Atlan - König von Atlantis Nr. 497 Der Hohlplanet
Das magische Erbe von H. G. Francis
Ein Bettler wird zum He...
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Atlan - König von Atlantis Nr. 497 Der Hohlplanet
Das magische Erbe von H. G. Francis
Ein Bettler wird zum Herrscher
Die Herrschaft des Bösen über die Schwarze Galaxis ist längst aufgehoben. Der Zusammenbruch der dunklen Mächte begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, durch die Schwarze Galaxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis gebracht wurde und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten. Dann löste die große Plejade den Lebensring um Ritiquian auf. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Statthalter des Dunklen Oheims starben aus. Doch das Schicksal der dunklen Mächte scheint damit noch nicht endgültig besiegelt zu sein. Der Dunkle Oheim traf jedenfalls einschneidende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusammenführte und mit ihnen startete. Die Lage, die gegenwärtig auf Pthor herrscht, ist schwer überschaubar. Unheimliche Bedrohungen für Land und Leute wechseln einander ab, und die Verantwortlichen haben alle Hände voll zu tun, um das Unheil zu bannen. Bei den meisten Vorgängen ist Magie mit im Spiel, denn nach wie vor existiert DAS MAGISCHE ERBE …
Die Hauptpersonen des Romans: Sconnos ‐ Ein Bettler wird zum Magier. Angy ‐ Sconnosʹ Geliebte und Beraterin. Staff ‐ Ein Gegner verwandelt sich in einen Freund. Senta ‐ Gouverneurin von Moondrag. Teiss ‐ Sentas Agent.
Prolog Der Dunkle Oheim verlor seinen vorübergehenden Optimismus, der sich darauf begründet hatte, daß er meinte, eine ihm genehme Macht auf Pthor heranreifen zu sehen. Er sah sich vor Schwierigkeiten gestellt. Die lange Reise neigte sich ihrem Ende entgegen. Das Ziel rückte in greifbare Nähe. Ausgerechnet jetzt aber traten Energieprobleme auf. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, begannen mit der Veränderung, die mit dem schwarzen Kern von Pthor vorgegangen war. Danach hatte der Oheim viele seiner Diener verloren, die ganz nebenbei auch die Funktion einer stillen Reserve zu erfüllen gehabt hatten. Eine negative Macht, die in Pthor herangewachsen war und dem Dunklen Oheim über diesen Verlust hätte hinweghelfen können, war ausgeschaltet worden, ohne daß das Ringwesen auch nur den geringsten Nutzen davon gehabt hätte. Nun zeigte sich zu allem Überfluß, daß andere Dimensionsfahrstühle auf die Ereignisse in Pthor reagierten. Die Vernichtung des einen schwarzen Kerns wirkte wie der Startimpuls zu einer Kettenreaktion. Immer mehr schwarze Kerne in anderen Weltenfragmenten hörten aus unerklärlichen Gründen auf zu arbeiten und lösten sich buchstäblich in Nichts auf. Es schien, als sei das noch nicht genug. Der Dunkle Oheim empfing einen deutlichen Impuls, dessen Ursprung er zunächst nicht herausfinden konnte. Erst als sich dieser Impuls einige Male wiederholt hatte, erkannte er, was er zu bedeuten hatte. Jeder Impuls
war der Todesschrei eines seiner Ableger, die über viele Dimensionsfahrstühle verstreut waren. In jedem Weltfragment waren einige von ihnen an scheinbar sicherer Stelle, meistens tief unter der Oberfläche, verborgen. Sie befanden sich in einem inaktiven Zustand und waren nicht viel mehr als winzige Keime zu einer Form von Leben. Jetzt starben sie einer nach dem anderen. Der Dunkle Oheim zweifelte nicht daran, daß ihr Tod mit dem Erlöschen der schwarzen Kerne zusammenhing. Trotz aller negativen Anzeichen dachte der Dunkle Oheim jedoch nicht daran, sich geschlagen zu geben. Auch wenn er viel verloren hatte, blieb ihm doch die Gewißheit, daß er allein durch seine Gegenwart die Kräfte des Bösen schürte … 1. Lange bevor der Dunkle Oheim den ersten Todesschrei eines seiner Ableger hörte: »Schnell«, sagte der Junge. »Du sollst kommen, Alpex stirbt.« Sconnos zuckte zusammen, als habe ihn der Schlag getroffen. »Alpex stirbt?« fragte er erschrocken. »Aber das kann nicht sein.« »Es ist so. Wenn du ihn noch lebend sehen willst, mußt du dich beeilen.« Wie betäubt kroch Sconnos aus seinem Unterstand, der mitten in den Trümmern eines Hauses lag. Einige querliegende Balken bildeten die Decke dieser primitiven Unterkunft. Lose herumliegende Steine türmten sich darüber auf. Sconnos besaß nichts außer dieser Höhle und einem sackartigen Gewand, das er auf dem nackten Körper trug. Er lebte von den spärlichen Resten, die andere wegwarfen, oder von Abfällen, die als ungenießbar angesehen wurden. Alpex war der einzige in Moondrag gewesen, der ihm hin und wieder etwas gegeben hatte, was zum Verzehr geeignet war.
Daher empfand er die Nachricht von dem bevorstehenden Tod seines Gönners so, als ob auch ihm der Lebensfaden durchgeschnitten würde. In dem Teil Moondrags, in dem er lebte, stand kein einziges Haus mehr. Sconnos folgte dem Jungen, der nicht weniger zerlumpt aussah als er, durch die Trümmerlandschaft bis zu einer ärmlichen Holzhütte. »Ich danke dir, Trux«, sagte Sconnos. »Ich weiß, daß es mühsam für dich war, zu mir zu gehen.« Der Junge schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Sconnos wußte, daß er wenigstens ebenso unter dem Hunger litt wie er selbst. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Wenn ich mal reich bin, werde ich dich für diesen Freundschaftsdienst belohnen«, versprach er. Trux lächelte müde. Er wußte, daß Sconnos sein Versprechen niemals einzulösen brauchte. Die Stadt Moondrag war am Ende, und sie hatte auch keine Zukunft. Das wußte jeder ihrer Einwohner. Der Junge nickte Sconnos zu, drehte sich um und ging mit hängenden Schultern davon. Sconnos blickte ihm nach. Er wußte nicht, ob er ihn jemals wiedersehen würde. Schon oft hatten sich Freunde so von ihm verabschiedet, waren dann irgendwo in den Trümmern in einen Unterschlupf gekrochen und dort gestorben. Er hörte Alpex im Innern der Hütte husten. Hastig trat er ein. Sein Gönner lag auf dem nackten Fußboden, mit einem Fetzen Stoff zugedeckt, der nicht einmal für den Oberkörper ausreichte. Sconnos erkannte augenblicklich, daß Alpex tatsächlich im Sterben lag. Der Alte streckte ihm eine Hand entgegen, und er kniete sich neben ihm auf den Boden. »Mein Freund«, röchelte Alpex. »Wir haben oft über bessere Zeiten gesprochen.« »Nicht jetzt«, entgegnete Sconnos warnend. »Du mußt dich schonen.« »Zu spät.« Der Alte lächelte verzerrt, und seine dunklen Augen
glühten noch einmal auf. »Wir haben Wichtiges zu besprechen.« »Was könnte es jetzt noch Wichtiges geben?« »Sehr viel. Du wirst alles erben, was ich besitze.« Sconnos fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er hatte nie daran gedacht, daß Alpex so großmütig sein könnte, ihm seine Hütte zu überlassen. »Ich danke dir«, flüsterte er ergriffen. »Du weißt ja noch gar nicht, um was es geht.« »Die Hütte.« »Die auch«, bestätigte der Sterbende. »Aber das ist es nicht allein. Du wirst unermeßlich reich werden, wenn du willst.« Sein Verstand hat sich verwirrt, dachte Sconnos traurig. Warum müssen wir unter solchen Umständen Abschied nehmen? »Höre mir zu, mein Freund«, fuhr der Alte fort. »Vor langen Jahren bin ich in der Senke der verlorenen Seelen gewesen.« Sconnos horchte auf. Sprach Alpex doch mit klarem Verstand? »Dort bin ich in einem der Glaspaläste gewesen. Ich sehe ihn noch deutlich vor mir. Er bestand aus mehreren säulenartigen Abschnitten, die den Pfeifen einer Orgel glichen.« Alpex hielt röchelnd inne. Seine Lider schlossen sich. Behutsam legte Sconnos ihm die Hand an die Schulter. Seine Neugier war erwacht. »Sprich weiter, mein Freund«, drängte er. »Was war mit diesem Glaspalast?« Alpex blickte ihn wieder an. Seine Augen waren trübe, und Sconnos hatte das Gefühl, daß der Freund gar nicht mehr mußte, daß er bei ihm war. »Bitte, Alpex. Was war in dem Glaspalast?« »Wenn du dorthin gehst, wirst du sieben schwarze Schwerter finden, und wenn es dir gelingt, sie an dich zu nehmen, wirst du vor dem ganz großen Glück stehen.« »Warum bist du nie dorthin gegangen, um dir die Schwerter zu holen?«
Alpex lächelte matt. »Eine berechtigte Frage. Sie ist leicht beantwortet. Ich war dort, aber ich konnte die Schwerter nicht an mich nehmen.« »Warum nicht?« Sconnos beugte sich über den Freund, der die Augen wieder geschlossen hatte. Gespannt wartete er auf eine Antwort, doch Alpex schwieg, und er öffnete die Augen auch nicht mehr. Behutsam strich Sconnos ihm über die Stirn, und erst jetzt merkte er, daß Alpex tot war. Von tiefer Trauer übermannt, blieb er neben ihm sitzen. An sein Erbe dachte er nicht. Es schien ihm nichts wert zu sein. Wie sollte er Moondrag verlassen und in die Senke der verlorenen Seelen ziehen? Dazu fehlte ihm die Kraft. Er wäre noch nicht einmal bis zum Stadttor gekommen, ohne vor Schwäche zusammenzubrechen. Dieses Erbe war also nichts wert. Ganz anders sah es dagegen mit der Hütte aus. Diese war ein echter Gewinn für ihn. Einige Stunden später schleppte er den toten Alpex zu seiner Höhle und verscharrte ihn dort unter den Trümmern. Dann zog er in die Hütte um. Er hatte Hunger. Deshalb durchsuchte er seine neue Unterkunft bis in die Winkel hinein. Alles, was er fand, waren einige Kartoffelschalen, angefaulte Salatblätter und schwärzliche Schwarten, die derart stanken, daß ihm übel wurde. Davon konnte er nichts essen, sonst aber gab es nichts in der Hütte. Er hatte sogar den Boden durchgewühlt, aber seine Mühen waren vergeblich gewesen. Trübsinnig saß er auf dem Boden der Hütte und starrte die verdorbenen Speisenreste an. Sein Magen schmerzte, denn er hatte vor drei Tagen zuletzt etwas gegessen. Sconnos verfluchte sein Schicksal. Er hatte keine Hoffnung mehr, und daß er die Hütte geerbt hatte, erschien ihm nun wie bitterer Hohn. Was konnte er schon mit der
Hütte anfangen, wenn er nichts zu essen hatte? Ein paar Tage konnte er vielleicht noch durchhalten, aber dann würde er vor Hunger sterben. Er schloß die Augen und dachte voller Sehnsucht an vor Hitze dampfende Kartoffeln, frischen Salat und durchwachsenen Speck, so wie er ihn zuletzt vor fast drei Jahren gegessen hatte. Ihn schwindelte. In seiner Phantasie malte er sich die Speisen so intensiv aus, daß er meinte, ihren Duft in der Nase zu verspüren. Seufzend öffnete er die Augen. Er sah vier dampfende Kartoffeln, frischen Salat und durchwachsenen Speck auf dem Boden liegen. Rasch schloß er die Augen wieder und öffnete sie erneut. Die Delikatessen waren noch immer da. Mit zitternden Händen griff er zu einer Kartoffel. Sie war so heiß, daß er sie vor Schreck gleich wieder fallen ließ. Der Schmerz war real, und so zweifelte er nicht mehr daran, daß wirklich da war, was er sah. Gierig stopfte er die Salatblätter in sich hinein, biß von dem Speck ab und verzehrte schließlich auch die Kartoffeln. Er aß schnell, als fürchte er, die Köstlichkeiten könnten verschwinden, bevor er sie im Magen hatte. Kaum hatte sich ein Sättigungsgefühl eingestellt, als auch schon heftige Magenschmerzen einsetzten. Sconnos hatte gewußt, daß derartiges geschehen würde, doch er hatte sich nicht beherrschen können. Jetzt wälzte er sich schwitzend und keuchend auf dem Boden, bis sich die Schmerzen endlich legten. Dabei dachte er nicht ein einziges Mal über das nach, was ihm widerfahren war. Das tat er erst, als er am nächsten Morgen erwachte und zu seinem Erstaunen feststellte, daß er immer noch satt war. Wäre das Sättigungsgefühl nicht gewesen, hätte er vermutlich an seinem Verstand gezweifelt. Er erinnerte sich an die Märchenerzählungen, die er als Kind gehört hatte. War ihm nicht etwas Ähnliches widerfahren wie den Gestalten
dieser Erzählungen? Oder konnte mit dem nüchternen Geist erklärt werden, was geschehen war? Er hatte einige verdorbene Speisenreste gehabt, die sich plötzlich in wahre Kostbarkeiten verwandelt hatten. Irgend jemand muß in die Hütte gekommen sein und die Reste gegen die frischen Speisen ausgetauscht haben, schoß es ihm durch den Kopf. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben. Er erhob sich und verließ seine Hütte. Zwischen den Trümmern lungerten einige halbverhungerte Kinder und Männer herum. Einige von ihnen drehten die Steine um, die auf dem Boden lagen. Wenn sie Würmer oder genießbare Insekten darunter fingen, schlangen sie sie hastig herunter, damit ihnen niemand ihre dürftige Beute wegnehmen konnte. Sconnos drehte sich bei diesem Anblick der Magen um, obwohl er selbst oft genug nach Würmern gesucht und seinen Hunger damit gestillt hatte. Jetzt aber dachte er an die Speisen, die er genossen hatte. Konnte es nicht immer so sein, daß Menschen sich mit solchen Köstlichkeiten ernährten? Er blickte zum Stadtzentrum hinüber, wo noch eine Reihe von Häusern standen. Dort lebten die Reichen. Und noch weiter im Norden sollte es Felder und Äcker geben, auf denen Sklaven verschiedene Gemüsearten anbauten. Sconnos hatte sogar davon gehört, daß es Gehöfte in Moondrag gab, in denen Schlachtvieh gezüchtet wurde, doch daran glaubte er nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es Menschen in Moondrag gab, die regelmäßig Fleisch aßen. Woher sollte Fleisch kommen? Für ihn war ganz und gar unglaublich, daß es tatsächlich Tiere in Moondrag gab, die aufgezogen und geschlachtet wurden, damit ein Teil der Bevölkerung der Stadt versorgt werden konnte, während der größte Teil der Bevölkerung am Rand des Hungertods lebte.
Da er nicht wußte, was er tun sollte, zog er sich in seine Hütte zurück, um erneut zu schlafen. Er erwachte, als jemand seine Schulter berührte. »Sconnos«, flüsterte eine matte Stimme. »Hast du etwas zu essen für mich?« Er richtete sich auf. Neben ihm kauerte Angy, ein ehemals hübsches Dalazaarenmädchen, das nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Sconnos spürte, wie sich der Hunger in ihm regte. Bald würde er sich auf die Suche nach irgend etwas Eßbarem machen müssen. »Tut mir leid, Angy«, antwortete er. »Ich habe nichts. Sieh dich um. Wenn du irgend etwas in der Hütte findest, was du essen kannst, dann nimm es, aber du wirst nichts finden.« Sie senkte den Kopf, und ihre Schultern zuckten. Mitleidig streckte er die Hand nach ihr aus. »Ich würde dir so gern helfen«, sagte er, »wenn ich nur könnte.« Sie erhob sich wortlos und ging hinaus. Dabei setzte sie vorsichtig Fuß vor Fuß. Sie hatte offensichtlich große Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Sconnos erkannte plötzlich, daß sie nicht mehr lange leben würde. Sie war schon zu geschwächt, und da keine Aussicht darauf bestand, daß sie in naher Zukunft etwas Kräftiges zu essen bekam, gab es keine Hoffnung mehr für sie. Von dumpfer Wut erfüllt, dachte er an die Reichen von Moondrag. Warum gaben sie nicht ein wenig von ihrem Reichtum ab, um damit so junge Menschen wie Angy zumindest am Leben zu erhalten? Warum sahen sie zu, wie der größte Teil der Bevölkerung verhungerte? Warum versuchten sie nicht, die Wirtschaft in Moondrag zu organisieren, so daß jeder satt werden konnte? Angy blieb in der Tür stehen und blickte zurück. »Ich möchte weg hier«, sagte sie leise, »aber allein schaffe ich es nicht. Kommst du mit?« Er schüttelte den Kopf. »Wohin denn? Wir sind viel zu schwach. Wir kämen nicht weit.«
Sie ging hinaus. Wenig später schreckte ihn ein Schrei hoch. Neugierig verließ er die Hütte. Eine Gruppe von sieben Reitern kam durch die Trümmer heran. Auf den hochbeinigen Dadaren ritten einfach gekleidete Dalazaaren und Kelotten. Sconnos aber kam es vor, als begegneten ihm Wesen aus einer anderen Welt. Die schlichten Umhänge der Reiter erschienen ihm wie kostbare Gewänder. Das Geschirr der Dadare mit den klirrenden Metallplättchen beeindruckte ihn so, daß er auf die Knie sank, weil er meinte, den Reitern Respekt erweisen zu müssen. Dann aber sah er, daß einer der Dalazaaren etwas Braunes in der Hand hielt und davon abbiß. Eilig kroch er auf den Reiter zu und streckte ihm die Hände entgegen. »Bitte«, rief er wimmernd. »Gebt einem Verhungernden etwas zu essen, hoher Herr.« Der Dalazaare zügelte sein Dadar und blickte grinsend auf ihn herab. Sconnos sah, daß der Mann eine weiße Narbe auf der Stirn hatte, die sich von Schläfe zu Schläfe zog. »Friß«, sagte der Reiter und warf ihm einen abgenagten Knochen vor die Füße. Sconnos ergriff ihn eilig und verbarg ihn unter seiner Kleidung. »Ich danke dir, Herr. Du hast ein gutes Herz«, flüsterte er. Der Narbige lachte dröhnend, trieb sein Dadar an und ritt weiter, während Sconnos eilig in seine Hütte zurückkehrte. Hier entfernte er den Schmutz von dem Knochen und betrachtete danach verzückt seine Beute. Der Knochen war etwa fingerlang, und ein paar Fleischfasern hingen noch daran. Von ihnen ging ein so intensiver Bratengeruch aus, daß Sconnos das Wasser im Munde zusammenlief. Er legte den Knochen vor sich auf den Boden und dachte voller Vergnügen daran, was für ein Glück er an den letzten beiden Tagen hatte. Erst waren die Delikatessen in seiner Hütte gewesen, und nun hatte er gar einen Knochen mit etwas Fleisch daran erbeutet. Wie schön wäre es doch gewesen, wenn an diesem
Knochen nicht nur ein paar Fleischfasern gewesen wären, sondern noch ein wenig mehr. Wäre es nicht schon überwältigend gewesen, wenn das Stück Fleisch so groß gewesen wäre wie eine Fingerkuppe? Oder gar wie ein Finger? Oder eine Hand? Du bist undankbar, dachte er und schloß die Augen. Er konnte sich jedoch nicht gegen die Gedanken wehren, die immer wieder in ihm aufkamen. Er wußte, wie groß das Stück Fleisch gewesen war, das der Reiter verzehrt hatte, und er konnte sich genau vorstellen, wie es geduftet hatte. Er schnupperte. Bratenduft stieg ihm in die Nase. Sconnos riß die Augen auf. Vor ihm auf dem Boden lag ein großes Stück Fleisch mit einem kleinen Knochen daran. Es war gebraten, und aus den Poren an seiner Oberseite quoll köstlicher Saft. Er riß das Fleisch an sich und biß hinein. Die Gier übermannte ihn, und er schlang es wild in sich hinein. Dann aber dachte er an die Schmerzen, die er nach dem gestrigen Mahl erlitten hatte, und er zwang sich dazu, langsamer zu essen. Dabei erinnerte er sich an Angy. Er sah sie wieder vor sich, wie sie seine Hütte verließ. Lebte sie noch? Du hast gestern reichlich gegessen, und heute auch, fuhr es ihm durch den Kopf. Sie hat nichts gehabt. Er stand auf, versteckte das Fleisch unter seinem Gewand und ging hinaus. Angy war nicht weit gekommen. Sie kauerte kaum zehn Meter von ihm entfernt auf dem Boden und schien schon tot zu sein. Er setzte sich neben sie und schob ihr das Fleisch in die Hand. Eine endlos lange Zeit schien zu vergehen, bis sie die Augen öffnete, tief seufzte und ihn ansah. Sie lächelte fassungslos, begann danach zu weinen und stopfte sich das Fleisch derart gierig in den Mund, daß Sconnos sich beschämt abwendete.
