Band 02 - Die Insel der blutigen Götter Torgo, Prinz von Atlantis von Karl H. Koizar ISBN:
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Band 02 - Die Insel der blutigen Götter Torgo, Prinz von Atlantis von Karl H. Koizar ISBN:
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Als die Sonne aufging, befand sich Nef-Naton, der Ägypter, auf dem schwankenden Boot des Fischers schon weit außerhalb des Hafens. Die Stadt und die Küste von Atlantis waren nur mehr ein dunkler Strich am Horizont. Die Nebel lichteten sich über dem Wasser und Nef-Naton fand ein wenig Zeit, über das Geschehene nachzudenken. Der Pharao hatte ihn mit einer Galeere nach Griechenland gesandt; auf der Galeere befand sich als kostbare Fracht des ägyptischen Herrschers jüngste Tochter Nif-Iritt. König Telaus begehrte sie zur Frau. Mit dieser Heirat sollte ein Bündnis zwischen Griechenland und Ägypten geschaffen werden. Aber die Galeere war vom Kurs abgekommen und an die Klippen von Atlantis geworfen worden, des sagenhaften Erdteils dessen Existenz immer wieder bezweifelt wurde. Nun befand sich Nif-Iritt in Gefangenschaft und er floh auf dem Boot eines Fischers, der ein paar Weinkrüge nach einem Küstendorf bringen wollte. Es war, Nef-Naton gestand es sich ein, ein tollkühnes Unternehmen. Die riesige Galeere hatte dem Sturm nicht standhalten können. Auf dieser Nußschale aber wollte er nach Griechenland. Würde es ihm gelingen, den König und den Pharao zu alarmieren? Aber auch wenn es ihm nicht gelang und er bei dem Unternehmen sein Leben ließ, war dies immer noch besser als in den Kupferbergwerken der Atlanter einem schmachvollen Sklaventod entgegenzusehen, wie es das Schicksal seiner Reisegefährten war nach König Amurs Gesetz von Atlantis, wonach jeder Fremde, der Atlantis ungerufen betrat, sterben mußte, entweder sogleich im offenen Kampf oder eines langsamen Todes in der Sklaverei, eines Todes der vielleicht der Schlimmste aller Tode war. Als Nef-Naton daran dachte, fuhr seine Hand unwillkürlich unter sein Gewand und griff nach dem Dolch, den am vergangenen Abend Gül-Gül auf dem Marktplatz der atlantischen Hauptstadt für ihn gestohlen hatte. Gül-Gül... Was war wohl aus ihr geworden? Sie war zur verabredeten Flucht nicht erschienen. Hatte man auch sie gefangen genommen? Nef-Naton schauderte bei diesem Gedanken. Er hatte wohl den besonderen Segen der Götter gehabt. Aber noch war nicht alles gewonnen. Noch blieb, um von Atlantis fortzukommen, ein schreckliches Werk zu tun. Nef-Naton sah den Fischer, der ahnungslos an seinem Segel hantierte und sich sorglos dem Genuß der Fahrt unter der frischen Brise hingab. Er hielt Nef-Naton für blind und der Ägypter wollte ihn so lange als möglich in diesem Glauben lassen. Aber Nef-Naton sah durch seine halbgeschlossenen Lider jede seiner Bewegungen und er berechnete kaltblütig den Moment, der ihm für die Ausführung der Tat am günstigsten erschien. Immer weiter entfernte man sich vom Festland. Das Boot beschrieb offensichtlich einen weiten Halbbogen, um in einiger Entfernung vom Ausgangspunkt der Fahrt wieder auf die Küste zu stoßen, welche hier nach Westen zu eine Krümmung machte. "Nun, wie gefällt dir die Fahrt?" "Gut, gut", antwortete Nef-Naton. "Wenn ich nur sehen könnte!" "Bitte die Götter, vielleicht schenken sie dir dein Augenlicht wieder. Bitte Bel, den Großen." "Du hast recht", meinte Nef-Naton, "ich werde es versuchen." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Er kroch in sich zusammen, als sei er ganz in Gedanken versunken und halte eine stille Andacht. Aber seine Gedanken waren nichts weniger als andächtig. Der Fischer kam mitleidig näher. "Nimm einen Schluck Wein", sagte er. Er füllte eine Schale aus einem der Krüge und bot sie Nef-Naton an. Der Ägypter griff danach. Etwas an dieser Bewegung machte den Atlanter stutzig. Nef-Naton bemerkte es sofort: er versuchte, den Fehler zu korrigieren. "Ich habe, ich habe einen schwachen Lichtschimmer ganz plötzlich!" rief er. Der Fischer wich zurück. Aber schon stand Nef-Naton neben ihm. "Gib mir den Wein", verlangte er. Und als der Atlanter die Arme hob, um ihm die Schale zu reichen, fuhr plötzlich der Dolch aus den Falten Nef-Natons Gewand, dem entsetzten Atlanter ins Herz. Die gastlich gereichte Schale ergoß ihren Inhalt über die Planken. Nef-Naton beachtete es nicht. Er nahm dem Fischer, was er von ihm brauchen konnte und stieß sodann den Toten ins Meer. "Daß dich die Haie fressen" zischte er undankbar. Er war von Haß gegen die Atlanter erfüllt, von einem Haß, der keinen Unterschied machte. Aufatmend reinigte er seine Waffe und wusch sich die Hände in dem salzigen Wasser des Meeres. Dann hob er die Schale auf und ging nach vor zu den Krügen. Gierig trank er den Wein. Dann begann er zu überlegen. Seine Situation war schlimm genug. Kein Wasser, kein Proviant... Wie wollte er es schaffen? Nef-Naton, jetzt Herr des Bootes, änderte zunächst den Kurs, so daß er nun tatsächlich die offene See gewinnen mußte. Sodann untersuchte er das Fahrzeug genauer. Er entdeckte einen kleinen Mundvorrat, der nicht einmal für einen Tag reichte. Dann aber sah er etwas, was ihn mit Freude erfüllte: In einem Kasten fand er das Netz. Es war ein Netz das an einem kreisrunden Rahmen hing, der mit Hilfe einer langen Stange in einiger Entfernung vom Boot ins Wasser gelassen werden konnte. Die Stange selbst war am Bootskörper zu befestigen. Man konnte damit den Mundvorrat ergänzen, wenngleich es bestimmt höhere Genüsse gab als das rohe Fleisch von Fischen. Und als Getränk hatte er fürs erste den Wein in den Krügen. Nun, er mußte sehr sparsam mit ihm umgehen. Waren die Winde günstig, so hatte er vielleicht Glück, wenn er rasche Fahrt machte, konnte er eine Insel oder gar die rettende Küste erreichen. Nun glaubte Nef-Naton, daß es wirklich angezeigt sei, den Göttern zu danken. Er betete zu Osiris, dem Weltgeist und zu Isis, der Mutter des Lebens und der Fruchtbarkeit, um Speise und Trank während seiner Fahrt über das unbekannte Meer und um Schutz vor den Feinden, denn er kannte die Wachboote der Atlanter. Er wußte, daß die Küste unter ständiger Beobachtung stand und daß er nur durch einen unwahrscheinlichen Glücksfall unentdeckt und unbehelligt bleiben würde. Noch erschien es ihm, als sei ihm von allen Überlegungen der Katastrophe der ägyptischen Galeere das beste Los zugefallen. Aber er ahnte, daß die nächsten Stunden und Tage ihm Schweres bringen würden. Gefaßt setzte er sich ans Steuer. Er fühlte mit Befriedigung, wie der Bart, die Zierde jedes hochgestellten Ägypters, an seinem Kinn wieder wuchs: er hatte ihn, um nicht als Fremder erkannt zu werden, in Atlantis opfern müssen. Ja, er wuchs und das stärkte sein Selbstvertrauen. Vielleicht, vielleicht lag jetzt in den Händen, die hart das Steuer umfaßten, nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern auch das der ägyptischen Königstochter...
(C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
* "Bringt die Gefangene hier herein!" befahl Wusso. Man stieß Gül-Gül in das Turmgemach. Erschreckt schrie sie auf, aber das weckte nicht Mitleid, sondern nur ein rohes Lachen der rauhen Krieger der Atlanter. Man hatte Gül-Gül ergriffen, als sie sich heimlich in den Königspalast umgebenden Garten schlich, um mit ihrer gefangenen Herrin Nif-Iritt in Verbindung zu treten. "Ihr übrigen geht wieder auf Wache", befahl Wusso. "Sei und Saron, ihr bleibt bei mir. Ich denke, wir drei genügen, um aus diesem Singvogel herauszubringen, was wir wissen wollen." "Was wollt ihr von mir?" fragte Gül-Gül zitternd. "Ihr habt gehört, daß Nif-Iritt meine Herrin ist. Sie hat es gesagt und ich habe es zugegeben. Was wollt ihr noch?" Hauptmann Wussos Augen wurden zu einem schmalen Spalt. "Wir wollen von dir wissen, wer außer dir sich noch in der Hauptstadt herumtreibt von jenen, denen die Flucht von der Galeere gelungen ist." "Woher soll ich das wissen?" fragte Gül-Gül zögernd. "Oh", knurrte Wusso, "das weißt du ganz genau, du Singvogel und wenn du es uns nicht freiwillig verrätst, dann werden wir dich zum Zwitschern bringen." Gül-Gül dachte an Nef-Naton. Wahrscheinlich wartete er noch am Hafen, wenn er nicht längst abgefahren war, ohne sie. Nein, sie durfte ihn nicht verraten. Ihr Vorhaben war mißglückt, aber vielleicht glückte seines und da hing womöglich ihrer aller Rettung davon ab, daß sie jetzt standhaft blieb und schwieg. Laß mich gehen Herr", bat Gül-Gül, "ich habe dir nichts zu sagen. Ich weiß nichts und kenne niemanden. Ihr habt doch alle unsere Leute gefangen genommen. Ich habe es ja mit eigenen Augen mit angesehen, wie ihr sie vor den Palast eures Königs getrieben habt." "Da hättest du dazugehört", knurrte Wusso bedrohlich. "Hauptmann Alwa wird sich freuen, wenn er eine Nachzüglerin bekommt." "Nein Herr, laß mich zu Nif-Iritt." "Du wirst mir doch nicht weismachen wollen, daß du deine grausame Herrin liebst? Du bist doch für sie nichts als eine Sklavin." Gül-Gül senkte den Kopf. Eigentlich sprach dieser Mann die Wahrheit. "Oder denkst du etwa" fuhr Wusso fort, "daß es im Garten des Königsschlosses ein angenehmeres Leben ist als oben in den Kupferbergen? Da hast du freilich recht. Aber ich habe über all diese Dinge nicht zu entscheiden. Ich habe nur meine Pflicht zu tun und die ist jetzt, dich zum Sprechen zu bringen." "Sei gnädig Herr, laß mich laufen, ich weiß von nichts!" wiederholte Gül-Gül. Wusso schnaufte unwillig. "Ich warne dich Mädchen! Wir scherzen nicht. Ich frage dich zum letzten Mal." Gül-Gül blieb stumm. "Dann hängt sie an die Ketten" befahl Wusso, "sie will es nicht anders." Wussos Knechte gehorchten. An Ringen hingen von der Decke des Verlieses Ketten, von denen Sei und Saron je eine ergriffen und um Gül-Güls Handgelenke schlangen. Gül-Güls Herz begann heftig zu schlagen, als die beiden Kriegsknechte roh zupackten. Sie wußte, daß ihr jetzt Schlimmes bevorstand, aber sie bezwang sich. Wusso wußte wohl, was in ihr vorging. Er versuchte es noch einmal. "Willst du nicht doch lieber sprechen?" fragte er. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Du ersparst dir viel! Wenn du mir sagst, was ich von dir wissen will, bringe ich dich sogleich zurück in den Gartenpavillon zu deiner Herrin. Also, wer war mit dir? Du warst nicht allein das glaube ich dir nicht." "Glaube was du willst", gab Gül-Gül zur Antwort. Das erboste den Hauptmann. "Hängt ihr die Kugeln an die Füße und zieht sie hoch", befahl er "und wenn ihr das noch nicht genügt, so brennen wir ihr den Rücken mit Fackeln." Das hatte sich zugetragen, als Nef-Naton am vergangenen Abend in der Hafentaverne vergeblich auf Gül-Gül wartete. Fast drei Stunden lang hatte Gül-Gül Hauptmann Wussos Fragen widerstanden. Aber dann war sie am Ende. Wusso hatte sogleich eine Kohorte nach der Taverne gesandt, doch zu spät. Nef-Naton hatte die Krieger gesehen, eben als das Fischerboot vom Lande abstieß. Gül-Gül blieb die Nacht über im Verlies. Man ließ sie allein. Am anderen Morgen erfüllte Wusso sein Versprechen und brachte sie zu Nif-Iritt. "Hier hast du deine Sklavin", sagte Wusso hart, "und sieh sie dir gut an. So geht es jedem, der unsere Pläne zu durchkreuzen versucht. Verstehe mich recht, jedem!" Der finstere Krieger ging. Gül-Gül lag bewegungslos auf dem Teppich. Sil warf sich neben ihr nieder und schluchzte laut auf, als sie den Jammer Gül-Güls sah. Nif-Iritt stand bleich und unbeweglich und streckte abwehrend die Arme aus. "Schafft sie fort" verlangte sie, "bringt sie weg, ich kann das nicht sehen!" "Aber Herrin" sagte Sil vorwurfsvoll, "sie hat gelitten, um deinetwillen!" "Das war ihre Pflicht", entgegnete Nif-Iritt hart. "Ich sage dir noch einmal, bringe sie weg. Mir wird übel von dem Anblick." "Aber wir sollten sie pflegen, sie heilen!" Nif-Iritt sah sie erstaunt und voll Nichtbegreifen an. "Du verlangst doch nicht etwa, daß ich eine Sklavin pflegen soll!" rief sie empört. "Rufe mir diesen Wusso. Die Atlanter sollen mit Gül-Gül machen was sie wollen, als Dienerin ist sie mir nicht mehr tauglich. Meinetwegen soll sie ins Bergwerk zu den anderen!" Vor so viel Härte erfaßte Sil das Grauen. Auch Gül-Gül hörte, was Nif-Iritt sprach. Aber der Sinn ihrer Worte teilte sich ihr nicht mit. Sie vermochte nach dem schrecklichen Erlebnis kaum, ihre eigenen Gedanken beisammen zu halten. "Komm Gül-Gül", sagte Sil leise, "ich bringe dich vor den Pavillon. Lege dich in den Schatten. Ich bringe Wasser und Salben. Du wirst sehen, alles wird wieder gut." Sie richtete Gül-Gül auf und führte die Wankende sanft aus dem Pavillon und ins Freie, wo sie sie behutsam auf die kühlen Steinstufen niedergleiten ließ. Nif-Iritt hatte sich verärgert auf ihr Ruhebett geworfen. Sil nahm sich von ihren Salben, sie fragte nicht danach ob Nif-Iritt hierzu ihr Einverständnis gäbe. Die Königstochter sah es wohl, aber sie schwieg. Etwas war in ihrem Innern das ihr sagte, daß sie nicht recht gehandelt hatte. Aber sie begriff diese Stimme nicht, denn sie handelte nach den Grundsätzen ihrer Zeit, ihres Standes und ihrer Erziehung. Sil begann Gül-Güls Wunden zu pflegen. "Weshalb", fragte sie voll Mitleid, "haben sie dich so zugerichtet, Gül-Gül?" "Weil sie wollten, daß ich Nef-Naton verrate", antwortete Gül-Gül mit Mühe. "Nef-Naton? Ja, ist er am Leben?" "Ich hoffe es. Oh, Sil sei behutsam, ich halte es nicht aus."
(C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ich will dir doch nur helfen, Gül-Gül. Hab Geduld, die Salbe lindert und kühlt. Es wird heilen!" "Nef-Naton" berichtete Gül-Gül weiter, "hat sich ebenso wie ich von der Galeere gerettet, ohne dabei in Gefangenschaft zu geraten. Wir planten die Flucht in einem Boot nach Griechenland. Es war schon alles zur Flucht vorbereitet. Da kam ich auf den Einfall, nach Nif-Iritt zu sehen. Ich wollte sie mitnehmen oder wenigstens sprechen." "Du bist treu", sagte Sil anerkennend "und Nif-Iritt dankt es dir schlecht. Sie ist herzlos, oberflächlich und grausam. Ich weiß es längst. Aber ich habe zu allem stets geschwiegen. Hier, in der Gefangenschaft, sieht freilich manches anders aus. Im Grunde genommen hat sie nicht mehr Rechte als wir und du hast wohl gehört, was Wusso vorhin sagte. Wenn es dem König einfällt, verfahren sie mit Nif-Iritt nicht anders als sie es mit dir getan haben." "Oh nein", entgegnete Gül-Gül und schüttelte den Kopf. "Die Großen halten zusammen. Ob sie nun Nif-Iritt, Telaus oder Amur heißen, sie sind alle gleich." "Einer ist anders", meinte Sil versonnen. Wen meinst du?" "Torgo, der junge Prinz, des Königs Sohn. Er wird einst die Krone von Atlantis tragen." "Und du glaubst, er sei anders?" fragte Gül-Gül verwundert. "Er ist jung, noch unreif... Alles in ihm befindet sich in Wandlung, jeder Tag bringt ihm neue Wunder. Aber einmal wird er ein großer Mann werden." Gül-Gül mußte trotz ihrer Schmerzen lächeln. "Du sprichst fast, als ob du ihn liebtest", meinte sie. Sil lachte auch. "Du scherzt Gül-Gül und das ist ein gutes Zeichen", sagte sie. "Ich habe Torgo nicht oft gesehen. Ich gebe zu er ist jung, stark und geschmeidig. Sein Blick ist kühn und sein Antlitz edel. Das sieht wohl jede Frau und auch Nif-Iritt hat das bemerkt. Aber ich denke, der Prinz denkt an Abenteuer anderer Art. Er und sein Diener Jargo sind auf dem Rücken der Pferde daheim und nicht in Frauengemächern." "Beinahe", stöhnte Gül-Gül, "machst du mich auf den Prinzen neugierig." * Prinz Torgo und Jargo hatten, von einem Ausflug nach den Klippen kommend, die Hauptstadt beinahe wieder erreicht. Die Stadt Atlantis, welche der riesigen Insel ihren Namen gab, lag vor ihnen. Der Tempelbezirk erhob sich mit den im Sonnenlicht gleißenden goldenen Säulen des Bel-Tempels aus dem Hain Poseidons. "Dieser Tempelhain ist seltsam angelegt" meinte Jargo. "Die Wasserringe und die Zugbrücke, die meist hochgezogen ist, machen ein unerlaubtes Eindringen fast unmöglich. Wenn wir Bethseba tatsächlich befreien wollen, werden wir es nicht leicht haben." "Es ist schlimm genug, daß man das Mädchen dazu verdammt hat, mit den Gefangenen ins Bergwerk zu gehen", gab Torgo zurück. "Aber nun fordert sie Bel auch noch als Opfer. Und von all den Fremden, die ich bisher sah, ist sie die Beste. Ich kann ihre Sanftmut gar nicht begreifen. Sie gleicht einem Lamm das sich willig zur Schlachtbank führen läßt." "Wir werden bald wissen, ob die Stimme tatsächlich von Bel kam", meinte Jargo. "Die Stimme des sprechenden Gottes ist mir unheimlich. Aber es ist auch manches dabei, was mich stutzig macht. Unlängst machte ich einen Scherz, um den Hohepriester um den Anteil an der Beute zu bringen. Und nun tut Bel so, als ob er tatsächlich darauf verzichtet hätte." "Ja", meinte Torgo. "Auch mein Vater sagte mir manches, was mich nachdenklich stimmt. Er ist König und sieht und hört viel, was seinen Untertanen und selbst mir noch verborgen bleibt." "Jedenfalls haben die Priester ihren Tempelbezirk gut gesichert", brummte Jargo mißmutig. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Prinz Torgo lächelte. "Das waren nicht die Priester", erklärte er. "Der Tempel ist uralt und Poseidon selbst hat hier alles so angelegt. Hier wohnte einst vor vielen, undenklichen Jahren ein Mann namens Euenor. Er und sein Eheweib Leukippe hatten ein einziges Kind, eine Tochter namens Klito. Als sie herangewachsen war, starben ihr Vater und ihre Mutter, aber Poseidon faßte Liebe zu ihr, weshalb er die Anhöhe, auf der sie wohnte, ringsum abschnitt. Er zog kleinere und größere Kreise von Land und Wasser wie mit einem Zirkel. Auf diese Weise wurde der Ort unzugänglich für Menschen, denn Boote kannte man damals noch nicht. Die Insel in der Mitte richtete Poseidon nun ein. Zwei Quellen ließ er aus der Erde hervorspringen, die eine warm, die andere kalt. So fließen sie heute noch im Tempelhain. Poseidon lebte hier mit Klito und sie hatten Kinder: ihr ältester Sohn hieß Atlas, und von ihm stammen die Atlantiden, daß Königsgeschlecht meines Vaters ab." Sie erreichten die Stadt und gelangten über den Marktplatz nach einer der Zugbrücken. Sie war hochgezogen. Torgo und Jargo blinzelten einander an. "Was habe ich dir gesagt", meinte Jargo. "Sie haben sich ringsum von der Umwelt abgeschnitten und bereiten das Opferfest vor." "Wenn wir hinüber wollen, müssen wir die Zeit der Abendandacht im Tempel abwarten, oder wir wählen die Brücke, die vom Königsschloß aus hinüber führt. Aber ich fürchte, daß der Hohepriester Shidra sie heimlich beobachten läßt." "Hast du Grund für diese Annahme?" fragte Jargo erstaunt. "Es ist eine Vermutung, weiter nichts. Ich hatte schon mehrmals beim Betreten des Tempelbezirkes - wenn ich über diese Brücke kam - den Eindruck, daß Shidra und Taaf auf mein Kommen vorbereitet gewesen seien." "Dann wirst du wohl mit dieser Vermutung recht haben" meinte Jargo nachdenklich. "Was tun wir aber? Diesen Wassergraben können wir nicht passieren, es wimmelt hier von Krokodilen. Wer auf den Einfall kommt, hier hinüber schwimmen zu wollen, wird von den blutgierigen Bestien zerrissen." "Du hast recht", antwortete Torgo, "hier ist es nicht ratsam. Versuchen wir es weiter oberhalb." Sie ritten den Wassergraben entlang. Zu ihrer Linken lag die Stadt, zur Rechten der Tempelbezirk, aus dem ab und zu das Gebrüll von Raubtieren herüber drang. Shidra der Hohepriester, hielt in besonderen, in das Erdreich eingelassenen Gruben, Löwen gefangen. Man brauchte sie für die Abhaltung von Gottesurteilen. Aber es kam sehr selten vor, daß jemand von den Atlantern von sich aus ein solches Gottesurteil begehrte. Bis jetzt waren sie nämlich noch immer zu Gunsten der Löwen ausgegangen... Nun aber hatte Shidra ein besonderes Schauspiel vor. Bel, der sprechende Götze, hatte ein Blutopfer gefordert, um sein Ansehen zu stärken. Für gewöhnlich opferte man heilige Stiere. Aber diesmal begnügte sich der große Bel nicht damit. Er forderte das Leben eines der Gefangenen von der ägyptischen Galeere und die Gefangenen selbst hatten aus ihrer Mitte Bethseba, die niedrigste Sklavin Nif-Iritts gewählt. Bethseba stammte aus Ägypten, aus der Stadt des Pharao. Sie war ein Kind des verachteten Volkes Israels aus dem Stamme Levi. Ihr Volk lebte bei den Ägyptern in harter Fron, arbeitete in den Ziegeleien am Nil oder half beim Bau der Stadt durch Verrichtung anderer schwerer Arbeit. Man verachtete diese Menschen, sie galten als niedrig und nur ein Zufall hatte Bethseba in die Umgebung Nif-Iritts geführt, ein Zufall, auf den wir noch zu sprechen kommen werden. Torgo hatte sie mit den Gefangenen kennengelernt und ihr seltsames, scheues Wesen hatte begonnen, einen eigenartigen Zauber auf ihn auszuüben... Nach etwa fünf Minuten erreichten Torgo und. Jargo eine weitere Zugbrücke hinüber zum Tempelbezirk. Auch diese war geschlossen. Aber an dieser Stelle war im klaren Wasser auf einige Sicht kein Krokodil zu sehen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Hier können wir es versuchen", meinte Torgo unternehmend und schon trieb er sein Pferd ins Wasser. Torgos Hengst war ein guter Schwimmer. Das Wasser war zudem nicht tief und das Ufer drüben ziemlich seicht. Es fiel nur nach der Stadt zu, der Echsen wegen, fast senkrecht ab. Jargo folgte. Nach einigen Minuten haben sie das Ufer des Tempelbezirkes gewonnen, ohne daß sie von den Krokodilen belästigt worden wären. "Was nun?" fragte Jargo. "Es ist helllichter Tag." "Gerade deshalb wird niemand