Die Landschaft brütete unter der gleißenden Sonne. Hoch im blauen, wolkenlosen Himmel zog der große graue Adler in weit...
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Die Landschaft brütete unter der gleißenden Sonne. Hoch im blauen, wolkenlosen Himmel zog der große graue Adler in weiten und ruhigen Kreisen seine Bahn. Er flog ohne ei nen einzigen Flügelschlag. Majestä tisch ließ er sich von der flimmern den, aufsteigenden Luft tragen. Langsam ritt ein einsamer Reiter von Osten her durch das ausgedörrte Gras. Die Zügel lagen locker in sei ner Hand. Er war halb wie ein India ner gekleidet und halb wie ein Wei ßer. Seine Kleidung war einfach und ohne jede Verzierung. Er trug eine helle Hose aus gegerb tem Hirschleder und Mokassins aus dem gleichen Material. Sein Ober körper steckte in einem hellen Baumwollhemd, über dem er eine dunkle Lederweste trug. Auf seinem Kopf saß ein breitkrempiger Hut, der
die scharfen dunklen Augen vor der sengenden Sonne schützte. Um die Hüften des Mannes schlang sich das breite Leder eines Revolver halfters, aus dem der abgewetzte Griff eines 44er Army Colts ragte. Außerdem trug er ein Bowiemesser im Gürtel und ein anderes mit sehr schmaler Klinge versteckt in einer Scheide am Fußgelenk. Sein Gesicht war glatt rasiert, nur über der Oberlippe trug er einen schmalen Bart. Seine Haut war dun kel, fast bronzefarben und von sen gender Sonne, peitschendem Regen und schneidendem Wind gegerbt. Er war ein Halbblut, und er nannte sich Lobo. Er war ein Mann ohne Heimat. Sein Zuhause war immer dort, wo die Wildnis am einsamsten war und wo er jagen und sich ungestört be 3
wegen konnte. Er glich dem Adler, spät. Die Männer waren schon fast der hoch über ihm flog. So wie der hundert Yards entfernt. Keinen Au große graue Vogel war auch Lobo al genblick lang hatten sie ihr Tempo verlangsamt. Das Trommeln der lein und frei. Ein dumpfes Dröhnen lag plötzlich Pferdehufe verlor sich allmählich in in der Luft. Lobo zügelte sein Pferd der Ferne. Lediglich die dichte und lauschte. Ruhig saß er im Sattel Staubwolke, die die Tiere aufgewir und musterte aus schmalen, zusam belt hatten, lag noch in der heißen mengekniffenen Augen den Hori Luft. zont. Seine Hand lag locker auf dem Lobo schob den Revolver in die Griff des Revolvers. Halfter zurück, ohne auch nur einen Weit in der Ferne schälten sich einzigen Schuß abgegeben zu haben. Aber er war un zwei Reiter aus der verletzt. Die wil flirrenden Luft. In den Reiter hatten einer schnurgera Die Hauptpersonen des Romans: ihn nicht erwischt. den Linie jagten Die wilden Reiter — Sie machen ihren Dennoch hatten sie auf Lobo zu. Sie entscheidenden Fehler, als sie Lobo die Projektile ein hatten sich dicht allein in der Wüste zurücklassen. Ziel gefunden. Ein über den Hals ih Hayes — Er verbrennt sich ständig sein Maul und bekommt eins drauf. schrilles, abge rer Pferde gebeugt hacktes Wiehern und schlugen mit Cheever — Ein Kopfgeldjäger, der sich mit dem Falschen anlegt. des Hengstes ver der linken Hand Carmen Garcia — Sie ist Witwe, bevor riet Lobo, daß er die Zügelenden auf sie geheiratet hat. sein Pferd verlo die Kruppen ihrer Lobo — Er wird von vielen unterschätzt. ren hatte. Tiere. Ein tödlicher Fehler. Aus dem schlan Die Pferde ga ken Hals des Tieres loppierten mit weit brach ein finger nach vorn ge streckten Köpfen. Dicke Schaum dicker Schwall Blut und floß auf die flocken flogen von ihren Mäulern. ausgedörrte Erde. Das Pferd zitterte. Ihre langen, schweißnassen Mähnen Mit ungelenken, schwankenden Schritten versuchte es, sich aufrecht wehten den Männern ins Gesicht. In wenigen Minuten hatten sie zu halten. Sein Atem ging pfeifend Lobo erreicht. Die Reiter stutzten und rasselnd. Die Augen waren blut kurz, als sie das Halbblut entdeckten. unterlaufen und rollten wild in ihren Aber sie hielten nicht an. Zu spät sah Höhlen. Dann brachen die Hinterläufe ein, Lobo die schweren Revolver in ihren und das Tier stürzte zu Boden. Ver Fäusten. Lobo warf sich instinktiv nach zweifelt versuchte es, sich wieder vorn und rutschte seitwärts aus dem aufzurichten. Die Hufe wirbelten Sattel, noch bevor die beiden Mün durch die Luft und stampften den dungen aufblitzten. Er schlug hart Boden. Vergeblich. Unaufhaltsam auf dem Boden auf und hatte seinen pulste das Leben aus der Wunde. Der Colt bereits in der Hand, als zwei trockene, heiße Staub färbte sich dicht aufeinanderfolgende Detona dunkel. Dann war alles vorbei. Die Augen des Pferdes wurden glasig tionen die Stille zerrissen. Kniend richtete Lobo die Waffe auf und starr. Lobos Hengst war tot. die beiden Reiter und spannte den Hammer. Doch es war bereits zu 4
Erbarmungslos brannte die Sonne Lobo hob seinen Kopf und blickte auf die Erde. Sie hatte den Büschen in den klaren, gleißenden Himmel. und Gräsern alle Feuchtigkeit entzo Schon seit vielen Stunden kreisten gen und auch den Boden trocken und hoch über ihm drei große Vögel. Es hart werden lassen. Grün schillernde waren Geier, die ihn begleiteten. Ge Eidechsen huschten über die glühen duldig kreisten sie über ihm und den Steine und schienen das einzig warteten darauf, daß die Wüste ihn Lebende in dieser toten Landschaft töten würde. zu sein. Doch Lobo hatte sich dazu ent Es war bereits der zweite Tag, den schlossen, die Geier noch lange war Lobo in dieser Hölle verbrachte. Seit ten zu lassen. So lange jedenfalls, bis zwei wilde, fremde Reiter sein Pferd er die beiden Reiter gefunden hatte, erschossen hatten, war er unterwegs. die ihn in diese Situation gebracht Jetzt warf er den schweren Sattel, hatten. Dann könnte es sein, daß die den er dem toten Tier abgenommen Aasvögel endlich Erfolg hätten. hatte, auf den Boden und hockte sich Lobo zog seinen Hut tief ins Ge in den schmalen Schatten eines sechs sicht und band sich ein dunkles Hals Fuß hohen Felsbrockens. Seine trok kenen Lippen waren aufgesprungen tuch vor Mund und Nase, um sich ge und rissig. Seine Zunge war ge gen die brennende Sonne zu schüt schwollen und lag dick und pelzig in zen. Dann warf er sich wieder den schweren ledernen Sattel auf die seinem Mund. Er tastete nach der Wasserflasche, Schulter und ging weiter. Er ging langsam und gleichmäßig. die an seinen Gürtel gebunden war. Mit jedem Schritt, den er tat, kämpf Er schüttelte sie und lauschte auf das te er gegen einen schrecklichen Tod. leise Gluckern des Inhalts. Aber er trank nicht. Er hatte noch einen wei Er kämpfte mit jedem Muskel und ten Weg vor sich. Es würde noch der jeder Sehne. Sein Wille hielt ihn auf Zeitpunkt kommen, da er das Wasser recht. Geduldig begleiteten ihn die dringender gebrauchen würde als Geier. jetzt. Noch reichte seine Kraft aus, auch ohne zu trinken weiterzugehen. Noch viele Meilen lagen vor ihm. Das kleine Haus am Ufer des Colo Es war noch ein weiter Weg durch Dornen, Geröll und nahezu uner rado sah friedlich aus. Die weiß ge trägliche Hitze. Von Zeit zu Zeit strichenen Wände und das flache dachte er daran, einfach den Sattel Dach reflektierten die Sonnenstrah von der Schulter zu werfen und ohne len und sorgten dafür, daß es im In diese schwere Last weiterzugehen. nern angenehm kühl blieb. Dicht be Doch dann verbannte er diese Ge laubte, hohe Ulmen spendeten Schatten und schützten das Haus ge danken aus seinem Kopf. Er würde es auch so schaffen. Er gen die kalten Winterstürme. würde es schaffen, um die beiden Vor dem Haus führte ein breiter Männer zu jagen, die auf ihn ge Holzsteg aus kräftigen Balken schossen hatten. Er würde ein neues mehrere Yards weit in das träge da Pferd finden und die Reiter verfol hin fließende Wasser des Colorado. gen. Und wohin auch immer sie sich Am Ende des Stegs war ein längli verkriechen würden, er würde sie ches Floß angebunden. Es bestand aufspüren. aus drei Schichten kreuzweise über 5
einander gelegter, dicker Baumstäm me. Fingerdicke Hanftaue waren um die Enden der Stämme geschlungen und hielten das Floß zusammen. Es war stark genug, mehrere Pferde und Wagen gleichzeitig überzuset zen. Eine fast armdicke, aus vielen klei neren Seilen zusammengeflochtene Trosse überspannte straff den Fluß. An beiden Ufern war es mit gewalti gen Keilen und Balkenkonstruktio nen verankert. An dieser Trosse konnte sich der Fährmann mit sei nem Floß über die Fluten ziehen. Tief eingefahrene Wagenspuren, die auf beiden Uferseiten auf die je weiligen Stege zuliefen, verrieten, daß der Fährmann alle Hände voll zu tun haben mußte, die zahlreichen und häufigen Reisenden überzuset zen. Doch im Augenblick war alles ru hig. Kein Mensch war zu sehen. Nur in dem kleinen Korral im Schatten des Hauses stand ein grauer Hengst und knabberte an dem hölzernen Gatter. Träge schlugen die Wellen des Colorados gegen das Ufer und plätscherten zwischen den Stämmen des Steges. Das Floß wiegte sich leicht auf den Wogen. In den Ulmen zwitscherten kleine bunte Vögel. Von Zeit zu Zeit sprang ein Fisch über die Oberfläche des Flusses und schnappte nach einer Fliege. Etwa dreihundert Yards oberhalb des Hauses lag ein Mann zwischen blühenden Ginstersträuchern und blickte mit brennenden Augen auf den Fluß. Der Bronzeton seiner Haut war von der sengenden Sonne gerö tet. Seine Lippen waren aufge sprungen und an vielen Stellen von verkrustetem Blut entstellt. Schwer atmend lag der Mann auf dem Bauch. Neben ihm lag ein Sattel, den er zwei Tage lang durch die stei nige Wüste geschleppt hatte. Jetzt 6
krallten sich seine Hände in den feuchten, kühlen Boden. Lobo hatte es geschafft. Die drei Geier, die ihn den ganzen Weg über begleitet hatten, drehten ab und flogen zurück in die flirrende Luft über der Wüste. Sie würden sich ein neues Opfer suchen müssen. Noch einmal nahm Lobo all seine Kraft zusammen und erhob sich. Zum allerletzten Mal warf er sich den Sattel über die Schulter und ging mit etwas unsicheren Schritten den kleinen Hügel hinunter, der zum Haus des Fährmanns führte. Am Ufer des Flusses blieb Lobo ei nen Augenblick lang stehen. Er ge noß die angenehme Kühle und den Anblick des Wassers. Dann stieg er langsam in den Fluß. Er ging so weit hinein, bis die Fluten über seinem Kopf zusammenschlugen. So blieb er stehen, bis seine Schläfen sich spannten und pochten und seine Lungen nach neuem Sauerstoff ver langten. Lobo tauchte auf und schwamm zurück ans Ufer. Er setzte sich auf den Steg und wusch sein Gesicht mit dem klaren, kalten Wasser. Er zog seine Lederstiefel aus. Wohlig ließ er das Wasser um seine wunden, bren nenden Füße spülen. Mit der Kälte strömte die Kraft zu rück in Lobos Körper. Fast schon hatte er die Anstrengungen der letz ten zwei Tage vergessen. Sein ge schundener Körper erholte sich und wurde wieder stark und leistungsfä hig. In diesem Augenblick sah Lobo den Mann. Er schwamm im Wasser unter dem Holzsteg und hielt sich mit der rechten Hand an einem der dicken Pfeiler fest. Sein Kopf war unter Wasser. Seine langen, feuerro ten Haare bewegten sich in den sanf ten Wellen des Flusses träge hin und her.
Lobo beobachtete ihn. Der Mann blieb lange unter Wasser. Eigentlich zu lange. Schließlich ließ sich Lobo in den Fluß gleiten und faßte den Mann bei den Haaren. Der Colorado war hier dicht am Ufer noch seicht. Das Wasser reichte Lobo lediglich bis zur Brust. Lobo zog den Mann hoch und sah ihm ins Gesicht. Jetzt verstand er, warum es dem Mann nichts aus machte, lange unter Wasser zu blei ben. Die Augen des Rothaarigen wa ren weit aufgerissen und blickten starr geradeaus. Der Mann war tot. Die Hand des Toten hatte sich um den hölzernen Pfeiler fest ver krampft. Es fiel Lobo nicht leicht, sie zu lösen. Dann zog er den schlaffen Körper des Mannes ans Ufer und legte ihn auf den schmalen Gras streifen. Der Tote trug einen dichten, strup pigen Bart, der von einem Ohr über die Wangen und die Oberlippe zum anderen verlief. Seine Hände waren groß und voller Schwielen. Noch jetzt war deutlich zu erkennen, daß der Rothaarige einmal ungeheure Körperkräfte besessen haben mußte. Sein mächtiger Oberkörper und sei ne gewaltigen, muskulösen Arme waren noch im Tod beeindruckend. Bewaffnet war der Mann lediglich mit einem Messer, das von einem Strick um seine Hüfte gehalten wur de. Doch gestorben war er an einer Kugel. Lobo bemerkte die häßliche große Wunde auf der linken Brust seite des Rothaarigen. Der Mann war schon lange tot. Möglicherweise schon einige Tage. Lobo nahm nicht an, daß sich die Mörder noch in der Nähe befanden. Er erhob sich und ging auf das kleine weiße Haus zu. Der Tote mußte be graben werden. Die Tür des Hauses war nur leicht angelehnt. Sie schwang sofort auf,
als Lobo dagegen stieß. Das Innere bestand aus einem einzigen Raum. Der Tür gegenüber befand sich die Feuerstellte. Die Glut war kalt, die Flammen erloschen. Daneben stand ein länglicher Holztisch. Auf ihm stand eine Vase mit einem Strauß verwelkter Blumen. Den linken Teil des Raumes nahm eine Schlafstelle ein, die mit Hilfe ei nes Vorhangs vom übrigen Raum abgetrennt wurde. Das Bett war leer, die Decken lagen sorgfältig gefaltet am Fußende. Rechts von der Tür standen mehre re große Schränke und Regale an der Wand. Dazwischen hingen verbli chene Bilder. Auf allen war dieselbe Person zu sehen. Eine Frau mit ei nem wunderschönen Gesicht und langen, sanft gewellten Haaren. Das ganze Haus war sauber und aufgeräumt. Aber es war offensicht lich seit mehreren Tagen nicht mehr betreten worden. Ungehindert hatte eine Spinne ein Netz zwischen der Zimmerdecke und dem Tisch gezo gen. Lobo verließ den Raum und schloß die Tür hinter sich. Er wurde den Verdacht nicht los, daß der tote Mann am Ufer des Colorado River der Fährmann war. Ein Mann, der Tag für Tag das schwere Floß an der Trosse über den Fluß zog, würde mit der Zeit Schwielen und Muskeln be kommen, wie der Rothaarige sie noch jetzt erkennen ließ. Außerdem schätzte Lobo, daß der Mann schon ein bis zwei Tage tot war. Genauso lange hatte wohl niemand mehr das Haus betreten. Der graue Hengst in dem Korral neben dem Haus wieherte laut, als Lobo auf ihn zutrat. Es war ein aus gezeichnetes Pferd. Kraftvoll, feurig und elastisch. Lobo fand mehrere Säcke Hafer in einem niedrigen Ver schlag. Er füllte etwas davon in einen 7
leeren Holzeimer und gab dem Pferd zu fressen. Interessiert schnupperte der Hengst an Lobos Arm. Dann fraß er gierig. Er hatte wohl schon lange gehungert. An der Wand des Verschlages hin gen sauber aufgereiht verschiedene Arbeitsgeräte. Lobo nahm eine Schaufel und ging zurück zum Fluß ufer. Unmittelbar neben dem Holz steg begann er ein Grab für den to ten Fährmann zu schaufeln.
Die vier Reiter tauchten auf, als Lobo den Fährmann begraben hatte. Schreiend und grölend standen sie am anderen Ufer. Sie schossen mit ihren Revolvern in die Luft und winkten mit den Armen. Lobo legte die Schaufel zur Seite und sah zu ihnen hinüber. Die Män ner machten einen ungeheuren Lärm. Ihre Worte waren kaum zu verstehen. Doch an den Gesten er kannte Lobo, daß die vier Reiter wahrscheinlich übergesetzt werden wollten. Offensichtlich hielten sie ihn für den Fährmann. Langsam betrat Lobo den Steg. Die Männer auf der anderen Seite beru higten sich allmählich. Einer von ih nen, ein spindeldürrer, baumlanger Kerl trat dicht ans Ufer und legte beide Hände wie einen Trichter an den Mund. „Heh, Barquero!" brüllte er mit tie fer, aber lauter Stimme. „Wir haben es eilig! Willst du uns hier verhun gern lassen oder arbeitest du mit den beiden Banditen zusammen?" „Mit welchen Banditen?" rief Lobo zurück. Der Hagere drehte sich nach sei nen Leuten um und wechselte mit ih nen ein paar Worte, die Lobo nicht verstehen konnte. Sie brachen in schallendes Gelächter aus. 8
„Hol uns auf die andere Seite, und wir erklären dir alles!" rief der Ha gere schließlich. „Außerdem zahlen wir einen guten Preis!" Lobo überlegte nur kurz. Dann be trat er das Floß. Es waren zwei Män ner, die Lobos Pferd in wilder Jagd erschossen hatten. Das war vor zwei Tagen gewesen. Genauso lange war sicher auch schon der rothaarige Fährmann tot, den Lobo vor wenigen Minuten begraben hatte. Lobo hatte den Verdacht, daß die Männer, die sein Pferd getötet hat ten, dieselben waren, die den Fähr mann erschossen hatten. Wahr scheinlich wollten sie damit ihre Verfolger abhängen. Wenn Lobo mit dieser Vermutung recht hatte, konn ten ihm die vier Reiter auf der ande ren Seite des Colorado sicher mehr über die Mörder erzählen. Lobo löste die Taue, die das Floß am Steg festhielten, und stieß sich ab. Sofort packte die Strömung die Fähre. Eine Schlinge hielt das Floß an der Trosse, die quer über den Fluß gespannt war. An dieser Trosse zog Lobo die gewaltige Fähre langsam über den Fluß. Seine Füße stemmten sich gegen die Balken der Fähre. Seine Hand flächen brannten, wenn er an dem rauhen Hanf abrutschte. Schweiß tropfen bildeten sich auf seiner Stirn und liefen über sein Gesicht. In der Mitte des Colorado wurde die Strömung stärker. Das armdicke Halteseil ächzte unter der Belastung. Die Balken scheuerten aneinander und verursachten häßliche Geräu sche. Unter ungeheurer Anstren gung bewegte Lobo die Fähre Yard für Yard weiter vor. Die vier Reiter am anderen Ufer sahen Lobo gelangweilt zu. Sie saßen lässig auf dem schmalen Uferstrei fen und kauten auf abgerissenen Grashalmen. Der Hagere spielte mit
kleinen Steinen, die er hoch in die Luft warf und geschickt wieder auf fing. Nach einer Viertelstunde hatte Lobo die andere Uferseite erreicht. Es war ein Stück harter Arbeit gewe sen. Der lange Marsch durch die Wü ste hatte ihn doch stärker ge schwächt, als er zuerst angenommen hatte. Lobo band die Fähre am Ufer fest und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Jetzt hatte er auch Zeit, sich die vier Männer näher anzuse hen. Der Hagere war offenbar der An führer. Sein ganzes Auftreten deute te darauf hin, daß er es gewohnt war, Befehle zu geben. Er war mit einer schwarzen Hose und einer schwar zen Jacke bekleidet, die mindestens drei Nummern zu groß war. Um die Hüften schlang sich ein schwarzer Revolvergurt, der auch die Jacke zu sammenhielt. Aus der Halfter ragte ein Colt mit ungewöhnlich langem Lauf. Der dunkle Hut des Mannes war ausgefranst und an vielen Stellen durchlöchert. Die Löcher waren nicht nur von Motten gefressen. Of fensichtlich hatte der Hut schon vie le Schießereien erlebt. Das Gesicht des Mannes war ein gefallen, die Hautfarbe fast grau. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, waren glanzlos und mit einem gelbli chen Schleier überzogen. Der Mann sah krank aus. Viele kalte Winter würde er wahrscheinlich nicht mehr durchstehen können. Die drei anderen Männer in der Begleitung des Hageren erinnerten Lobo an die heruntergekommenen Säufer, die sich in der Nähe eines je den Saloons herumtrieben und für ein paar Dollar jede Dreckarbeit übernahmen. Ihre Kleidung war dreckig und
verkommen und verströmte einen Geruch, der Lobo den Atem nahm. Ihre unrasierten, brutalen Gesichter erweckten alles andere als Vertrau en. Aus ihren fast zahnlosen Mün dern kroch ein fauliger, mit Alkohol dunst vermischter Atem. Einzig ihre Waffen waren in einem ausgezeichneten Zustand. Das Leder ihrer Halfter war neu und hob sich hell und glänzend von der schmutzi gen Kleidung ab. Glatte Griffe von großkalibrigen Sechsschüssern rag ten aus den Halftern hervor. „Was starrst du uns an, Fähr mann?" meldete sich plötzlich einer der Männer. In seinem Mund steckte nur noch ein einziger großer schwar zer Zahn. „Hier ist keine Moden schau, wir müssen weiter!" „Er hat noch nie einen Weißen ge sehen", mischte sich ein anderer ein. „Siehst du nicht, daß das ein drecki ger Bastard ist?" „Sei vorsichtig mit dem, was du sagst", riet ihm Lobo mit ruhiger Stimme. „Du wärst nicht der erste, der sich so sein Maul verbrennt." Der Angesprochene preßte die Lippen aufeinander, seine Hand fuhr zum Revolvergriff. Doch ehe er zie hen konnte, schoß Lobos Faust vor und prallte gegen das ungedeckte Kinn des Mannes. Ohne einen Laut auszustoßen, taumelte der Kerl nach hinten und klappte zusammen. Be wegungslos blieb er auf dem Boden liegen. Lobos Faust hatte genau den richtige Punkt erwischt. „Noch jemand, der dazu etwas zu sagen hat?" fragte Lobo und sah sich drohend um. Die Männer standen verkrampft und bewegungslos. Sie wagten nicht, nach ihren Revolvern zu fassen. Für wenige Sekunden hatte ihnen Lobos Faustschlag Respekt eingeflößt. Nur langsam entspannten sie sich. „Du bist mutig, Barquero", begann 9
schließlich der Mann, der nur noch einen einzigen Zahn sein eigen nann te. „Aber nicht klug." Seine Hand nä herte sich dem Holzgriff seines Re volvers. Plötzlich meldete sich der Hagere. „Es ist gut, Bagley. Laß den Revol ver stecken. Der Barquero war im Recht. Hayes hat ihn beleidigt." Bagley ließ Lobo nicht aus den Au gen. Aber seine Hand näherte sich nicht weiter der Waffe. Schließlich nickte er. „In Ordnung, Cheever. Du bist der Boß. Aber ich mag es nicht, wenn man meinen Partner niederschlägt." Die letzten Worte waren an Lobo gerichtet. Sie sollten wohl drohend klingen, aber sie schüchterten Lobo nicht ein. „Und ich mag es nicht, wenn man die Waffe gegen mich zieht", erwi derte Lobo kalt. Bagley musterte Lobo aus schma len Augenschlitzen. Er nahm seine Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum. „Ich habe das Gefühl", sagte er schließlich, „daß wir irgendwann noch einmal aneinandergeraten werden." „Das kann schon sein", sagte Lobo und lächelte freundlich. „Am besten ist, du übst schon mal dafür." „Schluß jetzt!" befahl Cheever plötzlich. „Wir haben nicht viel Zeit. Was kostet es, wenn du uns und die Pferde übersetzt, Fährmann?" Lobo runzelte die Stirn und tat, als ob er nachdenken müßte. „Das wird nicht billig sein", sagte er dann. „Ich werde zweimal fahren müssen." „Wieviel?" fragte der Hagere unge duldig. „Zwei Dollar für jedes Pferd, ein Dollar pro Person", antwortete Lobo. „Einverstanden", sagte Cheever. „Aber warum willst du zweimal fah 10
ren? Das Floß ist breit genug. Selbst zehn Pferde fänden darauf Platz." „Unter Wasser", gab ihm Lobo la konisch zur Antwort. In diesem Augenblick erwachte der Mann wieder, den Lobo nieder geschlagen hatte. Stöhnend richtete Hayes sich auf und massierte ausgie big sein Kinn an der Stelle, an der ihn der Faustschlag getroffen hatte. Of fensichtlich hatte er das Gespräch zwischen Lobo und Cheever mitge hört. Denn er ging mit unsicheren Schritten auf Lobo zu und blickte ihn mißtrauisch an. „Der Mann will uns reinlegen", sagte Hayes. „Du bist ein Dickkopf", gab ihm Lobo zur Antwort. „Sicher hast du die Lektion eben nicht begriffen. Du beginnst dir schon wieder dein Maul zu verbrennen." Die Lippen des Mannes zitterten. Das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Doch diesmal fuhr seine Hand nicht sofort zum Revolver. Etwas hatte er doch gelernt. „Ich werde dich erst auf der ande ren Seite bezahlen", schaltete sich der Hagere wieder ein. „Erst wenn alle Pferde und alle Männer drüben sind." „Ich erwarte nichts anderes", sagte Lobo. Dann drehte er sich um und ging zum Floß zurück. „Bringt mir die ersten beiden Pferde!" rief er von dort. Cheever und Bagley reagierten als erste. Sie faßten ihre Tiere am Zügel und führten sie zum Ufer. Die Pferde zögerten zuerst, die schwankenden Balken der Fähre zu betreten. Doch schließlich gelang es den Männern, sie mit einem kräftigen Schlag auf die Kruppen auf das Floß zu treiben. Lobo band sie an zwei eisernen Rin gen, die in die Stämme eingelassen waren, fest. „Ein Mann kann noch mitfahren",
bestimmte Lobo und begann, die Sei le zu lösen, die die Fähre am Ufer festhielten. „Wir werden beide mitfahren", sagte Cheever. „Mein Partner und ich!" Langsam schüttelte Lobo den Kopf und befestigte wieder die Taue, die er soeben gelöst hatte. „Dann fahrt ihr alleine", sagte Lobo. „Das Floß ist stark genug, um eine ganze Armee überzusetzen", begann Cheever. „Was hast du vor?" „Ich habe vor, hier so lange zu war ten, bis einer von euch die Fähre ver lassen hat. Ich fahre nicht, wenn sie überladen ist." „Dies ist nicht die erste Fähre, mit der ich fahre", sagte Cheever. „Und ich verstehe genug davon, um zu er kennen, wann ein Floß überladen ist und wann nicht. Diese Fähre kann mindestens noch zehn weitere Pfer de aufnehmen." „Du magst etwas von Fähren ver stehen", gab Lobo zu. „Aber du ver stehst nichts von dem Fluß. Wenn du die Strömung des Colorados hier kennst, kannst du mitreden. Doch so lange laß mich meine Arbeit machen, wie ich sie für richtig halte. Aller dings habe ich nichts dagegen, dir das Floß zu leihen. Wenn du dich stark genug fühlst, fahr allein hin über. Nimm dann meinetwegen auch deine Partner und deren Pferde mit. Ich werde hier warten und zuse hen, wie ihr in der Mitte absauft." Starr waren die gelblichen Augen Cheevers auf Lobos Gesicht gerich tet. Sie musterten ihn scharf. Lobo hielt dem Blick stand. „Einverstanden", sagte der Hagere schließlich. „Du bist der Barquero. Bagley wird dich allein begleiten. Aber wenn du dir etwas einfallen läßt, was mir nicht gefällt, werde ich dich jagen und töten. Es ist mein Be ll
ruf. Du wirst mir nicht entgehen!" „Er will uns reinlegen", murmelte Hayes. „Ich traue ihm nicht, Boß!" Das war das letzte, was Lobo von ihm hörte. Als Cheever die Fähre wieder verlassen hatte, löste Lobo die Taue. Sofort trieb das Floß auf den Fluß. Jetzt, mit dem Gewicht der Pferde, lag es bedeutend ruhiger und sicherer auf dem Wasser. Es schwankte nur wenig. Kraftvoll und gleichmäßig zog Lobo es an der Füh rungstrosse auf den Colorado hin aus. Bagley saß am Rand der Fähre und beobachtete Lobo aus halb zusam mengekniffenen Augen. Seine rechte Hand lag auf dem Holzgriff seines Revolvers. Nach zehn Minuten hatte die Fähre die Mitte des Flusses erreicht. Die Strömung zerrte jetzt stärker an dem Haltetau, die Fähre begann hef tiger zu schaukeln. Die Pferde wie herten nervös und zerrten an den Zügeln. Aber die starken Eisenringe gaben nicht nach. Lobo wandte den Kopf und sah sich nach Bagley um. Der Bandit saß kerzengerade und verkrampft am Rand der Fähre und hielt sich mit beiden Händen an den Baumstäm men fest. Er war bleich geworden. „Du mußt mir helfen!" rief ihm Lobo zu. „Dies ist der gefährlichste Teil des Flusses!" Vorsichtig erhob sich Bagley und ging steifbeinig zur Führungstrosse. Dann klammerte er sich daran fest. „Was soll ich tun?" fragte er mit be legter Stimme. Sein ganzer Mut war von ihm abgefallen. „Ziehen!" befahl Lobo und sah sich um. Das Ufer, an dem er Cheever mit seinen beiden anderen Leuten zu rückgelassen hatte, lag weit hinter ihnen. Für einen sicheren Schuß war die Entfernung bereits zu groß. Jetzt war es für Lobo Zeit, seinen Plan 12
auszuführen. Lobo ließ die armdicke Trosse los und stellte sich neben Bagley, der sich verkrampft an das dicke Tau ge klammert hatte. Mit einer schnellen Bewegung hatte Lobo dem Mann den Revolver aus der Halfter gerissen und gespannt. Verwirrt starrte ihn Bagley an. „Was soll das?" stammelte er. „Warum fahren wir nicht weiter?" „Wir müssen uns zuerst einmal un terhalten", erwiderte Lobo. „Ich habe verschiedene Fragen." „Fragen, was für Fragen?" stotter te der Mann. Die starke Strömung, das Schaukeln der Fähre und jetzt auch noch der gespannte Revolver hatten ihn völlig verängstigt. „Was sind das für Männer, die ihr verfolgt?" fragte Lobo. „Banditen", antwortete der Mann schnell. „Cheever verfolgt sie. Er hat uns nur angeworben. Wir sollen ihm dabei helfen." „Was für Banditen?" fragte Lobo weiter. „Ich kenne sie nicht", stammelte Bagley. „Cheever hat mit ihnen ab zurechnen. Ich glaube, er ist ein Kopfgeldjäger." „Hast du die Männer gesehen, die ihr verfolgt?" „Nur kurz", antwortete Bagley. „Ich habe nur noch ihre Pferde in Erinnerung. Sie trugen mexikani sche Sättel. Sie waren mit vielen sil bernen Nieten und Knöpfen beschla gen. Mehr weiß ich nicht." Lobo war jetzt fast sicher, daß die Männer, die sein Pferd niederge schossen hatten, dieselben waren, die auch von Cheever verfolgt wurden. Die wilden Reiter, die ihm begegnet waren, hatten ebenfalls in mexika nischen Sätteln mit reichen Verzie rungen gesessen. „Wußten die Banditen, daß ihr sie verfolgt?" fragte Lobo weiter.
