9 783460 047815
Stuttgarter Bibelstudien 178 Herausgegeben von Helmut Merklein und Erich Zenger
Joachim Kügler
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9 783460 047815
Stuttgarter Bibelstudien 178 Herausgegeben von Helmut Merklein und Erich Zenger
Joachim Kügler
Der andere König Religionsgeschichtliche Perspektiven auf die Christologie des Johannesevangeliums
I
I·~ Verlag Katholisches Bibeiwerk.GmbH ~
Stuttgart
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme I{ügler, Joachim: Der andere König: religiollsgeschichtliche Perspektiven auf die Christologie des Johannesevangeliums / Joachirn Kügler. Stuttgart : Ver!. Kath. Bibelwerk, 1999 (Stuttgarter Bibelstudien ; 178) ISBN 3-460-0478J-X
ISBN 3-460-04781-X Alle Rechte vorbehalten © 1999 Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
KARLKUPFER zum achtzigsten Geburtstag!
INHAL TSVERZEICHNIS
V01wort
L
8
Einführung: Iesus als König?
1. Zur Traditionsgeschichte der Königstheologie 2. Jesu Botschaft vom Königtum Gottes und die Entwicklung der messianischen Christologie 3. Die weisheitliche Transformation der Königstheologie
IL Iohanneische Fallstudien 1. Jesus als Logos LI. Die Rolle des Logos bei Philo von Alexandria 1.2. Der Logos im Johannesevangelium 2. Der Logos als königlicher Sohn 3. Der Logos als Sohn im Schoß des Vaters 4. Jesus als das Brot des Lebens 4.1. Jesus als königlicher Brotgeber 4.2. Zur Traditionsgeschichte der Vorstellung vom König als Brotgeber 4.3. Prophet und König 4.4. Jesus als Geber und Gabe in der Brotrede
11 11
17 30
37 37
38 41 47 54 72
73 76 86 90
5. Jesus als der Gute Hirte 5.1. Zur Traditionsgeschichte der Hirtenmetapher als Topos der Königstheologie 5.2. Die Hirtenmetapher im Kontext der johanneischen Königschristologie
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6. Das Machtwort des Königs 7. Jesus als Gott
128 146
7
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VORWORT
Die vorliegende Studie verdankt ihre Entstehung einer Reihe von religionsgeschichtlichen Beobachtungen, die ich im Rahmen meines Habilitationsprojektes machen konnte. Da dort allerdings eine Einschränkung auf den messianischen Zweig der neutestamentlichen Christologie geboten war, konnten alle Beobachtungen, die in die Richtung der weisheitlich ·geprägten Präe?Cistenzchristologie wiesen, nicht berücksichtigt werden. Nach einigen kleineren Vorarbeiten, welche andeuten sollten, daß die religionsgeschichtlichen Erkenntnisse aus· dem· Bereich der antiken Königstradition auch für das. Verständnis von Texten wie dem Johannesevangelium fruchtbringend sind, schien es mir nun sinnvoll, meine These in der gebündelten Form dieser Studie vorzutragen. In einer ersten Abteilung stelle ich einführend noch einmal skizzenartig wichtige Grundzüge der antiken Königstradition, sowie _der neutestamentlichen. Königschristologie vor. Die zweite Abteilung ist dann einigen johanneischen Fallstudien gewidmet. Es geht dabei um die religionsgeschichtliche Analyse einer kleinen Auswahl von christologischen Bildern, mit denen das Johannesevangelium die soteriologische Bedeutung Jesu umschreibt. Da weder eine umfassende Darstellung der jo~anneischen Christologie. noch die detaillierte Untersuchung ihrer Entwicklungsgeschichte angezielt ist, gehe ich, was die johanneischen Texte angeht, vorwiegend synchron vor. Literarkritische Beobachtungen ·wurden nur dort einbezogen, wo es aufgrund der Diskussionslage unausweichlich schien. Trotz des fragmentarischen Charakters dieser Untersuchung wird, so meine ich, deutlich, daß die antike Königstradition als wichtiger kultureller Hintergrund für verschiedene christologische Vorstellungen des johanneisclien Christentums fungiert. Vor diesem Hintergrund wird es möglich, Vorstellungen, die zunächst ganz heterogen wirken mögen, als Elemente einer einheitlichen Konzeption zu verstehen.
B
Herzlich zu danken habe ich wieder Herrn Prof. Dr. Helmut MERKLEIN, der die Arbeit in die Reihe der STUTTGARTER BIBELSTUD!EN aufgenommen hat. Dankbar erwähnen mächte ich auch meine bewährten Mitarbeiter, WelfREISCH in Erlangen und Daniel MEIER in Bonn. Mit d€~v) ist: es ist der einheitliche Logos Gottes, der dem Tau vergleichbar die ganze Seele rings umfaßt und keinen leil derselben ohne ihren Einfluß läßt. (all. 3.169)
Der Logos ist wie Koriandersamen (Ex 16.31): Es läßt sich zerteilen und wirkt doch in jedem Teile ganz (all. 3,170). Die weiße Farbe des Manna (Ex 16,31) wird auf die Lichtqualität des Logos ausgelegt. Für Philo gibt es nichts, was heller strahlt und glänzt als der göttliche Logos, dessen Kraft es sogar anderen Wesen ermöglicht, alles Dunkel zu bannen und das seelische Licht zu gewinnen (all. 3,171). Daß das Manna wie Reif (Ex 16,14) auf der Erde liegt, bedeutet, daß bei demjenigen, der Gott schaut, die Wogen der Leidenschaft gefrierend erstarren. Der Fromme muß ja alle Leidenschaften fliehen. Das Erstarren der Begierden wird in einer zweiten Allegorese mit dem Erstarren der Meereswogen beim Durchzug durch das Rote Meer in Verbindung gesetzt. Und schließlich wird noch einmal festgehalten:
"Dies ist das Brot", das heißt die Nahrung, die Gott der Seele gegeben hat, daß sie .nämlich sein Wort und seinen Logos sich zufiihren soll; denn dieses Brot, das Gott uns zu essen gegeben hat, ist "dieses (sein) Wort".' (011.3.173)
Es liegt auf der Hand, daß die philonische Vorstellung von einer unvergänglichen Seelenspeise (her. 79), welche mit dem Logos Gottes identisch ist, sehr gut der Lebensbrotchristologie der johanneisehen Vorlage entspricht, die der Evangelist in Joh 6 verarbeitet hat. Jesus, der in die Welt gekommene Logos offenbart sich als das Brot des Lebens, die umfassende und endgültige Nahrung, welche den Glaubenden hier und jetzt Leben schenkt. Wenn Philo den Logos als Nahrung bezeichnet, so geht es um die Nahrung der Seele, die geistig-geistlich genossen wird. Dem entspricht, daß die johanneische Vorlage nie von einem Essen des Lebensbrotes spricht. Der Genuß des Lebensbrotes ist für sie ebenfalls ein geistig-geistlicher Vorgang. Er vollzieht sich im Glauben an Jesus als vom Himmel gekommenen Logos Gottes. So ist die Identifikation Jesu mit dem Logos die Grundlage rur die christologische Verwendung der Mannatypologie. Auch wenn Philo die Bezeichnung "Brot des Lebens" nicht verwendet, kann in der Allegorie des Mannawunders, die er bietet, eine gute Basis rur die johanneische Verwendung dieser Bezeichnung als christologischem Titel gesehen werden. Wenn man davon ausgeht, daß sowohl die Auslegung des Philo als auch die der johanneischen Vorlage auf einer entsprechenden hellenistisch-jüdischen Exegese beruhen, ist man nicht gezwungen, irgendeine direkte Abhängigkeit anzunehmen. Im Hintergrund von Joh 6 steht wohl ein gemeindlicher Konflikt, der bei der Auslegung zu beachten ist. Wenn in dem redaktionellen Abschnitt Joh 6,60-71 eine Auseinandersetzung im Jüngerkreis darüber beginnt, daß die (eucharistisch reinterpretierte) Rede Jesu über das Lebensbrot zu hart Sei, als daß man sie annehmen könne, so mag das ein Hinweis auf eine innergemeindliche Auseinandersetzung um das Herrenmahl sein, die sich so zuspitzte, daß es sogar zur Spaltung, kam. Die Frage ist nun, wie eine solche Ausein-
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andersetzung in Zusammenhang mit der vom Evangelisten überarbeiteten, und damit als· ergänzungsbedürftig eingestuften Vorlage, in Verbindung gebracht werden kann. Lassen sich von der Vorlage her Fragen formulieren, die einerseits einen innergemeindlichen Streit plausibel machen und andererseits die Antwort des Evangelisten erklären? Wie oben festgestellt, hat die Vorlage ihren eindeutigen Schwerpunkt in einer christologisch begründeten soteriologischen Aussage: Wer an Jesus als Lebensbrot glaubt, hat ewiges Leben. Dabei verdeutlichen die entsprechenden Aussagen, daß der Text eine realisierte Eschatologie vertritt, die deterministisch unterfangen ist: Der allein seligmachende Glaube wird ganz auf die Aktivität Gottes zurückgeführt. Es ist eindeutig eine befreiende Botschaft, die hier ausgesprochen wird. Sie verheißt den Christusgläubigen das volle Leben, die Vollendung, und zwar nicht irgendwann und irgendwie, sondern hier und jetzt. Der Glaubende ist in vollem Maße erlöst, ihm fehlt nichts mehr. Eine solche theologische Aussage kann nun freilich auch eine Dynamik entwickeln, die ihre Gefahren hat. • . Zwingt nicht etwa die Aussage, daß der Glaubende hier und . jetzt schon alles hat, dazu, die Heilsgüter radikal zu spiritualisieren? Muß das Heil, das angesichts der bleibenden Unvollkommenheiten des Lebens als vollkommen behauptet wird, nicht etwas radikal Geistig-Geistliches sein, ein Heil, das nur im "stillen Seelenkämmerlein" sich realisiert? • Und ~ie ist es mit der Aussicht auf endzeitliehe Vollendung, auf Auferweckung und Gericht? Was sollen die, die hier schon alles haben, mit solchen Hoffnungen anfangen? • Kann das Bewußtsein, im Glauben die Vollendung gefunden zu haben, nicht seht schnell zur ethischen Lauheit führen? Was bedeutet Bewährung in christlicher Lebenspraxis für den, der schon alles hat? • Was bedeutet für die" Vollkommenen die Gemeinschaft der Glaubenden? Was soll noch die Teilnahme an gemeinsamen Riten wie dem Herrenmahl, wenn der Glaube allein genügt?
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Diese Fragen sollen nicht die Position der johanneischen Vorlage charakterisieren. Sie versuchen nur aufzuzeigen, welche Fra:gen bei entsprechend radikaler Auslegung der gemeindlichen Tradition aufbrechen konnten, um von daher die Probleme plausibel zu machen, die den Evangelisten offensichtlich bewegten. Diese Fragen indizieren jedenfalls die Möglichkeit einer innergemeindlichen Entwicklung, in der einige das Seelenheil des einzelnen Vollkommenen so absolut setzten, daß elementare Lebensvollzüge der Gemeinde, wie Bruderliebe und die gemeinsame Feier des Herrenmahls vernachlässigt und die Identität der Gemeinde damit gefährdet wurde. Unter der Annahme einer solchen radikalisierten Position im johanneischen Christentum, läßt sich dann die Gesamtkomposition von Joh 6 als Antwort des Evangelisten gut verstehen. Wie ich eingangs des Kapitels ausgeführt habe, hat der Evangelist auch die Verbindung von Brotrede und Brotwunder geschaffen. Beginnen wir mit der Frage, welche Intention ihn dabei leitete. Welche interpretatorischen Schlüsse sind aus der Zusammenstellung von Brotwunder und Brotrede zu ziehen? Wenn angenommen wird, daß sich die ab 6,51 anzutreffende Rede vom Essen des Fleisches und Trinken des Blutes Jesu auf den gemeindlichen Brauch des Herrenmahls bezieht, dann steht das Brotwunder Joh 6,1-15 besonders mit diesem Teil der Brotrede in Verbindung. Das Wunder paßt dann sehr gut zu der eucharistischen Auslegung der Rede vom Lebensbrot. Bezieht man nämlich das Brotwunder auf diesen Teil der Brotrede, so wird das Brot des Wunders als Zeichen für die wunderbare Gabe des eucharistischen Brotes verstehbar. Dieser Bezug wird dadurch noch deutlicher, daß schon in der Erzählung vom Brotwunder eucharistische Hinweise gefunden werden können. 95 Für einen entsprechenden Bezug spräche die Notiz in 6,11 (KOCI. EUXttPLO't~ottC; ÖLEÖWKEV), die darauf hinweist, daß Jesus erst für die Brote dankt, bevor er sie austeilt. Dieser Hinweis
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Vgl. die Terminologie in Joh 6,11.23 mit der in den Einsetzungsberichten (Mk,14,22f; Mt 26,26f; Lic 22,17-19; 1Kor 11,24).
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wird in 6,23 wieder aufgegriffen, womit ihm eine besondere Bedeutung zugewiesen wird. V.23 blickt auf das Brotwunder zurück und bezeichnet den Ort des Wunders als den Ort, "wo sie das Brot gegessen hatten, nachdem gedankt hatte (EUXa.p LOLtlOa.VLOC;) der Herr". Das ganze Wundergeschehen kann also vom Text selbst als Essen nach der Danksagung zusammengefaßt werden. Damit werden alle anderen Züge des Wundergeschehens ausgeblendet. Es geschieht eine Engführung des Wunders auf die beiden Züge, die es mit dem nachösterlichen Brauch des Herrenmahls verbinden. Dabei verstärkt der Gebrauch des Kyriostitels in 6,23 den nachösterlieh-kultischen Aspekt. Es ist freilich nicht ganz selbstverständlich, daß die Rede von Essen und Trinken im zweiten Teil' der Brotrede nun tatsächlich eucharistisch zu verstehen ist. In der Forschungsgeschi~hte ist immer wieder einmal gefragt worden, ob nicht Essen und Trinken wie etwa das Kommen zu Jesus als Metaphern für den Glauben an Jesus als Himmelsbrot aufzufassen ist. Eine solche metaphorische Auslegung würde den Zusamme'nhang zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Brotrede ganz sicher verbessern. Sie scheitert aber daran, daß der Text einen Kontrast zwischen den Wirkungen des wahren Himmelsbrotes ünd dem Mosemanna aufbaut (V.49 f). Dieser Kontrast funktioniert nur, wenn das Himmelsbrot gegessen wird wie das Mosemanna (V.35.49). So ist also "essen" (EoaLw) auch in V.51.53.58 als sinnlicher Vorgang zu verstehen. Dies wird auch dadurch deutlich, daß das Verb als Synonym zu LPWYW verwendet wird. Das massive tpwyw, welches soviel wie "nagen, knabbern, zerbeißen" bedeutet, spelTt sich gegen ein metaphorisches Verständnis. 96 Es muß also hier an einen Vorgimg wirklichen Essens gedacht werden, und damit spricht nichts mehr dagegen, daß die Rede vom Essen und Trinken von Fleisch und Blut Jesu mit dem gemeindlichen Brauch des HelTenmahls in Verbindung gebracht wird. Dieser Bezug ist entschieden zu bejahen, auch wenn das Johannesevangelium keinen eucharistischen Einsetzungsbericht bringt. Das bedeutet, daß
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Vgl. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),205.
