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Das zweite Attentat
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Nr. 76 Das zweite Attentat von Hans Kneifel Auf Terra, den Welten des Solaren Imperiums u...
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Das zweite Attentat
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Nr. 76 Das zweite Attentat von Hans Kneifel Auf Terra, den Welten des Solaren Imperiums und den Stützpunkten der United Stars Organisation schreibt man Mitte November des Jahres 2841. Dieses 29. Jahrhundert ist eine Zeit, in der die solare Menschheit oder die Menschheit von den Welten der ersten Siedlungswelle wieder nach den Sternen greift und sich weiter im All ausbreitet. Es ist eine Zeit der großen Erfolge und großen Leistungen—es ist aber auch eine Zeit voller Gefahren und Überraschungen. Mit einer solchen Überraschung werden die USO und ihre Staragenten Ronald Tekener und Sinclair M. Kennon konfrontiert. “Tek” und “Ken”, die bislang unangefochten unter ihrer Deckadresse als Chefs der UHB, der “Unabhängigen Hilfsinstitution für Bedrängte”, ihr eigenes kleines Sonnensystem regiert haben, bekommen es mit Verbrechern zu tun, die Tekener in seinem eigenen Herrschaftsbereich zum Gefangenen machen. Der Aktivatorträger, der sich bisher in Hunderten von schwierigen Einsätzen brillant geschlagen und in seiner wildbewegten Karriere eigentlich nie versagt hat, wird auch noch als USO-Agent entlarvt und durch einen Doppelgänger ersetzt. Doch jetzt greifen Lordadmiral Atlan, Chef der USO, und S. M. Kennon, Tekeners Partner, ein. Sie wissen inzwischen, daß etwas faul ist im System der UHB— und den endgültigen Beweis dafür erbringt DAS ZWEITE ATTENTAT ... Die Hauptpersonen des Romans: SInclair M. Kennon—Der USO-Spezialist laßt sich ‘ermorden’, um in eine neue Haut zu schlüpfen. Hatkor Moromat—Chef der Internpolizei von Satisfy. Incani Kerosab—Kapitän eines schnellen Handelsraumers. Atlan—Der Lordadmiral trifft sich mit einem Gegner. Goss Repalio—Ein Mann stellt sein Wissen zur Verfügung. Corco Bennary—Geheimdienstchef der Tarey-Bruderschaft. 1. Es war kurz vor Mitternacht am vierzehnten November des Jahres” als der Kapitän der NUTRIA ARGENTA die Zentrale betrat. Er bot einen Anblick, wie er in Schiffen der Flotte undenkbar war-hier bedeutete er nur eine weitere malerische Verzierung eines seltsamen Zweihundert-Meter-Kugelschiffes. Die Mannschaft, das Schiff, der Kapitän und die Gesellschaft, der dieses Schiff gehörte ... alles war gleichermaßen untypisch und seltsam. Incani Kerosab, neunundneunzig Jahre alt, wandte sich an seinen Ersten Navigator. “Zwischenfälle, Idler?” “Keinerlei Zwischenfälle, Kapten. Wir erreichen in zehn Minuten Satisfy, wie geplant.” 1
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“Ausgezeichnet!” sagte Kerosab und grinste. “Dann kann ich ja meinen Gast wecken.” “Tun Sie das, Skipper!” murmelte der Erste und wandte sich wieder seinen Instrumenten zu. Obwohl das Schiff die beste Tarnung besaß, die man sich denken konnte, verrieten seine schnellen, präzisen Bewegungen etwas von der Unruhe, die über den Männern lag. Die NUTRIA ARGENTA war, ebenso wie eine Anzahl ihrer Schwesterschiffe, Bestandteil einer kleinen Holdinggesellschaft, die Pelze und Felle von exotischen Planeten importierte und sie an die Großhändler verkaufte, die sie ihrerseits an die Produzenten verkauften. Mit diesem Auftrag bewegten sich die relativ kleinen, aber hochmodernen Schiffe durch die Galaxis. Nur einige untypische Einrichtungen und der Umstand, daß häufig Gäste befördert wurden, die niemand kannte und noch viel weniger jemand sehen durfte, war gefährlich. Die Einrichtungen konnten die zusätzliche Mission des Schiffes verraten: ein geübter Mann entdeckte dies mit einem Blick, wenn einmal die unauffälligen Verkleidungen abgenommen worden waren. Und der Gast, den sie heute beförderten-getarnt durch einen völlig unauffälligen und regulären Anflug des Schiffes am Sitz der Holding-, nun, es gab nur wenige Passagiere, die wichtiger waren. Incani Kerosab drehte sich um, nachdem er auf den Schirmen der Panorama galerie gesehen hatte, daß sich Satisfy näherte, oder daß sich, besser gesagt, das Schiff dem Planetoiden näherte. “Das erinnert mich”, sagte er zu sich selbst, als er die Zentrale verließ und den kurzen Weg zu den Mannschaftsquartieren einschlug, “an die Ge schichte, die ich neunundzwanzig erlebte, während der grünen Dämmerung. Dieser Mann mit den Röntgenaugen ...” Er murmelte noch vor sich hin, als er den breiten Summerknopf neben einer Kabinenschott-Tür drückte. “Herein!” Kerosab zog die Stahlplatte zur Seite und schob sich in die Kabine. Es war eine der drei Gästekabinen. Ein großer, schlanker Mann saß in dem schweren Sessel vor der Schreibplatte und arbeitete. Er sah ‘dem Kapitän ruhig entgegen und deutete auf den anderen Sessel. “Was führt Sie zu mir, Incani?” fragte er ruhig. “Mister Kennon”, sagte der Kapitän, denn der Mann vor, ihm war der beste Freund und Geschäftspartner seines Chefs, des großen Tekener, “in zehn Minuten oder so landen wir.’ “Tadellos!” sagte Kennon und lachte kurz. “In diesem Zusammenhang” Skipper, eine Frage. Sie ist nicht als Kritik aufzufassen, sondern als eine Frage eines immer sehr neugierigen Menwhen. “Ja, bitte?” Kennon kam von seinem Einsatz auf einem der Wega-Planeten zurück. Die Schwierigkeiten, die der United Stars Organisation dort erwachsen waren, existierten nicht mehr. Für den Verstand Kennons war es nicht weiter schwer gewesen, das Wirtschaftsverbrechen aufzuklären. Er besaß nicht nur die Fähigkeit, kriminologische und kriminalistische Aspekte schneller und klarer zu durchdenken als fast jeder andere lebende Mensch, sondern auch die Erfahrung, die ihm in Jahrhunderten zugewachsen war. Das Schema war stets gleich, und die Variationen waren nicht unendlich groß. Da 2
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sie eine durchaus endliche Menge darstellten, handelte es sich hauptsächlich darum, Möglichkeiten miteinander zu kombinieren und zu versuchen, sich in die Psyche des Verbrechers zu versetzen. Dieser Auftrag war beendet, und bis vor einigen Minuten hatte Sinclair Marout Kennon daran gearbeitet, seinen Abschlußbericht an Atlan abzufassen und zu kodieren. Beim Eintreten des Kommandanten hatte er gerade die Kodierung überprüft. Er war fertig und konnte der nächsten Stunde auf Satisfy beruhigt entgegensehen. Aber eine unbestimmte Ahnung —die er im Laufe des langen Lebens, das sein Gehirn in dem perfekten Hilfskörper verbracht hatte, entwickelt hatte -sagte ihm, daß Ruhe und Gelassenheit Begriffe waren, die ihm, je älter er wurde, immer mehr unbekannt wurden. “Diese reichlich aparte Kleidung, die Sie tragen, Skipper ... hat das eine besondere Bewandtnis?” Während er sprach, packte Kennon seine Unterlagen sorgfältig in eine raumfeste Tasche, deren Verschluß er ebenso exakt zuzog. “Eigentlich schon”, sagte Incani und lachte auf. Er entblößte eine Doppelreihe strahlender Zähne. “Ich liebe das Besondere.” “Man sieht’s”, gab Kennon zu. “Lieben Sie es so sehr?” Incani machte eine ausholende Geste, die einen Großteil des bekannten Universums umfaßte. “Sie sollten erst einmal meinen Zwillingsbruder Scanu sehen. Er ist noch viel malerischer. Und noch farbenfroher als ich.” “Zugegeben, Sie fallen damit nicht einmal mehr in Kuppel Zwei auf!” sagte Kennon und grinste bei der Vorstellung, daß Incani einen Zwillingsbruder hatte. “Aber warum?” Kerosab seufzte. “Ihre Frage erinnert mich an den Bewohner von San Pantaleo”, sagte er und strich selbstgefällig über das Fell seiner Dreivierteljacke. Es bestand aus Prokyonborealis-Fellen, den Pelzen einer sehr exotischen Waschbärart. “Der Mann wohnte in einem Turm, der unten konisch zulief, ernährte sich von gerösteten Insekten und wurde gefragt, warum er dies täte und darüber hinaus sich noch dem Studium alter Schriften widme. Wissen Sie, was er geantwortet hat?” Kennon stand auf, vergewisserte sich, daß er nichts vergessen hatte und zog die Schranktür auf. Dahinter hing in den Spezialklammern ein neuer, hochmoderner Raumanzug. Kennons Waffe befand sich in einem Extrafach. “Ich weiß es nicht, werde es aber von Ihnen gleich erfahren haben!” erwiderte er. Sein Gefühl der Unruhe und Besorgnis nahm zu. “Er sagte: Erstens gefällt es mir so. Zweitens werde ich auf diese Weise beachtet, ohne dafür etwas ausgeben zu müssen. Und drittens wird das, was ich eines Tages zu sagen habe, weitaus stärker beachtet. Deswegen bin ich so, wie ich bin. Von mir als Pelzsachverständigem, Lederspezialist und Fellaufkäufer erwartet jedermann, daß ich exotische Dinge möglichst billig einkaufe. Also werde ich nicht auftreten wie ein Maschinenmaat mit tropfender Ölkanne.” Sie würden es nicht wollen, Mister Kennon, und Mister Tekene r erst recht nicht, weil dann nämlich die NUTRIA ARGENTA keine so gute Bilanz ausweisen könnte. Ist Ihre Frage damit beantwortet?” Kennon grinste ihn breit an. Ihm gefiel dieser Mann, der ihn sicher hierher 3
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geflogen und ihm viele unterhaltsame Stunden bereitet hatte. “Eine klare Antwort auf eine klare Frage!” stellte er fest. “Wenn alles im Leben so einfach wäre ...” “... dann trügen Sie auch eine solche Jacke. Sie hält übrigens im Sommer warm und im Winter kühl.” Kennon lachte schallend. “Das kann eine ausgefallene Heizungsanlage ebenfalls!” sagte er. “Aber Sie haben recht: sie sieht nicht im entferntesten so originell aus.” “Wie wahr!” murmelte der Kapitän. “Gehen wir zusammen zur Schleuse Zwei?” “Selbstverständlich!” Der Skipper nickte, stand auf und verließ den Raum, nachdem er Kennon zugenickt hatte. Er war mittelgroß und hatte auffallend stark nach innen gekrümmte Beine. Sie steckten in einer uralten Hose aus abgewetztem Exotenleder und dicken Pelzstiefeln, deren oberer Rand umgeschlagen war. Daß sich in den Stiefeln ein kleines Arsenal wichtiger und geradezu kostbarer Ausrüstungen verbarg, wußte niemand — außer Scanu Kerosab, dem Zwillingsbruder. Ein breiter Gürtel hielt die Hose über den breiten Hüften des Käptens fest. Darüber spannte sich ein weißes He md aus dickem Stoff mit zahllosen Taschen, in denen kleine und geheimnisvolle Dinge das Dasein versteckter Schätze führten. Darüber hing die Jacke, deren Pelz ein Muster zeigte, das in der Galaxis einmalig war. Darum waren auch die Felle so teuer und selten. Auf einem vielfarbig schillernden Grund, der bei Tag irisierte und nachts leuchtete, befanden sich ineinander verschachtelte geometrische Figuren, die aus einem bestimmten Sichtwinkel dreidimensional wirkten. Kennon sah auf die bizarr wirkenden Konstruk tionen, hob die Schultern und zog den Raumanzug an. “Ich ziehe doch mehr den konservativen Stil vor!” murmelte er. Das kleine, überraschend schnelle Schiff näherte sich Satisfy. Das Licht der Sonne Startek fiel schwach auf die Bordschirme und ließ die silberne Kugelzelle aufschimmern. Es waren lediglich Identifizierungsfunksprüche gewechselt worden. Es gab weder Zollkontrollen noch Paßkontrollen. Satisfy war für jeden Händler, der den Satelliten anflog, absolute Freihandelszone. Das war der blendende Einfall Tekeners gewesen, damals, als sie diesen Satelliten ausbauten. Jeder konnte kommen und verkaufen, tauschen, handeln, kaufen. Und Tekener und Kennon konnten eine Vielzahl von Kontakten knüpfen, die sich ausnahmslos eines Tages als überraschend nützlich erwiesen. Die gigantischen Investitionen der USO hatten sich bereits amortisiert, und diese Geheimwelt fiel nicht mehr dem Steuerzahler zur Last. Wie immer” wenn Kennon unvorbereitet war und wenig. Informationen besaß, war er unruhig—die Erfahrung gab ihm recht. Nur dann, wenn man überrascht werden kann, bestand Grund zu echter Furcht. Bekanntes oder Erwartetes verlor so, wenn es dann tatsächlich eintrat” sehr an Schrecken oder Überraschungseffekt. Er ließ die Helmöffnung unverschlossen, schnallte die Waffe um und strich die Handschuhe glatt. Er war wieder “zu Hause”. Flüchtig dachte er, als er mit seinem Gepäck zur Zentrale ging, an die prall gefüllten Laderäume des Schiffes. Incani Kerosab hatte mit Sicherheit ein gewaltiges Geschäft gemacht. Für Tekener, ihn selbst und die festen Kosten von Satisfy fiel eine Menge Geld dabei ab. Die Form, die jedermann von Tekeners Geschäften erwartete, blieb gewahrt. 4
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Und die völlige Unauffälligkeit ... Die Landesirene summte auf. Die kleine Mannschaft befand sich vollzählig in der Zentrale, als Kennon eintrat. “Alles klar?” fragte er. Statt einer Antwort hob der Kapitän die Hand und machte das “ln-OrdnungZeichen”. Die Landelichter und die unsichtbaren Landehilfen des kleinen Raumhafens waren zu sehen. Der Hafen befand sich abseits der Kuppeln und verfügte über alle Einrichtungen, die eine Landung auf einem fast schwerelosen Himmelskörper ermöglichten und erleichterten. Diffus leuchtete das Licht aus den beiden Kuppeln, die man in diesem Anflugwinkel sehen konnte. Draußen unhörbar, im Schiff selbst durch ein stöhnendes Fauchen ausgewiesen, fuhren die Landestützen mit den Auflagetellern aus der Kugelzelle und richteten sich aus. Das Band der offiziellen Begrüßung, das Kennon mit entwickelt hatte und buchstäblich bis auf den Augenaufschlag der bildhübschen Sprecherin auswendig kannte, lief über die Schirme. Incani Kerosab gähnte ostentativ. “Eines Tages könnten sie sich etwas Neues einfallen lassen!” knurrte er. “Gern. Wenn Sie die Ansprache halten möchten!” gab Kennon ruhig zurück. Es gab für ihn eigentlich nicht den geringsten Grund zur Unruhe. Trotzdem fühlte er sich unbehaglich. Er warf einen zweiten Blick auf die Schirme. Alles sah normal aus. Keine Einzelheit, die ihn stören konnte oder erschrecken ließ. Das Schiff landete ruhig, und diejenigen Männer, die das Schiff verlassen wollten-die Mehrzahl der Besatzung—, gingen hinunter in die Mannschleuse der unteren Polgegend. Und fünf Minuten später geschah das, was Kennon befürchtet hatte. Sie waren mitten in einem Hexenkessel gelandet ... 2. Sieben Männer in normalen Raumanzügen gingen auf dem relativ breiten Pfad auf die Kuppeln zu. Dieser Pfad war nur eine der vielen Möglichkeiten, vom Raumhafen des Satelliten Satisfy in die belebten, geschützten Zonen zu kommen. Seine Bodenplatten waren mit Schwerkraftaggregaten ausgerüstet, so daß man sich auf ihnen innerhalb einer ein-g-Zone bewegte. Die beiden sichtbaren Kuppeln und das Raumschiff waren schon nach wenigen Schritten hinter der Krümmung des kleinen Felsbrockens verschwunden. Indirektes Licht fiel auf den Pfad, der an beiden Seiten durch molekular umgeformte Felsmauern abgegrenzt wurde. Kein Gleiter kam ihnen entgegen, als sie schweigend und schnell geradeausgingen. “Eines Tages sollten Sie die Spalten und Klüfte mit kleinen Kuppeln versehen und darunter Grünpflanzen ausbringen. Zusammen mit effektvollen Beleuchtungsquellen gäbe es einen allerliebsten Anblick!” sagte der Kapten über Funk. “Für gewisse Raumkapitäne werden wir auch Männerchöre hier installieren—für die Willkommenslieder!” gab Kennon zurück. Auf beiden Seiten des Pfades hatten sie den Asteroiden so belassen, wie er 5
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aufgefunden worden war. Der Steinbrocken besaß Tausende und aber Tausende von kleinen Höhlen, die wie die Löcher und Blasen in Lava aussahen. Die geringe Oberflächenschwerebeschleunigung verhinderte, daß sich der Sand, der in kleinen, streifigen Zonen zwischen den Felsen lag, ins All hinaus bewegte. Im roten Licht der Sonne Startek boten die Felsbögen und die messerscharfen Grate, die kleinen, aber tiefen Schluchten einen wilden, urtümlichen Eindruck. Kennon betrachtete das halb dunkle Panorama einige Sekunden lang, dann murmelte er: “Sie haben mich auf eine Idee gebracht, Käpten Kerosab. Sollte jemals jemand auf den Einfall kommen, auf einen anfliegenden Mann ein Attentat zu verüben ... hier wäre der beste Platz dafür.” Sie gingen weiter. Vor ihnen tauchte hinter der Krümmung des Horizontes bereits die Polkalotte der Kuppel Zwei auf. Milchiges, leicht gelbes Licht blendete sie, durch das Fehlen der Lufthülle war es stechend klar. Kennon verfolgte seinen letzten Gedanken zu Ende und überlegte, daß tatsächlich die Oberfläche des Asteroiden oder kleinen Mondes eine Masse idealer Verstecke ermöglichte, als er aus dem Augenwinkel eine verdächtige Bewegung wahrnahm. Es war nur eine winzige Veränderung; ein kaum sichtbarer Reflex, eine Verschiebung zweier kleiner Flächen gegen das Licht der Kuppel ... Die blendende Helligkeit eines Strahlschusses tauchte das Gelände in kalkiges Licht. Kennon blieb stehen und bewegte sich blitzschnell. Seine Hand fuhr hinunter an den Gürtel und zog die Waffe aus der Tasche. Gleichzeitig entsicherte sein Daumen den Strahler. Neben ihm brach ein Maat des Schiffes zusammen. Der weiße, glutheiße Strahl zischte an Kennons Kopf vorbei und beschrieb eine Diagonale über den Brustteil des Raumanzuges. Das Gewebe wurde zerfetzt und an den Rändern glühend heiß, dann zerschmolz es. Gleichzeitig erfolgte die schwache Explosion einiger Anzugsaggregate. Die Luft entwich aus der Schutzhülle, der Lufttank zerplatzte. und der Mann starb an Druckverlust. Noch während der schlaffe Körper nach vorn fiel, streckte Kennon seinen linken Arm aus und fing ihn auf. Gleichzeitig ging er in die Knie, während die anderen Männer nach allen Seiten hechteten. Kennons Hochleistungsgeräte hatten den Ausgangsort des Strahlenschusses genau angemessen. In derselben Bewegung, mit der er nach der Waffe gegriffen hatte, hob der Halbroboter seinen Arm. Er brauchte nicht zu zielen; das besorgten wiederum andere Geräte, die ohne sein bewußten Denken funktionierten. Der Lauf des schweren Strahlers richtete sich auf die bewußte Stelle, augenblicklich fauchte der Schuß aus der Projektoröffnung. Alles ging vollkommen lautlos vor sich. Nur die Erschütterungen pflanzten sich durch das starre Anzugsmaterial fort. Mit dem linken Arm ließ Kennon die Leiche des Maates zu Boden gleiten, dann sprang er auf und wechselte in einer Serie schneller Zickzacksprünge seinen Standort. Seine Augen blieben ständig auf den mutmaßlichen Punkt gerichtet, von dem aus der Schuß abgegeben worden war. Seit dem tödlichen Treffer waren keine zwei Sekunden vergangen, als die Trümmer einer Felsbarriere durch das Vakuum segelten. Die aufschlagende Energie des Schusses zerstrahlte in einem Feuerwerk weißer, langer Funken. “Vorsicht, Mister Kennon!” schrie jetzt Incani Kerosab. 6
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In dem zuckenden Licht sah Kennon die Felsbrocken, die weißglühenden Tropfen und einen Körper, der von der Wucht, mit der der Stein auseinandergeborsten war, hochgeschleudert wurde. Er beschrieb, sich ständig drehend, draußen in der fast schwerelosen Zone einen Bogen, fiel langsam auf eine Felsnadel, drehte sich abermals und rutschte daran herunter, schlug schwer auf eine schräge Platte, wurde zurückgeschleudert und blieb zwischen Platte und dem nächsten Grat liegen. Die Gestalt trug einen Raumanzug, auf dessen dunkle Oberfläche mit Hilfe eines Lakkes Streifen und Zacken aufgebracht worden waren. Eine fast perfekte Tarnung! Erst als Kennon im diffusen reflektierten Licht die Spur winziger Körper sah, die der Flugbahn des Mannes im Raumanzug folgten, begriff er. Auf einer Wellenlänge, die kaum abgehört werden konnte, rief er nach Hatkor Moromat, dem Chef der Internpolizei. Es erfolgte keine Antwort, als Kennon in die Höhe schnellte und sich mit rasender Geschwindigkeit bewegte. Er kletterte und sprang, nachdem er den Bereich der künstlichen Schwerezone übersprungen hatte, über die Felsen und näherte sich mit schußbereiter Waffe dem bewegungslos daliegenden Körper. Nur die blitzschnelle Reaktion nach dem Anblick des rätselhaften Lichtreflexes, verbunden mit den noch schnelleren Reflexen seines robotischen Trägerkörpers, hatte sein Leben gerettet. Wäre er nicht stehengeblieben, hätte der Strahl aus der Impulswaffe seinen Schädelzerfetzt. Der letzte der glühenden Gesteinsbrocken geriet aus Kennons Blickfeld. Er erreichte jetzt die schräge Platte und richtete seinen Strahler auf den Kopfteil des Raumanzuges, dessen Träger in dem Winkel zwischen Spalte und Platte lag. In einem seiner Funkempfänger sprachen Relais an. Wir haben Ihren Notruf erhalten, Mister Kennon. Ein Raumgleiter befindet sich bereits auf dem Flug zu Ihrem Standort. Ich kann leider persönlich nicht kommen, denn in Kuppel Zwei scheint ein Mordanschlag ausgeführt worden zu sein. Es sprach Hatkor Moromat. Ich setze mich wieder. mit Ihnen in Verbindung, wenn ich etwas klarer sehe. Kennon funkte zurück. Verstanden. Ich komme vermutlich allein zurecht. “Das auch noch!” stöhnte er leise. Kennon näherte sich, halb schwebend, halb den Boden berührend, dem bewegungslosen Körper. Zwei starke Lampen am Gürtel seines Raumanzugs leuchteten auf. Die Lichtkreise huschten über den Stein und die Felsspalten. In ihrem Licht schimmerten die gefrorenen, kugelförmigen Blutstropfen auf, die sich in einem Bogen bis zu dem Bewegungslosen hinzogen. Kennon ging in die Knie, streckte einen Arm aus und drehte vorsichtig, die Waffe schußbereit, den schweren Körper herum. Dann sah Kennon, daß ein Bein fehlte. Anzug und Bein waren direkt über dem Knie des Toten abgetrennt worden. “Verdammt. Er ist tot!” murmelte Kennon. Ein Blick in das Gesicht hinter der Helmscheibe hatte genügt, ihn das feststellen zu lassen. Der Attentäter war von seinem Schuß getroffen worden, keine Sekunde, nachdem der Maat des Pelzhändlerschiffes von dem Impulsstrahler getötet worden war. “Die Abschnürautomatik muß versagt haben!” Kennon stand langsam auf und hielt sich am Felsen fest. Dann signalisierte er dem Raumgleiter der Internpolizei seinen 7
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Standort. Zugleich mit dem scheibenförmigen Raumfahrzeug, das mit sämtlichen aufgeblendeten Scheinwerfern über die Krümmung des nahen Horizonts heranschwebte, kletterten einige Männer des Händlerschiffs über die Felsen. Als sie die Schwerkraftzone verlassen hatten, wurde aus ihren Bewegungen das typische, vorsichtige Gleiten und Schweben der Raumfahrer, die sich in schwereloser Zone aufhielten. Von überall stachen Lichtstrahlen durch die halbe Finsternis. Als der Gleiter direkt über dem Toten schwebte, fiel das volle Licht aus den Tiefstrahlern auf die Szene. Kennon schaltete sein Helmfunkgerät auf die allgemein gebräuchliche Frequenz um und sagte: “Ich wollte ihn nicht töten. Ich hatte kein genaues Ziel—der Raumanzug war gut getarnt. Das linke Bein wurde abgetrennt; die Abschnürautomatik muß versagt haben.” “Wir nehmen den Toten an Bord!” sagte der Führer dieser Patrouille. “Der Körper kann bei uns untersucht werden.” “Der Vorfall wird es, hoffe ich, auch!” meldete sich Käpten Incani Kerosab. “Darauf können Sie sich verlassen!” gab Kennon grimmig zurück. Die Luft im Innern des Raumanzugs hätte nicht so rasend schnell entfliehen dürfen. Normalerweise hätte sich in Sekundenbruchteilen eine spezielle Schicht aus schnell härtendem Schaum und biegsamem Gewebe um diesen Schnitt im Bein des Anzugs bilden sollen. Die Automatik hatte versagt. Vielleicht hat sie versagen sollen, dachte Sinclair Kennon. Der Raumgleiter senkte sich und fuhr sechs spinnenbeinartige Landestützen aus. Binnen zweier Minuten war die Leiche vorsichtig ins Innere geschafft worden. Man fertigte einige Serien von Ultrarotphotos an und versprach, einen UltrarotSpätaufzeichner einzusetzen, der die Vorgänge rekonstruieren würde. Kennon hörte eine Stimme. “Wir kennen den Attentäter!” “Wer sprach?” erkundigte sich Kennon und spürte eine immer stärker werdende Unruhe, wenn er an die gemeldeten Vorgänge in Kuppel Zwei dachte. “Canroy, Sir. Der Attentäter ist menschlicher Abstammung. Ein Bursche, über den wir in unseren Dossiers nur ein paar Eintragungen haben, soweit ich mich erinnere. Seine Heimat liegt auf einem unscheinbaren Planeten. Er hat ein völlig unauffälliges Leben geführt.” “Danke!” sagte Kennon in plötzlichem Entschluß. “Kümmern Sie sich um den Rest der Gruppe, die mit mir gekommen ist. Ich werde in Kuppel Zwei nachsehen.” “Geht in Ordnung, Mister Kennon!” sagte Canroy. “Sie können sich auf uns verlassen!” “Das weiß ich!” sagte Kennon und bewegte sich in rasender Eile über die Felsen. Es war besser, wenn er seine Tarnung auch hier beibehielt und die Möglichkeiten seines Anzugs nicht zu früh aufdeckte. Er erreichte den Weg, der unter voller Schwerkraft lag, dann begann er zu rennen. In rasender Eile stob er über die hellen Kunstplatten, raste auf die große Schleuse der Kuppel zu und war wenige Sekunden im Innern. Kuppel Zwei war diejenige Zone auf Satisfy, innerhalb der sich die Banken und die Vergnügungseinrichtungen der Freihandelswelt befanden, samt allen notwendigen Einrichtungen der Infrastruktur im weiteren Sinn. Kennons Ahnung wurde zur Gewißheit 8
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und er spürte, daß er im denkbar ungünstigsten Augenblick gelandet war. Wo stecken Sie, Moromat? Bitte sofort melden! strahlten Kennons Antennen aus. Die Passanten und Bummler, die Händler und die Geschäftsleute, die jetzt noch arbeiteten, sahen verblüfft zu, wie ein riesiger Mann im Raumanzug, dessen Helm er während des Rennens öffnete, über die Treppen und Rampen jagte und Personen, die ihm im Weg standen, zur Seite hob. In der BAGAF, der Bank für galaktische Freundschaftswerbung! gab Moromatzurück. Sie werden nichts mehr verhindern können! Wir dringen gerade ein! fügte der Chef der Internpolizei nach einigen Sekunden hinzu. Ich komme zu Ihnen. Bin gerade auf dem Zentralplatz! rief Kennon. Er hastete zwischen den alten Bäumen und den neuen Verkaufsständen entlang, jagte im Zickzack zwischen den Spaziergängern und den diskutierenden kleinen Gruppen hindurch, orientierte sich in einem Sekundenbruchteil und rannte dann eine breite Straße entlang. Trotz des schweren Raumanzugs, der jeder Bewegung spürbar Widerstand entgegenbrachte, bewegte sich Kennon mit beträchtlicher Eile. Er lief aber keineswegs so schnell, daß es auffallen mußte. Einige der Leute aus allen Winkeln der Galaxis, die zu dieser Stunde noch die Straßen bevölkerten, erkannten ihn. Kennon erreichte die halbkreisförmige Mauer von Schaulustigen, die um den Eingang des Bankgebäudes herumstanden. Er sagte laut: “Vorsicht! Hier ist Kennon, Tekeners Partner. Lassen Sie mich durch.” Sofort begann er, seine Arme zwischen die dicht gedrängten Menschen zu schieben. Eine mühelose Anspannung seiner elektromagnetischen Muskeln, einige Schlängelbewegungen, und er schob sich durch die Menschenmasse. Augenblicklich erfaßte er, daß er in der Tat zu spät gekommen war. Die Eingangstür wies zwei große Löcher auf. Die herausgeschossenen Teile lagen auf dem Boden. Überall sah man die Spuren der Löschsubstanz. Wir erwarten Sie im zweiten Stock! meldete sich Moromat. Kennon, der so gut wie sämtliche Baupläne aller Einrichtungen auf diesem Felsbrocken kannte, erwiderte schnell: Ich komme zu Ihnen. Was ist los? Als sich Moromat über den normalen Helmfunk meldete, erwiderte er nur in lakonischer Kürze: “Mehrfacher Mord.” “Danke”, sagte Kennon. “Das genügt.” Er betrat die Eingangshalle der Bank und identifizierte zweierlei Arten von Spuren. Die derjenigen, die gemordet hatten, waren deutlich von den Spuren zu unterscheiden, die von der Internpolizei nach dem Eindringen hinterlassen worden waren. Überall hatten Hochenergiewaffen flächenhafte Zerstörungen geschaffen, die das Einsetzen eines Spätzeichners zumindest stark fragwü rdig machen würden. Im zweiten Stockwerk, in der “privaten” Ebene dieser Bank, trat Kennon Moromat gegenüber. “Sie sind zur rechten Zeit gekommen!” sagte Moromat. “Das Attentat ...?” “Mir ist nichts geschehen. Ein Maat der NUTRIA ARGENTA und der Attentäter sind tot.” 9
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Moromat murmelte bitter:
“Ich dachte, es würde eine ruhige Nacht werden.”