Bagley nickte nur. Ihm wurde „Ich fürchte, das kann ich leider langsam schlecht. Das unregelmäßi nicht machen", sagte Lobo mit Be ge Schaukeln der Fähre konnte er dauern in der Stimme. „Ich will die nicht ertragen. Banditen nämlich als erster haben. Lobo vermutete, daß die Banditen Ich möchte nicht, daß ihr mich dabei den Fährmann erschossen hatten, behindert." um zu verhindern, daß Cheever den „Ich werde dich nicht behindern", Fluß überquerte. So wollten sie die versprach Bagley. „Bei allem, was Verfolger abhängen. mir heilig ist!" Er versuchte, eine Plötzlich peitschte ein Schuß auf, Hand zum Schwur zu heben, ließ es und ein Projektil schlug eine kleine aber sein, als eine Welle das Floß er Fontäne aus dem Wasser neben der neut zum Schwanken brachte. Ver Fähre. Lobo sah Cheever am Ufer zweifelt klammerte er sich an die stehen. Der Kopfgeldjäger hatte sei Trosse. nen Revolver in der Hand und zielte Lobo hatte nun genug erfahren. Er auf das Floß. Doch die Entfernung kannte das Ziel der Banditen und war zu groß. Seine Schüsse konnten würde sie finden. Kopfüber stürzte Lobo nicht gefährden. er sich in, den Colorado. Sofort erfaß „Du hast mich reingelegt, Halb te ihn die Strömung und trieb ihn Mit kraftvollen blut!" brüllte der hagere Mann am flußabwärts. kämpfte Ufer. „Dafür wirst du büßen müs Schwimmbewegungen sen!" Lobo dagegen an. „Ich habe dich nicht reingelegt!" Er erreichte das Ufer etwa einhun rief Lobo zurück. „Wir haben nur zu dertfünfzig Yards unterhalb des fällig dieselben Gegner. Ich möchte kleinen weißen Hauses, in dem der die Männer als erster haben!" Fährmann gewohnt hatte. Die Fähre „Sie gehören mir!" schrie Cheever schwamm noch immer auf der Mitte zurück. Seine Stimme wurde schril des Flusses. Lobo sah Bagley, der zu ler. Sie überschlug sich fast. „Nie sammengesunken auf dem Floß saß und jammerte. mand nimmt sie mir weg!" Am anderen Ufer stand Cheever „Du irrst", erwiderte Lobo. „Ich bin im Augenblick in der besseren Posi und fluchte, was sein Wortschatz hergab. Begleitet wurden die Flüche tion!" Bagley klammerte sich noch im von einigen Schüssen, die aber alle mer an die Trosse. Er mußte sich samt wirkungslos blieben. übergeben, aber er ließ nicht los. Er Lobo warf seinen Sattel auf den war kein Mann, der sich auf dem grauen Hengst des toten Fährmanns Wasser wohl fühlte. und zurrte ihn fest. Dann schwang er „Weißt du, wohin die Banditen ge sich auf den Rücken des Tieres und ritt nach Süden. ritten sind?" fragte ihn Lobo. Bagley zwang sich zu einem kur zen Nicken. „Sie sind auf dem Weg zu einer Ha zienda am Rio Grande. Die Hazienda Piedras Negras lag friedlich und liegt genau auf der Grenze nach Me still in der Mittagssonne. Die kleinen, xiko. Sie gehört José Philippo. In der meist einstöckigen Häuser reflek Nähe von Piedras Negras. Jetzt habe tierten mit ihren weißgekalkten ich dir alles gesagt, was ich weiß. Bit Wänden grell das helle Sonnenlicht. te bring mich ans Ufer." Scharf zeichneten sich die Schatten 13
der Häuser in den schmalen Seiten gassen auf dem gelblichen Lehmbo den ab. Unter den hölzernen Markisen, an denen sich kümmerliche Weinran ken emporschlangen, saßen zusam mengekauert einige Mexikaner mit tief ins Gesicht gezogenen Sombre ros. Mit geschlossenen Augen hielten sie Siesta, und kaum einer von ihnen blickte auf, als Lobo langsam in den Ort ritt. Unter einer hohen Palme, die mit ihren breiten, gefächerten Blättern ausreichend Schatten spendete, hielt Lobo an und band sein Pferd locker an den rauhen Stamm. An einem na hen Brunnen ließ er Wasser in seinen Hut laufen und gab dann dem Hengst zu saufen. Ein kaum wahrnehmbarer Wind hauch wehte den Geruch von gebra tenem Fleisch, Knoblauch und Zwie beln über die Straße und erinnerte Lobo daran, daß er seit vielen Tagen nichts Anständiges zwischen den Zähnen gehabt hatte. Er ging dem Geruch nach und fand eine winzige Taberna, aus deren niedriger Tür schrille Pianomusik erklang. Lobo schob den Vorhang aus auf gereihten Holzperlen auseinander und betrat das verräucherte Halb dunkel des kleinen Schankraums. Bis auf den Wirt, einen fetten Mexi kaner mit freundlichem Grinsen, war die Taberna leer. Trotzdem spielte ein automatisches Piano in ei ner Ecke unermüdlich. Sobald Lobo den Raum betreten hatte, watschelte der Wirt auf ihn zu, wischte mit einem schmutzigen Lap pen über einen Stuhl und lud seinen Gast mit einer großartigen Handbe wegung ein, Platz zu nehmen. „Willkommen, Señor", sagte er da bei. „Ich stehe zu Ihren Diensten!" „Dann wäre ich Ihnen sehr dank bar, wenn Sie die Musik für einige 14
Zeit unterbrechen könnten", sagte Lobo mit lauter Stimme und hoffte, das Geklimper übertönen zu können. Der Wirt zuckte zurück, als ob ihn eine Ohrfeige getroffen hätte. Seine speckigen Wangen bebten vor Ent rüstung. „Señor, was verlangen Sie da", sag te er und schnappte nach Luft. Mit einem seiner kurzen Wurstfinger deutete er auf den Automat. „Dieses Piano ist ein Wunderwerk. Die Krö nung menschlichen Erfindergeistes." Er breitete beide Arme aus und be wegte sich mit tanzenden Schritten durch den Schankraum. „Sehen Sie irgendwo einen Pianisten?" fragte er. „Sehen Sie jemanden, der die Ta sten bedient? Und doch spielt dieses Piano. Hören Sie die Musik! Wun derschöne, himmlische Klänge. Be obachten Sie die Tasten. Sie bewegen sich. So, als ob eine unsichtbare, gei sterhafte Hand sie bediente. Wie können Sie nur verlangen, dieses Wunderwerk abzustellen?" „Ich werde krank davon", antwort ete Lobo knapp. Das schrille, wilde Geklimper bereitete ihm Kopf schmerzen. Dazu kam, daß das Piano seit Ewigkeiten wohl nicht mehr ge stimmt worden war. Manche Töne klangen nicht so, wie sie eigentlich klingen sollten. „Sie werden krank davon?" Der Wirt sah so aus, als ob er nicht richtig verstanden hätte. Entgeistert starrte er Lobo mit hängenden Schultern an. „Wissen Sie überhaupt, wie ich zu diesem Wunderwerk gekommen bin, wieviel Mühe und Geld es mich ge kostet hat..." Er brach seinen Redefluß plötzlich ab und wurde bleich. Mit aufgerisse nen Augen starrte er auf den Revol ver, den Lobo mit einer blitzschnel len Bewegung aus der Halfter gezo gen hatte und nun auf das automati sche Piano richtete. Die linke Hand
Lobos zog vorsichtig den Hahn zu rück. Es gab ein metallisches Knak ken, als der Hahn einrastete. „Was machen Sie da?" stammelte der Wirt und ließ seine noch immer ausgebreiteten Arme kraftlos herab fallen. „Ich stelle jetzt die Musik ab", er widerte Lobo knapp. „Oder wollen Sie das übernehmen?" Mit einer ungeheuren Geschwin digkeit, die Lobo seiner Körperfülle niemals zugetraut hätte, sprang der Wirt auf den Automat zu und stellte sich schützend davor. „Wenn Sie mein Piano töten, müs sen Sie mich ebenfalls erschießen", sagte er mit fester Stimme. Er meinte es offensichtlich ernst. Sein Gesicht hatte einen entschlossenen, todes mutigen Zug angenommen. „Stellen Sie das Ding ab, ich zähle bis drei", drohte Lobo. Die Sache amüsierte ihn, doch sein Gesicht blieb ernst. „Eins ...", begann er. Der Wirt rührte sich nicht. „Zwei..." Die Augenlider des Mexikaners begannen zu zittern. Unruhig kaute er auf seiner Unterlippe. Sein Atem stockte. „Drei!" Noch ehe die letzte Zahl verklun gen war, warf sich der Wirt herum und riß einen seitlich angebrachten Hebel herunter. Mit einem klagen den Geräusch verstummte das Pia no. Schwer atmend blieb der Mexi kaner so einige Zeit liegen. „Kann man hier nur Musik hören oder auch etwas essen?" fragte Lobo schließlich und erinnerte damit den Mexikaner daran, daß er eigentlich Wirt von Beruf war. Der Wirt wälzte sich von seinem Piano herunter und sah Lobo böse an. „Sie sind ein schlechter Mensch", 16
sagte er vorwurfsvoll. „Sie haben keinen Sinn für Kunst und die Tech nik der Zukunft. Aber Sie können selbstverständlich etwas essen. Hammelkotelett und ausgezeichnete Bohnen. Die besten von ganz Mexi ko." „Dann bringen Sie mir eine große Portion", sagte Lobo, ließ den Hahn des Revolvers zurückschnappen und schob die Waffe in die Halfter. „Und eine gute Flasche Wein!" rief er noch dem Wirt nach, der mit hängendem Kopf in die Küche watschelte.
Das Essen war vielleicht nicht das beste von ganz Mexiko, aber es war gut und ausreichend. Lobo ließ es sich schmecken. Es war eine ange nehme Abwechslung nach dem Dörrfleisch, von dem er sich in den letzten Tagen hauptsächlich ernährt hatte. Der Wirt beobachtete Lobo wort los. Als er sah, daß es ihm schmeckte, wurde sein Gesicht wieder etwas freundlicher. Schließlich versöhnte ihn Lobo entgültig dadurch, daß er die Koteletts und Bohnen ausgiebig lobte. Das Gesicht des Mexikaners zerfloß vor Freude. Seine kleinen dunklen Äuglein verschwanden fast gänzlich zwischen dicken Speckwül sten. „Sie verstehen vielleicht nichts von Musik und Technik", sagte er, „aber Sie verstehen sehr viel von gutem Essen. Meine Küche ist die beste!" Lobo spülte den letzten Bissen mit einem Schluck des kräftigen roten Weins hinunter und wischte sich den Mund ab. Er war gestärkt, jetzt konnte er wieder an seine eigentliche Aufgabe denken. „Kennen Sie sich hier in der Ge gend aus?" fragte er. Der Wirt warf sich stolz in die
Brust. „Ich kenne jeden Strauch und je den Baum in weitem Umkreis. Kei ner kennt sich hier besser aus als ich." „Dann kennen Sie sicher auch José Philippo", sagte Lobo. „Ich suche sei ne Hazienda." „José Philippo", wiederholte der Wirt langsam und nachdenklich. Er betonte jeden einzelnen Buchstaben des Namens. „Was wollen Sie von ihm?" „Ich will ihn besuchen", erwiderte Lobo ausweichend. „Sind Sie ein Freund von José?" fragte der Wirt. „Kann schon sein", antwortete Lobo. „Das wird sich herausstellen. Wo wohnt er?" Das Gesicht des Mexikaners hatte plötzlich etwas Lauerndes. Miß trauisch sah er Lobo an. Lobo glaub te auch Angst in seinen Augen er kennen zu können. „José Philippo ist ein häufiger Name", antwortete der Mexikaner ausweichend. „Ich weiß nicht, wen Sie suchen. Ich kann Ihnen da keine Auskunft geben." „Wie viele Josés gibt es hier?" frag te Lobo. „Wie viele kennen Sie?" Der Mexikaner zuckte hilflos mit den Schultern. „Señor, eigentlich kenne ich gar keinen José Philippo", antwortete er mit Bedauern in der Stimme. „Ich muß mich geirrt haben. Sicherlich habe ich zuerst an jemand anderes gedacht." Er wandte sich ab und wollte wieder in der Küche ver schwinden. Lobo war sich sicher, daß der Me xikaner mehr wußte, als er zugab. Aber vor irgend etwas hatte er Angst. Lobo hatte keine andere Wahl. Wenn er von dem Wirt etwas erfahren wollte, mußte er diese Angst noch übertrumpfen.
„He, Wirt!" rief Lobo hinter dem Mexikaner her. „Ich habe das Ge fühl, daß Sie mich belügen. Das ist ein schlechtes Gefühl." Der Mexikaner blieb stehen und blickte über die Schulter zurück. „Wissen Sie, was die Indianer ma chen, wenn sie herausfinden wollen, ob jemand die Wahrheit sagt?" frag te Lobo weiter. „Sie lassen den Gro ßen Geist entscheiden. Langsam drehte sich der Wirt wie der um. Er ahnte nichts Gutes. Lobo richtete seinen Revolver von neuem auf das automatische Piano. Matt glänzte der Lauf in dem Halb dunkel der Taberna. „Ich werde nun versuchen", er klärte Lobo, „mit geschlossenen Au gen auf das Piano zu schießen. Wenn ich den Hebel gut treffe, und es be ginnt wieder zu spielen, dann wissen Sie wirklich nichts und mein Gefühl hat mich getrogen. Es kann aber auch sein, daß das Projektil das feine Holz durchschlägt und die gesamte Mechanik zerstört. In dem Fall hatte ich recht. Ich hoffe, Sie sind einver standen. Wenn Sie ein gutes Gewis sen haben, vertrauen Sie auf den Großen Geist. Bei den Indianern hilft er immer." Lobo schloß fest die Augen und umklammerte den Griff der Waffe mit beiden Händen. Seine Daumen suchten den Hahn. Der Wirt war bleich geworden. Mit zitternden Lip pen sah er dem Halbblut zu. Er war wie gelähmt und zu keiner Bewe gung fähig. Erst als der Hahn laut knackte und einrastete, kam Leben in den gewaltigen Leib. Er fuchtelte mit beiden Armen in der Luft und stampfte mit den kur zen, fetten Beinen wie ein störrisches Kind auf den Boden. „Warten Sie, warten Sie", bettelte er mit weinerlicher Stimme. „Nicht das Piano! Mir fällt ein, ich kenne ei 17
nen José. Ich glaube, er hieß auch Philippo und hat eine Hazienda. Ich bin mir sogar sicher. Sehr sicher!" „Wo ist die Hazienda?" fragte Lobo, ohne die Augen zu öffnen oder den Revolver zu senken. „Am Rio Grande", beeilte sich der Wirt zu erklären. „Etwa zwanzig Meilen weiter nördlich. Reiten Sie am Fluß entlang. Sie können die Ha zienda gar nicht verfehlen." Lobo schob die Waffe in die Halfter zurück und lächelte dankbar. „Warum nicht gleich so?" fragte er freundlich. „Das hätte uns viel Auf regung erspart. Was habe ich zu be zahlen?" Der Mexikaner hatte sich immer noch nicht ganz wieder erholt. Er at mete schwer, und es fiel ihm nicht leicht, den Preis zu nennen. „Wenn Sie in Dollar bezahlen wol len", sagte er schließlich, „einen Dol lar." Lobo warf ihm die Münze zu. Ge schickt fing sie der Wirt aus der Luft. Die Bewegung beherrschte er. Lobo stand auf und ging zur Tür. Ehe er den Raum verließ, schaltete er das automatische Piano wieder an. Fröhlich klimperte es los. Die Musik verfolgte Lobo noch, als er längst wieder auf seinem Hengst saß und langsam aus dem Ort ritt.
