Die kleine Wölfin Kaala wird als unerwünschter Mischling geboren - ihr Vater gehört nicht zum Rudel vom Schnellen Fluss...
46 downloads
894 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Die kleine Wölfin Kaala wird als unerwünschter Mischling geboren - ihr Vater gehört nicht zum Rudel vom Schnellen Fluss. Nachdem ihre Mutter deshalb ausgestoßen worden ist, muss Kaala allein als Außenseiterin um ihren Platz im Wolfsrudel kämpfen. Als sie das kleine Mädchen TaLi vor dem Ertrinken rettet, gerät ihre Welt aus den Fugen. Sie freundet sich mit ihr an, beginnt heimlich mit ihr zu jagen und zu spielen und riskiert so, aus dem Rudel ausgeschlossen und aus dem Weiten Tal vertrieben zu werden. Aber auf unerklärliche Weise fühlt sich Kaala zu den Menschen hingezogen und erfährt schließlich, dass sie der letzte noch lebende Wolf ist, der dazu berufen ist, den Menschen zu helfen, die Verbindung zur Natur nicht zu verlieren und die Welt zu bewahren. Und schon bald droht ein Krieg zwischen den Wölfen und den Menschen, und Kaala muss sich entscheiden - rettet sie sich selbst, ihre Freundin, ihr Rudel - oder gar alle Wölfe und die gesamte Menschheit? Dorothy Hearst ist eine Wolfsexpertin. Sie hat jahrelang das Verhalten der Wölfe beobachtet und erforscht und sich intensiv mit der Biologie und der kognitiven Wissenschaft befasst. Zudem hat sie sich mit den weltweit führenden Wolfs- und Hundespezialisten beraten. Sie hat als Lektorin, Schauspielerin und Filmemacherin gearbeitet und Businessbücher geschrieben. Und sie hat den Schwarzen Gürtel in Tae Kwon Do. Dorothy Hearst
Die Wolfs-Chroniken
Das Versprechen der Wölfe Roman
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Promise of the Wolves«
Gewidmet meiner Familie und meinen Freunden und Happy, dem besten Hund, den es je gegeben hat, und Emmi, dem besten (und hellsten) Hund, den es augenblicklich gibt. Teil Eins
Das Rudel Prolog
Vor 40 000 Jahren Es wurde kalt. Es wurde so kalt, sagt die Legende, dass sich die Hasen monatelang unter die Erde verkrochen, die Elche sich an das Leben in Höhlen gewöhnten und die Vögel vom Himmel fielen, weil ihre Flügel mitten im Flug zu Eis gefroren. Es wurde so kalt, dass die Luft vor den Schnauzen der jagenden Wölfe des Großen Tales zu Kristallen erstarrte. Jeder Atemzug versengte ihre Lungen und selbst ihr
dichtes Unterfell konnte sie nicht schützen. Wölfe sind für den Winter gemacht, doch dies war ein Winter, der selbst für die Wölfe zu weit ging. Die Sonne hatte sich von dieser Seite der Erde und dem Mond abgewandt. Früher war sie ein lebendiges Leuchtfeuer gewesen, jetzt war sie zu schwarzer Dämmerung verkühlt. Der Rabenkönig sagte, dies sei der Winter, der das Ende der Welt brächte. Dass er drei volle Jahre dauern würde und 3
dass er gekommen sei, um diejenigen zu strafen, die den Willen der Ahnen missachtet hatten. Alles was Lydda wusste, war, dass sie hungrig war und dass ihr Rudel nicht jagen konnte. Lydda zog es fort von ihrer Familie, sie scherte sich nicht einmal darum, ob sie irgendeine Fährte einer Maus oder eines Hasen entlang des Weges erschnüffeln konnte. Tachiim, der Leitwolf, hatte dem Rudel verkündet, die Jagd sei ein für alle Mal zu Ende, dass die Elche im Großen Tal zu selten seien und das Rudel zu schwach, um die wenigen, die noch übrig waren, zu fangen. Jetzt warteten sie nur noch ergeben darauf, dass die frostige Kälte des Todes die Kälte in der Luft ersetzte. Lydda würde nicht warten. Sie hatte ihre Rudelgefährten verlassen, und vor allem die Welpen, deren Knochen so deutlich sichtbar unter ihrem Fell hervortraten und aus deren Augen der Hunger blickte. Es war die Pflicht eines jeden Wolfs im Rudel - selbst eines Jungwolfs wie Lydda -, die Jungen zu ernähren, und wenn Lydda das nicht konnte, war sie es nicht wert, Wolf genannt zu werden. Selbst die leichtere äußere Schicht ihres Felles schien schwer auf Lydda zu lasten, während sie sich durch die tiefen Schneewehen kämpfte. Sie wusste jetzt, dass der lange Winter, länger als je ein Wolf ihn kennengelernt hatte, niemals enden würde. Raben flogen über ihrem Kopf, und sie sehnte sich nach Flügeln, die sie zur Jagd auf die Ebene hätten tragen können. Lydda hielt Ausschau nach dem größten und stärksten Elch, den sie finden konnte, und sie würde ihn herausfordern und bis zum Tod bekämpfen. So schwach wie sie war, würde das ihren Tod bedeuten, das wusste sie. Lydda erreichte den Kamm des schneebedeckten Hügels von dem aus man die Jagdebene überblicken konnte und ließ sich schwer 3
atmend auf ihren Bauch fallen. Unvermittelt erhob sie sich wieder, ihr hellbraunes Fell sträubte sich. Sie roch einen Menschen, und sie wusste, dass sie sich fernhalten musste, denn ein uraltes Gesetz verbot es Wölfen und Menschen, sich einander zu nähern. Ihr Herz schlug schnell, sie begann sich rückwärts zu bewegen. Doch dann musste sie über sich selbst lachen. Was hatte sie schon zu befürchten? Sie suchte den Tod. Vielleicht würde der Mensch ihr den Weg dorthin zeigen. Sie war enttäuscht, als sie den Menschen fand, weinend, mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt. Er war wie sie gerade eben erwachsen. Er sah so wenig furchterregend aus wie ein Fuchswelpe. Er war dünn und hungrig wie der Rest der Lebewesen im Tal, und der lange todbringende Stab, den er, wie alle seine Leute, bei sich trug, lag harmlos an seiner Seite. Der Mensch blickte auf, als sie sich näherte, und Lydda erkannte zuerst Furcht, dann Ergebenheit und schließlich Willkommen in seinen Augen. »Kommst du mich holen, Wolf?«, fragte er. »Dann nimm mich. Ich kann meinen hungrigen Schwestern und Brüdern keine Nahrung mehr bringen, denn ich bin zu
schwach, um den fliehenden Elch zu jagen. Ich kann nicht schon wieder mit leeren Händen zu meiner Familie zurückkehren. Nimm mich.« Die Augen des Menschen waren von einem dunklen Braun, und Lydda sah, wie sich in ihnen ihre eigene Verzweiflung spiegelte. Er wollte genau wie sie die Jungen seines Volkes füttern. Die Wärme seines Körpers zog sie an, und sie merkte, wie sie langsam Schritt für Schritt zu ihm ging. Er warf seinen spitzen Stecken weit von sich und öffnete seine Arme, gestattete ihr einen Sprung, der für ihn den Tod be 4
deuten konnte. Lydda hatte nie lange einen Menschen betrachtet. Sie war davor gewarnt worden. »Jeder Wolf, der sich mit den Menschen einlässt, wird vom Rudel verstoßen«, hatte Tachiim erklärt, als sie und ihre Wurfgefährten noch Welpen waren. »Sie sind uns ebenbürtig in der Jagd, und sie sehen uns als Beute. Ihr werdet euch mit einer Kraft zu ihnen hingezogen fühlen, die ebenso stark ist wie der Drang zur Jagd. Haltet euch fern, oder ihr seid nicht länger Wölfe.« Lydda blickte auf den jungen Menschen und fühlte die Anziehung, die Tachiim erwähnt hatte, genauso wie sie die Anziehung eines der jungen Welpen im Rudel gefühlt hätte oder die eines Wolfes, mit dem sie sich hätte paaren können. Verwirrung ergriff sie und beutelte sie wie ein gerade gefangenes Kaninchen. Ihr Verstand ermahnte sie, davonzulaufen oder vielleicht das Fleisch des Menschen zu reißen. Ihr war, als würde das Herz ihre Brust verlassen, um zu ihm zu kommen. Sie stellte sich vor, wie es wäre, an seiner Seite zu liegen, um die Kälte aus ihren Knochen zu vertreiben. Sie schüttelte sich und trat zurück, doch sie konnte seinen Augen nicht entkommen. Ein kalter Windstoß erfasste sie von hinten und schob sie einen Schritt näher an den Jungen heran. Er hatte seine Arme gesenkt, doch nun hob er sie wieder zögernd. Sie lief in seine geöffneten Arme und streckte ihren Körper über seine Beine, ruhte mit ihrem behaarten Kopf auf seiner Brust. Der Junge trug mehrere Schichten von erbeutetem Fell, um die Kälte von seinem kaum behaarten Körper fernzuhalten, dennoch konnte sie die von ihm ausgehende Wärme spüren. Nach einem Augenblick der Überraschung schlossen sich seine Arme um sie. Sie konnte ihren Blick nicht von seinem Gesicht wenden. 4
Tausend Herzschläge lang lagen sie beieinander, das Herz des Wolfes verlangsamte sich, um den Herzschlag des Jungen aufzunehmen, und das des Jungen beschleunigte, um den Puls des Wolfes zu finden. Lydda fühlte, wie die Kraft in ihr zunahm, und der Menschenjunge musste es auch gefühlt haben, denn sie erhoben sich gleichzeitig und wandten sich den Jagdgefilden zu. Zusammen überquerten sie die Ebene in Richtung der Beute und wählten wortlos einen Bock aus der Herde. Der Elch schüttelte nervös seinen Kopf, als sie näher kamen und ließ sie seine Verletzlichkeit erkennen. Wie ein Sonnenstrahl schoss Lydda hinter den Elch, verflogen war die Müdigkeit in ihren Läufen. Sie jagte den Elch und jagte ihn weiter, machte ihn verwirrt und erschöpft. Dann, mit plötzlich zunehmender Geschwindigkeit, trieb sie ihn in die Richtung des wartenden Menschenjungen. Der spitze Stecken des Jungen flog, drang tief in die Brust des Elches ein, und als das Tier stürzte, riss ihm Lydda das Leben aus dem Leib.
Während Lydda, schwindelig von dem Geruch und Geschmack der lang entbehrten Nahrung, am Fleisch des Elches zerrte, stieß etwas Schweres sie beiseite. Der Junge hatte sich herangedrängt, um seinen Anteil zu holen. Knurrend verteidigte sie ihren Platz, und beide zogen sie nun an dem Kadaver. Bevor sie zu voll war, um sich noch bewegen zu können, erinnerte Lydda sich an ihre Pflichten, und sie begann, an einer Keule des Viehs für ihre hungrige Familie zu zerren. Als sie die Keule schließlich gelöst hatte, war es dem Menschen ebenfalls gelungen, mit einem scharfen Stein die andere Keule abzutrennen: Jetzt arbeitete er weiter an der Beute. Sie nahm das schwere Bein in ihr Maul, froh, nicht allzu weit entfernt von zu Hause zu sein. Gestärkt durch das frische Fleisch 5
in ihrem Magen, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Rudel. Sie war so beschäftigt mit ihrem vollen Bauch und dem Geschmack des guten, frischen Fleisches, dass sie den Menschen für einen Augenblick ganz vergessen hatte. Doch sie drehte sich um, als sie den Waldrand erreichte und sah nach ihm. Er hielt ebenfalls inne, das schwere Bein des Elches über seine Schultern gelegt und eine Elchrippe in der Hand. Er hob seinen anderen Arm zum Gruß. Sie ließ ihre Keule fallen und neigte den Kopf zum Zeichen des Erkennens. Ihre Rudelgefährten rochen das gute Fleisch, schon bevor sie die geschützte Lichtung erreichte. Als Lydda näher kam, blickten die erwachsenen Wölfe ungläubig auf das Fleisch, das sie trug. Vorsichtig legte sie es nieder. Es war wenig Fleisch für so viele Wölfe, doch es war Fleisch, und das bedeutete Hoffnung. Es war schon länger als drei Wochen her, dass das Rudel eine richtige Mahlzeit zu fressen bekommen hatte. Sobald die Wölfe begriffen hatten, dass dieses Fleisch tatsächlich vor ihnen lag und nicht etwa ein Todestraum sie narrte, umringten sie Lydda und vergaßen ihre Schwäche über der frohen Begrüßung. Lydda trat zur Seite, verbeugte sich vor Tachiim und bot ihm das Fleisch an. Er berührte sie zärtlich mit seiner Nase und bedeutete dem Rudel, das Fleisch zu teilen. Zusammen mit den anderen Wölfen, die noch stark genug waren zu laufen, machte er sich auf den Weg, um der Fährte zu folgen, die zu Lyddas Fang führte. Lydda wandte sich den Welpen zu, die beim Geruch des frischen Fleisches zu wimmern begonnen hatten. Sie beugte ihren Kopf zu ihnen hinunter, und als einer von ihnen sie schwach an ihrer Schnauze stupste, würgte sie ihr Fleisch für 5
die Welpen heraus. Obwohl ihr ausgehungerter Körper nach der Nahrung verlangte, die sie für die Welpen hergab, war es die Freude wert, ihnen beim Fressen zuzusehen. Die Welpen des Großen Tales würden nicht länger hungern. Lydda sprang Tachiim und den anderen nach, um aufzuteilen, was noch von der Beute übrig war. Sie war so überwältigt vom Erfolg ihrer Jagd, so erleichtert in ihrer Sorge um das Rudel, so verwirrt von ihrer Begegnung mit dem Menschenjungen, dass sie den neuen, langsam stärker werdenden Hauch von Wärme in der Luft nicht spürte. Er war so leicht, dass man ihn ohne weiteres für einen Traum hätte halten können. ♦
Lydda und ihr Menschenjunge ruhten gegen einen Felsen gelehnt, nicht weit von der Stelle, an der sie einander das erste Mal getroffen hatten. Der schmelzende
Schnee hatte einen Flecken der warmen Erde entblößt. Einen ganzen vollen Mondlauf lang hatten die Wölfe aus Lyddas Rudel gemeinsam mit den Menschen gejagt. Einen ganzen Mondlauf lang hatten sie das Fleisch mit den Menschen geteilt, mit ihren Jungen gespielt und waren mit ihnen im Licht der Morgen-und Abenddämmerung umhergestreift. Lydda verbrachte jeden möglichen Augenblick mit ihrem Menschen, denn sie fühlte, als habe sie in ihm etwas gefunden, von dem sie nicht gewusst hatte, dass es ihr verlorengegangen war. Sie saßen zusammen an ihren Felsen gelehnt, Lydda schlang ihren Körper um die starken Beine des Jungen, und er ließ seine Finger in ihr Fell gleiten. Die Sonne schien auf sie, und die Erde ließ Grashalme wachsen, um sie zu grüßen. 6
Der Mond wartete eifersüchtig darauf, sie sehen zu können. Und der Himmel - der Himmel spannte sich schützend um sie. Denn die Ahnen hatten gewartet. Gewartet und gehofft. Sie hatten das Ende aller Geschöpfe nicht gewollt. 6
1
Vor 14 000 Jahren Wenn sich das Blut der Wölfe des Großen Tales mit dem Blut der Wölfe außerhalb des Tales mischt, wird der Weissagung nach der Wolf, der dieses Blut in sich trägt, für immer zwischen zwei Welten stehen. Laut dieser Legende wird ein solcher Wolf nicht nur seinem ganzen Rudel Verderben bringen, sondern allen anderen Wölfen ebenso. Das ist der wahre Grund, aus dem Ruuqo im dämmrigen Licht eines frühen Morgens, vier Wochen nachdem wir geboren waren, kam, um meinen Bruder, meine Schwestern und mich zu töten. Wölfe hassen es, Welpen zu töten. Es ist unnatürlich und ekelhaft, und die meisten Wölfe würden eher ihre eigenen Pfoten abnagen, als einem Welpen wehzutun. Doch meine Mutter hätte uns niemals säugen dürfen. Sie gehörte nicht zu den älteren Wölfen und hatte daher kein Recht, Junge zu haben. Aber das wäre noch verzeihlich gewesen. Viel schlimmer 6
war, dass sie eines der wichtigsten Gesetze des Großen Tales gebrochen hatte, eines der Gesetze, die unsere Art schützen. Ruuqo tat nur seine Pflicht. Er hatte bereits für Rissas Bauch voller Welpen gesorgt, wie es sich für den führenden männlichen Wolf eines Rudels gehörte. Ohne die Einwilligung der Leitwölfe paart sich kein anderer Wolf, denn zusätzliche Welpen zu ernähren, kann schwierig werden, wenn es nicht ein ausgesprochen gutes Jahr ist. Das Jahr, in dem ich geboren wurde, brachte Aufruhr in das Tal, und die Beute wurde immer weniger und weniger. Wir teilten uns das Große Tal mit vier anderen Wolfsrudeln und mit mehreren Menschenstämmen. Während die meisten der anderen Wölfe die Grenzen unseres Jagdgebietes respektierten, taten die Menschen das nicht - sie vertrieben uns wann immer möglich von unserem eigenen Fang. Daher hatte das Rudel vom Schnellen Fluss zur Zeit meiner Geburt keine zusätzliche Nahrung übrig. Dennoch ging meine Mutter wohl davon aus, dass Ruuqo uns nicht wirklich
verletzen würde. Sie muss gehofft haben, er werde den Geruch unserer fremden Abstammung nicht bemerken, ihn nicht an uns riechen. Kurz vor der Dämmerung, zwei Tage bevor Ruuqo kam, um unser Leben zu beenden, kletterten mein Bruder Triell und ich neugierig die Neigung im weichen, kühlen Boden zum Ausgang unserer Höhle hinauf. Sanftes Licht fiel in die tiefe Höhle, und das Japsen und Knurren der Wölfe draußen hallte von den Wänden unseres Zuhauses wider. Die Gerüche und Geräusche der Welt dort draußen faszinierten uns, und wenn wir nicht gerade gesäugt wurden oder schliefen, versuchten wir, uns hinauszuschleichen. »Wartet«, ermahnte uns unsere Mutter und stellte sich vor den Ausgang. »Es gibt Dinge, die ihr vorher wissen solltet.« 7
»Wir wollen doch nur sehen, was dort draußen ist«, schmeichelte Triell. Ich sah das unternehmungslustige Funkeln in seinen Augen, und wir versuchten, an ihr vorbeizuhuschen. »Hört.« Unsere Mutter hielt uns mit ihrer großen Pfote zurück und drückte uns fest auf den Boden. »Jeder Welpe muss sich einer Prüfung unterziehen, bevor er in das Rudel aufgenommen wird. Wenn ihr die nicht besteht, werdet ihr nicht überleben. Ihr müsst auf das hören, was ich euch lehre.« In ihrer Stimme, die sonst so sanft und mitfühlend klang, lag auf einmal ein Ton, den ich noch nie vernommen hatte. »Wenn ihr auf die Leitwölfe Ruuqo und Rissa trefft, müsst ihr ihnen zeigen, dass ihr stark und gesund seid. Ihr müsst ihnen beweisen, dass ihr es wert seid, Mitglieder des Rudels vom Schnellen Fluss zu werden. Und ihr müsst ihnen gegenüber Ehrerbietung und Respekt zeigen.« Sie ließ uns los, betrachtete uns mit einem besorgten Blick und beugte sich zu unseren Schwestern, die uns die Erhebung zum Ausgang der Höhle hinaufgefolgt waren, um sie zu putzen. Triell und ich zogen uns in einen Winkel der warmen Höhle zurück, um zu überlegen, was wir tun könnten, um Teil des Wolfsrudels zu werden. Ich glaube nicht, dass mir in den Sinn kam, wir könnten scheitern. Zwei Tage später, als wir dann schließlich aus der Höhle hinausgelangten, sahen wir, wie Rissas fünf Welpen bereits auf der Lichtung herumtapsten. Sie waren zwei Wochen älter als wir und schon bereit, dem Rudel vorgeführt zu werden und ihre Namen zu bekommen. Rissa stand ein wenig abseits und sah zu, wie Ruuqo die Welpen betrachtete. Unsere Mutter trieb uns an, zu ihnen zu gehen, obwohl wir auf unseren schwachen Beinen torkelten. 7
Mutter blieb stehen, um über die kleine staubige Lichtung zu blicken. »Rissa lässt Ruuqo entscheiden, ob die Welpen aufgenommen werden oder nicht«, sagte sie und zog ihre Lefzen vor Besorgnis zusammen. »Verbeugt euch vor ihm. Ihr müsst euch vor ihm niederwerfen und seine Gunst gewinnen. Umso mehr ihr ihm gefallt, umso größer ist eure Chance zu überleben.« Ihre Stimme wurde scharf. »Hört auf mich, Welpen. Ihr müsst ihm gefallen, dann werdet ihr leben.« Die Welt außerhalb der Höhle war ein Mischmasch von unbekannten und verlockenden Gerüchen. Der Duft des Rudels war der stärkste und aufregendste. Um uns herum hatten sich alle Wölfe versammelt, um dem Welpen-Willkommen beizuwohnen. Mindestens sechs verschiedene Wolfsdüfte mischten sich mit dem
Geruch der Blätter, der Bäume und von Erde, verwirrten unsere Nasen und brachten uns zum Niesen. Die warme, süße Luft war vielversprechend, sie rief uns hinaus, fort von dem sicheren Platz an der Seite unserer Mutter. Unsere Mutter folgte uns leise wimmernd. Ruuqo sah auf unsere Mutter und wandte dann seinen Blick ab, sein graues Gesicht blieb unergründlich. Seine eigenen Welpen, die alle größer und fetter waren als wir, japsten und purzelten um ihn herum, leckten seine gesenkten Lefzen und rollten sich auf ihre Rücken, um ihre weichen Bäuche zu zeigen. Einen nach dem anderen beschnüffelte er sie, drehte sie vorsichtig mal auf diese mal auf jene Seite, suchte sorgfältig nach Schwäche oder Krankheit. Nach einer Weile hieß er alle außer einen in das Rudel willkommen, indem er jede kleine Schnauze vorsichtig in sein Maul nahm. »Willkommen, Welpen«, sagte er. »Ihr seid Teil des Rudels vom Schnellen Fluss, und jeder Wolf aus dem Rudel wird euch schützen und wird euch füttern. Willkommen Borila. 8
Willkommen Unnan. Willkommen Reel. Willkommen Marra. Ihr seid unsere Zukunft. Ihr seid Wölfe vom Schnellen Fluss.« Ein kleines, räudiges Junges beachtete er nicht, ließ es beiseite liegen und weigerte sich, ihm einen Namen zu geben. Sobald ein Welpe einen Namen erhalten hat, ist jeder Wolf des Rudels verpflichtet, es zu beschützen. Deshalb geben Leitwölfe einem Welpen, von dem sie annehmen, dass es bald sterben wird, keinen Namen. Rissa kroch zurück in ihre Höhle und brachte ein kleines schlaffes Etwas heraus, ein kleines Junges, das nicht überlebt hatte. Sie vergrub es schnell am Rand der Lichtung. Das Rudel heulte sein Willkommen für die neuesten Mitglieder. Jeder Wolf beugte sich einer nach dem anderen zu den Welpen hinunter, um sie zu begrüßen, wedelte mit dem Schwanz und stellte die Ohren weit auf vor Freude. Dann begannen sie zu spielen, einander zu jagen, sich im Staub und in Blättern zu rollen und vor Übermut zu juchzen. Ich sah, wie sie vor Freude tanzten, vor Freude über junge Welpen, Welpen kaum anders als wir. Ich stupste Triell an der Wange. »Es gibt nichts, wovor man sich fürchten müsste«, sagte ich ihm. »Du musst nur zeigen, dass du stark und respektvoll bist.« Triells Schwanz wedelte zart, während er das Welpen-Willkommen betrachtete. Ich sah auf seine lebendigen Augen, seinen schmalen, starken Hals und wusste, dass wir genauso gesund und tadellos waren wie Ruuqos und Rissas Welpen. Meine Mutter hatte sich umsonst Sorgen gemacht. Bald würden wir an der Reihe sein, um Ruuqos Gefallen zu finden. An der Reihe, selbst Namen zu erhalten und unsere Plätze im Rudel vom Schnellen Fluss zugewiesen zu bekommen. 8
Ruuqo hielt seinen Blick gesenkt, als er auf uns zukam. Er war der größte Wolf im Rudel, mit breitem Brustkorb und mindestens um ein Ohr höher als jeder andere Wolf vom Schnellen Fluss. Die Muskeln unter seinem grauen Fell zeichneten sich deutlich ab, als er seine eigenen Jungen dem Rest des Rudels überließ und zu uns herüberschritt. Er zögerte, beugte sich über uns und öffnete dann seine großen Kiefer. Unsere Mutter sprang vor uns, hielt ihn zurück.