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der Evangelist die Glaubensforderung seiner Vorlage durch die Aufforderung zur Teilnahme am Herrenmahl ergänzt. Damit stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem ersten Teil der Brotrede und ihrem zweiten, eucharistischen Teil. Diese beiden Textteile dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. BECKERS Interpretation, wonach an die Stelle der "Glaubensbeziehung zum Sohn" auf der redaktionellen Stufe "die Aufnahme der sabamentalen Gaben durch den Mund" tritt,97 wäre nur berechtigt, wenn der Evangelist seine Vorlage verdrängt hätte. Statt dessen nimmt er sie auf und signalisiert damit wenigstens partielle Zustimmung. Er erweitert die Vorlage aber auch und zeigt damit, daß er sie für ergänzungs bedürftig hält. So entsteht durch die redaktionelle Arbeit des Evangelisten eine synthetische Aussage. Daß es dem Evangelisten nicht darauf ankommt, seine Tradition einfach außer Kraft zu setzen, zeigt sich an dem sehr behutsamen Aufgreifen der Identifikation von Jesus und dem Lebensbrot. Der redaktionelle Teil beginnt ja schon in Joh 6,48, wo die Grundaussage der Vorlage aus 6,35 wiederholt wird: Ich bin das Brot des Lebens I
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0 clp"t'oc; "t'Tic; (wTic;
Die redaktionelle Arbeit knüpft also an die vorgegebene Aussage, daß Jesus in Person das Brot des Lebens ist, an.· Im weiteren wird dann das "Ich" Jesu in einer eucharistischen Wendung auf sein Fleisch und Blut hin entfaltet, bevor das "mich" in 6,57 zurückführt auf die personale Identifikation Jesu mit dem Lebensbrot. Durch dieses sorgfaltige Vorgehen zeigt der Evangelist, daß auch fiir ihn der Glaube an Jesus als Lebensbrot Grundlage seiner Ausführungen ist, auch wenn in seinen Textteilen das Stichwort "glauben" nicht vorkommt. Glaube und eucharistisches Mahl dürfen deshalb nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das redaktionelle Anliegen ist es ja gerade, deutlich zu machen, daß es das eine ohne das andere nicht geben kann. Heil ist für den Evangelisten nicht allein gegenwärtiges, unüberbietbares Resultat des Glaubens ... 97
Becker, Johannesevangelium I (s. Anm. 86), 220.
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an das Lebensbrot. Für ihn genügt es nicht, Jesus als das Himmelsbrot geistlich zu genießen, vielmehr kommt es ihm auch auf das reale Trinken und Zerbeißen an. So wird die Teilnahme am Herrenmahl zu einer Voraussetzung für das Heil, denn bei diesem Mahl wird die heilspendende Kraft des Todes Jesu aktuell erfahrbar. Im Vergleich zu den soteriologischen Aussagen der johanneischen Vorlage ist eine entscheidende Erweiterung durch die redaktionelle Arbeit des Evangelisten festzustellen. Er läßt in seinen Lebensaussagen deutlich eine futurische Dimension erkennen, die der Vorlage abgeht. Diese Dimension zeigt sich in den Hinzufügungen in V.39.40.44 und in den futurischen Formulierungen in V.54 und V.58. Daß es der Redaktion dabei keinesfalls darum geht, das Heil der Glaubenden auf den Letzten Tag zu verschieben, zeigen die synthetischen Aussagen in V.40 und V.54, in denen gegenwärtiges Leben und zukünftige Auferstehung zu einer spannungsvollen Einheit zusammentreten. Es geht al~o nicht darwn, die präsentische Eschatologie völlig abzulehnen, sondern darum, den Aspekt eschatologischer Vollendung ergänzend einzubringen. Ähnliche Korrekturen finden sich auch bei Paulus, wenn er sich bemüht, seine Botschaft gegen enthusiastische Mißverständnisse zu sichern. Hier ist etwa auf Röm 6 hinzuweisen, wo Paulus zwei verschiedene Strategien antienthusiastischer. Korrektur einsetzt. In 6,4 wird gesagt, daß die Glaubenden durch die Taufe an Tod und Auferstehung Jesu Anteil haben. Wie Jesus starb, wurden auch sie mit ihm in den Tod begraben. Bei der Auferstehung vermeidet Paulus dagegen eine direkte Parallelisierung. Die zu erwartende Aussage, daß die Glaubenden auch ·mit Christus auferstanden sind, wird· durch den Hinweis auf einen neuen Lebenswandel der Getauften ersetzt. Man kann hier von einer pragmatisch orientierten Korrektur sprechen. In 6,8 wird dagegen die futurische Perspektive als Vorbeugung gegen ein enthusiastisches Mißverständnis eingeführt: "Wenn wir aber starben mit Christus, glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden. "
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Es liegt nahe, in der (Wieder-) Einführung der futurischen Eschatologie durch die johanneische Redaktion eine vergleichbare Strategie zu sehen, was auf eine vergleichbare Problemlage schließen läßt. Die oben formulierten Fragen, die sich aus einem radikalisierten Verständnis der johanneischen Tradition ergeben konnten, legen es jedenfalls nahe, anzunehmen, daß auch die johanneische Gemeinde mit dem Problem einer enthusiastischen Überbetonung des gegenwärtigen Vollendungszustandes der Glaubenden zu kämpfen hatte. Auch hier scheint es zu einer Ablehnung der futurischen Perspektive der Soteriologie und zu einer Vernachlässigung der praktischen Bewährung des Glaubens in einem entsprechenden Lebenswandel gekommen zu sein. 98 In dieser Situation korrigiert die johanneische Redaktion das rein präsentische Heilsverständnis der Vorlage in der Weise, daß gegenwärtiges und zukünftiges Heil in spannungsvoller Einheit abhängig gemacht wird vom Glauben an Jesus, der vom Himmel herabgekommen und am Kreuz erhöht worden ist. Die Teilnahme am Herrenmahl gehört zu diesem Glauben dazu, weil in ihm der Kreuzestod, Jesu Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt (V .51), vergegenwärtigt wird. Es genügt dem Evangelisten nicht, Jesus als Himmelsbrot geistlich zu genießen, vielmehr kommt es auch auf das reale Essen und Trinken an. So wird die Teilnahme am Herrenmahl zur· Voraussetzung f'tir das dialektisch von Erfüllung und Verheißung bestimmte Heil, das beim Herrenmahl als die heilbringende Kraft des Todes Jesu aktuell erfahren wird. Trotz der eindrucksvollen Synthese, die die Redaktion erreicht, bleibt festzuhalten, daß die Kombination der beiden Gedanken IJESUS IST DAS LEBENSBROT IN PERSONI und IJESUS IST SPENDER DES LEBENSBROTESI alles andere als selbstverständlich ist. So ist zu fragen, ob nicht theologische Vorgaben existierten, die überhaupt erst die Möglichkeit für die kombinatorische Arbeit der Redaktion schufen. 98
Zur redaktionellen Betonung der Bruderliebe als Pragmatisierung der Soteriologie vgl. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),128-133.170 f.
Eine dieser Grundlagen ist sicher die weisheitliche Theologie der biblisch-jüdischen Tradition. In der Weisheitstheologie ist es ja selbstverständlich, daß die Gabe der Weisheit vor allem Weisheit ist. Die Weisheit gibt sich selbst. Sie kann Geberin und Gabe zugleich sein, weil zu ihrem W"esen das Oszillieren zwischen Person (Spr 8,1-9,18; Weish 8,2-4) und Pneuma (Weish 7,22-26) gehört. Auch Philo kann die Weisheit und den Logos sowohl apersonal als Nahrung der Seele (mut. 259; all. 3,169-173) wie personal als geistliche Nährmutter bzw. Lehrer (det. 115 f; her. 191) sehen. 99 Allerdings ist bei Philo der Gedanke, daß das Himmelsbrot etwas real zu Zerbeißendes ist, nicht anzutreffen. Wenn Philo den Logos als Nahrung bezeichnet, so geht es immer um die Nahrung der Seele, die man sich geistig-geistlich zuführt. Die Frage ist also, welche Vorstellungen es dem Evangelisten ermöglichten, an eine personale Identifikation Jesu mit dem Logos als geistliches Lebensbrot seine eucharistiebezogene Brotlehre anzuschließen. Immerhin ist der Übergang von Jesus als Brot des Lebens in Person zu den eucharistischen Gaben von Brot und Wein als Fleisch und Blut nicht so ganz problemlos, denn der Wein als Blut Christi will nicht recht zur Brotmetapher passen. Nun ist schon länger bekannt, daß eine direkte Parallele zur johanneisehen Formulierung vom Brot des Lebens in JosAs zu finden ist. JosAs bringt den Begriff "Brot des Lebens"; und zwar eingebettet iq den Kontext einer Trias von Brot, Kelch und Salbung. Nach den Ergebnissen von BURCHARD steht hinter dieser Dreierreihe die antike Vorstellung von Brot, Wein und Öl, als den Grundlagen der täglichen Versorgung,IOo Das tägliche Essen und Trinken und die nonnale Körperpflege werden, wenn sie nach jüdischer Sitte gehandhabt werden, zum Träger einer soteriologi-
Vgl. B. L. Mack, Logos und Sophia. Untersuchungen zur Weisheitstheologie im hellenistischen Judentum (StUNT 10), Göttingen 1973, 171-179. 100 Vgl. zum folgenden eh. Burchard, The Importance of Joseph and Aseneth for the Study of the New Testament: A General Survey and a Fresh Look at the Lord's Supper, NTS 33 (1987) 102-134.
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sehen Stnndimension, die ebenfalls auf einem symbolischen Verständnis des Mannas beruht. Asenet erhält bei ihrer Bekehrung eine himmlische Honigwabe zu essen (JosAs 16,15). Diese. Wabe wird vorher so beschrieben, daß sowohl eine Anspielung auf das Weisheitspneuma entsteht, wie auch eine Mannasymbolik. •
•
•
Die Wabe ist weiß wie Schnee und ihr Honig wie Tau des Himmels. Diese Beschreibung erinnert bibelkundige Leserinnen und Leser an die biblische Beschreibung des Manna. Was die Beziehung zur Weisheit angeht, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Weisheit sich in ihrem Einladungsrufmit Honig vergleichen kann. Zu verweisen ist auf den schon oben zitierten Vers Sir 24,20, wo der Besitz der Weisheit als "süßer als Honig" und "besser als Wabenhonig" gepriesen wird. Die Honigwabe, die Asenet gereicht bekommt, kann also als Anspielung auf eine biblische Weisheitsmetapher verstanden werden. Außerdem wird in JosAs gesagt, daß die Wabe wunderbar duftet. Der himmlisch«? Wohlgeruch, kann sogar als "Odem des Lebens" (JosAs 16,8) bezeichnet werden und ist mit dem Duft des Engels identisch (JosAs 16,9.11).1 01 Als die Wabe verbrannt wird, erfüllt der Wohlgeruch das ganze Gemach (17,4). Diese Beschreibung erinnert an die Beschreibung der Weisheit, von der ebenfalls gesagt werden kann, daß sie einen besonderen Wohlgeruch ausströmt. Die in den königlichen Kontext l02 verweisende Vorstellung vom göttlichen Wohlgeruch
Zum antiken Verständnis des Duftes als Signum des Göttlichen vgl. Kügler, Paulus und der Duft des triumphierenden Christus'. Zum kulturellen Basisbild von 2Kor 2,14-16, in: R. Hoppe / U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus. FS Paul Hoffmann (BZNW 93), Berlin 1998, 155-173. 102 Der Gesalbte Gottes duftet (Ps 45,9) ebenso, wie der Name des gerechten Königs Joschija (Sir 49,1). Wie in Ägypten und anderen orientalischen Kulturen ist der besondere Duft des Königs nicht nur eine Sache der Kosmetik, sondern Ausdruck seiner göttlichen Würde. 101
J.
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•
wird in Sir 24,15 auf die Weisheit angewendet. In Sir 39,14 findet eine Übertragung der weisheitlichen Duftqualität auf die Frommen statt. Wer zur duftenden Weisheit gehört, wird selbst zum Duftträger, der Anhänger der Weisheit zum Spender der Weisheit. Wie oben gesagt, konnte im Frühjudentum die Weisheit als Pneuma verstanden werden. Diese Pneumaqualität der Weisheit wird auch in JosAs aufgegriffen, und zwar in 16,14, wo gesagt wird, daß die himmlische Honigwabe "Geist des Lebens" ist.
JosAs präsentiert also ein symbolisches Verständnis des Manna, _das der allegQrischen Auslegung bei Philo insofern vergleichbar ist, als auch hier das Manna mit dem Weisheitspneuma in Verbindung gebracht werden kann. Das Manna als Weisheitspneuma ist himmlische Speise, von der alle Engel, die Auserwählten Gottes und die Söhne Gottes essen. Mit ihrer Bekehrung gehört Asenet zu diesen und hat an der himmlischen Speise Anteil. In JosAs 16,16 wird dann die Honigwabe, die Asenet gegessen hat, als Brot des Lebens, Kelch der Unsterblichkeit und Salbe der Unverweslichkeit gedeutet. Damit sind einerseits die Stoffe der täglichen Versorgung angesprochen, denen Heilsqualität zugewiesen wird, andererseits kann bei der Salbe der Unverweslichkeit im ägyptischen Kontext auch an die Totensalbung gedacht werden. Entweder wird hier der alltäglichen Salbung der Juden die Heilswirkung der ägyptischen Totenriten zugesprochen oder das ägyptische Judentum, das hinter JosAs steht, partizipierte an der ägyptischen Bestattungskultur. Zwar werden Brot, Becher und Salbung nicht direkt mit dem Manna gleichgesetzt, aber sie sind doch irdischer Ersatz rur das Manna, das Asenet aß. Zum Ersatz werden Speise, Trank und Salbung durch die jüdischen Segensgebete, die sie mit dem Geist des Lebens erfüllen. Wenn die gesegneten Gaben benutzt werden, teilt sich das Pneuma als Träger ewigen Lebens den Konsumierenden mit. Die Juden erwerben sich also täglich, am Tisch Gottes das Leben, weil ihr Essen und Trinken Himmelsmanna ist.