Die Hazienda sah aus wie eine Fe stung. Hohe, fensterlose Mauern um schlossen die Wirtschaftsgebäude, das Wohnhaus und den rechteckigen Innenhof. Die Mauern, aus gebrann ten Adobelehmziegeln erbaut, wirk ten grau und drohend. Die Hazienda lag auf einer schma len Landzunge, die weit in den Rio Grande hineinragte. An drei Seiten wurde sie vom Wasser des Flusses umspült. Dadurch war sie fast un 18
einnehmbar. Räuberische Banden, die sich immer wieder hier im Grenzgebiet herumtrieben, hatten kaum eine Chance, sie einzunehmen. Die Fläche vor der Hazienda war auf zweihundert bis dreihundert Yards völlig baum- und strauchlos. Es gab keine Möglichkeit für einen eventuellen Angreifer, hier Deckung zu suchen. Zwei oder drei Männer, die mit Gewehren umgehen konnten, waren in der Lage, die Hazienda ge gen eine große Zahl Feinde zu vertei digen. Lobo war am Fluß entlang gerit ten, wie es ihm der fette Wirt emp fohlen hatte. Jetzt stand er im Schat ten eines glatt geschliffenen Felske gels und beobachtete die Hazienda. Eine dünne Rauchwolke stieg senk recht aus dem Innenhof auf und verlor sich dann in dem gleißenden, hellblauen Himmel. Ein Mexikaner mit einem riesigen, aus Stroh ge flochtenen Sombrero schlenderte langsam auf einer der hohen Mauern hin und her. In seiner Armbeuge lag ein Gewehr. An der lässigen und unaufmerksa men Art des Mannes erkannte Lobo, daß die Männer im Innern der Ha zienda nichts Feindliches erwarte ten. Wenn die Banditen, die Lobo verfolgte, dort wirklich Unter schlupf gefunden hatten, rechneten sie wahrscheinlich nicht damit, daß sie hier jemand suchte. Lobo drückte seinem Hengst leicht die Fersen in die Seiten und ritt auf die Hazienda zu. Er ritt langsam und offen, er machte sich nicht die Mühe sich zu verbergen. Er wollte den Ein druck erwecken, daß er nur zufällig hier vorbeikam. Die strategisch günstige Lage des Gebäudes ließ auch gar keine andere Möglichkeit zu. Höchstens in der Nacht hätte er sich unbemerkt an schleichen können. Doch Lobo hatte
keine Zeit zu verlieren. Es brannte ihm unter den Nägeln, die Banditen zu stellen. Lobo war sich nicht sicher, ob ihn die Männer wiedererkennen wür den. Als sie sein Pferd erschossen hatten, war alles sehr schnell gegan gen. Vermutlich hatten sie sich nicht die Zeit genommen, sich sein Gesicht einzuprägen. Schließlich konnten sie nicht damit rechnen, daß es Lobo ge lingen würde, aus der Hölle der Wü ste zu entkommen. Doch Lobo würde sie wiedererken nen. Die wenigen Augenblicke, in de nen sie an ihm vorbeigeprescht wa ren und auf ihn geschossen hatten, hatten ihm genügt. Von da an wa ren ihm die unrasierten Gesichter nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er erinnerte sich noch an jede Klei nigkeit. An die lange, bläuliche Nar be auf der Wange des einen und an die schmalen, hinterhältigen Augen des anderen Banditen. Nie würde er sie vergessen können. Gleichzeitig mit den Gesichtern der Banditen tauchte auch das leblo se Gesicht des toten Fährmanns in seiner Erinnerung auf. Auch für die sen feigen und hinterhältigen Mord würden sie büßen müssen. Kurz vor dem Tor der Hazienda zügelte Lobo sein Pferd. Abwartend blickte er zu dem Mexikaner hinauf, der auf der Mauer stand und Wache hielt. Der Mexikaner stand lässig und uninteressiert da. Gelangweilt kaute er auf einem dicken Stück Ta bak. Brauner Saft lief aus seinem Mundwinkel und über das stopplige Kinn. Er bemühte sich nicht, den Speichel abzuwischen. „Buenos dias", begrüßte Lobo ihn. „Willst du mir nicht das Tor öffnen?" „Warum sollte ich das?" fragte der Mexikaner, ohne seine Haltung zu verändern. Sein Gesicht machte kei nen besonders intelligenten Ein
druck. „Weil ich Futter für mein Pferd brauche und frisches Wasser", erwi derte Lobo freundlich. „Das sagen sie alle", sagte der Me xikaner und rührte sich keinen Fin gerbreit von der Stelle. „Vielleicht brauchen das auch alle", antwortete Lobo und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Vorerst mußte er versuchen, jeden Ärger zu ver meiden, um in die Hazienda hinein zukommen. „Ich nicht", sagte der Mexikaner und legte seine Stirn in Falten. Es hatte den Anschein, als ob dies ein völlig neuer Gedanke für ihn wäre. „Ich bewundere dich", sagte Lobo und entlockte damit dem Mexikaner den leichten Anflug eines stolzen Grinsens. Doch dies war wohl das einzige Mienenspiel, zu dem er fähig war. Denn sofort darauf verfiel er wieder in sein lässiges, gelangweiltes und ausdrucksloses Kauen. Auf diese Art und Weise hatte Lobo keine Chance, jemals das Inne re der Hazienda betreten zu können. Er mußte es anders versuchen. Lobo zog eine Stange Kautabak aus seiner Satteltasche und hielt sie gegen die Sonne, als ob er sie intensiv prüfen müßte. Dann zuckte er mit den Schultern. „Zu dumm", sagte Lobo dabei. „Lei der habe ich keine Ahnung von Ta bak. Ich weiß nicht, ob diese Stange noch brauchbar ist. Der Mexikaner horchte auf und schob seinen Kopf ein Stück weiter vor, um den Kautabak besser sehen zu können. „Aber ich", sagte er plötzlich sehr interessiert. „Wirf mir den Tabak hoch!" Lobo schüttelte den Kopf. „Das ist mir zu gefährlich", sagte er bedauernd. „Vielleicht kannst du nicht richtig fangen und die Stange 19
fällt in den Schmutz. Das wäre doch zu schade." Der Mexikaner starrte mit großen Augen auf den Kautabak. Ganze Bä che von braunem Saft quollen dabei über seine Lippen. Lobo hatte genau seinen schwachen Punkt erwischt. „Du hast recht, Hombre", sagte schließlich der Mexikaner. „Das wäre nicht gut. Nicht in den Schmutz werfen. Ich komme, und du gibst ihn mir in die Hand!" Flink wie ein Wiesel verschwand der Wächter von der Mauer. Lobo hörte, wie er eine knarrende Holz treppe auf der anderen Seite herun terlief. Kurz darauf wurde der Rie gel des großen Tores zur Seite ge schoben, und der Mexikaner öffnete den Eingang. Mit ausgestreckten Händen erwartete er Lobo. Lobo ritt durch das Tor. Er mußte den Kopf ein wenig einziehen dabei, weil der Querbalken zu niedrig war. Er drückte den Kautabak dem Mexi kaner in die bebenden Finger und ritt ungehindert weiter in den In nenhof. In der Mitte befand sich ein kreis runder Brunnen. Dort stieg Lobo ab und holte mit einem hölzernen Eimer frisches Wasser aus dem Schacht. Während er sein Pferd tränkte, sah er sich um. Der Hof wurde rechts und links durch Stallungen und Lagerschup pen begrenzt. Das eigentliche Wohn haus befand sich genau dem großen Holztor gegenüber. Es war ein statt licher Bau mit weiß getünchten Wänden. Hohe Säulen stützten eine Veranda ab, die in Höhe des ersten Stockwerks um das Haus herumlief. Schmiedeeiserne Gitter versperrten die großen Fenster, die zusätzlich noch teilweise mit bunten Glasschei ben verschlossen waren. Aus breiten, niedrigen Kübeln, die mit Erde ge füllt waren, rankten sich Rosen mit 20
ungewöhnlich großen Blüten um die Pfeiler der Veranda. Eine Schar Hühner lief frei auf dem Hof herum und suchte schar rend nach Körnern und Insekten. Im Schatten eines der Ställe lagen drei schwarz gefleckte Schweine und dö sten träge in der Nachmittagshitze. In der Nähe war eine Ziege ange pflockt, die auf einem trockenen Halm kaute und Lobo interessiert be obachtete. Neben dem Wohnhaus brannte ein niedriges Feuer. Von dort stieg der blaue Rauch in den windstillen Him mel, den Lobo vom Fluß aus bereits gesehen hatte. Über der Glut hing ein knusprig gebratenes Lamm auf einem Spieß. Eine Frau, die in dicke schwarze Tücher gehüllt war, drehte langsam und gleichmäßig den Bra ten. Einige Männer schauten ihr dabei zu, unterhielten sich und tranken aus großen Bechern roten Wein, der aus einem gewaltigen Faß etwas abseits floß. In der Nähe waren Tische und grobe Holzbänke aufgebaut. Es sah so aus, als ob hier ein Fest gefeiert werden sollte. Lobo musterte aufmerksam die Männer und die Umgebung. Doch nirgendwo konnte er die Banditen entdecken, die er suchte. Eine Hand legte sich schwer auf Lobos Schulter und zwang ihn he rum. Er blickte in das aufgedunsene Gesicht eines kleinen, fetten Mexi kaners, der einen langläufigen Re volver auf Lobos Brust preßte. Ein Auge des Mannes war von einer schwarzen Augenklappe verdeckt. Aus dem anderen Auge funkelte er Lobo böse an. „Gefällt es dir hier, Fremder?" fragte der Einäugige und verzog sein Gesicht zu einem bösen Grinsen. Lobo befreite sich von der Hand auf seiner Schulter und trat einen
Schritt zurück. „Eine Hazienda ist wie die andere", sagte Lobo ausweichend und be obachtete den Finger des Mexika ners, der ruhig am Abzug der Waffe lag. „Nicht ganz richtig", erwiderte der Einäugige. „Mal sind Fremde will kommen, mal nicht!" „Ich kann mir schon denken, wie das mit den Fremden hier ist", sagte Lobo und deutete auf die gespannte Waffe. Der Mexikaner grinste. „Du bist klug, Hombre", erwiderte er. „Du hast sofort gewußt, daß du hier nicht willkommen bist." „Zu dumm", sagte Lobo ruhig.. „Aber was machen wir jetzt?" „Du wirst wieder verschwinden", gab ihm der Mexikaner zur Antwort. „Entweder auf deinem Pferd oder im Sarg." „Das gleiche gilt auch für dich", er widerte Lobo. Dann sprang er plötz lich zur Seite und trat mit dem Fuß gegen die Waffe. Es gelang dem Ein äugigen noch, abzudrücken, aber die Kugel pfiff nutzlos in den blauen Himmel. Zu einem zweiten Schuß kam er nicht mehr. Lobo packte den Mexikaner am Kragen. Der Mann riß seinen Mund auf und schnappte nach Luft. Seine Hände fuhren zum Hals und ver suchten, Lobos Finger aufzubiegen. Sein Revolver fiel zu Boden. Lobo stieß den Mann von sich fort und bückte sich nach der Waffe. Er schlug den Hammer zurück und richtete den Lauf auf den Einäugi gen. Alles war so schnell gegangen, daß der Mexikaner kaum folgen konnte. Jetzt starrte er verwundert auf seine eigene Waffe, die auf ihn gerichtet war. „Ich mag es nicht, wenn man mich zu irgend etwas zwingen will", sagte
Lobo. „Am wenigstens aber mag ich es, wenn man mir einen Revolver auf die Brust hält. Hast du das verstan den?" Der Einäugige nickte gehorsam. Die Lektion war deutlich genug. Als Lobo sah, daß er von dem Mann nichts mehr zu befürchten hatte, ließ er den Hahn zurückschnappen und wirbelte die Waffe spielerisch um den Finger. Dann warf er sie dem Einäugigen zu. Der Mann war immer noch so ver wirrt und eingeschüchtert, daß er nicht reagierte, um den Revolver zu fangen. Die Waffe prallte gegen sei nen gewaltigen Bauch, federte leicht ab und fiel vor ihm auf den Boden. „Heb den Revolver auf, Drago, und verschwinde!" befahl plötzlich ein Mann, der aus dem Wohnhaus trat und langsam auf den Brunnen zu ging. Der Mann war hochgewachsen und schlank. Er trug eine schwarze Hose und ein schwarzes, mit Rü schen besetztes Hemd. Um die Hüf ten schlang sich ein Revolvergurt aus schwarzem Leder, der mit zahl losen silbernen Nieten verziert war. Aus der Halfter ragte ein Revolver mit weißem Permuttgriff. Mit eleganten und wiegenden Schritten ging der Mann auf Lobo zu. Seine rechte Hand schwebte in un mittelbarer Nähe des Revolvers. Je der einzelne Finger der Hand trug ei nen goldenen Ring mit großen Edel steinen. Der fette Mexikaner starrte den Schwarzgekleideten erschrocken an und bückte sich dann blitzschnell nach seiner Waffe. Er watschelte da von, ohne sich noch ein einziges Mal umzublicken. Offensichtlich hatte er Angst. Dicht vor Lobo blieb der Mann mit der schwarzen Kleidung stehen. Er musterte Lobo mit kalten Augen. 21
Lobos Körper verkrampfte sich. ten können. Außerdem konnte er nir Heiß durchströmte ihn ein nahezu gendwo besser seine Vergeltungs unstillbarer Wille zu kämpfen. Er pläne schmieden als in der Höhle des Löwen selbst. Lobo schlenderte zu hatte den Mann sofort erkannt. Zwar trug der Mann jetzt eine an dem Feuer, über dem das Lamm ge dere Kleidung, und auch sein Gesicht braten wurde. war glatt rasiert, aber die lange, bläuliche und an den Rändern ge schwollene Narbe, die quer über sei ne Wange verlief, verriet Lobo, daß Um Mitternacht war die Feier be er hier einen der Banditen vor sich reits beendet. Die Männer lagen be hatte, die er suchte. Dies war einer trunken um das niedergebrannte der wilden Reiter, die sein Pferd ge Feuer, schliefen auf den harten tötet hatten. Holzbänken oder taumelten orien „Mein Name ist José Philippo", be tierungslos zwischen den sich suh gann der Mann. „Dies ist meine Ha lenden Schweinen herum. Das riesi ge Faß Wein war leer, und nur von zienda. Was willst du hier?" Es fiel Lobo nicht leicht, sich zu be Zeit zu Zeit löste sich noch ein einzel herrschen. Aber er mußte jede Un ner Tropfen des starken, roten Ge überlegtheit vermeiden. Er konnte es tränks von dem geöffneten Hahn. Auch der Wachtposten, der Lobo sich nicht leisten, den Bandit in sei nem eigenen Haus zu stellen. Es wa am Nachmittag das Tor geöffnet ren wahrscheinlich zuviel Waffen hatte, saß zusammengekauert auf seinem Turm. In einer Hand hielt er auf seinen Rücken gerichtet. „Ich brauche Wasser und etwas einen ausgetrunkenen Becher, in der Futter für mein Pferd", antwortete anderen wie ein Zepter die Stange Lobo und bemühte sich, seiner Stim Kautabak, die ihm Lobo gegeben me einen normalen Klang zu geben. hatte. Laut und gleichmäßig dröhnte „Ich werde dafür bezahlen, wie ich es sein Schnarchen über die Hazienda. gewohnt bin. Aber ich bin es nicht Sonst war alles still. gewohnt, daß ich mit geladenen Lobo saß auf der Treppe der Ve Waffen empfangen werde." randa, die um das Wohnhaus herum José setzte ein dünnes, überlegenes lief. Von hier aus hatte er den ganzen Abend die Männer beobachtet. Ru Lächeln auf. „Natürlich kannst du dein Pferd hig hatte er ihnen zugesehen und ge versorgen", sagte er gönnerhaft. wartet. Jetzt war die Zeit gekommen, „Drago ist ein Dummkopf. Ich werde in der er handeln konnte. ihn bestrafen." Er wandte sich um Nachdem José Philippo Lobo ein und wies mit einer einladenden Ge geladen hatte zu bleiben, war er im ste auf das Feuer und das Weinfaß. Wohnhaus verschwunden und nicht „Du selbst kannst dich auch versor wieder aufgetaucht. Er hatte an der gen. Sei mein Gast. Wir haben heute Feier der Männer nicht teilgenom eine kleine Feier. Setz dich dazu und men. Auch den zweiten Mann hatte iß und trink. Meine Leute werden Lobo bisher noch nicht entdecken sich um dein Pferd kümmern." können. Doch er war sicher, daß er Lobo nickte und dankte. Etwas ihn finden würde. Besseres konnte er sich nicht wün Geräuschlos erhob er sich und schen. Ungehindert würde er so nach schlich um das Wohnhaus herum. An dem zweiten Banditen Ausschau hal einem der seitlichen Fenster blieb er 22
stehen. Er umklammerte das eiserne Gitter, das das Fenster versperrte, und prüfte seine Festigkeit. Die Ei senstäbe waren tief in das Mauer werk eingelassen. Sie waren stabil genug, Lobo zu tragen. Lobo setzte einen Fuß auf die Fensterbank und zog sich dann mit einem Schwung hoch. Bequem und sicher wie auf einer Leiter kletterte Lobo an den Gittern die Hauswand hoch. Wenige Augen blicke später hatte er den unteren Rand der oberen Fenster erreicht. Er zog sein Bowiemesser aus dem Gür tel und bohrte die Klinge in das harte Holz des Fensters. Dann drückte er das Messer leicht nach oben. Mit ei nem leisen Knacken rutschte das Fenster hoch. Lobo zog sich vollends hinauf und schwang sich über die Brüstung in das Innere des Hauses. Er ließ sich zu Boden gleiten und lauschte. Er wagte nicht zu atmen. Seine rechte Hand lag auf dem Griff seines Revolvers. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und es ge lang ihm, die einzelnen Gegenstände zu unterscheiden. Der Raum war fast leer. In einer Ecke waren Kisten aufgestapelt, daneben lagen einige Stühle. Es sah so aus, als ob dieses Zimmer als Abstellraum genutzt wurde. Lobo erhob sich, zog sein Messer aus dem Fensterrahmen und schob es zurück in den Gürtel. Dann schlich er geräuschlos zur Tür. Seine Hand legte sich auf die Klinke und drückte sie leicht nach unten. Die Tür quietschte leise, als sie ein Stück aufschwang. Plötzliches Hufgetrappel ließ Lobo zusammenzucken. Er schloß die Tür und glitt wieder zum Fenster. Im fahlen Licht des Mondes sah Lobo den Reiter, der in vollem Galopp auf den Innenhof preschte und vor dem
Wohnhaus sein Pferd hart zügelte. Der Mann ließ sich nicht die Zeit, die Zügel des Tieres um den Halte balken zu schlingen. Er glitt gehetzt aus dem Sattel und stürmte die drei niedrigen Stufen zum Eingang hoch. Im nächsten Augenblick war er im Haus verschwunden. Lobo hatte den Reiter nicht genau erkennen können. Aber er war sich sicher, den Mann schon einmal gese hen zu haben. Der Mann war groß und fett gewesen, und sein watsche liger Gang kam Lobo bekannt vor. Doch im Augenblick konnte er sich nicht erinnern, woher er ihn kannte. Erneut schlich Lobo zur Tür und öffnete sie. Aufgeregte Stimmen schallten dumpf aus dem unteren Stockwerk herauf. Der Flur war jetzt von einigen Kerzen erleuchtet, die auf verzierten Messinghaltern in kleinen Wandnischen standen. Sie erleichterten es Lobo, sich zurecht zufinden. Lobo legte seine Hand auf den Griff seines Revolvers und zog den Hahn mit dem Daumen zurück. Dann näherte er sich vorsichtig der Treppe, die nach unten führte. Aber er schaffte es nicht einmal, die ober ste Stufe zu erreichen. Der kalte Stahl einer Waffe berührte seinen Hals. Gleichzeitig stieg ihm ein übler Geruch in die Nase, den er sofort wiedererkannte. Drago, der Einäugige, stand neben ihm und grinste ihn aus seinem un rasierten, dreckigen Gesicht an. „Kennst du mich noch?" fragte der Einäugige und fuchtelte mit dem Lauf des Revolvers vor Lobos Ge sicht herum. Langsam und vorsichtig trat Lobo einen Schritt zurück. „Jedenfalls kenne ich noch deinen Gestank", anwortete er dabei. Für einen kurzen Augenblick ver finsterte sich das aufgedunsene Ge 23
sicht des fetten Mexikaners. Sein Finger zuckte gefährlich am Abzug. „Großmaul", brachte Drago schließlich mühsam hervor. Seine Lippen waren bleich und zitterten. „Das hättest du nicht sagen dürfen." Lobo blieb bei den Drohungen des Mexikaners ruhig. Er hatte den Mann schon einmal überlistet. Doch Drago, der Einäugige, schien diesmal Lobos Gedanken zu ahnen. „Schnall deinen Revolver ab", be fahl der Mexikaner. Mit der linken Hand." Mit einer unmißverständli chen Bewegung seiner Waffe unter strich er die Forderung. Lobo hatte keine Wahl. Er gehorchte. Als Lobos Waffe mit dem Gurt zu Boden polterte, grinste Drago. „So gefällst du mir schon bedeu tend besser", höhnte er. Er stieß ein heiseres Lachen aus, das seinen fet ten Körper wie einen Pudding in Be wegung brachte. „Ich bin sicher, daß du so auch José Philippo gut gefällst. Er wird wissen wollen, was du hier im Haus zu suchen hast. Denk dir schon mal eine gute Erklärung aus!" Aus dem unteren Teil des Hauses drangen noch immer aufgeregte Stimmen nach oben. Drago zeigte mit einer Hand auf die Treppe. „Vorwärts", befahl er dann. „Man wird dich unten schon erwarten." Lobo betrat die Treppe und ging langsam nach unten. Aus den Au genwinkeln heraus beobachtete er den Mexikaner. Er wartete auf seine Chance. Doch Drago hatte offen sichtlich aus den Vorgängen des Nachmittags gelernt. Er blieb so weit zurück, daß Lobo ihn unmöglich mit einem schnellen und gewagten Sprung erreichen konnte. Der untere Teil des Hauses war kostbar und reichhaltig ausgestattet. Schwere samtene Vorhänge hingen an den Wänden, kleine Truhen mit zahlreichen Schnitzereien und fei 24
nen Einlegearbeiten standen in den Nischen und Ecken. Von der Decke herab hing ein gewaltiger Kristall leuchter und beleuchtete die ganze Diele mit einem weichen, warmen Licht. Diesem Raum war anzusehen, daß der Eigentümer sehr viel Geld besitzen mußte. Lobo fragte sich, woher das Geld stammte. Auf dieser Hazienda gab es kaum Vieh. Keine Herde, die José Philippo und seine Leute hätte er nähren können. José mußte andere Einnahmequellen haben. Es war nicht schwer zu erraten, worin diese Quellen bestanden. Die Hazienda lag genau auf der Grenze zwischen Texas und Mexiko. Es war dadurch für José ein Leichtes, nach Raubzügen in einem der beiden Länder auf der jeweils anderen Seite der Grenze zu verschwinden. Dazu kam, daß es immer wieder Leute gab, die gutes Geld dafür bezahlten, wenn sie irgendwo für einige Zeit unter tauchen konnten. Für diese Leute war die Hazienda wie geschaffen, und José lebte offensichtlich nicht schlecht davon. Drago, der Einäugige, wies auf eine der großen Türen, die in die Diele führten. Die Tür war nur angelehnt. „Da hinein", befahl Drago und stieß sie auf. Drei Männer standen in dem Raum und sahen erstaunt auf, als Lobo den Raum betrat. Lobo kannte sie alle. In einem großen Ledersessel saß José Philippo und rauchte eine lange, dünne Zigarre. Er paffte dichte Rauchwolken, die ihn wie ein Schlei er umgaben. Neben ihm stand der Reiter, den Lobo vor wenigen Minu ten beobachtet hatte. Jetzt wußte er auf einmal, warum ihm der watsche lige Gang des Mannes so bekannt vorgekommen war. Es war der Wirt aus Piedras Negras. Der Mann mit dem automatischen Piano.