3. Der Versuch, Spuren zu sichern, würde auf alle Fälle schwierig werden. Kennon betrat vorsichtig ein kleines Büro, das vor dem Mord behaglich und modern gewesen sein mochte. Jetzt gab es fast überall schwere Brandspuren. Quer im Raum war auf zwei schweren, verchromten Stahlböcken eine dicke, große Glasplatte; jetzt hing diese Platte halb geschmolzen und halb von der Wucht der Detonationen zersplittert, zwischen den unversehrten Böcken durch. Die Geräte auf der Platte, die Papiere, die kleine positronische Spezialrechenmaschine und die anderen Gegenstände waren zerfetzt, verbrannt, zerschlagen. Der Mörder mußte mit mindestens dreißig Schüssen, die ausnahmslos von der Tür aus abgegeben worden waren, schnell, aber gezielt alles vernichtet haben. was auf seine Identität hätte schließen lassen können. Es mußte ihm zweifellos daran gelegen sein, keine brauchbare Spur und keinen verräterischen Anhaltspunkt zu hinterlassen. Kennons Verstand befaßte sich nur kurz mit diesen Eindrücken und kam zu dem Schluß, daß hier ein Professioneller “gearbeitet’ hatte. Sein Auftrag mochte gelautet haben: Einige Männer zu töten und keine Spuren zu hinterlassen. Fünfzig Schüsse ungefähr—das erforderte für jemanden, der genau wußte, was er zu tun und wen und was er zu treffen hatte, höchstens zwei Minuten Zeit. “Wer war dieser ... ich nehme an, es war ein Mann?” erkundigte sich Sinclair Marout Kennon. “Nach unseren Feststellungen ein körperlich kleiner, aber geradezu auffallend hochbegabter Positronik-Buchhalter. Er arbeitete vor geraumer Zeit für uns. Demnach wäre es Minart Kadebku gewesen!” sagte Moromat. Einer seiner Männer wandte sich um und breitete in einer Geste, die Bedauern und Resignation ausdrückte, die Arme aus. “Nichts!” sagte er hier. “Das Zeug muß ins Labor. Wir können jetzt nichts weitersagen!” Moromat knurrte aufgebracht: “Das hatte ich mir gedacht. In Ordnung, Freunde. Schafft die Leiche und alles übrige, was ihr im Labor braucht, hinaus. Und möglichst schnell, denn die Gerüchte beginnen bereits zu wuchern.” Im gleichen Augenblick erschütterten drei dumpfe Detonationen in Sekundenabständen das Gebäude. Der Natur der Schwingungen nach zu urteilen, die Kennon auffing und analysierte, kamen sie von ganz unten, also aus der Fundamentbasis des Gebäudes, die sich, wie bei allen übrigen Großbauten unter den Kuppeln, weit im gewachsenen Fels des Himmelskörpers befanden. “Das kam aus den Tresorräumen!” sagte Kennon. Moromat war zusammengezuckt und starrte Kennon an. Er hob langsam den schweren Minikom an die Lippen und fragte: “Hier Hatkor. Coctov! Was war das? Ist euch etwas passiert?” Aus dem Lautsprecher kam, für jeden im Raum deutlich zu verstehen, eine krächzende Stimme. 10
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“Explosionen!” Dann folgte ein Hustenanfall. Man hörte schwach das Poltern von herabfallendem Gestein und das Tappen von Stiefeln. “Ich bin heil. Beinahe hätte es uns ... nein, alle sind vollzählig. Aber in den Tresorräumen ... —kommen Sie ‘runter, Chef! Der Lift ist natürlich ...”, wieder Husten, dann das qualvolle Einatmen, “... restlos demoliert.” “Ich verstehe. Kennon und ich sind sofort bei Ihnen!” “Danke. Ende.” Kennon warf einen langen, eindringlichen Blick auf den halb verschmorten Leichnam, während er sich mit einer Serie schneller Bewegungen des Raumanzuges entledigte. Er nahm Moromat die Waffe samt Gürteln, die dieser gehalten hatte, aus den Händen und schnallte das schwere Ding wieder um. Unauslöschlich prägte sich das Bild ein. Seine versteckten Speicher konnten es tausende Male wiedergeben, in allen wichtigen Vergrößerungen. Dann wandten sich beide Männer um und liefen auf die freitragende Wendeltreppe zu, die, als einer von mehreren Wegen, in die tiefgelegenen Tresorräume hinunterführte. Sekundenlang flimmer te das Bild vor Kennons Augen. Der kleine Minart Kadebku schien vom Eindringen seines Mörders überrascht worden zu sein. Er, oder vielmehr das, was von ihm übrig war, lehnte im Sessel und hatte einen Arm ausgestreckt, um an der Rechenmaschine zu arbeiten. Geschmolzenes Glas der Platte, Stoffreste, ein ausgeglühtes Metallarmband und Rechenmaschine waren zu einer untrennbaren Masse verschmolzen und verkocht. Der Oberkörper des Mannes war weggesprengt worden, die rechte Hälfte des Kopfes fehlte, das linke Schultergelenk war nur noch eine einzige, blasige Wunde mit weißen Aschenrändern. Die linke Hand lag wie unbeabsichtigt auf dem linken Oberschenkel. Beide waren unversehrt. Die Waffe, die Kadebku getragen hatte, war detoniert und hatte den halben Unterleib weggerissen. Der Anblick war grauenhaft, und Kennon fragte sich, wer verhindern wollte, daß Kadebku sein Wissen weitergab. Welches Wissen? In einem rasenden Wirbel von Schritten liefen Kennon und Moromat die Wendeltreppe hinunter. Sie brauchten keinen Wegweiser. Die überlasteten Aggregate der Klimaanlage saugten den Staub und den Rauch an. Sie mußten nur entgegen der Strömungsrichtung der Gase und des Schmutzes laufen, dann kamen sie automatisch an den Ort, an dem die Explosionen stattgefunden hatten. Als die beiden Männer die betreffende Ebene erreicht hatten, bot sich ihnen ein ähnliches Bild der Zerstörung wie oben. Der oder die Mörder hatten auf dem Rückzug eine breite Bahn von Feuer gelegt, um jede Nachforschung schwierig zu machen. “Wieviel Tote?” erkundigte sich Kennon, als sie durch eine bis vor kurzer Zeit geheime Tür sprangen, die schief in den Angeln hing. Sie war als Wandeinheit getarnt gewesen. “Mit Kadebku fanden meine Leute sieben Tote!” sagte der Chef der Internpolizei, die normalerweise nichts anderes als kleine Zwischenfälle zu schlichten und zu untersuchen hatte. Aber in gewissen Abständen kam das Verbrechen wie eine kosmische Flut auch hierher und ließ Haß und Tod zurück. Der Qualm wurde dichter. Irgendwo brannte es. Zischend arbeiteten halbautomatische Löschanlagen. Quäkende Warnlaute ausstoßend, schwebte ein Löschroboter zwischen Kennon und Moromat 11
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hindurch und flog ins Zentrum der Flammen hinein. Ein Mann, vollständig mit gelbem Staub bedeckt und ununterbrochen hustend, taumelte ihnen entgegen. Plötzlich senkte sich von der Decke ein Regen, der aus Dampf, feinversprühtem Wasser und Chemikalien bestand. Die drei Männer standen direkt unter einem der Hochleistungssprinkler. Drei Sekunden später war die Luft von schwebenden Teilchen gereinigt. “Sieben Tote! Das ist nicht ein normaler Racheakt, sondern ein kaltblütig geplantes Verbrechen. Eine Großaktion.” “Meine Vermutung!” pflichtete Moromat Kennon bei. “Aber wir haben noch keine Anhaltspunkte außer unserem kriminalistischen Argwohn. Nennen wir es Instinkt.” “Oder Erfahrung!” murmelte Kennon. Langsam gingen sie weiter. Noch immer stieß der Robot, dessen Löschstrahlen nach allen Seiten fauchten, seine Warnschreie aus. Nach zehn Metern stießen sie auf den ersten Toten. Er lag halb unter einer Masse von Safefachern verborgen, die von einer der Detonationen aus der Wand geschleudert und bis zur halben Unkenntlichkeit verbrannt und verglast waren. Hier hatten sich hohe Hitzegrade ausgetobt. Diese Temperaturen würden die Arbeit eines Spätzeichners wie einen Witz erscheinen lassen. “Identifiziert?” fragte Kennon. “Ein Angestellter der Bank. Was er um diese Zeit, zudem bewaffnet, hier suchte, ist unbekannt.” Sie drangen weiter ein. Wieder kamen ihnen nasse Männer entgegen, denen das Gemisch aus Felsstaub und Asche in kleinen Rinnsalen über die Einsatzuniformen rann. Niemand schien verletzt zu sein. Je tiefer sie vorstießen, desto größer waren die Verwüstungen. Es schienen mehrere Männer gewesen zu sein, die hier mit schweren Impulsstrahlern und hochbrisanten Sprengladungen gehaust hatten. Der zweite Tote war von der Wucht der Explosion gegen ein Gitter aus molekular verdichtetem Stahl geschleudert worden—und halb hindurch. Kennon warf einen kurzen Blick auf den verstümmelten Leichnam, dann betraten sie den großen Tresorraum. “Ich frage mich, was die Männer hier gesucht haben. Um diese Zeit gab es doch keinen Publikumsverkehr mehr!” stellte Moromat fest. “Auf alle Fälle hatten sie hier unten eine besondere Aufgabe wahrzunehmen. Sonst gibt es keinen Grund, sich nach Mitternacht im Tresorbezirk einer Bank aufzuhalten!” bestätigte Kennon. Das Fehler jeglicher Informationen und Anhaltspunkte behinderte die Entwicklung von Gedankenketten, Assoziationen drängten sich auf, die vermutlich falsch waren, weil sie bestimmte Gesetzmäßigkeiten bedingten, die hier falsch sein konnten. Oder auch nicht. Kennon blieb stehen, als er neben dem sechsten und siebenten Toten Reste von Flaschen, Gläsern und Schnellgerichten zu entdecken glaubte. “Wissen Sie, Hatkor, was ich jetzt vermute?” “Nicht im entferntesten!” gab Moromal zu. Er tappte völlig im dunkeln. Flüchtig erinnerte er sich an eine Serie von Verdachtsmomenten oder Beobachtungen, die ihn hatten stutzig machen müssen. Unter anderem der Umstand, daß der Stachel der “Arkonidenliebe”, der uralten Waffe, Tekeners Hand durchbohrt hatte. “Hier hat jemand unbequeme Mitwisser beseitigt. Wer und warum ...? Vielleicht 12
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bekommen wir, wenn die Untersuchungen vorbei sind, mehr Informationen. Jedenfalls ist das mein Eindruck.” “Zugegeben, daran ist etwas. Aber wieviel? Wer? Warum?” Kennon hob die Hand und sagte scharf; “Später!” Sie sahen sich um. Hinter ihnen kamen einige Männer und ein Medorobot, der die Beamten der Internpolizei versorgte. Das kriminalistisch geschulte Gehirn Kennons raste förmlich, aber noch drehten sich Gedanken und Überlegungen in wirren Kreisen. Kennon knurrte: “Wir sehen, daß wir nichts sehen, obwohl es viel zu sehen gibt!” Der Tresorraum war eigentümlicherweise relativ gut erhalten. Aber in einigen kleinen Räumen, deren Verwendungszweck völlig unklar blieb, waren ebenfalls schwere Verwüstungen zu sehen. In einem Raum fehlten zwei Wände völlig; eine ungeheure Detonation hatte den bloßen Fels freigelegt. Was sich in diesem Raum befand, war molekularisiert worden. Kennon speicherte, indem er die Bilder in sich aufnahm, die vielfältigen Eindrücke. Er hatte bis jetzt nicht einmal den Ansatz einer Hilfstheorie. Aber er wußte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, daß sämtliche Informationen und Beobachtungen, Überlegungen und Gewißheiten nur eines ergeben konnten: Eine große, drohende Gefahr kam auf sie alle zu und streckte ihre mörderischen Finger aus. Dies war nicht einfach ein Banküberfall, sondern weit mehr. Und da Kennon wie Tekener gewohnt waren, in gewissen Kategorien zu denken, tat Kennon in diesen langen Augenblicken nichts anderes. Er wußte, daß viele Kleinigkeiten nichts anderes waren als lediglich der Reflex eines verirrten Lichtes, das auf die Spitze des Eisberges fiel. Der Eisberg selbst war dann meistens gigantisch. Erstens, dachte er, muß ich in Kuppel Eins und von dort in die “Sonde”. Zweitens muß ich unsere Männer befragen, vordringlich die Spezialisten der USO, die sich dort befanden. Und drittens, mit erhöhter Dringlichkeit, muß ich Atlan verständigen. Wenn er nur Tekener sprechen könnte ...! 4. Sinclair Marout Kennon gönnte sich nur eine Pause von einer Viertelstunde. Er drückte in dem privatesten seiner Räume, der die Endstation von Leitungen war, einige Knöpfe. Die Leitungen führten zu sämtlichen Kommunikationseinrichtungen, in sämtliche Büros der UHB, zu den wichtigen Funkgeräten und zum Computer, schnitten sich irgendwann und durchliefen verschiedene Filter, die Wichtiges vom Unwichtigen schieden. Am Endpunkt des Informationskanals wurden die wichtigen Meldungen und Neuigkeiten gespeichert. Durch Knopfdruck rief er diese Informationen ab. Lautsprecher gaben Meldungen durch. Bilder und Nachrichtenausschnitte liefen über den Bildschirm. Kodierte und verschlüsselte Anweisungen aus Quinto-Center wurden von ihm aufgenommen und entschlüsselt, dann seinem organischen Hirn zugeführt. Der große Mann stand regungslos da und hörte zu. Dann folgte ein kurzer Aufenthalt im Bad, wo 13
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Kennon die verdreckte Kleidung wechselte und sich badete. Als er erfa ßt und verarbeitet hatte, was während seiner Abwesenheit geschehen war, sagte er: “Keine Sensationen. Aber die eigentliche Sensation wird sicherlich nicht lange auf sich warten lassen.” Er fühlte es! Die Informationen, die er an dieser Stelle erhielt, betrafen die normalen Aktionen und die Verwaltung der UHB. Sie enthielten nichts über den anderen Teil der Aktivitäten, denen Satisfy diente. Aus diesem Grund nahm Sinclair Kennon nur die lakonische Meldung auf, sein Freund Tekener sei in den ersten Stunden des elften November abgereist. “Also gut. Die Sonde!” sagte sich Kennon, löschte die Informationen von den Schirmen und verließ den Raum. Er blieb stehen und überlegte kurz, während sich die massive Platte der Tür langsam schloß. Eine Serie von Überlegungen belästigte ihn. Er wurde von Minute zu Minute unruhiger. Er sah sich um und ortete; niemand befand sich außer ihm in diesem Teil des Gebäudes. Es war tiefe Nacht. Es gab eine Menge verschiedener Möglichkeiten, die “Sonde” zu erreichen. Er wählte einen Zugang, der ihn durch eine Reihe unbelebter Korridore, vorbei an stillen Büros, führte. Nur biopositronische Gerätschaften hielten flüsternde Zwiesprache- und arbeiteten die Datenflut des Tages auf und jene, die ununterbrochen hier ankam. Satisfy war schwer zu verwalten, weil es in seiner inneren Zusammensetzung weitaus mehr einem Kontinent oder einem kleinen Planeten glich als einer normalen Siedlung. Der Verstand Kennons beschäftigte sich, während der hochgewachsene Mann durch die Korridore eilte, ununterbroc hen mit den vorliegenden Problemen. Er hielt an und blieb vor einer Bildschirmwand stehen. Eine blitzschnelle Rundumortung sagte aus, daß er unbeobachtet war. Dann berührte er einen Schalter, drückte ein achtstelliges Signal einer Zahlenfolge in die Taste und trat einen Schritt zurück. Die Schirme schoben sich zugleich mit einem komplexen Wandstück voller Elektronik und Positronik zur Seite. Kennon trat in die Öffnung und befand sich in einem Lift, der höchstens drei Personen faßte. Er wartete, bis sich die Bildwand wieder geschlossen hatte und betätigte dann einen Schalter. Der Lift, der ein eigenes Energiesystem besaß, glitt surrend in die Tiefe. Während der Bewegung stellte Kennon fest, daß er inzwischen in der Lage war, den ersten Schritt seiner Überlegungen zu artikulieren. Gleichzeitig mit diesem Gedanken gellte ein unhörbarer Alarm durch seinen Verstand und aktivierte gleichzeitig zwei Drittel aller Ausrüstungen seines Robotkörpers. Sehr viele Dinge auf Satisfy waren keineswegs so in Ordnung, wie es noch während seiner Landung den Anschein hatte. Jeder neue Fakt mußte mißtrauisch und einwandfrei überprüft werden, wenn nötig, dreimal. Glücklicherweise besaßen Tek und Ken, was ihre Aufgabe in der United Stars Organisation betraf, eine Reihe unbestechliche r Helfer, die ihrerseits wieder über zahlreiche andere Möglichkeiten verfügen konnten. Der Lift hielt mit einer starken negativen Beschleunigung; Kennon trat hinaus und sah sich einer massiven Felswand gegenüber. Er aktivierte einen winzigen Spezialsender und schickte einen superkurzen 14
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Kodefunkspruch aus. Gleichzeitig mit dem Ankündigungssignal, das den USOSpezialisten innerhalb der Sonde mitteilte, daß entweder Kennon oder Tekener diese Geheimstation betreten würden, schob sich brummend und knirschend der Fels in einer Breite von hundertsechzig Zentimetern nach hinten, schwenkte dann herum und gab abermals einen Korridor frei, dessen Wände mit dickem Stahl verkleidet waren. Etwa fünfzig Öffnungen, meist trichterförmig ausgespart, verbargen die Endstücke starker Projektoren, die Abwehr- und Schutzfelder erzeugen konnten. Tekener betrat den Gang und lief durch die vielen Ecken, die im Fall eines Eindringens eine wirksame Verteidigung ermöglichten. Schließlich öffnete er das schwere Panzerschott, das in die Stahlwandungen der Sonde eingebaut war. Binnen einiger Sekunden befand er sich in der Wärme und Helligkeit dieser verbotenen Zonen, erreichte das Zentralbüro und schüttelte dort die Hände der fünf Männer, die ihn erwarteten. Kennon hielt sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf, sondern sagte: “Sie wissen, was vor knapp einer Stunde in der BAGAF unter Kuppel Zwei passiert ist! Außerdem werden Sie, weil Sie meine Funksprüche mitgehört haben, von dem Attentat auf mich wissen.” Die Spezialisten wußten über beide Vorkommnisse Bescheid. Aber darüber hinaus verfügten sie über keine zusätzlichen Informationen. Kennon setzte sich in einen Sessel, von dem er wußte, daß er das Gewicht seines übersehweren Körpers aushalten konnte, und fuhr fort: “Ein Attentat, das mich beseitigen sollte. Um Haaresbreite wäre ich jetzt nicht hier, sondern in unserer Kältekammer, wo die anderen Leichen liegen. Dann hat eine Gruppe oder ein einzelner Mann in dieser Bank ein Gemetzel veranstaltet und seine Spuren mit Impulsschüssen und einer Serie von Detonationen so verwischt, daß wir kaum herausfinden können, was wirklich geschehen ist. Außerdem ist Tek nicht hier. Mir drängen sich eine Menge verschiedener Überlegungen auf, die in einem Satz gipfeln: Zuviel Dinge, die auf Satisfy nicht stimmen. Es ist etwas Großes im Gange.” Eine etwa dreißigjährige Frau, in einem exotischen dunkelblauen Anzug mit weißen Aufschlägen, hob die Hand. “Ronald Tekener hat sich offiziell von uns verabschiedet. Zwar schien er noch an den Folgen seiner Krankheit zu leiden, aber er machte einen recht positiven Eindruck. Er schien entschlossen zu sein. Er sagte, daß der Plan Rarität-C überraschend schnell angelaufen sei, und daß er sich darum zu kümmern habe.” Kennon bohrte seinen Blick in die Augen von Trou Allessandy. “Wie?” fragte er gedehnt. Die junge Frau schien sich zu wundern. “Es war so, wie ich es sagte, nicht wahr, Dino?” Einer der Männer nickte; auch er schien, wie die anderen auch, keinen rechten Sinn in Kennons Überraschung zusehen. “Freunde!” sagte Kennon, und sein künstlicher Kehlkopf gab perfekt den Tonfall der Überraschung wieder. “Freunde ... die ursprüngliche Planung des Arkoniden sagt ganz klar und deutlich aus, daß genau diese Planung Rarität-C vor rund einem halben Jahr eingestellt worden ist. Das, was Sie sagen, ist sicher die scheinbare Wahrheit, aber tatsächlich kaum möglich. Atlan hätte mich verständigt. Mich und selbstverständlich auch Tek.” 15
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Die USO-Spezialisten wechselten schweigend überraschte Blicke. Ihnen dämmerte, daß Kennon mit seiner Skepsis und seinem Mißtrauen recht haben könnte. Trou Allessandy sagte leise, aber sehr bestimmt: “Wenn Tekener uns über die USOPlanung belogen hat—was ich mir kaum vorstellen kann—, dann stimmt auch sicher etwas mit den zwanzig Milliarden Solar aus dem USO-Sonderfonds nicht.” Kennons Erschrecken war nicht gespielt. “Zwanzig Milliarden Solar?” erkundigte er sich mit einer unheilvoll ruhigen Stimme. “Würde mir jemand erklären, was es mit dieser Summe auf sich hat?” Dino Argenton atmete tief. “Ronald Tekener hat kürzlich zwanzig Milliarden Solar aus dem Sonderfonds der United Stars Organisation, über den Sie beide verfügen können, abbuchen lassen. Die Überweisungsbelege sind hier gespeichert. Die Überweisungen wurden per Hyperfunk getätigt, nachdem der entsprechende Kodeschlüssel übermittelt wurde. Die Summen gingen an rund ein gutes Dutzend unbekannte oder obskure Banken in alle Richtungen der Galaxis.” Kennon knurrte: “Ich muß mich verhört haben. Zwanzig Milliarden Solar ... dafür kann man manches kaufen. Ich glaube, ich muß mich mit Atlan in Verbindung setzen. Und zwar sofort. Bereiten Sie bitte die Anlage vor?” Dino Argenton, der Funkspezialist des kleinen Teams, das hier vorübergehend lebte, stand auf und nickte Kennon zu. Zwischen den USO-Spezialisten herrschte eine formlose Vertrautheit, die ihren Niederschlag in völliger Sicherheit und ungezwungenem Verhalten fanden. Kennons Überlegungen begannen zu rasen. Viele Mosaiksternchen, die er in der letzten Zeit gesammelt hatte, fügten sich zusammen. Das ganze Bild war noch lange nicht sichtbar, aber ein schmaler Ausschnitt wurde überraschend klar und farbig. Was dieser Bildteil zeigte, war keineswegs schön und erfüllte Kennon mit tiefer Besorgnis. Also doch! Eine riesige Sache schwebte wie ein Schatten über dem Satelliten der Sonne Startek, und wenn Tekener darin verwickelt war” auch über die USO. Tek war, trotz seiner Erfahrungen und unbestreitbaren Fähigkeiten, trotz des Zellschwingungsaktivators, auch nur ein Mensch und verletzlich wie ein solcher. Der Spezialist rief aus dem Nebenraum: “Kennon- Sie können reden. Die Verbindung steht.” Die anderen Spezialisten überlegten. Sie hatten durch Kennon einen wesentlich anderen Aspekt bekommen. Plötzlich schienen ihnen auch eine Reihe der Vorkommnisse zumindest stark fragwürdig zu werden. Kennon stand auf und ging in den Nebenraum hinüber. Er setzte sich vor die Funkanlage und registrierte, daß die Geräte, die jeden “offiziellen” Funkspruch tarnten und verschlüsselten und so in eine harmlose, aber stichhaltige Wirtschaftsinformation verwandelten, eingeschaltet waren. Kennon sprach genau einundzwanzig Minuten lang in die Mikrophone. Er äußerte seine dringende Vermutung, daß mit der Person seines Freundes Tek etwas geschehen sein müsse. Kennon erwähnte die scheinbare oder sichere Vergiftung, alle anderen Dinge, die ihm und den Spezialisten und nicht zuletzt dem Chef der InternPolizei aufgefallen 16