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Aufgrund dieser symbolischen Aufladung kann sich in den alltäglichen Gaben dann auch das jüdische Proprium manifestieren. Die spezifisch jüdische Art, die Dinge des Alltags so zu gebrauchen, daß sich in ihnen die jüdische Gottesbeziehung manifestiert, läßt dieses Dinge zur Quelle jüdischer Identität werden. Wenn aber in JosAs der Terminus "Brot des Lebens" von der täglichen Mahlzeit, in der sich die jüdische Eigenart manifestiert, zu verstehen ist, dann ist damit ein' gedanklicher Rahmen gegeben, der die Verwendung in bezug auf das Herremnahl als Manifestation des christlichen Propriums nicht nur möglich, sondern sogar naheliegend erscheinen läßt. Die Vorstellung, daß konkrete Dinge, darunter Essen und Trinken, durch Segnungen zu einem geisterfüllten Abbild des himmlischen Geistmanna werden und so lebenspendend wirken können, erklärt wohl ganz gut, wie dann auch in Joh 6 die Verheißung ewigen Lebens an konkretes Essen und Trinken gebunden werden kann. Auch für den johanneischen Text wäre dann die Vorstellung von einer Geisterfüllung der Gaben durch entsprechende Segensgebete vorauszusetzen. Das würde auch die Betonung der Danksagung in Joh 6.11.23 erklären. Zwar geht es im johanneischen Bereich vermutlich nicht um das tägliche Essen und Trinken, sondern um ein spezielles Mahl mit kultischer Qualität, aber religionssoziologisch dürfte das Herrenmahl die gleiche Funktion gehabt haben, wie das Essen und Trinken der Juden. Es konnte zur Quelle der eigenen Identität werden, weil es eine Unterscheidung zur Umwelt markierte. So wie das tägliche Essen und Trinken nach jüdischem Ritus die Juden und Jüdinnen von ihrer nichtjüdischen Umgebung abgrenzte, so unterschied das Herremnahl die christliche Gemeinde von ihrer nichtchristlichen Umgebung. Wenn aber dem Herremnahl eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer christlichen Identität zukam, dann wird verständlich, warum der Evangelist auf Störungen in diesem Bereich entschieden reagieren mußte. Hier ging es offensichtlich nicht um irgendeine theologische Frage, die man so oder so entscheiden hätte können, sondern es ging insofern um alles, weil die Identität der
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christlichen Gemeinde auf dem Spiel stand.l 03 Wer die identitätstiftende Institution des Herrenmahls vernachlässigte, weil er der Meinung war, im Glauben hier und jetzt alles zu haben, mußte schnell in den Verdacht kommen, den Bestand der Gemeinde als solcher zu gefährden. Gegen eine solche Fehlhaltung geht der Evangelist vor, indem er die Heilsnotwendigkeit des Herrenmahls neu einsch,ärft und die Ursache für seine Geringschätzung, nämlich die üb~rtriebene Heilsgewißheit der Gegner, entschieden bekämpft. Es geht um die Verdeutlichung der Tatsache, daß der gegenwärtige Lebensbesitz im Glauben eben doch noch nicht alles ist, sondern die Vollendung noch aussteht. Weil die Glaubenden noch nicht alles haben, ist es wichtig, an dem Mahl teilzunehmen, das den Tod Jesu als Quelle des Heils vergegenwärtigt.. Abschließend läßt sich also sagen: Die johanneische Vorlage fUhrt die Vorstellung vom Lebensbrot, die aus dem Bereich der hellenistisch-jüdischen Sophia-MannaSpekulation stammt, christologisch eng und betont, daß Jesus (als der gekommene Logos) in seiner Person das himmlische Brot ist, das der Vater gibt. Auf dieser Basis präsentiert der Evangelist eine eucharistische WeiterfUhrung, die deutlich macht, daß der Fleischgewordene in Brot und Wein als Fleisch und Blut real zu essen und zu trinken ist. 104 Trotz dieser unterschiedlichen Akzentsetzung bewegen sich beide, Tradition und Redaktion, im Rahmen einer hellenistisch-jüdischen Theologie, die vom Logos, bzw. von der Sophia, als pneumatischem Ernährer und Nahrung der Men.. sehen spricht. Da dem Logos königliche Qualität zukommt, kann der Evangelist bei der Verknüpfung der Brotrede mi~ der synoptischen Tradition des Brotwunders das kulturelle Wissen vom König als Brotgeber
103 VgI. Kügler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),217-227. 104 Ist sie auch literarkritisch jünger, so dürfte die eucharistische Deutung doch traditionsgeschichtlich älter. Immerhin kann schon Paulus das Manna als geistliche Nahrung der Väter mit dem christlichen Herrenmahl in Verbindung bringen (lKol' 10.3). Vgl. Kiigler, Der Jünger, den Jesus liebte (s. Anm. 1),229-23 L
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aufgreifen, um in ironischer Brechung auf die Königswürde J esu hinzuweisen. Und weil Jesus als menschgewordener Logos König ist und als Logos zugleich· das Lebensbrot ist, kann eine Verknüpfung zwischen der Charakterisierung Jesu als königlichem Geber des Lebensbrotes und der Rede von Jesus als personalem Lebensbrot hergestellt werden. In seiner königlichen Würde als Logos kann er zugleich Geber und Gabe sein. Der Logos kann sich im Glauben als geistliche Nahrung geben und kann sich in den Gaben von Brot und Wein als Fleisch und Blut eucharistisch geben, weil. er aufgrund seiner pneumatischen Qualität in den Gaben präsent sein kann. Die Würde Jesu vollendet sich für den Evangelisten allerdings in der Erhöhung am Kreuz. Dann erst gibt Jesus sein Fleisch für das Leben der Welt (Joh 6,51) und dann erst ist die ganze Wahrheit über das Königtum Jesu offenbar gemacht. Wer Jesus dagegen am Kreuz vorbei' zum König machen will - und sei es aufgrund wunderbarer Erfahrungen -' verfehlt die Wahrheit Jesu und seines Gottes.
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5.
Jesus als der Gute Hirte
Zu den bekanntesten Bildern der johanneischen Christologie gehört sicherlich das des Guten Hirten.l 05 Von der Antike bis in die Moderne hat diese Vorstellung das Bild Jesu in der christlichen Kunst entscheidend geprägt. Als Ausdruck der Fürsorge und der zärtlichen Zuwendung hat es vielen Generationen von Christinnen und Christen ein Modell zur Formulierung ihrer eigenen Christusbeziehung geboten. Daß das Bild vom Hirten ursprünglich aus dem 'königlichen Bereich kommt, hat dabei allerdings kaum je eine wichtige Rolle gespielt. Nachdem in den vorausgehenden Kapiteln aber immer wieder zu sehen war, welch entscheidende Rolle die königliche Würde Jesu für das Verständnis der johanneischen Christologie spielt, ist auch bei der Metapher vom Guten Hirten erst einmal zu vermuten, daß sie von der antiken Königstheologie her zu verstehen ist.
5.1. Zur Traditionsgeschichte der Hirtenmetapher als Topos der Königstheologie Die Hirtenmetapher spielt in fast allen Kulturen des Alten Orients eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Funktion des Königs unter dem Aspekt des Schützens, des Leitens und der Fürsorge für die Untertanen zu beschreiben.. Sie findet sich nicht nur in Ägyptens Königstraditionen, sondern ebenso bei den östlichen Nachbarkulturen des alten Israels. So bezeichnet sich etwa der babylonische König im Prolog des Kodex Hammurapi als "der von Enlil berufene Hirte, der Hülle und Fülle aufhäufte" ,106 Wenn ich mich im. folgenden trotzdem auf das Alte Agypten beschränke, so ist das eine fast willkürliche Entscheidung, die aller-
105 Vgl. zum folgenden J Kilgler, Der andere König. Religionsgeschichtliche Anmerkungen zum Jesusbild des Johannesevangeliums, ZNW 88 (1997) 223-241. 106 Vgl. Liwak, Wohltäter (s. Anm. 75), 169 f.176 f. Weitere Belege bei Janowski, Stellvertretung (s. Anm. 75), 58 f. .
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dings einen sachlichen Grund darin hat, daß der ägyptischen Entwicklung insofern ein Vorrang zukommt, als sie die Geschichte Israels und des Judentums über Jahrhunderte hinweg begleitete. So erstrecken sich die zahlreichen ägyptischen Belege, in denen der König, oder seine Beamten, die ihn vertreten, als Hirte und Hüter des Landes und seiner Menschen bezeichnet wird, über einen ZeitralJm von etwa 2000 Jahren, nämlich vom Beginn des Mittleren Reiches bis in die hellenistische Zeit der Ptolemäerkönige. Ich verweise aus dieser Fülle nur auf zwei Texte des Mittleren Reiches, und damit befinden wir uns in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends v.ehr.: Im Text der berühmten Berliner Lederrolle 107 rühmt sich König Sesostris 1.: EI' I 08 formte mich, das zu tun, was er getan hat, das entstehen zu lassen, was er zu tun befohlen hat. Er ernannte mich zum Hirten dieses Landes, denn er wußte, wer es ihm zusammenhalten würde. Er brachte mir das, was er behütet und was das Auge, das in ihm ist, erhellt, er, der alles nach seinem Willen schafft und der mich mit dem Wissen um das ausgestattet hat, was er bestimmt hat. (1,6)
Und im Text der Koptosstele wird König Rahotep (17. oder 13. Dynastie) als "guter Hirte fitr die Untertanen" gepriesen, als "Zufluchtsort/lir jedermann". 109
Stets steht die Hirtenmetapher im Zusammenhang mit der Herrschaftsübergabe durch die Götter an den König. Der König regiert 107 Zum Text vgl. A. de Buck, The Building Inscription of the Berlin Leather Roll, in: A. M. Blackman u. a., Studia Aegyptiaca I (AnOr 17), Rom 1938, 48-57. Deutsche Übersetzung nach W. Beyerlin (Hg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament (ATD Ergänzungsreihe 1), Göttingen 1975,54. 108 Gemeint ist der Sonnengott Re-Harachte. 109 Vgl. E. Blumenthai, Die Koptosstele des Königs Rahotep (London V.C. 14327), in: E. Endesfelder u.a. (Hg.), Ägypten und Kusch (SGKAO 13), Berlin 1970,63-80: 66.71; dies., Königtum (s. Anm. 62),323.
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als deren Stellvertreter auf Erden. Vor dem Hintergrund der als Chaos interpretierten Ersten Zwischenzeit kultiviert die Staatsideologie des Mittleren Reiches ein Schutzbedürfnis, dem sich der König als Heilsbringer und Guter Hirte anbieten kann. lID Festzuhalten ist aber, daß die Hirtenrolle nicht nur dem göttlichen König, sondern auch dem königlichen Gott zukommt. Dies.e Zuschreibung findet sich schon in den Pyramidentexten des Alten Reiches. Osiris oder andere Götter können als Hirten vorgestellt werden, die die Sterne als himmlische Herde hüten. 11 I • Im Mittleren Reich wird die Metapher im Konzept einer repräsentativen Theokratie weiterentwickelt. So wird der Schöpfergott in der Lehre für Merikare als Guter Hirte gepriesen: 112 Wohlversorgt sind die Menschen, das Vieh Gottes. Um ihretwillen hat er Himmel und Erde geschaffen undfiir sie den Gierigen des Wassers vertrieben. Er hat die LlIft geschaffen, damit ihre Nasen leben können. Seine Abbilder sind sie, aus seinem Leibe gekommen. Er geht um ihretwillen am Himmel azif, ji'ir sie hat er die Pflanzen geschaffen, Vieh, Vögel lind Fische, um sie zu ernähren. Er hat seine Widersacher getötet lind seine eigenen Kinder verringert, weil sie planten, sich zu empören. Für sie schqfft er das Licht und fährt am Himmel, um sie zu sehen. Er hat sich eine Kapelle errichtet zu ihrem Schlitz, und wenn sie nun weinen, so hört er. Er hatft;r sie Herrscher gebildet im Ei. lvfachthaber, den Rücken des Schwachen zu stützen. Er hat ihnen den Zauber geschaffen,
110 Vgl. J. Assmann, Ägypten. Eine Sinngeschichte, München 1996,
122-126. Pyr. 771a-b. 1864a-1865b (Himmelsgott als Hirte der Sterne); Pyr. 1533a-b (Osiris in gleicher Funktion). Vgl. D. Müller, Der gute Hirte. Ein Beitrag zur Geschichte ägyptischer Bildrede, ZÄS 86 (1961) 126-144, hier: 128 f. 112 Zitiert nach H. Brunner, Weisheitsbücher (s. Anm. 61), 153 f; vgl. J. Assmann, Ägypten (s. Anm. 25),201-204; sowie Müller, Hirte (s. Anm. 111), 131 f. 111
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Waffen, dem Schlag des Unheils zu wehren, über dem gewacht wird bei Tag und bei Nacht. Er hat die Aufrührer IInter ihnen getötet, wie ein Mann seinen Sohn züchtigt dessen Bruder zuliebe. Gott kennt jeden Namen.
Als Schöpfer hat der Sonnengott, so sagt es dieser Text, alles getan, damit Menschen leben können. Als Zeichen seiner Menschenfreundlichkeit setzt er darüber hinaus aber auch Herrscher ein, damit die Schwachen eine Stütze haben. Daß die staatliche Ordnung zu den Wohltaten des Schöpfers gehört, deutet darauf hin, wie die Hirtenrolle Gottes und die des Königs sich aufeinander beziehen: Der König als Solm hütet die Herde Ägyptens stellvertretend für den Gott. Da dessen Herrschaft in einen mythischen Bereich des Nicht-Hier und Nicht-Jetzt verwiesen wird, während das Hier und Jetzt dem Staat gehört, entsteht keine Konkurrenz zwischen königlichem lind göttlichem Hirtenamt. "Der Staat setzt die lebenspendende und richtende Herrschaft des Schöpfergottes in irdische Verhältnisse um." 113 Und er hegreift sich in dieser Funktion keinesfalls als defizitär. Deshalb ist die Konstellation der stellvertretenden Herrschaft des Solmes für den Vater in Ägypten kein Ansatzpunkt für Königskritik. Erst Israel wird anders mit dieser Konstellation umgehen, aber eben auf der Basis eines anderen Gottesbilds. Und weil der ägyptische Staat sich als ebenso diesseitige wie ausreichende Kompensation weltlicher Unvollkommenheit entwirft, braucht die ägyptische WeH des Mittleren Reiches keinen Erlöser. Sie hat im König einen guten Hirten, der die Schafe vor den Wölfen beschützt. 114 Wo ein Heilsdefizit wahrgenommen wird, richtet sich die Klage darüber eher an Gott als an den König. So wird in den Klagen des Ipuwer der Schöpfergott als Hirte der Menschen in Anspruch genommen und für sein Versagen angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, er tue nichts gegen das Chaos im Lande und lasse das Volk ver-
113 J. Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110),222. 114 Vgl. Assmann. a.a.O., 222.
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kommen "wie eine verirrte Herde. die keinen Hirten hat" .1 15 Dabei ist deutlich erkennbar, daß der Text das Bild vom Hirten schon als Tradition voraussetzen und Gott auf qieser Basis in Pflicht nehmen kann. Wohl sagt man: 'Er ist ein Hirte jUr jedermann. keine Schlechtigkeit ist in seinem Herzen', aber dürftig ist seine Herde, wenn er sie den Tag lang gehütet hat, (denn) hitzig sind ihre Herzen. I 16
Weil die H.erde in schlechtem Zustand ist, wird Gott als Hirte radikal in Frage gestellt: Wer nämlich das Sterben seiner Herde liebt, kann kein Hirte sein. 117 Allerdings mag auch diese Anklage vor dem Hinter.grund der Königskonzeption des Mittleren Reiches zu begreifen sein. Sie beklagt dann eine chaotische Situation, die im königlichen Zentralstaat, der sich als Verwirklichung der konnektiven Gerechtigkeit (Ma'at) entwirft, gebannt ist. IIS Es gibt nun aber einen Text, der anzudeuten scheint, daß die göttliche Hirtenfunktion auch in eine gewisse Konkurrenz zur königlichen Volbnacht gebracht werden konnte. Gemeint ist eine Szene aus den Erzählungen des Papyrus Westcar: 1l9 König Cheops, der berühmte Pyramidenbauer, hat sich zu seiner Unterhaltung einen Magier bringen lassen, der es versteht, einen abgeschnittenen Kopf wieder anzusetzen. Als der König dieses Kunststück an einem Gefangenen vorgeführt bekommen will, erwidert der Weise (Pap. Westcar VIII, 17): Doch nicht an einem Jlenschel1, Herrscher, LHG!, mein Her,.. Es ist doch verboten, so etwas am edlen Kleinvieh zu tun.