»Bruder«, flehte sie, denn Ruuqo und sie waren aus dem selben Wurf und waren gemeinsam in das Rudel vom Schnellen Fluss gekommen, »du musst sie leben lassen.« »Sie haben fremdes Blut in sich, Neesa. Sie werden meinen Kindern das Fleisch wegnehmen. Das Rudel kann keine zusätzlichen Welpen ernähren.« Seine Stimme war so kalt und zornig, dass ich zu zittern begann. Neben mir hörte ich Triell winseln. »Das ist eine Lüge.« Unsere Mutter hob den Kopf, um Ruuqo anzusehen, ihre bernsteinfarbenen Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet. Sie war sehr viel kleiner als Ruuqo. »Wir sind auch schon früher durchgekommen, auch wenn die Beute rar war. Du hast nur Angst vor allem, was anders ist. Du bist ein zu großer Feigling, um das Rudel vom Schnellen Fluss zu führen. Nur ein Feigling tötet Welpen.« Ruuqo heulte knurrend auf, sprang sie an und warf sie zu Boden. »Du denkst, es gefällt mir, Welpen zu töten?«, fragte er. »Und das, wenn meine eigenen Jungen keine zwei Wolfslängen entfernt stehen? Sie sind nicht >einfach andersWir sind andersWir sind besser als die anderen Geschöpfe. Seht ihr, wie kein anderes Wesen Feuer machen kann? Seht, wie kein anderes Wesen Werkzeuge aus Stein und Holz herstellte« Das Geräusch von Flügelschlagen ließ uns alle aufblicken. 59 Edelschwing landete vor Rissa und Trevegg, den Schnabel noch blutig von seinem Mahl. Mein Magen rumorte bei dem Gedanken an das gute Fleisch, das jetzt außer Reichweite war. » Wolf und Mensch sind stolz. Beiden Demut zu lehren Ist des Raben Los.« Er zog an Rissas Ohr und schlug mit den Flügeln vor Treveggs Nase. Als der Altwolf grinste und mit seinen Kiefern nach dem Vogel schnappte, schwang sich Edelschwing in die Luft und ließ sich auf einem Ast direkt über uns nieder, wo Schnabelweis schon auf ihn wartete. Ich fragte mich, wie lange die Raben wohl schon zugehört hatten und warum ihnen unsere Legenden überhaupt etwas bedeuteten. Rissa betrachtete sie einen Augenblick nachdenklich, dann sprach sie weiter. »Die Menschen entschieden, dass alle anderen Geschöpfe ihnen dienen sollten«, sagte sie. »Die Wölfe weigerten sich, und Menschen und Wölfe kämpften gegeneinander. Die Menschen begannen in ihrem Zorn jedes Wesen zu töten, das sich ihnen nicht unterwarf. Dann zündeten sie den Wald an, in dem sie selbst gelebt hatten.« Ich erschauderte. Trevegg hatte uns erzählt, dass das Feuer vor drei Jahren zwei unserer besten Sammelplätze zerstört hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, eine solche Zerstörung absichtlich herbeizuführen. »Das war es, was die Aufmerksamkeit der Ahnen erregte«, meinte Trevegg. »Und als die Ahnen sahen, was die Menschen von den Wölfen gelernt hatten, und als sie sahen, was die Menschen taten, da wussten sie, dass diese Geschöpfe das
60 Gleichgewicht bedrohten. Dass sie weiter töten würden und weiterhin alles und jedes Geschöpf um sie herum zerstören würden. Und die Ahnen wollten nicht gestatten, dass solche Dinge geschahen. Also verkündete der Himmel den Menschen und den Wölfen, dass die Zeit für sie gekommen sei zu sterben.« »Als Indru das hörte«, sagte Rissa, »heulte er vor Trauer und Verzweiflung. Er stieg auf den höchsten Berg, den er finden konnte und rief nach den Ahnen, um sie um das Leben der Wölfe und der Menschen zu bitten. Zuerst hörten sie ihn nicht.« Rissa erhob ihren Kopf, um auf Edelschwing und Schnabelweis in den Bäumen über ihr zu blicken. Beide breiteten ihre Flügel aus, und Edelschwing begann zu sprechen. »Also flog Tlitookilakin, der König der Raben, der die Wölfe und die Menschen beobachtet hatte, den ganzen Weg hinauf zur Sonne und pickte mit seinem scharfen Schnabel nach den Ahnen. Die Sonne sah hinab und erblickte Indru, und sie rief die anderen Ahnen - den Mond, die Erde und Großmutter Himmel -, um zuzuhören. Tlitookilakin flog an Indrus Seite, denn er wollte nicht, dass seine Raben verhungern mussten um der Dummheit der Wölfe willen.« Der Rabe legte seinen Kopf von der einen auf die andere Seite und setzte sich dann wieder auf seinem Ast zurecht. Trevegg reckte witternd seine Schnauze in den Wind, senkte sie dann wieder und sprach weiter. »Mit demütig angelegten Ohren und der Rute höflich zwischen den Hinterläufen versteckt«, so erzählte er, »stand Indru vor den Ahnen. Er sprach zu ihnen und bewies mehr Mut als jemals ein Wolf gezeigt hat. >Bestraft nicht alle Wölfe und alle MenschenEs 60 war meine Schuld und die meines Rudels, dass dies geschehen ist. Bereitet unserem Leben noch kein Ende. Es gibt so viele Dinge, die wir noch lernen müssen, so vieles, was noch zu entdecken ist.< Der Himmel sandte einen warmen Wind, der durch Indrus Fell strich. >Jedes Geschöpf hat seine Zeit zu leben und seine Zeit zu sterbenEs ist an der Zeit für euch, den Weg frei zu machen für das, was als Nächstes kommen wird. So ist es immer gewesen, und so muss es auch weiterhin sein.< Indru blickte verzweifelt auf den Himmel, er wusste nicht, was er als Nächstes machen sollte. Der Rabenkönig pickte ihn feste in den Leib, und der Wolf sprach weiter. >Unsere Zeit ist noch nicht vorüberWir haben gerade erst damit begonnen, diese wundervolle Welt, in der wir leben, zu erkunden.< Die Erde grummelte als Antwort auf diese schönen Worte und ließ den Berg erzittern. Da setzte sich Indru auf seine Hinterläufe und heulte ein Lied so süß und traurig, dass sogar der Himmel zitterte. Und der Mond und die Erde standen zum ersten Mal in ihrem langen, langen Leben vollkommen still. Die Ahnen betrachteten Indru mit großer Verwunderung. Kein anderes Lebewesen hatte sich je vor sie gestellt und so mutig und ruhig seine Angelegenheit vertreten. Die Ahnen waren bereits sehr, sehr alt und waren einander überdrüssig geworden. Sie langweilten sich und waren einsam - so einsam wie ein Wolf ohne Rudel. In
dem Lied des Wolfes vernahmen sie einen Weg, ihrer Einsamkeit zu entgehen und Gefährten zu finden. Sie berieten untereinander, während Indru und Tlitookilakin zitternd auf dem Gipfel des Berges warteten. 61
Schließlich, nach einer Weile, die Indru wie eine Ewigkeit vorkam, sprach der Himmel. >Wir werden dir deine Bitte erfüllenDoch du musst uns ein Versprechen geben - ein Versprechen, das deine Kinder und die Kinder deiner Kinder werden halten müssen.< >Ich verspreche allesDa die Menschen jetzt glauben, sie seien besser als alle anderen Geschöpfe^ erklärte der Himmel, >wird ihre eigene Macht sie blind machen. Sie werden Feuer anzünden, viel größer, als du sie dir vorstellen kannst. Sie werden kämpfen, und sie werden töten, und sie werden sich nicht darum kümmern, ob sie alles und jeden vernichten, der nicht ist wie sie. Sich selbst überlassen werden sie sogar das Gleichgewicht zerstören, und dann werden wir keine Wahl mehr haben, dann werden wir nicht nur das Leben der Wölfe und der Menschen beenden müssen, sondern das der gesamten Welt.«< Trevegg machte eine Pause und blickte uns an. »Ihr erinnert euch daran, was ich euch von dem Gleichgewicht erzählt habe, als ihr noch winzige Welpen wart?«, fragte der Altwolf. »Dass es das Gleichgewicht ist, was die Welt zusammenhält, und dass jedes Geschöpf, jede Pflanze, jeder Lufthauch ein Teil davon ist? Nun, der Himmel - Erster aller Ahnen -fürchtete, dass, wenn das Gleichgewicht gestört würde, auch die Ahnen mit ihm untergehen müssten. Aber es war ein großes Wagnis, Indru so sehr zu vertrauen. Doch der Himmel war einsam und wünschte sich, dass es den Wölfen gelingen werde.« 61 Der Altwolf streckte sich noch einmal und schloss seine Augen, wie um Indru auf seinem Berggipfel besser erkennen zu können. »>Wir werden die Menschen herausfordern. Wir werden ihnen heftige Stürme senden und Trockenheit und glühenden Tod von den Bergen und von oben herabschickenDas wird die Menschen davon abhalten, zu stark und überheblich zu werden. Sie werden sich wehren müssen, und die Anstrengung wird sie davon abhalten, uns Schwierigkeiten zu machen. Doch dies ist das Versprechen, das ihr uns geben müsst, Wolf: Ihr dürft ihnen nicht wieder helfen. Ihr und eure ganze Art - ihr müsst euch von ihnen fernhalten. Ihr müsst ihre Gesellschaft meiden.< Indru hätte sein Leben gegeben, um seine Sippe zu retten, wie jeder gute Leitwolf das getan hätte. Er hätte dem Himmel seine Nase gegeben und seine Zähne, wenn das von ihm verlangt worden wäre. Aber dieses Versprechen konnte er nicht geben. Er konnte sich nicht vorstellen, auf immer und ewig den menschlichen Geschöpfen fernzubleiben. Das wäre ebenso schlimm, dachte er, als wenn man die Gefährten
des Rudels dem Tod überließe. Er wandte sein Gesicht ab, blickte nicht weiter auf den Himmel und die Sonne und antwortete nicht. Die Erde erzitterte unter seinen Pfoten. >Dies ist der einzige WegWenn du sie nicht aufgibst< - die Sonne schien unbarmherzig auf seinen Kopf herab -, >werden sie noch mehr von euch lernen. Sie werden so stark werden, dass selbst wir sie nicht mehr in ihre Grenzen weisen können. Ihr werdet sie bekämpfen müssen, und sie werden euch bekämpfen.< >Dies ist der Preis, den ihr zahlen müssteinfach< zu dir zu kommen, wie du es nennst. Ich kann dir nichts von dem erzählen, was ich in der Traumwelt erfahre. Alles, was ich tun kann, ist, dir den Weg zu zeigen, auf dem du es selbst herausfinden wirst. Du weißt mehr, als ich jemals gewusst habe. Ich wusste nichts! 167 Die Traumwölfin blickte wieder über ihre Schulter. Ich bin schon zu lange geblieben - und habe dir zu viel erzählt. Du musst dem zuhören, was die Höchsten Wölfe heute Nacht sagen. Du musst herausfinden, wie nahe Menschen und Wölfe schon einem Krieg sind. Und dann musst du einen Weg finden, den Krieg zu verhindern. »Wie soll ich das tun?« Du und dein Mädchen, ihr müsst es schaffen. Ihr müsst die Lösung finden, die ich nicht gefunden habe. Bevor die Menschen und Wölfe miteinander zu kämpfen beginnen. Wenn sie sich einmal bekriegen, dann ist alles verloren. »Aber wie?«, wollte ich wissen. »Woher soll ich wissen, was zu tun ist?« Ich muss jetzt gehen. Du weißt, was ich nicht wusste. Gebrauche dieses Wissen klug!
Bevor ich der Traumwölfin noch eine der vielen Fragen stellen konnte, die in meinem Kopf umherschwirrten, war sie verschwunden, leise in den Wald geschlüpft. Ich hätte mich am liebsten auf der Stelle zusammengerollt, geschlafen und alles vergessen, was ich gehört und gesehen hatte. Doch TaLi wartete noch auf mich, und wenn die Traumwölfin recht hatte und Krieg das Tal bedrohte, musste ich hören, was die Höchsten Wölfe heute noch zu sagen hatten. Zitternd kletterte ich wieder unter den Felsüberhang und schmiegte mich an TaLi. Ich wünschte mir mehr als je zuvor, dass ich mich ihr besser verständlich machen könnte. Ich wollte ihr erzählen, was der Traumwolf gesagt hatte. Stattdessen drückte ich mich eng an sie, und sie zog mich an ihre Brust. Die Menschen und Wölfe hatten sich erhoben. Wir beobachteten, wie zwei der Menschen der alten Frau halfen, auf 168
einen hohen Felsen zu steigen. Trotz ihres Alters stand sie dort sicher auf ihren Füßen und wandte sich an die Höchsten Wölfe. Sie hielt ihre Arme hocherhoben und stand wortlos so da, bis jeder Wolf und jeder Mensch im Kreis seinen Blick auf sie gerichtet hatte. »Die meisten von euch wissen«, sagte sie, »dass unsere Aussprachen nicht mehr länger ausreichend sind. Es gibt Unstimmigkeiten im Tal. Wir müssen wissen, was ihr gehört habt.« Der greise Höchste Wolf trat vor. Er stieg nicht auf einen Felsen, und dennoch waren alle Augen auf ihn gerichtet. »Wir haben ebenfalls davon gehört«, sagte er, mit seiner Stimme, die wie zerbrechende Zweige klang. »Mit jeder Aussprache scheint es schlimmer zu werden. Wir wissen, dass einige Wölfe nicht länger an die Legenden glauben. Und dass viele Menschen alle Wölfe auslöschen möchten. Wir verstehen, NiaLi«, sagte er zu der alten Frau, »dass dein Volk nicht länger die Krianan so achtet, wie es das tun sollte. Dass du nicht länger die Macht hast, es zu beeinflussen.« »Das ist wahr, Zorindru.« In ihrer Stimme lag etwas wie Schärfe, als sie den greisen Höchsten Wolf jetzt direkt ansprach. »Wir verlieren unseren Einfluss. Aber es ist genauso wahr, dass ihr eure Wölfe nicht länger unter Kontrolle habt.« Eine Frau trat vor. Sie war sehr viel jünger als TaLis Großmutter, aber immer noch um einiges älter als TaLi. Wäre sie ein Wolf gewesen, hätte sie genau das richtige Alter gehabt, um ein Rudel anzuführen - jung genug, um noch alle Kräfte zu haben, aber schon alt genug, um sich ihrer selbst sicher zu sein. Hätte sie Fell auf dem Rücken getragen, wäre es jetzt gesträubt gewesen. Sie sprach voller Zorn. »NiaLi hat recht. Mir wurde berichtet, dass Wölfe zwei 168
Menschen getötet haben. Einen jungen Mann aus dem Lin-Stamm und ein Kind von den Aln. Die Leute von Aln betrachten mich als ihre Krianan und verlangen, dass ich ihnen den Körper des toten Wolfes bringe. Sie wollen sich rächen und alle Wölfe umbringen. Bislang ist es mir gelungen, sie zu beschwichtigen. Aber wenn ihr eure Wölfe nicht unter Kontrolle bringt, kann ich nicht sagen, was mein Volk tun wird.« »Darüber bin ich mit dir vollkommen einig«, erklärte Zo-rindru. »Wenn sicher ist, dass es tatsächlich ein Wolf war, der die Menschen getötet hat, und nicht irgendein
Bär oder eine Säbelzahnkatze, und wenn die Angriffe nicht provoziert wurden, werden wir herausfinden, wer dieser Wolf war und ihn und sein Rudel töten.« Mir blieb das Herz im Halse stecken. Es war schrecklich zu hören, dass ein Wolf tatsächlich Menschen getötet haben sollte und dass die fürchterliche Bestrafung dafür wirklich ausgeführt werden würde. TaLi griff fester in mein Fell. Ich fragte mich, wie viel von der Ursprache sie wohl verstand. »Und da ist noch etwas.« Der Menschenmann, der jetzt sprach, war jung, nicht viel älter als TaLi, und er sprach mühsam, so als sei er es nicht gewohnt, sich in der Ursprache zu verständigen. »HaWen ist der neue Führer der Wen-Sippe, und er hat geschworen, das Tal von allen Wölfen zu befreien. Seine Gefährtin hat das letzte Kind verloren, das sie in ihrem Bauch trug, und sie sagt, das komme daher, dass sie einen Wolf gesehen habe, als sie Korn sammelte.« TaLis Großmutter nickte. »JiLin behauptet ebenso, dass sein jüngster Sohn sein Bein brach, weil er auf einen Pfad getreten war, den Wölfe benutzt hatten«, sagte sie. »Er behauptet, wir lägen falsch, wenn wir den Notwendigkeiten der Erde 169
und des Himmels Beachtung schenkten. Er sagt, dass die Nahrung im Tal - die der ganzen Erde - nur für die Menschen bestimmt sei und dass die Geschöpfe, die sie den Menschen wegnähmen, getötet werden müssten. Haben andere auch solche Dinge gehört?« »Ja«, sagte der junge Mann schnell, dann senkte er seinen Blick, als die älteren Krianan ihn alle ansahen. Er schluckte mehrere Male schnell hintereinander, fuhr dann aber fort. »HaWen hat gesagt, dass es unseren Stämmen nur gutgehen wird, wenn wir alle Wölfe und alle von den mit Messern bezahnten Löwen umbringen.« »Es ist dasselbe in meiner Sippe«, meinte eine andere Frau, ihre Stimme war leise, aber klar vernehmbar. Sie legte ihre Hand auf die Schulter des jungen Mannes. »Ich habe mein Bestes versucht, um die anderen zu beschwichtigen, aber ich hatte keinen Erfolg.« »Wir alle haben unser Bestes gegeben, um unser Volk davon abzuhalten, solchen Unsinn zu glauben«, erklärte TaLis Großmutter. »Aber wenn sich noch mehr Geschwätz darüber verbreitet, dass Wölfe die Menschen angreifen, dann fürchte ich, kann ich mein Volk nicht mehr davon abhalten, alle Wölfe zu töten, die es sieht.« Für einige Augenblicke war es vollkommen still. Ich konnte fühlen, wie TaLis Herz schnell an meiner Seite schlug. Auch mein Herz raste. Die Traumwölfin hatte recht gehabt. Der Krieg näherte sich. Und ich hatte keine Ahnung, was wir dagegen tun konnten. »Wir hören euch«, sagte Zorindru, »und wir verstehen euch. Wir werden die Abstammungslinie eines jeden Wolfes ausrotten, der Menschen ohne Grund angreift. Und wir werden diejenigen, die uns folgen, an ihre Verantwortung ge 169 mahnen. Geht in Frieden«, sprach er und nickte den Menschen zu. Ich dachte, die alte Frau würde noch etwas sagen. Sie schien offensichtlich noch etwas von dem alten Höchsten Wolf zu erwarten, und ihre Schultern waren zornig erhoben. Doch sie streckte lediglich ihre Arme aus, um sich von dem Felsen herunterhelfen zu lassen.
»Geht in Frieden, Wächterwölfe.« Die alte Krianan verließ den Felskreis, gefolgt von den anderen Menschen. »Ich muss Großmutter nach Hause helfen«, flüsterte TaLi. Bevor ich sie aufhalten konnte, war sie den Felsen hinuntergeklettert und im Wald verschwunden. Ich begann ihr zu folgen, bemerkte jedoch, dass Frandra und Jandru in meine Richtung sahen. Ich konnte das Risiko nicht eingehen, dass sie mich entdecken würden. Ich rutschte an der Rückseite des Felsens hinunter und machte mich auf den Weg nach Hause, dachte angestrengt über das nach, was ich erfahren hatte, und fragte mich, was um alles im Mond ich nur tun konnte. Trevegg wartete auf mich, als ich zum Sammelplatz zurückkehrte. »Du hast bei der Jagd auf die Antilopen gefehlt«, stellte er fest. »Das hat Ruuqo nicht gefallen.« »Ich habe kleine Beute gejagt«, antwortete ich und wich seinem Blick aus. »Habt ihr etwas gefangen?« Ázzuen stand auf und stellte sich neben mich. »Nein«, sagte Trevegg. Er betrachtete mich eine ganze Weile. Als er schließlich sprach, war seine Stimme leise. »Ich habe von der Zeit, die du bei den Menschen ver 170 bringst, nichts erwähnt.« Ich schrak zusammen und blickte zu ihm auf. Ázzuen quiekte vor Überraschung. »Als ich bemerkte, wie du und deine Freunde zu ihnen gingen, hätte ich es vielleicht von Anfang an unterbinden sollen. Aber irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas, das uns die Höchsten Wölfe nicht erzählen. Ich hatte gehofft, du würdest es vielleicht herausfinden. Ich wusste von dem Augenblick an, als du dich gegen Ruuqo stelltest - entschlossen zu kämpfen, auch wenn du gerade erst einen Mond alt warst -, dass du anders werden würdest.« »Ich bin nicht so sehr anders«, erklärte ich. »Und ich will die Dinge nicht verändern. Ich will nur den Menschen nahe sein.« »Das bedeutet, die Dinge verändern zu müssen«, sagte Trevegg sanft. »Du kennst die Legenden. Wusstest du, dass Ruuqos Bruder fortgeschickt wurde, weil er zu den Menschen ging?« »Ja«, gab ich zu. »Gut. Mein Bruder war damals der Leitwolf des Rudels vom Schnellen Fluss. Hiiln sollte sein Nachfolger werden. Er und Rissa hatten einander erwählt, und ich hätte mir kein besseres Paar vorstellen können, um die Linie der Wölfe vom Schnellen Fluss fortzusetzen.« Traurigkeit schlich sich in seine Stimme. »Aber als Hiiln sich weigerte, aufzuhören zu den Menschen zu gehen, wusste ich, dass ich meinem Tal eine Pflicht schuldig war. Ich riet meinem Bruder, ihn fortzuschicken, und er hat es getan, obwohl es ihm das Herz brach. Wenn ich daran zurückdenke, frage ich mich, ob ich richtig gehandelt habe. Also habe ich weggeschaut, wenn du zu den Menschen gegangen bist.« »Es gibt eine Legende, die nur den Leitwölfen erzählt 170 wird«, sagte er langsam. »Mir hat man sie erzählt, als es so aussah, als ob ich das Rudel vom Schnellen Fluss anführen müsste. Sie ist der Grund dafür, dass Ruuqo
