Was sich liebt … Nora Roberts Julia Gold 2 -3 1/99
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Was sich liebt … Nora Roberts Julia Gold 2 -3 1/99
1. KAPITEL Für Julia gab es keinen Zweifel, aber sie zweifelte ohne hin selten. Die Wand musste weg. Sie wanderte von dem kleinen Wohnzimmer in die angrenzende kleine Bibliothek. Definitiv. Und wenn die Wand weg war, würde sie statt zwei engen, ein bisschen düsteren Räumen einen großzügig geschnittenen, hellen Raum haben. Sie nickte entschieden und fuhr mit ihrer Besichtigungstour fort. Das ganze Glas würde durch Thermopane ersetzt werden müssen, und die Fensterrahmen mussten abgeschliffen werden, damit das Originalwalnußholz darunter zum Vorschein kam. Wer immer es blau gestrichen hatte, sollte dafür gehängt werden. Das alles sprach sie während ihres Rundgangs in das kleine Diktiergerät. Sie machte ihre Aufzeichnungen immer so, und ihre Kommentare waren ausnahmslos markig. Julia MacGregor hatte nicht nur starke Gefühle, sondern war auch überzeugt davon, dass es wichtig war, diese auszudrücken. Sie hatte in dem Haus in Beacon Hill bereits zwei Bänder besprochen und beschriftet - dem Haus, das sie zu ihrem Heim zu machen beschlossen hatte. Es würde unverwechselbar das ihre werden. Sie würde jede Einzelheit überwachen, bis hin zu der Farbe in den Fugen des Gästebads im ersten Stock. Den Bauunternehmer und seine Crew würde sie entweder mit ihrem Charme um den kleinen Finger wickeln oder tyrannisieren - und sie konnte beides sehr gut -, damit sie ihr bis aufs I-Tüpfelchen genau das lieferten, was sie erwartete. Mit weniger hatte sie sich noch nie zufriedengegeben. Julia wäre niemals auf die Idee gekommen, sich als verwöhnt zu betrachten. Sie arbeitete für das, was sie wollte. Sie plante, sie führte aus. Und sie konnte, wenn nötig, selbst tapezieren, Nägel in die Wand schlagen und Ritzen verfugen. Aber sie war der Meinung, dass es nicht umsonst für alles mögliche Fachleute gab, derer man sich nur zu bedienen brauchte. Und sie bezahlte gut. Sie war bekannt dafür, dass sie gern Ratschläge annahm, besonders wenn sie mit ihrer eigenen Sichtweise übereinstimmten. Und ein Projekt, das sie einmal in Angriff genommen hatte, blieb niemals liegen. Sie hatte von ihren Eltern gelernt, wie wichtig es war, zu planen, zu arbeiten und das, was man einmal angefangen hatte, auch zu Ende zu bringen. Alan MacGregor hatte seinem Land zwei Legislaturperioden lang im Weißen Haus als Präsident gedient, mit Shelby Campbell MacGregor als First Lady an seiner Seite, die eine Menge mehr geleistet hatte, als Dinnerpartys abzuhalten und Würdenträger zu begrüßen. Die Frauen des MacGregor-Clans waren niemals nur Widerspiegelungen ihrer Ehemänner gewesen. Eine MacGregor war eine ganz eigene Persönlichkeit. Und Julia war keine Ausnahme. Sie ging die sanft gewundene Treppe nach oben, eine Frau mit einer Haut, die samtig war wie die Blütenb lätter einer Rose, und gelocktem, flammendrotem Haar. Ihre schokoladenbraunen Augen suchten jetzt mit scharfem Blick jeden Mangel zu erfassen, der ihnen vorher eventuell entgangen lein könnte. Ihr Mund war groß und oft in Bewegung, ihre Hände waren schmal und hielten selten still. Ihr kurvenreicher Körper vibrierte vor Energie, die unerschöpflich schien. Nur jemand, der bis über beide Ohren in sie verliebt war, hätte sie schön genannt, aber selbst ihre Kritiker - und die hatte jede starke Frau, für die es selbstverständlich war, eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu vertreten - bescheinigten ihr einen einzigartigen Reiz. Ein ehemaliger Verehrer hatte sie einmal „die Amazonenkönigin" genannt. Und obwohl es damals nicht als ein Kompliment gemeint war, passte es zu ihr. Sie war robust, unabhängig und sexy.
Und sie war rücksichtslos. Sie tippte sich nachdenklich mit dem Finger ans Kinn, während sie sich in dem Schlafzimmer umschaute, das sie seit einem Monat bewohnte. Der wunderschöne Adam-Kamin musste aufgemeißelt werden. Dass die früheren Bewohner ihn zugemauert hatten, war noch eins der Verbrechen, derer sie sich Julias Meinung nach schuldig gemacht hatten. Sie sah sich schon, umringt von Kissen, in dem herrlichen Kufenbett aus Teakholz, das sie eingelagert hatte, liegen, neben sich eine Kanne Jasmintee und in der Hand ein gutes Buch. Und im Kamin knisterte das Feuer. Es war erst Ende August, und der Sommer hielt Boston Im Schwitzkasten, aber die Vorstellung gefiel ihr. Und an Thanksgiving würde sie bereits Wirklichkeit sein. Das Haus selbst würde an Weihnachten in neuem Glanz erstrahlen, und sie würde es mit einer rauschenden Silvesterparty einweihen. Das neue Jahr einläuten, überlegte Julia schmunzelnd. Wie auf ein Stichwort klingelte es an der Tür. Mr. Murdoch, dachte sie, wie immer auf die Minute pünktlich. Er war der Bauunternehmer, mit dem sie seit nahezu sechs Jahren am häufigsten zusammenarbeitete. Dieses Haus war nicht das erste, das Julia gekauft hatte, und auch nicht das erste, das sie restaurierte, oder das erste, das sie bewohnte. Häuser waren ihre Leidenschaft. Und die Spürnase fürs Geschäft hatte sie geerbt. Ihr Großvater hatte es mit einem wachen Verstand, scharfen Augen und dem Herzen eines Spielers von einem armen jungen Mann zum Millionär gebracht. Von all seinen Kindern und Enkelkindern war es Julia, die am ehesten in die Fußstapfen des großen Mannes trat. Sie rannte die Treppe hinunter, erpicht darauf, ihre Pläne so schnell wie möglich zu besprechen und mit dem listigen Schotten um die Kosten zu feilschen. Daniel MacGregor hatte ihr Michael Murdochs Firma bereits vor Jahren emp fohlen, und Julia war ihm noch heute dankbar dafür. Sie hatte das Gefühl, mit Michael Murdoch eine verwandte Seele gefunden zu haben. Deshalb lächelte sie, als sie die Tür öffnete. Eine Sekunde später verfinsterte sich ihr Gesicht. Es war nicht Michael Murdoch, sondern sein Sohn. Sie betrachtete Cullum Murdoch als das einzige Haar in der Suppe ihrer hervorragenden Geschäftsbeziehung mit dem Bauunternehmen. „Wo ist dein Vater?" fragte sie ungehalten. „Er fühlt sich nicht gut." Cullum verschwendete sein Lä cheln nicht an Frauen, die ihn ärgerten. Deshalb blieben seine kühlen grünen Augen und sein schön geformter Mund jetzt ernst. „Ich mache die Aufnahme." „Ist er krank?" Ihre aufrichtige Besorgnis veranlasste sie, nach der Hand, die Cullum ihr entgegenstreckte, zu greifen. „Was hat er denn? War er schon beim Arzt?" „Es ist nichts Ernstes, nur eine Sommergrippe." Aber er entspannte sich ein bisschen, weil sie anscheinend wirklich besorgt war. „Er muss nur für die nächsten zwei Tage das Bett hüten und sich schonen." „Oh." Sie standen sich noch immer auf der Türschwelle gegenüber, während die heiße Morgensonne auf sie niederbrannte. Sie ließ seine Hand los und überlegte. Sie hatte keine Lust, mit Cullum zusammenzuarbeiten, aber noch weniger gefiel ihr der Gedanke, das Projekt zu verschieben. Er las ihre Gedanken, und dunkle Brauen hoben sich über amüsiert dreinblickenden grünen Augen. „Wenn du es überlebst, überlebe ich es auch, MacGregor." Julia betrachtete ihn stirnrunzelnd. Männer, die teuflisch gut aussahen, ärgerten sie nur höchst selten. Und daran, dass Cullum teuflisch gut aussah, konnte kein Zweifel bestehen. Zu diesem eindrucksvollen, wie gemeißelt wirkenden Gesicht kamen als zusätzliche Pluspunkte noch die braune Löwenmähne hinzu, der die Sonne jetzt kleine goldene Lichter aufsetzte, das
schnelle, großspurige Grinsen - nicht, dass es jemals ihr gegolten hätte - und der hochgewachsene, sehnige Körper. Und ein knackiger Hintern in engen Jeans. Aber der Mann war ein Ärgernis, er ärgerte sie ununterbrochen. Ihre Persönlichkeiten prallten aufeinander wie Schwerter auf einem Schlachtfeld. Ärgernis oder nicht, dachte sie. Sein Handwerk verstand er. Und schließlich wollte er ja nur mit ihr den Rundgang machen. „Na schön, Murdoch, bringen wir es hinter uns." Er betrat die mit großen rotgeäderten Kacheln geflie ste Eingangshalle, streifte die Treppe mit einem flüchtigen Blick und schaute nachdenklich an die stuckverzierte Decke. „Wie ist das Fundament?" „Solide wie ein Fels." „Ich überprüfe es." Da, dachte sie zähneknirschend. Genau das war es. Der Mann stellte ständig ihr Urteilsvermögen in Frage, stritt mit ihr über ihre Ansichten und machte sich über ihren Geschmack lustig. Sie atmete tief durch. „Ich habe alles auf Band gesprochen", sagte sie und holte die Minikassetten aus der Tasche ihrer dunkelblauen Hose. „Aha, die famosen MacGregor-Bänder." Seine Stimme triefte vor Sarkasmus, als er sie entgegennahm und in die Gesäßtasche seiner Jeans schob. „Es ist viel praktischer, als es aufzuschreiben, und man kann mich weniger leicht missverstehen." „Ja klar, du trägst ja auch die Verantwortung." Wieder dieser sarkastische Unterton. „Es ist schließlich mein Haus", brauste sie auf. Er warf ihr einen kühlen Blick zu. „Niemand hat das Gegenteil behauptet." Er ging an ihr vorbei in das kleine Wohnzimmer und dachte sofort, dass derjenige, der die Fußbodenleisten ge strichen hatte, ausgepeitscht werden sollte. „Gemütlich." „Eng", korrigierte sie ihn. „Ich möchte die rechte Wand raushaben. Das Zimmer dahinter ist genauso eng, was meiner Meinung nach zwei verschwendete Räume bedeutet." Es war eine gute Idee, aber da sie so überzeugt schien, gab es nicht den geringsten Grund, sie in ihrer Überzeugung auch noch zu bestärken. Ganz abgesehen davon, dass er den unwiderstehlichen Drang verspürte, ihr zu widersprechen. „So alte Häuser mögen keine baulichen Veränderungen." „Die Wand kommt weg." Er schlenderte mit seinem federnden Gang seelenruhig hinüber und schaute an der Wand hinauf und hinunter. „Könnte sein, dass danach dieser wunderschöne Holzfußboden im Eimer ist." „Dann muss er eben repariert werden." Sie durchquerte den noch leeren Raum, ihre Schritte ha llten hohl auf dem Parkett. „Ich möchte, dass die Fußbodenleisten abgeschliffen werden, und außerdem müssen sie an einigen Stellen ausgebessert werden, aber das siehst du ja selbst. Im Kamin sind ein paar Steine locker, aber die Umrandung ist in einem erstklassigen Zustand. Und dort..." Sie ging in den nächsten Raum und wartete, bis er sich zu ihr gesellt hatte. „Die Terrassentür ist zu klein. Ich möchte eine größere haben. Walnussholz, facettiertes Glas, Messing." Er sah das Endergebnis vor sich und zollte ihm Beifall, aber er zuckte, mit den Schultern. „Das bedeutet, dass wir ein Stück Mauer herausbrechen müssen." „Das ist mir klar, Murdoch." „Es geht ins Geld." Ihre Augen funkelten spöttisch. „Über die Kosten sprechen wir, wenn der Kostenvoranschlag vorliegt. Die Wände müssen natürlich alle neu tapeziert oder gestrichen werden, und der Kamin dort..." Sie deutete mit dem Kopf auf den Kamin im angrenzenden Zimmer. „Ich möchte, dass er die gleiche Umrandung bekommt wie der dort drüben. Und der
Rauchfang hier ist zugemauert. Er muss wieder aufgemacht werden. Die Fenster bekommen natürlich alle Thermopaneglas." „Natürlich." Sein süffisantes Grinsen übersehend, rauschte sie an ihm vorbei, während sie weitersprach. Seinen Vater hätte sie nach seiner Meinung ge fragt und mit ihm darüber diskutiert, wie ihre Vorstellungen am besten zu verwirklichen wären. Sie hätten jetzt vielleicht über irgend etwas gelacht oder gemeinsam auf Händen und Knien die Fußleisten untersucht. Mit dem Sohn würde sie nichts von alldem machen. Ihre Stimme ist steif wie ihr Rückgrat, dachte Cullum. Und er wünschte sich sehnlichst, dass sie nicht so verteufelt gut röche. Dieser Kriegsgöttinnenduft, der ihn anfiel, sobald er sich ihr bis auf drei Schritte näherte, lenkte ihn ab. Er tat sein Bestes, um Abstand zu halten. Sie war in seinen Augen eine alte Gewitterziege. Alles andere als sein Typ. Die Tatsache, dass er sich in den sechs Jahren, die sie sich kannten, schon öfter gefragt hatte, wie ihre Lippen wohl schmecken mochten, war seiner Meinung nach nichts als ein Reflex. Sie gingen das Erdgeschoß Zimmer für Zimmer ab. Es war ein großes Haus, aber das war nicht weiter überraschend, denn natürlich würde sich Julia MacGregor keine Bruchbude kaufen. Sie hatte ein Händchen für Häuser, das musste er zugeben. Und er musste auch zugeben, dass sie sich um ihr Eigentum kümmerte. Aber sie konnte einfach ihren Mund nicht halten, und sie behandelte ihn wie einen Hirntoten, indem sie ihm jede Selbstverständlichkeit mindestens dreimal erklärte. Die Gästetoilette musste neu gefliest werden. Ja. Ja. Ja. Das Waschbecken brauchte neue Armaturen. Glaubte sie vielleicht, er sah nicht, dass die alten Armaturen verrostet waren? Er hatte Augen im Kopf, oder etwa nicht? Sie verbrachten fast eine Stunde in der Küche. Julia wollte sie völlig umgestalten, alles sollte sich um zwei Punkte gruppieren - den großen alten Kohleherd aus Eisen, den sie wieder funktionstüchtig gemacht haben wollte, und die sich über eine ganze Wand hinziehende Sitzecke aus Walnussholz. Es machte ihm Spaß, ein paar ihrer Ideen wegen Undurchführbarkeit abschießen zu können, und noch mehr Spaß machte es ihm, ihre Vorstellungen durch seine eigenen zu ersetzen. „Du hast hier eine Menge Platz." Er stand in der Mitte der Küche auf dem glänzenden Linoleumfußboden. „Warum willst du ihn verschwenden?" „Das ist keine ..." „Es ist völlig idiotisch, den Herd und den Kühlschrank so weit auseinander zu stellen. Du willst dich ungehindert bewegen können. Ästhetik und Bequemlichkeit. Es ist offensichtlch, dass du nicht kochst." Sie legte den Kopf schräg. „Und in deiner kleinen Welt zaubern Frauen ihren müden Männern ein warmes Abend essen auf den Tisch." „In meiner kleinen Welt essen Leute, die selbst kochen, besser. Die Spüle kann dort unter den Fenstern bleiben. Der Tresen führt hier herum. Man kann ihn geschwungen machen, dann bekommt das Ganze einen Anflug von Ele ganz." Seine Gesten waren lebhaft, ökonomisch, die Gesten eines Mannes, der es gewöhnt war, Verantwortung zu tragen und Anordnungen zu erteilen. „Der Geschirrspüler hier, der Herd dort, der Kühlschrank dort. Die Speisekammer unter der Hintertreppe würde ich beibehalten. Nur die scheußliche Tür sollte möglichst verschwinden. Und wenn ich du wäre, würde ich ..." „Du bist aber nicht ich." „Ich würde den Tresen auch noch hier herumführen. Dann hast du eine Art Bar. Es lockert den Raum auf, und es lassen sich bestimmt eine Menge Verwendungsmöglichkeiten dafür finden. Dann nimmst du diese Sommerveranda und beziehst sie in den Raum mit ein. Die Wand muss in diesem Fall natürlich weichen."
Sie hob eine schön geschwungene Augenbraue. „Ich dachte, so alte Häuser mögen keine baulichen Veränderungen?" Gut gekontert, dachte er, zuckte jedoch die Schultern. „Dafür ist es jetzt sowieso schon zu spät. Wenn du vorhast, eine Wand rauszureißen, kommt es auf die zweite auch nicht mehr an. Ich könnte dir unter den Fenstern eine Bank entlangziehen." Oh, sie konnte es sich bestens vorstellen. Bestimmt würde es wunderschön werden. „Ich habe letzte Woche eine schöne alte Kirchenbank gesehen." „Noch besser. Auf jeden Fall würdest du diese Veranda ja doch nur benutzen, um irgendwelches altes Gerumpel abzustellen. Aber wenn du es so machst wie eben besprochen, holst du dir den Garten ins Haus - in dem natürlich auch noch eine Menge gemacht werden muss - und zusätzlich ein herrliches Licht." Sie wollte es, auf jeden Fall. „Na schön, ich werde darüber nachdenken." „Okay, und den Fußbodenbelag willst du ja bestimmt auch nicht haben." „Er ist nagelneu." „Die Chancen stehen gut, dass darunter ein schöner Holzfußboden ist." „So bescheuert kann kein Mensch sein." Er zog ein Taschenmesser heraus und klappte es auf. Die grünen Augen blitzten herausfordernd. „Wetten dass?" Sie war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, dass er recht haben und dem. dass er unrecht haben möge. „Von mir aus, zieh mal eine Ecke ab. Aber wenn du unrecht hast, gehst du bei deiner Rechnung um fünf Prozent runter." „Und wenn ich recht habe, machst du die Küche so, wie ich es vorgeschlagen habe." Sie nickte. „Abgemacht." Er ging in die hinterste Ecke und kniete sich hin. Er brauchte weniger als zwei Minuten. „Du bist ein Glückspilz." „Nur Zement, stimmt's?" Mit einem süffisanten Grinsen schlenderte sie zu ihm hinüber und spähte nach unten. „Oh." Sie ging jetzt ebenfalls in die Knie, ganz aufgeregt beim Anblick der Holzdielen. „Was für Idioten. Heb mal das Linoleum noch ein Stück hoch." „Wahrscheinlich ist er zerkratzt und hat Flecken." Er zog noch mehr von dem Belag ab. „Deshalb haben sie den leichten Weg gewählt und einfach etwas drübergelegt." Es war, wie wenn man einen Schatz fand. Julia musste sich davon abhalten, das Linoleum mit ihren bloßen Händen abzureißen. Sie waren jetzt Hüfte an Hüfte, Schulter an Schulter. Die duftige Wolke ihres Haars streifte seine Wange. Der Geruch kitzelte ihn in der Nase, was ihn veranlasste, ohne nachzudenken den Kopf zu drehen und tief einzuatmen. Sie spürte das Flattern, das eine schnelle Antwort auf seine Reaktion war, in der Magengrube. Sie kam so schnell hoch, dass er sich fast die Nase an ihrem Kopf gestoßen hätte. „Was machst du denn?" „Nichts." Was, zum Teufel, war in ihn gefahren? Das war alles, was er denken konnte. War er total verrückt geworden? „Du hast an mir geschnuppert." „Krieg dich wieder ein. Ich habe Luft geho lt. Es ist nur etwas, das ich tue, um durch den Tag zu kommen." Die Tatsache, dass ihr Puls einen Freudentanz aufführte, machte sie fuchsteufelswütend. Ihr Mund war trocken, ihre Haut heiß. „Schön, dann lass es wenigstens, solange du in meiner Nähe bist", schnappte sie und stand schnell auf. „Gehen wir nach oben und bringen wir es endlich hinter uns." „Fein." Er klappte das Messer zu und schob es in seine Tasche, weil er befürchtete, womöglich der Versuchung zu erliegen und es sich wegen seiner momentanen Entgleisung selbst ins Herz zu stoßen. „Und keine Sorge, MacGregor, ich werde meinen Atem die ganze Zeit anhalten."
„Idiot", brummte sie in sich hinein, während sie die Küche verließ. Aber sie war sich nicht ganz sicher, wen von ihnen beiden sie meinte. Daniel MacGregor malte sich in allen Einzelheiten aus, wie er eine Zigarre paffte. Den Kopf zurückgelehnt in seinem großen Ledersessel in seinem großen Büro in seinem großen Haus, blies er imaginäre Rauchringe an die Decke, während er seinem guten Freund Michael Murdoch am Telefon lauschte. „Dann hat es dir der Junge also abgekauft." „Völlig«problemlos", gab Michael zurück. „Hab' ein bisschen gehustet und mir die Nase zugehalten, als ich ihn anrief." Michael gab Daniel eine kleine Kostprobe seiner Schauspielkunst und hielt sich die Nase zu. „Du wirst heute zu Julia fahren müssen, sagte ich. Ich fühle mich schlecht. Er hatte offensichtlich keine sonderliche Lust", fuhr Michael mit einer Stimme fort, die so klar war wie die Kirchenglocken am Sonntagmorgen. „Aber er ist ein guter Junge, und das Wohlergehen der Firma liegt ihm sehr am Herzen." „Er ist ein feiner Junge, dein Cullum." Daniel grinste die Decke an und wechselte mit dem Hörer an das andere Ohr. Er kannte Michael Murdoch seit fünfzehn Jahren, er respektierte ihn als Fachmann und mochte ihn als Mensch. Er hatte mit Michael getrauert, als dieser vor zehn Jahren seine Frau verloren hatte. Und fast ebensolange hatte er mit ihm Verschwörungen ausgeheckt. „Dann ist es also ein großer Auftrag", fuhr Daniel fort. „Das ist ausgezeichnet. Er wird ein paar Monate in Anspruch nehmen, in denen sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen können." „Ich werde noch für ein oder zwei Wochen krank sein . . . auf diese Art und Weise komme ich wenigstens endlich wie der mal zum Lesen. Und anschließend muss ich mich noch ein oder zwei Wochen schonen. Bis dahin wird Cullum bis über beide Ohren in dem Projekt drinstecken, und ich werde es mit Leichtigkeit schaffen, ihn davon zu überzeugen, dass er es zu Ende machen soll. An diesem Punkt wird er es in jedem Fall zu Ende machen wollen." „Mir ist bloß schleierhaft, warum der Junge nicht schon längst einen Schritt auf das Mädchen zugegangen ist. Sie kennen sich seit Jahren. Zwei starke, gesunde, attraktive Leute." Er schüttelte traurig den Kopf und strich sich den weißen Bart. „Ich sage es dir, Michael, Kinder muss man heutzutage an die Hand nehmen, oder sie bringen einfach nichts zuwege." „Zwischen ihnen ist ein Funke, Daniel. Wir beide müssen nur ein bisschen reinblasen. Es wird Zeit, dass mein Cullum heiratet und glücklich wird." „Ganz meiner Meinung." Zur Bekräftigung hieb Daniel mit der Faust auf den Schreibtisch. „Und mit Julia ist es dasselbe. Immerhin ist das Mädel inzwischen fünfundzwanzig. Worauf wartet sie noch?" Dann lehnte er sich lächelnd wieder zurück. „Sie werden uns prächtige Enkel schenken, Michael."
2. KAPITEL In gesegneter Unkenntnis der Tatsache, dass man ihr Leben für sie in die Hand nahm, saß Julia auf ihrem Bett und brütete über Musterbüchern. Tapeten, Wandfarbe, Kacheln. Sie wühlte sich durch Berge von Katalogen, in denen Angeln, Türklinken, Bad- und Kücheneinrichtungen abgebildet waren. Sie schrieb sich Möglichkeiten heraus und sprach ihre letztendlichen Entscheidungen auf Band. Mittlerweile waren zwei Woche n zäher Verhandlungen mit Cullum ins Land gegangen, bis die Vorarbeiten so weit abgeschlossen waren, dass man sich den Terminen und den geschätzten Kosten zuwenden konnte. Ihr war nichts anderes übriggeblieben, als zu akzeptieren, dass er bei diesem Auftrag die Federführung hatte. Wenn sie in das Büro der Firma Murdoch kam und sah, wie schlecht Michael Murdoch gesundheitlich beisammen war, hatte sie keine andere Wahl, als ihre Klagen hinunterzuschlucken. Bis er wieder richtig auf dem Damm war, sollte er im Büro bleiben und sich um die Schreibtischarbeit kümmern. Und sie wollte ganz bestimmt nicht dafür verantwortlich sein, dass er sich aufraffte und sich in ihr Haus schleppte, um den Fortgang der Bauarbeiten zu überwachen. Sie legte der Bequemlichkeit halber die Beine von rechts nach links. Den Morgen hatte sie mit Vertragsverhandlungen über ein Haus, das sie gekauft hatte, zugebracht. Sie hatte sich noch nicht umgezogen und trug immer noch den kurzen himmelblauen Sommerrock und die Jacke, die sie bei dem Treffen angehabt hatte. Gedankenverloren tippte sie mit dem Finger auf ein ge blümtes Tapetenmuster. Sie hatte eine Schwäche für bunte Steine, und ein Trio davon funkelte an ihrer Hand. Andere leuchteten an ihren Ohren, ihrem Handgelenk. Weil sie in der Sekunde, in der sie ihr Zimmer betreten hatte, ihre Haarspange gelöst hatte, fiel ihr jetzt das Haar wie ein brennender Wasserfall über die Schultern. Sie summte in sich hinein und freute sich an dem Hintergrund geräusch von Sägen und Hämmern, das aus dem Erdgeschoß herauf drang. Männer bei der Arbeit, dachte sie. Tolle Musik. Cullum konnte nur dankbar sein, dass sie nicht aufschaute, als er durch die offenstehende Tür ins Zimmer trat. Andernfalls hätte sie nämlich gesehen, dass ihm seine Zunge bis auf die Schuhe hinunterhing. Guter Gott, hatte die Frau Beine, sie waren endlos, wie es schien, und dieser winzige Rock bedeckte nicht sehr viel. Sie sah nicht im mindesten wie eine Geschäftsfrau aus. Eher schon wie eine heidnische Göttin. Der Anblick könnte einen fast vergessen lassen, dass sie Haare auf den Zähnen und ein Temperament wie eine Schlange hatte. Als sie sich gedankenverloren mit der Hand über den Oberschenkel fuhr, fielen ihm fast die Augen heraus, und er flehte um Erbarmen. Er musste zweimal langsam und tief einatmen, um sich wieder in den Griff zu bekommen. „Hast du eine Minute Zeit, MacGregor?" „Hm?" Die Buschwindröschen auf Taubenblau oder die traditionellen schmalen Streifen? Die Rosen, entschied sie. „MacGregor? Julia?" Er schlenderte zu ihr hinüber, schnipste unter ihrer Nase mit den Fingern und hatte das Vergnügen zu sehen, wie sie erschrocken hochzuckte. „Was?" Es war nur die Überraschung, die bewirkte, dass ihr Herz einen Satz machte, versuchte sie sich einzureden. „Deine Wand ist draußen. Dachte, du wolltest es dir vielleicht anschauen." „Oh. Ja klar. In einer Minute." Sie hasste es, überrumpelt zu werden. „Ich bin gleich unten."
