LASSITER
Jack Slade
DER WOLF
MIT DER PEITSCHE
Westernroman BASTEI
LÜBBE
LASSITER
Western von Jack Slade Mit ...
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LASSITER
Jack Slade
DER WOLF
MIT DER PEITSCHE
Westernroman BASTEI
LÜBBE
LASSITER
Western von Jack Slade Mit diesen Western-Romanen ist es zum erstenmal gelungen, einen Mann in seine Zeit zu stellen, die so hart, so wild, so grausam war, daß bisher auch die Vorstellungswelt der Autoren selten ausreichte. Eine unbarmherzige Natur, männermordende Aufträge und himmelstürmende Ziele kennzeichneten den Westen und formten den Menschen LASSITER.
DER WOLF MIT DER PEITSCHE Völlig erschöpft lag Lassiter da und fühlte das Ende nahen. Unbarmherzig schlugen die vier Halunken auf ihn ein. Doch dann spürte er plötzlich, wie die Wucht der Knüppelhiebe nachließ, hörte ein ersticktes Röcheln, riß mühsam die Augen auf und sah einen Mann, der zwei lange texanische Treiberpeitschen schwang. Zwei der Schläger lagen schon wie hingemäht am Boden, und gerade legten sich die Peitschenschnüre wie Henkerschlingen um die Hälse der beiden anderen Killer. Zum erstenmal sah Lassiter den gefürchtetsten Mann von Texas in Aktion – den Wolf mit der Peitsche.
Deutsche Erstveröffentlichung
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 42 278
© Copyright 1995 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach All rights reserved Titelbild: Sanjulian, Publiderec Urnschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg Satz: Fotosatz Steckstor, Bensberg Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Flèche, Frankreich Printed in France ISBN 3-404-42278-3
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Erste Auflage: August 1995
1
Auf dem flachen Dach der Bank von Laredo, Texas, bewegte sich geduckt, aber ansonsten ziemlich unbekümmert eine Gestalt. Vorne an der Brüstung, die zur Main Street hin das Dach begrenzte, setzte er sich ruhig hin und holte ein langes Zigarillo aus der Tasche. Aber im letzten Moment fiel ihm ein, daß er drauf und dran war, einen Fehler zu begehen, und er ließ das Zigarillo wieder verschwinden. Er knurrte dabei einen leisen Fluch und grinste dann über seine Unvorsichtigkeit. Das Qualmen von Zigarillos war ihm in der letzten Zeit zu sehr zur Gewohnheit geworden. Das Anzünden war nur noch ein Reflex, den sein Gehirn kaum registrierte. Verdammt, auf solche Kleinigkeiten mußt du achten, Kelly! schimpfte er innerlich mit sich selbst. Solche Lappalien sind schon manch einem von deiner Sorte zum Verhängnis geworden! Sein Blick glitt über die Zündschnur, die von ihm aus über das Dach bis zur Rückseite des wuchtigen, festungsähnlichen Bankgebäudes führte. Ein kurzes Grinsen glitt über seine Züge. Alles hatte er bestens vorbereitet. Es gab kaum ein Risiko für ihn. In spätestens einer Stunde würde er wieder um eine beachtliche Summe reicher sein. Diesmal rechnete er mit 20.000 Dollar. Das war nicht gerade spektakulär, aber solche Beträge konnten mit der Zeit zu einem ganz schönen Haufen anwachsen. Inzwischen hatte er schon ganz schön »gespart«.
Er mußte nur Geduld haben.
Ein knappes Jahr noch, schätzte er. Dann hatte er genug
beisammen, um den ganz großen Plan in die Tat umzusetzen.
Und dann ... Er war der Mann, den man den ›Wolf mit der Peitsche‹ nannte. Der große unbekannte Einzelgänger, der blitzschnell zuschlug und bis heute immer noch unerkannt entkommen war. Es war Abend in Laredo. Die wilde Stadt an der Grenze zu Mexiko begann zu dem üblichen wilden, ungezügelten Treiben zu erwachen. Aus den Vergnügungshöhlen drangen schon lockende Musikklänge. Im Rotlichtviertel bereiteten sich die grellgeschminkten Mädchen auf den ersten Ansturm der vergnügungssüchtigen Kundschaft vor. Laredo war ein einziger Sündenpfuhl. Genau die richtige Umgebung für das, was der Wolf mit der Peitsche vorhatte. Er holte eine Handvoll Preßpulverstangen unter seinem Staubmantel hervor und legte sie griffbereit vor sich. Daneben ein paar Zündhölzer, die er an der ausgetrockneten Teerpappe des Flachdachs blitzschnell anreißen würde, wenn seine Zeit gekommen war. Er spähte durch die Ritzen der Balustrade auf die breite Main Street, die von Norden nach Süden führte, direkt auf die Grenze zu. Gerade rollte von Süden eine Kutsche heran. Es war eine mexikanische Karosse, die von vier schwarzen Pferden gezogen wurde. Viel Silberzeug glänzte am Geschirr, und auf den Köpfen der Tiere wippten bunte Federbüsche. Vier bewaffnete Reiter folgten dem protzigen Gefährt. Sie wirkten alles andere als wachsam. Für sie war der Tag gelaufen. Sie hatten den Transport sicher nach Laredo geleitet, und hier in der Stadt konnte nichts mehr passieren. Die Kutsche hielt vor dem großen Portal. Zuerst stiegen die beiden Leibwächter aus. Es waren zwei drahtige Texaner mit tiefgeschnallten Revolverholstern und wachen, kalt blickenden Augen, denen nicht die geringste Kleinigkeit zu entgehen schien.
Der heimliche Beobachter auf dem Dach des Bankhauses kannte sie nicht. Trotzdem wußte er, daß sie gefährlich waren. Männer mit solchen Aufgaben mußten das sein, sonst hatten sie den falschen Job. Ihre Aufgabe war es, jede Gefahr im voraus zu wittern und ebenso blitzschnell wie rücksichtslos zurückzuschlagen, wenn jemand versuchte, ihnen etwas zu entreißen, das ihnen anvertraut war. Dafür wurden sie erstklassig bezahlt. Und bevor sie den Job bekamen, mußten sie noch eine harte Prüfung bestehen. Das alles wußte der Mann auf dem Dach aus eigener Erfahrung. Er hatte selbst eine Zeitlang so einen Job gehabt. Im Grunde war es leichtverdientes Geld, denn die meiste Zeit hatte man seine Ruhe. Mit solchen erstklassig bewaffneten Profis legten sich Banditen nicht gern an. Da konnte man bedeutend einfacher einen Geldtransport überfallen, der von Soldaten oder auch dem Aufgebot eines Sheriffs oder Marshals eskortiert wurde. Soldaten, besonders die einfachen, hatten keinen Ehrgeiz und gingen lieber in Deckung, statt sich für die Dollars irgendwelcher fetter Geldsäcke töten zu lassen. Und was die Vertreter des Gesetzes betraf, waren sie von vorneherein gewaltig im Nachteil, weil sie sich an gewisse Vorschriften halten mußten. Sie durften erst schießen, wenn sie ganz sicher waren, daß sie angegriffen wurden. Ein gutbezahlter Profi feuerte schon beim ersten Verdacht. Und dann mußte so getroffen werden, daß es zu keinen weiteren Diskussionen kam. Wenn die Garde dort unten den Mann auf dem Dach wittern sollte, würde sie schlagartig die Hölle loslassen und erst aufhören, wenn der Verdächtige ausgelöscht war. Und wenn sich anschließend herausstellte, daß es sich um einen Unschuldigen handelte, würde kein Mensch den Profis einen Vorwurf machen könne. Was hatte so ein Kerl auch auf dem Dach einer Bank zu suchen!
Der Mann, den man den Wolf mit der Peitsche nannte, kannte sein Risiko und war trotzdem seiner Sache sicher. Es war nicht das erste Mal, daß er einen derartigen Coup landete. Sein Name war auch entsprechend berühmt hier in Texas, man erzählte sich die wildesten Geschichten über ihn. Die meisten Leute bewunderten ihn. Für sie war er ein Robin Hood des Wilden Westens. Es waren vor allem die einfachen Menschen, deren Sympathien dieser Bandit genoß. Diejenigen, die er beraubt hatte, dachten natürlich anders. Sie hatten dafür gesorgt, daß hohe Belohnungen auf seine Ergreifung ausgesetzt worden waren. Das Geld zahlte eine Interessengemeinschaft aus eigener Tasche. Der Staat beteiligte sich nicht. Für relativ unwichtige Diebstähle von zehn- bis zwanzigtausend Dollar druckte man keine Steckbriefe. Sonst hätten die Wände nicht ausgereicht, und die Ordnungshüter hätten endgültig die Übersicht verloren. Was sich bei dem gefürchteten ›Wolf mit der Peitsche‹ abspielte, hatte nichts mit großen Gewaltverbrechen zu tun. Der Mann arbeitete auf die sanfte Tour. Bei seinen Coups hatte es bis heute noch keinen einzigen Toten gegeben. Man nannte ihn auch ›Gentleman-Bandit‹. Wahrscheinlich genoß er auch die heimliche Sympathie manch eines Sternträgers, denn bei den Geschädigten handelte es sich ausnahmslos um stinkreiche Männer, denen diese Verluste nicht lästiger waren als etwa ein Mückenstich. Der Mann auf dem Dach lächelte zufrieden vor sich hin, als er seinen Blick weiter über die Main Street von Laredo schweifen ließ. Dort bahnte sich gerade etwas an, das zum Gelingen seines ausgefallenen Plans gehörte. Gerade kam Carry Castle aus dem BLACK APACHE SALOON, schräg gegenüber vom Backhaus und ungefähr fünfzig Meter davon entfernt.
Sie hatte flammend rotes Haar und war ein feuriges, lebenslustiges Geschöpf. Eine von den jungen Glücksritterinnen, ziemlich jung sogar noch. Sie war auf jeden Dollar angewiesen, und deshalb hatte sie die 200 Dollar freudig genommen, die ihr der Peitschenwolf für einen kleinen Gefallen im voraus bezahlt hatte. Er hatte sie sorgfältig unter vielen anderen Kandidatinnen ausgesucht, die er heimlich beobachtet hatte. Dann hatte er sie nachts in ihrem kleinen Zimmer besucht. Maskiert war er natürlich gewesen, und er hatte auch die Stimme verstellt, so daß sie ihn niemals wiedererkennen konnte. Und er hatte ihr gedroht, daß er ihr das Geld wieder abnehmen würde, wenn nicht alles nach Plan laufen sollte. Jetzt war er gespannt, wie sich die Sache entwickeln würde. Carry kam also aus dem Saloon und sah sich nach einem geeigneten Mann für ihr Vorhaben um. Sie trug ein sehr leichtes Kleidchen, unter dem sich die Umrisse ihres jugendlichen Körpers aufregend deutlich abzeichneten. Unten vor der Bank stieg Norman Wells aus der Kutsche. Er war ein eleganter schlanker Mann mit dem Gesicht eines Geiers. In der Rechten hielt er eine Ledertasche, die mit Dollars in kleinen Scheinen gefüllt war. Der Mann auf dem Dach wußte genau Bescheid. Norman Wells nickte seiner Garde zu und sagte zu ihnen, daß sie jetzt bald Feierabend machen konnten. »Aber wartet noch, bis ich in der Bank verschwunden bin und das Portal wieder hinter mir geschlossen ist. Morgen früh sehen wir uns wieder zur verabredeten Zeit. Ihr wißt ja, dann wird es ernst.« Lässig schlenkerte er die Ledertasche, in der sich 20.000 Dollar in kleinen Scheinen befanden.
Dieses Geld war von der Größe der Summe her betrachtet ein Klacks, für den so viel Bewachung nicht nötig gewesen wäre. Alles, was hier geschah, diente dazu, um ein anderes, bedeutend größeres Geschäft zu vertuschen. Der Mann auf dem Dach lächelte schmal. In der Stadt waren inzwischen die ersten Laternen angezündet worden. Die Konturen begannen in der Dämmerung undeutlich zu werden. Er rollte die lange Peitsche aus. Es war eine texanische Treiberpeitsche. Und zwar eine von den ganz besonderen, wie sie auf den großen Herdentreiben nur der Mann beim Leitbullen mit sich führte. Diese Männer waren echte Künstler im Umgang mit der langen Lederschnur. Sie war mindestens fünf Meter lang, und die wahren Könner trafen auf diese Entfernung eine Fliege auf der Hornspitze eines Longhorns. Ohne solche Fähigkeiten konnte man eine Herde von ein paar tausend halb wilden texanischen Longhorns niemals in die gewünschte Richtung treiben oder im Fall einer Stampede zur Räson bringen. Der Wolf mit der Peitsche war einer von diesen Herdenbossen gewesen. Einer der Besten sogar. Wenn nicht sogar der Beste von allen. Sein Name war Patrick Kelly O'Hara. Doch das war sein Geheimnis. Patrick Kelly O'Hara war tot. Vor einem Jahr war er im Palo Duro Canyon unter einem Steinhaufen begraben worden. Gestorben war er an einer heimtückisch abgefeuerten Gewehrkugel. Und der Bastard, der den Mordauftrag gegeben hatte, glaubte endlich wieder ruhig schlafen zu können. Aber Patrick Kelly O'Hara lebte. Er betrachtete es immer noch als das größte Wunder. Und da Wunder nur vom Himmel
her gesteuert wurden, glaubte er fest daran, daß ihn diese Macht für eine ganz besondere Aufgabe auserkoren hatte. Er nannte sich Kelly. Das war ein unverfänglicher Name. Es konnte sowohl der Nachname als auch der Vorname sein. Deshalb genügte auch Kelly. Er trat als so unbedeutender, total normaler Mensch auf, daß sich sowieso niemand näher für ihn interessierte. Die Männer des Geleitschutzes nickten Norman Wells lässig zu. Mit ihren Gedanken waren sie bereits in einer der vielen Lasterhöhlen von Laredo, um mal wieder richtig einen draufzumachen. Der Job der letzten drei Tage war verdammt langweilig gewesen. Ohne den geringsten Zwischenfall waren sie von Chihuahua City bis nach Laredo gekommen. Ein Scheintransport, der sogar von dreißig Rurales bis an die amerikanische Grenze eskortiert worden war. Drüben vor dem Saloon war Carry Castle inzwischen von drei Männern in die Mitte genommen worden. Das mußte ja so kommen. Kelly hatte nichts anderes erwartet. Es war bereits zu einem heftigen Wortwechsel gekommen. Plötzlich begann der wilde Rotschopf Carry empört zu schreien. Es hörte sich durchaus echt an. »Laßt mich!« kreischte sie. »Pfoten weg, verdammt!« Gleichzeitig flitzte sie wieselflink zwischen den drei Männern hindurch, und es war eigentlich eine ganz natürliche Reaktion, daß alle drei nach ihr griffen und sie zu beruhigen versuchten. Einer bekam Carry auch zu packen. Allerdings nicht richtig. Er hielt nur das Kleid in den Händen, das gar kein richtiges Kleid war, sondern nur ein loses Tuch, das Carry sehr geschickt um ihren Körper drapiert hatte. Verblüfft starrten die
drei Männer, wie sich der Körper des wilden Mädchens aus dem Stoff schälte – und wie sie weiterrannte. Dabei schrie sie aus Leibeskräften und lenkte die Aufmerksamkeit der ganzen Main Street auf das ungewöhnliche Rennen, das sie da lieferte. So etwas hatte Laredo garantiert noch nicht annähernd dramatisch erlebt. Auch die Eskorte von Norman Wells wurde abgelenkt, als die nackte Carry durch den knöcheltiefen Staub der Main Street von Laredo flitzte, mit nichts anderem bekleidet als ihren zierlichen hochhackigen roten Stiefelchen und ein paar billigen Halsketten und Armreifen, die aussahen, als wären sie aus echten Edelmetallen. Die Nackte lief genau auf die Kutsche zu. Gelächter erfüllte die Stadt. Sogar Mister Wells lachte, der sonst immer einen griesgrämigen Gesichtsausdruck zur Schau stellte. Hinter den Häusern auf der anderen Straßenseite krachten plötzlich Schüsse. Mündungslichter zuckten gleich darauf in einigen dunklen Häuserlücken auf. Es sah aus, als würde auf die Kutsche und ihre Eskorte geschossen. Die vier Reiter reagierten sofort und gaben ihren Pferden die Sporen. Ihre Gewehre hämmerten, als sie geduckt auf die verdächtigen Stellen zupreschten. Die beiden Leibwächter sprangen in die Deckung der Kutsche, und sie sahen noch aus den Augenwinkeln, wie Mister Wells sich flach auf die Erde warf. Gleichzeitig zuckte hinter dem Bankhaus ein Blitz auf und erleuchtete für Bruchteile von Sekunden den samtschwarzen Abendhimmel. Der Donner einer gewaltigen Explosion folgte unmittelbar darauf, und eine ungewöhnlich dichte Raubwolke hüllte das ganze Gebäude ein. Mister Norman Wells wußte nicht, warum er auf einmal im Staub der Main Street gelandet war.
Das alles war für seine Begriffe viel zu schnell gegangen. Er hatte das Gefühl, am rechten Bein gezogen worden zu sein, und als er auf den entsprechenden Stiefel blickte, sah er gerade noch die dünne Lederschnur, die sich wie durch Zauberei wieder in die Luft hob, sich aber gleich darauf von neuem senkte und sich zielsicher um die Ledertasche mit dem Geld schlängelte, die ihm beim unfreiwilligen Sturz entfallen war. Doch das bemerkte außer Mister Norman Wells niemand. Seine Leibwächter und all die anderen Leute auf der Straße hatten genug mit sich selbst zu tun. Die meisten waren damit beschäftigt, sich möglichst schnell in Sicherheit zu bringen. Ein Schreck durchfuhr Mister Wells. Aber das hatte weniger mit dem Verlust seiner Geldtasche zu tun. Was ihn richtig schmerzhaft traf, war die Tatsache, daß er hier mitten in der Stadt aufs Kreuz gelegt worden war. Aus hervorquellenden Augen starrte er zum Dach des Bankgebäudes hoch, aber dort oben war alles in eine dichte Wolke gehüllt, und die Tasche war längst seinen Blicken entschwunden. »Der Wolf mit der Peitsche«, ächzte er gequält und setzte sich mit Leichenbittermiene auf. Die Schüsse drüben zwischen den Häusern waren verstummt. Die vier Reiter der Eskorte schienen alles niedergemacht zu haben und suchten nun nach den entsprechenden Toten und Verwundeten. Die beiden Leibwächter rannten auf ihren Boß zu. »Alles in Ordnung, Mr. Wells?« Wells rappelte sich auf und brüllte wie ein Stier, während er anklagend nach oben auf das Dach deutete. »Holt die anderen! Das war der Wolf mit der Peitsche! Er hat die Tasche! Wo bleibt der Sheriff? Wir brauchen Verstärkung! Laßt die ganze Umgebung abriegeln! Er kann noch nicht weit sein!«
Jetzt bewiesen diese harten, erfahrenen Kämpfer, was in ihnen steckte. Sie waren wirklich eine ausgesuchte Mannschaft von Spezialisten. Sie waren extra für diesen Job ausgesucht worden. Ihr Auftrag lautete, den Wolf mit der Peitsche zu schnappen. Die Tasche mit den 20.000 Dollar waren der Köder gewesen. Innerhalb weniger Minuten wurde die große Jagd organisiert. Norman Wells heuerte die Freiwilligen an und hatte ein dickes Bündel von 50-Dollar-Noten in der Hand. Jeder Freiwillige bekam einen dieser wertvollen Scheine. Für 50 Dollar mußte man normalerweise lange und hart arbeiten. So viel verdienten die meisten im ganzen Monat nicht. Ihr Einsatzwille war entsprechend. Jeder wollte die 10.000 Dollar-Prämie kassieren, die Norman Wells für die Ergreifung des Täters ausgelobt hatte. Da halfen dem Wolf mit der Peitsche auch nicht die Sympathien, die er beim einfachen Volk genoß. Für 10.000 Dollar vergaß man schnell vieles, was man sich vorgenommen hatte. Auch schon für bedeutend weniger. Laredo hatte sich in ein Hornissennest verwandelt. Überall schwärmten die von heißem Jagdeifer erfüllten Männer umher. Rings um die Stadt wurde ein Ring von Reitern gezogen, so daß niemand ungesehen das Weite suchen konnte. Sie hatten den Wolf mit der Peitsche in der Falle. Jetzt galt es nur noch, ihn ausfindig zu machen, aber das würden sie schon schaffen. Man brauchte nur jeden Verdächtigen unter die Lupe zu nehmen, dann würde sich rasch die Spreu vom Weizen trennen. Natürlich durfte bis dahin niemand die Stadt verlassen. Auch die fünf Passagiere der Postkutsche, die am nächsten Morgen weiter nach Norden reisen wollten, mußten einige Wartezeit in Kauf nehmen. Doch dafür sollten sie entsprechend entschädigt werden.
Norman Wells, der Boß dieses Geheimkommandos, hatte alle Freiheiten. Seinen Auftraggebern war der Wolf mit der Peitsche so viel wert. Es wurde höchste Zeit, daß mit diesem Teufelsspuk endlich aufgeräumt wurde. Denn irgendwann würde sich dieser ungewöhnliche Bandit nicht mehr mit solch relativ geringen Summen begnügen. Das war ganz natürlich. Diese Halunken wurden mit wachsendem Erfolg immer frecher. An Carry Castle dachte kein Mensch mehr. Sie war in der allgemeinen Hektik völlig vergessen worden und amüsierte sich bereits wieder im BLACK APACHE, um zahlungskräftige Kundschaft an Land zu ziehen. Carry hatte große Pläne. Und der Erfolg dieses Abends gab ihren Zukunftsträumen gewaltigen Auftrieb. Innerlich war sie auch mit großem Stolz erfüllt. Jetzt erst hatte sie die ganze Geschichte durchschaut. Es handelte sich nicht um eine verrückte Wette, wie ihr der geheimnisvolle Auftraggeber erklärt hatte. O nein, der raffinierte Bursche hatte sie nur gebraucht, um für Ablenkung zu sorgen. Dieser Schuft! Mindestens 1000 Dollar hätte er dafür löhnen müssen. Das war die Sache schließlich wert. Aber er hatte sie mit lumpigen 200 Bucks abgespeist. Eine Gemeinheit war das in ihren Augen. Trotzdem dachte sie keinen Augenblick daran, ihn zu verraten. Dafür war sie mit viel zu großem Stolz erfüllt. Was sie wußte, würde ihr Geheimnis bleiben. Mußte es sogar, denn wenn sie darüber redete, würde sie am Ende noch als Komplizin dieses Banditen hinter Schloß und Riegel gesperrt. Bei dem Gedanken erschrak sie. O Gott, daran hatte sie ja noch gar nicht gedacht! Hoffentlich erinnerten sich die Leute nicht an ihren Auftritt, wenn erst mal wieder Ruhe eingekehrt war.
Jetzt waren die meisten Männer noch auf der Jagd. Die Animiergirls im Black Apache Saloon langweilten sich. Es würde heute nacht nicht besonders in den Kassen klingeln. Es sei denn, der Räuber wurde gefaßt. Dann würde das Ereignis natürlich entsprechend gefeiert werden. Carry blickte auf, als ein neuer Gast hereinkam. Es war ein großer, gutaussehender Mann, der ihr auf Anhieb gefiel. Auch die anderen Girls waren sofort in Lauerstellung. Es war leider nicht erlaubt, sich sofort auf einen Gast zu stürzen. Er sollte in Ruhe seine Auswahl treffen können. Das hielt ihr Boß für die elegantere Methode, um dem Gast gleich den besten Eindruck zu vermitteln. Er mußte erst einmal mit seiner Umgebung vertraut werden. Dann konnte man ihn immer noch um den Finger wickeln und ihn animieren, eine möglichst hohe Zeche zu machen. Carry schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln und blickte dann wieder in ihren blauen Drink, der aus Limonade und einem winzigen Schuß Gin bestand. Vor Alkohol mußte man sich hüten in diesem Job. Es gab zu viele Betrüger, deshalb mußte man seine Sinne stets geschärft halten. Der neue Gast nahm gleich auf einem Barhocker neben Carry Platz. »Ein großes Bier«, sagte er zum Keeper. »Und zum Anwärmen einen Bourbon. Den habt ihr doch hoffentlich.« »So wahr ich Charly heiße«, grinste der schlaksige Bursche hinter dem Tresen, »im Black Apache gibt es die erlesensten Drinks der Staaten ...« Und mit diesen Worten schob er dem Fremden ein Glas mit goldbraunem Bourbon über den Tresen. »Das Bier dauert ein paar Minuten. Ich nehme doch an, daß Sie ein gepflegtes Bier wünschen, Sir. Und das braucht seine Zeit, wie Sie sicherlich wissen.« Er lächelte verbindlich und zwinkerte unauffällig zu Carry hinüber, während er sich abwandte, um das Bier zu zapfen. Carry Castle machte sich gleich an das, was ihr Job war.
»Ich bin Carry«, sagte sie fröhlich. »Wenn Sie Gesellschaft suchen, stehe ich gerne zur Verfügung, Fremder.« Ihre Art schien ihm zu gefallen. Er lächelte zurück. »Ich bin Lassiter«, sagte er. »Was möchtest du trinken, Carry?« »Mit Männern von Welt bevorzuge ich Champagner«, flötete sie. »Das sind Sie doch, Mister. Ich habe ein Auge dafür.« »Spar dir die Förmlichkeiten«, sagte er. »Nenn mich ganz einfach Lassiter, und damit hat sich die Sache. Du kannst schon bestellen, Carry.« Ihr Gesicht drückte Zufriedenheit aus. Heute war wirklich ein guter Tag für sie. Da hatte ihr der Zufall einen Gast beschert, wie man ihn selten bekam. Der Bursche schien eine Anzahl guter Eigenschaften zu haben. Daß er Geld hatte, konnte Carry förmlich wittern. Darin hatte sie inzwischen einen erstklassigen Spürsinn entwickelt. Der Keeper ließ den Korken aus der Flasche, in der natürlich kein echter Champagner aus Frankreich war, sondern kalifornischer Sekt. Aber der konnte mit dem französischen Produkt durchaus konkurrieren. »Du nimmst doch auch ein Glas«, meinte Carry. »Siehst nicht wie ein Kostverächter aus, Lassiter ...« Der kippte den Whisky und griff nach dem Sektkelch, den ihm der Keeper Charly hingestellt hatte. »Auf dein Wohl, Carry.« »Auf das deine, Lassiter.« Sie dachte bereits nach und stellte Vergleiche mit dem nächtlichen Besucher an, der sie dafür gewonnen hatte, einen Strip auf der abendlichen Main Street von Laredo hinzulegen. Von der Figur her konnte es hinhauen. Auch die Stimme klang ähnlich wie die des Maskierten, über den sie inzwischen wußte, daß es sich um den berühmten Wolf mit der Peitsche handelte.
Ihr Herz klopfte schneller. Sie trank so hastig, daß sie sich verschluckte und husten mußte. Lassiter klopfte ihr beruhigend auf den Rücken. »Nicht so hastig, Carry. Du kriegst noch genug.« »Ich habe im falschen Augenblick geatmet«, entschuldigte sie sich. »So etwas kann vorkommen.« »Ja, natürlich. Macht doch nichts. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Rotschopf. Das kann jedem mal passieren.« Ihr Atem beruhigte sich, und sie sah ihn strahlend an. Dieser Mann gefiel ihr vom ersten Augenblick an. Und ein armer Schlucker war er bestimmt nicht. Nur wer das nötige Kleingeld besaß, kam in den Black Apache Saloon. Draußen standen die wichtigsten Preise groß auf einem Plakat, damit jeder von vornherein wußte, was ihn hier drinnen erwartete. Unter den Preisen konnte man noch eine rotgedruckte Warnung an alle Zechpreller lesen. Wer so etwas versuchte, wurde seines Lebens so schnell nicht mehr froh. Sie begann schon wieder zu träumen. Ganz bestimmt war er der Wolf mit der Peitsche. Während draußen mindestens zweihundert Männer fieberhaft nach ihm suchten, kam er ganz lässig in einen Saloon und beschloß, sich in aller Ruhe ein wenig zu amüsieren. Was für ein toller Hecht! Der hatte ja Nerven wie Drahtseile. So etwas imponierte Carry. Sie leerten die Gläser, und Carry füllte nach. Schließlich war sie dafür da, daß für Umsatz gesorgt wurde. »Du beteiligst dich nicht an der Jagd?« fragte sie. Er winkte verächtlich ab. »Kein Interesse, Rotschopf.« »Auch nicht an der Prämie? Norman Wells hat 10.000 Dollar Belohnung ausgesetzt.«
»Ich habe davon gehört«, sagte Lassiter gleichmütig. »Man müßte schon unverschämtes Glück haben, um da erfolgreich zu sein. Das ist so ähnlich wie bei einer Lotterie. Jetzt in der Nacht schnappen sie den Mann sowieso nicht. Da ziehe ich deine Gesellschaft vor. Du gefällst mir, Carry.« »Du mir auch, Lassiter. Wenn du Lust hast, können wir es uns oben gemütlich machen. Wir können uns dann ungestört weiter unterhalten. Vorausgesetzt, du bist interessiert.« »Deshalb bin ich gekommen«, lächelte er. »Wollen wir gehen? Charly kann uns ja alles aufs Zimmer bringen.« Charly hatte Ohren wie ein Luchs. Er war schon da, als Lassiter noch nicht ganz zu Ende gesprochen hatte. »Das geht in Ordnung, Sir«, sagte er dienstbeflissen. »Ich werde dafür sorgen, daß Ihnen jeder Wunsch erfüllt wird.« »Nicht jeder«, grinste Lassiter und legte seinen Arm um Carrys schmale Schultern. »Du bist nur für Speisen und Getränke zuständig. Eine kalte Platte wäre genau das richtige. Geht das klar?« »Sie werden zufrieden sein, Sir ...« Und Lassiter zog mit der temperamentvollen Carry davon. Es war nichts Außergewöhnliches oder gar Verwerfliches in einer Stadt wie Laredo. Es war so normal, als bestellte man sich ein Essen oder einen Drink. Allerdings war das hier für Carry nur eine Art Nebenjob. Sie war zu nichts verpflichtet. Im Black Apache Saloon herrschten andere Gepflogenheiten als in ähnlichen Etablissements. Die Mädchen hier waren völlig frei und konnten ganz allein entscheiden, ob sie mit einem Mann schlafen wollten oder nicht. Sie kamen auch finanziell zurecht, wenn sie überhaupt nichts unternahmen in dieser Beziehung. Es lag allein bei ihnen. Nur für das jeweilige Zimmer, in das sie ihre Freier führten, mußte entsprechend bezahlt werden. Es gab verschiedene
Kategorien, und Carry entschied sich spontan für die teuerste Lösung. Es verschlug sogar Lassiter fast die Sprache, als er in einen großen Raum geführt wurde, der mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet war. Dicke Teppiche bedeckten den Boden, protzige Gemälde mit überwiegend gewagten Szenen hingen an den Wänden, ein gewaltiger, golden glitzernder Kronleuchter hing unter der Decke, und die Kerzen darin wurden gerade von einem schwarzen Diener in Livree angezündet. Es gab vier verschiedene Lustlager, die geschickt in dem großen Raum verteilt waren. Die Darstellungen auf den Gemälden zeigten, wie man es machte, wenn sich hier mehrere Paare gleichzeitig amüsierten. Es gab sogar ein richtiges Bad mit einer Wanne aus Marmor und Hähnen aus Messing, aus denen man gleich das heiße Wasser einlassen konnte. »Es kostet hundert Dollar die Nacht«, erklärte Carry. »Pro Paar versteht sich. Das lohnt sich für meinen Boß natürlich in erster Linie nur dann, wenn entsprechend viele Interessenten da sind. Aber wir haben ja eine Ausnahmesituation diese Nacht. Wir können auch was Preiswerteres nehmen. Es liegt bei dir ... « »Ist schon gut«, sagte er. »Ich nehme an, daß man hier im voraus zahlen muß. Hier hast du ein paar Scheine.« Er reichte ihr lässig etwas Geld, das er aus der Hosentasche zog, und er zählte vorher nicht nach. Es gehörte zu seinem Auftrag, diesmal einen Mann zu spielen, dem es auf ein paar hundert Dollar nicht ankam. Und dann waren sie endlich allein und ungestört. Sie nahmen gemeinsam ein heißes Bad in der großen Marmorwanne, in der auch noch ein paar Personen mehr Platz gefunden hätten. Aber Lassiter war bei solchen Gelegenheiten lieber mit seiner Partnerin allein. Solchen Veranstaltungen wie auf diesen
Gemälden hatte er noch nie viel abgewinnen können, obwohl er alles andere als ein Kind von Traurigkeit war. Er zog das rothaarige Mädchen zu sich heran und drehte sie um, so daß sie sich mit dem Rücken an ihn lehnen konnte. Sie genoß es, wie er ihre kleinen straffen Brüste streichelte, und bog den Kopf nach hinten, so weit es ging, um von unten herauf in sein Gesicht sehen zu können. Richtig glücklich lächelte sie zu ihm auf. Für sie gab es keinen Zweifel mehr. Das war eindeutig der Mann, den sie in ihrem tiefsten Innern wie einen Helden verehrte. Er hatte sie nicht mit zweihundert Dollar abgespeist. Nein, dahinter hatte eine bestimmte Absicht gesteckt. Er wollte sie nur testen, wollte genau wissen, woran er mit ihr war. Sie war seine Auserwählte. Jetzt wußte er, daß sie mit ihm durch dick und dünn gehen würde, was immer auch geschah. Am liebsten hätte sie ihn jetzt gefragt, um endgültig Gewißheit zu bekommen. Aber sie beherrschte sich, wenn es ihr auch schwerfiel. Er würde sein Geheimnis bestimmt preisgeben, wenn er den Zeitpunkt für den richtigen hielt. Dann würde er mit seiner großen Überraschung herausrücken, die für sie gar keine mehr war. Sie wußte ja schon alles, hatte ihn längst durchschaut. Aber sie würde natürlich mitspielen und sich nichts anmerken lassen. Er sollte seine Freude daran haben. Sie schloß die Augen und lächelte verschmitzt. Lassiter hatte nicht die geringste Ahnung, was Carry dachte. Er hatte sich sowieso keine besonderen Gedanken über den neuesten Handstreich des Banditen gemacht, den man den Wolf mit der Peitsche nannte. Ein berühmter Mann war das. Von sehr vielen Menschen wurden seine ungewöhnlichen Räubereien als große Heldentaten betrachtet. Es wurden auch eifrig Gerüchte
verbreitet, daß er das Geld, das er den Reichen genommen hatte, den Armen gab. Ein Robin Hood des Westens also. Solche Geschichten liebte man. Der Wolf mit der Peitsche tat nämlich genau das, wovon normale Sterbliche höchstens zu träumen wagten. Lassiter hatte ebenfalls geschmunzelt, als er von dem neuesten verrückten Handstreich des Peitschenwolfs gehört hatte. Aber an so einem Fall war die Brigade Sieben nicht interessiert, in deren Auftrag er unterwegs war. Das hier war etwas für die örtlichen Gesetzeshüter. Man konnte nicht wegen jedes Hühnerdiebs gleich eine Staatsaktion anblasen. Lassiter war wegen einer weitaus schwerwiegenderen Angelegenheit unterwegs. Es ging um eine Organisation, die schon zahlreiche Menschenleben auf dem Gewissen hatte und deren Terror immer erschreckendere Ausmaße annahm. Aber bis jetzt hatte er kaum einen Anhaltspunkt finden können. Sämtliche bisherigen Spuren verliefen im Sande. Vielleicht gelang es ihm, hier in Laredo den Hebel anzusetzen. Dazu gehörte eine Portion Glück. Und vor allen Dingen Geduld. Nun, jetzt wollte er sich mit solchen Problemen nicht beschäftigen. Er hielt Carry in den Armen, und sie gefiel ihm. Als er von ihrem aufsehenerregenden Sprint auf der Main Street gehört hatte, war sein Interesse sofort geweckt worden. Er hatte sich auch einiges zusammengereimt, und vielleicht stimmte sogar, was er sich da ausgemalt hatte. Warum auch nicht? Schließlich machte das die ganze Geschichte erst richtig reizvoll. Fragte sich nur, was der Peitschenwolf dazu sagen würde, wenn er davon erfuhr. Doch auch deswegen wollte sich Lassiter keine grauen Haare wachsen lassen.