sich so vor dir fürchtet, Kaala. Ich hätte dir davon erzählen sollen, als er sich weigerte, dich jagen zu lassen. Es heißt, dass ein Wolf geboren werden wird, der das Abkommen erschüttert. Dieser Wolf wird das Ende für das Geschlecht der Wölfe bringen, wie wir es kennen. Es heißt, dass dieser Wolf das Zeichen des halben Mondes tragen und dass er großen Aufruhr bringen wird, der sein Rudel entweder rettet oder zerstört. Deine Mutter wollte niemandem verraten, wer dein Vater war, aber wenn er einer von denen war, die sich zu den Menschen hingezogen fühlen, könntest du dieser Wolf sein.« »Ich bin keine Legende.« Mir fiel es schwer, die Worte heraus zubringen. Trevegg blickte mich lange an. »Vielleicht nicht«, meinte er liebevoll. »Andere Wölfe tragen das gleiche Zeichen. Aber jetzt ist Ruuqos Misstrauen geweckt, und es gibt Unruhe im Tal. Du musst vorsichtig sein, Kaala.« Ich wimmerte leise. Es war zu viel für mich, als dass ich jetzt darüber nachdenken konnte. »Das müssen wir nicht heute lösen«, erklärte Trevegg plötzlich. »Vielleicht hat es auch alles gar nichts zu bedeuten, und du bist einfach nur ein Junges, das nicht gerne den Befehlen gehorcht.« Er leckte mir über den Kopf. »Jetzt geh und entschuldige dich bei Ruuqo«, sagte er. »Und verpass nicht wieder eine Jagd.« Ich leckte dankbar die Schnauze des Altwolfs und ging auf den Sammelplatz, um mich bei Ruuqo zu entschuldigen. 171 Ázzuen, Marra und ich schleppten jeder ein Stück Rehfleisch den Wolfstöter Hügel hinauf. Zugegeben, unser erstes Reh war alt und verletzt gewesen, aber sein Fleisch schmeckte genauso süß wie jedes andere, das ich zuvor gekostet hatte. Ich hatte falschgelegen, was MikLan betraf. Er war kräftig für seine Größe, und er war derjenige, der den ersten Wurf gemacht hatte. Die Menschen besaßen besondere Stöcke, die ihnen halfen, die spitzen Stecken weiter zu werfen. MikLan war besonders gut darin, sie zu benutzen. Wir sechs erlegten das Reh mit einer solchen Leichtigkeit, dass es beinahe lächerlich war. Und das gerade noch rechtzeitig. Die meisten Elen hatten die Weite Ebene verlassen, und nur wenige waren noch bei der Wiese des Hohen Grases geblieben. Vor zwei Tagen hatte uns Ruuqo erklärt, dass, wenn es in den nächsten Nächten keine erfolgreiche Jagd gebe, wir unsere Winterwanderungen beginnen müssten. Es war jetzt an der Zeit - es schneite mehr, als dass es nicht schneite, und unser 171 Winterfell war dicht geworden. Ich verwandte viel Zeit darauf, darüber nachzudenken, wie es mir gelingen sollte, das Mädchen im Winter zu sehen. Es würde schwieriger werden, dann noch mit den Menschen zu jagen, also war ich froh, dass es uns schon gelungen war, gemeinsam größere Beute zu erlegen. Und ich war froh, dass die gemeinsame Jagd mit den Menschen mir erlaubte, so viel als möglich von dem zu vergessen, was während der Aussprache geschehen war. Nicht einmal Ázzuen hatte irgendwelche Ideen, was wir gegen das, was ich erfahren hatte, tun konnten. Ich konnte nur hoffen, dass jegliche Schwierigkeiten so lange auf sich warten ließen, bis uns etwas eingefallen war. Ázzuen, Marra und ich hatten darüber gestritten, was wir mit unserem Anteil an dem Reh tun sollten. Wir hatten einiges vergraben, mussten aber für das Rudel
immer noch eine Erklärung finden. »Sie werden es an unserem Atem riechen«, behauptete Marra. »Es ist eine Sache, nach Hasen zu riechen. Die könnten wir mit Leichtigkeit selbst fangen. Aber nicht ein Reh. Wenn sie erfahren, dass wir ein Reh erlegt haben, werden sie alles ganz genau wissen wollen.« Marra war diejenige von uns, die am besten darüber Bescheid wusste, wie die Dinge in einem Rudel abliefen. Es ergab Sinn, was sie sagte. »WTir könnten behaupten, wir hätten es bereits tot gefunden«, schlug ich vor. »Es ist zu frisch«, sagte Ázzuen, »und wir riechen nach der Jagd. Sie werden merken, dass wir lügen.« Anders als der Geruch der Menschen, der nur auf der Oberfläche unseres Fells und unserer Haut lag, war der Duft nach der Jagd von großer Beute tief in uns und konnte nicht einfach abgewaschen oder überdeckt werden. 172 »Also, was sollen wir ihnen sagen? Müssen wir es hierlassen?«, fragte ich enttäuscht. »Das können wir auch nicht«, antwortete Marra bedächtig. »Sie werden bemerken, dass wir große Beute erjagt haben, und sich fragen, warum wir davon nichts mit zum Rudel gebracht haben.« »Wir müssen uns eben etwas ausdenken.« Ázzuen klang, als sei er sicher, dass ihm eine Lösung einfallen werde. Ich beneidete ihn um seine Klugheit. Ich konnte beinahe hören, wie sein Verstand arbeitete. Marra und ich warteten, während seine Ohren zuckten und seine Augen halb geschlossen waren. Es dauerte nicht lange, bevor seine Augen aufleuchteten. Eine Stunde später gingen wir wachsam den Weg zum Wolfstöter Hügel hinauf. Der Wolfstöter Hügel war ein recht kleiner, aber dennoch steiler Hügel, der sich merkwürdigerweise genau mitten im Wald erhob, einen nicht allzu langen Lauf vom Gefallenen Baum entfernt. Einige behaupteten, der Wolfstöter Hügel sei früher ein großer Vulkan gewesen und dass der kleine zerklüftete Berg alles sei, was jetzt noch davon übrig geblieben war. Andere sagten, er sei von den Menschen oder von den Höchsten Wölfen vor langer Zeit dort errichtet worden. Er hatte seinen Namen erhalten, weil Wölfe, die nicht vorsichtig genug auf ihm herumliefen, leicht von einem der vielen steilen Abhänge abrutschen und auf die zerklüfteten Felsen darunter fallen konnten. Ázzuens Idee war einfach. Wir würden sagen, dass wir ein Reh zu dem Hügel verfolgt hätten und es über eine der Kanten hinuntergestürzt sei und dass wir nur einen Teil des Fleisches ergattern konnten, bevor der Rest ein Kliff hinuntergefallen sei. Alles, was wir tun mussten, war, unsere Rücken an der Rinde 172 von einer der alten Eiben zu scheuern, die nur dort oben auf dem Wolfstöter wuchsen. Dann gab es keinen Grund für die Wölfe unseres Rudels, an unserer Geschichte zu zweifeln. Hofften wir. »Können wir das Fleisch nicht einfach hierlassen?«, murmelte ich auf halbem Weg den Berg hinauf. Der Anstieg war steil, und es war schwierig, zu klettern und gleichzeitig das Fleisch festzuhalten. »Es sollte nach dem Gipfel riechen«, keuchte Ázzuen. »Es ist nicht mehr weit.« »Ihr beide müsst mehr laufen«, grinste Marra um ihr Fleisch herum. »Ihr werdet alt und gebrechlich.«
Ich hielt an, um zu Atem zu kommen und um eine passende Antwort zu finden. Im selben Augenblick roch ich die Wölfe vom Felsgipfel. Ázzuen und Marra bemerkten den Geruch fast gleichzeitig mit mir. Wir hörten das Gemurmel von Stimmen, konnten die einzelnen Worte aber nicht ausmachen. »Was tun sie auf unserem Gebiet?«, wollte Ázzuen wissen und legte sein Fleisch nieder. »Und noch viel wichtiger - wo sind sie ?« Marra blickte um sich. »Sie müssen auf der anderen Seite des Hügels sein«, sagte Ázzuen. »Irgendwie werden ihre Stimmen hierher geweht.« »Mindestens vier von ihnen«, stellte Marra fest, hob ihre Nase in den Wind und senkte sie dann in den Staub. »Ich glaube, Torell ist einer von ihnen. Ich bin mir nicht sicher, wer die anderen sind.« Ich hatte ebenfalls Torells unverwechselbaren, kranken Geruch erkannt. Entrüstung mischte sich in meine Furcht, als ich bemerkte, dass die Wölfe vom Felsgipfel mindestens 173 seit zwei Tagen auf unserem Land sein mussten. Der Hügel behinderte die Strömung des Windes, sodass unser Rudel sie noch nicht gerochen hatte. »Wir müssen es Rissa und Ruuqo erzählen«, meinte Ázzuen zweifelnd. »Das können wir nicht«, sagte Marra. »Das Rudel wird hierherkommen wollen, um sie zu sehen, und dann werden sie unsere Fährte bis zu den Menschen zurückverfolgen. Wir werden nicht die Zeit haben, die Fährte zu verwischen.« Marra hatte recht. Aber unsere Verpflichtungen gegenüber dem Rudel geboten uns, dass wir den Leitwölfen von den Wölfen vom Felsgipfel erzählten. »Wir könnten herausfinden, was die vom Felsgipfel hier tun«, schlug ich vor. »Wenn sie das Gebiet verlassen und keine Schwierigkeiten machen, müssen wir vielleicht gar nichts sagen. Wenn sie das nicht tun, haben wir wenigstens etwas Genaueres, das wir Ruuqo und Rissa erzählen können, und dann haben wir vielleicht auch die Zeit, unsere Fährte zu verwischen.« »Dann würden wir dem Rudel wertvolle Neuigkeiten bringen«, meinte Marra nachdenklich. »Und wir könnten Ruuqo und Rissa erzählen, dass wir die vom Felsgipfel auf unserem Weg nach Hause vom Wolfstöter gehört haben«, fügte Ázzuen hinzu. »An irgendeiner Stelle, von der aus sie unsere Fährte zu den Menschen nicht aufnehmen können.« Ázzuen und Marra blickten mich beide an, als sei ich diejenige, die eine Entscheidung treffen müsse. Merkwürdigerweise wünschte ich mir, dass Tlitoo in der Nähe wäre. Es war mehr als die Hälfte eines Mondes her, seitdem ich den Vogel vor der Hütte der alten Frau gesehen hatte. Ich hatte nicht 173 vorhergesehen, dass ich seine entnervenden Kommentare irgendwann einmal vermissen würde, aber zumindest blickte er mich jetzt nicht mit diesem Ausdruck an, als wüsste er, was ich zu tun habe. »Wir wollen nicht, dass Ruuqo herausfindet, dass wir ihn anlügen«, erklärte ich, endlich zu einem Entschluss gekommen. Ich hatte Ázzuen und Marra da mit
hineingezogen. Es war meine Pflicht sicherzustellen, dass sie nicht wegen mir vom Rudel verbannt wurden. »Wir finden heraus, was die vom Felsgipfel hier tun.« Ázzuen und Marra senkten zustimmend ihre Köpfe. Wir vergruben das Fleisch nicht zu tief, sodass wir es auf unserem Heimweg leicht wiederfinden konnten. »Marra du führst uns hin, Ázzuen, du hältst die Ohren offen für alles Ungewöhnliche«, sagte ich. Marra hatte die beste Nase von uns und Ázzuen die besten Ohren. Gemeinsam konnten die beiden wirklich alles aufspüren. Ich wollte sichergehen, dass wir so wachsam wie möglich waren. Wir fanden die Wölfe vom Felsgipfel versteckt unter einem Überhang genau auf der anderen Seite des Berges. Der überstehende Felsen ergab einen guten Platz, um zu lagern, und er half ihnen wahrscheinlich auch, ihren Geruch zu verbergen. Hätte der Wind sich nicht gedreht, während wir den Berg heraufgeklettert waren, hätten wir sie vielleicht nie gerochen. Marra führte uns gegen den Wind, der aus der Richtung der Wölfe vom Felsgipfel wehte, sodass sie uns nicht riechen konnten. Wir mussten uns an einer scharfen Kante auf Teilen von Felsstücken niederlegen, direkt über und ein wenig rechts von ihrem Versteck. Die Geschichten von Wölfen, die den Wolfstöter Hügel hinuntergestürzt waren, gingen mir wieder durch den Kopf, und ich setzte meine Pfoten fest 174 zwischen die Felsen. Mein Herz schlug so schnell, dass ich mir sicher war, die vom Felsgipfel könnten es hören. Ich reckte meinen Hals ein wenig, um ihr Versteck besser sehen zu können. Torell war da, der grimmige, schrecklich vernarbte Wolf, der uns am Überquerungsbaum herausgefordert hatte, und noch drei andere - zwei männliche und ein weiblicher Wolf. Das Weibchen war Ceela, Torells Gefährtin. Die anderen beiden Wölfe kannte ich nicht. »Es ist jetzt oder nie«, sagte ein schlanker, aber kräftig aussehender junger Wolf gerade. »Unser Gebiet wird wertlos für uns. Es gibt nichts Gutes mehr zu erjagen, keine sicheren Plätze, um zu lagern. Wenn wir sie nicht töten, werden die Wölfe unserer Herkunft aussterben.« »Wir müssen vorsichtig sein«, meinte Torell, sein verwüstetes Gesicht zu einer Grimasse verzogen. »Wir müssen schlau vorgehen. Dies ist nicht so einfach wie damals, als wir das Land von den Wühlmausfressern eingenommen haben. Wir sind zahlenmäßig unterlegen. Sie haben Kräfte, die wir nicht haben.« »Sprechen sie von uns?«, flüsterte Ázzuen. Ich warf ihm einen bösen Blick zu und zog meine Lefzen zurück, um ihn zu ermahnen, ruhig zu bleiben. Ich wagte es nicht zu sprechen. Er senkte seine Ohren als Entschuldigung. »Ich habe keine Angst vor Schwächlingen«, erklärte das große Weibchen. »Sei nicht dumm, Ceela«, antwortete Torell. »Wenn wir nicht vorsichtig sind, werden wir alles verlieren. Wir haben nur diese eine Gelegenheit. Außerdem werden uns die Höchsten Wölfe umbringen, wenn wir nicht klug vorgehen. Wir können nicht darauf zählen, dass ihre eigenen Angele 174
genheiten sie weiter ablenken. Wir müssen sehen, ob uns das Rudel vom Höhenwald und das Rudel vom Windsee unterstützen werden. Ohne sie haben wir keine Aussicht auf Erfolg.« Ihnen zuzuhören half mir kein bisschen zu verstehen, was vor sich ging. Was meinten sie mit den Schwierigkeiten der Höchsten Wölfe? Und wozu brauchten sie die Hilfe der Wölfe vom Höhenwald und Windsee? Ich wusste, dass die vom Felsgipfel unser Gebiet wollten. Sie mussten uns angreifen wollen. Ich lehnte mich weiter nach vorne, um besser hören zu können, und achtete nicht auf die lockeren Steine zu meinen Füßen. Einige davon kullerten den Hügel hinunter, und die Wölfe vom Felsgipfel blickten auf. Genau in diesem Augenblick drehte der Wind und wehte unseren Geruch zu ihnen hinüber. Torell erhob seine Nase. Mit unglaublicher Geschwindigkeit sprang er auf unser Versteck zu. Marra war diejenige, die ihm am nächsten war, und sie hatte am Boden gekauert, um die Duftmarken zu untersuchen, die die Wölfe vom Felsgipfel dort hinterlassen hatten, daher war sie auch die Letzte, die auf ihre Pfoten kam. Noch bevor sie sich erhoben hatte, war Torell über ihr und warf sie zu Boden. Sie trat heftig um sich, lag dann aber still, als Torells Gewicht sie auf dem Boden festhielt. »Das Rudel vom Schnellen Fluss kümmert sich wohl nicht sehr um seine Welpen, wenn es sie so durch die Gegend streunen lässt«, sagte er. Ázzuen und ich waren schon auf unserem Weg den Hügel hinunter, doch wir konnten hören, wie die anderen Wölfe vom Felsgipfel hinzukamen, um Torell zu helfen. Ich wendete und begann den Hügel wieder hinaufzulaufen, Ázzuen direkt hinter mir. Wir sprangen Torell an, und es gelang uns, ihn 175 von Marra herunterzustoßen, bevor die anderen Felsgipfler auf die Kuppe des Hügels stürmen konnten. Wir rannten los. Wir rutschten den Hügel hinunter und versuchten so gut wie möglich bei unserem Abstieg nicht den Halt zu verlieren. Für einen Augenblick überlegte ich, unser Rehfleisch zu holen, doch dann ließ ich es lieber bleiben. Wir erreichten den Fuß des Hügels ohne Verletzungen und stürmten zum Rand des Waldes, dort wo vor langer Zeit die Pferde einmal gestanden hatten. Wir wussten, dass dort jetzt unser Rudel war und eine letzte Jagd vor dem Winter versuchen wollte. Es war erleichternd, endlich auf flachem Boden zu laufen. Ich hatte geglaubt, die Wölfe vom Felsgipfel würden nach einer Weile aufhören, uns zu verfolgen - immerhin befanden sie sich auf unserem Gebiet. Doch sie kamen immer näher. »Warum halten sie nicht an?«, keuchte ich. »Weil sie nicht wollen, dass wir Ruuqo erzählen, was wir gehört haben«, antwortete Marra düster. Ich fühlte, wie mir im Innersten eiskalt wurde. Wenn Marra recht hatte, dann würden uns die vom Felsgipfel töten, sobald sie uns gefangen hatten. Wir liefen schneller als je zuvor in unserem Leben, schneller selbst, als wir gelaufen waren, um das Reh zu umzingeln. Marra führte uns an und lief einige Wolfslängen voraus. Die Wölfe vom Felsgipfel sind groß und stark. Ihre kräftigen Knochen machen es ihnen leicht, große Beute zu erlegen, aber sie sind nicht so flink wie die Wölfe vom Schnellen Fluss. Selbst halbausgewachsene Welpen wie wir können ihnen auf
kurzen Entfernungen davonlaufen. Und wir waren auf unserem Gebiet. Wir kannten jeden Busch und jeden Strauch. Einer der Wölfe vom Felsgipfel jedoch fiel nicht zurück. Es war der schlanke Wolf, der Torell gedrängt hatte zu handeln. Ich konnte riechen, dass er 176 jung war, wahrscheinlich nicht mehr als zwei Jahre alt. Ich behielt Ázzuen vor mir. Er war inzwischen ein schneller Läufer geworden, aber immer noch nicht so schnell wie Marra und ich, und ich wollte nicht, dass er zurückblieb. Der Wald verdichtete sich, und die Fährte des Rehs, auf der wir gelaufen waren, verschwand. Es war schwieriger, schnell zu laufen, ohne die Fährte vor sich zu haben, und Ázzuen, Marra und ich wurden durch Bäume, Felsen und Gebüsch getrennt. Ich hörte, wie der junge Wolf hinter mir immer näher kam, wie er mit Leichtigkeit über Felsen und Baumstämme setzte. Wenig später hörte ich ihn springen, und er landete auf mir, fing meine Hinterläufe und warf mich um. Er war sicher anderthalb Mal so schwer wie ich, aber darüber dachte ich keinen Augenblick nach. Ich biss ihn fest zwischen seinem Vorderlauf und der Brust, an einer Stelle, wo zartes Gewebe und weniger Muskelfleisch saß. Er jaulte vor Überraschung und Schmerz auf. Ich sprang auf meine Füße. Ich hörte das Getrappel von Pfoten um mich herum, konnte aber nicht erkennen, wo die anderen Wölfe vom Felsgipfel waren oder wo entlang Ázzuen und Marra liefen. Ich blickte dem jungen Wolf ins Gesicht, fühlte den Zorn in mir brennen. Es war ein gutes Gefühl, meine Wut wiedergefunden zu haben. »Das ist unser Gebiet!«, knurrte ich. »Du gehörst hier nicht hin.« Der Jungwolf sah überrascht aus und lachte dann. »Warum kommst du nicht zu uns, Kleiner Wolf? Bei denen vom Schnellen Fluss vergeudest du nur deine Zeit. Ruuqo weigert sich, dich anzuerkennen. Dein Rabenfreund hat mir alles erzählt. Und ich hätte gerne ein starkes Weibchen zur Gefährtin. Ich bin Pell. Wirst du dich an mich erinnern?« Verwirrt stand ich einfach nur da und blickte ihn an, ob 176 wohl ich das Donnern der Pfoten anderer Wölfe um uns herum vernahm. Plötzlich brach Ázzuen durch die Bäume und warf sich knurrend auf Pell. Er war wegen mir zurückgekommen. Der Angriff überraschte Pell, und es gelang Ázzuen ihn umzustoßen. »Komm schon, Kaala!«, rief Ázzuen, während er sich umwandte, um Pell anzuknurren. Ich war ein wenig überrascht von Ázzuens Heftigkeit. Ich konnte riechen, dass Ceela kurz hinter Ázzuens Rute kam und rannte los. Wir nahmen Marras Fährte auf. Sie lief vor Torell und dem anderen Wolf vom Felsgipfel her, die sie in einer wilden Jagd verfolgten. Wir fanden eine Abkürzung zwischen den Bäumen hindurch und schlossen zu ihr auf. Sie hatte die beiden größeren Wölfe weit hinter sich gelassen. Wir drei liefen zusammen über die Ebene des Hohen Grases, um unser Rudel zu finden. Ich legte meine ganze Kraft in mein Laufen. Wir wurden müde, und obwohl sie langsamer als wir waren, hatten die vom Felsgipfel doch mehr Ausdauer. Ich war froh, dass wir nicht mehr sehr viel weiter zu laufen hatten. Ich konnte riechen, dass
sich das Rudel entlang der Waldränder verteilt hatte. Gerade als wir an das Ende der Ebene kamen, stolperte ich beinahe über Unnan. Er hatte auf uns gewartet. Er öffnete sein Maul, um zu sprechen, aber als er erkannte, dass uns die Wölfe vom Felsgipfel verfolgten, drehte er sich um und lief los. Ich war zu erschöpft, um das Rudel zu rufen und zu warnen. Selbst Marra schnappte nach Luft, aber es gelang ihr, ein warnendes Bellen von sich zu geben. Minn und Yllin waren die Ersten, die uns erreichten, gerade als wir zwischen den Bäumen herauskamen. Sie hatten einige Elen eingekreist, die von der Weiten Ebene herüber 177
gewandert waren. Vielleicht kümmerten sich Torell und die anderen einfach nicht darum, das restliche Rudel in der Nähe zu erschnüffeln, oder vielleicht war es ihnen auch einfach gleich, aber sie lachten, als sie die zwei leichten Jungwölfe auf sich zurennen sahen. Torell grinste höhnisch, als er und Pell in Yllin und Minn hineinrannten. Die Jungwölfe waren unterlegen, und wir sprangen ihnen zu Hilfe. Zwei Atemzüge später liefen Ruuqo, Rissa, Werrna und Trevegg auf uns zu. Ceela und der Vierte der Felsgipfler erreichten die Ebene im selben Moment. Nach einer kurzen Rauferei standen sich die beiden Rudel gegenüber. Die vier Wölfe vom Felsgipfel wichen nicht zurück, aber sie waren bereit, jeden Augenblick davonzulaufen, den sechs erwachsenen Wölfen vom Schnellen Fluss eindeutig unterlegen. Ázzuen, Marra und ich waren von Staub, Zweigen und Blättern verdreckt, und unser Fell war von der Auseinandersetzung mit den Wölfen vom Felsgipfel verfilzt, aber ich war zu sehr damit beschäftigt gewesen zu entkommen, als dass ich es zuvor bemerkt hätte. Ruuqo erkannte, in welch aufgelöster Verfassung wir uns befanden, und zog seine Lefzen zähnefletschend zurück. Es wirkte beinahe, als stiege das Licht des späten Nachmittags wie Rauch aus seinem Fell. Rissa stand neben ihm, ihr weißes Fell sträubte sich entlang ihres Rückens, und sie knurrte wütend. »Was tut ihr auf dem Gebiet vom Schnellen Fluss, und warum bedroht ihr die Welpen vom Schnellen Fluss?«, forderte sie zu wissen. »Wenn sie euch so viel bedeuten, warum lasst ihr sie alleine herumlaufen?«, knurrte Ceela. Ruuqo und Rissa beachteten sie nicht weiter und warteten auf Torells Antwort. Für einige Augenblicke standen die drei 177 einander schweigend gegenüber und starrten sich an. Ceela, Pell und der vierte Felsgipfler standen hinter Torell, bereit zum Kampf. Endlich legte sich Torells Fell ein kleines bisschen. Die anderen drei standen weiter wachsam hinter ihm. »Wir hätten ihnen nichts getan«, sagte er endlich. »Wir müssen über wichtige Dinge mit dir reden. Wir waren auf unserem Weg hierher, als wir sie fanden, wie sie uns belauschten.« »Er lügt«, flüsterte Ázzuen zu leise, als dass irgendjemand außer mir es hören konnte. Marra blickte herüber zu mir. Auch ich hatte fürchterliche Angst vor den Felsgipflern, aber ich musste etwas sagen.