Der dritte der Männer lehnte mit verschränkten Armen lässig gegen ein kleines Schränkchen. Lobo er kannte ihn sofort wieder. Die dicht zusammenstehenden Augen und den brutalen Zug um die dünnen Lippen würde er nicht mehr vergessen kön nen. Dies war der zweite Mann, den Lobo suchte. Der zweite der wilden Reiter, die sein Pferd getötet und die ihn allein in der Wüste zurückgelas sen hatten. Endlich hatte Lobo beide Männer gefunden. Doch seine Lage, in der er sich nun befand, war nicht die beste. Dragos Revolver war noch immer auf seinen Rücken gerichtet. Lange Zeit blieb es still in dem Raum. Wortlos starrten die Männer Lobo an. Der Wirt aus Piedras Ne gras brach als erste das Schweigen. Er hab seinen fetten Arm und deute te mit einem seiner Wurstfinger auf Lobo. „Das ist er", versicherte er dabei. „Ich bin sicher, das ist er!" José paffte ein paar Mal an seiner Zigarre und nickte dabei. „Interessant", murmelte er. Dann wandte er sich an Drago. „Wo hast du ihn gefunden?" „Oben, Boß", antwortete Drago und deutete mit dem Lauf seines Re volvers zur Decke. „Er schlich in dem Raum herum, in dem wir unsere Ki sten aufbewahren." Das Wort ,Ki sten' sprach er mit einer besonderen Betonung aus und zwinkerte dabei mit seinem einen Auge. „Interessant", sagte José noch ein mal und musterte Lobo aus zusam mengekniffenen Augen. „Was hat test du da oben zu suchen? Wolltest du von da aus dein Pferd versorgen?" Lobo achtete nicht auf den Spott in der Stimme des Banditen. „Ich bin nur ein wenig spazieren gegangen", antwortete er und be mühte sich, seine Stimme ruhig und normal klingen zu lassen. Es fiel ihm
nicht leicht, seine Erregung zu ver bergen. Der Bandit mit den dicht zusam menstehenden Augen begann zu ki chern. „Spazierengegangen", wiederholte er das Wort. Er hatte eine unge wöhnlich hohe, knabenhafte Stim me. Mit einer Handbewegung brach te ihn José zum Schweigen. „Kennst du diesen Mann?" fragte Philippo Lobo und zeigte auf den Mexikaner. Lobo nickte. „Ich kenne ihn", sagte Lobo. „Er ist ein ausgezeichneter Koch." Die Worte schmeichelten dem Me xikaner. Er richtete sich ein wenig
auf und sein Gesicht zerfloß vor Freude. „Dieser Mann behauptet, du hät test dich bei ihm nach meiner Ha zienda erkundigt", fuhr Philippo fort. „Wenn er es sagt, wird es wohl stimmen", erwiderte Lobo vage. „Mir hast du erzählt, du seist zufäl lig hier vorbeigekommen", stellte José fest. „Du hast mich also belo gen!" „Du hast meinen Boß belogen", wiederholte der Bandit mit der kna benhafte Stimme und kam langsam auf Lobo zu. Er hatte einen tänzeln den, wiegenden Schritt. Mit seiner 25
Auf seinen Lippen schmeckte er linken Hand knetete er die Rechte und ließ die Gelenke laut knacken. geronnenes Blut. Nur sehr langsam Dicht vor Lobo blieb er stehen und kehrte ihm die Erinnerung zurück. Er kämpfte die aufsteigende Übel sah ihm scharf ins Gesicht. „Du hast meinen Boß belogen, keit nieder und schaffte es, sich vol Kopfgeldjäger!" sagte er noch ein lends aufzurichten. Schwer atmend mal. „Weißt du, was es bedeutet, mei lehnte er sich gegen eine Wand und sah sich in dem Raum um, in dem er nen Boß zu belügen?" Lobo antwortete nicht. Er begriff sich befand. Der Raum war eine fast quadrati jetzt, daß seine Situation schlechter war, als er angenommen hatte. Die sche Zelle von ungefähr drei mal drei beiden Banditen hatten ihn zwar Yards. Die Wände waren feucht und nicht wiedererkannt, aber sie hielten muffig und mit Schimmel und farb ihn für einen Kopfgeldjäger. Das losem Moos bewachsen. Der Boden war gleichbedeutend mit einem To bestand aus festgestampftem Lehm. desurteil. Eine schwere, mit Eisen beschlage Plötzlich bemerkte Lobo ein Zuk ne Tür hielt den Eingang verschlos ken in den schmalen Augen des Ban sen. Ihr gegenüber befand sich in diten. Gleichzeitig explodierte ein zwei Yards Höhe ein winziges, stechender Schmerz in Lobos Unter schmales Fenster. Das Fenster war leib. Lobo schnappte nach Luft. Sein so klein, daß sich wohl kaum jemand Körper krümmte sich. Ein weiterer hindurchzwängen konnte. Dennoch Schlag des Banditen riß Lobo wieder war es mit kräftigen Eisenstäben hoch. Unvorstellbare Schmerzen vergittert. lähmten ihn. Er hatte keine Chance Ein halbverfaulter Holzeimer war zur Gegenwehr. die ganze Einrichtung der Zelle. Er Eine tiefe Bewußtlosigkeit erlöste stand neben der Tür und war mit Lobo schließlich von den Schmerzen. Wasser gefüllt. Es gelang Lobo, sich Zusammengekrümmt lag er auf dem bis zu dem Eimer zu schleppen. Er weichen Teppich. tauchte seinen Kopf in das kühle Wasser und wusch sich sein Gesicht. Nur sehr langsam ließ das Dröh nen und Hämmern in seinen Schlä Irgend etwas Weiches huschte fen nach. Er machte ein paar unsiche über Lobos Gesicht. Seine Augen re Schritte in die Richtung auf das waren von Blut und Schweiß ver Fenster zu und blickte hinaus. Als es klebt, und es fiel ihm schwer, die Li ihm schwindlig wurde, klammerte er der zu heben. Als es ihm endlich ge sich an den Eisenstäben fest und hielt lang, sah er die vollgefressene Ratte, sich aufrecht, bis die Übelkeit vorbei die auf seiner Brust saß und mit ih war. rer widerlichen Schnauze an seinem Das Fenster war nur wenige Kinn schnupperte. Handbreit über dem Boden des Ho Lobo bäumte sich auf und schlug fes. Lobo konnte fast den gesamten mit der Hand nach dem Tier. Mit ei Innenhof der Hazienda überblicken nem schrillen, pfeifenden Schrei und stellte fest, daß er sich in einem verschwand die Ratte. Vorsichtig Keller unter dem Wohnhaus befin und langsam richtete sich Lobo auf. den mußte. Er sah die weiße Asche Sein Körper war zerschlagen und des Feuers, über dem am Abend das wund. Lamm gebraten worden war, und 26
sah die Männer, die immer noch auf den Holzbänken um das Feuer lagen und ihren Rausch ausschliefen. Es war noch früh am Morgen. Als großer, feuriger Ball ging über dem Eingangstor zur Hazienda die Sonne auf. Das helle Licht stach Lobo schmerzhaft in den Augen und er schloß die Lider. Er spürte, daß ihn von Neuem die Kraft verließ. Seine Hände lösten sich von den Ei senstäben. Langsam rutschte er an der nassen Wand der Zelle zu Boden. Er wunderte sich noch, daß ihn die Banditen nicht sofort getötet hatten, dann wurde es erneut schwarz um ihn. Zusammengekrümmt blieb er liegen.
Heftiges Stimmengewirr weckte Lobo. Als er seine Augen aufschlug, fühlte er sich schon bedeutend bes ser. Der Schlaf hatte ihm die Kräfte zurückgegeben. Zwar spürte er im mer noch deutlich und schmerzhaft die Stellen, an denen ihn die Schläge des Banditen getroffen hatten, aber er wußte auch gleich, daß er wieder kämpfen konnte. Er untersuchte seine Kleidung und stellte fest, daß man ihm alles abge nommen hatte. Selbst das kleine Messer aus dem Stiefelschaft war verschwunden. Lobo erhob sich und reckte seinen Körper. Die Männer, die noch vor wenigen Stunden betrunken auf den Bänken gelegen hatten, waren inzwischen ebenfalls auf den Beinen. Auf dem Hof war bereits geschäftiges Trei ben. Lobo stellte sich ans Fenster und sah den Mexikanern zu. Es war das einzige, was er im Augenblick tun konnte. Er mußte abwarten, was José Philippo mit ihm vorhatte. Einige Männer waren dabei, die
Pferde aus den Ställen zu versorgen. Lobo entdeckte unter den Tieren auch sein eigenes. Auch sein Hengst wurde gestriegelt, gefüttert und mit frischem Wasser versorgt. Plötzlich wurde das große Ein gangstor der Hazienda geöffnet und lenkte Lobos Aufmerksamkeit von den Pferden ab. Langsam ritt ein Reiter auf einer schneeweißen Stute auf den Hof. Lobo wurde ein wenig von der hochstehenden Sonne ge blendet, und er bemerkte erst spät, daß es eine Frau war. Die Frau trug eine graue Reithose, eine weiße Bluse und darüber eine graue Männerjacke. Es schien Lobo so, daß sich die Frau ihrer Wirkung voll bewußt war. Mit stolz emporgerecktem Kopf sah sie sich um. Ganz offensichtlich genoß sie die Aufmerksamkeit aller Män ner, die mit einem Schlag ihre Arbeit unterbrochen hatten und mit offe nem Mund zu ihr hinüberstarrten. „Wer ist hier der Boß?" fragte die Frau einen der gaffenden Mexika ner. Sie sprach mit einer vollen, wohltönenden Stimme. „Señor José Philippo, Señora", ant wortete der Angesprochene und deu tete eine unterwürfige Verbeugung an. „Ich werde laufen und ihn holen!" Er ließ das Werkzeug fallen, das er gerade in der Hand hielt, und hastete ins Haus. Sekunden später kehrte er mit José zurück. José Philippo blieb kurz auf der Veranda stehen und musterte die Frau. Dann ging er mit wiegenden Schritten auf sie zu. Er zog seinen Hut vom Kopf und begrüßte sie mit einer leichten Verbeugung. „Buenos dias, Señora", sagte er und bemühte sich, ein gewinnendes Lä cheln aufzusetzen. „Was kann ich für Sie tun?" „Buenos dias", erwiderte die Frau. „Mein Name ist Carmen Garcia. Ich 27
bin auf dem Weg nach San Antonio. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich Ihnen etwas Futter für mein Pferd abkaufen könnte und vielleicht auch für mich einige Lebensmittel." „Nach San Antonio ist es ein weiter Weg", sagte José und zog die Augen brauen ein wenig hoch. „Auch ein schwerer für eine einzelne Frau!" „Ich weiß", erwiderte Carmen Gar cia. „Aber ich bin es gewohnt, auf mich selbst aufzupassen." „Daran zweifle ich nicht", sagte José und musterte die Frau mit ei nem langen, prüfenden Blick. Mit ei nem stolzen Augenaufschlag ließ sie es sich gefallen. „Wie ist Ihre Antwort?" fragte sie schließlich. „Sie werden selbstverständlich al les erhalten, was Sie benötigen", sag te José schnell. „Meine Männer wer den sich zuerst einmal um Ihr Pferd kümmern. Ich werde in der Küche Bescheid sagen und Ihnen ein reich haltiges Mittagessen zubereiten las sen. Und betrachten Sie sich als mein Gast." Carmen Garcia schüttelte leicht ihren Kopf. Auf ihren langen blauschwarzen Haaren schimmerte die Sonne. „Halten Sie mich bitte nicht für unhöflich", sagte sie mit freundli cher, doch bestimmter Stimme, „aber ich werde Ihr Angebot nicht anneh men. Ich sagte Ihnen bereits, daß ich es gewohnt bin, für mich selbst zu sorgen. Das schließt ein, daß ich mich auch selbst um mein Pferd kümmern werde. Was das Mittagessen betrifft, so benötige ich lediglich einige Dinge, die ich Ihnen abkaufen werde. Es ist mir leider nicht möglich, mich länger aufzuhalten." José zuckte bedauernd mit den Schultern. „Wie Sie meinen, Señora", sagte er. ,,Ich habe es nur gut gemeint." 28
Carmen Garcia erwiderte darauf nichts. Doch sie streifte Philippo mit einem Blick, in dem sich eine Mi schung aus Haß und Verachtung wi derspiegelte. „Wenn Sie erlauben, werde ich mich jetzt erst einmal um meine Stu te kümmern", sagte Carmen nach ei niger Zeit. „Sagen Sie mir den Preis für das Futter." José Philippo war noch leicht ver wirrt. Er wußte nicht recht, wie er diese Frau einzuschätzen hatte. Hilf los zuckte er mit den Schultern. „Versorgen Sie es, ich werde dar über nachdenken", sagte er. Carmen nickte und wandte sich dann wortlos ab. Sie führte ihr Pferd zu den Ställen, wo auch die anderen Pferde der Hazienda versorgt wur den. José Philippo kratzte sich nach denklich am Kopf und sah ihr nach. Noch war ihm nicht klar, was er da von halten sollte. Er setzte sich auf die unterste Stufe, die zur Veranda führte, und wartete. „Ein verdammt hübscher Besuch", sagte plötzlich eine helle Stimme ne ben ihm. José Philippos Partner, der Mann mit den dicht zusammenste henden Augen, war unbemerkt aus dem Haus getreten und hockte sich nun neben José. „Aber kalt wie die Nacht", mur melte Philippo. „Das ist genau die Sorte von Frauen, die einem immer nur Scherereien machen." „Meinst du, daß sie nicht zufällig hier ist?" fragte der andere Bandit. „Ich bin mir nicht sicher", antwor tete Jose. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, was sie sonst hier in der Gegend zu tun hat. Ich habe sie je denfalls noch nie gesehen." „Ich auch nicht", sagte der Bandit mit der knabenhafte Stimme. „Denn wenn, wäre sie mir bestimmt aufge fallen."
„Ich denke, daß es auf keinen Fall schaden kann, wenn sich Drago mal ein wenig in ihrer Nähe herum treibt", sagte José nachdenklich. „Gib ihm Bescheid, Bruck. Er soll sie nicht aus dem Auge lassen." Bruck nickte und erhob sich. Er ging zurück ins Haus. Wenig später schlenderte Drago, der Einäugige, wie zufällig auf die Stallungen zu.
ließ sich nicht weiterführen. Ärgerlich drehte sich Carmen Garcia um und versuchte herauszu finden, was ihr Tier so abgelenkt hatte. Als ihr Blick auf den Hengst fiel, mit dem Lobo gekommen war, zuckte sie zusammen. Für Sekunden wich alles Blut aus ihrem hübschen Gesicht. Ihre Lippen preßten sich
Lobos Pferd, der Hengst des toten Fährmanns, war es nicht gewohnt, mit vielen anderen Pferden zusam menzusein. Unruhig schlug er mit dem Schweif und stampfte mit den Hufen den harten Lehmboden vor den Ställen. Er riß an den Zügeln und versuchte, das Leder zu zerreißen, mit dem er neben den anderen Pfer den an dem langen Haltebalken an gebunden war. Für die Mexikaner, die die Pferde zu versorgen hatten, war es nicht einfach, an ihn heranzukommen. Er stieß mit dem Kopf und versuchte, nach der Kleidung der Männer zu schnappen. Fluchend sprangen die Mexikaner zur Seite und fuchtelten wild und drohend mit ihren Armen in der Luft. Doch machten sie den Hengst dadurch nur noch nervöser. Als Carmen Garcia ihre Stute ebenfalls in die Reihe der übrigen Pferde führte, wurde Lobos Pferd plötzlich ruhig. Es hob den Kopf steil über die Leiber der anderen Tiere und sog prüfend die Luft durch die Nüstern. Dann stieß es ein kurzes Wiehern aus. Garcias weiße Stute reagierte dar auf. Sie warf ebenfalls den Kopf hoch und ließ ein langes Schnauben hören. Ihre Ohren waren steil aufge richtet und drehten sich in die Rich tung, in der der Hengst stand. Die Stute blieb auf der Stelle stehen und 29
fest aufeinander und wurden zu Innenhof der Hazienda. Schließlich zuckte er mit den Schultern. schmalen Strichen. „Ich weiß nicht genau", sagte er Im nächsten Augenblick jedoch hatte sie sich wieder gefangen. Sie dann. „Ich glaube, der Mann ist heute zog kräftig an den Zügeln ihres Pfer nicht da." Plötzlich hellte sich sein des und versuchte, die Stute weiter Gesicht wieder auf. „Jetzt fällt es mir zuziehen. Kaum jemand hatte die ein", versicherte er eifrig. „Der Mann plötzliche Erregung bemerkt, die die ist heute morgen früh losgeritten. Er hatte wohl irgend etwas zu erledi Frau für Sekunden befallen hatte. Nur Lobo war nichts entgangen. Er gen!" stand am Fenster seiner feuchten „Wie heißt er?" Garcías Fragen Zelle und beobachtete das Treiben waren scharf und knapp. auf dem Hof. Vom ersten Augenblick Der Einäugige zog ein schmutziges an war ihm die Frau aufgefallen. Tuch aus der Tasche und wischte Seitdem hatte er sie nicht mehr aus sich damit über das Gesicht. den Augen gelassen. „Wie wird er heißen?" antwortete „Darf ich Ihnen helfen, Señora?" er ausweichend. „Ich kenne nicht je fragte ein aufgedunsener Mexikaner den Mexikaner hier auf der Hazien Carmen Garcia und griff ebenfalls da." Er machte eine kurze Pause und nach den Zügeln ihrer Stute. „Wenn legte seine Stirn in Falten. „Jetzt fällt ein Hengst in der Nähe ist, sind sie oft es mir ein", sagte er plötzlich und hob seinen Zeigefinger, um alle Auf störrisch wie Esel." „Danke, ich komme zurecht", ant merksamkeit auf sich zu lenken. wortete Garcia. Sie zog ihr Pferd bis „Sein Name ist Pablo. Das war's. Pa an den Haltebalken und schlang die blo. Ich bin ganz sicher." Zügelenden um das Holz. Der fette „Und weiter?" bohrte Carmen. Mexikaner blieb neben ihr stehen „Wie weiter?" fragte der Einäugi und beobachtete sie. Über einem ge. Jetzt war er offensichtlich mit Auge trug er eine schwarze Augen seiner Weisheit am Ende. „Er heißt klappe. Pablo und damit basta. Wenn Sie Er wich nicht mehr von der Stelle. mehr wissen wollen, wenden Sie sich Er stemmte beide Fäuste in seinen an den Patron." Die Stimme des Ein fetten, aufgeschwemmten Leib und äugigen war sehr ärgerlich gewor sah ihr grinsend zu, während sie den den. Das ganze Verhör war ihm un Schimmel fütterte und tränkte. angenehm und stark auf die Nerven „Wem gehört der Hengst dort drü gegangen. „Ich bin nicht dazu da, Ihre ben?" fragte Carmen schließlich und Fragen zu beantworten!" Er drehte wischte ihre Hände an einem Bund sich um und stampfte quer über den Stroh sauber. Dann deutete sie auf Hof davon. Er ging genau auf José Lobos Pferd. Philippo zu, der noch immer auf der „Sie, meinen den Hengst?" fragte Stufe der Veranda saß und die Frau der Einäugige etwas dümmlich und beobachtete. fuhr sich mit einer seiner Pranken Carmen Garcia sah ihm nachdenk über das schweißnasse Gesicht. „Der lich nach. Dann setzte sie ihre Arbeit gehört einem der Leute hier." fort. Als sie fertig war, warf sie noch „Und welchem?" Carmen Garcia einmal einen nachdenklichen Blick ließ nicht locker. auf den Hengst, der jetzt ruhig und Der Einäugige drehte sich um und gelassen am Haltebalken stand. Nur sah hilfesuchend über den ganzen von Zeit zu Zeit wieherte er leise und 30
len, Kopfgeldjäger?" fragte er höh nisch. Die Frage wurde von Bruck mit hellem Kichern begleitet. „Mir tat ein Tag Ruhe mal ganz gut", antwortete Lobo und sah dem Noch immer wußte Lobo nicht, was Banditen ins Gesicht. José Philippo mit ihm vorhatte. Hilf José grinste. los hockte er in dem muffigen, nas „Schön, daß du es so siehst", sagte sen Keller. Keiner der Banditen hat er. „Das erleichtert beiden Seiten die te sich bisher bei ihm sehen lassen. Verständigung." José zog eine lange, Das einzige Lebewesen, das von Zeit dünne Zigarre aus seiner Brustta zu Zeit aufgetaucht war, war die fet sche und schob sie sich zwischen die te graue Ratte. Sie quetschte sich Lippen. Sofort riß Bruck ein Streich durch einen schmalen Spalt unter holz an und gab seinem Boß untertä der Tür durch. nig Feuer. Langsam wanderten die Strahlen „Hast du dich gut erholen kön der tiefer sinkenden Sonne an den nen?" fragte José weiter und paffte feuchten Zellenwänden entlang. eine dicke Rauchwolke gegen die Lobo saß nur da und wartete. Das Kellerdecke. Licht wurde allmählich schwächer, „Mir hat es gereicht", antwortete die Sonnenstrahlen färbten sich rot, Lobo kurz. dann wurde es dunkel. Einen ganzen „Schön", sagte José, „das freut mich Tag lang war Lobo bereits in der Ge wirklich. Ich habe nämlich eine klei walt der Banditen. ne Aufgabe für dich." Lobo zuckte bedauernd mit den Plötzlich fiel ein dünner Licht streifen unter der Tür her in die Zel Schultern. „Tut mir leid, aber ich habe schon le. Die Ratte, die gerade wieder mal einen ihrer Rundgänge machte, ver selbst etwas vor", sagte er. „Vielleicht schwand aufgeregt. Stimmen näher das nächste Mal." „Darf ich erfahren, was du vor ten sich und Schritte von mehreren Leuten. Die Schritte hielten vor der hast?" fragte José höflich. Kellertür. Lobo hörte, wie einige „Ich werde dir das Gesicht nach Riegel zurückgeschoben wurden, hinten drehen", antwortete Lobo. dann schwang die schwere Eichen Für Sekunden verschlug es José tür auf. die Sprache. Das war wohl das Letz Im flackernden Licht einer Öllam te, mit dem er gerechnet hatte. Auch pe erkannte Lobo José Philippo, Bruck blieb das Kichern im Halse Bruck, den Banditen mit der hellen stecken. Schließlich saugte José Stimme und Drago, den Einäugigen. kräftig an der Zigarre und ent Drago hielt einen Revolver in der spannte sich wieder. Hand und richtete ihn auf Lobos „Ich muß schon sagen, du bist ganz Brust. Wieder war auf seinem Ge schön mutig", stellte Philippo fest. sicht das speckige, brutale Grinsen. „Vielleicht ein wenig zu mutig, wenn José Philippo betrat die Zelle und man deine momentane Situation be stellte sich an die Wand, Lobo gegen denkt." über. Er hatte die Arme vor der Lobo antwortete nicht, sondern be Brust verschränkt und grinste Lobo wegte nur vage die Hand. an. „Vielleicht solltest du dir doch mal „Na, wie hat dir dieser Tag gefal meinen Vorschlag anhören", fuhr drehte seinen schönen Kopf in die Richtung der schneeweißen Stute.
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José fort. „Möglicherweise ist das für dich gesünder." José Philippo hockte Sich auf den Boden, so daß jetzt seine Augen auf gleicher Höhe mit denen von Lobo waren. Noch einmal sog er. kräftig an seiner Zigarre, dann er klärte er mit wichtiger Stimme sei nen Plan. „Für dich gibt es nur zwei Möglichkeiten, Kopfgeldjäger. Ent weder du gehst auf den Vorschlag ein, oder du bist der einzige, der in dieser Hazienda zurückbleibt. Als Leiche." Lobo ließ sich nicht beeindrucken. Er hörte ruhig zu. „Es gibt einen Mann, den mag ich nicht", fuhr José fort. „Der Mann ist Kopfgeldjäger wie du. Vielleicht kennst du ihn, sein Name ist Chee ver. Er ist hinter mir mit zwei herun tergekommenen Gestalten her. Ich habe zwar vor ihm keine Angst, aber es könnte sein, daß Cheever mich stört. An diesem Punkt beginnt deine Aufgabe. Du sollst ihn aufspüren und in eine Falle locken. Dafür schenke ich dir dein Leben." „Ist das alles?" fragte Lobo. „Das ist alles", erwiderte José. „Wie lautet deine Antwort?" Lobo kannte tatsächlich diesen Mann, den José suchte. Er war ihm schon einmal begegnet, Und zwar am Colorado, dort, wo Lobo die Leiche des Fährmanns gefunden hatte. Cheever hatte Lobo für den Fähr mann gehalten. Schon damals hatte Lobo vermutet, daß Cheever hinter José her war. Sein Instinkt hatte ihn auch diesmal nicht getäuscht. „Nun, wie lautet deine Antwort?" drängte José. „Aber denk daran, daß du nur zwei Möglichkeiten hast." Um seine Worte näher zu erläutern, ball te José die rechte Hand zur Faust und streckte den Daumen aus. Dann drehte er die Faust einmal so, daß der Daumen nach oben zeigte, und ein mal nach unten. Bruck begleitete das 32
Zeichen mit seinem hellen Kichern. Lobo überlegte lange und tat so, als ob ihm die Entscheidung ungeheuer schwerfiele. Schließlich blickte er hoch und sah José Philippo treuher zig ins Gesicht. Dabei nickte er. José Philippo lehnte sich zurück und grinste zufrieden. „Du hast dich entschieden?" fragte er interessiert. „Du übernimmst den Job und lieferst mir Cheever aus?" Wieder nickte Lobo. „Ja, ich habe mich entschieden", antwortete er. „Eine gute Entscheidung", lobte José. „Für dein Leben die beste. Wann, glaubst du, wirst du Cheever gefunden haben?" „Das kann ich nicht sagen", ant wortete Lobo. „Ich werde Cheever nämlich gar nicht suchen." „Du wirst ihn nicht suchen?" fragte José fassungslos. „Wozu hast du dich dann entschieden? Was wirst du sonst tun?" „Ich werde dir dein Gesicht nach hinten drehen", antwortete Lobo freundlich. José Philippo sprang auf wie von einer Tarantel gebissen. Haßerfüllt starrte er Lobo an. Dann trat er ihm mehrmals in blinder Wut in die Seite. „Das wirst du noch bereuen!" schrie er. „Es wird der Tag kommen, an dem dir diese Entscheidung noch leid tut!" Wutschnaubend drängte José aus der Zelle. Bevor er die Tür wieder ins Schloß warf, drehte er sich noch einmal um. „Ich gebe dir noch zwei Stunden Zeit. Wenn du dich dann noch nicht anders ent schieden hast, wirst du sterben!" Mit einem harten Knirschen fiel die eisenbeschlagene Eichentür ins Schloß. Ein Schlüssel wurde umge dreht. In der Zelle wurde es dunkel. Lobo war wieder allein.
„Einer meiner besten Leute sagte mir, daß Sie sich für den Hengst dort drüben interessieren", sagte José Philippo und schlenderte auf Car men Garcia zu, die die Bohnen und das Trockenfleisch, daß sie in der Küche von einer alten Mexikanerin gekauft hatte, in ihren Satteltaschen verstaute. „Kennen Sie das Pferd?" „Woher sollte ich das Tier ken nen?" fragte Garcia zurück. „Ich bin zum ersten Mal hier in der Gegend." „Mir wurde gesagt, daß Sie sich nach dem Besitzer erkundigt hät ten", sagte José weiter. „Was wollten Sie von ihm?" In seinem Gesicht lag ein lauernder Ausdruck. „Ich mag Pferde", erklärte Carmen Garcia. „Der Hengst ist ein sehr schönes Tier. Ich hätte mich gern mit dem Besitzer unterhalten. Aber der Mann mit der Augenklappe erzählte mir schon, daß er sich zur Zeit nicht in der Hazienda aufhält." „Das ist richtig", bestätigte José. „Aber wenn Sie sich für Pferde in teressieren, ich habe einige ausge zeichnete Tiere. Sie können sie sich einmal ansehen. Wollen Sie einen Hengst kaufen?" Garcia schüttelte den Kopf. „Nein danke", sagte sie. „Mich in teressierte nur dieses eine Pferd." Ein eigenartiger Unterton lag in ih rer Stimme. Doch José konnte sich keinen Reim darauf machen. Miß trauisch beobachtete er die Frau, die den Sattelgurt fester zurrte und sich dann auf den Rücken der Stute schwang. „Was habe ich zu bezahlen?" fragte sie von oben herab. José reagierte nicht sofort. Nach denklich starrte er aus zusammenge kniffenen Augen die hübsche Frau an. Ein ungutes Gefühl ließ ihn nicht los. Sein Instinkt witterte Gefahr. Aber er konnte sich nicht erklären,
worin diese Gefahr bestehen sollte. Es gab keinen wirklichen Anhalts punkt dafür, daß diese Frau mit dem Kopfgeldjäger, dem Halbblut im Keller, zusammenarbeitete. Daß sie sein Pferd mochte, war nicht Grund genug. Etwas Rundes, Blitzendes flog auf José zu und riß ihn aus seinen Ge danken. Seine Hand fuhr hoch und schnappte nach dem Gegenstand. Als er seine Hand öffnete, lag darin ein blanker Golddollar. „Ich nehme an, das reicht für alles", sagte die Frau und zog langsam die Stute an den Zügeln herum. „Ich danke Ihnen für die Gastfreund schaft." Dann stieß sie dem Pferd die Sporen in die Seite und preschte auf das Tor der Hazienda zu. Der Wacht posten öffnete einen Torflügel und ließ sie hinaus. Sie verschwand in der Dunkelheit. José sah ihr nachdenklich nach. Geistesabwesend spielte er mit der Goldmünze in seiner Hand.