»Sei vorsichtig«, warnte er. »Wenn du zu schnell ißt, gibt dein Magen alles wieder her.« Angy war jedoch ebensowenig in der Lage, sich zu beherrschen, wie er es gewesen war. Und so erging es ihr nicht anders als ihm. Aber auch sie erduldete die Schmerzen und kämpfte ebenso verzweifelt wie erfolgreich darum, das Genossene im Magen zu behalten. »Wo hattest du das Fleisch her?« fragte sie ihn, als sie nach Stunden zu ihm in die Hütte kam. »Das weiß ich selbst nicht«, antwortete er und schilderte, was ihm widerfahren war. Er hatte keine Bedenken, das zu tun, da er ihr vertraute. »Du hast dir also einfach nur gewünscht, daß es da ist?« Er nickte. »Versuche es noch einmal«, bat sie. »Wünsche dir Brot. Bitte.« Lächelnd wehrte er sie ab. »Ich weiß nicht, was passiert ist«, erwiderte er. »So etwas wie ein Wunder war es wohl. Aber ich glaube nicht, daß ich das wiederholen kann.« »Das mußt du herausfinden«, ereiferte sie sich. »Los doch.« Er gab ihr lächelnd nach, obwohl er nicht davon überzeugt war, daß er erfolgreich sein würde. Da er sich aber sagte, daß nichts ohne ausreichende Ernsthaftigkeit gelingen konnte, konzentrierte er sich ebenso wie bei den vorausgegangenen Malen. »Nichts«, sagte er, als er die Augen wieder öffnete. »Es ist überhaupt nichts passiert.« Angy blickte ihn zweifelnd an. »War es auch bestimmt so wie gestern und vorhin?« erkundigte sie sich. »Nicht ganz«, antwortete er, ohne darüber nachzudenken, was er sagte. »Gestern waren ein paar Reste da, ein Salatblatt, Kartoffelschalen und eine Speckschwarte, und heute hatte ich den Knochen.«
Sie packte seinen Arm, und ihre Augen leuchteten auf. »Verstehst du denn nicht?« fragte sie erregt. »Das ist es. Du brauchst Reste, um aus ihnen frische Speisen machen zu können.« Sie stand auf. »Warte. Ich werde den Knochen holen, und dann versuchen wir es noch einmal.« Sie ging zur Tür, blieb dann aber stehen und drehte sich wieder zu ihm um. »Was ist los, Angy?« »Ich habe Karrt den Knochen gegeben. Er wollte sich das Mark herausholen.« »Dann geh schnell zu ihm. Vielleicht hat er es noch nicht getan.« Sie schüttelte den Kopf. »Es wäre falsch, Karrt einzuweihen«, widersprach sie. »Karrt ist gefährlich. Er würde dich ausnutzen.« Sie setzte sich wieder zu ihm. »Ich habe eine andere Idee«, erklärte sie. »Wir beiden werden in die Nähe der Wohnungen der Reichen ziehen. Dort finden wir bestimmt Abfälle, und damit werden wir es noch einmal versuchen.« Sconnos blickte das Mädchen zweifelnd an, da er nicht wußte, ob dieser Vorschlag ernst gemeint war. Wußte Angy, wovon sie sprach? Sie war nie in den Bezirken der Reichen gewesen. Wenn sie dorthin wollten, mußten sie wenigstens zwei Tage lang durch die Ruinen klettern. Dieser äußerst beschwerliche Marsch barg aber auch noch eine Reihe von Gefahren in sich, da in allen Teilen von Moondrag Horden lebten, die ihren Bezirk energisch verteidigten. Sconnos war sich dessen nicht bewußt, daß er selbst Teil einer solchen Horde war. Auch er hätte sich gegen jeden Fremden gewandt, der versucht hätte, sich irgendwo in der Nähe seiner Hütte einzunisten. Das Nahrungsangebot reichte bei weitem nicht für die Menschen, die hier lebten. Jeder, der hinzukam, bedrohte daher das Leben aller. »Glaubst du, bei den Reichen liegen die Abfälle nur so herum?«
fragte er. »Wenn das so wäre, würden dort viele Arme leben und sie aufsammeln.« »Dennoch müssen wir hier weg«, beharrte sie auf ihrem Vorschlag. »Hier finden wir vielleicht nie mehr etwas. In einigen Tagen könnte es schon zu spät sein.« Er dachte über das nach, was sie gesagt hatte, und er mußte ihr recht geben. Wenn sich das Wunder nicht in den nächsten Tagen wiederholte, würden sie möglicherweise verhungern. Deshalb war es besser, etwas zu unternehmen, als nur abzuwarten, ob etwas geschah. »Vielleicht kommen wir durch«, erwiderte er, »wenn wir allen von vornherein erklären, daß wir nicht in ihrem Bezirk bleiben wollen.« Sie stand auf, schwankte einen Moment vor Schwäche, fing sich aber wieder. »Dann komm«, forderte sie. »Mit jeder Sekunde, die wir warten, verringern sich unsere Chancen.« 2. Sconnos sank erschöpft auf den Boden. Er kauerte zwischen zwei verfallenen Häusern, die von grünen Ranken überwuchert wurden. Neben ihm stand Angy. Und einige Schritte vor ihm versperrte ihm ein vierschrötiger Mann den Weg. Seit mehr als zwanzig Stunden waren Sconnos und das Mädchen unterwegs, ohne auf so großen Widerstand gestoßen zu sein, wie er befürchtet hatte. Jetzt aber schienen sie am Ende ihres Weges angekommen zu sein, ohne ihr Ziel erreicht zu haben. Sconnos blickte zu dem vierschrötigen Mann auf. Dieser war etwa 1,90 m groß und damit um wenigstens zehn Zentimeter größer als er. Außerdem hielt er sich gerade und sah so aus, als habe er schon lange nicht mehr gehungert. Auch war er nur etwa zwanzig Jahre alt. Verglichen mit ihm hatte Sconnos ein geradezu greisenhaftes
Aussehen, obwohl er noch nicht einmal doppelt so alt war, denn er war dünn und bleich, hatte ein schmales, knochiges Gesicht mit einer langen Nase und einem fast lippenlosen Mund. Seine blaugrauen Augen lagen tief in den Höhlen, und das Haar hing ihm verfilzt und verschmutzt bis auf die Schultern herab. Bei Sconnos war unschwer zu erraten, daß Körperpflege etwas war, was er in seiner Not längst vergessen hatte. Der andere dagegen schien gerade erst aus der Badestube gekommen zu sein. »Kehrt um«, sagte der Vierschrötige. »Für Gesindel eurer Art ist hier kein Platz.« »Wir wollen nicht hier bleiben«, erwiderte Sconnos beschwörend. »Wir wollen weiter.« Der andere schüttelte den Kopf. Er lachte selbstsicher. Ihm schien Spaß zu machen, daß er so überlegen war, und daß Sconnos und das Mädchen nichts gegen ihn ausrichten konnten. »Wie heißt du?« fragte Angy. Sie war kleiner als Sconnos, nur etwa 1,60 m groß. Ihr braunes Haar war ebenso stumpf und verfilzt wie das ihres Begleiters, und ihre Augen schienen farblos zu sein. Sie trug eine verblichene Kutte, unter der sie ihren ausgemergelten Körper verbarg. Angy war vor einigen Tagen zwanzig geworden. Ein alter Mann, der in ihrer Nähe hauste, hatte sie darauf aufmerksam gemacht. Sie selbst hätte es nicht gewußt. »Teiss«, antwortete der vierschrötige Mann. Er stemmte die Fäuste in die Hüften. »Mir gehört dieser Bezirk. Ich könnte kräftige Männer und Frauen gebrauchen, verhungerte Krüppel nützen mir nichts.« Sconnos schnitten sich diese Worte ins Herz. Sie taten ihm weh, weil sie auch Angy galten, und diese war nicht verkrüppelt, sondern sie litt lediglich unter dem schier unerträglichen Hunger. Er richtete sich auf. »Richtig«, wisperte das Mädchen neben ihm. »Wenn du weiterkommen willst, mußt du kämpfen.« Sconnos horchte in sich hinein.
Wie recht sie hat, dachte er. Wer weiterkommen will, muß kämpfen. Teiss da hat gekämpft. Nur weil er das getan hat, steht er jetzt da, ist mächtig und versperrt uns den Weg. »Er ist ein Magier«, behauptete Angy und deutete auf Sconnos. »Doch er hat ein wichtiges Requisit seiner Macht verloren, und die anderen Magier haben ihm eine Prüfung auferlegt. Sobald er diese bestanden hat, und das wird in einigen Tagen der Fall sein, kehrt er zurück. Er wird dir ein Geschenk mitbringen, das wertvoller und großzügiger sein wird als alles, was du bisher bekommen hast.« Teiss lachte spöttisch auf. Er ging auf Sconnos zu, um ihn zu verscheuchen, doch dann hielt er nachdenklich inne. Seine Lider zuckten. Sie verrieten, daß er unsicher war. Er trat auf Sconnos zu, packte ihn am Kinn und bog ihm den Kopf in den Nacken. Prüfend blickte er ihm ins Gesicht. Dann stieß er ihn höhnisch lachend zurück. »Ein Magier, wie? Schert euch zum Teufel.« Sconnos stürzte zu Boden. Seine Hände klammerten sich um einen Stein. Teiss wandte sich ab. Der Stein flog auf ihn zu und traf ihn an der Schläfe, als er sich noch einmal umdrehen wollte. Betäubt kippte er um und blieb ausgestreckt liegen. Blut sickerte aus seiner Schläfe. »Schnell«, sagte Sconnos erschrocken. »Weiter. Wir müssen weg sein, wenn er aufwacht.« Angy lachte ausgelassen. Sie freute sich unbändig über den Sieg, den sie errungen hatten. Aufgeregt schwatzend hastete sie neben Sconnos her, ständig in die Runde spähend, weil er befürchtete, daß Freunde oder Verbündete des Vierschrötigen aus den Ruinen auftauchen und sie aufhalten könnten. Er war sich darüber klar, daß sie keine Zeit verlieren durften, und er zweifelte nicht daran, daß Teiss jede sich bietende Gelegenheit nutzen würde, die Scharte auszuwetzen, die er ihm beigebracht hatte. Dennoch fühlte er sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Er hatte das dumpfe Gefühl der Resignation überwunden. Ein Funke war in ihm erwacht und hatte den Impuls ausgelöst, sich
nicht mit dem Elend abzufinden, in dem er leben mußte. Einige zerlumpte Gestalten tauchten zwischen den Ruinen auf, stellten sich ihnen jedoch nicht in den Weg. Sconnos, der sonst immer ein wenig gebeugt ging, richtete sich höher auf. Ihm wurde bewußt, welchen Eindruck die Haltung des Vierschrötigen auf ihn gemacht hatte. Deshalb wollte er sich nun auch in voller Größe zeigen, um dadurch alle abzuschrecken, die glaubten, es mit ihm aufnehmen zu müssen. Lange hielt er jedoch nicht durch. Dann zeigte sich, wie schwach er wirklich war. Die beiden Mahlzeiten, die er genossen hatte, reichten nicht aus, die jahrelange Schwächung durch den Hunger auszugleichen. Und Angy ging es nicht anders. Sie mußte ihn schließlich um eine Pause bitten, und sie ließ sich erschöpft in den Schatten eines verfallenen Hauses sinken, als er zustimmend nickte. »Ich habe mal gehört, daß es früher Haustiere in Moondrag gegeben haben soll«, sagte sie, als sie sich ein wenig erholt hatte. »Ich erinnere mich daran«, antwortete er. »Aber die Zeiten sind vorbei. Die Tiere haben diese Hungerzeiten nicht überlebt. Mich wundert eigentlich, daß die Menschen von Moondrag nicht schon übereinander hergefallen sind.« Sie erschauderte vor Entsetzen bei dem Gedanken an Kannibalismus. Sconnos lehnte sich an die Wand des Gebäudes. Ein fauliger Geruch wehte ihm um die Nase. »Ich rieche etwas«, sagte er. »Hier muß irgendwo Abfall sein.« »Sieh nach«, bat sie. »Ich kann noch nicht weitergehen.« Als er aufstehen wollte, merkte er, wie sehr ihn der Gewaltmarsch durch die Ruinenstadt angestrengt hatte. Um Kräfte zu schonen, kroch er auf allen vieren in das Gebäude. Seine Blicke fielen sofort auf Abfälle, die in der Ecke lagen, und von denen der Gestank ausging. Es waren einige Knochen, Blätter und Gräten. Insekten krochen darauf herum.
Sconnos kroch bis zu den Abfällen hin, ließ sich davor auf den Bauch sinken, schloß die Augen und versuchte sich vorzustellen, von welchen Köstlichkeiten diese Dinge übriggeblieben waren. Zur gleichen Zeit bemerkte Angy eine hochgewachsene Gestalt, die einige Meter von ihr entfernt zwischen den Ruinen hervorkam. »Teiss«, murmelte sie erschrocken. Unwillkürlich stemmte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand des Hauses. Der vierschrötige Mann trug ein Schwert in den Händen, und er sah so aus, als sei er entschlossen, es auch anzuwenden. Hinter ihm standen vier Männer, die mit Messern bewaffnet waren. »Da ist sie«, sagte Teiss. »Der Kerl muß ebenfalls in der Nähe sein. Packt sie und schlagt ihnen die Köpfe ab.« Seine Begleiter nickten und gingen an ihm vorbei. Angy war wie gelähmt. Sie wollte fliehen, aber ihre Beine verweigerten ihr den Dienst. Sie konnte noch nicht einmal schreien. Voller Entsetzen blickte sie Teiss an, und seine Augen verrieten ihr, daß er keinen Scherz gemacht hatte, sondern unerbittlich auf der Durchführung seines Befehls bestehen würde. »Nein«, stammelte sie. »Bitte nicht.« Doch die Männer packten sie und warfen sie bäuchlings über eine niedrige Mauer. Einer von ihnen schob ihr das Haar über den Kopf nach vorn, so daß der Nacken frei war. Da ertönte eine sanfte Stimme. »Oh«, sagte Sconnos freundlich. »Du bist es. Kann ich dir einen Gefallen tun? Wie wäre es mit einer gebratenen Keule oder einem gebeizten Fisch?« Die Männer hielten inne und blickten zu Sconnos hinüber, der ins Freie getreten war und genüßlich von einem Stück gebratenen Fleisch abbiß, das so groß und schwer war, daß er es kaum in den Händen halten konnte. Angy rutschte von der Mauer und kroch schluchzend vor Angst von den Männern weg, die sie hatten ermorden wollen. »Seht euch den an«, sagte Teiss verblüfft. »Nehmt ihm das Fleisch
weg. Er hat es gestohlen.« Sconnos hielt Teiss das Fleisch hin und deutete mit dem Daumen auf die Ruine, als dieser es ihm abgenommen hatte. »Da drinnen ist noch mehr«, erklärte er. »Genug für euch alle und für eure Freunde. Von dem, was da liegt, können mehr als hundert Menschen satt werden.« Teiss biß gierig von der Keule ab, die er Sconnos abgenommen hatte. Er schritt an ihm vorbei und blickte in die Ruine. »Er hat recht«, bemerkte er dann. »Da ist wirklich genug. Für ihn jedoch nicht. Er braucht nichts mehr. Schlagt ihm den Kopf ab.« Jetzt packten seine Helfer Sconnos und schleiften ihn zur Mauer. Doch Angy trat ihnen energisch entgegen. »Ihr Dummköpfe«, schrie sie. »Ich habe doch gesagt, daß er ein Magier ist. Wem habt ihr es denn zu verdanken, daß da drinnen soviel zu Essen liegt? Nur ihm. Wenn ihr ihn tötet, werdet ihr hungern. Wenn ihr ihn leben laßt, habt ihr von nun an immer genug zu Essen.« »Ist das wahr?« fragte Teiss. »Du kannst es ja darauf ankommen lassen«, erwiderte Sconnos kaltblütig. »Das, was da drinnen liegt, habe ich beschafft. Bedient euch.« Teiss wurde unsicher. Er gab seinen Männern zu verstehen, daß sie Sconnos verschonen sollten, befahl zugleich aber, ihn und das Mädchen zu fesseln. Nachdem diese Anweisung ausgeführt worden war, stürzte er sich zusammen mit seinen Freunden auf die Speisen, die in der Ruine lagen. * Teiss winkte Sconnos zu sich heran. Er war satt, und das machte ihn friedfertig. »Hast du diese Sachen wirklich herbeigeschafft?« fragte er, als
Sconnos vor ihm auf dem Boden kauerte. »Du bist also so ein Tischlein‐deck‐dich‐Magier?« »So könnte man das nennen«, erwiderte Sconnos, wobei er sich selbstsicherer gab, als er war. »Das mußt du mir beweisen. Ich habe mir die Ruine eben angesehen. Sie ist leer. Auf dem Boden liegen lediglich ein paar Gräten. Wenn du wirklich ein Magier bist, dann kannst du mir ein paar frische Fische holen.« Sconnos erhob sich, ließ sich die Fesseln abnehmen, und betrat die Ruine. Teiss, die Männer seiner Horde und Angy blickten ihm nach, und nur das Mädchen glaubte daran, daß er die ihm gestellte Aufgabe lösen konnte. Die anderen grinsten, weil sie davon überzeugt waren, daß Teiss den vorgeblichen Magier in Verlegenheit gebracht hatte. Doch ihre Schadenfreude wich einem fassungslosen Staunen, als Sconnos Minuten später wieder ins Freie trat und Teiss vier große, gebratene Fische übergab. »Ich bin satt«, erklärte der Vierschrötige. »Will noch jemand essen?« Als sich keiner meldete, befahl er Sconnos, die Fische wegzuwerfen. »Um uns herum gibt es genügend Menschen, die dem Hungertod nahe sind. Ihnen werde ich die Fische geben.« Teiss sprang auf. »Das wirst du nicht«, brüllte er. »Du wirst mir gehorchen. Wirf die Fische hier auf den Boden.« Sconnos schüttelte den Kopf, drehte sich um und entfernte sich. Zwischen den Ruinen tauchten mehrere ausgemergelte Gestalten auf. Jetzt wurde deutlich, daß die Gruppe die ganze Zeit über von ihnen beobachtet worden war. Doch das hatte außer Angy und Sconnos niemand bemerkt. Teiss eilte hinter Sconnos her, packte ihn an der Schulter und riß ihn herum. Er hob das Schwert gegen ihn. »Ich gebe hier die Befehle«, schrie er außer sich vor Zorn.
Doch plötzlich standen vier seiner Männer neben ihm und fielen ihm in den Arm. »Wir haben selbst lange genug Hunger gehabt«, erklärte einer von ihnen, ein dunkelhäutiger Kelotte. »Die Armen sollen die Fische haben.« Er nahm sie Sconnos aus den Händen und trug sie zu den Wartenden hin. »Das entspricht meinen Wünschen«, sagte Sconnos. Er lächelte. »Ich denke, ihr seit damit einverstanden, wenn ich ab heute das Kommando führe. Teiss kann bei uns bleiben, wenn er sich mir beugt. Ich verspreche euch, daß ihr immer genügend zu Essen haben werdet.« Teiss wollte sich wutentbrannt auf ihn stürzen, doch seine Männer hinderten ihn daran. »Dafür bringe ich dich um«, schrie er Sconnos zu. Der neue Anführer ließ sich durch seine Drohgebärden nicht beeindrucken. »Ich glaube dir, daß du mit dem Schwert umgehen kannst«, erwiderte er freundlich. »Doch das genügt nicht. Es ist leicht, mit den Muskeln seiner Arme zu kämpfen, schwieriger ist es schon, das gleiche mit dem Kopf zu tun.« Die Männer der Horde lachten. »Das Mädchen und ich benötigen neue Kleider«, sagte Sconnos. »Verschafft sie uns.« Er setzte sich auf einen Stein, damit die anderen nicht merkten, wie erschöpft er war. Angy kauerte sich neben ihn auf den Boden. Während einige Männer der Horde davoneilten, um dem Befehl ihres neuen Anführers nachzukommen, zündeten andere ein Feuer an, um sich daran zu wärmen. »So schnell geht das«, sagte Sconnos leise. »Vor ein paar Stunden waren wir noch die Ärmsten der Armen und ohne Hoffnung, und jetzt brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen. Andere bedienen uns.«
»Du bist noch nicht am Ziel«, warnte das Mädchen. »Ich bin zufrieden«, erwiderte er erstaunt. »Ich kann essen und trinken, wann und wieviel ich will. Und ich habe eine Horde von achtzehn Männern, die mich gegen alle Feinde verteidigen wird. Wir sind reich, Angy.« »Noch lange nicht«, widersprach sie. »Achte auf Teiss. Er haßt dich, und er wird die erste beste Gelegenheit ergreifen, dich zu stürzen.« »Satt zu werden, ist das größte Problem in Moondrag«, stellte Sconnos fest. »Mit diesem Problem hat jeder zu kämpfen. Für die Männer dieser Horde ist das Leben leichter geworden, weil sie wissen, daß sie sich über Proviant keine Gedanken mehr machen müssen. Sie werden mich bis zum äußersten verteidigen, weil sie wissen, daß sie damit auch um den Topf kämpfen, aus dem sie essen.« »Was passiert, wenn deine neuen Kräfte versagen?« gab sie zu bedenken. Sconnos runzelte die Stirn. »Mußt du so etwas fragen?« »Natürlich. Du solltest vorplanen. Und deshalb ist das nicht genug, was du erreicht hast. Du mußt deine Macht ausweiten, bis du an die Stelle von Moondrag vorgedrungen bist, an der das Leben auch ohne magische Kräfte leichter ist.« Er dachte über das nach, was sie gesagt hatte, und er mußte ihr recht geben. Er durfte sich nicht nur auf seine neuen Fähigkeiten verlassen. Zwei Männer kehrten mit einfachen, aber sauberen Kleidungsstücken für Angy und ihn zurück. Er nahm sie entgegen und zeigte dann zu einem turmartigen Gebäude hinüber, das sich etwa einen Kilometer von ihnen entfernt aus den Ruinen erhob. »Was ist das?« fragte er. »Das ist die Burg von Staff, dem Erbarmungslosen«, antwortete Teiss. »Willst du dich mit ihm anlegen?«
»Warum nicht? Wir brauchen schließlich eine vernünftige Unterkunft. Oder wollt ihr ewig in Hütten und Ruinen leben?« Seine neuen Freunde blickten ihn unsicher an. Einige lachten verlegen. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß er irgend etwas gegen jenen Staff tun konnte, den man den Erbarmungslosen nannte. »Sobald ich mich umgezogen habe, gehen wir los«, erklärte Sconnos. »Ich brauche dringend ein Bad, und ich hoffe, daß Staff mir eines zur Verfügung stellt.« »Richtig«, flüsterte Angy ihm zu. »So mußt du mit ihnen reden. Dann respektieren sie dich.« * Teiss bemühte sich um Gelassenheit. Er wollte sich auf keinen Fall anmerken lassen, was er empfand. Das Auftreten der beiden zerlumpten Gestalten, die so schwach waren, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, verblüffte ihn. Woher nahmen sie die Energie, mit der sie sich den anderen und auch ihm gegenüber durchgesetzt hatten? Er glaubte nicht daran, daß Sconnos ein Magier war. Vielmehr war er fest davon überzeugt, daß sein Nachfolger mit einem Trick arbeitete und schon alles vorbereitet hatte, bevor er mit ihm zusammengetroffen war. Er haßte Sconnos und das Mädchen aus tiefster Seele, und er war entschlossen, beide bei erster sich bietender Gelegenheit zu töten. Vorläufig aber wollte er abwarten. Sconnos verfolgte einen Plan, sagte er sich, während er auf den Trümmern eines Hauses kauerte und zu seinen Leuten hinüberblickte, die seinen Nachfolger und das Mädchen mit Kleidungsstücken versorgten.
Er vermutete, daß Sconnos seine Männer nur um sich scharte, um irgend jemanden anzugreifen und zu vernichten. Staff, der Erbarmungslose, schoß es ihm durch den Kopf, und er erschauerte vor Furcht bei dem Gedanken, daß Sconnos es tatsächlich wagen sollte, sich gegen diesen Mann aufzulehnen. War es besser, Sconnos gegen Staff anrennen zu lassen und zuzusehen, wie er sich eine blutige Abfuhr holte? Oder war es ratsamer, ihn vorher kurzerhand umzubringen? Natürlich ist es besser, Staff die schmutzige Arbeit machen zu lassen, schoß es ihm durch den Kopf. Warum sollte ich tun, was Staff mit Sicherheit schafft? Teiss beschloß, vorläufig abzuwarten und die sich durch Sconnos bietenden Vorteile mitzunehmen. 3. Nachdem Sconnos sich einige Stunden lang erholt hatte, befahl er den Aufbruch. Er spürte die Spannung, unter der seine Begleiter standen, von denen jeder einzelne kräftiger war als er. »Was du vorhast, ist gefährlich«, flüsterte Angy ihm zu. Sie schritt mit gesenktem Haupt neben ihm her. Ein wärmender Umhang umhüllte ihren Körper, und eine Kapuze schützte ihren Kopf. »Sei auf der Hut. Besonders Teiss ist nicht zu trauen.« »Keine Angst. Ich weiß, um was es geht«, sagte er selbstsicher. Seine Zuversicht schmolz jedoch dahin, als sie sich dem gewaltigen Bauwerk näherten, in dem Staff hauste. Die Haltung seiner Begleiter verriet Sconnos, daß Staff ein allseits gefürchteter Mann war, der nicht nur seine Burg, sondern auch deren Umgebung beherrschte. Sorgen machte dem neuen Hordenführer, daß er noch nicht wußte, wie er in die Burg kommen und sich Staff gegenüber verhalten sollte.