vermuten, daß wir Heimlichkeiten vorhaben", erklärte Torgo. "Wir nehmen die Pferde mit uns und binden sie am Vorplatz des Tempels an. Dann betreten wir den Tempel, als ob wir beten wollten." "Bel wird uns strafen Herr", meinte Jargo besorgt. "Das wird er nicht, denn wir wollen der Wahrheit dienen und also Gutes tun." "Schön, Prinz. Aber wenn uns einer der Priester begegnet?" "So sagen wir einfach, wir wären über die Schloßbrücke gekommen. Es ist heiß und die Kleidung trocknet rasch." Sie ließen die Löwengruben seitwärts liegen. Der Wind trug ihnen den scharfen Geruch der Raubtiere zu. Unweit der Käfige befand sich der Opferplatz, an welchem Bethseba ihr schreckliches Ende erwartete. "Wenn es wirklich Bel war der sprach", wiederholte Torgo seine Ansicht, "so müssen wir uns dem Wunsch des Gottes fügen. War es aber nur ein Betrug des Hohepriesters, dann werden wir Bethseba retten." Vorsichtig bewegten sie sich auf den Tempel zu. Wenn irgend möglich, wollten sie keinem der Priester begegnen und ungesehen ans Ziel gelangen. Irgendwo in der Nähe wieherte ein Pferd. "Das ist das Tier Taafs", sagte Torgo leise. "Er reitet in Shidras Auftrag irgendwohin." "Wenn Taaf fort ist, ist es gut", gab Jargo zurück. "Er ist fast mehr zu fürchten als der Hohepriester. Alle finsteren Pläne stammen von ihm." "Gewiß, die beiden intrigieren seit langem. Mein Vater sagt, sie wollen alle Macht für sich haben. Darum hasse ich es, wenn sie sich in heuchlerischer Art vom König eine Gunst um die andere erbitten. Sie häufen Reichtümer um Reichtümer in den Schatzkammern des Tempels." Bald sahen sie die goldenen Säulen des Tempels durch das Gezweig blinken. "Wir sind da", sagte Jargo erleichtert. "Und niemand hat uns bisher gesehen." Binden wir hier unsere Pferde an", nickte Torgo. Sie sorgten dafür, daß ihre Tiere nicht entlaufen konnten und traten dann aus dem Gebüsch heraus auf den Tempelvorplatz. "Die Stufen zum Tempel sind leer. Ringsum ist niemand zu sehen", meinte Jargo, den die Abenteuerlust gepackt hatte. "Schnell", raunte Torgo. Mit schnellen Sprüngen überquerten sie den weiten Platz und sprangen die Stufen empor. Die Tür zum Tempel war nur angelehnt. Sie bewegte sich schwer und knarrend in ihren Angeln, als Jargo sie bewegte. "Ein Spalt genügt", sagte Torgo leise. Schon schlüpfte er hindurch und sein flinker Diener folgte ihm. Ein Schmunzeln befiel Jargo, als er an den Streich dachte, den er dem Hohepriester Shidra gespielt hatte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Aber als sie nun im Halbdunkel der Tempelhalle standen und des mächtigen bis unter das Dach des Bauwerks ragenden goldenen Götzen ansichtig wurden, der stumm und unbewegt in das Nichts zu starren schien, befiel ihn plötzlich abergläubische Furcht. "Bel", flüsterte er, "großer Bel, verzeihe uns." Torgo sagte nichts. Er blickte sich um und als er festgestellt hatte, daß der Tempel leer war, schritt er möglichst leise auftretend, bis zum Altar vor. Von hier an war der Tempel tabu, niemand außer den Priestern des Bel durfte die Stufen des Altars betreten, niemand sehen was hinter dem Altar war. Mächtig, einer plumpen Säule gleich, stand der Götze unbewegt und stumm. Jargo der Treue, kämpfte mit seiner Furcht. Er war seinem Herrn gefolgt und stand nun zaghaft hinter dem Prinzen. Torgo betrachtete den Götzen unentwegt. Er sah sich den Bau des Körpers an, den massigen Schädel hoch oben mit den starren Augen und dem Mund, der sich trichterförmig öffnete. Jedes Wort, daß aus diesem Munde kam, war in der weiten Halle genau zu verstehen, auch wenn es seltsam gequetscht und wie aus einer Röhre gesprochen klang. "Der Kopf ist groß genug", hauchte Torgo plötzlich, "daß ein Mensch in seinem Inneren Platz hat." "Was meinst du?" fragte Jargo ungläubig. "Ich meine, daß es im Inneren des Gottes eine enge Wendeltreppe oder eine Leiter geben muß, welche nach oben führt", erläuterte Torgo immer klarer die Richtigkeit seiner Idee erkennend. "Aber wie willst du das beweisen?" "Das wirst du sogleich sehen." Mit einem Sprung war er auf den Stufen des Altars und hinter diesen verschwunden. Wenn jetzt einer der Priester käme! Bei diesem Gedanken erwachte Jargos Verteidigungsbereitschaft. Er griff nach dem scharf geschliffenem Dolch, den er in seinem Lendenschurz stecken hatte. Torgo war mittlerweile hinter der Statue des Götzen verschwunden. Er befand sich hier in einem für die Gläubigen verdeckten Raum, der durch Vorhänge abgetrennt war. Hier lagen allerlei seltsames Kultgerät, goldene Opferschalen und duftende Gefäße für Weihrauch. Diamant besetzte Krüge, mit mystischem Zierat versehen, dienten für die Aufnahme von Blut und Wein, welche die Priester des Bel für ihre unheimlichen Zeremonien zu brauchen pflegten. Torgo hielt sich nicht damit auf diese Gegenstände zu betrachten, die er ohnehin von den Zeremonien und Feiern her kannte. Sein Blick war auf einen Vorhang gefallen, welcher die glatte Rückfront der Götzenstatue bedeckte. Torgo ahnte, daß er den Schlüssel des Geheimnisses der sprechenden Gottheit gefunden hatte. Mit entschlossener Bewegung raffte er den Vorhang zur Seite und erblickte, was er vermutet hatte. Eine schmale Treppe, die steil aufwärts in das Innere des Götzen führte. Ein Geräusch ließ Torgo aufhorchen. Blitzschnell ließ er den Vorhang fallen und wandte sich kampfbereit um. Aber nur Jargo war es. "Es sind Stimmen von draußen vernehmbar Herr!" raunte Jargo besorgt. "Komm", gab Torgo zurück, "ich weiß, was ich wissen will, wir verschwinden!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Was hast du entdeckt?" fragte Jargo neugierig. "Alles ist Schwindel" antwortete Torgo, "komm jetzt, bevor man uns hier findet!" Sie waren darauf gefaßt, von den Häschern des Hohepriesters ergriffen zu werden. Prinz Torgo war des Königs Sohn, aber der Tempelbezirk galt als heilig und die Macht der Priester war groß. Und gewiß hätten diese alles daran gesetzt, um einen unbequemen Kenner ihrer Machenschaften loszuwerden. Torgo wußte das. Er gab sich in Bezug auf die Priester keinen Illusionen hin, besonders nach dem was er soeben gesehen hatte. Irgendwo in seinem Inneren hatte er immer noch an die Gottheit geglaubt, welche die Atlanter verehrten und die die Priester mit einem mystischen Kult umgaben. Irgendwo war in ihm der Glaube an ein höheres Wesen lebendig, das alle Geschicke der Menschen lenkte und regierte und man hatte ihm gesagt, daß Bel dies sei. Irgendwo glaubte er noch immer an Bel, was er mit der Muttermilch in sich aufgenommen hatte, ließ sich nicht an einem Tage aus seinem Verstand und seinem Herzen tilgen. Vielleicht, so sagte sich Torgo vielleicht war Bel unsichtbar. Vielleicht kannten auch Shidra und Taaf Bel nicht. Vielleicht erzählten sie nur deshalb dem Volke Märchen, die sie selbst erfunden hatten, oder welche die Priester erfanden, die vor ihnen im Amt waren. Vielleicht auch war Bel nicht der wahre Gott. Welcher aber war es? Waren es Nif-Iritts Götter aus Ägypten? Oder war es der Gott von Bethseba - ? Torgo hatte keine Zeit, jetzt über diese Fragen nachzudenken. Sie hatten den Ausgang des Tempels erreicht und sahen gerade, wie eine Gruppe von niedrigen Priestern und Tempeldienern einen Karren mit Futter für die Raubtiere nach dem Platz schob, auf welchem sich die Löwengruben befanden. Die Gelegenheit war günstig. Torgo legte Jargo warnend die Hand auf den Arm. Der Diener verstand ihn. Sie drückten sich eng an die Säulen und warteten bis die Männer den Vorplatz des Tempels verlassen hatten und außer Sicht waren. Dann sprangen sie schnell über die Stufen abwärts und stürmten ins Gebüsch, wo die Pferde ihrer harrten. "Schnell fort von hier und hinüber zum Königsschloß", meinte Jargo erleichtert, als sie im Sattel saßen. "Wir schlagen einen Umweg ein", sagte Torgo. "wir wollen versuchen, wieder über den Kanal zu gelangen." So rasch als es möglich war, durchquerten sie die Zone des Gestrüpps, bis sie das Wasser des Kanals wieder vor sich blinken sahen. * Hauptmann Alwa drehte sich mißmutig auf dem Rücken seines Pferdes um und sah auf den Zug der Gefangenen. Die Männer welche den Atlantern beim Untergang der Galeere in die Hände gefallen waren, konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. "Los vorwärts, strengt euch an! Ihr Sklaven, wollt ihr jetzt noch schlapp machen? Los Krieger, treibt sie an! In zwei Stunden sind wir beim Bergwerk, dann könnt ihr meinetwegen tot umfallen, aber erst muß ich euch abgeliefert haben, versteht ihr!" Alwa nahm kein Blatt vor den Mund. Er sprach es offen aus, was er dachte. Seine Aufgabe war es, den Transport der Gefangenen durchzuführen und diese so vollzählig als möglich beim Kupferbergwerk abzuliefern das unter dem Befehl von Numrod stand. Numro war hart und grausam. Sein Ehrgeiz war es, möglichst viel Erz zu fördern. Er verbesserte dadurch seine Stellung und den Lohn den er erhielt und er sonnte sich gern in (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
der Gunst des Königs. Alwa aber wußte, daß diese Gunst den Gefangenen das Leben kosten würde. Keiner von ihnen würde nach zwei oder höchstens drei Jahren noch am Leben sein. Numrod hatte einen erheblichen Verbrauch an Arbeitskräften. Sie schufteten sich unter seiner Knute buchstäblich zu Tode. Nimbur der Ägypter, welcher mit in der Reihe der Gefangenen schritt, konnte sich kaum noch aufrecht halten. Er dachte an die Tage am Hofe des Pharao. Damals hatten ihn Sklaven bedient, seinen Körper mit Wohlgerüchen gesalbt und er war in kostbare Gewänder gekleidet gewesen. Heute waren seine Füße eine einzige Wunde, die ihn bei jedem Schritt höllisch schmerzte und von der Pracht seiner Gewänder waren nur staubige Lumpen übrig geblieben. Nimbur hatte das Vertrauen des Pharao genossen. Er war einer jener Männer gewesen, denen der Herrscher den Schutz Nif-Iritts anvertraut hatte. Er und Nef-Naton hätten sie König Telaus zuführen sollen - und was war daraus geworden! Seine Lage war schmählich, Nimbur war sich dessen wohl bewußt. Und doch, Nimbur war ein kluger Mann und er sagte sich, daß es zunächst einmal das Wichtigste sei, daß er lebte. Und das tat er zweifellos, seine schmerzenden Füße bewiesen es ihm bei jedem Schritt auf das Lebhafteste. Andere in seiner Lage hätten an Flucht gedacht. Er nicht. Er hatte andere Pläne. Er hoffte, sich mit den Atlantern arrangieren zu können, falls sie ihm Gelegenheit dazu gaben und diese Gelegenheit mußte man eben herbeiführen. Denn wohin hätte er fliehen sollen? Nach Griechenland? Nach Ägypten? Und wenn ihm die Flucht doch gegen jede Erwartung gelang, was hätte ihm König Telaus gesagt, was erst der Pharao, wenn er ihnen Nif-Iritts Gefangennahme erzählte. Er Nimbur, hatte dem Pharao mit seinem Kopf für das Leben der Königstochter haften müssen. Eine hohe Stellung schafft viel Beschwer, jede Medaille hat ihre Kehrseite. Nimbur kannte den Pharao. Er war unbeherrscht, jähzornig und rachsüchtig. Er hätte ihm nicht unter die Augen treten mögen mit der Botschaft, daß seine jüngste Tochter, sein Lieblingskind Nif-Iritt tot oder in schmählicher Gefangenschaft sei. Da sich doch lieber fürs erste in einem Bergwerk der Atlanter verkriechen. Es konnte nicht schlimmer sein als die grausamen Martern, die er vielleicht in Ägypten hätte erdulden müssen. So dachte Nimbur und er schleppte sich stöhnend weiter, inmitten einer Reihe schweißglänzender, ausgemergelter Gestalten, deren kaum vernarbte Striemen auf ihren breiten Rücken sie kennzeichnete als das, was sie vor kurzem noch gewesen waren, Galeerensklaven. Es waren die Männer, die Nimbur, Nef-Naton und die Königstochter samt ihrem Gefolge hinüber rudern sollten nach Griechenland. Diese Männer waren dem Erschöpfungstod nahe. Sie hatten jahrelang die Ruderbank der Galeere nicht verlassen und waren keine Fußmärsche mehr gewöhnt. Erbarmungslos trieben die Krieger Alwas sie weiter. Und sie gaben ihr Letztes, denn auch sie wollten leben und sie wußten es. Wer nicht weiter konnte, wurde auf der Stelle getötet. Der Zug der Gefangenen bewegte sich eine steile, in Serpentinen in die Felswand gehauene, halsbrecherische Straße aufwärts. Tief unter ihnen lag das Land, durch das sie gezogen waren, eine flache, fruchtbare Ebene, in der Korn und Früchte in Hülle und Fülle gediehen und in der ein sattes und zufriedenes Volk lebte. Heiß brannte die Sonne auf das Felsgestein herab, dessen rötlich braune Färbung auf das Vorhandensein von Kupfer hinwies. Hier aus dem Inneren dieses Berges kam das Material für Atlantis Waffen, für die Armierung der Kampfschiffe und die Verfertigung der Streitwagen, von denen dem König 10000 zur Verfügung stehen sollten. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Nimbur wußte, was diese Ziffer bedeutete. Er war in Strategie nicht unbewandert und er ahnte, daß er dem König der Atlanter gute Dienste leisten könnte, wenn - ja nun, wenn er mit ihm ins Gespräch kam. Andererseits standen die Chancen, daß sich König Amur mit einem Bergwerkssklaven unterhalten werde, nicht gerade günstig. Es sei denn, es käme ihm zu Ohren, daß einer dieser Sklaven einst ein Vertrauter des ägyptischen Pharao gewesen war. Verrat an Ägypten? Vielleicht... Wenn sich dabei genügend gewinnen ließ! Nimbur hatte es auch in Ägypten in steiler Kurve nach oben gebracht, warum sollte ihm dieses Kunststück in Atlantis nicht ein zweites Mal glücken? Die Sklaven, die mit Nimbur gingen, sahen zu ihrer Verwunderung, wie sich sein Rücken unwillkürlich straffte, wie in seine Augen neues Feuer kam, ein unheimlicher, funkelnder Glanz, den sie sich nicht erklären konnten. Ihr Haß gegen Nimbur wuchs. Er war einer ihrer Unterdrücker gewesen und sie gönnten es ihm, daß er ihnen nun gleich war und vielleicht gleich ihnen die Peitsche zu schmecken bekam. Aber vielleicht - vielleicht gab es auch eine Gelegenheit zur Rache... Gebeugte Rücken sind geduldig; geduckte Köpfe warten auf ihren Augenblick... Nach der von Hauptmann Alwa angegebenen Zeit erreichten sie ein kleines Plateau, auf dem sich ein aus rohen Stämmen verfertigter Wachturm erhob, auf dessen Plattform ein Krieger umherging und nach allen Seiten Ausschau hielt. Offenbar hatte er die Aufgabe, sowohl das Kommen von Besuchern anzukündigen als auch hauptsächlich eine Flucht von Gefangenen unmöglich zu machen. Als er der Gefangenenkarawane ansichtig wurde, stieß er in ein kurzes Horn, dem er einen weithin dringenden, röhrenden Ton entlockte, der nichts weniger als angenehm, dafür aber durchdringend war. Dann legte er die Hände trichterförmig an den Mund und rief ins Lager hinab, daß nach drei Seiten zu von einem roh zusammen gezimmerten hohen Palisadenzaun abgesichert war, während die vierte eine hochstrebende Wand des Berges bildete. "Verständigt Numrod, Hauptmann Alwa kommt mit neuen Sklaven!" Im Lager entstand Bewegung. Man hörte Rufen und einigen Lärm und dann öffnete sich knarrend ein in den Palisaden eingelassenes breites Tor. Hauptmann Alwa war mittlerweile mit seinem Zug bis unmittelbar vor das Tor gelangt und als es sich vor ihm auftat, ritt er voran in das Lager ein, auf einen kleinen Platz, auf welchem sich rundum ein paar elende Hütten erhoben, während an den Berg gelehnt ein etwas größeres Bauwerk mit einem Vordach stand, daß außerdem über eine kleine Terrasse verfügte. Es war Numrods Amtssitz. Eben verließ er das Innere seiner Behausung und begrüßte Alwa mit erhobenen Armen, während sich dieser von seinem müden, staubigen Gaul schwang. "Ich grüße dich, A1wa. Du bist mir willkommen. Ich brauche neue Kräfte. Diese Leute hier haben noch nichts gearbeitet, sie sind daher frisch und ausgeruht. Ich lasse sie gleich in den Berg hinab schaffen." "Mache mit ihnen was du willst", antwortete Alwa rauh. "Aber wenn du an ihnen Freude haben willst, dann lasse sie einen Tag ausschlafen." "Ausschlafen?" Numrod lachte. "Du machst Scherze! Du kannst ruhen, wenn du willst, du bist mir willkommen. Aber diese hier kommen sofort an ihre Arbeitsplätze." "So laß sie wenigstens trinken." "Trinken sollen sie. Unten im Berg ist es kühl und feucht, sie werden aufleben. Du siehst, ich bin gut zu ihnen, obwohl sie es nicht verdienen." Mittlerweile war der Zug der Gefangenen zum Stillstand gekommen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die Krieger hatten rings um sie Aufstellung genommen. Aus den Hütten guckten neugierige Gesichter der Bewachungsmannschaft, welche hier unter Numrods Befehl hauste. Numrod trat bis an den Rand seiner Terrasse vor. "Gefangene", rief er. "Ihr seid Sklaven der Atlanter, ihr habt das Gebot des Königs gebrochen und nur seiner Gnade habt ihr es zu verdanken, daß ihr nicht schon längst getötet seid, sondern euch Gelegenheit gegeben ist, für Atlantis noch etwas Nützliches zu vollbringen. Meine Männer werden darauf achten, daß ihr das auch tatsächlich tut und keiner von euch auf andere Gedanken kommt. Versucht nicht, von hier zu fliehen. Es würde euren sofortigen Tod bedeuten. In der Tiefe unter den Felsen modern die Gebeine jener, die es versucht haben, ihr könnt sie euch ansehen, damit euch die Lust zu fliehen vergeht. Leute, führt sie an das Felsenloch, damit sie einen Blick hinunterwerfen." Alwas Männer kannten den Brauch hier oben. Sie trieben die Gefangenen bis vor einen schmalen Spalt an der Felswand und hießen sie einzeln an diesem vorbeigehen. Der Anblick, der sich von hier aus bot, war tatsächlich dazu angetan, jeden Mut im Keim zu ersticken. Es ging senkrecht viele Meter tief hinab. Unten, in einem Felseinschnitt, krächzten Geier; sie hielten ihr grausiges Mahl von den Körpern derjenigen, welche in den Tiefen des Bergwerks oder auch tatsächlich auf der Flucht ums Leben gekommen waren. Als die Gefangenen diesen trostlosen Ausblick genossen hatten, mußten sie erneut vor Numrod antreten. "Ihr seht also, was euch bevorsteht. Seid daher gehorsam. Es ist das Beste, was ihr tun könnt. Und seid nicht faul, sonst werden wir euch das abgewöhnen. Vergünstigungen gibt es für niemand, macht euch in dieser Hinsicht keine Hoffnungen. Ich sehe, es ist euch heiß in der Sonne. Deshalb sollt ihr sogleich hinab ins Bergwerk. Dort ist es kühl und dunkel und über zu viel Wärme und Licht werdet ihr nicht zu klagen haben. Seht euch die Sonne ruhig noch einmal an. Ihr werdet sie nie mehr wiedersehen." Nun befahl Alwa seinen Leuten, zurückzutreten. Fast gleichzeitig nahmen Numrods Wachmannschaften ihre Plätze ein. Unter den Gefangenen entstand ein Geheul. Sie jammerten, zeterten oder schüttelten fluchend die Fäuste. Aber die Männer Numrods waren solche Verzweiflungsausbrüche gewöhnt. Sie schlugen auf die Gefangenen ein und trieben sie in einen schräg nach abwärts in die Tiefe des Berges führenden Stollen, in dem sie, einer nach dem anderen verschwanden. "Das wäre erledigt", sagte Alwa erleichtert. "Ich bin immer froh, wenn es so weit ist. Nun habe ich Durst auf ein Glas Wein. Ein kühler Trunk, denke ich, wird mir jetzt gut tun." Lachend lud ihn Numrod ein, sein Haus zu betreten. * Hauptmann Wusso hatte dienstlich den Pavillon im Garten des Königsschlosses aufgesucht, um sich von der Anwesenheit und dem Befinden der drei weiblichen Gefangenen zu überzeugen. Nif-Iritt nahm sein Erscheinen kaum zur Kenntnis. Sie stand von ihrem Ruhelager, auf dem sie vor sich hin döste, nicht auf um den Hauptmann zu begrüßen. Gül-Gül lag seit ihrer Ankunft unter dem Vordach des Pavillons. Dank der Pflege Sils ging es ihr besser und ihre Wunden begannen zu heilen. Nif-Iritt hätte jetzt Gelegenheit gehabt, dem Hauptmann gegenüber ihren Wunsch nach Entfernung Gül-Güls zu äußern. Aber war es, daß sie die vorwurfsvollen Blicke Sils fürchtete, oder vielleicht auch, daß sie selbst dazu zu träge war - sie schwieg. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