115 Zitiert nach E. Hornung (Hg.), Gesänge vom Nil. Dichtung am Hofe
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der Pharaonen, München 1990, 93. Vgl. Müller, Hirte (s. Anm. 111),129-131; J. Assmann. Stein und Zeit (s. Anm. 10),260-265. Zitiert nach Hornung, Gesänge vom Nil, 96. Vgl. Hornung, a.a.O .• 98. Vgl. Assmann. Sinngeschichte (s. Anm. 110), 127-130.220. Text in deutscher Übersetzung bei: E. Brunner-Traut, Altägyptische Märchen. Mythen und andere volkstümliche Erzählungen, München 1°1991,48-50.
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Der König akzeptiert diesen Einwand und der Weise zeigt dann seine wunderbaren Fähigkeiten an Tieren. Wenn man so will, ist dieser Text das erste Dokument einer religiösen Begründung der Menschenwürde. Das "edle Kleinvieh" ist ja nichts anderes als das Kleinvieh Gottes, von dem die Lehre für Merikare spricht, also die Menschen. Die Zuordnung der Menschen als Herde zu Gott als dem Hirten verhindert das Töten eines Menschen zum Zwecke der Unterhaltung, und das obwohl sich in der Logik der Erzählung der Weise durchaus sicher sein kann, daß sein Werk gelingen wird. Der Hinweis auf die Hirtenrolle Gottes kann also als Argument gebraucht werden, um der GewaItausübung des Königs Grenzen zu setzen. Dieser Gedanke muß zwar nicht im Gegensatz zum Königskonzept des Mittleren Reiches stehen, welches die Absolutheit königlicher Macht mit dem Aspekt der Verantwortung zusammen~ bringt und so das eigene Königskonzept der repräsentativen Theokratie von dem der identitären Theokratie des Alten Reiches ab~ setzt, eröffnet aber prinzipiell die Möglichkeit einer religiös fundierten Kritik am König. 120 Zu erwähnen ist auch, daß sich im Neuen Reich (etwa 1500-1000 v.ehr.) eine Persönliche Frömmigkeit ausbildet, welche auf der freiwilligen Bindung des einzelnen an eine bestimmte Gottheit als Schutzpatron basiert. Der Gott tritt dabei als Patron in die Nachfolge des Königs und der Fromme, der sich (selbst wenn er König ist) als schwach, arm und schutzbedürftig sieht, sucht seinen Halt bei der Gottheit. Diese ist "ihm Vater. und Mutter, Vater der Waisen, Gatte der Witwe, Zuflucht der Bedrängten, Schutzwehr des Armen, der gute Hirte". 121 Entsprechend seiner herausragenden Stellung in der Götterwelt des Neuen Reiches ist es vor allem Amun, der als starker, liebevoller und guter Hirte (mnjw nfr) des Menschen gepriesen wird:
120 Vgl. Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110), 212-214; entsprechende Andeutungen schon bei Müller, Hirte (s. Anm. 111), 132. 121 Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110),264.
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Amun, wie gut bist du! Du bist gut zu jedermann, Hirte, der die Vergebung kennt. Der das Flehen dessen hört, der zu ihm nift, der das Herz zuwendet, der Luft gibt. (,4."HGNr.195,210-2]4)122
Trotz der nochmaligen Aufgipfelung der Königsideologie in der Zeit Ramses' H. ist mit der Persönlichen Frömmigkeit die Basis gelegt für eine soteriologische Entleerung des Königtums und die Übertragung der Königsverantwortung auf die Gottheit. 123 Wenn es nun um den biblischen Befund geht, so ist zu beachten, daß das Nachdenken Israels über das Königtum' frühestens zu einer Zeit beginnt, als Ägypten schon 2000 Jahre Königtumsgeschichte hinter sich gebracht hat, und die Macht des ägyptischen Königtums spürbar nachläßt. So ist es nicht verwunderlich, wenn sich in der Verwendung der Hirtenmetapher im alten Israel der gesamte Reichtum an Bedeutungsdimensionen, der in der Religionsgeschichte Ägyptens durchgespielt wurde, finden läßt, allerdings in der Konzentration auf einige wenige Jahrhunderte. So kann die biblische Literatur auf einem Entwicklungsstand ansetzen, der nicht nur die Neuerungen des Neuen Reiches, sondern auch die Transformatlonen und Wiederaufnahmen der Spätzeit einschließt. Es ist deshalb nahe liegend, daß die biblischen Texte sowohl" Gott als auch den König als Hirten sehen. Die Texte, in denen Gott als der Gute Hirte seines Volkes bezeichnet wird, sind zahlreich. Entsprechend dem israelitischen Gottesbild wird die Hirtenfunktion JHWHs nicht nur mit seiner kontinuierlichen Fürsorge als Schöpfergott (Ps 95,6j; 100,3; 121,4) in Verbindung gesetzt, sondern auch auf sein geschichtliches Handeln bezogen. So wird das Exodusgeschehen (Ps 77,21; 78,52)
122 Dieser Hymnus beschäftigt sich intensiv mit der Hirtenrolle des
Amuo. Sie wird mehr als zehnmal angesprochen. Weiterhin ist auf ÄHG (s. Anm. 35) Nr. 165,9; 190,l3-17 zu verweisen. 123 Vgl. Assmann, Sinngeschichte (s. Anm. 110),259-267.
zum Erweis, daß Gott sein Volk leitet. Im Vordergrund steht dabei die positive Seite der Hirtent~tigkeit: JHWH sammelt; leitet und beschützt sein Volk. Es gibt aber auch die negative Seite von JHWHs Hirtenamt. Weil Israel eine' störrische Herde ist, gehört auch das strafende Zerstreuen der Herde dazu. So kann auch die Erfahrung von Exil (Ps 79,13) und Heimkehr (Jer 31) im Bild der Hirtentätigkeit Gottes bearbeitet werden. 124 Hört, ihr Völker, das Wort des Herrn, verkündet es auf den fernsten Inseln und sagt: Er, der Israel zerstreut hat, wird es auch sammeln und hüten wie ein Hirt seine Herde. (Jer 31,10)
Aber nicht nur die Geschichte des Volkes ist ein Ort der Gottesnähe, sondern auch das Ergehen des eInzelnen. Auch der einzelne Fromme erfährt Gott als seinen guten Hirten. Die Hirtenmetapher wird in der Persönlichen Frömmigkeit zum Ausdruck einer individualisierten Fassung der israelitischen Gottesbeziehung. 125 So nimmt der Beter des vermutlich nachexilischen Psalms 23 Gott als seinen persönlichen Beschützer in Anspruch: Mein Hirt ist JHWH, nichts wird mir jehlen. (Ps 23,1)
Die Verwendung der Hirtenmetapher für das Königsamt findet sich ebenfalls in der biblischen Tradition. Sie wird besonders mit David verbunden, dem Prototypen israelitischen Königtums, der von den Herden weg zum Hirt des Volkes berufen wurde (vgl. 2Sam 5,2; Ps 78,70-72). Aber die Hirtenmetapher scheint nach dem Stand der Überlieferung nicht zum Standardrepertoire der Königsphraseologie zu gehören und weit stärker als in Ägypten kann die Hir124 Zur Verarbeitung des Exils in der Hirtenmetaphorik vgl. W. M. Schniedewind, "Are We His People Or Not?": Biblical Interpretation During Crillis, Bib. 76 (1995) 540-550, hier: 542-547. 125 Vgl. dazu A. Miiller, Psalm 23 als Text persönlicher Frömmigkeit, in: R. Bucher / O. Fuchs / J. Kügler (Hg.), In Würde leben. Interdisziplinäre Studien zu Ehre~ von Ernst Ludwig Grasmück (Theologie in Geschichte und Gesellschaft 6), Luzern 1998,24-34.
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tenfunktion Gottes zur kritischen Instanz für das Hirtenamt des Königs werden. Der Gott Israels wird ja als Gott der Geschichte begriffen, mit dessen Handeln im Hier und Jetzt stets zu rechnen ist. Deshalb kann die königliche Herrschaft nicht mehr als Ablösung und vollgültiger Ersatz der göttlichen Herrschaft gelten. Damit entsteht ein neuer Akzent. Fungierte in Ägypten die Stellvertretungskategorie als Aufwertung des Königtums, die zugleich eine Immunisierung der politischen Institution bewirkte, so ist in Israel das Regiment des Königs nur ein stellvertretendes Hüten der Herde Gottes. Die Stellvertretungskategorie ist hier eine Relativierung des Königtums, die die politische Institution für eine religiös fundierte Kritik öffnet. Wie die Stellvertreterkonstellation vor allem im Kontext der Exilserfahrung zum Ansatzpunkt prophetischer Kritik werden konnte, läßt sich gut an der Verkündigung des Jeremia zeigen. Der Prophet kann das offenkundige Versagen des Königtums im Namen Gottes anklagen. Das Urteil Gottes gegen die Könige lautet: Die Hirten des Volkes wurden mir untreu! (Jer 2,8; vgl. 10,21)
Eine ganz eigene Fortführung der Hirterunetapher findet sich bei Deuterojesaja. 126 In Jes 44 wird nämlich der Perserkönig Kyrus, der das Volk aus der Knechtschaft Babyions befreit, als Werkzeug Gottes, als sein Hirte (Jes 44,28) verstanden. Der ausländische König übernimmt damit die Rolle, die die traditionelle Königstheologie exklusiv dem davidischen König zugewiesen hatte. Zwar ist von Gottessohnschaft an keiner Stelle die Rede, aber Kyrus kommt eindeutig messianische Qualität zu, Gott spricht ihn als seinen Gesalbten an. t27 Dies steht im Kontext eines wichtigen Durchbruchs der israelitischen Religionsgeschichte. Aus der abso126 Zum folgenden vgl. E. Zenger, Herrschaft Gottes / Reich Gottes II. Altes Testament, TRE 15 (1986),176-189,182 f; R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde. (ATD. Ergänzungsreihe 8), Göttingen 1992, 431-446. 127 Zur Rolle des Kyrus vgl. allgemein R. G. Kratz, Kyros im Deuterojesaja-Buch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Entstehung und Theologie von Jes 40-55 (FAT 1), Tübingen 1991.
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luten Geschichtsmächtigkeit JHWHs wird Itir Deuterojesaja seine Einzigkeit offenbar: "Die Berufung des Kyros zielt nicht nur auf die Befreiung Israels (45,4), sondern auch darauf, daß der König Jahwe, den GoI/Israels, als den einzigen Gott erkennt (45,3.5), ja letztendlich darauf, daß alle Welt anerkennt, daß es außer Jahwe keinen Gott gibt (45,6). "128 In einem engen theologischen Zusammenhang mit der Entwicklung eines universalistischen Monotheismus steht die Infragestellung der Verbindung von politischer und göttlicher Macht, wie sie die davidische Königstheologie fundiert hatte. Auch wenn die Beschreibung der Rolle des Perserkönigs noch ganz in dieser Tradition steht, hat sie sich doch letztlich überlebt. Als der König schlechthin ist JHWH der Herr des Universums. Sein Weltregiment umspannt die Gesamtheit der Weltgeschichte und alle denkbaren Dimensionen. 129 Dieses universale Königtum Gottes macht das menschliche Königtum verzichtbar. Deshalb wird auch keine staatliche Wiederherstellung des monarchischen Israel erwartet. Am breitesten durchgeItihrt ist die mit der Hirtenmetapher arbeitende prophetische Kritik bei Ezechiel, der als Angehöriger der Oberschicht 597 v.Chr. selbst mit seinem König nach Babyion deportiert wurde. 130 In Ez 34 wird zunächst mit den irdischen Hirten abgerechnet, deren selbstsüchtige Mißachtung ihrer Königspflichten zur Zerstreuung der Herde führte. SCHNIEDEWIND hat jetzt versucht, Ez 34 als Zeugnis eines innerbiblischen Dialogs deutlich zu machen, der ausgehend VOll Ps 100 unter dem Eindruck der Exilskatastrophe zu den Hirtenkonzepten von Ps 79; 95 und eben Ez 34 führt. 13 ! Während Ps 100 noch völlig ungebrochen von der Beziehung zwischen Gott als Hirten und Israel als seiner Herde spreche, nehme die Klage von Ps 79 Gott als Hirte in Anspruch, der das Unheil in seinem Zorn verhängt hat und um seiner Ehre willen Is128 Alberlz, Religionsgeschichte (s. Anm. 126),438. 129 Vgl. Zenger, Herrschaft Gottes (s. Anm. 126) 1986, 182. 130 Vgl. zum folgenden F.-L. Hoss/eld. Untersuchungen zu Komposition und Theologie des Ezechielbuches (fzb 20), Wiirzburg 21983, 230-286; B. Willmes, Die sogenannte Hirtenallegorie Ez 34. Studien zum Bild des Hirten im Alten Testament (BET 19), Frankfurt 1984. 131 Vgl. Schniedewind, People (s. Anm. 124),547-550.