Carry, die mutmaßliche Banditenbraut, war nicht mehr als ein flüchtiges Abenteuer für ihn. Eine von den Abwechslungen, die er liebte. Und außerdem bedeutete dieser texanische Robin Hood keine Gefahr. Er war zwar ein Halunke, aber kein Gewaltverbrecher. Das Mädchen mit dem feuerroten, ziemlich kurzgeschnittenen Haar begann unterdrückt zu stöhnen und drückte ihr Gesäß fester an seinen Schoß. Er half ihr, indem er sie etwas anhob. Carry stieß einen spitzen Schrei aus und ließ sich dann an seine Brust sinken und einfach mit ihrer Lust treiben. Jetzt gehört er endgültig mir, dachte sie. Was habe ich doch für ein Glück. Ausgerechnet ich! Die Braut des berühmtesten Banditen von Texas, vielleicht sogar von ganz Amerika. Es war nur schade, daß sie dieses Geheimnis für immer in ihrem Herzen bewahren mußte. Doch dieses Opfer brachte sie gern ...
2
Der Mann, den sie den Wolf mit der Peitsche nannten, hatte sich unter die Jäger gemischt. Es war die unauffälligste Methode, seine Spuren zu verwischen. Er war gekleidet wie ein Cowboy. Sein Staubmantel wirkte überhaupt nicht auffällig. Hier im heißen, staubigen Süden von Texas war es ein beliebtes Kleidungsstück, das viele trugen. Zufällig war er einer Gruppe von arbeitssuchenden Cowboys begegnet, die von einem Herdentrieb nach Mexiko heimkehrten und inzwischen den größten Teil ihres Lohns verjubelt hatten. Die 50 Dollar, die sie von Norman Wells bekommen hatten, waren ihnen mehr als willkommen gewesen. Mit diesem Geld konnten sie sich eine ganze Zeit über Wasser halten, wenn sie nicht zu leichtsinnig waren. Aber sie träumten bereits vom ganz großen Wurf. Darum drehten sich alle Gespräche. Sie malten sich aus, was sie machen würden, wenn es ihnen gelang, den Wolf mit der Peitsche zu stellen. Aber bei dem Gedanken daran fühlte sich keiner so richtig wohl in seiner Haut. Patrick Kelly O'Hara hörte es immer wieder aus diversen Äußerungen heraus. Die Männer sprachen mit einer gewissen Hochachtung von ihm. Ganz toll fanden sie, daß er es immer wieder ohne Gewalt schaffte, Beute zu machen und dann so spurlos zu verschwinden, als hätte es ihn nie gegeben. Aber diesmal hatte er wohl Pech gehabt. Die Männer der Eskorte von Norman Wells hatten fix reagiert. So, als wären sie auf so einen Fall vorbereitet gewesen.
Wahrscheinlich war das Ganze als Falle für den Wolf mit der Peitsche gedacht gewesen. Vieles deutete darauf hin, daß sie eine Anzahl von Verbündeten in Laredo hatten. Sonst hätte nicht so schnell ein Ring von bewaffneten Männern um die Stadt gezogen werden können. Es waren vier Mann, mit denen Kelly durch die Straßen und dunklen Gassen pirschte. Immer wieder begegneten sie anderen Gruppen, und dann rief man sich gegenseitig die üblichen Fragen zu. Aber das war nur eine überflüssige Formsache. Wenn jemand wirklich auf eine heiße Spur gestoßen wäre, hätte er dieses Wissen wohlweislich für sich behalten. Niemand dachte daran, zu teilen. Die fette Prämie wollte sich keiner vor der Nase wegschnappen lassen. Kellys Mitstreiter begannen allmählich, die Hoffnung zu verlieren. Die ersten Flüche wurden laut. »Das hat doch alles keinen Sinn!« maulte Jim Burns, der aus dem wilden Panhandle stammte. Er blieb stehen, als sie wieder einmal den Stadtrand erreicht hatten. »Der Kerl hat sich irgendwo verkrochen und lacht sich ins Fäustchen über die vielen Idioten, die ihn suchen. Ich schätze, der liegt bei 'ner hübschen Braut in den Federn und läßt sich mit allen Schikanen verwöhnen. Wer so viele Moneten hat, kann sich alles leisten. O verdammt, so gut möchte ich es auch haben.« »Hast du aber nicht, Jim!« knurrte sein Partner Toby verbissen. »Hat keiner von uns, Amigo. Und weißt du auch, warum? Ich will es dir sagen. Euch allen will ich es sagen. Wir sind zu blöde dazu. Und wir haben nicht genug Mumm für so etwas. Wir sind zu feige!« Herausfordernd blickte er in die Runde. Die anderen starrten betreten zu Boden. Sie mußten ihm recht geben. Zu dem, was der große Unbekannte wieder mal geschafft hatte, fehlte es ihnen an vielem. Keiner von ihnen wäre auf so einen verrückten Einfall gekommen. Sie wären
auch niemals das Risiko eingegangen, so etwas mitten in einer belebten Stadt zu versuchen. Der Kerl mußte sich verdammt sicher fühlen. »Ich schlage vor, wir geben auf«, ließ sich Stan Shackley mit heiserer Stimme vernehmen. »Ich hab' keine Lust, mir noch länger die Hacken abzulaufen. Das bringt nichts ein.« »Das können wir schlecht machen«, sagte Jim Burns. »Wir haben die 50 Bucks angenommen und sind verpflichtet, sie abzuarbeiten. Ob mit oder ohne Erfolg, das spielt keine Rolle. Dieser Norman Wells ist ein eiskalter Hund. Der wird sonst sein Geld zurückfordern. Dann sind wir aber ganz schön angeschmiert und ...« Nicht weit entfernt gellte plötzlich ein Schrei. Es hörte sich an wie der Todesschrei eines Mannes. Kelly durchzuckte ein schlimmer Gedanke. Er hatte die Stimme erkannt. Sie gehörte Norman Wells. Und höchstwahrscheinlich war es der letzte Laut gewesen, den er in seinem Leben von sich gegeben hatte ... Judson Scott befand sich seit einer Woche in Laredo. In seinem großen Haus am Stadtrand residierte er und ließ sich höchst selten in der Stadt blicken. Wozu auch? Wer etwas von ihm wollte, sollte gefälligst zu ihm kommen. Er war der Big Boß in diesem Teil von Texas und hatte es nicht nötig, sich unter das einfache Volk zu mischen. Aber er war nicht untätig. Er war die Todesspinne, die seit Jahren ein immer dichter werdendes Netz über das Land zog. Judson Scott konnte zufrieden sein mit dem, was er erreicht hatte. Er besaß Macht und Reichtum, und er war einer der angesehensten Männer von Texas. Selbst seine Feinde hätten ihn niemals für einen gefährlichen, skrupellosen Bandenboß gehalten. Jahrelang hatte er es verstanden, im Hintergrund zu bleiben.
Aber seit einiger Zeit war etwas in sein Leben getreten, das ihn ärgerte wie eine lästige Stechmücke, die trotz aller Anstrengungen nicht zu erledigen war. Es war dieses unbeschreibliche Gefühl, das jeden Menschen zur Weißglut treiben konnte, weil er plötzlich seine eigene erbärmliche Hilflosigkeit erkennen mußte. Man lag auf der Lauer, hörte das nervenaufreizende Summen des Insekts, wartete geduldig, holte zum Schlag aus, um den winzigen Feind zu zerquetschen – und schon wieder mußte man feststellen, daß man nichts als seine eigene Haut getroffen hatte. So erging es Judson Scott, als ihn an diesem Abend die Nachricht vom neuesten Coup des unheimlichen Gegners erreichte, den man den Wolf mit der Peitsche nannte. »Dieser verfluchte Bastard!« sagte er zu Alex Rocco, einem seiner engsten Vertrauten. »Da hatten wir alles so exakt vorbereitet. Ich war mir sicher, daß er nach diesem Köder schnappen würde. 20.000 Dollar! Das war mal wieder genau der richtige Happen für ihn. Aber wer konnte ahnen, daß er mitten in Laredo zuschlagen würde! Der Kerl muß verrückt sein! Ausgerechnet mitten in der Höhle des Löwen! Und dann noch auf dem Dach der Bank! Kein normaler Bandit würde auf so eine hirnverbrannte Idee kommen! Der treibt mich eines Tages noch in den Wahnsinn!« Er zeigte auf einen Zettel auf dem schweren Eichenschreibtisch. Daneben lag ein Federhalter, mit dem er vor wenigen Minuten eine Eintragung gemacht hatte. »Das sind jetzt genau 87.000 Dollar! Es läppert sich allmählich ganz schön zusammen. Damit kann er mich natürlich nicht ruinieren. Solche Verluste verkrafte ich mit links. Nur diese verfluchte Unverfrorenheit macht mich rasend. Und er scheint es nur auf mich abgesehen zu haben. Warum nur auf mich, Rocco? Das sieht ja fast nach einer privaten Kriegserklärung aus!«
»Ich würde glatt auf O'Hara tippen, wenn ich nicht wüßte, daß seine Gebeine im Palo Duro Canyon vermodern.« »Und da kann es auch keinen Irrtum geben?« Rocco, der Mexikaner, schüttelte den Kopf. »Ich habe das persönlich nachgeprüft«, sagte er. »Sonst hätte ich am Ende noch an meinem eigenen Verstand gezweifelt. Damit du beruhigt bist, sollst du es noch einmal hören. Ich habe ihn genau in den Kopf getroffen und anschließend unter einem Haufen Steine verschwinden lassen. Jetzt liegt nur noch sein Skelett da. Aber das Einschußloch war noch genau zu erkennen. Auch seine silbernen Sporen, die Gurtschnalle und ein paar andere Dinge, die dem Zahn der Zeit trotzen, sind übriggeblieben. Es gibt nicht den geringsten Zweifel, daß O'Hara tot ist. Für mich stand das sowieso fest. Ich hätte nicht nachgesehen, wenn du nicht darauf bestanden hättest, Boß. Du kannst dich aber auch selbst überzeugen, wenn du mir nicht glauben willst.« Judson Scott hob sofort beschwichtigend beide Hände. Seinen besten Mann wollte er lieber nicht verärgern. Es gab keinen, auf den er so sehr angewiesen war wie auf Rocco. Dieser schlaue Teufel hatte ihm schon so manchen gefährlichen Gegenspieler aus dem Weg geräumt. »Ich und dir nicht glauben, Rocco?« fragte er fast entrüstet. »Niemals würde ich auf so eine Idee kommen. Aber versteh doch meine Sorgen! Was meinst du! Wer könnte daran interessiert sein, mich auf diese Weise zu bekämpfen? Ich denke kaum noch über was anderes nach. Unter dieses Problem muß ein radikaler Schlußstrich gezogen werden. Sonst kann ich nicht mehr ruhig schlafen.« Rocco ging zu der eingebauten Wandbar und goß sich einen Whisky ein. Unter seinem schwarzen Bart spielte ein listiges Grinsen. Aber das konnte Scott nicht sehen. »Du hättest mir die Sache überlassen sollen, Boß«, sagte er. »Aber du wolltest ja nicht auf mich hören. Ich habe dir deutlich
gesagt, daß ich Norman Wells für ungeeignet halte, so einen Auftrag zu erledigen. Mir wäre das nicht passiert, das kannst du mir glauben.« »Du warst noch nie gut auf Norman zu sprechen, Rocco.« »Das ist richtig«, gab Rocco zu. »Du hast ihm schon viel zu lange dein Vertrauen geschenkt. Immer hast du Nachsicht mit ihm gehabt. Die Fehler, die er in der letzten Zeit gemacht hat, hättest du einem anderen niemals verziehen. Aber bei ihm hast du immer eine Entschuldigung gefunden.« Scott runzelte die Stirn. Er ahnte dunkel, daß ihm Rocco gleich einen ungeheuerlichen Vorschlag machen würde. Am liebsten hätte der Big Boß dieses Gespräch auf der Stelle beendet. Aber diese Schwäche wollte er nicht zeigen. Deshalb würde er in den nächsten Minuten gezwungen sein, eine Entscheidung zu treffen, die ihm garantiert nicht gefiel. »Ich sehe dir an, daß du das nicht gern hörst, Boß«, fuhr Rocco mit gnadenloser Härte fort. »Aber es gibt nur einen Weg, um endlich einen Schlußstrich unter diese Affäre zu ziehen. Ich weiß, wie ich den Peitschenmann packen kann. Gibst du mir alle Freiheiten?« »Was hast du vor? Norman hat doch schon alles organisiert. Er hat die Stadt hermetisch abriegeln lassen.« »Trotzdem wird er den Kerl nicht fangen. Außerdem ist mir das alles viel zu lasch, was hier so läuft. Gib mir freie Hand, und ich werde so durchgreifen, daß es kein Schlupfloch mehr für den Schuft gibt. Er muß gehängt werden, wenn wir ihn haben.« »Der Galgen blüht ihm doch auf jeden Fall.« Rocco knurrte ein verächtliches Lachen. »Wie stellst du dir das vor, Boß? Wie kann er denn gehängt werden? Man kann ihm ein paar Jährchen Knast aufbrummen, mehr nicht. Im Grunde ist er doch nur ein kleiner Hühnerdieb. Du kannst auch nicht alles ausbreiten, was er dir gestohlen hat. Sonst erfährt alle Welt, wie reich du in Wirklichkeit bist. Und
das könnte wieder andere Leute wach machen. Dann könnte es schnell vorbei sein mit deinem guten Ruf als ehrbarer Viehzüchter. Der Peitschenwolf weiß garantiert eine ganze Menge. Was meinst du, was passiert wenn er vor Gericht auspackt. Der hat uns alle in der Hand. Er kann uns erpressen, daß wir ihn am Ende wieder freilassen müssen. Das ist ein ganz gerissener Hund. Er muß so in die Enge getrieben werden, daß es keinen Ausweg mehr für ihn gibt. Wie ist das jetzt? Bekomme ich freie Hand?« »Sag mir erst, was du vorhast!« »Er wird einen Mord begehen.« »Etwa an ...« Der Gedanke war so ungeheuerlich, daß Judson Scott ihn nicht zu Ende zu sprechen wagte. Alex Rocco nickte düster. »Ja, genau den meine ich.« Judson Scott hatte es geahnt. Trotzdem traf es ihn hart. Er schluckte und schüttelte heftig den Kopf. »Nein!« krächzte er. »Du willst Norman töten und dem Peitschenwolf die Tat anlasten? Du bist verrückt, Rocco. Wir können doch nicht unsere eigenen Leute umbringen!« Aber es war nur ein schwacher Protest. Ihm war jetzt schon klar, daß er nachgeben mußte. Alex Rocco war der Stärkere. Er verstand es, seinen Willen durchzusetzen. Das bewies er, indem er schulterzuckend lächelte. »Wie du willst, Judson. Damit dürften sich unsere Wegen trennen.« »Er gehört schon so lange zu uns«, ächzte Scott. »Er hat mir immer treu zur Seite gestanden. Ohne ihn wäre es mir vielleicht niemals gelungen, dieses Imperium aufzubauen. Seine Ideen haben uns hochgebracht. Auf ihn war immer Verlaß.« »Früher mal«, grinste der Mexikaner. »Was mal gewesen ist, das zählt heute nicht mehr. Norman Wells gehört zum alten
Eisen. Außerdem betrügt er dich seit einiger Zeit. Er hat eine Menge Geld auf einem Geheimkonto. Durch einen Zufall bin ich dahintergekommen.« »Das ist nicht wahr!« »Ich kann's dir beweisen. Ich weiß, wo er seine geheimen Unterlagen versteckt hat. Nicht hier in der Stadt. Die ganzen Papiere liegen draußen auf der Ranch in einem sicheren Versteck. Er hat nicht die geringste Ahnung, daß jemand hinter sein Geheimnis gekommen ist. Vielleicht hat er dich schon um weitaus mehr Geld erleichtert, als das der Peitschenmann jemals schaffen kann. Du solltest dir so schnell wie möglich deine Kontenstände ansehen, Boß. Aber wozu erzähle ich dir das alles! Du hörst ja doch nicht auf mich. Also dann, Scott. Ich habe mein Bestes versucht. Du kannst mir keinen Vorwurf machen.« Dann wandte er sich ab und ging auf die Tür zu. Judson Scott lief ihm nach und faßt ihn an der Schulter. »Warte, Alex! Wir müssen noch mal darüber reden. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich konnte Norman nicht so einfach fallenlassen. Er gehört schon so lange dazu.« »Auch O'Hara war einer von uns.« »Er gehörte nur zu den Weidereitern.« »Und er hat dich nicht hintergangen. Trotzdem hast du den Befehl gegeben, ihn auszulöschen.« »Er war dabei, mir mehr zu nehmen als mein Geld. Es ging um meine Tochter Dana. Niemals hätte ich es zugelassen, daß sie die Frau eines hergelaufenen Cowpunchers wird. Deshalb mußte er von der Bildfläche verschwinden. Ich hatte keine andere Wahl.« »Die hast du jetzt erst recht nicht. Norman Wells bedeutet eine große Gefahr für uns alle. Wenn er so weitermacht, wird er die Organisation von innen heraus aushöhlen. Dann können wir einpacken.«
Judson Scott nickte ergeben. »Du hast ja recht, Rocco. Und du hast dir alles bestens überlegt. Geh und hol ihn dir ...« Eine Minute später verließ Alex Rocco das große Haus, das einen Steinwurf außerhalb der letzten Häuser von Laredo stand. Wie eine Burg ragte es auf einem Hügel in die Sternennacht. Rocco verzichtete entgegen seiner sonstigen Gewohnheit auf sein Pferd und legte den Weg in die Stadt zu Fuß zurück. Schon bald stieß er auf die ersten Posten, die dafür zu sorgen hatten, daß niemand unbemerkt die Stadt verlassen konnte. Überall streiften Männer in Gruppen durch die Gassen und ließen bei ihrer Suche kein Versteck aus. Sie waren alle eifrig bei der Sache, aber Alex Rocco hatte für ihre Bemühungen nur ein verächtliches Grinsen übrig. Diese Dummköpfe! Wo hatten die nur ihren Verstand gelassen! Er würde das ganz anders anpacken. Aber erst mußte er den gefährlichen Rivalen Norman Wells aus dem Weg räumen. Rocco grinste böse. Was er dem Big Boß erzählt hatte, war die Wahrheit. Nur hatte er nicht erwähnt, daß er Norman Wells erpreßt hatte, nachdem er hinter dessen Betrügereien gekommen war. Für Roccos Schweigen hatte Norman ganz schön bezahlen müssen, und jetzt wurde es allmählich Zeit, daß er zum Schweigen gebracht wurde. Denn lange konnte das nach Roccos Meinung nicht mehr gutgehen. Und wenn Norman entlarvt wurde, war Rocco als Mitwisser ebenfalls geliefert. Er entdeckte Norman, als der gerade einen kleinen Saloon verließ, dessen junger, hübscher Besitzer sein heimlicher Geliebter war. Auch davon hatte außer Alex Rocco niemand eine Ahnung, und deshalb hatte ihn sein Weg zuerst in diese kleine Gasse geführt, in der sich dieser kleine Saloon für eine Gruppe von Außenseitern befand. »He, Norman!« meldete sich Rocco leise aus der Dunkelheit.
Der hagere Mann mit dem Geiergesicht reagierte mit einer Schnelligkeit, die ihm kaum jemand zugetraut hätte. Wie ein Schatten glitt er zur Seite weg, ging gleichzeitig in die Knie und hatte auch schon den Revolver schußbereit in der Faust. Aber auf eine Schießerei wollte es Alex Rocco nicht ankommen lassen. Auf gar keinen Fall. Der Mord, den er plante, durfte nicht zu schnell die ersten Zeugen auf den Plan rufen. Es wimmelte ja überall von Männern, die den Wolf mit der Peitsche suchten. Auch in dieser Gasse konnten sich welche von diesen Jägern befinden. »Keine Sorge, Norman«, gab sich der Mexikaner zu erkennen. »Ich bin's nur, Rocco. Der Boß schickt mich. Er will dringend mit dir sprechen. Hat sich eine neue Taktik ausgedacht. Aber er will erst deine Meinung hören. Komm mit, wir wollen keine Zeit verlieren.« Norman Wells kam näher. Er hielt den Colt immer noch in der Faust, so daß Rocco ein mulmiges Gefühl beschlich. Immerhin war das hier für Wells eine einmalige Chance, den gefährlichen Mitwisser für immer zum Schweigen zu bringen. Er konnte dann genau das machen, was der Mexikaner plante, und anschließend behaupten, es wäre der Wolf mit der Peitsche gewesen. Die Revolvermündung zeigte genau auf Roccos Brust. Auf die Stelle, wo sich sein Herz befand. Leider konnte Rocco in der Dunkelheit sein Gesicht nicht erkennen. Das verstärkte noch das Gefühl der Ungewißheit. »Warum hast du mich ausgerechnet hier gesucht?« zischte Wells. »Wer hat dir gesagt, wo du mich finden kannst? Oder hast du auch schon in meinem Privatleben rumgeschnüffelt?« Er fühlte sich ertappt wie ein Dieb. Das war ihm bedeutend peinlicher als die Tatsache, daß Rocco hinter seine Unterschlagungen gekommen war. Der Mexikaner war schlau genug, diesmal nicht zu sagen, was er wußte.
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst«, tat er ganz naiv. »Jemand hat mir vorne auf der Main Street gesagt, daß du in diese Gasse gegangen wärst. Daraufhin habe ich hier mein Glück versucht. Was ist los, Norman? Warum bist du so nervös? Machst du dir Vorwürfe, weil dich der Kerl reingelegt hat? Mach dir nichts draus! Mir wäre es nicht anders ergangen. Kein Mensch macht dir einen Vorwurf.« Norman Wells atmete hörbar auf. »Er hat nicht getobt, Alex?« Der Mexikaner klopfte ihm auf die Schulter, und Wells schob seinen Revolver ins Holster. »Ach was«, sagte Rocco. »Glaub mir, kein Mensch macht dir einen Vorwurf. Das wäre jedem anderen auch passiert.« »Dieser Satan!« knurrte Wells. »Wenn ich den kriege! Der kann was erleben! Ich werde ihn ... Ah, verdammt, noch haben wir ihn nicht. Was für einen Plan hat der Boß sich ausgedacht?« »Das hat er mir noch nicht verraten. Er hat mich nur losgeschickt, damit ich dich suchen soll. Ein Glück, daß ich dich so schnell gefunden habe. Das habe ich dem Mann zu verdanken, der dich zufällig gesehen hat, als du in diese Gasse gegangen bist. Hast du 'ne heimliche Braut in dem Viertel hier?« »Schon möglich«, sagte Wells geheimnisvoll. »Sie ist was ganz Besonderes. Aber laß uns jetzt gehen! Ich will Scott nicht warten lassen.« Er schritt voraus, und Alex Rocco blieb auf Tuchfühlung. »Eigentlich könnten wir uns den Kerl schon schnappen«, sagte Wells plötzlich und blieb stehen. »Hör zu, Amigo. Ich wollte das ursprünglich noch eine Weile für mich behalten. Aber dir kann ich's ja anvertrauen. Ich weiß, wo er sich aufhält.« »Ich werd' verrückt. Warum sagst du mir das jetzt erst?«
Alex Rocco war innerlich gespannt wie eine Feder. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit dieser Eröffnung. Diese Redseligkeit von Norman Wells war garantiert nur auf seine Erleichterung zurückzuführen, daß Rocco nichts von seinen amourösen Eskapaden wußte. »Ich mußte es mir erst überlegen«, sagte Wells. »Und ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß ich dir vertrauen kann. Wir beide sind aufeinander angewiesen. Ich habe mich entschlossen, in Zukunft keine Geheimnisse mehr vor dir zu haben.« Er legte Rocco die Hände auf die Schultern und umarmte ihn brüderlich. »Ich möchte dich um Verzeihung bitten, Alessandro«, flüsterte er mit kaum unterdrückter Erregung. »Weil ich nicht immer nur Gutes über dich gedacht habe. Aber ich habe inzwischen erkannt, wie sehr ich mich geirrt habe in dir. Du bist ein guter Mensch. Hör jetzt, was ich dir zu sagen habe. Und dann sollten wir gemeinsam überlegen, was wir tun müssen. Der Mann, den wir suchen, kann uns nicht mehr entkommen. Wir brauchen ihn nur noch gefangenzunehmen. Aber ich weiß nicht, ob das jetzt schon gut wäre. Wir müssen uns das genau überlegen. Es wäre ja möglich, daß wir ihn noch brauchen können. Ich habe nämlich schon etwas weiter gedacht. Hör also zu, Amigo Alessandro ...« Und Alex Rocco war ein eifriger Zuhörer. Der ältere Mann hatte sich in ihn verliebt, und deshalb war er so blind geworden, daß er kein Mißtrauen mehr hatte. Während Norman Wells leise, meistens flüsternd erzählte, wanderten sie langsam dem Stadtrand entgegen. Als Rocco schließlich alles wußte, zog er sein langes und scharfes Messer unter der Jacke hervor. Norman Wells war völlig ahnungslos, als die Klinge in seinen Rücken eindrang. Er stieß noch einen lauten Todesschrei aus, dann brach er leblos zusammen.
Rocco zog das Messer heraus und stieß die blutige Klinge in den Boden, um sie zu säubern. Dann ließ er die Mordwaffe verschwinden. Als die ersten Männer heranliefen, kniete er bei dem Ermordeten und tat so, als versuchte er verzweifelt, dem Opfer zu helfen. Die Gruppe, bei der sich Patrick Kelly O'Hara befand, erreichte als eine der ersten den Tatort. »Er ist tot!« rief Rocco. »Der Kerl mit der Peitsche hat ihn auf dem Gewissen! Warum haben wir uns getrennt? Das war ein Fehler! Wir hätten zusammenbleiben müssen.« Er lamentierte auf niederträchtige Art, und es gab nur einen, der ihm nicht glaubte, was er immer wieder erzählte. Dieser eine Ungläubige war der Mann, dem der Mord angelastet wurde. Er wußte schließlich am besten, daß er es nicht gewesen war. Mord stand sowieso nicht auf seinem Programm. Das mußte inzwischen auch hinreichend bekannt sein. Aber daran dachte jetzt niemand. Die Empörung kannte keine Grenzen und nahm immer häßlichere Formen an. Selbst besonnene Männer verfluchten den Täter bis in die Hölle. »Wir hörten ein verdächtiges Geräusch«, berichtete Rocco. »Daraufhin haben wir uns getrennt, um dann von zwei Seiten angreifen zu können. Aber dieser hinterhältige Schakal war zu früh bei meinem Freund und hat ihn erstochen! Ich konnte es nicht verhindern. Als ich hier ankam, war alles zu spät. Es kann nur dieser Kerl gewesen sein!« Kelly hielt sich im Hintergrund. Er glaubte zwar nicht, daß ihn der Mexikaner wiedererkennen würde, aber er wollte auf keinen Fall in seine Nähe kommen. Rocco besaß einen besonderen Instinkt. Ihn brauchte nur eine Kleinigkeit an die Vergangenheit zu erinnern, etwa eine bestimmte Bewegung, irgendeine
Angewohnheit, die dem betreffenden Mann gar nicht bewußt war – und schon würde es in Rocco zu arbeiten beginnen. Alex Rocco war der gefährlichste Mann in der großen Organisation, die Patrick Kelly O'Hara auf seine Weise bekämpfen wollte. Unauffällig zog er sich weiter zurück. Inzwischen drängten sich so viele Männer hier herum, daß ein Einzelner überhaupt nicht mehr beachtet wurde. Er war sowieso eine kleine, unscheinbare Nummer unter vielen anderen Namenlosen. Jetzt lastete auf ihm auch der Ruch des Mörders. Und das hatte er keinem anderen als dem Satan Rocco zu verdanken. Demselben Mann, der auch den Cowboy Patrick O'Hara mit einer Kugel aus dem Hinterhalt niedergestreckt hatte. Es war eine ebenso grauenvolle wie unglaubliche Geschichte. Wie durch ein Wunder war er mit dem Leben davongekommen. Aber jetzt mußte er höllisch aufpassen, daß sie ihn nicht doch noch erwischten. Der Kreis begann enger zu werden. Vielleicht hatte er bereits den entscheidenden Fehler begangen, indem er sich zu dem Plan entschlossen hatte, mitten in der Höhle des Löwen zuzuschlagen. Bis jetzt hatte er geglaubt, leichtes Spiel zu haben. Norman Wells war ein Mann gewesen, der die Jagd nur mit halbem Herzen betrieben hatte. Das wußte Kelly, weil er ihn von früher sehr gut kannte. Norman Wells hatte in den großen Zusammenhängen gedacht. Diese kleinen Nadelstiche durch einen mysteriösen, aber relativ ungefährlichen Räuber juckten ihn nicht. Deshalb hatte sich Kelly ziemlich sicher gefühlt. Aber jetzt hatte Alex Rocco die Sache in die Hand genommen. Was hatte er vor? Kelly zuckte zusammen, als er plötzlich einen harten Druck zwischen seinen Schulterblättern spürte.
Er stand in der letzten Reihe der Männer, die sich um den Ort des Geschehens drängten. »Beweg dich rückwärts, Kelly!« befahl eine zischende Stimme ziemlich dicht an seinem rechten Ohr. »Ganz langsam, damit es keiner merkt!« Kelly setzte sich sofort in Bewegung. Ganz langsam, Zoll für Zoll. Die Revolvermündung klebte weiter auf seinem Rücken. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Er war entlarvt worden. Aber der Mann hinter ihm gehörte nicht zu Rocco. Das gab wenigstens ein bißchen Anlaß zur Hoffnung. Immer noch besser, einem x-beliebigen Prämienjäger in die Hände gefallen zu sein als dem grausamen mexikanischen Teufelsknecht Rocco. Kelly entfernte sich mit seinem Jäger von der Masse der anderen. »Und jetzt kannst du dich umdrehen!« raunte der andere. »Ich sehe, daß du vernünftig sein willst, Kelly. Ist auch besser so für uns beide. Ich bin sicher, wir werden noch prima Kumpel. Wenn du es allerdings lieber hast, dem Mex in die Hände zu fallen, brauchst du nur wegzulaufen. Nein, ich werde nicht auf dich schießen. Ich werde nur etwas rufen. Und dann hat er dich! Alles klar, Kelly?« Patrick Kelly O'Hara, den man den Wolf mit der Peitsche nannte, wählte natürlich das kleinere Übel. Langsam drehte er sich um. Er sah einen ganz normalen Mann vor sich. Wie alle anderen, die sich hier herumtrieben, um Jagd auf einen Mann zu machen. »Gut gemacht, Kelly«, sagte er und lächelte schmal. »Ich wußte, daß du schlau genug sein würdest, auf mich zu hören. Wir verdrücken uns bei der nächstbesten Gelegenheit ganz unauffällig. Natürlich bleiben wir in der Stadt. Wegzureiten, wäre jetzt zu gefährlich. Wir müssen warten, bis Rocco ein
Opfer gefunden hat. Ich weiß auch schon, wer das sein wird. Du bist dann fein raus, Kelly. Dann kommen wir ins Geschäft. Ich heiße übrigens Slim. Alles klar jetzt?« Kelly nickte lässig. Der Bursche war noch nicht mal unsympathisch. Er konnte nicht glauben, was ihn erwartete ...
3
Lassiter amüsierte sich immer noch mit Carry, die so feurig war wie ihr rotes Haar. Auf dem weichen Polster der Liegestatt, die zwei Meter im Quadrat maß, war es doch bequemer als in der Badewanne. Außerdem war das Wasser allmählich zu kalt geworden. Immer wieder kicherte die Kleine. Es machte ihr offensichtlich einen Riesenspaß. Lassiter konnte nicht ahnen, daß sie glaubte, den berühmten Banditen an der Angel zu haben, den man den ›Wolf mit der Peitsche‹ nannte. Sie bildete sich ein, unheimliches Glück gehabt zu haben, und sie träumte natürlich von einem tollen Aufstieg an seiner Seite. Er fand sie etwas albern, aber er tröstete sich damit, daß es ja nur eine Episode bleiben würde. Morgen früh wollte er sich wieder an die Arbeit machen. Dazu brauchte er sie nicht. Sie hatte ihn ja wirklich nur gereizt, weil er sie bei ihrem rasanten Strip auf der Main Street gesehen hatte. Diesmal waren keinerlei dienstliche Gründe im Spiel. Es war einzig und allein das Abenteuer, das ihn reizte. Jetzt hatte er genug erlebt. Die Kleine ging ihm allmählich ganz schön auf den Wecker mit ihrem zickigen Gehabe. Er schloß für einen Moment die Augen, schreckte aber sofort hoch, als jemand an die Tür klopfte. Carry sah ihn erschrocken an. »He, Carry!« meldete sich draußen eine Männerstimme. »Ich weiß, daß du da drin bist. Keine Sorge, ich will nicht lange stören. Du wirst mir doch bestimmt ein paar Fragen beantworten.« Auf ihrem Gesicht malte sich panische Angst.
»Das ist Alex Rocco!« flüsterte sie. »Der übelste Killer von Judson Scott. Du mußt verschwinden, Lassiter! Los, zieh dich an! Ich halte ihn so lange auf! Er ist bestimmt nicht allein! O mein Gott! Jetzt ist es passiert! Du hast zuviel riskiert! Sie haben nachgedacht und wissen jetzt über dich Bescheid.« Und sie rief zur Tür hin: »Ja, sicher. Ich komme. Eine Sekunde, Alex. Ich muß mir nur gerade was anziehen.« Lassiter hatte bereits nach seinen Sachen gegriffen. Hastig zog er sich an und fragte leise: »Was hast du gerade gesagt, Carry? Was wissen sie über mich?« »Ach, stell dich nicht so an!« zischte sie aufgeregt. »Mir brauchst du nichts vorzumachen. Ich weiß doch vom ersten Augenblick an, wer du bist. Ich habe dich gleich wiedererkannt. Du bist der Mann, der mir die 200 Dollar gegeben hat, damit ich die Männer bei der Kutsche ablenke.« Es fiel Lassiter wie Schuppen von den Augen. Rocco donnerte schon wieder mit der Faust gegen die Tür. »Mach voran, Carry! Es ist dringend. Du sollst mir doch nur ein paar Fragen beantworten.« »Ja, ja, ich komme ja schon!« rief das Mädchen und sah Lassiter dabei verzweifelt an. Lassiter packte sie und riß ihr die Arme auf den Rücken »Was machst du?« stöhnte sie. »Das Einzige, was dich retten kann!« knurrte er und fing auch schon an, sie zu fesseln. »Sag ihnen, ich hätte dich zu allem gezwungen. Dann passiert dir nichts! Die haben es nur auf mich abgesehen.« »Dann bist du es also wirklich?« fragte sie mit einem glücklichen Lächeln. »Ich habe es die ganze Zeit gewußt. O Lassiter, du ...« Er schlug kurz und wohldosiert zu. Es war ein Schlag auf die Kinnspitze, der sie vorübergehend zum Schweigen brachte.