So blieb Gül-Gül in ihrer Gesellschaft, obgleich sie sie nicht im Pavillon duldete. Sil hingegen schenkte dem Erscheinen Hauptmann Wussos mehr Aufmerksamkeit. Sie hatte sich aus den Erzählungen Gül-Güls einen Reim darauf gemacht, was in jener Nacht geschehen war. Und sie bangte nun um die Flucht Nef-Natons, deren Gelingen unter Umständen für sie alle von entscheidender Bedeutung werden konnte. Während sich Gül-Gül aus Furcht vor Wusso in den Schatten eines Gebüschs verkroch, trat, Sil an den Hauptmann heran, um ihm Fragen zu stellen. "Ihr habt die arme Gül-Gül arg genug zugerichtet"," begann sie das Gespräch. "War das nötig? Seid ihr Atlanter wirklich so grausam, seid ihr es vor allem auch Frauen gegenüber?" Wusso setzte eine abweisende Miene auf. Grausam?" fragte er. "Was heißt hier grausam? Dieses Mädchen hat es sich selbst zuzuschreiben, daß sie diesen jämmerlichen Anblick bietet. Sie hätte bloß zu reden brauchen. Ich habe sie oft genug dazu aufgefordert." "Hättest du an ihrer Stelle Verrat geübt?" "Ich befand mich nicht an ihrer Stelle", wollte Wusso das Gespräch abbrechen und gehen. Sil hielt ihn zurück. "Deine Grausamkeit hat dir nichts genützt Wusso", sagte sie. Es klang wie eine Feststellung und tatsächlich überhörte der Hauptmann die Frage, die sich eigentlich hinter diesen Worten verbarg. "Daran siehst du, daß ich viel zu nachsichtig war und zu lange gezögert habe", entfuhr es ihm ärgerlich. Sil konnte es nicht verhindern, daß ein triumphierendes Lächeln über ihre Züge glitt. "Was habe ich mit dir zu schaffen?" fauchte Wusso ärgerlich. "Laß mich gehen Weib. Dieser Ägypter wird nicht weit kommen. Unsere Schiffe machen auf ihn Jagd. Du triumphierst zu früh und deiner dickköpfigen Freundin kannst du sagen, daß ihr Opfer vergeblich war." Wütend ging er von dannen. Obwohl die letzten Worte Sil mit neuem Schrecken erfüllt hatten, frohlockte sie innerlich. Sie lief zu Gül-Gül, mit der sie jetzt eine aufrichtige und herzliche Freundschaft verband. Sich über sie beugend, ergriff sie ihre Hand und sagte: "Hast du den zornigen Wusso gehört? Gül-Gül, es ist geglückt, Nef-Naton ist aus dem Hafen entkommen!" Ein Glänzen der Freude ging über Gül-Güls Gesicht. "Wahrhaftig!" rief sie. "Du hast das schlau gemacht, Sil. Du hast ihn richtiggehend ausgehorcht. Er ist auf deine Fragen hereingefallen wie ein unerfahrener Junge." "Sei still, Gül-Gül, sonst kommt er zurück. Ich bin froh, wenn ich diesen Mann nicht sehe." "Und ich erst", sagte Gül-Gül seufzend. "Das kann ich begreifen", meinte Sil. "Aber wenn die Schiffe Nef-Naton tatsächlich einholen? Oder wenn er in einer so schrecklichen Sturm gerät, wie die Galeere? Dann war alles vergebens und wir sind verloren", sagte Gül-Gül düster. "Es bleibt uns nichts übrig als zu den Göttern zu beten und zu hoffen, daß Nef-Naton Glück hat", antwortete Sil. "Sein schwerstes Stück hat er ja geschafft, ein Boot zu bekommen und aus dem Hafen zu verschwinden." "Ja, nachdem es Wusso gesagt hat, glaube ich selbst, daß es ihm geglückt ist und nun bin ich erst richtig froh, daß ich so standhaft war und nicht eher redete." "Vielleicht haben nur Minuten darüber entschieden", meinte Sil. ,,Ja vielleicht. Ich schwieg so lange ich konnte. Sil, wie geht es Nif-Iritt? Fragt sie nach mir?" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Nein, sie fragt nach niemand", antwortete Sil gleichgültig. "Verschwende nicht deine Zuneigung an eine Unwürdige. Ich bedaure Telaus, wenn er sie einmal wirklich zum Weibe bekommt. Sie ist eine kaltherzige und berechnende Frau, die nichts als ihren Vorteil im Auge hat. Sie ist dumm und eitel. Im Glanze ihres Hofes wurde mir das weniger bewußt als jetzt, wo sich ihre Eigenschaften unverhüllt offenbaren." "Aber wir sollten es ihr doch sagen", meinte Gül-Gül. "Was?" "Nun, das mit Nef-Naton. Seine geglückte Flucht, meine ich." Sil schüttelte den Kopf. "Jeder anderen würde ich es sagen, ihr aber nicht. Denke daran, daß sie es war, die dich verraten hat. Wusso war bereits dabei, dich laufen zu lassen, da plapperte die Dummheit aus ihr. Wer weiß, was sie anstellt, wie sie Nef-Naton oder sogar uns und sich selbst schaden kann, wenn es herauskommt, daß sie unterrichtet ist." Aber Wusso wird glauben, daß wir es ihr sagen." "Wusso wird sich hüten, jemandem mitzuteilen, daß er sich verraten hat." "Wenn sie ohnehin Jagd auf Nef-Naton machen, so ist es doch unsere Vorsicht unnötig. Es kann nicht schlimmer kommen, als daß sie ihn fangen und alle Mühe vergebens war." "Doch Gül-Gül. Glaube mir. Und wenn es nur darauf hinausläuft, daß man uns drei trennt. Du siehst, wie hermetisch sie uns von der Außenwelt abschließen und wie sie darauf bedacht sind, daß nichts von dem, was draußen geschieht, an unser Ohr gelangt. Weißt du, was König Amur plant? Was er mit Nif-Iritt vorhat? Ich weiß es nicht. Und da ihr Schicksal offenbar mit dem unseren verknüpft ist, heißt es vorsichtig sein. Das gebietet unser eigenes Interesse." "Gül-Gül sah das ein und schwieg. Sil half ihr, sich zu erheben. Sie brachte Gül-Gül zurück in den Schatten des Pavillons, wo sie sich nachdenklich niederließ. * Unterdessen hatten Prinz Torgo und sein Diener Jargo das Königsschloß erreicht. Erleichtert atmeten beide auf. "Nun sind wir in Sicherheit und können ungestört sprechen", meinte Torgo. "Setzen wir uns unter jene Palme, Jargo und halten wir eine kurze Beratung ab." Auf einen Wink Jargos eilten Diener herbei, welche ihre Pferde in die Stallungen brachten. Dann betraten Torgo und er den prächtigen, an der Rückseite des Schlosses angelegten Garten, wo sie sich im Schatten einer Palme niederließen. "Sind wir auch beim Verlassen des Tempelbezirkes nicht gesehen worden?" fragte Jargo besorgt. "Ich habe niemanden bemerkt", antwortete Torgo. "Und wenn auch, nun ist es einerlei." "Was hast du gesehen?" "Ich sah den Götzen von rückwärts, Jargo." "Und? Spanne mich nicht auf die Folter, sprich." Der Prinz mußte über die Ungeduld Jargos lächeln. "Nimm dich zusammen, Jargo", sagte er, "du wirst allen Verstand brauchen, um es zu begreifen. Höre, der Götze ist hohl." "Was - hohl?" staunte Jargo. "Ich dachte immer, er sei voll und ganz aus purem Gold und sein goldener Leib besäße eine lebendige Seele..." Jargo wehrte ab. "Er ist tot Jargo, leblos - einfach leblos und die Priester halten das Volk zum Narren." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Aber wie kann er dann sprechen?" fragte Jargo im Tonfall höchster Verwunderung. "Eben deshalb, weil er hohl ist. Und nun glaube ich nicht einmal, daß sie ihn aus Gold gemacht haben. Nein, ich glaube Shidra und seinen Leuten gar nichts mehr." Nun lächelte Jargo ungläubig. "Höre Herr", sagte er. "Es gibt kein anderes Metall als Gold, welches so gelb ist und glänzt." "Das weiß ich", entgegnete Torgo. "Aber Gold ist kostbar Jargo und diese Priester sind nun einmal Betrüger. Vielleicht haben sie das Gold, welches zum Guß des Götzen bestimmt war, für sich behalten und das Standbild aus einem anderen Material angefertigt, welches wir nicht kennen." "Das muß noch vor Shidras Zeit gewesen sein." "Die damaligen Priester waren nicht anders als unsere heutigen. Sie haben Bel schon damals hohl gebaut, mit einer schmalen Treppe, durch die man heimlich nach oben, in den Kopf der Figur gelangen kann." "In den Kopf? Was soll man in seinem Kopf?" "Die Worte sagen, welche Bel spricht - alles was man aus seinem Munde hört, kommt in Wirklichkeit aus dem Munde eines Priesters, der im Inneren der Statue verborgen ist." Jargo begriff jetzt voll und ganz. Er erblaßte unwillkürlich und seine Hand fuhr nach dem Dolch. "Das ist Betrug Prinz", stieß er hervor und er hatte Mühe, ruhig sitzen zu bleiben. "Ja, das ist Betrug" bestätigte Torgo "und darum ist auch mein Plan bezüglich Bethsebas gefaßt und beschlossen." "Wir befreien sie?" "Wenn es geht, noch heute Nacht." "Gut Prinz. Ich bin dabei." "Wir müssen sehen, wie wir heimlich in den Tempelbezirk gelangen, wenn nötig, wieder durch einen Wassergraben." "Und wohin willst du Bethseba bringen?" "In das Schloß. Ich will sie hier verstecken, vielleicht in einem Turmgemach Jargo, oder in einem der Kellerräume, jedenfalls so, daß sie niemand findet." "Und wenn die Priester sie suchen kommen?" "Du hast recht", sagte Torgo finster, "sie haben stets Argumente, denen man schwer beikommen kann und wenn wir ihnen den Zutritt zum Schloß verwehren, wiegeln sie womöglich das Volk auf." "Einerlei", sagte Jargo, "Bethseba muß fortgebracht werden. Irgendwohin, wo sie der Gewalt Shidras und Taafs entzogen ist." "Ich will darüber nachdenken", meinte Torgo. "Und wie ist es, wenn du mit dem König darüber sprichst, Prinz?" schlug Jargo vor. Torgo schüttelte energisch den Kopf. "Du weißt, daß ich meinen Vater liebe Jargo", sagte er. "Aber das kann ich nicht riskieren. Mein Vater hat viele Interessen wahrzunehmen. Er muß nach allen Richtungen hin überlegen und unser Plan würde seinen Überlegungen zum Opfer fallen. Wenn er kann, weicht er Streitigkeiten mit den Priestern aus." "Das verstehe ich." Jargo sah nachdenklich drein. Plötzlich kam ihm ein neuer Einfall. "Und wie wäre es" sagte er, "wenn wir sie heimlich fort von Atlantis brächten, hinaus aufs Meer, auf eine Insel? Oder ins Innere des Landes in die Berge vielleicht?" Torgo überdachte kurz diesen Vorschlag. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Das hat etwas für sich, Jargo. Aber unsere Abwesenheit würde auffallen. Nein, ich denke an etwas anderes - an einen Raub des Opfers, der so geschieht, daß man uns keinen Verdacht nachsagen kann, selbst dann wenn die Priester ahnen, daß wir dahinter stecken." "Das wäre freilich ein Streich", meinte Jargo und rieb sich in der Vorfreude der kommenden Abenteuer vergnügt die Hände. "Diesen Betrügern gönne ich es, daß man ihnen das Blutopfer des Bel vor der Nase wegschnappt." "Es wird geschehen, Jargo", lachte Torgo und schlug seinem Freund und Diener unternehmend auf die Schulter. * Nef-Naton hatte sein Boot "Nußschale" getauft. Der Taufakt hatte sich ganz im Stillen, sozusagen nur im Gehirn des Ägypters vollzogen. Aber die Namensgebung hatte für Nef-Naton etwas Beruhigendes an sich. Nun erst fühlte er sich so richtig Herr auf den schmalen Planken und er konnte nun mit dem Boote Zwiesprache halten wie mit einem lebenden Wesen und er wußte, wie er es zu nennen hatte, wenn er das einmal wollte. Es drängte Nef-Naton oft, zu dem Boote zu reden. Die Einsamkeit der unendlichen Wasserfläche des Ozeans wirkte auf seine Nerven beinahe lähmend und er vermißte Gül-Gül, die heitere, muntere, sangesfreudige Gül-Gül. Freilich, singen konnte auch er, aber er fürchtete, damit die Fische zu verscheuchen. Und deren bedurfte er dringend... Jedesmal wenn er das Netz leerte, sah er, daß der Meergott seinen Tisch gedeckt hatte. Aber anstatt ihm dankbar zu sein, murrte er in sich hinein, denn es kostete ihn Überwindung Tag für Tag rohen Fisch und rohe Krabben zu essen. Freilich, am Hofe des Pharao hatte es andere Leckerbissen gegeben. Und der Wein, den er sich sparsamst rationiert hatte, reichte in so kleinen Mengen genossen kaum hin, seinen brennenden Durst zu stillen, geschweige denn, seinen Kummer zu ertränken oder gar, seinen Mut zu stählen. Und gerade dessen hätte Nef-Naton sehr bedurft. Zwar schaukelte die "Nußschale" still und friedlich vor dem Wind dahin und der Horizont war klar und der Himmel wolkenlos. Nichts und niemand war zu erblicken und dieser Umstand hätte eigentlich auf Nef-Naton beruhigend wirken müssen. Aber Nef-Naton hatte die Schnelligkeit der Boote der Atlanter kennengelernt. Er wußte, daß sie sich Zeit lassen konnten, zur Verfolgung aufzubrechen. Und er fürchtete diese Verfolgung. Sie war, wenn die Götter kein Einsehen hatten, das Ende seiner Flucht. Nef-Naton zitterte vor dem Augenblick, zu dem er hinter der Linie des Horizontes einen dunklen Punkt auftauchen sehen würde, der sich rasch vergrößern und näher kommen, einen Punkt der sich als eines der gefürchteten atlantischen Schiffe entpuppen würde. Und er fürchtete besonders und gleichzeitig völlig unsinnig, daß dieses Ereignis vielleicht bei Nacht eintreten könne, daß ihn die Atlanter womöglich im Schlafe überraschten, als ob es bei Tage anders gewesen wäre! Er tat fast kein Auge zu und döste dafür auch des Tags in einer Art Halbschlaf vor sich hin, aus dem er nur gelegentlich aufschrak. Jedes laute Wellengeräusch, das Klatschen des Aufschlages der aus dem Wasser springenden Delphine, die sein Boot umspielten, ließ ihn erschrecken. Aber nichts ereignete sich, was einer Bedrohung seiner Freiheit und Sicherheit gleichgekommen wäre und so fuhr Nef-Naton denn weiter dahin, seinen Kurs und sein Leben den Göttern Ägyptens anvertrauend. Einmal - so sagte er sich - mußte er eine Küste erreichen, die Küste die hoffentlich eine rettende war.
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* König Amur saß in seinem Arbeitsgemach und starrte durch die Zwischenräume zwischen den Säulen, welche die Decke des Raumes trugen, hinab auf seine Residenzstadt. Zu seinen Füßen lag der Garten mit dem Pavillon, in welchem die gefangene ägyptische Königstochter lebte. Er hatte sie oft, wenn sie sich mit Sil im Garten erging von hier aus beobachtet, ohne daß sie es ahnen konnte. Er gestand sich ein, daß sie ein schönes Mädchen war. Des Königs Haar war weiß und er wußte es. Aber Torgo war stark und jung und eines Tages würde der Tag kommen, an dem es gut war, sich unter Prinzessinnen der umliegenden Reiche nach einer Frau für ihn umzusehen. Ägypten... Es war schon lange König Amurs Wunsch gewesen, zu einem Bündnis mit Ägypten zu gelangen, zu einem Bündnis gegen die Griechen, die Atlantis Küsten näher lagen, über gut gedrillte und kampflustige Krieger verfügten und die König Amur insgeheim als Bedrohung für die Sicherheit des Landes empfand, so wie es auch seine Vorfahren getan hatten. Der Griechen wegen war das Gesetz erlassen worden, daß Fremden das Betreten atlantischen Bodens bei Todesstrafe verbot und dessen Opfer nun die Besatzung der ägyptischen Galeere geworden war. Aber Ägypten hätte unter Umständen einen guten Verbündeten gegen Griechenland abgegeben. Die unselige Abschnürung der Insel vor der Außenwelt hatte jedoch dazu geführt, daß nun alles anders gekommen war. König Telaus war schlau, wenn er die Tochter des Pharaos zum Weibe nahm, schaffte er sich einen starken Verbündeten gegenüber anderen Mächten, die vielleicht bedrohlich werden konnten. Und daß Nif-Iritt hübsch anzusehen war das konnte wohl niemand bestreiten. Nein, Nif-Iritt war schön, sie besaß jene schillernde, gefährliche Schönheit, die Männer allzu leicht um den Verstand bringt und offenbar wußte sie es Der König dachte an die Möglichkeit, einen Boten an den Hof des Pharaos zu entsenden. Dazu war es aber gut, die dortige Stimmung und die Machtverhältnisse an diesem Hofe zu kennen. König Amur wußte nur zu gut, daß Herrschen im eigenem Hause nicht minder schwer ist als außerhalb. Der König überlegte, ob es ratsam sei, aus Nif-Iritt herauszuholen, was er wissen mußte. Aber jedesmal, wenn er sich Nif-Iritt vergegenwärtigte, verwarf er diesen Gedanken wieder. Denn Nif-Iritt war alles in allem ein verspieltes, listiges Kind. Amur schätzte ihre Verstandesgaben nicht hoch ein. Er glaubte, annehmen zu dürfen, daß sie den politischen Verhältnissen am Hofe ihres Vaters kaum Interesse gezollt und noch weniger sie so eingehend beachtet hatte, daß er sich aus ihren Aussagen hätte ein Bild machen können. Von Nif-Iritts Dienerinnen hatte König Amur keine viel bessere Meinung. Und die gefangenen Galeerensklaven? Der Gedanke an sie war zu lächerlich, um weiter verfolgt zu werden. Aber waren mit der Galeere nicht auch andere Leute in Gefangenschaft geraten? Vielleicht war es ratsam, die Leute von der Galeere näher zu besehen. Zwar waren sie schon nach dem Bergwerk abgegangen - aber ein Schreiben an Numrod würde genügen. Man könnte auch dem Prinzen Gelegenheit geben, Nif-Iritt näher kennenzulernen. Vorausgesetzt natürlich, daß Nif-Iritt wirklich eine Tochter des Pharao war. In dieser Hinsicht sah der König noch nicht klar. Je länger er Nif-Iritt beobachtete, umso mehr war er geneigt, ihren Worten Glauben zu schenken. Und die Gefangennahme von Gül-Gül mit allen damit verbundenen Umständen sprach gleichfalls dafür. Wie konnte man sich Gewißheit verschaffen? Einen heimlichen Boten nach Griechenland entsenden, einen Spion, der auskundschaften sollte, was an der Geschichte Wahres war und ob König Telaus vergeblich seine Braut erwartete?
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Die Sache war zu langwierig und zu gefährlich. Und im übrigen hatte man einen großen Fehler gemacht. Die aufgebrachte Galeerenbesatzung war behandelt worden wie die eines Kauffahrerschiffs ohne besondere Bedeutung. Man hatte die Leute gefangen genommen und ins Bergwerk gebracht. Aber gerade in diesem Falle wäre es nötig gewesen, sie vorher eingehenden Verhören zu unterziehen. Nun, das ließ sich immer noch nachholen. Vielleicht gab es tatsächlich einen Mann unter diesen Leuten, einen einzigen nur, der alle Fragen zufriedenstellend beantworten konnte. Der König setzte sich hin, rollte ein Papyrusblatt auseinander und schrieb an Numrod. "An meinen Diener Numrod, den Verwalter und Oberaufseher des Kupferbergwerks von Amur, dem König der Atlanter. Es ist mit den Gefangenen von der ägyptischen Galeere so schnell verfahren worden, daß die Überlegung den Ereignissen nachhinkt. Es scheint mir ratsam, aus den Reihen der Gefangenen einen Mann der dazu geeignet scheint, auszuwählen und eingehend zu befragen. Wähle einen von den Männern aus und sende ihn mir unter Bewachung. Du wandelst in meiner Huld." Der König rollte das beschriebene Papyrus zu einer Rolle zusammen und versiegelte sie. Dann bewegte er eine an der Wand befestigte Metallfolie, welche einen eigentümlich singenden Ton von sich gab, der einen Diener herbeirief. "Veranlasse einen Boten sogleich nach dem Bergwerk zu Numrod zu reiten," befahl der König. "Diese Rolle ist ihm zu übergeben. Der Bote kann auf dem Rückweg den Mann, den ihm Numrod übergeben wird, sogleich mit sich nehmen. Aber es ist gut, wenn Numrod noch einen zweiten Mann zur Bewachung beistellt." "Es wird geschehen Herr", antwortete der Diener und entfernte sich mit der Papyrusrolle, während König Amur sich anderen Geschäften zuwendete, von denen seine Gedanken aber immer wieder zurückkehrten zu Nif-Iritt. * Taaf fuhr erschrocken zurück. Er hatte den Löwen in der Grube eben ein gewaltiges Stück Fleisch hinabgeworfen. Aber eine der Bestien war an den Rand der Grube soweit hochgesprungen, daß Taaf schon glaubte, ihren heißen Atem zu spüren. "Genug", meinte er, "sie haben genug für heute!" Er winkte den Tempeldienern zu, die Fütterung zu beenden und ging dann gemessenen Schrittes hinüber nach dem Opferplatz. Dort stand noch immer der hölzerne Käfig, in welchem Bethseba die Stunde erwartete, zu der sie das Opfer Bels werden sollte. Die Diener, welche Taaf begleiteten, trugen einen Krug mit Wasser und Fladen, welche Bethseba als Nahrung dienen sollten. Bethseba sah die Männer kommen. Sie erhob sich vom Boden des Käfigs. Taaf blieb hohnlächelnd vor ihr stehen. "Nun", fragte er, "wie ist es? Dein Gott scheint dir nicht in deiner Lage zu helfen." Bethseba gab ihm keine Antwort. "Es gibt keinen Gott außer Bel", fuhr Taaf finster fort "und den großen Vater der Atlantiden, Poseidon. Aber Poseidon thront weit fort in den Wolken und Bel ist gegenwärtig. Du wirst ihn sehen und er wird dein Blut trinken. Dann wirst du an seine Macht glauben Mädchen, in der Stunde des Todes wirst du sie erkennen." Immer noch gab Bethseba keine Antwort. "Der Schreck hat sie stumm gemacht", grinste Taaf höhnisch. "Gebt ihr das Wasser und die Fladen, damit sie am Tage der Opferung bei Kräften ist. Bel will ein gesundes, lebendiges (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Opfer." Die Diener gehorchten. Sie schoben die Fladen durch die Stäbe und stellten den Krug knapp daneben, so daß Bethseba aus ihm, wenn sie mit der Hand durch die Stäbe griff, ihre Schale füllen konnte. Danach entfernten sich die Männer langsam, nicht ohne sich einige Male nach Bethseba umzuwenden, die in ihrer Stellung verharrte, bis Taaf und die Tempeldiener im Gebüsch verschwunden waren. Dann glitt sie langsam auf den Boden nieder und ihre Wimpern wurden feucht von kaum zurückgehaltenen Tränen. Sie kauerte in sich völlig zusammengesunken, neben der bitteren Gabe. "Und der Herr sprach zu Abraham. Ziehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, welches ich dir zeigen will und ich will dich zu einem Volke machen und dich segnen und dir einen großen Namen machen. Ja, du sollst selbst der Segen sein. Wer dich segnet, den will ich auch segnen und wer dich verflucht, dem will ich auch fluchen. Und in dir sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden. Laut aufschluchzend warf sie sich nieder. Hatte der Herr den Bund gebrochen? Hatte Taaf, hatten diese Atlanter recht? War Bel der mächtige, wahre Gott? Und - Jehova? Wo war er? * Taaf kam gerade zurecht, als einer der Spione Shidras diesem Bericht erstattete. "Ja", sagte der Spion, "ich sah den Prinzen und seinen Diener Jargo." Shidra wandte sich nach Taaf um. "Höre", rief er ihm zu, "höre was dieser Mann uns zu berichten weiß. Ich glaube das wird dich interessieren." "Ich höre", erklärte Taaf und seine Miene war unheilverkündend. "Rede Mann." Ich sagte schon, ich sah den Prinzen und seinen Diener Jargo", wiederholte der Spion, eine kriecherische Natur, "sie verließen die Stadt und ritten durch das Wasser nach dem Tempelbezirk. Sie blieben eine ganze Weile, dann kehrten sie fast an der gleichen Stelle wieder zurück." "Sie werden den Tempel besucht haben", meinte Taaf. "Wenn es weiter nichts ist!" "Aber um diese Tageszeit," fragte Shidra mißtrauisch "und auf diesem Wege. Sie konnten doch die Brücke passieren, welche vom Schloß herüberführt und die stets geöffnet ist. "Du kennst Torgo", meinte Taaf. "Torgo ist immer eigenwillig und vielleicht hat es ihn gereizt, den Krokodilen Trotz zu bieten." "Aber es waren an dieser Stelle gar keine Krokodile", warf der Spion ein. "Da hörst du es", meinte Taaf triumphierend. "Da waren gar keine Krokodile! Um so klarer ist es. Er wollte einfach nach dem Tempel und der Umweg zur Brücke aus dem Königsschloß war ihm zu groß" "Ja, aber weshalb wollte er zum Tempel?" "Weshalb? Welche Frage! Um zu Bel zu beten, natürlich! Seine Sehnsucht nach Bel war so groß, daß er seine Ungeduld gar nicht zügeln konnte. - Nein Bursche", wandte er sich an den Spion. "Diesmal erhältst du nichts für deine Botschaft. Sie ist nichts wert. Pack dich und komme, sobald du interessantere Nachricht hast wieder." "Und ich dachte, es sei wichtig", brummte der Mann und verdrückte sich unter unwilligem Gemurmel. Ich begreife dich nicht", sagte Shidra, nachdem der Spion gegangen war. "Wie kannst du nur diese Nachricht unterschätzen!"