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rael wieder befreien soll. Dagegen mache Ps 95 vor allem den Ungehorsam des Volkes als Quelle des Unheils aus und rufe die Herde auf, auf die Stimme ihres göttlichen Hirten zu hören.Ez 34 wende wie Ps 95 die Verantwortung für das Unheil von Gott ab, gehe aber insofern einen eigenen Weg, als hier nun speziell die Führer des Volkes als Hirten angeklagt würden, die versagt hätten. f)iese Beschreibung der theologiegeschichtlichen Entwicklung scheint mir allerdings insofern problematisch zu sein, als die Unterscheidung zwischen der Verantwortlichkeit Gottes und der der Menschen deutlich überzogen wird. Schließlich sieht auch Ps 79 den Zorn Gottes nicht als Willkür, sondern spricht von menschlicher Schuld und Sünde (V.8 f) und deutet damit eine Ursache für die göttliche Strafe an. Umgekehrt spricht Ps 95 nicht nur davon, daß das Herz des Volkes in die Irre geht (V. 10), sondern auch vom Zorn Gottes als Reaktion darauf (V.II). Zudem kann Ez 34 nicht einfach als "an appeal 10 return 10 a theocratic and utopian society" eingestuft werden. Dazu ist die Entstehungsgeschichte von Ez 34 ~u komplex. 132 Zunächst wird in Ez 34,1-10 festgestellt, daß die Könige als Hirten versagt haben. Deshalb wird ihnen ihr Hirtenamt weggenommen, Gott fordert seine Herde zurück und kündigt an, nun selbst das Hirtenamt für sein Volk zu übernehmen. Als guter Hirte wird JHWH sich besonders um die Verirrten, die Kranken und Schwachen kümmern (Ez 34,11-22). Hier geht es offensichtlich nicht um eine Restitution des Königtums, sondern eher um die V~rstellung einer unmittelbaren Theokratie des Königs JHWH, was in etwa der Botschaft Deuterojesajas vergleichbar wäre. Diese Verheißung wurde im Zuge der Redaktionsarbeit der Prophetenschüler allerdings durch die Ankündigung eines neuen davidischen Königs ergänzt, mit dem ein goldenes Zeitalter von Frieden und Wohlstand beginnen wird (Ez 34,23-31).
132 Zu den Problemen der Entstehungsgeschichte des Ezechielbuchs vgl. auch den Überblick bei F.-L. Hoss/eld, Das Buch Ezechiel, in: E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 1995, 345-359.
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Ir;h setze für sie einen einzigen Hirten ein, der sie aufdie Weide fi;hrt, meinen Knecht David. Er wird sie weiden, und er wird ihr Hirte sein. Ich selbst, JIfWH, werde ihr Gott sein, und mein Knecht David wird in ihrer Mitte der Fürst sein. Ich, JHWH, habe gesprochen. (Ez 34,231)
Hier wird eine neue Verbindung von königlicher und göttlicher Hirtenfunktion angezielt. Die Stellvertreterfunktion des Königs erscheint nun in der Perspektive eschatologischer Restitution. 133
5.2. Die Hirtenmetapher im Kontext der johanneischen Königschristologie Es ist kaum zu bestreiten, daß di~ prophetische Botschaft des Ezechielbuc~s, als biblische Vorgabe für die johanneische Hirtenrede in Joh 10 gewirkt hat. Zu denken ist hier vor allem an die Dialektik zwischen den schlechten und dem guten Hirten, die auch die erste Hälfte der johanneischen Hirtenrede prägt: Ich bin der gute Hirt. . Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, . der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, läßt die Schafe im Stich undjlieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolfreißt sie lIndjagt sie allseinander. Er jlieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist -und ihm an den Schafen nichts liegt. (Joh 10,11-13)134
133 Vgl. Albertz, Religionsgeschichte (s. Anm. 126),446-459. 134 Vgl. Ez 34,1-22.
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Allerdings kehrt auch die Verheißung des einen Hirten wieder, und zwar im zweiten Teil der Rede, welcher die Universalität der Heilsbedeutung Jesu in Blick nimmt: Ich habe noch andere Schafe. die nichf aus diesem Stall sind. auch sie muß ichftihren. Und sie werden aufmeine Stimme hören; und sie werden eine Herde werden. ein Hirte. (Joh 10.14-16)135
Trotz dieser Ähnlichkeiten mit Ezechiel darf der johanneische Text nicht einfach als eine direkte FOltschreibung eines biblischen Modells gesehen werden. Zum einen ist die Rede von den schlechten, bezahlten Hirten so allgemein, daß man sie nicht als direkte Kritik am irdischen Königtum wie bei Ezechiel lesen darf, und zum anderen wird man auch nicht unterstellen dürfen, daß das Johannesevangelium Jesus einfach als den davidischen König sieht, den das Ezechielbuch erwartet. Darüber hinaus besteht ein wichtiger Unterschied darin, daß die Todesthematik bei Johannes geradezu die Definition des Guten Hirten ausmacht, was im Ezechielbuch keine Entsprechung hat. Die johanneische Hirtenrede stand eben vor der Herausforderung, das Todesgeschick Jesu zu bearbeiten und zu integrieren. Das ist im Rahmen der Hirtenmetapher allerdings öhne weiteres möglich: Sobald auf die Gefährdung der Herde abgehoben wird, kann der Lebenseinsatz des Hirten als Zeichen seiner Liebe zu den Schafen thematisiert werden. Der Tod Jesu ist in diesem Kontext der letzte Beweis für die Sorge des Hirten. Im Unterschied zum bezahlten Knecht, steht Jesus, der gute Hirt, sogar mit seinem Leben für seine geliebte Herde ein. Da aber die Vorstellung vom Tod des Hirten in der königlichen Tradition keinen Platz hat, wurde in der Forschung grundsätzlicher Zweifel geäußert, ob die johanneische Verwendung der Hirterunetapher denn überhaupt etwas mit dem. Königtum zu tun hat. So
135 Vgl. Ez 34.231
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konstatierte etwa SCHNACKENBURG, daß der Hirt in Joh 10 gar "keine herrscherlichen Züge" trage. 136 Diesem Urteil ist entschieden zu widersprechen, weil auch die Integration des Todesgeschicks Jesu nichts daran ändert, daß die Hirtentätigkeit eine kulturell gängige Metapher für die königliche Herrschaft ist. Die johanneische Hirtenrede aus diesem Kontext herauszureißen, hieße zugleich sie aus dem Gesamtrahmen des Johannesevangeliums herauszureißen, das ja wie kein anderes auf die königliche Würde Jesu abhebt, wobei Kreuzestod und Königswürde, wie zu sehen war, durchaus zusammengehören. So sehr zu betonen ist, daß die Königstradition vom Todesgeschick Jesu her transformiert wird, so deutlich ist auch festzustellen, daß umgekehrt die Königstheologie die Wahrnehmung des Todes Jesu beeinflußt. Dies wird im Abschluß der Hirtenrede ganz deutlich, wo festgestellt wird, daß Jesus sein Leben freiwillig hingibt. Der johanneische Christuskönig kann im Hinblick auf sein Leben sagen: Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. (Joh 10,18*)
Der Tod Jesu erscheint nicht als Niederlage, sondern als ein hoheitsvoller Akt. Er wird direkt mit der Auferstehung verbunden und wie diese als göttliche Machttat interpretiert. Es gibt also keinen Grund, die Hirtenmetapher in Joh 10 mit ihrer Rede vom Sterben des Hirten aus dem königlichen Bereich herauszunehmen. Dies gilt umso mehr, als in der Hirtenrede die Gottesbeziehung Jesu als Vater-Sohn-Relation thematisiert wird, was dem Kontext der Königstradition gut entspricht. Die Rede ist von der innigen Verbindung zwischen Vater und Sohn durch gegenseitige Kenntnis (Joh 10,15) und von der Liebe des Vaters zum Sohn (.Ioh 10,17). Die Vater-Sohn-Beziehung gehört aber zu den ältesten Topoi der Königstradition. Daß die Sohnesbezeichnung in der johanneischen Königschristologie bewußt aufgenommen wird,
136 R. Schnackenbllrg, Das Johannesevangelium II (HThK.NT IV.2), Freihurg 31980, 371.
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wird ja gleich zu Beginn des Evangeliums am doppelten Bekenntnis des Natanael deutlich, der sich zu Jesus als König und Sohn Gottes bekennt. Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten: Die johanneische Verwendung der Hirtenmetapher ist sehr wohl vor dem Hintergrund der Königstradition zu verstehen. Sie ist Teil eines Gesamtkonzepts johanneischer Königschristologie. Daß der Gute Hirte im johanneischen Kontext vor allem durch seine Lebenshingabe qualifiziert wird, entspricht der johanneischen Königskonzeption, wonach das Königtum Jesu sich in der Erhöhung am Kreuz vollendet. Die Integration des Kreuzestodes stellt eine spezifisch christliche Transformationsleistung dar, die das traditionelle Königsschema aufbricht. Allerdings ist noch mit einer weiteren Transformation zu rechnen. Schließlich wird Jesus begriffen als ein himmlischer König, der aus seinem göttlichen Reich in die Welt der Menschen herabgestiegen ist, um hier Zeugnis abzulegen für die Wahrheit, und der zurückkehrt zum Vater. Diese gedankliche Struktur ist der biblischen Hirtentradition noch ganz fremd. Und an dieser Fremdheit wird deutlich, daß das johanneische Denken nicht einfach die' Fortschreibung dieser Tradition sein kann, sondern sich noch aus anderen Quellen speist. Eine dieser Quellen liegt, wie wir gesehen haben, im Bereich des hellenistischen Judentums. Die dort vollzogene Weiterentwicklung der Königstheologie stellt die alte Königstradition in den Kontext einer weisheitIichen Theologie. Dabei übernimmt die Weisheit selbst königliche Züge. Ein Zeuge der entsprechenden Transformationsprozesse ist Philo von Alexandria, dessen Logoskonzeption ich schon kurz dargestellt habe. Wie zu sehen war, ist es für Philo ganz selbstverständlich, daß Gott als König gesehen wird, der über den ganzen Kosmos herrscht, und daß der Logos als Sohn Gottes an dieser Herrschaft partizipiert. Diese Grundüberzeugung zeigt sich auch im Umgang Philos mit der Hirtenmetapher: Philo weiß zwar, daß die griechischen Dichter (seit Homer) die Könige als Völkerhirten
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preisen,137 aber er selbst hebt vor allem auf die HirtenrtJlle Gottes ab. Der transzendente Gott als guter Hirte regiert freilich Himmel und Erde nicht unmittelbar., sondern hat seinen Logos, den InbegriffgöttIicher Weisheit und Vernunft, .als stellvertretenden Machthaber eingesetzt. Denn Gott, der Hirt und König, leitet nach Recht und Gesetz, Erde, Wasser, Luft, Feuer samt den sie fiillenden Pflanzen und Tieren. sterblichen und göttlichen Wesen, überdies den Himmel, die Kreisbewegungen der Sonne und des Mondes, die Wendungen und harmonischen Reigen der anderen Himmelskörper wie eine Herde, nachdem er seinen rechten Logos und erstgeborenen Sohn zum Leiter eingesetzt, damit er die Fürsorge fiir diese heilige Herde wie ein Unterbeamter und Vertreter des Großkönigs' übernehme. (agr.51)
Der eigentliche Weltenkönig delegiert also seine kosmische Herrschaft an sein Ebenbild, den Sohn, wobei die Tatsache, daß das umfassende göttliche Hirtenamt ebenso den Gestirnen wie den Menschen gilt, sowohl auf stoischen urid mittelplatonischen Einfluß schließen läßt,138 wie es als Beleg für die (unterschwellige) Integration alter ägyptischer Traditionen gelesen werden kann. 139 Interessanterweise setzt Philo das Bild von der kosmischen Hirtenfunktion Gottes mit Ps 23,1 in VerbindUng. Das persönliche Bekenntnis des Psalmbeters wird dabei universalisiert: Der gesamte Kosmos soll Gott als seinen Hirten anerkennen. Daß ausgerechnet ein Text der Persönlichen Fröm~igkeit zum biblischen Bezugspunkt für ein kosmisches Hirtenverständnis wird, wirkt einigermaßen pikant, hat aber eine sachliche Entsprechung darin, daß bei Philo die kosmische Herrschaft Gottes, bzw. seines Logos stets auch für den Menschen Heilsbedeutung hat:
137 Vgl. agr. 41. 138 Vgl. Tobin, Prologue (s. Anm. 1),257, der auch darauf aufmerksam macht, daß die Bezeichnung von Mittlergestalten als Logos vor allem bei Autoren auftritt, die in Beziehung zu Ägypten stehen (vgl. a.a.O., Anm. 16). 139 Zu den ägyptischen Quellen des philonischen Denkens vgl. Mack, Logos und Sophia (s. Anm. 99), 108-195.
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Wer sich als Mensch dem Logos öffnet, durch den Gott herrscht und seine GUte erweist (eher. 27), der erhält Anteil an der Weisheit Gottes und wird so selbst zum König. Und mit der Überhagung der Königswürde auf den Weisen geht die Übertragung der Hirtenmetapher einher. Der königliche Weise läßt seinen Nous wie einen Hirten über seine unvernünftigen Neigungen regieren und betrachtet das himmlische Reich der reinen Vernunft als seine eigentliche Heimat (agr. 65 j).t 40 Die Herrschaft des geistigen Hirten ist die mikrokosmische Entsprechung zur makrokosmischen Herrschaft des Logos. Es liegt auf der Hand, daß einige Elemente dieses Denkens der johanneischen Logoschristologie entsprechen. Die Basisübereinstimmung ist sicher darin zu sehen, daß der göttliche Logos, der als Sohn und Stellvertreter im Auftrag des Vaters zum Heil der Menschen wirkt und so an der göttlichen Herrschaft partizipiert, sowohl bei Philo als auch im Johannesevangelium die königliche Hirtenbezeichnung übertragen bekommt. Diese Übereinstimmung entspricht der allgemeinen Erkenntnis, daß die hellenistisch-jüdische Logos- bzw. Weisheitsspekulation auf die Entwicklung der johanneischen Christologie großen Einfluß hatte. Allerdings gibt es wichtige Unterschiede, die es verbieten, die johanneische Christologie nun einfach als Fortschreibung jüdischer Logosspekulation zu sehen. Da es im Johannesevangelium ja immer noch um den Menschen Jesus und sein irdisches Geschick geht, kann die johanneische Christologie nicht einfach nur vom permanenten kosmischen oder geistlichen Wirken des Logos sprechen. Der Logos ist Mensch geworden und hat unter den Menschen gewirkt. Es ist von daher mehr als naheliegend, wenn das Johannesevangelium bei der inhaltlichen Bestimmung der Hirtenfunktion des Logos ganz andere Akzente setzt als Philo. Bei ihm liegt der Schwerpunkt "eindeutig bei der kosmischen Hirtenfunktion. Die soteriologische Funktion des Logos steht dabei eher im Hintergrund. Sie ist aus dem, was Philo an anderen Stc;l\en über das Wirken des Logos sagt, zwar eindeutig zu erschließen, wird aber nicht unter 140 Vgl. Barraclough, Philo's Politics (s. Anm. 3), 547.