»Verdammt, wo bleibst du, Carry?« brüllte der Mexikaner. »Ich gebe dir noch genau zwei Minuten, dann brechen wir die Tür ein.« Lassiter kletterte bereits durch das Fenster. Das Haus stammte noch aus der mexikanischen Zeit und besaß zahlreiche Vorsprünge mit kleinen Balkonen. Außerdem war es dicht mit altem Efeu berankt. Für einen geschickten Kletterer war es nicht allzu schwierig, an einer solchen Fassade nach unten zu klettern. Vorausgesetzt, man konnte genug sehen und brauchte sich auch nicht besonders zu beeilen. Aber selbst dann war man noch einigen Gefahren ausgesetzt. Die Begleitumstände, unter denen Lassiter den Abstieg bewältigen mußte, waren denkbar ungünstig. Es dauerte höchstens vier Minuten, dann hatte er die Verfolger im Genick. Und das im wahrsten Sinne. Denn sie konnten ihn von oben packen, während er hier noch herumhangelte. Deshalb war jede Minute kostbar. Nachdem er über die Fensterbrüstung gerutscht war, hatte er in die alten Ranken des Efeus gegriffen und ließ sich Hand über Hand herunter. Das Holz war zäh, aber auch brüchig. Es hatte sich zwar in vielen Jahren ziemlich fest im Mauerwerk verankert, trotzdem konnte man auf die Sicherheit keine Wette abschließen. Aber es hatte für Lassiter keine andere Wahl gegeben, als sich auf dieses Vabanquespiel einzulassen. Er erreichte das mittlere Stockwerk des hohen alten Gebäudes aus der spanischen oder mexikanischen Zeit und fand eine kurze Atempause auf einem efeuumrankten Söller. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle standen darauf. An einer Leine hingen ein paar Wäschestücke. Die schmale Tür war durch ein Eisengitter gesichert, und dahinter hing ein Vorhang zum Schutz vor Moskitos und anderen lästigen Insekten. Dahinter schimmerte mattes Licht, und Lassiter erkannte
undeutlich die Umrisse von zwei Gestalten, die sich engumschlungen auf einem Bett bewegten. Im Zimmer darüber gab es gerade einen gewaltigen Krach von splitterndem Holz, und gleich darauf waren die wütenden Stimmen der Männer zu hören, die in Carrys Liebesnest eindrangen. Mehrere Männer tauchten an dem offenen Fenster auf, aber sie hätten Lassiter nicht einmal sehen können, wenn es heller Tag gewesen wäre. »Verdammt, der kann noch nicht so weit sein!« rief jemand, dessen Stimme Lassiter sofort wiedererkannte. Es war Alex Rocco. Seit Lassiter diesen Namen gehört hatte, wußte er, daß er genau das Hornissennest gefunden hatte, das er suchte, Dabei hatte er nur an einen Flirt mit dem seiner Meinung nach heißesten Mädchen von Laredo gesucht. Was es doch für Zufälle gab! »Vielleicht hängt er noch an der Wand«, meinte jemand. »Oder er ist durch ein Fenster in das Gebäude eingedrungen.« »Laß alles absperren, Jenkins! Das ganze Viertel! Wenn er im Haus ist, kann er uns nicht entkommen.« Lassiter spähte durch den Vorhang, hinter dem das Licht brannte. Das Pärchen auf dem Bett ließ sich nicht stören. Die beiden interessierten sich nicht dafür, was draußen geschah. Ihnen trachtete ja auch niemand nach dem Leben. Lassiter streckte die Beine aus, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer des Balkons und schloß die Augen. Was sollte er jetzt auch sonst tun. Er mußte einfach abwarten und die Nerven behalten. Nur um Carry machte er sich Sorgen. Sie befand sich in der Klemme. Hoffentlich fielen ihr die richtigen Lügen ein, um sich herauszureden. Aber da war Lassiter skeptisch. Sie war in seinen Augen viel zu naiv, um glaubwürdig lügen zu können. Dieser Rocco würde alles aus ihr herausquetschen, was sie wußte. Er war ein ausgekochter Hundesohn und kannte die
übelsten Foltermethoden. Lassiter wußte ziemlich gut über ihn Bescheid. Er gehörte zu denen, die auf einer ganz bestimmten Liste standen. Sozusagen auf Abruf. Dort fand man all die Namen, deren Träger man zwar schon seit langem ins Visier genommen hatte, aber nicht überführen konnte. Auf dieser geheimen Liste stand auch der Name von Judson Scott, dem reichen Viehzüchter, der außer seiner Ranch in Texas noch eine große Hazienda in Mexiko besaß. Lassiter war sicher, auf eine heiße Spur gestoßen zu sein. Ein Schrei riß ihn aus seinen Gedanken. Oben in dem Zimmer hatte Carry geschrien. Es schien ihr noch schlimmer zu gehen, als Lassiter befürchtet hatte. Carry kam zu sich. Sie wußte nicht, was mit ihr geschehen war, brauchte eine Weile, um sich zu erinnern. Sie bewegte sich und wollte sich aufsetzen, und da erst merkte sie, daß sie gefesselt war. Dann sah sie Roccos Gesicht über sich. Er grinste sie dämonisch an. Vor seinen Augen konnte man Angst bekommen. »Was ist los, Rocco?« keuchte sie. »Was siehst du mich so an? Nimm mir doch endlich die verdammten Fesseln ab! Der Kerl hat mich in seine Gewalt gebracht. Ich konnte nichts machen. Ich mußte alles tun, was er von mir verlangte. Sonst hätte er mich getötet ...« Sie begann zu schluchzen. »Bitte, Rocco! Mach mich los! Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Er hatte mich in der Hand!« Rocco schlug zu. Mit der flachen Hand. Carrys Kopf wurde zur Seite gerissen. Ihre Wange brannte, als hätte jemand ein glühendes Holzscheit auf ihre Haut gepreßt. »Du spielst mir nur was vor, Baby!« sagte er drohend. »Versuch das lieber nicht noch einmal. Du hast dich von ihm fesseln lassen, damit es so aussah, als hätte er dich dazu
gezwungen, seine Komplizin zu werden. Das sah aber gar nicht nach Zwang aus, als du im Evaskostüm über die Main Street gerannt bist. Dadurch hast du die Männer beim Geldtransport abgelenkt. Ich weiß inzwischen Bescheid. Versuch nicht, mich noch einmal mit dreisten Lügen abzuspeisen.« Er griff in ihr rotes Haar und zog sie mit einem Ruck hoch, bis sie aufrecht auf dem Bett saß, die Hände auf dem Rücken gefesselt und nackt vom Scheitel bis zur Sohle. Der Anblick reizte ihn gewaltig. Es machte ihm keinen Spaß, sie zu quälen, und er wußte jetzt schon, daß er es nicht auf die Spitze treiben würde. Sie war noch viel zu unerfahren, um ihm großen Widerstand entgegensetzen zu können. Dafür war sie noch nicht lange genug im Geschäft. Bei ihr genügten gewisse Drohungen, um sie einzuschüchtern. Er wollte ja nicht mehr von ihr als die Wahrheit. Später würde er ihr alles verzeihen und sie mit in sein Bett nehmen. Er wollte sie zu seiner Geliebten machen. Auch wenn sie damit nicht einverstanden war. Es war nicht schwer, so einer seinen Willen aufzuzwingen. »Also, wie war das?« knurrte er. »Ich gebe dir den guten Rat, vernünftig zu sein. Erzähl mir die ganze Wahrheit! Warum hast du mit dem Kerl gemeinsame Sache gemacht?« »Er hat mich unten an der Bar angequatscht«, stieß sie hervor. »Was heißt hier, gemeinsame Sache? Es war das übliche Spielchen. Du kannst Charly fragen. Der Kerl kam rein, und wir haben was getrunken. Etwas später waren wir uns einig. Er wollte mit mir allein sein. Frag Charly, er kann alles bezeugen.« Rocco stieß sie grob zurück und holte ein Zigarillo aus der Westentasche. Lässig riß er ein Zündholz an und brachte den Tabak zum Glühen. Dabei sah er nachdenklich auf seine Gefangene.
Sie schrie wie am Spieß, als er mit der Glut ihre rechte Gesäßbacke ansengte. Und sie ahnte, daß dies erst der Anfang war ... Die Schreie des Mädchens drangen Lassiter durch Mark und Bein. Ihm war, als wäre er selbst es, der da gefoltert wurde. Vorsichtig spähte er über die Brüstung des Balkons. Dort unten in dem Hinterhof war es immer noch ruhig. Wahrscheinlich befanden sich einige Männer hinter der Abgrenzungsmauer. Das war ja auch gescheiter. So konnten sie ihm den Fluchtweg versperren, ohne sich einer Gefahr auszusetzen. Sie hatten Zeit. Wenn es hell wurde, waren sie im Vorteil. Er konnte ihnen nicht mehr durch die Lappen gehen. Lassiter hatte schon die ganze Zeit mit dem Gedanken gespielt, etwas zu tun, womit die Gegner am wenigsten rechneten. Was brachte es ein, wenn er weiter floh! Es hatte keinen Sinn, sich weiter zu verstecken. Er mußte selbst die Initiative ergreifen und die anderen überraschen. Dort oben in dem Luxusgemach begann Carry wieder zu schreien. Es war weithin durch die Nacht zu hören, aber die Fenster blieben geschlossen. Nach und nach erloschen auch die letzten Lichter. Auch das Pärchen hinter diesem Balkon hatte die Verdunkelung vorgezogen. Es war überall dasselbe. Niemand setzte sich gerne der Gefahr aus, in so eine Sache hineingezogen zu werden. Sonst mußte man am Ende noch als Zeuge aussagen, und das konnte schlimme Folgen haben. Vor allen Dingen dann, wenn es um die Interessen von Judson Scott ging. Er war in diesem Teil von Texas der große Mann, nach dem sich alle zu richten hatten. Lassiter hatte bereits mit seiner neuesten Kletterpartie begonnen. Er kannte sich inzwischen schon einigermaßen aus.
Das Geäst des uralten Efeus war stabil. Viele Stämme waren armdick und dicht ineinander verwoben wie ein Netz. Aber dieses Netz war auch abhängig von den Eisenkrampen, die man hier und da ins Gemäuer geschlagen hatte, um dem Efeu Wachshilfe zu geben. Wenn einer dieser Krampen aus seiner Verankerung riß, konnte das für die gesamte Laubwand die Kettenreaktion einer Lawine zur Folge haben. Ein mulmiges Gefühl beschlich Lassiter von Anfang an, aber was er sich einmal vorgenommen hatte, setzte er auch in die Tat um. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Schreie des Mädchens ließen ihn alles vergessen. Er war nur ärgerlich über sich selbst, weil er sich nicht gleich mit Alex Rocco und den anderen auseinandergesetzt hatte. Er war nicht der Mann, den sie jagten. Das konnte er beweisen. Er hatte auf dem Gehsteig zwischen Männern gestanden, von denen er einige wiedererkennen würde. Sie mußten bezeugen, daß er es gar nicht gewesen sein konnte, der die lumpigen 20.000 Dollar erbeutet hatte. Aber die Schlußfolgerung von Rocco war schon logisch. Wahrscheinlich hatten sie anfangs im Eifer des Gefechts gar nicht daran gedacht, daß es einen Zusammenhang mit Carrys Strip auf der Main Street geben konnte. Aber auch das war noch nicht bewiesen. Nur Lassiter wußte Bescheid. Sie hatte ihm ja gesagt, daß sie ihn für den Mann hielt, der ihr 200 Dollar für ihren Strip gegeben hatte. Aber sie kannte ihn nicht, hatte ihn wahrscheinlich nur als Maskierten gesehen. Und die ganze Zeit hatte sie ihn heimlich für den berühmten Banditen gehalten, den man den Wolf mit der Peitsche nannte. Lassiter grinste verzerrt. Immer wieder knackten dürre Zweige zwischen seinen Händen und unter seinen Stiefeln. Tiefe Dunkelheit umgab ihn. Er konnte sich nur auf sein
Gefühl und auf sein Gehör verlassen. Aber immerhin hatte er den Vorteil, daß er von unten nicht gesehen werden konnte. Verschiedene Äste bogen sich gefährlich unter seinem Gewicht. Schweiß rann ihm über den Körper, während er sich Zoll um Zoll nach oben arbeitete. Carrys Schreie zerrten an seinen Nerven. Jetzt wurde sie etwas ruhiger. Sie wimmerte nur noch kläglich. »Aber wie oft soll ich es dir noch sagen, Rocco!« stöhnte sie. »Ich kenne ihn erst seit heute abend. Warum fragst du Charly nicht? Der kann alles bezeugen. Lassiter ist ein Fremder. Er hat es bestimmt nicht nötig, anderer Leute Geld zu rauben. Davon hat er selbst genug.« »Ja, Beutedollars!« lachte Rocco. »Davon besitzt er bestimmt einen ganzen Haufen. Da kann er die Puppen tanzen lassen.« »Und er war die ganze Zeit hier!« beteuerte Carry. »Also kann er auf gar keinen Fall Norman Wells ermordet haben!« »Du steckst mit ihm unter einer Decke!« knurrte Rocco. »Deshalb versuchst du mit aller Macht, ihn zu beschützen. Warum ist er durch das Fenster abgehauen? Das wäre doch nicht nötig gewesen, wenn er ein reines Gewissen gehabt hätte.« Lassiter bekam mit der rechten Hand das Fensterbord zu packen, und dann lag auch seine Linke auf dem rissigen Holz. Die Handflächen brannten nach der anstrengenden Kletterei. Er fragte sich, ob er überhaupt noch seinen Revolver richtig halten konnte. Er zog sich noch etwas höher und suchte mit den Füßen nach einem sicheren Halt, um den letzten Schwung schaffen zu können. Lassiter war entschlossen, um jeden Preis einzugreifen. Er wollte nicht, daß Carry noch weiter gequält wurde. Und dann
würde er versuchen, Rocco von seiner Unschuld zu überzeugen. Es gibt ja auch nicht den geringsten Beweis gegen mich, dachte Lassiter zuversichtlich. Und wenn er erst einen wichtigen Mann wie Rocco am Kanthaken hatte, konnten ihn die anderen nicht so ohne weiteres angreifen. Dann mußten sie sich gezwungenermaßen anhören, was er zu sagen hatte. Das alles stellte er sich vor, während er sich auf den blitzartigen Angriff vorbereitete. Es mußte so schnell gehen, daß der oder die Männer im Zimmer sekundenlang wie gelähmt waren. Noch einmal atmete er tief durch, konzentrierte sich und stieß sich ab, um seinen Körper nach oben und über die Brüstung zu schwingen. Im selben Augenblick hörte er das häßliche, knirschende Geräusch von einem Stück Eisen, das sich aus dem Mauerwerk löste. Trotzdem hielten seine Fäuste den Fensterbord fest umklammert, und er war immer noch sicher, daß er es schaffen würde. Doch leider war er nicht der einzige, der das verräterische Knirschen gehört hatte. Einer von Roccos Leuten hatte gleich neben dem Fenster gestanden. Und ihm war das verdächtige Geräusch nicht entgangen. Er brüllte einen Fluch, als er die Hände auf der Fensterbrüstung sah. Mit einem Satz war er dort und schlug wütend mit dem Gewehrlauf zu. Es war eine reine Reflexbewegung, die vom kämpferischen Instinkt befohlen wurde. Sein Verstand hätte ihm sonst gesagt, daß er dem Mann am Fenster sowieso tausendfach überlegen war. Aber er brüllte wie von Sinnen und schlug wütend zu. Lassiter verspürte einen höllischen Schmerz und ließ sofort los.
Krachend und berstend gab die Laubwand nach. Wie er es schon die ganze Zeit befürchtet hatte. Es entwickelte sich unweigerlich eine Kettenreaktion, weitere Eisen lösten sich, und Lassiter streckte seine Arme aus und bekam gerade noch ein paar Äste zu packen. Vorläufig rettete ihm diese Aktion das Leben. Aber nur vorläufig. Die dichte Efeuwand senkte sich langsam, aber unaufhaltsam. Er hielt sich daran fest und hoffte, daß er schnell genug den Erdboden erreichte, damit er wenigstens versuchen konnte, noch irgend etwas zu seiner Rettung zu unternehmen. Oben am Fenster tauchten weitere Männer auf. Rocco war dabei. Ein paar Schüsse fielen. »Nicht schießen!« brüllte Rocco. »Hört auf, ihr Idioten! Ich will den Burschen lebend haben! Entkommen kann er uns sowieso nicht mehr!« Männer stürmten auf den Hof. Lampen erhellten die Szenerie, und weitere Lampen wurden angezündet. Es waren Karbidlampen mit Metallspiegeln darunter, die das Licht vielfach verstärkten und zu Strahlen bündelten, die Lassiters zappelnden Körper schnell einfingen. Höhnisches Gelächter schallte durch die Nacht. Lassiter ließ sich fallen, als seine Füße noch ungefähr zwei Meter vom Boden entfernt waren. Hart kam er auf, ließ sich aber sofort geschickt abrollen und sprang katzengewandt wieder auf, um davonzurennen. Die Kerle waren so überrascht, daß sie nur gebannt zuschauten und in den ersten Sekunden nicht wußten, was sie machen sollten. Es sah fast so aus, als hätte Lassiter trotz der gewaltigen Übermacht noch eine Chance. Er rannte nach rechts, wo sich ein Schuppen befand und wo auch nur wenige Gegner waren. Mit leicht gesenktem Kopf und erhobenen Fäusten sprintete er darauf zu und rammte die ersten beiden Männer, daß sie
zurücktaumelten und sich überschlugen. Aber da stürzten sich schon von den Seiten mehrere Männer auf ihn. Er ließ seine Fäuste fliegen und traf so empfindlich, daß ihn diejenigen, die wie die Kletten an ihm hingen, sofort losließen. Und er rannte keuchend weiter. Man durfte die Hoffnung niemals aufgeben, solange man noch atmen konnte. Hinter ihm dröhnte furchtbares Gebrüll. Ein Glück, daß ihr Boß ihn unbedingt lebend erwischen wollte. Sonst läge er jetzt garantiert schon von Kugeln durchsiebt auf der Erde. Er prallte gegen die Tür des Schuppens, die sofort nachgab und ins Innere schwang. Dort erwartete ihn pechschwarze Finsternis, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als blindlings weiterzustürmen. Und dann stieß er gegen ein Hindernis, das verhängnisvoll war. Es gab zwar nach, aber gleichzeitig stürzte es mit schwerem, donnernden Gepolter über ihm zusammen. Instinktiv riß er die Arme hoch, um seinen Kopf zu schützen. Aber mehr konnte er nicht zu seinem Schutz tun. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde er nach unten gedrückt und lag schließlich flach unter einem Berg von Kisten und Fässern, die man hier in dem Lagerschuppen aufgestapelt hatte. Er kam sich vor wie lebendig begraben. Es rumpelte über ihm noch eine ganze Weile. Benommen und wie eingeschnürt lag er unter den Lasten und bekam kaum noch Luft. Licht schimmerte durch die vielen Ritzen. Fluchend begannen die Männer Hindernisse wegzuräumen. Und dann stürzten sie sich mit ihrer ganzen Wut auf Lassiter, den die meisten von ihnen immer noch für den Wolf mit der Peitsche hielten. Lassiter versuchte gar nicht erst, sich zu wehren, sonst wäre es ihm noch viel schlimmer ergangen. Zum Glück tauchte dann endlich Rocco auf.
»Verdammt noch mal!« brüllte er. »Ich habe doch befohlen, daß ich ihn lebend haben will! Wir schaffen ihn zum Sheriff. Dort kann er dann auf seinen Prozeß warten. Mister Scott duldet keine Lynchjustiz in dieser Stadt. Hier geschieht alles nach Recht und Gesetz.« Lassiter lag völlig ausgepumpt da. Es gab keine Stelle an seinem Körper, die nicht höllisch schmerzte. Ein paar Männer rissen ihn hoch und fesselten ihm die Hände auf dem Rücken, obwohl das bei seinem Zustand unnötig gewesen wäre. Fünf Minuten später warfen sie ihn auf eine harte Pritsche in einer Einzelzelle des Stadtgefängnisses von Laredo. Es befand sich gleich hinter dem Sheriff's Office in einem stabilen Anbau. Durch die geschwollenen Augen sah Lassiter einen breitschultrigen Mann, auf dessen Hemd es an einer Stelle metallisch schimmerte. Das war wohl der Stern des Gesetzes, doch so genau konnte Lassiter das in seinem augenblicklichen Zustand nicht erkennen. »Verschwindet jetzt!« sagte der Sternträger. »Du bleibst natürlich, Rocco. Ich brauche dich, um das Protokoll aufzusetzen. Danach werden wir den Richter informieren. Meinst du, daß er der besagte Mann ist?« »Für mich gibt es so gut wie keinen Zweifel, Brad. He, Leute, laßt mich jetzt mit dem Sheriff allein! John, du sagst dem Boß Bescheid. Er will sich sicher den Vogel ansehen, den wir eingefangen haben.« »Geht in Ordnung, Rocco«, sagte John Kapp, einer der Unterführer in Scotts wilder Horde. »Kommt, Männer! Wir werden vorläufig nicht mehr gebraucht ...« Schritte entfernten sich. Die meisten Männer hatten jetzt garantiert Sehnsucht nach einem scharfen Drink. Und sicherlich auch nach anderen Vergnügungen, die Laredo bot.
»Komm, wir reden im Office weiter«, sagte der Sheriff. »Bist du eigentlich sicher, daß das der Peitschenkünstler ist? Wie heißt er noch mal? Lassiter?« »So nannte ihn Carry.« »Und als du erfahren hast, daß er bei ihr war, hast du deine Schlüsse gezogen, Alex. Da könnte wirklich was dran sein. Was hast du alles aus dem Mädchen rausgebracht? Hat sie das Ablenkungsmanöver in seinem Auftrag inszeniert?« »Sie streitet alles ab. Aber das spielt sowieso keine Rolle mehr. Wir haben den Bastard geschnappt, und das reicht. Er wird wegen Mordes an Norman Wells hängen. Dann haben wir wieder Ruhe. Komm, über die Einzelheiten unterhalten wir uns im Office.« Auf dem Zellengang ertönten eilige Schritte. Lassiter sah verschwommen einen Mann in einem langen schwarzen Mantel durch die offene Zellentür treten. »Ich habe erst vor ein paar Minuten erfahren, wo ich dich finden kann, Rocco!« sagte der Schwarzgekleidete heftig. »Weißt du noch nicht, was passiert ist? Dana ist gekidnappt worden.« »Wie konnte das passieren, Mr. Scott?« rief Rocco ungläubig. »War sie etwa nicht im Haus? Ich habe sie doch noch vor zwei Stunden gesehen. Sind Sie ganz sicher?« »Zum Teufel, Rocco! Denkst du, ich erfinde solche Geschichten, wenn es um das Leben meiner Tochter geht? Hier ist das Schreiben der Entführer. Sie verlangen ein Lösegeld von einer halben Million. Aber jetzt werde ich erst mal auf meine Art antworten.« Er deutete mit dem ausgestreckten Arm auf Lassiter. »Dieser Mann muß sterben! Dann wissen seine Kumpane gleich, daß ich mich auf keine Erpressung einlasse! Los, erschieß ihn, Rocco!«
»Nicht hier!« rief der Sheriff. »Das müßt ihr schon anders erledigen! Da bist du doch hoffentlich einer Meinung mit mir, Rocco?« »Ja, das bin ich«, sagte Rocco kalt. »Ich erledige das draußen. Ganz unauffällig. Da brauche ich noch nicht mal eine Schußwaffe. Auch kein Messer. Ich werde ihn einfach totschlagen wie einen kranken Hund. Morgen wird man ihn irgendwo in einer Gasse finden.« »Gute Idee«, brummte der Sheriff. »Genau so habe ich es mir auch vorgestellt. Der Kerl ist sowieso schon halbtot.« »Und wie ist er rausgekommen?« wollte Judson Scott wissen. »Ich mußte ihn freilassen«, lachte der Sheriff leise. »Ist doch ganz einfach, Mr. Scott. Es gab nicht die nötigen Beweise gegen ihn. Er kann Norman Wells nicht ermordet haben, weil er um die fragliche Zeit bei Carry Castle war. Ich kann auch erst noch zum Richter gehen und mir das schriftlich geben lassen. Ich brauche ihm nur meine Bedenken zu erläutern, und er wird es mir schriftlich geben, daß ich ihn auf freien Fuß setzen muß. Dann hat alles seine Ordnung, Sir. Wie ist es Ihnen am liebsten? Es würde seinen Tod höchstens um eine Stunde verzögern.« »Bis dahin fängt es schon an, hell zu werden«, gab Rocco zu bedenken. »Richtig«, sagte Scott. »Erledigt es sofort! Laß ihn frei, Brad! Du hast dann völlig korrekt im Namen des Gesetzes gehandelt.« »Also dann an die Arbeit!« brummte Sheriff Brad Marks und ging auf die Pritsche zu. »Los, helft mir! Wir müssen ihn nur weit genug wegbringen.« Lassiter wurde hochgezerrt. Er hatte alles mitbekommen, und trotzdem war er viel zu schlapp, um sich zu wehren. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, hier drinnen schon etwas zu versuchen.
Aber vielleicht ging es ihm draußen an der frischen Luft bald etwas besser. Das war seine einzige Hoffnung.
4
Patrick Kelly O'Hara befand sich in einem der alten Häuser im mexikanischen Viertel von Laredo. Er hatte keine andere Möglichkeit gesehen, als den Anweisungen von Slim Sharkey zu folgen. Der hatte nämlich schon bald Verstärkung bekommen. Da mußte Kelly vorerst klein beigeben. Slim hatte ihm deutlich genug erklärt, daß sie ohne weiteres auf ihn verzichten könnten, wenn er Dummheiten machen sollte. Im übrigen sollte er sie alle als seine Freunde betrachten, die es gut mit ihm meinten. Seine Feinde wären auch ihre Feinde, behaupteten sie, und gemeinsam würden sie bald stark genug sein, um dem verdammten Judson Scott den offenen Krieg zu erklären. Aber obwohl sie sich seine Freunde nannten, hatten sie ihn gefesselt und in einen dunklen, muffigen, fensterlosen Raum gesperrt. Er lag auf angefaulten Bodenbrettern, und ab und zu liefen Ratten über ihn hinweg. Manchmal stupsten sie ihn sogar an und beschnupperten ihn, nachdem sie sich mit seiner Anwesenheit vertraut gemacht hatten. Am unangenehmsten waren die Moskitos, die sich auf seiner Haut niederließen und sich mit seinem Blut vollsaugten. Daran starb man nicht, aber das verfluchte Jucken konnte einen fast in den Wahnsinn treiben. Aber Kelly ließ sich nicht verrückt machen. Es hatte keinen Sinn, mit dem Schicksal zu hadern. Schließlich war er selbst an seinem Unglück schuld, weil er viel zu leichtsinnig geworden war. Vor der verbrecherischen Organisation von Judson Scott hatte er sich stets sorgfältig abgeschirmt.
Leider hatte er nicht damit gerechnet, daß sich auch andere Leute für ihn interessieren würden. Das war ein großer Fehler gewesen. Sie mußten ihn schon längere Zeit unauffällig beobachtet haben. Jeden seiner Schritte hatten sie schließlich vorausberechnet. Wahrscheinlich hatten sie ihn schon beschattet, während er seine Vorbereitungen für den Coup in Laredo getroffen hatte. Jetzt wollten sie ihn zu ihrem Werkzeug machen. Wenn es ihnen gelang, war es aus und vorbei mit dem Leben als geheimnisvoller Einzelgänger. Und damit waren auch seine ganzen Pläne zerstört. Mit seinen kleinen, aber schmerzhaften Nadelstichen wollte er Judson Scott und seine Organisation systematisch schwächen. Und gleichzeitig wollte er immer mehr Geld horten. Bis er so reich war, daß er Scott auf die sanfte Tour den Todesstoß versetzen konnte. Richtig töten wollte er den großspurigen Tyrannen nicht. Ihn nur von seinem Thron stoßen, das war Kellys Absicht. Richtig in den Dreck hinein sollte er fallen und gedemütigt werden. Das würde für ihn tausendmal schlimmer sein als der Tod. So wollte sich Patrick Kelly O'Hara rächen. Er sonnte sich auch manchmal in dem Gedanken, wie Scott das Gnadenbrot bekommen würde. Geduldet als eine Art Knecht auf seiner eigenen Ranch. Er konnte sich dann noch etwas nützlich machen, indem er die Ställe ausmistete, die Schweine fütterte und andere Arbeiten verrichtete, die man normalerweise den Veteranen überließ, die sonst nicht mehr zu gebrauchen waren. In solche Gedanken steigerte Kelly sich manchmal mit einer gewissen Lust, aber inzwischen sah es so aus, als ob plötzlich alles ganz anders laufen würde, als er sich das vorgestellt hatte. Vielleicht war es ein viel zu blödsinniger Racheplan, dachte er ein wenig zerknirscht, während um ihn herum die Ratten huschten.
Und auf Dana Scott brauchte er sich auch keine Hoffnung mehr zu machen. Für sie war er tot wie für alle anderen, die ihn gekannt hatten. Alle glaubten, daß seine Gebeine unter einem Steinhaufen im Palo Duro Canyon vermoderten. Wie konnten sie auch ahnen, was für ein unglaubliches Wunder sich da ereignet hatte. Es war nur ein Streifschuß gewesen, aber in der Dunkelheit hatte das keiner so genau sehen können. Es ging darum, ihn so schnell wie möglich verschwinden zu lassen. Und als er irgendwann aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit erwachte, stellte er fest, daß die Felsbrocken sich über ihm so verkantet hatten, daß sie eine Art Gruft bildeten. Aus eigener Kraft hätte er es wohl niemals geschafft, da herauszukommen. Aber da tauchte dieser sonderbare alte Einsiedler auf, der alles beobachtet hatte und die Steine beiseite räumte. Er tat es, weil er selbst eine Leiche hatte, die er an dieser Stelle verschwinden lassen wollte. Noah nannte sich der wortkarge Alte, und er bekam noch nicht mal einen Schreck, als er einen Lebenden unter den Steinen fand. »Wenn du Lust hast, kannst du an seine Stelle als mein Partner treten, Kelly«, hatte er vorgeschlagen. »Der hier hat mich schwer enttäuscht. Er wollte sich unseren gemeinsamen Schatz unter den Nagel reißen, und da blieb mir nichts anderes übrig, als ihn aus dem Weg zu räumen ...« Kelly erinnerte sich noch genau an jede Einzelheit. Er zog dann mit Old Noah in dessen Felsenversteck, wo sich auch der Schatz befand, von dem der Alte gefaselt hatte. Es handelte sich um eine Kiste voller Dollars, einer Sammlung von Schmuckstücken und etlichen Taschenuhren, die sie manchem einsamen Reiter nebst seinen Dollars abgenommen hatten. Sie hatten auch hin und wieder eine Kutsche überfallen und die mitreisenden Frauen um ihren Schmuck erleichtert.
Es waren niemals große, spektakuläre Überfälle gewesen, und es hatte auch keine Toten gegeben, so daß die beiden Wegelagerer niemals richtig intensiv gejagt worden waren. Nach ihren Raubzügen hatten sie sich jedesmal in ihr Versteck zurückgezogen und einige Zeit verstreichen lassen, bevor sie erneut zugeschlagen und ihren »Schatz« vergrößert hatten. Und dann hatte sich Noahs Partner selbständig machen wollen. Mit allem Geld, was sie im Laufe der Zeit gehortet hatten. Und damit Noah ihm ganz bestimmt keinen Ärger mehr bereiten konnte, sollte er sterben. Das hatte Noah verhindert, indem er dem Partner zuvorgekommen war. Kelly tat so, als hätte er nicht bemerkt, daß der Mann hinterrücks erschossen worden war. Er wollte den alten Burschen nicht unnötig kränken. Schließlich hatte er ihm das Leben gerettet. Old Noah war auf eine sonderbare Art verrückt und fromm zugleich. Jeden Tag las er stundenlang in der Bibel und deklamierte Zitate, die er aus dem Zusammenhang riß, so daß sich sein Lebenslauf anhörte, als hätte er immerfort nur gottgefällige Werke getan. Er behauptete auch allen Ernstes, eines Tages alles den Armen spenden zu wollen. Aber erst müsse er genug zusammen haben, damit es sich auch richtig lohne. Er wollte ja ganz bestimmt in den Himmel kommen. Aber er kam nicht mehr dazu, seine guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Und es blieb Kelly erspart, dem verschrobenen Alten eine Absage erteilen zu müssen, wenn Noah ihn mit auf den nächsten Raubzug schleppen wollte. Es kam nämlich nicht mehr dazu. Noah wurde im Schlaf vom Tod überrascht. Nicht durch die Einwirkung gewalttätiger Menschen oder etwa eines Schlangenbisses. Nein, er lag ganz friedlich da und schien zu
schlafen, als Kelly eines Morgens aufwachte. Erst nach einer Weile stellte er fest, daß der Oldtimer nicht mehr unter den Lebenden weilte. Aber er war ja auch wirklich uralt gewesen. Seine Uhr war schlicht und einfach abgelaufen, da konnte man nichts machen. Und Patrick Kelly O'Hara hatte Zeit, mit kleinen Räubereien viel Geld zusammenzuscharren, um eines Tages ein ganz großes Ziel verwirklichen zu können. Dieser Gedanke ließ den ehemaligen Cowboy nicht mehr los. Der alte Noah hatte ihn irgendwie angesteckt. Allerdings wollte Kelly mit seinen zukünftigen Reichtümern keine guten Werke tun. Sein großes Ziel hieß Rache. Und vielleicht, so träumte er, wartete Dana immer noch auf ihn, weil sie tief in ihrem Innern spürte, daß der Geliebte noch lebte. Wie man das in manchen Märchen lesen konnte. Kelly hatte große Sehnsucht nach ihr. Er stellte sich das Wiedersehen ganz toll vor. Er würde dann als großer Sieger dastehen und dem alten Satan Judson Scott sogar großmütig das Leben schenken, obwohl der den Auftrag gegeben hatte, ihn zu ermorden. Aber jetzt war es aus und vorbei mit solchen Träumen. Kelly war sehr unerwartet in die rauhe Wirklichkeit zurückgeholt worden. Er horchte auf, als er Schritte hörte. Endlich geruhten seine neuen »Freunde«, mal wieder nach ihm zu schauen. Vielleicht hatten sie sich endlich entschlossen, ihn als gleichberechtigten Partner zu behandeln. Darauf war er gespannt, und entsprechend würde er sich auch verhalten. Draußen wurde ein schwerer Riegel zurückgeschoben, dann konnte erst die stabile Tür geöffnet werden. Der Lichtschein einer starken Lampe fiel auf Kellys Gesicht. Dahinter sah er schattenhaft drei Gestalten. »Na, endlich!« stieß er knurrend durch die Zähne. »Wurde auch höchste Zeit, daß ich hier rauskomme!«
»Da hast du dich zu früh gefreut«, sagte der Kerl mit der Lampe kalt. »Der Boß ist sich noch nicht sicher, ob er dir vertrauen kann. Wir sollen dir nur was zu futtern bringen. Und die neuesten Nachrichten. Es hat sich einiges getan in Laredo. Aber komm erst mal hoch! Setz dich aufrecht hin, damit wir dich füttern können.« Kelly gab sich Mühe, aber er schaffte es nicht. Einer der Männer packte ihn an den Schultern und half ihm, sich aufzusetzen. Der dritte setzte einen Topf ab, aus dem es nach Essen roch. Er füllte eine Kelle mit einer Art Brei aus Gemüse, Kartoffeln und Fleischstückchen und führte sie an Kellys Mund. »Aber beeil dich, Kelly. Wir sind nicht scharf drauf, hier die Zeit mit dir zu verplempern. In der Stadt ist allerhand los.« Kellys Hände waren auf dem Rücken gefesselt, und um seine Beine war ein Lasso gewickelt. Er schüttelte den Kopf. »Ich hab' keinen Hunger. Erzählt mir, was los ist! Und dann könnt ihr mich wieder allein lassen. Sagt eurem Boß, daß ich ab sofort in den Hungerstreik getreten bin. Wenn er noch Wert auf meine Mitarbeit legt, soll er mich schleunigst hier rauslassen. Sonst spiele ich nicht mehr mit.« Die drei lachten höhnisch. »Die große Klappe wird dir bald vergehen«, sagte Stan Becker, der Mann mit der Lampe. »Sie haben übrigens den Mann geschnappt, den sie für den Wolf mit der Peitsche halten.« Es verschlug Kelly für einen Moment die Sprache. »Was?« stieß er dann gedehnt hervor. »Was soll denn das bedeuten? Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen, was?« »Er heißt Lassiter«, sagte Becker grinsend. »Er war bei der roten Carry, die für dich den Strip auf der Main Street hingelegt hat.« Kelly wollte es im ersten Moment abstreiten, aber dann nickte er nur. Es hatte keinen Sinn, den Kerlen etwas
vorzumachen. Die wußten sowieso alles. Sie hatten ihn lange genug beobachtet. »Ich kenne keinen Lassiter«, sagte er. »Der hat mit der ganzen Sache garantiert nichts zu tun. Habe den Namen noch nie gehört.« »Er war bei Carry. Das genügt der Scott-Bande.« »Und wie sind sie darauf gekommen, daß Carry für mich gearbeitet hat?« fragte Kelly wütend. Verdammt, das Mädchen tat ihm leid. »Toby Field hat es Norman Wells gesteckt«, grinste Becker. »Und von Wells hat es Alex Rocco erfahren. Zum Dank dafür hat Rocco ihn dann erstochen. So ist das. Und Rocco hat sich darauf versteift, daß nur Lassiter der Mann sein kann, den alle suchen. Sie haben ihn ins Gefängnis geschleppt. Er wird die Nacht nicht überleben, Kelly. Und dann gibt es dich nicht mehr. Ihre Wachsamkeit wird einschlafen. Sie werden völlig unvorbereitet sein, wenn wir zuschlagen.« »Und welche Rolle ist mir zugedacht?« knurrte Kelly. »Wozu braucht ihr mich eigentlich noch?« »Wir brauchen einen, der Dana Scott entführt hat. Wir haben sie übrigens schon.« Kelly konnte nicht länger untätig bleiben. Er tat das, worauf er schon die ganze Zeit vorbereitet war. Er war nämlich nicht mehr so wehrlos, wie die Kerle glaubten. Er hatte die Zeit genutzt, um sich von den Fesseln zu befreien. Jetzt mußte er handeln. Sonst wurde bald eine Treibjagd auf ihn eröffnet. Aus der sitzenden Position schnellte er hoch. Sein Angriff kam so plötzlich, daß keiner der Schufte schnell genug reagieren konnte. Er hatte sich bestens vorbereitet. In der rechten Hand hielt er einen kurzen Holzbalken, in der linken einen Stein, und den schleuderte er Stan Becker mit voller Wucht an den Schädel.