Ein Mann müsste verrückt sein, von diesen Beinen wegzugehen, wenn er bleiben konnte, entschied Cullum. Er setzte sich auf die Bettkante und beobachtete belustigt, wie sich ihre Augen verengten. „Du bist deiner Zeit ein bisschen voraus, wie ich sehe." „Dasselbe lag mir eben auch auf der Zunge", sagte sie steif. „Tapeten brauchst du noch lange keine." „Es lohnt sich immer vorauszudenken." Er beugte sich vor und musterte die gestreifte Tapete, die sie eben verworfen hatte. „Langweilig." Sein Blick wanderte an diesen Beinen nach oben. „Ganz im Gegensatz zu dem, was meine entzückten Augen hier sehen." „Was ist das, ein Kompliment oder eine Beleidigung?" Sie widerstand der Versuchung, an ihrem Rock zu zerren. Diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht. „Eine Beleidigung", entschied sie. „Zieh Leine." „Für wen hast du dich denn so aufgebrezelt?" Er fingerte an dem Revers ihrer Jacke herum, wobei er wusste, dass sie ihm gleich die Hand wegschlagen würde. Sie enttäuschte ihn nicht. „Ich hatte einen Termin. Das Haus in der Court Street." „O ja, ganz nette Hütte, liegt aber zu weit in der Innenstadt." Er beugte sich vor, um in dem Musterbuch zu blättern. „Die solltest du für dieses Zimmer hier nehmen. Tiefgrün. Es beruhigt." Sie hatte auch schon daran gedacht. „Willst du dich auf Inneneinrichtungen spezialisieren, Murdoch?" „Wenn man lange genug dabei ist, weiß man, was geht und was nicht." Der Blick aus diesen Augen, die so tiefgrün waren wie die Tapete, die er ausgewählt hatte, hing wie eine Klette an ihr. „Und wenn man eine Menge Zeit und Mühe und Kreativität in ein Haus gesteckt hat, kriegt man die Krise, wenn die Bewohner daherkommen und mit ihrem schlechten Geschmack alles wieder ruinieren." Verdammt, sie war einer Meinung mit ihm. Das wurde immer gefährlicher. „Wo ist dein Vater?" „Rausgeflogen", scherzte er. Aber in seinen Augen flackerte Besorgnis. „Ich habe noch nie erlebt, dass er so lange gebraucht hat, um eine Erkältung loszuwerden. Er sagt, der Arzt hätte ihm Medikamente verschrieben und ihm befohlen, sich noch für weitere zwei Wochen zu schonen." „Das ist vernünftig." Da sie ihm seine Sorge sehr gut nachfühlen konnte, le gte sie Cullum eine Hand aufs Knie. „Es wird ihm bestimmt bald wieder gutgehen. Er ist zäh, glaub mir." „Er redet ständig herum, dass er alt wird. Verdammt, er ist doch erst sechzig." „Bestimmt ist es nur Selbstmitleid. Das habe ich auch immer, wenn ich krank bin." Sie drückte ihm tröstlich das Knie. „Mach dir keine Sorgen." „Er hat sich nach dir erkundigt, nach dem Projekt." Sie lächelte ihn an, ein höchst seltenes Ereignis. Cullum ent deckte, dass er es noch ein bisschen hinauszögern wollte. „Er hat groß rumgetönt, dass er vorbeikommen und die Sache selbst in die Hand nehmen will, aber er schafft es im Moment einfach noch nicht." „Er soll sich keine Gedanken machen. Ich bin mir sicher, wir bringen es auch allein über die Bühne, ohne dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen." „Wir können es versuchen." Er fuhr mit seinem Finger an ihrer Wade entlang und grinste, als sie die Augen aufriss. „Behalt deine Pfoten bei dir, Kumpel." „Du hast deine auf meinem Knie", stellte er fest und tätschelte ihre Hand. Sie riß sie fauchend zurück. „Geschieht mir ganz recht, wenn ich versuche, freundlich zu dir zu sein. Verschwinde aus meinem Bett." „Ich bin doch gar nicht drin", wehrte er sich. „Ich bin drauf. Und um die Wahrheit zu sagen, muss ich gestehen, dass ich bis jetzt auch nicht die Absicht hatte hineinzusteigen. Aber du hast mir eine ganze Welt neuer Möglichkeiten eröffnet."
„Murdoch, der Tag, an dem ich dich in mein Bett lasse, ist der Tag, an dem sie in der Hölle Schneemänner bauen." Er wusste nicht, was ihn trieb, sein Ego oder Verlangen. Vielleicht eine Mischung aus beidem. Er lehnte sich vor, bis ihre Gesichter ganz nah beieinander waren, bis ihre Blicke sich ineinander verhakt hatten und ihre Münder nur einen Atemzug voneinander entfernt waren. „Wetten?" Ihr Blut rauschte wie ein Ozean in ihren Ohren, und ihr Stolz erschauerte angesichts der Tatsache, dass sie einen winzigen Moment erregt war. In Versuchung. „Im Gegensatz zu dir wette ich nicht um Sex. Und im Gegensatz zu dir ziehe ich es nicht einmal in Erwägung, mit jemandem in die Horizontale zu gehen, den ich schon in der Vertikalen kaum ertragen kann." Weil er diesen Funken, der Interesse signalisierte, in ihren Augen aufleuchten sah, gab er sich zufrieden. Er zuckte die Schultern und stand auf. „Deine Beine gefallen mir trotzdem, MacGregor. Sie sind definitiv erste Sahne." Er schlenderte hinaus, während sie sich schwor, jeden Zentimeter Bein zu bedecken, wenn er in ihrer Nähe war. „Und dann wollte er mit mir wetten, dass ich mit ihm schlafe." Zwei Tage später war Julia noch immer fuchsteufelswütend. Sie tigerte durch ihr Schlafzimmer, während ihre Cousine Laura ihren drei Monate alten Sohn an ihre Schulter legte. „Er wollte dich nur ärgern." Zufrieden, dass Klein Daniel gefüttert, gewickelt und eingeschlafen war, legte Laura ihn in die Babytrage., die am Fenster stand. „Er weiß, wie leicht das geht." „Ich lasse mich nicht so leicht ärgern", widersprach Julia. „Es sei denn von Cullum Murdoch." „Genau. Lass ihn einfach links liegen, Julia. Du hast selbst gesagt, dass er seine Arbeit erstklassig macht. Der Zweck heiligt die Mittel." „Du hast ja recht." Julia schloss die Augen und befahl sich, ruhiger zu werden. Durch die geschlossene Schlafzimmertür kamen gedämpft die Geräusche der fortschreitenden Bauarbeiten herein. Sie machte die Tür jetzt immer zu. „Er existiert nicht einmal. Da." Sie öffnete die Augen wieder und lächelte. „Er ist weg. Ich habe ihn in die Wüste geschickt." „Gut gemacht." Dann biss Laura sich auf die Unterlippe und schaute auf ihren friedlich schlummernden Sohn hinunter. „Bist du dir sicher, dass du mit ihm zurechtkommst? Ich bin in zwei Stunden wieder da. Höchstens in drei, aber ..." „Natürlich komme ich mit ihm zurecht. Ich freue mich schon darauf, ihn einmal ganz für mich allein zu haben." Julia fuhr mit den Fingern über Daniels weiches schwarzes Haar. „Er ist so schön, Laura. Und wie groß er schon ist." „Ich weiß. Ich hasse jede Minute, die ich ohne ihn verbringen muss. Aber mir ist klar, dass ich mich langsam um eine Kinderfrau kümmern muss. Ich hätte nicht gedacht, dass es so mir so schwer fallen würde." „Du bist eine tolle Mommy, und Royce ist ein toller Daddy." „Daniel macht es uns leicht. Er ist ein süßes Baby." Sie seufzte. „Okay, okay, er wird sich wohl fühlen bei seiner Tante. Ich habe alles mitgebracht, was er eventuell brauchen könnte. Er dürfte eigentlich nicht hungrig werden, aber in der Flasche ist Milch, falls er doch anfängt zu quengeln. Vielleicht schläft er aber auch die ganze Zeit. Hier sind Windeln, sein Teddy und die Nummer vom Gericht." Laura musste sich Mühe geben, nicht an ihren Nägeln zu kauen. „Zwei Strampelhosen zum Wechseln und die Handynummern von Royce und mir. Du weißt, wie er geschaukelt werden will, wenn ..." „Laura." Julia musste lachen. „Ich verspreche dir, dass ich ihn nicht an Zigeuner verhökere, während du weg bist." „Ich bin besessen." Laura rang sich ein Lächeln ab. „Ich verspreche, mich zu bessern. Ich weiß es zu schätzen, dass du heute vormittag auf ihn aufpasst."
„Es macht mir Spaß. Ich habe keine Termine, deshalb werden Daniel und ich uns nur gegenseitig bewundern, bis du wieder da bist." Es dauerte noch weitere zehn Minuten, aber schließlich schaffte Julia es, Laura zur Tür hinauszubugsieren. Dann ging sie händereibend zu der Babytrage. „Endlich allein, mein Engel. Ich hoffe nur, dass du nicht den ganzen Vormittag verschläfst." Zwei Stunden später sah die Welt ganz anders aus. Der Engel schrie wie am Spieß. Sie hatte es mit der Flasche versucht, dem Teddy, mit Schaukeln, Hin- und Herlaufen, Singen. Nichts hatte funktioniert. Sein anbetungswürdiges kleines Gesicht wurde krebsrot, während er wütend aus voller Lunge schrie. „Was hast du gemacht, hast du ihn verhauen?" Daniel an sich gedrückt, fuhr sie herum, als sich die Tür öffnete. „Ja, das ist nämlich mein Lieblingszeitvertreib, vor allem wenn es kleine, hilflose Babys sind", schnauzte sie Cullum an. „Verschwinde. Komm schon, mein Süßer, hör doch endlich auf zu weinen." „Ist er nass?" „Nein, er ist nicht nass. Hältst du mich für bescheuert?" Mit ihrer freien Hand strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Auge. „Er will keine Flasche, er will nicht geschaukelt werden, und wenn ich bis nach Oklahoma liefe, würde es auch nichts ändern." „Lass mal sehen." Er verdrehte die Augen, als Julia Daniel schützend an sich drückte. „Komm schon, ich habe in den letzten zwei Monaten kein Baby fallen lassen. Komm her zu mir, großer Junge." Er nahm ihr das schreiende Bündel aus den Armen. „Was ist los, Kumpel?" Julia blinzelte bei dem Anblick. Der schlaksige Mann mit der Löwenmähne, den schmalen Hüften und dem verwaschenen Arbeitshemd, bei dem er die Ärmel hochgekrempelt hatte. Und in seinen Armen ein Baby, als wäre es das Natürlichste der Welt. „Vielleicht bekommt er ja einen Zahn." „Woher willst du das denn wissen?" „Weil ich drei Nichten habe, und die haben alle Zähne. Hat deine Cousine irgend etwas mitgebracht, worauf er herumkauen kann?" „Sie hat alles mögliche angeschleppt. Ich schaue nach." Während sie suchte, bot Cullum Daniel seinen Daumen an. Das Baby begann umgehend, darauf herumzukauen. „Wenn dein Kiefer so wund wäre, würdest du auch schreien", sagte er zu ihr. „Hier." Julia, die fix und fertig war von der Brüllerei, hielt ihm einen blauen Kauring hin. Als Cullum Daniel diesen in den Mund schob, hörte das Gebrüll schlagartig auf. Er wimmerte nur noch leise, und die Tränen trockneten auf seinem winzigen Gesicht. „Ist schon ein bisschen besser, was?" murmelte Cullum und fuhr mit einer Fingerspitze über Daniels Wange. Seine Augen blickten warm und schimmerten dunkelgrün, als er auf das Baby hinunterlächelte. „Gott, ist der niedlich." „Du magst Babys?" Er reckte die Arme und hielt den Kleinen so hoch in die Luft, dass Julia fast das Herz stehenblieb, und Daniel gluckste beseligt. „Man muss ihn nur von seinem wunden Kiefer ablenken", sagte Cullum zu ihr und brachte Daniel weiter zum Lachen, indem er ihn über seinen Kopf hielt. „Was ist, gehen wir zwei Hübschen mal nach unten zu den anderen?" „Du kannst nicht mit ihm nach unten gehen. Es ist viel zu laut und zu staubig dort." Cullum, der Daniel noch immer angrinste, schüttelte den Kopf. „Frauen. Machen sich ins Hemd wegen einem bisschen Staub. Bestimmt gefällt es ihm. Babys lieben Bewegung und Geräusche. Es wirkt stimulierend." Er setzte sich das unentwegt auf seinem Kauring herumbeißende Baby auf die Hüfte. „Und dann gibt's Mittagessen. Ein Bier und ein Truthahnsandwich."
Sie wollte nicht grinsen, es passierte einfach. Die beiden schauten sie an, das Baby aus großen Augen, aus gelassenen der Mann. „Na ja, vielleicht, nur für einen Moment. Aber mit der Kreissäge kann er noch nicht umgehen." Er gab Daniel einen Kuss auf den Kopf. „Kommst du mit oder vertraust du ihn mir an?" „Überraschenderweise würde ich ihn dir sogar anvertrauen, aber ich komme trotzdem mit." Sie schnappte sich ein Spucktuch. „Er spuckt viel", erklärte sie. „Was macht richtigen Männern schon ein bisschen Spucke aus?" „Cullum, ich..." Sie zögerte, ohne seine amüsierte Überraschung zu bemerken. Entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit hatte sie ihn beim Vornamen genannt. „Ich bin dir wirklich dankbar. Ich war kurz davor, mir jedes Haar einzeln herauszureißen." „Dabei hast du so hübsches Haar", sagte er und ließ seinen Blick darüber hinwegschweifen. „Es wäre eine Schande gewesen. Los, komm." Er streckte ihr die Hand hin. „Mal sehen, was der Steppke von unserer Arbeit hält." Ehe sie es sich versah, lag ihre Hand in der seinen, und dann erschien es ihr unhöflich, sie wieder zurückzuziehen. „Du machst gute Fortschritte. Meinst du, ihr könnt nächste Woche schon mit meinem Schlafzimmer anfangen?" „So ist es zumindest geplant." Der Lärm nahm zu, als sie zur Treppe gingen. „Dann räume ich übers Wochenende die Möbel raus und ziehe in das Schlafzimmer am Ende des Flurs." „Es wird klappen. Der Fliesenleger ist mit dem Gästebad so gut wie fertig. Ich weiß, dass es nicht die erste Priorität hatte, aber er war gerade frei. Und da du früher mit seiner Arbeit zufrieden warst, dachte ich mir, es ist besser, wenn ich ihn mir schnappe, bevor er einen anderen Auftrag annimmt." „Prima. Ich werde einen Blick darauf werfen." „Hast du dich schon für einen Tresen in der Küche entschieden?" „Ja, gestern." „Was für eine Farbe und was für ein Material möchtest du denn?" „Schieferblaue Kacheln, dunkelblau verfugt." „Gar nicht mal so schlecht." Es würde atemberaubend aussehen. „He, Cullum." Einer der Zimmerleute kam aus dem vergrößerten Wohnzimmer. „Wollen Sie einen Blick drauf werfen, bevor wir weitermachen?" „Ja, ich komme." „Moment, ich nehme ihn." Ihre Arme streiften sich bei der Übergabe des Babys. „Geh schon, wir schauen aus sicherer Entfernung zu." Er gab Daniel einen sanften Nasenstüber. „Vergiss nicht das Bier und das Sandwich, Kumpel", sagte er und ging davon. „Na, das war eine ganz schöne Überraschung, findest du nicht?" murmelte sie, während sie sich Daniel an die Schulter legte. „Wer hätte gedacht, dass so ein Ärgernis von Mann so lieb mit einem Baby umgeht?" Daniels Rücken tätschelnd, ging sie zur Tür. Die Wand war draußen, der Raum war groß und von Licht durchflutet. Und voller Männer, Lärm und Werkzeuge. Nichts bereitete ihr mehr Freude, als zu beobachten, wie Bauarbeiten vorangingen. Einfach in ein fertiges Heim einzuziehen, reichte ihr nicht. Es war soviel befriedigender, einen Raum zu sehen und sich zu überlegen, durch welche baulichen Veränderungen er gewinnen könnte, und dann zu beobachten, wie diese Vorstellungen Schritt für Schritt umgesetzt wurden. Eine Plane bedeckte den Fußboden, auf Böcken lagen Bretter, bereit zum Absägen. Vor dem Kamin kniete der Maurer und zementierte die Steine ein, die sich gelockert hatten. Dort, wo gestern noch die Wand gewesen war, stand Cullum mit zwei Männern. Die Hände in den Gesäßtaschen seiner Jeans, diskutierte er über den mit einem Rundbogen versehenen Durchgang, der als Verbindung zwischen den beiden Räumen vorgesehen war. Er lachte, und es klang durch und durch männlich.
Durch und durch männlich, dachte Julia und merkte zu ihrer Überraschung, dass sie einen kleinen Kitzel verspürte. Das war genau die richtige Beschreibung für ihn. Seine Hand, die die ihre genommen hatte, war hart und schwielig gewesen. Er hatte nach Sägespänen und Schweiß gerochen. Sein an Arbeit gewöhnter Arm war muskulös. Und die Art, wie die Hose seine Hüften umspannte, war . . . köstlich anzusehen. „Oje!" Sie atmete prustend aus. Was interessierte es sie, wie seine Jeans saß? Und was spielte es schon für eine Rolle, dass seine Pupillen vorhin von einem dünnen Goldring umschlossen gewesen waren, bevor das dunkle und verschleierte Grün die Oberhand gewonnen hatte? Sie war an ihm als Mann nicht im mindesten interessiert. Er war nichts weiter als ein bezahlter Arbeiter. Dann drehte er sich um, grinste sie schief an und winkte dem Baby zu. Ihr Herz schlug einmal, dann noch einmal hart gegen ihre Rippen. Sie war plötzlich sehr dankbar, dass sie seine Wette nicht angenommen hatte.
3. KAPITEL Julias Tag hatte mit einer Frühstücksrede vor der Bostoner Geschäftsfrauenvereinigung begonnen. Um eins musste sie in Harvard bei einem Forum über politische Wissenschaften einen Gastvortrag halten. Und am Abend würde sie vor der Vereinigung der Haus- und Grundstücksmakler sprechen. Es machte ihr nichts aus, Vorträge zu halten. Sie musste schließlich nur ihre Sicht der Dinge vortragen. Und gegebenenfalls Ratschläge erteilen. Sie glaubte beides gut zu können. In den acht Jahren als Tochter des Präsidenten hatte sie es gelernt, wie man mit Leuten, Menschenmassen und Medien umging. Sie erklärte sich zu mehreren solcher Veranstaltungen im Jahr bereit und versuchte dann, diese in ein oder zwei Tagen hinter sich zu bringen. Ihr Zeitplan war dicht gedrängt, was sie jedoch nicht daran hinderte, am Spätnachmittag die Antiquitätenge schäfte nach Türklinken durchzukämmen. Die Türklinken, die im Handel erhältlich waren, gefielen ihr nicht. Sie wollte ein bisschen Abwechslung. Jede Tür im Haus sollte anders und einzigartig aussehen. Sie trug poliertes Messing, facettiertes Glas, glattes Holz, glänzendes Emaille zusammen. Klinken und Türknöpfe in wundervollen Formen und Materialien. Als sie fertig war, hatte sie mehr als drei Dutzend verschiedener Türklinken in ihrer Schachtel. Auf ihrem Weg nach Hause beschloss sie, bei Murdoch and Sons einen kurzen Zwischenstopp einzulegen. Sie wusste, dass Michael Murdoch sich freuen würde, zu hören, wie die Arbeiten vorangingen. Sie konnte sich ein bisschen mit ihm unterhalten und ihm zeigen, was sie gekauft hatte. Sie fuhr durch das Industriegebiet mit seinen Hochhäusern und den riesigen Trucks, wo sie sich ebenso zu Hause fühlte wie in der vornehmen Gegend von Beacon Hill. Sie hupte und winkte freundlich, als sie an Leuten vorbeikam, die sie kannte. Dann hielt sie vor dem Büro von Murdoch and Sons, erfreut darüber, Michael Murdochs verbeulten Chevy auf dem kleinen Parkplatz zu sehen. Sie klemmte sich ihre Schachtel unter den Arm und ächzte ein bisschen unter dem Gewicht. Sie trug noch das elegante Kostüm, in dem sie ihre öffentlichen Auftritte hinter sich gebracht hatte, was die Männer in ihrer Nähe zum Anlass nahmen, ihr die unvermeidlichen Pfiffe hinterherzuschicken. Sie nahm es mit einem sorglosen Grinsen und einem Winken hin. Sie kannte die meisten von ihnen mit Namen und hatte mit vielen von ihnen schon zusammengearbeitet. Das vordere Büro war klein und sympathisch unordent lich. An einem uralten Metallschreibtisch saß eine etwas gequält lächelnde Frau in einem Murdoch-and-Sons-TShirt, in deren aufgetürmtem Haar drei Stifte steckten. „Hallo, Julia. Gut sehen Sie aus." „Hallo, Meg. Viel zu tun?" Als das Telefon klingelte, verdrehte Meg die Augen und na hm ab. „Murdoch and Sons, bitte warten Sie einen Moment." Sie stieß einen kleinen Seufzer aus, als sie den Unterbrechungsknopf drückte. „Das Geschäft läuft gut, was bedeutet, dass ich das Telefon noch im Schlaf höre. Was kann ich für Sie tun?" „Ich habe ein paar Sachen, die ich dem Chef zeigen wollte." Julia klemmte sich die Schachtel unter den anderen Arm. „Ist er frei?" „Für Sie? Machen Sie Witze? Gehen Sie am besten direkt nach hinten durch." „Danke. Wie geht es ihm denn?" „Er muss sich im Augenblick noch ein bisschen schonen, aber es wird schon wieder werden. Wenn er Sie sieht, wird es ihm gleich bessergehen. Ich rufe rasch durch, dass Sie auf dem Weg zu ihm sind."
„Großartig. Ich will ihn auch gar nicht lange aufhalten", versprach Julia, klemmte sich die Schachtel wieder unter den anderen Arm und ging über den kurzen Flur. Es überraschte sie, dass Michaels Tür zu war. Offene Türen gehörten zum Murdochschen Firmenstil. Besorgt hob sie die Hand und klopfte. Ihre Besorgnis verwandelte sich in ernste Sorge, als er die Tür öffnete. Er war rot im Gesicht und schaute ein bisschen unbehaglich drein. Michael hatte blitzschnell aufstehen müssen, nachdem Meg ihn telefonisch von Julias Kommen unterrichtet hatte. Der Hot dog, den er ins Büro geschmuggelt hatte und den er gerade genüsslich verspeisen wollte, verschwand zusammen mit einer Flasche Bier ebenso in einem Aktenschrank wie das Elektronikspiel, das er sich von seiner Enkelin ausge borgt hatte, und ein großes Stück Schokoladenkuchen. Solche Dinge passten nicht gut zu dem Bild eines alten, kranken Mannes. „Julia." Er musste sich nicht bemühen, seine Stimme atemlos und schwach klingen zu lassen. Das erledigten seine Nerven für ihn. „Wie reizend von Ihnen, mal reinzuschauen. " „Mr. Murdoch." Besorgt stellte sie die Schachtel auf seinem Schreibtisch ab und griff nach seinen Händen. Er wirkte fiebrig und zittrig. „Sie gehören ins Bett." „Oh, mir geht es gut." Er fand es angebracht, einen Hustenanfall vorzutäuschen. „Ich nehme es nicht so schwer, meine Liebe. Früher hätte mich so ein dummer Bronchialkatarrh nicht so umgehauen." „Ich dachte, es wäre eine Sommergrippe." O Teufel, dachte er. „Sie hat sich in der Brust festgesetzt. Kommen Sie, setzen wir uns." Sie führte ihn zu einem Stuhl. Einen Moment lang glaubte sie, Zwiebeln zu riechen, aber sie verwarf den Gedanken. Michael seufzte schwer auf. „Berichten Sie mir, wie macht sich mein Junge bei Ihnen?" Sie hätte durchaus mit ein paar Beschwerden aufwarten können, vor allem mit der Tatsache, dass Cullum jede ihrer Entscheidungen mit penetranter Hartnäckigkeit hinterfragte. Aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel und lächelte. „Es geht gut voran. Aber natürlich wäre es mir wesentlich lieber, Sie würden den Fortgang der Bauarbeiten beaufsichtigen, schöner Mann", scherzte sie. Er grinste und drückte ihre Hand. Kein Mann konnte sich eine perfektere Schwiegertochter wünschen, entschied er. Als ob sie handverlesen wäre. Und natürlich war sie das. „Cullum gibt bei allem, was er tut, sein Bestes." „Kein Wunder, er ist ja auch bei dem Besten in die Lehre gegangen." Michael wischte das Kompliment grinsend beiseite. „Sie machen mich ganz verlegen. Und was haben Sie mir da in der Schachtel mitgebracht?" „Lauter Schätze. Oh, ich bin ja so aufgeregt, Mr. Murdoch. Ich war auf der Jagd nach Türklinken." Seine Augen leuchteten auf. „Na, dann lassen Sie mal sehen." Sie spielten zwanzig Minuten mit ihrem neuen Spielzeug, spekulierten über das Alter und die mögliche Geschichte der einzelnen Türklinken und überlegten sich, an welche Art von Türen sie wohl passen mochten. „An meinem Schlafzimmer habe ich eine wunderbare alte Tür aus Eichenholz. Gott sei Dank haben diese Bauern, die das Haus vor mir hatten, wenigstens noch ein paar wenige Sachen in ihrem Originalzustand belassen. Aber Sie haben ja sicher gehört, was sie mit den Lamperien angestellt haben." Michael nickte traurig. „Ja. Eine Sünde und Schande ist das." „Und hat Cullum Ihnen erzählt, dass sie über den schönen alten Holzfußboden in der Küche Linoleum gelegt haben?" Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr wieder ganz heiß. „Sicher, er ist ziemlich ramponiert, aber man kann ihn abschleifen. Es wird wunderbar aussehen." Sie wedelte mit der Hand. „Was meinen Sie, würde dieser gläserne Türknopf nicht perfekt zu der Schlafzimmertür passen?"
