Andreas Wagenknecht Das Automobil als konstruktive Metapher
Theorie und Praxis der Diskursforschung herausgegeben von...
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Andreas Wagenknecht Das Automobil als konstruktive Metapher
Theorie und Praxis der Diskursforschung herausgegeben von Reiner Keller Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich im deutschsprachigen Raum quer durch die verschiedenen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen eine lebendige Szene der diskurstheoretisch begründeten empirischen Diskurs- und Dispositivforschung entwickelt. Nicht nur Qualifikationsarbeiten etwa im Rahmen von Graduiertenkollegs, sondern auch Forschungsprojekte, Methodenwerkstätten und Tagungen oder die von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie unlängst vergebenen Nachwuchs-Preise für empirische Diskursstudien dokumentieren die zunehmende Bedeutung des Diskursbegriffs für die Analyse gesellschaftlicher Wissensverhältnisse und Wissenspolitiken. Vor diesem Hintergrund zielt die interdisziplinär angelegte Reihe durch die Veröffentlichung von Studien und Diskussionsbeiträgen auf eine weitere Profilschärfung der Diskursforschung sowie auf die Vorstellung entsprechender Arbeiten für ein breiteres wissenschaftliches Publikum. Die einzelnen Bände werden sich mit theoretischen und methodologischen Grundlagen, methodischen Umsetzungen und empirischen Ergebnissen der Diskurs- und Dispositivforschung sowie mit deren Verhältnis zu anderen Theorieprogrammen und Vorgehensweisen beschäftigen. Vorgesehen ist die Publikation von Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen sowie von Sammel- und Tagungsbänden.
Andreas Wagenknecht
Das Automobil als konstruktive Metapher Eine Diskursanalyse zur Rolle des Autos in der Filmtheorie
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation an der Universität Mannheim
. . 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17702-1
Inhaltsverzeichnis
5
Danksagung
Diese Arbeit wäre nicht zustande gekommen ohne die fachliche Betreuung und Unterstützung sowie die wertvollen Hinweise von Prof. Dr. Angela Keppler und die anregenden Gespräche mit Prof. Dr. Jochen Hörisch, die konstruktiven Diskussionen mit meinen Kolleginnen und Kollegen: Prof. Dr. Lisa Gotto, Kathrin Lämmle, Dr. des. Anja Peltzer, Andrea Teuscher, Matthias Bandtel und Dieter Schwengler, die gewissenhaften Korrekturen durch Esther Böminghaus und EvaMaria Prokop sowie die, von der thematischen Isolation ablenkende und gerade dadurch motivierende Unterstützung durch meine lieben Freunde aus meiner Zeit in Rostock, Dresden, Mannheim und Heilbronn. Allen diesen Personen gilt mein herzlichster Dank. Besonders danken möchte ich Kristina Heuer für ihre Geduld, ihren Beistand und die zahllosen Tage, die ich statt mit ihr, mit dieser Arbeit verbracht habe. Mit Worten des Dankes kann nicht umfassend ausgedrückt werden, welches Verständnis und welche Unterstützung ich allzeit durch meine Eltern, Regina und Klaus Wagenknecht, erfahren habe und wie sie bis heute stets zu mir und meinen Entscheidungen stehen. Ihnen und meinen Großeltern widme ich dieses Buch. Andreas Wagenknecht
Heilbronn, im September 2010
Inhaltsverzeichnis
7
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung.......................................................................................... 11
1.1
Aufbau ............................................................................................... 12
2
Grundlegendes zur Untersuchung.................................................. 15
2.1
Ziel, Gegenstand und Relevanz ......................................................... 15
2.2
Verortung und Literaturübersicht....................................................... 16
3
Theoretische und methodische Voraussetzungen.......................... 21
3.1
Diskurs und Diskursanalyse............................................................... 21
3.2 3.2.1 3.2.2
Diskursanalyse und Grounded Theory............................................... 26 Zur Kompatibilität von Diskursanalyse und Grounded Theory......... 27 Verfahren der Grounded Theory und ihr Verhältnis zur Diskursanalyse ................................................................................... 31 Theoretisches Sampling ..................................................................... 32 Kodierverfahren ................................................................................. 34 Praxis der Kodierverfahren in der Diskursanalyse............................. 40
3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2
Konzeption einer Diskursanalyse zum Automobil in der Filmtheorie......................................................................................... 42 Voraussetzungen................................................................................ 44 Filmtheorie(n) als Datengrundlage .................................................... 45 Zusammenstellung der Datengrundlage............................................. 47
3.4 3.4.1
Exemplarische Darstellung der Generierung eines Teildiskurses ...... 51 Schlussfolgerungen............................................................................ 66
3.5
Form der Ergebnisdarstellung............................................................ 68
8
Inhaltsverzeichnis
4
Das Automobil in der Frühphase filmtheoretischen Denkens (1907-1919) ....................................................................................... 71
4.1 4.1.1
Das Automobil in filmtheoretischen Artikeln.................................... 73 Grundlegung der filmtheoretischen Verhandlung des Automobils: Von Méliès zu Bleibtreu .................................................................... 74 Zwischenfazit: Automobildiskurs ...................................................... 80 Konsolidierung und Ausdifferenzierung der Thematisierung des Automobils: Von Rauscher zu Spitteler ...................................... 83 Zwischenfazit: Automobildiskurs ...................................................... 90
4.1.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8
Das Automobil in frühen Filmtheorien und Monografien zum Film............................................................................................ 92 Ein Potpourri an Automobilem: Schultze und Häfker ....................... 93 Das Kinobuch als Automobilbuch: Pinthus und die Schriftsteller..... 96 Exponierung und Poetisierung des Automobils: Von Altenloh zu Lukács ......................................................................................... 101 Theoretisierende Filmregisseure und das Automobil: Mack und Gad.................................................................................. 104 Tricktechnische Realisierung automobiler Szenen: Liesegang und Talbot....................................................................... 109 Empathie und Nebenhandlung: Das Automobil bei Münsterberg und Tannenbaum.............................................................................. 112 Film und reale Autofahrt: Le cinéma et l’automobile...................... 114 Zwischenfazit: Automobildiskurs .................................................... 115
5
Das Automobil in der ästhetischen Filmtheorie (1920er- und 1930er-Jahre)........................................................... 121
5.1
Das Automobil in Schauspieler- und Kameratheorie sowie Avantgarde....................................................................................... 122 Automobilkritik in der Schauspielertheorie: Von Bloem zu Stindt........................................................................ 122 Das Automobil als Ausdrucksbewegung: Balász............................. 128 Stillstand und Dynamik: Das Automobil bei Harms, Bagier und Richter....................................................................................... 130 Zwischenfazit: Automobildiskurs .................................................... 134
5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1 5.2.2
Das Automobil in der russischen Montagetheorie ........................... 136 Filmtheorie als Automobilpropaganda: Vertov ............................... 137 Montagetheorie am Beispiel der Automobildarstellung: Pudowkin ......................................................................................... 139
Inhaltsverzeichnis
5.2.3 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5
9
Das Automobil als Symbol und Analogie: Schklowskij und Eisenstein......................................................................................... 143 Zwischenfazit: Automobildiskurs .................................................... 146 Das Automobil in der Kunsttheorie des Films ................................. 148 Das Automobil als klassifizierendes Element: Gregor und Grosz ... 149 Das Automobil als Ausstattungselement und Stellvertreter: Arnheim und Clair ........................................................................... 153 Automobil und Bewegung als Ursprungsprinzip des Films: Panofsky .......................................................................................... 158 Verwandte Wahrnehmung von Automobil und Film: Benjamin ..... 159 Zwischenfazit: Automobildiskurs .................................................... 163
6
Das Automobil in der realistischen Filmtheorie (1940er- bis 1960er-Jahre) ............................................................ 167
6.1
Das Automobil als realistische Bewegung: Kracauer ...................... 168
6.2
Das Automobil als realistischer Handlungsraum: Bazin.................. 172
6.3
Das Automobil als Erweiterung der Alltagsrealität: Morin ............. 174
6.4
Automobilfreier Exkurs: Filmologie, -semiotik und -phänomenologie ............................................................................. 177
6.5
Zwischenfazit: Automobildiskurs .................................................... 178
7
Das Automobil in Technikdeterminismus und Genretheorie .... 181
7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.3.1 7.1.3.2
Automobil und Technikdeterminismus............................................ 183 Automobil und Film als Medien: McLuhan..................................... 183 Geschwindigkeit als Wesen von Automobil und Film: Virilio........ 189 Automobil, Film und Dispositivtheorie ........................................... 195 Dispositiv und filmische Apparatur ................................................. 196 Vom Zug zum Panorama zum Film zum Automobil: Dispositive Analogiebildungen........................................................ 201 Zwischenfazit: Automobildiskurs .................................................... 211
7.1.4 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3
Automobil und Genretheorie ........................................................... 213 Genrebegriff und -geschichte als Voraussetzung der Genretheorie .................................................................................... 214 Genretheorie .................................................................................... 216 Das Road Movie .............................................................................. 218
10
Inhaltsverzeichnis
7.2.3.1 7.2.4
Das Automobil im Road Movie ....................................................... 220 Zwischenfazit: Automobildiskurs .................................................... 224
8
Der Automobildiskurs: Zusammenführung und Schlussfolgerungen ........................................................................ 227
8.1 8.1.1 8.1.2
Teildiskurse als Formen der Automobilthematisierung ................... 227 Das Automobil im Film ................................................................... 227 Das Automobil und der Film ........................................................... 230
8.2 8.2.1
Der Automobildiskurs...................................................................... 230 Phasen des Automobildiskurses....................................................... 231
8.3
Ausblick: inhaltlich und methodisch................................................ 239
9
Literaturverzeichnis ...................................................................... 241
10
Filmverzeichnis .............................................................................. 257
1.1 Aufbau
11
1 Einleitung
„An das Haus schließt sich der Urwald an, von einem Wasserfall durchflossen, und zehn Schritt weiter stehen wir vor einer Autogarage, die den wichtigsten Teil jedes Kinostücks, das Automobil, enthält“ (Altenloh 1914, 34).
Automobil und Film sind technische Erfindungen des ausklingenden 19. Jahrhunderts und haben das 20. Jahrhundert entscheidend geprägt. Als 1886 mit dem Motorwagen von Carl Friedrich Benz das erste Automobil vorgestellt wurde, experimentierten rund um die Welt zahlreiche Erfinder unabhängig voneinander daran, die Bilder zum Laufen zu bringen. Im Jahr 1895 traten nahezu zeitgleich die Gebrüder Skladanowsky in Berlin und die Gebrüder Lumière in Paris mit ihren Filmprojektoren an die Öffentlichkeit, wobei sich die Technik des Lumièreschen Cinématographen letztlich durchsetzte. Erste Aufnahmen von Automobilen finden sich bereits 1896 in dem Film Voitures Automobiles der Lumiéres (vgl. Müller 2004) oder in dem aus dem Jahr 1900 stammenden Film Automobile Parade von Thomas Alva Edison (vgl. Smith 2009 [1980]). In der Folgezeit entwickelte sich das Automobil schnell zu einem beliebten und weit verbreiteten filmischen Motiv. „Es würde zu weit führen, wollte man alle Filme aufzählen, in denen das Auto in Umfeld und Psyche der Kino-Helden einbricht. Der Vorgang ist schon fast obligatorisch. Längst haben sich auch hier die Geister, die man rief, der menschlichen Kontrolle entzogen und wollen, wie in Goethes Ballade, nicht mehr an den ihnen zugewiesenen Platz zurückkehren“ (Knorr 1974, 5).
Entsprechend zeitnah, bereits 1907 durch Georges Méliès, findet die Beschreibung und Reflexion der filmischen Darstellung des Automobils Eingang in die nahezu parallel mit der Durchsetzung des Films einsetzende Entwicklung der Filmtheorie und etabliert sich zu einem die Geschichte der Theoretisierung des Films begleitenden Diskurs.
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
12
1 Einleitung
1.1 Aufbau Die Karriere eben dieses Automobildiskurses zeichnet die Arbeit in folgender Weise nach. Das zweite Kapitel skizziert den Untersuchungsgegenstand und formuliert auf der Grundlage des Anliegens und der Relevanz der Untersuchung die forschungsleitenden Fragen. Es gibt weiterhin einen das Ziel der Arbeit verortenden kritischen Überblick über die nicht spezifisch filmtheoretische Literatur zum Thema Automobil und Film. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit den Termini Diskurs und Diskursanalyse sowie basierend auf der Auffassung, dass es sich bei der Diskursanalyse nicht um eine Untersuchungsmethode, sondern vielmehr um eine spezifische Haltung gegenüber einem zu erforschenden Gegenstand handelt, zeigt das dritte Kapitel eine Möglichkeit auf, diese methodisch zu fundieren. Dazu werden die von Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss in den späten 1960er-Jahren entwickelten Verfahren der Grounded Theory theoretisch fruchtbar gemacht und vor dem Hintergrund der Diskursanalyse diskutiert. Im Anschluss erfolgt eine Übertragung der so entwickelten Konzeption auf den konkreten Gegenstand der Arbeit. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Erfassung und Behandlung der Filmtheorie(n) als Datengrundlage. Abschließend veranschaulicht die Darstellung der praktischen Anwendung der entworfenen gegenstandadäquaten Diskursanalyse durch die Nutzung von Verfahren der Grounded Theory am Beispiel der Generierung des Teildiskurses Szenarien des Autounfalls das grundsätzliche methodische Vorgehen der Arbeit. Auf welch vielfältige Art und Weise das Automobil in der Frühphase des filmtheoretischen Denkens thematisiert wird, legt das vierte Kapitel dar. Dabei wird zunächst die Auseinandersetzung mit dem Automobil in filmtheoretischen Zeitschriften- und Zeitungsartikeln vorgestellt, im Anschluss folgt die Darstellung der Verhandlung des Automobils in frühen Filmtheorien und Monografien zum Film. Das fünfte Kapitel fokussiert den in der Frühphase der Filmtheorie seinen Ausgang nehmenden Automobildiskurs in den ästhetischen Filmtheorien der 1920er- und 1930er-Jahre. Neben der Betrachtung der Verortung des Automobils in der Schauspielertheorie des Films oder der filmtheoretischen Konzeption der Ausdrucksbewegung durch Béla Balázs liegt der Schwerpunkt hier auf der exponierten Stellung des Automobils in der russischen Montagetheorie. Die Diskussion der Stellung des Automobils innerhalb verschiedener Theoriegebäude im Rahmen der Kunsttheorie des Films schließt die Darstellung ab. Auf der Grundlage realistischer Filmtheorien während des Übergangs der 1940er- in die 1950er-Jahre verdeutlicht das sechste Kapitel die zunehmende Verflachung des Automobildiskurses sowie dessen nahezu vollständigen Rück-
1.1 Aufbau
13
gang in den von der Phänomenologie oder der Semiotik beeinflussten Filmtheorien der 1960er-Jahre. Zu Beginn des siebenten Kapitels wird die Verlagerung der Diskussion von filmtheoretischen Fragen in die Medientheorie vor dem Hintergrund der Gleichzeitigkeit verschiedener audiovisueller Medien ab den 1960er-Jahren dargestellt. Besonders technikdeterministische Ansätze thematisieren dabei das Automobil in Zusammenhang mit dem Film. Aber auch die ebenfalls in diesem Kapitel diskutierte Analogiebildung zwischen Automobil und Film vor dem Hintergrund der Dispositivtheorie filmischer Apparaturen führt zu einer Wiederaufnahme des Automobildiskurses. Die Rolle des Automobils im Rahmen der Genretheorie des Films, insbesondere der des Road Movies, schließt das Kapitel ab. Das achte Kapitel führt die Ergebnisse und Diskussionen der vorangegangenen Darstellungen, die stets mit einem den Automobildiskurs und einem seine Elemente resümierenden Zwischenfazit versehen sind, zusammen. Auf diese Weise wird die Genese des Automobildiskurses noch einmal veranschaulicht, bewertet und erklärt. Eine kurze Reflexion zum Status der Untersuchung sowie ein Resümee zur methodischen Konzeption bilden den Abschluss der Arbeit.