Harry Looms bekam das Vierkantholz gegen die Schläfe gedonnert, daß er die Augen verdrehte und zur Seite wegsackte. Schon war Kelly ganz auf den Beinen und stürzte sich mit dem Schlagholz auf den dritten Halunken. Der sprang zurück und riß seinen Revolver aus dem Holster. Er war schnell, aber Kelly war noch flinker. Der kurze Balken traf den Unterarm des Gegners. Das Gesicht des Getroffenen verzerrte sich auf schreckliche Art, und er riß den Mund weit auf, um seine ganze Not hinauszubrüllen. Aber das durfte Kelly auf keinen Fall zulassen. Hier ging es für ihn um Leben und Tod, denn in dem Haus waren bestimmt noch weitere Kerle. Er schwang den Knüppel noch einmal und traf den Kerl mitten auf die Stirn, so daß sein Schrei im Ansatz erstickte. Stan Becker war zwar in die Knie gegangen, aber der Stein hatte ihn offensichtlich nicht richtig erwischt. Er zog ebenfalls seinen Revolver, aber er machte den Fehler, daß seine Aktion von einem wütenden Knurren begleitet wurde. Deshalb bemerkte Kelly noch rechtzeitig die Gefahr. Mit einem wilden Sprung flog er auf den Mann zu und erwischte ihn ebenfalls mit der vierkantigen Keule. Wild blickte Kelly sich um. Er lauschte, aber von draußen war kein verdächtiges Geräusch zu hören. Die drei Gegner lagen da wie hingemäht. Kelly riß ihre Revolver und auch die Messer an sich und durchsuchte sie nach Geld. Auch kleinere Summen verschmähte er nicht, das Streben danach war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Es kamen ungefähr 300 Dollar zusammen, und er betrachtete dies in grimmigem Humor als Schadensersatz. Jetzt
mußte er sich beeilen. Seine Gedanken eilten schon voraus. Zu Dana natürlich, die er immer noch liebte. Sie befand sich also in der Gewalt der Bande von Slim Sharkey, diesem aalglatten blonden Hurensohn, der beteuert hatte, es gut mit Kelly vorzuhaben. Dieser Bastard! Kelly schlich in den dunklen Flur des alten Hauses. Er blieb immer wieder stehen und lauschte. Aber es blieb ruhig in den anderen Räumen. Ein Anzeichen darauf, wie sicher seine Gegner sich fühlten. Aber er durfte nichts überstürzen. Er mußte jeden Schritt so kühl durchdenken, wie er es in der letzten Zeit stets getan hatte, seit er sich entschlossen hatte, ein Bandit zu werden. Jetzt sollten sie ihn erst recht kennen und fürchten lernen. Aber er wußte auch, daß er zwischen den Parteien zermalmt werden konnte wie ein Getreidekorn zwischen Mühlsteinen ...
5
Lassiter sah seine Umgebung nur wie durch Nebelschleier. Zwei Männer hatten ihn in die Mitte genommen und schleiften ihn aus dem Sheriff's Office. Er versuchte, aus eigener Kraft zu gehen, aber seine Beine knickten unter ihm weg. Sie hatten anscheinend den letzten Rest von Energie aus ihm herausgeprügelt. Er versuchte, tief durchzuatmen, als ihm die kühle Nachtluft entgegenschlug, aber als sich sein Brustkorb dehnte, hatte er das Gefühl, sein Oberkörper würde auseinandergerissen. Sie wollten ihn totschlagen wie einen kranken Hund, hatte einer von ihnen gesagt. War es Rocco gewesen? Lassiter wußte es nicht mehr. Sein Erinnerungsvermögen hatte nachgelassen wie alles andere. »Bringt ihn ein Stück weg, sonst stinkt er uns noch die ganze Bude voll!« rief der Sheriff. »Mann, was ist der besoffen! Ein Glück für ihn, daß ich ihn freilassen muß.« Er rief es so laut, daß man es ziemlich weit hören konnte. Ein Stück weiter blieben auch gerade ein paar Nachtbummler stehen und blickten zum Office. Das war gut für den Plan der Halunken. Rocco nickte dem Sheriff zufrieden grinsend zu. Das Thema war für sie erledigt. Judson Scott stieß seinen besten Mann leicht an. »Komm jetzt, Rocco! Wir müssen uns um die Suche nach Dana kümmern. Ich brauche dich wie noch nie. Hast du schon eine Idee, wie wir die Kerle in die Falle locken können?« Rocco nickte zuversichtlich, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, was man in solch einem Fall machen konnte.
»Die werden ihr blaues Wunder erleben«, knurrte er. »Ich lasse die Posten um die Stadt noch verstärken. Wir müssen sie zwingen, in Laredo zu bleiben. Dann können wir sie systematisch in die Enge treiben.« »Und wenn sie Dana etwas antun?« fragte der Big Boß besorgt. Er liebte seine einzige Tochter über alles. Sie war auch sein einziges Kind. Deshalb hatte er sie immer gehütet wie seinen Augapfel. Deshalb war er auch vor Wut außer sich gewesen, als er erfahren hatte, daß Dana sich in einen miesen Kuhtreiber verliebt hatte. Das war für Judson Scott wie eine persönliche Beleidigung. Darauf gab es nur eine einzige Antwort. Inzwischen war über ein Jahr vergangen, und die Erinnerung an diesen Patrick O'Hara war bestimmt in ihrem Herzen verblaßt. Vielleicht hatte sie ihn auch schon endgültig vergessen. Judson Scott hatte schon Ausschau gehalten nach einem passenden Schwiegersohn. Das mußte ein ganz besonderer Mann sein. Einer aus bestem Hause und mit erstklassigen Beziehungen. Strebsam und klug mußte er sein, aber auch hart, wenn nötig rücksichtslos. Es mußte einer sein, der demnächst das weiterführte, was Judson Scott aufgebaut hatte. Sein Werk sollte in seinen Enkeln und Urenkeln fortleben. Noch in hundert Jahren sollte man von ihm reden und die Denkmäler bewundern, die man ihm bald setzen würde. Er war so selbstbewußt, daß er schon weit über seinen Tod hinausdachte. Und deshalb mußte seine einzige Tochter den Mann bekommen, den er für den einzig richtigen hielt. Jetzt hatte er wahnsinnige Angst. Rocco, der neben ihm schritt, spürte diese Angst seines Bosses mit stiller Verachtung. Dieser Schwächling war nicht der Mann, für den er sich hielt. Eines Tages würde Alex Rocco an seine Stelle treten. Das stand fest.
Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn seine geliebte Tochter in dem bevorstehenden Kampf draufging. Er würde daran zerbrechen. Und Rocco hatte dann leichtes Spiel. Noch bösere Gedanken keimten in ihm auf. Er brauchte es eigentlich nur so auf die Spitze zu treiben, daß diesen Kidnappern keine andere Wahl mehr blieb, als ihre Geisel zu töten. Es war bestimmt nicht schwer, sie zur Weißglut zu treiben. Rocco warf einen Blick zurück und sah, wie die Männer den todgeweihten Lassiter in eine dunkle Gasse schleppten. Sie machten es so geschickt, daß es aussah, als wäre Lassiter so betrunken, daß sie ihn stützen mußten. In Wahrheit konnte er sich aus eigener Kraft nicht auf den Beinen halten, weil sie ihn so fürchterlich zusammengeschlagen hatten. Ein Glück, daß dieses Thema jetzt erledigt war. Lassiter war ein gefährlicher Mann, das hatte er bewiesen. Und er war auch bestimmt der gefürchtete Wolf mit der Peitsche, auch wenn er es abstritt. Rocco hatte den Tip von Norman Wells bekommen. Und der hatte es in der Schwulenkneipe von Toby Field erfahren. Diese homosexuellen Männer stellten in Roccos Augen eine Art Geheimbund dar. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit die Fühler nach ihnen auszustrecken. Man mußte sich als Sympathisant zu erkennen geben, dann hatte man bei ihnen vermutlich leichtes Spiel. Und wenn man richtig Einblick in diese Kreise hatte, wußte man auch, wann sie gefährlich wurden. Alessandro Rocco war ein sehr weitsichtiger Mann. Vor allen Dingen gefiel ihm die Entführung von Dana Scott. Das eröffnete ungeahnte Möglichkeiten. Es war wirklich am besten, wenn sie getötet wurde. Es mußten ja nicht unbedingt die Entführer gewesen sein. Hauptsache, man konnte es ihnen
nachher anlasten. Man mußte nur dafür sorgen, daß niemand mehr das Gegenteil behaupten konnte. Rocco fühlte sich jetzt schon als der große Sieger ... Lassiter wurde durch die fast stockdunkle Gasse geschleift. Zwei Mann hielten ihn fest zwischen sich. Zwei weitere folgten ihnen, um ganz sicher zu sein, falls es doch noch einen unerwarteten Zwischenfall geben sollte. Man konnte nie wissen. Aber es lief alles so glatt, wie sie es sich vorgestellt hatten. Sie bewegten sich mit ihm auf den Rio Grande zu. Das Rauschen des Stroms war schon deutlich zu hören. Lassiter hörte es ebenfalls. Seine Sinne waren inzwischen etwas klarer geworden. Er erinnerte sich auch daran, daß sie ihn totschlagen wollten. »Eigentlich brauchen wir ihn nur in den Rio zu werfen«, meinte einer der beiden Henkersknechte. »Da geht er unter wie ein Stein.« »Nein, wir gehen auf Nummer Sicher«, knurrte der andere. »Es ist auch wichtig, daß er in ein paar Stunden gefunden wird. Es muß so aussehen, als wäre er gestürzt und mit dem Schädel gegen einen Stein geprallt. Wir schütten noch tüchtig Schnaps über ihn und legen die leere Flasche neben seine Leiche. Dann sieht alles so echt aus, wie es der Boß haben will.« »Warum denn so viele Umstände, Jay?« murrte der Kumpan. »Weil er bei vielen Leuten gar nicht so unbeliebt war, Buck«, erklärte Jay. »Er war eine Art Volksheld, das dürfen wir nicht vergessen. Der Big Boß weiß genau, was er tut.« »Sind wir denn so sicher, daß er der Kerl mit der Peitsche ist?« fragte Buck skeptisch. »Immerhin war er bei Carry, als Wells erstochen worden ist.« »Das behauptet Carry. Sie steckt doch mit ihm unter einer Decke.«
»Das wird ihr Rocco noch heimzahlen.« »Rocco hat jetzt anderweitig alle Hände voll zu tun«, kicherte Jay. »Ich schätze, das könnten wir zwei ganz gut in die Hand nehmen. Die wird sich bestimmt nicht zieren, wenn wir ihr einen Besuch abstatten. Oder bist du da anderer Meinung?« »Natürlich nicht«, sagte Bück. »Das rothaarige kleine Biest hat nichts mehr zu lachen in Laredo. Am Ende kann sie froh sein, wenn ihr nicht noch was Schlimmes zustößt.« Lassiter verstand immer besser, was sie so sprachen. Er konnte auch wieder einigermaßen tief durchatmen. Vielleicht war es auch mit seinen Kräften inzwischen wieder etwas besser bestellt. Wehren würde er sich auf jeden Fall. Aber er zog es vor, bis zum allerletzten Augenblick zu warten. Er ließ sich weiter schleifen, schien nur noch ein erbärmliches, schlaffes Bündel zu sein. Die Kerle machten entsprechende Bemerkungen. »Eigentlich nicht zu glauben, daß der uns solche Schwierigkeiten gemacht hat«, meinte Bück. »Und jetzt ist er nur noch ein Haufen Elend. Ich habe fast schon Hemmungen, ihm den Rest zu geben.« »Geht mir nicht anders«, lachte Jay verkniffen. »Das kommt einem schon fast wie Leichenschändung vor.« Sie waren noch ungefähr zwanzig Meter vom Ufer entfernt, als sie endlich anhielten. Um sie herum standen zahlreiche Lagerschuppen für die vielen Waren, die mit Schiffen vom Golf hierher transportiert wurden. Lassiter sank schlaff auf die Erde, als die beiden ihn losließen. Die anderen zwei kamen näher. »Und jetzt?« fragte einer. »Wer macht es?« »Wir könnten es ja ausknobeln«, meinte Buck. Lassiter spannte seine Muskeln und ballte seine blutverkrusteten Hände unauffällig zu Fäusten. Nein, da war noch nichts von der gewohnten Kraft zu spüren.
Mit einem von den Kerlen würde er vielleicht noch fertig werden, aber sie waren zu viert. Eine Übermacht, gegen die er niemals ankam. Sie diskutierten. Keiner wollte es unbedingt machen. Bestimmt hatte schon jeder von ihnen mindestens ein Menschenleben auf dem Gewissen, aber das hier war etwas völlig anderes. Da sträubte sich einiges in ihnen. »Es gibt nur eine Möglichkeit«, entschied schließlich Jay, der hier den Ton angab. »Wir machen es gemeinsam. Los! Jeder sucht sich einen Knüppel oder irgend etwas anderes, womit man zuschlagen kann. Dann kann sich anschließend keiner den Vorwurf machen. So was nennt man Kollektivschuld. Ich habe den Ausdruck mal gehört, als man nach dem Krieg ein paar Rebellen vor Gericht gestellt hatte. Am Ende wurde der gesamte Süden schuldig gesprochen. Die paar Rebellen aber kamen mit einer kleinen Freiheitsstrafe davon.« Seine Kumpane nickten stumpf. Sie verstanden es zwar nicht ganz, aber sie spürten dunkel, was gemeint war. Lassiter sah, wie Jay ein Stück Holz aufhob, das direkt vor seinen Füßen lag. Die anderen entfernten sich suchend in verschiedene Richtungen. Sie ließen sich Zeit, während Jay ungeduldig wartete. Er hatte Lassiter den Rücken zugewandt. Mit furchtbarer, fast übermenschlicher Anstrengung kam der geschundene Mann auf die Knie, und er preßte die Lippen fest zusammen, um keinen verräterischen Laut auszustoßen. Er wußte nicht, ob es klappte. Aber er wollte es wenigstens versuchen. Man durfte niemals aufhören zu hoffen. Sonst war man verloren, egal in welcher Situation man sich befand. Lassiter stieß sich mit den Armen von der feuchten Erde ab und kam auf die Füße. Er hatte das Gefühl, auf schwankenden Schiffsplanken zu stehen, und trotzdem bewegte er sich vorwärts.
Jay hatte ihm immer noch den Rücken zugewandt. Er merkte nichts von dem, was hinter ihm vorging. Er zuckte zusammen, als er ein furchterregendes Knurren hörte. Lassiter stieß es aus, um sich selbst anzutreiben. Es war wie ein lauter Anfeuerungsschrei für ihn selbst. So stürzte er sich von hinten auf den Halunken, rammte ihm die Stirn gegen den Hinterkopf und krallte dann beide Hände um seinen Hals. Aus Jays Kehle kam ein Röcheln, als er endlich begriff, was los war. Die anderen drei wurden aufmerksam und stießen überraschte Rufe und Flüche aus. Aber sie bewegten sich nicht, noch nicht. Sie starrten nur und standen da wie festgewurzelt. Sie sahen zu, wie Lassiter den Anführer mit sich zu Boden riß und ihm im Fallen noch einmal die Stirn gegen den Kopf stieß, daß ein dumpfes Dröhnen zu hören war. Jays Körper wurde schlaff. Lassiter griff nach dem Holster des Banditen und wollte den Revolver herausreißen. Aber da fegte einer der Kerle bereits heran wie der Teufel. Seine Stiefelspitze krachte gegen Lassiters Handgelenk, und der Revolver flog in hohem Bogen davon. Lassiter rollte den schlaffen Körper von sich und sprang auf. Er war selbst erstaunt, daß dies plötzlich viel besser klappte. Er schien wieder in Übung zu kommen. Rückzug war jetzt angesagt. Nicht weit entfernt wälzten sich die Fluten des Rio Grande südwärts. Das konnte die Rettung bedeuten. Ein einziger weiter Sprung, und er würde untertauchen und so schnell nicht wieder an der Oberfläche erscheinen. Der Kerl, der ihm den Revolver aus der Hand getreten hatte, setzte mit den Fäusten nach, als Lassiter hochsprang. Lassiter duckte ab und sandte von unten einen Schwinger in Richtung des gegnerischen Schädels. Und er traf die Kinnlade, daß der
Bastard demnächst garantiert auf dem Zahnfleisch seine Steaks zerkauen mußte. Dem Kerl wurde der Kopf in den Nacken gerissen, und er taumelte brüllend zurück und behinderte ungewollt die beiden restlichen Kumpane, mit denen er losgezogen war, um einen wehrlosen Mann mit Knüppeln zu erschlagen. Lassiter sah seine Chance und setzte nach. Er dachte nicht mehr an Rückzug. Jetzt konnte er einen Schlußpunkt setzen, von dem er vor wenigen Minuten nicht einmal geträumt hätte. Er sah rot. In seinem Kopf war ein Dröhnen wie von Pauken und Trompeten. Er wäre nicht in der Lage gewesen, jetzt noch einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Es ging ums Überleben. Er erwischte den nächsten Kerl mit einem Tritt, daß er sich rückwärts überschlug, und stürzte sich dann auf den letzten Mann, der sich ihm mit dem Mut der Verzweiflung entgegenwarf und in seiner Not nach dem Revolver griff. Aber Lassiter war schon wieder schneller. Er flog dem Burschen entgegen und schmetterte ihm die Fäuste in das verzerrte Gesicht. Ohne es zu wissen, stieß er dabei den alten, wilden, gefürchteten Rebellenschrei aus, der schon früher ganze Scharen von Gegnern in Panik versetzt hatte. Doch sein Triumphschrei brach jäh ab. Er stand wie gelähmt, wunderte sich irgendwie, daß er seine eigene Stimme nicht mehr hörte – und merkte gleichzeitig, daß seine Arme kraftlos heruntersanken. Er wollte herumfahren, weil ihm sein Verstand signalisierte, daß er von hinten angegriffen worden war. Und dann sah er diesen verfluchten Jay, den er als ersten außer Gefecht gesetzt hatte. Der Kerl schwang einen schweren Knüppel und ließ ihn zum zweiten Mal auf Lassiter herabsausen. Er riß sich noch einmal mit aller Macht zusammen, duckte sich, und der mörderische Hieb ging knapp an seinem Kopf
vorbei, erwischte nur seine Schulter. Doch auch das spürte Lassiter noch mit verheerender Wucht. Er schüttelte sich benommen, zog den Kopf ein und versuchte es noch einmal wie vorhin mit einem Rammstoß. Vielleicht hätte er damit auch Erfolg gehabt, doch da griffen bereits wieder zwei von dem Rest des Quartetts in den ungleichen Kampf ein. Das war der Anfang vom Ende. Lassiter erkannte es. Wahrscheinlich würde es sich nur noch um Minuten handeln, doch die wollte er wenigstens mit fliegenden Fahnen überstehen. »Kämpft wie Männer und nicht wie feige Memmen!« knurrte er. »Schämen solltet ihr euch ...« Und er stürzte sich wieder dem Anführer Jay entgegen. Doch der Bastard nahm den Kampf nicht an, sondern zog sich zurück. Jetzt waren sie wie Kojoten, die einen verwundeten Bären eingekreist hatten. Während Lassiter dem einen nachsetzte, sprangen ihn die anderen von hinten an und schlugen mit den Knüppeln auf ihn ein, die sie wieder von der Erde aufgehoben hatten. Von drei Seiten prasselten die Schläge auf Lassiter ein. Er spürte, wie seine Kräfte sehr schnell nachließen. Sein Kampf vorhin war wie das letzte gewaltige Aufflammen eines lodernden Feuers gewesen, das jetzt endgültig in sich zusammenfiel, um für immer zu erlöschen. Lassiter sank auf die Knie. Die vier Kojoten weideten sich an diesem Anblick. Jetzt hätten sie es schnell beenden können, aber sie wollten ihm heimzahlen, was er ihnen angetan hatte. Alles drehte sich vor Lassiters Augen. Er sank immer mehr nach vorne, stützte sich mit den Händen auf, aber weiter prasselten die Knüppel auf seinen Rücken. Und dann glaubte er plötzlich so etwas wie ein ersticktes Röcheln zu hören. Es war in dem Moment, als der linke Arm
unter seinem Körpergewicht einknickte und er langsam auf die Seite fiel. Da sah er, wie sich einer der Männer an den Hals griff und etwas wegzureißen versuchte, das sich wie eine Schlange dort festgesetzt hatte. Und trotz der Dunkelheit erkannte Lassiter, wie dem Mann vor Entsetzen die Augen aus den Höhlen zu quellen drohten. Vor Entsetzen, aber auch aus purer Atemnot. Dem Mann daneben erging es nicht anders. Auch um seinen Hals ringelte sich etwas, das Ähnlichkeit mit einer schwarzen Schlange hatte und ihm den Atem abschnürte. Die beiden sanken röchelnd auf die Knie und fielen dann reglos nach vorne aufs Gesicht. Doch da waren seine Kumpane ebenfalls schon an der Reihe. Und jetzt erst sah Lassiter, was da los war. Jetzt erst begriff er, was hier wirklich geschah. Auch ihm fielen die Augen fast aus dem Kopf. Aber nicht aus Atemnot, sondern weil ihn das, was er sah, in seinen Bann schlug. Dort stand ein Mann in einem Staubmantel. Düster und drohend und unheimlich zugleich wirkte er in der Nacht, die schon heller geworden war, weil sich der Morgen näherte. In jeder Hand hatte er eine dieser langen texanischen Treiberpeitschen, die über fünf Meter lang waren und nur von ganz wenigen Männern mit dieser Meisterschaft beherrscht wurden. Die Erkenntnis durchzuckte Lassiter wie ein Blitzstrahl. Das konnte nur einer sein. Der Wolf mit der Peitsche! Der Bandit, von dem Lassiter schon so viel gehört hatte. Der Mann, der nicht nur gehaßt und gefürchtet, sondern auch von vielen bewundert wurde. Ihn erlebte Lassiter in voller Aktion. Ein Bandit rettete ihm das Leben. In letzter Sekunde war er aufgetaucht wie aus dem Nichts.
Ein Bandit? Nein! In Lassiters Augen war das ein Engel. Und gebannt starrte er auf das unglaubliche, faszinierende, atemberaubende und furchteinflößende Geschehen. Die Peitschenschnüre hatten sich auch um die Hälse von Buck und Jay gelegt, den beiden Schuften, die Lassiter hierher geschleppt hatten, um ihn totzuschlagen. Sie hätten es auch geschafft, wenn dieser Mann mit seinen Peitschen nicht als rettender Engel aufgetaucht wäre. Es kam Lassiter wie ein Wunder vor. Damit hatte er nicht mehr gerechnet, als er sein Ende vor Augen gehabt hatte. Jay und Buck versuchten ebenso verzweifelt und vergeblich wie ihre beiden Kumpane, die Lederschlingen von ihren Hälsen zu reißen. Und auch ihnen quollen vor Entsetzen und Todesangst die Augen aus den Höhlen, bevor sie röchelnd in die Knie brachen und dann steif nach vorne fielen und auf dem Bauch liegenblieben. Lassiter zwang sich mit aller Gewalt auf die Beine. Schwankend stand er da und rang nach Luft. Der Mann im Staubmantel holte die langen Lederschnüre ein, rollte sie wieder kunstgerecht um die biegsamen Stiele. »Danke«, sagte Lassiter krächzend und ging auf seinen Retter zu. »Das werde ich dir nie vergessen, Freund.« »Ich war es dir schuldig, Lassiter«, sagte der Unheimliche, und jetzt erst sah Lassiter, daß er eine schwarze Maske vor dem Gesicht trug. »Und mir ebenfalls. Denn meinetwegen wärst du beinahe in der Hölle gelandet. Nur weil du mit Carry geschlafen hast. Diese verfluchten Hunde! Bald werden sie wieder Jagd auf dich machen. Auch wenn sie erfahren, daß du nicht der Mann bist, für den sie dich gehalten haben.« »Von wem sollten sie es erfahren?« fragte Lassiter und blickte auf die vier leblosen Gestalten. »Von mir bestimmt nicht.« Der Peitschenmann verstand.
»Die sind nicht hinüber, Lassiter. Ich habe noch nie einen Menschen getötet. Das solltest du nicht vergessen, wenn mir mal wieder ein Mord angelastet wird. Ich bin auch nicht der Mann, der Dana Scott entführt hat. Das wollen sie mir ebenfalls anhängen. Den Mord an Norman Wells hat übrigens Alex Rocco auf dem Gewissen. Ihm war Wells schon seit langem ein Dorn im Auge. Aber das sind alles Dinge, die dich kaum interessieren dürften. Am besten, du verläßt Laredo so schnell wie möglich. Es wäre schade, wenn du meinetwegen doch noch sterben müßtest. Diese Männer sind besessen. Sie gehen rücksichtslos über Leichen. Und du wirst ganz oben auf ihrer Liste stehen. An zweiter Stelle. Gleich hinter mir. Ich muß jetzt weg, Lassiter. Für mich gibt es noch eine ganze Menge zu erledigen. Meine Feinde schlafen nicht.« Er hob kurz die Rechte und wandte sich zum Gehen. »Warte noch!« rief Lassiter und folgte ihm. »Ich möchte mich gern bei dir revanchieren. Wir beide würden bestimmt gute Partner sein.« »Das glaube ich dir aufs Wort, Lassiter«, sagte der maskierte Mann mit tiefem Ernst. »Aber ich muß meinen Weg alleine gehen. Das habe ich einmal geschworen, und ich halte mich daran. Du wärst wirklich ein guter Partner. Aber es geht nicht. Das muß ich ganz allein in Ordnung bringen und darf keinen anderen dadurch in Gefahr bringen. Hör also auf meinen Rat, und bring dich in Sicherheit! Sonst werden sie dich töten. Du bist ein erstklassiger Kämpfer, aber gegen diese Bestien hast du keine Chance, Lassiter. Weil du zu ehrlich bist, Amigo.« Er ging weiter, und Lassiter blieb noch an seiner Seite. »Eine Frage habe ich noch, Amigo.« »Du möchtest meinen Namen hören, Lassiter? Tut mir leid. Das bleibt mein Geheimnis.« »Warum stellst du dich auf die Seite des Verbrechens, Peitschenmann?« fragte Lassiter. »Das ist es, was mich
interessiert. Du trittst als Bandit auf, obwohl du keiner bist. Irgendwann wird man dich fassen und ins Gefängnis stecken. Und wenn du Pech hast, verurteilt man dich sogar als Mörder, obwohl du keinen Mord begangen hast.« »Die Entführung von Dana Scott kommt noch hinzu«, sagte der Maskierte gelassen. »Auch dieses Verbrechen wird man mir anhängen. Damit muß ich leben, Amigo. Es ist wohl mein Schicksal. Gib dir keine Mühe, Lassiter. Ich werde weiterkämpfen. Aber jetzt trennen sich endgültig unsere Wege. Leb wohl, Lassiter. Und vergiß meinen guten Rat nicht. Und ...« Er streckte Lassiter die Rechte entgegen, und sie wechselten einen kurzen, aber festen Händedruck, wobei Lassiter sich die Augenpartie einprägte, soweit er sie durch die Sehschlitze der schwarzen Maske erkennen konnte. Es würde für ihn ein wichtiger Anhaltspunkt sein, falls sie sich mal wieder über den Weg laufen sollten. »Du bist in Ordnung, Lassiter«, sagte der Unbekannte. »Aber ich kann dich auf keinen Fall in die Sache reinziehen. Das ist ganz allein mein Kampf. Es tut mir leid, daß du gewissermaßen durch meine Schuld in solche Schwierigkeiten geraten bist. Am besten, du setzt dich erst mal über den Fluß ab. Du brauchst einen Unterschlupf, bis du wieder bei Kräften bist. In deinem Zustand würdest du nicht weit kommen. Such die Taverna von Alfred Barcas. Sie liegt am Anfang der Straße, die nach Nuevo Laredo hineinführt. Sag ihm, du wärst ein alter Freund von Latigo, dem Texaner. Aber er darf nicht wissen, daß du mich heute gesehen hast. Erzähl ihm einfach, ich hätte früher mal den Namen Alfredo erwähnt. Und da du mich nicht finden konntest, wärst du auf die Idee gekommen, dich bei ihm zu erkundigen. Er wird dir helfen.« Lassiter lächelte schmal. »Durch ihn werde ich aber auch einiges über einen gewissen Latigo erfahren.«
»Das sollst du auch, Lassiter. Alfredo wird dir erzählen, daß ich tot bin. Von ihm wirst du alles über mich erfahren. Doch jetzt wäre nicht die richtige Zeit, dir alles zu erklären. Ich möchte nur, daß du dich aus meinem Kampf heraushältst. In deinem Zustand würdest du sowieso keine besondere Hilfe bedeuten.« »Und warum zeigst du mir nicht dein Gesicht? Dann weiß ich wenigstens, wie der Mann aussieht, der mir das Leben gerettet hat.« Latigo zögerte kurz. Dann zog er die Maske herunter. »Du hast recht, Lassiter. Die Maske war nur dazu bestimmt, damit mich Scotts Männer nicht erkennen konnten. Einige aus der großen Mannschaft kennen mich. Judson Scott sollte auf keinen Fall erfahren, daß ich noch am Leben bin. Aber das ist eine lange Geschichte. Ich muß jetzt wirklich weiter, Lassiter. Sieh zu, daß du wieder auf die Beine kommst. So wie du jetzt drauf bist, könntest du eine leichte Beute für die Geier werden.« Abrupt wandte er sich ab und verschwand in der Dunkelheit. Lassiter blickte zum Fluß. Es war wahrscheinlich das Vernünftigste, was er tun konnte, wenn er sich auf die mexikanische Seite absetzte, bevor die vier Halunken wieder zu sich kamen und ihrem Boß melden konnten, was geschehen war. Denn dann würde er in ganz Laredo kein Versteck mehr finden, wo er sicher war. Und er war wirklich nicht in der Verfassung, um sich noch groß verteidigen zu können. Andererseits war er der Meinung, daß er noch etwas sehr Wichtiges in Ordnung bringen mußte. Seine Gestalt straffte sich. Plötzlich hatte er das Gefühl, als wären mit seinem letzten Gedanken wieder neue Kräfte zurückgekehrt. Was ihm gerade eingefallen war, sollte er tatsächlich erst noch erledigen. Dann würde er bestimmt für neue Verwirrung bei dem übermächtigen Gegner sorgen.
Entschlossen schritt er los.
6
Carry Castle erschrak zu Tode, als die Männern in das kleine Zimmer eindrangen, in dem sie sich versteckt hatte, während sich alles nur noch auf Lassiter konzentrierte. In ihrem eigentlichen Zimmer hatte sie ihre persönlichen Habseligkeiten zusammengepackt und den Eindruck hinterlassen, als hätte sie das Haus fluchtartig verlassen. Aber das wollte sie vorsichtshalber bis zur nächsten Nacht herausschieben, sobald sich die größte Aufregung gelegt hatte. Und dann wollte sie so schnell wie möglich aus Laredo verschwinden. Ihr war klar, daß sie hier nichts Gutes mehr zu erwarten hatte. In der kleinen, seit Wochen leerstehenden Kammer hatte sie sich sicher gefühlt, aber das war leider ein Irrtum gewesen. Einer der drei Eindringlinge war Slim Sharkey, der blonde Mann mit dem glatten Gesicht und den kalten, eisblauen Augen. Carry kannte ihn flüchtig. Sie wußte aber nichts von den Zusammenhängen und hielt ihn für einen von Scotts Leuten. Genau wie die anderen. Sharkey packte sie und riß sie vom Bett hoch. »Wo ist der Bastard?« »Was ist los?« fauchte sie empört. »Ihr habt ihn doch fertiggemacht. Er ist ins Gefängnis gebracht worden! Wohin sonst! Verdammt, wollt ihr mich nicht endlich in Ruhe lassen? Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun!« Sie glaubte, daß sie Lassiter suchten. Und den hielt sie immer noch für den Wolf mit der Peitsche. »Wir meinen deinen richtigen Freund!« knurrte Sharkey. »Den Kerl mit der Peitsche! Versuch nur ja nicht, uns auf den
Besen zu laden! Uns kannst du nicht auf eine falsche Spur führen wie Rocco, diesen Dummkopf. Lassiter ist der falsche Mann.« »Was soll das denn auf einmal?« Sie lachte schrill. »Bei euch scheint es ganz schön durcheinanderzugehen.« Sharkey stieß sie aufs Bett zurück. »Du hast für ihn die Nummer auf der Main Street hingelegt!« zischte er sie an. »Du hast es getan, weil du ihn liebst. Und er liebt dich auch, wenn ich nicht irre!« »Natürlich liebt er mich!« Sharkey grinste zufrieden. »Na also. Warum nicht gleich so? Er liebt dich und hat bestimmt bald wieder große Sehnsucht nach dir. Also warten wir, bis er kommt.« »Aber er sitzt doch im Gefängnis«, stammelte sie verständnislos. »Ich rede nicht von Lassiter!« schnarrte er. »Uns geht es um den anderen, den richtigen Mann! Lassiter ist der falsche. Du hast mit dazu beigetragen, daß Rocco auf die falsche Spur hereingefallen ist.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich verstehe kein Wort mehr!« stöhnte sie. »Natürlich ist Lassiter der Mann mit der Peitsche. Das habe ich vor Rocco auch zugegeben. Was sollte ich denn machen?« »Du hast zugegeben, weil er dich geschlagen hat«, vermutete Sharkey wütend. »Auf diese Weise wolltest du Kelly einen Vorsprung verschaffen. Aber er ist noch in Laredo. Das wissen wir genau. Wann und wo habt ihr euch verabredet?« Jetzt ging ihr ein Licht auf. Gleichzeitig schöpfte sie neue Hoffnung. Wenn Lassiter nicht der richtige Mann war, dann bedeutet das, daß der echte Peitschenwolf noch auf freiem Fuß war. »Was wollt ihr von ihm?« fragte sie.
