervereinigung, S. 55, 58 bzw. 68—72; die Gegenmeinung vertritt Gerstenmaier, ebd., S. 77. Zu der von Adenauer und vor allem zu der auch von der innerparteilichen Opposition hergestellten Verbindung der Saarfrage mit den Problemen einer Wiedervereinigung Deutschlands vgl. —
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Teil B: Die Verbündeten
deutsch-französischen Verständigung, europäische Einigung und Rückgewinnung der Saar für Deutschland konnten nicht gleichzeitig und mit der gleichen Intensität angesteuert werden. Hier mußte Adenauer Prioritäten setzen. Und das hieß, in manchen Bereichen Abstriche zu machen. Dabei leiteten ihn zwei handlungsbestimmende, partiell gegenläufige Grundprinzipien: Er war 1954 bereit, für seine Gesamtkonzeption »den territorialen Anspruch auf das Saargebiet in erheblichem Umfang preiszugeben, und nur das Votum der Saarbevölkerung hat uns davor bewahrt«226. Aber er war seit 1953 zunehmend weniger bereit, die territoriale Abtretung die das Saarstatut in seinem europäischen Gewände den Ausführungsmodalitäten nach vorgezeichnet hatte als definitiv und unabänderlich festschreiben zu lassen. Wenn auch vieles dafür spricht, daß er einer glaubwürdigen europäischen Regelung, die dem deutschen und dem französischen Einfluß gleiche Chancen gesichert hätte, 1952 nicht ungern zugestimmt haben würde, wollte er zunehmend ab 1953 doch formal ein völkerrechtliches Präjudiz vermeiden, aus dem man ihm einen Territorialverzicht hätte vorwerfen können. Das wichtigste Motiv findet sich in diesem Fall in der innenpolitischen Kräfteverteilung sowohl innerhalb der Koalition wie der Wahlbevölkerung insgesamt. Der Standpunkt der amerikanischen Regierung richtete sich noch 1950 ganz gegen die deutschen Ansprüche, setzte sich vielmehr für die französischen Wünsche und Forderungen ein: das Saargebiet sollte von Deutschland losgelöst und mit einem teilautonomen Status dem französischen Einfluß zugeordnet werden227. Anfang 1952 hatte Adenauer den Eindruck, daß die USA entgegen dem deutschen Vorschlag, die Saarregelung dilatorisch zu behandeln, eine baldige und definitive Lösung ohne Revisionsmöglichkeiten forderten, was der Sache nach damals noch auf eine Abtrennung der Saar unter europäischer Flagge bei französischem Übergewicht hinauszulaufen drohte228. Je mehr man sich in Washington klar machte, daß neben der Siegermacht Frankreich auch das besiegte Deutschland als zukünftiger wichtiger Verbündeter auf dem europäischen Kontinent zu berücksichtigen sein würde, je sperriger sich auch die französischen Regierungen in der EVG-Ratifizierung verhielten, desto zurückhaltender lavierte die amerikanische Regierung in dieser Streitfrage. Je mehr sich die Saarfrage zu einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis für die EVG auftürmte, desto weniger fand man sich im State Department bereit, einen der beiden Kontrahenten zu unterstützen und damit den anderen zu verprellen. Diese Entwicklung war bis zum Besuch des Kanzlers in Washing—
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seine Äußerungen vor dem CDU-Bundesparteivorstand, Adenauer, Wir haben, S. 155f., 195, 351 und 184—188 (Altmeier). Ergiebig in bezug auf Adenauers Rolle im damaligen Entscheidungsablauf ist Kosthorst, Kaiser; für die Zeit 1954/55 liegt als quellenfundierter und zahlreiche zeitgenössische Problemverschränkungen in ihren Wechselwirkungen sachkundig aufbereitender Aufsatz vor: Thoß, Lösung der Saarfrage; damit ist ein Vergleich möglich und auch notwendig, wenn man Adenauers Schilderung in seinen »Erinnerungen« zu Rate ziehen will. Grewe, Korreferat, S. 46. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 303. Ebd., S. 519; hier lag möglicherweise ein Mißverständnis zugrunde; der Bericht McCloys stützt in diesem Punkt das deutsche Dolmetscher-Protokoll nicht; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 2, S. 1403—1405; vielmehr setzte sich Außenminister Acheson unverzüglich für Adenauers Wunsch ein, vgl. ebd., S. 1406.
I. Die
Vereinigten
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Führungsmacht
April 1953 so weit fortgeschritten, daß zwar der französische Standpunkt in der US-Administration nach wie vor intern etwas bevorzugt wurde, aber gegenüber Adenauer und vor allem der Öffentlichkeit der einseitige französische Standpunkt nicht mehr herausgestellt wurde229.
ton
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Wenn Dulles Adenauers volle Zuversicht in die
Unterstützung der Vereinigten Staaten und vollständige endgültige Wiedervereinigung Deutschlands«230 erhalten wolldie Westdeutschen wenn er te, innenpolitisch sicher auf dem Kurs des Verzichtes auf deutsch-sowjetische Annäherung halten wollte, durfte Dulles sich gerade in der Problematik der »kleinen Wiedervereinigung« nicht einseitig gegen erklärte Territorialinteressen Deutschlands wenden. Wenn Adenauer auch nicht erwartete, daß die französischen Regierungen mehr zum Entgegenkommen gedrängt würden als der vielfach abhängige Verlierer des Zweiten Weltkrieges, so erwartete er doch, daß sich die USA in der Saarfrage wenigstens neutral verhalten sollten. Vorläufig war für den Kanzler nicht mehr erreichbar, als jede endgültige Festlegung von Grenzen vor einem Friedensvertrag zu vermeiden und im übrigen die letzte Verantwortung der Saarbevölkerung zuzuschieben231. Den entscheidenden Fortschritt zugunsten des deutschen Standpunktes brachten die französische Verzögerung der EVG-Ratifikation und Adenauers beständige Mahnung an die US-Regierung, ihn und seine Koalitionsparteien innenpolitisch besonders vor fast immer bevorstehenden Bundes- oder Landtagswahlen zu unterstützen. Daher lehnten die Vereinigten Staaten das offizielle Junktim Frankreichs zwischen einer endgültigen Regelung der Saarfrage i.e. im Sinne Frankreichs und den übrigen, Westdeutschland begünstigenden Verträgen ab und ließen früher gemachte Zusagen nicht mehr gelten. Insbesondere konnte Mendès France keine angelsächsische Garantie mehr dafür erreichen, daß die Saarregelung auch bei einem zukünftigen Friedensvertrag beibehalten werden würde232. Insofern stand Adenauer im Oktober 1954 in der Saarfrage in einer wesentlich günstigeren Verhandlungsposition als je zuvor. Er erkannte die Gunst der Stunde und nutzte für »eine
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229
Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 569 (mit Eisenhower) und S. 579f. (mit Dulles); Dulles und noch weniger Eisenhower wollte sich nicht in Details des Saarproblems vertiefen und Adenauer auch keine detaillierte Verfahrensweise empfehlen, aber doch darauf hinweisen, daß »die Lösung der Saarfrage [...] das große Hindernis [sei], das aus dem Weg zu räumen sei«; dabei schwang bei beiden die Hoffnung auf eine beträchtliche Konzessionsbereitschaft bei Adenauer mit; vgl. BA-MA, BW 9/ 2067, zum Junktim zwischen der französischen EVG-Ratifizierung und dem Saarabkommen, bes. die »Beprechung des Herrn Bundeskanzlers mit Staatssekretär Dulles am 7. und 8.4.1953 in Washington«, Bl. 50, und de Maizières Amerika-Reisebericht vom 14.4.1953, Bl. 66ff.; Adenauer konnte zwar nicht verhindern, daß das Saarproblem im Kommunique angesprochen wurde; auch die dilatorische Behandlung wurde mit der Formulierung: »eine baldige Lösung« abgelehnt; aber immerhin wurde eine offene Unterstützung französischer Forderungen vermieden; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 580. Zur amerikanischen Auffassung und Adenauers Vorbringen vgl. —
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FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 1, S. 431 f., 445f., 446f., sowie Teil 2, S. 1444f. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1949—1953, S. 579. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 364—366. Vgl. Schmidt, Saarpolitik, S. 34; vgl. auch ein letztes, bescheiden gehaltenes und doch vergebliches Bemühen von Mendès France am 16.12.1954, die französische Saar-Position von 1947 im Schulterschluß mit den Anglo-Amerikanern im Kern zu bewahren, in: FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1506.
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Teil B: Die Verbündeten
sie. Er lud die Fraktionsführer der SPD und der Koalitionsparteien für den 22. Oktober 1954 nach Paris ein, um einen gemeinsamen Standpunkt in der Saarfrage abzusprechen233. Sich durch derartige Manöver außenpolitisch selbst die Hände zu binden, noch dazu unter Beteiligung der parlamentarischen Opposition, entsprach nun gar nicht dem Regierungsstil Adenauers. Die Erklärungen für sein abweichendes Agieren werden angesichts der Konstellation u. a. in der Absicht zu suchen sein, die Verantwortung sowohl für eine unpopuläre Entscheidung als auch für einen eventuellen außenpolitischen Eklat innenpolitisch zu teilen und sich abzusichern; solche Effekte mögen ihm zwar die Einladung erleichtert haben. Letztlich waren ihm aber die Pariser Verträge insgesamt zu wichtig, als daß er sie wegen innenpolitischer Bedenken hätte in Gefahr bringen wollen. Ziel des aufwendigen Schachzuges wird es daher weit mehr gewesen sein, daß er Mendès France, dessen Kabinett und der französischen Nationalversammlung nachdrücklich vor Augen stellen wollte, daß es auch in der Bundesrepublik Deutschland innenpolitische Zwänge gab, die ein Bundeskanzler nicht unbegrenzt hintanstellen konnte. Da Adenauer wie Mendès France damit rechnen konnten, daß Dulles, der bereits das Saar-Junktim nicht mehr zu bestärken bereit war, im Zweifel nunmehr eher das doch sehr gemäßigte und Frankreich weit entgegenkommende Saarstatut trotz des Friedensvertragsvorbehalts unterstützen würde, konnte sich Adenauer dieses nicht unproblematische Manöver leisten. Es wäre in diesem Kontext zu gewagt, aus Adenauers Haltung in der »Wiedervereinigung im Westen« weitreichende Schlüsse bezüglich seiner Vorstellungen für eine zukünftige »Wiedervereinigung im Osten« ziehen zu wollen. Dazu stand der Entscheidungsablauf zu sehr im Banne außenpolitischer Vorgaben und der sich anbietenden Chancen. Noch mehr Behutsamkeit im Urteil ist angebracht, wenn Adenauers Haltung im Zusammenhang mit dem innenpolitischen Kräftespiel betrachtet wird. Hier galt es, die Regierungsfraktionen im Bundestag auf Kurs zu halten, um die unerläßliche Zweidrittelmehrheit für die verfassungsergänzenden Wehrgesetze sicherzustellen. Unter diesem Aspekt verfassungsändernder Mehrheiten hatte Adenauer bereits 1953 seine Regierung gebildet. Damals war schon deutlich geworden, daß sich ein regierungsinterner Zwist vor allem an der Saarfrage entzünden würde. So hatte die FDP bereits bei den Koalitionsverhandlungen im Oktober 1953 erklärt, daß sie sich ihr Votum beim Saarvertrag vorbehalte234. Trotz aller grundsätzlichen Übereinstimmung über die außenpolitischen Grundlinien des Bundeskanzlers hatte dieser in allen Fraktionen, selbst in der eigenen, erhebliche Schwierigkeiten und mußte große Mühe aufwenden, damit es nicht über den Saarvertrag zu einem vorzeitigen Bruch der Koalition kam.
Ebd., S. 32f., und Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 365. Zur unmittelbaren Vorgeschichte vgl. Thoß, Lösung der Saarfrage, S. 227—236; zu Adenauers kurzer Rechtfertigung im Kabinett vgl. Kabinettsprotokolle 1954, 53. Sitzung, S. 449 und Anm. 34 ebd. 234 Zu den Schwierigkeiten der Regierungsbildung 1953 vgl. Domes, Bundesregierung, hier bes. S. 58; zur Festlegung der FDP gegen eine Europäisierung des Saargebiets bis hin zur schriftlich fixierten Rücktrittsabsicht der FDP-Minister im 1. Kabinett Adenauer vgl. FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949—1954, S. 1192f. Zum innenpolitischen Kampf der FDP um Wählerstimmen und um einen national bestimmten Kurs in der Saarpolitik vgl. bes. Thoß, Lösung der Saarfrage, passim. 233
I. Die
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hatte er dabei in der Deutschen Partei (DP) zu überwinden. Ohne wesentliche Vorbehalte stand sie hinter Adenauers Außenpolitik235. Mit ihrer ausgeprägten Westorientierung lehnte sie den Gedanken einer eigenständigen deutschen Politik zwischen den Blöcken ab. Sowohl die EVG als auch die Wirtschaftspolitik Erhards fanden die unumstrittene Unterstützung der DP. Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten wurden durch drei existentielle Anpassungszwänge überlagert und verstärkt. Erstens hatte die CDU mit einem Aussparungsabkommen zugunsten der DP in acht Wahlkreisen auf eigene Kandidaten verzichtet, damit statt der nicht erreichbaren 5 Prozent Wählerstimmen wenigstens die Alternativbedingung der Direktmandate für den Verhältnisausgleich entsprechend dem Wahlgesetz erfüllt werden konnte. Zweitens geriet die DP mit ihrer Parteifinanzierung in Abhängigkeit von großindustriellen Kreisen236, was prinzipielles Wohlverhalten bis hin zur willfährigen Anpassung in Sachfragen zur hatte. war 1953 der norddeutschen Drittens bundesweiter Durchein Folge Regionalpartei bruch nicht gelungen. Mit ihrem Programm um die Wählerschichten der CDU und der FDP konkurrierend blieb sie daher auf enge Zusammenarbeit mit diesen Parteien angewiesen. Identitäts- und Profilverlust gegenüber der Integrationskraft der Unionsparteien waren die Folge. Da die DP so ihre bundespolitische Aktionsfähigkeit weitgehend eingebüßt hatte, konnte Adenauer von dieser Seite jedenfalls dann mit voller Gefolgschaft rechnen, wenn es um den Bestand der Regierungsfähigkeit im Bundestag und das Schicksal der Pariser Verträge insgesamt ging. Etwas schwieriger erwies sich die Überzeugungsarbeit beim Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). Diese Partei verstand sich als Interessenvertretung der Vertriebenen, deren Landsmannschaften im Saarstatut teilweise einen nachteiligen Präzedenzfall für ihre territorialen Ansprüche im Osten und Südosten erblickten. Allerdings hatte der BHE mit der Zustimmung zum Generalvertrag und zum EVG-Vertrag bereits in der ersten Legislaturperiode auf außenpolitischem Gebiet die für Adenauer entscheidende Voraussetzung für eine spätere Regierungsbeteiligung geschaffen237. Die 1952 noch gegebenen Bedenken gegen eine unzureichende Ablösung der Besatzungsbestimmungen und die umstrittene Bindungsklausel im Generalvertrag konnten trotz parteiinterner Meinungsverschiedenheiten darüber hinreichend neutralisiert werden. Mit der Festlegung auf Adenauers Konzeption der Westintegration, der Remilitarisierung und dem vorläufigen Verzicht auf eine dynamische Ostpolitik brachte der BHE »die be-
geringsten Schwierigkeiten
Vgl. dazu und im folgenden Meyn, Deutsche Partei, hier S. 52. »Wichtiger [...] waren [...] die Spenden der Fördergesellschaften, die zunächst auf Länderbasis operierten, später ein Zentralkuratorium in Köln bildeten und schließlich 1954 die Staatsbürgerliche Vereinigung bildeten. In den Vorstand dieses eingetragenen Vereins wurden zum Beispiel Friedrich Spennrath, der Vorsitzende des Gemeinschaftsausschusses der deutschen gewerblichen Wirtschaft, Fritz Berg, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Robert Pferdmenges, Vorsitzender des Bundesverbandes des privaten Bankgewerbes, und Hans-Constantin Paulsen, Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, gewählt«; ebd., S. 158; »pointiert formuliert, war die Deutsche Partei nur beschränkt handlungsfähig, eine Marionette in den Händen ihrer Financiers, ein willenloses Werkzeug in der Verfügungsgewalt außerhalb der Partei stehender Kräfte und Mächte«; vgl. ebd., S. 159. 237 Vgl. hierzu und im folgenden die Untersuchung zum BHE von Neumann, Der Block, hier S. 98f. 235 236
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Teil B: Die Verbündeten
dingungslose Gefolgschaft« in den wesentlichen außenpolitischen Fragen in die Koalition ein238. Die geänderten Verträge vom Herbst 1954 entsprachen nicht nur in der Grundorientierung, sondern auch mit ihren Verbesserungen eines selbständigeren Status für die Bundesrepublik den vorherrschenden Vorstellungen in der Bundestagsfraktion des BHE. Daß es bezüglich des Saarvertrages teilweise zu einer von der Regierung abweichenden Abstimmung kam, ist aus sachlichen Bedenken heraus allein nicht zu erklären. Parteiinterne Machtkämpfe, der Wunsch nach politischer Profilierung und Abgrenzung vom großen Koalitionspartner sowie Rücksichtnahme auf den Wählerstamm der Vertriebenen sind einige der Ursachen, die dazu beitrugen239. Der Führungswechsel im BHE von Waldemar Kraft zu Theodor Oberländer und Niederlagen in Landtagswahlkämpfen in das Parlament des stärksten Bundeslandes, Nordrhein-Westfalen, zog der BHE 1954 nicht mehr ein, weil er die 5 Prozent knapp verfehlte —, hatten den BHE zudem derart geschwächt, daß Adenauer auch von daher nicht mit einem vorschnellen Ausbrechen dieses Koalitionspartners rechnen mußte. Wie bei der DP, so konnte er auch beim BHE den Ministerflügel leichter überzeugen als die dem Regierungschef weniger verpflichteten Abgeordneten. Vom nötigen Aufwand dieses Kraftaktes der BHE-Führung im Zusammenwirken mit dem Bundeskanzler zeugte die nachfolgende Spaltung des BHE und sein Ausscheiden aus der Regierungskoalition im Sommer 1955, dem sich allerdings der Ministerflügel der Partei nicht anschloß. Auch die Freie Demokratische Partei erlebte eine Spaltung, in deren Folge ein starker Ministerflügel in der Koalition verblieb und der größere Teil in die Opposition ging240. Die stärkere Betonung nationalstaatlicher Zielvorstellungen, die als Teilursache für die Trennung von Adenauers Außenpolitik wirkte, kündigte sich bereits vor der mehrheitlichen Ablehnung des Saarstatuts an241. Überhaupt empfand Adenauer gerade in der FDP eine ganze Reihe eigenwilliger Persönlichkeiten mit ihren außenpolitischen Denkmodellen, Alternativvorschlägen, deutschlandpolitischen Initiativen und ostpolitischen Vorstößen als störend, weil sie sich teils als Koalitionspartner im Bundestag, teils als Kabinettsmitglieder, teils aus dem Bundesrat heraus Mitwirkungsrechte in der Gestaltung der westdeutschen Außenpolitik zu erstreiten suchten. Obwohl sie mehrheitlich sowohl Ade—
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Ebd.,
S. 106; vgl. auch Domes, Bundesregierung, S. 55. Ausführlich analysiert bei Neumann, Der Block, S. 113—154. Aus dem umfangreichen Schrifttum zur FDP vgl. FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949-1954 bzw. 1954-1960, hier z.B. 1954-1960, S. XLI-XLVII und S. 144-164; Gutscher, Die Entwicklung der FDP; Zundel, Die Erben des Liberalismus; Kaack, Zur Geschichte und Programmatik; vgl. zur Deutschlandpolitik der FDP Pfleiderer, Politik für Deutschland; detailliert dazu Schlarp, Alternativen; zu weiteren Zusammenhängen vgl. Schollwer, Weg; vgl. auch die kurzgefaßte Darstellung von Genscher, Adenauer; zur innerparteilichen Willensbildung hinsichtlich des wehrpolitischen Konzepts der FDP vgl. Wagner, FDP und Wiederbewaffnung; zum Bruch der Koalition vgl. Klingl, Das ganze Deutschland, S. 235—242. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen anläßlich der zweiten und dritten Lesung des Pariser Vertragswerks ist verzeichnet in Deutscher Bundestag, Verhandlungen, Sten.Ber., Bd 23, S. 3860—3877 (26.2.1955) und S. 3939-3947 (27.2.1955). Zur FDP vgl. Klingl, Das ganze Deutschland, S. 176-183, und FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954—1960, S. 56—60, 104—114.
I. Die
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Vereinigten Staaten als Führungsmacht
Politik der atlantischen Orientierung als auch nicht ganz so geschlossen seinem Bemühen um die westeuropäische Integration zustimmten, opponierte die FDP schon 1952 nicht ohne Erfolg gegen die einengende Bindungsklausel im Generalvertrag. Doch die Adenauer widerstrebenden Kräfte wie Reinhold Maier242, Thomas Dehler243, KarlGeorg Pfleiderer244, Willy Max Rademacher245, Friedrich Middelhauve246 oder Hermann Schwann247 konnten sich nicht auf ein gemeinsames Alternativkonzept einigen, geschweige denn die Mehrheit in der FDP für ihre außenpolitischen Vorschläge gewinnen; daher kam es nicht zu einer geschlossenen Front in der Bundestagsfraktion. Durch Abspaltung des Ministerflügels, durch Überzeugen und Überreden, durch Drohen mit dem Bruch der Koalition, durch Verweis auf seine Richtlinienkompetenz als Bundeskanzler und seine Verantwortung als zuständiger Ressortchef, wohl auch durch geschickten Einsatz seiner personalpolitischen Möglichkeiten248 und zuletzt noch durch eine außenpolitisch härtere Haltung in den umstrittenen Verhandlungen um die Saarfrage hielt Adenauer die FDP in der Koalition, solange er sie für das Gesetzgebungsprozedere brauchte. Vom Ergebnis her beurteilt blieb der Einfluß auf das Pariser Vertragswerk nauers
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Ministerpräsident von Baden-Württemberg (bis Oktober 1953) und MdB (1953—1956 und 1957— 1959); zum Kontrapart gegen Adenauer vgl. Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 261-293.
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Als Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag und Bundesvorsitzender der FDP nutzte Dehler allem das Forum des Parlaments, um einer sich nach Osten öffnenden und Entspannung fördernden Außen- und Wiedervereinigungspolitik Nachdruck zu verleihen; vgl. seine scharfen, Adenauer frontal angehenden Reden im Bundestag, teilweise zusammengefaßt in Maier, Reden und Aufsätze, sowie Klingl, Das ganze Deutschland, passim. So mußte Adenauer befürchten, daß Pfleiderer, der am 27.2.1954 den sowjetischen Hohen Kommissar in Karlshorst, Vladimir Semjonovich Semenov, besucht hatte und zusammen mit Bundestagsabgeordneten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit einer Reise nach Moskau diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion vorbereiten wollte, vor ihm und über seinen Kopf hinweg, ja gegen seine außenpolitische Konzeption ein wichtiges, vom Bundeskanzler noch nicht belegtes Feld besetzen würde. Wenn man bedenkt, wie sorgsam Adenauer die Beziehung zu den westlichen Hohen Kommissaren für sich monopolisiert hat, kann man ermessen, wie empfindlich ihn diese Aktivitäten Pfleiderers getroffen haben müssen; vgl. FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954—1960, S. XLIf, 55—67 und 74, sowie Schlarp, Alternative, S. 243 und passim. Rademacher, MdB und Landesvorsitzender der FDP in Hamburg, kritisierte öffentlich die mangelhaften Bemühungen Adenauers um die Wiedervereinigung anläßlich der sowjetischen Tass-Erklärung vom 15.1.1955; vgl. FAZ vom 24.1.1955. Middelhauve, Landesvorsitzender der FDP in Düsseldorf, forderte wie Rademacher vom Bundeskanzler einen letzten Versuch, über die Wiedervereinigung mit der Sowjetunion ins Gespräch zu kommen, vgl. FAZ vom 5.2.1955. FdP-MdB; erarbeitete aus Sicht einer von ihm angestrebten »nationalen Sammlung« für die FDPFraktion ein Memorandum gegen das Pariser Vertragswerk; vgl. Rupp, Außerparlamentarische Opposition, S. 51. pfleiderer stimmte allen Verträgen im Bundestag zu, obwohl er einer der entschiedensten Gegner der Deutschlandpolitik Adenauers war; inwieweit ein Zusammenhang mit seiner Berufung zum Botschafter in Belgrad besteht, geht auch bei Schlarp nicht hervor; vgl. Schlarp, Alternative, S. 247; denkbar wäre eine derartige personalpolitische Entscheidung Adenauers, wenn man die zahlreichen Präzedenzfälle zum Vergleich heranzieht; vgl. zu Schlange-Schöningen (London), Holzapfel (Bern), Wohleb (Lissabon) u. a. m., Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 183 f. und 421 f.
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seitens der FDP eher bescheiden. Adenauer hat seinen Verhandlungsspielraum offenbar weit weniger durch inhaltliche Zugeständnisse als durch persönlichen, taktisch geschickten Einsatz bei der Überzeugungsarbeit zu wahren gesucht. Das ist ihm selbst noch in der Saarfrage hinreichend gelungen. »Auch in der CDU/CSU war das Saarabkommen sehr umstritten. Es gelang mir jedoch, in einer sehr erregten Debatte im Bundesparteivorstand der CDU am 5. Februar 1955 die Mehrheit der CDU davon zu überzeugen, daß das Saarabkommen in der vorliegenden Form durchaus für uns akzeptabel war. Es war insbesondere Brentano, der mir in überzeugender Weise half, die Bedenken, die laut geworden waren, zu widerlegen oder zumindest zum Schweigen zu bringen249.«
Doch dies beleuchtete nur den Endpunkt eines langjährigen und variantenreichen Bemühens, mit dem der Bundeskanzler in der Auseinandersetzung mit Gegenkräften in der eigenen Partei und im Kabinett als Sieger hervorging. Was Wilhelm Hennis unter dem Begriffspaar »Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik« idealtypisch herausgestellt hat, schildert Kosthorst mit anschaulichen Beispielen aus der Praxis anhand »Jakob Kaisers Kampf um die Saar«. Mit welchen Methoden und Verfahren der Bundeskanzler seine ihm vordringliche Aufgabe bewältigte, die unter schwierigen internationalen Verhandlungen zustande gebrachten Verträge innenpolitisch überzeugend mehrheitsfähig zu machen, ohne die Koalition vor der Zeit daran zerbrechen zu lassen, das liest sich im Zeitraffer über die Jahre 1952 bis 1955 so250: Adenauer versuchte im Wege seiner Geschäftsverteilungskompetenz, Kaisers Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG) das Saarreferat zu entziehen; er begann, den Minister im Kabinett und in der CDU/CSU-Fraktion zu isolieren; er suspendierte den mit dem BMG gut und eng zusammenarbeitenden Saarreferenten im Auswärtigen Amt und ersetzte ihn durch einen Referenten, der sich streng an die Linie Adenauers hielt; er bemühte sich, Kaiser den Weg in die Öffentlichkeit zu verlegen und ihn damit zum Schweigen zu bringen; er nahm bei der Regierungsbildung 1953 Kaiser nur unter Vorbehalt in sein Kabinett auf und hielt sich mit Sonderminister Robert Tillmanns eine jederzeit verfügbare personelle Reserve für ein Auswechseln Kaisers bereit; er ließ nichts unversucht, um die Mitbeteiligung des BMG in der Saarfrage abzuschütteln; vergeblich bat er Kaiser um Einschränkung der Saaraktivitäten; wegen unliebsamer Äußerungen Kaisers fragte er warnend an; ausdrücklich lehnte er den gesamten Ansatz der Saarpolitik Kaisers ab; er schoß über das Ziel hinaus, als er dezent, aber unmißverständlich auf seine Richtlinienkompetenz hinwies und die völlige Zurückhaltung Kaisers und seines Ministeriums in der Saarpolitik forderte, um ihn auf diese frontale Weise zu neutralisieren; mit einem Teilrückzug lenkin der Sache kurz und bündig, in der Form freundlich te er ein; er nutzte sein Recht, die Tagesordnung der Kabinettsitzungen zu bestimmen, um mißliebige Themen nicht zur Unzeit behandeln zu müssen; er vermied eine in Aussicht gestellte Aussprache mit Kaiser; in einem neuen Anlauf auf breiter Front brachte er seine Truppen mit der —
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Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 418. Zur frühen innerparteilichen Opposition nauers Deutschlandpolitik vgl. Volkmann, Adenauer, S. 183—206.
gegen Ade-
Kosthorst handelte den Konflikt zwischen den beiden Politikern aus der Sicht Kaisers ab, aber seine sorgfältigen Recherchen lassen es zu, den Entscheidungsablauf auch aus der Sicht Adenauers nach-
zuvollziehen; vgl. ders., Kaiser,
S. 280—354.
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Regierungserklärung in Reihe, deckte durch eine Bundestagsresolution eine mögliche Flankenbedrohung ab, isolierte damit gleichzeitig Kaiser und setzte zum Angriff nach Vorbereitung an: er machte von seinem Recht auf Festlegung der Geschäftsbereiche Gebrauch und entzog Kaiser schlachtfeldbereinigend schlicht die Kompetenz für alle Grenzfragen im Westen mit gleichzeitig verfügter Ausgliederung des Saarreferats aus dem BMG ins Auswärtige Amt; dabei hatte er jedoch die gegnerischen Kräfte unterschätzt und blies daher zum Rückzug auf der ganzen Linie: in einer Unterredung mit Kaiser akzeptierte er den interministeriellen Status quo; er bemühte sich, über die Pariser Verträge geschlossen abstimmen zu lassen, mußte aber dann doch getrennte Abstimmungen akzeptieren, um die Koalition nicht auseinanderbrechen zu lassen; in sorgfältig geplanten Aktionen zog er die BHE-Minister Kraft und Oberländer auf seine Seite und gewann auch die DP-Minister Hellwege und Seebohm; nach diesem innenpolitischen Teilsieg verhandelte er nochmals mit Frankreich um günstigere Auslegungsmodalitäten des Abkommens und legte auch als innenpolitisches Entlastungsmanöver gegenüber Frankreich Rechtsverwahrung ein; nachdem ihm außenpolitisch nichts besseres mehr erreichbar schien, rüstete er sich für die innenpolitische Entscheidungsschlacht; mit verteilten Rollen wurden Parteivorstand, Parteiausschuß und Bundestagsfraktion überzeugt, überredet, robust zum Schweigen gebracht und so für eine Zustimmung zu allen Verträ—
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gen gewonnen. Damit war Kaiser isoliert. Adenauer zog noch ein letztes Mal alle Register: er bat, argumentierte, appellierte, ermahnte, warnte und drohte schließlich mit der Entlassung Kaisers. Immerhin erreichte er selbst hier noch Kaisers Stimmenthaltung anstelle eines Nein. So war es ihm nach zähem Ringen, aber auch mit einer bemerkenswert flexiblen taktischen Anpassungsfähigkeit im Vorgehen zuletzt doch noch gelungen, die eigenen Reihen praktisch geschlossen zu halten; die CDU/CSU blieb auf seinem Kurs. Das hielt er aus zwei Gründen für unabdingbar. Einesteils kam der Abstimmung der CDU/CSU-Fraktion Vorbildcharakter für die Koalitionsparteien zu, andernteils war es Adenauer noch wichtiger, den Konflikt mit Kaiser nicht zu einem offenen Eklat kommen zu lassen. Denn die Vertriebenen und deren Verbände sahen nicht nur in den Vertriebenenpolitikern Oberländer251 und Seebohm252 Garanten für das von der Regierung verbal vertretene Maximalprogramm der Grenzrevisionen, sondern auch in Kaiser. Eine zu offensichtliche Verzichtpolitik bei den Revisionswünschen im Westen, die zum Ausscheiden Kaisers aus dem Kabinett geführt hätte, drohte durch den Teilverlust des Wählerstimmenpotentials der Vertriebenen die Unionsparteien entscheidend zu schwächen. Dieses Risiko wollte Adenauer unter gar keinen Umständen eingehen. Vor allem anderen erklärte Adenauers vorsichtige Rücksichtnahme auf diese Wählerschaft, die nicht nur bis zu 20 Prozent der Stimmen in die Waagschale legte, sondern stets auch das damals noch weit verbreitete nationalstaatliche Ideengut für sich aktivieren konnte, daß der Bun231
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Theodor Oberländer war MdB und Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Mitbegründer und Bundesvorsitzender des Gesamtdeutschen Blocks/BHE; er wechselte 1956 zur CDU über. Hans-Christoph Seebohm war MdB der DP bzw. ab 1960 der CDU, Verkehrsminister und vertrat besonders die Interessen der Sudetendeutschen, deren Sprecher er seit 1959 war.
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deskanzler nicht in stärkerem Maße auf seinen formalen Kompetenzen gegenüber Kaiser beharrt hat253. Im Zusammenhang mit diesen gar nicht zu überschätzenden innenpolitischen Rahmenbedingungen lassen sich über den Konflikt zwischen Adenauer und Kaiser hinaus zwei Folgerungen für die weitere Untersuchung der Zielprioritäten des Bundeskanzlers ziehen. Sowohl die in der Praxis geringe Bereitschaft der Vereinigten Staaten, die territorialen Ansprüche im Westen und im Osten mit Nachdruck zu verwirklichen, als auch die illusionär hochgeschraubten Erwartungen der Wählerschaft engten den Handlungsspielraum Adenauers außenpolitisch und innenpolitisch ein. Das traf nicht nur objektiv zu, sondern wurde von Adenauer auch subjektiv in starkem Maße so empfunden und stets
sorgsam einkalkuliert. Innerhalb der innen- und außenpolitischen Verschränkungen des damaligen historischen Geschehens kann nicht exakt auseinandergehalten werden, was Adenauers Grundüberzeugung und Zielvorstellung bezüglich der nationalstaatlichen Anforderungen und was taktischer Anpassungszwang nach innen und außen gewesen ist. Nach den Vorgängen bei um die Gebiete jenseits von Oder und Neiße wie um die Saarfrage gewinnt man allen Unterschieden in der Konstellation der Grenzfragen im Westen und im Osten doch einen zwiespältigen Eindruck. Was die Wiedervereinigung der vier Besatzungszonen betrifft, so hat Adenauer sich nicht nur aus innenpolitischen Gründen diese Forderung fest zu eigen gemacht. Ein genereller Verzicht darauf konnte schlechterdings kein Verhandlungsobjekt sein. Doch schon bei den Modalitäten dafür wird man mit einem Urteil äußerst behutsam sein müssen. Eine sorgfältige Differenzierung ist insbesondere bezüglich der Gebiete jenseits von Oder und Neiße angeraten. Bei den Saarverhandlungen bewies der Bundeskanzler ein Höchstmaß an taktischer Beweglichkeit, wenn es darum ging, innenpolitisch oder außenpolitisch Kompromisse auszuhandeln. Ob dies bei stärkerem innenpolitischen Druck im Falle der Ostgrenzen und gegenüber der als Gegner perzipierten Sowjetunion oder einem zukünftigen freien Polen auch möglich gewesen wäre, bleibt offen. Nimmt man seine ostpolitischen Versuche der späteren Jahre mit in den Blick, so zeigt sich, daß er selbst hier nicht nur verhandlungs-, sondern auch kompromißbereit war. Von daher scheint der Schluß berechtigt, daß es weniger auf seine Grundprinzipien und Zielvorstellungen, als vielmehr auf die innen- und außenpolitischen Gegebenheiten sowie teilweise selbst verursachten Zwänge zurückzuführen sein wird, daß seinen späteren ost- und deutschlandpolitischen Initiativen zu seinen Lebzeiten kein Erfolg beschieden war. Derartige, auch von ihm mitgestaltete strukturelle Bedingungen, die einen Kompromiß zwischen internationaler Status-quo-Orientierung und innenpolitischer Maximalzielfixierung verhinderten, wirkten weit stärker als seine persönlichen Bewertungsmaßstäbe. Er wäre meines Erachtens bei einer günstigen Kräftekonstellation und zu einem günstigen Zeitpunkt unter fast allen maßgeblichen Politikern in der Bundesrepublik damals —
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Das Prinzip »Rückkehr in die Heimat« tabuisierte das Thema Ostgrenzen; im Rufe eines »Verzichts-
politikers« zu stehen, konnte damals jeden Politiker ruinieren; vgl. statt vieler, Bracher, Dilemma, S. 255-265.
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wahrscheinlich noch am ehesten vom starren Beharren auf territorialer Integrität des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 abgerückt. Das gilt sowohl für die Saar, für die er »europäische« Lösungen in einem weiten Rahmen als akzeptabel empfunden hat, als auch für die Ostgebiete, für die er ebenfalls »europäische« oder UN-Lösungen zuzugestehen bereit war. Obwohl im Nationalstaat groß geworden, aber auch und gerade mit der Erfahrung zweifacher nationalstaatlicher Hybris, hatte er stärker als fast alle seiner Zeitgenossen in verantwortlicher politischer Position ein enges nationalstaatliches Denken überwunden und neigte mehr zu übergreifenden friedensbewahrend-ausgleichenden Konzepten. Territorialstaatliche Anforderungen: Souveränität und Gleichberechtigung Diese traditionellen nationalstaatlichen Anforderungen waren für Adenauer Aufgaben, die er sich vertrauensvoll-skeptisch eher in einer weithin offenen Zukunft zu erledigen vornahm. Die tagespolitischen Prioritäten lagen für ihn dagegen in den Erfordernissen, die die Bundesrepublik Deutschland im Sinne eines Territorialstaates stellte: Zuerst wollte er innenpolitische Autonomie und relative außenpolitische Bewegungsfreiheit für den westdeutschen Teilstaat erringen. Adenauer hat, obwohl juristisch geschult, unter dem Begriff »Souveränität« keinen formal streng fixierten Status gesehen, sondern darunter eine angesichts der Lage der Bundesrepublik Deutschland gegebene Aufgabe der praktischen Politik verstanden, die darauf gerichtet sein müsse, »Schritt für Schritt die Souveränität der Bundesrepublik zu erlangen«254. In dieser aufgabenbezogenen Sicht erkannte er verschiedene Ausprägungen von Souveränitätsstufen, so daß der Weg »zur vollen Souveränität der Bundesrepublik«255 sich ihm als ein Fortschreiten über Etappen, Zwischenziele und Übergangsregelungen darstellte. Aus dieser relativierenden Sicht ist es verständlich, wenn er 1955 trotz aller Restriktionen und Einschnürungen, die mit dem Pariser Vertragswerk in Kauf zu nehmen waren, sagte: »Wir sind ein freier und unabhängiger Staat256.« Ausdrücklich distanzierte er sich von »überholten Souveränitätsvorstellungen im Stil des nationalistischen 19. Jahrhunderts«257. Bezeichnungen wie Souveränität, Gleichberechtigung, Unabhängigkeit, Völkerrechtsunmittelbarkeit, Staatshoheit, staatliche Macht, unbeschränkte Staatsgewalt, Gegenseitigkeit, Partnerschaft etc. galten ihm als dogmatische Begriffe wenig, in realistisch-machtpolitischer Relativierung aber viel in dem Sinne, »jenes Maß an Souveränität« wiederzugewinnen, »das unserer Lage entsprach und das wir nur erhalten und erweitern konnten«258. Seine Vorstellungen von Souveränität bezogen sich ausdrücklich und bewußt auf die Bundesrepublik. Diese sollte in alle Rechte eines souveränen Staates eingesetzt werden, ungeachtet aller juristischen Konstruktionen, die sich auf der Formulierung von einem »Deutschland in den Grenzen von 1937« aufbauten. Die Rechte und Möglichkeiten der
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Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 463. Ebd., S. 464. 23' Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 423. 257 Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 466. 234 255
258
Ebd.
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Bundesrepublik zu wahren und zu mehren, das war sein erstes Ziel259. Dabei hatte er gar kein Verständnis für Bedenken, die geltend zu machen versuchten, daß Fortschritte für die Bundesrepublik Nachteile für eine gesamtdeutsche Lösung zur Folge haben könnten. Derartige Vorbehalte tat er mit entlastenden Rationalisierungen wie »unverantwortliche nationalistische Exzesse« oder »nationalistische^] Restaurationsbedürfnis« ab260. Er hielt es für selbstverständlich, daß, was gut war für die Bundesrepublik, auch gut sein mußte für Deutschland wie er überhaupt die Bezeichnungen Bundesrepublik und Deutschland meist synonym gebraucht hat. Die bewegte Klage, die er in seinen »Erinnerungen« gegen das in seiner Sicht obstinate Verhalten der Opposition führte, die sich der Feier anläßlich der Souveränitätserklärung am 5. Mai 1955 mit Blick auf die weiterhin ausstehende Wiedervereinigung nicht in der ihm gebührend erscheinenden Form anschließen wollte, faßt noch einmal all diese Zusammenhänge wie in einem Brennglas zusammen261. Zwei Folgen aus Adenauers Verständis von Souveränität sind hier für das folgende festzuhalten: Er hat die Politik der westeuropäischen Integration ohne nationalstaatliche Vorbehalte verfolgt in deutlichem Gegensatz etwa zu Frankreich und Großbritannien; und von seiner relativierenden, auf die gegebenen Umstände bezogenen und auf zukünftige Entwicklungen hoffenden Betrachtungsweise der Souveränität aus war um so eher mit seiner Bereitschaft zu rechnen, auch harte Einschränkungen vorläufig zu akzeptieren. Es beruhte ganz entschieden auf dieser grundsätzlichen Einstellung, daß er im Laufe der Jahre den Westmächten als vernünftig-verantwortlicher Politiker so unentbehrlich wurde, woraus ihm Verhandlungsgewicht zuwuchs. Im weiteren empfiehlt es sich zu betrachten, was 1954 tatsächlich an Übereinkünften erzielt worden ist, und zwei Gesichtspunkte hervorzuheben, die sich in den Beschränkungen der westdeutschen Staatsgewalt durch die Pariser Verträge widerspiegeln. Sie lassen sich zwar nicht abdeckend, aber doch den Kern treffend auf die außenpolitischen und die militärischen Einschränkungen komprimieren; dabei können die vertraglichen Auflagen, die die legislative und die judikative Gewalt in Teilbereichen überlagern, —
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hier
vernachlässigt werden. Außenpolitisch sollte aus bündnis-, militar- und wirtschaftspolitischen Gründen jede einseitige Orientierung Deutschlands auf die Sowjetunion hin unterbunden bleiben. Das galt auch für die Variante einer neutralistischen Politik Deutschlands, aus der heraus sich eine deutsch-sowjetische Zusammenarbeit hätte entwickeln können. Um das sicherzustellen, sah der Generalvertrag von 1952 eine bestenfalls annähernd als solche zu bezeichnende Souveränität vor262. Für die westdeutsche Außenpolitik blieb konsequenterwei239 260 261 262
Ebd., S. 244ff., S. 463-468, S. 469 und passim; Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 421—425. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 467. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 421—425.
Vgl. zu den vertraglichen Bestimmungen von 1952 und den geänderten Fassungen von 1954 die Texte in: Die Auswärtige Politik, S. 208 ff. In der Formulierung des Artikels 1 wurde der Begriff »souverän« 1952 bewußt vermieden: »Die Bundesrepublik hat volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten, vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrages«; vgl. einschlägig Blumenwitz, Wiedererlangung, hier bes. S. 138—141.
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der Bewegungsspielraum für eine Annäherung an die Sowjetunion unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Westmächte. Aber selbst die von zahlreichen Vorbehalten überwölbte »volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten« wurde der Bundesrepublik weitere Jahre vorenthalten, weil die französische Nationalversammlung mit dem Junktim zwischen dem EVG-Vertrag und dem Generalvertrag beide blockierte. Diese Verzögerung verstärkte den Unmut über inhaltliche Beschränkungen in Westdeutschland außerordentlich, als die Sowjetunion am 25. März 1954 die DDR gemessen am Generalvertrag von 1952 formal zu einem souveränen Staat erklärte263. Die seitdem innenpolitisch mit Vehemenz geforderte Ablösung des Besatzungsstatuts notfalls durch Lösung des Junktims rückte mit dem Scheitern der EVG nicht nur in unmittelbare Reichweite, sondern Adenauer konnte in gleichem Zuge auch hoffen, daß die inhaltlichen Restriktionen mehr im Sinne der zukünftigen Partnerschaft gelöst werden würden. Dies war dann auch der Fall. Aber bezeichnenderweise traf das nicht für die gesamtdeutschen Vorbehalte zu264. Hier bestanden die Westalliierten auf ihren besatzungsrechtlich begründeten Verfügungsrechten über Deutschland, um ein eigenmächtiges Vorgehen Westdeutschlands zuverlässig unterbinden zu können. In diesem Sinne kann in der als Besatzungsrecht vorbehaltenen Truppenstationierung sekundär ein Instrument zur Durchsetzung der gesamtdeutschen Vorbehaltsrechte gesehen werden265. Da Adenauer in weitgehender Übereinstimmung mit einer mehrheitlich westorientierten Stimmung in den Parteien und in der öffentlichen Meinung diese Zielsetzungen im se
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Die »Erklärung der Sowjetregierung vom 25.3.1954« wies zahlreiche Parallelen zum Generalvertrag auf; eine Zuerkennung der Souveränität wurde mit dem Vergleich suggeriert: »Die Sowjetunion nimmt mit der Deutschen Demokratischen Republik die gleichen Beziehungen auf wie mit anderen souveränen Staaten. Die Deutsche Demokratische Republik wird die Freiheit besitzen, nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einschließlich der Frage der Beziehungen zu Westdeutschland zu entscheiden«; auch hier schränkten die Vorbehaltsrechte zur »Gewährleistung der Sicherheit und zur Wahrung der Verpflichtungen [...] aus den Viermächteabkommen« die postulierte Souveränität ein; vgl. den Text der »Erklärung« in EA 1954, S. 6534f. Zur Diskussion in der Bundesregierung vgl. Kabinettsprotokolle 1954, 27. Sitzung, S. 132, Sondersitzung vom 1.4.1954, S. 141f., und 28. Sitzung, S. 145f. Durch redaktionelle Änderungen des Artikels 2, Abs. 1 Generalvertrag, die die Wiedervereinigung an die erste Stelle und die Truppenstationierung an die letzte Stelle rückten, wurde materiell nichts an den Vorbehaltsrechten geändert; die Einschränkungen des Abs. 2 fielen fort, ohne ein Äquivalent zum DDR-Recht zu bieten, das die Beziehungen zum anderen deutschen Staat dem Buchstaben nach freigab. Der Truppenstationierung lagen politische und militärische Forderungen zugrunde; die Westalliierten waren nicht bereit, auf die besatzungsrechtliche Begründung ihres Stationierungsvorbehalts zu verzichten; vgl. Grewe, Außenpolitik, S. 83—89, hier bes. S. 86—89; seine Auffassung, »daß im Bereich der Bundesrepublik das besatzungsrechtliche Stationierungsrecht erloschen und durch ein vertragliches Stationierungsrecht ersetzt worden« sei, schränkte er zutreffend durch die gegenteiligen Rechtsauffassungen in Frankreich und Großbritannien ein; die von Grewe abweichende Auslegung setzte sich noch 1966 im deutsch-französischen Abkommen über den Status der französischen Truppen in der Bundesrepublik nach dem Ausscheiden Frankreichs aus der NATO durch; vgl. den Text des Abkommens in Bulletin des Presse- und Informationsamtes, Nr. 161 vom 23.12.1966, S. 1304. Zur hart umstrittenen Truppenstationierung und dem Ringen der Bundesregierung gegen deren besatzungsrechtliche Begründung vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, und FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, passim.
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Großen und Ganzen teilte, widersprach es nur partiell seiner Souveränitätsforderung, wenn er die gesamtdeutschen Vorbehaltsrechte der Westalliierten in den Pariser Verträgen ausdrücklich begrüßte266. Allerdings hat er hier auch gute Miene zu einer ihm ursprünglich eher unerwünschten Regelung gemacht. Die prinzipielle Begrenzung der Staatshoheit, die in den Vorbehaltsrechten steckenden langfristigen Kontrollmöglichkeiten, sein Wissen um die Dauerhaftigkeit so mancher als provisorisch gedachter Regelungen, die Gefahr einer mißbräuchlichen Verwendung der gesamtdeutschen Vorbehalte durch die sowjetische Besatzungsmacht und seine ausgeprägte Aversion gegen alles, was die Konstellation von Potsdam mit Kontrollrat und Besatzungsgesetzen hätte wieder heraufbeschwören können, gaben Grund genug dazu, daß Adenauer dieses wichtige Feld bei den internationalen Verhandlungen keineswegs kampflos preisgegeben hat267. Weitere Beschränkungen der westdeutschen Souveränität betrafen militärische Sicherheitsvorkehrungen. Diese hatten ihre Ursache in den Befürchtungen der Alliierten, daß sich erneut ein »aggressiver deutscher Nationalismus« entfalten könnte. Zugleich hatten die
europäisch-amerikanischer Arbeitsteilung auf militärstrategischem Gebiet sichergestellt, daß Westdeutschland auf Dauer verteidigungspolitisch vom Schutz anderer Staaten mit nuklearer Option abhängig bleiben würde. Darin enthalten war daher die Forderung, sich an amerikanische militärstrategische Zielvorgaben anzupassen, wenn auch das Element der allseits geforderten »safeguards« überwog. Die Sicherungen wurden in vertraglichen Auflagen, die die Regierungsgewalt einschränken sollten, aufgefangen268 und auf drei Teilgebieten unterschiedlich fixiert. Einschränkende Bindungen mußte Adenauer mit dem Verzicht auf die Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen hinnehmen; dazu hatte er sich bereits während der Londoner Neun-Mächte-Konferenz bereiterklärt269. Als weniger schwerwiegend galten die Auflagen gegen die Produktion von Fernlenkgeschossen, großen Kriegsschiffen und strategischen Bomberflugzeugen; auch diese Thematik kannte der Bundeskanzler seit den Anfängen der Diskussion um den westdeutschen WehrbeiUSA damit im Kontext
266
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um die Verpflichtungen, die sich aus den Vier-Mächte-Abmachungen hinsichtlich Berlins und Gesamtdeutschlands ergeben und an deren Aufrechterhaltung wir ein besonderes Interesse haben«; vgl. Adenauers Regierungserklärung v. 5.10.1954, in Deutscher Bundestag, Verhandlungen, Sten.Ber., 46. Sitzung, S. 2227-2234, hier S. 2229. Vgl. eine Äußerung Grewes aus dem Jahre 1954 über die Verhandlungen zum Generalvertrag in den Jahren 1951—1952: »Auf deutscher Seite war man nicht davon überzeugt, daß es die beste Lösung auch unter Berücksichtigung der schwierigen internationalen Situation und des deliwar, die sich katen Verhältnisses zur Sowjetunion hätte finden lassen [...] Man akzeptierte schließlich die damals gefundene Lösung, weil im Verhandlungswege nichts besseres mehr zu erzielen war und weil man darauf vertraute, daß die Entwicklung über einige nicht mehr ganz angemessene Vorbehalte bald hinweggehen würden«; vgl. ders., Außenpolitik, S. 69. Zu Adenauers entsprechender Argumentation vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1541-1544, 1544-1547, 1553-1555 und öfter. Vgl. das Protokoll Nr. III über die Rüstungskontrolle v. 23.10.1954; unter anderem wegen der hier festgelegten umfangreichen einseitigen Rüstungsbeschränkungen hielt Dahm das Souveränitätspostulat für fragwürdig; vgl. ders., Völkerrecht, Bd 1, Stuttgart 1958, S. 152—156. Vgl. das Protokoll Nr. III über die Rüstungskontrolle v. 23. Oktober 1954, Anlage 1; vgl. zum historischen Kontext der Verzichtserklärung des Bundeskanzlers während der Londoner Konferenz, Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 338f.
»Es handelt sich hierbei
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trag270. Wenn man den Berichten der an den Entscheidungen Beteiligten folgt, hat Adenauer 1954 an diesen Fragen das Vertragswerk nicht scheitern lassen wollen und trotz erneuten Versuchen, das Ausmaß der Einschränkungen entsprechend den an ihn herangetragenen militärischen Bedürfnissen zu verringern, den Bestimmungen auch hier mit nicht allzu schwerem Herzen zugestimmt. Den Verzicht auf nationale Befehlsgewalt über operative Streitkräfte hat er insoweit als einen Schönheitsfehler betrachtet, als die Auflagen wegen der amerikanischen, kanadischen und britischen Freistellung und der französischen Erleichterungen geeignet waren,
einen westdeutschen Minderstatus zu offenbaren271. Ansonsten war an einen sinnvollen Einsatz der zukünftigen Streitkräfte außerhalb der NATO sowieso nicht zu denken. Im übrigen beruhte die Unterstellung der Truppen unter das NATO-Kommando lediglich auf einer Regierungsvereinbarung; als solche war sie im Bedarfsfall leichter im Sinne gleichberechtigter Souveränität zu ersetzen und mußte auch nicht wie Staatsverträge ausdrücklich ratifiziert werden. Was den »Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der BRD« betraf, so lagen Gründe für Bedenken nicht in diesem Vertrag selbst, sondern in der besatzungsrechtlichen Grundlage und den daraus resultierenden Vorrechten und Befreiungen, welche diesen Streitkräften in diskriminierender Weise einen unter NATO-Partnern unüblichen Status eines Hoheitsträgers aus eigenem Recht auf dem Gebiet der Bundesrepublik gewährten. Daran änderten auch unterschiedliche Rechtsauslegungen seitens der Bundesregierung bzw. der Westalliierten nichts EntscheidenZu den Verhandlungen um den EVG-Vertrag über Rüstungsbeschränkungen, Verzicht auf Waffenproduktion und über die umstrittenen »strategisch-gefährdeten Gebiete« von Februar bis April 1952 vgl. BA-MA, BW 9/2055 und 2056, Handakte Kielmansegg; zur Berliner Konferenz Januar 1954 vgl. BW 9/2863, Handakte Blank, Berliner Konferenz Januar/Februar 1954, sowie die Aktennotiz Kielmansegg zur Besprechung mit Grewe vom 8.1.1954 bzw. 9.1.1954, in der vorgeschlagen wurde, auf strategische Luftwaffe und schwerste Artillerie demonstrativ zu verzichten, »keinesfalls diesen Punkt zum Kuhhandel zu machen«, BA-MA, N 626/208. Es ist allerdings fraglich, ob Adenauer in diesem Stadium mit Fragen der Rüstungsbegrenzung befaßt worden ist; die Aktenlage im Bestand der Dienststelle Blank erweckt den Eindruck, als seien Gedanken und Initiativen in der Militärpolitischen Abteilung der Dienststelle Blank aus eigenem Antrieb und nicht auf Veranlassung des Bundeskanzlers oder des Auswärtigen Amtes entwickelt worden; da dort die Berliner Außenministerkonferenz nicht unter dem Aspekt verfolgt wurde, in den Verhandlungen etwas Positives zu erreichen zumal die Bundesrepublik offiziell gar nicht beteiligt war —, sondern um im Zweifelsfalle ungünstige Ergebnisse soweit möglich zu verhindern, wäre die eher beiläufige Befassung der Dienst—
stelle Blank durchaus erklärlich. Befaßt wurde der Bundeskanzler mit der Problematik von Beschränkungen vor dem Scheitern der EVG und unmittelbar danach; vgl. v. Kielmanseggs Ausarbeitung »Forderungen der Bundesrepublik im Falle einer anderen Lösung als der EVG für einen deutschen Verteidigungsbeitrag« vom 2.7.1954, in BA-MA, N 626/208 (Vermerk: über Herrn Blank dem Bundeskanzler vorgelegt worden 2.7.1954), sowie v. Kielmansegg, »Zur Frage möglicher Garantien (anzubieten durch die Bundesregierung für den Fall einer Aufnahme in die NATO)« vom 7.9.1954, BA-MA, BW 9/2577. Der Unterstellungsbeschluß galt nur für den Bereich des Alliierten Oberkommandos Europa, also auf dem Kontinent; für die französischen Truppen wurde die Klausel: »hiervon ausgenommen sind die Streitkräfte, die für die Verteidigung der überseeischen Gebiete vorgesehen sind,« angewendet; vgl. die »Entschließung des Nordatlantikrates zur Durchführung von Abschnitt IV der Schlußakte der Londoner Konferenz«, Punkt 4, abgedr. in EA 1954, S. 7126f. —
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des272. Daß die doppelte Sicherung des Stationierungsrechtes auf besatzungsrechtlicher wie auf vertraglicher Grundlage auch ein Element durchsetzungsfähiger Kontrolle blieb, konnte Adenauer unberücksichtigt lassen, da er nicht beabsichtigte, die Bestimmungen über militärische Sicherheitsvorkehrungen zu verletzen. Die besatzungsrechtliche und
zugleich vertragliche Verankerung der Truppenstationierung stützt allerdings als Nebenaspekt eine Beurteilung, wonach den Vereinigten Staaten Westdeutschland als »militärischer Festlandsdegen auf dem europäischen Kontinent« (H.-P Schwarz) wichtig war. Insgesamt hat Adenauer die militärischen Sicherheitsklauseln der Westalliierten, obwohl er die darin enthaltenen Diskriminierungen lieber vermieden hätte, weit williger erfüllt, als die doch sehr zweischneidigen außenpolitischen Kontrollvorbehalte. Aber selbst diese bekommen noch den Charakter von verhandlungstaktischen Zugeständnissen, wenn man sie dem größeren außenpolitischen Bezugsrahmen zuordnet: Der Bereich »Sicherheit« wurde durch die diversen Beschränkungen kaum geschmälert; Sicherheit sollte in erster Linie durch das Atlantische Bündnis gewährleistet werden; der Verzicht auf die nationale Befehlsgewalt wog da vergleichsweise gering, zumal zu erwarten war, daß die Bundesrepublik an der operativen Führung angemessen beteiligt werden würde. —
Gründe, das Maß an Souveränität, das er für die westdeutsche Aufrüstung eingehandelt hatte, für »unserer Lage entsprechend« zu halten; mehr konnte Adenauer hatte gute
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Militärbeitrag, den er seit 1950 stets primär unter instrumentalen Gesichtspunkten auf dem Weg zur Souveränität der Bundesrepublik in Aussicht gestellt hatte, vorläufig ohne unkalkulierbares Risiko nicht herausgeschlagen werden. Das Gewicht der Zurücksetzung westdeutscher Souveränität wird weiter relativiert, wenn man zwei außenpolitische Kardinalziele, für die der Bundeskanzler so manche »Übergangsregelung« als Opfer einzubringen bereit war, mit berücksichtigt: die enge Verknüpfung mit dem Atlantischen Bündnis, um insbesondere die Vereinigten Staaten, aber auch Großbritannien an die Bundesrepublik zu binden, sowie die westeuropäische Integration, um insbesondere mit Frankreich zu einem erträglichen Miteinander zu kommen. Den hier liegenden Wechselbeziehungen ist weiter unten nachzugehen.
g. Spannungsverhältnis zwischen europäischer Integration und atlantischer Kooperation Die wichtigsten Antriebskräfte, die Adenauer in der Außen- und Sicherheitspolitik in Rechnung zu stellen hatte, verortete er realistischerweise in den Vereinigten Staaten. Mindestens bis 1955 galt für ihn der »Grundsatz, im Zweifelsfall immer der amerikanischen Führung zu folgen«273. Diese Maxime beachtete er nicht nur im Hinblick auf Außen- und Wirtschaftspolitik, sondern mindestens in gleichem Maße im militärstrategisch-verteidigungspolitischen Bereich: »auch in der ersten großen Phase seiner Europapolitik [folgte er] 272
Vgl. den Vertrag in EA 1954, S. 7181; zur völkerrechtlichen Einordnung vgl. Dahm, Völkerrecht, S. 378ff.; zur Fortwirkung vgl. Bundesgesetzblatt II 1961, S. 1183 und 1968, S. 745; zur Rezeption in der Dienststelle Blank vgl. BA-MA, BW 9/2643 (Gegenüberstellung NATO-Vertrag Bonner Truppenvertrag). —
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Schwarz, Adenauer und Europa, S. 482.
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immer dann, wenn es um die militärische Sicherheit ging, letzten Endes der amerikanischen Führung274.« Insoweit hat gerade die bündnispolitische Eingliederung Westdeutschlands im Sinne der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik für die Konzeptionen des Bundeskanzlers ein besonderes Gewicht gehabt, zumal dies seinem Wunsch nach möglichst fester Verflechtung der Bundesrepublik in die westliche Allianz entsprach. Wenn wir außer von Adenauers Äußerungen auch von den Berichten der Missionschefs sowie von den Lageanalysen im Auswärtigen Amt und in der Dienststelle Blank ausgehen, hatten sich für den Bundeskanzler im Sommer 1954 folgende bündnispolitischen Grundlinien der amerikanischen Außenpolitik herausgeschält: Weder eine Hinwendung zur Sowjetunion sei es bilateral, sei es in der Konfiguration der vier Besatzungsmächte Deutschlands —, noch eine verstärkte Gewichtsverlagerung zur immer stark konkurrierenden Asienpolitik standen unmittelbar zu befürchten. Mit einem andauernden Interesse der USA an einem nicht neutralisierten, sondern kooperierenden und bündnis-integrierten Westdeutschland durfte er daher weiterhin rechnen275. Außenminister Dulles beziehungsweise das State Department276 hatten vor allem bündnis-, finanz- und wirtschaftspolitische Ziele im Blick; das Pentagon als nachrangig im regierungsinternen Machtgefälle eingeschätzt schrieb unter anderem der möglichst schnellen Aufstellung weiterer Heeresverbände bei der europäischen Klientel größere Wichtigkeit zu; in der komplementären Zielverfolgung fügte sich das Pentagon weitgehend den außenpolitischen Rücksichtnahmen, die das State Department für notwendig hielt. Diese Rücksichtnahmen mußte auch Adenauer beachten; sie bekommen ihr Gewicht vor allem in den folgenden Kapiteln zu Großbritannien und Frankreich, da die USA ihre Auflagen vergleichsweise großzügig zugunsten Westdeutschlands formulierten. Adenauer konnte jedoch nicht mit letzter Sicherheit feststellen, ob die institutionalisierte Integration Westeuropas tatsächlich als genuines Ziel amerikanischer Außenpolitik gesicherten Bestand haben würde. Indem Eisenhower und Dulles die Administration unbeirrbar darauf festlegten, haben sie zumindest massiv diesen Anschein erweckt. Unüberhörbar brachte das State Department immer wieder den von Dulles angestimmten Dreiklang in Erinnerung, wonach die Europäische Verteidigungsgemeinschaft der allein gangbare Weg blieb, auf dem zugleich die gefährlichen deutsch-französischen Spannungen abgebaut, Westeuropa auf Dauer zu Frieden und Wohlstand geführt werden und das atlantische Bündnis zu deutschen Soldaten kommen würde. Diese Festlegung gewann jedenfalls für Adenauer ein hohes Maß an Verbindlichkeit. —
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Adenauer hielt dies keineswegs für selbstverständlich; und mit welch argwöhnischer Sensibilität er Schwankungen auf diesen Gebieten registrierte, zeigte seine demonstrative Präventiv-Reaktion auf Eisenhowers und Dulles' Neutralisierungs-Überlegungen für Europa; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 431-436, bes. S. 434. Adenauer neigte dazu, außenpolitische Strukturbedingungen zu personalisieren; vgl. Krone, Aufzeichnungen, S. 158: »Immer geht es dem Kanzler vorrangig um Personen, wenn er von den Machtverhältnissen in der Welt spricht.« Angesichts seiner eigenen starken Stellung unterschätzte er gelegentlich den maßgeblichen Einfluß, den Eisenhower als Präsident bzw. der Kongreß nicht nur als mittelbewilligendes Verfassungsorgan auf die amerikanische Außenpolitik ausübten.
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S. 485.
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Teil B: Die Verbündeten
Nach den Gesprächen mit amerikanischen Führungskräften der verschiedenen politischen Ebenen und Sektoren zu urteilen bestand kein Zweifel, daß auch für die Bundesrepublik Deutschland die atlantische Kooperation mit der vollen NATO-Mitgliedschaft ihre angemessene Form finden würde; dies war keine Frage des »Ob«, auch kaum eine des »Wie«, sondern eine Frage des »Wann«. Und für das »timing« mußte Adenauer vor allem französische, in geringerem Maß aber auch britische Sicherheitsforderungen im Auge behalten, über die die amerikanische Außenpolitik nicht hinweggehen zu können meinte. Doch mit den dominanten amerikanischen Zielen hielt Adenauer die (west-)deutschen Interessen noch keineswegs für abgedeckt. Im Gegenteil, die Sprachregelung Dulles', der er sich nicht ohne hohe Kosten und Risiken entziehen konnte und wollte, hielt er lediglich für geeignet, die Spannungen, die die bündnispolitische Einordnung des westdeutschen Wehrbeitrags aufgeworfen hatte, verdeckt latent zu halten. Wenn er die von den USA favorisierte EVG-Lösung unter dem Aspekt wie auch immer vager nationaler Interessen beurteilte, dann blieb ihm der weitgespannte Problemhaushalt nicht verborgen, mit dem die EVG möglicherweise nicht nur Spannungen lösen, sondern auch schaffen konnte: Würden sich EVG und NATO wie offiziell angenommen ergänzen, oder lag nicht im europäischen Ansatz auch der Keim eines zukünftigen Konkurrenzverhältnisses, durch das die atlantischen Bindungen eher gelockert als verstärkt werden würden? Entsprach also die EVG tatsächlich der gewünschten europäisch-amerikanischen Zusammenarbeit und damit den langfristigen Interessen der USA? Konnte Großbritannien damit zufrieden sein, zwar von engen Bindungen an den Kontinent frei zu bleiben, aber zunehmend weniger Einfluß auf das europäische Geschehen nehmen zu können, das sich im Falle des Gelingens der Integration nicht mehr im multilateralen Konzert der europäischen Mächte, sondern in einer blockinternen Evolution ohne sonderliche Beteiligung Großbritanniens entwickeln würde? Entsprach der Platz außerhalb der EVG wirklich auf Dauer mehr den Interessen Großbritanniens als ein bisher abgelehnter Platz innerhalb der sich eng zusammenschließenden —
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Staatengruppe?
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War ausgerechnet der militärische Bereich mit seiner starken Abhängigkeit von Finanzund Außenpolitik ein Sektor, auf dem sich die westeuropäische Integration in der Praxis erfolgreich würde weiterentwicklen können? War die Zeit schon reif für einen derart tief einschneidenden Versuch, der sich ebenso als Sprengsatz wie als weiteres funktionales Bindeglied erweisen konnte? Würde die EVG die deutsch-französische Verstän-
digung fördern und zugleich den französischen Unabhängigkeitswünschen entspre-
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chen können? Gab es nicht ein deutliches Gefälle in dem geforderten Ausmaß von Kontrollen und »safeguards«, die am umfangreichsten in Paris, nicht unerheblich in London und gemäßigt in Washington von Bonn erwartet wurden? Stand es nicht im Widerspruch zu deutschen Interessen, wenn einem engen kontinentaleuropäischen Bündnis der Zuschlag gegeben wurde, dem vor allem die die Gleichberechtigung am härtesten verweigernden Partner angehörten, während die Verbindung zu den großzügigeren Amerikanern über die NATO vorerst ausdrücklich nur indirekt vermittelt blieb?
I. Die
Vereinigten
Fragen über Fragen taten sich auf
Staaten als
185
Führungsmacht
und Adenauer hat sie in ihrer Tragweite erkannt: Nicht nur in seiner Konzeption, sondern auch in seinen außenpolitischen Vorstößen versuchte er lange Zeit und phasenweise mit bemerkenswertem Nachdruck, sich den Anschluß an die anglo-amerikanischen Länder vorrangig über den Beitritt Westdeutschlands zur NATO zu sichern277. Obwohl er in seinen Äußerungen den Eindruck zu erwecken wünschte und zu bestärken versuchte, daß EVG und NATO komplementäre Wege zum gemeinsamen Ziel seien, hat er das latent mitschwingende Spannungsverhältnis zwischen beiden Bündnissystemen schon im Planungsstadium der EVG in seinen Verhandlungsanweisungen berücksichtigt278. Aus vielerlei Gründen besaß der direkte Beitritt Westdeutschlands zur atlantischen Allianz für den Bundeskanzler einen eigen—
ständigen Wert. Seine bündnispolitischen Entscheidungen in diesem vielschichtigen Spannungsverhältnis können einen wesentlichen Einblick in zentrale Teile seines Zielsystems und deren Rangordnung untereinander verschaffen. Doch wenn aus dem Zielkomplex von EVG und NATO seine immer noch umstrittenen Präferenzen279 und seine phasenweise anscheinend wechselnden Entscheidungen systematisch analysiert werden sollen, so müssen die Hemm- und Förderfaktoren einbezogen werden, die mit der britischen und französischen Politik seine Beweggründe maßgeblich mitbestimmten. Diese sollen daher nach dem Zwischenergebnis zum Wechselverhältnis der deutsch-amerikanischen Politik dargelegt werden, damit anschließend Adenauers Ziele innerhalb der außen- und innenpolitischen Rahmenbedingungen verortet werden können. —
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3.
Ergebnisse
und offene
Fragen
Adenauer wußte 1954 über die amerikanische Außenpolitik umfassend Bescheid. Seine Kenntnislücken hinsichtlich inneramerikanischer Einflußfaktoren in den administrativen und legislatorischen Entscheidungsstrukturen waren demgegenüber meist nicht bedeutend. Sein guter Informationsstand hatte personelle, institutionelle und strukturelle Ursachen. Im vorgegebenen Ost-West-Konflikt sah Adenauer die große Chance, Deutschland aus der Objektrolle unter dem Potsdamer Abkommen herauszulösen und die nach dem Zweiten Weltkrieg noch ausgeprägt anti-deutschen Bündnissysteme mit einem stärkeren Anteil an die westdeutschen Interessen zu binden. Jedem Ansatz einer Neutralitätspolitik für Deutschland trat er frühzeitig und entschieden entgegen. Hier fand seine sonst so anpassungsfähige Gefolgschaft, die er gegenüber den USA als der mächtigsten Kraft im bipolaren System gerade in der Besatzungszeit immer wieder bewies, ihre Grenze. Adenauers demonstrative Einsprüche erwiesen sich bei den gelegentlichen blockübergreifenden 277
278
279
Zu seinen Bemühungen, die Bundesrepublik in die NATO zu führen, vgl. unten den Abschnitt C, 5. Phase. So etwa Adenauers Instruktionen an die Delegation bei den Pleven-Plan-Verhandlungen: »daß keinerlei Beeinträchtigung der atlantischen Gesichtspunkte durch die zu schaffenden Streitkräfte eintreten dürfe«; vgl. ders., Erinnerungen 1945—1953, S. 460. Zur Problematik vgl. Schwabe, Konrad Adenauer, S. 15 f.
186
Teil B: Die Verbündeten
Abtastversuchen als besonders erfolgreich, weil auch die USA auf Westdeutschland als Verbündeten nicht verzichten wollten. Es fiel dem Bundeskanzler um so leichter, sich mit seiner Politik vorrangig an die Vereinigten Staaten anzulehnen, als der Wiederaufbau Westdeutschlands und das Wachstum des Wohlstandes der Bevölkerung von deren Wirtschaftskraft abhing und hierauf zugleich die Erhaltung von Adenauers Macht durch das Votum der Wähler beruhte. Insgesamt ist Adenauers Handlungsspielraum in den internationalen Verhandlungen durch die erfolgreiche wirtschaftspolitische Entwicklung in Westdeutschland entscheidend erweitert worden. Ähnlich ungleichgewichtig wie auf dem wirtschaftlichen Sektor lagen die Verhältnisse im sicherheitspolitischen Bereich. Adenauer wollte keine nationale Verteidigung: weniger weil er wußte, daß ein solcher Ansatz für Deutschland militärstrategisch nicht mehr im Bereich des Möglichen lag, sondern weil er jede nicht bündnisintegrierte Aufrüstung für politisch verfehlt und weder außen- noch innenpolitisch für durchsetzbar hielt. Indem er zugleich kollektive Sicherheitssysteme für Europa, wie sie die Sowjetunion vorschlug, unbeirrbar ablehnte, blieb er auf militärische Garantien des Westens angewiesen. Mindestens bis zu einer umfassenden Einigung und wirtschaftlichen Erstarkung Westeuropas hieß das: sicherheitspolitische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Entsprechend konkretisierte sich für ihn die »Westbindung als dominantes sicherheitspolitisches Strukturprinzip« (Haftendorn) letztlich in der sicherheitspolitischen Bevorzugung der Vereinigten Staaten als dem durchgreifend strukturierenden Element. Adenauer konnte sich auf zahlreiche Äußerungen von Eisenhower und Dulles stützen, wenn er seine Politik mit der Behauptung rechtfertigte, daß sie den Weg zur Wiedervereinigung freilege. Es läßt sich begründet vermuten, daß der Bundeskanzler vor allem seit der amerikanisch-deutschen Diskussion um Stalins März-Note von 1952 fünf grundlegende Einsichten gewonnen hat, die für ihn auch bis 1955 ihre Gültigkeit behielten: Hinsichtlich einer Rückgewinnung der Gebiete jenseits von Oder und Neiße würde amerikanische Unterstützung nur schwer zu gewinnen sein; ein »Anschluß« der sowjetisch besetzten Zone/DDR an die Bundesrepublik lag im amerikanischen Interesse, erweckte jedenfalls keine größeren Bedenken und würde so lange gefördert werden, wie der Sowjetunion keine wesentlichen Zugeständnisse eingeräumt werden mußten; die Betonung westdeutscher Argumentation sollte dabei weniger auf nationalstaatlichen Forderungen nach Einheit und stärker auf dem Gedankengut von Freiheit und Menschenrechten liegen; Art, Umfang und Zeitpunkt der amerikanischen Unterstützung konnten nicht zuverlässig abgeschätzt werden, da sie von vielen innen- und außenpolitischen Konstellationen abhängig waren, von denen er die Bedenken der anderen Besatzungsmächte wie der übrigen Staaten Europas als die schwerwiegendsten erachtete; vor einer zweifelsfreien und irreversiblen bündnispolitischen Verklammerung mit den USA würde jeder Versuch, die nationalstaatlichen Belange voranzutreiben, ohne Erfolg bleiben. Damit lagen zeitliche Prioritäten nahe. Auch aus diesem Zusammenhang kann die Hypothese gestützt werden, daß Adenauer nicht nur aus rationalisierender Absicherung gegen nationalstaatliche Forderungen innerhalb der Regierungskoalition, in der Opposition und in der Bevölkerung insgesamt unerfüllbare Erwartungen bestärkt hat, sondern daß er auch Gründe für seine Hoffnungen geltend machen konnte.
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
187
von Adenauers politischem Taktieren in der Saarfrage auf seine Zielvorstelund seine lungen Kompromißbereitschaft bei einer zukünftigen Regelung der deutschen ist mit Einschränkungen zulässig. Ordnet man seine Saarpolitik in den nur Ostgrenzen Kontext seiner später liegenden ostpolitischen Vorstöße (1958—1962) ein, dann wird die Deutung erwägenswert, daß seine eigene nationalstaatliche Grundorientierung weit größere diplomatische Beweglichkeit zugelassen hätte als die wahltaktischen Rücksichtnahmen und die innenpolitischen Zwänge, von denen er sich 1954 noch nicht lösen zu können meinte. Die tagespolitische Priorität hat Adenauer in der territorialstaatlichen Stabilisierung der Bundesrepublik Deutschland gesehen. Kernelemente mit eigenem Wertbezug lagen für ihn in der innenpolitischen Autonomie und in relativer außenpolitischer Handlungsfähigkeit. Jenseits aller juristischen Konstruktionen, die sich auf dem Grundsatz vom »Deutschland in den Grenzen von 1937« aufbauten, lag für den Bundeskanzler die Aufgabe praktischer Politik im unermüdlichen Bemühen, zunächst die Bundesrepublik als gleichberechtigten Staat zur Souveränität zu führen. Der Begriff Souveränität war für ihn nicht dogmatisch festgelegt, sondern vielfältig relativiert: entsprechend dem, was nach Lage der Dinge erreichbar schien, nach Maßgabe der unerläßlichen atlantischen Bindungen und zugunsten von Fortschritten in der westeuropäischen Einigung unter dem Grundsatz der Gleichberechtigung. Adenauer hat das Spannungsverhältnis zwischen atlantischer Kooperation und westeuropäischer Integration gesehen, aber wohl unterschätzt. Seine bündnispolitischen Grundüberzeugungen und Zielsetzungen werden mit einer genaueren Analyse der damaligen außenpolitischen Rahmenbedingungen, mit seinen Handlungsanweisungen und Entscheidungen weiter unten behandelt. In der Zwischenbilanz bewirkte die amerikanische Politik bei Adenauer im wesentlichen: eine kontinuierlich beibehaltene Bevorzugung der möglichst engen notfalls auch bilateralen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten als Kernelement der Westintegration Westdeutschlands; eine trotz aller Skepsis lange Zeit durchgehaltene Gefolgschaft bezüglich der von den USA geforderten, aber auch von ihm selbst angestrebten supranationalen westeuropäischen Integration; eine Untermauerung der Westbindung mit allen Mitteln, wobei der Wiederbewaffnung neben den politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen besondere Aktualität zukam.
Der Schluß
—
—
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor 1. Die Rolle a.
Großbritanniens und Deutschlands in Europa
Großbritanniens eingeschränkter Handlungsrahmen
aus
britischer Sicht
Während die Sowjetunion indirekt und eher reaktiv, die Vereinigten Staaten direkt und aktiv die Gestaltung der europäischen Nachkriegsordnung bestimmten, bemühte sich in England Premierminister Churchill seit 1953 in mehreren Anläufen darum, die von den Blockführungsmächten verfestigten Strukturen des Ost-West-Konflikts aufzulockern,
188
Teil B: Die Verbündeten
sowohl den Frieden, als vor allem um Großbritannien einen möglichst unabhängigen Platz zwischen den Blöcken zu bewahren. Churchills Wunsch, nicht nur als charakterund führungsstarker Feldherr in Kriegszeiten, sondern auch als großer Friedensstifter in die Geschichte einzugehen, mag dabei eine schwer einschätzbare individualpsychologische Rolle gespielt haben280. Diese von ihm ohne Übereinstimmung mit, ja gegen Außenminister Eden und hohe Beamte des Foreign Office nicht konsequent verfolgte Politik blieb jedoch beiläufig und wegen unterschiedlicher Verflechtungen und Zielkonkurrenzen ohne entscheidenden Erfolg281. Konträr zu Bemühungen um eine Auflockerung der Fronten zwischen den Blöcken sah sich die britische Regierung vielmehr gedrängt, der amerikanischen Europapolitik wenigstens so weit zu folgen, daß eigene Initiativen und Alternativen gegen amerikanische Intentionen nicht zur offenen Konfrontation gegenüber der westlichen Vormacht führten. Daher kam der britischen Politik für die Deutschland betreffenden Weichenstellungen nicht die Bedeutung zu wie der amerikanischen Einflußnahme. Dennoch bewies die britische Europapolitik bei allen Einschränkungen gerade in der Frage der Eingliederung Westdeutschlands in das westliche Allianzsystem ein beträchtliches Maß an beharrlich durchgehaltener Eigenständigkeit. Auch wenn diese sich zunächst mehr im Verzögern, Distanzieren, Fernbleiben und vorsichtigem Gegensteuern als in konstruktivem Engagement zeigte, sind die EntScheidungsprozesse und ihre Ergebnisse im Vertragswerk vom Herbst 1954 ohne den britischen Anteil nicht zu verstehen. Das gilt für den bekannten und anerkannten Einsatz, den insbesondere Außenminister Eden persönlich in der so überaus heiklen Situation unmittelbar vor und nach dem Scheitern der EVG leistete282, ebenso wie für das mehr hinter den Kulissen wirksam werdende
um
Vgl. Seidon, Churchill's Indian Summer, S. 396f. Vgl. die zahlreichen Ansätze Churchills im Briefwechsel mit Eisenhower und Churchills Argumentation gegen die Beamten des Foreign Office in der Dokumentation bei Steininger, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland, passim, die sich auch als eine regierungsinterne Auseinandersetzung um den »richtigen« Kurs lesen läßt; der Kurs Edens und seines Foreign Office, hohe Forderungen an die Sowjetunion zu stellen und im übrigen Fakten zu schaffen, hat sich durchgesetzt; vgl. PRO, CAB 129/65, C. (54) 13, Prospects for the Berlin Meeting. Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs, 11.1.1954: »It was our intention that the E.D.C. [European Defense Community] would be in existence before the opening of any conference. Our task would then have been to reach satisfactory arrangements with the Russians in the light of this fait accompli«, hier Bl. 2 des Memorandums. Am Ende blieb Churchill nur ein wehmütiger Abgesang; vgl. PRO, CAB 129/70, C. (54) 271, Anglo-Russian Relations. Note by the Prime Minister, 18.8.1954 (WS.C. 17.8.1954). Carlton interpretiert Churchills Gipfeldiplomatie als dessen Mittel, im Amt zu bleiben, was sein »erbitterter Rivale« Eden konsequent konterkariert, um selbst Premierminister zu werden; danach sind die britischen Entspannungsversuche sowie die davon abhängige britische Deutschlandpolitik teilweise auch als innenpolitisches Spielmaterial im regierungsinternen Machtkampf einzuordnen; vgl. Carlton, Großbritannien, S. 51—69. 282 Vgl. etwa Edens sorgfältige Alternativplanung, PRO, CAB 129/70, C. (54) 276, 27th August, 1954, Alternatives to the European Defence Community. Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (Anthony Eden, 26.8.1954). Den besonderen Einsatz Churchills und Edens in der schwierigen Phase des Scheiterns der EVG erwähnt Adenauer ausdrücklich in seiner Regierungserklärung vom 5.10.1954, Deutscher Bundestag, Verhandlungen, Sten.Ber., Bd21, S. 2229—2231.
280 281
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
189
Agieren der britischen Europapolitik, das zu eben diesem Scheitern der EVG seinen nicht zu übersehenden Teil beigetragen hat283. Beides, der britische Anteil am Scheitern der unerwünscht föderativen westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft wie Edens Rettungsaktion zugunsten der auf nationale Souveränität gegründeten NATO/WEU-Lösung, sind hier zu gewichten. Die eigenwillige britische Europapolitik wird verständlich, wenn man die beiden anderen vorrangigen außenpolitischen Bezugsfelder Englands berücksichtigt, aus denen es Kraft und Mittel für eine unabhängigere Weltmachtposition zu ziehen hoffte. Zum einen sollte die Staatengemeinschaft des Commonwealth mit den entsprechenden Vorzugszöllen und Handelsbeziehungen (Imperial Preferences) erhalten bleiben und zum anderen die »bevorzugte Verbindung« (Special Relationship) zu den Vereinigten Staaten zu gegenseitigem Nutzen in den Dienst britischer Interessen gestellt werden284. Doch beide Kooperationsfelder erwiesen sich als zu wenig tragfähig, um angesichts der wirtschaftlichen, finanziellen und militärischen Schwächen Großbritanniens eine materiell abgesicherte Basis für eine anspruchsvolle Weltmachtrolle zu gewährleisten285. Die »Gemeinschaft der Völker englischer Zunge« war als »Gemeinschaft« im und nach dem Zweiten Weltkrieg in einem unaufhaltsamen Zerfall begriffen. Sie erwies sich in zunehmendem Maße weniger als eine Quelle von Macht und Reichtum, denn als politische, wirtschaftliche und militärische Belastung für England. Die »besonderen Beziehungen« zu den USA hinderten diese zudem nicht daran, den Ablösungsprozeß der Kolonien Europas zu beschleunigen, sich selbst in die entscheidenden wirtschaftlichen und militärischen Positionen zu bringen sowie als Gegenleistung für finanzielle und militä283
284
Vgl. Noack, Scheitern, S. 14, und aus zeitgenössischer Sicht Volle, Europapolitik, S. 7231—7242. Bereits 1952 gab es für Eden »No Half-way House between E.D.C. and German Admission to N.A.T.O«, war ihm die »German Admission to N.A.T.O. the only Feasible Alternative« und ging es ihm vor allem um »Strengthening N.A.T.O.«; PRO, CAB 129/57, C. (52) 434, European Defence Community and Alternative Plans, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs,
10th December, 1952, Zitate aus dem Annex vom 27.11.1952, S. 5f. object is the unity and the consolidation of the British Commonwealths and what is left of the former British Empire. Our second, the »fraternal association« of the English-speaking world; and third, United Europe, to which we are a separate closely- and specially-related ally and friend.« PRO, PREM 11/313, C. (51) 32, 29th November, 1951, United Europe, Note by the Prime Minister and Minister of Defence (Churchill 29.11.1951), Bl. 2; bezüglich Eden resümiert Watt wie so oft pointiert —, »Eden had failed entirely to perceive the change in the power relationship between the United States and Britain as anything more than yet another factor to be woven into his foreign policy and overcome by his negotiation skill.«, ders., Succeeding, S. 129; zu Eisenhowers distanzierter Auffassung bzgl. »special relationship« vgl. The Eisenhower Diaries, Eintrag vom 6.1.1953, S. 222-224. Das ist in den Akten der Treasury durchgängig feststellbar; als zur Unterstützung der EVG-Ratifizierung in Paris erwogen wurde, eine feste Zusage zur Stationierung britischer Truppen auf dem europäischen Kontinent zu geben, kam wie ähnlich vorher und nachher der Einwand: »This assurance would commit us to pay for the maintenance of our troops in Germany whenever this ceases to be borne by Germany, as it is now. This would be a heavy load on our balance of payments. It would also reduce the room for flexibility within our total defence budget and in regard to our other military expenditures overseas«, PRO, T 225/413, Chancellor's minute to Prime Minister of »Our first
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285
27th November, 1953.
190
Teil B: Die Verbündeten
rische Unterstützung an Großbritannien ein Mindestmaß an politischer Gefolgschaft zu fordern. So konnten weder das britische Kolonialreich noch die Anlehnung an die USA den Verfall der Macht Großbritanniens wirksam aufhalten. Daß die britische Regierung sich dennoch nicht zu einer ihr von Amerika wie von den EVG-Staaten nahegelegten Orientierung auf das sich konsolidierende Westeuropa durchringen wollte, hatte viele Ursachen. Das Zeremoniell der britischen Krone wurde beibehalten und überdeckte den Ablösungsprozeß der Überseegebiete vom Mutterland. Die dauerhaftesten Gemeinsamkeiten des Commonwealth, die gemeinsame englische Sprache in den führenden Schichten, die gemeinsamen Rechtsauffassungen des »Common Law« und ein dem englischen Vorbild entlehntes Erziehungswesen mit den darin vermittelten Erziehungsidealen täuschten über die zentrifugalen Kräfte hinweg. Der Auflösungsprozeß des britischen Empire vollzog sich so langsam, daß er erst sehr spät einer breiten Bevölkerung als strukturbedingter Vorgang bewußt wurde. Die hohe Wertschätzung, auf die sich die Idee des Commonwealth in allen Schichten der englischen Bevölkerung abstützte286, und die dementsprechende öffentliche Meinung hätte von der Regierung, selbst wenn sie von ihr nicht geteilt worden wäre, in jedem Fall innenpolitisch berücksichtigt werden müssen. Schließlich ist bei den früher und besser als die Bevölkerung informierten Regierungen in Großbritannien ein beträchtliches Maß an Selbsttäuschung anzusetzen: sie wollten offenbar der vertrauten Vorstellung von der weltpolitisch erstrangigen Bedeutung ihres Landes auch dann noch nicht entsagen, als das vergehende Weltreich in Wirklichkeit immer mehr zu einem Mythos wurde287. Dies alles trug dazu bei, daß das Commonwealth in seiner zukünftigen Bedeutung für die britische Politik überschätzt wurde und mehr bei Churchill als bei Eden einen überhöhten Stellenwert innerhalb der außenpolitischen Konzeption behielt. Demgegenüber geriet die von Kontinentaleuropa gewünschte Alternative einer stärker auf Europa orientierten Politik in den Hintergrund288. So entzog sich die britische Regierung einer —
286
287
pjjr e;ne ausführlichere Erörterung tish Foreign Policy, S. 221—227.
dem Titel »The Commonwealth Idea«
vgl. Frankel, Bri-
»Ohne diese Familienbande [i. e. die Gemeinschaft der Länder des Commonwealth, d. Verf.] wären nur eine paar Millionen Menschen auf einer Insel vor der Küste Europas, an denen niemand besonders interessiert ist«; Eden, Memoiren, S. 56; damit soll die historische Leistung, die die britische Dekolonisation besonders im Vergleich zu anderen europäischen Kolonialmächten aus anderem Blickwinkel auch darstellt, nicht geschmälert werden; vgl. dazu v. Albertini, Das Ende des Empire, S. 612—617 und passim. Nach Watt war das aktive »europäische« Element in Churchills Kabinett »durch Sir David Maxwell-Fyfe repräsentiert, der das Innenministerium übernahm, durch Harold Macmillan, der als Minister für Wohnungsbau erstmals dem Kabinett angehörte, und durch Handelsminister Peter Thorneycroft. Die »Europäer« im Kabinett hatten diese Position durch eine Kombination von Nationalismus und Antikommunismus erreicht. Sie glaubten, daß die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft der einzig sichere Weg sei, der Bolschewisierung Europas zu widerstehen«, Watt, Großbritannien, S. 392; daß Macmillan »die europäische Option Großbritanniens unterstützte, war aber partiell eine Reaktion auf die häufiger werdenden Anzeichen für amerikanischen Hegemonialismus«, ebd., S. 399; »Mit der Europa-Gesinnung dieser »Europäer« war freilich nicht eine föderalistische, sondern eine eher konföderalistische Konzeption verbunden«, ebd., S. 402. Allerdings dürfen wir
288
unter
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II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
191
klaren Option zugunsten eines ihrer drei Schwerpunkte außenpolitischer Orientierung. Sie erschwerte es damit den befreundeten Regierungen, die britische Außenpolitik präzise einzuschätzen und in das jeweils eigene nationale Konzept oder in einen Versuch, Europa als »dritte Kraft« zwischen den sowjetischen und amerikanischen Interessen aufzubauen, mit einzubeziehen. b.
Entspannungspolitik und Neutralisierungspläne Mit einem konföderierten Gesamteuropa westlich der Sowjetunion wollte der britische Premierminister Großbritannien in die Position einer »dritten Kraft« bringen. Diesen Eindruck vermittelten vor allem Churchills Initiativen, die in Unterhausreden, Briefund Notenwechseln mit der Sowjetunion und mit dem mehrfach abgeänderten EdenPlan für die Wiedervereinigung Deutschlands enthalten waren289. Mit diesen Alternatiworstößen versuchte eher Churchill als das Foreign Office, anstelle der einschnürenden Konfrontation antagonistischer Allianzen, deren Risiken in der Variante der »Befreiungspolitik« unverantwortlich hoch werden konnten, einem prinzipiell anderen Ordnungsschema internationaler Politik
zum Durchbruch zu verhelfen290. Konzeptionell dabei an eine Rückkehr zum traditionellen Gleichgewichtssystem ungebundener Nationalstaaten gedacht. In ständigem multilateralen Ausgleich und breitgefächerter internationaler Zusammenarbeit sollte ein der britischen Außenpolitik vertrautes Machtgleichgewicht (balance of power) austariert werden. »Die Alternative dazu [i.e. zum antisowjetischen Bündnis; d. Verf.] wäre ein bewegliches, polyzentrisches Gleichgewichtssystem autonom finassierender Großmächte gewesen, wie es mit Ausnahme weniger Epochen seit dem 17. Jahrhundert für Europa charakteristisch war291.« In einem derartigen »Konzert der Mächte« wollte Churchill eine Vermittlerrolle übernehmen, von der er sich einen weit größeren weltpolitischen Einfluß erhoffte, als es das entspannungswidrige Konzept antikommunistischer Eindämmung unter amerikanischer Führung erlaubte. Vorteile einer tatkräftigen Vermittlerposition hätten sich in mehrfa-
war
weder Macmillans Europa-Orientierung, noch seine Unterstützung der westeuropäischen Integration schon gar nicht in der geplanten supranationalen Form überschätzt werden; vgl. Hörne, Macmillan, S. 345 und 351; jedenfalls weisen die Quellen wie Macmillans Memoiren übereinstimmend aus, daß er ein Gegner der EVG war. Vgl. Foschepoth, Churchill, S. 1286L; Glees, Churchills last Gambit, S. 27—35; Steininger, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland, passim; Churchills Brief- und Notenwechsel mit dem sowjetischen Außenminister Molotov vom Sommer 1954 ist abgedruckt in EA 1955, S. 7486—7488; eine ebenfalls auf britische Quellen gestützte Zuordnung zu den regierungsinternen und außenpolitischen Rahmenbedingungen bietet Young, Cold War, S. 55—80. Vgl. PRO, CAB 129/61, C. (53) 187, 3rd July, 1953, Foreign Minister's Meeting in Washington. Policy towards the Soviet Union and Germany. Memorandum by the Acting Secretary of State for Foreign Affairs (Lord Salisbury in Vertretung des erkrankten Eden), hier S. 2 f.: Anglo-American differences about the Soviet Union, Punkt 4. und 5., auch abgedruckt in Steininger, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland, Dok. 8. Vgl. auch Eisenhowers entschiedene Gegenposition in: UPA/RP, Declassified Documents Reference System 1987, Fiche 209, Doc. No. 3327, Eisenhower an Churchill, 7.7.1954. Zu den verschiedenen Versionen des Eden-Plans vgl. Katzer, Berliner Viermächtekonfe—
289
290
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renz, S. 55—61. 291
Schwarz, Das atlantische Sicherheitssystem, S.
166.
192
Teil B: Die Verbündeten
cher Hinsicht ergeben können. Von ihr mochte sich England versprechen, daß es sich in Verbindung mit seinem Commonwealth durch ausgleichenden Einfluß auf die beiden Weltmächte USA und Sowjetunion ein nennenswertes Maß an weltweiter Mitbestimmung würde erhalten können292. Daraus hätte auch eine bevorzugte Stellung als Mittler zwischen amerikanischen und kontinentaleuropäischen Interesse entwickelt werden können. Ähnliches stand in Aussicht in bezug auf die Interessenvertretung der ehemaligen Kolonialländer, um die Großbritannien mit den Vereinigten Staaten und Frankreich und zunehmend auch mit der Sowjetunion konkurrieren mußte. Schließlich verblieb die seit Jahrhunderten berücksichtigte Tradition, die Hegemonie eines Staates auf dem europäischen Kontinent schon aus Gründen der eigenen Sicherheit zu verhindern. Das betraf nicht nur Deutschland, das nicht wieder zu mächtig werden durfte, und Frankreich, das seine Ambitionen auf eine kontinentale Vormachtstellung in den EVG-Verhandlungen immer wieder deutlich werden ließ, sondern auch und gerade die Sowjetunion, die bereits bis Mitteleuropa vorgedrungen war und als Blockführungsmacht in ihrem Bereich militärisch und politisch rücksichtslos durchgegriffen hatte. Als konstruktive Vermittler, die die strittigen Probleme weniger unter einem ideologisch akzentuierten Antikommunismus als unter dem Aspekt »traditionelle[r] Machtrivalitäten zu interpretieren«293 geneigt waren, dachte Churchill daran, über eine koordinierte Gipfeldiplomatie zu umfassenden Lösungen für die wichtigsten offenen Fragen zu kommen. Verhandlungsfähig erschien ihm sowohl eine grundlegende Neuordnung der Kräfte und Abgrenzungen der Interessensphären als auch eine Normalisierung der bestehenden Machtverteilungen, sowohl ein globaler Lösungsansatz als auch regionalisierte Teillösungen besonders im Hinblick auf den spannungsreichen Raum Zentraleuropas. Bei allen derartigen Verhandlungen und darin lagen Adenauers berechtigte Befürchtunhätte Deutschland und die westdeutsche Aufrüstung im westlichen Lager zum gen Tauschobjekt werden können294. Churchills Vorstellungen einer Schiedsrichterrolle Großbritanniens, die Rußland und ein wiedervereinigtes neutrales Deutschland in der Balance halten sollte, teilten jedoch Außenminister Eden und die Beamten des Foreign Office überwiegend nicht295. Der Preis, der bei einem neutralen Deutschland auf zu vielen Teilgebieten der Politik zu zahlen gewesen wäre, schien ihnen zu hoch, die unterschiedlichen Ziele insgesamt nicht miteinander vereinbar296. Die internationalen Kräfteverhältnisse, zu denen nicht zuletzt —
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Anlehnung an Grosser, Bündnis,
292
In
293
Oberndörfer, Dulles,
294
293
296
S. 445, und
Hoffmann, Gulliver's Troubles,
S. 370 f.
S. 238.
In diesem Sinne äußerte sich Churchill gegenüber General Jean de Lattre de Tassigny im Herbst 1951; vgl. Massigli, Comédie, S. 292 f. Die vehemente und begründete Gegenwehr unter den Spitzenbeamten des Foreign Office gegen ein »unified, neutralised Germany« geben beispielhaft wieder: Minutes von Frank K. Robertson an Sir W. Strang und Zustimmung P. Dixons, PRO, FO 371/103660, C 1016/32, May 19, 1953 [Hervorhebung im Original]. Vgl. auch Fursdon, European Defence Community, S. 218f., und Watt, Großbritannien, S. 396f. Zu den unterschiedlichen Positionen der das Foreign Office führenden Politiker und Beamten vgl. Adamthwaite, Introduction: The Foreign Office, S. 3—28. Vgl. Steininger, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland, S. 126—129, und Forschepoth, Churchill, S. 1288—1294, jeweils mit Quellennachweisen.
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
193
auch Adenauers Politik der vorrangigen Westintegration gegen jede Vier-Mächte-Konstellation bereits früh in London gezählt wurde, bewirkten meist Entscheidungen auf der Linie Edens und seines Außenministeriums. Allerdings schöpfte auch Außenminister Eden nach Stalins Tod neue Hoffnung, daß die Aussichten für eine generelle Verständigung über eine abschließende europäische Friedensregelung einschließlich einer einvernehmlichen Regelung der Deutschland betreffenden Fragen in erreichbare Nähe gerückt seien297. Zusammen mit Abrüstungsvorschlägen Präsident Eisenhowers, französischen Versuchen, eine deutsche Remilitarisierung durch Sicherheit gewährleistende Abmachungen mit der Sowjetunion zu umgehen, und Gesprächen der vier Hochkommissare über den Ausbau zwischenstaatlicher Beziehung zwischen den beiden Teilen Deutschlands298 liefen auf verschiedenen Wegen und Ebenen Bemühungen, den vagen Begriffen Entspannung, Disengagement, Detente und friedliche Koexistenz Form und Inhalt zu geben299. Aber Churchills großes Vertrauen, daß selbst ein »wiedervereinigtes, unabhängiges Deutschland sich nicht mit der Sowjetunion verbünden werde«300, wurde weder im britischen Kabinett, noch im Foreign Office so ohne Vorbehalte geteilt. Entsprechend verbarg sich dann hinter dem Eden-Plan zur Wiedervereinigung Deutschlands, der am 29. Januar 1954 auf der Berliner Außenministerkonferenz in die Verhandlungen eingeführt wurde, letztlich doch das Beharren auf der möglichst weitgehenden Westintegration auch Gesamtdeutschlands301. Erst 1955 verfolgte die britische Regierung den Ansatz weiter, »das sowjetische Sicherheitsbedürfnis durch Angebote einer mitteleuropäischen Rüstungskontrolle zufriedenzustellen, einer Zone, die auch Teile der Bundesrepublik erfaßt hätte«302, nachdem die
Jedoch handelte Eden erst, als er in Machtrivalität mit Churchill als designierter Premierminister kurz vor der Amtsübernahme stand und Westdeutschland zumindest zum Zeitpunkt der geplanten Vier-Mächte-Verhandlungen mit der Sowjetunion durch NATO und WEU im westlichen Lager verankert war, vgl. PRO, CAB 129/74, C. (55) 83, Talks with the Soviet Union, Note by the Secretary of State for Foreign Affaires (Anthony Eden, 25.3.1955). 298 Einzelheiten dazu bei Körner, Deutschlandkonferenzen, S. 555—587. 299 Vgl. die skeptischen Ausführungen bei Schwarz, Supermacht, hier bes. S. 159—162; vgl. aber auch die Präzisierungen bei Meissner, Entspannungskonzept, hier S. 6f. 300 PRO, CAB 129/61, C. (53) 194, Policy towards the Soviet Union and Germany, Note by the Prime Minister, 6th July, 1953, S. 2; »I am sure that Germany will not, in the next 20 years, join with Russia against the West or lose her moral association with the Free Powers of Europe and America«, ebd., S. 3. 301 297
Vgl. Katzer, Berliner Viermächtekonferenz, S. 55—61, sowie zu den geänderten Eden-Plänen und Adenauers Einsprüchen auch Haftendorn, Sicherheit, S. 83—85. Zur britischen Position vgl. Eden, Memoiren, S. 81—91; ein wiedervereinigtes, neutrales Deutschland entsprach im übrigen nicht der Linie des Foreign Office; vgl. PRO, CAB 129/61, C. (53) 187, 3rd July, 1953, hier Punkt 13(2), S. 6; dementsprechend auch die Festlegungen in den Tripartite Official Talks on Germany and Austria, Paris, October 21—November 2, 1953, Ergebnisdokumente, hier Document No. 1, Objectives and Tactics for Lugano, I. Vgl. auch The Objectives of the Three Powers, A. Germany, sowie III. German Objectives, enthalten als Anlage zu PRO, CAB 129/64, C (53) 316, 13th November, 1953, Ger—
302
—
many, Austria and Securitiy Arrangements, Note by the Secretary of State for Foreign Affairs (Anthony Eden, 11.11.1953); zur Tripartite Working Group vgl. FRUS 1952-1954, Vol. VII, S. 722-740. Schwarz, Die deutschlandpolitischen Vorstellungen, S. 23. Zu den britischen Vorstellungen vgl. PRO, CAB 129/74, C (55) 83 v. 26.3.1955, PRO, DEFE 4/76, COS (55), 27th Meeting v. 20.4.1955, Confidential Annex, mit Diskussion der militärischen Vor- und Nachteile eines wiedervereinigten Deutsch-
194
Teil B: Die Verbündeten
dauerhafte Verankerung der Bundesrepublik im westlichen Paktsystem durch den Beitritt zur NATO und zur WEU im Mai 1955 erfüllt war. Im Ergebnis blieben die britischen Versuche, die einengenden Fesseln des bipolaren Konfrontationssystems abzuschütteln und Großbritannien über eine breit angelegte internationale Vermittlerrolle ein gewichtiges weltpolitisches Mitspracherecht zu sichern, halbherzig, vor allem aber intern wie im Bündnis umstritten und damit ohne den gewünschten Erfolg. Aus den maßgebenden Kausalzusammenhängen ragten vier Ursachen hervor. Zum einen hielt die britische Regierung unter Abweichungen seitens Churchill ihre gesamtpolitische Position für zu schwach, um eigene, den amerikanischen Vorstellungen zur Europapolitik entgegenstehende Lösungen durchsetzen zu können. Diese Einschätzung war realistisch angesichts der finanziellen, wirtschaftlichen und militärischen Dominanz der USA303. Zum anderen neigte die britische Regierung um so eher zur Anpassung, als ihr die Beziehungen zum europäischen Kontinent als nachrangig hinter den Interessen bezüglich des Commonwealth und der angloamerikanischen Zusammenarbeit galt. So konnte sie sich nicht gegen den wichtigsten Verbündeten stark machen, zumal dies nur unter hohen Kosten möglich gewesen wäre. Drittens beurteilte sie die Kompromißbereitschaft der Sowjetunion als unzureichend304. Schließlich wirkte auch der westdeutsche Widerstand gegen die britischen Vorstöße ausschlaggebend mit, vor allem durch Aktivierung und Bestärkung amerikanischer Gegenvorstellungen zugunsten der weiterverfolgten »Ein—
—
dämmungspolitik«.