2.1 Ziel, Gegenstand und Relevanz
15
2 Grundlegendes zur Untersuchung
2.1 Ziel, Gegenstand und Relevanz Das Ziel der Arbeit ist die Herausarbeitung, Diskussion und Bewertung der Art und Weise der Thematisierung des Automobils innerhalb der Filmtheorie. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Sprechen über das Automobil einen speziellen Diskurs (Foucault 1981 [1973]) innerhalb der Filmtheorie darstellt, den es zu analysieren gilt. Es soll veranschaulicht werden, wie sich die Formen der Thematisierung des Automobils in Teildiskursen und in Form weiterer diskursiver Elemente historisch entwickelt und etabliert und somit ein Ensemble von Rede- und Aussageformen über das Automobil ausgebildet haben. Neben der grundsätzlichen Annahme, dass ein solcher Automobildiskurs in der Filmtheorie existiert und der Vermutung, dass dieser darin begründet liegt, dass das Automobil (und seine ihm innewohnende Bewegtheit) eine konstruktive Metapher zur Theoretisierung des Films und seiner spezifischen ästhetischen Mittel darstellt, wird außerdem die These aufgestellt, dass sich die wesentlichen Arten der Automobilthematisierung bereits in den filmtheoretischen Schriften der 1900er- bis 1910erJahre entwickelt und etabliert haben. Daher gilt es aufzuzeigen, welche Entwicklung der Diskurs daraufhin durchlaufen hat und in welchen Bereichen der Filmtheorie er mit welchen diskursiven Elementen hervortritt, sich verliert und/oder verlagert. Die Arbeit ist in zweierlei Hinsicht relevant: Die thematische Bedeutsamkeit resultiert aus der Beobachtung, dass sich zahlreiche film- und medienwissenschaftliche Publikationen mit den unterschiedlichsten Ansprüchen und aus den verschiedensten Perspektiven mit dem Verhältnis von Automobil und Film beschäftigen, jedoch nie eine Aufarbeitung der theoretischen Entstehung dieses Zusammendenkens im Rahmen der Film-theorie geliefert wurde. Diese Lücke soll geschlossen werden. Die methodische Bedeutsamkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass die Diskursanalyse (Foucaultscher Prägung) keine Untersuchungsmethode ist, sondern vielmehr eine bestimmte Sichtweise auf ein Untersuchungsphänomen vorgibt bzw. einen eine gewisse Haltung gegenüber einem Untersuchungsgegenstand einnehmen lässt, welche es erst in eine Methode zu überführen gilt. Deren nachvollziehbare Darstellung wird in einem Großteil der diskursanalytischen Arbei-
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
16
2 Grundlegendes zur Untersuchung
ten jedoch zumeist stark vernachlässigt, wodurch diese methodisch oft beliebig erscheinen. Durch die Erprobung und die detaillierte exemplarische Veranschaulichung einer Diskursanalyse unter Hinzuziehung von modifizierten Verfahren der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1998 [1967]) zum entworfenen Forschungsgegenstand soll ein Entwurf geliefert werden, der methodisch nachvollziehbar eine gegenstandsadäquate Diskursanalyse zu einem spezifischen Untersuchungsphänomen realisiert. Die entworfene Vorgehensweise wird somit detailliert offengelegt und zur Diskussion gestellt. Im Rahmen der Arbeit sind dementsprechend zwei grundsätzliche Forschungsfragen zu beantworten. Die erste Frage ergibt sich aus dem thematischen Anspruch: 1.
Welche Erwähnungsweisen und Arten der Thematisierung des Automobils haben sich in Form diskursiver Elemente in der Filmtheorie etabliert, welchen Verlauf haben sie (im Rahmen des Automobildiskurses der Filmtheorie) genommen und wodurch lässt sich ihr Auftreten erklären?
Eng damit verbunden ist die zweite Frage, die sich aus dem methodischen Anspruch ergibt: 2.
Auf welche Art und Weise lassen sich die Diskursanalyse und die Grounded Theory transparent, nachvollziehbar und begründet miteinander verbinden, um der Diskursanalyse ein methodisches Gerüst auf der Grundlage eines spezifischen Gegenstandsbereichs zu geben?
2.2 Verortung und Literaturübersicht Wie die Untersuchung zeigen wird, thematisieren filmtheoretische Schriften das Automobil seit ihren Anfangstagen auf unterschiedliche Art und Weise, auch wenn eine Aufarbeitung dieses Automobildiskurses bisher ausgeblieben ist. Das heißt jedoch nicht, dass dem Thema Automobil und Film keine wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil wird. An dieser Stelle erfolgt zur besseren Verortung des Gegenstandes der Arbeit ein einführender Überblick über die Literatur, die sich jenseits filmtheoretischer Arbeiten mit dem Phänomen Automobil und Film beschäftigt. Spricht Jens Peter Becker (1989) in der Bestandsaufnahme der amerikanischen Literatur zum Thema Automobil und Film im Rahmen seiner Studie Das Automobil in der amerikanischen Kultur, die auch ein Kapitel zum Road Movie des New Hollywood enthält, noch davon, dass es „eine Reihe spezieller
2.2 Verortung und Literaturübersicht
17
Arbeiten (…)“ (Becker 1989, 27) zu diesem Thema gibt, ist deren Anzahl in den darauffolgenden zwanzig Jahren noch erheblich angestiegen. Besonders seit dem 100. Jubiläum der Erfindung des Automobils im Jahr 1986, welches eng mit dem wenige Jahre später folgenden 100. Filmjubiläum einherging, gab es einen Boom an Publikationen, die, wie Becker selbst schreibt, von ihm „im Text nicht mehr berücksichtigt werden (…)“ (ebd., 5) konnten. An dieser Stelle wird ein kurzer Überblick über die Bereiche der Beschäftigung mit dem Thema Automobil und Film anhand aktueller und kanonischer Werke gegeben. Einen wichtigen Bereich der Auseinandersetzung mit dem Automobil stellen kultur- und sozialwissenschaftlich bzw. geschichtswissenschaftlich motivierte Arbeiten dar, die sich explizit mit der historischen Entwicklung und gesellschaftlichen Verbreitung des Automobils und/oder deren Folgen bzw. mit der Technik im Allgemeinen beschäftigen. Diese Arbeiten stellen mehr oder weniger ausführlich Verbindungen zwischen der Entwicklung des Films und der des Automobils her. Aus dem überwiegend deutschsprachigen Bereich sind aktuell die Publikationen Tempo! Wie uns das Auto verändert hat von Bernd Ingmar Gutberlet (2007) sowie Tempo, Tempo! Eine Kunst- und Kulturgeschichte der Geschwindigkeit im 19. Jahrhundert von Andreas Braun (2001), Das TempoVirus. Eine Kulturgeschichte der Beschleunigung von Peter Borschied (2004) und Das rasende Leben. Die Anfänge des Reisens mit dem Automobil von Attilio Brilli (1999) zu nennen. Sie betrachten die Phänomene Tempo und Geschwindigkeit, die besonders mit dem Automobil, aber auch anderen technischen Erfindungen wie der Eisenbahn und nicht zuletzt mit dem Film verbunden werden, aus einer eher übergeordneten Perspektive. Die Kultur- und Sozialgeschichte des Automobils mit Verweisen zum Film fokussieren Wolfgang Sachs (1984) in Die Liebe zum Automobil. Ein Rückblick in die Geschichte unserer Wünsche und Kurt Möser (2002) in seiner Geschichte des Automobils. Das Verhältnis von Automobil und, vor allem amerikanischer Kultur und Gesellschaft steht im Zentrum von Arbeiten, die sich der kulturwissenschaftlichen und soziologischen Bedeutung des Automobils widmen. Hier sind u.a. die kanonischen Sammelbände Autopia. Cars and Culture herausgegeben von Peter Wollen und Joe Kerr (2002) und The Automobile and American Culture von David L. Lewis und Laurence Goldstein (2009 [1980]) zu erwähnen. Beide enthalten Aufsätze zum Verhältnis von Automobil und Film, so beispielsweise die Beiträge von Julia Smith (1980) und Kenneth Hey (1980), aber auch zum Automobil im Film, hier seien die Beiträge von Eric Mottram (2002) und A. L. Rees (2002) genannt. Aus Deutschland sind die Sammelbände Automobility. Was uns bewegt von Alexander von Vegesack und Mateo Kries (1999) und Peter M. Bodes, Sylvia Hambergers und Wolfgang Zängls (1986) Alptraum Auto. Eine hun-
18
2 Grundlegendes zur Untersuchung
dertjährige Erfindung und ihre Folgen relevant. Letzterer enthält mit Gertrud Kochs (1986) Endlich Fahren. Geschwindigkeit und Autofahren im Film einen der frühesten deutschen Beiträge zum Thema. Im Rahmen der Literaturwissenschaft, die sich ausführlich mit dem Automobil in Lyrik und Prosa beschäftigt, sind als kanonisch für die amerikanische Literatur Cynthia Golomb Dettelsbachs (1976) In the Driver’s Seat. The Automobile in Literature and Popular Culture sowie für die deutsche Siegfried Reineckes (1986) Mobile Zeiten. Eine Geschichte der Auto-Dichtung zu nennen. Aus filmwissenschaftlicher Perspektive ragen aus dem Bereich der Literaturwissenschaft die folgenden Publikationen heraus: Zum einen die ebenfalls von Reinecke (1992) verfasste Studie Autosymbolik in Journalismus, Literatur und Film. Struktural-funktionale Analyse vom Beginn der Motorisierung bis zur Gegenwart, deren filmspezifischer Teil entgegen dem Titel zwar nur wenige Seiten umfasst, aber dennoch interessante Ergebnisse liefert. Reinecke untersucht die Entwicklung des Automobils zum Kollektivsymbol und dessen Bedeutung vor allem in Literatur und Journalismus (hier vor allem auch in der politischen Karikatur). Zum anderen ist Dorit Müllers (2004) Gefährliche Fahrten. Das Automobil in Literatur und Film um 1900 zu erwähnen. Sehr detailliert beschreibt sie die Stellung des Automobils in der deutschen Lyrik und Prosa sowie die Formen der Automobildarstellung im frühen europäischen und amerikanischen Film im Zeitraum von 1886 bis 1918 und setzt diese zueinander in Beziehung. Innerhalb der mehr oder weniger filmwissenschaftlichen Literatur, die sich mit dem Thema Automobil, respektive Automobil im Film beschäftigt, muss man zwischen eher populärwissenschaftlichen Titeln, die in Anlehnung an Becker (1989) hier als Fan-Literatur bezeichnet werden sollen, und Einzelstudien zum Automobil in spezifischen Filmen oder Gruppen von Filmen und Publikationen, die sich bestimmten, dem Film und dem Automobil gemeinsamen Aspekten widmen, unterscheiden. Die Fan-Literatur stellt zumeist enzyklopädisch Filme vor, in denen das Automobil eine zentrale Position einnimmt, ohne diese jedoch tiefgehender zu reflektieren. Entweder stehen die technischen und optischen Details im Vordergrund oder die Handlung der Filme, die gelegentlich lose nach Genres gegliedert sind. Als Fundgrube für gelegentlich relevante Detailinformationen sollen beispielhaft Martin Buckleys und Andrew Roberts (2002) Cars in Films. Great Moments from Post-War International Cinema, William Krauses (2001) Hollywood TV and Movie Cars sowie Georg Barris und David Fetherstons (1996) Barris TV & Movie Cars genannt sein. Auch die mit einem Vorwort des Regisseurs Peter Yates, der u.a. den automobilen Filmklassiker Bullitt (R: Peter Yates, USA 1968) drehte, versehene Publikation The Greatest Movie Car Chases of All Time von Jesse Crosse (2006) sei erwähnt, verdeutlicht sie doch anschaulich die auch für zahlreiche Filmtheoretiker bedeutende Automobilverfolgung. Aus dem
2.2 Verortung und Literaturübersicht
19
deutschsprachigen Raum erwies sich insbesondere die detailverliebte Darstellung von Rupert Stuhlemmer (1991) Chrom, Lack und Leder. Automobile der UFA Stars als gewinnbringend. Sie beinhaltet durchaus auch filmwissenschaftliche und -theoretische Überlegungen zu Stellung und Wesen des Automobils im Film und zum Verhältnis von Automobil und Film, weshalb sie im Verlauf der Untersuchung im Rahmen der Übertragung der Dispositivtheorie des Films auf das Automobil und die damit zusammenhängenden Dimensionen auch als Datenquelle diente. Einzelstudien zum Automobil in bestimmten Filmen oder Gruppen von Filmen finden sich neben den unter der Genretheorie des Road Movie behandelten Publikationen, beispielsweise zum Phänomen der filmischen Darstellung von Automobilunfällen. Hervorzuheben sind hier u.a. die Beiträge von Harvey C. Greenberg (2001), Mikita Brottman und Christopher Sharrett (2001) oder David Sterritt (2001) in dem Sammelband Car Crash Culture, herausgegeben von Mikita Brottman. Aber auch der deutschsprachige Aufsatz Bewegungsskulpturen aus Fleisch und Blut. Der sich konsumierende Körper von Karsten Treber (2002), der sich im Wesentlichen, wie zum Teil auch die im Vorfeld genannten Titel, mit dem Film Crash (R: David Cronenberg, Kanada 1996) auseinandersetzen. Publikationen, die sich bestimmten, dem Film und dem Automobil gemeinsamen Aspekten, wie der Bewegung und Geschwindigkeit, der homologen dispositiven Mensch-Apparat-Anordnung und der damit verbundenen Wahrnehmungsveränderung oder der Symbolisierung der Symptomatik der Moderne zuwenden und sich damit mit dem Verhältnis von Automobil und Film aus film- und/oder medienwissenschaftlicher Perspektive beschäftigen, sind sehr rar. Ansätze hierzu finden sich beispielsweise bei Thomas Koebner (2000a [1997]), Jan-Christopher Horak (2003) oder auch Harro Segeberg (1996). Als besonders ambitioniert ist in dieser Hinsicht der Band Cinema and the Invention of Modern Life, editiert von Leo Charney und Vanessa R. Schwartz (1995), zu bezeichnen, der an zahlreichen Stellen, insbesondere in dem Beitrag von Ben Singer (1995), Möglichkeiten des Zusammendenkens von Automobil und Film bzw. Kino aufzeigt. Abschließend sei noch auf die zahlreichen „automobilen Versatzstücke“ hingewiesen, die sich in film- und medienwissenschaftlichen sowie -geschichtlichen, aber auch kunst-, kultur- und literaturwissenschaftlichen Veröffentlichungen finden, die hier unmöglich thematisiert werden können. Meist sind es Randnotizen, die häufig wie selbstverständlich von einer Verwandtschaft von Automobil und Film sprechen, das Automobil als filmisches Element bezeichnen, Automobil und Film als Synonyme benutzen, das Automobil als Analogie für Geschwindigkeit und Bewegung benennen oder automobile Szenen in Filmen zitieren. Dieser kurze Einblick in die Literatur, die sich jenseits der Filmtheorie mit den Beziehungen von Automobil und Film beschäftigt, zeigt die Relevanz dieser Thematik und macht gleichzeitig auf eine Lücke aufmerksam. Es fehlt eine Aus-
20
2 Grundlegendes zur Untersuchung
einandersetzung mit der Art und Weise der Thematisierung des Automobils in der Filmtheorie, die, auf der Grundlage der langen filmtheoretischen Tradition und ihrer Prominenz im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Film eventuell aufzuzeigen vermag, wo die Thematisierung des Zusammenhangs zwischen Automobil und Film sowie die Reflexion über das Automobil im Film ihren Anfang genommen und sich entwickelt haben.