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waren, den Zwischenfall mit der antiken Waffe aus der Tekener-Sammlung, und endlich auch die mysteriöse Umbuchung der gewaltigen Summe. Er äußerte die dringende Befürchtung, daß Ronald Tekener infolge seiner Vergiftung, die offensichtlich spät eingetreten sei und seinen Verstand geschädigt habe, wie ein Narr gehandelt hatte. Was er aber für viel wahrscheinlicher halte, ist, daß Tekener dazu gezwungen wurde. Schließlich setzte er hinzu, daß er überzeugt sei, Tekener wäre etwas geschehen. Er sei zu allen diesen verrückten Handlungen, die jeglicher Erklärung und Logik entbehrten. gezwungen worden. Er schloß mit der Bit te um schnellste Antwort und gab die betreffenden Kanäle an, was eigentlich eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme war. Er kippte den Hauptschalter und setzte die Aufnahmegeräte außer Tätigkeit. Langsam und nachdenklich ging er hinüber ins Zentralbüro. Treu fragte schließlich, eine Tasse Kaffee in der Hand: “Sagen Sie, Mister Kennon ... dieses Schauschießen. Tekener soll sich verletzt haben?” Kennon brauchte sich nicht an die Unterhaltung zu erinnern, die er mit Hatkor Moromat geführt hatte, als sie zusammen aus den Gewölben der heimgesuchten Bank nach oben gefahren waren. Er selbst stufte dieses Ereignis als wichtiges Indiz in einer lückenhaften Kette ein. “So ist es”, sagte er. Er erklärte kurz die Wirkungsweise des Mechanismus. Die junge Frau fragte schließlich: “Ich versuche lediglich, mich in die Lage Tekeners zu versetzen, also eines Mannes von Intelligenz, Lebensart, einigen sonderbaren Vorlieben und Eigenschaften. Er ist Waffensammler ...” Das war das Stichwort. Noch ehe die junge Frau ihre Überlegungen zu Ende gebracht hatte” kam Kennon zum gleichen Schluß. Aber er ließ sie ausreden. “... und hat jede Waffe selbst auseinandergenommen, repariert, zusammengebaut. Er kennt die Eigenschaften einer jeden Waffe, die er besitzt. Wenn er nun vor großem Publikum sich die Hand durchschlagen läßt, so kann dies geplant sein. Ich würde sagen, dies war ein Zeichen für diejenigen, die ihn besser kennen. Was ist Ihre Meinung?” “Sie deckt sich mir Ihrer, Trou!” versicherte Kennon grimmig. “Ich glaube ebenfalls daran, daß er uns ein Zeichen geben wollte. Etwas muß mit ihm geschehen sein. Ich weigere mich daran zu glauben” daß mein Freund derartige Unsinnigkeiten ohne triftigen Grund begeht. Ich kenne ihn verdammt lange, und ich sage: Tekener ist auf irgendeine Art und Weise manipuliert worden.” Sie diskutierten in den nächsten fünfundfünfzig Minuten alles durch, was sie wußten. Diese Diskussion zeigte ausgezeichnete Ergebnisse, denn es kamen noch andere Absonderlichkeiten zum Vorschein. Schließlich sprang Kennon auf. “Das Signal!” sagte er mit hörbarer Erleichterung in der Stimme. Lordadmiral Atlan hatte geantwortet. 5. 17
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Rund eine Stunde später hatte Lordadmiral Atlan reagiert. Das war an sich schon ein alarmierendes Zeichen. Seine Antwort war, wie üblich, als unverdächtige und dennoch reale Wirtschaftsnachricht getarnt und kam offiziell von einem der Schiffe Satisfys. Eine Relaisstation weit draußen hatte sie aufgefangen und strahlte sie nun nach Satisfy ab. Sämtliche Dechiffriergeräte erwachten zu summendem und flüsterndem Leben. Sie suchten in ihren Speichern mit Lichtgeschwindigkeit nach dem Kode dieses Tages und transferierten die Nachricht in Klartext. Dieser Text wurde sowohl auf Schirme projiziert als auch akustisch bemerkbar gemacht. Lautsprecher knackten. “So!” sagte Kennon grimmig. “Jetzt wird wohl eine Kleinigkeit Licht in das mysteriöse Dunkelfallen.” In Wirklichkeit war er von brennender Sorge erfüllt, wußte aber, daß gewisse Abläufe ihre Zeit brauchten und nicht beschleunigt werden konnten. Sie warteten also, bis die ersten Zeilen auf den Bildschirmen geschrieben wurden. Kennon las laut. “Atlan an Kennon, Satisfy. Wir haben Ihre Meldung und die ausgedrückten Befürchtungen zur Kenntnis genommen. Im Augenblick sieht die gesamte Angelegenheit reichlich verworren aus, aber ich selbst neige zu Ihrer Ansicht. Sie erhalten den dringlichen Befehl, sich ausschließlich um die angesprochene Angelegenheit zu kümmern. Alle anderen Aufgaben sind zweitrangig. Sammeln Sie auf Satisfy weiterhin Informationen und bringen Sie sie zu meiner Kenntnis. Sie bleiben bitte auf der festgestellten Spur. Ich bin ebenfalls davon überzeugt, daß Tekener gezwungen wurde. Ist das der Fall, besteht nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Satisfy und die USO größte Gefahr. Tekener ist die Schlüsselfigur, also kann er das größte Geheimnis, von dem die Sicherheit im Kosmos abhängt, aufdecken. Wenn man ihn wringt, zwanzig Milliarden zu verschenken, dann kann man ihn auch zwingen, uns zu verraten. Ich melde mich augenblicklich, sobald ich genüge nd recherchiert habe. Ende.” “Klingt ziemlich aufmunternd!” stellte Dino fest. “Können wir Ihnen helfen?” Kennon schüttelte den Kopf. “Ich glaube nicht. Wenn ja, lasse ich es Sie wissen.” “Einverstanden. Wir sind hier und warten.” Kennon schüttelte ihre Hä nde und verließ die Sonde. Als er in seinen Privaträumen angekommen war, setzte er sich und überlegte, was als erste Aufgabe auf ihn wartete. Schließlich, in den frühen Morgenstunden, hatte er ein genaues Schema für sein Vorgehen entwickelt und setzte sich vor seinen Schreibtisch. Er schaltete den großen Monitor des Interkoms ein und drückte eine Nummer. Eine Sekunde später blendete der Bildschirm auf. Eine Stimme sagte: “Hier Internpolizei. Frühschicht.” Sinclair wartete, bis sich der junge Mann ins Bild geschoben hatte, dann sagte er halblaut: “Kennon hier. Ich habe für die Internpolizei eine delikate Aufgabe.” “Mit Vergnügen, Mister Kennon. Soll ich Moromat wecken?” Kennon hob die Hand und machte eine abwehrende Bewegung. 18
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“Er hat seinen Schlaf verdient. Hören Sie zu, das ist eine Anordnung von der Geschäftsleitung. Ihre Abteilung versucht, sämtliche Menschen oder Gäste unserer Kuppeln ausfindig zu machen, die Ronald Tekener vor seiner Abreise am elften November gesehen haben.” Der junge Mann kniff die Augen zusammen und fragte überrascht zurück: “Alle? Habe ich richtig verstanden?” “Abgesehen von den Blinden und den Abwesenden. Sie haben richtig verstanden. Besonders jene Personen, die nach einigen Testfragen erkennen lassen, daß sie sich über etwas in Teks Verhalten hatten wundern müssen. Das ist der erste Teil des Auftrages. Der zweite Teil: Diese Personen werden wir hier in meinen Privaträumen einer präzisen Befragung unterziehen. Stellen Sie hierfür einen Zeitplan auf und verhindern Sie die Flucht derjenigen, die sich so verhalten, als wüßten sie etwas, das über Allgemeinplätze hinausgeht.” Der junge Mann griff nach seiner Zigarette und starrte Kennon nachdenklich an. Schließlich, als er die Folgerungen überdacht hatte, sagte er schnell: “Verstanden, Mister Kennon. Wir werden unsere Zusatzkräfte anfordern. Freizeitsperre und so weiter, das gesamte Arsenal. Soll ich nicht doch Hatkor wecken lassen?” Kennon schüttelte den Kopf. Ihm war gerade eine Kleinigkeit von großer Wichtigkeit eingefallen. “Nein! Aber richten Sie ihm bitte aus, er möge mich besuchen, wenn er gefrühstückt und wieder die volle Herrschaft über seine kleinen grauen Hirnzellen hat.” “Selbstverständlich, Sir. Weitere Anweisungen?” “Nein.” Kennon sah auf die Uhr. Es war knapp sechs Uhr morgens. Er würde noch warten müssen, ehe er selbst in Aktion treten konnte. “Gibt es neue Ermittlungen über das Attentat, den Attentäter oder die Bankangelegenheit?” Der junge Terraner biß auf seine Unterlippe. “Ich habe bis jetzt nichts gehört, das besonders interessant sein könnte. Die Leiche des Pelzschiff-Maats ist freigegeben und wird eingeäschert, der Attentäter ist identifiziert ... keine näheren Anhaltspunkte. Niemand weiß davon, daß er gekauft wurde, niemand hat mit ihm über seinen Versuch, Sie zu töten, gesprochen. In der Bank für galaktische Freundschaftswerbung wird weiterhin ermittelt, sicher ohne besonderen Erfolg, sonst müßte die Frühschicht etwas davon wissen.” “Gut”, schloß Kennon. “Das wird sich in den nächsten Tagen ändern. Bitte, veranlassen Sie, was ich Ihnen aufgetragen habe. Sollte sich etwas Unvorhergesehenes ereignen, ich bin hier anzutreffen.” “Geht in Ordnung, Sir!” Der Schirm wurde dunkel. * Kennon und Hatkor Moromat verbrachten den halben Nachmittag und fast die gesamte Nacht damit, Bestätigungen für Kennons Auffassungen zu erhalten—oder das Gegenteil. Es fanden sich weit über vierzig Personen; ein Querschnitt durch die 19
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Bewohner und die Gäste Satisfys. Sie alle hatten Tekener gesehen und mit ihm gesprochen. Winzige Verdachtsmomente summierten sich in diesen langen Stunden. Mit ausgesprochen peinlicher Bedachtsamkeit und der Routine eines Kriminalbamten, mit der Hartnäckigkeit eines antiken Inquisitors, mit dem Mißtrauen eines Mannes, dessen Lebensweg ständig am Rand des Verbrechens entlanggeführt hatte—freilich auf der anderen Seite!—, mit der Ausdauer eines stumpfsinnigen Roboters ... mit allen diesen Charaktereigenschaften befragten Kennon und Moromat die ermittelten Personen. Man erhielt schließlich einen erklärenden Text, der sich mit der Überweisung von vielen kleineren Summen, die zusammen zwanzig Milliarden Solar ergaben, und ihren Zielen befaßte. Kennon dachte, als er die Erklärung las: Was Tek hier angestellt hat, ist horrender Unsinn und entbehrt jeglicher, logischer Erklärung. Er halte sich wie ein verkalkter Millionär verhalten” der Einfluß auf das Konto eines Rivalen hatte und dessen Geld in vollen Zügen wahllos verschenkte. Normalerweise könnte man Tekener dieses Verhalten als Verbrechen gegen die United Stars Organisation ankreiden. Gegen Mitternacht konnten sie den letzten Gast entlassen. Kennon war nicht erschöpft, sein Robotkörper kannte diese Art der Erschlaffung nicht mehr, aber er fühlte sich hektisch und überfordert, von zuvielen Eindrücken überflutet. Er lehnte sich zurück und sagte: “Moromat, ich danke Ihnen. Ich bin überzeugt, daß Ihrem Chef und meinem Freund etwas zugestoßen ist. Lassen Sie mich nachdenken, was ich dagegen tun kann.” Der Chef der kleinen Polizeitruppe stand auf und murmelte erschöpft: “Lassen Sie es mich wissen, wenn ich Ihnen helfen kann.” “Selbstverständlich!” Kennon verabschiedete sich von dem wertvollen Mitarbeiter und bedauerte einen langen Moment, daß er auch ihn im unklaren lassen mußte. Kennon wußte jetzt mit Genauigkeit, daß sein Freund keineswegs aus freier Entscheidung gehandelt hatte. Für einen Augenblick tauchte sogar in seinen Überlegungen die Vision eines TekenerDoppelgängers auf, der sich dort, wo sich der echte Tekener falsch verhalten hatte, aus Unkenntnis nicht anders hatte verhalten können. Kernpunkte waren: Die Überweisungen in Höhe von zwanzig Milliarden Solar! Die Verletzung beim Schauschießen! Und dazu kam der Zwischenfall, in den USO-Captain Marcor Tulaire verwickelt worden war. Tulaire, ein Mann, dem Tekener Jahrzehnte lang vertraut hatte, den auch er, Kennon, nicht anders als vertrauenswürdig kannte, sollte ein Verräter sein? Kennon sagte halblaut: “Dieser Spur werde ich persönlich nachgehen. Und wehe denen, wenn sich herausstellt, was ich argwöhne ?” Ohne daß sie voneinander wußten, arbeiteten Internpolizei und USO eng zusammen. Kennon rüstete sich aus, was wenig Arbeit erforderte, dann verließ er das 20
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Gebäude und die Kuppel. Es war vier Uhr nachts. In seinen Gedanken befand sich der Hinweis darauf, daß der Afroterraner Tulaire bei der Flucht den Notfonds geplündert hatte. Die Flucht stellte sich Kennon so dar, als habe ein Mann mit aller seiner Kraft versucht, jemandem eine Information von galaktischer Wichtigkeit zu übermitteln. Und dieser Mann war erschossen worden! Er sollte von den galaktischen Händlern der Kuppel zwei angeblich einen Kleintransmitter gekauft haben. Achthunderttausend Solar hatte Tulaire aus dem Notfonds abgehoben. Kennon betrat die Kuppel Zwei. Hier herrschte genau jene Art von Leben, die in jeder Großstadt um diese Zeit zu beobachten war. Die Plätze und die Straßen waren nahezu leer, die Bars und Restaurants, die um diese Zeit noch geöffnet hatten, barsten beinahe. Die Passanten stellten ebenfalls einen ganz normalen Querschnitt durch sämtliche Städte aller Planeten mit humanoiden Bewohnern dar—um diese Zeit zwischen Nacht und Morgen. Selbst das künstliche Licht unter der Schutzkuppel war dem einer hellen Nacht angeglichen. “Auf zum Hotel ‘Excelsior’!” sagte sich Sinclair Marout Kennon. In seinen Gedächtnisspeichern fand er keine Daten über jenes “Chateau Excelsior”. Er wußte aber genau, wo er es zu finden hatte. Einen Augenblick lang verfolgte ihn die Vision, daß es ein Unbekannter darauf angelegt hatte, Tek und ihn zu töten und vorher noch den gesamten Komplex Satisfy in all seiner Doppelbedeutung zu vernichten. Die Vision ging vorüber, als Kennon die Leuchtschrift des Hotels entdeckte, hinterließ aber den bitteren Nachgeschmack dessen, was jederzeit als mögliches Unheil über sie hereinbrechen konnte. Gedanken ähnlicher Art, dumpf und lastend, erfüllten den Roboter mit dem menschlichen Hirn und den menschlichen Eigenschaften. Er blieb stehen und betrachtete das Haus mit dem Namen, der eher an Versailles als an ein Elendsquartier erinnerte. “Demnächst dürfte ein Konzessionsentzug fällig sein!” sagte Kennon und riß mit einer energischen Bewegung die Eingangstür auf. Er stapfte über einen abgetretenen Bodenbelag auf das Empfangspult zu. “Guten Morgen!” sagte er in unüberhörbarer Lautstärke und Schärfe. Das semirobotische Empfangsgerät summte auf, gab eine Serie von Lichtzeichen und knisterte dann protestierend. Es schien leisere Gäste gewöhnt zu sein. Aus der Lautsprecheröffnung ringelte sich ein Rauchfaden. “Beim roten Licht Starteks!” sagte Kennon. Er hatte den Klang seiner Stimme um dreißig Phon verstärkt. Klirrend bewegte sich ein Aschenbecher voller Zigarettenreste; die Hälfte davon mit Lippenstiftspuren am Mundstück. “Guten Abend. Guten Morgen. Mahlzeit. Die Bar ist gegenüber ... grrrr”, gurgelte der Robotmechanismus. Dann erfolgte das harte Schnappen einer herausknallenden Sicherung. Eine Türöffnetesich. Ein Gesicht, das einer bemalten Kugel ähnlich sah, schob sich durch den Spalt. “Sie wünschen?” Kennon sagte scharf; “Mein Name ist Kennon. Ich bin der Geschäftspartner von Ronald TeKener. 21
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Sollten Sie daran interessiert sein, daß Ihr famoses Hotel morgen noch geöffnet ist ... Ich habe es eilig!” Der Spalt verbreiterte sich. Der Körper zu dem runden Kopf schob sich nach vorn und zeigte sich in voller Deutlichkeit. Ein abgetragener Anzug verdeckte schlotternd eine dürre Gestalt. Kennons Mitleid mit dem Menschen vor ihm erwachte, aber er unterdrückte es. “Mister ... ich vergaß den Namen?” fragte der Mann, der mindestens hundert Jahre alt war und nicht nur einen verschlafenen, sondern auch ärmlichen Eindruck machte. “Ich habe es rasend eilig”, sagte Kennon. Er ließ keinen Zweifel daran, daß er es auch sehr ernst meinte. “Sie sind der Nachtdienst?” “Die Aushilfe. Kennon ... ich glaube, mich zu erinnern. Wissen Sie, ich bin nur ab und zu hier. Was wünschen Sie? Etwa ein Zimmer?” Kennon tippte mit dem Daumennagel an den ausgefallenen Robot und sagte: Ein Gast war hier. Sein Name: Marcor Tulaire. Ein Afroterraner mit dunkler Haut. Sie erinnern sich?” Der Aushilfs-Nachtdienst schüttelte den Kopf und zerrte unter der schmutztgen Theke eine flache Kassette hervor. Er drückte, nachdem er die Spitze des Zeigefingers mit der Zunge angefeuchtet hatte, einige Tasten. Auf der stumpfblauen Fläche erschienen Namen. “Tulaire?” “Tulaire!” donnerte Kennon. Er fing das Register auf, als es der erschrockene Mann fallen ließ. Die Bewegung war blitzschnell, zu schnell, aber der schläfrige Mensch merkte es nicht. “Tulaire. Sofort ... hier haben wir ihn schon. Was möchten Sie wissen?” Kennon erklärte es ihm. Schließlich sagte der Nachtdienst: “Ein anderer Gast hat das Zimmer. Zweifellos sind die Kisten, die Tulaire bekommen haben soll, weggeräumt worden, denn die Zimmer sind nicht besonders groß. Wenn wirklich ein solches Gepäckstück eingetroffen ist, steht es im Keller oder in einem der angeschlossenen Wirtschaftsräume.” Kennon sagte mit einer Bestimmtheit, die den Nachtdienst, der nun nicht mehr schläfrig, dafür aber sehr verstört aussah, an die Wand zurückprallen ließ: “Ich will diese Räume sehen. Wenn sie nicht binnen Sekunden zugänglich sind, zerschieße ich die Schlösser und sehe selbst nach. Ihr Chef weiß, wohin er die Beschwerden richten kann. Los, Mann, machen Sie schnell ... es geht um Menschenleben!” Drei Minuten später durchsuchte Kennon eine leidlich aufgeräumte Robotküche, mehrere Speicher, die Abteilung für frische Hotelwäsche, in der es nach Rattengift stank, die Kammer für die abgenutzten Reinigungsgeräte und andere Räume. Er fand eines der vier Teilstücke in dem kleinen Raum, in dem vergessene Gepäckstücke von Gästen aus einem anderen Jahrhundert standen, dem Aussehen nach zu urteilen. “Aha!” sagte er. Mit beiden Händen griff er zu und riß die Verpackung ab. Was er darunter entdeckte, schien alle seine Befürchtungen wahr werden zu lassen. Er handelte sich in der Tat um ein Teilstück eines kleinen, zusammensetzbaren Transmitters. Kennon 22
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verließ den Raum, er hatte genug gesehen. Der Nachtdienst lief hinter ihm her. “Was werden Sie jetzt tun, Sir?” Kennon griff in die Brusttasche und zog eine Hundert-Solar-Note heraus. “Nichts!” sagte er und drückte den Geldschein dem total verwirrten Mann mit dem runden Kopf in die Hand. Auf dem ängstlichen Gesicht zeichnete sich jetzt der Ausdruck vollkommener Verwirrung ab. 6. Als nächstes nahm sich Kennon die gespeicherten Vorgänge der letzten Zeit vor. Er befand sich auf der Spur und wußte, daß sie heiß war. Keine Einzelheit war so klein, als daß sie deswegen unwichtig gewesen wäre. Natürlich entdeckte er nach kurzer Zeit die Meldung, die Tekener abgegeben hatte. Sie besagte, daß Tulaire entlarvt worden war. Er hatte laut Teks Aussage mit akonischen Agenten in Verbindunggestanden. Auf Kennons Anruf hin meldete sich die gutaussehende Spezialistin mit dem langen dunklen Haar. “Ich würde das als Lüge bezeichnen!” sagte sie nachdrücklich. “Ja? Warum?” “Captain Tulaire befand sich fast ununterbrochen bei uns in der Sonde. Außerdem war er bereits auf dem Weg zurück nach Quinto-Center. Er stand kurz vor dem Transmittersprung.” “Also keinerlei Verbindung mit Leuten, die sich als akonische Agenten entpuppen können?” erkundigte sich Sinclair. “Nein.” “Ich verstehe”, sagte Kennon nachdenklich. “Also liegt auch hier ein Mißverständnis vor. Für Marcor allerdings ein tödliches Mißverstandnis.” “So ist es. Haben Sie sich bereits die Besucherlisten angesehen’?” fragte Trou zurück. “Sie sind gerade angefordert. Ich verständige Sie wieder, wenn sich neue Anhaltspunkte ergeben!” “In Ordnung.” Kennon schaltete ab und widmete sich dem Studium der Namen, die ununterbrochen über einen Bildschirm zogen. Die Vollpositroniken des kleinen Felsmondes hatten alle Daten gespeichert. Jeder einzelne Besucher hatte zwar hier landen können, ohne genau überprüft zu werden, abe r unzählige Informanten hatten die Namen festgehalten; teils offiziell anhand der Landemeldungen, teils inoffiziell” weil man die Besucher erkannte. Außerdem waren entsprechende Geräte in den Schleuseninstalliert, durch die man die Kuppeln betrat. “Aha!” murmelte Kennon. Über den Bildschirm zog gerade die Meldung, daß ein Mann Namens Corco Bennary bis vor kurzem hier gewesen und mit dem Schiff OLYMARA abgeflogen war. “Sehr interessant. Dahinter steckt eine Menge! Das kann die Schlüsselfigur sein, 23
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eventuell sogar, ein Lösungsansatz!” brummte Kennon. Bennary, der Abwehrchef der TareyBruderschaft und Befehlshaber der berüchtigten Cardmanosch. Er war gelandet und kurz. darauf wieder gestartet. Also doch! Das Bild rundete sich ab. Kennon überflog den Rest der langen Aufzählung, aber er machte keine zweite auffallende Beobachtung mehr. Der Start mit den stotternden Triebwerken, die Auseinandersetzung Bennarys mit Hatkor Moromat, die dieser fähige Mann nicht vergessen hatte” aber in diesem Zusammenhang nicht erwähne nswert fand—Kennon forderte den detaillierten Bericht an und las ihn aufgeregtdurch. Kennon waren nicht alle Geheimunterlagen der USO bekannt, aber er wußte, daß Corco Bennary innerhalb der Organisation als derjenige Mann im Gespräch war, der die Nachfolge der diktatorischen Chanmeister antreten sollte. Nachdem ein ausführliches Psychogramm angefertigt worden war, hatte Atlan” der über geheime Agenten Waffenlieferungen und Hilfsmittel in Höhe von zwanzig Milliarden Solar versprochen hatte, um die Diktatoren abzusetzen, abgewinkt. Zwar hatte er nicht direkt mit Bennary gebrochen, dafür aber die Verhandlungen eingefroren. “Das wär’s!” meinte Kennon, als der letzte Name über den Schirm gegangen war. Er stand auf und ging hinunter in die Sonde. Dort formulierte er einen zweiten Hyperfunkspruch an Atlan, ließ ihn verschlüsseln und in eine Nachricht umformen, die jeder mithören konnte. Dieses Mal erhielt der Lordadmiral eine zusammenhängende Nachricht, die weitestgehend aus Fakten bestand. Kennon faßte die Ereignisse und die Ermittlungen des letzten Tages zusammen und gab seine Stellungnahme ab. Dann strahlten die starken Sender des Asteroiden den kodierten Text ab. Die Wartezeit betrug nur eine halbe Stunde. Dann antwortete Atlan. Überrascht las Kennon die Meldung, als sie dechiffriert war. Dann begriff er und grinste trotz der Gedanken der Sorgeum seinen Freund. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird ein zweiter Attentatsversuch, auf Sie durchgeführt. Wenn Tekener etwas geschehen ist, sind Sie als sein Vertrauter die größte potentielle Gefahr. Also wird man Sie aus dem Weg zu räumen versuchen. Fordern Sie das zweite Attentat heraus! Bewegen Sie sich in einer Umgebung, die solche Gelegenheiten ermöglicht! Schalten Sie Ihren Spezialschirm ein, bereiten Sie den vorgesehenen Einschußsektor in ihren Körper durch eine Strukturfeldöffnung des Kraftfeldes vor. Sie müssen offiziell und vor Zeugen sterben, dann lassen Sie sich einäschern. Sie müssen Maske anlegen—ich werde Ihnen die NUTRIA AUREA schicken mit dem Mann, den Sie verkörpern müssen und einem Team, das Ihnen helfen wird. Es wird sich nicht umgehen lassen”, in diesen Teilbereich den Chef Ihrer Internpolizei einzuweihen. Warten Sie weitere Befehle ab. Viel Glück-Lordadmiral Atlan.” Kennon nickte den Spezialisten zu. “Das klingt schon weitaus präziser!” sagte er mit einem vorsichtigen Anflug von Optimismus. “Die Dinge geraten ins Rollen.” Trou nickte und erwiderte ernst: 24
