Nick Tosches
Die Meister des Bösen
Roman Die mächtigen Männer der sizilianischen Mafia im heutigen New York sind alt u...
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Nick Tosches
Die Meister des Bösen
Roman Die mächtigen Männer der sizilianischen Mafia im heutigen New York sind alt und grau geworden. Ihr Reichtum und Einfluß schwinden in dem Maße, wie die jungen und zu allem entschlossenen Verbrecherund Drogensyndikate aus Fernost, die Triaden, an ihre Stelle treten. Angesichts dieser düsteren Aussichten versuchen die Paten der ehrenwerten Gesellschaft, das Ruder noch einmal herumzureißen. Den Auftrag zur Führung dieser Mission erhält der junge Jonny Di Pietro, der so von einem Tag auf den anderen von einem kleinen Auftragskiller zu einem der mächtigsten Männer im internationalen Heroinhandel wird. Die Schauplätze dieser apokalyptischen Schlacht sind Manhattan und Mailand, Brooklyn, Hongkong und Palermo, die Strategien sind internationale Finanztransaktionen, Waffenhandel, politische Infiltration und Mord.
NICK TOSCHES
DIE MEISTER DES BÖSEN
EIN ROMAN
AUS DEM AMERIKANISCHEN VON FRITZ SCHNEIDER
KIEPENHEUER & WITSCH
1. Auflage 1996 Titel der Originalausgabe: Trinities Copyright © 1994 by Nick Tosches, Inc. Veröffentlicht durch Vermittlung von Doubleday, einer Abteilung von Bantam Doubleday Dell Publishing Group, Inc. Aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider Lektorat: Bettina Hesse © 1996 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlaggestaltung: Rudolf Linn, Köln Umschlagmotiv: © Gruner &Jahr Fotoservice/Photonica Gesetzt aus der Berthold Garamont Amsterdam bei Kalle Giese Grafik, Overath Druck und Bindearbeiten Graphischer Großbetrieb Pößneck, Pößneck ISBN 3-462-02520-1
Für sie, Heilerin und Zerstörerin, Dreimal Verfluchte, dreimal Gebenedeite, Unsere Gebieterin der Sturmböen, Inspiratrix.
Es begegnet dasselbe dem einen wie dem anderen: dem Gerechten wie dem Gottlosen, dem Guten und Reinen wie dem Unreinen, dem, der opfert, wie dem, der nicht opfert. Wie es dem Guten geht, so geht's auch dem Sünder. Wie es dem geht, der schwört, so geht's auch dem, der den Eid scheut. Das ist das Unglück bei allem, was unter der Sonne geschieht, daß es dem einen geht wie dem andern. Und dazu ist das Herz der Menschen voll Bosheit, und Torheit ist in ihrem Herzen, solange sie leben; danach müssen sie sterben. Prediger Salomo 9, 2-3
Kann es sein, daß der Mensch als böse erachtet, was Gott als gut erachtet? Liu Chi, Yü-li tzu
EINS
Er stand da wie das diffusere Ende seines eigenen Schattens, stand da, so wie jeden Abend, auf der Second Avenue neben der Bodega an der südwestlichen Ecke der 115th Street, eine auf vage Art beunruhigende, schemenhafte Gestalt in einer Kunstlederjacke. Er war knapp fünfundzwanzig Jahre alt, doch alle Jugend war aus ihm gewichen, und er hatte das fahle, maskenhafte Gesicht einer Leiche. Selbst die dünnen Fransen seines ungepflegten Schnauzbarts erinnerten an die weiter-sprießenden Haare eines Toten. In seiner linken Hand hielt er eine aufgerissene Zellophantüte mit Rolets' gerösteten BarbecueSchweinskrusten. Mit seiner rechten Hand fischte er darin herum und stopfte sich die letzten Krümel in den Mund. Er warf die schmierige Tüte auf den Boden und wischte sich mit seinem Kunstlederärmel Fett und Krümel von Mund und Bart. Geistesabwesend schaute er auf den Handrücken vor seinem Gesicht. »Mierda«, murmelte er. Seine Haut färbte sich schon wieder gelb. Er verscheuchte den Gedanken daran. Nein, sagt er sich, das war bloß das häßliche Licht aus der Bodega. Er schaute hinauf zum Mond, der am allmählich dunkler werdenden Himmel aufging, und sah, daß auch dieser ein häßliches Licht warf. »El Jockey ha Vorübergehenden