„Auf jeden Fall." Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Es macht mir riesigen Spaß, mich mit jemandem zu unterhalten, der einer Meinung mit mir ist. O Gott, wie die Zeit verfliegt. Ich muss nach Hause und mich umziehen." „Gehen Sie heute abend aus?" Ein paar dezente Nachforschungen können nicht schaden, dachte er. „Haben Sie einen neuen Kavalier?" „Kein neuer Kavalier, nur einen Vortrag und eine Einladung zum Abendessen um halb acht." „Warum lassen Sie die Türklinken nicht einfach hier, und ich gebe sie dann Cullum? Dann kann er sich auch schon mal ein paar Gedanken machen." „Großartig. Ich kann es gar nicht erwarten, sie an den Türen zu sehen." Sie reichte ihm die Hand zum Abschied. „Und Sie passen auf sich auf, Mr. Murdoch. Ich will bei meiner Einweihungsparty mit Ihnen tanzen." „Ich werde da sein." Als sie hinausging, lehnte er sich in sich hineingrinsend zurück. Ihm war eben eine glänzende Idee gekommen. Einen Moment später erhob sich der schlaue Fuchs langsam, ging mit schleppenden Schritten zur Tür und machte sie zu. Dann eilte er munter wie ein Fisch im Wasser zu seinem Schrank und holte sein vorzeitiges Abendessen heraus. Er futterte genüsslich, während er mit Daniel MacGregor telefonierte und ihm seinen neuesten Plan schilderte. „Verfluchtes Weibsbild", brummte Cullum in sich hinein, während er den gläsernen Türknopf an der Schlafzimmertür befestigte. Oh, natürlich hatte sie es schlau eingefädelt, sich mit ihren Forderungen an seinen Vater zu wenden, weil er, Cullum, ihr schon die Meinung gegeigt hätte, wenn sie damit zu ihm gekommen wäre. Was, zum Teufel, dachte sie sich dabei, eine Party zu planen, während das ganze Haus noch eine Baustelle war? Vielleicht glaubte sie ja, es würde ein Riesenspaß werden, wenn ganze Horden ihrer versnobten Freunde hier einfielen und Häppchen essend über die Plastikplanen auf dem Fußboden spazierten und unqualifizierte Bemerkungen über die unfertigen Decken machten? Und natürlich bestand sie darauf, dass bis dahin die Türklinken angebracht waren. Er dachte ja gar nicht daran, Überstunden zu machen. Es machte ihm nichts aus, auch einmal länger zu arbeiten - wenn es erforderlich war aber es machte ihm etwas aus, sich herumschikanieren zu lassen. Er hatte gar keine andere Wahl gehabt, als sich einverstanden zu erklären, mit der Schachtel zu ihr zu fahren und die Türklinken anzubringen, während sie sich irgendwo amüsierte. Nicht nachdem ihn sein Vater eindringlich ermahnt hatte, um Himmels willen nicht eine ihrer besten Kundinnen zu verärgern, nicht nachdem sein Vater so müde und erschöpft ausgesehen hatte. Ich kann rüberfahren und es selbst machen, Cullum, wenn du keine Zeit hast. „Ganz bestimmt", brummte Cullum zähneknirschend. „Als ob ich ihn um neun Uhr abends irgendwohin zum Arbeiten schicken würde, damit er womöglich noch umkippt." Mittlerweile war es fast elf, und er war beinahe fertig. Seine Wut war stetig angestiegen, während er sich von Tür zu Tür vorarbeitete. Es spielte keine Rolle, dass er ihre Idee, jede Tür im Haus mit einer anderen antiken Türklinke zu versehen, gut fand. Ihre Mittel heiligten den Zweck nicht. Sie war eine verwöhnte, arrogante, egozentrische Person. War er nicht schon immer dieser Meinung gewesen? Wie idiotisch von ihm, vorsichtig in Erwägung zu ziehen, dass da vielleicht auch noch etwas anderes sein könnte. Die Art, wie sie das Baby gehalten hatte, die Art, wie sie mit den Arbeitern scherzte oder Berge von Doughnuts und literweise Kaffee für sie anschleppte. Sie hatte sich nach ihren Namen und ein paar persönlichen Einzelheiten
erkundigt, und sie fand immer einen Moment Zeit, um einem der Männer ein Kompliment bezüglich seiner Arbeit zu machen. Alles nur Taktik, dachte er jetzt. Er hörte, wie die Eingangstür aufging, und lächelte grimmig. Dann kam das Partygirl jetzt also nach Hause. Blieb nur zu hoffen, dass sie einen netten Abend verlebt hatte, weil ihr jetzt nämlich von dem, was Cullum Murdoch ihr zu sagen hatte, die Ohren klingen würden. Er war schon am Treppenabsatz, als die Stimmen im Foyer zu ihm heraufdrangen. Julias Stimme und die eines Mannes. Er verzog verächtlich die Lippen. Wahrscheinlich einer ihrer Lustknaben, überlegte er, während er leise einen Schritt nach vorn trat, um sie sehen zu können. „Todd, ich bin wirklich müde. Ich hatte einen langen Tag." „Du wirst mich doch nicht ohne einen Drink wegschicken." Sie seufzte und versuchte, nicht verärgert zu sein. Sie ging mit Todd ab und zu aus . . . seit sechs Monaten. Und sie fand es beschämend zuzugeben, dass es eine seiner herausragendsten Eigenschaften war, in einem dunklen Anzug toll auszusehen, und dass er sich auf dem gesellschaftlichen Parkett, auf dem es meistens todlangweilig zuging, gut bewegen konnte. Sie nahm an, dass sie ihm schon allein dafür einen Drink schuldig war. „Na gut." Sie zog ihren Mantel aus und enthüllte das enge schwarze Abendkleid, das sie darunter trug. „Was möchtest du?" „Am liebsten hätte ich ..." Er legte ihr mit einer geschmeidigen Bewegung einen Arm um die Taille und drückte seinen Mund auf den ihren, bevor sie mehr tun konnte, als eine in ihr aufsteigende Gereiztheit zu registrieren. Sie protestierte nicht, aber sie reagierte auch nicht. Sie hatte bereits zu ihrer leisen Enttäuschung entdeckt, dass bei Todds Küssen weder ihr Blutdruck anstieg, noch ihr Puls raste. Es war nur angenehm, aber ein gutes Buch zu lesen war auch angenehm. „Todd, ich bin müde." „Deshalb muntere ich dich ja ein bisschen auf." Seine Hände streichelten ihren Rücken, wo sich über nackter Haut zwei dünne Bänder kreuzten. „Ich will es schon so lange. Ich will dich, Julia." „Es tut mir leid. Aber es ist einfach nicht..." Ihre Gereiztheit stieg, und ein paar Alarmglocken begannen zu bimmeln. Er schlang seine Arme fester um sie, und sein Mund wurde hart und fordernd. Sie hob ihre Arme, um sich sanft aus seiner Umarmung zu befreien, dann aber spürte sie seine Hände auf ihrem verlängerten Rücken. Jetzt war ihr Stoß nicht mehr sanft. „Nein." „Julia." Noch immer lächelnd, streckte er die Hand nach ihrem Träger aus und begann damit herumzuspielen. „Lass uns aufhören, Spielchen zu spielen." Sie knirschte mit den Zähnen, als er mit den Fingerspitzen über ihre Brüste fuhr. „Weißt du nicht, was nein heißt?" Sein Lächeln erstarb. „Hör zu, du lässt mich jetzt schon seit Monaten hinter dir herhecheln. Ich habe mich in Geduld geübt, aber langsam habe ich es satt zu warten." Ihre Augen sprühten wütende Funken. „Na toll, ich vermute, in diesem Fall sollte ich mich wohl einfach hinlegen und dich machen lassen. Wie lachhaft zu denken, dass zum Sex zwei interessierte Leute gehören." „Du weißt verdammt gut, dass du interessiert bist. Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du dieses Kleid heute abend angezogen hast, um eine Horde von Immobilienmaklern zu beeindrucken." Das war zuviel. Sie drehte sich um, ging zur Tür und öffnete sie. „Nein, das will ich nicht. Ich trage es, weil ich es mag. Und soweit ich es weiß, hat eine Frau die Freiheit, das anzuziehen, was ihr gefällt. Und jetzt würde ich dir raten zu gehen, bevor ich ungemütlich werde."
„Frigide Zicke", brummte er, während er hinter ihr her zur Haustür ging. Sie knallte die Tür zu, dann schloss sie die Augen und atmete tief durch. „Was für ein Idiot." „Und ich dachte, er sei so ein netter Kerl." Sie riss wütend und beschämt zugleich die Augen auf, als sie Cullum die Treppe herunterkommen sah. „Was, zum Teufel, machst du in meinem Haus?" „Meinen Job." Als er merkte, dass er seine Hand noch immer zur Faust geballt hatte - die er Todd am liebsten in seine Schönlingsvisage gerammt hätte - machte er sie auf. Sie hatte sich erstklassig behauptet, und als er sah, wie mitgenommen sie war, bewunderte er sie noch mehr. „Das ist aber auch wirklich ein Killerkleid", sagte er in der Hoffnung, sie zu trösten. Sie riss die Schultern hoch. „Scher dich zum Teufel." „Hey." Bevor sie an ihm vorbeigehen konnte, berührte er sie sanft am Arm. Besorgnis färbte seine Stimme und seine Augen dunkler. „Entschuldige. Ich hätte das nicht sagen sollen. Du solltest dich hinsetzen. Du zitterst." „Ich bin wütend." „Mach dir keine Vorwürfe. Er war der Idiot, und du hast dich prima gehalten." Sie wusste nicht genau, ob sie sich gedemütigt fühlen oder wütend sein sollte. „Du hast alles gesehen, stimmt's, Murdoch?" „Hör zu, es tut mir leid, dass ich bei dieser kleinen Aufführung im Zuschauerraum saß, aber du hast es dir selbst zuzuschreiben." „Was?" Sie schaffte es mühelos, ihre Wut von Todd auf Cullum zu übertragen. Empört stach sie ihm den Zeigefinger so fest in die Brust, dass er einen Schritt zurücktaumelte. „Und ich nehme an, dass jede Frau, die sich ein bisschen nett herrichtet, geradezu darum bittet. In der Sekunde, in der sie sich einen Tropfen Parfüm hinter die Ohren tupft, bettelt sie in Wirklichkeit .Bitte, bitte nimm mich, wilder Mann.'" „Ich rede nicht von dem verdammten Kleid, ich rede von den verdammten Türklinken." „Türklinken." Verständnislos fuhr sie sich mit den Händen durchs Haar. „Habe ich jetzt den Verstand verloren oder du?" „Du wolltest doch unbedingt noch heute diese blöden Türklinken angebracht haben." Jetzt waren es seine Augen, die vor Wut sprühten. „Du hast doch meinem Vater irgend etwas von einer lachhaften Party vorgejammert, die du geben willst. Glaubst du vielleicht, es macht mir Spaß, bis Mitternacht zu arbeiten?" Sie presste ihre Finger an die Schläfen, nicht überrascht über den Kopfschmerz, der dahinter wütete, dann streckte sie ihre Hände aus. „Warte. Ich habe bei deinem Vater kurz reingeschaut. Ich wollte nur sehen, wie es ihm geht. Vorher habe ich die Antiquitätenläden abgeklappert. Ich habe die Türklinken mit zu ihm reingenommen, um sie ihm zu zeigen." „Und um ihn zu beschwatzen, dass er die Arbeit ein bisschen vorantreibt, damit du deine blöde Party geben kannst." „Was denn für eine Party?" Jetzt warf sie die Hände in die Luft. „Ich gebe keine Party. Wie kann ich eine Party geben, wenn das ganze Haus noch eine Baustelle ist? Ich weiß wirklich nicht, was ..." Sie brach ab und schloss die Augen. „Oh, jetzt geht mir ein Licht auf. Hör zu, ich brauche dringend ein Aspirin." Ohne sich darum zu kümmern, ob er ihr folgte, ging sie nach hinten in die Küche und gab Cullum einen höchst beunruhigen Ausblick auf ihren entblößten Rücken und ihr mehr als appetitlich gerundetes Hinterteil. Es ist wirklich ein Killerkleid, dachte er gereizt. Es brachte ihn um. Sie fand ein Glas im Schrank, sche nkte sich Wasser ein und nahm zwei Tabletten. „Okay, das war ein Missverständnis. Ich habe ihm die Tür klinken gezeigt und irgend etwas davon gesagt, dass ich es kaum abwarten kann, sie an den Türen zu sehen. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich nicht warten könnte. Du weißt, was ich meine."
Er runzelte leicht die Stirn und nickte. „Okay." „Und ich habe auch von einer Party gesprochen. Ich plane eine Einweihungsparty. Aber nicht vor Silvester. Ich habe mich nicht genau ausgedrückt, ich sagte nur, dass ich will, dass es ihm bis dahin wieder gutgeht, damit ich mit ihm tanzen kann." Es sah seinem Vater gar nicht ähnlich, etwas durcheinanderzubringen. Aber was wusste man schon, schließlich war er seit einem Monat nicht er selbst. „Na gut, ich hab's kapiert. Muss wohl so was wie eine Fehlschaltung gewesen sein." „Tut mir leid, dass du dir jetzt hier die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hast." „Macht nichts. Zumindest sind die Türklinken jetzt dran. Willst du es dir ansehen?" Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ja klar." „Wie findest du die hier?" Er deutete mit dem Daumen zur Küchentür und musste lächeln, als sie erfreut summte. „Absolut perfekt. Ich wusste, dass die Emailleknöpfe für diese Tür wie geschaffen sind." Sie ging näher heran, um die feingezeichneten Hyazinthen auf dem weißen Emaille zu bewundern. „Ich liebe diese kleinen Details. Sie machen ein Heim zu etwas Besonderem." „Ja, ich muss zugeben, dass es wirklich gut aussieht." Er lehnte sich über ihre Schulter, um ebenfalls einen Blick auf den Türknopf zu werfen. Dann richtete sie sich wieder auf, und sie waren plötzlich Gesicht an Gesicht, Auge an Auge. Nah genug für sie, um den faszinierenden Goldring erkennen zu können, der seine grüne Iris umschloss. Nah genug, um ihr Blut in Wallung zu bringen. Ihr Herz klopfte hart gegen ihre Rippen. „Ich . . . weiß es zu schätzen, dass du dich darum gekümmert hast." Ihr Duft benebelte ihm die Sinne. „Wie schon gesagt. Es war keine große Sache." Er wollte diesen Mund und noch eine Menge mehr. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie angewidert er von diesem Idioten Todd gewesen war. Aber dieser Mund sah so weich aus, so großzügig. So verdammt verführerisch. „Ich sollte jetzt wohl besser gehen." „Ja." Ihre Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Vor Lust. Was, zum Donnerwetter, war los mit ihr? Auf einmal verspürte sie einen Druck auf der Brust, obwohl sie sich nicht einmal berührten, aber irgendwie schien sie es nicht zu schaffen, Atem zu holen. „Ich bringe dich raus." „Ich kenne den Weg." „Fein." Sie bewegten sich abrupt, und irgendwie streiften sich ihre Lippen. Hitze schoss empor und breitete sich aus wie ein Buschfeuer, als Zähne aneinanderschlugen, Zungen sich berührten. Sein harter, sehniger Körper drängte an ihren weichen, hübsch gerundeten, sie drückte sich an ihn, um ihn besser zu spüren. Seine Hände wanderten an ihr nach oben, und seine Handballen pressten sich gegen die Seiten ihrer Brüste, bis sie sich nichts mehr wünschte, als dass er ganz von ihnen Besitz ergriffe, während sie ihre Finger in sein langes Haar wühlte. „Das ist verrückt", sagte sie atemlos. „Wahnsinn." Er legte seinen Mund auf ihren Hals, begierig, den Geschmack dort zu kosten. Sie duftete verführerisch wie die Sünde. „Cullum, wir können das nicht tun." „Ich weiß." Sie krallte die Finger in sein Haar und zog seinen Kopf hoch, um ihn noch einmal zu küssen. Beide gleichermaßen gierig, genossen sie die aufsteigende Ekstase, bis sie sich schließlich nach Atem ringend voneinander lösten. „Das ist nicht passiert, und es kann nicht funktionieren." Sie musste sich an der Tür abstützen, weil sie befürchtete, ihre Beine würden gleich nachgeben.
„Es kann auf keinen Fall funktionieren." Er konnte an nichts anderes denken als daran, wie er am schnellsten an den Körper unter dieser Seide gelangen könnte. „Es war nur ein schwacher Moment." „Richtig." Er musste einen Schritt zurücktreten, aber er schaffte es nicht, den Blick von ihrem Gesicht loszureißen. „Ich will dich wirklich, Julia." „Oh, zum Teufel." Sie presste ihre Hand an ihr wild pochendes Herz. „Wir müs sen an etwas anderes denken. Ganz gleich an was." Warum konnte sie nicht atmen? „Hör zu, wir mögen uns nicht einmal, Cullum." „Es fällt schwer, sich in diesem Augenblick darum Gedanken zu machen, aber ja, du hast recht." Ihr Gesicht glühte, ihre Augen waren verschleiert. Und seine Knie zitterten, wie er voller Entsetzen und Beschämung feststellte. „Wenn wir das tun würden, woran wir im Moment beide 'denken, würden wir uns selbst und den anderen morgen früh wahrscheinlich hassen. Aber natürlich fühle ich mich auch verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass es bis zum Morgen noch eine ganze Weile hin ist." Sie war dankbar, dass sie ein Lächeln zuwege brachte. „Wir sollten wohl besser einen weiten Bogen darum ma chen. Es auf den Stress und die Hormone oder sonstwas schieben." Ohne ihn aus den Augen zu lassen, gab sie die Tür frei. „Bestimmt legt es sich wieder." „Wir können nur hoffen." Cullum schickte sich an, die Tür zu öffnen. Gott wusste, dass er frische Luft und Platz zum Atmen brauchte. „Und was ist, wenn nicht, Julia?" „Ich weiß es nicht." Er taxierte sie noch einen Augenblick, wobei er sich fragte, ob sie womöglich ebenso verwirrt und erregt war wie er. „Ich auch nicht", entschied er und machte, dass er rauskam.
4. KAPITEL Julias Einfallsreichtum war unerschöpflich, wenn es darum ging, Beschäftigungen zu finden, die es ihr ermöglichten, Cullum in den nächsten Wochen aus dem Weg zu gehen. Der Herbst hatte in Neuengland Einzug gehalten. Die Bäume leuchteten in den buntesten Farben, und als die Farbenpracht ihren Höhepunkt überschritten hatte, fiel das Thermometer, und die kalte Luft bot schon einen ersten Vorgeschmack auf den Winter. Sie besichtigte Häuser, besuchte Versteigerungen. Sie schaute in der Kanzlei vorbei, um Laura, ihre Tante und ihren Onkel zu besuchen, aß mit Freundinnen zu Mittag. Sie klapperte die Geschäfte nach Weihnachtsgeschenken und Geschenken für das Baby ab, das Gwen erwartete. Der riesige Stoffbernhardiner war ein perfekter Grund, in dem Haus reinzuschauen, das sie und Gwen und Laura einst zusammen bewohnt hatten. Sie traf Gwen über Kochbüchern brütend an. „Was machst du denn?" Gwen lächelte hilflos und fuhr sich mit einer Hand durch ihre rotgoldene Haarkappe. „Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass ich das Kochen lerne. Zumindest ein paar Standardgerichte." „Dr. Blade ... äh . . . Dr. Maguire." Julia ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. „Warum das denn?" „Na ja, ich gehe demnächst für drei Monate in Schwangerschaftsurlaub. Ich werde den ganzen Tag zu Hause sein. Ich muss mich ..." sie machte eine vage Handbewegung, .....schließlich irgendwie beschäftigen." „Ist es Branson wichtig, dass du Fleischbällchen machen kannst?" „Nein, natürlich nicht. Aber mir. Das ist ja das Komische." Sie fuhr sich mit der Hand über den noch flachen Bauch. „Ich nehme an, es gehört irgendwie mit dazu. In jedem Fall bin ich eine Chirurgin, eine Wissenschaftlerin, und bestimmt gelingt es mir, die Basisformel für, sagen wir, Fleischbällchen herauszufinden und ein essbares Produkt herzustellen." Sie stützte die Ellbogen auf den Küchentisch auf, legte das Kinn in die Hände und schaute grinsend auf den riesigen Plüschhund. „Niedliches Schoßhündchen." „Finde ich auch. Ich dachte mir, dass meine zukünftige Nichte oder mein zukünftiger Neffe sich gut um ihn kümmert." „Das ist schrecklich lieb von dir, Julia." „Wie es dir geht, brauche ich dich ja wohl nicht zu fragen. Du siehst großartig aus." „Ich fühle mich auch großartig. Ich bin noch nie glücklicher gewesen in meinem Leben, und ich hatte bisher ein sehr glückliches Leben." „Und die Arbeit im Krankenhaus ist dir noch nicht zuviel?" „Es ist das, was ich will. Sie füllt mich aus, sie befriedigt mich. Magst du einen Kaffee? Ich bin vom Koffein weg, aber ..." „Nein, ich will nichts." „Und was machst du so? Wie läuft's mit dem Haus?" „Es geht voran. Mein Schlafzimmer ist fertig, und es sieht wunderbar aus. Bis alles fertig ist, wird es wohl noch eine Weile dauern, aber es tut sich was. Sie arbeiten jetzt in der Küche." Gwen legte den Kopf schräg und schaute Julia nachdenklich an. „Was ist es?" „Was ist was?" „Was geht hinter deiner Stirn vor? Ich sehe doch, dass du irgend etwas in deinem Kopf herumwälzt." „Es ist nichts." Aber Julia stand auf und begann, in der Küche auf und ab zu gehen. „Es ist blöd." „Nicht wenn es dich beschäftigt."
„Es beschäftigt mich nicht wirklich. Es ... es überrascht mich nur." Und es war der Grund, weshalb sie gekommen war, begriff Julia jetzt, während sie sich wieder auf den Stuhl fallen ließ. „Du kennst doch Cullum Murdoch." „Ja klar. Der Sohn von Grandpas altem Freund. Bauunternehmer. Sie haben hier an diesem Haus auch einiges gemacht." „Richtig. Und bei dem neuen Haus ist er der Bauleiter. Ich komme nicht besonders gut klar mit ihm. Wir rasseln ständig aneinander." „Und warum arbeitet er dann an deinem Haus?" „Das ist eine lange Geschichte und nicht der Punkt." Julia machte eine wegwerfende Handbewegung. „Vor ein paar Wochen waren wir allein in dem Haus, und es war spät, und..." „Oh." Gwen biss sich auf die Unterlippe. „Ich verstehe." „Nein, das tust du nicht." Julia atmete laut aus. „Es war eine plötzliche animalische Anziehungskraft. . . aber wir haben uns zusammengerissen. Wir waren beide der Meinung, dass es ein Fehler wäre." „Weil ihr nicht zusammenpasst." „Das, und weil wir eine Geschä ftsbeziehung haben. Ich schätze seinen Vater sehr. Das kommt noch hinzu. Ange nommen, Cullum und ich landen im Bett, um ... na ja, sagen wir einfach, um Druck abzulassen, dann weiß ich nicht, wie ich Mr. Murdoch je wieder unter die Augen treten soll." „Soweit ich mich an Mr. Murdoch erinnere, ist er ein vernünftiger Mann, der seinen Sohn liebt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sonderlich schockiert wäre, wenn er herausfindet, dass ihr beide euch attraktiv findet." „Jemanden attraktiv zu finden heißt für mich noch lange nicht, dass ich deshalb auch gleich mit ihm ins Bett hüp fen muss." Wieder atmete Julia laut aus. „Gwen, ich will wirklich mit ihm ins Bett." „Ist er ein anständiger Mann?" „Anständig? Na ja, ja, ich nehme es an." „Ist er humorvoll, intelligent, liebenswürdig?" „Er ist..." Sie erinnerte sich daran, wie er den kleinen Daniel gehalten hatte. „Ja. Es ist nur, weil wir uns ständig in die Haare geraten. Er kann unheimlich stur sein." „Oh." Gwen machte sich nicht die Mühe, sich ihr Lachen zu verbeißen, sondern ließ ihm freien Lauf. „Und du bist natürlich so flexibel und nachgiebig." „Verglichen mit ihm schon", gab Julia etwas kleinlaut geworden zurück. „Aber gut, vielleicht ist ja das die Wur zel allen Übels. Wir haben beide unseren eigenen Kopf und kein Problem damit, anderen die Meinung zu sagen. Gele gentlich kommt es sogar vor, dass er recht hat. Es ist einfach nur, dass ich öfter recht habe." Sie beugte sich vor. „Er hat diese unglaublichen Hände. Groß und rau und wirklich kräftig. Ich denke viel an sie." „Und du wünschst dir, dass sie einem etwas gefügigeren Mann gehörten." Sie wollte eben zustimmen, dann wurde sie schwankend. „Ich bin mir nicht sicher. Vor einem Monat hätte ich das bestimmt gesagt. Aber langsam fange ich an, an dieser ätzenden Art Gefallen zu finden. Ich finde sie sexy. Ich habe überlegt, für ein paar Tage wegzufahren." „Nun, das kann bestimmt nicht schaden. Aber ich kenne niemanden, der so genau weiß, was er will und was er fühlt wie du. Oder der mehr bereit wäre, für das, was er will, auch ein Risiko einzugehen. Wenn du Cullum danach immer noch willst, würde ich dir raten, zwar vorsichtig zu sein, aber auf deine innere Stimme zu hören." „Guter Rat." Julia strich sich das Haar aus der Stirn. „Vielleicht tut es mir ja gut, für ein paar Tage zu meinen Eltern nach Washington zu fahren. Ein bisschen Abstand kann nicht schaden. Und es gibt dort ein Haus, das ich mir ohnehin anschauen wollte." „Sag ihnen, dass ich sie liebe. Und ..." Gwen lächelte verschmitzt, „halt mich über das Murdoch-Projekt auf dem laufenden."
Es war eine gute Art, daran zu denken, entschied Julia, während sie vor ihrem Haus vorfuhr. Das Murdoch-Projekt. Sie war, was Projekte anbelangte, Expertin, sie betrachtete sich ein Projekt aus den verschiedensten Blickwinkeln, rechnete Gewinn und Verlust, Aufwand und Nutzen gegeneinander auf. Das war genau das, was sie jetzt auch tun würde. Sie würde sich die Sache aus den verschiedensten Blickwinkeln anschauen, sich ausrechnen, was sie zu gewinnen und zu verlieren hätte, und was für Auswirkungen Cullum Murdoch auf ihr Leben haben würde. Und sie würde es aus einer sicheren Entfernung tun. Sie ging ins Haus, winkte den Arbeitern gedankenverloren kurz zu und eilte nach oben, um zu packen. Ihre Eltern würden sehr überrascht sein, wenn sie für ein paar Tage bei ihnen reinschneite. Sie hatte sie schon seit fast einem Jahr nicht mehr allein gesehen. In der Regel sahen sie sich nur bei Familientreffen. Und dort ging es meistens wie im Tollhaus zu. Ungeduldig mit der Schuhspitze auf den Boden tippend, ließ sie ihren Blick über ihre Garderobe wandern. Sie fand diesen begehbaren Kleiderschrank herrlich, die Platzfülle, die er bot, die durchdachte Anordnung. Er war viel praktischer als ein Ankleidezimmer. Sie suchte sich ein paar bequeme Sachen und ein Cocktailkleid heraus und trug alles zum Bett, auf dem der geöffnete Koffer lag, als Cullum hereingeschlendert kam. Er hob eine Augenbraue. „Fährst du weg?" „Wenn du es genau wissen willst, ja. Und ich glaube nicht, dass ich dich klopfen gehört habe." „Du hast ausnahmsweise vergessen, die Tür zuzumachen." „Oh." Sie legte die Kleider auf das Bett und ging wieder in den Schrank. Er hatte noch nie eine Frau gekannt, die so viele Kleider besaß. Und die Schuhe . . . hatte sie nicht wie jeder normale Mensch auch nur zwei Füße? Aber darüber hatte er ihr schon zweimal die Meinung gesagt, und es kam ihm wie Zeitverschwendung vor, es noch ein drittes Mal zu wiederholen. „Wohin fährst du denn?" Jetzt war es an ihr, eine Augenbraue zu heben. „Weg." „Für wie lange?" Sie ging an ihm vorbei, um die zusammengesuchten Pullover und Blusen auf das Bett zu legen. „Entschuldige, aber wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass dich das etwas angehen könnte?" „Weil wir mitten in einem großen Umbau stecken. Ich möchte nicht, dass du zurückkommst und anfängst herumzujammern, weil sich irgend etwas als anders entpuppt, als du es dir vorgestellt hattest." „Ich jammere nicht." Wie kann ich mich bloß von so einem Ärgernis von Mann angezogen fühlen? fragte sie sich und ging zu ihrer Duncan-Phyfe-Kommode, um ihre Unterwäsche herauszunehmen. „Wo kann man dich erreichen?" „Ich werde mich regelmäßig melden." „Schau, MacGregor ..." Er musste sich unterbrechen und einen Schritt zurücktreten. Er wusste nicht, warum es ihn in Panik versetzte, dass sie sich ein paar Kleiderstücke einpackte. Er sollte froh sein, sie für ein paar Wochen los zu sein. „Die Küchenschränke kommen nächste Woche. Wenn du nicht hier bist, um die Lieferung in Empfang zu nehmen ..." „Bis dahin bin ic h wieder zurück." Ohne dass es ihr auch nur im geringsten peinlich gewesen wäre, legte sie hauchdünne BHs und Höschen in einen Unterwäschesack aus Seide. „Wenn du es unbedingt wissen musst, ich fahre nur für ein paar Tage nach D.C." „Ist irgend etwas mit deinen Eltern?" Sie wurde nachgiebiger. Die Sorge, die plötzlich in seiner Stimme mitschwang, ließ sich nicht überhören. „Nein, es geht ihnen gut. Sie wissen nicht einmal, dass ich komme."
