Die Siegesfeier der Banditen von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Der Räuberhauptmann...
29 downloads
421 Views
440KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Die Siegesfeier der Banditen von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Der Räuberhauptmann Gregor versteht sein gemeines Geschäft. Mit seinen brutalen, ungewaschenen Kerlen zieht er sengend und mordend durch die Lande. - Diese bärtigen Schufte können weder schreiben noch lesen, für einen Kampf aber zeigen sie beinahe gieriges Interesse. Sie mischen überall mit, bis sie an den Richtigen geraten Ritter Roland. Der sprengt ihr wildes Gelage und setzt ihnen heftig zu, als sie die Entführung der hübschen
Isabella feiern. Roland beendet die Siegesfeier der Banditen, doch damit fängt die Geschichte erst an.
»Mir kommt das alles spanisch vor«, seufzte Rüdiger. Der Kutscher war mit spanischen Passagieren auf dem Weg nach Burg Hohenstolz. Er schwitzte, und das lag nicht am Wetter. Es war ein milder Spätsommertag, und die Sonne blinzelte nur gelegentlich hinter Schäfchenwolken hervor, als wollte sie sich vergewissern, daß auf Mutter Erde noch alles in Ordnung war. Rüdiger schwitzte wegen der Tracht, die für einen Kutscher recht ungewöhnlich war. Er trug einen Brustpanzer, Beinschienen und einen Helm, der wie ein umgestülpter Blechtopf mit Rand aussah. Edmund, der Mann neben ihm auf dem Kutschbock, war ebenso gepanzert und hielt es gleichfalls für unsinnig. Doch er murrte nicht. Er war glücklich, daß er von den Spaniern Arbeit bekommen hatte. Seine Frau lag im Wochenbett, und nach seiner Rückkehr von dieser ungewöhnlichen Fahrt würde Irmgard ihm einen weiteren Beweis ihrer Liebe schenken - den siebenten. Seit sieben Jahren waren sie verheiratet, der Kutscher und die mit Fruchtbarkeit gesegnete ehemalige Magd. Alle ihre Kinder waren im September geboren worden, neun Monate nach der Silvesternacht, die Edmund und Irmgard stets mit Wein und Gesang zu feiern pflegten. Wenn alles gutging, war nach dem Mädchen im letzten Jahr diesmal wieder ein strammer Knabe an der Reihe, denn Irmgard hatte bisher immer abwechselnd Mädchen und Buben zur Welt gebracht. In dieser Beziehung war sie zuverlässig und pünktlich. Edmund lächelte vor sich hin. Dann dachte er daran, daß der Segen zugleich einen Esser mehr bedeutete, und sein Lächeln wurde ein wenig gequält. Nun, sie würden halt die Suppe mit ein wenig mehr Quellwasser längen und statt des teuren Salzes etwas mehr Kräuter hineingeben, die Irmgard auf den Wiesen sammelte, wo der Herrgott sie für seine noch wesentlich größere Familie kostenlos sprießen ließ. Oder sie mußten sich etwas anderes einfallen lassen. Kurz überlegte Edmund, ob sie vielleicht den Wein zu Silvester etwas einschränken sollten, doch rasch verdrängte er den Gedanken und erinnerte sich an den Lohn, den ihm die Spanier für diese Fahrt zahlten. Rüdiger riß ihn aus seinen Gedanken. Er jammerte und klagte mal
wieder. Rüdiger war ein Nörgler. Seit fünfzehn Jahren fuhren sie zusammen für den reichen Herrn, der die Kutschen vermietete, und es war noch keine Fahrt vergangen, ohne daß Rüdiger über irgend etwas gemeckert hätte. Rüdiger trank weder Wein noch Met oder Gerstensaft. Er hatte auch kein Weib, mit dem er Silvester feiern konnte, und folglich keine Kinder. Einmal hatten sie den eingefleischten Hagestolz zu ihrer Feier eingeladen, doch Rüdiger hatte wohl gespürt, daß er ein wenig fehl am Platze war und sich noch vor Mitternacht zurückgezogen. Mit einem schelmischen Grinsen hatte er versprochen, im nächsten September wieder Taufpate zu werden. Manchmal konnte dieser Griesgram doch ein richtiger Scherzbold sein. »Diese verdammte Rüstung«, maulte Rüdiger. »Ich komme mir vor wie in einem spanischen Schwitzbad.« Edmund lachte. »Und wie ist ein spanisches Schwitzbad?« Rüdiger wandte ihm sein runzliges Gesicht zu, und Edmund fragte sich wie so oft, weshalb Rüdigers Knollennase so rot war, wenn er doch Quellwasser den berauschenden Getränken vorzog. »Na spanisch«, erklärte Rüdiger mit einem genießerischen, nahezu frivolen Grinsen. »Natürlich ohne Rüstung. Nackig wie es sich beim Baden gehört. Aber es ist kein normales Bad, wie unsereines es kennt. Es ist eine gar pikante Zeremonie mit einer eifrigen Senorita, die dir zu sanftem Gitarrenklang den Rücken ganz zart schrubbt und außerdem ...« Edmund sollte nie erfahren, wie sich denn nun ein spanisches Schwitzbad genau abspielte. Es blieb bei der Andeutung jener Wonnen, die Rüdiger mit verklärter Miene zum Besten gegeben hatte. Rüdiger verstummte schlagartig, zuckte zusammen, und mitten aus seinem lächelnden Gesicht ragte von einem Augenblick zum ändern ein Pfeil. Es war ein Anblick, der Edmund bis ins Mark erschütterte. Fassungslos und vor Entsetzen wie gelähmt starrte er seinen alten
Freund Rüdiger an. In diesen schrecklichen Sekunden nahm er gar nicht wahr, was ringsum geschah. Er sah nicht, wie einer der gepanzerten Eskortenreiter, von einer Lanze getroffen, im Sattel schwankte und wie finstere Gesellen zwischen den Buchen und Büschen am Rande des Hohlwegs auftauchten, als hätte die Hölle sie ausgespuckt. Edmund sah nur diesen schaurigen Anblick, das verzerrte Lächeln seines Freundes aus dessen Gesicht der Pfeilschaft ragte, und alles in ihm weigerte sich, das Schreckliche zu begreifen. Dann kippte Rüdiger, unendlich langsam, wie es Edmund schien, vom Kutschbock und verschwand im Staub, der von scheuenden Pferden und kämpfenden Männern aufgewirbelt wurde. Erst in diesem Augenblick erkannte Edmund, daß alles kein Alptraum, sondern grauenvolle Wirklichkeit war, und er schrie gellend sein Entsetzen hinaus. Den bärtigen Gesellen, der sich vom Ast einer mächtigen Blutbuche fast neben dem Kutschbock herabschwang und mit einem Morgenstern ausholte, sah er nicht... * »Ich hätte nie gedacht, daß ich mal Amme für eine spanische Kuh nebst Anhang spielen müßte«, sagte der Knappe Louis und zügelte sein Roß neben Ritter Roland, der auf der Kuppe eines sanft gewölbten Hügels angehalten hatte. Der mollige Pierre strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus der Stirn und bedachte Louis mit einem etwas säuerlichen Grinsen. »Welche Kuh meinst du, Louis? Die langhaarige mit den beiden prallen Eutern und den Glutaugen oder ...?« Louis lachte, und seine kräftigen Zähne blitzten im schwarzen Bart. »Wie kannst du die schöne Senorita als Kuh bezeichnen und gar was ihr Mieder so reizend füllt als Euter! Pierre, Pierre! Ich sprach natürlich von dem Viech, das die Spanier in diesem komischen Wagen da mitnehmen.« Er nickte zu der Reisegesellschaft jenseits einer Birkengruppe.
Vier Reiter in vollem Harnisch ritten einer schwarzen Kutsche voraus, die von prächtigen Schimmeln gezogen wurde. Dann folgten zwei Wagen, der Verpflegungswagen und ein schwerer Kastenwagen, der keinerlei Fenster, sondern nur Belüftungsschlitze hatte. Seit sie der Gesellschaft folgten, wußten sie, daß sich in dem letzten Wagen eine oder mehrere Kühe befanden, was das gelegentliche Brüllen und Stampfen verriet. Den Schluß der Kolonne bildeten wiederum zwei Männer der Eskorte. Einer trug eine Standarte wie der rechte Reiter an der Spitze, damit jeder sah, welch noble Herrschaft er eskortierte. Der andere hielt eine Lanze. Ihre Rüstungen schimmerten im rötlichen Schein der Abendsonne, die im Begriff war, sich hinter den majestätischen Fichten auf den Hügeln im Westen zurückzuziehen, um sich schlafen zu legen oder die andere Seite der Erde zu betrachten. Louis warf einen Blick zu Ritter Roland, der die Augen mit einer Hand vor der tief stehenden Sonne beschattete und zu der Reisekolonne hinspähte. »Was meinst du, weshalb die Spanier die Kühe mit auf die Reise genommen haben?« fragte der Knappe. »Vermutlich ein Gastgeschenk für Arno von Berghe und Burg Hohenstolz«, antwortete Roland in Gedanken. Louis kraulte seinen schwarzen Bart. »Aber Kühe hat Arno auf seinem großen Land rings um die Burg doch genug«, brummte er. »Vielleicht melken sie ihre spanischen Kühe unterwegs, weil sie unsere Milch nicht mögen«, warf Pierre ein. Er bewegte sich unbehaglich im Sattel. Sie waren seit Tagen unterwegs, und trotz der ausgedehnten Pausen, welche die Spanier einlegten, hatte Pierre sich wundgeritten. Zuerst eine kleine Pustel, dann eine Schwiele, und wenn ihn nicht alles täuschte, dann zierte jetzt eine pflaumengroße Furunkel seinen Hintern. Aber Auftrag war Auftrag, und der lautete nun einmal, die spanische Gesellschaft unauffällig zu begleiten und Schutzengel zu spielen, wenn es nötig sein sollte. König Artus auf Schloß Camelot war es gewiß recht gleichgültig, wie es um den Hintern eines Knappen bestellt war ... Pierre seufzte bei diesem
Gedanken. »Papperlapapp«, sagte Louis. »Als ob spanische Kühe andere Milch geben als unsere!« Er lachte dröhnend. »Ich hörte, sie füttern ihr Vieh mit Paprika und Pfefferbohnen und geben ihnen anschließend ein paar Eimer Rotwein zum Durstlöschen«, sagte Pierre und verscheuchte eine Eintagsfliege, die sich müde nach einem langen Leben eine Sekundenpause auf des Knappen Nase gegönnt hatte. Roland lächelte, als seine Knappen zu einer heftigen Diskussion über spanische Sitten und Gebräuche ansetzten. »Ich sage dir ...« begann Louis, doch er hielt sein Versprechen nicht. Der leichte Wind trieb den Schrei heran. Ein langgezogener gellender Schrei voller Entsetzen. Die Köpfe der Knappen ruckten herum. Von der Reisegesellschaft waren nur noch der letzte Wagen und die beiden Schlußreiter der Eskorte zu sehen. Ein mit Büschen und Bäumen bewachsener Hang verdeckte die Sicht auf den Rest der Kolonne; nur hier und da schimmerte etwas durch eine Lücke, im Blattwerk. Rolands Augen verengten sich, als er Gestalten auf dem Hang und auch auf dem gegenüberliegenden Hügelchen auftauchen sah, zwischen denen der Fahrweg hindurch führte. »Ein Überfall«, rief er. »Vorwärts!« * Eine Gestalt sprang von einem der Bäume herab. Edmunds Blick zuckte nach rechts, und erst jetzt nahm er den bärtigen Kerl wahr, der den Morgenstern schwang. Die todbringenden Stahlzacken funkelten rötlich im Schein der Sonne. Edmund schickte ein Stoßgebet zum Himmel und duckte sich in seiner Verzweiflung zur Seite. Das half vermutlich beides. Der Morgenstern streifte ihn nur mit einem knirschenden Geräusch an
dem Brustpanzer und fegte ihn vom Kutschbock. Edmund stürzte in den Sand des Fahrwegs hinab und blieb benommen liegen. Er schmeckte Staub und sah alles wie durch einen wallenden rötlichen Schleier. Männer schrien. Schwerter klirrten. Ein Pferd brach, von einem Pfeil getroffen, zusammen und wieherte gepeinigt. Ein anderes Pferd ging in Panik durch. Sein Reiter war von einer Lanze aus dem Sattel gestoßen worden. Jetzt versuchte er sich schwerfällig in seiner Rüstung aufzurappeln und zückte das Schwert. Ein Keulenhieb schmetterte ihm das Schwert aus der Hand. Der Mann mit dem Morgenstern sprang auf ihn zu und schwang seine furchtbare Waffe. Da preschte zwischen den Büschen ein Reiter hervor. Mit einem gewaltigen Satz sprang sein prächtiges Roß in den Hohlweg hinein, und sein Reiter holte mit dem Schwert aus. Der Mann mit dem Morgenstern sah den Reiter aus dem Augenwinkel heranfliegen, und sein Kopf ruckte herum. Das rettete den Mann der Eskorte. Der Morgenstern knallte keine Handbreit neben seinem Kopf in den Sand und hieb einen kleinen Krater. Der Räuber riß den Morgenstern hoch, wollte ihn gegen den Reiter schleudern. Unbewußt schrie Edmund auf. Doch da stieß der Reiter, ein großer, kühn aussehender Mann in einem leichten Kettenhemd, dem wilden Gesellen das Schwert in die Brust. Der Morgenstern verfehlte Roß und Reiter und klatschte gegen den Stamm einer Buche am Rande des Wegs und fetzte Splitter aus der Rinde. Röchelnd sank der Räuber in den Staub. Der Reiter - es war Roland, der mit seinen Knappen zur Stelle war - zog sein Schwert aus der Brust des Räubers und parierte sein Roß. Er zog es um die Hand und jagte auf zwei der wilden Gesellen zu, die gegen einen der Spanier kämpften. Der Mann der Eskorte hieb eine vortreffliche Klinge. Er trieb einen der Angreifer mit wuchtigen Schlägen zurück und fuhr zu dem zweiten herum, dessen Schwert ihn an der gepanzerten Schulter traf. Der Spanier wankte unter der Wucht des Hiebes, stolperte über eine Furche des Wagenwegs und stürzte.
Mit einem triumphierenden Schrei sprang der Räuber auf ihn zu und holte mit dem Schwert aus. Da war Ritter Roland heran. Er schmetterte dem Räuber das Schwert aus der Hand. Entsetzt starrte der Räuber zu dem Reiter auf, und Todesfurcht flackerte in seinem Blick. Er wußte nicht, daß Roland ein Ritter war, der niemals einen Wehrlosen schlug. Er starrte auf das blutige Schwert und rechnete mit dem tödlichen Stoß. »G-gnade«, stotterte er zitternd und hob wie abwehrend die Hände hoch, obwohl ihm das nicht viel genutzt hätte. Roland hatte ihn schon gar nicht mehr beachtet. »Sieh her!« schrie er einem der Schurken zu, der ihm halb den Rücken zuwandte und auf einen Mann der Eskorte lossprang, der sein Schwert verloren hatte und hilflos am Boden lag. Der Bursche zuckte herum, riß das Schwert hoch, doch er kam nicht mehr dazu, es einzusetzen. Roland trieb sein Pferd gegen ihn und warf ihn zu Boden. Der Mann stieß einen markerschütternden Schrei aus, der dann wie abgeschnitten verstummte. Roland glaubte schon, sein Roß hätte den Räuber zu Tode getrampelt, doch dann sah er, daß ein Pfeil aus der Brust des Mannes ragte. Er hatte beide Hände um den Pfeilschaft gekrallt, als wollte er noch im Sterben den Pfeil aus seinem Körper reißen. Der Räuber war von einem seiner Kumpane getroffen worden! Roland fuhr im Sattel herum. Irgendwo zur Rechten auf einem der Bäume mußte der heimtückische Schütze stecken, und er hatte sicherlich nicht seinen Kumpan töten, sondern den Reiter treffen wollen. Roland warf sich vom Pferd. In letzter Sekunde. Ein Pfeil zischte über den leeren Sattel hinweg. Roland rollte sich ab und sprang auf. Staub hüllte ihn ein. In der Kutsche gellte ein Schrei. Der Schrei einer Frau! Roland hetzte los. Mit einem schnellen Blick sah er, daß auch die Knappen von den Pferden gesprungen waren. Beide kämpften mit
dem Schwert, und der Kampflärm hallte über den Hohlweg. Der Schrei war verstummt, und Roland befürchtete Schlimmes. Er erreichte die Kutsche. Dort waren jetzt Kampfgeräusche zu hören. Ein Aufprall. Ein unterdrücktes Stöhnen und ein seltsam gedämpfter Schrei. Auf der anderen Seite der Kutsche. Roland hetzte um das Heck der Kutsche herum. Mit einem Blick erfaßte er die Situation. Am Boden lag die reglose Gestalt eines Mannes. Alfons von Cordoba, wie Roland wußte. Und dessen Tochter Isabella bäumte sich im Griff eines bärtigen Gesellen auf. Mit einer Hand hielt er ihre Taille umklammert, die andere preßte er auf ihren Mund. Der Kerl war offenbar nur mit einer Keule bewaffnet gewesen, die jetzt neben dem bewußtlosen spanischen Grande am Boden lag. Isabella wehrte sich nach Leibeskräften. Sie versuchte den Räuber zu treten und zu beißen. Roland war mit zwei langen Sätzen heran. Er packte den Kerl an der Schulter, riß ihn herum und schlug ihm die geballte Linke ans Kinn. Der Kopf des Räubers ruckte zurück, und sein Griff lockerte sich. Isabella riß sich los. Sie rief etwas auf Spanisch, lief zu ihrem Vater und fiel neben ihm auf die Knie. Roland hielt das Schwert, das er fallen gelassen hatte, weil der Räuber unbewaffnet war, schon wieder in der Hand. Er wollte den zurücktaumelnden Räuber mit der Linken am Kragen packen und ihm mit der Rechten die Klinge an die Kehle setzen, um ihn gefangenzunehmen. Doch in einem Reflex riß der Kerl noch im Fallen einen Fuß hoch, und seine Stiefelspitze traf Roland am Handgelenk und prellte ihm das Schwert aus der Hand. Der Räuber sprang auf und trat ein weiteres Mal zu. Er traf Roland wuchtig an der Hüfte. Der Ritter strauchelte und stürzte. Doch anstatt seinen Vorteil zu nutzen und nachzusetzen, warf sich der Räuber herum und hetzte davon. Roland riß sein Schwert aus dem Staub und war mit einem Satz auf den Beinen.
Dann ließ er das Schwert sinken und wischte sich mit der Linken Staub aus dem Gesicht. Der Flüchtende wandte ihm den Rücken zu, und es verstieß gegen die Ritterehre, einen Wehrlosen zu töten, selbst wenn es ein verruchter Mordgesell war. Roland blickte zu Isabella. Sie hatte sich aufgerichtet und wandte ihm ihr Gesicht zu. Ein rassiges Gesicht mit großen, glutvollen schwarzen Augen und schwellenden roten Lippen. »Weshalb laßt Ihr ihn entkommen?« fragte sie und nickte zu dem Räuber hin, der gerade zwischen den Bäumen verschwand. »Er war waffenlos und meines Schwertes nicht würdig«, sagte Roland, und trotz seiner Anspannung bewunderte er die Schönheit der Spanierin. Sie las wohl die Bewunderung in seinem Blick. Das Funkeln ihrer Augen schien sich noch zu verstärken, und die Andeutung eines Lächelns spielte um ihre Lippen. »Ihr sprecht fast wie ein Hidalgo - oder Ritter sagt man wohl in Eurem Lande.« Roland nickte und erwiderte ihr Lächeln, das sein Herz schneller pochen ließ. Es war das erste Mal, daß er Isabella aus der Nähe sah und mit ihr redete. Er war überrascht, daß sie so gut Deutsch sprach, mit einem süßen, leicht bayerischen Akzent. Gern hätte er ihr deswegen ein Kompliment gemacht, doch dazu war im Augenblick keine Zeit. Immer noch wurde gekämpft. »Geht in die Kutsche«, mahnte er besorgt, während er nähertrat, um sie mit seinem Körper zu schützen, und zu den Büschen und Bäumen am Wegesrand spähte. Irgendwo dort mußte noch der Bogenschütze stecken. »Vater ist ohnmächtig«, sagte Isabella. »Helft mir, ihn in die Kutsche zu tragen ...« »Erst müßt Ihr aus der Gefahr«, sagte Roland hastig. »Er zog die Tür auf. Drei Gestalten kauerten in der Kutsche. Die ältere Frau mußte Isabellas Mutter sein; die Ähnlichkeit war unverkennbar. Die junge Senorita war die Zofe. Beide starrten ihn schreckensbleich an. Der Mann, der zwischen den Sitzen auf dem Boden lag und offenbar
betete, war der Diener. Es sah aus, als wollte er durch den Wagenboden kriechen. Er hob den Kopf. Sein Gesicht hätte zu einem kühnen Edelmann gepaßt, was die stolzen, markanten Züge anbetraf. Doch der Bursche zitterte vor Angst, und Roland hätte geschworen, daß die spanischen Worte, die er jetzt hervorstammelte, ein Flehen um Gnade waren. Roland nickte ihm aufmunternd zu und wandte sich an Isabella. »Sagt ihm, daß ich kein Feind bin und daß er Platz für seinen Herrn schaffen soll.« »Ja, der gute Pedro ist kein Held«, sagte Isabella mit einem wissenden Lächeln, und sie fügte einen spanischen Wortschwall hinzu. So süß ihr Akzent auch war, in ihrer Muttersprache kam ihre melodische Stimme noch besser zur Geltung. Pedre fiel offensichtlich ein ganzer Berg von Steinen vom Herzen ob Isabellas tröstlichen Worten. Er schielte noch einmal zu Rolands blutigem Schwert und erhob sich dann unbeholfen. Roland war voller Ungeduld und Anspannung. Von dem Bogenschützen war nichts zu sehen, und von dem Baum aus, der gut zwei Dutzend Schritte entfernt war, konnte er kaum jemand auf dieser Seite der Kutsche treffen. Doch es war möglich, daß es weitere Bogenschützen gab oder daß der Kerl inzwischen die Position gewechselt hatte. »Schnell«, drängte er und legte einen Arm um Isabellas Hüfte, um sie in die Kutsche zu schieben. Doch die Eile war nicht mehr nötig. Hufschlag entfernte sich jenseits der beiden Hügel, und dann tauchte auch schon Louis auf. Isabellas Augen weiteten sich, als sie den schwarzbärtigen Hünen mit dem blutigen Schwert erblickte, und sie klammerte sich schutzsuchend an Roland. Sie kannte die Knappen ja nicht, und sie hielt Louis anscheinend für einen der Räuber. Nun, Louis war sogar einmal Räuberhauptmann gewesen, und Roland konnte Isabellas Erschauern in dieser Situation nur zu gut verstehen. Louis' Stiefel, Hose und Kettenhemd waren staubig und wiesen Blutflecke auf, und das blutige Schwert in seiner Hand wirkte nach allem, was über die Reisenden hereingebrochen war, auch alles andere als
vertrauenerweckend. Der Schauer wäre sonst vermutlich anderer Natur gewesen, denn die meisten Damen verspürten normalerweise beim Anblick des stattlichen Recken einen anderen Schauer - eher ein wohliges Prickeln. Louis lachte mit blitzenden Zähnen. »Alles erledigt«, sagte er mit dröhnender Stimme. »Diese Hundsfott-Bande ist besiegt, und die Überlebenden haben ihre dreckigen Ärsche auf ihre Rösser geschwungen und sind abgehauen, diese verdammten Saukerle und...« Er verstummte verwundert ob Rolands mahnenden Blickes, den er nicht zu deuten wußte. Er ahnte nur, daß er offenbar zuviel gesagt hatte. »Sie sind abgehauen!« seufzte Isabella erleichtert, und sie sank gegen Roland. Der Ritter nahm den betörenden Duft einer Seife wahr, und die Berührung der schönen Frau verwirrte ihn und ließ sein Herz schneller schlagen. »Sie spricht Deutsch?« sagte Louis entgeistert. Isabella hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Sehr zu Rolands Bedauern löste sie sich von ihm, strich eine Strähne ihres pechschwarzen langen Haares aus der Stirn und lächelte Louis an. Äußerst amüsiert, wie Roland fand. »Mein Vater ist ein halber Deutscher, und ich hatte einen deutschen Lehrer - aus dem Bayernlande.« Pierre tauchte auf, bevor Louis sich von seiner Verblüffung erholt hatte. Sein rundes Gesicht war gerötet und mit Schweiß bedeckt. Seine Hose war am Knie aufgerissen, und er mußte unsanft aufs Gesäß gefallen sein, denn er hielt sich eine Hand darauf. Es sah ganz so aus, als wollte der Knappe eine Reihe deftiger Flüche von sich geben, und damit Pierre nicht das gleiche Mißgeschick wie Louis wiederfuhr, sagte Roland schnell: »Kein Gerede! Wie viele sind entkommen?« »Drei, vier«, sagte Pierre mit einem Schulterzucken. »Ihnen nach!« sagte Roland. »Schnappt sie euch!« Pierre nahm die Hand vom Hintern und verneigte sich galant vor
Isabella. Nun, Manieren hat er als Page auf Schloß Camelot gelernt, dachte Roland. Doch Pierre war nach durchstandenem Gefecht wohl noch etwas durcheinander, denn er machte den guten Eindruck zunichte, indem er in der Nase popelte. Er wurde fündig, schaute nachdenklich darauf und schnippte es fort. Doch das sah Isabella wohl nicht, denn Louis verdeckte ihr die Sicht. »Los, los«, sagte Roland. »Trollt euch!« Die beiden Knappen eilten davon, um ihre Pferde zu suchen, die von der Kampfstätte fortgelaufen waren, was ihnen niemand verübeln konnte. In diesem Augenblick tauchte ein Mann der Eskorte bei der Kutsche auf. Es war der Spanier, der im Kampf gegen zwei der Räuber bewiesen hatte, welch hurtige Klinge er zu schlagen vermochte. Er war klein, schlank und schwarzäugig, und er redete mit Händen und Füßen, wobei er immer wieder mal »Caramba« einflocht und sich von Zeit zu Zeit bekreuzigte. »Luis meint, daß wir zwei Kutscher und drei Pferde verloren haben«, sagte Isabella, als sie Rolands fragenden Blick auffing. Roland sah Pierre, der sein Pferd ein Stück weiter im Hohlweg gefunden hatte und zurückkehrte. »Besorgt auf einem Weg drei Pferde«, rief er ihm zu. Pierre nickte. »In Ordnung. Wo finden wir euch!« Du kennst doch die Reiseroute! hatte Roland auf der Zunge, doch er besann sich noch rechtzeitig. Die Spanier sollten nicht wissen, daß er und die Knappen über alles Bescheid wußten. »Wir warten bei der Quelle im Birkengrund«, rief Roland und wies nach Norden. »In Ordnung«, rief Pierre zurück und trieb seinen Hengst an. Louis preschte kurz darauf hinter ihm her auf den Spuren der Räuber. Luis, der spanische, redete immer noch temperamentvoll und gestenreich. Isabella übersetzte unaufgefordert. »Luis ist untröstlich. Er sagt, der Überfall kam zu plötzlich.« Das haben Überfälle meistens so an sich, dachte Roland, doch er
schwieg aus Höflichkeit. Luis redete jetzt mit heftigen Gebärden auf Roland ein, und obwohl Roland des Spanischen nicht mächtig war, sah er an der Mimik und den Gesten, daß Luis sämtliche deutschen Räuber und besonders die Kerle, von denen sie überfallen worden waren, zum Mond oder in den tiefsten Winkel der Hölle wünschte. »Er flucht genauso wie Euer Freund«, sagte Isabella lächelnd. »Er sagt, daß er die Situation fest im Griff hatte, aber er dankt Euch trotzdem für Eure tapfere Hilfe.« Ihre Lippen wölbten sich leicht spöttisch. »Ich glaube nicht, daß es so glimpflich ausgegangen wäre ohne Euer beherztes Eingreifen. Aber Luis ist sehr eitel und stolz, und er würde jeden zum Duell fordern, der es wagte, seine Fähigkeiten als Meister der Schutztruppe in Frage zu stellen. Er hat sogar angedroht, sich einen Dolch ins Herz zu stoßen, wenn wir den Schutz annehmen würden, den uns Arno von Berghe, auf dessen Einladung hin wir unterwegs sind, angeboten hat.« Roland faßte den Spanier ins Auge. Luis war zu den anderen geeilt, die sich um Alfons von Cordoba scharten, der aus seiner Ohnmacht erwacht war und sich aufgesetzt hatte. Gestenreich redete Luis auf den Grande ein. Dieser Luis war also der Heini, der sich gegen jeden deutschen Schutz auf der Reise verwahrt hatte. Ihm hatten sie also diesen Auftrag von König Artus zu verdanken, die Spanier unauffällig zu begleiten und ihnen gegebenenfalls gegen Wegelagerer zu helfen, damit sie sicher nach Burg Hohenstolz gelangten. Arno von Berghe war um drei Ecken mit Alfons von Cordoba verwandt, und er wollte, daß Isabella seinen Sohn Egbert heiratete. Die Spanier erwiderten jetzt den Besuch derer von Berghe. Arno hätte ihnen so viele Männer zum Schutz zur Verfügung gestellt, wie sie nur wollten, doch die Spanier hatten strikt abgelehnt. Vermutlich wollten sie nicht, daß sich ihr Luis aus gekränktem Stolz tatsächlich das Leben nahm. Isabella sah Roland immer noch mit diesen großen, seelenvollen Augen an, und es wurde Roland heiß unter diesem glutvollen Blick. »Nein, ohne Euch und Eure ebenfalls tapferen Freunde wären wir
wohl verloren gewesen«, sagte sie. »Ich danke Euch aus tiefstem Herzen. Dabei weiß ich nicht mal Euren Namen!« Roland stellte sich galant vor, und sie war nicht sehr überrascht, daß er ein Ritter war. Sie sagte ihm dann, was Roland schon wußte: Ihren Namen und den Zweck der Reise. »Ihr zukünftiger Gemahl kann sich glücklich preisen«, sagte Roland und blickte ihr bewundernd tief in die Augen. Die langen Wimpern flatterten leicht. Es war, als fiele ein Schatten auf ihr Gesicht. »Nun, soweit wird es vielleicht gar nicht kommen. Doch die Höflichkeit gebietet es uns, den Besuch zu erwidern«, sagte sie plötzlich kühler. Dann lächelte sie ihn wieder an, und Roland fragte sich verwirrt, ob er ihre Worte richtig verstanden hatte. Das hatte ja gerade geklungen, als hätte sich Isabella noch gar nicht zur Heirat entschlossen! Roland überlegte, wie er eine diesbezügliche Frage stellen konnte, ohne unschicklich zu sein, doch es war, als hätte Isabella seine Gedanken erraten. »Mein Herz hat sich noch nicht entschieden«, sagte sie leise, und ihr Blick tauchte tief in seinen. Dann nahmen ihre sanft gebräunten Wangen einen leicht rötlichen Schimmer an, und sie senkte den Kopf. Sie wandte sich ab und schritt zu ihrem Vater. Sie war recht groß und schlank, und ihr Gang war anmutig, beschwingt und doch irgendwie hoheitsvoll, und ihre Hüften schwangen leicht unter dem langen, spitzenbesetzten Kleid aus dunkelroter Seide. Sie sprach mit ihrem Vater. Roland kam sich im Augenblick ein bißchen überflüssig vor. Er lauschte dem melodischen Klang von Isabellas Stimme, und er glaubte noch einen Hauch ihres Duftes wahrzunehmen, der von einer besonderen Seife oder einem Parfüm stammen mußte. Er hörte ein paarmal das Wort »Hidalgo« und einmal auch seinen Namen, und er sah, wie die anderen jedesmal die Köpfe wandten und ihn anstarrten, als sei er aus einer anderen Welt. Dann erhob sich Alfons von Cordoba. Er war ein kleiner, schlanker Mann Anfang fünfzig. Er trug einen schwarzen Anzug mit Silberstickereien, der tadellos saß. Sein markantes Gesicht war ge-