vuelto«, flüsterte er den zu: los toxicómanos,
Elendsgestalten wie er selbst und jugendliche Herumtreiber, die in lautstarken Rudeln die Straße entlangkamen. Diesmal, sagte er sich, hatte er zu früh wieder angefangen nach dem Entzug. Gleich morgen würde er aufhören. Diesmal würde er versuchen, ohne fremde Hilfe clean zu werden. Kein Thorazin, keine klinische Entgiftung, nein, auf diesen Scheiß konnte er verzichten. Er hatte noch etwas Trexan. Er würde etwas Methadon auftreiben, etwas Librium. Morgen fand ein Meeting in »Unserer heiligen Madonna der Engel« statt. Es würde schon wieder werden. Manana. Er verfluchte sich selbst, doch sein Fluch wurde hinweggespült vom sanft wirbelnden Sog der süßen Flut des Todes in seinen Venen. Er kratzte durch das Kunstleder an der sklerotischen Haut seines linken Arms, und fast hätte er gelächelt, als sich seine Augen zu schließen begannen. »El Jockey ha vuelto, el Jockey es vuelto.« Er hatte einen Kunden, dann noch einen. Es würde eine gute Nacht werden, er könnte früh Feierabend machen. Nicht weit von der Stelle, wo er stand, saßen zwei Männer aus Brooklyn an einem Tisch im kleinen Speiseraum einer Taverne an der Ecke First Avenue und 116th Street. Die beiden waren Mitte Dreißig. Einer von ihnen, seinen Mitmenschen als Willie Gloves bekannt, hatte Übergewicht, ohne wirklich dick zu sein. Sein dunkles, schütteres Haar war mit einem glänzenden Haarsprayfilm fest an den Schädel gepappt. Es wurde bereits grau und verriet Ansätze von Geheimratsecken. Der andere, ein
Mann namens Johnny Di Pietro, war schlank und drahtig und hatte sein Haar in kastanienbraunen Wellen nach hinten gekämmt. Der bullige Mann trug ein langärmliges geblümtes Hemd aus Kunstseide und ein goldenes Armband, der andere einen marineblauen Pullover und einen Anzug aus Kid-Mohair. Sie aßen in entspanntem Schweigen und schenkten sich gelegentlich aus einer zwischen ihnen deponierten Flasche Wein nach. Der schlanke Mann, der weniger und langsamer trank als sein Gegenüber, drehte sich hin und wieder um und schaute durch das Fenster zu dem heruntergekommenen Chrysler, der vor dem Lokal geparkt war. Nur zwei der anderen sieben Tische waren besetzt. Hinter dem gitterartigen Raumteiler saßen Männer an der Bar, in Gruppen, die sich gedämpft unterhielten, oder allein in stiller Betrunkenheit. Hier, wo die bedrohlichen LatinoBrisen East Harlems nicht hereinwehten, hier, wo der Modergeruch und die Düsternis älterer und bedrohlicherer Brisen fortlebten, schien sogar die Musikbox zu flüstern. Gerade noch wahrnehmbar schwebten die Crescendi von Jimmy Rosellis »Mala Femmina« durch den Raum wie das schwache Wispern einer fernen wütenden Wehklage. Die beiden Männer aus Brooklyn, die mit der Flasche zwischen sich am Tisch saßen und aßen, kannten dieses Lokal, seit sie Jungen waren, und für sie war der alte Mann, der das Lokal führte und das Essen zubereitete, schon immer ein alter Mann gewesen. Jetzt, da Jahre verstrichen waren, glich er eher einem Geist als einem Menschen, und das Lokal selbst, das früher farbenfroh geleuchtet hatte, war nun ein
düsteres Chiaroscuro aus braunen und verblichenen Ockertönen, das unter einer Patina aus Nikotin und Alter allmählich dunkler und dunkler wurde. Nein, dies war inzwischen weniger eine Bar oder ein Restaurant, sondern eher ein verwunschenes Heiligtum, und der alte Mann war dessen Hüter, er bewachte etwas, das es nicht mehr gab, bewahrte Zeiten und respektvolle Umgangsformen, die schon lange nicht mehr existierten außer in seiner Erinnerung und in der des ständig schrumpfenden Häufleins von Gästen, mittlerweile Fremde in ihren eigenen Straßen, die noch immer hier zusammenkamen. Doch der Tintenfisch in diesem Lokal hatte etwas, was die beiden Männer aus Brooklyn