Lobo stand am schmalen Fenster seines Gefängnisses und sah in die Nacht hinaus. Die Hazienda lag still und verlassen. Bis auf den Wachtposten auf dem Gang über dem großen Tor war nie mand zu sehen. Nur aus zwei Fen stern des Wohnhauses fiel ein wenig Licht und zeichnete zwei gelbliche Vierecke auf den Staub des Innenho fes. Der Mond war inzwischen als schmale Sichel aufgegangen, und am langsamen Verlauf seiner Bahn maß Lobo die Stunden. Bald würde José Philippo zurückkehren. Die zwei Stunden, die er Lobo gegeben hatte, um noch einmal über seinen Vor schlag nachzudenken, mußten bald vorbei sein. 33
Lobos Körper spannte sich. Wenn José Philippo wieder in seiner Zelle erschien, mußte eine Entscheidung fallen. José hatte davon gesprochen, daß Lobo als einziger in der Hazien da zurückbleiben würde, wenn er nicht für ihn arbeiten würde. Lobo schloß daraus, daß der Bandit die Hazienda verlassen und aufgeben würde. Wahrscheinlich war ihm in zwischen der Boden selbst hier ein biß chen zu heiß geworden, und er hatte sich einen neuen Stützpunkt gesucht. Aus diesem Grund mußte Lobo kämpfen. Wenn José zum zweiten mal erschien, mußte er ihn angehen. Er mußte um sein Leben kämpfen. Er hatte keine andere Wahl. Entwe der er würde in diesem Kampf ster ben oder gewinnen und entfliehen können. Eine dritte Möglichkeit gab es nicht mehr. Lobos rechte Hand umklammerte den faustgroßen Stein, den er in den letzten Stunden in mühsamer Arbeit aus der Wand gekratzt hatte. Seine Fingerkuppen waren wund gewor den und bluteten, aber er brauchte nicht mehr mit bloßen Fäusten zu kämpfen. Er hatte wieder eine Waf fe. Eine sehr einfache und primitive, und doch ging von der Kühle des harten Steins eine Kraft aus, die stärkte und ein Gefühl von Sicher heit vermittelte. Ein dünner Lichtstrahl fiel unter der Zellentür hindurch in das Ge fängnis, und Lobo wußte, daß die Entscheidung jetzt kurz bevorstand. Schritte näherten sich von außen der Tür, der Lichtschein wurde stärker. Als der Schlüssel ins Schloß gesteckt wurde, schob Lobo die Faust, die den Stein hielt, hinter den Rücken. Dann schwang die Eichentür auf. Lobo sah eine alte Mexikanerin mit einem ledernen, faltigen Gesicht und kleinen, listigen Äuglein. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, und 34
auch über ihrem Kopf trug sie ein dunkles Tuch. In der Hand hielt sie eine tiefe Holzschüssel, in der eine dunkle Flüssigkeit schwappte. Der Stiel ei nes Holzlöffels ragte über den Rand hinaus. Sie stellte die Schüssel vor Lobo auf die Erde und beobachtete ihn dabei mit einem seltsamen, ver schlagenen Seitenblick. „Deine letzte Mahlzeit, Kopfgeld jäger", sagte José Philippo, der hinter der Frau im Türrahmen stand und Lobo mit einem gespannten Revol ver in Schach hielt. „Oder hast du dich inzwischen anders entschieden? Ich bin nicht nachtragend." Lobo überlegte, warum ihm José noch etwas zu essen brachte. Wahr scheinlich war der Bandit fest davon überzeugt, daß er Lobo auf seine Sei te bringen würde. „Du kennst meine Entscheidung", antwortete Lobo. Seine Finger schlossen sich fest um den Stein hin ter seinem Rücken. Die Knöchel wurden weiß. José Philippo lachte leise auf. „Störrisch bis zum letzten Atem zug", höhnte er. „Aber es wird noch einmal der Tag kommen, da wirst du um dein dreckiges Leben betteln. Das Dumme ist nur, daß dich dann niemand mehr hören wird. Morgen früh werde ich die Hazienda verlas sen. Alle meine Leute werden sie verlassen. Du bist der einzige, der hierbleiben wird. Für alle Ewigkeit." Langsam trat José einen Schritt zu rück. Jetzt war für Lobo der Augen blick des Handelns da. Lobo setzte ein überlegenes Lä cheln auf und sah Philippo an. Vor sichtig schob er sich an der Wand aus der Hocke hoch. Als er stand, schätz te er seine Chancen ab. Die einzige Möglichkeit, die er hat te, war, mit einem schnellen Wurf dem Mexikaner den Stein gegen den
Unsere Leserin P A Luxemburg schrieb uns:
aus Belvaux in
interessiert. Können Sie mir bitte Infor mationen darüber geben?"
„Ich bin ein begeisterter RONCO- und LOBO-Leser. Damals, vor 4 Jahren, bin ich zufällig auf Nr. 141 von RONCO ge stoßen und beschloß, diese Reihe regel mäßig zu kaufen. Als die 2. Auflage be gann, kaufte ich sie sofort von Anfang an. Jetzt habe ich die ganze RONCO-Serie und bin sehr froh darüber. Die Titelbilder sind sehr gut, und der In halt der Romane ist sehr realistisch. Je der Autor schreibt gut, aber die Autoren JOHN GREY, KEN CONAGHER, EVE RETT JONES, EARL WARREN und JIM ELLIOT finde ich am besten. Die Idee, RONCO-Tagebücher herauszu bringen, finde ich sehr gut. Daß LOBO in der RONCO-Serie dabei war, hat mir gut gefallen, schade finde ich aber, daß er nicht mehr dabei ist. Aber machen Sie mit RONCO ruhig so weiter, ich bin si cher, daß die Serie noch lange besteht. Nun zur LOBO-Serie: Die LOBO-Ta schenbücher habe ich von Nr. 1 an und finde sie spannend und mitreißend. Die LOBO-Hefte sind nicht schlecht, und ich habe auch sie von Anfang an. Aber manchmal fehlt etwas in den Romanen. LOBO müßte einen großen, einflußrei chen Gegner haben, der der Reihe einen Zusammenhalt gibt. Es müßten auch an dere Personen dabei sein, andere Gegner, die nicht nur in einem Roman auftreten. — Die Autoren sind alle gut, aber LEE ROY JORDAN habe ich am liebsten. Die 3 Romane Nr. 56—58 von JIM ELLIOT waren sehr gut, ' und ich bin sehr ge spannt, wie es mit der LOBO-Serie wei tergeht. Ich bin auch an RONCO-Sammelmappen
Anfragen dieser Art erhalten wir in letzter Zeit wieder häufiger. Bitte wenden Sie sich an folgende Adresse: ERICH PABEL VERLAG Leserdienst Pabelhaus 7550 Rastatt/Baden Unsere Kollegen dort sind dafür zuständig und helfen gern und schnell. Aus einem län geren Brief unseres Lesers M S aus Ramseck möchten wir folgende Fragen herausgreifen:
„Hauptsächlich kaufe ich die RONCOSerie, weil sie gut aufgebaut und span nend geschrieben wird. Ich habe aber einige Fragen: Everett Jones, Earl Warren, Ken Cona gher, Jim Elliot, Steve McMillan, King Fisher, John Grey, John Duncan — dos sind 8 Namen. Sind das auch 8 Schrift steller, oder ist das nur 1 Autor mit 8 ver schiedenen Namen? Diese Serie wurde doch zuerst in den USA veröffentlicht? Wird dort auch ein Film mit dem Titel RONCO gedreht?" Manche Verlage bringen eine Western-Serie auf den Markt, die nur unter einem Autoren namen erscheint, obwohl tatsächlich verschie dene Schriftsteller daran mitarbeiten. Bei uns ist es so, daß jeder Schriftsteller unter seinem Pseudonym an RONCO mitschreibt. Wenn also 8 verschiedene Namen in der Serie auf tauchen, so arbeiten auch 8 verschiedene Au toren mit. — Zum zweiten Punkt: Das Mate rial für RONCO stammt aus den USA, aber geschrieben wird die Serie seit der Nr. 1 ori
ginal in Deutschland. Sie ist noch nicht in Amerika erschienen. Also wird auch — lei der — kein Film gedreht.
WASHITA-MASSAKER, Schluß. Black Kettle begab sich, nachdem ihm die An wesenheit von Kavallerie im Indianerland be kannt geworden war, nach Fort Cobb und bat den Kommandanten, seinen Stamm in der Nähe des Forts unterbringen zu dürfen. Dies wurde abgelehnt. Statt dessen wurde Black Kettle versichert, er werde nicht angegriffen, solange seine jungen Krieger sich ruhig ver halten würden. Als der alte Häuptling die Rückreise zu sei nem Dorf antrat, war die Vernichtung seines Stammes längst beschlossene Sache. In der Nacht zum 26. November schneite es. Dichte Nebelschleier lagen über dem Dorf der Cheyennes, als starke Kavallerieeinhei ten sich näherten. Lieutenant Colonel Custer hatte eindeutige Anweisungen erhalten. Er gedachte, sie mit leidlos auszuführen. Im Morgengrauen des 27. November 1868 ließ Custer die 7. Kaval lerie ausschwärmen und zur Attacke blasen. Die Reiter sprengten in das Dorf der Cheyen nes, die von dem Lärm aus dem Schlaf geris sen wurden. Ein entsetzliches Massaker be gann. Binnen weniger Minuten wurden Krie ger und Greise, Frauen und Kinder niederge metzelt. Darunter auch der alte Häuptling Black Kettle. Es dauerte nicht lange. Insge samt wurden 103 Cheyennes getötet und 53 Frauen und Kinder gefangen. Danach wurden mehrere hundert Indianerponies niederge schossen. — Custer ließ nach diesem „Er folg" zum Rückzug blasen, ohne sich darum zu kümmern, daß seine Nachhut unter Major Jim Elliott vermißt wurde. Die kleine Truppe war in der Zwischenzeit von aufgebrachten Arapahos gestellt und niedergemacht wor den. Custer und die 7. Kavallerie aber ritten als „Sieger" nach Fort Supply, wo General Sheridan der Truppe einen triumphalen Emp fang bereitete. — Der Bericht Custers über die „Schlacht am Washita", die in Wahrheit ein brutales Abschlachten gewesen war, war ein Dokument der Kaltherzigkeit und Grau samkeit. Custer schrieb: „Das Indianerdorf bestand aus 47 Zelten. Es fiel vollständig in unsere Hand. Bei einer gründlich und exakt durchgeführten Prüfung zeigte sich das ganze Ausmaß unseres Sieges. Die Indianer wurden geschlagen, wir zählten die Leichen von 103 Kriegern, eingeschlossen Black Kettle selbst, dessen Skalp sich im Besitz von einem unse
rer Osage-Scouts befindet .... Wir trieben die Krieger aus ihrem Dorf, mit nur wenig oder mit gar keiner Bekleidung. Wir zerstör ten alles, was für die Indianer von Nutzen sein konnte und machten als Kriegsgefangene 53 Squaws und Kinder . . . Jeder Offizier, Sol dat, Scout und indianische Pfadfinder hat seine volle Pflicht getan. Ich kann nur den außerordentlichen Kampfgeist hervorheben, der alle in der „Schlacht am Washita" be seelte." Der Zynismus war nicht zu überbieten. Gene ral Sheridan, Custers Vorgesetzter, schrieb in seinem Bericht: „Eine besondere Gratulation gebührt dem hervorragenden Kommandanten der Aktion, Brevet-Major-General G. A. Cu ster für seinen effizienten und tapferen Ein satz, mit dem er auf so charakteristische Wei se die Kampagne gegen die kriegerischen In dianer südlich des Arkansas eröffnet hat." — Eine Gratulation des amtierenden Kriegsmini sters an Sheridan und Custer folgte telegra phisch. Schlagzeilen von Custers „Sieg" gin gen durch die Presse. Custer wurde zum Held der Indianerkriege hochstilisiert. Nach den Tatsachen fragte niemand. Eine grausame Unterwerfungskampagne gegen die westli chen und nördlichen Indianerstämme hatte eingesetzt. Knapp 8 Jahre später, am Little Big Horn, sollte für Custer die Stunde der Abrechnung kommen. Bis zur nächsten Woche! Ihre RONCO-/LOBO-Redaktion
Custers 7. Kavallerie greift das Cheyenne dorf am Washita an und metzelt alles nieder. Das Bild lügt so wie Custers Bericht über das Massaker: Die Indianer leisteten kaum Ge genwehr. Sie wurden im Schlaf überrascht und nackt in den Schnee getrieben, wo sie abgeschlachtet wurden. Archiv D. Kügler.
Kopf zu schleudern. Für einen Sprung war die Entfernung zu groß. Der Zeigefinger Josés hätte sich um den Abzug gekrümmt, noch ehe Lobo ihn erreicht hätte. Lobos, Muskeln und Sehnen spann ten sich. Er starrte auf den Punkt an der Stirn des Banditen, an dem er ihn treffen wollte. Langsam wanderte seine rechte Hand hinter dem Rük ken hervor. „Sie müssen essen", sagte plötzlich die Mexikanerin mit einer beschwö renden, heiseren Stimme. „In der Suppe ist alles, was Sie brauchen." Sie legte eine ihrer Hände auf Lobos rechte Schulter und drückte kurz mit der Hand zu. Dann war Lobos Chan ce vertan. José lachte höhnisch, während die Mexikanerin aus der Zelle huschte „Hast du gehört, Kopfgeldjäger, in der Suppe ist alles, was du brauchst. Das Dumme für dich nur ist, daß du nicht mehr viel brauchen wirst." Lobo hörte die Stimme des Bandi ten noch, als es längst wieder dunkel in der Zelle war. Ohnmächtige Verzweiflung über fiel Lobo. Er schleuderte den nutzlo sen Stein gegen die Zellentür und preßte seine Stirn gegen die feuchte, kühle Wand. Er ballte beide Hände und schlug immer wieder gegen die Mauer. Die fürchterliche Wut, die er nun in sich verspürte, war keine Angst vor dem Tod, sondern rührte daher, daß der Bandit José Philippo diesen Kampf offensichtlich gewonnen hat te und weiterhin ohne Skrupel sei nen schmutzigen Geschäften nach gehen konnte. Lobo setzte sich wieder auf die Erde und starrte auf die Schüssel mit Suppe, an der inzwischen schon die fette graue Ratte interessiert schnupperte.
Mit einer Handbewegung ver scheuchte Lobo die Ratte und griff nach dem Löffel. Schon oft hatte er sich in Situationen befunden, die aussichtslos schienen, aber nie hatte er aufgegeben. Und das würde er auch jetzt nicht tun. Der Löffel, der in der Schüssel lag, war aus Metall. Es war billiges Blech, und Lobo konnte ihn leicht biegen. Möglicherweise ließe sich daraus ein Haken formen, mit dem es Lobo gelingen könnte, die schwere Eichentür aufzusperren. Als Lobo nach dem Löffel griff, stieß er in der tiefen Schüssel gegen etwas Hartes, Schweres. Im ersten Augenblick dachte er an einen Kno chen oder ein Stück Fleisch. Doch dann durchzuckte es ihn wie ein Blitz. ,In der Suppe ist alles, was Sie brauchen', hatte die alte Mexikane rin gesagt, und er erinnerte sich wie der an den verschlagenen und listi gen Ausdruck, der dabei in ihren Au gen gefunkelt hatte. Lobo ergriff die Schüssel und goß die Suppe mit einem entschlossenen Schwung in eine Ecke der Zelle. Et was Metallisches klimperte gegen die Wand, Im fahlen Licht des Mondes tastete Lobo den Boden ab, dann hielt er einen Schlüssel in der Hand. Der Schlüssel war alt und verro stet. Aber er glich genau dem Schlüs sel, mit dem José Philippo Lobos Zel le versperrt hatte. In der Suppe war wirklich alles, was Lobo brauchte. Lobo sprang auf und tastete die Ei chentür nach einem Schlüsselloch ab. Es war nicht schwer zu finden. Die Tür war alt und das Schloß sehr einfach. Lobo schob den Schlüssel in das Loch und drehte ihn. Zuerst klemmte er ein wenig, doch dann gab 37
der Riegel nach, und mit einem leichten Ächzen sprang der Metall bolzen zurück. Lobos Zelle war kein Gefängnis mehr. Als man Lobo in den Keller ge bracht hatte, war er bewußtlos ge wesen. Er kannte den Weg nach oben nicht, aber er hatte gehört, aus wel cher Richtung sich José Philippo je weils genähert hatte. Lobo wandte sich nach links. In den schmalen Flur, in dem sich Lobo befand, fiel kein Licht. Lang sam tastete er sich an den kalten Wänden entlang. Nach etwa sechs Yards stieß er mit seinem Fuß gegen etwas Hartes. Er hatte eine Treppe erreicht, die steil nach oben führte. Geräuschlos schlich er hinauf. Nach zwölf Stufen endete die ge wundene Treppe vor einer Tür. Lobo blieb stehen und lauschte. Kein Laut war dahinter zu hören. Jetzt kam der gefährlichste Teil der Flucht. Die Tür würde in irgendeinen Raum des Wohnhauses und Lobo möglicher weise genau in die Arme der Bandi ten führen. Er hatte noch keine Waf fen, und ein Kampf würde sehr un gleich werden. Dennoch mußte er es wagen. Er tastete nach der Klinke und drückte sie nach unten. Sie gab nach, ohne einen Laut zu verursachen, und die Tür schwang auf. Lobo glitt in den dahinterliegenden Raum. In dem Raum herrschte mattes Dämmerlicht. Durch ein Fenster fiel ein schmaler Streifen Mondlicht und ließ die Einrichtung des Raumes er kennen. Offensichtlich befand sich Lobo in der Küche des Wohnhauses. Dem Fenster gegenüber war ein hoher, offener Kamin, in dessen Glut noch vereinzelte Funken glommen. Ein Eisentopf hing an einer Kette darüber. In der Luft lag ein ange nehmer Geruch nach gebratenem Fleisch. In der Mitte der Küche stand 38
ein länglicher Tisch mit mehreren Stühlen. Schmutzige Teller und Töp fe standen wild verstreut auf der Tischplatte. Lobo erfaßte das alles mit einem einzigen schnellen Blick. Dann schlich er geräuschlos zum Fenster. Er hatte nicht viel Zeit zu verlieren. Das Fenster ließ sich leicht öffnen. Lobo ergriff den hölzernen Knauf und schob die Scheibe nach oben. Dann setzte er sich auf die Fenster bank und schwang das rechte Bein nach draußen. In diesem Augenblick ergriff ihn eine Hand, schloß sich um seinen Arm und hielt ihn zurück. Er blickte in das faltige Gesicht der alten Mexikanerin, die ihm die Sup pe gebracht hatte. Die Frau hatte ei nen Finger über die Lippen gelegt und bedeutete Lobo, zu schweigen. Lobo ließ die erhobene Faust sinken. „Du hast etwas vergessen", flüster te die Mexikanerin mit kaum hörba rer Stimme und deutete auf ein klei nes Tischchen, das neben dem Fen ster stand. Auf dem Tischchen lag ei ne Halfter, ein Bowiemesser und ein Messer mit schmaler Klinge. Es wa ren Lobos Waffen. Lobo zögerte keine Sekunde. Er griff nach den Waffen, schlang sich den Gurt um die Hüften, schob das Bowiemesser in den Gürtel und ließ das kleine Messer in der Scheide am Stiefelschaft verschwinden. Jetzt wußte er, daß er gewonnen hatte. Die Mexikanerin hielt ihm das Fenster auf, als er sich über die Brü stung schwang. „Danke", flüsterte er, doch die alte Frau winkte ab. Lobo hatte den Ein druck, daß sie zufrieden grinste. Im dunklen Schatten des Wohn hauses lief Lobo geduckt auf die Ställe zu. Dabei ließ er den Wächter über dem großen Tor keinen Augen blick aus den Augen. Doch diese Vor sichtsmaßnahme war unnötig, der
Wachtposten schlief. Ungehindert blieb er abrupt stehen und starrte und unentdeckt erreichte Lobo die ihn wie einen Geist an. Ställe. Lobo verschenkte keine Sekunde. Die Stalltür war nur angelehnt, Mit einem gewaltigen Satz sprang er und Lobo schob sie ganz auf. Er ging auf den Mexikaner zu und hieb ihm an den verschiedenen Pferdeboxen beide Fäuste gleichzeitig gegen den entlang und versuchte, in dem unsi Schädel. Ohne einen Laut ausgesto cheren Licht seinen Hengst zu fin ßen zu haben, sank Drago in sich zu den. Er fand ihn in der letzten Box. sammen. Er blieb liegen wie ein nas Er war bereits aufgezäumt und ge ser Sack. sattelt. Die alte Mexikanerin, hatte Im Laufschritt hastete Lobo weiter ganze Arbeit geleistet. und zog den Hengst hinter sich her. Lobo führte das Pferd an den Zü Er erreichte das Tor und schob den geln aus dem Stall hinaus. Noch im Balken, der als Riegel diente, zur Sei mer lag der Innenhof still und ver te. Die Angeln ächzten und quietsch lassen. Lobos Flucht war noch nicht ten, als das Tor aufschwang. bemerkt worden. Nur noch wenige Der Wachtposten zuckte auf sei Yards trennten Lobo von dem gro nem Ausguck zusammen, als er die ßen Tor. Dann stand er plötzlich Dra Geräusche hörte. Noch verschlafen go, dem Einäugigen gegenüber. blinzelte er zu Lobo hinunter. Er er Der fette Mexikaner war aus ei kannte ihn nicht und schöpfte keinen nem niedrigen Schuppen getreten Verdacht. und langsam auf das Wohnhaus zu „Wo willst du denn noch hin?" geschlendert. Als er Lobo entdeckte, fragte der Wachmann und lachte
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kumpelhaft. „Wohl noch Sehnsucht nach den Señoritas?" „Ich habe Sehnsucht nach vielen Dingen", antwortete Lobo und zog sein Pferd aus der Hazienda heraus. Er schwang sich in den Sattel und stieß beide Fersen gleichzeitig dem Tier in die Seite. Der Hengst wieher te auf und stieg vorn hoch. Dann jag te er davon, in die Nacht hinaus. Kein Schuß folgte Lobo, als er in der Dunkelheit verschwand. Nur der Wachtposten sah ihm lange verwun dert nach. Er brauchte noch eine ge wisse Zeit, bis er alles verstanden hatte. Doch dann war es bereits zu spät.