bräunt, doch jetzt war es eine etwas fahle Bräune. Seine Züge hatten etwas Hochmütiges, doch dieser Eindruck verlor sich, als er herzlich lächelte und Roland die Hand hinstreckte. »Danke«, sagte er schlicht und sah Roland fest in die Augen. Nur dieses eine Wort, doch Roland wußte, daß es aus vollem Herzen kam. Roland drückte die dargebotene Hand. »Ich bitte Euch, mein Gast zu sein«, sagte Alfons von Cordoba mit festem Händedruck. Diese Einladung nahm Roland nur zu gerne an. Besonders weil Isabellas glutvoller Blick ihn ebenfalls bat. * »Ich werd' verrückt«, sagte Louis und zügelte sein Pferd. »Hui diese Spanier werden mir immer sympathischer.« Auch Pierre blickte fasziniert zu der Lichtung hin. Er vergaß sogar sein schmerzendes Hinterteil und seinen Groll darüber, daß ihnen die Räuber entkommen waren. Sie waren ihnen nahe auf den Fersen gewesen, doch die hereinbrechende Dunkelheit war zum Verbündeten dieser Haderlumpen geworden. Louis hatte ganz recht: Die Mächte der Finsternis halten eben immer zusammen. Und dieser Hundsfott von Bogenschütze! dachte Pierre. Er und Louis hatten gerade überlegt, ob sie die Verfolgung fortsetzen oder aufgeben sollten, denn die Räuber waren in einen Wald geritten, und wo hätten sie da im Dunkeln suchen sollen? Da war ein Pfeil vom Waldrand herangezischt und hatte Pierres Pferd getroffen. Den treuen Hengst, den er Donnerfurz genannt hatte, weil der vorherige Besitzer, ein Flickschuster, ständig »Beim Donnerfurz« geflucht hatte, als Pierre mit ihm um den Preis gefeilscht hatte. Jetzt ritt er einen vierjährigen Hengst, den er noch taufen mußte. Der vorherige Besitzer hatte auf die Frage nach dem Namen nur mit den Schultern gezuckt, seinen Priem ausgespuckt und gesagt: »Hat keinen. Wozu auch? Pferd ist Pferd.«
Nun, ob dieser Gaul etwas konnte, mußte sich erst noch herausstellen. Der erste Eindruck war recht gut, doch sie waren langsam geritten, wegen Pierres mitgenommenem Hinterteil, und Pierre hatte das Roß noch nicht so richtig auf die Probe stellen können. »Ist das aufregend!« sagte Pierre beinahe andächtig und blickte zu dem Mädchen hin, das zum Klang einer Gitarre und irgendeinem rhythmischen Klappern im Schein des Lagerfeuers tanzte. »Ist die aufregend«, korrigierte Louis grinsend und beobachtete den feurigen Tanz der Spanierin. »Das muß die Zofe sein«, murmelte Pierre. »Die ist ja fast noch schöner als ihre Herrin.« »Laß das nicht den Ritter hören«, brummte Louis. »Das könnte ihn ärgern.« »Was?« Pierre löste kurz den Blick von der Spanierin, die in ihrem grünen Kleid tanzte, voller Anmut und stolzer Grazie. »Sag nur, Roland hätte was mit Isabella im Sinn?« Louis zuckte mit den breiten Schultern. »Natürlich nicht. Sie ist schließlich einem anderen versprochen, und ein Ritter hängt sich da nicht rein. Aber mit dem Gedanken spielen, das erlaubt vermutlich selbst die Ehre eines Ritters. Immerhin sah ich, wie er sie im Arme hielt, und wenn du mich fragst, so weiß ich nicht, wer wen mehr angeschmachtet hat - er sie oder sie ihn.« »Deshalb war er so schroff zu mir!« murmelte Pierre. »Ich wunderte mich schon, weshalb er mich so anfuhr und sofort wegscheuchte, bevor ich mir die Spanier mal richtig aus der Nähe ansehen konnte! Er wollte nicht gestört werden!« Louis grinste. Er kannte den wahren Grund, verriet Pierre aber nichts davon. »Wenn du mich fragst«, sagte er, »so hätte der mickrige Egbert gegen Roland keine Chance bei Isabella. Aber so ist das nun mal wo die Liebe hinfällt...« »Die von deren Stande heiraten doch meistens nur wegen des Geldes«, murmelte Pierre. »Ich würde die Zofe da ohne einen
einzigen Dukaten nehmen.« Gebannt schaute er wieder zu der Tänzerin. »Sag nur, du willst heiraten?« brummte Louis überrascht. »Das nicht gerade«, schwächte Pierre versonnen ab. »Mann, ist die schön!« Ihr langes Kleid war tief ausgeschnitten und spannte sich bis zur Taille eng um ihre Formen, um dann weit auszuschwingen. Es wirbelte um ihre schlanken Fesseln, wenn sie sich im Takt der schnellen Musik im Kreise drehte. Jetzt stampfte sie dazu rhythmisch mit ihren Stiefeln oder Schuhen auf. »Mann, hat die ein Feuer«, murmelte Pierre begeistert. »Vielleicht geben die spanischen Kühe doch andere Milch«, brummte Louis, der den Anblick ebenfalls genoß. »Möchte wissen, wie sie dieses Klappern zustande bringt, wenn sie so graziös mit den Händen wirbelt.« »Das sind Kastagnetten«, sagte Pierre. »Was - Kastanien?« fragte Louis verblüfft. Er wußte nicht viel über Spanien, genauer gesagt, diese Spanier waren die ersten, die er leibhaftig gesehen hatte. »Kastagnetten«, wiederholte Pierre. »Das sind zwei hölzerne Klappern, die beim Tanz gegeneinander geschlagen werden. Die soll es auch in Italien geben.« »Du kennst dich aber aus«, sagte der ehemalige Räuberhauptmann mit einer Spur von Anerkennung. »Bei Hofe hört man so allerhand«, sagte Pierre, und es klang ein bißchen wehmütig. Manchmal bedauerte Pierre, daß er die seidenen Sessel von Schloß Camelot mit dem harten Handwerk des Knappen vertauscht hatte. Der Tanz wurde noch wilder, fast ekstatisch. »Laß uns hinreiten«, sagte Pierre. »Ich will sie von ganz nahe sehen!« Er wollte sein noch namenloses Pferd antreiben. Louis hielt ihn zurück. »Warte, Pierre. Wenn wir jetzt da reinplatzen, und sie erfahren, daß uns diese Haderlumpen durch die Lappen gegangen sind, ist vermutlich die ganze Stimmung im Eimer,
und mit dem schönen Tanzen ist's vorbei. Ich schlage vor, wir schwingen uns von den Gäulen und gönnen uns noch ein Weilchen diesen bezaubernden Anblick.« »Manchmal hast du fürwahr gute Ideen«, stimmte Pierre zu und stieg vom Pferd. »Oh, tut mir der Hintern weh«, stöhnte er dabei. Auch Louis saß ab. Sie banden die Zügel an Baumstämme. Pierres noch namenloser Hengst schnaubte. Pierre gab ihm einen Klaps auf den Hals. »Sei still, Junge, und hör lieber der spanischen Musik zu.« Der namenlose Hengst spitzte auch tatsächlich die Ohren. Doch das hatte einen anderen Grund. Das erkannte Pierre einen Augenblick später, als sich etwas in seinen Rücken bohrte, was unzweifelhaft eine Schwert- oder Messerklinge war, und eine scharfe Stimme etwas in seinen Nacken zischte, was Pierre nicht verstand, was aber äußerst drohend klang. Pierre erstarrte. Im nächsten Augenblick zuckte er zusammen, denn etwas ratschte über sein Kettenhemd hinauf und streifte ihn am Hals und am Ohr. Eine Schwertklinge! Pierre erschrak bis ins Mark. Der Kerl will mir die Kehle durchschneiden! durchfuhr es ihn. Dann hörte er einen dumpfen Aufprall und einen überraschten Schrei, der »Uaaaahr« oder so ähnlich klang, und Pierre erkannte, daß sein Kopf noch auf den Schultern war und daß auch die Kehle nicht fehlte. Er wirbelte herum und sah den Umriß einer Gestalt im Dunkel. Die Gestalt schwankte, und im nächsten Augenblick zischte etwas dicht an Pierre vorbei und knallte gegen die Gestalt. Der Schrei verstummte, und die Gestalt fiel auf den Waldboden und blieb steif liegen. Pierre atmete auf. Louis hatte den Burschen mit einem Fausthieb niedergestreckt. Jetzt rieb sich Louis die Handknöchel. »Alles klar, Pierre? Hab' den Kerl gerade noch rechtzeitig gesehen, als er sich mit gezücktem Schwert an dich ranschlich. Er konnte mich nicht sehen, weil mich mein Gaul und der Baumstamm verdeckten. Mußte nur noch mal
nachfassen, obwohl mein erster Schlag schon mächtig Dampf hatte.« Pierre wischte sich über den Hals und spürte etwas Feuchtes, Klebriges. Die Schwertklinge mußte seine Haut aufgerissen haben, als der Kerl, von Louis' erstem Hieb getroffen, zur Seite getaumelt war und dabei das Schwert unfreiwillig hochgerissen hatte. Pierre tastete mit bösen Ahnungen zu seinem Ohr. Es war noch da. »Danke«, sagte Pierre. »Alle Wetter, hat mich der Kerl überrascht! Und ich wußte gar nicht, was er mir da auf Spanisch zuzischte.« »Spanisch?« fragte Louis verblüfft. »Ja ja.« »Oh Gott, da schwant mir Unheil«, murmelte Louis und warf einen Blick zum Feuer auf der Lichtung. Erst jetzt fiel ihm auf, daß die Musik verstummt war. Die Spanierin hatte mit ihrem Tanz abrupt aufgehört. Wie eine schöne Statue stand sie dort, hatte eine Hand noch erhoben, und der Schein der Flammen zuckte über ihre Gestalt. Alle anderen am Feuer hatten die Köpfe gewandt und blickten zum Waldrand. Sie hatten den Schrei vernommen. »Wieso?« fragte Pierre. Dann kapierte er. »Du meinst, es könnte einer von den Spaniern sein?« Louis nickte grimmig. »Seit wann sprechen andere Leute hier spanisch?« Er sah, wie zwei Männer beim Feuer aufsprangen und ihre Schwerter zückten. »Roland, wir sind's!« brüllte Louis. Er sah, wie Roland sich zu Isabella neigte, die neben ihm saß, und kurz mit ihr sprach. Isabella rief etwas auf Spanisch, und die Männer der Eskorte kehrten zum Feuer zurück. Sie hatten übrigens alle die unbequemen Rüstungen abgelegt, was die Knappen für dumm hielten, denn gerade des Nachts war die Gefahr, von Räubern überfallen zu werden, am größten. Vielleicht waren die Spanier so naiv, anzunehmen, in deutschen Landen gebe es nur diese eine Bande... Louis schritt zu dem Bewußtlosen und warf ihn sich über die
Schulter. Dann ging er mit Pierre zum Lager. Betroffen schauten ihnen die Spanier entgegen. »Sag du dem Ritter, was passiert ist«, flüsterte Louis Pierre zu. »Und denk daran, Angriff ist die beste Verteidigung. Du brauchst kein Blatt vor den Mund zu nehmen, denn die Spanier verstehen deine Flüche nicht.« Er hoffte, Pierre genügend angestachelt zu haben und verbarg ein Grinsen. Ritter Roland erhob sich am Feuer und trat ihnen entgegen. »Was ist passiert?« fragte er. Pierre sagte es ihm. Und er beherzigte Louis schlitzohrigen Rat und zog vom Leder, daß mancher Schweinehirt errötet wäre. Nach einigen saftigen Flüchen sagte er: »Dieses dreimal verdammte Warzenschwein -«, er nickte zu dem Spanier hin, den Louis ablegte, »- hat mich hinterfotzig mit dem Schwerte bedroht, und deshalb hatte Louis keine andere Wahl, als ihm eine zu verplätten.« Er fügte hinzu, das müsse der Ritter doch verstehen und Louis verzeihen. Roland verstand und verzieh. Er konnte sich ein Lächeln nicht ganz verkneifen. »Wir konnten wirklich nicht wissen, daß der Kacker zu unseren Leuten gehört«, fügte Pierre hinzu, ohne Louis' breites Grinsen zu bemerken. Isabella erhob sich geschmeidig am Feuer. »Nein, das konntet Ihr nicht, wissen«, sagte sie mit leicht bayerischer Klangfärbung, »daß dieses dreimal verdammte Warzenschwein unser Hofmeister und Chef des Schutztrupps Luis Hernandez ist, der auf Wache um das Lager streifte.« Sie lächelte amüsiert, als Pierre den Mund aufklaffte und er sie entgeistert anstarrte. »Verzeiht dem Armen«, fügte sie mit einem Blick zu Luis Hernandez hinzu, der sich gerade regte und sein Kinn betastete. »Der Kacker hätte Euch wirklich nicht hinterfotzig mit dem Schwerte bedrohen sollen. »Verzeihung - ich wußte nicht...« stammelte Pierre und blickte wütend zu Louis hin und dann hilfesuchend zu Roland. Roland lächelte, und Louis grinste breit. Er streckte dem Spanier
hilfreich die Hand hin und zog ihn auf die Füße. »Komm schon, mein Junge. Wenn ich gewußt hätte, daß du auch den schönen Namen Luis hast, hätte ich bestimmt nicht so feste zugelangt.« Der Spanier verstand nicht. Er stieß eine Serie spanischer Worte aus, die verdächtig nach Flüchen klangen, und dabei rollte er wild mit den Augen, und seine Gesten deuteten an, was er mit dem Hombre anstellen würde, der ihn im Wald niedergeschlagen hatte. Isabella unterbrach ihn. Sie klärte ihn kurz auf. Da wurde Luis stumm. Er faßte seinen Namensvetter ins Auge und starrte ihn finster an. Louis lächelte versöhnlich, doch das wirkte nicht so sehr. Wenn Blicke töten könnten, wäre der Knappe auf der Stelle tot umgefallen. Wahre Giftflammen loderten ihm aus den schwarzen Augen des Spaniers entgegen. Isabella versuchte die Wogen zu glätten. Sie sprach offenbar besänftigend auf den spanischen Luis ein. Daraufhin schickte Luis zwei seiner Männer auf Wache aus und ging zum Feuer, um einen Schluck Rotwein aus der bauchigen Flasche einzuschenken, die dort im Grase stand. Roland zog seine Knappen zur Seite. Kein Wort des Tadels kam über seine Lippen, wie der beschämte Pierre erwartet hatte. Louis berichtete, daß ihnen die Räuber entkommen waren und daß Pierre seinen treuen Donnerfurz verloren hatte, was sicherlich eine Entschuldigung für Pierres kleine Entgleisung sei. Isabella hatte derweil ihrem Diener einige Anweisungen gegeben. Doch es war die Zofe, die dann den beiden Knappen Rotwein brachte. Roland stellte die Knappen vor, und Isabella übersetzte. Aus der Nähe betrachtet, wurde für Louis und Pierre der Unterschied zwischen den beiden Frauen deutlicher; Roland hatte sie ja schon genau ansehen können. Die Zofe war jünger, vielleicht zwanzig, während Isabella um vier, fünf Jahre reifer war. Beide Frauen waren schön, doch von unterschiedlichem Reiz. Die Zofe hatte etwas graziös Puppenhaftes, dabei wirkte sie scheu und sanft,
obwohl ihr Tanz vorhin gezeigt hatte, welch Feuer in ihr nur darauf wartete, entfacht zu werden, wenn die richtigen Saiten angeschlagen wurden. Isabella dagegen war von stolzer Anmut und Selbstsicherheit, und ihren Augen war anzusehen, daß sie sich ihres Feuers völlig bewußt war und um verschiedene Löschmethoden wußte. Ja, es hatte fast den Anschein, als sei sie es gewohnt, den Zeitpunkt des Löschens zu bestimmen. Die Zofe hieß Linda, wie Roland und die Knappen erfuhren. Sie war überall ein wenig praller als Isabella, und vielleicht hatte die Natur deshalb etwas an Größe eingespart. Linda war einen Kopf kleiner als Isabella, obwohl sie hochhackige Stiefel trug, während Isabella flache, mit Perlen verzierte Stoffschuhe anhatte. Lindas Lächeln war lieb, und es schien in erster Linie Pierre zu gelten, obwohl Louis alle Register zu ziehen versuchte und sich in seiner Begeisterung sogar dazu hinreißen ließ, eine Konversation zu beginnen, obwohl er des Spanischen nicht mächtig war. Er ging dabei recht geschickt zur Werke. Mit einem bewundernden glutvollen Blick auf ihren Busen und in ihre Augen nahm er eine etwas unbeholfene Tanzhaltung ein und schnickte mit den Fingern. Dann lachte er mit blitzenden Zähnen, wies auf Linda und sagte: »Kastanien - gut.« Linda lächelte, doch es war mehr das höfliche Lachen, das man für die seltsame Darbietung eines Gauklers erübrigt, wen man dessen Auftritt nicht ganz versteht. Sie blickte fast hilfesuchend zu Pierre, und der Knappe nutzte die Gunst des Augenblicks und bewies, daß er sich etwas besser auskannte. »Kastagnetten«, sagte er in fließendem Spanisch und fügte weltgewandt hinzu: »Flamenco - Senorita - exzellent!« Wobei er verzückt blickte. »Oh, gracias«, sagte Linda, und es sah aus, als errötete sie leicht. Aber vielleicht lag das auch nur am Feuerschein, der jetzt auf ihr Gesicht fiel, weil sie sich ganz Pierre zuwandte. Ermutigt spitzte Pierre die Lippen und pflückte mit Daumen und Zeigefinger einen imaginären Kuß davon, um ihn ihr mit einem
schmachtenden Blick und einem »Olala - Ole, ole« zuzuwerfen. Linda verstand offenbar den tieferen Sinn seiner Worte, denn ihre langen Wimpern flatterten unruhig, und das Funkeln ihrer dunklen Augen verstärkte sich. Impulsiv schenkte sie Pierre Rotwein nach, obwohl sein Glas noch voll war. Louis hatte Durst gehabt und sein Glas in einem Zug geleert. Ein wenig eifersüchtig sah er nun zu Pierre hin, dessen Glas fast überlief, und wartete darauf, daß Linda auch ihm nachschenken möge. Doch sie hatte im Augenblick offenbar nur Augen für Pierre. Der schwarzbärtig« Louis war ihr wohl zu groß, oder ihr gefiel blond besser. Dann gab es plötzlich einen Zwischenfall. Es ging alles ziemlich schnell, so daß hinterher niemand genau zu sagen wußte, wie es geschehen war. Vermutlich lag es an Sprachschwierigkeiten. Jedenfalls tauchte vor dem auf Wein wartenden Louis sein zorniger spanischer Namensvetter auf. Er überschwappte den Knappen förmlich mit einer Woge von gefährlich klingenden Worten, stieß ihm vor die Brust, tippte sich genauso hektisch, doch etwas leichter selbst gegen die Brust und zückte sein Schwert. Louis fühlte sich bedroht und fackelte nicht lange. Der ehemalige Räuberhauptmann knallte seinem Namensvetter die flugs geballte Rechte ans Kinn, und zum zweiten Mal an diesem Abend sah der spanische Luis die Sterne, die am Himmel blinkten, vor seinen Augen zerplatzen und m tiefe Finsternis übergehen. Er fiel rücklings ins Gras und blieb dort liegen. Linda hatte aufgeschrien und sich an Pierre gedrückt, als gelte es, vor einem neuen Überfall Schutz zu suchen. Isabella erklärte jetzt Roland und den Knappen das Mißverständnis. Der spanische Luis hatte den anderen Louis keineswegs angreifen, sondern ihn - wenn auch vor Zorn kochend in aller Form zum Duell auffordern wollen. Sein Stolz war nach der Niederlage im Wald arg verletzt, und er wollte Genugtuung. Statt dessen hatte er sich nun ein Ding eingefangen, und es bedurfte keiner übermäßigen Phantasie, um sich vorzustellen, daß sein Stolz und sein Kinn nun noch mehr gelitten hatten.
Er kam gerade zu sich, tastete mit der nun schon gewohnten Handbewegung zum Kinn und blickte sich benommen um, als halte er Ausschau nach einem Stier, der ihn auf die Hörner genommen hatte. Die Vermutung war nur auf den ersten Blick weit hergeholt. Denn in diesem Moment brüllte es in dem Wagen, den Louis als »Kuh-Kutsche« bezeichnete, es klirrte und stampfte, und der ganze Wagen schwankte und schien zu erbeben. »Was ist das?« wandte Pierre sich in der allgemeinen Aufregung an Linda und wies zum Wagen. Sie mißverstand ihn wohl, denn sie nickte und setzte sich zum Wagen hin in Bewegung. Als sie nach einem Schritt merkte, daß er stehenblieb, streckte sie die Hand aus, ergriff seine und zog ihn mit. Verwirrt folgte Pierre ihr zu dem Wagen, in dem es immer noch brüllte und stampfte und klirrte, als verteidigten sich die Kühe mit Schwertern gegen einen bösen Bären, der ihnen an die Euter wollte. Indessen glättete Isabella beim Feuer die Wogen. Als alles geklärt war, verlangte sie, daß Luis und Louis sich die Hände reichen und einen Versöhnungsschluck trinken sollten, auf daß wieder Friede zwischen Spanien und Deutschland herrsche. Luis, der spanische, zeigte sich nach einigem Zögern zu Kompromissen bereit. Er reichte die Hand, und er trank mit Louis. Doch er bestand auf einem Duell. Louis, der Knappe, fühlte sich arglistig getäuscht nach vermeintlichem Frieden und bot dem Spanier an, daß er sein Duell auf der Stelle haben könne. Roland und Isabella vermittelten, doch sie erreichten nur einen Aufschub. Beide L(o)uis waren finster entschlossen, das Duell auszutragen. Alle Verhandlungen und auch die vielen Gläser Wein, die dabei geleert wurden, nutzten nichts. So ging es nur noch um die Frage des Termins. Isabella und Roland zogen sich in den Verpflegungswagen zurück, um zu verhandeln, und sie verstanden sich immer besser dabei. Indessen stand Pierre mit Linda im tiefen Schatten bei der »KuhKutsche«, in der die Kühe offenbar den Raudi von Bären besiegt hatten. Der Mond mit seinem vollen, runden Gesicht versuchte neugierig in das Dunkel beim Wagen hinabzuspähen, denn er ahnte,
daß sich da etwas anbahnte. In diesem Punkt war er etwas erfahrener als Pierre, der sich erregt und verwirrt in der Nähe der schönen Zofe fühlte, die immer noch seine Hand hielt. Pierre nahm einen betörenden Duft von Seife oder Parfüm wahr, trotz der nahen »KuhKutsche« und seinem Geruch nach Pferd und Schweiß. Und dieser Luft kitzelte nicht nur Pierres Geruchssinn, sondern auch andere Sinne, und zugleich bot er sich als Einleitung zu einem Gesprächsthema, nach dem Pierre schon verzweifelt gesucht hatte. Und so kam es, daß sich folgender Dialog entwickelte, der mit seinen Folgen für Pierre unvergessen bleiben sollte. Er schnüffelte und sagte »Parfüm -gut.« Er sprach den Duftstoff französisch aus, doch dieses Wort verstehen wohl alle Frauen der Welt. Linda sagte erfreut: »Si.« Damit war das Thema erschöpft, doch Pierre bewies, daß er nicht nur ein guter Knappe war, sondern auch als Page auf Schloß Camelot die Kunst der Konversation aufgeschnappt hatte. Er klopfte gegen den Wagen, schnüffelte wieder und sagte: »Nix gut.« »Si.« Nun stand Pierre wiederum vor einem Problem, denn wollte er das Thema fortsetzen, fehlten ihm die spanischen Worte für »Kuh« und »Gestank« - oder er mußte sich ganz was anderes einfallen lassen. Er versuchte es auf Französisch: »La vache - muh - non gute Parfüm.« Linda lachte. »Si.« Ihre Beteiligung an dieser Konversation kam Pierre nun doch etwas einsilbig vor. Doch sie überraschte ihn mit einer Fülle von spanischen Worten, mit denen er zwar nicht viel anfangen konnte, die jedoch wohlig in seinen Ohren klangen. Verzückt lauschte er, bis Linda am Ende ihrer langen Erklärung die Frage stellte: »Du verstanden?« Er schüttelte den Kopf. Dann fiel ihm auf, daß sie die Frage, wenn auch nicht im gepflegtesten, so doch auf Deutsch gestellt hatte. Er antwortete mit einer recht dümmlichen Frage, die man aber
verzeihen kann, wenn man die verzwickte Situation bedenkt, in der er sich befand: »Du Deutsch?« Jetzt schüttelte Linda den Kopf. Schließlich war sie eine Spanierin. Sie konnte Pierres bekümmerte Miene im Dunkel nicht sehen, doch offenbar war sie entschlossen, jetzt Nägel mit Köpfen zu machen. Sie tastete im Dunkel nach Pierres Hand, ergriff sie und zog Pierre aus dem Schatten ins silberne Mondlicht. Dann machte sie ihm auf gar bezaubernde Art klar, was er zuvor auf Spanisch nicht verstanden hatte. Sie wies auf den Wagen und stieß ein leises, süßes »Muh« aus. Dann reckte sie ihren Busen noch ein wenig vor, ihre Hände wölbten sich über die prallen Hügel, und sie schüttelte den Kopf und sagte »nix, nix«. Anschließend hielt sie beide Hände mit ausgestrecktem Zeigefinger an die Schläfen und sagte: »Toro.« Dann reckte sie einen Daumen hoch und fügte hinzu: »Du verstanden?« Die Gesten waren eindeutig gewesen, und Pierre war kein Dummkopf. Es war ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. In der Kutsche waren keine Kühe, sondern ein Stier. Und das mußte nach dem vorherigen Ausbruch ein äußerst wilder Geselle sein. Vielleicht ein Zuchtstier, den die Spanier Arno von Berghe schenken wollten, damit er die von Bergheschen Kühe mit spanischem Temperament beglücke. Für Pierre war die Sache also klar, doch recht gewitzt spielte er noch ein wenig den Unwissenden. Er wiederholte ihre sämtlichen Gesten, verweilte allerdings sehr, sehr lange auf ihrem Busen und murmelte ein paarmal: »Toro - gut, gut.« Linda lachte dunkel und ließ ihn gewähren. Es gab keine Verständigungsschwierigkeiten mehr. Er glaubte ihr Herz im gleichen Takt wie seines pochen zu spüren, glaubte ein lockendes Lächeln in ihren im Mondschein funkelnden Augen zu erkennen, und die Kühnheit übermannte ihn. Er nahm die Hände von ihrem Busen, weil sie das vielleicht für unschicklich halten konnte, zog Linda an sich und küßte sie auf den
Mund. Sie versteifte sich ein wenig und erwiderte den Kuß nicht sofort, wie es Sitte und Anstand geboten. Pierre, in dessen Herz eine feurige spanische Kapelle zum wilden Tanz aufzuspielen schien, ließ sich nicht entmutigen. Eine innere Stimme mahnte ihn, nicht zu weit zu gehen, doch das Teufelchen in ihm kicherte: »Jetzt ist sowieso alles egal.« So küßte er sie noch heftiger. Die Kapelle in seinem Herzen spielte ein furioses Finale, und er spürte ihre weichen, süßen Lippen auf seinem Mund und ihren festen, süßen Busen an seiner Brust, und sein Herz schien vor Glück zu zerspringen. Dann glaubte er plötzlich aus seinem schönen Traum zu erwachen. Linda löste sich aus seinen Armen. Schade, dachte er, jetzt wird sie dir eine scheuern und davonlaufen. Hoffentlich gibt das keinen Ärger mit den Spaniern. Doch seine Sorge war unbegründet. Linda, deren Busen sich unter heftigen Atemzügen hob und senkte, ergriff lächelnd seine Hand und zog ihn fort vom Wagen und zwischen die Birken am Rande der Lichtung. Und dort, unter dem schmunzelnden Mond, der zwischen den Birken in den dunklen Wald spähte, unterhielten sie sich nicht über Parfüm und Toros, sondern sie verständigen sich sehr schnell in einer Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird. Der Mond schob erregt ein Wölkchen zur Seite, das ihm die Sicht nehmen wollte, und ergötzte sich weiterhin an diesem gar prickelnden Anblick. Und er bekam allerhand zu sehen, der alte Haderlump. * Gregor tobte. »Neun Männer schicke ich los, um eine kleine Reisegesellschaft niederzumachen!« brüllte er. »Und was passiert?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern fuhr mit noch lauterer Stimme fort: »Vier gerupfte Idioten kehren zurück! Mit eingezogenem Schwanz und
ohne Beute und Erfolg!« Der Hüne blickte unheilvoll in die Runde seiner betretenen Mannen, und im Schein des Kandelabers auf dem Tisch schien die wulstige Messernarbe an seiner linken Wange noch roter zu werden. Er schickte noch eine Reihe von Flüchen hinterher, daß die Adern an seiner breiten Stirn und seinem dicken Hals anschwollen, und seine gerupften Mannen blickten noch betretener drein. Am liebsten hätten sie sich in einem Mauseloch verkrochen, doch in der Blockhütte gab es keine Mauselöcher, und wenn welche erreichbar gewesen waren, so hätten sie vermutlich auch nicht hinein gepaßt. So schwiegen sie und hofften, der Zorn ihres Herrn möge verrauchen, ohne daß sie zu körperlichem Schaden kamen. Es sah auch ganz so aus, als sollte sich ihre Hoffnung erfüllen. Der Grimm aus Gregors grünen Augen schwand etwas, und als er gar weiter an seiner Wildschweinhaxe nagte, atmeten sie schon ein wenig auf. »Unfähige Läuse!« schimpfte Gregor schmatzend. »Ich sollte euch auspeitschen, teeren und federn, dann aufhängen und vierteilen lassen!« Zwei der Männer zuckten zusammen. Es waren die mit den schwächsten Nerven. Denn sie wußten, daß Gregors Worte keineswegs im Scherze gemeint waren. Zwar setzte er nicht alles hintereinander in die Tat um, was er soeben angedroht hatte, doch bei anderer Gelegenheit hatte er die eine oder andere Strafe ausführen lassen. Da konnte man noch froh sein, wenn Gregor seinen gönnerhaften Tag hatte und es beim Auspeitschen beließ. Uli, einer der nervenstärkeren Räuber, faßte sich ein Herz und versuchte Gregor zu besänftigen. »Herr, wir ...« Weiter kam er nicht, denn der hünenhafte Räuberhauptmann warf ihm wutentbrannt die nur halb angenagte Wildschweinhaxe ins Gesicht. Sie traf Ulis Nase, die bei dem gescheiterten Überfall ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen worden war, und landete dann in seinem Schoß.