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“Hoffentlich überrollen sie uns nicht.” “Nicht so leicht, und nicht so schnell.” Sinclair Marout Kennon hatte den Befehl sehr genau verstanden. Ein unbekannter Gegner war aufgetaucht, der Tekener entweder entführt oder beseitigt und an seine Stelle ein schlechts Double gestellt hatte. Dieser unbekannte Gegner, mit dem ohne Zweifel Corco Bennary etwas zu schaffen hatte, sollte in Sicherheit gewiegt werden. Das konnte am besten dadurch geschehen, daß nun nach Minart Kadebku und seinen Helfern auch der zweitwichtigste Mann dieses Asteroiden getötet wurde. Er, Kennon. War er beseitigt, dann konnten die unbekannten Gegner ungestört weiter operieren. Kennon hatte nicht vor, ihnen die Arbeit in Wirklichkeit zu erleichtern, aber er ging hinauf an die Oberfläche des Felsbrockens und unterrichtete den Chef der Internpolizei über das, was in Kürze vorfallen würde, und darüber, was die Rolle der Internpolizei dabei war. Sie würden sich nicht anzustrengen brauchen, um diese Rolle perfekt spielen zu können ... * Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Kennon ging augenblicklich an die Arbeit. Sein Robotkörper besaß, abgesehen von mehr als einem Dutzend ähnlicher Einrichtungen, einen eingebauten Spezialprojektor von mittlerer Leistung. Er legte, wenn man ihn aktivierte, über den Rumpf und den Kopf ein unsichtbares Kraftfeld, das wie eine eng anliegende Folie wirkte. Der Schutzschirm hatte auf jeder seiner Hemisphären eine Öffnung. Diese beiden Öffnungen mündeten ineinander, so daß der Schirm eigentlich die Form eines Schlauches mit großem Durchmesser und einem kaum sichtbaren Innenraum aufwies. Diese röhrenförmige Zone verlief durch Kennons Körper, und zwar dicht unterhalb der Stelle, bei der man im menschlichen Körper das Herz fand. Ein ständig aufgebautes Röhrenfeld von geringstem Durchmesser, optisch nicht mehr feststellbar, schützte diesen Durchgang. Wurde nun auf Kennon geschossen, dann wurde jede Form von Energie so abgelenkt, daß sie genau diesen Raum traf. Außerdem befanden sich sowohl vorn als auch hinten kleine Explosionsmechanismen, die künstliche Wunden erzeugen konnten. Kennon kam seit langer Zeit wieder einmal in die Verlegenheit, diesen Schirm einschalten zu müssen. Er sah auf die Uhr und überlegte, in welche Gegend er sich bemühen sollte, um auch wirklich erschossen zu werden. Irgendwo lauerte der zweite Attentäter, der natürlich den Mißerfolg seines Vorgängers kannte. Kennon lauerte auf den zweiten Attentäter ... * Die Chance, eines der aufregendsten Nachtlokale dieses galaktischen Sektors zu bauen, hatten sich Kennon und Tekener “damals” nicht entgehen lassen. 25
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Vierundzwanzig Stunden am Tag rotierten hier die Bandspulen, spielten die Kapellen, zuckten die Lichter. Kaum jemand, der Satisfy besuchte, war nicht auch hier im Ritual zu finden. “Ich muß von allem Anfang an ein deutliches Ziel bieten-aber nicht in einer Gegend” in der der Attentäter nicht zu schießen wagt!” sagte sich Kennon. Er war überzeugt, daß man versuchen würde, ihn zu erschießen. Zum ersten deswegen, weil auch das erste Attentat mit einer Schußwaffe verübt worden war, zum zweiten deswegen, weil der Attentäter beobachten konnte, wie sein Opfer starb, falls er richtig getroffen hatte. Andererseits durfte es Kennon auch nicht auffällig machen, denn erstems war er hier sehr vielen Leuten bekannt, zweitens würde ein zu offensichtliches Vorgehen den Schützen mißtrauisch machen. Und erst recht seine Auftraggeber. “Also ... auf ins Ritual!” sagte Kennon und ging in der Kuppel Zwei den Weg, der rechts von der Verbindungsschleuse wegführte. Pflanzen und Gewächse, Rasenflächen und in verschiedenen Ebenen angelegte Zonen, die bewohnt und bewachsen waren, sorgten für einen abwechslungsreich gestalteten Wohnbereich unter dieser Schutzkuppel. Das Ritual ... Sie hatten, als sie darangingen, die Oberfläche des Felsbrockens zu kultivieren, eine Höhle entdeckt. Sie bestand aus hellem, marrnorartigem Stein, der zu unzähligen Nebenhöhlen und Nischen, tropfsteinähnlichen Gebilden, Spalten und Fenstern ausgewaschen und abgesprengt worden war. Diese Warze im Fels des Asteroiden war weder abgesprengt noch eingeebnet worden, sondern man hatte auf ihr eine Grünzone angelegt, die einerseits einen willkommenen Anblick bot und zweitens die Lufterneuerungsanlage entlastete und üble Gerüche vertrieb. Brunnen und kleine Wasserfälle verzierten die künstliche Hügellandschaft . Nachts sorgten versteckte Scheinwerfer für einen Anblick, der Kennon etwas zu kitschig war, aber allgemein Bewunderung hervorrief. Rings um diese Zone erhoben sich, zu einem freien Platz ausschwingend, Wohnhäuser und Bankgebäude. zahllose Geschäfte und Handelsburos, Langsam ging Kennon durch die Reihen der spärlichen Besucher, hielt hin und wieder an und betrachtete ein Schaufenster. die Firmenschilder in all ihren Farben und Buchstabenkombinationen. “Weit haben wir es gebracht!” sagte er sich. In gewisser Weise hatte Satisfy der Handelswelt mit der Zentrale Lepso den Rang abgelaufen; hier auf Satisfy blühten Handel und Verkauf, wurden riesige Summen umgeschlagen, arbeiteten Makler vieler Völker und zahlloser Planeten. Die Kontrolle war außerordentlich diskret, aber ebenso exakt. Was allein in dieser Kuppel an Informationen für die United Stars Organisation abfiel, war beträchtlich. “Verzeihung!” Ein kleiner, magerer Ertruser hatte ihn angestoßen und halbwegs in ein Schaufenster gestoßen. Kennons Reflexe verhinderten, daß er mehr als zwei Schritte lang taumelte. “Bitte. Es war meine Schuld!” sagte er und blickte kopfschüttelnd dem davoneilenden Mann nach. Hin und wieder traf ihn ein verwunderter Blick. In diesem Fall bedeutete das, daß man ihn erkannte. Er war Tekeners Freund und Geschäftspartner; einer von zwei 26
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autokratischen Herrschern über eine kleine Welt mit einem großen” weithin hallenden Ruf. Während Tekener im Vordergrund operierte und die Befehle gab, bewegte er sich mehr in den Kulissen und griff ein, wenn es brenzlig wurde. Natürlich hatte sich der Anschlag auf ihn herumgesprochen; vermutlich war er auch in den Nachrichten erwähnt worden, die stündlich ausgestrahlt wurden. Dann wieder trafen ihn unbeteiligte Augen. Menschen und Angehörige anderer Völker, die sich in der Luft unter dieser Kuppel bewegen konnten, wichen ihm aus oder warteten, daß er ihnen auswich. Langsam näherte er sich auf Umwegen dem Ritual. Er blickte in Bars hinein, unterhielt sich mit einigen Bekannten, machte einen langsamen Rundgang durch einen Lokalbetrieb, der in sieben Ebenen und sieben verschiedenen Preiskategorien Essen für jedermanns Geschmack anbot, natürlich auch in sieben verschiedenen und sehr teuren Ausstattungen. Er ging weiter, kletterte mühelos Treppen hinauf und spazierte Rampen hinunter. Jede Information über die Bauten und Einrichtungen dieser Kuppel, die er besaß, wurde durch die neuesten Eindrücke überlagert und vervollständigt. “Sehr interessant. Bars kommen und gehen, und die Namen wechseln wie die Launen der Besitzer!” sagte er und korrigierte ein Dutzend älterer Informationen. Ununterbrochen ortete er, suchte er die Zwischenräume der Gebäude ab, suchten seine unsichtbaren positronischen Spürgeräte die Bewegungen hinter Fenstern und Türen zu enträtseln. Seine Unruhe wuchs. Je länger er brauchte, um “erschossen zu werden”, desto gefährlicher konnte die Lage Tekeners werden. Sir!” ertönte der Ruf. Kennon versteifte sich und erwartete einen Schuß. Langsam drehte er sich um. Ein Beamter der Internpolizei, ein junger Terra-Kolonisten-Nachkomme, lief auf ihn zu. “Wir sind angewiesen worden, Mister Kennon ...”, sprudelte er aufgeregt hervor. Seine Hand ruhte auf dem Griff der schweren Paralysatorwaffe an seiner Seite. “... besonders gut auf mich zu achten!” beendete Kennon den Satz und lachte breit. “Danke, ich weiß es. Tun Sie das weiterhin.” Der Beamte sagte entschlossen: “Sie setzen sich einer großen Gefahr aus. Es ist schon einmal auf Sie geschossen worden!” “Ich weiß”, erwiderte Kennon und sah sich langsam um, als fürchte er, jeden Augenblick niedergeschossen zu werden. “Aber Sie wissen, daß Mister Tekener nicht hier ist. Ich habe seine Aufgaben zu übernehmen. Ich kümmere mich heute um die Zustände in dieser Kuppel hier.” Der Beamte nickte. “Ich werde trotzdem ein Auge auf Sie haben, Sir”, sagte er. “Genehmigt, junger Mann!” antwortete Kennon leichthin. “Aber werden Sie aus diesem Grund nicht zu meinem Schatten.” Er nickte dem Beamten zu und ging weiter. Dadurch, daß man scheinbar wahllos, in Wirklichkeit aber mit voller Absicht, Wohnebenen, Hotels, Bars und Geschäfte miteinander kombiniert hatte, als man die Inneneinrichtung der Kuppeln erstellte, hatte man eine gesunde Durchmischung erreicht. Ständig gab es einen Strom von Passanten. Er war zu bestimmten Stunden 27
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dichter, zu anderen dünn, jetzt herrschte ein mittlerer Wert. Zwischen zwei schlanken Hausfronten sah Kennon den Hügel, unter dem der riesige Felsauswuchs sich verbarg. Seit undenkbar langen Jahren war er derart darauf spezialisiert, mit seinem Robotkörper einen vollwertigen Menschen zu kopieren, daß alle seine diesbezüglichen Handlungen—mit seltenen Ausnahmen—inzwischen völlig automatischverliefen. Er blieb stehen und zog eine angebrochene Packung Zigaretten aus der Brusttasche: Der Körperschutzschirm verlief unterhalb seiner Kleidung, auch die Behälter mit dem Blutplasma und dem Gewebekombinat waren rund um die Strukturöffnung und das Röhrenfeld. Langsam zündete er sich die Zigarette an und schlenderte weiter. Er stieg, den kleinen Wasserfall bewundernd, eine schmale Treppe hinauf und trat auf einen Platz hinaus. Über ihm wölbte sich die Kuppel. Unsichtbar verliefen die riesigen Leitungen durch die Felsen und mündeten weit unten im Fels in die Kammern neben den nuklearen Kraftwerken. Dort wurde die Luft gefiltert und erneuert, dort erfolgte die Anreicherung mit Wasserdampf, dort wurde der Druck für die verschiedenen Leitungen aufgebaut. Eine spiralige Rampe führte von dem Platz, dessen Ruhe ungewöhnlich war, hinunter zum Eingang des Ritual. Langsam lief Kennon die Rampe hinunter und blieb vor der Tür stehen. Er hörte die aufregend laute Musik durch die schweren Dreifach-Glasplatten hindurch, die sich vor ihm zurückschoben, als er eine Lichtschranke durchbrach. In drei Stufen erhöhte sich die Lautstarke. Dann befand er sich auf einer weiteren Treppe, die aus dem unbehauenen Felsen herausgeschnitten worden war. Lärm und Hitze schlugen ihm entgegen. Es herrschte das gewohnte Halbdunkel, das an solchen Plätzen obligatorisch war. “Auf meine alten Tage ...”, murmelte Kennon mit einem kalten Grinsen. Er war darauf gefaßt, daß sich der Attentäter hier aufhielt und ihn erkannte. Aber das konnte sich auch als Trugschluß erweisen. Als er die Treppe hinter sich gelassen hatte, waren der Lärm und die Musik fast unerträglich laut geworden. Der höhlenartige Raum mit seinen Dutzenden von Nischen und Verzweigungen warf jeden Laut als Echo verzerrt zurück. Kennon blieb stehen und sah sich um. Sein Ziel war die Bar am gegenüberliegenden Ende des Raumes, kunstvoll in di e Felsen hineingegossen, den Linien der Nebenhöhle folgend, ein Punkt trügerischer Ruhe inmitten von mindestens zweihundert tanzenden Paaren und Einzelpersonen. “Jetzt brauche sogar ich einen Schnaps!” sagte Kennon scherzend zu sich selbst. Was er wirklich brauchte, war ein provozierender Zwischenfall, der mit seinem Tod endete. 7. Offensichtlich zog dieses organisierte Chaos die Gäste an. Die Musik dröhnte. Bässe und Höhenlagen waren scharf ausgesteuert, und Sinclair Marout Kennon hatte den flüchtigen Eindruck, der Krach müsse genügen, um im Lauf eines Jahres den Planetoiden auseinanderkrümeln zu lassen. Die Lautstärke bewegte sich knapp 28
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unterhalb der Lärmgrenze. aber weder die bedienenden Roboter noch die menschlichen Kellner trugen Schutzvorrichtungen. Kennon bog ab und balancierte auf einem schmalen Steg zwischen den Sitzplatzen und der Tanzfläche nach hinten. Zwischen den Stalagmiten und Stalaktiten gab es kleine, meist gerundete Plattformen, auf denen Lederkissen lagen. Vor den Sitzplätzen befanden sich steinerne Tische. Echte Kerzen brannten darauf und schufen viele kleine Zonen abgegrenzter Helligkeit. Die Reflexe der Flammen schimmerten auf Gläsern, Tassen und Bechern. “Einen Sitzplatz, der Herr?” Eine Metallkugel, in bläulichen Glanz getaucht, war seitlich auf ihn zugeschwebt und richtete ein Okular auf ihn. Der Robot, der die Plätze anwies. Kennon unterdrückte den Impuls, seine Faust iri die Verkleidung der Maschine zu schmettern und sagte schnell: “Ich sitze an der Bar.” “Wir wünschen viel Vergnügen”, murmelte die Maschine und schwebte weiter, zum nächsten Gast, der nach Kennon hereingekommen war. Die Aufregung, die sein organisches Gehirn durchschauerte, verzog sich langsam. Er dachte schon nach vier Schritten wieder klar. Gutaussehende Mädchen und dicke Geschäftsleute, schlanke Spieler und Frauen, denen man den Mangel an Schlaf ebenso wie die Langeweile ansah, junge Menschen und solche, die eigentlich über das Alter für diese Art von Vergnügungen schon hinaus sein sollten ... das waren die Gäste in diesem dröhnenden, schrillen, von Lichtblitzen und stroboskopisch-farbigen Effekten durchzuckten Inferno. Kennons Aufnahmegeräte wurden überflutet. Er ging weiter, wich aus und blieb stehen, schlängelte sich an Gruppen oder Einzelpersonen vorbei und hörte Fetzen von sinnlosen Unterhaltungen mit, die in größter Lautstärke geführt wurden. Schließlich erreichte er die Bar. Vermutlich hatte auch schon der junge Beamte der Internpolizei das Ritual betreten und suchte ihn. Wenn er ihn gefunden hatte, dann würde er irgendwo bei einem Muskon oder einem Zhap sitzen, die Hand auf dem Kolben der Waffe, die Augen auf Kennon gerichtet. “Das sichert schnelle Reaktionen und die gewünschte Aufmerksamkeit!” sagte sich Kennon und ging fünf Meter geradeaus. Er spürte, daß er einen akustischen Vorhang durchstieß. Die Zone dahinter, ein Bereich, der sich drei Meter weit von der langen, mehrfach geschwungenen Theke entfernt ausbreitete, war völlig ruhig. Man hörte nur das Klirren der Gläser, leise Unterhaltung vieler Menschen und einen fernen Hall der Musik. Aber weder ein optischer noch ein mechanischer Effekt deutete auf die Zone hin. Kennon war dem Chaos entronnen und setzte sich auf das runde Lederpolster, das auf einem säulenstumpfartigen Hocker lag. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und musterte die Umgebung. Alles schien noch so zu sein, wie damals, als sie mit dem Architekten die abschließenden Rundgänge unternommen hatten. Aber Kennon wußte, daß dieser Raum eine ganze Serie kleiner Umbauten und, was die verschleißbaren Teile betraf, wohl die fünfzigste Garnitur hinter sich hatte. Und mindestens ein halbes Tausend verschiedener Mädchen hinter der Bar. “Guten Abend!” sagte eine halblaute Stimme. Kennon wandte den Kopf, drehte 29
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den Körper herum und saß jetzt in einer denkbar guten Position für einen Meuchelmörder. Er bot der großen Öffnung der Höhle seinen ungeschützten Rücken. “Ebenfalls!” sagte Kennon und lächelte. Das Mädchen schien ihn nicht zu kennen. Sie sah in ihm nur einen schlanken, gutaussehenden Gast mit breiten Schultern und einer schweren Waffe an der Seite, der sie anlächelte und jetzt zwei Finger hob. “Was darf ich Ihnen anbieten’.” fragte das Mädchen. Sie war groß und schlank und war unverkennbar weiblich. Jedenfalls schien sie ihren Beruf ernst zu ne hmen und hatte auch alle Chancen, ohne Gehörschäden hinter der Theke Karriere zu machen. “Sie können mir sicherlich eine Menge anbieten”, sagte Kennon. “Aber ich habe mich bereits entschieden. Einen Sergan mit zwei Eiswürfel. Einen doppelten!” “Mit Vergnügen. Im Kühlbecher?” “Nicht unbedingt!” erwiderte Kennon. Dunkel und Lichtblitze. Ein Höllenlärm und flirrende Farben, die projiziert wurden. Donnernde Bässe und kreischende Höhen. Die richtige Kulisse. Würde er, wenn er sich in die Lage eines Attentäters versetzte, einen Menschen erschießen wollen, würde er dies hiertun. Seine unterdrückte Erregung wuchs. Er würde genügend auffallen, wenn er “starb”. Das Mädchen, das zusammen mit drei Kolleginnen etwa dreißig Gäste bediente, ging zurück an ihren Platz, bereitete den Drink vor und kam wieder zurück. Kennon zog eine Banknote aus der Brusttasche und legte sie neben das Glas, dann drehte er sich auf dem Hocker halb herum, um die übrigen Gäste anzusehen. Noch immer bot er einem hypothetischen Schützen den Rücken. Ein Ziel, das in der milden Beleuchtung der Bar kaum zu verfehlen war. “Danke!” sagte Kennon und hob das Glas an die Lippen. Er würde also wieder seine Identität als Kennon aufgeben und in eine Maske schlüpfen müssen. Bis jetzt hatte er noch keine Ahnung, was der Arkonide plante und wer mit dem unverdächtigen Schiff kam, aber diesen Mann würde er ersetzen mit allen seinen überragenden Möglichkeiten. Er trank einen Schluck, der durch seinen künstlichen Kehlkopf rann und sich in dem auswechselbaren Behälter fing. Er wartete auf seinen Mörder. * Drei Finger des Schützen lagen um den Griff der kleinen Waffe. Der Zeigefinger der rechten Hand lag auf dem breiten Kopf des Abzugs, der Daumen hielt den Kolben von der anderen Seite fest und ruhte auf dem Sicherungsknopf. Die Waffe warf Spitznadelgeschosse aus und war auf geringe Entfernung wirksam, also innerhalb einer Distanz von weniger als hundert Metern. Der Schütze, ein Mann von rund sechzig Jahren, der unverkennbar Akonenblut besaß, war vor wenigen Minuten angerufen worden. Man hatte ihm gesagt, wo das Opfer sich befand, und daß man von ihm beste Arbeit erwartete. Er war bereit und betrat eben das Ritual, als der Drehscheinwerfer über die gesamte Front der Bar 30
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wischte und die Personen ins helle Licht tauchte. Die Waffe arbeitete magnetisch” also lediglich mit einem harten Knacken. Sie besaß Energie für sieben Schüsse, was angesichts ihrer geringen Größe erstaunlich war. Sie funktionierte ohne Mündungsblitze und ohne Rauchentwicklung. Die sieben Spitznadelgeschosse durchschlugen einen menschlichen Körper und entfalteten einige Zentimeter nach dem Augenblick des Auftreffens ihre vernichtende Energie schlagartig. Der Schütze suchte sich einen Platz, der nahezu vollbesetzt war. Dann bestellte er ein einfaches Bier, setzte sich und sah gerade in diesem Augenblick das Profil eines schlanken Mannes an der Bar, als seine Hand einen Felsen losließ. Dieses Profil kannte er, er hatte die Bilder lange genug studiert. Dort sitzt Kennon! sagte er sich. Er brauchte Dunkelheit und eine stark rhythmische Musik. Man durfte seine Waffe nicht sehen. Zwischen seiner rechten Hand, die er jetzt langsam aus der Tasche zog, und dem breiten Rücken seines Opfers war eine Distanz von knapp dreißig Metern. “Ausgezeichnet!” murmelte er. Von links war er durch Polster und Felsstücke verdeckt. Die Aufmerksamkeit der Menschen vor ihm war von den Tänzern in Anspruch genommen. Von oben drohte keinerlei Beobachtung, von schräg unten ebenfalls nicht, denn das Licht konzentrierte sich weitestgehend auf die Tanzfläche. Der Mörder war keineswegs erregt; es war nicht sein erster bezahlter Mord. Er wartete ... In seiner Tasche befand sich die kleine, entsicherte Waffe. Dreißig Meter von der Mündung des Nadelwerfers entfernt spannte sich der Stoff von Kennons Kleidung über seinen breiten Schultern. * Kennon wurde unruhig. Er ahnte, daß ein gewisses Limit überzogen zu werden drohte. In seiner Vorstellung, die sich auf Jahrzehnte von Erfahrungen gründete, fand ein solch langer Aufschub keinen Platz. Er trank den ersten Schluck des zweiten Drinks. Wenn sich das Mädchen, das ihn in liebenswürdiger Manier bediente, sich in seiner Nähe befand, war auch sie gefährdet. Er verzichtete auf jede Unterhaltung und ließ seine Antworten mit Absicht kurz ausfallen, obwohl er merken mußte, daß ihn das Mädchen nicht nur als einfachen Gast betrachtete. Sie spürte diese Reaktion und sprach immer weniger mit ihm. Sie beschäftigte sich mit den anderen Gästen, die einen illustren Querschnitt durch die häufig wechselnde Szene Satisfys bildeten. Kennon hörte mit, ortete nach allen Seiten, aber er entdeckte nichts, das ihn in einer seiner Reaktionen irgendwie beeinflussen konnte. Es war auch so gut wie unmöglich, in dieser geballten Anhäufung von Energie und Positronik etwas anderes auszumachen als planvolle Störungsgerausche. Er mußte weiterhin warten. Diese Wartezeit füllte er damit aus, daß er alle Ereignisse einer nochmaligen, sehr präzisen Prüfung unterzog. Er war davon überzeugt, daß Corco Bennary, Chef der 31