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dem Hirtenbegriff thematisiert. Hirte auf der persönlichen Ebene ist der Weise selbst, der innerlich seinen Nous regieren läßt. Eine Vermittlungsfunktion des Logos wird in diesem Zusammenhang nicht angesprochen. Die johanneische Hirtenmetaphorik nähert sich dagegen wieder stärker der biblischen Tradition an. Die kosmische Funktion des Logos, die wie der Prolog ausweist, durchaus gegeben ist, wird nicht unter dem Hirtenbegriff thematisiert. Statt dessen steht die soteriologische Beziehung zwischen dem Hirten und den ihm anvertrauten Menschen im Vordergrund. Zwar wird die ethnische Grenze Israels aufgebrochen (Joh 10,16), aber davon abgesehen tritt der Logos in die königliche Rolle der biblischen Tradition ein. Weil das Königtum des Logos nicht von dieser Welt ist, steht die johanneische Christologie zwar jedem politisch-messianischen Verständnis des Königtums Jesu distanziert gegenüber, aber als Königschristologie bleibt sie trotzdem prinzipiell offen für die Rezeption von Einzelelementen aus dem Bereich der Königstradition. Die johanneische Rede von Jesus als dem Guten Hirten kann als ein gutes Beispiel für diese Offenheit gelten - ein Beispiel, das vor allem zeigt, daß Rezeption immer zugleich .Transformation bedeutet. Insbesondere die Integration des Kreuzestodes Jesu ist es, die das königliche Hirtenschema aufbricht. Diese neue Rede vom Guten Hirten ist Teil einer Königschristologie, die weisheitlich geprägt ist, aber auch weisheitliche Schemata grundlegend verändert. Die Vorstellung vom permanenten geistlichen Wirken des' Logos, der als erstgeborener Sohn und Ebenbild Gottes Schöpfungs- und Heilsmittler ist, reicht offensichtlich nicht ~ehr aus. Es geht nicht mehr nur um das kontinuierliche Wirken der göttlichen Weisheit, sondern um die Offenbarung des menschgewordenen Logos. Geoffenbart wird die Herrlichkeit des Sohnes, der vom Vater gesandt ist und zum Vater zurückkehrt, aber diese Herrlichkeit kann nicht anders geschaut werden als im Glauben, daß der
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Mensch Jesus der Sohn Gottes ist und daß seine Erhöhung im Kreuzestod sich vollzieht. 141 Insofern kann die Hirtenmetapher begriffen werden als Element einer weisheitlichen Königscbristologie, die im Hinblick auf die Annseligkeit des historischen Jesus recht fremd wirken mag, aber doch nichts anderes darstellt als einen (im Hinblick auf die hellenistische Weltkultur) modernen Versuch, die bleibende Heilsbedeutung genau dieses Menschen aus Nazaret sicher zu stellen und den Blick auf sein qualvolles Ende aushalten zu lehren.
141 Vgl. Merklein, Geschöpf und Kind (s. Allm. 6), 180 f.
127
6.
Das Machtwort des Königs
'Zu den beeindruckendsten, wenn auch heute vielleicht. etwas befremdlich wirkenden Momenten in der johanneischen Passionserzählung gehört sicher die Szene unmittelbar vor der Verhaftung Jesu: Judas, der seinen Meister ausliefert, kommt mit einer ganzen Kohorte, welche auch noch durch Diener der Hohenpriester und Pharisäer verstärkt wird, um Jesus festzunehmen. Das Riesenaufgebot von mehreren hundert Mann kommt zu dem Garten, in dem sich Jesus mit seinen Jüngern aufhält. Jesus nun, der alles wußte, was über ihn kommen sollte, , trat heraus und sagte zu ihnen: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus, den Nazaräer, Er sagte zu ihnen: Ichbin (es)! I ~yw df.,LL Es stand aber auch Judas, der ihn aus{;ejime, bei ihnen. Wie er nun zu ihnen sprach: Ich bin (es)! I eycJ df.,LL, da wichen sie nach hinten undfielen zur Erde.
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(Joh 18,4-6)
Jesus wiederholt dann seine Frage nach dem Gesuchten, gibt sich erneut zu erkennen, bewirkt die Verschonung seiner Jünger und gibt sich freiwillig in die Gewalt des beeindruckend zahlreichen Verhaftungstrupps. Die ganze Szene ist offensichtlich von der Absicht geprägt, Jesus als den souveränen Herrn des Geschehens erscheinen zu lassen. Da ist nicht die Rede von Flucht und Verstecken wie es angesichts der Masse der Feinde menschlich durchaus erwartbar wäre. Vielmehr wird die Initiative Jesu herausgestellt. Er muß nicht erst durch einen Kuß' des Judas iqentifiziert werden, sondern stellt sich vielmehr selbst dem Riesenaufgebot der Gegner, denen er im vollen Wissen um das, was kommen wird, entgegengeht. Schon in Joh J3, J, also bei der Einleitung der johanneischen Lei~ densgeschichte, war das Wissen Jesu über sein Todesschicksal betont worden. Insofern ist es für die Lesenden nun keine Überraschung, wenn Jesus auch hier als derjenige geschildert wird, der souverän alles überblickt. Da in 13,3 mit dem Wissen Jesu den Le-
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senden zugleich die Information darüber gegeben worden war, daß der Vater Jesus alles in die Hände gelegt hat, ist es auch nicht überraschend, wenn Jesus hier als der Herr der Lage gezeichnet wird. Insgesamt kann die Szene so gelesen werden, daß gleich bei der Verhaftung deutlich gemacht wird, daß die folgende Geschichte von Leiden und Tod Jesu nur scheinbar eine Geschichte der Ohnmacht Jesu ist. In Wahrheit gilt, was Jesus in 10,18 über sein Leben gesagt hatte, daß nämlich er selbst die alleinige Bestimmung über sein Leben hat. In unbeschränkter Souveränität gibt er es hin und nimmt es sich wieder. Diese Souveränität drückt sich nun in einem Erzählmoment mit ganz besonderer Dichte aus, nämlich im Zurückweichen und Niederfallen der Feinde vor dem eyw d~L Jesu. "Vor seinem hoheitsvollen 'Ich-bin (es)'fallen die, die ihn ergreifen wollen, zu Boden. Vor dem äußerlich Machtlosen weichen die Machthaber zurück. Keine Macht kann ihm etwas anhaben, wenn er es nicht will. "142 So einleuchtend die Botschaft dieses Motivs im Kontext des johanneischen Jesusbilds wirkt, so unklar bleibt seine Herkunft. Ernst HAENCHEN erklärt das Motiv des Zurückweichens und Niederfallens als Produkt schriftgelehrter Spekulation und verweist auf zwei entsprechende Psalmen. 143 Da ist einmal Ps 35 (LXX 34). Dort wird im ersten Abschnitt (V. 13) der Krieg Gottes gegen die Feinde des Beters erbeten. Gott selbst soll sich zum Beistand des Bedrohten machen und für ihn Speer und Lanze gegen seine Gegner schwingen. Im Abschnitt V.4-6 wird dann geschildert, wie es den Feinden ergehen soll. "Die Verse wünschen den Feinden (1) viel Unheilvolles an, weil sie dem Beter nach dem Leben trachten (4). Dazu gehört der Verlust des Gesichts und das Erleiden der Schande, der schmähliche Rückzug in ihrer Niederlage." 144 Im Kontext der entsprechenden Aufzählung wird auch erwähnt, daß die Feinde zurückweichen werden, ohne ihr Ziel zu erreichen.
142 F. Porsch, Johannesevangelium (SKK.NT 4), Stuttgart 21989, 192. 143 Vgl. Haenchen, Johannesevangelium (s. Anm. 1),518. 144 Seybold, Psalmen (s. Anm. 73), 146.
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Zurückweichen sollen sie und vor Scham erröten, die au/mein Ungliick sinnen.
(Ps 35.4)
Entstehungsgeschichtlich gesehen gehört VA zum Gnmdbestand des Psalms, genauer zu dem Teil, der als vorexilischer Bittpsalm einzustufen ist. Verschiedene Textelemente (Darstellung JHWHs als Krieger, anthropomorphe Beschreibung der göttlichen Kriegsausrüstung, Heilsorakel im kriegerischen Kontext) lassen F.-L. HOSSFELD einen königlichen Sprecher annehmen. Auch die alte Tradition des Engels JHWHs als Führungsengel Israels wird zugunsten des Königs aufgerufen. 145 Die Septuagintaversion verwendet für das Zurückweichen der Feinde zum Teil dieselbe Formulierung wie der johanneische Text (
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Die Frage ist natürlich, inwiefern in neutestamentlicher Zeit die königliche Dimension des Psalms überhaupt noch erkannt wurde. Immerhin hat aber auch die Septuagintafassung noch die Zu schreibung "von David" (TC\> LlIWLÖ) und setzt damit einen königlichen Bezug voraus. Es ist also mindestens denkbar, daß die königliche Dimension der Anrufung Gottes als Streiter, vor dem die Feinde zurückweichen, auch neutestamentlich noch mitzulesen ist. Festzuhalten ist auch, daß in V.3, also unmittelbar vor der Aussage über das Zurückweichen der Feinde, die Heilszusage Gottes in der Formulierung "Dein Heil bin ich" (aWTT}pLa oou l:yw e[IJoL) zitiert wird. Auch im Psalm geht also dem Zurückweichen der Feinde ein "Ieh bin" I eyw eLlJoL "oraus, das freilich von Gott gesprochen wird. Das muß aber kein Grund sein, dieser Konstellation im Psalmtext jeden Einfluß auf die Gestaltung der johanneischen Szene abzusprechen. Schließlich kann im Kontext der johanneischen Christologie auch der Logos als Gott bezeichnet werden. Die andere Schriftstelle, die eine Rolle spielen kann, findet sich in Ps 27 (26), der David zugeschrieben ist. Im ersten Abschnitt des
145 Vgl. F.-L. Hoss/eld / E. Zenger, Die Psalmen I. Psalm 1-50 (NEB 29), Würzburg 1993,215 f.
Psalms, in den Versen 1-3 wird die unanfechtbare Glaubepsgewißheit des· Beters thematisiert. Böse Erfahrungen liegen hinter ihm. Er hat sie überstanden, das Dankopfer (V.6) liegt vor ihm. Da er die. Erfahrung gemacht hat, daß Gott ihm Licht und Heil ist, ein zuverlässiger Schutz seines Lebens, hat er nichts zu fürchten. Selbst wenn ein Heer gegen ihn Krieg führen sollte, wird er furchtlos bleiben. Das Vertrauen auf JHWH wird nicht wieder verloren gehen. In diesem Zusammenhang wird in V.2 festgestellt, daß die Bedränger und Feinde, die der Beter tatsächlich hatte, schon gefallen sind. Meine Bedränger und Feinde, sie sind gestrauchelt und gefallen. (Ps 27,2)
Den Versen 1-6 liegt ein Vertrauenslied zugrunde, das vorexilisch entstanden sein kann. Es "spiegelt in seiner militärischen Sprache und in seinen Kriegsbildern den Einfluß von Königsliedern wider". 146 Die Septuaginta behält die Zuschreibung an David bei und. denkt offensichtlich an den jungen. David vor der Königssalbung- (1TP '['DU XpLo9fjv«L). Sie formuliert an der interessierenden Stelle: ol
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(LXX Ps 26,2)
Hier geht es also nicht um das Zurückweichen, sondern um das Niederfallen der Feinde. Das hEO«V entspricht der Formulierung inJoh 18,6. Raymond BROWN hat außerdem auf Ps 56 (55) hingewiesen. 147 Bei diesem Psalm handelt es sich um das Gebet eines Verfolgten und Angeklagten, das nach erfolgter Rettung für die Dankfeier konzipiert wurde. 148 Es wird in der Überschrift David zugeschrieben, und zwar in einer biblisch nicht näher zu bestimmenden Situation, "als ihn die Philister in Gath ergriffen." Der Abschnitt V.IO-12
146 Hossfeld I Zenger, Psalmen, 172. Vgl. R. Brown, The Gospel according to lohn, 2 Bde. (AncB 29), London 1971 (=1966), 818. 148 Vgl. Seybold, Psalmen (s. Anm. 73), 224-228. 147
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formuliert ein Vertrauensbekenntnis, das aus der Gewißheit lebt, daß Gott für den Beter ist. Der Entschluß, alles auf Gottes Ent~ scheidung zu setzen, bestätigt sich im Wissen, daß Gott das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigt. V.IO formuliert als Glaubenserfahrung: Dann weichen die Feinde zurück an dem Tag, da ich rufe: Jetzt weiß ich, daß Gottfiir mich ist! (Ps 56,10) .
Diese Erfahrung führt zum Lobpreis auf Gottes Wort (V.II), womit in der Situation des Psalms ein angerufenes Gottesurteil gemeint sein dürfte. Die Septuagintafassung hat in V.IO wieder Eie; "CQ: o1T(aw. In V.II verwendet sie pfiflU und ÄOyoc;. Unabhängig vom ursprünglichen Sinn des Psalms könnte die Rede des griechischen Textes vom Logos Gottes eine Rolle bei der Konzeption der johanneischen Szene gespielt haben. Insgesamt gesehen, wird man ohne weiteres der These von HAENeHEN und. anderen folgen können und das Zurückweichen. und Hinfallen der Feinde in der johanneischen Erzählung als eine Reaktivierung biblischer Tradition einstufen. Die Relevanz der angeführten Psalmtexte dürfte über die Übereinstimmungen im Wortlaut hinausgehen. Zunächst ist der königliche Kontext zu beachten, in -dem der Psalmbeter steht, und der die Anschlußrähigkeit der Texte für die johanneische Königschristologie erhöht haben kann. Außerdem sind Einzelzüge festzuhalten, die bei einer entsprechend interessegeleiteten Lektüre der Psalmen eine gewisse Relevanz erhalten konnten. 149 Hier ist einmal an das göttliche "Ich bin" in LY,X Ps 34,3 zu denken und außerdem die Rede vom Logos in LXX Ps 55,11.
149 Man hat ja nicht mit einer literaturwissenschaftlichen Analyse biblischer Texte durch neutestamentliche Autoren zu rechnen, sondern mit einer eher verwendungsorientierten Wahrnehmung. Dies gilt für Texte, die in einen Erf"üllungszusammenhang mit dem Jesusereignis gebracht werden konnten, natürlich in besonderem Maße.