»Wagt er es auch noch, mir mit faulen Ausreden zu kommen!« brüllte Gregor. »Es gibt keine Entschuldigung für euer Versagen!« Er erhob sich, trat auf die Männer zu, und sein Schatten geisterte über die Hüttenwand wie ein drohendes Gespenst. Breitbeinig blieb er vor seinen Räubern stehen und wippte auf den Stiefeln. Das Leder knarrte leicht, denn die Stiefel waren noch neu. Es waren feine Stiefel aus bestem Material. Er hatte sie einem noblen Herrn abgenommen, den er hinterrücks erstochen hatte, weil er seine Schuhgröße gehabt hatte. Mitleidlos starrte er Uli an, der seine schmerzende Nase hielt und nicht wußte, was er mit der Wildschweinhaxe in seinem Schoß anfangen sollte. »Oder kann mir einer von euch Dummbeuteln einen triftigen Grund für euer Versagen nennen?« Er blickte von einem zum anderen. Sie schwiegen vorsichtig. Gregor hatte zwar keine Haxe mehr in der Hand aber einen Dolch in der Lederscheide am Gürtel. »Redet!« brüllte Gregor. Da beeilten sich alle, etwas zu sagen, und Gregor konnte dem allgemeinen Gestammel nichts entnehmen. Er winkte herrisch ab. »Einer von euch Schwätzern soll reden. Und bei Luzifer, wenn ihm nichts Vernünftiges einfällt, stopfe ich ihm für immer das Maul!« Die Männer tauschten Blicke. Sie guckten einen aus. Schließlich hefteten sich alle Blicke auf Uli. Uli holte tief Luft, und dann berichtete er stockend. »Wir konnten nicht ahnen, daß sie gepanzert waren - ich meine, das sahen wir erst im letzten Moment. Und außerdem tauchten völlig überraschend drei Reiter auf, die den Spaniern halfen. Günther dort«, er nickte zu einem bärtigen Kumpan hin, »- wollte das Blatt noch wenden. Er versuchte, sich eine Spanierin als Geisel zu schnappen. Damit wäre der Kampf beendet gewesen, denn wir hätten drohen können ...« Gregor winkte schroff ab. »Ich kenne das kleine Einmaleins. Nun,
die Idee war nicht schlecht, Günther.« Günther grinste geschmeichelt. »Nur hat es nicht geklappt!« brüllte Gregor ihn an. Günther zuckte zusammen und setzte eine schuldbewußte Miene auf. »Einer von den drei Deutschen kam dazwischen«, fuhr Uli fort. »So'n Großer mit 'nem Kettenhemd. Wir hatten schon Verluste, schließlich waren wir nicht gepanzert wie die anderen, und da blieb uns nichts anders übrig, als zu verduften. Zwei der Kerle verfolgten uns ...« Er sah das Erschrecken in Gregors grünen Augen. Vermutlich dachte der Herr, sie hätten jemand den Weg zu ihrem Versteck gewiesen. »Doch die haben wir abgemurkst«, log er schnell. Gregor grinste. »Endlich mal etwas Erfreuliches«, brummte er besänftigter. »Mit wie vielen haben wir es jetzt noch zu tun?« »Ein paar von der Eskorte haben wir auch besiegt trotz der Rüstung«, log Uli weiter. »Ich hab' einen Kutscher vom Wagen geholt, obwohl der Mann gepanzert war«, warf Gerfried, der Bogenschütze, stolz ein. »Und ein paar Pferde hab' ich auch erwischt.« »Gut«, lobte Gregor und heftete seinen Blick wieder auf Uli. »Also, wie viele sind es noch?« Uli hatte Zeit zum Überlegen gehabt. »Es waren an die fünfzehn Mann plus Kutscher«, log er. »Doch als wir türmen mußten, mögen es gerade noch sechs, allenfalls sieben gewesen sein.« Gregor starrte dumpf brütend vor sich hin und schritt auf und ab. Eine Weile war nur noch das Knarren der neuen Stiefel zu hören. Dann blieb Gregor abrupt stehen. »Weckt die anderen! Sie sollen sofort gestiefelt hier antanzen. Ich habe einen Plan.« Sofort eilte einer der Männer zu der zweiten Hütte, die versteckt zwischen Fichten am Hang des kleinen Tales stand. Gregor schritt an den Tisch und setzte sich. Er griff nach einem Schmalzbrot, schob die dicke halbe Scheibe in den Mund und kaute schmatzend. Er aß mit Vorliebe gesalzenes
Schmalzbrot zu besserem Durst. Heute trank er Weißwein dazu. Die Wildschweinhaxe hatte er offenbar vergessen. Uli hatte sie inzwischen verstohlen von seinem Schoß entfernt und neben der Holzkiste, die ihm als Stuhl diente, auf den Boden gelegt, falls der Herr danach verlangen sollte. »Daß ihr keine Beute gemacht habt, ist nicht einmal das Schlimmste«, sagte Gregor kauend. »Viel ärgerlicher ist, daß die Spanier noch leben. Mir gehen viele Goldstücke durch die Lappen, wenn sie Burg Hohenstolz erreichen. Sie dürfen auf keinen Fall dort eintreffen, verstanden?« Die Räuber nickten eifrig. Das hatte Gregor schon einmal gesagt, als er sie losgeschickt hatte. Sie hätten gern gewußt, weshalb die Spanier die Burg nicht erreichen durften, doch sie wagten es nicht, Fragen zu stellen. Gregor konnte fuchsteufelswild werden, wenn man zu neugierig war. Die Tür schwang quietschend auf. Die anderen Räuber betraten die Hütte. Es waren finstere Gesellen, bei dessen Anblick eine furchtsame Seele das große Zittern bekommen konnte. Im Augenblick wirkten sie jedoch schläfrig und zahm. Gregor musterte sie kurz. »Sperrt die Ohren auf! Ich habe einen vortrefflichen neuen Plan.« Die Männer horchten. Dann breitete sich ein Grinsen auf ihren wüsten Gesichtern aus. Denn Gregors Plan war so teuflisch, daß selbst der Satan ihn kaum besser ersonnen haben konnte. Es war ein Plan genau nach ihrem Geschmack ... * Roland zügelte sein Pferd und blickte zwischen den Tannen hervor in die Schlucht zu der spanischen Kolonne. Die Rüstungen der Reiter schimmerten in der Morgensonne. Wiederum ritten vier Männer der Kutsche und den beiden anderen Wagen voraus, und zwei Reiter bildeten die Nachhut. Im Geschirr der Kutsche waren zwei Braune
bei den Schimmeln zu sehen, der Ersatz für die prächtigen Rösser, die bei dem Überfall getötet worden waren. Auf dem Kutschbock saß jetzt nur ein Kutscher, Edmund, und Roland und die Knappen wußten, daß er um seinen toten Freund Rüdiger trauerte, den sie begraben hatten, bevor sie zum Birkengrund weitergefahren waren, um dort zur Nacht zu lagern. »Dieser verdammte Luis«, murmelte Pierre, und sein Blick war sehnsüchtig auf die Kutsche gerichtet, als wolle er einen Blick auf Linda erhaschen, die ihm in der Nacht so viele Wonnen bereitet hatte. »Sag nur, du meinst mich«, knurrte Louis. Pierre bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. »Nein, den anderen. Aber du hast auch Schuld. Du hättest dich nicht mit dem verdammten Spanier anzulegen brauchen.« »Was sollte ich denn machen?« brauste Louis auf. »Der Kerl wollte unbedingt ein Duell. Ich hätte es ihm gewährt, doch der Ritter wollte ja nicht.« Das stimmte. Roland hatte es seinem Knappen auf Isabellas Bitte hin strikt verboten. Noch vor dem Morgengrauen hatten sie sich verabschiedet. Damit Louis nicht als Feigling dastand, wollte Isabella dem spanischen Luis am Morgen erzählen, der Ritter und seine Knappen seien in der Nacht durch einen Kurier sofort zum König befohlen worden. Der deutsche König ging vor. Das Duell mußte warten. Das würde der gekränkte Luis verstehen. Roland hatte es zutiefst bedauert, die Spanier und besonders Isabella verlassen zu müssen. Denn bei der Verhandlung über das deutschspanische Duell waren sie sich recht nahe gekommen. Sie wären sich gewiß noch näher in dem Verpflegungswagen gekommen, wenn nicht einer der Wachtposten Alarm geschlagen hätte, weil Linda vermißt wurde. Die Sorge um ihre Zofe trübte Isabellas Stimmung, und sie beteiligte sich an der allgemeinen Suche. Nun, Linda tauchte dann mit zerzausten Haaren und recht erregt auf - aber mit einem glücklichen Strahlen in den Augen und völlig wohlbehalten. Sie sagte, sie habe nur etwas frische Luft im
Walde schöpfen wollen und hätte sich dabei verirrt. Wenig später tauchte dann auch Pierre auf, der ebenfalls vermißt worden war. Ein seltsamer Pierre, der verträumt wie ein Schlafwandler wirkte und ständig vor sich hin lächelte. Auf Rolands Frage, wo er sich denn in dunkler Nacht herumgetrieben hatte, war von Pierre nur arg wirres Zeug zu hören gewesen. So hatte er unter anderem von parfümierten Toros gesprochen und von stillen Wassern, die tief seien. Der Ritter hatte nicht viel damit anfangen können, doch Louis hatte mit spitzbübischem Grinsen erklärt: »Er hat sich die Sterne angesehen und ist dabei in Verzückung geraten, nicht wahr, Pierre? Besonders bei dem großen Bären.« Nun, mit dieser Erklärung waren alle zufrieden gewesen, und Roland hatte sich auf eine Fortsetzung seiner Unterhaltung mit Isabella gefreut. Doch daraus war nichts geworden. Einer der Wachtposten hatte aufgeregt von einem Kerl gesprochen, der durch den Wald geschlichen sei, bestimmt einer der entkommenen Räuber. So gab es verstärkte Wachen, und Isabella begab sich mit ihrer besorgten Mutter und der Zofe in den Verpflegungswagen zur Nachtruhe, während Isabellas Vater und die Männer, die keine Wache hatten, beim Feuer schliefen. Beim Abschied hatte Isabella gesagt, sie freue sich, wenn er nach Burg Höhenstolz auf ein Wiedersehen kommen könnte - rein zufällig und ohne den Knappen Louis, damit es nicht doch noch zu einem Duell komme, bei dem sie möglicherweise ihren Luis Hernandez verlöre. Roland hatte versprochen, zur Burg zu kommen. Er konnte es kaum erwarten ... »Jedenfalls wäre ich gerne bei den Spaniern geblieben«, seufzte Pierre. Louis lachte. »Das kann ich mir denken, du Haderlump. Während ich mich mit diesem duellwütigen Spanier herumstreiten mußtet triebst du auf gar reizende Weise Völkerverständigung. Ich wette, du hast dabei sogar das Geschwür an deinem Hintern vergessen.« »Woher weißt du überhaupt...?« begann Pierre verständnislos,
denn von dem Furunkel und allem anderen hatte er kein Sterbenswörtchen erwähnt. Louis warf einen Blick zu Ritter Roland, der ein paar Längen vor ihnen angehalten hatte, und sagte leise mit Verschwörermiene: »Ich weiß sogar, auf welcher Backe. Auf der linken. Ein Ding so groß wie 'ne mittlere Saubohne. Auf und nieder ging's damit...« »Du hast gesehen...?« entfuhr es Pierre betroffen. »Nicht nur das«, unterbrach Louis ihn und grinste noch wilder. »Als ich die Pferde versorgt hatte und mich mal ein bißchen in der Umgebung des Lagers umschaute, wäre ich fast über euch gestolpert. Nun, bevor ich schamhaft wegblickte, wie es sich geziemt, nahmen meine fürbaß erstaunten Äuglein noch besagte Bohne auf deinem Hintern wahr und konnten bewundern, wie Besitzer selbiger Bohne sich ins Zeug legte. Ich muß schon sagen, wacker, wacker, du kleiner Bulle von Camelot!« Pierre schoß das Blut in die Wangen. Er setzte zu einer Erwiderung an, doch da rief Roland: »Weiter!« Der Ritter trieb seinen Hengst an, und die Knappen folgten seinem Beispiel. Die spanische Reiter- und Wagenkolonne hielt jetzt auf die Brücke zu, die sich hoch über den reißenden Wildbach spannte, der von Felsbrocken und Gebüsch gesäumt auf dem Grund der Schlucht glitzerte. Vor der Brücke gabelte sich der Weg. Während ein Waldweg den östlichen Berg hinaufführte, wies ein Wegweiser nach Osten gen Falkenried. Von dort aus waren es nur noch zwei Tagesreisen zur Burg Hohenstolz. Die Schlucht, an deren Hängen zwischen kahlem, grauen Fels auch majestätische Fichten und gewaltige Eichen emporragten, bot einen Anblick wilder, nahezu unberührter Schönheit. Schwalben kreisten am Himmel, der mit weißen, zarten Wölkchen getupft war. Ein Vogelschwarm flatterte zwischen den Fichten auf, als hätte jemand sie beim Frühstück aufgescheucht. Rolands Blick folgte dem Vogelschwarm, der hinab in die Schlucht flog, eine Runde drehte, als wollte er die Kolonne begrüßen
und dann über den östlichen Berg hinweg flatterte. Plötzlich stutzte Roland. Auf einem der Bäume bei der Weggabelung leuchtete etwas rotbraun. Roland kniff die Augen zusammen und spähte genauer hin. Das Rotbraune im Blätterwerk war verschwunden. Vermutlich ein Eichhörnchen, dachte er. Dann erschrak er. Das Rotbraune tauchte wieder auf, und es war kein Eichhörnchen, denn Eichhörnchen tragen normalerweise keine Lederstiefel. Und als etwas Metallenes kurz das Sonnenlicht reflektierte, wußte Ritter Roland vollends Bescheid. Eichhörnchen tragen auch selten Schwerter mit sich herum. Da war ein Mann im Baum. Gewiß nicht zum Kirschenpflücken, denn es war eine Eiche und kein Kirschbaum. Roland ritt in versammeltem Galopp weiter. »Louis, Pierre!« rief er, ohne den Kopf zu wenden. Sofort ritten die beiden Knappen an seine Seite. »Ich hab' das starke Gefühl, daß da was nicht stimmt«, sagte Roland. »In der Eiche bei der Weggabelung sitzt ein Mann.« »Ein weiterer Überfall?« sagte Louis überrascht. Er und Pierre spähten zu der Eiche hin. »Tatsächlich!« stieß Pierre hervor. »Da ist einer.« »Wir müssen die Spanier warnen«, sagte Louis alarmiert. »Dazu dürfte es zu spät sein«, erwiderte Roland. »Außerdem wird uns der Kerl in der Eiche längst gesehen und seine Kumpane informiert haben. Wir trennen uns und nehmen sie in die Zange. Louis, durch den Bach und ans andere Ende der Brücke! Pierre, mir nach!« Sie trieben ihre Pferde zum Galopp. Roland rechnete damit, daß der Kerl auf der Eiche und seine vermutlich versteckten Kumpane die Reiter und Wagen passieren lassen würden. Wenn dann die Kolonne mitten auf der Brücke war, würden sie ihr in den Rücken fallen, und vom anderen Ufer her würden vermutlich ebenfalls Angreifer auftauchen. Dann war die Kolonne in der Falle.
Rolands Vermutung sollte sich bewahrheiten, doch es geschah noch etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Die Räuber ließen die Kolonne passieren. Unbehelligt erreichten die ersten vier Männer der Eskorte die Brücke. Die Hufe der Pferde pochten dumpf auf den Holzplanken. Das Gespann der Kutsche folgte. Eines der Führpferde wieherte. Und dann ächzte und knirschte und krachte es. Die Brücke stürzte ein, und über die spanische Gesellschaft brach die Hölle herein. * Edmund, der Kutscher mit dem Kindersegen, dankte gerade dem Allmächtigen dafür, daß er den Überfall im Hohlweg überlebt hatte. In tiefer Trauer gedachte er seines toten Freundes Rüdiger, der Taufpate seines nächsten Kindes hatte werden sollen. Da geschah es. Durch das dumpfe Klappern der Hufe und das Rumpeln der Wagenräder auf der Holzbrücke war ein Bersten und Krachen zu hören. Dann schrie einer der Männer der Eskorte auf. Pferde wieherten und scheuten. Im nächsten Augenblick verschwanden sie vor Edmunds Augen wie durch Zauberei in der Tiefe. Edmund war zu entgeistert und erschrocken, um lange zu überlegen. Instinktiv tat er das richtige. Er zügelte hart das Gespann. Die beiden Führpferde schlitterten noch ein Stück weiter, weil sich plötzlich die Planken vor ihnen senkten, doch Edmund brachte sie gerade noch vor dem eingestürzten Teil der Brücke zum Halten. Dann überstürzten sich die Ereignisse in rasender Folge. Gellende Schreie hallten durch die Schlucht. Die vier Eskortenreiter waren mitsamt ihren Pferden in den reißenden Bach hinabgestürzt. Einer der Männer wurde unter seinem Pferd begraben, das schrill wiehernd auskeilte und sich mühte, auf die Beine zu kommen. Ein anderes Tier, dessen Reiter kopfüber aus dem Sattel gefallen war, brach sich einen Vorderlauf und peitschte hilflos mit den Hinterhufen das gichtende Wasser, das sich rot färbte.
Voraus am anderen Ufer tauchten wilde Gestalten zwischen Büschen und Felsbrocken auf und schwangen Schwerter und Lanzen. Sie stürzten mit schaurigem Gebrüll zu den Männern, die in den Bach gefallen waren. Ein Reiter jagte am jenseitigen Ufer auf sie zu. Das rechte Führpferd des Kutschengespanns brach von einem Pfeil getroffen zusammen: Entsetzt warf Edmund einen Blick zurück. Auch hinter der Kutsche, bei der Weggabelung, tauchten Räuber auf. Sie sprangen von Bäumen herab oder zwischen Büschen und Felsbrocken am Fuß des Hanges hervor und griffen die zwei restlichen Männer der Eskorte an. Aus dem Augenwinkel heraus sah Edmund zwei Reiter auf sie zupreschen, und er erkannte sie wieder. Das war der Ritter und einer der Knappen, die ihnen schon einmal geholfen hatten. Ein Pfeil knallte gegen Edmunds Helm, und er erschrak bis ins Mark. Jäh fiel ihm ein, wie Rüdiger ums Leben gekommen war, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Gottlob trug er den Brustpanzer und den Helm, und der Bogenschütze war hinter ihm. Dennoch mußte er vom Kutschbock herunter und in Deckung. In panischer Hast kletterte Edmund hinunter. Dann fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, die Bremse festzudrehen. Das getroffene Führpferd, das im Geschirr im Sterben lag, bremste zwar mit seiner Last das Gespann, doch es bestand die Gefahr, daß die Tiere in ihrer Panik die Kutsche in die Tiefe rissen. Einen Augenblick lang war Edmund versucht, nur an seine eigene Sicherheit zu denken und sich einfach davonzuschleichen. Er mußte schließlich an sein Weib und die Kinder denken, die einen Ernährer brauchten. Doch sein Pflichtgefühl als Kutscher überwog. Schnell kletterte er wieder hinauf und drehte die Bremse fest. Ein Inferno von Geräuschen erfüllte die Schlucht, Schreie, Hufschlag, Wiehern, das Brüllen des Stiers und das helle Klirren von Schwertern. Edmund sprang von der Kutsche hinab und bekam den zweiten Schock an diesem Vormittag. Eine Gestalt war neben der Kutsche aufgetaucht. Ein bärtiger Hüne, der einen Morgenstern schwang. Wie
schon einmal sah Edmund die schreckliche Kugel mit den Metallzacken auf sich zuschwingen. Alles ging so schnell, daß er nicht mal mehr schreien konnte. Der Morgenstern traf ihn irgendwo an der Brust. Edmund spürte einen harten Schlag, der ihm den Atem nahm, und er hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Im Reflex ruderte er mit den Armen, versuchte irgendwo Halt zu finden, doch es gab keinen. Er flog über das eingeknickte Brückengeländer hinweg. Alles drehte sich vor seinen Augen und verschwamm plötzlich, als er aufprallte und ihm rötliches Wasser ins Gesicht peitschte. Allmächtiger! durchfuhr es ihn. Irma und die Kinder - sie brauchen mich ... Dann wurde das Wasser schwarz, schlug über seinem Kopf zusammen und löschte alles aus. * Die beiden Männer der Nachhut, die nicht in den Wildbach gestürzt waren, kämpften wacker. Einer war mit einer Lanze vom Pferd gestoßen worden, der andere war noch im Sattel. Er stieß gerade einem der verruchten Gesellen sein Schwert in die Brust. Noch im Fallen umklammerte der Räuber die Hand des Spaniers, die das Schwert hielt, und zog ihn aus dem Sattel. Der in der Rüstung unbeholfene Mann prallte auf den Sterbenden. Dann war ein weiterer Räuber zur Stelle und schlug dem Spanier eine Keule gegen den Kopf. Der Helm schützte zwar, doch der Schlag war so wuchtig, daß der Spanier bewußtlos zur Seite sank. Der Räuber brüllte triumphierend. Doch nicht lange. Seine Augen weiteten sich in jähem Erschrecken, als er die beiden Reiter sah, die förmlich auf ihn zuflogen. Roland und Pierre. Ein Schwerthieb streckte den Räuber zu Boden. Roland parierte bereits sein Roß, zog es herum und warf einen schnellen Blick zur Eiche hin. Er sah den Bogenschützen und warf sich über den Pferdehals. Der Pfeil zischte nur eine Handbreit über den Ritter hinweg.
»Runter vom Pferd!« schrie Roland Pierre zu und warf sich aus dem Sattel. Er rollte sich ab und riß sein Schwert hoch. Bevor er sich aufrappeln konnte, war einer der Räuber heran. Der Kerl hielt sein Schwert mit beiden Händen und holte aus, als wollte er Roland den Schädel spalten. Roland schnellte sich zur Seite, als die Klinge herabsauste. Das Schwert hackte in den Boden. Bevor der Räuber es aus dem Lehm ziehen konnte, war Roland auf den Beinen. Er schlug dem Kerl auf die Finger. Der Räuber heulte auf wie eine Jungfer, die sich irrtümlich auf einen Igel gesetzt hat, doch er ließ das Schwert nicht los. Er griff Roland wütend an. Roland parierte den Hieb, und dann wetzte er seine Klinge an dem Schwert des Schurken, daß die Funken stieben. Mit wuchtigen Schlägen trieb er den Kerl zurück. Der Räuber war niemand anders als Uli. Uli konnte zwar weder lesen noch schreiben, doch er besaß eine gewisse Bauernschläue. Er wußte nicht, daß sein Gegner Ritter Roland war, doch er erkannte, daß er diesem Schwertkämpfer nicht gewachsen war. Und deshalb gab er Fersengeld. Er hetzte davon, als sei der Leibhaftige hinter ihm her. Er lief im Zickzack, weil er damit rechnete, sein Gegner könnte ihm das Schwert nachschleudern. Doch Ritter Roland ließ den Feigling laufen und wirbelte zu dem nächsten Räuber herum. Dann erstarrte er mitten in der Bewegung. Zweierlei erfaßte er gleichzeitig, und beides jagte ihm einen eisigen Schauer über die Wirbelsäule. Pierre kreuzte die Klinge mit einem der Räuber. Der Knappe stand mit dem Rücken zur Eiche gewandt. Und dort zielte der Bogenschütze sorgfältig auf ihn, um ihm einen Pfeil in den Rücken zu jagen. Doch aus der Drehung heraus hatte Roland noch etwas gesehen, das ihn erschütterte. Einer der Räuber warf Isabella auf eines der Pferde, das zwischen den Kämpfenden herumgeirrt war. Er mußte Isabella aus der Kutsche gezerrt haben. Sie war offenbar bewußtlos. Schlaff lag sie über dem Pferd, und der Räuber schwang sich hinter ihr in den Sattel.
All das sah Roland in diesem schrecklichen Augenblick, und er handelte, ohne zu denken. Noch hätte er Isabellas Entführer aufhalten können. Der Kerl mußte keine zwanzig Schritte entfernt an ihm vorbeireiten, um auf den Waldweg zu gelangen, der nach Osten aus der Schlucht führte; der andere Weg war durch die Wagen blockiert. Doch Pierres Leben war in Gefahr, und Rolands Herz entschied sich in diesem Sekundenbruchteil für den treuen Knappen. Roland holte fast ansatzlos mit dem Schwert aus und schleuderte es wie eine Wurflanze zur Eiche hinauf. Ob dieser Fähigkeit, die ihm schon einmal das Leben gerettet hatte, beneideten ihn andere Ritter, die als Meister des Schwertes galten, doch diese Technik nicht so schnell und treffsicher beherrschten. Die Schwertspitze bohrte sich in dem Moment in die Brust des heimtückischen Bogenschützen, als der Pfeil von der Sehne schnellte. Die Arme des Bogenschützen ruckten hoch, und der Pfeil zischte über Pierre hinweg und klatschte in den letzten Wagen vor der Brücke, in dem der Stier stampfte und brüllte. Pierre hatte gerade zu einer Finte angesetzt und erschrak. Er hatte wohl noch den Luftzug des Pfeils gespürt. Sein Gegner hätte Pierres Ablenkung nutzen können, wenn er kaltblütig gewesen wäre. Doch auch er erschrak. Er hörte einen gräßlichen Schrei von der Eiche her, wo er seinen Kumpan wußte. Er starrte über Pierre hinweg und sah, wie Gerfried, der Bogenschütze, von der Eiche stürzte. Es gab einen dumpfen Aufprall, und der schaurige Schrei verstummte abrupt. In verrenkter Haltung blieb der Räuber liegen, der schon so viele Menschen aus dem Hinterhalt getötet hatte. Als der Räuber jetzt mit dem Schwert nach Pierre stieß, war es zu spät. Pierre wich gedankenschnell aus und traf ihn tödlich. Roland sah den Räuber mit Isabella davonpreschen. Hätte der Ritter doch noch sein Schwert in der Hand gehabt! Dann hätte er die Entführung verhindern können. Verzweifelt riß er sein Messer aus der Lederscheide und warf es. Er traf das Pferd, doch das Messer besaß nicht genug Durchschlagskraft. Der Gaul streckte sich, so gekitzelt, nur noch mehr. Und dann verschwand der Räuber mit Isabella schon um die Wegbiegung.