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"Wer sagt dir denn, daß ich das tue?" grinste Taaf. "Ich wollte uns nur die Belohnung für den Spion ersparen, das war alles! Selbstverständlich begreife ich sehr gut, daß es sich um eine wichtige Nachricht handelt. Es ist mir klar, daß Torgo nicht aus reiner Sehnsucht nach Bel auf diesem Weg in den Tempelbezirk eingedrungen ist." "Aber was kann er nur gewollt haben?" fragte Shidra. Ihm war offensichtlich nicht wohl in seiner Haut. Taaf sah ihn an und mußte unwillkürlich lachen. "Was kann er schon gewollt haben?" fragte er gut gelaunt. "Vielleicht wollte er uns belauschen? In unsere Geheimnisse eindringen? Wer weiß es?" Wieder lachte Taaf. "Der und uns belauschen? Dazu ist er zu unerfahren. Seinem Vater würde ich das zutrauen, aber der wieder ist zu einem solchen Unternehmen zu alt. Ich glaube, ich kann dir sagen, was Torgo hier auf unserer Insel gewollt hat und dich damit zugleich auch beruhigen, wie ich hoffe." "Sprich", drängte Shidra. "Was glaubst du, von wem ich komme?" fragte Taaf. "Von den Raubtieren..." "- - und von dem Sklavenmädchen, von Bels Opfer... Ich glaube, Torgo hat sie aufgesucht, sie ist hübsch das muß ich zugeben. Vielleicht erhofft er sich ein Liebesabenteuer." "Mit der Gefangenen?" fragte Shidra entsetzt. "Bist du rasend? Sie gehört Bel." "Sachte, sachte. Bel ist eine Metallfigur das weißt du so gut wie ich. Aber Torgo ist nicht tot, er lebt verstehst du?" "Nein", keuchte Shidra aufgebracht und lief in seinem Raum umher indem er vergeblich versuchte, sich zu beruhigen." Der Prinz gehört unserem Glauben an. Er hat zu glauben, was die Lehre Bels vorschreibt. Er muß wissen, daß dieses Mädchen dem Opfertod geweiht ist." "Das weiß er wohl. Es ist gewiß ganz harmlos! Er wollte sie sehen, mit ihr sprechen, sich unterhalten, weiter nichts!" "Auch das ist schon Verrat an Bel", tobte der Hohenpriester. "So beruhige dich doch", verlangte Taaf verärgert. "Ich weiß ja gar nicht, ob er es wirklich getan hat. Es ist ja nur eine Vermutung." Shidra blieb stehen und holte tief Atem. "Du bist klug, Taaf", sagte er, "und deine Erklärung leuchtet mir ein. Es wird schon so sein, wie du sagst." "Möglich..." "Und wenn es so ist, dann müssen wir etwas unternehmen. Aus solchen Besuchen kann sich manches entwickeln. Der Prinz neigt zum Aufruhr gegen die geistliche Gewalt, begreifst du Taaf? Und das darf er nicht, wir müssen ihn gefügig haben, um an ihm das Werk zu vollenden, daß wir an seinem Vater so mühselig begonnen haben." "Was willst du tun?" fragte Taaf. "Ich habe das Opfer für die Nacht des Vollmonds festgesetzt", brummte Shidra nachdenklich. "Das sind zwei mal sieben Tage. So lange brauchen wir für die Vorbereitungen. Es soll ein Fest werden, wie es Atlantis noch nicht erlebt hat." "So lange", meinte Taaf, "können wir das Mädchen unmöglich an seinem jetzigen Ort belassen." "Ganz recht", pflichtete Shidra bei. "Wir bringen sie in einen Keller des Tempels - und niemand darf erfahren, wo sie geblieben ist." "Dann muß es heimlich geschehen", meinte Taaf. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Wir beide werden es machen heute Nacht, nach der Andacht, wenn der Tempelbezirk still und verlassen ist. Niemand wird uns beobachten. Morgen früh wird das Mädchen bereits verschwunden sein." "Ich denke doch, daß es gut ist, wenn wir ein oder zwei verläßliche Männer mitnehmen", meinte Taaf vorsichtig. "Man weiß nicht, was passieren kann." "Schön", pflichtete Shidra nach kurzem Überlegen bei. "Also", sagte Taaf, "dann geschieht es heute Nacht!" * Der Bote des Königs erreichte das Bergwerk auf schnellem Pferde noch am gleichen Abend. Das Tier war ganz abgehetzt. Er hatte unterwegs die heimkehrende Kolonne Hauptmann Alwas getroffen und mit dem Hauptmann ein paar kurze Worte gewechselt. Der Bote hatte zwar keine Ahnung von dem Inhalt des Schreibens, aber so viel hatte er doch aus den Worten des Königs entnommen, daß sich Alwa einen Reim darauf machen konnte. "So ein Mist", schimpfte der Hauptmann rauh, "erst bringt man die Männer hin, dann holt man sie wieder zurück, es ist doch immer das Gleiche. Es gibt keine Organisation mehr. Der König wird alt. Es ist höchste Zeit, daß der junge Prinz an die Macht kommt. Dann wird gewiß vieles anders werden in Atlantis!" Dann war er mit seinen Leuten weitergezogen, der Hauptstadt zu, während der Bote weitergejagt war nach dem Bergwerk. Abgehetzt trabte das Pferd durch das Tor und Numrod erschien auf seiner Terrasse. "Was gibt es?" fragte er. "Ein Schreiben des Königs!" antwortete der Bote und übergab ihm die Papyrusrolle. "Es handelt sich, soviel ich weiß, um einen Mann den ich mitnehmen soll. Du sollst mir noch einen deiner Leute zur Bewachung mitgeben." "Tritt erst ein und stärke dich. Dein Pferd wird versorgt werden. Inzwischen werde ich den Brief lesen und den Befehl des Königs ausführen", antwortete Numrod. Während der Bote das Haus betrat, erbrach Numrod das Siegel und rollte die Rolle auseinander. Dann begann er das Schreiben des Königs mühsam zu entziffern. Es gab nicht viele Leute in Atlantis, die Lesen und Schreiben konnten und Numrods Kenntnisse waren auch nicht gerade die Besten. Aber sie reichten gerade dazu, daß er seinen Posten ausfüllen konnte. Während sich der Bote stärkte und sein Pferd betreut wurde, nahm Numrod den Inhalt des Briefes in sich auf und überdachte ihn. Er hatte von Alwa gehört, daß es sich um eine ägyptische Galeere gehandelt hatte, von der seine neuen Gefangenen stammten. Nur scherzhaft hatte Alwa erzählt, daß eine der Gefangenen von sich behauptete, eine ägyptische Königstochter zu sein. Numrod konnte zwar nur beschwerlich lesen, aber er war deshalb keineswegs dumm, ja man konnte bei ihm sogar von einer gewissen Intelligenz und Schlauheit sprechen. Jedenfalls sagte er sich, daß offenbar doch mehr hinter der Geschichte stecken mußte, als Alwa vermutete. Einen Mann sollte er dem König schicken, der über genügend Intelligenz verfügte, um einen guten Verräter abzugeben... Hm... Gab es einen solchen Mann überhaupt unter den Gefangenen? Numrod war selbst eigentlich schon eine ganze Weile lang nicht unter Tag gewesen. Es zog ihn gar nicht da hinunter, in die dunklen Schächte, die vom Sickergas und von den Dünsten lebendig verwesender Menschenleiber erfüllt waren. "Einerlei", knurrte er, "es scheint wichtig zu sein, ich muß hinunter. Ich muß sie sehen!" Er rief seinen Burschen und schärfte ihm ein, für das Wohl des königlichen Boten zu sorgen. Dann befahl er zwei seiner Männer zu sich und betrat den Stollen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Es ging schräg abwärts. Von Zeit zu Zeit brannten Fackeln an den Wänden, welche ein unheimlich flackerndes Licht verbreiteten. Dumpf klang der Nachhall der Schritte. Je tiefer die Männer kamen, um so schlechter und übler wurde die Luft. Es ging eine ganze Weile so bergab in das Innere des Berges hinein. Fast plötzlich traten dann die Wände des Stollens auseinander und man betrat eine ungeheure, weite Halle, welche durch unzählige Fackeln düster erhellt war. Man hatte unwillkürlich den Eindruck, sich bei Nacht im Freien zu befinden, so gewaltig war diese Höhle, von deren Wänden das Kupfer in Terrassen gewonnen wurde, die sich ihrerseits immer tiefer und tiefer in den Berg hineinfraßen, den Raum immer mehr erweiternd. Hier hallten die wilden Rufe der Sklaventreiber wider, das Stöhnen der Geplagten, das Geräusch der vielen Werkzeuge, mit denen hier hantiert wurde. Es war ein unwirkliches, gespenstisches Bild, das sich Numrod und seinen Begleitern bot. Aber sie kannten es und ihre Mienen verrieten weder Überraschung noch Staunen, wie dies bei einem fremden Besucher der Fall gewesen wäre. Einer der Aufseher wurde die Ankömmlinge gewahr und eilte herbei. "Herr", fragte er überrascht, als er Numrod erkannte. "Du hier?" "Das siehst du", antwortete Numrod mürrisch. "Wo sind die neuen Leute von der Galeere?" "Sie arbeiten dort drüben auf der ersten Terrasse", antwortete der Mann und wies seitlich nach oben. Numrod folgte ihm mit seinem Blick. "Lasse sie antreten, alle", befahl er. "Wie du befiehlst." Der Aufseher eilte, den Befehl zur Ausführung zu bringen. Numrod blieb stehen, wo er stand. Die beiden Männer, die mit ihm gingen, hatten sich Fackeln genommen und sie entzündet, so daß Numrods unmittelbare Umgebung einigermaßen erhellt wurde. "He - aufhören, ihr sollt aufhören! Habt ihr nicht gehört? Aufhören sollt ihr und herunter kommen!" brüllte der Aufseher nach oben. Eine ächzende, keuchende, müde Gruppe wankte teilnahmslos über die in den Stein gehauenen Stufen herab und nahm Numrod gegenüber Aufstellung, wie es der Aufseher befahl. "Hebt die Fackeln hoch und leuchtet ihnen in die Gesichter", verlangte Numrod. Die Gefangenen wußten nicht, was das bedeuten sollte. Es war ihnen auch gleichgültig. Sie waren zum Umfallen müde und hungrig und ihre Blicke waren stur und ohne Leben. Nur in einem Augenpaar blitzte geheime Hoffnung auf... Aber Numrod sah es nicht. Er ging an ihnen vorbei, sah in schweißverklebte, struppige Bärte, auf schmierige, gebeugte Körper. Diese Männer glichen einander völlig, nach wenigen Tagen schon. So geht es nicht, sagte sich Numrod. Und dann kam ihm ein Einfall. "Hände vorzeigen", befahl er barsch. "Haltet die Handflächen nach oben, damit ich sie sehen kann!" Wieder ging er langsam die Reihe der Gefangenen entlang. Sah in breite, schwielige Hände, deren Handflächen fast schon zu Horn geworden waren. Diesen Händen konnte die neue Arbeit nichts mehr anhaben. Es waren die Hände der Galeerensklaven. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Aber da kam eine, deren Handfläche war zerschunden und blutig. Es war die Hand, welche zu dem Augenpaar gehörte, das vorhin aufgeblitzt war. Numrod hatte es nicht bemerkt, aber diese Hände fielen ihm auf. "Vortreten", befahl er dem Mann. Nimbur gehorchte. Sein Rücken straffte sich. Er fühlte in sich ein heimliches Frohlocken. "Du warst kein Galeerensklave?" fragte Numrod. "Nein", antwortete Nimbur kurz. "Wer warst du dann?" "Ein Vertrauter des Pharao..." Die Blicke der beiden Männer ruhten ineinander, abwägend, tastend. Einer suchte vom anderen zu erfahren, was er von ihm zu halten habe. Und dann senkte Numrod unwillkürlich seinen Blick. Er spürte es, dieser Mann hier besaß einen dem seinen überlegenen Geist. Und Numrod haßte solche Männer. Er kam sich klein vor neben ihnen und spürte dann stets ein doppeltes Verlangen, ihnen und sich selbst seine Überlegenheit zu beweisen. "Zurücktreten", befahl er Nimbur. Enttäuscht trat der Ägypter in die Reihe zurück. Er konnte sich den ganzen Vorgang überhaupt nicht erklären. Numrod aber deutete auf einen, beliebigen Mann aus der Reihe der Sklaven. "Du dort", sagte er, "kommst mit." Der Mann war ein Nubier. Erstaunt gehorchte der Galeerensklave und folgte Numrod und seinen Begleitern nach oben, während der Aufseher Nimbur und die anderen wieder zur Arbeit trieb. Am anderen Morgen wurde der Nubier, der nicht wußte, wie ihm geschah, unter Bewachung in die Residenz gebracht. * Es war Nacht, als sich Torgo und Jargo wieder in den Tempelbezirk schlichen. Auch diesmal wählten sie nicht den Weg über die Brücke, sondern durchquerten etwas unterhalb derselben den Kanal. Torgo und Jargo hatten sich ihrer Kleidung entledigt und trugen sie gleich einem Turban auf dem Kopf, um sie trocken zu halten. Sie hielten ihre Dolchmesser zwischen den Zähnen und waren bereit, zuzustoßen und ihr Leben zu verteidigen, falls eine der gefährlichen Echsen sich zeigen sollte. Aber nichts geschah. Leise plätscherte das Wasser unter ihren kräftigen Schwimmbewegungen und unbehelligt kletterten sie an das Ufer des Tempelbezirkes. "Das wäre geschafft" flüsterte Jargo, die Nässe von sich schüttelnd und seinen Schurz wieder umnehmend. "Und jetzt zu Bethseba", forderte ihn Torgo auf. "Komm, wir wollen keine Zeit verlieren." Auch er kleidete sich rasch wieder an und gemeinsam drangen sie dann in das dichte Unterholz ein, in der Richtung in welcher sie die Gefangene wußten. Aus der Nacht klang das dumpfe Gebrüll der Löwen, die offenbar heute keinen Schlaf fanden. Irgend etwas hatte sie vielleicht aufgeschreckt. "Bleib stehen", warnte Jargo. "Hörst du die Löwen? Es ist Bethsebas Nähe Etwas geschieht dort." Die beiden standen still und lauschten.
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Endlich verstummte das Gebrüll und alles blieb still. Das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche in dem nahen Gewässer waren die einzigen Laute, welche sie hörten. "Es ist nichts", sagte Torgo. "Los, wir wollen uns nicht aufhalten." Sie huschten weiter. Die Dolche stoßbereit. Die Sinne voraus in das Dunkel gerichtet. Möglichst lautlos, gleich Schatten, schlichen sie sich dahin. Dann trat das Laubwerk auseinander und im fahlen Licht einer schmalen Mondsichel sahen sie vor sich den Platz und den Käfig. "Bethseba", entfuhr es Torgo. Mit schnellen Sprüngen erreichten sie den Käfig. Prallten zurück... "Leer!" rief Torgo ärgerlich. Jargo konnte es sich nicht erklären. "Das ist ein Wunder das Bel getan hat", zischte er abergläubisch und vor Schreck traten ihm fast die Augen aus den Höhlen. Torgo schlug ihm ärgerlich auf die Schulter. "Nein", zischte er. "Erwache Jargo! Das war nicht Bel das waren die Priester! Sie haben uns beobachtet und nun sind sie uns zuvorgekommen. Was es mit Bel auf sich hat habe ich dir gesagt, wie kannst du da noch an ein Wunder glauben!" "Die Priester haben sie fortgebracht?" fragte Jargo, noch immer zweifelnd. "Ja, und das ist schlimm, denn nun wissen wir nicht, wohin man sie gebracht hat." "Gewiß in den Tempel, Herr. Der Tempel hat unterirdische Kammern. Dort werden sie Bethseba versteckt halten bis zum Tage ihrer Opferung." Torgo ballte vor Enttäuschung und Grimm die Hände zu Fäusten. "Wenn mir jetzt Shidra in die Quere käme", sagte er, "oder Taaf, sie hätten nichts zu lachen, Jargo." "Was tun wir nun?" fragte Jargo. "Nichts", brummte Torgo. "Wir können nichts unternehmen." "Aber wenn wir versuchen wollten, in die Kammern des Tempels einzudringen..." "Das wäre verkehrt. Daß sie Bethseba weggeschafft haben, beweist, daß sie auf der Hut sind. Gewiß wird sie streng bewacht. Wenn wir versuchen wollten, jetzt an sie heranzukommen, würde man uns gewiß ergreifen." "Das wäre das Ende", sagte Jargo beklommen. "Gewiß, für Bethseba" sagte Torgo, der an die eigene Gefahr nicht dachte. "Wir müssen zurückkehren und überlegen. Im Augenblick können wir nichts unternehmen. Noch hat der Priester den Termin der Opferung nicht verkündet. Er muß Bethseba im Tempel ausstellen und den Gläubigen zeigen, welches Opfer Bel erwählt hat. Vielleicht gibt es hierbei eine Gelegenheit Jargo, zu einem kühnen Handstreich." "Das wäre tollkühn, Prinz. Du willst angesichts der Priester und der ganzen Menge des Volkes im Tempel -."Ich weiß noch nicht was ich will Jargo. "Hier ist nicht der Ort und die Zeit darüber zu diskutieren. Wir müssen zusehen daß wir wieder fortkommen und hinüber nach dem Schloß des Königs." Jargo nickte. Ihm war selbst nicht wohl auf dem unheimlichen Platz, über den jetzt wieder das Brüllen der Löwen klang. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Komm Herr", sagte er. Und beide verließen den Tempelbezirk unangefochten und auf dem gleichen Weg; auf welchem sie gekommen waren. * Die beiden Priester und ihre Gehilfen hatten kurz vorher Bethseba in eines der Verliese des Goldenen Tempels gebracht. "Komm nur mit Mädchen, in das Haus des Bel" kicherte Taaf, als er voranging und mit mächtigem Schlüssel die eisernen Tore aufschloß, eines nach dem anderen welche über steil abfallende Stufen den Weg in die Tiefe des Tempelgebäudes verschlossen. Eisigkalte Luft schlug Bethseba von dort unten entgegen. Die Männer stießen sie vorwärts. "Hier unten kannst du ungestört von deinem Gott träumen", hänselte Shidra. Bethseba antwortete nicht auf die Lästerung. Sie schritt zwischen den Männern die Stufen abwärts. Ihre Haltung war aufrecht, ihr Blick gewahrte die Umgebung kaum. Nif-Iritt... Wo sie jetzt wohl sein mochte? Wie fern war Nif-Iritt, wie fern waren all die anderen, wie fern ihr bisheriges Leben, ja selbst das was im Augenblick mit ihr geschah. Ihre gefesselten Hände waren ausgestreckt, als fühle sie unsichtbare Hände, welche sie sicher hinab in die Tiefe des Kerkers führten. Die Männer Shidras und Taafs hoben ihre Fackeln, um ihren Herren und der Gefangenen zu leuchten. "Immer geradeaus", sagte Taaf. Die Treppe endete in einem niedrigen, unter dem Hauptteil des Tempels verlaufenden Gang. Der Gang war nicht sehr breit. Rechts und links gab es Türen, sieben an der Zahl und hernach wurde der Gang durch eine Wand unterbrochen, in welcher sich gleichfalls eine Tür befand. "Ich denke, wir schließen sie rückwärts ein", meinte Shidra. "Gut", pflichtete Taaf bei. "Je weiter rückwärts, desto besser." Er ging mit raschen Schritten voran und wählte aus einem mitgebrachten Bund den passenden Schlüssel. "Hinein mit dir", befahl Shidra dem Mädchen. Sie stießen sie in einen dunklen Raum und schlossen hinter ihr ab. "Diese Sorge wären wir los", meinte Shidra befriedigt. "Nun können wir uns der Vorbereitung des Opferfestes zuwenden." * Als König Amur den Galeerensklaven sah, schüttelte er verwundert den Kopf. "Entweder dieser Numrod hat mich mißverstanden, oder er ist ein Schelm" sagte er verwundert. "Es waren doch auch noch andere Leute unter den Gefangenen als dieser Schwarze." Dennoch übergab er den Mann Hauptmann Alwa, damit er aus ihm durch Fragen alles heraushole, was der König über die Verhältnisse in Ägypten zu wissen begehrte. Es war allerdings nicht viel, was dabei herauskam. Derjenige, der die gewünschten Auskünfte hätte geben können, schuftete unterdessen in der unterirdischen Halle in der Reihe der anderen, tief drinnen im Kupferberg.
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In den ersten Tagen hatte Nimbur geglaubt, es nicht aushalten zu können. Seine Knochen schmerzten ihn von der harten, ungewohnten Arbeit, seine Lungen krampften sich zusammen in der von Staub und Gasen erfüllten Atmosphäre und seine Augen vermißten das Sonnenlicht. Dann, als Numrod erschienen war, hatte er geglaubt, nun habe alle Qual ein Ende, nun sei der Augenblick gekommen, auf den er gehofft hatte, denn er konnte es einfach nicht für möglich halten, daß man für einen Mann wie er es war keine bessere Verwendung fand, als ihn Erz schürfen zu lassen. Als ihn Numrod zurückstieß in die Reihe der Namenlosen und einen verachteten Nubier ihm vorzog, hatte ihn tiefe Mutlosigkeit und Verzweiflung befallen. Er hatte ein, zwei Tage lang geglaubt, daß nun tatsächlich alles zu Ende sei und daß er sein Leben im Bergwerk beschließen werde. Aber dann war aufs neue die Hoffnung in ihm aufgeflammt. Nein, es konnte, es durfte einfach nicht wahr sein. Mit allen seinen Gedanken klammerte er sich an Numrod und es war, als ob dieser durch die Tiefe des Berges hindurch Nimburs Gedanken fühle. Eine magische Gewalt zog ihn hinab in die Bergwerkshalle, hinab zu dem Mann aus Ägypten, dessen Hände davon Zeugnis gaben, daß er keiner der übrigen sei. Und schließlich hielt es ihn nicht länger. Er mußte den Mann wiedersehen. Numrod überlegte, welchen Vorteil er davon haben könne, daß er Nimbur bei sich im Bergwerk behielt. Nimbur konnte ihm allerlei Kenntnisse vermitteln, jene Kenntnisse, die der König haben wollte. Aber König Amur wollte sie nicht aus dritter Hand. Es war also nichts mit König Amur. Aber vielleicht ergab sich ein anderes Arrangement... Numrod stieg hinab ins Bergwerk. Er stand wieder in der vom Fackelschein erfüllten Tiefe, seine Blicke suchten Nimbur und er sah ihn schließlich bei der Arbeit. Numrod ging zu ihm hin, beobachtete ihn eine Weile, schrie ihn schließlich an: "Du bist nachlässig, Sklave." Nimbur zuckte zusammen, blickte auf. Er sah, daß der andere vorhatte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Es war die Zeit gekommen, ihn auf den Angelhaken beißen zu lassen. "Du begehrst mich zu sprechen?" fragte er gelassen. Das hatte Numrod nicht erwartet. Es war nicht die Art, in der ihm die Sklaven des Bergwerks zu antworten pflegten. Numrods Hand fuhr nach der Peitsche, ein sausender Schlag durchschnitt die Luft. Und eine breite, blutige Strieme zog sich im nächsten Augenblick über Nimburs Gesicht, doch er lächelte. Er lächelte, obgleich seine Augen gefährlich funkelten. Nimbur haßte Numrod in diesem Augenblick aus ganzer Seele. Numrod fühlte es. Er wollte sich umwenden und gehen und doch war er gekommen, mit diesem Menschen zu sprechen. Er bezwang sich, biß die Zähne zusammen, als hätte die Peitsche sein eigenes Gesicht zerfetzt und nicht das des anderen. Immer noch bohrte sich Nimburs Blick in den seinen. Das hielt Numrod nicht mehr aus. "Wache", brüllte er, "Wache!" Sofort eilten ein paar atlantische Krieger herbei. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Numrod deutete auf Nimbur. "Dieser Mann ist unbotmäßig", rief er wütend. "Bringt ihn ins Verlies und legt ihn in den Pflock." Dann ging er wirklich, ohne seine Absicht ausgeführt zu haben. Aber der Blick Nimburs brannte in seinem Inneren gleich einem Stachel, den man in seine Seele getrieben hatte. Die Atlanter packten Nimbur und schleiften ihn fort. Das Verlies war ein niedriger, kleiner in den Fels gehauener Raum, von dessen Wänden die Nässe tropfte. Es fehlte jedwedes Licht hier und die Luft war dumpf und sehr schlecht. Hier hatte Nimbur nun Muße, über seinen Sieg nachzudenken. Denn es war ein Sieg, ein gewonnenes erstes Gefecht über den Willen des anderen. Nein, König Amur war mit Alwas Befragungsergebnissen nicht zufrieden Aber er hoffte, seine Kenntnisse durch ein Gespräch mit Nif-Iritt zu vervollkommnen. Außerdem war es vielleicht möglich, von den Frauen zu erfahren, ob sich nicht unter den Gefangenen Leute von höherer Stellung befunden hatten. Der König begab sich also in den Garten, in den Pavillon der Königstochter. Nif-Iritt saß auf den Stufen und ließ sich von Sil Märchen erzählen. Als sie des Königs ansichtig wurde, unterbrach sie die Dienerin mit einem Wink. "Sprich nur weiter", forderte der König die Dienerin auf. "Auch ich habe Sinn für solche Geschichten." "Ich wußte nicht, daß die Könige der Atlanter für derlei Zeitvertreib zu haben sind", meinte Nif-Iritt ein wenig spöttisch. "Anscheinend lassen dir deine Staatsgeschäfte hierfür genügend Zeit." "Man kann nicht immer nur Staatsgeschäfte treiben", antwortete der König und setzte sich auf einen Schemel, den Sil ihm rasch aus dem Pavillon herbeitrug. "Ist das bei deinem Vater, dem Pharao, anders? Auch er wird hin und wieder der Ruhe pflegen." ,,Ägypten ist ein mächtiges Reich", antwortete Nif-Iritt. "Seine Völker mehren sich und seine Grenzen wachsen. Der Pharao sitzt oft bis spät in die Nacht mit seinen Beratern und mit den Sterndeutern, welche die Zukunft kennen." "Sterndeuter?" fragte König Amur überrascht. "Was für Leute sind das? Was deuten sie?" "Habt ihr keine Sterndeuter in Atlantis?" fragte Nif-Iritt ebenso erstaunt zurück. "Nein", antwortete König Amur. "Erzähle mir von ihnen. Das interessiert mich mehr als das Märchen deiner Dienerin. Nif-Iritt warf ihren Kopf in den Nacken. "Ihr Atlanter seid Barbaren", sagte sie herausfordernd. "Ihr seid nicht fähig, die Sterne zu befragen. Eure Lieder klingen fremd in meinen Ohren und euren Männern mangelt die Gabe der Zärtlichkeit." "Hierin irrst du dich, Nif-Iritt", meinte der König, sich Nif-Iritt zuneigend. "Das glaube ich nicht", gab die Königstochter zurück. "Vielleicht wird es dir eines Tages ein Atlanter beweisen?" "Wie sollte das möglich sein? Du schließt mich ja hier vor aller Welt ab. Ich sehe nur dich und du bist ein Greis." Sie lachte spöttisch. König Amur war es, als habe ihn ein Pfeil getroffen und ihr Lachen brannte wie Feuer in dieser unsichtbaren Wunde. "Erzähle mir von den Sterndeutern". Seine Miene wurde ernst, wie von Stein. Er wunderte sich, daß ihn Nif-Iritts Worte so hatten verletzen können und suchte sich selbst zu beruhigen, aber es kostete ihn Mühe, Nif-Iritt die nötig Aufmerksamkeit zu schenken.