»Er lügt«, sagte ich laut und legte meine Ohren an, als sich alle Köpfe zu mir umdrehten. »Sie haben geplant, uns anzugreifen. Und sie waren auf unserem Gebiet. Sie wollen sich mit den Rudeln vom Höhenwald und vom Windsee gegen uns verbünden. Wir haben gehört, wie sie darüber geredet haben.« Ich bewegte mich verlegen von einer Seite zur anderen, während alle mich anstarrten. »Es ist wahr«, sagte Ázzuen stur und stellte sich neben mich. »Wir haben sie alle gehört.« Marra grunzte zustimmend, und Ruuqo wandte sich mit eiskaltem Blick an Torell. Ich sah, wie Pell versuchte, meinen Blick aufzufangen. »Das ist Grund genug für uns, dich zu töten, Torell. Warum sollte ich dich am Leben lassen, damit du uns im Schlaf überfallen und umbringen kannst? Wir sollten dich auf der Stelle töten.« »Du kannst es ja versuchen, räudiger Wolf«, sagte der größte der Wölfe vom Felsgipfel, und sein braunes Fell 178 sträubte sich dabei. Ich erkannte, dass er ziemlich unbedarft war. Was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass ein Wolf seiner Größe nicht der Leitwolf eines Rudels war. »Sei still, Arrun«, sagte Torell. »Eure Welpen haben das, was sie gehört haben, missverstanden, Ruuqo. Ihr seid es nicht, die wir umbringen wollen.« Er machte eine Pause. »Es sind die Menschen.« Das Rudel wurde so still, dass ich die Elen hören konnte, die auf der Ebene zwanzig Wolfslängen entfernt am Gras kauten. Es war, als hätte Torell erklärt, dass er den Wolfsstern vom Himmel herunterholen und wie Beute erlegen wolle. Ich konnte nicht glauben, wie dumm ich gewesen war. Selbst nachdem ich gehört hatte, was die Höchsten Wölfe und die Traumwölfin bei der Aussprache gesagt hatten, hatte ich nicht im Entferntesten daran gedacht, dass Wölfe wirklich Menschen angreifen würden. Es war, als würden den Hasen Reißzähne wachsen und sie auf die Jagd gehen wollen. Rissa war die Erste, die ihre Stimme wiederfand. »Bist du verrückt geworden, Torell?«, fragte sie sehr leise. »Du kennst die Strafe, die darauf steht, Menschen zu töten. Die Höchsten Wölfe werden euer ganzes Rudel vernichten und jeden Wolf, der von dir abstammt. Sie werden eure ganze Sippe vernichten. Es wird keine Wölfe vom Felsgipfel mehr geben.« »Die Höchsten Wölfe sind Schwächlinge und gutmütige Trottel geworden«, erklärte Torell. »Falls sie wirklich wissen, was im Tal vorgeht, kümmern sie sich nicht darum. Weißt du, dass die Menschen allen Wölfen den Krieg erklärt haben, Ruuqo?« Ruuqo schwieg und blickte Rissa in die Augen. »Dachte ich's mir doch, dass du nichts davon weißt. Du 178 weißt nicht einmal, was auf deinem eigenen Land vor sich geht. Die Menschen auf unserer Seite des Flusses töten jeden Wolf, den sie sehen. Sie töten jede Säbelzahnkatze, jeden Bären, jeden Fuchs und jeden Rotwolf. Jedes Geschöpf, von
dem sie annehmen, dass es ihnen ihre Beute streitig machen könnte. Wenn wir sie nicht töten, werden sie uns töten.« »Ich habe davon gehört«, sagte Werrna und erhob zum ersten Mal ihre Stimme. »Aber ich habe nicht glauben können, dass es wahr ist. Bist du dir sicher, dass deine Späher nicht übertreiben, Torell ?« Sie schien Achtung vor dem Leitwolf der Wölfe vom Felsgipfel zu haben. »Es ist wahr«, sagte er und nahm ihre Anwesenheit mit einem Kopfnicken zur Kenntnis. »Ich habe es selbst gesehen. Die Menschen hassen uns. Jeder Einzelne von ihnen.« Ich sah, wie Ázzuen versuchte, mir in die Augen zu blicken. Er wollte, dass ich dem Rudel von unseren Menschen erzählte, die uns mit Sicherheit nicht töten wollten. Aber ich konnte nicht. Ich würde zugeben müssen, dass ich die Gesetze des Rudels gebrochen hatte. Mein Herz schlug so schnell, dass ich glaubte, es würde meinen Brustkorb sprengen. »Die Rudel vom Höhenwald und vom Windsee werden sich mit uns verbünden«, erklärte Torell. »Die Wühlmausfresser werden das vielleicht nicht tun, aber sie sind ohnehin nicht kräftig genug, als dass es einen Unterschied machen würde. Ihr schon, Ruuqo. Wir brauchen euch als unsere Verbündeten. Ihr müsst mit uns kommen.« »Ich kann das Abkommen nicht so einfach brechen«, meinte Ruuqo. »Du bist verrückt, das zu tun.« Unruhig ging er auf und ab. »Aber wenn das, was du erzählst, wahr ist, müssen wir etwas unternehmen. Ich werde mich mit denen vom 179 Höhenwald und denen vom Windsee beraten«, erklärte er. »Und mit meinen eigenen Wölfen. Und ich werde dich wissen lassen, wie ich mich entschieden habe.« »Du hast keine Wahl mehr, Ruuqo«, meinte Ceela. »Alle Rudel im Tal werden zustimmen, wenn sie erfahren, was vor sich geht. Entweder du verbündest dich in diesem Krieg mit uns oder du bist unser Feind. Dazwischen gibt es nichts.« »Du kannst nicht die Entscheidungen für das ganze Tal treffen, Ceela«, sagte Rissa. »Und du solltest uns nicht leichtfertig drohen. Torell hat recht - wir könnten wichtige Verbündete sein. Aber auf keinen Fall möchtest du die Wölfe vom Schnellen Fluss zu Feinden haben.« Ruuqo atmete tief ein. »Ich werde das Abkommen nicht brechen, es sei denn, dass ich keinen anderen Weg für uns erkennen kann«, wiederholte er. »Verlasse unser Gebiet in Frieden, Torell. Aber bedrohe mein Rudel nicht noch einmal.« Torells Rute war hoch erhoben, und ich konnte erkennen, dass es ihm schwerfiel, ein Knurren zu unterdrücken. »Du hast eine Nacht für deine Entscheidung, Ruuqo.« Torells vernarbtes Gesicht verzog sich grimmig. »Morgen Nacht beginnt der Mond abzunehmen, dass ist die Nacht, in der die Menschen der beiden benachbarten Sippen sich hier auf der Ebene des Hohen Grases zusammenfinden werden. Sie werden Feierlichkeiten für eine Jagd abhalten, bei der sich ihre Jungen beweisen müssen, indem sie die Elen herausfordern. Sie werden so sehr mit ihren eigenen Dingen beschäftigt sein, dass sie leichte Beute für uns sein werden. Dann wollen wir sie angreifen. Wenn ihr dann nicht auf unserer Seite seid«, wiederholte er, »gehen wir davon aus, dass ihr gegen uns seid.«
180 Mit diesen Worten nickte Torell seinen Rudelgefährten zu, und die größeren Wölfe liefen in den Wald. Pell blieb einen Augenblick zurück und versuchte meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ich hielt meinen Blick gesenkt und weigerte mich, ihn anzusehen. Ázzuen ließ ein tiefes Knurren hören. Pell gab ein besorgtes bellendes Knurren von sich und folgte seinen Rudelgefährten. 180
11
»Ich werde nicht danebenstehen und zusehen, wie andere Geschöpfe Wölfe töten!«, brach es aus Werrna heraus, sobald die Wölfe vom Felsgipfel außer Hörweite waren. »Abkommen hin oder her.« »Ruhe«, befahl Ruuqo. Dann seufzte er. »Ich wollte mich vor Torell nicht entscheiden müssen«, sagte er, »aber nein, wir können nicht zulassen, dass die Menschen Wölfe umbringen, und ich werde es nicht den Wölfen vom Felsgipfel überlassen, unsere Kämpfe auszufechten.« Ich jaulte auf. Ich konnte nicht glauben, dass das Rudel überhaupt daran dachte zu kämpfen. Ruuqo stahl noch nicht einmal Nahrung von den Menschen. Trevegg trat vor. »Dieser Kampf ist ein Fehler«, erklärte er. »Das weißt du, Ruuqo.« Ruuqo wurde nicht böse auf ihn. »Er ist ein Fehler«, stimmte er zu. »Jede Entscheidung, die wir hier treffen, ist falsch. Aber wenn es die beste von vielen falschen Entschei 180 düngen ist, müssen wir sie treffen. Ich werde nicht darauf warten, dass sie zu uns kommen.« »Torell hört sich selbst gerne reden«, knurrte Rissa. »Ich werde ihm nicht einfach hinterherlaufen, nur weil er das gerne möchte. Wir werden mit den Anführern der Rudel vom Höhenwald und vom Windsee sprechen und uns anhören, was sie wissen. Dann werden wir uns entscheiden.« »Wenn es keinen anderen Weg gibt, werden wir diesen einschlagen«, meinte Ruuqo. »Aber das Abkommen sagt nichts darüber, dass wir stillsitzen und uns abschlachten lassen sollen. Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Höchsten Wölfe tatsächlich nur unser Bestes wollen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch über uns wachen oder ob sie uns tatsächlich töten würden, wenn wir uns verteidigen. Wenn wir kämpfen müssen, dann werden wir kämpfen.« Ruuqo blickte zu Trevegg und Rissa. »Ich muss mir sicher sein, dass das Rudel bei dieser Entscheidung hinter mir steht«, erklärte er. Zögerlich nickten Trevegg und Rissa zustimmend. »Wenn es einen anderen Weg gibt, dann müssen wir ihn einschlagen«, sagte Trevegg. »Solange wir uns darin einig sind, hast du meine Zustimmung.« »Wir werden es vermeiden zu kämpfen, wenn es nur irgendwie geht«, fügte Rissa hinzu. »Aber wir werden kämpfen, wenn wir dazu gezwungen sind.« »Das können wir nicht!«, rief ich und konnte mich nicht länger zurückhalten. »Wir können sie nicht bekämpfen.«
Alle Köpfe drehten sich zu mir um, und als mich alle so anstarrten, fand ich für einen Augenblick keine Worte mehr. Ich schaute hilfesuchend auf Ázzuen. Er drängte sich an mich. 181 »Und warum können wir das nicht?«, fragte Ruuqo. Die Stimme der Vernunft in meinem Kopf befahl mir, den Mund zu halten. Einen Weg zu finden, das Rudel zu beeinflussen, ohne mich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Doch die Feierlichkeiten der Menschen zu Beginn der Jagd würden schon in der übernächsten Nacht stattfinden, und Torell war entschlossen zu kämpfen. Ich musste das verhindern. TaLis Sippe würde angegriffen werden. TaLi war klein, und obwohl sie geschickt mit ihrem spitzen Stecken umgehen konnte, war sie doch kein ebenbürtiger Gegner für einen Wolf. Sie würde mit Sicherheit sterben. Und mein Rudel würde sterben. Die Höchsten Wölfe hatten es gesagt. »Ich habe die Höchsten Wölfe reden hören«, sagte ich. »Sie treffen sich weit entfernt von hier in einem Felskreis. Mit Menschen. Sie wissen, was vor sich geht, dass Wölfe und Menschen gegeneinander kämpfen könnten. Und sie werden jedes Rudel vernichten, das gegen die Menschen kämpft.« »Wann hast du das gehört?«, wollte Rissa wissen. »Beim vollen Mond.« »In der Nacht, als du nicht zur Jagd auf die Antilopen erschienen bist«, sagte Ruuqo, und seine Stimme klang gefährlich ruhig. »Wie kommt es, dass du die Höchsten Wölfe reden hören konntest? Wieso warst du überhaupt in ihrer Nähe?« Ich schwieg einen Moment lang und versuchte eine glaubhafte Ausrede zu finden. Ázzuen war besser darin als ich, Geschichten zu erfinden, und ich blickte zu ihm. Doch bevor er noch sprechen konnte, trat Unnan vor. »Weil sie zu den Menschen gegangen ist«, erklärte er. »Seit der wilden Pferdejagd, als sie Reel getötet hat. Sie be 181 sucht sie immer wieder und jagt und spielt mit einem Menschenmädchen. Sie nimmt auch Marra und Ázzuen mit.« Ruuqos Kinnlade fiel hinunter, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Rissa gab ein besorgtes Winseln von sich. »Unnan, du solltest besser keine Lügen erzählen.« »Tu ich nicht«, sagte Unnan. »Ich hab gesehen, wie sie immer und immer wieder dorthin gegangen ist. Ich wollte nichts davon erzählen, weil ich Angst hatte, Kaala würde mir wehtun.« Er legte seine Ohren und seine Rute an, um schwach und hilflos auszusehen. Blöder Ringelschwanz, dachte ich. »Sie hat versucht zu den Menschen zu gehen, als wir das erste Mal die Welpen dorthin geführt haben, um sie zu beobachten«, erklärte Werrna. »Ich hätte dir damals schon davon erzählt, aber Rissa hat es uns verboten.« »Du warst von Anfang an gegen das Junge eingestellt, Ruuqo«, sagte Rissa und warf Werrna einen bösen Blick zu. »Ich war der Überzeugung, es sei besser, du würdest nichts davon erfahren. Aber jetzt«, mit diesen Worten wandte sie sich mir zu, »musst du uns die Wahrheit erzählen, Kaala. Bist du bei den Menschen gewesen?« Schnell dachte ich nach. Wenn ich ja sagen würde, konnten sie mich verstoßen. Aber wenn ich nein sagen würde, würden sie mir niemals glauben, was ich von den
Höchsten Wölfen und ihren Beratungen wusste. Torell würde seinen Krieg gegen die Menschen führen, und TaLi müsste sterben. Und wenn Ruuqo sich mit ihnen verbünden würde, müssten meine Rudelgefährten ebenso sterben. Ich blickte auf Ázzuen und Marra, auf Trevegg und Yllin. Ich wollte nicht, dass sie sterben. Ich wollte nicht, dass TaLi oder BreLan oder sein Bruder in den Kämpfen getötet würden. Und die Traumwölfin 182 hatte behauptet, wir dürften auf keinen Fall kämpfen. Ich hörte Ázzuens leises Winseln neben mir. Er und Marra beobachteten mich genau. Ich musste etwas sagen. Alle Augen waren auf mich gerichtet, jede Nase darauf gerichtet, ob Wahrheit in meinen Worten lag. Ich fürchtete mich. Aber die Wahrheit war vielleicht das Einzige, was sie vom Kämpfen abhalten konnte. Ich holte tief Luft. »Ja«, antwortete ich und schluckte schwer. »Ich habe ein Kind der Menschen aus dem Fluss gerettet, und ich habe mit ihr Zeit verbracht.« Ich sagte nichts von Ázzuen oder Marra. »Daher weiß ich, dass uns viele Menschen nicht hassen, dass sie sich um uns sorgen. Wir können mit ihnen jagen«, erklärte ich, in der Hoffnung, dass, wenn ich begreiflich machen konnte, dass sie nützlich für uns sein könnten, mein Rudel die Menschen eher mögen würde. »Sie sind nicht so viel anders als Wölfe.« Lange Zeit sagte niemand etwas. Als Ruuqo dann sprach, war die Wut in seiner Stimme ruhig und beherrscht. »Ich habe ein Menschenkind auf unserem Gebiet gesehen«, sagte er. »In der letzten Zeit immer öfter.« »Pflanzen sammelnd«, fügte Rissa leise hinzu. »Und mit kleiner Beute.« »Und hast du deine Rudelgefährten mitgenommen?«, wollte Ruuqo wissen. Ich antwortete nicht. Ich würde Ázzuen und Marra nicht in meine Schwierigkeiten hineinziehen. »Wir sind auch gegangen«, sagte Ázzuen. »Wir haben zusammen gejagt. Auf diese Art konnten wir so viele Hasen und Dachse fangen. Wir haben ein Reh erlegt«, sagte er stolz. »Wir haben es auf dem Wolfstöter Hügel versteckt. So haben 182
wir gehört, was die Wölfe vom Felsgipfel untereinander berieten.« Marra winselte, während er sprach, und schubste ihn mit der Hüfte. Er sah sie überrascht an. »Also brichst du nicht nur die Gesetze des Tales, sondern du stiftest auch noch die anderen an, sich zu widersetzen«, sagte Ruuqo. Er erhob seine Schnauze. »Ich kann den Menschengeruch an dir riechen.« Er schüttelte sich heftig. »Ich wusste, dass ich dich hätte töten sollen, als du noch ein Welpe warst. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass die Höchsten Wölfe es verhinderten. Es ist genau, wie die Legenden sagen. Du stammst von denen ab, die Menschen lieben, und ich habe es zugelassen, dass du überlebst. Dieser Krieg, diese Auseinandersetzungen sind die Folge davon.« »Wir haben nur mit ihnen gejagt.« »Du hast nur mit ihnen gejagt? Du hast die Gesetze des Tales gebrochen und das Gleichgewicht der Geschöpfe in diesem Tal gestört. Wenn du das nicht getan hättest, wären die Menschen nicht so dreist geworden, und wir hätten nicht diesen Krieg.«
Ich wandte mich hilfesuchend an Rissa. »Wir haben nur gejagt«, erklärte ich wieder. »Und nur mit ihren Jungen. Sie sind nicht gefährlich. Wir wollten nichts Unrechtes tun.« »Es tut mir leid, Kaala«, sagte Rissa und schüttelte ihren Kopf. »Die Gesetze des Tales sind eindeutig.« Sie wandte sich an Ruuqo. »Müssen wir alle drei Welpen verlieren? Die anderen sind ihr nur gefolgt. Sie hat sie beeinflusst.« Ázzuen öffnete sein Maul, um zu widersprechen. Ich starrte ihn drohend an. »Vielleicht«, sagte Ruuqo. Er drehte sich langsam zu mir 183 um. In seinen Augen konnte ich nicht nur Wut erkennen, sondern auch so etwas wie Triumph. »Du gehörst nicht länger zum Rudel«, erklärte er. »Dein Umgang mit den Menschen hat Verderben über uns gebracht. Verlasse Rand des Waldes und das Tal, und kehre niemals auf unsere Gebiete zurück. Wir werden die Menschen bekämpfen müssen, jetzt wo du sie uns so nahegebracht hast.« »Das werde ich nicht!«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. »Ich werde es nicht zulassen, dass ihr gegen sie kämpft. Ich werde den Höchsten Wölfen berichten, dass ihr die Menschen töten wollt, und sie werden euch aufhalten.« Ich war über meine eigenen Worte erstaunt. Ruuqo knurrte. Er sprang mich an, warf mich zu Boden und ließ mich erst los, als ich zu wimmern begann. »Ich bin der Anführer dieses Rudels. Die Höchsten Wölfe wissen nicht, was geschieht. Vielleicht ist ihre Zeit abgelaufen.« Rissa und Trevegg blickten ängstlich auf bei Ruuqos lästernden Worten. »Wenn ich herausfinde, dass du zu ihnen gegangen bist, werde ich deinen Menschen verfolgen und sie töten. Ich werde sie finden, wenn sie schläft, und ich werde das Leben aus ihrer Kehle reißen.« Mein Körper reagierte, bevor mein Gehirn ihn einholen konnte, und ich sprang Ruuqo an. Ich hörte Ázzuens und Marras überraschtes Jaulen und Rissas besorgtes Knurren. Hätte ich einen Moment lang nachgedacht, hätte ich Ruuqo niemals herausgefordert. Er war stärker und erfahrener als ich, und er war wütend. Aber er war auch ebenso überrascht, und mein erster Angriff warf ihn hintenüber auf seinen Rücken. Knurrend und zähnefletschend rollten wir übereinander auf dem Boden hin und her. Dies war nicht im Geringsten so 183
wie die Kämpfe, die ich mit Unnan und Borlla ausgetragen hatte. In diesem Kampf lag eine Feindseligkeit, eine Verzweiflung, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Und niemand würde eingreifen, um mir zu helfen. Ich hatte den rechtmäßigen Anführer des Rudels herausgefordert. Jetzt musste ich auch selbst mit ihm kämpfen. Ich war noch nicht ganz ausgewachsen und kämpfte verzweifelt, biss und trat nach Ruuqo mit meinen Vorder- und Hinterläufen, gebrauchte jedes bisschen Kraft, das ich aufbringen konnte, nur um ihn davon abzuhalten, mich zu zerschmettern. Ich versuchte meinen Beinen zu befehlen, sich schneller zu bewegen, meinem Kopf, sich herumzuwerfen. Doch jedes Mal, wenn ich versuchte zuzubeißen, wich Ruuqo mir aus und stieß mit dem Kopf gegen meinen. Als ich versuchte, ihn niederzuwerfen, fand ich mich selbst auf dem Rücken wieder. Meine Muskeln wollten dem, was mein Gehirn ihnen befahl, nicht schnell genug Folge leisten. Ich
hatte gedacht, ich sei kräftiger geworden, aber meine Stärke war nichts im Vergleich zu der von Ruuqo. Jedes Mal, wenn ich kurz davor war aufzugeben, dachte ich an seine Drohung gegen TaLi, und ich kämpfte weiter. Aber es war schnell vorbei. Ruuqo war so viel stärker als ich, und ich ermüdete, während er immer noch kräftig und voller Energie war. Seine scharfen Zähne rissen an meiner Schulter, und ich jaulte auf und versuchte fortzukriechen. Er ließ mich nicht laufen, sondern warf mich nieder. Er hielt mich am Boden fest, und seine Kiefer schlossen sich um meine Kehle. »Ich könnte dich töten«, sagte er leise, »und niemand könnte mir deswegen einen Vorwurf machen.« Ich zitterte und versuchte, meine Sprache wiederzufinden, doch alles, was mir gelang, war, dort zu liegen, zu Ruuqo auf 184 zublicken und an das letzte Mal zu denken, als seine Kiefer in der Lage gewesen waren, mich zu töten. »Verschwinde«, sagte er und trat von mir zurück. »Komme nie wieder in das Gebiet der Wölfe vom Schnellen Fluss, oder ich bringe dich um. Du gehörst nicht länger zum Schnellen Fluss. Du gehörst nicht mehr zum Rudel.« Mit ganzer Wucht spürte ich die Folgen meines Tuns, und ich begann noch stärker zu zittern. Ich legte meine Ohren und meine Rute an, senkte meinen Kopf und kroch zurück zu Ruuqo. Er knurrte und zeigte seine Zähne. Seine scharfen Bisse erinnernd, kroch ich zurück. Ich machte mich noch kleiner und kam wieder nach vorne. Ich war nicht viel mehr als ein Welpe. Sicher würde er mich bleiben lassen. Wieder jagte er mich fort. »Du gehörst nicht mehr zum Rudel«, sagte er wieder. Ich drehte mich zu Rissa um, aber sie wandte ihren Kopf ab. Ich blickte auf Werrna, die böse knurrte, auf Unnan, der unverfroren grinste. Ich blickte hinüber zu Ázzuen und Marra, die ängstlich winselten, und in Treveggs trauriges, trauriges Gesicht. Niemand von ihnen wollte oder konnte mir helfen. Yllin sah aus, als wolle sie einschreiten, doch Ruuqo starrte sie böse an, und sie trat zurück. Ich stand dort mit gesenktem Kopf, bis Ruuqo mich ein weiteres Mal zu jagen begann. »Geh!«, knurrte er und verfolgte mich den Pfad hinunter. Ich wagte es nicht, noch einmal umzukehren. Ich flüchtete in die Wälder. 184 Ich sah nicht, wie Ázzuen und Marra versuchten, mir zu folgen, nur um von Werrna und Minn auf den Boden gepresst zu werden. Ich hörte nicht, wie Trevegg mit Ruuqo stritt oder wie Yllin leise mit Rissa sprach. Mein Kopf fühlte sich an, als sei er mit trockenen Blättern und Staub gefüllt, meine Zunge lag schwer in meinem Maul, behinderte mich beim Atmen. Das Geräusch von Tausenden von Fliegen füllte meine Ohren, und ich konnte die Erde unter meinen Pfoten nicht spüren, genauso wenig wie das dichte Gebüsch, das sich gegen mein Fell drängte, als ich den Pfad verließ. Ich wusste, dass ich über einen Weg nachdenken musste, wie ich TaLi helfen konnte, einen Weg, sie in Sicherheit zu bringen. Und Ázzuen und Marra genauso, sollte sich Ruuqo entschließen zu kämpfen. Doch das Einzige, was ich gerade noch tun konnte, war weiterzugehen. Ich war so erschöpft von dem
Kampf, dass ich nur bis zum Fluss gelangte, bis meine Beine unter mir nachgaben und ich im Schlamm zusammenbrach. 185
Ich weiß nicht, wie lange ich dort lag, auf den Fluss lauschte, die kühle, frische Luft spürte, die in mein Fell drang und bis auf meine Haut kroch. Ich wusste, dass, wenn Ruuqo mich immer noch im Gebiet fände, er mich wahrscheinlich töten würde. Aber es machte mir nichts mehr aus. Ich glaube, wenn nicht jemand gekommen wäre, hätte ich mich nie erhoben, sondern wäre dort liegen geblieben, bis mich das Gleichgewicht in die weiche Erde aufgenommen hätte. Erst als ich die schweren Schritte der Höchsten Wölfe hörte und ihren erdigen Geruch wahrnahm, erhob ich den Kopf. »Komm, steh auf«, sagte Jandru. Ich konnte mich immer noch nicht dazu zwingen, mich aufzurichten. Ich lag im Schlamm und blinzelte zu ihnen hinauf. »Du gibst schnell auf.« Ich hatte mir Zuwendung erhofft, doch in Frandras Stimme lag Verachtung. »Ein Kampf, und du liegst hier wie tote Beute. Ich hatte angenommen, du hättest mehr Rückgrat.« Ich wusste nichts zu sagen, also schwieg ich und legte meinen Kopf auf meine Pfoten. »Was hast du erwartet, als du deinen Leitwolf herausgefordert hast?«, wollte Jandru wissen. Sein Ton war um nichts freundlicher als Frandras. »Was hast du gedacht, was geschehen würde?« »Er hat TaLi bedroht«, meine Stimme klang, als käme sie von ganz weit her. »Er hat behauptet, er werde sie umbringen. Ich musste etwas tun.« »Also hast du etwas getan«, Jandru streckte seine breiten Schultern. »Finde dich mit den Folgen ab. Du gehörst nicht mehr zum Rudel vom Schnellen Fluss. Also, was bist du? 185 Warum hast du um dein Leben gekämpft, als du noch ein Welpe warst? Warum bist du jetzt hierhergelaufen, wo Ruuqo dich doch gleich hätte umbringen können?« »Ich weiß nicht, was ich bin, wenn ich nicht zum Schnellen Fluss gehöre«, sagte ich und wurde wütend. »Woher soll ich das wissen?« Frandra schnaubte verächtlich. »Na gut, der beste Weg, um das mit Sicherheit nicht herauszufinden, ist, dort hocken zu bleiben und dich selbst zu bemitleiden. Sag mir Bescheid, wenn du fertig damit bist.« Verletzt blickte ich zu ihr hinauf. Sie und Jandru wandten sich um und gingen rasch in den Wald. Meine Füße schienen wie von selbst zu laufen, und ich folgte ihnen. »Wohin gehen wir?«, fragte ich. Sie gaben keine Antwort. Ihre Läufe waren so viel länger als meine, dass ich laufen musste, um mit ihnen Schritt zu halten, und mir fehlte der Atem, um meine Frage zu wiederholen. Es war eine lange, lange Nacht gewesen, und mein Körper war erschöpft. Mein Kopf arbeitete nicht richtig. Es fühlte sich an, als bewegten sich meine Gedanken durch zähen Schlamm. Frandra und Jandru schienen nicht zu bemerken, dass ich Mühe hatte mitzuhalten, doch endlich wurden sie ein wenig langsamer, was mir erlaubte zu gehen, anstatt ihnen hinterherzuhechten. Dann hielten sie neben einem verlassenen Fuchsbau in der Nähe von einigen großen
Felsen. Ich erkannte, dass wir nicht weit von dem Felskreis waren, wo sie die Menschen für die Aussprache getroffen hatten. »Wir werden uns hier bis zum Einbruch der Nacht ausruhen«, sagte Jandru. Er streifte mich mit einem Blick, als ich vor Erschöpfung zu zittern begann. »Ich muss zu TaLi gehen«, sagte ich schwach. »Ich muss 186 zurückgehen.« Ich war so schwach, dass ich außer zum Reden zu nichts mehr in der Lage war. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Teil von mir zurückgelassen. »Wir müssen aus dem Tal verschwinden«, sagte Jandru. »So schnell wie möglich.« Das ergab Sinn. Ruuqo hatte gesagt, er werde mich umbringen. Fragen und Sorgen schwirrten in meinem Kopf umher. Ich wollte zurück zu TaLi gehen. Ich wollte wissen, wohin die Höchsten Wölfe mich brachten. Doch ich hatte vor den Wölfen vom Felsgipfel davonlaufen müssen, ich hatte mit Ruuqo gekämpft und war von meinem Rudel verstoßen worden. Erschöpfung und Verzweiflung besiegten meinen Willen, und ich war eingeschlafen, bevor ich noch merken konnte, dass ich den Boden berührt hatte. Als ich meine Augen wieder öffnete, beobachteten mich Frandra und Jandru besorgt. »Gut«, sagte Frandra kurz angebunden. »Steh auf und beweg dich. Wir gehen.« »Und sei still«, fügte Jandru hinzu. »Es sind noch andere Höchste Wölfe in der Nähe, und wenn sie uns finden, droht uns allen Gefahr.« Ich zwang mich, richtig wach zu werden. Die Abenddämmerung war schon vorbei. Ich hatte die Stunden des Tageslichts verschlafen, ohne zu bemerken, wie die Zeit vergangen war. Ich stand auf. Die Muskeln in meinen Schenkeln und Schultern erhoben Einspruch, als ich versuchte, mich zu strecken. Selbst die Zwischenräume an den Ballen meiner Pfoten schmerzten. Doch der lange Schlaf und die frische Abendluft hatten mir meinen Verstand wiedergegeben, und die Sorge um meine Freunde hatte sich durch meine Verwirrung hin 186 durch an die Oberfläche gekämpft. Ich fühlte wieder mein altes Selbst. Es war, als wäre der Wolf vom Tag zuvor ein langsamer, betäubter Schatten meiner selbst gewesen - nicht wirklich ich. Ich ärgerte mich darüber, wie ich es hatte zulassen können, dass die Höchsten Wölfe mich einfach mit sich führten. Dass ich den ganzen Tag hatte verstreichen lassen, ohne zu TaLi zurückzukehren oder herauszufinden, ob Ruuqo sich wirklich an dem Kampf beteiligen würde. Es machte mir Angst, dass ich mich so schnell aufgeben konnte. Dass ich fast jeden und alles, was mir etwas bedeutete, betrogen hatte, nur weil ich müde und verzweifelt war. Ich schüttelte mich heftig. Frandra und Jandru hatten schon begonnen zu gehen. Als sie bemerkten, dass ich ihnen nicht folgte, hielten sie an und blickten zurück. »Beeile dich«, befahl Jandru. »Ich komme nicht mit«, antwortete ich. »Ich werde gehen und TaLi holen.« Beide Höchste Wölfe starrten mich für einen Augenblick an, als könnten sie nicht glauben, dass ich mich ihnen widersetzte. »Nein«, sagte Frandra und begann wieder zu gehen.