Er packte sie wieder. Diesmal so schmerzhaft, daß sie einen Schrei ausstieß. »Das geht dich einen Dreck an!« knurrte er. »Er will sich also wieder mit dir treffen?« »Ja, natürlich«, log sie dreist. »Er liebt mich. Eines Tages werde ich seine Frau, und dann habe ich ein feines Leben.« »Das kannst du dir abschminken«, grinste Sharkey. »Er wird nämlich nicht mehr lange leben. Und du auch nicht, wenn du nicht genau das tust, was ich dir sage.« Er riß sie ganz hoch und stieß sie seinen beiden Begleitern entgegen, die sofort nach ihr griffen. Aber Carry war verteufelt schnell. Sie duckte sich, wich zur Seite aus und wollte an ihnen vorbei durch die offene Tür entwischen. Die beiden Männer sprangen ihr nach, und der eine bekam sie zu packen. Sie ließ sich einfach fallen, landete auf dem Rücken und riß das rechte Bein mit dem angewinkelten Knie hoch. Der Kerl jaulte vor Schmerzen und ließ sie sofort los. Schon sprang sie wieder auf und wollte ihre Flucht fortsetzen. Aber da griff Slim in den ungleichen Kampf ein. Er ließ sich auf kein Gerangel ein, sondern schlug einfach zu. Seine Faust traf sie an der Schläfe, so daß Carry benommen zu Boden stürzte. »Zurück ins Zimmer mit ihr!« befahl Sharkey ärgerlich. »Verdammt, was ist mit euch los? Werdet noch nicht mal mit einer kleinen Nutte fertig? Ihr müßt noch eine Menge lernen.« Seine beiden Gehilfen schleiften das benommene Mädchen in die kleine Kammer zurück, in der sie sich vor Verfolgung so sicher gefühlt hatte. »Was wollt ihr nur von mir?« jammerte sie. »Kelly wird euch töten, wenn ihr mir was antut.« »Keine Sorge, wir tun dir bestimmt nichts«, grinste Sharkey. »Wir nehmen dich nur als Köder mit. Du bist sehr wertvoll für
uns. Mit deiner Hilfe werden wir den gerissenen Hund wieder einfangen.« »Willst du damit sagen, daß ihr ihn schon hattet, Sharkey?« »Ja, aber der Bastard ist uns wieder durch die Lappen gegangen. Leider war ich nicht dabei, sonst wäre das nicht passiert.« »Er wird euch alle fertigmachen!« rief sie trotzig. »Ihr freut euch zu früh, verlaßt euch darauf!« »Richtig, Carry«, ertönte eine knarrende Stimme von der Tür her. »Die haben sich wirklich zu früh gefreut.« Die drei Halunken starrten auf den Mann, der dort stand und in jeder Hand einen Revolver hielt. Es war Lassiter. Er hatte die Waffen der Kerle, die ihn erschlagen sollten. Zwei lagen in seinen Fäusten, zwei steckten hinter seinem Hosengürtel. »Lassiter?« stieß Sharkey ungläubig durch die Zähne. »Wie ist das möglich? Du bist doch ...« Er schüttelte den Kopf, weil ihm eingefallen war, daß er den größten Unsinn redete. Lassiter war da, und damit hatte sich die Sache. Wie er entkommen war, spielte keine Rolle mehr. Lassiter grinste zähnefletschend. Hoffentlich merkten die drei nicht, wie elend er sich fühlte. Es fiel ihm schon schwer, die beiden Revolver in Schußposition zu halten. Die Kerle konnten ihn fertigmachen, wenn sie entschlossen genug waren. Alle drei konnte er auf keinen Fall erwischen. Vielleicht traf er auch gar keinen, wenn sie sich schnell genug bewegten. Seine Hände waren viel zu verkrampft. Er befürchtete, daß sie jeden Augenblick anfingen zu zittern wie Lämmerschwänze – dann war er entlarvt, und die Halunken konnten zu entsprechenden Maßnahmen greifen. Aber sie hatten schon so viel über ihn gehört, daß sie lieber vorsichtig waren. Und jetzt hatte er auch noch das
Unglaubliche fertiggebracht, auf irgendeine Weise der ScottBande zu entkommen. »Schnallt eure Gurte ab!« befahl er. »Wenn ihr unbedingt eine Tapferkeitsmedaille erringen wollt, könnt ihr es ja mal versuchen. In einer halben Sekunde seid ihr in der Hölle. Alle drei! Mir macht das wirklich nichts aus. Also, wie ist das? Entscheidet euch schnell! Mir bleibt nicht viel Zeit. Bald werden Scotts Leute die ganze Stadt auf den Kopf stellen. Bis dahin muß ich noch einiges erledigen.« Slim Sharkey war ein fixer Denker. Er verstand es, sich blitzschnell auf neue Situationen einzustellen. »Eigentlich sind wir so was wie Bundesgenossen, Lassiter«, sagte er. »Was hältst du davon, wenn wir uns zusammentun? Wir sind dabei, Scott eins auszuwischen. Du wärst eine echte Verstärkung für uns.« »Darüber können wir später noch reden«, erklärte Lassiter. »Schnallt erst mal ab! Ich muß wissen, ob ihr wirklich guten Willens seid.« Er spannte die Hähne der beiden Revolver mit dem Daumen. Hoffentlich merkten die drei nicht, wie sehr ihn das anstrengte. »Okay«, sagte Sharkey und nickte seinen beiden Handlangern zu. »Den Gefallen wollen wir dir gerne tun.« Die Gurte mit den Colts fielen auf den Fußboden. »Carry!« sagte Lassiter nur, aber sie hatte sich bereits auf den Knien in Bewegung gesetzt und raffte die Gurte an sich. »Und jetzt runter mit euch!« befahl Lassiter. »Setzt euch auf den Boden, damit ich euch besser im Auge behalten kann!« »He, was soll das?« protestierte Sharkey. »Geht man so mit Verhandlungspartnern um?« »Erst müßt ihr kapieren, wer hier das Sagen hat«, grinste Lassiter, der sich nach der Entwaffnung der Schurken schon bedeutend besser fühlte. »Ihr seid also Scotts Feinde. Dann seid ihr auch diejenigen, die seine Tochter entführt haben?
Setzt euch endlich. Ich will es mir ebenfalls gemütlich machen. Dann redet es sich besser.« Die beiden Handlanger sahen Sharkey fragend an. Er nickte nach kurzem Zögern, und sie kauerten sich auf den Fußboden. Sharkey war kein schlechter Taktiker. Nach derzeitiger Lage der Dinge wäre ein Bündnis mit Lassiter durchaus zu begrüßen. Er hatte bewiesen, daß er eine Menge auf dem Kasten hatte und würde eine willkommene Verstärkung darstellen. »Ja, wir haben Dana Scott in unserer Gewalt«, erklärte er. »Wir haben Scott auch schon unsere Lösegeldforderung mitgeteilt. Für eine halbe Million bekommt er sein Engelchen wohlbehalten zurück. Mit dem Geld werden wir uns so verstärken, daß wir ihn samt seiner ganzen Organisation in die Knie zwingen können.« Lassiter setzte sich auf die Kante von Carrys Bett. Er hatte sich kaum noch aufrecht auf den Beinen halten können, so erschöpft war er. Aber kaum saß er, da spürte er auch schon, wie die Zeichen der großen Müdigkeit durch seinen ausgebrannten Körper rieselten. Er mußte höllisch aufpassen, daß ihm nicht die Augen zufielen. »Eine Organisation?« fragte er. »Womit macht die das große Geld?« »Das weißt du nicht?« »Woher denn, Blonder? Wie heißt du überhaupt?« »Slim Sharkey.« »Okay, Sharkey. Ich bin erst seit einem Tag in Laredo. Gestern kannte ich kaum einen Menschen hier. Und dann bin ich durch einen dummen Zufall in diese Geschichte geraten. Mit knapper Not bin ich davongekommen. Und mit einer Portion Glück. Ich wußte nicht, wo ich mich verstecken sollte. Da fiel mir Carry ein. Ich dachte mir, daß meine Jäger mich hier am wenigsten suchen werden. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Du hast mir ein Angebot gemacht, Sharkey. Ich finde
das gar nicht so schlecht. Erzähl mir was über die Organisation. Womit macht sie ihr Geld?« »Mit allem, was du dir denken kannst. Judson Scott ist sozusagen der geistige Kopf. Er besitzt die riesige Star-Ranch hier in Texas und dazu noch eine Hazienda drüben in Chihuahua. Er gilt als solider Geschäftsmann, der stets den richtigen Riecher gehabt hat. Er hat auch mit seinen großen Herden viel Geld verdient und sogar ordentlich seine Steuern bezahlt. Aber den eigentlichen Reichtum hat er auf die linke Tour zusammengerafft. Zahlreiche kleine Rancher hat er so in die Enge gedrückt, daß sie ihr Land verkaufen mußten. Rate mal, an wen! Er handelt mit Waffen und neuerdings auch mit Opium, das in die großen Städte an der Ostküste gebracht wird. Auch vor Menschenhandel schreckt er nicht zurück. Bei seiner Organisation kann man auch Morde in Auftrag geben. Er selbst tritt dabei natürlich nicht in Erscheinung. Er kassiert lediglich die Prozente. Das ist ein raffiniert verschachteltes System, Zehn Prozent von fast jedem illegalen Geschäft entlang der texanischen Grenze fließen in seine Schatulle. Überall hat er seine Verbindungsleute. Aber nur ganz wenige von denen wissen, daß er der Kopf ist. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Ach, Lassiter. Ich könnte dir stundenlang darüber erzählen. Wenn du bei uns mitmachst, erfährst du noch viel mehr. Wir akzeptieren dich sofort als Partner. Machst du mit?« »Ich werd's mir überlegen.« Das Angebot war natürlich verlockend. Warum sollte er nicht zum Schein mit dieser Bande gemeinsame Sache machen? Zu so etwas hatte er alle Vollmachten, wenn es darum ging, eine viel größere, viel gefährlichere Organisation zu zerschlagen. Das war wirklich eine einmalige Chance. Aber trieb Sharkey ein ehrliches Spiel? Lassiter war durch die Hintertür in das Gebäude eingedrungen, um Carry aufzusuchen.
Er machte sich Sorgen um sie. Seinetwegen war sie in eine gefährliche Situation geraten. Rocco würde sie vielleicht bald zum Freiwild erklären, um ihr heimzuzahlen, daß sie mit dem Peitschenwolf gemeinsame Sache gemacht hatte. Und wenn Rocco erst erfuhr, was unten am Fluß passiert war, würde hier die Hölle los sein. Lassiter war gekommen, um Carry mitzunehmen. Über den Fluß nach Mexiko, wie es ihm Kelly empfohlen hatte. Dort konnte Lassiter dann erst einmal seine Wunden lecken und neue Kraft sammeln. »Was hattet ihr mit Carry vor?« fragte er. »Dasselbe könnte ich dich fragen, Lassiter. Weshalb bist du hergekommen? Was wolltest du?« »Sie mitnehmen. Wie ich es ihr versprochen habe.« Er sah das rothaarige Girl zwingend an. »Nicht wahr, Darling? Du siehst, ich habe mein Wort gehalten. Aber Sharkey scheint andere Pläne mit dir gehabt zu haben.« »Sie wollten mich als Köder benutzen«, sagte sie schnell. »Sie sind nämlich hinter Kelly her.« »Wer ist Kelly?« stellte sich Lassiter dumm. »Der Wolf mit der Peitsche. Aber das kannst du ja nicht wissen.« Lassiter konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Und ob er das wußte! Aber das brauchten die Halunken nicht zu erfahren. »Was wollt ihr von dem, Sharkey?« fragte er. »Er soll uns noch einen Gefallen tun«, sagte Sharkey kalt. »Wir hatten ihn schon am Lasso. Wir sind nämlich hinter sein großes Geheimnis gekommen. Er ist unsere größte Waffe gegen Scott. Wenn der erst erfährt, wer der Peitschenmann ist, wird er durchdrehen. Er hat vor einem Jahr den Befehl gegeben, Kelly umzulegen. Wegen Dana, die in Kelly verliebt war. Aber aus irgendeinem Grunde ist er noch am Leben. Nur ich und wenige Eingeweihte wissen Bescheid. Durch einen
Zufall haben wir es erfahren. Einer unserer Freunde ist früher in der Mannschaft geritten, deren Vormann Kelly war. Damals hieß er natürlich noch anders. Kelly ist sein Tarnname. Er spielt jetzt den großen Rächer. Will Judson Scott alles heimzahlen. Im Grunde hat er nichts anderes im Sinn als wir. Aber er ist ein Idiot, ein Schwärmer. Macht alles auf die sanfte Tour. Wir erledigen das auf die Schnelle. Gewissermaßen nehmen wir Kelly die Arbeit ab. Was er die ganze Zeit treibt, ist doch nichts als Kinderei. Wir haben uns halbtot gelacht, als wir dahinterkamen, was er vorhat. Ob er wirklich glaubt, Judson Scott ließe sich von ein paar Nadelstichen beeindrucken? Da lachen doch die Hühner!« Lassiter verzog keine Miene. »Interessante Story«, sagte er trocken. »Ihr wollt also dafür sorgen, daß er seine Braut wieder in die Arme schließen kann. Das bedeutet, ihr wollt ihm helfen. Man könnte glatt glauben, ihr wäret seine Freunde. Aber hast du nicht eben angedeutet, ihr hättet ihn am Lasso gehabt? Und jetzt seid ihr hinter ihm her?« »Es gibt Leute, die muß man eben zu ihrem Glück zwingen«, kicherte Slim Sharkey. »Er ist etwas eigen. Will alles weiter auf eigene Faust machen. Deshalb hatten wir ihn eingesperrt. Wir wollten uns erst unserer Sache ganz sicher sein. Wir haben das Gefühl, daß er mit der Entführung seiner ehemaligen Geliebten nicht einverstanden ist. Wenn wir ihn nicht schnellstens wieder einfangen, verdirbt er uns noch alles. Dabei wollen wir ihm nur zu seinem Glück verhelfen. Dieser undankbare Kerl. Das wird er noch bereuen.« »Ich denke, ihr wollt nur sein Bestes.« »Ja, natürlich«, sagte Sharkey schnell, als er merkte, daß er etwas zu weit vorgeprescht war. »War nur so dahergeredet von mir. Er kriegt am Ende seine Liebste und wird damit am Ziel seiner Träume sein.«
Er grinste hinterhältig. Auf den Gesichtern der anderen zwei lag der gleiche gemeine Ausdruck. Lassiter durchschaute sie. Aber das ließ er sich nicht anmerken. »Ich verstehe nur nicht, warum ihr ihn unbedingt dabeihaben müßt«, sagte er. »Ihr habt Dana und könnt die Lösegelderpressung doch auch allein über die Bühne ziehen. Laßt den Dummkopf doch einfach weiterhin seine kindischen Spielchen machen!« »Dabei wird es nicht bleiben«, sagte Sharkey. »Er weiß nämlich inzwischen, daß wir Dana haben. Deshalb wird er wohl alles versuchen, um uns die Suppe zu versalzen. Wir müssen ihn in eine Falle locken. Und dazu brauchen wir die kleine rote Hexe. Wenn er hört, daß sie seinetwegen ein paar schlimme Sachen durchmachen muß, wird er kommen, um ihr zu helfen. Bei so was ist er komisch. Er läßt keinen im Stich, dem er sich aus irgendeinem Grunde verpflichtet fühlt. – Also, wie ist das jetzt mit uns, Lassiter? Ziehen wir an einem Strang?« Lassiter brauchte keine Entscheidung zu treffen. Sie wurde ihm von selbst aufgedrängt. Von der Main Street her drang plötzlich gewaltiger Lärm. Er breitete sich über die ganze Stadt aus. Der Morgen dämmerte, und Lassiter wußte natürlich, was geschehen war. Jetzt begann die wüste Jagd nach ihm und dem Wolf mit der Peitsche. Mit Sicherheit würden sie jedes Haus durchsuchen, und als eines der ersten würde der BLACK APACHE SALOON an der Reihe sein. Kurz entschlossen stand Lassiter auf und schwang die beiden Revolver in seinen Fäusten. Ihm blieb keine andere Möglichkeit. Denn sobald Sharkey erfuhr, daß Lassiter von Kelly gerettet worden war, konnte es zu keinem Pakt mehr zwischen ihnen kommen.
Sharkey brüllte und riß einen Revolver unter seiner Jacke hervor. Es war, als hätte er es geahnt. Aber Lassiter war einen Bruchteil schneller und erwischte ihn an der Schläfe. Gleich darauf sackten seine Handlanger ebenfalls bewußtlos zusammen. Unten in der Bar wurde es laut. Ein paar Schüsse fielen. Jemand brüllte, das ganze Gebäude sollte umstellt werden. »Ich laufe in mein Zimmer und lenke sie ab«, versprach Carry und war schon bei der Tür. »Hier werden sie kaum nachsehen. Sieh zu, daß du trotzdem alle Spuren beseitigst. Beeil dich, du schaffst es!«‹ Dann schloß sie die Tür, drehte den Schlüssel herum und ließ ihn ganz bewußt stecken. Niemand würde auf die Idee kommen, daß jemand in dem Zimmer war, wenn die Tür von außen abgeschlossen war. Lassiter hatte das Knirschen des Schlüssels gehört und blickte kurz in Richtung Schlüsselloch. Er sah, was los war, und grinste zufrieden. Bei den bewußtlosen Halunken fand er genügend Material, um sie zu fesseln und zu knebeln. Dann schleppte er sie in die entfernteste Ecke und warf das Bettzeug über sie. Im Schrank fand er noch einen Stapel Bettwäsche, ein paar Handtücher und ein paar alte Kleider, die die letzte Mieterin wohl zurückgelassen hatte. Als Lassiter fertig war mit seiner Arbeit, sah das Zimmer aus, als wäre es schon seit einer ganzen Weile nicht mehr bewohnt. Den Wäscheberg schien man wohl vergessen zu haben, was keine Seltenheit war. Draußen auf dem Flur wurde es laut. Lassiter hörte die keifenden Stimmen der Mädchen, die fast alle einen Gast hatten. Auch Carrys Stimme war durch den Lärm zu, hören. »Nein, verflucht, ich habe keinen Kerl bei mir versteckt!« schrie sie. »Ich habe die Schnauze voll! Seht mich doch an!
Denkt ihr, so eine Visage wollte jemand im Bett sehen! Zum Teufel mit euch!« Carry spielte ihre Rolle echt gut, und Lassiter schmunzelte. Aber er wurde sofort wieder ernst, als sich harte Schritte seiner Tür näherten. Gleich würde sich alles entscheiden. Wenn er Pech hatte, drangen sie ein, und dann mußte er versuchen, sich den Weg frei zu schießen. Viele Erfolgschancen gab er sich dabei allerdings nicht. Er lag unter dem Bett und hatte sich so weit wie möglich an die Wand zurückgezogen. Draußen rappelte jemand an der Tür. Er hatte wohl übersehen, daß der Schlüssel steckte. »Da wohnt keiner mehr«, rief eines der Mädchen. »Es war das Zimmer von der blonden Vera. Sie war es leid, hier zu versauern. Ist rüber nach Nuevo gezogen. Da hat sie mehr Chancen.« »Aber nur, weil sie blond ist«, rief einer der Männer. »Bei der häßlichen Ziege würde mir die Lust vergehen.« Gelächter schallte durch den langen Flur. Dann wurde die Tür aufgeschlossen und schwang ins Innere. Das erste Morgenlicht fiel durch das kleine Fenster in die scheinbar verlassene Kammer. »Alles okay«, sagte jemand. »Das scheint mir ja das reinste Rattenloch zu sein. Kein Wunder, daß Vera keine Kundschaft hatte.« Die Tür blieb offen, und die Männer verzogen sich. Lassiter atmete tief durch und schloß die Augen. Aber er entspannte sich nur. An Schlaf war nicht zu denken, denn er wußte genau, daß die Gefahr noch längst nicht gebannt war ...
7
Sechs schwerbeladene Frachtwagen rollten auf die Brücke zu, die über den Rio Grande hinüber nach Mexiko führte. Gleich am Anfang der Brücke befand sich die Zollstation, wo die üblichen Formalitäten abgewickelt wurden. Jeder wußte, daß hier an der Grenze geschmuggelt wurde, was das Zeug hielt, aber dazu brauchte man sich nicht dem Risiko auszusetzen, an einer Zollstation erwischt zu werden. Die uniformierten Grenzbeamten arbeiteten entsprechend lässig. Sie wußten, daß sie außer den deklarierten Waren sowieso nichts finden würden. Trotzdem schauten sie vorschriftsmäßig in verschiedene Kisten und Fässer und drückten die entsprechenden Stempel auf die Begleitpapiere. Es mußte nun mal alles seine Ordnung haben. Wie es der Zufall wollte, schauten sie auch in das Faß, in dem sich Dana Scott befand, aber sie sahen nur eine Ladung Eisennägel und konnten nicht erkennen, daß es sich nur um eine Schicht handelte, die etwa eine Handspanne hoch war. Darunter war ein Brett, unter dem die Entführte zusammengekrümmt und gefesselt kauerte. Natürlich auch geknebelt, so daß sie kaum noch Luft bekam und glaubte, ersticken zu müssen. Auch die Männer des einflußreichen Mr. Judson Scott beteiligten sich an der Durchsuchung der Frachtwagen. Die Aktion wurde von Sheriff Marks geleitet. Zwanzig Mann waren von ihm auf Scotts Befehl hin zu Hilfssheriffs auf Zeit ernannt worden. Auch ein halbes Dutzend Texas Rangers befand sich in der Nähe. Aber die beschränkten sich darauf, das Geschehen zu beobachten. Sie machten abfällige Bemerkungen über die
Suchkommandos und waren sich sicher, daß die Entführer es nicht wagen würden, bei derart strenger Kontrolle einen Menschen nach Mexiko zu schmuggeln. So wurde Dana Scott in den frühen Morgenstunden von Laredo in Texas hinüber nach Nuevo Laredo in Mexiko gebracht, während in der ganzen Stadt immer noch fieberhaft nach ihr gesucht wurde. Auch nach Lassiter und dem Wolf mit der Peitsche wurde immer noch gefahndet. Rocco mußte jede Stunde Bericht erstatten. Sein Big Boß wurde mehr und mehr zum Nervenbündel. »Aber sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!« stöhnte er verzweifelt, als Rocco mal wieder zum Rapport erschien. »Und was ist mit den Entführern? Warum melden die sich nicht? Sind überall die Plakate ausgehängt worden, daß ich bereit bin, das Lösegeld zu zahlen? Warum melden sich diese Unmenschen nicht?« »Das ist so üblich, Judson«, sagte Rocco, der den Boß unverfroren mit dem Vornamen anredete, was er sich früher nie herausgenommen hätte. »Du mußt jetzt nur die Ruhe bewahren. In solchen Fällen kommt es immer darauf an, wer die besseren Nerven hat.« Judson Scott hing geknickt in einem schweren Sessel und konnte nicht verhindern, daß ihm Tränen in den Augen standen. Sein schlankes Asketengesicht wirkte müde und eingefallen. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Außerdem hatte er viel Kaffee und Whisky getrunken, was sonst nicht seine Art war. Sein nunmehr engster Vertrauter beobachtete den Verfall mit stiller Genugtuung. Das ging schneller, als er erhofft hatte. Nicht lange, und es würde zum Zusammenbruch kommen. Der Mexikaner heizte die Stimmung noch etwas auf. »Auch von den beiden Haupthalunken gibt es keine Spur«, berichtete er. »Ich glaube, daß sie Verbündete in Laredo haben.
Der Wolf mit der Peitsche und Lassiter sind ein teuflisches Paar. Leider wissen wir erst jetzt, daß der Peitschenmann kein Einzelgänger war, sondern immer wieder von diesem gefährlichen Kumpan unterstützt wurde. Aber wir kriegen sie, Judson. Mach dir keine unnützen Sorgen. Am besten, du legst dich ins Bett und versuchst zu schlafen.« »Ich könnte doch kein Auge zumachen«, seufzte Scott. »O Gott, hoffentlich hat diese Ungewißheit bald ein Ende. Am liebsten würde ich mich wieder auf die Ranch zurückziehen.« »Das ist eine prima Idee«, pflichtete ihm Rocco bei. »Von dort aus kannst du sowieso alles viel besser lenken. Und es fällt kein Verdacht auf dich, wenn hier bald ein paar unangenehme Dinge geschehen. Es ist sowieso besser, wenn wir die ganze Auseinandersetzung hinaus aufs offene Land verlegen. Dort können wir tun und lassen, was wir wollen. Dort sind wir das Gesetz. Wir dürfen vor allen Dingen nicht die Texas Rangers vergessen, die in Laredo ihr Hauptquartier haben. Heute morgen lungerten einige von ihnen an der Brücke herum. Sie beobachteten nur. Aber ich habe ein ungutes Gefühl, wenn sie in der Nähe sind. Wir haben viel Staub aufgewirbelt in Laredo. Das ist ihnen garantiert nicht entgangen. Also ist es besser, wenn wir alle Aktivitäten nach draußen verlegen. Da kann uns kein verdammter Ranger in die Suppe spucken.« Judson Scott war plötzlich wieder ganz bei der Sache. »Das war ein gutes Gespräch, Rocco. Ja, draußen auf meinem Land gewinnen wir wieder die Oberhand. Willst du überhaupt noch in der Stadt bleiben? Sollten wir nicht gemeinsam verschwinden? Du weißt, ich brauche dich auch da draußen als meinen besten Ratgeber und treuen Kämpfer. Es gibt keinen, der die Männer so motivieren kann wie du.« »Ich komme bald nach«, versprach Rocco. »Erst will ich hier noch ein paar Leuten auf den Zahn fühlen.« »Was hast du vor?«
Rocco erklärte es ihm. Und der Big Boß lächelte zufrieden ... Lassiter fühlte sich fast schon wieder wie neugeboren. Er hatte ein paar Stunden geschlafen, und jetzt sorgte Carry für sein leibliches Wohl. Heimlich schleppte sie Speisen und Getränke in die kleine Kammer und holte ein paar Eimer Wasser, damit er sich gründlich von Kopf bis Fuß waschen und seine zahllosen Wunden säubern konnte. Drüben in der Ecke lagen die drei Gefangenen unter dem Stapel alter Wäsche und gaben ab und zu brummende Geräusche von sich. Mehr konnten sie nicht machen, um gegen die unfeine Behandlung zu protestieren, denn Lassiter hatte sie geknebelt. »Ihr solltet euch lieber freuen, daß ihr noch lebt«, sagte Lassiter zwischendurch mal zu ihnen. »Verhaltet euch also ruhig und geht sparsam mit eurer Atemluft um.« Dann kümmerte er sich wieder um Carry, die sich zu ihm ins Bett gesellt hatte. Obwohl sie sich immer noch in einer denkbar gefährlichen Situation befanden, wollten sie auf diese kleine Freude nicht verzichten. Es hatte sowieso keinen Sinn, jetzt Trübsal zu blasen. Bis zum Abend mußten sie hier bleiben, denn am hellichten Tag konnten sie sich unmöglich draußen auf der Straße blicken lassen. Erst wenn es dunkel wurde, wollten sie ihr Versteck verlassen und sich aus Laredo verdrücken, denn Lassiter rechnete damit, daß die Scott-Bande noch lange keine Ruhe geben würde. Aber seit die Texas Rangers aus dem Hauptquartier sich plötzlich so auffällig an den verschiedensten Punkten blicken ließen, waren die Banditen wohl vorsichtiger geworden. Erst im Schutz der Nacht würden sie wieder mit ihrer Razzia beginnen, da war Lassiter sicher.
Carry hatte sich draußen umgeschaut und ihm berichtet, was sie so gesehen hatte. Sie besaß eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und war die beste Partnerin, die er sich wünschen konnte. Es war kein Fehler gewesen, sich um sie zu kümmern. Aber daran hatte Lassiter nicht gedacht, als er in der Nacht hierher zurückgekehrt war. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht, das war alles. Jetzt bedankte sie sich, indem sie ihm ihre Liebe schenkte. Sie tat es mit einer Hingabe, daß er sich wie auf Wolken fühlte ... Kelly, den sie den Wolf mit der Peitsche nannten, hatte sich so verändert, daß ihn wahrscheinlich sein bester Freund nicht wiedererkannt hätte. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Er hatte sich in einen Mexikaner verwandelt. Strohsombrero, bunter Poncho und geflochtene Bastsandalen an den braunen Füßen. Er zog einen Packesel hinter sich her, und kein Mensch schenkte ihm Beachtung, als er mit dem Packesel im Schlepp über die Grenzbrücke trottete. Diese mexikanischen Kleinhändler wurden auch kaum kontrolliert, wenn sie mit ihren billigen Waren zu den Yankees zogen, um sich ein paar Dollars zu verdienen. Es wurde stillschweigend geduldet, man gönnte den armen Bauern ihren kleinen Nebenverdienst, zumal jedermann wußte, wie schwer sie es in ihrer Heimat hatten. Die sechs schwerbeladenen Frachtwagen rollten Nuevo Laredo entgegen, der mexikanischen Siedlung, die nach dem verlorenen Krieg von den Mexikanern gegründet worden war. Dort wurden die amerikanischen Lieferanten bereits von den mexikanischen Händlern erwartet, die dann für den Weitertransport in die einzelnen Dörfer sorgen würden. Es herrschte täglich ein reger Handelsverkehr in den beiden
Städten, und die Kaufleute beiderseits der Grenze waren entsprechend darauf eingestellt. In Kellys Augen war ein wildes Glimmen. Er mußte sich zur Ruhe zwingen. Er wußte nicht, ob sein Verdacht stimmte, aber er war in Gedanken sämtliche Möglichkeiten durchgegangen, wie man einen Menschen aus einer Stadt schaffen konnte, die hermetisch abgeriegelt war. – Was hätte er selbst gemacht, wenn er vor diesem Problem gestanden hätte? Und dann glaubte er, die Lösung gefunden zu haben. Hoffentlich hatte er sich nicht in eine fixe Idee verrannt. Es fiel ihm schwer, sich jetzt noch zur Ruhe zu zwingen, während er die schweren Fuhrwerke beobachtete. Nuevo Laredo war gewachsen, seit er zum letzten Mal hier gewesen war. Vor genau 14 Monaten war das gewesen. Da hatte er seinen Freund Alfredo besucht, der von seinem Onkel einen Gasthof geerbt hatte. Das war hier in Grenznähe immer ein bombensicheres Geschäft. Ständig gingen hier die Durchreisenden ein und aus. Es hatte sich einiges verändert seit Kellys letztem Besuch. Neue Gebäude waren errichtet worden. Dazwischen befand sich ein weiter Platz, auf dem die Waren umgeladen wurden. Es gab Lagerhallen und Corrals und Ställe für Ersatzgespanne. An alles hatte Alfredo Barcas gedacht, als er seine ererbte Fonda zu einem richtigen Rasthof umgebaut hatte. Einem Umschlagplatz für alle möglichen Waren. Da blühte das Geschäft, rollten Pesos und Dollars. Alfredo hatte genau die richtige Nase gehabt, und Kelly gönnte es ihm. Er sah, wie die sechs Wagen auf den großen Hof einbogen und von einem Angestellten in eine bestimmte Richtung dirigiert wurden. Überall sah man, daß hier nichts dem Zufall überlassen wurde. Kelly führte seinen Packesel auf die alte Fonda zu, die noch aus den Gründerzeiten stammte. Sie sah ziemlich mickrig aus neben dem großen Gebäude, in dem sich ein Restaurant und
zahlreiche Gästezimmer befanden. Das alles erkannte Kelly an den vielen Hinweisschildern. In der alten Fonda konnte man sich mit kleinen, billigen Gerichten stärken und brauchte auch nicht so lange zu warten, als wenn man erst gemütlich an einem Tisch Platz nahm und auf die Bedienung wartete. Kelly führte seinen Esel zur Tränke, damit er seinen Durst löschen konnte. Gleichzeitig hatte er Gelegenheit, die Wagen zu beobachten, die er schon im Morgengrauen drüben in Laredo ins Auge gefaßt hatte. Sie waren ihm gleich verdächtig vorgekommen, aber vielleicht hatte er sich nur in eine Idee verrannt. Seit er als ›Wolf mit der Peitsche‹ eine zweifelhafte Karriere begonnen hatte, war Geduld zu seiner größten Tugend geworden. Aber jetzt erkannte er sich selbst nicht wieder. Selbst auf dem Dach der Bank war er so ruhig wie auf einem Spaziergang gewesen. Und jetzt, wo er noch gar nicht wußte, ob sein Verdacht stimmte, spielte er verrückt. Das lag daran, weil er an nichts anderes denken konnte als an Dana. O Gott, wie hatten sie sich geliebt! Nein, nicht körperlich! Auf den Gedanken wäre Patrick Kelly O'Hara niemals gekommen. Nur leidenschaftlich geküßt und umarmt hatten sie sich, wenn sie sich heimlich trafen. Und natürlich all die Liebesschwüre ausgetauscht, wie sie überall auf der Welt gang und gäbe waren. Mann, war das eine schöne, aufregende Zeit gewesen! Und was für Zukunftsträume sie gehabt hatten! Bis sie dann mit ihrem Vater darüber geredet hatte. Sie hatte sich dem geliebten Daddy anvertraut – und es hatte nicht den erwartenden Vulkanausbruch gegeben. Er hatte geschmunzelt und gemeint, daß sie sich später in aller Ruhe darüber unterhalten könnten. Aber erst müßte noch diese gewaltige Herde von 5.000 Rindern nach Kansas gebracht werden. Und da könnte er nicht auf seinen besten Mann verzichten. Er war
der Vormann der Treibermannschaft. Berühmt war er für seine Kunstfertigkeit im Umgang mit der langen Bullpeitsche. Auf ihn konnten sie bei dem großen Treiben auf keinen Fall verzichten. Auf dem Heimritt von Kansas war es dann passiert. Die Crew wurde von Banditen überfallen, die an das große Geld wollten. Eine von vielen Kugeln hatte Patrick O'Hara tödlich getroffen. So lautete die allgemeine Version. Kelly stellte sich vor, wie Dana reagieren würde, wenn sie ihn wiedersah. Ob sie hysterisch wurde, weil sie an ein Gespenst glaubte? Wie würde sie das verkraften? Von der Tränke aus beobachtete er scharf, wie die sechs Wagen abgeladen wurden. Andere, unbeladene Wagen rollten heran, und die Kisten und Fässer wurden zum größten Teil nur umgeladen. Aber dann hoben zwei bärtige Männer ein schweres Faß herunter, und sie gingen bedeutend behutsamer damit um als mit anderen Fässern. Einer der Mexikaner, die die Waren abholten, kam auf die beiden zu und stellte eine Frage. Einer von ihnen sagte etwas und deutete zum nächsten Schuppen hin. Kelly band seinen Esel an eine Haltestange und machte sich auf den Weg. Er betrat die alte Taverne, in der wie früher eine Art Dämmerlicht herrschte, weil die kleinen Fenster nicht besonders viel Licht hereinließen. Hinzu kam der dichte Tabakrauch, der unter der niedrigen Balkendecke hing wie eine Nebelbank über einem Fluß. An einer langen Theke und an vielen kleinen runden Stehtischen drängten sich die Fuhrleute, die einen schnellen Imbiß zu sich nahmen. Es war noch alles genau wie früher. Der Hinterausgang, der zu den Toiletten führte, befand sich rechts von der Theke. Kelly drängelte sich durch das Gewühl und versuchte,
unbemerkt nach draußen zu verschwinden. Doch plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter. Kelly blieb stehen und drehte langsam den Kopf. Er durfte sich nicht verdächtig machen, was auch immer geschah. Dicht vor sich sah er ein sympathisches Gesicht mit einem schmalen schwarzen Schnurrbart und schweren schwarzen Augenbrauen. Ein Gesicht, das Patrick O'Hara auch nach tausend Jahren wiedererkannt hätte. Es war Alfredo Barcas, sein Freund aus schöneren Tagen. Aus einer Zeit, die für Kelly so lange zurücklag wie eine Ewigkeit. Und Alfredo mußte glauben, ein Gespenst vor sich zu haben. »Verzeihung«, sagte er. »Kennen wir uns nicht?« Kelly sah ihm eindringlich in die Augen. In diesem Augenblick wußte er, daß er das Versteckspiel nicht länger durchhalten würde. Nicht mit dem Mann, der immer noch sein bester Freund war. War es nicht sowieso aus mit dem Geheimnis, mit dem er sich so lange umgeben hatte? Es waren ja auch schon andere dahintergekommen. »Doch, wir kennen uns«, sagte er leise. »Laß es dir nicht anmerken, Alfredo. Später erkläre ich dir alles.« Aber gleichzeitig schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein, ich kann mich nicht erinnern, Señor.« Alfredo lachte. »Tut mir leid. War ein Mißverständnis. Kann ja mal vorkommen, oder?« »Ja, natürlich«, sagte Kelly und ging weiter zu dem schmalen Gang, der auf den Hof und zu den Toiletten führte. Zwei Minuten später lagen sich die Freunde in den Armen. Sie befanden sich in einem der alten Eselsställe, wohin sich so schnell kein anderer verirren würde. »Ich habe es geahnt«, sagte Alfredo aufgeregt. »Immer wenn ich von dem Wolf mit der Peitsche hörte, habe ich an
dich gedacht. Nur einer kann so gut mit der Peitsche umgehen wie Latigo. Du ...« »Ich habe es eilig«, unterbrach ihn Kelly. »Später können wir uns noch lange genug unterhalten. Ich muß unauffällig in einen bestimmten Lagerschuppen, Alfredo. Zeigst du mir einen Weg?« »Was hast du vor? Warum willst du da hinein?« »Erinnerst du dich an Dana Scott? Sie ist entführt worden. Wahrscheinlich haben die Kidnapper sie in einer Tonne über die Grenze geschafft. Ich muß das herausfinden.« »Dann komm! Oder soll ich vorher noch ein paar zuverlässige Männer zusammentrommeln? Ich kann mir denken, wer Dana entführt hat. Diese Bande ist gefährlich wie eine Dynamitladung. Hat ein gewisser Sharkey die Finger im Spiel?« »Ja, genau der. Aber zeig mir jetzt den Weg! Ich werde das alleine schaffen, wenn ich nahe genug dran bin. Es ist vielleicht auch besser, wenn du nicht in die Sache reingezogen wirst. Ich muß damit ganz alleine fertig werden. Versprich mir, daß du dich raushältst.« »Aber nur, solange du nicht in Gefahr schwebst, Patrick. Außerdem bin ich genauso stark wie du daran interessiert, daß dieser verfluchten Bande die Flügel gestutzt werden. – Los jetzt ...« Die beiden Frachtwagenfahrer rollten das Faß nicht in den Schuppen, wie es üblich war. Sie trugen es so vorsichtig, als fürchteten sie, eine Ladung roher Eier zu zerbrechen, wenn sie nicht aufpaßten. Ganz hinten in einer dunklen Ecke stellten sie das Faß ab. Zwei weitere Männer kamen aus ihrem Versteck, in dem sie auf die Ankunft der wertvollen Fracht gewartet hatten.