Aus der Nähe sah die turmartige Burg Staffs ganz anders aus als aus der Ferne. Sie machte einen eher gedrungenen Eindruck, da der Turm hinter einer wuchtigen Mauer nahezu verschwand. Ein breiter Graben umspannte die Mauer, so daß die Burg nur über eine Ziehbrücke zu erreichen war. Auf dieser stand ein riesiger Dalazaare, der mit einer Lanze und einem Schwert bewaffnet war. Über ihm kauerte ein zweiter Wächter auf der Mauer, neben dem eine Waggu auf den Steinen lag. »Paß auf«, flüsterte Angy. »Deine Leute beobachten dich. Sie sind gespannt, wie du in die Burg kommen willst.« »Ich auch«, erwiderte er fatalistisch. »Sei nicht albern«, sagte sie. »Irgend etwas wird dir schon einfallen.« »Also gut«, seufzte er und richtete sich ein wenig höher auf. Er hob die rechte Hand, um seinen Männern anzuzeigen, daß sie stehenbleiben sollten. Allein ging er weiter. Auch Angy blieb zurück. Der Dalazaare richtete die Spitze der Lanze auf ihn, als er sich ihm bis auf wenige Schritte genähert hatte. »Was willst du?« fragte er abweisend. »Ich will Staff sprechen«, erklärte Sconnos. »Da kann ja jeder kommen. Er empfängt niemanden.« »Auch keinen, der ihm Geschenke bringt?« Der Dalazaare musterte ihn abschätzend, schüttelte dann den Kopf und trat drohend auf ihn zu. »Wenn du nicht sofort verschwindest, gebe ich dir die Lanze zu spüren«, sagte er und drückte Sconnos die Lanzenspitze gegen die Brust. »Das würde dich teuer zu stehen kommen. Ich habe Geschenke für Staff. Erlesene Speisen und Getränke. Wenn er erfährt, daß du mich abgewiesen hast, wird er dich bestrafen.« Der Wächter schnaubte verächtlich. »Speisen und Getränke, wie?« höhnte er. »Wo hast du sie denn?«
Sconnos lächelte. »Sie sind schon da drinnen in der Burg. Ich werde sie mit meinen magischen Kräften sichtbar machen.« »Idiot.« Der Dalazaare holte aus, um Sconnos mit der Lanze zu durchbohren, als der zweite Wächter auf der Mauerkrone plötzlich laut pfiff und ihm etwas zurief. Wenig später kam er selbst auf die Brücke. Es war ein Kelotte, dessen linkes Auge fehlte. Die Augenhöhle war durch eine häßliche Narbe entstellt. Als Sconnos dies sah, kam ihm plötzlich ein Gedanke. »Leidest du sehr darunter, daß du nur noch ein Auge hast?« fragte er. Der Wächter blickte ihn forschend an. »Was geht das dich an?« »Sehr viel, denn ich kann dir das zweite Auge zurückgeben, wenn du willst.« Sconnos erschrak über seine eigenen Worte. Soweit hatte er nicht gehen wollen. Er wurde sich dessen bewußt, daß er sich um Kopf und Kragen redete, wenn er seine Behauptung nicht beweisen konnte. Der Kelotte zog sein Schwert. »Ich wollte dir helfen«, erklärte er. »aber das werde ich jetzt nicht mehr tun. Ich kann Leute nicht ausstehen, die meinen, sich über mich lustig machen zu müssen.« Sconnos schloß die Augen und konzentrierte sich. Er versuchte, sich vorzustellen, wie der Wächter ausgesehen hatte, als er sein Auge noch nicht verloren gehabt hatte. Im gleichen Moment vernahm er einen gedämpften Schrei. Er blickte auf. Das vorher entstellte Gesicht des Wächters sah wieder normal aus. Staunend strich sich der Kelotte über seine linke Gesichtshälfte und das linke Auge. »Ich habe mein Auge wieder«, sagte er mit erstickter Stimme und machte Anstalten, sich vor Sconnos auf den Boden zu werfen, doch
dieser hinderte ihn daran. »Wirst du mir nun helfen, zu Staff zu kommen?« fragte er. »Ich werde alles für dich tun, was du von mir verlangst«, versprach der Wächter. »Warte hier mit deinen Freunden. Ich bin in wenigen Minuten zurück.« Er eilte davon. Lächelnd blickte Sconnos den Dalazaaren an. »Wie hätte ich das wissen sollen?« stammelte dieser. * Sconnos merkte, daß er endgültig bei seiner Horde gewonnen hatte, als der Kelotte zurückkehrte, um ihm mitzuteilen, daß Staff bereit war, ihn zu empfangen. »Hast du Teiss beobachtet?« fragte Angy flüsternd, als sie nebeneinander über die Brücke in die Burg gingen. »Er gönnt dir diesen Erfolg nicht. Sei auf der Hut.« »Solange ich Erfolg habe, wird nichts geschehen«, erwiderte er. »Danach könnte es allerdings gefährlich werden.« Im Innenhof der Burg standen zwanzig Dadare. Die dromedarähnlichen Reittiere wurden von einigen Männern mit Wasser versorgt. Treppen führten zum Mittelbau der Burg hinauf. Davor standen einige Hocker. Der Wächter bat Sconnos, Platz zu nehmen und zu warten, bis Staff ihn rufen ließ. Teiss gesellte sich zu ihm. »Das läßt du dir gefallen?« fragte er spöttisch lächelnd. »Warum nicht? Ich habe Zeit genug«, entgegnete Sconnos gelassen. »Inzwischen könntest du mir etwas über Staff erzählen. Wer ist dieser Mann, und was treibt er hier? Woher hat er seinen Beinamen?« »Nun wird dir Angst, wie?« Sconnos blickte Teiss durchdringend an.
»Ich warne dich. Du hast zu gehorchen.« »Und was ist, wenn ich es nicht tue?« »Dann ist es ziemlich wahrscheinlich, daß ich dich in einen häßlichen Gnom verwandle.« Teiss erbleichte erschrocken. Er hatte verfolgt, wie Sconnos den Kelotten geheilt hatte, und er benötigte nicht viel Phantasie, sich auszumalen, daß er auch mit ihm einiges anstellen konnte. Er beugte sich seinem Nachfolger. »Schon gut. Entschuldige. Ich wollte nicht ungehorsam sein«, stammelte er. »Was weißt du über Staff?« »Nicht viel. Es heißt, daß er ein ehemaliger Pirat vom Regenfluß ist. Er soll ein brutaler, rücksichtsloser und erbarmungsloser Mann sein, der erst zuschlägt, und dann fragt. Sein Reich ist nicht nur diese Burg, sondern vor allem die Umgebung der Burg. Er reitet mit seinen Kriegern hinaus und plündert, wo immer ihm das möglich ist.« Eine Tür am oberen Ende der Treppe flog auf, und ein untersetzter Mann mit wehendem Rotschopf und einem mächtigen Bart trat heraus. Hellblaue Augen musterten Sconnos. Es waren wilde, grausame Augen, die verrieten, daß Staff vor nichts zurückschreckte. Er war ein Mann, der seinen Beinamen verdiente. Staff war ein Orxeyaner, und er trug auch die von diesen bevorzugte Kleidung, die aus engen Lederhosen, einem Lederhemd und einer Pelzjacke bestand. In seinem Gürtel steckte ein gewaltiges Messer. »Komm her, du«, befahl Staff. Er hatte eine dunkle, heisere Stimme, die erkennen ließ, daß er gewohnt war, Befehle zu erteilen. Sconnos erhob sich und stieg die Treppe langsam empor. Er wäre gern schneller gegangen, aber dazu fehlte ihm die Kraft. Staff bemerkte seine Schwäche sofort, und der Ausdruck seiner Augen änderte sich. Strahlten sie vorher Kraft und Vernichtungswillen aus, so zeichnete sich nun Erstaunen in ihnen
ab. Sconnos erriet, was der Burgherr dachte. »Urteile nicht vorschnell«, sagte er daher. »Warte ab.« »Man hat mir gesagt, daß du ein Heiler bist«, erklärte Staff und bedeutete ihm mit einer energischen Geste, die Burg zu betreten. »Das wirst du beweisen müssen.« »Warum nicht?« Sconnos spürte, daß er die erste kritische Situation überstanden hatte. Er wurde sicherer. »Wenn ich weiß, was ich für dich tun kann, werde ich deine Wünsche erfüllen.« »Du siehst so schwach aus, daß man glaubt, dich umpusten zu können.« Staff lachte dröhnend. Er stieß Sconnos an und schleuderte den vermeintlichen Magier dabei quer durch einen kärglich eingerichteten Raum. Sconnos landete in einer Ecke auf dem Boden. Verblüfft blickte Staff ihn an. »Anderen kannst du helfen?« fragte er. »Aber was ist mit dir selbst?« »Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, erwiderte der Hordenführer und erhob sich mühsam. Er schleppte sich zu einem Tisch und setzte sich. »Gib mir etwas zu Trinken und zu Essen.« »Sonst noch was?« »Nein. Das würde mir genügen. Es muß nicht viel sein.« »Gefressen wird erst, wenn du deine Arbeit getan hast.« Staff schlug wütend mit der flachen Hand auf den Tisch. Es krachte so laut, daß Sconnos erschrocken zurückfuhr und fast von der Bank gefallen wäre, auf der er saß. »Du benimmst dich wie ein Barbar«, bemerkte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte. »Was willst du damit verbergen? Fehlt es dir hier oben?« Sconnos tippte sich an die Stirn. Die Augen Staffs blitzten auf. Wortlos riß er das Messer aus dem Gürtel und stürzte sich auf Sconnos. »Nein, Staff, nicht«, schrie eine junge Frau, die durch die Tür hereineilte. »Denke doch an Jay.« Staff ließ das Messer sinken. Er blickte Sconnos an, und dieser
begriff, daß sein Leben an einem seidenen Faden hing. Der vorangegangene Angriff hatte ihn gar nicht einmal so erschreckt, da er davon überzeugt gewesen war, daß Staff ihn nicht töten wollte. Der Burgherr hatte ihn zu sich gerufen, weil er etwas von ihm erwartete, und Sconnos konnte sich nicht vorstellen, daß er ihn umbringen würde, ohne ihm vorher seine Wünsche genannt zu haben. Jetzt erfaßte er, daß er sich gründlich geirrt hatte. Staff war ein brutaler Mörder, der nicht besonders intelligent war und sich nicht in der Gewalt hatte. Teiss hatte ihn richtig charakterisiert. Staff schlug erst zu und stellte danach die Fragen. Und wenn sein Gegenüber zu diesem Zeitpunkt bereits tot war, dann regte ihn das auch nicht sonderlich auf. Jetzt aber geschah etwas Überraschendes. Der harte Ausdruck der blauen Augen milderte sich, und einige Tränen quollen über die Wimpern. Staff trat hastig zurück und wandte sich ab. »Also, höre mir gut zu«, sagte er drohend. »Ich habe ein Problem. Nebenan liegt ein Mädchen. Ich will, daß es wieder gesund wird.« Sconnos verfluchte den Moment, in dem er sich entschlossen hatte, mit der Horde zur Burg aufzubrechen. Warum habe ich das nur getan? fragte er sich. Ich hatte alles, was ich wollte. Immerhin achtzehn Männer, auf die ich mich verlassen konnte. Ich hätte monatelang ohne die geringste Aufregung leben können. Aber das genügte mir nicht. Ich wollte mehr. Und jetzt? Ich komme von einer lebensgefährlichen Situation in die andere. Da er nicht auf die Worte Staffs antwortete, ging der Orxeyaner auf ihn zu, packte ihn am Arm und führte ihn mit eisernem Griff in den Nebenraum. Hier war es dunkel und stickig. Der Raum enthielt nur ein Bett, zwei Stühle, einen Tisch und einen Schrank. Ein flauschiger Fellteppich bedeckte den Boden. Im Bett lag
eine Kranke. Von ihr sah Sconnos nur das eingefallene, bleiche Gesicht und die langen, schwarzen Haare. Das Mädchen hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, der Dalazaarin, die Staff beschworen hatte, Sconnos nicht zu töten. Ein fauliger Gestank ging vom Bett aus. »Das ist meine Tochter Jay«, erklärte Staff mit gedämpfter Stimme. »Sie hat sich vor einiger Zeit am Bein verletzt. Niemand konnte ihr helfen. Jetzt bist du dran. Du wirst das Zimmer mit ihr zusammen verlassen, und dabei wirst du in dem gleichen Zustand sein wie sie. Wenn sie lebt, wirst du auch leben. Wenn sie tot herauskommt, wird man dich auch mit den Füßen voran heraustragen.« »Laßt mich allein mit ihr«, forderte Sconnos. Staff und die Dalazaarin, die ihnen gefolgt war, gehorchten. Sie verließen das Zimmer. Er hielt sich die Nase zu, weil er den Gestank nicht ertrug, und ging zum Bett. Entschlossen schlug er die Decke zurück. Entsetzt stöhnte er auf, als er sah, in welchem Zustand sich das Mädchen befand. Für ihn war ein Wunder, daß sie überhaupt noch lebte. Ihr rechtes Bein war von den Zehenspitzen an bis über das Knie hinaus dunkelbraun. Das Mädchen hatte den Wundbrand. Das bedeutete, daß ihr Bein sich auflöste. Das Gewebe zerfiel. Dabei entstanden Giftstoffe, die längst ihren ganzen Körper durchdrungen haben mußten. Sconnos wollte sich bereits abwenden, als er sich an die Worte Staffs erinnerte. Du wirst das Zimmer in dem gleichen Zustand verlassen wie sie, fuhr es ihm durch den Kopf. Also tu etwas. Versuche es wenigstens. Er rückte einen Stuhl an das Bett, blickte die Kranke lange an und schloß dann die Augen. Er malte sich aus, wie sie ausgesehen haben mochte, als sie gesund gewesen war. Als er danach die Augen öffnete, sah das Bein schon viel besser aus als vorher, wenngleich es sich noch nicht normalisiert hatte.
Ihr Zustand ist so schlimm, daß du es mit einem Anlauf nicht schaffen kannst, dachte er und mahnte sich zur Geduld. Er wartete einige Minuten ab, bis er sich ein wenig von der geistigen Anstrengung erholt hatte, dann schloß er erneut die Augen und konzentrierte sich. Ein tiefer Seufzer schreckte ihn auf. Er blickte das Mädchen an. Deren Augen weiteten sich. Sie zog die Bettdecke bis unter das Kinn hoch und bedeckte ihre Beine. Dann schrie sie gellend um Hilfe. Sconnos fuhr entsetzt zurück. Der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, kippte um. »Hilfe«, schrie das Mädchen. »Helft mir doch.« Die Tür flog auf. Staff stürzte herein. Er packte Sconnos und schleuderte ihn so wuchtig zur Seite, daß der Heiler in eine Ecke flog, mit dem Kopf gegen den Schrank schlug und dort bewußtlos liegenblieb. Er kam wieder zu sich, als Staff ihn über die Treppen in den Hof der Burg schleifte. Die Dalazaarin eilte jammernd hinter ihnen her. »Hör auf«, röchelte Sconnos. »Du verdammter Narr, laß mich endlich los.« Staff drehte sich um und ließ ihn auf den Boden fallen. Mit zornig blitzenden Augen blickte er auf ihn herab. »Du Lump«, sagte er. »Du hast versucht, dich meiner Tochter zu nähern.« »Du bist der dümmste Mensch, der mir jemals untergekommen ist«, erwiderte Sconnos nicht weniger wütend. »Wie hätte ich das Bein deiner Tochter heilen können, ohne es wenigstens anzusehen? Und ist dir überhaupt aufgefallen, daß Jay lebt, während sie vorher dem Tode so nahe war, daß man sie besser eine Leiche hätte nennen sollen?« Die Dalazaarin schlug Staff ein Tuch, das sie um die Schultern getragen hatte, um die Ohren. »Er hat recht«, schrie sie. »Du hast ein Spatzengehirn.« Sconnos erhob sich und klopfte sich den Staub aus den Kleidern.
»Allmählich habe ich die Nase voll von dir«, sagte er und blickte zu der Tür am Ende der Treppe hoch. »Da oben steht Jay. Sieh sie dir an.« Staff murmelte etwas in seinen Bart. Grimmig wandte er sich seiner Tochter zu, und jetzt erhellte sich sein Gesicht. Jay stand in der Tür und lächelte schadenfroh. Ihr schien zu gefallen, wie Staff mit Sconnos umgesprungen war. »Wieso verschonst du diesen Kerl?« fragte sie. »Er war in meinem Schlafzimmer und hat an meiner Decke herumgefummelt.« »Sie weiß gar nicht, daß sie krank war«, bemerkte Sconnos sanft. »Verstehst du? Sie hat nicht die geringste Ahnung, wie nahe sie dem Tode war. Sie ist aufgewacht und hat mich gesehen. Natürlich mußte sie das Falsche denken, denn sie fühlte sich ja nicht so, als ob sie einen Arzt benötigte, sondern völlig gesund.« »Verschwinde«, brüllte Staff dem Mädchen zu. »Zieh dir etwas an, bevor du dich hier draußen sehen läßt.« Jay gehorchte, und Staff wandte sich Sconnos zu. »Du hast recht«, sagte er. »Sie hat keine Ahnung.« Er eilte die Treppe hinauf und verschwand im Turm. * Angy kam zu Sconnos, nachdem sie einige Stunden gewartet hatten, ohne daß Staff sich wieder hätte sehen lassen. Teiss und die anderen Männer wurden unruhig. Teiss war gewohnt, die Männer zu unterdrücken und dadurch zum Gehorsam zu zwingen, und die Männer hatten nichts anderes kennengelernt als Gewalt. Die Art, wie Sconnos sie führte, machte sie unsicher und zum Teil auch unzufrieden. »Hier sind ein paar Abfälle«, flüsterte das Mädchen. »Die Männer haben Hunger. Ich habe gesehen, daß die Sklaven Staffs kaum etwas zu essen haben. Staff kann uns wahrscheinlich gar nichts geben.«
»Ich verstehe«, erwiderte Sconnos. »Jetzt geht mir auch auf, weshalb er sich nicht sehen läßt. Normalerweise müßte er uns einladen oder sich sonst irgendwie erkenntlich zeigen für das, was ich für ihn getan habe. Aber er kann es nicht, weil er nichts hat, was er uns anbieten könnte.« »Genau.« Sconnos blickte lächelnd zur Burg hinauf. »Er wartet darauf, daß wir endlich abziehen, aber diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun. Im Gegenteil. Wir nisten uns hier ein und essen ihm etwas vor, und wenn wir gnädig sind, darf er sich zu uns setzen.« Angy breitete die Abfälle vor Sconnos auf dem Boden aus, und Sekunden darauf lagen ein geräucherter Schinken, gebratenes Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, einige Mehlspeisen, Früchte und Käse vor ihm. Einer der Männer aus der Horde stellte lachend drei verstaubte Krüge daneben und blickte Sconnos erwartungsvoll an. Der Hordenführer erfüllte seine Bitte, und die Krüge füllten sich mit verführerisch duftendem Kromyat, einem von den Orxeyanern bevorzugten Wein, der aus Beeren gegoren wurde. Von allem war so reichlich vorhanden, daß die achtzehn Männer es kaum verzehren konnten. Laut schwatzend machten sie sich über die Köstlichkeiten her, und Sconnos ließ den Krug kreisen. Kaum hatten drei Männer daraus getrunken, als Staff wie aus dem Boden gewachsen neben der Gruppe erschien. »Ich sehe, meine Leute haben euch inzwischen mit Speisen und Getränken versorgt«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich hoffe, es ist genügend für euch alle da?« Sconnos nahm Teiss den Krug mit Kromyat ab und reichte ihn dem Burgherren. »Trink«, forderte er ihn auf. »Und mach dir keine Sorgen. Wir haben soviel, daß wir gar nicht alles aufessen können.« Staff wollte antworten. Er schluckte, brachte aber keine Silbe
hervor. Mit zitternden Händen griff er nach dem Krug, setzte ihn an und trank gierig, bis die anderen Männer zu murren begannen. »Köstlich«, sagte er danach und gab Teiss den Krug. »Ich habe niemals einen so guten Kromyat getrunken. Woher habt ihr …? Ich meinte, mein Kellermeister ist ein Schelm, daß er es gewagt hat, diesen Wein so lange vor mir zu verbergen. Ich werde gleich mit ihm sprechen.« »Ich möchte dir für deine Gnade und deine Güte danken«, erwiderte Sconnos und drückte Staff einen Braten in die Hände. »Doch was zuviel ist, ist zuviel. Wir können nicht alles aufessen. Bitte, sei mir nicht böse, wenn ich dir dies zurückgebe.« Der Burgherr drückte den Braten an sich, als fürchte er, daß Sconnos ihn wieder zurücknehmen könnte. Seine Augen flackerten. »Nicht doch, nicht doch«, stammelte er und schritt langsam rückwärts. »Wir haben genug von allem. Eßt doch. Und behaltet auch diesen Braten.« »Ich sehe, du zürnst mir doch«, sagte Sconnos und streckte die Hände nach dem Fleisch aus. »Dabei wollten wir in diesen schweren Zeiten nur nichts verschwenden.« »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, mein Freund.« Staff stotterte, als habe er das Reden verlernt. »Es ist alles in Ordnung.« Damit drehte er sich um und eilte die Treppe hinauf in die Burg. Teiss und die anderen Männer der Horde lachten. Sie winkten die Sklaven Staffs zu sich heran, die nach und nach aus den Kellern unter der Burg und der Schutzmauer hervorkamen. »So ist es richtig«, lobte Sconnos. »Alle sollen satt werden.« 4. Staff ließ sich erst einige Stunden später wieder sehen, als die meisten Männer der Horde und die Sklaven schliefen. Sconnos und Angy waren wach. Sie saßen auf einem Stein am geschlossenen Tor
und unterhielten sich. Der Orxeyaner näherte sich ihnen mit allen Anzeichen der Verlegenheit. »Ich weiß nicht, wie du das alles gemacht hast«, eröffnete er das Gespräch. »Magie muß aber wohl im Spiele sein.« Sconnos ging schweigend darüber hinweg, daß Staff seine Schwäche eingestand. »Magie? Mag sein. Auf jeden Fall habe ich es mit dem Kopf vollbracht und nicht mit dem Bizeps.« Staff schluckte den Vorwurf. »Ich bin zu heißblütig, ich weiß es«, erwiderte er. »Doch das soll anders werden. Ich will, daß du bei mir in der Burg bleibst. Du bist mein Gast, so lange du willst. Und wenn du dein ganzes Leben hier verbringen willst, so soll es mir recht sein.« Sconnos war keineswegs überrascht, daß dieser Vorschlag kam. Staff konnte kein besseres Geschäft machen, als ihn in der Burg zu haben. »Ich hätte einige Bedingungen«, erklärte er daher. Der Burgherr winkte großmütig ab. »Sie sind bereits erfüllt. Du brauchst gar nichts mehr zu sagen.« Staff rieb sich die Hände. »Wir beide zusammen stellen eine Macht dar, der die anderen nichts gegenüberzustellen haben. Wir werden hinausgehen und uns holen, was wir brauchen. Man wird uns fürchten lernen.« Sconnos schüttelte den Kopf. »Wir werden nicht nach draußen gehen und die Armen ausplündern«, widersprach er. »Das wäre nicht der richtige Weg. Wir werden niemanden mehr berauben, sondern wir werden dafür sorgen, daß die Menschen da draußen Arbeit bekommen. Sie sollen ihre Häuser aufbauen, Gärten errichten und Gemüse anbauen. Sie sollen sich sicher fühlen vor Überfällen und Handel treiben, damit es uns allen besser geht.« Staff blickte ihn an, als halte er ihn für geistesgestört.