immer wieder hierhin zurückkehren ließ. Es war nicht die Sauce - sämig, mit viel Knoblauch und Wein angemacht -, auch wenn sie noch so gut war. Nein. Es war der Tintenfisch als solcher. Der Tintenfisch des alten Mannes zählte nicht zu dem faden, weißen, gummiartigen Zeug, das einem in anderen Lokalen aufgetischt wurde. Er verwendete nur calamaretti, die kleinsten Jungtintenfische; und das Fleisch ihrer Tintenbeutel und Fangarme war von erlesener Zartheit und besaß ein feines, angenehmes Meeresaroma. Die calamaretti müssen freschissimi sein, betonte der alte Mann unablässig, wobei er die sizilianischen Wörter calamaricchiu und frischissimu gebrauchte. Zwei Tage nach dem Tod, sagte er, seien ihre ursprüngliche Saftigkeit und der feine Geschmack dahin. Wie man Tintenfisch zubereitete, hatte er als Junge in Sciacca von seinem Onkel gelernt. Er hatte gelernt, die kleinen Exemplare langsam auf Eis sterben zu lassen,
denn der kalte, allmähliche Tod entspannte ihr Fleisch und machte sie zart. Er hatte gelernt, die Fangarme so vom Tintenbeutel abzuziehen, daß die Eingeweide mit einem Ruck sauber herauskamen. Ihre kleinen hervorquellenden Augen würden noch immer klar glänzen, wenn er das Messer über ihnen ansetzte. Ihr Fleisch sei im Frühling immer am köstlichsten, sagte der alte Mann. Und jetzt war Frühling. Wirklich, der Tintenfisch in diesem Lokal hatte etwas. Er war der Grund, warum die beiden Männer aus Brooklyn jeden Freitag in dieses Lokal kamen, jahrein, jahraus. Und die Tatsache, daß der alte Mann nur freitags Tintenfisch servierte, war auch der einzige Grund, weshalb es jener fahlgesichtigen Gestalt in der Kunstlederjacke vergönnt war, die Woche zu überleben. Die beiden Männer wischten ihre Schüsseln mit Brotstücken aus und tranken den letzten Schluck Wein. Einer der beiden legte eine Fünfzigdollarnote auf den Tisch, und sie erhoben sich, noch immer schweigend. Inmitten seiner hängenden Töpfe und Pfannen, umrahmt vom Küchendurchgang, hob der alte Mann einen Arm und winkte mit einer bedächtigen, leichten Bogenbewegung. Sie erwiderten die Geste und schritten dann zur Tür, wobei sie denjenigen an der Bar, die von ihrem Abgang Notiz nahmen, im Vorübergehen ihre wortlosen Grüße zunickten. Sie gingen zu dem heruntergekommenen Chrysler, und der drahtige Mann setzte sich hinter das Lenkrad. Der andere holte aus dem Handschuhfach eine 22er Colt-Woodsman-Pistole und einen langen Gold-Star-Schalldämpfer und
verschraubte sie miteinander. Er kurbelte das Autofenster herunter und schob seinen Ellbogen nach draußen, wobei er den Arm in einer natürlichen Haltung auf dem Fensterrahmen ruhen ließ. Mit seinem über den Bauch gelegten linken Arm hielt er die Waffe der Länge nach an die Innenverkleidung der Tür, die Mündung des Schalldämpfers ruhte in der Nähe seiner Achselhöhle. Der Fahrer wartete, bis der Mann mit der Pistole richtig Platz genommen hatte. Dann setzte er das Auto zurück, um loszufahren. Als er vom Leerlauf in den Rückwärtsgang schaltete, kam vom Boden des Wagens ein tiefes, dumpf schepperndes Geräusch, so als polterten schwere Gegenstände in einem Blechfaß herum. Keiner der beiden reagierte darauf; beide blickten stur geradeaus. Das Auto bewegte sich langsam in westlicher Richtung die 116th Street entlang, dann bog es in die Second Avenue, die es in südlicher Richtung hinunterfuhr. »Da ist es«, sagte der Fahrer. »Mein neues Getriebe.« Gemächlich rollte der Chrysler im Leerlauf aus und hielt ungefähr an der Stelle, wo der junge Mann stand. Er schielte kurz zu ihnen herüber, dann kam er zum Auto geschlendert. Er wandte sich an den Mann, dessen Arm im Autofenster ruhte, und flüsterte auf englisch: »Der Jockey ist zurück.« Der Ellbogen des aufgestützten Arms hob sich ein paar Zentimeter, ohne Vorwarnung, und dann gab es direkt darunter drei rasch aufeinanderfolgende, dumpfe Explosionen eines matt