3.1 Diskurs und Diskursanalyse
21
3 Theoretische und methodische Voraussetzungen
In diesem Kapitel sollen die theoretischen und methodologischen sowie methodischen Grundlagen der Arbeit dargestellt werden. Aufgrund der Überführung eines vorrangig theoretischen und methodologischen Ansatzes, dem des Diskurses und der damit verbundenen Diskursanalyse, in „eine analytische Kategorie zur Beschreibung von empirischen Gegenständen (…)“ (Reinecke 1992, 38) durch die Analyseverfahren der Grounded Theory, kommt dieser Darstellung eine zentrale Position zu. Im ersten Schritt wird detailliert eine theoretische Möglichkeit entworfen, um eine methodische Basis der Diskursanalyse zu schaffen. Im zweiten Schritt erfolgt die Veranschaulichung der Übertragung dieses Entwurfs, ebenfalls en detail, auf den Gegenstand der Arbeit sowie die Präsentation des konkreten analytischen Vorgehens anhand einer exemplarischen Darstellung. Auf diese Weise soll das der gesamten Arbeit zugrunde liegende methodische Vorgehen transparent gemacht werden und der Entwurf einer nachvollziehbaren, methodisch geleiteten und gegenstandsbezogenen Diskursanalyse geliefert werden. 3.1 Diskurs und Diskursanalyse Ausgehend von Michel Foucaults Diskursbegriff, den er in Archäologie des Wissens entwirft, wird unter Diskurs „eine Menge von Aussagen, soweit sie zur selben diskursiven Formation gehören (…)“ (Foucault 1981 [1973], 170) verstanden. Dabei sind „die Diskurse als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (Foucault 1981 [1973], 74). Im Detail sind Diskurse demnach jene Vorgänge und Prozesse, die ausgehend von einzelnen und flüchtigen Äußerungen vergleichbare Aussagen hervorbringen, die über verwandte Aussageformationen diejenigen Teildiskurse erzeugen, die den Diskurs als solchen lancieren und stetig dynamisch produzieren. Ein Diskurs erzeugt und ist damit eine spezielle Redeweise über einen Gegenstand oder ein Phänomen, die sich in einer geregelten Konfiguration von Rede- und Aussageformen, den diskursiven Elementen, etabliert. Diese diskursiven Elemente bringen, anders ausgedrückt, die gesonderte Art des Redens, formal und inhaltlich,
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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hervor. Oder wie Jochen Hörisch es schlicht und konkret auf den Punkt bringt: „Wer darf in wessen Namen und mit welchen Folgen was wie zu wem sagen?“ (Hörisch 2005, 83). An dieser Stelle sollen nun ein paar grundlegende Spezifizierungen zu den im Rahmen diskursiver Betrachtungen verwendeten Begrifflichkeiten getroffen werden. In Anlehnung an Foucault (1981 [1973]) und Reiner Keller (2007 [2004]) wurde für die vorliegende Untersuchung das folgende theoretische und untersuchungsleitende diskursspezifische Vokabular entwickelt. Äußerungen sind einzelne Aussageereignisse, d.h. solitäre Texte, Textpassagen oder auch Einzelaussagen, die ein Phänomen materialisieren, welches potentiell fähig ist, Teil eines Diskurses zu sein. Als Aussage wird der typische abstrahierbare Kern einer konkreten Äußerung verstanden, der sich, den Gehalt herausfilternd, auf abstrakterem Niveau so in zahlreichen unterschiedlichen Äußerungen finden und rekonstruieren lässt. Eine Aussageformation stellt eine Verbindung bzw. ein Gefüge verschiedener Aussagen dar, die auf der einen Seite eine weitere Abstraktion ermöglichen, auf der anderen Seite komplexe Aussagezusammenhänge generierend systematisieren können, die wiederum fähig sind, einen Teildiskurs zu bilden. Unter einem Teildiskurs ist eine charakteristische, nach verschiedenen Kriterien abgrenzbare Konstellation von Aussageformationen zu verstehen, die eine konstitutive Dimension eines Diskurses bildet, indem sie wesentliche, verfestigte und argumentativ strukturierte Aussagekomplexe generiert, die eine essentielle Größe des diskursiven Gegenstandes, sprich des Diskurses, bilden. Der so generierte und seine Entitäten quasi performierende Diskurs stellen einerseits die Formationen der Aussagen dar, die einen Gegenstand, respektive ein Untersuchungsphänomen ausmachen. Auf der anderen Seite steckt er das thematische Feld von potentiell möglichen „Strukturmustern, Praktiken, Regeln und Ressourcen der Bedeutungserzeugung (…)“ (Keller 2007 [2004], 64) ab, die zu einem Untersuchungsgegenstand geäußert werden können. Auf welche Art und Weise sich nun ein Diskurs über Äußerungen, Aussagen, Aussageformationen und Teildiskurse herausbildet, etabliert und ständig reproduziert untersucht die Diskursanalyse. Bei der Analyse eines Diskurses handelt es sich nun nicht bzw. sollte es sich nicht um eine reine Beschreibung des Vorgefundenen handeln, denn eine Diskursanalyse „beinhaltet die Unterstellung, dass sich in den Formationen die Regeln finden lassen, die das jeweils historisch-spezifische a priori des Denkens im Diskursfeld selbst sind“ (Diaz-Bone 2002, 189). Die Diskursanalyse im Sinne Foucaults versteht sich jedoch nicht als eine Methode, die einem ein konkretes Werkzeug an die Hand gibt, um aus dem vorliegenden Material eines abgesteckten Aussagefeldes die unterstellten, so nicht
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sichtbaren diskursiven Elemente und deren Struktur und Ordnung zu erschließen. Sie stellt vielmehr stellt eine Haltung gegenüber einem Analysegegenstand dar bzw. legt eine Haltung nahe, die es ermöglicht, verstreute Äußerungen nachvollziehbar zu einem Phänomen zu bündeln und deren Entstehung und Verdichtung rekonstruierend und analysierend nachzuzeichnen und zu beobachten. Eine solche diskursanalytische Untersuchungsanlage ermöglicht es, einen bestimmten Bereich und damit ein zu betrachtendes Phänomen mehr oder weniger als diskursiv zu setzen. So wird eine Grundhaltung gegenüber dem Analysegegenstand erzeugt und eingenommen, die die Rekonstruktion dieses Diskurses teleologisch implementiert und diesen auf diesem Weg gleichzeitig analytisch generiert. Die Aufgabe der Diskursanalyse, so lässt sich festhalten, ist es, die anfänglich durchaus hypothetisch angenommene Konstellation von Äußerungen und Aussagen unterschiedlicher Gestalt und Herkunft zu einem Diskurs nachzuzeichnen sowie den Impetus und Gehalt der einzelnen Aussagen und des Verhältnisses dieser zueinander aufzuzeigen. Unter Verweis auf Foucault ist zu betonen, dass es sich dabei im Rahmen einer Diskursanalyse grundsätzlich um eine Analyse des tatsächlich Gesagten handelt (vgl. Foucault (2007 [1972]). Dieses Gesagte wird daraufhin untersucht, ob und wie es zum jeweiligen Diskurs beiträgt. Keller präzisiert diesbezüglich: „Diskursive Formationen erzeugen die Gegenstände, die sie behandeln; sie bestimmen den Gebrauch und das semantische Feld der Begriffe, die zur Beschreibung dieser Gegenstände verwandt werden; sie legen die Modalitäten fest, in denen eine Äußerung legitimerweise erfolgen kann; schließlich entscheiden sie über die möglichen Wege, die die Diskursteilnehmer in ihrer Rede beschreiten können“ (Keller 2001, 262).
Dass unter dem Gesagten selbstverständlich nicht nur die mündliche sprachliche Äußerung zu verstehen ist, sondern in erster Linie natürliches Textmaterial, wie Unterlagen, Dokumente, (Fach-)Bücher sowie wissenschaftliche Abhandlungen und Aufsätze als Gesagtes zu werten sind, betont Foucault in seinen primär theoretischen Schriften (vgl. Foucault 2007 [1972], Foucault 1981 [1973]) ebenso, wie er es mit seinen materialen Analysen eindrucksvoll verdeutlicht (vgl. bspw. Foucault 1996 [1961]). Auf der Grundlage dieses Verständnisses der Diskursanalyse – als grundlegende Haltung gegenüber einem Untersuchungsgegenstand – haben sich in zahlreichen Bereichen und Disziplinen Diskursanalysen entwickelt, die je nach Untersuchungsgegenstand und Forschungstradition sowie -ziel ihr spezifisches Verständnis einer konkreten gegenstandsadäquaten diskursanalytischen Vorgehensweise entwickelt haben (vgl. bspw. Link 1983, Jäger 1993, Keller/ Hirseland/Schneider/Viehöver (Hg.) 2001, Keller/Hirseland/Schneider/Viehöver (Hg.) 2003). Dies verdeutlicht, dass in der analytischen Praxis nicht eine einzig gültige
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Diskursanalyse existiert, sondern verschiedene gegenstands- und disziplinenbedingte Formen. Dennoch ist es sinnvoll, weiter von der Diskursanalyse zu sprechen, da es vorerst noch um die damit verbundene spezifische Grundhaltung gegenüber einem Untersuchungsgegenstand geht und die später entworfene konkrete Diskursanalyse zum Gegenstand dieser Arbeit dann ja auch eine spezifische Form dieser darstellt. Die vielfältige Ausdifferenzierung macht die Diskursanalyse aber keinesfalls beliebig. Im Gegenteil, sie bezeugt die Variabilität und Flexibilität dieser Möglichkeit der Anlage einer Untersuchung, welche an der Generierung der Entstehung und des Verstehens von Aussagen und Aussagezusammenhängen interessiert ist. Die disziplinen- und gegenstandsspezifische Ausdifferenzierung folgt vielmehr Foucaults Anregungen zum Umgang mit der Diskursanalyse, die Jürgen Martschukat wie folgt resümiert: „Auch ich werde mich im Folgenden von den Texten Foucaults und anderer Theoretiker inspirieren und treiben lassen und diese so für die eigenen Zwecke bestmöglich zu nutzen versuchen“ (Martschukat 2003, 71). Diese reformulierte Variabilität und Flexibilität der Möglichkeit der Konzeption einer Diskursanalyse, der im Fortgang der vorliegenden Untersuchung theoretisch und praktisch uneingeschränkt gefolgt wird, gibt einerseits eine bestimmte Betrachtungsweise eines Untersuchungsgegenstandes vor, ermöglicht es jedoch andererseits, die Eigenart und -dynamik des spezifischen Untersuchungsphänomens ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen. In dieser Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand rückt das diskursanalytische Vorgehen nahe an die Tradition der qualitativen Sozialforschung. Die Untersuchungsanlage der Diskursanalyse „richtet sich gegen jegliche Form der schnellen und totalisierenden ‚Unterwerfung‘ von Gegenstandsbereichen unter ihre äußerlichen Theoriegebäude“ (Keller 2005, 120, Herv. i. O.). Aber auch die Grundlogik der Entstehung eines Diskurses als eine permanente Hervorbringung desselben durch Äußerungen, Aussagen, Aussageformationen und Teildiskurse weist Parallelen zu einem qualitativen Verständnis der sozialen Wirklichkeit als einer durch Handlungen schrittweise konstruierten und konstituierten Realität (vgl. Lamnek 1993) auf. Besonders deutlich wird dies, wenn man die Theorienbildung der qualitativen Forschung zu einem bestimmten Untersuchungsgegenstand als interpretativen und generierenden Prozess zur Ableitung eines Diskurses aus dem Gesagten in Beziehung setzt. So kann ein analytisch nachgezeichneter Diskurs im weitesten Sinne auch als eine aus Datenmaterial generierte und mittels qualitativer Verfahren induktiv und interpretativ hervorgebrachte Theorie verstanden werden. Auf der Grundlage dieser Nähe zur qualitativen Forschungslogik ist die Diskursanalyse als grundlegende analytische Perspektive auf einen Untersuchungsgegenstand zu verstehen, die auch für das Untersuchungsphänomen dieser
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Arbeit fruchtbar gemacht wird. Das heißt einerseits, dass das Grundverständnis der Foucaultschen Diskursanalyse sinnvoll zur Bearbeitung des vorliegenden Untersuchungsphänomens erscheint, da es einen Rahmen bietet und eine Grundhaltung gegenüber dem Untersuchungsgegenstand antizipiert und ermöglicht, die es erlaubt, nachvollziehbar aus natürlichen Daten vergleichend und abstrahierend Erkenntnisse und Zusammenhänge abzuleiten. Andererseits gilt es eine konkrete Untersuchungsmethode für ein verständliches und nachvollziehbares diskursanalytisches Vorgehen zu entwickeln, welches der Logik einer Diskursanalyse entspricht und dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand angemessen erscheint. Entscheidende theoretische und empirische Anregungen zur Realisierung einer Diskursanalyse und besonders dazu, wie sich die auf natürlichen Texten basierenden diskursiven Äußerungen, Aussagen, Aussageformationen etc. registrieren, verstehen, nachvollziehen und rekonstruierend zusammenführen lassen, liefern vor allem die Arbeiten von Foucault sowie die Konzeption einer wissenssoziologischen Diskursanalyse, wie Keller (2007 [2004]) sie vorschlägt. Ebenso fruchtbar zeigen sich der Entwurf einer Diskursanalyse von Rainer Diaz-Bone (2002) und die geschichtswissenschaftlich orientierte Variante der Diskursanalyse, wie sie Martschukat (2003) entwirft. Alle drei spezifischen diskursanalytischen Konzeptionen (Keller, DiazBone, Martschukat) bieten Möglichkeiten, vor dem Hintergrund der Diskursanalyse, dem Untersuchungsgegenstand und -ziel entsprechend, besonders inhaltliche und begriffliche Dimensionen eines Phänomens herauszuarbeiten und nachzuvollziehen. So beschäftigt sich die wissenssoziologische Diskursanalyse mit Prozessen und Praktiken der Produktion und Zirkulation von Wissen auf der Ebene institutioneller Felder. Als zu analysierende Textgrundlage gilt dabei je nach Untersuchungsgegenstand eine Sammlung von Texten zu einem bestimmten thematischen Hintergrund und, in Anlehnung an ein wissenssoziologisches Diskursverständnis, aus einem spezifischen institutionellen Feld1 stammend, in dem Wissen in besonderer Art und Weise produziert wird und entsprechend zirkuliert (vgl. Keller 2007 [2004]). Die geschichtswissenschaftlich orientierte Diskursanalyse nach Martschukat (2003) ermöglicht es, die Konstitution und die Veränderung von diskursiven Phänomen- und Bedeutungskonstruktionen und -etablierungen ausgehend von textlichen Quellen zu beschreiben. In Bezug auf eine Diskursanalyse zur Geschichte der Todesstrafe formuliert er hinsichtlich des Verhältnisses von Daten- bzw. Textgrundlage und Diskurs: „Folglich zeigt sich der Diskurs um die Todesstrafe auch in der Arbeit mit den Quellen als vielfältiges Gebilde, das seine Impulse aus 1
Im Fall der vorliegenden Untersuchung das Feld der Filmtheorien als ein Feld potentiell möglicher Spezialdiskurse (vgl. Jäger 1993).