„Und warum hat es dann nicht Zeit, bis die Küche fertig ist? Sie ist doch der größte Teil des Projekts. Wenn du vorhast, uns mit deinen Anrufen dauernd aus der Arbeit herauszureißen ..." „Du hast meine Kassetten. Ich habe mich darauf sehr deutlich ausgedrückt, davon abgesehen, dass die Küche ohnehin zum größten Teil auf deinen Vorstellungen basiert." „Richtig. Und deshalb möchte ich kein Risiko eingehen, dass du deine Meinung womöglich doch wieder ändern und dir selbst etwas ausdenken könntest." „Ich ändere meine Meinung nicht, wenn ich mich einmal entschieden habe." Sie warf den Seidenbeutel in den Koffer. „Lass mich in Frieden, Murdoch. Ich komme und gehe, wie es mir beliebt." Er sah die vertrauten Funken förmlich durch die Luft fliegen. Langsam drehte er sich um und schloss die Tür. „He, was machst du denn?" „Ich sichere nur deine Privatsphäre." Er musterte sie, objektiv, wie er sich sagte. Ihre Wangen waren zorngerötet. Warum ihr das so gut stand und warum es sein Blut in Wallung brachte, wusste er nicht. Es war einfach so. Ihre Arme hingen herunter, und ihre Hände waren kampfbereit zu Fäusten geballt. An ihren Fingern glitzerten hübsche Ringe mit bunten Steinen. Ihre Haare flössen ihr ungebändigt über die Schultern einer dunkelgrünen Jacke, die sich an ihre Kurven anschmiegte. Sie trägt immer weiche Kleider, überlegte er. Die Art Kleider, die einen in den Wahnsinn treiben konnten, weil man ständig überlegen musste, wie es wohl darunter aussehen mochte. Und da war es wieder. Er wollte ihr noch immer an die Wäsche. „Ist diese überstürzte Reise ein Versuch, vor dem davonzulaufen, was vor zwei Wochen passiert ist?" Sie neigte leicht den Kopf, und ihre Stimme wurde königlich kühl. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst." „Darauf, dass wir um ein Haar nackt auf deinem Küchenboden gelandet wären." „Das war eine einmalige Entgleisung", entgegnete sie schroff und hasste sich dafür, dass sie sich wünschte, es wäre wirklich so gekommen, nur damit dieses Magenflattern end lich aufhörte. „In diesem Punkt waren wir ausnahmsweise mal einer Meinung." „Richtig. Aber was war es?" „Wir waren uns einig", wiederholte sie stur, dann überraschte sie sich selbst, indem sie zurückwich, als er auf sie zukam. „Bleib mir vom Leib." Zum erstenmal seit Wochen spürte er, wie sich seine Mundwinkel zu einem lässigen Lächeln hoben. „Warum? Nervös?" „Ich will nicht, dass du mich anfasst." „Wer sagt, dass ich dich anfasse? Ich habe nur etwas gefragt. Immerhin bist du normalerweise wenigstens ehrlich. Du sagst es, wie es ist, deshalb frage ich. War es eine einmalige Entgleisung für dich?" „Ich weiß es nicht." Sie schrie es fast, dann wirbelte sie herum und begann, ihre Kleider in den Koffer zu werfen. „Auf jeden Fall hätte es das sein sollen. Ich laufe vor nichts davon. Ich brauche einfach nur ein bisschen Abstand, ich möchte meine Eltern sehen und dir aus den Augen gehen, bevor wir noch irgend etwas völlig Idiotisches machen." „Okay, das ist ehrlich. Ich habe nichts dagegen, wenn du mir für eine Weile aus dem Weg gehst. Dich jeden Tag sehen zu müssen ist schwierig." Ihre Hände wurden ruhiger und strichen eine zerknitterte Bluse glatt. „Ist es das?" „Schwieriger, als ich gedacht hatte. Ich muss mir ständig vorstellen, wie wohl die nächste Entgleisung aussehen könnte." Weil sie nie ein Feigling oder eine Lügnerin war, wandte sie sich um und schaute ihn an. Er hat so ein ausdrucksstarkes Gesicht, dachte sie. All diese Ecken und Kanten, die diesen
entschlossenen Mund und die intensiven Augen noch mehr betonten. „Offen gestanden geht es mir nicht viel anders. Was ist los mit uns?" „Wenn ich das wüsste." Diesmal blieb sie stehen, wo sie stand, als er einen Schritt auf sie zumachte. „Magst du noch immer nicht, dass ich dich anfasse?" Sie atmete verunsichert aus. „Es ist helllichter Tag, was kann schon groß passieren?" „Lass es uns herausfinden." Seine Hände schlüpften unter diese daunenweiche Jacke und überwanden auch das nächste Hindernis, um schließlich über ihren Rücken zu wandern und sie fest an sich zu ziehen. „Mach diesmal die Augen auf, Julia." Obwohl er es nicht wortwörtlich gemeint hatte, schauten sie einander an, als ihre Münder sich trafen. Sie sah, wie sich seine Augen verdunkelten, spürte, wie sie in diesem dunklen Grün versank. Ihre Lippen berührten sich, kosteten aus, zögernd, und mit jeder Sekunde, die verstrich, klopfte ihr Herz schneller. Er begehrte sie, und ihr Geschmack bewirkte, dass ihm das Begehren in die Lenden schoss und bis in seine Fingerspitzen ausstrahlte. Er küsste sie spielerisch, ließ sich Zeit, obwohl sein Blut dumpf in seinen Ohren rauschte. Er sah, wie sich ihre Augen nach und nach immer mehr verschleierten, wie ihre Lider flatterten. Und schluckte das Keuchen, das ihr entschlüpfte. „Ich muss dich einfach anfassen." In dem Moment, in dem er es sagte, fuhr er mit den Händen über die Brüste, umspannte sie besitzergreifend. Er wusste, dass er noch nie etwas Erotischeres gespürt hatte als ihre harten Knospen, die sich durch die dünne Seide gegen seine Handflächen pressten. Ein ersticktes Stöhnen, eine Flut von Verlangen. Ihr Kopf fiel in einer ergebungsvollen Geste, die sie beide sprachlos machte, in den Nacken. „Du musst. . . O Cullum ... du hast solche Hände." Sie waren jetzt Fleisch an Fleisch, ihre Bluse und der Vorderverschluss ihres BHs standen offen. Als er ihr Herz unter seinen Händen hart klopfen spürte, vergaß er die Männer, die einen Stock tiefer arbeiteten, den Auftrag, der ausge führt werden musste, die Konsequenzen dessen, was er so verzweifelt gern tun wollte. „Jetzt." Er biss sie zärtlich in den Hals, trank von ihren Lippen. „Jetzt auf der Stelle." „Ja . . . nein." Panik, Erregung, Verlangen, alles verkno tete sich in ihr. „Warte. Was machen wir da?" Erschauernd machte sie sich von ihm frei und zog die Bluse zusammen. „Wir können das unmöglich machen. Es geht einfach nicht." Er gab sich alle Mühe, sich vorzustellen, dass ihm jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf kippte oder dass ein eisiger Wasserfall auf ihn herunterfiel, irgend etwas, das ihm helfen könnte, sich abzukühlen. Das Beste, was er tun konnte, war, seine Hände in die Taschen zu schieben, bevor er anfing, ihr die Kleider vom Leib zu reißen. „Okay", sagte er so ruhig wie möglich. „Aber du musst zugeben, dass es ein bisschen mehr als eine Entgleisung war." „Ich brauche Abstand." Sie zog die Bluse noch ein bisschen enger um sich. Darunter prickelten ihre Brüste noch immer von seinen Händen. „Wir müssen eine Auszeit nehmen, und danach entscheiden wir, was passiert, wenn ..." „Ich denke, diesen Teil der Frage haben wir bereits beantwortet", sagte Cullum trocken. „Also gut, es wird passieren, deshalb müssen wir uns vorher überlegen, wie wir damit umzugehen gedenken. Wir gönnen uns noch ein paar Tage Ruhe und lassen uns das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen. Wenn ich zurückkomme, können wir ..." „Jeder unsere Bedingungen aufstellen?" beendete er den Satz für sie. „In gewisser Weise. Wir haben bestimmt genug . . . Gemeinsamkeiten, um uns einig zu werden, wie wir. . . hinterher . . . weitermachen." Was sie sagte, klang vernünftig, und doch machte es ihn aus irgendeinem Grund wütend. „Also gut, MacGregor, du arbeitest deinen Vorschlag aus, und ich entwerfe meinen. Und wenn du zurück bist, machen wir einen Termin und sprechen alles in Ruhe durch." „Es gibt keinen Grund, so gereizt zu sein."
Er starrte sie an. Da stand sie, mit zerzausten Haaren, die Bluse aufgeknöpft, der Mund geschwollen von seinen Küssen, und fand, dass es keinen Grund gab, gereizt zu sein, weil sie es wie einen Vertragsabschluß betrachtete. „Gute Reise, MacGregor." „Cullum." Sie seufzte tief auf, als er mit der Hand auf der Türklinke noch einmal stehenblieb und ihr einen feurigen Blick zuwarf. „Ich habe zu deinem Vater wie auch zu dir eine geschäftliche sowie eine persönliche Beziehung. Es ist mir wichtig, sie nicht kaputtzumachen." Ihm fiel nichts ein, was er darauf hätte sagen wollen, deshalb nickte er nur kurz und ging hinaus. Nachdem sie allein war, setzte sie sich auf ihr Bett und wartete darauf, dass sich ihr Herz beruhigte. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte ihr Murdoch-Projekt eine scharfe Wendung genommen, und es war nicht ganz unwahrsche inlich, dass es bereits jetzt schon hoffnungslos zum Scheitern verurteilt war.
5. KAPITEL Julia liebte das elegante Reihenhaus in Georgetown. Dort hatte ihr Leben begonnen, und dorthin war sie, nach achtjähriger Unterbrechung, während der sie unter einer anderen Washingtoner Adresse gewohnt hatte, zurückge kehrt, um ihre letzten Teenagerjahre in den großen, von Licht überfluteten Räumen zu verbringen. Sie konnte nicht über die Zeit klagen, während der sie im Rosengarten gespielt oder sich mit ihren Cousinen in dem Privattheater hatte unterhalten lassen. Ihre Eltern hatten es entgegen aller Voraussicht geschafft, die Villa in der Pennsylvania Avenue zu einem Heim für ihre Kinder zu machen. Sie hatte die Gelegenheit bekommen, die ganze Welt zu bereisen, und war in dem Gedanken der Verantwortlichkeit für ihre Nachbarn erzogen worden, egal, ob sie im Haus nebenan oder jenseits des Großen Teichs lebten. Sie konnte sich noch jetzt an den Stolz erinnern, der in ihr aufgestiegen war, als sie ihren Vater zum erstenmal an dem großen Schreibtisch im Oval Office hatte sitzen sehen, oder als sich ihre Mutter unter donnerndem Applaus erhoben hatte, um eine von unzähligen Reden über die Grundsätze der Menschenrechte zu halten. Sie musste die Allgegenwärtigkeit des Secret Service ertragen, ein Umstand, der für sie während ihrer Teenagerjahre besonders erdrückend gewesen war. Sie hatte die Verhaltensmaßregeln akzeptiert, denen sie unterworfen war, die Unmöglichkeit, einfach nach Lust und Laune mit ihren Freundinnen einkaufen gehen oder eine Pizza essen und in irgendeinem ganz normalen Lokal herumalbern zu können. Ihre Eltern hatten sich nach Kräften bemüht, Julia und ihrem Bruder ein möglichst normales Leben zu garantieren. Aber Julia war schon immer klar gewesen, dass sie aus einer bedeutenden Familie stammte. Und solche Wunder hatten ihren Preis. Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie wie der in das Haus ihrer frühen Kindheit umgezogen waren, daran, wie ihre Mutter sie alle umarmt und schmunzelnd verkündet ha tte, dass die ganze Familie jetzt Pizza essen und anschließend ins Kino gehen würde. Es war einer der schönsten Abende in Julias Leben gewesen. Jetzt stand sie am Bordstein, während ihr Taxi davonfuhr. Das Haus übte noch immer dieselbe Anziehungskraft auf sie aus, spendete noch immer Trost. Sie wusste, dass sie Häuser kaufte und verkaufte, um diesen Trost stets aufs neue zu spüren und ihn dann an andere weiterzugeben. Liebe brauchte ein Zuhause, in dem sie wachsen konnte, und sie, Julia, war in ihrem Zuhause so glücklich gewesen. Sie schulterte ihre Reisetasche und ging, ihren Koffer auf Rollen hinter sich herziehend, den schmalen Weg hinauf. Die Herbstblumen hatten ihre Leuchtkraft eingebüßt. Der Winter rückte näher. Wenig mehr als vier Wochen, dann würde das Haus in buntem Lichterglanz erstrahlen, über der hohen Tür würde eine Weihnachtsgirlande hängen, und durch das anmutige Vorderfenster würde man die große Fichte sehen, deren Zweige sich unter dem von der Familie gebastelten, bunt leuchtenden Weihnachtsschmuck bogen. Sie liebte diese Erinnerungen. Sie betätigte den Türklopfer aus Messing, den das MacGregorsche Familienwappen schmückte. Der gekrönte Löwe beäugte sie grimmig und rief die Erinnerung an ihren Großvater wach. Als sich die Tür öffnete, strahlte Julia die winzige, adrette Frau an, die auf der Schwelle stand. „Boxy, verändern Sie sich eigentlich nie?" „Miss Julia!" Elizabeth Boxlieter schlang ihre kurzen Arme um Julia und drückte sie. Boxy war den MacGregors seit fünfzehn Jahren in den ve rschiedensten Funktionen treu zu Diensten. Während der zwei Legislaturperioden im Weißen Haus hatte sie den Titel
Verwaltungsassistentin getragen. Aber in Wirklichkeit organisierte sie. Sie organisierte einfach alles. Boxy entließ Julia aus ihrer Umarmung, und obwohl ihre Augen vor Freude funkelten, hob sie mahnend den Zeige finger. „Sie haben nicht Bescheid gesagt, dass Sie kommen, Sie hätten doch wenigstens kurz anrufen können. Was wäre gewesen, wenn wir alle ausgeflogen wären?" „Dann hätte ich mich selbst ins Haus gelassen und mich sehr bemitleidet." Lachend beugte sich Julia hinunter und küsste Boxy auf die Wange. „Ich wollte euch überraschen. Mom und Dad sind doch zu Hause, oder?" „Zufälligerweise." Boxy schloss die Eingangstür. „Ihr Vater ist eben aus Camp David zurückgekommen. Sie lassen den armen Mann einfach nicht in Ruhe, dauernd haben sie hierzu eine Frage und wollen dazu einen Rat." „Nun, irgend jemand muss die freie Welt schließlich in Ordnung halten, oder?" „Er hat mehr als seinen Teil dazu beigetragen. Der Mann sollte doch wenigstens mal einen Monat unbehelligt zum Angeln gehen können." „Dad angelt nicht." „Na und? Was spielt das schon für eine Rolle? Er ist oben in seinem Büro und telefoniert mit Europa, und Ihre Mutter ist hinten in ihrer Werkstatt." „Ich störe Mom", entschied Julia, „und dann stören wir gemeinsam Dad. Lassen Sie das Gepäck stehen, Boxy", sagte sie, bevor sie den Flur hinunterging. „Ich nehme es später selbst mit nach oben." Boxy schnaubte. Als ob sie im Foyer Gepäck herumstehen ließe. Dann griff sie nach der Reisetasche und trug sie nach oben. Shelby MacGregors Töpferatelier war eine umgebaute Sommerküche, die genug Raum für ihren Töpferkarren, den Brennofen, die Werkbank und die Gerätschaften bot. Während der Amtszeit ihres Ehemanns hatte sie nicht aufgehört, als bildende Künstlerin zu arbeiten, weil es ihr ebenso ein Bedürfnis war, schöpferisch tätig zu sein, wie Reden über Menschenrechte zu halten. Jetzt saß die ehemalige First Lady auf einem Stuhl vor ihrer Töpferscheibe. Ihre Hände waren bis zu den Handgelenken mit weichem Ton bedeckt, die Unterarme ge sprenkelt. Das tief rote Haar hatte sie sich wild auf dem Kopf aufgetürmt, und ihre rauchgrauen Augen waren dunkel vor Konzentration. Im Hintergrund spielte Musik, irgendein Violinkonzert. Julia sah, wie der Ton unter den geschickten Händen ihrer Mutter von einem formlosen Klumpen langsam nach oben wuchs und sich verjüngte, um sich schließlich in ein elegantes Gefäß zu verwandeln. Julia lehnte sich an den Türstock und wartete. „Nicht schlecht", murmelte Shelby und rollte, während sie die Töpferscheibe anhielt, den Kopf, um die Verspannungen im Nacken zu lösen. „Es wird wunderschön werden. Sie sind immer wunderschön." „Julia!" Shelby sprang auf und war schon fast bei ihrer Tochter, ehe sie stehenblieb. „O Gott, wie ich aussehe!" sagte sie lachend und hielt ihre Hände hoch. „Hier, küss du mich." Julia gehorchte und drückte ihrer Mutter auf jede Wange einen Kuss. „Na, das ist ja vielleicht eine Überraschung." „Eine schöne, hoffe ich." „Die beste. Lass mich mir erst mal die Hände waschen, damit ich dich umarmen kann. Hast du deinen Vater schon gesehen?" fragte Shelby, während sie zum Waschbecken ging, um sich den Ton von den Händen und Armen zu schrubben. „Nein, Boxy sagte, dass er telefoniert, deshalb habe ich beschlossen, zuerst dich zu überfallen." „Nun, er braucht ohnehin eine Pause, wir werden gleich bei ihm reinschauen." Shelby trocknete sich flüchtig ab, dann drehte sie sich um und umarmte Julia. „Oh, du hast mir
gefehlt. Du musst mir eine Menge erzählen. Wie geht es deinen Cousinen, dem kleinen Daniel, was macht das Haus? Wie lange kannst du bleiben? Bist du hungrig? Beantworte die obigen Fragen entweder alle auf einmal oder in der von dir gewünschten Reihenfolge." Lachend ging Julia Arm in Arm mit ihrer Mutter die Treppe nach oben. „Also, den Cousinen geht es prächtig. Laura sieht mit Klein Daniel auf dem Arm wie eine Madonna aus, und Gwen glüht wie ein Engel. Ich habe im Flugzeug etwas gegessen, das entfernt an Essen erinnert, und ich kann nur zwei Tage bleiben. Mit dem Haus . . . läuft es sehr gut." Shelby bemerkte das Zögern und beschloss, bei nächster Gelegenheit nachzuhaken. Sie schlug den Weg zum Büro ihres Ehemanns ein, klopfte flüchtig und öffnete die Tür. Alan MacGregor saß hinter seinem Schreibtisch. Das Sonnenlicht, das durch die großen Fenster ins Zimmer flutete, ließ sein mit Silberfäden durchwirktes Haar glänzen. Julia fand wie immer, dass er der bestaussehende Mann der Welt sei, und beobachtete, wie sich die Besorgnis, die sich in seinem Gesicht spiegelte, in Freude verwandelte. Noch immer mit dem Telefonhörer am Ohr, stand er auf und streckte die Hand aus. „Ich werde darüber nachdenken. Ja, ernsthaft." Er umarmte seine Tochter und zog sie eng an sich. „Es tut mir leid, Senator, ich muss Sie später noch einmal anrufen. Ich habe gerade Besuch bekommen. Ja, das werde ich tun." Er legte auf, drehte sich um und umfing Julia mit beiden Armen. „Eine unwiderstehliche Frau", murmelte er und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Eine Stunde später hatte Julia es sich auf dem Teppich vor dem Kamin im Wohnzimmer gemütlich gemacht, nippte an einem herrlichen Weißwein und fühlte sich so entspannt wie seit Wochen nicht mehr. Ihr instinktives Bedürfnis, sich in den Schoß der Familie zu flüchten, hatte ihr den richtigen Weg gewiesen. „Das ist wundervoll." Sie lehnte ihren Kopf gegen die Armlehne ihres Vaters, und es fehlte nur noch, dass sie schnurrte, als er ihr über den Kopf streichelte. „Dreht Boxy durch, weil sie eure sämtlichen abendlichen Verpflichtungen absagen muss?" „Es ist nur eine Dinnerparty", sagte Shelby. „Wahrscheinlich eine zähe Angelegenheit. Ich freue mich, einen Grund zu haben, zu Hause bleiben zu können." Sie legte ihre nackten Füße an den Fesseln übereinander. Der schnelle Blick, den sie Alan zuwarf, war ein Signal. Alan fing es auf und zerzauste Julia das Haar. „Hast du dich inzwischen ans Alleinleben gewöhnt?" „Ich vermisse sie", gestand Julia. „Laura, Gwen und ich waren so lange ein Dreiergespann. Aber wir sehen uns trotzdem noch oft." „Und dennoch ist es nicht dasselbe", führte Alan ihren Gedanken fort. „Nein, ist es nicht. Aber in mancher Hinsicht ist es auch besser. Sie sind so glücklich, dass es immer eine Riesenfreude ist, sie zu sehen." „Und du? Bist du auch glücklich?" „Ja." Sie wandte den Kopf, um ihn anzulächeln. „Ja, das bin ich. Ich liebe die Stadt, in der ich lebe, was ich tue und wie ich es tue. Im Augenblick macht es mir wahnsinnig Spaß zu sehen, wie sich das Haus entwickelt." Das ist das Stichwort, dachte Shelby. „Ich kann es gar nicht erwarten, es zu sehen." Sie lächelte ihren Mann an, während sie weitersprach. „Wie weit bist du denn?" „Mein Schlafzimmer ist fertig. Es hatte erste Priorität für mich. Natürlich haben Murdoch und ich uns gegenseitig fast die Köpfe eingeschlagen, als es um die Farbe und die Tapete ging, aber schließlich bin ich es, die den Scheck ausschreibt." „Auf jeden Fall." Nicht Mr. Murdoch, registrierte Shelby, sondern Murdoch. Das musste der Sohn sein. „Hast du Probleme mit deinem Bauleiter?" „Ein bisschen. Diesmal arbeite ich mit Cullum Murdoch zusammen. Seinem Vater geht es derzeit nicht so gut." „Michael?" Alan beugte sich besorgt vor. „Was fehlt ihm?"
„Er hat sich eine üble Sommergrippe eingefangen und hat eine ganze Weile gebraucht, um sie wieder loszuwerden. Mittlerweile geht es ihm zwar besser, aber jetzt steckt Cullum schon so knietief in dem Job drin, dass ..." Sie ließ das Ende ihres Satzes mit einem Schulterzucken in der Luft hängen. „Rein fachlich gesehen ist er wirklich gut. Es ist nur, weil wir. . . ziemlich entgegengesetzte Vorstellungen haben, nehme ich an. Er will es auf seine Art machen, und ich auf meine. So einfach ist das." Julia atmete tief durch und nahm noch einen Schluck von ihrem Wein. „Ich denke darüber nach, etwas mit ihm anzufangen." „Oh." Es war ein kleiner Stich, direkt unter dem Herzen. Instinktiv rieb Shelby sich die Stelle. „Aber wenn du doch nicht mit ihm klarkommst. . .?" „Das ist nur auf einer bestimmten Ebene." Julia streckte mit einem kleinen Seufzer die Beine aus. „Auf einer anderen kommen wir bestens miteinander aus." „Die körperliche Ebene allein reicht nicht aus", wandte Shelby ein, dann versuchte sie, sich gegen ihre aufkommende Panik zu stemmen, während Alan ihr einen liebevoll belustigten Blick zuwarf. „Es kommt mir fast so vor, als würde deine Mutter an eine andere hübsche junge Frau denken, die versuchte, sich davon zu überzeugen, dass sie mit einem gewissen jungen Mann auf einer bestimmten Ebene nicht klarkommt. „Deshalb habe ich sie erst einmal verführt." „Alan." Hin und her gerissen zwischen Lachen und Besorgnis schüttelte Shelby den Kopf. „Das hier ist unser kleines Mädchen, und ich glaube nicht, dass einer von uns beiden möchte, dass sie von einem Murdoch verführt wird." „Das klingt ganz nach dem Großen MacGregor", raunte Alan seiner Tochter ins Ohr, während er beobachtete, wie das kriegerische Leuchten, das er so sehr liebte, in die Augen seiner Frau trat. „Ich würde sagen, das hängt ganz davon ab, was dieser Murdoch für ein Typ ist", fuhr er fort. „Und von Julia. Du bist eine kluge Frau, Julia. Du kannst richtig und falsch unterscheiden und weißt, was für dich richtig ist." „Im Augenblick erschien es mir richtig, ein bisschen Abstand zu bekommen und mit euch zu sprechen. Mach dir keine Sorgen um mich, Mom." Sie legte Shelby eine Hand aufs Knie. „Ich lasse mich schon nicht verführen. Wenn ich etwas mit Murdoch anfange, dann tue ich es sehenden Auges." Die drei redeten noch eine ganze Weile, und nachdem Julia schließlich nach oben gegangen war, um auszupacken und sich umzuziehen, wandte Shelby sich an ihren Ehemann. „Alan, das ist eine ernste Sache." „Hm." Er stand auf, um seiner Frau Wein nachzuschenken. „Komm mir jetzt nicht mit deinem diplomatischen Hm." Sie scha ute ihn über den Rand ihres Glases hinweg finster an. „Ich bin nicht naiv genug, zu glauben, dass Julia sich noch nie vorher mit einem Mann eingelassen hat. Aber keiner hat sie so sehr beschäftigt, dass sie sich Sorgen gemacht hätte oder zu uns gekommen wäre, um mit uns darüber zu reden." Alan ließ sich auf der Armlehne von Shelbys Sessel nie der und fuhr ihr übers Haar. „Beunruhigt es dich, dass sie in ihn verliebt sein könnte oder dass sie einfach nur mit ihm schlafen will?" „Beides." Sie seufzte. Mein kleines Mädchen, dachte sie. Mein Baby. Sie hatte nicht genug Zeit gehabt, um sich darauf vorzubereiten. „Ich finde einfach nur, es könnte nicht schaden, ein bisschen mehr über ihn in Erfahrung zu bringen." „Mein Vater kennt die Murdochs seit Jahren." Alan grinste, als er einen Schluck von seinem Wein nahm. „Ich kann mir vorstellen, dass er über die Situation hocherfreut ist." Es dauerte einen Augenblick, bis bei Shelby der Groschen fiel. Sie legte eine Hand auf Alans Arm und drückte fest zu. „Du glaubst doch nicht etwa, dass er dahintersteckt?" „Nein." Alan beugte sich vor und küsste seine Frau auf den ungehalten verzogenen Mund, bis er weicher wurde, dann fügte er hinzu: „Ich bin mir absolut sicher, dass er dahintersteckt."