»Wir können haben, was wir wollen. Du brauchst es nur zu wollen«, entgegnete er. »Wozu sollen wir da noch arbeiten?« »Ich werde meine Kräfte für den Aufbau zur Verfügung stellen«, eröffnete ihm Sconnos. »Moondrag soll wieder eine reiche Stadt werden, in der zu leben sich lohnt. Das geht nur, wenn wir nicht allein an uns denken, sondern vor allem an die vielen anderen, die dem Hungertod nahe sind.« Über die Armen hatte Staff noch nie nachgedacht. Auch von wirtschaftlichen Zusammenhängen wußte er so gut wie nichts. Sconnos hatte jedoch bessere Tage in seiner Jugend erlebt. Er hatte lange Jahre als Lehrer gearbeitet und sagte sich, wenn unter den gegebenen Umständen das Leben in Moondrag zu erlöschen drohte, dann mußte man es damit versuchen, daß man alles ins Gegenteil verkehrte. Wenn Plünderungen und Überfälle zur Armut führten, dann mußte es wohl richtig sein, für Sicherheit zu sorgen. Wenn Sklaverei das gleiche Ergebnis zeitigte, dann konnte Freiheit die bessere Antwort sein. »Wir beide wissen nicht, ob dieser Weg richtig ist, den ich vorgeschlagen habe«, sagte er, nachdem er eine Weile mit Staff diskutiert hatte. »Ich bin jedoch sicher, daß alles anders werden wird, wenn wir die Zustände radikal ändern.« Da Staff fürchten mußte, daß Sconnos die Burg kurzerhand verließ, willigte er schließlich ein und versprach, den Menschen, die in der Nähe der Burg in den Trümmern hausten, zu helfen. Damit begann eine neue Entwicklung in Moondrag, die für viele ihrer Bewohner völlig überraschend kam. Sconnos schickte seine Männer zuerst in jenen Bereich der Stadt aus, in dem er selbst gelebt hatte, um seine Freunde und Nachbarn zu holen. Er versorgte sie mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken und siedelte sie in der Umgebung der Burg an. Ohne daß es Staff bewußt wurde, ging die Befehlsgewalt in den nächsten Tagen allmählich von ihm auf Sconnos über. Dieser sagte, was zu geschehen hatte und wie vorzugehen war, und Staff gab
seine Befehle weiter. Es schien sogar, als sei der Burgherr froh, daß ihm jemand die Verantwortung abnahm. Nach und nach erschienen weitere Freunde und Nachbarn von Sconnos in der Burg. Sie waren mißtrauisch und ängstlich, aber das änderte sich schnell, nachdem Sconnos sie mit allem versorgt hatte, was sie brauchten. Unter den Neuankömmlingen waren auch Trux, der Junge, der Sconnos zu dem sterbenden Alpex geholt, und Karrt, dem Angy einen abgenagten Knochen gegeben hatte, damit er sich das Mark herausholen konnte. Trux bot sich Sconnos als Diener an. »Ich könnte dir nützlich sein und dir viele Wege abnehmen«, sagte der Junge eifrig. Sconnos war einverstanden. Er brauchte jemanden wie Trux, denn Angy wollte er nicht als Botin einsetzen. Dazu war sie ihm als Beraterin zu wertvoll. Nach und nach kamen die Bewohner der näheren Umgebung aus ihren Trümmern zur Burg. Sie stürzten sich gierig auf die Speisen, die Sconnos ihnen reichen ließ und taten danach, als seien sie ebenso versessen darauf, seine Ratschläge zu hören. Tatsächlich war jedoch zunächst niemand bereit, die Trümmer zur Seite zu räumen und die Stadt Moondrag neu aufzubauen. Die Männer, Frauen und Kinder, die lange Jahre gehungert hatten, konnten sich anfangs gar nicht vorstellen, daß man etwas anderes tun konnte, als von der Hand in den Mund zu leben. Doch allmählich änderte sich die Einstellung dieser Menschen. Sie begriffen, daß Sconnos ihnen wirklich helfen wollte, daß sie aber auch etwas für sich selbst tun mußten. Von da an verbesserten sich die Zustände in der Umgebung der Burg von Tag zu Tag. Immer mehr Menschen zogen heran, um sich mit Nahrungsmitteln versorgen und sich Arbeit zuweisen zu lassen. Sconnos war oft stundenlang damit beschäftigt, aus Abfällen aller Art die Dinge zurückzuverwandeln, die benötigt wurden. Er schuf Handwerkzeuge, Baumaterial und Saatgut ebenso wie chemische
Mittel, mit denen die Umgebung der Burg gesäubert wurde, oder er heilte Kranke, wo es notwendig war. Während dieser Zeit arbeitete Teiss eifrig mit. Er schien seine mißgünstigen Gedanken vergessen und sich in einen treuen Verbündeten verwandelt zu haben. Zwischen Angy und Sconnos entwickelte sich ein Gefühl tiefer Liebe, so daß eine enge Verbindung zwischen ihnen entstand. Sehr zum Ärger von Jay, Staffs Tochter, die Angy eifersüchtig begegnete und häufig versuchte, ihr etwas in den Weg zu legen, während sie gleichzeitig Sconnos herausforderte. Sie war immer wieder bemüht, ihm mit ihren Reizen die Sinne zu verwirren, und da sie damit keinen Erfolg hatte, steigerte sich ihre Wut gegen Angy immer mehr. Staff schien das alles nicht zu bemerken. Er sah nur, daß seine Burg allmählich zu einer Oase des Wohlstands inmitten der Wüste von Moondrag wurde. Alles anderes interessierte ihn nicht. Zuweilen dachte er allerdings daran, wie er Sconnos wieder loswerden konnte. Er wollte ihn keineswegs für alle Zeiten in seiner Burg dulden, sondern nur solange dort belassen, bis ein gewisser Wohlstand erreicht war. Wie hoch das Niveau war, das er anstrebte, wußte er allerdings nicht. Doch auch darüber machte er sich vorläufig keine Gedanken. Er wollte abwarten. Fünf Wochen lang vermeldete Sconnos nur Erfolge. Es schien, als sei die Not zumindest in diesem Teil von Moondrag endgültig besiegt. Doch Sconnos hatte die Rechnung ohne die anderen Mächtigen gemacht. Er glaubte, eine Oase des Friedens errichtet zu haben, und er machte sich keine Gedanken darüber, was diejenigen empfanden, die außerhalb dieser Oase lebten. Staff war im Vergleich zu mehreren anderen nur ein kleiner Bandit, der davon gelebt hatte, die Umgebung seiner Burg auszuplündern.
Weit über ihm rangierten mehrere Männer und Frauen, die im nördlichen Bereich von Moondrag lebten und hier schon vor längerer Zeit Aufbauarbeit geleistet hatten. Sconnos erfuhr durch seine Späher, daß es im Norden der Stadt tatsächlich Ländereien gab, in denen allerlei Ackerfrüchte angebaut, und in denen Vieh gezüchtet wurde. Hinter erst kürzlich errichteten Mauern, breiten Gräben und scharf bewachten Sperrzonen lebten viele Bewohner von Moondrag unter Bedingungen, unter denen sie zumindest den Hungertod nicht zu fürchten brauchten. Sie waren Untertanen von Männern und Frauen, die verächtlich auf alle herabblickten, die außerhalb ihrer Herrschaftsbereiche lebten. Sie empfanden sich selbst als etablierte Gesellschaft und pflegten untereinander Kontakte, bei denen sie ihre eigene Bedeutung immer wieder betonten. Früher oder später erfuhren sie von Sconnos. Sie sahen in ihm einen Emporkömmling, der ihre eigenen Kreise störte. Für sie war selbstverständlich, daß sie Vertrauensleute aussandten, die als Spione bis in die Burg Staffs eindrangen, und die danach berichteten, was dort geschah. Über der Burg braute sich allmählich etwas zusammen, ohne daß Sconnos oder einer seiner Vertrauten sich dessen bewußt wurde. Selbst die kluge und weitsichtige Angy war völlig ahnungslos. * Sconnos schreckte auf, als eine krachende Explosion die Burg erschütterte. Er fand sich in seinem Zimmer, das er sich im obersten Geschoß der Burg eingerichtet hatte. Angy war bei ihm. Er eilte zum Fenster und blickte hinaus. Von dem Burgtor waren nur noch brennende Bruchstücke vorhanden. Reiter stürmten auf ihren Dadaren in den Innenhof der
Burg. Sie schlugen jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte. Teiss und seine Männer versuchten vergeblich, sie abzuwehren. Staff stürzte in den Innenhof der Burg und kämpfte mit dem Schwert gegen die Eindringlinge. Angy zog Sconnos vom Fenster weg. »Es ist besser, wenn sie uns nicht sehen«, sagte sie. »Das könnte sie nach hier oben locken.« »Wir müssen Staff helfen«, entgegnete er. Sie schüttelte den Kopf. »Mit dem Schwert zu kämpfen, ist nicht deine Stärke, und wo Staff nichts ausrichtet, wirst du auch nichts erreichen.« Sie blickte flüchtig hinaus. »Außerdem ist es schon vorbei. Staff hat verloren.« »Wir haben verloren«, korrigierte er sie, doch damit war sie nicht einverstanden. »Wir sind hier nur zu Gast«, widersprach sie. »Es ist nicht unsere Burg, obwohl du hier die Befehle gibst. Wir hatten nie vor, für alle Zeiten zu bleiben.« Er setzte sich. »Du redest, als ob gar nichts wäre«, bemerkte er erstaunt. »Da unten schlagen sie sich die Köpfe blutig, und du sagst, daß wir hier nur zu Gast sind und eigentlich schon ganz woanders sein müßten. An noch besserer Stelle vermute ich.« »Natürlich. Du hast die Macht, die Zustände in Moondrag zu ändern, also solltest du es auch tun.« »Ich bin froh, wenn wir diesen Überfall lebend überstehen.« Sie lächelte unbesorgt. »Das werden wir. Es wird schon ruhig. Die Schlacht ist geschlagen. Jetzt werden die Angreifer mit der Plünderung beginnen, und dann ziehen sie ab.« Er erkannte, daß sie völlig furchtlos war, obwohl die Gefahr bestand, daß man sie verschleppen würde. Angy war zu voller Schönheit erblüht, und nichts deutete noch darauf hin, daß sie vor wenigen Wochen dem Hungertod nahe gewesen war. Sconnos
machte sich keine Illusionen. Wenn die Männer, die die Burg überfallen hatten, sie fanden, würden sie sie nicht verschonen. »Wir gehen nach oben«, entschied er und zeigte auf eine Luke in der Decke. »Vielleicht finden sie uns dort nicht.« Er rückte den Tisch unter die Luke, kletterte hinauf und öffnete sie, nachdem Angy ihm noch einen Hocker gereicht hatte, auf den er sich stellen konnte. Er stieg auf das Dach der Burg, während Angy den Tisch und den Hocker wieder an ihren Platz schob. Nun warf sie ein Bettlaken zu ihm hoch. Er ergriff das eine Ende, während sie sich das andere um die Hände wickelte. Danach zog er sie zu sich herauf und verschloß die Luke wieder. Nun deutete nichts mehr darauf hin, daß sie auf diesem Weg nach oben geflohen waren. Sie legten sich flach auf das Dach, damit sie von unten nicht gesehen werden konnten. Im Hof der Burg lärmten die Sieger der Schlacht. Sie taten sich an den Nahrungsmitteln gütlich, die sie in den Speisekammern gefunden hatten, und sprachen auch dem Wein ausgiebig zu. Angy legte den Finger an die Lippen, als sie unter sich Schritte und Stimmen hörte. Jemand durchsuchte das Zimmer, in dem sie eben noch gewesen waren, fand jedoch nichts, was weitere Mühen gelohnt hätte, und zog wieder ab. Sconnos kroch zum Dachrand vor und spähte durch einen Spalt in den Steinen zum Hof hinunter, kehrte jedoch gleich wieder zu Angy zurück. »Einen von ihnen kenne ich«, flüsterte er. »Es scheint der Anführer zu sein.« »Wer ist es?« fragte sie. »Erinnerst du dich an das Fleisch, das ich dir gegeben habe? Den Knochen dazu habe ich einem Reiter abgebettelt, einem Mann mit einer auffälligen Narbe, die sich quer über die ganze Stirn zieht.« Er erinnerte sich deutlich an die Begegnung mit diesem Dalazaaren und an die verächtliche Gebärde, mit der dieser ihm den
Knochen hingeworfen hatte. Ob der Narbige wußte, gegen wen er gekämpft hatte, und wem der Reichtum dieser Burg zu verdanken war? »Hoffentlich verschwinden sie bald«, sagte Angy, doch die Männer, die die Burg überfallen hatten, dachten gar nicht daran, wieder abzuziehen, bevor sie ihren Sieg ausgekostet hatten. Sconnos und das Mädchen mußten wohl oder übel die ganze Nacht hindurch und den nächsten Morgen auf dem Dach verbringen. Dann erst befahl der Narbige den Aufbruch. Die Überlebenden der Schlacht und die Bewohner der Häuser in der Umgebung der Burg standen tatenlos herum, als die Reiter mit ihren schwerbepackten Dadaren die Burg verließen. Niemand versuchte, sie für das zu bestrafen, was sie getan hatten, oder ihnen das Beutegut abzunehmen. Sconnos und Angy verließen das Dach und gingen nach unten. Erschrocken über das Ausmaß der Zerstörung, blieben sie immer wieder stehen. Die Plünderer hatten sämtliches Mobiliar in der Burg zerschlagen, die Fenster zertrümmert und den Inhalt der Schränke über den Boden verstreut. Als Sconnos ins Freie trat, schrie einer der Männer im Hof auf. »Er lebt! Seht doch, Sconnos lebt. Er ist unverletzt«, brüllte er. Die Bewohner der Burg rannten auf den Mann zu, von dem sie alle Hilfe erwarteten, und drängten sich um ihn. Sie klopften ihm begeistert auf die Schultern und redeten alle zugleich auf ihn ein. Jeder meinte, ihm etwas mitteilen zu müssen. Überrascht und gerührt von soviel Herzlichkeit wehrte Sconnos sie ab. Eine der Frauen drückte ihm einen schimmernden Kristall in die Hand. »Nimm ihn, Sconnos«, bat sie ihn. »Einer der Plünderer hat ihn verloren.« Der Kristall war etwa so groß wie eine Kirsche und schien von einem geheimnisvollen Feuer erfüllt zu sein. Er fühlte sich warm
und lebendig an. Sconnos bat um Ruhe. Er entdeckte Trux und winkte ihn zu sich heran. »Wo sind Staff und Teiss?« fragte er. »Sind sie tot?« »Sie sind schwer verletzt«, antwortete der Junge. »Tote hat es glücklicherweise nicht gegeben.« Er führte Sconnos zu einem Keller unter der Burgmauer, in dem mehr als zwanzig verletzte Männer lagen. Unter ihnen befanden sich auch Staff und Teiss. Beide waren bewußtlos. Jemand hatte ihre Wunden notdürftig verbunden. Für Sconnos wurde nach flüchtiger Untersuchung klar, daß sie nicht überleben würden, falls er nichts unternahm. Er lächelte. Daß du daran noch nicht gedacht hast, fuhr es ihm durch den Kopf. Wie groß die Zerstörungen auch immer sein mögen, und wie schwer die Verletzungen sind, du kannst alles rückgängig machen. Schadenfreude kam in ihm auf. Die Plünderer mochten sich über ihren Sieg freuen, doch ihre Gefühle würden sich bald ändern, wenn sie erfuhren, wie schnell die Burg und ihre Bewohner die Niederlage überwunden hatten. Er setzte sich auf den Boden und konzentrierte sich darauf, die Verletzten wiederherzustellen. Dabei spürte er, wie sich der Kristall in seiner Hand erwärmte. Ein Energiestrom floß durch seinen Körper und ließ ihn erbeben. Überrascht öffnete er die Augen. Er sah, daß Staff, Teiss und die anderen Verwundeten sich aufrichteten und sich erstaunt an den Stellen betasteten, an denen sie verletzt worden waren. Der Kristall hatte einen leuchtend grünen Kern bekommen, der sich nun allmählich verflüchtigte. Er gibt dir Kraft, erkannte Sconnos verblüfft. Er hilft dir, Energie aufzufangen, in irgendeiner Weise zu verändern und weiterzugeben. »Verdammt, mit dir als Freund kann einem wenig passieren«, sagte Staff. Er warf die Binden von sich, da er sie nun nicht mehr
benötigte. »Du hast recht. Mit dem Kopf zu kämpfen, ist allemal besser als mit der Faust. Leider ist in meinem Kopf zu wenig Verstand, so daß es wenig Sinn für mich hätte, damit zu kämpfen.« Er grinste und legte Sconnos die Hand auf die Schulter. Das war seine Art, seine Dankbarkeit auszudrücken. Teiss nickte Sconnos nur zu und ging hinaus. »Was ist mit ihm los?« fragte Staff. »Eben noch war er auf dem Weg zur Hölle, und jetzt kann er noch nicht einmal den Mund aufmachen, um sich bei dir zu bedanken?« »Vielleicht wäre er lieber in der Hölle gelandet als hier«, entgegnete Sconnos. »Auf jeden Fall wäre er dort besser aufgehoben.« Sconnos verließ den Keller zusammen mit den anderen, die er geheilt hatte, und trat auf den Burghof hinaus, wo sich mittlerweile nicht nur die übrigen Burgbewohner, sondern auch die Männer, Frauen und Kinder aus der näheren Umgebung der Burg versammelt hatten. Staunend und voller Begeisterung empfingen sie ihn. Von diesem Augenblick an war endgültig klar, daß er der unbestrittene Herrscher in diesem Teil von Moondrag war. Er stieg die Treppe zur Burg einige Stufen weit hinauf, bis er über die Köpfe aller hinweg sehen konnte. »Wir werden wieder aufbauen, was diese Schufte zerstört haben«, rief er. »Danach werden wir die Burg besser befestigen, so daß wir uns gegen weitere Überfälle schützen können. Unsere Neider sollen es in Zukunft schwerer haben.« Er teilte die Männer und Frauen zur Arbeit ein, setzte sich dann vor dem Burgtor auf den Boden und konzentrierte sich. Innerhalb weniger Sekunden war das Tor wiederhergestellt. Sconnos dachte jedoch nicht daran, den anderen die Arbeit abzunehmen. Er wollte, daß alle arbeiteten. Er selbst wollte nur das Wichtigste erledigen, denn diese geistigen Kraftakte kosteten viel Energie. Sie gingen nicht spurlos an ihm vorüber, und je mehr er erneuerte, desto länger
wurden die Erholungspausen, die er benötigte. Als die Burg soweit gesichert war, daß sie einem erneuten Angriff standhalten würde, kam Staff zu ihm. Der Mann, den man den Erbarmungslosen genannt hatte, war so erregt, daß er kaum sprechen konnte. »Teiss ist weg«, stammelte er. »Er ist geflohen.« Sconnos glaubte, sich verhört zu haben. »Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte er. »Gerade eben habe ich Teiss geholfen. Wenn ich es nicht getan hätte, wäre er jetzt schon tot gewesen. Warum sollte er fliehen?« »Er ist eifersüchtig auf dich und deine Erfolge. Er kann nicht verkraften, daß du ihm überlegen bist. Deshalb versucht er, dich zu bestrafen.« »Bestrafen?« Sconnos lächelte. »Es ist keine Strafe für mich, wenn er wegläuft. Besser als hier wird er es so leicht nicht finden, also ist er mehr bestraft als ich.« Staff senkte den Kopf. »Er hat Angy mitgenommen«, erklärte er. Sconnos hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. »Und niemand hat es bemerkt?« fragte er. »Niemand ist aufmerksam geworden. Einer meiner Männer hat lediglich gesehen, daß Teiss Angy nach draußen vor das Tor geführt hat, aber er hat sich nichts dabei gedacht.« Wie von Sinnen schob sich Sconnos durch die Menge und rannte zum Tor und über die Zugbrücke hinaus. Doch von Teiss und Angy war nichts mehr zu sehen. Zwischen den Häusern hielt sich niemand auf, den er hätte fragen können, wohin sich der Entführer mit seinem Opfer gewandt hatte. Niedergeschlagen kehrte er in den Innenhof der Burg zurück, wo ihn eine mitfühlende Menge schweigend empfing. Staff trat ihm zögernd entgegen. Der bärtige Orxeyaner erwies sich als unerwartet feinfühlig. In seiner Nähe stand Jay. Sie war die einzige, die lächelte.