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einem Geflecht verschiedener Diskursfelder empfängt und zwischen 1735 und 1856 mannigfaltigen Verschiebungen unterlag“ (Martschukat 2003, 79). Von besonderer Bedeutung ist, dass beide Konzeptionen, die wissenssoziologische und die geschichtswissenschaftliche, die Orientierung an natürlichen Texten und Dokumenten gemeinsam ist. So versteht sich die wissenssoziologische Diskursanalyse als eine Diskursanalyse auf der Grundlage der Betrachtung der „Texte als Elemente eines überindividuellen sozio-historischen Diskurses“ (Keller 2007 [2004], 33). Die historisch orientierte Diskursanalyse wiederum begreift Texte als Quellen, aus denen das changierende Wissen um ein Phänomen und dessen Entwicklung eruiert werden können (vgl. Martschukat 2000). Vor dem Hintergrund des Ziels einer Diskursanalyse natürlicher Texte gilt es nun eine Methode zu entwickeln, die einerseits den konzeptionellen und theoretischen Anforderungen eines diskursanalytischen Vorgehens entspricht sowie andererseits eine nachvollziehbare und gegenstandsbezogene Analyse der Äußerungen und deren Weg zum Diskurs ermöglicht. 3.2 Diskursanalyse und Grounded Theory Da die Diskursanalyse keine Methode, sondern eine Untersuchungsanlage ist, können innerhalb diskursanalytischer Untersuchungen je nach Forschungsgegenstand und disziplinärer Verortung unterschiedliche Methoden zur Anwendung kommen. Eine methodische Geleitetheit ist essentiell, wenn der Diskurs, wie im Rahmen dieser Arbeit, als ein analytischer Ansatz zur Untersuchung und Beschreibung eines konkreten empirischen Untersuchungsgegenstandes verstanden wird. Vor dem Hintergrund des Untersuchungsgegenstandes der vorliegenden Arbeit erscheinen die Logik und Systematik der Grounded Theory (vgl. Glaser/Strauss 1965, Glaser/Strauss 1998 [1967]) bzw. besonders deren konkrete Erhebungs- und Analyseverfahren hierzu hochgradig geeignet, da sie sich, wie zu zeigen sein wird, adäquat in das grundlegende Verständnis der Foucaultschen Diskursanalyse fügen. Entwickelt wurde die Methodologie der Grounded Theory von Barney Glaser und Anselm Strauss mit dem Anspruch, die Kluft zwischen Theorie und empirischer Forschung, die die verschiedenen quantitativen und qualitativen Forschungsansätze nicht überbrücken konnten, zu beseitigen. Die Grounded Theory ist eine gegenstandsbezogene Theorie, die sich in einer ständig durchlaufenen Abfolge von induktivem und deduktivem Denken aus einer Untersuchung zu einem bestimmten Phänomen ableitet. Am Anfang steht nicht eine aufgestellte Theorie, die es mit Hilfe einer Datenerhebung und -auswertung zu überprüfen gilt, sondern das eigentliche Untersuchungsphänomen als solches. Seine relevanten Entitäten erschließen sich erst
3.2 Diskursanalyse und Grounded Theory
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durch den Forschungsprozess selbst: „Der Ansatz der Grounded Theory zeichnet sich durch seine Bemühungen aus, Forschung als kreatives Konstruieren von Theorien zu betreiben, die gleichzeitig fortlaufend an den Daten kontrolliert werden“ (Wiedemann 1991, 440). Es sei darauf verwiesen, wie Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr – auf Mey/Mruck (2007) verweisend – darlegen, „dass mit Grounded Theory rein logisch nur das erwünschte Resultat, nicht aber die Methodologie und Methode, mittels derer man zu diesem Resultat gelangt, bezeichnet ist, weshalb korrekterweise von der Grounded-Theory-Methodologie die Rede sein müsste“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008, 187). Dieser sinnvollen Präzisierung wird hier im Verständnis der Formulierung gefolgt, dennoch findet weiterhin der Begriff Grounded Theory Verwendung, da er von Glaser und Strauss so eingeführt wurde und sich in der einschlägigen Literatur als Terminus technicus etabliert hat. Auch wäre die Verwendung von Grounded-Theory-Methodologie verwirrend, da andere Autoren ebenfalls mit dem Begriff Grounded Theory arbeiten. Unter Grounded Theory werden daher nachfolgend sowohl die methodischen Schritte als auch die eigentliche Theorie verstanden. Wird einer der beiden Inhalte fokussiert, wird darauf explizit hingewiesen. 3.2.1 Zur Kompatibilität von Diskursanalyse und Grounded Theory Die Kombination der Grounded Theory mit der Diskursanalyse ist keine vollständige Neuentwicklung, da z.B. bereits Diaz-Bone (2003) und Keller (2003a, 2007 [2004]) die Grounded Theory als Methode zur Datenanalyse im Rahmen der sozialwissenschaftlichen bzw. der wissenssoziologischen Diskursanalyse vorschlagen. Es mangelt diesen Vorschlägen jedoch an einer nachvollziehbaren und grundlegenden Darstellung und einer Begründung dafür, warum und in welcher Weise die Grounded Theory der Logik eines diskursanalytischen Vorgehens entsprechen kann, ebenso wie es an einer exemplarischen Darstellung der gegenstandsorientierten Vorgehensweise fehlt. So weist Keller zwar auf die Grounded Theory hin, deren Vorgehensweise wird jedoch unabhängig von der Diskursanalyse vorgestellt (vgl. Keller 2007 [2004]). Auch in der Darstellung einer bereits durchgeführten Diskursanalyse, begrenzen sich die Ausführungen Kellers zur konkreten Anwendung und Modifizierung auf eher allgemeine Aussagen: „Die verschiedenen Analyseschritte orientieren sich an den Vorschlägen zum Vorgehen der Grounded Theory (Strauss 1998) sowie an sequenzanalytischen Interpretationsstrategien aus der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik“ (Keller 2003a, 219). Die Ausführungen von Diaz-Bone sind zwar präziser, er entwirft in der empirischen Anwendung der diskurstheoretischen Erweiterung der bourdieuschen
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Distinktionstheorie zur Analyse des Heavy Metal- und des Techno-Diskurses als kulturweltliche Inneransichten der beiden Genres eine Integration des Verfahrens des „offenen Kodierens“ in das diskursanalytische Vorgehen (vgl. Diaz-Bone 2003, 197ff.). Diaz-Bone spricht dabei von „Anleihen bei der Kodierstrategie der Grounded Theory (…)“ (Diaz-Bone 2003, 199) und verweist darauf, dass diese und die Diskursanalyse zwar Gemeinsamkeiten haben, die Kodierstrategien der Grounded Theory sich aber „einem diskursanalytischen Einsatz“ (Diaz-Bone 2003, 200) sperren. Er begründet dies dann jedoch damit, dass die Kodierstrategien dem theoretischen Ansatz seiner Untersuchung – der bourdieuschen Distinktionstheorie – entgegenstehen. Auch beschreibt er die Kodierstrategien der Grounded Theory als ein „Set vorgegebener Grundkategorien“ (Diaz-Bone 2003, 200) und verweist dabei insbesondere auf die Kodiermodelle. Dabei vernachlässigt er jedoch die von Glaser und Strauss betonte Offenheit und Variabilität der Kodierverfahren, die keine Grundkategorien darstellen, sondern Möglichkeiten der gegenstandsbezogenen Datenanalyse sind, was an späterer Stelle noch detailliert betrachtet werden wird. Auch spricht Diaz-Bone nur vom offenen, nicht aber vom selektiven und axialen Kodieren, welche wesentlich zur Kompatibilität der Grounded Theory und der Diskursanalyse beitragen, da durch deren Anwendung alle gewonnenen Erkenntnisse ständig wieder hinterfragt und damit erneut diskursiv in den Analyseprozess integriert werden. Diskursanalytisches Vorgehen und Analysen auf der Grundlage der Grounded Theory verstehen sich nämlich als prozesshaft. Auf das Theoretische Sampling als wesentliches Element der Grounded Theory geht Diaz-Bone gar nicht ein. Aufgrund der Tatsache, dass er sich in Bezug auf seinen Untersuchungsgegenstand nur an das Verfahren des offenen Kodierens anlehnt, erfolgt natürlich auch keine detaillierte Inbezugsetzung von Grounded Theory und Diskursanalyse oder eine Darstellung der empirischen Anwendung. Auch die von Diaz-Bone durchgeführten Beispielanalysen oder sein Vorschlag, Diskursanalysen mit Hilfe von Analysesoftware, wie WINMAXpro oder ATLAS/ti, die auf der Logik der Grounded Theory basieren, durchzuführen (vgl. Diaz-Bone 2002, Diaz-Bone 2003), verdeutlichen nicht, inwieweit die Grounded Theory theoretisch und praktisch mit der Diskursanalyse zu vereinen ist und wie sie sich Schritt für Schritt fruchtbar machen, analytisch veranschaulichen und anwenden lässt. Ein solch umfassendes Zusammendenken von Diskursanalyse und Grounded Theory ist jedoch – entgegen der Meinung von Diaz-Bone – sowohl im Allgemeinen aber besonders vor dem Hintergrund des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit möglich2.
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Trotz der Kritik danke ich Diaz-Bone für die in der kritischen Auseinandersetzung entstandenen Anregungen und Erkenntnisse für die eigene Untersuchung.
3.2 Diskursanalyse und Grounded Theory
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Die Grounded Theory ist nämlich nicht nur eine beliebige Methode zur Analyse der Daten im Rahmen einer diskursanalytischen Untersuchung, wie beispielsweise die Inhaltsanalyse, die Jürgen Gerhards (2003) verwendet, oder die Konversationsanalyse, die u.a. von Claudia Puchta und Stephan Wolff (2003) benutzt wird. Die Grounded Theory lässt sich in ihrer Konzeption und ihren Kodierverfahren mit der Diskursanalyse in Beziehung setzen, da es eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten zwischen der Untersuchungsanlage und der Haltung der Diskursanalyse gegenüber dem Untersuchungsgegenstand und dem Verständnis und der Konzeption desselben durch die Grounded Theory als gegenstandsbezogener Theoriebildung gibt. Diese Verwandtschaft soll nun herausgearbeitet werden, indem zuerst jeweils die Elemente der Grounded Theory vorgestellt und dann sukzessive mit der Diskursanalyse und deren Entitäten in Beziehung gesetzt werden. Vorab soll jedoch die Kompatibilität von Diskursanalyse und Grounded Theory kurz begründet werden. Die Grounded Theory ist erstens eine Methode der qualitativen Sozialforschung und basiert in ihrer grundsätzlichen Logik auf dem interpretativen Paradigma, welchem auch die Diskursanalyse nahe steht. Beide, sowohl die Grounded Theory als auch die Diskursanalyse, entwickeln ihre Erkenntnisse im weitesten Sinne induktiv von Einzelfällen ausgehend. Diese Einzelfälle in Form von solitären Daten werden Schritt für Schritt um andere Fälle erweitert, wobei das induktiv abgeleitete Wissen immer wieder deduktiv anhand der neuen Daten hinterfragt und prozesshaft weiter induktiv verdichtet wird. Grounded Theory und Diskursanalyse leiten ihre Erkenntnisse generierend aus den konkreten Phänomenen der Daten ab, statt sie zu einer analytischen Überprüfung ex ante zu setzen. Denn „eine Grounded Theory ist eine gegenstandsverankerte Theorie, die aus der Untersuchung eines Phänomen abgeleitet wird, welches sie abbildet. Sie wird durch ein systematisches Erheben und Analysieren von Daten, die sich auf das zu untersuchende Phänomen beziehen, entdeckt, ausgearbeitet und vorläufig bestätigt“ (Lampert 2005, 517).
Nichts anderes ist sinngemäß ein Diskurs: eine anfänglich durchaus hypothetische Konstellation von Äußerungen und Aussagen unterschiedlicher Gestalt und Herkunft, die sich konkret erst schrittweise aus diesen analytisch zum eigentlichen Diskurs entwickeln, wodurch sich das Verhältnis der Äußerungen und Aussagen zueinander als diskursiv zeigt. Die Grounded Theory ist eine qualitative Methode, die als strukturierter Dialog zwischen dem Forscher und dem von ihm zu untersuchenden Phänomen verstanden wird. Daten verschiedenster Herkunft und Form zu einem Phänomen werden auf der Grundlage von (sprachlichen) Texten analysiert und nach ihren
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gemeinsamen Dimensionen und Beziehungen zueinander befragt. Mit dieser Auslegung kommt die Grounded Theory Foucaults Verständnis der Entstehung eines Diskurses und dessen Analyse recht nahe, da Foucault zur Erläuterung des Diskurses schreibt: „Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören“ (Foucault 1981 [1973], 170). Betrachtet man daraufhin Foucaults Verständnis und Ziel der Diskursanalyse, scheint der Schritt zur Grounded Theory nicht weit. Foucault beschreibt das Ziel der Diskursanalyse als „eine Aufgabe, die darin besteht, nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamtheiten von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch Gegenstände bilden, von denen wir sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben“ (Foucault 1981 [1973], 74, Herv. i. O.).
Die Grounded Theory ermöglicht die methodisch geleitete und damit nachvollziehbare Rekonstruktion dieses Diskurses (und auch des „mehr“), da Grounded Theory und Diskursanalyse in ihrem Wesen verwandt sind. Diese Kompatibilität wird besonders deutlich, wenn man hierfür den Foucaultschen Diskurs argumentativ mit der zu entwickelnden Grounded Theory in Verbindung bringt und die die Theorien hervorbringenden Kategorien der Grounded Theory mit den aus Äußerungen rekonstruierten und eruierten Aussagen und Aussageformationen eines Diskurses, was an entsprechender Stelle dieser Arbeit hergeleitet werden wird (vgl. Kapitel 3.2.1). Zweitens ermöglicht die Grounded Theory, wie Glaser und Strauss betonen, die Analyse von natürlichen Daten (vgl. Glaser/Strauss 1998 [1967]), worunter die Autoren ausdrücklich auch wissenschaftliche und belletristische Texte, die die Grundlage der vorliegenden Arbeit bilden, verstehen. Foucault, als Begründer der Diskursanalyse, und zahlreiche nach seinem Verständnis arbeitende Wissenschaftler haben gezeigt, dass die Kompilation und Analyse von natürlichen Textdokumenten und Textpassagen eine ergiebige und essentielle Quelle jeder diskursanalytischen Betrachtung sind. Eine nachvollziehbare Methode zu konzeptionieren, mit der aus natürlichen Texten diskursive Aussagen etc. generierbar sind, ist leider noch nicht gelungen. Geeignete, und für ein diskursanalytisches Vorgehen fruchtbare Verfahren bietet, wie hier gezeigt wird, insbesondere die Grounded Theory. Aufgrund ihrer Orientierung an inhaltlichen Aussagen, der Gegenstandsfokussierung und vor allem der konzeptionellen Nähe zur Logik der Diskursanalyse ist die Konzeption der Grounded Theory und deren Textverständnis für die vorliegende Untersuchung methodisch prädes-
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tiniert. Denn für sie gilt „all is data“ (Glaser 2007 [2004], 57), eine Aussage, die durchaus als Aufforderung zu verstehen ist, sowohl natürliche als auch künstliche Daten in die Analyse einzuschließen (vgl. Glaser/Strauss 1998 [1967]). Die im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführte Analyse natürlicher Daten, welche Glaser und Strauss als „dokumentarische“ bezeichnen, wird vor allem durch Glasers und Strauss’ eigene Argumentation lanciert. „Dokumentarische Materialien sind für die Theoriegenerierung potentiell ebenso wertvoll wie unsere eigenen Beobachtungen und Interviews. Wir müssen uns in den Bibliotheken ebenso gut wie Historiker bewegen können; und falls nötig, sollten wir mit literarischen Materialien ebenso kenntnisreich umgehen können wie Literaturwissenschaftler und Schriftgelehrte – selbstverständlich ohne dabei unsere spezifisch soziologischen Interessen aus den Augen zu verlieren“ (Glaser/Strauss 1998 [1967], 169).