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Cardmanosch, eine Zentralfigur darstellte, wenn er nicht selbst derjenige war, der Tekener manipuliert hatte. Die Sorge Kennons um den einzigen wirklichen Freund, den er jemals in seinem Leben besessen hatte, wuchs von Stunde zu Stunde, aber er konnte nichts tun. Dieses zur Passivität Verdammtsein bereitete ihm fast körperliche Qualen, jedenfalls fühlte er sich wie ein Raubtier, das man in die Enge getrieben hatte. “Verdammt!” sagte er laut. Es war eine unkontrollierte Reaktion. Das Mädchen kam heran. Kennon griff nach seinem Glas, hob es hoch und zeigte damit an, daß er noch genug zu trinken hatte. Wieder griff er nach einer Zigarette Die Musik begann einen wilden, stark rhythmischen Wirbel. Lichter und Farben zuckten in rasender Intensität auf. Jetzt ...? Jetzt könnte der unsichtbare Schütze, falls es ihn hier und jetzt gab, die Waffe heben. Niemand würde ihn dabei beobachten. Er war, was die Masse der wie elektrisiert Tanzenden betraf und die gebannten Zuschauer, völlig allein. Jetzt? Noch nicht? Später? An anderer Stelle? Kennon war nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. Er lenkte sich mit Gewalt davon ab, indem er an das perfekte Schauspiel dachte, das Hatkor Moromat veranstalten würde ... 8. “Jetzt!” Der Attentäter zog die Hand” deren Finger bis auf den Daumen ausgestreckt waren, aus der Tasche. Er hob die Hand und legte sie auf einen winzigen Vorsprung der weißen Felsnadel, die rechts neben ihm aufragte. Dann ließ er sein Feuerzeug fallen und bückte sich. Als er sich wieder aufrichtete, zielte er kurz. Dann schlossen sich seine Finger um den Kolben. Die Waffe ragte kaum einen Zeigefinger lang über seine Hand hinaus. Dann, mitten in einem donnernden Inferno aus den Lautsprechern und einem Hagel. aus den Superstroboskopen, löste sich der Schuß. Er traf mitten in Kennons breiten Rücken. Der Mann sah zu, wie Kennon starb, dann nahm er in einer langsamen Bewegung die Hand wieder herunter. Er steckte die gesicherte Waffe zurück und stand auf, als die Musik abriß, das Licht aus tausend Strahlungsquellen eingeschaltet wurde und sich die Menschen nach allen Richtungen bewegten wie die Ameisen in einem Ameisenhaufen, in dem man mit dem Stock herumstocherte. Er ging zwanzig Schritt auf den dichten Kreis um die Bar zu, ignorierte die Schreie und steckte die Waffe, nachdem er einen dritten Knopf hineingedrückt hatte, hinter das Sitzkissen eines anderen Platzes. Dann hörte er ruhig zu, wie die stählernen Sicherheitsschotte herunterrasselten, die sonst im Fall eines Unglücks der Kuppel ausgelöst wurden. * Unsichtbar bewegte sich das Nadelgeschoß, rasend schnell entlang einer exakt 32
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geraden Flugbahn. rotierend, durch die Dunkelheit. Es traf Kennon zwischen den Schulterblättern, zerriß, als es auf den stahlharten Schirm prallte, den Stoff und glitt entlang der Kraftfelder hinüber auf die linke Körperhälfte. Als es das Röhrenfeld erreichte, entfaltete die Hitzeladung ihr Maximum. Aus Kennons Brust, etwas weniger aus seinem Rücken, brach eine Stichflamme, die knapp einen Meter lang war. In ihrer Bahn befand sich das Glas, in dem zwei Eiswürfel sich in dem bernsteingelben Getränk auflösten. Das Glas und das Eis und der Alkohol verwandelten sich innerhalb eines Sekundenbruchteils in eine Masse rasender Moleküle. Kennons Körper wurde nach vorn gerissen; die Erschütterung traf ihn voll und ließ ihn halb über die Theke fallen. Der Feuerstrahl zuckte weiter, traf den Spiegel und davor die gefüllten Flaschen und verwandelte einen Fleck in der kreisförmigen Ausdehnung von drei Metern Durchmesser in eine Zone brennenden Alkohols und berstender Behälter, herumschwirrender Glassplitter und schmorender Materialien. Das Mädchen, das Kennon bedient hatte, wurde von der Wucht der sich ausbreitenden Hitzewelle einen Meter weit zurückgeschleudert. Der Schuß war mit einem krachenden Geräusch verbunden, mit einem gigantischen Zischen, das die Lautstärke der Musik knapp übertönte. Eines der Barmädchen am anderen Ende der schlangenförmig gekrümmten Theke drückte auf den Alarmknopf. Die Energie für die gesamte positronische Anlage wurde unterbrochen. Die Effektbeleuchtung erlosch, die Notbeleuchtung von einigen zehntausend Lumen schaltete sich ein. Automatisch ging ein Notruf an die Internpolizei hinaus. Die Eingänge und Ausgänge verschlossen sich hermetisch. Aus der Löschanlage über Kennon brauste ein Schauer herunter und durchnäßte eine Fläche von fünf Metern Durchmesser. Der Körper wurde im Reflex von der Theke heruntergerissen, drehte sich halb herum und krachte dann neben dem Hocker auf den Boden. Beine und Arme breiteten sich aus, der Kopf pendelte zweimal hin und her. Auf der Brust zeichnete sich, als der Körper in den Bereich eines Tiefstrahlers kam, eine grauenvolle Wunde ab. Lebendes Gewebe hatte riesige Blasen geworfen. Die Wundränder waren geschwärzt. Plasma trat aus. Unter dem Körper und rund um die Wundränder begann sich das Blut auszubreiten. Kennons Augen waren geöffnet, er starrte leblos an die Decke. Ein junger Mann bahnte sich in ein Minikomarmband sprechend, rücksichtslos einen Weg durch Menschenmenge. “Zur Seite! Internpolizei!” schrie der Mann. Er erreichte Kennon und sah, daß er zu spät gekommen war. Er hob den Arm und sprach wieder ein paar Worte. Dann wandte er sich an die Barmädchen. “Das Lokal ist hermetisch verschlossen?” Sie konnten vor Schreck nur stumm nicken. “Wo ist der Eingang für die Polizei oder der Notausgang?” Eines der Mädchen betätigte einen zweiten Knopf, der einen Teil der Bar zur Seite rollen ließ. Dahinter zeichneten sich glatte Wände ab und ein laufendes Band. “Oben ...”, sagte ein Mädchen schrekkensbleich, “oben steht ebenfalls ein Eingang offen ...” 33
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Der Beamte nickte und bewegte sich seitlich von Kennons Leiche weg. Er stellte sich vor den Ausgang und zog die Waffe. “Niemand wird diesen Raum verlassen!” sagte er und wartete, bis er Kommandos hörte und sehen konnte, daß das Band anhielt und sich dann in entgegengesetzter Richtung bewegte. Die Internpolizei kam, an ihrer Spitze Hatkor Moromat, dessen rote Anhängsel sich wie rasende Schlangen bewegten. Eine Aktion, die er bereits völlig durchdacht hatte, begann. Sämtliche Gäste wurden verhaftet, das Lokal wurde geschlossen, die Leiche wurde mit genau der Menge Aufmerksamkeit, wie sie dem Kompagnon Ronald Tekeners zukam, abtransportiert. Man brachte sie hinüber in die Privaträume Kennons. * Die Nachricht, daß das zweite Attentat auf Kennon durchgeführt worden war und seinen Tod hervorgerufen hatte, raste mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit um den gesamten Asteroiden. Die Nachrichten brachten es als Sondermeldung, die Menschen diskutierten es, die Internpolizei veranstaltete Untersuchungen und kontrollierte sämtliche Besucher des Ritual. Daß noch während des Abtransportes der Leiche ein weiterer Teil der Inneneinrichtung verbrannt war, schien bedeutungsvoll, aber die Spurensicherung war noch nicht in der Lage, konkrete Hinweise zu geben. Der so plötzlich Dahingeraffte befand sich derzeit—es war bereits der sechzehnte November—in seinen verschlossenen Privaträumen und hatte gerade die zerschossene und verbrannte Kleidung beseitigt, das Röhrenfeld und den Schutzschirm ausgeschaltet und die trügerischen Wunden beseitigt. Er zog neue Kleidung an und stellte eine Verbindung zur Sonde her. Wieder meldete sich Trou Allessandy. “Wir sind dermaßen erschrocken”, sagte die junge Frau, als sie nach einigen Sekunden Verblüffung erkannte, daß es sich bei dem Anrufer um Kennon handelte. “Wir dachten tatsächlich, daß die Meldung richtig sei.” Ohne jeden Sarkasmus erwiderte Kennon: “Das denkt der Mörder hoffentlich auch. Desgleichen seine Auftraggeber. Ich wollte nur an die letzte Meldung Atlans erinnern. Bitte, schalten Sie alle Servoeinrichtungen meiner Räume in der Sonde ein. Vermutlich wird dort unten in kurzer Zeit rege Betriebsamkeit herrschen.” Trou nickte. “Ganz besonders deswegen, weil die Landung der NUTRIA AUREA angekündigt worden ist. Ein ganzes Team Leute kommt an. Sie gehen per Transmitter gleich nach hier unten.” “Das hatte ich erwartet. Ich bin in Kürze bei Ihnen.” “Wir freuen uns schon!” versicherte Trou. Kennon schaltete ab. Mit grimmi gem Humor erinnerte er sich an seinen Transpeit von der Bar des Ritual bis zum Krankengleiter. An die Menschenmengen, die sich einfanden, sobald die Nachricht durchgesickert war, die ihn anstarrten, wie er auf der Bahre lag und” um die Robots zu täuschen, die Antigraveinrichtungen seines Körpers mit Drittelkraft hatte laufen lassen. Der Attentäter schien sich in Luft aufgelöst zu haben; bis jetzt hatte das Verhör der zweihundertneunundzwanzig Gäste des Klubs 34
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nicht eine einzige Spur ergeben. “Und die große Schau kommt noch!” knurrte er und betätigte einen Schalter, der die Geräte dieses Raumes in die Mechaniken des Landeturms einblendete. Eben landete die NUTRIA AUREA, die unter dem Kommando des Zwillingsbruders von Incani Kerosab stand, des als noch weitaus exaltierter verschrienen Schau Kerosab. Die Landung war eine Fiktion, denn schon vor der Landung waren Atlans angekündigte Spezialkisten per Transmitter in die Sonde gesprungen und begannen dort bereits mit ihren Vorbereitungen. Kennon empfing auf Geheimwe lle einen Anruf von Hatkor Moromat. “Treten Sie ein!” sagte er. Moromat nickte gemessen, als er Kennon sah. Er setzte sich, fuhr mit der Hand über seinen kahlen Schädel und sagte: “Inzwischen ist es auch am anderen Ende der Milchstraße bekannt, daß wir mit Bedauern von Ihrem Ableben Kenntnis haben. Ich zitiere die Pressemeldung. Wie es dem letzten Wunsch des so früh Dahingeschiedenen entspricht, wird er mit einem Mindestmaß an Aufsehen in der hierfür erbauten Anlage Satisfys eingeäschert.” Wir haben da etwas arrangiert ...” Er zog eine Fernsteuerung aus der Tasche, drückte einige Knöpfe und sprach ein paar Worte ins Mikrophon. Er öffnete die Tür und sah zu, wie eine schwebende Antigravplattform hereinkam und in der Mitte des Raumes zur Ruhe kam. Kennon ging schnell auf die Umrisse der Gestalt zu und entfernte die milchigtrübe Sichtsperre. Eine Puppe, die ihm derart glich, daß selbst er verblüfft war, lag, mit der tödlichen Wunde und der verbrannten Kleidung ausgestattet, auf der Plattform. Mit ruhiger Heiterkeit verkündete Moromat: “Anordnung vom Chef Tekener. Wir haben für solche Zwecke mehrere Puppen vorbereitet. Ich brauchte eine von ihnen nur von hinten niederzuschießen, und schon haben Sie vorliegendes Ergebnis.” Kennon schauderte leicht; ein solches Höchstmaß an Perfektion hatte er von Tek nicht erwartet. “Gut!” sagte er. “Bringen Sie mich aus meinen Privaträumen zum Krematorium und halten Sie eine glaubhafte Rede.” “Mit Vergnügen.” Sie sahen sich an und grinsten humorlos. Es war ein reichlich makabres Spiel, aber wenn Kennon daran date, wieviel Menschenleben dadurch auf dem Spiel standen, daß Tek und die USO enttarnt werden konnten ... er dachte diese Assoziation nicht zu Ende. Moromat erkundigte sich höflich: “Für die Schau bis zum Einschalten des Atomofens kann ich garantieren. Und was passiert nachher?” Kennon deutete auf den Bildschirm und sagte: “Sie wählen die Kombination auf diesem Schirm, die nur Sie kennen. Dann können Sie mit mir in Verbindung treten. Ansonsten läuft hier alles so normal weiter wie bisher. Keiner kennt seine Aufgaben besser als Sie. Tun Sie so, als wären Tek und ich nur auf einer kurzen Geschäftsreise.” 35
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Der Chef der Polizei nickte. “Ich verstehe. Für alle anderen sind Sie tot und eingeäschert?” “Vorläufig ja. Falls ich wieder auftauchen muß, können Sie heute schon einen kleinen Trick mit einbauen. Vielleicht brauchen wir ihn einmal.” “In Ordnung. Eine Verwechslung, eine untergeschobene Leiche ... ich bereite etwas in dieser Art vor. Was immer Sie vorhaben—viel Glück!” Kennon deutete auf den Schirm. “Dort bin ich, wenigstens die nächsten Tage. Und machen Sie es nicht zu feierlich. Als Mensch war ich nicht viel wert!” Moromat grinste breit. “Ich werde es schon richtig hinkriegen, Chef!” sagte er. Er dirigierte die Plattform hinaus und schloß hinter sich die Tür. Abgesehen von Tekener hatte er als einziger den Schlüssel zu diesen Räumen, beziehungsweise verfügte er über die Kodierungsschlüssel der Anlage. Kennon wußte, obwohl kein Wort darüber gewechselt worden war, daß die Puppe jeder einigermaßen genauen Prüfung standhalten würde. Und in sechzig Minuten war ohnehin auch dieses Beweismaterial beseitigt. Er mochte nicht wieder den ganzen Weg hinunter in die Sonde zurücklegen, also aktivierte er einen unsichtbar eingebauten Kleintransmitter, schaltete ferngesteuert das Gegengerät ein und war einige Sekunden später in den für ihn ständig bereitgehaltenen Räumender Sonde. Dort traf er auf die Frauen und Männer, die mit der NUTRIA AUREA angekommen waren. Jeder von ihnen war USO-Spezialist. Bei seinem Eintreten stand ein Mann auf, der so groß war wie er. Kennon kannte ihn flüchtig. “Was immer Sie hergeführt hat, Goss—herzlich willkommen!” sagte er und schüttelte seine Hand. Captain Goss Repalio, dessen Fachgebiet nichtmenschliche und solarfremde Daseinsformen waren, lachte auf. “Ich bin hier, um nicht zu bleiben!” Kennon verstand schlagartig. Dieser Mann würde von ihm ersetzt werden müssen. Er schlüpfte in die Maske Repalios und darüber hinaus übernahm er auch alle seine Erinnerungen und Kennt nisse-oder fast alle. “Um wen oder was geht es?” fragte Kennon ruhig. Repalio war zweiundfünfzig Jahre alt und schwarzhaarig. Viel Arbeit würden die Maskenleute nicht mit der Umformung haben. “Ich habe Corco Bennary sechs Wochen lang fast täglich gesehen!” sagte er. “Ich war Atlans Kontaktmann und habe das Psychogramm über Bennary mit ausgearbeitet” Kennon begriff abermals. Er würde also demnächst die Chance haben, in der Maske eines “Vertrauten” Bennary gegenüberzustehen. Ein weiterer Beweis dafür, daß auc h Atlan inzwischen von der Mittäterschaft des Cardmanosch-Chefs überzeugt war. Repalio strahlte Kennon mit auffallend weißen Zähnen an und sagte deutlich: “Eile tut not. Ich werde Ihnen, während die Herren Tarnungsfachleute sich mit uns beschäftigen, alles erzählen. Haben Sie ein ungestörtes Plätzchen? Ich freue mich 36
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schon darauf, mich ausschlafen zu können.” “Kommen Sie mit!” Kennon ging voran und führte Repalio in die Abteilung hinüber, die sie vermutlich benützen würden. Trou Allessandy orga nisierte alles, und kurze Zeit später saßen sie zusammen um einen runden Tisch. Die Mediziner und Spezialwissenschaftler packten ihre kleinen Geräte aus. Einer von ihnen deutete nacheinander auf Kennon und Repalio und sagte: “Wir haben alles an Bord der NUTRIA in einem abgeschlossenen Laderaumsektor untergebracht. Dort werden wir arbeiten. Wir wollten nur erste Messungen vornehmen—die Behandlung erfolgt an Bord. Eile tut not.” Kennon zeigte seine Zähne. “Genauigkeit kostet meinen Kopf, nicht eure Köpfe’.” “Keine Sorge! An keinem unserer Patienten haben wir soviel herumgearbeitet wie an Ihnen, Sinclair! Wir werden ein wahres Prachtstück von Repalio aus Ihnen machen.” “Hoffentlich.” Während die Spezialisten mit ihren Meßgeräten, Kameras, Diagnosegeraten und ähnlichen Apparaturen die beiden Männer umschwirrten, während sich einer nach dem anderen per Kleintransmitter wieder an Bord der NUTRIA entfernte und dort in dem Geheimlaboratorium seine Messungen übertrug, berichtete Repalio, was er wußte. Goss Repalio war ein USD-Verbindungsoffizier, der vor rund sechs Monaten im direkten Auftrag des Arkoniden mit der Tarey-Bruderschaft und im besonderen mit dem Cardmanosch-Chef Bennary Kontakt aufgenommen hatte. Damals hatten die USOPlanungen ergeben und Atlan glauben lassen, es wäre vorteilhaft, die geplante Revolution gegen die Chanmeister zu unterstützen. Das Oberhaupt der Revolutionäre erhielt eine Menge Versprechungen und Zusicherungen, aber noch während der halb offiziellen Verhandlungen kam es zu einer Reihe ausgesprochen widerlicher Morde innerhalb der Bruderschaft, an denen Bennary alles andere als unschuldig war. Er schien seinen Teil der Versprechen schon während der ersten Kontakte auf seine Weise erfüllen zu wollen. Man stellte diesen Umstand unwiderruflich fest und hatte keinen Zweifel an der Täterschaft Corco Bennarys. Atlan gab Befehl, sich unauffällig zurückzuziehen, aber keineswegs die Verhandlungen abzublasen. Bennary wurde hingehalten. Viele Dinge verschlimmerten sich, Termine begannen zu wackeln, Zwischenfälle machten einen weiteren Dialog schwierig und zuletzt unmöglich. Für die USO war der Fall Bennary schon längst erledigt, aber das wiederum konnte Bennary nicht einmal ahnen. Atlan hatte sich im Interesse größerer Sicherheit und Stabilität entschlossen, das geringere Übel zu akzeptieren, was in diesem Fall ein Chanmeister war, der alles andere als ein Engel war. “Das ist also die Situation!” sagte Repalio. “Ich bin dem Chef der Cardmanosch bestens bekannt. Ich hielt mich sechs Wochen lang in seiner unm ittelbaren Nähe auf und weiß viel von ihm und über ihn. Sie als eingebildeter Toter werden mich spielen. Können Sie damit fertig werden, Partner?” Der Mann vor Kennon wirkte gutaussehend, für seinen Geschmack aber ein wenig zu schön und zu wenig hart. Eine Frohnatur, wie sein dauernd aufblitzendes 37
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Lächeln zu beweisen schien. Kennon dachte: Ich beginne, ihn nach seinem Äußeren zu beurteilen. Von allem, was er wußte, wäre dies ein Fehler gewesen. Bei wiederholten Gelegenheiten hatte Repalio bewiesen, wie hart und unnachgiebig er war. Sonst hätte ihn Atlan sicherlich nicht für eine solche delikate Mission ausgesucht, wie es die Verhandlungen mit dem gerissenen Bennary waren. Kennon tröstete sich mit dem Gedanken, daß er nun langes, bis in den Nacken hinein gewe lltes Haar tragen würde—er hatte diesen Typ Frisur schon seit langem einmal ausprobieren wollen. “Ich denke, daß ich besser sein werde als Sie selbst. Ihre Eltern würden an mir mehr Freude haben als an Ihnen!” sagte Kennon. Die Tür ging auf, und Trou kam herein. “Eine ergreifende Feier!” sagte sie. “Fast vorbei.” Repalio und die Spezialistin wechselten einen langen, intensiven Blick voller Herzlichkeit. Kennon sagte erklärend zu Goss: “Sie müssen wissen, ich werde gerade eingeäschert, während unser Polizeichef die Trauerrede hält. Hoffentlich läßt er ein gutes Haar an mir.” “Mit allen Ihren Möglichkeiten dort oben ... sollte ich nicht auch Ihre Rolle spielen? Ich würde mich auf Kosten des Hauses Tekener & Kennon sehr gut amüsieren!” Lachend sagte Treu: “Ihre sicherlich hohe Pflichtauffassung verbietet es Ihnen. Noch etwas. Ich habe eben von der NUTRIA eine interessante Sendung erhalten. Tekener hat kondoliert. Er ist zutiefst betrübt.” Sie lächelte auf merkwürdige Weise. Sie alle wußten, warum sie es tat. Trotzdem ließ sich Kennon das Band vorspielen. Es war tatsächlich eine Trauerbotschaft ... 9. Eine Bildfunksendung. Sie hatte Satisfy im Klartext und über ein Netz von Relaisstationen erreicht. Tekeners Gesicht, ernst und gefaßt, war auf dem Schirm sichtbar. Kennon studierte die Aufnahme mit brennender Intensität, aber er konnte nicht den geringsten Hinweis entdecken. Tekener fand bewegte und bewegende Worte für dieses Ende einer langen. Freundschaft und sprach über Hyperfunk an alle Trauernden Worte des Verständnisses, der Ergriffenheit und des Trostes. Sie waren hervorragend gewählt; niemand, der Ronald Tekener kannte, zweifelte daran, daß es seine eigenen Worte waren. Tekener machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. Er nannte eine Serie von Nummern, Zahlen und Begriffen. Sie dienten der Verwaltung des Planetoiden dazu, geschäftliche Abläufe vorzunehmen und zu steuern. Es war ein Geheimkode, den nur die Eingeweihten und die Vollpositronik, die nicht sabotiert werden konnte, zur Verwendung hatten. Schließlich war Tekener-der ja ganz offiziell verreist war—der Herrscher über diese kleine Welt, und da sein Freund tot war, mußte er die Weiterführung der Geschäfte steuern. 38