Sie machte keinen Hehl daraus, daß sie mit der Entführung einverstanden war. »Wir sollten sofort aufbrechen«, sagte Staff. »Je früher wir ihn verfolgen, desto besser sind unsere Chancen. Wenn du willst, werden dich alle begleiten.« »Nein, das will ich nicht«, antwortete Sconnos. »Das wäre sinnlos, weil wir mit einer ganzen Kriegsschar nur Kämpfe provozieren würden. Gerade die aber will ich vermeiden. Wohin könnte Teiss sich gewendet haben?« »Er ist bestimmt nicht in seinen alten Bezirk gegangen«, erwiderte ein Dello, der zu der Horde von Teiss gehört hatte. »Dort gäbe es nichts mehr für ihn zu holen. Ich wette, daß er versucht, sich zu den Mächtigen durchzuschlagen, zu der Horde von diesem Narbigen, die uns überfallen hat.« »Das glaube ich auch«, bemerkte Staff. »Er wird versuchen, ihm Angy als Beute anzudienen und dich dadurch aus der Burg zu locken.« »Gut. Wir marschieren nach Norden. Nimm noch zwei deiner Männer mit. Es müssen gute Kämpfer sein. Ich versorge unsere Leute mit Nahrungsmitteln. Sobald genügend da ist, brechen wir auf.« 5. Wie richtig die Entscheidung war, die Sconnos getroffen hatte, zeigte sich schon bald. Staff wollte nicht nur abwarten. Er schickte mehrere seiner Männer aus, um sie Erkundigungen einholen zu lassen. Sie fragten nach Teiss und Angy. Zwei von ihnen stießen auf eine Frau, die die beiden gesehen hatte, wie sie nach Norden gegangen waren. Sie waren ihr aufgefallen, weil Angy versucht hatte, Teiss wegzulaufen. Staff reichte Sconnos ein Breitschwert, als sie durch das Burgtor
hinausschritten, um dieser Spur zu folgen. »Du wirst es brauchen«, sagte er. »Nicht immer kann man mit dem Kopf allein kämpfen.« Sconnos nahm es zögernd an. Er hatte noch nie mit einem Schwert gekämpft, wollte aber für den Notfall eine Waffe haben. Es dämmerte bereits, als die vier Männer über die Brücke gingen. Staff hatte als weitere Begleiter Estarr, einen blonden Orxeyaner, und den Kelotten Kamma ausgewählt. Er hielt beide für zuverlässig und kampfstark. Sconnos hatte sich in den vergangenen Wochen gut erholt. Dennoch hatte er Mühe, das Tempo zu halten, das Staff anschlug. Da er jedoch ebenfalls möglichst schnell vorankommen wollte, protestierte er nicht, sondern trottete neben dem kleineren Staff her, bis er Stiche in den Seiten verspürte und ihm die Luft zu knapp wurde. Staff lachte leise, als er merkte, daß Sconnos eine Erholungspause benötigte. Er duldete jedoch nicht, daß sie stehenblieben oder sich gar setzten, sondern bestand darauf, daß sie langsam weitergingen. »Teiss hat sich einen guten Zeitpunkt ausgesucht«, bemerkte Estarr. »Es wird gleich dunkel, und er hat einen großen Vorsprung. Wenn er jetzt die Richtung ändert, verlieren wir seine Spur.« »Davon bin ich noch lange nicht überzeugt«, widersprach Sconnos. Er zog ein Brot aus dem Beutel, den er an der Seite trug, und hielt es hoch, so daß es weithin zu sehen war. Langsam drehte er sich um sich selbst. Sie befanden sich in einer schmalen Gasse aus verfallenen Häusern, von denen einige den Eindruck machten, als habe man versucht, die Schäden an ihnen zu beseitigen, während andere unmittelbar vor dem Zusammenbruch zu stehen schienen. Niemand schien sich in der Nähe aufzuhalten. Kein Laut verriet, daß irgendwo Menschen lebten. Sconnos aber wußte, daß sich Männer, Frauen und vielleicht auch Kinder in den Häusern versteckt hielten. »Ich habe Brot für euch«, rief er mit hallender Stimme. »Kommt
her, damit ich es unter euch aufteilen kann.« Unmittelbar neben ihm streckte ein alter Mann den Kopf aus einem Fenster. »Meinst du es ehrlich, oder machst du dich über uns lustig?« fragte er. »Ich brauche eine Auskunft«, erwiderte Sconnos. »Wenn ihr sie mir gebt, werde ich euch etwas zu essen schenken.« Jetzt kamen zerlumpte und ausgemergelte Gestalten aus den Häusern hervor. Ängstlich und voller Mißtrauen näherten sie sich den vier Männern. Sconnos zählte zwanzig Köpfe, und er atmete insgeheim auf, daß es nicht mehr waren. »Ich suche einen Mann und eine Frau«, erläuterte er. »Sie könnten hier durchgekommen sein.« »Die habe ich gesehen«, antwortete ein Junge. Er war etwa zehn Jahre alt und sah so schwach aus, daß Sconnos glaubte, er müsse gleich zusammenbrechen. »Du hast sie gesehen?« fragte Staff. »Wie sahen sie denn aus? Und wieso sind sie dir aufgefallen?« »Der Mann war sehr groß und kräftig. Er hatte ein rotes Gesicht, und er hat die Frau geschlagen«, entgegnete der Junge. »Diese war sehr schön. Sie hatte schwarzes Haar, das ihr bis auf die Schultern reichte, und sie trug einen weißen Umhang, der vorn mit einem roten Band verziert war.« Sconnos erbleichte. Der Junge hatte Teiss und Angy richtig beschrieben. Er nahm ein Messer und teilte das Brot auf. Dann legte er noch einige Stücke Fleisch hinzu, so daß alle etwas abbekamen. Die Hungernden rissen ihm die Gaben förmlich aus der Hand. »Habt ihr noch nie von Staffs Burg gehört?« fragte Sconnos. »Warum geht ihr nicht dorthin? Dort gibt man euch etwas zu essen, wenn ihr bereit seid, ein wenig dafür zu arbeiten.« »Man hat uns davon erzählt«, antwortete ein Mann, »aber wir haben es nicht geglaubt. Die Burg gehört Staff, dem Erbarmungslosen, und er hat anderen noch nie etwas abgegeben,
sondern ihnen immer nur etwas abgenommen.« »Die Zeiten haben sich geändert«, verkündete Sconnos. »Geht hin und sagt, daß Sconnos euch geschickt hat. Man wird euch hereinlassen und mit allem versorgen, was ihr benötigt.« Er ließ sich genau beschreiben, welche Richtung Teiss und Angy eingeschlagen hatten, und verabschiedete sich dann. Eilig zogen sich die Hungernden in ihre Behausungen zurück, um dort zu verzehren, was er ihnen geschenkt hatte. In gleicher Weise befragte Sconnos weitere Bewohner der Stadt, und er erhielt die gewünschten Auskünfte, sobald er Nahrungsmittel verteilte. Teiss flüchtete unbeirrt in nördlicher Richtung weiter. Sein Vorsprung wuchs, da er nirgendwo Pausen machte. Gegen Mitternacht stieß Sconnos mit seinen Begleitern auf vier Frauen, die in einem erbärmlichen Zustand waren. Sie hausten in einem Erdloch, in dem kaum Platz für sie alle war. Aus Abfällen, die er mitführte, ließ er Nahrungsmittel für sie entstehen und reichte sie ihnen. Dankbar verrieten sie ihm, daß sie Teiss und Angy einige hundert Meter weit gefolgt waren, weil sie gehofft hatten, irgend etwas erbeuten zu können. Dabei hatten sie gesehen, daß Teiss vier bewaffnete Dellos angesprochen und ihnen Quorks gegeben hatte. Die Dellos lauerten nun in den Trümmern. »Wir haben uns schon gedacht, daß der Mann und das Mädchen verfolgt werden«, erklärte eine der Frauen. »Wenn ihr uns noch ein wenig mehr zu essen gebt, zeigen wir euch, wie ihr an ihnen vorbeigehen könnt, ohne daß sie euch sehen.« Sconnos war gern bereit, ihre Dienste zu belohnen. Eine der Frauen führte ihn und seine Begleiter kurz darauf durch die Dunkelheit bis zu einer Mauer. »Hier könnt ihr hinüberklettern«, erklärte sie und verabschiedete sich. »Auf der anderen Seite ist alles frei. Die Wachen stehen weit weg von hier.« Staff stieg als erster über die Mauer, und er bestätigte, was die
Frau gesagt hatte. Ungehindert konnten sie die Verfolgung fortsetzen. »Gut, daß uns das passiert ist«, bemerkte Estarr. »Jetzt bildet Teiss sich ein, daß er den Rücken frei hat. Das macht ihn vielleicht unvorsichtig.« Sie alle hofften, Teiss und Angy noch im Verlauf der Nacht einholen zu können, doch als der Morgen graute, hatten sie ihn noch immer nicht gesehen. Zu dieser Zeit arbeiteten sie sich durch einen Stadtteil von Moondrag voran, in dem vordem wohlhabende Bürger gewohnt haben mußten. Diese Häuser waren überwiegend zweistöckig und viel größer als in jenem Bereich, aus dem Sconnos kam. Die meisten von ihnen standen noch, wenngleich sie verwahrlost und häufig stark beschädigt waren. Als Sconnos und seine Begleiter einen Platz erreichten, in dessen Mitte sich eine Säule mit zahlreichen eingeschlagenen Bildschirmen erhob, zischte der Bolzen einer Skerzaal an Sconnos vorbei. Staff stieß ihm die Faust gegen die Schulter und schleuderte ihn zur Seite. Ein zweites Geschoß flog so dicht am Kopf Estarrs vorbei, daß dieser sich erschrocken auf den Boden warf. »Zurück«, schrie Staff und sorgte dafür, daß Sconnos rechtzeitig in Deckung kam. Er wußte, daß er sich um Estarr und Kamma nicht zu kümmern brauchte. Die beiden waren kampferfahren und wußten, wie sie sich zu verhalten hatten. »Verdammte Bande«, fluchte Staff und zeigte zu einem Haus auf der anderen Seite des Platzes hinüber. »Siehst du sie? Sie kauern hinter den Fensterläden. Wahrscheinlich haben sie Angst, daß wir ihnen ihre kümmerlichen Habseligkeiten klauen.« Sconnos musterte die Häuser, die den Platz umsäumten. Sie sahen alle so aus, als stünden sie kurz vor dem Zusammenbruch. Sie wirkten jedoch nicht verlassen und tot. Viele kleine Anzeichen deuteten darauf hin, daß sie bewohnt wurden. »Wir müssen ihnen etwas hinlegen«, sagte Staff, »sonst lassen sie uns nicht durch. Hast du noch etwas, was wir ihnen anbieten
können?« »Ein paar Knochen sind noch da«, antwortete der Magier, nachdem er seine Taschen durchwühlt hatte. Er konzentrierte sich auf einen der Knochen und nahm zugleich den Kristall in die Hand, der sich als so hilfreich erwiesen hatte. Ein großes Stück Fleisch entstand. »Wir haben frisches Fleisch für euch«, brüllte Staff, nachdem er es gesehen hatte. »Wir wollen nicht hier bleiben. Wir müssen weiter. Das Fleisch lassen wir hier. Als Wegezoll.« Er nahm es und trug es auf den Marktplatz hinaus. Danach kehrte er zu Sconnos, Estarr und Kamma zurück. Einige Minuten vergingen. Dann antwortete eine schrille Stimme. »Ihr könnt gehen. Aber beeilt euch. Fremde sind uns nicht willkommen.« »Können wir ihnen trauen?« fragte Kamma. Sein Gesicht war maskenhaft starr. Es verriet nicht die geringste Nervosität. Auch Estarr war so ruhig, als könne ihnen nichts geschehen. »Ich denke schon«, erwiderte Staff und trat auf den Platz hinaus. Er ging langsam weiter. »Wir wollen keine Zeit verlieren«, sagte Sconnos. Zusammen mit dem Dello und dem Orxeyaner folgte er Staff. Er fühlte die Blicke der Hausbewohner auf sich gerichtet, und die Kehle wurde ihm eng. Was war los auf Pthor? Hatte man in der FESTUNG so große Schwierigkeiten, daß man Moondrag nicht mehr versorgen konnte? Warum duldete man die Zustände in dieser Stadt? Oder wußte man gar nichts davon? Wo blieben die Versorgungstransporte? Kamen keine Dellos mehr nach Moondrag, um all die vielen Dinge zu bringen, die hier dringend benötigt wurden? Je länger Sconnos darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, daß irgend etwas nicht stimmte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß man die Bewohner von Moondrag vergessen hatte. Aus welchem Grunde aber hätte man sonst die Nahrungsmitteltransporte
einstellen sollen? Der Verdacht kam in ihm auf, daß es irgend jemanden in Moondrag gab, der die Transporte umleitete, so daß die Versorgungsgüter in den falschen Händen landeten. Warum verhielten sich die Bewohner dieser Häuser so eigenartig? Warum waren sie so angriffslustig? Lag das vielleicht daran, daß ein Teil der Versorgungsgüter in ihre Häuser geleitet wurde, und daß sie ängstlich darauf bedacht waren, ihren Überfluß zu verteidigen? Sconnos atmete auf, als sie den Marktplatz endlich überquert hatten und eine Gasse betraten, in der sie sich sicherer fühlten. Er hörte Stimmen hinter sich, und als er sich umdrehte, beobachtete er, wie mehrere Männer sich auf das Fleisch stürzten, das sie zurückgelassen hatten. Ihr Verhalten machte deutlich, daß diese Männer und ihre Familien in bitterster Not lebten. Die Gasse fiel steil ab, und als sie einen Bogen machte, konnten Sconnos und seine Begleiter grünes Weideland sehen, hinter der sich eine, graue Mauer erhob. Hinter dieser standen zahlreiche Häuser. Vor der Mauer weideten Tiere. Erstaunt blieben die vier Männer stehen. Sie wollten nicht glauben, was sie sahen. Es gab also wirklich noch Tiere in Moondrag, die als Zuchtvieh dienten. Als Sconnos einige Schritte weiterging, entdeckte er, daß die Gasse an einem breiten Wassergraben endete, der tief und unüberwindlich zu sein schien. »Da ist Teiss«, brüllte Staff plötzlich. Erregt packte er Sconnos am Arm. Er zeigte zu einigen Bäumen hinüber, die zwischen Graben und Mauer wuchsen. Auf einem schmalen Pfad zerrte Teiss die schwarzhaarige Angy voran. »Schnell. Wir müssen hinterher«, rief Sconnos. »Wenn Teiss über den Graben gekommen ist, schaffen wir es auch.« Die vier Männer rannten die Gasse hinunter. Diese endete nicht, wie sie zunächst geglaubt hatten, an dem Wassergraben. Vielmehr
lag zwischen diesem und den letzten Häusern der Gasse ein fast zehn Meter freier Raum. Er zog sich am Graben entlang, so daß sich niemand diesem nähern konnte, ohne gesehen zu werden. Eine Brücke, auf der sechs bewaffnete Männer postiert waren, überspannte den Graben. Sconnos und seine Freunde eilten zu ihr hin. »Eben ist ein Mann über die Brücke gelaufen«, rief Staff, noch bevor sie sie erreicht hatten. »Er hat eine Frau entführt. Wir müssen hinter ihm her.« Die Wächter zogen ihre Schwerter an den Gürteln. »Nur zu«, antwortete einer von ihnen. »Mit entführten Weibern weiß man hier etwas anzufangen, mit ihren Verfolgern aber nichts.« Er nahm eine Kampfhaltung an und gab damit klar zu verstehen, daß er niemanden passieren lassen würde. »Nicht doch«, sagte Sconnos und versuchte, die Wächter zu besänftigen. »Über so etwas kann man doch reden. Oder nicht?« »Mit dem nicht«, erwiderte Staff und stürzte sich auf die Wachen. Entschlossen hieb er mit seinem Schwert auf sie ein. Estarr und Kamma zögerten nicht, sich ebenfalls in den Kampf zu werfen. Daher meinte Sconnos, nicht anders handeln zu können, als auch zum Schwert zu greifen. Doch schon bei der ersten Attacke merkte er, wie ungeschickt er damit war, und wie leicht sein Gegner seine Deckung durchbrechen konnte. Bevor er sichʹs versah, hatte er eine tiefe Fleischwunde an der Hüfte, einen Schnitt an der Schulter und einen an der Wange. Er blutete so heftig, daß Staff ihn erschrocken von der Brücke drängte, um ihn von einem weiteren Zweikampf abzuhalten. Aber auch er, Kamma und Estarr waren den Wächtern unterlegen. Diese waren in der Überzahl und nutzten diese Tatsache geschickt aus. Und als sich Staff tatsächlich einmal durchsetzte, lähmten sie ihn mit einer Waggu, und versuchten danach, ihn mit dem Schwert zu töten. Doch da warf sich Sconnos zwischen Staff und sie. Er zog den Gelähmten von der Brücke und befahl auch Kamma und Estarr den
Rückzug. Mürrisch gehorchten sie. Sie mochten sich nicht mit ihrer Niederlage abfinden. Die siegreichen Wachen lachten triumphierend, verzichteten jedoch darauf, die vier Männer zu verfolgen. So konnte Sconnos seine Freunde bis zu einer Hauswand bringen. Dort nahm er sich ihrer an und heilte ihre Wunden, was den Wachen auf der Brücke entging, weil diese demonstrativ so taten, als hätten sie jedes Interesse an ihnen verloren. Sie blickten in eine andere Richtung. Sconnos versuchte, seine eigenen Wunden mit Geisteskraft zu verschließen, doch das gelang ihm nicht. Estarr mußte sie ihm verbinden. Staff fluchte vor sich hin. Mit tückischen Augen beobachtete er die Wächter. Er wollte eine Revanche, wußte jedoch nicht, wie er sie herbeiführen konnte. Sconnos kauerte sich auf den Boden, nachdem auch seine Wunden versorgt waren. Er fühlte sich schwach und elend, und er war unzufrieden mit sich selbst. Er ärgerte sich über sich, weil er sich in den Kampf hatte verwickeln lassen. Du betonst immer, daß die Waffen des Geistes schärfer sind als das beste Schwert, warf er sich vor, und dann machst du sowas! Aber was hätte er tun können? War es überhaupt möglich, mit den Waffen des Geistes ein solches Hindernis zu überwinden? Und genügte es, die Wachen auszuschalten? Sicherlich nicht, schoß es ihm durch den Kopf. Wenn ich hier den Befehl hätte, würde ich drüben an der Mauer weitere Wachen aufstellen und auch sonst noch einiges für die Sicherheit tun. Er sah, wie sich einige tentakelartige Gebilde auf der anderen Seite des Grabens aus dem Wasser streckten und an der Wand hochschoben. Die Begrenzungswand des Grabens war jedoch so hoch, daß sie die Mauerkrone nicht erreichten. Träge versanken die Gebilde wieder in den Fluten.
Sconnos erschauerte vor Entsetzen. Jetzt wußte er, daß der Graben eine ungemein sichere Abgrenzung war. Wer versuchte, ihn zu durchschwimmen, kam auf keinen Fall lebend auf der anderen Seite an. Und wenn er es geschafft hätte, ihn zu durchqueren, dann wäre er an der Begrenzungsmauer gescheitert. Nein. Es mußte eine andere Möglichkeit geben, zu den fernen Häusern zu kommen. Aufgeben wollte er auf keinen Fall. Er wollte Angy befreien, und er war bereit, dafür jedes Opfer zu bringen. Erst in zweiter Linie dachte er daran, sich an Teiss zu rächen. Angy war ihm wichtiger als ihr Entführer, und er wußte, daß er sein Ziel bald erreichen mußte, wenn er Angy vor einem Sklavendasein bewahren wollte. »Habt ihr eine Idee?« fragte er seine Begleiter. »Wir müßten uns Skerzaals verschaffen«, antwortete Staff. »Dann könnten wir die Wachen aus sicherer Entfernung abknallen.« »Oder Waggus«, sagte der Dello. »Auch darauf sind sie vorbereitet. Das ist für mich ganz sicher«, erwiderte Sconnos. »Irgend etwas müssen wir doch tun.« Staff schlug sich klatschend mit der Hand aufs Knie. »Oder wir müssen zur Burg zurückgehen und aufgeben.« Sconnos blickte mit verengten Augen zu den Häusern hinter der Mauer hinüber. »Sie haben Vieh auf der Weide«, stellte er fest. »Das ist für mich geradezu ungeheuerlich. Auf dieser Seite des Grabens hungern die Menschen, und weiter im Süden ist es noch viel schlimmer. Dort wären schon Hunderte gestorben, wenn wir ihnen nicht geholfen hätten.« »Was soll das?« fragte Estarr. »Das wissen wir doch.« »Ich überlege nur. Gerade habe ich mich gefragt, was die Menschen wohl denken und fühlen, die hier in dieser Gegend leben. Was würdet ihr sagen, wenn euch das Vieh vor der Nase
herumläuft, während ihr vor Hunger nicht in den Schlaf kommt?« »Ich hätte eine Stinkwut«, erwiderte Staff. »Ich würde alles kurz‐ und kleinschlagen.« »Vielleicht würde ich das Wasser im Graben vergiften oder die Wachen auf der Brücke umbringen«, fügte Kamma, der Dello, hinzu. »Das ist es, was ich meine. Die Leute hier müssen die da drüben hassen. Wenn es uns gelänge, sie zu einem Angriff zu bewegen, dann hätten wir Chancen.« Seine drei Begleiter blickten ihn verblüfft an. Keiner von ihnen hatte daran gedacht, daß man sich auch Verbündete schaffen konnte, um diese als Waffen zu benutzen. Sconnos stand begeistert auf. »Hört zu, Freunde, ich benötige Abfälle. Und das möglichst schnell. Wir werden für die Bewohner dieses Stadtviertels den Tisch decken. Das wird sie aus ihren Häusern locken, so daß wir mit ihnen reden können.« Staff, Estarr und Kamma begriffen sofort. Sie nickten ihm nur zu und eilten davon. Sconnos aber kehrte in die Gasse zurück, durch die sie gekommen waren. Er bemerkte einige Schatten, die blitzartig in den Häusern verschwanden. Gelassen suchte er ein paar Balken zusammen und schichtete sie auf, so daß ein primitiver Tisch entstand. Bald darauf kehrten seine drei Freunde zurück. Sie brachten Knochen, Blätter, Eierschalen und andere Abfälle mit. Sconnos breitete sie auf den Balken aus und verwandelte sie mit Hilfe der fremdartigen Energien, die aus dem Nichts kamen und sich in seinem Gehirn konzentrierten, in frische und genießbare Nahrungsmittel zurück, bis sich diese zu einem wahren Berg auftürmten. Staff, Estarr und Kamma schritten durch die Gasse und forderten die Bewohner der Häuser mit lauten Rufen auf, herauszukommen und sich zu bedienen.