»Macht schnell!« befahl Jas Ronning, der hier das Kommando hatte. »Ich hoffe, sie hat den Transport unbeschadet überstanden.« Der Deckel der Kiste wurde aufgestemmt und das zweite Brett herausgehoben, auf dem die dicke Schicht Nägel lag. Dann sahen die Kerle eine zusammengekrümmte Frauengestalt. Sie war gefesselt und geknebelt und gab kein Lebenszeichen von sich. »Nein!« stöhnte Ronning. »Das darf nicht wahr sein! Wenn sie tot ist, können wir unser Testament machen! Schnell, holt sie heraus! Sie ist hoffentlich nur bewußtlos!« Mehrere Fäusten griffen nach Dana und hatten Mühe, ihre Arme nach oben zu biegen und ihren Körper in eine Position zu bringen, damit sie herausgezogen werden konnte. »Möchte wissen, was für Idioten da am Werk waren!« knurrte Ronning. »Die ist ja reingestopft worden wie in ein Heringsfaß. Vorsicht, Leute! Vielleicht lebt sie noch!« Sie legten die Bewußtlose vorsichtig auf den Boden und schnitten ihre Fesseln durch, so schnell sie konnten. »Das ist doch nicht unsere Schuld!« brummte einer der Fahrer gefühllos und grinste auch noch dazu, daß Ronning ihm am liebsten die Nase plattgeschlagen hätte. »Wir haben das Faß sorgsam transportiert. Keiner kann uns einen Vorwurf machen.« Ronning kniete bei der schlaffen Gestalt nieder und preßte sein Ohr auf ihre Brust. Sein Gesicht hellte sich etwas auf, als er den leisen Herzschlag hörte. Er zog eine kleine Taschenflasche hervor und setzte sie an Danas Lippen. Eine andere Hilfsmaßnahme kannte er nicht. In allen ähnlichen Situationen griff man zu diesem Allheilmittel, und Ronning starrte hoffnungsvoll in ihr bleiches, eingefallenes Gesicht, während er die Flüssigkeit über ihre ausgetrockneten Lippen fließen ließ.
Zuerst zeigte sich keine Reaktion. Das Gesicht erinnerte beängstigend an das einer Toten. Panik packte den Banditen. Dieses Menschenleben interessierte ihn nicht, er dachte nur an das gewaltige Lösegeld, das sie in den Wind schreiben konnten, wenn die Geisel tot war. Er begann zu keuchen und ihren Oberkörper zu massieren. Als das keine Wirkung zeigte, schob er einen Arm unter ihren Nacken und setzte ihr wieder die Flasche an den Mund. Dabei hielt er ihr die Nase zu, damit sie unwillkürlich schluckte, wenn die Flüssigkeit in ihren Rachen rann. Er war so konzentriert, daß er nicht bemerkte, was um ihn herum in diesen Sekunden geschah. Er hörte zwar, wie die drei Männer mit den Füßen aufstampften, aber das hielt er für Zeichen ihrer Ungeduld. »Nur keine Panik!« knurrte er. »Ich kriege das schon hin ...« Endlich schluckte die Bewußtlose. Dann schüttelte ein Hustenkrampf ihren Körper durch. »Geschafft! Ich hab's geschafft!« stieß Jas Ronning erleichtert aus und ließ sie nicht aus den Augen. Er hatte nicht mitbekommen, warum seine Handlanger so ungeduldig mit den Füßen stampften. Fast lautlos waren schnell hintereinander drei Peitschenschnüre durch die Luft gesaust und hatten sich um die Hälse der Männer gelegt. Es war so ähnlich wie in der vergangenen Nacht am Rio Grande, als der Wolf mit der Peitsche vier Männer auf diese Art unschädlich gemacht hatte. So ähnlich sackten jetzt auch Ronnings Leute bewußtlos zusammen, und da sie so nahe beieinander standen, fielen sie übereinander, so daß es nicht viel Lärm gab. »He, was ist los?« fragte Ronning ungeduldig. »Packt mal mit an! Einer muß sie festhalten, damit ich ihr noch 'ne Ladung einflößen kann.«
Als er keine Antwort bekam, drehte er ärgerlich den Kopf – und starrte zu Tode erschrocken auf Kelly, der lautlos hinter ihm aufgetaucht war. Diesmal benutzte der ehemalige Vormann keine seiner Peitschen, sondern schlug kurz mit dem Revolverlauf zu. Der Halunke sackte zusammen und blieb wie tot liegen. Kelly kniete da und hielt Dana in seinen Armen. Ihr Kopf mit dem langen blonden Haar war nach hinten gesunken. »Dana«, flüsterte er, »ich bin's, Patrick ...« Sie schlug die Augen auf – und schien zu Tode zu erschrecken. »Nein!« stöhnte sie. »Nein ...« Dabei riß sie beide Hände hoch, als wollte sie ihre Augen vor dem Anblick des Totgeglaubten schützen. Er schloß sie noch fester in die Arme. »Ich bin es wirklich, Dana«, murmelte er sanft. »Bitte, hör mir zu ...«. Hinter Kelly war Alfredo aufgetaucht. Er hatte mitbekommen, wie das Mädchen reagiert hatte. »Dana, ich bin auch da, euer alter Freund Alfredo«, sagte er. »Erinnerst du dich? Ich habe mal eine kurze Zeit auf der StarRanch deines Vaters gearbeitet. Ich war einer der Broncobuster. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Patrick ist zurückgekommen. Er war nicht tot, wie alle geglaubt haben. Sieh uns an, Dana! Wir sind Menschen aus Fleisch und Blut. Keine Gespenster, falls du das glauben solltest.« Sie preßte die Hände vor die Augen wie ein ängstliches Kind und schaute durch die Zwischenräume ihrer Finger. Und dann stieß sie plötzlich einen seltsamen, erstickt klingenden Laut aus und streckte die Arme aus. »O mein Gott! Du bist es wirklich, Patrick!« stammelte sie verwirrt. »Wo bin ich? Wie kommst du hierher? Männer haben mich aus unserem Haus in Laredo entführt. Mitten in der Nacht. Warst du schon bei Dad? Weiß er, daß du lebst, Patrick?
Da wird er bestimmt sehr froh sein. Pat, ich kann es immer noch nicht glauben ...« Die beiden Männer wechselten einen raschen Blick. Kelly gab dem Freund ein Zeichen, daß er schweigen sollte. Dana durfte die Wahrheit über ihren Vater noch nicht erfahren. Sie hätte es sowieso nicht geglaubt. Ihr Vater war für sie der beste Mensch auf der Welt. Die Wahrheit wäre in ihren Augen eine unverschämte Verleumdung gewesen. »Ja, er macht sich große Sorgen um dich«, sagte Kelly und zog sie auf die Füße. »Kannst du gehen? Alfredo wird dich in sein Haus bringen und dort verstecken. Seine Frau und ihre Mutter werden sich um dich kümmern. Ich bleibe hier und passe auf die Kerle auf. Gehst du mit Alfredo?« Sie nickte apathisch. Alfredo führte sie davon. Er wußte ja, wie er sie wegbringen konnte, ohne daß jemand etwas bemerkte. Kelly fesselte die bewußtlosen Banditen und knebelte sie. Dann trug er sie nacheinander in den entferntesten Winkel des Schuppens und versteckte sie hinter einem Haufen leerer Kisten. Als er damit fertig war, kam Alfredo zurück. »Draußen ist ein Planwagen vorgefahren«, berichtete er. »Zwei Männer sind dabei. Sie tun so, als warteten sie noch auf eine bestimmte Ladung. Oder auf den Befehl, daß sie reinfahren sollen, um die wertvolle Fracht in Empfang zu nehmen.« »Das wäre natürlich noch besser«, sagte Kelly. »Ja, wir lassen sie mit dem Wagen reinfahren, und dann verladen wir die ganze Bande. So können wir sie am unauffälligsten hier wegschaffen.« »Und wie locken wir sie hier hinein?« »Erst warten wir noch ein bißchen«, sagte Kelly. »Vielleicht sind sie auch harmlos. Wenn sie zu den Halunken gehören, werden sie bald reinkommen, um nachzusehen. Oder sie
warten auf einen entsprechenden Befehl. Wir sollten uns ein paar Minuten gedulden. Wenn der Plan klappt, können wir uns die Bande leicht vom Hals schaffen. Mit ihrem eigenen Wagen.« Alfredo verzog skeptisch das Gesicht. »Dein Plan ist nicht schlecht. Aber ich habe das Gefühl, als ob es hier von noch mehr Halunken wimmelt. Schon seit ein paar Wochen fühle ich mich bedroht. Es hat in letzter Zeit einige Zwischenfälle gegeben, über die ich mir erst keine Gedanken gemacht habe. In zwei Lagerschuppen hat es gebrannt, und Waren wurden vernichtet. Dann ist auf meinem Gelände einiges gestohlen worden. Ich bin verpflichtet, solche Schäden zu ersetzen. Dafür gibt es keine Versicherung. Wenn sich solche Fälle häufen, könnte das an meine finanzielle Substanz gehen.« »Ja, so hat Scott schon manch einen geschluckt«, sagte Kelly. »Es könnte sich diesmal aber auch um Sharkey handeln, der in Scotts Fußstapfen treten will.« »Ich werde auf der Hut sein. Mach dir um mich keine Sorgen. Aber was ist mit dir? Ich habe mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen, was du mir vorhin auf die Schnelle erzählt hast. Was soll mit Dana geschehen? Sie könnte für eine Weile mein Gast bleiben.« Kelly schüttelte den Kopf. »Das wäre zu gefährlich. Sowohl für Dana als auch für dich, Amigo. Die Halunken haben überall ihre Spitzel. Ich bringe Dana zurück. Bis in die Nähe der Ranch. Dann mache ich mich wieder unsichtbar.« »Und was sagst du Dana? Sie wird ihrem Daddy natürlich sofort von dir berichten. Ich glaube kaum, daß er dir dankbar sein wird. Er wird sich einreden, daß du der Entführer seiner Tochter bist und daß du es getan hast, um dich anschließend als der große Retter feiern zu lassen.« »Ich würde wahrscheinlich dasselbe denken«, sagte Kelly gleichmütig. »Das wäre ja auch eine ganz natürliche
Schlußfolgerung. Aber ich glaube nicht, daß er an so etwas überhaupt denken kann. Es wird für ihn ein gewaltiger Schock sein, wenn er hört, daß ich noch lebe.« »Aber dann wird er die Tatsachen so verdrehen, bis am Ende auch Dana daran glaubt. Ihr Daddy ist für sie ein Heiliger. Sie wird dich hassen, wenn sie erfährt, daß du der Wolf mit der Peitsche bist, der ihren Vater vernichten will. Das paßt doch alles bestens zusammen. Am Ende stehst du als der große Schurke da. Dich werden so viele Jäger hetzen, daß du kaum noch eine Chance hast.« Kelly zuckte die Achseln. »Ich kann es nicht ändern«, sagte er düster. »Das Versteckspiel ist sowieso zu Ende. Es ist meine Pflicht, Dana zurückzubringen. Nur bei ihrem Vater wird sie in Sicherheit sein.« »Und wenn sie lieber bei dir bleibt, Patrick?« »Seit wann glaubst du wieder an Märchen, Alfredo? Du hast doch gehört, wie sie vorhin reagiert hat.« »Soll ich dir ein paar zuverlässige Männer mitgeben?« »Das wäre zu auffällig.« »Und wie willst du sie in die Nähe der Ranch bringen? Genügt es nicht, wenn du sie bis zur Brücke begleitest? Dort wäre sie doch schon in Sicherheit.« »Mal sehen«, murmelte Kelly, und plötzlich hörten sie, wie sich draußen Schritte dem Tor des Schuppens näherten. Die Freunde standen bei dem leeren Faß. Das Tor wurde vorsichtig einen Spalt geöffnet, dann kamen die zwei Männer herein, von denen Alfredo gesprochen hatte. Sie schlossen das Tor hinter sich und sahen sich suchend um. Kelly hob den Arm und winkte. »Hier sind wir! Fahrt endlich den Wagen rein, damit wir verschwinden können!«
Die beiden fielen auf den Bluff herein. Es lag wohl daran, weil das so abgesprochen war. »Geht in Ordnung, Ronning.« Einer öffnete das Tor, der andere lenkte das Gespann herein. Der Rest war für Kelly und Alfredo schon fast ein Kinderspiel. Nach fünf Minuten lagen die fünf Kerle gefesselt und geknebelt unter der Plane des leichten Frachtwagens. Aber Alfredo fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. »Bis jetzt hat dein Plan geklappt«, meinte er. »Hast du dir auch schon Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll?« »Ich fahre sie ein Stück in die Stadt rein«, grinste Kelly. »Dort suche ich mir einen Mann, der die Fuhre über die Brücke bringt. Ich gebe ihm einen Brief für die Texas Rangers mit. Das wird für mächtig Unruhe in der Bande sorgen. Sharkey wird Gift und Galle spucken.« Die beiden Männer konnten wieder lachen.
8
Aber Sharkey hatte schon genug Gift und Galle gespuckt. Natürlich nur in Gedanken, während er immer wieder versucht hatte, sich von seinen Fesseln zu befreien. Inzwischen war er von den Anstrengungen so ermattet, daß er eingeschlafen war. Er lag sehr unbequem zwischen den beiden Kumpanen. Lassiter war ebenfalls mal wieder eingeschlummert. Die nackte Carry hatte sich im Schlaf an ihn gekuschelt und nuckelte wie ein Baby am Daumen. Es war ein niedlicher Anblick, doch den bekam Lassiter erst, als er plötzlich aufgeweckt wurde. Irgendein lautes Geräusch hatte ihn geweckt, aber er war sich nicht ganz sicher. Erst blickte er auf die daumenlutschende Carry, die bestimmt etwas Schönes träumte, dann machte er den Hals lang, um sich zu überzeugen, ob drüben in der Gefangenenecke noch alles in Ordnung war – und dann hörte er trampelnde Stimmen auf dem Flur und den scharfen Ruf eines Mannes. »Wir kriegen dich, Charly! Gleich haben wir dich!« Jemand rannte an der Kammer vorbei, und mindestens zwei verfolgten den Flüchtling. Einer hatte ihn ›Charly‹ gerufen. Ob es der freundliche Barkeeper aus dem BLACK APACHE war? Lassiter sprang aus dem Bett und zog rasch seine Hose an. Einen der erbeuteten Revolver steckte er hinter den Gürtel. So lief er an die Tür, um zu horchen, was draußen los war. Carry war ebenfalls wach geworden. Sie begriff sofort und wieselte zu ihm an die Tür, um ebenfalls zu erfahren, was auf dem Flur geschah. Die Schritte waren verstummt. Der Verfolgte war am Ende des Gangs gestellt worden. Sein Fluchtweg war zu Ende.
»Jetzt hör aber endlich auf, uns Schwierigkeiten zu machen, Charly«, sagte einer der Männer eindringlich. »Du brauchst doch nur dieses Papier zu unterschreiben, und du behältst dein Leben. Warum willst du das nicht einsehen? Das ist doch ein gutes Geschäft. Dein Leben gegen eine Unterschrift. Überleg mal, wie viele schöne Stunden du noch auf dieser Welt verbringen kannst.« »Ich glaube euch kein Wort!« sagte der Barkeeper aufgeregt. »Wenn ich das unterschreibe, lebe ich nicht mehr lange. Dann braucht euer Boß mich nicht mehr. Ich würde nur noch eine Gefahr für ihn bedeuten. Sagt ihm, er soll mich in Ruhe lassen!« »Das können wir uns nicht mehr leisten«, sagte der andere. »Wir haben inzwischen rausgekriegt, daß du einer der führenden Köpfe in diesem verfluchten mexikanischen Geheimbund bist. Alianza secreta! So nennt ihr euch doch, nicht wahr? Ha, da staunst du! Auch unter euch gibt es einen Verräter. Ihr habt euch zu sicher gefühlt. Wir wissen auch, daß einer von euch Lassiter und den Peitschenwolf versteckt hat. Ihr seid die heimlichen Auftraggeber der zwei Kanaillen! Hast du die beiden in deinem großen Haus versteckt? Vielleicht irgendwo in einem unterirdischen Raum, den außer euch Halunken niemand kennt?« »Das ist Matteo«, flüsterte Carry. »Dann kann es sich bei dem anderen nur um seinen Freund Leon handeln. Sie gehören zu Roccos engstem Kreis. Das bedeutet, daß Scott ihm inzwischen freie Hand gegeben hat. Du erinnerst dich doch, was ich dir erzählt habe, Darling?« Lassiter nickte. Carry wußte bedeutend mehr, als man normalerweise ahnen konnte. Sie hatte immer die Ohren aufgehalten und sich vieles gemerkt, was andere Animiermädchen für unwichtig hielten. Aber sie wollte ja Karriere machen.
Lassiter hatte sie mal für eine naive dumme Gans gehalten, aber dieses Urteil war von ihm inzwischen gründlich revidiert worden. Sie kannte auch die Geschichte von dem heimlichen Verhältnis zwischen dem Weidereiter Patrick O'Hara und Scotts Tochter Dana. Carry war zwar zu dieser Zeit noch nicht in Laredo gewesen, aber es wurde so einiges gemunkelt, was ihr nicht entgangen war. Lassiter hatte nur nach Scotts Familie gefragt, und da hatte sie ihm erzählt, daß er nur diese eine Tochter hatte, die er abgöttisch liebte und ›seine kleine Prinzessin‹ nannte. »Mach jetzt endlich das Maul auf!« befahl Matteo. »Oder ich mache mit meinem Versprechen ernst.« »Schämst du dich nicht, Matteo?« sagte Charly, der Barkeeper, der mexikanischer Abstammung war und eigentlich Carlos hieß. »Hast du vergessen, daß wir Landsleute sind? Warum erniedrigst du dich und machst diese Drecksarbeit für einen verbrecherischen Gringo?« Matteo lachte verächtlich. »Das mußt du mir gerade sagen, Carlos! Du arbeitest doch selbst für Scott. Als Barkeeper. Oder gehört dieses Haus nicht ihm?« »Es wird bald wieder mein Eigentum sein. Meine Aussichten stehen sehr gut beim Gericht. Bald wird das Urteil kommen, daß Scott unrechtmäßiger Eigentümer des Black Apache ist. Es fällt wieder in den Besitz unserer Familie zurück. Dann bin ich kein Barkeeper mehr, sondern wieder Herr in meinem eigenen, ererbten Haus.« »Ja, darum geht es euch allen von der Alianza«, sagte Matteo mit beißender Stimme. »Und das ist der Unterschied zwischen uns, Carlos. Mein Freund Leon und ich, wir haben keinen alten Familienbesitz, um den wir vor Gericht streiten können. Uns interessiert nicht, wem was gehört. Wir arbeiten für den, der uns am besten bezahlt. Das ist unser Leben. So,
und jetzt unterschreibst du dieses Papier. Danach gibst du uns noch einen Tip, wo sich Lassiter und der Peitscher verstecken. Danach brauchst du nicht mehr um dein Leben zu zittern.« »Ich weiß nicht, wo die sind!« rief der Barkeeper verzweifelt. »Nimm das Messer weg, Matteo! Ich unterschreibe. Aber schwör mir vorher, daß ihr mich dann in Ruhe laßt!« »Ich schwöre es«, sagte der Kerl mit kalter Stimme. »Danach wirst du deine Ruhe haben!« Carry krallte ihre Hände aufgeregt um Lassiters Schultern. »Er will ihn töten!« »Ich weiß«, zischte Lassiter wütend und nahm den Revolver in die Hand. »Warte hier, Carry!« Dann öffnete er langsam die Tür und trat auf den Flur, an dessen Ende die drei standen. Charly – oder auch Carlos – stand mit dem Rücken zur Wand, die ihm den weiteren Fluchtweg versperrt hatte. Die beiden Erpresser bedrohten ihn mit Messern. Es sollte lautlos geschehen. Sobald sie die Unterschrift hatten, würden sie den Keeper töten und verschwinden. Und Scott gehörte dann unwiderruflich dieses große Haus, das mitten in Laredo einen beträchtlichen Wert darstellte. Was Charly unterschreiben sollte, war bestimmt ein Kaufvertrag. Wenn der Kläger tot war, konnte sich das Gericht nicht länger mit dieser Angelegenheit über Besitzansprüche beschäftigen. Es war die übliche Masche, um jemanden um sein Hab und Gut zu bringen. Wie Lassiter inzwischen wußte, hatte Judson Scott das schon des öfteren praktiziert. Das hatte ihm ja schon Slim Sharkey ausführlich erklärt. Und Carry wußte auch einiges, was sie so im Laufe der Zeit aufgeschnappt hatte. Einer der beiden Erpresser setzte gerade die Messerspitze an Charlys Hals. Der Keeper schloß in Todesangst die Augen. Er hielt ein großes Blatt in der Hand, auf das er gerade noch gestarrt hatte.
»Du sollst unterschreiben!« grinste sein Peiniger. »Nicht lesen. Was da steht, ist sowieso nicht mehr wichtig für dich.« Damit unterstrich er seine wahren Absichten noch stärker als vorher, als er gesagt hatte, daß Charly seine Ruhe haben würde. Es war Lassiter klar, wie das gemeint war. Noch klarer war die Äußerung, daß für Charly nichts mehr von Bedeutung sein würde, wenn er unterschrieben hatte. Dann würde er sterben. Lassiter hatte sich bereits auf nackten Füßen in Bewegung gesetzt. Er war so lautlos wie eine schleichende Katze. Die zwei Halunken waren so auf ihr Opfer konzentriert, daß sie ihn nicht wahrnahmen. Gerade spähte Carry vorsichtig aus der Tür. Das hübsche Girl blickte aber zuerst nach links in Richtung der Treppe. Was sie sah, jagte ihr einen kurzen Schreck ein. Aber sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Blitzschnell zog sie sich zurück und griff nach der Schrotflinte, die sie schon am Morgen unauffällig in die Kammer geschmuggelt hatte. Für den äußersten Notfall, man konnte nicht wissen, was noch auf sie zukam. Es war eine dieser Parker Guns mit abgesägten Läufen. Die Dinger hatten eine erstklassige Streuung. Mit einem Schuß konnte man gleich mehrere Gegner erwischen, und man hatte den Vorteil, daß man noch nicht mal groß zu zielen brauchte. Die Halunken Matteo und Leon hatten sich Rückendeckung mitgebracht. Es handelte sich um zwei dunkelhäutige Kerle, die gerade auf der obersten Treppenstufe aufgetaucht waren. Eigentlich war hier alles klar, aber sie hatten wohl ihre Anweisungen bekommen. »Vorsicht, Lassiter!« rief Carry und richtete die Mündungen der Parker Gun in den Flur, aber ihren Körper hielt sie dabei in Deckung. Höchstens ihre Unterarme konnten getroffen werden, doch das würde sie überleben.
Lassiter reagierte geistesgegenwärtig und ging in die Knie. Die Revolver der beiden Mulatten begannen zu krachen, aber fast im selben Moment riß Carry die Abzugshähne der Schrotflinte durch. Es gab einen wahren Donnerschlag, der das Krachen der Revolver bei weitem übertönte. Lassiter verspürte einen schmerzhaften Schlag an der Schulter und ließ sich flach auf den Boden fallen. Er sah, daß Matteos Kumpan Leon ein dunkles Loch auf seinem weißen Hemd hatte, genau zwischen den Schulterblättern. Er schwankte und würde innerhalb der nächsten Sekunde zusammenbrechen. Sein Partner Matteo reagierte gefährlich wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. Er riß den Barkeeper an sich heran, setzte ihm die scharfe Klinge noch fester an die Kehle und wollte ihn als Kugelfang benutzen. Das mußte Lassiter nach Möglichkeit verhindern. »Laß ihn los!« schrie er. Aber hier half keine Drohung. Das narbige Gesicht des Mexikaners hatte sich zu einer schrecklichen Grimasse verzerrt. Es war eine Mischung aus Wut und Enttäuschung. Er hatte erkannt, daß er verloren hatte, und deshalb wollte er wenigstens noch seine Drohung wahrmachen und sein Opfer mit in den Tod reißen. Lassiter sah, wie die scharfe lange Messerklinge auf die Kehle des Gefangenen zustieß. Der Revolver in Lassiters Hand brüllte auf. Die Kugel traf Matteo voll. Er stieß einen entsetzlichen, markdurchdringenden Schmerzensschrei aus und ließ seine Geisel unwillkürlich los. Charly wankte mit bleichem, schreckensstarrem Gesicht vom Ort des blutigen Geschehens weg. Lassiter sprang auf und sah, wie Matteo zu Boden ging. Er hatte beide Hände auf den Leib gepreßt und wurde von Todesangst geschüttelt. Aber an dieser Verletzung brauchte
man nicht zu sterben, das erkannte Lassiter mit erfahrenem Blick. Drüben lagen die beiden Kerle, die von Carrys Parker erwischt worden waren. Sie stöhnten und jammerten, aber sie würden die Verletzungen mit noch höherer Wahrscheinlichkeit überleben als Matteo. Nur der vierte Mann war tot. Und der ging noch auf das Konto seiner Kumpane. Es war erstaunlich, wie energisch die zierliche Carry sich in dem ganzen Chaos verhielt. Sie packte den Barkeeper Charly und zerrte ihn in die Kammer. »Reiß dich zusammen!« fuhr sie ihn an. »Dir wird nichts passieren! Du kannst alles auf mich und Lassiter schieben. Wir haben sowieso nichts mehr zu verlieren.« »Sehr richtig«, pflichtete ihr Lassiter bei, der ebenfalls in die Kammer kam und nach seinen Sachen griff. »Beobachte die Straße, Charly! Sag uns, wenn du was siehst!« So schnell er konnte, zog er sich vollständig an. Carry hatte ebenfalls vorausgedacht und sich Männerkleidung besorgt. Sie sah aus wie ein junger, etwas schmächtiger Cowboy, als sie fertig war. »Und jetzt nichts wie weg!« sagte Lassiter. »Ist da unten noch alles ruhig, Charly?« »Das Haus hat dicke Wände«, grinste der Keeper unsicher. »Sieht so aus, als wäre niemand aufmerksam geworden. Am besten, ihr verschwindet über den Hof. Carry, kennst du die Gasse, in der Nero Sardone seinen Mietstall hat?« Und als sie nickte, fuhr er fort: »Sagt ihm, ich hätte euch geschickt. Er wird euch verstecken.« Sie liefen auf den Gang und die Treppe hinunter. Kein Mensch ließ sich auf dem Gang blicken. Auch im mittleren Stockwerk war der lange Flur wie leergefegt. Hier im Haus mußten die Schüsse gehört worden sein, aber alle hielten
sich vorsichtshalber zurück. In diesen Kampf wollte niemand verwickelt werden. Es war gesünder, wenn man nichts sah und nichts hörte. Der Rückzug schien zu gelingen. Auch im Erdgeschoß war es noch immer ruhig. Um diese Zeit wurde noch Siesta gehalten, erst in gut einer Stunde würde Laredo allmählich wieder zum richtigen Leben erwachen. »Nero ist in Ordnung«, sagte Charly, als sie den Hinterausgang zum Hof erreicht hatten. »Aber sobald es dunkel wird, müßt ihr verschwinden. In Laredo wird bald die Hölle los sein. Ihr ...« Draußen auf dem Hof waren plötzlich Stimmen zu hören. »Ich bin ganz sicher« sagte jemand heftig. »Warum wollt ihr mir nicht glauben, verdammt? In dem Bau ist geschossen worden.« »Dann nichts wie rein und nachgesehen!« rief ein dritter. »Los, worauf warten wir noch!« Und schon stürmten sie auf die Tür zu. Nach den vielen Schritten zu urteilen, waren es ungefähr sechs bis acht Mann. Lassiter nahm seine Winchester in Hüftanschlag. Er war bereit, sich den Weg freizuschießen, aber Carry stieß ihn heftig an. »Warte noch!« zischte sie. »Wir gehen in die Bar und warten ab, bis sie nach oben gegangen sind. In der Zwischenzeit können wir unbemerkt verschwinden. So holen wir einen guten Vorsprung raus.« Lassiter klopfte ihr anerkennend auf die Schulter. »Gut gedacht, kleine Lady. Du bist wirklich zu gebrauchen.« Carry sprang zur Tür und legte den eisernen Riegel vor. Schon waren die Banditen an ihrem vorläufigen Ziel angelangt und wollten die Tür gewohnheitsmäßig aufstoßen. Die drei im Haus gingen schnell nach vorne in die Bar und schlossen die Zwischentüren zum Hof hin. Der Krach, den die Kerle draußen machten, drang nur gedämpft zu ihnen hinein.
»Das war wohl ein Fehler«, gestand Carry ein. »Ich hätte besser aufgelassen, dann wären sie jetzt schon auf dem Weg nach oben.« Gerade rollte eine große Kutsche mit einem Sechsergespann am ›Black Apache‹ vorbei, begleitet von acht schwerbewaffneten Männern. Sie hielt schräg gegenüber vom Saloon vor dem Bankhaus. Es war eine noch größere Kutsche als jene, mit der Norman Wells vor ein paar Tagen aus Mexiko gekommen war. »Sie gehört Judson Scott«, sagte Charly. »Sie ist vorgefahren, um ihn abzuholen. Vor einer Stunde ist er in die Bank gegangen. Er wollte wohl mal wieder seine Finanzen überprüfen.« Das Portal des großen Gebäudes schwang auf, und Judson Scott kam als erster heraus. Er wirkte angeschlagen. Die Sache mit seiner Tochter machte ihm offensichtlich sehr zu schaffen. Lassiter empfand keinen Haß, noch nicht einmal ein Gefühl der Feindschaft, obwohl dieser Mann den Befehl gegeben hatte, ihn aus dem Weg zu räumen. Er konnte einem eher leid tun. Welcher Vater wäre da in seiner ersten Emotion noch ruhig geblieben! Selbst Außenstehende schrien in solchen Fällen nach den drakonischsten Strafen. Hinter Scott tauchten Alex Rocco und ein Mann auf, bei dessen Anblick Lassiter stutzte. Diesen Mann kannte er. Es war Will Platten aus Denver in Colorado. Einer von den ganz großen Kämpfern, der immer nur positiv in Erscheinung getreten war, soweit Lassiter das beurteilen konnte. Der nahm längst nicht jeden Job an, egal was ihm dafür geboten wurde. Er war dafür bekannt, daß er sich seinen jeweiligen Auftraggeber immer sehr genau ansah. Er stand in dem Ruf, sich niemals auf krumme Sachen einzulassen. Und jetzt arbeitete er für Judson Scott! Seite an Seite mit dem berüchtigten Alex Rocco.
Rocco trug zwei schwarze, bauchige Ledertaschen, die prall gefüllt waren. Das konnte nur bedeuten, daß Judson eine größere Summe in bar abgehoben hatte. Wahrscheinlich das Lösegeld. Eine halbe Million! Da hatte man in der Bank wahrscheinlich auch einen großen Teil vom Kleingeld zusammenkratzen müssen, und der Chef der Bank raufte sich jetzt die Haare, weil so eine Summe doch gewaltig an die Reserven ging. Platten hatte einen Kreuzgurt umgeschnallt, in dessen tiefgeschnallten Holstern zwei schwere Revolver steckten. In der linken Hand hielt er lässig eine Winchester. Judson Scott stieg als erster in die schwarze Kutsche. Dann schob Rocco die Taschen durch den offenen Schlag und wollte ebenfalls einsteigen. Doch in diesem Augenblick wurde es im zweiten Stock des Salongebäudes laut. Jemand hatte ein Fenster aufgerissen und feuerte zwei Alarmschüsse ab, um auf sich aufmerksam zu machen. »Achtung, Rocco!« brüllte er. »Lassiter und der andere sind hier! Sie müssen noch im Hause sein!« Die Meldung kam etwas plötzlich für den raffinierten Mexikaner. Er hatte in den letzten zwei Stunden zu viele andere Gedanken im Kopf gehabt, vor allen Dingen das Problem, wie er sich endgültig in den Besitz der halben Million bringen konnte. Erst hob er den Kopf, dann drehte er ihn halb über die Schulter und blickte in die Richtung des Mannes, der ihn alarmiert hatte. Dann erst ließ er die Taschen los, die er gerade in der Kutsche abgesetzt hatte, um schnell hinterher zu steigen, damit er die wertvolle Fracht nur ja keine Sekunde aus den Augen verlor. Die Hiobsbotschaft hatte ihn aus dem Konzept gebracht. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als entschlossen zu handeln.