Nach zwei bis drei Meilen zügelte Lobo den Hengst und tätschelte be ruhigend den naßgeschwitzten Hals des Tieres. Er hatte das Pferd auf der kurzen Strecke trotz der Dunkelheit hart getrieben, doch nun würde es sich erst einmal ausruhen können. Die Landschaft hier war stark zer klüftet. Verkrüppelte, niedrige Bü sche und vulkanische Felskegel machten die Gegend unübersicht lich. Es war nicht schwer, ein gutes Versteck zu finden, in dem sich Lobo erst einmal verbergen konnte. Lobo nahm den Pferd den Sattel ab und rieb das Tier mit einem Bund trockenen Grases ab. Anschließend führte er den Hengst in eine schmale Felsnische und band ihn da an. Dann öffnete er seine Satteltaschen und untersuchte deren Inhalt. Nichts von seinen Sachen fehlte. Alles war ge nau so, wie es sein mußte. Lobo setzte sich mit dem Rücken gegen einen hohen Stein. Der Felsen hatte die Wärme der Sonne den gan zen Tag über gespeichert und strahl te sie jetzt, in der Kühle der Nacht, angenehm wieder ab. Lobo schloß 40
die Augen und dachte nach. Er fragte sich, was die alte Mexika nerin für ein Interesse daran hatte haben können, ihm zur Flucht zu verhelfen. Er hatte die Frau noch nie vorher gesehen und kannte sie nicht. Doch möglicherweise würde sich al les klären, wenn Lobo endlich José Philippo und seinen Partner, den ha geren Mann mit der hellen Stimme, gestellt hatte. Das dünne Knacken eines bre chenden Zweiges versetzte Lobos Körper augenblicklich in gespannte Aufmerksamkeit. Seine rechte Hand fuhr zur Halfter und zog den Revol ver heraus. Lobos Augen versuchten, die Dun kelheit zu druchdringen, die nur un vollkommen vom schwachen Mond licht erhellt wurde. Sein Gehör war aufs äußerste geschärft. Jede Sehne und jeder Muskel seines Körpers fie berte. Minutenlang saß Lobo vollkom men bewegungslos. Er lauschte auf die Geräusche der Nacht. Dann schob er den Revolver in die Halfter zurück. Es hatte sich nichts Verdäch tiges mehr getan. Dennoch stand er auf, um die Gegend ein wenig näher zu untersuchen. Das kurze, nervöse Schnauben ei nes Pferdes schreckte ihn erneut auf. Es war nicht sein eigenes Tier, das geschnaubt hatte, das Geräusch war aus einer anderen Richtung gekom men. Lobo glitt zwischen zwei Büschen zu Boden und kroch geschmeidig und geräuschlos vorwärts. Über ihm be wegte sich kein Halm und kein Zweig. Schon nach kurzer Zeit roch er den scharfen Geruch von Pferde schweiß. Im Schatten eines Felskegels hielt Lobo an und preßte sich dicht an den dunklen Stein. Er zog seinen Hut tie fer ins Gesicht, um sich nicht durch
den helleren Ton seiner Haut zu ver raten. Dann schob er sich langsam an dem Felsen hoch. Von oben hatte er einen ausge zeichneten Überblick über die nähe re Umgebung. Deutlich sah er von hier die schneeweiße Stute, die nur zwanzig Yards entfernt in einer schmalen Bodenvertiefung stand. Nur wenige Schritte daneben stand eine Gestalt, die ein Gewehr schußbereit in der Armbeuge hielt. Sie bewegte sieh auffallend langsam und vorsichtig. Sie schlich in die Richtung, in der Lobo gelagert hatte. Lobo erkannte die Gestalt wieder. Es war die Frau, die ihm auf der Ha zienda bereits aufgefallen war. Sie hatte dort Futter für das Pferd und Lebensmittel gekauft. Lobo rutschte von seinem Felsen herunter und lief geduckt auf die Frau zu. Er gab sich nicht viel Mühe, leise zu sein. Von der Frau hatte er nichts zu befürchten. Sie gehörte nicht zu José Philippos Bande. Panik und lähmendes Entsetzen standen im Gesicht der Frau, als Lobo plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihr auftauchte. Sie hatte ihn nicht gehört. „Wenn Sie wirklich nach San An tonio wollen, reiten Sie in der fal schen Richtung", begann Lobo. Er erinnerte sich noch daran, daß sie diese Stadt auf der Hazienda als Ziel genannt hatte. Mit offenem Mund starrte die Frau Lobo an. Nur langsam entspannte sie sich. Als sie endlich begriff, daß Lobo ihr nicht feindlich gegenüberstand und auch keine Waffe gezogen hatte, atmete sie tief durch. „Es ist nicht immer ganz ungefähr lich, mitten in der Nacht um fremde Lager herumzuschleichen", redete Lobo weiter. „Es gibt Leute, die schießen in solchen Fällen erst und sehen dann nach, wer das Ziel war."
„Sie haben mich gehört?" fragte die Frau und sah Lobo dabei aus großen Augen an. Lobo mußte grinsen. Die Frau war offenstichtlich in der Wildnis nicht zu Hause. „In der Nacht ist es nicht leicht, ein schnaubendes Pferd zu überhören", erwiderte Lobo. „Jedenfalls ist es im mer besser, man achtet auf solche Geräusche. Ganz besonders dann, wenn man sich in einer feindlichen Gegend aufhält." Die Frau hatte Lobo ruhig zuge hört. Dabei hatte ihr Gesicht einen harten und drohenden Zug ange nommen. Sie hatte ihre Lippen fest aufeinandergepreßt, und ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen gewor den. „Doch Ihre Vorsicht hat Ihnen nichts genützt", sagte sie plötzlich mit einer heiseren, gefährlichen Stimme. Sie repetierte mit einer schnellen Bewegung ihr Gewehr, sprang einen Schritt zurück und richtete dann den Lauf auf Lobo. „Sie haben Ihre Chance verpaßt!" Lobo beobachtete den Zeigefinger der Frau, der auf dem Abzug des Ge wehres lag. Er zitterte leicht. Die Si tuation war nicht angenehm. „Das, was Sie da in der Hand ha ben, ist ein Gewehr", erklärte Lobo freundlich und ruhig. „Wenn man an dem kleinen Hebel da unten zieht, kann man andere Menschen ganz schön verletzen!" Lobo konnte sich die plötzliche Reaktion der Frau nicht erklären. „Ich weiß, was ich damit alles ma chen kann", erwiderte die Frau scharf. „Und ich werde auch nicht lange zögern." „Vielleicht können Sie mir vorher noch erklären, was das Ganze soll", sagte Lobo und wurde langsam är gerlich. Ihm gefiel es nicht, vor dem Lauf einer gespannten Waffe zu ste 41
hen können", redete die Frau weiter. hen. Die Frau lachte kurz auf. Es war „Ich habe ihr alles erzählt. Sie hat ein verkrampftes Lachen, in dem viel mich verstanden und versprochen Haß mitschwang. Haß und Verzweif mir zu helfen." „Was hatten Sie ihr erzählt?" fragte lung. „Sie werden alles erfahren", sagte Lobo. In ihm verstärkte sich immer sie böse. „Sie sollen wissen, warum mehr der Verdacht, daß er es hier mit Sie sterben!" Ihre Stimme veränder einer Wahnsinnigen zu tun hatte. te sich immer mehr. Sie klang hart Dafür sprach auch das seltsame und gefühllos, aber sie ließ auch tie Funkeln in den Augen der Frau, das fen Schmerz erahnen. „Aber vorher Lobo bisher nur bei Irrsinnigen ge sehen hatte. schnallen Sie Ihren Revolver ab!" Lobo gehorchte. Für einen Mann, „Ich habe ihr gesagt, daß ich Sie tö der vor einer gespannten Waffe ten müßte", erwiderte die Frau steht, gibt es nicht viel Möglichkei knapp. ten. Er löste die Gürtelschnalle und „Warum müssen Sie mich töten?" ließ den Gurt zu Boden gleiten. Da fragte Lobo. nach entspannte sich die Frau ein „Weil ich meinen Mann rächen wenig. Ihr Finger, der am Abzug lag, muß", sagte die Frau. „Sie haben zitterte nicht mehr so stark, und meinen Mann getötet. Sie haben ihn Lobo fühlte sich bereits wohler. getötet, um ihm sein Pferd und sein „Ich habe Sie erwartet", erklärte Geld zu stehlen. Dafür werden Sie mit einem Mal die Frau. „Ich wußte, sterben!" daß ich Sie hier finden würde." Wie ein greller Blitz durchzuckte Lobo wunderte sich. Er hatte die Lobo die Erleuchtung. Langsam be Frau noch nie gesehen und konnte gann er zu begreifen, worum es bei sich nicht vorstellen, was er mit ihr dieser ganzen Sache ging. zu tun gehabt hatte. „Sind Sie die Frau des Fähr „Woher kennen Sie mich?" fragte manns?" fragte Lobo. Lobo. Die Frau nickte langsam und ihre „Ich sehe Sie jetzt zum ersten Mal", Augen wurden feucht. erwiderte die Frau. „Aber ich habe „Ich sollte es werden", antwortete diese Stunde herbeigesehnt." sie. „In einer Woche wollten wir hei „Woher wußten Sie, daß Sie mich raten. Jetzt bin ich Witwe, ehe ich ge hier finden würden?" fragte Lobo. heiratet habe." Die ganze Sache schien ihm reichlich Schlagartig tauchten in Lobos mysteriös. Kopf Szenen und Bilder des vergan „Weil ich dafür gesorgt habe, daß genen Tages auf. Er erinnerte sich Sie aus der Hazienda entfliehen daran, wie die Frau auf den Hof der konnten!" antwortete die Frau. Hazienda geritten und zusammenge Lobo begriff immer weniger. Er zuckt war, als sie Lobos Pferd ent sah die Frau an und versuchte die deckt hatte. Es war das Pferd des to Sätze zu ordnen und in ein System zu ten Fährmanns, auf dem Lobo die bringen. Es gelang ihm nicht. Er Banditen verfolgt hatte. konnte es sich nicht anders erklären, Anschließend hatte sich die Frau als daß hier eine Verwechslung vor nach dem Besitzer des Hengstes er liegen mußte. kundigt, aber Drago hatte ihr keine „Ich habe die alte Mexikanerin ge Antwort gegeben. Die alte Mexika beten, dafür zu sorgen, daß Sie flie nerin aus der Küche der Hazienda 42
mußte ihr dann alles erklärt haben. „Haben Sie gesehen, wie der Fähr mann ermordet wurde?" fragte Lobo, und seine Stimme war sanft dabei. Er verstand den Schmerz der Frau. Sie schüttelte den Kopf und wisch te sich mit der linken Hand über die Augen. „Ich war auf dem Weg zu seinem Haus. Als ich es erreichte war die Hütte leer, und am Fluß war ein fri sches Grab. Ich wußte sofort, was ge schehen war." Bei dem Gedanken an diesen Tag übermannte sie der Schmerz. Sie mußte ein paarmal tief durchatmen, dann erst konnte sie weitersprechen. „Ich bin dann losge ritten und habe die Mörder gesucht. Ziellos bin ich herumgeirrt. Auf der Hazienda habe ich sein Pferd wie dergefunden. Ich habe es sofort er kannt. Sie haben es geritten. Sie sind der Mörder. Sie werden sterben." „Sie irren sich", sagte Lobo mit ru higer Stimme. „Wenn Sie mich töten, haben Sie nicht den Mörder Ihres Mannes bestraft." Aus Augen, die von Tränen ver schleiert waren, sah die Frau Lobo an. Ihre Lippen zitterten und bebten. Sie besaß nicht mehr viel Wider standskraft. Der Tod des Fährmanns und die Anspannungen der letzten Tage hatten sie geschwächt. „Sie lügen", stieß sie hervor. „Sie sind der Mörder!" Mit einer verzwei felten Geste riß sie den Lauf des Ge wehrs hoch und richtete ihn auf Lo bos Kopf. Lobo wußte, daß die Zeit des Redens nun vorbei war. Er knickte in den Knien ein und sackte zu Boden. Er sah, wie sich eine grelle Feuerlanze aus dem schwarzen Lauf des Gewehrs löste und ein Stück hei ßes Blei auf ihn zuschleuderte. Als er die Detonation des Schusses hörte, wußte er, daß er nicht getroffen war. Bevor Lobo den Boden berührte,
stieß er sich ab. Er schnellte hoch und flog in einem weiten Sprung auf die Frau zu. Er sah die Verzweiflung, die Wut und den Haß in ihren Augen. Ihre Hand stieß den Unterhebel spanner erneut nach vorn. Eine ab geschossene Patronenhülse wurde aus der Waffe geschleudert. Im nächsten Augenblick prallte Lobo gegen die Frau. Lobo stieß den Lauf der Waffe mit dem Unterarm zur Seite. Wieder bleckte tödliches Feuer in den Nacht himmel und brannte für Sekunden einen grellen Strahl in die Dunkel heit. Lobo spürte die Hitze und hörte das jaulende Geschoß davonfliegen. Dann packte er die Waffe und riß sie der Frau aus den Händen. Mit einem kaum hörbaren Auf schluchzen sank Carmen Garcia zu Boden. Sie kniete sich auf die Erde und preßte beide Hände vor ihr Ge sicht. Ihre langen schwarzen Haare umschlossen ihren Kopf wie einen Schleier. Ihr ganzer Körper bebte und wurde wie von Krämpfen ge schüttelt. Lobo hob seine Revolverhalfter auf und schnallte sich den Gurt wie der um. Dann setzte er sich etwas ab seits auf einen Stein und wartete. Er ließ der Frau Zeit.
„Warum töten Sie mich nicht?"
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fragte Carmen Garcia und sah Lobo te Carmen Garcia leise. „Wir müssen herausfordernd an. Ihr Kopf war sie zusammen jagen!" Es gelang Lobo nicht, seine Augen stolz erhoben, ihre Augen nicht mehr verschleiert. Sie hatte keine Tränen von der Frau abzuwenden. Noch nie mals hatte er bei einem einzigen mehr. Blick soviel empfunden wie in die „Weil ich kein Mörder bin." Carmen Garcia musterte Lobo lan sem Moment. Es war das erste Mal, ge und eindringlich. Lobo wich ih daß er diese Frau so ansah wie jetzt. rem Blick nicht aus. Dann stand sie Und dennoch schien ihm alles ver traut. Die sanften Züge ihres Ge auf und ging auf ihn zu. „Geben Sie mir mein Gewehr zu sichts, der fein geschwungene Mund rück!" Ihre Stimme war klar und mit den vollen Lippen und die gro ßen dunklen Augen, in denen er Dinge fordernd. Lobo überlegte kurz, dann reichte lesen konnte, die er selbst in diesem er ihr die Waffe. Sie nahm sie, lud Augenblick dachte. aber nicht durch. „Wir werden sie zusammen jagen", „Woher haben Sie das Pferd mei sagte Lobo. nes Mannes?" fragte sie. Sie legte ih ren hübschen Kopf ein wenig schräg und wartete gespannt auf die Ant wort. Ein feiner silbriger Streifen bildete Lobo erzählte bereitwillig die gan sich am östlichen Horizont, breitete ze Geschichte, so wie sie sich wirk sich allmählich aus und überspannte lich ereignet hatte. Er begann bei den gesamten Himmel mit einem den wilden Reitern, die sein eigenes milden und sanften Licht. Kurz dar Pferd erschossen hatten, erzählte auf tauchte die Sonne als strahlen von den Kopfgeldjägern, die er mit der, feuriger Ball über den fernen ten auf dem Colorado auf der Fähre Bergen auf, überflutete die ganze zurückgelassen hatte, und schloß mit Landschaft mit ihrer Wärme und be den Ereignissen auf der Hazienda gann ihre tägliche Bahn. von José Philippo. Beim ersten Licht des Tages war Carmen Garcia unterbrach ihn Lobo erwacht. Neben ihm schlief kein einziges Mal. Wie gebannt noch Carmen Garcia. Sie hatte sich starrte sie auf Lobos Lippen, so als ob dicht an Lobo geschmiegt und eine sie fürchtete, daß ihr ein Wort entge Hand um seinen Körper gelegt, so, als hen könnte. Als Lobo geendet hatte, ob sie ihn für immer festhalten woll wandte sie sich ab. te. „Ich schäme mich", sagte sie leise. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, „Ich habe Ihnen Unrecht getan." befreite sich Lobo und stand auf. Er Lobo stand auf und legte ihr leicht versorgte die Pferde und entfachte seinen Arm um die Schultern. dann ein kleines, rauchloses Feuer, „Sie haben keinen Grund, sich zu über dem er in einer verrußten schämen", tröstete er sie. „Ich kann Blechkanne Wasser erhitzte. Als es Ihre Verzweiflung und Ihren brodelte, warf er eine Handvoll Kaf Schmerz verstehen." feepulver hinein. Langsam hob sie ihren Kopf und Der starke, würzige Geruch des sah Lobo an. Lange Zeit sahen sie Kaffees weckte die Frau. Sie blinzel sich tief in die Augen. te in die Sonne und lächelte. Dann „Wir haben dieselben Feinde", sag stand auch sie auf und hockte sich 44
neben Lobo an das Feuer. Lobo reichte ihr eine Blechtasse mit hei ßem, schwarzem Kaffee. „Wann reiten wir zurück zur Ha zienda?" fragte Carmen, nachdem sie lange nur schweigend gesessen hatte. „Überhaupt nicht", antwortete Lobo. „José Philippo ist nicht mehr auf der Hazienda." Carmen Garcia erschrak und ver schüttete etwas von ihrem Kaffee. Zischend verdampfte die braune Flüssigkeit in der Glut des Feuers. „Wo ist er?" fragte sie gehetzt. „Wo her weißt du, daß er nicht mehr dort ist?" „Ich habe ihn gesehen", gab ihr Lobo zur Antwort. „Ich habe eine kleine Gruppe von Reitern gesehen. Es waren drei Mann. Sie waren nicht einmal fünfhundert Yards entfernt. Ich bin sicher, daß es die Banditen waren. Vor nicht ganz einer Stunde sind sie an uns vorbeigeritten." Die Frau sprang auf und starrte, Lobo fassungslos an. „Du hast sie vorbeireiten lassen?" fragte sie fassungslos. „Du hast sie entkommen lassen?" „Sie werden uns nicht entkom men", sagte Lobo ruhig. „Ich werde ihre Spuren wiederfinden. Aber es war zu gefährlich, sie schon hier an zugehen. Ich weiß nicht, wie viele seiner Leute sich noch in der Gegend herumtreiben." Nur langsam beruhigte sich die Frau wieder. Schließlich setzte sie sich wieder ans Feuer. „Du hattest recht", sagte sie dann. „Es wäre ein großer Fehler gewesen. Nicht nur deshalb, weil möglicher weise seine Leute noch in der Nähe sind." Lobo hatte den Verdacht, daß es noch etwas gab, das die Frau wußte, bisher aber nicht zu sagen gewagt hatte. Fragend sah er sie an. „Ich weiß, daß ich dir vertrauen
kann", begann Carmen schließlich. „Deshalb sollst du auch alles erfah ren." Sie machte eine kurze Pause und goß sich frischen Kaffee ein, be vor sie weitersprach. „Mein Mann, der Fährmann, war nicht arm. Zwar hat er mit seinem Beruf nicht allzu viel verdient, aber er war auch nicht sein Leben lang ein Fährmann. Er war Spieler. Jahrelang ist er von Stadt zu Stadt gezogen und hat den Leuten mit billigen Kartentricks das Geld aus der Tasche gezogen. Mei stens hat er damit Erfolg gehabt. Aber er hat nicht nur den Leuten das Bargeld aus der Tasche gezogen, sondern am liebsten den Schmuck ihrer Frauen. Ich kann dir nicht sa gen, wie er es immer angestellt hat, aber er hat haufenweise Ringe und kostbare Ketten zusammengerafft. Als wir uns kennenlernten, hat er mir seinen kleinen Schatz gezeigt. Eine Kassette, in der es vor Gold, Sil ber und Edelsteinen nur so funkelte und blitzte, wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen habe. Diese Kassette wollten wir ver kaufen, wenn wir geheiratet hatten. Wir hätten davon wunderbar leben können. Mein Mann hatte auch schon jemanden gefunden, der ihm den Schmuck abkaufen wollte. Je denfalls schrieb er mir das in seinem letzten Brief. Ich weiß es nicht genau, aber ich habe den Verdacht, daß dieser Mann, von dem er schrieb, ein Bandit war. Ich glaube, daß der Schmuck der Grund war, aus dem mein Mann ge tötet wurde. Die Kassette ist irgendwo in einer kleinen mexikanischen Geisterstadt versteckt. Zu dem Versteck gab es ei nen Plan, aber ich habe ihn in der Hütte nicht gefunden. Ich bin sicher daß ihn der Mann besitzt, der den Fährmann getötet hat. José Philip po." 45
Ruhig hatte Lobo zugehört. Jetzt verstand er auch, warum Carmen Garcia gesagt hatte, es wäre ein großer Fehler gewesen, ihn schon hier aufzuhalten. Wenn José Philip po den Plan besaß, war er der einzige, der das Versteck des Schatzes kann te. Wenn ihm etwas zustoßen würde, wäre der Schmuck für alle Zeit verlo ren. Carmen jagte José nicht nur aus Rache, sondern auch, um ihr Vermö gen zu retten. „Wir müssen José verfolgen", fuhr die Frau fort. „Wir dürfen ihn nur beschatten. Er muß uns zu der Stelle führen, an der der Schmuck liegt. Dann erst können wir zuschlagen." Lobo nickte langsam und gab der Frau zu verstehen, daß er einver standen war. „Laß uns aufbrechen", sagte er und schob Sand und lockere Erde auf das Feuer. Die Flammen erloschen und schickten kleine letzte Rauchkringel in die Luft. Anschließend sattelte er sein Pferd. Die Sonne stand schon hoch, als Lobo und Carmen Garcia die Spur der Banditen fanden.
Drei Reiter zügelten auf dem Hü gel ihre Pferde und blickten in ein weites Tal hinab, das sich wie eine Schüssel vor ihnen ausbreitete. In der Mitte des Tals stand ein kleines, würfelförmiges Haus, dessen weiß gestrichene Adobelehmmauern hell in der grellen Sonne leuchteten. Die drei Reiter beobachteten das Haus sehr lange und sorgfältig. Mi nutenlang saßen sie bewegungslos auf ihren Pferden und starrten in das Tal hinab. Ebenso genau muster ten sie die umliegenden kahlen grau en Hänge. Mit dem, was die Männer sahen, waren sie offensichtlich sehr zufrie 46
den. Einer von ihnen, ein öliger, auf geschwemmter Mexikaner, grinste genüßlich vor sich hin. Über einem Auge trug er eine schwarze Augen klappe. „Genauso, wie es sein muß, José", sagte er und rieb sich freudig die fet ten Wurstfinger. „Alles weit zu über blicken. Vor Überraschung können wir dort unten sicher sein." Der Angesprochene nickte und zog eine lange Zigarre aus seiner Jak kentasche. Er biß sie an einer Seite ab und schob sie sich zwischen die Lippen. Dann schnippte er mit denFingern. „Ich brauche Feuer, Bruck", sagte er dabei zu dem dritten der Männer. Es war ein auffallend hagerer, lan ger Mann, dessen dicht zusammen stehende Augen seinem Gesicht et was Brutales gaben. Bruck zuckte zusammen, als José mit den Fingern schnippte. Hastig suchte er in seinen Taschen nach ei nem Streichholz. Als er eins fand, riß er es an der Revolverhalfter an und gab José Feuer. Dabei murmelte er eini ge Entschuldigungen. José beachtete ihn nicht weiter. Ohne Bruck anzu sehen, paffte er dicke Qualmwolken. „Ist das Haus dort unten be wohnt?" fragte Drago, der Mann mit der Augenklappe, und schirmte sein gesundes Auge gegen die tief stehen de Sonne ab, um besser sehen zu kön nen. „Im Augenblick noch", erwiderte José und setzte ein gemeines Grinsen auf. „Ein Mexikaner, Schafzüchter!" „Wohnt er allein dort?" fragte Dra go weiter. José nickte. Dabei sog er kräftig an seiner Zigarre, so daß die Spitze hell aufglühte. „Fein", schaltete sich Bruck mit seiner knabenhaften Stimme ein. „Überlaß ihn mir, Boß. Ich habe sehr lange schon nicht mehr arbeiten
dürfen!" Er zog dabei ein Messer mit einer langen Klinge aus dem Gürtel und strich prüfend mit dem Daumen über die scharf geschliffene Schnei de. „Du darfst mir nicht jeden Spaß an der Arbeit nehmen." „Bruck hat recht", meldete sich Drago wieder und blickte José an. „In den letzten Tagen bist du zu sanft gewesen. Du hättest das verdammte Halbblut nicht entfliehen lassen dürfen. Auf jeden Fall aber wäre es besser gewesen, ihn zu verfolgen. So wie ich den Bastard einschätze, macht er uns noch einen Strich durch die Rechnung." José hielt die Luft an und starrte sekundenlang bewegungslos in die Weite. Dann stieß er eine weiße Rauchwolke aus und wandte lang sam den Kopf. Mit zusammengeknif fenen Augen sah er Drago scharf an. Seine rechte Hand löste sich von den Zügeln und wanderte zu dem hellen Perlmuttgriff seines Colts. „Hast du etwas gesagt?" fragte er nach einiger Zeit. Drago wurde unsicher. Unruhig rutschte er auf seinem Sattel hin und her. Obwohl die tiefstehende Sonne schon viel von ihrer Kraft verloren hatte, bildeten sich auf der Stirn des Einäugigen feine Schweißperlen. „Ich meine nur, daß es nicht gut ist, einen Feind im Rücken zu haben", stammelte Drago. „Ich weiß zwar nicht, wie der Bastard aus dem Kel ler entkommen ist, aber ich kann mir denken, daß er ein guter Mann ist." „Meinst du, daß ich kein guter Mann bin?" fragte José knapp. An Stelle des Einäugigen antwortete Bruck, mit seiner hellen, unterwür figen Stimme. „Du bist einer der Besten. Das Halbblut hat keine Chance, auch wenn er hinter uns her ist!" „Das Halbblut ist nicht hinter uns her", sagte José bestimmt. „Der Ba
stard hat die Hosen gestrichen voll. Wenn wir von ihm irgend etwas zu befürchten hätten, hätte er von mir eine Kugel in den Kopf bekommen!" „Oder mein Messer in die Brust", kicherte Bruck und stach mit seiner Klinge einige blinde Hiebe in die Luft. „Zweifelst du daran?" fragte José zu Drago gewandt und zog in aller Ruhe seinen Revolver. Er ließ die Trommel spielerisch rotieren und blickte prüfend über den gravierten, silbrig glänzenden Lauf. „Natürlich nicht", antwortete der Einäugige schnell. Er hob be schwichtigend die Hände und ver suchte, José zu beruhigen. José schwenkte den Lauf seiner Waffe, bis er das Gesicht Dragos ge
nau im Visier hatte. Er hielt den Re volver mit ausgestreckten Armen. Seine Daumen fanden den Hahn und zogen ihn langsam zurück. Es knack te leise, als die Trommel eine Kammer weitersprang und der Hahn einra stete. „Wer ist hier der Boß?" fragte José, und seine Stimme war gefährlich lei se. Inzwischen flossen ganze Bäche von Schweiß über das aufgedunsene Gesicht Dragos. Sie spülten glänzen de Streifen in das verstaubte Gesicht des Einäugigen. Es fiel ihm schwer zu antworten. Die Angst raubte ihm die Sprache. Verzweifelt schnappte er nach Luft. Seine Hände krampf ten sich um das Sattelhorn. Seine 47
Fingernägel bohrten sich in das wei che Leder. „Du, natürlich", quetschte er schließlich mühsam hervor. „Du bist der Boß!" José ließ den Mexikaner noch eini ge Zeit zappeln. Dann erst schnappte der Hahn an seinem Colt zurück. Es klickte metallisch, aber kein Schuß löste sich. Drago atmete erleichtert auf. Er schöpft und gebrochen ließ er seine Schultern hängen. Er hing jetzt im Sattel wie ein alter Sack. Wie aus weiter Ferne hörte er das hämische Kichern von Bruck. „Du bist der Boß", äffte Bruck die Stimme Dragos nach. „Das wird er nicht mehr vergessen, Boß! Eine gute Lektion!" „Wirst du das wieder vergessen?" fragte José und ließ den Revolver ei nige Mal um seine Finger wirbeln, ehe er ihn in die schwarze, mit silber nen Nieten verzierte Halfter zurück schob. Kraftlos schüttelte Drago den Kopf. Er bewegte leicht die Lippen, aber er brachte noch keinen Ton her aus. „Ich höre dich nicht", sagte José mit lauter Stimme. „Was hast du gesagt?" Der Einäugige nahm alle seine Kraft zusammen. „Ich werde das nie mehr verges sen", sagte er gehorsam und klein laut. „Du bist der Boß!" José grinste zufrieden. „Gut gesagt, Drago", lobte er mit sehr viel Hohn in der Stimme. „Aber merk es dir wirklich gut. Wenn du es noch einmal vergißt, kann es sein, daß du auf einmal zwei Augenklap pen benötigst. Du stehst dann genau so im Dunkeln wie dein armseliges Gehirn jetzt schon." Brucks schrilles Kichern begleitete die Worte Josés. Inzwischen hatte die Sonne sich 48
rötlich verfärbt. Sie stand tief im Westen und berührte bereits mit ih rem unteren Rand die kahlen Hügel, die das weite Tal umschlossen. Die vereinzelten kümmerlichen und ver krüppelten Bäume warfen lange Schatten. „Los jetzt!" befahl José und hieb seinem Tier sie Sporen in die Seite. Bruck folgte ihm sofort, als letzter ritt Drago. Die letzten Minuten hatte er immer noch nicht völlig verarbei tet. Die drei Männer ritten im scharfen Galopp den Hügel hinunter. Hinter ihnen bildete sich eine hohe Staub wolke, die sich durch die letzten Strahlen der Sonne rötlich verfärbte. Der Schafzüchter, der in dem klei nen, weiß gestrichenen Haus in der Mitte des Tales wohnte, hörte den Hufschlag und öffnete seine Tür. Er trat auf den Hof hinaus und sah den drei Männern, die auf ihn zugalop pierten, ruhig und furchtlos entge gen. Er wußte nicht, daß mit den drei Reitern der Tod zu ihm kam. Er be griff es erst, als ein Messer mit lan ger, scharfer Klinge auf ihn zu sirrte und sich in seine Brust bohrte. Doch da war es bereits zu spät.