Doch nichts regte sich. Verwundert und enttäuscht wartete Sconnos ab. Während er jedoch neben dem provisorischen Tisch stand, dachte er daran, was er gefühlt hatte, als er noch in den Trümmern gelebt hatte. Du wärst auch nicht hingegangen! Du hättest an eine Falle geglaubt. Niemand schenkt dir solche Dinge. Wie aber konnte er die Bewohner dieser Gasse davon überzeugen, daß er es ehrlich meinte und daß es sich für sie lohnte, zu ihm zu kommen und sich beschenken zu lassen? Er fühlte, daß er in einem fremdartigen Energiestrom stand, der ihn nicht nur dazu befähigte, Abfälle als Restteile in ihr ursprüngliches Ganzes zurückzuverwandeln, sondern der noch mehr ermöglichte. Er holte tief Luft, und einer instinktiven Eingebung folgend, begann er, laut zu singen. Doch kam keine Melodie über seine Lippen, sondern nur ein durchdringender, hoher Ton. Staff, Estarr und Kamma kehrten erschrocken zu ihm zurück. »Was ist mit dir los?« fragte Staff. »Tickt was nicht mehr richtig bei dir?« Sconnos antwortete nicht. Er holte tief Luft und sang erneut. Staff packte ihn an den Schultern. »Du bist keine Sirene, Sconnos.« Der Orxeyaner war so besorgt um den Freund, daß er kaum sprechen konnte. »Sei still.« Doch Sconnos sang weiter. Die Türen der Häuser öffneten sich und verhungerte, dürre Gestalten traten auf die Straße hinaus. Mit unbeholfenen Schritten näherten sie sich den vier Männern. In ihren bleichen Gesichtern zeichnete sich keine Bewegung ab. Allmählich füllte sich die Gasse, denn auch aus den Nebenstraßen kamen weitere Männer, Frauen und Kinder hinzu. Sconnos verstummte. Er sah sich mit leuchtenden Augen um. Für das, was geschehen war, hatte er keine Erklärung, mit dem Ergebnis
aber war er hochzufrieden. »Leute, ob ihr es glaubt oder nicht, alles war hier liegt, gehört euch«, brüllte Staff. »Nehmt euch, was ihr tragen könnt, und schlagt euch die Bäuche voll, und wenn ihr satt seid, kommt noch einmal und holt euch Vorräte.« Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als der Sturm auf den Tisch auch schon begann. Die Hungernden rissen an sich, was sie nur bekommen konnten, so daß im Nu alles verteilt war und viele Männer, Frauen und Kinder übrigblieben, die nichts erhielten. Sconnos tröstete sie. Er legte einige Abfälle auf den Tisch und verwandelte sie mit Hilfe der fremdartigen Energien, deren Fluß er zu steuern vermochte, in ihren Ursprungszustand. »Wenn ihr mir weitere Abfälle bringt, könnt ihr soviel haben, wie ihr wollt«, versprach er. Dieser Aufforderung kamen diejenigen, die auch jetzt leer ausgegangen waren, augenblicklich nach. Und Sconnos hielt sein Versprechen, so sehr es ihn auch anstrengte. Der sich immer mehr erwärmende Kristall in seiner Hand half ihm, und schließlich waren alle Bewohner dieses Stadtviertels versorgt. »Jetzt kannst du lange warten, bis sie zurückkommen«, bemängelte Estarr. »Sie werden sich den Magen vollschlagen und sich danach in Krämpfen winden, aber kämpfen werden sie nicht für uns.« »Wartʹs ab«, riet Sconnos ihm. Etwas mehr als eine Stunde verstrich. Dann füllte sich die Gasse allmählich wieder. Mit erwartungsvollen Augen blickten die Hungernden Sconnos an, und einige forderten ihn auf, nun endlich mit dem Erschaffen von Vorrats waren zu beginnen. »Macht euch keine Sorgen«, rief Sconnos ihnen zu. »Ich werde eure Speisekammern füllen, so daß ihr auch morgen noch genug zu essen habt. Aber damit bin ich nicht zufrieden. Die alte Zeit geht vorbei, ich spüre es, und eine neue bricht an. Bald wird auf Pthor alles anders sein als bisher, und wir alle müssen dafür sorgen, daß
es so wird, wie wir es wünschen. Wenn wir weiterhin nichts weiter tun, als bis morgen zu denken, wird es uns niemals besser gehen. Wir müssen uns gegen jene wehren, die auf der anderen Seite des Grabens leben und uns vorenthalten, was uns ebenfalls gehört. Glaubt ihr, dort drüben verhungert auch nur ein einziger Mensch? Bestimmt nicht.« Er merkte, daß er den richtigen Ton angeschlagen hatte. Schon lange blickten die Bewohner dieses Stadtteils sehnsüchtig zu den Häusern auf der anderen Seite des Grabens hinüber. Sie konnten sehen, was dort geschah, und ihnen gefiel nicht, daß es den Menschen dort so deutlich besser erging als ihnen. »Wir müssen die da drüben zwingen, sich mit uns zu befassen, und wenn sie sich sträuben, dann müssen wir alle gemeinsam gegen sie vorgehen. Ein einzelner wird es nicht schaffen, ihren Widerstand zu brechen, wir alle zusammen werden keine Mühe haben.« Sconnos wartete einige Sekunden, damit seine Zuhörer über diese Worte nachdenken konnten. Dann fuhr er fort: »Ich bin hier, weil ich euch in das Land dort drüben führen will. Wenn ihr euch mir anschließt, werde ich euch reich belohnen, und eure Not wird beendet sein.« Aufgrund seiner Unerfahrenheit in rhetorischen Dingen hatte er erwartet, daß die Menge in Jubel ausbrechen würde, aber der Beifall war nur mäßig. Enttäuscht setzte er zu einer erneuten Ansprache an, doch einige wendeten sich ab und wollten weggehen. »Lauft nicht weg, ihr Narren«, brüllte Staff zornig. Sein Gesicht glühte. »Denkt lieber nach. Ihr werdet uns helfen, den Stadtteil da drüben zu stürmen, denn sonst wird dieser Magier alles wieder verschwinden lassen, was wir euch geschenkt haben. Eure Mägen werden schlagartig leer, und der Hunger wird noch schlimmer sein als vorher, und von euren Vorräten wird nichts bleiben. Hört zu, ihr Himmelhunde, wir wollen eine bessere Zukunft für euch alle, wenn ihr aber nicht bereit seid, etwas dafür zu tun, stoßen wir euch
zurück in euer Elend.« Staffs Kalkulation ging auf. Die Angst der hungernden Menschen, das wenige, was sie hatten, wieder zu verlieren, war größer als die Angst vor den Wachen an der Brücke. Sconnos erinnerte sich daran, daß es ihm gelungen war, die Menschen mit Hilfe seines eintönigen Gesangs aus den Häusern zu locken. Sollte es nicht auch möglich sein, sie mit seiner Stimme zu führen? Er drehte sich um und begann zu singen. Dabei schritt er die Gasse hinunter bis zum Graben und wandte sich dann der Brücke zu. Er brauchte sich nicht umzusehen, um sich von seinem Erfolg zu überzeugen. Er hörte das Lachen Staffs, der dicht hinter ihm ging. »Das ist es«, sagte der Orxeyaner. »Sie haben es begriffen.« Die Wachen auf der Brücke hoben ihre Schwerter, aber noch wollte Sconnos den Graben nicht überschreiten. Zehn Meter vor der Brücke blieb er stehen. Er sang weiter. Seine Stimme hallte durch die Gassen, und immer mehr Männer und Frauen kamen aus den Häusern hervor, um sich ihm anzuschließen. Er beobachtete die Wachen, die zunehmend unsicherer wurden. »Wie viele sind es?« fragte er Staff. »Das ist schwer zu schätzen, aber es sind bestimmt nicht weniger als dreitausend.« Sconnos wußte nicht, wie viele Menschen in diesem Teil der Stadt lebten und wie viele seine Stimme hörten, noch aber wollte er nicht losgehen. Er wollte mehr Helfer. Die Wächter auf der Brücke sprachen leise miteinander, und einer von ihnen eilte davon, um den Vorfall zu melden. Jetzt drehte Sconnos sich um. Überrascht blickte er auf die Menge, die sich um ihn geschart hatte. Sie war größer, als Staff geschätzt hatte. »Kommt«, rief er. »Wir werden die Zukunft gewinnen.« Er schritt auf die Wachen zu. Diese blieben stehen, bis er nur noch etwa zwei Meter von ihnen entfernt war, dann aber wichen sie
zurück. Die Menge jubelte. Schreiend und lachend stürmten die zerlumpten Gestalten über die Brücke, während die Wachen sich zur Flucht wandten. »Wartet«, rief Sconnos ihnen zu und rannte hinter ihnen her. »Was wir wollen, geht auch euch an. Wenn ihr auf unserer Seite kämpft, braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.« Doch sie glaubten ihm nicht und liefen weiter. 6. Als Angy die Brücke mit den sechs Wächtern darauf sah, fühlte sie sich erleichtert. Sie war davon überzeugt, daß es Teiss nicht gelingen würde, sie an den Wachen vorbeizuschleppen und damit die Barriere zu überwinden, die ihn endgültig vor Sconnos in Sicherheit bringen würde. Sie schüttelte seine Hand ab. »Laß mich endlich los, du Narr«, fauchte sie ihn an, doch er krallte seine Finger sogleich wieder um ihren Arm. Sie sträubte sich gegen seinen Griff, um den Männern auf der Brücke ihre Notlage anzuzeigen. »Du tust mir weh«, schrie sie und schlug nach ihm. Doch Teiss schien ihre Schläge gar nicht zu bemerken, rücksichtslos zerrte er sie mit sich. Angy erwartete, daß die Wachen ihn zurückweisen würden. Sie saßen auf dem Geländer der Brücke und unterhielten sich, und sie versperrten ihm nicht den Weg, als er die Brücke betrat. Sie unterbrachen noch nicht einmal ihre Gespräche. »Helft mir«, rief sie. »Dieser Mensch hat mich entführt.« Die Wächter grinsten und blieben untätig. Teiss lachte laut auf. »Wie kann man nur so töricht sein?« fragte er und schob sie vor sich her.
Angy erkannte die Wahrheit und gab auf. Teiss hatte sein Ziel erreicht. Er war nicht in der Trümmerlandschaft im Süden zu Hause, wo sie auf ihn gestoßen waren, sondern hier hinter den grauen Mauern. Sie schritt neben ihm her, ohne weiteren Widerstand zu leisten, da sie sich darüber klar war, daß sie sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnte. Bald darauf erreichten sie die graue Mauer, vor der ein breiter Graben lag. Über eine Zugbrücke ging es durch das Stadttor. Der jungen Frau stockte der Atem. Sie betrat eine Welt, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Hier war Moondrag noch in Ordnung. Die Häuser sahen sauber und gepflegt aus. Nirgendwo entdeckte Angy ein Anzeichen von Verfall. Auch die Menschen, die sich in den Gassen zwischen den Häusern bewegten, waren ordentlich gekleidet – sie fand sogar, daß die meisten sich übertrieben herausgeputzt hatten. Die Frauen trugen tiefausgeschnittene Kleider, deren Säume den Boden berührten, und ausladende Hüte mit farbigen Fransen. Die Kleidung der Männer war weniger auffallend, für Angy jedoch noch seltsam genug. Sie bemerkte niemanden, der zerlumpte Sachen anhatte oder barfuß ging. Eine andere Welt öffnete sich vor ihr, eine Welt, die nichts mit dem Elend in den anderen Teilen von Moondrag zu tun hatte. Die Bewohner dieser Stadt blieben erstaunt stehen, als sie Teiss und die junge Frau sahen. Einige zogen sich indigniert zurück oder blickten durch sie hindurch, als seien sie nicht vorhanden. Angy senkte den Kopf. Sie kam sich elend und schmutzig vor. Teiss lachte herablassend. »Du brauchst dich nicht zu schämen«, sagte er. »Man wird dich gleich in eine Badewanne stecken und den Dreck herunterspülen.« »Und dann?« fragte sie. »Du wirst schon sehen.« Er lachte erneut und schob sie durch die
Gassen voran. Sie näherten sich einem weißen Gebäude, das die Form eines sich aufrichtenden Schmetterlings hatte. Grüne Bäume umsäumten das Haus und spendeten Schatten für die Vorplätze, auf denen zahlreiche Männer und Frauen auf Stühlen saßen und plauderten. Angy richtete sich auf. Du hast keinen Grund, dich zu schämen, sagte sie sich stolz. Im Gegenteil. Diese Leute hier sollten sich schämen. Sie sind Schmarotzer, die auf Kosten anderer leben, die andere gar verhungern lassen, nur um ein wenig mehr zu haben, als sie eigentlich für ihr Leben benötigen. Es sind Diebe, die uns alles wegnehmen, was sie bekommen können. Teiss führte sie in das Haus, als ein uniformierter Diener eine Tür vor ihnen öffnete, und als Angy eintrat, versanken ihre Füße tief in einem weichen Teppich. Ein ebenfalls uniformierter Kelotte trat ihnen entgegen. Verwundert bemerkte die junge Frau, daß er ihren Entführer recht gut kannte. »Teiss«, sagte er. »Es freut mich, daß du dich hier einmal wieder sehen läßt.« »Ich war verhindert«, erwiderte der Vierschrötige, »sonst wäre ich schon früher gekommen. Wo ist Senta?« »Sie weiß schon, daß du kommst. Eine Wache hat es ihr gemeldet. Sie wartet im Blauen Salon auf dich.« Er wandte sich Angy zu und musterte sie von oben bis unten. Teiss grinste breit. »Sie kommt mit«, erklärte er. »Auch wenn sie so dreckige Füße hat, als wäre sie die ganze Nacht durch Schlamm gelaufen.« »Wir werden sie baden.« »Das werdet ihr.« Teiss gab dem Kelotten mit einer Geste zu verstehen, daß er vorangehen sollte. Der Uniformierte führte sie durch breite Gänge, die mit Stoffbezügen ausgeschlagen und mit kostbaren Gemälden verziert waren. Angy glaubte zu träumen. Die Leuchter an den Wänden
schienen aus purem Gold zu sein, und die Bilder waren so lebensecht, daß sie einige Male glaubte, die dargestellten Figuren bewegten sich. Die Menschen hier haben vergessen, daß wir da draußen auch Menschen sind, fuhr es ihr durch den Kopf. Wahrscheinlich wissen viele von ihnen gar nicht, wie es in den Trümmern aussieht, und Teiss, dieser Verräter, sagt es ihnen nicht. Ein Gong ertönte. Eine Tür, die mit schimmernden Kristallen besetzt war, öffnete sich vor ihnen, und sie betraten einen Saal, der so prunkvoll eingerichtet war, daß Angy wie geblendet ihre Blicke senkte. An den Wänden schienen alle Schätze Pthors angebracht worden zu sein. Vor wandhohen Bildern in schimmernden Rahmen erhoben sich kunstvolle Statuen, von der Decke hingen Lampen von filigranartiger Schönheit herab, farbenprächtige Teppiche bedeckten den Boden, und in der Mitte des Raumes stand Mobiliar, das Angy zu kostbar erschien, als daß man es hätte benutzen dürfen. In einem Sessel mit prunkvoller Rückenlehne saß eine korpulente Frau. Sie hatte graues Haar und sah elend aus. Angy vermutete, daß es eine Orxeyanerin war. Sie trug einen glänzenden Anzug aus einem Material, wie die Entführte es noch nie gesehen hatte, und der so eng war, daß er ihre Fettpolster zu dicken Wülsten aufwarf. Die Frau saß in eigenartig zur Seite geneigter Haltung in dem Sessel und knickte ein Bein ab, als könne sie es nicht anders halten. Und plötzlich begriff Angy. Sie hat Schmerzen! erkannte sie. Sie ist krank und kann nicht richtig sitzen. »Teiss«, rief die Frau, die Angy für die Herrscherin dieses Stadtteils von Moondrag hielt. »Man hat mir schon angekündigt, daß du kommst. Wer ist das an deiner Seite?« »Das ist Angy, deine jüngere Schwester«, antwortete er. Die dicke Frau richtete sich erstaunt auf, zuckte zusammen und nahm sogleich wieder ihre alte, gezwungene Haltung an. »Angy? Du hast sie also gefunden?«
Die Entführte glaubte, sich verhört zu haben. War Senta keine Orxeyanerin, sondern eine Dalazaarin, wie sie selbst auch? Und wieso sollte sie ihre Schwester sein? Das war doch unmöglich. Angy erinnerte sich deutlich an ihre beiden Geschwister, die vor einiger Zeit verhungert waren. Und sie wußte auch, wer ihre Eltern waren. Niemand hatte ihr etwas davon gesagt, daß es eine Schwester namens Senta gab, die soviel älter war als sie selbst. Sie wollte aufbegehren, hielt es dann aber für klüger, zunächst zu schweigen und erst einmal abzuwarten. Die Augen der korpulenten Frau leuchteten. Wohlwollend blickte sie Angy an. »Ich freue mich, daß du zu uns gefunden hast«, sagte sie. »Sei mir willkommen, Schwesterchen.« »Ich mußte sie entführen, weil sie freiwillig nicht mit uns gekommen wäre«, erklärte Teiss. »Sie hat bei Staff, dem Erbarmungslosen, in der Burg gelebt.« Angy trat vor. »Ich nehme an, daß du Senta bist und hier das Sagen hast?« »Ich bin Senta. Und ich bin die Gouverneurin von Moondrag.« »Das ist nicht wahr«, protestierte Angy. »Dies ist nicht Moondrag, sondern nur ein Teil von Moondrag. Ein Stadtviertel.« »Nun ja«, räumt Senta ein. »Moondrag existiert nicht mehr. Von der einst stolzen Stadt ist nur noch Quost übrig, dieser Stadtteil. Wir sind uns einig darin, daß wir ihn Moondrag nennen.« »Das stimmt nicht. Es gibt Moondrag noch«, rief Angy, doch sie kam nicht weiter. Der Uniformierte, der sie hereingeführt hatte, packte sie am Arm und führte sie zur Tür. »Wascht sie«, befahl Senta. »Wir können sie schließlich nicht mit dem alten Quarras verheiraten, wenn sie aussieht, als hätte man sie gerade durch den Dreck gezogen.« Angy schrie auf. Ihr wurde übel bei dem Gedanken, daß sie mit irgend jemandem vermählt werden sollte, den sie nicht kannte. Sie wollte sich dagegen wehren, hinausgeführt zu werden, doch der
Kelotte war stärker als sie. Die Tür fiel hinter ihr zu. Senta und Teiss blickten sich an. Die Frau rieb sich die Hände. »Das hast du gut gemacht«, lobte sie. »Der alte Quarras wurde bereits ungemütlich. Er hat mich unter Druck gesetzt. Die alten Verträge geben ihm die Möglichkeit dazu.« Sie schnippte mit den Fingern, und ein Diener eilte zu ihr hin. »Bring Wein«, befahl sie. »Teiss hat mir meine Schwester zurückgebracht. Das muß belohnt werden.« Der Diener holte aus einem Schrank einen Krug mit Wein und zwei Metallbecher. Er füllte sie und reichte sie Senta und Teiss. Die Herrscherin von Quost prostete ihrem Gegenüber zu, und Teiss trank seinen Becher aus. »Du hast eine schwere Zeit hinter dir«, stellte sie fest. »Es muß nicht leicht gewesen sein, da draußen zu leben und dich den anderen anzupassen, während du wußtest, daß du es hier sehr viel bequemer hättest haben können.« »Es war erträglich«, erwiderte er. »Ich hatte die Aufgabe, deine verschollene Schwester zu finden und hierherzubringen.« »Aber du hast festgestellt, daß meine Schwester tot ist?« Er blickte sie überrascht an. »Das weißt du?« Sie lachte gequält. »Du bist nicht mein einziger Agent, Teiss. Einem anderen meiner Freunde ist es gelungen, die Spur meiner Schwester zu finden. Sie endete bei einem Grab in der Nähe des großen Tores.« Teiss griff erneut zu dem Weinbecher, den der Diener mittlerweile wieder gefüllt hatte. »Du mußt jedoch zugeben, daß dieses Mädchen deiner Schwester verblüffend ähnlich sieht.« »Das ist richtig«, entgegnete Senta. »Und diese Ähnlichkeit genügt. Quarras wird glauben, daß er meine Schwester heiratet.« »Obwohl sie es nicht ist. Ein Geniestreich, Senta. Du bist deine
Schwierigkeiten los, und Quarras hat endlich die Frau, die er wollte.« »So ist es. Natürlich darf er nie erfahren, welch einen Streich wir ihm gespielt haben. Aber du hast immerhin auch versucht, mir eine falsche Schwester unterzuschieben.« Senta blickte ihn freundlich lächelnd an. Teiss lachte. »Was blieb mir anderes übrig? Ich wußte doch, wie schwierig die Situation für dich war.« »Du wußtest es.« »Ja – ich wußte es.« »Ein kleiner schmutziger Trick also.« »Ein Trick – ja. Aber schmutzig? Es ist doch allen damit geholfen. Natürlich muß alles geheim bleiben.« »Selbstverständlich«, sagte Senta und lehnte sich zurück. »Das ist ja auch der Grund dafür, daß ich dich soeben mit dem Wein vergiftet habe.« Sie reichte dem Diener ihren vollen Becher zurück. Teiss stand erschrocken auf. Das Blut wich aus seinen Wangen. »Vergiftet?« stammelte er und legte sich die Hände gegen den Magen. »Deshalb ist mir so eigenartig.« Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn. »Ich mag es nun mal nicht, wenn man versucht, mich hereinzulegen«, erklärte Senta. Sie stand ebenfalls auf, stützte sich auf den Diener und ging humpelnd davon. Teiss blickte ihr nach. Er versuchte, ihr zu folgen, kam jedoch nur zwei Schritte weit. Dann stolperte er und fiel der Länge nach auf den Boden. Seine Augen brachen. *
Sconnos gab den Versuch auf, die Wachen für sich zu gewinnen. Er drängte nunmehr auf Eile, so daß die Elendsgestalten, die ihn, Staff, Kamma und Estarr begleiteten, nicht allzu weit hinter ihnen zurückblieben. Er wollte vermeiden, daß die Wachen die graue Mauer mit großem Abstand vor ihnen erreichten, und das gelang ihm. Obwohl die halbverhungerten Menschen, die ihm folgten, sich nur noch mit äußerster Anstrengung auf den Beinen hielten, kämpften sie sich weiter voran. Die Wächter an der Mauer zogen die Brücke hoch, doch Sconnos, Staff, Estarr und Kamma sprangen noch rechtzeitig hinauf. Einige andere Männer kletterten hinterher. Sie konnten Sconnos und seinen Freunden nicht entscheidend helfen, lenkten aber immerhin die Verteidiger des Stadttors von ihnen ab. Staff packte einen der Wächter und schleuderte ihn in den Burggraben, während Sconnos sich auf den Mann stürzte, der die Ziehbrücke betätigte. Er konnte ihn zur Seite stoßen und die Rückschlagarretierung der Zugmaschine lösen, so daß die Brücke sich wieder senkte. Jubelnd stürmten die zerlumpten und erschöpften Männer und Frauen aus der verfallenen Umgebung dieser Wohlstandsoase über die Brücke und durch das Tor. Die Menge schob sich mit unwiderstehlicher Gewalt voran. Mehrere Wachen schossen mit ihren Skerzaals oder mit Waggus auf die Männer und Frauen. Sie verletzten und betäubten viele von ihnen, konnten aber den Vormarsch nicht aufhalten. Staff und Sconnos harrten bei der Zugbrücke aus, bis alle durch das Tor gegangen waren. Dann zogen sie die Brücke hoch, um ihnen den Fluchtweg zu versperren. Sie wollten die Masse der halbverhungerten Menschen zwingen, in diesem Stadtteil zu bleiben. Sconnos, der auf den Stufen einer Leiter am Stadttor stand, sah elegant gekleidete Männer und Frauen, die in panikartiger Angst in die Häuser flohen, um sich vor den verwahrlost aussehenden
Elendsgestalten in Sicherheit zu bringen. Einer von ihnen schleppte einen ganzen Korb Quorks mit sich herum. Sconnos hatte den Eindruck, daß er den Schatz in seiner Angst sogar abzuwerfen versuchte, daß es ihm jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht gelang. Allmählich verebbten die Schreie der Eindringlinge. Staunend sahen die Männer und Frauen sich um. Häuser wie diese kannten sie kaum noch. Und die Bewohner dieses Stadtteils, die erschrocken hinter den Fenstern standen und aus sicher erscheinender Höhe auf sie herab blickten, schienen noch nie Hunger gehabt zu haben. Sconnos wies Staff an, beim Tor zu bleiben. Er selbst schob sich durch die Menge. Als er etwa hundert Meter weit gekommen war, bemerkte er eine dichtgedrängte Gruppe von Männern, und er hörte Schreie. Er eilte zu der Gruppe hin. Einer der wohlgenährten Bewohner dieses Stadtteils lag auf dem Boden und versuchte, sich gegen die Fußtritte der wütenden Menge zu wehren. »Hört auf«, befahl Sconnos. »Das hat keinen Sinn.« Er drängte die Schläger zurück und half ihrem Opfer auf die Beine. Der Mann war älter als er, hatte graues Haar, das ihm bis auf die Schultern herabreichte, und tiefe Furchen im Gesicht. »Wer hat den Befehl über diese Stadt?« fragte er. Sein Gegenüber stemmte sich stöhnend die Hände in die Seiten. »Senta. Wenn du willst, führe ich dich zu ihr.« Sconnos lächelte. Er wußte, daß der Mann auf diese Weise Sicherheit vor weiteren Überfällen suchte. Doch ihm war nur recht, wenn er so schnell wie möglich zu dem Befehlshaber kam. Er sah sich flüchtig um. Nirgendwo wurde mehr gekämpft. Die Verteidiger dieses Stadtteils schienen eingesehen zu haben, daß sie die Menge nicht abwehren konnten. Wenig später betrat Sconnos das weiße Haus im Mittelpunkt der Anlage, in dem Senta, die Gouverneurin, residierte. Ein Uniformierter trat ihm entgegen, blickte herablassend auf ihn
herab und fragte: »Was willst du hier?« »Ich will verhindern, daß diese schöne Stadt von den Hungernden da draußen geplündert wird. Bringe mich zu Senta. Sofort.« Der Uniformierte wandte sich wortlos um und ging davon. Sconnos folgte ihm bis in einen Saal, in dem eine korpulente Frau in einem Sessel mit reich verzierter Rückenlehne saß. Sconnos erkannte sofort, daß sie krank war und unter großen Schmerzen litt. »Ah, der kühne Eroberer von Quost«, rief die Frau. »Komm heran, mein Held. Männer wie du sind mir jederzeit willkommen. Willst du einen Schluck Wein?« Sie schnippte mit den Fingern, und ein uniformierter Diener füllte Wein aus einem Krug in zwei metallene Becher. Sconnos nahm den für ihn bestimmten Becher entgegen und schüttete ihn der Frau ins Gesicht. »Ersticke daran«, sagte er zornig. »Da draußen stehen mehr als dreitausend Menschen, die dem Hungertod nahe sind. Du wirst dich um sie kümmern. Du wirst die Vorratsräume leeren, und ihnen zu essen und zu trinken geben.« Senta wischte sich gelassen den Wein aus dem Gesicht, nachdem der Diener ihr ein Tuch gegeben hatte. »Und wenn ich es nicht tue?« fragte sie spöttisch. »Was ist dann, mein Held?« »Dann werden sich die Kammern von selbst leeren, so wie sich dieser Weinkrug dort leert.« Sconnos wies auf den Krug, aus dem der Diener eben eingeschenkt hatte. Er konzentrierte sich kurz und fühlte dann, daß Energie vom Krug zu ihm hinfloß. Der Diener schrie erschrocken auf. Er eilte mit dem Krug zu Senta und zeigte ihn ihr. »Er war eben noch voll Wein«, erklärte er erregt. »Ich kann es beschwören. Jetzt aber sind nur noch Beeren darin.« Die Gouverneurin blickte ihren Besucher mit verengten Augen an. »Du mußt Sconnos sein«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Man hat mir von dir und deinen magischen Fähigkeiten erzählt.«
Sie richtete sich ächzend auf. »Du bist ein Heiler. Du kannst mich von meinen Schmerzen befreien.« »Es könnte sein, daß ich das tue«, erwiderte er. »Erst jedoch werden die Mägen der Menschen dort draußen gefüllt. Die Zeit des Hungers muß ein Ende haben.« »Aber ich kann nicht allen etwas geben«, lehnte sie sich auf. »Wenn ich das täte, hätte ich selbst nichts mehr.« »Wenn meine Forderung nicht erfüllt wird, gebe ich das Kommando, die Häuser zu plündern. Wir werden alles mitnehmen, was uns wertvoll erscheint. Nahrungsmittel bleiben nicht zurück. Danach werden wir das Tor schließen und niemanden mehr herauslassen.« »Dann verhungern wir«, rief sie entsetzt. »Genau das«, bestätigte er. »Aber was macht das schon? Es sind schon so viele in Moondrag verhungert, daß ein paar mehr keine Rolle spielen. Und wir werden keinen Finger krümmen, um euch zu helfen. Wir werden dafür sorgen, daß kein Transport mehr zu euch durchkommt. Selbst wenn man mit einem Zugor versuchen sollte, euch etwas zu bringen, werden wir es zu verhindern wissen. Du hast also die Wahl.« »Ich muß nachdenken«, jammerte sie. »So schnell kann ich mich nicht entscheiden.« »Gut. Ich warte.« Sconnos setzte sich in einen Sessel, während Senta mit ihrem Diener zur Tür ging. Bevor sie diese erreichte, bemerkte der Magier: »Vergiß nicht, Angy mitzubringen.« Die Gouverneurin fuhr überrascht herum. »Was hast du mit Angy zu tun?« fragte sie. »Ich erwarte, daß sie sehr schnell zu mir kommt«, erwiderte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.