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Mit einem kurzen Appell, bis zu seiner baldigen Rückkehr Recht und Ordnung; Handel und Freizügigkeit aufrechtzuerhalten, schloß Tekener. Die Sendung war beendet. Das ist seit langem die bodenloseste Frechheit, sagte sich Kennon unbewegten Gesichtes, die mir untergekommen ist. Eines Tages wird jemand dafür zahlen müssen. Dabei zweifelte er nicht eine Sekunde lang daran, daß die Zahlen und Werte tatsächlich echt und richtig waren und eine Fortführung der Geschäfte sicherstellten, wenn sie richtig angewandt wurden. “Was sagen Sie zu unserem Chef? Immer noch schnell und zuverlässig.” Repalio lächelte ihn freundlich an. dann wandte er sich an Treu und flusterte heiser: “Sie hätten nicht etwas Hustensaft für mich? Meine Kehle ist rauh; ich bin derart ergriffen. Möglichst Saft mit viel Alkohol darin!” Sie lächelte rätselhaft und deutete nur in die Richtung des Transmitterraums. Atlan hatte in der Tat schnell gehandelt. Zumindest hatte er dafür gesorgt” daß der unbekannte Gegner erfuhr, daß der Mordanschlag voll geglückt war. Oder der bekannte Gegner, wenn man Bennary als Täter einsetzte. Der Gegner hatte Tekener zu diesem Hyperfunkspruch veranlaßt. Repalio sah auf die Uhr. “Wir haben bis zum Start fünfzehn Stunden Zeit” Kennon. Sind Sie hier auf Satisfy fertig?” Kennon überlegte kurz, dann sagte er: “Gehen Sie kurz zu Trou hinaus. Sie soll Ihnen etwas Hustensaft geben, aber nicht zuviel. Ich habe nur noch etwas mit meinem Hausmeier zu besprechen.” “In Ordnung.” Hinter Repalio, der keineswegs den Eindruck machte, als sei er ein Verächter weiblicher Schönheit, schloß sich das Schott. Kennon wählte den Anschluß des Geräts in seinen Privaträumen und sprach einen langen Text für Hatkor Moromat auf Band. Er sagte genau soviel, daß Moromat weiterarbeiten konnte, aber nicht zum kleinen Kreis der Eingeweihten zählte. Natürlich war es fraglich, wieviel er wußte, und was er sich überdies unschwer zusammenreimen konnte. Jedenfalls war an seiner Loyalität nicht zu zweifeln. Dann war Kennon bereit. Sein Abenteuer in der neuen Maske konnte beginnen. * Hinter ihnen erloschen die Säulen des kleinen Transmitters. Sie befanden sich in einem Nebenraum des Labors, das wiederum innerhalb der Laderäume der NUTRIA AUREA aufgebaut war. Hervorragende Tarnung war die Voraussetzung für diesen Doppelgebrauch des Schiffes. Noch stand es auf dem Raumhafen neben dem Schwesterschiff. Die robotischeu Lademannschaften transportierten die Bündel der raumfest verpackten Felle und der häute in die Lagerhallen Satisfys. Niemand würde Verdacht schöpfen, auch konnte niemand den Transmitterschock anmessen, da die Energie gering und außerdem sorgfältig abgeschirmt war. 39
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“Wir brauchen nur noch Sie!” versicherte einer der Spezialisten. Sie scharten sich um Kennon wie die Küken um die Glucke und schoben ihn in ein hellerleuchtetes kleines Labor hinein. Er kannte die Prozedur ... Zuerst wurde er entkleidet. Dann trennten Menschen und Maschinen in perfektester Zusammenarbeit die biologisch lebende Hautfolie mit Spezialgeräten ab und legten das maschinenhafte Innere seines Körpers bloß. Dann wurde in das alte Versteck eine siganesisehe Mikroausrüstung eingebettet, die Kennon zusätzliche technische Möglichkeiten und genügend Ausrüstungsteile garantieren konnte. Die zweite Folie, die aus der Nährlösung kam, in die man die Kennon-Folie legte, sah aus wie Goss Repalio. Sie wurde mit der Sorgfalt der erfahrenen Spezialisten aufgebracht, die Ränder verbanden sich miteinander. Man mußte noch warten, bis die beiden Schnittflächen naht- und narbenlos miteinander verwuchsen. Als diese Operation vorbei war, hatte sich Sinclair Marout Kennon bis auf die winzigste Einzelheit in Goss Repalio verwandelt. Diese Verwandlung war allerdings nur optisch und äußerlich. Jetzt folgte die Hypnoschulung. Während das Schiff seine wertvolle Ladung löschte, neue Vorräte aufnahm und auf die Starterlaubnis wartete, während sich der Kapitän zusammen mit seinem Zwillingsbruder in einem Büro traf und die neuen Ziele abholte und mit den Angestellten plauderte, herrschte in den Labors fieberhafte Tätigkeit. Atlan hatte geplant; also mußte der Zeitplan genau eingehalten werden, wenn der Enderfolg herbeigeführt werden sollte. Stunden vergingen langsam, während sich das gewaltige Band mit seinen vielen Millionen von Informationen drehte und die Maschinen das Wissen und die Kenntnisse übertrugen. Das lebende Gehirn erhielt diese Schulung, während sämtliche motorischen Aktivitäten des Körpers abgeschaltet waren. Wie die biologische Folie, die sich langsam schloß und nahtlos vernarbte, erhielt auch das Gehirn, der Verstand, die Identität des anderen Mannes. Der Schauspieler war verkleidet worden, jetzt mußte er seine Rolle lernen. Auf dem Band waren alle Eigenheiten von Repalio vermerkt, die Corco Bennary an ihm kannte und wieder erkennen würde. Aber die Rolle mußte nicht nur gelernt we rden—sie mußte ein Teil der alten Persönlichkeit werden. Viel Informationen Kennons wurden von solchen des echten Repalio überdeckt. Verhaltensweisen und Fachwissen, Eigenheiten und Redewendungen, gemeinsame Erinnerungen Bennarys und Repalios, nicht die geringste Kleinigkeit durfte vergessen werden. Langsam drehte sich das Band. Durch die Ströme der hypnotischen Beeinflussung sickerte das Wissen in Kennon hinein. Stunden vergingen in dieser scheinbaren Ereignislosigkeit. Kennon hatte diesen Zustand häufiger über sich ergehen lassen müssen als jeder andere. Aber weder er noch Repalio konnten sicher sein, daß bei der Herstellung des Bandes auf dem langen Flug nach Satisfy sich nicht ein kleiner Fehler oder eine Unstimmigkeit eingeschlichen hatte. 40
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Als Käpten Scanu Kerosab an Bord kam, war die Übertragung beendet. Goss Repalio zog seine Kleidung aus und übergab sie mit sämtlichem Inhalt an Kennon. “Sie wissen, Repalio Zwei”, sagte er, in seinem orangefarbenen Bademantel vor Kennon paradierend und mit einer Technikerin scherzend, “daß Sie ein Risiko eingehen?” Kennon zog langsam die Socken an und betrachtete das Etikett darauf. Sie stammten aus einer teuren Produktion. “Das tue ich seit meiner zweiten Geburt täglich neu!” sagte er leise. “Ich habe getan, was ich konnte. Die Fragelisten unserer Organisation sind bis ins letzte ausgefeilt und durchgearbeitet. Aber natürlich kann bei der Herstellung des Hypnobandes hier und dort ein winziger Fehler unterlaufen sein.” “Wem sagen Sie das, Repalio Eins?” fragte Kennon zurück. Repalio lachte ironisch. “Es ist immer dasselbe!” versicherte er. “Man tut, was man kann, man predigt Anständigkeit und Wohlverhalten, und dann ist man den Rest seines viel zu kurzen, unterbezahlten Lebens damit beschäftigt, wie ein Hund hinter der Katze dem Verbrechen nachzulaufen. Hat man den einen Bösewicht, sind inzwischen aus einer anderen Ecke zwei andere nachgewachsen.” Kennon strich sich die Jacke glatt und unterzog sich und sein technisches Innenleben einer oberflächlichen Prüfung. Auf einem Monitor konnten sie sehen, wie die Startvorbereitungen der NUTRIA getroffen wurden. “Was das Band betrifft, so werde ich aufpassen. Es gibt nichts, das Ihnen nachher eingefallen ist?” Bekümmert schüttelte Repalio den Kopf. “Nein, Repalio Zwei”, sagte er nach einer kleinen Pause. “Nur noch eines: Dieser Bennary ist ein ganz scharfer Kerl. Gerissen und überaus tüchtig. Er wäre ein echter Gewinn für Atlan und seinen verrückten Haufen, wenn er nicht auf der anderen Seite stünde.” “Wenn ...”, knurrte Kennon. Das Schiff startete. Die NUTRIA AUREA raste mit angeblich leeren Laderäumen auf ein fernes Ziel zu, das klar in sämtlichen Papieren vermerkt und offiziell im Funk zwischen dem Tower und der Zentrale angegeben worden war. Käpten Kerosab wählte seine Flugbahn so, daß sie in einer Geraden an der Stelle verlief, an der er sich mit einem riesigen USO-Schiff kurz treffen sollte. Nach kurzer Zeit ging das Schiff in den Linearraum. Der Bord-zu-Bord-Transmitter wurde klargemacht. Mit dem Spezialistenteam würde Repalio zurück nach Quinto-Center gehen, aber für Kennon war eine weitaus schwierigere und gefährlichere Mission vorgesehen. Er mußte sich in die Höhle des Löwen wagen. Der Flug verlief einwandfrei. Schließlich ging das Schiff aus dem Linearraum und raste mit weniger als Lichtgeschwindigkeit dahin. Mehr als hundert Lichtjahre von Satisfy entfernt ortete man ein riesiges Schiff. Kodesprüche wurden gewechselt. Dann ging Kennon alias Repalio in den Transmitter und wurde auf dem anderen Schiff zwischen den Säulen der Anlage herausgeschleudert. Vor ihm stand Atlan und streckte die Handaus. 41
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“Willkommen in unserem privaten Himmelfahrtskommando!” sagte der Arkonide, “Ich arbeite seit dem vierzehnten November ununterbrochen daran.” Heute war der Zwanzigste. “Danke” , sagte Kennon. Seine erste Frage war charakteristisch. Atlan hatte keine andere erwartet. “Haben Sie irgendwelche Neuigkeiten von Tek, Sir?” Bedauernd schüttelte Atlan den Kopf. “Nein. Leider nicht die geringste Spur. Aber nach meiner Ansicht haben wir noch eine Menge Handlungsspielraum. Wir müssen ein riskantes Spiel anfangen. Die IMPERATOR ist bereits auf dem Weg zu einem Treffpunkt.” Wenn das die IMPERATOR ist, auf der ich herausgekommen bin, dachte Kennon verzweifelt, dann muß eine wahrhaft gewaltige Planung laufen. Denn nicht jeden Tag setzt sich der Arkonide in sein Flaggschiff. Atlan schien Kennons Sorgen so gut zu spüren wie der Mann in Repalios Maske selbst. “Kommen Sie, Sinclair!” sagte er. “Gehen wir hinauf in meine Kabine. Ich berichte Ihnen, wa s wir vorhaben.” “Es wird das beste sein!” meinte Kennon. Wenn es sich etwa darum handeln sollte, mit Corco Bennary zusammenzutreffen, dann wußte Kennon kraft der überspielten Informationen, an welcher Stelle das Treffen stattfinden würde. Ausgerechnet ein Ödplanet! 10. Inmitten der Hektik dieses Einsatzes versprach es, eine ruhige Stunde zu werden. Die IMPERATOR stürmte davon; das Treffen, das im Grund nur aus einem schnellen Vorbeiflug beider Schiffe im Normalraum bestanden hatte, war nicht bemerkt worden, denn von der auf Hochtouren arbeitenden Ortungsabteilung des riesigen Kugelraumers des USO-Chefs war keine Meldung gekommen. Repalio alias Kennon und der weißhaarige Arkonide betraten Atlans Kabine. Atlan goß etwas Alkohol in ein Glas, bot hingegen Re palio nichts an. Sie setzten sich in die schweren Sessel. Atlan nahm einen Schluck und legte dann die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander. “Es wird Zeit, daß Sie in alles eingeweiht werden, Sinclair”, sagte er halblaut und musterte die gelungene Kopie. Kennon sah aus wie der echte Repalio. Es war nicht einmal im Lachen oder in der Gestik ein Unterschied festzustellen. Zufrieden nickte der Arkonide. “Von welcher Voraussetzung gehen Sie aus?” fragte er im Tonfall des echten Repalio. “Folgendes: Entweder ist Tekener in der Gewalt unseres Gegners. Oder es gibt eine ausgezeichnete Kopie von Tekener. Oder beides. Ich persönlich glaube keinesfalls, daß Tekener getötet wurde, denn er ist für jeden anderen ebenso wichtig und unabkömmlich wie für die United Stars Organisation.” Repalio nickte. 42
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“So oder ziemlich ähnlich denke ich auch. Was ist bisher, über meinen Teil des Einsatzes hinaus, geplant und durchgeführt worden?” Atlan legte die Hände auf den Tisch, sah Kennon an und erklärte ruhig: “Nach Ihrer ersten Panikmeldung haben wir sehr schnell geschaltet. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen, weil alle möglichen Unregelmäßigkeiten plötzlich einen Sinn bekamen. Meine Kontaktleute auf den vielen Welten der Tarey-Bruderschaft schafften es, innerhalb nur weniger Stunden Verbindung zu der Cardmanosch aufzunehmen.” “Das ist gut!” kommentierte RepalioKennon. “Natürlich wurden diese Kontaktversuche kurze Zeit später an Corco Bennary gemeldet.” Auf Atlans Gesicht erschien ein hartes” unbarmherziges Lacheln. “Er griff sofort zu. Das machte uns noch viel mehr stutzig und steigerte die Aufregung.” Kennon nahm die Vibrationen der großen Schiffszelle wahr, als sich die IMPERATOR in den Linearraum schnellte. Sie waren auf dem Weg. “Er griff zu? Er erklärte sich zu einem Kontakt bereit?” “Ja, sicher. Aber er war natürlich sehr vorsichtig. Er wollte weder Mitwisser aus seinen eigenen Reihen noch solche, die zufällig von dem Treffen berichten konnten. Deswegen, und weil die Kontaktperson Goss Repalio schnell greifbar war, diese Maske, die Sie tragen. Übrigens-ist die siganesische Spezialausrüstung eingebaut und angeschlossen worden?” Kennon nickte. Atlan hob das Glas, sah den schmelzenden Eiswürfel an und fuhr dann in seinen Erklärungen fort. “Bennary will sich also mit mir persönlich treffen. Er schlug einen Punkt weit außerhalb der Tarey-Einflußsphäre vor. Einen Odplaneten, die Welt Rarität. Haben Sie Informationen darüber?” “Alle, die auch Repalio besitzt!” versicherte Kennon. Es waren eine Menge verschiedener Informationen, teilweise sachliche Fakten, teilweise durchsetzt mit persönlichen Bemerkungen und Überlegungen. Repalio mochte diesen Planeten nicht besonders. Der Anblick sei seinem Gemüt, das meistenteils heiter wäre, nicht zuträglich, hatte er ausgeführt. Auch diese Meinung war über die Hypnoschulung in den Verstand Kennons eingesickert. “Gut. Der Planet diente auch schon während der Verhandlungsphase zwischen Repalio und Bennary als Treffpunkt. Es befindet sich eine kleine Kuppelstation dort, eine Art Notunterschlupf fü r Gestrandete. “Rarität?” fragte Kennon. “Das ist unsere Tarnbezeichnung. Im einzelnen, ich wiederhole ...” Der Planet Rarität war der einzige Himmelskörper des Bayschamb-Systems, das demzufolge aus nur zwei Faktoren bestand, der Sonne und einem Begleiter. Die Sonne Bayschamb selbst war ein schwacher Himmelskörper mit irisierendem Leuchten und einer fahlgrün lodernden Korona, die das aktivere Grün der Chromosphäre abdeckte. Von Terra war Rarität fast achtzehntausendfünfhundert, von Quinto-Center nur viertausenddreihundertneunzehn Lichtjahre entfernt. Von Satisfy lag das System in einer Entfernung von achtzehntausendsiebenhundertdreiunddreißig Lichtjahren. “Der Planet ist eine luftleere Wüstenwelt, die ziemlich große Ähnlichkeit mit 43
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manchen Landschaften des TerraMondes hat. Rarität hat einen Tag von etwas mehr als vierunddreißig Stunden.” Kennon sagte, nicht unzufrieden: “Wir sind also auf das hinweisende Spiel meines Freundes, nicht des hypothetischen Doppelgängers, eingegangen. Tek hatte offensichtlich keine andere Wahl!” bemerkte Kennon. “So ist es.” Atlan und Kennon hatten verstanden, daß Ronald Tekener offensichtlich keine andere Wahl geblieben war, als ein derartiges Spiel einzuleiten. Er hatte seine Schachzüge exakt so durchgeführt, daß sie für die USO genügend auffällig und für Bennary unauffällig genug waren. Zunächst einmal hatte Tekener mit Erfolg verhindern können, daß die Welt Satisfy enttarnt wurde—als USO-Spezialzentrale von unschätzbarem Wert mußte sie weiterhin ihre traditionelle Rolle spielen. Andernfalls wäre eine mehr als hundertjährige Arbeit der United Stars Organisation restlos vernichtet worden. “Zum zweiten Punkt!” begann der Arkonide. “Zum Fall der zwanzig Milliarden?” “Richtig!” “Was haben Sie veranlaßt? Sind die Summen gesperrt worden?” erkundigte sich Kennon. Beide Wege waren möglich, aber nur einer davon war sinnvoll und wiegte den Gegner in Sicherheit. “Keineswegs. Ich habe mich gehütet, die Milliarden, die Tekener überwiesen hat, zurückzurufen. Ich hätte mit unseren Beziehungen oder durch Einsatz meiner Machtmittel diese Gelder ohne weiteres sperren lassen können. Dazu ist es noch immer nicht zu spät. Aber solange Bennary das Geld sicher in seiner Obhut weiß, ist er beruhigt.” Kennon beugte sich vor und fragte angespannt: “Sie glauben also auch, daß Bennary der geheimnisvolle Empfänger ist?” “Mit einiger Sicherheit”, gab Atlan zu und schob eine Strähne des Haares aus der Stirn. “Seine innere Beruhigung soll er haben. Der Chef der Cardmanosch ist kein Dummkopf. In dem Augenblick, da wi r an der unrechten Stelle reagieren, wird er zurückzucken.” “Und das wiederum bringt Tek in Gefahr und das mühsam getarnte Gebäude unserer Organisation!” stellte Repalio fest. Er dachte an die Spielzüge ähnlicher Art. Immer wieder ging es um riesige Summen, die dazu verwendet werden konnten, Macht in die Hand zu bekommen. Und da der Besitz von Macht unweigerlich zu korrumpieren schien, waren es ausnahmslos Schurken der obersten Klasse, die in solche Spielzüge verwikkelt waren. Meist Männer, deren Klugheit ein echtes Problem für die vereinigte Anstrengung vieler ungenannter USO-Angehöriger darstellte. Im vorliegenden Fall kam noch die akute Gefährdung hinzu, der die Organisation ausgesetztwar. Zwei Ziele mußten verfolgt werden: Tekener mußte so schnell wie möglich gefunden und befreit werden. Und falls es einen falschen, zweiten Tekener gab, mußte dieser ausgeschaltet werden. Schließlich 44
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konnte man sich überlegen, was mit Corco Bennary zu geschehen hatte, dessen Wissen inzwischen so groß sein mußte, daß auch er für Atlan eine echte Gefahr darstellte. “Wir sind auf dem direkten Flug nach Rarität!” sagte Atlan leise. “Gut. Was ist meine Aufgabe dort?” Atlan entgegnete: “Sie haben zwei Aufgaben, Sinclair. Suchen Sie Ihren Freund, und bleiben Sie in der Nähe Bennarys. Ab einem gewissen Punkt kann Ihnen dann niemand mehr helfen. Sie sind auf sich allein angewiesen und auf die Möglichkeiten Ihres Verstandes.” Kennon nickte und gestattete sich ein knappes Lächeln. “Der von meinem einzigartigen Körper bestens unterstützt wird. Ich bin bereit” “Ich sehe. Ich treffe Sie wieder, wenn wir das System erreicht haben!” Kennon stand auf und wechselte mit dem Arkoniden einen Händedruck. “In Ordnung.” Die IMPERATOR raste durch den Linearraum. Die Distanz zu dem angesteuerten Planeten war unbeträchtlich. Je mehr sich das Riesenschiff der grünleuchtenden Sonne näherte, desto mehr wuchs die Spannung unter denjenigen Besatzungsmitgliedern, die mehr oder weniger genau wußten, worum es hier ging. Man hatte von Atlan Befehl erhalten, sehr vorsichtig in den Bereich des Sonnensystems einzufliegen und mit sämtlichen Ortungsmöglichkeiten herauszufinden zu versuchen, ob dies eine Falle von Bennary gegen Atlan war. Atemlose Spannung breitete sich aus. Die Geschütze wurden getestet, die Feuerleitstelle füllte sich mit Offizieren und Mannschaften. Die Ortungszentrale arbeitete mit äußerster Konzentration. Langsam verstrich die Zeit—es war einer der Momente, in denen die Minuten sich zu Stunden zu dehnen schienen. Auch Atlan und Kennon wurden von der allgemeinen Stimmung angesteckt und begannen, sich noch unbehaglicher als bisher zu fühlen. Es ging um den ersten Schritt einer entscheidenden Aktion, die hoffnungslos verfahren aussah. Was sie versuchten, war nichts anderes, als die angeschlagene Anonymität der United Stars Organisation wieder zu sichern, nachdem der Vorhang ein beträchtliches Stück gelichtet worden war. Die erste Durchsage ... Das Schiff verließ den Linearraum und bremste scharf ab. Mit halber Lichtgeschwindigkeit näherte es sich dem Radius der Rarität-Umlaufbahn. Weit vor ihnen loderte schwach die grüne Sonne. * Sämtliche Ortungsanlagen wurden mit äußerster Kraft gefahren. Der winzigste Impuls, der innerhalb des Bahnkreises des Planeten stattfand, würde sich auf den großen Schirmen abzeichnen. Schwere Verstärker waren zugeschaltet worden. Männer und Roboter horchten in den Kosmos hinein. Binnen Minuten war der Planet entdeckt, und durch die Zentrale ging ein Murmeln, als Atlan eine Kursänderung anordnete. Das Schiff bremste abermals und näherte sich mit dreißig Prozent der Lichtgeschwindigkeit dem Ödplaneten. Atlan drehte seinen Sessel, nickte Repalio zu, der aufmerksam neben einem 45
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anderen Sessel stand und auf die Schirme der Panoramagalerie blickte. Dann ergriff der Arkonide ein Mikrophon und sagte kurz: “Schleusenkommando!” “Wir hören?” “Bereiten Sie das Ausschleusen eines Sechzig-Meter-Beiboots vor. Komplette Besatzung. Fertigmeldung in die Zentrale!” Die Antwort kam blitzschnell. “Selbstverständlich, Sir.” Atlan schob das Mikrophon zurück und blickte auf einen Bildschirm, der ihn mit der Ortungszentrale verband. “Haben Sie etwas gefunden?” “Nein, Sir”, sagte der Chef der Zentrale. “Bis jetzt noch nichts.” Die positronischen Ohren der IMPERATOR suchten den umliegenden Weltraum nach einem Gegner ab. Es war eine Arbeit, die die Männer gewöhnt waren. Da ihre eigene Sicherheit von dem Ergebnis ihrer Anstrengungen abhing, arbeiteten sie mit besonderer Konzentration. Aber als die Instrumente anzeigten, daß sämtliche Antennen und alle ausgeschickten Suchimpulse nichts anderes als den leeren Weltraum mit nur einem Planeten voraus feststellten, atmeten sie auf. Langsam schwebte die silberschimmernde Kugel näher an Rarität heran. Sie flogen jetzt mit der Sonne im Rücken und sahen vor sich einen Planeten auftauchen, der auf den vergrößernden Schirmen ein Bild zeigte, das ihnen aus der Geschichte der Raumfahrt geläufig war: ein Planet, dessen narbiges Antlitz aussah, als sei es das des irdischen Mondes. Atlan ordnete an: Eine Kreisbahn um den Planeten einschlagen!” “Selbstverständlich, Sir!” Die IMPERATOR glitt näher heran und führte dann eine Kursänderung durch. Sie raste in einer Dreißig-Minuten-Bahn um den Planeten herum. Fünf Minuten verstrichen in lä hmender Ereignislosigkeit. Fragen tauchten auf und wurden schweigend durchdacht. War Corco Bermary persönlich gekommen? War er überhaupt gekommen? Oder hatte er nur einen unwichtigen Kuriergeschickt? “Haben Sie die Koordinaten der Kuppelstation?” fragte Atlan in die Stille hinein. “Ja, Sir. Sie befindet sich auf der uns abgewandten Seite des Planeten und wird in etwa neunzig Minuten ins Tageslicht treten.” “Verstanden. Senden Sie einen Funkspruch los!” Die Funkzentrale schickte einen vorbereiteten Funkspruc h ab, der von den mächtigen Antennen des Schiffes direkt auf den Planeten gerichtet wurde. Die Spannung verdichtete sich. Ein Schatten fiel auf die Panoramaschirme. Das Schiff hatte den Bereich der Sonnenstrahlung verlassen und war in die Dunkelheit des planetaren Schlagschattens eingetreten. Schirme zeigten die grenzenlose Öde des Dämmerungsstreifens. Nach einigen weiteren Minuten meldete sich die Funkzentrale. “Kontakt!”