Rolands Blick zuckte in die Runde. Auf dieser Seite des Wildbaches gab es keine Gegner mehr. Roland sah die reglosen Gestalten der Räuber und eines Spaniers, um den sich sein Landsmann kümmerte. Im Bach und am anderen Ufer wurde noch gekämpft. Doch es sah aus, als hätten Louis und die Männer der Eskorte die Situation im Griff. Zwei. Räuber ergriffen gerade die Flucht. »Hilf Louis!« rief Roland Pierre zu, der sein blutiges Schwert abwischte. »Und bleibt beide zum Schutz bei den Spaniern. Fahrt um die Schlucht herum und setzt den Weg nach Hohenstolz fort. Ich hole euch wieder ein.« Dann hetzte er zu seinem Pferd, das nahe bei der Weggabelung stehengeblieben war. Er warf sich in den Sattel und galoppierte hinter dem Entführer her. Pierre lief zum Bach. Er rannte an den Wagen vorbei, und sein Herz war voller Sorge um die Zofe Linda. Er hatte flüchtig gesehen, daß einer der Räuber mit einer Frau geflüchtet war, doch es war alles zu schnell gegangen, und so wußte er nicht, welche Frau es war. Er erreichte die Kutsche und warf einen Blick hinein. Er atmete auf. Die Zofe und die ältere Frau kümmerten sich um den Diener und um Alfons von Cordoba. Beide Männer waren offensichtlich niedergeschlagen worden. Pierre lächelte verzerrt Linda zu und rannte weiter. Er rutschte über das eingestürzte Brückenstück hinab, glitt auf den nassen Planken aus und plumpste ins Wasser. Fluchend rappelte er sich auf. Er sah ein totes Pferd und eine reglose Gestalt im schäumenden Wasser. Mit einem schnellen Blick zu Louis erkannte er, daß seine Hilfe nicht benötigt wurde. So eilte er zu dem Mann, der im Wasser lag, und zerrte ihn ans Ufer. Es war Edmund, der Kutscher. Er sah leichenblaß aus, und Pierre glaubte schon, er sei tot. Doch dann zuckten die Lider des Kutschers, und blinzelnd öffnete er schließlich die Augen. Sein Blick war verständnislos. Er war noch nicht ganz bei Besinnung. Dann würgte er und übergab sich. Pierre
kümmerte sich um ihn und befreite ihn von dem Brustpanzer, der eine tiefe gezackte Delle auf wies. So kam es, daß Irmgard und ihre sieben Kinder ihren Ernährer behielten. Edmund hatte zwar eine Rippe angeknackst und schlimme Prellungen davongetragen, doch das heilte bald. Sicherlich wäre er im Bach ertrunken, hätte Pierre nicht so schnell und umsichtig gehandelt. Edmund dankte es später seinem Retter. Er ließ sein siebentes Kind - wie erwartet ein strammer Junge - auf den Namen Peter taufen; Pierre war ihm etwas zu ausländisch. Edmund verlor wieder das Bewußtsein, aber er war jetzt außer Gefahr. Alles Wasser, das er geschluckt hatte, war aus seinem Magen, und Pierre hatte dafür gesorgt, daß Edmund wieder Luft bekam. Der Knappe sah mit einem schnellen Blick, daß der Kampf beendet war. Er ging zu Louis, der mit zwei Spaniern bei zwei reglosen Gestalten stand. Es waren ebenfalls Männer der Eskorte, die dort am Boden lagen, denn sie trugen Rüstungen. Pierres Blick glitt zu den Leichen der Räuber. Sie hatten keine Rüstungen getragen, und der Wildbach spülte ihr Blut davon. Louis richtete sich auf und fing Pierres fragenden Blick auf. Die Spanier schauten ebenso betroffen drein. Sonst waren sie von lebhafter, gesprächiger Art, wie die Knappen während des Nachtlagers bemerkt hatten, doch jetzt verharrten sie bedrückt und stumm. »Einer ist tot«, sagte Louis mit schwerer Stimme und wischte sich müde übers Gesicht, dem noch die Anstrengung nach dem wilden Kampf anzusehen war. »Sein Gaul begrub ihn unter sich, als er in den Bach stürzte. Ich konnte ihn zwar rausziehen wie den anderen, doch da war nichts mehr zu machen.« Louis sah sich um. »Wo ist Roland?« Sorge war in seinen Augen. Pierre berichtete. Louis fluchte erbittert. Die Spanier blickten stumm und fragend. Sie verstanden nicht. Louis' dröhnende Flüche zeigten indessen Wirkung. Der
bewußtlose Spanier erwachte aus seiner Ohnmacht. Benommen und unbeholfen in der Rüstung versuchte er sich aufzusetzen. Seine Landsleute halfen ihm. Sie redeten hastig auf ihn ein. Der Mann schüttelte ein paarmal den Kopf und sagte etwas. Jetzt erkannte Pierre, daß es der Chef der Eskorte war, nämlich Luis Hernandez. Des spanischen Luis' Blick wurde klarer und erfaßte den Knappen Louis. Sofort kam Farbe in sein trotz der natürlichen Bräune fahles Gesicht. Luis spuckte einen Schwall von Worten aus, von denen die Knappen nur »Duell - Duell« verstanden. Es sah aus, als wolle Luis aufspringen und das Duell auf der Stelle austragen. Doch die Rüstung und seine Landsleute hinderten ihn daran. Die Spanier drückten ihn zurück und redeten auf ihn ein. Louis schüttelte den Kopf. »Undankbarer Patron. Das nächste Mal überlege ich mir vielleicht, ob ich ihn nochmal aus dem Wasser ziehe. Komm, Pierre, sehen wir mal nach den anderen.« * Arno von Berghe trommelte nervös mit seinen kräftigen Fingern auf der Tischplatte. »Immer noch keine Meldung von diesem Primitivling von Gregor?« Wenzel, der schlanke Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart und dem pomadisierten schwarzen Haar, das er in der Mitte gescheitelt trug, schüttelte den Kopf. »Nein, er hat nichts von sich hören lassen. Willst du ...?« Arno von Berghe schlug mit der Faust auf den Tisch. »Rede mich mit Herr an!« brüllte er, und seine grollende Stimme hallte durch das offene Fenster in den Burghof, so daß selbst der Wachtposten auf dem Turm sie hören konnte. »Ich bin Arno von Berghe, verdammt« Der Wachtposten grinste. Er wußte, daß Wenzel sich mal wieder verplappert hatte, und er fragte sich, wie lange der Herr das noch
hinnehmen würde, ohne ernsthafte Konsequenzen zu ziehen. Geschah Wenzel nur recht, wenn ein Donnerwetter über ihn hereinbrach. Dieser eitle Affe spielte sich ja schon auf, als sei er der zweite Herr auf Burg Höhenstolz ... Er lauschte in hämischer Vorfreude, doch zu seinem Bedauern blieb alles still. Enttäuscht zuckte er mit den Schultern und spuckte in den Burggraben hinab, in dem eine Ente flugs den Kopf einzog. Arno von Berghe hatte sich indessen erhoben. Er war ein großer, schwergewichtiger Mann in einem eleganten Anzug aus rotem Samt, der mit güldenen Stickereien verziert war. Er verharrte kurz vor dem mannshohen, goldgerahmten Gemälde an der Wand zwischen den beiden Fenstern und schaute sein lebensgroßes Ebenbild an. Er sah buschige, dunkelbraune Brauen. Braune, kühnblickende Augen. Eine große, spitze Nase, schmale Lippen und ein wuchtig vorstehendes Kinn. Das ernste Gesicht des fünfzigjährigen Burgherren. Unbewußt tastete Arno von Berghe zu dem Leberfleck am rechten Mundwinkel, aus dem ein Haar sproß. Leberfleck und Haar hatte der Maler auf dem Bild weggelassen, aber sonst fand Arno von Berghe, daß alle Züge recht gut getroffen waren. Ja, die Ähnlichkeit war verblüffend. Er schloß das Fenster und wandte sich zu Wenzel um. »Schick noch einen Boten los. Nein, du reitest besser selbst.« »Ja, Herr.« Arno von Berghe verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging unruhig auf und ab. Wenzel wartete. Bei den Launen des Herrn wußte man nie, woran man war. Manchmal änderte er innerhalb einer Minute dreimal den Auftrag und schnauzte einen an, man könne nicht mitdenken. Arno von Berghe blieb stehen. »Sag ihm, ich erhöhe die Summe um ein Drittel, wenn er mir Erfolg meldet.« »Aber - mit Verlaub, Herr, er hat doch ein Viertel mehr gefordert! Wenn wir ihn bei Laune halten wollen, sollten wir ihm das gewähren, anstatt ihn mit einem Drittel abzuspeisen. Vielleicht sollte
man sogar erwägen, ihm ein Fünftel anzubieten, damit er den Auftrag auch zuverlässig und zu Eurem Wohlgefallen ausführt.« Wenzel war mit sich zufrieden. Er fühlte sich als weiser Berater. Arno von Berghe blinzelte indessen. Die Ader an seiner Stirn schwoll an. »Dummsack!« blaffte er angewidert. Wenzel nickte verwirrt. »Daß du nicht lesen und schreiben kannst, ist schon traurig genug«, fuhr Arno fort. »Daß du aber nicht mal rechnen kannst, setzt allem die Krone auf!« Seine Stimme schwoll unheilvoll an. »Ich frage mich, ob meine Entscheidung, dich zu meiner dritten Hand zu machen, nicht eine Torheit war.« Wenzel wußte nichts zu sagen. Er senkte demütig den Kopf, obwohl er sich immer noch keiner Schuld bewußt war. »Du bietest Gregor ein Drittel mehr an«, fuhr Arno von Berghe grollend fort. »Und wenn der Kerl genauso ein Depp ist wie du, dann richte ihm von mir aus, daß ein Drittel mehr ist als ein Viertel. Und wenn er das nicht glaubt, kannst du ihm glatt ein Tausendstel anbieten.« Wenzel blickte überrascht. »Ja, Herr«, beeilte er sich zu sagen. Arno von Berghe bedachte ihn noch mit einem finsteren Blick und schritt weiter auf und ab. Nichts als Analphabeten und abergläubische Dummköpfe unter meinen Mannen, dachte Arno von Berghe grimmig. Wird Zeit, daß ich sie mir nach und nach vom Hals schaffe. Dieses Pack! Dann schwand sein Unmut etwas, und er dachte: Na ja, für Hilfsdienste sind diese armen Teufel ja zu gebrauchen. Woher sollen sie es besser wissen, wenn sie schon als Kinder Hühnerdiebe waren und nie einen Lehrer hatten. Er überlegte, ob er nicht einen gelehrten Mann anstellen sollte, der seinen Mannen ein wenig Unterricht gab. Diese Haderlumpen würden es zwar als Strafe empfinden, wenn sie etwas lernen sollten, und es nicht zu würdigen wissen. Blut und Wasser würden die schwitzen! Der Gedanke amüsierte ihn. Hei, das war eine gute Idee! Statt
Peitschenhiebe oder Kerker eine Lehrstunde in Schreiben, Rechnen und Lesen! Das würde die Jungs mehr schrecken als alle anderen Strafen. Er konnte sich gut in sie hineinversetzen. Schließlich war er nicht immer Burgherr gewesen. Er lächelte vor sich hin, und der wartende Wenzel wurde eine Spur blasser, denn dieses Lächeln war recht boshaft. Das letzte Mal hatte der Herr so gelächelt, als er einen Wachtposten hatte auspeitschen lassen, der statt Wache zu halten, einer Magd ein Kind gemacht hatte. Arno von Berghe blickte auf. »Was stehst du noch da und hältst Maulaffen feil?« fuhr er Wenzel an. »Reite zu Gregor! Bis spätestens morgen mittag will ich eine Erfolgsmeldung hören.« »Ja, Herr.« Wenzel dienerte und zog sich eilig zurück. Draußen begegnete ihm Rudolf, der Diener. »Wie ist seine Laune?« fragte Rudolf näselnd. »Mies«, flüsterte Wenzel und sah sich besorgt um, als befürchte er, belauscht zu werden. Diese Sorge war nicht unbegründet. Es gab Spitzel auf der Burg, die alles dem Herrn meldeten. Im Grunde konnte man keinem trauen, abgesehen von einigen alten Freunden wie Rudolf zum Beispiel. Manchmal hatte Wenzel das Gefühl, wie ein Gefangener auf der Burg zu leben. Daran änderte auch nicht die Tatsache, daß er als einiger der wenigen die Burg verlassen durfte, wenn der Herr ihn mit einem Auftrag losschickte. Aber man konnte nie wissen, ob der Herr einem nicht einen Spitzel nachschickte, der dafür sorgte, daß man auch zurückkehrte - oder nie wieder. »Mies?« Rudolfs Spitzmausgesicht zeigte ein Grinsen. »Also wie immer.« Er klopfte und trat ein, während Wenzel eilig davonschritt. Rudolf konnte Wenzels Urteil nicht teilen. Er hatte den Eindruck, daß der Herr recht gut gelaunt war. Er pfiff sogar vor sich hin, als er die Dokumente und Briefe las, die Rudolf ihm vorlegte.
»Gut, gut«, sagte Arno von Berghe zufrieden, als er die Absage auf einen Brief gelesen hatte, in dem eine Tante ihren Besuch angekündigt hatte. »Die Tante sind wir los. Die möchte sich bestimmt nicht anstecken.« Er blickte Rudolf an. »Aber mußte man mir denn unbedingt die Pocken andichten?« »Tante Martha soll nicht leicht zu schrecken sein.« Arno von Berghe grinste. »Na, dann ist es vielleicht gut, schweres Geschütz aufzufahren. Und weil ich gerade gut gelaunt bin, darfst du den Gefangenen einen Krug Wasser und einen Kanten Brot geben.« »Jedem?« fragte Rudolf. »Papperlapapp«, erwiderte Arno von Berghe unwirsch. »Allen zusammen einen Krug Wasser und einen Kanten Brot.« Rudolf nickte eifrig. Er verspürte ein wenig Mitleid mit den Gefangenen, die im Kerker dahinsiechten, aber er hütete sich, es zu zeigen. Er war einmal mit dreißig Stockhieben bestraft worden, weil er aus Mitleid den gefangenen Frauen ein Stück Käse zugesteckt hatte. Arno von Berghe klappte zufrieden die Mappe mit den Briefen und Schriftstücken zu. »Das sollte uns für eine Weile unerwünschten Besuch vom Halse halten und gute Geschäfte einleiten«, murmelte er. Rudolf nahm die Mappe, dienerte und ging. Als Arno von Berghe allein war, schenkte er Met in einen Becher. Er setzte den Becher an die Lippen, bemerkte eine Fliege im Met und fischte sie heraus. Die Stubenfliege krabbelte vom Met berauscht über seinen Finger. »Besoffenes Vieh«, brummte der Burgherr und zerquetschte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Er schnippte sie fort und trank genußvoll den Becher mit Met in einem Zuge leer. Dann rülpste er leicht, lehnte sich zurück und faltete die Hände vor dem Bauch. Diese verdammten Spanier! Sie durften auf keinen Fall die Burg erreichen. Wenn sie bis Hohenstolz kamen, konnte alles ans Tageslicht kommen ...
Die Spanier mußten irgendwo auf dem Weg beseitigt werden. Das Werk ruchloser Räuber. Nicht die Spur eines Verdachtes würde auf ihn fallen. Schließlich hatte Arno von Berghe den Spaniern jeden erdenklichen Schutz angeboten ... Er schenkte sich von neuem Met ein. Ah, Gregor und seine Mannen würden es schon schaffen. Er kannte doch Gregor. Ein primitiver Rohling, aber für solche Dinge gut zu gebrauchen. Vielleicht war längst alles erledigt, und dieser geldgierige Hund wartete nur mit der Erfolgsmeldung, um einen noch höheren Preis herauszuschinden! Der würde sich ohnehin wundern, wenn er statt der versprochenen Dukaten in die Tasche einen Dolch ins Herz bekommen würde, damit er niemals das Geheimnis von Hohenstolz ausplaudern konnte. Bei diesem Gedanken grinste er vor sich hin. Und es war ein Grinsen, an dem der Satan seine helle Freude gehabt hätte, wenn er es gesehen hätte. Doch der Gehörnte war zu beschäftigt. Er vergnügte sich gerade mit sechs gefallenen Mädchen, die auf der Erde als Hexen verbrannt worden waren, in seinem Höllenschlafzimmer. Die ehemaligen Hexen kicherten und zupften ihn am Schwanz. Da hatte der schwarze Haderlump kein Auge für seinen Vetter auf Erden ... * Uli, der Räuber, grinste ebenfalls. Er war recht zufrieden mit sich und der Welt. Gewiß, es war wiederum nicht alles nach Plan verlaufen. Wie hatte Gregor gesagt, als er ihnen alles erläutert hatte: »Einfacher geht's nicht, ihr Schwachköpfe. Ich fasse zusammen: Die Brücke ansägen. In Deckung gehen. Wenn alle im Bach liegen zackzack!« Und er hatte die Geste des Halsabschneidens gemacht. Nun, es war nicht Zackzack gegangen. Vielleicht waren sie zu eifrig gewesen und hatten zuviel gesägt. Jedenfalls war die verdammte Brücke zu früh eingestürzt, bevor alle darauf gewesen waren. Und dann waren wieder diese drei Kerle aufgetaucht, die
ihnen schon beim ersten Überfall alles vermasselt hatten. Neun Mann waren sie diesmal gewesen. Jetzt waren sie noch zu viert. Der ganze Rest der Bande, abgesehen von Alois, der als Wache im Versteck geblieben war. Gregor würde sich neue Männer suchen müssen. Na, der würde ganz schön sauer sein. Gut, daß er, Uli, einen Mann vorausgeschickt hatte, um Gregor die Kunde zu bringen. Bei ihm würde Gregor erst einmal Dampf ablassen und bei ihrer Ankunft dann schon etwas ruhiger sein. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie auch noch mit leeren Händen zurückgekehrt wären! Doch sie kamen nicht mit leeren Händen. Sein Blick glitt zu der Spanierin, die gefesselt beim Lagerfeuer saß. Sie brachten Gregor ein Geschenk mit. Und was für eines! Das würde ihn versöhnen. Außerdem war damit der Auftrag, den Gregor ausführen sollte, so gut wie erledigt. Genaues wußte keiner von der Bande, doch Gregor hatte ihnen die Hälfte der Beute versprochen und anklingen lassen, daß ihm der Tod der Spanier ein kleines Vermögen an Dukaten einbringen würde. Nun, sie hatten außer der Spanierin keine Beute machen können, aber das ließ sich sicherlich noch nachholen. Sie brauchten den Spaniern nur eine Botschaft mit einer Lösegeldforderung zu schicken, sie zur Übergabe in eine Falle locken und »zackzack«, wie Gregor zu sagen pflegte. Uli war also frohgemut, und sein Blick ruhte wohlgefällig auf der schönen Spanierin. Bruno, der Rotbart an seiner Seite, betrachtete Isabella mit anderen Blicken. Er war es gewesen, der sie entführt hatte, und er betrachtete sie als seine Beute. Doch Uli sprach ja dagegen. Bruno versuchte es noch einmal, ihn umzustimmen. »Viel zu schade, um sie bei Gregor abzuliefern. Ein solch süßes Täubchen flattert einem nicht alle Tage zu.« Lüstern tasteten seine Blicke über Isabellas Formen. Isabella hatte den Kopf gesenkt und verharrte in apathischem Schweigen. Uli nickte in Gedanken. Bruno schöpfte Hoffnung. Er ergriff seine schmutzstarrende
Feldflasche, die mit Wein gefüllt war, und erhob sich. Breitbeinig schritt er zu der Gefangenen. Sie blickte auf, als' sein Schatten auf sie fiel. Sein verfilzter, schmutziger Bart klaffte auf, und er zeigte ihr grinsend einen schwarzen Zahnstummel. Dann setzte er die Feldflasche an die wulstigen Lippen und trank gluckernd. Er wischte sich mit dem Handrücken über Bart und Mund und starrte Isabella in den Ausschnitt. »He, Täubchen, willst du auch mal? Du kannst einen Schluck haben.« Er hielt ihr die Feldflasche hin. »Von uns auch«, rief Rainer, der dritte der üblen Gesellen. »So viel du willst, schöne Frau.« Es sah aus, als wollte Isabella den Kopf schütteln. Doch dann ergriff sie die Feldflasche. Sie warf nur einen kurzen Blick auf die schmutzstarrende Umhüllung. Dann warf sie die Flasche dem Rotbart mitten ins Gesicht. Das geschah so schnell, daß sich der Rotbart nicht mal mehr ducken konnte. Und trotz der Eile hatte Isabella gut gezielt. Die Flasche mit dem Rotwein schlug eine leichte Delle in die breite Nase des Kerls, und Rotwein spritzte ihm in die Augen, bevor die Flasche ins Gras fiel. Nach dem Aufschrei des Rotbarts folgte sekundenlang Stille. Nur das Gluckern des Weins war zu hören, der aus der Flasche lief. Brunos Bart wies jetzt noch dunklere rote Flecke auf. Der Räuber wischte sich über Augen und Wange und starrte auf die Frau hinab. Furchtlos und stolz erhobenen Hauptes sah Isabella ihn an, und ihre Miene zeigte unverhüllte Verachtung. Jäh verzerrte sich sein Gesicht, und er holte mit der Hand zum Schlag aus. »Halt ein!« rief Uli. Bruno verharrte mit erhobener Hand. »Das hat das Luder nicht umsonst getan!« keuchte er. Uli war zwar auch ein übler Bursche, doch er mochte nicht, daß Frauen geschlagen wurden. Vielleicht lag das daran, daß sein Stiefvater immer die Mutter vertrimmt hatte, bevor er - Uli - von zu Hause ausgerissen war und sich entschlossen hatte, ein großer starker
Kämpfer zu werden, damit er eines Tages seinen Vater vertrimmen konnte. Nun, ein starker Kämpfer war er nie geworden, und das war auch nicht mehr nötig gewesen, denn bald darauf hatte sich sein Vater zu Tode gesoffen. »Gregor wird sauer sein, wenn du sie beschädigst«, mahnte Uli. »Der wird schon toben, wenn er erfährt, daß wir der Rest der Bande sind. Da kann es nicht schaden, wenn wir ihn mit einem reizvollen Geschenk besänftigen.« Bruno ließ die Hand sinken. Uli war so etwas wie dritter Unterführer, und nach dem Tod der beiden anderen konnte es gut möglich sein, daß er aufrückte. Es war besser, man hörte auf ihn. Doch sein Zorn war noch zu groß. Seine prankenartige Hand schoß auf Isabella zu, doch er schlug sie nicht, sondern riß ihr das Oberteil des Kleides vorn Leib. Er erhaschte einen Blick auf ihren Busen, bevor sie ihn mit ihren gefesselten Händen bedeckte. »Schöne Zitzen«, sagte er grinsend. »Gregor wird nichts dagegen haben, wenn wir ihm das Geschenk ohne Verpackung überreichen.« Isabella hatte sich schon eine Närrin gescholten, weil sie dem Kerl die Feldflasche ins Gesicht geworfen hatte. Es war klüger, nichts zu tun, was diese Schurken reizen konnte. Sie war schon froh, daß die Kerle nicht über sie hergefallen waren, sondern sie zu ihrem Räuberhauptmann bringen wollten, wie sie ihrer Unterhaltung entnommen hatte. Ihr war klar, daß es nur ein Aufschub war, doch solange sie noch nicht im Lager der Räuber war, gab es noch Hoffnung. Jetzt ging wiederum das Temperament mit ihr durch, und erst im Nachhinein stellte sich heraus, daß es eine Fügung des Schicksals gewesen war. Sie spuckte dem Halunken ins Gesicht. »Eh«, sagte Bruno. Er wich etwas zurück und fügte ein weiteres »eh« hinzu. Dann wischte er sich zum zweiten Mal an diesem Abend über die Augen. So sah er nicht den Schatten, der sich gerade hinter einem Busch am Rande der Mulde aufgerichtet hatte, in der sie ein paar Stunden
rasten wollten, weil die Pferde nach dem langen Ritt erschöpft waren. Der Schatten war Ritter Roland. Die Räuber glaubten, ihn nahe bei der Schlucht abgeschüttelt zu haben. Sie waren durch Wälder geritten, hatten mehrmals die Richtung geändert und alles getan, um ihre Spuren zu verwischen. Verbissen hatte Roland weitergesucht. Immer wieder hatte er die Fährte gefunden, doch in der Dunkelheit hatte er verzweifelt aufgeben müssen. Dann war ihm der Zufall zu Hilfe gekommen. Ein Landmann, der mit seinem Fuhrwerk auf dem Weg zum nahen Dorf war, um einen Schoppen Wein zu trinken, hatte vier Reiter und eine Frau gesehen. Einer der Reiter hatte die Frau vor sich im Sattel umarmt gehalten. Der Landmann hatte den kleinen Trupp nur von weitem gesehen und sich nicht allzuviel dabei gedacht. Immer wieder nahm mal ein Bursche bei einem Ausritt seinen Schatz oder die Magd mit aufs Pferd. »Die Sitten sind halt verlottert«, hatte er sich beklagt und Roland gezeigt, an welcher Stelle die Reiter mit der Frau im Wald verschwunden waren. Roland hatte sein Pferd am Waldrand zurückgelassen und sich zu Fuß durch den dunklen Wald gepirscht. Er hatte damit gerechnet, daß die Räuber eine Rast einlegten. Nach einer Viertelstunde hatte ihm dann Feuerschein den Weg zum Lager der Kerle gezeigt, das sie in einer Mulde zwischen zwei Waldstücken aufgeschlagen hatten. Er hatte sich angeschlichen und beobachtet und gelauscht. Er war erleichtert gewesen, daß sie Isabella nichts angetan hatten, und aus ihren Worten war hervorgegangen, daß sie sie unangetastet zu ihrem Versteck bringen wollten. So hatte er noch nichts unternommen und auf den günstigsten Zeitpunkt gelauert. Drei Kerle waren ganz nahe bei Isabella, und alle konnte er nicht gleichzeitig ausschalten. Einer brauchte nur die Spanierin als Schutzschild an sich zu reißen, ihr sein Messer an die Kehle zu setzen - und alles war aus. Dann hatten sie ihn als zusätzlichen Gefangenen. Er hatte abwarten wollen, bis die
Schurken schliefen oder zumindest einer zu den Pferden ging oder sich vom Lager entfernte, um Wasser zu lassen - irgendeine solche Gelegenheit. Sorge machte ihm auch, daß nur drei Räuber bei Isabella waren. Nach der Fährte zu schließen, mußten vier Reiter mit ihr unterwegs sein, und auch der Landmann hatte von vieren gesprochen. Doch Roland konnte nur drei Pferde und drei Männer sehen; er konnte ja nicht ahnen, daß Uli einen Mann zu Gregor vorausgeschickt hatte. So rechnete Roland damit, daß der vierte Kerl vielleicht als Wache durch den Wald streifte und war entsprechend vorsichtig. Als es zu dem Zwischenfall mit der Feldflasche gekommen war und der Rotbart zum Schlag ausgeholt hatte, wäre Roland fast schon aufgesprungen, um einzugreifen. Doch dann war ihm einer der Räuber zuvorgekommen und hatte Einhalt geboten. Jetzt aber hatte sich die Situation zugespitzt. Isabella, deren Tapferkeit er ebenso bewundert hatte wie ihre Schönheit, hatte den Rotbart bis zur Weißglut getrieben - und nicht nur mit ihren körperlichen Reizen. Roland erkannte, daß auch Uli seinen Kumpan diesmal nicht zurückhalten konnte, und so handelte er. Wie der Teufel sprang er zwischen die überraschten Räuber, und seine Schwertklinge funkelte rötlich im Schein des Feuers. »Keine Bewegung - ihr seid umzingelt!« schrie Roland. Mit zwei langen Sätzen war er bei dem Rotbart, der die Hände von den Augen riß und die Gestalt, die auf ihn zustürmte, offenen Mundes anstarrte. Roland hieb mit der stumpfen Seite der Klinge gegen die Beine des Räubers. Schreiend fiel der Kerl in den Sand. Roland wirbelte bereits zu den beiden anderen herum. Uli hatte sich als erster von dem Schock erholt. Er griff zum Schwert, das er neben sich auf einem Streifen Gras abgelegt hatte. Roland schlug ihm auf die Finger, und brüllend ließ Uli das Schwert fallen. Der dritte Halunke hatte inzwischen sein Schwert ebenfalls hochgerissen. Er sprang auf und holte zum Schlag aus. Doch Ritter Roland war schneller. Er parierte die Attacke, fintierte
und sprang vor, um dem Räuber die Klinge in die Brust zu stoßen. Röchelnd sank der Schurke zurück. Uli sah, daß sein Kumpan starb und geriet in Panik. Er warf sich herum und hetzte davon. »Halt!« schrie Roland. »Du kommst ohnehin nicht weit. Ihr seid umstellt!« Er hoffte, daß sein Bluff wirkte, doch Uli hörte nicht auf ihn. Er rannte davon und war flink wie ein Wiesel auf dem Weg zu seiner Wieselin, die ihm eine heiße Liebesnacht versprochen hat. Roland überlegte, ob er ihm nachsetzen sollte. Da hörte er Isabella aufschreien und fuhr alarmiert herum. Er erinnerte sich daran, daß er vor ein paar Wochen in einer ähnlichen Lage gewesen war. Damals hatte er Prinzessin Charlotte gesucht und sie endlich aus den Fängen der Räuber hatte befreien können. Der Rotbart! Den Kerl hatte er im Eifer des Gefechtes ganz vergessen. Er hatte ihn nur niedergeschlagen, weil er am nächsten bei Isabella gestanden hatte und eine Gefahr für sie gewesen war. Er hätte ihn töten können, doch der Räuber hatte keine Waffe in der Hand gehabt. Jetzt hatte sich der Kerl aufgerappelt und sein Messer aus der Scheide am Gürtel gerissen. Und er wollte genau das tun, was Roland befürchtet hatte. Er wollte sich die Gefangene schnappen. »Halt, oder es ist dein Tod!« warnte Roland und holte mit dem Schwert zum Wurf aus. Der Räuber wollte nicht hören. Zwei Schritte trennten ihn noch von der gefesselten Spanierin, die ihn voller Todesangst anstarrte und dann schützend die Hände vors Gesicht riß, weil sie wohl befürchtete, der Kerl wolle sie erstechen. Es war gut, daß sie die Hände hochriß. So blieb ihr der schreckliche Anblick erspart, als Bruno, von Rolands Schwert getroffen, stürzte und neben sie fiel. Sie nahm den Aufprall wahr, zog die Hände herunter und wälzte sich zitternd von der Gestalt fort. Roland hörte Hufschlag und fluchte. Der flüchtende Räuber nahm alle drei Pferde mit. Mit einer fahrigen Bewegung wischte sich Roland über die Stirn. Sein Atem ging heftig nach durchstandener
Anstrengung. Er atmete tief ein und aus. Sein Blick glitt zu den beiden reglosen Gestalten. Er hätte sie lieber lebend gehabt, um von ihnen zu erfahren, wer ihr Auftraggeber war. Doch sie hatten ihm keine Wahl gelassen. Dennoch verspürte Ritter Roland einen bitteren Geschmack, weil er zum Töten gezwungen worden war. Er hätte sie verschont, wenn sie sich ergeben hätten, so verrucht sie auch gewesen sein mochten. Er schritt zu Isabella. Stumm schaute sie ihm in die Augen, von unsäglicher Dankbarkeit erfüllt. Er nahm das Messer, das der tote Räuber noch umklammert hielt, und schnitt ihre Fesseln durch. Der Schein des Feuers zuckte über ihre samtene Haut, als sie ihm die an den Handgelenken locker gebundenen Hände entgegenstreckte, damit er die Stricke durchschneiden konnte. Als die Fesseln fielen, rieb sie sich die Handgelenke und atmete tief ein und aus. Ihre Blicke tauchten ineinander, und was Roland in ihren Augen las, ließ sein Herz schneller schlagen. Sie zog ihr eingerissenes Kleid hoch, und dabei blickte sie ihm immer noch tief in die Augen. »Danke«, sagte sie leise. »Wenn Ihr nicht gekommen wärt...« Sie ließ den Rest unausgesprochen, doch Roland wußte, daß sie daran dachte, was sie im Versteck der Räuber erwartet hätte. Er half ihr galant auf. Sie sank gegen ihn, und er hielt sie fest. Sie war nur ein wenig kleiner als er, und als sie ihren Kopf an ihn schmiegte, kitzelte ihn ihr seidiges Haar an der Wange. Sie zitterte, und er glaubte das Pochen ihres Herzens an seiner Brust zu spüren. Dann bog sie den Kopf zurück. Ihr Mund war dicht vor seinem, und der Blick der großen, schwarzen Augen und der Duft von Seife oder Parfüm betörten seine Sinne. Er wußte später nicht mehr zu sagen, wie es gekommen war. Ihre Lippen fanden sich ganz von selbst, und nach einer süßen Ewigkeit war es ihm, als erwache er aus einem wunderschönen Traum. »Te quiero, te quiero«, glaubte er noch eine Elfe flüstern zu hören. Und dann erkannte er, daß es keine Elfe war, die er in den Armen
hielt, sondern Isabella, und die Wirklichkeit hatte ihn wieder. Sie war einem anderen versprochen! Niemals konnte sie diese spanischen Liebesworte gesagt haben! Verwirrt löste er sich von ihr. »Verzeiht...« begann er verlegen und suchte nach den richtigen Worten. Dann sah er ihr glückliches Lächeln, das Strahlen ihrer Augen, das tief aus ihrem Herzen zu kommen schien, und im nächsten Augenblick spürte er von neuem ihre Lippen auf seinem Mund, und er glaubte, sein Herz würde vor Glück zerspringen. Denn diesmal war er völlig sicher, daß er es nicht träumte. Diesmal währte der Kuß nur kurz, viel zu kurz. Es war mehr ein flüchtiger, süßer Hauch, als liebkoste ein Schmetterling seine Lippen, und dann hörte er Isabella zärtlich wispern: »Nicht hier, Roland, laß uns von hier fortgehen.« Schlagartig fiel ihm ein, daß einer der Räuber entkommen war. Und dann war da noch der vierte Mann. Er fragte Isabella danach, und sie erklärte ihm, daß der Anführer des Quartetts ihn vorausgeschickt hatte. Dennoch mußten sie verschwinden. Das Versteck der Bande konnte in der Nähe sein, und möglicherweise kehrte der Räuber mit Verstärkung zurück. Roland löste sich von Isabella. Er trat das Feuer aus und warf einen Blick zu den Toten. Es blieb keine Zeit, sie zu begraben, wie es Christenpflicht war. Er mußte zuerst Isabella in Sicherheit bringen. Das nächste Dorf war nicht weit, und er würde von dort jemand in den Wald schicken, der die Toten unter die Erde brachte. Er führte Isabella zu seinem Pferd. Sie ritt dann im Damensitz vor ihm auf dem Hengst und schmiegte sich an ihn. Lange Zeit ritten sie schweigend unter dem silbernen Licht der Sterne und des Mondes, der wohlgefällig auf sie hinunterlugte. Es bedurfte keiner Worte zwischen ihnen. Erst als sie die Lichter des kleinen Dorfes sahen, brach Isabella das Schweigen. »Ob es dort eine Herberge gibt - mit einem richtig weichen Bett?« »Ich hoffe es«, sagte Roland, und von neuem wallte es heiß in ihm auf.