7. Mit unbewegtem Gesicht ließ Angy sich gefallen, daß zwei Frauen ihr neue Kleider überstreiften, nachdem sie gebadet worden war. Dann begann eine der Frauen, sie zu kämmen. Die Tür öffnete sich, und ein buckliger Mann kam herein. Vergnügt kichernd näherte er sich ihnen. »Was will der Kerl hier?« fragte Angy erregt. »Er soll verschwinden.« Sie blickte angeekelt zur Seite, als der Mann vor ihr stehenblieb. Der Fremde war grauhaarig. Seine Kleidung machte einen alten und zerschlissenen Eindruck. Eine der Frauen lachte. »Ziere dich nicht so, Angy«, sagte sie. »Das ist dein Mann Quarras. Das heißt, noch ist er es nicht, du wirst ihn erst in wenigen Minuten heiraten.« »Nein«, stammelte die junge Frau entsetzt. »Niemals.« Quarras hüpfte von einem Bein auf das andere. Grinsend rieb er sich die Hände. »So istʹs recht«, lobte er zufrieden. »Putzt sie nur ordentlich heraus. Wer weiß, wie lange ich noch zu leben habe. Ich will alles genießen, was mir noch vergönnt ist. Ich verlasse mich auf euch.« Er versuchte, Angy die Wange zu tätscheln, aber sie schlug seine Hand weg. »Temperament hat sie«, sagte er lachend. »Das gefällt mir. Ich hasse langweilige Weiber.« Närrisch kichernd hinkte er aus dem Raum. Angy blickte ihm nach, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Ihr wurde übel bei dem Gedanken, daß dieser Schwachsinnige sie anfassen würde. »Warum?« fragte sie die beiden Frauen. »Warum soll ich diesen Menschen heiraten?« Der Auftritt schien die Dienerinnen ebenfalls erschreckt zu haben. »Er ist der Bruder des Tormeisters«, erklärte eine von ihnen, eine
kleine, blonde Frau mit lebhaften, blauen Augen. »Und der Tormeister hat mit Senta Verträge geschlossen, in denen festgehalten wird, daß er uns mit allem beliefert, was wir benötigen, wenn sein Bruder, der wohl sonst keine Frau findet, mit ihrer Schwester vermählt wird.« »Senta haßt ihre Schwester, weil diese jung und schön ist«, erläuterte die andere. »Aber ich bin nicht ihre Schwester«, beteuerte Angy. »Das spielt keine Rolle. Wichtig ist für Senta nur, daß diese Heirat zustande kommt.« »Wer ist der Tormeister?« fragte Angy. »Und wieso ist er so mächtig?« »Er hat großen Einfluß in Moondrag«, antwortete die blonde Dienerin, »bei ihm gehen alle Waren ein, die die Dellos von der FESTUNG und aus den anderen Gegenden von Pthor nach Moondrag bringen.« »Es kommen also laufend Waren an?« »Natürlich.« »Aber draußen auf Pthor weiß man nicht, was hier geschieht. Der Tormeister und Senta betrügen alle anderen Einwohner von Moondrag.« »So ist es.« Angy lehnte sich zurück. Ein kühner Plan reifte in ihr. Wenn es mir schon nicht gelingt, diesem schwachsinnigen Zwerg zu entgehen, dachte sie, dann soll er mich wenigstens zum Tormeister bringen. Ich werde seinen Bruder töten, wenn sich mir eine Gelegenheit dazu ergibt, und dann ist der Betrug an der Bevölkerung von Moondrag zu Ende. »Der Tormeister ist ein mächtiger Mann«, sagte die blonde Dienerin und kämmte sie. »Du wirst ihn sicherlich bald sehen. Er ist groß und hat eine weiße Narbe auf der Stirn, die sich von Schläfe zu Schläfe zieht.«
* Senta, die Gouverneurin von Quost, war außer sich vor Zorn. Der Angriff von Sconnos und den Elenden aus der Umgebung der Stadt hatte sie völlig überraschend getroffen. Sie hatte in der festen Überzeugung gelebt, daß es niemandem gelingen würde, gegen ihren Willen in die Stadt einzudringen. Sie trat an das Fenster des Sitzungsraums, in dem sie acht Männer aus ihrem Mitarbeiterstab zusammengerufen hatte. »Was können wir tun, um diese scheußlichen Kreaturen loszuwerden?« fragte sie mit schriller Stimme. Sie ließ sich in einen Sessel sinken. »Wir können nichts tun«, antwortete ein untersetzter Paarle. Er griff sich kurz an die Hörner, die ihm aus der Stirn wuchsen. »Du willst, daß wir uns ergeben?« Senta fuhr auf, doch die Schmerzen, die durch ihren Körper tobten, warfen sie sofort wieder in den Sessel zurück. »Das ist Verrat. Dafür sollte man dich umbringen.« »Damit ist es nicht getan«, erklärte ein greiser Orxeyaner, der neben ihr saß. »Einige Wachen haben versucht, die Meute mit Waggus zu lähmen. Sie haben vom zweiten Geschoß eines Hauses heruntergeschossen.« »Und? Was ist passiert?« »Die Leute sind in das Erdgeschoß eingedrungen und haben das Haus angesteckt. Es ist abgebrannt. Die Feuersicherung konnte es nicht mehr retten. Sie konnte nur verhindern, daß die Flammen auf die Nebengebäude übergesprungen sind. Seitdem ist Ruhe. Niemand greift diese Elendsgestalten mehr an, denn diese sind sich bewußt geworden, wie mächtig sie sein können, wenn sie sich einig sind.« Senta blickte zornig in die Runde. »Also – was empfehlen mir die fähigsten Köpfe dieser Stadt?«
fragte sie ebenso angriffslustig wie verächtlich. Keiner der Männer antwortete ihr. Alle waren sich dessen bewußt, daß Sconnos sie mit seinem Angriff überrascht und lahmgesetzt hatte. Wenn die Stadt sich von den Menschen der Umgebung befreien wollte, blieb ihr nur noch nackte Gewalt. Die Bewohner von Quost konnten ihre Besetzer nur loswerden, wenn sie mit tödlichen Waffen gegen sie vorgingen. Da aber nur verhältnismäßig wenige Waffen in der Stadt vorhanden, und die Angreifer etwa zehnmal so zahlreich waren wie die Quoster, blieb im Gründe genommen nur noch die Kapitulation. »Ihr beugt den Kopf vor dieser waffenlosen Meute«, rief Senta erregt. »Ihr habt Angst davor, daß diese Menschen euch mit bloßen Händen überlegen sein könnten, und ihr habt ein schlechtes Gewissen. Seit Jahren habt ihr ihnen vorenthalten, was ihnen gehört, und ihr habt nicht schlecht dabei gelebt. Dabei habt ihr vergessen zu kämpfen.« »Es hat keinen Sinn mehr«, erwiderte der Paarle. »Ich gebe nicht auf«, erklärte Senta hartnäckig. »Im Grunde genommen dreht sich alles um Sconnos. Wenn wir ihn ausschalten, können wir die anderen aus der Stadt treiben.« »Du willst ihn töten?« Ein weißhaariger Dalazaare beugte sich vor und blickte sie an. »Ich finde, es hat schon genug Opfer gegeben, und nach allem, was ich gehört habe, ist Sconnos in der Lage, uns allen zu helfen. Ihn zu töten, wäre Wahnsinn.« »Dann haben wir nur noch eine Chance. Angy! Sconnos hat nach ihr gefragt. Er legt viel Wert auf sie. Er wird nachgeben, wenn wir ihn vor die Wahl stellen: ihr Leben gegen die Freiheit der Stadt.« »Du willst sie als Geisel behalten?« fragte ein Dello, der sich durch besonderen Einsatz und überragende Fähigkeiten für diesen kleinen Kreis qualifiziert hatte. »Genau das. Ihr Leben gegen unsere Freiheit. Die Meute soll abziehen. Wenn sie in die Ruinen zurückgekehrt ist, werden wir
Angy freigeben.« »Aber es geht um die Verträge mit dem Tormeister«, gab der Paarle zu bedenken. »Und Sconnos könnte uns von dem Nachschub abtrennen«, warnte ein anderer. »Und wäre es nicht überhaupt besser, den Ideen von Sconnos zu folgen?« fragte ein dritter. »Wäre es nicht klüger, ganz Moondrag wieder aufzubauen, allen Menschen Arbeit zu geben und wieder mit einem echten Handel zu beginnen?« »Das geht nicht von heute auf Morgen, und wenn wir das wollen, müssen wir alle auf viel verzichten«, wandte Senta ein. »Um es klar zu sagen: Ich will nicht.« Die Gouverneurin war hart und unerbittlich, wenn es ihr darum ging, ihre Pläne durchzusetzen. Ihre Mitarbeiter hatten es oft genug erlebt, und sie wußten, daß Senta selbst vor einem Mord nicht zurückschreckte, wenn sich ihr jemand entgegenstellte. Daher gaben sie schließlich gegen ihre Überzeugung die Zustimmung dazu, Angy als Geisel zu benutzen. * »Das hat lange gedauert«, kritisierte Sconnos, als Senta zu ihm zurückkehrte. Sie schleppte sich hinkend zu einem Sessel. Ihre Schmerzen waren so groß, daß sie nicht sogleich antworten konnte. »Es waren einige Vorbereitungen zu treffen«, erklärte sie schließlich. »Wozu?« »Das will ich dir gerne zeigen.« Sie erhob sich und zeigte auf eine Tür. Sconnos folgte ihr zögernd. Er mißtraute dieser Frau und war auf einen Anschlag gefaßt. Er versuchte, ihre Gedanken zu erraten, um ihren Schritten zuvorkommen zu können, denn er rechnete nicht
damit, daß sie ohne heftige Gegenwehr die Herrschaft über diesen Teil von Moondrag abtreten würde. Senta führte ihn auf einen Balkon hinaus, von dem aus er auf einen kleinen Innenhof sehen konnte. Erschrocken blickte er auf Angy hinunter, die an einen Baum gefesselt war. Vor ihr standen drei Männer mit angeschlagenen Skerzaals. Ein Buckliger protestierte kreischend dagegen, daß man so mit seiner Frau umging. »Was soll das?« fragte Sconnos, obwohl für ihn zweifelsfrei feststand, was die Gouverneurin mit diesem Schauspiel beabsichtigte. »Angy wird sterben, wenn du nicht sofort den Rückzugsbefehl gibst«, erklärte die Frau an seiner Seite. »Und danach bist du dran.« Die Skerzaals bestehen zur Hälfte aus Holz, dachte Sconnos. Damit müßte ich also etwas anfangen können. »Mir ist völlig unklar, wie du Angy umbringen willst«, entgegnete er. »Die Männer da unten werden sie erschießen.« »Ich glaube nicht, daß sie das können.« Senta blickte ihn unsicher an. Ihr Gesicht rötete sich vor Erregung. »Ziehst du ab? Ja oder nein?« »Nein!« »Tötet das Mädchen«, befahl die Frau mit schriller Stimme. »Erschießt sie. Sofort.« Die Männer legten die Skerzaals an. Sconnos konzentrierte sich. Seine Hand schloß sich um den Kristall. Er schloß die Augen, fühlte den Energiestrom und lenkte ihn mit seinem Willen auf die Waffen. Aufschreiend fuhren die Männer im Hof zurück. Die Skerzaals schienen in ihren Händen zu explodieren, denn die Kolben der Waffen verwandelten sich in Bäume. Diese kippten auf die Schützen und begruben sie unter sich. »Nun?« fragte er die Gouverneurin. »Hast du noch weitere Befehle
zu geben?« Sie brach zusammen und krümmte sich vor Schmerzen auf dem Boden, so als sei ein Teil der Energien in ihren Rücken und ihre Beine geflossen, wo sie ihre Leiden noch verstärkten. Sconnos beachtete Senta nicht. Diese Frau hatte nicht verdient, daß er ihr half. Sie hatte den Tod von zahllosen Menschen auf dem Gewissen, indem sie die für sie bestimmten Versorgungsgüter an sich genommen und nach Quost gelenkt hatte. Er trat an die Brüstung und befahl einigen Dienern, die in Angys Nähe standen: »Bindet sie los und bringt sie zu mir herauf, aber wehe ihr geschieht etwas. Das wäre euer Ende.« Er brauchte keine Minute mehr zu warten, dann fiel ihm Angy um den Hals. »Ich wußte, daß du mich befreien würdest«, sagte sie. Die Tür öffnete sich, und mehrere unbewaffnete Männer traten auf den Balkon hinaus. »Wir sind die Mitarbeiter der Gouverneurin«, erklärte einer von ihnen, ein Paarle. »Wir haben beschlossen, daß wir deine Bedingungen erfüllen werden. Die Stadt ist offen für alle Bewohner von Moondrag. Von heute an werden wir den Hunger in der Stadt bekämpfen und uns um den Aufbau bemühen.« »Und was wird aus Senta?« fragte Sconnos. »Wir haben nichts mehr mit ihr zu tun. Wir verstoßen sie. Wenn du einverstanden bist, werfen wir sie aus der Stadt. Sie kann sehen, wo sie bleibt.« Sconnos blickte sinnend auf die Frau hinab, die noch immer auf dem Boden lag. Ihre Macht war gebrochen. Jetzt war er der Herrscher von Quost, und er würde die nächsten Schritte bestimmen. Vor Senta brauchte er sich nicht mehr zu fürchten. Er schloß die Augen und konzentrierte sich kurz auf sie, und nach kaum einer Sekunde setzte sie sich seufzend auf. »Ich habe keine Schmerzen mehr«, sagte sie erstaunt. »Geh«, fuhr Sconnos sie an. »Sofort, bevor ich es mir anders
überlege.« * Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom Sturz der Gouverneurin in Quost. Die Besetzer der Stadt brachen in Jubel aus, als sie erkannten, daß sie ihr Ziel erreicht hatten. Nun wollte keiner mehr aus Quost fliehen. Sconnos ließ die Zugbrücke herabfahren. Er teilte Staff mit, daß Senta ihr Reich verlassen würde. Und schon wenige Minuten darauf sprengte die gestürzte Herrscherin auf einem weißen Dadar durch die Gassen der Stadt, begleitet von dem höhnischen Geschrei der Massen. Sie trieb ihr Reittier mit wütenden Peitschenhieben an und jagte zum Tor hinaus. Staff schickte ihr einen Fluch hinterher. Er befahl Kamma und Estarr, am Tor zu bleiben und es notfalls abzusichern, obwohl er nicht damit rechnete, daß irgend jemand Quost von außen her angreifen würde. Dann ging er zu Sconnos. Er fand den neuen Herrscher in einer Besprechung mit den bisherigen Mitarbeitern der Gouverneurin vor. »Die Bewohner von Quost sollen ihre Vorratskammern sofort öffnen und verteilen, was darin ist«, sagte Sconnos gerade, als Staff eintrat. »Ich will, daß alle satt werden. Die Leute sollen neu eingekleidet werden. Man soll ihnen die Möglichkeit geben, sich zu waschen, und Ärzte sollen Hilfe leisten, wo es notwendig ist.« Die Männer, die mit ihm an einem Tisch gesessen hatten, erhoben sich eilig und verließen den Raum, um seine Befehle weiterzuleiten. Angy trat unmittelbar nach Staff ein. Sie sah glücklich und zufrieden aus. Sie küßte Sconnos. »Die Leute beten dich an«, sagte sie dann. »Bis zuletzt haben sie nicht daran geglaubt, daß du Erfolg haben würdest. Ich halte es für gut, wenn vorläufig noch unter uns bleibt, daß wir Quost bald verlassen.«
Sconnos und Staff blickten sich verblüfft an. »Habe ich richtig gehört?« fragte der Orxeyaner. »Du hast«, erwiderte Sconnos lachend. »Das ist meine Angy, wie sie leibt und lebt. Kaum ist sie dem Henker entkommen, schon denkt sie an den nächsten Schritt, der für uns alle sicherlich nicht weniger gefährlich ist als der letzte.« »An welchen Schritt?« Staff setzte sich. »Wir sind gerade erst hier. Da draußen warten über dreitausend Menschen, die versorgt werden müssen. Und in der Umgebung wird sich herumsprechen, wie die Lage in Quost ist. Es werden noch einige tausend hinzukommen, um die wir uns auch kümmern müssen. Und du redest schon von Aufbruch?« Sconnos erhob sich. Er ging zum Fenster, blickte kurz auf die Menschenmassen hinaus, die sich durch die Gassen bewegten, und wandte sich Staff dann wieder zu. »Angy hat recht. Unsere Macht steht auf tönernen Füßen, solange es noch jemanden in Moondrag gibt, der ebenfalls Macht und Einfluß hat.« »Gibt es ihn denn?« »Den Mann mit der Narbe auf der Stirn. Den Tormeister gibt es.« Sconnos setzte sich und ließ sich von Angy etwas Wein reichen. »Ich bin davon überzeugt, daß Senta zu ihm reiten und ihn gegen uns aufstacheln wird. Der Tormeister ist ein Verbrecher, eine böse Macht, so wie Senta eine ist. Er wird sich nicht so ohne weiteres entmachten lassen.« »Welche Aufgaben hat er? Wieso ist er mächtig?« Sconnos erklärte es ihm. »Er sitzt am Tor. Ohne ihn kommt nichts nach Moondrag herein. Wer über Moondrag und damit über Pthor herrschen will, der muß ihn aus dem Weg räumen.« »Das ist es also«, stellte Staff fest. »Dir genügt es nicht, Herr über diesen Teil der Stadt oder gar über ganz Moondrag zu sein. Du willst in die FESTUNG und dein Reich von dort aus regieren.«
Der Orxeyaner schien enttäuscht zu sein. »Wir wissen nur, wie es in den Teilen von Moondrag aussieht, die wir gesehen haben«, erwiderte Sconnos. »In anderen mag es besser sein. Doch davon will ich mich überzeugen. Vielleicht geht es allen oder den meisten Bewohnern von Pthor schlecht? Vielleicht warten sie auf jemanden wie mich, der ihnen hilft, ein menschenwürdiges Leben zu führen? Das müssen wir klären, und nicht mehr oder weniger hat Angy gesagt.« Staff blickte sie forschend an. Dann leuchteten seine Augen auf, und er nickte anerkennend. »Du bist eine kluge und weitsichtige Frau, Angy«, lobte er. »Wenn wir dich nicht hätten, wären wir noch lange nicht soweit. Aber du mußt eines wissen. In der FESTUNG gibt es jemanden, den sie den König nennen. Er empfindet sich als Herrscher von Pthor, und er dürfte mehr Format haben als diejenigen, die Sconnos bisher entmachtet hat. Mich eingeschlossen.« Sconnos horchte in sich hinein. Überrascht bemerkte er, daß ihm die Worte Staffs einen Stich versetzten. Er war bisher alles andere als machthungrig gewesen, sondern hatte nur gehandelt, um dem Bösen zu begegnen und den Schwachen zu helfen. Es hatte ihn mit Genugtuung erfüllt, daß Senta Quost verlassen hatte, und er hatte es nicht bedauert, daß Teiss für seine Tat vergiftet worden war, doch machtlüstern war er deshalb nicht. Jetzt aber ärgerte ihn, daß es jemanden gab, der sich König von Pthor nennen ließ. Warum? Weil ich ihm diesen Titel streitig machen werde, fuhr es ihm durch den Kopf. Er soll beweisen, daß er mir überlegen ist und die Probleme der Bewohner von Pthor besser lösen kann als ich. Nur wenn er das kann, werde ich ihn als König anerkennen. Plötzlich mußte er an die Worte seines Gönners Alpex denken, der in einer ärmlichen Hütte gestorben war und ihn zu seinem Erben
erklärt hatte. Ich bin in der Senke der verlorenen Seelen gewesen, hatte der Sterbende gesagt. In einem der Glaspaläste. Der bestand aus mehreren säulenartigen Abschnitten, die den Pfeifen einer Orgel glichen. Wenn du dorthin gehst, wirst du sieben schwarze Schwerter finden, und wenn es dir gelingt, sie an dich zu nehmen, wirst du vor dem ganz großen Glück stehen. Die sieben schwarzen Schwerter sind das Erbe, das Alpex mir vermacht hat, dachte er. Damals, als er starb, habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, daß ich in die Senke der verlorenen Seelen gehen könnte. Es wäre unmöglich für mich gewesen. Doch jetzt ist alles anders. Er blickte Angy und Staff an, die darauf warteten, daß er sich zu dem König in der FESTUNG äußerte. Ich bin mächtig. Ich habe Freunde. Ich kann sogar Dadare satteln lassen, genügend Proviant und Waffen mitnehmen und den Weg zur Senke auf dem Rücken der Reittiere zurücklegen. Angy lächelte. Erriet sie seine Gedanken? Sieben Schwerter, fuhr es ihm durch den Kopf. Eines für mich und die anderen für sechs Freunde. Es müssen ganz besondere Schwerter sein, denn sonst hätte Alpex sie nicht erwähnt. Wenn es mir gelingt, sie an mich zu bringen, werde ich vor dem ganz großen Glück stehen. Es wird mir gelingen. Sobald ich ganz Moondrag unter meine Kontrolle gebracht habe, brechen wir auf. Und mit den sieben schwarzen Schwertern werden wir gegen den König ziehen und ihm die Nagelprobe machen. Sconnos dachte nicht lange darüber nach, wie diese Probe ausfallen würde. Er war davon überzeugt, daß er auch in der FESTUNG die Macht übernehmen würde. Hatte er aber auch seine magischen Fähigkeiten von Alpex geerbt? Es sah so aus, dennoch war Sconnos ganz sicher, daß das nicht der Fall war. Alpex war kein Magier gewesen, denn sonst hätte er sich und seinen Freunden leicht Nahrungsmittel verschaffen können. Nein, von seinem Gönner hatte er die magischen Fähigkeiten nicht. Sie waren in ihm entstanden, als er in der Hütte von Alpex gewesen
war, aber mit Alpex selbst konnten sie nichts zu tun haben. Er beschloß, später zu klären, woher die magischen Kräfte gekommen waren. Vorläufig mußte er sich um andere Dinge kümmern. Er wandte sich seinen Freunden wieder zu. »Wir sind uns darüber einig, daß wir die Macht des Tormeisters brechen werden«, sagte er. »Dieses Mal ist unser Gegner gewarnt. Er kann sich auf unseren Angriff vorbereiten. Aber wir lassen uns Zeit. Zunächst will ich, daß Stoßtrupps gebildet werden, die ganz Moondrag erkunden und die Menschen darüber informieren, daß sie hier Hilfe finden können.« Er besprach mit Staff, wie diese Stoßtrupps vorgehen sollten und setzte den Orxeyaner als Organisator dafür ein. Dann ging er hinaus, um sich in Quost umzusehen. Doch er kam bald zurück, denn wo er sich auch zeigte, drängten sich die Menschen um ihn, um ihm zu danken. Die früheren Mitarbeiter der Gouverneurin erwiesen sich als überraschend tüchtig, und sie ließen keinen Zweifel daran, daß sie loyal zu Sconnos standen. Sie halfen, die Versorgung aller Bewohner von Moondrag zu organisieren, soweit das möglich war. Sie teilten die Männer und Frauen zu den notwendigen Arbeiten ein und verschafften ihnen Quartiere. Die Menschen von Moondrag atmeten auf. Endlich zeigte sich ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Sie glaubten wieder an ihre Zukunft. Was sonst auf Pthor geschah, interessierte sie nicht. Und als sie beobachteten, daß einige Bewohner von Quost mit Quorks beladen ihre Häuser verließen, hielten sie sie nicht auf. Sconnos hatte ein neues Währungssystem angekündigt, so daß es ihnen unsinnig vorkam, daß einige Wohlhabende ihre Schätze in Sicherheit zu bringen versuchten. Stutzig wurden einige Männer und Frauen, als sie beobachteten, daß einige dieser Reichen unter der Last ihrer Quorks fast zusammenbrachen, und daß sie sich bemühten, die Körbe mit den Schätzen abzuwerfen, was ihnen
jedoch nicht gelang. Doch niemand kümmerte sich um die Gequälten. Man machte Witze über sie und ließ sie ansonsten in Ruhe, obwohl einige richtig erkannten, daß die Quorks erheblichen Einfluß auf ihre Herren nahmen. Doch bald verlor sich dieser Einfluß wieder, und man vergaß die Vorfälle, da man genügend mit dem Aufbau zu tun hatte. Tag für Tag strömten weitere Moondrager nach Quost, um sich hier anzusiedeln. Die Impulse, die von diesem Teil der Stadt ausgingen, strahlten über ganz Moondrag aus, und Staff ließ keine Gelegenheit aus, der Öffentlichkeit zu verkünden, daß der Angriff auf den Tormeister und den Hauptzugang von Moondrag unmittelbar bevorstand. Zugleich wuchs die Zahl der Männer, die bereit waren, die festungsähnliche Anlage am Haupttor anzugreifen. Estarr befragte alle, die die Befestigungen gesehen hatten, und bereitete einen Angriffsplan vor. 8. Als Estarr meinte, genügend Daten gesammelt zu haben, ging er zu Sconnos, der in einem großen Raum im Zentralgebäude über Versorgungsplänen saß. »Es wird schwer, wenn nicht unmöglich werden, die Anlagen am Haupttor zu durchbrechen«, erklärte er. »Der Tormeister hat sich gut auf unseren Angriff vorbereitet.« Er legte Sconnos eine Zeichnung der Toranlagen auf den Tisch. »Bauque, der Tormeister, hat eine Mauer aus den Trümmern der umliegenden Häuser errichten lassen, die wir nicht überwinden können. Das Eingangstor ist vielfach gesichert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand Moondrag gegen den Willen des Tormeisters betreten oder verlassen kann«, erläuterte Estarr. »Darüber hinaus wäre es wenig sinnvoll, Bauque belagern zu wollen, denn er hat
alles, was er benötigt, und er kann Nachschub bestellen, wann immer er will. Damit aber nicht genug. Ihm steht auch wenigstens ein Zugor zur Verfügung, mit dem er uns angreifen kann.« »Wenn er das versucht, kommt er in den Bereich unserer Lähmstrahler, was auch nicht gerade vorteilhaft für ihn wäre«, bemerkte Staff grinsend. »Wer Moondrag verlassen will, muß durch das Tor gehen«, sagte Sconnos nachdenklich, »denn diese Stadt steht auf einem Hochplateau. Überall jenseits der Stadtmauern fällt das Land nahezu senkrecht ab. Nur beim Stadttor führt ein Weg nach unten in die Wüste Fylln.« Staff betrat den Raum. »Unsere Streitmacht ist bereit«, berichtete er. »Wir haben etwa zehntausend Männer zusammen. Wenigstens viertausend brechen von hier aus auf, die anderen sechstausend stoßen während unseres Marsches zum Tor zu uns.« Sconnos erhob sich. »Dann wollen wir nicht länger warten«, sagte er. »Wir greifen an.« Er war sich noch nicht darüber klar, wie er die Anlagen seines Feindes angreifen sollte, aber er vertraute darauf, daß ihm noch rechtzeitig etwas einfallen würde. Zumindest wollte er seine Streitmacht aufmarschieren lassen, um Bauque deutlich zu zeigen, daß die Bevölkerung der ganzen Stadt gegen ihn war, und daß es schon aus diesem Grunde sinnlos war, die bisherige Position weiter zu verteidigen. Die Geschäfte, die Bauque bisher betrieben hatte, waren in Zukunft unmöglich. Die drei Männer verließen den Raum und traten auf einen Balkon hinaus, der sich auf der Vorderseite des Hauses befand. Auf dem Platz vor dem Gebäude und in den Gassen hatten sich Tausende versammelt. Sconnos gab einem uniformierten Diener, der auf dem Balkon stand, ein Zeichen. Der Mann setzte ein Horn an die Lippen und blies das Signal, mit dem Sconnos den Beginn der letzten Schlacht um Moondrag anzeigte.