Ich blieb, wo ich war. Jandru knurrte und kam zu mir zurück. Er stieß mich mit seiner Schnauze an. Ich grub meine Pfoten in den Erdboden. Ich wusste, dass sie mich den ganzen Weg ziehen konnten, wenn sie wollten. Na gut, dann sollen sie doch, dachte ich finster entschlossen bei mir, das ist die einzige Art, wie sie mich von der Stelle bewegen werden. Dann ging mir auf, dass die Höchsten Wölfe sehr leise gewesen waren, als ob sie sich verstecken müssten. Und Jandru hatte etwas davon gesagt, dass sie sich fürchteten, von ande 187
ren Höchsten Wölfen gehört zu werden. Ich blieb auf der Stelle. »Ich werde nicht ohne meinen Menschen gehen. Und nicht ohne Ázzuen und Marra.« Wenn Ruuqo an den Kämpfen teilnehmen würde, müssten auch sie das Tal verlassen, nahm ich an. Jandru bellte leise verärgert. »Wir haben keine Zeit, um uns mit dir zu streiten«, schnauzte er mich an. »Es ist zu spät für sie. Sie sind schon so gut wie tot.« Ich fühlte mich, als hätte mir jemand die Luft zum Atmen genommen. »Was soll das heißen?«, wollte ich wissen und vergaß völlig, leise zu sprechen. Die Höchsten Wölfe fletschten die Zähne. Ich legte meine Ohren entschuldigend an, hielt aber Jandrus Blick stand. »Was soll das heißen: Sie sind schon so gut wie tot?« »Wir haben keine Zeit, um jetzt darüber mit dir zu streiten!«, knurrte Frandra. »Wir müssen sofort das Tal verlassen. Wenn wir von den anderen Höchsten Wölfen entdeckt werden, können wir dir nicht mehr helfen.« »Aber warum?«, wollte ich wissen. Jandru knurrte ungeduldig und trat einen Schritt näher an mich heran, seine Zähne zu einem schrecklichen Knurren entblößt. Ich war mir sicher, dass er mich mit den Zähnen packen und mich davonschleifen würde. Ich trat zurück. »WÖLFLEIN!!« Wir zuckten alle zusammen bei dem Laut. Tlitoo kam aus der Richtung des Sammelplatzes beim Gefallenen Baum geflogen. Er war kaum sichtbar über den Baumwipfeln und schlug heftig mit den Flügeln. Dann stürzte er sich im Flug 187 von ganz weit oben nach unten, so schnell, dass ich befürchtete, er würde auf den Boden krachen. Im letzten Moment zog er hoch und landete mit einem Schlag vor meinen Füßen. »Du hättest nicht weglaufen sollen, Wölflein«, sagte er schweratmend. »Es war schwierig, dich zu finden.« »Wo bist du gewesen?« »Fort«, keuchte er. »Antworten finden.« Ich war so froh, ihn zu sehen, ich hätte heulen können. Ich wusste, dass er mich nicht wirklich vor den Höchsten Wölfen beschützen konnte, doch das kümmerte mich nicht. Er war gekommen, um mich zu finden. Ich war nicht allein. Ich drehte mich zu Frandra und Jandru um. »Warum sind sie so gut wie tot?« Es war Tlitoo, der antwortete.
»Alle Wölfe und alle Menschen im Tal werden sterben, wenn es zu einem Kampf kommt, wenn es zu irgendeinem Kampf kommt«, sagte er. Er warf den Höchsten Wölfe einen stechenden Blick zu. »Ihr habt nicht alles erzählt«, warf er ihnen vor und breitete seine Flügel aus. Ich erkannte, dass er nicht nur erschöpft vom schnellen Flug war, sondern ebenso zornig erregt. »Ihr habt den kleineren Wölfen und auch den Krianan der Menschen nicht alles erzählt. Die Wölfe hier kümmern euch gar nicht. Es macht euch nichts aus, wenn sie alle sterben.« Er wandte sich zu mir. »Es gibt noch andere Orte, Wolf.« »Was meinst du damit?«, sagte ich verwirrt. »Natürlich gibt es andere Orte.« »Andere Orte wie diesen!«, krächzte er ungeduldig. »Mit anderen Wölfen und anderen Höchsten Wölfen außer diesen hier. Ich bin aus dem Großen Tal hinausgeflogen und über die Steppen darüber hinaus. Die alte Menschenfrau hat es 188
mir befohlen. Die Großen Wölfe kümmert es nicht, ob du lebst oder stirbst, Wölflein. Hör mir zu. Sie haben andere Wölfe, in anderen Tälern«, sagte er wieder. Dies schien ein wichtiger Punkt zu sein, doch ich konnte nicht begreifen, was er damit meinte. »Sie werden deine Familie und deine Menschen töten, als wären sie nichts anderes als Beute, und werden euch durch andere ersetzen.« Er spreizte seine Flügel herausfordernd zu den Höchsten Wölfen hinüber. »Es ist wahr. Ich habe es gesehen. Und ich habe mit meinen Rabenbrüdern und Rabenschwestern von weit, weit entfernt gesprochen, die mir davon erzählt haben.« Ich versuchte immer noch zu verstehen, was Tlitoo meinte, und erschrak bei Jandrus Stimme. »Es ist wahr«, versicherte er und sah mit kaltem Blick auf Tlitoo. »Was hier geschehen ist, ist ein Versuch, um herauszufinden, ob die Menschen und Wölfe in diesem Tal zusammenleben können. Und es ist nicht der einzige Ort, an dem wir dies versucht haben. Es geht um mehr, als irgendeiner von euch verstehen könnte. Es gibt eine große Unvereinbarkeit von Wölfen und Menschen, und wenn man um diese Unvereinbarkeit nicht weiß, kann man auch nicht verstehen, was wir tun.« »Die Unvereinbarkeit ist, dass Menschen und Wölfe zusammen sein müssen, aber nicht zusammen sein können«, unterbrach ich ihn, von seiner Überheblichkeit verärgert. Warum glaubte er, dass ich zu dumm war, um dies zu verstehen? »Die Menschen brauchen uns bei sich, damit sie sich daran erinnern, dass sie der Natur nahe sind und nicht alles vollständig zerstören. Aber sie fürchten uns zu sehr, als dass wir ihnen wirklich nahestehen könnten, und dann geraten wir in Kämpfe mit ihnen. Das ist die Unvereinbarkeit. Daher 188
trefft ihr euch jeden Mond mit den Krianan der Menschen. Damit ihr einigen von ihnen nahe sein könnt, ohne einen Krieg zu verursachen. Die Krianan der Menschen hat es uns erzählt. Und ich habe euch gesehen.« Ich sagte nichts über die Traumwölfin. Ich fand, dass, wenn die Höchsten Wölfe ihre Geheimnisse hatten, ich auch meine behalten konnte. Frandras Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. »Es war falsch von dir, die Aussprache zu beobachten«, sagte sie zu mir. »Es gibt gute Gründe dafür, dass wir die Geheimnisse der Legenden bewahren.« Für einen kurzen, schrecklichen Moment sah es so aus, als wolle sie sich auf mich stürzen. Dann seufzte sie.
»Du verstehst nicht so viel, wie du glaubst zu verstehen. Und genauso wenig versteht es diese alte Frau. Was die Unvereinbarkeit bedeutet, ist Folgendes: Wenn wir nicht bei den Menschen sind, werden die Ahnen uns umbringen. Wenn wir bei den Menschen sind und mit ihnen kämpfen, werden uns die Ahnen ebenfalls umbringen. Der einzige Weg, den wir gefunden haben, um beides zu vermeiden, sind die Aussprachen. Wir Höchsten Wölfe schlagen uns schon länger mit diesen Aussprachen, mit den Menschen und der Unvereinbarkeit herum, als dein weiches Welpenhirn sich überhaupt vorstellen kann.« Tlitoo spreizte seine Flügel in ihre Richtung. »Aber jetzt helfen eure Aussprachen nicht mehr«, krakeelte er. »Jetzt sterben die Großen Wölfe.« »Könnte sein, dass wir sterben«, schnauzte Jandru ihn an, »könnte aber auch genauso gut nicht sein. Aber wir werden Wölfe brauchen, die unsere Aufgabe übernehmen, wenn wir nicht mehr da sind. Deshalb musst du das Tal verlassen, Kaala. Wir waren seit deiner Geburt davon überzeugt, dass 189
du diejenige bist, der es bestimmt ist, die Abstammungslinie fortzuführen. Der Rat der Höchsten Wölfe ist anderer Meinung. Wenn Ruuqo dich in sein Rudel aufgenommen hätte, so wie wir es dir gesagt hatten, wäre es vielleicht möglich gewesen, sie umzustimmen. Jetzt ist das nicht mehr möglich. Sie ziehen einen anderen vor.« Ich erinnerte mich an das, was die alte Frau an dem Tag, als ich sie zum ersten Mal traf, gesagt hatte. »Ihr wollt, dass ich mich mit den Menschen treffe, wie ihr es tut«, sagte ich mit einem kaum vernehmbaren Flüstern, »mit TaLi als meiner Krianan.« Ich blickte umher, als erwartete ich, dass sie das Mädchen irgendwo versteckt hätten. Frandra und Jandru tauschten unbehagliche Blicke aus. Tlitoo stolzierte zu ihnen hinüber und gab ein merkwürdiges Zischen von sich, wie ich es noch nie von einem Raben vernommen hatte. »Nein«, sagte Jandru. »Dazu ist es zu spät. Das Mädchen ist von der Gewalt ihrer Sippe verdorben worden. Wir können sie nicht retten. Wir dürften nicht einmal dich retten. Der Rat der Höchsten Wölfe hat geurteilt, dass die Wölfe und Menschen des Großen Tales versagt haben. Wenn irgendwelche von den Wölfen oder Menschen gegeneinander kämpfen, wie sie das offensichtlich tun werden, müssen alle im Tal sterben. Der Rat wird sie alle töten. Sonst würde sich der Krieg ausbreiten, und es gäbe keine Wölfe mehr. Du stehst den Menschen zu nahe, Kaala, um selbst eine Wächterin zu sein, aber die Kinder deiner Kindeskinder könnten diejenigen sein, die unsere Aufgabe fortführen, wenn das notwendig werden sollte. Du musst jetzt mit uns kommen oder in dem Augenblick sterben, in dem irgendein Wolf einen Menschen angreift.« 189 »Was ist mit meinem Rudel ?«, wollte ich wissen. »Was ist mit TaLi und ihrer Sippe?« »Was soll mit ihnen sein?«, antwortete Frandra sorglos. »Die Zukunft aller Wölfe ist wichtiger als jeder einzelne Wolf, als jedes Rudel oder jede Menschensippe. Wir werden irgendwo anders aufs Neue beginnen.«
Ich war verblüfft über die Gefühllosigkeit der Höchsten Wölfe. »Ich hab's dir doch gesagt, Wölflein«, meinte Tlitoo. »Ich gehe nicht«, erklärte ich. »Ich werde nicht mit euch gehen.« »Dann werden wir dich am Schwanz mit uns ziehen«, schnauzte Jandru, der die Geduld verlor. Er bewegte sich auf mich zu. Ich ging rückwärts, wohl wissend, dass ich ihm nicht davonlaufen konnte, aber jederzeit bereit, es dennoch zu versuchen. Tlitoo spreizte seine Flügel und bereitete sich darauf vor davonzufliegen oder zu kämpfen. Ich war mir nicht ganz sicher, welche von beiden Möglichkeiten es werden würde. »Das ist ungerecht!«, schrie ich, nicht länger darauf bedacht leise zu sein. »Ihr habt mich belogen. Ihr habt uns alle belogen. Ihr habt uns befohlen, uns von den Menschen fernzuhalten, ohne uns zu sagen, warum. Und ohne uns zu sagen, dass wir eigentlich zu ihnen gehören sollen.« Die Höchsten Wölfe blickten mich zornerfüllt an. Es war mir gleichgültig. »Die Legenden erzählen nichts von der Unvereinbarkeit, und dabei ist sie das Wichtigste von allem. Jetzt werdet ihr alle Wölfe und Menschen im Tal töten, nur weil wir nichts anderes getan haben, als uns an die Legenden zu halten! Und das alles, weil die Legenden lügen!« »Sie hat recht«, sagte eine greise Stimme, eine Stimme, die wie zerbrechende Zweige und fliegender Staub klang. 190
Frandra und Jandru warfen ihre Köpfe herum. Zorindru, der Anführer der Höchsten Wölfe, der die Aussprache geleitet hatte, saß neben einem großen Felsen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er dort schon saß. Neben ihm, die Hand auf seinen Rücken gelegt, stand TaLis Großmutter. »Habt ihr wirklich geglaubt«, sagte der greise Wolf zu Frandra und Jandru, »dass sie einfach so mit euch mitgehen würde ? Und habt ihr wirklich geglaubt, dass ich nicht herausfinden würde, was ihr vorhabt?« Er sprach leise, und das Fell auf seinem Rücken sträubte sich nur ein winziges bisschen, doch das war genug, um Frandra und Jandru ihre Ohren anlegen zu lassen. Sie sahen eingeschüchterten Welpen so ähnlich, dass ich beinahe in Versuchung geriet zu lachen. Ich wollte hinüberlaufen, um die alte Frau zu begrüßen, hatte aber viel zu viel Ehrfurcht vor dem alten Höchsten Wolf, als dass ich mich hätte bewegen können. Tlitoo kannte solches Zögern nicht. Er flog zu der alten Frau und setzte sich auf ihre Schulter. Dann hüpfte er auf den Rücken des greisen Höchsten Wolfes. Von dort zischte er noch einmal und starrte Jandru und Frandra böse an. »NiaLi und ich haben uns beraten«, erklärte Zorindru und nickte der alten Frau zu. »Ich glaube, es ist an der Zeit, den kleineren Wölfen des Tales - und den Menschen - einiges von den Gründen zu erzählen, warum wir das tun, was wir tun.« Er öffnete seine riesigen Kiefer zu einem breiten Lächeln und schüttelte Tlitoo aus seinem Fell. Der Rabe flog auf einen nahegelegenen Felsen und starrte immer noch böse auf Frandra und Jandru. »Es sind die Geheimnisse der Höchsten Wölfe!«, widersprach Frandra. »Und es ist an der Zeit, dass ihr sie teilt!«, warf die alte 190
Frau ein, ohne irgendwelche Furcht vor den riesigen Wölfen zu zeigen. Ich erinnerte mich daran, dass sie sowohl unsere Sprache als auch die Ursprache
verstand. »Ihr habt viel zu lange Geheimnisse vor uns gehabt«, sagte sie. »Zorindru hat mir erzählt, dass ihr plant, uns alle zu töten, und ich will wissen, warum.« »Das ist nichts, was Menschen oder kleinere Wölfe verstehen könnten«, sagte Frandra verächtlich. »Wir haben die Last des Abkommens auf uns genommen, weil ihr dazu zu schwach seid. Wir müssen euch gar nichts erzählen.« »Da bin ich anderer Meinung«, sagte Zorindru sanft. Frandra öffnete ihren Mund, um zu widersprechen, doch Zorindru brachte sie mit der Andeutung eines Knurrens zum Schweigen. »Noch leite ich den Rat der Höchsten Wölfe«, sagte er, »und wenn Kaala das Tal verlassen soll, dann hat sie ein Recht, den wahren Grund zu kennen, warum das so sein soll. Ich werde dir nicht alles erzählen, Jungwolf- es gibt Geheimnisse, die die Höchsten Wölfe bewahren müssen -, aber ich werde dir erzählen, was ich erzählen kann.« Ich neigte meine Ohren und meinen Schwanz vor dem greisen Höchsten Wolf. Die alte Frau streckte ihre Hand nach mir aus, und ich ging zu ihr hinüber. Sie ließ sich auf einem flachen Felsen nieder, und ich lehnte mich gegen sie. Ich saß neben ihr in dem kühlen Staub. Zorindru lagerte seinen alten Körper auf dem Boden neben uns und begann mit seiner an zerbrechende Zweige erinnernden Stimme zu sprechen. »Eure Legenden sagen zu einem großen Teil die Wahrheit«, sagte er, »aber nicht in allem. Es ist wahr, dass Indru und sein Rudel die Menschen verändert haben. Es ist genauso wahr, dass die Ahnen fast das Leben aller Wölfe und Menschen beendet hätten. Um sie zu retten, gab Indru ein Ver 191 sprechen. Aber er versprach nicht, die Menschen zu meiden. Er versprach, dass er und seine Nachkommen über sie wachen würden, und das für alle Zeiten.« Ich sah ihn eine Weile schweigend an. Ich glaubte dem greisen Wolf. Etwas in seiner Art ließ mich ihm vertrauen, und für mich ergab es einen Sinn, dass Indru über die Menschen hatte wachen wollen, dass es genau das war, was Wölfe tun sollten. Und wenn dies wahr war, dann war auch alles, was Frandra und Jandru gesagt hatten, wahr. »Aber es hat nicht geholfen?«, fragte ich schließlich. »Es hat nicht geholfen. Wölfe und Menschen haben gegeneinander gekämpft, und die Wölfe haben ihr Versprechen gebrochen.« Schmerz erfüllte die Augen des greisen Wolfes. Er schüttelte sich heftig und fuhr fort. »Als die Wölfe ihr Wort brachen, sandten die Ahnen einen Winter, der drei Jahre lang dauerte, um das Leben aller Wölfe und aller Menschen zu beenden. Doch dann kam eine junge Wölfin mit dem Namen Lydda und brachte die Menschen und Wölfe wieder zueinander, und der lange Winter hatte ein Ende.« Ich wusste jetzt, dass Lydda, der Jungwolf, von dem er sprach, die Traumwölfin war, die mich besuchte. »Unsere Legenden erzählen, dass sie den Winter gebracht hat, indem sie zu den Menschen ging«, berichtete ich dem alten Höchsten Wolf. »So war es nicht. Sie beendete den langen Winter, als sie die Menschen und die Wölfe wieder zueinanderbrachte. Das ist es, was die Ahnen überzeugte, dass wir eine weitere Chance verdienten - eine letzte Chance, mit den Menschen zusammen zu sein, ohne dass ein Krieg ausbricht.« »Aber es gab einen Krieg«, warf ich ein und erinnerte mich daran, was die Traumwölfin mir erzählt hatte. 191
»Es hätte fast einen gegeben«, sagte der greise Wolf, »wenn wir ihn nicht aufgehalten hätten. Wölfe und Menschen begannen gegeneinander zu kämpfen, und da wurde der Rat der Höchsten Wölfe einberufen. Wir wussten, dass die Ahmen den langen Winter zurückschicken konnten, wenn wir es gestatteten, dass die Kämpfe andauern würden. Da erkannten wir, dass wir, wenn wir über die Menschen wachen wollten, dies aus der Ferne tun mussten. Also schufen wir die Aussprachen, um Indrus Versprechen zu erfüllen, ohne einen Krieg zu verursachen.« »Was geschah mit Lydda?«, fragte ich, und mein Magen zog sich zusammen. Ich fragte mich, ob Zorindru mich belügen würde. »Wir mussten sie fortschicken«, sagte der greise Wolf und bestätigte damit, was die Traumwölfin mir erzählt hatte. »Wenn sie geblieben wäre, hätte sie nur weitere Schwierigkeiten verursacht. Sie hatte nicht die Stärke zu tun, was nötig war.« Tlitoo krächzte etwas, das nichts anderes als eine Beleidigung sein konnte. Zorindru musste die Bestürzung und den Widerspruch auf meinem Gesicht gesehen haben, denn er senkte seine Nase zu meiner herab. »Lydda dachte nur an ihren Menschen und was das Beste für ihn sein mochte«, sagte er. »Eine Entscheidung mussten weisere Wölfe fällen. Wir hatten keine Wahl und mussten sie fortschicken. Es war zum Besten aller Wölfe.« »Und jetzt sterben die Großen Wölfe«, beharrte Tlitoo. Zorindru senkte den Kopf. »Generation um Generation«, sagte der greise Wolf, »haben wir versucht, die Wölfe zu finden, die unseren Platz einnehmen könnten, ausgewählt, welche von ihnen Welpen haben sollten und welche nicht. Wir 192 haben das an so vielen Orten getan, in Tälern, auf Inseln und Bergeshöhen. Und an allen diesen Orten sind wir immer und immer wieder gescheitert. Hier im Großen Tal waren wir einem Erfolg am nächsten. Du warst eine Überraschung, Kaala. Normalerweise, wenn ein Welpe ohne Erlaubnis geboren wird, muss er getötet werden, wie es mit deinen Wurfgefährten geschah. Aber als Frandra und Jandru uns von deiner Geburt und von dem Zeichen des Halbmondes auf deiner Brust erzählten, glaubten einige, du könntest diejenige sein, die ein neues Geschlecht von Wächterwölfen zur Welt bringen wird. Das ist der Grund, aus dem du verschont werden kannst und warum wir dich aus dem Tal bringen wollen.« »Du weißt, wer mein Vater ist.« Ich wusste es plötzlich, mit der selben Sicherheit, mit der ich wusste, dass der Mond jede Nacht aufgeht. »Das werde ich dir nicht sagen«, meinte Zorindru, und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er sich nicht beirren lassen würde. »Was ich dir aber sagen kann, ist, dass wir glauben, in dir gefunden zu haben, was wir seit der Zeit von Lydda suchten. Der Rat der Höchsten Wölfe ist anderer Meinung. Sie glauben, dass, weil du die Menschen so liebst, deine Kinder das auch tun werden.« Tlitoos Stimme war noch nie so sanft gewesen wie jetzt, als er seine Stimme erhob. »Du lügst. Es gibt mehr, Das die Wölfe verschweigen. Was soll geschehen ?« Ich befürchtete, Zorindru würde außer sich geraten vor Wut. Frandra und Jandru waren es auf jeden Fall. Aber der Blick, 192
mit dem der greise Wolf sich dem Raben zuwandte, war gedankenverloren und voller Schmerz. »Das werden Geheimnisse bleiben, Rabe. Es gibt in der ganzen weiten Welt keinen Ast, der hoch genug ist, dass du auf ihn fliegen könntest, um dich vor dem Zorn des Rates zu schützen, wenn ich dir ihre Geheimnisse anvertrauen würde.« »Kaala«, sagte Frandra und bemühte sich sehr, ihrer Stimme einen versöhnlichen Ton zu geben. »Du musst uns vertrauen, wenn wir dir sagen, dass es das Beste für dich ist, jetzt mit uns das Tal zu verlassen. Wir haben dein Leben gerettet, als du ein Winzjunges warst. Wir wollen nur dein Bestes.« Ich sah ihr nicht in die Augen. Lydda hatte das Tal verlassen. Lydda hatte getan, was man ihr gesagt hatte. Ich blickte hinauf in das Gesicht des greisen Höchsten Wolfes. »Ich werde nicht mit euch gehen«, sagte ich ruhig. »Wenn ihr mich zwingt mitzukommen, werde ich aufhören zu fressen und sterben. Vielleicht«, sagte ich, und ich hoffte, ich klänge jetzt so, als wüsste ich, wovon ich redete, »vielleicht kann ich die Kämpfe ja aufhalten.« Ich glaubte ein Lächeln in den Augen des Höchsten Wolfes zu erkennen. Doch es war zu schnell wieder verschwunden, als dass ich mir sicher sein konnte. »Dann werde ich mit dem Rat darüber reden«, erklärte er zu meiner Überraschung. Ich blinzelte ihn verwundert an. Jandru grunzte leise vor Erstaunen. »Du bittest sie, den Kampf zu verhindern?«, fragte ich, »meinem Rudel zu helfen?« »Das kann ich nicht tun«, antwortete der Höchste Wolf. »Sobald sich Zähne in Fleisch graben, gibt es nichts mehr, 193 das ich tun könnte. Aber vielleicht verschonen sie die Wölfe des Großen Tales und die Menschen, wenn es zu keinem Kampf kommt.« »Dann wird es zu spät sein!«, warf Frandra ein. »Sie muss jetzt mit uns kommen, oder alles, für das wir uns abgemüht haben, wird verloren sein!« »Sie hat das Recht, ihre eigene Wahl zu treffen«, sagte TaLis Großmutter mit schneidender Stimme. »Du kannst ihr diese Wahl nicht nehmen.« Frandra und Jandru knurrten beide und schritten drohend auf sie zu. Sie blickte die Wölfe unverwandt an. »Nein«, sagte Zorindru, »wir können ihr die Wahl nicht nehmen.« Er funkelte böse zu den anderen beiden Höchsten Wölfe hinüber. Beide legten ihre Ohren an und traten von der alten Frau zurück. Zorindru neigte seinen Kopf, um mir in die Augen zu schauen. »Aber hör zu, Jungwolf«, sagte er sanft, »ich kann dir nichts versprechen. Ich bin der Leitwolf der Höchsten Wölfe, aber ich kann dem Rat nicht vorschreiben, was er zu tun hat. Sie könnten die Wölfe des Großen Tales immer noch töten, auch wenn es nicht zum Kampf kommt. Was ich tun könnte, ist, dich aus dem Tal zu führen. Ich werde deine Freunde - Ázzuen und Marra - ebenfalls mitnehmen, damit du nicht alleine bist. Und ich werde dich zu deiner Mutter bringen«, versprach er und beobachtete mich dabei sorgfältig. »Ich kann herausfinden, wo sie ist, und ich werde dich zu ihr bringen.«
Voller Erstaunen schaute ich zu ihm hinauf, und mein Herz schlug rasend schnell in meiner Brust. Meine Mutter. Kein Tag in meinem Leben war vergangen, an dem ich mich 194 nicht gefragt hatte, wo sie sein mochte, an dem ich nicht darüber nachgedacht hatte, wie ich sie finden konnte. Ich hatte ihr versprochen, sie zu suchen. Wenn Zorindru mich zu ihr bringen konnte, würde ich mir keine Gedanken mehr um Ruuqo oder die Wölfe vom Felsgipfel machen müssen. Ich würde mich nicht mehr darum sorgen müssen, ob ich das Romma erhalten würde oder ob der Kampf verhindert werden konnte. Ich wäre mit meiner Mutter und vielleicht sogar mit meinem Vater zusammen und würde nie wieder allein sein. Und meine Rudelgefährten würden sterben, selbst wenn sie sich den Kämpfen nicht anschlossen. Und TaLi würde sterben. Und BreLan und MikLan. »Nein«, erklärte ich. »Ich werde nicht zulassen, dass mein Rudel oder unsere Menschen getötet werden. Ich werde Ruuqo davon überzeugen, dass der Kampf aufgehalten werden muss.« »Also gut. Ich werde jetzt mit dem Rat sprechen«, sagte er und begann steif in die Richtung des Felskreises zu wandern. Vor Frandra und Jandru hielt er an. »Ihr werdet mit mir kommen«, befahl er. Sie sahen aus, als wollten sie ihm widersprechen, und Frandra grummelte etwas in sich hinein, aber beide legten ihre Ohren zurück und folgten ihm, starrten mich nur über ihre Schultern hinweg böse an. Ich sah zu, wie sie gingen. Noch bevor ihre Ruten vollkommen verschwunden waren, gab Tlitoo einen schrillen Schrei von sich. »Worauf wartest du, Wölflein ? Du bist zu fett, als dass ich dich tragen könnte!« Ich hielt einen Augenblick inne und fragte mich, ob wir die alte Frau allein in den Wäldern lassen konnten. »Geh, Kleines«, sagte sie. »Ich habe mich schon lange vor 194 der Geburt der Urgroßmutter deiner Urgroßmutter allein in diesen Wäldern zurechtgefunden. Ich werde so schnell ich kann bei euch sein.« Ich gestattete ihr wieder, sich auf meinen Rücken zu lehnen, um sich von dem Felsen zu erheben. Dann machte ich mich auf den weiten Weg zurück in unser Gebiet. Ich war erst wenige Minuten gelaufen, als mich leise Tritte auf trockenen Blättern anhalten ließen. Ázzuen und Marra traten auf den Weg vor mir. »Du hast doch wohl nicht angenommen, wir würden dich alleine gehen lassen, oder?«, erklärte Ázzuen. ♦
Zuerst versuchte ich, sie davon zu überzeugen, dass sie gehen sollten, aus dem Tal fliehen und auf mich und unsere Menschen dort warten sollten. Ich erzählte ihnen von Lydda und den Plänen der Höchsten Wölfe. Sie wollten nicht gehen. »Es ist genauso unsere Zukunft«, beharrte Marra. »Wir haben ein Recht darauf zu bleiben und zu versuchen, den Kampf zu verhindern.« »Und wir werden BreLan und MikLan nicht zurücklassen und zulassen, dass sie getötet werden«, fügte Ázzuen hinzu.