Es ist in den britischen Akten gar nicht
zu übersehen, in welch hohem Maße die britische Deutschland- und Europapolitik von der Rücksichtnahme auf Westdeutschland und besonders auf die auch stets innenpolitisch abzusichernde Position des als außergewöhnlich vertrauenswürdig, gemäßigt und zuverlässig eingeschätzten Bundeskanzlers geprägt war. Das gilt in gesteigertem Maße für die Monate vor und nach dem Scheitern der EVG im Jahre 1954. Gerade in dieser Zeit, in der Adenauer innenpolitisch unter erheblichem Druck stand, hat die britische Regierung die ihr geläufigen und von ihr geteilten Ziele des Kanzlers stets angemessen bei ihren Planungen berücksichtigt. Oft wurde Adenauer frühzeitig konsultiert und dadurch wenigstens einigermaßen umfassend informiert, so daß er rechtzeitig seinen Einfluß geltend machen konnte305. —
303
304
305
—
lands je nach »case 1.« bis »case 4.«, fortgesetzt in DEFE 4/76, COS (55), 33rd Meeting vom 13.5.1955, Annex to J. P. (55) 36 (Final), Possibility of minimizing the strategic disadvantages of a neutral Germany. Frankel, British Foreign Policy, S. 197—199. Vgl. auch einschlägig die unterschiedlichen britischamerikanischen Haltungen zu vielen Fragen der Weltpolitik in: UPA/RP, Declassified Documents Reference System 1986, Fiche 252, Doc. No. 2940, Eisenhower Papers, International Meetings, Areas of significantly contrasting U.S.- U.K. policies, 21.12.1953. Vgl. PRO, CAB 129/61, C. (53) 194, Policy towards the Soviet Union and Germany, sowie den dort enthaltenen vierseitigen Annex »Soviet Policy, Calendar of events since Stalin's death«. Vgl. beispielsweise PRO, CAB 129/64, C (53) 316,13th November, 1953, Germany, Austria and Security Arrangements, 11th November, 1953 A[nthony] E[den], Tripartite Official Talks, Frank Roberts, 6.11.1953, S. 4: »There are strong arguments both ways and there is every advantage in obtaining Dr Adenauer's considered views before reaching any final view ourselves«; vgl. auch cum grano salis zutreffend Roberts, Dealing with Dictators, S. 159: »From 1952 onwards, Germany was treated as an independent member of the Western camp, and Dr Adenauer as one of the leading Western leaders.«
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
195
Insgesamt enthielten die vereinzelt tastenden Vorstöße Churchills in Richtung Entspannungspolitik über ein neutrales Gesamtdeutschland keine eigenständige Zielprojektion306. Auch die zweite Alternative, ein frei entscheidungsberechtigtes Gesamtdeutschland, das sich voraussichtlich dem Westen anschließen würde, erwog die britische Regierung nur unwillig und beiläufig307. Das Schwergewicht lag letztlich doch auf der bevorzugten Position des risikoarmen Status quo eines geteilten Deutschland, wobei die Bundesrepublik unter anderem mittels EVG und NATO fest in die westliche Staatengemeinschaft eingebunden werden sollte308. Ein nur wenig überpointiertes Bild zeichnete zusammenfassend der Staatsminister im Foreign Office, Selwyn Lloyd: »Deutschland ist der Schlüssel zum Frieden in Europa. Ein geteiltes Europa bedeutet ein geteiltes Deutschland. Deutschland wiederzuvereinigen, solange Europa geteilt ist, ist selbst wenn dies machbar wäre gefahrvoll für uns alle. Deshalb fühlen alle Dr. Adenauer, die Russen, die Amerikaner, die Franzosen und wir selbst im Grunde ihres Herzens, daß ein geteiltes Deutschland zur Zeit die sichere Lösung ist. Aber keiner von uns wagt dies wegen seiner Auswirkung auf die öffentliche Meinung in Deutschland auch offen zuzugeben. Deshalb unterstützen wir alle öffentlich ein vereintes Deutsch—
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—
—
land, jeder allerdings aufgrund
c.
seiner
eigenen Bedingungen309.«
Militärpolitische Vorstellungen
Da für sicherheitspolitische Alternativen mittels spannungsmindernder Vereinbarungen eine verhandlungsfähige Grundlage zumindest nicht durchsetzbar war, kam der militär-
politischen Sicherung durch bereitzustellende Verteidigungskräfte eine um so höhere Bedeutung zu310. Allerdings setzten die wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmendaten den Verteidigungsausgaben angesichts des ohnehin schon hohen Militärbudgets für zusätzliche Belastungen enge Grenzen. Dabei sind die Ausgaben für die britische Nuklearrüstung, die seit 1947 geschickt im Haushalt verstreut selbst vor den britischen Abgeordneten verborgen wurden, noch hinzuzurechnen. So schien etwa die Finanzierung des
britischen Anteils am Medium Term Plan der NATO bereits 1951 kaum finanzierbar. Von daher stellte sich bereits sehr früh die grundsätzliche Frage: »But can we carry out the Medium Term Plan without going bankrupt311?« »We are at once confronted with
Vgl. Foschepoth, Churchill, passim. Vgl. PRO, CAB 129/64, hier Tripartite Official Talks, Punkt IV. Germany 14. Diese Position spielte bei der Berliner Konferenz eine Rolle, vgl. PRO, CAB 129/65, C. (54) 13, llth January, 1954, Prospects for the Berlin Meeting, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs, hier Punkt 4. Western objectives in Europe, sowie 9. (ii) Germany. 308 Vgl. das Memorandum u.a. zur Deutschlandpolitik, in PRO, CAB 129/61, C. (53) 187, und die zielgerichtete Politik Großbritanniens im Sommer 1954, in PRO, CAB 129/69, C. (54) 231, 13th July, 1954, Policy towards Germany, Memorandum by the Minister of State (Selwyn Lloyd, 12.7.1954). 309 PRO, PREM 11/449, Lloyd an Churchill, 22.6.1953, zitiert nach Foschepoth, Churchill, S. 1300. 310 306 307
-
3"
Auf den außerordentlich hohen Stellenwert der nationalen Sicherheit vor anderen Zielen bei britischen Politikern hat Morgan hingewiesen, vgl. ders., Rolle Großbritanniens, S. 215. Zur weltweiten Verteidigungsplanung vgl. PRO, DEFE 5/51, COS. (54) 9, Special Circulation, U.K. Eyes Only, 11.2.1954, Chiefs of Staff Committee, Inter-Service Plan for the Deployment of Forces on the Outbreak of War. Vgl. PRO, PREM 11/369, North Atlantic Council. Rome. 24th November 1951, Top Secret, North Atlantic Council, Defence, hier Punkt 8. Recommendations.
196
Teil B: Die Verbündeten
difficulty that there is in N.A.T.O. no very effective means of reconciling military »requirements« with political and economic possibilities312.« Daß dies nicht nur für Großbritannien zutraf, stellte Feldmarschall Montgomery heraus: »Nations cannot continue to carry much longer the present enormous defence budgets. The situation today is that the economic ceilings are being approached and in some cases exceeded313.« Montgomery empfahl daher mit Nachdruck, die Verteidigungspolitik auf eine »long haul«-Politik umzustellen, die sich an einem Langzeitplan für 25 Jahre orientieren
the
sollte314. Während Großbritannien vor allem Luft- und Seestreitkräfte bereitstellen sollte, waren die Landstreitkräfte im wesentlichen von den Kontinentalstaaten zu rekrutieren; dabei hatte er nicht zuletzt deutsche Soldaten im Blick, die er für ebenso unverzichtbar hielt, wie das deutsche Territorium für die Vorneverteidigung315. Das Kabinett und besonders die Treasury hätte dem zustimmend noch die Forderung nach einer Kontrolle des Anteils an der Rüstungsproduktion hinzugefügt. War von einem zukünftigen deutschen Militärbeitrag eine Entlastung im Verteidigungsbudget nur in einem Ungewissen Umfang zu erwarten, so konnte vor allem von einem prinzipiellen Umdenken bezüglich des notwendigen Umfangs der Streitkräfte etwas Erleichterung erhofft werden. Insoweit wollte die britische Regierung den NATO-Maßstab nicht nach der Forderung, einen russischen Angriff erfolgreich abwehren zu können, sondern nach der Stärke ausrichten, die erforderlich war, um von einem Angriff ausreichend abzuschrecken316. In der unter diesem geänderten Ansatz neu zu kalkulierenden Berechnung des Kräftebedarfs sollte zudem noch die ebenfalls veränderte Einschätzung der Bedrohung berücksichtigt werden: —
—
»Most N.A.T.O. Governments now believe, however, that the danger of such an aggression has receded, and the military strength should be adjusted to the needs of a prolonged period of international
tension without war. This paper suggests that at the next meeting of the North Atlantic Council an attempt should be made to bring the military planning into line with this new conception of the risk [...] This is an attempt to bring a greater realism into the military work of N.A.T.O.317.« 312
PRO, PREM 11/369, Norman Brook an Churchill, N.A.T.O. Annual Review, (D. (53) 14), March 25, 1953, S. 1. Für 1954 vgl. PRO, DEFE 4/70, COS (54), 51st Meeting, 5.5.1954, Confidential Annex, TOP 5. Implication on the forces of financial reductions, wonach die Finanzzuweisungen für die
313
PRO, PREM 11/370, Memorandum on the present state of the game in NATO by Field Marshal Montgomery, 26 June, 1953, hier S. 1; Montgomery hatte das Memorandum für den Stabschef SACEUR und designierten Supreme Allied Commander Europe, Gruenther, gefertigt und in einem
Streitkräfte sich bereits
privaten Anschreiben
»at
an
rock bottom« befänden.
Churchill
gesandt.
Ebd., S. 5, Punkt 14. 315 Ebd., S. 1; vgl. auch PRO, PREM 11/370, Political Factors affecting the present state of the game in NATO by Field Marshal Montgomery, 2 July, 1953, The German Problem; privat and top secret 314
an 316
317
Churchill.
PRO, PREM 11/369 (wie Anm. 312): »The problem is, briefly, how to persuade N.A.T.O. that in calculating their forces requirements they should consider, not what is required to defeat a Russian
attack, but what is required to deter the Russians from making one.« PRO, PREM 11/369, Norman Brook für Churchill, North Atlantic Treaty Organization (C. (53) 234), August 24, 1953. Zu den britischen Bedrohungsvorstellungen vgl. auch PRO, DEFE 4/69, COS (54), 43rd Meeting, 12.4.1954, B. Likelihood of War 0- L C. (54) 37), DEFE 4/70, COS (54) 53rd
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
197
Im Kabinett wurde nicht nur in diesem Sinne beschlossen, sondern der Schatzkanzler legte zusätzlich noch Wert auf die vom Kabinett ebenfalls beschlossene Feststellung, keine
bindende Verpflichtung dafür einzugehen, daß die Verteidigungsausgaben gleich blei-
ben, also nicht sinken sollten318. Ein entsprechender Weisungsentwurf erhielt am 25. August 1953 im Kabinett Zustimmung; ein Memorandum vom 13. November 1953
bestätigte nochmals die geplante Inventur319, und Eden brachte mit Bidaults Unterstützung dieses Vorschlagspaket in die Diskussion der Bermuda-Konferenz320. Und noch ein weiterer, für die britische Außen- und Sicherheitspolitik weichenstellender Faktor für die »long haul«-Planung sollte nunmehr beschleunigt vorangetrieben werden: die abschreckende und gegebenenfalls kriegsentscheidende Wirkung der Nuklearwaffen einschließlich der Wasserstoffbomben. Insbesondere Churchill hatte diese revolutionäre Kriegstechnik über das Militärpolitisch-Strategische hinaus in sein Kalkül gezogen, weil sie, wie das Cabinet Defence Committee am 24. Juli 1954 ganz in seinem Sinne formulierte, nicht nur die Mittel für die britischen Verpflichtungen im »Kalten Krieg«, sondern auch und vor allem für die im Schulterschluß mit den USA erstrebte Weltmachtrolle gewährleisten sollten321. Nicht nur in London herrschte der zutreffende Eindruck, daß dieses vorläufig noch weit überwiegend amerikanische Potential nicht gebührend berücksichtigt wurde. Daher regte der NATO-Generalsekretär, Lord Ismay, bereits auf der Bermuda-Konferenz an, die »neuen Waffen« gerade unter dem Aspekt begrenzter Mittel in den Kräfteberechnungen zu berücksichtigen322. Geschah dies, so mußten sich die Bedrohungsszenarien erheblich ändern, wie NATOGeneralsekretär Ismay Churchill berichtete: »I have had
a
long talk with Gruenther about Soviet strength. The upshot was that he was quite sure
that, even without a German contribution, we already have sufficient force to hold any attack by the Soviet with the troops that they have at present in the front line. In other words, there would have to
be
a
build-up before they launched an all-out attack: and this wold give us good warning323«.
Meeting, 10.5.1954, A. Likely form of a future war (J.I.C. (54) 47), und DEFE 5/55, COS (54) 394, 23.12.1954, Annex, United Kingdom Defence Policy, Memorandum by the Chiefs of Staff. 3is PRO, PREM 11/369, C.C. (53) 50, Conclusion, Minute 2. vom 25.8.1953. 319 320
321
322
323
PRO, PREM 11/369, Memorandum DFM. 93/53 mit Addendum DFM. 95/53. PRO, PREM 11/369, B. C. (F) (53) 4th Meeting, Bermuda Conference, Minutes of Fourth Meeting of Foreign Ministers held in the Mid-Ocean Club on Sunday, December 6, 1953, at 4.00 p. m., hier bes. B.C. (P) (53) 3rd Conclusion, Minute 3., Punkt 3. North Atlantic Treaty Organization: New Basis for Military Planning. Vgl. auch zum Gesamtzusammenhang den auf britische Quellen gestützten Aufsatz von Young, Churchill. Paraphrasierung aus PRO, CAB 129/69, C (54), Report by the Committee on Defence Policy, 24 July 1954. Vgl. auch Churchills handschriftliche, die »deutsche Gefahr« unter waffentechnischen Aspekten relativierende Randnotizen auf Montgomerys Analyse »The German Problem« (wie Anm. 315), hier S. 2 f. Auf »Churchills Furcht vor einem nuklearen Holocaust« in seinen beiden letzten Amtsjahren weist Watt, Großbritannien, S. 396, Anm. 38, hin. Zur »special nuclear relationship« mit den USA vgl. Malone, British Nuclear Deterrent, S. 45—69. PRO, PREM 11/369, Tel. No. 154, Secretary of State, from Bermuda to Foreign Office, December 8, received 8.50 a.m. December9, 1953, hier S. 3. PRO, PREM 11/771, Schreiben des Secretary General North Atlantic Treaty Organization an Churchill vom
29.1.1954.
198
Teil B: Die Verbündeten
Für den Fall eines Angriffs »aus dem Stand« klang Ismays Lagebeurteilung plausibel: »it is that the Soviets must realize that 18 good and ever improving divisions, plus atomic weapons, would
not
easily
brushed aside324.«
Schien also für die ersten zwei, drei Wochen zumindest bei rechtzeitiger politischer Reaktion militärisch hinreichend vorgesorgt, so hatte für den weiteren Kriegsverlauf das Strategische Bomberkommando für den entscheidenden Schlag zu sorgen. Der Supreme Allied Commander Europe, General Gruenther, schätzte das entsprechende Kriegspotential Anfang 1954 so ein: »The technological developments are such that, under present conditions, offensive air power has a
big advantage over the defense. By that I mean that the B-47 airplane can fly at such great speed and at such a high altitude, that the job of intercepting it is a tremendously difficult one. The Soviet Union has no real answer to that challenge at this time. This means, then, that air forces taking off from European bases can launch attacks with powerfull effect against Soviet industrial and other suitable targets. The bombing techniques are accurate and can be expected to produce devastating results. Certainly this overwhelming retaliatory capability has a tremendous deterrent value and must be weighed soberly by a potential aggressor325.« Insoweit bestätigten also militärische Lagebeurteilungen, was aus politisch-diplomatischen Auswertungen ebenfalls hervorging: in naher Zukunft durfte, wenn man eine rationale und risikobewußte Politik der sowjetischen Führung annahm, ein Angriff als unwahrscheinlich gelten. Dennoch mußte im Hinblick auf Fortschritte der sowjetischen Nuklearrüstung dafür gesorgt werden, daß mittelfristig eine konventionelle Abwehr möglichst weit ostwärts des Rheins mit Aussicht auf Erfolg aufgenommen werden konnte. Das zur Verfügung stehende Potential auf dem Festland reichte für einen konventionellen Krieg nach Lagebeurteilung der NATO 1954 bei weitem nicht aus. Daher hielt die britische Regierung es nicht nur aus bündnispolitischen Gründen für unerläßlich, daß zusätzlich deutsche Truppen, deutsche Wirtschaftskraft bis hin zur Rüstungsproduktion und die geographische Tiefe Deutschlands in das Verteidigungssystem mit einbezogen würden326. Mit dem Wachsen der militärischen Stärke der Sowjetunion und dem sich bei allem Fortschritt vergrößernden Rückstand der britischen Rüstung besonders auf dem Sektor der Nukleartechnik drängte die britische Regierung von Jahr zu Jahr mehr darauf, die westdeutschen Möglichkeiten möglichst bald zu nutzen, wenn man auf dem Verhandlungsweg mit dem Osten nicht weiterkommen könne oder wolle. Bei aller Gelassenheit, mit 324
PRO, PREM 11/771, Private and Secret, Secretary General North Atlantic Treaty Organization an
325
Churchill
vom
12.2.1954.
PRO, PREM 11/771, Transcript of General Gruenther's Remarks at SHAPE Correspondents' Luncheon 11 Jan 54, S. 3. Churchills Interesse, belegt durch seine weiteren Nachfragen zu Details, liegt u.a. darin begründet, daß sich ihm hier Argumente anboten, wonach der Westen bereits jetzt aus
einer zukünftig eventuell eher abnehmenden Position der Stärke in Verhandlungen mit Rußland eintreten sollte; dementsprechend gab er die Weisung, den von Gruenther unwesentlich veränderten Text als Cabinet Paper in Umlauf zu geben; vgl. PRO, CAB 129/66, C. (54) 86, 5th March, 1954, North Atlantic Treaty Organization: Speech by the Supreme Commander, Allied Powers in Europe, Note by the Secretary of the Cabinet (Norman Brook, 4.3.1954). So äußerte sich Churchill im Gespräch mit Eisenhower Anfang Dezember 1953 auf den Bermudas; vgl. Eisenhower, Jahre im Weißen Haus, S. 270. —
—
—
-
326
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
199
der die Briten in einer
militärstrategisch aus vielen Gründen günstigeren Position eine mögliche sowjetische Bedrohung betrachteten, behielt die westdeutsche Aufrüstung insoweit doch ihre relative Bedeutung. Im Rahmen des Status quo waren 1954 nur noch die Art der bündnispolitischen Verflechtung und die Modalitäten der Kontrolle Westdeutschlands für London verhandlungsfähig und in bezug auf die geplante EVG auch verhandlungsbedürftig. Hinsichtlich der militärpolitischen Sicherheitsgarantien und rüstungspolitischen Einschränkungen, die von einem wiederbewaffneten Deutschland gefordert werden sollten, gab es nur teilweise Übereinstimmung mit amerikanischen Vorstellungen. Die Unterschiede, die sich an dem größeren Umfang der geforderten »safeguards« zeigten, hatten in London ihren Ursprung teils in der Sorge vor einem Wiederaufleben deutscher Hybris, teils in einer balanceorientierten Vorsicht, die stärker die historisch gewachsenen Befürchtungen der kontinentalen Nachbarn Deutschlands berücksichtigte327. In der Wahl der Mittel traten innerhalb der britischen Regierung unterschiedliche Tendenzen auf. Eine Minderheit votierte für möglichst umfassende, vertraglich festgelegte —
Sicherheitsklauseln, während die entscheidende Mehrheit sich der auf die
nicht zuletzt Stärke Großbritanniens vertrauenden Haltung Edens anschloß328. Dieser hielt den NATO-Rahmen als Kontrollinstanz für ausreichend, um die von Deutschland zu übernehmenden Auflagen wirksam durchsetzen zu können, falls Deutschland zu einigen einseitigen Sicherheitsgarantien bereit war. Diese relativ großzügige und selbstsichere Einschätzung wurde wesentlich mitgeformt von den bündnispolitischen Vorstellungen der britischen Regierung.
zukünftig nukleare
d.
—
—
Bündnispolitische Präferenzen bündnispolitische Rahmen,
in den Westdeutschland und seine Aufrüstung eingewerden sollten, wurde in der britischen Regierung hinsichtlich der internen Zielspannt präferenzen anders bewertet, als ihr außenpolitisch-diplomatisches Agieren erkennen ließ. Im Zentrum der Motivationen standen die zu erwartenden Wechselwirkungen zwischen der geplanten westeuropäischen Integration und den wichtigsten Bezugsfeldern britischer Außenpolitik im Commonwealth, in Amerika und in Europa. Die Frage, ob und inwieweit sich England am militärischen Integrationskonzept aktiv beteiligen sollte, konnte schnell zu einem Konsens geführt werden. Sowohl zwischen Der
327
Vgl. Restrictions on German rearmament which might be feasible in the event of German admisto N.A.T.O. (United Kingdom working paper), als Annex zu PRO, CAB 129/70, C. (54) 276, 27th August, 1954, Alternatives to the European Defence Community, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (Anthony Eden, 26.8.1954). Dieses Working Paper wurde in den sion
Monaten zuvor nach intensiven
Beratungen zwischen dem Foreign Office, dem Ministry of Defenund der Treasury zusammengestellt. Es fand Aufnahme in den Report of Anglo-American Study Group on Germany, held at London, July 5—12, 1954; als Enclosure 6 abgedruckt in FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1013—1016. Vgl. auch den Vorschlag von Dulles, im Falle des Scheiterns der EVG »Germany would have the full and unfettered right to re-arm«, sowie britische Einsprüche dagegen in CAB 134/767, Atlantic (Official) Committee, A. O. C. (54), 5th Meeting, Minutes of Meeting, 28th June, 1954, Zitat S. 1. Begründungszusammenhänge bei Eden, Memoiren, S. 80f. für Anfang 1954 und S. 180f.für August 1954. ce
328
200
Teil B: Die Verbündeten
den Parteien als auch unter den außenpolitischen Akteuren Großbritanniens herrschte bezüglich der britischen Europapolitik weitgehende, wenn auch keineswegs völlige Übereinstimmung: umfangreiche Verpflichtungen auf dem Kontinent oder gar Beteiligung an der konzipierten kontinentalen Konföderation etwa waren durchgängig seit der LabourRegierung Attlees und ebenso unter der Regierung Churchills in London nicht ernsthaft diskutabel329. Die EVG wurde entsprechend nur ungern und mit nur nach außen hin gespielter Überzeugung unterstützt, weil dies der einzige bündnisintern sowie für die französische, deutsche und nicht zuletzt auch amerikanische Innenpolitik konsensfähige Weg zu sein schien, um zum westdeutschen Militärbeitrag zu kommen. Graduelle Unterschiede zeigten sich jedoch in der Beurteilung der möglichen Folgen für England, die für den Fall eines Zusammenschlusses ohne Großbritannien auf dem Kontinent zu erwarten waren. Außenminister Eden sah weniger ernste Gefahren als Premierminister Churchill, der dieser Entwicklung mit mehr Skepsis begegnete330, während Macmillan als Beispiel für diejenigen im Kabinett stehen kann, die bereits im Schumanplan und noch mehr in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine bedrohlich föderale Entwicklung erblickten331. Wesentliche Fragwürdigkeiten des geplanten westeuropäischen Zusammenschlusses faßte Macmillan für das Kabinett ungeschminkt folgendermaßen zusammen: —
—
»3. Are we really sure that we want to see a six-Power Federal Europe, with a common army, a common iron and steel industry (Schuman plan), ending in a common currency and monetary policy? (I am particularly suspicious of Herr Abs on currency.) 4. If such a Federal State comes into being, will it, in the long run, be to our interest, whether as an island or as an imperial Power? 5. Will not Germany ultimately control this State, and may we not have created the very situation in Europa to prevent which, in every century, since the Elizabethan age, we have fought long and bitter wars? It may be argued that the rise of the United States and of Russia have transformed the picture. Yet the inner balance of Europe is essential to the balance of world power. 6. Is it, therefore, to our interest, even accepting the proposition [...] to make any particular effort to persuade the French to ratify E.D.C?
[...] If E.D.C. falls down, then will be the opportunity for us, should we wish to seize it332.« Obwohl das Kabinett daher verständlich genug nicht an einer westeuropäischen Eigenentwicklung ohne britische Beteiligung interessiert war, wäre es dennoch in keinem Falle bereit gewesen, einem derart von supranationalen Elementen durchzogenem Bündnis wie der EVG beizutreten, bei dem das Souveränität begründende Recht auf Selbstverteidigung einer multinationalen Gemeinschaft hätte anvertraut werden müssen, ganz zu schweigen von den Eingriffen, die in der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu erwarten wa329
Vgl. Northedge, British Foreign Policy, S. 132—167; kritisch wertet die seiner Auffassung nach falschen britischen Perzeptionen und Prioritäten Frankel, British Foreign Policy, S. 233—244; nach Akteuren differenziert bei Watt, Großbritannien.
330 331
Vgl. Eden, Memoiren, So
etwa
S. 51-55.
Macmillan, Memoirs, Bd 3, S. 463f. und 466; vgl. die Charakterisierung bei Watt, Großbri-
tannien, hier bes. S. 391 f. und passim, nach der das »europäische« Element im Kabinett »großeuro-
päisch«, jedoch gerade 332
nicht
»kleineuropäisch« entsprechend der EVG
orientiert
war.
PRO, CAB 129/60, C. (53) 108, 19th March, 1953, The European Defence Community and European Unity, Memorandum by the Minister of Housing and Local Government (Harold Macmillan,
19.3.1953).
201
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
ren333. Daher konnte Churchill schon bei seinem Besuch in den USA im Januar 1952 nicht zu mehr bewegt werden als zu einer skeptisch abwartenden Haltung gegenüber der EVG334. Seitdem wartete das britische Kabinett nach außen hin mit Zurückhaltung das Schicksal der EVG ab. Trotz aller inoffiziellen Ablehnung wagte es nicht, durch intern bereits seit 1952 erwogene Alternativvorschläge das von den amerikanischen Regierungen sowie den meisten westeuropäischen Ländern befürwortete Bündnis im Keime zu ersticken335. Doch allein mit der offiziell verkündeten Festlegung, sich einer supranationalen Organisation Europas zu verweigern, um sich eine »Position der freien Hand« zu bewahren336, konnten die anstehenden Probleme nicht gelöst werden. Denn ein ganzer Komplex von Fragen und Befürchtungen hatte sich mit den westeuropäischen Integrationsbestrebungen für Großbritannien aufgetan337. Der Einfluß Englands auf die Entwicklung des Kontinents mußte mit der Entwicklung von funktionaler und sektoraler Verschmelzung sinken, wenn tatsächlich eine kleineuropäische Föderation auf dem Kontinent gelingen sollte. Falls es wie Absichtserklärungen der an der EVG und der Montan-Union beteiligten Länder befürchten ließen tatsächlich zu einer politischen Union kommen sollte, würde Großbritannien mit seiner traditionellen Rolle als ausgleichende Macht in Europa erheblich an Bedeutung verlieren. Ein vereinigtes kontinentales Westeuropa mußte gerade in der bipolaren Konfrontation des Kalten Krieges zum bevorzugten Partner der USA werden und die anglo-amerikanischen »besonderen Beziehungen« noch mehr als bisher relativieren. Die Wirtschaftskraft des von Handelshemmnissen befreiten gemeinsamen Marktes und sein kumuliertes Wirtschaftspotential würden einen spürbaren Teil der Handelsströme des Commonwealth von Großbritannien weg auf sich ziehen. Damit —
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Zu den prinzipiellen Vorbehalten der britischen Regierung gegen die EVG auch aus militärischen Gründen vgl. Watt, Konservative Regierung, S. 81—99; zur von Verteidigungsminister Macmillan ab 1954 vertretenen Sicherheitsphilosophie der »independent deterrent« vgl. Hörne, Macmillan, S. 345. Vgl. Acheson, Present at the Creation, S. 596—600, sowie Eisenhower, White House, S. 443. Zu Churchills Haltung gegenüber der EVG vgl. die Darstellung auf der Grundlage britischer und amerikanischer Akten von Young, German Rearmament, S. 81—107. Vgl. Macmillan, Memoirs, Bd 3, S. 468 und 473; zu Alternativvorstellungen vgl. Plan A (bevorzugt: Aufnahme Westdeutschlands in die NATO) und Plan B (weniger günstige Aufnahme Westdeutschlands mit Norwegen und Dänemark, jedoch nicht Italiens in den Brüsseler Pakt) und die Stellungnahme für die britischen Chiefs of Staff, wonach Plan A von ihnen ebenso wie vom Foreign Office bevorzugt wird, während Plan B militärisch inakzeptabel ist, PRO, DEFE 5/51, COS (54) 41, Chiefs of Staff Committee, Alterantives to European Defence Community, anliegend Appendix mit Second Revised draft, 5.2.1954; DEFE 4/69, COS (54) 27th Meeting, J.P. (54) 20 (Final), Chiefs of Staff Committee, Joint Planning Staff, Alterantives to the European Defence Community, 3.3.1954; DEFE 5/52 COS (54) 94, 26.3.1954, sowie bzgl. Strategically Exposed Areas COS (54) 255, 11.8.1954. So durchgehend bei Eden, Memoiren; zur Perzeption auf dem Kontinent vgl. die urteilssicheren Beobachtungen des niederländischen Botschafters in London, Stikker, Bausteine, S. 266, 288—290 und passim. Adenauer wurde darüber offensichtlich nicht informiert; vgl. Adenauer, Wir haben, S. 116 und 140 f. Hier kann nur ein kleiner Ausschnitt der Problematik angerissen werden; einen hilfreichen Zugriff zur Gesamtproblematik bietet die Spezialbibliographie von Böttcher, Britische Europaideen. —
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Teil B: Die Verbündeten
drohte die britische Konzeption der drei bevorzugten Bezugsfelder Commonwealth/USA/ Europa aus den Angeln gehoben zu werden. Auch für die Sowjetunion würde sich Westeuropa als wirtschaftlicher und militärischer Machtfaktor und damit als potenter Ansprechpartner vor Großbritannien schieben; alle Versuche, über die Gipfeldiplomatie der vier Siegermächte das europäische Schicksal maßgeblich mitzubestimmen, würden dann noch weniger Erfolg versprechen. Demgegenüber spielten Befürchtungen, daß es auf dem Kontinent zu einer Hegemonie Deutschlands kommen könne, die sich gegenüber den sowjetischen und französischen Ansprüchen sowie den berechtigten Widerständen der übrigen europäischen Mächte hätte durchsetzen lassen, eine nicht unwesentliche, jedoch eher beiläufige Rolle338. Ob sich derartige für Großbritannien bedenkliche Gefahren verwirklichen, wie schnell sie zum Tagesproblem werden würden und inwieweit Großbritannien retardierend oder mäßigend funktional-kooperative Elemente in den schwierigen westeuropäischen Einigungsprozeß würde einbringen können, mußte zwar weithin offen gelassen werden. Dennoch durfte die britische Regierung nicht übersehen, daß mit dem Konzept eines integrierten Westeuropa ohne britische Beteiligung ihr gesamter außenpolitischer Rahmen gesprengt zu werden drohte. Eine allgemeine Handlungsmaxime wurde bei dieser Problemlage offenbar: Es würde nicht genügen, dem europäischen Einigungsprozeß abwartend neutral gegenüberzustehen; vielmehr drängte die Situation, wenn man nicht die Entscheidungen über eine aktive Mitgliedschaft beeinflussen wollte, einen die britische Politik hindernden föderativen europäischen Zusammenschluß indirekt zu vermeiden. Dafür sahen Churchill und Eden Möglichkeiten und Hindernisse. Die Möglichkeiten lagen, nachdem die Chancen einer Einigung mit der Sowjetunion auch auf der Berliner Außenministerkonferenz 1954 abgeblockt worden waren, vor allem in der französischen Politik, die eine Fesselung an den ehemaligen deutschen Gegner zu umgehen versuchte. Hindernisse lagen stets spürbar in der amerikanischen und westdeutschen Politik, die dogmatisch auf den westeuropäisch föderativen Zusammenschluß festgelegt blieb. Damit verfügten letztlich die Regierungen anderer Nationen über das Gesetz des Handelns in dieser entscheidenden Frage, wobei die Abhängigkeit auch der EVG-Staaten von den USA die britischen Handlungsmöglichkeiten zusätzlich einschränkte. Diese Kluft zwischen Können und Wollen durchsetzt als kennzeichnende Struktur britischer Außenpolitik insbesondere die Behandlung der Kernfragen, an die der europäische Einigungsprozeß damals gebunden war: in welcher bündnispolitischen Form die Bundesrepublik Deutschland in die Staatengemeinschaft Europas eingereiht und in welchem Rahmen die westdeutsche Aufrüstung kontrolliert aufgefangen werden sollte. Die Problemstellung ließ sich zuspitzen auf die Alternativen einer relativ losen Verbindung Westdeutschlands im weitgespannten Verbund der NATO oder einer schwer abstreifbaren Verkettung mittels des Integrationskonzeptes der EVG. 338
Vgl. Macmillan, Memoirs, Bd 3, S. 466—470; mit Erleichterung stellte er am 3.9.1954 über das Scheitern der EVG fest: »I still think it's a good result for us. »Federation« of Europe means »Germanisation« of Europe. »Confederation« (if we play our cards properly) should be British leadership of Europe«, S. 480; dabei ist stets zu beachten, daß die Briten konträr zu unserem Sprachgebrauch mit dem Wort »federal« eher Vorstellungen von zentralistischer Politik verbinden.
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
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Der Schwerpunkt britischer Bündnis- und Verteidigungspolitik lag eindeutig beim atlantischen Bündnis. Dies ergab sich schon fast zwangsläufig aus der Bevorzugung der angloamerikanischen Partnerschaft. Diese und die nicht supranationale, sondern nationalstaatliche Struktur der NATO rückte die atlantische Allianz in den Mittelpunkt aller britischen Alternativüberlegungen. Entsprechend empfahl Churchill wiederholt und nachdrücklich in Gesprächen mit der US-Regierung dieses Bündnis als die Organisation, die einen deutschen Militärbeitrag am besten zugleich politisch kontrollieren und militärisch optimal nutzen könne339. Doch nach der amerikanischen Weichenstellung zugunsten der westeuropäischen Integration mittels der EVG im Sommer 1951 zeigte sich die US-Regierung hierüber nicht mehr verhandlungsbereit. So sah sich Churchill gedrängt, wenigstens den Anschein einer Assoziierung auf militärischem Sektor zu erwecken, um die Amerikaner nicht zu verärgern und doch England außenpolitisch von Kontinentaleuropa möglichst frei zu halten. Gemessen am Erwartungshorizont insbesondere der Benelux-Staaten, aber auch Frankreichs und Westdeutschlands, wurde die vorgesehene Angliederung einer der vier britischen Divisionen auf dem Kontinent an die EVG eher wie eine ostentative Absage denn als ein Schritt hin zu Europa gewertet340. Die späte Zusage von 1954, alle vier Divisionen und die auf dem Kontinent stationierten Teile der britischen Luftwaffe nicht ohne Zustimmung der Verbündeten abzuziehen, stand für die EVG anders als für die von supranationalen Elementen fast völlig entblößte WEU niemals ernsthaft zur Debatte. Und selbst dieses Entgegenkommen unterlag Vorbehalten bezüglich weltweiter politischer und finanzieller Verpflichtungen Großbritanniens, von denen dann auch bald Gebrauch gemacht wurde, so daß der eher propagandi—
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Einen massiven Vorstoß zugunsten einer Aufnahme des deutschen Militärbeitrags direkt in die NATO unternahm Churchill erneut im Gespräch mit Eisenhower und Bidault, der den erkrankten Laniel vertrat; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Part 2, Second Plenary Tripartitie Meeting of the Heads of Government, Mid Ocean Club, Bermuda, December, 1953, hier S. 1780 f. Eisenhower schob diesem Ansinnen unter anderem mit der Begründung, Adenauer habe sich stets und erst kürzlich wieder gegen eine Nationalarmee gewandt, sofort einen Riegel vor: »There could be no alternative«; ebd., S. 1783. Zu den Assoziationsabkommen mit der EVG, zu denen sich Großbritannien 1952 und 1954 bereitfand, vgl. PRO, CAB 129/60, C. (53) 111, 23rd March, 1953, United Kingdom Association with the European Defence Community, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (Anthony Eden, 23.3.1953); im Annex B ist eine Übersetzung des französischen Memorandums vom 12.3.1953 enthalten, in dem weitere französische Wünsche über die britischen Vorschläge vom 2.3.1953 hinaus geltend gemacht werden; einer der wesentlichsten Punkte war der Wunsch, an die Stelle einer unilateralen Erklärung ein Abkommen zwischen Großbritannien und den Regierungen der EVG zu setzen; vgl. auch PRO, CAB 129/61, C. (53) 158, 18 May, 1953, United Kingdom Association with the European Defence Community, Memorandum by the Minister of State (Selwyn Lloyd, 18.5.1953), mit Draft Agreement Between the United Kingdom and the Member States of the European Defence Community, im Annex I; das Kabinett stimmte dem zu und Eden erarbeitete einen entsprechenden Entwurf, vgl. PRO, CAB 129/64, C. (53) 332, 26 November, 1953, Annex A, Draft Agreement, (Anthony Eden, 24.11.1953); Zustimmung des Kabinetts in PRO, C.C. (53), 72nd Conclusion, Minute 4. Weitere Änderungen führten dann zur Kabinettsvorlage PRO, CAB 129/66, C. (54) 93, 9 March, 1954, (Anthony Eden, 8.3.1954), Annex A, United Kingdom Association with the European Defence Community, Draft Agreement regarding Co-operation between the United Kingdom and the European Defence Community (Text agreed by Juridical Committees of the European Defence Community Interim Commission). —
Teil B: Die Verbündeten
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stische Wert dieses Engagements bereits von Zeitgenossen klar erkannt wurde341. Bis zu ihrem kläglichen Ende galt die EVG in britischer Einschätzung damit politisch als im föderalistischen Ansatz verfehlt und darüber hinaus auch noch als militärisch unsinnig. Als dann das Ende der EVG im Sommer 1954 absehbar wurde, fürchtete die britische Regierung und besonders Churchill die dreifache Gefahr eines Rückzuges der Vereinigten Staaten aus Europa sowie die Hinwendung Deutschlands oder Frankreichs zur Sowjetunion. Allerdings waren Churchills interne Vorschläge vom 20. August 1954, Westdeutschland notfalls auch gegen Frankreichs Veto in eine dann zu modifizierende NATO aufzunehmen oder in ein anglo-amerikanisches Bündnis einzubeziehen, nicht geeignet, diesen Gefahren wirkungsvoll zu begegnen342. Auch konnte mit der Ablehnung der EVG in Frankreich nicht zugleich auf den westdeutschen NATO-Beitritt oder das Ende der europäischen Föderationsbestrebungen geschlossen werden. Zuviele überzeugte Anhänger in der amerikanischen und in den westeuropäischen Regierungen, allen voran Eisenhower, Dulles und Adenauer, wollten so war aus britischer Sicht zu fürchten an diesem Konzept weiterhin festhalten. Es sprachen also mehrere drängende Gründe dafür, daß die britische Außenpolitik alle diese für England als unheilvoll erachteten Entwicklungen aufhielt, sobald die von den USA auferlegte und von der Bundesregierung unterstützte Zurückhaltung nach der Entscheidung Frankreichs gegen die EVG nicht mehr nötig war. Die von Adenauer so anerkannte erfolgreiche Reisediplomatie Edens hatte hier ihre Hauptursache. Allerdings hielt die britische Regierung einen umfangreichen Katalog von Einschränkungen für die Bewaffnung Westdeutschlands für erforderlich, obwohl ihr klar war, daß —
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Intern wurden die unter Vorbehalten stehenden britischen Zusagen realistisch eingeschätzt; vgl. für Frankreich das Urteil des französischen Botschafters beim Atlantikrat und langjährigen Leiters der EVG-Verhandlungen, Hervé Alphand, und aus NATO-Sicht das General Norstads, in Sulzberger, Giants, Eintragungen vom 4. bzw. 5.11.1954, S. 105f. Zum amerikanischen Rückzug auf eine periphere Verteidigung vgl. die handschriftliche Anmerkung Churchills »There is no alternative but a revised NATO; »peripheral« is ruin for Europe« auf Kirkpatricks Vorlage eines Briefes von Adam Watson in der britischen Botschaft in Washington an Roberts über ein Gespräch Watsons mit Bedell Smith bzgl. EVG, während dessen Smith enttäuscht und niedergeschlagen äußerte: »America would have to withdraw to peripheral positions in the British Isles and the Iberian Peninsula, and whatever could be saved in North Africa«, PRO, PREM 11/618, PM/IK/54/139 (Kirkpatrick, 18.8.1954), mit anliegender Kopie des Briefes von Watson vom 16.8. 1954; »We should propose that Germany should join N.A.T.O. If France uses a veto we should make a new N.A.T.O. [...] The immediate danger is Mr. Dulles having an »agonised reappraisal« out of which »peripheral defence« would be produced. This would mean the complete destruction of all the arrangements which have at present been made in Europe. The United States would withdraw her armies from Germany and content herself with Spain while expecting us to accord her the base in Norfolk and thus make ourselves the bull-eye of a future war. If we did not like this and asked them to go, they might tell us to defend ourselves. Unhappily we have nothing yet to do it with. But that is the line along which argument or thought they would move if E.D.C. is not replaced or sustained by a revised N.A.T.O. [...] Only a revised N.A.T.O. to include Germany can secure our freedom and the peace of the world«, PRO, PREM 11/618, Note for Foreign Office and Ministry of Defence (Churchill, 20.8.1954); bzgl. Deutschland: »We shall moreover have to act quickly if we are not to lose Germany [...] separate and early consultations with Dr.Adenauer and with the French«, PRO, PREM 11/618, C. (54) 276, 27 August, 1954, Alternatives to the European Defence Community, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (Anthony Eden, 26.8.1954), S. 3f. —
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II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
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viele von den gewünschten Einschränkungen in der Bundesrepublik innenpolitisch nicht mehr durchgesetzt werden konnten343. Da der anvisierte NATO-Rahmen keine Beschränkungen, sondern im Gegenteil möglichst hohe Verteidigungsanstrengungen anstrebte, wären Begrenzungs- und Kontrollinstrumentarien als der bündnispolitischen Zielsetzung wesensfremd nur schwer damit zu vereinbaren gewesen. Eine »Deckelfunktion« bezüglich des westdeutschen Militärbeitrags ohne zu offensichtliche Diskriminierungen sollte daher besser in anderen vertraglichen Bestimmungen gesichert werden. Der Brüsseler Vertrag vom März 1948 kam dafür in Frage, wie es Edens Privatsekretär Shuckburgh seinem Außenminister bereits am 16. Dezember 1953 anläßlich gemeinsamer Alternativüberlegungen für den Fall des Scheiterns der EVG in groben Umrissen skizziert hatte: »UK take lead and run
Europe as the French want. But we must eliminate the federal element in EDC and Schuman plan if we are to do this. I worked this out a little and suggested we build on Brussels Treaty; offer permanent alliance to Germany/France/Italy/Benelux; agree not to take substantial part of our forces into one 'confederate army' under British C.-in-C; have political HQ of the alliance in London, military HQ
near
SHAPE344.«
Nun war es Macmillan, der hierfür auch mit Blick auf die innenpolitischen Reaktionen in Frankreich und England in der Diskussion im Kabinett am 27. August 1954 folgendes
vorschlug:
»for this purpose, N.A.T.O. could be made at least to appear to have modified in the direction of the European idea. Was it possible, for example, for Germany formally to adhere to the Brussels Treaty which continued to subsist within the North Atlantic Treaty345?« 343
»While there is, I hope, a chance of obtaining some or all of these safeguards in return for German entry into what is the best Western club, I am by no means sure that Dr. Adenauer can in fact accept so much discrimination in 1954 [...] Before however we proceed too far on this course and are committed to a tripartite policy with the Americans and the French, we must be sure that it is acceptable to Dr. Adenauer. We should therefore consult Dr. Adenauer very shortly after an unfavourable French vote on the E.D.C. [...] We shall moreover have to act quickly if we are not to lose Germany«, ebd., C. (54) 276, Punkte 2., 3. und 10. So wurde dann auch mit Weisung des Foreign Office an die Bonner Hochkommission am 1.9.1954 verfahren: »handling of the German defence contribution issue will be even more delicate [...] leave Dr. Adenauer in no doubt that we do not think that there is any prospect of early agreement on the basis of unrestricted German rearmament, you should not at this stage seek his agreement to the specific safeguards we have in mind nor put them to him except in the most general terms and then only if his initial reactions have been encouraging and he himself shows interest in them. Your general approach should be one of sympathy with Dr. Adenauer in the cruel and undeserved predicament now facing him. Your first object should be to put heart into him and to persuade him that his friends abroad are determined to find in a short time a generally acceptable solution to the problem of German association with the West [...] Our first requirement therefore is to know Dr. Adenauers own views and in particular what are the limits within which he considers he can now work with us to bring Germany into N.A.T.O. on the lines suggested above«, PRO, T 225/413, 130982, Tel.No. 1085, from Foreign Office to Bonn, September 1, 1954 [irrtümlich mit Departure 8.10. p.m. September 10, 1954 ausgefertigt], S. 4, Punkt 6. Das folgende Tel.No. 1086, ebd., gibt weitere Handlungsanweisungen für verschiedene Einwände, die Adenauer möglicherweise vorbringen könne. Shuckburgh, Descent to Suez, S. 121. Neben anderen reklamiert Roberts bereits für 1952 in Zusammenarbeit mit Christopher Steel die Idee einer NATO/WEU Lösung als »fallback plan« für den deutschen Verteidigungsbeitrag für sich; vgl. Roberts, Dealing with Dictators, S. 158 f. PRO, CAB 128/27, C.C. (54) 57 Conclusions, 27th August, 1954, Minute 3. —
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Teil B: Die Verbündeten
Gerade weil derartiges »window dressing« britische und kontinentaleuropäische Vorstellungen zu einem zumindest vorläufigen Konsens führen konnte, verfolgte Eden ebenfalls diesen Lösungsweg. In der Eile, mit der sein zweifellos verdienstvoller diplomatischer Einsatz im September 1954 für eine nicht föderative, sondern nationalstaatliche Lösung dieses bündnis- und militärpolitischen Problems wirksam wurde, sahen Zeitgenossen bereits sehr deutlich die ausgeprägte britische Abneigung gegen jegliche westeuropäische Föderation346. So hilfreich Edens erfolgreicher Einsatz nach dem Scheitern der EVG dafür war, die ungewöhnlich verfahrene Situation zu retten, so ausschlaggebend hatten vorher die Vorbehalte Großbritanniens zu eben diesem Scheitern beigetragen. Was nach dem Scheitern offenkundig wurde, blieb vorher für viele damalige Beobachter hinter einem Schleier wenig durchsichtigen außenpolitischen Agierens der britischen Regierung verborgen. Es wurde verdeckt durch die nicht zuletzt im Zusammenhang mit der deutschen Aufrüstung sich ergebende Vielfalt und partielle Unvereinbarkeit der angestrebten Ziele britischer Politik. Sollte der deutsche Verteidigungsbeitrag mit britischen Interessen vereinbar sein, so mußte darauf geachtet werden, daß er der britischen Politik genügend Freiraum für die gewünschte Weltmachtrolle erhielt, nicht zur Verminderung amerikanischer Verpflichtungen für Europa führte, sowjetische Einkreisungsängste nicht überstrapazierte, Frankreichs schwierige psychologische und in der Kolonialpolitik bedrängte Situation berücksichtigte, ohne den Deutschen angemessene Gleichberechtigung vorzuenthalten, ihnen aber auch keine zu starke Verhandlungsposition verschaffte, die die in London für nötig erachteten »safeguards« hätten in Frage stellen können. Kurzum: Nicht nur in Paris und Bonn, auch in London stand man vor der Quadratur des Kreises. Ob die eigenwillige britische Gipfeldiplomatie zu einer europäischen Friedensregelung führen würde, konnte daher niemand bündig beantworten. Die schwache, auf dem Kontinent latent verbreitete Hoffnung, daß aus der halbherzigen, distanzierten Unterstützung des westeuropäischen Integrationskonzeptes doch noch eine britische Beteiligung erwachsen würde, erwies sich erst sehr spät als unbegründet. Die lavierende britische Europapolitik verstärkte durch ihre schillernde Ambivalenz die Tendenz, daß sich die westeuropäischen Staaten nicht früher zu realistischeren Lösungen der anstehenden Probleme durchrangen. Eine klare, offen begründete und unbeirrt durchgehalten Gegnerschaft gegen die EVG hätte ein frühzeitigeres Abrücken, allerdings auch verängstigtes Abspringen Frankreichs zur Folge haben können; beharrliche, offene Unterstützung der atlantischen Option und Festlegung auf die NATO-Lösung hätten es zumindest Adenauer ermöglicht, früher behutsam auf weniger diskriminierende Abmachungen zuzusteuern, als sie ihm mit der EVG und dem an diese gekoppelten Generalvertrag 1952 zugesprochen worden waren. Es hat rückblickend den Anschein, als wäre eine derartige enge deutsch-britische Weichenstel—
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lung sowohl in London als auch in Bonn aus Rücksicht auf die USA teils nicht erkannt,
teils nicht entschieden genug gewagt worden. Mit Blick auf die französische Befindlichkeit und der daraus resultierenden Politik erscheint allerdings dieses geduldige, Vertrauen sich entwickeln lassende Vorgehen realistischer als alle kontrafaktischen Überlegungen. 346
Volle, Europapolitik, S. 7239, zur Einordnung in die EntScheidungsprozesse Noack, Scheitern, S. 33.
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2. Die a.
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Berücksichtigung der britischen Politik durch Adenauer
Zur personellen und institutionellen
Beratung
Während die eindeutige und beständige Festlegung der amerikanischen Regierung wie des Kongresses auf die Integration Westeuropas es Adenauer erleichterte, diese Politik einzuschätzen, erschwerte ihm die zwischen amerikanischen Forderungen, französischen Aufforderungen, westdeutschen Anregungen und britischen innenpolitischen Kontroversen ihre tatsächlichen Ziele eher verschleiernde als enthüllende Politik Großbritanniens, die britischen Präferenzen bündig aus seinen Informationen abzuleiten. Inwieweit es ihm dennoch gelang, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen seinen und den britischen Zielen zu erkennen und sie sachgerecht bewertend seiner Politik zuzuordnen, soll nachfolgend untersucht werden; dabei wird das Schwergewicht auf die europapolitischen Divergenzen um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft als Kristallisationspunkt gelegt. Adenauer zog seine Kenntnisse und Urteile unter anderem aus den Gesprächen, die er mit Außenminister Herbert Morrison, nach dem britischen Regierungswechsel mit Premierminister Churchill und Außenminister Eden führte347. Allerdings bewegte sich der Meinungsaustausch oft auf einer Ebene recht abstrakter Erörterungen und vermied genauere Festlegungen auf den Gebieten, die auf der Tagesordnung diplomatischer Verhandlungen standen. Wenn die Aussagen auch öfter ausdeutungsfähig und präzisierungsbedürftig blieben, so erkannte Adenauer hieraus doch grundlegende Tendenzen der britischen Politik. Das damit gegebene Grobraster wurde koloriert und akzentuiert durch Analysen, Berichte und Lagebeurteilungen, die in der deutschen diplomatischen Vertretung in London unter Schlange-Schöningen348 u. a. von den Botschaftsräten Oskar Schütter und Sigismund Frhr. v. Braun erstellt wurden. Hauptansprechpartner in London waren im Sommer 1954 der beamtete Staatssekretär im Foreign Office, Sir Ivone Kirkpatrick349, der Leiter des »Western Department«, Patrick Hancock, und der Leiter der Deutschlandabteilung, Frank Roberts. Zwar hat das Foreign Office die Informationspolitik der deutschen Vertretung gegenüber durchaus nicht restriktiv gehandhabt, vielmehr die Bundesrepublik Deutschland oft eher als zukünftigen Bündnispartner behandelt350. Dennoch durchzogen Erwägungen von —
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Morrison war unter der Labour-Regierung Attlee britischer Außenminister; zur Unterredung mit Adenauer am 19.5.1951 vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 495—500. Zur Unterredung Adenauer-Churchill vom 4.12.1951 bzw. 14.5.1953 vgl. ebd., S. 505—512, bzw. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 201—204. Zu den Gesprächen zwischen Adenauer und Eden am 12. und 13.12.1953 vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 234f., und Eden, Memoiren, S. 78f. Adenauer hatte den Weimarer Reichsminister persönlich für den Posten des Geschäftsträgers in London ausgesucht, wobei möglicherweise die Erwägung mitgespielt hat, den Konkurrenten um die Kanzlerschaft, der für eine große Koalition mit der SPD eingetreten war, aus Bonn fortzulocken; vgl. zu Schlange-Schöningen die Ausführungen bei Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 34, 183 und 453. Kirkpatrick kannte Deutschland aus seinen Berliner Jahren 1933—1938, als er dort an der britischen Botschaft eingesetzt war; von 1950 bis 1953 war er britischer Hochkommissar in Bonn; seine Erinnerungen, The Inner Circle, sind wenig ergiebig für die hier untersuchte Zeit des Jahres 1954; vgl. auch die Charakterisierung bei Hörne, Macmillan, S. 349 f. Die britischen Akten der Jahre 1953/54 zeigen durchgängig, daß Eden und sein Außenministerium
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Teil B: Die Verbündeten
Alternativen und denkbaren Entwicklungstendenzen sowie von Zweifeln geprägte Mutmaßungen viele Berichte und Analysen der deutschen Mission. Die Ungewißheiten, die die Londoner Berichterstattung nach Bonn ganz eigentümlich kennzeichneten, hatten ihre Ursache kaum in den dortigen Personen und Institutionen, sondern in der ambivalenten britischen Politik; was auch in der deutschen Presseberichterstattung nachvollzogen werden kann, die sich ebenso schwer tat, interne Kräfteverteilung und Zielsetzung britischer Europa- und Deutschlandpolitik aufzuklären. Die offiziellen Informationswege liefen während der Besatzungszeit noch weitgehend über die Alliierte Hohe Kommission, ab 1953 über Sir Frederick Hoyer Millar. Von diesem Instanzenweg wurde erstmalig demonstrativ am 25. August 1954 abgewichen. Schlanwurde nach der gescheiterten Konferenz in Brüssel von Kirkpatrick und ge-Schöningen Roberts in Whitehall empfangen, wo er über die vorangegangenen Besprechungen zwischen Churchill und Eden einerseits, dem britische Unterstützung nach der Isolierung in Brüssel suchenden Mendès France andererseits unterrichtet wurde. Diese bis dahin ungewöhnliche protokollarische Aufwertung sollte von britischer Seite aus verdeutlichen, daß in den Gesprächen mit Mendès France Fortschritte in der Frage einer baldigen Souveränität der Bundesrepublik erzielt wurden351. Mit zu den Informationslücken hat sicher auch eine persönliche Komponente auf der Akteursebene, »das Fehlen eines für die europäische Politik kongenialen Partners für Adenauer in der britischen Führungselite«352, beigetragen. Männer wie etwa John Foster Dulles in den Vereinigten Staaten oder Robert Schuman und Jean Monnet in Frankreich standen in Großbritannien für eine einverständliche Mitwirkung nicht zur Verfügung oder konnten nicht aktiviert werden. Die der auf bundesstaatliche Integration zielenden deutschen Europapolitik entgegengesetzten britischen Absichten haben offenbar solche Verbindungen nachhaltig erschwert. Mit einiger Sicherheit schlug dies stärker durch als eine persönliche Antipathie Adenauers England gegenüber, wie sie oft und auf verschiedenen Quellen basierend als antibritische Voreingenommenheit des Bundeskanzlers erwähnt wird353. Zudem hätten die guten Beziehungen, die z.B. Adenauers engster außenpolitiausdrücklich Wert auf rechtzeitige und umfassende Information und Konsultation Adenauers legte; Informationen zurückgehalten wurden, lagen die Ursachen in der Rücksichtnahme auf die USA und auf Frankreich; in London spiegelte sich das gefestigte Vertrauen auf Adenauers unbedingten Kurs der Westintegration wider; von daher ist auch wahrscheinlich, daß Adenauer besser informiert wurde, als seine »Erinnerungen« erscheinen lassen; am Gesamturteil ändert das jedoch wegen der ambivalenten Politik Großbritanniens nichts. »M. Mendès France [...] was ready as a first step to give Germany her political sovereignty without any delay and to announce this to the Assembly«, PRO, PREM 11/618, Tel. 4241, Foreign Office wo
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to 352 v.
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Washington,
23.8.1954.
Hase, Adenauer und Großbritannien, S. 648.
Anglophobie als Strukturmuster in Adenauers Außenpolitik thematisierte bereits zu Lebzeides Bundeskanzlers die kritische Biographie von Wighton, Adenauer, wobei Wighton auf die rüde Absetzung Adenauers als Kölner Oberbürgermeister 1945 und die Abhöranlage des britischen Geheimdienstes am Telefon des Bundeskanzlers bis 1950 hinweist, S. 123; ähnlich auch Pakenham, Erfahrungen, S. 415—420; unter Hinweis auf die Desertion des von den Briten vorgeschlagenen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Otto John, bei Lukacs, Geschichte des Kalten Krieges, S. 138; vgl. auch Löwenthal, Die Deutschen, S. 41—71; erneut bestätigt bei Prittie, Konrad Eine ten
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Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
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scher Berater, Herbert Blankenhorn, seit vielen Jahren auch auf privater Ebene zu bedeutenden britischen Persönlichkeiten pflegte, Ersatz bieten können, wenn eben nicht die europapolitischen Zielsetzungen gar zu sehr auseinander gelegen hätten. Nach allem, was bekannt ist, kann Adenauers persönliche Einstellung, wie stark auch immer sie ausgeprägt gewesen sein mag, als sein politisches Handeln beeinflussend nur überschätzt werden; denn
Sympathie und Antipathie konnte er in erstaunlichem Maße danach ausrichten, inwieweit andere Menschen ihm für die Erfüllung seiner Aufgaben wichtig erschienen354. Ein weiteres Moment der Lagebeurteilungen, die oft mehr Fragen offen lassen als beantworten, liegt unverkennbar in ausweichenden, bisweilen irreführenden Informationen, die die Bundesregierung erreichten. Aus den offiziellen Gesprächen mußte das Auswärtige Amt und sollte wohl auch den Eindruck gewinnen, daß sich Eden und selbst Churchill, deren Vorbehalte gegen die EVG in Bonn nicht unbekannt geblieben waren, angesichts des amerikanischen Drängens ganz auf die EVG-Lösung festgelegt hätten. So äußerte sich der stellvertretende Hohe US-Kommissar Dowling noch am 22. Juni 1954 im Gespräch mit Hallstein, daß Churchill, Eden und das übrige Kabinett die EVG fest verträten und sie für die beste Lösung hielten; darin bestünde eine wesentliche Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten355. Die dahinter weiter bestehenden Bedenken wurden dem Bundeskanzler zu diesem Zeitpunkt nicht mitgeteilt. Allerdings berichteten die Tageszeitungen zutreffend davon, daß alternative Überlegungen für einen Ersatz der EVG ein wesentlicher Besprechungspunkt zwischen Churchill, Eden und Mendès France in Chartwell gewesen seien. Als William D. Allen am 24. August 1954 Hallstein über diese Besprechung informierte, wollte der europabegeisterte Hallstein dem Allen nicht widersprach von EVG-Alternativen auch gar nichts wissen: —
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»Hallstein confessed that he had been depressed by these reports [i.e. entsprechende Zeitungsberichte; d. Verf.], which seemed to imply that Her Majesty's Government regarded E.D.C. as dead. He was sure, therefore, that the Chancellor would be very glad to learn that the contrary was the case [...] Hallstein emphasized again the importance of not giving the French Parliament grounds for believing that there was any alternative to E.D.C.356.«
Hier wird
deutlich, wie die britische und die deutsche Seite ihren redlichen Anteil an mißverständlichen Interpretationen britischer Politik hatten. Entsprechend lautete in Bonn wie so oft der Tenor: »Über die Haltung der Engländer besteht Unklarheit357.« DenAdenauer, S. 378; vorsichtig andeutend auch Botschafter Blankenhorn in einer Befragung des MGFA
21.4.1975. Gegenteilige Meinungen wurden während des Rhöndorfer Gesprächs vom 18.4.1979 geäußert, so etwa Morsey vor dem Hintergrund von Adenauers Korrespondenz der Jahre vor seiner Kanzlerschaft (S. 19), Schwarz (S. 68), und die Einschätzung des damaligen Leiters der EVG-Delegation in Paris, Hasso v. Etzdorf (S. 70), in: Konrad Adenauer und die Gründung. 354 Vgl. die unübertroffenen Formulierungen bei Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemovom
333
356 357
kratie, S. 190. Vertrauliche Mitteilung. Das entsprach nur teilweise dem Stand der Dinge; vgl. die Absprache zwischen Eisenhower und Churchill, PRO, CAB 129/69, C. (54) 226, 7 July, 1954; wer hören konnte, erkannte aber auch, daß diese Festlegung ihre Ursache vor allem im Schulterschluß mit der amerikanischen EVG-Politik hatte; vgl. auch FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S.988Í. PRO, PREM 11/618, Tel. from Bonn to Foreign Office No. 652 (Mr. Allen), August 24, 1954. Blankenhorn, Verständnis, S. 192.
210
Teil B: Die Verbündeten
noch blieb eine zutreffende Analyse der Lage prinzipiell möglich, wie die Feststellungen von Blankenhorn am 23. August 1954 erkennen lassen: »Zwar ist die Botschaft Churchills an den Bundeskanzler freundlich gehalten und kann als eine Unter-
stützung angesehen werden. Andererseits glaube ich, daß die Engländer den Zeitpunkt für gekommen sehen, anstelle des EVG-Projekts, das ihnen nie ganz zugesagt hat, eine andere mit NATO verknüpfte Lösung anzustreben. Es mehren sich aber auch hier und da die Nachrichten aus Paris, daß Mendès France anstelle der EVG eine beschränkte deutsche Aufrüstung im Rahmen von NATO unter Kontrolle der Alliierten anstrebe358.«
Europapolitisches Wunschdenken mußte also nicht zwingend zu Fehlinterpretationen führen. Was Blankenhorn im kritischen Rückblick auf die deutsche Analyse französischer Politik geltend macht »viele Mißverständnisse wären uns erspart geblieben. Wir haben die Dinge in Paris halt ein wenig zu sehr durch die Brille unserer MRP-Freunde gesehen«359 —, hat mutatis mutandis auch in bezug auf London seine Berechtigung. Insgesamt müssen die entscheidenden Ursachen für den in Teilbereichen begrenzten Informationsstand der Bundesregierung über die britische Politik weit überwiegend in den deutsch-britischen Zieldivergenzen gesucht werden, die angesichts der Kräfteverteilung im internationalen System von der britischen Regierung und darin im Gegensatz zur amerikanischen hinter einer Nebelwand gehalten wurden. Verstärkend wirkten in diesem Zusammenhang in schwer abzuschätzendem Maße Verzerrungen der Wahrnehmung, die aus den euphorisch auf das Ziel westeuropäischer Integration fixierten Festlegungen weniger von Adenauer als vor allem von seinem unmittelbaren Beraterkreis stammten. —
—
—
b.
Ostpolitische Interessenunterschiede
In der britischen Rußland- und Europapolitik sah Adenauer 1954 wie in den Jahren vorher immer wieder Anlaß zu großer Sorge360. Churchills Versuche, mit der Sowjetunion zu einer ausgleichenden Friedensregelung und zur Entspannung zu kommen, hat er stets
als mehr oder weniger aktuell einkalkuliert. Doch das Ausmaß britischen Entgegenkommens und denkbarer Zugeständnisse dafür waren für den Bundeskanzler nur schwer eingrenzbar, wenn er nicht den wiederholten Versicherungen Churchills und Edens blinden Glauben schenken wollte, wonach Großbritannien die britisch-sowjetische Verständigung nicht hinter dem Rücken und auf Kosten Deutschlands suchen werde361. Seit Churchill in seiner Aufsehen erregenden Rede im Unterhaus vom 11. Mai 1953 eine Vier-Mächte-Konferenz angeregt hatte, auf der mit einer europäischen Friedensregelung auch die Deutschland betreffenden Fragen hätten geklärt werden sollen, hegte Adenauer vermehrt Argwohn und Mißtrauen, stand ihm sein »Alptraum« einer »Rückkehr zu Potsdam« vor Augen. Seine »Erinnerungen« legen ein beredtes Zeugnis darüber ab, welche Beunruhigung diese Stoßrichtung britischer Außenpolitik in ihm hervorrief und ihn Ebd., S. 192 f. Ebd., S. 198. 360 Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 510; Erinnerungen 1953-1955, S. 101 f., 200—204, 305 und öfter; vgl. auch sein Mißtrauen gegenüber der Rußlandpolitik Churchills, das sich erneut anläßlich der Reise Dulles' vom 16./17.9.1954 zeigte; vgl. dazu ebd., S. 302f. 361 Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 508, und 1953-1955, S. 204f. 358
359
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
211
aller angelsächsischen Beschwichtigungen veranlaßte, »mit besonderer Sorgfalt und Achtsamkeit auf der Hut zu sein«362. In bezug auf diesen ostpolitischen Interessengegensatz, so urteilt Steininger mit guten Gründen, »wurde Adenauer nicht zum Partner, sondern zum erbitterten Gegenspieler des britischen Premierministers«363. Ob er von Churchills geheimem Alleingang am 4. Juli 1954 als dieser während der Agonie der EVG ohne vorherige Abstimmung mit den europäischen Partnern dem sowjetischen Ministerpräsidenten Malenkov durch den britischen Botschafter in Moskau ein zwangloses und freundschaftliches Zweiertreffen ohne vorher festgelegte Tagesordnung angeboten hatte364 unverzüglich erfahren hatte, ist im Kontext seines sonstigen Informationsstandes über die britische Ostpolitik unerheblich. Jedensfalls hat er die latente Gefährdung, die er aus verschiedentlich ventilierten Disengagementprojekten für Mitteleuropa seitens der britischen Außenpolitik folgerte, als überaus bedrohlich empfunden, zumal sie im Zusammenhang mit einer hierin ähnlich gelagerten Europapolitik der Regierung Laniel und dem amerikanischen »New Look« an Brisanz gewann. Ursachen dafür lagen in durchaus erheblichen graduellen deutsch-britischen Meinungsverschiedenheiten über die ideologischen Grundlagen, Ziele, Strategien und Mittel im Kalten Krieg. Aufgrund seines dichotomischen Weltbildes und angesichts der weltpolitischen Konstellation war Adenauer zu einer Modifizierung seines Antikommunismus' nicht bereit. Den ideologisch weniger befrachteten, um so mehr in traditionellen Kategorien nationalstaatlicher Machtpolitik verankerten Entspannungsbemühungen der Regierung Churchill widersetzte sich der Kanzler soweit möglich365. Wirkungsvoller, als in London Protest einzulegen, erwiesen sich seine jeweiligen Einsprüche, die er in Washington erhob, um sich gegen britisch-sowjetische Annäherungsversuche zur Wehr zu setzen366. trotz
—
—
362
363 364
363
366
Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 204-212, hier
S. 204 und 209, sowie FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 1, S. 457 f. Diese Beunruhigung wurde bis in untergeordnete Regierungsstellen hinein empfunden, wie die Tagebucheintragung der Dienststelle Blank v. 13.6.1953 ausweist: »Wegen der jüngsten Entwicklung zwischen Ost und West herrscht in der Bundesregierung z. Zt. Unsicherheit. Der Kanzler ist nervös. Es besteht die Gefahr, daß England auf einer Vierer-Konferenz auf Deutschlands Kosten verhandelt«, BA-MA, BW 9/2527—3, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II. Adenauers beruhigende Bewertung seines Besuches bei Churchill, der ihm Konsultationen über Deutschland betreffende Fragen zugesichert hatte, darf nicht als Gegenargument angeführt werden; vgl. Kabinettsprotokolle 1953, Sondersitzung v. 20.5.1953, TOP Ic, S. 301, sowie ebd., Einleitung, S. 54; Adenauers darauf folgendes Handeln zeigt im Gegenteil tiefe Beunruhigung.
Steininger, Scheitern, S. 4.
Der »Briefwechsel zwischen Churchill und Molotov über die Frage einer Zusammenkunft der Regierungschefs Großbritanniens und der Sowjetunion« ist übersetzt abgedruckt in EA 1955, S. 7486—7488. Zur amerikanischen Gegenposition vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VI, Teil 1, S. 1036—1112, sowie die Dokumentation Steiningers, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland, passim. Zur britischen Diskussion im Kabinett vgl. PRO, CAB 129/65 bis 129/70. Vgl. Oberndörfer, Dulles, S. 238; vgl. auch Carlton, Großbritannien, S. 51—55; Foschepoth, Churchill, S. 1286—1289; Steininger, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland, S. 108; Watt, Großbritannien, S. 390-397. Vgl. Adenauers Brief v. 8.7.1953 an Dulles anläßlich der Außenministerkonferenz in Washington zur Vorbereitung einer Viererkonferenz, Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 220 f.; zur Wirkung der Demarche Adenauers vgl. z.B. FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 1, S. 491—494, und Vol. V, Teil 2, S. 1606—1708, sowie McBride Minutes of the First Tripartite Foreign Ministers Meeting, Washington,
212
Teil B: Die Verbündeten
Neben unterschiedlich gewichteten ideologischen Grundüberlegungen erschwerten Interessengegensätze hinsichtlich der zu verfolgenden ostpolitischen Ziele wie über die dazu auszuwählenden Strategien ein gegenseitiges Verständnis der politischen Konzeptionen. Dies behinderte vor allem eine engere deutsch-britische Zusammenarbeit in vielen Fragen, die sich durch die sowjetische Entspannungspolitik und entsprechende britische Ansätze ergaben. Wo die britische Regierung beschleunigt auf Disengagement zusteuern wollte, da legte sich Adenauers aktive und passive Resistenz als verzögerndes Moment in den Weg. Denn in Vier-Mächte-Verhandlungen, in denen Churchill vorwiegend Chancen ausloten wollte, witterte Adenauer ausschließlich unwägbare Risiken, denen sein Land und seine Regierung dabei preisgegeben werden könne367. Die Bonner Pläne zur »Bildung eines truppenfreien Raumes in Zentral-Europa«368, die im August 1953 im kleinsten Kreis um Blankenhorn im Bundeskanzleramt und Heusinger in der Dienststelle Blank eher im Sinne einer Maximalziel-orientierten Verhinde-
rungsstrategie für die bevorstehende Vier-Mächte-Konferenz entworfen wurden, zeugen nicht vom Gegenteil. Vielmehr gingen vermutlich Heusingers Ausarbeitung und wahrscheinlich selbst die Initiative vom Juli 1953, mit der Adenauer dann zum größten Erstaunen der Anglo-Amerikaner plötzlich in einer 180-Grad-Wendung die Vorteile eines westdeutschen Vorstoßes zugunsten von Vier-Mächte-Verhandlungen ins Spiel brachte, von Hallstein und vor allem von Blankenhorn aus369. Zwar schienen Heusingers militärische Disengagement-Vorstellungen auf den ersten Blick den unmittelbar vorangehenden »Locarno-Vorschlägen« Churchills verwandt; und tatsächlich wurden beide zusammen mit dem gleichzeitigen belgischen Van-Zeeland-Plan, der eine entmilitarisierte Zone in Mitteleuropa bei sonstiger Verwirklichung der EVG zur Grundlage hatte, einem kritischen Vergleich im Policy Planning Staff des State Department unterzogen, wobei es keineswegs erstaunlich ist, daß dort der deutsche Plan bevorzugt wurde370. Aber für Adenauer kam
July 10,1953 vom 11. Juli 1953, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1609-1621, hier S. 1618. »As a result of a plea from the German Federal Chancellor, Mr. Dulles and M. Bidault were now in favour of working for a Four-Power Meeting in September or October«, PRO, CAB 128/26, C. C. 42 (53), hier S. 33. 367 Vgl. Steininger, Chance, passim; Foschepoth, Westintegration, S. 39f., 51 und passim. 368 Vgl. die Studie »Gedanken zu einem truppenfreien Raum in Mitteleuropa« und den Bezug auf diese Pläne von 1953, in: BA-MA, BW 2/1801, Bl. 70—73, mit anliegender Karte in Couvert Bl. 74, sowie eine entsprechende Kurzfassung in Heusingers Handakte BW 2/2685, Bl. 12. Zur außen- und sicherheitspolitischen Einordnung vgl. Haftendorn, Sicherheit, S. 78—85, Schwarz, Gründerjahre, S. 270f., sowie
369
ders., Adenauer: Der Staatsmann, S. 86f.
Vgl. Blankenhorn, Verständnis, S. 159, sowie detailliert unter Auswertung der Tagebuchaufzeichnungen und Materialien Blankenhorns bei
Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, S. 86 f.
Der Heu-
singer-Plan kam im Sommer 1955 vor der Genfer Konferenz nochmals in die internationalen Überlegungen; Adenauer ging es damals wiederum vor allem darum, die sowjetische Seite vor Hindernisse zu stellen, vgl. FRUS 1955-1957, Vol. V, S. 229. 370 Vgl. NA, DB, RG 59, Records of the Policy Planning Staff, 1947—1953, Country and Area Files, Box 23, USSR, from Beam to Bowie, September 23, 1953; zum Ergebnis des Entscheidungsprozesses im Pentagon vgl. History of the Joint Chiefs of Staff, Vol. 5, S. 293f.; zur deutsch-amerikanischen Diskussion vgl. die Dokumentation von Rupieper, Wiedervereinigung, passim; zum deutschbritischen Dissens vgl. die Dokumentation bei Steininger, Ein vereintes, unabhängiges Deutschland, passim; zur deutschen Diskussion ab 1953 vgl. Haftendorn, Sicherheit, S. 81—85.
213
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
im Grunde keine Variante dieser Pläne wirklich in Frage, ebensowenig wie die Überlegungen, die im Auswärtigen Amt und in der Dienststelle Blank angestellt wurden371. Da Adenauers enge Mitarbeiter dies genau wußten, ist es auch völlig erklärlich, warum sie entsprechend Globkes Bemerkung selbst bis zum 16. September 1953 dem Kanzler ihre Fleißarbeiten nicht vorgelegt hatten372. Ihnen war schon damals bewußt, in welchem Ausmaß sich bis in die Detailfrage über entmilitarisierte Zonen ein »grundlegender Dissens zwischen der Bundesregierung und der britischen Regierung«373 auftat, der sich angesichts des britischen Bemühens um eine Stabilisierung der europäischen Situation gegenüber den westdeutschen Territorialrevisionen nur vertiefen konnte. Wer damals Adenauer in Rage bringen wollte, brauchte nur das Thema Abrüstung und Auseinanderrücken der Blöcke anzuschneiden. Vor der endgültigen Westbindung der Bundesrepublik, sei es in der EVG oder besser zusätzlich in der NATO, hatte er nicht einmal die amerikanische Diktion mitgetragen, wonach man —
—
»immer davon reden müsse, ohne ernsthaft daran glauben zu können. Jede Frage eines Disengagements wurde schärfstens abgelehnt. Auch die englischen Tendenzen in dieser Richtung wurden jedenfalls bezüglich der Person von McMillan [sic!] nicht für ernst angesehen374.« —
Soweit Adenauer nicht den
—
Zielkomplex, den Churchill mit dem Begriff Disengagement
verband, als schon im Ansatz verfehlt beurteilte, hielt er: den jeweiligen Zeitpunkt für verfrüht, da ihm der Westen für derart kritische Verhandlungen weder einig noch stark genug schien; die britische Strategie, nach bilateralen Vorabklärungen die Gipfeldiplomatie der vier Siegermächte über Deutschland zu aktivieren, als das für (West-)Deutschland risiko-
trächtigste Vorgehen; die Verhandlungsgrundlage, die den Status quo in Europa zu berücksichtigen vorsah, für einen verzagten Verzicht, mit dem vor Verhandlungsbeginn zu früh zu viel Terrain im doppelten Sinn des Wortes aufgegeben würde; Deutschland und die geals bei plante Aufrüstung Verhandlungsobjekt Vier-Mächte-Verhandlungen für nicht verfügbar, solange er sich gegen derartige Instrumentalisierungen anstemmen konnte. In den daraus resultierenden unterschiedlichen Strategien prägten sich entsprechende Differenzen bezüglich der Wiedervereinigung Deutschlands und seiner Ostgrenzen aus. Kernpunkt der Antagonismen waren die mannigfaltigen Vorschläge Churchills, als Geschäftsgrundlage jeder Entspannungspolitik in Europa die Sowjetunion an einer Regelung der Deutschlandfrage gleichberechtigt zu beteiligen. Da solche Lösungen auf eine wie auch immer gemilderte Vier-Mächte-Kontrolle hinausliefen, lehnte sich Adenauer mit aller Kraft und vor allem durch amerikanische Unterstützung auch mit Erfolg375 dage—
371
372 373 374 373
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Vgl. Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, S. 87, und Rupieper, Der besetzte Verbündete, S. 367. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 806 f. Schwarz, Ära Adenauer, S. 271. BA-MA, BW 2/1801, Bericht Heusingers über seine Amerikareise, 17.11.1953, hier Bl. 7.
Bereits vor Beginn der Berliner Außenministerkonferenz 1954 hatte die britische Außenpolitik hier die westdeutschen Wünsche mit bedacht; vgl. Eden, Memoiren, S. 82 f.; wie so oft stand nur ein Vorgehen im Schulterschluß mit Adenauer zur Debatte: »there is every advantage in obtaining Dr. Adenauer's considered views before reaching any final view ourselves«, PRO, CAB 129/64, C. (53) 316, 13 November, 1953, Germany, Austria and Security Arrangments, Note by the Secretary of State for Foreign Affairs, 11 November, 1953, Afnthony] E[den], hier S. 4. des Berichts von Roberts über die Tripartite Official Talks on Germany, Austria and Security Arrangments.
Teil B: Die Verbündeten
214
abgestimmte britische Zielsetzung für die Berliner Außenministerkonferenz 1954 dagegen hätte allerdings auch Adenauer ohne Vorbehalte unterschrieben, zumal der Kanzler ja monatelang seinen Einfluß in den westlichen Hauptstädten in diesem Sinne erfolgreich geltend gemacht hatte: gen auf. Die mit den USA
must also resist any Soviet proposals aiming at German neutralisation or at a return to Four-Power control of Germany. In short, we must adhere firmly to the principles (i) that an all-German Government with which we can negotiate a peace treaty can only emerge from free elections, and (ii) that this all-German Government must be able to choose its own international associations provided that they are not inconsistent with the United Nations charter. This policy is in line with that persued by the three Western governments at the last Four-Power Ministerial meeting with the Soviet Government in 1949 and with the provisions of the Bonn Conventions, which I signed in 1952. On these principles there can be no compromise376.«
»We
Eine Rückkehr zur Konstellation von Potsdam 1945 drohte insoweit vorerst nicht mehr. Auch in London wußte man, daß andernfalls Adenauers außenpolitische Konzeption in ihrem Kern getroffen würde. Bei aller partiellen Eigenwilligkeit Churchillscher Ostpolitik hatte sich der Kanzler bis Sommer 1953 durch seinen unbeirrbar zuverlässigen Westkurs so viel Vertrauen erworben, daß die britische Regierung só manche Forderung bis hin zu seinen innenpolitisch motivierten Anregungen sorgfältig einkalkulierte und oft auch erfüllte. Ähnliches gilt hinsichtlich seiner über die amerikanische Europapolitik wirkenden Opposition gegen britische Neutralisierungsmodelle, die seiner Politik der Westintegration entgegenstanden. Die Folgen von Adenauers Argwohn über Richtung und Wege der Rußlandpolitik Churchills können in ihren vielfältigen Bezügen hier nur angedeutet werden. Im Vordergrund stand für ihn weniger, was er gemeinsam mit Churchill und Eden hätte anpacken können. Vielmehr schoben sich vor etwaige konstruktive Ansätze Fragen, wo und wie er rechtzeitig und wirksam intervenieren mußte, um britische Anstrengungen zur Auflockerung der Fronten zu bremsen. Sein Mißtrauen, das aus heutiger Sicht eher gegenüber Churchill als gegenüber dem Kabinett oder dem Foreign Office berechtigt gewesen ist, leistete Verständnisschwierigkeiten, Mißverständnissen und Abstimmungsengpässen Vorschub. Die gelegentliche Entkoppelung des deutschen Interesses an Wiedervereinigung und des britischen Interesses an entspannungsfördernden Rüstungskontroll-Abmachungen mit der Sowjetunion insbesondere in ihren regionalisierenden Varianten
förderten deutsch-britische Spannungen377. Westdeutsche Gebietsforderungen auch jenseits von Oder und Neiße, die Adenauer gegen britische Bemühungen um einen konsensfä—
PRO, CAB 129/65, C. (54) 13,
—
11 January, 1954, Prospects for the Berlin Meeting, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (Anthony Eden, 11.1.1954), Punkt 7, S. 2. Diese Linie wurde dann auch durchgehalten; vgl. auch die Dokumentation auf der Grundlage amerikanischer Akten von Rupieper, Berliner Außenministerkonferenz, passim, und Katzer, Berliner Viermächtekonferenz, passim. 377 Dabei konnte Adenauer sehr wohl zumindest in der großen Linie unterscheiden zwischen Churchills Ideen und der anders ausgeprägten Haltung der britischen Regierung; vgl. dazu Kabinettsprotokolle 1954, 33. Sitzung, S. 211—213. Vgl. auch Adenauers Vorbehalte und Bedenken, die ihn vor und während der Genfer Gipfelkonferenz 1955 beunruhigten, ders., Erinnerungen 1953—1955, 376
S. 452—461.
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
215
higen Ausgleich mit Osteuropa unter dem Zeichen einer »Befreiungspolitik« aufrecht erhielt und innenpolitisch bestärkte, belasteten die Beziehungen zu Großbritannien auch in anderen Bereichen der Europapolitik. Die teilweise fehlende Übereinstimmung in der Deutschlandfrage schwächte Adenauers Ostpolitik gerade dort, wo sie auf die Hoffnung eines in Einigkeit starken Westens aufbauen wollte. Wenn er die Disengagement-Vorstöße als ein »Störmanöver der großbritannischen Politik«378 scheinbar leichthin abtat, so lag er in der darin mitschwingenden Einschätzung der voraussichtlichen Durchsetzungschancen im bipolaren Konfrontationssystem durchaus richtig. Die Folgen des Fehlens einer deutsch-britischen Einheitsfront hinsichtlich seiner revisionistischen Deutschlandpolitik erwiesen sich jedoch dennoch als belastend.
Europapolitische Interessenunterschiede Je mehr Adenauer in der britischen Rußlandpolitik Vier-Mächte-Kontrolle über Deutschland und Neutralisierung Mitteleuropas witterte, desto überzeugter drängte er, wenigstens den westlichen Teil Deutschlands in ein möglichst weitgehend integriertes Westeuropa einzuschmelzen. Doch auch auf diesem Felde begegnete er britischen Widerständen. Sie betrafen nicht die allgemeine Zielsetzung, nach der die Bundesrepublik in die westliche Hemisphäre eingegliedert werden sollte. Denn gerade, wenn ein kontrolliertes Gesamtdeutschland nicht erreicht werden konnte, wünschte die britische Regierung gemeinsam mit Adenauer, zumindest dem westlichen Teil Deutschlands die Möglichkeit einer Schaukelpolitik zwischen den Blöcken zu verbauen. Auch aus Erwägungen militärischer Sicherheit konnte sich Adenauer hier auf die Unterstützung Großbritanniens verlassen. Solange das bipolare Konfrontationssystem die Politik in Europa bestimmc.
te, wußte der Kanzler,
daß Westdeutschland als Vorfeld auch für Großbritanniens Sicherheit bedeutsam blieb379. Vielmehr liefen die europapolitischen Interessen erst dort auseinander, wo Art und Weise westdeutscher Ankoppelung an die westliche Staatenwelt zur Diskussion standen; im Gegensatz zum britischen Ansatz zwischenstaatlicher Kooperation souveräner Regierungen hatte Adenauer die föderative Zielsetzung mit ihren supranationalen Elementen außenpolitisch hoch bewertet und innenpolitisch, die wachsende Europabegeisterung in Westdeutschland nutzend, aus Überzeugung bestärkt. Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte sich in seinen Augen die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl bereits bewährt und die Ausgangsbasis für sektorale Erweiterungen zu einem Großwirtschaftsraum bereitet. Das Commonwealth-orientierte Präferenzkonzept Großbritanniens lag jedoch quer zu einem Zusammenschluß auf dem Kontinent; Beitrittsverhandlungen Anfang 1954 standen unter dem gegenläufigen britischen Vorbehalt, daß keine Souveränitätsrechte aufgegeben werden sollten380. 378
Dohrn, Amerikabild, S. 522.
Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 562. 380 Zur britischen Haltung bzgl. der Montanunion 1954 vgl. PRO, CAB 129/65, C. (54) 20, 18 January, 1954, The United Kingdom's Association with the European Coal and Steel Community, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (Anthony Eden, 16.1.1954) mit Appendix A, Text of M. Monnet 's Letter to Sir Cecil Weir v. 24.12.1953; Eden schlug Beitrittsverhandlungen unter Wahrung der Souveränitätsrechte unter anderem auch deswegen vor, weil selbst im Falle des
379
216
Teil B: Die Verbündeten
Auf militärischem Gebiet hatte Adenauer nach anfänglichem Zögern seit 1952 das Ziel einer sehr weitgehenden Verschmelzung der Streitkräfte im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft akzeptiert, zumal ihm Alternativen für die westdeutsche Aufrüstung verweigert wurden. Der verhaltene britische Widerstand gegen diese sektorale Integration wurde ihm erst mit ihrem Scheitern eindeutig klar. Die Entwicklung zu einer Europäischen Politischen Gemeinschaft, die den Einigungsprozeß überwölben und einem bundesstaatlichen Durchbruch Europas den Weg bereiten sollte, stagnierte seit etwa 1953/54, so daß die Ablehnung der Briten hier latent gehalten wurde und erst ab 1955 wieder Bedeutung gewann. Daß Großbritannien sich von dieser institutionalisierten Integration fern und von derartigen Fesseln frei halten wollte, war dem Bundeskanzler nicht entgangen; er hat daher auch sehr früh nicht mehr mit einer baldigen britischen Beteiligung gerechnet, obwohl er sie prinzipiell für wünschenswert erachtete381. Aber er hat die Motive der britischen Regierung irrtümlich nicht dahingehend interpretiert, daß sie die EVG nicht nur für eine aktive Beteiligung, sondern auch wegen der kontinentalen Blockbildung überhaupt ablehnte. Von daher wird auch verständlicher, daß die auch aus dieser Grundhaltung abgeleiteten britischen Versuche, die NATO wo immer möglich als politischen und militärischen Wirkungs- und Kontrollrahmen ins Gespräch zu bringen, eher als mahnender Druck auf Frankreich mißverstanden denn als bare Münze genommen wurde382. In der Tat mag es damals schwierig, vielleicht unmöglich gewesen sein, herauszufinden, wo die Betonung der britischen Regierung nun wirklich gelegen hat: ob auf der ständig wiederholten Aufforderung, nun endlich die EVG zu ratifizieren und ins Werk zu setzen, oder darauf, Alternativen einer NATO-Lösung für deutsche Kontingente zu überdenken und darüber zu verhandeln. Der folgende Exkurs mag einige der Ursachen und Folgen der an Mißverständnissen und Fehlinterpretationen so reichen Deutung britischer Europapolitik durch Bonn am Beispiel der doppelbödigen britischen EVG-Politik veranschaulichen. »Haltung Englands zur Zeit unklar«383 lautete eine lapidare Lagebeurteilung der Dienststelle Blank kurz vor dem Scheitern der EVG. Diese den deutschen Kenntnisstand treffend auf den Begriff bringende Formulierung ist in einem weiten Spektrum als generelle Tendenz gültig. Sie kennzeichnet die Zeit von der Unterzeichnung des EVG-Vertrages im Frühjahr 1952 bis zum September 1954; weder die verschleierte Gegnerschaft gegen die EVG noch die Bevorzugung einer NATO-Mitgliedschaft Westdeutschlands sind in
381 382
383
Scheiterns der EVG die Montanunion aus eigener Kraft bestehen bleiben würde und »to retain Germany within the Western European framework and to enable the Community to continue to exercise a degree of supervision over the basic industries on which the German war-making potential is based. Alternatively, if Germany were unified, it would be all the more important to keep the unified country within the European integration movement and so subject to Western influence«, Zitat S. 5; vgl. auch PRO, CAB 129/67, C. (54) 132, 6 April, 1954, United Kingdom Association with the European Coal and Steel Community: Consultations with the Commonwealth. Zur Vorgeschichte vgl. Documents on British Policy Overseas, Series II, Vol. I, passim. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 490—493. Beispielsweise nachzuvollziehen anhand der Tagebucheintragungen der Dienststelle Blank, BA-MA, BW 9/2527-3, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II.
Ebd., Eintrag
vom
26.8.1954.
217
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
diesem Zeitraum in der notwendigen Klarheit dem Kanzler, im Kabinett, im Auswärtigen Amt oder in der Dienststelle Blank deutlich bewußt gewesen384. Eine besonders gute Gelegenheit, den britischen Standpunkt detaillierter kennenzulernen, bot sich anläßlich der Verhandlungen über ein »Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft«385. Bereits in einer ersten Stellungnahme zum »Memorandum der Delegation des Vereinigten Königreichs über die militärische Zusammenarbeit der Streitkräfte des Vereinigten Königreichs mit den europäischen Verteidigungsstreitkräften«386 schätzte General Speidel die britische Haltung Distanz zur EVG richtig ein. Er nahm an, daß Großbritannien jede Form der Integration mit der EVG strikt vermied und eine Zusammenarbeit allenfalls insoweit akzeptieren wollte, als sie sich auf militärisch praktikable Gebiete beschränkte und im Gegenzuge England Vertretungsrechte bzw. Einflußmöglichkeiten in den höheren Stäben der EVG gewährte387. Trotz geringer britischer Zugeständnisse kann das Spiel Londons mit irreführenden Erklärungen und Abkommen zur EVG als Paradebeispiel gelten für die »britische Kunst, mit Absicht mißverstanden werden zu können«388. Das gelang mit der Erklärung über die Verbindung zur EVG, die von Februar bis April 1952 ausgehandelt wurde389. Sie beruhigte die Gemüter durch britische Zugeständnisse in kleinen Schritten während der Verhandlungen zum Assoziationsabkommen vom März 1953 bis April 1954 und wirkte ein weiteres Mal unter Edens überaus geschickter Dramaturgie und seinem erhöhten Einsatz besonders auf der Londoner Konferenz am 28. September 1954390. Was beabsichtigt war, gelang zumindest in Bonn: trotz aller nur zu berechtigten Zweifel hatte London den Eindruck erweckt, als stünde es fest hinter der EVG. Mit dieser Beurteilung stand die Bundesregierung nicht allein, wie etwa die Berichte und Kommentare der Presse anläßlich der britischen Erklärung vom 13. April 1954 zeig—
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Der Aktenbestand der Dienststelle Blank ist in dieser Hinsicht besonders ergiebig, da hier das Interesse
an der Thematik und der mit ihr befaßte Personenkreis besonders groß waren. Wegen der außerordentlich engen und ungewöhnlich guten Zusammenarbeit einiger Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und der Dienststelle Blank spiegeln die Akten der Dienststelle über weite Strecken auch den Kenntnisstand des Auswärtigen Amtes wider. Kontrollvergleiche mit den Berichten der deutschen diplomatischen Vertretung in London erhärten dies. Vertragsentwürfe und Schriftverkehr zu diesem Abkommen finden sich in BA-MA, BW 9/2225, Dienststelle Blank, Abt. II Unterabt. 1, EVG-Interimsausschuß, 3.2.1953—13.4.1954; das Abkommen ist übersetzt abgedruckt in EA 1954, S. 6578—6581 mit nachfolgender Erklärung der britischen Regierung auf S. 6581 f.; zum britischen Entscheidungsprozeß PRO, CAB 129/64, C. (53) 332, 26 November, 1953, United Kingdom Association withe European Defence Community, Memorandum by the Foreign Secretary (Anthony Eden, 24.11.1953). Eine Übersetzung in BA-MA, BW 9/2844, Handakte Blank, Akten zum Verhältnis Großbritannien und zur USA-Garantie-Erklärung 1953/54, Bl. 114ff. (3.2.-11.3.1953). So Speidel in einem Brief an Blank vom 3.2.1953, ebd., Bl. 143; vgl. zum weiteren Fortgang Kabinettsprotokolle 1953, 282. Sitzung, TOP B, S. 224.
Noack, Scheitern, S. 32. Zum britischen
Entscheidungsprozeß vgl. PRO, CAB 128/24, C.C.
European Defence Community, S. 96; PRO, CAB 128/24, 390 Vgl. Eden, Memoiren, S. 199—201, und oben Anm. 340.
C.C. 37
18 (52), 18th February, 1952, (52), 4 April, 1952, S. 19.
Teil B: Die Verbündeten
218
ten391. Die britischen Zugeständnisse fanden als ein beachtlicher Fortschritt respektvoll Erwähnung; und wo Skepsis wegen erheblicher britischer Vorbehaltsrechte anklang, da gründete sie sich meist nicht so sehr auf ein »zu wenig«, sondern auf die enttäuschend enttäuschte Reaktion in Paris, wo sich lediglich der »Figaro« zu einer positiven Bewertung der englischen Verpflichtung durchringen konnte. Parallel neben den nach außen hin unterstützenden Abmachungen liefen vorsichtig-indirekte Versuche, die NATO als Alternative zum Verhandlungsgegenstand zu machen. Sowohl die Äußerung des britischen Unterstaatssekretärs Nutting vor dem »Verein der ausländischen Presse«, als auch die Erklärung Churchills auf dem Parteitag in Margate irritierten die Mitarbeiter der Dienststelle Blank392. So schwankte die Interpretation zwischen »Churchills erstaunliche[r] Einflußnahme für die EVG«393, »fraglich, ob der NATO-Vorschlag als Realität oder als Spritze [i.e. gezielt auf Frankreich, d. Verf.] gedacht ist«394, und der klarsichtigen, aber in der Folgezeit nicht durchgehaltenen Erkenntnis: »Die Alternative der NATO-Lösung ist immer da395.« Die schwierige Situation zwischen Erkennen-Können, -Wollen und -Dürfen wird in Blanks loyalem Weisungsvollzug deutlich, generell die Linie der EVG-Verhandlungen zu verfolgen396. Diese Anordnung Blanks ging auf eine entsprechende vor allem verhandlungstaktisch geschickte Entscheidung des Bundeskanzlers zurück, keinesfalls gegen die amerikanische Linie zur Unterstützung der EVG auszubrechen, um Frankreich keinen Vbrwand zu neuen Forderungen und Verzögerungen zu liefern. Hier lag ein wesentliches Element, das zu Wahrnehmungsverzerrungen in Bonn maßgeblich mit beigetragen hat. Dennoch blieben Zweifel. »England soll angeblich fest hinter dem Vertrag stehen (Mitteilung des britischen Botschafters in Paris)«397, urteilte man voller Skepsis Anfang August 1954 in Bonn. Und noch eines der letzten Telegramme Schlange-Schöningens vor dem Scheitern der EVG formulierte eher als Vermutung denn als Gewißheit die britische Vorliebe für einen möglichst lockeren, supranationaler Bestimmungen entkleideten Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigung398. —
—
391
392
So etwa in der FAZ vom 13.und 14.4.1954, in der Welt vom 14. und 15.4., in der Frankfurter Rundschau und in der Neuen Rheinzeitung vom 15.4.1954. Vgl. BA-MA, BW 9/2527-3, Tagebucheintragungen der Dienststelle Blank, Abt. II, vom 28.9. und 10.10.1953.
393 394
Ebd., Tagebucheintragung vom
14.10.1953.
Ebd.
Ebd., Tagebucheintragung vom 10.11.1953. Ebd., Tagebucheintragung vom 24.11.1953. 397 BA-MA, BW 9/2527-5, Tagebuch der Dienststelle Blank, Abt. II; Eintragung 393
396
398
vom
6.8.1954.
Vertrauliche Mitteilung. Etwas deutlicher schält sich die NATO als das für die Engländer entscheidende Bündnis heraus, wenn man die Berichte der Pariser Delegation mit einbezieht; vgl. Durchdruck des Fernschreibens des Gesandten Dr. v. Etzdorf, Deutsche Delegation beim Interimsausschuß für die Organisation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Paris, an das Auswärtige Amt, nachrichtlich für die Dienststelle Blank, vom 10.8.1954, BA-MA, BW 9/2300, Abteilung II, Unterabteilung 1, EVG-Berichte v. Etzdorf und Speidel 29.6.1954-3.9.1954, Bl. 107; etwas früher hat Speidel die Lage erkannt, vgl. seine Aufzeichnung vom 22.7.1954 über ein Gespräch »mit einer dem Foreign Office sehr nahe stehenden wesentlichen britischen Persönlichkeit«, ebd., Bl. 190f.
219
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
Die amerikanische Seite tung zur EVG machen
dagegen hatte sich ein zutreffenderes Bild über die britische Halkönnen, da britische Vorbehalte in den anglo-amerikanischen
Gesprächen noch am deutlichsten artikuliert wurden.