Die dichtgedrängt stehenden Menschen brachen in einen frenetischen Jubel aus. Jeder wußte, um was es ging, und alle warteten darauf, daß das Tor zu den anderen Teilen von Pthor endlich aufgebrochen wurde. Sconnos ließ sich von Staff ein Schwert reichen. Er hob es über den Kopf, und abermals jubelten die Massen. Danach rief er zu einem energischen Freiheitskampf um Moondrag auf und versprach, alles zu tun, was in seiner Macht stand, um die Tyrannei des Tormeisters für alle Zeiten zu beenden. Eine Stunde später verabschiedete Sconnos sich vor dem Tor von Quost von Angy. Er stand an der Spitze eines gewaltigen Zuges von nunmehr fast fünftausend Männern, von denen allerdings die wenigsten bewaffnet waren. Doch das spielte eine untergeordnete Rolle. Die Zahl der Kämpfer war entscheidend, und auf dem Weg zum Haupttor konnten sich viele von ihnen noch bewaffnen. »Wo ist der schwachsinnige Bruder von Bauque geblieben?« fragte Angy. »Ich möchte nicht, daß er mich belästigt, während du fort bist.« »Er ist gut versorgt«, beruhigte Sconnos sie. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.« Er hob den Arm und gab damit das Zeichen zum Aufbruch. Dieses Mal brauchte er nicht zu singen, um Anhänger und Mitkämpfer zu gewinnen. Die Männer folgten ihm aus eigenem Antrieb heraus. Staff bot Sconnos ein Dadar als Reittier an, doch der Magier lehnte ab. »Ich gehe zu Fuß wie alle anderen auch«, sagte er. »Das wäre ein Fehler. Du bist der Anführer. Deine Männer müssen dich sehen können. Sie müssen wissen, daß du da bist, und wo sie dich finden, wenn sie dir etwas zu melden haben. Du mußt reiten. Außerdem brauchst du auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Bis zum Haupttor sind es kaum zwanzig Kilometer. Das ist ein Tagesmarsch. Jeder von uns wird das schaffen, ohne sich übermäßig
anzustrengen.« Widerwillig schwang sich Sconnos auf den Rücken eines Dadars. Er war der einzige, der ritt. Die anderen Dadare hatten lediglich Versorgungsgüter zu tragen. Die Männer um ihn herum jubelten ihm zu. Sie begrüßten es, daß er sich in so eindeutiger Weise herausstellte. Sconnos winkte Angy zu und ritt los. Die Kriegsschar folgte ihm. Schon als der Zug die Brücke über den Graben überquerte, schlossen sich ihm weitere Männer an, die aus den Ruinen der Umgebung kamen. Und so blieb es auf der ganzen Strecke bis hin zum Haupttor, das Sconnos mit seinen Männern noch am gleichen Tage erreichte. Von allen Seiten kamen immer mehr Männer hinzu, die bereit waren, an dem Kampf teilzunehmen. Aus den Trümmern holten sie viele Eisenstangen, Holzkeulen oder andere Dinge, die sie als Waffen benutzen konnten, bis kaum noch jemand unbewaffnet war. Sconnos sah das Haupttor schon von weitem. Obwohl er auf seinen Anblick vorbereitet war, hielt er doch den Atem an. Der Wall, den Bauque, der Tormeister errichtet hatte, war mehr als fünfzehn Meter hoch, und das Tor bestand aus massivem Stahl. Sconnos gab das Zeichen zum Halt. Gleichzeitig drehte er sich im Sattel um. Er schätzte die Zahl der Krieger, die ihm gefolgt war, auf mehr als zehntausend. Was aber nützte eine solche Anzahl von Menschen, wenn er keine Waffe hatte, mit der er die Mauer brechen konnte? Auf der Mauerkrone hatten sich etwa hundert Krieger in metallisch blitzenden Uniformen postiert. Sie hielten Waggus in den Händen. »Wenn dir bis jetzt noch nichts eingefallen ist«, sagte Staff, »dann wird es Zeit, daß du einen Plan entwickelst.« »Wir bauen eine Rampe«, antwortete Sconnos. »Männer haben wir genug. Wenn jeder von ihnen nur zehn Steine aus den Ruinen holt und vor der Mauer aufschichtet, helfen Bauque alle
Abwehrmaßnahmen nichts.« »Falls die Wachen unsere Männer nicht mit den Waggus lähmen, sobald sie sich der Mauer nähern«, gab Estarr zu bedenken. »Das werden sie nicht tun«, erwiderte der Magier. »Wir haben einige Skerzaals. Damit treiben wir sie zurück, und wir haben ebenfalls Waggus, mit denen wir sie lähmen können. Es kommt nur darauf an, nahe genug an die Mauer zu kommen. Und da sind wir im Vorteil. Wir montieren die Waggus auf einfache Karren, fahren diese dicht an die Mauer heran und lösen die Waffen mit einem Faden aus der Ferne aus. Die Wächter aber können die Mauer nicht verlassen. Sie können sich uns nicht nähern.« Staff nahm diesen Gedanken begeistert auf. In den Ruinen der Umgebung fand sich genügend Material für mehrere Fahrgestelle. Diese waren schnell zusammengebaut, und es war auch nicht schwierig, sie auf dem leicht abschüssigen Gelände in die Nähe der Mauer zu bugsieren, ohne selbst in die Reichweite der gegnerischen Waffen zu geraten. Mit Hilfe langer Fäden löste Staff die Waggus aus, und er jubelte jedesmal laut auf, wenn eine der Wachen auf der Mauer zusammenbrach. Erste Erfolge zeichneten sich ab. Die Angreifer schleppten Steine an die Mauer, um eine Rampe zu errichten. Sobald sich Verteidiger auf der Mauerkrone zeigten, schoß Staff sie ab, so daß es schon schien, als sei es leicht, die Festung Bauques zu stürmen. Doch dann stieg plötzlich ein Zugor hinter der Mauer auf, schwebte über die Mauer hinweg und griff an. Drei Männer, die mit der Schale flogen, kippten eine kochende Flüssigkeit auf die Angreifer. Dann schossen sie mit Skerzaals, wobei sie sich außerhalb der Reichweite der Waggus hielten. Auf diese Weise verschafften sie den Verteidigern eine Atempause, während derer weitere Männer die Mauerkrone erklimmen konnten, um auch von hier aus das Feuer aufzunehmen. Der Angriff der Zehntausend kam ins Stocken, weil es Sconnos
nicht gelang, die überlegene Zahl seiner Krieger effektvoller zu nutzen. Sconnos eilte zu den Verletzten, um ihnen zu helfen. Ohne große Mühe befreite er sie von ihren Schmerzen und verschloß die Wunden. Als er danach zu Staff zurückkehrte, blickte dieser ihn kopfschüttelnd an. »Eines verstehe ich nicht«, sagte der Orxeyaner. »Warum versuchst du nicht, deine magischen Kräfte für den Angriff einzusetzen? Es muß doch möglich sein, mit ihrer Hilfe die Mauer zu brechen.« »Wie denn?« »Hast du nicht aus den Kolben der Skerzaals Bäume werden lassen?« »Das habe ich, aber in was könnte ich eine Mauer umwandeln oder ein stählernes Tor?« »Die Steine der Mauer sind aus Sand entstanden.« Sconnos blickte zur Mauer hinüber. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es ihm gelingen würde, diese praktisch aufzulösen. »Ich könnte es immerhin versuchen«, sagte er zögernd. »Gut.« Staff atmete schnaufend, als habe er große Anstrengungen hinter sich. »Wenn es soweit ist, gebe ich das Zeichen zum Angriff.« Er gab dem Hornisten den Befehl, ein Signal zu blasen, und während Sconnos sich auf den Boden setzte und den Kristall in die Hand nahm, hallte ein schauriger Ton über das Schlachtgelände. Die Verteidiger wußten mit diesem Signal nichts anzufangen, wohl aber die Angreifer. Sie schwärmten aus, so daß sie die Festung halbkreisförmig umspannten, und warteten auf den Moment, in dem ein Angriff günstig erschien. Sconnos kämpfte seine inneren Zweifel nieder. Er wußte, daß er nichts erreichen würde, wenn es ihm nicht gelang, sich wirklich zu konzentrieren, und wenn er seine Unsicherheit nicht überwand. Mehrere Minuten vergingen, ohne daß etwas geschah. Sconnos
spürte, wie sich der Kristall in seiner Hand erwärmte. Er glaubte, den grünen Kern zu sehen, obwohl er die Augen geschlossen hielt. Dann warf er seine magischen Kräfte gegen die Mauer. Er wollte, daß aus den Steinen, die zum Teil in Ziegeleien gefertigt, zum Teil aber auch in Jahrmillionen von der Natur geschaffen worden waren, wieder Sand und Ton wurden. Er wollte, daß sich der Mörtel auflöste und zu Staub zerfiel. Plötzlich schrien die Wachen auf der Mauerkrone auf. Sconnos hob den Kopf. Er öffnete die Augen. Er sah Staubwolken über der Mauer aufsteigen und seitlich aus ihr herausschießen. Die Wachen verloren den Boden unter den Füßen und stürzten in die Tiefe. Die Mauer brach zusammen. Sand und Staub schoben sich zu den Seiten hin weg. Staff jubelte, und der Hornbläser gab das Angriffssignal. Zehntausend Männer brüllten begeistert auf und rannten auf die Festung zu. Sconnos saß wie betäubt auf dem Boden. Die Krieger stürmten an ihm vorbei. Sie schwangen ihre primitiven Waffen und kämpften sich durch Sand und Steine voran. »Willst du hier bleiben?« schrie Staff. »Willst du deinen Triumph verpassen?« Er half Sconnos hoch und führte ihn zu seinem Dadar. »Los. Steige auf und reite in die Festung. Du bist der Anführer.« Der Magier spürte den Vorwurf, der sich in den Worten versteckte. Ihm wurde bewußt, daß er es nicht mit der Eroberung des Haupttors von Moondrag genug sein lassen wollte, sondern daß er nach einem Sieg über Bauque sogar den Kampf mit der FESTUNG ins Auge fassen würde. Das konnte er nicht tun, wenn er auf dem Boden hockte und zusah, wie andere kämpften. Er stieß einen schrillen Schrei aus, hieb dem Dadar die Hacken in die Seiten und trieb das Tier voran. Staub wirbelte unter den Füßen der Zehntausend auf und verdichtete sich zu einem Nebel, so daß Sconnos kaum zwanzig Meter weit sehen konnte. Es störte ihn nicht.
Ein Rausch erfaßte ihn. Jetzt wollte er kämpfen. Er wollte mitten im Kampfgetümmel stehen, und er dachte nicht daran, daß er der einzige war, dem niemand helfen konnte, wenn er verletzt wurde. Das Dadar jagte über das umgekippte Stahltor hinweg in die Festung hinein, während die Masse seiner Krieger über den Sandwall eindrang. Ungefähr fünfhundert Krieger standen den Angreifern gegenüber. Unter ihnen befanden sich Bauque, der Mann mit der auffallenden Narbe auf der Stirn, und Senta, die gestürzte Herrscherin des Stadtteils Quost. Sconnos war früher, als Moondrag nach bessere Zeiten erlebt hatte, einige Male hier am Haupttor gewesen, doch jetzt erkannte er es kaum wieder. Fünf Lagerhäuser erhoben sich davor. Vor wenigen Stunden schien ein Transport angekommen zu sein. Zahllose Waren stapelten sich auf Zugors und auf Wagen. Die Umladearbeiten waren mitten im Angriff abgebrochen worden. Die Dellos, die den Transport begleitet hatten, rannten in heilloser Flucht durch das offene Haupttor hinaus. Ihnen schloß sich ein Teil der Verteidiger der Anlage an, da diese erkannt hatten, daß sie einer allzu großen Übermacht gegenüberstanden. »Kämpft sie nieder«, schrie Sconnos. »Tötet sie, wenn sie sich wehren!« Erschrocken hielt er inne. Was war in ihn gefahren? Er war nie ein gewalttätiger Mensch gewesen. Immer hatte er den gewaltlosen Weg gesucht. Jetzt aber forderte er seine Männer gar zum Töten auf. Hatten seine neuen Fähigkeiten ihn verändert? Es schien so. Seine anfeuernden Rufe zeigten Wirkung. Die Angreifer stürzten sich auf die Männer Bauques und schlugen mit allem auf sie ein, was ihnen als Waffe diente. Die seit Jahren aufgestaute Wut gegen diejenigen, die alle
Versorgungsgüter für sich beanspruchten, um damit Geschäfte zu machen, entlud sich. Die Übermacht erstickte den Kampf der Verteidiger, so daß schon nach wenigen Minuten klar zu erkennen war, wer die Schlacht gewinnen würde. Sconnos saß auf seinem Dadar und schrie Befehle. Keiner der Männer von Bauques Horde sollte ihm entkommen. Bauque! Du hast ihn völlig vergessen! warf er sich vor, während er sich wild nach dem Mann mit der Narbe auf der Stirn umsah. Er erinnerte sich wieder daran, daß dieser Mann mit seinen Kriegern Staffs Burg überfallen und ausgeplündert hatte, nur weil ihm dort ein Konkurrent erwachsen war. Und er sah die Zerstörungen wieder vor sich, die Bauques Männer in der Burg angerichtet hatten. Er dachte an Angy, die beinahe ein Opfer dieses Mannes geworden war, und an die vielen Verletzten, die nur durch Magie gerettet worden waren. Bauque durfte ihm nicht entkommen, ebensowenig wie Senta. Sconnos trieb sein Dadar an. Er hielt eine Waggu in den Händen, und er war entschlossen, die beiden Hauptübeltäter von Moondrag damit zu lähmen. Er wollte sie lebend in die Hände bekommen, um sie vor Gericht stellen zu lassen. Bauque und Senta hatten schwere Strafen verdient. Sie waren schuld an dem Hungertod von zahllosen Menschen. Sie durften nicht entkommen und anderswo mit neuen Untaten ein zweites Reich aufbauen. Du willst Herrscher über ganz Pthor werden, dachte Sconnos, während er mitten durch die kämpfende Menge ritt. Wenn du es wirklich willst, dann sorge für Ordnung und lege denen das Handwerk, die dir immer wieder Schwierigkeiten machen werden. Plötzlich tauchte Estarr vor ihm auf. Der Freund blutete aus mehreren Wunden, lachte jedoch, als sei alles in bester Ordnung. Triumphierend streckte er sein Schwert in die Höhe.
»Wir haben gewonnen, Sconnos. Die Schlacht ist geschlagen, und wir sind die Sieger«, brüllte er. »Wo ist Bauque?« fragte der Magier. »Ich muß wissen, wo Bauque ist.« Estarr ließ nachdenklich das Schwert sinken. Dann fuhr er herum und blickte zum Haupttor. »Ich habe ihn in der Nähe des Tores gesehen«, antwortete er. Sconnos dankte ihm und hieb seinem Dadar die Hacken in die Weichen. Das Tier stürmte voran. Fast gleichzeitig rannte ein anderes Dadar hinter einem der Lagerhäuser hervor. Auf ihm saßen Bauque und Senta. Sie flüchteten in Richtung Haupttor. »Bauque«, brüllte Sconnos. Er erwartete, daß der Mann mit der Narbe sein Dadar zügeln würde, um sich ihm zu stellen, doch er irrte sich. Bauque blickte nur flüchtig zu ihm herüber und trieb sein Reittier gleichzeitig mit wütenden Hieben an. Senta schrie entsetzt auf, als sie ihn bemerkte. Sie nestelte an ihrem Gürtel herum, wo sie eine Waggu trug. Sconnos jagte hinter den Fliehenden her durch das Haupttor. Gleich dahinter bog der Weg scharf nach rechts ab und führte steil in die Tiefe. Sobald Bauque und Senta hinter der Wegbiegung verschwunden waren, mußten sie ihm entkommen. Sconnos wollte sie auf jeden Fall vorher abfangen. Er hob seine Waggu, zielte sorgfältig über den Kopf seines Dadars hinweg und löste die Waffe aus, als er glaubte, Bauque und Senta im Visier zu haben. Als Schütze war er jedoch viel zu ungeübt, um unter solch schwierigen Umständen sicher schießen zu können. Die lähmenden Strahlen trafen die Hinterbeine des Dadars. Das Reittier brach zusammen und rutschte laut schreiend über die Felskante hinweg. Bauque und Senta versuchten, im letzten Augenblick noch abzuspringen und sich zu retten, doch das gelang ihnen nicht mehr. Sie stürzten mit dem Dadar in die Tiefe. Sconnos war so erschrocken, daß es ihm erst unmittelbar vor dem
Abgrund gelang, sein Reittier zu zügeln. Er blickte über die Felskante hinweg und sah Bauque und seine Komplizin weit unter sich zwischen die Steine fallen. Erschüttert wandte er sich ab. Das hatte er nicht gewollt. Er fühlte sich schuldig am Tod der beiden. »Was ist los mit dir?« fragte Staff, als er wenig später zu ihm kam. »Du siehst aus wie drei Tage Regenwetter. Dabei haben wir den Kampf gewonnen. Moondrag ist frei. Die Stadt ist in unserer Hand, und das bedeutet, daß sie wieder eine Zukunft hat.« Sconnos deutete stumm auf den Abgrund. Staff ging an ihm vorbei und blickte nach unten. Gleichmütig zuckte er mit den Schultern, als er die Toten sah. »Sie haben ihre gerechte Strafe erhalten«, sagte er. »Es waren Mörder, die ein solches Ende verdient haben. Es wäre nicht richtig, um sie zu trauern. Denke lieber an die vielen, die sie auf dem Gewissen haben.« »Wahrscheinlich hast du recht«, erwiderte Sconnos, aber die Worte des Freundes halfen ihm nur wenig. ENDE Weiter geht es in Atlan Band 498 von König von Atlantis mit: Das Parraxynt von H. G. Francis