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"Vor vielen Jahren", begann Nif-Iritt, "kam eine große Wasserflut über die Erde und sie bedeckte alles Land. Die Menschen kamen um in den Wassern, welches selbst die Gipfel der Berge bedeckten. Damals entstand ein neuer Himmel über den Wolken, die Sterne änderten ihre Stellung, neue tauchten auf und alte, bekannte verschwanden. Als die Flut sich verlaufen hatte, zeigte der Himmel wieder das gewohnte Bild. Doch kaum änderte er sein Antlitz aufs Neue, brachen wieder Schrecken und Ungemach über die Menschheit herein. Da kamen weise Männer auf den Gedanken, es müsse die Macht der Sterne sein, welche dies bewirke und seither beobachten viele unserer Gelehrten nachts den Himmel und suchen seine Gesetze zu erforschen. Sie kennen die guten und die bösen Sterne und wissen, welche Stellung der Gestirne am Himmel Glück und welche Unglück bringt. Wir befragen diese Männer bei allen unseren wichtigen Unternehmungen und ihr Rat ist uns gewiß oft von Nutzen. Mein Vater hat an seinem Hof einige solcher Gelehrter, die zu den weisesten Männern Ägyptens zählen und er hat ihnen eigene Forschungsstätten errichten lassen, um ihre Arbeit zu erleichtern. Nun weißt du, was Sterndeuter sind." "Auch wir kennen eine Erzählung von einer solchen Flut", meinte daraufhin König Amur. "Und dieser Flut verdankt Atlantis sein Dasein und seine Existenz. Poseidon, der Gott des Meeres, ist der Vater meiner Väter. Damals erhob sich Atlantis aus dem Meer. Die Sterne, die für euch schlecht sind, wären demnach uns Atlantern wohlgesinnt gewesen." "Weshalb sollte das nicht möglich sein?" "Wir glauben an Poseidon und Gott Bel und nicht an die Sterne", meinte Amur geringschätzig. "Glaube, was du willst", antwortete Nif-Iritt beleidigt. Der König suchte, weiteres über den Hof des Pharao in Erfahrung zu bringen. "Ist es bei deinem Vater Brauch wie in meinem Lande, wo der König selbst das Heer befehligt?" "Der Pharao hat Heerführer", antwortete Nif-Iritt. "Sie ziehen für ihn in den Krieg und melden ihm die Siege. Nur sehr selten setzt sich der Pharao selbst an die Spitze seiner Truppen. Hingegen hält er gelegentlich eine Heerschau ab. Aber ich kann diesen lärmenden, staubverbreitenden Spielen nichts abgewinnen." "Was liebst du mehr?" fragte Amur lächelnd. "Die Kahnfahrten auf dem Nil", antwortete sie. "Im Schatten eines Baldachins... begleitet von den Gesängen meiner Sklavinnen und von der Kühle, die sie mir zufächeln. Oder die großen Feste, welche unsere Priester veranstalten. Oh, unsere Tempel und Paläste sind größer und mächtiger als die euren. Du müßtest sie sehen, König und die Gräber unserer Könige und der Prinzen und Prinzessinnen und der hohen Staatsmänner. Wenn einer von euch stirbt, ist er tot und sein Leib zerfällt zu Staub und Asche. Doch unsere Hüllen bleiben erhalten, bis die Seele eines Tages wiederkehrt." "Willst du damit sagen, daß ein toter Ägypter nicht verwest?" fragte Amur aufs Höchste erstaunt. "Seid ihr etwa aus einem anderen Stoff gemacht als wir?" "Ich weiß nicht, woraus wir gemacht sind, und woraus ihr - aber mein Vater ist ein Gott und ich bin die Tochter eines Gottes in unserem Lande. Und unsere Gelehrten haben Mittel, um den Leib eines Gottes für ewige Zeiten zu erhalten. Wir setzen den Toten große Monumente und Häuser aus Stein. Wir geben ihnen ihre Waffen, Nahrung, ihre Pferde und Sklaven mit in diese Häuser, denn sie brauchen sie. Und wir verschließen und versiegeln diese Häuser, so daß kein Lebender sie öffnen kann und wer ein solches Grab betritt und entweiht, ist des Todes." Amur schüttelte den Kopf. "Ihr seid ein sonderbares Volk", meinte er. "Dein Vater, sagst du, sei ein Gott?" "So ist es." "Weshalb hat er dann nicht verhindert, daß ich dich gefangen nahm?" "Er wird dich dafür bestrafen König", erklärte Nif-Iritt voll Überzeugung. "Er wird kaum dazu Gelegenheit haben", meinte König Amur und erhob sich lächelnd. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Er fand es für angezeigt, das Gespräch zu beenden. * "Wenn ich es dir sage", berichtete Jargo atemlos, "als ich so auf den Stufen des Tempels stand, war es mir, als ob ich plötzlich aus der Erde heraus eine klagende Stimme vernähme. Ich glaubte zuerst, es sei ein Geist, aber dann wußte ich, daß es nur Bethseba gewesen sein konnte. Sie ist da unten irgendwo eingeschlossen und singt wahrscheinlich ihre Sterbegesänge." "Da hinab gelangen wir niemals", meinte Torgo kopfschüttelnd. Sie saßen in den Räumen des Prinzen im Palast des Königs beisammen und berieten. "Es war ein reiner Zufall, daß ich es wahrnahm", meinte Jargo. "Was sollen wir tun, Herr?" "Fest steht, daß wir etwas tun müssen" brummte Torgo nachdenklich. "Aber was, daß weiß ich selbst nicht." "Wenn ich irgendwo ein Fenster gesehen hätte, eine Öffnung - aber ich erblickte nichts dergleichen", fuhr Torgo fort. "Es war mir so, als ob die Stimme direkt aus dem Fundament des Tempels käme." "Wir werden kaum Gelegenheit haben, es näher zu untersuchen." "Das weiß ich selbst Herr. Es würde auffallen." "Daß die Priester Bethseba fortgeschafft haben, beweist bereits ihr Mißtrauen. Sie sind besorgt um das Opfer. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit, Jargo." "So müssen wir es tatsächlich versuchen, wenn sie im Tempel ausgestellt wird." "Wir gehen jedenfalls hin. Die Rufer des Tempels haben es für heute Abend angekündigt." * "Bürger von Atlantis! Bürger der Stadt! Gott Bel hat ein Opfer erkoren und ihr seid eingeladen, dieses Opfer von Angesicht zu Angesicht zu schauen, damit ihr die Macht des Gottes erkennt. Gott Bel hat ein Opfer erkoren, gepriesen sei Bel" Die Diener des Tempels liefen durch die Straßen der Stadt, blieben stehen, wo sie eine Menschenansammlung sahen und riefen ihren Spruch mit lauter Stimme, nachdem sie vorher in ein kurzes Horn gestoßen hatten, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken. "Bürger von Atlantis! Gott Bel lädt euch ein, sein Opfer zu sehen, das Opfer, dessen Blut in der Vollmondnacht vergossen werden wird!" Die Leute drängten sich um die Tempeldiener. Ihre Worte lösten Raunen und Tuscheln aus. Atlantis hatte seinen Gesprächsstoff. Und am Abend, als die goldenen Säulen des Tempels im Licht der Fackeln erstrahlten, drängte sich Alt und Jung über die Brücke nach dem Tempelbezirk und ergoß sich die Schar der mehr Neugierigen als Andächtigen über die Pfade des heiligen Hains nach dem Tempel. Der Lärm der Menge drang bis in den Garten der Gefangenen und bis hinauf in die königlichen Gemächer. "Es kommt vom Tempel", sagte Sil. "Vielleicht ist es wegen Bethseba. Sie wird doch nicht diesen Abend sterben müssen?" Auch der König dachte an das Opfer. Er dachte daran, daß das Los genauso gut auch Nif-Iritt hätte treffen können. Nif-Iritt, immer wieder Nif-Iritt! Zu viel beschäftigte ihn dieses Mädchen. Die Rufer des Tempels waren vor einer Stunde im Palast erschienen. Aber der König hatte erklärt, nicht zu der Schaustellung des Opfers kommen zu können. Er hatte Staatsgeschäfte vorgeschützt. In seinem tiefsten Inneren war ihm alles was mit dem Opfer zusammenhing, zuwider. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Als König Amur jetzt den energischen Schritt seines Sohnes hörte, war es ihm lieb, daß dieser zu ihm kam. "Torgo", begrüßte er seinen Sohn, als dieser das Gemach betreten hatte, "du kommst, um mich zum Tempelgang abzuholen. Ich komme nicht mit. Ich will überhaupt das Opferfest nicht besuchen." "Was hast du vor, Vater?" fragte Torgo. "Ich werde für ein paar Tage ins Landesinnere verreisen. Ich will einmal nach dem Rechten in den Bergwerken sehen." "In den Bergwerken?" "So ist es." Er hatte wohl den erstaunten Ton in Torgos Fragen bemerkt. Er wollte sich selbst nicht eingestehen daß es nicht nur das Opfer war das ihn aus der Stadt trieb. War es Nif-Iritt? Oder war es, weil er Numrod überraschen wollte? Er wollte noch einmal zu Nif-Iritt und sie über ihre Mitgefangenen befragen. War es so, wie er vermutete, dann befand sich ein hoher Würdenträger des Pharao in seiner Gewalt. Nein, er zweifelte eigentlich nicht mehr daran, daß Nif-Iritt tatsächlich eine Tochter des Pharao war. Aber er brauchte Gewißheit, um jeden Preis. "Was hast du in den Bergwerken zu suchen, Vater?" fragte Torgo weiter. "Es sind Staatsgeschäfte. Es ist wohl zu früh, darüber zu sprechen. Aber es kann sein, daß mit der Aufbringung der Galeere ein entscheidendes Ereignis für unsere Politik eingetreten ist. Vielleicht gibt es Frieden, einen anderen Frieden als bisher - und vielleicht auch Krieg, mein Sohn. Wir müssen auf alles gefaßt sein. Und ich will wissen, was ich zu tun habe und mich nicht einen Narren schelten lassen. Und das würde man tun, wenn ich den Wert unserer Gefangenen überschätze. Und wenn ich ihn unterschätzte, täte man es ebenso." "Vater, du bist der König!" "Eben deshalb. Ein schlechter Herrscher, der nicht wenn es Not tut, nach dem Rechten sieht. Nimm es dir zu Herzen, Torgo und wenn du selbst einmal König von Atlantis sein wirst, erinnere dich daran." "Ich werde mir deine Worte merken, Vater." "Tue das, wenn dich dein Volk lieben und achten soll. Glaube mir, das Volk hat ein feines Gefühl dafür, ob der König seine Geschäfte ernst nimmt, oder ob er seinen Leib pflegt und es anderen überläßt, zu regieren." "Ich will den Atlantern ein guter König werden, Vater." "Das glaube ich gern. Gehe also nun mit Jargo nach dem Tempel und berichte mir, was Shidra spricht. Er wird es sicher an Sticheleien nicht fehlen lassen. Aber solange du dort bist, wird er sich hüten, allzu offen zu sein. Es ist fast so gut, wie wenn der König selbst gekommen wäre." "Wann gedenkst du zu reisen, Vater?" "In zwei, drei Tagen. Kann sein, daß ich einen Umweg mache. Ich werde verschiedene Orte inspizieren und auf jeden Fall so lange wegbleiben, bis das Opfer vorüber ist." "Gut, Vater. Ich gehe jetzt und werde tun, was du verlangst. Torgo drückte seinen Vater die Rechte und ging. Draußen im Vorraum wartete Jargo auf ihn. * Der Platz vor dem Tempel hatte sich mittlerweile dicht mit Neugierigen gefüllt. Aber die Tore waren geschlossen. Drinnen waren noch einige Vorbereitungen zu treffen. Man hatte vor den Altar wieder den Käfig gestellt und Bethseba aus dem Keller herausgebracht und in ihm eingesperrt. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die Stäbe des Käfigs aber waren heute mit Blumengirlanden umwunden und der Boden mit frischem Laub bedeckt. Zu beiden Seiten standen dampfende Räucherschalen, die einen betäubenden Duft verbreiten, welcher Bethseba fast benebelte. Als man Bethseba nach oben und in den Tempel brachte, hatte sie bereits geglaubt, der Abend ihres Todes sei gekommen. "Noch ist es nicht so weit Vögelchen", sagte indessen Taaf beruhigend. "Wir wollen dich heute nur ein wenig begaffen lassen." Da hatte Bethseba den Zweck begriffen. Furcht? Sie hatte keine Furcht empfunden und sie würde es wohl auch nicht anders halten, wenn es so weit sein würde... Sie empfand nur tiefe Traurigkeit und diese Traurigkeit verstärkte sich, als sich jetzt die Tore des Tempels öffneten und eine unwissende, neugierige Menge in das Heiligtum hereinbrach und sich nach vorne drängte. Weit aufgerissene Augen, dumm glotzende Gesichter... Ausgestreckte Hände ... Kaum verhaltenes Lachen, Spott, spitze Bemerkungen... Als die Menge gleich einer lebenden Mauer auf sie zustürmte, war sie unwillkürlich so weit zurückgewichen, daß sie rückwärts an die Stäbe stieß. Aber schon schritten die Diener des Tempels in festlichen Gewändern zu beiden Seiten der Stufen herbei, schwangen Räucherschalen, schlugen auf dumpf dröhnende Instrumente und begannen mit einem schauerlichen Gesang, der das Lärmen der Menge so lange übertönte, bis es schließlich ganz verstummte. Es war ein Fest des Bel, ein großes Fest, das an diesem Abend seinen Anfang nahm. Plötzlich ertönte ein Trompetenstoß. Die Sänger unterbrachen ihre Melodie, Stille herrschte im Tempel. Weit offen standen die Tore. Ein Schimmel hielt vor den Stufen und ein zweites, braunes Pferd. Prinz Torgo, kam, um an Stelle des Königs der Zeremonie beizuwohnen. Unter den Klängen der Fanfaren schritt er durch die Gasse, die sich vor ihm auftat, von Jargo gefolgt. Fest schritt er aus, sein Körper war hoch aufgereckt, sein Blick voraus gerichtet auf das Mädchen. vor dem Altar. Ihre Blicke trafen sich. Hielten einander fest. Weiter ging Torgo, bis ganz nach vorn. Da schloß sich hinter ihm wieder die Menge. Und der reich geschnitzte königliche Stuhl nahm Torgo auf, Bethseba gerade gegenüber. Jargo stand hinter ihm. Wachen? Krieger? Die gab es nicht bei solcher Gelegenheit. Im Tempel galt allein die Macht des Gottes. Und wieder begann der Gesang. Die Priester begannen mit einem Reigen, den sie rings um den bekränzten Käfig aufführten und dessen verschlungene Figuren den Altar des Gottes mit einbezogen, dessen massiges Haupt immer mehr im Gewölk des Weihrauchs verschwand. Dann erschien Shidra, gebot mit einer herrischen Handbewegung Schweigen, reckte sich hoch auf und rief mit lauter, beinahe überschnappender Stimme: "Bel, großer Bel, dir bringen wir dieses Opfer dar, du Herrscher über Atlantis, über sein demütiges Volk und seine stolzen Könige. Mögen die künftigen Herrscher dieses Reiches (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
deine unermeßliche Macht über Tod und Leben begreifen. Mögen sie erkennen, daß du allein der Herr bist nach Poseidon, vor dem sich alle Knie beugen und daß deine Diener die Diener des Höchsten sind und der Wille, den du durch sie verkündigst, dein Wille ist, oh Bel! Bel, großer Bel! Dich dürstet nach dem Blut dieses Sklavenmädchens. Freudig opfern wir es dir. Möge dich nie dürsten nach unserem Blut. Halte deine schirmende Hand über uns, unsere Familien, unsere Häuser und Gärten, sei mit uns verbunden durch dieses Opfer. Nimm es hin aus der Hand Shidras, deines Hohenpriesters, in der Nacht des Vollmonds vor deinem goldenen Tempel. Siehe, dein Volk betet dich an, großer Bel. Es empfängt Gnade von deinen Händen. Möge der Starrsinn aller jener gebrochen werden, die heimlich Ränke schmieden und deine Wundertaten bezweifeln. Möge das Blut deiner Feinde den Staub netzen wie das Blut deines Opfers. Dein Volk steht hinter dir Bel, gegen alle, ob hoch oder niedrig, gegen deine Feinde aus den Ländern der Ungläubigen, aus denen dieses Mädchen stammt und gegen deine Feinde, die sich in Atlantis heimlich durch die Gärten schleichen und hinter den Mauern verkriechen. Deine Hand wird sie alle zermalmen. Bel, großer Bel, Beherrscher allen Lebens, Herr der Ewigkeit!" Mit Trommeln und Zimbeln wurde die Rede Shidras beendet. Er warf sich vor Bel auf die Altarstufen, während das Volk in hysterische Rufe ausbrach. Während all dieser großsprecherischen Worte hatten Torgo und Bethseba einander unverwandt angeblickt. Torgo hörte die Worte kaum und er begriff dennoch ihren Sinn. Er hörte die kaum verhüllte Drohung heraus, die in ihnen lag. Und sie begriffen beide, Torgo und Bethseba, daß sie einen gemeinsamen Feind hatten. Wie gern wäre Torgo aufgesprungen, hätte die Tür des Käfigs geöffnet, seine Stäbe zerbrochen und die heuchlerischen Blumengewinde vor allen Augen zertreten. Es juckte ihm in den Fäusten, dem Hohepriester an die Kehle zu springen und ihn angesichts der verblendeten Menge zu zwingen, zuzugeben, daß der ganze Bel Kult nur Schwindel war. Unwillkürlich ballten sich seine Hände zusammen und die Stirnadern schwollen ihm vor Zorn. Jargo sah es und er legte dem Prinzen warnend die Hand auf die Schulter. "Herr", flüsterte er. "Es hat jetzt keinen Sinn. Wir müssen einen geeigneten Augenblick abwarten. Sieh, wie fanatisch die Menge ist. Diese Leute würden uns in Stücke reißen." Er hatte recht. Der Gesang der Priester, vor in rhythmische auf und abschwellende Laute übergegangen, welche durch den Klang der Instrumente unterstrichen wurden. Ihr Tanz wurde hektisch und wild; die Menge wurde davon ergriffen. Der wilde Rhythmus der Trommeln übertrug sich allmählich auf die Gemeinde im Tempel. Da und dort begann einer es den Priestern gleichzutun. Sie fingen zu tanzen und zu schreien an. Es war wie ein Fieberrausch, der über sie hinging und sie zur Ekstase trieb. Sie stießen schrille Schreie aus, Fackeln wurden entzündet und im Kreise geschwungen. Binnen kurzem glich der Tempel einem brodelnden Hexenkessel. Nur drei waren von dem allgemeinen Aufruhr nicht erfaßt: der Hohepriester, der ihn entfacht hatte und der noch immer als sei er vom Blitz getroffen, vor Bel auf den Stufen lag, Bethseba und Torgo. Selbst Jargo konnte sich nicht beherrschen und gab Zeichen von Unruhe von sich, wenngleich sie eine andere Ursache hatte. Jargo dachte, wie es möglich sein könne, Bethseba zu befreien. Natürlich dachte auch Torgo daran. Aber seine Empfindungen waren beherrscht von der Nähe dieses seltsamen Mädchens. Was Bethseba wohl dachte? Was sie empfand in diesen Minuten, die ihr einen Vorgeschmack von dem gaben, was sie erwartete! Wie mochte ihr wohl zumute sein? "Nein, er durfte sie nicht im Stich lassen. Sie sollte ihr Blut für den Ehrgeiz dieses schändlichen Priesters opfern, der es wagte unverhüllte Drohungen gegen den Herrscher und den Prinzen zu äußern? (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Ob das Volk wohl verstanden hatte, was er meinte? Wohl kaum. Seine Worte waren nur für Torgo gemünzt gewesen. Allmählich färbte die Zornesröte des Prinzen Antlitz. Fieberhaft suchte sein Hirn einen Ausweg. Wie, wenn er offen hinging und den Schwindel entlarvte? Aber das ging nicht. Schon beim Betreten der Altarstufen würden ihn die Tempeldiener ergriffen haben. Und doch mußte es einen Weg geben, es mußte...! Torgo dachte an seinen Vater. Der König hatte andere Sorgen, er ging der Unannehmlichkeit, einem Menschenopfer beiwohnen zu müssen, einfach aus dem Weg. Nein, diese Möglichkeit gab es für Torgo nicht. Unbewußt empfand er, daß der König Mitschuld auf sich lud indem er diese Grausamkeit duldete. Hier war es falsch, die Augen zu verschließen und die Dinge einfach laufen zu lassen, wie sie liefen. Hier mußte eingegriffen werden. Ein Menschenleben und dazu das eines Fremden, galt den Atlantern nicht viel. Und dennoch, Prinz Torgo bangte um dieses eine Leben und er war bereit, es zu beschützen. Doch als die Zeremonie zu Ende ging, das Volk sich verlief und die Tore des Tempels geschlossen wurden, hatte Torgo noch keinen Entschluß gefaßt. Er fühlte, wie die Blicke Bethsebas auf ihm ruhten, als er gefolgt von Jargo, den Tempel verließ. Ihre Blicke trafen ihn noch wie Nadelstiche im Nacken. * Nimbur wußte nicht, wie lange er in der finsteren Kammer zugebracht hatte. Der Rücken, die Arme und die Beine schmerzten ihn vom Sitzen im Pflock. Es war dies ein hölzerner, in der Mitte geteilter Balken, welcher Löcher für die Hand und Fußgelenke enthielt. Nimbur verwünschte sein Schicksal und war dennoch entschlossen es zu meistern. Was anderes als den Beginn einer Veränderung konnte das Interesse bedeuten, das Numrod ihm entgegenbrachte? Zwar äußerte sich dieses Interesse vorerst auf keineswegs angenehme Weise. Aber Nimbur wußte aus Erfahrung, daß sich daraus nichts auf die weitere Entwicklung der Dinge schließen ließ. Und auch Numrod wußte das. Er wollte zunächst einmal den Willen des Gefangenen brechen, sich ihn untertan und gefügig machen, um dann die Intelligenz und die Kenntnisse des anderen zu seinem Vorteil zu gebrauchen. Daß dies ein gefährliches Spiel war, ahnte er, denn er hatte eine ungefähre Vorstellung von den Willenskräften des unheimlichen Ägypters erhalten. Aber Numrod vertraute auf seine Mittel, von denen der Pflock noch das Harmloseste war. Nach Ablauf eines Tages besuchte er Nimbur in der finsteren Kammer. Nimbur schloß unwillkürlich geblendet die Augen, als sich der kleine Raum mit der Helligkeit des Fackelscheines füllte. Nur schemenhaft erkannte er Numrod und zwei seiner Schergen. Numrod stellte sich vor ihn. "Kennst du mich?" fragte er mit kaum verhohlener Freude, als er sah, wie ermattet der Ägypter war. "Ja, ich kenne dich", klang es rauh aus Nimburs vom Durst ausgedörrter Kehle. "Wer bin ich?" "Man nennt dich Numrod", antwortete Nimbur. "Ich bin Numrod, dein Herr.Wer bin ich?" "Numrod." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Numrod fühlte den Trotz und die Herausforderung, die in dieser Antwort lag. "Schlagt zu", fuhr er die Schergen an, "bis er sagt: "Du bist Numrod, mein Herr."` Die beiden wollten dem Befehl gehorchen. Aber da traf sie der Blick des Ägypters mit solcher Macht, daß sie die erhobenen Arme wieder sinken ließen. "Was habt ihr?" fragte Numrod erstaunt, denn er sah nicht, was sie sahen. Sie sahen, wie sich der Ägypter vom Pflock löste und wuchs. Sein Blick brannte wie höllisches Feuer und sein halb geöffneter Mund zeigte das gefletschte Gebiß eines Raubtieres. "Herr - - Herr, seine Augen..." stammelte einer der Schergen. Wutentbrannt riß ihm Numrod die Peitsche aus der Hand aber auch er ließ sie sinken und warf sie schließlich fort. Nimburs Miene war eisig, kalt, hohnvoll - überlegen. "Meinen Körper kannst du knechten, Numrod", zischte Nimbur voll Haß, "aber meinen Geist niemals. Du bist nicht mein Herr. Niemand ist mein Herr, der Pharao nicht und du noch weniger, du kleiner Tyrann. Ich beuge meinen Geist nicht vor einem Menschen. Beugst du mein Knie, so richtet sich mein Geist noch gerader auf und leistet dir Widerstand. Und ich will dir zeigen, wessen Geist stärker ist und wessen Wille der Mächtigere. Du hast in dieser lichtlosen Nacht ein Reich des Schreckens geschaffen. Aber es werden Tage kommen, wo die Grundfeste deines Reiches erschüttert werden, wo sich der Berg auftun und wo ein großes Heulen und Jammern sein wird bei Unterdrückten. Dann wird das Licht triumphieren über die Finsternis und der Geist über die Dummheit. Die Trägen werden ihre Trägheit beklagen und die Verräter ihren Verrat. Und die Gewalt gesät haben, werden Gewalt ernten." Numrod fand auf diese Worte keine Antwort. "Dieser Mann ist von Sinnen", knurrte er. "Laßt ihn hier, bis er zu Verstand kommt." Wütend ging er, von seinen Schergen gefolgt. Nimbur blieb zurück und aufs neue umgab ihn Finsternis. Und Hoffnungslosigkeit, größer als je zuvor. Was war geschehen? Was hatte da aus ihm gesprochen? War das seine Stimme gewesen oder die Stimme eines Geistes? Unwillkürlich erschauerte Nimbur und er fühlte wie die Furcht aus den dunklen Winkeln seines Kerkers auf ihn zukroch. Er stöhnte auf, aber er vermocht seine Stellung nicht zu verändern, das Holz hielt ihn grausam fest, krumm gebeugt und erniedrigend. Nimbur hatte sich den Verlauf dieses Gespräches ganz anders gedacht. Er hatte Hoffnungen daran geknüpft, die er nun selbst zerstört hatte. War er nicht bereit gewesen, sich um des Vorteils willen zu verkaufen? Hatte er nicht mit kühner Berechnung seine Stellung als Vertrauter des Pharao erreicht? Und jetzt? War er nicht imstande, diesem plumpen Menschen gegenüber sein Spiel zu wiederholen? Was hieß ihn, gerade jetzt seinen Stolz hervorzukehren. Und er erkannte, daß etwas in ihm sein mußte, das mächtiger war als er. Und daß ihn die Finsternis sehend machte, daß sie ihm Dinge offenbarte, von denen er selbst nichts ahnte, und die ihn mit Schauder erfüllten. * Ein zartes Lied war aufgeklungen. Nach Tagen ertönte zum erstenmal wieder zaghaft die Stimme Gül-Güls, der Nachtigall. Es war ein Lied voll Schwermut und Sehnsucht nach ihrer fernen Heimat. Und Nif-Iritt vernahm das Lied. Sie erhob sich aus ihren Kissen, richtete sich auf und lauschte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Gül-Gül singt", sagte Sil erfreut. Ein Lächeln glitt über das Gesicht der Königstochter. "Sie singt schön" sagte sie "und es erinnert mich an die Tage, als sie mir am Nil ihre Weisen sang, Rufe sie herein, Sil." Sil erhob sich und lief hinaus in den Garten. Sie winkte Gül-Gül, die am Ufer des Teiches kniete und während sie sang, mit der Hand das Wasser zu kleinen Wellen bewegte, daß die Seerosen auf und nieder schaukelten. "Gül-Gül! Die Herrin will dich sehen!" Verwundert sah das Mädchen auf. "Komm" rief Sil eifrig. "Du sollst ihr singen!" Und sie freute sich, daß es durch ihre Beharrlichkeit nun doch wieder so wie in alten Tagen werden sollte. Doch noch ehe Gül-Gül den Pavillon erreicht hatte, kam der König. "Laßt mich mit eurer Herrin allein" befahl er und betrat den Pavillon. "Er sieht ernst aus", sagte Gül-Gül erstaunt. "Was mag er nur wollen? Ob es etwa schlimm für uns ist?" Auch Nif-Iritt erschrak unwillkürlich bei Amurs Anblick. "Ist etwas geschehen?" fragte sie. Amur setzte sich. "Ich verlasse für ein paar Tage die Stadt" sagte er. "Ich muß mein Land bereisen. Ich werde auch nach dem Kupferbergwerk kommen, wo man die Gefangenen von deiner Galeere hingebracht hat." "Ja - - und?" fragte Nif-Iritt zögernd, denn sie wußte nicht worauf der König hinaus wollte. "Du hast sicher jemand darunter, den du vielleicht grüßen möchtest." Nif-Iritts Miene erhellte sich. Zugleich trat ein leichtes Verwundern in ihre Züge. "Du willst Grüße bestellen?" fragte sie erstaunt. "Wenn du mir sagst, an wen?" "An Nimbur, er war meines Vaters Vertrauter und wurde wie ich am Strande gefangen." "Ein Vertrauter des Pharao? Und weshalb hast du mir nichts von seiner Existenz gesagt?" "Du hast mich nie danach gefragt." Der König biß sich auf die Lippen. "Das ist wahr" sagte er. "Meine Leute sind ungeschickt verfahren. Deine Galeere ist ein besonderer Fall. Was ist dieser Nimbur für ein Mann?" "Ein sehr kluger Mann König. Mein Vater gab ihn mir mit, damit er mich mit König Telaus vermähle." "Also war er sein Bevollmächtigter?" "Ja, das war er." "Waren noch andere bedeutende Leute an Bord?" "Nef-Naton." "Und wo ist er?" War er auch bei den Gefangenen?" "Nein, ich glaube, er ist ertrunken." Unwillkürlich erblaßte sie bei diesen Worten und wurde verlegen. Der König merkte es. "Du sagst mir nicht die Wahrheit", erklärte er ernst. Nif-Iritt wußte selbst nicht, was sie dazu bewogen hatte, dem Beispiel Gül-Güls zu folgen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Du hast recht", sagte sie schließlich, von ein paar Kreuzfragen des Königs in die Enge getrieben. "Es gelang Nef-Naton zu fliehen. Seinetwegen hat man meine Dienerin gefoltert." König Amur sprang auf. "Ich werde Nimbur von dir grüßen" sagte er wütend "und vielleicht auch diesen Nef-Naton, wenn ich seiner noch habhaft werde." Er stürmte aus dem Pavillon und ließ sich im Schlosse angelangt, Wusso kommen. "Weshalb erfahre ich nichts von dem geflohenen Ägypter?!" fuhr er den Hauptmann an. Wusso zog unwillkürlich den Kopf ein, als das Donnerwetter über ihn hereinbrach. "Herr", antwortete Wusso, "ich habe es Sarga gemeldet. Aber Sarga meinte, es werde wohl nur ein nichtswürdiger Galeerensklave gewesen sein, der in dem Fischerboot sowieso nicht weit kommen konnte. Sarga meinte, entweder würde ihn eines unserer kreuzenden Wachboote sichten, oder aber würde er auf See umkommen." "So, das sagt Sarga?" schrie der König. "Und was ich sage, gilt wohl nicht, wie? Sarga soll sofort kommen!" Aber Sarga war mit einem der Schiffe unterwegs. Er landete erst am Abend und ritt, als er von dem Befehl des Königs hörte, sofort zum Palast. König Amurs Zorn war mittlerweile ein wenig verraucht. Er begriff, daß Sarga nichts anderes gewollt hatte, als eine ihm geringfügig erscheinende Angelegenheit von dem König fernzuhalten. Er empfing ihn deshalb freundlicher, als er mit Wusso verfahren war. "Sarga", sagte er ernst. "In Bezug auf die ägyptische Galeere haben wir einen Fehler um den anderen begangen. Zuletzt den, daß man einen Würdenträger des Pharao in einem Fischerboot entkommen ließ. Ich brauche dich wohl nicht erst zu fragen, ob ihr das Boot gesichtet habt?" "Nein Herr, das haben wir nicht", gab Sarga zu. "Aber das ist doch wohl ohne Bedeutung. Ich kenne das Boot, Herr. Es ist klein und zerbrechlich. Sobald er die Umgebung der Küste verläßt, um damit das offene Meer zu erreichen, wird es kentern." "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Du hast den Flüchtling für einen Galeerensklaven gehalten?" "Das Mädchen, das Wusso verhörte sagte nur, daß es sich um einen Mann namens Nef-Naton handle." "Dieser Mann ist ein Würdenträger und kein Sklave. Wir müssen seiner habhaft werden. Laß sofort alle Schiffe auslaufen, die du zur Verfügung hast. Man soll versuchen, das Boot aufzubringen." "Gut Herr, ich werde tun was du befiehlst", antwortete Sarga. "Ich reite sogleich zum Hafen." "Weit kann das Boot nicht sein", meinte Amur abschließend. "Die ungefähre Richtung kennt ihr." In diesem Augenblick erschien Torgo. Er hörte, worum es ging und erinnerte sich des Bootes, welches er von der Klippe aus beobachtet hatte. "Das Boot nahm genau Kurs nach Süden!" sagte er. "Hast du es denn gesehen?" fragte Amur erstaunt. "Ja Vater, aber ich wußte nicht, was es für ein Boot war. Es war ein kleines Fischerboot mit einem schmalen Vierecksegel. Hätte ich geahnt, wer in dem Boot saß... "Du konntest es nicht wissen Sohn", meinte der König. "Verliere keine Zeit Sarga, eile!" Sarga verschwand, um den Befehl des Königs auszuführen und die Jagd auf das Boot Nef-Natons aufzunehmen. "Nun Torgo", sagte Amur, als Sarga raschen Schrittes gegangen war, "nun ist für uns der Augenblick gekommen, für eine Weile Abschied zu nehmen. Die Vorbereitungen für meine Reise sind getroffen. Eine Kohorte und Hauptmann Alwa begleiten mich und sorgen für meine Sicherheit." "Laß mich mit dir reiten Vater", sagte Torgo plötzlich. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Der König sah ihn erstaunt an. "Es freut mich Torgo, daß dir der Abschied von mir schwer fällt. Auch für mich ist er nicht einfach. Aber ehe der Mond seine jetzige Gestalt wieder vollendet hat, bin ich zurück." "Es sei wie du sagst, Vater." "Vertritt inzwischen die Gewalt meiner Regentschaft." "Ich werde es tun." "So weiß ich die Stadt in guter Obhut." Sie reichten einander die Hände. Draußen vor dem Palast, harrte bereits ungeduldig die Kohorte unter Alwas Führung. Vor den Reisewagen des Königs waren prächtige Pferde gespannt, die schon mit den Hufen scharrten. Im Laufe des Nachmittags hatte König Amur alle Vorbereitungen für seine Reise betroffen. Er wollte die Stadt verlassen, noch ehe die Sonne unterging. Der König hatte deshalb so rasch gehandelt, um einer Deputation der Priesterschaft zuvorzukommen. Tatsächlich erfuhren Shidra und Taaf erst kurz vor Beginn der Abendandacht von der bereits vollzogenen Abreise des Königs. Der König wandte sich, als die Höhen vor der Stadt erreicht waren, noch einmal um. "Atlantis" murmelte er. Die scheidende Sonne übergoß die Stadt mit einem seltsamen, magischen Licht. Atlantis... Stadt der Geheimnisse. . Stadt der Verschwörungen und der Sünde... Stadt der blutigen Opfer vor einem leblosen Gott, den steinerne Herzen anbeten. Bel--Der König wandte sich ab. Er liebte diese Stadt und dennoch war er froh, ihr jetzt den Rücken zu kehren. * Vollmondnacht über Atlantis. Torgo hatte Bethseba seit jenem Abend nicht wiedergesehen. Und nun war die Nacht der Opferung gekommen. Die Bewohner der Stadt befanden sich in einem Zustand, der gemischt war aus angenehmen Grusel, Neugier, Mitleid und panischen Schrecken, man redete von nichts anderem als von dem Opfer und von dem großen, grausamen Gott, der es verlangte. Das hatten die Priester bezweckt. Zwar würde dem Fest der letzte Glanz, den die erwartete Anwesenheit des Königs hätte bereiten sollen fehlen. Voll Grimm waren Shidra und Taaf die eilige Abreise des Königs gewahr worden und sie fühlten wohl, daß sie eigentlich ihnen und ihrem grausigen Fest galt. Aber andererseits gab das Gelegenheit, das Volk aufzuwiegeln und diesmal würden sie sich auch durch die Anwesenheit Prinz Torgos nicht an einigen offenen Bemerkungen hindern lassen. Torgo und Jargo hingegen hatten einen Plan geschmiedet - einen verzweifelten Plan... "Das Fest", hatte Torgo gesagt, "findet im Freien statt, vor dem Tempel. Die Priester und Bethseba werden sich draußen befinden. Wir aber müssen ins Innere des Tempels gelangen. Dort kletterst du in das Innere des Götzen, bis hinauf in seinen Kopf und rufst von oben laut und vernehmlich, daß Bel auf das Opfer verzichte. Ich werde das Volk aufmerksam machen, daß Bel spricht. Dann müssen sie Bethseba freilassen." "Gut", meinte Jargo, dem bei diesem Auftrag nicht ganz wohl zumute war "und was wird aus mir? Wie gelange ich ungesehen wieder aus dem Gott heraus und ins Freie?" "Du mußt einen Augenblick der Verwirrung abwarten", meinte Torgo. "Ich will versuchen, ihn herbeizuführen. Vielleicht, wenn sie Bethseba freilassen und alles wieder nach draußen strömt..."