»Paß du hier auf, Platten! Ich erledige das«, sagte er zu dem Mann, der erst vor zwei Stunden in Laredo angekommen war und den Judson Scott wie einen guten alten Freund begrüßt hatte. Auch das hatte Rocco irritiert, aber ihm war nichts anderes übriggeblieben, als diesen Will Platten als neuen Kollegen zu akzeptieren. Für Rocco war das nur ein vorübergehendes Ärgernis. Sobald er wieder etwas Luft hatte, würde er schnell einen Weg finden, um den lästigen Nebenbuhler aus dem Spiel zu stoßen. Nichts war leichter als das. Aber erst mußte er sich um wichtigere Dinge kümmern. Diese verfluchten Hunde waren also immer noch in Laredo. Aber zum Glück sah es so aus, als wären sie festgenagelt worden. Als Rocco auf den Saloon zulief, lehnte sich Judson Scott kurz aus dem Seitenfenster und rief dem Kutscher etwas zu. Gleich darauf setzte sich das Gefährt in Bewegung. Das sah Lassiter noch, bevor er sich mit Carry rasch auf den Weg zum hinteren Ausgang machte. Der Keeper Charly folgte ihnen nach kurzem Zögern. Es war gesünder für ihn, wenn er sich irgendwo bei Freunden versteckte. Er hatte seine letzte Notlage noch in zu frischer Erinnerung. Lassiter lief nach links hinter den Häusern entlang. Carry hatte Mühe, mit ihm auf Tuchfühlung zu bleiben. »Das ist aber nicht der Weg zu Nero Sardone«, keuchte sie. Lassiter antwortete nicht, er hatte etwas anderes vor. Die Idee war ihm ganz plötzlich gekommen, als er Will Platten erkannt hatte, den Revolvermann aus Colorado. Und er wurde noch ermutigt durch die Tatsache, daß Judson Scott den Befehl gegeben hatte, ohne Rocco loszufahren. Der Big Boß wollte sich wohl mit dem ganzen Geld so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone bringen, während sein Vormann für Ordnung sorgte.
Lassiter schlug erst die Richtung zur Main Street ein, als er sicher sein konnte, daß sie dort von der Bank aus nicht mehr gesehen werden konnten. »Was, zum Teufel, hast du vor?« fauchte Carry – und im nächsten Augenblick ahnte sie es, als sie die Kutsche sah. »Du willst doch nicht etwa ...« Lassiter nickte und grinste schmal. »O doch! Genau das habe ich vor.« Er wartete, bis die Kutsche nur noch wenige Meter entfernt war, und trat auf die Straße hinaus. Es mußte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht möglich war, mit Judson Scott mal ein paar vernünftige Worte zu wechseln. Diese Chance wollte Lassiter nicht ungenutzt verstreichen lassen. Auf diese Weise ließ sich vielleicht manche blutige Auseinandersetzung vermeiden. Zumindest wollte Lassiter versuchen, einige Mißverständnisse aus dem Weg zu räumen. Judson Scott mochte zwar der König aller Verbrecher von Texas sein, aber an seinem persönlichen Wohlergehen war ihm bestimmt am allermeisten gelegen. Vielleicht war das ein günstiger Moment, um ihm die Augen zu öffnen. Und um die Falle für ihn vorzubereiten. Lassiter stellte sich mitten auf die Straße und hob die linke Hand. Die Winchester in seiner Rechten zeigte mit der Mündung nach unten, damit niemand auf den Gedanken kam, Lassiter wäre in feindlicher Absicht aufgetaucht. Neben ihm stand Carry und lächelte. Der Kutscher griff in die Zügel, und sein Beifahrer hatte längst die Schrotspritze in Schußposition gebracht. Aus der Kutsche sprang der Colorado-Mann. »Alles okay!« rief er den Fahrern zu. Und in die andere Richtung: »Kommt schon, steigt ein!« Das galt Lassiter und dem rothaarigen Mädchen. Sekunden später waren die beiden zugestiegen.
Judson Scott saß mit starrem Gesicht auf der weichgepolsterten Rückbank. Zwischen seinen ausgestreckten Beinen standen die Geldtaschen. Er würdigte Lassiter keines Blickes. »Fang schon an, Lassiter!« sagte Platten, der als sehr wortkarger Mann bekannt war. »Ich habe versucht, Mr. Scott zu überzeugen, daß du in Ordnung bist.« »Beweisen Sie es, Lassiter!« brach Scott sein mürrisches Schweigen. »Wenn ich mich in Ihnen getäuscht habe, bin ich gerne bereit, mich zu entschuldigen. Aber noch halte ich Sie für einen der Verbrecher, die meine Tochter entführt haben.« Er griff unter seine Jacke und hatte plötzlich einen Revolver in der Hand. Die gestaute Wut brach wieder bei ihm durch. »Sag die Wahrheit, Lassiter! Wo ist meine Tochter? Oder ich ...« Er war unberechenbar. In solchen Momenten konnten selbst friedliche Menschen zu gefährlichen Monstern werden. Lassiter wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen. Seine Rechte zuckte hoch und traf von unten das Handgelenk Scotts. Der Mechanismus der Waffe funktionierte so leichtgängig, daß der Schuß durch die Erschütterung fast von selbst losging. Das Krachen dröhnte durch die Kutsche, und die Kugel durchschlug das Dach. Schnell griff Lassiter zu und riß dem wütenden Mann die Waffe aus der Hand. Will Platten hatte sich gemütlich zurückgelehnt. Er lächelte. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Scott!« knurrte Lassiter. »Ich bin gekommen, um hier einiges klarzustellen. Das geht nur, indem man sich vernünftig miteinander unterhält. Ich hielt es für einen Weg, um weiteres unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Ist denn nicht schon genug Unheil geschehen? Haben Sie eigentlich noch nicht gemerkt, daß Sie hier auf schamlose Weise ausgenützt werden? Wer ist bei Ihnen überhaupt der Boß? Sie oder Alex Rocco?«
»Er ist mein bester Mann und hat mein vollstes Vertrauen.« »Und vorher war Norman Wells Ihr bester Mann, Scott. Wissen Sie, daß Rocco ihn ermordet hat?« Scotts Gesicht verzerrte sich. Er fühlte sich in die Enge getrieben. »Das war der Wolf mit der Peitsche! Es gibt genug Zeugen!« »Daran glauben Sie doch selbst nicht!« spottete Lassiter. »Der hat noch nie einen Menschen umgebracht.« »Sie schützen ihn doch nur, weil er ihr Freund ist, Lassiter!« rief Scott anklagend und warf einen finsteren Blick auf den Colorado-Mann. »Tun Sie endlich was, Platten! Schaffen Sie mir den Kerl vom Leibe! Es war ein Fehler von mir, mich von Ihnen überreden zu lassen! Sorgen Sie dafür, daß das wieder in Ordnung kommt!« Lassiter wog Scotts teuren LeMat Revolver in der Faust. »Versuch's lieber gar nicht erst, Will!« warnte er. »Du würdest nicht schnell genug sein!« Judson Scott schien in sich zusammenzusinken. »Worauf habe ich mich nur eingelassen!« stöhnte er. »Platten, Sie kommen mir fast wie ein Verbündeter von diesem Halunken vor!« Will Platten zuckte die Achseln. »Wollen Sie, daß ich mich erschießen lasse? Ich hätte keine Chance gegen ihn.« Carry lachte glucksend. »Deine Idee war doch nicht so gut, wie ich geglaubt habe, Lassiter. So kommen wir keinen Schritt weiter, schätze ich. Mit diesem Satan kann man nicht vernünftig reden. Sharkey hat dir doch erzählt, was für ein hinterhältiger Hund er ist!« »Sharkey?« rief Judson Scott. »Was hat der über mich erzählt? Er ist einer meiner besten und zuverlässigsten Leute.« »Und gleichzeitig einer der Entführer Ihrer Tochter!« schrie Carry ihn so wild an, wie Lassiter sie noch nie in Aktion gesehen hatte. »Aber das geschieht Ihnen recht, Sie
größenwahnsinniger Bastard! Ich würde mich nicht wundern, wenn auch Rocco in Wirklichkeit mit den Entführern gemeinsame Sache macht!« Sie zeigte auf die prallen Taschen. »Passen Sie gut auf das Lösegeld auf! Es war nicht besonders klug von Ihnen, es mitzunehmen! Darauf warten solche Schufte doch nur!« Judson Scott sank wieder in die Polster zurück. Unwillkürlich griff er sich an die linke Brustseite. Man konnte an der Halsschlagader deutlich erkennen, wie rasend sein Herz pochte. Er spürte selbst, daß sich etwas über ihm zusammenbraute. Colorado-Will Platten sagte mit feinem Lächeln: »Ich habe versucht, Ihnen abzuraten, Mr. Scott. Aber Sie haben ja nur auf Rocco gehört. Es könnte sein, daß Lassiter recht hat mit seinem Verdacht und daß Alex Rocco ein falsches Spiel treibt. Aber das werden wir schon bald erfahren, wenn ich nicht irre.« Er lehnte sich aus dem Seitenfenster und blickte in die Staubwolke, die hinter der Kutsche herzog wie ein großer Ball aus grauen Tüchern. Dahinter waren die Konturen einer Reiterschar zu erkennen, die in rasendem Galopp den Abstand zu der Kutsche verkürzte. Auch Lassiter und Carry hörten das Trommeln der vielen Hufe und lehnten sich aus dem Fenster auf ihrer Seite. »Das ist Rocco mit seinen Kumpanen!« rief Carry. »Er wird versuchen, uns den Todesschuß zu versetzen!« »Weiß er denn, daß wir beide in der Kutsche sind?« fragte Lassiter. »Ich möchte wetten, er denkt nur an die halbe Million.« »Sie gemeiner Verleumder!« schrie Judson Scott. »Das werden Sie bereuen! Und Sie auch, Platten! Sie haben mich zutiefst enttäuscht. Ausgerechnet Sie, von dem ich immer eine so hohe Meinung gehabt habe! Oder wollen Sie vielleicht doch noch beweisen, was für ein Kämpfer Sie sind? Los, nutzen Sie Ihre Chance!«
Der schwarzgekleidete Colorado-Mann lächelte wieder auf seine sanfte, unergründliche Art. »Wollen Sie, daß ich Selbstmord begehe, Mr. Scott?« Lassiter fragte sich, was dieser geheimnisvolle Mann im Schilde führte. Was auch immer, auf keinen Fall war er Lassiters Feind. Er hätte in den letzten zwei Minuten schon mehr als eine Gelegenheit gehabt, eine seiner Waffen hervorzuzaubern, ganz besonders in dem Augenblick, als Lassiter sich aus dem Fenster gelehnt hatte. Aber Colorado-Will hatte nichts unternommen. Obwohl er so schnell wie ein Blitz sein konnte, hatte er sich völlig passiv verhalten. Rocco holte mit seiner Horde schnell auf. Höchstens noch zehn Minuten, und sie hatten die Kutsche umzingelt. Und dann krachten auch schon die ersten Schüsse. Mindestens zwei der sechs Gespannpferde wieherten schrill, und im nächsten Moment ging ein Ruck durch die schwere Kutsche, als wäre sie auf ein Hindernis gestoßen. Die Passagiere wurden durcheinandergewirbelt. Krachen und Bersten von Holz und Eisenteilen erfüllte die Luft. Dann war nur noch das Gebrüll der Reiter und das Stampfen der vielen Pferdehufe zu hören. Judson Scott lag vor dem Sitz und atmete gequält. Carry hatte sich an Lassiter geklammert. Der Colorado-Mann griff unter den Sitz und zog ein Gewehr und eine Kiste voller Patronen hervor. »Jetzt sind wir Partner, Lassiter«, sagte er mit unheimlicher Ruhe. »Ich schätze, das wird ein heißer Tanz ...« Und dann ging es auch schon los ...
9
Kelly und das Mädchen kauerten in einer staubigen Mulde zwischen heißen, sonnendurchglühten Felsen und wußten, daß sie nur noch durch ein Wunder dem Tod entrinnen konnten. Seit sie Nuevo Laredo verlassen hatten, schien das Glück auf ihrer Seite zu sein. Zehn Meilen weiter südlich hatten sie auf einer Fähre den Rio Grande überquert und befanden sich nicht mehr weit vom Gebiet der Star-Ranch entfernt, als plötzlich die Reiter auf einem Hügelkamm auftauchten und ihnen entgegenpreschten. Mindestens ein Dutzend Männer waren es, und als die beiden ihre Pferde herumrissen, sahen sie, daß auch hinter ihnen eine Reitergruppe aufgetaucht war. Die beiden jagten nach Westen, erreichten mit knapper Not das felsige, unübersichtliche Gebiet, in dem sie sich jetzt befanden. Ihre Pferde waren völlig ausgepumpt. Nach dem langen Ritt von Mexiko herauf hatten sie noch einmal alles aus den Tieren herausgeholt, aber dann war nichts mehr zu machen. Jetzt befanden sich Kelly und Dana in einer ausweglosen Situation. Die Banditen schossen ununterbrochen und zwangen die beiden in Deckung, während sich ein Teil der Halunken an diese letzte kleine Bastion der Verlorenen gefahrlos heranarbeiten konnte. Die Kerle gingen nicht das geringste Risiko ein. Sie wußten, daß sie sich Zeit lassen konnten. Notfalls konnten sie die beiden so lange ohne Nahrung und Wasser festnageln, bis sie vor Erschöpfung von selbst aufgaben.
Vor zwei Stunden waren sie hier eingekesselt worden. Inzwischen war es später Nachmittag geworden. Vielleicht hatten sie noch eine kleine Chance, wenn es dunkel wurde. Daran dachte Kelly immer wieder, aber er sprach es nicht aus. Sie wechselten sowieso nur noch wenige Worte miteinander. Dana war viel zu erschöpft und starrte die meiste Zeit apathisch ins Leere. Kelly hatte ihr erzählt, daß Slim Sharkey eine wichtige Rolle bei der Entführung spielte. Es konnte sein, daß er sogar der Boß war, doch da war sich Kelly noch längst nicht sicher. Er hütete sich auch, weitere Vermutungen auszusprechen. Denn schon, als der Name Sharkey fiel, hatte Dana ihn ungläubig angestarrt. Das lag schon Stunden zurück, als sie noch auf der mexikanischen Seite des Flusses gewesen waren. »Sharkey? Ausgerechnet Sharkey?« hatte sie gerufen. »Er ist einer der Männer, zu denen Dad das größte Vertrauen hat!« Seitdem gab es so etwas wie eine unsichtbare Barriere zwischen ihnen. Kelly hatte eingesehen, daß er mit weiteren Äußerungen nur noch auf mehr Granit stoßen würde. Vielleicht hielt sie ihn schon heimlich für einen, der mit seinen Worten einen Keil treiben wollte zwischen sie und die Männer, die sie alle für zuverlässige Vasallen ihres Vaters hielt. Wie würde sie reagieren, wenn sie erfuhr, daß ihr Vater ein großer Verbrecher-König war, einer der gefährlichsten Männer, die jemals dieses Land terrorisiert hatten? Eine Welt würde für sie zusammenbrechen. Es war eine Frage, ob sie das mit ihrem sanften Gemüt jemals seelisch verkraften konnte. Von Westen her näherte sich Hufschlag einer weiteren Reitergruppe. Aber das waren nicht mehr als drei Mann. Kelly registrierte es schulterzuckend. Was machte das schon aus. Drei Mann mehr oder weniger, darauf kam es sowieso nicht mehr an.
Er konnte nicht ahnen, daß die Ankunft der drei Reiter bald für eine dramatische Wende sorgen würde. Slim Sharkey war zu den Halunken gestoßen. Er kam direkt aus Laredo, wo er und seine Kumpane von Roccos Leuten in jener Kammer entdeckt und aus ihrer mißlichen Lage befreit worden waren. Danach hatte Sharkey ausgepackt. Er schlug Rocco vor, daß sie sich verbünden sollten, da sie ja im Grunde die gleichen Ziele verfolgten. Rocco hatte nur kurz gezögert. Dann war er ebenfalls der Meinung, daß solch ein Pakt nur gut sein könnte für sie alle. Es brauchte ja kein Pakt für die Ewigkeit zu sein. Später konnte man denen ja immer noch zeigen, wer hier der Chef im Ring war. Nämlich kein anderer als Alex Rocco. Aber die momentane Situation forderte Beweglichkeit. Sonst mußte er am Ende nach zu vielen Seiten kämpfen, dachte Rocco, schlau wie er war. Doch von alledem konnte Kelly nichts ahnen. Er horchte erst auf, als er Sharkeys kalte Stimme hörte. »He, Kelly! Da hast du dir ja was ganz Raffiniertes ausgedacht!« Er lachte höhnisch. »Wirklich ein schlauer Plan! Erst entführst du deine ehemalige Geliebte, und dann tust du so, als hättest du sie befreit. Die Ärmste hat natürlich keine Ahnung. Hallo, Miss Dana! Wie geht es Ihnen? Hören Sie mich? Ich bin gekommen, um hier ein Mißverständnis aus der Welt zu räumen. Diese Männer wollten Sie nur befreien. Aber dabei sind sie leider etwas ungestüm vorgegangen. Es handelt sich übrigens um Männer von der Field-Ranch, auf deren Land Sie sich befinden. Simon Field wollte Sie retten. Er konnte nicht ahnen, daß er Sie dadurch in eine so mißliche Situation gebracht hat. Geht es Ihnen gut? Wenn der Bastard Ihnen auch nur ein Haar gekrümmt hat, hängen wir ihn auf der Stelle.«
Es verschlug Kelly glatt die Sprache. Wie konnte man sich gegen so eine Gemeinheit verteidigen? Da fehlten einem einfach die Worte. Dana starrte ihn auch schon zweifelnd an. »Es geht mir gut, Sharkey«, rief sie. »Kelly wollte mich nur zu meinem Dad zurückbringen. Schicken Sie diese Männer weg, Sharkey! Sie können dann ja gemeinsam mit uns zur StarRanch reiten.« »Einverstanden«, antwortete Sharkey, ohne zu zögern. »Vorausgesetzt, daß Ihr angeblicher Freund damit einverstanden ist. Ich bezweifle nämlich stark, daß er das riskiert, wo er genau weiß, daß er entlarvt worden ist. Aber das hat er Ihnen bestimmt noch nicht erzählt, Miss Dana.« Es wurde Kelly heiß und kalt zugleich. Er wurde gnadenlos in die Enge getrieben, und er wußte nicht, wie er sich dagegen wehren konnte. Da hatte sich Sharkey schon einen zu großen Vorsprung verschafft. Dana Scott sah wieder auf seltsame Art zu ihrem Retter hin. Auf ihrem Gesicht malten sich starke Zweifel. »Patrick, was wird hier gespielt?« fragte sie matt. Kelly wollte es ihr erklären, aber während er noch die richtigen Worte suchte, begann der schlaue Sharkey schon wieder zu rufen. »He, Kelly, dein Spiel ist aus! Du solltest wenigstens so anständig sein und Miss Scott jetzt freilassen. Oder willst du sie auch noch ins Verderben stürzen? Beweise wenigstens dieses eine Mal, daß du noch einen Funken Anstand besitzt! Laß sie frei! Danach geben wir dir die Chance, zu sterben wie ein Mann. Nämlich im Kampf. Das ist immer noch besser, als schimpflich am Galgen zu enden.« Aber da war er zu weit gegangen. »Was soll das Gerede vom Galgen, Sharkey?« rief Dana empört. »Patrick O'Hara hat mich in Nuevo Laredo aus der Gewalt einiger Kerle befreit. Und er hat versprochen, mich
zurück zu meinem Vater zu bringen. Tatsache ist, daß er mich beschützt hat. Das kann ich vor Gericht bezeugen. Für das, was er getan hat, verdient er eine Belohnung, aber nicht den Galgen! Wie können Sie so etwas nur sagen, Sharkey! Das sieht mir schon fast nach einem Komplott aus!« Kelly atmete auf. Was sie da gerufen hatte, gab ihm wieder Hoffnung. Dana glaubte noch an ihn, sonst hätte sie ihn nicht so energisch verteidigt. Aber Sharkey hatte sein Pulver noch lange nicht verschossen. »Hat er Ihnen auch erzählt, daß er der Mann ist, den man den Wolf mit der Peitsche nennt, Miss Dana?« rief er. »Davon wissen Sie bestimmt noch nichts! Aber wir haben inzwischen das Geheimnis gelüftet. Dieser Schuft wollte sich bei ihrem Vater auf die raffinierteste Weise einschleichen. Mit einem Trick, auf den nur ein ausgekochtes, verdorbenes Hirn kommen kann. Der Wolf mit der Peitsche wollte Sie zu seiner Frau haben, Miss Dana. Und damit wäre er in den Besitz der größten Ranch von Südtexas gelangt. Darauf zielte sein ganzer verbrecherischer Plan.« Sie sah Kelly zweifelnd an. »Ist das wahr? Bist du der Wolf mit der Peitsche?« »So nennt man mich«, antwortete er. »Alles andere ist eine gemeine Verleumdung.« »Aber du bist ein Bandit, Patrick. Warum?« Was sollte er darauf antworten? Sie würde es sowieso nicht verstehen. Und es auch nicht glauben, soweit es ihren Vater betraf. »He, Kelly!« rief Sharkey, der es offenbar schnell hinter sich bringen wollte. »Ich mache dir einen anderen Vorschlag. Ergib dich und komm mit uns zur Star-Ranch. Dort kannst du dich verantworten. Und später auch vor Gericht. Du sollst so gerecht behandelt werden wie jeder andere Angeklagte.« Dana lief auf Kelly zu und faßte ihn an den Schultern.
»Ich halte das für eine gute Möglichkeit, Patrick«, sagte sie beschwörend. »Gib bitte nach! Sonst hast du sowieso keine Chance mehr. Sie werden dich töten.« »Nicht, solange du bei mir bist, Dana.« Ihre Augen blitzten plötzlich. »Heißt das, du willst mich hier festhalten? Etwa mit Gewalt?« Nein, verdammt! Auf den Gedanken wäre er niemals gekommen. Er schüttelte den Kopf. »Also gut«, sagte Dana. Sie drehte den Kopf und rief: »Geben Sie uns Ihr Wort, daß Patrick anständig behandelt wird, Sharkey?« »Ich schwöre es.« Sie sah Kelly wieder an. »Du hast es gehört. Komm! Alles andere hat keinen Sinn mehr.« Kelly wollte nicken, aber nicht einmal dazu kam er mehr. Geschweige denn dazu, eine Antwort zu geben. Zwei Männer hatten sich lautlos von hinten an ihn herangeschlichen und sprangen ihn an. Es war ein gemeiner, heimtückischer Angriff, weil sie die Zeit der Verhandlung ausgenützt hatten. Da erwartete man normalerweise auch eine Kampfpause. So etwas war ungeschriebenes Gesetz. Aber darauf pfiffen diese Halunken. Sie hatten eben keinen Anstand. Nichts war ihnen heilig. Kelly wurde zu Boden gerissen und rollte sich geschmeidig ab. Es gelang ihm, ihren Fäusten vorerst zu entkommen, und schon ging er zu einem wütenden Gegenangriff über. »Laßt ihn!« schrie Dana. »Er wollte sich ergeben! Sharkey! Sorgen Sie dafür, daß hier Friede herrscht!« Aber Sharkey, dieser elende, hinterhältige Hundesohn, ließ sich nicht blicken. Er ließ statt dessen den Dingen ihren Lauf.
Kelly kämpfte mit dem Mut eines Löwen. Den ersten Mann streckte er mit einem Kinnhaken zu Boden. Den Angriff des zweiten Kerls unterlief er geschickt, ließ ihn auflaufen und schleuderte ihn über sich hinweg, daß er ein Stück weiter auf der Erde aufschlug und benommen liegenblieb. Aber da stürmten schon weitere Banditen auf ihn zu. Von mehreren Seiten gleichzeitig kamen sie. Dana schrie wütend nach Sharkey, daß er endlich eingreifen und dem gemeinen, ungleichen Kampf ein Ende bereiten sollte. Aber Sharkey hielt sich weiter im Hintergrund und lachte sich eins. Die Halunken fielen über Kelly her. Endlich konnten sie ihre Wut an ihm abreagieren. Zu übel hatte er ihnen ja auch in der letzten Zeit mitgespielt. Kelly kämpft mit dem Mut der Verzweiflung. Er versuchte, den Ring zu durchbrechen, und wenn es ihm gelang, zwischen den Felsen unterzuschlüpfen, hatte er vielleicht noch eine Chance, seinen Henkern zu entkommen. Ja, Henker waren sie. Denn sie hatten kein anderes Ziel, als ihn endgültig zu erledigen. Ob am Galgen oder auf andere Weise. Das erkannte auch Dana mit schrecklicher Klarheit. Sie schrie nicht mehr nach Sharkey, sondern griff nach Kellys Gewehr, das vor ihr auf der Erde lag. Alle Sanftheit war plötzlich von ihr abgefallen. Sie riß das Gewehr an die Schulter und feuerte. Der erste Schuß fegte über die Köpfe der Erbarmungslosen hinweg. Er war als Warnung gedacht. Aber die wüsten Kerle lachten nur, und einer sprang auf Dana zu, um ihr die Waffe aus den Händen zu reißen. Dana wich zurück und feuerte in ihrer Verzweiflung. Die Kugel traf den Kerl mitten in die Brust. In ihrer Panik feuerte Dana einfach weiter. Sie konnte nicht mehr anders, die Angst um Kelly machte sie verrückt. Sie konnten keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Drei Männer wurden von ihren Kugeln getroffen und ließen von Kelly ab. Der sah seine Chance und wollte sich in dem kurzen Durcheinander absetzen. Doch da tauchte Sharkey auf. Kelly sah ihn zu spät und konnte dem Schlag nicht mehr ausweichen. Mit dem Gewehrkolben erwischte ihn Sharkey, so daß er auf der Stelle und ohne einen Laut zusammenbrach. »Aufhören!« brüllte Sharkey. »Was fällt euch ein! Ich habe nicht befohlen, daß ihr ihn totschlagen sollt!« Aber jetzt lag Kelly wie tot da. Dana kniete schreiend bei ihm nieder, packte seine Schultern und rüttelte ihn verzweifelt. »Es ist was dazwischengekommen!« zischte Sharkey seinen Kumpanen zu. »Vor einer halben Minute ist die Nachricht gekommen. Der andere Teufel hat schon wieder zugeschlagen. Ich bin sicher, der ist noch viel gefährlicher als Kelly. Dieser verfluchte Lassiter! Er hat doch tatsächlich Judson Scott in seine Gewalt gebracht! Rocco braucht Verstärkung. Sie kriegen den Bastard nicht in den Griff. Und wir sollen Kelly vorerst am Leben lassen. Der wird noch gebraucht.« Dann ging er zu Kelly und beugte sich zu ihm nieder. »Mörder!« schrie Dana. »Verfluchter Mörder! Sie haben ihn auf dem Gewissen, Sharkey. Sie ...« Doch da bewegte sich Kelly und schlug die Augen auf. »Na also«, brummte Sharkey. »Was heißt denn hier Mörder ...« Er wandte sich ab und ging wieder zu seinen Halunken. »Bringt die beiden zur Star-Ranch!« befahl er. »Ich reite zu der Stelle, wo Rocco Schwierigkeiten mit Lassiter hat. Das sind gerade sieben Meilen. Könnte ja auch sein, daß er Rocco schon erledigt hat. Das wäre gar nicht so schlecht.« Alle grinsten. Sie wußten von dem neuen Pakt, aber auch, was sie davon zu halten hatten. Er galt nur für eine bestimmte
Zeit. Sobald Lassiter und Kelly erledigt waren, ging es um die Vorherrschaft. Mit Judson Scott rechnete keiner mehr. Nur seine Tochter brauchten sie noch. Und wer sie bekam, wurde auch der Nachfolger von Judson Scott und damit der Herr über ein gewaltiges Banditenreich ...
10
Die schwere Kutsche hatte sich in eine belagerte Festung verwandelt, die nicht so leicht zu erstürmen war. Es handelte sich um eine Sonderkonstruktion, denn mit solch einem Zwischenfall mußte ein Mann wie Judson Scott rechnen. Heute war zum ersten Mal der Ernstfall eingetreten. Aber die Ironie des Schicksals wollte es, daß ausgerechnet die Leute davon profitierten, auf die er alles andere als gut zu sprechen war. Aber der Big Boß bekam nichts von dem dramatischen Geschehen mit. Er lebte zwar, aber er war ohne Bewußtsein. Was genau mit ihm los war, konnte weder Lassiter noch einer der beiden anderen feststellen. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um sich gegen die Männer zu wehren, die immer wieder verbissen anstürmten, um das schwere Fahrzeug in ihre Gewalt zu bekommen. Aber die Wände waren mit kugelsicheren Platten versehen. Da drang auch das schwerste Geschoß nicht durch. Die einzige Schwachstelle war das Dach, aber es gab ringsum keine Erhöhungen, von denen angegriffen werden konnte. Vielleicht hatten die Angreifer auch noch gar nicht an eine solche Möglichkeit gedacht. Eine Stunde verteidigten sich die drei in der Kutsche inzwischen. Carry Castle war keine gute Schützin, aber sie kämpfte mit einer erstaunlichen Wildheit. Rocco ließ mal wieder eine Feuerpause einlegen. »Es nützt euch alles nichts!« rief er. »Wir kriegen euch! Wir hungern euch aus! Zu trinken habt ihr auch nichts. Das wird an euren Kräften zehren. Morgen wird es wieder heiß. Am Ende
seid ihr so schlapp, daß wir euch nur noch einzusammeln brauchen wie Fallobst.« »Da hat er recht«, raunte Will Platten. »Wenn doch nur Scott wieder zu sich kommen würde.« Carry kümmerte sich gerade mal wieder um ihn. Sie hatte eine Flasche Whisky in ihrem bescheidenen Handgepäck und träufelte dem Bewußtlosen etwas von dem kostbaren Saft über die schlaffen Lippen. Zwischendurch rieb sie ihm die Schläfen damit ein, aber bisher war alles umsonst gewesen. Jetzt kam sie auf eine andere Idee. Sie nahm selbst eine Ladung von dem scharfen Zeug in den Mund und beugte sich über den Bewußtlosen wie eine heißblütig liebende Frau. Mit der entsprechenden Inbrunst schien sie ihn auch zu küssen, obwohl das in Wahrheit kein richtiger Kuß war. Sie flößte ihm nur den Whisky ein, gewissermaßen eine Variation der Mund-zu-Mund-Beatmung. Sie hatte zum erstenmal Erfolg mit ihren Bemühungen. Big Boß Judson kam zu sich. Es dauerte auch nicht lange, bis er begriff, wo er sich befand. Carry erklärte ihm die Lage mit wenigen Worten, wobei sie nicht vergaß, seine Brust zu massieren und seine Wangen zu tätscheln. Ihre Nähe gab ihm Auftrieb. Er formte mit seinen Händen einen Trichter und brüllte befehlsgewohnt zum Fenster hin: »Zum Teufel, Rocco! Willst du hier mein Leben aufs Spiel setzen?« Er war wohl doch noch nicht richtig klar, sonst hätte er die Lage etwas anders eingeschätzt. Aber er hielt sich immer noch für den uneingeschränkten Herrn, der nur zu pfeifen brauchte. Rocco lachte ihn aus. »Du lebst ja doch noch, Alter!« rief er. »Aber das nützt dir auch nichts mehr. Wir erledigen dich mit den anderen. Das gibt einen Aufwasch und erspart uns weitere Mühen.«
Zuerst verschlug es Scott die Sprache. Er konnte es nicht fassen, wollte es nicht glauben. Er bildete sich ein, noch immer der Boß zu sein. »Männer, schießt den verfluchten Verräter über den Haufen!« brüllte er dann zornig. »Auf der Stelle!« Rocco lachte noch lauter und höhnischer. »Du scheinst nicht begriffen zu haben, Judson! Ab sofort hat eine neue Zeit begonnen. Ich habe alles von langer Hand vorbereitet. Eigentlich wollte ich noch etwas warten. Es sollte alles auf die sanfte Tour passieren. Aber du hast es dir selbst zuzuschreiben. Hast dir den falschen Freund ausgesucht. Wie konntest du auch nur so blöde sein und den Colorado-Mann einstellen. Der hat dir die Suppe versalzen. Du hättest sonst noch eine Galgenfrist gehabt, Alter. Hättest das Ding vielleicht noch umbiegen können.« Scott griff sich wieder ans Herz. Aber nur mit einer Hand. Mit der anderen griff er nach Carrys Whiskyflasche und trank so hastig, daß ihm Whisky aus den Mundwinkeln lief. Durch das Halbdunkel in der Kutsche starrte er den Colorado-Mann an. »Was haben Sie dazu zu sagen, Platten?« fragte er ganz ruhig. »Stimmt das, was Rocco da behauptet hat? Haben Sie sich tatsächlich bei mir eingeschlichen, um mich zu vernichten? Und war das ein abgekartetes Spiel zwischen Ihnen, Lassiter und dem dritten Mann?« Eine geradezu unheimliche Gelassenheit ging von ihm aus. Er sah auch Lassiter und Carry abwechselnd an, während er sprach. Und dann fügte er noch hinzu: »Carry, gehörst du etwa auch von Anfang an zu dem Komplott? Das würde mich sehr wundern.« »Ist das denn jetzt noch wichtig?« fragte Carry verständnislos. »Nein, ich wußte überhaupt nicht, was los war. Eines Abends bekam ich Besuch von einem Maskierten. Er bot mir 200 Dollar, wenn ich für ihn einen kleinen Jux machen
würde. Ich sollte nur mal zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt vom Saloon bis in die Nähe der Bank laufen. Ich muß gestehen, mir hat das Angebot einen Heidenspaß gemacht. Tja, und dann hat sich alles so entwickelt. Nein, Mr. Scott. Das ist alles nur eine Kette von Zufällen gewesen. Auch Lassiter ist nur durch Zufall da hineingeraten. Nur der Wolf mit der Peitsche hatte es auf Sie abgesehen. Aber er wollte Sie nicht umbringen, das kann ich beschwören.« »Ich kann das ebenfalls bezeugen«, sagte Lassiter. »Der Wolf mit der Peitsche ist kein Mörder. Das weiß ich genau.« Judson Scott blickte wieder zu dem Colorado-Mann. »Und Sie, Will? Haben Sie sich absichtlich an mich rangemacht? Haben Sie mich aus kalter Berechnung besucht? Sind Sie vielleicht ein Geheimagent der Regierung, der sich bei mir einschleichen wollte?« »Ich bin Deputy des Obersten Bundesrichters für ganz Texas«, antwortete Will Platten. »Ich war mit gewissen geheimen Nachforschungen betraut und habe Sie besucht, weil ich Ihre Unschuld nachweisen wollte, Scott. Ich war fest davon überzeugt, daß Sie eine blütenreine Weste hätten. Das ist die eigentliche Ironie an dem Ereignis. Ich habe nicht damit gerechnet, daß Sie sich sofort an mich erinnern würden. Es sind immerhin fast fünfzehn Jahre vergangen, seit ich Ihnen in Kansas City mal aus einer üblen Situation geholfen habe.« Judson Scott lächelte versonnen. Alle fragten sich, woher er diese unheimliche Ruhe nahm, wo er doch wußte, daß er verloren hatte. Jeder andere an seiner Stelle hätte jetzt gewütet wie ein Irrer, um das Steuer doch noch herumzureißen. Er dagegen schien alles mit einer Art heiterer Gelassenheit zu registrieren. »So einen Mann kann man nicht vergessen, Platten«, sagte er. »Sie waren damals ein Revolvermann, der nur auf eigene Rechnung arbeitete. Sie hätten mit dem gesamten Geld verschwinden können, das mir die Banditen geraubt hatten. Es
waren 200.000 Dollar, und sie bedeuteten damals mein gesamtes Vermögen. Sie hatten es der Bande wieder abgejagt, und da es keinen einzigen Zeugen gab, hätten sie verschwinden können, ohne eine Spur zu hinterlassen. Aber Sie haben Ihr Wort gehalten. Sie haben mir das Geld zurückgebracht und haben nur die Belohnung kassiert, die wir vereinbart hatten. Ja, Will, damals war auch ich noch ein ehrlicher Mann und hätte nie geglaubt, daß ich mal der werden könnte, der ich schließlich geworden bin. Es begann mit einem ganz kleinen Betrug, und dann begann ich Freude dabei zu empfinden. Immer mehr raffen und immer mehr Macht in einer Hand versammeln. Das war mein einziges Lebensziel. Aber jetzt hat mich die Nemesis eingeholt, die Göttin der strafenden Gerechtigkeit, an die schon die alten Griechen geglaubt haben. Ja, daran habe ich auch immer geglaubt. Und jetzt ist es soweit. Sie brauchen sich nicht länger über mich zu wundern. Ich bin ziemlich sicher, daß ich meine Gedanken klar genug dargelegt habe.« Er setzte die Flasche wieder an und trank hastig. »Ich muß Ihnen noch etwas erklären«, sagte er dann. »Ich bin sehr krank. Mein Herz ist eine alte Maschine, die zu sehr strapaziert worden ist in meinen vielen wilden Jahren. Seit einiger Zeit nehme ich bestimmte Tropfen, die mir ein alter Medizinmann herstellt. Ich habe davon zwei große Flaschen auf Vorrat. Aber die sind auf meiner Ranch. Wenn es diesen Zwischenfall nicht gegeben hätte, wäre ich längst an Ort und Stelle und könnte meine Medizin nehmen. Aber für den Notfall tut es auch normaler Alkohol. Deshalb sind auch hier in der Kutsche noch einige Flasche in einem Geheimfach eingebaut. Es reicht für uns alle. Bitte, bedienen Sie sich ...« Er drückte auf einen Hebel in der seitlichen Wandtäfelung, und wie von selbst sprang eine offene Schublade heraus, die
mit ungefähr zehn Flaschen der verschiedensten Whiskysorten bestückt war. »Betrachten Sie das als meine Abschiedsparty«, lächelte er heiter. »Will, Lassiter, Carry! Trinken Sie mit mir! Und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie ich es dem Bastard da draußen am besten heimzahlen kann. Wie konnte ich nur einem solchen Mann vertrauen! Ich kann es selbst nicht begreifen. Dabei hatte er die ganze Zeit nichts anderes vor, als mich zu betrügen. Ach so, Colorado-Will, da fällt mir noch was ein. Als ich Sie heute morgen plötzlich vor mir sah, dachte ich, daß Sie genau der richtige Mann wären, der wieder Ordnung in mein durcheinandergeratenes Leben bringen könnte. Aber auf eine gewisse Art ist das auch geschehen. Oder was meinen Sie?« Colorado-Will nickte schweigend. Es standen auch Gläser in dem Schubfach, und Carry sorgte dafür, daß sie gefüllt wurden. Es war inzwischen Nacht geworden. Mondlicht hüllte die Kutsche ein und sickerte durch die Fenster. Von den Belagerern war nichts zu sehen. Überall lagen reglose Gestalten. Die Bande hatte einen hohen Blutzoll bezahlt bei den ersten beiden ungestümen Angriffen. Da hatten sie noch geglaubt, leichtes Spiel zu haben und die wenigen Insassen der Kutsche im Handstreich zu überwältigen. Aber Lassiter und der Colorado-Mann und auch Carry Castle hatten einen Bleihagel losgelassen, mit dem die Bande nicht gerechnet hatte. Jetzt war es verdächtig ruhig geworden. »Das gefällt mir nicht«, murmelte Lassiter. »Es geht schon los«, sagte Platten trocken und stieß die Gewehrmündung durch sein Fenster. Im Krachen des Schusses platzte das erste Feuerbündel auseinander, das gerade im Bogen auf die Kutsche zuflog. Ein Funkenregen stob durch die Nacht, als wäre eine kleine Feuerwerksrakete geplatzt.