»Ich bin nämlich müde«, sagte Isabella lächelnd und schmiegte den Kopf an seine Brust. Roland versuchte seine Enttäuschung zu verbergen. »Ich auch«, log er mit belegter Stimme und schickte ein gekünsteltes Gähnen hinterher. Sofort hob sie den Kopf und sah ihn irgendwie forschend an, und er glaubte, es in ihren Augen aufblitzen zu sehen. »Ein wenig«, schwächte er ab. Vielleicht kränkte es ihren Stolz, wenn man eine so schöne Spanierin in den Armen hielt und gähnte. Es gab eine Herberge in dem Ort. Ein Gasthof mit sechs Gästezimmern. Der Wirt, ein kleiner, pausbäckiger Dicker, der ständig zu Isabellas eingerissenem Kleidausschnitt hinauf schielte, gab ihnen Zimmer Nummer sechs. Es war das einzige freie Zimmer, denn es traf sich, daß an diesem Abend eine kleine Reisegesellschaft eingekehrt war und dem Wirt das beste Geschäft seit drei Monaten beschert hatte. »Es ist das beste Zimmer - für Hochzeitsreisende«, flüsterte der Dicke Roland zu und hielt die Hand auf, wohl in Erwartung eines Trinkgeldes. »Nun denn«, sagte Roland und drückte lächelnd die Hand des Mannes, der überrascht blinzelte. Isabellas Wangen waren leicht gerötet, und damit sie sich nicht genierte, sagte Roland zu dem Wirt: »Du brauchst nicht so zu grinsen, mein Freund, diese Dame ist meine Schwester.« »Natürlich, natürlich, nie hätte ich etwas anderes gedacht«, beteuerte Pausbäckchen und dachte bei sich: Das sagen alle. Ich will verdammt sein, wenn das kein frisch verliebtes Paar ist. Er dienerte und wollte das Gepäck holen. Roland und Isabella hatten keins. Roland gab ihm nun doch ein Trinkgeld und bat ihn, dafür Sorge zu tragen, daß sein Roß versorgt werde. Als er mit Isabella allein war, sahen sie sich in die Augen. »Du siehst wirklich müde aus - Bruder«, sagte Isabella mit der Andeutung eines Lächelns, und Roland glaubte eine Spur von Bedauern in ihrer Stimme zu hören.
»Nein, nein«, sagte er. »Das ist nur vom Hunger und Durst. Wenn wir in der Schenke gespeist haben, werde ich wieder putzmunter sein.« Er bot ihr seinen Arm, um sie zur Schenke zu gleiten, aus der lautes Stimmengewirr erscholl. Isabella sah an ihrem eingerissenen, schmutzigen Kleid hinab. »Ich - bin nicht hungrig«, sagte sie. »Geh nur essen. Ich werde mich gleich schlafen legen.« Roland spürte, daß sich Isabella genierte und sich nicht dem Gaffen der Dörfler ausgesetzt sehen wollte. Er nahm sich vor, ihr Speis und Trank aufs Zimmer bringen zu lassen. Der Wirt hatte indessen seinen ebenfalls pausbäckigen Sohn angewiesen, sich um die Rösser der Gäste zu kümmern. Der Junge kehrte zurück und meldete aufgeregt, daß ein Roß verschwunden sei. Roland erklärte, daß sie nur auf einem Pferd gekommen seien, und Wirt und Sohn blickten neugierig. Der Wirt führte Roland und Isabella dann zum Zimmer. Er schloß auf und zündete die Lampe an. Es war ein einfaches, aber sauberes Zimmer zum Hof hinaus. Würzige Landluft und ein Schwarm von Fliegen drangen durch das halb geöffnete Fenster herein. Irgendwo krähte ein Hahn, der sich wohl in der Stunde geirrt hatte, denn die Glocke der kleinen Kapelle bimmelte zehnmal. Roland warf einen schnellen Blick zu dem Bett. Es hatte einen Baldachin aus rotem Tuch und wirkte äußerst einladend. Roland beeilte sich dann mit dem Essen. Er freute sich auf das Bett. Er aß das Tagesessen des Gasthofes, eine wohlschmeckende, kräftig gewürzte Kohlroulade, und trank dazu Bier, das ihm der Wirt als frisch gebraut angepriesen hatte. Das Bier mundete Roland, und er bestellte noch einen Krug. Als er dermaßen seinen Durst gelöscht und seinen Hunger gestillt hatte, fühlte er sich so schläfrig, daß ihm fast die Lider zufielen. Ein Serviermädchen räumte das Geschirr ab und fragte, ob er noch Wünsche habe. Es war unverkennbar die Tochter des Wirtes, denn sie ähnelte ihm sehr und war ebenso pausbäckig - und noch ein
bißchen mehr, wie Roland am straffgespannten Mieder und dem ebenso straff gespannten Kleide tief an ihrem Rücken sah. Er bestellte noch ein Bier, denn die Pausbäckige hatte ihm gesagt, daß sie das Essen der Frau Gemahlin aufs Zimmer gebracht habe. Nun, Roland wollte Isabella nicht beim Essen stören. Als er den dritten Krug ausgetrunken hatte, fühlte er sich noch müder. Das war ja ein rechter Schlummertrunk, den ihm die Pausbäckige kredenzt hatte. Fast wäre Roland nach all den Aufregungen der letzten Nacht und dieses langen Tages in der Schenke eingenickt. Doch der Gedanke an Isabella trieb ihn wieder hoch. Er bezahlte, gab der Maid ein großzügiges Trinkgeld und ging zum Zimmer. Sein Herz pochte schneller, als er die knarrende Treppe hinaufstieg. Vor der Tür verharrte er dann. Plötzlich kamen ihm Zweifel. Wenn er sich alles nur eingebildet hatte? Wenn Isabella ihn nur nach durchstandener Todesfurcht als Retter geküßt hatte? Ein einmaliger Dank im Überschwang, ohne einen Gedanken an mehr? Sie war auf dem Weg zu einem anderen, um ihn zu ehelichen. Und wenn der Zufall es auch gefügt hatte, daß sie ein gemeinsames Zimmer nehmen mußten, so konnte es gut sein, daß sie gedachte, das Bett wie Bruder und Schwester mit ihm zu teilen. Das ging ihm durch den Sinn, als er die Tür öffnete, und er fühlte sich plötzlich noch müder und ein wenig verzagt. Es war dunkel im dem Zimmer bis auf einen schwachen Streifen Mondlicht, der durchs Fenster hereinfiel. Sicherlich schlief Isabella bereits. Kein Wunder nach all den Strapazen und Aufregungen. Er unterdrückte ein Seufzen, als er sich entkleidete. Wie hatte er auch so kühn sein können, anzunehmen, Isabella empfinde mehr als Dankbarkeit für ihn? Zwei Gerüche nahm er in dem dunklen Zimmer wahr, und zwei Seelen rangen in seiner Brust. Die Gerüche stammten vom Hinterhof - ein würziger Landduft - und von Isabellas Seife oder Parfüm. Und die Seelen, die sich in seiner Brust stritten, waren gleichfalls stark. Die eine sagte gähnend: »Du bist müde und sehnst dich nur nach
Ruhe.« Die andere sagte: »Papperlapapp! Bist du ein Mummelgreis, der in der Nähe einer schönen, feurigen Spanierin einschläft?« Die erste Seele winkte müde ab: »Sie schläft ohnehin. Außerdem bilde dir nichts ein. Sie liebt einen anderen. Mach die Augen zu und suche Vergessen in Morpheus' Armen.« Die andere Seele kicherte. »Selbst wenn sie schliefe - so wecke sie! Sei kein Hasenfuß! Gib deinem Herzen einen Stoß, auf daß es feurig werde und sie schnell in deinen Armen den anderen vergißt...« Verwirrt legte sich Ritter Roland in das Bett und zog das Laken über sich. Er spürte Isabella neben sich, ihre Wärme, und ihr Duft stieg ihm in die Nase. Er nahm sich vor, sie am nächsten Morgen zu fragen, welch Parfüm oder welch edle Seife sie benutzte. Er schloß die Augen. Eine Fliege summte um den Baldachin. Er lauschte und glaubte Isabellas tiefe, gleichmäßige Atemzüge zu hören. Ja, es schlief, das Schwesterchen, und auch er... Da spürte er eine Berührung. Das zarte Tasten einer weichen Hand. Die Hand schwebte leicht über seinen Körper, verweilte kurz und tastete weiter - wie ein Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert. Sie tastete über seine Hüfte hinauf, über seine Brust, den Hals, die Wange und die Lippen. Dort blieb die Hand liegen, und es war Roland, als küßte ihn diese zärtliche Hand. »Bist du sehr müde?« Isabellas Stimme. Leise wie ein Hauch. »Nein, nein, ich ...»Da spürte er ihren Körper. Sie war nackt. Die müde Seele zog sich verstimmt zurück, und die andere frohlockte und peitschte sein Blut durch die Adern. Er drehte sich Isabella zu, und wie von selbst fanden sich ihre Lippen, und ihre Körper verschmolzen in einem glühenden Kuß. Eines war ihm sofort klar Isabella hatte gelogen, als sie auf dem Ritt von ihrer Müdigkeit gesprochen hatte. Sie war hellwach und voller Feuer. Sie bereitete ihm gar köstliche Wonnen, und er war kein bißchen müde mehr. Sein Herz schien im Rhythmus ihres Liebesspiels zu trommeln, und Ritter Roland hatte das Gefühl, als schwebten sie gemeinsam hoch hinauf
auf den Gipfel des Glücks. Etwas piekte ihn in den Rücken, und er glaubte schon, es seien Isabellas Fingernägel, denn die Spanierin war voller Leidenschaft. Dann verstärkte sich das Pieken, und Roland erkannte, daß es keine Fingernägel waren. Die Berührung konnte auch nicht von Isabella stammen, denn es war etwas Kaltes zwischen seinen Schulterblättern - und nichts, aber auch gar nichts an Isabella war kalt. Sie umklammerte ihn noch fester mit den Armen und Schenkeln, wollte weiter hinauf auf den Gipfel und verstand sein Zaudern .nicht. Jäh erstarrte er. Denn er wußte plötzlich, was da zwischen seine Schulterblätter stach. Eine Schwertspitze. Und es war ihm, als fiele er vom Gipfel des Glücks hinab in den tiefen Schlund der Hölle. Denn eine rauhe Stimme zischte ihm in den Nacken: »Runter von der Frau. Ich möchte sie nicht mit aufspießen, wenn ich dir mein Schwert ins Herz stoße!« * Ein Zündholz flammte auf. Der Schatten eines Mannes geisterte über die Wand. Dann erhellte der Schein der Lampe das Zimmer. Es waren zwei Männer, und sie waren nicht gekommen, um ihm und Isabella eine gute Nacht zu wünschen. Sie waren gekommen, um zu töten. Die beiden Männer waren die Räuber Uli und Hanspeter, jener Kerl, den Uli zu Gregor vorausgeschickt hatte. Obwohl Uli ihn zur Eile gedrängt hatte, war Hanspeter in das Dorf geritten. Das war ein Umweg gewesen, doch Hanspeter war von argem Durst geplagt worden, und er hatte sich gedacht, niemand würde je etwas von seinem Abstecher und der damit verbundenen Verzögerung erfahren. Doch Uli, der gerade noch einmal davongekommen war, hatte ebenfalls Durst gehabt. In der Schenke waren sich die beiden begegnet. Sie hatten kräftig gezecht und waren sich einig gewesen, daß sie sich bei Gregor nicht mehr blicken lassen konnten. Gregor hätte sie ob ihres Versagens auf der Stelle umgebracht. Hanspeter hatte vorgeschlagen, in den Schwarzwald
auszuwandern und dort eine eigene Bande zu gründen. Uli war mehr für den Odenwald gewesen, wo er einige Zeit gelebt hatte, bevor er sich Gregors Bande angeschlossen hatte. Sie hatten hin und her überlegt, und dann war Ritter Roland in die Schenke gekommen. Fast hätten sie sich an ihrem Bier verschluckt. Er hatte sie bei all den Gästen nicht bemerkt, denn bei all den Gästen nicht bemerkt, denn sie hatten ganz hinten in einer Ecke gesessen. Roland hatte dann die Schenke verlassen. Von der pausbäckigen Maid hatten die Räuber die Informationen erhalten, die sie brauchten. Der Rest war einfach gewesen. Sie hatten noch eine Weile gewartet, damit sie Roland in tiefem Schlaf überraschen konnten. Uli hatte sich Gregors Befehlston angewöhnt: »Den Kerl umbringen - das Weib krallen und über den Hinterhof weg mit ihr - zackzack«, hatte er grinsend zu Hanspeter gesagt. Jetzt drückte Uli Roland die Schwertspitze gegen den Rücken und schaute triumphierend zu seinem Kumpan, der schon das Fenster weit öffnete und in den dunklen Hof hinausspähte. Roland lief ein eisiger Schauer über die Wirbelsäule, und Isabella, die jäh erstarrt war, begann zu zittern. »Los, los!« zischte Uli, und die Schwertspitze ritzte Rolands Haut. Verzweiflung stieg in Roland auf. Er war wie in Trance. Zu groß war der Schock. Er war so glücklich gewesen, daß er außer Isabella und dem Trommeln seines Herzens nichts um sich herum wahrgenommen hatte. »Oder soll ich euch beide töten?« fragte Uli drohend. Roland wußte, daß das ein Bluff war. Er hatte die Stimme des Mannes inzwischen wiedererkannt. Es war einer der Räuber, die er im Wald belauscht hatte. Sie wollten ihn töten und Isabella nach wie vor entführen. Sein Schwert lag bei der Kleidung auf dem Stuhl neben dem Bett. Ganz nahe, doch zugleich so unerreichbar fern. Der Räuber brauchte nur zuzustoßen. Was tun? Verzweifelt suchte er nach einer Chance, wie er den Kerl überrumpeln konnte. Er fand keine. Und der zweite Räuber wandte
sich gerade grinsend am Fenster um und setzte sich zum Bett hin in Bewegung. Roland wußte, daß er den Mann mit dem Schwert nicht mehr länger hinhalten konnte. Er erhob sich langsam, und der Druck der Schwertspitze ließ nach. Er stand auf, und es prickelte zwischen seinen Schulterblättern. Wenn der Räuber jetzt zustieß ... Nackt und hilflos stand Roland vor seiner Klinge. Der Schweiß auf seinem Körper glänzte im Schein der Lampe. Langsam drehte sich Roland um. Er wollte nicht hinterrücks erstochen werden. Er wollte dem Mörder in die Augen sehen. Als er den Kopf wandte, streifte sein Blick Isabella. Auch auf ihrer Haut schimmerte der Tau der Leidenschaft. Nackt und schön lag sie dort auf dem zerwühlten Laken, und ihr langes Haar umgab ihr Antlitz wie ein Fächer aus schwarzer Seide. Nie hatte er einen schöneren Anblick gesehen, und die Angst in ihren Augen schnitt ihm ins Herz. Dann hatte er sich Uli ganz zugewandt. Der Räuber starrte auf die Frau, und die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Auch Hanspeter war wie gebannt. Isabella tat nichts, um ihre Blößen zu bedecken. In diesem Augenblick hatte sie nur einen Gedanken: Roland. »Los, Uli, bring es hinter dich, damit wir mit ihr verschwinden können«, drängte Hanspeter. Isabella sprang auf und war mit zwei Sätzen bei Roland, um sich an ihn zu klammern. »Dann will ich mit ihm sterben!« rief sie. »Quatsch, du bist viel zu ...« begann Uli, der ebenso wie sein Kumpan fasziniert jede Bewegung der schönen Frau beobachtet hatte. Weiter kam er nicht. Denn Ritter Roland nutzte den Augenblick der Ablenkung. Trotz des Schwertes vor seiner Brust handelte er. Zu schnell und überraschend für die Räuber. Mit einem Sprung war Roland an Ulis Seite und riß dabei Isabella mit sich herum, die sich an ihn schmiegte. Uli stieß noch mit dem
Schwert zu, doch er traf nur Luft. Dann prellte ihm Roland das Schwert aus der Hand. Bevor Uli wußte, wie ihm geschah, packte Roland ihn am Kragen, holte aus und schleuderte Uli gegen seinen Kumpan, der gerade zum Messer greifen wollte. Nun, Hanspeter war ein geistesgegenwärtiger Mann. Er sah Uli auf sich zufliegen, vergaß sofort sein Messer und duckte sich. So kam es, daß Uli gegen die Wand unter dem Fenster krachte. Die Wand erbebte, und Uli sank daran herab und blieb mit glasigen Augen auf dem Hosenboden sitzen. Er hatte sich gerade einigermaßen erholt und Kräfte gesammelt, um aufzuspringen, doch da mußte er erkennen, daß inzwischen die Zeit nicht stillgestanden hatte. Hanspeter hatte zum Messer gegriffen, doch da war Roland schon heran. Er schmetterte den Kerl mit einem Fausthieb zu Boden, umklammerte das Handgelenk und drehte es, bis der Räuber schreiend das Messer losließ. Roland trat es mit dem nackten Fuß aus der Reichweite. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie der andere Kerl am Fenster aufsprang, und er wiederholte die Prozedur von vorhin. Er packte den benommenen Hanspeter am Wams, riß ihn hoch über seinen Kopf und warf ihn gegen seinen Kumpan. Uli zog den Kopf ein, und Hanspeter wäre durch das Fenster geflogen, doch quer paßte er nicht hindurch. So knallte er gegen den Fensterrahmen, und die Scheiben der beiden Fensterflügel zerklirrten. Dann fiel Hanspeter wie ein Stein auf Uli hinab und begrub ihn unter sich. Uli fluchte, doch das half ihm nichts. Denn Roland war jetzt richtig in Fahrt, und es wurde schlimm für die beiden Räuber. Uli war froh, als ihn eine gnädige Ohnmacht umfing. Hanspeter erdreistete sich tatsächlich, noch einmal anzugreifen, weil er Roland noch mit Uli beschäftigt glaubte. Doch sein Angriff war mehr aus Verzweiflung geboren und blindlings im Zorn vorgetragen, und so lief Hanspeter praktisch in Rolands Fäuste hinein. Zwei Treffer und dann ein Volltreffer, und Hanspeter flog rücklings aus dem Fenster. Diesmal paßte er hindurch, und er verschwand mit einem klatschenden Geräusch unten im dunklen Hinterhof, woraufhin der Hahn
protestierend krähte, weil er sich beim Schlaf mit seiner Lieblingshenne gestört fühlte. Roland atmete heftig und sah zu Isabella. Sie war derweil nicht untätig geblieben. Sie hatte das Bettlaken an sich gerissen und schlang es um ihren Körper. Und das war gut so. Denn der Radau, die Schreie, das Poltern, Klirren und Krachen waren natürlich gehört worden, und der pausbäckige Wirt eilte mit seiner ganzen pausbäckigen Familie im Gefolge herbei. »Könnt ihr nicht ruhiger miteinander schlafen, ihr ...« begann er mit zornrotem Gesicht und schwang eine Keule. Dann sah er den lädierten Uli, den nackten großen Ritter und den kleineren Ritter und dazu eine Gestalt, die nur aus einem weißen Laken zu bestehen schien. Nun, er war sehr abergläubisch, und in seiner Aufregung hielt er die Gestalt in dem Laken für ein Gespenst. Der Gute hätte nicht einfach die Tür aufreißen, sondern anklopfen sollen, dann wäre ihm dieser Schreck erspart geblieben. Er ließ den Knüppel fallen, warf sich herum und wollte schreiend davonrennen, doch seine pausbäckige Familie blockierte ihm den Weg. Seine Frau und die Tochter hatten keinen Blick für das »Gespenst«. Auch nicht für Uli und das Chaos, das nach dem Kampf im Zimmer herrschte. Sie starrten offenen Mundes auf den großen Ritter und den etwas kleineren. Dann besann sich die Wirtin auf ihre tugendhafte Erziehung. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und fiel schnell in Ohnmacht, weil sich das so geziemte. Ihr Mann fing sie auf, gab ihr einen Klaps auf die Pausbacken, und flugs erwachte sie wieder. Hildegard, die Maid dagegen, war noch jung und mit noch unruhigerem Blute, und sie vergaß ganz beim Anblick der Ritter, ohnmächtig zu werden. Sie starrte nur gebannt, wobei ihr zweites Paar Pausbacken heftig im Mieder wogte. Dann wandte ihnen der Ritter die Kehrseite zu, und sie verstanden die dezente Aufforderung und zogen sich zurück. Hildegard versuchte noch einen Blick zu erhaschen, doch ihre Mutter zerrte sie schimpfend weg und schloß die Tür. Roland tauschte einen Blick mit Isabella. Beide lachten.