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"Ich will es wagen", meinte Jargo zögernd und sah Torgo ergeben an. "Für dich", setzte er dann so leise hinzu, daß Torgo diese Worte nicht mehr hören konnte. Und dann war es so weit .... Die schreckliche Nacht war gekommen. Taaf war in Bethsebas Kerker erschienen. "Komm heraus", forderte er sie auf, "und hinauf in den Tempel. Die Frauen der Priester werden dich salben und mit Blumen bekränzen. Heute ist dein großer Tag; dein Blut wird für Bel vergossen werden." Da war Bethseba auf die Knie gesunken. "Mein Herr und Gott" hatte sie gebetet, "der du herabsiehst auf die Leiden deines Volkes und auf meine Not, erbarme dich meiner." Aber Taaf hatte sie am Handgelenk gepackt und hochgerissen. "Niemand wird sich deiner erbarmen. Heute noch wirst du die Ohnmacht deines Gottes und die Macht Bels erkennen." Er hatte sie nach oben in den Tempel geführt, wo die Frauen der Priester einen Teppich vor den Altar gebreitet hatten, auf den sich niederlassen man Bethseba befahl. Sie wurde gewaschen, gesalbt und mit duftenden Ölen besprengt. Man kleidete sie wie eine Braut und schminkte sie zuletzt. "Du sollst ein Bel wohlgefälliges Opfer sein", meinte Taaf. Aber in Wirklichkeit geschah es mit Rücksicht auf die Schaulust der Menge und nicht des Götzen wegen, der die ganze Zeit starr und stumm wie stets auf seinem Postament stand und aus lichtlosen Augen auf die Vorbereitungen zur Zeremonie herabglotzte. Langsam senkte sich der Abend herab. Im Tempel wurden Öllampen und Fackeln entzündet. Der Platz vor dem Opferstein war von dürren Zweigen, abgefallenem Laub und Unrat gesäubert worden. Man hatte den Stein mit frischen Zweigen und Reisern bekränzt und mächtige Feuerschalen rings um ihn aufgestellt. Alles war für den Empfang der Menge gerüstet, die sich drüben in der Stadt schon vor den aufgezogenen Zugbrücken zu sammeln begann. Als sie dann herabgelassen wurden, strömte die Menge in den Tempelbezirk, fröhlich schwatzend, mit Kind und Kegel, wie zu einer Belustigung. Prinz Torgo kam zur festgesetzten Zeit. Er kam allein. Jargo, sein Diener hatte schon vorher den Weg in den Tempelbezirk genommen, von der Stadtseite her; die beiden wollten heute nicht zusammen gesehen werden, denn das hätte die Ausführung ihres Rettungsplanes unter Umständen erschwert. Mittlerweile hatte man drinnen im Tempel Bethseba einen betäubenden Trank gereicht. Sie befand sich in einer Art Halbschlummer und sah nur undeutlich, was um sie vorging. Als dann die Stunde der Opferung gekommen war, stand der Vollmond direkt über dem goldenen Tempel und dessen Säulen und das Gebüsch rings um den Platz warf unheimliche, schräge Schatten. Hörner, Trompeten, Zimbeln und Pauken ertönten. Monotone, feierliche Gesänge drangen aus dem Tempel, dessen Inneres sich magisch erhellte. Das Volk hatte auf dem Platz vor dem Opferstein Aufstellung genommen. Die Hälse reckten sich, als jetzt der Zug der Priester auf den Stufen des Tempels erschien. Voran gingen Shidra und Taaf. Hernach folgten die höheren Priester. Dann kamen die Tempeldiener, auf deren Schultern die bewegungslose Bethseba getragen wurde. Den Beschluß machten die Priesterfrauen, welche laute Klagerufe ausstießen. Sie sollten durch ihr gespieltes Mitleid den Wert des Opfers erhöhen. Die Priester schwenkten Räucherfäßchen. Musikanten, welche den Zug begleiteten und die zu einer niederen Priesterklasse gehörten, nahmen rings um den Stein Aufstellung. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Als die letzten Frauen eben das Portal verließen, hatte Jargo den Moment genutzt und war in den Tempel gehuscht, der noch erfüllt war vom Rauch der Fackeln und dem Duft der Salben und des Räucherwerks. Torgo hatte ihm genau eingeschärft, was er zu tun hatte. Der Tempel war leer, nur von schwachem Lichtschein erleuchtet und Jargo stürzte sich zum Altar, lief über die Stufen, umging die Statue und sah den Vorhang, der nach aufwärts führte. Im Inneren des Götzen war es stockdunkel. Jargo kletterte ohne Licht eine halsbrecherische Treppe empor und er stolperte mehrmals. In halber Höhe wäre er beinahe abgestürzt. Aber er fing sich im letzten Augenblick und vollendete seinen Weg. Als er in dem kleinen Hohlraum stand, der den Kopf des Götzen bildete, sah er durch den Mundtrichter den Lichtschein aus der Tempelhalle dringen. Shidra hatte mit Verwunderung gesehen, wie Jargo plötzlich seinen Ehrenplatz verließ und mit dem Ruf: "Ein Dankgebet für den Gott!" in den Tempel stürzte. Nichts Gutes ahnend gab Shidra seinen Dienern einen Wink, Torgo zurückzuhalten, als dieser plötzlich schrie: "Leute, Atlanter! Ein neues Wunder! Bel spricht wieder...Kommt alle in den Tempel, um zu hören, was er uns zu sagen hat... Eine innere Stimme sagte mir, daß ich in den Tempel kommen solle und da hörte ich auch Bel schon sprechen!" Nun waren Shidra und Taaf wirklich bestürzt. "Bleibt hier, der Prinz täuscht sich," riefen sie, aber da klang wirklich aus dem weit geöffneten Tor des Tempels eine unheimlich Stimme: "Atlanter... Ich, Bel, bin euer großer Gott. Ich begehre euer Opfer nicht. Ich wollte euch nur prüfen. Laßt das Mädchen frei, hört ihr? Ich verzichte auf euer Opfer, ich bin euch gnädig." Ungläubiges Staunen ringsum. Murren... Shidra und Taaf standen wie vom Donner gerührt. Taaf hatte bereits den geweihten Dolch erhoben. Bethseba lag schon auf dem Opferstein. "Unmöglich!" schrie Taaf, und wollte zustoßen, als Torgo herbeisprang und ihm den Dolch entwand. "Willst du deinem Gott nicht gehorchen?" brüllte er Taaf an. Ihre Blicke senkten sich ineinander wie spitze Speere. Langsam ließ Taaf die Hand sinken, der Dolch war ohne Bethsebas Blut gekostet zu haben, in den Staub gerollt. "Für diesmal bist du Sieger", murmelte Taaf. Und laut wandte er sich an die Diener. "Gebt das Mädchen frei!" Man hob die noch immer Benommene vom Opferstein. Torgo legte schützend seinen Mantel um sie. Da entstand im Inneren des Tempels ein Tumult... Jargo war beim Verlassen des Götzen auf einen Tempeldiener getroffen. Und dieser hatte sich sogleich auf Jargo geworfen. "Verrat!" schrie er. "Verrat! Jemand hat das Heiligtum entweiht!" "Willst du wohl still sein", zischte Jargo und krallte seine Hände um den Hals des anderen. Der Tempeldiener stieß wild mit Armen und Beinen um sich, packte schließlich Jargo mit dem Mut der Verzweiflung und brachte ihn zu Fall. Ineinander verkrallt, wälzten sich die beiden über die Stufen des Heiligtums, rangen miteinander, schlugen aufeinander ein. Doch Shidra und Taaf hatten begriffen... (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Verrat!" schrie Taaf mit mächtiger Stimme. "Wir sind betrogen worden; das war gar nicht Bel, der sprach! Haltet den Prinzen und das Mädchen fest, nehmt sie gefangen!" Da zog Torgo sein Schwert. "Zurück", schrie er, "wer mich oder das Mädchen anrührt, ist des Todes!" Die Tempeldiener hatten sich inzwischen in den Tempel gestürzt und besiegelten dort Jargos Schicksal. Keuchend und bis zum Letzten kämpfend, wehrte sich Jargo gegen seine Überwältiger. Doch die Übermacht war zu groß. Sie fesselten ihn und zerrten ihn vor das Tor des Tempels. "Seht her, wer da ist!" rief Shidra triumphierend, indem er auf Jargo deutete. "Kennt ihr ihn? Er ist der Diener des Prinzen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, hier ist er!" "Ja", schrie Taaf mit überschnappender Stimme. "Der Prinz hat gegen Bel gesündigt, er hat einen abgrundtiefen Frevel begangen und ist dem Gott verfallen, ebenso wie diese Bethseba." Aber er erkannte bald, daß er damit zu weit gegangen war. Zu beliebt war Torgo beim Volke und sogleich erhoben sich viele murrende Stimmen gegen ihn. Noch immer stand Torgo mit gezogenem Schwert und stützte Bethseba. Die Tempeldiener hatten ihn umringt und machten Miene, auf ihn einzudringen. Aber der Respekt vor seinem scharfen Schwert war es, der sie davor zurückhielt. "Seht, er trägt ein Schwert im Tempelbezirk!" rief Taaf weiter. "Er ist schon mit der Absicht gekommen, zu freveln!" "Der Gott hat gesprochen", donnerte Torgos Stimme dagegen. "Er hat auf die gleiche Weise gesprochen, wie er sonst immer spricht... . Und wenn ihr wollt, so lasse ich ihn wieder zu euch sprechen!" Nun erbleichten Shidra und Taaf. Torgos Blicke streiften sie und er lächelte drohend. "Seht es, sie schweigen und wissen nichts zu erwidern", rief Torgo. "Und der Gott hat mir auch erlaubt, hier mein Schwert zu tragen, mir allein, denn ich bin der Sohn des Königs!" Das leuchtete den Leuten ein. Weshalb sollte Torgo diese Ausnahme nicht zugestehen. Prinz Torgo schlug die Götzenpriester mit ihren eigenen Waffen. "Es ist nicht wahr", schrie Shidra in ohnmächtiger Wut und schüttelte gegen Torgo seine fetten Fäuste. "Doch, es ist wahr", lachte Torgo. "Ein Gottesurteil", schrie plötzlich einer aus der Menge und Taaf griff sofort diesen Gedanken auf. "Ja, ein Gottesurteil", rief er triumphierend. "Der Prinz soll mit den Löwen kämpfen!" Torgo erkannte die Falle, die man ihm stellen wollte. Und dennoch überlegte er nur kurz. "Es sei", rief er. "Ich nehme das Gottesurteil an. Siege ich, so gehen Bethseba, mein Diener und ich frei. Gewinnen die Löwen, sind wir den Priestern verfallen." "Es sei", rief auch Taaf, und "es sei", bestätigte Shidra. "Herr", rief Jargo entsetzt, "wir sind des Todes!" "Ja, das seid ihr", rief Taaf befriedigt, aber sein Lachen und das Shidras ging unter in dem Lärm, den das Volk nun erhob. "Und wann soll das Gottesurteil herausgefordert werden?" fragte Jargo. "Sogleich", rief Taaf, "der Augenblick ist günstig, das ganze Volk ist versammelt. Leute, kommt mit zum Kampfplatz!" Unter lautem Rufen und Schreien setzte sich die Menge in Bewegung. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Der Kampfplatz war eine im Walde gelegene kleine Arena, welche durch einen unterirdischen Gang mit der Löwengrube verbunden war. Ein Gitter trennte die Grube vom Gang; zog man es hoch, so hatten die Löwen den Weg nach der Arena frei. Die Tempeldiener nahmen Torgo, Jargo und Bethseba in die Mitte. Allmählich gewann Bethseba ihre Besinnung wieder. Ihr Körper kämpfte mit der Wirkung des Betäubungstranks und noch schwankte sie beim Gehen und wußte nicht recht, was mit ihr geschah. Torgo stützte sie. Er hatte Jargos Fesseln mit einem Hieb seines Schwertes durchtrennt und Jargo hatte die beiden Pferde am Zügel genommen. Das Volk stürmte mittlerweile voran und jeder suchte in der Arena die besten Plätze zu besetzen. Der Schein vieler Fackeln erhellte das zirkusartige Rund, über das sich eine dichtgedrängte Menge verteilt hatte. Sicher waren an die zehntausend Menschen hier beisammen. Als die Arena erreicht war, nahm man Torgo die Pferde ab. Man brachte sie in einem eigens für diesen Zweck reservierten Raum unter. Gleich daneben befand sich eine aus Steinquadern errichtete Kammer für die Kämpfer, neben der eine Götzenstatue aufgestellt war. Es war ein kleines Standbild Bels, vor dem die Kämpfer um Schutz und Segen der Gottheit vor Antritt des Kampfes beten konnten. Im Rund der Arena fanden oft auch Pferderennen und Tierkampfspiele statt. Die Herausforderung eines Gottesurteils waren eigentlich selten. Auf der Breitseite befanden sich die Logen für die hohen Besucher mit ihren separierten Zuund Abgängen. In der Mitte der Spielfläche war eine tiefe Grube eingelassen, welche dazu diente das vergossene Blut aufzunehmen. Von ihr führte ein Kanal direkt zu einem Abfluß. Selbstverständlich nahmen in den Logen heute Shidra und Taaf Platz. Sie freuten sich schon auf das Schauspiel und fühlten sich als Herren der Situation. Sie wußten, ihre Löwen würden sie nicht enttäuschen. Taaf rieb sich die Hände. "Man bringe Torgo und Bethseba in die Arena", befahl er, "und ramme einen festen Pfahl in den Boden, an welchem man das Mädchen festbinden kann. Torgo mag diesen Pfahl verteidigen." "Sehr gut, grinste Shidra, "so wird es gemacht!" Seine Schergen entfernten sich eilig, den Auftrag auszuführen. Torgo stand unterdessen kampfbereit im Gladiatorenraum, als man Jargo und Bethseba von ihm trennte und so mit ihnen verfuhr, wie die beiden Hohepriester es gefordert hatten. "Ich protestiere", rief Torgo, "dazu habt ihr kein Recht! Das Mädchen ist frei, der Gott hat es gesprochen, und es ist mein freier Wille, daß ich das Urteil herausfordere!" Aber niemand achtete auf ihn. Die Menge da draußen wollte ihren Blutdurst gestillt wissen. Man hatte ihr ein Opfer genommen - nun verlangte sie drei. Es ist gefährlich, das Tier im Menschen zu wecken. Torgo dachte an seinen Vater. Der reiste ahnungslos durch die Provinzen und wußte nicht, was mit seinem Sohn geschah, mit dem Prinzen, der dereinst das Reich regieren sollte. Und wenn er hier gewesen wäre? Er hätte kaum Einspruch erheben können. Zu alt waren die überlieferten Rechte der Priesterschaft und die Gesetze, welche die Unantastbarkeit des Tempelbezirkes betrafen. Nein, Prinz Torgo mußte seinem Willen mit der Waffe Geltung verschaffen. Im Kampf gegen die Bestien, welche die Priester auf ihn losließen. Ein Hornsignal ertönte. Der Kampf sollte beginnen. Festen Schrittes, das blanke Schwert in der nervigen Faust, schritt Torgo in die Arena hinaus. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Sein Blick flog über die vielen fremden, neugierigen, spottlustigen, teilnahmsvollen und sonstige Empfindungen ausdrückenden Gesichter. Sie verschwammen im vom Fackelschein erhellten weiten Rund zu einer einzigen, namenlosen, grauen Masse. Nur die Gesichter in den Logen kannte er. Taaf! Shidra! Er fühlte ihre Blicke auf sich ruhen, spürte die Welle des Hasses, die ihm aus ihren Augen entgegenschlug. Ruhig stellte er sich der Loge gegenüber auf. Seine Faust umspannte den kalten Stahl und hob ihn zum Gruß vor seinen Feinden. Laute Hurrarufe ertönten. Dann wandte sich Torgo dem Pfahl zu, der unweit des Blutlochs in die Erde gerammt war. Auch dorthin grüßte er. Sein Gruß galt Bethseba und seinem treuen Diener und Kampfgefährten. "Wäre ich nur frei, stünde ich neben meinem Herrn", jammerte Jargo, seine Stricke anspannend in dem vergeblichen Bestreben, von dem Pfahl loszukommen, "wir beide wollten dich vor den Löwen schon schützen." "Es geschieht; was Jehova beschlossen hat", meinte Bethseba. Um sie drehte sich alles. Schwindel und Übelkeit hatte sie befallen. Rasselnd ging das Gitter hoch. Bei dem Laut fuhr Jargo zusammen und auch Torgo wendete sich blitzschnell dorthin, von wo die Raubtiere zu erwarten waren. Ein Raunen ging durch die Menge. Aber nichts geschah. Es dauerte eine Weile, bevor die Löwen begriffen hatten, daß sich für sie ein Ausweg aus der Grube geöffnet hatte. Dann hörte man ein näherkommendes, dumpfes Brüllen. Torgo nahm eine kampfbereite Haltung ein. Anfeuernde Rufe wurden laut. Sie galten den Löwen, die sich noch immer nicht zeigten. Doch da - Plötzlich erschien ein mächtiger, zottiger Körper auf leisen Tatzen. Einen Augenblick lang stand der Löwe geblendet still und blinzelte in das Licht der vielen Fackeln. Dann hob er seinen gewaltigen Schädel und stieß ein dumpfes Brüllen aus, das den Zuschauern durch Mark und Bein drang. "Geh ihn an, geh ihn an!" schrieen die Leute, klatschten und quietschten vor Spannung und Erregung. Unbeweglich stand Torgo auf seinem Platz. Unbeweglich auch der Löwe. Sie standen einander gegenüber, maßen sich. Der Löwe schien nicht zu begreifen, was hier von ihm erwartet wurde. Er schleckte sein Maul mit der Zunge und trottete dann zur Seite auf einen halbwegs dunklen Platz, wo er sich in den Sand streckte. Unwilliges Brüllen wurde laut. Man warf mit Steinen nach dem Löwen und brachte das Tier soweit, daß es sich unter unwilligem Brummen wieder erhob und sich einen anderen Platz suchte. Torgos Miene erhellte sich. Er ging mit ruhigen Schritten bis vor den Pflock und nahm etwa zehn Schritte davor entfernt Aufstellung, um die Gefesselten zu decken. Doch da erschienen zwei Löwenweibchen im Stollen, strichen in die Arena und fauchten bedrohlich, als sie seiner ansichtig wurden. Sie waren angriffslustiger als der Löwe. Anfeuernde Rufe aus der Arena schwollen zu einem brausenden Lärm, der auch den Löwen aus seiner Lethargie aufschreckte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die beiden Löwenweibchen strichen in einiger Entfernung um den Pfahl und Torgo machte ihre Bewegungen mit. Immer bedrohlicher fletschten sie ihre Zähne und dann stießen sie ein gefährliches Fauchen aus. "Na, was sagst du?" fragte Taaf Shidra. "Wie der Kampf ausgehen wird? Darüber gibt es doch keinen Zweifel. Vielleicht wird er eine der Katzen erledigen. Aber die zweite wird ihn haben - und den Rest besorgt dann der Löwe, wenn er erst Blut gerochen hat." So lautete Shidras Meinung. Und sie wurde von den meisten Leuten in der Arena geteilt. Sie hatten vergessen, daß es Torgo war, der da unten dem Tod gegenüber stand. Für sie war es nur mehr ein Schauspiel mit einem Unbekannten, der ihnen diese Schauspiel bot. Torgo aber erwartete den Angriff. Er sah das gefährliche, gierige Leuchten in den Augen der beiden Katzen und wußte, daß es nur mehr eine Frage von Augenblicken war, bis sie ihn anspringen würden. Der Löwe trottete immer noch unschlüssig am Rande der Arena herum. Er überließ den Kampf seinen Weibchen und war höchstens bereit, sich nachher einen bequemen Anteil der Beute zu holen. So sah es zumindest aus. Aber Torgo täuschte sich auch in dieser Hinsicht nicht und war sich durchaus im klaren darüber, daß der Löwe um nichts weniger gefährlich war. "Herr, Herr, aufgepaßt", schrie Jargo. Aber dieses Rufes bedurfte es nicht. Ein gewaltiger Aufschrei ging durch die Arena. Die Leute sprangen von ihren Sitzen auf - - Sekundenlang schien eine der beiden Katzen in der Luft zu schweben - - Sie sprang mit gewaltigem Satz vom Boden ab und auf Torgo zu... Er stand mit kühnem Blick die Sprungrichtung berechnend. - - Ein entsetzliches Kreischen durchschnitt die Luft - - Die Löwin war geradewegs in Torgos Schwert gesprungen. Mit gewaltigem Ruck zog er das Schwert aus dem verendenden Körper und sprang aus der gefährlichen Nähe der um sich schlagenden Pranken. Und da war auch schon der Löwe da. Als er sah, was mit dem Weibchen geschehen war. Gleich einem fernen, dumpfen Donner erfüllte sein Brüllen die Luft. Mit gewaltigen, geschmeidigen Sprüngen setzte er an, bis kurz vor Torgo, richtete sich auf seinen Hinterpranken auf und hob die Läufe zum mörderischen Schlag. Torgo sah im fahlen Schein der Fackeln die entsetzlichen Zähne im zottigen Maule blitzen. Und da kam die zweite Löwin, von rückwärts... "Sieh dich vor Herr", rief Jargo und zerrte wie verrückt an seinen Fesseln. Bethseba schien das Bewußtsein verloren zu haben. Sie war wie leblos an dem Pfahl zusammengesunken. "Wehr dich, wehr dich..." brüllte es im weiten Rund. Für diese Leute war es ein Spiel, eine Unterhaltung, für Torgo blutiger Ernst. Das Brüllen der Raubtiere drang ihm in die Ohren. Sein erster Gedanke war, sie von dem Pfahl abzulenken und Rückendeckung zu suchen. Aber die schützende Wand der Arena war weit. Er hätte sie niemals erreicht, im Laufen hätten ihn die Bestien zu Boden und in Stücke gerissen. Da sprang die Löwin. Er hörte das Scharren ihrer Pranken beim Absprung. Mit einem riesigen Satz schnellte er zur Seite.