Im Sommer 1954
die in London
vermutete
amerikanische Vertretung in Paris zutreffend bestenfalls geringe Sympathien für die westeuropäische Integration und hatte die Briten im Verdacht, daß sie gegenüber Paris den Eindruck zu erwecken versuchten, sie würden ein engeres Verhältnis zur EVG eingehen, falls auf die Integrationselemente verzichtet werden würde399. Die zahlreichen, wenn auch wenig nachdrücklichen britischen Versuche, den Widerstand der Amerikaner gegen eine NATO-Alternative für den westdeutschen Militärbeitrag zu überwinden, blieben der Bundesregierung überwiegend unbekannt400. Amerikanische Versuche, nach der Konfrontationskonferenz in Brüssel am 22. August 1954 noch vor dem Votum des französischen Parlaments eine erneute Konferenz unter Ausschluß Frankreichs zusammenzubringen, blieben unter anderem wegen des Einspruchs aus London ergebnislos401. Churchill und Eden wollten weder Paris weiter in die Isolierung treiben, noch kurz vor der Entscheidung über den westdeutschen Verteidigungsbeitrag dem EVG-Vertrag Unterstützung leisten. Denn ihnen war bewußt, daß sie Frankreich mit ziemlicher Sicherheit für die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO bald brauchen würden. Vor dem Hintergrund derartiger, sich vielfach widersprechender Information verwundert das Ergebnis nicht, mit dem der Bundeskanzler auf der Sondersitzung der Bundesregierung am 1. September 1954 die Haltung der USA und Großbritanniens zur westdeutschen Aufrüstung erläuterte. Als End- und Höhepunkt nach der langen Phase der EVG-Agonie resümierte er: die Haltung Englands sei »undurchsichtig«402. Mit dem französischen Veto gegen die EVG erhielt auch die britische Europapolitik freie Bahn, und das wirkte sich auf ihre Informationspolitik augenfällig aus. Unmittelbar nach der britischen Kabinettssitzung sandte Eden den britischen Hohen Kommissar Hoyer Millar zu Adenauer, um ihn über die Absichten seiner Regierung ins Bild zu setzen. Millar erläuterte die britischen Vorstellungen einer NATO-Lösung, der Adenauer im wesentlichen zustimmte403. Die nachfolgenden deutsch-britischen Kontakte verbesserten sich 399
Vgl. BA-MA, BW 9/2299 (wie Anm. 78), Abschrift bzw. Durchdruck von Fernschreiben der Deutschen Delegation in Paris (v. Etzdorf) an Staatssekretär (Hallstein) vom 22. bzw. 24.6.1954, Bl. 252
400
Vgl. beispielsweise Churchill während der Bermuda-Konferenz am 5.12.1953, FRUS 1952—1954,
bzw. 290.
401
Vol. V, Teil 2, S. 1780L; Eden während des Treffens mit Dulles in London am 12.4.1954, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 931; Brief Churchills an Dulles vom 14.8.1954, ebd., S. 1037; Brief Churchills an Dulles vom 19.8.1954, ebd., S. 1050f.; Eden an Dulles, 24.8.1954, ebd., S. 1078f. Der Versuch, die französische Regierung völlig in die Isolierung zu treiben und dies offenkundig Frankreich stets wohlgesonnenen Botschafter Bruce aus; der Vorzu machen, ging von dem schlag wurde Churchill und Eden zur Prüfung und eventuellen Unterstützung vorgelegt; beide wiesen —
402 403
—
eine derartige Brüskierung der Franzosen begründet zurück; und ohne britische Unterstützung konnte und wollte die amerikanische Regierung nicht vorgehen, vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1079-1082; vgl. auch Eden, Von der EVG, S. 628 f. Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am 1.9.1954, S. 352, Anm. 18. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 298—300. Adenauers »Erinnerungen« geben die britische Aktenlage im wesentlichen bis in die Formulierungen genau wieder, vgl. PRO, CAB 129/70, C. (54) 280, 1st September, 1954, Alternatives to the European Defence Community, Entwürfe von
220
Teil B: Die Verbündeten
danach zu einem offenen und dichten Meinungsaustausch, so daß der Kanzler bereits in der Kabinettssitzung vom 8. September 1954 den britischen NATO-Vorschlag als die einfachere und schnellere Lösung als eigene neue Orientierung in Umrissen erläutern konnte. Während des Besuchs von Eden am 12. und 13. September 1954 in Bonn konkretisierte er seine Vorstellungen gegenüber Eden und schnürte das Paket fester404. Doch erst durch Abstimmung mit der amerikanischen Politik, die er bei Außenminister Dulles trotz dessen Skepsis bezüglich der britischen Initiative erwirken konnte405, verfestigte sich seine außenpolitische Linie zu einem umfassenderen Konzept. Seine Mitwirkung daran, Kontinuität und Wandel seiner Konzeption sowie Konsistenz seiner Zielverknüpfungen können erst bestimmt werden, wenn die auf den Entscheidungsprozeß so nachhaltig einwirkende französische Politik im folgenden Kapitel erörtert sein wird. Für das Ergebnis sowie für die Folgen des Informationsstandes und der Einschätzung britischer Europapolitik bei Adenauer sollen hier vor allem drei Aspekte für die weitere Untersuchung festgehalten werden: Sein teilweise unzureichender Kenntnisstand über die ambivalente, Mißverständnissen Vorschub leistende britische Politik erschwerte es Adenauer, diese in sein Konzept bündig einzuordnen und sie seinen Zielen entsprechend einzuspannen. Bis zum Scheitern der EVG empfand er Churchills Politik teils als ostpolitisch gefährlich, teils als europapolitisch hinderlich, ohne daß er die in ihr auch enthaltenen positiven Elemente zugunsten seiner auf Souveränität im NATO-Bündnis gerichteten Außenkonnte. nutzen politik Nach dem Veto Frankreichs gegen die EVG entwickelte sich unter intensivem Informationsaustausch schnell eine weitgehende Übereinstimmung der deutschen und der britischen Ziele sowie ein gemeinsames Vorgehen in den internationalen Verhandlungen. In dieser Phase entsprach der umfassenden Information bei gleichgerichteten Zielsetzungen eine kurzfristig erfolgreiche deutsch-britische Zusammenarbeit. Ob eine genauere Einschätzung der europapolitischen Ziele Englands und der dort bevorzugten NATO-Lösung für die westdeutsche Aufrüstung Adenauers Zielsetzungen maßgeblich beeinflußt hätte, muß der abschließenden Diskussion seiner Gesamtkonzeption und ihrer Handlungszusammenhänge vorbehalten bleiben. Seine Überzeugung, daß die föderative Integration Westeuropas ein zukunftsweisender Ansatz sei, einerseits und seine Abhängigkeit von der amerikanischen Politik andererseits lassen es jedoch schon hier als nicht sehr naheliegend erscheinen, daß er seine Ziele wesentlich geändert hätte. Mit ausschlaggebend war zudem die als unerläßlich erkannte Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich; auf diese wird im Zusammenhang mit der deutschen FrankreichPolitik eingegangen.
Telegrammen vom Foreign Office an die Botschaften in Bonn, Washington und Paris; der Inhalt der beiden Telegramme für Millar war Thema der Besprechung bei Adenauer auf Bühler Höhe. 404 Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 301; Kabinettsprotokolle 1954, 43. Sitzung, S. 365f., und Anm. 18 ebd., sowie der zusammenfassenden Bericht Edens über sein Gespräch mit Adenauer an Dulles
403
vom
13.9.1954, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S.
1184—1186.
Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 301—306; zusammenfassender Bericht über die Gespräche
Adenauers mit Dulles
am
16. und
17.9.1954, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1209-1213.
II. Großbritannien als Hemm- und
221
Förderfaktor
Souveränitätsforderung und Sicherheitsauflagen Zusammenhang mit den europapolitischen Zielsetzungen strebte Adenauer die Beseitigung des Besatzungsregimes an. Der an den EVG-Vertrag gekoppelte Generalvertrag von 1952 sollte hier Erleichterung schaffen und den Weg zur vollen Souveränität der Bundesrepublik öffnen. Was zum grundlegenden Verständnis Adenauers hinsichtlich seiner Souveränitätsforderung im Rahmen deutsch-amerikanischer Politik weiter oben
d.
In engem
erarbeitet wurde, wird hier vorausgesetzt. So ist eine Konzentration auf die Aktionen möglich, mit denen der Bundeskanzler den Wegfall besatzungsrechtlicher Schranken beschleunigen wollte. Dabei werden die französischen Widerstände gegen eine umfassendere oder auch nur der Wiederbewaffnung zeitlich vorgezogene Selbstbestimmung der Bundesrepublik Deutschland schon hier konstatiert, weil die später zu behandelnden Details der Deutschlandpolitik des Quai d'Orsay seit dem Frühsommer 1954 in ihrer retardierenden Verweigerungshaltung kaum positiv gestaltende Kraft gegenüber der angloamerikanischen Deutschlandpolitik erlangen konnte. Es lag in der Logik des Ergebnisses der Berliner Konferenz vom Januar/Februar 1954, daß die beiden Teile Deutschlands nach dem Gesetz der Bipolarität innerhalb der beiden Hegemonialsysteme jeweils dort eingeordnet und aufgewertet wurden. Die Sowjetunion vollzog denn auch diesen Schritt für ihre Besatzungszone bereits im März 1954. Ohne den französischen Widerstand wäre eine gleichartige Entwicklung auch für die Bundesrepublik konsequent gefolgt. So aber geriet der Westen in einen Verzug von unabsehbarer Dauer, der in Westdeutschland zu erheblicher Ungeduld führte. Für Adenauer war dies um so mißlicher, als der verbreitete Unmut ihn auch innerparteilich und innerhalb der Koalition unter schwer erfüllbaren Erfolgszwang setzte406. Das in britischen Augen nicht unerhebliche Assoziationsabkommen über militärische Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und den EVG-Staaten vom 13. April 1954 hatte unter anderem hier seine Ursache: Bevor es zu einem Abgleiten Westdeutschlands nach Osten kommen konnte, wollte London dann schon eher der unerwünschten EVG eine Chance geben, jedenfalls so oder so Paris zur Entscheidung über die westdeutsche Aufrüstung drängen. Der Bundeskanzler hatte auch gute Argumente, nunmehr von seinen zukünftigen Vertragspartnern Unterstützung angesichts innenpolitisch bedrängter Lage zu fordern. Der Bundestag hatte am 26. Februar, der Bundesrat am 19. März die notwendige Grundgesetzänderung beschlossen, und mit der Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten am 29. März 1954 waren Generalvertrag und EVG-Vertrag in Bonn über die Hürden gebracht. Damit hatte er seinen Teil zum Vertragswerk selbst in der schwierigen, indirekt damit zusammenhängenden Problematik einer konsensfähigen Saarregelung redlich und zuverlässig beigetragen. Als er sich nun von Ende März an darum bemühte, den —
—
Vgl. das alarmierende Telegramm Conants nach einem Gespräch mit Vizekanzler Blücher: »We belive situation here so serious it requires your personal intervention [...] threatens to divide coalition parties and even split Chancellor's own party. State of excitement has been aroused which given nature of German temperament may well explode in undesirable ways with increasing bitterness«, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 915-917, Zitate S. 915 und 916. Das Telegramm wurde auch nach London durchgegeben; vgl. ebd., S. 915, Anm. 1. Vgl. auch Rupieper, Berliner Außenministerkonferenz, hier S. 434, Anm. 24 mit Quellennachweis. -
222
Teil B: Die Verbündeten
mehr Souveränität gewährenden Generalvertrag angesichts der französischen Verzögerungspolitik vorweg in Kraft gesetzt zu bekommen, wurde er zunächst noch mit generellen britischen und amerikanischen Zusagen auf geduldiges Abwarten verwiesen. Doch von Mitte Juni 1954 an geriet er zunehmend in Zugzwang. Innerhalb der Koalition wurde die Kritik an seiner kompromißbereit-abwartenden Außenpolitik lauter, der Wahlkampf zu den Landtagswahlen im wählerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen näherte sich seinem Höhepunkt, und in Paris ließ die Rede des neuen Regierungschefs Mendès France wenig Hoffnung, daß die EVG wenn überhaupt in naher Zukunft ratifiziert werden würde407. Damit hing zugleich der Generalvertrag von 1952 in der Luft. In dieser Situation entschloß sich Adenauer, seine abwartende Haltung aufzugeben und eine neue Initiative zugunsten des Generalvertrages zu starten. Er ließ bei der Hohen Kommission in Bonn und bei der amerikanischen Botschaft in Paris vorfühlen, ob er Unterstützung für seine Forderung, die Souveränität aus dem Junktim mit der EVG zu lösen, erhalten werde408. Nachdem er dort zustimmenden Bescheid für seinen Vorstoß erhalten hatte, forderte er auf Wahlkundgebungen in Düsseldorf und Bad Boll die Wiederherstellung der Souveränität und setzte sich so an die Spitze der mit dem westdeutschen Minderstatus Unzufriedenen409. Seine geänderte, nun auch nach außen hin aktiv drängende Politik, die die Souveränität gegenüber dem westdeutschen Integrationskonzept unter der Flagge der EVG zumindest zeitlich voranstellte, ließ er sich nachträglich offiziell in Washington und London bestätigen. Während in London Schlange-Schöningen die Zustimmung von Staatssekretär Kirkpatrick entgegennahm, wonach »die Souveränität unabhängig vom Inkrafttreten des EVG-Vertrages wiederhergestellt werde«, konnte Krekeler in Washington sogar eine entsprechende, offiziell verlesene Erklärung des State Department erwirken410. —
407
408
Die Ostinitiativen Pfleiderers, die Divergenzen über die Saar mit Kaiser, die innerparteiliche Diskussionen auslösenden Äußerungen Brünings oder die Vorschläge Fritz Erlers zur europäischen Sicherheitspolitik sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den Schwierigkeiten, denen sich Adenauer damals innenpolitisch gegenüber sah; die Landtagswahlen vom 27.6.1954 brachten der CDU trotz Stimmengewinnen Mandatsverluste. Zur Opposition innerhalb der CDU, die Adenauer vor allem deutschlandpolitisch nur schwer folgen konnte, vgl. Volkmann, Adenauer, S. 183—206. Mendès France hatte als neuer Ministerpräsident am 18.6.1954 seine Regierung gebildet und in seiner Regierungserklärung die Frage der EVG ausweichend beantwortet. Auf Anweisung Adenauers erfolgten diese Abklärungen in Paris am 18. und 19., in Bonn am 19.6.1954. Damit bestätigt sich die Vermutung Vogelsangs, daß die anglo-amerikanischen Überlegungen bzgl. einer »Vorweg-Souveränität« auf Adenauers Betreiben zurückzuführen sind; vgl. ders., Großbritanniens Politik, S. 41. Churchill und Eisenhower verständigten sich für den Fall eines Scheiterns der EVG auf eine vorweg zu gewährende Souveränität am 27.6.1954; vgl. Memorandum of Conversation, FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 985; zur Umsetzung der Absprache in Großbritannien vgl. PRO, CAB 129/69, C. (54) 226, 7 July, 1954, European Defence Community, und ebd., C. (54) 231, 13 July, 1954, Policy Towards Germany, Memorandum by the Minister of State (Selwyn Lloyd, 12.7.1954). Der »Report of Anglo-American Study Group on Germany, held at London, July 5—12, 1954« ist abgedruckt in FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 997-1016. Wahlreden am 20. und 21.6.1954; vgl. die Tagespresse. EA 1954, S. 6764f. Zur Vorsprache Krekelers vgl. FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 574-576; zur Presseerklärung ebd., S. 576. —
409 410
—
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
223
Die sich darin andeutende Isolierung Frankreichs411 wurde durch die Besprechungen Churchills und Eisenhowers verstärkt412 und weiter verdeutlicht durch amerikanisch-britische Bemühungen, die durch Frankreich gehemmte Deutschlandpolitik voranzutreiben. Die außenpolitische Entwicklung, insbesondere die anglo-amerikanische Unterstützung seiner Forderungen veranlaßten den Kanzler, nunmehr zunächst intern auch Alternativlösungen für den Fall des Scheiterns der EVG gedanklich vorbereiten zu lassen. Um die Monatswende Juni/Juli wies er seinen Sicherheitsbeauftragten Blank an, Einzelheiten dazu für den militärischen Bereich auszuarbeiten. Bis zum 7. Juli 1954 hatte das Amt Blank wahrscheinlich mit Unterstützung durch amerikanische Offiziere413 einen umfangreichen Katalog erstellt mit »Forderungen der Bundesrepublik im Falle einer anderen Lösung als der EVG für einen deutschen Verteidigungsbeitrag«414. Im politischen Teil neben man der die gleichberechtigte MitgliedSouveränität verlangte uneingeschränkten schaft in der NATO. Das entsprach in groben Zügen dem, was die amerikanischen Joint Chiefs of Staff als »EDC Alternative Planning« am 25. Juni 1954 ins Auge gefaßt hatten415. Allerdings gingen die Überlegungen in Bonn über das hinaus, was gleichzeitig von einer amerikanisch-britischen Studiengruppe in London an praktischen Maßnahmen im Falle einer weiteren Verzögerung der Ratifizierung des Vertragswerkes ausgearbeitet wurde416. Die Ergebnisse der Londoner Arbeitsgruppe wurden dem Bundeskanzler in allgemeiner Form durch Hoyer Millar und Dowling am 13. Juli 1954 mitgeteilt. Sie liefen darauf hinaus, daß der Generalvertrag abgetrennt vom EVG-Vertrag kurzfristig in Kraft gesetzt werden sollte, wofür man die französische Zustimmung zu erhalten hoffte. Die Wehrhoheit und das Recht, Streitkräfte aufzustellen, sollte jedoch zunächst noch nicht damit verbunden sein, da man eine wenn auch später erfolgende französische Ratifizierung des EVG-Vertrages nicht ausschließen wollte. Diesem Ansatz entsprachen auch die übereinstimmenden Erklärungen von Dulles und Eden zur westdeutschen Souveränität417. Adenauer war allem Anschein nach zu diesem Zeitpunkt mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Dabei wird die zu erwartende innenpolitische Entlastung nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl wahrscheinlich weniger ausschlaggebend gewesen sein als die sich abzeichnende außenpolitische »Auflockerung«, die er als für Deutschland keineswegs ungünstig einschätzte. Seine Lagebeurteilung fand er teilweise bestätigt in der einstimmigen Billigung des außenpolitischen Ausschusses der französischen Natio—
—
4,1
412
413 414
415 41
417
Eisenhower brachte die Problematik folgendermaßen auf den Punkt: »The President then turned the discussion to the EDC and Germany. He said that we could not afford to lose Germany even though we were to lose France and he raised the question as to the point at which action to preserve Germany would be required on our part«, FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 986. Vgl. das Ergebnis dieser Besprechungen vom 25. bis 29.6.1954 in EA 1954, S. 6757, sowie FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 989f. Vgl. Mitteilung Conants, FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 583. Zur Ausarbeitung des Amtes Blank vom 7. Juli 1954 vgl. ausführlich Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 202 f. Vgl. das Memorandum in FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 994f. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 997-1016; EA 1954, S. 6801 f.; Noack, Scheitern, S. 96f.;
Wettig, Wiederbewaffnung, S. 566. Vgl. FAZ und Stuttgarter Zeitung vom 14.7.,
sowie Die Welt
vom
16.7.1954.
224
Teil B: Die Verbündeten
nalversammlung, den Generalvertrag unabhängig vom EVG-Vertrag zu entscheiden, falls letzterer nicht ratifiziert werden würde418. Damit durfte der Kanzler die Wiederherstellung der Souveränität unabhängig vom Ungewissen Schicksal des EVG-Vertrages für hinreichend gesichert halten. Hierfür konnten die Siegermächte nach seiner Auffassung bei eventuell notwendig werdenden Neuverhandlungen keinen erhöhten Preis mehr fordern. Jede alternative Form der Souveränität und Wiederbewaffnung wollte er daher aus einer weitaus stärkeren Position als in den damaligen EVG-Verhandlungen mit deutschen Vorstellungen und Forderungen angehen. Insofern hat er der Trennung von Souveränität und Wiederbewaffnung nicht nur gelassen entgegengesehen, sondern sich daraus durchaus auch gute Chancen für mögliche Neuverhandlungen ausgerechnet. Um so enttäuschter mußte er auf die Vertagung des gesamten Vertragswerkes reagieren, mit der die französische Nationalversammlung entgegen seinen Erwartungen auch den Generalvertrag einer Ratifizierung in der laufenden Legislaturperiode entzog. Noack berichtet von Adenauers Ärger und Unglauben, als ihm Conant nach dem 30. August die Protokolle der Londoner Studiengruppe zeigte und schließt daraus, daß der Kanzler eine Trennung der Problemkreise Souveränität und Wiederbewaffnung habe vermeiden wollen419. Gegen diese These spricht nicht allein die Politik Adenauers, die seit 1952 eine derartige Trennung ausdrücklich vorsah420 und in der Zeit nach der Berliner Außenministerkonferenz gezielt eben darauf hinwirkte, sondern auch seine herausgehobene Zielbestimmung, die er in seinen »Erinnerungen« erwähnte: »Vor allem aber mußte das Junktim zwischen Beendigung des Besatzungsregimes und dem deutschen Verteidigungsbeitrag fortfallen421.« Dies galt für die Zeit vor wie nach dem Scheitern der EVG. Die Enttäuschung Adenauers hatte viele Gründe. Seine auf die westeuropäische Integration aufbauende Außenpolitik war vorerst zerstört, und nun fürchtete er, daß zugleich auch die zukünftige Souveränität Westdeutschlands wieder in Frage gestellt sei. Empfand er das erstere aus vielerlei Gründen schon als einen schwerwiegenden Rückschlag, so wäre das zweite innenpolitisch für ihn nur schwer zu verkraften gewesen. Bei allem wußte er, daß ihm bessere Abmachungen nicht in den Schoß fallen würden. Aus Londoner und Washingtoner Berichten, die ihm nach der ergebnislosen Konferenz in Brüssel (22. August 1954) zugingen, war ihm bekannt, daß dort im Falle weiterer Verzögerungen der EVG-Ratifizierung erwogen wurde, der Bundesrepublik entsprechend den Vorschlägen der Londoner Studiengruppe die »volle Macht« des Generalvertrages von 1952 zuzuerkennen. Auch Mendès France wollte eine solche Zwischenlösung der Nationalversammlung unterbreiten, wie er Churchill und Eden gegenüber am 23. August 1954 erklärte422. Wozu Adenauer noch wenige Wochen vorher notfalls bereit gewesen wäre, schien ihm angeVgl. EA 1954, S. 6876. Vgl. Noack, Scheitern, S. 97f. 42° Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 532. 421 Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 335. 422 Vgl. PRO, CAB 129/70, C. (54) 276, 27 August, 1954, Alternatives to the European Defence Community, Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affaires (Anthony Eden, 26.8. 1954), S. 1. 418
419
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
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sichts seiner außenpolitisch gestärkten und innenpolitisch bedrängten Position nicht mehr ausreichend. So entschloß er sich, rechtzeitig die Weichen für günstigere Vertragsbestimmungen zu stellen. Er lehnte bereits am 25. August auf direkten diplomatischen Wegen derartige Vorschläge rundweg ab und bestärkte tags darauf seine Haltung nochmals über die amerikanischen und britischen Hochkommissare423. Erst als in London auf diese Weise klar wurde, daß Bonn nicht bereit war, über diskriminierende Alternativlösungen auch nur zu verhandeln, rückte man dort vom Gedanken einer Teilsouveränität mit erst später nachfolgender Aufrüstung ab. Nicht so in Washington: daß Conant Adenauer die beiden Protokolle der amerikanisch-britischen Studiengruppe auch noch nach dem Scheitern der EVG schmackhaft zu machen versuchte, des Kanzlers massive Einsprüche dagegen wenige Tage zuvor also nicht genügend ernst genommen worden zu sein schienen, hat wesentlich zu dem von Noack erwähnten Ärger des Bundeskanzlers über derart politisch unzureichende Vorschläge beigetragen424. London fällte entsprechend Adenauers Haltung und der neuen politischen Sachlage nach der französischen Entscheidung schnell verhandlungsfähige Entscheidungen, die mit der britischen Europa- und Deutschlandpolitik übereinstimmten. Mit dem Besuch des britischen Hochkommissars bei Adenauer am 2. September brachte Großbritannien den westdeutschen NATO-Beitritt auch gegenüber Adenauer ins Gespräch; und erst seit diesem Zeitpunkt erkannte der Bundeskanzler zum ersten Mal konkreter, welche Ersatzlösung die britische Diplomatie für Souveränität und Wiederbewaffnung wirklich plante425. Die rasanten Geschehnisse des September 1954 versetzten Adenauer schnell in die starke Position, die er bereits im Frühsommer als mögliche und chancenreiche Lageentwicklung vorausgesehen und teils behutsam, teils massiv mitbewirkt hatte. Nunmehr konnte er selbst Forderungen stellen, die über die bisherigen Abmachungen hinausgingen. Vor und während der Londoner Neun-Mächte-Konferenz Ende September 1954 meinte der Kanzler zu Recht, aus seiner außenpolitisch gestärkten Position heraus erwarten zu können und wegen seiner innenpolitisch geschwächten Lage verlangen zu sollen, daß mit der Souveränitätserklärung auch die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO und den geänderten Brüsseler Pakt zu erfolgen habe. Minimalposition war die frühestmögli-
Vgl. die Démarche von Welcks bei der britischen Hochkommission in Bonn, mit der er ausdrücklich eine Diskriminierung hinsichtlich der Wiederbewaffnung ablehnt, PRO, FO 371/109580, CW 1072/209, Tel.No. 666, Johnston (Bonn) an Foreign Office, hier Punkt 2, 27.8.1954. Vgl. Noack, Scheitern, S. 97 f., sowie die beiden Telegramme Conants an State Department vom 1. und 2. September 1954, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1122-1125 bzw. 1138-1140; Conant hat dies in der Situation auch sehr deutlich empfunden: »Chanc[ellor] was negative to my arguments as was Hallstein and said it was completely impossible for him present any such document to Bundestag which would unanimously reject it [...] He spoke so strongly, that I became convinced it would be impossible to move him [...] I now believe I made serious error in following Wash[ington]'s instructions in arguing for acceptance of protocols after Chancfellor] made his first statement to me that they were unacceptable«, ebd., S. 1139. Die britischen Vorstellungen bezüglich der deutschen Sicherheitsgarantien gingen Adenauer jedoch zu weit; vgl. PRO, CAB 129/70, C. (54) 276, 27 August, 1954, Annex, Restrictions on German rearmament which might be feasible in the event of German admission to N.A.T.O. (United Kingdom Working Paper).
226
Teil B: Die Verbündeten
che Souveränitätserklärung, die notfalls durch zwischenzeitliche Absichtserklärungen verbindlich gemacht werden sollte426. Die Betonung lag hierbei auf der zeitlichen Reihenfolge, in der sich auch nach dem französischen Veto die für Adenauer maßgebliche Prioritätenfolge andeutet. Schon gegen Ende August war er offensichtlich nicht mehr dazu zu bewegen, vertragliche Zwischenlösungen unterhalb einer »der Lage entsprechenden«, möglichst umfassenden Souveränität einschließlich des direkten NATO-Beitritts zuzustimmen. Schon bevor er die amerikanisch-britischen Forderungen nach Sicherheitsvorkehrungen (safeguards) im Rahmen des Brüsseler Paktes/WEU und durch einseitige Erklärungen befriedigt hatte, rückte die darin eingespannte Wiederbewaffnung weit hinter seine vorrangige Zielsetzung, die Souveränität gegebenenfalls auch getrennt von den dort fixierten militärpolitischen Auflagen so schnell wie möglich durchzusetzen. Dies erreichte er unter tatkräftiger Hilfestellung Edens bereits weitgehend mit der Londoner Konferenz, deren Schlußakte die besatzungsrechtlichen Befugnisse der Hohen Kommission de facto ab sofort auf das Maß zurückzuschneiden versprach, das dem zukünftigen Status der souveränen Bundesrepublik Deutschland entspreche427. Wie vorrangig Adenauer in dieser Phase die Frage der Souveränität behandelt hat, wird mehr noch als im Ergebnis in seinen außen- und innenpolitischen Festlegungen vor der Londoner Konferenz deutlich. Im Memorandum an die drei westlichen Besatzungsmächte vom 23.September 1954428 stellte er seine zwei grundsätzlichen Forderungen klar heraus. Danach sollte der Beitritt zur NATO und zum geänderten Brüsseler Pakt gleichzeitig, jedoch die Beendigung der Besatzungsherrschaft unverzüglich erfolgen. Da er diese Ziele mit aller Härte bis an die Grenze des Scheiterns der Konferenz zu vertreten gedachte, erwirkte er bereits am 22. September 1954 vorsorglich im Kabinett Zustimmung für seine Zielsetzungen wie für seinen geplanten Verhandlungsmodus429. Sowohl die verhärtete Haltung der Bundesregierung als auch die verständnisvolle Unterstützung seitens der britischen Regierung waren Teile eines Ursachengeflechts, das bereits wenige Wochen nach dem Pariser Veto den Erfolg der Londoner Neun-Mächte-Konferenz zu tragen vermochte. Die deutsch-britische Kooperation, die zwar spät, aber dann wegweisend und beschleunigend wirkte, konnte sich allerdings erst entfalten, als die hohe Bewertung der supranationalen Europapolitik, die in Washington immer noch gültig war, in Bonn einen vorläufigen Endpunkt gefunden hatte. Die an dieser Weichenstellung Ade426 427
Vgl.
FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1272 f. Zur Londoner Schlußakte mit ihren Anlagen vgl. EA 1954, S. 6978—6987, und Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 342f., sowie bzgl. der Stellungnahme Dulles' hinsichtlich der Souveränität, S. 336. Adenauer setzte sich mit seiner Rang- und Reihenfolge am 1.10.1954 auf der Londoner Vier-Mächte-Konferenz durch: »Germans prefered question of sovereignty to be settled independently of question defense contribution, i. e., »before or at same time« rather than »only simultaneously« [...] French [...] preferred restoration of sovereignty simutaneously with entry into effect of defense contribution [...] Agreed that restoration sovereignty could take place »before or at the same time« as entry into force of defense arrangement«, FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1318— 1320.
428 429
Als Entwurf in der Fassung vom 21.9.1954 in BA-MA, BW 9/2577, Bl. 16-19. Text des Memorandums ist abgedruckt in Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 312f.
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
227
aufgezwungene, von ihm aber als Zwischenstadium430 eher flexibel als unwillig vollzogene Rückkehr zu nationalstaatlichen Realisierungsmodellen westeuropäischer Zusammenarbeit ermöglichte ein abgestimmtes Vorgehen in den diplomatischen Verhandlungen, so daß sogar die unsicher zögernden Amerikaner unerwartet rasch mitgezogen nauer
werden konnten431. In der Rückschau klarer als für den zeitgenössischen Akteur spiegeln Art und Intensität der deutsch-britischen Beziehungsdichte für 1953/54 beides wider: Langjährige grundsätzliche Divergenzen vor dem 30. August 1954 führten zu unzureichenden Kontakten und zu zahlreichen Mißverständnissen, wodurch gemeinsames deutsch-britisches Handeln auf engere Grenzen stieß als mit den USA; die darauffolgende Phase mit partiellen Konvergenzen in zentralen Fragen führte zu zahlreichen engen Kontakten, zu gegenseitigem Verständnis und zu beiderseits annehmbaren Kompromissen. Die britisch-deutsche Kooperation konnte so die zögernde amerikanische Unterstützung rasch gewinnen, ohne die französische Regierung in eine ausweglose Lage zu zwingen. Erheblich mitentscheidend wirkte dabei die europapolitische Flexibilität des Kanzlers, die den britischen Interessen entsprach, den Franzosen einen Ausweg aus ihrer vierjährigen Sackgasse eröffnete und schließlich auch die Amerikaner mitzog. 3.
Ergebnisse
und offene
Fragen
Adenauer war über die britische Politik vor dem Scheitern der EVG unzureichend, danach umfassend informiert. Die Ursachen dafür lagen kaum in seiner wie auch immer ausgeprägten »England-Aversion« und noch weniger in Schwachstellen seines Informationsapparates. Sie sind vielmehr in umgekehrter Analogie zum deutsch-amerikanischen Verhältnis in den außenpolitischen Zielsetzungen Großbritanniens und Westdeutschlands zu suchen. Schwerwiegende deutsch-britische Interessengegensätze führten in Verbindung mit amerikanisch-britischen Interessenunterschieden zu einer damals schwierig analysierbaren, aus Bonner Sicht in mehreren Sektoren ambivalenten britischen Außenpolitik. Erst die klärende Kraft der EVG-Krise schob partielle Zielkonvergenzen in den Vordergrund. Dadurch wurden präzise wechselseitige Wahrnehmungen und eine handlungskoordinierende Informationspolitik auf beiden Seiten zugleich notwendig und möglich. Der für Adenauers Zielsetzungen folgenreichste deutsch-britische Interessengegensatz entwickelte sich aus dem von den USA geforderten und von Westdeutschland bestärkten —
—
430
431
Im Zusammenhang mit den zahlreichen Diskriminierungen war der Verzicht auf die EVG gerade für den Bundeskanzler ja durchaus zu verschmerzen; was für ihn bedauerlich blieb, war der damit verbundene Verzug in der möglichst engen, supranationalen westeuropäischen Integration, die zugleich die deutsch-französische Verständigung auf ein dauerhaftes Fundament gestellt hätte; diese blieb auch jetzt weiterhin Adenauers Ziel, allerdings vorläufig vage terminiert auf die Zeit nach französischen Wahlen im Mai 1956, wie der Kanzler am 14.9.1954 hoffte, vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1190 f. Der amerikanische Entscheidungsprozeß war spätestens am 23.9.1954 im wesentlichen abgeschlossen; vgl. das Telegramm Dulles' an alle amerikanischen diplomatischen Vertretungen in Bonn und in den NATO-Staaten, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1245f.
228
Teil B: Die Verbündeten
integrationistischen Ansatz, mit dem die Bundesrepublik in Westeuropa eingegliedert werden sollte und wollte. Wegen der Gegnerschaft der Briten gegen jede kontinentaleuropäische Blockbildung bot sich dem Bundeskanzler kein brauchbarer Hebel, mit dem er britische Unterstützung für seine Politik der Westintegration hätte gewinnen könauf soweit sie Vielmehr steckte gerade in zusteuerte. nen, supranationale Festlegungen diesem föderalistischen Konzept Adenauerscher Europapolitik die Zielscheibe britischer Ablehnung mit ihrem weitgehend verdeckt gehaltenen diplomatischen Gegensteuern. Während Adenauer das antiföderalistische Beharrungsvermögen Großbritanniens mehr in seinem generellen Widerstand als in seinem wirksamen außenpolitischen Ausmaß erkannte und in seiner Konzeption berücksichtigte, blieben ihm die britischen Störmanöver hinter den Kulissen mindestens bis zum Frühjahr 1954 weitgehend verborgen. Auch aus diesem Grund setzte er so erstaunlich lange seine Hoffnung auf die mit der EVG anvisierte institutionalisierte Integration. Die Adenauer enttäuschende Erfahrung mit der begrenzten Durchsetzungsfähigkeit der
USA in ihrem Einflußbereich, in dem den nationalen Kraftfeldern trotz aller sektoralen Abhängigkeiten ein größeres Maß an Eigenständigkeit verblieben war, als er erwartet und sich selbst zugerechnet hatte, erlebte der Bundeskanzler nicht nur in der französischen Verweigerung, sondern stärker als bisher angenommen auch in den europapolitischen Hemmfaktoren und ostpolitischen Eigenwilligkeiten Großbritanniens. Die Konsequenzen, die Adenauer aus Verlauf und Ergebnis des multinationalen Entscheidungprozesses um die EVG zog, waren zahlreich und gewichtig. Nur die für das Folgende wichtigsten deutsch-britischen Handlungslinien seien hier festgehalten. Sie führten ihn zu einer Aufwertung des bis dahin vernachlässigten »besonderen Verbündeten« der Vereinigten Staaten in Europa. Großbritannien rückte für kurze Zeit und zum ersten Mal seit seiner Kanzlerschaft als weichenstellende Orientierungsmacht in das Zentrum seiner außenpolitischen Perspektiven. Sie erleichterten ihm den von ihm als vorläufig interpretierten Verzicht auf die von den USA geforderten und von ihm angestrebten supranationalen Ordnungsmodelle zugunsten einer zunächst allenfalls funktionalen Europa-Konföderation; das entschärfte die entscheidende deutsch-britische Spannungsursache. Sie verstärkten bei schwindender Anziehungskraft integrativer Lösungsmuster die Aktualität und Intensität, mit der Adenauer sich auf nationalstaatliche Strukturen im internationalen Beziehungsgeflecht zurückgeworfen fühlte. Sie beschleunigten sein Einschwenken, mit dem er im Rückgriff auf die von Großbritannien angebotene Alternative des unmittelbaren NATO-Beitritts am Ende ein Ziel ansteuerte, das er bereits am Anfang der internationalen Wiederbewaffnungsdebatte und in den einzelnen Phasen der jahrelangen EVG-Agonie stets wenn auch mit unterschiedlichem Nachdruck mitverfolgt hatte. Im Ziel-Mittel-Komplex sah er sich angesichts der außenpolitischen Chancen und des innenpolitischen Drucks zu finalen und modalen Veränderungen seiner Verhandlungsdispositionen veranlaßt. Spätestens mit dem akzeptierten Ansatz traditioneller Bündnispolitik nahm die möglichst gleichberechtigte Souveränität den zumindest zeitlichen Vorrang in seiner außenpolitischen Konzeption ein. Entsprechend dieser Zielsetzung und —
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229
II. Großbritannien als Hemm- und Förderfaktor
Neueinschätzung der nationalen Kraftfelder im westlichen Bündnis sank seine Bereitschaft zu einseitigen Zugeständnissen rapide, zumal sie mit dem Integrationsverzicht von wesentlichen Teilen ihrer außenpolitischen Funktion und ihrer innenpolitischen Legitimation entkleidet worden waren. Dieses Bedingungsnetz ermöglichte Adenauer eine aktive, ab Sommer 1954 nahezu gleichberechtigt mitgestaltenden Rolle im internationalen Entscheidungsprozeß. Das hat gerade die britische Regierung frühzeitig in ihrer Bedeutung erkannt, in ihrer Berechtigung anerkannt, in den Verhandlungen berücksichtigt und angemessen unterstützt. In mindestens dem Maße, in dem sie die EVG-Politik Adenauers konterkariert hatte, gewährte sie ihm auf dem Wege zur NATO-Lösung nicht nur aus eigenem Interesse die Hilfestellung eines »ehrlichen Maklers«. Die ostpolitischen Gegensätze, die zwischen der blockübergreifenden, Entspannung und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion suchenden Rußlandpolitik Churchills einerseits, der Konfrontation fördernden, die Sowjetunion isolierenden Ostpolitik Adenauers andererseits klafften, überdauerten die europapolitischen Weichenstellungen des Jahres 1954. Obwohl der Bundeskanzler weder der britischen Kompromißbereitschaft hinsichtlich des politischen Status eines wiedervereinigten Deutschland noch dem mit britischen Vorstellungen verbundenen Territorialverzicht zustimmen konnte und wollte, gelang es ihm mit amerikanischer Unterstützung und der teilweise gegen Churchill gleichgerichteten Politik im britischen Kabinett und im Foreign Office, diese Divergenzen zunächst latent zu halten. Die Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiet trübten die erfolgseiner
—
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reiche deutsch-britische Zusammenarbeit in den Wochen nach dem Scheitern der EVG zunächst nicht mehr, weil auch London vor neuen Vier-Mächte-Verhandlungen ebenso wie Adenauer erst die Westbindung Westdeutschlands gesichert sehen wollte. Die militärischen Sicherheitsauflagen, die Großbritannien anfänglich in umfangreichem Maße gefordert hatte, wurden teils durch tatsächliche Sorgen vor einem wiedererstehenden deutschen Militarismus, teils von innenpolitischen Rücksichtnahmen, teils von bekannten Befürchtungen der kontinentalen Bündnispartner bestimmt. Die »Deckelfunktion« der beschränkenden Bestimmungen im Rahmen der WEU galten der in dieser Frage durchaus nicht sonderlich selbstsicheren britischen Regierung als sehr wichtig. Das Entgegenkommen der Bundesrepublik erleichterte eine Einigung. Eine herausragende Rolle spielte dabei Adenauers Verzicht auf Nuklearwaffen; gerade im Zusammenhang der gleichzeitig laufenden Diskussionen um den »New Look« einer im Kern nuklear ausgerichteten Strategie und dem beschleunigten britischen Nuklearprogramm konnte die militärische Überlegenheit Großbritanniens langfristig insofern als gesichert gelten. Die wirtschaftliche Konkurrenz, die mit dem Wiederaufstieg Westdeutschlands als Exportnation in Großbritannien durchaus als Herausforderung empfunden wurde, hoffte man durch die Belastung der Aufrüstung und dem damit verbundenen Fortfall eines ärgerlichen Wettbewerbsvorteils merklich dämpfen zu können. Die relativ ausgeglichene Nutzenverteilung der bisherigen und der zukünftig zu erwartenden sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit formte das deutsch-britische Beziehungsmuster in Adenauers Augen mehr noch als aus britischer Sicht überwiegend
positiv.
230
Teil B: Die Verbündeten
In der Zwischenbilanz bewirkte die britische Politik bei Adenauer im wesentlichen: —
eine späte und
nachträgliche Bestärkung seiner zeitlichen Zielverlagerung von der integrationistischen Europapolitik zur staatlichen Souveränität im Konzert eines konföderativen
Europa;
Verstärkung der damit eng verknüpften Verhandlungstaktik von der lange Zeit geduldig zu einseitigen Zugeständnissen bereiten Haltung zum vermehrt fordernden, mehr auf nicht-diskriminierte Gleichberechtigung pochenden und auf alsbaldigen Vollzug drängenden Auftreten; keinen Wechsel in der Mittelwahl insoweit, als Westbindung und Wiederbewaffnung die beiden wirkungsvollen Elemente für eine möglichst vollständige eigenstaatliche Handlungsfreiheit blieben. eine
—
—
III. Frankreich zwischen 1. Zur Rolle
Opposition und Obstruktion
Frankreichs und Deutschlands
aus
französischer Sicht
Frankreichs eingeschränkter Handlungsrahmen Die französische Außenpolitik wies wegen ähnlicher Ziele und vergleichbarer Ressourcen eine ganze Reihe von Parallelen zur britischen Außenpolitik auf. Für Adenauer aber lag das Schwergewicht auf den Unterschieden, die er gerade wegen der nach Art, Ausmaß und Intensität grundlegend anders geformten deutsch-französischen Konfliktgeographie in sein Kalkül einbeziehen mußte. Die enge Nachbarschaft, die historisch unmittelbar erfahrene Konkurrenz und die Kriege mit dem unruhigen Nachbarn im Osten Frankreichs, sodann aber die begonnenen Verflechtungen mit Westdeutschland, die mit der Montanunion als erstem Schritt vollzogen, auf militärischem Gebiet mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bis in die Details vorbereitet und für den politischen Überbau in der Europäischen Politischen Gemeinschaft geplant waren, aktualisierten die mannigfaltigen Spannungsursachen zwischen den beiden Ländern. Vornehmlich die zahlreichen Chancen und Hemmfaktoren, die der Bundeskanzler in diesem Beziehungsgeflecht berücksichtigen mußte, leiteten ihn weit mehr als die britischen Einflüsse in seinen Zielbestimmungen, in seiner Auswahl der Mittel und in seinem diplomatischen Vorgehen. Ähnlich wie in Großbritannien wurde auch in Frankreich im Kolonialreich die entscheidende Grundlage für eine besondere Stellung der Nation im Kräftespiel der Mächte gesehen. Daher kam der Konsolidierung der Überseebesitzungen innerhalb der Französischen Union eine außerordentliche Bedeutung zu432. Stärker als das Vereinigte Königreich mit seiner Commonwealthpolitik versuchte Frankreich, seine Kolonialgebiete auch nach dem Zweiten Weltkrieg in einer »République une et indivisible« eng an sich gebunden a.
Die koloniale Idee als Teil der kollektiven Mentalität in Frankreich thematisiert Girardet, L'idée coloniale, passim; erst durch das Referendum vom April 1962, bei dem ca. 60% der abstimmenden Franzosen de Gaulles Kraftakt, Algerien freizugeben, zustimmten, wurde ein Gesinnungswandel
deutlich.
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
231
halten. Zwischen den Freiheitsbestrebungen der nationale Selbstbestimmung verlangenden Gebiete in Übersee und der zentralistischen Staatsauffassung der Franzosen konnte sich die Idee einer mehr föderalistischen, freiwillig lockeren Anbindung nicht früh und stark genug durchsetzen. Deshalb war für Mendès France, als er im Juni 1954 die Ämter des Ministerpräsidenten und des Außenministers übernommen hatte, an Alternativen zur Reduzierung des Kolonialreiches ernsthaft noch kaum zu denken. In Indochina und Indien beginnend und dann in Nordafrika löste sich Frankreich unter wechselnden Regiewenn auch nur zögernd und schrittweise von seinem kolonialen Besitz. rungen Die Umwandlung der Französischen Union des Jahres 1946 zur Zwischenstufe der Französischen Gemeinschaft 1958/1960 erwies sich als ein überaus schmerzhafter Prozeß, der innenpolitisch nur unter großen Schwierigkeiten zu bewältigen war. Diese für den nachträglichen Betrachter so offen vor Augen liegenden Entwicklungslinien der unausweichlichen Entkolonialisierung wurden 1954 nur von Wenigen gesehen. Vielmehr behielt der auf weltweitem Kolonialbesitz beruhende Großmachtanspruch Frankreichs in der Öffentlichkeit, im Parlament und in den französischen Regierungen noch nahezu unverminderte Gültigkeit, was sich in der damaligen, sehr lebhaft geführten Diskussion in der Presse widerspiegelt433. Auch Mendès France, der auf der Genfer Indochinakonferenz mit britischer Unterstützung den kolonialen Entlastungsprozeß ein beträchtliches Stück voran brachte, wollte diesen Anspruch keineswegs aufgeben, sondern mit einer neuen Wirtschafts- und Finanzpolitik eine eigenständige Außen- und Kolonialpolitik auf eine tragfähige Basis stellen. Dafür war er bereit, wo es notwendig und möglich war, Ballast abzuwerfen. Besonders die nach jahrelangen Kämpfen unhaltbar gewordene Position in Indochina zwang zur Erkenntnis, daß Frankreich auf Dauer den finanziellen Belastungen, die bereits im Indochinakrieg nur mit erheblicher amerikanischer Hilfe hatte getragen werden können, bei weiteren zu erwartenden militärischen Auseinandersetzungen etwa bei stärker werdenden Unruhen in den französischen Besitzungen in Nordafrika nicht im bisherigen Umfang gewachsen sein würde434. Um so härter mußte der zur Abstimmung stehende EVG-Vertrag bei denjenigen auf Widerstand stoßen, die den Kolonialbesitz generell als für Frankreich unentbehrlich ansahen. Teilweise zu Recht beklagten sie, daß die EVG die Aufgaben Frankreichs in Übersee nur ungenügend berücksichtigte, obwohl der Einsatz dort wie argumentiert wurde auch Westeuropa zugute komme und die französischen Forderungen nach »protocoles zu
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—
—
433
434
—
Vgl. BA-MA, BW 9/2910-23, Dienststelle Blank, Pressereferat, Stellung der franz. Parteien zur EVG und zum deutschen Verteidigungsbeitrag, sowie BW 9/2910—20, Zeitungsausschnitte, insbes. Fran-
zösische Presse, Konf. v. Brüssel/Ende EVG, 29. Juli—26. Oktober 1954. Nach Elgey haben die Vereinigten Staaten etwa 80% der Kosten des Indochinakrieges getragen; vgl. dies., Histoire, S. 440; Joyce und Gabriel Kolko schätzen die direkte US-Militärhilfe an Frankreich für den Indochinakrieg von 1950 bis 1954 vorsichtig auf 3.64 Mrd Dollar, vgl. dies., Limits of Power, S. 683. Die französischen Verteidigungsausgaben wurden für 1952 und 1953 auf knapp je 13 Mrd Francs bzw. auf 10% (1952) und 11 % (1953) des Bruttosozialprodukts geschätzt; vgl. NA, DB, RG 59, 751.5-MSP/2—954, Box 3661, Status of Mutual Security Program in France during Second Half of 1953, DespNo. 2027 from Ambassy, Paris to the Department of State vom 9.2.1954
Teil B: Die Verbündeten
232
additionnels« begründe435. Diese französischen Zusatzprotokolle wurden am 11. Februar 1953 dem EVG-Interimsausschuß zur Behandlung übergeben436 und stießen sogleich vor allem mit dem formalen Argument, sie seien vertragsändernden Charakters —, auf den Widerstand der EVG-Vertragspartner. Paris behauptete, die Protokolle würden den EVG-Vertrag nur erläutern, präzisieren und ergänzen. Angesichts fundamentaler Meinungsverschiedenheiten sah sich der Lenkungsausschuß des Interimsausschusses nicht in der Lage, die Protokolle zu beraten. Sie wurden daraufhin in die Außenministerkonferenz in Rom am 24. und 25. Februar 1953 eingebracht. Dort konnten die Meinungsverschiedenheiten ebenfalls nicht beigelegt werden, und man verfuhr nach dem bewährten Prinzip der Vertagung: der Lenkungsausschuß wurde beauftragt, nicht-vertragsändernde Empfehlungen auszuarbeiten, die die französischen Wünsche nach Möglichkeit berücksichtigen sollten. Nachdem die Franzosen weitgehend eingelenkt hatten, einigten sich die Delegationen im Lenkungsausschuß auf Zusatzprotokolle, die sie ihren Regierungen vorlegten. Da diese auch dieser neuen Form nicht zustimmten, kam es zu keinem Regierungsabkommen; damit erhielten die Zusatzprotokolle nie bindende Rechtskraft437. Doch nicht nur der hohe Stellenwert, der der Kolonialpolitik zugemessen wurde, wirkte sich gegen die westeuropäischen Einigungsbestrebungen aus. In übergeordnetem Zusammenhang damit standen die Versuche der französischen Außenpolitik, für Frankreich den Status einer gleichwertigen Großmacht in Konkurrenz mit den USA, Großbritannien und der Sowjetunion soweit irgend möglich zu erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt mußte die Weigerung Großbritanniens, sich an der westeuropäischen Integration im allgemeinen und aktuell an der EVG gleichverpflichtet zu beteiligen, fast als provozierende Zurücksetzung Frankreichs empfunden werden. Dementsprechend versuchten die aufeinanderfolgenden französischen Regierungen seit Frühjahr 1953 immer mehr, sich vor allem durch zeitliches Hinausschieben oder durch gänzlichen Verzicht auf etli-
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che
supranationale und integrative Elemente des EVG-Vertragswerkes den für notwennationalen Freiraum insbesondere mit Blick auf weltpolitische Mitspraerachteten dig che im Atlantischen Bündnis zu bewahren. Der ungewöhnlich massive Druck, den Außenminister Dulles verstärkt seit März 1954 auf die wechselnden französischen Regierungen ausübte, um sie zur Ratifizierung der Europa und Deutschland betreffenden Verträge durch die Nationalversammlung zu drängen438, bewirkte nicht nur in der dafür besonders sensiblen französischen Öffentlichkeit eher einen proportionalen Gegendruck. Sowohl das supranationale Konzept selbst, als auch und womöglich noch belastender die damit verbundene, ja gezielt angestrebte französisch-deutsche Verschmelzung wurde besonders bei den »Feudalherren« der —
435
436 437
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Vgl. BA-MA, BW 9/2847, Handakte Blank, Französische Wünsche hinsichtlich Zusatzprotokollen zum EVG-Vertrag, Feb.—März 1953, sowie BW 9/2270, EVG-Interimsausschuß, Schriftwechsel und Dokumente 8.1.1953—9.7.1954. Texte und Übersetzung in BW 9/2847, Bl. 123-148. Vgl. BW 9/2558, Dienststelle Blank, Abt. II, Unterabt. 1,
Zusatzprotokolle
26.12.1952-20.7.1954. 438
Vgl.
FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 748—752 und
passim.
zum
EVG-Vertrag
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
233
französischen Ministerialbürokratie vielfach als aufgezwungen empfunden und als ernied-
rigend gewertet439. Klarsichtiger als seine Vorgänger erkannte Mendès France die wesentliche Ursache für
diese Lage in Frankreichs unzureichender Wirtschafts- und Finanzkraft. Deutlicher war ihm bewußt, daß eigenständige Politik im internationalen System eine leistungsstarke und möglichst wenig abhängige Volkswirtschaft voraussetzt. Konsequent wollte er wirtschaftlichen Sanierungs- und Modernisierungsvorhaben Vorrang in seiner Prioritätenskala einräumen440. Eine jahrelang schleichende Inflation drängte auf eine Währungsreform, unzureichende Investitionsbereitschaft der Unternehmen hatte zu bedenklich knapper Kapitalausstattung in der Industrie geführt, die Regierung hielt an einem nicht mehr als gerecht empfundenen, zu wirtschaftlichen Verzerrungen neigenden Besteuerungssystem fest und stützte durch überzogene Agrarsubventionen eine Landwirtschaft, die sich so den notwendigen Konzentrations- und Spezialisierungsprozessen entziehen konnte. Insgesamt hielt Mendès France die französische Wirtschaft noch für zu wenig dynamisch und flexibel, um auf den Weltmärkten konkurrenzfähig und im Rahmen des Möglichen autark Frankreichs Großmachtpolitik hinreichend untermauern zu können441. Insbesondere im Vergleich zu dem erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung, den die Bundesrepublik bis Mitte 1954 bereits genommen hatte, galt die langsamere Erholung der französischen Wirtschaft nicht nur für Mendès France als ein wichtiges, für die Zukunft eher noch bedeutungsvolleres Gegenargument gegen einen westeuropäischen Zusammenschluß. Wie die Aktivsalden der Bundesrepublik und die Passivsalden Frankreichs innerhalb der Europäischen Zahlungsunion auswiesen, nutzte Westdeutschland die erweiterte Wirtschaftsliberalisierung wirkungsvoller. Dementsprechend sahen sich viele französische Unternehmen in einer zu schwachen Position, um bei verminderten nationalstaatlichen Stützungsmaßnahmen eines sich abzeichnenden gemeinsamen westeuropäischen Marktes der Konkurrenz gewachsen zu sein. So wie sich viele anfangs gegen die Montanunion gestellt hatten442, wandten sie sich jetzt gegen die EVG als den nächsten Integrationsversuch443. Finanzpolitisch sahen sie mit Sorge, daß die EVG bis zu einem Vier439
440
Vgl. Guillen, Frankreich, S. 5 f. Vgl. die Investiturrede von Mendès France vom 17.6.1954 in Le Monde vom 18./19.6.1954, zusammengefaßt und übersetzt abgedruckt in EA 1954, S. 6712—6716; zu seinen Wirtschaftsreformplänen vgl. FAZ vom 2.7.1954. Zur präziseren Einordnung der wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen in den Rahmen außenpolitischer Zielsetzungen bei Mendès France vgl. auch die Beiträge
Bouvier, La modernité, S. 361—363, Kuisel, Mendès France S. 369—381, und Wolff, L'action S. 383—389. Hinsichtlich der überzeugenden Redlichkeit von Mendès France vgl. dessen Investiturrede mit seinen gleichgerichteten Zielsetzungen für Indochina, Afrika, die französische Union, das atlantische Bündnis und die EVG in seinem Brief an Ministerpräsident/President du Conseil Laniel vom 21.5.1954, NA, DB, RG 59, GF 1950—1954, 651.00/6-2454, Box 2923, General Lines of MendèsFrance's Foreign Policy, Desp.No. 3300 from Ambassy, Paris to the Department of State vom 24.6.1954, hier anliegend in einer freien Übersetzung. Eine gute Übersicht aus zeitgenössischer Sicht bietet hierzu Lipgens, Beharrungsversuch, S. 217—237. Vgl. Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 65. Zum Einwirken der französischen Unternehmerschaft gegen die EVG vgl. Elgey, Histoire, S. 311—314; am 23.6.1954 nahm der Präsident der vereinigten Arbeitgeberverbände Frankreichs, Georges Villiers, in einem Brief an Mendès France gegen dieses Projekt dezidiert Stellung; wie die Änderungsvon
441 442 443
234
Teil B: Die Verbündeten
tel des französischen Staatshaushalts dem souveränen Zugriff der eigenen Regierung entziehen würde. Denn die aus dem EVG-Haushalt zu finanzierende westeuropäische Rüstungsindustrie sollte ihre Aufträge über gemeinsame Ausschreibungsverfahren zugeteilt bekommen444. Um in diesen Verfahren einen möglichst großen Teil der Rüstungsaufträge nach Frankreich zu schleusen, setzte sich Mendès France vom Ende der Brüsseler Konferenz am 22. August 1954 bis zum Ende seiner Amtszeit für einseitig Frankreich begünstigende Änderungen der wirtschaftlichen und finanziellen Bestimmungen des EVGVertrages bzw. für erhebliche, Deutschland diskriminierende rüstungspolitische Auflagen ein445. Da die übrigen Vertragspartner diese und weitere französische Änderungswünsche als überwiegend unzumutbare und zudem ratifikationsbedürftige Vertragsänderungen bewerteten, war der scheinbare Brüsseler Einigungsversuch Mitte August 1954 schon aus schwerwiegenden Divergenzen der wirtschaftlichen Interessen zum Scheitern verurteilt446. Auch nach der Ablehnung der EVG bemühte sich Mendès France beharrlich, rüstungswirtschaftliche Steuerungselemente zugunsten Frankreichs über eine ausgebaute »Rüstungsagentur« innerhalb der Westeuropäischen Union durchzudrücken. Sowohl aus der Energie als auch aus der Unbeirrbarkeit, mit der sich der Ministerpräsident vor wie nach dem Ende der EVG für vorteilhafte ökonomische Regelungen zugunsten der französischen Wirtschaft einsetzte, war den Verhandlungspartnern erkennbar, welche vorrangige Bedeutung er dem wirtschaftlichen Aufschwung Frankreichs zumaß. Die wirksame Betriebsamkeit der organisierten Unternehmerschaft konnte seine diesbezüglichen Überzeugungen nur darin bestärken, seinen einmal eingeschlagenen Kurs weiterzuverfolgen, auch wenn sowohl die direkt betroffenen Vertragspartner in der zukünftigen WEU als auch die an Rüstungsexport interessierten Amerikaner und Briten sich hinhaltend in der Form, doch fest in der Sache gegen seine Wünsche stellten. Sobald sich seine Forderungen nach wirtschaftlichen Vorrechten über die als sicherheitspolitisch notwendig oder vertretbar bewerteten Rüstungskontrollen schoben, reichten Frankreichs Möglichkeiten
sich durchzusetzen nicht aus. Etwas mehr Erfolg war Mendès France beschieden, als er in den Verhandlungen über die Saar nicht mehr der geschlossenen Front der Bündnispartner, sondern dem in dieser Frage kaum unterstützten Bundeskanzler gegenüberstand. Hier allerdings ebneten die wirtschaftlichen Prioritäten, die Mendès France sich und seiner Regierung gesetzt hatte,
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446
wünsche von Mendès France für die Brüsseler Konferenz vermuten lassen, war die Unternehmerinitiative auf kurze Sicht erfolgreich. Vgl. Artikel 104 des EVG-Vertrages. Enthalten in Présidence du Conseil, Ministère des Affaires Etrangères, Paris, le 13 août 1954, Protocole d'application du traité instituant la Communauté Européenne de Défense, BA-MA, BW 9/2870, Handakte Blank, Unterlagen für die Aussenministerkonferenz in Brüssel am 19.—20. August 1954, Bl. 32—45; der »Entwurf eines Protokolls« ist übersetzt abgedruckt in Europa. Dokumente, zweiter Teilband, S. 905—913, hier bes. der Titel VI auf S. 911—913. Zur internationalen Bewertung der französischen Forderungen vgl. Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 208—212. Auf die wirtschaftspolitischen Hindernisse der EVG in Frankreich weist mit zahlenmäßigen Gegenüberstellungen hin Vernant, European Politics, S. 39—53; zur EVG-kritischen sozioökonomischen
Einordnung vgl. Parodi, L'économie, passim.
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
235
den Weg zu einer akzeptablen Lösung. Unter vorrangig sicherheitspolitischen Erwägungen wäre sie schwieriger zu finden gewesen447. Denn so wurden der westdeutschen Verhandlungsseite Kompensationsmöglichkeiten eröffnet, mit denen sie unter Hingabe ökonomischer Zugeständnisse wenigstens völkerrechtlich die innenpolitisch unüberwindbare Hürde territorialen Verzichts nicht überspringen mußte. Aber selbst mit den Ergebnissen der Saarverhandlungen konnte Frankreich trotz seines privilegierten Status als Siegermacht über das geschlagene Deutschland seine seit Jahren hartnäckig beanspruchte »Kriegsbeute« nicht ungeschmälert vereinnahmen von der späteren, 1954 nicht unbedingt vorhersehbaren Entwicklung ganz zu schweigen. So erwies sich das französische Potential auf allen drei Problemfeldern, die hier als beispielhaft für weitere herausgegriffen wurden, als zu schwach, als daß damit die außenpolitischen Ziele der Regierungen hätten erreicht werden können. In Indochina scheiterte ein Teil der französischen Kolonialpolitik mangels ausreichendem militärischen und finanziellen Rückhalt. Den europäischen Integrationsbestrebungen meinte sich insbesondere Mendès France nicht zuletzt wegen der vergleichsweise schwachen wirtschaftlichen Entwicklung Frankreichs zunächst widersetzen zu müssen. Gegenüber Westdeutschland konnte sich Frankreich in den bilateralen Saarverhandlungen nur teilweise, in den multilateralen Verhandlungen um einen vor allem Deutschland diskriminierenden nicht durchsetzen. Rüstungspool praktisch Neben der Unausgewogenheit der französischen Ziel-Mittel-Relation sind in allen drei Problembereichen gewichtige amerikanische Einflüsse zu beachten. Die umfangreiche militärische und finanzielle Hilfe, ohne die Frankreich den Indochinakrieg schon viel früher hätte beenden müssen, hatte Zwänge und Abhängigkeiten von der amerikanischen Außenpolitik zur Folge, mit denen die französischen Regierungen auch auf den sich überlappenden Ebenen ihrer Europa- und Deutschlandpolitik empfindlich konfrontiert waren. Und in Washington schob sich Adenauer mit seiner bündnistreuen und verläßlich durchgehaltenen Westpolitik wie seiner ostpolitischen Abstinenz als der unumgängliche kontinentaleuropäische Partner von Jahr zu Jahr mehr vor Frankreich in den Vordergrund. Die zentrale Stellung unter den Feindbildern, die Deutschland für die Franzosen nicht nur durch ihre mehrheitlichen Wertungen, sondern auch durch die Interpretationen vieler politischer Akteure noch lange behielt, erzeugte und bestärkte eine französische Deutschlandpolitik, die mit ihrem Hauptgewicht auf absicherndes Niederhalten des östlichen Konkurrenten abzielte. Unter dem Imperativ, Deutschland zu kontrollieren und niederzuhalten, standen selbst noch viele derjenigen, die dem westeuropäischen Integrationskonzept überhaupt etwas Positives abgewinnen konnten. Und derartige Einschätzungen und Zielsetzungen fanden in Eisenhowers Administration immer weniger Unter—
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stützung.
Während der von den USA bevorzugte Weg einer politischen, militärischen und ökonomischen Verschmelzung europäischer Länder mittels der verbliebenen Vetokraft Frank447
Vgl. Schmidt, Saarpolitik, 3. Bd, S. 18—26, und Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 52. Eine besonders sorgfältige Abwägung der wirtschaftlichen Interessen innerhalb der französischen Saarpolitik findet sich bei Thoß, Losung der Saarfrage, passim.
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Teil B: Die Verbündeten
reichs verbarrikadiert werden konnte, sahen sich die französischen Regierungen Zug um Zug gezwungen, auf das amerikanische Ziel eines nahezu gleichberechtigt in das westliche Bündnissystem eingespannten Westdeutschland einzuschwenken. Damit war allerdings keineswegs auch eine inhaltliche Anpassung der Zielvorstellungen verbunden. Vielmehr verloren die Unterschiede der französischen und deutschen Interessen lediglich an Schärfe und Intensität, indem sie auf eine differenzierte und zugleich verhandelbarere Konfliktebene abgesenkt wurden. Deswegen mußten damals zwei gegenläufige Orientierungslinien, die sich im Detail der EntScheidungsprozesse meist nicht scharf voneinander abhoben, unterschieden werden. Einerseits ermöglichte eine Reihe von Faktoren, daß Frankreich Weg und Tempo, auf und mit denen Deutschland- und Europapolitik voranschreiten sollten, merklich beeinflussen konnte. Vielfach wirkte die Großmachtstellung aus der Vorkriegszeit in den Vorstellungen der internationalen Verhandlungspartner noch nach, wozu der sorgsam gehütete Status als Sieger- und Besatzungsmacht über Deutschland wesentlich beitrug. Trotz aller Schwierigkeiten zog Frankreich auch aus seinem kolonialen Besitz noch so viel Weltgeltung, daß seine Interessen generell mit Rücksicht auf den globalen Ost-West-Konflikt nicht leichthin übergangen wurden. Andererseits stieß Frankreich aufgrund seiner politischen, insbesondere ökonomischen und militärischen Schwäche mit seinen Zielen an eine erhebliche Eingeschränkung eines Handlungsrahmens. Das Auseinanderklaffen von Zielen und Mitteln, der Bruch zwischen überwältigendem Problemhaushalt auf der Grundlage emotional überhöhter und traditionell vorgeformter nationaler Selbsteinschätzung und den demgegenüber zwangsläufig inakzeptablen oder unzureichenden Lösungsansätzen erzeugte innenpolitische Spannungen, die sich aus der Defensive vis à vis weltpolitischer Veränderungen immer wieder destruktiv entluden. So blieben die außenpolitisch eingeschnürten Regierungen Frankreichs von wechselnden und unkontrollierbaren parlamentarischen Mehrheiten abhängig, was ihren außenpolitischen Handlungsspielraum noch zusätzlich einengte448. Der schmerzhaft empfundene Mangel an Einfluß und Durchsetzungskraft, der sich hier widerspiegelt, kann zusammengefaßt als eine entscheidende Dimension französischer Außenpolitik seit Ende des Zweiten Weltkrieges und bis in die Regierungszeit de Gaulles interpretiert werden.
Zur militärischen Überforderung Frankreichs vgl. Kelly, Soldats perdus, passim; als ein Element der politischen Stagnation hat auch die Furcht vor Autorität, die sich in den schwachen Regierungen der IV. Republik widerspiegelte, eine ursächliche Rolle gespielt, vgl. die Untersuchungen der politischen Strukturen Frankreichs, insbesondere zur dortigen »stagnierenden Gesellschaft«, bei Hoffdarin ähnlich mann, Paradoxes, Kapitel I. Die plebiszitären Ansätze, mit denen Mendès France dem Vorgehen de Gaulles einige Jahre später das erratische Parteienwirrwar zugunsten einer beständigeren und effektiveren Regierbarkeit zu übergehen versuchte, führte maßgeblich zu seinem Sturz am 5.2.1955. Sein Scheitern spricht nicht gegen seinen sozialpsychologisch zeitgemäß realistischen Ansatz, wie de Gaulle wenige Jahre später bewies. —
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III. Frankreich zwischen
b.
Opposition und Obstruktion
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Außenpolitische Handlungsfreiheit durch Entspannungspolitik
dafür, daß Frankreich zunehmend in eine Objektrolle hineinein Großteil der öffentlichen Meinung und viele Politiker vermuteten wurde, gedrängt durch alle Parteien quer weniger in den sich gegenseitig bedingenden wirtschafts-,
Eine wesentliche Ursache
währungs- und finanzpolitischen Defiziten als in einer sich abzeichnenden Vorherrschaft
der USA449. In dieser allzu vereinfachten und zudem leicht emotionalisierbaren Sicht trafen sich drei große Richtungen der französischen Innenpolitik450. Auf der rechten Seite des Parteienspektrums orientierten sich die Gaullisten an der Idee nationaler Unabhängigkeit451, auf der linken trat die Kommunistische Partei Frankreichs gegen die antikommunistische Eindämmungspolitik an452, und zwischen diesen beiden Flügeln argumentierte »eine sozial diffuse, nicht organisierte, intellektuell aber mächtige Strömung«453 der Neutralisten aller Schattierungen für außenpolitische Alternativen. Die allgemeinen Zielsetzungen, die von in Paris vielfach aus Überzeugung oder aus Opportunität aufgenommen und in Tagespolitik umgesetzt wurden, richteten sich auf ein Europa, das unter maßgeblicher Führung Frankreichs eine balancierende Brückenfunktion zwischen den beiden antagonistischen Weltmächten erfüllen sollte. Die unterschiedlich gewichteten, vielfältig kombinierten Mittel und Wege dorthin zielten meist auf eine größere Distanz zu den Vereinigten Staaten. Entsprechend wurde besonderer Wert auf eine ausgleichende Annäherung an die Sowjetunion gelegt. Dabei knüpfte man an die ehemalige Kriegskoalition an, die Frankreich sowohl einen Großmachtstatus zuerkannt als auch für ein schwaches, kontrolliertes Deutschland votiert hatte454. Der militärische Schutz, den Frankreich im westlichen Bündnis genoß, sollte einerseits mit dem Fortschreiten der ost-westlichen Zusammenarbeit seine Notwendigkeit teilweise verlieren, andererseits etwa im Sinne eines gerade von der Sowjetunion propagierdurch vertragliche Vereinbarungen ersetzt ten Friedenssystems kollektiver Sicherheit werden. Inwieweit hier schon ein nationales nukleares Rüstungsprogramm, das seit 1952 entwickelt wurde, eine Rolle spielte, ist schwierig zu ermessen. All diese Vorstellungen bewegten sich überwiegend im Rahmen traditioneller Ordnungsprinzipien europäischen —
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Vgl. Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 68. Die parteipolitischen Strömungen und innerparteilichen Spaltungen analysiert Ziebura, ebd., S. 75—77. 431 Ebd., S. 75. Die besonders bei den Gaullisten anzutreffende, betont nationale Geisteshaltung wird für die Zeit vor der Trennung des R.P.F. in die Union Républicaine d'Action Sociale und die Action Républicaine et Sociale deutlich bei Purtschet, Rassemblement du Peuple Français, passim; für den in diesem Zusammenhang mitschwingenden Antiamerikanismus vgl. Manin, Rassemblement du Peuple Français, bes. S. 47 f.; zu de Gaulles erbittertem Widerstand gegen die deutsche Aufrüstung innerhalb der Frankreich bindenden EVG im Januar 1954 vgl. Weisenfeld, Welches Deutsch449
450
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land, S. 63 f.
452
433
Zum Widerstreit zwischen nationalstaatlicher Eigenständigkeit und internationalistischen Auffassungen unter sowjetischer Führung vgl. Fauvet, Histoire du Parti Communiste Français, Bd 2. Vgl. Guiton, Paris Moskau; mit der Hoffnung auf internationale Entspannung mittels einer »allgemeinen und kontrollierten Abrüstung in allen Waffenarten« argumentierte auch de Gaulle Anfang Dezember 1954; vgl. seine Rede vom 4.12.1954, ebd., S. 259. Zur damit verbundenen oder zumindest nicht ausgeschlossenen Entwicklung eines »renversement des alliances« vgl. Carmoy, Les politiques étrangères, S. 50 ff. —
434
Teil B: Die Verbündeten
238
Machtgleichgewichts zwischen souveränen Nationalstaaten. Sie wurden vornehmlich von denjenigen vertreten, die den französischen Nationalstaat und seine Armee nicht der Gefahr eines Integrationskonzepts, wie es etwa die EVG in sich barg, aussetzen wollten. Der Hoffnung auf Entspannung, die diesen Vorstellungen zugrunde lag, kam die Sowjet-
union mit ihrem Konzept eines neutralisierten Gesamtdeutschland und dem Bemühen um Abbau des Ost-West-Gegensatzes nach Stalins Tod nur unzureichend entgegen. Selbst noch mit den wenig aussichtsreichen Verhandlungen über Abrüstung bei den Vereinten Nationen hatte Paris allzulange gehofft, mit sowjetischer und britischer Unterstützung eine deutsche Wiederbewaffnung bedrohlichen Umfangs verzögern, wenn nicht gar verhindern zu können. In Verbindung mit dem französisch-sowjetischen Beistandspakt vom 10. Dezember 1944 als Anknüpfungspunkt, von dem aus mit einer zu erweiternden eigenständigen Rußlandpolitik die Großmachtstellung Frankreichs im diplomatisch-politischen Bereich konsolidiert werden sollte, spielte gerade die Diskussion um die Abrüstung wegen der von ihr erwarteten Auswirkungen gegen Aufstieg und Wiederbewaffnung Westdeutschlands mehr in der Öffentlichkeit als in der Regierung eine herausragende Rolle, die weit über die Ebene militärpolitischer Zielsetzungen hinauswies. Alle derartigen vagen Hoffnungen gehörten maßgeblich in das innenpolitische Meinungsspektrum Frankreichs; sie bewegten auch die Parlamentarier, denen die Verträge bezüglich Westdeutschland und der EVG zur Ratifizierung in der Nationalversammlung vorzulegen waren. Und Mendès France wußte, daß er das berücksichtigen mußte. Daß es ihm vor allem mit Blick auf diese innenpolitische Konstellation darum ging, der Sowjetunion nicht die Tür für VierMächte-Verhandlungen vor der Nase zuzuschlagen, verdeutlichte er in einem ausführlichen und sehr offen geführten Gespräch mit den amerikanischen und britischen Vertretern in Paris, Dillon und DArcy Patrick Reilly, am 12. August 1954455. Dabei warb er bei den Anglo-Amerikanern um Verständnis dafür, daß er nach den beiden sowjetischen Noten vom 24. Juli und 4. August 1954 den innenpolitisch starken Druck zugunsten einer Vier-Mächte-Konferenz über Deutschland nicht einfach ignorieren könne, wenn er die EVG über die parlamentarischen Hürden bringen wolle. Zwar wolle er damit jetzt noch nicht an die Öffentlichkeit; aber wenn er mit der EVG die erste Lesung erfolgreich überstanden habe, sei eine hinreichend starke Position für eine Antwortnote an die Russen erreicht. Wenn die Russen dann vernünftige Verhandlungsbereitschaft bezüglich Deutschlands bewiesen, solle sich der Westen einer Vier-Mächte-Konferenz nicht verschließen. Und wenn diese nicht zustande komme, sei es von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Verantwortung dafür nicht bei den Westmächten, insbesondere nicht bei Frankreich gelegen habe. Er werde am nächsten Tag der Arbeitsgruppe in London einen Entwurf für eine Antwortnote an die Russen zur Verfügung stellen. Das alles habe noch Zeit bis etwa 1. September, wenn er dann mit sorgfältig abgewogenen Worten die Russen zu Verhandlungen auffordern werde, um die unbedingt noch erforderlichen Stimmen für den EVG-Vertrag zu gewinnen. Gegen Reillys zutreffende Bedenken, daß die 433
Vgl. DDF 1954, Dok. 63, Mendès France an Bonnet, S. 141-143; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1026-1029, und PRO, PREM 11/618, Tel. from Paris to Foreign Office (Mr. Reilly) No. 538, August 12,
1954.
III. Frankreich zwischen
Opposition
und Obstruktion
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britische Regierung wahrscheinlich erst nach französischer EVG-Ratifikation zu einem Vier-Mächte-Treffen bereit sein werde, betonte Mendès France noch einmal eindringlich, daß sein Vorgehen unerläßlich sei, um die nötigen Stimmen für die EVG zusammenzubringen; selbst zwei seiner Kabinettmitglieder hätten die Option von Verhandlungen mit den Russen für ihr positives EVG-Votum zur Bedingung gemacht. Insofern müsse er die Chance dafür wahren, selbst wenn es danach wegen sowjetischer Unnachgiebigkeit zu keiner Konferenz oder zu einer ohne Ergebnis komme. Im übrigen drohe durch seinen Verfahrensplan kein Zeitverzug, da der in Italien anstehende Ratifikationsprozeß noch etwa bis zum Jahresende dauern werde. Die Reaktionen aus Washington und London folgten sofort und mit unerwarteter Härte. Während das Foreign Office noch leidlich sachlich argumentierte, daß die Koppelung des EVG-Vertrages an den Versuch eines Arrangements mit den Russen zu unabsehbaren Verzögerungen der Westbindung Deutschlands sowie zur Stärkung der Neutralisten in allen Ländern führen werde und daher auf den entschiedenen britischen Widerstand stoße456, sparte Dulles nicht mit ungewöhnlich undiplomatischen Vorwürfen. Die Vorschläge von Mendès France wurden als »weiterer Beweis französischer Unglaubwürdigkeit« gewertet; Frankreich könne nicht mehr als zuverlässiger Partner angesehen werden, der getroffene Entscheidungen auch durchsetze; die Beziehungen zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten würden ebenso unterminiert wie die NATO. Dulles unterstellte, daß Mendès France den Russen eine Neutralisierung Deutschlands anbieten wolle, was die Verteidigungspläne der NATO völlig zerstören, die westliche Sicherheitsbasis für eine deutsche Wiedervereinigung opfern und Adenauer politisch vernichten würde; im übrigen habe Mendès France genügend politische Statur und Prestige, um die EVG unverzüglich durchzusetzen457. Mendès France verwahrte sich gegen Ton wie Inhalt der amerikanischen Démarche und stellte unmißverständlich klar, daß er eine positive EVG-Abstimmung nur erreichen könne, wenn er die Russen zwinge, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Eine Konferenz mit ihnen setze für ihn bekanntlich ohnehin sowjetisches Entgegenkommen durch Abschluß eines Österreichvertrags, durch das Zugeständnis freier deutscher Wahlen oder durch nennenswerte Abrüstungsfortschritte voraus. Auch sei er gerade nicht auf Verzögerung der EVG aus, sondern wolle die Abstimmung sogar mit einer Vertrauensfrage verbinden; aber dafür brauche er zumindest eine Chance auf Zustimmung. Auch sei er noch nie für eine Neutralisierung Deutschlands, sondern stets für eine politische und militärische 436
437
Vgl. PRO, PREM 11/618, Tel.No. 1917, from Foreign Office to Paris, August 13, 1954; die britische Démarche steht in engem Zusammenhang mit entsprechenden Ersuchen seitens Dulles; vgl. ebd., Notiz von Kirkpatrick an Churchill, PM/IK/54/126 vom gleichen Tag mit anliegendem Aide Mémoire mit Dulles' Démarche; die britische Regierung war weniger generell gegen Vier-Mächte-Gespräche, sondern befürchtete bei allem Verständnis für die verfahrene innenpolitische Situation in Frankreich vor allem ein Abgleiten Deutschlands im Falle weiterer Verzögerungen der Verträge von 1952; vgl. ebd., Notiz von Kirkpatrick an Churchill, PM/IK/54/127 vom gleichen Tag; vgl. auch die dementsprechenden Telegramme No. 1918 und 1919, from Foreign Office to Paris, August 13,
Vgl.
1954.
FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1029—1031, sowie DDF 1954, Dok. 63; hier S. 142f.
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Teil B: Die Verbündeten
Anbindung des geteilten wie eines vereinigten Deutschland an den Westen eingetreten. Er wolle somit lediglich eine sonst sichere Ablehnung der EVG vermeiden und verlange, daß man seine Situation begreife und ihm vertraue458. Doch genau an diesem Vertrauen in seine Person und seine entspannungssuchende Rußlandpolitik fehlte es in Washington, Brüssel, Den Haag und Bonn mehr als in London, seitdem auf der Genfer Indochinakonferenz der Verdacht aufgekommen war, daß Mendès France gegenüber den Russen für einen erträglichen Waffenstillstand in Fernost die Ablehnung der EVG oder gar die Bewaffnung der Bundesrepublik generell in Aussicht gestellt habe459. Eine »méfiance injustifiée« belastete ihn praktisch während seiner ganzen Regierungszeit, sobald er teils aus zwingenden innenpolitischen Rücksichtnahmen, teils aus realpolitischem Bemühen um Auslotung aller außenpolitisch denkbaren ChanFrankreichs auch das Verhältnis mit der
ins Visier nahm. dementsprechend von ihm praktizierten Politik erscheint das ihm entgegengebrachte Mißtrauen unbegründet und ungerechtfertigt. An Stelle einer längsschnittartigen Untersuchung seiner verschiedenen Manöver vor und nach der Durchsetzung der Pariser Verträge vom Oktober 1954 mag hier ein Schlüsseldokument aus der Zeit vor dem Scheitern der EVG die hier vertretene These erläutern. Es handelt sich um ein Memorandum, in dem der Kabinettschef des Außenministers Mendès France, Philippe Baudet, die deutsche Wiederbewaffnung und den westlichen Zusammenhalt in Zusammenhang mit der französischen Rußlandpolitik stellt460. Da Mendès France in vielen Punkten den dort formulierten Zielsetzungen und Verfahrensweisen folgte, weil sie den seinen entsprachen, lohnt sich auch über den engeren Kontext französischer Rußlandpolitik hinaus eine detailliertere Darstellung. Baudet leitete seine Überlegungen mit einer von einigen Franzosen vertretenen Interpretation anglo-amerikanischer Deutschlandpolitik ein, wonach London und Washington der zeitlichen Trennung von Souveränität (certains droits souverains) und Wiederbewaffnung zustimmen könnten461; vor Zustimmung zur Wiederbewaffnung könne man in Vercen
Im Rückblick auf seine erklärte und
458
459
460 461
Sowjetunion
DDF 1954, Dok. 63; hier S. 142f.; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1031-1033; PRO, PREM 11/618, Tel. from Paris to Foreign Office (Mr. Reilly) No. 540, August 13, 1954. Vgl. DDF 1954, Dok. 12, Mendès France an François-Poncet, S. 37; FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1178 (Dillon) und S. 1227 (Dulles); PRO, PREM 11/618, Tel. from Paris to Foreign Office (Reilly) No. 539, August 12, 1954; Bérard, Un Ambassadeur, S. 554 f. Vgl. auch die Beiträge von Mélandri, Faire mentir, S. 272f., und Girault, La France, (Bonnet in Washington: »la méfiance injustifiée«) S. 256. Eden schreibt später, daß Mendès France »ein paar fellow-travellors als Berater« gehabt habe, vgl. ders., Memoiren, S. 191; vgl. auch Fursdon, European Defence Community, S. 273f., und Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 268. Zum wichtigen Aspekt der Fehlinformationen vgl. die ausführliche Analyse bei Noack, Scheitern, bes. S. 47—57. Vgl. DDF 1954, Dok. 1, Memorandum Baudets vom 21.7.1954, S. 1—8. Dem lag eine Fehlinterpretation zugrunde; eine derartige Trennung wurde nur als Rückfallposition für den Fall, daß Paris der EVG nicht bis Ende August 1954 zustimmen würde, ins Auge gefaßt; vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 983f., 985, 988f., 989f., 997-1016, 1016-1018. In der Unterredung zwischen Mendès France und Dulles vom 13. Juli 1954 ist eine derartige Trennung des ehemals französischen Junktims nicht angesprochen worden; vgl. ebd., S. 1018—1023. Auch Churchill drängte auf ein klares französisches Ja oder Nein ohne Verzug; er war auch nicht bereit, die ihm von Montgomery nachdrücklich begründet vorgeschlagenen zwei Monate zur innenpolitischen Konsolidie-
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Opposition und Obstruktion
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handlungen mit der Sowjetunion prüfen, ob diese nicht vermeidbar sei462. Daher stelle sich als Kernfrage, ob jetzt nicht Vier-Mächte-Verhandlungen vorrangig seien. Allerdings gebe man damit zu, daß auf den bisherigen Deutschlandkonferenzen trotz denkbarer sowjetischer Kompromißbereitschaft mit amerikanischem Druck bewußt zugunsten der Wiederbewaffnung ein jeweiliges Scheitern beabsichtigt gewesen sei. Doch selbst, wenn man bezüglich der Berliner Außenministerkonferenz Dulles' Absichten in Zweifel ziehe und der französischen Regierung keinen eigenen Standpunkt zurechne, habe zumindest Eden die Russen zureichend getestet: der westliche Vorschlag habe in der Wahlfreiheit des wiedervereinigten Deutschland auch die Möglichkeit der Neutralisierung enthalten. Dieser Vorschlag sei lediglich taktisch und er sei wertlos gewesen, wenn er nicht unter der Bedingung eines bis zum Abschluß eines Friedensvertrages weiterhin besetzten Deutschland gestanden hätte; insofern hätte die Sowjetunion, so vermutet Baudet, wie im Falle Österreichs auf Neutralisierung und Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze insistieren können. Aber die Preisgabe realer Macht in Ostdeutschland sei den Russen anscheinend dafür zu teuer gewesen. Neutralisierung und Friedensvertrag hätten sie als irreale Versprechungen eingeschätzt. Eden habe die sowjetische Position zutreffend charakterisiert: sie wolle allgemeine Sicherheit auf den zerstörten Fundamenten westlicher Sicherheit, ohne ihre harte politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle über Osteuropa auch nur im Geringsten aufzugeben. Nichts spreche für die von einigen geäußerte Annahme, daß Moskau durch innen- und außenpolitische Ereignisse seine Politik grundlegend geändert habe und zu nennenswerten Konzessionen bereit sei. Die scheinbare Entspannungspolitik sei nur Taktik und Propaganda. Französische Deutschlandpolitik dürfe nicht auf Spekulationen gründen. Ein »New Look« sowjetischer Politik müssen den Berliner Eden-Plan akzeptieren: freie Wahlen und Friedensvertragsverhandlungen. Eine bescheidenere sowjetische Politik hätte die ihr damit gebotenen Vorteile erkennen müssen: Aufrechthalten ihrer militärischen Macht in Osteuropa ohne Zwang zu einem Friedensvertrag. Dann aber hätte die Sowjetunion dementsprechend konstruktiv auf die westliche Note vom 8. Mai 1954 antworten können; statt dessen habe sie sich voller Mißtrauen nur um ihre eigene Sicherheit gekümmert. Wenn Frankreich also nicht auf eine Veränderung sowjetischer Politik spekulieren wolle, müsse es die weniger mißtrauischen Gemäßigten im Kreml zum Zuge kommen lassen. Schwäche bewirke nur größere Forderungen, und allein Stärke mache dort Eindruck.
Wenn Frankreich zielsicher sei und den westlichen Zusammenhalt stärke, könnten die Gemäßigten im Kreml notwendige Verhandlungen einsichtig machen und zwar auf der Grundlage der westlichen Note vom 8. Mai 1954. Den Russen schon vor der Sicherung westlichen Zusammenhalts Verhandlungen über Deutschland vorzuschlagen, sei höchst gefährlich. Sie wüßten, daß die Zeit für sie arbei—
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rung Frankreichs nach dem Indochina-Schock zuzugestehen; vgl. PRO, PREM 11/613, Tel. from Foreign Office to Geneva Conference (United Kingdom Delegation), No. 1471 (Churchill an Eden), Prime Minister's Personal Telegram [handschriftlich: no distribution], July 17, 1954, sowie nachfolgendes Tel. No. 1472 vom gleichen Datum mit Text des Schreibens Montgomerys an Churchill, ebd. Dies hatte Dulles vor EVG-Ratifikation Mendès France gegenüber jedoch ausdrücklich ausgeschlossen; vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1021.
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Teil B: Die Verbündeten
und suchten daher Zeitgewinn. Frankreich müsse deshalb erst die Widersprüche im westlichen Bündnis ausräumen. Vorher seien die Briten wahrscheinlich und die Amerikaner sicher nicht zu Vier-Mächte-Gesprächen bereit. Frankreich habe nicht die Möglichkeit, mit der Sowjetunion vor der Lösung des deutschen Wiederbewaffnungsproblems zu verhandeln, sondern müsse vor allem anderen den westlichen Zusammenhalt sicherstellen; diesbezüglich sei die EVG jedoch nicht unersetzlich. Vielmehr würde das Inkraftsetzen der EVG die westliche Allianz möglicherweise eher schwächen und die europäischen sozialistischen Parteien spalten. Es sei deshalb notwendig, den EVG-Vertrag zu ändern und zu verbessern, damit er eine und nicht entzweie. Mit einer bloßen Ablehnung der EVG gewönnen die Russen und die Kommunisten eine Schlacht mit unabsehbaren Folgen, würden die Deutschen einschließlich ihrer sozialdemokratischen Wähler an Frankreichs Aussöhnungswillen zweifeln; und die deutsche Regierung würde amerikanische Unterstützung sowie Verhandlungen mit den Sowjets für ihre nationale Einheit suchen, was in beiden Fällen den Frieden und Frankreichs Fundamentalinteressen in Frage stelle. Folglich müsse Frankreich zuerst mit Deutschland eine Lösung suchen, die weitgespannte öffentliche Zustimmung finde und die westliche Einheit bewahre. Die anderen Regierungen würden dann keine unüberwindbaren Hindernisse in den Weg legen. Ab sofort stelle sich daher das Problem rascher Kontaktaufnahme mit der deutschen Regierung, wobei die französisch-deutsche Verständigung sowie die Aufnahme Deutschlands in die westliche Gemeinschaft herausgestellt werden müssen, wenngleich ohne das bisherige Integrationskonzept. Mit einer derartig formulierten Zielsetzung hätten die französische und die deutsche Regierung gemeinsam eine Lösung zu suchen, die der Alternative EVG-Vertrag oder deutscher NATO-Beitritt auszuweichen erlaube. Ein entsprechender, kürzlich von Ollenhauer geäußerter Vorschlag ermögliche auch Adenauer einen neuen Vermittlungsversuch463, und eine sozialdemokratische Zustimmung könne die Einheit der europäischen sozialistischen Parteien fördern. Falls Adenauer sich nicht überzeugen lasse, könne man leicht eine Initiative der Sozialdemokraten bewirken. Sollte Adeauch in seiner Aversion gegenüber der SPD halsstarrig bleiben, könne man nauer ihn von seiner Sorge hinsichtlich einer sowjetisch-französischen Annäherung in der deutschen Frage befreien, indem ihm die deutsch-französische Verständigung versichert werde, wonach er sich kompromißbereit zeigen könne464. Der hier vorgeschlagene Weg konzentriere sich direkt und im Wesentlichen auf die Bonner Regierung; gleichzeitige französisch-britische Abstimmung sei zu gewährleisten. Zu einem geeigneten Zeitpunkt könne der Sowjetunion eine Garantie-Erklärung angeboten werden, wie sie bereits im Dezember 1953 von französischen, britischen und amerikanischen Experten ausgearbeitet worden sei. Moskau habe ebenso wie die Westmächte te
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Baudets Verweis auf Ollenhauers Äußerungen auf dem SPD-Parteitag am 21.7.1954, die den Schwerpunkt auf die Wiedervereinigung legten und eine nicht-diskriminierende Wiederbewaffnung alternativ eher in der NATO vorsahen, ist schwer nachzuvollziehen; daß Adenauer in sozialdemokratischen Vorschlägen in dieser Phase der EVG Anlaß zu Neuverhandlungen hätte sehen können, deutet ebenfalls auf eine schwerwiegende Fehlinterpretation deutscher Innenpolitik hin. Diese wie die unmittelbar daran geknüpften Annahmen können begründet bezweifelt werden.
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
243
auf der Genfer Konferenz die Erfahrung gemacht, daß Verhandlungen miteinander möglich seien. Wenn es der Sowjetunion nur um ihre eigene Sicherheit zu tun sei, könne sie den westlichen nicht notwendigerweise aggressiven Aktionen ihren Lauf lassen oder Besseres anbieten. Zwar dürfe der Genfer Dialog nicht unterbrochen werden; aber die Wiederherstellung des westlichen Zusammenhalts, der sehr stark durch die EVGStreitereien gelitten habe, müsse für Frankreich Priorität haben. Wenn Baudets Empfehlungen für die weitere Vorgehensweise das innenpolitisch übergreifende Bemühen von Mendès France um einen breiten Konsens in der Nationalversammlung wie in der französischen Öffentlichkeit hinzugefügt wird, dann entsprach das nachfolgende außenpolitische Handeln des französischen Regierungschefs im Großen und Ganzen dem hier vorgeschlagenen Konzept. Sein Hauptziel blieb während seiner gesamten Regierungszeit eine starke Stellung Frankreichs im einig starken Westbündnis. Unmittelbar nach Regelung des Indochinaproblems suchte er wenn auch vergeblich den so dringend erforderlichen Kontakt zur Regierung Adenauer465, um mit seinem deutschen Partner wenn auch in Fehleinschätzung der Bonner Ziele den EVG-Vertrag seiner supranationalen Elemente zu entkleiden und die französische Armee im Wesentlichen national in souveräner Verfügbarkeit zu halten. Anschließend sollte auf der Brüsseler Konferenz der Konsens mit den übrigen EVG-Staaten gesucht werden, was schon wegen Fehlens der deutsch-französischen Abstimmung nicht mehr gelingen konnte. Gespräche mit der Sowjetunion sah Mendès France nur sehr bedingt und nicht vor einer breiten Zustimmung zur modifizierten EVG zumindest in der ersten Lesung der Nationalversammlung vor466. Die vagen Hoffnungen auf sowjetische Konzessionsbereitschaft mit möglichst vermeidbarer westdeutscher Wiederbewaffnung und fortdauernder deutscher Teilung werden deutlich von innenpolitischen Zwängen in diesem Fragenkomplex überlagert. Die spätestens seit der Regierung Joseph Laniel öffentlich versprochenen Verhandlungen noch vor der EVG-Ratifikation opferte Mendès France sogar in einem ihm gerade noch durchhaltbar erscheinenden Maße. Und für den Fall des absehbaren Scheiterns von ohnehin wenig wahrscheinlichen Vier-Mächte-Verhandlungen wollte er die Sowjetunion als nicht ernsthaft verhandlungsbereit an den Pranger stellen, womit er die innenpolitische Tür zur Ratifikation einer kontrolliert begrenzten westdeutschen Wiederbewaffnung weit genug aufzustoßen hoffte. Daraus folgt für den entspannungspolitischen Ansatz von Mendès France, daß seine Variante einer Politik der Stärke im westlichen Schulterschluß zugleich eine klare Absaauch wenn dies damals in ge an einen französisch-sowjetischen Sonderweg enthielt und Brüssel kaum und noch in Den London, Haag weniger Washington und Bonn erkannt wurde. Dadurch, daß die sowjetische Europa- und Deutschlandpolitik vor wie nach dem —
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Vgl. Bérard, Un Ambassadeur, S. 560—569; Seydoux, Beiderseits des Rheins, S. 180; Adenauer, Erin-
nerungen 1953-1955, S. 272. £)¡e Aufforderung von Mendès France an Molotov vom 21.7.1954, die Initiative für Ost-West-Verhandlungen zu ergreifen, darf nicht überbewertet werden, da Mendès France erhebliche sowjetische Konzessionen zur Vorbedingung machte; vgl. zu seinem Gespräch mit Molotov DDF 1954, Dok. 12, Mendès France an François-Poncet, S. 37, sowie Girault, La France, hier S. 256; westliche Zusammenarbeit blieb ihm Voraussetzung, vgl. Soutou, La France, S. 468 f.
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Teil B: Die Verbündeten
Scheitern der EVG im Kontext interner Machtrivalitäten bemerkenswert unbeweglich agierte, ist allerdings auch nicht sonderlich präzise sichtbar geworden, in welchem Umfang die französische Regierung zu Konzessionen gerade auf deutsche Kosten, wie sie Adebereit gewesen wäre. Jedenfalls behielt für Mendès France der westnauer befürchtete liche Bündniszusammenhalt die durchgängige Priorität auch in innenpolitisch sehr schwierigen Situationen, wenn man die gesamte Regierungszeit bis zum Regierungswechsel im Februar 1955 mit einbezieht. Das ihm entgegengebrachte Mißtrauen ist insofern als im Kern ungerechtfertigt einzuschätzen467. —
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Militär- und
bündnispolitische Vorstellungen Entspannungspolitik, Abbau der Blockgegensätze und Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten blieben so ein Teil einer Außenpolitik, die nicht verwirklicht werden konnte. Nicht wenige wollten dieses Konzept jedoch durch eine Deutschlandpolitik abgestützt sehen, die diesen Staat möglichst lange als maßgeblich mitbestimmende Macht auf dem Kontinent ausschalten sollte. Obwohl die Sowjetunion ihr Einflußgebiet bis 1945 weit nach Mitteleuropa hatte vorschieben können, Deutschland dagegen zerschlagen war und seinen neuen Platz in der Völkergemeinschaft noch nicht wieder gefunden hatte, fürchteten weite Kreise in Frankreich, daß ein zukünftig wiedererstarktes Deutschland ein Störfaktor für eine europäische Gleichgewichtspolitik sein werde. Dem entsprach der Teil traditioneller Sicherheitspolitik Frankreichs, der Deutschland auch noch 1954 aus der Erfahrung dreier Kriege in fünfundsiebzig Jahren als Hauptgegner einschätzte. Eine militärische Bedrohung durch die Sowjetunion wurde von einer verständlichen, nichtsdestoweniger aus heutiger Sicht anachronistisch antideutschen Sicherheitspolitik teils verdrängt, teils überlagert, teils in der Bewertung der deutschen Gefahr unter- und nachgeordnet. Das gilt in erster Linie für die politischen Entscheidungszentren und die veröffentlichte Meinung. Die militärischen Lagebeurteilungen bewerteten das sowjetische Potential und seine Optionen in deutlich stärkerem Maße als Bedrohungsfaktor. So schreckten viele französische Militärs in Kenntnis der militärischen Kräfteverteilung weniger vor unter strengen Sicherheitsauflagen kontrollierten westdeutschen Streitkräften zurück als vor den nivellierenden Integrationselementen der EVG, die ihre als siegreich verehrte Nationalarmee mit dem Besiegten als Waffengefährten gemein machen sollte und vor allem den Einsatz der Streitkräfte zugunsten einer souveränen französischen Weltpolitik zu c.
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erschweren drohte468.
Dagegen wird das französische Bemühen um Dominanz in Europa durch Niederhalten Deutschlands und gute Beziehungen zur Sowjetunion betont bei Dockrill, Britain, S. 162 f. —Jedoch sprechen die ausgewählten Dokumente in den DDF 1954 und 1955 eher überzeugend für die hier vertretene These; vgl. u.a. Dok.No. 16, 49, 82, 104, 105, 136, 151, 176 und passim, bes. auch Dok. 307, Memorandum der Abteilung Mitteleuropa, S. 637 f. Ebenso die Darstellung, der wohl mehr als die angemerkten »Aufzeichnungen des Verfassers« zu Grunde liegen, bei Weisenfeld, Welches Deutschland, S. 67 f. Damit wird die bereits von Noack getroffene Feststellung zusätzlich gestützt; vgl. ders., Scheitern, S. 54 f. 468 Vgl. zur Haltung des französischen Militärs Guillen, Die französische Generalität, S. 125—157, sowie Delmas/Masson, Le gouvernement, S. 297—308. Aus deutscher Sicht vgl. die Berichte des deutschen militärischen Chefdelegierten bei den EVG-Verhandlungen, Speidel, und des stellvertretenden Vorsitzenden des Lenkungsausschusses, v. Etzdorf, in EVG-Korrespondenz und Niederschriften, sowie 467
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Opposition und Obstruktion
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Dies und die im Folgenden angesprochenen Sicherheitsbedenken führten im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende zu einer »Eindämmungspolitik à la Française gegenüber dem Nachbarn im Osten«469. Zum einen fürchteten einige nahezu jede militärische Aufrüstung der Bundesrepublik, was etwa mit der Formel vom »Wiedererstehen des deutschen Militarismus« auf einen Nenner gebracht wurde470. Zum anderen konnte nicht ausgeschlossen werden, daß ein Westdeutschland mit seinen offenen Grenzen im Osten, mit öffentlich immer wieder betonten Gebietsansprüchen »in den Grenzen von 1937« über das Territorium der Bundesrepublik Deutschland hinaus diese Ansprüche nicht nur nie aufgeben werde, sondern vielmehr eines nicht allzu fernen Tages etwa im Sinne einer so verstandenen »Politik der Stärke« die Bündnispartner womöglich auch militärisch in den Dienst dieser Forderungen stellen könne471. Gegen beides, unmittelbare militärische Bedrohung wie militärisches Abenteurertum, wurden die amerikanischen und englischen Garantien als nicht für alle Eventualitäten ausreichend betrachtet. Auch die Erklärungen des US-Präsidenten bezüglich einer garantierten amerikanischen Truppenstationierung in Europa vom 16. April und das Assoziationsabkommen der britischen Regierungen vom 13. April 1954 konnten französische Befürchtungen aus nachvollziehbaren Gründen nicht genügend zerstreuen. Ausmaß und Beständigkeit amerikanischer Verpflichtungen waren ungewiß. Die Erklärungen galten nur für die gegenwärtige US-Regierung und konnten schon wegen der amerikanischen Verfassung die US-Politik nicht auf längere Sicht binden. Unabsehbare Folgen waren zudem von aktuellen Überlegungen zu erwarten, nach denen amerikanische Truppen im Zuge neuer Überlegungen zur atomaren Strategie auch in Europa reduziert werden sollten. Und die britischen Assoziierungsabkommen mit der EVG wurden fast einhellig und zu Recht mehr als Dokumente des Fernbleibens Englands gewertet denn als vorsichtige Form einer allenfalls in vager Zukunft liegenden Mitgliedschaft. Daher fühlte sich Frankreich von Amerika und England letztlich mit West- und später womöglich mit einem wie auch immer begrenzten Gesamtdeutschland praktisch allein gelassen. Hinweise auf die übrigen EVG-Vertragspartner oder die ausbalancierenden Wirkungen eines Föderalismus innerhalb einer zukünftigen westeuropäischen Gemeinschaft klangen demgegenüber im zentralistisch geprägten Frankreich zu wenig überzeugend, wenn nicht abschreckend. Insbesondere hat das ostentative Abseitsstehen Großbritanniens bei allen Integrationsansätzen, die Frankreich und Deutschland zusammenzwingen sollten, die französischen Bedenken, sich an den besiegten Gegner von gestern zu binden, nachhaltig verstärkt. Folglich ist es verständlich, daß mehr oder weniger alle französischen Regierungen für den Fall einer deutschen Remilitarisierung extensive Sicherheitsgarantien und diskrimiEVG-Berichte bis 3.9.1954, in: BA-MA, BW 9/2296, BW 9/2300, BW 9/2317, BW 9/3059 und öfter. Zur öffentlichen Meinung in Frankreich in bezug auf Deutschland und die EVG vgl. Stoetzel, Evolution, S. 72—101; sein Beitrag basiert auf Befragungen des Institut Français d'opinion publique. Noack, Scheitern, S. 34. Vgl. ebenso für die französische Haltung in der Diskussion um die Stalin—
469
Note 1952 470
471
Meyer-Landrut, Frankreich, passim.