Sie kleideten sich geschwind an. Dann fesselte Roland den bewußtlosen Uli mit der Gardinenschnur und kletterte aus dem Fenster in den Hof hinab, um den zweiten Haderlumpen aufzusammeln. Der Kerl war unglücklich gefallen. Mitten in einen Misthaufen. Roland hielt sich die Nase zu, als er ihn aufklaubte. Er hatte ihn eigentlich mit aufs Zimmer nehmen wollen, um sich mit ihm und dem anderen zu unterhalten, wenn sie erwachten, doch den Gestank wollte er Isabella und sich dann doch nicht zumuten. So schleppte er den Burschen in den Stall und verschnürte ihn mit einem dicken Strick, den er in der Sattelkammer fand. Er betrat das Gasthaus durch die Hintertür, ging die Treppe hinauf und drängte sich an den gaffenden Gästen und den Wirtsleuten vorbei. Sie machten ihm schnell Platz, denn sein Parfüm gefiel ihnen nicht. Nur der Wirt stellte sich ihm mannhaft in den Weg. »Ich verlange eine Erklärung«, sagte er zaghaft und schnüffelte. »Und wir wollen den Schaden ersetzt haben«, keifte sein Weib. »Beides werdet Ihr bekommen«, sagte Roland. »Aber nicht jetzt, sondern morgen früh. Gute Nacht.« Damit schob er den Wirt zur Seite, ging ins Zimmer und schloß die Tür von innen ab. Flüchtig dachte er daran, daß er das vergessen hatte, bevor er sich ins Bett gelegt hatte, doch er verzieh sich selbst das folgenschwere Versäumnis. Die Kerle hätten genauso gut durchs Fenster einsteigen können. Weder er noch Isabella hätten das in ihrem Glückstaumel bemerkt. Isabella schnüffelte ebenso wie die Leute auf dem Flur, doch bei ihr sah es süßer aus. »Der zweite lag in einem Misthaufen«, erklärte Roland und blickte zu Uli, der noch nichts roch. Isabella zog ein kleines Flakon aus ihrer Kleidtasche. Sie tupfte etwas daraus auf ihre Hand und wischte Roland zärtlich damit über die Wange und unter die Nase. Der starke Duft überdeckte den Gestank. »Ein wunderbares Parfüm«, sagte Roland. »Ich dachte schon, es wäre eine vortreffliche Seife, nach der du duftest.«
»Beides habe ich davon«, sagte Isabella. »Es ist Maja, und es freut mich, daß es dir gefällt.« Sie warf einen Blick zu Uli. »Dieser Kerl ist einer der Räuber, die uns überfielen und mich entführten. Auch der andere war dabei.« Roland nickte. »Den einen habe ich wiedererkannt.« »Kannst du ihn nicht wegschaffen? Es stört mich, von seiner Anwesenheit zu wissen, wenn wir den Schlaf fortsetzen.« »Es wird uns nicht stören. Aber erst einmal wird mir der Vogel zwitschern, was ich wissen will.« Und so war es dann auch. Uli zwitscherte, als er erwachte. Er war nun mal nicht der Tapferste, und er hatte Angst, Roland könnte ihm das Leben nehmen, obwohl der Ritter ganz freundlich zu ihm sprach. Er flehte um Gnade, und zwischendurch stammelte er alles, was Roland wissen wollte. Roland brachte ihn dann in den Stall zu seinem Kumpan. Er informierte den Wirt, und der war für drei Dukaten bereit, die Räuber gefangenzuhalten und seinen Sohn nach Schloß Camelot mit einer Botschaft von Ritter Roland zu schicken. Und er versprach, sogleich den Totengräber in den Wald zu schicken, um die beiden Toten abholen zu lassen. Es war nach Mitternacht, als Roland dann wieder zu Isabella ins Bett stieg. Und diesmal störte sie nichts, und sie schliefen dann erschöpft und glücklich ein, als der Hahn mit seinem Krähen bereits die Hennen weckte, auf daß sie sich sputeten, ihr Frühstücksei zu legen. * »Trinkt einen Schluck«, sagte Gregor gönnerhaft zu Wenzel, der ihm die frohe Kunde gebracht hatte, daß sein Herr ein Drittel mehr bezahlen wolle. Wenzel nickte erfreut und nahm den Krug, den ihm der hünenhafte Räuberhauptmann reichte. Er setzte ihn an, trank einen herzhaften Schluck und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Er wollte das Teufelszeug ausspucken, doch er hatte durstig geschluckt, und es
lief bereits die Kehle hinab. So hustete und würgte er, und sein Gesicht lief rot an. »Schmeckt es Euch nicht?« fragte Gregor mit verschlagenem Blick. Er sprach Wenzel sehr höflich an, denn er wußte, daß dessen Herr sehr auf Umgangsformen hielt und wollte vermeiden, daß sich dieser Fatzke über ihn beschwerte, was die Anrede betraf. »D-doch«, stammelte Wenzel, denn er hatte ein wenig Angst vor diesem finsteren Riesen. »A-allerdings nicht so sehr«, fügte er vorsichtig hinzu. Gregor zeigte grinsend sein kräftiges Gebiß. »Ein wahres Wundermittel«, erklärte er. »Ich kann Euch das Rezept verraten, wenn Ihr wollt. Im großen und ganzen besteht dieser Zaubertrunk aus Johanniskraut, Angelika, Baldrian, Enzian und Kamille - alles gut gegen Blähungen.« Nun, Wenzel hatte keine Blähungen, und er schob hastig den Krug von sich. »Hinzu kommen Tausendgüldenkraut für die Potenz und Teufelskralle, Salz und Fliegendreck - das vertreibt die hartnäckigsten Winde nach Völlerei und Saufgelagen.« Wie zur Bekräftigung fügte er einen kurzen, prägnanten Furz hinzu und sagte: »Hört ihr?« Ja, Wenzel hatte es gehört, und es hielt ihn nun nichts mehr in der Hütte bei diesem Räuberhauptmann, den der Herr zu Recht als Primitivling bezeichnet hatte. Er erhob sich. Auch Gregor stand auf. Er überragte Wenzel um zwei Haupteslängen. »Was soll ich also meinem Herrn melden?« fragte Wenzel. Gregors Miene verfinsterte sich. Eine Unmutsfalte kerbte seine Stirn zwischen den buschigen Augenbrauen. Die Frage bereitete ihm Unbehagen, wartete er doch selbst auf ein Wort von seinen Mannen. Der Räuberhauptmann flüchtete sich in den Angriff, den er immer für die beste Verteidigung hielt. »Verdammt, er soll sich nicht in die Hosen machen! Die Sache wird schon zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigt werden. Verflixt
und zugenäht, er soll sich gedulden! Ich erwarte jeden Augenblick die Vollzugsmeldung meiner Männer.« Wenzel nickte. Ganz wohl war ihm nicht zumute, und das lag nicht nur an dem Schluck von dem teuflischen Gebräu, das offenbar bei ihm eine andere Wirkung hatte als bei Gregor - eher eine schweißals Wind treibende. Roderich würde fuchsteufelswild werden, wenn er wiederum vertröstet wurde. Aber da war nichts zu machen, er mußte ihm Farbe bekennen. Bedrückt verabschiedete er sich und wandte sich zur Tür. Dann wurde er noch bedrückter, denn als er die Tür öffnen wollte, flog sie ihm entgegen, knallte ihm gegen die Stirn, und er flog rückwärts wieder in die Hütte. Nur verschwommen nahm er den Mann wahr, der wie der Leibhaftige in die Hütte sprang und jetzt ein Schwert in der vorgereckten Rechten hielt. Wenzel war noch zu benommen, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Auf seiner Stirn wuchs eine Beule. Gregor war ebenso überrascht. Während er zum Dolch griff, verfluchte er grimmig den Wachtposten, der geschlafen haben mußte, denn sonst hätte er ihm jeden Besucher gemeldet oder unerwünschten Besuch vom Hals gehalten. Der Bursche schlief tatsächlich, doch er war in diesem Punkt völlig unschuldig. Er hatte heldenhaft kämpfen wollen, doch es war bei der Absicht geblieben. Denn der Besucher war so schnell und schlagkräftig gewesen, daß der Kampf schon zu Ende gewesen war, bevor der Wachtposten ihn richtig hatte anfangen können. Der Besucher war Ritter Roland. Und daß er mit der Tür ins Haus fiel, hatte seinen Grund. Er wußte von den gefangenen Räubern, wie gefährlich Gregor war. Um ihn überraschen zu können, hatte Roland den Wachtposten überwältigt. Er hatte sich angeschlichen und gerade in die Hütte spähen wollen, als er die Schritte gehört und jemand die Tür aufgezogen hatte. So hatte Roland schnell handeln müssen. Die Überraschung war zwar gelungen, doch Roland hatte nicht mit einem zweiten Gegner gerechnet. Nach Aussagen der beiden Räuber
hätte Gregor mit dem Wachtposten allein im Versteck sein müssen. Nun, der Kümmerling mit dem gescheitelten, fettigen Haar schien im Augenblick kein Gegner zu sein. Er hockte benommen auf dem Hosenboden und betastete seine Stirn. Doch Gregor war schnell. Es war nicht das erste Mal, daß er sich in einer solchen Situation sah, denn er wurde seit Jahren gesucht. Daß er immer davongekommen war, hatte er seiner Kampfeskraft, seiner Kaltblütigkeit und seiner Heimtücke zu verdanken. Sein Schwert lag auf dem Stuhl beim Tisch, drei Schritte entfernt zu weit im Augenblick. So riß Gregor seinen Dolch aus der Lederscheide und schleuderte ihn aus der Drehung heraus und auf den Mann, der mit erhobenem Schwert auf ihn zusprang. Er hörte einen Aufschrei und wirbelte bereits herum, um zu seinem Schwert zu gelangen. Nicht Roland hatte geschrien. Der unglückliche Wenzel hatte sich gerade aufrappeln wollen. Jetzt steckte der Dolch in seiner Schulter, und Wenzels Schrei erstarb. Dunkel wurde es um ihn. Roland hatte sich geistesgegenwärtig zur Seite geschnellt und war so dem Dolch um Haaresbreite entgangen. Jetzt sprang er auf Gregor zu. Als der Räuberhauptmann, der offenbar glaubte, den richtigen Mann getroffen zu haben, ihm den Rücken wandte, hätte Roland ihm das Schwert in den Rücken stoßen können. Doch seine Ritterehre verbot ihm das. So ließ er zu, daß Gregor das Schwert vom Tisch riß und sich zum Kampfe stellte. In Gregors grünen Augen blitzte es triumphierend auf. Noch keiner hatte ihn im Schwertkampf besiegt. »Ich schlage dich in Scheiben!« brüllte er und griff vehement an. Roland parierte und trieb den Räuberhauptmann mit wuchtigen Schlägen zurück, bis er gegen den Schrank prallte. Gregors grimmige Miene nahm einen leicht verdutzten Ausdruck an, und die Narbe an seiner Wange schien eine Spur blasser zu werden. Er erkannte, daß er den Gegner unterschätzt hatte, und daß es nicht einfach werden würde. Wütend griff er wieder an. Er schlug
eine wilde Klinge, und es steckte Kraft hinter den Hieben, doch Gregor beherrschte nicht so elegant die Technik und ermüdete schneller. Hin und her wogte der Kampf. Roland wartete auf eine Blöße des Gegners. Er spürte, wie der Mann ermattete, denn seine Schläge kamen nicht mehr so schnell und hart. Doch Roland wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Die Zeit arbeitete für ihn. Er ließ sich von Gregor sogar in die Defensive drängen. Und prompt fiel er Räuberhauptmann darauf herein. Roland tat, als strauchelte er, als er gegen den Tisch zurückwich. Mit einem triumphierenden Schrei warf sich Gregor auf ihn zu, das Schwert vorgereckt, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Doch daraus wurde nichts. Roland drehte sich blitzschnell zur Seite, und Gregor konnte seinen Schwung nicht mehr abbremsen. Er krachte gegen den Tisch und fand sich im nächsten Augenblick zwischen Scherben, einem Tischbein und Spritzern seines Zaubertrunks am Boden wieder. Sogar die Tabakspfeife und die Speckwürfel, die neben dem Met auf einem Teller gelegen hatten, sah er auf und neben sich - nur von seinem Schwert sah er nichts. Es war ihm beim Sturz aus der Hand geglitten, und Roland hatte es mit einem schnellen Tritt aus der Gefahrenzone befördert. Gregor wollte aufspringen, doch da setzte ihm Roland schon das Schwert an die Kehle. Der Räuberhauptmann erstarrte. Er schielte zu der Klinge, und Furcht flackerte in seinen grünen Augen. Doch er flehte nicht um Gnade. »Töte mich und sei verdammt!« sagte er, zwar mit krächzender Stimme, doch erstaunlich ruhig. Roland schüttelte den Kopf. »Nicht durch meine Hand sollst du dein nichtswürdiges Leben verlieren«, sagt er. »Gregor blinzelte überrascht. Das verstand er nicht. Es wollte ihm einfach nicht in den Sinn, daß der Stärkere seinen Triumph nicht auskostete. Er selbst hatte noch nie einen Gegner verschont. »Was du willst mich am Leben lassen?« fragte er überrascht und
mißtrauisch. »Warum sollte ich dem Henker die Arbeit abnehmen?« erwiderte Roland. »Wer bist du?« Roland sagte es ihm. Gregors grüne Augen nahmen einen verschlagenen Ausdruck an. »Ein Ritter!« sagte er. »Hätte nie gedacht, daß das stimmt, was man über sie erzählt. War immer der Meinung, daß das meiste davon erstunken und erlogen ist.« Er schob die Schwertspitze zur Seite, als sei sie eine lästige Fliege, die es zu verscheuchen galt, und erhob sich. Der Kerl, der zuvor noch Todesangst gehabt hatte, wurde jetzt regelrecht übermütig. Er lachte sogar! »Na, ich wette, wir werden uns einigen, Ritter. Man hört, ihr verplempert 'ne Menge Dukaten bei Hof mit Weibern und Prunk. Ich zahle dir ...« Roland schüttelte den Kopf. Er hatte den Räuberhauptmann scharf im Auge behalten und sich nicht von dem betont entspannten Gerede ablenken lassen. Das war sein Glück. Denn mitten im Satz verstummte Gregor, wirbelte herum und schlug aus der Drehung heraus zu. Doch er traf Roland nicht. Statt dessen traf Roland ihn mit dem Schwert, und Gregor sank bewußtlos zu Boden. Roland fesselte die beiden Männer. Wenzel erwachte als erster. Seine Verletzung war nicht gefährlich, doch der Bursche war äußerst wehleidig und glaubte, im Sterben zu liegen. Ritter Roland bemühte sich nicht, ihm das auszureden, sondern ermunterte ihn, noch sein Gewissen zu erleichtern. Das tat Wenzel dann. Und so erfuhr Ritter Roland das Geheimnis von Burg Hohenstolz, und ein Schauer des Entsetzens erfaßte ihn. Denn es war ein gar grauenvolles Geheimnis, und wenn es ihm nicht gelang, die Knappen und die Spanier noch vor Burg Hohenstolz einzuholen, fuhren sie vermutlich in den Tod ... *
Arno von Berghe fluchte. Die Ankunft der Spanier war ihm gemeldet worden. Gregor mußte versagt haben, und auch Wenzel hatte sich nicht mehr blicken lassen. Jetzt war guter Rat teuer. Er blickte in den Burghof hinab, wo die Reiter und die Wagen hielten. Sie mußten weg - doch wie? Wenn er sie auf der Burg beseitigen ließ, würde das einen Rattenschwanz von Nachforschungen zur Folge haben. Vermutlich würde sogar der König Nachforschungen anstellen lassen, damit es keinen Ärger mit Spanien gab, und dann würde das ganze Spiel auffliegen. Er fuhr herum, als es an der Tür klopfte. Seine Nerven waren ein wenig angegriffen, und er zuckte zusammen. Fahrig wischte er sich über die Stirn. Rudolf, der Diener, trat ein. »Wir haben die Spanier in die -Burg gelassen, wie befohlen«, sagte er. »Das sehe ich, du Trottel«, grollte Arno von Berghe gereizt. Rudolf zog unbewußt den Kopf ein. Dicke Luft, dachte er, und er wußte warum. Er gehörte schließlich zum Kreis der Eingeweihten. Unruhig schritt Arno von Berghe auf und ab. Schließlich blieb er vor dem Gemälde stehen und starrte sein Ebenbild an. Ein Plan nahm Gestalt an. Ein kühner Plan, doch mit ein wenig Glück konnte er gelingen. »Ich werde sie als liebe Gäste begrüßen«, sagte er dann zu Rudolf. Rudolf starrte ihn offenen Mundes an. »Aber...« »Kein Aber. Geleite sie zu mir und gib allen Anweisung, daß sie wie Ehrengäste zu behandeln sind. Sag den Spitzeln Bescheid, sie sollen aufpassen, daß niemand vom Gesinde plaudert. Droht jedem an, daß er gevierteilt wird, wenn auch nur ein Wort verlautet. Richtet die besten Kammern für die Gäste her und laßt die köstlichsten Speisen und Getränke auftragen. Schließlich sind die Spanier von hohem Stande.« Rudolf nickte. Arno von Berghe verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging wiederum unruhig auf und ab. Schließlich verharrte er. »Sorg
dafür, daß unsere Gäste keinerlei Kontakt mit den falschen Leuten bekommen! Nun, Spanisch versteht hier ohnehin keiner.« »Aber Alfons und Isabella sprechen Deutsch«, wandte Rudolf ein. »Außerdem haben sie deutsche Kutscher dabei.« »Behaltet sie ebenfalls im Auge. Ich werde schon einen Vorwand finden, wie ich die ganze Bagage in ein, zwei Tagen wieder loswerden kann. Na los, worauf wartest du noch? Sag den Spaniern, ich lasse bitten!« »Sehr wohl.« Eilig ging Rudolf. Arno von Berghe betrachtete noch einmal das Porträt. Dann setzte er eine leidende Miene auf und wickelte sich ein weißes Tuch um den Hals. Als dann die Besucher eintraten, lächelte er gequält und erhob sich wie ein schwerkranker Mann aus seinem Lehnstuhl. »Verzeiht mir, daß ich mich nicht selbst zum Tor bemühen konnte«, sagte er mit heiserer Stimme. »Mein Arzt bestand sogar darauf, daß ich das Bett hüten solle, doch bei solch lang erwartetem lieben Besuch hält mich nichts auf dem Krankenlager.« Galant begrüßte er als erste Maria von Cordoba. Sie reichte ihm etwas zögernd die Hand, vermutlich weil sie befürchtete, sich anzustecken. Dann begrüßte der Burgherr Alfons und die Zofe. Pedro, der Diener streckte ihm strahlend die Hand hin, doch Arno von Berghe nickte ihm und den anderen Männern nur knapp zu. »Wo ist denn Isabella?« fragte verwundert. Alfons von Cordoba berichtete auf Spanisch, was sich ereignet hatte. Arno von Berghe nagte an der Unterlippe, setzte eine betrübte, aber auch etwas ratlose Miene auf. Rudolf, sein Diener, kam und brachte auf einem silbernen Tablett Wein und Gläser. Als alle die gefüllten Gläser in den Händen hielten, hob Arno von Berghe sein Glas und prostete den Gästen zu. »Auf die Gesundheit«, krächzte er und hüstelte ein paarmal. »Und auf das Wiedersehen. Salute.« Louis und Pierre sahen, daß die Spanier etwas verwirrt blickten. »Das müßt ihr mir ein wenig genauer erzählen«, sagte Arno von Berghe, als sie getrunken hatten. »Am besten auf Deutsch, damit ich es meinem Rudolf nicht zu übersetzen brauche und er es sogleich auf
der ganzen Burg verkünden kann.« Er streifte Louis, Pierre und die anderen Begleiter mit einem kurzen Blick und sagte: »Ihr alle werdet nach der langen Reise erschöpft und hungrig sein. Rudolf hat schon alles vorbereitet. Man wird euch gleich die Quartiere zuweisen.« Er wies auffordernd zur Tür hin. Alfons verstand. Er sprach kurz auf Spanisch mit Luis Hernandez und alle Spanier bis auf Maria und Alfons von Cordoba und die Zofe Linda verließen das Zimmer. Louis und Pierre schlossen sich an. Pierre warf noch einen sehnsüchtigen Blick zu Linda, die mit einem vielversprechenden Lächeln antwortete. Draußen sprach Pedro zornig vor sich hin. Die Knappen verstanden nichts, und es fehlte ein Übersetzer. Alfons von Berghe übersetzte dann Pedros zornige Rede, als er mit seiner Gemahlin und der Zofe eine halbe Stunde später von Arno von Berghe zurückkehrte. Pedro ärgerte sich, weil Arno von Berghe ihm nicht einmal die Hand gereicht hatte. Bei dem Besuch der Deutschen in Spanien war bei einem Ausflug das Boot gekentert, und Arno war in den Teich gefallen. Arno konnte nicht schwimmen, und Pedro hatte ihn aufgefischt. Arno hatte gesagt, das würde er ihm nie vergessen. Und jetzt war er so kühl und behandelte ihn wie Luft! Aber das war nicht das einzige, was die sichtlich verwirrten Spanier befremdete. Arno von Berghe hatte sich sehr verändert. Nicht im Aussehen, wenn man einmal von dem kleinen Leberfleck absah, sondern in der Art und in seinem Verhalten. Daß seine Stimme anders klang und daß er beleibter geworden war, mochte auf seine Krankheit zurückzuführen sein, beziehungsweise auf die Jahre. Schließlich hatten sie sich vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen. Daß er bei seinem Leberleiden neuerdings Wein trank, war auch seltsam. Mehr aber noch der Umstand, daß er alles Spanisch verlernt hatte, obwohl er die Sprache doch fließend beherrscht hatte und stolz darauf gewesen war, sie anzuwenden. Allein deshalb hatte Alfons ihm alles zuerst auf
Spanisch berichtet. Doch nicht einmal ein richtiges spanisches salud hatte er gesagt, sondern ein italienisches salute. Zudem hatte er sich kaum über den Kampfstier gefreut, den sie ihm als Geschenk mitgebracht hatten. Er hatte nur säuerlich gelächelt und sich höflich bedankt. Dabei war er vernarrt in den Stierkampf, seit er einen in Spanien gesehen hatte. Er hatte damals sogar einen Kampfstier kaufen wollen. Außerdem war es befremdend, daß Egbert mit seiner Mutter bei einem Vetter im Westerwald weilte und erst in einem Monat zurückerwartet wurde. Noch im letzten Brief an Isabella hatte er geschrieben, daß er vor Sehnsucht vergehe und den Tag ihrer Ankunft kaum erwarten könne. Pierre und Louis tauschten besorgte Blicke. Louis fragte Alfons von Cordoba, ob sie sich vielleicht im Termin geirrt hätten. Alfons schüttelte ernst den Kopf, und dann faßte er in Worte, was alle dachten. »Mich dünkt bei alledem, daß da etwas nicht stimmt. Was wird hier nur gespielt?« * Die Knappen erboten sich, eine Antwort auf diese Frage einzuholen. Sie wollten sich unauffällig umhören und des Rätsels Lösung finden. Als die Knappen allein waren, bat Pierre Louis dann händeringend, allein herumzuhorchen. Er sei hundemüde und müsse sein Geschwür am Gesäß behandeln. Louis grinste, als er beobachtete, wie Pierre sich kurz darauf in Lindas Kammer stahl, und er konnte sich denken, wie die Behandlung vonstatten ging. Louis gönnte es ihm. Er sprach dann mit dem Stallburschen, hörte sich unauffällig beim Gesinde um, doch so unverfänglich er seine Fragen auch stellte, er stieß auf eine Mauer des Schweigens. Er glaubte Angst in den Blicken der Leute zu sehen, wenn er die Sprache auf Arno von
Berghe, auf seine Krankheit oder gar auf sein verändertes Verhalten brachte. Der Verdacht, daß da etwas nicht in Ordnung war, verhärtete sich immer mehr, und Louis nahm sich vor, vorsichtig zu sein. Er überlegte, wie er am geschicktesten vorgehen konnte. Am besten versuchte er es noch einmal bei den Stallburschen. Da hatte er einen plausiblen Vorwand, wenn er sagte, er wolle noch nach seinem treuen Roß sehen. Auf dem Weg zum Stall verharrte er plötzlich und tastete an seinen Kopf. Er vermutete schon, ein Vogel hätte da etwas auf sein Haupt fallen lassen, doch dann sah er ein Papierkügelchen über den Boden kullern. Er blickte nach oben. Nein, kein Vogel hatte da mit Papier geworfen, sondern ein Vögelchen in Gestalt einer blonden Maid. Sie neigte sich aus einem Fenster des Gesindehauses und benahm sich recht seltsam. Sie schaute sichernd nach links und rechts über den Burghof, legte mahnend eine Hand auf die Lippen und gestikulierte, er solle näherkommen. Nun, eine solche Einladung von einer holden Maid hatte Louis noch nie abschlagen können. Er trat bis an den Rosenstrauch unter dem Fenster. Die Maid, auf den ersten Blick ein recht hübsches, dralles Ding, verschwand plötzlich am Fenster. Louis wartete ein wenig ratlos. War das eine Aufforderung gewesen, sie auf der Kammer zu besuchen? Louis hielt nach einer Tür oder Leiter Ausschau. Doch das war nicht nötig. Die Maid tauchte wieder am Fenster auf und warf ein zusammengeknülltes Papier hinaus. Die Wachen am Tor wurden gerade abgelöst, und die Maid zuckte am Fenster zurück, schloß es hastig und verschwand. Sie hatte erschrocken gewirkt. Louis stellte den Stiefel auf das Papier und schaute sich unauffällig um. Niemand schien ihm Beachtung zu schenken. So zog Louis eine Münze aus der Tasche und ließ sie fallen, um sie zusammen mit dem Papier aufzuklauben.
Er schlenderte weiter, und erst in der Passage zwischen den Stallgebäuden und dem Gesindehaus entfaltete er den Zettel und las: Großer bärtiger Unbekannter. Kommt sobald es dunkel ist, unauffällig zum Stall. Ich muß euch treffen, doch in meiner Kammer geht es nicht. Ich warte auf dem Heuboden. Paßt auf, daß Euch niemand sieht! Louis steckte den Zettel in die Tasche. Das war ja eine nette Einladung! Teufel, der blonden Maid gefielen offenbar schwarze Bärte. Und sie redete nicht lange um den heißen Brei herum. Doch warum ging es nicht in ihrer Kammer? Eilig hatte sie es wohl auch, denn gerade ging die Sonne unter, und es dauerte nicht mehr lange bis zur Dunkelheit... Louis grinste vor sich hin wie ein Marder, der auf dem Weg in einen Stall mit besonders knackigen Hennen ist. Doch dann besann er sich auf seine Pflicht. Die Zeit bis zum Stelldichein im Heu konnte er noch nutzen, um herauszufinden, was hier auf der Burg los war. Doch so sehr er sich auch bemühte, er bekam keine Antwort auf seine geschickten Fragen. Er stieß auf Angst und Mißtrauen. Dann senkte sich die Dunkelheit über Burg Hohenstolz, und Louis wollte die blonde Maid nicht warten lassen. Vielleicht konnte er sogar etwas von ihr erfahren und das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Sie wartete auf ihn im Stall, und im Schein der Stallaterne, der bis auf den Heuboden hinaufreichte, sah Louis, daß sie wirklich hielt, was sie auf den ersten Blick versprochen hatte. Sie hieß Adelgunde, wie er dann erfuhr, und sie hatte ein liebes Gesicht mit himmelblauen Augen und feingeschwungenen Lippen, die Sinnenfreude verrieten, und alles an ihr war frisch und fest und prall, wie es Louis gefiel. Doch sie war nicht auf ein schnelles Schäferstündchen gekommen, wie Louis erhofft hatte. Sie kam zwar gleich zur Sache, doch sie gab nicht ihre weiblichen Geheimnisse preis, sondern das Geheimnis von Burg Hohenstolz. Gebannt lauschte Louis Adelgundes geflüstertem Bericht. Arno von Berghe, der richtige, und seine Familie siechten seit
Monaten bei Wasser und Brot im Kerker dahin. Ebenso alle seine Vertrauten, die Schlüsselpositionen innegehabt hatten. Der falsche Arno von Berghe hieß Roderich und war ein Räuber wie Gregor. Roderich hatte sich die verblüffende Ähnlichkeit zu Arno zunutze gemacht, war durch eine Täuschung der Wachen in die Burg gelangt und hatte Arno von Berghe niedergeschlagen. Dann hatte er den Wachen den Befehl gegeben, die Reisegesellschaft in die Burg zu lassen, die vor der Zugbrücke Einlaß begehrt hatte. Das waren Roderichs Räuber gewesen, und sie hatten die Burg im Handstreich genommen. Seither saß dort Roderich mit seinen Gesellen, und er fühlte sich wie die Made im Speck. Der Räuber hatte Arno und seine Familie nur am Leben gelassen, weil er gelegentlich Unterschriften für Dokumente brauchte, mit denen Roderich seine Position festigen und seinen ergaunerten Reichtum mehren wollte. Ganze Briefe schrieben Arno und seine Familie unter Zwang im Kerker. Sie mußten sich von Verwandten Geld borgen und schriftlich Leute abwimmeln, die ihren Besuch ankündigten. Nur bei den Spaniern war das nicht gelungen. Sie hatten Arnos Brief zu spät erhalten ... Louis' Gedanken jagten sich. Klar, daß der falsche Arno für die Überfälle verantwortlich war. Entweder waren es seine Räuber gewesen oder er hatte sich einer anderen Bande bedient. Doch warum hatte der Schurke sie nicht gleich nach ihrer Ankunft gefangennehmen oder umbringen lassen? Weshalb spielte er den Spaniern die Rolle des richtigen Arno vor? Vermutlich befürchtete er, der Verdacht würde auf ihn fallen, wenn die Spanier auf der Burg verschwanden, und er wollte vermeiden, daß auf Hohenstolz Nachforschungen angestellt wurden. Schließlich lebte auch das Gesinde wie Gefangene auf der Burg und konnte plaudern. Adelgunde hatte gehört, wie Louis sich umgehorcht hatte. Sie war den richtigen von Berghes treu ergeben und sah in Louis den Retter, der das teuflische Spiel beenden konnte. Louis überlegte. Solange sich der falsche Arno nicht durchschaut sah, bestand keine Gefahr. Sie mußten so tun, als hielten sie diesen Roderich für Arno ...
Der Knappe dachte an Ritter Roland. Roderich hatte offenbar nicht gewußt, was aus Isabella geworden war. Ob es Roland gelungen war, sie aus den Händen der Entführer zu befreien? Nun, sie mußten abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Sie mußten sich etwas einfallen lassen, wie einer von ihnen Hilfe holen konnte, ohne Roderichs Argwohn zu wecken. Das beste wäre, sie reisten so bald wie möglich ab und sorgten dafür, daß die Gefangenen befreit wurden ... Louis wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn er spürte plötzlich Adelgunde an seiner Seite. Zuvor war sie recht scheu gewesen, doch jetzt drängte sie sich an ihn. »Da kommt jemand«, wisperte sie ängstlich. »Oh Gott.« Louis hörte die Schritte, die sich auf dem Stallgang näherten. »Ganz ruhig«, flüsterte er Adelgunde ins Ohr und legte einen Arm um ihre Taille. Sie lauschten. Die Schritte verklangen ganz in ihrer Nähe. Jemand pfiff etwas vor sich hin. Louis erkannte die Melodie. Es war eine Ballade, die Volker vom Hohentwiel, der berühmte Minnesänger und Rolands Freund, gedichtet und vertont hatte. Etwas klirrte, dann entfernten sich Schritte. Louis riskierte einen Blick und sah einen der Stallknechte mit der Stalllaterne in der Hand davonschlendern. Schließlich klappte eine Tür, und Louis und Adelgunde waren in völliger Dunkelheit wieder allein. »Oh Gott, ich dachte, mir bliebe das Herz stehen«, wisperte Adelgunde und atmete auf. Immer noch hielt Louis sie im Arm, und jetzt zog er sie noch näher an sich heran und sagte sanft: »Keine Bange, Jungfer, ich bin ja bei Euch.« Er streichelte leicht über ihr Haar. Sie zog sich nicht zurück, atmete nur etwas schneller, fast wie erregt. Da wurde Louis noch kühner, umfaßte ihr Kinn und küßte ihren Mund. Ihre Lippen waren weich und warm, und wenn Adelgunde von diesem Kuß überrascht war, so sagte sie es nicht. Sie sagte eine lange Weile überhaupt nichts. Er spürte, wie sich ihr Busen unter dem dünnen Leinenkleid heftig an seiner Brust hob und
senkte. Louis spielte Ringelreihn mit ihrer Zunge, und Adelgunde schien das zu gefallen, denn sie ging auf das Spiel ein. Und während ihre Begeisterung offenbar immer mehr wuchs, wuchs bei Louis etwas anderes - das Verlangen. Als sie schließlich beide Atem holten, lachte Adelgunde leise und sagte mit einer Stimme, die Freude verriet: »Ihr seid mir wohl ein rechter Schwerenöter!« Louis grinste in der Dunkelheit. »Sag Louis zu mir, Jungfer.« »Nenn mich Adelgunde«, flüsterte sie. »Und küß mich noch einmal. Dein Bart kitzelt so schön.« Nun, das ließ sich Louis nicht zweimal sagen. Er küßte sie, feurig wie ein Spanier, dachte er bei sich, und sie legte sich ob dieser Leidenschaft zurück ins Heu und zog ihn auf sich. Diese Adelgunde war ein recht unkompliziertes Mädchen mit heißem Blute, und eine Jungfer war sie auch nicht mehr, wie Louis bald feststellte. Sie war im Gegenteil recht erfahren in der Liebe. So vergaß Louis den Schrecken von Burg Hohenstolz und genoß ganz die Wonnen, die Adelgunde ihm bereitete. Adelgunde indessen glaubte vor Glück zu zerspringen. * Louis dachte an Adelgunde, als er sich auf den Weg zu der Kammer begab, die der Diener ihm und Pierre zugewiesen hatte. Er glaubte noch Adelgundes zärtlich geflüsterte Liebesworte und ihre Seufzer der Wonne zu hören. Sie hätte gern die ganze Nacht mit ihm im Heu verbracht, doch sie hatte Angst gehabt, in der Küche vermißt zu werden, wo sie nach dem Abendessen zum Abwasch erwartet wurde. Louis glaubte noch ihr Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen und auf mehr zu hören, als er die Tür der Kammer öffnete und eintrat. Deshalb hörte er nicht, wie ein Schatten von der Seite her auf ihn zuhuschte. Er verspürte nur einen Schlag auf den Kopf, und in der
dunklen Kammer schien es nach kurzem Flimmern von Sternen noch dunkler zu werden. Er spürte nicht mehr, wie er vornüber stürzte und mit der Stirn aufschlug. Als er zu sich kam, dröhnte sein Schädel, und er hörte ein Stöhnen. Er brauchte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, daß er selbst es war, der da stöhnte, und daß er halb auf Pierre lag. Daß es Pierre war, erfuhr er erst, als er um sich tastete und Pierre ärgerlich zischte: »Nimm die Pfoten von meinem Hintern!« Louis zog die Hand zurück. Er wollte sich in der Dunkelheit in eine bequemere Position drehen und berührte etwas Weiches. Etwas Rundes. Pierres Knie? Nein etwas Nachgiebigeres mit einer Art Warze daran. Louis erschrak. Das war doch nicht Pierres andere Gesäßbacke mit dem Furunkel? »Laß meine Brust los«, sagte eine ärgerliche weibliche Stimme, und bevor Louis die Hand zurückziehen konnte, klatschte es auch schon. »Eh - ich war das - nicht!« ertönte Pierres empörte Stimme. Louis mußte trotz seines Brummschädels grinsen. Da hatte sich Pierre eine Ohrfeige eingehandelt, die Adelgunde eigentlich ihm zugedacht hatte. Denn es war unzweifelhaft Adelgundes helle Stimme gewesen. Seltsam, noch vor kurzem hatte sie wohlig geseufzt, als er das geküßt und gestreichelt hatte, was er im tiefen Dunkel zunächst für Pierres Knie mit Warze und dann für Pierres Pobacke mit Furunkel gehalten hatte. Nun, Adelgunde wußte wohl nicht, daß er es gewesen war. »Ich bin's - Louis«, sagte er. »Was ist passiert, Adelgunde?« Adelgunde stieß einen überraschten Laut aus und tastete nach Louis' Hand. Dabei erwischte sie Pierres Oberschenkel, doch Pierre beschwerte sich nicht. Ganz mucksmäuschenstill ließ er zu, daß Adelgunde mit zarten Fingern sanft über seinen Schenkel hinauf tastete. »Sie schnappten mich gleich, als ich dich verlassen hatte«, sagte Adelgunde. »Man hat uns im Heu belauscht.« »Ihr wart im Heu?« fragte Pierre neugierig.