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Die Landschaft des Ödplaneten war von atemberaubender Leblosigkeit. Abgerundete Berglandschaften, die im Spiel der Schatten und Beleuchtungseffekte zu leben und sich auf der Oberfläche wie Schlangen zu krümmen schienen, je mehr sich das Schiff in die Dunkelheit entfernte und seine Bahn um den Planeten herum fortsetzte. Die Ebenen und Täler schienen ausnahmslos mit Geröll und Staub gefüllt zu sein. Es sah so aus, als läge ein dünner Nebel über allem und verwischte die Konturen. Die IMPERATOR flog weiter und näherte sich der Quelle der Funkantwort. Atlan nahm die Meldung des Schleusenkommandos entgegen, daß das Beiboot bemannt und startfertig war. Dann schaltete die Funkzentrale auf einen der großen Nebenschirme. Ein Bild erstellte sich. Es zeigte Corco Heunary. Kennon-Repalio betrachtete schweigend den großen, durchtrainierten Mann mit den schmalen Hüften. “Ich sehe, Sie haben keine Zeit verloren, Lordadmiral!” sagte Bennary mit gemessener Ironie. “Liegt Ihnen etwas an einem persönlichen Zusammentreffen?” Der Mann auf dem Schirm hatte ein männliches Gesicht mit harten Linien. Auffallend war, daß er dasselbe Grübchen im breiten Kinn aufwies wie Repalio. “Selbstverständlich”, sagte Atlan. “Deswegen bin ich hier. Ihr Schiff steht auf dem Planeten, also werde ich mit einem Beiboot landen. Einverstanden?” Bennary neigte seinen Kopf und strahlte Atlan aus leuchtend blauen Augen an. “Einverstanden. Ich bitte Sie, mein Gast auf der MARCONO zu sein.” “Mit Vergnügen”, erwiderte Atlan. “Ich sehe gerade auf den Informationsschirmen meiner Ortungsabteilung, daß Sie in einem Fünfhundert-MeterSchlachtkreuzer gekommen sind. Hat das etwas zu bedeuten?” Corco Bennary grinste leutselig. Mit einer Größe von rund hundertfünfundneunzig Zentimetern füllte er den Schirm völlig aus. Er strich kurz über sein lockiges, schwarzes Haar, dann erwiderte er sarkastisch: “Eine Vorsichtsmaßnahme. Wie ich hingegen sehe, kamen Sie mit einem noch eine Kleinigkeit größeren Schiff. Hat das etwas zu bedeuten?” Atlan lachte kurz. “Eine Vorsichtsmaßnahme. Gut. In etwa zwanzig Minuten landen wir in der Nähe Ihres Schiffes. Wir komme n an Bord.” “Ich werde warten.” Corco Bennary gab mit einer großen Hand ein schnelles Zeichen. Die Verbindung wurde getrennt. Als sich Atlan umdrehte, um nach Kennon zu sehen, bemerkte er, daß sich Kennon in seinen Sessel gesetzt und diesen umgedreht hatte, so daß Bennary höchstens noch etwas von seinem Scheitel hatte sehen können. Das Bild selbst hatte er auf einem kleineren Nebenschirm betrachtet. “Wozu dieses Verstecken?” fragte Atlan verwundert. Kennon grinste breit. Es war das offene, heitere Lächeln Repalios. “Eine Vorsichtsmaßnahme!” sagte er. Sie verließen, nachdem Atlan eine Reihe Anordnungen gegeben hatte, die Zentrale und zogen sich mittelschwere Raumanzüge an. Dann gingen sie hinunter zum wartenden Beiboot, schwebten hinauf in die Zentrale und warteten auf das 47
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Ausschleusemanöver. Kennon lehnte sich zurück und überlegte sich, was er dank der Hypnoschulung und sonstiger Informationen von Bennary wußte. Der Mann im Alter von zweiundsechzig Jahren, also in den allerbesten Jahren, war hochintelligent. Der geborene Staatsmann: rücksichtslos, kalt und pragmatisch. Er verband höchste psychologische Begabung mit ausschließlicher Raffinesse. Sein persönlicher Mut stand außer Zweifel; allein Repalio hatte eine Menge Geschichten erzählt, die darauf hinwiesen, daß dieser Mann sich vor nichts zu fürchten schien. Zweifellos, wenn er Repalios Beobachtungen Glauben schenkte, war Corco Bennary ein höchst geistvoller Mann, der innerhalb seiner eigenen Fachgebiete hervorragende Leistungen erbrachte. Was seinen Charakter betraf, waren die Schilderungen weniger positiv. Er schien rücksichtslos zu sein und ein Freund der Macht, von der er niemals genug zu bekommen schien. Die USO hatte es hier also mit einem echten Gegner zu tun, und der Kampf würde alles andere als leicht sein. “Woran denken Sie?” Atlan hatte gefragt. Sie saßen in ihren Raumanzügen mit geöffneten Helmen und nicht aktivierten Versorgungssystemen vor den Bildschirmen in der Zentrale des Beibootes, das eben seinen Ausschleusevorgang beendet hatte. “An Bennary!” sagte Kennon-Repalio und seufzte. “Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?” Kennon lachte sarkastisch auf. “Wenn wir es mit ihm zu tun haben, und daran besteht wohl nach dem Funkgespräch kein Zweifel mehr, dann haben wir einen Gegner, an dem wir uns die Zähne ausbeißen werden.” Ernst und nachdenklich erwiderte Atlan: “Zugegeben. Das ist richtig. Aber ich ahne, daß Corco Bennary einen einzelnen persönlichen Gegner hat, der ebenso gut und auch ebenso gnadenlos ist wie er selbst. Ein Gegner, der seinen Freund sucht und finden wird.” “Sie meinen mich!” knurrte Repalio. “Ich meine Sie!” bestätigte der Arkonide. Das Beiboot hatte das Ziel erfaßt. Es stand in der Nähe der Kuppel und würde in etwa einer Stunde in den Bereich der Tageshelligkeit des Ödplaneten geraten. Das kugelförmige Beiboot flog ohne sonderliche Elle, jedoch mit eingeschalteten Schutzschirmen” in einer langgestreckten Kurve auf das Ziel zu. Das Ziel war der riesige Schlachtkreuzer, der sich jedoch zwischen den Gebirgen, am Rand einer Ebene, wie ein Spielzeugschiff ausnahm. Noch immer war die Möglichkeit gegeben, daß man Atlan eine Falle stellte, obwohl dies eine außenpolitische Aktivität hervorgerufen hätte, der die gesamte Tarey-Bruderschaft nicht annähernd gewachsen wäre. “Sie mögen recht haben, Sir!” bekannte Repalio. “Glauben Sie tatsächlich, daß Tekener irgendwo dort unten versteckt ist?” Atlan machte ein unschlüssiges Gesicht und kontrollierte schweigend die Bewegungen des Piloten. Er wußte, daß in der Feuerleitzentrale des kleinen Bootes die Offiziere hinter den aktivierten Zieloptiken saßen. “Ich weiß es nicht. Drei Stellen kommen in Frage: Das Schiff, die Kuppelstation und irgendein Ort auf dem Planeten. Aber Sie können ja die Individualimpulse Ihres 48
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Freundes orten.” “Ich kann, aber auch ich kann getäuscht werden.” Atlan versicherte grimmig: “Dort, wo diese Impulse sind, ist entweder Tekener selbst, oder aber es gibt tatsächlich ein Double.” Kennon fragte sich verzweifelt, ob er damals, als er gewohnheitsmäßig während seines Besuchs im Krankenhaus die Ortung durchgeführt hatte, dem echten Tekener oder einem Double gegenübergestanden hatte. Falls es ein Double war, dann war er mit Hilfe eines komplizierten Apparats getäuscht worden. Er verfluchte seine Nachlässigkeit. Hätte er damals die Individualimpulse dreimal kontrolliert, wären sie alle heute nicht hier und würden die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen. “Gut. Ich akzeptiere diese beiden Möglichkeiten!” sagte er entschlossen. “Ich sage Ihnen nicht, wie Sie vorzugehen haben—das entscheidet sich von Fall zu Fall. Sie haben völlig freie Hand.” “Dann lassen Sie das Beiboot bitte rund zweitausend Meter von dem Schiff entfernt landen!” “Geht in Ordnung.” Die Landschaft, von den ersten Lichtstrahlen getroffen, schob sich langsam näher und wurde deutlicher. Hinter dem winzigen Schiff der Tarey-Bruderschaft erhob sich eine mächtige Barriere aus Bergen. Es gab messerscharfe Grate dort, wo der schnelle Wechsel von Kälte und Wärme das Gestein in riesigen Platten abspringen ließ. Vor der Bergwand, deren oberste Zacken und Spitzen von scharfen, waagerecht einfallenden Sonnenstrahlen in helles Licht getaucht wurden, breitete sich eine tiefe Zone verschieden hoher, gerundeter Berge aus. Noch einige Jahrhunderte der Verwitterung, und die Täler würden von Geröll und Sand gefüllt sein und eine schräge Ebene bilden. Davor breitete sich, annähernd rund, ein riesiges Staubmeer aus. Als die Vergrößerung schärfer wurde, konnte man annehmen, daß es sich um Geröll mit einer Staubschicht darauf handelte. Hervorragend getarnt stand das große Schiff vor den Hügeln, in einer leichten Senke der Ebene. Seine Landeteller hatten sich tief in den Untergrund eingebohrt. “Die Begrüßung war herzlich, sozusagen. Die Unterhaltung wird weniger unproblematisch sein!” sagte der Arkonide und schaltete nacheinander an seinem breiten Gürtel die Anlagen der Anzugversorgungein. Kennon wußte genau, daß es ab jetzt für ihn ernst wurde. Er mußte, wenigstens solange, wie er Menschen gegenüberstand, seine Identität als Kennon völlig vergessen. Er aktivierte die Versorgungseinheiten ebenfalls und sah zu, wie das kleine Beiboot sich mit ausgefahrenen Landestützen näherte. Bis jetzt waren keine weiteren Funksprüche gewechselt worden, aber zweifellos beobachtete die Besatzung der MARCON O das kleinere Schiff ebenso, wie es umgekehrt der Fall war. Der Pilot landete das Beiboot mit der gewohnten Leichtigkeit und setzte es behutsam in den Staub der Ebene. Die Polschleuse war durch eine Reihe riesiger Steine, die vor Tagen oder Jahrtausenden von den Bergen heruntergerollt waren, gegen Einsicht gedeckt. “Ausgezeichnet!” war Repalios Kommentar. Repalio ging zum Abwärtsschacht des Antigravlifts und blieb dort stehen. Er 49
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hatte sich nicht getäuscht. Ein Bildschirm erhellte sich und zeigte wieder Corco Bennary, diesmal nur seinen Oberkörper. Er hob grüßend die Hand; sie waren sich sozusagen auf Rufweite nähergekommen. “Sehr schön, Lordadmiral!” sagte er. “Ich begrüße Sie und den Umstand, daß Sie gewillt sind, ohne Tricks mit mir zu sprechen. Eine rein technische Frage drängt sich in diesem Zusammenhang auf: Soll ich Sie abholen lassen?” Warum. nicht? dachte der Arkonide und entgegnete: “Das wäre mehr an Entgegenkommen, als ich von Ihnen verlangen könnte. Ich nehme Ihr Angebot gerne an. Darf ich meinen Assistenten mitbringen? Seine Anwesenheit sollte Sie nicht stören.” Bennary zog die Brauen hoch und sagte dann kopfschüttelnd: “Bringen Sie ihn ruhig mit. Sie sind in meinem Schiff sicher aufgehoben; über schmutzige Tricks sind wir inzwischen hinaus. Ich schicke einen Gleiter. Erwarten Sie ihn an der Polschleuse?” Atlan nickte nur. Er und Repalio schlossen die Helme der Raumanzüge. Die Besatzung wußte bereits, wie sie sich in allen in Frage kommenden Fällen zu verhalten hatte. Abgesehen davon war das kleine Beiboot gegenüber dem Schlachtkreuzer völlig wehrlos, wenn es Bennary auf eine Gewaltaktion anlegte. Damit rechnete jetzt niemand mehr, aber Vorsicht war bekanntlich der bessere Teil der Tapferkeit. Atlan und Repalio landeten in der Schleuse und sahen zu, wie sich Schotte öffneten und schlossen und wie die lange, schmale Rampe sich dem staubigen Boden entgegenschob. Der Planet war eine Ein-gWelt, und es würde keinerlei Schwierigkeiten geben. Nur eine Eigenschaft des Odplaneten “Rarität” störte Repalio erheblich: Fußtritte hinterließen in diesem dikken Staub Abdrücke. Und der Energieausstoß des Antigravantriebs würde angemessen werden können. Da es aber überall Risiken gab, die man einfach eingehen mußte, würde er dieses Risiko in Kauf nehmen. Bennary mochte denken, was er wollte. Neben Atlan trat Repalio hinaus auf die Rampe und ging dem Boden des Planeten entgegen. Im starken Licht der mächtigen Landescheinwerfer begann der Staub über der Geröllschicht zu glitzern, als enthielte er Diamantsplitter. Er leuchtete fahlgrau, mit grünlichen Streifen und blauen Farbinseln. Knackend schaltete sich die Funkanlage des Helmes ein. “Wie fühlen Sie sich, Goss?” fragte Atlan. “Mittelmäßig. Ich kenne Corco zu gut und auch zu lange. Sehen wir weiter, wenn wir an Bord des anderen Schiffes sind. Er ist im taktischen Vorteil.” “Richtig.” Sie wurden abgelenkt, als drüben, in zweitausend und mehr Metern Entfernung die Tiefstrahler eingeschaltet wurden. Ein flacher, großer Gleiter mit aufgeblendeten Scheinwerfern schwebte über die Rampe hinunter und kam schnell und in gerader Linie auf die Schleuse zu. Dann sahen sie ihn nicht mehr, weil sich die Felsbrocken dazwischenschoben. Wenn Repalio das Schiff hier betrat oder verließ, würde es so gut wie niemals auffallen—aber er hatte diesbezüglich noch kein Programm. “Sie kommen!” sagte er. Der Gleiter blendete zum Zeichen, daß der Pilot die beiden Gestalten im Raumanzug sah, die Scheinwerfer auf und ab, und schließlich schaltete er die Lichter 50
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auf den geringstmöglichen Wert zurück. Wie Glutbahnen von gewaltigen Geschützen fuhren die Sonnenstrahlen über die Berggipfel und leuchteten den Talkessel aus. “Ich bin so gespannt wie selten in meinem langen Leben!” gab Atlan freimütig zu. Selbst wenn Bennary den Funkverkehr zwischen ihnen mithörte, war dies eine unverfängliche Bemerkung. Der Gleiter kam heran und verlangsamte seine Fahrt. Hinter sich schleppte er eine Fontäne aus Staub her, die langsam wieder in sich zusammensank. Mit der Breitseite schwebte das Fluggerät an das untere Ende des Metallstegs heran, dann öffneten sich die Türen. Das Funkgerät des Piloten war auf die Frequenz der Helmgeräte eingestellt. Er sagte: “Mister Bennary lädt Sie herzlich in sein Schiff ein. Ich soll Sie abholen.” “Danke”, antwortete Atlan. Repalio sagte: “Fahren Sie vorsichtig! Wir sind wichtig und wertvoll!” Aus der Stimme des Piloten klang mühsam unterdrückte Heiterkeit, als er entgegnete: “Das sagte Chanbruder Bennary auch!” Sie setzten sich, die Türen schlossen sich, und der Gleiter schwebte in mäßigem Tempo hinüber zum Schiff. Repalios Augen musterten die Umgebung. Er entdeckte in den ersten Sonnenstrahlen einen Reflex zwischen einigen Felsnadeln und runden Kuppen. Dort drüben also war die Kuppelstation. Er merkte sich die beiden Wege, suchte nach Deckungsmöglichkeiten und merkte, wie der Gleiter die schräge Fläche hinaufschwebte und in dem großen. luftleeren Raum der Polschleuse stehenblieb. Der Pilot brachte sie an eine Schleuse und ließ ihnen den Vortritt. Als sich die entgegengesetzte Schleusentür öffnete, stand Bennary in seiner unauffälligen, halb uniformähnlichen Kleidung vor ihnen und lachte breit. Sie öffneten die Helme der Raumanzüge. Atlan streckte eine Hand aus, Bennary ergriff sie. “Willkommen zur ersten Gesprächsrunde!” sagte er. Dann fiel sein Blick auf Goss Repalio. “Sie!” sagte er “Ich, Corco” meinte Repalio. Die beiden Männer hatte im Lauf der vorangegangenen Verhandlungen ein distanziert-freundschaftliches Verhältnis zueinander gewonnen, da sie sich offensichtlich nicht unsympathisch gewesen waren. “Das ist eine echte Überraschung, Lordadmiral. Mit Ihnen habe ich noch nie verhandelt, aber mit Goss kann ich von Mann zu Mann sprechen. Er versteht meine Probleme.” Kennon-Repalio bemerkte trocken: “Außerdem finden wir die gleiche Cognacmarke vorzüglich. Das eint die Standpunkte. Sie haben nicht zufällig noch diese blauhaarige Mitarbeiterin mit den aufregenden Augen, Corco?” Bennary lachte dröhnend und breitete die Arme aus. “Leider!” sagte er. “Nicht hier. Aber ich kann Ihnen gern ...” Atlan winkte ab. “Wir sind an Ergebnissen interessiert, weniger an hübschen Anblicken.” Jetzt lachte Goss Repalio und verkündete: “Es gibt durchaus auch hübsche Ergebnisse, Lordadmiral. Sie haben recht 51
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gehen wir in die Konferenzräume.” Ein Adjutant erschien plötzlich wie aus dem Nichts und sagte diskret: “Es ist alles vorbereitet, Chanbruder Bennary!” “Ausgezeichnet. Darf ich vorausgehen, Lordadmiral?” Insgeheim bewunderte Goss Repalio die Unbekümmertheit und die Verbindlichkeit dieses Mannes. Er war selbstsicher und schien sich in seiner Rolle als Atlans Gegenspieler wohl zu fühlen. Er ging vor ihnen her und bugsierte sie zunächst in einen kleinen Nebenraum, wo sie ihre Raumanzüge ablegen konnten. Dann holte er sie in seine eigene, mit erlesenem Luxus eingerichtete Kabine. Goss glaubte, seinen Freund Tekener zu erleben, denn die Neigung zu geschmackvollen und teuren Ausstattungen bevorzugte auch Tek. Darin glich er Bennary aufs Haar. Ununterbrochen hatte er mit seinen Mikrogeräten nach Teks Individualimpulsen gesucht, aber er hatte sie nicht aufnehmen können. Sie saßen zu dritt vor einem großen Tisch, in geschmackvollen Sesseln, und vor ihnen stand eine Auswahl seltener Getränke und erlesener Gläser. “Kommen wir zur Sache, Lordadmiral!” sagte Bennary, zündete sich eine lange, schwarze Zigarre an und wechselte die Aufmerksamkeit zwischen Atlan und Repalio. “Ich bin gekommen, um mich nach Ronald Tekener zu erkundigen !”sagte Atlan. Schweigend starrte ihn Bennary an. Er war offensichtlich auf eine solche Eröffnung nicht vorbereitet. Dann überzog ein breites Lächeln sein hartes Gesicht. “Ich sehe”, sagte er, “daß ich mich in Gesellschaft von Männern mit Manieren und Kultur befinde. Ich muß sagen, daß ich etwas überrascht bin. Darf ich die klare Antwort auf diese eingangs gestellte Frage noch ein wenig aufschieben’?’ Atlan entgegnete mürrisch: “Ich kann Sie nicht zwingen, mir die Antwort schon jetzt zu geben. Trotzdem wäre ich daran interessiert, sie im Lauf unserer sicherlich langen Unterhaltung beantwortet zu wissen.” “Gemach!” sagte Bennary und stieß einen Rauchring aus. “Gemach, Sir. Wir haben ein Bündel von Gesprächsthemen, die Bedächtigkeit und kluges Abwägen erfordern. Sind wir Barbaren, die ein Frage- und Antwortspiel vorziehen?” Repalio erwiderte mit einem unverschämten Grinsen: “Was mich betrifft, so bin ich ziemlich sicher. Barbaren trinken keinen so erlesenen Cognac.” Er griff nach der richtigen Flasche, goß die richtige Menge in das richtige Glas und tat exakt dies, was Repalio in seiner jungenhaften, unkonventionellen Art getan hätte. Der echte Repalio. Er wirbelte das Glas zwischen den Fingern und warf dann eine Salzkrondel hinein. “Auf ein warmes Verhandlungsklima!” sagte er und hob das Glas. “Und auf gute Ergebnisse!” erwiderte Corco und vollfü hrte mit seiner Zigarre eine höfliche Geste in der Luft. Atlan lehnte sich zurück. Seine Finger trommelten eine schnelle rhythmische Folge auf der Armlehne des Sessels. Die Dinge begannen so, wie er sie sich wünschte.