In einem ehemaligen, inzwischen ausgetrockneten Flußbett hatten Lobo und Carmen Garcia gelagert. Es hatte keinen Sinn, die Banditen auch in der Dunkelheit zu verfolgen. Obwohl Lobos Augen geschult wa ren und ihm kaum etwas entging, war das Risiko zu groß. Wenn er auch nur ein einziges Mal die Spuren der Banditen verlieren würde, wür de José Philippo einen Vorsprung gewinnen, der kaum noch aufzuho len wäre. „Was glaubst du, wie weit sie vor uns sind?" fragte Carmen, als sie in
den frühen Morgenstunden ihre Pferde sattelten und sich darauf vor bereiteten, die Jagd wieder aufzu nehmen. „Ich nehme an, daß José ebenfalls in der Nacht nicht weitergeritten ist", antwortete Lobo. „Er wird nicht das Risiko eingehen wollen, daß sein Pferd einen Fehltritt macht und sich verletzt. Er wird einen Vorsprung von drei bis vier Stunden haben." „Dann wird es Zeit, daß wir näher an ihn herankommen"., stellte Car men fest. „Richtig", antwortete Lobo und zurr te seinen Sattelgurt fest. „Es wird heute ein harter Tag. Wir dürfen uns nicht schonen." Carmen Garcia ging auf Lobo zu und streichelte sanft seinen Arm. Sie stand so dicht vor ihm, daß er wieder einmal den betörenden Duft ihres weichen Haares riechen konnte. „Ich möchte dir für all das danken, was du für mich tust", sagte sie leise. Sie hielt ihren Kopf gesenkt und sah ihn nicht an dabei. Lobo faßte mit einer Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht soweit an, daß er in ihre schwarzen, großen Augen sehen konnte. „Du brauchst mir nicht zu danken", erwiderte Lobo. „Wir haben bisher schon viel füreinander getan. Keiner hat das Recht, von dem anderen Dank zu fordern. Wir haben gemein same Interessen und gemeinsame Feinde." Carmen nickte. „Du hast recht, Lobo", sagte sie. „Laß uns aufbrechen." Lobo und Carmen Garcia schwan gen sich auf ihre Pferde und trieben die Tiere das steile Ufer des ausge trockneten Flusses hinauf. Sie fan den schnell die Spuren der Banditen wieder, die sich nicht bemüht hatten,
ihre Fährte zu verwischen. Sie muß ten sich sehr sicher gefühlt haben. Zuerst entdeckte Lobo die Geier. Vier der großen Vögel kreisten lang sam am blauen Himmel, aber ständig wurde der Schwarm größer. Von sei ner Position aus konnte Lobo noch nicht erkennen, was die Aufmerk samkeit der Aasvögel auf sich lenkte. Er trieb seinen Hengst mit einem Schnalzen an und einen Hügel hin auf. Vom höchsten Punkt aus konnte er das Tal überblicken. Das Tal war weit und glich einem tiefen Teller. In der Mitte des Tals befand sich ein kleines, weiß ge
strichenes Haus. Auf dieses Haus konzentrierte sich die Aufmerksam keit der Geier. „Was ist los?" fragte Carmen atem los, die hinter Lobo hergeritten war und jetzt erst den Hügel erreichte. „Ich weiß es noch nicht", antwort ete Lobo. „Aber ich fürchte, die Ban diten haben wieder zugeschlagen." Er deutete auf die Spuren der drei Reiter, die in das Tal hinabliefen, ge nau auf das Haus zu, über dem jetzt die Geier kreisten. Lobo sprang aus dem Sattel und führte sein Pferd an den Zügeln ein wenig zur Seite in eine flache Vertie 49
fung. Er brachte den Hengst dazu, sich flach auf den Boden zu legen, und begann dann, das Tier mit grau em Staub und lockerer Erde einzu reiben. „Das ganze Tal ist von jeder Seite her gut einzusehen", erklärte Lobo auf den fragenden Blick der Frau hin. „Wir werden zu Fuß nachsehen, was dort unten los ist. Die Pferde bleiben hier oben. Wir müssen sie tarnen, damit sie nicht so sehr auf fallen. Vor allem deine weiße Stute ist auf Viele Meilen hin zu sehen." Carmen Garcia verstand. Sie brachte ihr Tier ebenfalls dazu, sich zu Boden zu legen. Dann rieb auch sie die Stute mit der grauen Erde ein. Der Sand klebte auf dem naßge schwitzten Fell der Tiere. Wenn sich die Pferde nicht auffallend beweg ten, konnte sie selbst ein scharfes Auge aus größerer Entfernung nur schwer erkennen. Als Lobo und Carmen die beiden Pferde vollkommen mit Staub einge rieben hatten, pflockten sie sie so an, daß die Tiere nur in der liegenden Stellung bleiben konnten. Dann zog Lobo seine Winchester aus dem Scabbard und lief geduckt in das Tal hinunter. Carmen folgte ihm. Die Geier in der Luft wurden in zwischen mutiger. Sie beschränkten sich nun nicht mehr damit, nur zu kreisen, sondern stießen von Zeit zu Zeit auf den Boden hinab. Einige der großen Vögel saßen bereits auf der Dachkante und bewegten ihre rötli n, federlosen Hälse hin und her. Nur die beiden Personen, die vor sichtig auf das Haus zuliefen, hin derten die Aasvögel daran, sich auf die erspähte Beute zu stürzen. Lobo beobachtete die Geier eben falls. Als er sie auf dem Haus sitzen sah, wußte er, daß ein Teil seiner Vorsicht unbegründet war. In dem Haus würde sich sicher kein Leben 50
der mehr aufhalten. Die Geier wür den es sonst nicht wagen, sich so tief niederzulassen. Lobo sah den Toten erst, als er das Haus erreicht hatte. Der Mann lag zusammengekrümmt auf der Seite. Seine Augen standen weit auf, die Pupillen waren starr. Die Hände des Mannes waren auf der Brust ver krampft. Lobo hockte sich neben die Leiche und drehte sie auf den Rücken. Der Mann mußte schon viele Stunden tot sein, denn die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt. Wahrscheinlich schon die ganze Nacht. An der Stelle der Brust, an der der Tote seine beiden Hände im Hemd verkrallt hatte, entdeckte Lobo einen winzigen schmalen Schnitt. Der Mann war an einem Messerstich ge storben. Er mußte sofort tot gewesen sein, denn der Einstich war genau über dem Herzen, und nur wenig Blut war aus der Wunde geflossen. Carmen Garcia hatte den Mann entsetzt angesehen. Jetzt drehte sie sich plötzlich um und schlug beide Hände vor das Gesicht. „Mein Gott", stieß sie hervor. Lobo erhob sich und betrat das kleine Haus. Die Tür war nur ange lehnt, und Lobo stieß sie auf. Das In nere des Hauses war vollkommen verwüstet. Das spärliche Mobiliar war zum größten Teil zerschlagen, die Vorhänge und Gardinen waren von den Fenstern gerissen. Überall lagen Scherben von Tonkrügen und von Geschirr. Der schwere, süßliche Geruch von vergossenem Wein erfüllte das ganze Haus. Überall lagen leere Flaschen und Gläser. Ein fürchterliches Gela ge mußte hier stattgefunden haben. Die Mörder des Mexikaners draußen vor der Tür hatten hier gesoffen und getobt. Ein halb zerlegtes, gebratenes
Lamm lag in der Küche, doch es war kaum etwas von dem Fleisch geges sen worden. Wer auch immer dieses Chaos angerichtet hatte, hatte sich mehr mit dem Wein beschäftigt als mit Essen. Carmen hatte hinter Lobo das Haus betreten. Wortlos stand sie in mitten der Verwüstung. Sie war bleich und ihre Hände zitterten. „Warum?" stammelte sie. „Warum tun die das?" Sie konnte nicht be greifen, daß sich Menschen zu so et was hinreißen lassen konnten. Auch Lobo konnte ihr auf die Fra ge keine Antwort geben. In sich ver spürte er nur heiße Wut. Die Bilder, die er hier sah, erinnerten ihn wieder an Dinge, die er ständig zu vergessen suchte. Als Lobos Eltern von skrupellosen und geldgierigen Skalpjägern ermordet worden waren, hatten die Mörder die gleiche Ver wüstung hinterlassen, die er jetzt hier wieder ansehen mußte. „Waren das José Philippo und sei ne Leute?" fragte Carmen und ver suchte die Schauer, die der Anblick des Toten immer wieder durch ihren Körper jagte, zu bekämpfen. „Das werde ich herausfinden", er widerte Lobo. „Jedenfalls führen nur die Spuren der Banditen hier herun ter." Er drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort an der Frau vor bei. Er verließ das Haus und suchte nach einer Schaufel. Dann begann er, für den toten Mexikaner ein fla ches Grab auszuheben. Die Geier, die sich auf dem Dach niedergelassen hatten, flogen kräch zend auf. Sie drehten noch einige große Kreise und flogen dann davon. Offensichtlich begriffen sie, daß für sie hier nichts mehr zu holen war. Als Lobo erst wenige Handbreit tief gegraben hatte, stieß er auf har ten Fels. Es war ihm nicht möglich, ein tieferes Grab auszuheben. Lobo
stellte die Schaufel zur Seite und hol te aus dem Haus einen alten Teppich, in den er den toten Mexikaner wik kelte. Dann legte er ihn in die flache Grube. Er bedeckte ihn mit lockerer Erde und häufte kopfgroße Steine zu einem kleinen Hügel über ihm auf. Carmen half ihm dabei. „Ist das alles, was wir für ihn tun können?" fragte Carmen, als sie fer tig waren. Lobo sah lange auf das fertige Grab. „Wir werden sehen", erwiderte er hart. Zu mehr kam er nicht. Eine Kugel pfiff plötzlich heran und prallte ge gen einen der Steine auf dem Grab. Jaulend heulte das heiße Blei als Querschläger davon. Lobo hechtete über das Grab auf Carmen zu und riß sie zu Boden. Es war keinen Augenblick zu früh. Ein zweiter Schuß bellte auf und riß dort eine kleine Staubfontäne aus dem Boden, an der die Frau noch eine Se kunde vorher gestanden hatte. Auf dem Gipfel des Hügels hatte Lobo das Aufblitzen einer Waffe ge sehen. Im Liegen riß er jetzt den Un terhebelspanner seiner Winchester nach vorn und schoß in die Richtung. „Zurück ins Haus!" rief Lobo der Frau zu, repetierte und feuerte noch einmal. Carmen zögerte keinen Augen blick. Sie gehorchte sofort. Sie warf sich herum und lief auf das Haus zu. Ununterbrochen feuerte Lobo in Richtung der unsichtbaren Gegner und zwang sie in Deckung. Als Car men das Haus erreicht hatte und die Tür hinter sich zuschlug, hatte Lobo seine Waffe leer geschossen. Er ließ sich hinter dem Grab zu Boden fallen und preßte sich fest auf die Erde. Sofort danach prasselte ein ganzer Hagel von Schüssen gegen das Haus und Lobos Deckung. Doch keine ein 51
zige Kugel wurde wirklich gefähr lich. Noch waren die Gegner zu weit entfernt, und Lobos Deckung reichte aus. Lobo nutzte die Zeit und lud seine Winchester neu. Als er fertig war, schob er sich langsam vor. Am Kopfende des Gra bes richtete er sich wenige Inch auf und spähte über den Steinhaufen. Jetzt konnte er die Reiter sehen. Etwa hundertfünfzig Yards neben der Stelle, an der Lobo und Carmen ihre Pferde versteckt hatten, tauch ten drei Reiter auf. Jeder von ihnen hielt ein Gewehr in der Hand. Die Läufe waren auf das Haus im Tal ge richtet. Offensichtlich waren auch die Reiter damit beschäftigt, neu zu laden. Lobo nutzte die Gelegenheit und sprang auf. Er feuerte zwei Schuß gegen die Reiter ab und lief zum Haus. Carmen öffnete ihm von innen die Tür, dann war er in Sicherheit. Lobo riß seinen Revolver aus der Halfter und spannte den Hahn. Dann reichte er die Waffe der Frau. „Kannst du damit umgehen?" fragte er. „Natürlich", erwiderte Carmen. „Die drei werden es nicht leicht ha ben!" Lobo repetierte seine Winchester, lief zum Fenster und sah hinaus. Keiner seiner Schüsse hatte getrof fen. Allerdings saßen die Männer nicht mehr auf ihren Pferden, auf denen sie jetzt ein gutes Ziel abgege ben hätten. Sie hatten sich zu Boden geworfen und krochen auf dem Bauch langsam auf das Haus zu. Der Hang war kahl und übersicht lich. Dennoch war es schwer, ein si cheres Ziel zu finden. Zum einen stand die Sonne inzwischen so, daß sie Lobo blendete, und zum anderen boten die überall verstreut liegenden Felsbrocken den drei heranschlei 52
chenden Männern ausreichend gute Deckung. „Wer sind die Männer?" fragte Carmen und stellte sich wie Lobo seitwärts neben das Fenster. In ihrer rechten Hand lag schwer der 44er Army Colt. „Ist das José mit seinen Banditen?" Lobo schlug die Fensterscheibe mit dem Lauf seiner Winchester ein und hockte sich hinter die Brüstung. „Nein, das ist nicht José", antwor tete Lobo. Er kniff die Augen zusam men und versuchte zu erkennen, ob ihn der erste Eindruck getäuscht hatte. Dann war er sicher. „Aber warum schießen die auf uns?" fragte Carmen. „Außer José habe ich keine Feinde!" „Mag sein", erwiderte ihr Lobo. „Die Männer dort schießen auch nicht auf uns, weil sie uns für Feinde halten, sondern weil sie Geld verdie nen wollen." Carmen Garcia sah Lobo entgei stert an. „Geld verdienen?" fragte sie. Sie sah sehr verwirrt aus. „Geld verdienen", wiederholte Lobo. „Die Männer dort sind Kopf geldjäger. Ich habe bereits mit ihnen zu tun gehabt. Der Hagere mit dem durchlöcherten Hut ist ihr Boß. Sein Name ist Cheever. Er ist ebenfalls hinter José her." Carmen verstand noch nicht ganz. „Aber warum schießen sie dann auf uns?" fragte sie. „Ich habe sie einmal ein wenig ge ärgert", erklärte Lobo. „Die Ge schichte erzähle ich dir ein anderes Mal. Im Moment ist es besser, wenn wir dafür sorgen, daß sie das Haus nicht erreichen." Die drei Kopfgeldjäger hatten sich in der Zwischenzeit schon weit vor gearbeitet. Steine, hinter denen sie Deckung suchen konnten, wurden allmählich seltener, und Lobo würde
sie bald mit Schüssen eindecken können. „Was heißt das, du hast sie geär gert?" fragte Carmen. Sie ließ nicht locker. „Das ist eine lange Geschichte", er widerte Lobo geduldig und machte sich schußbereit. „Dazu haben wir jetzt noch keine Zeit. Aber mögli cherweise halten mich die Männer dort draußen auch für den Mörder deines Mannes. Die Auseinanderset zung, die ich mit ihnen hatte, fand auf seiner Fähre statt." Die Kopfgeldjäger hatten das Haus schon fast erreicht. Zwischen ihnen und Lobo lag nun nur noch der drei ßig Yards breite Streifen des kleinen Hofes. Außer dem frischen Gras gab es dort keine Deckung mehr. Lobo machte sich keine Sorgen. Es war nicht besonders schwer, das Haus zu halten. Wenn die Kopfgeld jäger versuchen würden, das Haus im Sturm zu nehmen, würde keiner von ihnen die Tür lebend erreichen. Lobo befand sich in der besseren Po sition. Cheever, der Boß hatte sich am weitesten vorgearbeitet. Er hob sei nen Kopf ein wenig über den Felsen, hinter dem er hockte, und spähte zum Haus hinüber. Lobo hob sein Gewehr, legte an und schoß. In einem weiten Bogen segelte der Hut des ha geren Kopfgeld jägers durch die Luft. Lobos Kugel hatte ihm ein wei teres Loch verpaßt, und der Mann sah ein, daß es besser für ihn war, den Kopf unten zu behalten. Lobo repetierte wieder und warte te ab, daß sich der nächste zeigen würde. Plötzlich jedoch hatte er den Lauf eines Revolvers in der Seite. Carmen stand dicht neben ihm und starrte ihn aus haßverzerrtem Ge sicht an. „Du hast mich belogen", sagte sie mit heiserer Stimme. „Du bist der
Mörder meines Mannes! Du bist ge nau wie José hinter dem Schmuck her. Nur deshalb verfolgst du José. Warum sonst wirst du von Kopfgeld jägern verfolgt?" Lobos Hände verkrampften sich um den Schaft der Winchester. Draußen streckte gerade Bagley mu tig seinen Kopf über die Deckung. Aber Lobo konnte nicht schießen und ihn zurücktreiben. Die Frau hätte sich keinen schlechteren Au genblick für ihr Mißtrauen aussu chen können. „Ich habe dir erklärt, wie es wirk lich war", begann Lobo mit ruhiger Stimme. „Ich habe dich nicht belo gen." Lobo sah, daß Bagley sich völlig hinter dem Stein aufrichtete. Er hat te ein sehr verwundertes Gesicht, weil niemand auf ihn schoß. Die bei den anderen Kopfgeldjäger erhoben sich ebenfalls, einer nach dem ande ren. Vorsichtig, mit der Waffe im Anschlag, liefen sie auf das Haus zu. „Warum hätte ich dich mitschlep pen sollen, wenn ich nur an dem Schmuck interessiert bin?" fuhr Lobo ärgerlich fort. Es würde nicht mehr lange dauern, und die Kopf geldjäger hatten das Haus erreicht. Mit der letzten Frage hatte Lobo die Frau verwirrt. Der Druck, mit der sie die Waffe in Lobos Seite bohr te, ließ etwas nach. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. Lobo sah seine Chance. Er riß den Schaft der Winchester nach hinten und stieß mit dem Kolben gegen den Revolver in der Hand der Frau. Der Colt wurde zur Seite geschleudert, ein Schuß löste sich. Mit einem häß lichen, knirschenden Geräusch bohrte sich die Kugel in einen höl zernen Stützbalken in der Mitte des Raumes. Noch ehe die Frau die Situation be griffen hatte, faßte Lobo nach dem 53
Revolver und riß ihn ihr aus der Hand. Sofort danach wirbelte er her um, da der erste der Kopfgeldjäger in diesem Augenblick die Tür auf stieß. Lobo schoß instinktiv aus der Hüf te heraus. Bagley stand im Türrah men, als ihn das Blei aus Lobos Win chester erreichte. Der Kopfgeldjäger wurde herumgewirbelt und stieß ei nen wilden Schrei aus. Er taumelte zurück und riß Cheever mit sich um, der dicht hinter ihm stand. Mit einem Sprung hechtete Lobo über einen umgestürzten Stuhl und setzte den Kopf geldjägern nach. Er erreichte sie, noch bevor Bagley mit Cheever auf dem Boden aufschlug. Mit dem Schaft schlug Lobo nach dem Kopf des Anführers. Der Mann rollte zur Seite und verlor seine Waf fe. Dann hatte Lobo Hayes erreicht. Der letzte der Kopfgeldjäger war völlig verwirrt und versuchte, das plötzliche Chaos zu begreifen. Er dachte nicht daran, seinen Revolver zu heben, als Lobo vor ihm stand und die Faust hob. „Der Bastard", murmelte Hayes noch, dann traf ihn der Schlag Lobos und raubte ihm augenblicklich die Besinnung. Lobo ließ sich zur Seite gleiten, rollte ab und zog dabei den Unterhe bel der Winchester durch. Danach richtete er sich auf die Knie auf und sah sich schußbereit um. Es war nicht mehr nötig, abzudrücken, der Kampf war beendet. Es gab keinen Feind mehr. Hayes war bewußtlos, ebenso Cheever. Lobos Schläge mit dem Ge wehrkolben und mit der Faust hat ten ausgereicht. Bagley lag neben der Tür. Sein Gewehr war ihm aus den Händen geglitten. Er hatte die rechte Hand gegen die Schulter ge preßt und wimmerte leise vor sich 54
hin. Blut lief über seine Hand. Lobo erhob sich und ging auf ihn zu. Er blieb aufmerksam und schuß bereit, aber von dem Kopfgeldjäger ging keine Gefahr mehr aus. Lobo hockte sich neben ihn und sah sich die Wunde an. Widerstandlos ließ es Bagley mit sich geschehen. Es war keine schwere Verletzung. Der Schuß aus Lobos Waffe hatte ihn nur leicht gestreift. Doch Bagley war ein Mann, der zwar rücksichtslos tö ten, aber sein eigenes Blut nicht se hen konnte. Er wimmerte wie ein kleines Kind. Carmen Garcia stand im Türrah men des kleinen Hauses und sah Lobo zu. In der Hand hielt sie wieder die Waffe, die ihr Lobo wenige Minu ten vorher aus der Hand geschlagen hatte. Die Frau war bleich, und noch immer zitterte sie. Langsam hob sie die Waffe. Aber sie hielt den Colt nicht, um zu schießen. Sie gab Lobo den Revolver zurück. „Verzeih mir, Lobo", bat sie mit lei ser Stimme. „Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich sehe es ein. Du bist kein Mörder. Du hast meinen Mann nicht getötet." Lobo nahm ihr die Waffe aus der Hand und schob sie in seine Halfter. „Wir brauchen Lederriemen", sag te er, ohne auf ihre Entschuldigung einzugehen. „Sieh nach, ob du welche im Haus findest." Während die Frau ins Haus zu rückging, trug Lobo den immer noch bewußtlosen Bagley herbei und legte ihn neben Cheever und Hayes. Dann fesselte er die drei Männer. Bagley jammerte, obwohl das Blut auf sei ner Wunde inzwischen schon zu ge rinnen begann. Er war ein Feigling. „Was soll mit ihnen geschehen?" fragte Carmen, als Lobo mit der Ar beit fertig war. „Wir lassen sie hier", antwortete
Lobo knapp. „Wenn wir José verfol gen wollen, müssen wir diese Kopf geldjäger für einige Zeit kaltstellen. Sie werden einige Zeit brauchen, um die Fesseln zu lösen. Der Vorsprung wird uns reichen." Lobo hielt sich nicht mehr lange bei dem Haus des toten Mexikaners auf. Er sammelte die Waffen der Kopfgeldjäger ein und schleuderte sie wahllos in die Gegend. Die Män ner würden nach ihnen einige Zeit suchen müssen. Dann kletterte er den Hügel hinauf, zurück zu der Stelle, an denen ihre eigenen Pferde lagen. Carmen folgte ihm. Cheever, Bagley und Hayes ver folgten José nur, um ihn zu töten und die auf ihn ausgesetzte Prämie zu kassieren. Doch José sollte Lobo und Carmen Garcia zu dem Schmuck führen. „Was werden die Männer tun, wenn sie sich befreien können?" fragte Carmen, als sie ihre Pferde er reicht hatten und die Tiere los pflockten. „Sie werden uns verfolgen und versuchen, uns zu töten", erwiderte Lobo ruhig. Carmen ließ der Gedanke nicht so kalt. „Wird es ihnen gelingen?" fragte sie erschreckt. Lobo zuckte vage mit den Schul tern. „Einmal ist es ihnen jedenfalls nicht gelungen", sagte er und befrei te seinen Hengst von dem Staub, mit dem er ihn getarnt hatte. Die Vor sichtsmaßnahme hatte sich bewährt. Nachdenklich sah Carmen Lobo zu. „Du bist hart, Lobo", sagte sie. „Was hat dich so hart gemacht?" Sie erhielt keine Antwort auf die Frage. Lobo hatte sich in den Sattel geschwungen und war wortlos los geritten. Er hatte viel Zeit verloren.