»Wo sind wir hier?« erkundigte sich Louis, um abzulenken. »Im Kerker.« Louis fluchte wild, und Pierre machte ihn darauf aufmerksam, daß sie nicht allein waren. Rund drei Dutzend Personen hielten sich in dem kalten, engen Verlies auf, das allenfalls einem einzigen Dutzend bequemen Platz geboten hätte. Deshalb die Platznot, deshalb lagen die Gefangenen fast übereinander. Besonders schlimm war es in der Nähe der Tür, wo Louis lag. Roderichs Räuber hatten die Gefangenen, von denen die meisten bewußtlos gebracht worden waren, einfach hinter der Tür abgelegt, und erst nach und nach hatten sie sich etwas weiter in den Kerker hinein verteilt. »Man hat uns schon belauscht, als Senor Alfons seinen Verdacht äußerte«, sagte Pierre. »Da wußte dieser falsche Hund von Roderich, daß sein Spiel durchschaut war, und er handelte schnell, das heißt, er ließ handeln. Einen nach dem anderen überwältigten sie und schleppten ihn hier runter.« »Du weißt über alles Bescheid?« fragte Louis. »Haben die Räuber dir gesagt, was los ist?« »Die haben mir einen über die Rübe gezogen, ohne was zu sagen.« Pierre seufzte. »Nicht mal die Damen haben sie verschont, diese Kanaillen. Ich weiß alles von dem richtigen Arno von Berghe, der mit seiner Familie und allen Getreuen hier unter uns weilt.« Louis tippte sich an den dröhnenden Schädel. »Das hätte ich mir auch denken können. Mann, tut mein Schädel weh.« »Du Ärmster, sägte Adelgunde voller Mitgefühl. Pierre schloß die Augen. Eine Hand, unverkennbar eine zarte weibliche, streichelte seinen Oberschenkel. »Louis?« flüsterte eine Stimme, und es war klar, daß Hand und Stimme zusammengehörten. Louis tastete nun ebenfalls, orientierte sich an Adelgundes Busen und ertastete ihre Hand, zog sie an sich - sehr zu Pierres Bedauern - und drückte sie sanft. »Ja?« »Ich habe Angst. Was werden sie nun mit uns tun?« In diesem Augenblick ertönte ein schauriges Lachen, das durch
den Kerker hallte, daß es den Gefangenen kalt über den Rücken lief. Dann rief eine spöttische Stimme: »Das fragt ihr noch? Ihr werdet dort verrotten und verfaulen - ihr alle!« Wieder war das schaurige Lachen zu hören. Dann entfernten sich schwere Schritte, und das Lachen verhallte. Louis drückte Adelgundes zitternde Hand. »Noch sind wir nicht verloren.« Er flüsterte, denn der Räuber mußte sie ja belauscht haben, und es konnte immer noch einen Lauscher geben. »Glaubst du an Wunder?« fragte Adelgunde ebenso leise. »Nein«, gab Louis zurück, »aber ich hoffe auf Ritter Roland!« * Indessen hielt Roland Isabella in den Armen. Die Stunde des Abschieds nahte. Zumindest für eine Weile mußten sie sich trennen. Roland hatte Gregor und Wenzel ebenfalls zum Gasthof gebracht. Der pausbäckige Wirt hatte versprochen, auf die gefesselten Gefangenen aufzupassen und sie abzuliefern, wenn König Artus Männer schickte. Zudem hatte Roland eine Botschaft hinterlassen, in der er alles schilderte, was er von Gregors Räubern und vor allem von Wenzel erfahren hatte, der ja das Bindeglied zwischen Roderich und dem Räuberhauptmann gewesen war. Roland kannte also jede Einzelheit und wußte, welches Schicksal auf seine Knappen und die Spanier warten würde, wenn sie auf Burg Hohenstolz eintrafen. Wenzel hatte gesagt, sie würden entweder getötet oder in den Kerker geworfen - doch der sei schon ziemlich überfüllt. Rolands Hoffnung, seine Knappen und die Spanier noch vor der Burg einzuholen, hatte sich nicht erfüllt. Sie hatten die Kolonne noch von einem Hügel aus gesehen, als sie in der Burg verschwunden war und sich das Tor hinter ihnen geschlossen hatte. Roland und Isabella waren in ein Wäldchen nahe der Burg geritten, um die Dunkelheit abzuwarten. Allein konnte Roland die
Gefangenen nicht befreien. Er mußte auf die Männer warten, die König Artus schicken würde und die Roland zu diesem Wäldchen bestellt hatte. Doch Roland war entschlossen, bis zum Eintreffen der Männer schon die Lage zu sondieren und einen Plan zur Befreiung auszuarbeiten - zumindest Arno von Berghe und seine Familie mußte noch am Leben sein, nach dem, was Wenzel erzählt hatte. Roland wollte sich in der Nacht in die Burg einschleichen und alles ausspionieren. Er hoffte, Kontakt mit den Knappen aufnehmen zu können - wenn sie noch lebten - und den Spaniern die Sorge um Isabella zu nehmen. Isabella. Sie hatte ihn in diesen Stunden alle Gregors und Roderichs der Welt vergessen lassen. Jetzt lagen sie ermattet und glücklich im Moos und hielten sich umschlungen, als gehörten sie für immer zueinander ... »Und Egbert...?« Roland wußte gar nicht, daß er diesen Gedanken aussprach. Isabella schmiegte sich fester an ihn. »Ich liebe ihn nicht. Er hat sich unberechtigte Hoffnungen gemacht. Das wollte ich ihm klarmachen. Bei diesem Besuch wollte ich ihm Lebewohl sagen ...« Eine Weile schwiegen sie. Isabella streichelte sanft über Rolands Brust. »Könntest du dir ein Leben mit mir vorstellen?« fragte sie leise. »Ja«, erwiderte Roland, ohne nachzudenken. Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag nichts mehr. Du müßtest mit mir in Armut in einem fremden Lande leben, denn nur ein gebürtiger Spanier darf das Erbe derer von Cordoba antreten ...« Wieder herrschte eine Weile Stille. Roland wollte gerade sagen, daß er schon für sie sorgen könnte und daß sie vielleicht in Deutschland bleiben könnten, doch Isabella kam ihm zuvor. »Außerdem bist du König Artus und Camelot verpflichtet«, fuhr Isabella fort, »und du liebst dieses Land. Ich dagegen bin meiner Familie verpflichtet und muß in Spanien bleiben ...« »Isabella ...«
Sie verschloß ihm den Mund mit einem glühenden Kuß. »Laß uns nicht an die Zukunft denken, laß uns jetzt glücklich sein«, wisperte sie dann an seiner Wange. Er konnte es kaum glauben, schon wieder entfachte sie das Feuer der Leidenschaft in ihm. Eine Eule blinzelte auf die beiden Liebenden hinab und grinste vor sich hin. Dann nahm sie den Schatten war, riß weit die Augen auf und stieß einen warnenden Ruf aus. Doch Ritter Roland hörte nichts außer Isabellas zärtlichen Liebesworten und dem Trommeln seines Herzens. »Te quiero, te quiero ... Der Hieb mit der Keule riß Roland und Isabella aus ihrem Glückstaumel. Roland sank mit einem ächzenden Laut vornüber, hörte noch Isabellas Schrei des Entsetzens, und dann wurde es dunkel und still um ihn. Irgendwann dann glaubte er Schalmeienklang zu hören. Elfen tanzten auf einer vom Mondschein versilberten Wiese und sangen dazu. Spanische Lieder. Trolle schlugen kichernd Purzelbäume, und der frechste von ihnen, der ein Gesicht wie der Räuberhauptmann Gregor hatte, gab ihm eine Ohrfeige. Roland fegte ihn mit der Hand fort, und der Troll flog fort. Schimpfend rannten die anderen Trolle ebenfalls weg. Die Elfen wiegten sich im Kastagnettenklang. Sie sahen alle aus wie Isabella, und das Mondlicht schimmerte auf ihren nackten, schlanken Körpern. Eine der Isabellas schwebte graziös auf ihn zu. Te quiero, te quiero sang sie, und Roland wurde von einem heißen Glücksgefühl durchpulst. Er wollte nach ihrer Hand greifen, doch dann löste sich die Elfe plötzlich auf. »Isabella, Isabella!« schrie er. »Bleib bei mir!« Doch anstelle von Isabella tauchte ein Gesicht vor ihm auf. Eine höhnisch verzerrte Fratze mit Hörnern. Und aus der Fratze formte sich ein Stierkopf. Der Stier senkte die blutigen Hörner und schnaubte, und aus den Nasenlöchern schlug Roland glühender Atem ins Gesicht. »Ich werde dich zermalmen, du Hundsfott!« brüllte der Stier, und die restlichen Elfen verwandelten sich in Räuber und lachten
schaurig. Und dann donnerte der Stier auf ihn zu, wuchs rasend schnell wie eine tödliche Lawine auf Roland zu. Er wollte zum Schwert greifen, doch er hatte keines. Abwehrend riß er die Hände hoch und rollte sich zur Seite. Er prallte gegen etwas Hartes und stieß sich den Kopf. Doch der Stier war plötzlich verschwunden. Blinzelnd öffnete Ritter Roland die Augen. Sonnenschein blendete ihn. Er nahm verschwommen Gestalten wahr, die ihn überragten. Und wie aus weiter Ferne hörte er ein Stampfen, Klirren und Brüllen. Der Stier? Ja, das war in der Tat das Brüllen eines Stiers. Die Gesichter über ihm wurden deutlicher. Eine der Gestalten neigte sich etwas vor und starrte auf ihn hinab. Roland erschrak. Das war ein bekanntes Gesicht. Gregor, der Räuberhauptmann. * »Er kommt zu sich«, sagte Gregor. Roland tastete stöhnend an seinen schmerzenden Kopf. Etwas Klebriges in den Haaren und eine Beule. Er schloß die Augen und kämpfte gegen das Gefühl der Übelkeit an. Es war ihm, als tasteten Spinnenbeine in seinem Magen herum. Etwas krachte gegen seine Hüfte. Schmerzen zuckten bis in seine Zehen hinab. Vielleicht waren es der Tritt und die Schmerzen, die Roland vollends zur Besinnung brachten. Schlagartig setzte die Erinnerung ein, und er riß die Augen auf, drehte sich und packte zu. Er hörte einen überraschten Aufschrei, als er an dem Stiefel riß. Dann einen Aufprall, und als sich die wogenden Nebel vor seinen Augen lichteten, sah er, daß Gregor neben ihm auf dem Hosenboden saß. Roland hatte den Räuberhauptmann zu Fall gebracht. Gregors wüstes Gesicht war vor Wut verzerrt. Er sprang auf und zückte sein Schwert. Er wollte Roland töten. Roland erkannte, daß er keine Chance mehr hatte. Er war noch zu sehr geschwächt und waffenlos. Hilflos lag er am Boden und sah,
wie das Schwert des Räubers in der Sonne aufblitzte, wie die Klinge auf ihn zustieß. Aus! durchfuhr es ihn. Er hörte Isabella aufschreien. Sie war also ebenfalls gefangengenommen worden. Da gebot eine scharfe Stimme Einhalt, und die Schwertspitze verharrte an Rolands Kehle. Roland wandte den Kopf. Er sah Isabella. Sie bäumte sich im Griff zweier stämmiger Männer auf. Sie war schreckensbleich. Sie trug ihr eingerissenes Kleid. Sie wehrte sich jetzt nicht mehr. Sie blickte Roland stumm und voller Liebe an. »Diesem Kerl haben wir das alles zu verdanken!« sagte Gregor schweratmend, und seine grollende Stimme hallte über den Burghof. »Dafür wird er auch büßen«, sagte eine andere Stimme. Roland faßte den Mann ins Auge. Ein großer, untersetzter Mann in eleganter Samtkleidung, die mit Stickereien verziert war. Braune Augen, eine große, spitze Nase und ein kantig vorgerecktes Kinn. Das mußte Roderich sein, der falsche Arno von Berghe. »Aber er wird keinen schnellen Tod durch das Schwert haben«, fuhr der Kerl fort. »Er wird langsam sterben, ganz langsam. Ich denke da an Daumenschrauben, an die Streckbank und an all die anderen hübschen Dinge aus der Folterkammer ...« Er zählte einige auf, und Roland fröstelte trotz der Morgensonne. Gregor zog grinsend sein Schwert zurück. »Du hast recht, alter Freund. »Das wird ein feines Fest. Und fast hätte ich uns den Spaß verdorben!« er schüttelte den Kopf, als wollte er sich selbst tadeln. »Wie hast du dich befreit?« fragte Roland. Gregor grinste breit, und die Narbe an seiner Wange schimmerte tiefrot. »Das war nicht schwer. Ich konnte den Burschen überwältigen, der mir einen Napf mit Schweinefraß in den Stall brachte. Ich hätte auch noch die anderen befreit, doch ich mußte türmen, denn der Bengel schrie Zeter und Mordio, und das ganze Dorf lief zusammen. Da schnappte ich mir ein Pferd und haute ab. Ihr beide hattet gerade eine halbe Stunde Vorsprung. Ich brauchte nur eurer Fährte zu folgen. Und später fand ich euch dann im Wald.
Ihr wart so miteinander beschäftigt, daß es ein leichtes war, euch zu überraschen. Er warf einen Blick zu Isabella. »Gerne hätte ich dieses prächtige Vögelchen für mich behalten, doch ich dachte an meinen Freund Roderich und sagte mir, ein kleines Versöhnungsgeschenk könnte nicht schaden, nachdem meine Männer versagten.« Die Idee stammte im Grunde von Uli, der im Stall erzählt hatte, daß sie ihm Gregor - Isabella hatten bringen wollen. Doch davon brauchte Roderich nichts zu wissen. Roderich lachte leise. »Da dachtest du richtig, mein Freund. Nachdem ich nun meine Pläne ändern mußte, trage ich mich mit dem Gedanken, mir ein Täubchen als Burgherrin anzulachen. Warum kein spanisches Täubchen? Sie wird nach Spanien schreiben, daß sie mich heiratet und mitsamt ihren Verwandten auf Burg Hohenstolz bleibt. So erspare ich mir einen Haufen Probleme.« »Niemals!« schrie Isabella auf. Roderich lachte ungerührt. »Es bleibt dir keine andere Wahl, schönes Kind, willst du nicht das Leben deiner Eltern und Landsleute aufs Spiel setzen. Wirst du meine Gemahlin, darfst du sie des Sonntags im Kerker besuchen. Wirst du es nicht, bleibt dir nur der Besuch ihrer Gräber.« Roland sah die Verzweiflung in Isabellas schönen Augen, und der Anblick schnitt ihm ins Herz. Ihn ohnmächtigem Zorn ballte er die Hände. »Außerdem«, fuhr Roderich fort, »wirst du dir dein Erbe auszahlen lassen und das gesamte Vermögen derer von Cordoba nach hier schicken lassen. All euer Besitz in Spanien wird verkauft, und so werden wir reich und glücklich auf Burg Hohenstolz leben.« Sein Blick tastete wohlgefällig über ihre Formen. »Du bist schön, mein Täubchen, und ich wette, du bist auch nicht dumm und wirst mein großzügiges Angebot annehmen.« Dann verfinsterte sich seine Miene, und er blickte Gregor an. »Was hörte ich da eben - du sagtest etwas in der Art, daß der da -«, er nickte zu Roland hin, »sich mit ihr beschäftigt hat. Sagtest du nicht bei deiner Ankunft, sie sei genau die richtige für mich?«
»Sie haben sich nur geküßt«, versicherte Gregor hastig, denn er kannte Roderichs Eitelkeit. »Und er hat sie dazu gezwungen! Das siehst du doch an dem zerrissenen Kleid. Der Wüstling wollte sie vergewaltigen, aber das habe ich verhindert.« Gregors Miene hellte sich auf. »Gut, gut, mein alter Freund. Du weißt, daß ich nicht gern die zweite Geige spiele. Nun, ich werde dich fürstlich belohnen und zu meiner rechten Hand ernennen.« Gregor grinste erfreut. Er hatte sich schon Sorgen um seine Zukunft gemacht. So blieb ihm erspart, sich neue Räuber für eine Bande zusammensuchen zu müssen. Ein fettes Leben in einer richtigen Burg - das war doch etwas anderes, als in einer Hütte zu hausen und von der Hand in den Mund zu leben. Dann fiel ihm ein, daß Roland und Isabella ihm einen Strich durch die Rechnung machen konnten, indem sie Roderich sagten, was sich tatsächlich im Walde abgespielt hatte. Nun, dann würde er sie einfach der Lüge bezichtigen. Gut, daß er Roland von Isabella hatte ankleiden lassen. Wenn er den Kerl nackt abgeliefert hätte, wäre Roderich natürlich alles klar gewesen. Finster starrte Gregor Roland an. Der Kerl mußte verschwinden, und zwar schnell, bevor er auf die Idee kam, zu plaudern. Schnell gab Gregor seine ersten Befehle als zweiter Mann auf Burg Hohenstolz. »Laßt Roderichs Gemahlin los, ihr Dummbeutel!« fuhr er die beiden Männer der Wache an. »Und schafft mir den verdammten Ritter aus den Augen. Die Männer schauten fragend zu ihrem bisherigen Herrn. Sie hatten zwar alles gehört, doch sie wußten noch nichts mit der neuen Machtverteilung anzufangen. »Ritter?« sagte Roderich entgeistert. »Davon hast du mir ja gar nichts gesagt! Ist das tatsächlich einer?« »Ja, behauptet er jedenfalls, und in dem Gasthof sagte man es auch. Außerdem war er so blöde, mich zu verschonen, als er mich wehrlos vor dem Schwert hatte. Und man sagt doch, daß die Ritter so duselig sind. Aber was macht das schon für einen Unterschied, ob er nun ein Ritter oder ein Landmann ist? Beide furzen gleich.«
»Da hast du auch wieder recht«, sagte Roderich grinsend. Er gab seinen Männern einen Wink. »Hinfort mit ihm in die Folterkammer.« Die Männer ließen Isabella los und wollten Roland packen. »Nein!« schrie Isabella, und sie warf sich schluchzend vor Roderich auf die Knie. »Foltert ihn nicht! Laßt ihn am Leben! Bitte...»Roderich starrte auf sie hinab. Widerstreitende Gefühle waren in ihm. Einerseits schmeichelte es ihm ungemein, daß diese schöne Frau dort vor seinen Füßen lag, und er genoß das Gefühl der Macht. Andererseits nagten Zweifel in ihm, ob der Ritter und Isabella sich wirklich nur geküßt hatten. Sie bettelte für ihn, schluchzend, verzweifelt - wie eine Liebende. Unschlüssig nagte er an seiner Unterlippe. Was sollte er tun? Wenn er ihr den Wunsch abschlug, würde sie ihn hassen und sich ihm nicht freiwillig hingeben. Und wenn er ihr den Wunsch gewährte und den Kerl am Leben ließ, würde dessen Schatten möglicherweise ständig zwischen ihnen sein. In seiner Eitelkeit vergaß der Räuber ganz, daß Isabella so oder so allen Grund hatte, ihn zu hassen. Er dachte nur daran, daß er Roland als Druckmittel nutzen konnte. »Bitte, laßt ihn leben!« flehte Isabella und blickte zu ihm auf. »Nun denn, schöne Frau«, sagte Roderich und schielte in ihren Ausschnitt. »Ich werde es mir überlegen, und es ist möglich, daß ich den Wunsch erfülle, wenn du dich ebenso entgegenkommend zeigst.« Isabella senkte den Kopf, und das Blut schoß in ihre Wangen. Heißer Zorn wallte in Roland auf, und als die Wachen ihn packen und hochzerren wollten, war es mit seiner mühsamen Beherrschung vorbei. Eher wollte er im Kampfe sterben, als daß Isabella ihren Stolz opferte und vor diesem Satan auf den Knien kroch. Er kämpfte tollkühn. Er packte den nächsten Wächter und wuchtete ihn gegen dessen Kumpan. Bevor die beiden überraschten Männer wußten, wie ihnen geschah, sanken sie zu Boden. Roland wirbelte bereits zu Roderich herum, der ebenso überrascht war wie alle anderen und über Isabella hinweg offenen Mundes zu ihm starrte.
Im nächsten Augenblick traf ihn schon Rolands Faust mitten auf die große, spitze Nase. Schreiend taumelte er zurück und fiel auf den Rücken. Mit einem mächtigen Satz war Roland bei ihm und schlug ihm links und rechts ins Gesicht. Dann fuhr er zu Gregor herum und verharrte mitten in der Bewegung. Gregor hielt sein Schwert in der Hand, und er brauchte nur noch zuzustoßen. Und ein halbes Dutzend Männer eilten heran, mit Lanzen, Schwertern und Keulen bewaffnet. Gregors Gesicht verzerrte sich. Er war entschlossen, Roland den Todesstoß zu versetzen. Doch Isabella war aufgesprungen, und sie schob sich zwischen Roland und die Schwertspitze. Indessen rappelten sich die Wachen und Roderich auf. Roderichs Nase sah etwas breiter aus und blutete, und er raste vor Zorn. Er war einen Moment lang benommen gewesen und hatte nicht mitbekommen, daß Gregor Roland vor dem Schwerte gehabt hatte. Er sah, daß Roland mit dem Rücken zu ihm stand und einen Arm um Isabella legte. »Feiger Hund!« brüllte er. »Versteckt sich hinter einem Weiberrock!« Roland schob Isabella sanft zur Seite. Furchtlos blickte er Gregor an und drehte ihm dann verächtlich den Rücken zu, um sich Roderich zuzuwenden. »Der feige Hund bist du!« sagte er ruhig. »Ohne all deine Männer würdest du jetzt zu meinen Füßen liegen und um Gnade winseln, du Wurm.« Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte sich Roderich auf ihn stürzen. Doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er zog ein Seidentuch aus der Tasche und tupfte sich Blut von der Nase. »Schafft ihn mir aus den Augen«, sagte er. »Werft ihn in die Folterkammer. Spannt ihn auf die Streckbank.« »Nein!« schluchzte Isabella. »Doch«, sagte Roderich, als seine Männer zögerten. »Bitte!« flehte Isabella. »Ich tue alles, was Ihr wollt, wenn Ihr ihn verschont.«
Roderich war unschlüssig. »Du hast dich schon entschieden?« Isabella schwieg. Sie sah nur Roland an. »Nun«, setzte Roderich nach, »wenn du dich jetzt auf der Stelle entscheidest, mein Weib zu werden, so will ich dir deinen Wunsch gewähren und dem Kerl eine faire Chance geben.« »Ihr laßt ihn leben?« Roderich zögerte. »Ich sprach von einer fairen Chance. Nun, er darf gegen den Stier kämpfen, und wenn er ihn tötet, ist er frei. Na, was hältst du von dieser Idee? Wie lautet deine Antwort?« »Ja«, sagte Isabella kaum hörbar. Sie war bereit, sich für Roland zu opfern. Aber sie hatte auch Hoffnung. Roland war gewiß kein Torero, aber sie hatte seine Tapferkeit und Kraft gesehen, und sie zweifelte keine Sekunde daran, daß er den Stier besiegen würde. Roderich grinste zufrieden. »Ihr habt es alle gehört«, rief er mit lauter Stimme, »Heute nacht wird Hochzeit gefeiert. Ich will ein großes Fest mit allem Drum und Dran. Eine Fiesta zu Ehren meiner Gemahlin. Und als Höhepunkt der Fiesta gibt es einen Stierkampf! Gregor, du sorgst mir dafür, daß hier im Burghof eine Arena errichtet wird. Und alle Gefangenen dürfen zuschauen, wie der Kerl da vom Stier zerfetzt wird. Hei, wird das eine Gaudi!« Er starrte Roland an. »Du solltest meiner Gemahlin dankbar sein, daß sie mich beschwatzt hat, dir diese Gnade zu bewähren.« Rolands Gedanken jagten sich. Er war noch angeschlagen, doch bis zum Abend würde er sich etwas erholt haben. Er verstand sich nicht auf den Stierkampf, doch er war überzeugt davon, mit einem Stier fertig zu werden. Schließlich hatte er sogar den Drachen Fasolt geschafft, und Gorgar, das menschliche Ungeheuer mit seinen Schlangen, hatte er ebenfalls bezwungen. Dieser Roderich war ein eitler Mann. Er wollte seine Schau haben, um vor seinen Mannen und vor Isabella zu protzen. Die Frage, ob er tatsächlich sein Wort hielt und ihn freiließ, wenn er den Stier besiegte, war zweitrangig daran glaubte Roland ohnehin nicht. Und selbst wenn er es tat, war damit weder Isabella, noch den Knappen, noch den anderen Gefangenen geholfen. Aber er konnte Zeit gewinnen, wenn er sich
zum Kampf bereit erklärte, wertvolle Zeit, in der König Artus' Männer etwas unternehmen konnten. Und wenn er erst einmal mit einem Schwert in der »Arena« stand, gelang es ihm vielleicht, Roderich zu überrumpeln, ihm das Schwert an die Kehle zu setzen und die Freilassung aller Gefangenen zu fordern. »Ich danke dir, Isabella«, sagte Roland aus seinen Gedanken heraus. »Aber ich werde nicht kämpfen.« Isabella blickte überrascht. »Was - du bist zu feige?« brüllte Roderich. Roland schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Lust, für dich den Hampelmann zu spielen. Ich werde nur gegen den Stier kämpfen, wenn du alle Gefangenen freiläßt - und Isabella.« »Und dich wohl ebenfalls, du Witzbold«, höhnte Gregor. Roland blickte ihn kühl an. »Von meinem Leben sprach ich nicht. Ihr könnt mich töten, wenn ich den Stier bezwungen habe. Aber bevor ich kämpfe, will ich, daß die Gefangenen freigelassen werden.« Roland war überzeugt davon, daß Roderich niemals auf diese wahnwitzige Forderung eingehen würde. So blöde konnte er gar nicht sein. Doch Roland erhoffte sich, daß der Kerl bei diesem Gerede irgendein kleines Zugeständnis machte, das von Nutzen sein konnte. Wenn er nur erlaubte, daß die Gefangenen nicht gefesselt dem Kampf zusahen, war schon einiges gewonnen. Sicherlich würde Gregor die Gefangenen nach dem Kampf wieder in den Kerker werfen lassen. Doch wenn sie erst einmal zur angeblichen Freilassung ohne Fesseln im Burghof waren, gab es vielleicht eine Möglichkeit zum Kampf. Schließlich waren die Knappen unter den Gefangenen, und wenn inzwischen die Männer von König Artus auftauchten. »In Ordnung«, sagte Roderich in Rolands Gedanken hinein. »Ich bin einverstanden.« Roland glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. Das konnte doch nicht wahr sein! Roderich weidete sich offensichtlich an Rolands Verblüffung.
»Du hast richtig gehört«, sagte er grinsend. »Ihr seid alle frei, wenn du den Stier besiegst. Mein Wort darauf.« Roland wußte, daß dieses Wort soviel galt wie ein Fliegenschiß. Doch er tat erfreut. Roderich genoß den Anblick der verdutzten Gesichter. Er gab seinen Männern einen herrischen Wink. »Bringt ihn in den Kerker. Er soll noch ein wenig ruhen, damit er bei Kräften ist und der Stier ihn nicht gleich im ersten Ansturm auf die Hörner nimmt.« Er winkte zwei Männern. »Andreas, Klaus, geleitet die zukünftige Herrin zu ihrem Gemach.« Isabella warf Roland noch einen Blick zu, bevor sie ihn fortführten. Hoffnung leuchtete in ihren schwarzen Augen. Sie klammerte sich wohl an den Gedanken, daß Roderich sein Wort halten würde. Sie folgte dann Andreas und Klaus. Roderich und Gregor blieben allein auf dem Burghof zurück. »Du willst ihn und die anderen doch nicht wirklich freilassen, falls er nicht auf die Hörner genommen wird?« vergewisserte sich Gregor und zwinkerte ihm wissend zu. »Doch«, sagte Roderich. Gregors Augen wurden groß und rund und sein Mund klaffte auf. Roderich lachte. »Aber er wird den Stier nicht besiegen, mein Lieber. Oder hast du schon mal einen Stierkampf gesehen, in dem der Torero einem bis aufs äußersten gereizten Kampfstier mit bloßen Händen gegenübertritt?« * Roland hatte mit einer Teufelei gerechnet, doch auf den Gedanken, daß er waffenlos gegen den Stier antreten mußte, war er nicht gekommen. Da stand er nun, in der aus dicken Eichenbalken errichteten Arena, die von vielen Fackeln erhellt war. Alle Gefangenen standen in einer Ecke des Burghofes jenseits der dicken Eichenbohlen. Sie waren
nicht gefesselt, doch was nutzte das schon? Sechs Wachen mit Lanzen standen bei ihnen, und ein Entkommen aus der Burg war ohnehin unmöglich, denn Gregor hatte zusätzlich zu den beiden Wachtposten auf den Türmen noch zwei Männer innen vor dem verrammelten Burgtor postiert, und überall im Burghof waren Roderichs Männer verteilt. Roland blickte zu dem Wagen, in dem der Stier brüllte und stampfte. Der Kampfstier war hungrig, doch das würde seine Kräfte nicht mindern. Soeben hatten zwei von Roderichs Räubern durch die Belüftungsschlitze den Stier mit Lanzen gestochen, und er brüllte noch wilder als zuvor, und der ganze Wagen erzitterte unter seinem Stampfen. Die schweren Eisenketten, an die er gebunden war, ließen sich von außen lösen. Die beiden Räuber waren gerade damit beschäftigt. Dann brauchten sie nur noch den massiven Eisenriegel wegzuschieben, und der Stier würde in die behelfsmäßige Arena donnern und dort nur Roland finden. Rolands Blick wanderte zu den Gefangenen. Isabella sah ihn ebenso stumm an wie die Knappen und die anderen. Sie hatten im Kerker überlegt, welche Teufelei Roderich vorhaben könnte, hatten Pläne geschmiedet und Hoffnung gehabt, Roderich irgendwie überlisten zu können. Doch alle Pläne basierten darauf, daß Roland zum Kampf ein Schwert oder eine Lanze erhielt. Eine Version ihrer Pläne sah vor, daß die Gefangenen in diesem Augenblick einen Fluchtversuch unternehmen sollten, der natürlich erfolglos bleiben mußte, der aber die Wachen ablenken würde. Roland hatte gehofft, sich im allgemeinen Durcheinander Roderich schnappen zu können. Sein Blick wanderte weiter. Roderich hatte sich einen Ehrenplatz herrichten lassen. Er thronte auf einem Podium nahe hinter den Eichenbalken. Zwei Männer mit Lanzen standen links und rechts vom Podium. Gregor saß bei Roderich. Außerdem der Pater, ein schlanker Mann in schwarzem Gewand und wallendem grauen Bart. Sie tranken Rotwein - spanischen, den die Spanier als Gastgeschenk im Verpflegungswagen gehabt hatten. Der Pater prostete gerade
Roderich zu und sagte etwas, woraufhin Roderich dröhnend lachte. Dieser Satan! Dann erhob sich Roderich und hielt mit lauter Stimme eine spöttische Ansprache. Wie großmütig er doch sei, daß er einem verfluchten Hundsfott diese Chance gewähre. Alle seine Männer lachten. Der Pater werde für Roland beten, wenn man ihn in kleinen Stückchen zusammensammeln würde. Und anschließend würde der Pater ihn und Isabella trauen. Dann klatschte er in die Hände und rief zu den Männern beim Wagen. »Nun laßt die sanfte Kuh heraus, auf daß wir ein bißchen lachen können.« »Ich weiß nicht, ob das ein rechtes Duell ist«, sagte der Pater und nippte an seinem Rotwein. »Wird in Spanien nicht bewaffnet gegen den Stier gekämpft? Ich glaube, ich hörte mal so etwas.« Roderich lachte. »Da hörtet ihr richtig, Pater. Aber ich führe in deutschen Landen eine neue Variante ein, denn ich bin ein gar großer Tierfreund und will dem Stier die gleichen Chancen einräumen wie seinem Gegner.« Er grinst den Pater an. Der Pater kraulte seinen wallenden Bart. »Ich weiß nicht - der Mann hat doch keine Hörner und ist nicht so schwer wie dieser gewaltige Bulle ...« »Papperlapapp«, sagte Roderich unwirsch. »Unser Torero ist ein Ritter und man erzählt wahre Heldentaten von ihm, wie mein abergläubisches Gesinde behauptet. Sogar einen Drachen soll er mit bloßen Händen bezwungen haben.« Er tippte sich vielsagend an die Stirn. »Nun, da kann er jetzt mal zeigen, welch ein tapferer Kämpfer er ist.« »Aber ...« begann der Pater. »Keine Widerrede! Ihr seid hier, um zu beten und nicht um zu nörgeln.« Roderich trank sein Rotweinglas aus und bedachte den Pater mit einem mißmutigen Blick. »Schon gut, schon gut«, sagte der Pater und hob beschwichtigend eine Hand. »Dieser Stierkampf ist noch nicht so bekannt in deutschen Landen. Daher verzeiht mir mein Befremden. Nun, sicherlich ist
Eure Variante für das Tier auch gerechter. Ich werde für den Ritter beten.« »Amen«, sagte Gregor spöttisch und wischte sich mit dem Handrücken Wein von den Lippen. »Betet nur, doch wenn Ihr mich fragt, ich halte zu dem Stier.« Der Pater tastete an seinem Gewand herum. »Verzeiht mir, ich habe mein Gebetbuch, in der Küche vergessen, wo Ihr mich - Gott vergelt's - so großzügig mit Speis und Trank versorgen ließet.« »So holt es doch, wenn Ihr die Gebete nicht auswendig könnt«, brummte Roderich leicht spöttisch. »Aber beeilt euch, sonst kommt Ihr zu spät zu diesem ergötzlichen Schauspiel.« Der Pater nickte eifrig. Er erhob sich und eilte davon. »Dummkopf«, murmelte Roderich. »Er weiß noch nicht, daß er auch im Kerker landen wird.« Gregor nickte und schenkte Wein nach. Der Pater hatte am späten Nachmittag Einlaß begehrt und bei den Torwachen behauptet, er sei auf Burg Hohenstolz immer von Arno von Berghe bewirtet worden, wenn ihn sein Weg vorbeigeführt hatte. Dieser Schnorrer! Gregor hatte schon Anweisung geben wollen, ihn abzuweisen. Doch Roderich hatte Bedenken gehabt. Der Pater konnte argwöhnisch werden und sich fragen, weshalb Arno von Berghe auf einmal nicht mehr gastfreundlich war. Gerede konnte entstehen, das vermieden werden mußte. Außerdem kam der Pater gerade zur rechten Zeit. Es machte sich gut, wenn ein richtiger Pater ihn - Roderich - und Isabella vermählte. Da konnte später niemand sagen, daß die Ehe nicht rechtens sei. So hatte sich Roderich entschlossen, Arno von Berghes Rolle zu spielen. Das war nicht schwierig gewesen, denn der Pater kannte Arno von Berghe gar nicht persönlich. Er war stets in der Gesindeküche bewirtet worden und hatte zu Speis und Trank vom Diener ein paar Dukaten als milde Gabe erhalten, wie er den Wachtposten erzählt hatte. Es ließ sich allerdings nicht vermeiden, daß er die Gefangenen sah und sich zusammenreimen konnte, was auf Hohenstolz gespielt wurde. So wollte Roderich ihn fortan auf der Burg gefangenhalten.