Mit Hilfe dieses Datenverständnisses wird die Grounded Theory vor dem Hintergrund der Diskursanalyse im Detail fruchtbar gemacht, um auf der Grundlage von filmtheoretischen Texten, hier (Schlüssel-)Texten und einschlägigen Textpassagen ab den Jahren 1900er-Jahren, die das Verhältnis von Automobil und Film oder das Automobil im Film verhandeln, diejenigen Aussageformationen zu ergründen, die ausgehend von Äußerungen über Aussagen etc. letztlich den Diskurs hervorbringen. „Der springende Punkt ist, daß, wenn ein Forscher sich entscheidet, welche Datenquellen er für eine bestimmte Studie heranziehen will, er damit Entscheidungen über seine Ergebnisse trifft“ (Glaser/Strauss 1998 [1967], 182) und, das sei ergänzt, auch über die grundlegende Vorgehensweise. Drittens bieten die konkreten Verfahren der Grounded Theory die Möglichkeit, vor dem Hintergrund der Diskursanalyse methodisch geleitet, aus einer Vielzahl von bestimmten einzelnen Äußerungen über Aussagen sich etablierende Aussageformationen herauszuarbeiten, die über spezifische Teildiskurse letztlich den eigentlichen Diskurs ausbilden. D.h. die Logik der Verfahren der Grounded Theory und deren Theorieverständnis lassen sich auf das diskursanalytische Vorgehen übertragen, wodurch dieses mittels modifizierter Verfahren der Grounded Theory methodisch und gegenstandsadäquat nachvollziehbar wird. 3.2.2 Verfahren der Grounded Theory und ihr Verhältnis zur Diskursanalyse Die wesentlichen Verfahren der Grounded Theory sind die Kodierverfahren und das Theoretische Sampling, die hier kurz in ihren Grundlagen skizziert werden, bevor sie jeweils direkt im Anschluss zur Diskursanalyse in Beziehung gesetzt werden.
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3.2.2.1 Theoretisches Sampling Der Theoriebildung im Rahmen der Grounded Theory liegt im Wesentlichen die Vorgehensweise der komparativen Analyse, dass heißt das Anstellen von Vergleichen zwischen den Daten zugrunde. Doch welche Daten werden miteinander verglichen und wie werden sie ausgewählt? „Glaser und Strauss schlagen hierzu die Strategie des Theoretischen Sampling vor, die einer anderen Logik folgt als die des Statistischen Sampling“ (Wiedemann 1991, 441). In der qualitativen Sozialforschung, wie auch in der Grounded Theory, ist der Begriff des „Sampelns“ im Gegensatz zur quantitativen Forschung grundlegend verändert. Das Sampling bezieht sich hier immer auf das Anstellen von Vergleichen, welches auf die Ausarbeitung von Kategorien bezüglich des Untersuchungsgegenstandes ausgerichtet ist. Der Forscher entscheidet auf einer analytischen Basis, welche Daten als nächstes zu erheben sind und wo er diese finden kann. Der Schwerpunkt dieses Auswahlverfahrens liegt im Sammeln von Daten über das, was verschiedene Quellen zu einem Untersuchungsgegenstand beitragen. Wichtig dabei sind die unterschiedlichen Arten des konkreten Beitrags – nach ihnen erfolgt die Auswahl von Quellen für die weitere Untersuchung und Analyse. Es werden keine Quellen als solche ausgesucht, ausschlaggebend für die Wahl sind deren besonderen Gehalte und Inhalte für die Entwicklung bestimmter Kategorien als Hinweise auf die zu entwickelnde Theorie. Die grundlegende Frage dabei ist, welchen Quellen sich als nächstes zugewandt wird und welchem theoretischen Zweck dies dient? Das Datenmaterial wird nach seinem Gehalt an Neuem für die zu entwickelnde Theorie in die Untersuchung einbezogen. Das Kriterium, welches über die Auswahl des Materials entscheidet, ist hierbei die Frage danach, welche Quellen und Texte im Zuge des bereits untersuchten Materials und der so gewonnenen Erkenntnisse die größten zusätzlichen oder unterstützenden Aufschlüsse im Zuge der Untersuchung bringen. Erfüllt das betrachtete Material dieses Kriterium, wird es in die Untersuchung einbezogen. Das Theoretische Sampling ist beendet, wenn für den entsprechenden Untersuchungsgegenstand keine neuen Inhalte und Inhaltsdimensionen mehr auftreten, kurz, wenn sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. In diesem Fall spricht man von einer theoretischen Sättigung. Das Theoretische Sampling, wie es in der Grounded Theory vorgeschlagen wird, stellt eine sinnvolle und transparente Möglichkeit dar, das Daten- und Analysekorpus der Diskursanalyse sukzessive und an inhaltlichen Dimensionen der Textbasis ausgerichtet prozess- und analyseorientiert zusammenzustellen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung müssen die Daten nicht im eigentlichen Sinne erhoben werden, da sie ja bereits natürlich in Form von Bü-
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chern, Aufsätzen usw. vorliegen. Trotzdem kommt dem Theoretischen Sampling eine entscheidende Rolle bei der allmählichen Zusammenstellung des Datenkorpus und somit auch beim Vorantreiben der Rekonstruktion von Aussageformationen und Teildiskursen aus den einzelnen Daten, den Äußerungen, zu. Das Theoretische Sampling ermöglicht es, im Verlauf der Untersuchung darüber zu entscheiden, welche Daten als nächstes erhoben werden – d.h. welche Äußerungen über Aussagen zu einer Aussageformation herangezogen und analytisch verdichtet werden. Das Textkorpus, das die Grundlage der Analyse bildet, wird im Sinne des Theoretischen Sampling innerhalb konkreter Teilkorpora der Filmtheorie über den Verlauf der Analyse theoriegeleitet zusammengestellt und komplettiert und so im Zuge der Analyse kompiliert. Zur Wahrung der Vergleichbarkeit erfolgt eine kontrollierte Verdichtung des zu analysierenden Datenmaterials. Das Ziel dabei ist, den Diskurs mit Hilfe der Grounded Theory in seiner Breite zu erfassen, Teildiskurse zu identifizieren und dann innerhalb der Teildiskurse einerseits gezielt in die Tiefe zu gehen sowie andererseits diese miteinander in Beziehung zu setzen. Durch das Verfahren der maximalen Kontrastierung kann so das Gesamtspektrum des Diskurses erfasst werden und gleichzeitig können mehrere Teildiskurse zum Thema als heterogene Bestandteile herausgearbeitet und diese dann hinsichtlich der Beziehungen und Verbindungen zueinander verglichen werden. Durch das Verfahren der minimalen Kontrastierung werden die erfassten Elemente adäquat rekonstruiert – so werden die Arten der Thematisierung und die Erwähnungszusammenhänge aufgezeigt und zu Aussageformationen zusammengefasst. Die Begriffe maximale und minimale Kontrastierung beziehen sich auf das Theoretische Sampling. Bei der minimalen Kontrastierung sind Daten zu generieren, die die bereits vorhandenen inhaltlich ergänzen. Dadurch erfolgt vor dem Hintergrund der Diskursanalyse die Suche nach Äußerungen, die vergleichbare Aussagen beinhalten und somit Aussageformationen ausbilden und diese verfestigen, wodurch der diskursive Prozess in seiner Tiefe betrachtbar wird. Beim maximalen Kontrastieren sind gezielt Daten zu erfassen, die das Spektrum des untersuchten Phänomens erweitern. So werden Äußerungen betrachtet, die sich nicht unter einem bereits vorhandenen Teildiskurs oder einer Aussageformation subsumieren lassen. Durch diese Vorgehensweise und das damit verbundene Kontrastieren ist es jedoch möglich, neue Elemente eines Diskurses zu generieren, wodurch der diskursive Prozess in seiner Breite erfassbar wird. In nuce entwickelt sich die Kompilation des Korpus’ und der Teilkorpora nach dem methodischen Verständnis der Grounded Theory und des vor ihrem Hintergrund entwickelten Verfahrens des Theoretischen Sampling innerhalb der einzelnen Teilkorpora der Filmtheorie über den Verlauf der Analyse orientiert an den Zielen der Foucaultschen Diskursanalyse.
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Somit kann ein sinnvoller Umgang mit der Datengrundlage im Rahmen der Diskursanalyse erfolgen, da Diskurse ja nicht als solche greifbar vorliegen und auch die Datengrundlage somit vorerst nur aufgrund von Reflexionen und Vermutungen festgelegt werden kann. Erst die eigentliche Analyse entscheidet darüber, ob ein Element aus der Datengrundlage ein diskursives Element ist – womit sich auch erst dann herausstellt, ob die Datengrundlage adäquat ist. Das Theoretische Sampling bietet eine geleitete, nachvollziehbare und der Logik der Diskursanalyse angemessene Vorgehensweise zum kreativen und offenen Umgang mit der Datengrundlage. 3.2.2.2 Kodierverfahren Die eigentliche Analyse der erhobenen und zusammengestellten Daten wird durch die Verfahren des theoretischen Kodierens bestimmt, welche im Sinne der Verbindung von Datenerhebung bzw. -auswahl im Rahmen der Grounded Theory aufs Engste mit dem Theoretischen Sampling verbunden sind. Unter Kodieren wird das Ableiten von theoretischen Konzepten aus den vorhandenen Daten verstanden. Die Daten werden aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt (vgl. Strauss/Corbin 1996 [1990]). Die Kodierverfahren wurden als Prozesse der Datenanalyse konzipiert, um eine Theorie generieren zu können, indem sie helfen, eventuell vorhandene Vorannahmen über den Untersuchungsgegenstand und die dadurch entstehenden Verzerrungen zu durchbrechen. Eine Analyse nach der Grounded Theory bedeutet nichts anderes, als das sehr sorgfältige Kodieren von Daten, meist auf der Mikroebene einzelner Wörter oder Phrasen. Es gibt drei verschiedene Arten des Kodierens: offenes, axiales und selektives Kodieren. Diese Kodierverfahren sind jedoch nicht losgelöst voneinander und streng dogmatisch zu betrachten, da sie sich in der Analysepraxis durchdringen können und mit dem Fortschreiten der Dateninterpretation auch sollen. Sie werden vielmehr flexibel und den Umständen sowie dem Untersuchungsphänomen entsprechend angewendet. Dennoch verleihen die Kodierverfahren der Grounded Theory eine gewisse methodische Strenge im Sinne einer zielführenden und verfahrensgeleiteten Strategie zur Herausarbeitung der relevanten inhaltlichen Dimension von Daten. Diese, man könnte es flexible Strenge nennen, stellt, indem das Kodieren als Untersuchungsstrategie in die Diskursanalyse integriert wird, die Diskursanalyse auf eine solide methodische Basis. Die Kodierverfahren lassen sich für die Diskursanalyse modifizieren, da sie deren Ziel – die Herausarbeitung der Konstellation von Äußerungen und Aussagen
3.2 Diskursanalyse und Grounded Theory
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unterschiedlicher Gestalt und Herkunft und das Beschreiben des Verhältnisses der Äußerungen und Aussagen zueinander – methodisch nachvollziehbar machen. Wie es die Diskursanalyse theoretisch für sich in Anspruch nimmt, ist das theoretische Kodieren eine kreative und offene Methode der praktischen Verschränkung von Datenerhebung und -analyse. Das Verständnis der Textdaten im Rahmen der Grounded Theory als Indikatoren für zugrunde liegende Phänomene des untersuchten Gegenstandes entspricht der Auffassung der Diskursanalyse, dass die Texte auf etwas, das über sie hinausgeht, verweisen. Die Kodierverfahren der Grounded Theory ermöglichen nun eine Ableitung dieses Gehalts, in dem es als Phänomen benannt wird. Einzelne Texte oder relevante Teile, – im Rahmen der Diskursanalyse als Äußerungen verstanden – werden durch die Benennung und stetige Ausarbeitung der Phänomene im Sinne der Verfahren der Grounded Theory schrittweise zu diskursiven Aussagen, Aussageformationen und letztlich zu die den Diskurs konstituierenden Teildiskursen formiert. Dadurch kann auch der Diskurs selbst methodisch nachvollziehbar generiert werden. In welcher Art und Weise sich dabei die Strategien der Verfahren der Grounded Theory begründen und konkret auf die Logik der Diskursanalyse übertragen lassen und in welcher Form sich die diskursiven Elemente in den Begrifflichkeiten der Grounded Theory finden, wird im Folgenden behandelt. Dabei kommt zunächst jeweils das Kodierverfahren der Grounded Theory als solches zur Vorstellung, darauf folgt der Bezug zur Logik der Diskursanalyse. Offenes Kodieren Unter dem offenen Kodieren wird das erste noch uneingeschränkte Kodieren von Daten verstanden. Es umfasst das Aufbrechen, Untersuchen, Vergleichen, Konzeptualisieren und Kategorisieren von Daten (vgl. Strauss/Corbin 1996 [1990]). Ziel dieser Form des Kodierens ist es, Daten und Phänomene in Begriffe zu fassen bzw. diese zu konzeptualisieren und anschließend zu Kategorien zu entwickeln. „Mit Aufbrechen und Konzeptualisieren meinen wir das Herausgreifen einer Beobachtung, eines Satzes, eines Abschnittes und das Vergeben von Namen für jeden einzelnen Vorfall, jede Idee oder jedes Ereignis – für etwas, das für ein Phänomen steht oder es repräsentiert“ (Strauss/Corbin 1996 [1990], 45). Konkret werden die Daten hierzu zunächst ausdifferenziert, was dadurch geschieht, dass Aussagen in ihre Phänomene zergliedert werden. Ähnliche Phänomene werden anschließend zusammengefasst und unter einem gemeinsamen Namen konzeptualisiert. Um auf diese Weise angemessene Konzepte und letztlich Kategorien entwickeln zu können, stehen zwei analytische Verfahren zur Verfügung, die geeignet sind, den Konzepten und Kategorien sowohl das nötige Abs-
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3 Theoretische und methodische Voraussetzungen
traktionsniveau als auch Präzision und Spezifität zu verleihen. Dabei handelt es sich um das Anstellen von Vergleichen in Bezug auf erstens Ähnlichkeiten und zweitens Unterschieden zwischen den in den Daten vorhandenen Phänomenen. Die so entstandenen Konzepte tragen einen Namen bzw. eine Bezeichnung, die bereits soweit abstrahiert ist, dass sie mehrere Phänomene subsumiert. Die so entwickelten Konzepte werden daraufhin gruppiert. Ähnliche Konzepte, die zusammenzugehören scheinen, lassen sich auf diese Weise kategorisieren. Sie erhalten einen Namen, der die vergleichbaren Konzepte wiederum abstrahierend beschreibt. Die Kategorien sind somit vorläufig benannt. Die Vorläufigkeit bezieht sich darauf, dass die Kategorien im prozesshaften Verlauf der Entwicklung einer Grounded Theory immer wieder anhand der neuen aber auch der alten Daten überprüft und modifiziert werden. Die Kategorien der Grounded Theory haben damit einen hypothetischen Charakter. Dieser vorläufige Status kommt auch den Elementen des Diskurses und dem Diskurs selbst zu. Die Logik und Systematik des offenen Kodierens lässt sich nicht nur aufgrund der Vorläufigkeit der Erkenntnisse exzellent auf die Herausarbeitung und Herleitung der Aussagen, Aussageformationen und im Ansatz auch von Teildiskursen als diskursive Elemente anwenden. Die der Diskursanalyse zugrunde liegenden Äußerungen sind solitäre Texte, Textpassagen oder auch Einzelaussagen. Diese materialisieren die Phänomene, welche potentiell fähig sind, Teile eines Diskurses zu sein. Diese Phänomene gilt es aus den einzelnen Äußerungen als typische abstrahierbare Kerne herauszuarbeiten, die als Aussagen bezeichnet werden. Eine Aussage ist dabei nicht ein einmaliges Phänomen, sondern ein abstrahierbarer Gehalt bzw. eine abstrahierbare Dimension, welche sich vergleichbar in zahlreichen unterschiedlichen Äußerungen finden und rekonstruieren lässt. Die Vorgehensweise des offenen Kodierens arbeitet somit in einem ersten Schritt aus den einzelnen Äußerungen über die Vergabe von von den Äußerungen abstrahierenden Konzepten die diskursiven Aussagen heraus. In einem zweiten Schritt erfolgen der Vergleich der Konzepte nach zu bündelnden Gemeinsamkeiten oder zum Ausschluss führenden Unterschieden sowie die generalisierende Benennung von Kategorien. Diese Kategorien bilden vorerst diskursive Aussageformationen, die sich durch eine zunehmende Datensättigung als Teildiskurse etablieren können. Das offene Kodieren kann solche Teildiskurse anzeigen, die sie etablierende Herausarbeitung erfolgt durch das axiale Kodieren. Axiales Kodieren Dieses Verfahren zielt darauf ab, einzelne, beim offenen Kodieren entstandene Kategorien stärker zu fokussieren und differenzierter auszuarbeiten. Durch eine
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Reihe von Verfahren, die Verbindungen zwischen den Kategorien herstellen, werden die Daten beim axialen Kodieren auf neue Art zusammengesetzt. „D.h. wir entwickeln jede Kategorie (Phänomen) in bezug auf die ursächliche Bedingungen, die zu dem Phänomen führen, in bezug auf die spezifischen dimensionalen Ausprägungen dieses Phänomens hinsichtlich seiner Eigenschaften, in bezug auf den Kontext, auf die benutzten Handlungs- und interaktionalen Strategien, die im Lichte des betreffenden Kontexts eingesetzt werden, um auf das Phänomen zu reagieren, damit umzugehen und es zu bewältigen und bezüglich der Konsequenzen jeder ausgeführten Handlung/Interaktion“ (Strauss/Corbin 1996 [1990], 93).