6. KAPITEL Cullum brütete über seinem Bier, während die Musikbox einen Song über eine Liebe, die schal geworden war, ausspuckte. War das nicht immer so? Nichts hielt ewig, und wenn es anders wäre, gäbe es für ihn keine Aufträge mehr. Die Trockenfäule setzte ein, Altersschwäche, an allem nagte der Zahn der Zeit. Gebäude sind gar nicht soviel anders als Menschen, sinnierte er. Und manche ließen sich nur mit einem hohen Kostenaufwand instand halten. Julia MacGregors Instandhaltung verursachte mit Sicherheit hohe Kosten. Nur gut, dass er zwei Tage Zeit hatte, um Luft zu holen, sich abzukühlen und wieder zu Verstand zu kommen. Sich mit ihr einzulassen, würde gewiss kostspielig werden, und er war ein Mensch, der seine Investitionen höchst sorgfältig tätigte. Die Frau wollte mit ihm über Sex verhandeln, um Himmels willen. Vorkehrungen für alle Eventualitäten treffen, das Bett als Verkaufstheke. Ah, zum Teufel damit, entschied er und hob die Flasche an die Lippen. Er war der Meinung, dass jede Art von Verhandlungen überflüssig war, wenn ein Mann und eine Frau ungebunden und gesund waren und einander wollten. Deshalb würde sie sich schon einen anderen suchen müssen, mit dem sie ins Geschäft kommen konnte. Was sie wahrscheinlich auch tut, dachte er und verzog höhnisch die Lippen. Eine Frau, die so aussah, würde keine Probleme haben, einen Geschäftspartner zu finden. Und was sollte das heißen, die so aussah? überlegte er, ohne seinen eigenen Seufzer zu hören. Sie war bei Licht betrachtet nicht einmal wirklich schön. Aber wenn das Päckchen richtig verschnürt war, traf es einen wie ein Faustschlag zwischen die Augen. Das wusste sie genau, und sie nutzte es zu ihrem Vorteil aus. Gut, bei ihm würde es auf jeden Fall nicht funktionieren. Der Anfall war vorbei, und er war wieder in der Spur. Einer der Männer, die neben ihm an der Bar saßen, bestellte noch ein Bier und schlug Cullum kameradschaftlich auf die Schulter. „Na, wie geht's, Boss?" Cullums Erwiderung bestand nur aus einen Brummen. Wie hatte er sich bloß von seinen Leuten überreden lassen können, nach Feierabend noch ein Bier trinken zu gehen? Er hatte überhaupt keine Lust gehabt. Aber nach Hause zu gehen hatte er auch keine Lust gehabt. Tatsache war, dass er auf überhaupt nichts Lust hatte und ausgesprochen schlechter Laune war. „Hoffentlich kommt Miss MacGregor bald zurück." Der Vorarbeiter schob mit dem Daumen seine Baseballkappe aus der Stirn und grinste. „Den Jungs fehlt es richtig, dass sie ab und zu mal durchgeht, vor allem wenn sie eins ihrer kurzen Röckchen anhat. Die Frau hat wirklich echt klasse Beine, das muss man ihr lassen." Nichtsahnend, dass ein roter Nebel angefangen hatte, die Sicht seines Chefs zu verschleiern, lehnte sich der Mann vor, um einen Schluck von seinem kalten Bier zu nehmen. „Und dann auch noch dieser Duft!" Weil er den plötzlichen Drang verspürte, die Bierflasche dem Mann über den Schädel zu schlagen, setzte Cullum sein Bier sehr langsam und sorgfältig ab. „Sie sollten sich lieber auf Ihre Arbeit konzentrieren und nicht auf die Beine der Kundin, Jamison." „Na ja ... Teufel noch mal, Cullum ..." begann Jamison, doch als er die Wut sah, die in Cullums Augen aufflackerte, räusperte er sich. „Klar doch, Boss, war nur so dahingesagt." Ohne etwas zu erwidern, warf Cullum ein paar Scheine auf den Tresen und stand auf. Er ging rasch hinaus, ehe er noch einen Schaden bei seiner Mannschaft anrichtete. Jamison atmete laut aus, dann grinste er und rief zu seinem Freund hinüber: „He, Jo, scheint so, als hätte der Boss ein Auge auf Miss MacG. geworfen." Jo kam schnur stracks herüber und setzte sich auf den freien Platz, um die Neuigkeit eingehend zu diskutieren. Cullum hätte geschäumt vor Wut, wenn er gewusst hätte, dass sich seine Truppe länger als eine Stunde feixend das Maul über ihn und Julia zerriss. Und es hätte ihn gedemütigt, wenn
ihm zu Ohren gekommen wäre, dass sich der Klatsch wie ein Steppenbrand unter den Subunternehme rn ausbreitete. Am nächsten Tag gab es gegen Mittag keine einzige Person mehr, die nicht auf dem laufenden gewesen wäre und sich gefragt hätte, was zwischen dem Boss und der Kundin ablief. Dass alle möglichen Wetten abgeschlossen wurden, war unvermeidlich. Cullum kam herein, als gerade zwanzig Dollar den Be sitzer wechselten. Aber bei Murdoch and Sons arbeiteten nur Schnellzünder. „Danke fürs Leihen, Mike." Der Mann steckte den Schein mit einem lässigen Grinsen weg. „Du kriegst es am Zahltag zurück. He, Boss, wir könnten jetzt mit dem Abbeizen anfangen." „Tut euch keinen Zwang an." Das Esszimmer würde der formellste Raum des Hauses werden. Die Holzvertäfelung, die drei nebeneinanderliegenden, hohen, schlanken Fenster und die wunderschöne Stuckdecke verdienten nur das Beste. Blieb nur zu hoffen, dass Julia keine zierlichen Möbel hineinstellen würde. Der Raum schrie förmlich nach imposanten Stücken, Stühlen mit hohen Lehnen, einem schweren antiken Tisch. Sie hatte das kleine Wohnzimmer oben und den hinteren Salon, die sie verspielt einrichten konnte. Dieser Raum hier verlangte Strenge. „Wahrscheinlich will sie eine Blümchentapete", brummte er und ging dann, nachdem er noch einen kurzen Blick auf die Arbeit seiner Leute geworfen hatte, in die Küche. Hier machte die Arbeit gute Fortschritte. Cullum konzentrierte sich auf die Einzelheiten, was dazu führte, dass ihm die vielsagenden Blicke, die sich seine Leute zuwarfen, entgingen. Das Linoleum war draußen, der darunterliegende Kiefernholzboden mit Planen abgedeckt. Sie würden ihn erst ganz am Schluss abschleifen. Die Wände waren bereits gestrichen. Das Goldgelb, das Julia ausgesucht hatte, machte sich gut, das musste er neidlos anerkennen. Es war ein warmer Ton, der sehr gut zu dem Holz passen würde. Die Seitenveranda war in den Raum mit einbezogen. Im Augenblick wurden die Fenster eingesetzt. Es wird eine schöne Küche werden, entschied er, während er. mit seinen Leuten über Einzelheiten redete und dabei seine Blicke durch den Raum schweifen ließ. Seine Vorstellungen erwachten langsam zum Leben. In solchen Augenblicken verspürte Cullum immer Befriedigung in sich aufsteigen, aber diesmal reichte es tiefer. Dieses Haus hatte aus irgendeinem Grund etwas ganz Besonderes für ihn. Aber das hatte nichts mit der Besitzerin zu tun. Und doch malte er sich aus, wie es wäre, wenn er selbst am Morgen in diese Küche käme. Am Südfenster würden Töpfe mit Kräutern stehen. Dort gab es viel Sonne, und er liebte es, mit frischen, selbstgezogenen Kräutern zu würzen. Er würde an dem Tresen, den er selbst gebaut hatte, Kaffee machen. Die Bohnen frisch mahlen. Dann würde der Raum nach Rosmarin, Kaffee und den Blumen duften, die auf dem alten Eichentisch in der Sitzecke standen. Er würde die erste Tasse im Stehen trinken, dann die zweite mit zu dem schmiedeeisernen Tisch nehmen, der in die Ecke gehörte, genau dorthin. Der Raum würde sonnenüberflutet sein, wenn Julia hereinkam, die Haare noch sexy zerzaust vom Schlaf. Sie würde ihn anlächeln, zu ihm herüberkommen, sich über seine Schulter lehnen und ihre Wange an seiner reiben. Und ihm seinen Kaffee klauen. Er war so in seinen Tagträumen versunken, dass er Julia, die sexy zerzaust von der Reise hereinkam, mit offenem Mund anstarrte. „Was? Wo?" „Wer, warum?" endete sie und lachte ihn an. „Hab' ich dich bei einem Seitensprung ertappt, Murdoch?" Sie schob die Hände in ihren Kaschmirblazer und schaute sich in dem Raum um. „Wow, das sind ja ganz schöne Fortschritte. Ich werde wohl öfter für zwei Tage wegfahren müssen. Es scheint dich anzuspornen. Das ist fabelhaft. Ich wusste, dass die Farbe funktionieren würde. Und, oh, die Fenster werden wundervoll. Dafür hast du dir ein dickes
Lob verdient. Die seitliche Terrassentür habe ich schon von draußen gesehen. Sie ist perfekt. Einfach perfekt." Gott sei Dank redete sie wie ein Wasserfall. In diesem Augenblick brauchte er mehr als eine Minute, um sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Er hatte sich gegen sie entschieden, oder etwa nicht? Und warum musste er sich dann derart zusammenreißen, um sie nicht auf der Stelle zu packen und zu küssen, bis ihr die Sinne schwanden? Er starrt dich an, als ob du durch die Wand gekommen wärst, dachte Julia, während sie spürte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. Sie hatte sich in den zwei Tagen in Georgetown alles genau durch den Kopf gehen lassen und sich bis in die kleinste Einzelheit überlegt, was sie für Bedingungen stellen würde. Und jetzt war alles wie weggeblasen. „Ich schätze, ich werde ..." Stottern, wenn du mich noch weiter so anschaust, dachte sie. „Ah . . . mein Gepäck raufbringen und dann ein bisschen herumschnüffeln, was sich sonst noch alles verändert hat. Die ... äh. . . Hängeschränke sind noch nicht gekommen?" „Sie kommen übermorgen." „Fein. Gut. Ich kann es gar nicht abwarten, sie zu sehen. Ich will nur ..." Sie machte eine vage Handbewegung. „Ich gehe." Sie drehte sich um und ging auf die Tür zu, dann stieß sie ein unterdrücktes Keuchen aus, als sie spürte, wie er ihren Arm ergriff. „Ich helfe dir mit deinem Gepäck. Bei der Gästesuite sind noch ein paar Dinge unklar, die ich gern kurz mit dir besprechen möchte." Nicht jetzt, entschied sie. Auf keinen Fall jetzt, wo sie nicht einmal in der Lage war, zwei und zwei zusammenzählen. „Ich will dich nicht bei deiner Arbeit stören. Und ich muss ein paar Anrufe machen, und ..." „Es wird nicht lange dauern." Seine Augenbraue hob sich, als er den Gepäckstapel am Fuß der Treppe sah. „Du warst nur drei Tage weg." „Ich wusste, dass ich einkaufen gehen würde, deshalb habe ich mir ein paar leere Taschen mitgenommen." Sie griff nach einer, um ihre Hände beschäftigt zu halten. „Meine Weihnachtseinkäufe habe ich schon zur Hälfte." „Schön für dich." Cullum griff nach den anderen beiden Taschen und schüttelte den Kopf angesichts ihres Gewichts. „Wohin soll ich sie bringen, Santa Claus?" „In mein Zimmer. Ich muss erst noch einiges organisieren, bevor ich mich verkleide. Wie geht es deinem Vater?" „Schon viel besser, glaube ich." Verdutzt schaute Cullum auf das halbe Dutzend Arbeiter hinunter, das sich feixend im Foyer drängte und beobachtete, wie er mit Julia die Treppe nach oben ging. „Was? Habt ihr das Haus fertiggestellt, während ich mal einen Moment lang nicht hingeschaut habe, Leute?" Dies hatte zur Folge, dass sie in alle Himmelsrichtungen auseinanderstoben. Cullum versuchte das schallende Gelächter zu überhören, das ihm die Treppe hinauf folgte. „Man muss sie ständig daran erinnern, dass sie die Fenster aufmachen, wenn sie leimen. Als wären sie Vollidioten." „Hier, schmeiß sie einfach aufs Bett", sagte Julia. Auf diese Weise würde das Bett zu überfüllt sein, um für einen von ihnen eine wie auch immer geartete Versuchung darzustellen. „Ich bin wirklich gespannt zu sehen ..." Alle weiteren Worte wurden von seinen Lippen erstickt. Er hatte sie an den Haaren gepackt, an sich gerissen und ihren Mund mit einem harten gierigen Kuss erobert, bevor sie Atem holen konnte. Dann schien Atmen nicht mehr so wichtig. Die Einkaufstüte, die sie getragen hatte, rutschte ihr aus der Hand und plumpste mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. „Wir müssen darüber reden", brachte sie mühsam heraus. „Halt den Mund."
„Okay, in Ordnung." Mit einem heiseren Stöhnen fuhr sie mit den Händen über seinen Rücken, packte ihn dann an den Schultern und zog ihn noch näher an sich heran. Irgend etwas stach sie in die Hüfte und bohrte sich schmerzhaft in ihren Oberschenkel. „Autsch, verdammt." „Werkzeuggürtel", brummte er und lockerte seinen Griff, bevor er sie verletzen konnte. „Entschuldige." „Schon gut." Mit unsicherer Hand rieb sie sich die schmerzende Stelle. „Unser Timing ist wirklich das letzte. Hör zu, ich weiß nicht, wieviel du darüber nachgedacht hast, aber ich habe mir ein paar Gedanken gemacht. Wir müssen darüber reden." „Ich will dich. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen." Mit einem zittrigen Lachen machte sie einen Schritt zur Seite und brachte auf diese Weise die Kommode, die am Fuß des Betts stand, zwischen sie beide. „Ich habe ein bisschen mehr dazu zu sagen." „Was für eine Überraschung. Wir machen hier um halb fünf Feierabend. Ich komme um sechs zurück. Wenn du magst, kann ich etwas zum Abendessen mitbringen." „Abendessen." Vernünftig, entschied sie. „Vielleicht sollten wir irgendwohin gehen. " Sein Blick gab sie nicht frei. „Ein andermal, Julia. Ich habe keine große Lust, heute abend vor der Kür erst die Pflicht mit einem Menü und herumwuselnden Kellnern und Small talk zu absolvieren." Sie nickte langsam. „Gut, dann essen wir von mir aus hier, aber wir reden." Jetzt lächelte er, ein langsames, sinnliches Lächeln, das ihr köstliche kleine Schauer über den Rücken jagte. „Wollen wir wetten?" „Es ist mir ernst, Murdoch." „Mir auch, MacGregor. Bis sechs dann", wiederholte er, bevor er zur Tür ging. „Halb sieben", sagte sie. Es war die reine Willkür, wie sie wusste, aber sie wollte in dieser Angelegenheit auch etwas mitzureden haben. Er durchschaute ihre Taktik, aber er nickte. „Gut dann." Er hob eine Augenbraue. „Kommst du mit?" „Wohin?" „Die Gästesuite, erinnerst du dich?" „Oh." Verlegen fuhr sie sich über ihr zerzaustes Haar. „Ich dachte, das hättest du nur wegen deinen Leuten gesagt." „Was ich sage, meine ich auch. Lass uns einen Blick darauf werfen. Du musst ein paar Dinge absegnen." Sie tat ihr Bestes, von der Rolle der potentiellen Geliebten wieder in die Rolle der Auftraggeberin zu schlüpfen. Es wurmte sie, dass er soviel weniger Schwierigkeiten mit dem Rollenwechsel zu haben schien als sie. „Gut. Und dann würde ich mir den Rest der Arbeiten auch noch gern anschauen, falls du Zeit hast." Er hielt ihr die Tür auf. „Meine Zeit gehört dir. Zumindest bis halb fünf." Sie schaute ihn aus verengten Augen an, während sie ne ben ihm herging. „Warum klingt das in meinen Ohren wie eine Drohung, Murdoch?" Er lächelte verbindlich. „Das kann ich dir nicht sagen, MacGregor. Es ist nur eine Tatsache." Um halb fünf beobachtete sie, wie das letzte Auto - Cullums natürlich - wegfuhr. Keine zwei Stunden mehr, dachte sie. Aber diesmal würde sie gewappnet sein. Diesmal würde sie sich nicht den Kopf vernebeln lassen, bevor sie etwas sagen konnte. Sie würden die Lage der Dinge nüchtern diskutieren und klare Regeln aufstellen, mit denen sie beide leben konnten. Wenn die Affäre endete, was unzweifelhaft in nicht allzu ferner Zukunft der Fall sein würde, würden sie ohne großes Tamtam auseinandergehen. Sie waren sich einfach zu ähnlich, um es über längere Zeit miteinander auszuhalten, daran konnte es keinen Zweifel geben. Und
die sexuelle Anziehungskraft war einfach zu groß, um lange anzuhalten. Ein hell aufloderndes Strohfeuer, mehr war es nicht. Sie wollte am Schluss nicht verletzt werden, und sie wollte ihn nicht verletzen. Deshalb würden sie Regeln aufstellen und sich nach ihnen richten. Und es genießen, solange es dauerte. Julia wandte sich vom Fenster ab und fragte sich, warum sie sich plötzlich so niedergeschlagen fühlte. Vielleicht kam es daher, weil sie Laura und Gwen so nahestand, und beide waren so schnell und kopfüber in die Liebe hineingestolpert. Fast, ohne einen Augenblick nachzudenken oder zu planen oder sich um Regeln Gedanken zu machen. Aber dies hier war keine Liebe. Es war Chemie. Und sie erinnerte sich genug an diese Wissenschaft, um zu wissen, dass Experimente, die man nicht bis in alle Einzelheiten hinein plante und sorgfältig durchführte, mit einer Explosion enden konnten. Und sie hatte nicht die Absicht, sich die Finger zu verbrennen. Trotzdem gab es keinen Grund, ihm in der Zwischenzeit nicht gehörig den Kopf zu verdrehen. Noch fast zwei Stunden. Mehr als genug Zeit für das weibliche Ritual der Vorbereitung auf einen Liebhaber. Und am Ende würde der harte Cullum Murdoch wie Wachs in ihren Händen sein.
7. KAPITEL Sie würde dahinschmelzen wie Butter. Er konnte es kaum mehr erwarten. Obwohl es ein verführerischer Gedanke war, nur um sie ein bisschen zu ärgern, seinen Schlüssel zu benutzen, klopfte Cullum um halb sieben an die Tür. Er hatte sich einen dunkelblauen Pullover und eine frische Jeans angezogen, nichts Besonderes, damit sie nicht womöglich noch auf die Idee kam, er hätte sich für den Abend extra herausgeputzt. Wenn sie ihm auch nur die geringste Nervosität anmerkte, würde sie es sofort zu ihrem Vorteil ausnutzen. Es gefiel ihm, dass Julia ihren Vorteil erkannte und ihn ausnutzte, er achtete sie sogar dafür. Aber er war entschlossen, ihr nicht einen einzigen Schritt Vorsprung zu lassen. Er nahm seine Tüte in die andere Hand und überlegte gerade, ob er nicht doch seinen Schlüssel benutzen sollte, als sie die Tür öffnete. Sie sah auch nicht so aus, als ob sie sich für den Abend extra herausgeputzt hätte, was ihr aber noch lange nicht das Recht gab, seinen Puls in derart schwindelerregende Höhen zu treiben. Das Haar, das sie am Nachmittag noch hochgesteckt getragen hatte, fiel ihr jetzt wild über die Schultern eines engen schwarzen Catsuits, der ihre Kurven derart betonte, dass ihm schlagartig das Wasser im Mund zusammenlief. Um die Taille hatte sie lose einen silbernen Kettengürtel geschlungen. Ihre Füße waren nackt. Sie wirkte mit ihren langbewimperten schokoladenbraunen Augen und dem großzügigen weichen Mund unglaublich begehrenswert. „Du bist pünktlich." Ihre ungeschminkten Lippen verzo gen sich langsam. „Das mag ich an einem Mann." „Du hast eine gute Figur." Er lächelte genauso kühl und träge. „Das mag ich an einer Frau." „Haben wir nicht ein Riesenglück? Komm rein." Sie schloss die Tür hinter ihm und befahl sich, das Flattern in ihrem Bauch zu ignorieren. „Und was hast du zum Essen mitgebracht?" „Hähnchen. Extra knusprig." Ihre Augen leuchteten beifällig auf. „Und einen guten weißen Bordeaux, der diese Zauberkräuter und Gewürze nicht erschlägt, sondern sie erst richtig zur Entfaltung bringt." „Wer hätte gedacht, dass wir beim Essen einen so ähnlichen Geschmack haben? Lass es uns mit nach oben nehmen." Sie trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, damit er nicht auf den Gedanken kam, sie gleich an der Tür zu überfallen. „Mein Zimmer ist im Moment der einzige Ort im Haus, wo man essen kann. Es sei denn, du sitzt lieber auf einem Farbeimer mit einem Sägebock als Tisch." „Dein Zimmer ist okay." „Geh schon mal vor. Ich will sehen, ob ich irgendwo zwei Weingläser auftreiben kann." „Alles, was wir brauchen, ist hier drin." Er klopfte auf die Tüte. „Plastikbecher und Teller und Papierservietten. Es ist schwachsinnig, Geschirr schmutzig zu machen, solange die Küche noch nicht funktionsfähig ist." „Du denkst mit, das muss man dir lassen." Sie drehte sich um und ging vor ihm die Treppe nach oben. „Die Arbeit macht gute Fortschritte." „Dafür braucht es nur Planung. Und ein bisschen Glück." „Ich habe ein Auge auf ein Haus in der Innenstadt geworfen. Man könnte sechs schöne Zweischlafzimmerapartments daraus machen. Mit einem bisschen Glück und einer Menge Planung." Sie blieb an der Tür zu ihrem Zimmer stehen, um ihn anzuschauen. „Meinst du, ihr wärt daran interessiert, du und dein Vater?" „Wenn du nicht vor Anfang des nächsten Jahres anfangen willst, ja." „Ich habe es bis jetzt ja noch nicht einmal gekauft, deshalb wird es mindestens so lange dauern."
Sie hatte im Kamin ein Feuer gemacht, das Wärme und Atmosphäre verströmte. Auf dem Kaminsims standen mehrere Leuchter und Kerzenhalter. Die Kerzen darin hatte sie jedoch noch nicht angezündet. Aber eine große weiße Kerze in der Mitte des kleinen Tisches in der Sitzecke brannte. „Sehr hübsch." Im Zimmer duftete es verführerisch und sie auch. Cullum stellte die rotweiße Tüte auf den Tisch, wobei er sich fragte, ob das womöglich ihr Plan sei - ihn zu verführen, bevor er die Oberhand gewinnen konnte. Es würde eine interessante Nacht werden. Er holte den Wein und einen Korkenzieher heraus und beobachtete sie, während er die Flasche öffnete. „Da wir höfliche Menschen sind, möchte ich dir sagen, dass du bis jetzt bei der Einrichtung dieses Hauses erstklassige Arbeit geleistet hat. Du entscheidest schnell, aber nicht übereilt. Du überlegst dir genau, welche Stücke du kaufst. Du richtest es klassisch ein, aber freundlich. Das ist nicht jedem gegeben." Sie versuchte, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren. Es war ein Kompliment, das dazu angetan war, einer Frau wie ihr zu schmeicheln, ein Kompliment, das an ihren Verstand, ihren Stil und ihr Herz appellierte. „Danke, das bedeutet mir viel. Ich bin in einem klassischen, freundlichen Zuhause aufgewachsen." „Du bist im Weißen Haus aufgewachsen", erinnerte er sie und hielt ihr einen durchsichtigen Plastikbecher mit strohfarbenem Wein hin. „Das stimmt, aber ich dachte an unser Haus in George town. Obwohl meine Eltern taten, was sie konnten, um das Weiße Haus ebenfalls zu einem Zuhause zu machen." „Muss sich angefühlt haben wie in einem Aquarium." „Manchmal. Aber oft war es auch überraschend intim und gemütlich. Wenn ich wieder dort einzöge, würde ich für meine Familie dasselbe tun." Er hob die Augenbrauen. „Denkst du daran, einen Präsidenten in spe zu heiraten?" „Nein, aber ich denke daran, selbst Präsidentin zu werden." Sie erwartete, dass er sich an seinem Wein verschluckte, lachte und irgendeine sarkastische Bemerkung machte. Statt dessen verengten sich seine Augen, und er nickte. „Wenn du deine Sache nur halb so gut machst wie dein Vater, wirst du eine gute Präsidentin sein." „Du überraschst mich wieder." Sie setzte sich, kiebitzte in eine Tüte und schnupperte. „Ich wäre dann bereit." Diesmal lachte er. „Fürs Essen", präzisierte sie mild. „Und über den Rest zu sprechen." „Gegen eine nette kleine Unterhaltung beim Essen lässt sich nichts einwenden." Sie teilten das Hühnchen und die Pommes frites auf die beiden Teller auf. Cullum zuckte zusammen, als sie einen riesigen Berg Salz darüberstreute. „Ich weiß", sagte sie vergnügt. „Es ist abstoßend. Gwen macht immer die Augen zu, wenn wir zusammen essen." Sie biss ein großes Stück von einem Hühnerbein ab und seufzte auf vor Vergnügen. „Aber es ist so gut. Das scheinen Dinge, die schlecht sind für einen, fast immer zu sein. Cullum, glaubst du, dass wir sehr schlecht sind füreinander?" „Kann sein. Das Leben ist ein Spiel." „Das sehe ich genauso. Ich spiele gern, aber ich rechne mir meine Chancen aus, und ich weiß immer vorher, wie viel ich mir zu verlieren leisten kann. Dann fühlen wir uns also aus irgendeinem verrückten und unerfindlichen Grund voneinander angezogen." Er griff nach seinem Becher und genoss den Geschmack des Weins ebensosehr wie ihren Anblick. „Sieht ganz danach aus." „Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich mir nicht einfach einen Liebhaber nehme, nur weil ich mich von ihm körperlich angezogen fühle. Ein bisschen mehr gehört schon dazu. Gegenseitiger Respekt, Verständnis, Zuneigung. Und ich finde, man sollte sich einig darüber sein, dass man auseinandergeht, wenn die Sache nicht mehr funktioniert. Und solange die Beziehung dauert, darf es niemand anders ge ben. Wenn einer von beiden das unbefriedigend findet, ist Schluss."