»Wir haben uns bereits entschieden«, erklärte Marra. »Also verschwende deine Zeit nicht damit herumzustreiten.« Ich atmete tief durch, um ihnen noch einmal ins Gewissen zu reden. Da ging mir auf, dass ich sie gar nicht überzeugen wollte. Ich legte meinen Kopf auf Ázzuens Rücken und setzte eine Pfote auf Marras Schulter. Die letzten Zweifel schwanden aus meinem Herzen. »Hier lang«, sagte Ázzuen. 195 Die Nacht war schon halb vorbei, als wir die Ebene des Hohen Grases erreichten und uns auf dem von Bäumen verdeckten Abhang niederkauerten, von dem aus wir vor so vielen Monden beobachtet hatten, wie unser Rudel mit dem Bären kämpfte. Das Gras, das der Wiese ihren Namen gab, hatte begonnen auszutrocknen, stand aber immer noch hoch nach den reichhaltigen Regenfällen des Herbstes. Die stämmigen Bäume des Waldes boten uns ein gutes Versteck vor dem, was etwas unterhalb geschah. Zu unserer Linken, unten auf der Ebene, war unser Rudel. Ruuqo, wie immer vorsichtig, wartete ab und beobachtete. Zu unserer Rechten und etwas weiter hinaus auf der Ebene, auf einer kahlen, vom Gras befreiten Stelle, waren die Frauen und Kinder der Menschen, TaLi mitten unter ihnen. Sie sangen und schlugen in einer schwierigen, aber fesselnden Tonfolge mit Hölzern gegen ausgehöhlte Stämme. Genau vor uns, auf halbem Wege über die Ebene, standen ungefähr zwanzig Männer der Menschen in 195 zwei Kreisen um eine Gruppe von Elen herum. Sechs jüngere Männer, unter ihnen MikLan, bildeten den inneren Kreis, der knappe sechs Wolfslängen von den Elen entfernt verlief. Die erwachsenen Männer bildeten den äußeren Kreis. BreLan war bei ihnen, genauso wie der Sohn des Anführers von TaLis Sippe, der, mit dem sie sich paaren sollte. »Wir kommen zu spät«, flüsterte Marra. Hinter den Menschen im Gras versteckt waren die Wölfe vom Felsgipfel und ein Rudel, das dem starken Geruch von Nadelwald nach das vom Höhenwald sein musste. Sie schlichen sich an die Menschen heran, als seien sie Beute. Die Menschen schienen nicht zu wissen, dass Wölfe in ihrer Nähe waren. Es war eine feierliche Handlung, genau wie Torell gesagt hatte. Acht der Männer hielten ausgehöhlte Kürbisse in ihren Händen. Sie schüttelten sie heftig vor und zurück, und irgendetwas in den Kürbissen klapperte laut und fügte sich in den rhythmischen Schlag der Hölzer auf Stämme. Das Trommeln und Klappern schien die Elen in Bann zu ziehen, sie blieben auf einer Stelle stehen. Ich fühlte, wie der Klang mich ebenfalls fesselte, und musste mich schütteln, um mich von seiner Wirkung zu befreien. »Es ist ihre Prüfung zum Erwachsenwerden«, sagte Ázzuen. »Trevegg hat es uns erklärt, bevor wir sie verlassen haben.« »Ihr habt Trevegg gefragt?«, erschrak ich voller Sorge, dass sie sich vielleicht verraten haben konnten. Ich seufzte. Es war zu spät, um sich über solche Dinge Gedanken zu machen. »Was haben die Elen damit zu tun?« Ich bemerkte, dass sich nur weibliche Elen in der Mitte des Kreises befanden, und fragte mich, wo die männlichen sein mochten.
»Die jungen Menschen müssen beweisen, dass sie kräftig 196 sind«, antwortete Ázzuen. »Es ist so ähnlich wie unsere erste Jagd. Die Jungen müssen selbst eine Elen töten, um zu beweisen, dass sie erwachsen sind. Niemand verlässt die Ebene, bevor nicht jeder eine Elen getötet hat. Deshalb hat Torell diesen Zeitpunkt der Feierlichkeiten gewählt. Ihre Aufmerksamkeit wird vollkommen auf die Elen gerichtet sein.« »Und sie ist auch wirklich auf nichts anderes gerichtet«, meinte Marra mit einem Blick auf die Ebene. »Wie kommt es, dass sie die Wölfe vom Felsgipfel nicht sehen? Oder unser Rudel?« Ich stellte mir dieselbe Frage. Das hohe Gras der Wiese bot jede Menge an guten Verstecken, doch wenn die Menschen achtgegeben hätten, hätten sie die Bewegungen im Gras bemerken müssen, die die Wölfe verursachten, als sie sich jetzt verteilten und genau hinter den Menschen einen Halbkreis bildeten. Aber sie bemerkten nichts. Das Klappern der Kürbisse und das Schlagen der Hölzer wurde lauter, und ich fand mich wieder in ihren Bann gezogen. »Es ist der Rhythmus der Kürbisse und Hölzer, glaube ich«, sagte ich in der Hoffnung, dass wir zu Ruuqo gelangen konnten, damit er Torell aufhalten konnte. »Er fesselt ihre Aufmerksamkeit genauso wie die der Elen.« Ich blickte hinüber zu TaLi. »Warum jagen die Frauen nicht?« »Trevegg sagt, die Menschen wollen nicht länger, dass ihre Frauen jagen«, schnaubte Marra verächtlich. »Ich sehe keinen Grund, warum sie die Anzahl ihrer Jäger einfach so halbieren wollen, aber Trevegg sagt, es sei so. Er kommt hier herüber.« Sie erhob ihre Nase in Richtung unseres Rudels. »Ich glaube, er wusste, dass wir fortlaufen würden, aber er hat nichts gesagt.« 196 Ich zwang mich, meine Aufmerksamkeit von dem Kreis der Menschen und den Elen auf unser Rudel zu richten. Ich konnte mit Mühe Treveggs Umrisse im Gras erkennen, als er sich vorsichtig auf uns zu bewegte. Es gab keine Möglichkeit herauszufinden, ob er Ruuqo und den anderen davon erzählt hatte, dass wir hier waren. Wir mussten rasch handeln. »Das Erste, was wir tun müssen«, sagte ich, »ist, unsere Menschen dort herauszuholen. Dann können wir versuchen, Ruuqo davon zu überzeugen, die Wölfe vom Felsgipfel von einem Angriff abzuhalten.« »Ich sehe nicht, wie wir BreLan und MikLan in Sicherheit bringen können.« Marras Stimme klang angespannt. »Sie sind zu nahe bei den Wölfen vom Felsgipfel. Du könntest dein Mädchen holen und mit ihm verschwinden«, sagte sie und beobachtete mich aus den Augenwinkeln. »Sie ist uns am nächsten.« »Nein«, erklärte ich. »Wir retten sie alle.« Wir hatten von unserem Platz aus eine gute Sicht auf einen großen Teil der Ebene. Aber nicht gut genug. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie viele Wölfe sich an die Männer der Menschen heranschlichen. Ich brauchte einen besseren Aussichtspunkt. »Ich gehe hinauf zu diesem Felsen da«, sagte ich und deutete auf einen Felsen, der in einem höhergelegenen Teil des Waldes Ausblick über die Ebene bot.
»Sei vorsichtig«, meinte Ázzuen. »Die vom Felsgipfel können dich sehen, wenn du nicht versteckt bleibst. Und beeil dich. Ich glaube nicht, dass wir noch sehr viel Zeit haben.« »Ich passe schon auf.« Ich rollte mit den Augen. Ázzuen hatte immer solche Bedenken. Der Fels war nicht weit entfernt, aber ich musste auf mei 197 nem Bauch unter niedrigen Büschen durchkriechen, um dorthin zu gelangen. Ich entschloss mich, einfach auf seinen höchsten Punkt zu klettern und so tief geduckt wie möglich zu bleiben. Ich glaubte nicht, dass irgendjemand auf der Ebene so wachsam sein würde. Die Kuppe des Felsen war flach, und ich würde ohne Schwierigkeiten hinüberblicken können. Ich war fast auf dem höchsten Punkt des Felsen angelangt, als sich der Himmel über mir verdunkelte und mich etwas fest am Nackenfell packte. Es riss mich von meinen Pfoten und zog mich den Fels hinunter, dann wurde ich in einen Haufen Rinde und Dreck geworfen. Ich war so überrascht, dass ich nicht einmal aufjaulen konnte. Eine große Pfote verschloss mir die Schnauze. »Sei ruhig«, zischte Frandra. »Steh auf und komm mit mir.« Ich blieb, wo ich war. Frandra packte mich wieder beim Nackenfell und begann mich durch den Staub, die Blätter und über Felsbrocken zu zerren. Ich trat mit den Füßen und versuchte mich zu befreien, doch ich war unglücklich auf die Seite gefallen, und der Höchste Wolf war viel zu kräftig für mich, als dass ich mich aus dieser Lage hätte befreien können. Nach einigen wenigen Wolfslängen hielt sie an, wo Jandru bereits wartete und ließ mich los. Ich hustete Staub und Blätter aus meiner Kehle und stand auf. Ich starrte sie wütend an. Ich konnte nicht anders, als vor ihnen meine Ohren anzulegen und die Rute zu senken. Das bedeutete aber lange noch nicht, dass ich höflich sein musste. »Dämlicher Welpe«, flüsterte Jandru verärgert. »Du hättest einfach mit uns kommen sollen. Du hättest alles zerstören können. Jetzt folge uns. Und keinen Ton von dir.« 197 »Ich habe euch bereits erklärt, dass ich nicht mit euch komme«, flüsterte ich zurück und schüttelte meinen Nacken. »Zorindru hat gesagt, er wolle versuchen, mit den anderen Höchsten Wölfen zu sprechen.« »Das tut er gerade«, schnauzte Jandru mich an. »Aber er weiß nicht, ob sie zustimmen werden, die Wölfe des Tales zu verschonen, selbst wenn du das Kämpfen aufhalten kannst. Und es wird auch nicht den geringsten Unterschied machen! Der Kampf beginnt jeden Augenblick, und du wirst ihn nicht aufhalten können.« »Der Rat der Höchsten Wölfe ist hier«, knurrte Frandra. »Selbst die von außerhalb des Tales. Es ist ein halbes Hundert von ihnen, die die Ebene umzingelt haben. In dem Augenblick, in dem der Kampf beginnt, werden sie das Leben jeden Wolfes und jedes Menschen hier beenden. Dann werden sie jeden Wolf und jeden Menschen im Tal aufspüren. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Sie haben noch nicht gegeneinander gekämpft«, behauptete ich trotzig. »Ihr könnt nicht wissen, ob sie es wirklich tun werden.« »Aber es ist offensichtlich, dass sie kämpfen werden!«, erklärte Jandru, ohne sich länger um ein Flüstern zu bemühen. »Du wirst jetzt auf deinen eigenen Pfoten mit uns kommen, oder wir werden dich hinter uns herschleifen. Es ist mir ziemlich gleich, welche von beiden Möglichkeiten es sein wird.« Ich fühlte, wie sich meine Augen zu Schlitzen verengten und meine Lefzen sich über die Zähne zurückzogen. Meine Ohren stellten sich auf und zogen die Haut in meinem Gesicht straff. Das Fell auf meinem Rücken sträubte sich. Ich knurrte die Höchsten Wölfe an. Sie blickten völlig verdutzt auf mich. Dann begann Jandru 198
zu lachen. »Ich werde dafür sorgen, dass der Weg frei ist«, sagte er zu Frandra. »Du bringst sie mit. Ganz gleich, ob sie kommen will oder nicht.« Er wandte uns seine Rute zu und ging rasch und leise davon. Ich starrte Frandra böse an und knurrte wieder. »Komm einfach«, sagte sie müde. »Ich würde dich lieber nicht mitschleifen müssen.« Schwarze Flügel und scharfe Klauen warfen sich auf ihren Kopf. Tlitoo krallte sich in die empfindliche Haut zwischen den Ohren der Höchsten Wölfin. Frandra jaulte vor Schmerz auf und schüttelte heftig ihren Kopf. Ein grauer Blitz schoss aus den Büschen, und Ázzuen sprang auf Frandras linke Seite. Ich bewegte mich in genau demselben Augenblick, und es gelang uns irgendwie, die Höchste Wölfin aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es war nicht so viel anders, als große Beute zu jagen. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst vorsichtig sein«, keuchte Ázzuen und grinste mich an, als er wieder auf die Füße kam. Ich wusste nicht, ob ich ihn anknurren oder ihm einfach dankbar sein sollte. »Macht voran, Wölfe!«, rief Tlitoo. »Ich werde den schusseligen großen Wolf beschäftigen.« Genau in diesem Augenblick hörten wir, wie Marra uns rief. »Kaala!«, ihre Stimme klang verzweifelt. »Die Felsgipfler greifen an!« Ázzuen und ich sprangen in den dichtesten Teil des Unterholzes, damit es Frandra sehr schwerfallen würde, uns zu folgen. Ich hörte erbittertes Knurren und siegreiches Krächzen hinter uns. Außer Atem duckten wir uns neben Marra. Trevegg erreichte gerade die Kuppe des Hügels. 198
»Die Wölfe vom Felsgipfel und die vom Höhenwald sind kurz davor anzugreifen«, sagte Marra schnell. »Wir müssen unsere Menschen da rausholen.« »Nein«, sagte Trevegg und legte sich flach neben uns, »das könnt ihr nicht. Es ist zu gefährlich. Ich weiß, was ihr vorhabt, aber ihr müsst euch aus den Kämpfen heraushalten. Ruuqo muss immer noch seine Entscheidung treffen«, fügte er hinzu. »Was du gesagt hast, hat Eindruck auf ihn gemacht, Kaala, selbst wenn er es nicht zugeben wollte, als du seinen Rang in Frage gestellt hast. Ich habe mit ihm gesprochen, nachdem du weg warst. Rissa will keinen Kampf, und Ruuqo wird sich nicht gegen sie stellen, solange es nicht unbedingt notwendig ist. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass das Rudel vom Schnellen Fluss heute nicht
kämpfen wird. Ruuqo wird dir vielleicht sogar gestatten, zum Rudel zurückzukommen.« »Das macht keinen Unterschied«, meinte Ázzuen. »Warum?«, wollte der Altwolf wissen. »Erzähl's ihm, Wölflein«, sagte Tlitoo und landete neben mir. Ich konnte nicht anders, als mit Genugtuung die Fetzen von Fell zu bemerken, die noch in seinem Schnabel und in seinen Krallen hingen. »Mir was erzählen?« »Es macht keinen Unterschied, ob die Wölfe vom Schnellen Fluss kämpfen werden oder nicht«, erklärte Tlitoo, bevor ich sprechen konnte. »Wenn irgendein Wolf kämpft, sterben alle Wölfe. Die Menschen auch«, fügte er noch schnell hinzu. »Rabe, du redest dummes Zeug«, sagte der Altwolf erschrocken. »Und dafür haben wir keine Zeit.« »Es ist kein dummes Zeug«, sagte ich, bevor Tlitoo belei 199 digt sein konnte und einen Aufruhr verursachte. »Es ist wahr.« »Dein Gehirn ist gefrorener Schlamm, Trottelwolf«, krächzte Tlitoo kurz angebunden und flog davon. »Was der Vogel sagt, ist wahr?«, fragte Trevegg. »Ja«, antwortete ich. Ich erzählte ihm von dem Rat der Höchsten Wölfe, von der Entscheidung, die sie getroffen hatten. Ich erklärte, dass die Höchsten Wölfe des Tales und die von außerhalb des Tales in der Nähe waren und uns beobachteten. Ich konnte sie jetzt sehen, wie sie die Ebene umringten, versuchten, sich zwischen den Bäumen zu verstecken. Sie beobachteten uns und warteten ab, wie zu einer Jagd aufgestellt. Ich sprach schnell und warf immer wieder einen Blick auf die Ebene, wo Torell und sein Rudel jetzt langsam auf ihre Beute zuschlichen. Trevegg hörte zu, und sein Gesicht verzog sich zu einer finsteren und immer finsteren Miene, als er jetzt ebenfalls die Höchsten Wölfe bemerkte, wie sie die Ebene umzingelten, jederzeit bereit zuzuschlagen. »Alle Wölfe im Tal und auch die Menschen«, wiederholte er und blinzelte, um die Höchsten Wölfe zu zählen. »Auch diejenigen, die nicht kämpfen?« Ich nickte mit dem Kopf. Trevegg grummelte besorgt in sich hinein. »Ich gehe zu Ruuqo und erzähle ihm davon. Wir werden einen Weg finden, um Torell aufzuhalten.« Bevor ich noch antworten konnte, begann Trevegg sich langsam den Hügel hinunterzubewegen, kriechend, um nicht gesehen zu werden. »Was jetzt?«, fragte Marra. »Ich hole MikLan, ganz gleich, was geschehen wird. Aber wir können nicht einfach dort hinunterspazieren und zu ihnen gehen. Es gibt nicht genügend Deckung.« 199 »Ich weiß nicht«, sagte ich, während ich beobachtete, wie Trevegg zu Ruuqo kroch. Die Wölfe vom Felsgipfel bewegten sich vorsichtig und wollten offenbar den Vorteil eines Überraschungsangriffs nicht ungenutzt lassen. Ich erwartete jeden Augenblick, dass Frandra und Jandru sich hinter mir anschlichen und mich wieder packen würden. Ich wusste, dass uns nur noch wenige Augenblicke blieben.
»Vielleicht kann dein Mädchen mit den anderen Menschen sprechen«, meinte Marra. »Vielleicht kannst du versuchen, in der Ursprache mit ihr zu sprechen, und sie könnte BreLan und MikLan holen.« Ich glaubte nicht, dass das funktionieren würde. Selbst wenn die Menschen gewarnt wären, würden sie sich einfach umdrehen und kämpfen. »Ich habe sie geholt«, sagte Tlitoo. Ich hatte nicht darauf geachtet, wohin er geflogen war, während wir mit Trevegg gesprochen hatten. Er war zu den Frauen der Menschen geflogen und kam jetzt zurück, gefolgt von einer atemlosen und verwirrten TaLi. »Wolf!«, rief sie und warf sich auf mich. Mit einem Wuff ließ ich die Luft aus meinen Lungen entweichen, als sie mir beinahe die Rippen gebrochen hätte. »Der Rabe hat mir keine Ruhe gelassen, bis ich mit ihm gegangen bin. Ich bin den ganzen Hügel hinaufgerannt.« TaLis normalerweise glattes Haar war zerrauft, als hätte jemand mehrmals daran gezogen. Ich konnte mir ein ziemlich genaues Bild davon machen, wie Tlitoo sie dazu gebracht hatte zu kommen. »Schau, Mensch«, sagte Tlitoo und nickte in Richtung der Wiese. TaLi, die ihn nicht verstand, setzte sich neben mich in den Staub. 200 »Was geschieht hier, Silbermond?« Tlitoo gab ein ungeduldiges Krächzen von sich, zog an TaLis Haaren und zwang sie, ihren Kopf zur Wiese zu drehen. »Hör auf damit!«, knurrte ich. »Lass sie in Ruhe!« »Ich tue ihr nicht weh, Wolf. Nicht sehr. Und sie muss es sehen. Vielleicht kann sie mit ihrem Volk reden.« TaLi stockte der Atem. Sie hatte gesehen, dass die Wölfe sich an die Menschen heranschlichen. Der Mond schien hell, und sie konnte von unserem Hügel aus ohne Schwierigkeiten die dunklen Umrisse von Torells Rudel erkennen. »Ich muss gehen und HuLin warnen!«, erklärte sie. »Das darfst du nicht«, sagte ich und versuchte mit ihr in der Ursprache zu sprechen, in der Hoffnung, dass sie mich dann verstehen konnte. »Es ist zu gefährlich.« »Wir brauchen dich, um BreLan und MikLan zu holen«, fügte Ázzuen hinzu, ohne sich um die Ursprache zu kümmern. Es brachte alles nichts, TaLi sprang auf ihre Füße. »Sie darf nicht gehen!«, warf Marra ein. »Was, wenn sie die Menschen warnt, und das bringt dann die Wölfe dazu anzugreifen? Es war dumm, sie herzubringen«, beschuldigte sie Tlitoo und vergaß ganz, dass sie diejenige gewesen war, die zuerst genau denselben Vorschlag gemacht hatte. Die Wölfe vom Felsgipfel und vom Höhenwald hatten jetzt die Menschen vollständig umzingelt. Die Wölfe zogen den Kreis immer mehr zusammen, als würden sie die Menschen verfolgen, wie sie Beute verfolgten. Die Elen bemerkten sie, selbst wenn die Menschen das nicht taten, und sie wurden immer unruhiger. Entsetzen stieg in mir auf. Wir hatten nur noch wenige Augenblicke, bevor die Wölfe an 200
greifen würden. Ich warf TaLi zu Boden und setzte mich auf sie, um sie davon abzuhalten, zu ihren Stammesgefährten zu laufen. »Wir müssen zu Ruuqo gehen«, meinte Ázzuen. »Wir müssen Trevegg helfen, den Kampf zu verhindern.« »Wir müssen unsere Menschen holen«, bellte Marra laut. »Wir müssen zu ihnen laufen und sie so von den anderen trennen, wie wir es mit Beute tun würden. So holen wir sie aus den Kämpfen heraus. Wir schaffen das. Sobald die Wölfe angreifen, werden wir zu unseren Menschen rennen. Dein Mädchen wird auf uns warten, Kaala, und du kannst uns helfen, BreLan und MikLan zu holen.« Der Wagemut in ihrer Stimme machte mich gereizt. »Was ist, wenn sie nicht mitkommen?«, wollte Ázzuen wissen. »Und was, wenn die Elen in eine wilde Flucht ausbrechen?« Er zitterte und erinnerte sich zweifellos an die wilde Flucht der Pferde, die uns beinahe unser Leben gekostet hatte. »Dann wären wir wirklich in Schwierigkeiten. Wir müssen das Rudel dazu bringen, uns zu helfen.« »Ich gehe hinunter, um näher bei MikLan zu sein«, erklärte Marra. »Und ich werde ihn dazu zwingen, das Tal mit mir zu verlassen. Ihr zwei könnt tun, was ihr wollt.« Ich sah ein verzweifeltes Brennen in ihren Augen. »Warte«, sagte ich. Marra und Ázzuen blickten mich an. Ázzuen hatte mich auf eine Idee gebracht. »Ich werde MikLan und BreLan nicht im Stich lassen«, erklärte ich. »Wir haben mit ihnen gejagt, und deshalb gehören sie zum Rudel. Aber genauso wenig werde ich die Wölfe vom Schnellen Fluss im Stich lassen. Sie haben uns gefüttert und uns gelehrt, was es heißt, ein Wolf zu sein. Es ist es nicht wert, uns selbst zu retten und unsere Menschen, wenn wir das auf 201 Kosten unseres Rudels und der Sippe der Menschen tun.« Ich holte tief Atem. »Die Elen sind schon halb verstört«, erklärte ich. »Was, wenn sie wirklich in eine wilde Flucht ausbrechen? Die Wölfe könnten die Menschen nicht angreifen. Es gäbe keinen Kampf, und die Höchsten Wölfe hätten keinen Grund, irgendwen zu töten.« »Wenn die Elen fluchtartig losrennen, ist das kein Kinderspiel«, meinte Ázzuen, und Ehrfurcht schlich sich in seine Stimme. Marras Gesicht leuchtete auf. »Wir hätten Zeit gewonnen.« »Entscheidet euch besser schnell«, fügte Tlitoo hinzu. Und wirklich, genau in diesem Augenblick gab Torell sein Zeichen zum Angriff. TaLi stieß mich feste und schüttelte mich ab. Sie stand auf und begann den Hügel hinabzurennen, um ihre Sippe zu warnen. Ich wartete nicht länger. Ich heulte. Ázzuen und Marra fielen ein. Torells Kopf fuhr herum, und sogar aus dieser Entfernung konnte ich sein Zähnefletschen erkennen. Die Menschen in ihrem Kreis fuhren zusammen und blickten sich um. Einer von ihnen rief etwas und deutete auf die Wölfe. Diejenigen im äußeren Kreis drehten sich um und zielten mit ihren spitzen Stecken auf die Wölfe, die ihnen am nächsten waren. Ich hoffte, dass sei Warnung genug und die Wölfe würden sich zurückziehen. Doch keineswegs. Die Reaktion der Menschen schien sie zu verärgern, und sie bewegten sich vorwärts, um anzugreifen. »Jetzt!«, rief ich. Ázzuen, Marra und ich rasten den Hügel hinunter auf die Elen zu.