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Und trotzdem bieten diese Texte keine hinreichende Erklärung f'lir die Verwendung des Motivs in der johanneischen Erzählung. Dort geht es ja nicht einfach darum, Jesus als Gerechten zu charakterisieren, der wie König David von Gott vor seinen Feinden gerettet wird. Es geht in Joh 18 ja konkret darum, daß die Worte Jesu die Ursache für das Zurückweichen und Niederfallen der Feinde sind. Diese Verbindung ist in Joh 18 so wichtig, daß das EYW EL~L Jesu in V.6 eigens wiederholt wird, bevor die Reaktion der Gegner angesprochen wird. ISO Und gerade für diese Verl>indung findet sich allenfalls in LXX Ps 34,3 ein Anhalt. Allerdings ist die Verbindung von göttlicher Selbstaussage und .Niederfallen dort ja nicht einfach vom Text her gegeben, sondern läßt sich nur be} entsprechendem Lektüreinteresse herstellen. Die Verbindung von ~yw El~L und Niederfallen kann also kaum aus dem Psalm heraus entwickelt worden sein. Was nun den innerjohanneischen Kontext der Worte Jesu angeht, so steht dasEYw EL~L natürlich mit den Worten Jesu in Verbindung, in denen Jesus sich als Brot des Lebens, Licht der Welt, Guter Hirte oder ähnliches bezeichnet und damit seine exklusive soteriologische Funktion thematisiert. Allerdings ist zu beachten, daß es sich hier um einen absoluten Gebrauch der Fonnulierung handelt. Dies hängt zunächst damit zusammen, daß es um eine direkte Identifizierung Jesu geht. Er gibt sich als der Gesuchte zu erkennen. Allerdings wird man aus der machtvollen Wirkung der Worte schließen dürfen, daß es nicht nur um eine banale Feststellung der Personenidentität geht. Dies wird auch von 13,19 her deutlich. Dort hatte Jesus im Hinblick auf den Verrat des Judas gesagt:
150 Das Eyc..> eL\-1L wird auch in 18,8 noch einmal aufgegriffen. Dort dient die Selbstidentifikation Jesu dazu, die Verschonung der Jünger einzuleiten. Deren Rettung vor dem Zugriff der Verfolger wird in V.9 dann als Erfüllung eines Jesuswortes gedeutet. Aufgrund des . Stichworts &no'uuIlL kommen 6,39; 10,28; 17,12 als Bezugspunkt in Frage. Im Hinblick auf Joh ZO,28 wird man sagen können, daß Jesus sich als Guter Hirte bewährt, indem er die Jünger rettet.
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Ich sage es euch schon jetzt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt: Ich bin (I:.yw dfLL) es.
Da in 18,3.5 Judas erwähnt wird, ist für die Lesenden klar, daß jetzt die Übergabe Jesu durch den Verräter stattfindet. Im Rückbezug auf 13,19 kann es nun aber nicht darum gehen, die irdische Identität Jesu zu klären. Diese steht ja allenfalls in der erzählten Welt (für den Verhaftungstrupp ), aber nie für die Lesenden in Frage. Für sie kann es nur darum gehen, daß die eigentliche Identität Jesu im Moment des Zugriffs der Verfolger deutlich wird. Genau diese deutlich zu machen, leistet die machtvolle Wirkung des Wortes. Insofern hat BULTMANN Recht, wenn er feststellt: "Der Leser, der diefriiheren EYW dfLL im Sinne hat, hört freilich mehr heraus, als der Zshg sagt: der Offenbarer spricht! - und so begreift er die wunderbare Wirkung, die das Wort hat (v'6): die Häscher weichen zurück und fallen zu Boden, wie man vor der epiphanen Gottheit niedersinkt. "151 Zwar ist hier nicht das anbetende Niederfallen thematisiert, auf das BULTMANN verweist, aber an ein Niederfallen vor der Macht einer göttlichen Epiphanie wird man wohl denken dürfen. Immerhin mag das absolutel:.yw ELfLL Jesu bibelkundige Leserinnen und Leser an die biblische Formel der Selbstoffenbarung Gottes ani hu (,i1 ~J~) erinnert haben, welche die Septuaginta mit I:.yw ELf..I.L wiedergibt. "Jesus ist Gottes eschatologischer Offenbarer, in welchem sich Gott selbst zur Sprache bringt. 11152 Die Frage ist nun freilich, inwiefern Jesus als Epiphanie Gottes verstanden werden kann, deren Selbstidentifikation so machtvoll ist, daß sie die Gegner zu Boden wirft. Die Lesenden wissen schon von Joh 1 her, daß der Logos "Gott" (9EOC;) ist (Joh 1,1.18) und daß Jesus die Inkarnation dieses Logos ist, der .als Sohn Ebenbild des göttlichen Vaters ist. Der Sohn und der Vater sind eins (10,30)
151 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK), Göttingen 1941,494 f. 152 Schnackenburg, Das Johannesevangelium II (s. Anm. 136), 69; vgl. ebd., 59-70.
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und deshalb ist im Sohn der Vater erkennbar. Diese Vater-SohnRelation ist im Johannesevangelium mit der Vorstellung von Jesus als himmlischem König verbunden. Jesu Königswürde wird, wie wir gesehen haben, gerade im Kontext der Leidensgeschichte .massiv betont. Der scheinbar Ohnmächtige ist der wahrhaft Mächtige, der als· König verspottete Gefangene ist als Logos der wahre König der Welt. Wenn in Jesus dieser göttliche König Mensch geworden ist, dann ist es naheliegend, daß die Gegner vor der Selbstidentifikation Jesu zurückweichen und zu Boden fallen. Dies gilt umso mehr, als damit zu rechnen ist, daß die Königschristologie des Johannesevangeliums auch hier Einflüsse der Königstradition aufnimmt. In antiken Königskonzeptionen war nämlich die Vorstellung bekannt, daß das Wort des Königs über wunderbare Macht verfügt. In A"gypten hängt die Vorstellung vom Machtwort des Königs eng mit der theologischen Würdigung des königlichen Amtes zusammen. Als Sohn ist der König Ebenbild und Stellvertreter (Jottes. "Das Herrschen ist das eigentlich Heilige und Göttliche. Von seinem dem er berufen und bevol1mächtigt ist, wächst dem König Tun also, seine Göttlichkeit zu. "153 Als Träger eines göttlichen Amtes eignet dem König eine göttliche Würde, die sich auch in der erschreckenden Majestät seines Auftretens ausdrückt. Die Macht seiner Gegenwart wird als· numinose Aura erlebt, die Leben oder Tod bedeuten kann. Zur Audienz vor den König geführt zu werden, kann einen heiligen Schrecken auslösen, der zur Ohnmacht führt. Der Zorn des Königs nimmt den Atem. Erst wenn er gnädig wird, kann man wieder Luft holen. In seiner Gegenwart beginnt man vor Angst zu zittern, man verliert den RaH, "in seiner Nähe kann man nicht stehen bleiben. " so ein Loblied auf Sesostris L 154 Der König ist als Repräsentant der Gottheit unangreifbar und steht unter dem besonderen Schutz Gottes. So kann Amun zu Thutmosis In. sagen:
zu
153 Assmann, Stein und Zeit (s. Anm. 10), 245. Vgl. zum folgenden ebd.,238-240. 154 ÄHG (s. Anm. 35) Nr. 227,13.
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Ich lasse die Angreifer. die in deine Nähe kommen. erlahmen. ihre Herzen entbrennen. ihre Leiber erzittern. (ÄHG 233. 42 J)
Weil der König Stellvertreter Gottes auf Erden ist, kann von ihm gesagt werden, daß Atum durch seinen Mund spricht. 155 Da der König nicht auf eine. Gottheit festgelegt ist, ist eine vergleichbare Aussage auch in bezug auf andere Götter möglich. Ramses II. wird zugerufen: Alles~
was aus deinem Munde hervorgeht. ist wie die Worte des Harachte. Eine Waage ist deine Zunge. deine Lippen sind genauer als das genaueste Maß des Thot. (ÄHG 237.9-12)
Als Gottesworte haben königliche Aussprüche Wirkmacht bis in den letzten Winkel des Landes. "Das wird auf unsichtbare Kraftfelder zurückgeführt. die sich im König selbst befinden oder von ihm a1,l.sstrahlen. Daz,u gehört das Vermögen eines unwiderstehlichen Machtspruches. Hu. das seinerseits auf ein außergewöhnliches Erkenntnisvermögen. Sia, rückschließen läßt. "156 So heißt es über Ramses. II. in der schon zitierten Eulogie: Hu ist in deinem Mund. Sia ist in deinem Herz; deine Zunge istein Schrein der Ma'at. auf deinen Lippen sitzt eIn Gott. (ÄHG 237. 36-39) 157
Die Verbindung des königlichen Machtwortes mit der Verwirklichung der Ma'at ist insofern naheliegend, als das gesamte königliche Tun seinen Sinn genau darin hat. Da sich die Ma'at aber nicht realisieren läßt, ohne daß die Feinde, die Widersacher der Ordnung, niedergeschlagen werden, ist es folgerichtig, daß die Vorstellung von der Macht des königlichen Wortes auch in di~sem Zusammenhang auftritt.
155Vgl. ÄHG 238,25. 156 K Koch, Geschichte der ägyptischen Religion, Stuttgart 1993, 58. 157 Vgl. auch ÄHG (s. Anm. 35) 226, 14.
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So wird in einem Loblied auf Sesostris IH. gesagt: Die Zunge seiner Majestät ist es, die Nubien einschüchtert, seine Aussprüche, sie schlagen die Asiaten in die Flucht. (ÄHG 228, 151)
Das königliche Machtwort ist freilich kein Ersatz für die physische Gewalt des königlichen Kriegshelden, sondern unterstützt diese. Dies wird deutlich, wenn etwa unmittelbar vor dem zitierten Passus gesagt wird, daß der König tIden Pfeil schießt wie Sachmet, um Tausende zu fällen unter denen, die seine Macht verkennen." (AHG 228, 13j) Nach diesem Durchgang durch die ägyptische Königstradition ist also festzuhalten, daß der König, der Stellvertreter Gottes auf Erden, als eine mit numinosen Kräften geladene Person galt, deren Epiphanie Reaktionen von Angst und Schrecken, auch das entsetzte Niederfallen, auslöst. Zu den Machtkräften, die der König braucht, um seine Aufgabe zu erfüllen, die Ma'at zur verwirklichen, gehört auch der Machtspruch (Hu), der ihm die unbedingte Realisation seines Willens gestattet. Dieses Machtwort spielt auch eine wichtige Rolle beim Niederwerfen der Feinde, welches elementar zur Errichtung der Ma'at gehört. Nun ist es freilich methodologisch keinesfalls zulässig, von altägyptischen Königstexten eine direkte Beziehung zu neutestamentlicher Christologie herzustellen. Es läßt sich allerdings zeigen, daß ägyptische Vorstellungen in die biblische Königstheologie Eingang gefunden haben und über diese Vermittlung Einfluß auf die Entwicklung neutestamentlicher Christologie gewinnen konnten. Dies gilt auch von der Vorstellung der wunderbaren Macht des königlichen Wortes. Sie findet sich in Jes 11, wo vom davidischen Idealkönig. die Rede ist. Die Beschreibung des neuen Sprosses aus der Wurzel Isais ist stark von ägyptischen Vorstellungen beeinflußt. Jes 11,1-9 kann als Relecture von Jes 8 angesehen werden und gehört zu einer nachexilischen Gesamtkomposition, die dem Zeichen in Jes 7,14 einen neuen, eindeutig positiven Sinn gibt. Man kann mit ZEN GER von einem messianischen Triptychon sprechen, "dessen erstes Bild die Verh~ißung der Geburt eines neuen Königtums
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(Jes 7,10-17), dessen Mitte/bild die Geburt selbst (Jes 9,1-6) und dessen drittes Bild die Herrschaftsausübung (fes 11,1-9) der neuen Dynastie beschreibt, die nicht mehr mit den Makeln des vorexilischen Königshauses behaftet sein wird 1/ 158 Hatte der Königstext in Jes 9,1-6 betont, daß das neue Königtum ein Geschenk Gottes sein wird, und in den Thronnamen das Herrschaftsprogramm des Heilskönigs skizziert, so wird in Jes 11 das Glück seiner Herrschaft mit visionären Farben ausgemalt. Im Unterschied zur Gewaltkomponente, die in anderen Königsliedern anzutreffen ist (vgl. etwa Ps 2), wird hier die absolute Gewaltfreiheit des neuen Königtums besungen. Die Überwindung der Gewalt ist so umfassend, daß auch die Tierwelt mit einbezogen wird. Kein Lebewesen muß mehr ein anderes bedrohen oder gar auf dessen Kosten leben. Dieses paradiesische Königtum ist nun nicht mehr als Fortsetzung der davidischen Dynastie zu denken, sondern stellt sich als Neuschöpfung JHWHs dar. Nicht von David stammt der verheißene König ab, sondern von Isai, dem Vater Davids. Aus dem alten Wurzelholz treibt ein neuer Sproß, ein neuer David, hervor.I 59 Es geht nicht mehr um Fortsetzung, sondern um
158 E. Zenger, J~sus von Nazaret und die messianischen Hoffnungen des alttestamentlichen Israel, in: U. Struppe (Hg.), Studien zum Messiasbild im Alten Testament (SBAB.AT 6), Stuttgart 1989, 2366: 45. 159 In der christlichen Kunst wurde der Sproß aus dem Stamme Isais später mit der ägyptischen Bildtradition des Gottes auf der Bliite verbunden. Vgl. zur ägyptischen Tradition H Schlögl, Der Sonnengott auf der Blüte. Eine ägyptische Kosmogonie des Neuen Reiches (Aegyptiaca Helvetiaa 5), Genf 1977, bes. 17-19; zur Wirkungsgeschichte vgl. S. Morenz, Die Begegnung Europas mit Ägypten, ZÜrich-Stuttgart 1969, 109 f. Es ist aber zu betonen, daß diese Königsmetaphorik atl. noch keine Rolle spielt, sondern hier ein eigenständiges Bild vorliegt, obwohl die Kenntnis der entsprechenden Darstellungsweise aJlch in den palästinisch-syrischen Raum hinein übermittelt wurde. Vgl. S. Morenz / J. Schubert, Der Gott auf der Blume. Eine ägyptische Kosmogonie und ihre weltweite Bildwirkung, Ascona 1954, 78-82; 0. Keel I eh. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsge-
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einen neuen Anfang, der freilich an Altes anknüpft. 160 Es entspricht der schöpferischen Qualität, die das Handeln Gottes bei der Installierung des neuen Herrschers 'zeigt, wenn ,die paradiesischen Zustände des neuen Reiches dem Urzustand der Schöpfung (Gen 1,30) angenähert werden.I 61 Was den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Rede vom Tierfrieden angeht, so ist einmal an entsprechende mesopotamische Vorstellungen zu denken, dann aber auch an das ägyptische Ma'atDenken, für d~s eine Verschränkung von menschlich-sozialer Gerechtigkeit und kosmischer Ordnung bezeichnend ist. Die Reichsordnung, die die Herrschaft des König herstellt, ist ein Ordnungsrahmen, der Menschenwelt und Natur umfaßt, also soziale Ordnung ebenso meint wie kosmische Ordnung. 162 Vermutlich im Rückgriff ,auf die Erwählungsgeschichte Davids (lSam 16) spricht .fes 11,2 auch von der Geistbegabung des Regenten. Die ausdifferenzierte Beschreibung betont die Bedeutung dieses Geistes und verbindet mit ihm alle wesentlichen Herrscherqualitäten altorientalischer Tradition. Durch diese Verbindung wird Gott selbst als die Quelle dieser Eigenschaften herausgestellt, denn es ist sein Geist, der aU dies bewirkt. So wird der König gezeichnet als das von Gott selbst gestaltete Werkzeug seines Handelns, als "der Sachwalter der göttlichen Herrschaft au/Erden. "163 In diesen Kontext der Repräsentanz der göttlichen Herrschaft durch die Regentschaft des idealen Königs ist nun auch die Rede
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schichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (Qn 134), Freiburg 31995, 282-285. Vgl. W. Werner, les 9,1-6 und les 11,1-9 im Horizont alttestamentlicher Messiaserwartung, in: U. Struppe (Hg.), Studien zum Messiasbild im Alten Testament (SBAB.AT 6), Stuttgart 1989, 253-270: 266; auch H. Wildberger, Jesaja I. Jesaja 1-12 (BK 10.1), Neukirchen-Vluyn 21980, 446 f, der al1erdings den Kontinuitätsaspekt des Bildes etwas stärker betont. Vgl. R. Kilian, Jesaja 1-12 (NEB 17), Würzburg 1986,89 f. Zur Konzeption der Ma'at vgl. Assmann, Ma'at (s. Anm. 62), 201231. Wildberger, Jesaja I. (s. Allm. 160), 447; vgl. auch ebd. 447-450; Zenger, Jesus (s. Anm. 158),48; Kilian, Jesaja (s. Anm. 161),88 f.