aufschimmernden Lichts. Bevor er nach hinten wegkippte und umfiel, schlossen sich die Augen des jungen Mannes, sein Mund klappte auf, und er gab ein sonderbares Geräusch von sich. Für den Mann im geblümten Hemd sah er in diesem Augenblick wie eine Braut aus, die in den Arsch gefickt wird und gerade anfängt, es zu mögen. Sie hatten schon fast die George Washington Bridge überquert, als sie zu reden anfingen. »Dieser blöde Spic sah so aus, als wäre er demnächst von ganz alleine abgekratzt«, sagte der Killer. Er zündete sich eine Zigarette an. »Du hast noch immer keine Ahnung, um was zum Teufel es bei dieser Sache gegangen ist?« Der Fahrer grinste unbekümmert und zuckte mit den Schultern. »Bloß so ein Stück Scheiße, das mit Rauschgift dealt, um seine eigene Sucht finanzieren zu können«, sagte er. »Vielleicht ist er zu groß für seine Reeboks geworden, oder er hat seine chuchifritos irgendwo hingesteckt, wo sie nichts zu suchen haben. Woher zum Teufel soll ich das wissen?« »Scheiße, Mann, ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Spic-Arschloch gesehen habe, das älter als fünfzehn war und auf der Straße 10Dollar-Briefchen verkauft hat. Und abgesehen davon muß es schon was Wichtiges gewesen sein, denn sonst hätten sie nicht uns mit der Sache beauftragt.« Der Fahrer schwieg, und als er schließlich den Mund aufmachte, lag eine bittere Resignation in seiner Stimme. »Nichts von dem, was wir tun, ist
wichtig«, sagte er. »Soviel habe ich inzwischen kapiert.« Der Killer sah aus dem Fenster und nickte bedächtig, so als wollte er den Anschein erwecken, daß er sich die Worte des Fahrers durch den Kopf gehen ließ. »Ach was, dein Onkel wird dir schon die richtigen Türen öffnen.« »Klar! Um auf seinem verdammten Grab das Unkraut zu jäten. Der ist doch schon so gut wie tot. Die können's kaum noch erwarten.« Der Fahrer holte tief Luft, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er dachte an all den miesen Kleinkram, mit dem er sich in den vergangenen sechzehn Jahren abgegeben hatte. Er wußte mehr über das Leben als Männer, die doppelt so alt waren wie er. Er hatte so ziemlich alles gemacht, was anlag: Er hatte beim illegalen Lotterie- und Wettgeschäft die Einsätze kassiert und die Kneipen abgeklappert, um die Einnahmen aus den Musikboxen und Video-Spielautomaten abzuholen. Er hatte in zwei Stadtbezirken Schutzgelder eingetrieben und in drei verschiedenen Ortsgruppen den schmutzigsten Papierkram für die Teamsters erledigt. Er hatte gestohlene Aktien und Knarren, Schnaps und Autos an den Mann gebracht. Er hatte Schlägertypen losgeschickt, Spielhöllen beaufsichtigt und mit allem möglichen gehandelt - von gefälschten Fünfzigdollarscheinen bis zu geklauten Beileidskarten, die man normalerweise im Pfarrhaus kaufte, um den trauernden Hinterbliebenen mitzuteilen, daß man für den Verstorbenen eine Messe lesen ließ. Er hatte die innere Bestie dieser Welt vor sich
ausgebreitet gesehen in brutaler Vivisektion. Und trotzdem war er nie aus dem Bereich des läppischen Kleinkrams herausgekommen; kein grünes Licht, weder von seinem Onkel noch von irgend jemand anderem. Mittlerweile hatten sie New Jersey erreicht und fuhren in Richtung Bayonne: der lange, umständliche Weg zurück nach Brooklyn. Die Stimmung des Fahrers hob sich, und er grinste zum Killer hinüber. »Scheiße, was hat er noch mal gesagt?« »Wer?« »Mein neues Getriebe. Der Inselnigger von vorhin.« »Ach so, der.« Der Killer gab einen hämischen, kehligen Laut von sich, ein beiläufiges Hohngekicher. »>Der Jockey ist zurückIch seh Sie dann demnächstLeck mich!< hab ich geantwortet. >Ich werde dich demnächst sehen.