Als typischen Vertreter dieser dogmatischen Minderheitsposition vgl. Moch, Histoire, S. 17, und für August 1954 S. 331. Vgl. Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 71 und 76.
246
Teil B: Die Verbündeten
nierende Auflagen als Vorbedingungen forderten.
Zugleich erschwerte das von Paris unverhältnismäßig ausgeprägt geltend gemachte Sicherheitsverlangen eine vertragliche Einigung mit den Partnerstaaten; es bewirkte zugleich, durchaus gewollt, eine erhebliche Verzögerung des politischen und militärischen Wiederaufstiegs Deutschlands. Allerdings durfte tatsächlich eine ganze Reihe von französischen Anliegen, deren Paris nicht entraren zu können meinte, als nicht zureichend erfüllt angesehen werden. Auf dem personellen Sektor war zu befürchten, daß durch deutsche Mitarbeit im Bündnis auch der gefürchte-
deutsche Generalstab wieder erstehen würde472. Darüber hinaus konnte bei einer gemeinsamen Finanzierung des EVG-Haushalts ein über dem französischen liegender deutscher Beitrag Forderungen nach erhöhter Mitsprache durch vermehrte Stellenbesetzungen zur Folge haben. Wegen unterschiedlicher strategischer Interessen, die Westdeutschland wegen seiner politischen und geographischen Lage vorgegeben waren, mußte danach der Versuch erwartet werden, die Bündnisstrategie vornehmlich auf diese Gegebenheiten abzustellen. Empfand man die zukünftige westdeutsche Armee trotz zahlreicher Kontrollen generell als Bedrohung, so wurden diese Bedenken noch zusätzlich durch die Tatsache bestärkt, daß ein großer Teil der französischen Streitkräfte in Übersee u. a. in Indochina und Nordafrika gebunden war. Das mußte den deutschen Militärbeitrag auf dem europäischen Kontinent relativ um so stärker erscheinen lassen. Insbesondere warfen die umfangreichen und soweit sie auch Frankreich betrafen als allzu einengend empfundenen EVGVerpflichtungen das Problem auf, ob die mit Masse in die europäische Verteidigung einzugliedernden französischen Streitkräfte in einem multilateralen Genehmigungsverfahren rechtzeitig und in ausreichender Stärke für Frankreichs außereuropäische Aufgaben verfügbar sein würden. Dadurch drohte die französischen Position im europäischen wie im globalen Kontext absehbar geschwächt zu werden. Dies um so mehr, als eine mehr als nur in den Grundlinien übereinstimmende Außenpolitik der Vertragsparteien zumindest nicht sicher vorausgesetzt werden konnte. Und sollte sich die durchaus begründete Annahme bewahrheiten, daß die EVG so vehementen Zuspruch in Washington erfuhr, weil sie den Weg für eine Verminderung des militärischen US-Engagements in Europa frei machen sollte, so konnte das die französischen Probleme nur noch mehr komplizieren. Im Ergebnis wirkten sich daher die Autonomiebestrebungen in den französischen Überseebesitzungen auch aus dieser Sicht gegen die europäischen Einigungsbestrebun-
te
—
—
gen aus. Vor allem aber mußte es bei der zu erwartenden Stärke des westdeutschen Militärbeitrages nur eine Frage der Zeit sein, bis auch Bonn die allein ihm verweigerte Mitgliedschaft im größeren NATO-Bündnis zugestanden werden würde. Für die französische Generalität hatte die national verfügbare Eigenständigkeit ihrer Streitkräfte Vorrang, und sie war
notfalls auch schmerzhaften Entschlüssen zu kommen. Aus militärischen Gründen hatte sie sich einerseits schon im
gewohnt, aufgrund von nüchternen Lageburteilungen 472
zu
Vgl. dazu die deutsche »Sprachregelung hinsichtlich Wiedererstehung des deutschen Generalstabes« 13.10.1954, BA-MA, BW 9/2756, Dienststelle tion 15.4.-17.12.1954, Bl. 71.
vom
Blank, Abt. II, Unterabt. PL, Innere Organisa-
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
247
Frühjahr 1952 zu einem Einverständnis für den NATO-Beitritt Westdeutschlands durchgerungen, andererseits aber widersetzte sie sich spätestens von April 1952 an der Verwirklichung des EVG-Vertrages, weil sie unter anderem in diesem kleineren Rahmen ein Übergewicht Westdeutschlands befürchtete. Alle aufeinanderfolgenden französischen Regierungen schätzten dagegen eine Aufwertung der Bundesrepublik durch nahezu gleichberechtigte deutsche Militärkontingente besonders in der atlantischen Allianz bei allem internen Für und Wider als zu frühzeitig ein; so wollten sie diese vor allem aus innenund außenpolitischen Gründen um nahezu jeden Preis ob in der EVG oder in der vermeiden und zumindest verzögern473. NATO blieben von den entscheidenden Einschränkungen, die Frankreich gegen eine direkDamit te politische und militärische Bedrohung von Deutschland zugesichert haben wollte, wesentliche im Ungewissen zukünftiger Entwicklungen. Wie berechtigt viele Bedenken waren, zeigte sich in den internationalen Verhandlungen um die Westeuropäische Union und den von Frankreich gewünschten Rüstungspool nach dem Scheitern der EVG, wenn man auch wegen der geänderten politischen Rahmenbedingungen vor und nach dem 30. August 1954 den Vergleich nicht zu eng ziehen darf. Geradezu beispielhaft wurde —
—
das in Frankreichs Versuchen offenbar, seine Sicherheitsbedürfnisse auf dem Rüstungssektor anerkannt zu bekommen. Selbst bei der Beschränkung und Kontrolle der westdeutschen Rüstungsproduktion wurden die in die Verhandlungen auf einen WEURüstungspool gesetzten französischen Hoffnungen zu erheblichen Teilen nicht erfüllt. So verblieb ein allzu großer Anteil der öffentlichen Meinung und auch der hohen militärischen Führer in einer Art Unterlegenheitspsychose474; diese hätte vor allem dann vermieden oder zumindest vermindert werden können, wenn die spätestens von 1952 an vorangetriebene militärische Nukleartechnologie Frankreichs stärker öffentlich herausgestellt worden wäre. Die Geschäftsgrundlage des mit der EVG wie mit der WEU-Lösung verbundenen westdeutschen ABC-Waffenverzichts und der herausgehobenen Nuklearoption Frankreichs, die um die Jahreswende 1954/55 die französische Ratifikation nicht unwesentlich erleichtert haben dürfte, hätte bei größerer Transparenz der hinter den Kulissen getroffenen Nuklearentscheidungen auch in der Nationalversammlung schon eher den Sprung über die Hürde erheblich erleichtern können. Allerdings hätten auch dann wesentliche supranationale Elemente aus dem Vertragswerk ausgeklammert werden müssen; denn die begonnene Nuklearentwicklung verlangte eine nationale Armee unter souveräner Verfügungsgewalt, wie sie die Änderungsvorschläge von Mendès France auf der Brüsseler Konferenz dann auch konsequent vorsahen. Insoweit trug der nukleare Anteil französischer Außen- und Sicherheitspolitik sowohl zum Scheitern der EVG als auch gleichzeitig zur Akzeptanz des westdeutschen NATO-Beitritts bei475. 473
474
473
Vgl. Guillen, Die französische Generalität, S. 141—149 und passim, sowie v. Gersdorff, Nationales
militärisches Denken, passim. Guillen erwähnt eine französische zeitgenössische Analyse, wonach die Generalität »einen regelrechten Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Bundesrepublik Deutschland« gezeigt habe; vgl. ders., Die französische Generalität, S. 154. Vgl. zur französischen Nuklearrüstung Ailleret, L'aventure atomique, passim, sowie den Beitrag von Coutrot, La politique atomique, S. 309—316. Zum westdeutschen Kernwaffenverzicht als »uner—
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Teil B: Die Verbündeten
Die Festsetzung der westdeutschen Höchststärken, eingebettet in integrierte Streitkräfte unter gemeinsamem Oberbefehl, mit dem die operative Planung und Führung nach gemeinsam zu entwickelnden Grundsätzen festzulegen war, Einschränkungen und Kontrollen in der Rüstungsproduktion, gemeinsame Ausbildung und integrierter Einsatz des Führungspersonals und vieles mehr, was der EVG-Vertrag bis in genaueste Einzelheiten vorschrieb, konnte ohne Kenntnis der französischen Nuklearpolitik jedenfalls viele dogmatisch gegen jede deutsche Remilitarisierung festgelegte oder von unerfüllbar diskriminierenden Forderungen ausgehende Franzosen nicht davon überzeugen, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft insbesondere in Verbindung mit dem restriktiven Generalvertrag von 1952 ein längere Zeit brauchbares und wirkungsvolles Instrument zur Bändigung Deutschlands bieten würde. Nur eine allerdings beachtliche, vor allem im »Mouvement des Républicains Populaires« und in der »Section Française de l'Internationale Ouvrière« vertretene Minderheit derer, die sich Frankreichs Zukunft auch in einem integrierten Europa vorstellen konnten, traten öffentlich für den mühsam ausgehandelten Vertrag ein. Doch nicht einmal die treuesten EVG-Anhänger im M.R.P. stimmten am 30. August 1954 geschlossen für den Vertrag476. Für die Mehrheit in der Nationalversammlung hatte sich bis zum Sommer 1954 der Widerstand gegen eine deutsche Wiederbewaffnung »leidenschaftlich zu einer Art Ehrensache gesteigert«477. Die Hoffnungen auf weltpolitisch einflußreiche Mitsprache, die große Teile der französischen Führungsschichten seit Ende der vierziger Jahre in die Kooperation in internationalen Organisationen gesetzt hatten, waren bei weitem nicht im erwarteten Umfang in Erfüllung gegangen. Dementsprechend sank auch der Elan, mit dem noch 1950 die Europaarmee nicht nur als Bremse gegen eine deutsche Aufrüstung —
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läßliche[r] Kaufpreis für das gesamte Vertragswerk, der letztlich die französische Zustimmung ermöglichte«, vgl. Schwarz, Ära Adenauer, S. 251. Zur deutsch-französisch-italienischen Ministerübereinkunft zwischen den Verteidigungsministern Jacques Chaban-Delmas, Franz-Josef Strauß und Paolo Emilio Taviani von Januar 1958 bezüglich gemeinsamer Atomwaffenproduktion vgl. Strauß, Erinnerungen, S. 313—319; spätestens seit de Gaulles Regierungsübernahme galt jedenfalls wieder, daß —
Frankreich die
476
Nuklearrüstung brauche und Deutschland sie nicht bekommen dürfe. Abstimmungsergebnis vom 30.8.1954, aufgeschlüsselt nach Parteien, ist abgedruckt bei Volle, Agonie, S. 7123. Fraglich ist die Einschätzung bei Fauvet, der für 1952 und 1953 eine Ratifikation für möglich hält; vgl. ders., La IVe République, S. 229. Öffentliche Meinung und Willensbildung in der Nationalversammlung dürfen jedoch nicht gleichgesetzt werden; vgl. die u. a. nach pro-europapolitischen und historisch bedingt regional-antideutschen Meinungen differenzierende Untersuchung von Rioux, Französische öffentliche Meinung, passim. Die S.F.I.O. vertrat zwar programmatisch die europäische Einigungsidee; dennoch versagte auch sie wegen parteiinterner Gegensätze, wie sie damals in fast allen Parteien anzutreffen waren, und mit einer den Programmen widersprechenden politischen Praxis mehrheitlich der EVG die Gefolgschaft; zur Politik der S.F.I.O. in der IV. Republik vgl. die auf Quellen des Parteiarchivs basierende Darstellung von Quilliot, La S.F.I.O., hier bes. S. 103. Zu der für Mendès France schwierigen Mehrheitsbeschaffung bei den Abgeordneten der Nationalversammlung sowie insbesondere beim M.R.P. vgl. Bernstein, Le gouvernement, S. 109—119, und Zéraffa, Le Mouvement Républicain Populaire, S. 121—137. Beachtlich auch, daß etliche EVG-Gegner gegen den Absetzungsantrag vom 30.8.1954 gestimmt haben, weil sie ihre Gründe gegen die EVG noch darlegen wollten; vgl. Loth, Der Weg, S. 110. Das
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477
Ruehl, Adenauers Politik, S. 55.
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
249
kam, daß der Abstieg von einer Weltmacht zu einer Mittelmacht der Bevölkerung nur behutsam ins Bewußtsein gebracht werden konnte. Diese bittere Entwicklung sollte nun auch noch damit gekoppelt werden, daß Frankreich organisch verbunden würde mit dem Nachbarn im Osten, den man so oft als einen übermächtigen, unkontrollierbar dynamischen Gegner erlebt hatte. Das erwies sich für die französische Volksvertreter unmittelbar nach der Niederlage in Indochina als eine Überforderung unter Mißachtung des in derartigen Fragen so wichtigen Faktors Zeit, zumal der Zug der Zeit ohnehin zunehmend in Richtung betont nationalstaatlicher Außenund Sicherheitspolitk im Sinne de Gaulles wies. initiiert worden war. Hinzu
d. Von der Ablehnung der EVG zur Zustimmung zum westdeutschen NATO-Beitritt Weit stärkerer Widerstand als seinerzeit gegen den Schumanplan, der aus französischer Sicht ganz entscheidend von dem Gedanken getragen worden war, neben der Sicherung der eigenen Energieversorgung die deutsche Schwerindustrie als mögliche Basis einer erneuten Rüstungsproduktion kontrollieren zu können478, war daher gegen den EVGVertrag zu erwarten. Die Hoffnung, trotz eingeschränkten Handlungsrahmens eine eigenständige Großmachtpolitik auch und gerade gegenüber Deutschland durchhalten zu können, das Unbehagen, nicht nur in Übersee, sondern auch in Europa einem unaufhaltsamen Machtverlust gegenüberzustehen, die Furcht, an Deutschland gefesselt und dabei überspielt zu werden, die Enttäuschung, zahllose Sicherheitsgarantien im anstehenden Integrationsvorhaben nicht erfüllt zu bekommen, die Verbitterung gegenüber den AngloAmerikanern, mit den Besiegten auf einen Minderstatus zurückgeworfen zu werden, dies und vieles andere mehr wurde in der französischen Nationalversammlung ausführlich diskutiert und als schwerwiegend bewertet. Mit einer Ratifikation des EVG-Vertrages konnte deshalb angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse schwerlich gerechnet werden. Tatsächlich trafen sich in der Ablehnung der EVG Nationalisten, Traditionalisten, Deutschlandgegner, Kommunisten und viele andere. In allen Parteien verteilt stellten sie einen außerordentlich großen und schwer abzuschätzenden Risikofaktor für jeden Ministerpräsidenten dar, der dennoch den EVG-Vertrag zur Abstimmung bringen wollte. Mit dem Regierungsantritt von Mendès France trat ein personeller Faktor hinzu, der die Aussichten auf eine Ratifikation zwar angesichts der dargestellten strukturellen Faktoren kaum erheblich verschlechterte. Aber aller Voraussicht nach war von ihm auch keine sonderliche Unterstützung der EVG zu erhoffen. Denn sowohl im Parlament wie innerhalb seiner Regierung, die wie alle Regierungen der TV. Republik entsprechend der damaligen Verfassung in besonders ausgeprägter parlamentarischer Abhängigkeit zu agieren hatte, mußte der Ministerpräsident die starken Antipathien gegen die EVG berücksichtigen. Zudem vertrat er selbst eine Politik, die auf Bewahrung der Souveränität und Entfaltung eigenständiger Außenpolitik auf der Grundlage einer gestärkten Wirtschaft gerichtet war. 478
Vgl. ausführlicher Grosser, La Quatrième République, S. 237f., sowie unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen, die von der Diskussion um den deutschen Wehrbeitrag ausgingen, Henle, Vom Ruhrstatus, sowie Goschler/Buchheim/Bührer, Schumanplan, S. 171—206.
Teil B: Die Verbündeten
250
deshalb allenfalls, daß Mendès France an die Stelle der langjährigen von ihm versprochen, die den EVG-Vertrag der Nationalversammwie Hinhaltetaktik, lung zur Entscheidung vorlegen würde wie immer diese auch ausfallen mochte. Darin lag in gewissem Sinne ein Fortschritt. Denn immerhin hatten seine Vorgänger diesen Schritt, den sie realistisch als innenpolitischen Selbstmord einschätzten, bis dahin nicht gewagt und stets aufs Neue hinausgezögert479. Doch besonders in Washington und Bonn wurde dies nicht so gewertet. Hier stieß Mendès France auf ungewöhnlich tiefes Mißtrauen480. Ob die Ursachen dafür in der Person des Ministerpräsidenten oder in der Berichterstattung über ihn zu suchen sind oder ob eher das Geduldskonto Frankreichs bei den Partnern endgültig überzogen war: die neue Regierung bekam jedenfalls von Beginn an die nachdrückliche Forderung nach Ratifizierung der EVG zu spüren. Der auf Frankreich ausgeübte Druck schien sich aus französischer Sicht sogar fast zu einer »Einkreisung« zu verstärken. Beim amerikanisch-britischen Wochenendtreffen (Eisenhower/Dulles mit Churchill/Eden) Ende Juni 1954 quasi demonstrativ eine »kleine Deutschlandkonferenz« ohne Frankreich! kamen die beiden anglo-amerikanischen Mächte überein, die Bundesrepublik notfalls über Frankreichs Entscheidung hinweg für souverän zu erklären und darüber hinaus auch die Frage einer westdeutschen Aufrüstung gegen Frankreichs Vorstellungen in die Wege zu leiten481. Der Washingtoner Meinungsaustausch fand dann eine Konkretisierung bei dem Treffen amerikanischer und britischer Regierungsvertreter in London ab 5. Juli 1954, bei dem Frankreich ebenfalls nicht hinzugezogen wurde482. Diesem massiven amerikanisch-britischen Drängen folgte unverzüglich eine koordinierte, ostentativ verhärtete Haltung der Bonner Regierung gegenüber Paris, wie die Frankreich auf Ratifizierung des EVG-Vertrags drängenden Kabinettbeschlüsse vom 30. Juni 1954 deutlich machten483. Um keinen Zweifel an seiner harten Haltung aufkommen zu lassen und um die günstige Situation für seine eigenen Zielsetzungen zu nutzen, stieß Adenauer am 2. Juli nochmals in einem Interview mit Friedländer nach, in dem er Änderungen des EVG-Vertrages vor dessen Ratifikation zurückwies und warnend die Alternative einer allseits unerwünschten deutschen Nationalarmee apostrophierte484. Auch die Zu
erwarten war
—
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479
480
Zum französischen Ratifizierungsprozeß unter der Regierung Laniel/Bidault sowie zum parlamentarischen Prozedere vgl. Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 182—189. Das muß vor dem Hintergrund einer sonst ausgeprägteren Frankophilie der amerikanischen Diplomatie im allgemeinen und entsprechender Sympathien bei Dulles im besonderen bewertet werden; vgl. Oberndörfer, Dulles, S. 237; vgl. ähnlich auch für die britische Politik Vogelsang, Großbritanniens
481
482
483 484
Politik,
S. 46.
Vgl. »Die Ergebnisse der Washingtoner Besprechungen zwischen Eisenhower und Churchill«, EA 1954, S. 6757 f., FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 985-990, sowie »Agreed Minute on Germany and EDC«
zwischen Eisenhower und Churchill, FRUS 1952—1954, Vol. VI, Teil 1, S. 1126f.; während der Besprechung zwischen Dulles und Eden am 26.6.1954 stimmten beide überein, vor jeder Stellungnahme gegenüber Frankreich zuvor Adenauer zu konsultieren; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VI, Teil 1, S. 1077. Vgl. Kölnische Rundschau vom 5.7.1954; Die Welt vom 6.7. und 9.7.; Stuttgarter Zeitung vom 10.7.1954; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 997-1016. Vgl. FAZ vom 1.7.1954. Abgedruckt im Bulletin vom 3.7.1954; vgl. dazu Adenauers Erläuterungen in: Kabinettsprotokolle 1954, 38. Sitzung, S. 294 und S. 300f.
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
251
Benelux-Staaten und Italien ließen verlauten, daß ein neues Ratifizierungsverfahren wegen französischer Abänderungswünsche für sie nicht in Frage komme485. Damit zeichnete sich die Isolierung Frankreichs deutlich ab. Wollte Mendès France sein Ansehen nicht innenpolitisch verspielen, blieb ihm angesichts des als unzulässig empfundenen Druckes kaum eine andere Wahl, als sich ihm außenpolitisch nicht zu beugen. Mit dieser Absicht fuhr er dann auch am 18. August zur Brüsseler Konferenz der sechs EVG-Staaten486. Von seinen ebenfalls nicht mehr verhandlungsbereiten Vertragspartnern gibt das Tagebuch der Dienststelle Blank ein anschauliches Bild: »Der amerikanische Sonderbotschafter Bruce und der Hochkommissar Conant haben gestern mit dem Kanzler und Blank gesprochen und anscheinend den Rat gegeben, in Brüssel nein zu sagen [...] Die Niederlande sagen scharf nein und gehen darin so weit, daß sie den Verdacht haben, wir könnten zu einem Kompromiß bereit sein. Belgien sagt auch nein, läßt aber erkennen, daß es bereit sei, eine Vermittlerrolle zu übernehmen. Italien beabsichtigt, auch nein zu sagen. Wenn wir kraß ablehnen, kann dies das Ende des EVG-Projektes sein, wenn daraufhin die französische Nationalversammlung ablehnt. Wir können aber auch nicht ja sagen. Wir.müssen vor allen Dingen Klarheit schaffen. Der Bundeskanzler hat als Mitglieder der Delegation außer sich selbst nur die Herren Hallstein, Ophüls und Blank bestimmt. Der Sinn der kleinen Delegation ist, daß sie nicht verhandlungsfähig sein kann487.«
Die französische Reaktion auf diese Konstellation blieb nicht aus. Einmischungsversuche und außenpolitische Isolierung führten nicht zu einem positiven Votum in Paris. Vielmehr wurde nicht nur der EVG-Vertrag, sondern mit ihm zusammen das ganze Vertragswerk also auch der Generalvertrag in der Nationalversammlung vertagt, was einer Ablehnung gleichkam. Im massierten Druck zugunsten der supranationalen Integration hatte man vielerorts den Selbsterhaltungswillen von Nationalstaaten unter- und die Durchgriffskraft der westlichen Führungsmacht überschätzt. Nach der Ablehnung der Integrationslösung erwiesen sich nicht so sehr die Trümpfe der Vereinigten Staaten, die jetzt nicht gegen, sondern wenn auch etwas zögerlich mit Großbritannien ausgespielt werden konnten, als stärker. Vielmehr war offenbar das schwache Blatt Frankreichs offenkundig ausgereizt. Das Veto der Nationalversammlung erweckte noch ein letztes Mal in dieser langdauernden Agonie des EVG-Vertragswerkes den Eindruck eines freien Entschlusses. Doch Mendès France hatte die außenpolitische Initiative verloren und mußte die Ausgestaltung von Souveränität und Wiederbewaffnung Westdeutschlands im wesentlichen so übernehmen, wie sie die amerikanisch-britisch-deutschen Vorstellungen vorsahen. Das galt für die der Bundesrepublik zugestandenen Souveränitätsrechte im geänderten Generalvertrag, für die Wiederbewaffnung im —
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Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 5.7.1954; vgl. bereits für den 21.6.1954 FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 976—978. Italien hatte den Ratifikationsprozeß u.a. in der Hoffnung auf größere Zugeständnisse in der Triest-Frage nur zögerlich betrieben; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VIII, S. 239-589. 486 Vgl. Spaak, Memoiren, S. 228; Werth nimmt dagegen an, daß Mendès France erst mit der Brüsseler Konferenz zum eindeutigen Gegner der EVG geworden ist; vgl. ders., Der zögernde Nachbar, S. 459; wahrscheinlich waren weder persönliche EVG-Präferenzen noch der außenpolitische Tauschwert für Mendès France ausschlaggebend; er hielt vielmehr die innenpolitischen Zwänge für ausweglos und hat von daher die EVG ohne Bedauern aufgegeben; vgl. DDF 1954, Dok. 81, Memorandum Baudets mit Annexes der Rechtsabteilung und der Abteilung Mitteleuropa vom 19.8.1954, S. 179—183. 487 BA-MA, BW 9/2527—5, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II, Eintrag vom 18.8.1954; vgl. auch
485
FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1046 f.
Teil B: Die Verbündeten
252
Nordatlantikvertrages sowie weitgehend auch für Art und Umfang der Rüstungskontrolle innerhalb der Westeuropäischen Union. Selbst noch in der Problematik der Saarregelungen, bei denen Frankreich ohne nennenswerte anglo-amerikanische Unterstützung nur mit Mühe sein noch verbliebenes Übergewicht als Siegermacht in die bilateralen Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland einbringen konnte, waren die Fernwirkungen der verlorenen politischen Initiative zu verspüren. Ein solches Ergebnis hatte Mendès France bei dem ihm innenpolitisch aufgezwungenen spektakulären Alleingang zwar nicht erwartet. Doch daß sein außenpolitischer Spielraum ebenfalls eng werden würde, war ihm frühzeitig klar. Schon vor dem Votum der Nationalversammlung hatte er insbesondere in seinen Gesprächen mit der britischen Regierung zu erkennen gegeben, daß vordringlich der Bundesrepublik weitgehend Souveränität zuzuerkennen und danach auch deren Wiederbewaffnung nicht zu umgehen sei488. Selbst ein Beitritt Westdeutschlands zur NATO schien ihm im Gespräch mit Rahmen des
Churchill und Eden in Chartwell nolens volens als Alternative zur EVG erwägenswert489. Jedenfalls gewannen die britischen Gesprächspartner den sicheren Eindruck, daß Mendès France »was even
very definite that a France which rejected the E.D.C. would that on German entry into N.A.T.O«490.
never
dare
to
reject an
alternative
Die Äußerungen des französischen Regierungschefs in Chartwell, wie konkret auch immer sie formuliert worden sein mögen, stehen jedoch in einem doppelten Bedingungszusammenhang: Zum einen hatte die britische Seite zuvor deutlich gemacht, daß ihrer Ansicht nach der »German entry into N.A.T.O. would be the best alternative solution«491; zum anderen hatte die innenpolitisch paralysierte französische Außenpolitik in der Frage der westdeutschen Wiederbewaffnung Initiative und Weichenstellung faktisch an die britische Regierung abgegeben. Aufgerieben zwischen massiven amerikanischen Pressionen, wie sie etwa von Dulles und Bruce ausgeübt wurden, sowie dem der amerikanischen Führung folgenden Bundeskanzler und den Europafixierten wie Hallstein, Monnet und Spaak blieb Frankreich als letzte Zuflucht nur Großbritannien492, dem sich die kanadi488
Vgl. DDF 1954, Dok. 81, Vorschläge des Kabinettchefs Philippe Baudet an Mendès France für den
Fall des Scheiterns der Brüsseler Konferenz vom 19.8.1954, S. 179f.; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 978f.; PRO, PREM 11/618, Foreign Office and Whitehall, WU 1197/783 G., Conversations at Chartwell with Mendès France on 23rd August, 1954; Spaak, Memoiren, S. 229; Alphand, L'étonnement, S. 251.
489
49(3 491
492
PRO, PREM 11/618 (wie vorige Anm.); das französische Wortprotokoll ist hier weniger ausführ-
lich und gibt kein eindeutiges Bild einer Zusage, gegebenenfalls nach einem Scheitern der EVG den Beitritt Westdeutschlands zur NATO zu ratifizieren; vgl. DDF 1954, Annexes (21 juillet—31 décembre), Chapitre V, Conversation Franco-Britannique, Chartwell, 23 août 1954, S. 131—138. Vgl. PRO, PREM 11/618 (wie Anm. 488), S. 2. Vgl. ebd.; Edens Erinnerungen erwähnen diese dezidierte Aussage etwas schwächer in einem konditionalen Gefüge und sprechen das damit verbundene Problem der »safeguards« nicht gebührend deutlich an; vgl. Eden, Memoiren, S. 178 f. Zum Insistieren Edens und Kirkpatricks gegen Churchill auf eine Lösung nur mit und nicht wie amerikanische Überlegungen suggerierten ohne Frankreich, vgl. beispielsweise PRO, PREM 11/618, Tel. from Paris to Foreign Office, No. 542 (Mr. Reilly), August 13, 1954: Reilly »said that
—
—
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
253
sehe Regierung wie so oft im Hintergrund auf einen erträglichen Konsens hin vermittelnd anschloß493. Es wird hier nicht die These einer französisch-britischen »Achse« vertreten, sondern lediglich darauf aufmerksam gemacht, daß das Wechselspiel zwischen vergleichsweiser verständnisvoller britisch-französischer Zusammenarbeit und starker französischer Abhängigkeit von der Londoner Kooperationsbereitschaft vor dem Scheitern der EVG stärker als bisher zu gewichten ist494. Mendès France konnte sich daher darauf verlassen und baute ganz offensichtlich auch darauf, daß er nach der absehbaren parlamentarischen Zurückweisung des EVG-Vertrages nicht in eine von Washington und Bonn bestimmte »Politik des leeren Stuhls«495 geraten würde. Vielmehr durfte er davon ausgehen, daß er mit britisch-kanadischer Unterstützung an einer damit notwendig werdenden neuen Lösung beteiligt würde496. Das galt —
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[gemeint ist sein Gesprächspartner Mendès France; d. Verf.] knew that Her Majesty's Governwished France to be fully associated with any action made necessary by rejection of E.D.C«. Das war keineswegs eine höfliche Floskel, sondern entsprach der bis dahin noch durchgehaltenen Linie Edens (nicht: Churchills); dementsprechend machte Kirkpatrick Churchill auf die gravierenden Folgen eines anglo-amerikanischen Vorpreschens ohne Frankreich eindringlich aufmerksam; vgl. PRO, PREM 11/618, [Churchills] Note for Foreign Office and Ministry of Defence, August 20, 1954 (mit Churchills Überlegungen, den westdeutschen Beitritt in eine »revised N.A.T.O.« notfalls auch gegen und ohne Frankreich vorzuschlagen, um damit der Gefahr eines »agonised reappraisal« Dulles' zu begegnen), sowie ebd., Kirkpatrick an Prime Minister, PM/IK/54/145, August 20, 1954. 493 Zur kanadischen Unterstützung des französischen Regierungschefs vgl. PAC, RG 2, A5a, Cabinet Conclusions No. 6/54, September 1st, 1954, TOP 24 und 25. European Defence Community, sowie PRO, PREM 11/618, Tel. from Brussels to Foreign Office No. 207 (Sir C. Warner), August 21, 1954, Pkt. 7.; he
ment
494
vgl. auch DDF 1954, Dok. 110, Botschafter Guérin an Mendès France vom 30.8.1954, S. 231-233. Die britische Kooperationsbereitschaft wurde in Frankreich gerade in diesen schweren Wochen aufmerksam und dankbar begrüßt, zumal in Überschätzung des britisch-französischen Schulterschlusses mehr Manövrierraum angenommen wurde als verfügbar war; vgl. Mendès France, Choisir, S. 75 f., und Massigli, Comédie, S. 443—450; nach der französischen Vertagung der EVG-Ratifizierung setzten Churchill, Eden und das Kabinett allerdings dann doch eher ohne Frankreich auf die deutsche Karte; vgl. PRO, CAB 128/27, C.C. 58 (54), 1.9.1954, S. 2f. Vgl. auch die zutreffende These, wonach eine britisch-französische Entente cordiale 1954 für London überhaupt nicht in Frage kam, bei Väisse, La Grande
495
496
Bretagne, S. 279-286. »The idea of the »empty chair« was not mine but Foster Dulles' suggestion of filling the gap if E.D.C. fails otherwise than by making a different variant of NATO to which the Americans, to my surprise, declared themselves opposed«, PRO, PREM 11/771, Brief (Private and Secret) Churchills an Pug [i.e. Lord Ismay, d. Verf.], 8 February, 1954. Allerdings stieß Dulles damit auf offene Ohren bei Churchill, der Frankreich damals ohnehin kein gleichwertiges weltpolitisches Mitspracherecht zubilligen wollte. Zu Dulles konkretem Vorschlag einer Politik des leeren Stuhls gegenüber Frankreich vgl. FRUS 1952— 1954, Vol. V, Teil 1, S. 1060f. und 1069f. Zur britischen Reaktion gegen jede weitere Isolierung Frankreichs vgl. PRO, PREM 11/618, Minute to the Prime Minister from Sir I. Kirkpatrick, commenting on Mr. Dulles' message to the Prime Minister, M. Spaak and M. Mendès France (Telephoned by Mr. Palliser to No. 10 Downing St. for transmission by telephone to Chartwell at 2 p. m. on August 22). Zur französischen Perzeption und Reaktion vgl. DDF 1954, Dok.Nr. 92, Mendès France an FrançoisPoncet, S. 201 f., Dok.Nr. 98, Massigli an Mendès France, S. 209f., und Dok. Nr. 107, Bonnet an Mendès France, S. 227f.; Mendès France wurde wahrscheinlich erst in Chartwell und anschließend über seine Botschaft in London am 24. und 26.8.1954 hinreichend deutlich über das von den Briten geplante Vorgehen informiert; vgl. DDF, Dok.Nr. 91, Massigli an Mendès France, S. 200f., Dok.Nr. 96, de Crouy-Chanel an de Margerie, S. 206f., und Dok.Nr. 102, de Crouy-Chanel an Parodi, S. 217.
254 um so
Teil B: Die Verbündeten
mehr, als er ja selbst für eine von Frankreich bisher strikt abgelehnte Aufnahme
der Bundesrepublik in die NATO bereits seine halbe Zusage gegeben hatte. Insofern waren die Weichen auch für diese Auffangposition schon vor und noch deutlicher unmittelbar nach dem Dissens der Brüsseler Konferenz gelegt, wenn auch noch nicht gestellt. Weil auch und gerade für Mendès France der atlantischen Allianz größte Bedeutung für jede französische Außenpolitik zukam, zeichnete sich bereits frühzeitig die Richtung einer wahrscheinlichen Alternativlösung ab, wie sie Eden in bester Kenntnis der Prioritäten des französischen Regierungschefs dann zum Erfolg führte. Und ganz in diesem Sinne betonte Mendès France dementsprechend die »Stärkung des Atlantikpaktes« in seiner sorgsam vorbereiteten Ansprache an die Nationalversammlung unmittelbar vor der Ablehnung des EVG-Vertragswerkes497. Sein Vorgehen erweckte den Anschein, als »spielte die Konstruktion Europas keine Rolle«498. Dieser Eindruck ist insoweit richtig, als der europaintegrative Ansatz, in dem sich Frankreich angesichts des westdeutschen Wiederbewaffnungsproblems seit 1950 zunehmend beengender verfangen und verstrickt hatte, seine die Bundesrepublik niederhaltend kontrollierende Funktion mit jedem Zugeständnis gegenüber westdeutschen Forderungen nach Gleichberechtigung nicht nur zu verlieren drohte, sondern aus französischer Sicht zukünftig einem deutschen Übergewicht in einem integrierten Europa Tür und Tor öffnete. Für Mendès France kam ein derartiger Sprung ins kalte Wasser ohnehin erst in Frage, wenn Frankreich seine Wirtschaft konkurrenzfähig modernisiert haben würde499; für die Mehrheit in der Nationalversammlung und noch ausgeprägter für die hohe Ministerialbürokratie schien vor allem der Verzicht auf außenpolitische Autonomie in wichtigen Sektoren als keineswegs unausweichlich500; und die Generalität wollte ihre ungeschmälerte Verfügungsgewalt über Armee wie Strategieentscheidungen weniger denn je zu einem Zeitpunkt aufgeben, zu dem die hoffnungsvoll angelaufene französische Nuklearoption uneingeschränkte nationale Souveränität zwingend voraussetzte501. Längerfristig blieb jedoch das Problem der Kontrolle Deutschlands durch europa-integratives Einspinnen auf der Tagesordnung. Weniger die instrumentale Hilfskonstruktion 497
498 499
Vgl.
seine
Ansprache,
übersetzt
abgedruckt
in EA 1954, S. 7123.
Monnet, Erinnerungen, S. 503. Vgl. Kuisel, Mendès France, S. 369—381.
Konsequent auch in dieser Frage lehnte dann Mendès France ebenfalls in der Ratifizierungsdebatte 1957 die von der Regierung Mollet vorgelegten Römischen Verträge ab, weil er die französische Wirtschaft gegenüber der deutschen als noch nicht hin—
konkurrenzfähig einschätzte. Vgl. Bloch-Lainé, Mendès France, S. 53—57, sowie detaillierter und prononcierter Guillen, Frankreichend
500
501
reich, passim.
nuklearpolitischer Faktoren im französischen Entscheidungsprozeß vgl. Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 188 und 195 f. Auch die Empfehlung des französischen Generalstabs vom 11.9.1954 für eine aus finanziellen Erwägungen als innerhalb der NATO europäisch integrierte Atomstreitmacht zielte auf ein »Mittel zur Wahrung nationaler Unabhängigkeit«, Soutou, Die Nuklearpolitik, S. 607. Gerade Mendès France maß einem nuklearen und strategischen »tripartisme« mit Amerika und Großbritannien aus Einfluß- und Statusgründen, um sowjetisches Verhandlungsinteresse wachzuhalten und um ein zukünftiges deutsches Übergewicht auszutarieren, besondere Bedeutung zu; vgl. Soutou, La France, S. 467 f. Zur Bedeutung
—
—
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
255
des WEU-Vertrags als die europapolitischen Fortschritte, die in der Unterzeichnung und Ratifikation der Römischen Verträge 1957 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten, weisen deutlich genug darauf hin, daß die französische Außenpolitik wirtschaftliche, europaund nuklearpolitische Vorteile der Integration zwar punktuell in der objektiv überaus schwierigen Situation von 1954 nicht koordinieren konnte, aber anschließend in erstaunlich kurzer Zeit und in einer günstigeren Gesamtkonstellation dann doch noch realisieren wollte und konnte. Im Vertrauen darauf, daß die deutsche Frage ohne Frankreich nicht gelöst werden, eine westeuropäische Verteidigung auf französisches Hinterland und Potential nicht verzichten und der angelsächsische Wunsch nach einem langfristigen amerikanischen Engagement auf dem europäischen Kontinent eine brüskierende Isolierung Frankreichs nicht lange durchhalten könne, hatte Mendès France die außenpolitischen Risiken für leichter steuerbar eingeschätzt als die innenpolitischen Zwänge. Vor der Alternative seines unmittelbaren Sturzes als Regierungschef und den zu erwartenden internationalen Verwicklungen hat er nicht geschwankt, zumal es keineswegs zwangsläufig war, daß die durch französisches Zögern und schließliches Verweigern hochgetriebenen außen- und innenpolitischen Kosten ihn Monate später doch um sein Amt bringen würden502. Die aktuelle Tagespolitik fragte nicht, ob ihm dabei Gerechtigkeit widerfuhr. Im Rückblick sind Zweifel angebracht. Von übersteigerten französischen Erwartungen befreit und in die Kontinuität der Außenpolitik Frankreichs gestellt, nehmen sich die gefundenen Lösungsmuster letztlich doch konsequent und entsprechend der damaligen internationalen Konstellation nicht ganz erfolglos aus. Zu einem insgesamt positiven Urteil kann man aus französischer Sicht insbesondere dann kommen, wenn der Maßstab weniger von antideutschen wie antiamerikanischen Ressentiments und statt dessen positiv gewendet vom Wunsch nach Bewahrung nationaler Souveränität bestimmt wird, was ja für die damaligen französischen Entscheidungen den Ausschlag gegeben hat. Während Frankreich ein souveräner Staat bleiben konnte, brauchte der Bundesrepublik Deutschland nur eine allerdings sehr weit gehende Teilsouveränität zugestanden zu werden. Der Weg zur Großmacht blieb für Frankreich offen, für Deutschland weiterhin durch politische und militärische Vetomöglichkeiten Frankreichs blockiert. Frankreichs Außenpolitik blieb im Wettstreit mit den Großmächten frei für seine weltweiten Interessen, für seine Interessen in der Deutschlandpolitik und im Verhältnis zu den osteuropäischen Staaten. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland dagegen blieb nicht nur formal bündnisabhängig, sondern solange die ungelösten nationalen Fragen im Zentrum der außenpolitischen Handlungsmaximen Bonns standen auch materiell zu Wohlverhalten bis in Details angehalten. Die französische Sicherheitspolitik behielt einen beachtlichen Spielraum, wovon die französischen Regierungen rüstungstechnisch und militärstrategisch vor allem im Bereich der —
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—
—
302
EVG-Ratifizierung in der Nationalversammlung brachte er bis zum 30.11.1954 unter Schwierigkeiten noch zuwege; vgl. die lebendig geschilderte und reichlich dokumentierte Analyse des Meinungsumschwungs in Parlament und Presse bei Hoffmann, Les oraisons funèbres, S. 59—87. Der Rat der Republik ratifizierte erst nach dem Rücktritt von Mendès France vom 5.2.1955 am 24.3.1955. Die
256
Teil B: Die Verbündeten
Nuklearbewaffnung Gebrauch machten. Dagegen unterlag die Bundesrepublik Deutschland der fast vollständigen Integration in die NATO und dem Verbot einer eigenen Nuklearrüstung. Die dadurch gesicherten verteidigungspolitischen Kontrollmöglichkeiten verstärkten die außenpolitische Abhängigkeit Westdeutschlands weit stärker als die Frankreichs.
Wenn auch der Abstand zwischen Sieger und Besiegtem zehn Jahre nach Kriegsende erheblich vermindert wurde, verblieb doch ein klarer Rangunterschied. Wesentliche Startvorteile Frankreichs konnten mit Aussicht auf Beständigkeit festgeschrieben werden, wenn sich auch aus dem Gegner von gestern zunehmend ein konkurrierender Partner entwickelte. In der Gesamtbilanz dürfte nach dem EVG-Veto für Frankreich nicht wesentlich mehr
erreichbar gewesen sein, wenn es außenpolitisch möglichst frei bleiben wollte. Und genau dies forderte die Kontinuität der französischen Außenpolitik. Schließlich konnte sich die neue Tradition deutsch-französischer Zusammenarbeit auf dem zunächst nationalstaatlichen Weg sogar kontinuierlicher und evolutionärer entwickeln als in einer zu frühen und vorerst zu weitgehenden Integration. 2. Adenauers
begrenzte Rücksichtnahme
auf die deutsch-französische
Verständigung
Zur personellen und institutionellen Beratung Ende August 1954 erwiderte Adenauer dem Bonner Röntgenologen Dr. Peter Thurn, der die Chancen der EVG in Paris vor dem Hintergrund der internationalen Konstellation günstig einschätzte: »Sagen Se dat nicht, der Mendès France ist 'ne Mediterraner, und die sind ganz unberechenbar503.« Was die Anekdote an personenbezogenen Vorbehalten pointiert, beeinflußte bereits kurz nach dem Regierungsantritt des französischen Ministerpräsidenten Adenauers Urteil über die französische Politik und erscheint in nahezu unverminderter Gestalt in seinen »Erinnerungen« wieder:
a.
»Gegen Mendès France war ich mit tiefer Bitterkeit erfüllt. Ich hatte Zweifel, daß in Frankreich europäische Politik betrieben würde, solange Mendès France an der Macht war. Nach meiner Überzeugung war Mendès France antieuropäisch eingestellt. Ich äußerte Hoyer Millar gegenüber meine Bedenken und wies darauf hin, daß man sicher mit dem Widerspruch von Mendès France gegen den Eintritt Deutschlands in die NATO rechnen müsse504.«
Und das Urteil, das er im nachhinein auf Ende September 1954 datiert, darf für sein Urteil während der gesamten Regierungszeit von Mendès France stehen: »Die persönliche Zuverlässigkeit von Mendès France wurde mit großem Mißtrauen betrachtet505.« 503 304
303
Henkels, Doktor Adenauers, S. 46. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 300; »the Chancellor's suspicions had been revived and that he considered that Mendès-France's object was to sabotage E.D.C«, PRO, PREM 11/618, Tel. from
Bonn to Foreign Office No. 633 (Mr. Allen), August 18, 1954. »Adenauer replied by reiterating concern re Mendès France's motives which he had expressed to me so often in past«, FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, Conant an Department of State vom 13.9.1954, S. 1181. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 317; vgl. auch Kabinettsprotokolle 1954, 37. Sitzung, S. 275, Anm. 8; 38. Sitzung, S. 295f. und S. 300, sowie die unterschiedlichen Einschätzungen im Kabinett, ebd., 36. Sitzung, S. 265f., Anm. 33, und 38. Sitzung, S. 301, Anm. 50.
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
257
Zwar verweigerte das komplexe Wechselspiel innerhalb der deutsch-französischen Beziehungen eine personale Verkürzung auf griffige Pauschalurteile. Die differenzierte parteipolitische Landschaft, die diffusen Meinungsströmungen der IV. Republik, in deren Bann die Politik ihrer kurzlebigen Regierungen stand, und die davon abzuleitenden Ziel-Mittel-Divergenzen erschwerten ganz besonders für die französische Deutschland- und Europapolitik konzise Interpretationen, aus denen der Bundeskanzler zuverlässig außenpolitische Konsequenzen hätte ziehen können. Aber gerade aus der subjektiven, stets auch personenbezogenen Betrachtungsweise Adenauers wird neben den strukturellen Bedingungsfaktoren die Komponente der individuellen politischen Akteure für ihn hier besonders deutlich. Während er mit den ihre Außenpolitik formulierenden und steuernden Personen wie Eisenhower und Dulles, weniger dagegen bei Churchill und Eden über Jahre hinweg die für seine Politik jeweils gegebenen Hemm- und Förderfaktoren anschaulicher und einprägsamer verknüpfen konnte, häuften sich für ihn in bezug auf Frankreich Interessengegensätze und Personenwechsel. Auch wenn sich mancher Regierungswechsel im Kern auf ein Personenkarussell im Reigen der zu besetzenden Regierungsämter beschränkte und der qualifizierte administrative Unterbau ein Gutteil Kontinuität gewährleistete, verwirrten den Kanzler die mit den Handelnden wechselnden Verlagerungen der Schwerpunkte und die damit verbundenen Ungewißheiten zukünftiger Entwicklungen. Mit dem Regierungsantritt von Mendès France und der von Adenauer so lang erwarteten Entscheidung der Nationalversammlung über das Pariser Vertragswerk von 1952 war hier offensichtlich ein Kulminationspunkt erreicht, der besonderes Interesse verdient. Als Beispiel seien in diesem Zusammenhang Informationsstand und Informationsverarbeitung anhand der Behandlung des EVG-Vertrages herausgegriffen. Über Adenauers zumindest nach außen hin so zuversichtliche Einschätzung der Chancen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Paris sowie über sein Verhalten vor und nach dem schweren Rückschlag seiner Europapolitik durch die französische Ablehnung sind verschiedene Thesen enwickelt worden, die seine Lagebeurteilung und sein Vorgehen zu erklären versuchen. Zum einen werden Erklärungen für das Fehlen von Kompromißbereitschaft bei Adenauer in den Wochen vor dem Scheitern der EVG gesucht, da diese harte Haltung im Gegensatz zum ansonsten so vordringlich vorgetragenen Verlangen nach deutsch-französischer Annäherung stand. Zum anderen nimmt die Forschung vom Ergebnis in Paris angeblich überrascht bestürzt an, daß der Bundeskanzler und niedergeschlagen an seinen Rücktritt gedacht haben soll506. So stellt Lothar Ruehl fest: »Adenauer war in jener kritischen Zeit, in der seine gesamte Außenpolitik mit seinem Konzept von Westeuropa in Paris auf dem Spiel stand, unzu—
306
—
Zum Eindruck, Adenauer trage sich mit Rücktrittsabsichten, vgl. Krones Tagebucheintrag, eine Bemerkung Globkes wiedergebend, bei Gotto, Neue Dokumente, S. 135; zur Niedergeschlagenheit des Bundeskanzlers vgl. v. Eckardt, Ein unordentliches Leben, S. 300 f., Gaus, Zur Person, Bd 2, S. 53, sowie Poppinga, Erinnerungen, S. 117. Gegen eine Überraschung spricht Adenauers eigene Schilderung der Ereignisse: »Ich rief sogleich das Kabinett und die Vorsitzenden der an der Regierung beteiligten Bundestagsfraktionen zu einer Sondersitzung nach Bühler Höhe ein«, Adenauer, Erin—
nerungen 1953—1955, S. 292.
258
Teil B: Die Verbündeten
reichend und einseitig unterrichtet507.« Tatsächlich nimmt die Information von Seiten des in Frankreich für die EVG eintretenden MRP einen auffällig breiten Raum in den verfügbaren Akten ein. Der geheime Brief Robert Schumans an Adenauer, den Ruehl erwähnt, stellt insoweit nur wegen der ungewöhnlichen Verfahrensweise einen bemerkenswerten Höhepunkt, nicht aber eine völlig untypische Besonderheit dar508. Auch Jean Monnet scheint einer der französischen Ratgeber gewesen zu sein, die Adenauer zu einer »einheitlichen Haltung der übrigen fünf EVG-Partner« geraten haben, um das Projekt zu retten509. Heinrich v. Brentano führte noch im Juli 1954 Gespräche u. a. mit dem Generalsekretär der S.F.I.O., Guy Mollet, und dem Vorsitzenden des MRP, Pierre Henri Teitgen; beide waren bezeichnenderweise Befürworter der EVG und hofften auf die Ratifizierung510. Neben solchen irreführenden Lagebeurteilungen und Ratschlägen aus Frankreich hat auch »der Einfluß von diplomatischen Amateuren aus der deutschen Industrie und aus dem Großbankenbereich, von CDU-Protegés in Europaratkreisen und CDU-Abgeordneten, die sich im Straßburger Europarat von französischen Gesinnungsgenossen in ihren optimistischen Ansichten bestätigen ließen«, zur Fehlbeurteilung beigetragen511. Und Baring stellt heraus: »Neben Felix von Eckardt, Walter Hallstein und Franz Josef Strauß hat auch Heinrich von Brentano den Bundeskanzler in der verfehlten Auffassung bestärkt, alles werde schon gut gehen, wenn man Frankreich gegenüber fest bleibe512.« Ob Felix v. Eckardt wirklich diesem Kreis zuzurechnen ist, scheint fraglich; er selbst erinnert sich, daß er dem Bundeskanzler noch während der Brüsseler Konferenz das Scheitern der Verträge vorausgesagt habe, falls der Kanzler nicht zu tiefgreifenden Kompromissen bereit sei513. Anzunehmen ist dagegen der durch nichts zu erschütternde Optimismus von Staatssekretär Hallstein, der sich möglicherweise im eigenen Hause über die Situation in Frankreich nicht hinreichend unterrichten ließ514. 307 308 309
Ruehl, Adenauers Politik, S. 56 und 88. Ebd., S. 56f; vgl. auch aus zeitgenössischer Sicht Volle, Agonie, S. 7116. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 283; zu Monnet vgl. Noack, Scheitern, S. 72, 92 f. Zu Informationen, die Adenauer von Strauß aus dem Freundeskreis von Pinay erhielt, vgl. Strauß, Erinnerungen, S. 260 f.
310
311
Vgl. Baring, Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, S. 137—141 bzw. S. 410f. Adenauer nennt im CDUBundesvorstand auch den Staatsekretär im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Dr. Peter-Paul Nahm, als einen seiner Informanten, der kurz vor der Abstimmung des EVG-Vertrages in Frankreich Gespräche geführt hatte; vgl. Adenauer, Wir haben, S. 252. Ruehl, Adenauers Politik, S. 88; vgl. auch mit weiteren Quellennachweisen Maier, Die internationalen
512
Auseinandersetzungen, Sehr verehrter Herr
S. 213.
Bundeskanzler,
S. 136. So verfehlt war diese Auffassung im übrigen davon ausgeht, daß Adenauer seit gar nicht, wenn man wie unten in Abschnitt C. I. dargelegt März 1954 intern, seit Juni 1954 auch in der diplomatischen Vorbereitung, EVG und Europagedan-
Baring,
—
—
hintangestellt hat; aber so waren ja die Ratschläge damals nicht gemeint. Eckardt, Ein unordentliches Leben, S. 299 f. ken
513 314
Botschafter Hausenstein schreibt drastisch von einem »primitiven Optimismus« Hallsteins, wobei die Ausdrucksweise durch gegenseitige Animositäten gefärbt, der Tatbestand aber wahrscheinlich getroffen ist; vgl. ders., Pariser Erinnerungen, S. 107; Dehler erwähnt am 10.9.1954: »Persönlichkeiten, die Bescheid wissen, kommen nicht zum Vortrag, d. h. Hallstein benutzt den Apparat über-
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
259
Auswärtigen Amt Adenauer zuarbeitenden Personen hielt Ophüls mit am längsten an der Hoffnung fest, doch noch supranationalen Lösungen den Weg bereiten zu können. Er unterstützte entsprechende französische Vorstellungen, die im Herbst 1954 im Rahmen von NATO und WEU von der deutschen Verhandlungsseite als systemfremd abgelehnt wurden, bis er zum Jahreswechsel 1954/55 bei den anstehenden Verhandlungen über den »Rüstungspool« von Wirtschaftsminister Erhard abgelöst wurde515. Ob zu dem Kreis der »Integrationisten« um Hallstein und Ophüls, die durch ihre hierarchischen bzw. fachlichen Schlüsselstellungen Informationen und Meinungen im Auswärtigen Amt zugunsten supranationaler Ansätze beeinflussen konnten, auch Grewe zu zählen ist, erscheint nicht sicher; daß Hallstein ihn seit dem Frühjahr 1954 damit beauftragt hatte, Alternativen zur Integrationslösung zu entwickeln, spricht eher dagegen516. Auf hier angeführte und weitere irreleitende Informationen für den Bundeskanzler stützt Von den im
sich die bisher vertretene These, daß Adenauers EVG-Politik in ihrer letzten Phase auf einer mehr als unzureichenden Informationsbasis beruhte. Diese Annahme ist im folgenden zu überprüfen. Zunächst einmal ist die Überlieferung der Reaktion Adenauers nicht eindeutig und widerspruchsfrei. Außerdem enthalten die zeitgenössischen Beobachtungen vermutlich auch einen Teil von Projektionen der eigenen Ratlosigkeit, die sicher bei vielen in der Bundesrepublik größer war als bei Adenauer. Daß der Regierungschef, der sich auf der Bühler Höhe ganz den Vorgängen in Frankreich widmen konnte, alsbald sein Kabinett einberief und zur innenpolitischen Konsolidierung auch die Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsparteien hinzuzog, weist jedenfalls eher in Richtung Tatkraft als auf tiefsitzende Resignation. Sodann erreichten den Bundeskanzler keineswegs nur positive Nachrichten über die Aussichten einer Ratifikation in Paris. Hervorzuheben sind hierzu vor allem die »regelmäßig sehr skeptisch gestimmten« Berichte der Deutschen Diplomatischen Vertretung in Paris517. Die Rapporte erstellten meist der für die französische Innenpolitik zuständige Gesandtschaftsrat Paul Frank und der Botschaftsrat Gebhardt v. Walther518. Sie boten stets den neuesten Stand und enthielten oft zusammenfassende Analysen, etwa über Alternatiworschläge und Berichterstattungen in Ausschüssen der französischen Nationalversammlung; diese Unterlagen ermöglichten eine außergewöhnlich genaue Übersicht über
haupt nicht«, FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1954—1960, S. 87; zurückhaltender bereits Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 330. 315 Der Spiegel 2 (1955) bezeichnet Ophüls wegen dessen »unentwegter Europa-Freudigkeit« als Adenauers »Chef-Integrator«; zum Wechsel Ophüls—Erhard vgl. Noack, Der Rüstungspool, S. 9; zur erfolgreich durchgehaltenen Position Erhards vgl. dessen Schreiben an Adenauer vom 18.10.1954, Ablichtung (5 Blatt) im MGFA. 316 Anders unter dem Aspekt einer »Hierarchisierung der Meinungsäußerungen« Noack, Scheitern, S. 90f. Grewe selbst nimmt für sich vorausschauende Skepsis in Anspruch (wofür auch Quellenmaterial spricht), vgl. ders., Rückblenden, S. 194 und 738 f. 317 So die Einschätzung durch Botschafter Hausenstein in seinen Pariser Erinnerungen, S. 107. Bestätigt wird dies auch durch die nachträgliche Bewertung von Ruehl, der anscheinend die Originalakten mit Randnotizen des Kanzlers hat einsehen können, vgl. ders., Adenauers Politik, S. 88, Anm. 7. 318 Vgl. Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 34f., und ders., Sehr verehrter Herr Bundeskanzler,
S. 409 f.
260
Teil B: Die Verbündeten
die wesentlichen Revisionswünsche der verschiedenen französischen Parteien und Fraktionierungen sowie über die in der internen Auseinandersetzung ausschlaggebenden Argumentationen bis hin zu Auffassungen einzelner Abgeordneter519. Zusammen mit den veröffentlichten Abstimmungsergebnissen in den Ausschüssen der Nationalversammlung konnte so ein erstaunlich genaues Lagebild des Stimmenverhältnisses von Gegner und Befürwortern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft rekonstruiert werden520. Abgerundet wurde dieses Bild durch zahllose aufschlußreiche Gesprächsaufzeichnungen521 und Erkenntnisse, die von den Mitgliedern der »Deutschen Delegation beim Interimsausschuß für die Organisation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft« nach Bonn gemeldet wurden522. 319
Abschriften, Druchdrucke etc. an die Dienststelle Blank enthalten z. B.: BA-MA, BW 9/2298, EVG-
Korrespondenz der Deutschen Delegation beim Interimsausschuß für die Organisation einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, (Speidel, v. Kessel), 19.5.1953—14.4.1954; BW 9/2859, Handakte Blank, Revisionswünsche und Stellungnahmen zur Ratifikation des EVG-Vertrages 1953—1954; BW 9/2838, Handakte Blank, Franz. Äußerungen zur EVG, Situation in der franz. Nationalversammlung,
Jan.—Juli 1954, [darin enthalten u.a. eine namentliche Aufstellung der Abgeordneten mit ihrer geschätzten Haltung in der EVG-Frage vom April 1954: in der Summe 205 dafür, dagegen 403, einige nicht einzuordnen; man vergleiche die präzise Prognose mit dem Abstimmungsergebnis vom 30.8.1954!]; BW 9/2858, Handakte Blank, Alternativ-Vorschläge zum EVG-Vertrag 1954; BW 9/2300, EVG-Berichte (v. Etzdorf und Speidel) 29.6.-3.9.1954; BW 9/2869, abschließende Stellungnahme der Bundesregierung zu den französischen Anwendungsprotokollen zum EVG-Vertrag August 1954, Bl. 26—101. 520 Bis zum 13. August stimmten in fünf Ausschüssen insgesamt 123 Abgeordnete gegen und nur 77 für den Vertrag, EA 1954, S. 6876. Am 25. August stimmt der Industrieausschuß mit 22 zu 9 Abgeordneten gegen den Vertrag, EA 1954, S. 6916. 521 Das gilt besonders von den Berichten v. Etzdorfs; die Aufzeichnungen Speidels, v. Kessels und Ophüls' enthalten allerdings überwiegend Gesprächsnotizen über EVG-Befürworter. Adressaten waren meist das Auswärtige Amt und die Dienststelle Blank; dazwischen findet sich jedoch auch erhellende privatdienstliche Korrespondenz. Die gegenseitige Information erfolgte üblicherweise im Durchdruckverfahren; ansonsten wurde meist unverzüglich eine Abschrift gefertigt; dies oft auf Initiative von Herren der Dienststelle Blank, von denen vor allem v. Kielmansegg die Verbindung zum Auswärtigen Amt pflegte. Die nicht immer reibungslose Zusammenarbeit zwischen Blank in seiner Eigenschaft als Delegationsleiter der Deutschen Delegation in Paris und dem mit der Federführung beauf322
tragten Hallstein in Bonn wurde so auf Abteilungsleiter- und Referentenebene oft geschmeidig abgestützt, vgl. BA-MA, BW 9/2046, Bl. 42, sowie BW 9/3066, Bl. 102. Eingehende »Depeschen« wurden oftmals Adenauer unmittelbar und unverzüglich vorgelegt, so daß etwaige Filterwirkungen durch das Adenauer direkt beratende Personal nicht ganz so schwerwiegend ins Gewicht gefallen sein dürften; vgl. aus der Vielzahl der eingehenden Berichte im entscheidenden Zeitraum des Sommers 1954: BA-MA, BW 9/2299, Dienststelle Blank, Abt. II, Unterabt. 1, EVG-Korrespondenz, dt. Del. beim Interimsausschuß für die Organisation einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Tgb.Nr. 232—22—578/geh., Durchdruck für die Dienststelle Blank Bonn, Paris, 10.6.1954 (Hasso v. Etzdorf), Bl. 238f.; dt. Del. beim Interimsausschuß, Tgb.Nr. 232—00-E596/54 geh., Die französische EVG-Politik im Zeichen von Ersatzlösungen und Kompromissen, Paris, 18.6.1954 (H. v. Etzdorf), Bl. 240—245; Der Militärische Chefdelegierte, Aufzeichnung über Gespräch mit Armeegeneral de Larminat am 23.6.1954, 11 Uhr, Paris 23. Juni (1954), (gez. Dr. Speidel), Bl. 287 f.; dt. Del. beim Interimsausschuß, 232—00A-596/54, Die EVG in der französischen Öffentlichkeit, Paris, 25.6.1954, Bl. 293-296; BW 9/2295, Dienststelle Blank, Abt. II, Unterabt. 1, EVG-Dokumente, Interimsausschuß 11.6.1952—2.8.1954 (Auswärtiges Amt) Abt. 2/21, 232—00/22/177/54 g, Aufzeichnung betr. EVG in Frankreich; Stand Ende Juli 1954 (gez. Ophüls), Bonn, 30.7.1954, —
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
261
gab es allerdings Informationsengpässe. Besonders die persönliche Haltung des Ministerpräsidenten gegenüber der EVG blieb nicht nur in Bonn lange Zeit unklar. Das lag teilweise daran, daß sich Mendès France fast nur von seiner engsten Umgebung beraten ließ und auch den Quai d'Orsay nur wenig in die EntScheidungsprozesse mit einbezog523. Teilweise war es auch durch seinen Arbeitsstil bedingt, der nicht vieles gleichzeitig, sondern ein Problem nach dem anderen auf die Agenda setzte. Und dorthin gelangte das EVG-Problem erst nach der Erledigung der Indochina-Frage, also verhältnismäßig spät. Seinen Kabinettsrat befaßte er erstmalig am Abend des 10. August 1954 mit diesem Komplex524. So nahmen Kabinett und Ministerialbürokratie in Paris den Entscheidungsprozeß mit Verzögerung auf. Das erklärt neben anderem, weshalb die In Teilbereichen
Außenministerien im Ausland die französische Position nur schwer ins Kalkül ziehen konnten: Beschlüsse faßte die Regierung Mendès France erst sehr spät. Es scheint dennoch nicht unmöglich, wenn auch eher unwahrscheinlich, daß Adenauer Ende August 1954 aus der Gesamtheit der Informationen heraus noch mit einer reellen Chance für die Ratifikation in der Nationalversammlung gerechnet hat. Seine in der bisherigen Forschung durchgehend apostrophierte Zuversicht konnte sich meines Erachtens aber nur auf den Deutschland-Vertrag und die chancenreiche Entwicklung in der nahen Zukunft bezogen haben. Nun ist freilich nicht auszuschließen, daß Adenauer gewissermaßen »gegen sein besseres Wissen« die eingehenden Informationen nicht »sachgerecht«, sondern »willensgerecht« aufnahm und sich damit einem »willentlich selektiven Wissensstand« auslieferte525. Ein geringes Verständnis der innenpolitischen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten in Frankreich, auf die besonders Ziebura hinweist526, mag ihn ebenso dazu verführt haben wie seine Neigung, politisches Geschehen vorrangig Personen zuzurechnen und damit Politik unangemessen zu personalisieren527. Adenauer erlag immerhin der Versuchung, die Ablehnung der EVG mit der Politik von Mendès France zu personifizieren, anstatt in ihm richtiger vor allem den Vollstrecker widerstreitender Strömungen in der öffentlichen Meinung und in den Parteien Frankreichs zu sehen528. Bl. 276-279; BW 9/2558, Dienststelle Blank, Abt. 11, Unterabt. 1, Zusatzprotokolle zum EVG-Vertrag 26.12.1952 20.7.1954, Abschrift Telegramm aus Luxemburg an Auswärtiges Amt, Nr. 46, 27. Juli 1954 betr. Gespräch Bourgès-Maunoury mit Minister Etzel (gez. Ophüls/Jung), Bl. 49 f. Vgl. BA-MA, BW 9/2300, Bericht v. Etzdorf, 12.8.1954, Bl. 109. Ebd., Fernschreiben v. Etzdorf, 10.8.1954, Bl. 132, und Tel. Hausenstein, 10.8.1954, Bl. 138. So Noack in seiner Analyse dieses »faszinierenden Kapitelfs] politischer Psychologie in diesem an Täuschungen und Selbsttäuschungen reichen Entscheidungsprozeß«, vgl. ders., Scheitern, S. 85—93, Zitat S. 85. Vgl. Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 61, S. 181 und S. 80; ähnlich auch Grosser in seiner Einleitung zu Konrad Adenauer 1876/1976, S. 20; als Beispiel vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 288-302. Vgl. Aufzeichnungen von Heinrich Krone, in Gotto, Neue Dokumente, S. 158; zur Verurteilung von Mendès France vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 300 und 302, sowie Ruehl, Adenauers Politik, S. 56. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 266—288 und besonders S. 300; vgl. auch den Hinweis auf Adenauers Argwohn gegenüber Mendès France, weil dieser nicht zur »Gesellschaft der Europäer« gehörte, bei Grosser, Bündnis, S. 154. —
523 324
325
526
327
528
262
Teil B: Die Verbündeten
Demgegenüber erscheint die realistische Skepsis, die Adenauer schon seit März 1954 der EVG-Ratifikation entgegenbrachte529, um so bemerkenswerter. Seine Zweifel wurden zwar im Rhythmus hoffnungsfroher Nachrichten und Einschätzungen gemildert, doch sie blieben vorherrschend. Keinesfalls wird man die zweckoptimistischen Äußerungen, die der Bundeskanzler etwa in den Kabinettsitzungen oder gar in Presseinterviews gab, überschätzen dürfen. Sie hatten den offensichtlichen und gegenüber der Presse ausdrücklich gewünschten Zweck, die Unruhe im Regierungslager nicht virulent werden zu lassen bzw. der Opposition und der Öffentlichkeit nicht zusätzliche Angriffsflächen zu einer Zeit zu bieten, in der Westdeutschlands chancenreiche Möglichkeiten für die —
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EVG und mehr noch für Alternativen im internationalen Kräftefeld weiter reifen mußten. Weniger Adenauers Hoffnung als seine Zweifel sind also bis zum Ende der EVG zu betonen. Denn die eingehenden Berichte stellten von Sommer 1954 an insgesamt deutlich genug die nahezu hoffnungslose Situation in bezug auf die EVG heraus. Hier soll auf drei der wesentlichen Ursachen für die außergewöhnlich intensive Unterrichtung des Bundeskanzlers über das schattierungsreiche Stimmungsbild in Frankreich hingewiesen werden. Zum einen verfügte die Deutsche Diplomatische Vertretung in Paris über kenntnisreiches und urteilsfähiges Personal; das war in Washington und London allerdings ebenso. Zum anderen hielten sich im Zuge der EVG-Verhandlungen (einschließlich Interimsausschuß) eine nach Qualität wie Quantität beachtlich starke Delegation aus den verschiedenen Bonner Ministerien und Ämtern in Paris auf, die z. T. sehr aufschlußreiche Kontakte knüpfen konnte. Doch ausschlaggebend war wohl, daß die außenpolitischen Kontroversen während der IV Republik im allgemeinen und über die Deutschland- und Europapolitik im besonderen sehr offen in der privaten Diskussion, in der Nationalversammlung und in der Presse nach dem Muster »jeder gegen jeden« ausgetragen wurden. Auch dies zeigt deutlich, wie zutiefst aufgerührt und vielfältig gespalten Frankreich war. Insgesamt läßt sich die These eines unzureichenden Informationsstandes des Bundeskanzlers daher nicht mehr aufrecht erhalten. Die hier aufgestellte Gegenthese ist, daß er vielmehr 1954 bis in die Details und Nuancen der politischen Landschaft Frankreichs eine ganz außergewöhnlich intime Kenntnis erhalten hat, die er auch zu Entscheidungen umzusetzen in der Lage war. Das führte zu schwerwiegenden Konsequenzen, die Adenauer aus der auf den ersten Blick verfahrenen EVG-Konstellation für seine Europapolitik und für seine Sicherheitspolitik zog. Seine unbeugsame Haltung der Regierung Mendès France gegenüber hatte ihre Ursachen am wenigsten in vergeblichen Hoffnungen und auch nur zum geringen Teil in Mißverständnissen oder persönlichen Antipathien. Entscheidend waren die noch zu analysierenden Chancen, die der Kanzler am politischen Horizont aufziehen sah und die ihm attraktiver für Westdeutschland erschienen als die von Frankreich geforderten zusätzlich diskriminierenden Zugeständnisse zur Rettung der europäischen Integration. So spricht vieles dafür, daß Adenauer schon weit vor der Brüsseler Konferenz und seinem Gespräch mit Mendès France bei dieser Gelegenheit von der französischen Regierung keine entscheidende Wende mehr erwartet hat530. Die Folgen für sein lange verfolgtes Ziel eines 329
530
Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, S. 410 mit Hinweis auf Schlange-Schöningen. £r rechnete mit der bisher immer hinausgeschobenen Vorlage des EVG-Vertrages in der National-
Vgl. Baring,
III. Frankreich zwischen
263
Opposition und Obstruktion
frühestmöglichen NATO-Beitritts werden weiter unten im Zusammenhang seiner außenpolitischen Prioritätensetzung diskutiert. Eine Synthese der gleichzeitig sich entfaltenden und überlagernden Informationsströme
mit den Perzeptionen Adenauers entzieht sich einfachen Reduktionsformeln. Doch wenn man die Betrachtung einschränkt auf die Auswirkungen, die sein Kenntnisstand und seine Bewertungen der französischen Absichten und Möglichkeiten auf seine Frankreichpolitik hatten, können folgende Deutungen festgehalten werden: Aus den überdurchschnittlich reichhaltigen Berichten unterschiedlicher Provenienz zog der Bundeskanzler im Ergebnis überwiegend zutreffende Schlüsse; dabei tarierte er Widersprüchlichkeiten der Informationen aus Frankreich und etwaige wunschgerechte Selektionen innerhalb der Informationsverarbeitung des Auswärtigen Amtes weitgehend selbständig aus; dafür verfügte er offenbar über eigene Maßstäbe, mit denen er Realitätsgehalt und Prognosewert von Informationen gewichtete. Seine treffsichere Lagebeurteilung über das zu erwartende Schicksal der EVG datiert bemerkenswert früh und läßt sich auf Grund der Aktenlage spätestens auf März 1954 festlegen. Sein personenzentriertes Politikverständnis, das insbesondere in seiner Abneigung gegenüber der Politik von Mendès France nachvollziehbar ist, hat nur eine sekundäre Rolle gespielt. Wichtigste Ursache für Adenauers harte Haltung gegenüber Frankreich spätestens ab Anfang Juni 1954, also noch während der Regierung Laniel, bleibt die oben dargestellte amerikanische Europapolitik und der noch zu analysierende Wechsel Adenauers in seiner Konzeption. Die sich nach dem Regierungsantritt von Mendès France verstärkt fortsetzende Kompromißlosigkeit Adenauers hatte allenfalls marginale Ursachen in persönlichen Antipathien. Sie hat seine politische Konzeption nicht entscheidend beeinflußt. Der Wechsel seiner Konzeption, der sich mit dem Auftrag an Hallstein und Grewe, Alternativlösungen jenseits des EVG- und Deutschland-Vertrages zu entwickeln, im Frühjahr 1954 andeutete, baute jedenfalls konsequent auf seiner im Wesentlichen zutreffenden Beurteilung der französischen Politik auf.
b. Ostpolitische Interessenunterschiede Adenauer argwöhnte, »daß Frankreich aus dem westlichen Lager ausbrechen«531, daß insbesondere »Mendès France Zeit gewinnen wolle, um ein sowjetisches Gespräch zu führen«532, in dem die EVG »als ein Kompensationsobjekt bei den Verhandlungen mit den Russen« eingesetzt werden würde533. Sein Argwohn gegenüber der französischen Politik
Versammlung, kaum jedoch mit seiner Ratifikation; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 283. Adenauers Äußerungen im CDU-Bundesparteivorstand dürfen hier nicht überbewertet werden; zum einen formuliert er selbst hier noch mit angemessen gedämpften Optimismus, zum anderen hätte er mit stärker geäußerter Skepsis Alternativvorstellungen diskutieren müssen und das wollte er auf gar keinen Fall; vgl. Adenauer, Wir haben, S. 116f., 142f. und 236f. 531 —
332
Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 266. Ebd., S. 317; siehe auch Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 486, und weitere Verweise im Sachregister unter dem Stichwort »Frankreich traditionelles Zusammengehen mit Rußland«, sowie
Poppinga, Erinnerungen, S. 170—174. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 268. —
333
Teil B: Die Verbündeten
264
selten so ausgeprägt wie zwischen Sommer und Winter 1954. Die historisch gewachsene psychologische Belastung, die aus seinen traumatischen Ängsten vor einer erneuten französisch-russischen Einkreisung sprach534, gehört zu den wichtigsten Motiven, aus denen nicht nur seine lange Zeit weit entgegenkommende Frankreichpolitik, sondern auch der epochal neue Ansatz seiner Europapolitik verständlich wird. Auf Frankreich lasteten nicht weniger traumatische Ängste. Sie artikulierten sich im übersteigerten Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland. Die daraus resultierenden Konsequenzen führten zu entgegengesetzten außenpolitischen Strategien. Adenauers unumgängliche Aufgabe, beide Nationen zusammenzuführen, hätte ihm damals fast unerreichbar erscheinen können. Von daher wird seine Zuversicht hinsichtlich einer ersprießlichen deutsch-französischen Zusammenarbeit mehr auf sein Wollen als auf sein Wissen zurückzuführen sein. Denn wo der Bundeskanzler die Isolierung der Sowjetunion betrieb, da bemühte sich Frankreich, wenn auch ohne großen Nachdruck und ohne nennenswerte konstruktive Resonanz des Kreml, um Annäherung im Zeichen der Entspannung im allgemeinen und um französisch-russische Verständigung im besonderen. Wurde in Bonn gegen die Potsdamer Konstellation Front gemacht, legte man in Paris gesteigerten Wert auf VierMächte-Vereinbarungen. Wo Westdeutschland die Grenzen von 1937 bis zur Regelung in einem Friedensvertrag als gültige Rechtsbasis betonte, da ließ Frankreich kaum Zweifel daran, daß es Grenzrevisionen auf Kosten des neu erstandenen Polen nicht unterstützen werde. Die von allen westdeutschen Parteien lautstark geforderte Wiedervereinigung belebte in Paris latente Befürchtungen vor deutschen Hegemonieansprüchen. Der Status quo der deutschen Teilung wurde in Bonn als unerträglich und als mit aller Kraft anzupackende nationale Aufgabe herausgestellt; auf der anderen Rheinseite wurde das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges dagegen als vorteilhafte, seit je von der französischen Außenpolitik erstrebte Zerstückelung Deutschlands gewertet, die beizubehalten nicht unvorteilhaft erschien. militäriEs war auch und gerade die so unterschiedliche Bewertung der doppelten schen und ideologischen Bedrohung, die dem Kanzler ein Verständnis für die französische Haltung nicht leicht gemacht hat. Sein Ziel, den weltpolitischen Ost-West-Konflikt zu stützen, um ihn zu nützen, solange er noch internationale Schubkraft bot, begegnet uns hier im flankierend eingesetzten Mittel der deutsch-französischen Annäherung wieder. Zutreffend erkannte man in Bonn und Paris die ambivalenten Wirkungen der Spannungen zwischen den Blöcken und bewertete sie gegensätzlich: Sie stabilisierten die Teilung Deutschlands und gaben zugleich der Bundesrepublik vorteilhafte Chancen, ihren Status aufzuwerten. Letzteres prägte die am Rhein vorrangig gepflegten deutschamerikanischen Beziehungen, was an der Seine anti-amerikanische Vorbehalte mit antideutschen Ressentiments in dem Ziel zusammenfließen ließ, den gerade im Sommer 1954 überdeutlich spürbaren amerikanisch-deutschen Druck auszubalancieren. Man könnte die Liste der Gegensätzlichkeiten ohne große Mühe erweitern und verfeinern: die Schnittpunkte der gegenläufigen Handlungslinien liegen stets zwischen Koordinaten der Ausweglosigkeit. Je stärker z. B. bezüglich der Wiederbewaffnung und war
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334
Vgl. Schwarz, Adenauer und Europa, S. 477 und 480f.; vgl. vom
29.11.1954, in Gotto, Neue Dokumente, S. 184.
auch den
Tagebucheintrag bei Krone
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
265
besonders bezüglich der Souveränität Deutschland werden wollund trieb es doch gleichzeitig es die Zustimmung Frankreichs desto mehr brauchte te, in Vetopositionen und in die Versuchung französisch-sowjetischer Bündnispolitik. Einfache und überzeugende Lösungen, das wußten die Akteure in beiden Hauptstädten, würden über eine Angleichung der ostpolitischen Zielsetzungen beider Länder nicht zu finden sein. Der tiefgreifende Zielkonflikt war dem Bundeskanzler deutlich bewußt. Doch bei den Konsequenzen, die er daraus zu ziehen hatte, mußte er auch die eigenen innenpolitischen Fesselungen nicht zuletzt in der Saarfrage mitbedenken.
je ungebundener
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Französische Befürchtungen eines deutsch-sowjetischen Zusammengehens für den Preis der Wiedervereinigung konnte er in Paris nur zum Teil zerstreuen. Zwar sprach seine gesamte Politik dafür, daß er diesen Weg tatsächlich grundsätzlich ablehnte. Aber aus französischer Sicht, die die Einheit der Nation für sich so hoch bewertete, mußten Zweifel bleiben, ob nicht Adenauers konsolidierende Westpolitik letztlich doch vor allem in den Dienst aktiver Ostpolitik gestellt werden sollte. Und erwähnte der Bundeskanzler nicht selbst, wenn die Taktik konkreter Verhandlungssituationen ihm dies geraten scheinen ließ, daß möglicherweise seine Nachfolger, besonders aber seine jeweiligen innenpolitischen Gegner solchen Versuchungen nicht widerstehen würden, wenn die ausgehandelten Verträge von 1952 nicht bald in Kraft gesetzt würden? Noch weniger konnte er die Befürchtungen, die in Frankreich mit dem Gedanken an die von der Bundesregierung geforderten Wiedervereinigung verbunden wurden, neutralisieren. Dazu hatte die nationale Frage nicht nur in der Opposition, sondern auch im eigenen Regierungslager noch eine allzu wählerwirksame Anziehungskraft. Alles, was er hier tun konnte, um das Spannungsverhältnis zwischen innenpolitischen Forderunund noch in einer außenpolitischen Begrenzungen gen erträglichen Balance zu halten, mußte in Vertröstungen auf baldige bessere Zeiten hier und Vertagungen auf in weiter Ferne liegende Termine dort münden. Jedes andere Vorgehen hätte leicht eine der beiden Seiten verprellen können. Die darin liegende Doppeldeutigkeit, die hier die Wiedervereinigung als lediglich zeitlich nachrangig, dort die Westeuropapolitik mit ihrem Kern in der deutsch-französischen Zusammenarbeit als auch faktisch vorrangig erscheinen lassen wollte, konnte auf beiden Seiten nicht recht überzeugen wohl aber, und darin lag der taktische Teil dieser Konzeption, die Problematik der Wiedervereinigung aus dem Zentrum der aktuellen Politik immer wieder in den Hintergrund drängen. Die Kosten dieses Verfahrens sind dann als relativ gering zu veranschlagen, wenn im strategischen Teil der Konzeption Adenauers die Europapolitik tatsächlich vorrangiges Ziel und nachrangiges Mittel zur Wiedervereinigung gewesen ist. Sie zahlten sich allerdings nicht im vom Bundeskanzler erhofften Umfang aus, wie das Ende der EVG deutlich machte. Ihr Scheitern hatte denn auch in der Furcht der französischen Seite vor der Wiedervereinigung eine ihrer schwerwiegenden Ursachen. Bewertet man Adenauers Vorgehen in einer Summe von Stationen deutsch-französischer Gegensätze hinsichtlich ostpolitischer Fragen wie sie etwa anläßlich seiner territorialen Forderungen im Osten im Jahre 1951535, seiner Behandlung der umstrittenen Bindungs—
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533
Vgl. Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 136—138; detailiert in FRUS 1951,
Teil B: Die Verbündeten
266
klausel im Art. 7 Abs. III des Generalvertrages von 1952536, seinem Vermeiden von Präjudizierungen in der Saarfrage537 oder in seiner strikten Weigerung gegenüber Mendès France, innerhalb der EVG ein Kündigungsrecht im Falle der Wiedervereinigung zuzugestehen538, sichtbar werden —, so deutet sich eine Relation zweier Wertgrößen innerhalb seiner außenpolitischen Konzeption an: wie wichtig ihm auch immer die europäische Integration und die darin eingebettete deutsch-französische Verständigung gewesen sein mögen, es fanden beide Ziele ihre Grenze dort, wo Adenauer dafür ihm wesentlich erscheinende Ansprüche auf nationale Einheit und Grenzen hätte offen und ausdrücklich preis-
geben
müssen.
Um den Kern der ostpolitischen Gegensätze kristallisierten sich wesentliche Zielsetzungen Adenauers. Die Bedeutung, die die deutsch-französische Versöhnung für Adenauer
besaß539, wurde zugleich begrenzt und erschwert durch deutsche Territorialforderungen
im Osten und indem Adenauer auch in den Verhandlungen über die Saar zukünftige Grenzrevisionen im Osten berücksichtigte, ergab sich ein Spannungsfeld, das einen langjährigen offenen Konflikt mit Frankreich bewirkte. Im Zusammenhang mit der anti-sowjetischen Ausrichtung seiner Politik lag für ihn die Betonung mehr, als seine öffentlichen Äußerungen, die in erster Linie die deutsch-französische Annäherung als Ziel herausstrichen, vermuten lassen, auf der Vermeidung einer Isolierung Westdeutschlands. Selbst wenn eine gewisse Verzerrung der Maßstäbe während der Regierungszeit Mendès France berücksichtigt wird, muß Adenauers Frankreichpolitik ganz wesentlich als Sicherheitspolitik vor einer erneuten französisch-russischen Einkreisung verstanden werden. Hier sah er eine geradezu zwingende Notwendigkeit für eine möglichst enge deutschfranzösische Partnerschaft, und in Verbindung mit seinen europapolitischen Zielen hielt er diese auch prinzipiell für wünschenswert. —
c.
Europapolitische Interessenunterschiede
»Da Frankreich die nationale
Lösung nicht wollen kann, da ein Verzicht auf die Teilnahme Deutschlands an der Verteidigung des Westens unmöglich ist, bleibt die EVG, und wenn man sie hundertfach totsagt, die einzige lebensfähige Lösung [...] Die EVG ist nicht nur die beste, sie ist die einzige gute
Lösung540.«
Mit diesen Worten betonte der Bundeskanzler in seinem Interview mit dem Journalisten Friedländer noch am 2. Juli 1954, wie wichtig ihm der mit der EVG weiter zu verfolgende Weg zu einer westeuropäischen Verschmelzung nach wie vor war. Dringlicher und gebieterischer als in seiner Ostpolitik sah er in der Westpolitik seine Aufgabe, konstruktive Lösungen zu erleichtern und zu beschleunigen. In der mit der EVG intendierten Europäisierung schien sich ihm die »eleganteste Methode für eine möglichst wenig 336 337
538 539 340
Vol. III, Teil 2, S. 1597-1604, sowie Adenauer und die Hohen Kommissare 1949—1951, S. 570—579. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 277—279, 334f. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 517—520, und ders., Erinnerungen 1953—1955, S. 369-373, 416—420. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 267—279. Vgl. statt vieler Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 61. Das Friedländer-Interview mit dem Bundeskanzler ist abgedruckt im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 3.7.1954.
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
267
diskriminierende Kontrolle des wirtschaftlichen und militärischen Potentials der Bundesrepublik« anzubieten541. Insbesondere mußten die traditionellen deutsch-französischen Streitigkeiten redlich, wirkungsvoll und dauerhaft aus der Welt geschafft werden. Über die Schwierigkeiten dieser Aufgabe machte er sich keine Illusionen. Er wußte, daß die deutsch-französischen Probleme wesentlich mit einer gewichtigen psychologischen Komponente belastet waren. Daher hatte er seine Zielsetzungen langfristig angelegt und sich auf langwierige Lösungswege eingestellt. Denn das Vertrauen, auf das er die neue Partnerschaft gründen wollte, konnte nur langsam wachsen542. Im Wissen um diesen auf Generationen hin anzulegenden Prozeß begleitete ihn denn auch meist weniger Enttäuschung oder gar Resignation als nüchtern besonnener Langmut, mit dem er seine Erwartungen immer wieder geduldig auf nachfolgende Verhandlungsphasen setzte. Besonders gern griff er Initiativen auf, die ihren Ursprung in Frankreich hatten, wenn sie trotz unterschiedlicher Motivationen seinen Zielvorstellungen einigermaßen angepaßt werden konnten543. Das galt vor allem für die Ansätze zur Integration Europas, die er als Chance sowohl in der Montan-Union, als auch in der EVG begrüßte. In solchen überstaatlichen Ordnungsmustern erhoffte er noch am ehesten »gleiches Recht für alle«544; und das hieß für ihn: Gleichberechtigung für Deutschland im Rahmen eines gemeinsamen Europa erreichen zu können. So sah er seit der amerikanischen Weichenstellung zugunsten des Plevenplans im Sommer 1951 zwar nicht den besten, aber doch einen erfolgversprechenden Weg, mit internationaler Unterstützung zunächst Westdeutschland aus seinen Gefährdungen und seinem Minderstatus herauszuführen545. Dabei hielt er sich selbst relativ frei von zeitgenössischer Europa-Romantik. Aufmerksam hatte er verfolgt, daß einflußreiche Kräfte in Frankreich mit der Montan-Union ein wirtschaftliches und mit der EVG ein militärisches Kontrollinstrument über Deutschland schmieden wollten546. Nach den jahrelangen Erfahrungen mit der französischen Deutschlandpolitik wußte er 1954 nur zu gut, daß er von dieser Seite stets mit Schwierigkeiten, Empfindlichkeiten und Mißverständnissen zu rechnen hatte, wenn er ausgerechnet mit komplexen Integrationskategorien den Wiederaufstieg Deutschlands auf den Weg bringen wollte. Doch hielt er die Widerstände für überwindbar. Zug um Zug meinte er, sie abbauen zu können, wenn die notwendigen Kräfte einander ergänzend zusammenwirken würden. Zunächst mußte die internationale Konstellation auf Frankreich einwirken, damit es sich 341
342 343 544 543
346
Schwarz, Das außenpolitische Konzept, S. 103. Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 242, S. 257f., S. 246 u. S. 295. In Anlehnung an Schwarz, Das außenpolitische Konzept, S. 88 u. 104. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 242. Überpointiert bei Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 333 und passim; vgl.
dazu die vorgeschlagenen Modifizierungen auf neuer Quellenbasis unten im Abschnitt C.I. Zum Schuman-Plan/Montan-Union und zum Pleven-Plan/EVG vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 381, 485f. u. 522f., sowie für 1953-1955 auf S. 170 u. 190; vgl. auch die nicht im Endergebnis, aber im Detail ähnliche Beurteilung bei Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 100 und passim, sowie Schwarz, Adenauer, Der Aufstieg, S. 853—857, 948—951.
268
Teil B: Die Verbündeten
Weg der deutsch-französischen Versöhnung wenigstens in einer taktischen Zielangleichung, nach Möglichkeit aber aus Überzeugung zu eigen machte. Diese Komponen-
den
des Drucks hielt er für die maßgebliche Antriebskraft. In der amerikanischen Europapolitik durfte er sie als gegeben ansehen. Auch die wichtige Unterstützung der westeuropäischen Partnerstaaten, insbesondere der Benelux-Staaten, wußte er zu schätzen und einzusetzen. Während er von den hintergründigen britischen Störmanövern weniger erfuhr, bewertete er dagegen die gerade in Frankreich wirksamen Gegenkräfte insbesondere in Verbindung mit der sowjetischen Außenpolitik als hochgradige Gefährdung. Um so mehr forderte diese Konstellation von ihm, den französischen Wünschen soweit irgend möglich entgegenzukommen. Zum internationalen Druck auf Paris mußte dies als ein weiteres Grunderfordernis hinzukommen, um Verträge für Frankreich über den Status quo hinaus attraktiv zu machen. Wenn er »das deutsch-französische Verhältnis für die Kernfrage jeder europäischen Lösung hielt«547, wenn er das französische Sicherheitsverlangen als berechtigt ansah und wenn er Vertrauen für die deutsch-französische Partnerschaft aufbauen wollte, dann durfte er mit seiner Bereitschaft zu ungewöhnlichen, ja selbst ungleichgewichtigen Zugeständnissen nicht kleinlich sein548. Dabei hatte er als zusätzlich erschwerendes Moment einzukalkulieren, daß die französischen Regierungen wegen der auf nationaler Souveränität beharrenden wie der antideutschen Kräfte in der französischen Innenpolitik dies nur in geringem Maß mit Entgegenkommen honorieren konnten. Das wiederum mußte die Gegenkräfte in Westdeutschland bestärken, die aus prinzipiellen Erwägungen oder aus Bewertungen mit kurzfristigeren Maßstäben eine Hintansetzung nationalstaatlicher Interessen für zu weitgehend hielten. Innerhalb dieser Grenzen, die ihm durch die außen- und innenpolitischen Kräfte vorgegeben waren, ist die Frankreichpolitik des Bundeskanzlers, die bis zum Scheitern der EVG durch seine Europapolitik überlagert wurde und teilweise in ihr aufging, einzuordnen. Eine zu strenge Trennung der Ziele und Mittel innerhalb seiner Konzeption könnte hier leicht in die Irre führen. Denn solange ihm die Politik der Westintegration möglich schien, verschmelzen das integrative, das bilaterale und das nationalstaatliche Moment sich gegenseitig vermittelnd zu einem Zielkomplex. Was für die Ziele gilt, trifft in ähnlichem Maße auch für die Mittel zu. Der westdeutsche Wehrbeitrag war für Adenauer an und für sich schon das »wirkungsmächtige Tauschmittel«, für das er eine Summe von Erleichterungen einhandeln wollte. Um so verständlicher ist es, wenn er die EVG in Verbindung mit ihren zahlreichen und folgenschweren supranationalen Verknüpfungen in das Zentrum seiner offiziellen außenpolitischen Argumentation stellte. Innerhalb seiner Konzeption tritt allerdings das Moment der Sicherheit durch militärische Verteidigung gegen die Sowjetunion zurück und neben die Absicht, den französischen Sicherheitsbedürfnissen auf diesem Gebiet zu genügen. Demgegenüber schiebt sich Adenauers politisches Ziel, mit der EVG als einem großen Schritt hin te
347 548
Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 427.
w/ekere Nachweise bei Poppinga, Erinnerungen, S. 171—174, sowie Fundstellen in Adenauers »Erinnerungen«, Bd IV, über das Sachregister unter dem Stichwort Außenpolitik Adenauers Ziel der Verständigung mit Frankreich, S. 264. —
III. Frankreich zwischen
269
Opposition und Obstruktion
einem westeuropäischen Bundesstaat zu gelangen, deutlich in den Vordergrund. Dadurch hoffte er, hauptsächlich zweierlei außenpolitische Weichenstellungen abzusichern: über die Abwendung einer als bedrohlich eingeschätzten Neutralisierung Deutschlands das sowjetische Übergewicht in Europa besser austarieren und zugleich die deutsch-französischen Gegensätze organischer ausgleichen zu können549, indem er sie aus der bilateralen Verkrampfung in eine multilaterale Ausgewogenheit zu stellen versuchte. Bezüglich der Interdependenzen mit den Vereinigten Staaten hatte er damit ebenfalls eine zweifache Zielsetzung im Sinn. Einerseits und vorrangig war es ihm darum zu tun, das Interesse der USA an Europa möglichst dauerhaft zu verankern. Mit dem nachdrücklichen Verlangen der amerikanischen Regierung und des Kongresses nach einem westeuropäischen Zusammenschluß konnte er hier auf eine Konvergenz mit verteilten Rollen setzen. Andererseits beabsichtigte er, den Boden für eine spätere westeuropäische Eigenständigkeit im Zusammenspiel mit der amerikanischen Führungsmacht zu bereiten550. Allerdings betraf dieser gedankliche Aufriß einer gleichberechtigten atlantischen Partnerschaft Westeuropas die fernere Zukunft. Für den Moment konnte davon nicht viel mehr erwartet werden, als in Gesprächen dem französischen Antiamerikanismus eine konstruktive Sublimierung anzubieten. Stets schwang aber zugleich gerade im Dreiecksverhältnis USA-Deutschland-Frankreich Adenauers Ausweichüberlegung mit, für den immer einzukalkulierenden Fall französischer Obstruktion mit Washington bilaterale Lösungswege zu suchen. Zeitlich näher, so scheint er gehofft zu haben, konnte gerade mit dem Projekt eines westeuropäischen Bundesstaates die Wiedervereinigung in der Form eines Anschlusses der Deutschen Demokratischen Republik erreicht werden. Eine mit der EVG bekräftigte Einigkeit des Westens, die dadurch betonte Politik der Stärke, die Magnetwirkung eines prosperierenden westeuropäischen Großmarktes, vor allem aber die Deutschland assimilierenden und eindämmend kontrollierenden Integrationsinstitutionen und -verfahren, unter denen die asymmetrischen Proportionen einer um Mitteldeutschland erweiterten Bundesrepublik den Partnerstaat auch zukünftig akzeptabel erscheinen mochten all das läßt seine optimistischen Erwartungen nicht als bare Illusion erscheinen. Bei allen Widerständen, die Adenauer in solchen hoffnungsträchtigen Erklärungsmodellen gerade von französischer Seite einkalkulieren mußte, ist es durchaus fraglich, ob er sich angesichts derart denkbarer Verlockungen genügsam damit bescheiden wollte, »die Bundesrepublik mit der Niederlage zu versöhnen und sie als eine ideell und territorial saturierte politische Einheit zu etablieren«551. Insgesamt enthielt die Politik der westeuropäischen Integration in der Form der EVG für Adenauer damit ganz unterschiedlich gewichtete und gerichtete Antriebskräfte. Was er im Hinblick auf die Sowjetunion eher politisch als militärisch für zweckdienlich hielt, was ihm von den USA faktisch zur unabweislichen Auflage gemacht worden war, was er für das deutsch-französische Verhältnis als teils nützlich, teils notwendig erachtete, zu
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349 330 351
Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 246f., 258, 424f. und S. 457. Vgl. ebd., unter vorrangig wirtschaftspolitischem bzw. eher machtpolitischem Aspekt S. 427 und S. 563. Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 333; vgl. dagegen die hier vorgetragene These im
obigen Abschnitt A.II.2.
Teil B: Die Verbündeten
270
beurteilte er aus der Sicht Westdeutschlands als zukunftsweisende Option und selbst noch mit Blick auf Gesamtdeutschland als attraktiv. Diese Zusammenhänge können zum besseren Verständnis für die Fragen beitragen, wieso der Bundeskanzler die Westverträge von 1952, die ja auch »ungleiche Verträge« und »Instrumente französischer Hegemonial- und Sicherheitspolitik«552 waren, und warum er die EVG, in der man auch »ein Institut zur langfristigen französischen Kontrolle des deutschen Militärpotentials sehen« konnte, nicht nur befürwortet, sondern mit einer »ziemlich waghalsigen Vorleistungspolitik« überhaupt erst ermöglicht und schließlich fast durchs Ziel gebracht hat. Von daher wird auch verständlich, daß die Forschung den Stellenwert der Europapolitik Adenauers überwiegend außerordentlich und eventuell zu hoch ansetzt553. Denn tiefverwurzelt war Adenauer zu eigen, was er einst Erhard riet: »Ein Staatsmann muß pessimistisch sein. Er muß die Gefahren sehen, die überall sind554.« Zuviele Gefahder Verzögerung, der offensichtlichen Diskriminierungen, des nationalstaatlichen ren Minderstatus, der langfristig festgelegten Nachteile ohne Garantien für Besserungen in der Zukunft belasteten das Vertragswerk von 1952, als daß der Bundeskanzler mit dem »Prinzip Hoffnung« alternativlos auf »die Eigendynamik der Entwicklung«555 gesetzt haben könnte. Vor allem aber gewährten die Westverträge von 1952 nur eine außerordentlich beschränkte Souveränität. Dieses Ziel aber stand anfangs, als Adenauer den westdeutschen Militärbeitrag angeboten hatte, an der Spitze seiner Prioritätenliste; dagegen galt ihm die Einbeziehung Deutschlands in eine europäische Gemeinschaft für die Bundesrepublik zunächst nur als »eines ihrer Ziele«556. Den Prioritätenkonflikt zwischen seiner Europapolitik und seinem Streben nach Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland lösten die Westverträge von 1952 nicht; sie milderten und kaschierten lediglich. Die prinzipielle Bedeutung, die Adenauer einer gleichberechtigten Souveränität zugemessen hat, läßt erwarten, daß er sie notfalls auch teilweise auf Kosten der Europapolitik und auf Kosten der deutsch-französischen Verständigung zu erreichen versucht hat. Für eine Analyse der Feinstruktur dieser Zielkonkurrenz bieten möglicherweise die operativen Züge, die Adenauer auf dem naheliegenden, wenngleich lange Zeit versperrten alternativen Feld des deutschen NATO-Beitritts geführt hat, weiterführende Deutungsmöglichkeiten. —
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d. Der NATO-Beitritt als Alternative Der europapolitische Integrationsansatz der westdeutschen Wiederbewaffnung war am 30. August 1954 auch an den deutsch-französischen Interessengegensätzen zerschellt. Am Morgen danach äußerte Adenauer bezüglich des von ihm vordem in der Öffentlichkeit so favorisierten EVG-Vertrages gegenüber seinem Berater Blankenhorn: »er habe sich den Vertrag noch einmal angesehen, so gut sei er gar nicht gewesen«557. 352 333
Hier und im folgenden Zur hier vorgetragenen
Schwarz, Adenauer und Europa, S. 506 und S. 481.
Neubewertung vgl.
unten
Abschnitt C.I.