Der Vorsprung, den José Philippo hatte, durfte nicht zu groß werden.
Bis spät in die Nacht hinein waren Carmen Garcia und Lobo geritten. Sie hatten weder sich noch die Pfer de geschont. Auf den letzten Meilen hatte ihnen nur das schwache Licht des Mondes den Weg erhellt. Doch Lobo wollte José dicht vor sich ha ben. Er wollte um jeden Preis ver meiden, daß die Banditen den Schatz des Fährmanns fanden, ohne daß Lobo in der Nähe war und im richti gen Augenblick zuschlagen konnte. Jetzt standen sie am Ende einer schmalen Schlucht, und vor ihnen öffnete sich ein weites Tal. Etwa drei Meilen weiter hob sich schwarz und drohend ein hoher Gebirgszug gegen den etwas helleren Nachthimmel ab. Auf halber Höhe des Berges war deutlich ein winziger, aber sehr hel ler Lichtpunkt zu sehen. Lobo wußte sofort, daß es sich nur um ein Feuer handeln konnte. Die Gegend, in der sich Lobo und Carmen befanden, war unwirtlich und einsam. Der harte, felsige Grund, die glühende Sonne des Ta ges und der Wassermangel hatten jede Besiedlung verhindert. Nicht einmal Schafzüchter, deren Herden sich mit sehr wenig begnügten, konnten hier Fuß fassen. Lobo zügel te deshalb sofort seinen Hengst, als er das Feuer entdeckte. „Ich glaube, wir haben die Bandi ten gefunden", sagte er und deutete auf den flackernden Lichtpunkt in der Ferne. Wenn es wirklich die gesuchten Banditen waren, mußten sie sich sehr sicher fühlen. Sie würden sich denken können, daß die Flammen weithin sichtbar waren. Anderer seits aber rechneten sie auch nicht 55
damit, daß sie verfolgt wurden, und da die Gegend sonst sehr einsam war, hatten sie keine Bedenken gehabt, ein Feuer zu entzünden. Langsam ritten Lobo und Carmen weiter. Von nun an ließen sie das Feuer nicht mehr aus den Augen. Unverwandt waren ihre Augen auf den dunklen Berg gerichtet, der ständig zu wachsen schien, je mehr sie sich ihm näherten. Als sie den Fuß des Berges erreich ten, zügelten sie ihre Pferde. Für kurze Zeit war das Feuer ver schwunden. Aber es war nicht verlo schen, sondern nun lediglich von vertrockneten und verkrüppelten Büschen versteckt. Der helle Schein, den die Flammen in den Nachthim mel warfen, war noch deutlich zu se hen. Vor vielen Jahren mußte es an die sem Berg einmal eine Siedlung gege ben haben. Vereinzelt tauchten ver fallene Mauern und die Reste alter Häuser auf. Lobo und Carmen nä herten sich einer Geisterstadt. „Für die Pferde wird es zu gefähr lich", sagte Lobo und sprang aus dem Sattel. „Wenn die Tiere sich ein Bein brechen, hat José gewonnen." Carmen Garcia verstand und ließ sich ebenfalls aus dem Sattel gleiten. „Die weiße Stute ist ohnehin zu auffällig", sagte sie. „Ich glaube, wir müssen sie hier zurücklassen." Lobo lächelte. In der kurzen Zeit, in der sie zusammen geritten waren, hatte die Frau schon viel gelernt. „Wir werden beide Pferde hier zu rücklassen", sagte er. „Du wirst auf sie aufpassen. Ich werde allein nach sehen, ob es wirklich die Banditen sind, die dort oben ihr Lager aufge schlagen haben." Der Gedanke gefiel der Frau über haupt nicht. „Das werde ich nicht", widersprach sie. „Ich werde mitgehen. 56
„Du hast schon einmal versucht, dich anzuschleichen", sagte Lobo und erinnerte Carmen an die Nacht, in der sie versucht hatte, Lobo zu über fallen. „Es ist wohl besser, wenn das jemand übernimmt, der etwas davon versteht." Er wartete nicht ab, ob die Frau weiter widersprechen würde. Er band sein Pferd an einen dornigen Mesquitestrauch und zog die Win chester aus dem Scabbard. Er lud die Waffe durch und reichte sie der Frau. „Du weißt, wie man mit der Winchester umgeht", sagte er dabei. „Benutz sie, wenn etwas passiert. Im übrigen wartest du hier, bis ich zu rück bin." Dann ließ er sie einfach stehen und tauchte in der Dunkelheit unter.
Der Aufstieg war mühsam und ge fährlich. Ein dichtes Gewirr von dor nigen Sträuchern versperrte den Weg und zwang Lobo zu immer neu en Umwegen. Dazu kam, daß er steile Geröllfelder überqueren mußte, die leicht ins Rutschen geraten und ihn durch das Getöse der polternden Steine verraten konnten. Er brauchte fast eine Stunde, bis er sich auf gleicher Höhe mit dem Feu er befand. Der restliche Weg war einfacher. Es gab hier wirklich eine alte mexikanische Geisterstadt, und die alten Wege und Straßen waren noch deutlich zu erkennen. Lobo nutzte die verfallenen Hütten und Adobelehmmauern als Deckung und arbeitete sich schnell und zügig vor. Sein Colt war inzwischen gelok kert, und auch sein Bowie steckte griffbereit im Gürtel. Nach wenigen Minuten hatte er sich bis auf dreißig Yards an die Stelle herangearbeitet, an der sich das Feuer befand. Die Flammen lie ßen bizarre tanzende Schatten auf
den Mauern der alten Stadt entste hen und Lobo glitt zu Boden. Auf dem Bauch liegend, schob er sich weiter vor. Dort, wo das Feuer brannte, befand sich ein offener, runder Platz. Wahr scheinlich war es in früheren Zeiten der Marktplatz des Ortes gewesen. Um das Feuer saßen drei Männer. Lobo erkannte sie sofort, als er sie sah. Es waren die Banditen, die er verfolgte. Drago der Einäugige, lag als schmieriger Fleischberg lang ausgestreckt auf dem Rücken. Er schnarchte laut und dröhnend. Rechts und links neben ihm saßen Bruck und José Philippo. Bruck spielte mit einem Messer mit langer Klinge. Er wirbelte es in die Luft und fing es dann geschickt dicht über dem Boden wieder auf. Er beherrsch te die Waffe ausgezeichnet. Da mit mußte er ein gefährlicher Geg ner sein. José Philippo saß mit untereinan dergeschlagenen Beinen am Feuer. Er saß leicht nach vorn gebeugt. In seiner Hand hielt er ein Stück Pa pier. Er las es lange und aufmerk sam. Schließlich nickte er zufrieden und faltete es zusammen. „Ich habe es geschafft", sagte José leise zu Bruck und warf das Papier in die Flammen. „Ich bin ein reicher Mann!" Die Flammen erfaßten den Plan und verwandelten ihn in wenigen Sekunden in schwarze Asche. „Was hast du geschafft?" fragte Bruck neugierig und übte ein neues Kunststück mit seinem Messer. José hob den Kopf und sah seinen Partner an. „Ich kenne das Versteck, in dem der Fährmann sein Vermögen auf bewahrt hat. Ich weiß, wo der Schatz liegt. Ich allein!" „Ein großer Schatz?" fragte Bruck. Er war offensichtlich nicht sonder
lich daran interessiert. Sein Messer beschäftigte ihn weit mehr. „Gold, Silber und Edelsteine", er klärte José mit leuchtenden Augen. „Ein Vermögen. Es ist sicher Tausen de wert." „Ist es das, wovon der Fährmann sprach, bevor wir ihn ..." Bruck ließ den Satz unvollendet. José nickte. „Das ist es", antwortete er. „Und es gehört mir allein." „Nicht ganz", schaltete sich Drago plötzlich ein. Sein Schnarchen ende te abrupt, und er richtete sich auf. Offensichtlich hatte er alles mitge hört. „Ich denke, daß jedem von uns ein Teil gehört. Jedem ein Drittel." José starrte den fetten Mexikaner an, als ob er nicht richtig verstanden hätte. Seine Lippen zitterten ein we nig. „Was sagst du da?" fragte er scharf. Drago ließ sich nicht beeindruck en. Ehe José seine Waffe ziehen konnte, hatte der Einäugige seinen Revolver in der Hand und zog den Hahn zurück. Der schwarz brünierte Lauf schwebte dicht vor Josés Ge sicht. „Ich sagte, daß du dich irrst", er klärte Drago. „Der Schatz gehört nicht dir allein. Er gehört uns allen. Wir alle haben dafür gekämpft!" Zum ersten Mal in seinem Leben hatte José Philippo Angst. Seine Hände verkrampften sich und ball ten sich zu Fäusten. „Du kannst mich nicht töten", sagte er mit zitternder Stimme. „Wenn du mich tötest, wird niemand mehr den Schatz finden. Ich habe den Plan in meinem Kopf. Nur ich weiß, wo er liegt." Für Sekunden geriet Dragos Ent schlossenheit ins Wanken. Er hatte sich alles sehr leicht vorgestellt, doch damit hatte er nicht gerechnet. Doch dann hellte sich sein Gesicht wieder 57
derung. Langsam fiel er in sich zu auf. „Du bist nicht dumm, José", sagte sammen. Er kippte zur Seite und der Einäugige. „Aber du bist nicht blieb bewegungslos liegen. „Er wollte einfach nicht begreifen, klug genug. Ich werde den Schatz zwar nicht finden, wenn ich dich töte, daß du der Boß bist", sagte Bruck mit aber ich werde auch nichts davon seiner hellen, knabenhaften Stimme. haben, wenn du nicht teilen willst. „Dabei haben wir es ihm schon so oft erklärt." Ein dünnes Kichern folgte Du kannst also wählen." Josés Fäuste öffneten und schlos seinen Worten. José brauchte etwas länger, bis er sen sich. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Er sah ein, daß der dicke die ganze Sache begriffen hatte. Doch stieß auch er ein schrilles, wie Mexikaner am längeren Hebel saß. „Aber ich bin doch der Boß", sagte herndes Lachen aus. „Natürlich, ich bin der Boß", sagte José und versuchte noch einmal, den er. „Nur ich und niemand sonst!" Sein Einäugigen zu beeindrucken. Drago lächelte milde, und nackter Gesicht verzog sich zu einer häßli Hohn breitete sich auf seinem aufge chen Fratze. Der Mann war dem Wahnsinn nahe. schwemmten Gesicht aus. „Wir haben keinen Boß mehr", sag „Du irrst", meldete sich plötzlich te der Dicke. „Wir sind jetzt Partner. eine Stimme von der Seite, die Lobos Die Zeiten, in denen du dich aufspie Versteck gegenüberlag. „Ab sofort len konntest, sind vorbei." bin ich der Boß!" Es war eine weibli Es dauerte lange, bis José die Sache che Stimme, und sie gehörte Carmen verarbeitet hatte. Doch schließlich Garcia, die mit einer gespannten Winchester im Anschlag in den nickte er. „Wir werden teilten", gab er resi Lichtschein des Feuers trat. Ihre hel le Bluse reflektierte gespenstisch das gnierend zu. „Wir sind Partner." Der Einäugige setzte ein hochmü flackernde Licht der Flammen und tiges Siegerlächeln auf und ließ die bildete einen scharfen Kontrast zu ihren schwarzen Haaren, die lang Waffe langsam sinken. „Eine vernünftige Entscheidung", und gewellt über ihre Schultern fie len. lobte er. Das war das letzte, was er in sei Ärger und Wut breitete sich in nem Leben sagte. Lobo aus, als er die Frau entdeckte. Bruck war dem Gespräch wortlos Am liebsten wäre er aufgesprungen gefolgt. Sein Blick war ständig zwi und hätte sie geohrfeigt. Ihr Verhal schen José und dem Einäugigen hin ten, mit dem sie sich und Lobo in Ge und her gewandert. In seiner rechten fahr brachte, war unverantwortlich. Hand zuckte das Messer mit der lan Sie mußte ihm nachgeschlichen gen Klinge. Die flackernden Flam sein, unmittelbar nachdem er das men des Feuers blitzten auf dem Lager verlassen hatte. Doch hatte sie scharf geschliffenen Stahl. offensichtlich einen anderen Weg genommen als er, da sie von einer an Dann schoß die Hand vor. Drago, der Einäugige, bäumte sich deren Seite her den Platz betrat. auf, als sich die Klinge in seinen Rük José Philippo richtete sich langsam ken bohrte. Ein langgezogener auf, als er die Frau entdeckte. Auch Schmerzenslaut entrang sich seiner Bruck erhob sich mit einem schnel Kehle. In seinen weit aufgerissenen len Sprung. Die Hand des Hageren Augen stand grenzenlose Verwun tastete verzweifelt in seinem Gürtel 58
nach dem Messer. Er konnte es nicht finden. Es steckte noch immer im Rücken des toten Einäugigen. „Wir hätten sie schon auf der Ha zienda umlegen sollen", flüsterte Bruck José zu. Er war sehr unruhig und nervös. Ihm fehlte sein Messer. „Ich suchte einen Mörder", erklärte Carmen. „Ich suchte den Mörder meines Mannes!" José Philippo verstand die ganze Sache noch nicht richtig. Aber er be griff, daß er auf der falschen Seite ei ner Winchester stand. Die Winche ster war gespannt. Langsam, fast un merklich näherte sich seine Hand der Halfter. „Haben Sie den Mörder gefunden?" fragte José und bemühte sich einen ruhigen und ausgeglichenen Ein druck zu machen. „Ich habe ihn gefunden", gab Car men zur Antwort. Ihre Stimme war hart. Der ganze Haß und die Ver zweiflung der letzten Tage spiegelte sich darin wider. „Ich bin gekommen, um ihn zu bestrafen!" José Philippo ahnte, daß er ge meint war. Er wußte zwar immer noch nicht, um welchen Mord es hier ging, aber er hatte inzwischen so vie le Männer auf dem Gewissen, daß er ständig damit rechnen mußte, eines Tages von einem Rächer gestellt zu werden. Bisher jedoch war er immer als Sieger aus solchen Situationen hervorgegangen. „Bruck, die Frau dort hat ein Pro blem", sagte José ruhig zu seinem Partner. „Ich denke, wir sollten ihr helfen!" Mit den Augen gab er dem Hageren ein Zeichen. „Mein Messer", flüsterte Bruck schnell zurück, aber er hatte den Blick dennoch verstanden. Langsam setzte er sich seitwärts in Bewegung. Er entfernte sich immer weiter von José. Lobo sah, was die Banditen vor 59
hatten. Wenn sie den Abstand zwi schen sich vergrößerten, mußte es für die Frau schwerer werden, beide in Schach zu halten. Für einen der Banditen würde sich dann die Gele genheit ergeben, den Revolver zu ziehen. Lobo ärgerte sich noch immer über die Eigenmächtigkeit der Frau. Durch ihre Unerfahrenheit brachte sie sich in höchste Gefahr. Aber er konnte es nicht zulassen, daß José Philippo einen weiteren Sieg für sich verbuchte. Lobo machte sich fertig. Auch Carmen begriff den Trick der Banditen. „Bleiben Sie stehen!" befahl sie, doch die beiden Männer gehorchten nicht. Sie bewegten sich unaufhör lich weiter seitwärts. Inzwischen waren schon etwa fünfzehn Yards zwischen ihnen. Wenn die Frau einen von beiden erschoß, würde der ande re ausreichend Zeit haben, die Frau zu töten. Es würde ihr nicht gelingen, ein zweites Mal zu repetieren. Das Gesicht Carmen Garcias ver härtete sich immer mehr. Sie mußte sich jetzt entscheiden, wen von bei den sie töten würde. Sie hatte einen Fehler gemacht. Sich selbst konnte sie nicht mehr retten. Carmen schwenkte den Lauf auf José Philippo. Ihre Lippen preßten sich fest aufeinander. Sie hob die Waffe an die Schulter. „Sie werden für den Tod meines Mannes büßen", sagte sie zu José. „Es war der Fährmann. Sie sollen wis sen, warum Sie sterben." „Ihr alle werdet sterben", sagte plötzlich ein großer, hagerer Mann, der einen durchlöcherten Hut trug. Er stand plötzlich zehn Schritte hin ter Carmen und wurde von den Flammen des flackernden Feuers nur undeutlich beleuchtet. Neben ihm tauchten zwei weitere Männer auf. Die Kopfgeldjäger hatten es ge 60
schafft, sich von ihren Fesseln zu be freien, und hatten ebenfalls die Gei sterstadt gefunden. Lobo sah den Mann, der Bagley ge nannt wurde. Bagley schlug den Hammer seines Revolvers zurück und richtete die Waffe auf die Frau, die erschrocken herumwirbelte. Lobo konnte nicht länger zögern. Noch im Liegen riß er den Revol ver aus der Halfter, spannte mit der linken Hand und schoß im gleichen Augenblick. Bagley kippte nach vorn und feuerte noch im Fallen. Die Ku gel bohrte sich vor ihm in den Boden. Eine kleine Staubfontäne spritzte auf, dann fiel der tote Körper des Kopfgeld]ägers darüber. Die anderen Männer reagierten blitzschnell. Keiner von ihnen dachte daran, die eigene Waffe zu ziehen. Sie wußten, daß sie im hellen Schein des Feuers wie auf dem Präsentier teller standen. Deshalb warfen sie sich zu Boden und robbten wie die Eidechsen in die Schatten der umlie genden Ruinen und hinter verfallene Mauern. José Philippo war als erster ver schwunden. Danach tauchten gleichzeitig Cheever und Hayes mit einem Satz nach hinten in der Dun kelheit unter. Als letzter folgte Bruck. Er warf sich zuerst mit einem schrillen Schrei auf den toten Drago, riß ihm das Messer aus dem Rücken und verschwand mit einem Satz hin ter einem Geröllhaufen. Wie versteinert blieb Carmen Gar cia allein mitten auf dem Platz ste hen. Sie begriff nicht, was plötzlich geschehen war. Mit ihrer weißen Bluse, das das flackernde Feuer re flektierte und ihren blauschwarzen Haaren glich sie einer Erscheinung aus einer anderen Welt. Lobo schnellte hoch und jagte quer über den Platz. Mit einem gewaltigen Sprung setzte er über das Feuer und
flog durch die Flammen auf die Frau noch lebenden Kopfgeldjäger ver zu. Als er sie erreichte, riß er sie im schwunden. Genau an der Stelle be wegten sich plötzlich Büsche. vollen Lauf mit zu Boden. Ein Stakkato von Schüssen bellte Heiß pfiff eine Kugel dicht über ihn hinweg. Wäre er den Bruchteil auf und zerfetzte dort die Blätter einer Sekunde später gesprungen, und Zweige. Die Mündungsfeuer hätte ihm das Blei die Brust zerfetzt. leckten aus dem alten Haus. Danach Lobo rollte sich auf dem Boden her blieb es für Sekunden still. Dann um und feuerte blind in die Rich brach mit einem Mal Hayes aus dem tung, aus der der Schuß gekommen Gebüsch und fiel auf den erleuchte ten Platz. Seltsam verkrümmt kroch war. Noch während die Detonation sei er einige Yards auf das Feuer zu, nes Schusses in der Luft lag, packte dann blieb er bewegungslos liegen. Ein schrilles Kichern ließ Lobo Lobo die Frau und riß sie hoch. An einem Arm schleifte er sie von dem herumfahren. Nur fünf Schritte von Platz und stieß sie dann durch ein Carmen Garcia entfernt stand Bruck dorniges Gebüsch in die Dunkelheit. und hielt ein Messer mit langer, spit Flach auf den Boden gepreßt, blieb er zer Klinge in der erhobenen Faust. In seinen dicht zusammenstehenden neben ihr liegen. Er wartete ab, bis der Hagel der Augen spiegelten sich die flackern Schüsse, die ihnen gefolgt waren, den Flammen des Feuers. Der Mann stand neben der Frau aufhörte. Dann kroch er weiter zu rück und zog die Frau hinter sich und starrte sie aus irren Augen an. her. Für kurze Zeit fand er hinter ei Sein hageres Gesicht erschien noch ner verfallenen Adobelehmmauer eingefallener und grauer zu sein. Plötzlich stieß er sich ab und flog auf ausreichend Deckung. Lobo klappte die Trommel seines Carmen zu. Aus der Hüfte heraus schoß Lobo. 44er Army Colts aus und begann die Der dünne Körper des Banditen beiden abgeschossenen Kammern zuckte zusammen. neu zu laden. In panischem Schrecken sprang Allmählich gelang es auch Car men, ihren Schrecken zu verarbei die Frau auf, noch ehe Lobo sie zu rückhalten konnte. Sie kämpfte sich ten. Sie kam wieder zu sich. „Ich habe einen Fehler gemacht", durch das Gebüsch und lief auf den murmelte sie und starrte vor sich auf hell erleuchteten Platz. Zwei Männer bemerkten sie den Boden. gleichzeitig. „Du hast viele Fehler gemacht", er gänzte Lobo. „Einer davon war, daß du die gespannte Winchester nicht abgedrückt hast, als es notwendig war." Sein Revolver war inzwischen neu geladen. Er richtete sich auf die Knie auf und spähte vorsichtig über den oberen Rand der Mauer. Der Platz war leer und verlassen. Nur zwei tote Männer lagen noch um das Feuer. Rechts, in einem alten Haus, hatten sich José und Bruck verschanzt. Links waren die beiden 61
Lobo sah, wie sich José hinter der Steinmauer erhob und mit dem Re volver auf sie anlegte. Auf der ande ren Seite des Platzes stand Cheever, der Kopfgeldjäger. Auch er hielt eine Waffe in der Hand. Carmen blieb neben dem Feuer stehen und preßte beide Hände vor ihr Gesicht. Sie schrie und weinte. José zielte lange und sorgfältig. Aber drückte nicht ab. Cheever war schneller. Die Kugel aus seiner lang läufigen Waffe traf José Philippo in die Brust und schleuderte ihn hinter die Steinmauer zurück.
Dann spannte Cheever erneut. Diesmal für die Frau. Lobo wartete nicht darauf, ob der Kopfgeldjäger treffen würde. Er schoß im selben Moment. Ohne einen Laut ausgesto ßen zu haben, brach der Kopfgeldjä ger mit dem durchlöcherten Hut zu sammen. Lobo und Carmen Garcia standen allein im Licht des flackernden Feu ers. Sie waren die einzigen Überle benden in der alten Geisterstadt. Der Schatz des Fährmanns war für im mer verloren. Zu viele Männer wa ren dafür gestorben.
ENDE
Die beiden Mexikaner im Häuserschatten regten sich. Sie traten einen Schritt zu weit nach vorn. Die Sonne traf den matten Lauf ihrer Gewehre. An der Hüttenwand hob Miguel das Henry-Gewehr. Jetzt, dachte Lobo, jetzt, oder ich bin in einer Sekunde ein toter Mann. Er warf sich blitzschnell nach vorn. Das Geschoß aus Miguels Waffe zerfetzte sein Hemd. Es zog eine brennende Schramme über seine Rippen. Lobo hatte fast gleichzeitig mit dem Mexikaner geschossen. Seine Kugel warf Miguel an die Wand zurück. Das Halbblut sah nicht mehr, wie der Mexi kaner in sich zusammensank . . . Lobo, der Einzelgänger, muß sich sein Recht zu leben gegen eine unerbitt liche Umwelt immer wieder erkämpfen. Lesen Sie nächste Woche Band 112 dieser großartigen Western-Serie:
Die vergessenen Toten
von Glenn Lord
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