Damit solche Beziehungen formuliert werden können, haben Strauss und Corbin ein Kodierparadigma entwickelt. Mit Hilfe des Kodierparadigmas werden eventuelle Beziehungen zwischen Konzepten und Kategorien benannt. Diese sollen es erleichtern, Ordnungen zwischen Konzepten und Kategorien zu entdecken und zu formulieren. Dabei weisen Glaser und Strauss darauf hin, dass das Kodierparadigma flexibel und dem Untersuchungsgegenstand angemessen zu verwenden bzw. gegebenenfalls zu modifizieren ist (vgl. Strauss/Corbin 1996 [1990]). Die Konzepte, die in den jeweiligen Kategorien enthalten sind, können für die Kategorie nun beispielsweise zur ursächlichen Bedingung oder zum Kontext werden, für andere Kategorien eventuell auch zu Konsequenzen. Um diese Beziehungen herauszufinden, werden Vergleiche zwischen den Daten hinsichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschieden gezogen und Fragen an das Material gestellt. Dabei kommt es zu einer ständigen Verifizierung und Falsifizierung der entwickelten und vermuteten Beziehungen an den konkreten Daten. Induktives Denken, wie das Entwickeln und Benennen von Konzepten, Kategorien und den Beziehungen zwischen ihnen aus Daten, wechselt sich mit deduktivem Denken, wie dem Überprüfen gefundener Kategorien oder Konzepte an anderen Daten, ab. Die Logik und Systematik des axialen Kodierens lässt sich nachvollziehbar und produktiv für die weitere stabilisierende Generierung von diskursiven Aussageformationen und Teildiskursen modifizieren. Im Verständnis der Diskursanalyse stellt eine Aussageformation eine Verbindung bzw. ein Gefüge verschiedener Aussagen dar, die auf der einen Seite eine weitere Abstraktion ermöglichen, auf der anderen Seite komplexe Aussagezusammenhänge hervorbringen können. Dieses Hervorbringen kann mit dem axialen Kodieren nachvollzogen werden, indem die Verbindungen und Beziehungen zwischen den Aussagen gleich denen zwischen den Konzepten und Kategorien im Rahmen der Generierung einer Grounded Theory herausgearbeitet werden. Durch das Anstellen von Vergleichen zwischen den Aussagen bezüglich inhaltlicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich Zusammenhänge zwi-
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schen den Aussagen verdichten. Diese Zusammenhänge stellen ein Gefüge von inhaltlichen Dimensionen dar, die eine diskursive Aussageformation bilden. Gleichzeitig treten aber auch Aussagen hervor, die keine inhaltlichen Abstraktionen von und Anbindungen an andere zulassen, sich aber als stabile Aussagen verfestigen. Das ständige Verifizieren aber auch Falsifizieren von vermuteten Aussagen und Aussageformationen durch das stete induktive Entwickeln von Beziehungen und deren deduktives Hinterfragen führen zur Etablierung von ehemals hypothetischen Aussagen und Aussageformationen oder auch zum Fallenlassen derselben. Die herausgearbeiteten Aussageformationen können bereits für sich auf Teildiskurse verweisen oder wiederum durch ihre Beziehungen und Verbindungen untereinander Teildiskurse konstruieren. Unter einem Teildiskurs ist in der Diskursanalyse eine charakteristische, nach verschiedenen Kriterien abgrenzbare Konstellation von Aussageformationen zu verstehen, die eine konstitutive Dimension eines Diskurses bildet. Diesen gilt es letztlich selektiv zu manifestieren. Selektives Kodieren Dieses dritte Kodierverfahren setzt eigentlich das axiale Kodieren mit dem Ziel der Herausarbeitung einer Kernkategorie auf einem höheren Abstraktionsniveau fort. Diejenige Kernkategorie, die das zentrale Phänomen der Untersuchung wiedergibt, um das „herum sich die anderen entwickelten Kategorien gruppieren lassen und durch das sie integriert werden“ (Flick 1995, 202). Die Auswahl der Kernkategorie erfolgt dadurch, dass sich entweder aus den vorhandenen Kategorien eine Kategorie abzeichnet, um die sich eine Vielzahl anderer anordnen und in die sie sich integrieren lassen oder es muss eine neue Kernkategorie gefunden und benannt werden, unter die sich andere Kategorien subsumieren lassen. Eine Kernkategorie sollte u.a. in Verbindung mit möglichst vielen anderen Kategorien stehen, häufig in den Daten vorkommen und nach ihrer Festlegung nicht zur Stagnation der Untersuchung führen. Sie sollte ganz im Gegenteil eine deutliche Implikation im Hinblick auf die Möglichkeit der Formulierung einer Theorie haben. Die Selektivität dieses Kodierverfahrens zeigt sich dadurch, dass nur eine Kernkategorie festgelegt wird und ausgehend von dieser kodiert wird, indem nur noch mit solchen Konzepten und Kategorien gearbeitet wird, die sich eindeutig bzw. signifikant auf sie beziehen. Die Beziehungen der einzelnen Kategorien zur Kernkategorie müssen valide sein. Dies kann nur durch ein andauerndes Vergleichen der und mit den Daten erreicht werden. Fehlende Verbindungen innerhalb oder zwischen Kategorien müssen aufgefüllt werden, was durch die Erhebung und Kodierung weiterer Daten erfolgt. Auch während der Phase des selektiven Kodierens wird somit gegebenenfalls weiter axial und offen kodiert. Nur auf diese Weise, durch kontinuierli-
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ches Auffüllen, Systematisieren, Vergleichen, Selektieren und Erheben von Daten, kann die Kernkategorie entwickelt und ausgearbeitet werden. Um diese herauszuarbeiten, empfehlen Strauss und Juliet Corbin neben dem „Offenlegen des Roten Fadens“ (vgl. Strauss/Corbin 1996 [1990]) die bereits vom selektiven Kodieren bekannte Entwicklung der Kategorien hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Dimensionen als das Verbinden der Kategorien mit Hilfe des paradigmatischen Modells des axialen Kodierens. Unter der Offenlegung des Roten Fadens, die am Beginn des selektiven Kodierens stehen sollte, versteht man die Konzeptualisierung der Geschichte, um die sich die Untersuchung im Wesentlichen dreht, d.h. die beschreibende Darlegung und Erläuterung des zentralen Phänomens der Untersuchung in narrativer Form. Die Geschichte sollte so angelegt sein, dass das zentrale Phänomen benannt oder in einer bereits vorhandenen Kategorie oder der Konstellation der Kategorien entdeckt werden kann – also die Generierung der Kernkategorie augenscheinlich wird. Gleichzeitig entwickelt sich aus der anfänglich deskriptiven Geschichte eine analytische, die im Idealfall zur Ausarbeitung einer Theorie über den Forschungsgegenstand führen kann. Die ausformulierte Theorie wird erneut an den Daten überprüft. Erst wenn sie sich hier bestätigt, kann von einer Grounded Theory gesprochen werden. Die Logik und Systematik des selektiven Kodierens ermöglichen eine zielführende Generierung des Diskurses aus den Beziehungen der Teildiskurse, die letztlich über ihre Zusammenhänge den eigentlichen Diskurs ausbilden. Unter einem Teildiskurs ist in der Diskursanalyse eine charakteristische, nach verschiedenen Kriterien abgrenzbare Konstellation von Aussageformationen zu verstehen, die eine konstitutive Dimension eines Diskurses bildet. Dadurch, dass diese Konstellation wesentliche verfestigte und argumentativ strukturierte Aussagekomplexe generiert, ist sie eine essentielle Größe des diskursiven Gegenstandes bzw. des Diskurses. Die Formation der Teildiskurse bildet letztlich den Diskurs. Die Strategie des selektiven Kodierens zur Herausarbeitung der Kernkategorie, auf deren Grundlage letztlich die Theorie entwickelt wird, lässt sich mehr oder weniger gleichsetzen mit dem Ziel der Diskursanalyse, nämlich der Generierung einer Menge von Aussagen, soweit sie zur selben diskursiven Formation gehören (vgl. Foucault 1981 [1973]). So wie eine Kernkategorie zu zahlreichen Kategorien in Beziehung stehen sollte, entwickelt sich ein Teildiskurs erst aus der Beziehung von Aussageformationen und Teildiskurse bilden sich erst durch ihre Zusammenhänge zum eigentlichen Diskurs heraus. Die Grounded Theory als generierte Theorie ist letztlich ein Gefüge von Konzepten und Kategorien, welches mit dem Diskurs als einer spezifischen Konstellation von Aussagen, Aussageformationen und Teildiskursen zu vergleichen ist. Hinter beiden stehen letztlich die einzelnen Phänomene und Äußerungen, die die Theorie oder den Diskurs gestalten. Das Moment des Roten Fadens, der die Konzepte und Katego-
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rien der Grounded Theory zusammenfügt, findet sich in Kellers Reflexionen zur Diskursforschung wieder, wenn er von der Storyline als dem Roten Faden eines Diskurses spricht, der „die verschiedenen Bestandteile des Interpretationsrepertoires verknüpft (…)“ (Keller 2007 [2004], 64). Die entwickelte Grounded Theory ist der generierte Diskurs. 3.2.2.3 Praxis der Kodierverfahren in der Diskursanalyse In der theoretischen Darstellung der Verfahren der Grounded Theory und der theoretischen Erläuterung der begründeten Kombinationsmöglichkeit mit den Dimensionen der Diskursanalyse erfolgte die Betrachtung der einzelnen Verfahren (Theoretisches Sampling, offenes Kodieren, axiales Kodieren, selektives Kodieren) getrennt voneinander. Diese strikte Trennung weicht in der praktischen Anwendung der Grounded Theory einer ständigen Verschränkung der Verfahren, deren Klammer das Theoretische Sampling bildet, welches abhängig vom Fortschritt des Kodierens bestimmt, welche Daten als nächstes herangezogen werden und welches Kodierverfahren im Zuge des Vorantreibens der Untersuchung zum Einsatz kommt (vgl. dazu Strauss 1998 [1994], Strauss/Corbin 1996 [1990]). Auch während der Anwendung im Rahmen der vorliegenden diskursanalytischen Untersuchung verbinden sich die Verfahren teilweise und abhängig vom Status der Analyse mehr oder weniger miteinander. Untersuchungsleitend ist dabei der Anspruch, durch ein ständiges Abstrahieren, Bezeichnen und Vergleichen aus den einzelnen Texten (Äußerungen) sukzessive Zusammenhänge herauszufiltern, die es vermögen, rekonstruierend einen Diskurs aufzudecken. Es kommt vielmehr darauf an, den wissenschaftstheoretischen Hintergrund und die der Grounded Theory innewohnende Forschungslogik sowie die Bedeutung der einzelnen Verfahren für eine Anwendung im Rahmen einer Diskursanalyse zu verinnerlichen als ihre Konzeption als ein eins zu eins anwendbares und nachvollziehbares Regelwerk zur Nutzung innerhalb nur einer wissenschaftlichen Disziplin zu verstehen. Denn wie Strauss und Corbin schreiben, ist „Kreativität ein ebenso wichtiges Element. Sie ist es, die den Forschern angemessene Fragen an die Daten stellen und die Vergleiche anstellen läßt, die den Daten neue Einblicke in das untersuchte Phänomen und neue theoretische Formulierungen entlocken. Dieser Ansatz kann von Angehörigen jeder Disziplin oder theoretischen Richtung benutzt werden (…)“ (Strauss/Corbin 1996 [1990], 18).
Diese Suche nach dem Neuen, das kreativ das Bestehende hinterfragt, findet sich auch bei Foucault, wenn er wie folgt zum diskursanalytischen Arbeiten ermuntert.
3.2 Diskursanalyse und Grounded Theory
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„Es ist die Definition eines neuen Standortes durch die Äußerlichkeiten seiner Nachbarschaften; das heißt – statt die anderen zum Schweigen zu bringen, indem man vorgibt, daß ihre Worte nichtig sind – daß man versucht, jenen weißen Raum zu definieren, von dem aus ich spreche und der langsam Form in einem Diskurs annimmt, den ich als noch so schwach und unbestimmt empfinde“ (Foucault 1981 [1973], 30).