Henkels, Doktor Adenauer, S. 114. 353 Schwarz, Adenauer und Europa, S. 506. 356 So seine Auflistung, Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 345, siehe auch S. 537. 357 Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 474, Anm. 16. Ähnlich argumentiert Ade334
III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
271
Wenn auch in diesen Worten ein trockener Sarkasmus steckte, verblieb immer noch ein harter Kern rationaler Lagebeurteilung. Sein Versuch, über die westeuropäische Integration zu gleichberechtigter Souveränität zu kommen, war von Anbeginn auf halbem Wege
festgefahren und nun endgültig gescheitert. Bei allen Erleichterungen, die die Ablösung des Besatzungsregimes durch den Generalvertrag gebracht hätte, hatte Adenauer allerdings nie übersehen, daß das Vertragswerk von 1952 wesentliche Vorbehalte vor sein Ziel der gleichberechtigten Souveränität stellte. Schon deswegen sind erhebliche Zweifel angebracht, wenn in der Forschung vielfach davon ausgegangen wird, daß Adenauer voll Überzeugung bis hin zur Alternativlosigkeit den europapolitischen Weg über die EVG
beschritten haben soll558. Wenn sich der pragmatische Realist Adenauer überhaupt jemals von der Vision einer westeuropäischen Integration, die in der EVG mehr als Postulat denn als sichere Folge angelegt war, hat beeindrucken lassen, dann trifft das allenfalls nur eingschränkt und für relativ kurze Phasen der langjährigen Debatte über die Wiederbewaffnung zu. Über die zahllosen zuversichtlichen Äußerungen des Bundeskanzlers, die ihre Begründungen im amerikanischen Drängen zugunsten supranationaler Zusammenschlüsse in Europa, in französischen Teilzugeständnissen und in der innenpolitischen Zugkraft des Europagedankens hatten, sind Adenauers parallel dazu unternommene Bemühungen vielfach in Vergessenheit geraten. Denn der Versuch, über die EVG gleichberechtigte Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland einzuhandeln, zeigt nur einen seiner Wege. Dieser war zeitlich sicher nicht der erste, er war lange Zeit nicht der vorrangige und er war innerhalb der außenpolitischen Konzeption des Bundeskanzlers niemals ein allein ausreichender Weg. Einen anderen Weg verfolgte er mehr als nur beiläufig. Hierüber wollte er zunächst allein, dann ergänzend und schließlich alternativ die Souveränität über den NATO-Beitritt erbringen. Hier den Schwerpunkt zu setzen, stand lange Zeit am wenigsten in seinem Belieben. Dazu war sein Handlungsspielraum bis zum Frühsommer 1954 allzusehr eingeschränkt: mehr noch durch die internationalen Kräfteverhältnisse als durch innenpolitische Zwänge, welch letztere eher den Zeitpunkt als die Zielrichtung mancher seiner Initiativen mitbestimmt haben. So schwingen seine Lösungsansätze zwischen atlantischem und europäischem Rahmen unübersehbar im Rhythmus der außenpolitischen Dynamik. Dadurch verschwimmen die dementsprechenden Modifikationen seiner Konzeptionen an den Übergängen, wo sie unterschiedliche und teilweise verdeckte Interessen der zukünftigen Bündnispartner berücksichtigen mußten. im CDU-Bundesvorstand am 11.10.1954; vgl. ders., Wir haben, S. 256. Die politischen Schwachstellen des EVG-Vertrages waren ihm wahrscheinlich auch schon vorher bekannt gewesen; allerdings bemerkten Zeitgenossen, daß er den Vertrag vorher nur oberflächlich zur Kenntnis genommen habe. Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 107, arbeitet überzeugend heraus, daß bis zum Sommer 1951 für Adenauer »die NATO-Streitmacht die einzig richtige und praktische Sofortmaßnahme« sei, während die Europa-Armee für ihn lediglich »ein wichtiges Fernziel« darstellte; doch nach einer Phase widerstrebender Anpassung habe sich Adenauer seit Ende 1951 »tatsächlich von ganzem Herzen mit der EVG identifiziert [...] In den folgenden zweieinhalb Jahren blieb der westdeutsche Regierungschef öffentlich wie privat ganz und gar auf die EVG festgelegt«; vgl. ebd., S. 329f. Zum weiteren Forschungsstand vgl. unten Kapitel C, S. 276f. nauer
558
272
Teil B: Die Verbündeten
Um die außenpolitischen Zielvorstellungen, die Adenauer um die Zentren von Sicherheit, Souveränität und Europapolitik entwickelte und in der Praxis durchzusetzen ver-
suchte, genauer als bisher zu bestimmen, muß die Untersuchung dafür den Blickwinkel
der deutsch-französischen Beziehungen um die Gesamtzusammenhänge der wesentlichen außenpolitischen Züge in Ost und West adenauerzentrisch erweitern. Die in diesem Rahmen eingespannten diplomatischen Aktionen des Bundeskanzlers weisen auf fünf Phasen seiner bündnispolitischen Präferenzen, die sich hinreichend trennscharf voneinander abgrenzen lassen. Nach der Zwischenbilanz von Ergebnissen und offenen Fragen sollen daher unter besonderer Berücksichtigung der sicherheits- und bündnispolitischen Bemühungen Adenauers im breiterem Zeitraum seiner ersten fünf Jahre als Regierungschef und Außenminister seine außenpolitischen Prioritäten freigelegt werden. 3.
Ergebnisse
und offene
Fragen
Der Kanzler wurde mit den politischen Verhältnissen in Frankreich durchaus detailliert vertraut gemacht. Er kannte frühzeitig die schlechten Chancen für die Ratifizierung der EVG in der französischen Nationalversammlung und berücksichtigte dies in seinen Dispositionen. Seine vergeblichen Hoffnungen auf supranationale Lösungsmodelle wurden bislang überschätzt. Subjektiv-personenbezogene Vorbehalte insbesondere gegenüber Mendès France haben bei ihm eher auslösende denn verursachende Auswirkungen gehabt. Ausschlaggebend blieben für Adenauer vielmehr strukturelle Bedingungsfaktoren, von denen er vor allem 1954 die zunehmende internationale Isolierung Frankreichs als Chance für den Wiederaufstieg Westdeutschlands wertete und nutzte. In den Unterschieden der ostpolitischen Zielsetzungen von Paris und Bonn sah Adenauer eine Quelle stets zu beachtender, weil immer aktueller Gefahren. Was ihm mit der Möglichkeit eines Wiederauflebens des Vier-Mächte-Kontrollrates über Deutschland ohnehin allgemein ständige Sorge bereitete, beunruhigte ihn hier als spezielle, von historischer Erfahrung erhärtete Möglichkeit französisch-russischer Einkreisungspolitik. Obwohl in den wechselnden französischen Regierungen Vier-Mächte-Vereinbarungen mit der Sowjetunion stets als eine gewünschte Option gegen amerikanische Hegemonie, westdeutschen Wiederaufstieg und befürchtete Wiedervereinigung Deutschlands erwogen wurden, lassen die bisherigen französischen Quellenveröffentlichungen Adenauers Verdächtigungen gegenüber einer entsprechenden Schwerpunktverlagerung insbesondere seitens Mendès France als übersteigert erscheinen. Wie berechtigt auch immer des Kanzlers diesbezügliche Befürchtungen gewesen sein mögen, resultierten aus ihnen seine Bemühungen, an Stelle französisch-sowjetischer Entspannung eine Einheitsfront des Westens gegen die Sowjetunion beizubehalten. Sein vorsichtiger Verzicht auf eigene ostpolitische Initiativen oder auch nur auf ein Eingehen bei sowjetischen Avancen hatte dort eine ihrer wirkungsmächtigsten Ursachen. Weit nachhaltiger weil hier nicht latent zu halten wirkten sich deutsch-französische Zielkonflikte in seiner Westpolitik aus. Beiderseitige Sicherheit und Gleichberechtigung durch möglichst enge Zusammenarbeit strukturierten die Handlungslinien seiner Frankreichpolitik. Doch der französische Widerstand gegen ein schnelles Wiedererstar—
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III. Frankreich zwischen
Opposition und Obstruktion
273
ken Deutschlands stand quer zu seinen Bemühungen und prägte bis 1955 die deutschfranzösische Konfliktgeographie. Entsprechend widersetzte sich Frankreich vielfach seinen Versuchen, die deutsch-französische Annäherung auf eine dauerhafte, also gleichberechtigte und damit für beide Seiten tragfähige Basis zu stellen. Sein Ziel einer »organischen Verschmelzung« (West-)Deutschlands mit Westeuropa als irreversibler Form der Westintegration traf schon von daher auf französische Vorbehalte. Dies zwang ihn stärker, als er es wünschte, zur Suche nach alternativen Handlungsmöglichkeiten. Solche sah er vor allem im Beitritt zum atlantischen Bündnis. Es wird noch zu untersuchen sein, ob er den Anlaß zum offensiven Vorgehen mehr in der sowjetischen, amerikanischen, britischen oder französischen Politik gefunden hat und inwieweit innenpolitische Anforderungen den Zeitablauf seines diplomatischen Vorgehens mitbestimmten. Jedenfalls hielt er es für nötig, seine »Umarmungsstrategie« als Mittel für die deutsch-französische Aussöhnung 1954 vorübergehend auszusetzen. Zumindest zeitweilig hat Adenauer der deutsch-französischen Verständigung weder als Ziel noch als Mittel die herausragende Bedeutung zugemessen, die ihm durchgängig zugeschrieben wird. Es bleibt allerdings zu klären, inwieweit er sich hierin dem Vorgehen der amerikanischen Außenpolitik anschloß bzw. sich dieses zunutze machte. Die sicherheitspolitischen Bedenken, die Frankreich und Großbritannien gegen die westdeutsche Aufrüstung geltend machten, zwangen den Bundeskanzler im Bereich der Sicherheitsauflagen zu größeren Zugeständnissen, als er zunächst an freiwilligen Beschränkungen zuzugestehen bereit war. Ähnlich wie in den Saarverhandlungen ging er hier bis an die Grenze dessen, was er unter den Aspekten gewünschter außenpolitischer Handlungsfreiheit, gegebener Handlungszwänge und innenpolitischer Durchsetzbarkeit noch vertreten zu können meinte. Sein angeblich »einsamer Entschluß« zum nationalen Produktionsverzicht auf ABC-Waffen erscheint besonders im Zusammenhang der sich damals abzeichnenden französischen Nuklearoption nicht nur als hilfreich, sondern als für neue
Lösungen zwingend notwendig.
Die bemerkenswerteste Aktionsweise Adenauers lag in seiner aktiv mitgestaltenden Rolle. Bei aller Behutsamkeit seiner Bemühungen um Souveränität und Wiederbewaffnung hatte sein Einfluß auf die entsprechenden internationalen Entscheidungsprozesse von Sommer 1954 an den Frankreichs teilweise übertroffen. Wesentliche Ursachen dafür finden sich im Beziehungsgeflecht der drei westlichen Siegermächte in ihrem Verhältnis zur Sowjetunion. In Relation zu Churchills irritierenden Ostinitiativen und Frankreichs wie-
derholtem Verlangen nach Vier-Mächte-Konferenzen vor Ratifizierung der Westverträge wurde Adenauers Regierung zum stabilsten und verläßlichsten Verbündeten der amerikanischen Containment-Politik in Europa, was Adenauers rechtzeitige Weichenstellungen zu alternativen Lösungen sowie sein variantenreiches taktisches Vorgehen im Wechsel von Druck und Anpassung ermöglichte. Die Folgen zeigen sich im erheblich verbesserten Vertragswerk vom Herbst 1954, das Adenauers Zielsetzung weitgehend entsprach. Den vorläufigen Verzicht auf supranationale Einigungsformen in Westeuropa hat er ungern, aber bewußt und pragmatisch in Kauf genommen. Auch in der europapolitischen Zielsetzung handelte er damit weniger festgelegt, als überwiegend angenommen wird. Es wird zu prüfen sein, ob der Beitritt zum atlantischen Bündnis und das hieß vor —
274
Teil B: Die Verbündeten
allem: die direkte Bündnisbeziehung zu den Vereinigten Staaten nicht mehr Gewicht innerhalb seiner außenpolitischen Konzeption hatte als die westeuropäische Integration. Im Ergebnis bewirkte die französische Politik im Jahre 1954 bei Adenauer eine Zielverlagerung weg von unmittelbar zu erreichender westeuropäischer Integration und hin zu mehr gleichberechtigter Souveränität und zum direkten NATO-Beitritt; einen Wechsel der Taktik von deutsch-französischer Verständigungsbereitschaft zu zeitweise offensiver Isolierung Frankreichs; einen Wechsel in der Wahl der Mittel insoweit, als seine Bereitschaft zu Konzessionen und zur Hinnahme von Diskriminierungen mit dem Verlust supranationaler Zielsetzung und mit wachsendem innenpolitischen Druck deutlich abnahm; dabei war er entschlossen, seine Forderungen nach Gleichheit und Gegenseitigkeit im äußersten Fall auch ohne und gegen Frankreich durchzusetzen. —
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
I. Erste Phase: der atlantische
Vorrang
Aufgabe, für Westdeutschland zunächst ein Mindestmaß an politischer und militärischer Sicherheit zu erwirken sowie Zug um Zug die Handlungsmöglichkeiten der zukünftigen Bundesregierung zu erweitern, stand 1948 am Beginn der außenpolitischen Überlegungen Adenauers. Die Bundesrepublik war noch nicht gegründet, der Vertrag über den Atlantikpakt noch nicht unterzeichnet, und Adenauer stand als Präsident des parlamentarischen Rates noch nicht im Zentrum der außenpolitischen Entscheidungen, als er bereits Ende 1948 die Notwendigkeit einer alliierten Sicherheitsgarantie herausstellte1. Sehr schnell kamen für ihn zu den sicherheitspolitisch-militärstrategischen Forderungen hinsichtlich wünschenswerter Verteidigungslinien in Deutschland Überlegungen prinzipiell politischer Natur hinzu. Kaum war der NATO-Vertrag abgeschlossen, als er für den zukünftigen Regierungschef Westdeutschlands, der er zu werden hoffte, den Gedanken der Wiederbewaffnung indirekt mit dem Wunsch nach internationaler Gleichberechtigung Westdeutschlands verknüpfte:«Die kommende deutsche Bundesregierung wird sich darum nach Kräften bemühen müssen, daß Deutschland als gleichberechtigter und gleichverpflichteter Partner diesem großen System der kollektiven Sicherheit eingeordnet wird2.« Zu diesem frühen Zeitpunkt befand er sich hierin durchaus in partieller Übereinstimmung mit Kurt Schumacher, der für die SPD erklärte, daß »die Wehrhaftigkeit der Demokratie [...] nur der Ausdruck der nationalen Souveränität und der internationalen Gleichberechtigung«3 sein könne. Zwar durchzieht auch in dieser frühen Zeit wie in den nachfolgenden Jahren der Europa-Gedanke fast alle diesbezüglichen Stellungnahmen Adenauers. Aber die Forschung hat ihre Zweifel dazu in vielfältige Zusammenhänge gestellt, ohne bisher den Stellenwert der EVG schlüssig in das Gefüge von Adenauers bündnispolitischen Prioritäten einordnen zu können. So stellt Schwabe die Frage, »wie weit die Form, in der die Bundesrepublik schließlich Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses geworden ist, noch mit den Vorstellungen übereinstimmte, die Adenauer über die Wiederaufrüstung Die
Folgenden vgl. das Standardwerk Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, Bd 1; hier bes. den Beitrag Wiggershaus, Die Entscheidung, S. 333, Anm. 42. Den Vorrang, den der Bundeskanzler bis in das Jahr 1952 hinein dem Beitritt zur NATO zugemessen hat, und die Hartnäckigkeit, mit der er an diesem Ziel festhielt, weist Baring mit zahlreichen Belegen überzeugend nach; vgl. ders., Außenpolitik, S. 62—139 und passim. 2 Interview im Konstanzer West-Echo, veröffentlich am 25.5.1949, zitiert nach Wettig, Politik im Rampenlicht, S. 94. 3 Schumacher, Kampf, S. 9; vgl. auch Wettig, Entmilitarisierung, S. 250. 1
Zum
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276
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Westdeutschlands ursprünglich entwickelt hatte«4. Für Weidenfeld rangieren westeuropäische Gemeinschaft und atlantische Verbindung gleichermaßen als Adenauers »Geschäftsgrundlage für die Gleichberechtigung der Bundesrepublik«5. Noack betont zwar den »zentralen Stellenwert, den die EVG in Adenauers Denken einnahm«, meint aber dennoch abwägend: »Es muß im letzten unentschieden bleiben, welchen Stellenwert die EVG als Institution im Denken Adenauers hatte6«; in seinen späteren Forschungen kommt er zu dem Ergebnis, daß die EVG ein notwendiges Übel gewesen sei, gegenüber dem die Souveränität Vorrang gehabt habe, während die NATO als der eigentliche Garant deutscher Sicherheit betrachtet wurde7. Schwarz läßt die Frage nach Adenauers Zielpräferenzen zwischen NATO und EVG offen, da sie im Rahmen der pragmatischen Außenpolitik des Bundeskanzlers als überwiegend instrumentaler, weniger finaler Konflikt im jeweiligen historischen Kontext zu suchen seien: jedenfalls sei Adenauer weder ein doktrinärer »Europäer« noch ein doktrinärer »Atlantiker« gewesen; und: »Der Eindruck läßt sich nicht abweisen, daß seine Integrationspolitik einem in hohem Maße theorielosen Pragmatismus entsprang8«; angesichts zahlloser innerer Widersprüche in Adenauers Politik hält er es für schwierig, die Frage nach den bündnispolitischen Prioritäten präzise zu beantworten, wenn er auch insgesamt betont, »daß der alte Herr die Westdeutschen daran gewöhnt hat, ihre Interessen im europäischen Kontext zu definieren«9. »Ob er nach einiger Zeit selbst daran geglaubt hat, daß dieser Ansatz [i.e. das EVG-Konzept, d. Verf.] in der vorhergesehenen Weise funktionieren und die Sache der Einigung verläßlich voranbringen könnte, bliebe doch genauer zu untersuchen10.« Zumindest für die Phase zwischen Petersberg- und Pariser Pleven-Plan-Verhandlungen stellt er jedoch überzeugend fest: »Schon im Interesse deutscher Gleichberechtigung, aber ebenso aus praktischen Gründen der Verteidigungspolitik, hätte Adenauer einer Vollmitgliedschaft Deutschlands in der NATO unbedingt den Vorzug gegeben. Aber nun rollt der Zug ohne sein Zutun auf das Nebengleis der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, wohin ihn Frankreich von Anfang an dirigieren wollte11.« Und für die Folgezeit resümiert er: »Die EVG ist und bleibt als Notlösung akzeptiert, und Adenauer arbeitet von jetzt an mit aller Kraft daran, diese europäische Organisation auf den Weg zu bringen. Aber er verliert dabei keinen Augenblick das Ziel aus den Augen, das Staatsschiff Bundesrepublik auch gleichberechtigt in den atlantischen Konvoi hineinzumanövrieren, sobald nur erst die EVG Wirklichkeit geworden ist12.« Für »die Zeit der Agonie der EVG« stellt Schwarz schließlich gezielte Fragen bezüglich des revolutionär neuen Konzeptes einer supranaSchwabe, Adenauer und England, S. 16. Weidenfeld, Adenauer und Europa, S. 189; in seinen nachfolgenden Forschungen neigt er deutlicher dazu, die EVG stärker in Adenauers europapolitische Bemühungen als eher langfristiges Kontinuum einzubeziehen; ders., Adenauer und die EVG, S. 259, 263 und 270. 6 Noack, Scheitern, S. 89 bzw. S. 14. 7 Noack, EVG und Bonner Europapolitik, S. 254. 8 Schwarz, Das außenpolitische Konzept, S. 87 bzw. 104. 9 Schwarz, Adenauer und Europa, S. 472 und ähnlich S. 499. 10 Ebd., S. 485. 11 Schwarz, Adenauer, Der Aufstieg, S. 873 f. 12 Ebd., S. 879. 4
3
I. Erste Phase: der atlantische
Vorrang
277
tionalen Verteidigungsgemeinschaft innerhalb von Adenauers Präferenzen zwischen EVG und NATO: »Aber glaubt er das auch noch? Hat er überhaupt je so fest daran geglaubt, wie er behauptet? Wer sich daran erinnert, mit welcher Entschiedenheit er anfänglich eine NATO-Integration mit dem Konzept einer Koalitionsarmee anstrebte, vermag Zweifel doch nicht ganz unterdrücken13.« Danach ist anzunehmen, daß für Adenauer die zahlreichen und durchaus wesentlichen Unterschiede etwa zwischen einer supranationalen Armee im europäischen Kontext und nationalen Streitkräften innerhalb der atlantischen Allianz nicht so deutlich, sicher jedenfalls zunächst nicht so wichtig waren. Er war am Praktischen interessiert, und so lag für ihn der Dreh- und Angelpunkt des dahinterstehenden Handwerklichen im gemeinsamen europäisch-atlantischen Oberbefehl14. Ein solcher schien ihm stets auszureichen, um militärisch durch Koordination Effizienz zu gewährleisten und politisch durch Kontrolle des westdeutschen Potentials das Sicherheitsbedürfnis der Partnerstaaten zu befriedigen15. Unter solchen recht vage gehaltenen Vorstellungen bot er die Wiederbewaffnung als Tauschmittel an. Das Ziel, das er mit diesem Mittel ansteuerte, sah er klar und eindeutig: »Voraussetzung für eine deutsche Beteiligung an der Verteidigung Europas war für mich völlige Gleichberechtigung Deutschlands mit den anderen Völkern Europas. Gleiche Pflichten setzen gleiche Rechte voraus16.« Um in dieser für ihn kardinalen Frage bei den Besatzungsmächten auch nicht den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen, stellte er Ende August 1950 Sicherheit und Souveränität unter ein Junktim. Mit der Übergabe seiner Memoranden zur Sicherheitsfrage und zur Neuordnung der Beziehungen gab er das unmißverständlich zu verstehen17. Es war dem Bundeskanzler sehr schnell bewußt geworden, daß sein Tauschgeschäft für die »Gleichberechtigung nur im Rahmen des Atlantischen Bündnisses möglich war«18. Der europäische Gedanke konnte vorerst nicht weit tragen, denn in diesem Rahmen blieb die französische Stimme ausschlaggebend. Und in Frankreich stemmten sich die unerbittlichsten Gegner gegen jeden Wiederaufstieg Deutschlands. So war es nur zu verständlich, daß Adenauer, als die Frage einer integrierten Europa-Armee mit dem Pleven-Plan 13 14
Schwarz, Adenauer,
Der Staatsmann, S. 121. auch Vgl. Wiggershaus, Die Entscheidung, S. 334, Anm. 45. Zur typischen Vermengung der Begriffe: Wiederherstellung unserer Armee im Rahmen der Westunion Bildung einer europäischen Armee gemeinsames Oberkommando etc. vgl. Adenauers Interview vom 11.11.1949 bei Wettig, Entmilitarisierung, S. 283. Selbst hinsichtlich der Voraussetzung eines gemeinsamen Oberbefehls einschließlich des notwendigen organisatorischen Unterbaus war Adenauer der Zeit voraus; der Beschluß dazu erfolgte erst nach Beginn des Korea-Krieges, seine Verwirklichung begann erst 1951, nachdem Eisenhower sich als alliierter Oberbefehlshaber eingearbeitet hatte; zum Beschluß vgl. das Kommunique der NATO-Ratstagung vom 26.9.1950, in: Der deutsche Verteidigungsbeitrag, S. 17f. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 345. Ebd., S. 355ff. sowie im vollständigen Abdruck in Sicherheitspolitik der Bundesrepublik, Bd I, S. 79—85. Vgl. auch Buchheims Beweisführung, »daß Adenauer nicht daran dachte, einen deutschen Wehrbeitrag zu leisten, ehe nicht das Besatzungsregime beseitig [...] sei«; ders., Adenauers Sicherheitspolitik, S. 127f. Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 70. —
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
im Herbst 1950 aktuell wurde, davon nicht viel wissen wollte19. Seine scharfen Reaktionen auf der Sitzung mit den Hohen Kommissaren am 21. Dezember 1950, auf der man an dem Prinzip der bedingungslosen Kapitulation festhalten wollte20, seine unermüdlichen Versuche, über die von ihm bevorzugten Petersberg-Gespräche zum NATO-Beitritt zu gelangen, um die Beseitigung des Besatzungsregimes zu erreichen21, kurz, alles, was der Bundeskanzler bis in den Sommer 1951 außenpolitisch unternahm, stand unter seiner generellen Weisung, daß »nichts geschehen dürfe, was die Entwicklung der NATO stören könnte«22. Und bis in das Gespräch mit McCloy am 5. Juli 1951 hinein zieht sich seine Maxime, daß der Beitritt Westdeutschlands zur NATO »die einzig richtige und praktische Sofortmaßnahme«, »die Europa-Armee dagegen ein wichtiges Fernziel«23 darstelle. In dieser ersten Phase seiner Kanzlerschaft ordnete Adenauer damit zweifelsfrei und mit entschiedenem Vorrang dem für die volle Handlungsfreiheit so wichtigen Mittel Wiederbewaffnung den Weg in das Atlantische Bündnis zu. Den Weg einer Integration Europas über die mit französischen Vorbehalten durchsetzte Konstruktion einer europäischen Armee hielt er für verfrüht und lehnte ihn so direkt, wie die damalige Situation es ihm gestattete, als ersten Schritt ab. Was sich in seiner Ziel-Mittel-Korrelation widerspiegelte, hatte seinen Ursprung in seiner Prioritätenliste. In ihr hatten nicht nur nach Zeit, sondern vor allem nach Wichtigkeit »die Erlangung der Souveränität als Folge der Wiederaufrüstung« über den Weg in das Atlantische Bündnis und die »Sicherheit« gegen die sowjetisch-sowjetzonale Aufrüstung Vorrang vor der »Herbeiführung einer europäischen
Föderation«24. 19
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21 22
23
24
Schwarz, Adenauer und Europa, S. 485 mit kurzgeraffter Begründung; Wiggershaus, Entscheidung,
S. 399 f. Zur Regierungserklärung des französischen Ministerpräsidenten und Verteidigungsministers René Pleven vom 24.10.1950 vgl. Der Aufbau Europas, S. 149 ff.; zum Zusammenhang von europäischer Föderation, Schuman-Plan und gemeinsamer Verteidigung vgl. Monnet, Erinnungen, S. 433. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 398ff., sowie das Wortprotokoll der Sitzung vom 21.12.1950, in: Adenauer und die Hohen Kommissare 1949-1951, S. 314-339. Vgl. BA-MA, BW 9/2050, Handakte Graf Kielmansegg, Besprechungen auf dem Petersberg 1951. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 454 sowie S. 460: »Ich hatte der deutschen Delegation zu Beginn der Pleven-Plan-Verhandlungen eindeutige Instruktionen dahingehend erteilt, daß keinerlei Beeinträchtigung der atlantischen Gesichtspunkte durch die zu schaffenden Streitkräfte eintreten dürfe.« Baring, Außenpolitik, S. 107; Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 458; Adenauer, Teegespräche 1950—1954, S. 104—107: »Sie können, wenn Deutschland in der Nordatlantikarmee gewisse Kontingente hat, ruhig weiterverhandeln über die europäische Armee«, Zitat S. 107. Der Bericht McCloys gibt Adenauers Vorstellungen nicht falsch, aber mißverständlich wieder: »Chancellor then expressed strong support for concept of Eur army. He pointed out that North Atlantic army is created to answer present requirements, whereas Eur army should be created for longrange requirements. Chancellor believed that it was possible to find solution by adjusting Paris report to the Petersberg.« FRUS 1951, Vol. Ill, Teil 2, S. 1488 f.; aus diesem Bericht wird das State Department nur schwer die eindeutige Bevorzugung der NATO-Lösung gegenüber dem langfristig wünschenswerten EVG-Vertrag erkannt haben; ob der EVG-Befürworter McCloy dies nicht so deutlich hat berichten wollen oder ob er es nicht so klar verstanden hat, kann hier unberücksichtigt bleiben. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 345; eine textgebundene Interpretation beschränkt die Gültigkeit dieser Prioritätenliste auf das Jahr 1949; eine darüber hinausgehende zeitliche Zuordnung bis zum Juli 1951 erscheint aber durch die damalige Politik Adenauers sowie durch seine nachträgliche Schilderung in seinen Erinnerungen hinreichend gerechtfertigt; eine lediglich temporal gemeinte
279 II. Zweite Phase: der
Kampf um
die
NATO-Mitgliedschaft
Adenauer hatte seine Hoffnung auf die Amerikaner gesetzt. Bei ihnen hatte er das größte Verständnis für seine Forderung gefunden, alsbald Mitglied der Atlantischen Allianz zu werden. In den Petersberg-Gesprächen drängten die Hohen Kommissare auf einen indirekten deutschen NATO-Beitrag25. Dahinter standen die Wünsche des State Department und des Pentagon sowie die mit Nachdruck vorgebrachten Forderungen Eisenhowers im NATO-Hauptquartier. So sah man in der deutschen Delegation keinen Anlaß, sich dem forcierten Tempo der Franzosen zugunsten des Pleven-Planes anzuschließen26. Vielmehr erwog Blankenhorn durchaus realistisch die Chance, daß bei einem Mißlingen des Pleven-Planes später auf der Basis eines NATO-Beitritts verhandelt werden könne27. Auch Blank, Heusinger und Speidel setzten größere Erwartungen in die bevorstehenden Entscheidungen der Amerikaner28. Um sich diese Möglichkeit nicht vor der Zeit zu verbauen, hatte der Bundeskanzler angeordnet, daß die von deutscher Seite beanstandeten Diskriminierungen in den Pleven-Verhandlungen in einem Zwischenbericht ungeschminkt festgehalten und dem amerikanischen Hohen Kommissar McCloy mit nach Washington gegeben werden sollten; bis zu dessen Rückkehr möge die deutsche Delegation [durch tatsächlich gegebene Übersetzungsschwierigkeiten, durch Detailvorschläge etc., d. Verf.] verzögern, jedenfalls aber nicht auch nicht vorläufig irgendwelchen Teillösungen zustimmen. Das war der Stand der Dinge, als McCloy aus Washington zurückkehrte und dem Bundeskanzler am 5. Juli 1951 eröffnete, daß die Bundesregierung von nun an allein den Verhandlungen über den französischen Pleven-Plan zu folgen habe und daß wegen des unüberwindlichen französischen Widerstandes für eine vorgeschaltete NATO-Beteiligung kein Verhandlungsspielraum mehr bestehe29. Nur scheinbar entgegenkommend erwiderte der —
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Reihenfolge in dieser Prioritätenliste sehen zu wollen, würde die faktischen Parallelen zum historischen Kontext und den Stellenwert derartiger Auflistungen Adenauers unterbewerten; vgl. etwa die Auflistung seiner Ziele in der weichenstellenden Kabinettsitzung vom 1.9.1954, in: Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 292, sowie Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am 1.9.1954, S. 352 f. 23 Die Petersberg-Gespräche zwischen den Hochkommissaren und Adenauer sowie mit Theodor Blank als Leiter der deutschen Militärexpertengruppe, die ab 9. Januar 1951 einen deutschen Militärbeitrag im Zusammenhang mit dem künftigen Status Westdeutschlands behandelten, werden detailliert dargestellt bei Meier-Dörnberg, Die Planung, S. 607—622. 26 Besprechung über den Pleven-Plan im Palais Schaumburg vom 19.4.1951, in: BA-MA, BW 9/3066, Sondergruppe S, Aufzeichnungen über Petersbergbesprechungen. Weisungen, Schriftverkehr mit Auswärtigem Amt, 16.2.1951-10.6.1952, Bl. 56. 27 Vgl. BA-MA, BW 9/3066, Besprechung vom 5.6.1951, Bl. 68. 28 So de Maizière (Bonn) an Kaulbach (Paris) am 23.6.1951: vgl. BA-MA, BW 9/3067, Sondergruppe
S, Schriftverkehr mit der deutschen Delegation, 17.3.1951—14.5.1952, Bl. 58; hier deutet sich bereits
29
eine unterschiedliche Gewichtung der europapolitischen Wertschätzungen an: während Blank und die »Generalsebene« eher integrationspolitisch skeptisch zumindest für den Vorlauf nationale Regelungen vorziehen, findet der integrationistische Ansatz selbst unter diskriminierenden Anläufen im Rahmen des Pleven-Plans bei Hallstein und der »Obristenebene« (v. Kielsmansegg, de Maizière) schon früh einen bemerkenswerten Widerhall. Zum plötzlichen Meinungsumschwung auf der Seite der amerikanischen Regierung vgl. oben B.I. I.e.
280
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Bundeskanzler McCloy, eine europäische Armee werde er stark unterstützen; gegenwärtig gewähre jedoch die NATO Sicherheit; er werde daher versuchen, die Pariser Verhandlungen im Sinne der Petersberg-Gespräche zu beleben, ohne sich bei etwaigen Verzögerungen ganz auf diese festzulegen; zwar sei eine Europa-Armee nötig, aber ein deutscher Beitrag sollte nicht vom Ergebnis der Pariser Verhandlungen abhängig gemacht werden, sofern man dort nicht zu einem raschen Abschluß komme30. Mit deutlicheren Worten: Adenauer beharrte auf dem schnelleren NATO-Beitritt einer souveränen Bundesrepublik, zu dem eine Zwischenlösung hinführen sollte. Adenauers Reaktion gleicht auf frappierende Weise der sehr ähnlichen vom 30. August 1954: »Er war äußerst betroffen. Einen Augenblick schien er allen Ernstes zu fürchten, seine ganze Politik sei im Begriffe, zu scheitern31.« Wie wenig der Bundeskanzler sich bisher den französischen Integrationsansatz zu eigen gemacht hatte, zeigte noch anschaulicher die unverblümte, letztlich auf früheren Weisungen Adenauers beruhende Replik Blanks gegenüber McCloy am 4. Juli, als McCloy ihn statt auf die Petersberg-Ergebnisse auf die Europa-Armee verwiesen hatte: »So könne man vielleicht mit Adenauer umspringen; er jedenfalls lasse sich diese Behandlung nicht gefallen. Der Pleven-Plan sei gegenwärtig ganz undiskutabel. Bleibe es bei ihm, werde man überhaupt keinen Wehrbeitrag leisten32.« Die fast sprichwörtliche Direktheit Blanks zeigt unvermittelt, was sich aus der Analyse von Adenauers hartnäckiger NATO-Politik noch deutlicher ergeben wird: daß die deutsche Bereitschaft, der westlichen Führungsmacht zu folgen, durchaus ihre Grenzen hatte, wenn fundamentale Interessen berührt wurden. Auch die weitere Reaktion Adenauers gleicht der in den Tagen nach dem Scheitern der EVG. Die Resignation weicht über Nacht, der Kurs bleibt im wesentlichen gleich, die Anpassung an die gegebenen Möglichkeiten hält sich weitgehend im verhandlungstaktischen Bereich. Was als äußeres Zeichen des guten Willens und aus sachlichen Erwägungen heraus notwendig geworden ist, geschieht. Blank wird am 6. Juli vom Kanzler zum Delegationsleiter ernannt und übernimmt am 8. Juli die deutsche Verhandlungsführung in Paris33. Doch Adenauers Prioritäten bleiben trotz der massiven amerikanischen Forderungen unverändert. Vorrangig soll noch rascher als bisher versucht werden, den deutschen Beitrag in Anlehnung an die NATO durchzubringen. Der Gedanke einer EuropaArmee wird weiterhin lediglich auf weite Sicht mitverfolgt34. Immerhin wechselte die Taktik der deutschen Verhandlungsführung in Paris. Wo vorher verzögert wurde, sollte nunmehr beschleunigt und der »französischen Verzögerungstaktik 30
31
32
Vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1487-1489. Eine etwas abweichende Darstellung bei Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 456—459; hier wird Adenauers Darstellung stärker gewichtet, weil sie sein taktisches Vorgehen und seine Zielsetzung deutlicher werden läßt; vgl. auch Adenauer, Teegespräche 1950—1954, S. 107. Baring, Außenpolitik, S. 108. Ebd.
Vgl. BA-MA, BW 9/2046, Handakte Kielmansegg, 8.7.19.12.1951, Verhandlungsführung, Weisung für die Deutsche Delegation in Paris, Bonn, 8.7.1951. 34 BA-MA, BW 9/3066, Besprechung Pleven-Plan im Palais Schaumburg am 8.7.1951; vgl. auch den Bericht von Bruce über Blanks Verhandlungsführung in Paris (10.7.1951) vom 11. Juli 1951, in: FRUS 33
1951, Vol. III, Teil 1, S. 824-826.
II. Zweite Phase: der
Kampf um
die
NATO-Mitgliedschaft
281
begegnet« werden35. Doch die Strategie blieb gleich: zuerst sollte die volle Gleichberechtigung hinreichend sichergestellt werden, bevor Rechte an supranationale Einrichtungen übertragen werden konnten36. Was außenpolitisch aufgebbar erschien, hatte auch innenpolitische Grenzen. Denn der Widerstand in der Koalition und in der SPD konnte allenfalls auf der Basis der Petersberg-Gespräche in Grenzen gehalten werden, während die Verhandlungen in Paris vornehmlich durch das innenpolitisch schwer vermittelbare Bemühen um Sicherheit weniger für als vor Deutschland gekennzeichnet blieb37. Adenauer wartete gespannt, ob es der hart auf Konfrontation gehenden Verhandlungsführung Blanks gelingen würde, in Paris seine unveränderte Konzeption auch gegen die nunmehr einander angenäherten Standpunkte der drei westlichen Besatzungsmächte durchzusetzen38. Dabei folgte Blank einer ebenso wirkungsvollen wie einfachen Verhandlungsmaxime, um gemäß der Zielsetzung des Bundeskanzlers von Anfang an die Gleichberechtigung der Bundesrepublik festzuzurren. Wenn die Franzosen Beschränkungen vorschlugen, sagte Blank: »Einverstanden! Für Euch auch!« Wenn die Franzosen beson-
dere Freiheiten forderten, erwiderte Blank: »Einverstanden! Für uns auch39!« Diese Maxime könnte ihm wegen ihrer schlichten Durchschlagskraft durchaus von Adenauer selber mit auf den Weg gegeben worden sein. Bei aller Anerkennung, die Blanks Stand- und Durchsetzungsvermögen innerhalb der deutschen Delegation im Nu gewann40, mußten seine Erfolge gegen den französischen Widerstand jedoch begrenzt bleiben. Ohnehin genoß »La Bombe Blank«, wie Jean Sauvagnargues ihn intern titulierte, eher Respekt als Wohlwollen im Quai d'Orsay41 was ebenfalls zu Blanks Gunsten —
spricht. Die Washingtoner Außenministerkonferenz stand für den September bevor, und Adenauer schätzte die Lage bis in den August 1951 hinein äußerst skeptisch ein. Wenn überhaupt ein annehmbares Ergebnis in Paris zu erwarten war woran er zweifelte —, so mußte in jedem Fall mit komplizierten, zeitraubenden und möglicherweise vorsätzlich verzögerten Verhandlungen gerechnet werden. Zudem nahmen die französischen Vorstellungen immer mehr unerwünscht präzise Formen an, die von der deutschen Delegation nicht ständig ohne außenpolitischen Schaden zurückgewiesen werden konnten. Vom baldigen Beitritt Westdeutschlands zur NATO war zudem keine Rede mehr. Kielmanseggs Lagebeurteilung vom 17. August 1951 umriß den Sachstand aus seiner Sicht: die deutsche Regierung mußte sich schnell für oder gegen den europäischen Lösungsweg —
entscheiden, die Fahrt auf zwei Gleisen war nicht mehr durchzuhalten, der letzte Moment 35 36
BA-MA, BW 9/3066, Besprechung Pleven Plan, Bl. 90 f. Marschroute
Speidel und Heusinger; vgl. Bericht de Maizière an Kielmansegg vom 21.7.1951, in:
BA-MA, BW 9/3066, Bl. 69 f. 37
Ebd.
38
Wenn Blank in Paris am
verhandelte, »sind hier alle neugierig, angefangen vom Kanzler, der dreimal Tag anrufen läßt, was eigentlich los wäre«; Schreiben de Maizière an Kaulbach vom 12.7.1951,
ebd., Bl. 65.
pointierte Schilderung verdankt der Verfasser General de Maizière, der an den damaligen Verhandlungen teilgenommen hat; Befragung vom 27.10.1977. *° Vgl. BA-MA, BW 9/3067, Bl. 73. 41 Vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 1, S. 826, Anm. 3. 39
Diese
282
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Aussteigen gekommen; dazu mußten die außenpolitischen Folgen insbesondere in bezug auf die USA sorgsam bedacht werden42. Doch Adenauer wollte noch nicht aufgeben. Die Verhandlungen in Paris gingen ihm nicht schnell genug und nicht weit genug. Die Amerikaner mußten eingeschaltet werden. Dort war dem Militärbeitrag stets besonders wohlwollend drängende Aufmerksamkeit gewidhierüber met worden. Ob der politische Aspekt der europäischen Integration und die deutsch-französischen Verständigung dies überlagernd verdeckt haben zu erreichende sollte, war noch ungewiß. Das mußte erkundet, die Sicherheitsfrage wie 1950 bemüht werden43. Deshalb übergab er am 27. August 1951 McCloy ein weiteres Sicherheitsmemorandum zur »Vorauslösung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft«44. Der Titel trog. Von der EVG war darin wenig, von Ergänzungen zum Generalvertrag dagegen viel die Rede. Adenauer schlug vor, zur Beschleunigung »zu einer Vereinbarung der Regierungen zu kommen, die als Vorläufer des Vertrages zur Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft erlaubt, unter Vermeidung von Zeitverlust mit den gesetzlichen und militärischen Maßnahmen zu beginnen, die zur Schaffung Europäischer Streitkräfte notwendig sind«. Hinter der von ihm vorgetragenen Sorge um eine frühzeitige Verstärkung der Verteidigung, deren Kurswert anders als im August 1950 wegen der am 10. Juli 1951 begonnenen Waffenstillstandsverhandlungen in Korea gesunken war, verbarg sich sein Bemühen um eine möglichst günstige Reihenfolge der Entscheidunzum
—
—
gen. Dieses wiederum läßt uns einen Blick auf seinen nicht nur zeitlich bestimmten Prio-
ritätenkatalog werfen. Zunächst sah er eine wenigstens nahezu Gleichberechtigung gewährende und von Ratifikationsschwierigkeiten befreite Regierungsvereinbarung vor. Damit waren Fakten zu schaffen. Dann sollte ein deutscher Verteidigungsbeitrag in vorläufiger Form folgen. Zur Kontrolle der zunächst notwendig nationalen Streitkräfte mußte sich damit eine atlantische Lösung als schnelle und praktische Verfahrensweise fast von selbst aufdrängen. Erst zuletzt mochte man schließlich über die endgültige Form, die in einem europäischen Rahmen durchaus ihre gewünschte Gestalt finden konnte, in gleichberechtigten Verhandlungen beraten. Damit fand bei aller Zweigleisigkeit die Bevorzugung des atlantischen Rahmens mit ihren nationalen Kontingenten gegen alle Einsprüche der Alliierten eine konsequente Fortsetzung. Adenauers Vorstoß war ein Versuch, sein Ausgang ungewiß. So nimmt es nicht wunder, —
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ein enger Beraterkreis um den Kanzler davon erfuhr und selbst de Maizière, der in der Verhandlungspause nach dem Zwischenbericht vom 24. Juli 1951 die Bundesrewenn nur
42
43
Vgl. BA-MA, BW 9/3067, Bl. 74. Vgl. das Sondierungsgespräch Blanks mit Offizieren des Eisenhower-Stabes vom 26. Juli 1951 bezüglich einer schnellen Zwischenlösung zugunsten der Ablösung des Besatzungsstatuts für einen deutschen Wehrbeitrag zu Lasten einer späteren EVG-Regelung, in: BA-MA, BW 9/3256, EVG-Konfe-
Deutsche Delegation, Berichte über inoffizielle Zusammenkünfte, 25.2.1951—30.4.1952, Aufzeichnung Blanks vom 26.7.1951, sowie BW 9/2046, Handakte Kielmansegg, Vorschlag für die Sicherheitsgarantie, 28.7.1951; FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1520f. Vgl. BA-MA, BW 9/2046, »Gedanken über eine Ergänzung zum Generalvertrag« vom 25.8.1951; inhaltsgleich mit dem Memorandum by the Chancellor of the German Federal Republic (Adenauer), 25.8.1951, Preliminary Solutions of a European Defense Community, in: FRUS 1951, Vol. Ill, Teil 1, S. 869f.; vgl. zur Übergabe an McCloy auch FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1519. renz,
44
II. Zweite Phase: der
Kampf um
die
283
NATO-Mitgliedschaft
publik bei den EVG-Verhandlungen vertrat, nur mit zweckorientierten Informationen auf die Reise nach Paris zurückgeschickt wurde. Er erhielt in Bonn die Instruktion, »daß die Bundesrepublik von jetzt an nur noch vom französischen Projekt ausgehen, nur auf seiner Grundlage die westdeutsche Bewaffnung zu verwirklichen suchen werde«45. Barings seinerzeit daraus gezogene Schlüsse sind gemäß der neuen Quellenbasis zu modifizieren. Adenauer hatte sich zu diesem Zeitpunkt weder »grundsätzlich« noch »endgültig« für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft entschieden. Die westeuropäische Einigung blieb für ihn weiterhin ein Ziel in ferner Zukunft. Die Steigerung der Bedeutung Westdeutschlands wollte er keineswegs nunmehr »gleichzeitig« mit der europäischen Einigung verfolgen. Im Gegenteil. Gerade diese Verbindung scheute er vorerst. Denn sie konnte ihn nur in starke Abhängigkeit von Frankreich bringen, was Diskriminierungen, Verzögerungen und innenpolitische Schwierigkeiten zur Folge haben mußte. Daher hatte er sich entschlossen, der Hochkommission Ende August 1951 ein weiteres Memorandum zu überreichen, um Souveränität und Wiederbewaffnung schon vor der Unterzeichnung eines EVG-Vertrages zu erwirken46. Doch der Versuch des Bundeskanzlers schlug fehl. Da seine beiden Memoranden in klarem Widerspruch zu den Weisungen standen, die McCloy im Juni in Washington bekommen und am 5. Juli Adenauer übermittelt hatte, reagierte der amerikanische Hochkommissar nach sorgfältiger Abstimmung mit dem State Department und dem Pentagon und nach Rücksprache mit Eisenhower außerordentlich scharf47. In einer selbst für den Status einer Besatzungsmacht diplomatisch ungewöhnlichen direkten Form wies er Adenauers Vorstellungen mit dem »Memorandum über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft« vom 1. September 1951 bestimmt und kompromißlos zurück48. Zunächst legte er noch einmal die amerikanischen Ziele dar. Es ginge um westeuropäische Verteidigungsstreitkräfte, und zwar unter einer dauerhaften westeuropäischen Föderation. Eine »Vorwegnähme politischer Zugeständnisse«, auf die der Bundeskanzler im wesentlichen abzielte, lehnte er ausdrücklich ab. Ein »Wiedererstehen einer deutschen Nationalarmee« schloß er kategorisch aus. Damit blieb das Tor zur NATO ebenso wie zur frühzeitigen Souveränität vorläufig weiterhin verschlossen. Statt dessen drängte er darauf, so schnell wie möglich insbesondere mit den Franzosen die EVG zustande zu bringen. Über Art und Ausmaß der dann und erst dann! zu gewährenden Gleichberechtigung ließ sich McCloy nur indirekt, vage und wenig ermutigend aus49. Das war eine Abfuhr auf der ganzen Linie. Von Adenauers Reaktion ist nichts berichtet. Immerhin wurde er für die barsche Antwort bald ein wenig entschädigt. Mit seiner —
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43 46
—
Baring, Außenpolitik, S. 111. Vgl. »Adenauer draft security treaty handed HICOMers August 30«, in: FRUS 1951, Vol. Ill, Teil 2, S. 1520 f.
47
Vgl. das gemeinsame Memorandum des State Department und des Pentagon vom 30.7.1951, in: FRUS
48
Ebd.,
49
Insoweit scheint McCloy einen restriktiveren Kurs als Acheson verfolgt zu haben, der immer noch eine wie McCloy wußte: unrealistische Zwischenlösung für eine baldige westdeutsche Rekrutierung für möglich hielt; vgl. FRUS 1951, Vol. IE, Teil 1, S. 1175-1179, hier bes. S. 1177f.
1951, Vol. III, Teil 1, S. 849-852. S. 874—877; Übersetzung in: BA-MA, BW 9/2046, Bl. 22-27. —
—
284
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bündnispolitische Zielvorstellungen
Démarche hatte er ja ganz wesentlich auch die Außenministerkonferenz im Blick gehabt, die vom 10. bis 14. September 1951 in Washington stattfand50. Und hier zeigten sich, wenn auch nicht im erhofften Umfang, doch positive Wirkungen. Gleichberechtigung, Souveränität und Deutschlands Verbindung zur NATO wenn auch über den Umweg der EVG fanden im Kommunique eine stärker als bisher herausgehobene Erwähnung. Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren darüber wurden für den 24. September in Aussicht gestellt51. Dennoch bleiben Zweifel, ob der Bundeskanzler tatsächlich »mit Optimismus und mit Vertrauen« in diese Verhandlungen hineinging52. Denn zugleich war auf französischen Wunsch beschlossen worden, daß der Generalvertrag über den der Kraft Status in treten sollte, wenn auch die EVG zukünftigen Bundesrepublik erst ratifiziert worden war. Damit blieb das politische Schicksal Westdeutschlands auch formal in einem Junktim an die französischen EVG-Pressionen gebunden, obwohl Adenauer angesichts weitgehend paralleler amerikanischer Interessen durch Achesons Bemühungen indirekt massiven Flankenschutz erhielt53. Zudem gestalteten sich die Verhandlungen zur Ablösung der Besatzungsrechte sehr schwierig54. Spätestens jetzt, so möchte man meinen, hätte Adenauer seinen Widerstand gegen das komplizierte Integrationskonzept aufgegeben. Das war um so mehr zu erwarten, als die amerikanischen Vertreter wiederholt deutlich gemacht hatten, daß sie das Schwergewicht darauf legten, »die Integration Europas durchzusetzen, und zwar als das entscheidende Element des Friedens«55. Tatsächlich hatte Adenauer sich allem Anschein nach dem Aspekt der Gleichzeitigkeit von Beseitigung des Besatzungsstatuts und Bereitstellung eines Verteidigungsbeitrages im Rahmen der EVG angeschlossen56. Die inzwischen auf hundert Köpfe angewachsene —
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30
Vgl. die Sitzungsniederschriften der Washingtoner Außenministerkonferenz vom 1951, ebd., S. 1228ff., bes. S. 1229L, 1268-1283.
31
10. bis 14.
September
Kommunique ebd., S. 1306—1308. Zum Verlauf und Ergebnis der Besprechung mit den Hohen Kommissaren am 24.9.1951 auf Schloß Ernich, dem Sitz des französischen Hohen Kommissars, vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 474—485, sowie das Verlaufsprotokoll in: Adenauer und die Hohen
Kommissare 1949-1951, S. 378-387. 32 33
Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 470f. Vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 1, Agreement
on General Relations with the Federal Republic, S. 1209-1213, hier bes. Article X, S. 1213; vgl. auch BA-MA, BW 9/2046, Übersetzung des Deutschland betreffenden Teils der Washingtoner Erklärung sowie der Dreimächteerklärung betreffend die Integration Deutschlands in eine europäische Verteidigungsgemeinschaft, 14.9.1951; siehe auch AdeZur Konauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 470f., und Grewe, Deutsche Außenpolitik, S. 51 f. operation Acheson-Adenauer vgl. etwa FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1557. Vgl. die Vorstellungen der Hohen Kommissare in: FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1528—1534, sowie Adenauers zahlreiche Gegenvorstellungen, ebd., S. 1525—1528, 1534—1536, 1540—1544, 1544—1547 und passim bzw. in der deutschen Parallelüberlieferung in: Adenauer und die Hohen Kommissare —
54
1949—1951,
passim. McCloy auf der informellen Zusammenkunft mit Adenauer am 27. August 1951; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 480; FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1517—1519. 36 Vgl. Adenauer, Teegespräche 1950—1954, Teegespräch vom 20. September 1951, S. 146—150. François-Poncet als Vorsitzender der Alliierten Hochkommission sprach in seiner Erklärung vom 24.9.1951 von »connection« zwischen EVG-Vertrag und Souveränitätsabmachungen, vgl. FRUS 1951, Vol. III, 35
So
II. Zweite Phase: der
Kampf um
die
NATO-Mitgliedschaft
285
Delegation für die EVG-Verhandlungen reiste mit frischem Mut am 1. Oktober unter Blanks Führung nach Paris, was die Aufwertung der Pariser Verhandlungen im außenpolitischen Konzept Adenauers herausstreichen sollte. Aber zu der von ihm geforderten Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit gehörte für den Kanzler nach wie vor als unabdingbare Voraussetzung unter anderem der unmittelbare Zugang zu den außenpolitischen und militärstrategischen Weichenstellungen, die im NATO-Rahmen getroffen wurden. Daher bestand er, so aussichtslos sein Unterfangen auch scheinen mochte, darauf unverrückbar bis zur Starrsinnigkeit. Auf dem Tee-Empfang vom 20. September 1951 strebte er im wesentlichen weiterhin drei Vertragswerke mit den Westmächten an, um Westdeutschland möglichst weitgehend und unwiderruflich von den Auflagen des Besatzungsrechtes zu befreien: einen gegenseitigen Sicherheitsvertrag, der u.a. die Besatzungsstreitkräfte auf die Basis eines Truppenvertrags stellen sollte; einen Vertrag über die gegenseitigen Interessen, Verpflichtungen und Konsultationen für eine gemeinsame Außenpolitik; schließlich die vertragliche Verpflichtung der Westalliierten auf das Ziel der deutschen Einheit57. Sodann hielt er am 24. September den Hochkommissaren, als diese ihm die Beschlüsse der Washingtoner Außenministerkonferenz erläutert hatten, seine zahlreichen schwerwiegenden Bedenken entgegen und verwies sie ein weiteres Mal auf sein von ihm nach wie vor für maßgebend erachtetes, am 30. August übergebenes Memorandum über den Sicherheits-
vertrag58.
Doch die Hohen Kommissare ließen sich darauf nicht ein, sondern beharrten auf ihrem während der Washingtoner Außenministerkonferenz vereinbarten und Adenauer übergebenen Vertragsentwurf59. Da der Kanzler bei der Hochkommission nicht weiterkam, wechselte er den Kampfplatz; angeregt durch Hallstein wollte er nun versuchen, über die Pariser EVG-Verhandlungen Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit mittels Beitritt zum Atlantikpakt voranzutreiben60. Auf seine Weisung hin legte Staatssekretär Hallstein in der Sitzung des interministeriellen »Planungskreises« vom 8. Oktober fest, daß der EVG-Beitritt an die Bedingung des westdeutschen NATO-Beitritts geknüpft werden solle61. Adenauers nächster Vorstoß erfolgte am 11. Oktober 1951 anläßlich einer Besprechung bei McCloy:
37 38
39
60
«
Teil 2, S. 1528—1534, hier: S. 1529; aus der deutschen Parallelüberlieferung geht das nicht hervor, vgl. Adenauer und die Hohen Kommissare 1949—1951, S. 378—387; auf das »absolute Junktim« zwischen deutschem Verteidigungsbeitrag und Selbstbestimmung hatte McCloy den Bundeskanzler nochmals am 30.9.1951 verwiesen; vgl. BA-MA, BW9/3066, Bl. 34. Vgl. Adenauer, Teegespräche 1950-1954, S. 146-150, hier bes. S. 147. Zum Streitgespräch mit den Hochkommissaren am 24.9.1951 vgl. Adenauer und die Hohen Kommissare 1949—1951, S. 378—387, hier bes. S. 384; zu seinem Memorandum über einen Generalvertrag [sog. Bürgenstock-Entwurf], ebd., S. 517—519; zur amerikanischen Überlieferung vgl. »Adenauer draft security treaty handed HICOMers August 30«, in: FRUS 1951, Vol. Ill, Teil 2, S. 1520f.; Wiedergabe des Gesprächs Adenauers mit den Hochkommissaren ebd., S. 1525—1528. Vgl. Text des Alliierten Entwurfs für einen Generalvertrag in: Adenauer und die Hohen Kommissare 1949-1951, S. 513-516.
Vgl. Baring, Außenpolitik, Ebd.
S. 113.
286
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
»Auf die Bedenken McCloys gegen die Erreichbarkeit eines vertraglichen Sicherheitsversprechens habe MD Blankenhorn eingeworfen: Das von den Alliierten vorgesehene einseitige Sicherheitsversprechen genüge der Bundesrepublik vielleicht, wenn die Alliierten sich verpflichten würden, die Aufnahme der Bundesrepublik in den Nordatlantikpakt zu unterstützen. Dieser Einwurf sei auf amerikanischer Seite großer Verlegenheit begegnet; er, Staatssekretär Hallstein, habe jedoch sogleich betont, daß eine solche Verpflichtung sogar Voraussetzung für einen Beitrag der Bundesrepublik zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft sei, denn diese werde von dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung der Teilnehmerstaaten beherrscht. Es gehe nicht an, daß einer der Teilnehmerstaaten der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, nämlich die Bundesrepublik, nur mittelbar Mitglied des Nordatlantikpaktes werde, während die anderen Teilnehmer unmittelbar Mitglieder des Nordatlantikpaktes seien. Hierin müsse eine Diskriminierung gesehen werden. Da nicht zu erwarten sei, daß Frankreich und die anderen gleichzeitig am Nordatlantikpakt beteiligten Staaten der europäischen Verteidigungsgemeinschaft aus der Nordatlantikverteidigungsgemeinschaft austreten würden, müsse die Bundesrepublik die direkte Mitgliedschaft beim Nordatlantikpakt fordern. Der Herr Bundeskanzler habe diese seine Ausführungen gegenüber McCloy lebhaft unterstützt. General Hays habe eingewandt, daß eine solche Zusage, die Aufnahme der Bundesrepublik in den Nordatlantikpakt zu unterstützen, keine Aussicht habe, von den Franzosen angenommen zu werden. Der Herr Bundeskanzler habe darauf erwidert, er werde der deutschen Delegation in Paris den Auftrag erteilen, die Frage dort zu verhandeln62.« Letzteres geschah auch. In der Besprechung des Planungskreises am 13. Oktober 1951 stand die Frage eines Beitritts Westdeutschlands zur NATO als Punkt 1 auf der Tages-
ordnung. Entsprechend der Ankündigung des Bundeskanzlers wies Hallstein Blank an, unbedingt den deutschen NATO-Beitritt in Paris zu fordern und damit Frankreich zu isolieren63. Blank solle den Beitritt zur EVG von der französischen Unterstützung für den Beitritt zur NATO abhängig machen64. Diese Weisungen spielten bis in das Jahr 1952 hinein eine gewichtige Rolle. Um der Aktion ein größeres Gewicht und vermehrte Erfolgschancen zu geben, waren mit der Zustimmung des Bundeskanzlers die betroffenen Botschafter nach Bonn berufen worden, um ein Gegengewicht gegen die zu erwartenden französischen Aktivitäten zu schaffen65. Doch auch dieser erneute Vorstoß erwies sich als ein Schlag ins Wasser. McCloy winkte ab. Monnet riet, die Frage der westdeutschen Beteiligung am Atlantikpakt aufzuschie62
BA-MA, BW 9/2046, Bericht Hallsteins in einer Besprechung mit Vertretern der deutschen EVGDelegation im Palais Schaumburg vom 13.10.1951, Zitat Bl. 39f. Immerhin berichtete McCloy nach Washington über Adenauers Drängen: »It is apparent that Chancellor now attaches importance to German membership in NATO [...] seeking assurance that Germany will not be left out of NATO when it has given its contribution to defense«; FRUS 1951, Vol. Ill, Teil 2, S. 1550. Adenauers Forderung lag an sich auf der Linie Achesons, der »actually considers that only permanent and logical solution lies in bringing Germany full membership NATO«; aber des Kanzlers hartnäckiges Drängen störte »our desire avoid frontal approach to French«; ebd., S. 1557. Und Berichte McCloys ließen keinen Zweifel über Adenauers Zielsetzungen: »During discussion which ensued it emerged that Chancellor looked toward Ger membership in NATO on same basis as other members of European
community, no more no less«; ebd., S. 1550. Vgl. Besprechung der EVG-Delegation im Palais Schaumburg vom 13.10.1951, in: BA-MA, BW 9/3066, Bl. 98 ff. Zur Weisungsbefugnis Hallsteins im Auftrag des Bundeskanzlers vgl. Greiner, Die Dienstdefense
63
stelle Blank, S. 106: »Als Dienststellenleiter war Blank dem Bundeskanzler unmittelbar unterstellt. Als Chefdelegierter handelte er im Auftrag des Auswärtigen Amtes, bei dem die Federführung für die Verhandlungen lag.« BA-MA, BW 9/2046, Bl. 42, sowie BW 9/3066, Bl. 102. —
64 63
BA-MA,
BW 9/3066, Bl. 102.
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Kampf um die NATO-Mitgliedschaft
ben, bis die EVG die Hürde in der Nationalversammlung genommen habe66.
In Bonn
die
überzeugte vorgeschlagene Abfolge nicht. Der Planungskreis blieb weiterhin skeptisch und fürchtete, daß nach der Zustimmung der Deutschen zur EVG die NATO-Frage wegen anderweitiger Schwierigkeiten unbeantwortet bleiben könne67. Selbst die bei allem entgegenkommenden Verständnis klare Absage Achesons, die Adenauer während der Außenministerkonferenz in Paris am 22. November 1951 erhielt, bewirkte nur, daß der Kanzler sich taktisch zurückhielt, um bei geeigneter Gelegenheit wieder vorstellig zu werden68. Allerdings konnte der Bundeskanzler nicht auf bessere Tage warten, da ihn zunächst innenpolitische und dann außenpolitisch veranlaßte Zwänge zur Aktion drängten. Denn nach der Pariser Außenministerkonferenz häuften sich die angestauten Probleme für ihn. Aus dem Bereich der Wirtschaft drangen Gerüchte, daß von alliierter, insbesondere amerikanischer Seite immer noch die Entflechtung von weiteren fünf großen Industriebetrieben gefordert werde69. Aus dem Kabinett wurde der Wunsch an ihn herangetragen, über den Stand der inzwischen politisch aufgewerteten Pariser Verhandlungen in Kenntnis gesetzt zu werden70. Und aus den eigenen Reihen der Regierungsfraktionen, nicht zuletzt aus Adenauers CDU, kam die Forderung nach einem Bundestagsausschuß für Verteidigungsfragen bzw. Fragen der europäischen Sicherheit71. Auf alle diese Kräfte mußte der Bundeskanzler sorgsam achten, wenn er die in Paris und Bonn auszuhandelnden Verträge über die parlamentarischen Hürden bringen wollte. Dabei kam der Frage der deutschen Vertretung im Atlantikpakt besondere Bedeutung zu, weil sie nicht nur von sachlich ausschlaggebendem Gewicht war, sondern auch bei der Opposition und bei den Regierungsfraktionen als unerläßliche Voraussetzung gefor—
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Vgl. Baring, Außenpolitik, S. 113, und FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1549-1551. Ebd., S. 113 f.; zum gemeinsamen Kommunique der Außenminister unter Teilnahme Adenauers vom 22.11.1951 vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1607-1609. 68 Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 521, sowie Wettig, Entmilitarisierung, S. 463; zu Achesons Absage bzgl. einer westdeutschen NATO-Mitgliedschaft zu diesem frühen Zeitpunkt aus Rücksicht gegenüber der strikten französischen Haltung, vgl. FRUS 1951, Vol. III, Teil 2, S. 1555—1557. 66
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Unter anderem sollen die Betriebe der Firmen Bosch und Siemens genannt worden sein; auf amerikanischer Seite hat u.a. der Rechtsberater der Hohen Kommission, Professor Robert R. Bowie teilgenommen; vgl. Schreiben de Maizière an Kielmansegg vom 29.11.1951, in: BA-MA, BW 9/3067, Bl. 108. Ebd., Bl. 152; Brief Hallsteins an Blank vom 5.12.1951. Diesem Wunsch wurde in der Kabinettsitzung vom 8.1.1952 entsprochen; Kabinettsprotokolle 1952, 194. Sitzung, TOP 1, S. 29—31. Die Information seines Kabinetts wurde vom Bundeskanzler, wie Baring und H.-P. Schwarz herausgearbeitet haben, recht restriktiv gehandhabt. Eines der zahllosen Beispiele bietet in diesem Zusammenhang das Schreiben des Bundesinnenministers Dr. Robert Lehr, der sich bitter und an konkreten Beispielen belegt über die mangelhafte Information und Zusammenarbeit bezüglich der EVG beklagt, obwohl bei ihm eine Reihe gemeinsam interessierender Fragen ressortieren; vgl. BW 9/3067, Bl. 330— 334. Aufschlußreich hierzu sind auch die Schilderungen über »Blüchers Ringen mit Adenauer beim Deutschland-Vertrag«, in: Vogel, Diplomat, S. 179—213; Vogel war außenpolitischer Berater (seit 1952 Ministerialdirigent) des Stellvertreters des Bundeskanzlers, Minister Franz Blüchers. Bericht de Maizière an Speidel vom 15.1.-2.1951, in: BA-MA, BW 9/3067, Bl. 120; die FAZ berichtete erst am 22.1.1952 ausführlicher darüber. —
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
dert wurde. Nachdem Adenauer auch auf den beiden Außenministerkonferenzen in Straßburg (11. Dezember 1951) und Paris (27.—30.12.1951) keinen Flankenschutz für seine innenpolitische Bedrängnis erhalten konnte den erhielt Frankreich, das mit umgekehrtem Vorzeichen ebenfalls aus innenpolitischen Gründen Rückendeckung suchte —, setzte er seinen Staatssekretär auf einer Pressekonferenz am 2. Januar 1952 erneut auf diesen wunden Punkt an72. Hallsteins Bemerkung, daß die Amerikaner einem deutschen NATO-Beitrag zu gegebener Zeit positiv gegenüberstünden, brachte wiederum die französische Regierung in Schwierigkeiten. Nach dem Prinzip kommunizierender Röhren setzte Robert Schuman sofort die Stellungnahme in der Nationalversammlung entgegen, daß Frankreich unverändert jeden deutschen NATO-Beitritt ablehne73. Damit war das alte Patt wieder hergestellt. Nachdem ihm öffentlich verwendbare Aussagen in dieser Frage auch durch weiteren Schlagabtausch nicht erreichbar schienen, verlegte sich Adenauer darauf, für den internen Hausgebrauch insbesondere mit Blick auf die Unruhe in seinem Kabinett günstigere Sprachregelungen zu erwirken. Offensichtlich war das Problem wegen der festgefahrenen deutsch-französischen Kontrapositionen nur noch über ein Vertagen zu lösen. Unter diesem bescheideneren Ansatz scheint Adenauer sein Zwischenziel auch erreicht zu haben. Von amerikanischer Seite wurde ihm wie stets Unterstützung zugesagt, sofern er die NATO-Frage wegen Frankreich nicht vorzeitig aufwerfe74. Und die niederländischen Delegierten auf der Pleven-Plan-Konferenz erwogen einen Kompromißvorschlag, wonach Italien und die Benelux-Staaten binnen Jahresfrist die Aufnahme Deutschlands in die NATO beantragen wollten und Frankreich sich verpflichten würde, keinen Einspruch —
—
—
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—
dagegen einzulegen75.
Noch ehe diese Saat reifen konnte, machte Paris alles zunichte: der Hochkommissar an der Saar, Gilbert Grandval, wurde am 25. Januar 1952 zum Botschafter ernannt. Nun hatte sich in Bonn noch stets an der Saarfrage mehr als an allem anderen der Unmut in den Reihen der Regierungsfraktionen entzündet. In Anbetracht der Bescheidenheit der Zuweisung von Souveränität im Generalvertrag und der Verweigerung des Beitritts zur NATO sah der Bundeskanzler ernsthaft seine Chancen, das Vertragswerk ratifiziert zu bekommen, dahinschwinden. Teils enttäuscht, teils entrüstet, empfindlich getroffen an einer innenpolitisch höchst sensiblen Stelle der Frage nationalstaatlicher Grenzregelungen —, sah er keinen Ausweg, die Probleme zu begrenzen. Und er wollte wohl hier auch nicht zurückstecken. Also konnte nur ein Entlastungsangriff noch Befreiung bringen, nachdem seine Versuche, die Abstimmung über den Verteidigungsbeitrag zu verschieben, vergeblich geblieben waren. So entschloß er sich, sowohl erneut den NATO-Beitritt als auch eine befriedigende Saarregelung als Voraussetzung für die Zustimmung zum EVG-Vertrag zu fordern. Demonstrativ wies er zudem Hallstein, der ihn in Paris auf einem Außenministertreffen vertrat, an, sich vorläufig bei Beschlüssen zur EVG der Stimme zu enthalten76. —
72
FAZ
vom
3.1.1952.
Vgl. Baring, Außenpolitik, 74 73
BA-MA, BW 9/3066, Bl.
73 76
Wettig, Entmilitarisierung, (10.1.1952).
S. 114;
173
S. 464.
Ebd., Bl. 166f. (10.1.1952). Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 516—518; siehe auch Baring, Außenpolitik, S. 114; zum
II. Zweite Phase: der
Kampf um die NATO-Mitgliedschaft
289
Während Hallstein dementsprechend am 27. Januar 1952 in Paris vergeblich die NATOFrage in Paris voranzubringen versuchte, geriet Adenauer im Kabinett unter verstärkten Druck. Insbesondere die FDP-Minister forderten in den Kabinettsitzungen vom 29. und 31. Januar 1952, daß die Bundesrepublik gleichzeitig mit dem Beitritt zur EVG auch in die NATO aufgenommen werden müsse77. Die Lage schien aussichtslos. Trotz großer Kompromißbereitschaft stieß Hallstein in Paris auf Granit. Und Adenauers Bemühungen, in der Saarfrage amerikanische Unterstützung zu erhalten, brachten eher das gegenteilige Ergebnis. McCloy drängte auf eine endgültige Regelung, die der Bundeskanzler gerade vermeiden wollte78. Gegen den aufbrandenden Widerstand in der eigenen Fraktion, der ihm in der Fraktionssitzung vom 4. Februar entgegenschlug, blieb ihm wiederum nur noch die Vorwärtsverteidigung. Er nutzte dabei die Auslandspresse und erklärte: »Er sehe sich nicht in der Lage [...], die Vertragswerke zu unterzeichnen, ehe die deutschen Wünsche in der Saarfrage und hinsichtlich eines NATO-Beitritts erfüllt seien79.« Der Regierungschef versuchte zu retten, was zu retten war. Die Dienststelle Blank wurde voll eingespannt, um die Bundestagsabgeordneten mit Auskünften und Unterlagen, die die Sachbearbeiter der Dienststelle den Abgeordneten in Einzelgesprächen, in Ausschuß- und Fraktionssitzungen zur Verfügung stellten, von den Vorzügen des Vertragswerkes zu überzeugen, ohne die Mängel ganz zu verschweigen. Und in der Bundestagsdebatte am 7. Februar 1952 bediente sich der Kanzler seines bewährten Rettungsankers in scheinbar auswegsloser Lage: er legte Zweckoptimismus an den Tag. Ungeachtet des zähen Widerstandes, den die Alliierten seiner Hartnäckigkeit entgegenstellten, verband er hoffnungsfrohe Zuversicht mit seiner unverrückbaren Forderung nach Mitgliedschaft im Atlantikpakt80. Doch diese Hoffnung war ungeachtet seines vollen persönlichen
77
78
79
80
unmittelbar folgenden französischen Gegensteuern vgl. den im französischen Kabinett akzeptierten Brief von Schuman an Acheson und an Eden vom 29.1.1952, in: FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 7—11. Vgl. Kabinettsprotokolle 1952, S. 88, Anm. 18, in Verbindung mit der Einleitung, ebd., S. XXXII sowie ausführlich Wagner, FDP und Wiederbewaffnung, S. 91—94. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 518 ff.; daß Achesons Antwort auf Schumans Brief vom 29.1.1952 dafür warb, die Saarfrage zunächst offen zu halten und damit Adenauers Position doch entgegen kam, ist dem Kanzler anscheinend nicht bekannt geworden; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 19-23. Dpa-Meldung vom 4.2.1952; vgl. zu den Hintergründen und dem Dementi Adenauers, das sich eher gegen die undiplomatisch direkte Formulierung als gegen den sachlichen Inhalt richtete: Baring, Außenpolitik, S. 115 und 297-307; Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 521 f.; Adenauer, Briefe 1951— 1953, S. 178—180 und Anm. zu Nr. 162 auf S. 551; vgl. zusammenfassend Kabinettsprotokolle 1952, Einleitung S.LXXIX f. »Es ist für mich gar kein Zweifel daran möglich, daß wir, wenn wir in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten, eines Tages auch Mitglied des Atlantikpaktes werden, ganz von selbst, meine Damen und Herren! Das kann sich nicht von heute auf morgen vollziehen [...] Aber schon bevor wir in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten und dann solche Verpflichtungen eingehen, muß auf irgend eine Weise eine Verbindung hergestellt werden, die es uns ermöglicht, auf diese Organe genau wie die anderen Einfluß zu nehmen. Das ist in meinen Augen eine absolute Selbstverständlichkeit, ein Gebot der inneren Gerechtigkeit, ein Gebot der Verantwortung, die wir
290
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
chen Einsatzes verfrüht. Und seinen vollen persönlichen Einsatz brachte er ein: Mehr mit List und Ausdauer als mit Würde verschaffte er sich als ungebetener Gast Zutritt zur Zusammenkunft der Außenminister in London81. Doch die Zugeständnisse, die er hier erwirken konnte, und die Regelungen, die auf der Lissaboner Atlantikratssitzung getroffen wurden, konnten nicht mehr als eine notdürftige Übergangslösung darstellen: in der Forderung nach NATO-Mitgliedschaft wurde er in der französischen Nationalversammlung wie vom Kabinett Faure unmißverständlich zurückgewiesen sowie von den Amerikanern und Engländern weiterhin vertröstet82. Am 27. Februar beriet Adenauer mit Hallstein und Blank in mehreren Besprechungen den Stand der Dinge nach den internationalen Konferenzen und kam zu einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis. EVG hin, europäische Integration her: der Beitritt zur NATO und die dort lockende vermehrte Souveränität zu größerem politischen Einfluß schienen dem Kanzler zu wichtig, als daß er dafür nicht bis zuletzt kämpfen sollte. Ein weiteres Mal schickte er Walter Hallstein ins Gefecht. Vor der Auslandspresse ließ er ihn erklären, daß die Bundesrepublik unverändert die Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis anstrebe83. Doch bevor er neue Initiativen starten konnte, drängten wichtigere Fragen das atlantische Thema in den Hintergrund. Am 10. März 1952 hatte die Sowjetunion ihre Deutschland-Note an die Westmächte gerichtet. Adenauers Alptraum, daß die Kriegsallianz gegen Deutschland wieder aufleben könnte, ließ schlagartig alle anderen Tagesprobleme als zweitrangig erscheinen. Angesichts dieser Konstellation rang er sich doch noch zu weiteren Zugeständnissen durch. In der Frage der Saarregelung, in bezug auf die Verbindung zur NATO und hinsichtlich der nur halbherzig gewährten Souveränitätsrechte akzeptierte er das, was ihm zu mehren vorerst nicht möglich erschien, als »eine halbe Gegenleistung«84. Allerdings blieb
gegenüber unseren Leuten haben«; in: Deutscher Bundestag. Verhandlungen. Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, 190. Sitzung vom 7.2.1952, S. 8103; zur Reaktion in der Koalition und in Frankreich vgl. Schwarz, Der Aufstieg, S. 907 f. 81 Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 523—527; Baring, Außenpolitik, S. 119; Schwarz, Aufstieg, S. 908 f. 82 Vgl. ebd., Wettig, Entmilitarisierung, S. 467—471, sowie Einzelheiten in BA-MA, BW 9/2051, Beziehungen NATO-EVG, Lissabondokumente 1952; zum Treffen der Außenminister mit Adenauer in London am 18. und 19.2.1952 vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 59-64, 67-71, 74-77; »Adenauer [...], in agreeing to proposed NATO para re EDC-NATO relationship, FedRep does not relinquish desire to be NATO member«, S. 77; zu den Besprechungen der NATO-Ratssitzungen in Lissabon vom 20.-25.2.1952 vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 107-198; zur Verweigerung des Beitritts zur NATO durch Frankreich vgl. Faure, Mémoires I, S. 379—382. 83 Die Klarstellung vor der Auslandspresse entsprach der Forderung Adenauers während des Londoner Außenministertreffens, bei dem sich Schuman und Adenauer Achesons Kompromißformel nolens volens anschlössen, wonach der westdeutsche NATO-Beitritt bis nach der Unterzeichnung des EVGVertrages offen bleiben sollte; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 67, 77 und 88 f. Zur Aufrechterhaltung der Forderung Adenauers auf NATO-Mitgliedschaft vgl. auch das Wortprotokoll der LonDeutsche auch
84
doner Außenministerkonferenz vom 18. und 19. Februar 1952, in: Adenauer und die Hohen Kommissare 1952, S. 317-333, hier S. 332 f. Baring, Außenpolitik, S. 124—162, hier S. 124, sowie die Ausführungen des Bundeskanzlers in den Kabinettsitzungen vom 10., 12. und 13. Mai 1952, in: Kabinettsprotokolle 1952, S. 274—320.
III. Dritte Phase: zwischen
EVG-Erwartungen und Gefolgschaft gegenüber den
USA
291
durchgehend bis zum Ende dieser Phase die Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis stets ein ganz vorrangiges Nahziel, das ihm nicht nur zeitlich näher lag als das Ungewisse Experiment der Europa-Armee. Adenauer konnte bis zum Mai 1952 seine Ziele nicht im erwarteten Umfang erreichen. Ob er bis dahin in seiner Westpolitik Chancen ungenutzt gelassen hat, erscheint kaum noch fraglich. Seine Beharrlichkeit, sein verhandlungstaktisches Stehvermögen, ja seine in den Augen seiner Verhandlungspartner fast starrsinnige Hartnäckigkeit in der Frage des NATO-Beitritts, die hier zur Klärung dieses Aspektes nachgezeichnet wurde, lassen ihm
sehr wahrscheinlich erscheinen, daß unter den gegebenen Rahmenbedingungen tatsächlich nicht mehr für einen westdeutschen »Kernstaat« herauszuschlagen war. Es wäre übertrieben, wollte man das Vertragswerk von Bonn und Paris, das Ende Mai 1952 unterzeichnet wurde, als einen großartigen Erfolg hinstellen. Es konnte nicht mehr als ein bescheidener Anfang sein von ostpolitischen Desiderata ganz zu schweigen. Und Adenauer wußte es. Zwei aufmerksame Beobachter haben von den Unterzeichnungszeremonien berichtet. Felix v. Eckhardt spürte die Unzufriedenheit des Kanzlers mit dem bisher Erreichten: »Der Kanzler setzte mit unbewegtem Gesicht seine Unterschrift unter die Dokumente. Ein Abschnitt seines großen Werkes war erreicht, jetzt begann der Kampf um die Ratifizierung der Verträge85.« Es war nicht nur die kommende innenpolitische Belastung, die den Regierungschef bedrückte, es war vor allem der Minderstatus, den er mit dem Generalvertrag und seinen Zusatzverträgen für die Bundesrepublik und auch für sich als Kanzler in Bonn unterschreiben mußte. Das gleiche gilt für den in Paris unterschriebenen EVG-Vertrag. Hier mußten die Chancen für die Ratifizierung als noch schlechter eingeschätzt werden, obwohl die Unmöglichkeit zutage lag, daß Diskriminierungen hätten vermieden und daß der Beitritt zur NATO hätte erreicht werden können. Die »gedrückte Stimmung«86 des Kanzlers anläßlich der Unterzeichnung des EVG-Vertrags im Quai d'Orsay am 27. Mai 1952 wird so nur zu verständlich. »Adenauer saß während der ganzen Zeit steinern da. Seine Miene änderte sich nicht, bis auf ein einziges Mal, als sich Eden, der neben ihm saß, zu ihm beugte und eine scherzhafte Bemerkung machte, die ein schwaches Mona-Lisa-Lächeln über das Gesicht des Deutschen huschen ließ [...] Bei der Champagnerfeier nach dem Ereignis sprach ich mit Adenauer, der sagte, er halte das Ganze für »einen brillanten Erfolg« der amerikanischen Politik87.« es
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III. Dritte Phase: zwischen EVG-Erwartungen und Gefolgschaft
gegenüber den USA
Die Bevorzugung der EVG mit ihrem supranationalen Ansatz durch die Vereinigten Staaten
folgenden Phase, die durch mehrere deutschlandpolitische Sowjetunion gekennzeichnet war, eine wesentliche Orientierungslinie für
blieb während der
Initiativen der
nun
Eckardt, Ein unordentliches Leben, S. Ebd., S. 189. 87 Sulzberger, Straßen, S. 460.
83
86
188.
292
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Adenauers Außenpolitik. Während die vorangehende 2. Phase dadurch geprägt war, daß der Bundeskanzler schneller mehr an Souveränität und bündnispolitischer Verklammerung mit dem Westen besonders aber über die Atlantische Allianz direkt mit den Vereinigten Staaten zu erwirken suchte und während er in jener Zeit immer wieder alternative Wege vor einer übereilten europäischen Integration ins Gespräch zu bringen versuchte, änderte er seine Taktik nach den sowjetischen Noten vom März und April 1952 sowie mit der Unterzeichnung des Vertragswerkes vom Mai 1952. Von nun an verlegte er sich außenpolitisch überwiegend darauf, die Ratifizierungsprozesse in den Partnerstaaten geduldig abzuwarten88, wobei in den dazwischen liegenden Detailverhandlungen im Pariser Interimsausschuß noch möglichst viel an Diskriminierungen gemildert oder entfernt werden sollte, was auch geschah. Obwohl die französische Delegation dort im entgegengesetzten Bemühen über Zusatzprotokolle zusätzliche Sicherungen zugunsten Frankreichs einzubringen versuchte, gelang es der deutschen Delegation im Interimsausschuß, in zähen Verhandlungen und mit geschicktem Taktieren wobei ihr die von der Sache her gegebenen vernünftigeren Argumente halfen —, eine Reihe von Verbesserungen durchzusetzen89. Doch Wunder waren nicht zu erwarten. Daher mußte sich der Bundeskanzler innenpolitisch desto mehr einsetzen, um die Verträge trotz ihrer offensichtlichen Mängel durch die Gesetzgebungsverfahren zu schleusen. Die Widerstände, die er im Kabinett, in den Koalitionsfraktionen, seitens der Opposition vor allem im Wahlkampf 1953, aber auch auf verfassungsrechtlichem Gebiet in Karlsruhe zu überwinden hatte, absorbierten in dieser Phase den größten Teil seiner Zeit und seiner Kräfte90. Seine außenpolitische Konzeption stand bis in den März 1954 unter der Maxime, vor allem anderen im eigenen Staat das Vertragswerk unter Dach und Fach zu bringen und im übrigen außenpolitisch auf bessere Tage zu warten. Doch dort waren günstigere Bedingungen nicht in Sicht. Im Gegenteil: Von der sowjetischen Politik sah er die größten Gefahren heraufziehen. Hinsichtlich der März-Note des Jahres 1952 fürchtete er, sie könnte den Bruch der vier Siegermächte auf Kosten Deutschlands kitten. Mit dem Tod Stalins und den folgenden entspannungspolitischen Initiatizunächst gegen seinen Widerstand und dann aus wahlven Moskaus und Londons, die taktischen Gründen mit seiner Zustimmung zu einem Vier-Mächte-Treffen über Deutschland schließlich Anfang 1954 zur Berliner Konferenz führten, blieb für ihn diese Gefahr während der ganzen Zeit dieser Phase mehr oder weniger aktuell bestehen. Infolgedes—
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88
89 90
Doch gänzlich gibt er seine Bemühungen um einen möglichst frühzeitigen Beitritt zur NATO auch in dieser Zeit nicht auf; vgl. für den 15.12.1952 mit Verweis auf Tagebuchaufzeichnungen und Materialien Blankenhorns Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, S. 59; Schwarz stellt den taktischen Wechsel Adenauers weniger in den Zusammenhang der sowjetischen, britischen und französischen Initiativen zu Gipfelgesprächen und stärker in den Kontext »bedingungslosefr] Anerkennung der amerikanischen Führung« durch Adenauer (ebd., S. 61); dies ist bezüglich der nach außen hin gezeigten Alternativlosigkeit des Kanzlers hinsichtlich der EVG in dieser Phase auch zutreffend.
Vgl. Meier-Dörnberg, Die Planung, S. 734—753. Vgl. inhaltsreich Volkmann, Die innenpolitische Dimension, S. 330—462. Als Erfolg konnte der Regierungschef verbuchen, daß der Bundestag als erster EVG-Staat den Vertrag verabschiedete, und das lag nicht nur daran, daß die anderen Vertragspartner diesen Vorgang erst abwarten wollten; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 560.
III. Dritte Phase: zwischen
EVG-Erwartungen
und
Gefolgschaft gegenüber den
293
USA
sah sich Adenauer veranlaßt, sich während dieser Ungewissen Entwicklungen mit Initiativen gegen die Vorstellungen der Westalliierten so divergierend sie im Einzelnen auch sein mochten auf das Äußerste zurückzuhalten. Wie die ostpolitischen Fühler, die die britische Außenpolitik besonders mit Churchills Anregungen zur »Gipfeldiplomatie« ausstreckte, und wie auch französisch-sowjetische Annäherungsversuche ihm zeigten, lag dieser taktischen Linie genug Anlaß zugrunde. Letztere bestimmten in der deutsch-französischen Divergenz über EVG und NATO sogar die amerikanische Haltung. Denn in Washington befürchtete man, daß Frankreich, wenn man zu sehr dränge, »zu den Russen abspringen« könne91. Aus diesen und anderen Gründen blieb daher auch die amerikanische Politik dogmatisch auf den Kurs supranationaler Entwicklung der westeuropäischen Einigung und damit auch auf die westdeutsche Aufrüstung im Rahmen der EVG festgelegt92. Zu alledem war durch die internationale Entwicklung auch noch die Bedeutung des deutschen Militärbeitrages weiter gesunken. In Korea war es am 22. Juli 1953 zu einem Waffenstillstand gekommen; politische Einigungen mit dem Gegner schloß der Ost-West-Konflikt also nicht mehr von vorn herein aus. Im September 1953 hatten die USA ein weitgehendes Abkommen mit Spanien geschlossen, in dem man bündnispolitisch den Schlußstein für die vieldiskutierte Möglichkeit einer »peripheren Verteidigung« der Vereinigten Staaten sehen konnte93. Und militärstrategisch verdichteten sich amerikanische Vorstellungen, den Schwerpunkt der Verteidigung weniger auf Landstreitkräfte die die Bundesrepublik in erster Linie anzubieten hatte als auf die Luftwaffe und deren nukleare Bewaffnung zu legen. So sprach aus Adenauers Sicht in der Tat viel dafür, sich vorerst eher in Deckung zu halten sowie eigene Wünsche und Vorstellungen zunächst hintanzustellen. Allerdings sprach auch einiges dagegen. Insbesondere brachten die französische Verzögerungstaktik und die zusätzlichen Änderungswünsche, die Paris mit den Zusatzprotokollen im Februar 1953 forderte, den Bundeskanzler außenpolitisch in Bedrängnis, was dieser gerade im Jahr der Bundestagswahl auch innenpolitisch mehr als mißlich empfand. Trotz seines überaus eng gewordenen Handlungsspielraums versuchte er deshalb, wenn nicht zu verbessern, so doch auf der Basis des Erreichten zu beschleunigen. Doch das blieb Sisyphos-Arbeit. In Frankreich verstärkten sich die Widerstände gegen das EVG-Konzept. Weitere deutsche Zugeständnisse wären, wenn denn damit überhaupt Aussicht auf Erfolg bestanden hätte, zu sehr an die Substanz »nationalen Interesses« gegangen. Alles, was die Ratifizierungschancen in Frankreich hätte erhöhen können, mußte zwangsläufig die Aussichten für die Ratifizierung in Bonn verschlechtern. Dieser Weg erwies sich als innenund koalitionspolitisch nahezu ungangbar. Großbritannien stand, soweit der Kanzler die dortige Einschätzung beurteilen konnte, der EVG bestenfalls neutral gegenüber. Das dort wiederholt erwogene Alternativkonsen
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Vgl. den deutsch-amerikanischen Meinungsaustausch während der Amerikareise Blanks im Sommer 1953, in: BA-MA, BW 9/2527-3, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II, Eintrag vom 20.7.1953. 92 Vgl. dazu ausführlich oben, Kapitel B.1.1. 93 Vgl. oben, Teil B.I. I.e. 91
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
zept eines Beitritts Westdeutschlands zur NATO scheiterte vorerst am französischen und daher zugleich am amerikanischen Widerstand. So konnte Adenauer auch von hier kaum Hilfe erwarten94. Dennoch wollte er die Chancen in Washington genau ausloten, zumal er damals entschlossen war, »bedingungslos auf die USA zu setzen«95. Er hatte reichlich Gründe dafür anzunehmen, »daß die Amerikaner z.Zt. unsere einzigen Freunde sind und daß wir England und Frankreich zuliebe nicht auf diese, unsere Freunde, die zugleich die Entscheidung in der Hand haben, verzichten können«96. So sandte der Kanzler am 15. März 1953 seinen Vertrauten Blankenhorn insgeheim ohne den amerikanischen Hohen Kommissar Conant vorher zu informieren nach Washington, wo Blankenhorn versuchte, Zustimmung zu zwei Vorschlägen Adenauers zu erwirken: unmittelbar nach der Ratifikation des EVG-Vertrages durch Westdeutschland solle die entsprechende Aufstellung des Wehrbeitrages in Angriff genommen werden und gleichzeitig der Generalvertrag ohne Junktim mit dem EVG-Vertrag in Kraft treten97. Mit Rücksicht darauf, daß die Franzosen und Briten nicht einverstanden waren, wurde dies in Washington jedoch ebenso ausgeschlagen wie Adenauers tastender Versuch während seiner USA-Reise im April 1953, die Hohen Kommissare zu Botschaftern umzufirmieren und die deutschen Gesandtschaften bei den westlichen Siegermächten in Botschaften umzuwandeln98. Mit dem erdrutschartigen Wahlsieg vom 6. September 1953 und den nachfolgenden Koalitionsverhandlungen verschaffte sich der Kanzler zwar die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, um EVG- und Generalvertrag ratifizieren zu können, doch verstärkte sich auch seine Ungeduld, der der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende v. Brentano gegenüber Conant Ausdruck verlieh: wenn die Verträge nicht bis spätestens März 1954 in Kraft träten, müsse Deutschland auf NATO-Mitgliedschaft bestehen99. Die NATO-Alternative konnte inzwischen intern wieder angesprochen werden, weil Churchill auf dem Parteitag seiner Partei in Margate am 10. Oktober 1953 die Aufnahme Westdeutschlands in die Atlantische Allianz für den Fall angekündigt hatte, daß Frankreich die EVG ablehnen würde100. Das entsprach auch Adenauers Lagebeurteilung, wie er gegenüber v. Brentano und Krone am 19. Oktober 1953 feststellte: von
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»Wenn die
Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht zustande komme, dann bleibe, so meinte der Kanzler, nichts anderes übrig, als das direkte Zusammengehen mit Amerika und die Bildung einer Nationalarmee sowie deren Einordnung in die NATO. Er wolle, so betonte er noch einmal, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft; doch was bliebe übrig, wenn diese scheitere101.« 94 93 96 97 98
Vgl. oben, Teil B. II. Schwarz, Gründerjahre, S. 207.
Adenauer, Briefe 1951—1953, Brief an den Abgeordneten Blumenfeld
vom 4.8.1953, S. 419f. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 770-773; sowie Vol. VII, Teil 1, S. 405-408. FRUS 1952-1954, vol. V, Teil 1, S. 786-788. Vgl. auch Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 570ff.; Einzelheiten zu seinen bündnispolitischen Wünschen und bezüglich der Saarfrage worin er in beidem negativ beschieden wurde in: BA-MA, BW 9/2067, Aufzeichnungen über die Begleitung des Bundeskanzlers nach den USA 1.—19. April 1953. Gespräch v. Brentano Conant vom 13.10.1953; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 822f. Vgl. Documents on International Affairs, S. 95. Archiv für Christlich-Demokratische Politik, 1-028, Tagebuch Heinrich Krone, Notizen 1946—1956, S. 415, zit. nach Gotto, Die Sicherheits- und Deutschlandfrage, S. 137 und Anm. 1.
Vgl.
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99 100 101
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III. Dritte Phase: zwischen
EVG-Erwartungen und Gefolgschaft gegenüber den
USA
295
Allerdings zeigte Adenauers komfortable Regierungsmehrheit auch ihre Schattenseiten. Die national orientierten Kräfte gingen gestärkt aus der Wahl hervor, und das spiegelte sich auch in der Regierungsbildung wider; zudem scharte sich um den neuen FDP-Fraktionsvorsitzenden Dehler, der nicht mehr in die Kabinettsdisziplin eingebunden wer-
den konnte, eine »Opposition in der Koalition«, »ganz besonders im Bereich der Deutschlandpolitik und der Saarfrage«102. Ein für den Erfolg des EVG-/Generalvertragswerks nötiges deutsch-französisches Arrangement in der Saarregelung stand damit für den Kanzler nicht nur vor innenpolitischen Hürden, sondern auch außenpolitisch wegen der bevorstehenden Berliner Außenministerkonferenz in einem engen Handlungsrahmen, der ihm allzuviel Flexibilität und Entgegenkommen als doppelt gefährlich erscheinen ließ. Das ist der Hintergrund, vor dem Conant für Dulles am 28. Oktober 1953 sein zutreffendes Lagebild zeichnete:
»Possibly the Chancellor believes the United States will force the French to ratify without a settlement of the Saar problem. There is even a remote possibility that under the influence of the more nationalistic elements in his coalition he may himself be flirting with the idea of a national German army within the NATO framework103.«
Auch der stellvertretende amerikanische Hohe Kommissar, Dowling, verspürte die wachsende Ungeduld der Bundesregierung und stellte am 2. November 1953 eine Liste denkbarer Verbesserungen des verzögerten Vertragswerkes vorwegnehmender Aktionen zusammen; sie sollten als unilaterale, nicht konsensbedürftige Verfahrensweisen die Bundesregierung stärken, ohne die Franzosen vor den Kopf zu stoßen, diese vielmehr zur beschleunigten Ratifizierung ermuntern104. Das war ein gutgemeinter Versuch zur Quadratur des Zirkels. Adenauers Urteil vom August 1953, daß am ehesten noch von »unseren amerikanischen Freunden« Unterstützung zu erwarten war, lag zwar richtig; aber an der doppelten Vetomacht Frankreichs in Sachen EVG/NATO konnten auch die USA nicht ohne weiteres vorbeigehen. So ist es teilweise verständlich, wenn Dulles in seinem Schreiben an Adenauer vom 20. November 1953 alle Blütenträume zerstörte: die amerikanische Europapolitik basiere auf der »imperative necessity« einer französisch-deutschen Einheit; es gehe nicht um eine Wahl zwischen Frankreich oder Deutschland, sondern um eine vollständige und wirksame französisch-deutsche Integration; zur EVG gebe es keinerlei Alternative; der Kanzler möge sich um eine rasche Saarregelung mit den Franzosen bemühen; entgegen allen anderslautenden Berichten würden die USA auch weiterhin nur die europäische Integration unterstützen, worum er auch den Kanzler bitte105. —
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Schwarz, Gründerjahre, S. 200, und ders., Adenauer: Der Staatsmann, S. 113 f.; vgl. als prägnanten Überblick die Editions-Einleitung von Udo Wengst zur »Außen- und Deutschlandpolitik« mit Hin-
weis auf die zwei konkurrierenden außenpolitischen Denkschulen in der FDP, in: FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949—1954, S. LXXXIII—XCII, hier bes. S. XCIf. mit Verweis auf Fundstellen der Edition. Persönlicher Bericht Conants an Dulles, in: FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 831-833, hier S. 832. Ebd., S. 835-838. FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 2, S. 1477 f. Damit folgte Dulles konsequent der grundlegenden Direktive Eisenhowers zur Deutschlandpolitik, die den NATO-Beitritt erst nach der EVG-Ratifkation ohne Hast ansteuern wollte; vgl. NSC 160/1 vom 13.8.1953, in: FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 510-520, hier bes. S. 519.
296
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Angesichts dieser jeden Zweifel ausräumenden dogmatischen Festlegung sah Adenauer keinen erfolgversprechenden Handlungsspielraum mehr und erwähnte daher im Gespräch mit Dulles während der Außenministerkonferenz der NATOVEVG-Staaten in Paris am 13. Dezember 1953 einige eher technische Forderungen bezüglich der NATO-EVG-Ver-
bindungen
beiläufig106. Gespräche und Vorstöße immer wieder darauf hinaus, daß die amerikanische Außenpolitik Alternativen zur EVG oder vorweg zu bewilligende Souveränitätsrechte blockierte. Ihren Höhepunkt erreichte diese amerikanische Marschroute in der Warnung Dulles', daß jeder andere Weg als der der EVG zu einer »schmerzhaften Überprüfung« amerikanischer Außenpolitik führe107. In der Bundesrepublik zeigte diese rigide Handlungslinie Wirkung. Wie die Verhandlungsanweisungen der Dienststelle Blank erkennen lassen, hatte der Bundeskanzler entsprechend sichergestellt, daß die rein europäische Linie von der deutschen Delegation um keinen Fußbreit verlassen wurde. Das wurde dort bisweilen nur schwer verstanden, empfand man wohl auch als unangemessen einengend108. Besonders in der Dienststelle Blank zweifelte man aus sachlichen Überlegungen zunehmend daran, daß die amerikanische Regierung und insbesondere das Pentagon in den militar- und bündnispolitischen Festlegungen derart auf die europäische Integration mittels der EVG fixiert waren. Während Heusinger im Sommer 1953 aus Amerika noch den Eindruck mitbrachte, daß »die Lösung mit der EVG [...] von den Amerikanern unter allen Umständen durchgezogen [wird]«109, hieß es bei aller Skepsis bereits im November 1953: »Die Alternative der NATO-Lösung ist immer da110.« Doch darüber wurde in der Öffentlichkeit nicht geredet. »Soweit bei nur
So liefen alle
106
i°7
108
Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 865-868, hier S. 867; in Adenauers Erinnerungen 1953-1955, S. 235—237 erwähnt er diesen Teil seiner Unterredung nicht.
FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 461, 468 u. 868. Hallstein und Blank hatten sich »auf die Linie des schweigenden Abwartens« festgelegt. »Dadurch, daß man nie Weisungen erhält, schwebt man ja ständig im Ungewissen, ob man richtig handelt und gegenüber den Ausländern die richtigen Argumente verwendet«; vgl. den Brief Albrecht v. Kessels an Graf Kielmansegg vom 25.1.1953, in: BA-MA, BW 9/2270, Bl. 65; v. Kessel und v. Kielmansegg waren beide Roßleben-Schüler wenn auch unterschiedlichen Jahrgangs —, verstanden sich hervorragend und konnten daher eine unverblümte, bisweilen pointierte Korrespondenz pflegen; so findet sich hier eines der raren Beispiele intern geäußerter Kritik v. Kessels »gegen ein System der Außenpolitik, das mir schon seit langem Kopfzerbrechen bereitet«; ebd., Bl. 84 (29.1.1953). BA-MA, BW 9/2527-4, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II, Eintrag vom 20.7.1953; »offen ist nur, wie lange das noch dauert. Heusinger glaubt an die Ratifizierung im Winter und 1954 Beginn der praktischen Arbeit. Er sieht keine andere Lösung«, ebd. Kielmansegg am 10.11.1953, in: BA-MA, BW 9/2527-4. Die NATO-Lösung behielt selbstverständlich auch in der 3. Phase für Adenauer einen hohen Stellenwert. Sein dahin gehendes Drängen stieß jedoch selbst in Washington auf unüberwindlichen Widerstand. Es muß hier auf den interessanten Exkurs verzichtet werden, mit welcher Bedeutung der Kanzler die Tatsache belegt hat, daß der Bundesrepublik der NATO-Fragebogen, welcher den finanziellen Beitrag der NATO-Staaten für das Rechnungsjahr 1953/54 umfaßte, im August 1952 zugestellt wurde. Er wurde ihm über Blank und Hallstein unverzüglich vorgelegt und mit Vorrang im Kabinettsausschuß beraten. Auch Blücher wertete diesen Vorgang als bemerkenswerten Fortschritt und bemühte sich wie so oft ohne sonderlichen Erfolg —, in den außenpolitischen Fragen verstärkt eingeschaltet zu werden, wobei er die wirtschaftspolitischen Koordinierungsaufgaben seines Ministeriums nach Möglichkeit zu erwei—
109
110
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III. Dritte Phase: zwischen
EVG-Erwartungen und Gefolgschaft gegenüber den
USA
297
Skepsis gegenüber der EVG ist, darf sie nicht nach außen dringen«111, lautete Heusingers Weisung. So spiegelt sich in der gesamten dritten Phase, die ihre Charakteristik für unseren Zusammenhang maßgeblich durch Churchills Entspannungsbemühungen, französische Versuche zur Wiederbelebung der Vier-Mächte-Kontrolle über Deutschland sowie zahlreiche sowjetische Noten an die Westmächte und des Kanzlers Einflußnahme auf deren Beantwortung erhielt, Adenauers erwartungsvoll-loyale Gefolgschaft gegenüber der amerikanischen Europapolitik auch in den Weisungen und der Verhandlungsführung der Dienststelle Blank wider. »Blank hat entschieden, daß die rein europäische Linie aufrecht erhalten bleibt, nur spezielle Auflockerung nach Vorbesprechung112.« So nachvollziehbar die nach außen hin demonstrierte EVG-Festigkeit der Bundesregierung ist, so deutlich muß uns
dann aber auch den Preis mit in den Blick nehmen, der für diesen engen Schulterschluß mit der amerikanischen Europapolitik gezahlt wurde. Denn offensichtlich waren auch die zukünftigen Bündnispartner dem irrigen Eindruck erlegen, daß für den Kanzler ganz vorrangig eine europäisch integrierte EVG-Armee und weit weniger eine im NATO-Rahmen kontrollierte nationale Armee willkommen gewesen wäre. Jedenfalls wurde diese so nicht zutreffende Interpretation westdeutscher Präferenzen öfters intern vor allem in Washington, aber auch in London und Paris zugunsten des Beharrens auf dem weitgehenden Integrationsansatz der EVG geltend gemacht. Ganz nach diesem Muster lief auch die Diskussion am 5. Dezember 1953 während der Bermudakonferenz ab; als Churchill damals für Bidault als Alternative zur EVG die NATO-Lösung für die deutsche Aufrüstung ins Gespräch brachte, fuhr ihm Eisenhower unter Mißachtung der Rednerliste in die Parade, indem er Adenauers angebliche EVG-Festlegung zur Blockade des britischen Vorschlags benutzte: man
»There
was one
important item which he felt had not been mentioned and that was the fact that the
Germans, under their present leaders, do not want a German national army. He was certain that Chan-
cellor Adenauer had no intention of setting up a mechanism which might be seized by the Hitler youth [...] he felt that to resort to a national army was a second choice so far behind EDC that there could be no comparison. He did not even know if the Germans would agree. The last time he had talked to Chancellor Adenauer, the latter had been unalternably opposed to the idea. EDC must succeed. There could be no second alternative11.« trachtete. Auch Finanzminister Fritz Schäffer von der CSU mit Vizekanzler-Aspirationen versehen und Wirtschaftsminister Erhard waren nicht nur von Amts wegen intensiv mit dieser Materie befaßt; vgl. verstreute Bestände im BA-MA, BW 9, z.B. BW 9/904 b, Bundesrat, Finanzausschuß 1953/54; BW 9/923, Truppenvertrag/Finanzabkommen 1952—54; BW 9/974 und 975, NATOFragebogen 1952, sowie zu Blücher: Vogel, Diplomat, S. 179—248. BA-MA, BW 9/2527-5, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II, Eintrag vom 20.1.1954; dabei machte Heusinger sich und seinen Mitarbeitern Mut: »Ich glaube nach wie vor, daß die Lösung der EVG kommt«. Das ist um so bemerkenswerter, als die affektive Integrationsaffinität auf der Obristenebene (v. Kielmansegg, de Maizière) wesentlich stärker ausgeprägt war als bei der Generalität (Heusinger, Speidel), die schon aus praktischen Erwägungen zumindest die Anfänge der Wiederbewaffnung nicht ungern ohne die Schwierigkeiten supranationaler Verschmelzungsprozesse durchgezogen hätten. BA-MA, BW 9/2527-4, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II, Eintrag vom 24.1.1953. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1782f. tern
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111
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112 i'3
298
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Insoweit lag es ohne bewußtes eigenes Zutun auch am Kanzler selber, daß die westlichen Siegermächte seine auf Vertrauensbildung setzende Argumentation gegen eine deutsche Nationalarmee, also entgegen seinen ursprünglichen Zielsetzungen zuungunsten eines möglichst frühen NATO-Beitritt verwenden konnten. Die dem Kanzler abgerungene offizielle EVG-Loyalität versperrte ihm so als ein Mosaikstein von vielen zugleich einen frühzeitigeren NATO-Beitritt. Nicht zuletzt Adenauers Politik in diesem Zeitabschnitt ist es zuzuschreiben, daß in der Literatur die Wertung vorherrscht, er habe den zukunftsweisenden supranationalen Ansatz europäischer Lösungen insbesondere in seiner EVG-Politik mit Vorrang verfolgt. Dagegen ragt jedoch in dieser Phase vielmehr eines seiner durchgehenden und hier durchschlagenden Motivationsmuster unübersehbar heraus: Zwischen der StalinNote vom März 1952 und der Berliner Außenministerkonferenz 1954 folgte er stärker als vorher und nachher den Antriebskräften, die teils im Zusammenhang mit den zahlreichen deutschland- und europapolitischen Vorstößen der Sowjetunion und deren Ungewisser Resonanz in Paris und London und teils von der amerikanischen Führung und ihrer starren Fixierung auf ein supranationales Europa ausgingen und das nicht nur, »wenn es um die militärische Sicherheit ging«114. Was Hans-Peter Schwarz als intimer Adenauer-Kenner feststellte, findet im neuen Quellenmaterial seine uneingeschränkte Bestätigung: Adenauer hat —
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»die EVG dann wider bessere eigene Einsicht aufgegriffen, war aber in der Folge natürlich gezwungen, sich mit dem Konzept voll zu identifizieren, wenn er es innen- und außenpolitisch durchsetzen wollte. Ob er nach einiger Zeit selbst daran geglaubt hat, daß dieser Ansatz in der vorgesehenen Art und Weise funktionieren und die Sache Europas verläßlich voranbringen könnte, bliebe noch genauer zu untersuchen. Die öffentlichen Stellungnahmen allein sind hierfür kein ausreichender Beleg115.«
Außenpolitisch eingespannt zwischen der europäischen Integrationsdogmatik der USA, der britischen Integrationsabstinenz, der französischen Verweigerungshaltung, den schwer kalkulierbaren sowjetischen Manövern von der März-Note Stalins 1952 über die kollektive Führung nach Stalins Tod und Berijas Sturz bis zur Berliner Außenministerkonferenz 1954 einerseits und dem verstärkten innenpolitischen Druck in der Deutschlandund Saarpolitik andererseits hat Adenauer seinen Handlungsspielraum zwischen diesen beiden Mühlsteinen zutreffend als gefährlich eng eingeschätzt. Um so bemerkenswerter sind seine Versuche, dem anspruchsvollen EVG-Integrationskonzept dennoch alternative Wege zeitlich vorzuziehen. Das deutet auch für die dritte Phase darauf hin, daß seine Zweifel an diesem Ansatz, der sehr schnell sehr viel europäische Einigung anstrebte, stärker blieben als seine taktisch hoffnungsfroh gestimmten Äußerungen glauben lassen könnten.
114
Schwarz, Adenauer und Europa, S. 485.
113
Ebd.
299
Vorbereitungen für die Lösung des Junktims zwischen Souveränität und Wiederbewaffnung
IV Vierte Phase:
Auch die folgende Phase ist geprägt durch außenpolitische Handlungszwänge und deren innenpolitische Rückwirkungen. Ihr entscheidendes Kennzeichen liegt jetzt aber in den Weichenstellungen, die der Kanzler ähnlich wie vor dem Frühjahr 1952 auch gegen außenpolitische Hemmfaktoren frühzeitig in die Wege leitete. Mit dem Ausgang der Berliner Konferenz stellte er erleichtert fest, daß es nicht zu einer Einigung der vier Siegermächte über Deutschland gekommen war. Allenfalls mochte man eine Übereinstimmung darin sehen, daß keine Seite bereit war, dem jeweiligen Blockgegner wesentliche Zugeständnisse für den Fall einer deutschen Wiedervereinigung einzuräumen. Die Gegensätze der Blöcke bestanden nahezu unvermindert fort, und Adenauers Sorgen, z.B. vor einem Wiederaufleben des Kontrollrates, die während der dritten Phase den Wechsel seiner Taktik so entscheidend mit bewirkt hatten, konnten nunmehr wieder ein wenig in den Hintergrund treten. Allerdings waren für ihn die Gefahren damit keineswegs gebannt. Weitere sowjetische Noten, britische und französische Ostinitiativen und innenpolitische Forderungen nach Aufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu den Ostblockstaaten, um eine flexiblere Außenpolitik zu ermöglichen, gaben ihm auch in dieser Phase immer noch genügend Anlaß, Momente der Gefahr zu betonen. Das veranlaßte ihn auch, seine Initiativen nur sehr behutsam und nach sorgsamen Vorbereitungen ins Gespräch zu bringen. Eine möglichst weitgehend gesicherte ostpolitische Rückendeckung bei den Westmächten gehörte zu den kardinalen Grundvoraussetzungen, von denen er seine Westpolitik maßgeblich abhängig hielt. Im übrigen stellte sich auch im Westen heraus, daß neue Ansätze ebenso notwendig wie schwierig waren. Vor allem die Vereinigten Staaten und scheinbar auch Großbritannien blieben unvermindert dem sich zusehends totlaufenden Projekt der EVG verhaftet. Die anglo-amerikanischen Garantieerklärungen vom 13. und 16. April 1954, die die EVGStaaten des atlantischen Rückhaltes versichern sollten, wurden jedoch in Frankreich als nicht zufriedenstellend bewertet. Vielmehr häuften sich beim französischen Nachbarn für den Bundeskanzler die Probleme, die sich gegen die deutsch-französische Verständigung auftürmten. Als innenpolitisch brisant erwies sich vor allem die Forderungen Frankreichs hinsichtlich der Saar, die Ende März 1954 direkt dazu führten, daß die Saar-Verhandlungen ohne Einigung abgebrochen wurden; indirekt folgte daraus die Verschiebung der für den 30. März geplanten Konferenz der Montanunion/EVG-Staaten über die zukünftige Europäische Gemeinschaft. Die politischen Turbulenzen im Westen hatten also bereits gerade für Adenauers Außen- und Sicherheitspolitik folgenschwere Schäden angerichtet. Zu allem kam nun auch noch, daß die Sowjetunion das Besatzungsregime für die sowjetisch besetzte Zone aufhob und die Deutsche Demokratische Republik wenn auch mit wesentlichen Einschränkungen für souverän erklärte. Der Boden, auf dem Adenauer seine Außenpolitik gegründet hatte, schien zu wanken, sein gesamtes außenpolitisches Konzept einer generellen Überprüfung zu bedürfen. Die deutsch-französische Verständigung drohte anläßlich der Saarfrage zu zerschellen; der Ansatz zur europäischen Integration wurde wirtschaftspolitisch in Luxemburg von der —
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Hohen Behörde der Montanunion durch Benachteiligungen der Ruhrkohle starken Belastungen ausgesetzt, sicherheitspolitisch von einem breiten Fächer französischer Vorbehalte gegen die EVG vor anscheinend unübersteigbare Hürden gestellt und gesamtpolitisch mit der Vertagung der Europäischen Politischen Gemeinschaft »sine die« auf Eis gelegt; selbst die Angloamerikaner waren nicht bereit, der Bundesrepublik die Bürde des Besatzungsregimes zu nehmen, bevor die kontrollierte Wiederbewaffnung gesichert war; schließlich rückte die Wiedervereinigung durch die jeweilige Eigenentwicklung blockpolitisch gelenkter deutscher Teilstaaten erkennbar in immer weitere Ferne. Innenpolitische Reaktionen konnten angesichts dieses Problemhaushaltes nicht ausbleiben. Das Befremden über die zwei Jahre lang relativ statische Westpolitik des Bundeskanzlers (von seiner »Ostpolitik« ganz zu schweigen), der Unmut über seine von manchen als nicht mehr tragbar empfundene Vorleistungspolitik gegenüber den Westalliierten und insbesondere gegenüber Frankreich, die Unzufriedenheit mit dem Ausbleiben der Gegenleistungen, kurzum: der Anschein der Erfolgslosigkeit, die der dritten Phase außenpolitisch in so starkem Maße anhaftete, hatte zu Zweifeln und Unruhe in den Koalitionsparteien geführt, deren Tendenz zu offener Rebellion sich bereits auf dem Bundesparteitag der FDP im März 1954 ankündigte und Ende des Monats auch auf die Unionsparteien übergriff116. Während Adenauer sich auf einer Reise nach Griechenland und in die Türkei befand, hatten sich in der Union Skepsis und Zweifel zu Modifikationsvorschlägen verdichtet. Man wollte den Bundeskanzler nach seiner Rückkehr dazu drängen, das Junktim zwischen dem Generalvertrag und dem EVG-Abkommen aufheben zu lassen, um vorweg der Bundesrepublik die Souveränität zuzusichern117. An diesen Überlegungen hatte sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch das Auswärtige Amt wohl nicht nur passiv beteiligt. Jedenfalls beauftragte Staatssekretär Hallstein Professor Grewe noch im März 1954 damit, über Ersatzlösungen für den Fall des Scheiterns der EVG nachzudenken118. Die dort angestellten Überlegungen nahmen bald konkretere Gestalt an: »Im engsten Kreis waren insgesamt elf Alternativlösungen ausgearbeitet worden, die zum Teil bis in die Formulierungen genau mit den Plänen übereinstimmten, welche dann von der anderen Seite insbesondere von den Engländern vorgeschlagen wurden119.« —
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116
In der FDP wurde an Stelle des Kabinettsmitglieds Blücher der
Adenauers Politik teilweise scharf attackierende Fraktionsvorsitzende Thomas Dehler zum Parteivorsitzenden gewählt. Zur internen »Grundsatzdiskussion über Fragen der Außenpolitik« vgl. FDP-Bundesvorstand, Sitzungsprotokolle 1949—1954, Sitzung vom 27.2.1954, hier S. 1394—1423, und zum Gesamtzusammenhang Schwarz, Gründerjahre, S. 221—225. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 30.3.1954. Vgl. Grewe, Rückblenden, S. 194; Eigenmächtigkeiten im engsten Gehilfenkreis um den Kanzler selbstverständlich immer in der Linie seiner Gesamtkonzeption waren vielleicht nicht so selten, wie das überlieferte Bild des gestrengen »Hohen Herrn« glauben machen will; ein weiteres Beispiel innerhalb des Untesuchungszeitraums berichet v. Eckardt, Ein unordentliches Leben, S. 316, wenngleich dort verschwiegen wird, daß während der Kabinettssitzung am 1.9.1954 auch über die deutsch-französische Verständigung als notwendiges Ziel gesprochen wurde; vgl. Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am 1.9.1954, S. 352f. Pressebericht (AP) vom 27.9.1954 über ein Interview mit Hallstein. Spätestens für die Zeit von März 1954 an wird die für vorher zutreffende Feststellung Barings, daß Bonn sich geweigert habe,«auch nur intern Alternativen ausarbeiten zu lassen«, zu modifizieren sein; vgl. ders., Außenpolitik, S. 330. —
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117 118
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119
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IV. Vierte Phase:
Vorbereitungen für die Lösung des Junktims
301
die bisher sorgsam beachtete Handlungsanweisung des Bundeskanzlers, keine Alternativen zur EVG zu diskutieren, intern durchbrochen. Es ist nicht auszuschließen, daß es sich dabei um ein Vorprellen der engsten außenpolitischen Berater des Kanzlers handelte. Im übrigen ist es durchaus möglich, daß der Kanzler noch vor der Abreise am 9. März für die Planungen entsprechende Weisungen gegeben hat; bemerkenswert ist jedenfalls, daß eine Erörterung von EVG-Alternativen am 15. März ausgerechnet in der »Kölnischen Rundschau« erschien, die zu Recht in dem Ruf stand, besonders gute Verbindungen zum Bundeskanzler zu halten; und auffallend ist weiter, daß gerade dieser Artikel bereits am folgenden Tag in der »Times« ausführlich zitiert wird; als Verfasser zeichnete Robert Ingrimm (alias Franz Klein), der als amerikanischer Staatsbürger in der Schweiz lebte, unter anderem als Journalist tätig war und zu den Gesprächspartnern Adenauers gehörte, die den Kanzler gelegentlich über Stimmungen und Meinungen in den Vereinigten Staaten unterrichteten. Ob sich hinter dieser Episode ein weiteres Kabinettstück Adenauerscher »Presse-Außenpolitik« verbirgt, mit dem er »in absentia« seinen Versuchsballon relativ ungefährdet mit allen Möglichkeiten eines glaubhaften Dementis steigen ließ, ob es sich um eine von anderer Seite lancierte Indiskretion handelte oder ob einfach im »offenherzigen« Bonn mehr als gewollt durchgesickert war, läßt sich ohne zusätzliche Recherchen nicht sagen. Wie die nachfolgende Politik des Kanzlers vermuten läßt, lag die Initiative seiner Mitarbeiter zumindest innerhalb seiner Zielvorstellungen, und den zeitlichen Anstoß für eine beschleunigte Entwicklung gab die Innenpolitik. Unmittelbar nach seiner Rückkehr packte der Kanzler zunächst den gefährlichsten innenpolitischen Stein des Anstoßes an: vor der CDU-Fraktion stellte er noch einmal mit großer Bestimmtheit die drei Grundsätze heraus, die ihn in seiner Saarpolitik leiteten. Eine Europäisierung der Saar setzte die europäische Einheit, die freie Zustimmung der Saarbevölkerung und die Nicht-Präjudizierung der deutschen Grenzprobleme im Osten voraus120. Das glättete vorerst die höchsten Wogen. Vor allem aber entschloß er sich nun, einen erneuten Versuch zur Lösung des Junktims von Souveränität und Wiederbewaffnung zu unternehmen121. Seine eigenen Voraussetzungen dazu hatte er inzwischen folgendermaßen verbessert: Das Ratifizierungsverfahren der Verträge hatte er mit der Unterschrift des Bundespräsidenten Ende März 1954 nach vielen Mühen zum Abschluß bringen können. Schon mit Blick auf eine möglicherweise notwendig werdende Alternativlösung im Rahmen der NATO hatte er die Wehrhoheit des Bundes klargestellt. Die Bundesregierung hatte zunächst den umstrittenen Standpunkt vertreten, daß Artikel 24 Grundgesetz die Einordnung der Bundesrepublik in das »System gegenseitiger kollektiver Sicherheit« EVG zulasse. Die Ergänzung des Artikels 73 beendete die Diskussion, indem sie die Aufgabe der Landesverteidigung generell dem Bund zuwies. Diese Verfassungsänderung ermöglichte nun nicht nur einen militärischen Beitrag zur EVG nach Artikel 24, sondern auch die Aufstellung deutscher Streit-
Damit
120 121
Vgl.
war
Die Welt vom 1.4.1954. Für die vertraglichen Voraussetzungen dazu hatte er bereits im Mai 1952 gesorgt; sein gleichgerichteter Versuch im April 1953 war damals allerdings in Washington mit zweifelsfreier Eindeutigkeit abgewiesen worden; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945—1953, S. 532 bzw. 571.
302
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
kräfte als »Nationalarmee«. Falls nunmehr ein kurzfristiger Wechsel der Sicherheitspolitik statt zur EVG zur NATO mit ihren nationalen Kontingenten führen sollte, dann war auch dies jetzt verfassungsrechtlich abgedeckt. Daß die Alliierten Hohen Kommissare das Inkrafttreten der Verfassungsergänzung bis zur allseitigen Ratifizierung des EVG-Vertrages suspendierten, war ohnehin zu erwarten. Für bedeutsamer hielt Adenauer vielmehr die Tatsache, daß sie Formulierungen akzeptierten, die auch eine nationale Bewaffnung zuließen122. Auf dieser Grundlage scheint sich Adenauer bereits im März 1954 entschlossen zu haben, seine zweigleisige Politik der zweiten Phase in einer neuen Variante wieder aufzunehmen. Als nun auch innenpolitisch drängend gewordenes Ziel rückte die Forderung nach Handlungsfreiheit für Westdeutschland zunehmend in das Zentrum seiner Außenpolitik. Während er als Mittel dafür bis Frühjahr 1952 den direkten Beitritt zur NATO durchzudrücken versucht hatte, hielt er es nunmehr angesichts des hartnäckigen französischen Widerstandes dagegen und wegen der amerikanischen EVG-Festlegung für angeraten, das supranationale Konzept nicht offen in Frage zu stellen, obwohl sich seine Zweifel hinsichtlich des föderativen Ansatzes der europäischen Integration mit den sich versteifenden französischen Vorbehalten außerordentlich verstärkt hatten. Die Trennung von Souveränität und Aufrüstung dagegen schien ihm jetzt ein gangbarerer Weg zu sein. Freilich führte an Frankreich kein Weg vorbei. Dem trug er Rechnung, indem er auf dem einen Gleis seiner Politik fortfuhr, in einer letzten Anstrengung und bis zur innenpolitisch bestimmten Grenze des möglichen Entgegenkommens eine Einigung mit Frankreich zustande zu bringen. Obwohl die vorbereitenden Verhandlungen Staatssekretär Hallsteins mit seinem Kollegen im Quai d'Orsay, Maurice Schumann, wenig Hoffnung auf eine für beide Seiten erträgliche Europäisierung der Saar unter Nutzung des integrativen EVG-Rahmens entsprechend dem van-Naters-Plan ließen, gelang es Adenauer am 20. Mai 1954 während der Ministerratstagung des Europarates in Straßburg, mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Teitgen zu einer grundsätzlichen Absprache zu kommen. Nachdem diese Saarvereinbarungen vom französischen Außenministerium desavouiert und in der Nationalversammlung nicht akzeptiert wurden, dem Kanzler wiederum weitere Zugeständnisse nicht mehr möglich erschienen, endete dieser Weg in einer nicht ganz unerwarteten Sackgasse123. Dies, die Forderung französischer Militärs nach Bewahrung militärischer Unabhängigkeit einschließlich zukünftiger Nutzung nuklearer Einsatzmittel, die sich abzeichnende Niederlage in Indochina sowie zahlreich innen- und parteipolitische Querelen führten dann dazu, daß am 9. Juni 1954 der Auswärtige Ausschuß der Nationalversammlung gegen die EVG votierte und am 12. Juni die Regierung Laniel aus Anlaß des Falls der französischen Festung Dien Bien Pu in Indochina sowie der Unruhen in Tunesien und Marokko gestürzt wurde. 122 123
Vgl. die Pressemitteilungen zwischen dem 20. und 26. März 1954. Protokollauszug über die Saarbesprechungen vom 20. Mai 1954 in: Kabinettsprotokolle 1954, Abbildungen zwischen S. XLVIII und XLIX. Zu den schwierigen Saarverhandlungen im April/Mai 1954 und den verschiedenen Hintergrundgesprächen dazu vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 2, S. 1513—1543; zu Adenauer in diesen Verhandlungen vgl. Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, S. 134; zur Aktivierung des van-Naters-Plans durch Adenauer und Teitgen im Frühjahr 1954 vgl. Thoß, Die Lösung der Saarfrage, S. 226 f.
IV. Vierte Phase:
303
Vorbereitungen für die Lösung des Junktims
Mit der in diesem Zusammenhang stehenden Ablehnung der EVG auch im Ausschuß für Nationale Sicherheit und der Investitur von Mendès France am 18. Juni mehr als Anlaß denn als Ursache erkannte der Kanzler dann sofort seine Chance, ohne Gesichtsverlust seinen Schwerpunkt auf das zweite Gleis seiner Außenpolitik zu verlegen. Seine Stellung war innenpolitisch zwar durch die Wahlen und durch die vorbereitende Gesetzgebung gestärkt, durch das Ausbleiben außenpolitischer Erfolge aber zugleich geschwächt. Während in der zweiten Phase der Beitritt zur NATO gleichzeitig in die Souveränität hätte führen sollen, versuchte Adenauer nunmehr, auf der bisher erreichten Grundlage sowie vor dem Hintergrund einer im Umbruch befindlichen Konstellation unter den drei Westmächten, zunächst direkt die Souveränität und in ihrer Folge die Wiederbewaffnung für den Fall, daß die EVG abgelehnt werden sollte, im Rahmen der NATO durchzusetzen. Er wußte, daß er auf diesem Wege zugleich gegen amerikanische Festlegungen initiativ werden mußte. Mit dem Regierungswechsel in Frankreich sah er jedoch nun nach geduldigem Warten den Moment hierzu gekommen, zumal eine Rücksichtnahme auf den MRP, die europafreundliche Schwesterpartei der CDU, und ihre Minister, die mit Bidault aus der Regierung ausschieden, nicht mehr nötig war. Auch innenpolitisch schien der Termin eine Woche vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen für die Ankündigung einer neuen Initiative seiner Außenpolitik besonders günstig. Außenpolitisch drängte ihn das bevorstehende Treffen Eisenhowers und Churchills, für das er deutschlandpolitische Entschlüsse von vornherein in die ihm richtig erscheinenden Bahnen lenken wollte. Und die sollten, bevor sich Frankreich mit neuen Verzögerungstaktiken einschaltete, auf dem schnellsten Weg zur Souveränität führen. Einerseits mußte er also jetzt die Stunde durch zügiges Handeln nutzen, dieses aber andererseits durch sorgsame, wenn auch zu raschen Entschlüssen drängende Abstimmung mit der westlichen Führungsmacht abstützen. Seine auf verschiedenen diplomatischen Wegen mit Dringlichkeit an Washington herangetragenen Erkundungen brachten ihm bereits drei Tage nach der Amtsübernahme von Mendès France genügend Konsens, um seine entscheidenden Weichenstellungen in die Wege zu leiten. Dulles war über die innenpolitisch bedrängte Lage des Kanzlers hinreichend informiert worden und hatte bereits am 18. Mai 1954 einen Entwurf für einen geharnischten Brief an Ministerpräsident Laniel zur Prüfung an den amerikanischen Botschafter in Paris gesandt: —
—
»With regard to the Bonn Treaty, it seems to me unwise and indeed objectionable further to deprive the Federal Republic of the rights, privileges and obligations provided for in that Treaty. I therefore find it necessary to inform you that unless the Bonn and Paris treaties are shortly brought into force, my Government will consider it necessary, in consultation with the British Government, to consider with the Government of the Federal Republic, what practical step or steps can be taken to grant the Federal Republic a position at least equivalent to that provided for in the Bonn Treaty124.«
Allerdings hielt Botschafter Dillon den Zeitpunkt für einen derart massiven Druck auf die französische Regierung noch nicht für gekommen125. Immerhin stieß Adenauer mit seinem Vorstoß in Washington und London auf volles Verständnis. '24 123
Vgl.
FRUS 1952-1954, Vol.
Ebd., S. 959.
V, Teil 1, S. 957.
304
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Entsprechend forderte er am 20. und 21. Juni 1954 öffentlich und unmißverständlich, das Besatzungsregime alsbald zu beenden und den Generalvertrag in Kraft treten zu laszumal wenn Frankreich seine Verzögerungstaktik weiterverfolgen sollte. Wie das sen Kommunique des Washingtoner Wochenendtreffens vom 24. Juni zeigte, hatte sein Wunsch nach Lösung des Junktims zwischen Bonner Generalvertrag und Pariser EVGVertrag zwar noch keine offizielle Anerkennung gefunden; aber immerhin wurde Frankreich bis hart an den Rand eines Ultimatums aufgefordert, den EVG-Vertrag unverzüg—
lich zu behandeln126. Außer dem massiven Druck auf Frankreich konnte der Kanzler noch einen weiteren Erfolg verbuchen, der jetzt deutlicher in die Richtung wies, auf die er hinaus wollte. Am Dienstag, den 29. Juni 1954, hatte der amerikanische Botschafter in Paris in einer Rede im amerikanischen Presseclub die Franzosen vor die Alternative gestellt, entweder die EVG wie ausgehandelt zu akzeptieren oder eine souveräne Bundesrepublik mit einer unabhängigen deutschen Nationalarmee ins Auge zu fassen127. Damit war zugleich auch der »terminus technicus« einer deutschen Nationalarmee als Alternative zur integrierwenn auch scheinbar nur zur Abschreckung im warten Europa-Armee aktualisiert nenden Sinne. So konnte sich Adenauer in seinem Interview mit Friedländer vom 2. Juli 1954 bis in die Detailformulierungen auf offizielle amerikanische Erklärungen abstützen. Zugleich lag ihm ausschlaggebend daran, die Gemeinsamkeiten der amerikanischen und westdeutschen Auffassungen herauszustellen128. Allerdings blieb der Kanzler auch —
126
Vgl. das Kommunique, übersetzt abgedruckt im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 30.6.1954; in seinem Schreiben an Spaak betonte Dulles, daß auch in den amerikanisch-britischen Gesprächen keine Alternativlösungen gefunden werden konnten; es war weder den Briten noch Adenauer bis zu diesem Zeitpunkt gelungen, die Amerikaner für die NATOAlternative anstelle des »schöpferischen, konstruktiven Plan[s]« der EVG zu gewinnen; vgl. Spaak, Memoiren, S. 220. Allerdings wurden im State Department sehr wohl Alternativen überlegt; zum amerikanischen Entscheidungsprozeß bezüglich der Trennung von Souveränität und Aufrüstung vgl. ausführlich Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 190—194, sowie zu Adenauer
127
Vgl. die Rede Dillons, in: Department of State Bulletin vom 2.8.1954, S. 159—162; zu Dillons skeptischer Einschätzung dieses harten Vorgehens gegenüber Frankreich und seinem geringen Einfluß hierzu in Washington vgl. Sulzberger, A Long Row, S. 851.
S. 212 und Anm. 290.
128
Das kommt auch
expressis verbis in den beiden Dankschreiben an Eisenhower und Churchill zum
Ausdruck; abgedruckt im Department of State Bulletin
vom 3.7.1954, S. 1089. Gestützt wird dieser Aspekt der Einigkeit im amerikanisch geführten Vorgehen durch Speidels »Aufzeichnung über Gespräch mit Mr. Tomlinson und Mr. Cleveland, Berater des Botschafter Bruce, am 28. Juni 1954«, Abschrift in: BA-MA, BW 9/2300, Bl. 194-196. Die amerikanische Seite äußerte die Besorgnis, daß einem angeblichen Telegramm des stellvertretenden französischen Hohen Kommissars, Armand Bérard, an den Quai d'Orsay entsprechend der Bundeskanzler zu »jeder »amélioration« und jedem »aménagement« des EVG-Vertrages bereit sei«; die amerikanischen Gesprächspartner meinten, die für den 7. Juli geplante Reise Staatssekretär Guérin de Beaumonts nach Bonn solle nur die einheitliche Haltung der fünf EVG-Partner stören und Frankreichs Isolierung beseitigen. Wenn Frankreich weder den EVG- und den Deutschlandvertrag ratifizieren noch einem gleichberechtigtem NATOBeitritt zustimmen sollte, würden Eisenhower und Churchill der Bundesrepublik »die Souveränität in vollem Umfang wiedergeben; Deutschland könne dann also für seine Sicherheit selber sorgen und selbständig Bündnisse schließen«; vgl. ebd., Bl. 195. —
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IV Vierte Phase:
Vorbereitungen für die Lösung des Junktims
305
noch in seinem Rundfunk-Interview vorsichtig und deutete seine Alternative negativ wertend nur indirekt an. Er betonte, daß er zu Änderungen des EVG-Vertrages vor der Ratifikation in Paris keinesfalls bereit sei, weiterhin den damit verbundenen supranationalen Charakter für unverzichtbar halte und ihn angesichts einer sonst zu erwartenden, von niemandem befürworteten deutschen Nationalarmee als »die einzig sinnvolle und folgerichtige Antwort auf die durch die weltpolitische Lage gestellten Fragen« betrachte129. —
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entsprachen seine Weisungen im Auswärtigen Amt, in denen er besonderen Wert darauf legte, daß bei etwaigen Verhandlungen kein ratifizierungsbedürftiger Akt notwendig sein dürfe und Frankreich kein Anlaß zu weiterer Verzögerung geboten werde, materiell der supranationale Charakter der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gewahrt bleibe, weitere Diskriminierungen Deutschlands keinesfalls auch nur in Betracht gezogen werden dürften und alles zu vermeiden sei, was im Falle des Scheiterns des Vertrages die Möglichkeit bieten konnte, der Bundesrepublik einen wenn auch nur geringen Teil der Schuld dafür zuzuweisen130. Damit setzte sich Adenauer in bewußten Gegensatz zu den Bemühungen der Regierung Mendès France, die durch an die Substanz gehende Änderungen des Vertrages schließlich doch noch eine Chance für die Ratifikation einer von supranationalen Elementen »gereinigten« EVG zu suchen schien. Eine besondere und zugleich aktuelle Rolle in diesem Zusammenhang spielte der Vorschlag des Staatssekretärs im französischen Außenministerium, Guérin de Beaumont, der mit einer Verschiebung des Integrationsprinzips um fünf Jahre und Austrittsmöglichkeiten nach zehn Jahren die EVG zunächst praktisch »auf Eis« legen wollte und so immerhin eine wenn auch nur vage Möglichkeit der Verwirklichung wenigstens in der Zukunft offen gelassen hätte. Dieser Weg entsprach nun keineswegs Adenauers Intentionen, er war viel zu vage, bot auch zu viele Verzögerungs- und Ausfluchtmöglichkeiten. Da zu erwarten war, daß de Beaumont anläßlich des für den 7. Juli angekündigten Besuches als Sonderbotschafter von Mendès France diese Adenauer zu weit gehenden französischen Änderungsvorschläge der Bundesregierung unterbreiten würde, die ihrerseits diese Vorstellungen nur hätte ablehnen wollen, erschien es dem Bundeskanzler günstiger, wenn de Beaumont seine Reise gar nicht erst antrat. Eben dies erreichte er durch seine Interviewpolitik131. Der Unterstützung der EVG-Partner ohne Frankreich konnte sich der Bundeskanzler sicher sein. Der belgische Außenminister Spaak, der sich zwar spontan, aber gewissermaßen als Sprecher der Staaten, die bereits ratifiziert hatten, am 30. Juni bei Mendès France für den EVG-Vertrag nochmals verwendet hatte, ließ in einer Pressekonferenz am 1. Juli keinen Zweifel an der Notwendigkeit einer westdeutschen Wiederbewaffnung, wobei die in Aussicht genommene Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland als bereits faktisch beschlossen kaum mehr thematisiert wurde.
Dem Interview
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129 130
131
Das Interview findet sich abgedruckt im Bulletin Nr. 121 vom 3. Juli 1954, S. 1085f. und 1088. Vgl. BA-MA, BW 9/2300, Bericht des Gesandten v. Etzdorf an Staatssekretär vom 23.7.1954 aus Paris, Bl. 59-62. Wettig hat hierin den Hauptzweck des Interviews gesehen; vgl. hierzu und zu weiteren außenpolitischen Zielrichtungen dieses Interview ders., Politik im Rampenlicht, S. 103—110, hier S. 110. Zur französischen Reaktion anläßlich des Kanzlerinterviews vgl. Bérard, Un ambassadeur, S. 548.
Teil C: Adenauers
306
bündnispolitische Zielvorstellungen
Somit konnte sich Adenauer auf vielfach gesichertem Grund am 2. Juli mit seinem Interview in aller Schärfe der Offensive gegen die Politik von Mendès France anschließen. Die Verstimmung in Paris, die in der Presse mit Formulierungen wie »antifranzösische Herausforderung« laut wurde und von der französischen Regierung durch die Absage des angekündigten Besuches de Beaumonts noch am Samstag nachmittag, den 3. Juli, dadurch verdeutlicht wurde, daß zunächst weder ein Grund für die Absage noch ein neuer Termin genannt wurde132, versuchte Adenauer gar nicht erst zu besänftigen. Vielmehr versicherte er sich für seine außenpolitische »Linie der vorbedingten Ratifikation« zunächst einmal in der Kabinettsitzung vom 7. Juli der Unterstützung seitens der Bundesregierung133. Auch ein Interview zur Außenpolitik, das er der Wochenzeitung »Rheinischer Merkur« gab134, nahm er, obwohl es sich geradezu angeboten hätte, bewußt nicht zum Anlaß, die Wogen zu glätten, die sein Interview mit Friedländer aufgerührt hatte. Dazu brauchte er schon deshalb keine Veranlassung zu sehen, weil die internationale Reaktion nahezu einhellig bis auf Frankreich und die Schweiz seine klare Stellungnahme begrüßt hatte. Auch die Mitteilungen, die der französische Ministerpräsident über den Hohen Kommissar François-Poncet dem Bundeskanzler am Vortage zugesandt hatte, ließen ihn eine Besänftigung offensichtlich nicht nötig erscheinen. Statt dessen wurde intern in seinem Auftrag in der Dienststelle Blank bis zum 7. Juli 1954 ein umfangreicher Katalog über »Forderungen der Bundesrepublik im Falle einer anderen Lösung als der EVG für einen deutschen Verteidigungsbeitrag« zusammengestellt, an dem vermutlich amerikanische Offiziere beteiligt worden waren135; parallel dazu versuchte er, durch Fabian v. Schlabrendorff, dem er einen Brief an Dulles mit auf den Weg gegeben hatte, die Amerikaner in der Frage der vorzeitigen Souveränität und Wiederbewaffnung zu aktivieren136. Einen versöhnlicheren Ton schlug Adenauer erst Mitte Juli in einem Interview mit dem politischen Redakteur der Pariser Zeiterung »LAurore«, M. Roucayrol, an, in dem er auf die Möglichkeit einer späteren »großzügigen Interpretation« des EVG-Vertrages hinwies. In der Sache aber blieb er weiterhin fest: »Erst ratifizieren, dann modifizieren«137. Der etwas gemäßigtere Zungenschlag hatte seine Ursache in der Entwicklung der britisch-amerikanischen Gespräche in London. Am 30. Juli 1954 hatten der britische Hohe Kommissar, Hoyer Millar, und der amerikanische stellvertretende Hohe Kommissar, Dowling, ihm die Ergebnisse der Beratungen der britisch-amerikanischen Studienkommission zur Wiederherstellung der deutschen Souveränität mitgeteilt. Der Generalvertrag sollte abgetrennt vom Vertragswerk zur EVG mit Zustimmung Frankreichs kurzfristig in Kraft gesetzt werden. Dies entsprach auch den übereinstimmenden Erklärungen von Dulles und Eden zur deutschen Souveränität138. —
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Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 5.7.1954. Kabinettsprotokolle 1954, 38. Sitzung, S. 291-302; EA 1954, S. 6799. 134 Rheinischer Merkur vom 9.7.1954, auch abgedruckt im Bulletin vom 9.7.1954, S. 1120—1121. 133 Vgl. FRUS 1952—1954, Vol. VII, Teil 1, S. 583—585, sowie detailliert Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 202 f. 132
133
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137 138
Vgl.
FRUS 1952-1954, Vol. VII, Teil 1, S. 581-583. das Interview, abgedruckt im Bulletin vom 17.7.1954, S. 1173 f. FAZ und Stuttgarter Zeitung vom 14.7.1954; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 997-1016.
Vgl.
IV. Vierte Phase:
Vorbereitungen für die Lösung des Junktims
307
Damit sah Adenauer sein erstes Zwischenziel erreicht. Von nun an bis zur Brüsseler Konferenz legte sich der Bundeskanzler Zurückhaltung auf, soweit es sich um öffentliche Äußerungen handelte. In seiner Rede über den Südwestfunk am 6. August gab er sich in allgemeinen Wendungen verständnisvoll für die besondere Situation in Frankreich139. Im Interview, das er dem Herausgeber der kanadischen Wochenzeitschrift »The Ensign«, Robert W Keyserlingk, gab, bezeichnete er die deutsch-französische Verständigung als »Ausgangspunkt und Ziel deutscher Europapolitik«140. Die Lage spitzte sich aber bald wieder zu, als der stellvertretende französische Hochkommissar, Armand Bérard, am Sonntag, 15. August, die französischen Vorschläge für die Brüsseler Konferenz an Hallstein übergab; sie wurden in Bonn im Auswärtigen Amt und im Bundeskanzleramt/Dienststelle Blank bis zum 17. August übersetzt, geprüft und intern mit einem vernichtenden Kommentar von 74 Seiten versehen141. Inzwischen waren auch die Reaktionen anderer Länder absehbar. Adenauer, Hallstein und Blank hatten mit dem amerikanischen Sonderbotschafter Bruce, dem Hohen Kommissar Conant und dessen Stellvertreter Dowling gesprochen142. Die Amerikaner haben »anscheinend den Rat gegeben, in Brüssel »nein« zu sagen«143. Die Niederlande und Italien wollten ablehnen, Belgien zwar ablehnen, sich aber gleichzeitig für eine Vermittlerrolle bereithalten. Lediglich die Haltung Großbritanniens schien wie üblich in der EVG-Frage noch undurchsichtig144. —
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Vgl. Bulletin vom 7.8.1954, S. 1305f. Vgl. Bulletin vom 12.8.1954, S. 1329. In der gleichen Ausgabe wird nochmals klargestellt, daß Deutschland im Falle der Wiedervereinigung nicht beabsichtigte, aus der Europäischen Gemeinschaft auszuscheiden; ebd., S. 1331; das war zugleich an die französische und deutsche Innenpolitik gerichtet. 141 Das »Anwendungsprotokoll« (Présidence du Conseil, Ministère des Affaires Etrangères, Paris, le 13 Août 1954; Protocole d'application du traité instituant la Communauté Européenne de Défense) findet sich in BA-MA, BW 9/2870, Handakte Blank, Unterlagen für die Außenministerkonferenz in Brüssel am 19. 20. August 1954, Bl. 32-45, bzw. DDF 1954, Annexes (21 juillet 31 décembre), S. 105112, sowie in der deutschen Übersetzung BW 9/2870, Bl. 10—25, bzw. EA 1954, S. 6869—6873; vgl. zum Hintergrund französischer Überlegungen DDF 1954, Dok.Nr. 66, Note explicative du Département, S. 147—150. Die französischen Vorschläge liefen darauf hinaus, Regelungen zur Integration in der EVG teils zu eliminieren, teils zu suspendieren sowie die Bundesrepublik stärker zu diskriminieren; nach Auffassung des Auswärtigen Amtes handelte es sich bei 47 der 65 Vorschläge um Vertragsänderungen, von denen die Masse als ratifikationsbedürftig einzuordnen war. Entsprechend katastrophal 139 140
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fielen die Urteile nicht nur in Bonn, sondern mindestens ebenso in den meisten anderen Hauptstädten aus; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1039—1048. Eine abgewogene Einordnung des Anwendungsprotokolls bietet Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 208—215. Vgl. FAZ v. 18.8.1954; vgl. auch die Unterredung Conant-Hallstein vom 16.8.1954, in: FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1042, Anm. 4. Siehe hierzu BA-MA, BW 9/2527-5, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II, Eintrag vom 18.8.1954, Bl. 61. Tatsächlich drängte Churchill sowohl unmittelbar vor wie nach den französischen Änderungswünschen darauf, daß Dulles nun endlich die NATO-Lösung aufgreifen solle; vgl. sein Schreiben vom 14.8.1954, in: FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1037; Churchill nahm insbesondere auf Adenauers bedrängte Lage bezug: »I am distressed at Adenauer's position. I feel we owe him almost a debt of honor after all the risks he has run and patience he has shown. It ought to be possible to devise some safeguards for a NATO arrangement«; vgl. sein Schreiben an Dulles vom 19.8.1954, ebd., S. 1051.
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Es herrschte der Eindruck vor, daß Mendès France eine Ablehnung in Brüssel bewußt in Kauf nehmen würde oder gar wollte. Und selbst wenn hypothetisch die französischen Forderungen teilweise akzeptiert werden würden, hielt man die Zustimmung der Natio—
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nalversammlung nicht für gesichert. Vielmehr stand zu erwarten, daß der für die Beibehaltung nationaler Regelungen erhoffte Zuwachs an Stimmen bestenfalls den Verlust an Stimmen ausgleichen könnte, der wegen der Verminderung der Kontrolle bei der Integration Deutschlands zu befürchten war. Aber das blieben schließlich Gedankenspiele über eine Liste von Wünschen, die ganz unter den Aspekten der französischen Innenpolitik zustande gekommen war und bei der man zu weitgehend außer Betracht gelassen hatte, inwieweit sie auch außenpolitisch verhandlungs- und konsensfähig sein würde. Obwohl die französischen Änderungswünsche auch von den Vertragspartnern einhellig
verworfen wurden, hielt sich Adenauer mit Kommentaren weiterhin zurück; er verbot sogar Äußerungen über das Ergebnis der deutschen Prüfung. »Der Kanzler will seine tatsächliche Haltung nach außen im Ungewissen lassen145.« Es kam dem Bundeskanzler in dieser Endphase vor allem darauf an, Frankreich keinerlei Argumente zu liefern, die die Schuld am absehbaren Ende der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft der Bundesrepublik hätten zuweisen können: schien Vergangenes wie die anscheinend nicht durchsetzbare Europäische Verteidigungsgemeinschaft unrettbar, sollte wenigstens die Position für zukünftige Verhandlungen gestärkt werden. In der Sache wollte der Regierungschef jedoch in Brüssel nicht verhandeln: »Der Bundeskanzler hat als Mitglieder der Delegation außer sich selbst nur die Herren Hallstein, Ophüls und Blank bestimmt. Der Sinn der kleinen
kann146.«
Delegation ¡st, daß sie nicht verhandlungsfähig sein
Damit gingen also beide, Adenauer und Mendès France, in der Absicht nach Brüssel, »hart zu bleiben«. Ein Scheitern der Konferenz nahmen beide bereits in Kauf, bevor sie sich in Brüssel an den »Verhandlungstisch« setzten. Erst nachdem Frankreich auf der Brüsseler Konferenz offensichtlich isoliert war, trug Adenauer wieder offiziell seine Ziele unverändert vor. In einer persönlichen Unterredung mit Mendès France, die bezeichnenderweise erst nach der letzten Sitzung in Brüssel am Sonntagnachmittag, dem 22. August, doch noch zustande gekommen war, ließ sich der Kanzler im Beisein Hallsteins vom Ministerpräsidenten zusichern, daß Frank145 146
BA-MA, BW 9/2527-5, Tagebuch Dienststelle Blank, Abt. II, Eintrag
vom 18.8.1954, Bl. 59. Zur »offiziellen Delegation« gehörten außer dem Bundespressechef v. Eckardt Gesandter v. Etzdorf und Legationsrat Erster Klasse Krapf; im nachgeordneten Arbeitsstab befanden sich vor allem Angehörige des Bundespresseamtes und des Auswärtigen Amtes; vgl. Erlaß StS 1302/54 vom 17.8.1954, in: BA-MA, BW 9/2871, Handakte Blank, Konferenz in Brüssel 19.-22.8.1954, Bl. 27 f. Ähnlich knapp bemessen waren auch die Delegationen der Benelux-Staaten und Italiens, während Mendès France mit seiner Delegation z.B. auch die Bereiche Finanz, Wirtschaft und Justiz berücksichtigt hatte; ebd., Bl. 19—24. Vgl. auch Sulzberger, Giants, S. Ill (18.11.1954): »Bidault said Mendès-France deliberately sabotaged EDC. At Brussels the experts had agreed upon a compromise solution, but Mendès personally changed this with his own handwriting and then said unless his amendments were accepted he would not take it.« Vgl. zu Adenauers Einschätzung der Haltung des französischen Regierungschefs: Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am 1.9.1954, S. 351, Anm. 12 und 14.
Ebd., Bl. 62.
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IV. Vierte Phase:
Vorbereitungen für die Lösung des Junktims
309
reich, wenn die EVG abgelehnt werden sollte, der Souveränität der Bundesrepublik zustim-
werde147. Nach intensiven Beratungen in Bonn verlautete nun als nächstes verhandlungstaktisches Zwischenziel, daß die Bundesregierung eine Aufrüstung weiterhin für notwendig erachte und den Anschluß an die NATO in dieser oder jener Form nach einem Scheitern der EVG erwarte; in diesem Sinne sei auch das Brüsseler Kommunique abgefaßt148. Tatsächlich war Adenauer in seiner Unterredung mit Mendès France mit diesen Vorstellungen mehr als erwartet auf Verständnis gestoßen. So erklärte der französische Ministerpräsident am 23. August im Gespräch mit Churchill und Eden, daß er bereit sei, der Bundesrepublik unverzüglich die »politische Souveränität« (ohne Wehrhoheit) zu geben und ihren Beitritt zur NATO in einer Großbritannien einschließenden Sieben-MächteKoalitions-Armee mit einem Beschaffungskommissariat zu erwägen149. Selbst eine direkte NATO-Mitgliedschaft hielt er nur deshalb für unwahrscheinlich, weil eine französische (nicht: seine) Zustimmung dazu kaum erreichbar schien. Jedenfalls entbehrten Verdächtigungen, er wolle wie manche seiner Vorgänger den ganzen Fragenkomplex westdeutscher Militär- und Bündnispolitik weiter in die Zukunft verschieben, ernsthafter Grundlage. Vielmehr bemühe er sich nachweislich, den deutschen Beitrag zur westlichen Verteidigung schnellstmöglich in Paris über die Hürden zu heben: die prinzipiellen Entscheidungen möglichst noch im Sommer, die Einzelheiten bis Jahresende150. Die diesem Zeitplan zugrundeliegende Entschlußkraft des französischen Regierungschefs hatte der Kanzler in Brüssel wohl allenfalls vage herausgespürt. In seinen Informationsgesprächen in Bonn am 23. August gab er dementsprechend der EVG in Paris jetzt auch öffentlich nur mehr eine »kleine Chance« und wies zugleich darauf hin, daß die Politik der Bundesregierung die einhellige Unterstützung aller Konferenzteilnehmer gefunden, während Frankreich sich mit seinen abgelehnten Änderungsvorschlägen isoliert gesehen habe151. Nach dieser Positionsbestimmung hielten sich Adenauer und sein Kabinett damen
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Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 280 und 283. Zu Adenauers Ausweichen vor einer vorzeitigen Begegnung mit Mendès France vgl. France Soir vom 20.8.1954. Während seines Treffens mit Churchill im Anschluß an die Brüsseler Konferenz hat der französische Regierungschef ebenfalls der britischen Forderung zugestimmt, die Bundesrepublik kurzfristig für souverän zu erklären, falls die EVG abgelehnt werden würde; die Frage der Aufrüstung Westdeutschlands war damit jedoch noch nicht geklärt. Frankreichs Bemühen um enge Abstimmung mit Adenauer, zur Einschätzung der deutschen Position am Quai d'Orsay und zur Reaktion von Mendès France auf Adenauers Gesprächsverweigerung vgl. DDF 1954, Dok. Nr. 42, 69, 76, 80, 83, 87, 90, 91, 92, 109; vgl. auch FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1071-1077; vgl. auch PRO, PREM 11/618, Prime Minister's Personal Telegram, T 292/54 vom 24.8.1954. 148 Vgl. Die Welt vom 24.8.1954. 149 So Churchills Botschaft an Dulles über das Chartwell-Treffen vom 23.8.1954, vgl. PRO, PREM 11/618, Prime Minister's Telegram, T 292/54 vom 24.8.1954, sowie FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1074. Zur Haltung von Mendès France vgl. Massigiis Bericht an Mendès France vom 17.8.1954, in: DDF 1954, Dokument Nr. 73, S. 165—167, sowie DDF 1954, Annexes (21 juillet— 31 décembre), S. 131-141. 130 Vgl. Telegramm Mendès France an François-Poncet vom 29.8.1954, in: DDF 1954, Dok. 109, Men147
131
dès France an François-Poncet, hier S. 230. Vgl. Die Welt vom 24.8.1954.
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
mit schon vorher einer Empfehlung von Botschafter Bruce in einem Gespräch mit Blankenhorn und Ophüls in Paris vom 27. August entsprechend bis zur französischen Entscheidung aufs äußerste zurück. Zur behutsamen Behandlung der Themenbereiche Souveränität und Wiederbewaffnung drängte die Bundesregierung auch die Koalitionsfraktionen und den Auswärtigen Ausschuß des Bundestages; selbst die deutsche Presse schloß sich dieser Linie auf Ersuchen der Regierung weitgehend an. Die deutschen Wünsche und Auffassungen, die ja weiterhin den Partnern zur Kenntnis gebracht werden mußten, leitete der Bundeskanzler in dieser Zeit fast ausschließlich über die diplomatischen Kanäle seines Auswärtigen Amtes und über die amerikanische bzw. britische Hohe Kommission152. Als Adressat erschien in diesem Meinungsaustausch vorrangig Washington. London sowie den Haag und Brüssel wurden oft entsprechend nachrichtlich informiert; Paris wurde konsequent übergangen. Der Kommunikationsverzicht, mit dem Frankreich in dieser Zeit von der Bundesregierung »geschnitten« wurde, schloß sich einer ähnlichen, Frankreich isolierenden Politik Washingtons an. Die amerikanische Regierung hatte sogar noch kurz vor der Abstimmung in der französischen Nationalversammlung eine Acht-Mächte-Konferenz unter Ausschluß Frankreichs angeregt, wofür sich der Initiator, Botschafter Bruce, erfolgreich beim State Department eingesetzt hatte; es paßt durchaus ins Bild, wenn er feststellte: »I am assured it would have the full support of Adenauer153.« Wenn der Kanzler sich derartiger »Politik mit der Brechstange« angeschlossen hat, dann nicht, um so die deutsch-französische Verständigung zu fördern oder der europäischen Einigung mit dem als untauglich erwiesenen Mittel EVG einen überaus unglücklichen Start zu verpassen, sondern um endlich eine Entscheidung, wie auch immer sie ausgehen moch—
te,
zu
erzwingen.
Auch die vierte Phase könnte teilweise den Eindruck entstehen lassen, daß Adenauer an seiner Europapolitik apodiktisch habe festhalten wollen. Nicht nur seine demonstrativen Äußerungen in der Öffentlichkeit sowie seine auf Beruhigung zielenden zuversichtlichen Interpretationen im Kabinett und in der Fraktion, sondern auch seine doch recht weitgehende Kompromißbereitschaft in der Saarfrage legen diesen Gedanken durchaus nahe. Es ist jedoch selbst hier eine Einschränkung zu machen. In der Ziel-Mittel-Relation sah er auch in dieser Zeit im Ansatz der europäischen Integration zwar ein Kardi152
133
So z. B. bei der vorsorglichen Ablehnung diskriminierender »kleiner Koalitionen« ohne direkten westdeutschen NATO-Beitritt in Adenauers Botschaft an Dulles vom 25.8.1954; vgl. dazu im detaillierten Entscheidungsprozeß PRO, PREM 11/618, hier Tel. No. 659, Mr. Johnston, from Bonn to Foreign Office, August 26, 1954; veranlaßt wurde diese Botschaft durch das Gespräch von Mendès France, Churchill und Eden in Chartwell. London erhielt Adenauers Einspruch sowohl über den britischen Geschäftsträger in Washington wie über die Hohe Kommission in Bonn. Die doppelten Übermittlungswege zeigen und sollten auch damals darauf hinweisen, wie wichtig dem Kanzler diese Démarche war. Vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1079-1083. Die Bundesregierung setzte nun öffentlich werdend dieses Frankreich isolierende Verfahren mit ihrem Kabinettbeschluß vom 1.9.1954 fort; mit dem Interview, das Adenauer der Times am Abend des 3.9.1954 gewährte, fand es seinen Höhepunkt; hier wies der Kanzler dem französischen Ministerpräsidenten persönliche Schuld am Scheitern der EVG zu; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 292; v. Eckardt, Ein unordentliches Leben, S. 209 f.; Grewe, Rückblenden, S. 197; Times vom 4.9.1954. -
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IV. Vierte Phase:
Vorbereitungen für die Lösung des Junktims
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nalziel, aber auch ein verfrüht eingesetztes Mittel, das eine Reihe von anstehenden Problemen hätte lösen können und sollen, wofür ansonsten alternative Wege nicht so leicht
entdecken und noch schwerer durchzusetzen gewesen wären. Denn mit den hinter der supranationalen Idee stehenden Verfahrensweisen hätte in einem Zug ein ganzer Zielkomplex abgedeckt werden können, für den sonst eine Summe verschiedener, aufeinander mühselig abzustimmender Wege hätte gefunden werden müssen. Das in der Tat faszinierende Lösungsmodell besaß zudem über den Tag hinausweisende Optionen, die gerade für Adenauer so manchen Wechsel auf die Zukunft durchaus gerechtfertig hätten. Ganz praktische Erwägungen mögen für den Kanzler eine gewichtige Rolle gespielt haben. Immerhin lag in den Bonner und Pariser Abkommen von 1952 trotz all ihrer Mängel ein Vertragswerk vor, das nach mühsamen Verhandlungen endlich zusammengezwungen worden war. Keine Regierung läßt sich in solcher Lage gerne darauf ein, neu zu verhandeln, solange die Risiken größer scheinen als die möglicherweise zu erreichenden zu
Verbesserungen.
Doch alles konnte nur gelingen, wenn die Partner der zukünftigen Gemeinschaft ein gerüttelt Maß an gegenseitigem Vertrauen, an gemeinsamen Zielen und an gemeinschaftsbezogener Kompromißbereitschaft einbrachten. Das aber durfte der westdeutsche Regierungschef in bezug auf Frankreich 1954 realistischerweise kaum voraussetzen. Gewiß, es gab auch eine stattliche Zahl konzessionsbereiter Politiker in Paris, und sie hat der Bundeskanzler öfter getroffen und sich mit ihnen intensiver besprochen als mit den Gegnern der supranationalen Föderation Europas. All das mag Adenauers Hoffnungen länger getragen haben, als es bei diesem sonst so klarsichtig-zweifelnden Skeptiker zu erwarten gewesen wäre. Auch war die Wirkung des amerikanischen Drucks auf die französischen Regierungen leichter zu überschätzen als genau zu kalkulieren. Dennoch und bezeichnenderweise waren seine Zweifel im Laufe der Jahre und im Verlauf der ernüchtenden, ergebnislosen Verhandlungen stärker geworden als seine Hoff—
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nungen. Was er im März 1954 nach langem Zögern und in ausgeprägter Vorsicht nun doch in die Planungen aufnehmen und an Alternativen entwickeln ließ, setzte er von Juni 1954 an teils behutsam, teils zielstrebig drängend in die Tat um. Vor allem sicherte er sich wichtige Ausgangspositionen für den Fall von neuen Verhandlungen. Er drängte die westliche Führungsmacht gegen ihre eigene Festlegung dazu, ihre Unbeweglichkeit hinsichtlich alternativer Ansätze zunächst intern entschlossener abzubauen. Damit lockerte er die stärkste der Fesseln, die ihn während der dritten Phase mit außenpolitischer
Rücksichtnahme zum geduldigen Abwarten verurteilt hatten. Kamen die entscheidenden Antriebskräfte der dritter. Phase aus dem internationalen Kräftefeld, so waren die Richtung von Adenauers Interaktionen und das Zeitkalkül seiner Initiativen in der vierten Phase durch innenpolitische Verschränkungen gekennzeichnet. Zugleich erfuhren seine europapolitischen Weichenstellungen am Ende dieses Zeitraumes eine scharfe Zäsur. Gerade weil er darauf vorbereitet war und noch im Verlauf der vierten Phase bereits sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet hatte, seine außenpolitische Startposition für die sich abzeichnenden Umorientierungen zu festigen, werden spätere Längsschnittuntersuchungen an dieser Stelle seine langfristigen europapolitischen Motive kritisch prüfen müssen. Und ein Zweites wird, so schwierig es methodisch zu fassen ist,
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
das bisherige Verständnis seiner Europapolitik um eine wichtige Dimension erweitern: die Klärung seines affirmativen Grundzuges gegenüber der epochalen Aufgabe, ein neues Europa mit schaffen zu dürfen. Doch wie alle psychologischen Leitkomponenten entzieht sich dieser Bezug einer das rationale Kalkül vielleicht zu sehr betonenden Analyse. Für diese kann bis zum Scheitern der EVG und darüber hinaus das Urteil Czempiels bestärkt werden: »Die integrativen Perspektiven der EVG beeindruckten die Bundesregierung sehr viel weniger als die darin enthaltenen Beschränkungen der Souveränität, jenes Zieles, um dessentwillen Bonn den westdeutschen Wehrbeitrag angeboten hatte154.«
Dies Urteil gilt für 1954 aus den dargelegten Gründen auch und gerade für Adenauer. V Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
In konsequenter Fortsetzung seiner in der vierten Phase vorbereiteten Politik führte der Bundeskanzler in den nun folgenden Wochen nach dem 30. August 1954 seine vorrangigen Ziele zum Erfolg. Mit Bedauern über die teilweise vergeblichen Bemühungen für eine frühe westeuropäische Integration mußte Adenauer dieses Ziel weiter hintanstellen. Es erhält nun in den Weisungen des Regierungschefs dort, wo es überhaupt noch ausdrücklich erwähnt wird, einen eher beiläufigen Charakter. Daß als Punkt 1 der Regierungserklärung vom 1. September die »Fortführung der Politik der europäischen Einigung«155 aufgeführt wird, darf darüber nicht hinwegtäuschen. Wohl hatte er sich zu diesem frühen Zeitpunkt, zu dem ihm weder die britische noch die amerikanische Reaktion detailliert genug bekannt war, zunächst nicht öffentlich mit seinen Zielsetzungen festlegen können. Aber daß die westeuropäische Einigung vorerst zurückgestellt werden mußte, sah er deutlich. Und wer zwischen den Zeilen zu lesen verstand, bekam dies auch im Folgetext der Regierungserklärung mitgeliefert: Das französische Volk, soweit es durch seine damalige Regierung und Nationalversammlung zutreffend vertreten wurde, schien zur umfassenden Integration noch nicht bereit; und die militärische Verschmelzung in der EVG hatte sich gerade als eines der am wenigsten geeigneten Gebiete für föderative Fortschritte erwiesen. Dieser Punkt der Regierungserklärung hatte daher mehr den Charakter einer unverbindlichen Präambel, die auf die öffentliche Meinung im Inland und auf die Präferenzen der Regierung wie des Kongresses in den Vereinigten Staaten Rücksicht nahm. Dagegen geben die nachfolgenden beiden Punkte die zutreffende Festlegung seiner Ziele wieder: Vor allem anderen ging es ihm um die »Wiederherstellung der Souveränität«, wobei er die Beschränkungen des Bonner Vertrages von 1952 für nicht mehr zeitgemäß hielt; sodann um »die Teilnahme an der west-
lichen er 134 135
Czempiel, Die Bundesrepublik und Amerika, S. 564. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 292; ähnlich in Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am
136
Verteidigung ohne Diskriminierungen«, wobei der direkte Beitritt zur NATO, den expressis verbis fordern wollte, durchgesetzt werden sollte156.
aber jetzt noch nicht
1.9.1954, S. 352.
Ebd.
Vgl.
auch Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, S. 143.
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
In diesem Fall handelt
sich nicht
NATO-Mitgliedschaft
313
eine zeitliche Reihenfolge, obwohl Adenauer stets auch auf diese geachtet hat157, sondern um eine Rangfolge, in der sich seine zeitbedingte Wertung der beiden Ziele nach ihrer Bedeutung ausdrückte. Das ist insofern konsequent gewesen, als sich Adenauer und seine Mitarbeiter ja schon seit Frühjahr 1954 dazu entschlossen hatten, das Junktim zwischen Souveränität und Wiederbewaffnung in dem Sinne aufzulösen, daß das Wichtigere die Souveränität vorweg erreicht werden sollte. Daran hatte sich zwar auch jetzt nichts geändert; allerdings wurde nunmehr unter Souveränität weitaus mehr erwartet als vorher158. Adenauer hat seine Forderung nach Fortfall des Junktims ebenso in seinen »Erinnerungen« herausgestellt wie die Tatsache, daß er dieses Ziel auch erreicht hat wenngleich der weitere Ablauf des Geschehens es kaum noch notwendig gemacht hat, darauf in den Verhandlungen des Herbstes 1954 zurückzukommen159. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, daß er seine Ziele auch international würde durchsetzen können, sah er von Anfang an in Frankreich verankert. Das naheliegende, sicherste und auf weite Sicht beste Mittel dazu konnte nur in der deutsch-französischen Verständigung liegen. Daher hat er sich so lange und so kompromißbereit gerade für dieses Zwischenziel das in sich auch den Charakter eines Endzieles trug eingesetzt. Sollte aber die Verständigung scheitern, so war er stets bereit, auch über die Widerstände Frankreichs hinweg für die Durchsetzung der westdeutschen Interessen zu sorgen, soweit die internationale Kräftekonstellation ihm das erlaubte. Diese Situation sah er am Horizont heraufziehen, als die Geduld der Amerikaner im Frühjahr 1954 deutlich dahinschwand; und er hielt sie für aktuell, als die von Washington aus ebenfalls mißtrauisch beobachtete Regierung Mendès France sich anschickte, die Hoffnungen der amerikanischen Regierung auf ein supranationales Europa zu enttäuschen. Auch an dieser Wegegabel historischer Möglichkeiten weist der Richtungspfeil Adenauerscher Zielsetzungen schon vor der Stunde der Entscheidung nicht in Richtung Europa, sondern in Richtung einer möglichst weitgehend handlungsfreien, souveränen Bundesrepublik. Weder vor noch nach dem Scheitern der EVG in Paris hat er von dem kurzen Moment der Ungewißheit unmittelbar nach der Entscheidung der Nationalversammlung abgesehen den mittelfristigen Verzicht auf das Integrationskonzept für schwerwiegender gehalten als die mit dieser Situation ja auch gegebenen Chancen und Möglichkeiten für die Bundesrepublik. So wie er seit dem 13. Juli 1954 wiederholt auf die keineswegs ungünstige politische Situation für Deutschland hingewiesen hatte, so schätzte er auch in der ersten Septemberhälfte »die derzeit gute außenpolitische Lage der Bundesrepublik« durchaus positiv ein160. Aus alledem drängt sich der Schluß auf, es
nur um
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137
138
139
So auch noch am 18. September 1954 im Gespräch mit François-Poncet anläßlich der Übergabe des französischen Memorandums; vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 309. Vgl. zu Adenauers Verständnis von »Souveränität« die Ausführungen im Abschnitt B. 1.2. f. Vgl. seine Erinnerungen 1953—1955, S. 335 bzw. 343; ebenso betont bei Grewe, Rückblenden, S. 201
bzw. 206.
160
So in einem Brief des Bundeskanzlers an den FDP-Fraktionsvorsitzenden Dehler, zitiert nach: Der Spiegel vom 15.9.1954, S. 6; auch Grewe schrieb im November 1954 davon, »die Gunst der Stunde zu nutzen«; vgl. Grewe, Deutsche Außenpolitik, S. 70.
Teil C: Adenauers
314
bündnispolitische Zielvorstellungen
daß Adenauer weder die
westeuropäische Integration und noch selbst die deutsch-französische Verständigung zum absoluten Ziel gesetzt, sondern vielmehr in der Funktion auch in sich wertvollen Mitteln zur Durchsetzung seines obersten Zielpaares von genutzt hat: beides stand für ihn zuerst im Dienste der Souveränität und der Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis. In Anbetracht dieser außenpolitischen Zielsetzung wird die Weichenstellung, mit der der Bundeskanzler bereits Monate vor der Entscheidung der französischen Nationalversammlung initiativ wurde und sich massiv in den internationalen Entscheidungsprozeß einschaltete, ohne innere Widersprüche verständlich. In seinen Weisungen an die diplomatischen Vertretungen war nach der überzeugenden Entschließung des amerikanischen Senats über die Rückgabe der Souveränität an Westdeutschland von westeuropäischer Integration und von deutsch-französischer Verständigung kaum noch die Rede. Sein oberstes Zielpaar beherrschte alles andere: angesichts der internationalen Isolierung, in die Frankreich zunehmend geraten war, wollte er nun die volle Souveränität und den direkten Beitritt zur NATO in einem Zuge erreichen. Da diese aktiv-initiative Phase seiner Außenpolitik hinter den Kulissen bereits im vorhergehenden, eher durch nach außen wohlverhaltendes Abwarten gekennzeichneten Zeitabschnitt vorbereitet wurde, ist hier an einige Stationen des EntScheidungsprozesses im Detail anzuknüpfen. Als die Regierung Mendès France am 14. August 1954 den EVG-Partnern die »Zusatzprotokolle« zustellte, trieb dies die Situation weiter auf ihren Höhepunkt. Das Auswärtige Amt hatte den französischen Vorschlag sorgfältig geprüft und war zu dem niederschmetternden Ergebnis gekommen, daß von den 65 Änderungswünschen 47 den EVGVertrag ändern würden, wovon etwa die Hälfte eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages erforderten161. Im Gespräch mit dem neuen stellvertretenden britischen Hochkommissar Allen stellte Hallstein in Abwesenheit des Bundeskanzlers für das weitere Vorgehen der Bundesregierung unverzüglich vier Leitprinzipien heraus: Keine Änderungen mit Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundestag, Wahrung des europäischen Ansatzes, keine Diskriminierungen und eine militärisch sinnvoll umsetzbare Lösung. Sodann wies er darauf hin, daß bei Verzicht auf so viele supranationale Elemente und einer Konzentration auf ein bloß militärisches Arrangement eine ganze Reihe anderer Regelungen offenstünden, ohne den NATO-Beitritt ausdrücklich zu erwähnen162. Schließlich kritisierte er besonders den Vorschlag, daß Frankreich im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands aus der EVG ausscheiden könne; damit hätten die Russen die Möglichkeit, wenn sie den nötigen Preis zahlten, die EVG zu zerstören; sie brauchten dann nur noch über den Preis zu verhandeln; das sei alles äußerst gefährlich für die öffentliche Meinung in Deutschland, wodurch diejenigen, die für eine Übereinkunft mit den Russen einträten und bisher hätten ruhiggehalten werden können, dann lautstark dafür eintreten würden163. Damit teilte Hallstein präzise eine Befürchtung, die der britische Unterstaatssekretär im Foreign Office zwei Tage zuvor dem französischen Botschafter —
16' 162
'"
—
Vgl. PRO, PREM 11/618, Telegram No. 627, R. Allen, from Bonn to Foreign Office, August 16, 1954. Ebd.
Ebd., Telegram
No. 628.
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
315
in London
entgegenhielt; auf René Massigiis Frage, was die Briten in dem Fall zu tun gedächten, wenn Mendès France auf dem jetzt eingeschlagenen Kurs bestehe, stellte Kirkpatrick unmißverständlich klar: »we
should have
to
voice
our
disapproval and moreover take such steps as were open to us to bring
Germany without further delay into the Western association. In such steps we would of course seek the assent of France. But we could not stand idly by and see Germany drift into the Russian camp simply because of impotence in Paris164.« In der Tat drohte hier die anglo-amerikanische Zielsetzung, die Bundesrepublik kontrolliert bewaffnet in das Westbündnis einzufügen und sie damit vom Abdriften gen Osten
abzuhalten, ernsthaft ins Schwimmen zu geraten. Auch der Kanzler konnte nicht sicher sein, daß er angesichts derartiger destruktiver französischer Forderungen innenpolitisch
einen Dammbruch würde vermeiden können. Er beurteilte die Situation ebenso wie Kirk-
patrick: was quite obvious that however great his goodwill, Dr. Adenauer in his present weakened position, could not accept an unfavourable or discrimatory arrangement which he had found unacceptable to German public opinion in 1951 when he was all-powerfull165.«
»It
Daher schickte Adenauer am 15. August 1954 einen eigenhändig geschriebenen Brief an Churchill, den er durch seinen Vertrauten, Bankier Pferdmenges, in London über Kirkpatrick weiterleiten ließ; die britische und wie er wußte, damit auch die amerikanische Regierung sollte rechtzeitig über die gefährliche Entwicklung informiert und alarmiert werden. Kurz und bündig, wie das sein Stil war, teilte er mit: —
—
»M. Mendès-France's proposals [...] are much worse than anything I had expected [...] I do not think that I should be able to get even a simple majority in the Bundestag for the proposals [...] I thought it well to draw your attention to the extremely critical situation which is now developing166.«
Am Ende des
die britischen
Gespräches mit Kirkpatrick versuchte Pferdmenges herauszulocken, wie Alternativvorstellungen im Falle des Scheiterns der EVG aussähen:
»The Chancellor did not see clearly what would happen if crashed to the ground within the next few days167.« 164
as
he
expected the whole E.D.C. project
PRO, PREM 11/618, Bericht Kirkpatricks an Churchill, PM/IK/54/129, France and E.D.C, vom 14.8.1954; vgl. auch Steininger, Scheitern, S. 9. In Frankreich wurde diese klare Sprache verständ-
nisvoll als kooperativ aufgenommen: »Comparée aux sévérités de Washington et aux réactions défavorables des nos cinq partenaires, l'attitude britannique faisait un heureux contraste. Certes, le Foreign Office, soucieux de ne pas voir compromise la situation d'Adenauer et d'assurer au contraire au chancelier de suffisantes satisfactions de prestige, ne pouvait approuver les mesures de discriminations à l'égard de l'Allemagne que comportaient en fait nos amendements. Mendès-France comprit cette 163
166
préoccupation«, Massigli, Comédie,
S. 443.
PRO, PREM 11/618, Bericht Kirkpatricks an Churchill, PM/IK/54/135, French modifications to E.D.C, vom 16.8.1954, Vorlage bei Churchill 17.8.1954. Übersetzung des Briefes in: PRO, PREM 11/618, Telegram No. 979, Foreign Office to Bonn,
August 17, 1954; der übersetzte Kanzlerbrief wurde ebenfalls durchgegeben an die britischen Vertretungen in Paris, Washington, Brüssel, Den Haag, Rom und Luxemburg. Vgl. zum Vorlauf Hallsteins 167
Stellungnahme vom
16.8.1954 in: FRUS 1952-1954, Vol.
PRO, PREM 11/618, Telegram No. 978, Foreign Office
Telegram No. 979; vgl.
zu
to
V, Teil 1, S. 1042, Anm. 4. Bonn, August 17, 1954; Verteiler wie
Pferdmenges Vorstoß die Übersetzung bei Steininger, Scheitern,
S. 12.
316
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Aus der Unterhaltung mit
Kirkpatrick konnte Pferdmenges dem Kanzler am 18. August nicht allzuviel Bestärkendes mitteilen: Mendès France sollte nicht mit leeren Händen von der bevorstehenden Brüsseler Konferenz zurückkehren; Änderungen mit parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit seien unerwünscht; in Brüssel könne man vielleicht die Franzosen auch ohne neue Diskriminierungen Deutschlands zufriedenstellen; Adenauer möge nicht von vornherein mit dem Gefühl der Vergeblichkeit nach Brüssel reisen; im Falle des Scheiterns der EVG werde man Adenauer wegen baldiger Inkraftsetzung des Bonner Vertrages konsultieren168. Also: nichts über eine dann fällige, weniger diskriminierende Souveränitätsregelung, nichts über unverzügliche Wiederbewaffnung, nichts über einen alsbaldigen Beitritt zur NATO. Allen, der den Kanzler kurz vor dessen Abreise nach Brüssel aufsuchte, ließ bewußt ebenfalls nichts von britischen Alternativplänen erkennen169; allerdings fragte Adenauer auch nicht von sich aus danach, da er wenn überhaupt eher über seinen Emissär Pferdmenges davon zu erfahren hoffte. Statt dessen übergab Allen ein Memorandum, das im wesentlichen empfahl, die französischen Vorschläge nicht zurückzuweisen, sondern ihnen —
—
soweit möglich entgegenzukommen170. Das entsprach nun gar nicht der Absicht des Bundeskanzlers; er fuhr nach Brüssel, ohne von dort etwas Nützliches zu erwarten, und hoffte, daß die Niederländer oder vielleicht Spaak den Angriff gegen die Zusatzprotokolle anführen würden171. Er wollte wie ihm auch Conant und Bruce geraten hatten172 gegenüber Mendès France hart bleiben, um nach dem vorhersehbaren Scheitern aus einer starken Position in die dann fälligen neuen Verhandlungen gehen zu können. In diesem Sinne sprach er am Vorabend der EVGKonferenz mit Spaak in Brüssel das weitere Vorgehen bis in Reihenfolge und Inhalt der Redebeiträge der einzelnen Vertragspartner ab, um sich selbst aus der Schußlinie heraus—
—
halten zu können173. Dieses sorgfältig abgestimmte Vorgehen hielt Adenauer insbesondere auch deswegen für notwendig, weil er argwöhnte, daß die französische Regierung vor dem Hintergrund der sowjetischen Angebote für eine Vier-Mächte-Konferenz vom 24. Juli und 4. August 1954 und der desolaten Situation in Indochina »ein Arrangement mit Sowjetrußland«174 an168
Ebd.
169
Ebd., Telegram No. 633, from Bonn (Allen) to Foreign Office, August 18, 1954; »I did not, of cour-
discuss with him the next steps if E.D.C. failed.« Das übergebene Memorandum basierte auf der Analyse der französischen Änderungsvorschläge, wie sie zusammengefaßt wurde in: PRO, PREM 11/618, Telegram 4119, from Foreign Office to se,
170
Washington (und entsprechendem Verteiler), August 17, 1954. Ebd., Telegram No. 633, from Bonn (Allen) to Foreign Office, August 18, 1954. 172 Vgl. BA-MA, BW 9/2527-5, Tagebuch der Dienststelle Blank, Abt. II, Tagebucheintrag vom 18.8.1954, 171
173
174
und FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1046f. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 269ff.; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1048. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 269; vgl. auch die Unterredung Pferdmenges mit Kirkpatrick: »First, he [der Kanzler; d. Verf.] had heard that M. Mendès-France's entourage included certain fellow-travellors and that there was a tendency in France to sacrifice E.D.C. in favour of an agreement with Russia providing for German neutralisation«, PRO, PREM 11/618, Telegram No. 978, Foreign Office to Bonn, August 17, 1954; dieser Verdacht war wahrscheinlich unbegründet; vgl.
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
strebe, wobei das Scheitern der
NATO-Mitgliedschaft
317
EVG als
Morgengabe herhalten sollte. Allerdings war dieser Verdacht nach derzeitiger Quellenlage höchstwahrscheinlich nicht gerechtfertigt.
Da die fünf EVG-Partner während der Brüsseler Konferenz faktisch eine Einheitsfront gegen die französische Delegation bildeten und Spaak mit großem Geschick alle Verhandlungen leitete, gelang es dem Kanzler auch, sich bis auf »Fragen von größter Tragweite« zurückzuhalten, »um zu vermeiden, daß ein französisch-deutscher Gegensatz in Erscheinung träte«175. Selbst dem von Mendès France gewünschten internen Gespräch mit Adenauer wußte er bis zum letzten wenn auch bis hart an die Grenze der Unhöflichkeit der Konferenz außerhalb nicht der Konferenz den Schwarzen um auszuweichen, Tag Peter zugespielt zu bekommen176. Adenauers nur scheinbar undiplomatische Diplomatie in Brüssel war möglich, weil er an Detailverhandlungen nicht interessiert zu sein brauchte. ähnlich wie Mendès France inzwischen nur noch darum, »mit der Es ging ihm ob positiv oder negativ zu einem Ergebnis zu gelangen«177. EVG endlich Während es nach der Brüsseler Konferenz für Mendès France und die Briten offensichtlich war, daß der EVG-Vertrag in Paris scheitern werde178, scheint der Bundeskanzler eine Ratifizierung für nicht gänzlich ausgeschlossen gehalten zu haben179. Dieser zu hoff—
—
—
—
—
—
die Unterredung Mendès France Dillon vom 12.8.1954, in: FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1026—1029, hier bes. S. 1027L; vgl. auch die klare Einschätzung des britischen Botschafters in Paris, Sir Gladwyn Jebb, in: PRO, PREM 11/618, Telegram No. 550, from Paris to Foreign Office, Despatched 11.40 p. m. August 15, Received 12.15 a.m. August 16, 1954. Zur Reaktion von Mendès France vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1072 u. 1087. -
175 176
177 178
179
Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 276. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 272f., 280—283; Adenauers abweisende Haltung gegenüber Mendès France scheint sich erst im Laufe des 18. August im Gespräch mit Spaak und dann im Verlauf der Konferenz verhärtet zu haben, als er erkannte, daß er sich das mit Rückendeckung der übrigen EVG-Partner und der Amerikaner leisten konnte; am 18. August morgens scheint er noch ein Treffen für den Abend eingeplant zu haben; das war jedenfalls der Eindruck von Allen im Gespräch mit Adenauer (vgl. Tel. No. 978, wie Anm. 167); der amerikanische Botschafter in Brüssel, Frederick M. Alger jr. berichtete um 18 Uhr des selben Tages, daß Adenauer wahrscheinlich abends mit Mendès France zusammentreffe, wobei er Spaak dabei teilnehmen lassen wolle (FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1048); nach den wohlbegründeten, von Adenauer geteilten Bedenken Spaaks entschloß der Kanzler sich dann doch, für den Abend des 18.8. ein Treffen mit leidlich plausiblen Gründen auszuschlagen (Adenauer, Erinnerungen 1952—1954, S. 272 f.). Zur Reaktion von Mendès France vgl. DDF 1954, Dok. Nr. 80, Rivière an Außenministerium, S. 178 f.
Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 272. Vgl. PRO, PREM 11/618, Conversation at Chartwell with M. Mendès-France on 23rd August,
1954:
»The impression given by M. Mendès-France was that whilst being very firm and definite in explaining that E.D.C. would not pass«, S. 3. Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 282f.; PRO, PREM 11/618, Telegram No. 224, Sir C Warner, from Brussels to Foreign Office, August 22, 1954: »Dr. Kraps [wohl Franz Krapf, der Verf.], member of the German delegation, called on me this evening on the Chancellor's instructions [...] The Chancellor was favourably impressed by the French Prime Minister and had been much encouraged. He thinks it probable that M. Mendès-France will put the E.D.C. Treaty to the Assembly and can get it through.« Ähnlich auch Adenauers Danktelegramm an Churchill auf dessen bestärkende Nachricht an Adenauer vom 19.8.1954: »I am convinced that it is still possible for MendèsFrance to get the E.D.C. through«, PRO, PREM 11/618, Telegram No. 4230, from Foreign Office to Washington, August 23, 1954, Literal translation of German Chancellor's reply.
318
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
nungsvolle Eindruck entsprach wahrscheinlich dem positiven Verlauf der Unterhaltung mit Mendès France, wobei eine Portion gutgemeinten Wunschdenkens eine Rolle gespielt haben dürfte. Was in Adenauers »Erinnerungen« vorsichtig anklingt: »Leitgedanke des Gesprächs mit Mendès France war für mich meine Auffassung, die ich auch von Mendès France vertreten fand, daß das gute Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland unbedingt beibehalten und fortentwickelt werden müsse«180, hatte wahrscheinlich einen massiveren Hintergrund. Wie Spaak am 24. August Sir Christopher Warner berichtete, hatte der Bundeskanzler dem französischen Premierminister am
22.
August angeboten,
write M. Mendès-France a letter saying if ever a French vital interest was involved German Government would support the French. M. Mendès-France has not taken this up181.«
»to
Allerdings konnte dies nicht viel mehr als ein Symbol für Adenauers guten Willen sein; denn einseitige Erklärungen haben völkerrechtlich wenig bindenden Charakter; im übrigen blieb die Definition, was als »vital interest« zu gelten hat, der Bundesregierung weitgehend überlassen. In jedem Fall wäre die Grenze deutsch-französischer Harmonie dort erreicht gewesen, wo sich denn auch Spaaks geharnischter Widerspruch festmachte: »it amounted to a Franco-German gang-up«182, woran keiner Bundesregierung gelegen sein
kann. Ohnehin konnte dies Mendès France für das faktische Scheitern der Brüsseler Konferenz nicht entschädigen. Dennoch mag es dessen für Adenauer nicht ungünstiges weiteres Vorgehen positiv beeinflußt haben. Denn während des Treffens mit Churchill in Chartwell stellte Mendès France fest: die Lage in Deutschland sei gefährlich und er sei bemüht, Adenauer zu helfen; er sei gegen deutschen Neutralismus und für eine deutsche Wiederbewaffnung; er sei bereit, der Bundesrepublik die Souveränität unverzüglich zu geben und dies auch der Nationalversammlung zu verkünden; er war sich völlig sicher, daß Frankreich, wenn es die EVG abgelehnt haben werde, eine Alternative, selbst den Beitritt Westdeutschlands zur NATO, nicht abzulehnen wage; eine um Großbritannien erweiterte EVG ohne supranationale Strukturen mit gemeinsamem Rüstungspool innerhalb der NATO schwebe ihm vor; dagegen empfahlen die Briten unverblümt den direkten Beitritt Westdeutschlands zur NATO mit entsprechenden Sicherheitsgarantien183. Doch all das war Adenauer nicht bekannt. Vielmehr wurde Hallstein, nachdem der Kanzler nach Bühler Höhe abgereist war, von der britischen Hochkommission teilweise irreführend dahingehend informiert, daß auch die Briten Mendès France hoffnungsvoll zur EVG-Ratifizierung gedrängt hätten. »Hallstein was delighted [...], the more so as the reports in this morning's German papers tended to suggest that the principal subject of your discussion with the French Prime Minister had been possible alternatives to E.D.C. Hallstein confessed that he had been depressed by these reports, which seemed 180 181
Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 282. PRO, PREM 11/618, Telegramm No. 228, Sir C. Warner, from Brussels to Foreign Office, August 24, 1954.
182
Ebd.
183
w/;e Anm. 178, Conversation at Chartwell. Vgl. auch den Bericht Dillons über seine Unterhaltung mit Mendès France am 24. August 1954, in: FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1071-1077.
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
imply that Her Majesty's Government regarded E.D.C. as dead. He was Chancellor would be very glad to learn that the contrary was the case184.«
to
sure,
319
therefore, that the
Dieser fehlleitende Informationsaustausch hatte nur zu einem geringen Teil seine Ursache im europabegeisterten Wunschdenken Hallsteins; sie lag auch nicht bei der zu dieser Zeit nur teilweise besser informierten britischen Hochkommission, sondern in der restriktiven Informationspolitik des Foreign Office, das sich auch anschließend nicht bemühte, den Irrtum aufzuklären. Im Gegenteil! Als sich Mendès France entsprechend seiner Adenauer in Brüssel gegebenen Zusage bemühte, in Anlehnung an die britisch-amerikanischen Vorüberlegungen Bonn den Weg zur Souveränität freizugeben, wurde die Bundesregierung sozusagen indirekt gemäß Hallsteins eigener Einlassung von wei—
—
Informationen bewußt —
teren
—
ausgeschlossen:
»I do not think it is necessary or desirable to communicate these documents to Dr. Adenauer before the French debate, more especially as his last message (Bonn Telegram No. 652) emphasizes his desire that French attention should remain exclusively concentrated on the E.D.C. until the vote has been
taken185.«
Die von der Bundesregierung aus guten Gründen verfolgte offizielle EVG-loyale Argumentation hatte eben auch ihren Preis. Das hieß aber keineswegs, daß der Kanzler sich dafür mit irgendwelchen minderen Alternativen zu diesem Zeitpunkt noch abspeisen ließ. Als Ophüls das Auswärtige Amt über den französischen Versuch informierte, den gegen die EVG gerichteten Parodi-Plan für eine »Kleine NATO« Rüstungsgemeinschaft der EVG-Staaten und nationale Koalitionsarmeen unter Einschluß Großbritanniens durchzusetzen, blockierte Adenauer unverzüglich dieses Ansinnen, indem er am 25. August über Conant Dulles darauf hinwies: —
—
»It is said that, in case of failure of the E.D.C, the French Government envisage a discriminatory solution for Germany consisting of membership of a small coalition within N.A.T.O. and without equal rights with other members. The Federal chancellor attaches importance to making it clear that such a discriminatory solution would be completely unacceptable to the Federal Government and all parties in the Bundestag186.«
Conant verstärkte Adenauers dezidierten Einspruch durch eine realistische Lageeinschätzung: es werde schwierig sein, die Protokolle der Londoner Studiengruppe bei Regie184
185
186
PRO, PREM 11/618, Telegram No. 652, Allen, from Bonn to Foreign Office, August 24, 1954; der Inhalt des Informationsgesprächs Aliens basierte auf dem Telegram No. 1031, from Foreign Office to Bonn, August 23, 1954 (Despatched 10.15 p.m.), ebd.; dazu gehörte auch die Information, daß
Mendès France gesagt habe, »he would put the issue [den EVG-Vertrag; d. Verf.] to the vote next week but he was quite definite that it would be rejected«, ebd., was natürlich Hallstein verschwiegen wurde. PRO, PREM 11/618, Telegram No. 4279, from Foreign Office to Washington, Repeated for information to Paris, Bonn, August 25, 1954; mit documents sind die beiden Protokolle und Notenentwürfe der Londoner Studiengruppe vom 12. Juli 1954 gemeint; vgl. diese in: FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1003-1006. PRO, PREM 11/618, Teigram No. 659, Mr. Johnston, from Bonn to Foreign Office, August 26, 1954; zu Mendès France und Parodi-Plan vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1071-1077, sowie DDF 1954, Dok.Nr. 44, Memorandum de Beaumonts an Mendès France, S. 96—99, und Nr. 109, Mendès France an François-Poncet, S. 230 f.
320
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
rung und Bundestag durchzusetzen; die Rückgabe der Souveränität hätte in den letzten Wochen an Tauschwert verloren; man erwarte inzwischen volle Statusgleichheit einschließlich Wiederbewaffnung, und das unverzüglich; im übrigen sei die Stellung des Bundeskanzlers geschwächt187. Adenauers Demarche aktivierte nun allerdings das State Department dazu, das als nicht EVG-loyal geltende Foreign Office auf Linie zu bringen: »We hope this helpful line will counter impression Mendès-France appears to be trying UK will support Little NATO with discriminatory provisions toward Germany188.«
to create
that
In ähnlicher Weise reagierte Adenauer auf die Nachricht, daß die drei Westalliierten sich
angeblich darauf verständigt hätten, falls die EVG abgelehnt würde, zunächst auf einer Deutschland-Konferenz nur den Generalvertrag also den aus Bonner Sicht bereits überholten Generalvertrag von 1952 und zudem noch ohne die Wehrhoheit in Kraft zu setzen; die britische und die amerikanische, jedoch nicht die französische Hohe Kommission wurden in Kenntnis gesetzt, daß es die Bundesregierung rundweg ablehne, über derart diskriminierende Lösungen zu verhandeln189. Und selbst der Vermittlungsvorschlag Außenminister Spaaks, der durch Einschränkungen der Kommissarbefugnisse und Verstärkung der Ministerratsentscheidungen die französischen Vorbehalte mindern und die euro—
—
päische Integration so weit
als möglich zu retten versuchte, wurde in aller diplomatischen Höflichkeit zwar überaus vorsichtig, aber dennoch abgelehnt190. Ob des Kanzlers Widerspruch durchgeschlagen hätte, ist fraglich; denn die EVG-treue und gegenüber der europäischen Integration relativ aufgeschlossene Gruppe unter Führung von Schuman, René Mayer, Antoine Pinay und Paul Reynaud wollten einen Vertagungsantrag für Verhandlungen über die Spaak-Vorschläge in der Nationalversammlung einbringen, dem das State Department überraschenderweise zustimmen wollte, sofern die Briten bereit seien mitzuziehen191. Die Briten, die längst aus eigenen Interessen und in klarer Voraussicht des Scheiterns der EVG Kurs auf den westdeutschen NATO-Beitritt genommen hatten, waren natürlich nicht mit von der Partie. In sechs Punkten lehnten sie das amerikanische Ansinnen ab und erklärten unter Hinweis auf Adenauers Situation: »The overriding consideration must surely be to give the French no further excuse for delay and to avoid driving the Germans to exasperation192.« Damit platzte auch dieser Versuchsballon, und die Turbulenzen der Debatten in der Nationalversammlung überrollten sowohl den französisch-amerikanischen Vorstoß wie Adenauers Einspruch dagegen. PRO, PREM 11/618, Telegram No. 659. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 1, S. 1082. "»Ebd., Vol. VI, Teil 1, S.591. 190 Vgl. Spaak, Memoiren, S. 234f., sowie PRO, PREM 11/618, Telegram No. 228, Sir C Warner, from Brussels to Foreign Office, August 24, 1954. 191 Vgl. zum französischen Vorschlag FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 1, S. 1084; zur befürwortenden 187 i88
Anfrage des amerikanischen Botschafters Bruce ebd., S. 1087; zur positiven Antwort des State Department die Anm. 2 auf S. 1087. Vgl. auch PRO, PREM 11/618, Telegram No. 1865, Sir R. Scott, from Washington to Foreign Office, August 26, 1954, sowie seine Telegramme 1868, 1869 und 1870 vom selben Tag. 192 PRO, PREM 11/618, Telegram No. 4293, from Foreign Office to Washington, August 26, 1954. Vgl. auch Steininger, Scheitern, S. 15.
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
321
NATO-Mitgliedschaft
Gleichzeitig bereitete der Bundeskanzler das innenpolitische Feld für die kommenden Alternativentscheidungen vor. Dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestages erklärte er, daß der Druck auf Frankreich zugunsten eines deutschen Verteidigungsbeitrags beim Schei-
der EVG dadurch beibehalten werden solle, daß die anderen EVG-Staaten sowie die USA und England dementsprechend konsultiert werden müßten193. Und auch praktische, beschleunigende Schritte wurden bereits erwogen: tern
»Bundestag Fo[reign] Aff[airs] Comité [Committee], following leadership CDU members, is drafting detailed plan for alternative to EDC involving rapid expansion Ger(man) border police to 150,000194.« Adenauers diplomatisches und innenpolitisches Vorgehen kennzeichnet in der Zwischenbilanz eindeutig seine Lagebeurteilung: wenn die EVG scheitert, dann entsteht auch bezüglich Souveränität, Wiederbewaffnung und NATO-Beitritt eine völlig neue, zwar unübersichtlich gefährliche, aber zugleich für die Bundesrepublik chancenreiche Lage. Seine Zielsetzungen bestimmten auch seine Vorgehensweise für die diplomatischen Verhandlungen. Sie sollten notfalls zunächst ohne Frankreich durchgesetzt werden. Zwar blieb für Adenauer die deutsch-französische Verständigung weiterhin die Grundlage jeder europäischen Einigung. Es ging ihm also nicht um einen Ausschluß Frankreichs bei einer zukünftigen Lösung, wie sie etwa in Washington ernsthaft erwogen worden war, sondern um eine Frankreich einschließende Gestaltung. Allerdings schien es ihm verhandlungstaktisch wirkungsvoll, die derzeitige französische Regierung solange zu isolieren, bis ein konsensfähiges Arrangement mit Hilfe der übrigen Partner gesichert vereinbart war. Das begründete die Art und Weise, mit der die Bundesregierung im Sommer 1954 so lange an Frankreich vorbei informierte und verhandelte195. Adenauers Regierungserklärung vom 1. September setzte diesen Kurs nach dem Scheitern der Verträge in Paris am 30. August 1954 konsequent fort: konsultiert werden sollten die Länder, die die Verträge ratifiziert hatten (Benelux) oder unmittelbar vor der Ratifizierung standen (Italien) sowie Amerika und Großbritannien196. Ebenfalls in konse193 194
193
196
FRUS 1952-1954, Vol. VI, Teil 1, S. 591. Ebd. [die im telegraphischen Schriftverkehr üblichen Abkürzungen wurden in Klammern aufgelöst; d. Verf.]; ein derartiges Vorgehen war bereits im Juni 1954 zwischen Amerikanern und Briten erwogen und damals als unzeitgemäß abgelehnt worden; vgl. ebd., S. 573. Vgl. zu Blankenhorns Skepsis bezüglich der bewußten Isolierung Frankreichs: ders., Verständnis, S. 192. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 292; Bundesminister Tillmanns berichtete aus der Kabinettsitzung vom 1.9.1954, daß die Nicht-Erwähnung Frankreichs in der Regierungserklärung nicht auf der Hoffnung gründe, eine »kleine EVG« ohne Frankreich zu errichten; vielmehr sollte entsprechend dem britischen Vorschlag eine Acht-Mächte-Konferenz über den westdeutschen NATOBeitritt schnellstmöglich abgehalten werden; vgl. NA, DB, RG 59, Decimal File 1950—1954, West Germany, 662A. 00/9-754, Desp. No. 508 from HICOG-Bonn, Conversation with Minister Tillman[n]s vom 2.9.1954; vgl. auch Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am 1. September, S. 352f.; aus dem Diskussionsverlauf der beiden Sondersitzungen des Kabinetts vom 31.8. und 1.9.1954 ergibt sich der Eindruck, daß der Bundeskanzler nicht unmaßgeblich durch seine Minister und hier besonders durch Tillmanns zu weiterer Zusammenarbeit mit Frankreich gedrängt wurde; vgl. dazu auch Sondersitzung am 31.1.1954, S. 347, die Äußerungen Adenauers in den Anmerkungen 12 und 14 der Sondersitzung am 1.9.1954, S. 351, sowie die allgemein gehaltene Schlußfolgerung des Kanzlers bezüglich einer deutsch-französischen Verständigung, S. 352f.
Vgl.
—
—
322
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
quenter Kontinuität blieb seine Zielsetzung: mit Vorrang Souveränität und NATO-Beitritt. Lediglich in der diplomatisch gefaßten Formulierung »Teilnahme an der westlichen Verteidigung ohne Diskriminierung«197 wurde eine allzu hart erscheinende Brüskierung Frankreichs gemildert; was wohl auch auf den mäßigenden Einfluß von Blankenhorn und Hallstein zurückzuführen ist, die noch am Abend zuvor befürchteten, daß der Kanzler unverblümt die uneingeschränkte Mitgliedschaft in der Allianz öffentlich einfordern würde198. Im gleichen Sinne instruierte auch Conant im Auftrag des State Department den Kanzler, keine allzu rigiden Formulierungen zu veröffentlichen, die ihm später eine flexible Handlungsfähigkeit rauben könnten199. Doch mehr als eine geringfügig geglättete Formulierung war ihm nicht abzuringen. Als Conant am Morgen des 2. Septembers den Kanzler auf Bühler Höhe weisungsgemäß mit den Protokollen der Londoner Studiengruppe vom Juli 1954 vertraut machte, wies Adenauer diese als völlig unzeitgemäß und jedes Einfühlungsvermögen in seine politische Lage vermissen lassend derart entrüstet zurück, daß Conant an das State Department zurückkabelte: believe I made serious error in following Wash[ington]'s instructions in arguing for acceptance his first statement to me that they were unacceptable200.«
»I
now
of
protocols after Chanc[ellor] made
Auch die mit den Protokollen sehr hypothetisch verbundene vage Möglichkeit, doch noch zu einer Art EVG-Integration zu gelangen, hätte den Kanzler nicht von seiner klaren Ablehnung abweichen lassen. Es ist auch nicht irritierend, daß er dem zeitweise ebenfalls mit Conant anwesenden Senator Alexander Wiley gegenüber auf dessen Frage nach der NATO als Rahmen für den westdeutschen Verteidigungsbeitrag antwortete: möglicherweise über die NATO, aber eigentlich wolle er die EVG; denn in dieser Antwort berücksichtigte er wie so oft bei Adenauer, der, wenn er wollte, sich einfühlsam in die Denkmuster seiner Gesprächspartner hineinversetzen konnte die so förderliche hohe Meinung des amerikanischen Senats hinsichtlich europäischer Integrationsbemühen. Den Senat würde er noch brauchen, warum also den Senator unnötig vor den Kopf stoßen? Und direkt gelogen war es ja auch nicht. In der Tat glaubte Adenauer »nach wie vor an die Grundkonzeption der EVG, wenngleich unter den augenblicklichen Mehrheitsverhältnissen in der französischen Nationalversammlung keine Aussicht auf ihre Verwirklichung bestand«201. So bot Adenauer selbst den Amerikanern als den Treuesten der Treuen, wie er es noch einige Wochen zuvor empfand, geharnischten Widerstand. Er glaubte sich das nun erlauben zu können. Konnte er auch! Ein Blick auf die Informationspolitik der drei Siegermächte von 1945 im September 1954, ihm damals nicht, uns aber heute möglich, gibt einen interessanten Einblick in seine starke internationale Verhandlungsposition. —
—
197 198
Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, ebd. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1122.
'"Ebd., S. 1125, Anm. 7. Ebd., Teil 1, S. 997—1016; zu Conants Gespräch mit Adenauer vgl. ebd., Teil 2, S. 1138—1140, Zitat
200
201
S. 1139. Zum Besuch Senator Wileys vgl. ebd., Teil 2, S. 1138—1140, hier bes. S. 1140, sowie nerungen 1953-1955, S. 296f., Zitat S. 295.
Adenauer, Erin-
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
323
Die Briten drängten auch die Amerikaner auf gleichzeitige Information sowohl in Paris als auch in Bonn202; aber »we are awaiting Dr. Adenauer's views before consulting further with M. Mendès-France or any of our other allies on the alternatives to the E.D.C.«203. Um Gerüchten über eine französisch-britische gegen eine amerikanisch-deutsche Allianz entgegenzutreten, wurde im Foreign Office sogar erwogen, Adenauer unverzüglich nach London einzuladen204. Die Amerikaner gingen noch einen Schritt weiter und wollten ursprünglich erst Adenauer konsultieren, bevor sie an Mendès France herantraten205. Briten und Amerikaner versuchten dann gemeinsam, nach der harschen Zurückweisung der Protokolle bei Adenauer den Informationsfluß zu Mendès France aufzuschieben: »to effect that Adenauer's reaction to Protocols was more violently negative than anticipated and recommending postponement démarche to Mendès France206.« Das weiteste Entgegenkommen zeigte Mendès France. Er wollte Adenauer nach dem Ende der EVG-Debatte in der Nationalversammlung ein Telegramm senden, um zu fragen, ob er zu Adenauer nach Bonn zur Lagebesprechung kommen könne. Das Telegramm, so hieß es, sei bereits am 30. August 1954 abends absendebereit ausgefertigt gewesen, als ihn innenpolitische Ereignisse davon Abstand nehmen ließen. Als zwei Tage später Adenauers Regierungserklärung, für die der Franzose volles Verständnis hatte, veröffentlicht worden war, war ihm deutlich geworden, daß die Deutschen nicht weiter mit den Franzosen sprechen wollten. Dennoch war Mendès France auch jetzt noch bereit, sofort nach Bonn zu fahren. Was ihn davon abhielt, war das Risiko einer Ablehnung durch Adenauer, was für Mendès France in der französischen öffentlichen Meinung eine Katastrophe gewesen wäre207. Ganz in diesem Sinne versuchte Staatssekretär Guérin de Beaumont im Gespräch mit Wilhelm Hausenstein am 2. September, durch vorsichtige Andeutungen einen direkten Gedankenaustausch zwischen Adenauer und Mendès France zu lancieren; auch der stellvertretende französische Hohe Kommissar Bérard meinte, von der britischen Hohen Kommission darin bestärkt, ein direkter Kontakt zwischen Mendès France und Adenauer solle gesucht werden, sobald der Zorn des Kanzlers verraucht sei208. Doch Adenauer hielt sich bedeckt. Zum ersten Treffen mit François-Poncet nach der Brüsseler Konferenz kam es erstmals nach Adenauers Urlaub am 14. September209. Auch als Gersten202 203
204
205
Vgl.
FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1125. PRO, CAB 129/70, C. (54) 280, 1st September, 1954, Alternatives to the European Defence Community, Draft Telegram from Foreign Office to Bonn, hier S. 4. Vgl. NA, DB, RG 59, Decimal File 1950-1954, Political Affairs and Conditions, West Germany, 762A.00/9-154, Memorandum of Telephone/Conversation, Sovereignty and Rearmament Protocols, Mr. Adam Watson, British Embassy EUR/GER-Cecil B. Lyon, September 1, 1954. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1125, Anm. 2.
Ebd., S. 1130. Ebd., S. 1133. 208 Vgl. Bérard, Ambassadeur, S. 573; vgl. auch das Gespräch zwischen Massigli und Kirkpatrick vom 7.9.1954, in: Massigli, Comédie, S. 460. 209 Vgl. DDF 1954, Dok. 181, François-Poncet an Mendès France, S. 370f., sowie PRO, FO 371/109606/ CW1081/380, Sir F. Hoyer Millar, Telegram No. 746, from Bonn to Foreign Office, September 15,1954.
206
207
324
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
maier aus Straßburg über den Wunsch von Mendès France nach einem Treffen mit Adenauer berichtete und der stellvertretende Kabinettschef im französischen Außenministerium, Jean-Marie Soutou, über die französische Delegation in Straßburg vorschlug, anläßlich des Zusammentritts des Europarates am 20. September ein Zweiertreffen zu arrangieren, fand sich der Kanzler dazu nicht bereit210. Wie die Informationspolitik der westlichen Siegermächte gezeigt hat, hielt Adenauer seine Karten für die nächste Runde zu Recht für stark genug, um Paris zu schneiden, ohne sein Blatt damit zu überziehen. Die ähnlich gezielte Reisediplomatie Dulles', der London und Bonn, demonstrativ jedoch nicht Paris besuchte, hat ihn darin bestärkt. Seinerzeit wurden subjektive Erklärungen für Adenauers Verhalten herangezogen. »Le chancelier est toujours en proie à une vive colère. Il s'est senti trahi dans ses espoirs211.« Auch Kirkpatrick zeichnete aus seiner Erfahrung im Umgang mit dem Kanzler einfühlsam dessen Stimmungsbild: »(1) Quiet bereavement as for loss of a wife; (2) bitter and formidable anger; (3) make the best of it and continue pursuing constructive role212.« Eine »konstruktive Rolle« in einem ja nicht geheim bleibenden Zweiergespräch mit Mendès France konnte Adenauer jedoch nur einnehmen, wenn nach Klärung der wesentlichen Sachfragen eine grundlegende Übereinstimmung zu einem fruchtbaren Meinungsaustausch führen würde213. Und genau daran zweifelte Adenauer mit guten Gründen. Wie eng die französische Innenpolitik den Rahmen für Mendès France gesetzt hatte, wurde nach vielen internen Berichten aus Paris vollends deutlich, als François-Poncet am 18. September 1954 dem Kanzler das französische Memorandum zu Souveränität und Wehrbeitrag überreichte214. Es erfüllte viele deutsche Forderungen nicht. Daher beurteilte der Kanzler »die französischen Vorschläge nach genauem Studium lediglich als einen Diskussionsbeitrag. Sie mußten nach meiner Überzeugung ergänzt und in einigen Punkten geändert werden, wenn eine zufriedenstellende Lösung erzielt werden sollte215.« Dies geschah mit seinem Memorandum, das bis zum 23. September 1954 den an der geplanten Londoner Neun-Mächte-Konferenz teilnehmenden Staaten zugestellt wurde216. Seine beiden Hauptforderungen blieben nach wie vor Souveränität und Beitritt zur NATO. Seine an sich gemäßigten, gegenüber dem französischem Memorandum aber weitergehenden Ansprüche schienen jedoch als Ausgangsposition für die Londoner Konferenz realistisch kalkuliert. Die entscheidende Frage blieb ja weiterhin, ob und unter welchen Voraussetzungen die Nationalversammlung selbst bei entsprechendem Durchsetzungs-
Vgl. Bérard, Ambassadeur, S. 577: »C'est la quatrième fois qu'il évite de prendre contact avec notre président du Conseil ou son représentant«. Vgl. zu den vorbereitenden Gesprächen Hallsteins und Blankenhorns Kabinettsprotokolle 1954, 53. Sitzung, S. 447, Anm. 22. 2,1 Bérard, Ambassadeur, S. 573; vgl. auch ebd., S. 571 f. 212 Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1131. 213 Dies wurde auch auf französischer Seite so eingeschätzt; vgl. Massigli, Comédie, S. 461. 214 Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 308—312; eine Übersetzung und bewertende Analyse des Memorandums in: BA-MA, BW 9/2577. Vgl. auch den Bericht François-Poncets über seine Vorsprache bei Adenauer im Beisein Blankenhorns, in: DDF 1954, Dok. 194, François-Poncet an Men210
dès France, S. 398 f.
Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 309. ^ Vgl. ebd., S. 312f.; Wortlaut in BA-MA, BW9/2577. 215
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
325
willen der französischen Regierung den zukünftigen Verhandlungsergebnissen zustimmen würde. Für den schlimmsten Fall, der seitens der Bundesregierung keineswegs als unwahrscheinlich galt217, hatte sich Adenauer von Eden und Dulles, wenn auch in üblicherweise wenig bindenden Formulierungen, zusichern lassen, daß im Falle einer Ablehnung sofort mit den Anglo-Amerikanern eine Lösung notfalls auch ohne Frankreich gesucht werden würde. Auf Adenauers Frage an Eden, was zu tun wäre, falls Frankreich jedes Arrangement einer Wiederbewaffnung verweigern würde, antwortete Eden: —
—
»that I had not yet discussed such an eventuality with the Cabinet and that I could not therefore give him any definite assurance about the attitude which Her Majesty's Government would take. However, I thought that I should when in Paris warn M. Mendès-France that should the French decline to agree to any sensible solution it might then be neccessary for the other Governments to go ahead without France. What I said seemed to satisfy Adenauer218.«
Allerdings hatte Eden sehr wohl am 1. September 1954 im Kabinett das Problem der Behandlung Frankreichs angesprochen und dafür plädiert, notfalls ohne Frankreich eine 217
Vgl. Minister Tillmanns Bericht aus der Kabinettsitzung vom 1.9.1954, wo der Eindruck bestand, Frankreich könnte sich jeder deutschen Bewaffnung wiedersetzen; NA, DB, RG 59, Decimal File 1950—1954, West Germany, 662A.00/9-754 vom 2.9.1954; der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Krone, verdächtigte Mendès France, daß er mit der Sowjetunion bezüglich einer Neutralisierung Deutschlands konspiriere; ebd., HICOG-Bonn, Desp. No. 509 vom 4.9.1954, Conversation with Krone (CDU); der CDU-Abgeordnete Gerstenmaier vermutete realistischer kein französisch-sowjetisches Zusammenspiel, sondern sah die ¡nnerfranzösischen Widerstände gegen die supranationalen Bestimmungen des EVG-Vertrages; bezüglich Dehlers Vorstoß zugunsten eines NATOBeitritts erwartete Krone eine garantierte Ablehnung in Paris; vgl. NA, DB, RG 59, Decimal File 1950-1954, Political Affairs and Conditions, West Germany, 762A.00/9-854, HICOG-Bonn, Desp. No. 526 vom 8.9.1954, Conversation with Gerstenmaier and Krone; auch Minister Preusker (FDP) und der Abgeordnete v. Merkatz (DP) waren pessimistisch hinsichtlich einer französischen Zustimmung zur Wiederbewaffnung; vgl. NA, DB, RG 59, Decimal File 1950—1954, Political Affairs and Conditions, West Germany, 762A.00/9-754, from Bonn to Secretary of State No. 699 vom 7.9.1954; Adenauer äußerte am 14.9.1954 gegenüber François-Poncet die Befürchtung, daß die Nationalver-
sammlung auch Edens Ausweichlösung über den Brüsseler Pakt nur unter innenpolitischen Aspekbeurteilen würden, wobei auch eine Saarregelung Schwierigkeiten bereiten könne; vgl. PRO, FO 371/109606/CW 1081/380, Tel. No. 746 from Bonn (Sir F. Hoyer Millar) to Foreign Office, September 15, 1954; François-Poncets Bericht erwähnt das allerdings nicht; vgl. DDF 1954, Dok. 181, François-Poncet an Mendès France, S. 370 f.; im Gespräch mit Hallstein und Blankenhorn wurde Conant sehr schnell deutlich, daß beide eine französische Zustimmung zur NATO-Lösung skeptisch beurteilten; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1186; Minister Strauß berichtete aus Anlaß seiner inoffiziellen Paris-Reise, nach seinem Eindruck suche Mendès France die politische Vorherr-
ten
218
schaft in Europa zusammen mit einer militärischen Vorherrschaft der Sowjetunion zu gewinnen und durch Verweigerung jeglicher Fortschritte für die Bundesrepublik in Bonn einen Regierungswechsel herbeizuführen, um dann auf einer Vier-Mächte-Konferenz ein wiedervereinigtes, neutralisiertes Deutschland zu akzeptieren; vgl. NA, RG 59, 762A. 00/9-2254, HICOG-Bonn to Department of State, Desp. No. 643 vom 22.9.1954, Conversation with Strauss (CSU); die einlaufenden Berichte der deutschen diplomatischen Vertretungen gaben darüber hinaus hinreichenden Anlaß für Adenauers skeptische Einschätzung der Erfolgsaussichten der Londoner Konferenz. PRO, FO 371/109606/CW 1081/380, Telegram No. 2236 from Foreign Office to Paris, September 15, 1954. Vgl. auch Schreiben Churchills an Eisenhower: »But we must be ready to go ahead without France in the last resort (policy of the empty chair presumably) making clear our intentions in Paris in good time«, in: FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1179.
326
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Lösung mit Deutschland zu suchen, um einem unabhängigen deutschen Arrangement
mit der Sowjetunion vorzubeugen; das Kabinett hatte daraufhin Churchills Vorschlag, zunächst vor allem an Adenauer heranzutreten, zugestimmt in der Hoffnung, daß Frankreich dann angesichts der drohenden internationalen Isolierung der deutschen Aufrüstung zustimmen würde219. Jedoch sollte nach dem Willen des Foreign Office gerade eine Frankreich ausschließende Vorgehensweise wenn irgend möglich vermieden werden; man wird also die starken Worte Edens wirklich nur als »last resort« einschätzen dürfen. Für Adenauer blieb die britische Haltung dementsprechend schwer einschätz-
bar:
»Blankenhorn said [...] Eden had confined himself to commenting on how terrible predicament would be if French reject NATO solution, but Roberts had intimated British would then be prepared to proceed without French220.«
Die Bereitschaft der
Amerikaner, notfalls ohne Frankreich voranzugehen, war demge-
genüber ausgeprägter221; ein Vorgehen zusammen mit den Briten und gegebenenfalls mit den Benelux-Ländern und Italien wurde im State Department als Notlösung am 10. September 1954 erneut erwogen; National Security Council und Joint Chiefs of Staff stimmten zu, so starke westdeutsche Streitkräfte vorzusehen, daß sie den französischen NATOBeitrag ersetzen könnten222. Vor diesem Hintergrund einer bei allen Zusicherungen dennoch bedrückenden Ungewißheit versuchte der Kanzler, seine Verhandlungsposition für London mit Vorabsprachen solide auszubauen. Zunächst mußte die Souveränität schon aus innenpolitischen Gründen sichergestellt werden, um das Odium des »Kanzlers der Alliierten« loszuwerden; außerdem würde er zukünftig um so dringender außenpolitische Handlungsfreiheit brauchen, als mit dem Scheitern der EVG die begrenzte Tragfähigkeit westlicher Solidarität und die unzureichende Durchsetzungsfähigkeit der so stark erschienenen Amerikaner im eigenen Bündnis schmerzhaft offenbar geworden waren. Adenauers Tage vertrauensvoller Zuversicht waren jedenfalls zunächst erst mal beendet. Was die Souveränität betraf, so erwartete Adenauer durchaus mehr, als es die bewußt pointierte Formulierung von Strauß, der von einer »facade of sovereignty and equal treatment«223 sprach, suggerierte. Zwar hatte die Bundesregierung in der Kabinettsitzung vom 1. September 1954 ganz allgemein »Wiederherstellung der Souveränität« und nicht, wie Minister Tillmanns erläuterte, »full sovereignty« oder »complete sovereignty« gefor219 220
221
222
223
CAB 128/27, C.C. 58 (54), 1.9.1954, S. 2f. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1187. Zu Adenauers Vergewisserung anläßlich des Besuches Dulles' vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 303. Vgl. Eisenhowers dritte Lösung eines einseitigen amerikanisch-deutschen Abkommens vom 3.9.1954, in: FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1145. Vgl. ebd., S. 1247—1253, 1263—1271, hier bes. S. 1250; anscheinend wurde die U.S. Army, die genau zu einem gegenteiligen Ergebnis (keinesfalls ohne Frankreich, notfalls ohne Deutschland) kam, überstimmt; vgl. NA, MMB, RG218, Records of the U.S. Joint Chiefs of Staff, Geographic Files 1954—1956, CCS 092 Germany (5-4-49) (section 27), Memorandum by the Chief of Staff, U. S. Army vom 18.9.1954 (Reference: NSC 5433/1), Recommended Changes to JCS 2124/141. NA, DB, RG 59, 762A.00/9-2254, HICOG-Bonn, to Department of State, Desp. No. 643 vom 22.9.1954 (wie Anm. 217).
Vgl. PRO,
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
327
dert224; aber Adenauers Insistieren auf vertragliche Regelungen des Stationierungsrechtes der derzeit noch als Besatzungstruppen stationierten Streitkräfte und auf eine natio-
nale Notstandsklausel wirft doch ein bezeichnendes Licht auf seine Bemühungen, alles Souveränitätsmindernde selbst dort abzustreifen, wo er der Sache nach keine wesentlichen Änderungen für nötig hielt225. Was Berlin, Deutschland als Ganzes beziehungsweise die Wiedervereinigung und den Friedensvertrag betraf, so wurde dem Kanzler frühzeitig erklärt, daß die alliierten Vorbehaltsrechte gewahrt werden müßten226. Besonders kam es Adenauer darauf an, daß die Bundesrepublik ihre Souveränität ohne womöglich parlamentarisch zustimmungsbedürftige Neuverträge durch einfache Erklärungen der Besatzungsmächte erhielt; dies sollte zugleich innenpolitisch Erleichterung und außenpolitisch Verhandlungsstärke verschaffend getrennt von der Wiederbewaffnungsfrage möglichst noch auf der Londoner Konferenz geschehen; zu seiner Enttäuschung konnten sich die drei Westmächte nicht zu einem derart raschen Vorgehen entschließen227. —
—
224
223
226
227
Conversation with Minister Tillmanns vom 2.9.1954 (wie Anm. 217); Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am 1.9.1954, S. 350—354, nennen nur allgemein »Souveränität«. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 313, hier Punkt 4. b); vgl. auch Gespräch mit Conant am 7.9.1954, FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1153; in diesem Gespräch erkannte Conant auch klar, daß »Chancellor is aiming at full and complete sovereignty with equal membership NATO«, ebd.; eine detailierte Übersicht über die am meisten störenden Vorbehaltsrechte aus deutscher Sicht und die von den USA für notwendig gehaltenen Reservatsrechte findet sich ebd., S. 1168f.; die Briten hatten insbesondere bezüglich der ihnen verbleibenden Stationierungsrechte erhebliche Bedenken gegenüber Adenauers nachdrücklichen und umfassenden Forderungen; vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1188, und PRO, CAB 128/27, C. C 60 (54), 17.9.1954, S. 2; ein weiteres Indiz sind die harten Verhandlungen, die Grewe hierzu in Vorbereitung der Londoner Konferenz vom 21. bis 24. September 1954 mit entsprechenden Weisungen des Kanzlers führte; vgl. NA, DB, RG 59, Decimal File 1950-1954, West Germany, 662A. 00/9-2354, from Bonn to Secretary of State, Tel. No. 854 vom 23.9.1954, sowie 662A. 00/9-2454, Tel. No. 876 vom 24.9.1954 und Tel. No. 890 vom 25.9.1954; dabei erfolgte die Teilnahme der Franzosen »under instructions to listen and ask questions only without taking any active part in discussions«; ebd., Tel. No. 854. Zur französischen Einschätzung dieser Verhandlungen vgl. Bérard, Ambassadeur, S. 578, sowie Weisungen des Quai d'Orsay und Berichte der französischen Hochkommission in Bonn, in: DDF 1954, Dok. 206, 214, 215, 218 und 221. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1129f., 1153; Adenauer und Hallstein versuchten sogar, dieser Vorbehaltsrechte ledig zu werden, ließen sich aber dann mit Blick auf die Position der Westalliierten gegenüber der Sowjetunion überzeugen; vgl. ebd., S. 1182; Akzeptanz bzgl. Berlin und Wiedervereinigung am 14.9.1954; vgl. ebd., S. 1190; vgl. auch Adenauer—Dulles am 16.9.1954, ebd., S. 1211; bzgl. der Truppenstationierungrechte etc. gewannen die Amerikaner den zutreffenden Eindruck, »that a good deal of the substance of the Contractuals may be retained if the more important issues of sovereignty and defense participation are resolved in the near future. If the latter are not resolved, sniping at the Contractuals may continue to increase.« Ebd., S. 1212. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1181f.; Auffassung Conants vom 14.9.1954 irrig, wonach Adenauer von der Vorstellung einseitiger Erklärungen abgerückt sei; vgl. ebd., S. 1191; richtig dagegen im Gespräch Adenauer—Eden, ebd., S. 1211; am 25.9.1954 erhielt Blankenhorn die Auskunft, daß mehr als eine Absichtserklärung bzgl. Souveränität etc. in London nicht zu erwarten sei; Blankenhorn »expressed disappointment«; ebd., S. 1272; zur Diskussion während der Londoner NeunMächte-Konferenz vgl. die Einsprüche von Mendès France in BA-MA, BW 9/542, Nine Power Conference, Lancaster House, London, N.P.C. (54) 3, German Memorandum sowie N.P.C. (54) 7, Verbatim Record, September 28, 1954. Zu Adenauers Zielsetzung, das Junktim zwischen Souveränität und Verteidigungsbeitrag zu lösen, vgl. seine Erinnerungen 1953—1955, S. 335.
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Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
Neben der Souveränität forderte Adenauer den Beitritt zur NATO ohne Diskriminierungen. Die günstigsten Voraussetzungen schienen ihm gegeben, wenn er ein Treffen des NATO-Rats erreichen könne, auf dem er um einen deutschen Verteidigungsbeitrag gebeten würde. Deswegen hielt er zunächst nicht viel von Edens Vorschlag einer Achtoder Neun-Mächte-Konferenz in London, auf der mit Ungewissem Ausgang über Lösungsmöglichkeiten verhandelt werden sollte228. Da jedoch der Vermittlerrolle Großbritanniens und speziell Edens auch im Hinblick auf die deutschen Vorstellungen eine sehr große Bedeutung zukam, konnte sich Adenauer Edens Vorschlag letztlich nicht widersetzen. So stimmte er unter der Bedingung sorgfältiger Vorbereitungen und Vorabsprachen sowie der Teilnahme Dulles' eher überredet als überzeugt der Londoner Konferenz
zu229.
Adenauer hätte die NATO auch als Verhandlungsforum bevorzugt, weil dort das französische Gewicht geringer als im erweiterten Brüsseler-Pakt-Kreis mit restriktiven Kontrollforderungen in die Waagschale gelegt worden wäre. Und ein gleichberechtigter, nicht diskriminierender NATO-Beitritt, bei dem Kontrollen im Wesentlichen für alle zu gelten hätten und schon von daher in erträglichen Grenzen gehalten würden, war ja seit jeher und auch jetzt Adenauers Ziel230. Allerdings bedeutete das für ihn nicht, daß er sich jeglichen Einschränkungen in Art und Umfang der Streitkräfte, ihrer Bewaffnung und der dafür nötigen Rüstungsproduktion widersetzen wollte. Soweit sie zumutbar, funktional verträglich, innenpolitisch durchsetzbar und außenpolitisch förderlich waren, blieb er auch jetzt zu militärpolitischen Beschränkungen unter einer Bedingung bereit: sie durften nicht auferlegt, sondern mußten freiwillig durch eigene Erklärung akzeptierbar gestaltet werden. Derartige Zugeständnisse waren mit der Forderung nach direkter Mitgliedschaft in der NATO stets mitgedacht; das gilt für die Kabinettssitzung vom 1. September 1954231, für das Gespräch Blankenhorns und Hallsteins mit Conant am gleichen Tag232, für Adenauers Vorschlag, die deutschen Truppen SACEUR zu unterstellen233, für die in der Dienststelle Blank erstellte Ausarbeitung über anzubietende Garantien vom 7. September234,
Vgl. zu Edens Vorschlag und Adenauers eher ablehnender Haltung in: PRO, CAB 128/27, C C 59 (54), 8.9.1954, S. 3; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1152; 1153; 1154; 1212; Spaak, Memoiren, S. 242. 229 Vgl. PRO, CAB 128/27, C.C. 60 (54), 17.9.1954, Bericht Edens über seine Reise in europäische Hauptstädte; die Berichte über Edens Bonn Meetings Tel. No. 729 und 731, Bonn to Foreign to Paris, 15.9.1954 finden sich zusammengefaßt in PRO, T 225/413; Adenauer, Erinnerungen 228
—
1953-1955, S. 305.
—
Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 305. 231 Vgl. Kabinettsprotokolle 1954, Sondersitzung am 1.9.1954, S. 350—354, sowie NA, DB, RG 59, Decimal File 1950-1954, West Germany, 662A. 00/9-754, Tel. HICOG-Bonn, Desp. No. 508 vom 230
232 233 234
2.9.1954, Conversation with Minister Tillmanns, Bl. 3. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1123.
Vgl. ebd., S. 1142. Vgl. BA-MA, BW 9/2577, Graf Kielmansegg, Zur Frage möglicher Garantien (anzubieten durch die Bundesrepublik für den Fall einer Aufnahme in NATO), 7.9.1954; die Ausarbeitung wurde am 6.9.1954 erstellt durch Graf Kielmansegg, Fett und de Maizière und am 11.9.1954 dem Auswärtigen Amt (v. Etzdorf) übergeben; vgl. dazu auch Tel. Schlange-Schöningens vom 7.9.1954, in: Kabinettsprotokolle 1954, 43. Sitzung, S. 367, Anm. 27, sowie Adenauers Bezug auf die Regelungen des EVG-Vertrages, ebd., S. 372.
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
329
Absprachen Adenauers mit Eden am 12./13. September235, bis hin zur Kabinettssitzung vom 22. September, auf der das Memorandum zum Verteidigungsbeitrag und zur Aufhebung der Besatzung besprochen wurde236. Adenauer hat also die Linie freiwilliger militärischer Beschränkungen, wie er sie gegenüber Hoyer Millar bereits am 2. September zugestand237 und wie sie auch in allgemeiner Form im Schreiben Churchills an Adenauer vom 3. September angeregt wurden238, bis zu seiner Erklärung über den Verzicht auf ABC-Waffen während der Londoner Konferenz konsequent durchgehalten239. Wenn Adenauer diese Erklärung als den einzigen wirklich einsamen Entschluß seiner Kanzlerjahre bezeichnet, so trifft das allenfalls formal zu240. Im Kabinett, in seiner Frak-
für die
tion und Partei ist so detailliert darüber nicht debattiert worden. Denn dort wurde meist nur allgemein von Beschränkungen entsprechend dem EVG-Rahmen gesprochen. Inhaltlich konnte er sich jedoch in London darauf verlassen, daß er für seine Verzichterklärung auch im Kabinett Gefolgschaft erhalten würde. Hiermit verglichen stellte der Problemkreis der Saar-Regelung eine weitaus höhere Hürde dar. Schließlich bot die Vereinbarung, die der Kanzler in der konkreten Verhandlungssituation in London erreichen konnte, eine deutliche Verbesserung gegenüber dem, was im Auswärtigen Amt und der Dienststelle Blank in der Ungewissen Periode zwischen Brüsseler und Londoner Konferenz als freiwillige Garantie erwogen worden war241. Zudem fielen die für die Bundesrepublik bedeutsameren, im EVG-Vertrag noch vorgesehenen Beschränkungen der zivilen Atomforschung und -Verwendung fort242. In der Kabinettssitzung vom 5. Oktober bekam der Kanzler nach seiner Berichterstattung über die in London erzielten Übereinkünfte wegen des Verzichts auf ABC-Waffen keine Bedenken zu hören. Denn die Erfolgsbilanz, die Adenauer aus London mitbrachte, erfüllte zwar nicht alle Wünsche, brachte aber doch in den wesentlichen Zielen beträchtliche Fortschritte. Sowohl die Aufhebung der Besatzung wie der unmittelbare Beitritt zur NATO waren in greifbare Nähe gerückt. Vor allem schien das Junktim zwischen Souveränität und Verteidigungsbeitrag endlich gelöst zu sein243. Mit einer Anweisung an die Hohen Kommissare, ab sofort im Sinne der Schlußakte der Londoner Neun-Mächte-Konferenz faktisch nur im Einvernehmen
Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1182; 1192; Eden, Memoiren, S. 186. Vgl. Kabinettsprotokolle 1954, 45. Sitzung, S. 392, und Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 312 f. 237 Vgl. Kabinettsprotokolle 1954, 43. Sitzung, S. 365—367, und Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, 235 236
238
239
240 24'
242
243
S. 300. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1144f. Vgl. Kabinettsprotokolle 1954, 49. Sitzung, S. 420; Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 339; Text in FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1348, sowie dazu auch S. 1325 und S. 1397f. Vgl. Adenauer, Erinnerungen, 1953-1955, S. 339. Vgl. BA-MA, BW 9/2577, wie Anm. 234. Vgl. Kabinettsprotokolle 1954, 49. Sitzung, S. 418. Auch auf dem Sektor der nuklearen Reaktortechnik sorgte Adenauer für ein behutsames, politisch Vertrauen gewinnendes, den Fortgang der Forschung faktisch nicht sonderlich beeinträchtigendes Vorgehen, wie aus seinem »letter of intent« vom 16.11.1954 ersichtlich ist; vgl. zum Quellennachweis und zur politisch-technischen Einordnung Eckert, Die Anfänge der Atompolitik, hier S. 124. Vgl. FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1346; Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 343; Kabinettsprotokolle 1954, 49. Sitzung, S. 417—421.
330
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
mit der Bundesregierung zu handeln, brachte der Kanzler zugleich auch etwas innenpolitisch Vorweisbares mit nach Hause244. Damit konnte Adenauer sein wichtigstes Ziel, die Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen, mit Blick auf die noch im Oktober 1954 folgenden Pariser Konferenzen für hinreichend gesichert halten. Auch sein zweites Ziel, eine Einladung zur Mitgliedschaft in der Atlantischen Allianz, wurde auf der Pariser Fünfzehn-MächteKonferenz am 22. Oktober für die nächste Sitzung des NATO-Rats vereinbart245. Die Aussicht auf Aufnahme ohne allzu diskriminierende Bedingungen schienen ihm zufriedenstellend246, und selbst im ungünstigsten Falle eines französischen Vetos hatte er sich der anglo-amerikanischen Unterstützung versichert. Dagegen fiel es nicht so sehr ins Gewicht, daß er seine Versuche, mit militärischen Sofortmaßnahmen Fakten zu schaffen, nicht hatte durchsetzen können247. Den hohen Stellenwert des Beitritts zur NATO resümierte Adenauer statt dessen eindrücklich:
Bundesrepublik in die NATO, die Aufnahme des früheren Feindstaates in diese größte Verteidigungsorganisation der freien Völker, war ein großes Ereignis für uns Deutsche, das mich tief bewegte. Durch den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO war ein entscheidend wichtiger Schritt auf dem Weg der Wiedereingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft der freien Völker getan. Die Bundesregierung erkannte mit großer Dankbarkeit an, daß sämtliche Regierungen der Staaten des Nord»Die Aufnahme der
atlantik-Paktes diesen Schritt vorbehaltlos
vollzogen248.«
Während der Weg zu Souveränität und Mitgliedschaft in der Atlantischen Allianz geebnet werden konnte, erlitt die europäische Integration mit der Zurückweisung der EVG durch Frankreich einen schweren Rückschlag. Was unternahm Adenauer in dieser Phase für sein so bedeutsames Ziel der europäischen Einigung? Zunächst konstatierte er, daß trotz massiven amerikanischen Druckes vor allem auf Frankreich und trotz engagierter Unterstützung seitens der ebenfalls interessierten Benelux-Staaten die generelle Zurückhaltung Großbritanniens und die mehrheitliche Verweigerung durch die französische Nationalversammlung nicht überwunden werden konnten. An den Ursachen hierfür würde sich nach Adenauers Auffassung vor der nächsten, für 1956 vorgesehenen Wahl in Frankreich nichts Entscheidendes ändern249. Die Zeit war eben noch nicht reif, um die in nationalen Kategorien befangenen Völker Europas von der Notwendigkeit oder auch nur von den Chancen supranationaler Evolution zu überzeugen. Tatsächlich erwiesen sich damit Adenauers Zweifel, wegen derer er bis weit in das Jahr 1952 hinein den Beitritt zur NATO offensiv dem anspruchsvollen EVG-Projekt vorgezogen hatte, als nur zu berechtigt. Ähnlich konsequent wie damals wehrte er sich nun gegen alle Versuche, ihm vor dem Beitritt zur NATO halbherzige Kompromisse zugunsten verwässerter Integrations244
243 246
Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1344 u. 1346; Kabinettsprotokolle 1954, 49. Sitzung, S. 418; Grundsatzerklärung der Drei Westmächte in EA 1954, S. 6978.
Vgl.
FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1352; 1422—1425, sowie ebd., Teil 1, S. 524f. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 344.
Vgl. Adenauers Forderungen gegenüber Dulles am 16./17.9.1954 in: FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1211—1213; Blankenhorn im Auftrag Adenauers gegenüber Merchant am 25.9.1954, ebd., S. 1273. 248 Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 353. 249 Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1190f. 247
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
331
NATO-Mitgliedschaft
lösungen abzuhandeln. Seine Politik formulierte er auch hier klar und eindeutig: jetzt und sofort souverän in die Atlantische Allianz; europäische Integration gerne später! In diesem Sinn erklärte er Conant seine
Bereitschaft, etwas ähnliches wie das EVG-KonEden Zu sagte Adenauer: »Wenn Europa später etwas zept später aufzugreifen250. aufbauen dies könne so wolle, fraglos auf dieser [i.e. der WEU-Vertrag; Supranationales d. Verf.] oder einer anderen Basis geschehen251.« Gegenüber Dulles äußerte er seine Bedenken, daß der Weg über den Brüsseler Pakt, dem supranationale Elemente fehlten und in dem das Integrationstempo von Großbritannien abhängen werde, die europäische Einigung behindern könne, auf die er auch nach Umarbeitung des Brüsseler Paktes nicht verzichten wolle252. Der vorgebliche Zweck des veränderten Brüsseler Vertrages mit der Westeuropäischen Union als wirksamem »Kern der europäischen Integration« ließ ihn hoffen, später »Ansätze zur supranationalen Weiterentwicklung« ausbauen zu können253. Aber all sein ihm auch gegebener Zweckoptimismus stand ganz offensichtlich in dieser Phase ähnlich wie zwischen 1950 und 1953 unter der Prämisse: später! »Eins nach dem anderen! [...] man kann [sich] auch mal Zeit lassen [...] um zu wachsen, um zu reifen erneut
—
und
um
in der
allgemeinen europäischen
Was für Adenauers
öffentlichen
—
Meinung Boden
zu
gewinnen254.« galt: geschmeidig,
Gemeinschaft
Vorstellung von der europäischen wandlungsfähig angepaßt an die vorherrschenden Konzeptionen vom Leben der Staaten, das galt eben auch für die dazu gehörige Verhandlungstaktik und deren Zeitdimen-
sion255. Von daher ist es ebenso verständlich wie »bemerkenswert: wie rasch die Bundesrepublik nun die Europaidee in den Hintergrund treten ließ«256. Gerade weil der Kanzler die europäische Integration als Langzeit-Ziel ansteuerte, konnte er auch Rückschläge wie den vom 30. August 1954 verkraften. »Die dramatische
Einschätzung, die EVG sei geradezu das Schlüsselerlebnis der Adenauerschen Poli-
tik, verkennt grundsätzlich die politische Disposition Adenauers, insbesondere die zentrale Rolle, die ein flexibler
Pragmatismus
in seinem
politischen Kalkül einnahm257.«
Im »europapolitischen Themenwechsel zum nächsten Integrationsversuch«258 blieb auch in dieser Phase seine Devise: wenn so nicht, dann anders; wenn jetzt nicht, dann später! Nicht für jeden damals nachvollziehbar, aber in Adenauers Zielkonfiguration zweifellos eng verbunden mit der europäischen Integration verharrte die ungelöste deutsche Frage. 250 231
232 233
254
255 256
237
238
Vgl. ebd.,
S. 1152f. und 1190f. S. 194. Vgl. FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1212; Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 303-305. Vgl. Auswärtiges Amt, Auswärtige Politik, S. 258; FRUS 1952-1954, Vol. V, Teil 2, S. 1346; Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 342, 353, 356 und 377. So Adenauer im Teegespräch vom 5.10.1954 auf den hier sinngemäß übertragbaren Vorschlag der Wiederbelebung der Europäischen Politischen Gemeinschaft; vgl. Adenauer, Teegespräche 1950—1954, S. 545. Vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953-1955, S. 307. Schwarz, Die Ära Adenauer, S. 248; zum europapolitischen Themenwechsel und zum späteren Integrationsversuch vgl. ebd., S. 339—348. Weidenfeld, Konrad Adenauer und die EVG, S. 269. Ebd., S. 268 u. 270.
Eden, Memoiren,
332
Teil C: Adenauers
Den engen
bündnispolitische Zielvorstellungen
Zusammenhang hat seinerzeit Spaak bereits hellsichtig erkannt und treffend europäische Integration ist
formuliert: die
»meiner Ansicht nach die richtige Art und Weise, das deutsche Problem zu lösen. Es ist bezeichnend, daß ein Mann wie Kanzler Adenauer so leidenschaftlich »pro-europäisch« ist. Er sieht in dieser Politik und ich bin sicher, daß er recht hat das wirksamste Mittel und vielleicht das einzige, um Deutschland vor sich selbst zu schützen. Ein in den europäischen Verbänden und damit im Nordatlantikpakt integriertes Deutschland verteidigt sich sowohl gegen einen Individualismus, der nur allzuschnell die Formen eines Nationalismus annimmt, dessen Wirkungen wir ermessen konnten, als auch gegen die Versuchung, sich allein an die Russen zu wenden, die strittigen Probleme unmittelbar mit ihnen zu lösen, ohne den allgemeinen Interessen des Westens Rechnung zu tragen. Die europäische Integration gibt Deutschland einen Rahmen, in dem seine Expansion begrenzt bleibt, und schafft eine Interessengemeinschaft, die es absichert, und die uns gegen Versuche und gewisse Abenteuer absichert.« —
—
In diesem Kontext hielt Adenauer
europäische Einigung und Wiedervereinigung nicht nicht für unvereinbar, sondern ein Gesamtdeutschland setzte für ihn eine möglichst enge europäische Integration geradezu voraus. Zum einen stieß die Vorstellung eines klassischen Nationalstaats Gesamtdeutschland im Konzert der europäischen Mächte auf historisch begründete Vorbehalte, die allenfalls in größeren, den Nationalstaat überwindenden supranationalen Strukturen abgebaut werden würden; zum anderen blieb Adenauer zeitlebens skeptisch, ob die Deutschen in einem nicht fest in Europa integrierten Staat maßvollen Gebrauch von den ihnen zuwachsenden Möglichkeiten machen würden. Nun verweigerte man ihm wenn auch entsprechend seiner Hoffnung nur verzögernd, nicht auf Dauer verhindernd sein Leitmodell eines zusammengewachsenen Westeuropa. Der Zeitverzug in der Europa-Politik mußte daher nach der Logik seiner Zielkonfiguration in mindestens gleichem Maße auf seine Zielsetzung in der Deutschlandpolitik durchschlagen. Hatte er sich also entschlossen, in der Fortentwicklung des europäischen Zusammenschlusses »auf Zeit zu spielen«, so ist zu erwarten, daß dies auch für seine Deutschlandpolitik zutrifft. Eigene Aktivitäten kamen wie bisher für ihn zunächst nicht in Frage. Aber wie reagierte er auf die Versuche der Sowjetunion, die Beschlüsse der Londoner Neun-Mächte-Konferenz vom Herbst 1954 im letzten Moment doch noch vor der Reanur
—
—
lisierung
zu
stoppen?
Im Einvernehmen mit Adenauer und zu seiner Zufriedenheit wurden die sowjetischen Noten vom 23. Oktober und 13. November 1954 von den Westmächten als Störmanöver gewertet und abgelehnt, zugleich jedoch Bereitschaft zu einer Vierer-Konferenz für die Zeit nach Ratifizierung der Pariser Verträge erklärt260. Nun hatte noch jede Ankün-
digung von Konferenzen der Potsdamer Siegermächte den Kanzler aktiviert, wenn nicht alarmiert. So auch jetzt. Auf zweierlei kam 239
260
es
ihm diesmal
an.
Zunächst wollte er sicher-
Spaak, Memoiren, S. 311 f. Wortlaut der Noten in: EA, 10(1955), S. 7206-7209 bzw. S. 7209-7211; Antwortnote der Westmächte ebd., S. 7211 f.; zu Adenauers Einschätzung vgl. Adenauer, Erinnerungen 1953—1955, S. 380— 386, und ders., Teegespräche 1950—1954, S. 568f.; zur amerikanischen Einschätzung vgl. Bericht des US-Botschafters in Moskau, Bohlen, in: FRUS 1952—1954, Vol. V, Teil 2, S. 1510—1513; zur Einschätzung im Auswärtigen Amt vgl. Gespräch mit dem Leiter der Osteuropa-Abteilung, Dr. Otto Bräutigam, in: NA, DB, RG 59, Decimal File 1950—1954, Political Affairs and Conditions, West Germany,
762A.
00/12-1354, HICOG-Bonn, Desp.
No. 1261
vom
9.12.1954.
V. Fünfte Phase: Souveränität und direkte
NATO-Mitgliedschaft
stellen, daß wirklich gewartet wurde, bis die Verträge in Kraft gesetzt
333
Sodann wollte er dafür sorgen, daß er bereits bei den vorbereitenden Absprachen der Westmächte frühzeitig einbezogen wurde, um die deutschen Interessen zur Geltung zu bringen. Für beide Vorhaben bot sich sein Treffen mit Mendès France in Baden-Baden am 14. Januar 1955 ausgezeichnet an. Um französischen Vorstellungen von einer womöglich einDémarche Moskau und der zu in befürchtenden Bitte um entsprechende deutseitigen sche Vermittlung in dieser Frage bei den Angelsachsen vor Inkrafttreten der Pariser Verträge von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, schlug er Mendès France von sich aus eine alsbaldige sorgfältige und konstruktive Detailplanung einer Vier-Mächte-Konferenz vor261. Damit demonstrierte er zugleich, daß auch er wie die Anglo-Amerikaner erst Fakten im Westbündnis schaffen wollte. Sodann erhob er Anspruch auf Beteiligung an den Vorbereitungen von Anfang an, den er in den Vorschlag einer westlichen Vier-Mächte-Studiengruppe, also einschließlich einer deutschen Delegation, verpackte. Dabei sollten auch Parlamentarier beteiligt werden, um nach Möglichkeit kooperationsbereite SPD-Abgeordnete wie Wilhelm Mellies oder Fritz Erler miteinzubeziehen262. Schließlich legte Adenauer im Gespräch mit dem französischen Regierungschef nicht auf das Thema Wiedervereinigung besonderen Wert, sondern auf den Bereich Europäische Sicherheit als Verhandlungsgegenstand für seine Konferenz mit der Sowjetunion: »It was chiefly the problem of 'European Security' that seemed to be uppermost in Dr. Adenauer's mind. Pressed to elaborate this statement, M. Mendès-France said that, (speaking entirely personally), he thought that the Chancellor was trying to hint that unification was, in fact, perhaps not now our number one objective. There was, indeed, from his point of view a lot to be said for maintaining the waren.
—
—
status
quo further
Gladwyn Jebb
on
this
point263.«
meldete seine
partiellen
Zweifel
an
dieser
Deutung an:
»Looking back, I confess I have been slightly puzzled by Mendès' apparent conviction that reunification of Germany is no longer Adenauer's >number one objective«. I suppose that indeed it is quite likely that secretely, at any rate, the Chancellor is more concerned with grafting his predominantly Catholic Western Germany on to the Atlantic Community than on absorbing seventeen million chiefly Protestant, and now semi-Communized, Eastern Germans and having a frightful row about Königsberg and the OderNeisse line; but would he really go so far as even to hint this to Monsieur Mendès-France264?« Roger Allen von der Bonner Hochkommission komentierte dazu: »We had been somewhat surprised by the account given by Monsieur Mendès-France (Paris Telegram No. 23. paragraph 4) to the effect that the Chancellor had shown a certain lack of enthusiasm about 261
Vgl.
DDF 1955, Annexes, Tome I, Chapitre XI, Conversation Franco-Allemande, Baden-Baden, 1955, S. 225-235, hier S. 230; vgl. auch PRO, FO 371/118196-106032, Telegram No. 23 from Paris to Foreign Office (Sir G. Jebb), January 16, 1955; FO 371/118197-106032, Brief Jebb an Geoffrey W. Harrison, 1192/87/55 vom 17.1.1955; Jebbs Präzisierungen in FO 371/118198-106103, Brief Jebb an Harrison, 1192/97/55 vom 18.1.1955 mit anliegender Zusammenfassung der BadenBadener Verhandlungen zwischen Mendès France und Adenauer aus französischer Sicht [French record, vorgelesen von de Margerie]; Bericht Blankenhorns, in: FO 371/118197-106032, Telegram No. 38 from Bonn to Foreign Office (Allen), January 17, 1955. 14 Janvier
262
Ebd., bes. Bericht Blankenhorns.
Telegram No. 23 (Jebb) (wie Anm. 261); aus dem französischen Wortprotokoll geht das deutlich hervor; vgl. DDF 1955, Annexes (wie Anm. 261). 264 Brief Jebbs an Harrison vom 17.1.1955 (wie Anm. 261).
263
nicht
so
334
Teil C: Adenauers
bündnispolitische Zielvorstellungen
reunification. I quite agree with Jebb that in the Chancellor's secret thoughts reunification does take second place to the ties between the Federal Republic and Western Europe265.«
probably
Die Interpretationen, die Mendès France aus Adenauers Äußerungen möglicherweise gezogen haben könnte, wird man nicht überbewerten dürfen. Denn für die konkrete Situation ist ein beträchtliches Maß an verhandlungstaktischer Formulierung anzunehmen. Mit einem Nicht-Erwähnen der Wiedervereinigung wollte der Kanzler wahrscheinlich der in Frankreich verbreiteten Furcht vor einem übermächtigen Deutschland und mit der Betonung europäischer Sicherheit der Furcht vor übermäßiger militärischer Machtanhäufung begegnen. Dennoch bleibt der dahinter liegende grundsätzliche Gedankengang Adenauers, wie ihn die britischen Diplomaten in bemerkenswerte Übereinstimmung und besonders Spaak vermutet haben, tendenziell zutreffend: ein europäisches Sicherheitssystem266, das insbesondere die westlich orientierten Staaten Europas gegen etwaiges militärisches Abenteurertum Deutschlands schützen sollte, sowie vor allem eine umfassende, unumkehrbare Integration zunächst West- und später Gesamtdeutschlands in ein solidarisches Europa setzte Adenauer zeitlich und sachlich für eine Wiedervereinigung voraus, weil ihm dafür allenfalls auf diese Weise eine Hinnahme und eventuell sogar ein gemeinsames Interesse an einer Wiedervereinigung erreichbar schien. Aus der Logik seines Bedingungsgefüges folgte so mit der Unterbrechung des europäischen Einigungsprozesses auch die Vertröstung bezüglich deutschlandpolitischer Fortschritte auf
später267.
Die von den vier Besatzungsmächten über Deutschland ausgehenden Hemm- und Förderfaktoren sowie innenpolitische Zwänge, die der Bundeskanzler zu berücksichtigen hatte, sind mit ihren Auswirkungen auf seine Zielvorstellungen hinreichend klar erkennbar, so daß nun der Versuch unternommen werden kann, die bei allem flexiblen Pragmatismus auch hervorgetretenen Prioritäten in Adenauers außenpolitischen Zielsetzungen genauer zu bestimmen. —
—
265 266
PRO, FO 371/118198-106103, Brief Roger Allen
Yg]
an Harrison, 106/1/1/16/55 vom 25.1.1955. auch zu Adenauers Verständnis von »Europäischer Sicherheit« als einer politischen Größe: Haf-
tendorn, Sicherheit, 267
S. 86. Ein Vergleich mag die hier angebotene Deutung erläutern. Ähnlich wie Anfang 1955 gegenüber Mendès France reagierte Adenauer am Ende des gleichen Jahres gegenüber der britischen Regierung. Nach der ernüchternden Genfer Konferenz 1955 ließ er auf den britischen Vorschlag, »that we might eventually have to be more elastic than the Americans were prepared to be and that we might have to move to a position in which we declared that provided the unified German Government had freedom in domestic and foreign affairs, we should sign any reasonable security treaty with the Russians«, durch seinen Londoner Botschafter ausrichten: »Dr. Adenauer wished me to know that he would deprecate reaching this position. The bald reason was that Dr. Adenauer had no confidence in the German people. He was terrified that when he disappeared from the scene a future German Government might do a deal with Russia at the German expense. Consequently he felt that the integration of Western Germany with the West was more important than the unification of Germany.« Vgl. PRO, FO 371/118154/WG 1071/1374, abgedruckt in: Foschepoth, Adenauer und die Deutsche Frage, S. 289 f. Weder gegenüber Mendès France noch gegenüber den Briten sollte hier ein prinzipielles Desinteresse an einer Wiedervereinigung suggeriert werden; es war für Adenauer vielmehr eine Frage der Voraussetzungen und Prioritäten, die seine Aussagen auch bezüglich seiner durchgängigen Skepsis dem eigenen Volk gegenüber verständlich machen. —
—
Teil D: Adenauers Prioritäten in
außenpolitischen Zielsetzungen
I. Zu Adenauers Informationsstand Die Detailuntersuchungen zum Informationsstand des Bundeskanzlers ermöglichen einen breiteren Überblick über Art und Ausmaß der Informationen, mit denen Adenauer 1954 Absichten und Möglichkeiten der vier Besatzungsmächte Deutschlands einschätzen konnte. Sowohl die Fülle der Fakten als auch die Qualität der Analysen, die ihm vor allem aus den Bereichen des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigen Amtes, der Dienststelle Blank sowie des Bundespresse- und Informationsamtes vorgelegt wurden, boten ihm ein dichtes und nuancenreiches Mosaik. Es ließ die Konturen der Deutschland betreffenden Zielsetzungen und deren etwaige Durchsetzungschancen seitens der Verhandlungspartner und des Gegners hinreichend deutlich hervortreten. Deutungen, nach denen Adenauer insbesondere hinsichtlich der französischen Politik »unzureichend und einseitig unterrichtet«1 oder aber das »hochzentralisierte Entschei-
dungssystem nicht mehr den Anforderungen an Informationsbewältigung gewachsen«2 gewesen sei, sind für 1954 in diesen zugespitzten Formulierungen eher kurzfristig und in Detailfragen als für die großen Linien westalliierter Politik zutreffend3. Auch von Adenauers subjektiven Einschätzungen gingen geringere Verzerrungen aus, als nach den bisherigen Forschungen zu vermuten war. Selbst in seiner Beurteilung des Gegners, die er von »ideologischen Überhöhungen« und »unhistorisch-einlinigen Charakterisierungen«4 nicht völlig frei halten konnte, hat er absehbare außenpolitische Zielverschiebungen beziehungsweise eine entsprechend veränderte Mittelwahl durchaus erkannt. Insbesondere die militärische Bedrohung überschätzte er keineswegs so, wie seine damals und auch noch in seinen »Erinnerungen« vorgebrachten Argumentationsmuster glauben lassen können. Noch weniger verformten seine subjektiv gefärbten Interpretationen seine außenpolitischen Zielsetzungen gegenüber den Westmächten. Das gilt in eingeschränktem Maße auch noch für die ihm eigentümliche personalisierende Sicht der Politik, die einen ihrer Ursprünge im Individualitätsprinzip des Historismus seiner Schul- und Studienzeit hatte. Sein Verständnis speziell für die innenpolitischen Zwänge, unter denen seine zukünftigen Bündnispartner oft mehr noch als er selber standen, reichte aus, um sie bei der Entwicklung seiner außenpolitischen Handlungsalternativen gebührend zu bedenken. 1
2
3 4
Ruehl, Adenauers Politik, S. 57; vgl. auch Grosser, Das Bündnis, S. 181; die hier vertretene Modifizierung ließ sich bereits mit den Forschungsergebnissen bei Baring vermuten; vgl. ders., Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, S. 409f., Anm. 101. Noack, Scheitern, S. 85.
Vgl. dazu und zum Folgenden die Abschnitte B. 1.2.a, II.2.a und III.2.a. In Anlehnung an Erdmenger, Mißverständnis, S. 152.
336
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
Genauer besehen war er sogar noch mit den wesentlichen Wirkungszusammenhängen, die er in bezug auf Frankreich berücksichtigen mußte, vertrauter und bis in manche Details
hinein besser informiert als bisher angenommen. Seinen bemerkenswert guten Informationsstand und seine bei allen Vereinfachungen schließlich doch faktenbezogenen Einschätzungen erhielt er einerseits aus der überwiegend zuverlässigen Zuarbeit, die sein ganz auf ihn zugeschnittener außenpolitischer Regierungsapparat für ihn leistete, andererseits aus seiner die Komplexität reduzierenden Konzentration auf die anstehenden außenpolitischen Aufgaben. Letztere haben ihn in diesen frühen Jahren seiner Kanzlerschaft fasziniert und fast völlig okkupiert. Eine zwangsdaß manche ihn er davon war, weniger drängenden innenpolitischen Aufläufige Folge dilatorisch behandelt hat. Namentlich auf dem Gebiet der Sozialgaben notwendigerweise politik konnte Adenauer größere gesellschaftliche Reformen erst vom Frühjahr 1955 an nachdem er das Pariser Vertragswerk von 1954 über die parlamentarischen Hürden gebracht hatte Zug um Zug selber in Angriff nehmen5. Entscheidend war aber, daß er seine Informationen gezielt so umsetzen konnte, daß er an den internationalen EntScheidungsprozessen, die Deutschland betrafen, gesteigert mitzuwirken vermochte. Auf der Grundlage seiner Lagebeurteilungen über die Zielvorstellungen und Kräfteverteilungen in der internationalen Mächtekonstellation konnte er seine seit Frühjahr 1954 erwogenen bündnispolitischen Initiativen von Juni 1954 an zielsicher in die EntScheidungsprozesse einbringen und gemessen vor dem Hintergrund der bedingungslosen Kapitulation von 1945 und des noch geltenden, wenngleich praktisch überholten Besatzungsregimes in erstaunlichem Maße auch durchsetzen. —
—
—
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II. Adenauers
Handlungspotential zwischen außenpolitischer Fremdbestimmung und innenpolitischer
Rücksicht
Adenauers Möglichkeiten, in den einzelnen Phasen des internationalen Entscheidungsablaufs gestaltend mitzuwirken, sowie sein Einfluß auf Art und Ausgestaltung des Pariser Vertragswerkes von 1954 erweisen sich, wie neuere Quellen zeigen, als erheblich. Man kann nachweisen, wie sich die Gewichte auf dem Kontinuum zwischen reiner Anpassung seiner Außenpolitik an die internationale Konstellation und autonomer Zielbestimmung deutlich hin zu erfolgreicher aktiver Mitgestaltung verschieben. Es konkretisierte sich der bekannte Forschungsstand, wonach die westdeutsche Außenpolitik in hohem Maße vom Willen der Besatzungsmächte abhängig gehalten wurde und Adenauer weit überwiegend nur reagieren, allenfalls defensiv agieren konnte. Kurzfri5
Der besonders gute Kenner von Adenauer als Sozialpolitiker, Hans Günter Hockerts, stellt nicht in Frage, daß in der Aufbauphase der Bundesrepublik die Außenpolitik für Adenauer Vorrang vor dem Bemühen um »eine komplementäre sozialpolitische Grundlegung« hatte; vgl. ders., Adenauer als Sozialpolitiker, S. 466; in seiner Studie über »Sozialpolitische Reformbestrebungen« (S. 359—363) arbeitet er überzeugend heraus, daß der westdeutsche Regierungschef die Gesetzgebungsvorhaben zu einer großen Sozialleistungsreform erst ab Februar 1955 vorbereitend und ab Ende 1955 gestaltend an sich zog; vgl. auch ders., Sozialpolitische Entscheidungen, S. 279 ff.
II. Adenauers
Handlungspotential
337
stig war kaum viel an außenpolitischer Bewegungsfreiheit durchzusetzen. Selbst Mittelfristiges bedurfte behutsamer, frühzeitig vorausschauender Weichenstellungen, um das Maß des Möglichen sorgsam wägend das eigene Blatt auszureizen, ohne es in der Gunst des Augenblicks im Rahmen der außenpolitischen und innenpolitischen Empfindlich—
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keiten zu überreizen6. Insoweit erwies sich als das bemerkenswerte Ergebnis für 1954 nicht der Grad der Fremdbestimmung, sondern das damals für Adenauer gegebene Maß an partieller Entscheidungsfreiheit und an Durchsetzungschancen. Beides hat der Kanzler früh vorausgesehen, bewußt gefördert und zielstrebig genutzt. Keineswegs hatte er am »raschen Wandel der westlichen Bündnispolitik im Sommer des Jahres 1954 nur einen bescheidenen persönlichen Anteil«7. Vielmehr bestätigte die Auswertung der Quellen für den Teilbereich der bündnispolitischen Kooperationsformen die Vermutung, »daß dieser erste Bundeskanzler eines geschlagenen Volkes, das als Objekt der internationalen Politik begann, den Gang der internationalen Entwicklung in sehr viel stärkerem Maße mitbestimmt hat als dies damals bewußt wurde und heute erinnert wird«8. Danach ist es in hohem Maße Adenauer zuzuschreiben, wenn es weder vor noch nach dem Scheitern der EVG zu halbherzigen Zwischenlösungen sowohl für die Ausgestaltung der Souveränitätsrechte als auch für die Modalitäten der Aufrüstung gekommen ist. Bei aller »inneren Logik«, die der Betrachter den Handlungsabläufen und Ergebnissen im nachhinein beizumessen versucht sein mag, sprechen die zahlreichen Zieldivergenzen unter den beteiligten Akteuren und Nationen sowie die sie bestimmenden Triebkräfte eher gegen die Annahme eines sich nahezu zwangsläufig aufdrängenden, quasi »strukturell« vorherbestimmten Minimalkonsenses. An den konstitutiven Interessenkonfigurationen in der Phase, in welcher bündnispolitische Planungen aufgegeben werden mußten, erweist es sich, daß die denkbaren Ergebnisse zumindest im modalen Bereich weithin offen gewesen sind, wenn man kontrafaktisch von der Person Adenauers und seiner Vertretung deutscher Interessen absieht. Den in der außenpolitischen Verantwortung Stehenden ist das damals durchaus bewußt gewesen. In diesem Kontext betrachtet, hat Adenauer tatsächlich 1954 weit intensiver mitwirken und seine außenpolitischen Zielvorstellungen in größerem Umfang verwirklichen können, als das nach Hanrieders »Penetrationsthese« und Barings abgesicherten Forschungsergebnissen über die davor liegenden Konstellationen der Jahre 1949 bis 1953 abzuschätzen war. 6
Zur These, die außenpolitischen Zielsetzungen Westdeutschlands seien im wesentlichen in Anpassung an die dominante Konstellation des internationalen Systems erfolgt, vgl. statt vieler Hanrieder, Zum Nachweis der 1954 wegen der West German Foreign Policy, und ders., The Stable Crisis. Zieldivergenzen unter den Westmächten gegebenen Optionsmöglichkeiten in Adenauers Westpolitik vgl. oben die Abschnitte B.1.1., B. II. 1. und B.III. 1. Bezüglich der innenpolitischen Rücksichtnahmen vgl. zur Wiedervereinigung oben Abschnitt A.II.2., zur Saarfrage B.I.2.e., für den Bereich der Wirtschaft und Gewerkschaften B. I.2.C., für das Sicherheitsbedürfnis A.II.2.C. und —
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7
8
B.I.2.d. Ruehl, Adenauers Politik, S. 56. Schwarz, Der unbekannte Adenauer, S. 605; auch die Forschungsergebnisse Noacks erhärten dieses Urteil; vgl. ders., Scheitern, S. 96—103 u. 188f.; im Ablauf der Entscheidungen jetzt auch im Detail belegt bei Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, hier bes. S. 121—177.
338
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
Nicht nur in der Relation von Aktion und Reaktion sind einige Gewichte neu zu setzen. Auch im Verhältnis zu dem, was Adenauer gegenüber den Westmächten im ganzen genommen an Realisierungschancen gegeben war, zeichnet sich eine modifizierte Einschätzung ab. Mehr als die zahlreichen Verbesserungen, die das Vertragswerk von 1954 im Vergleich zu 1952 im Ergebnis aufwies, sprechen Art und Intensität seines Mitteleinsatzes dafür, daß er bis hart an die Grenze dessen vorgestoßen ist, was im Rahmen seiner Westpolitik in dieser Phase »möglich« war. Die Rücksichtnahme, die der westdeutsche Regierungschef mit Blick auf innenpolitische Hemm- und Förderfaktoren hat walten lassen, wirkten sich zwar eher zeitlich beschleunigend denn richtungbestimmend aus. Wenn jedoch die außenpolitischen Einflüsse und die innenpolitischen Antriebskräfte überschlägig gegeneinander abgewogen werden, sind zwar die äußeren Bestimmungsfaktoren für seine Außenpolitik höher zu veranschlagen als die inneren; letztere treten jedoch stärker hervor, als das zu Beginn der Untersuchung zu vermuten war. Zur innenpolitischen Absicherung seines außenpolitischen Vorgehens konzentrierte der Kanzler seine persönliche Aufmerksamkeit und seine Aktivitäten besonders auf die Überzeugungsarbeit bei den Kabinettsmitgliedern. Aus diesem Kreis ragten vor allem Jakob Kaiser aus der eigenen Partei und die FDP-Minister aus der Koalition als »schwierig« heraus. Während er für die beschwerliche Aufgabe, die überaus heterogene Koalition der zweiten Legislaturperode bis zur Ratifizfierung des Paketes der Westverträge zusammenzuhalten, für den Bereich des Parlaments oft die Hilfe und Unterstützung seiner Mitarbeiter (besonders Globke, Krone und v. Brentano) in Anspruch nahm, sorgte er für die notwendige Gefolgschaft im Kabinett überwiegend selber. Die innenpolitischen Anforderungen und Erwartungen wirkten sich in unterschiedlicher Weise auf seine außenpolitischen Konzeptionen und Aktionen aus. Während sie ihn in der Ostpolitik auf in erheblichem Maße rhetorische Maximalforderungen festlegten, ohne die Wahl seiner außenpolitischen Mittel im Detail zu beeinflussen, drängten sie ihn in der Westpolitik zu schärferem Vorgehen und zu frühzeitigerem Agieren, als ihm lieb war, ohne jedoch seine langfristigen Zielpräferenzen erkennbar zu verschieben. Insbesondere daß Adenauer auf dem direkten Beitritt zur NATO beharrte, war eine seiner kardinalen Zielfestlegungen, die er aus eigenem Kalkül gewonnen hatte: sie wurde durch lediglich gleichgerichtete Forderungen der CDU/CSU, der Koalitionsparteien mit Schwerpunkt bei der FDP, von der Opposition und Teilen der öffentlichen Meinung bestärkt. Gerade die Umbruchphasen in der bündnispolitischen Neuorientierung zwischen EVG und NATO enthüllten zweifelsfrei, daß Adenauer mit seinen Mitwirkungsmöglichkeiten über eine passiv-defensive Rolle, in der er allenfalls unzulängliche Lösungen hätte blockieren können, vom Sommer 1954 ab in eine aktiv mitgestaltende Rolle hineingewachsen war. Die lange latent gehaltenen und 1954 aufbrechenden Interessengegensätze unter den drei Besatzungsmächten erlaubten es ihm, seine eigenen Zielvorstellungen offener zu vertreten und durchzusetzen.
339
III. Nationalstaat und Territorialstaat im Prioritätenkonflikt: zur »Staatsräson« der Bundesrepublik
Adenauer vertiefte mit seiner Westpolitik die zahlreichen Hindernisse, die einem deutschen Nationalstaat damals entgegenstanden. Die Zweifel, ob er sich die Widersprüche, die in seiner einseitigen Westorientierung angelegt waren, bis Ende 1954 wirklich bewußt gemacht hat, sind im Zuge der Untersuchung eher noch bestärkt worden. Zwar folgte er aus eigener Überzeugung der antikommunistischen Eindämmungspolitik der Vereinigten Staaten und lehnte alle Pläne zur Neutralisierung Deutschlands, wie sie vor allem von der Sowjetunion eingebracht wurden, und ebenso alle »Brückentheorien« für ein Deutschland als Mittler zwischen Ost und West, wie sie in der CDU von Minister Kaiser, in der FDP vom Abgeordneten Pfleiderer und in der SPD mit der Vorstellung eines »Systems kollektiver Sicherheit« diskutiert wurden, kategorisch ab. Aber daraus folgt keineswegs zwingend, daß er in der Entscheidung für den »Weststaat« diesen als solchen gewollt oder auch nur als mögliche Dauerlösung billigend in Kauf genommen hat. Vielmehr spricht vieles für die Annahme, daß er die Reduzierung Deutschlands auf zwei getrennte Territorialstaaten überwinden wollte. Den mit Einschränkungen souveränen Weststaat hat er bis 1955 kaum als Dauerlösung vorhergesehen, er hat seine Existenz jedenfalls nicht für langfristig wahrscheinlich, sondern für situationsbedingt und zumindest mittelfristig für überwindbar gehalten. Obwohl er wußte, daß er für das Ziel der Wiedervereinigung in Ost und West wenn überhaupt, dann nur unter erheblichen Vorbehalten und Auflagen Unterstützung über verbale Vertröstungen hinaus erhalten würde, setzte er seine Hoffnung ganz auf eine in absehbarer Zeit eintretende ökonomisch-politische Schwächung der Sowjetunion sowie auf zukünftig günstigere Interessenkonstellationen im Westen, sofern erst einmal der westdeutsche »Kernstaat« dort fest verankert sein würde und die Partnerstaaten von einem im Westen irreversibel integriert kontrollierten Gesamtdeutschland weniger Gefährdungen als Vorteile erwarten konnten. Wenn nicht alles täuscht, so wog die illusionäre Komponente seiner Zeitannahmen in seinen ostpolitischen Vorstellungen, nach denen durch »eine verbesserte und erweiterte Neuauflage der Stresemannschen Locarno-Politik«9 der Status quo im Osten offen gehalten werden sollte, um ihn zu gegebener Zeit zu verändern, auch 1954 noch weit stärker, als es das verbreitete, aber eben nicht überall zutreffende Bild vom »klar erkennenden und rational handelnden Kanzler« wahrhaben möchte. Mit seinem nationalstaatlichen Konzept wenn es denn in der Unbestimmtheit seiner Ziele und der diesen zuzuordnenden Mittel überhaupt so genannt werden darf überschätzte er die gestaltende Kraft des »Kalten Krieges«, veranschlagte die zukünftige Stärke und Einigkeit im Westen bei allem Argwohn zu hoch, unterschätzte die sich verfestigende Weltmachtstellung der Sowjetunion und setzte die bleibenden Widerstände gegen selbst unter Voraussetzung einer westeuropäischen Integraein Gesamtdeutschland tion insgesamt zu gering an. Daher scheiterte zumindest der politisch keineswegs mar—
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—
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9
Joffe, Westverträge, Ostverträge,
S. 112.
340
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
ginale Zeithorizont seiner Ostpolitik auch an ihren damals nicht erfüllbaren Bedinguneben nur für seine Westpolitik zutreffende Überlieferung gen; dies aber hat die vom »erfolgreichen Kanzler« allzu leicht verdrängt oder durch harmonisierende Formeln —
—
kaschiert10.
Allerdings ist nicht zu übersehen, daß gerade für den Bereich seiner Ostpolitik die Versuche, seine konzeptionellen Überlegungen und Überzeugungen zu deuten, auch auf der inzwischen erweiterten Basis der Forschung immer noch recht ungesichert bleiben. Denn die unter der Flagge des »Kalten Krieges« gehegte Hoffnung auf eine absehbare Wiedervereinigung, die mit maßgeblicher deutscher Mitwirkung nach freien gesamtdeutschen Wahlen zu befriedigenden Grenzregelungen und voller Westintegration führen sollte, stand stets in starken Spannungen mit zahlreichen anderen Zielen und Zwecken und blieb auch von daher lange Zeit maximalistisches Blendwerk. Je genauer der historische Kontext ins Bild gerückt wird, desto deutlicher gewinnt der gleichzeitig auch instrumentale Charakter Gestalt, unter dem Adenauer nicht nur die diplomatischen Auseinandersetzungen gegen die ihn insoweit nicht zufriedenstellende Deutschlandpolitik der Besatzungsmächte geführt hat. Auch und vor allem der propagandistische Kampf, mit dem er das innenpolitische Überleben seiner Regierung gegen wahrscheinlich ebensowerealisierbare innerhalb Koalition seiner wie der Opposinig Alternativüberlegungen tion bestritten hat, ist davon geprägt". Komplizierend kommt die so schwer greifbare subjektive Komponente hinzu, mit der der Kanzler Wunsch und Wirklichkeit immer wieder in ein erträgliches Verhältnis zu bringen versuchte. Hierzu gehört auch der kaum zu überschätzende psychologische Zwang, »sich mit solchen Positionen auch innerlich zu identifizieren, die man viele Jahre hindurch in der Öffentlichkeit vertreten mußte«12. —
—
Tatsache, daß die Ursache der nationalstaatlichen Problematik bereits in der Vorgeschichte der Bundesrepublik verankert war, die Annahme, daß Adenauer die machtpolitischen Entwicklungen hier falsch einschätzte, nachdem er mit der zugleich akzeptierten und von ihm geforderten Westintegration de facto nationalstaatliche Lösungen selbst mittelfristig ausschalten half, die Feststellung, daß daher Ziele und Mittel unzureichend aufeinander abgestimmt waren, weswegen ein »Wiedervereinigungsprogramm«13 unter seinen Bedingungen auch gar nicht hat entworfen werden können, schließlich das Ergebnis, das konsequent zunächst und für Jahrzehnte im Territorialstaat Bundesrepublik Deutschland mündete, dürfen jedenfalls nicht ohne weiteres zu der Schlußfolgerung verführen, für Adenauer sei die traditionelle nationale Orientierung »nur eine sekundäre Angelegenheit«14 gewesen. Wohl aber kam der Staatsräson des westdeutschen Territorialstaates in Freiheit, Gleichberechtigung, Sicherheit und Wohlstand ein zeitlicher Vorrang Die
Vgl. nach der vollzogenen Wiedervereinigung dagegen Morsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, passim. 11 Vgl. Volkmann, Adenauer, und ders., Die innenpolitische Dimension, sowie Zitelmann, Adenauers Gegner, passim. 12 10
13
Grewe, Korreferat, S. 45. Schwarz, Adenauer und Europa, S. 508; vgl. jetzt auch im Detail belegt kaureise 1955 Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, hier bes. S. 216.
14
So
statt
vieler Besson,
Außenpolitik,
S. 152.
zu
Adenauers späterer Mos-
IV. Atlantische
Kooperation
und
westeuropäische Integration
im Prioritätenkonflikt
341
Dies war der Kanzler nicht bereit, zugunsten eines schon gar nicht eines neutralisierten Nationalstaates unter den gegebenen Bedingungen aufs Spiel zu setzen15. Zwar bleibt unbestritten, daß Adenauer geradezu davor zurückschreckte, für einen deutschen Nationalstaat irgend ein nennenswertes Risiko einzugehen. Aber als ein Politiker, der schon für Westdeutschland auf weitere Sicht einen Großmachtstatus ähnlich dem Frankreichs und Großbritanniens ausdrücklich anstrebte, war er bis 1955 nicht bereit, die Option eines Status quo plus aus seiner Zielkonfiguration zu streichen. Bei allem Vorbehalt des Vorläufigen deutet sich so eine Verlagerung der Schwergewichte an: In den Jahren bis 1955 entsprach die »ideell und territorial saturierte politische Einheit«16 Westdeutschland nicht der Endkonzeption Adenauers. Nicht vor der Berliner Konferenz 1954, sondern erst nach der Genfer Außenministerkonferenz und seiner Moskaureise 1955 begann er, sich mit dem territorialstaatlichen Status quo der Bundesrepublik Deutschland mehr und mehr auch längerfristig zu arrangieren, wobei die Hoffnungen auf einen Nationalstaat weiterhin ihren propagandistischen Tribut und ihren außenpolitischen Preis zugunsten zukünftiger Optionen forderten. Ähnlich wie in der britischen und französischen Politik zeigt sich so eindringlich, wie jede Nation ihre je eigenen Wunschträume hegt und pflegt. Für Volk und Regierung der Bundesrepublik Deutschland lagen sie in der Nationalstaatshoffnung. Auch Adenauer war nicht frei davon. zu.
—
—
TV. Atlantische Kooperation und westeuropäische Integration im Prioritätenkonflikt:
sachliche Dominanz und zeitlicher
Vorrang
Feststellungen, nach denen Adenauer die atlantische Kooperation und die westeuropäische Integration gleichzeitig und parallel nebeneinander verfolgt habe, bleiben nach wie vor gültig; sie sind jedoch für die Jahre 1949 bis 1955 ungenau. Es empfiehlt sich, diese beiden Königspfade seiner Westpolitik trotz aller Überlagerungen und gegenseitigen Verschränkungen zunächst getrennt zu betrachten, um nach ihren je eigenen Bedingungen und Gewichtungen die sie verbindenden Bezüge herauszuarbeiten. Dabei ist eher noch bestimmter davon auszugehen, daß die Suche nach einem »genuin westeuropäischen Konzept« des Kanzlers vergeblich bleiben wird17. Weiterer oder engerer Teilnehmerkreis über Deutschland und Frankreich hinaus, Konstruktionen der funktionalen, sektoralen und institutionellen Verschmelzung, unionistische oder föderalistische Organisationsformen, Zeitbedarf und Tempo für die einzelnen Entwicklungsstufen, all das blieb für den Kanzler weitgehend pragmatisch der Gestaltung des jeweils Möglichen überlassen. Als Präferenz schälte sich für Adenauers außenpolitisches Konzept die übergeordnete Maxime heraus: je enger und unumkehrbarer die europäische Einigung erfolgt, desto besser. Allerdings setzte er vor diese grundsätzliche Offenheit 15
Dezidiert für die Zeit bis 1955
jetzt
auch bei
Rupieper,
Der besetzte
Verbündete, S. 409 f.
Baring, Außenpolitik, S. 333. 17 So die im Ergebnis hierin weitgehend übereinstimmenden Analysen bei Baring, Außenpolitik, Wei16
denfeld, Adenauer und Europa, Noack, Scheitern, und zusammenfassend weiterführend Schwarz, Adenauer und Europa, sowie ders., Adenauer: Der Staatsmann.
Teil D: Prioritäten in Adenauers
342
außenpolitischen Zielsetzungen
für alternative Wege und Formen zum wie auch immer organisierten Staatenbund/Bundesstaat Westeuropa eine durchgehende Handlungsoption, die den Jahren bis 1955 ihr außenpolitisch bestimmendes Gepräge gab: Solange ein angemessener Interessenausgleich innerhalb des neuen westeuropäischen Staatensystems nicht von allseitigem politischen Willen zum Konsens getragen und durch verläßlich institutionalisierte Mechanismen gesichert werden konnte, gab es für ihn keinen größeren Verzicht auf eine letztlich nationalstaatlich orientierte Außenpolitik. Westdeutsche »Interessen im europäischen Kontext zu definieren«18, hieß für ihn zunächst, keinen Weg zu verbauen: nicht den zur gewünschten supranationalen »organischen Verflechtung« mit den Partnerstaaten, nicht den zum eigenstaatlichen Westdeutschland als »Kernstaat« für ein keineswegs abgeschriebenes Gesamtdeutschland. Das bedeutete praktisch die Bereitschaft, den Verzicht auf Hegemonie und Souveränität konkret glaubwürdig anzubieten, aber dies auch von den Partnern zu fordern. Es bedeutete gleichzeitig, sowohl für die Übergangszeit als auch im Sinne einer Voraussetzung für notfalls zu wählende alternative Möglichkeiten, generell auf bundesdeutsche Souveränität und außenpolitische Aktionsfähigkeit zu pochen. Dahinter verbarg sich nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein sachlicher Vorrang. Ob der Weg zur westeuropäischen Integration in absehbarer Zeit weiterführen würde, war besonders bis 1955, aber auch danach fraglich. Das wußte der Kanzler genau. An der Wegegabelung zwischen supranationalen und nationalstaatlichen Entwicklungsmöglichkeiten brauchte der Kanzler für eine einigermaßen freie Mitwirkung die Souveränität als unentbehrliche Handlungsbasis. Als er sich 1954 vor die harte und schmerzhafte Entscheidung gestellt sah, die Hindernisse auf dem Weg zur westeuropäischen Integration mit weiteren Zugeständnissen aus dem Weg zu räumen oder unter eigenstaatlicher Orientierung die Option zur teilstaatlichen Souveränität und zum späteren europäischen Bundesstaat offen zu halten, entschied er sich nach sorgfältiger Abwägung und mit gezielten Aktioin seinem Verständnis: vornen gegen eine halbherzige Westeuropalösung und für die territorialstaatlich zu verfolgende Entwicklungslinie. Daß er die Mitgliedschaft erst im atlantischen Bündnis bevorzugte, konnte insoweit keine Alternative, wohl aber eine Voraussetzung und ein »Hilfsaggregat« für die spätere europäische Einigung sein19. Diese Wahl wird in bezug auf sein außenpolitisches Konzept nicht überbewertet werden dürfen. Dazu hatte sie zu viele und zu unterschiedliche Ursachen. Angesichts der französischen Widerstände hat er seine supranationalen Hoffnungen in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre stets geringer gehalten als seine Zweifel20. Auch die amerikanische Weichenstellung für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft hat er nur ungern und widerstrebend nicht schon 1950 oder 1951, sondern erst 1952 akzeptiert: ungern nicht etwa, weil sie seinem erklärten Fernziel der Europäischen Politischen Union nicht genügt hätte, sondern weil ihm dieses ehrgeizige Vorhaben zu schnell zu viel von Westdeutschland wie von den Partnerstaaten forderte und weil er dem institutionellen Perfektionismus —
—
18 19
20
Schwarz, Adenauer und Europa, S. 472 u. 499. Damit wird eine Antwort auf eine entsprechende Fragestellung Weidenfelds vorgeschlagen; Adenauer und Europa, S. 214. Zur Fragestellung vgl. Schwarz, Der unbekannte Adenauer, S. 604.
vgl. ders.,
IV. Atlantische
Kooperation und westeuropäische Integration
im Prioritätenkonflikt
343
mißtraute21. Seine Zustimmung zur EVG erfolgte sehr spät, und sie kam weniger aus seiner europapolitischen Zielsetzung als aus unausweichlicher Gefolgschaft gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika und auch dann stand sie noch unter lange Zeit hartnäckig vorgebrachten Vorbehalten und Bedingungen. Seine Vorbehalte hatten ihre Wurzeln nicht zuletzt in der Unausgewogenheit des Verhältnisses von Selbstbestimmung und Sicherheitsauflagen. Im Junktim von EVG und Bonner Vertrag des Jahres 1952 überwog das Element diskriminierender Kontrolle; die Komponente zögerlich gewährter Gleichberechtigung ließ ihm allzu viel zu wünschen übrig. Auch deswegen blieb die EVG für Adenauer stets zuerst eine von Frankreich initiierte amerikanische Auflage, aus der unter mühseliger Kleinarbeit allenfalls ein erträgliches Zwischenergebnis zu formen war, in das jedoch die (west-)deutschen Interessen bis zum Schluß nur unzureichend eingeflochten werden konnten. Daher entsprachen EVG- und Bonner Vertrag seinen Zielvorstellungen nicht. Deswegen traf er frühzeitig Vorbereitungen für eine Option, die zwar die europäische Integration zunächst zurückwerfen mußte, aber andere wesentliche Gebiete seiner Außenpolitik abzudecken geeignet war: die weitergehende Souveränität und den direkten Beitritt zur NATO. Hier überwog nicht nur die Eigenstaatlichkeit der Vertragspartner, hier hielt sich auch die Kontroll-Komponente in erträglichen Formen und Grenzen; vor allem aber konnte er damit unmittelbare Bündnisbeziehungen mit der westlichen Führungsmacht und mit der britischen Großmacht herstellen. Entsprechend strebte Adenauers Westpolitik bis 1955 durchgängig vorrangig, wenn auch phasenweise mit unterschiedlichem Nachdruck, die direkte atlantische Kooperation an. Die Bündnispolitik, die der Kanzler zwischen EVG und NATO verfolgt hat, weist zweifelsfrei aus, daß er, wo nicht beides parallel zu erreichen war, der atlantischen Zusammenarbeit die sachliche Dominanz und den zeitlichen Vorrang vor der westeuropäischen Integration eingeräumt hat. Weder der äußere Ablauf des Geschehens noch gar seine in der Öffentlichkeit benutzten Argumentationsmuster können darüber hinwegtäuschen. Die Bedeutung seiner überwiegend autonomen Wahl kann nur dann angemessen gewürdigt und gewichtet werden, wenn die wirtschaftliche Integration und politische Einigung Europas mit ihrem »absolut zentralen Rang in der außenpolitischen Gesamtkonzeption Dulles«22 einerseits und die diesbezüglich von Adenauer im allgemeinen beachtete Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten andererseits berücksichtigt werden. Es lag eben keineswegs nur in der internationalen Konstellation, daß der westdeutsche Regierungschef die erste Gelegenheit, die sich ihm mit der Ablehnung der EVG durch Frankreich zur Durchsetzung eines eigenstaatlichen Weges noch vor der europäischen Integration bot, beim Schöpfe packte. Bei aller Aufgeschlossenheit für jegliche Neukonstruktion Westeuropas, die ihn berechtigterweise als einen der bedeutendsten »Begründer der neuen westeuropäischen Tradition«23 erscheinen läßt, handelte er an dieser Wegegabelung stär—
21
22 23
Diese These ist der Versuch einer Antwort auf Fragestellungen bei Noack, Schwarz, Adenauer und Europa, S. 485. Oberndörfer, Dulles und Adenauer, S. 235. In Anlehnung an Schwarz, Adenauer und Europa, S. 492 und passim.
Scheitern, S. 14, und bei
344
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
ker im Sinne der überkommenen Traditionen, als es ein überholtes Bild vom »doktrinären Europäer«24 vorgaukeln könnte. Damit schwächt sich der krisenhafte Aspekt, mit dem Baring und Besson die Außenpolitik Adenauers im Hinblick auf den 30. August 1954 belegt haben25, merklich ab und öffnet die Sicht auf einen vom Kanzler bei aller konstellationsorientierten Anpassung von
—
Anbeginn
an
durchgehaltenen Ziel-Mittel-Komplex:
Die atlantische Form der Westintegration rangierte als Ziel auf Adenauers Prioritätenliste zwischen 1949 und 1952 sowie von Ende 1953 bis 1955, weniger deutlich in der Zwischenphase von 1952/53, vor dem langfristig angestrebten Ziel der westeuropäischen Integration. Das Scheitern der EVG, das einerseits nach außen hin als Bruch in seiner außenpolitischen Konzeption erschien und was wegen der in der Folgezeit immer wieder verzögerten westeuropäischen Verflechtung auch teilweise so verstanden werden kann —, korrespondierte andererseits durchaus positiv mit seiner unge—
brochen verfolgten atlantischen Option. Als Mittel behielt die atlantische Kooperation ihren vorrangigen strategischen Stellenwert. In der Protektion der Vereinigten Staaten für die Bundesrepublik Deutschland als wichtigstem amerikanischen Bündnispartner auf dem europäischen Kontinent sah er das wirksamste Vehikel, mit dem er die Mehrzahl seiner außenpolitischen Ziele möglichst schnell und sicher erreichen wollte. Es wäre jedoch verfehlt, aus Adenauers Gewichtungen im atlantisch-europäischen Wechselverhältnis den Schluß zu ziehen, er habe außenpolitisch als »dogmatischer Atlantiker« gedacht oder gehandelt. Nachvollziehbar ist allerdings, daß er auch in der Zeit bis 1955, die bisher zu sehr als seine »europäische Phase« herausgestellt wurde, die ausschlaggebende Bedeutung der atlantischen Kooperation als Ziel wie als Mittel eindeutig bevorzugt hat. Denn diese galt ihm als unabdingbare Voraussetzung sowohl für eine deutsche Eigenstaatlichkeit wie für eine westeuropäische Integration. —
V Souveränität und Sicherheit:
zum
Verhältnis oberster Ziele
In der atlantischen
Kooperation sah Adenauer zugleich auch die stärkste Garantie, um innerhalb der Ost-West-Konfrontation für Westdeutschland ein Mindestmaß an politischer, wirtschaftlicher und militärischer Sicherheit zu gewährleisten. Die »Westbindung als dominantes sicherheitspolitisches Strukturprinzip«26 materialisierte sich für ihn vor allem anderen in der Verpflichtung des gesamten amerikanischen Potentials durch angemessene westdeutsche Gegenleistungen im Sinne einer gemeinschaftsbezogenen Außenund Sicherheitspolitik. Entsprechend beherrschte das bündnispolitische Element das Sicherheitsverständnis des Kanzlers, wobei die gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und militärischen Elemente mit ihren gegenseitigen Verstärkungen der Bündnispolitik den Boden zu bereiten hatten. 24 25 26
So bereits treffend bemerkt von Schwarz, in: Das außenpolitische Konzept, S. 87. Baring, Außenpolitik, S. 329—334, bzw. Besson, Außenpolitik, S. 153. Haftendorn, Adenauer, S. 92.
V. Souveränität und Sicherheit:
zum
345
Verhältnis oberster Ziele
Er richtete sein Sicherheitsbedürfnis aus der Erfahrung zweier Weltkriege und darin gleich-
gerichtet mit amerikanischen Vorstellungen nicht auf ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern auf die
Überlegenheit des Westens. Es war mit der »Politik der Stärke« auf den
Begriff gebracht und Adenauers nach Osten gerichteter, vor allem die Westmächte verpflichtenden Konfliktstrategie im »Kalten Krieg« zugeordnet. So maß er blockbezogene Kräfteveränderungen ganz im Sinne von Nullsummentheoremen. Entspannung unter
Konstruktionen kollektiver Sicherheit, wie sie von Politikern im In- und Ausland immer wieder ins Spiel gebracht wurden, lehnte er dementsprechend aus prinzipiellen politischen Erwägungen ab. Sie konnten allerdings auch unter seinem Verständnis von Sicherheit keine konstruktive Kraft gewinnen, solange nicht gegenüber den eigenen Bündnispartnern und noch weniger gegenüber dem Blockgegner Vertrauen gerechtfertigt war. In diesen Rahmen müssen auch die Bezüge eingeordnet werden, in die Adenauer die Wiederbewaffnung gestellt hat. Im Zusammenhang mit der hier vertretenen These, daß Adenauers gesamtes außenpolitisches Konzept aus dem Gedanken heraus zu verstehen ist, ein Wiederaufleben der Kriegskoalition auf Kosten Deutschlands um jeden Preis zu verhindern, wertete er die Aufrüstung im Westbündnis als eines der wirksamsten Mittel, zumal sie in gesellschaftspolitische Konvergenzen und wirtschaftliche Verflechtungen des Westens eingebettet werden konnte. Positiv gewendet sollte der Verteidigungsbeitrag also nicht nur die Gegensätze zwischen den Siegermächten für lange Zeit, sondern auch die zukünftige Westbindung Deutschlands unumkehrbar verfestigen. Parallel und dazu instrumental setzte er die Wiederbewaffnung als wichtigstes »Tauschobjekt« für die Wiedergewinnung innerer Selbstbestimmung und außenpolitischer Handlungsfreiheit ein27, um Westdeutschlands Maß an außenpolitischen Mitwirkungs- und inneren Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern. Innerhalb seiner Vorstellungen von der Bedrohung Westdeutschlands rechnete er 1954/55 nicht mit einer akuten militärischen Aggression der Sowjetunion; und er maß überhaupt der rein militärischen Funktion der Aufrüstung Westdeutschlands keine umwälzende Bedeutung bei. So verführten ihn militärpolitische und militärstrategische Aspekte der Wiederbewaffnung auch nicht dazu, die damit möglich werdenden Kräfteverschiebungen zu überschätzen. Als wirksame Verstärkung der militärischen Abschreckung wollte er gleichwohl den westdeutschen Streitkräften mit der ausbedungenen modernen Bewaffnung einen gleichberechtigten Platz im Bündnis sichern. Dabei zielte er weniger auf ohnehin fragwürdige militärische Effizienz gegen Osten als vielmehr auf machtpolitisch gleichberechtigte Mitsprache gegenüber dem Westen. Die hohe Rang-Einstufung, die Hanrieder der westdeutschen »Sicherheit und Integrität« unter betont militärstrategischer Betrachtungsweise zugemessen hat, schiebt sich daher im Verständnis der Optionsvielfalt innerhalb von Adenauers außenpolitischem Konzept weiter in den Hintergrund. 27
So auch Baring, Außenpolitik, Schwabe, Adenauer und die Aufrüstung, und Noack, Scheitern. Botschafter Krekeler ist dagegen »überzeugt, daß Dr. Adenauer die Wiederbewaffnung von Anfang an nur als ein Mittel zur Gewährleistung des Sicherheitsbedürfnisses der Bundesrepublik verstand. Sie war für ihn weder ein Selbstzweck [...] noch ein Mittel, um die formale Souveränität der Bundesrepublik rascher zu erlangen«; Aufzeichnung Botschafter a.D. Dr. Heinz Krekeler vom 16.1.1978, dem Verfasser freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Adressaten, Dr. Norbert Wiggershaus, Freiburg. —
346
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
Adenauer hat auch die Wiederbewaffnung der Wiedervereinigung zeitlich vorangestellt. Die westdeutschen Streitkräfte sollten als politisches Mittel im Sinne diplomatischer Offensiven, nicht aber als militärisches Instrument in den Dienst der Wiedervereinigung gestellt werden. Die Aufrüstung sollte »nicht wie alle ihre Vorläufer der Instrumentierung einer Revisionspolitik, sondern erstmals der Instrumentierung einer Status-quo-Politik«28 dienen. Werden die einzelnen Bestandteile der Sicherheitspolitik Adenauers verknüpft mit seinem Ziel, die Souveränität für den westdeutschen Kernstaat zu erringen, dann wird die These Noacks erhärtet: »Die Einbeziehung der Bundesrepublik in die NATO und die damit mögliche Realisierung eines deutschen Verteidigungsbeitrages in den Jahren 1954/55 war von deutscher Seite nicht in erster Linie das Resultat militär-strategischer oder sicherheitspolitischer Erfordernisse, sondern des Wunsches nach voller Handlungsfreiheit, zentriert in der Souveränität29.« Dennoch bleiben alle Prioritäten und Ziel-Mittel-Relationen zwischen Souveränität und Sicherheit teilweise theoretisch. Denn beide sind für jede Staatsführung per se oberste Ziele. Sie ergänzen sich bestenfalls gegenseitig, gewinnen aber nur in der konkreten historischen Entscheidungssituation ihren akzentuierten Schwerpunkt. Dort wurden und das gilt bis heute für Deutschland mehr als für viele andere Staaten Verzichte auf Souveränität zugunsten der Sicherheit meist als unausweichlich, wenn nicht sogar als wünschenswert eingeschätzt. Verhältnismäßig früh hat sich damit in Westdeutschland mehrheitlich die Überzeugung durchgesetzt, daß Sicherheit, wenn überhaupt, dann nur in Bündnissen politisch gewährleistet werden kann, und daß Bündnisse, wenn sie tragen sollen, Einschränkungen außenpolitischer Souveränität verlangen. Adenauers Außen- und Sicherheitspolitik hat in diesem Sinne von Anfang an im Kabinett bis in die Bevölkerung hinein erzieherisch gewirkt. —
—
VI. Konsistenz der
und Kontinuität der Grundorientierungen: nach Adenauers »Gesamtkonzept«
Zielverknüpfungen zur
Frage
Wo in der Forschung die These aufgestellt wird, daß Adenauers Außenpolitik »über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg ein vergleichsweise hohes Maß an konzeptioneller Konsistenz und Kontinuität«30 aufgewiesen habe, folgt meist der Hinweis, daß dies nur »für die konzeptionellen Grundlinien«, für »die Grundsatzbestimmung, nicht die Zielbestimmung« gelte31. Derartige Einschränkungen haben sich im Laufe der Untersuchung als nur zu berechtigt erwiesen. Die situationsbezogene Analyse der Konzeption in der bündnispolitischen Umbruchphase im Jahre 1954 lenkte den Blick immer wieder von Adenauers außenpolitischen Erwartungen und Zielen sowie den ihnen zugeordneten Strate28 29
v. Schubert auf dem 33. Historikertag in Würzburg; vgl. ders., Wiederaufrüstung, S. 3. Noack, Scheitern, S. 184; zuerst thematisiert in: ders., Militärpolitische Entscheidungen, S. 162. Vgl.
So Klaus
militärpolitisch akzentuierten Gegenthesen von de Maizière in: Aspekte, S. 165, und (s. oben Anm. 27). 30 Schwarz, Das außenpolitische Konzept, S. 76. 31 Ebd.; vgl. auch Weidenfeld, Adenauer und Europa, S. 24. aber auch die von Krekeler
VI. Konsistenz der
Zielverknüpfungen
und Kontinuität der
Grundorientierungen
347
gien und Mitteln auf eine Fülle von konkurrierenden Handlungsmustern. Diese hatten ihre Ursachen in der Vielfalt der anstehenden Aufgaben des westdeutschen Regierungschefs, in den gegebenen außenpolitischen Anpassungszwängen und in nicht zu vernachlässigenden innenpolitischen Rücksichtnahmen. All dies forderte von Adenauer taktisches Finassieren auf der diplomatischen Ebene der Verhandlungen und wendiges Argumentieren im innenpolitischen Meinungskampf. Je konkreter die Anordnung seiner Ziele im Rahmen dieser historischen Bezüge betrachtet wurde, desto schwieriger wurde es, zwischen dem, was er vorgezogen hat, weil es ihm vor allem inhaltlich-final gewichtiger war, und dem, was er mehr zeitlich oder modal in der gegebenen Konstellation mit Aussicht auf Erfolg erreichen zu können meinte, zu unterscheiden. Damit bestätigt die Analyse den Forschungsstand, nach dem es nicht angebracht erscheint, der Außenpolitik Adenauers statische Priorität zugrunde zu legen. Ein derart strenges Prioritätensystem wäre besonders im historischen Kontext der damaligen Abhängigkeiten Deutschlands unpolitisch und für das pragmatisch-undogmatische Politikverständnis des Kanzlers untypisch. Deshalb wurde hier versucht, eine zuverlässigere und der Person Adenauers angemessenere Deutung seines Verständnisses von den Notwendigkeiten und Möglichkeiten seiner Außenpolitik im Rahmen der internationalen Politik dadurch zu vermitteln, daß die Zielverknüpfungen seiner vier grundsätzlichen Orientierungsfelder mit ihren Gewichtungen sichtbar werden. In diesem Sinn soll die eingangs gestellte Frage der AdenauerForschung wieder aufgegriffen werden: »Hat er westdeutsche, gesamtdeutsche oder europäische Politik gemacht32?« Zunächst ergibt die Untersuchung, daß die aufgeführten drei Bezugsfelder um den Bereich der atlantischen Zusammenarbeit erweitert werden müssen33. Diesem hat der Kanzler nicht nur einen eigenen Wert, sondern sogar eine deutliche Präferenz zugemessen. Innerhalb des im erweiterten Zeitraum untersuchten bündnispolitischen Rahmens gilt das nicht nur für 1954, sondern für die ersten sechs Jahre seiner Kanzlerschaft insgesamt. Es zeichnet sich mit Blick auf die nachfolgenden Jahre ab, daß sich hier trotz späterer Schwankungen während der Regierungszeiten von de Gaulle und Kennedy eine durchgängige Kontinuitätslinie herauskristallisieren könnte. Im folgenden werden diese vier Bezugsfelder mit ihren Wechselwirkungen in getrennten Betrachtungen aufeinander bezogen. Das westdeutsche Orientierungsfeld: Faktisch führte die internationale Kräftekonstellation zur Verfestigung des sich seit 1947 herausbildenden Westdeutschland. Obwohl die Politik des westdeutschen Regierungschefs die Neudefinition des Weststaates durch seinen Ziel-Mittel-Komplex der Westintegration nach Kräften förderte, widersprach die auf den Teilstaat reduzierte Eigenentwicklung teilweise Adenauers überzeugt vorgetragenen Forderungen nach Revision des Status quo. Bis 1955 verstand er den westdeutschen Kernstaat nicht als territorial saturierte Einheit, sondern als nach Osten (weit weniger kompromißlos bezüglich des Saargebiets auch nach Westen) und zur nationalen Einheit hin erweiterungsbedürftig. Diese Ver—
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—
Schwarz, Adenauer und Europa, S. 473; vgl. oben Einleitung.
Vgl. Schwarz, Adenauer,
Der Staatsmann, S. 121 f.
348
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
knüpfung mit dem gesamtdeutschen Orientierungsfeld entsprach dem überwältigenden innenpolitischen Konsens und nahm Rücksicht auf das ausschlaggebende Wählerpotential der Vertriebenen und Flüchtlinge. Sie entsprach darüber hinaus auch Adenauers eigenen Vorstellungen vom zukünftigen Deutschland. Daher diente ihm die westdeutsche Orientierung mehr als Perspektive seiner praktischen Tagespolitik und Regierungstechnik denn als bewußt kalkulierte oder gar akzeptierte Weichenstellung für die Zukunft. In die gleiche Richtung weist sein kontinuierliches Streben nach Gleichberechtigung und Souveränität, das 1954 einen Höhepunkt erreichte. Beides sollte die Bundesrepublik nach zwei Seiten hin offen halten. Die Souveränität galt ihm einerseits als bündnispolitisch abzusichernde Ausgangsbasis und gesellschaftspolitisch vorbereitete Auffangstellung für den noch zu vollziehenden Anschluß der »zunächst« noch fehlenden Teile Deutschlands. Andererseits verstand er insbesondere die außenpolitische Handlungsfreiheit nicht als eine völlige Autonomie, der etwa sozialistische oder auch einseitig nationalstaatliche Wege hätten freistehen sollen. Vielmehr verband er in deutlichem Gegensatz zum französischen und britischen Verständnis von nationaler Unabhängigkeit damit stets ausdrücklich die ausgeprägte Bereitschaft zum partiellen gegenseitigen Verzicht auf Souveränität etwa zugunsten supranational institutionalisierter Zusammenarbeit. Damit stand seine westdeutsche Perspektive zugleich in einem
—
engen Bezug zum westeuropäischen Orientierungsfeld. Das westeuropäische Orientierungsfeld: In Adenauers »Absage an den autonomen Machtstaat«34 lag die Kehrseite seiner westeuropäischen Zielsetzungen. Daß er den Bruch mit der fundamentalen Tradition der machtstaatlichen deutschen Außenpolitik nicht nur wegen der desolaten Situation Deutschlands, sondern generell für die westeuropäischen Staaten als »geschichtsnotwendig« ganz bewußt vollzogen hat, wurde von Hans-Peter Schwarz bereits überzeugend
herausgearbeitet. Detailbezüge wirkten demgenüber nur als unterstützende Kräfte. Rheinisch-katholische Komponenten dieser Politik stimulierten den ehemaligen Oberbürgermeister im Gesamtzusammenhang seiner Außenpolitik 1954 allenfalls beiläufig und sind noch weniger an seinem Handeln fixierbar als Auswirkungen seiner christlich-abendländischen Verwurzelung. Die Konzentration, mit der er sein Augenmerk auf die deutsch-französische Verständigung richtete, hatte in seinem westeuropäischen Orientierungsfeld zwar ebenfalls eine ihrer wesentlichen Wurzeln, daneben aber behielt die Furcht vor einer französisch-sowjetischen Annäherung ihr ausschlaggebendes Gewicht. Selbst die Möglichkeit, mit europäischen Formeln die unumgängliche Kontrolle Deutschlands in gleichberechtigt-partnerschaftlichen Formen erträglich zu gestalten, prägte sein Handeln mehr als Aufgabe der Tagespolitik und Regierungstechnik denn als beherrschender Antrieb für die westeuropäischen Perspektiven. Die damals scheinbar »logische Antinomie zwischen europäischer Integration und dem Ringen Deutschlands um nationale Einheit«35 hat Adenauer schlicht abgestrit34 35
Schwarz, Adenauer und Europa, S. 498. Weidenfeld, Adenauer und Europa, S. 108 f. S. 108-140.
mit zahlreichen Zitaten und Literaturverweisen auf
VI. Konsistenz der
Zielverknüpfungen
und Kontinuität der
Grundorientierungen
349
und das Gegenteil behauptet. Von daher irritiert es nicht, sondern trägt zum besVerständnis der subjektiven Sicht des Bundeskanzlers bei, »daß er die beiden Optionen, Integration und Nation, nicht nur für miteinander vereinbar hielt, sondern daß er in der einen, der Integration, die zwingende Grundlage für die Realisierung der anderen, der Einheit der Nation, sah«36. Wie schwierig dies in praktische Politik umzusetzen ist, zeigten die Prozesse der internationalen Abstimmung in den Jahren 1989/90. Der in Großbritannien mißtrauisch verfolgte, in Frankreich nur zögerlich aufgegriffene Gestaltwandel Westeuropas, die letztlich unberechenbare Entwicklung der atlantischen Beziehungen und des Ost-West-Konflikts, Adenauers teilweise auseinanderdriftende Zielsetzungen und sein unter dem Besatzungsstatut ausgeprägt konstellationsbezogenes Handeln bedingten, daß er für das westeuropäische Orientierungsfeld weder programmatische Rezepte entwarf, noch sich mehr als notwendig in seinen Dipositionen festlegte. Die hohe Aktualität, die die westeuropäische Integration in der offiziellen westdeutschen Außenpolitik genoß, täuscht allzu leicht eine höchstrangige Priorität vor, die sie für den Bundeskanzler bis 1954 in so hohem Maße weder als Ziel noch als Mittel gehabt hat. Die Quellenlage weist die westeuropäische Integration vielmehr eindeutig als Fernziel aus, dem Adenauer die atlantische Zusammenarbeit vorgeordnet hat. Das atlantische Orientierungsfeld: Die außerordentliche Intensität und Kontinuität, mit der Adenauer gegen französische Widerstände und selbst gegen amerikanische Festlegungen den unmittelbaren Beitritt zur atlantischen Allianz zum frühestmöglichen Zeitpunkt angestrebt hat, sowie seine jahrelange störrische Beharrlichkeit, mit der er unverdrossen gerade dieses Ziel mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichen suchte, weist unverkennbar auf eine Dominanz dieses Orientierungsfeldes. Möglichst enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten in einer dauerhaften Allianz galten ihm als derart fundamental, daß er immer wieder während des hindernisreichen Verlaufs des westeuropäischen Einigungsprozesses erwog, seine Außenpolitik durch bilaterale deutsch-amerikanische Sonderbeziehungen abzusichern. Daß es dazu nicht kam, lag in erster Linie an der amerikanischen Außenpolitik, die nicht an einer Wahl zwischen Frankreich und Deutschland, sondern nur an einer engen Zusammenarbeit beider Staaten interessiert war. Es wäre eine vordergründige Betrachtungsweise, darin lediglich die besonderen Abhängigkeiten Westdeutschlands oder eine subjektiv besonders stark ausgerichtete Loyalität Adenauers gegenüber den Vereinigten Staaten sehen zu wollen. Vielmehr kann in seiner vorherrschenden atlantischen Grundorientierung das entscheidende Bindeglied zwischen den vier Orientierungsfeldern bestimmt werden. ten
seren
—
36
Zitat und Gegenthese bei Weidenfeld, Adenauer und Europa, S. 111. Im übrigen ist diese Dialektik auch im Grundgesetz angelegt, das in der Präambel die Wiedervereinigung, in Artikel 24 zwischenstaatliche Einrichtungen, insbesondere mit Blick auf Europa vorsieht. Bezeichnenderweise erweckte die Bundesregierung 1952 in ihrer Stellungnahme zu den Bonner Verträgen an das Bundesverfassungsgericht den Eindruck, als schreibe der Verfassungsauftrag vor, beide Ziele als in etwa gleichwertig und gleichgewichtig zu verfolgen; vgl. Grewe, Deutsche Außenpolitik, S. 169. —
350
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
Zunächst gewährleistete das amerikanische Potential die politische und militärische Sicherheit Westdeutschlands. Der westeuropäische Zusammenschluß konnte beides auf mittlere Sicht verbessern, aber nicht ersetzen. Adenauer maß dieser fundamentalen Voraussetzung auch und gerade für den ihm immer wieder bedrohlich aktuell erscheinenden Fall erhöhte Bedeutung zu, daß die Politik der Eindämmung ernstlich durch Entspannungstendenzen zwischen Ost und West aufgeweicht werden würde. Gleich wichtig blieb ihm die atlantische Kooperation für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Westdeutschlands. Die finanzielle Schwäche und der technologische Rückstand der europäischen Staaten verwiesen hier für einen längeren Zeitraum auf amerikanische Unterstützung. Auch gesellschaftspolitisch wog die atlantische Verbindung schwer als Balance gegen sozialistische und kommunistische Kräfte besonders in Frankreich und Italien, von den im Auftrag des Ostblocks arbeitenden subversiven Kräften ganz zu schweigen. Das atlantische und das westdeutsche Orientierungsfeld griffen so auf existentiellen Gebieten vielfältig ineinander. Noch klarer lassen sich die Bezüge zum westeuropäischen Orientierungsfeld erkennen. Bis 1955 blieben die »organischen Verflechtungen«, besonders in ihren supranational-föderativen Kooperationsformen, zuerst eine erklärte Forderung der amerikanischen Außenpolitik, der neben keineswegs vorbehaltsloser deutscher Unterstützung französisch-britische Verzögerungen und Widerstände gegenüberstanden. Was immer an westeuropäischem Wollen für Adenauer anzusetzen sein mag: es in die Tat umzusetzen unterlag bis 1954 noch den Bedingungen des amerikanisch dominierten atlantischen Orientierungsfelds, das die Integration dogmatisch forderte. Schließlich gewährten die Vereinigten Staaten nicht nur die entscheidende Bestandsgarantie für Westdeutschland, sondern nährten auch in der westdeutschen Bevölkerung die glaubwürdigsten Hoffnungen auf eine gesamtdeutsche Zukunft. Im überragenden Stellenwert, den Adenauer der atlantischen Kooperation bis 1955 und darüber hinaus im Vergleich mit seiner westeuropäischen Orientierung zugemessen hat, kann ein kardinales und in der Aufbauphase Westdeutschlands kontinuierlich durchgehaltenes Grundelement seiner Außenpolitik gegenüber den Siegermächten fest-
—
gehalten werden. Das gesamtdeutsche Orientierungsfeld: Die lange Dauer der getrenntstaatlichen Entwicklung spricht vordergründig eher gegen eine gesamtdeutsche Ausrichtung der Außenpolitik Adenauers. Aber auf diesem Orientierungsfeld gehen ein hohes Ziel und die aus des Kanzlers Sicht größte Gefahr für Deutschland eine enge Verbindung ein, aus der wesentliche Grundlinien seines gesamten außenpolitischen Konzeptes verständlicher gemacht werden können. Denn seine Furcht vor einer Einigung der vier Siegermächte auf Kosten Deutschlands überschattete all sein außenpolitisches Denken und Handeln. Diese Furcht blieb bei der Bevorzugung der atlantischen Zusammenarbeit unter dem Ziel der Eindämmung der Sowjetunion, bei der westeuropäischen Integration unter dem Ziel der Anbindung eines dem Westen verpflichteten Frankreich sowie bei der gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsolidierung Westeutschlands als Kernstaat für das zukünftige Gesamtdeutschland stets gegenwärtig. Es so aus der Isolierung herauszuführen und
VII. Fazit
351
gleichzeitig über die Isolierung der Sowjetunion einer gesamtdeutschen Lösung näherzukommen, hielt er für vereinbar. Trotz aller Gegenargumente im Regierungslager, in der Opposition und in der veröffentlichten Meinung ist mindestens bis zur Genfer Konferenz von 1955 davon auszugehen, daß Adenauer seine Außenpolitik in diesem relativierenden Sinne auch unter gesamtdeutscher Orientierung formuliert hat. Darunter verstand er allerdings nicht Zielsetzungen, nach denen ein Deutsches Reich als autonomer Nationalstaat wiederherzustellen sei. Vielmehr berücksichtigte er entsprechend seiner atlantischen und westeuropäischen Orientierung die berechtigten Interessen der Partnerstaaten, die er in wechselseitiger Kontrolle und institutionalisierter Zusammenarbeit einzubinden suchte. Insoweit überdehnen Formulierungen, nach denen Adenauer »seine Politik stets ausschließlich an den Interessen Deutschlands«37 orientiert habe, eine nur dann zutreffende außenpolitische Maxime des Bundeskanzlers, wenn die Bezüge seiner atlantischen und europäischen Orientierungen entsprechend einbezogen werden. VII. Fazit
Adenauers außen- und sicherheitspolitische Aktionen und Konzeptionen gegen Ende der Aufbauphase Westdeutschlands wurden im Rahmen ihm gegebener Handlungsmöglichkeiten untersucht. Im Ergebnis verlagern sich die bündnispolitischen Schwerpunkte im Verständnis der außenpolitischen Zielvorstellungen Adenauers gegenüber den westlichen Siegermächten. Zugleich präzisierte die Untersuchung die bislang weithin ungeklärte Ambivalenz zwischen Flexibilität und Festigkeit in seinem außenpolitischen Handeln. Insgesamt überwiegt der Grundzug geschmeidiger Gewichtsverlagerung, mit der Adenauer seine kurz- und mittelfristigen Zielprioritäten den wechselnden Konstellationen der internationalen Politik anpaßte38. Das trifft besonders auffällig für die von ihm generell angestrebte Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich zu. Hier wechselte er in einer Situation, die ihm erlaubte, der französischen Regierung gegenüber unnachgiebig aufzutreten, von seiner Bereitschaft zu zukunftsorientierten Zugeständnissen hin zu einer Isolierung des zuvor umworbenen französischen Nachbarn. Dieser taktische Wechsel seines diplomatischen Vorgehens war für seinen Umgang mit den westlichen Siegermächten ganz ungewöhnlich und auch in seiner Ausprägung für Adenauers außenpolitische Regierungstechnik während der Besatzungszeit in dieser Form einmalig. Seine Verfahrensweise verdeutlicht in diesem Beispiel besser als in anderen die oben angesprochene Wandlungsfähigkeit des Kanzlers sowohl in seinem außenpolitischen Handeln als auch in seinen kurzfristigen Zielbestimmungen. Seine Fähigkeit zu schneller Umstellung bewies er auf andere Art auch gegenüber der britischen Regierung. Obwohl die verdeckte britische Gegnerschaft gegen jede kontinentale Blockbildung die westeuropäische Integration maßgeblich behindert hatte, fan37 38
Bandulet, Adenauer, S. 244 und ähnlich Vgl. oben, Einleitung.