Roderich wandte sein Augenmerk zu dem Wagen. Die Männer hatten den Riegel fortgeschoben und sprangen hinter die Eichenbalken in Deckung. Im Wagen brüllte und stampfte der Stier. Doch mehr tat sich nicht. Alle starrten ebenso gebannt wie Ritter Roland zum Wagen. »Macht schon die Tür auf, ihr Hasenfüße!« brüllte Roderich. Die Männer zögerten. Dann faßte sich einer ein Herz und befolgte den Befehl. Das hätte er besser nicht getan. Denn als hätte der Stier nur darauf gewartet, raste er heraus, und die Tür knallte dem Unglücklichen gegen den Schädel und schmetterte ihn zu Boden. Der Stier sprang aus dem Wagen, eine gewaltige Masse Muskeln, Sehnen und Fleisch und Kraft, und der Boden erzitterte, als er mit gesenkten Hörnern auf Roland zuraste. Ein Aufschrei hallte über den Burghof. Noch zehn Klafter. Roland stand sprungbereit. Noch fünf Klafter. Konnte er es schaffen, dem Stier auszuweichen, der mit Urgewalt auf ihn zuraste? Roland schnellte sich im letzten Augenblick zur Seite. Doch eines der Hörner erfaßte ihn! Das Horn streifte ihn nur an der Schulter, doch die Wucht war so groß, daß Roland zur Seite geschleudert wurde und stürzte. Der Stier raste bis an die Bande aus Eichenbalken, und ein Stück der kurzen Kette knallte gegen das Holz. Trotz seiner Massen drehte sich der Stier gewandt und schnell und erfaßte mit rollenden Augen den Menschen, der dort am Boden lag. Er schnaubte wütend, senkte die Hörner und raste los. Und Ritter Roland lag, noch benommen von dem Sturz und waffenlos, am Boden! Allen stockte der Atem. Den Gefangenen vor Entsetzen, den Räubern vor Spannung. Das mußte das Ende des Kampfes sein. Nichts konnte den Stier aufhalten, und Roland konnte nicht mehr rechtzeitig auf die Beine
kommen. Der Stier schien ins Riesengroße zu wachsen. Der Boden unter Roland zitterte. Ritter Roland erkannte, daß er nicht mehr schnell genug aufspringen konnte. Er sah dem Tod ins Auge. * »Der ist hin«, murmelte der Posten auf dem Turm, und es war klar, daß er nicht den Stier meinte. Gebannt wie alle anderen verfolgte er den Angriff des Stiers, der in zwei, drei Sekunden den am Boden liegenden Ritter rammen oder mit den Hörnern zerfetzen würde. Da knallte dem Posten etwas gegen den Kopf, und er glaubte, an Rolands Stelle von dem Stier getroffen worden zu sein. Ohne einen Laut sank er vornüber und dachte nichts mehr. Der Pater fing ihn auf und zog ihn hinter die Brüstung. Er warf einen schnellen Blick in die Arena hinab und erstarrte in jähem Entsetzen. Der Stier flog auf Ritter Roland zu. Aus! dachte der schlagkräftige Pater, der nicht daran gedacht hatte, sein Gebetbuch zu holen. Er schloß die Augen, und alles in ihm schien sich zu verkrampfen. Dann hörte er einen vielstimmigen Aufschrei. Er riß die Augen auf, und unsagbare Erleichterung erfüllte ihn. Roland rollte über den Boden und drehte sich wie von einem unsichtbaren Katapult geschnellt, und es war noch alles an ihm dran. Der Stier raste an ihm vorbei. Doch schon drehte er ab, senkte von neuem die Hörner und donnerte los. Es war nur ein Aufschub. Keine Frage, daß Rolands Kräfte eher erlahmen würden als die des Stiers. Früher oder später war er nicht mehr schnell genug ... Der schlagkräftige Pater nahm schnell das Schwert des Wachtpostens und hastete davon. Es kam auf jede Sekunde an. Er hörte wiederum einen Aufschrei der Zuschauer, doch es klang fast
jubelnd, nicht entsetzt, und er hoffte, daß Roland auch den nächsten Angriff überstanden hatte. So war es auch. Roland war rechtzeitig auf den Beinen gewesen und hatte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit gebracht. Doch jetzt reizten die Räuber den Stier noch mehr. Sie warfen mit Steinen nach ihm. Der Stier drehte sich, schüttelte den massigen Schädel, und es sah aus, als hielte er nach neuen Gegnern Ausschau. Schaum troff von seinem Maul, und auf dem Horn, das Roland gestreift und eine tiefe Furche gerissen hatte, schimmerte Rolands Blut im Schein der Fackeln. Die Räuber johlten. »Gute Idee!« rief Roderich gegen den Lärm an. »Macht ihm noch ein bißchen Pfeffer, diesem lahmen Rindvieh!« Der Stier röhrte, konnte außer Roland keinen anderen Gegner innerhalb der Absperrung entdecken und setzte sich wieder in Bewegung. In diesem Augenblick geschah etwas unerwartetes. Roland sah plötzlich etwas Rotes in die Arena fliegen. Stoff. Der Stier änderte schnell die Richtung und donnerte an ihm vorbei, während Roland sich zur Seite geschnellt hatte, was im Nachhinein betrachtet nicht mehr nötig gewesen wäre. »He, was soll das?« brüllte Roderich wütend und wandte den Kopf. Dann weiteten sich seine Augen. Isabella hatte sich die rote Bluse, die sie an diesem Abend trug, vom Leib gerissen und in die Arena geworfen. Jetzt bedeckte sie ihren Busen mit den Händen, doch die Wachen hatten ihren nackten Oberkörper natürlich gesehen und glotzten sie an. »Teufel, die Schau wird ja immer aufregender«, murmelte einer begeistert. Gregor lachte dröhnend. »Laß doch, Roderich! So wird das Vieh doch nur noch wilder! Jedes Kind weiß, daß ein Stier durchdreht, wenn er rot sieht!« Er schlug sich lachend auf die Schenkel. Auch die anderen fielen in das Lachen ein. »Ich will nicht, daß jeder mein Weib nackig sieht«, knurrte Roderich, doch dann hellte sich seine Miene auf, denn der Stier
wurde wirklich noch rasender. Er war so in Fahrt, daß er bald gegen die Bande geknallt wäre. Er konnte gerade noch schnaubend abdrehen, und noch schneller und wütender griff er von neuem an. Nun, Roland wußte nicht viel über die Zeremonie des Stierkampfes, der im fernen Spanien bei Hofe groß in Mode gekommen sein sollte. Roland ärgerte sich darüber, daß er im Kerker vergessen hatte, die Spanier nach Einzelheiten zu fragen. Auch er wußte, was geschah, wenn ein Stier rot sah. Aber er konnte sich denken, daß Isabella ihre Bluse samt Brusttuch nicht in die Arena geworfen hatte, um den Stier noch mehr aufzustacheln. Sie hatte das brüllende Ungetüm damit abgelenkt, und was ihr gelungen war, mußte ihm irgendwie auch gelingen. Er spürte bereits, wie seine Kräfte erlahmten, und er wußte, daß er auf die Dauer nicht gegen diesen Stier bestehen konnte. Die rote Bluse war für ihn so etwas wie der Strohhalm, an den sich ein Ertrinkender klammert. Er schnellte sich darauf zu, riß die Bluse hoch und sprang auf. Der Stier korrigierte ein wenig die Richtung, als Roland die rote Bluse weit zur Seite schwenkte. Doch er donnerte unaufhaltsam weiter. Roland wollte kein Risiko eingehen und schnellte sich zusätzlich zur Seite, denn er befürchtete, der Stier könnte ihm den Arm abreißen. Die Hörner zerfetzten die Bluse, und wenn Roland sie nicht geistesgegenwärtig losgelassen hätte, wäre er mitgerissen worden. Jetzt trug der Stier die roten Fetzen auf den Hörnern, schüttelte brüllend den massigen Schädel, und sie flatterten zu Boden. Wild rollte der Stier die Augen, wendete und griff von neuem an. Roderich lachte begeistert. »Na, hab ich's nicht gesagt?« frohlockte Gregor an seiner Seite. »Jetzt geht's erst richtig rund.« In diesem Augenblick flog ein zweites rotes Etwas in die Arena. Das Kleid der Zofe. Linda hatte es auf Isabellas Flehen hin vom Körper gerissen und geworfen. Und jetzt hatte sie kaum genug Hände, um ihre Blößen zu bedecken. Den Wachen quollen die Augen aus den Höhlen. »Wird ja immer besser«, murmelte der Kerl, der schon bei
Isabellas Bluse frohlockt hatte. »Zieht euch nur alle aus!« brüllte Roderich durch den Lärm. »Das rettet euren Favoriten nicht. Im Gegenteil!« Roland handelte schnell. Er sprang zu dem Kleid. Jetzt hatte er ein größeres Tuch als die Bluse. Und diesmal wollte er es sich nicht aus den Händen reißen lassen. Er hielt es mit beiden Händen weit von sich und starrte dem heranrasenden Stier in die blutunterlaufenen Augen. Ja, der Stier änderte ein wenig die Richtung. Im letzten Sekundenbruchteil riß Roland das Kleid hoch, und der Stier donnerte an ihm vorbei. Roderichs Lachen erstarb. »Bravo!« schrie Isabella, und die Spanier brüllten alle durcheinander, was recht begeistert klang. Niemand sah, wie der Pater wiederum seine Schlagkraft bewies, indem er den zweiten Posten auf dem Turm mit einem einzigen Hieb niederstreckte. Auch diesen Mann fing er auf und legte ihn ab. Dann winkte er zum Burggraben hinab und stieß einen Vogelschrei aus, bevor er davonhuschte. Im Dunkel außerhalb des Fackelscheins war er in dem schwarzen Gewand kaum zu erkennen. Roland schöpfte neue Hoffnung. Er hatte erkannt, daß er den Stier auf diese Art mit dem roten Tuch ablenken konnte. Doch wie lange würde das gutgehen? Wie lange dauerte es, bis solch ein Kraftkoloß ermüdete? Er selbst war in Schweiß gebadet, sein Schädel dröhnte, und Blut lief über seine Schulter. Seine Hände zitterten, und seine Knie waren weich, als er wiederum das Kleid schwenkte. Der Stier lief ins Leere. »Macht dem Mistvieh Feuer!« brüllte Roderich ärgerlich, und seine Räuber warfen wieder mit Steinen. »Lange hält der Kerl das nicht mehr durch. Der kippt ja schon fast von alleine um«, sagte Gregor zuversichtlich. »Da!« Entsetzt schrien die Gefangenen auf. Denn diesmal hatte der Stier noch im letzten Sekundenbruchteil den Schädel zur Seite gerissen und mit einem Horn das Kleid aufgespießt, und Roland war zu überrascht, um schnell genug loszulassen. Der Stier verfehlte ihn
zwar, doch Roland wurde von dem Ruck zur Seite gerissen, strauchelte und stürzte. Und er hatte das Gefühl, daß er zu mitgenommen war, um noch einmal auf die Beine zu kommen. Sein Herz hämmerte, und vor Schwäche wurde ihm fast übel. Der Stier drehte sich brüllend im Kreis und schüttelte wild den Kopf, um das rote Tuch loszuwerden. Das gelang ihm. Er stampfte das Kleid in Fetzen. Und dann erfaßte er die Gestalt und setzte sich in Bewegung. »Jetzt ist er reif!« frohlockte Roderich und starrte gebannt in die Arena. Unwillig wandte er den Kopf, als ihm jemand auf die Schulter tippte. Es war der Pater. »Was ist...?« begann Roderich barsch. Dann verstummte er jäh. Denn der Pater in dem langen schwarzen Gewand hielt kein Gebetbuch in der Hand, sondern einen Dolch. Im nächsten Augenblick packte er auch schon Roderich mit der Linken, umklammerte ihn mit hartem Griff und setzte ihm mit der Rechten den Dolch an die Kehle. Roderich wurde stocksteif. Zugleich geschah vieles gleichzeitig. Auf dem Wehrgang und den Türmen tauchten Männer auf, nur vage in der Dunkelheit zu erkennen, weil im Burghof der Fackelschein blendete. Es waren Bogenschützen und Schwerterkämpfer in Kettenhemden. Aus den Fenstern über den Köpfen der Gefangenen und ihrer Bewacher sprangen Männer hinab und rissen die überraschten Wachen zu Boden. »Ergebt euch, ihr habt keine Chance!« hallte eine Stimme über den Burghof. Nur zwei hörten nicht darauf. Gregor und der Stier. Gregor zückte sein Schwert und wollte den Mann angreifen, den er für einen Pater gehalten hatte. Da traf ihn ein Pfeil, und er stürzte röchelnd zu Boden. Der Stier flog förmlich auf Roland zu, doch Roland war nicht mehr waffenlos.
Einer der Männer auf dem Wehrgang hatte ihm ein Schwert zugeworfen. Zugleich schössen zwei Bogenschützen auf den rasenden Stier, um Roland vor dem Tod zu bewahren, denn sie sahen, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Doch in der Hast trafen sie nicht gut. Ein Pfeil prallte von einem Horn ab, und der zweite blieb schräg im Fell stecken und baumelte auf dem gewaltigen Körper herum wie eine große Stecknadel. So wenig Wirkung schien der Pfeil auch zu haben. Roland glaubte den heißen Hauch des Todes zu spüren, als der Stier schnaubend nahte. Im letzten Augenblick sprang Roland zur Seite, drehte sich so schnell er konnte und stieß dem Stier das Schwert in den Nacken. Der Stier brüllte, doch nichts sonst geschah. Mit dem Schwert im Nacken raste der Stier an Roland vorbei und wankte nicht einmal. »Ein Schwert!« schrie Roland. Sein Herz hämmerte, und er rang um Atem. Einer der Männer warf ihm ein Schwert zu. Ein anderer eine Lanze, doch sie landete zu weit fort. Mit einem schnellen Blick erfaßte Roland, wie der Mann mit dem schwarzen Gewand und dem Rauschebart Roderich einen Dolch an die Kehle hielt und wie seine Knappen und Männer in Kettenhemden die Wachen überwältigten. Dann richtete er sein Augenmerk wieder auf den Stier, der brüllend an den Eichenbalken wendete und mit rollenden Augen von neuem den Kopf senkte und losraste. Tief steckte das Schwert im Nacken des Stiers. Warum fiel das Ungetüm nicht um? Er mußte eine falsche Stelle erwischt haben. Roland wartete angespannt mit dem Schwert in der Hand. Er schwankte leicht und sah vor Schwäche den Stier ein wenig verschwommen im Schein der Fackeln. Ein paar Klafter vor Roland brach der Stier plötzlich zusammen, als sei er vom Blitz getroffen worden. Er stieß ein urgewaltiges Röhren aus, schüttelte den Kopf mit wild rollenden Augen, und Blut schoß aus seinem Nacken. Doch er kämpfte sich wieder auf. Er schaffte drei stolpernde Schritte und stürzte von neuem. Blut tropfte zu Boden. Wiederum schüttelte der Stier den Kopf, diesmal fast
menschlich resignierend und traurig - ein Anblick, der Roland rührte. Der massige gehörnte Schädel sank vornüber. Schnaubend versuchte der Stier noch einmal auf die Beine zu kommen, doch er schaffte es nicht mehr. Und Roland hatte das Gefühl, diese blutunterlaufenen Augen starrten ihn fast bittend an. Vorsichtig trat Roland neben den gewaltigen Körper und versetzte dem Tier den Todesstoß. Der Stier konnte nichts für diesen Kampf. Er war nur seinem Instinkt gefolgt. Menschen hatten ihn zu diesem Kampf getrieben. Und dieser gehörnte stolze spanische Bursche hatte weiß Gott sein Bestes gegeben. Genau betrachtet war er ein überlegener Gegner gewesen. Kein Mensch hätte diesen prächtigen, kraftstotzenden Kerl ohne Waffe bezwingen können. Deshalb wollte Roland ihm ersparen, qualvoll zu verenden. »Viva! Via!« Ein vielstimmiger Jubelschrei hallte über den Burghof, als sich der Stier schließlich nicht mehr regte. Roland wischte sich mit zitternder Hand Schweiß von der Stirn. Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. Seine Knie schienen aus Gummi zu sein, und er fühlte sich so ausgepumpt, daß er glaubte, es würde ihm jeden Augenblick schwarz vor Augen werden und er würde neben dem Stier zu Boden sinken. Immer noch hörte er spanische Jubelschreie, und dann erhob sich Isabellas Stimme über den Lärm. »Bravo, Torero! Schneide ihm die Ohren ab!« Sie rief es mit süßem bayerischen Klang, doch es war die Begeisterung der Spanierin in ihren Worten. Roland schüttelte leicht den Kopf. Er gab dem Stier einen leichten Klaps auf den Rücken. »Du hast tapfer gekämpft, Junge, und es tut mir leid, daß nur einer von uns überleben konnte. Ich habe noch nie einem besiegten Gegner die Ohren abgeschnitten - und so sollst du auch deine behalten. Isabella wird das schon verstehen.« *
Lange behielt der Stier die Ohren allerdings nicht. Nachdem die Männer von König Artus Roderich und seine Räuber in den Kerker geworfen hatten, gab es eine große Feier - eine Fiesta, wie es die Spanier nannten. Bis in den neuen Tag hinein wurde gespeist, getrunken, gesungen und getanzt. Der echte Arno von Berghe, seine Familie und seine Getreuen hatten Tränen in den Augen und konnten es noch gar nicht so recht fassen, daß sie in Freiheit waren. Monatelang waren sie im Kerker eingesperrt gewesen und hatten schon alle Hoffnung aufgegeben. Sie feierten Roland, selbst der traurige Egbert, der inzwischen wußte, daß aus einer Hochzeit mit Isabella nichts werden würde. Roland lehnte bescheiden den Dank ab und sagte, er gebühre dem »Pater« und den Männern, die König Artus geschickt hatte. Der falsche Pater war niemand anders als Volker vom Hohentwiel, der berühmte Minnesänger. Rolands Freund war gerade auf Camelot gewesen, als Rolands schlimme Botschaft eingetroffen war. Sofort war er mit zwei Dutzend Reitern des Königs aufgebrochen. Als sie Roland dann nicht in dem Wäldchen angetroffen hatten, wie er in seiner zweiten Botschaft angekündigt hatte, war der listenreiche Volker auf die Idee gekommen, als Pater verkleidet in der Burg die Lage zu sondieren. Später hatte er dann einem der Männer von König Artus einen Zettel mit einer Botschaft in den Burggraben geworfen, in der er die Lage geschildert und Anweisungen gegeben hatte. Die Männer hatten gewartet, bis alle in der Burg vom Stierkampf abgelenkt gewesen waren, hatten sich dann angeschlichen, und Volkers Vogelschrei war dann das Signal gewesen. »Den Kampf konnte ich dir leider nicht ersparen«, sagte Volker lächelnd zu Roland, als sie um das große Feuer im Burghof herumsaßen. »Ohne diese Ablenkung hätten wir kaum so leicht in die Burg eindringen können. Aber du hattest ja reizende Unterstützung von den Damen.« Galant lächelte er Isabella und ihrer Zofe zu. Die beiden bemerkten es kaum, und sie waren wohl die ersten Frauen, denen Volkers charmante Worte und sein feuriges Lächeln
gleichgültig war. Isabella hatte nur Augen für Roland, und Linda nur für Pierre. Louis hatte sich übrigens kurz davongemacht, um nach den Pferden zu sehen, wie er gemurmelt hatte, und Adelgunde war kurz darauf ebenfalls verschwunden. Sie tauchten dann später wieder auf, als Volker seine flugs ersonnene Ballade vortrug, die er »Die Todes-Fiesta« getauft hatte. Louis und Adelgunde wirkten äußerst vergnügt. Die dralle, blonde Maid hatte Stroh im Haar, und Pierre hatte welches an der Hose, doch das sah keiner, weil aller Blicke auf Volker gerichtet waren und weil alle gebannt lauschten, selbst die Spanier, die nichts verstanden, aber offenbar von Volkers Lautenspiel und seiner einschmeichelnden Stimme angetan waren. Dann gab es noch zwei kleine Zwischenfälle. Irgendwann in der Nacht lief eine der Mägde aufgeregt zwischen den Feiernden herum und rief nach Louis. Louis, der gerade mit Adelgunde scherzte, blickte kaum auf. »Was ist los?« fragte er. »Das fragst du noch - du verdammter, Kerl?« kreischte die Magd. Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte den Knappen mit zornblitzenden Kulleraugen an. Sie war ein junges, recht ansehnliches Ding mit blonden Zöpfen und kräftigem Körperbau. Und sie nahm kein Blatt vor das Schmollmündchen. »Erst einem Mädchen an die Unterwäsche gehen und dann mit einer anderen verduften - das haben wir gern!« schrie sie, und es klang gar nicht, als hätte sie es tatsächlich gern. Sie heftete ihren zornigen Blick auf Adelgunde, die blaß geworden war. »Ich werde dieser Ziege die Augen auskratzen!« Und schon stürmte sie auf Adelgunde zu. »Mal ein besonderer Stierkampf«, sagte einer der Männer lachend, als sich die beiden Mädchen in die Haare gerieten. »Sozusagen ein Kuh-Kampf«, flüsterte er seinem Nebenmann ins Ohr. Doch Louis ging entschieden dazwischen. Ein kurzer Wortwechsel, und das Mißverständnis klärte sich
schnell auf. Die Magd wollte im Dunkel von Louis überrascht worden sein. Ganz unangenehm war ihr diese lang dauernde Attacke nicht gewesen, wie sie leicht errötend zugab. Doch sie hatte just zu der Zeit stattgefunden, in der Louis und Adelgunde nach den Pferden geschaut hatten. Das gab Louis zu bedenken, und Adelgunde stellte trocken fest: »Du mußt schon einen anderen Louis meinen, du Ziege. Mein Louis leidet nicht an Geschmacksverirrung.« Die Magd kämpfte gegen Tränen an und schaute Louis genauer an. »Wenn ich's mir recht überlege«, gab sie ein bißchen zerknirscht zu, »einen Bart hatte er nicht. Und ganz so groß und breit war er wohl auch nicht. Aber im Dunkeln ...« »Hat er denn gar nichts gesagt?« fragte Louis amüsiert. »Nur seinen Namen - später«, gestand die Magd. »Und noch so einiges, das recht fremdländisch klang.« Und mit einem Seufzen fügte sie hinzu: »Er war ein so feuriger Mann.« Nun, Louis hielt sich auch für recht feurig, doch pflegte er sich den Damen zu Beginn der Konversation vorzustellen und nicht hinterher, und das sagte er ihr. »Und was soll ich denn jetzt machen?« fragte sie kleinlaut und ein wenig beschämt. »Den richtigen Luis suchen«, schlug er ihr lächelnd vor, und er ließ in Gedanken das »o« fort, denn ihm schwante so etwas. Just in diesem Moment tauchte wie gerufen der spanische Luis auf. Feurig wie nie und wohl auch ein bißchen vom Wein angeregt, bedachte er den Knappen mit einem spanischen Wortschwall, bis ihm die Luft ausging. Dann wies er auf Louis und sich, holte tief Luft und präzisierte das gesagte mit einem zweifachen: »Duell - Duell!« Der Knappe Louis seufzte. Nun ließ es sich wohl nicht mehr vermeiden. Doch da rief die Magd entgeistert: »Das ist er! Ich erkenne ihn genau an der Stimme!« Und sie jubelte: »Luis!« und warf sich dem verdutzten Spanier an den Hals. Nun, auch er schien sie an gewissen Dingen wiederzuerkennen, und er vergaß schnell das Duell und ließ sich von ihr fortziehen.
Das Fest verlief dann weiterhin recht harmonisch, wohl auch für den spanischen Luis, denn er ließ sich in dieser Nacht nicht mehr blicken. Nur die Magd tauchte mal kurz auf, mit glühenden Wangen und strahlenden Augen, um einen Krug Wein und zwei Gläser zu holen. Später gab es dann Stierbraten für die anderen Feiernden, der allen vortrefflich mundete. Nur Ritter Roland aß nichts davon. Man hatte ihm zwar versichert, es sei ein anderer Stier geschlachtet worden, doch Roland hatte den Köchen angesehen, daß sie flunkerten. Und er glaubte noch den Ausdruck in den Augen des sterbenden Stieres zu sehen, der nach seinem so tapferen Kampf dennoch besiegt worden war, und er hätte in dieser Nacht keinen Bissen davon heruntergekriegt. Er aß auch nichts von dem gebratenen Stierhoden, den Louis und Pierre nur so in sich hineinstopften, nachdem ihnen der Bratenmeister mit vertraulichem Zwinkern und einem Blick zu den Damen zugeflüstert hatte, das sei das Beste für die Manneskraft. Statt dessen aß Roland eine Schweinshaxe. Man hatte ihm versichert, daß die Sau ordnungsgemäß geschlachtet worden war und nicht noch lange hatte kämpfen müssen wie der spanische Stier. Später, im Morgengrauen, war Roland nach all den Strapazen erschöpft und müde und vom Wein berauscht. Vielleicht irrte er sich aus diesem Grund in der Zimmertür und schlüpfte statt in die Kammer, die ihm Arno von Berghe zugewiesen hatte, in die von Isabella.
ENDE
Ritter Roland möchte Mitglied der Tafelrunde werden. Bis er jedoch in den exklusiven Club aufgenommen wird, ist es noch ein weiter Weg. - Fünfzig harte Aufgaben muß er für den König ausführen, und dabei darf er keine unerledigt lassen. Ein hartes Brot für einen harten Mann. Diesmal schickt König Artus den Ritter mit dem Löwenherzen in die Grafschaft Trutzen. Dort soll er den verschwundenen Minnesänger Jacques d'Artagnac suchen. In Begleitung, seines Freundes Volker macht sich Roland auf den Weg. Prompt gerät er in einen
Bauernaufstand Von Hunger und Ausbeutung gepeinigte Bauern lehnen sich gegen ihren Grafen auf, und Roland steht zwischen den Fronten ... Liebe Ritter-Fans, Sie erhalten den Roman in 14 Tagen bei Ihrem Zeitschriftenhändler. Holen Sie sich diesen urigen Lesespaß aus einer Zeit, in der Männer noch Männer waren!