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Die Löwin sprang fehl, ihre Pranken zerfetzten das Gesicht des Löwen, der im gleichen Augenblick Torgo angesprungen hatte. In der nächsten Sekunde hatten sich die beiden Tiere in einem wilden Kampf ineinander verkrallt. Die Leute sprangen brüllend und gestikulierend von ihren Sitzen auf. Taaf und Shidra stießen höchst unpriesterliche Flüche aus. Man schwang Fackeln und warf sie brennend in die Arena, aber das alles stachelte die beiden Tiere nur noch mehr an. Torgo trat still beiseite und stellte sich wieder schützend vor den Pfahl, um die Festgebundenen zu verteidigen. Die erste Löwin war mittlerweile verendet. Torgo stieß den schweren Körper hinab in die Grube. Unter entsetzlichem Gebrüll und Gefauche kämpften die beiden anderen Tiere in dem sich blutig färbenden Sand. Sie hatten sich ineinander verkrallt und verbissen. Als der Löwe endlich von der Löwin abließ, war sie eine leblose blutige Masse und an ihr hatte er Fleisch genug, um seinen Hunger zu stillen. Er riß aus dem noch warmen Kadaver gewaltige Fetzen und hielt sein Mahl ab. Seine Lefzen färbten sich rot, er schmatzte behaglich und legte sich auf allen Vieren bequem im Sand zurecht. Ab und zu blinzelte er zu Torgo hinüber, der auf sein Schwert gestützt dastand, daß Tier erwartend. Doch der Löwe hatte keine Lust, ihn anzugreifen. Als das grausige Mahl beendet war, erhob er sich und trollte nach dem Stollen, um freiwillig in seine Grube zurückzukehren. Die Leute gaben durch laute Rufe ihrem Unwillen Ausdruck. ",Aufhören, aufhören!" schrien sie. "Bel hat gesprochen; gebt die Leute frei, es ist entschieden!" Doch Taaf und Shidra, bleich vor Wut, gaben den Befehl, den Stollen zu schließen, noch ehe ihn der Löwe erreicht hatte. Als das Tier das verschlossene Gitter erreichte, fing es wütend zu brüllen an. .,Feigling", schrie Shidra und ballte die Faust gegen den Löwen, "Feigling, kämpfe!" Langsam trottete der Löwe wieder in die Arena zurück, schüttelte unwillig sein Haupt. Und wieder schwangen sie die Fackeln und tobten, schrieen in rhythmischen Chören, feuerten den Löwen und Torgo an. Doch Mensch und Tier zeigten keine Lust, ihnen Willens zu sein. Langsam kam der Löwe näher. Torgo richtete sich auf. Seine Sinne waren hellwach. Doch an der Haltung des Löwen erkannte er, daß das Tier keinen Angriff beabsichtigte. Es ging ruhig zu ihm hin, blieb vor ihm stehen. Hätte Torgo gewollt, er hätte den Löwen mit einem einzigen Schwertstreich fällen können. Aber er führte keinen unfairen Kampf. Unter dem Gebrüll der Menge legte sich der Löwe zu Torgos Füßen nieder. Und Torgo streckte lächelnd die Hand aus und kraulte den mächtigen Schädel der Raubkatze, die sich das ruhig gefallen ließ... Und damit wendete sich das Blatt. Es war klar, das Gottesurteil war gesprochen. Was hier geschehen war, grenzte beinahe an ein Wunder. Bel hatte eindeutig seinen Willen kundgetan - Torgo war im Recht; er hatte wahr gesprochen und die beiden Gefangenen waren freizugeben. Wutschnaubend zogen die beiden Priester die Konsequenzen aus ihrer Niederlage. "Schafft den Löwen fort und gebt die Leute frei", knurrte Shidra, bleich vor Zorn. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Das Gatter wurde hochgezogen. Der Löwe merkte es und trollte sich. Hinter ihm fielen die Gitterstäbe wieder nieder und die Gefahr für Torgo und seine Gefährten war abgewendet. Torgo reinigte sein Schwert im Sande und befreite Jargo und Bethseba. Er nahm die Ohnmächtige auf seine Arme. Unter dem Jubel der Menge kehrte er mit ihnen in die Kammer der Gladiatoren zurück, ohne der Masse einen einzigen Gruß zuzuwinken. Bethseba war unter seiner Berührung erwacht. "Du bist frei", sagte er. "Keine Sklavin mehr, ich schenke dir die Freiheit." "Frei?" fragte sie, langsam begreifend, was geschehen war. "Wohin Herr?" fragte Jargo. "Wir bringen sie in den Palast. Ich werde glücklich sein, wenn ich den Tempelbezirk verlassen habe." Auch Jargo saß auf und sie sprengten davon, von den haßvoll funkelnden Augen Shidras und Taafs verfolgt. Überall, wo man ihrer ansichtig wurde, jubelte man ihnen zu. Es waren die gleichen Menschen, die sie vor einer halben Stunde noch gerne in Stücke gerissen gesehen hätten. Nun kannten und liebten sie ihn wieder, ihren Prinzen Torgo. Der Gedanke daran erfüllte Torgos Herz mit Bitterkeit. Nur widerwillig erwiderte er die Grüße. Sobald es der Weg gestattete, schwenkten sie seitab, um die Brücke hinüber zum Königsschloß zu erreichen. "Ich möchte nicht wissen, was uns Shidra und Taaf jetzt wünschen", rief Jargo lachend. "Wir haben sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Diese Schwindler! Als ich den hohlen Götzen sah, traute ich meinen Augen kaum. Aber nun weiß ich es, so hohl wie dieser Götze, ist auch ihre Religion." Torgo nickte. Bethseba hörte es. Sie sagte kein Wort dazu. Aber ihr Herz war erfüllt von Dankbarkeit gegen den, dessen Namen sie nicht einmal auszusprechen wagte, gegen Jehova. Sie erreichten unangefochten den Palast, wo Torgo sofort die Wachen zusammenrief. "Hauptmann Wusso", rief er. "Dir untersteht die Palastwache und die Obhut über die Gefangenen im Pavillon." "So ist es Prinz, da Hauptmann Alwa mit dem König unterwegs ist." "Lasse die Wachen verstärken. Man soll auf der Hut sein. Wir hatten ein böses Erlebnis mit den Priestern, so daß man auf alles gefaßt sein muß." "Mit den Priestern?" fragte Wusso verwundert und sichtlich erschrocken. "Tue, was dir der Herr befohlen hat", fuhr Jargo ihn an. "Und überlaß das Denken uns, du bist ohnehin dazu nicht imstande." "Und dann sag den Dienern, man soll ein Quartier für dieses Mädchen bereiten." Er deutete auf Bethseba. "Für diese Sklavin?" fragte Wusso, noch mehr erstaunt. "Sie ist keine Sklavin mehr", rief Jargo, nun wirklich aufgebracht. "Habe ich dir nicht eben gesagt, was du tun sollst?" Wusso merkte, daß mit Jargo heute nicht gut Kirschen zu essen war. "Es wird geschehen," sagte er deshalb und ging. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Torgo nahm von Bethseba Abschied. "Man wird dich in einen hübschen Raum bringen", sagte er. "Morgen früh sehen wir uns wieder. Dann mußt du mir viel von deinem Volk und deinem Glauben erzählen." "Ich werde es gern tun Prinz", antwortete sie. "Für heute wünsche ich dir gute Ruhe. Schlafe wohl Bethseba. Hier im Palast bist du sicher." "Ich bin überall sicher, wo die Hand des Herrn über mich wacht", antwortete Bethseba voll Vertrauen auf die Vorsehung und folgte dem Diener, der erschien um sie nach ihrem Gemach zu bringen. Zufrieden ließen Torgo und Jargo sich nieder. "Das war ein hartes Stück Arbeit Herr", meinte Jargo. "Ja, das war es", sagte Torgo. "Aber wir haben es geschafft." "Und nun", meinte Jargo unternehmend und erhob sich wieder, "nun bringe ich uns den Wein Herr. Ich glaube, wir haben ihn redlich verdient." * Mit Windeseile verbreitete sich die Kunde vom Geschehenen über Stadt und Land. Sie erreichte auch den König auf seiner Inspektionsreise und er vernahm mit Verwunderung, aber nicht ohne Befriedigung, was geschehen war. "Torgo ist aus gutem Holz", sagte er zu sich selbst. "Er hat es wohl gemacht. Es ist gut so. Die Schlappe ist Shidra und Taaf zu gönnen." Und im Gefühl, daß seine Sache in guten Händen sei, setzte er seine Reise durch das Land und nach dem Kupferbergwerk fort. Dort hatte Nimbur mittlerweile die Felsenkammer noch immer nicht verlassen. Als Numrod sah, daß die über Nimbur verhängte Tortur wirkungslos blieb, hatte er seinen Gefangenen von dem Pflock befreien lassen. Er schickte ihm Speise und Trank, aber er entließ ihn nicht aus seiner finsteren Zelle. Numrod war gesonnen, es nun auf eine andere Weise zu versuchen. Nach der Peitsche wollte er nun seinem Gefangenen Zucker geben. Nimbur merkte, daß es ihm besser gehen sollte. Und er fand, daß die Stille und Einsamkeit seiner zwar lichtlosen, aber ruhigen Zelle immer noch besser sei, als das Geschundenwerden und Geplagt sein im Bergwerk. Als Numrod plötzlich und überraschend bei ihm auftauchte, war er innerlich bereits vorbereitet auf diesen Besuch. "Wie lebst du hier?" fragte Numrod ihn barsch. "Gut, Herr", antwortete Nimbur der Wahrheit gemäß. "Das heißt, den Umständen angemessen." Diese Antwort war Numrod zu hoch. Er witterte eine neuerliche Hänselei dahinter. "Wenn es dir hier gut gefällt, so kannst du hier bleiben", meinte er daher auftrumpfend. "Ich dachte eigentlich, du möchtest es besser haben." "Jedermann möchte es immer besser haben", war Nimburs vorsichtige und orakelhafte Antwort. "Also doch" grinste Numrod höhnisch und sah sich am Ziel seiner Wünsche. "Was soll ich tun?" fragte Nimbur. "Denn du willst doch, daß ich etwas tun soll." Numrod sah sich durchschaut. "Du kannst mit mir kommen wenn du willst", brummte er, "und oben im Sonnenlicht wohnen." "Und was erwartest du von mir?" "Daß du mir von deinem Lande und seinem Machthaber erzählst." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Das will ich gern. tun." "Aber ich bin dein Herr, verstanden? Bei der geringsten Widersetzlichkeit stecke ich dich wieder in dieses Loch und lasse auch noch deinen Kopf in den Pflock spannen." "Ich werde mich so verhalten, wie es richtig ist." Die Zweideutigkeit dieser Antwort entging Numrod. Er winkte Nimbur mit ihm zu kommen. Begleitet von zwei Schergen schritt der Ägypter nun wieder den Stollen aufwärts. Aufwärts, dem Licht entgegen. Er glaubte nun endgültig an den Sieg seiner Willenskraft und an die eingetretene Wende. Aber als er im Licht des Tages stand und unwillkürlich gegen die Sonne schaute, begannen die Farben um ihn ringsum zu verblassen. Ein seltsamer roter und grüner Nebel hüllte ihn ein. Schwindel befiel ihn... Alles drehte sich um ihn und er stürzte zu Boden. Ein stechender Schmerz durchbohrte seine Augen und sein Gehirn. "Was hast du? Was ist mit dir?" rief Numrod und riß ihn auf. Nimburs Augen waren geschlossen. Als er sie wieder aufschlug, war ihr Blick starr und leblos. Es war Nacht um ihn, die gleiche dunkle Nacht wie da unten in seiner Zelle. Und als Nimbur begriff, was mit ihm geschehen war, lachte er. Er lachte ein schauerliches, entsetzliches Lachen, ein Hohnlachen, daß ihm selbst und seiner vermeintlichen überlegenen Klugheit galt. "Du kannst mich ruhig wieder hinab in die Tiefe schicken", meinte er. "Ja, ich gehe sogar freiwillig". Denn nun ist es gleich, wo ich bin. Ich bin erblindet Numrod, verstehst du? Erblindet... Numrod stieß einen Fluch aus. "Die Götter haben deinen Hochmut bestraft", sagte er. "Aber ich an deiner Stelle bliebe trotzdem hier oben. Wer weiß, vielleicht ist es nur im Augenblick so und es gibt sich wieder." Mit gebeugtem Rücken folgte ihm Nimbur in seine Hütte. * Shidra und Taaf hatten sich Reg, den Bettlerkönig kommen lassen. "Wir können es unmöglich auf uns beruhen lassen", meinte Taaf, "wie der Prinz und der König unsere Macht untergraben. Sollen wir länger zusehen, wie sie Bels spotten?" "Nein", pflichtete Shidra bei. "Wir müssen etwas unternehmen. So geht es nicht weiter." "Aber was wollt ihr tun?" fragte Reg vorsichtig, Reg war ein Individuum das für Geld zu allem bereit war. "Die Sache ist die", begann Taaf seinen Plan zu erläutern, "daß wir nicht offen gegen den Prinzen oder den König ankönnen, solange sie sich nicht innerhalb unseres Bezirkes eines Verstoßes gegen unsere Gesetze zuschulden kommen lassen." Reg lachte rauh. "Torgo hat es auch getan", meinte er "Und ihr habt trotzdem nichts gegen ihn tun können." "Er muß mit den bösen Mächten im Bunde stehen", meinte Shidra, ingrimmig in seinen Bart murmelnd. Reg streckte abwehrend alle Finger von sich. "Wenn das so ist?, meinte er abergläubisch, "so will ich besser nichts mit eurer Sache zu tun haben. Gegen böse Mächte kann niemand an, ihr seht es ja selbst." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Taaf schüttelte unwillig den Kopf. "Nein, nein", meinte er. "Das war von Shidra nur so eine Redensart. Und überdies verlangt niemand von dir das du selbst gegen ihn angehst." "Was erwartet ihr dann von mir?" fragte Reg zögernd. Unwillkürlich senkte Taaf seine Stimme zum Flüsterton. "Wir müssen verbreiten, was das Volk zum Aufruhr bringt." "Das wird nicht leicht sein" meinte Reg, bedächtig sein verschlagen wirkendes Haupt schüttelnd. "Ich weiß, daß es schwer sein wird", murrte Taaf. "Wir müssen es aber trotzdem versuchen." ,,Und wenn Torgo oder der König dahinterkommen, wer an dem Aufruhr Schuld trägt, dann lassen sie mir den Kopf abschlagen", meinte Reg und fuhr unwillkürlich an seinen ungewaschenen Hals. "Soweit darf es gar nicht kommen", redete Taaf auf ihn ein. "Wenn du es geschickt anstellst, so überfällt man den König unterwegs auf seiner Reise und den Prinzen bei einem Ausritt oder meinetwegen auch in seinem Palast." "Du meinst - - ?" Reg machte fragend und zweifelnd zugleich die Geste des Umbringens. Shidra und Taaf nickten, ohne ein Wort zu sagen. "Und dann sind wir die Herren", setzte Taaf nach einer Weile hinzu. Regs Gesicht überflog ein breites Grinsen. "Nicht schlecht gedacht," meinte er. ,.Ich begreife." "Dann ist es gut", sagte Taaf. "Wenn wir uns verstanden haben" meinte Shidra, "und wenn das Vorhaben gelingt, hast du für dein Leben ausgesorgt." Er lächelte verheißungsvoll und wohlwollend. Reg kratzte sich hinter dem Ohr. "Ich begreife, ich begreife", wiederholte er. "Aber es wird trotzdem nicht leicht sein. Wenn ich alles allein machen könnte, wißt ihr, allein.... Taaf fuhr ihn wütend an. "Nichts begreifst du, gar nichts", rief er. "Sonst würdest du nicht so sprechen. Wenn es du allein machst, kostet es dich den Kopf und uns nützt es gar nichts." "Weshalb?" fragte Reg verwundert. Weshalb? Weil du dann ein Mörder bist, nichts als ein schändlicher Mörder. Gelingt dir nur einer der beiden Morde, so bist du des Todes und gelingen dir beide, so wird man nach dem Anstifter fragen und dem Prinzen und dem König nachtrauern und wir gelangen womöglich niemals an die Macht. Ist es aber ein Aufruhr, ein richtiger Aufruhr, verstehe doch endlich, dann war es ein Wille des Volkes, daß die beiden sterben. Niemand fragt nach den Tätern. Das Volk hat sich von seinen Tyrannen befreit und dasselbe Volk wird sodann nach der milden Regentschaft der Priester verlangen. Aber das ist der zweite Teil unseres Plans, zuerst muß der eine ausgeführt werden." Langsam ging Reg nun doch ein Licht auf. "Ihr seid noch schlauer als ich dachte", meinte er. "Die Sache hat nur einen Haken. So ein Aufruhr läßt sich nicht leicht anzetteln. Dazu braucht man eine Menge Leute, die mitmachen. Und viel Geld!" "Sie werden alle ihren Lohn finden." "Aber es könnten welche darunter sein, die nicht genug Mut haben oder vielleicht gar mit der anderen Seite sympathisieren. Je mehr Leute bei einem Unternehmen dabei sind, um so größer ist die Gefahr des Verrates." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Taaf lehnte sich zurück. "Das ist deine Sache, Reg ", sagte er. "Suche dir solche Leute aus, wähle deine Kumpane mit Vorbedacht. So wirst du sicher sein, daß dich keiner verrät." "Mich? Du meinst uns", verbesserte Reg. "Nein, Reg. Denn wenn etwas passiert, so kennen wir dich nicht und haben nie miteinander über diesen Plan gesprochen. Und du kannst dir wohl denken, daß man dem Hohepriester und mir mehr Glauben schenken wird als deinem schmierigen Maul, Reg." Regs Augen wurden zu einem schmalen Spalt. Das Grinsen in seinem Gesicht erstarrte zu einer Maske. "Ja, natürlich, " sagte er heiser. Vergeblich versuchte Taaf zu erraten, was jetzt im Inneren dieses Mannes vorging. Schließlich unterließ er es, weiter an Reg herumzurätseln. "Du weißt also, wie du dich verhalten mußt" brummte er, um eine Spur freundlicher, denn das schien ihm auf alle Fälle ratsam. "Und - was springt dabei heraus?" In Regs Augen funkelte die Gier. "Eine Menge", meinte Shidra großsprecherisch. "Sagen wir - zwei Beutel voll Gold?" Reg wiegte den Kopf. - - oder drei?" setzte Taaf schnell hinzu. Shidra wollte Einwände machen, aber Taaf gab ihm schnell einen Wink. "Du siehst, daß ich es gut mit dir meine", sagte Taaf. "Jede Arbeit erfordert auch ihren Lohn. Sagen wir, drei Beutel mit Gold. Dann bist du ein reicher Mann Reg und wir werden dir auch auf allen anderen Gebieten stets behilflich sein. Wenn du etwas brauchst, kannst du zu uns kommen und wir werden dir unsere Hilfe nicht versagen." Reg schien zu überlegen. "Schön", sagte er schließlich. "Für drei Beutel Gold mache ich es. Aber versuche nicht mich zu hintergehen. Auch Reg ist mächtig, ihr werdet es erleben. Und was Reg mit dem König und seinem Sohn machen kann, kann er auch jederzeit mit anderen Personen vollführen." Shidra und Taaf lächelten sauer. .,Es ist also abgemacht?" fragte Taaf, ohne auf Regs Bemerkung einzugehen. "Ja, es ist abgemacht." Sie gaben einander den Handschlag. "Bist du verrückt?" fragte Shidra, kaum das Reg verschwunden war. "Drei Beutel guten Goldes willst du diesem Schmutzfinken geben?" Taaf legte ihm die Hand auf die Schulter. Du vergißt, daß wir ohne seine Hilfe niemals an die Macht kämen", sagte er. "Und außerdem, wer sagt dir, daß er die drei Beutel jemals wirklich erhalten wird? Ich hätte ihm auch fünf oder zehn Beutel versprechen können, aber das hätte sein Mißtrauen erweckt, deshalb habe ich scheinbar mit ihm gehandelt." "Wie - du willst ihm nichts geben'?" fragte Shidra erstaunt. "Hast du seine Drohung nicht gehört?" "Eben wegen dieser Drohung. Ich las sie in seinem Gesicht, schon bevor er sie ausgesprochen hatte. Dieser Mann ist tatsächlich für uns gefährlich und deshalb muß er verschwinden. Eine unserer ersten Amtshandlungen wird sein, ihn als Aufrührer, Mörder und Schuldigen am Tod des Königs und des Prinzen verhaften und hinrichten zu lassen. Dann sind wir ihn los und er kann nicht mehr gegen uns intrigieren." "Du bist ein Schlaukopf" brummte Shidra, der nun selbst vor der Heimtücke seines Partners ein Grauen empfand das er erst Überwinden mußte... (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Doch auch Reg spielte nicht mit offenen Karten. Als er das Haus der Priester verlassen hatte, stand er eine Weile unschlüssig. "Dumm wäre ich" sagte er für sich, "wenn ich den Priestern zur Macht verhelfen wollte. Ja, den König und den Prinzen werde ich beseitigen. Diese Idee ist nicht schlecht. Aber dann die Priester auf den Thron setzen? Niemals. Nein, der neue König von Atlantis wird Reg heißen und dann wird euch noch jedes geringschätzige Wort das ihr heute über mich habt fallen lassen, leid tun ihr Herren... Finstere Pläne schmiedend, verließ er den Tempelbezirk und kehrte in die Stadt zurück, wo er seine Helfershelfer wußte. * Von der Stadt aus nahm der Aufruhr seinen Weg... Nif-Iritt hörte am nächsten Morgen jenseits der Mauer das Geschrei einer vielköpfigen Menge und dazwischen Hauptmann Wussos scharfe Stimme. "Das klingt nach Aufstand", sagte sie erschrocken zu Sil und Gül-Gül. "Ob deshalb vielleicht der König die Stadt verlassen hat?" fragte Sil. "Dann hätte er nicht Prinz Torgo hier zurückgelassen", erwiderte Nif-Iritt kopfschüttelnd. "Nein, sie nutzten des Königs Abwesenheit um Radau zu machen." "Und wenn man mit der Menge nicht fertig wird?" "Dann steht es schlimm um Torgo und vielleicht auch um uns." Auch Prinz Torgo hörte den Lärm. Er verließ sein Schlafgemach, um auf den Balkon zu gehen. Auf halbem Weg traf er Jargo. "Was hat das zu bedeuten?" fragte er. "Zeige dich nicht Herr"," rief Jargo aufgeregt und hielt den Prinzen zurück. "Das Volk ist wütend wegen des Schauspiels das ihm gestern Nacht entging. Sie wollen das Sklavenmädchen wieder haben, um es Bel zu opfern." "Das ist sicher wieder so eine Intrige der Priester. Aber wenn sie es auf einen Machtkampf ankommen lassen wollen, gut. Sie werden ihren Willen nicht bekommen. Bethseba bleibt hier." "Es ist eine Menge Leute, Herr!" "Wenn schon! Wir haben Bethseba nicht unter so schwierigen Umständen befreit, um sie jetzt zu opfern." "Das nicht Herr. Aber wir müssen uns in Sicherheit bringen." ,.Fliehen, vor dieser Meute? Niemals, Jargo. Rufe alle Wachen zusammen. Wir werden den Palast, wenn nötig verteidigen." "Herr, es ist nur Wusso hier. Alwa ist mit dem König unterwegs. Er hat eine starke Kohorte mitgenommen." "Und Sarga?" "Jagt auf dem Meer den entflohenen Ägypter." "Dann muß Wusso genügen. In der Kaserne liegen viele Soldaten. Wir werden des Aufruhrs Herr werden." Jargo hatte seinen jungen Herrn noch nie so energisch gesehen. Das Blut des jungen Königs regte sich in ihm. "Dann gehe ich, Wusso zu rufen." "Gut. Und vergiß Bethseba nicht. Ich wünsche, auch sie zu sehen. Sie mag gleich kommen." "Es geschieht, Herr." Jargo eilte davon. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Trotz Jargos Mahnung entschloß sich Torgo hinaus auf den Balkon zu treten. Drunten, vor der Wussos Soldaten bewachter Freitreppe, wogte eine wilde Menschenmenge. Torgo sah, wie die fanatisierten Leute die Fäuste schüttelten und wilde Gebärden machten, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Als der Prinz auf dem Balkon erschien, verstummte die Menge. Torgo trat vor. "Leute, was wollt ihr?" fragte er. Einzelne Stimmen antworteten, aber Torgo konnte nicht verstehen, was die Leute riefen. Die Masse aber schwieg. Die Gesichter nahmen einen verlegenen scheuen Ausdruck an. "Geht nach Hause Leute, wenn ihr nicht wißt was ihr wollt," rief Torgo und winkte ihnen mit den Armen, den Platz zu verlassen "Geht heim, macht euch an eure Arbeit!" Einige der Demonstranten begannen sich zu verdrücken. Andere wieder wurden offensichtlich aufgestachelt. Es bildeten sich kleine Zentren der Meuterei. Torgo sah es. Und er wußte sogleich, daß hier eine treibende Macht am Werke war. Die Aufgestachelten steckten mit ihrer Stimmung andere an. Minuten später glich der Platz vor dem Königspalast erneut einem Heerlager des Aufruhrs. Torgo sah ein, daß es keinen Sinn hatte, mit diesen Leuten reden zu wollen.. Handelte es sich doch um bezahlte Subjekte, die Vernunftgründen nicht zugänglich waren. Sie kannten nur Argumente anderer Art - Geld oder Gewalt. Da Torgo nicht daran dachte, ihnen das erstere zuzuwenden, mußte Hauptmann Wusso abgewartet werden. Unterdessen standen die Wachen vor dem Palasttor auf ihre Lanzen gestützt, der wütenden Volksmasse unbewegt gegenüber. Die Anführer hätten diese Wachen einfach hinwegspülen können, wenn sie eine geschickte und mutige Führung gehabt hätten. Aber Reg war an diesem Morgen gar nicht dabei. Er befand sich in Gesellschaft unbefangener Bekannter in einem Wirtshaus am anderen Ende der Stadt und hatte dies mit Absicht so eingerichtet, damit er Zeugen für seine Unschuld zur Hand hatte. Im Inneren des Palastes liefen die Diener mit schreckensbleichen Gesichtern gleich einer aufgescheuchten Herde über Korridor und Treppen. Der Lärm von draußen war eine drohende Musik. Bethseba war auf Jargos Bitten sofort zum Prinzen geeilt. "Herr, was gibt es?" fragte Bethseba, nach draußen weisend. "Nicht wahr, es ist meinetwegen?" "Ja, Bethseba." "So liefere mich aus und erspare dir weiteres Ungemach." Torgo ergriff ihre Hände. "Es ist nicht nur deinetwegen", antwortete er. "Es geht auch um andere Dinge. Es geht um Macht und Geld - es ist das alte Spiel das überall in der Welt gespielt wird." "Dennoch Herr, laß mich zu ihnen gehen, so haben sie keinen Vorwand mehr." "Sie würden neue Gründe finden. Ich habe dich nicht deswegen kommen lassen. Ich wollte dir nur sagen, daß du unter meinem Schutz stehst und daß dir niemand ein Haar krümmen wird. Du bist sicher vor dem Pöbel, wenn du bei mir bist." Jargo erschien. Der Lärm draußen schwoll immer stärker an. "Der Hauptmann wird gleich kommen. Herr."