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12. Ein Beobachter, der die drei Männer nicht kannte und die Szene beobachtete, hätte geschworen, daß sich drei Geschäftsleute über einen besonders verdienstreichen Vorgang oder drei Politiker in entspannter Atmosphäre über eine belanglose Angelegenheit unterhielten. Das Stichwort hieß entspannte Atmosphäre. Atlan, Bennary und Repalio schienen relativ guter Stimmung zu sein” aber das besagte gar nichts. Sie wußten voneinander zu viel, und es war im Grund gleichgültig, ob sie sich gegenseitig anbrüllten und mit den Fäusten fuchtelten oder ob sie eine entspannte Verhandlungsatmosphäre bevorzugten. Die Aussagen waren gleich, die Ergebnisse würden ebenfalls so ausfallen, wie es die Möglichkeiten zuließen. “Ich”, sagte Bennary gerade, “lese mit Interesse die Schriften Terras. Ich las bei den Stoikern, jener ausgestorbenen geistigen Disziplin, daß sie uns einen sehr guten Rat geben. Diesen Rat möchte ich als Motto über unsere Unterhaltunggestelltwissen.” Zweifellos fühlte er sich sicher. Erbesaß zwanzig Milliarden auf verschiedenen Konten, die mit ihm nicht in Verbindung gebracht, von ihm aber aufgelöst werden konnten. Aber das schien nicht der eigentliche Grund zu sein. Er besaß mit Sicherheit Informationen über Tekener. Wenn er nicht sogar Tekener selbst besaß. Sonst wäre er nicht so leutselig, redebereit und verhandlungsbereit gewesen. Und bei weitem nicht so selbstsicher. “Welchen Rat der Nachfolger oder Vorfahren Senecas meinen Sie?” fragte Atlan trocken. Goss wußte, daß Atlan sich während seines Aufenthalts auf Terra, seines erzwungenen Aufenthaltes, damals in der Zeit des Nero, mit Seneca selbst unterhalten hatte. “Sie sagten”, fuhr Bennary fort, “daß man seine Wünsche ausschalten müsse, wenn man versucht, seine Bedürfnisse zu befriedigen.” Atlan konterte im selben Atemzug: “Indessen hat Herr Jonathan Swift erklärt, daß wir uns ebenso gut die Füße absägen könnten, wenn das Problem neuen Schuhwerks auftaucht.” Bennary lachte amüsiert. Er fragte voller Interesse: “Sie sind also, nach Abbruch der Verhandlungen vor runden sechs Monaten, wieder bereit, unsere revolutionäre Bewegung zu unterstützen?” “Um so mehr”, versicherte Atlan trok ken und ein wenig angriffslustig, “als Sie die Vorauszahlung bereits erhalten haben. Ronald Tekener, der die Liebenswürdigkeit hatte, mein Geld auszugeben, war sehr entg egenkommend.” Bennary machte ein Gesicht, als wisse er nicht, ob er loslachen oder sich ärgern sollte. “Richtig!” sagte er verblüfft “Ich scheine in letzter Zeit unter Amnesie zu leiden. Diese Kleinigkeit habe ich ganz und gar übersehen. Wenn Tekener Ihr Geld ausgibt, dann muß er dazu berechtigt sein oder zumindest die Möglichkeiten haben. Also ist er Ihr Mitarbeiter.” Repalio schaltete sich ein. Er schaukelte in seinem Sessel hin und her und versicherte: “Wir würden unserer Intelligenz gegenseitig jede Menge Armutszeugnisse 53
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ausstellen, wenn wir das Gegenteil annehmen würden. Ronald Tekeners einsamer Entschluß, Ihnen finanziell unter die Arme zu greifen, Corco, hat Lordadmiral Atlan veranlaßt, den Dialog zu suchen.” “Er hat mich sozusagen genötigt!” schob Atlan nach. Bennary schenkte ihm einen mißtrauischen Blick, lächelte dann aber, als er rückt ragte: “Woher wissen Sie, SiT, daß ich weiß, daß Tekener Ihr Mitarbeiter ist?” Atlan sagte kurz: Nennen Sie es Intuition, nennen Sie’s Ahnung -gleichgültig. Ich habe mich nicht getäuscht. Sie wissen es nicht aufgrund von Beweismaterial, aber Sie vermuten es. Mister Tekener wird mir einige Erklärungen geben müssen.” Höflich erwiderte der Chanbruder: “Das ist nicht mein Problem. Aber ich sehe im Zusammenhang mit Tekener und jener nicht erwähnenswerten Summe einige bemerkenswerte Aspekte. Tekener ist Ihr Mitarbeiter.” “Über die Definition waren wir, denke ich, uns bereits einig!” sagte Atlan. “Also hat er mit einigem Grund über die Summe verfügen können.” “Erklärung siehe oben!” warf Repalio ein. “Offensichtlich lagen Gründe vor, die Tekener veranlaßten, so und nicht anders zu handeln!” meinte der Arkonide. “Offensichtlich!” Bennarys Grinsen war jetzt das eines Mannes, der sein Steak nach langer Wartezeit erhalten hatte und sich jetzt hungrig daran machte, es zu zerschneiden. “Ich darf in diesem Punkt, im gegenseitigen Einvernehmen, um Ihre äußerste Diskretion nachsuchen!” sagte Atlan beschwörend. “Diskretion worüber?” Corco gab sich bewußt ahnungslos. In Atlan erwachte langsam der Wunsch, seinem Gegenüber eine der vielen gefüllten Flaschen über den Scheitel zu schlagen. Bennary schien seinen Wunsch zu erraten, denn er sagte: “Intuition ist oftmals die Fähi gkeit, in Sekundenschnelle eine Lage falsch zu beurteilen!” “Wahr gesprochen!” sagte KennonRepalio. Er studierte die Reaktionen seines Gegenübers mit wissenschaftlicher Gründlichkeit. Dieser Mann dort besaß das Wissen, das er brauchte. Er wußte, was mit Tekener geschehen war, ob Tekener noch lebte, wo er sich befand, wie es ihm ging, in welcher Notlage er sich befand ... dort saß die Schlüsselfigur. Und ausgerechnet einer der kaltblütigsten Verbrecher, denen Kennon jemals begegnet war. Atlan erwiderte, das alte Thema aufgreifend: “Ich bitte Sie um Diskretion darüber, daß Sie annehmen, Tekener würde für mich arbeiten. Schließlich haben wir eine Leistung erbracht, nämlich zwanzig Milliarden Solar. Sie haben dieses Geld oder glauben, es zu haben. Jede gute Sache ist einen bestimmten Gegenwertwert-was haben Sie zu bieten?” “Was suchen Sie?” “Sicherheit und politische Zugeständnisse, wirtschaftliche und machtpolitische Versprechen im Wert von zwanzig Milliarden Solar.” “Können Sie das im einzelnen aufschlüsseln?” 54
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“Gern. Ich vertrete sozusagen das Imperium. Sie vertreten, wenigstens an diesem runden Tisch, die Bruderschaft. Wenn Sie mit Hilfe dieses Geldes an die Macht kommen, muß ich Garantien haben. Das werden Sie einsehen und verstehen.” “Sicher. Aber die Größeno rdnungen sind unklar.” Atlan beugte sich vor und hob einen Finger. “Erstens”, sagte er. “Sie schweigen über die Rolle, die Tekener Ihrer Meinung nach spielt. Sind wir über diesen Punkt einer Meinung?” Bennary nickte. “Zweitens: Wenn Sie der Meinung sind, Ihre Sicherheit wäre nicht mehr bedroht, liefern Sie Tekener an mich aus.” “Woher haben Sie die Sicherheit, zu behaupten, ich besäße Tekener?” erkundigte sich Bennary spöttisch. “Wir hatten uns darauf geeinigt, einander nicht für dumm zu halten!” erinnerte Repalio laut. Er hob sein Glas, trank es leer und schenkte nach. “Einverstanden!” sagte Bennary. “Außerdem lassen Sie Tekeners Doppelgänger ganz schnell verschwinden. Er soll weiterhin seinen Acker pflügen oder meinethalben ... Zeichnungen für Innenarchitekten anfertigen!” Bennary lehnte sich zurück und begann hemmungslos zu lachen. “Ich wußte es ja”, sagte er schließlich. “Es wird ein harter, aber letztlich heiterer Tag!” “Was Sie so unter heiter verstehen, Corco ... andere Menschen züchten auf diese Weise ganze Plantagen von Magengeschwüren!” maulte Repalio klagend. Bennary warf ihm einen Verschwörerblick zu. Atlan stand auf und ging unruhig im Raum auf und ab. “In dem Augenblick”, sagte er, und diesmal fehlte ihm jegliche Verbindlichkeit, “da Tekener von Ihnen als USO-Angehöriger bezeichnet wird, sind Ihre Konten plötzlich leer. Und jede Chance, von mir mehr als einen einzigen Soli zu bekommen, sind bis zum Beginn der nächsten Ewigkeit dahin.” Auch Repalio stand auf. Er deutete auf Bennary und sagte: “Ich stehe gern wieder zur Verfügung, wenn es um Dinge geht, die in meine Zuständigkeit fallen. Bis zum Ende dieser Debatte in warmer Verhandlungsatmosphäre ziehe ich mich zurück. Würden Sie bitte bekanntgeben, daß ich beabsichtige, das Schiff zu verlassen und das Beiboot zu betreten?” Bennary winkte leutselig. “Zu welchem Zweck, Goss?” “Zum Zweck des Schlafes, Corco. Dieser Mann dort drüben stellt an seine Mitarbeiter sehr hohe Ansprüche. Es kommt vor, daß selbst Spitzenkräfte wie ich einmal müde werden.” “Geht in Ordnung. Ich richte es ein!” sagte Bennary und winkte. Während Repalio auf die Schottür zuging” hinter der er seinen Raumanzug wußte, sprach Bennary kurz mit den Männern seines Schiffes. Fünf Minuten später lehnte Repalio das Ansinnen des Gleiterpiloten, ihn zum Beiboot hinüberzubringen, mit den Worten ab: “Ein kleiner Spaziergang über einen idyllischen Planeten, in der milden Luft des 55
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Morgens, wird mir guttun und die bösen Geister aus meinen Gedanken vertreiben.” Jetzt diskutiert der Chef schon mit Schwachsinnigen, dachte der Pilot und drehte sich achselzuckend um. Sinclair Marout Kennon legte die zweitausend Meter bis zum Beiboot in gemessener Schnelligkeit zurück. Dann schaltete er sein Flugaggregat ein und schlug in rasender Geschwindigkeit einen riesigen Bogen. Sein Ziel war die Kuppelstation. 13. Morgendämmerung, dachte Repalio, als er in der unvollkommenen Deckung. der Felsbrocken nach links von der Polschleuse des Schiffes aus über den Boden des Planeten schwebte. Eine falsche Morgendämmerung, aber von einem eigentümlichen, archaischen Reiz. Er beschleunigte und hing fast waagrecht über dem Boden. Der Planet war völlig luftleer, aber aus Gesteinsspalten schien Gas zu sickern, das den Blick trübte. Er umrundete einen Hügel, verschwand hinter einer Kette von Felsnadeln, die einen Schauer von kleinen Gesteinsbrocken nach unten warfen, erreichte schließlich den östlichen Rand des Gebirgszuges. Er schwebte weiter, wurde abermals schneller und entdeckte nach einer Flugzeit von dreißig Minuten die Kuppelstation. “Sieht verdammt verlassen aus!” sagte sich Repalio. In der Deckung der Hügel und der zahllosen verstreuten Steinbrocken, die groß wie Space-Jets waren, bewegte er sich in einer Serie kleiner Sprünge näher heran. Er sah weit voraus die beiden Schiffe; der obere Pol der MARCONO überragte die meisten Erhebungen der Gegend. Die Sonne verbarg sich noch immer hinter der Bergbarriere. Kennon führte eine Reihe von Ortungen durch. Nichts. Er wurde nicht beobachtet. Mit Sicherheit hatten die Besatzungen des Bruderschaftsschiffes auch die Kuppel aufgesucht und nachgesehen, ob ihnen Atlan eine Falle gestellt hatte. Jedenfalls stellte Kennon, als er herankam, keinerlei Fußspuren fest. Aber dann sah er die Schatten an den Rändern eines breiten, flachen Grabens und wußte, daß sich ein Gleiter genähert hatte. “Trotzdem. Ich muß die Kuppel untersuchen.” Es erschien ihm nicht unwahrscheinlich—ebenso wie Atlan-, daß Corco Bennary Tekener als Pfand für die zwanzig Milliarden und andere Zugeständnisse betrachtete. In. diesem Fall war es möglich, daß sie ihn im Schiff oder hier versteckten, um ihn gegebenenfalls austauschen zu können und auf alle Fälle deswegen, um zu verhindern, daß sich Tekener bemerkbar machte. Kennon regulierte sein Aggregat und schwebte langsam herunter, eine halbe Kurve um die einsame, staubbedeckte Kuppel beschreibend. Vor dem röhrenförmigen Schleuseneingang sah er, daß der Boden von zahllosen Spuren zertrampelt war. Er berührte mit beiden Beinen die Erde und ging geradeaus. Seine Hand lag am Griff des Strahlers. Er schaltete den Individualorter ein ... Seine Hand preßte den rotleuchtenden Knopf. Die äußere Schleusentür öffnete 56
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sich langsam. Staub wurde beiseitegeschoben, als die Platte mit den wulstigen Dichtungsstreifen sich bewegte. Der Boden der Schleusenkammer, deren Beleuchtung nicht mehr funktionierte, war dick mit eingesickertem Staub bedeckt. Auch hier eine Menge Spuren von Raumanzugstiefeln mit den charakteristischen Sohlenprofilen außerirdischer Herstellung. Unhörbar, nur als Schwingung durch das Metall übertragen, schloß sich die Schleusentür wieder. Die innere Platte glitt auf. Hoffentlich schaltet sich keine Beleuchtung ein, dachte Kennon, denn die Kuppel ist vom Raumschiff, wenigstens aus dem oberen Drittel, gut einzusehen. Er entdeckte keinerlei Lichtschranken oder ähnliche Automatiken, als er mit Hilfe seiner Ultrarotgeräte arbeitete. Er machte einige vorsichtige Schritte nach vorn und orientierte sich kurz. Nach allem, was er in dem dunkel glühenden Raum erkennen konnte, befand er sich am Rand einer annähernd runden Platte, die den Boden der Station darstellte. Einbauten zwischen Boden und dem unteren Teil der Kuppelwölbung kamen in sein Blickfeld. Wieder nichts!” Nicht nur keine Spur von Teks Individualimpulsen, sondern überhaupt kein Lebenszeichen eines anderen Organismus ... hoffnungslose Gedanken überkamen den Freund bei dieser Feststellung. Er schaltete die Lampe seines Anzuges an, nachdem er sie auf den geringstmöglichen Wert abgedunkelt hatte. Das schwache Licht huschte in Kreisbewegungen über den Boden. Es glitt über veraltete Funkgeräte, über die versiegelten Behälter mit Nahrungsmittelvorräten, über würfelförmige Elemente, die gestrandeten Raumfahrern das Leben retten konnten, über Ersatzteile und Werkzeugbehälter. Nichts! Wieder nichts. Langsam schritt Kennon die Grenzen des Raumes ab, entdeckte den schmalen Zugang zu den unterirdischen, in den Fels gebohrten Versorgungsanlagen, die uralt waren, aber noch immer funktionieren würden, da sie weitestgehend wartungsfrei waren. Nicht mehr festzustellen, wer diese Station erbaut hatte. Alles deutete auf Terraner hin, aber es war nicht sicher. “Hier ist Tek nicht. Auch nicht in der näheren Umgebung!” Kennon zuckte die Schultern, drehte sich herum und ging, abermals nach allen Richtungen suchend, langsam hinaus. Dort drüben stand eines der besten und perfektesten Verstecke, die ein Mensch ersinnen konnte. Ein Raumschiff ... “Wenn ich mir überlege,”“, knurrte Kennon, als er die Schleuse verließ und stehenblieb. Er beendete den Satz nicht, sondern dachte daran, welche Mengen von absolut narrensicheren Verstecken in Raumschiffen er selbst kannte. Die USO-Schiffe allein würden in der Werft auseinandergeschnitten werden müssen, um diese raffinierten Einbauten und Blindarmaturen zu entdecken. Dort war es nicht anders, würde es nicht anders sein. Eine geradezu hoffnungslose Suche wartete auf ihn. Er hatte sich offiziell verabschiedet. Jedermann würde annehmen, daß er zu einem Schläfchen hinüber ins Beiboot gegangen war. Für die Suche, die ein Mensch niemals hätte wagen können, besaß er mehrere Vorteile, die ihn allein auszeichneten. Er kannte die meisten Baupläne der Schiffe anderer Welten, besonders derjenigen, die terranische Technologie benutzten. Er würde also durch eine 57
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Das zweite Attentat
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Notschleuse ins Schiff eindringen und sich im Netzwerk der Konstruktion und der Serviceleitungen bewegen können. Er mußte einen Raum nicht betreten, um feststellen zu können, ob sich in diesem Raum Tekener befand. Das Vermögen, dessen Individualimpulse orten zu können, war ein unschätzbarer Vorteil. Außerdem befand sich, und das hatte er bereits beim Betreten des Schiffes gemerkt, nur ein Drittel der Mannschaft zur Zeit an ihren Plätzen. Auf der MARCONO herrschte, was die Bordzeit betraf, frühe Nacht. “Also!” sagte er. Kennon startete, um Tek, seinen Freund, zu finden ... * Im hohen Bogen senkte er sich wieder auf das große Raumschiff hinunter. Er kam aus der Sonde und traf genau in dem Sektor auf die Kugelhülle, in dem sich keine Linsen und Projektoren befanden. Seine Chance, nicht gesehen zu werden, lag bei siebzig zu dreißig. Langsam und unhörbar federte er in den Armen und Knien, als er sich nahe der oberen Polnotschleuse auf das blanke Metall niederließ. Er suchte eine bestimmte Anordnung. Hier gab es keine Fischaugenlinsen, die sein Bild übertragen konnten, wie er, einer Fliege gleich, auf der Hülle klebte und sich jetzt, dicht gegen das Metall gepreßt, seitlich bewegte. Er verfolgte die feinen Linien atomarer Schweißnähte, entdeckte schließlich die schweren, eingelassenen Kontaktplatten, die in einem kreisförmigen Deckel in den Abständen von jeweils neunzig Grad angeordnet waren. Er lächelte grimmig. Magnetkontakte, und außerdem eine Notschleuse, röhrenförmig. Er zog einen Handschuh aus, befestigte ein stumpf aussehendes Werkzeug an seinen Fingern und setzte es an. Eines seiner Energieaggregate gab einen kurzen Stromstoß ab. Die erste Kappe fiel ab, darunter schob sich der Magnetkontakt langsam zurück. Hätte er bei dieser Bewegung eine gewisse Schnelligkeit erreicht, wären in einer Station die Lampen angesprungen, hatte ein Alarm ausgelöst werden können. Diesen Vorgang wiederholte Kennon dreimal, dann lag die Platte ungesichert vor ihm. Er steckte das Werkzeug zurück, bewegte die Platte um eine Handbreit und entfernte die Arretierung. Dann hob er den schweren Metalldeckel mit der darunterliegenden Isolierschicht und der Sprengladung mühelos auf, glitt in die Öffnung hinein und verschloß sie wieder, indem er die Platte zu sich heranzog. Er befand sich noch im luftleeren Raum. Die Gürtellampe, die Schulterlampe und die des Helmes sprangen an. Die starken Lichtstrahlen zeigten ihm eine Röhre, die schräg zum Zentrum des Schiffes zu führen schien. Die Wände waren glatt und glänzend und warfen das Licht zurück. Langsam glitt Kennon in der Röhre abwärts. Sie besaß einen Durchmesser von rund einem Meter. Individualorter ... angeschaltet. Durchdringungsgeräte, Röntgenstrahlen, Verstärker der Schalldetektoren auf Höchstleistung. 58
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Der Radius seiner Ortungsgeräte war groß genug, so daß er nicht jeden Raum des Schiffes abhorchen mußte. Die großen Zentralen schieden von vornherein aus, die Mannschaftsquartiere ebenso wie die Messen und die Maschinenräume. Also mußte er sich auf Beiboothangars konzentrieren und auf die unzähligen anderen Nebenräume, die Laderäume und die gewaltigen Magazine dieses Schiffes. Er begann eine systematische Suche, als er an die erste Abzweigung kam und das Schott öffnete. Der Korridor rechts und links von ihm war leer. Schräg gegenüber sah er den schmalen Mann-Eingang zu einem der großen Laderäume. Zwei Sekunden würden genügen, um ihn zu erreichen. Rasend schnell ortete er nach allen Richtungen. Mannschaften schliefen. In einer Kabine spielten einige Männer und lachten. Individualimpulse überfluteten ihn, aber er brauchte nicht zu reagieren—wie auch in der zurückliegenden Stunde. Er hatte einige interessante Dinge beobachten können, aber keinen Hinweis auf Teks Verschwinden oder gar seinen Standort ausfindig machen können. Er wagte es. Ein Sprung, zwei Schritte, dann schlossen sich seine Hände um den Öffnungsmechanismus. “Keine Sperre, keine Alarmvorrichtung ... Trotz der panischen Furcht, entdeckt zu werden und Atlans weiteren Schachzug aufzudecken, reagierte er schnell, präzise und besonnen. Als seine Robotgelenke die Hebel herumdrückten, schwang die Tür auf und gab den Blick frei in eine kleine Sicherheitsschleuse mit zahllosen technischen Elementen. Nicht ein Lämpchen glühte, nur die Temperaturanzeige und der Komputer, der die Menge der Ladung speicherte, funktionierten. Die nächste Schottür. Jetzt stand Kennon in einer riesigen, domartigen Halle. An den Wänden und der gekrümmten Außenwand waren rechteckige Fächer eingebaut, in denen die Ladung sicher verstaut und verzurrt war. Fauchend erhob sich der Halbrobot in die Höhe und drehte sich dabei. Besonderes Augenmerk richtete er auf die vielen eingebauten, schwer isolierten Drucktanks, in denen Wasser ebenso wie andere notwendige Flüssigkeiten gespeichert war. “Kein Impuls!” sagte er sich. Der Laderaum war gefüllt und hervorragend aufgeräumt. In dem zentralen Schacht, in dem sich die automatische Füll- oder Stapelapparatur bewegte und somit jedes Fach bis in den hintersten Winkel erreichen konnte, schwebte Kennon bis zur Decke und bezog auch die umliegenden Bezirke des Schiffes in seine Ortung mit ein. Quälend war die Gewißheit, daß Tek auch hier nicht verborgen war. “Wieder nichts!” Während er langsam herunterschwebte und seine Ortung zur Sicherheit wiederholte, sagte er sich, daß er in diesen rund zweihundert Minuten ein Drittel des Schiffes untersucht hatte. Mit einer Schnelligkeit und gleichzeitig einer Gewissenhaftigkeit, wie sie nur sein Körper hervorzubringen in der Lage war. Zwei Drittel standen noch aus. Also noch abermals vierhundert oder mehr Minuten. Hoffentlich zögerte Atlan den Schluß der Verhandlungen noch hinaus. Das nächste war der Ring von Schleusenhangars, der sich beiderseitig des Antriebsringwulstes um das Schiff zog. 59
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“Verdammt!” Ohne Spuren zu hinterlassen, rannte und schwebte er weiter. Er erreichte ungesehen eine mächtige Wand, die aus Stahlträgern bestand und einen Teil des Schiffes abschottete und zugleich Stütze der statischen Bedingungen war. Von hier aus, indem er zwischen den Trägern und durch die Aussparungen hindurchschlüpfte, konnte er die nächste Beiboot-Kammer erreichen. Die Suche ging weiter. 14. Eine Besatzung von eintausend Mann wohnte und arbeitete in diesem Schiff. Die MARCONO war also überbelegt; in einem terranischen Schlachtkreuzer befanden sich weniger Leute. Das mußte einen Grund haben, gestand sich Kennon dreihundert Minuten später ein, als er wie ein Wirbel aus der Polschleuse eines Beibootes hinausstob und festgestellt hätte, daß Tek auch hier nicht versteckt war. Eine schnelle Ortung, die er in dem menschenleeren Hangar durchführte, ergab weder geheimnisvolle Hohlräume in den Verbindungswänden noch sonst etwas, das ihn ermuntert hätte, weiter zu suchen. Aber trotzdem wagte er sich an das letzte Stück des Schiffes. Es wurde zunehmend gefährlicher, denn in den Bezirken, die er jetzt aufsuchte, gab es zu viele Besatzungsmitglieder. Kennon raste weiter. Er glitt durch Röhrenschleusen und bewegte sich in den Leitungen von Wärmeaustauschern ebenso schnell wie in den Schächten der Lufterneuerungsanlagen. Er kletterte neben dicken Starkstromkabeln entlang und schlüpfte in die Zwischenräume von Trägern, röhrenförmige Stützelemente dienten ihm ebenso als Transportweg wie menschenleere Rampen in der bewohnten Zone des Schiffes. Von fern sah er Menschen, die ihn aber nicht sahen, und wenn sie etwas wahrnahmen, dann einen verwischten Wirbel irgendwo am anderen Ende der langen Straße, die ein solcher Gang oder Korridor innerhalb eines Schiffes von fünfhundert Metern Durchmesser war. Gleiterhangars ... “Nichts!” Die Umgebungen der großen Zentralendes Schiffes. “Nichts! Kein Impuls.” Die Versorgungskammern des Schiffscomputers. “Nichts.” Waffenmagazine und Ausrüstungslager. Toiletten und das Schwimmbassin, die angrenzenden Rä ume. Die Reparaturabteilungen. Schließlich die mächtigen Elemente der hydraulischen Anlagen der Landestützen. “Nichts.” “Wieder nichts.” Schließlich, nachdem sowohl die Zeit vorbei war, die er sich zugestanden hatte, als auch sämtliche Räume des Schiffes in seinem positronischen Gedächtnis abgehakt 60
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waren, glitt er wie ein Schatten zurück in die lange Notschleusenröhre. Er war gescheitert. Er hatte nicht einmal den Hauch einer Spur gefunden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war Tek nicht an Bord der MARCONO versteckt. “Möge das Schicksal die Schuldigen treffen!” fluchte Kennon, als er sah, wie die vier Magnethalterungen wieder zurückschnappten und die runde Platte festhielten, “die Unschuldigen hat es ohnehin schon erwischt!” Er schaltete sein Flugaggregat ein, stieg genau in die Sonne hinein und landete ungesehen neben der offenen Polschleuse des USO-Beibootes. * Dreißig Minuten später, irgendwann am fünfundzwanzigsten Tag dieses Monats, betätigte Sinclair Marout Kennon in der perfekten Maske des Captain Goss Repalio den Summer in der Polschleuse des großen Bruderschaftsschiffes. “Sie?” fragte der Posten. “Richtig. Ich. Spricht mein Freund Corco noch mit dem Arkoniden?” “Ich glaube, sie sind fertig. Wir haben eben Befehl erhalten, den Gleiter vorzufahren. W o waren Sie eigentlich?” Repalio deutete mit dem Daumen über die Schulter. “Ich habe ein Mittagsschläfchen gehalten. Angesichts der Strapazen, die auf mich zukommen, eine reine Notwehrmaßnahme, Sagen Sie oben Bescheid?” Der Posten nickte. Ma n brachte Repalio wieder in den Nebenraum, wo er seinen sauberen Raumanzug ablegte und dann in den großen Raum ging. Atlan und Corco Bennary standen neben dem Tisch und sprachen miteinander. “... zu dieser Stunde nicht mehr”, sagte Atlan gerade. “Ich sehe, daß unser akzeptierter Verhandlungsbevollmächtigter wieder an Bord ist. Sind Sie nüchtern, Captain?” Repalio grinste breit und strahlte Lordadmiral Atlan an. “Nüchtern und ausgeschlafen. Frisch rasiert und voller Tatendrang. Geht es in die zweite Runde?” Bennary, etwas müde, aber weiterhin ungebrochen, sagte laut: “Die zweite Runde, ja. Aber Lordadmiral Atlan hat alles gesagt, was zu sagen ist oder vielmehr war. Wir kennen unsere gegenseitigen Forderungen und die Grenzen unserer Möglichkeiten. Der Rest wird eine Anhäufung von Detailfragensein.” Goss pfiff verständnisvoll durch die Zähne und gesellte sich zu den beiden Gesprächspartnern. “Ich sehe”, sagte er. “Zögern bringt Unheil. Aufschub und Unklarheiten gefährden die Aktionen. Ich soll also wieder die unangenehmen Aufräumungsarbeiten leiten?” Sie lachten. “Richtig, Captain!” warf Atlan ein. “Dringende Geschäfte rufen mich zurück. Sie werden auf diesem Schiff bleiben und haben entsprechende Handlungsvollmacht, da ich Ihnen meinen Standpunkt klar dargelegt habe. Sie sind mein Vertreter. Verderben Sie es bitte mit Bennary nicht; wir Sind, soweit das möglich war, Freunde geworden.” “Das darf nicht wahr sein!” sagte Repalio. Bennary warf ironisch ein: 61
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“Das denken sowohl Lordadmiral Atlan als auch ich ununterbrochen. Nichtsdestoweniger: Bleiben Sie mein Gast. Wir handeln aus, was auszuhandeln ist. Ich bin sicher, daß wir uns einigen können.” “Einverstanden. Aber ich habe meine Zahnbürste nicht dabei!” stellte Repalio fest und schielte nach der Flasche, die vor seinem leeren Platz stand. “Wir werden eine zweite finden, innerhalb des Schiffes!” versprach Bennary. Sie begleiteten Atlan nach unten. Der Gleiter brachte ihn ohne jeden Zwischenfall zum Beiboot der IMPERATOR. Nach einem kurzen Funkkontakt startete das Beiboot, stellte die Position des Mutterschiffes fest und schlug einen geraden Kurs ein. Es wurde eingeschleust, und auch die IMPERATOR startete und entfernte sich. Eine halbe Stunde später war sie von den Schirmen des Bruderschaftsschiffes verschwunden. “Ich hoffe, es gefällt Ihnen ebenso wie vor einem halben Jahr!” sagte Bennary, nachdem er Repalio bis zu dessen Kabine begleitet hatte. Er machte einen zufriedenen und gelösten Eindruck. Kein Wunder, dachte Kennon, da er jetzt verbindlich weiß, daß Kennon tot und Tekener ein USO-Spezialist ist! “Ich bin sicher, daß wir ebenso gut zusammenarbeiten werden. Was die Mitarbeiterin betrifft ...” Bennary lachte schallend und winkte ab. “Heute abend, beim Essen in meiner Kabine, werden Sie andere Mitarbeiterinnen kennenlernen ...” “Und sie mich!” Das Schott schloß sich. Kennon suchte den Raum nach Abhöranlagen ab und war erstaunt, daß es keine gab. Jedenfalls war und blieb er in der Nähe Corco Bennarys. Der Chef der Cardmanosch hatte den erbarmungslosesten und fähigsten Gegner zu sich an Bord eingeladen, den er sich aus Millionen hätte heraussuchen können. Ausgerechnet einen Mann, der auf sein Geheiß ermordet werden sollte und offiziell eingeäschert war. Ein Mann mit dem erfahrenen Verstand eines Tausendjährigen und dem Körper, der sämtliche Vorzüge eines Roboters in sich vereinigte. Die Einsickerungstaktik war gelungen. ENDE Lesen Sie in 14 Tagen ATLAN Nr. 77 mit dem Titel:
Der Robotmensch und der Mutant
von William Voltz Zwischenspiel auf Birachy-Chan—Kennon begegnet dem Kind-Mutanten
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