Aber das war erst der Anfang. Von allen Seiten wurden weitere brennende Gegenstände zur Kutsche geschleudert. Die Belagerer hatten alle möglichen brennbaren Sachen gesammelt. Es handelte sich in erster Linie um trockene Grasbüschel und Holzstücke, aber auch Stoffetzen waren dabei, die sie mit Petroleum getränkt hatten. Der Nachthimmel war plötzlich so hell erleuchtet, daß man keine Sterne mehr sehen konnte. Es war unmöglich, all diese Brandgeschosse abzuschießen, die da heranflogen. Innerhalb weniger Minuten begann das Kutschendach zu glimmen. Die ersten Flammen züngelten hoch. Beißender Rauch breitete sich im Innern des Gefährts aus. Die Eingeschlossenen begannen zu husten. Eine gewisse Frist blieb ihnen zwar noch, aber irgendwann mußten sie ins Freie, wenn sie nicht ersticken wollten. Und das Schlimmste an der ganzen Sache war, daß sich keiner dieser Halunken blicken ließ. Die konnten seelenruhig abwarten, bis sich hier alles in eine Feuerhölle verwandelt hatte. »He, Rocco!« brüllte Lassiter. »Denkst du auch an das schöne Geld? Es wird ebenfalls verbrennen. Dann war alles umsonst. Was hältst du von einem Kompromiß, Rocco? Wir rücken die beiden Taschen heraus, und du läßt uns dafür in Ruhe!« Prompt hörte die ungewöhnliche Beschießung auf. Aber das konnte auch daran liegen, daß sie ihre erste ›Munition‹ verschossen hatten. So einfach war es nun auch wieder nicht, die stabile Kutsche in Brand zu setzen. Um das zu erreichen, mußten die Halunken sich noch gewaltig anstrengen. »Darüber läßt sich reden!« rief Rocco. »Ja, das ist kein schlechter Vorschlag. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Also gut, schließen wir also einen vorläufigen
Waffenstillstand. Sind die anderen auch damit einverstanden, Lassiter?« Auf dem Kutschendach knisterten nur noch wenige kleine Flammen. Das meiste war von selbst erloschen oder vom leichten Wind weggeweht worden. Der Rauch begann durch die offenen Fenster abzuziehen. »Ich habe noch nicht gefragt«, antwortete Lassiter. »Aber das werden wir gleich klären. Ein paar Minuten kannst du dich wohl noch gedulden.« »Okay«, lachte Rocco. »Aber beeilt euch! Ihr wißt ja, was euch blüht, wenn ihr euch anders entscheidet.« Judson Scott trank gerade wieder von der ›Medizin‹. Er kicherte vergnügt, da der Alkohol schon ordentlich wirkte. »Das war eine tolle Idee, Lassiter. Echt gut, Hombre. Was sagst du dazu, Colorado-Will?« »Wir gewinnen etwas Zeit«, sagte der Beauftragte des. Bundesrichters sachlich. »Glaubst du im Ernst, Lassiter, daß der Kerl sein Versprechen einhalten wird?« »Das nicht«, gab Lassiter zurück. »Aber das Geld muß ja erst noch übergeben werden. Auf jeden Fall gewinnen wir etwas Zeit.« »Sehr richtig«, kicherte Scott trunken. »Kommt Zeit, kommt Rat. Es kann sich immer noch was ändern.« »Was ist jetzt?« rief Rocco ungeduldig. »Oder will der alte Geizkragen lieber mit seinem ganzen Mammon verkohlen?« »Immer mit der Ruhe, Rocco!« antwortete Lassiter. »Ich komme gleich und bringe die Taschen an eine Stelle, über die wir uns vorher noch einigen müssen. Das siehst du wohl ein! Schließlich müssen da von unserer Seite gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.« Erwartungsgemäß blieb die Antwort erst einmal aus. An die Schwierigkeiten der Geldübergabe hatte Rocco noch nicht gedacht.
»Er ist jetzt ein wenig überfordert«, raunte Lassiter den anderen zu. »Der Typ hat sich überschätzt. Er hält sich für viel schlauer, als er in Wahrheit ist. Darin könnte unsere Chance liegen.« »Gut kombiniert, Lassiter«, murmelte der Colorado-Mann anerkennend. »Wir scheinen tatsächlich Zeit zu gewinnen.« »Und das läßt sich noch hinziehen«, flüsterte Lassiter. »Solche Verhandlungen sind gar nicht so einfach. Aber Rocco hat's eilig. Da wird er garantiert noch einige Zugeständnisse machen.« »Und du willst ihm irgendwann die Taschen bringen, Lassiter?« fragte Carry leise. »Ich habe Angst um dich, Darling.« Er zog sie kurz an sich und küßte sie. Irgendwie hatte er das Gefühl, sich richtig verliebt zu haben. »Mach dir keine Sorgen, Carry. Ich bin schon mit ganz anderen Schwierigkeiten fertig geworden.« »Das glaube ich dir aufs Wort. Aber hattest du es jemals mit so einem gefährlichen Teufel wie Rocco zu tun?« Er zuckte die Achseln. Draußen meldete sich Rocco wieder. Seine Stimme verriet Nervosität. »Ihr braucht die Taschen nur rauszuwerfen!« rief er. »Dann holt sie einer von uns ab! Und wenn ihr so unvernünftig seid und auf ihn schießt, geht es euch endgültig an den Kragen.« »Und welche Sicherheit bietest du uns?« erkundigte sich Lassiter. »Der Punkt muß vorher ganz genau geklärt werden. Sonst tut sich hier nämlich überhaupt nichts.« »Sicherheit?« schrie Rocco ungeduldig. »Du willst noch Bedingungen stellen? Seid froh, daß wir euch das Leben schenken! Was fällt euch ein, auch noch mit Forderungen zu kommen?« »Wie du willst«, rief Lassiter kaltblütig. »Dann laß wieder angreifen, Rocco! So stark seid ihr nicht mehr, daß ihr uns
einfach überrennen könnt. Du wirst noch ganz schön zu beißen haben.« »Dann mach einen anderen Vorschlag, Lassiter!« tönte der Bandit. »Wie stellst du dir die Übergabe vor?« Lassiter hatte längst eine bestimmten Punkt ins Auge gefaßt. »Dort drüben, rechts von der Kutsche, gibt es einen spitzen Hügel, auf dem genau drei Bäume stehen. Dorthin könnte ich die Taschen bringen. Einer von euch kann sie dann abholen. Vorher müssen wir sicher sein, daß ihr euch komplett zurückgezogen habt. Okay, Rocco?« Rocco mußte erst darüber nachdenken. Es blieb wieder eine ganze Weile still dort drüben. Schließlich erklärte sich Rocco einverstanden. Klar, daß er sich mit diesem Teilerfolg nicht zufriedengeben würde. Doch dafür entwickelten Lassiter und Will schon einen Gegenplan. Die Banditen sammelten ihre Pferde hinter der nächsten Bodenwelle ein und ritten davon. Erst als sie außer Gewehrschußweite waren, ließen sie sich wieder blicken. Sie hielten auf einer der vielen Bodenwellen. In breiter Kette saßen sie auf ihren Pferden. Vierzehn Mann zählte Lassiter und schätzte, daß sie ungefähr zehn Mann verloren hatten. Das grenzte schon fast an eine Niederlage für Rocco, aber Lassiter konnte nicht wissen, daß schon Verstärkung unterwegs war. Er verließ mit den beiden Taschen die Kutsche und machte sich mit langen Schritten auf den Weg zu dem besagten Hügel mit den drei Bäumen. Aber er war nicht allein. Auch Colorado-Will hatte die Kutsche verlassen, natürlich auf der anderen Seite, wo er nicht gesehen werden konnte, und er blieb unauffällig an Lassiter kleben, während der den Hügel hinaufstiefelte, um dort die Geldtaschen abzusetzen. Ringsum herrschte jetzt angespannten Stille. Lassiter ging langsamer, je näher er den drei Bäumen kam.
Sein Instinkt signalisierte ihm Gefahr. Aber nichts deutete auf eine Falle hin. Spielte Rocco ausnahmsweise einmal ehrlich? Lassiter kam bei den drei Bäumen an und beugte sich nieder, um die Taschen abzustellen. Genau in diesem Augenblick sah er, wie sich etwa zwanzig Meter entfernt etwas in einem Gebüsch bewegte. Blitzschnell ließ er sich fallen. Aus dem dichten Gebüsch zuckten mehrere Mündungsblitze gleichzeitig. Aber auch links von Lassiter bellte ein Gewehr auf, und der Schütze dort war so rasend schnell, daß man denken konnte, bei der Waffe handelte es sich um eine Gatling Gun. Colorado-Will war in Aktion getreten. Heimlich war er Lassiter gefolgt und hatte ihm Rückendeckung gegeben. Er jagte die ganze Magazinladung von sechzehn Kugeln innerhalb von Sekunden heraus, und er sorgte auch für die nötige Streuung, damit das ganze Gebüsch förmlich mit Blei zugepflastert wurde. Das war Notwehr in höchster Gefahr. Da durfte man keinerlei Rücksicht mehr nehmen, wenn man nicht selbst auf der Strecke bleiben wollte. Auch Lassiter ließ seine Winchester sprechen, und er feuerte keinen Deut langsamer als der Colorado-Mann. Die Halunken dort drüben brüllten ihre Not heraus. Der unerwartete und äußerst harte Gegenschlag hatte sie in Panik versetzt. Zwei Mann brachen taumelnd und mit erhobenen Händen durch das dichte Laubwerk. Sie wollten sich ergeben. Aus dem Gebüsch fielen keine Schüsse mehr. Nur noch Stöhnen und Ächzen von Verletzten war zu hören. Drüben auf dem Höhenzug stieß Rocco einen furchtbaren Schrei aus und gab seinem Pferd die Sporen.
Seine Leute folgten ihm bedingungslos. Vierzehn Mann stark waren sie insgesamt noch – aber dabei sollte es nicht bleiben. Weiter rechts preschte eine weitere Reitergruppe von fünf oder sechs Mann durch eine Senke. Und hinter den beiden Kämpfern auf dem Hügel tauchte noch ein Reiterrudel auf. Rocco konnte seiner Sache sicher sein. Er hatte Verstärkung bekommen, mit der Lassiter und Colorado-Will nicht gerechnet hatten. Da brauchte der Satan keine Rücksicht mehr auf sein Versprechen zu nehmen. Er hatte sie alle im Sack, zusammen mit dem vielen Geld. Das war die Stunde seines größten Triumphes. Einige Reiter fegten auf die Kutsche zu. In einem Handstreich wollten sie das erledigen, aber da hatten sie sich in den Finger geschnitten. Wütendes Gewehrfeuer peitschte ihnen entgegen. Carry hatte den Bogen heraus, wie man furchteinflößend schnell schießen konnte. Daß ein Treffer dabei eher Glückssache war, spielte keine besondere Rolle. Lassiter hatte ihr beigebracht, daß es genügte, wenn man wenigstens ungefähr die Mündung in Richtung der Gegner hielt. Auf diese Weise konnte man schon eine ganze Menge erreichen. Carry war wie eine Wildkatze, wenn sie sich bedroht fühlte. Da dachte sie auch keinen Augenblick mehr an ihre eigene Sicherheit. Die Angreifer bekamen es schmerzhaft zu spüren. Einige von ihnen wurden verletzt und waren froh, daß sie noch fliehen konnten. Zwei von ihnen blieben für immer auf der Strecke. Einen hatte Judson Scott tödlich getroffen. Der andere war in hohem Bogen von seinem Pferd geflogen und hatte sich das Genick gebrochen.
Den verhängnisvollen Schuß auf das Pferd hatte Carry abgefeuert. Aber das war garantiert kein gewollter Treffer gewesen. Doch um das Geschehen bei der Kutsche konnten sich Lassiter und der Colorado-Mann nicht kümmern. Sie hatten selbst genug zu tun, um ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Erst igelten sie sich gemeinsam an einer Stelle ein und hielten sich eine Weile die Angreifer vom Leibe. Aber bald sahen sie ein, daß sie diese Stellung nur noch kurze Zeit halten konnten. Sie mußten sich trennen. Vielleicht gelang es wenigstens einem von ihnen, diesen erbarmungslos wütenden Bestien zu entkommen. »Einer muß es schaffen!« knurrte Will erbittert. »Sonst ist der Sieg dieses Satans perfekt. Dann kann ihn so schnell keiner mehr stoppen. Viel Glück, Lassiter.« Sie reichten sich kurz die Hand. »Halt die Ohren steif, Will ...« Dann rannten sie nach verschiedenen Seiten geduckt davon. Lassiter riß im Vorbeirennen die Taschen an sich und schleppte sie ein Stück mit bis zu einer Stelle, die ihm als Versteck günstig erschien. Es war ein von dichtem Gras und Gebüsch verdecktes Loch in einem Hang mit sehr losem Erdreich. Er schleuderte die schweren Taschen hinein, so weit er konnte, und arbeitete sich keuchend den Hang hoch. Unten in der Talsenke tauchten einige Reiter auf. Sie sahen ihn, brüllten und feuerten. Lassiter duckte sich und schoß zurück. Eine der gegnerischen Kugeln erwischten ihn an der Schulter und stieß ihn halb um die eigene Achse. Er verlor den Halt auf dem lockeren Geröll und rutschte abwärts. Trotzdem feuerte er weiter in Richtung der Banditen.
In einer dichten Staubwolke kam er unten in der Senke an. Eine gewaltige Menge von Erdreich und Geröll war mit nach unten gegangen. Nicht weit von ihm entfernt lagen zwei reglose Gestalten. Der dritte Mann hatte die Flucht ergriffen. Lassiter rannte weiter. Er wollte möglichst schnell zurück zur Kutsche. Er machte sich große Sorgen um Carry. Die Schufte würden auch ihr gegenüber keine Rücksicht kennen in ihrer wilden Wut. Alles in allem sah Lassiter düstere Wolken auf sich zukommen. Rocco hatte alle Trümpfe in der Hand. Die Bande war viel zu stark, um ihr noch den nötigen Widerstand bieten zu können. Trotzdem war Lassiter nicht der Mann, der den Mut sinken ließ. Er war entschlossen, bis zum letzten Atemzug weiterzukämpfen. Plötzlich sah er wieder die Kutsche. Gerade rannten mehrere Männer geduckt darauf zu und feuerten wie verrückt. Aus dem Innern fielen keine Schüsse mehr. Ein heißer Schreck durchzuckte Lassiter. War er zu spät gekommen? Es sah ganz danach aus, als ob in der Kutsche alles Leben erloschen wäre. Einige der zahllosen Geschosse hatten wohl ein Ziel gefunden. Erbittert riß Lassiter die Winchester hoch und feuerte auf die Kerle, die gerade den Kutschenschlag aufreißen wollten. Im selben Moment näherte sich donnernder Hufschlag von Süden her. Ob die verfluchten Höllenhunde schon wieder Verstärkung bekamen? Lassiter repetierte rasend schnell und jagte Kugel um Kugel hinaus. Er sah, wie die Banditen bei der Kutsche durcheinandertaumelten – und er verspürte plötzlich ein seltsames Gefühl der Schwerelosigkeit.
Was dort unten in der Senke geschah, sah er nur noch wie durch gelbe Schleier. Alles war so unwirklich wie in einem Traum. Er glaubte auch Carry zu sehen, wie sie aus der Kutsche sprang und den Reitern zuwinkte, die gerade von Süden heranjagten. Dann erst merkte er, daß er nicht mehr aufrecht stand und daß er eine gewaltige Faust im Genick zu haben schien, die ihn unerbittlich weiter nach unten drückte, bis sein Gesicht die harte Erde berührte. Aus! dachte er noch. Alles umsonst... Dann waren alle Empfindungen ausgelöscht. Er lag da wie tot.
11
Der große Hof der Star-Ranch lag unter brütender Sonnenhitze. Es war hoher Nachmittag, und ab und zu drang das Stöhnen eines Menschen durch die lastende Stille. Unter dem Gerüst aus grob behauenen Balken hing der Gefolterte an einem der Pfähle. Es war Patrick Kelly O'Hara. Sein Oberkörper war von Peitschenhieben gezeichnet. Über ihm in dem primitiven Gerüst hing eine Henkerschlinge. Sie warf einen unheilverkündeten Schatten auf den heißen Sand vor Kellys Füßen, aber er konnte kaum noch etwas von seiner Umgebung wahrnehmen. Er war so sehr erledigt, daß er das Ende herbeisehnte. Warum quälten sie ihn immer noch? Verschwommen sah er das große Ranchhaus. Der Eingang erinnerte an das Portal einer Kirche. Die Wände strahlten in weißer Farbe. Ringsum gab es hohe, schattenspendende Bäume und Rasenflächen mit duftenden Blumen und Blütensträuchern. Alles sah paradiesisch aus, aber für Kelly war es die Hölle. Gerade öffnete sich eine Hälfte des Portals, und Alex Rocco trat auf die weiträumige Veranda. Ungeduldig winkte er in Richtung des Eingangs. »Kommt schon!« rief er. »Ich möchte, daß wir den schönen Anblick mal wieder gemeinsam genießen.« Er lachte höhnisch. Immer wieder hatte er das Bedürfnis, seinen großen Triumph zu genießen. Er war als Sieger aus dem großen Kampf hervorgegangen. Jetzt gehörte ihm alles. Er konnte es sich sogar leisten, seinen besiegten Boß Judson Scott am Leben zu lassen.
Durch die Tür wurde ein Rollstuhl geschoben. Darin saß Scott – zusammengesunken und nur noch ein Schatten seiner selbst. Den Rollstuhl schob seine Tochter Dana. Apathisch starrte sie ins Leere. Nun hatte ihr geliebter Daddy sie wieder. Aber unter welchen grausamen Begleitumständen? Rocco nahm als erster an der gedeckten Kaffeetafel Platz. Mit einer herrischen Handbewegung forderte er Dana auf, ihren Vater nahe genug an den weißen Marmortisch heranzufahren und dann ebenfalls Platz zu nehmen. Es bereitete ihm höllischen Spaß, seine Macht zu demonstrieren. »Heute abend lasse ich ihn hängen«, sagte er zur Eröffnung. »Aber nur unter der Bedingung, daß ihr beide endlich den Ehevertrag unterschreibt. Keine Sorge, Dana. Danach kannst du machen, was du willst. Ich werde mir sowieso ein paar Nebenfrauen suchen. Dich brauche ich nur wegen dieses großen Vermögens. Jetzt bin ich gespannt, ob Lassiter noch kommen wird. Er hat zwar zugesagt, aber ich schätze, er hat es sich inzwischen überlegt. Er muß damit rechnen, da ich ihn neben seinem Kumpan aufhängen lasse. Da wird er sich lieber die Geldtaschen schnappen und sich damit aus dem Staub machen. Aber er kann mir nicht entkommen. Ich lasse ihn Tag und Nacht von meinen Leuten beobachten, ohne daß er es merkt. Was ist los, Dana? Warum ist noch kein Kaffee in meiner Tasse?« Sie schreckte hoch und griff nach der dampfenden Kanne. Schweigend goß sie die drei Tassen voll. Rocco bekam einen Cognac dazu. Den trank er aus einem teuren Kristallschwenker. Nichts konnte ihm mehr luxuriös genug sein. Das zeigte sich auch an seiner protzigen Kleidung. Alles war nur vom Feinsten. Judson Scott kicherte wieder mal vor sich hin. Er machte einen irren Eindruck, aber das war Rocco recht. Um so leichter
würde es ihm sein, ihn bald mitsamt dem Rollstuhl die Treppe hinunterstürzen zu lassen. »Ja, du hast gut lachen, Judson«, sagte er in einem Anfall von großzügiger Freundlichkeit. »Hast deinen Kopf im letzten Augenblick aus der Schlinge gezogen, indem du alle Schuld auf Sharkey und die Banditen von der Field-Ranch geschoben hast. Die Ranger aus Laredo sahen das ja erst alles ganz anders. Aber du hast sie davon überzeugt, daß ich die ganze Zeit auf deiner Seite stand. Nur gut, daß der Colorado-Mann nicht mehr seinen Senf dazugeben kann.« »Lassiter weiß auch so ziemlich alles«, sagte Scott. »Hast du keine Angst, daß er auspacken könnte?« »Der wird sich hüten«, grinste Rocco. »Er hat doch nichts anderes im Sinn als die halbe Million, mit der er sich verdrücken will. Ich sage dir, das ist ein eiskalter Hund. Der ist einer von denen, die ihre eigene Mutter ans Messer liefern. Er ...« Mit einem Schlag vergaß er, was er sagen wollte. Er starrte auf die beiden Reiter, die drüben am anderen Ende des Hofes aufgetaucht waren. Ein Mann und eine junge Frau mit kurzgeschnittenen roten Haaren. Lassiter und Carry Castle, das Saloongirl. Die beiden hielten am Fuß der Verandatreppe. »Was sagst du jetzt, Rocco?« rief Carry strahlend. »Es ist mir gelungen, ihn zu überzeugen, daß es besser für ihn ist, mit dir zu reden.« Lassiter sah Rocco offen an. »Ja, so ist das«, sagte er. »Carry hat eine starke Überzeugungskraft. Jetzt bin ich also hier, Rocco. Stimmt es, daß du mir die Hälfte von dem Geld überlassen willst?« Rocco nickte grinsend. Das lief ja wie geschmiert. »Ich finde es in Ordnung, daß du den Mund gehalten hast, als die Ranger dich aushorchen wollten, was wirklich in der Kutsche los war«, sagte er. »Aber dazu warst du gezwungen,
weil sie dich sonst für einen von den Kidnappern gehalten hätten. War geschickt von dir, wie du dich verhalten hast. Und ein Glück, daß der Colorado-Mann nicht mehr reden kann.« Lassiter hatte inzwischen unauffällig seine Blicke kreisen lassen. Es war so, wie er es erwartet hatte. An den verschiedensten Stellen waren Roccos Scharfschützen postiert. Er würde nicht die geringste Chance haben, an Rocco heranzukommen. Der Kerl war übervorsichtig, weil er im Grunde seines Herzens ein Feigling war. »Ich denke, wir haben beide viel Glück gehabt«, antwortete Lassiter. »Vor allem du, Rocco. Jetzt bist du ein gemachter Mann.« »Du schneidest auch nicht schlecht ab, Lassiter. Warum hast du nicht versucht, mit dem ganzen Geld zu verschwinden?« »Ich glaube kaum, daß mir das gelungen wäre. Außerdem hast du versprochen, daß Carry bei mir bleiben darf.« Nach dem Kampf um die Kutsche hatten sie Carry einfach mitgenommen. Es war in dem allgemeinen Chaos gar nicht aufgefallen. Lassiter hatte von dem plötzlichen Ende des Kampfes nichts mitbekommen, weil eine Kugel seinen Kopf mit solcher Wucht gestreift hatte, daß er die ganze Zeit bewußtlos gewesen war. Später hatte er dann gehört, was geschehen war. Eine Abteilung der Texas Rangers war plötzlich aufgetaucht. Wie sie von der Sache Wind bekommen hatten, blieb ihr Geheimnis. Wahrscheinlich wußten sie, daß es darum ging, einen wichtigen Mann der Regierung zu beschützen, der in einem geheimen Auftrag nach Laredo gekommen war. Da hatte Rocco blitzartig reagiert und die Seite gewechselt. Und dafür gesorgt, daß Slim Sharkey und dessen Anhänger erschossen wurden. Durch wessen Kugeln sie gefallen waren, konnte man später nicht mehr feststellen. Dann hatte Rocco leise zu Judson Scott gesagt, daß der seine Tochter Dana nur wiedersehen würde, wenn er jetzt mitspielte.
So kam es dann, daß Rocco als Held dastand, der mutig für seinen Boß gekämpft hatte. Unbehelligt konnte er mit seinem Boß zur Star-Ranch ziehen. Mit dem vermeintlichen Boß, der in Wahrheit sein Gefangener war. Außerdem waren dem mexikanischen Halunken auch noch Kelly und Dana in die Hände gefallen. Die ganzen Zusammenhänge hatte Lassiter von Carry erfahren, die von Rocco ebenfalls als lebendes Beutestück betrachtet wurde. Er war dann auf die Idee gekommen, Carry als Lockvogel zu benutzen. Für Lassiter gab es natürlich kein Halten mehr. Niemals würde er den Mann im Stich lassen, der ihm das Leben gerettet hatte. Jetzt war er ihm schon fast zum Greifen nahe und trotzdem in unendlicher Ferne. Lassiter sah, daß Rocco nachdenklich zu dem Gerüst hinüberstarrte, wo der gemarterte Kelly in seinen Fesseln hing. Dort sollte Lassiter ebenfalls hinbefördert werden. Aber erst wollte Rocco die halbe Million. Sie war Lassiters einziger Trumpf. »Ja, du darfst Carry behalten«, sagte Rocco. »Aber erst wollen wir das Geschäftliche erledigen. Du hast dir deinen Compañero noch gar nicht richtig angesehen. Willst du ihm nicht wenigstens ein paar tröstende Worte sagen, Lassiter? Tut es dir nicht leid, daß wir den Kerl geschnappt haben? Willst du kein gutes Wort einlegen für deinen besten Freund und Lebensretter? Vielleicht lasse ich mit mir reden! Wenn du mir die ganze Summe überläßt, kannst du ihn mitnehmen.« Nur zu gern hätte Lassiter da eingewilligt. Aber er mußte hart bleiben, durfte sich nicht die geringste Blöße geben. Dieses Angebot war nur eine Falle. »Er war nie mein Freund«, antwortete er grinsend. »Daß er mir das Leben gerettet hat, war seine eigene Entscheidung. Ich
habe ihn nicht darum gebeten. Also muß er auch die Folgen tragen. Ich kannte ihn vorher noch nicht einmal. Das weißt du doch, Rocco. Du weißt auch, daß ich nur durch einen Zufall in die Geschichte geraten bin. Was jetzt für mich dabei rausspringt, betrachte ich als angemessene Entschädigung. Findest du das nicht auch, Rocco?« »Und wo hast du das Geld?« »Ich bin gekommen, um es dir auf den Tisch zu legen«, antwortete Lassiter. »Einen Teil habe ich in meinen Satteltaschen verstaut. Willst du es sehen?« »Quantez!« rief Rocco. »Bring die Satteltaschen her!« Ein großer, bärtiger Mexikaner kam auf Lassiters Pferd zu und streckte fordernd die Hand aus. Lassiter schnallte gehorsam die beiden Satteltaschen ab und warf sie dem großen Burschen scheinbar achtlos zu. Quantez fing sie lässig auf – und da geschah das, was Lassiter vorher einkalkuliert hatte. Eine der Satteltaschen platzte auf, und zahllose Geldscheine flatterten herum, wurden zum Teil vom Wind über den Hof getrieben. »Verdammt, was soll da!« brüllte Rocco. »Kannst du nicht aufpassen, Quantez?« Die zahlreichen Männer auf dem Hof bekamen große Augen. Unwillkürlich starrten die meisten auf den plötzlichen Dollarsegen, und viele bückten sich auch rasch, um Scheine aufzusammeln. Lassiter machte ein Gesicht wie ein Unschuldslamm. Niemand sah ihm an, wie er sich freute. Aber er mußte sich konzentrieren. Dies war ein Vabanquespiel auf Leben und Tod. Rocco starrte mit Argusaugen auf seine Leute. Er wußte genau, daß manch einer versuchen würde, ein paar Scheine verschwinden zu lassen, und es war unmöglich, sie alle im Auge zu behalten.
Er brüllte wie ein Irrer und befahl, daß nur einige ausgesuchte Männer das Geld aufsammeln und bei ihm abliefern sollten. Allmählich kehrte wieder Ruhe ein. »Wieviel war da drin, Lassiter?« wollte Rocco wissen. Lassiter zuckte die Achseln. »Ich habe es nicht gezählt. Mußte es ja erst mal in Sicherheit bringen. Konnte es nicht in den auffälligen Taschen durch die Gegend schleppen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele schräge Vögel hinter dem Zeug her sind. Wenn ich nicht vorgesorgt hätte, wären mir diese Taschen längst gestohlen oder gewaltsam abgenommen worden. Ich habe die Scheine dauernd an einem anderen Platz versteckt. Erst seit ich mit Carry unterwegs bin, trage ich das Geld so mit mir herum. Einen Teil in den Satteltaschen und einen anderen Teil woanders.« »Wo ist es? Ich will es sehen!« »Das möchte ich lieber im Haus erledigen.« Lassiter grinste. »Sonst fliegt bald noch viel mehr hier auf dem Hof herum.« Rocco vergaß allmählich seine übertriebene Vorsicht. Er konnte es kaum erwarten, das ganze verdammte Geld zu sehen. Dann konnte er endlich mit dem verhaßten Lassiter kurzen Prozeß machen. Lassiter hatte mit ihm dasselbe vor. Er mußte nur nahe genug an ihn herankommen, und das war gar nicht so einfach. Aber die erste Bresche war in die Vorsichtsmauer geschlagen. »Wo ist es?« rief der Kerl ungeduldig. »Spuck's schon aus, Lassiter!« Der deutete lässig auf seinen Körper. »Ich habe es überall verteilt. Es geht nicht so schnell, das alles auszupacken. Aber ich verspreche dir, daß ich alles vor dir ausbreiten werde. Bis auf den letzten verdammten Dollar. Aber dazu müßte ich erst mal vom Pferd steigen.«
»Also gut«, zischte Rocco voller Gier. »Komm schon hoch, und dann gehen wir ins Haus! Damit hier draußen nicht wieder alles herumfliegt.« Lassiter stieg die breite Marmortreppe hinauf. Als er oben war, wurde er sofort von vier Männern umringt, die ihm seinen Revolver und das Messer wegnahmen. Sie durchsuchten ihn nach weiteren Waffen, konnten aber nichts finden. Dann mußte Lassiter vor ihnen her ins Haus gehen. Sie hielten wachsam ihre Revolver auf seinen Rücken gerichtet. Rocco traute dem Braten immer noch nicht und blieb im Hintergrund. »Los, zeig mir die Dollars!« befahl er, und Lassiter fing an, sich in aller Ruhe auszuziehen. Er machte es spannend. Erst fielen Geldbündel aus seiner Jacke, dann holte er zusammengeknüllte Scheine aus der Hosentasche und warf alles achtlos auf den Fußboden. Eine größere Menge kam zum Vorschein, als er langsam das Hemd aufknöpfte. Rocco kam immer näher. Seine Augen waren starr auf Lassiter gerichtet, der jetzt umständlich seine Hose auszog und in den Unterhosen dastand, während er die Levis nach außen wendete, um nur ja keins der vielen Verstecke zu übersehen. Immer mehr Geldbündel und einzelne Scheine sammelten sich auf dem Fußboden an – und dann war es endlich soweit. Rocco bückte sich, um ein besonders dickes Bündel aufzuheben. Er wollte wenigstens einmal etwas von dem großen Reichtum fühlen. Es war wohl die natürliche Reaktion aller Menschen, besonders derjenigen, die immer nur vom großen Geld träumen konnten. Es wurde ein sehr kurzer Traum für Alex Rocco. Kaum hatte er sich gebückt, da flog Lassiter wie eine Rakete auf ihn zu, riß ihn mit sich zu Boden und schlug ihm die Fäuste an den Kopf, daß Roccos Körper erschlaffte.
Die vier Leibwächter schreckten auf, als alles schon zu spät war. Auch sie hatten sich zu sehr vom großen Mammon blenden lassen. Lassiter hatte ihn total in seiner Gewalt und setzte ihm sein eigenes mexikanisches Messer an die Kehle. Mit der freien Hand riß Lassiter ihm den Revolver aus dem Holster und feuerte drei Schüsse ab. Sie waren das Signal für einen blitzartigen Angriff der Texas Rangers, der bis ins letzte Detail vorausgeplant war. Ein Teil von ihnen hatte sich schon dicht an die Ranch herangearbeitet, während Lassiter noch für Ablenkung gesorgt hatte. Diese Texas Rangers waren eine echte Elite-Truppe. Schon nach zehn Minuten hatten sie den größten Widerstand gebrochen. Die meisten Banditen ergaben sich kampflos. Nur die Hauptschuldigen verteidigten sich noch eine Zeitlang verbissen. Doch ohne den Boß kam keine richtige Ordnung hinein. Als die Ranch endlich fest in der Hand der Ranger war, trat Lassiter mit seinem Gefangenen hinaus. Fassungslos starrte Rocco auf Colorado-Will Platten, den er für tot gehalten hatte. Nur ganz wenige Eingeweihte hatten gewußt, was wirklich los war, nachdem er offiziell für tot erklärt worden war. Die Idee dazu hatte Lassiter gehabt. »Ein brillanter Plan, Lassiter«, sagte der Spezialbeauftragte des Bundesrichters. »Hast du keine Lust bei uns einzusteigen? Männer wie dich suchen wir dringend.« »Vielleicht werde ich mal drüber nachdenken«, antwortete Lassiter trocken. »Aber jetzt muß ich mich erst von den Strapazen erholen.«
»Ich werde dir dabei Gesellschaft leisten«, hörte er Carrys energische Stimme, und er legte seinen Arm um ihre Schultern, als sie sich an ihn schmiegte ...
ENDE