Cullum feixte. „Dann ist der Vertrag also hinfällig, wenn ich entscheide, dass mir ein bisschen Abwechslung gut täte . . . oder du." „Genau. Und keine großen Gefühle. Das führt nur dazu, dass man anfängt, zu lügen und zu betrügen. Ich dulde Lug und Trug niemals in meinem Leben und im Bett schon gar nicht." „Ich lüge nicht." Diesmal flackerte Verärgerung in seinen Augen auf. „Und betrügen tue ich auch nicht." „Das habe ich auch nicht behauptet", entgegnete sie ruhig. „Aber viele Leute tun es, und dann heißt es als Ausrede immer, dass man die Gefühle des anderen schonen wollte und deshalb die Unwahrheit gesagt hat. Ich will und brauche keine Schonung." „Fein. Wenn ich das nächste Mal Lust habe, mein Glück bei einer scharfen Mieze zu versuchen, lasse ich es dich vorher wissen." Er wischte sich seine Finger gründlich an seiner Papierserviette ab. „Und wenn du entscheidest, es bei irgendeinem aalglatten Kerl in einem Smoking zu versuchen . . . tja, dann werde ich ihm wohl oder übel eins auf die Glocke geben müssen." Die Tatsache, dass sich ihr Puls vor Freude ein bisschen beschleunigte, machte sie wütend. „Das ist genau die Art von Verhalten, die nicht funktioniert." „Für mich schon. Jetzt komme ich zum Kern der Sache, Julia. Du verlangst Respekt. Ich respektiere dich, deinen Verstand und deine Integrität. Ich verstehe dich sehr gut. Du bist daran gewöhnt, deinen eigenen Weg zu gehen, und du liebst es, die Show zu leiten. Das kannst du auch sehr gut. Und ich mag dich genug, manchmal jedenfalls. Das ist das Fundament, auf dem du aufbauen willst. Jetzt bringe ich noch ein paar Schnörkel an." Er stieß mit ihr an, trank einen Schluck und stellte den Becher wieder hin. „Wenn du unbedingt einen Vertrag abschließen willst, dann versuch es bei irgend jemandem wie diesem Todd, den du kürzlich rausgeschmissen hast. Das hier ist kein Geschäft, und keiner von uns kann im voraus wissen, wie sich die Sache entwickelt. Wir wollen es beide. Aber vielleicht wollen wir es ja nach heute nacht nicht mehr, und dann war es das." „Und wenn einer will und der andere nicht?" „Dann hat einer von uns eben Pech gehabt." Er stand auf, nahm ihre Hand und zog sie auf die Füße. „Lass es uns herausfinden." Sie war noch nicht fertig, noch nicht annähernd, aber er hatte ihr bereits das Heft aus der Hand genommen. Sein Mund war warm, besitzergreifend und ließ dem ihren keine andere Wahl, als sich unter seinem vor Lust stöhnend zu öffnen. Sie hatte noch die Kerzen anzünden und ihn langsam um den Verstand bringen wollen, bis er bereit war, zu allem, was sie vorschlug, ja und amen zu sagen. Aber das Begehren schoss in ihr empor, wild und unverstellt. Verführung würde warten müssen. Ihre Hände streichelten ihn unter seinem Pullover, betasteten die harten Muskelstränge an seinem Rücken. Seine Kraft quälte und faszinierte sie gleichermaßen. Sie riss seinen Pullover hoch, zog ihn ihm über den Kopf und warf ihn achtlos beiseite. Und sehnte sich verzweifelt nach mehr. „Ich liebe deinen Körper", brachte sie mühsam heraus. Er zerrte ihr den enganliegenden Anzug über die Schultern und hing mit seinem Mund wie eine Klette an ihrem Hals. „Gleichfalls." Ihr Gürtel fiel klappernd zu Boden. Seine Hände wanderten über den glatten Stoff und quälte sie beide, dann über ihr Fleisch, ein raues Kratzen einer schwieligen Hand auf zarter Haut. Ihre Münder trafen sich wieder, heiß, nass, ihre Zungen tanzten einen wilden Tanz, Zähne stießen gegeneinander und dazwischen immer wieder lustvolles Stöhnen. Ihr stockte der Atem, als er sie hochhob. Einen Moment lang fühlte sie sich schrecklich hilflos, überwältigt, besiegt. Panik mischte sich mit Erregung und bewirkte, dass ihre Haut anfing zu kribbeln. Dann legte er sie auf die Tagesdecke und begann sie, ihr tief in die Augen schauend, aus ihrem Anzug zu schälen.
Der heftige Schauer überraschte sie. Sie hatte sich in Gedanken auf ihn vorbereitet, sie hatte gewusst, dass der Abend so enden würde. Aber sie hatte nicht gewusst, hatte nicht wissen können, dass ein langer brennender Blick aus diesen intensiven grünen Augen ihre Selbstkontrolle so schnell erlahmen lassen würde. Mit einem gierigen Laut auf den Lippen bäumte sie sich auf, schlang die Arme und Beine um ihn und suchte seinen Mund. Sie betörte seine Sinne, gefährlich wie eine Sirene. Das Blut schoss durch seine Adern, ihr Geschmack hatte auf ihn die Wirkung einer Droge. Er war rau und ungezähmt, auch wenn er es nicht wollte. Sie hatte seine dünne Zivilisationsschicht bereits gesprengt. Seine Finger gruben sich in ihre Hüften, er wusste, sie würden Male hinterlassen. Sein Mund presste sich auf den ihren, bis sie vor verwirrtem Entzücken jammerte. Dann zog er ihren Kopf an den Haaren zurück, und sie spürte seine Zähne an ihrem Hals. Ihre Haut war schon feucht vor Erregung, als er sie zurückstieß, als sein Mund und seine Hände ihre Brüste in Besitz nahmen. Sie rang nach Luft, und jeder gierige Atemzug bewirkte, dass ihr schwindlig wurde. In ihr loderte ein Feuer, das ihr Blut zum Sieden brachte und kaum auszuhalten war. Ebenso verzweifelt bemüht wie er, zu berühren, zu kosten, zu nehmen, wälzten sie sich engumschlungen über das Bett. Ihre Beine verhedderten sich, während sie an seiner Jeans zerrte. Jede Sekunde war eine köstliche Folter, jede Bewegung ein irrer Kitzel. Er spürte, wie sich seine Muskeln zusammenzogen, während seine schweißfeuchte Haut über die ihre glitt. Es gab nichts oder niemand, nach dem er je mehr gelechzt hätte als nach ihr. Nach jedem Quadratzentimeter Haut von ihr, jeder Kurve, jedem Erbeben, jedem Stöhnen. Er drang in sie ein, blind, hemmungslos, spürte, wie sie sich um ihn schloss, heiß und eng. Wilder Triumph durchschoss ihn, als sie aufschrie. Dann schlangen sich diese langen geschmeidigen Beine um seinen Leib. Sie krallte die Finger in die Bettdecke, als sie ihren ersten gewaltigen Höhepunkt erreichte. Der Druck in ihr machte sich Luft, dann baute er sich wieder auf und zwang sie zu schluchzen. Unbekümmert zerkratzte sie ihm mit den Fingernägeln den Rücken, bäumte sich auf unter ihm und schwang sich auf den Kamm der nächsten Welle. Er kämpfte gegen den Nebel an, der seine Sicht trübte. Er wollte sie sehen, musste sie sehen, während sie zusammen über den Rand in die Tiefe stürzten. Ihr Gesicht war gerötet und feucht, ihre Augen waren geschlossen, ihre Lippen zitterten, ihr brandrotes Haar leckte wie ein außer Kontrolle geratenes Feuer an den zerwühlten Laken. Irgend etwas versuchte sich aus ihm heraus seinen Weg in die Freiheit zu bahnen, etwas Komplexeres und Fordernderes als Lust. Er drängte es zurück und ließ sich von der haushohen Welle seiner Empfindungen, die über ihn hinwegschwappte, davonspülen. Aber es war ihr Name, der sich seinen Lippen entrang, als er sich in ihr verströmte. Sie sprachen nicht. Julia fragte sich, ob nicht vielleicht von der Hitze, die sie gemeinsam erzeugt hatten, ihre Stimmbänder versengt worden waren. Sie hatte sich noch nie zuvor so gefühlt, so gesättigt und ermattet, so durch und durch weiblich. Sie wollte einfach nur noch einschlafen, nackt wie sie war, mit Cullums Körper über sich, der sie schwer auf die Matratze drückte. Als er sich bewegte, seufzte sie tief auf und fragte sich, ob das wohl der einzige Laut war, den sie für die nächsten zehn Jahre von sich geben könnte. Sie sieht. . . selbstgefällig aus, dachte Cullum, nachdem er es geschafft hatte, den Kopf zu heben, um sie anzuschauen. Nachdem sein Verstand langsam wieder ein bisschen klarer geworden war, hatte er sich besorgt gefragt, ob er ihr womöglich weh getan hatte. Er wusste, dass seine Hände groß und rau waren, er bezweifelte, dass er als ein sanfter Liebhaber durchgehen konnte, er war noch nie so hemmungslos gewesen. Er hatte schon befürchtet, dass er der Brutalität gefährlich nah gekommen war.
Aber aus dem satt zufriedenen katzenhaften Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag, ließ sich schließen, dass eine Entschuldigung nicht erforderlich war. Er war dankbar. Er hasste es, sich zu entschuldigen. Dann hoben sich ihre Lider, und ihr Blick begegnete dem seinen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Mmmm..." sagte sie. „Das ist das mindeste." Es überraschte ihn, dass er mit seiner Fingerspitze die Linie ihres Kinns nachzeichnen wollte . . . musste. Ihre Haut war weich dort, trotz der arroganten Form. Er gab dem Drang nach, senkte den Kopf und streifte sie mit den Lippen sanft unterm Kinn. Die Geste bewirkte, dass sie Herzflattern bekam. Sie sagte sich, dass es eine törichte Reaktion war, wenn nicht gar eine gefährliche. Ihr Herz musste sicheren Abstand wahren. Trotz der Hitze, die sein Körper abstrahlte, erschauerte sie. „Kalt?" Er wollte sie einpacken, um sie warm zu halten. Sie halten. Immer. Dieser Gedanke hatte zur Folge, dass sich sein Magen verknotete. Der Schauer hatte nichts mit der Kälte zu tun, aber sie benutzte es als Ausrede. „Ein bisschen." Sie konnte sich nicht davon abhalten, eine Hand zu heben und ihm durch das zerwühlte Haar zu fahren. „Das Feuer im Kamin könnte wahrscheinlich noch einen Holzscheit vertragen." „Ich mache es." Er beugte sich zu ihr hinunter, um ihr einen leichten, flüchtigen Kuß zu geben. Und verweilte dort, bis sie beide wieder anfingen, sich aneinanderzuklammern. Erneut schoss die Flamme der Begierde empor, zu schnell für beide, um eine Verteidigungslinie aufzubauen. Sie streckten im selben Moment die Hände aus, zogen die Decke über sich und gaben ihrem Verlangen nach.
8. KAPITEL Der November ist der interessanteste Monat im Jahr, entschied Julia. In der Luft, die dunstig war und erfrischend zugleich, lag der Übergang. Im Wind spürte man die ersten Vorboten des Winters, mit allen Abenteuern und Überraschungen, die mit der Feriensaison einhergingen. Sie bedauerte es fast, dass er schon zu Ende war. Sie hatte noch nie einen faszinierenderen oder aufregenderen Monat erlebt. Sie war der Meinung, dass sie und Cullum sehr diskret waren. Während der Arbeitszeiten achteten sie auf Abstand. Meistens jedenfalls, musste Julia in Gedanken einschränkend hinzufügen, als sie sich an eine kurze, leidenschaftliche Begegnung in der eben fertiggestellten Speisekammer erinnerte. Und daran war allein sie schuld gewesen, wie sie zugeben musste. Sie hatte einfach nicht widerstehen können, als sie ihn in diesem sauberen Raum gesehen hatte, den Werkzeuggürtel um die Hüften geschlungen, die Haut nach Sägespänen riechend, sie musste ihn in diesem Augenblick einfach gegen die Tür drängen und sich seiner bemächtigen. Nicht, dass er sich besonders gewehrt hätte. Die Wahrheit war, dass sie die meiste Zeit große Mühe hatten, die Finger voneinander zu lassen. Und da sie dazu acht Stunden am Tag und fünf Tage die Woche gezwungen waren, gerieten die Nächte um so aufregender. Ihr Schlafzimmer und die Vorratskammer waren nicht die einzigen Räume, in denen sie übereinander hergefallen waren. Sie dachte daran, wie sie sich über die Bodenplane in der halbfertigen Bibliothek gewälzt hatten, lachend wie zwei Verrückte und mit Knöpfen und Reißverschlüssen kämpfend. Sie schienen einander überhaupt nicht nah genug kommen zu können. „Du siehst ungemein . . .zufrieden aus", bemerkte Laura. Sie und Gwen hatten sich den ersten Samstagnachmittag im Dezember freigehalten, um Julia zu helfen, ihren Baum zu schmücken. Obwohl sie jetzt alle ein eigenes Zuhause hatten, hatte keine von ihnen die Jahre vergessen, die sie zusammen verbracht hatten, und das, was sie miteinander verband. „Warum auch nicht?" Julia suchte nach dem idealen Zweig, an dem sie den aus Holz geschnitzten Santa Claus, der auf seinem Schlitten über eine Mondsichel fuhr, aufhängen konnte. „Das Haus ist fast fertig, und es wird genauso, wie ich es mir vorgestellt habe." Die Hände in die Hüften gestützt, drehte sie sich um und ließ ihre Blicke durch das fertiggestellte Wohnzimmer schweifen. Der Raum war von Sonnenlicht durchflutet, das den auf Hochglanz polierten Holzfußboden vergoldete. Im Kamin knisterte ein Feuer. Über den Türen und Fenstern glänzten die Holzschnitzereien, und der Stuck an der Decke war atemberaubend schön. Die zwei kleinen dunklen Zimmer gab es nicht mehr. An ihre Stelle war ein großer, von Licht durchfluteter Raum getreten, der ihre Lieblingsmöbel beherbergte. Das zierliche Brokatsofa mit der geschwungenen Lehne, die lange tiefe Couch, bestens geeignet für einen Mittagsschlaf. Zwei Aquarelle von Boston, die ihr Bruder gemalt hatte, hingen an der Wand über einem runden Beistelltisch, auf dem eins der Stücke ihrer Mutter, eine große Schale in zarten Pastelltönen, stand. In einem antiken Puppenwagen lagen Zeitschriften. Der bogenförmige Durchgang zum Nebenzimmer war rechts und links von einem Ficus flankiert. Jedes Stück, jedes Detail brachte ihre Persönlichkeit zum Ausdruck. „Es ist ein herrlicher Raum", sagte Gwen. „Ich wusste, dass er schön werden würde, aber er ist noch schöner geworden, als ich ihn mir vorgestellt habe. Ich bin froh, dass ich mich von Cullum zu diesem Durchgang habe überreden lassen. Es wirkt hübscher als ein einziger großer offener Raum."
Laura und Gwen tauschten hinter ihrem Rücken Blicke aus, deuteten mit dem Finger auf sich selbst, schüttelten die Köpfe, verdrehten die Augen. Schließlich drückte Laura durch ein theatralisches Schulterzucken Zustimmung aus. „Dann ..." Laura wählte ein Silberglöckchen für einen Zweig aus, „. . . wird er ja wohl bis Weihnachten hier fertig sein, nehme ich an, oder?" „So ist es geplant. Auf seinem Arbeitsplan stehen nur noch die Kleinarbeiten." „Macht ihr das im Bett. . . Arbeitspläne studieren?" „Manchmal, aber ..." Julia stutzte und drehte sich um. „Was?" „Julia, um Himmels willen. Es ist doch offensichtlich, dass ihr beide etwas miteinander habt." Gwen ging zum Tisch, um sich aus einer Porzellankanne, die die Form eines Elefanten hatte, noch mehr heiße Schokolade einzugießen. „So, meinst du?" „Jedesmal, wenn wir bei dir waren, müssen wir uns anschließend zu Hause vom Ruch der Leidenschaft befreien." Lachend hängte Laura einen zarten Engel auf. „Die Atmo sphäre ist aufgeladen. Zugegeben, wir sind neugierig." Sie drehte sich um. „Aber wir sind auch besorgt. Wir haben über solche Sachen immer gesprochen, aber bei Cullum hältst du dich auffällig zurück." „Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich nehme an, dass ein Grund dafür, dass wir ständig aneinandergeraten sind, einfach sexuelle Spannung war. Und als wir anfingen, eng zusammenzuarbeiten ..." Julia zuckte die Schultern. „Na ja ... da ist es eben einfach passiert." Als sie ihre Cousinen anschaute, musste sie lächeln. „Es ist wundervoll. Er ist wundervoll. Ich hätte nie gedacht, dass wir soviel Spaß miteinander haben könnten . . . und nicht nur im Bett. Wir sind letzte Woche zum Cape rausgefahren und haben am Strand gepicknickt. Es war schweinekalt." Sie lachte. „Es war toll. Und der Mann geht doch tatsächlich ebensogern auf Antiquitätenjagd wie ich. Könnt ihr euch das vorstellen? Er entdeckt die tollsten Sachen und feilscht wie ein Weltmeister. Und er macht unglaubliche Pasta. Wer hätte gedacht, dass jemand wie er kochen kann? Er hat mir geholfen, Sachen für das Spielzimmer auszusuchen, das ich für Klein Daniel und all die anderen Nichten und Neffen einrichte, die noch kommen. Zur Zeit schauen wir uns nach alten Flippern um. Er ist handwerklich sehr geschickt, deshalb dachte er, es könnte Spaß machen, einen alten Flipper wieder herzurichten. Und ich ..." Plötzlich blieb ihr die Luft weg, sie musste sich die Hand aufs Herz pressen und tief durchatmen. „O Gott. O nein." Ihre Beine zitterten, sie sank in einen Stuhl und starrte ihre Cousinen fassungslos an. „Was habe ich getan?" „Dich Hals über Kopf verliebt, deinem Aussehen und deinen Worten nach zu urteilen." Gwen schenkte noch eine Tasse Schokolade ein und brachte sie Julia. „Lass dir Zeit und hol erst mal ganz tief Luft." „Das war nicht geplant, das hatte ich nicht vor. Unsere Abmachung lautet doch ganz anders", fuhr sie mit einer Stimme fort, die vor Aufregung eine Oktave höher geklettert war. „Dazu wäre als erstes zu sagen, dass man so etwas nicht planen kann." „Aber ich mag ihn doch nicht einmal." Sie schloss ihre Augen, als Gwen sie anlächelte. „Na ja, jedenfalls mochte ich ihn früher nicht. Ich dachte, ich könnte ihn nicht leiden." „Also, wenn es dir hilft, ich finde, ihr passt perfekt zusammen." „Es hilft mir aber nicht." Julia legte ihre Hände um die Tasse und trank einen großen Schluck. „Was soll ich jetzt tun? Er wird einen Wutanfall bekommen, wenn er es herausfindet." Laura hockte sich auf die Armlehne von Julias Sessel. „Wenn du mich fragst, ist ein Mann, der dir Pasta macht, Geschenke mitbringt und dir einen alten Flipper aufmöbeln will, ebenso bis über beide Ohren verliebt wie du." „Nein, das ist er nicht. Glaubst du wirklich? Nein." Angewidert von sich selbst, sprang sie auf. „Oh, wie konnte mir das bloß passieren? Vor zehn Minuten war ich noch der glücklichste
Mensch der Welt. Er wird in zwei Stunden hier sein. Er will diese Art-deco-Lampe aufhängen, die wir gestern abend entdeckt haben." „Er hängt dir Lampen auf", sagte Gwen mit einem Seufzer. „Das ist so süß." „Es ist nicht süß, es ist unmöglich. Ich will nicht in ihn verliebt sein." „Warum nicht?" Laura legte den Kopf schräg. „Weil es ... weil er ..." „Wie ich sehe, hat die Zeugin Schwierigkeiten, die Frage zu beantworten", sagte Laura ernst. „Lassen Sie es mich anders formulieren ... oh, Mist", fügte sie hinzu, als die Stimme ihres quengelnden Babys durch die Gegensprechanläge kam. „Ich beantrage eine kurze Unterbrechung. Bin gleich wieder da." „Julia ..." begann Gwen, während Laura schon nach oben rannte. „Ich würde gern noch etwas sagen." „Dann sag es." „Du hast nie glücklicher ausgesehen, als wenn du von Cullum sprichst und von der Zeit, die ihr zusammen verbringt. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er dich anschaut. Die Art, wie er dich beobachtet. Ich glaube nicht, dass du mehr in ihn verliebt bist als umgekehrt." „Wenn das wahr ist..." Julia holte dreimal hintereinander tief und sorgfältig Atem. „Es könnte funktionieren. Was meinst du?" „Ich habe nie erlebt, dass du davor zurückgeschreckt wärst, dir das zu nehmen, was du willst. Ich weiß, dass es einem manchmal angst macht. Das, was ich für Branson empfinde, und jetzt auch noch für das Baby ..." murmelte sie, während sie sich mit einer Hand über den Bauch fuhr. „Es ist so riesig, so unfassbar, es macht mir noch immer angst. Aber ich würde es auf keinen Fall anders haben wollen." „Dann muss ich ihn also nur noch davon überzeugen, dass er verrückt vor Liebe zu mir ist." „Ich würde sagen, du musst ihn eher dazu bringen, dass er es zugibt, so wie du es eben zugegeben hast." „Dass er es zugibt." Sie lachte schon fast wieder, als Laura mit Daniel auf dem Arm hereinkam. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Murdoch jemals irgend etwas zugibt." Sie nagte an ihrer Unterlippe, während sie überlegte. „Es sei denn, ich trickse ihn aus." „Typisch Julia", bemerkte Laura. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl und knöpfte sich die Bluse auf, um das Baby zu stillen. „Ich meine ja nicht wirklich austricksen, sondern eher ... es ihm unbemerkt entlocken." Sie war bereit für ihn. Julia öffnete Cullum mit einem warmen Lächeln die Tür, dann legte sie die Arme um seinen Nacken und begrüßte ihn mit einem langen innigen Kuss. „Ich finde es auch schön, dich zu sehen." Er kam ins Haus und kickte die Tür mit dem Fuß zu, um die Kälte und den Schnee, der in dünnen Flocken vom Himmel fiel, auszusperren. „In was für einer Stimmung bist du denn, MacGregor?" „In einer glücklichen." Sie zog eine Spur kleiner Küsse über sein Kinn. „Und zärtlichen. Und du, Murdoch?" „Ich weiß es zu würdigen." „Du hast ja noch gar nichts gesehen." Sie löste sich von ihm, trat einen Schritt zurück und lächelte ihn an. „Ich habe gekocht." „Ist das nicht gefährlich?" „Ich bin zufälligerweise eine sehr gute Köchin." Fast, fügte sie in Gedanken hinzu. „Was hältst du von gefüllten Schweinekoteletts und Kartoffelbrei?" „Eine ganze Menge." „Gut." Sie hängte sich bei ihm ein und zog ihn mit glitzernden Augen in die Küche. Der Tisch war mit buntem Geschirr und Kerzen gedeckt. Aus den verborgenen Lautsprechern perlte Musik, und in einem antiken Eiskübel stand der gekühlte Champagner.
Verdutzt schüttelte er den Kopf. „Feiern wir etwas?" „Nein. Nur ein selbst zubereitetes Essen nach MacGregor-Art. Machst du die Flasche auf? Das Essen braucht noch ungefähr zwanzig Minuten." „Riecht lecker." Er nahm die Flasche aus dem Kühler und fragte sich, was, zum Teufel, sie im Schilde führen mochte. Wenn das hier nicht eine Bühne war, die eine Frau aufge stellt hatte, die hinter etwas her war, wollte er nicht mehr Murdoch heißen. „Willst du, dass ich eine Wand wieder rausreiße, die ich eben hochgezogen habe? Oder hast du deine Meinung bezüglich der Fliesen im Gästebad geändert?" „Nein. Ich hatte einfach Lust zu kochen. Das müssen die bevorstehenden Feiertage sein. Oh, ich hätte es dir zeigen sollen. Wir haben heute den Baum aufgestellt." „Ich habe ihn vorhin schon durchs Fenster gesehen. Sieht großartig aus." „Wir können die Nachspeise nachher im Wohnzimmer essen und uns daran erfreuen." Wachsam geworden, schenkte er den Champagner in zwei schlanke Kelche. „Du hast sogar eine Nachspeise gemacht." „Windbeutel mit Schlagsahne. Altes Familienrezept." Sie nahm ein Glas von ihm entgegen und lächelte. „Es hat mir Spaß gemacht, sie zuzubereiten." Dreimal, dachte sie und unterdrückte einen Seufzer. Die ersten zwei Versuche waren im Müll gelandet. „Und wie war dein Tag?" „Produktiv. Der Holzzug, den ich für meine Nichten gebaut habe, ist fast fertig." „Ich würde ihn unheimlich gern sehen. Ich könnte dir helfen, ihn anzumalen. Ich bin nicht Shelby oder D.C. MacGregor, aber ganz so ungeschickt bin ich auch wieder nicht." „Sicher." Er forschte in ihrem Gesicht. „Fände ich toll." „Gut, ich muss nach den Koteletts sehen und den Salat anmachen." „Ich helfe dir." „Nein, das ist mein Werk. Setz dich einfach hin und entspann dich." Als sie sich eine Schürze umband, fand er, dass Sitzen eine gute Idee war. Was, zum Teufel, war in sie gefahren? Sie war in sanftester Stimmung, fürsorglich, fast nachgiebig, und sie trug eine Schürze. Das war nicht seine Julia. Seine Julia? Er nahm einen großen Schluck Champagner, während das besitza nzeigende Fürwort noch immer in seinem Kopf widerhallte. Seit wann dachte er in diesen Kategorien von ihr? Seit... eh und je, wurde ihm schlagartig klar. Seit immer. Er hatte sie seit Jahren gewollt und sein Begehren mit Sarkasmus und Verärgerung getarnt. Aber es war dage wesen, tief in ihm drin, und es hatte Wurzeln geschlagen. Jetzt, nachdem sie sich so weit aufeinander eingelassen hatten, war es ihm unmöglich abzuleugnen, dass er sich in sie verliebt hatte. Und selbst angenommen, er schaffte es irgendwie, diese Worte über die Lippen zu bringen, würde sie ihn rausge worfen haben, bevor der Satz zu Ende war. Verdammt noch mal, dachte er, während sie geschäftig herumwerkelte und mit Töpfen klapperte, er hatte sich in sie verliebt. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als dafür zu sorgen, dass sie sich auch in ihn verliebte. Und dass sie die erste war, die es aussprach. Er stellte sein Glas ab, stand auf und trat hinter sie. Seine Arme legten sich um ihre Taille, seine Lippen streiften ihren Nacken. „Du riechst besser als das Essen." Ihre Knie gaben nach. „Wirklich?" „Und ich bin mehr und mehr interessiert, an dir zu knabbern." Er streckte die Hand aus und drehte den Backofen und die Kochplatten herunter. „Ich bin mehr und mehr interessiert, an dir zu knabbern." Sie lächelte, als er sie zu sich herumdrehte. Aber ihr Lä cheln verblasste, als er nicht aufhörte, sie anzustarren, als wolle er sie auf einen Satz verschlingen. „Was ist?" „Manchmal", sagte er langsam, während sich die neuge wonnene Erkenntnis langsam in ihm ausbreitete, „bist du einfach wunderschön. Dies ist einer dieser Momente."
Er hatte ihr noch nie gesagt, dass sie schön war, er hatte noch nie ihr Gesicht mit den Händen umrahmt und sie so langsam, innig und konzentriert geküsst. Ihre Gefühle trieben an die Oberfläche, ihr Herz schimmerte in ihren Augen. „Cullum." „Warum haben wir es eigentlich immer so eilig?" murmelte er an ihrem Mund. Ja, warum sollte er es nicht bis zur Neige auskosten, warum es nicht bis in alle Ewigkeit hinausziehen? „Ich weiß es nicht." Aber sie wusste, dass sie sich wünschte, er möge überhaupt nie mehr aufhören, sie so zu küssen wie jetzt, sie so zu berühren wie jetzt. „Lass es uns diesmal anders machen." Er hob sie hoch. „Und sehen, was passiert.“
9. KAPITEL Irgend etwas stimmt nicht mit ihr, entschied Cullum. Sie war nicht sie selbst, und zwar schon seit Tagen nicht. Die Frau lächelte die ganze Zeit. Sie fragte ihn nach seiner Meinung und holte bei jeder Kleinigkeit seinen Rat ein, egal, ob es sich um Lampenschirme oder Kaminroste handelte. Und sie ließ nicht eine einzige sarkastische oder abfällige Bemerkung fallen. Sie hatte ihm einen Kuchen gebacken. Nachdem er sich tatsächlich gezwungen hatte, zwei Stücke zu essen, war ihm klargeworden, dass er nicht mehr tiefer sinken konnte. Woraus sie auch immer den Teig gemacht haben mochte, es hatte beunruhigend nach Leim geschmeckt. Er fragte sich, ob irgendeine Lebensform von einem anderen Stern von Julias Körper Besitz ergriffen hatte. Und ich spiele mit, dachte Cullum, währ end er nach Feierabend vor dem Geschäft seines Vaters vorfuhr. Was sollte er sonst tun? Wie konnte sich ein Mann mit einer Frau streiten, die ihm bei allem, was er sagte, zustimmte? Ihm fehlten die Wortgefechte mit ihr. Er sah, dass der Pick- up seines Vaters noch immer ne ben dem Eingang parkte. Da die Angestellten inzwischen alle nach Hause gegangen waren, würden sie Gelegenheit haben, die Auftragslage durchzusprechen und ihre Urlaubsplanung abzustimmen. Dann würde er nach Hause fahren und kurz duschen, bevor Julia ihn ein weiteres Mal mit einem selbstgekochten Abendessen beglücken würde. Er legte die Hand auf seinen Magen, in dem es ständig rumorte. Gott helfe ihm. Sobald er sie dazu gebracht hatte, ihm zu gestehen, dass sie ihn liebte, würde er ihr sage n, dass sie heiraten würden. Ein gutes Timing war alles. Er würde ihr einen Ring an den Finger stecken und sie über die Schwelle tragen, bevor sie auf die Idee kommen konnte, dass er es geplant hatte. Und sobald sie verheiratet waren, würde er einen taktvollen Weg finden, sie für die nächsten fünfzig Jahre aus der Küche zu verbannen. In der Zwischenzeit war das Risiko einer kleinen Lebens mittelvergiftung kein so hoher Preis. Nicht wenn Julia der Preis war. Und sie ist der Preis, dachte er, während er aus stieg. Auch wenn er fast fünf Jahre gebraucht hatte, um herauszufinden, dass Julia für ihn die einzige Frau auf der Welt war, jetzt wusste er es. Und nichts, nicht einmal die Androhung von Julias Cajunhühnchen-Überraschung konnte ihn davon abhalten, sie zu der Seinen zu machen. Als er die Ladentür aufschloss, kam ihm eine Idee. Er würde sie anrufen. Er würde ihr sagen, dass er einen Tisch fürs Dinner reserviert hatte, eine Vorweihnachtsfeier, weil sie in Kürze nach Hyannis fahren würde, um die Feiertage mit ihrer Familie zu verbringen. Dank der Stimmung, in der sie in letzter Zeit war, würde sie es ihm durchgehen lassen, dass er ihr einen Strich durch ihre Kochpläne machte. Bester Laune trat er ein. Er würde seinem Vater sagen, dass er nur noch rasch zwei Anrufe erledigen müsse, bevor sie zum Geschäftlichen kommen konnten. Während er den kurzen Flur hinunterging, hörte Cullum das dröhnende Lachen seines Vaters. Er musste grinsen. Er hatte sich monatelang Sorgen um ihn gemacht. Aber seit kurzem schien Michael Murdoch sich Gott sei Dank wieder berappelt zu haben. Seine Augen funkelten wieder, seine Schritte waren federnd wie eh und je. Er trat zwar immer noch ein bisschen langsamer als früher, aber er war zweifellos über den Berg. Cullum hatte eben die nur angelehnte Tür aufgestoßen, als ihn die Worte seines Vaters mitten in der Bewegung innehalten ließen. „Ich sage es dir, Daniel, Cullum wird ihr noch in diesem Jahr einen Heiratsantrag machen, verlass dich darauf. Kein Plan hat je besser funktioniert."