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"Es ist gut Jargo. Sei ruhig, Bethseba. Gemeinsam werden wir dieses Schloß gegen alle Feinde verteidigen." Und der Aufruhr lief von der Stadt aus gleich einer gefährlichen, ansteckenden Krankheit über das Land. Wie die Pestilenz verbreitete er sich überall hin, denn immer und zu allen Zeiten gibt es Unzufriedene und solche, deren der Unfrieden zur Erreichung ihrer eigenen Interessen willkommen ist. Und Reg, der Drahtzieher bewies seine Macht. Er war nicht umsonst der Herr der Bettler und Wegelagerer, der Herr aller Krüppel, Aussätzigen und Verdorbenen in Atlantis. Seine zerlumpten Boten krochen gleich Spinnen von Dorf zu Dorf, überall die Brandfackel des Aufruhrs in die Häuser schleudernd und das Gift der schlechten Meinung zurücklassend. Reg lachte zufrieden. Er sah, daß seine Saat gut stand und sein verderbenbringender Weizen gedieh. Unterdessen nahm die Fahrt des Königs seinen Fortgang. Wo der König hinkam, war es noch ruhig, aber beunruhigende Gerüchte drangen zu Ohren Hauptmann Alwas, und er verfehlte nicht, sie dem König mitzuteilen. Als sie eines Abends bei einem Rasthause hielten, begehrte er den König zu sprechen. "Was gibt es, Hauptmann?" fragte Amur. "Herr", antwortete Alwa, "der Wirt erzählt mir schlechte Neuigkeiten. In der Hauptstadt scheint Aufruhr zu herrschen. Auch in einigen Orten sind bereits Wegelagerer aufgetaucht. Sie stecken die Amtshäuser in Brand und reißen das königliche Wappen von den Wänden." "Auch ich hörte bereits davon", sagte Amur ernst. "Und dennoch kann ich nicht glauben, daß Prinz Torgo das zuläßt. Er ist jung und energisch. Er wird des Aufruhrs Herr werden." "Herr, wie ich hörte ist er selbst die Ursache dazu." "Wegen der Geschichte mit dem Sklavenmädchen?" "Ja, Herr. Das hat Folgen. Ich habe es gleich geahnt, der Prinz hätte es nicht tun sollen." Der König schüttelte den Kopf. "Das ist nicht das Volk, Alwa. Das sind Aufwiegler, welche von Shidra und Taaf bestochen sind. Sie wollen ihre Schlappe wieder gut machen und uns ihre Macht fühlen lassen." "Meinst du nicht, daß es gut wäre in die Stadt zurückzukehren?" fragte Alwa bedenklich. Der König überlegte einen Augenblick lang. "Nein," sagte er dann. "Hier auf dem Lande sind wir sicherer. Das Volk hier ist treu. In der Stadt aber gibt es viele Stimmungen. Ich verlasse mich auf Torgo. Er wird es schaffen. Wir setzen unsere Reise fort, nur wollen wir sie etwas beschleunigen. Vielleicht ist es gut, wenn wir nun direkt nach dem Kupferbergwerk aufbrechen. Mir liegt sehr viel daran, mit diesem Nimbur zu sprechen." "Wie du willst, Herr", sagte Alwa wenig erfreut. Er hatte ein seltsames Gefühl das ihn warnte. Aber der König hatte nun eben seinen eigenen Willen. Der König begab sich in das beste Gemach der einfachen Herberge. Hier wollte er über Nacht der Ruhe pflegen. Der Wirt gab, was Küche und Keller bieten konnten und König Amur unterhielt sich ausführlich mit ihm über die Sorgen und Probleme der Leute dieser Gegend. Als er sich schließlich zur Ruhe begab, war er rechtschaffen müde. Ein Tag in der Kutsche strengt an. Hauptmann Alwa stellte rings um den Gasthof seine besten Leute auf Wache. Er schärfte jedem von ihnen ein, besonders auf der Hut zu sein und niemand zu nahe an das Haus heranzulassen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Dann legte auch er sich für zwei Stunden aufs Ohr. Um Mitternacht sollten die Posten abgelöst werden. Danach wollte er selbst einen Rundgang machen, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung war. Der König lag in tiefem Schlummer, als Hauptmann Alwa erwachte. Er war nicht geweckt worden. Ein übler Traum hatte ihn geplagt. Er hatte von Schlangen geträumt, welche sich dem königlichen Throne näherten. Das bedeutete gewiß nichts Gutes. Alwa richtete sich auf und horchte in die Dunkelheit. Nichts war vernehmbar als das gleichmäßige Atmen der Schläfer neben ihm. Es waren die Soldaten, die mit zur Kohorte gehörten seine engeren Untergebenen, während die gemeine Mannschaft draußen im Freien kampierte. Der Hauptmann trat zum Fenster und sah an der Stellung der Gestirne am wolkenlosen Nachthimmel, daß es ohnehin schon die Zeit der Wachablösung war. Fast gleichzeitig vernahm er draußen die Rufe, welche den Beginn dieser Maßnahme ankündigten. Alwa verließ das Haus. Er beschloß, seinen Rundgang sogleich zu unternehmen. Er erreichte den ersten Posten, der noch nicht abgelöst war. "Ist alles in Ordnung?" fragte er. "Es hat sich nichts ereignet, Hauptmann." "Gut. Du wirst gleich abgelöst werden. Sage dem Mann, der nach dir kommt, er möge die Augen offen halten. Diese Nacht verheißt nichts Gutes." Auch beim zweiten Posten hatte sich nichts ereignet. Der dritte Posten . . "Nichts war los, Hauptmann Nur ein zudringlicher Bettler schlich sich herum, den ich aber verscheucht habe. Er wollte etwas Brot und Wasser, Herr." "Und weshalb hast du ihn nicht gleich festgehalten?" rief Alwa zornig. "Er war ein harmloser Bettler, Herr." "Harmlos? Du bist ein Tölpel! Wohin ist der Mann?" "Ich weiß es nicht. Vielleicht versucht er sein Glück bei einer anderen Wache." Schärfe dem, der dich ablösen wird ein, er hat jeden, der sich der Postenkette nähert, festzuhalten und sofort Alarm zu geben. Verstanden.?" "Ja, Herr." Alwa lief fluchend weiter. Er ging hinüber zum Mannschaftslager, wo die Ablösung soeben ausrückte. "Leute, heraus!" rief er. "Es treibt sich ein Verdächtiger hier umher! Man muß ihn sofort suchen und festnehmen!" Im nächsten Augenblick schon glich das Lager einem aufgescheuchten Bienenschwarm. Nach alle Richtungen zogen kleine Gruppen von Soldaten und schwärmten über die Wege und Felder aus. Das Dorf selbst, an dessen Ausgang die Herberge stand, wurde durchsucht; man trommelte seine Bewohner aus dem Schlaf und untersuchte jedes Haus. Aber der Spion des Bettlerkönigs wurde nicht gefunden. Mißmutig hörte sich Hauptmann Alwa zwei Stunden später die Berichte von der vergeblichen Suche an. Und nebenan schlief der König, ahnungslos wieviel Unruhe die Sorge um seine Sicherheit in dieser Nacht veranlaßt hatte. Der Spion des Bettlerkönigs hatte unterdessen einen abseits der Landesstraße gelegenen kleinen Wald erreicht. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Auch hier gab es im Gebüsch und in den Baumkronen versteckt, ringsum Posten, die mit scharfen Augen hinaus in das nächtliche Dunkel spähten. Als der Spion sich dem Wäldchen näherte, stieß er einen kurzen Pfiff aus, der wie der Laut eines aus dem Schlaf aufgescheuchtem Vogels klang. Er wiederholte diesen Pfiff dreimal kurz hintereinander und bekam aus dem Wald die gleiche Antwort. Nun konnte er unbesorgt passieren. Die Posten sahen ihn, wie er in das Buschwerk eindrang, aber sie ließen ihn unbehelligt. Der Spion schlug sich durch dorniges Gebüsch und wildes Zweigwerk, bis er eine kleine Lichtung erreichte, auf der eine Gruppe zerlumpter Leute schlief. Bei seiner Annäherung erwachten einige. "Ich bin es, Mario", meldete der Spion. "So brauchen wir Verstärkung aus der Umgebung." "Gewiß, die brauchen wir." "Schön. Ich werde sehen, wen ich bekommen kann. Hast du herausbekommen, wohin der König reisen will?" ,,Ja, ich fragte den Soldaten. Der Tölpel erzählte mir, daß es wahrscheinlich nach dem Kupferbergwerk ginge." "Das dachte ich mir. Gut also, wir legen den Hinterhalt auf dem Paß, wie besprochen. Ich reite morgen früh weiter und will zusehen, daß ich dir so viel Leute als möglich schicken kann." "Und du? Du kommst nicht selbst mit?" "Nein. Meine Geschäfte rufen mich zurück nach Atlantis. Du weißt doch, daß ich auch noch das Wohl des Prinzen im Auge habe." "Ich weiß", grinste Mario. "Wenn alles klappt, wird Atlantis unser und wir werden die Herren im Lande sein." Er wickelte sich in eine Decke, wendete sich zufrieden um und schlief bald ein. Anderen Tags zog der König mit seiner Kohorte weiter. Aber auch Reg war unterwegs und die Bettler aus dem Walde waren schon zwei Stunden früher, beim Morgengrauen aufgebrochen. Sie mußten unbedingt schneller als der König sein. Aus der Ferne grüßte bereits der Kupferberg. Dort oben war Numrods Reich... Lebte Nimbur in ewiger Finsternis... Eifrig ritten die Bettler auf mageren gestohlenen Gäulen und auch Hauptmann Alwas Kohorte zog, die breite Landstraße, deren helles Band sich dem Berge zuschlängelte, benützend ihren Weg. Mario erreichte mit seinen Leuten den Paß in der Abenddämmerung. Er fand dort bereits an die zweihundert mit Stöcken und Steinen bewaffnete Bettler versammelt. Zufrieden musterte er seine Streitmacht. "Leute", rief er, die Bettler um sich versammelnd, "die Straße führt hier durch einen tiefen Einschnitt, welchen Hauptmann Alwa mit seinen Leuten passieren muß. Jenseits des Passes liegt der Kupferberg. Wir dürfen niemanden von der Kohorte entkommen lassen, denn drüben beim Bergwerk liegt Militär. Sobald der Hauptmann an der Spitze seiner Leute den Einschnitt erreicht hat, wartet ihr, bis er so weit geritten ist, daß auch der letzte Mann des Zuges sich zwischen den Felswänden befindet. Dann prescht ihr auf mein Zeichen zu beiden Seiten vor und besetzt den Ein und Ausgang der Schlucht. Laßt keinen durch, hört ihr? Und nehmt, wenn ihr Gelegenheit dazu habt, den (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Kriegern ihre Waffen. Mit Lanzen. und Schwertern geht es besser! Wir teilen uns jetzt in drei Gruppen. Die beiden ersten Gruppen halten sich bereit, den Zugang und den Ausgang des Einschnitts sogleich zu besetzen. Die dritte Gruppe verbirgt sich zu beiden Seiten der Schlucht oben in den Felsen. Ihr sammelt soviel Steinblöcke als möglich und laßt sie, sobald die Krieger eingeschlossen sind, von oben auf sie herab. Es muß sich ein wahrer Regen von Steinen auf sie ergießen. Trefft die Reiter oder die Pferde; es ist einerlei. Beides wird seine Wirkung tun. ,Nur trefft und schafft neue Steine herbei, bis ihr alles, was sich da unten in der Schlucht befindet, wehrlos gemacht habt." Das war Marios teuflischer Plan. Und man ging sogleich daran, die Vorbereitungen zu seiner Ausführung zu treffen. Die Bettler teilten sich in die vorgesehenen drei Gruppen. Die beiden ersten nahmen in der Nähe des Zugangs, aber so, daß sie sich verborgen hielten, Stellung und beim Ende der Schlucht, so daß sie sogleich aus ihrem Hinterhalt hervorbrechen konnten. Dann hieß es für sie, sich in Geduld fassen. Die dritte Gruppe sammelte an Steinen und Felsblöcken alles, was in erreichbarer Nähe war und stapelte diese gefährlichen Geschosse, bereit sie auf Marios Zeichen in die Tiefe zu schleudern. Mario selbst nahm auf der höchsten Felsspitze Aufstellung, um den herannahenden Trupp sogleich zu sichten, sobald er sich der Paßhöhe näherte. Es verging aber noch eine geraume Weile, bevor Alwa mit seiner Kohorte und dem Wagen des Königs angerückt kam. Dieser Wagen bereitete in den Bergen bedeutende Schwierigkeiten. Man kam nur langsam mit ihm vorwärts. Endlich war die Paßhöhe erreicht und ahnungslos ritt Alwa, mißtrauisch nach allen Seiten spähend, in die Schlucht ein. Er konnte zwar niemanden sehen, aber sein ungutes Gefühl verstärkte sich. Hinter ihm ritten die Soldaten in langer Kolonne und in der Mitte des Zuges rollte das Fahrzeug König Amurs über den holprigen, steinigen Weg. Mario hatte längst seinen Posten auf der Felsspitze aufgegeben und einen anderen oberhalb der Schlacht bezogen. Da oben wartete er, bis der letzte von Alwas Kriegern zwischen den Felsen war und gab dann durch einen lauten, weithin schallenden Ruf, dessen Echo sich vielfach an den Felswinden brach das erwartete Zeichen. Und die Falle wurde geschlossen. Mit gewaltigen Lärm und Geschrei brachen die Bettler gleich einem teuflischen Sturmwind zu beiden Seiten von ihrem Hinterhalt hervor und besetzten den Zu- und Ausgang der Schlucht. Alwa erkannte mit Schrecken, was da vor sich ging. "Verrat", schrie er, "Leute, Verrat! Drauf auf sie, schlagt sie nieder, schafft uns Bahn, schützt den König!" Doch im gleichen Augenblick schon rollte donnernd eine Steinlawine von den Felswänden herab, neue Felsblöcke mit sich reißend, Staub aufwirbelnd, ein entsetzliches Schauspiel, das die Krieger mit bleichem Entsetzen erfüllte. Sie drängten auseinander, suchten nach Deckung, fanden keine. Schon waren die ersten getroffen, stürzten von den laut aufwiehernden, durchgehenden Pferden. Eine zweite Steinlawine folgte, während sich bei den Ausgängen aus der Felsschlucht ein wildes Handgemenge entspann. Völlig verlassen stand der Wagen des Königs. Die Pferde stiegen hoch, wieherten, wollten ausbrechen. Nur mit Mühe behielt der Lenker die Herrschaft über sie, bis ihn einer der Steine traf und ihn vom Wagen schleuderte. "Was ist los?" rief der König. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ein Überfall, Herr..." hörte er Alwa rufen. Da zog Amur seinen Dolch, bereit, sich zu verteidigen. Steine prasselten auf das Dach der Kutsche, durchschlugen es, trafen den König. "Bleibt beisammen Leute, kämpft, kämpft, es geht um unser Leben!" brüllte Alwa. Mario sah von seinem Standort aus, daß die Sache gut für ihn stand. Er rieb sich die Hände. "Der König verläßt diesen Platz nicht lebend", murmelte er. An den Ausgängen aus der Felsenschlucht kämpften Krieger und Bettler. Die Bettler hatten gefährliche Waffen. Dolche, lange Messer, Stangen und Prügel, mit denen sie auf die Krieger eindrangen. Die Krieger verteidigten sich mit ihren Lanzen. Die langen Stiele dieser Waffen verschafften ihnen leichten Vorteil. Mario erkannte dies und die damit verbundene Gefahr, daß die Soldaten doch noch Herr der Lage werden könnten. "Steine, werft Steine!" brüllte er über den Lärm hinweg, der von dem Kampfplatz heraufdrang. "Wir haben keine mehr!" bekam er zur Antwort. Mario stieß einen Fluch aus. Er sah den Wagen des Königs, von allen verlassen, in einer Staubwolke von den führerlosen Pferden umhergezerrt. "Ich muß ihn haben" zischte er, "jetzt oder nie!" Katzengewandt kletterte er die Felswand hinab, den Dolch, den er in das Herz des Königs stoßen wollte, zwischen den Zähnen. König Amur lag bewußtlos unter den Trümmern des eingedrückten Kutschendaches. Er ahnte nichts von der Gefahr, die ihm drohte. Und Alwa? Er war der einzige, der von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Königswagen warf, aber er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Handgemenge am Ausgang der Felsenschlucht. Eben hatte Mario den Boden der Schlucht erreicht... Da ertönte jenseits des Passes vielfältiges Geschrei aus lauten Kehlen. "Was war das? "Hilfe - - es kommt Hilfe!" rief Alwa. Auch Mario hörte es und erschrak. Aber er wollte seinen Vorsatz noch ausführen und dann erst fliehen. Mit gewaltigen Sprüngen schnellte er sich zu der Kutsche hin. Da sah ihn Alwa. Der Hauptmann riß sein Pferd herum und hob die Lanze - Und noch ehe der Mörder die Kutsche erreicht hatte, sank er von Alwas Speer durchbohrt, in den Staub. Ringsum aber befanden sich die Bettler in wilder Flucht. Sie suchten unter schrillen, wilden Schreien auf ihren Pferden das Weite. Was war geschehen? Von den Wachttürmen des nahen Bergwerks aus hatte man die Vorgänge am Paß beobachtet. Und Numrod ahnte, was sie zu bedeuten hatten; er rechnete zwar nicht mit dem Besuch des Königs, aber er erwartete einen Zug neuer Gefangener, den er in seinem Bergwerk dringend brauchen konnte. Die Verstärkung seiner Arbeitskräfte konnte er sich doch nicht entgehen lassen! Offenbar wollte hier Gesindel mit Gefangenen gemeinsame Sache machen. Er hatte von der Unruhe (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
gehört, die im Lande herrschte. In aller Eile ließ Numrod einen starken Trupp seiner Wachmannschaften aufsitzen und die Krieger kamen gerade zur rechten Zeit, um Alwas Kohorte Hilfe zu bringen. Die Bettler wurden vertrieben, ihr Anführer, Regs Vertrauensmann, war tot. Die Krieger hatten freilich durch die Felsbrocken arge Verluste erlitten. Und der König? Nun endlich kümmerte man sich auch wieder um ihn. Er war bewußtlos, aber er lebte. "Schnell, bringen wir ihn hinüber zum Bergwerk, wo man für ihn sorgen kann", rief Alwa. Langsam setzte sich der blessierte Zug wieder in Bewegung. * Nef-Naton schlief nicht und wachte nicht. Er befand sich in einem Zustand des Dahindämmerns, der mit dem stetigen Schaukeln seines Bootes im Einklang stand. Heiß brannte die Sonne tagsüber auf sein Boot hernieder, es gab keinen Schatten, wenn sie des Mittags am heißesten brannte und nur zu gewissen Zeiten des Sonnenstandes gab das Segel vor ihren sengenden Strahlen Schutz. Der Wein war zu Ende. Jeder Schluck des salzigen Wassers, den Nef-Naton, vom Durst gepeinigt, zu sich nahm, dörrte seine brennende Kehle noch mehr aus. Anfangs hatte er sich damit geholfen, da ß er sich den Körper kühlte, indem er das Meerwasser über seine Arme, seinen Kopf und seinen Leib und die Beine goß. Später aber war eine große Gleichgültigkeit über ihn gekommen und sie war nun so groß, daß er nicht einmal mehr das Netz einholte, um nach gefangenen Fischen zu sehen. Seit Tagen trieb das Boot in einem fort vor einem stetigen Winde. Die unendliche Einsamkeit des Ozeans drohte den Ägypter zu erdrücken. Die Wasserwüste erfüllte ihn mit Hoffnungslosigkeit und Gleichgültigkeit. Da war es besser die Augen zu schließen und dahinzudämmern, zu träumen. Von grünen, schattigen Palmen, von saftigen Früchten und Häusern, die auf festem Grund und Boden standen. Da war es besser, von den sanften Händen der Frauen zu träumen, von kühlem, schwerem Wein und von gebratenem Geflügel. Nef-Naton träumte von allen diesen Dingen, als wären sie gegenwärtig. Und während er träumte, zogen die spitzen Flossen der Haie heile Furchen durch das Wasser hinter dem Boot und sie näherten sich immer mehr der "Nußschale", als ahnten sie nahe Beute. Nef-Naton hatte keine Ahnung, wie weit er bereits von der Insel Atlantis entfernt war und wo er sich überhaupt befand. Er schenkte auch den Gestirnen keine Aufmerksamkeit mehr. Nach ihnen hätte er sich wenigstens über seine Fahrtrichtung orientieren können. Aber die Kräfte seines Körpers hatten ihn verlassen. Sargas Muskeln hingegen strotzten vor Kraft und sein Blick war scharf wie der eines Raubvogels, wenn er an der Bugspitze seines Schiffes stand. Eine ganze Flotte der Atlanter war ausgelaufen, um des entflohenen Ägypters habhaft zu werden. Der König hatte es befohlen. In breiter Schwarmlinie durchfurchten die Schiffe das Meer. Sie durchkämmten die riesige Wasserfläche nach allen Richtungen. Nur so konnte man den Flüchtling fangen, falls er überhaupt noch zu fassen war. Sarga, der das Kommando über die Flotte führte, verständigte sich durch Signale mit den anderen Schiffen. Er hatte nicht mehr sehr viel Hoffnung, daß ihnen Erfolg beschieden sei. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Und er wunderte sich insgeheim, denn es schien ihm ans Wunderbare zu grenzen, daß ein kleines Fischerboot tatsächlich so weit aufs Meer hinausgefahren sein könnte. Wahrscheinlich existierte es gar nicht mehr, war bereits untergegangen. Und trotzdem ließ Sarga nicht nach in seiner Wachsamkeit. Und Nef-Naton schlief in seinem Boot in einem unruhigen, fiebrigen Schlummer. Die Männer, die in der Flottille auf Ausguck standen, suchten mit scharfen Augen den Horizont ab. "Ein Segel, ein winziges Segel voraus!" Nef-Naton wendete sich um. Sein Boot schaukelte. Hatten da nicht eben Hörner geklungen? Hörner?! Nef-Naton fuhr auf. Erwachte zu halbem Bewußtsein. Sah in einiger Entfernung die Schiffe der Atlanter, die geradewegs auf ihn zuhielten. Kein Zweifel, sie hatten ihn gesehen. Es war die Stunde der Frühdämmerung und das Licht der Morgensonne war auf sein Segel gefallen. Was war zu tun? Wankend raffte Nef-Naton das verräterische Segel. Wenn er sich nur irgendwo hätte verkriechen können! Der Ägypter sah die breite Kette der auf ihn zufahrenden, ihn gleich einem Wild treibenden Schiffe. Es war ein majestätischer, aber furchteinflößender Anblick. Nef-Naton wurde übel. Er warf sich auf die Planken, versuchte zu beten, aber seine Gedanken verwirrten sich. Er wurde nicht gewahr, wie die Sonne höher wanderte und die Nebel aus dem Wasser stiegen, wie dichter Nebel schließlich sein Boot umhüllte. Sarga verlor das verfolgte Boot aus den Augen. Er verwünschte den Nebel, der auch seinen Kontakt zu den anderen Schiffen der Flotte unterbrach. Und Nef-Natons Nußschale trieb auf den Wogen dahin. Das Bewußtsein des Ägypters wich wilden Fieberträumen. Als er einmal die Augen aufschlug, war es ihm, als schwebe er durch eine brodelnde, dichte Wolke und von irgendwoher vernahm er betörenden Gesang. Waren es Meerjungfrauen? Oder die Stimmen der Götter? Nef-Naton wußte es nicht. Ihm schwand das Bewußtsein.
ENDE
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