S. 239.
352
Teil D: Prioritäten in Adenauers
außenpolitischen Zielsetzungen
den sich Adenauer und Eden unmittelbar nach dem Scheitern der EVG in einer aufgeschlossenen und konstruktiven Aktionseinheit. Die französische Politik vor dem Ende der EVG wie die britische Politik danach eröffneten dem westdeutschen Regierungschef ein bisher unterschätztes Maß an Mitwirkungschancen. Früher, als das bisher angenommen wurde, erkannte er die Entwicklungsmöglichkeiten des Geschehens und nutzte seine erstmals faktisch nahezu gleichgewichtige Rolle in den internationalen Entscheidungsprozessen. Sein persönlicher Anteil am Bedeutungszuwachs westdeutscher Mitsprache war höher, sein Anteil an der schließlich ausgehandelten Form der westdeutschen Wiederbewaffnung größer, als das bisher erkennbar war. Sowohl wegen dieser erweiterten Mitgestaltungschancen des Kanzlers, die mit Blick auf die Aufbauphase Westdeutschlands im Sommer und Herbst 1954 ihren Höhepunkt erreichten, als auch wegen der Ergebnisse der internationalen EntScheidungsprozesse, die zum Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in das atlantische Bündnis führten, bekommt die eingangs gestellte Frage nach Adenauers außenpolitischen Prioritäten unter dem Gesichtspunkt ihrer Wechselwirkungen eine gesteigerte Bedeutung. Hinter seiner konstellationsbezogenen Dynamik verknüpfte Adenauer vier grundlegende Orientierungsfelder mit unterscheidbarer Gewichtung zu einem konsistenten außenpolitischen Konzept. Unter der westdeutschen Orientierung, mit der er den westlichen Teilstaat als gleichberechtigtes Mitglied in die »Völkerfamilie der freien Welt« einreihen wollte und konnte, verstand er bis 1955 in stärkerem Maße eine Hilfskonstruktion, als die anschließende jahrzehntelange Verfestigung der westdeutschen Eigenstaatlichkeit nahelegt. Eine westdeutsche »Staatsräson« entwickelte er eher nach 1954 und im Gegensatz als in Entsprechung zu seinen damaligen Zielvorstellungen. Diese standen bis 1955 noch unter gesamtdeutscher Orientierung. In Westdeutschland sah er kein Endziel, sondern seine vorläufige Aktionsbasis, von der aus er mit engen transatlantischen Verflechtungen westeuropäische und gesamtdeutsche Optionen anstrebte. Die westeuropäische Integration stand bis 1955 und darüber hinaus unter vielen Vorbehalten und Widrigkeiten. Adenauers nach außen hin plakativ akzentuierte Prioritätenzuweisungen für Westeuropa sind demgegenüber stärker aus den internationalen Konstellationen zu erklären. Während der gesamten Aufbauphase der Bundesrepublik Deutschland in besonders deutlicher Ausprägung aber im Entscheidungsjahr 1954 blieb dagegen die möglichst enge und umfassende atlantische Zusammenarbeit das zentrale, kontinuierlich festgehaltene außenpolitische Ziel Adenauers. Damit steht nicht im Widerspruch, daß Adenauer zugleich die Verschmelzung der westeuropäischen Staaten erstrebte. Letzteres war jedoch im Vergleich zu ersterem ein Fernziel. Die westeuropäische Integration setzte für Adenauer die atlantische Zusammenarbeit voraus. —
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Abkürzungen
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Auswärtiges Amt, Politik,
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St.
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Archiv der
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354
Abkürzungen
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Zentralkomitee
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Bundesministerium der Verteidigung BW 1 BW 2 Führungsstab der Streitkräfte und Vorläufer Deutsche Dienststellen zur Vorbereitung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft BW 9 N 626/202-626/612 Nachlaß General a.D. Johann Adolf Graf v. Kielmansegg
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Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg (MGFA)
Befragungsmaterial
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Abt. VII CDU-Bundesvorstand und
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128 129 130 131 134
Cabinet Minutes und Conclusions, 1945—1956
Full Cabinet Meetings, Memoranda und Minutes, 1945—1956 Ad hoc Committees (General), Memoranda und Minutes, 1945—1956 Cabinet Defence Committee, Memoranda und Minutes, 1946—1956 Cabinet Atlantic
(Official)
Foreign Office (FO) FO 371 Foreign Office Files, Ministry of Defence (DEFE) DEFE 4 DEFE 5 DEFE 6
Treasury (T)
T 225
Committee
General
Correspondence
Chiefs of Staff Committee, Minutes, 1947- 1956 Chiefs of Staff Committee, Memoranda and Reports, 1947—1956 Chiefs of Staff Committee, Reports of the Joint Planning Staff, 1946—1956
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Außenpolitik
Zeitgeschichte Konfliktforschung
Aus Politik und
Beiträge
zur
Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Central European History Deutsche Außenpolitik Deutschland-Archiv
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Review
Francia
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Quellen
Militärgeschichtliche Mitteilungen Merkur
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Osteuropa
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Die Welt Westdeutsches
History
2. Gedruckte
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Jürgen
Küsters
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Zeittafel
20.9.1949 21.9.1949 15.6.1950 25.6.1950 3.7.1950
Konstituierung der ersten Regierung Adenauer. Besatzungsstatut tritt in Kraft. Bundestag stimmt für den Beitritt zum Europarat. Beginn des Koreakriegs.
Das Der
22.7.1950
Adenauer fordert von den Alliierten Hohen Kommissaren die Berechtigung für Westzu können. Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy bestätigt den Deutschen das Recht
7.8.1950
Der
deutschland, sich stärker selbst auf seine Verteidigung vorbereiten auf
11.8.1950
29.8.1950
Selbstverteidigung.
Europarat fordert sofortige Gründung einer europäischen Armee. Speidel—Heusinger-Memorandum zur äußeren Sicherheit Westdeutschlands. Die Beratende Versammlung des Europarats nimmt den Vorschlag des britischen Oppositionsführers Churchill, eine europäische Armee mit Beteiligung deutscher Kontingente aufzustellen, mehrheitlich an. Adenauers Memoranden »Zur Frage der Neuordnung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Besatzungsmächten« und »Über die Sicherung des Bundesgebietes nach innen und außen« an die Hohen Kommissare, übergeben am 30.8.1950.
12.—26.9.1950
3.-6.10.1950
24.10.1950
26.10.1950
8.11.1950
18./19.12.1950
21.12.1950 9.1.1951
Konferenzen der Außen- und Verteidigungsminister der drei westlichen Großmächte und des Nordatlantik-Rates in New York; Beschluß über europäische Verteidigungsstreitkräfte. Kommission deutscher Militärexperten erarbeitet im Eifelkloster Himmerod die »Denkschrift über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer internationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas«. Der französische Ministerpräsident René Pleven legt seinen Plan für eine europäische Armee als Voraussetzung für einen deutschen Militärbeitrag vor; er sieht kleine nationale Militärverbände und einen europäischen Generalstab vor. Der Pleven-Plan wird von der französischen Nationalversammlung gebilligt. Der CDU-Abgeordnete Theodor Blank wird zum »Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen« ernannt und übernimmt die Leitung der neugeschaffenen »Dienststelle Blank«. Bundeskanzler Adenauer begrüßt in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag die Schaffung einer Europaarmee als wesentlichen Fortschritt auf dem Weg zur Integration Europas und fordert zugleich als Voraussetzung dafür die Gleichberechtigung der Bundesrepublik Deutschland. NATO-Tagung der Außen- und Verteidigungsminister in Brüssel; die drei Außenminister der Westmächte beschließen, mit der Bundesrepublik Deutschland über gemeinsame Verteidigungsanstrengungen zu verhandeln; die drei Hohen Kommissare werden ermächtigt, über einen deutschen Verteidigungsbeitrag sowie über entsprechende Veränderungen des Besatzungsstatuts zu verhandeln. Petersberg-Konferenz der Alliierten Hohen Kommissare mit dem Bundeskanzler über einen Verteidigungsbeitrag Deutschlands und über das Besatzungsstatut. Beginn der militärisch-technischen Sachverständigen-Gespräche auf dem Petersberg zwischen Vertretern der Alliierten Hohen Kommissionen und der von Blank geleiteten Sachverständigengruppe über militärische Probleme einer deutschen Beteiligung
an
einer
europäischen Verteidigung.
384 26.1.1951 12.2.1951 14.2.1951 15.2.1951
5.3.—22.6.1951
6.3.1951 15.3.1951
4.4.1950 18.4.1951
2.5.1951 4.6.1951 22.6.1951 9.7.1951 24.7.1951 1.9.1951 14.9.1951
25.9.1951 27.9.1951
10.10.1951
25.10.1951 20.—22.11.1951
28.11.1951 27.—30.12.1951
Zeittafel Die französische Regierung lädt zu einer Konferenz über die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Pleven-Plan/EVG) nach Paris ein. Der britische Premierminister Attlee fordert Aufrüstung des Westens vor einer deutschen Aufrüstung. Italien unterstützt den Pleven-Plan. Beginn der Beratungen über den Pleven-Plan in Paris zwischen Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden mit gleichberechtigter Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Bundestag verabschiedet das Gesetz über den Bundesgrenzschutz. Vorkonferenz der Vertreter der Vier Siegermächte zur Vorbereitung einer Tagesordnung für eine Deutschlandkonferenz; von den drei Westmächten nach 73 Sitzungen abgebrochen, da keine Einigung über die Einbeziehung des Atlantikpaktes und ausländischer Militärstützpunkte erzielt werden kann. Erste Revision des Besatzungsstatuts: eingeschränkte direkte Außenbeziehungen werden ermöglicht. Adenauer übernimmt das neu geschaffene Amt des Außenministers; Gründung des Auswärtigen Amtes als Bundesministerium mit Professor Walter Hallstein als Staatssekretär. Der US-Senat stimmt der Entsendung von vier weiteren Divisionen nach Europa zu und begrüßt Eisenhower als SACEUR. Die Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Italiens und der Beneluxstaaten unterzeichnen in Paris den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS bzw. Montanunion). Die Bundesrepublik Deutschland wird Vollmitglied des Europarates. Ende der Konferenz auf dem Petersberg. Abbruch der beratenden Vorkonferenz zum Pleven-Plan. Die drei Westmächte geben die Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland bekannt. »Zwischenbericht« mit unüberbrückbaren Meinungsunterschieden zu den Pariser Beratungen über den Pleven-Plan. Australien, Neuseeland und die USA unterzeichnen den ANZUS-Pakt. Die Washingtoner Konferenz der drei westlichen Außenminister beschließt, die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland grundlegend zu ändern. Das Besatzungsstatut soll durch einen Generalvertrag (Deutschlandvertrag) ersetzt werden. Junktim mit einem westdeutschen Beitrag zur westeuropäischen Verteidigung. Der französische Außenminister Schuman fordert einen politischen Überbau über Monatanunion und Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Wiederaufnahme der Verhandlungen über Pleven-Plan/EVG in Paris. Die Bundesregierung erklärte ihre Bereitschaft zur Wiedergutmachung gegenüber Israel. Erklärung der Bundesregierung zur Wiederherstellung der deutschen Einheit. Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Grotewohl vor der Volkskammer bezüglich einer »Gesamtdeutschen Beratung« zur Durchführung gesamtdeutscher Wahlen und zum Abschluß eines Friedensvertrages. Wahlen in Großbritannien; Regierung der Konservativen Partei unter Premierminister Churchill. Pariser Konferenz der drei Westmächte: Die drei Außenminister und Adenauer erörtern einen Entwurf für den »Generalvertrag« über die Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland. Die Britische Regierung lehnt einen Beitritt zur Europaarmee ab. Außenministerkonferenz der Beneluxstaaten, Frankreichs, Italiens und der Bundesrepublik Deutschland über eine Europa-Armee: Sie beschließt die Aufstellung einer europäischen Armee bis 30.6.1954.
Zeittafel 9.1.1952 20.1.1952
26./27.1.1952
8.2.1952 11.—19.2.1952
15.2.1952 18.—19.2.1952
20.—25.2.1952
6.3.1952 10.3.1952 14.3.1952
20./21.3.1952
385
Churchill und Eisenhower erklären ihre Unterstützung für eine EVG. Der Radikalsozialist Edgar Faure wird als französischer Ministerpräsident gewählt. Auf der Außenministerkonferenz über Fragen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Paris vertritt die Bundesrepublik Deutschland die Auffassung, daß erst die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die NATO die völlige Gleichheit mit den Vertragspartnern herstellt. Der Bundestag stimmt Adenauers Vorschlägen zur Verteidigung im Rahmen eines
EVG-Vertrages grundsätzlich
zu.
EVG-Debatte in der französischen Nationalversammlung: bedingte Zustimmung zur Idee der Europäischen Armee unter Einschluß deutscher Soldaten, jedoch Ablehnung eines deutschen Beitritts zur NATO. Griechenland und die Türkei treten der NATO bei. Adenauer nimmt anläßlich des Begräbnisses von König Georg VI. von Großbritannien in London am dortigen Treffen der Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und der USA teil. Die Tagung des NATO-Rates in Lissabon beschließt die langfristige Aufstellung von 90 Divisionen in Europa, davon 50 Divisionen bis Jahresende unter operativer Beteiligung deutscher Offiziere. Investitur der Regierung Antoine Pinay in Paris. Note der sowjetischen Regierung (Stalin-Note) an die drei Westmächte mit dem Vorschlag eines Friedensvertrages mit Deutschland. Offizielle Aufforderung seitens der sechs EVG-Staaten an Großbritannien, sich an der europäischen Armee zu beteiligen. Adenauer, Eden und Schuman beraten in Paris über die Antwortnote an die
Sowjetunion.
24.3.1952 25.3.1952 2.4.1952 9.4.1952
Britische Garantien für die EVG, aber keine direkte Beteiligung. Mit Zustimmung Adenauers ergeht auf die Stalin-Note eine ablehnende Antwort der Westmächte. Westliche Forderungen nach freien gesamtdeutschen Wahlen. Frankreich ratifiziert Montanunion. Zweite Note der sowjetischen Regierung an die Regierungen der drei westlichen
Wiedervereinigung. Adenauererklärtdiedeutsch-französischenVerhandlungenüberdieSaarfürgescheitert. Bildung des Landes Baden-Württemberg. Besatzungsmächte
23.4.1952 25.4.1952
zur
19.—23.5.1952 24.5.1952
wird der Vorsitzende der DVP Reinhold Maier; er bildet eine Koalition mit DVP (FDP), SPD und GB/BHE unter Ausschluß der CDU. Der NATO-Rat billigt ein Zusatzprotokoll zum Atlantikvertrag bezüglich automatischer Beistandsverpflichtung zwischen NATO und EVG. Paraphierung des EVG-Vertrages in Paris. Die drei Westmächte antworten auf die sowjetische Note vom 9.4.1952 nach Konsultation Adenauers. Tagung der EVG-Außenminister in Paris und Straßburg. Dritte Note der sowjetischen Regierung an die Regierungen der drei Westmächte
24.-26.5.1952
Konferenz der drei Westmächte und der
Ministerpräsident 6.5.1952 9.5.1952 13.5.1952
zur
27.5.1952
Deutschlandfrage.
Bundesrepublik in Bonn. Vertrag über die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der drei Mächte (Generalvertrag bzw. Deutschlandvertrag) und Zusatzprotokolle (Finanzabkommen, Truppenvertrag, Überleitungsvertrag etc.) werden in Bonn unterzeichnet; sie bleiben aber in dieser Form unwirksam, da sie von Frankreich nicht ratifiziert werden. Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG-Vertrag) wird von den Außenministern der sechs Montanunion-Staaten Benelux, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Italien in Paris unterzeichnet; er bleibt in dieser Form
386
Zeittafel
unwirksam, da er von Frankreich nicht ratifiziert wird. Die Bundesrepublik Deutsch-
6.6.1952 10.6.1952
9.—12.7.1952 10.7.1952 25.7.1952
30.7.1952 8.8.1952 23.8.1952 8.—10.9.1952
23.9.1952
3.10.1952 1.11.1952 4.11.1952 18.11.1952 9.12.1952 23.12.1952 7.1.1953 13.1.1953
16.1.1953
land ist als Partner der Westmächte de facto anerkannt. Der FDP-Abgeordnete Pfleiderer erläutert seine Vorschläge zur Wiedervereinigung. Der Bundespräsident ersucht das Bundesverfassungsgericht um Gutachten über die Verfassungsmäßigkeit des EVG-Vertragswerkes. Die Zweite Parteikonferenz der SED beschließt den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR. Die drei Westmächte antworten auf die sowjetische Note vom 24.5.1952 nach Kon-
sultation Adenauers. Der Vertrag über die Monatanunion tritt in Kraft; erstmals werden nationale Hoheitsrechte vertraglich auf eine supranationale Organisation übertragen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt die Verfassungsklage gegen die Westverträge als unzulässig ab. Abschluß der Londoner Schuldenkonferenz. Vierte sowjetische Deutschlandnote an die Westmächte. Der Ministerrat der Monatanunion beauftragt die erweiterte Versammlung der Montangemeinschaft, einen Vertrag über die Gründung einer Europäischen Politischen Gemeinschaft zu entwerfen. Die drei Westmächte antworten auf die sowjetische Note vom 23.8.1952 nach Konsultation Adenauers; die sowjetische Regierung erwidert diese Note nicht mehr. Britischer Atombombentest. Amerikanischer Wasserstoffbombentest. Eisenhower gewinnt die Präsidentschaftswahlen. Regierungserklärung Adenauers zur Saarfrage, nachdem die Saarverhandlungen mit Frankreich am 27.10.1952 gescheitert waren. Im NATO-Dokument MC 14/1 wird als Verteidigungskonzept die »massive Ver-
geltung« festgelegt. Der französische Ministerpräsident Pinay tritt zurück. Investitur der Regierung René Mayer mit Georges Bidault als Außenminister. Der NATO-Oberbefehlshaber, Ridgway, fordert die sofortige Aufstellung westdeut-
scher Streitkräfte. Adenauer weist die Forderung Ollenhauers vom 7.1.1953 nach internationalen Ver-
handlungen
20.1.1953 27.1.1953
11.2.1953
über ein System kollektiver Verteidigung zurück. Eisenhower als amerikanischer Präsident vereidigt. Dulles wird Außenminister. Dulles erklärt eine Neuorientierung der amerikanischen Europapolitik für notwendig, falls kein Zusammenschluß Europas erfolgt und insbesondere Frankreich, Deutschland und Großbritannien ihre eigenen Wege gehen. Frankreich leitet dem Interimsausschuß der EVG Entwürfe für Zusatzprotokolle zum
24./25.2.1953
EVG-Vertrag
zu.
Die Montanunion-Staaten beraten in Rom über weitergehende wirtschaftliche Inte-
gration. 27.2.1953 28.2.1953
5.3.1953 9.3.1953 10.3.1953
Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommens. Freundschaftsvertrag zwischen Griechenland, Yugoslawien und der Türkei; 1954 militärisch zum Balkan-Pakt ergänzt; kurz danach wirkungslos wegen des griechisch-
türkischen Zypernkonflikts. Tod Stalins; Malenkov wird am 6.3.1953 Ministerpräsident. Malenkov hält »friedliche Koexistenz« für möglich. Die Außenminister der Montanunion nehmen in Straßburg den von der ad-hoc-Versammlung des Parlaments der Montanunion ausgearbeiteten Verfassungsentwurf für eine Europäische Politische Gemeinschaft entgegen; der Entwurf wird wiederholt behandelt, jedoch nie gebilligt und mit dem Scheitern der EVG hinfällig.
Zeittafel 19.3.1953
26.3.1953 6.—17.4.1953 24.4.1953 25.4.1953 11.5.1953
14.—16.5.1953 15.5.1953 21.5.1953 28.5.1953
3./4.6.1953 10.6.1953
11.6.1953
16./17.6.1953 26.6.1953
2.7.1953 10.—14.7.1953 15.7.1953 22.7.1953 28.7.1953 4.8.1953 12.8.1953 4.9.1953 6.9.1953 7.9.1953 20.9.1953
26.9.1953 7.10.1953 9.10.1953 20.10.1953 26.10.1953 3.11.1953
387
Bundestag ratifiziert den General vert rag und den EVG-Vertrag nebst Zusatzverträgen; er nimmt eine Entschließung zur Wiedervereinigung Deutschlands sowie zur Gleichberechtigung der Bundesrepublik Deutschland an und stellt fest, daß der Beitritt zur NATO notwendig ist. Die SPD beantragt beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung gegen das Inkrafttreten des EVG- und des Generalvertrages.
Der Deutsche
Adenauers erster Besuch in den USA und Kanada. Der Bundesrat beschließt, seine Beschlußfassung zum EVG- und zum Generalvertrag bis zu einem Gutachten des Bundesverfassungsgerichts zu vertagen. Auf der Tagung des NATO-Rates in Paris kündigen die Vertreter der EVG-Staaten das Inkrafttreten des EVG-Vertrages bis zum 30.6.1954 an. Premierminister Churchill fordert eine Ost-West-Gipfelkonferenz zur Verständigung mit der Sowjetunion. Die Opposition im Bundestag erhebt Normenkontrollklage gegen die Westverträge. Adenauer-Besuch in London; er konferiert mit Churchill. Der Bundesrat läßt das Ratifikationsgesetz zu den Westverträgen passieren. Sturz der Regierung René Mayer in Paris. Die Sowjetische Kontrollkommission in der DDR wird aufgelöst; an ihre Stelle tritt eine Hohe Kommission. Blankenhorn erläutert in Washington Adenauers Vorstellungen zur Deutschlandfrage. In einer Regierungserklärung tritt Adenauers mit gewissen Einschränkungen und mit Blick auf den Wahlkampf für eine Vier-Mächte-Konferenz über die Deutschlandfrage ein. Der Ministerrat der DDR beschließt, den inneren Unruhen mit einem »Neuen Kurs« und der Rücknahme einiger Sowjetisierungs-Maßnahmen zu begegnen. Volksaufstand in Ost-Berlin und in der DDR. Nach längerer Regierungskrise in Paris Investitur der Regierung des Ministerpräsidenten Joseph Laniel mit Beteiligung der Gaullisten. Der Bundestag fordert Selbstbestimmungsrecht für das Saarland. Außenministerkonferenz der drei Westmächte in Washington: eine Vier-Mächte-Konferenz über Deutschland wird vorgeschlagen. Die Westmächte laden die Sowjetunion zu einer Vier-Mächte-Konferenz über Deutschland und Österreich ein. Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens in Korea. In Italien tritt die Regierung de Gasperi zurück. Sowjetische Antwortnote auf die Einladung der Westmächte vom 15.7.1953. Erster erfolgreicher sowjetischer Kernfusionstest; Bekanntgabe am 20.8.1953. Die Westmächte schlagen der Sowjetunion Lugano als Konferenzort vor. Wahlen zum Zweiten Deutschen Bundestag; hoher Wahlsieg der CDU/CSU. Chruscev wird Erster Sekretär des ZK der KPdSU. Van Naters-Plan zur Europäisierung der Saar; er sah für das Saargebiet eine europäische Autonomie mit wirtschaftlichen Bindungen an Frankreich sowie außen- und sicherheitspolitische Garantien der EVG vor. Transporte mit Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion treffen in Friedland ein. Allparteienregierung in Baden-Württemberg unter Gebhard Müller (CDU). Der Bundestag wählt Adenauer erneut zum Bundeskanzler. Die Zweite Regierung Adenauer, eine Koalition von CDU/CSU, FDP, DP und GB/BHE, wird vereidigt. Adenauer und François-Poncet eröffnen neue Saarverhandlungen. Die Sowjetunion stimmt einem Treffen der Außenminister zu, jedoch in Berlin statt in Lugano.
Zeittafel
388 17.—27.11.1953
Die französische Nationalversammlung debattiert kontrovers über die französische
Europapolitik.
Sowjetunion nimmt die Einladung zur Vier-Mächte-Konferenz an und schlägt Berlin als Tagungsort vor. 26.-28.11.1953 Die Außenminister der Montanunionstaaten erörtern in Den Haag Fragen der europäischen Gemeinschaft. Bermuda-Konferenz: Eisenhower, Churchill und Laniel unter Teilnahme der Außen4.—8.12.1953 minister erörtern gemeinsames Vorgehen gegenüber der Sowjetunion auf der bevorstehenden Berliner Außenministerkonferenz. 11.—12.12.1953 Der Ministerrat des Europarates tagt in Paris. 14.—16.12.1953 Auf der Tagung des NATO-Rates in Paris warnt Außenminister Dulles vor einem Scheitern des EVG-Vertrages; in diesem Falle müsse er die amerikanische Außenpolitik neu orientieren. Die Bundesregierung berät über Fragen der bevorstehenden Berliner Außenmini18.12.1953 sterkonferenz. 12.1.1954 Dulles befürwortet das Konzept der »massive retaliation«. Der EVG-Vertrag wird im niederländischen Parlament ratifiziert. 20.1.1954 25.1.—18.2.1954 Die Außenministerkonferenz der Vier Siegermächte über Deutschland in Berlin endet ohne Übereinkunft in der deutschen Frage. Der Deutsche Bundestag billigt die »Erste Wehrergänzung« zum Grundgesetz. 26.2.1954 24.2.1954 Gründung des »Bagdad-Paktes« (ab 1955 »CENTO«). 5.-7.3.1954 FDP-Bundesparteitag: FDP-Fraktionsvorsitzender Thomas Dehler wird Parteivorsitzender. Adenauer und Bidault verhandeln in Paris über die Saarfrage. 9.3.1954 Der belgische Senat stimmt dem Ratifizierungsprozeß der Deputiertenkammer hin12.3.1954 sichtlich des EVG-Vertrages zu. 19.3.1954 Der Bundesrat billigt die »Erste Wehrergänzung« zum Grundgesetz. 25.3.1954 Erklärung der Sowjetunion über die (eingeschränkte) Souveränität der DDR. 26.3.1954 Wehrverfassungsgesetz im Bundesgesetzblatt verkündet. 28.3.1954 Der Bundespräsident unterzeichnet nach Inkrafttreten der Ersten Wehrergänzung die Ratifikationsgesetze zum Generalvertrag (Deutschlandvertrag) und zum EVG-Vertrag. 31.3.1954 Die Sowjetunion schlägt einen Vertrag über kollektive Sicherheit in Europa vor und erklärt ihre Bereitschaft, der NATO beizutreten. 7.4.1954 Luxemburg ratifiziert den EVG-Vertrag. 13.4.1954 Abkommen über militärische Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und den EVG-Staaten. 16.4.1954 Der US-Präsident gibt gegenüber den EVG-Staaten eine Garantie über die Stationierung amerikanischer Truppen in Europa ab. 26.4.—21.7.1954 Ostasienkonferenz in Genf u.a. über den französischen Indochinakrieg. 30.4.1954 Adenauer lehnt eine endgültige Regelung der Saarfrage vor Abschluß eines Friedensvertrages ab. 7.5.1954 Fall von Dien Bien Pu. Die Westmächte lehnen das sowjetische Angebot vom 31.3.1954 ab. 17.5.1954 Der Vorstand der FDP tritt für eine Normalisierung in den Beziehungen zur Sowjet-
26.11.1953
Die
19./20.5.1954
Besprechungen zwischen Adenauer und dem stellvertretenden französischen Ministerpräsidenten Teitgen ergeben Annäherung in der Saarfrage.
union ein.
12.6.1954 14.6.1954 18.6.1954
Sturz der Regierung Laniel—Bidault. Konstituierung des »Kuratoriums Unteilbares
Deutschland«. Investitur von Pierre Mendès France als französischer Ministerpräsident und Außenminister.
Zeittafel 20.6.1954 24.6.1954 27.6.1954 2.7.1954 4.7.1954
7.—12.7.1954
20./21.7.1954
20.—24.7.1954 24.7.1954
25.—29.7.1954 27.7.1954 4.8.1954 19.—22.8.1954 30.8.1954 8.9.1954 10.9.1954 12.9.1954
12./13.9.1954
16./17.9.1954 28.9—3.10.1954
7.10.1954 12.10.1954 19.—23.10.1954
389
Adenauer fordert Souveränität auch unabhängig von, d.h. gegebenenfalls vor der Ratifizierung des EVG-Vertrages. Die USA und Großbritannien sichern der Bundesrepublik Deutschland außenpolitische Souveränität unabhängig von der Ratifikation des EVG-Vertrags zu. Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Adenauer fordert in einem Interview, daß Frankreich den EVG-Vertrag in unveränderter Fassung ratifiziert. Churchill schlägt in einem persönlichen Schreiben an Molotov ein sowjetisch-britisches Gipfeltreffen vor. Eine britisch-amerikanische Arbeitsgruppe in London erarbeitet konkrete Alternativplanungen für die EVG; sie legt u.a. einen Bericht für eventuelle getrennte Inkraftsetzung des Generalvertrags vor dem EVG-Vertrag vor. Waffenstillstand in Indochina und Teilung Vietnams. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, wechselt nach Ost-Berlin. Der SPD-Parteitag tritt für Beibehaltung des bisherigen außenpolitischen Kurses der Opposition ein. Die Sowjetunion schlägt eine Viererkonferenz über Deutschland und die Sicherheit Europas vor, an der ein Beobachter der Volksrepublik China teilnehmen soll. Britisch-amerikanisches Gipfeltreffen in Washington. Großbritannien und Ägypten einigen sich über Freigabe der Suezkanal-Zone. Die Sowjetunion fordert eine europäische Sicherheitskonferenz. Eine Konferenz der sechs EVG-Staaten in Brüssel berät ohne Einigung über die französischen Zusatzforderungen zum EVG-Vertrag. Die französische Nationalversammlung vertagt die Ratifizierung des EVG-Vertrages sine die und führt damit dessen Scheitern herbei. Gründung der Südostasiatischen Verteidigungsorganisation in Manila. Die drei Westmächte lehnen eine von der Sowjetunion vorgeschlagene Konferenz über Sicherheit in Europa als aussichtslos ab.
Landtagswahlen
in Schleswig-Holstein. Der britische Außenminister Eden erörtert zu Beginn einer europäischen Rundreise zunächst mit Adenauer in Bonn die europäische Lage nach dem Scheitern der EVG. Der amerikanische Außenminister Dulles erörtert mit Adenauer in Bonn die Lage nach dem Scheitern der EVG. Einer Neun-Mächte-Konferenz in London beschließt den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Pakt und zur NATO (Londoner Schlußakte). Die Bundesrepublik Deutschland verzichtet erneut auf die Herstellung von ABCWaffen. Der Deutsche Bundestag billigt gegen die Stimmen der SPD die Londoner Schlußakte. Vertrauensvotum der französischen Nationalversammlung für die Londoner Ver-
einbarungen. Endgültige Fassung und Unterzeichnung der Londoner Vereinbarungen auf den Pariser Konferenzen (Pariser Verträge): Eine Vier-Mächte-Konferenz regelt in einer Neufassung des Generalvertrags/Deutschlandvertrags nebst Zusatzverträgen und einem Protokoll zur Beendigung des Besatzungsregimes die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den westlichen Siegermächten. Eine Neun-Mächte-Konferenz begründet in Nachfolge des Brüsseler Paktes die erweiterte und geänderte Westeuropäische Union. Eine Fünfzehn-Mächte-Konferenz beschließt, die Bundesrepublik Deutschland zum NATO-Beitritt einzuladen.
390
Zeittafel Auf der Zwei-Mächte-Konferenz unterzeichnen Bundeskanzler Adenauer und Ministerpräsident Mendès France das Abkommen über das Europäische Statut der Saar
(Saarstatut).
Die drei Westmächte erkennen in einer Erklärung, die von den übrigen NATOMitgliedern übernommen wird, die Bundesregierung als einzige rechtmäßige deutsche Regierung an (Alleinvertretungsanspruch). 26.10.—3.11.1954 Besuch Adenauers in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Bundestagsfraktion der FDP erklärt sich gegen das Saarstatut. 28.10.1954 1.11.1954 Beginn des Aufstands in Algerien. 2.11.1954 Die GB/BHE-Bundestagsfraktion erklärt sich gegen das Saarstatut. Die GB/BHE-Bundestagsfraktion votiert für Verbleib in der Bundesregierung. 11.11.1954 16.11.1954 Landtagswahlen bringen in Bayern große Gewinne der CSU und in Hessen große Verluste der CDU. 23.11.—21.12.1954Notenwechsel der Vier Siegermächte über eine europäische Sicherheitskonferenz. Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus bringen Gewinne für die CDU und Ver5.12.1954 luste für die FDP. 17.12.1954 Der NATO-Rat beschließt in Paris eine Reduzierung konventioneller Streitkräfte bei Verstärkung durch taktische Nuklearwaffen. Die französische Nationalversammlung billigt das Saar-Abkommen. 24.12.1954 27.—30.12.1954 Die französische Nationalversammlung billigt die Pariser Verträge mit dem westdeutschen Beitritt zur WEU und zur NATO. Adenauer und Mendès France erörtern in Baden-Baden das Saarabkommen und ein 14.1.1955 langfristiges deutsch-französisches Handelsabkommen. 14./15.1.1955 Sowjetische offiziöse »TASS-Erklärung zur deutschen Frage«. 25.1.1955 Die Sowjetunion gibt bekannt, daß sie den Kriegszustand mit Deutschland als beendet betrachtet. Die anderen Ostblockstaaten folgen. Sturz der Regierung Mendès France. 5.2.1955 Investitur der Regierung Edgar Faure. 23.2.1955 27.2.1955 Der Deutsche Bundestag ratifiziert gegen die Stimmen der Opposition die Pariser Verträge. Der Bundesrat stimmt am 18.3.1955 zu, der Bundespräsident unterzeichnet am
28.2.1955 23.3.1955 27.3.1955 6.4.1955 20.4.1955
5.5.1955 6.5.1955 10.5.1955 14.5.1955
24.3.1955.
Vizekanzler Blücher bietet wegen Meinungsverschiedenheiten in der FDP seinen Rücktritt an; von Adenauer am 4.4.1955 abgelehnt. Eisenhower befürwortet eine Viermächtekonferenz, aber erst nach der Ratifizierung der Pariser Verträge. Der Rat der Republik in Paris ratifiziert die Pariser Verträge. Eden löst Churchill als britischen Premierminister ab. Die Ratifikationsurkunden für den Generalvertrag/Deutschlandvertrag sowie die Verträge über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland werden hinterlegt. Proklamation der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland unter Aufhebung des Besatzungsstatuts. Das Saarabkommen und der WEU-Vertrag treten in Kraft. Der NATO-Vertrag tritt für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Die Westmächte laden die Sowjetunion zu einer Gipfelkonferenz ein. Unterzeichnung des Warschauer Paktes.
Personenregister*
Abs,
Hermann Josef, Bankier, Leiter der deutschen Delegation auf der Londoner Schuldenkonferenz 1951—1953; mehrfach Kandidat für hohe Regierungsämter; Vorstandssprecher der Deutschen Bank 1957-1967 200 Acheson, Dean Gooderham, Demokratische Partei, US-Außenminister 1949-1953 41 f., 115, 118, 120, 123f., 134, 160f., 168, 283, 287, 289f. Adenauer, Konrad, Präsident des Parlamentarischen Rates 1948-1949, CDU-MdB 1949-1967; Bundeskanzler 1949—1963; Außenminister 1951-1955;Bundesvorsitzenderder CDU 19501966. (Zu Adenauer wurde auf Seitenangaben verzichtet, da sein Name durchgängig erscheint.) Alexander, Harold R., Earl of Tunis, Feldmarschall, britischer Verteidigungsminister 1952— 1954
28,
71
Alger, Frederick M. Jr., US-Botschafter in Belgien 1953-1957 317
319
Alphand, Hervé Jean Charles, französischer Bot-
schafter beim NATO-Rat in London 1950— 1955; französischer Delegationsleiter und Vorsitzender der Pleven-Plan-Konferenz in Paris ab März 1951; Präsident des Interimsausschusses für die EVG bis September 1954; Vertreter Frankreichs bei der OEEC; ständiger Vertreter im Sicherheitsrat der UNO 1955—1956; Botschafter
in
Washington
1956-1965
123,
204
Arndt, Adolf, Vorsitzender des Rechtsausschusim Frankfurter Wirtschaftsrat 1948—1949; SPD-MdB 1949—1969; Geschäftsführer der SPDFraktion 1949-1961 158 Attlee, Clement, britischer Premierminister 1945— ses
1951, Oppositionsführer (Labour Party) 1951— 1955 200, 384 *
Die Angaben zu den Personen beschränken sich tionen im behandelten Zeitraum.
von
Au-
ßenminister Mendès France 1954—1955 240— 243
Beam, Jacob D., Referatsleiter im Policy Planning Staff des State Departments ab Juni 1953 212
de Beaumont, Guérin Jean Michel du Boscq, Direktor der Amerika-Abteilung 1950, Staatssekretär im französischen Außenministerium ab Juni 1954; Innenminister September 1954—Februar 1955 304-306, 323 Becker, Max, Mitglied des Parlamentarischen Rates 1948-1949; FDP-MdB 1949-1960; Fraktionsvorsitzender Januar—November 1957 92 Bérard, Armand Max Jean, Attaché an der französischen Botschaft in Berlin 1931—1936; Gesandter in Washington seit 1945; stellv. französischer Hoher Kommissar für Deutschland 1949-1955
Sir Roger, britischer stellv. Hoher Kommissar für Deutschland ab Juni 1954, Gesandter in Bonn 1955-1957 333 Allen, William Denis, Leiter des Central Department im britischen Außenministerium 1950— 1953; Assistant Under-Secretary of State for Foreign Affairs Mai 1953-Oktober 1956 209,
Allen,
314, 316f.,
Baudet, Philippe, Kabinettsdirektor
304, 307,
323
Berg, Fritz, Fabrikant; Präsident des BDI 1951— 1971 146, 171
Berija, Lavrentij Pawlowis, Mitglied des Politbü-
1946—1953; Vorsitzender der Kommission für den Bau der Atombombe; erster stellv. Ministerpräsident, Innen- und Staatssicherheitsminister der Sowjetunion nach Stalins Tod bis 23. Dezember 1953 39f., 298 Beutler, Wilhelm, Hauptgeschäftsführer des BDI ros
1950-1957 146
Bidault, Georges, Parteivorsitzender des
MRP
1949—1952; französischer Ministerpräsident
1949/50; stellv. Ministerpräsident und Verteidi-
gungsminister 1951—1952; Außenminister 1944-1946,1947-1948, 1953-1954 39, 43, 46, 116, 197, 203, 250, 297, 303, 308, 386, 388
Biddle, Anthony J. Drexel Jr., US-General bei SHAPE 1951-1953; danach beim Chief of Staff, U.S. Army 73 Birrenbach, Kurt, Direktor, CDU-MdB 19571976; diplomatische Missionen für Bundeskanzler Adenauer 141 Bismarck, Otto, Fürst v., Herzog von Lauenburg, Reichskanzler 1871—1890 78
überwiegend auf die wichtigsten Ämter und Funk-
392
Personenregister
Fürst v., Mitglied des außenpolitischen Ausschusses der FDP bis 1953; MdB (CDU) ab 1953 92 Blank, Theodor, Mitbegründer der CDU in Westfalen und des DGB; Vorstandsmitglied der IG Bergbau 1945-1950; MdL 1946; Mitglied des Wirtschaftsrats für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet 1947-1949; CDU-MdB 1949-1972; Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen (Dienststelle Blank) Oktober 1950—1955; Leiter der deutschen Delegation für die Pleven-Plan-Verhandlungen ab 6. Juli in Bonn, ab 8.7.1951 in Paris; Verteidigungsminister 1955-1956 59f., 73, 132, 134, 145f., 149, 217f., 223, 251, 260, 279-282, 285f., 290, 293,
Bismarck, Otto,
296f., 307f., 383 Blankenhorn, Herbert, Legationsrat im Auswär-
tigen Amt 1943—1945, stv. Generalsekretär im
Zonenbeirat für die britische Zone, Generalsekretär der CDU in der britischen Zone 1948, Persönlicher Referent des Präsidenten des Parlamentarischen Rates und des Bundeskanzlers bis 1949; Ministerialdirigent bzw. Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt 1950; Leiter der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission im Bundeskanzleramt 1949—1951; Leiter der Politischen Abteilung in der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten bzw. im Auswärtigen Amt Mai 1950—1955; Botschafter bei der NATO 1955-1958; Botschafter in Paris
56f., 59, 61, 75, 87f., 134-137, 162f., 208-210, 212, 270, 279, 286, 292, 294, 310, 321f., 324-328, 330, 387 Blücher, Franz, Vorsitzender der FDP in der bri1958-1963
Bohlen, Charles E., Osteuropa-Experte
im US-
Außenministerium bis 1951, beim National Security Council bis 1953, Botschafter in Moskau 1953-1957 25, 37
Bonin, Bogislaw v., bei Kriegsende Oberst i.G.,
Tätigkeit in der militärischen Auswertung in der Organisation Gehlen ab Ende 1947; Leiter der Unterabteilung militärische Planung in der
Dienststelle Blank Juni 1952—November 1953, März 1955 entlassen 73, 84, 132, 155 Bonnet, Henri, französischer Botschafter in den USA 1945-1955 238, 240, 253
Bourgès-Maunoury, Maurice, Abgeordneter (Radikalsozialisten) in der Assemblée Nationale seit 1946, Minister für Rüstung 1952, Finanzmini1953, Minister für Industrie und Handel
ster
1954-1955 261
Bowie, Robert Richardson, Professor der Rechtswissenschaften; Sonderberater des amerikanischen Hohen Kommissars für Deutschland 1950—1953; Direktor des Politischen Planungsstabes im State Department Mai 1953 bis 1955 287 Bräutigam, Otto, Ministerialdirigent und Leiter der Unterabteilung »Ostblock und Ostfragen« im Auswärtigen Amt ab 1953 57 Braun, Sigismund Frhr. v., unter Ernst v. Weizsäcker an der Botschaft beim Vatikan 1943— 1946; Gesandtschaftsrat/Botschaftsrat an der Gesandtschaft/Botschaft in London 1953—1958; Botschafter in Frankreich 1968—1970 und nach 1972, Staatssekretär im Auswärtigen Amt 1970— 1972 207
Brentano, Heinrich v., Mitglied des Parlamentarischen Rates 1948-1949; CDU-MdB 1949-
tischen Zone 1946—1949; FDP-MdB 1949-1956 und Vorsitzender der Bundes-FDP 1949—1954, Stellvertreter des Bundeskanzlers 1949—1957, Bundesminister für Angelegenheiten des Marshallplans 1949—1953, deutscher Vertreter bei der Internationalen Ruhrbehörde 1949—1951; Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit 1953—1957; Mitglied der Hohen Behörde der Montanunion 1958—1959; Parteiwechsel als MdB zur FVP 1956, zur DP 1957 221, 287,
1964; Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion 1949-1955 und 1961-1964; Bundesaußenminister 1955-1961 92, 94, 174, 258, 294, 338 Bruce, David K. E., US-Botschafter in Frankreich 1949-1952; Under-Secretary of State 1952— 1953; US-Beobachter bei den EVG-Verhandlungen ab 1951, beim EVG-Interimsausschuß und Botschafter bei der EGKS/Montanunion ab Februar 1953; Botschafter in Bonn 1957—1959 123-127, 136f., 162, 166, 219, 251 f., 280, 304, 307, 310, 316
296, 300, 390
Brüning, Heinrich,
Blumenfeld, Erik Bernhard, Mitglied der
Ham-
burger Bürgerschaft 1946—1955, Vorsitzender der CDU-Fraktion 1949-1955 294 Böckler, Hans, Vorsitzender des DGB (in der britischen Zone ab 1947) 1949-1951 143
Reichskanzler (Zentrum) 1930-1932; Reichsaußenminister 1931—1932; Emigration in die USA 1934—1948; Professor für Politische Wissenschaften an der Universität in Köln 1951—1955; Rückkehr in die USA 1955 31, 222
Personenregister
Bulganin, Nikolai Alexandrovis, Mitglied des ZK der KPdSU 1934—1958; sowjetischer Verteidigungsminister 1953—1955, Ministerpräsident 1955-1958 31,
48, 52,
93
Chaban-Delmas, Jacques, Abgeordneter der Gaullisten in der Assemblée Nationale, Minister für öffentliche Arbeiten 1954—1955 248
Chruscev, Nikita Sergejevic, Mitglied des Polit-
büros/Präsidiums des ZK der KPdSU 1939— 1964; Erster Sekretär des ZK 1953—1964, ab 1958 auch sowjetischer Ministerpräsident 21, 23, 31, 33, 39, 47f., 387 Churchill, Sir Winston Leonard Spencer, Konservative Partei; Oppositionsführer im britischen Unterhaus 1945—1951; Premierminister 1951— 1955 26, 29, 36, 38f., 41, 43, 48, 75, 78, 106, 127f., 162, 187f., 190-198, 200-204, 207-214, 218-220, 222-224, 229, 239f., 250, 252f., 257, 273, 293f., 297,302f., 307,309f., 315, 318, 325f.,
329, 385-387, 389-392
Clay, Lucius Dubignon, US-General; Militärgou-
der amerikanischen Zone und Befehlshaber der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa 1947—1949, Mitglied des Alliierten Kontrollrats 86 Cleveland, Stanley M., amerikanischer Konsul in Paris und Berater von Botschafter Bruce nach Februar 1952 127, 136, 304 Conant, James Bryant, Hoher Kommissar der USA für Deutschland 1953-1955; Botschafter in Bonn 1955—1957 102, 134f., 162, 221, verneur
224f., 251, 294f., 307, 316, 319, 322, 325, 327f., 331
de Crouy-Chanel, Etienne, Gesandter an der französischen Botschaft in London 1954 253
Dehler, Thomas, FDP-Landesvorsitzender in Bay1946—1956; Mitglied des Parlamentarischen Rates 1948-1949; MdB 1949-1967; Bundesjustizminister 1949—1953; Fraktionsvorsitzender 1953-1956; Parteivorsitzender 1954-1957 92, 173, 258, 295, 300, 313, 325, 388 ern
Dertinger, Georg, Generalsekretär der CDU (Ost) ab 1946; Außenminister der DDR 1949—1953 42
Dillon, G Douglas, US-Botschafter in Frankreich 1953-1957 127f., 303 f.
Dowling, Walter C, stellv. Hoher Kommissar der USA für Deutschland 1953-1955 209, 223, 294, 306 f.
Dulles, John Foster, US-Außenminister
393 1953—
31, 36-39,43, 72, 74, 85, 87, 94,102,110, 112f., 115-118,120,124, 126f., 129f, 133-135, 138f., 153, 157, 159,163-166, 169f., 183 f., 186, 199, 204,208,210, 219f., 223, 226, 232,239,241, 250, 252 f., 257, 294, 296, 303 f., 306 f., 309, 319, 324-326, 328, 330f., 343, 386, 388f. Dunn, James Clement, US-Botschafter in Paris bis 1959
1953 161
Eckardt, Felix
v., Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (Bundespressechef) 1952-1955 und 1956-1962; CDU-MdB 1965-1972 258, 291, 308 Eden, Sir Robert Anthony, Earl of Avon, Abgeordneter im Unterhaus für die Konservative Partei 1923—1957, britischer Außenminister 1951— 1955, Premierminister 1955—1957 39, 42, 46,
48, 52, 93, 127, 131, 160f., 188-190,192f., 197, 199f., 202, 204, 206-210,214f., 217, 219,223f., 226,240f., 250,252f., 257,291, 306,309f., 325f., 328f., 352, 385, 389f.
Eisenhower, Dwight David, US-General; Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in
Europa
1951-1952; Republikanische Partei, 34. US-Präsident 1953-1961 29, 31, 37, 39, 41 f., 102, 104, 109f„ 113-115, 117f., 121-130, 133-135, 138, 157, 162f., 169, 183, 186, 188, 191, 193, 198, 203f., 209, 222f., 235, 250, 257, 282f., 295, 297, 303f., 325f., 384f., 388, 390
Erhard, Ludwig, Direktor der Verwaltung für
Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1948-1949; CDU-MdB 1949-1977; Bundeswirtschaftsminister 1949—1963; Bundeskanzler 1963-1966 104, 144 f., 147,149f., 153,171,259, 270, 297 Erler, Fritz Karl Gustav, SPD-MdB 1949-1967;
außen- und sicherheitspolitischer Experte der SPD 222, 333 Erzberger, Matthias, ab 1903 Mitglied des Reichstags (Zentrum), Reichsfinanzminister 1920— 1921; 1921 ermordet 98 Etzdorf, Hasso v., Beamter in der Länderabteilung des Auswärtigen Amtes; Ministerialdirigent 1953; Gesandter und Stellvertreter Blanks beim Lenkungsausschuß zu den EVG-Interimsverhandlungen in Paris 1953/54 137, 209f., 218, 244, 260, 308, 328 Etzel, Franz, CDU-MdB 1949—1952 und 19571965; Vizepräsident der EGKS/Montanunion 1952-1957 261
394
Personenregister
Fabel, Ludwig Alexander Berthold,
Ass. Profesfür Wirtschaftswissenschaften am Manhatten College in New York 1948-1951; Hilfsreferent/Referent in der handelspolitischen Abteilung (Ferner und Mittlerer Osten) des Auswärtigen Amtes ab März 1951; Referent in der Länderabteilung, Referat III (USA/Kanada, Mittel- und Südamerika) ab Dezember 1951; Leiter der Wirtschaftsabteilung beim Generalkonsulat in Montreal ab April 1954 136 Faure, Edgar, französischer Finanzminister sor
1950/51; Justizminister 1951/52; Ministerprä-
sident und Finanzminister 1952; Finanz-, dann Außenminister 1953—1955; Ministerpräsident 1955/56; Austritt aus der Radikalsozialistischen Partei 1955 385, 390 Federer, Georg, Botschaftsrat (1953) an der Gesandtschaft in Washington 1952—1955 136 Fett, Kurt, bei Kriegsende Oberst i. G; Leiter der Unterabteilung militärische Planung in der Dienststelle Blank Mai 1951 bis Juni 1952 und ab 1954 (Vorgänger und Nachfolger von Bogislaw v. Bonin); Angehöriger der deutschen EVGDelegation und Senioroffizier der Militärdelegation beim Interimsausschuß der Konferenz für die Organisation der EVG in Paris Herbst 1951 bis Herbst 1953 146, 328 Fette, Christian, Vorsitzender der IG Druck und Papier bis 1951; DGB-Vorsitzender 1951—1952 143
Chefredakteur der
Wochenzeitung »Die
Zeit«
1946—1950; Kommentator des Nordwestdeutschen Rundfunks seit 1951; Präsident der deutschen Sektion der Europa-Union 1953—1958 78, 250, 266, 304 Fulbright, James William, US-Senator (Demokratische Partei) von Arkansas 1945—1974 103 de Gasperi, Aleide, Mitbegründer der Christdemokratischen Partei (DC), italienischer Ministerpräsident 1945—1953; Außenminister 1951—1953; Präsident der Montanunion 1954 387
de Gaulle, Charles André Joseph Marie, Vorsitzender der von ihm gegründeten Partei Rassemblement du Peuple Français 1947—1953; Staatspräsident der französischen Republik 1958— 1969 106, 230, 236f., 248f., 347 Gehlen, Reinhard, Chef der Abteilung »Fremde
Heere Ost« im Generalstab des Heeres 1942— 1945; im amerikanischen Auftrag Leiter eines Nachrichtendienstes in Deutschland 1946—1955; diente gleichzeitig der Information des Bundeskanzleramtes, das die Nachrichtenorganisation 1955/56 übernahm; Präsident des Bundesnach-
richtendienstes 1956—1968 58, 67 Georg VI., König des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland 1936—1952 385
François-Poncet, André, französischer Botschafin Berlin 1931—1938; Internierung im Deutschen Reich 1943—1944; Berater des französischen Militärgouverneurs in Deutschland und der französischen Regierung in Deutschlandfragen 1948—1949; französischer Hoher Kommissar für Deutschland 1949-1955 78, 306, 313, ter
323-325,
Friedländer, Ernst, Publizist; Redakteur und stellv.
387
Frank, Paul, Assistent an der Universität Fribourg/
Schweiz bis 1950; Legationsrat/Gesandtschaftsrat; Persönlicher Referent Hausensteins und Kunstreferent, Verbindungsmann zur Assemblée Nationale und Spezialist für französische Innenpolitik in Paris November 1950—1957; Staatssekretär im Auswärtigen Amt 1970—1974 259 Freitag, Walter, SPD-MdL 1946—1950; MdB 1949-1953; Vorsitzender der IG Metall 1946— 1952; DGB-Vorsitzender 1952—1956 143, 145 Freyer, Joachim E., als Oberst a.D. Mitarbeiter für Rüstung und Wirtschaft in der Dienststelle Blank 1951—1955 150 f.
Gerstenmaier, Eugen, CDU-MdB 1949-1969; Bun-
destagspräsident
1954—1969
94, 167, 323, 325
Globke, Hans, vor 1945 Ministerialrat im Reichsinnenministerium; Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt 1950—1953, Staatssekretär im Bundeskanzleramt 1953-1963 57-59, 61, 82, 88, 94f., 213, 257, 338 Goes van Naters, Marinus van der, führender niederländischer Sozialist; Delegierter in der Beratenden Versammlung des Europarates und seit September 1952 Berichterstatter des Europarates für die Saarfrage 302 Gradl, Johann Baptist, Mitglied des CDU-Bundesvorstands 1953—1971 167 Grandval, Gilbert, französischer Militärgouverneur im Saarland 1945—1948; Hoher Kommissar des Saarlandes 1948—1952; Botschafter im Saarland 25.1.1952—1955 288 Grewe, Wilhelm C, Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht in Freiburg 1947—1955; Leiter der deutschen Delegation für die Ablösung
395
Personenregister des Besatzungsstatuts 1951—1952, kommissarischer Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes 1953—1955;
Sonderbevollmächtigter
der Bundesregierung auf der Berliner Konferenz 1954; Leiter der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt 1955—1958; Botschafter in den USA 1958-1962 55f., 164,179f., 259,263, 300, 313, 327 Grotewohl, Otto, Mitglied des Zentralsekretariats bzw. Politbüros der SED 1946—1964; Vorsitzender (zusammen mit Wilhelm Pieck) der SED 1946—1954; Ministerpräsident der DDR 1949— 1964 39, 159, 161, 384 Gruenther, Alfred Maximilian, Chef des Generalstabs der NATO-Streitkräfte in Europa 1951— 1953; Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa 1953-1956 25-28, 41, 71, 155, 196, 198 Guérin, Hubert, französischer Botschafter in Kanada 253
Hallstein, Walter, Staatssekretär für auswärtige
Angelegenheiten im Bundeskanzleramt und Delegationsleiter bei den Schuman-Plan-Verhandlungen 1950—1951; Staatssekretär im Auswärtigen Amt 1951—1958; Leiter der Deutschen Delegation bei den Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in Paris
ab 1951; Präsident der EG-Kommission in Brüssel 1958-1967; CDU-MdB 1969-1972 56, 73, 75, 94, 134f., 162, 209, 212, 251 f., 258-260,
263, 279, 285f., 288-290, 296, 300, 302, 307f., 314, 318f., 322, 325, 327f., 384
Hancock, Patrick Francis, Leiter des Western Department bzw. des Central Department im
Foreign Office
bis September 1955 207 Sir Oliver Charles, Baron of Tasburgh; britischer Gesandter in Frankreich 1939—1940; Unterstaatssekretär im Foreign Office 1940— 1947; britischer Botschafter in Frankreich
Harvey,
1948-1954 43
Hausenstein, Wilhelm, Kunstschriftsteller, Generalkonsul 1950—1953 und deutscher Geschäfts-
träger im Range eines Botschafters in Frankreich 1953-1955 136, 258f., 323 Hays, George P., Generalmajor, stellv. amerikanischer Hoher Kommissar für Deutschland 1949-1952 286
Sir William G., britischer Gesandter in Frankreich ab Dezember 1949; Botschafter in der Sowjetunion 1953-1957 38
Hayter,
Heinemann, Gustav W, Oberbürgermeister
(CDU) von Essen bis 1949, Bundesinnenminister 1949—1950; Gründung der Notgemeinschaft
für den Frieden Europas 1951; Austritt aus der CDU und Gründer der Gesamtdeutschen Volkspartei 1952; Präses der Synode der EKD 1949— 1955; SPD-MdB 1957—1969; Bundespräsident 1969-1974 97
Heinz, Friedrich Wilhelm, Oberstleutnant in der Abteilung Abwehr unter Admiral Canaris bis 1945; Leiter des Außendienstes der militärischen Aufklärung/Abwehr im Institut für Gegenwartsforschung in Bad Godesberg, dann Archiv für Zeitgeschehen in Frankfurt und Wiesbaden (unter General der Panzertruppen a. D. Graf v. Schwerin) ab Sommer 1950, in die Dienststelle Blank 1950 übernommen; dort bis September 1953 24, 41, 59 Hellwege, Heinrich Peter, NLP/DP-MdL in Niedersachsen 1946-1952 und 1955-1963; DPMdB 1949—1955; Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates 1949—1955; Vorsitzender der DP 1947—1961; Ministerpräsident von Niedersachsen 1955—1959; Übertritt zur CDU 1961 175
Herrnstadt, Rudolf, Mitglied des Zentralkommitees aus
und Kandidat des Politbüros der SED; 1954 der Partei ausgeschlossen 39 f.
Heuseier,
Hans Oskar, Legationsrat im Auswärtigen Amt, Referat 215 Europäische Verteidigungsgemeinschaft ab Oktober 1952; Mitglied der deutschen Delegation beim EVG-Interimsausschuß/Juristenausschuß bis September 1953; im Auswärtigen Amt, Referat 211 (Nordatlantikpakt und angegliederte Organisationen) bis
Januar
1956 59
Heusinger, Adolf,
bei Kriegsende GeneralleutMitarbeiter in der Abteilung Auswertung der Organisation Gehlen ab 1948; militärischer Berater Adenauers ab 1950; deutscher Sachverständiger bei den Beratungen über die EVG 1951; Leiter der militärischen Abteilung in der Dienststelle Blank Oktober 1951—1955; Vorsitzender des Militärischen Führungsrates im Verteidigungsministerium ab 1955; Generalinspekteur der Bundeswehr ab Juni 1957—1961 59f., 67, 73, 212, 279, 296f., 383 Hilger, Gustav, Botschaftsrat a.D., Berater für Fragen der Sowjetunion in der Unterabteilung »Ostblock und Ostfragen« im Auswärtigen Amt nant;
1953 57
396
Personenregister
Holzapfel, Friedrich, Mitglied und CDU/CSU-
Fraktionsvorsitzender im Wirtschaftsrat des
Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947—1949;
CDU-MdB 1949-1953; stellv. Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion 1949—1950; stellvertretender CDU-Parteivorsitzender 1950—1952; Leiter der deutschen Mission 1951, Gesandter 1952—1956, Botschafter in der Schweiz 1957— 1958 173
Ho Tschi Minh, Mitbegründer der KP Indochinas, führte den bewaffneten Kampf um die Unabhängigkeit Indochinas ab 1941; nach der Teilung Vietnams Staatspräsident der Demokratischen Republik Vietnam 1945—1954 42 Hükelheim, Heinrich, bei Kriegsende Oberstleut-
i.G., Referatsleiter Logistik und InfrastrukApril—September 1951; Abteilungsleiter Logistik und Mitarbeiter bei der deutschen Delegation der EVG-Konferenz bis September 1954; nant
tur
danach deutscher militärischer Vertreter bei WEU und NATO in Paris 146
Ingrimm, Robert (Pseudonym): siehe Klein, Franz Ismay, Hasting Lionel, Lord Ismay, Generalsekretär der NATO 1952-1957
26, 28, 197f.
Jebb, Sir Gladwyn Hubert Miles, Assistant UnderSecretary of State im Foreign Office 1946—1947; ständiger britischer Vertreter bei der WEU Permanent Commission April 1948—Juni 1950; desgl. bei der UNO Juni 1950—April 1954; Bot-
schafter in Frankreich 1954-1960 317, 333 f. John, Otto, Rechtsanwalt in London 1946—1950; Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ab 1950; 1954 in die DDR übergewechselt, 1955 nach Rückkehr wegen Landesverrats verurteilt und 1958 entlassen 208, 389 Johnston, Sir Charles H, Gesandter bei der britischen Hochkommission in Bonn 1954 225
Kaiser, Jakob, Vorsitzender der CDU in Berlin und in der SBZ 1946/47; Mitglied des Parlamen-
tarischen Rates 1948—1949; CDU-MdB 1949— 1957; Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen 1949—1957; Vorsitzender der ChristlichDemokratischen Arbeitnehmerschaft 1949— 1958 39, 61, 97, 174-176, 222, 338f. Kaulbach, Eberhard, Oberst i.G. a.D., Mitarbeiter der Organisation Gehlen bis 1951; anschließend Angestellter der Dienststelle Blank, Leiter der
Gruppe Auslandsfragen im BMVg ab 1955
279
Kennan, George Frost, US-Historiker und Diplo-
mat; Leiter der Planungsabteilung des amerikanischen Außenministeriums 1949/50; seit 1950 politischer Berater der Regierung für Beziehungen zur Sowjetunion und deren Verbündete; USBotschafter in der Sowjetunion 1952 62 Kennedyjohn Fitzgerald, 35. US-Präsident 1961— 1963 347 Kessel, Albrecht v., unter Ernst v. Weizsäcker an
der Botschaft beim Vatikan 1943—1945; Leiter des konsularischen Dienstes in Paris ab Juli 1950; Vortragender Legationsrat Oktober 1950; stellv. Leiter der Deutschen Delegation bei den Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in Paris ab September 1951; Botschaftsrat und stellv. Leiter der Deutschen Delegation beim Interimsausschuß der Konferenz für die Organisation der EVG in Paris ab September 1952; Gesandter und Stellvertreter des deutschen Botschafters in Washington, November 1953-1958 136, 149, 260, 296 Keyserlingk, Robert W, Herausgeber der kanadischen Wochenzeitschrift »The Ensign« 1954 307 Kidd, Coburn B., Director of Government and Administration im Office of German Political Affairs im US-Außenministerium 1952—1953; Deputy Director der Deutschlandabteilung 1953-1954; Officer in Charge bis 1955 136 Kielmansegg, Johann Adolf, Graf v., bei Kriegsende Oberst i. G; Sekretär des Sachverständigenausschusses der Dienststelle Graf v. Schwerin und Mitarbeiter der Zentrale für Heimatdienst 1950; Sekretär bei den Petersberg-Verhandlungen Dezember 1950 bis Frühjahr 1951; Leiter der Unterabteilung Militärpolitik in der Dienststelle Blank April 1951 bis Sommer 1955; danach erster deutscher Vertreter bei SHAPE 59 f., 146, 260, 279, 281, 296f., 328 Kirkpatrick, Sir Ivone Augustine, britischer Diplomat in der Botschaft in Berlin 1933—1938; Leiter der Deutschlandabteilung im Foreign Office 1948—1950; Hoher Kommissar für Deutschland 1950—1953; Ständiger Unterstaatssekretär im Foreign Office November 1953—1957 161, 204, 207f., 222, 239, 252f., 315f., 324
Klein, Franz (Pseudonym Robert Ingrimm), US-
Journalist
301
Klewitz, Wilhelm
v., Legationsrat im Auswärtigen Amt, Referat 211 (Nordatlantik-Pakt und angegliederte Organisationen) Juli 1952—Februar
1955 59
397
Personenregister
im Auswärtigen Dienst in Kairo, Moskau, Tokio (1940—1945) und Legationsrat
1948/49; CDU-MdB 1949-1953; Bundesinnenminister 1950-1953 287 Lloyd, John Selwyn, Staatsminister im Foreign Office seit 1951, Handelsminister Oktober 1954—April 1955; Verteidigungsminister April— Dezember 1955 195, 203, 222 Lyon, Cecil B., Leiter des Berliner HICOG-Elements bis Ende 1953; Direktor der Deutschlandabteilung im US-Außenministeriums ab Februar 1954-Mai 1955 136
Deutschen Botschafters bei der NATO 1955—
McCarthy, Joseph Raymond, US-Senator (Republikaner); Vorsitzender des Senatsausschusses zur Untersuchung »unamerikanischer Umtriebe«
Kraft, Waldemar, Gründer, Vorsitzender und MdL des BHE in
Schleswig-Holstein ab 1950; stellv. Ministerpräsident und Minister in SchleswigHolstein 1950-1953; MdB ab 1953; Bundesvorsitzender des GB/BHE 1950—1954; GB/BHEMdB 1953—1955; Bundesminister für besondere Aufgaben 1953—1956; übergetreten zur CDU (MdB) 1956 92, 172, 175
Krapf, Franz, I. Kl. im
Auswärtigen Amt ab 1950; in Paris bis 1953, in der Politischen Abteilung des auswärtigen Amtes bis 1955, ständiger Vertreter des 1958
308, 317
Krekeler, Heinz Ludwig, Mitbegründer der FDP;
MdL in Nordrhein-Westfalen 1947—1950; Mit-
glied des FDP-Landesvorstandes bis 1951; Gene-
ralkonsul in New York 1950—1951; Geschäftsträger (ab 1951), im Rang eines Botschafters (ab 1953) und Botschafter (ab 1955) in Washington bis 1958 136, 138, 164, 167, 222, 345 f. Krone, Heinrich, 1945 Mitbegründer der Berliner CDU, MdB 1949-1969; Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion 1951—1955, Fraktionsvorsitzender 1955— 1961 11, 82, 98, 257, 294, 325, 338 Krüger, Horst, bei Kriegsende Major i.G; Mitarbeiter in der deutschen Delegation bei der EVGKonferenz 1953/54; danach Verwendung in einem integrierten NATO-Stab 146
Laniel, Joseph, Mitbegründer und Präsident der
Republikanischen Freiheitspartei, französischer Staatsminister für Post und Telefon 1951—1952;
Ministerpräsident Juni 1953—Juni 1954 39, 126,
162, 203, 211, 243, 250, 263, 303, 387f. de Larminat, René M. E., französischer Armeegeneral; militärischer Vertreter Frankreichs im Militärausschuß der Pariser Pleven-PlanVEVGKonferenz 1951-1954 260 de Lattre de Tassigny, Jean-Joseph Marie-Gabriel, Armeegeneral, Marschall (post mortem 1952), Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen in Deutschland 1945; Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte der Westunion 1948; Hoher Kommissar und Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Französischen Union in Indochina 1950-1952 192 Lehr, Robert, CDU-MdL Nordrhein-Westfalen ab 1946; Mitglied des Parlamentarischen Rates
1950-1954
102, 119
McCloy, John Jay, Hoher Kommissar der USA für Deutschland 1949—Juli 1954 68, 123 f., 132, 160, 168, 278-280, 282-286, 289, 383
Macmillan, Harold Maurice, britischer Minister für Wohnungsbau und innere Verwaltung 1951— 1954; Verteidigungsminister 1954/55; Außenminister 1955; Schatzkanzler 1955—1957, Premierminister 1957-1963 48, 52, 190f., 200-202,
205, 213
Maier, Reinhold, MdL (DVP/FDP) 1946-1964;
FDP/DVP-MdB 1953-1956; 1957-1959; Ministerpräsident von Württemberg-Baden bzw. Baden-Württemberg 1945—1953, regierte ab 11. Januar 1951 mit einer DVP/SPD/GB/BHEKoalition ohne die CDU; Bundesratspräsident 1952/53; FDP-Vorsitzender 1957—1960 173,385 de Maizière, Ulrich, bei Kriegsende Oberstleutnant i.G.; Mitarbeiter und militärpolitischer Berater der Dienststelle Blank Januar 1951—Oktober 1955; eingesetzt in den Pleven-PlanVEVGVerhandlungen ab 1951; ständiger Vertreter des
Leiters Unterabteilung Verteidigungsfragen 1951-1955 59f.,72,146,279,281,297,328,346 Majonica, Ernst, CDU-MdB 1950-1972 61 Makins, Sir Roger M., britischer Deputy UnderSecretary for Foreign Affairs 1946—1952; Botschafter in den USA vom Januar 1953—Oktober 1956 75
Malenkov, Georgij Maximilianovis, stellv. sowjetischer Ministerpräsident 1946—1953; Vorsitzender des Ministerrates/sowjetischer Ministerpräsident März 1953—Februar 1955 23, 37, 39f.,
43, 47, 211, 386
Malik, Jacob Aleksandrovis, stellv. sowjetischer
Außenminister 1946—1953; Botschafter in Großbritannien Mai 1953—1960 44, 48
398
Personenregister
v., aus dem auswärtiden Nationalsozialisten Dienst von 1938 entgen lassen; Leiter der Hauptabteilung Außenwirtschaft in der Bizone 1948/49; Leiter der Abteilung Außenhandel im Bundeswirtschaftsministerium 1950—1953; Leiter der Handelspolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt 1953— 1955; Botschafter in Frankreich 1955—1958 146 de Margerie, Roland Jacquin, Direktor in der Politischen Abteilung des französischen Außenministeriums 1954 253, 333 Massigli, René, französischer Botschafter in Großbritannien 1944—Februar 1955 315 Maxwell-Fyfe, Sir David Patrick, schottischer Rechtsanwalt; britischer Hauptankläger beim Internationalen Militärtribunal Nürnberg; Innenminister Oktober 1951—Oktober 1954, Lordkanzler bis April 1955 und 1957-1962 190 Mayer, René-Joel Simon, französischer Hoher Kommissar für Deutschland und Österreich 1945—1946, Mitglied der Assemblée Nationale (Radikalsozialist) 1946, Finanz- und Wirtschaftsminister 1947, Verteidigungsminister 1948, Justiz- und Finanzminister 1949—1952, Ministerpräsident Januar bis Juni 1953, Präsident der Hohen Behörde der EGKS/Montanunion Juni 1955-1957 320, 386f. Meendsen-Bohlken, Wilhelm, Admiral a.D., Leiter der Personal- und Verwaltungsabteilung des BDI; Leiter der Fachausschüsse Industrielle Luftschutzerzeugnisse bzw. verteidigungswirtschaftliche Angelegenheiten sowie der Abteilung für Verteidigungsangelegenheiten ab 1953 146 Meissner, Boris, Ostreferent der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg 1946—1953; Leiter des Referats »Sowjetunion, Ost-Lektorat« im Auswärtigen Amt 1953—1956; Diplomat an der deutschen Botschaft in Moskau 1956—1959; Ordinarius für Ostrecht, Politik und Soziologie Osteuropas und Direktor des Seminars für Politik, Gesellschaft und Recht der Universität Kiel 1959— 1964, an der Universität in Köln ab 1964 57 Mellies, Wilhelm, SPD-MdB 1949—1958; stellv. Parteivorsitzender 1952—1958 und stellv. Fraktionsvorsitzender 1953—1957; Vorsitzender des Sicherheitsausschusses der SPD ab Mai 1954 333 Mendès France, Pierre, Abgeordneter der Sozialistischen Partei 1946—1958, Gouverneur des internationalen Währungsfonds 1947—1958; französischer Ministerpräsident und Außenmi-
Maltzahn, Vbllrath, Frhr.
nister Juni 1954-Februar 1955 79,
126f., 137f., 148f., 154,169f., 208-210,222,224,231,233— 236, 238-241, 243 f., 248-257, 261-263, 266, 272, 303, 305f., 308-310, 313-320, 323-325, 333f., 338, 390 Merchant, Livingston Tallmadge, amerikanischer Special Assistant to the Secretary of State for Mutual Security Affairs bis März 1952; abgeordnet zum Special Representative in Europe in Paris (David Bruce) März 1952—März 1953; Assistant Secretary of State for European Affairs März 1953-Mai 1956 136, 330
Merkatz, Hans-Joachim v., DP- (ab
1960
CDU-)
MdB 1949-1969; DP-Fraktionsvorsitzender 1953—1955; Mitglied der Gemeinsamen Versammlung des Montanunion; Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder 1955-1962 325 Middelhauve, Friedrich, Verleger; FDP-MdL Nordrhein-Westfalen 1946-1958, FDP-MdB 1949/50 und 1953/54 (jeweils Mandatniederlegung); stv. FDP-Bundesvorsitzender 1952-1956 173 Mikojan, Anastas Ivanovis, Mitglied des Politbüros der KPdSU 1935-1966; Außenhandelsminister ab September 1953; erster stellv. Minister-
präsident
1955-1966 39
Millar, Sir Frederick Robert Hoyer, britischer
Deputy Under-Secretary of
State for Foreign Affairs 1947; Gesandter in Washington 1948; Stellvertreter (1950—1952) bzw. ständiger Vertreter beim Nordatlantikrat und im EVG-Interimsausschuß bis September 1953; anschließend Hoher Kommissar für Deutschland und Botschafter in Bonn bis April 1957 92, 208, 220, 223, 256, 329 Moch, Jules, seit 1941 in der Résistance, französischer Verteidigungsminister 1950—1951; Abgeordneter (Sozialistische Partei) in der Assemblée Nationale; ständiger Vertreter in der Abrüstungskommission der Vereinten Nationen 1951— 1961; entschiedener Gegner des Kommunismus und der deutschen Wiederbewaffnung 245 Mollet, Guy, Generalsekretär der Sozialistischen Partei (S.F.I.O.) Frankreichs 1946—1969; Präsident der beratenden Versammlung des Europarates 1954—1956; Ministerpräsident 1956—1957 254, 258
Molotov, Vjaceslav Michailovis, sowjetischer Außenminister 1939—1949 und 1953—1956; stellv. Ministerpräsident 1953—1956 31 f., 39, 44f., 49, 78, 243, 389
399
Personenregister Monnet, Jean, Leiter des Planungsamtes im französischen Wirtschaftsministerium 1946—1952;
Präsident der Pariser Schuman-Plan-Konferenz 1950; Präsident der Hohen Behörde der EGKS/ Montanunion 1952—1955; Gründer (1955) und Vorsitzender des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa 1956—1975 124, 252, 258, 286 Montgomery of Alamein, Bernard Law, First Viscount of Hinhead, britischer Feldmarschall; Vorsitzender des Befehlshaberausschusses der Westunion 1948—1951; stellvertretender Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa 1951— 1958 28, 196f., 240 Morrison, Herbert Stanley M., Baron of Lambeth, Abgeordneter der Labour Party im Unterhaus 1935—1959; Außenminister März—Oktober 1951 207
Müller, Gebhard, CDU, Ministerpräsident einer
Allparteienregierung in Baden-Württemberg ab Oktober 1953-1958 387
Murphy, Robert Daniel, politischer Berater des Militärgouverneurs der USA in Deutschland bis 1949; Botschafter in Belgien November 1949— März 1952; Botschafter in
Japan
Mai 1952—
April 1953; Botschafter bei der UNO Mai-No-
vember 1953; stellv. Unterstaatssekretär im State Department November 1953—März 1957 86,136
Nahm, Peter-Paul, Staatssekretär im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegs-
geschädigte
1954 258
Norstad, Lauris, US-General; Oberkommandierender der amerikanischen Luftstreitkräfte in Europa und Befehlshaber der alliierten Streitkräfte in Mitteleuropa 1950—Juli 1953; stellv. Oberbefehlshaber (Air Deputy) der NATOStreitkräfte in Europa 1953; Oberbefehlshaber (SACEUR) 1956-1962 70, 204 Nutting, Sir Harold Anthony, britischer Parliamentary Under-Secretary of State for Foreign Affairs Oktober 1951—Oktober 1954, anschließend dort Staatsminister bis 1956; Botschafter bei der UNO 1954—1955 44, 218 Oberländer, Theodor, Eintritt in die NSDAP 1933; GB/BHE-, (seit 1956 CDU/CSU-) MdB 1953—1965, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 1953—1960, Mitbegründer (1950) und Bundesvorsitzender des Gesamtdeutschen Blocks/BHE (1954-1955) 172, 175
Ollenhauer, Erich, Mitglied des Parlamentari-
schen Rates 1948-1949; SPD-MdB 1949-1963; stellv. Parteivorsitzender 1946—1952; Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates 1951-1953; Parteivorsitzender 1952—1963; Fraktionsvorsitzender 1953—1963 50, 242, 386 Ophüls, Carl Friedrich, Ministerialrat im Justizministerium 1949—1952; Unterabteilungsleiter im Auswärtigen Amt ab Februar 1952; Gesandter 1. Kl. und Sachverständiger der Delegation für die Ablösung des Besatzungsstatuts; Leiter der Abteilung »Internationale und Supranationale Organisationen« im Auswärtigen Amt 1952; Mitglied des
Instruktionsausschusses/Planungskreises/Bera-
tenden Ausschusses für die EVG-Verhandlungen zur Beratung des Bundeskanzlers und Sachverständiger der Delegation für die Ablösung des Besatzungsstatuts; Botschafter in Belgien 1955— 1958 137, 146, 149, 251, 259f., 308, 319 Oster, Achim H., bei Kriegsende als Major i. C, wegen seines im Widerstand tätigen Vaters Generalmajor Hans Oster aus dem Generalstab ausgestoßen; Geschäftsführer der CSU 1948/49, Leiter eines deutschen Nachrichtendienstes im »Büro Schwerin«, dann in der Zentrale für Heimatdienst ab Mai 1950 und in die Dienststelle Blank/BMVg übernommen 59
Parodi, Alexandre, Generalsekretär des französischen Außenministeriums 1949—1954 253, 319
Paulsen, Hans-Constantin, Präsident der Bundes-
vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände 1954 171
Peckert, Joachim, Legationsrat im Auswärtigen
Amt, Referat 350 »Sowjetunion und Ost-Lektorat«
ab Januar 1954 57
Pferdmenges, Robert, Bankier; Mitglied des Wirtschaftsrats für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet
1947-1949; CDU-MdB 1950-1962; Vorsitzender des Bundesverbandes des privaten Bankiergewerbes bis 1959; Finanz- und Wirtschaftsberater Adenauers 171, 315 f. Pfleiderer, Karl Georg, vor 1945 im auswärtigen Dienst in Mailand, Peking, Moskau, Leningrad, Kattowitz, Paris, Stockholm; FDP-MdB 19491955; Botschafter in Jugoslawien 1955—1957 92, 97, 173, 222, 338, 386
Pinay, Antoine, französischer Abgeordneter der Unabhängigen Republikaner 1946—1949, Staatssekretär für Wirtschaft 1948, Minister für öffentliche Arbeiten 1950—1952, Ministerpräsi-
400
Personenregister
dent und Finanzminister 1952; Außenminister 1955/56 320, 385f. Pleven, René, Mitglied des Comité Français de la Liberation Nationale seit 1941; französischer Abgeordneter, Mitgründer und Vorsitzender der Union Démocratique et Socialiste de la Résistan-
(UDSR) 1946-1973, Ministerpräsident Juli August 1951—Januar 1952; Verteidigungsminister 1949—1950 und
ce
1950—Februar 1951 und März
1952—Juni 1954; Außenminister
1958
123, 278, 383
Preusker, Viktor-Emanuel, MdB der FDP bis 1956,
der FVP bis 1960, der CDU bis 1961; Mitglied des FDP-Bundesvorstandes 1951—1952 und ab 1953;
Bundeswohnungsbauminister
1953—1957 325
Rademacher, Willy Max, MdB, Vorsitzender des
FDP-Landesverbands Hamburg und Mitglied des FDP-Bundesvorstands 173 Radford, Arthur William, amerikanischer Admiral; Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff 1953— 1957 115
Reber, Samuel jr.,
Erster Politischer Berater und Direktor des Amtes für politische Angelegenheiten beim amerikanischen Hohen Kommissar für Deutschland (HICOG) 1950—Juli 1953; stv. amerikanischer Hoher Kommissar für Deutschland Oktober 1952—Juni 1953 73
Reilly, D'Arcy Patrick, Assistant Under-Secretary of State im Foreign Office Dezember 1949—Juni
1953; Gesandter in Frankreich Juni 1953—Oktober 1956 238, 252 Reynaud, Paul, Abgeordneter der Assemblée Nationale (Unabhängige Republikaner) 1946— 1962; Finanz- und Wirtschaftsminister 1948; Vorsitzender des Wirtschafts- und Finanzausschusses des Europarates 1949—1954; stellv. Ministerpräsident 1953/54 320 Riddleberger, James Williams, Direktor des Amtes für politische Angelegenheiten im US-Hochkommissariat für Deutschland (HICOG) 1949— 1950; politischer Berater beim Amt für Gemeinsame Sicherheit in Paris bis 1952; Leiter der Deutschlandabteilung im US-Außenministerium Mai 1952—Juli 1953; Botschafter in Jugoslawien 1953-1955 135
Ridgway, Matthew B., US-General; SACEUR Juni
1952—Mai 1953; danach bis Juni 1955 Stabschef der US-Army 41, 73, 386 Rivière, Jean, französischer Botschafter in Belgien 1954 317
Roberts, Sir Frank Kenyon, Unterstaatssekretär im britischen Außenministerium 1949—1954; britischer Vertreter bei der Brüsseler-Pakt-Kommission seit November 1952—1954; später Botschafter in der Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland 39, 204f., 207f., 326 Rodionov, Georgiyi, Erster Sekretär in der sowjetischen Botschaft in London 1954 39 Roediger, Conrad Frederick, Vortragender Legationsrat I. Kl. im Auswärtigen Amt 1951; Verhandlungsführer (offiziell in Vertretung Hallsteins) der deutschen Delegation zu Beginn der Pariser Pleven-Plan-Konferenz 1. März—6. Juli 1951; danach Richter im Zweiten Senat des
Bundesverfassungsgerichts 123 Rosenberg, Ludwig, Mitglied des DGB-Vorstandes
(ab 1962 als Vorsitzender) 1949—1969; Leiter der
Auslandsabteilung (seit 1950), der wirtschaftspolitischen Abteilung (ab 1954) des DGB 145 Roucayrol, politischer Redakteur der Pariser Zeitung »L'Aurore« 1954 306
Ruehl, Lothar, Journalist; Mitarbeiter und Pariser
Korrespondent des Spiegel 1954—1959 23, 257, 259
Rummler, Gerald, Pressesprecher von DDR-Außenminister
Dertinger
42
Rust, Josef, Regierungsrat/Ministerialrat, Referent
für Wirtschafts- und Finanzfragen im Bundeskanzleramt 1949—1952; Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium 1952—1955 146
Salisbury, Lord Robert AJ. Gascoyne-Cecil, 3rd Marquess of, britischer Secretary of State for
Commonwealth Relations März 1952—Juni 1953; amtierender Außenminister Juni—Oktober 1953 162, 191 Sauvagnargues, Jean Victor, stellv. Leiter der Deutschlandabteilung im französischen Außenministerium 1946—1949; Leiter der deutschlandpolitischen Abteilung und stellv. Leiter der Europa-Abteilung 1949—1954; Botschafter in Bonn
1970-1974; Außenminister
1974-1976 281
Schäffer, Fritz, Ministerpräsident
von
Bayern
1945; CSU-MdB 1949-1961; Bundesfinanzminister 1949—1957; Bundesjustizminister 1957— 1961 297
Schlabrendorff, Fabian v., Gegner des Nationalsozialismus, Offizier im Stabe General Henning v. Tresckows; Rechtsanwalt nach 1945, Richter am 138, 306
Bundesverfassungsgericht
ab 1967
Personenregister
Schlange-Schöningen, Hans, in der Regierung Brüning Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Mitbegründer der CDU 1945; Direktor der Bizonenverwaltung für Ernährung und
Landwirtschaft und Forsten 1947—1949; CDUMdB 1949—1950 mit Verbindung zu SPD und Gewerkschaften; Generalkonsul (1950—1953) und Geschäftsträger im Range eines Botschafters in Großbritannien 1953—1955 136, 173,
207f., 218, 222, 262 Schütter, Oskar, Vizekonsul in der deutschen Botschaft in London 1936—1939; Botschaftsrat in der deutschen Gesandtschaft in London Dezember 1953-März 1955 207 Schueller, Werner, Vortragender Legationsrat und Referatsleiter Abt. III, Ref. L 3 (USA/Kanada, Mittel- und Südamerika) Dezember 1952— Oktober 1954 136 Schumacher, Kurt, SPD-MdB 1949-1952, Parteiund Fraktionsvorsitzender 1946 bzw. 1949— 1952
50, 144, 158,
275
Schuman, Robert, Deportation nach Deutschland
1940; Flucht und Résistance ab 1942; Mitbegründer des MRP 1944; Abgeordneter der Assemblée Nationale (MRP) 1945-1962; Finanzminister 1946—1947; Ministerpräsident 1947—1948; Außenminister 1948—Januar 1953; 1955 Präsident der Europäischen Bewegung 1955; erster Präsident des Europäischen Parlaments 1958—1960 42, 160f., 200, 208, 258, 288-290, 320, 384f. Schumann, Maurice, französischer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten 1951—Juni 1954; Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Assemblée Nationale 302 Schwann, Hermann, FDP-MdL in NordrheinWestfalen 1950-1954, MdB ab 1953 173 Schwerin, Gerhard Detloff, Graf v., Leiter der
Gruppe England/Amerika in der Abteilung Fremde Heere West des OKH 1938—1939; bei Kriegsende General der Panzertruppen; Berater des Bundeskanzlers in technischen Fragen der Sicherheit und Leiter der Zentrale für Heimatdienst (Institut für Gegenwartsforschung in Bad Godesberg, dann Archiv für Zeitgeschichte in Frankfurt und Wiesbaden) April—Oktober 1950; deutscher Vertreter im deutsch-alliierten Sicherheitsausschuß 1950; danach militärpolitischer Berater der FDP 149 Seebohm, Hans-Christoph, Mitbegründer (1945) und bis 1955 Zweiter Vorsitzender der DP; DPMdB 1949-1960, CDU-MdB 1960-1967; Bun-
401
desverkehrsminister 1949—1966; Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft 1959—1967 175
Semenov, Vladimir Semjonovis, Politischer Bera-
des Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission für Deutschland (SMAD) im Botschafterrang 1945—Juni 1953; Leiter der Europaabteilung III im sowjetischen Außenministerium 1953; sowjetischer Hoher Kommissar für Deutschland 1953—Juli 1954; anschließend Botschafter in der DDR; Leiter der Europaabteilung im sowjetischen Außenministerium 1954; stellv. Außenminister der Sowjetunion ab 1955 39,173 Sethe, Paul, Publizist, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1949—1955, danach Mitarbeiter der Tageszeitung Die Welt und der Wochenzeitung Die Zeit 97 Seydoux Fornier de Clausonne, François, Leiter der Europa-Abteilung des französischen Außenministeriums 1949—1955; Botschafter in Wien 1955-1958, in Bonn 1958-1962 und 1965-1970 ter
243
Shuckburgh, Sir Charles Arthur Evelyn, Leiter der Abteilung Westliche Organisationen im Foreign Office 1950—1951;Privatsekretärvon Anthony Eden bis Mai 1954; Assistant Under-Secretary of State for Foreign Affairs bis 1956 205 Shukov, Grigori, sowjetischer Marshall, Befehlshaber der sowjetischen Truppen in Deutschland 1945—1946; Verteidigungsminister 1955—1957 48 Smend, Rudolf, Professor für Staats- und Kirchenrecht in Greifswald, Tübingen, Bonn, Berlin und
(1935—1950) Göttingen; Mitglied des Rates der EKD 1946-1955 159
Smith, Walter Bedell, US-General; Leiter der CIA 1950—Februar 1953; Under-Secretary of State bis Oktober 1954 204 Soutou, Jean-Marie, stellv. Kabinettschef im französischen Außenministerium Juni 1954—Februar 1955 324 Spaak, Paul Henri, Abgeordneter (Sozialistische Partei) des belgischen Repräsentantenhauses 1932—1956 und 1961—1966 Präsident der Beratenden Versammlung des Europarates 1949— 1951; Vorsitzender des Internationalen Rates der Europäischen Bewegung 1950—1955; Präsident der EGKS/Montanunion 1952—1954; belgischer Außenminister (mit Unterbrechungen) 1936— 1949, April 1954—Mai 1957 und 1961-1966; Generalsekretär der NATO 1957-1961 130, 252, 304f., 316-318, 332, 334
402
Personenregister
bei Kriegsende Generalleutnant; ab Ende 1950 militärischer Berater des Bundeskanzlers; militärischer Chefdelegierter bei den Verhandlungen 1951—1954; Vertretung der Bundesrepublik bei den Verhandlungen über den Eintritt in die NATO 1954/55; Leiter der Abteilung Gesamtstreitkräfte im Bundesverteidigungsministerium 1955—1957; Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa 1957—
Speidel, Hans,
1963 60,137,146,217t, 244,279,297,304,383 Spennrath, Friedrich, Vorsitzender des Gemeinschaftsausschusses der deutschen gewerblichen
Wirtschaft 1954 171
Stalin, Josif Vissarionowis, Generalsekretär der KPdSU, Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR; gestorben am 5. März 1953 23,25, 30f., 33, 39, 47f., 106, 161, 186, 298, 385f. Stikker, Dirk Uipko, niederländischer Außenminister August 1948—Juni 1952; anschließend Botschafter in Großbritannien bis 1958 124, 201 Strang, Sir (1954) William, Politischer Berater des britischen Oberbefehlshabers in Deutschland 1945—Oktober 1947; Staatssekretär und Leiter der Deutschlandabteilung 1947—1949; Permanent Under-Secretary of State des britischen Außenministeriums Februar 1949—November 1953 71
Strauß, Franz Josef, CSU-MdB 1949-1978; stellv.
Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion 19491953; Bundesminister für besondere Aufgaben 1953—1955, für Atomfragen 1955/56; Verteidigungsminister 1956—1962; stellv. Vorsitzender der CSU seit 1952, Vorsitzender seit 1961 248, 258, 325 f. Stresemann, Gustav, nationalliberaler Politiker (DVP), Reichskanzler 1923, ReichsaußenminiSter 1923-1929
81, 84, 339
Sulzberger, Cyrus Leo, amerikanischer Publizist;
Pariser Korrespondent und Leiter des Auslandsdienstes, dann Herausgeber der New York Times 1944-1954 69, 71, 126, 157
Taft, Robert Alphonso, US-Senator (Republikaner) seit 1938; Präsidentschaftskandidat 1940, 1948 und 1952 104
Taviani, Paolo Emilio, Unterstaatssekretär im italienischen Außenministerium bis Juli 1953, Außenhandelsminister Juli—August 1953; Verteidigungsminister ab August 1953 248 Teitgen, Pierre Henri, Abgeordneter der französischen Nationalversammlung 1945—1958; Vor-
sitzender des Mouvement Républicain Populaire 1952—1956; stellv. Ministerpräsident Juni 1953— Juni 1954; Delegierter beim Europarat und bei der EGKS/Montanunion 258, 302 Thedieck, Franz, in der Bezirksregierung Köln 1946—1949; Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen 1950—1964 (mit enger
Verbindung zu Adenauer)
61
Thelen, Hermann Ernst, Oberregierungsrat im Auswärtigen Amt, Lektorat in Abt. III b, Referat L PV (später Referat
ten
des
702) (Sowjetunion und StaaOstblocks) September 1953—1963 57
Thieme, Kurt Oberregierungsrat im Bundeswirtschaftsministerium, Abteilung IV Gewerbliche Wirtschaft; Referent/Ministerialrat in der deut-
schen Delegation beim Rüstungsausschuß des EVG-Interimsausschusses in Paris 1952—1954 146 Thorneycroft, Georg Edward Peter, Baron, Mitglied des britischen Unterhauses (Konservativer) 1938—1966; Handelsminister 1951—1956; Schatzkanzler 1957-1958 190
Thurn, Peter, Röntgenologe Adenauers 1954 256 Tillmanns, Roben, CDU-MdB 1949-1955; Bundesminister für besondere Aufgaben 1953—1955; 1952-1955 Vorsitzender der CDU in WestBerlin 174, 321, 325
Tito, Josip Broz, jugoslawischer Ministerpräsident 1945—1953, danach Staatspräsident
32—34
Tomlinson, William M., Finanz- und Wirtschaftsberater der US-Botschaft in Frankreich bis August 1952; danach US-Vertreter bei der EGKS/ Montanunion 127, 136, 304 Trützschler v. Falkenstein, Heinz, Leiter der Unterabteilung Allgemeine Außenpolitik im Auswärtigen Amt 1953/54 137 Truman, Harry Spencer, Senator (Demokratische Partei) für Missouri; 33. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika 1945—Januar 1953
41f., 113, 115, 118, 124,
161
Ulbricht, Walter, stellv. Vorsitzender des Minister-
rates/Ministerpräsident
der DDR 1949—1960; Generalsekretär der SED seit 1950; Erster Sekretär des Zentralkommitees der SED 1953—1971 39, 41, 80
Viaion, Friedrich Karl, Leiter der Finanzabteilung beim Reichskommissariat Ostland 1942—1944; MinisterialratAdirektor im Bundesfinanzministerium 1950—1957; deutscher Chefdelegierter im Finanzausschuß für die Pariser EVG-Ver-
403
Personenregister
handlungen; Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt
1958-1962 137
Villiers, Georges, Präsident der vereinigten Arbeit-
geberverbände Frankreichs 1954 233 Vogel, Georg, außenpolitischer Berater (seit 1952 Ministerialdirigent) des Ministers und Vizekanzlers Blücher 287
Walther, Gebhardt
v.,
Botschaftsrat in der deut-
schen Gesandtschaft in Paris 1951—1955 259 Warner, Sir Christopher, Assistant Under-Secretary of State Februar 1946—September 1951; britischer Botschafter in Belgien bis Oktober 1955 318
Watson, John Hugh Adam, Referatsleiter in der britischen Botschaft in
Washington bis
1956 204
Welck, Wolfgang Kurt Heinrich, Frhr. v., verhaftet
1943 und aus dem Staatsdienst entlassen 1944;
Botschaftsrat im Generalkonsulat in Brüssel 1950—1951; in der Personalabteilung des Auswärtigen Amtes bis 1953; Leiter der Länderabteilung III (USA/Kanada, Mittel- und Südamerika, Ministerialdirektor 1955) bis 1958 136, 225
Wiley, Alexander, US-Senator (Republikaner) von Wisconsin; Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats ab Januar 1953—1954 322
Wohleb, Leo, Staatspräsident 1947; Gesandter in
Portugal
von
Südbaden ab
1952-1955 173
Zaisser, Wilhelm, Minister für Staatssicherheit der DDR seit 1950 und Mitglied des Politbüros der SED; 1953 nach dem Juniaufstand aller Ämter
enthoben 39 f. van
Zeeland, Paul, belgischer Außen- und Außen-
handelsminister August
1949—April 1954
212