Michael lag auf dem Fußboden neben seinem Schreibtisch und machte einhändig Liegestützen, während Daniels Stimme durch die Freisprechanlage dröhnte. „Was machen die beiden eigentlich so lange?" wollte Daniel wissen. „Sie haben sich doch schon seit mehr als drei Monaten gegenseitig in der Tasche." „Nun, sie sind weiß Gott lahmer als hinkende Turteltauben, aber das Ende der Fahnenstange ist bereits in Sicht." Kerngesund und quietschvergnügt wechselte Michael den Arm, um eine weitere Serie von Liegestützen zu machen. „Man hat mir aus zuverlässiger Quelle berichtet, dass sie sogar für ihn kocht." „Julia? Kochen. Gott erbarme sich, Michael. Erzähl mir jetzt bloß nicht, dass der Junge es auch noch isst." Michael, der kaum außer Atem war, grinste wieder vergnügt. „Das macht er in der Tat, und da sie die große Güte hatte, mir auch eine Kostprobe ihres Kuchens zukommen zu lassen, kann ich dir sagen, dass jeder Mann, der mehr als eine Gabel von dem Zeug, was sie da in ihrer Küche zusammenbraut, schluckt, bis über beide Ohren in sie verliebt sein muss." „Na, das sind mir ja vielleicht zwei. Wie geschaffen füreinander, obwohl sie im Leben nie darauf gekommen wären, wenn wir sie nicht mit der Nase darauf gestoßen hätten. Wir werden ihnen eine tolle Hochzeit ausrichten, Michael." „Worauf du dich verlassen kannst, Daniel, und es wird mir eine große Erleichterung sein, endlich wieder im Vollbesitz meiner Gesundheit zu sein." „Pass nur auf, dass du dich nicht zu schnell erholst. Wenn die beiden Sperenzchen machen, wird dir nämlich nichts anderes übrigbleiben, als einen Rückfall zu bekommen. Julia kommt über Weihnachten. Wenn sie bis dahin nicht seinen Ring am Finger hat, werde ich ihr wohl einen kleinen Schubs geben müssen." „Und ich behalte Cullum im Auge." „Fröhliche Weihnachten, Michael." „Dir auch fröhliche Weihnachten, Daniel." Michael sprang geschmeidig auf. Das Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausgebreitet hatte, gefror zu einer Grimasse, die gesunde Röte verblasste. Auf der Schwelle stand sein Sohn, die Augen blitzend wie Schwerter, der Mund wütend verzerrt. „Cullum." Es hörte sich fast an wie ein Quieken, und den Schwächeanfall musste er diesmal nicht vortäuschen. „Ich ... ah ... ich habe dich gar nicht reinkommen hören. Wie lange stehst du denn schon da?" „Lange genug." Wut und das Gefühl der Demütigung vermischten sich, bis er beides nicht mehr auseinanderhalten konnte. „Du warst nicht einen einzigen Tag lang krank." „Krank? Natürlich war ich krank", sagte Michael, während seine Gedanken wild durcheinanderpurzelten. „Bronchialkatarrh." Er bewerkstelligte ein Niesen und sank in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch. „Aber mittlerweile fühle ich mich schon beträchtlich besser. Beträchtlich. Der Arzt sagt, ein bisschen Bewegung ..." „Spar's dir", fuhr Cullum auf und ging langsam zum Schreibtisch. „Du bist putzmunter. Du hast mich belogen." Er hieb auf die Tischplatte und beugte sich vor. „Ich habe mich um dich halb zu Tode gesorgt. Die Belegschaft hat gesammelt und dir einen Früchtekorb geschickt." „Das war sehr durchdacht von ihnen. Ich war sehr dankbar. Obst..." „Ich sagte, du sollst es dir sparen!" Jetzt verengten sich Michaels Augen, er erhob sich und brachte sein Gesicht ganz nah vor das seines Sohnes. „Sprich nicht in diesem Ton mit mir, Cullum Murdoch. Ich bin immer noch dein Vater." „Und ganz allein diesem Umstand hast du es zu verdanken, dass ich dich jetzt nicht packe und durch dieses Fenster ins Freie befördere. Du hast mit Daniel MacGregor diese kleine Verschwörung angezettelt, um mich und Julia zusammenzubringen. Ihr beide habt euch
ausgedacht, dass wir, wenn ich die Leitung für den Umbau übernähme, oft genug zusammenrasseln würden, um zu merken, dass wir füreinander bestimmt sind." Michael presste störrisch die Kiefer aufeinander. „Du hast es erfasst. Und es hat funktioniert, oder etwa nicht? Was also ist das Problem?" „Was das ..." Cullum musste einen Schritt zurücktreten und sich abwenden. Niemals in seinem Leben hatte er je auch nur eine Sekunde daran gedacht, seinem Vater ge genüber handgreiflich zu werden. „Ich würde euch liebend gern die Köpfe zusammenschlagen." „Du hast schon seit Jahren ein Auge auf Julia MacGregor geworfen, Cullum. Wage es nicht, das zu bestreiten." „Es war meine Entscheidung und mein Auge", brummte Cullum. „Und sie hatte eins auf dich geworfen. Daniel und ich ha ben euch nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gegeben." „In eure Richtung. Glaubst du, ich bin dir dankbar dafür?" „Nun, auf jeden Fall solltest du es sein." Den Jungen besänftigen zu wollen, hatte noch nie gefruchtet, wie Michael wusste. Hier galt es Gleiches mit Gleichem zu vergelten. „Ein blinder Schwachkopf auf einem galoppierenden Pferd konnte sehen, dass ihr beide ineinander verliebt seid. Sie macht dich glücklich, und du bist der Richtige für sie. Und ob du es weißt oder nicht, ihr habt euch sogar schon ein Heim zusammen gebaut, aber wahrscheinlich ist dir das überhaupt nicht klar, weil du der größte Dickschädel aller Zeiten bist." „Es ist ihr Haus." „Zum Teufel damit. Es ist deins genauso. Dein Herz steckt drin." Dem hatte er nichts entgegenzusetzen. Aber darum ging es im Augenblick gar nicht. „Julia und ich haben eine Vereinbarung getroffen." Es spielte keine Rolle für Cullum, dass er sie damals nicht einmal bis zum Schluss angehört oder dass er ihr Ansinnen schlicht als lächerlich abgetan hatte. Jetzt kam ihm die Abmachung gerade gelegen. „Wir haben keine feste Beziehung. Es ist keine feste Beziehung", wiederholte er zähneknirschend, als sein Vater ein verächtliches Schnauben von sich gab. „Und wenn du glaubst, dass ich ihr einen Heiratsantrag mache, hast du dich geschnitten." „Aber du liebst sie doch, oder nicht?" Cullum öffnete den Mund, um diese Behauptung weit von sich zu weisen, dann rammte er aber nur die Hände in die Hosentaschen und schwieg, kochend vor Wut. „Na siehst du. Du hast es schon gesagt, auch wenn du es nicht über die Lippen bringst. Idiot." Michael setzte sich aufseufzend wieder hin. „Sie ist eine intelligente, hübsche Frau, die dir in jeder Hinsicht ebenbürtig ist. Sie hat Geist und Humor und kommt aus einem guten Elternhaus." „Dann heirate du sie doch." Michael lächelte nur. „Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, hätte ich sie dir schon längst vor der Nase wegge schnappt, Junge. Und wenn du dich nicht bald besinnst, wird es ein anderer tun." „Sie trifft sich mit niemand anders." „Natürlich nicht", sagte Michael mild. „Warum sollte sie auch, wo sie doch in dich verliebt ist?" Besiegt zog Cullum die Hände aus den Taschen, um die Finger an die Augen zu pressen. „Das bringt mich nicht weiter. Du beschließt mit MacGregor, an den Strippen zu ziehen, und Julia und ich sollen tanzen. Ich will dir etwas sagen", fuhr er fort und ließ die Hände sinken. „Wenn sie herausfindet, was ihr getan habt, wird sie mich aus ihrem Leben verbannen, nur um euch eins auszuwischen." „Aber du wirst es ihr doch nicht erzählen, nein?" fragte Michael mit einem gewinnenden Lächeln.
„Nein, ich werde es ihr nicht erzählen. Aber ihr haltet euch ab sofort aus der Sache raus." Drohend sah er seinen Vater an. „Und zwar ohne Abstriche. Julia und ich kla müsern das allein auseinander, hast du mich verstanden? Und wenn wir beschließen zu heiraten, dann geschieht es aus unserem freien Entschluss heraus und nicht, weil mein Vater und ihr Großvater es für angebracht halten." „Natürlich ist es euer Entschluss." Michaels Lächeln blieb fest. Oh, der Junge hängt an der Angel und weiß es nicht einmal, dachte er. „Es ist die größte Entscheidung, die ein Mensch in seinem Leben trifft. Dein Glück liegt mir mehr am Herzen als sonst irgend etwas in der Welt, Cullum." Cullum spürte, wie er weich wurde. „Hör zu, ich weiß ja, dass du es gut meinst, aber ..." „Ich wünsche dir nur das Beste", sagte Michael und zog die mittlere Schreibtischschublade auf. „Ich möchte dir das geben. Wenn du beschließt, dass Julia die Frau ist, mit der du dir ein gemeinsames Leben und eine Familie aufbauen möchtest, hoffe ich, dass du ihr das hier gibst." Er öffnete eine kleine Samtschatulle. „Er hat deiner Mutter gehört." Von Gefühlen und Erinnerungen überschwemmt, hielt er Cullum die Schatulle hin. „Ich konnte mir keinen Diamantring leisten, als ich sie bat, meine Frau zu werden. Es ist ein Topas. Sie hat immer gesagt, er sei wie ein kleines Stück Sonnenlicht, und später, als das Geld da war, wollte sie nicht, dass ich ihn durch einen anderen ersetze." „Dad.. ." „Ich dränge dich nicht. Ich glaube nur, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, ihn dir zu geben. Deine Mutter wollte, dass er weitervererbt wird. Sie hätte deine Julia geliebt, Cullum." „Ja." Hilflos nahm Cullum die Schatulle und schob sie in seine Tasche. „Das hätte sie ganz bestimmt." Was war nur in ihn gefahren? Julia zog ihren Koffer heraus. Sie musste für ihre Reise nach Hyannis packen. Und sie musste sich davon abhalten, weiter über Cullum und sein seltsames Benehmen nachzugrübeln. Seit einer Woche bestand er jeden Abend darauf, mit ihr auszugehen. Essen, tanzen gehen, ins Theater, auf Partys. Sie wusste genau, dass er einen ruhigen Abend zu Hause allen anderen Vergnügungen vorzog, aber plötzlich war er zum Salonlöwen geworden. Es machte sie verrückt, seine ständig wechselnden Stimmungen einschätzen und sich ihnen anpassen zu müssen. Mit einem kleinen Seufzer legte sie Pullover zusammen und verstaute sie in dem Koffer. Sie wusste nicht, wie lange sie diese Rolle der gefügigen Frau noch durchstand. Der einzige Pluspunkt, den sie bis jetzt erkennen konnte, war der, dass sie jetzt wenigstens nicht mehr kochen musste. Kochen war definitiv nicht ihre Stärke. Es war einfach nur ihr Pech, dass Cullum ihre Kochkünste so schätzte. Offensichtlich hatte der Mann einen Pferdemagen. Sie brachte ihre eigenen Kreationen kaum herunter, aber Cullum aß seinen Teller immer leer. Das war eine grobe Fehleinschätzung ihrerseits gewesen. Jetzt erwartete er wahrscheinlich, dass sie ihn mit schöner Regelmäßigkeit bekochte. Dabei hasste sie es fast ebensosehr, sich durch ein Rezept zu kämpfen, wie sie Cullum liebte. Die Liebe machte eine Schwachsinnige aus ihr. Und er war so sanft, so zärtlich. Dieser neue Ton bei ihrem Liebesspiel machte sie willenlos und ließ sie dahinschmelzen. Sie sehnte sich die Worte herbei. Jedesmal, wenn er sie in die Arme nahm, war sie sicher, dass der Moment gekommen war. Jetzt würde er ihr sagen, dass er sie liebte. Aber er tat es nie. Ich werde es auf jeden Fall nicht zuerst sagen, dachte sie, während sie die Kleider in die Tasche warf. Sie konnte es nicht. Sie hatte bereits Dutzende von Kompromissen geschlossen, ihm soviel Kontrolle zugestanden. In diesem einen Punkt musste sie standhaft bleiben.
Und wo, zum Te ufel, blieb er eigentlich? Sie bedachte den Wecker mit einem finsteren Blick und warf noch mehr Klamotten in den Koffer. Er wusste, dass sie heute wegfahren würde, dass es bis nach Weihnachten die letzte Gelegenheit war, sich zu sehen. Sie musste sich spätestens in einer Stunde auf den Weg machen, wenn sie noch vor Einbruch der Dunkelheit bei ihren Großeltern sein wollte. Was tust du da? fragte sie sich etwas später. Sie trödelte herum wie ein liebeskranker Idiot und ordnete ihre Pläne den seinen unter. Wieder einmal. Das musste aufhören. Mit einem entschiedenen Nicken klappte sie den Koffer zu und ließ die Schlösser einrasten. Jemanden zu lieben hieß noch lange nicht, sich zu seinem Fußabstreifer zu degradieren. Sie würde nicht noch mehr Zeit vertrödeln, sondern genau wie geplant abfahren. Und wenn Cullum Murdoch das nicht passte, dann passte es ihm eben nicht. Sie trug ihren Koffer zum Auto, dann begann die strapaziöse Aufgabe, die prallvollen Einkaufstüten mit den Weihnachtsgeschenken zu verstauen. Sie war nicht gerade in Feiertagslaune, als Cullum seinen Wagen hinter dem ihren einparkte. Und er auch nicht. Ein Problem bei einem Auftrag in der Innenstadt hatte ihn fast den ganzen Vormittag gekostet. Und er würde später selbst hinfahren und nach dem Rechten sehen müssen, ungeachtet der Tatsache, dass heute Heiligabend war. Der Verkehr war, selbst für Bostoner Verhältnisse, höllisch gewesen, und er hatte sich einen Strafzettel eingehandelt, weil er bei Rot - dabei war das verdammte Ding noch gelb gewesen - über die Ampel gefahren war. Das alles nur, um Julia noch rechtzeitig zu erwischen. Und sie war gerade dabei wegzufahren. Er gab sich große Mühe, seine Wut im Zaum zu halten, indem er sich daran erinnerte, dass Weihnachten war, dass das die Frau war, die er liebte, und dass er ihr das auch sagen würde, sobald sie genug gesunden Menschenverstand bewies, um es ihm zu sagen. „Ich bin zu spät dran", sagte er und griff nach einer der Tüten, um sie in dem Durcheinander auf dem Rücksitz zu verstauen. „Ich auch." „Der Verkehr ist mörderisch. Du schaffst es wahrscheinlich schneller, wenn du noch eine Stunde wartest." „Danke für den Bericht zur Straßenlage", sagte sie in zuckersüßem Ton. „Aber ich schaffe es schon. Wenn du allerdings früher gekommen wärst, wäre ich jetzt bereits unterwegs." „Ich wurde aufgehalten." Er gab sich redliche Mühe, einen milden Tonfall anzuschlagen. Blieb nur zu hoffen, dass nicht die Wut in seinen Augen schwelte. „Hast du noch mehr Taschen?" „Ja." Sie drehte sich um und marschierte fuchs teufelswütend ins Haus zurück. Und er folgte ihr, ebenfalls fuchsteufelswütend. „Das sind die letzten drei." „Übertreibst du es nicht ein bisschen?" „Ich schenke gern." Sie schnappte sich die kleine Schachtel, die einsam unter dem Baum lag und drückte sie ihm in die Hand. „Hier ist dein Geschenk." Ohne sie aus den Augen zu lassen, schob er sich die Schachtel in die Tasche, damit er die Tüten nehmen konnte. „Was ist los, MacGregor?" „Wenn du es nicht selbst weißt, werde ich es dir ganz gewiss nicht sagen." Sie drehte sich um und rauschte vor ihm aus dem Haus. „Schau, ich bin mitten im mörderischsten Verkehr quer durch die Stadt gefahren, habe einen Strafzettel bekommen und bin fast erfroren." „Es ist ganz bestimmt nicht meine Schuld, wenn du so unverantwortlich fährst, dass du einen Strafzettel bekommst, aber es erklärt deine schlechte Laune." „Meine schlechte Laune? Du hast mich doch schon angeschnauzt, bevor ich überhaupt aussteigen konnte."
Ihr Kinn schoss hoch. „Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit dir zu streiten. Deinetwegen bin ich sowieso schon zu spät dran." „Fein. Prächtig." Er zog eine längliche Schachtel mit einer zerdrückten Schleife aus seiner Manteltasche. „Hier ist dein Geschenk. Wir sehen uns." Er stiefelte wutentbrannt zu seinem Wagen, fluchte, dann kam er wieder zurück, riss sie in die Arme und gab ihr einen harten Kuss auf den Mund. „Fröhliche Weihnachten!" schnauzte er und wandte sich ab. „Gleichfalls!" brüllte sie, sprang in ihr Auto und knallte die Tür zu. Sie wartete, bis er davongefahren war, ehe sie sich einem wütenden Tränenstrom ergab.
10. KAPITEL Julia war fertig mit ihm. Schluss. Aus. Ihr Fehler war es gewesen, sich vorzumachen, dass sie ihn liebte, und dass Liebe bedeutete, sich seinen Bedürfnissen ganz und gar anzupassen. Deshalb war sie die letzten zwei Wochen auf Zehenspitzen über Eierschalen gelaufen und hatte haufenweise Rezepte gesammelt. Es war demütigend. Gott sei Dank war sie wieder zu Verstand gekommen. Sie war eine unabhängige Frau, die ihre eigenen Entscheidungen traf, ihr eigenes Leben lebte und sich ihre eigenen Ziele steckte. Wenn sie Cullum wiedersah, würde sie ihm in aller Ruhe und Deutlichkeit erklären, dass ihr die Beziehung nicht mehr passte, und das war es dann. Sie war noch nie trauriger gewesen in ihrem Leben. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, ihrer Familie ein fröhliches Gesicht vorzuführen. Wenn es von Zeit zu Zeit Sprünge bekommen hatte, war sie mit einer Menge Ausreden bei der Hand gewesen. Sie hatte leichte Kopfschmerzen, sie hatte geträumt, sie hatte ein neues Haus im Kopf, das sie kaufen wollte. Nicht, dass sie geglaubt hätte, sie könnte irgend jemandem auch nur für eine Sekunde etwas vormachen. Aber sie hatte es überstanden, und jetzt war sie wieder zu Hause, allein. Die Lichter an ihrem Weihnachtsbaum waren zu hell, zu bunt, sie schmerzten in den Augen. Und doch weigerte sie sich, sie auszuschalten. O nein, Cullum Murdoch würde ihr nicht die letzten Tage des alten Jahres vermiesen. Die letzten Vorbereitungen für ihre Silvesterparty hielten sie auf Trab. Sobald sie alles im Griff hatte, würde sie sich bei ihm melden. Auf jeden Fall würde sie es noch vor Jahresende tun. Vergiss die Vergangenheit, schau in die Zukunft, sagte sie sich und warf wieder einen Blick auf das Telefon. Warum rief er sie nicht an? Ohne es zu bemerken, hob sie eine Hand und berührte das antike Schmuckstück, das sie trug. Cullums Weihnachtsge schenk war eine wunderschöne Halskette, die mit Perlen, Granaten und Zitrinen besetzt war. Ihr Anblick hatte ihr einen kleinen Schock versetzt, weil sie sich erinnert hatte, sie vorher in einem der Läden, bei denen sie Stammkundin war, gesehen zu haben. Wenn sie damals nicht mit ihren Weihnachtseinkäufen beschäftigt gewesen wäre, hätte sie sich die Halskette bestimmt gekauft. Und doch hatte sie ihr nicht mehr als einen flüchtigen Blick geschenkt. Aber er hatte es registriert, sich daran erinnert und die Kette für sie gekauft. Bei dem Gedanken daran hätte sie am liebsten wieder geweint. Um ihre aufkeimende Traurigkeit abzuschütteln, setzte sie sich an ihren Sekretär und nahm sich die Checkliste für die Silvesterparty vor. Der Cateringservice war angeheuert, das Menü stand fest. Der Blumenschmuck und die Musik waren bestellt. Es gab buchstäblich nichts mehr zu tun. Julia spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Wütend über sich selbst stand sie auf. Sie musste dringend raus. Irgendwohin, egal, wohin. Cullum haderte mit sich selbst, während er zu Julia fuhr. Er benahm sich wie ein getretener Hund, der kehrtmacht, um sich den nächsten Fußtritt abzuholen. Er hasste sich dafür. Sie hätte ihn anrufen können, nachdem sie wieder in Boston war. Er hatte ihr zwei Tage Zeit gegeben, oder etwa nicht? Sie war diejenige, die weggefahren war, deshalb war sie auch diejenige, die sich nach ihrer Rückkehr melden musste. Er hatte vor, sie darauf hinzuweisen. Und dann würde er ihr sagen, dass sie an ihrer Beziehung ein paar Dinge verändern mussten. Sie würden alles so machen, wie es vor einem Monat gewesen war, oder sie konnte die Sache vergessen.
Als er vor ihrem Haus vorfuhr und sah, dass ihr Auto nicht da war, hätte er eine Handvoll Schrauben zerkauen können. Selbst die Wut, in die er sich hineingesteigert hatte, war nichts im Vergleich mit dem Verlangen, das er verspürte. Einfach nur, sie zu sehen, mit ihr zu reden, sie zu berühren. „Typisch", brummte er und warf den fröhlich blinkenden Lichtern an ihrem Baum durch das elegante Fenster einen finsteren Blick zu. „Sie schafft es, mich zu quälen, ohne überhaupt anwesend zu sein." Ernüchtert griff er in seine Tasche und holte die antike goldene Taschenuhr heraus, die sie ihm zu Weihnachten ge schenkt hatte. Wie, zum Teufel, konnte es sein, dass sie ihn zwar gut genug kannte, um genau zu wissen, was sie ihm schenken konnte, aber nicht wusste, wann sie ihm weh tat? Was sollte er dagegen tun? Er schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze. Er konnte ohne sie nicht leben. Er hatte gedacht, er könnte es, er hatte tagelang versucht, sich davon zu überzeugen, dass er es könnte. Aber jetzt, nachdem er hier war und das Haus, das sie zusammen umgebaut hatten, leer fand, wusste er, dass es unmöglich war. Er wollte kein Leben ohne Julia. Er war eben doch ein geprügelter Hund. „Und wie findest du es? Ist es nicht wunderschön geworden?" Julia plagte sich mit ihrem Lippenstift ab und ließ ihre Großmutter kaum zu Wort kommen. „Ich freue mich so, dass du und Grandpa schon ein bisschen früher gekommen seid. Ich habe nichts mehr zu tun, und ich bin ein bisschen nervös, ob du es glaubst oder nicht. Es ist die erste Party in dem Haus." „Julia ..." „Und ich will, dass alles perfekt ist. Wie sehe ich aus? Sehe ich okay aus?" Anna musterte ihre Enkelin ruhig. Julia trug ein jadegrünes, tief ausgeschnittenes Samtkleid mit langen, enganliegenden Ärmeln und einem kurzen Rock. Das Haar hatte sie sich hochgesteckt, und einige Strähnen ringelten sich wie zufällig um ihr Gesicht. Und ihre Augen glitzerten verräterisch, wie Anna fand. „Du siehst sehr hübsch aus, Liebes. Warum setzen wir uns nicht ein bisschen hin?" „Ich kann nicht, wirklich. Ich muss nachschauen, wie weit die Leute vom Cateringservice mit dem Aufbauen sind. Die ersten Gäste werden bald hier sein, und ..." „Julia." In ihrer sanften Art nahm Anna Julias Hand. „Setz dich hin und erzähl mir, was dich quält." „Ich weiß es nicht." Der Satz endete in einem trockenen Aufschluchzen, bevor sie es kontrollieren konnte. „Ich weiß nicht, was ich tun, was ich fühlen soll. Es ist alles so ein Durcheinander, und ich habe völlig den Überblick verloren. Ich liebe Cullum Murdoch und kann nichts dagegen machen." „Aber, aber." Anna führte sie zu der Sitzecke in ihrem Schlafzimmer. „Warum willst du denn etwas dagegen machen?" „Er liebt mich nicht. Er mag mich nicht einmal. Ich habe alles ruiniert, und ich weiß nicht, wie. Ich versuc hte . . . ich habe aufgehört, ihm zu widersprechen, wenn er unrecht hatte, und habe sogar gekocht, und dann ging plötzlich alles schief, und wir haben uns gestritten. Er ging weg. Ich ging weg. Ich weiß nicht. Er hat mich noch kein einziges Mal angerufen, seit ich zurück bin." „Hast du ihn denn angerufen?" „Nein. Ich rufe ihn erst wieder an, wenn er mich anruft. Er war es doch, der zu spät kam und sauer war. Verdammt." Sie hielt ihre Finger unter die Augen. „Jetzt ruiniere ich mir auch noch mein Make-up." „Das lässt sich reparieren. So, dann hattest du also einen Streit mit Cullum, und ihr habt euch noch nicht wieder vertragen."