»Du weißt, dass du verrückt bist, oder?«, keuchte Ázzuen. 202 Ich grinste ihn an. Es fühlte sich gut an, endlich etwas zu tun, selbst wenn das unseren Tod bedeuten konnte. Je näher wir kamen, umso größer wirkten die Elen. Ich fühlte, wie die Angst in mir aufstieg und schluckte sie hinunter. Selbst wenn ich jetzt hätte umkehren wollen, war es dazu zu spät. Marra, flink und furchtlos, stürzte sich mitten zwischen die Elen. Ázzuen und ich folgten ihr, rannten an einem verdutzten Paar der Jungwölfe vom Höhenwald vorbei und unter den Läufen eines älteren Wolfs hindurch. Wir liefen geradewegs in die Herde der Elen hinein. Die Gruppe der Elen brach auseinander. Die der Menschen brach ebenso auseinander - und die der Wölfe auch. Für einen Augenblick erstarrte ich vor Furcht, erinnerte mich an die wilde Flucht der Pferde und Reels Tod. Ich schüttelte mich kräftig. Seit jenem Tag hatte ich mit den Menschen gemeinsam gejagt und ein Reh erlegt. Ich hatte gemeinsam mit meinem Rudel die Elen gejagt. Ich würde es schaffen. »Es klappt!«, schrie Marra laut, während sie an mir vorbeiraste. Ich fragte mich, ob sie jemals so etwas wie Furcht verspürte. »Hier entlang!« Marra und Ázzuen erblickten eine Lücke zwischen den laufenden Elen und stürzten sich hinein. Ich wich einem Huf aus und folgte ihnen. Unser Schwung trug uns über die laufenden Elen hinaus. Wir hielten atemlos hechelnd an, um uns zu besehen, was wir angerichtet hatten. Die Elen liefen überall durcheinander, und die Wölfe und Menschen waren zu beschäftigt damit, ihnen auszuweichen, als dass sie einander angreifen konnten. Ich konnte nicht glauben, dass es tatsächlich gelungen war. »Wir holen BreLan und MikLan«, sagte Marra. »Wenn 202 die vom Felsgipfel immer noch kämpfen wollen, treffen wir dich am Überquerungsbaum und verlassen das Tal.« Marra wartete meine Antwort nicht ab, sondern sprang davon, in die Richtung, wo MikLan zuletzt gestanden hatte. Ázzuen folgte. Ich konnte TaLi den Hügel herunterstolpern sehen, dort, wo ich sie verlassen hatte, und begann zu ihr zu laufen. Uber meine Schulter behielt ich die Elen im Auge. Etwas an der Art, wie sie sich bewegten, machte mich unruhig. Sie wurden von knurrenden Wölfen und Menschen mit spitzen Stecken gejagt. Sie hätten schon längst davonlaufen sollen. Doch das taten sie nicht. Sie liefen immer noch umher. Da hörte ich ein Krachen im Unterholz auf der gegenüberliegenden Seite der Ebene. Etwas trat aus dem Wald heraus, fast genau hinter der Stelle, wo das Rudel vom Schnellen Fluss gewartet hatte. Ich hob meinen Kopf und erwartete jeden Augenblick, die Höchsten Wölfe in ihrem Angriff zu sehen. Doch sie waren es nicht. Das ist unmöglich, dachte ich bei mir. Das kann nicht sein. Die Bullen der Elen ziehen nicht gemeinsam umher. Elen jagen nicht. Dennoch sah es so aus, als hätten sie genau das vor. Sieben von ihnen, angeführt von Ranor und seinem Bruder Yonor, liefen wie Jäger aus dem Wald heraus, mit gesenkten Köpfen und Zorn in ihren Augen. Ich hörte ihr Röhren und erkannte ihre Wut an der Art und Weise, wie sie liefen. Sie mussten sich dort versteckt
haben, sich angeschlichen und auf eine Gelegenheit gewartet haben, um die anzugreifen, die ihre Gefährtinnen bedrohten. Ich besah mir den Anblick mit Schrecken und blickte dann zurück auf die weiblichen Elen. Ich erkannte, dass ich die Folgen der wilden Flucht falsch eingeschätzt hatte. Ich hatte geglaubt, es würde sein wie die Panik der Pferde, so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. 203 Doch die Elen rannten immer noch hin und her, und als sie die Bullen der Elen zum Angriff auf sich zurennen sahen, wandten sie sich um, um zu kämpfen. »Sie tun nicht, was die Pferde getan haben!«, rief ich. »Warum machen sie das?« »Sie sind Elen«, antwortete Tlitoo, der über mir schwebte. »Sie verhalten sich nie wie andere Beute.« Er landete und legte seinen Kopf von links nach rechts. »Sieht aus, als hätten sie gelernt zu jagen.« Ich hörte Rissas erschrecktes Bellen einer Warnung. Trevegg lief Gefahr, von zweien der Elenbullen überrannt zu werden. Die Wölfe vom Schnellen Fluss waren auseinandergelaufen, als die Elen im Angriff auf sie zugestürmt waren. Ruuqo bellte einen verzweifelten Befehl, und er selbst, Yllin und Minn verfolgten Ranor und die anderen vier Elen, die Ranor zu den wilden Elenweibchen führte. Werrna und Rissa blieben zurück, um auf Trevegg zu warten, der noch unterwegs war von dort, wo er mit uns gesprochen hatte. Sein Weg führte genau entlang des Pfads der beiden anderen Elen, die herumgeschwenkt waren, als wollten sie ihn mit voller Absicht überrennen. Bei Rissas warnendem Bellen begann Trevegg zu laufen. Dann stolperte er im Staub und kam nur humpelnd auf die Pfoten. Die beiden Elen hatten ihn eingeholt. Werrna sprang einen von ihnen an. Es war ein junger Elen, kleiner als alle anderen, und als er von einem solch großen Wolf angegriffen wurde, machte er einen Satz zur Seite. Doch der andere Elen war Yonor, und der ließ sich nicht beirren. Er senkte seinen Kopf und griff Trevegg an. Unter gar keinen Umständen würde der Altwolf genügend Zeit haben, um auszuweichen. Ich begann zu rennen. 203 Rissa knurrte und sprang Yonor unmittelbar an. Für einen einzelnen Wolf war es eine gefährliche Sache, direkt auf den Kopf eines Elenbullen zu zielen, doch es war ihre einzige Möglichkeit, um seine Aufmerksamkeit von Trevegg auf sich selbst zu lenken. Yonor röhrte siegesgewiss, als Rissa sprang, und er warf seinen Kopf eng herum, traf sie mit seinem riesigen Geweih und schmetterte sie zu Boden. Rissa jaulte vor Schmerz auf. Ich lief, so schnell mich meine Beine trugen. Irgendwo hinter mir vernahm ich Ruuqos verzweifelt aufheulendes Bellen. Ich konnte erkennen, dass Werrna zu uns eilte, und ich wusste, dass der Rest des Rudels unmittelbar hinter ihr sein würde. Sie würden zu spät kommen. Ich war ihm am nächsten. Yonor sah mich an, als ich auf ihn zurannte, und schnaubte, als sei ich unbedeutend und mit Sicherheit keine Bedrohung für ihn. Ich hätte schwören können, dass er lächelte, während er sich auf seine Hinterbeine stellte, um Rissa zu zerschmettern. Furcht drückte mir die Kehle zu, als ich daran dachte, wie leicht es ihm gefallen war, sie auf den Boden zu werfen. Ich beachtete die Furcht nicht weiter, sondern versuchte mich daran zu erinnern, wie ich mit TaLi gejagt hatte - an den Zeitpunkt des Sprungs, an den Winkel des Angriffs. Bei einem Gegner von Yonors Größe musste ich Geschick
und Berechnung anwenden, nicht nur Kraft. Ich glaubte nicht, dass es mir gelingen würde, ihn genügend zu verlangsamen, wenn ich ihn bei der Seite packte. Ich schluckte schwer. Ich hatte nur eine einzige Chance. Ich zwang mich, tief Luft zu holen, spannte die Muskeln in meinen Schenkeln an, sprang und packte Yonors Nase mit meinen Zähnen. Er begann zu treten und zu buckeln, versuchte mich abzuschütteln, als sei ich nicht schwerer als das Blatt 204 von einem Baum. Ich fühlte mich, als würde mein Hals entzweibrechen und meine Läufe würden mir aus dem Leib gerissen. Nichts in meinem Leben hatte jemals so sehr geschmerzt. »Silbermond!« TaLis Schrei ertönte über die Ebene. Ich hatte sie in meiner Angst um Trevegg und Rissa vollkommen vergessen. Selbst mit meinem hin- und hergeworfenen Kopf konnte ich ihre Füße hören, wie sie den Boden berührten. Sie wird ihre Fußumhüllungen tragen, dachte ich bei mir. Ich war froh, dass sie mir zu Hilfe kommen wollte, doch auf gar keinen Fall würde sie es rechtzeitig schaffen. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Werrna, die am nächsten gewesen war, Yonors Flanke ansprang. Ich konnte erkennen, dass die flinke Yllin beinahe bei uns war und Ruuqo direkt hinter ihr. Ich begann abzurutschen und wusste, dass ich mich nicht mehr lange würde festhalten können. Schwarze Flügel schlugen auf Yonors Kopf ein. Tlitoo versuchte zu helfen und Yonor zu verwirren, machte es mir aber auch schwerer, mich festzuhalten. Plötzlich gab Yonor ein erstickendes Geräusch von sich und stolperte. Das war alles, was mein Rudel benötigte. Werrna, Ruuqo und Yllin zogen ihn zu Boden. Er wäre beinahe auf mich gefallen, doch ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, mich aus dem Weg zu rollen, bevor er den Boden berührte. Das Rudel tötete ihn rasch. Ich krabbelte zur Seite und sah TaLi schweratmend stehen, gute zehn Wolfslängen entfernt von uns. Ihr spitzer Stecken hatte sich tief in Yonors Hals gegraben. Sie musste ihn geworfen haben, mit Macht geworfen haben. Er hatte das riesige Vieh nicht sofort getötet, aber es hatte ihn genügend geschwächt, sodass das Rudel ihn umwerfen konnte. TaLi 204 umklammerte einen von den Stecken, mit denen sie die anderen Stöcke durch die Luft schnellen ließ, mit ihrer Hand, und das Funkeln einer Jägerin lag in ihren Augen. Trevegg kam wieder auf seine Pfoten, doch Rissa erhob sich nicht. Ruuqo erreichte uns und begann über Rissas Fell zu lecken. Sie hob ihren Kopf hinauf zu ihm. Sie keuchte, als könne sie keine Luft bekommen, und Blut trat aus einer Wunde, die Yonors Geweih hinterlassen hatte. Zögernd trat TaLi vor und kniete sich neben Rissa. Ruuqos Fell sträubte sich. »Ich will ihr nur helfen, Wolf«, sagte TaLi leise mit einem leichten Zittern in der Stimme. »Wenn sie keine Luft bekommt, wird sie sterben. Das ist das Geräusch, das mein Vetter gemacht hat, als seine Rippen verletzt waren, und ich habe ihm geholfen zu Atem zu kommen, bis meine Großmutter da war und seine Knochen richten konnte.« »Lass sie«, sagte Trevegg.
Ruuqo zögerte. Rissa röchelte, rang um Atem. Schließlich neigte Ruuqo seinen Kopf und trat zur Seite. TaLi nahm einen der Beutel von ihrem Rücken und einen weiteren, der um ihren Hals hing. Sie nahm Pflanzen aus beiden und mischte sie in ihrer Hand. Sie nahm ihren Wasserbeutel, der über ihrer Schulter hing, und mischte die Kräuter zu einem Brei, den sie Rissa anbot. »Du musst das fressen«, sagte TaLi. »Es wird dir helfen, den Weg für deinen Atem zu öffnen.« »Es ist in Ordnung«, erklärte ich Rissa und schob TaLis Hand mit meiner Nase zu ihr hin. »Sie gehört zum Rudel.« Sanft presste TaLi die Masse in Rissas Schnauze. Sie zitterte ein wenig, als Rissas scharfe Zähne sie berührten. Ich lehnte mich an sie. Rissa leckte TaLis Hand sauber. Nach we 205 nigen Augenblicken wurde ihr Atmen leichter, und sie hörte auf zu keuchen. »Ihre Rippen sind entweder verletzt oder gebrochen«, meinte TaLi. »Ich kann ihr besser helfen, wenn ich zu Hause bin, aber sie muss sehr vorsichtig sein.« Das Mädchen sprach mit Selbstsicherheit, ihre Augen waren auf Rissa gerichtet. TaLi blickte auf und sah Ruuqo in die Augen. Sie starrten einander an. Ich glaube nicht, dass TaLi die Gefahr bemerkte, in der sie sich befand. Ruuqo begann seine Lefzen zu einem Zähnefletschen zurückzuziehen, dann neigte er den Kopf und ging, um Rissa aufzuhelfen. »Sag ihr, dass ich ihr danke«, erklärte Ruuqo. »Warum hast du die Elen dazu gebracht, wild durcheinanderzulaufen, Kaala?«, fragte Rissa, als sie unsicher auf die Pfoten gekommen war. »Ich habe gesehen, wie du zwischen ihnen gelaufen bist.« »Ich musste den Kampf verhindern«, erklärte ich. Schnell erzählte ich ihnen von dem Entschluss der Höchsten Wölfe. Wut verdunkelte Ruuqos Augen. »Also haben die Höchsten Wölfe uns belogen? Und sie wollten uns alle umbringen?« »Wir müssen Torell davon abhalten zu kämpfen«, meinte Trevegg und leckte seine verletzte Pfote. »Er wird es wieder versuchen, sobald sich die Elen beruhigt haben.« Der Altwolf sah mich an, und es gelang ihm zu lachen. »Du hast die wilde Raserei mit Absicht verursacht? Auf diese Lösung wäre ich nicht gekommen, aber es hat uns Zeit verschafft.« »Aber mehr auch nicht«, sagte Rissa mit schwacher Stimme. »Torell wird seinen Kampf nicht aufgeben.« Sie blickte auf die Mitte der Wiese und rang nach Atem. »Genauso wenig wie Ranor.« 205 Ich sah auf. Obwohl die Elenbullen zusammen angegriffen hatten, besaßen sie doch nicht die Disziplin eines Wolfsrudels. Ihr Drang, miteinander zu wetteifern, schien größer zu sein als ihr Zorn auf die Menschen und Wölfe. Mit was für einem Plan sie auch immer begonnen haben mochten, jetzt war er vergessen. Sie liefen von einer Stelle zur nächsten und versuchten ihre Gefährtinnen zurückzuholen. Einige kämpften sogar gegeneinander. Andere verließen bereits die Ebene mit ihren Weibchen. Die Wölfe und Menschen kümmerten sich um die Mitglieder ihrer
Rudel, sahen nach, wer verletzt war, und schienen den Kampf gegeneinander vergessen zu haben. Es sah so aus, als ob wir den Kampf zumindest vorerst erfolgreich aufgehalten hätten. Doch als ich Rissas Blick folgte, sah ich, dass ich falschlag. Ranor stand neben seinem gefallenen Bruder und blickte auf ihn hinab, blickte vor allem auf TaLis spitzen Stecken, der aus Yonors Hals herausragte. Seine Augen wanderten von dem Stecken zu TaLi, beobachteten, wie das Mädchen Rissas Rippen befühlte und mehr von den Kräutern auf die blutende Wunde legte. Das riesige Vieh senkte sein enormes Geweih, und ein tiefes, grummelndes Gurgeln kam aus seiner Kehle, so als ob er ein anderes Männchen herausfordern würde. Er rief die anderen Elenbullen! Kommt zu mir!, befahl er. Nur zwei der anderen männlichen Elen blickten auf. Einer von ihnen war derjenige, den Werrna zuvor gejagt hatte, und beides waren junge Elen, von niedrigem Rang. Das Menschenkind hat meinen Bruder abgeschlachtet, rief Ranor. Selbst halberwachsen sind sie schon Mörder. Wir werden ihre Jungen töten, bevor sie stark genug werden, uns zu töten. Er zischte zwischen seinen Zähnen hervor und lief auf eine 206 Gruppe der kleineren Menschen zu. Sie waren von den anderen getrennt worden und versteckten sich an einer Stelle mit besonders hohem Gras. Die zwei jungen Elen folgten ihm, schüttelten ihre Köpfe vor und zurück und röhrten. TaLi verschlug es den Atem, als sie erkannte, wohin Ranor und die anderen liefen. Sie machte einige Schritte vorwärts und blickte dann zurück auf Rissa, die langsam ging und schwer atmete. »Ich kann sie nicht alleine lassen«, murmelte sie. Ich berührte den Rücken ihrer Hand mit meiner Nase und begann auf die kleinen Menschen zuzulaufen. Besser gesagt, ich versuchte es. Mein Rücken und mein Hals schmerzten so sehr, dass ich mich nur mit halben Sätzen vorwärtsbewegen konnte. Die Elen würden lange vor mir bei den jungen Menschen sein. Ich blickte mich um und versuchte etwas zu finden, was ich tun konnte. Da sah ich Ázzuen und Marra bei BreLan und MikLan stehen. Sie waren nah genug, um die jungen Menschen zu erreichen, aber sie standen mit den Rücken zu den angreifenden Elen, ihre Augen auf Torell und sein Rudel gerichtet, die hin und her liefen und miteinander stritten. »Helft ihnen«, rief ich. Doch meine Stimme war nicht stark genug, und ich war außer Atem. Das Gefecht mit Yonor hatte mich mehr verletzt, als ich angenommen hatte. Mein Rudel hörte mich nicht über dem Röhren der Elen und den Rufen der Menschen und Wölfe. Ich sah mich suchend nach Tlitoo um, der meine Nachricht hätte überbringen können, konnte ihn aber nirgends finden. »Welpen in Gefahr!« Werrnas dröhnende Stimme erschreckte mich so sehr, dass ich ins Stolpern geriet. Sie begann zu laufen. Ázzuen warf seinen Kopf herum und er 206 kannte, worauf Ranor und die anderen Elen ihren Angriff richteten. Er stieß BreLan mit dem Kopf an der Hüfte an, und BreLan erkannte ebenfalls, wohin die Elen liefen. Er stieß einen lauten Ruf aus, und mehrere Menschen begannen vom anderen Ende der Ebene aus zu ihren Jungen zu rennen, um sie zu beschützen. Sie würden ebenfalls nicht rechtzeitig kommen.
Wir können sie schlagen, rief Ranor. Es ist an der Zeit für uns, nicht länger Angst zu haben. Zeit für uns, die Ebene zurückzuerobern. Die anderen beiden Elen rannten schneller. Ich hörte rasche Schritte hinter mir, als Yllin zu mir aufschloss. »Sag mir, was ich tun muss«, rief sie. »Sag mir, wie man mit den Menschen jagt.« »Öffne dich ihnen«, keuchte ich. »Finde einen, mit dem du dich verständigen kannst, und jage mit ihm, wie du es mit einem Rudelgefährten tun würdest. Denke daran, dass sie nicht viel anders sind als wir.« Yllin neigte ihren Kopf und rannte weiter, ihre Läufe verschwanden in einem Wirbel von Fell und Staub. Werrna überholte mich ebenfalls. »Ich werde die Elen jagen, wie ich es immer schon getan habe«, schnaubte sie, »mit Zähnen und mit List. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie Welpen verletzen. Nicht einmal die Welpen der Menschen.« Sie sprintete mit plötzlicher Geschwindigkeit davon und folgte Yllin auf der Pfote. Ich konnte nicht weiter laufen. Es schmerzte zu sehr. Ich bewegte mich in humpelndem Schritt vorwärts. Ich konnte nur zusehen und hoffen. Marra und Ázzuen beeilten sich, die jungen Elen abzulenken, die Ranor zu Hilfe gekommen waren. MikLan und BreLan waren kurz hinter ihnen. Ich war zu erschöpft, um ihnen 207 zuzurufen, was sie tun mussten, aber sie brauchten meine Hilfe gar nicht. Die vier bewegten sich wie ein Rudel, das seit Jahren zusammen jagt, wie Wasser, das über die Felsen im Fluss fließt. Ázzuen und Marra liefen zu den Flanken der beiden Elen und trieben sie auf BreLan und MikLan zu, die schrien und mit ihren spitzen Stecken fuchtelten. Die Elen schnaubten und prusteten und bogen zur Seite ab. Als sie sich umwandten, um erneut anzugreifen, trieben die Wölfe und Menschen sie wieder fort. Die Elen verloren die Lust und verschwanden auf die Ebene hinaus. Ázzuen und Marra folgten ihnen, um sicherzugehen, dass sie nicht zurückkamen. Damit blieb nur Ranor übrig. Der riesige Elenbulle brüllte vor Zorn und lief schneller auf die Welpen der Menschen zu. Als er nur noch einen Sprung von den kleinen Menschen entfernt war, rammten ihn Werrna und Yllin von der Seite. Werrna jaulte auf bei diesem Treffer. Im selben Moment warf ein Mann der Menschen seinen spitzen Stecken. Dieser Mensch hatte nahezu ebenso schnell rennen müssen wie ein Wolf, damit er jetzt dort sein konnte, wo er war. Der Stecken streifte Ranors Flanke. Dieser zeitgleiche Angriff verunsicherte Ranor, und er schwankte zur Seite. Dann senkte er den Kopf und griff erneut an. Werrna und Yllin standen dem jungen Menschen gegenüber. Werrna starrte ihn einen Augenblick lang an, dann schüttelte sie sich und drehte sich weg. Doch Yllin streckte ihren Kopf nach vorne und öffnete ihre Schnauze, um den Duft des Menschen aufzunehmen. Sie leckte seine Hand. Es geschah so schnell, dass ich mich fragte, ob ich es nicht nur geträumt hatte. Dann liefen die beiden gemeinsam auf Ranor zu. 207 Ich hatte sie beinahe erreicht, als Ranor plötzlich seinen Kurs wechselte und Werrna und Yllin rasch auswich. Für einen Augenblick stand er still, dann sah er über seine Schulter.
Kommt zu mir, rief er die beiden jungen Elen wieder. Seid ihr Feiglinge ? Ihr werdet niemals Gefährtinnen finden, wenn ihr so schnell davonlauft. Kommt zurück, um zu kämpfen, und ich werde meine Gefährtinnen mit euch teilen. Sie schnaubten und rannten zu ihm zurück. Die drei begannen langsam auf die Jungen der Menschen zuzugehen. Yllin und ihr Mensch standen ihnen allein im Weg. Werrna raste hinüber zu ihnen. Einen Augenblick später standen Ázzuen, Marra, BreLan und MikLan an ihrer Seite. Die Menschen hielten ihre spitzen Stecken in die Höhe und drohten mit schweren Steinen. Die Wölfe fletschten mit den Zähnen und knurrten. Tlitoo und drei weitere Raben flatterten über ihnen. Die jungen Elen brachen aus und rannten davon. Ranor zögerte einen Moment, dann sah er die große Gruppe der Menschen über die Ebene laufen, um ihre Jungen zu retten. Er schüttelte heftig den Kopf. Ich werde das nicht vergessen, zischte er zwischen seinen Zähnen hervor. Ich werde nicht vergessen, was ihr Wölfe getan habt. Er schüttelte noch einmal seinen Kopf und folgte den anderen Elen auf die Ebene hinaus. 208
20
Die Wölfe vom Schnellen Fluss warteten nicht, bis die Menschen sie erreicht hatten, denn ängstliche Menschen können unberechenbar sein. Werrna und Yllin trabten schnell davon. Ázzuen rieb sich an BreLans Hüfte, und Marra berührte MikLans Hand sanft mit ihrer Nase. Dann sprangen beide den erwachsenen Wölfen hinterher. Einen Augenblick lang glaubte ich, die Menschen würden den Wölfen nachjagen, obwohl die Wölfe ihre Jungen gerettet hatten, doch sie schauten ihnen nur argwöhnisch nach, während die Wölfe davonstoben. Der Kampf war jedoch noch nicht vorbei. Ruuqo und Minn hatten mich erreicht, und auch die anderen versammelten sich um uns. Ich blickte über meine Schulter und sah, wie Rissa mit TaLi, Trevegg und Unnan langsam in unsere Richtung ging. Yllins Augen waren unverwandt auf den Menschen gerichtet, neben dem sie gestanden hatte. Werrna streckte sich vollkommen lässig und gähnte, offen 208
sichtlich zufrieden mit sich. Ich konnte nicht glauben, wie ruhig sie blieb. »Es ist eine Schande, dass wir Ranor nicht verfolgen und ihm eine Lehre erteilen können, wie man die Wölfe vom Schnellen Fluss wirklich jagt«, meinte sie und blickte den auf der Ebene verschwindenden Umrissen des Elenbullen nach. Tlitoo folgte dem Elen und stürzte hinab, um ihn am Schwanz ziehen. »Aber ich glaube, Torell hat uns etwas zu sagen.« Das war wahrhaftig eine Untertreibung. Torell und sechs Wölfe vom Felsgipfel stürzten auf uns zu. Sie kochten vor Wut. Die Wölfe vom Höhenwald folgten etwas langsamer. Ich warf einen beunruhigten Blick auf die Menschen, in Sorge, dass sie eine solch große Gruppe von Wölfen als Bedrohung empfinden mochten und sich entschlossen anzugreifen.