Die Untersuchung erhebt keinen Vollständigkeitsanspruch bei der Recherche der Literatur und Quellen, sondern hat vielmehr das Ziel, verfestigte Dimensionen des Diskurses aufzuzeigen und darzustellen; einen diskursiven Prozess also, der ständig fortgeschrieben wird und stets nur einen Status quo ausdrückt oder, um es mit den Worten von Glaser und Strauss, die diese Unabgeschlossenheit passenderweise ebenso für die Grounded Theory konstatieren, auszudrücken: „Das publizierte Wort ist also nicht das letzte, sondern markiert nur eine Pause im nie endenden Prozess der Theoriegenerierung“ (Glaser/Strauss 1998 [1967], 50). Resümierend gestaltet sich im Rahmen der vorliegenden diskursanalytischen Untersuchung die Generierung der diskursiven Elemente in folgender Art und Weise: Die einzelnen natürlichen Texte und Textpassagen, im diskursanalytischen Verständnis die Äußerungen, die das Verhältnis von Automobil und Film in einer, wie auch immer gearteten Form thematisieren, werden mit Kodes belegt, die Konzepte benennen. Diese Konzepte bilden vor dem Hintergrund der Diskursanalyse die (einzelnen) Aussagen. Den Phänomenen werden abstrakte Bezeichnungen, in der Grounded Theory als Kodes bezeichnet, zugeordnet. Diese Kodes subsumieren bzw. spiegeln die Grundaussage eines Phänomens wider und sind in der Diskursanalyse diejenigen Bestandteile, die Aussageformationen ausbilden und damit letztlich auch die Teildiskurse und den Diskurs selbst. Unter Aussageformationen sollen hier Sammlungen von verschiedenen Aussagen verstanden werden, die sich im Detail unterscheiden können, im Kern jedoch vergleichbar sind und somit eine Gemengelage ausbilden. Diese Konzepte, im Sinne der Grounded Theory, bzw. Aussagen, im Verständnis der Diskursanalyse, werden zueinander in Beziehung gesetzt und können sogenannte Kategorien ausbilden. Kategorien gehen über die einzelnen Konzepte hinaus und beschreiben Beziehungen zwischen diesen. Die Kategorien bilden also im Verständnis der Diskursanalyse die Teildiskurse. Diese Teildiskurse sind nicht einmalig – vielmehr können verschiedene Konzeptionen und Kategorien zahlreiche Verbindungen eingehen und damit ein Geflecht bilden. Diskursanalytisch betrachtet, lassen sich, ausgehend von einzelnen Äußerungen und Aussagen, diese jedoch übersteigende und Aussagen vereinende Aussageformationen beschreiben, die über inhaltliche Dimensionen miteinander in Beziehung stehen. Wie bereits erwähnt, bilden diese Bezeichnungen, vor dem Hintergrund der Grounded Theory, die Kategorien aus, welche wiederum in ihrem spezifischen Verhältnis zueinander eine bestimmte Theorie oder Teiltheorie ausbilden. Im Sinne der Diskursanalyse
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bringen diese spezifischen Verhältnisse die sogenannten Teildiskurse oder diskursiven Elemente hervor, die gemeinsam den Diskurs formen. Durch die Konzeption der Verbindung von Diskursanalyse und Grounded Theory wurde ein methodisches Gerüst entwickelt, welches die Grundlage für eine transparente und nachvollziehbare Diskursanalyse bieten soll. 3.3 Konzeption einer Diskursanalyse zum Automobil in der Filmtheorie Die diskursive Haltung gegenüber dem Untersuchungsgegenstand – Formen der Thematisierung des Automobils in der Filmtheorie – resultiert aus zwei Beobachtungen: Erstens, aus der eher zufälligen Entdeckung, dass in zahlreichen aktuellen medien- und filmwissenschaftlichen sowie -theoretischen Schriften das Automobil wiederholt thematisiert wird. So beispielsweise durch Dorit Müller, die die Darstellung des Automobils in Literatur und Film um 1900 untersucht (vgl. Müller 2004) oder durch Tina Hedwig Kaiser, die sich dem Transitorischen im Film u.a. am Beispiel der Autofahrt widmet (vgl. Kaiser 2008). Ebenso finden sich in einschlägigen medientheoretischen Arbeiten, die sich explizit mit dem Film beschäftigen, an prominenten Stellen Formulierungen zum Zusammenhang von Automobil und Film – wie beispielsweise bei Paul Virilio (z.B. 1978) oder Jean-Luc Nancy (2005) In keiner dieser oder auch anderen recherchierten Publikation zum Themenfeld wird jedoch grundsätzlich aufgearbeitet, wo das Zusammendenken von Automobil und Film seinen theoretischen Ursprung nimmt und wie es sich daraufhin entwickelt und fortgeschrieben hat. Erste, dieser Frage nachgehende Recherchen und Sichtungen früher filmtheoretischer Schriften aus den ersten zwei Jahrzehnten des Films, also von 1895 bis 1915, führten relativ schnell zu der zweiten maßgeblichen Beobachtung, dass bereits in diesen Arbeiten das Automobil in vielfältiger Form thematisiert und in die unterschiedlichsten Erwähnungs- und Argumentationszusammenhänge mit dem Film gebracht wird. Setzt man die erste Beobachtung, dass die Thematisierung des Automobils und die entworfenen Zusammenhänge zwischen Automobil und Film ein Bestandteil auch der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion zum Film sind, mit der zweiten Beobachtung, dass bereits sehr frühe filmtheoretische Reflexionen das Automobil thematisieren und über seine Verbindungen zum Film reflektieren, in Beziehung, so liegt die Vermutung nahe, dass die Thematisierung des Automobils die Theoretisierungen zum Film beständig begleitet haben. Die Entwicklung der Automobilthematisierungen im Rahmen filmtheoretischer Arbeiten kann somit vorerst hypothetisch als ein sich entwickelnder und sich ständig dynamisch fortschreibender Diskurs verstanden werden, der von
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seinem Ausgang aus diskursiv nachvollzogen werden kann. Denn „der Diskurs ist kaum mehr als die Spiegelung einer Wahrheit, die vor ihren eigenen Augen entsteht“ (Foucault, 2007 [1972], 32). Damit kann hier thetisch behauptet werden, dass der Automobildiskurs ein fester und vielfältiger Bestandteil der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Medium Film ist. Die Auseinandersetzung erfolgt sowohl im Rahmen der Filmtheorie als auch innerhalb von jenen allgemeinen Medientheorien, die sich explizit auch dem Film widmen. Diese werden im Rahmen der Untersuchung ebenfalls als Filmtheorien verhandelt, da Filmtheorie im Zeitalter der Gleichzeitigkeit verschiedener audiovisueller Medien häufig nur noch in Bezug zu anderen Medien, wie beispielsweise dem Fernsehen, betrieben wird: „Aktuelle Filmtheorie ist heute eine Medientheorie, die den Anschluß zu anderen Medientheorien herstellen muß“ (Hickethier 2002, 89). Der Frage, wie sich der Automobildiskurs in der Filmtheorie etabliert hat, soll systematisch nachgegangen werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Herausarbeitung der Ursprünge und frühen Karriere des Diskurses sowie dem darauffolgenden Nachvollzug seiner Genealogie, Entwicklung, Veränderung und Erweiterung. In Anlehnung an Siegfried Jäger kann hier von einem Spezialdiskurs gesprochen werden, da es sich um einen Diskurs handelt, der nur von Akteuren erzeugt wird, die im weitesten Sinne aus dem Bereich der Wissenschaft, im Besonderen dem der Filmtheorie und ihrer Vorläufer stammen und der Gegenstand der Betrachtung nicht Bestandteil der allgemeinen gesellschaftlichen Diskussion ist (vgl. Jäger 1993, 181). Trotz des Begreifens des Automobildiskurses als Spezialdiskurs, wird im weiteren Verlauf dennoch nur von einem Diskurs gesprochen werden. Die Begrenzung auf die Analyse von als Äußerungen zu verstehenden Thematisierungen des Automobils aufgrund inhaltlicher und textlicher Dimensionen und Beziehungen steht im Einklang mit Foucaults Entwurf eines diskursanalytischen Ansatzes. Denn wie Reiner Keller betont, „skizziert er [Foucault, Anm. d. A. ] mit der ‚Archäologie’ ein umfassendes sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm, das nicht nur die Analyse von Aussagezusammenhängen, sondern gerade eben die gesellschaftliche Herstellung und Ordnung von Praktiken, Objekten, Menschen, Ideen, kurz, von Realitätszusammenhängen insgesamt anvisiert (…)“ (Keller 2007 [2004], 46, Herv. i. O.). Einschränkend soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass einige, für eine Foucaultsche Diskursanalyse – insbesondere im Sinne von Foucaults späterem Verständnis (vgl. Foucault 2002) – essentielle Dimensionen und Fragen dabei weitgehend unberücksichtigt bleiben. So gilt das Interesse nicht in erster Linie macht- und herrschaftstheoretischen und -praktischen Fragen bei der Hervorbringung und Stabilisierung eines Diskurses – vielmehr stehen dessen inhaltliche und begriffliche Dimensionen und die Art und
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Weise, wie diese über die Herstellung von Zusammenhängen an der Etablierung des Diskurses beteiligt sind, im Zentrum der Betrachtung. Zusammenfassend formuliert gilt das diskursanalytische Interesse dieser Untersuchung, ausgehend von der Beobachtung, dass im Rahmen filmtheoretischer Publikationen das Automobil und das Verhältnis von Automobil und Film wiederkehrend be- und verhandelt wird, der Herausarbeitung und Ordnung verschiedener Formen und Arten der Thematisierung des Automobils sowie dem Nachzeichnen der Genealogie dieser Formen und Arten über Teildiskurse als diskursive Elemente zum eigentlichen Diskurs. So soll aufgezeigt werden, dass sich unter der Oberfläche filmtheoretischer Betrachtungen ein diskursiver Prozess der Thematisierung des Automobils und des Nachdenkens über dieses entwickelt hat, den es zu rekonstruieren und durch Reflexionen über die Art und Weise sowie die Formen seiner Herstellung gebündelt an die Oberfläche zu bringen und zu erklären gilt. Dabei geht es nicht um die vollständige Erfassung des Untersuchungsgegenstandes, vielmehr steht die Registrierung und Beschreibung von verdichteten und verfestigten diskursiven Elementen und deren struktureller Beziehungen als Phasen seiner diskursiven Entwicklung im Mittelpunkt. „Nicht die vielzitierte quantitative Repräsentativität, sondern die Herausarbeitung der Typizität eines Diskurses bzw. der Regelhaftigkeit des Auftretens spezifischer Aussagen wird dabei angestrebt“ (Höhne 2003, 391, Herv. i. O.). In nuce gilt es, die sich etablierten Redeweisen über das Automobil innerhalb der Filmtheorie in Form von diskursiven Elementen herauszuarbeiten und somit den Automobildiskurs in der Filmtheorie herauszustellen, zu veranschaulichen und zu erklären, warum er sich etabliert hat. Leitend ist dabei die These, dass sich die wesentlichen Thematisierungen und Erwähnungszusammenhänge bereits in den filmtheoretischen Schriften der 1900er- bis 1910er-Jahre etabliert und den Diskurs somit wesentlich geprägt haben. Einen Diskurs, so die grundsätzliche Vermutung, der das Automobil und seine ihm innewohnende Bewegtheit als eine konstruktive Metapher benutzt, um über das Wesen des Films und seine Mittel zu theoretisieren. Von Interesse sind dabei, neben den eigentlichen Formen und Arten der Thematisierung des Automobils und den diese hervorbringenden Akteuren, auch die Veränderung der Redeweise im zeitlichen Verlauf und die Betrachtung der Entwicklung des Diskurses in verschiedenen Bereichen sowie innerhalb der historischen Entwicklung der Filmtheorie. 3.3.1 Voraussetzungen Die Konzeption der Untersuchung, die konkrete Form der Darstellung der Ergebnisse und damit letztlich auch die Art des Aufbaus der Arbeit ergeben sich
3.3 Konzeption einer Diskursanalyse zum Automobil in der Filmtheorie
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einerseits aus der Anlage der Untersuchung als Diskursanalyse unter Verwendung von entsprechend modifizierten Verfahren der Grounded Theory. Diese wurde im Vorfeld theoretisch hergeleitet und vorgestellt (vgl. Kapitel 2.2). Andererseits wirken sich die konkrete thematische Fokussierung des Analysegegenstandes und die damit verbundene Verfasstheit der Daten strukturierend auf die Untersuchungskonzeption und -darstellung aus. Daher erfolgt an dieser Stelle die Klärung von weiteren wesentlichen und für die Untersuchung relevanten Voraussetzungen. 3.3.1.1 Filmtheorie(n) als Datengrundlage Der Begriff der Filmtheorie hat in dieser Arbeit eine doppelte Bedeutung. Auf der einen Seite markiert er die wesentliche thematische und inhaltliche Dimension des Gegenstandes der Arbeit, auf der anderen Seite definiert er die potentielle Datenbasis der Untersuchung. Da Diskurse nicht als greifbare Entitäten vorliegen und damit nicht direkt analytisch zugänglich sind, ist auch die Festlegung der groben Datengrundlage bzw. des Feldes von potentiell interessanten Daten vorerst nur hypothetisch. Sie beruht auf im Vorfeld der Untersuchungen getätigten Reflexionen und Erkundungen. Die letztliche Tauglichkeit einer Untersuchungsquelle, diskursive Elemente auszubilden und somit zum Diskurs zu gehören, erweist sich erst im Rahmen der Untersuchung. Ohne die Vorannahme, dass diese sich dafür eignet, kann jedoch keine Grundlage festgelegt werden, aus der dann relevante Daten gesampelt werden können. Daher an dieser Stelle einige Hinweise zur Datengrundlage – Filmtheorie(n) – und dem Verständnis dieser. Der Begriff Filmtheorie ist kein Terminus technicus, vielmehr wird er je nach Disziplin, Perspektive und Autor unterschiedlich definiert und operationalisiert. Letztlich stellt er selbst einen zentralen Forschungs- und Reflexionsgegenstand der Film-, Medien- und Kommunikationswissenschaft, aber auch anderer Disziplinen dar (vgl. Tudor 1977 [1974], Wuss 1990, Leschke 2003, Diederichs 2004). Im Rahmen dieser Arbeit wird eine Definition von Gebhard Rusch (2002) zum Begriff der Medientheorie durch eine Fokussierung auf den Gegenstand des Films modifiziert und filmtheoretisch fruchtbar gemacht. Filmtheorie wird somit als weit gefasster Sammelbegriff für alle Bemühungen, die die Identität, die Funktion, den Status etc. von Filmen zu bestimmen versuchen, verstanden. Damit klammert er disziplinen-, fach- und perspektivübergreifend alle Texte ein, die sich als filmreflexives- und analytisches Beschreibungs-, Erklärungs- und Kritikangebot verstehen. Diese können dabei auf die unterschiedlichste Weise das Einzelmedium Film zu beschreiben versuchen oder sich im Rahmen medienübergreifender Charakterisierungsversuche, sogenannten Medientheorien, dem Film auf die vielfältigste Art annähern.