„Na ja, nicht ganz." Julia schniefte. „Ich meine, wir streiten uns ja ständig, wir streiten uns gern." Plötzlich kam sie sich sehr dumm vor und seufzte laut auf. „Und dann wurde mir klar, dass ich mich in ihn verliebt hatte . . . dass ich ihn liebe. Ich wollte es nicht, aber es war einfach so, und deshalb versuchte ich, ein bisschen weniger . . . ich zu sein, nehme ich an. Ich dachte, wenn ich ihm nicht ständig widerspreche und ihn ein bisschen bekoche, verliebt er sich auch in mich, und dann könnte ich es ihm sagen, nachdem er es mir gesagt hat. Und das alles klingt so lahm, dass ich es kaum fasse, dass es aus meinem Mund kommt." „Ich auch nicht. Aber Verliebtheit zieht nicht selten den Verstand in Mitleidenschaft. Weniger du zu sein war ein Fehler." „Wahrscheinlich. Ich wollte ihn doch so sehr, ich wollte, dass er mich liebt. Ich dachte, wir könnten später daran arbeiten. Aber er liebt mich nicht. Und jetzt will ich ihn auch gar nicht mehr. Er ist arrogant und streitsüchtig und rechthaberisch." Anna öffnete geduldig ihre Abendhandtasche und zog ein Taschentuch heraus, um Julia die Tränen zu trocknen. „Natürlich ist er das. Wenn er anders wäre, würdest du ihn überrollen, und du würdest einen Mann verabscheuen, der sich von dir überrollen ließe. Du brauchst einen, der dir etwas entgegensetzt und der zu dir hält." „Ich dachte, ich könnte das alles hinbiegen. Aber man kann weder die Gefühle eines anderen noch die eigenen steuern. Sie sind einfach da oder nicht." „Dann hast du jetzt eine gute Lektion gelernt. Wirst du Cullum von deinen Gefühlen erzählen?" „Damit er sich über mich lustig machen kann?" „Glaubst du denn, das würde er tun?" „Vielleicht nicht, aber er würde mich bemitleiden. Das wäre noch viel schlimmer." Sie schüttelte den Kopf und stand auf. „Mir geht es gut, wirklich. Ich muss wohl einfach nur darüber hinwegkommen. Tut mir leid, dass ich dir etwas vorgejammert habe." „Darling, ich habe noch nie erlebt, dass du jemandem etwas vorgejammert hättest." „Und ich werde auch jetzt nicht damit anfangen." Julia ging entschlossen zum Spiegel, um ihr Make- up zu reparieren. „Ich möchte, dass diese Party etwas ganz Besonderes wird. Ich muss mein neues Heim feiern, ein neues Jahr, ein neues Leben." „Wo sind denn meine Mädels?" fragte Daniel mit dröhnender Stimme, als er mit einem Tablett, auf dem drei randvoll gefüllte Champagnergläser standen, ins Zimmer kam. „Na, da sind sie ja und schöner, als die Polizei erlaubt. Wir trinken auf sie." Er stellte das Tablett ab, und sein breites Lächeln verblasste, als er Julias tränenüberströmtes Gesicht sah. „Was ist los, mein Mädchen?" „Nichts. Ich war nur ein bisschen traurig." Julia tupfte sich sorgfältig die Tränen ab. „Männer. Warum können sie nicht alle so sein wie du, Grandpa?" „Was hat der Junge denn angestellt?" wollte er wissen. „Wirklich, wenn er dich zum Weinen bringt, wird er mir Frage und Antwort stehen müssen." Julia fing an zu kichern, doch dann streifte sie ein Verdacht, ging ihr kurz durch den Kopf und schlug Wurzeln. „Was für ein Junge?" „Dieser Murdoch-Junge, natürlich." Frauentränen jagten ihm immer einen Heidenschrecken ein. Daniel ging mit schlenkernden Armen im Zimmer auf und ab. „Er ist ein feiner Junge, vergiss das nicht, aber ich will nicht, dass er dich auch nur eine Sekunde lang unglücklich macht. Sag mir, was er angestellt hat, und ich kümmere mich darum." Langsam wandte sich Julia vom Spiegel ab. „Und um was hast du dich sonst noch gekümmert?" „Mein kleines Mädchen zum Weinen zu bringen, wo sie doch eigentlich vor Freude Luftsprünge machen sollte. Ich werde mit Cullum Murdoch ein Hühnchen rupfen müssen. Und wenn ich damit fertig bin ..." Er unterbrach sich und fing endlich das misstrauische Glitzern in Julias Augen auf. „Was hast du gesagt?" „Woher weißt du, dass ich wegen Cullum geweint habe?"
„Na, das hast du doch selbst gesagt." Oder etwa nicht? Ein bisschen verzweifelt schaute Daniel auf der Suche nach Unterstützung zu seiner Frau, erntete jedoch nur ein steinernes Starren. „Wir denken einfach nicht mehr daran", sagte er schnell. „Lasst uns anstoßen." „Wie kommt es, dass du so gut auf dem laufenden bist?" wunderte sich Julia. „Du warst nicht hier ... du hast den Hauskauf nicht für mich arrangiert und genausowenig, dass er daran arbeitet." „In der Tat nicht." Daniel klammerte sich an den Strohhalm, griff nach einem Glas und reichte es ihr. Seine Augen hatten ein helles, unschuldiges Blau. „Lass uns auf dein neues Haus trinken. Was der Junge hier geleistet hat, ist wirklich beachtlich." „Eigentlich sollte ja Mr. Murdoch die Bauleitung übernehmen", murmelte Julia. „Du bist doch eng befreundet mit Mr. Murdoch, stimmt's, Grandpa?" „Kenne ihn seit Jahren. Gute Familie, beste Erbanlagen." Julia holte tief Atem, entschlossen, ihrem Unmut Luft zu machen. Daniel, der trotz seiner mehr als neunzig Jahre noch flink wie ein Wiesel war, trat eilig den Rückzug an, als der Türklopfer an der Eingangstür Besuch ankündigte. „Die ersten Gäste sind da. Keine Sorge, ich kümmere mich um sie. Anna, sieh zu, dass das Mädel sich ein bisschen zurechtmacht." Er verließ das Feld, solange er seinen Kopf noch auf den Schultern trug. „Ich weiß nicht, was er gemacht hat", sagte Julia. „Aber irgend etwas hat er gemacht." „Ich stimme dir zu." Anna kämpfte gegen das Lächeln an, das an ihren Mundwinkeln zerrte. „Aber es gibt einfach nichts, womit man ihn aufhalten könnte." Es spielt keine Rolle, versuchte Julia sich einzureden. Was immer ihr Großvater zu inszenieren versucht hatte, es hatte nicht funktioniert. Sie und Cullum hatten dafür ge sorgt. Das Haus war fertig, und sie beide waren ebenfalls miteinander fertig. Musik, Lachen und Stimmengewirr schallte durch die Räume. Das Haus war angefüllt mit Freunden und Familienmitgliedern, genau wie sie es geplant hatte. In den Kaminen knisterte das Feuer, Lichter funkelten. „Du hast dir hier wirklich ein wundervolles Zuhause ge schaffen." Shelby legte Julia einen Arm um die Schultern. „Es ist ideal für dich." „Ja, das ist es. Ich lasse es nächste Woche zum Verkauf ausschreiben." „Was?" „Es ist kein Ort, an dem ich allein leben möchte." Ihr Blick wanderte über das geräumige Wohnzimmer, die liebevoll zusammengestellten Details, das polierte Holz. „Hier ist zuviel von Cullum drin." „Liebling, pass auf, dass du nichts überstürzt." „Ich überstürze nichts. Es ist notwendig. Dann wird es mir wieder gutgehen." Sie lehnte ihren Kopf gegen den Kopf ihrer Mutter. „Eigentlich geht es mir schon jetzt wieder gut. Ich denke, ich komme für eine Weile nach D.C. Ich könnte ein bisschen Tapetenwechsel vertragen." „Du weißt, wie sehr sich dein Vater und ich freuen würden, wenn du ein bisschen näher bei uns wärst, aber ..." „Mach dir keine Sorgen um mich. Bevor ich etwas tue, werde ich es mir genau überlegen. So, und wer ist die Frau, die da so an D.C. klebt?" „Dein Bruder hat sie in Maine kennengelernt. Sie schreibt Gedichte. Sie zitiert unaufhörlich Elizabeth Barrett Browning. Und ich habe Browning vorher immer gemocht." Julia nahm einen Schluck von ihrem Champagner. „Ist sie so schlimm?" „Oh, noch viel schlimmer", sagte Shelby inbrünstig. „Glaub mir, wenn ich nur eine Minute glaubte, dass es D.C. mit ihr ernst ist, würde ich ..." Shelby unterbrach sich, und ihr Herz wurde beträchtlich leichter. „Du hast einen neuen Gast, Julia." „Ja? Wer?" Sie drehte sich um und sah Cullum ins Zimmer kommen.
Er trug einen Anzug, und die verdammte Krawatte strangulierte ihn fast. Aber es war ihm angebracht erschienen, sich ein bisschen in Schale zu werfen. Schließlich konnte man schlecht in Flanellhemd und Jeans auf eine vornehme Silvesterparty gehen. Und vornehm war sie mit Sicherheit, Seide und Samt, glitzernder Schmuck, auserlesenes Essen und Wein aus schweren Kristallgläsern. Und das alles hatte Julia zusammengestellt, genau wie es sein sollte. Er hätte es an ihrer Stelle genauso gemacht. Dann sah er sie, und das Herz wurde ihm schwer, und er wusste, dass ihr statt Champagner und Kaviar Pizza und Bier genauso lieb gewesen wären. Sie hisste ein Lächeln auf ihrem Gesicht, wie es sich ihrer Meinung nach für die Gastgeberin gehörte, und ging zu ihm hinüber, um ihn zu begrüßen. „Wie schön, dass du es geschafft hast. Was möchtest du trinken?" Sie redete mit ihm, als wäre er ein flüchtiger Bekannter und nicht ihr Liebhaber. „Möchtest du ein Bier?" „Sicher." Sie gab einem der Kellner ein Zeichen. „Mr. Murdoch hätte gern ein Bier. Du kennst wahrscheinlich fast jeden hier, aber wenn du möchtest, stelle ich dir diejenigen, die du noch nicht kennst, gern vor." „Ich kann mich um mich selbst kümmern." „Zweifellos. Und wie war dein Weihnachten?" „Schön. Und deins?" „Wundervoll. Am Weihnachtsabend hat es leicht ge schneit." „Wir hatten Schneeregen." " „Ah ja." Er nahm das Bier entgegen, das der Kellner brachte, brummte ein Dankeschön und nahm einen Schluck. Und registrierte, dass Julia die Halskette trug, die er ihr geschenkt hatte. „Steht dir gut." „Was? Oh." Sie verfluchte sich, dass sie dem sentimentalen Drang nachgegeben und die Kette angelegt hatte. „Sie ist hübsch, Cullum. Danke, dass du dich daran erinnert hast. Ich hoffe, dir gefällt die Uhr." Sie zog ihm im Augenblick die Tasche schwer nach unten. „Sie geht sehr genau. Danke." „Gern geschehen. Pass auf, dass du von dem Büfett noch etwas abbekommst und von den Kanapees, die herumgereicht werden auch. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest." Seine Hand umklammerte ihr Handgelenk. „Was, zum Teufel, denkst du dir dabei, so mit mir zu reden?" „Ich weiß nicht, wovon du sprichst." „Sprich nicht in diesem versnobten Ton mit mir, Mac-Gregor, es steht dir nicht." „Du solltest mich besser loslassen, Murdoch." „Einen Teufel werde ich tun. Ich will ein paar Antworten. Ich warte auf dich, seit du zurück bist, und da du dir nicht die Mühe gemacht hast, dich bei mir zu melden, bin ich jetzt hier, um sie mir zu holen." „Du willst Antworten." Die Wut, die in ihr hochkochte, trübte ihren Blick. „Du wartest auf Antworten. Okay, versuch es mit dieser." Ihre Hand schoss vor und kippte ihm sein Glas Bier über den Anzug. Sie bereute es sofort. Es war kindisch und idiotisch ge wesen. Und in aller Öffentlichkeit. Ihr war aufgefallen, dass einige Unterhaltungen ins Stocken geraten waren. Aber beim Blick in Cullums wütende Blitze schleudernde Augen wusste sie, dass sie nicht nachgeben durfte. „Jetzt hast du deine Antwort, du kannst gehen." Sie hatte vor, sich umzudrehen und würdevoll davonzugehen, den Vorfall wegzulachen. Später könnte sie sich dann in einem Loch verkriechen, aber im Moment musste sie Haltung bewahren. Sie schrie laut auf, als Cullum sie packte und sich über die Schulter warf. Sie beschimpfte ihn ohne jede Zurückhaltung, während er sie die Treppe hinauf schleppte.
Unten legte Daniel Michael Murdoch gerührt einen Arm um die Schultern. Er seufzte und blinzelte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „ Aye, sie werden uns hübsche Babys schenken, Michael." „Lass uns darauf trinken." Unter dröhnendem Lachen schaute Daniel zu, wie seine Enkelin nach oben entschwand. Cullum marschierte schnurstracks in Julias Schlafzimmer, ignorierte die Tritte und Püffe, die sie ihm versetzte, sein nasses Jackett und den schalen Gestank des verschütteten Biers. Er kickte die Tür mit dem Fuß zu und drehte den Schlüssel um, dann warf er sie unsanft aufs Bett. Sie spuckte noch immer Gift und Galle, während er sich aus seiner durchnässten Jacke schälte. Obwohl er sie schon so viele Jahre kannte, hatte er nicht gewusst, dass sie über einen derart reichen Wortschatz verfügte. Als sie sich aufzurappeln versuchte, legte er ihr nur die Hand auf den Kopf und schob sie wieder zurück. „Bleib liegen und sei still." „Du glaubst wohl, du kannst mich nach dem, was du da eben abgezogen hast, auch noch herumkommandieren?" „Du hast angefangen." Und er hatte jetzt wenigstens eine Ausrede, die verdammte Krawatte auszuziehen. „Ich weiß wirklich nicht, was in dich gefahren ist. Am einem Tag bist du so, am anderen so. In der einen Minute überschlägst du dich meinetwegen, und in der nächsten kennst du mich kaum. Du hast dir eine ganze Woche lang nicht die Mühe gemacht, mich anzurufen." „Ich habe mir nicht die Mühe gemacht? Ich? Hast du dir die Finger gebrochen, dass du keine Nummer wählen kannst?" Dann schlug sie zu seinem und ihrem Entsetzen die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. „Tu das nicht. Ich meine es ernst, hör sofort auf damit." Mit seinem Latein am Ende, fuhr er ihr mit den Händen durchs Haar. „Also gut. Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid." „Was?" fragte sie, noch immer weinend. „Alles, was du willst, wenn du nur aufhörst zu weinen." „Du weißt es nicht einmal." Sie wischte sich die Tränen ab, obwohl ihr immer neue Tränen über die Wangen rollten. „Du weißt es nicht einmal. Oh, geh weg. Ich will nicht, dass du dabei bist, wenn ich mich zur Idiotin mache." „Ich habe schon früher gesehen, wie du dich zur Idiotin machst. Normalerweise macht es mir nichts aus. Komm schon, Julia." Er beugte sich vor, in der Absicht, ihren Kopf oder ihre Schulter zu tätscheln. Und fand statt dessen ihren Mund. Bevor er wusste, was er tat, saß er auf der Bettkante, zog sie auf seinen Schoß und hielt sie fest. „Gott, ich habe dich vermisst. Ich habe dich so schrecklich vermisst." Ihre Hände waren in seinem Haar. „Wirklich?" „Ja." Er lehnte seine Stirn gegen die ihre. „Bist du fertig?" „So gut wie. Also, ich nehme an, es tut mir leid, dass ich dir das Bier drübergekippt habe." Er fragte sich, wie es kam, dass sie ihn in einem solchen Augenblick zum Lächeln bringen konnte. „Du nimmst es an?" „Na ja, du hast mich wirklich verrückt gemacht. Deshalb war es mehr deine Schuld als meine." Sie schenkte ihm ein tränennasses Lächeln. „Aber ich werde wohl deinen Anzug in die Reinigung bringen müssen." „Willst du, dass ich die Hose gleich ausziehe?" Er sah, wie ihre Lippen wieder zu beben begannen und ihre Augen sich mit Tränen füllten. „Ich habe nur Spaß gemacht." „Ich weiß. Es ist okay. Ich weiß nicht, was mit mir los ist." Sie versuchte, ihre Tränen mit dem Finger aufzufangen, und stand dann auf, um zum Spiegel zu gehen. „Szenen in aller Öffentlichkeit und Tränen waren nicht Bestandteil des Vertrags", sagte sie mit gespielter Forschheit und begann wieder einmal, ihr Make-up zu reparieren. „Wir haben uns auf eine
rein körperliche Beziehung und so etwas wie eine Freundschaft geeinigt. Kein Grund, das durch sentimentale Anwandlungen zu verderben." Er schob seine Hände in die Taschen und beobachtete, wie sie einen Hauch Rouge auf den Wangen verrieb. „Was meinst du mit sentimentalen Anwandlungen?" „Gefühlsduselei, nehme ich an. Muss wohl an den Feiertagen liegen. Ich leide in letzter Zeit ein bisschen unter Stimmungsschwankungen." „Erzähl mir mehr davon", brummte er, und ihre Augen verengten sich. „Was meinst du damit?" „Schau, heute ist Silvester. Ich will das alte Jahr nicht im Clinch mit dir beenden." „Warum nicht? Wir liegen doch ständig im Clinch." „Und warum hast du dann so lange stillgehalten? In den letzten paar Wochen - bis auf den Tag, an dem du nach Hyannis gefahren bist - gab es absolut nichts, was dich aus der Ruhe bringen konnte. Du warst sanft wie ein Lamm, hast zu allem, was ich gesagt habe, genickt, mich bekocht, es hat nur noch gefehlt, dass du mir die Pfeife und die Pantoffeln bringst." „Na und? Hattest du vielleicht etwas dagegen einzuwenden?" Beleidigt fuhr sie herum. „Ich habe mir eine Menge Mühe gemacht, um nett zu dir zu sein, und du hast nichts Besseres zu tun, als es mir vorzuwerfen. Aber keine Sorge, ich werde mich in Zukunft nicht mehr bemühen, nett zu dir sein." „Gott sei Dank." „Mal ganz davon abgesehen, dass ich sowieso nicht mehr hier sein werde, weil ich das Haus verkaufe und nach D.C. ziehe", sprudelte sie heraus. „Einen Teufel wirst du tun." „Du kannst mich nicht aufhalten. Ich will nicht mehr hier leben. Ich weiß nicht, warum ich mich von dir zu so vielen Veränderungen habe überreden lassen. Ich weiß nicht, warum ich zugelassen habe, dass du die Dinge auf deine Art machst." „Weil es die richtige Art war und die, die du wolltest, und ich will verdammt sein, wenn du dieses Haus verkaufst." „Du kannst es ja kaufen, wenn es dir soviel bedeutet." „Schön, nenn mir einen Preis. Aber wenn du auch nur eine Minute lang glaubst, dass ich dich ausziehen lasse ..." „Ich bleibe nicht hier. Ich kann nicht." „Du gehst nicht weg." Sie waren schon wieder Nase an Nase, panisch und wütend. Sie brüllten sich gegenseitig an, und es dauerte noch mehrere Minuten, bevor sie den anderen die drei Worte sagen hörten, weil sie sie gleichzeitig sagten. „Ich liebe dich, und ich werde nicht hierbleiben und unglücklich werden." „Ich liebe dich, und du gehst ohne mich nirgendwohin." Sie blinzelte. Cullum trat einen Schritt zurück. „Was hast du gesagt?" fragte er. „Ich habe gar nichts gesagt. Was hast du gesagt?" „Du hast gesagt, du liebst mich." Sie versuchte zu schlucken, aber ihr Herz saß in ihrer Kehle. „Das hast du doch gesagt. Meinst du es ernst?" „Was habe ich gesagt?" Er fuhr herum und fing an, im Zimmer auf und ab zu rennen. „Diese verdammte Frau redet so viel, dass sie nicht mal weiß, was sie gesagt hat, wenn man was sagt. Und was wäre, wenn ich dich liebte?" brüllte er verzweifelt. „Was würdest du dann damit machen?" Wirklich, er ist perfekt, dachte Julia. Er passte absolut perfekt zu ihr. „Dich fragen, ob du mich heiraten willst."
Er blieb stehen und starrte sie an. Auf den ersten Blick wirkte sie bemerkenswert kühl und gefasst. Aber er kannte sie, er wusste, wo er hinschauen musste, und ihre Augen waren dunkel und feucht. „Was?" „Du hast mich gehört, Murdoch. Willst du jetzt oder willst du nicht?" Er ging wieder auf sie zu, und nach einem Moment der Stille begannen sie beide zu feixen. „Ich habe einen Ring in meiner Tasche." „Hast du nicht." „Wetten dass?" Sie legte den Kopf schräg. „Lass sehen." „Er hat meiner Mutter gehört." Er nahm die Schatulle heraus und klappte den Deckel auf. „Es ist kein Brillant, aber dir gefallen bunte Steine ja sowieso besser." „O Cullum." Sie schaute ihn an. „Du liebst mich wirklich." „Sag ich doch. Wenn du es zuerst gesagt hättest, vor Wochen schon, wie ich es mir gewünscht hatte, hätten wir eine Menge Zeit gespart." „Du solltest es zuerst sagen. Warum, zum Teufel, glaubst du, habe ich wohl so oft gekocht?" „Julia, glaub mir, niemand, der nicht bis über beide Ohren in dich verliebt ist, hätte auch nur ein einziges dieser grandiosen Essen runtergebracht." Sie versuchte, beleidigt zu sein, aber es endete mit einem Lachen. „Wenn du mich fragst, ob ich dich heiraten will, mache ich auch nie wieder Schmortopf." „Du hast mich zwar bereits gefragt, aber unter diesen Umständen bin ich einverstanden." Doch als er in seine Tasche fasste und seine Uhr hervorzog, trat sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. „Was soll das? Kannst du es nicht richtig machen?" „Ich mache es richtig. Es ist elf Uhr fünfundvierzig. Noch fünfzehn Minuten bis Mitternacht. Ich muss das nur geradebiegen." Er stellte die Zeiger der Uhr genau auf zwölf, dann nahm er ihre Hand. „Das ist geschwindelt." Sie strahlte ihn an. „Ich liebe dich wirklich, Cullum." „Du bist das, was ich mir die ganze Zeit gewünscht habe, ohne dass ich es wusste." Er berührte eine ihrer Haarsträhnen, die sich aus der Frisur gelöst hatten. „Wir haben dieses Haus zusammen umgebaut." „Nein." Sie legte eine Hand über die seine. „Wir haben dieses Zuhause zusammen umgebaut. Ich könnte hier ohne dich nicht leben." „Ich will das alte Jahr hier mit dir beenden und das neue anfangen." Er hob ihre verschränkten Finger an seine Lippen. „Wir werden ein tolles Team sein." „Damit rechne ich." „Heirate mich, Julia." „Ich dachte schon, du fragst nie", sagte sie und küsste ihn.
AUS DEN PRIVATEN TAGEBÜCHERN DES DANIEL DUNCAN MACGREGOR Ich habe einen Kopf fürs Geschäft und ein Händchen für die hohe Kunst des Handelns. Mein Leben war reich. Ich habe hart gearbeitet, und ich habe gespielt. Ich habe gewonnen und verloren. Geschäfte, Geld verdienen macht mir Spaß. Aber die Familie ist Gottes Lohn. Nimm mir jeden Cent weg und lass mir meine Familie, und ich sterbe als ein reicher Mann. Als ich dieses Tagebuch angefangen habe, hatte ich Hoffnungen und Pläne - wollte ich Ränke schmieden, würden manche sagen, aber was schert mich das Gerede der Leute? - für meine Familie. Nun, ich habe getan, was ich mir vorgenommen habe. Laura ist eine glücklich verheiratete Frau, eine wunderbare Mutter. Sie und Royce sind gut füreinander und für meinem wunderbaren jungen Namensvetter Daniel MacGregor Cameron. Oh, das ist ein Bursche, ein schlauer, strammer Bursche. Gutes Blut. Beste Erbanlagen. Nichts freut mich mehr, als zu sehen, wie Royce den Jungen vergöttert. . . oder wie sehr Caine es genießt, Großvater zu sein. Und er und Royce sind die allerbesten Kumpel. Es ist eine feine Freundschaft, die sie da aus ihrer Liebe zu Laura gemacht haben. Natürlich habe ich daran nie gezweifelt. Gwen und ihr Branson erwarten ihr Kind jetzt jeden Tag. Ich weiß, dass Gwen sich ein bisschen Sorgen macht, wegen der Zeit, die sie im Krankenhaus fehlt. Aber Anna wird die erste sein, die ihr sagt, dass sie eine Familie und einen Beruf haben kann, und dass sie in beiden Fällen ihre Sache hervorragend machen wird. Branson macht ein Riesengetue um sie, er hat sich ge weigert, auf Lesereise zu gehen, weil er entschlossen war, ihr nicht von der Seite zu weichen, und ich hätte ihm eine Tracht Prügel verabreichen müssen, wenn es anders gewesen wäre. Und macht es irgendeinen Unterschied? Ha! Das Buch war in der Minute ein Bestseller, in der es aus der Druckerei kam. Er ist ein guter Geschichtenerzähler, dieser Bursche. Hat mich mehr als die halbe Nacht wach gehalten mit seiner mörderischen Ärztin und seinem gerissenen Detektiv, mit dem sie Katz und Maus spielt, während er sich verliebt. Aber wer hätte gedacht, dass sie sich am Ende lieber selbst umbringt, als den einzigen Mann zu töten, der ihr schwarzes und verwirrtes Herz je berührt hat? Ah ja, die Liebe steht eben doch über allem. Und jetzt richten sich meine Julia und ihr Cullum ihr Leben in dem Haus in Beacon Hill ein, das sie zusammen umgebaut haben. Sie kläffen sich immer noch an wie die Terrier, und ich würde mir Sorgen machen, wenn es anders wäre. Da ist ja so eine Leidenschaft zwischen den beiden, sie sind ein ideales Paar, und es macht mir nichts aus, das zu sagen. Ich erwarte, bald zu hören, dass ein Baby unterwegs ist. Und wenn nicht, will ich den Grund dafür wissen. Sie war eine wunderschöne Braut, groß, stattlich, ele gant, das war vielleicht ein Moment, als sie neben Cullum trat, seine Hand nahm und ihre Blicke sich begegneten. Sie grinsten einander an, breit und glücklich, und es hätte nicht viel gefehlt, dass sie mit ihrem Lachen herausplatzten. Ein Moment, in dem ich fühlte, wie mir das Herz anschwoll vor Freude - und Stolz, dass ich es war, der sie zusammengebracht hat. Jetzt ist der MacGregor-Schleier wieder weggepackt und wartet. Aber ich habe nicht die Absicht, ihn sehr lange in dieser Schachtel liegenzulassen. Es wird Zeit, dass sich meine Enkel auf ihre Pflichten besinnen. Ich habe ihnen genug Zeit gegeben, ein bisschen zu reifen. Ein Mann braucht ein paar Jahre länger und ein paar Erfahrungen unterhalb der Gürtellinie, bevor er sich eine Frau nehmen und eine Familie gründen kann.
Aber lasst es uns bei Licht betrachten, auch ich werde nicht ewig leben. Deshalb habe ich Mac - dem ältesten meiner Jungen - einen zarten Wink mit dem Zaunpfahl gegeben. Doch hat er ihn zur Kenntnis genommen? Ha! Nun gut, jetzt wird mir wohl oder übel nichts anderes übrigbleiben, als ihm einen etwas kräftigeren Schubs zu geben. Ich habe bei meinen drei Mädchen gute Arbeit geleistet, aber ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich lange auf ihren Lorbeeren ausruhen. Ich will den Rest meiner Enkel auch noch verheiratet sehen, damit sich der Kreis schließt, bevor meine Zeit abgelaufen ist. Das ist ein Versprechen von Daniel MacGregor. - ENDE -