Torell und Ceela erreichten uns gleichzeitig, der Rest ihres Rudels kam gleich hinter ihnen. Ich war merkwürdig enttäuscht darüber, dass Pell nicht bei ihnen war. »Es ist noch nicht vorbei«, knurrte Torell. »Eure Welpen haben unsere Jagd gestört, aber wir werden weiterjagen. Und ihr werdet uns nicht wieder stören, oder - und das schwöre ich dir, Ruuqo - ich werde jeden Wolf deines Rudels umbringen.« »Es ist vorbei«, antwortete Ruuqo. »Es hätte niemals beginnen dürfen. Du wirst die Ebene verlassen und keinen Aufruhr mehr verursachen. Oder du wirst deinen Kampf mit den Wölfen vom Schnellen Fluss bekommen.« Torell sah völlig erstaunt aus. Ich glaube nicht, dass er erwartet hatte, Ruuqo würde seine Herausforderung annehmen. 209 »Ihr habt es verschuldet, dass einer meiner besten Jäger verletzt ist. Ich weiß nicht, ob er jemals wieder laufen kann.« Ich sah hinter seinem Rücken, dass Pell am Boden lag. Mein Herz setzte für einen Moment lang aus. Er war wach und konnte seinen Kopf heben, aber er stand nicht auf. »Dein Stolz und deine Dummheit haben dich deinen Jäger gekostet«, erwiderte Ruuqo. »Und sie haben mich beinahe meine Gefährtin gekostet. Ich werde nicht gestatten, dass du mein Rudel in Gefahr bringst. Verlass die Ebene, solange du noch kannst, Torell. Ich habe heute keine Geduld mit dir.« Ein Knurren ertönte rings um mich, als alle Wölfe vom Schnellen Fluss Ruuqos Befehl bekräftigten. »Wenn ihr nicht verschwindet«, erklärte Werrna, »werdet ihr euren Kampf bekommen.« »Und ihr werdet auch gegen die Wölfe vom Höhenwald kämpfen müssen.« Sonnen, der Leitwolf des Rudels vom Höhenwald, trat vor. »Wir hätten nicht auf dich hören sollen, Torell. Du hast uns in Schwierigkeiten gebracht und das Leben meines Rudels aufs Spiel gesetzt. Wenn du gegen das Rudel vom Schnellen Fluss kämpfst, kämpfst du auch gegen uns. Vielleicht wäre das Tal ohne die Wölfe vom Felsgipfel besser dran.« Torell knurrte erbittert. Ceela tat einen Schritt nach vorne. Werrna hechelte und stellte sich ihr entgegen. Wir alle folgten Werrna und zwangen die Wölfe vom Felsgipfel zurückzuweichen. Die Wölfe vom Höhenwald näherten sich ihnen von hinten. Einen Moment lang glaubte ich, Torell und Ceela wären wirklich verrückt genug, gegen alle Vernunft zu kämpfen. Doch es musste ihnen noch ein letzter Rest von Verstand geblieben sein. Die Wölfe vom Felsgipfel brachen aus und liefen davon. Meine Abscheu ihnen gegenüber ver 209 stärkte sich nur, als ich sah, dass sie Pell zurückgelassen hatten. Sonnen neigte seinen Kopf vor Ruuqo und führte sein Rudel auf Torells Fersen, um sicherzugehen, dass sie nicht auf die Ebene zurückkehrten. Sobald die Felsgipfler verschwunden waren, ging TaLis Großmutter, die endlich die Ebene des Hohen Grases erreicht hatte, voller Selbstvertrauen hinüber zu Pell. Sie winkte TaLi zu, die sich beeilte, schnell zu ihr zu kommen. Beide beugten sich hinunter und begannen, sich mit ihren Kräutern zu schaffen zu machen, um dem verletzten Wolf zu helfen. Ich blickte auf, um nach den Höchsten Wölfen zu sehen,
die sich nun in ihren Verstecken, rings um die Ebene verteilt, aus ihren Jagdpositionen erhoben und sich stillschweigend in die Wälder zurückzogen. Ich fühlte, wie sich mein Brustkorb vor Erleichterung hob. Mein Hals und mein Rücken waren so steif geworden, dass ich nicht glaubte, noch einen Moment länger stehen zu können. Ich ächzte ein ganz klein wenig. Ruuqo legte seinen Kopf sehr sanft auf meine Schulter. Er dankte mir nicht und sagte mir nicht, dass er im Unrecht gewesen war, als er nicht auf mich gehört hatte er ließ einfach seinen Kopf für eine Weile auf meinem Rücken ruhen. Verlegen neigte ich meinen Kopf, bevor ich dankbar seine Schnauze leckte und dann beobachtete, wie er an Rissas Seite zurückkehrte. In dem Versuch, die Schmerzen in jedem Teil meines Körpers nicht weiter zu beachten, ging ich hinüber zu einer Stelle, wo der Wald auf die Ebene traf. Eines blieb mir noch zu tun. 210 Ich hatte gesehen, wie Zorindru uns beobachtete, als wir die Wölfe vom Felsgipfel vertrieben. Er trat aus dem Wald heraus, bevor ich ihn erreichen konnte. Frandra und Jandru waren bei ihm. Sie warteten auf mich an einer flachen, staubigen Stelle, die gerade noch von den Bäumen geschützt wurde. Alle drei beobachteten mich schweigend und warteten darauf, dass ich zu sprechen begann. Ich wusste, dass trotz allem - obwohl es uns gelungen war, den Kampf aufzuhalten und obwohl wir die Wölfe vom Felsgipfel vertrieben hatten - die Höchsten Wölfe sich immer noch entscheiden konnten, uns zu töten. Tlitoo landete zu meinen Füßen, stellte sich zwischen mich und die Höchsten Wölfe und legte für einen winzigen Augenblick seinen Kopf an meine Brust. Ich atmete tief ein und fühlte, wie jede meiner Puppen vor Schmerz protestierte. Ich neigte ehrerbietig meinen Kopf. »Sie haben nicht gekämpft«, sagte ich zu Zorindru. »Das heißt?« Der Tonfall des greisen Höchsten Wolfes ließ alle Deutungen zu. »Sie haben nicht gekämpft«, sagte ich noch einmal. »Du hast behauptet, dass die Höchsten Wölfe sie töten würden, wenn sie beginnen würden zu kämpfen. Uns alle töten würden. Aber sie haben nicht gekämpft.« Ich blickte auf, um ihm in die Augen zu sehen. »Sie haben nicht gekämpft, also dürft ihr keinen von den Wölfen oder Menschen töten.« »Sie haben nicht gekämpft, weil du eine wilde Flucht verursacht hast«, schnaubte Frandra. »Woher sollen wir wissen, dass sie nicht bei der nächsten Gelegenheit doch noch kämpfen?« Tlitoo pickte eine Spinne auf und warf damit nach dem Höchsten Wolf. Ich blickte über meine Schulter auf die Menschen und die 210 Wölfe, die über die ganze Ebene verteilt waren. Die alte Krianan hatte Pell verlassen und kam zu uns herüber. TaLi war bei ihm geblieben und machte irgendetwas Umständliches mit dem verletzten Bein des Wolfes. Ein kleiner Junge hockte neben ihr und half ihr. Sonnen beobachtete TaLi bewundernd, und ein weiblicher Wolf vom Höhenwald leckte über den Kopf des Jungen und brachte ihn damit zum Lachen. Überall auf der Ebene vergewisserten sich Wölfe, dass ihre Rudelgefährten keine Verletzungen davongetragen hatten, während sich die
Menschen versammelten und sich mit mindestens ebenso viel Liebe und Sorge um ihre Jungen und Alten kümmerten, wie es jeder Wolf getan hätte. »Ihr habt uns niemals eine Chance gegeben«, erklärte ich. »Ihr habt gesagt, dass die Höchsten Wölfe Lydda fortschickten. Sie hatte niemals eine Gelegenheit, den Krieg zu verhindern. Also könnt ihr auch nicht wissen, ob es ihr gelungen wäre oder nicht.« Ich erhob mein Kinn und reckte meine Rute ein winziges bisschen höher in die Luft. »Ihr solltet uns wenigstens eine Chance geben.« Alle drei Höchsten Wölfe betrachteten mich schweigsam. Die alte Frau war endlich bei uns angelangt und legte ihre Hand auf meinen Rücken. »Nun, Zorindru?«, fragte sie. »Ich bin nicht der Einzige, der in dieser Sache entscheidet, NiaLi«, sagte er. »Das weißt du. Der Rat glaubt, dass es immer noch zum Kampf kommen wird - dass es nur eine Frage der Zeit ist. Aber sie haben mir ein Jahr Aufschub gegeben.« Er seufzte. »Sie glauben, dass du scheitern wirst, Kaala, aber sie werden es dich versuchen lassen - ein Jahr lang -, den Frieden im Tal zu wahren.« Er blickte mich streng an und für so lange Zeit, dass ich mich zu winden begann. »Mein Angebot 211 gilt immer noch, Jungwolf. Ich werde dich zu deiner Mutter bringen. Und deine Rudelgefährten und deine drei Menschen können ebenfalls mitkommen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass du am Leben bleibst.« »Sie kämpfen immer, Kaala«, sagte Jandru leise. »Ganz gleich, was du versuchst, wenn die Wölfe den Menschen zu nahe kommen, dann kämpfen sie. Du musst mit uns kommen. Deine Kinder können die Wächter werden und Retter aller Wölfe sein.« »Nein«, warf die alte Frau plötzlich ein. »Ihr irrt euch.« »Was willst du uns da sagen?«, schnaubte Frandra. »Sie hat gesagt, dass ihr euch irrt«, wiederholte Tlitoo hilfreich und suchte auf dem Boden nach etwas, mit dem er Frandra erneut bewerfen konnte. »Seht euch um«, forderte die alte Frau. Sie deutete auf die Wiese hinter uns. »Ich glaube, ihr habt einen Fehler gemacht, euch von den Menschen fernzuhalten, sie auf dieselbe Art zu beobachten, wie Geschöpfe, die ihr jagen könnt. Ihr könnt keine Hüter sein, wenn ihr euch versteckt.« Sie beugte sich herunter, um zu mir zu sprechen. »Hör mir zu, Silbermond«, sagte sie eindringlich. »Ich glaube, du hast immer schon etwas gewusst, was die KriananWölfe nie verstanden haben. Nämlich dass die Wölfe, um wirklich über die Menschen wachen zu können, sie nicht nur aus der Ferne beobachten dürfen, um sich dann mit einigen wenigen von ihnen bei den Aussprachen einmal während eines Mondumlaufs zu treffen. Sie müssen wirklich in unserer Nähe bleiben, genauso, wie du es mit TaLi getan hast. Die zwei Rudel müssen zu einem werden.« »Dann wird es Krieg geben!«, brach es aus Frandra heraus. »Die Menschen werden wieder zu viel von den Wölfen 1er 211 nen. Sie werden noch besser darin werden zu töten. Besser darin, die Dinge zu beherrschen. Genauso, wie es zu den Zeiten von Indru und Lydda gewesen ist!« »Dann werden die Wölfe besser darin werden müssen, bei den Menschen zu sein«, sagte Zorindru langsam und schaute gedankenverloren auf die alte Frau. »Es ist
einen Versuch wert. Aber wenn du das tust, Kaala, wenn du dich dazu entscheidest, so nahe bei den Menschen zu sein, dann musst du einen Weg finden, wie du für immer bei ihnen bleiben kannst. Sie werden so viel von dir lernen, dass sie, wenn du sie verlässt, die ganze Welt zerstören werden. Ganz gleich welche Opfer du und diejenigen, die dir folgen werden, auch bringen, ihr werdet nicht aufgeben können, wenn ihr einmal damit begonnen habt. Und du musst andere davon überzeugen, dir zu folgen. Das Schicksal deines Rudels wird auf ewig mit dem dieser Menschen verbunden sein.« Ich begann zu zittern. Wie konnten sie das von mir verlangen? Ich war nicht einmal ein ganzes Jahr alt. Wie konnte ich eine Entscheidung für so viele Wölfe treffen? Wie konnte ich aufgeben, meine Mutter finden zu wollen? Vielleicht sogar für immer? »Nun, Jungwolf«, sprach Zorindru zu mir, »wie lautet deine Entscheidung?« Ich blickte über die Ebene. Ich sah, wie TaLi Pells Wunden versorgte, während BreLan und Ázzuen neben ihnen standen. Ich sah, wie sich MikLan an Marra kuschelte, ihr das Fell streichelte und sie immer wieder von oben bis unten nach Verletzungen absuchte. Während ich sie so beobachtete, ging Yllin mutig zu dem jungen Menschen hinüber, der geholfen hatte Ranor zu vertreiben, und sie stupste ihn mit der Schnauze so heftig in den Bauch, dass er beinahe hintenüber 212 fiel. Trevegg kroch sehr viel zögerlicher zu einer greisen Frau, die in den Beutel an ihrer Taille griff, um ihm etwas von dem Feuerfleisch zu geben. Zwei kleine Menschen begannen mit einem vorjährigen Jungwolf vom Höhenwald zu toben, während Sonnen lachend zuschaute. Sie sahen aus wie ein gewöhnliches Rudel, das sich nach einer Jagd oder einem Kampf ausruht. Und ein Rudel bleibt zusammen, selbst wenn es einmal schwierig wird. TaLi stand auf und half Pell auf seine Pfoten. Dann blickte sie zu uns hinüber, wo wir standen und sie beobachteten. Die alte Frau legte noch einmal ihre Hand auf meinen Rücken. »Ich werde bleiben«, erklärte ich. »Wir werden bei den Menschen bleiben.« »Also gut«, meinte Zorindru, »wir werden den Wölfen des Großen Tales eine weitere Chance geben.« Ich leckte ihn voller Dankbarkeit, verneigte mich vor allen Höchsten Wölfen und dann vor der alten Frau. Ich schüttelte mich kurz und machte mich auf, hinüber zur Ebene, wo die Wölfe und Menschen meines Rudels auf mich warteten. 212
Epilog
Lydda stand an der Baumgrenze, die den Übergang zwischen der Traumwelt und der Welt des Lebens bildete. Sie beobachtete den jungen, mit einem silbernen Mond gezeichneten Wolf, der gerade eben erst halberwachsen war und der jetzt zu den Menschen und Wölfen hinüberging, die dort zusammenstanden. Es gibt noch so Vieles zu tun, dachte Lydda bei sich. Sie warf einen Blick zurück über ihre Schulter, zurück in die Traumwelt. Es blieben ihr nur noch wenige Augenblicke, bevor sie vermisst werden würde, und sie würde höchstwahrscheinlich Arger bekommen. Dennoch betrachtete sie das Leben auf der Wiese ein Weilchen länger. Und als die Sonne am Himmel aufging und die Geschöpfe im Großen Tal wieder
zueinanderfanden, da fühlte sie, wie eine schwere Bürde von ihrem Herzen fiel. Und ganz langsam, nur ein klein wenig, begann ihr Schwanz zu wedeln. 213
Danksagungen
Es gibt drei Frauen, ohne die dieses Buch niemals geschrieben worden wäre. Meine Schreibkameradinnen, Ratgeberinnen und Führerinnen durch den Nebel: Pamela Berkman, Harriet Rohmer und meine Mutter und Mentorin Jean Hearst haben mit mir geschrieben, lange bevor die Wölfe durch die Tür spazierten. Sie haben mir geholfen, meinen Weg als Schriftstellerin zu finden und die Strapazen eines ersten Romans durchzustehen. Mein Vater, Joe Hearst, brachte mir schon sehr früh bei, dass das Allerwichtigste im Leben ist, eine Arbeit zu finden, die man liebt. Und er hat mir ein Beispiel von genau dieser Einstellung gegeben - als Physiker, Fotograf und Renaissancemensch. Meine Eltern gaben mir außerdem unendliche Unterstützung und ein lebenslanges Beispiel dafür, was es heißt, selbstbestimmt und mutig zu leben. Mein Bruder Ed und meine Schwester Marti waren meine Helden seit unserer gemeinsamen Zeit als Welpen, meine 213
Herausforderer und Führer als Erwachsene, und sie haben immer schon geglaubt, dass ich eines Tages ein erfolgreiches Buch schreiben würde. Meine Großeltern sind nicht hier, um die Wölfe zu erleben, doch ihre Liebe hat mir geholfen, ein Mensch zu werden, der Bücher schreiben kann. Ich habe keine Ahnung, womit ich es verdient habe, meine Super-Agentin Mollie Glick zu finden. Ihre Begeisterung für die Wölfe, ihre besonnene Führung, ihr ungewöhnlicher Verstand und ihre Intelligenz waren ein Geschenk und eine Freude. Zum zweiten Mal war mir das Glück hold, als die Wölfe ihren Weg zu der wundervollen Kerri Kolen bei Simon & Schuster fanden, deren einfühlende Bemerkungen und kluge Ratschlüsse das Buch einen Schritt voranbrachten. Dank auch an Victoria Meyer und Leah Wasielewski, Simon & Schusters kluges Publicityund Marketing-Team, an Marcella Berger und Simon & Schusters beeindruckendes Team für fremdsprachige Rechte und an Jessica Regel bei der Agentur Jean Naggar, meine Führerin in der Welt der Audio-Rechte. Wenn man sehr viel Glück hat, dann darf man mit einer Gruppe von Menschen zusammenarbeiten, die das eigene Leben verändern und einen zu der Erkenntnis bringen, dass wir hier auf dieser Erde sind, um Dinge zu bewirken. Meinen Verbündeten und teuren Freunden Paul Foster, David Greco, Xenia Lisanevich und Johanna Vondeling alles Liebe. Genauso wie dem Dream-Team Jennifer Bendery, Colleen Brondou, Allison Brunner, Lynn Honrado, Ocean Howell, Erin Jow, Tamara Keller, Bruce Lundquist, Deb Nasitka, Mariana Raykov, Jennifer Whitney, Jesse Wiley Akemi Yamagu-chi und Mary Zook - ich danke euch, dass ihr diese wundervolle Reise mit mir unternommen habt. Allen in der Zauber 213 weit von Jossey-Bass, ich danke euch dafür, dass ihr einen Platz geschaffen habt, an dem sich Träume erfüllen können. Tausend Dank an Bonnie Akimoto, Allison Brunner und Cheryl Greenway für ihre unglaubliche Freundschaft und Unterstützung. Ich bin unendlich dankbar all den
guten Freunden, die mich ermutigt und mich daran erinnert haben, die Wohnung gelegentlich zu verlassen: Bruce Bellingham, Diane Bodiford, Laura Coen, Emily Feit, Diana Gordon, Nina Kreiden, Lesley Iura, Jane Levikov, Katie Levine, Donna Ryan, Mehran Saky, Carl Shapiro, Liane Shayer, Starla Sireno, Käthe Sweeney, Tigris, Erik Thrasher, Bernadette Walter, Jeff Wyneken. Und ein besonderes Dankeschön und alles Liebe an Allison, Bonnie, Cheryl, Johanna, Pam und meine Familie, die immer da waren, um mich aufzufangen, wenn ich strauchelte. Danke an Meister Norman Lin, der mich Vertrauen, Mut und Durchhaltevermögen lehrte, selbst im Angesicht der Verzweiflung. Und Dank meinen Mitschülern und Freunden am SF Taekwondo. Ich hätte es nicht durch die Strapazen eines ersten Romans geschafft, ohne all das, was ich von euch allen an diesem besonderen Ort gelernt habe. Dank an Susan Holt für die wunderbaren Gespräche über Wölfe und Koevolution, für das Kutschieren durch Frankreich, um Höhlenmalereien zu betrachten, und für die Leihgabe der Huskys. Und vielen Dank an Joan Irwin, der mich vor den Huskys rettete. Ich hatte das unglaubliche Glück, früh in meiner Laufbahn auf wundervolle Mentoren und großartige Ratgeber zu treffen, während ich mich auf den Weg machte, um mein erstes Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Mein Dank gilt Alan Schräder, Carol Brown, Debra Hunter, Frances Hessel 214 bein, Lynn Luckow, Murray Dropkin, Debbie Notkin, She-ryl Fullerton und Heather Florence. Ich hatte das Privileg, mit großen Denkern und Autoren im gesellschaftlichen und öffentlichen Bereich zusammenarbeiten zu können, und ich bin dankbar, dass ich an ihrer Arbeit teilhaben durfte. Jedes Buch, an dem ich gemeinsam mit jedem von euch arbeiten durfte, wurde ein Beispiel für das Gute in dieser Welt. Ich war immer wieder überrascht und erstaunt über die Freimütigkeit der Experten zu den Themen Wolf, Hund und Entwicklungsgeschichte, die großzügig ihre Zeit und ihr Wissen mit mir teilten. Wolfs-Experten Norm Bishop, Luigi Boitani und Amy Kay Kerber waren so freundlich, ein frühes Manuskript zu lesen und Ratschläge zu geben. Raymond Coppinger, Temple Grandin, Paul Tacon und Elizabeth Marshall Thomas berieten mich bei der Entwicklungsgeschichte des Wolfes, der Hunde und des Menschen. Rick Mclntyre, Doug Smith, Bob Landis und Jess Edberg kannten wundervolle Wolfsgeschichten und wussten Rat. Connie Miliar schenkte mir ihre unschätzbare Hilfe und großartige Gespräche über Paleoökologie und Klimaforschung. Ich habe Tausende von Büchern gelesen, während ich Das Versprechen der Wölfe schrieb, und alle von ihnen haben mein Schreiben beeinflusst. Besonders hilfreich waren die Werke von Luigi Boitani, Stephen Budiansky, Raymond und Lorna Coppinger, Temple Grandin, Bernd Heinrich, Barry Lopez, David Mech, Doug Smith und Elizabeth Marshall Thomas und die Forschungen von Robert Wayne und D. K. Belyaev. Danke an das Internationale Wolfszentrum, die Defenders of Wildlife, die Yellowstone Association, Wolf Häven, Wolf Park und das Wild Canid Survival and Research Center für 214
die großartigen Informationen über und die Forschungen zu Wölfen. Danke auch an Jean Clottes und die wunderbaren Menschen in Les Combarelles, Font-deGaume und dem Museum von Les Eyzies. Dank an James Hopkins und Bernadette Walter für ihre Hilfe beim Vermessen des Großen Tales. Dank an Sam Blake und Danielle Johansen im Never Cry Wolf Rescue, an Dante, Comanche, Lady Cheyenne und Motzy für ihre Zustimmung, mit mir Modell zu stehen, und an Lori Cheung für die zauberhaften Wolf-Fotos. Ich kann nie wirklich glauben, dass man tatsächlich in irgendeine Bibliothek gehen darf und jedes Buch einfach so lesen kann. Ich bin besonders dankbar für diese wunderbaren Quellen. Ein Großteil dieses Buches wurde in Cafes in San Francisco und Berkeley geschrieben. Dank an Michael und alle anderen im »It's a Grind« auf der Polk Street, Alix und Go-lanz im »Royal Ground«, Phillip und seiner Gang im »Crepe House«. Und ein großes Dankeschön allen Cafebesitzern, die Schriftsteller stundenlang in ihren Cafes sitzen und auf ihre Laptops einhacken lassen. Und für alle von euch, die genauso wie ich Cafe-Schreiber seid: Bestellt viel, teilt mit anderen euren Tisch, und gebt großzügiges Trinkgeld! Die ersten Kapitel des Buches sind in einem Workshop in der Squaw Valley Community of Writers entstanden, und die Erfahrung, von anderen Schriftstellern umgeben zu sein, hat mich verwandelt. Ich bin besonders dankbar für die guten Ratschläge, die ich von Sandra Hall, James Houston und Janet Fitch bekam. Dank auch an Donna Levin und meine Mitschüler im CWP. Und zum Schluss, aber darum sicherlich nicht am allerwe215 nigsten, möchte ich allen den mehr oder weniger gezähmten Wölfen danken, die mir bei meinen Nachforschungen geholfen haben: Emmi, Nike, Talisman (aka Demonchild) und Ice, Jude, Kuma, Xöchi, Scooby, Rufus, Senga & Tess, Flash, Fee & Mingus, Shakespeare, Noni, Ginger & Caramel (Danke für den Hinweis dafür, wie man seinen Menschen am Handgelenk ergreifen kann), und eine besondere Erwähnung den Kätzchen Dominic und Blossom, die mir beigebracht haben, wer hier eigentlich wen zähmt. Jede Ähnlichkeit zwischen den Wölfen in diesem Buch und den Menschen, die ich kenne, ist zufällig. Fast zufällig.