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von der Macht des königlichen Wortes eingebettet, auf die Anton DAUER hingewiesen hat. 164 Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, . . sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet for die Armen des Landes. wie es recht ist. Er schlägt den Gewalttätigen mIt dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes. (Jes 11,31)
Die Wirkmächtigkeit des Wortes, die dem Herrscher den Verzicht auf physische Gewalt erlaubt, erinnert innerbiblisch an die Wirksamkeit des Schöpfungswortes (Gen 1). An die richterliche Gewalt des göttlichen Wo~tes ist in !job 4.9 gedacht, wenn es über die Ungerechten heißt: Durch Gottes Atem gehen sie zugrunde. sie schwinden hin im Hauch seines Zorns"
Die Septuaginta vereindeutigt die hebräische Formulierung, indem sie statt von "Atem" von einer königlichen Anordnung (1TpOO'tttYlJ.oc) spricht. In bezug auf .fes]] kann also gesagt werden, daß das Wort des Messiaskönigs an der Macht des .göttlichen Wortes teilhat, weil seine Herrschaft die Herrschaft Gottes repräsentiert. Seine Macht vertritt die Macht Gottes. Wegen des engen Zusammenhangs von Wort und Atem ist hier auch noch einmai darauf hinzuweisen, daß Klgl 4,20 vom Gesalbten des Herrn als Lebensatem des Volkes ·spricht und damit dem König eine Qualität zuschreibt, die biblisch nur in bezug auf den Schöpfergott (Ps 104,29) zu finden ist (s.o. 1.1.). Religionsgeschichtlich ist die Rede von der Macht des messianischen Wortes mit der altorientalischen Vorstellung vom göttlichen Machtwort des Königs zu verbinden, wie sie sich etwa in den oben zitierten ägyptischen Quellen finden läßt. Als Unterschied ist al-
164 Vgl. A. Daller, Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium. Eine traditionsgeschichtliche und theologische Untersuchung zu Joh 18,1-19,30 (StANT 30), München 1972, 42.
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lerdings festzuhalten, daß in den ägyptischen Texten das Machtwort des Königs physische Gewalt in der Regel nicht ersetzt, sondern auf magische Weise unterstützt. 165 Freilich geht es auch im biblischen Text um die Vernichtung der Feinde durch den Heilskönig.. Selbst die Vision vom großen Frieden und der umfassenden Gewaltfreiheit kommt ohne Gewalt nicht aus, denn sie setzt die Vernichtung der Gewalttätigen voraus. Die Gerechtigkeit des messianischen Reiches, die gerade den Armen und Hilflosen gilt, setzt - wie die Errichtung der ägyptischen Ma'at - die Zerstörung der Ung~rechtigkeit notwendigerweise voraus. Diese wird aber nicht mehr mit physischer Gewalt vollzogen, sondern in der göttlichen Vollmacht des königlichen Wortes. Vergleicht man diese Vorstellung mit der johanneischen Szene, so wird man DAUER durchaus zustimmen können, der feststellte: "Gewiß sind die sprachlichen Unterschiede zu Joh 18,6 sehr groß, doch die Vorstellung, die hinter heiden Stellen steht, ist die gleiche: der Messias tritt auf in herrscherlicher Macht, der niemand von den Bösen widerstehen kann. Sein Wort allein, das ihnen das Urteil spricht, genügt zu ihrer Vernichtung. "166 Man wird allerdings korrigierend anmerken müssen, daß in Joh 18 die Vernichtung der Feinde gerade nicht vollzogen wird. Die Macht des Wortes Jesu wird nur gezeigt, nicht aber wirklich angewandt. Sie dient der Information der Lesenden, aber nicht der Änderung des Erzählverlaufs. Was die frühjüdischen Texte angeht, so ist festzustellen, daß die Vorstellung ebenfalls bekannt ist, und zwar im Kontext verschiedener Messiaskonzepte,167 Hier ist etwa auf 4Esr 13 hinzuweisen, wo der Mensch aus dem Meer, welcher nach 13,32 der Sohn Gottes ist, alle, die seine Stimme hören, entzündet wie Wachs, "wenn es das Feuer fühlt" (4Esr 13,4). Als seine eschatologischen Gegenspieler in unübersehbaren Massen gegen ihn anstürmen, zerstört er sie allein mit dem Feuerhauch seines Mundes. 165 Vgl. Wildberger, Jesaja 1. (s. Anm. 160),453 f. 166 Dauer, Passionsgeschichte (s. Anm. 164),42. 167 Vgl. Dauer, a.a.O., 42 f.
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Und siehe, als er den Ansturm der herankommenden Massen sah, erhob er seine Hand nicht lind hielt keinen Ww:[spieß lind kein anderes Kriegsgerät. Ich sah nur, wie er aus seinem Mund (etwas) wie einen Feuerstrom aussandte und von seinen Lippen einen Flammenhauch; und von seiner Zunge sandte er Sturmesful1ken alls. (4Esr 13,9 j)
Diese Feuermacht, mit der wieder auf die Macht des messianischen Richterwortes (J 3,37 j) angespielt wird, fällt über den Ansturm der feindlichen Massen und verbrennt sie, so daß nichts iibrigbleibt außer Asche und Brandgeruch (J 3,11). Auch äthHen 62,2 ist einschlägig. Dort wird in deutlicher Anlehnung an Jes 11,2 zunächst von der Geistbegabung des Menschensohnes gesprochen. Unter Rückbezug auf Jes 11,4 heißt es dann: Die Rede seines MI/ndes tölet alle Sünder, lind alle Frevler werden von seinem Angesicht getilgt.
Auch in den (aus dem 1. Jh. v.ehr. stammenden) Psalmen Salomos ist das Motiv belegt. In PsSal 17,24 wird als Aufgabe des erflehten Davidssohns formuliert: 168 mit eisernem Stab zu zerschlagen all ihren Bestand, vernichten gesetzlose Völker durch das Wort seines Mundes.
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EV AOY~ o'toj.J.a:t'O!; au'tou
Die Bezugnahme auf Jes 11,4 (LXX) ist deutlich. Obwohl hier auch das Motiv des eisernen Stabes, welches aus Ps 2,9 stammt, aufgegriffen wird, ist das Wort offensichtlich das entscheidende Machtmittel des Messias gegen Sünder und Heiden. Die Macht des Wortes erlaubt ihm den Verzicht auf alle militärischen Mittel. "Denn er wird die Erde schlagen t/urch das Wort seines Mundes" und die Sünder ausrotten "durch die Macht des Wortes" (h iOxUl AOYOU), wie es in PsSal 17,35fheißt.
168 Zu PsSal 17 vgl. S. H. Brandenburger, Der "Gesalbte des Herrn" in Psalm Salomo 17, in: ders. / Th. Hieke (Hg.), Wenn drei das gleiche sagen - Studien zu den ersten drei Evangelien. Mit einer Werkstattübersetzung des Q- Textes, Münster 1998, 217-236; K. E. Pomykala, The Davidic Dynasty Tradition in Early Judaism. Hs History and Significance for Messianism, Atlanta 1995, 159-170.
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In den neutestamentlichen Schriften ist das Motiv ebenfalls bekannt. Man kann etwa auf die Schilderung des Menschensohnes in der Offenbarung des Johannes verweisen. Bei der Beschreibung der erschütternden Epiphanie in Offb 1,12-16 wird auch erwähnt, daß aus dem Mund des Menschensohnes ein zweischneidiges scharfes Schwert kommt (V.16), was auf die richterliche Gewalt seines Wortes zu deuten ist. Vermutlich wird hier ebenfalls auf die Vorstellung von der Macht des messianischen Wortes in Jes 11,4 zurückgegriffen. Die Charakterisierung des Wortes als Schwert läßt sich aber aus Jes 11,4 nicht ableiten. Dort ist nur von einem Stab oder Szepter (~~W) die Rede. Das Motiv stammt wohl aus dem Zweiten Gottesknechtslied. Dort spricht der Knecht davon, daß Gott seinen Mund zu einem Schwert gemacht hat (Jes 49,2). Daß Gottes Wort den Charakter eines Schwertes hat, ist auch neutestamentlich bekannt. So fordert Eph 6,17: Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes (piilllX geou).
Und in He br 4,12 wird das Wort Gottes (IX(~ 'tou a,olla,'toC;;) zu bekämpfen. In Offb 19 tritt ein Reiter auf, der als Logos Gottes bezeichnet wird (19,13). Als "König der Könige und Herr der Herren" (19,16)
schlägt er die Völker .mit dem scharfen Schwert, das aus seinem Mund kommt (19,15). Im Endkampf siegt dieser messianische Krieger über die Könige der Erde und ihre Heere. ."Mit dem Schwert, das qus dem Mund des Reiters kam" (19,21), werden sie getötet. Hinzuweisen ist ·schließlich auch noch auf 2Thess 2,8. Dort wird vom wiederkehrenden Jesus gesagt, daß er seinen eschatologischen Widersacher enttarnen und vernichten wird:· Und dann wird der Gesetzlose enthüllt werden, den Jesus, der Herr, durch den Hauch seines Mundes tölen und durch die Erscheinung seiner Wiederkunft vernichten wird.
Insges.amt läßt sIch also festst~llen, daß die altorientalische Vorstellung vom königlichen Machtwort über die biblische Charakte..risierung des Messiaskönigs Eingan~ in den Bereich der frühjüdischen und christlichen Messiaskonzeptionen gefunden hat. Sie dürfte damit auch zum theologischen Wissenshintergrund der johanneischen Königschristologie gehört haben. Kehren wir nun zum Johannesevangelium zurück. Wir sind genau zu~ Gegenteil dessen gelangt, was Jürgen BECKER in seinem Johanneskommentar festgestellt hatte: "An das Furchtmotiv bei Epiphanien (Bultmann) ist ebensowenig zu denken, da es nicht um Verehrer, sondern Feinde geht, wie an die Gewalt .des Messias nach Jes 11,4 (so Dauer), weil die Nähe zu diesem Text nicht erkennbar ist." 169 Vielmehr ist BULTMANN insofern rechtzugeben, als er den Epiphaniecharakter der Worte Jesu betont. Zwar geht es hier nicht um das verehrende Niederfallen der Offenbarungsempfänger , aber sehr wohl darum, Jesus als Epiphanie Gottes deutlich zu machen, die für den Menschen eine niederwerfende Erfahrung darstellt. Die Selbstidentifikation Jesu ist die Selbstoffenbarung des göttlichen Logos, der Gott ist, weil er als einziggeborener Sohn des Vaters dessen Abbild ist. Als fleischgewordenem Logos, der als Sohn dem Vater wesensgleich i~t, kommt Jesus königliche Qualität zu. Da die Logoschristologie des Johannesevangeliums zugleich eine
169 Becker, Jobannesevangelium II (s. Anm. 86),543.
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Königschristologie ist, kann sie Vorstellungen der antiken Königstradition, in diesem Fall die von der Macht des königlichen Wortes, auf Jesus beziehen. Diese Vorstellung dient hier allerdings nicht dazu, Jesus als davidischen Heilskönig zu charakterisieren. Deswegen wird auch Jes 11 nicht zitiert. Das Königtum Jesu wurzelt nicht in davidischer Königstradition, sondern in seiner Würde als inkarnierter Logos: Als Logoskönig kommt ihm die unbegrenzte Macht des königlich-göttlichen Wortes zu. Da er zugleich das wirkmächtige Wort Gottes in Person ist, wird sein "Ich bin es" zur niederwerfenden Epiphanie Gottes. Das Zurückweichen und Niederfallen der Gegner macht deutlich, über welche Macht Jesus verfügt, und wie aussichtlos das Unterfangen seiner Feinde wäre, wenn er sich nicht selbst in ihre Hände geben würde. So ist das Motiv vom königlichen Machtwort, bei dessen Formulierung die besprochenen Psalmen eine wichtige Rolle spielten, im johanneischen Kontext ein adäquates Mittel, um zu Beginn der Passion das zu formulieren, was schon in Joh 10,18 formuliert wUrde, daß es nämlich in der Macht Jesu liegt, sein Leben zu geben und wieder zu nehmen. Weil das Königtum Jesu nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36), ist ein irdischer Kampf gegen die Widersacher ausgeschlossen. Der Königswürde Jesu entspricht es, daß sie sich irdisch im Kr~uzestod realisiert. Das Niederwerfen der Feinde will deshalb nichts von dem verhindern, was dem Willen des Vaters entspricht. Es ist nur ein Zeichen dafür, was sich unter der Oberfläche der äußeren Ereignisse tatsächlich abspielt. Für die Lesenden wird rur einen Moment der Vorhang zurückgezogen, damit sie sehen: Der Gefangene ist der König, der Machtlose ist der .Mächtige schlechthin. Freilich verzichtet dieser Mächtige auf die Durchsetzung dieser Macht, weil sein Tod die Errullung der Liebe zu den Seinen (Joh 13,1) ist und um derentwillen nicht verhindert werden darf.
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7.
Jeslls als Gott
Zu den Spitzenaussagen johanneischer Christologie gehört zweifelsohne das Bekenntnis des Thomas in Joh 20. Nachdem der Jünger die Identität des Auferstandenen mit dem gekreuzigten Jesus erkannt hat, huldigt er Jesus mit den Worten: Mein Herr und mein Gott! 1'0 KUPL6