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3 Theoretische und methodische Voraussetzungen
Auf Grundlage dieser Systematisierung sind unter Filmtheorien sowohl Einzelmedientheorien3 und -theoretisierungen zum Film4 zu verstehen als auch allgemeine Medientheorien5, die explizit auf das hier relevante Medium Film eingehen. Letztlich zeigt die weite Fassung von Filmtheorien als Sammelbegriff an, dass sich im Rahmen dieses Verständnisses essayistische Ansätze gleichberechtigt neben geschlossenen Theorieentwürfen und Teilaspekte bzw. -phänomene fokussierenden und diese entsprechend vertiefenden film- (und medien)theoretischen Studien einordnen. Oder wie Bernd Kiefer es formuliert: Filmtheorie ist eine „Bezeichnung für das historisch gewachsene Korpus von Texten, die sich wissenschaftlich-theoretisch, also kritisch-reflexiv, mit der spezifischen Technizität, Ästhetik und Rezeption des Mediums Film auseinandersetzen“ (Kiefer 2002, 211). Aus dem inhaltlichen Fokus der Arbeit ergibt sich, dass ein Großteil der filmtheoretischen Texte aus dem Bereich der Kultur- und Geisteswissenschaften stammt. Nichtsdestotrotz ist die Untersuchung offen für filmtheoretische Angebote aus anderen Bereichen der Wissenschaft; auch Publikationen aus dem Übergangsbereich der Wissenschaft zur Belletristik oder zur Populärwissenschaft finden Eingang in das Korpus, sofern sie im weitesten Sinne filmtheoretisch argumentierend das Automobil thematisieren oder über das Verhältnis von Automobil und Film reflektieren. Diese Fokussierung ist essentiell, da nur jene filmtheoretischen Quellen Bestandteil des Datenkorpus werden können, die entsprechend dem Gegenstand der Untersuchung zentral oder marginal einen wie auch immer gearteten Zusammenhang zwischen Automobil und Film beschreiben oder in welcher Form auch immer das Automobil thematisieren. Das oberste Prinzip der Textfindung und Auswahl ist jedoch die Offenheit gegenüber dem Untersuchungsphänomen, sodass gelegentlich Texte und Textpassagen erst nachträglich hinzugezogen oder auch dann ergänzend betrachtet wurden, wenn sie eher zufällig in Erscheinung traten. D.h., dass kein aussagekräftiger Text von vornherein ausgeschlossen wurde. Eine vollständige Erfassung aller filmtheoretischen Texte, die das Automobil thematisieren, schließt sich damit aus und würde auch dem Anliegen der Untersuchung widersprechen. Es geht um die textbasierte Erfassung von diskursiven Elementen im Verständnis von verfestigten inhaltlichen Phänomenen, Dimensionen 3 4
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Der Begriff ist von Leschke (2003) entlehnt. Unter diesem lassen sich alle Texte gruppieren, die sich primär der Wesensbestimmung des Einzelmediums Film widmen. Diese Wesensbestimmung kann sowohl komparativ geschehen oder isoliert aus den Bedingungen und Entitäten des Mediums heraus. Hier versammeln sich dabei sowohl elaborierte und in sich geschlossene Theorieentwürfe als auch sämtliche Texte, egal welcher Perspektive und Provenienz, die sich theoretisierend mit dem Wesen des Films beschäftigen. Hierunter fallen alle Theoretisierungen, die sich holistisch mit den gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen der Medien als Konglomerat verschiedener Einzelmedien beschäftigen.
3.3 Konzeption einer Diskursanalyse zum Automobil in der Filmtheorie
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und Strukturen und nicht um die Formulierung von allgemein gültigen Aussagen auf der Grundlage einer Vollerhebung oder repräsentativen Stichprobe. Das generell begriffstheoretisch recht offene Vorgehen entspricht dem Wesen der Diskursanalyse, nach welchem sich ein Diskurs aus verschiedenen Teildiskursen, Aussageformationen, Aussagen und Äußerungen generiert, die es, soweit möglich, sämtlich zu berücksichtigen gilt. In keinem Fall sollten potentiell zum Diskurs beitragende Texte von vornherein ausgeklammert werden. Ebenso zeigt sich in der weiten Fassung der Filmtheorie eine essentielle Entität des interpretativen Paradigmas – in welchem sich die Diskursanalyse verorten lässt –, nämlich die grundsätzliche und uneingeschränkte Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand. Wegen der hier zugrunde gelegten Offenheit des Filmtheoriebegriffs scheint es sinnvoll, nicht weiter von der Filmtheorie sondern im Rahmen der Untersuchung von den Filmtheorien im Plural zu sprechen, da „wir es mit einer Vielzahl von konkurrierenden und konträren (…)“ (Lagaay/Lauer 2004, 8) Veröffentlichungen zu tun haben, deren alleiniger gemeinsamer Nenner der Gegenstand des Films ist. Dennoch soll der Begriff Filmtheorie beibehalten und sowohl als Begriff für die Bezeichnung einer einzelnen Theorie als auch als Sammelbegriff für die Filmtheorien insgesamt verwendet werden. 3.3.1.2 Zusammenstellung der Datengrundlage Das der Arbeit zugrunde liegende Verständnis der Filmtheorie legt auch das potentielle Korpus der zu betrachtenden Texte als Datenbasis fest. Die Datengrundlage der Untersuchung bilden somit filmtheoretische Quellen in Form von Schriften jeglicher Art – von der Monografie über Aufsätze bis hin zu Artikeln in (Fach-)Zeitschriften. Der Fokus liegt dabei auf deutschsprachigen, ins Deutsche übertragenen und in Deutschland zur Kenntnis genommenen englisch- oder französischsprachigen Veröffentlichungen, beginnend mit den 1900er-Jahren. Eine weitere Fokussierung erfolgt durch das Thema der Arbeit, d.h. es werden, wie bereits erwähnt, nur diejenigen filmtheoretischen Schriften berücksichtig, die das Automobil thematisieren. Egal, ob dieses zentral geschieht, nur in einzelnen Passagen oder lediglich durch marginale Erwähnungen und Randnotizen. Aus dieser Eingrenzung ergibt sich auch der Zeitraum, aus dem die filmtheoretischen Publikationen stammen. Dieser reicht von 1907 bis 2008, da die erste eruierte filmtheoretische Schrift, die das Automobil erwähnt, aus dem Jahr 1907 stammt und die letzten berücksichtigten Veröffentlichung(en) 2008 erschien(en). Ausschlaggebend ist hier stets das Jahr der Ersterscheinung. Die filmtheoretischen Schriften werden dabei als natürliche Daten verstanden, da sie nicht durch spezifische Methoden der Datenerhebung gewonnen
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werden mussten, sondern bereits als natürliche Objektivationen vorlagen (vgl. Kleining 1995). Im Verlauf der Untersuchung werden synonym zum Begriff Daten auch die Bezeichnungen Texte, Quellen, Schriften, Publikationen etc. verwendet – alle referieren dabei auf untersuchungsrelevante Inhalte der filmtheoretischen Schriften. Die Kompilation des eigentlichen filmtheoretischen Datenkorpus erfolgt in mehreren, nachfolgend veranschaulichten Phasen. Phasen der Datengenerierung und -analyse Erste Phase In einem ersten Schritt wird ein Pool an filmtheoretischen Texten zusammengestellt, die in irgendeiner Art und Weise einen Zusammenhang zwischen Automobil und Film beschreiben oder das Automobil thematisieren. Dieser wird als Datenkorpus bezeichnet. Dieser Schritt, der parallel zur Analyse ständig weitergeführt wird, entzieht sich einer nachvollziehbaren Darstellung, da die gezielte Sichtung, aber auch die zufällige Entdeckung und das Durchforsten relevanter filmtheoretischer Schriften nicht dokumentierbar sind. Hier erfolgte die Durchsicht filmtheoretischer Schriften nach denjenigen Texten, die in irgendeiner Form das Automobil thematisieren. Dabei wurden sukzessive alle erhältlichen Schriften durchgesehen, die sich seit der Erfindung des Films im Jahre 1895 mit diesem beschäftigt haben und der Definition des weiten Filmtheoriebegriffs sowie den im Vorfeld beschriebenen Bedingungen entsprachen. Leitend war dabei bereits in dieser Phase die Frage danach, wo das Zusammendenken von Film und Automobil bzw. dessen Thematisierung seinen theoretisch Ursprung nimmt und ob und wie es sich scheinbar diskursiv entwickelt hat. Zur Recherche der potentiell interessanten Texte wurde einerseits chronologisch vorgegangen, andererseits erfolgte die Orientierung auch an wissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte der Filmtheorie und den dort erwähnten Autoren und Schriften sowie durch die Hinzuziehung von einschlägigen Sammelbänden und Zusammenstellungen vor allem früher filmtheoretischer Schriften. Nicht zuletzt wurde manche Arbeit auch zufällig entdeckt oder durch das Nachverfolgen rudimentärer und marginaler Hinweise in einschlägigen Werken aufgespürt. Eine Aufnahme in den Pool fanden letztlich all jene Texte, die mindestens in einzelnen Sätzen oder Passagen auf das Automobil eingehen. Dennoch erhebt dieses Datenkorpus keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Da – auch bei der besten Recherche – eine vollständige Erfassung aller filmtheoretischer Schriften, die das Automobil thematisieren, erstens nicht möglich ist, zweitens auch nicht bearbeitbar wäre und drittens nicht das Ziel einer Diskurs-
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analyse darstellt, da es letztlich um die textbasierte Erfassung von diskursiven Elementen im Verständnis von verfestigten inhaltlichen Phänomenen, Dimensionen und Strukturen geht. Da in diesem ersten Schritt durch die intensive Auseinandersetzung mit den Texten bereits ein Überblick über die Grundlagen und Grunddimensionen der Hervorbringung des zu analysierenden Diskurses möglich wurde, stellt dieser bereits einen essentiellen Teil der eigentlichen Analyse dar. „Dabei geht es nicht in erster Linie um das vom Autor/der Autorin Gemeinte, sondern auch um das, was beim Leser/Hörer des Textes ‚ankommt’. Damit ist nicht gemeint, daß jeder Leser den Text so verstehen muss, wie er vom Analysierenden entschlüsselt worden ist. Als Fragment eines Diskurses steht der Text in gewisser Weise als Exemplar seiner Gattung dar, mit der der Leser/Hörer als ganzes immer wieder konfrontiert ist“ (Jäger 1993, 199, Herv. i. O.).
Das so kompilierte Korpus wurde für die eigentliche Analyse noch einmal vorstrukturiert und geordnet, da es in seiner Dichte und Fülle sonst nicht sinnvoll bearbeitbar gewesen wäre. Zweite Phase Zur besseren Bearbeitung und Analyse des potentiellen Datenkorpus’ filmtheoretischer Texte wurde dieses in vier Teildatenkorpora unterteilt. Diese Unterteilung erfolgte in Anlehnung an die zeitlichen und inhaltlichen Differenzierungen von Helmut H. Diederichs (2004) und Peter Wuss (1990), die in ihren Betrachtungen zur Geschichte der Filmtheorie verschiedene Phasen der Entwicklung derselben benennen. Aus der analytischen Sichtung der Datengrundlage ergaben sich auf diese Weise sinnvolle Zeiträume und Theoretisierungsphasen, in denen das Automobil verhandelt wurde. Das erste Teildatenkorpus umfasst die Frühphase filmtheoretischen Denkens (1907-1919), das zweite die ästhetischen Filmtheorien der 1920er- und 1930er-Jahre, das dritte die Phase der realistischen Filmtheorien in den späten 1940er- und frühen 1960er-Jahren und das vierte letztlich technikdeterministische Theoretisierungen des Films und die Genretheorie des Films ab den späten 1960er-Jahren. Die gebildeten Teilkorpora stellen sogenannte Vortheorien dar, die die für eine Diskursanalyse nötigen Vermutungen über die zu generierenden diskursiven Elemente und deren Ordnung bündeln und sinnvolle „Heuristiken für die Eingrenzung des Textkorpus sein können (…)“ (Diaz-Bone 2002, 193). Eine solche, erst einmal überschaubare Zeitrahmen absteckende Vorgehensweise ist notwendig, um einen sinnvollen Zugang zu einem recht großen Datenfeld zu finden.
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Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Vorstrukturierung und Ordnung der Text- bzw. Datenbasis in Teildatenkorpora notwendig ist, da ein langer und dichter Zeitraum diskursiver Flüsse untersucht wird. Die einzelnen Teildatenkorpora umfassen filmtheoretische Phasen, die in sich wiederum chronologisch und sukzessive vorgehend betrachtet und in der dritten Phase im Sinne des Theoretischen Sampling untersuchungsbegleitend analytisch zu Analyseteilkorpora zusammengestellt werden. Dritte Phase Der dritte Schritt ist die vom Fortgang der Analyse abhängige Zusammenstellung der Daten innerhalb der Teildatenkorpora zu den sogenannten Analyseteilkorpora. Diese ergeben sich im Rahmen der durch Verfahren der Grounded Theory realisierten Diskursanalyse – speziell durch das Theoretische Sampling – im Hinblick auf die Ableitung von Kategorien bzw. Aussagen. Diejenigen Daten, die die Grundlage einer gesättigten Kategorie darstellen, bilden ein Analyseteilkorpus. Welche Daten hierzu betrachtet und hinzugezogen werden, ergibt sich aus dem Fortschreiten der Untersuchung. Das gesamte Analysekorpus, das heißt die Gesamtheit aller diskursanalytisch betrachteten Daten, wird nicht wie üblich von vornherein auf eine Auswahl von Texten reduziert oder exemplifiziert, sondern die Texte werden ausgehend von ihrer inhaltliche Aussage Schritt für Schritt aus den Teilkorpora zusammengestellt und auf dieser Grundlage analysiert und abstrahierend verdichtet. Das heißt, dass nicht alle potentiellen Datenquellen, auch nicht alle im Datenkorpus bzw. den Teildatenkorpora befindlichen Daten, die das Automobil thematisieren, in die Analyse einbezogen werden, sondern nur diejenigen, die diskursiv relevant sind. Um methodisch sauber vorgehen und die Datengrundlage sinnvoll und gegenstandadäquat bearbeiten zu können, erfolgt die eigentliche Herausarbeitung der diskursiven Elemente in verschiedene Teildatenkorpora unterteilt. Die Erkenntnisse aus diesen Teiluntersuchungen werden dann komparativ zusammengefügt und wechselseitig hinterfragt, wodurch der Automobildiskurs mit seinen verschiedenen Teildiskursen und diskursiven Elementen offengelegt wird. Durch diese Vorgehensweise ergeben sich analyse- und ergebnisabhängig Verschiebungen, Ausdifferenzierungen und weitere Unterteilungen innerhalb der in Anlehnung an Phasen der Theoretisierung über den Film beschriebenen Teildatenkorpora. Hierdurch können die für die Darstellung der Entwicklung des Automobildiskurses in den Kapiteln 4 bis 7 gewählten Phasenbegriffe im Detail von den bisher verwendeten abweichen. Die Vortheorien in Form der Teildatenkorpora sind deutlich unterkomplex und haben im Vergleich zu den generierten und stabileren Analyseteilkorpora einen vorläufigen heuristischen Charakter. So entwickelte sich das Analysekorpus dynamisch und sukzessive, geleitet durch das Vorgehen des Theoretischen Sampling und die Kodierverfahren der
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Grounded Theory aus der Untersuchung, mit dem damit verbundenen Ziel der theoretischen Sättigung der herausgearbeiteten diskursiven Elemente. Die immer wieder bereits im Verlauf der Untersuchung und abschließend noch einmal explizit durchgeführte, vergleichende analytische Zusammenführung der Ergebnisse der mehr oder weniger einzelnen Untersuchungen zu den Teilanalysekorpora erschließt letztlich den Gesamtdiskurs. Dieser steht selbstverständlich als Untersuchungshorizont stets im Mittelpunkt. 3.4 Exemplarische Darstellung der Generierung eines Teildiskurses Die dritte Phase der Datengenerierung und -analyse bzw. die eigentliche Analyse kommt ausgehend vom erfolgten theoretischen und gegenstandsbezogenen Entwurf einer Diskursanalyse mit Hilfe modifizierter Verfahren der Grounded Theory im Rahmen einer beispielhaften Vorführung des diskursanalytischen Vorgehens zur Darstellung. Dadurch soll das methodische Vorgehen sowie das praktische Verständnis der im Vorfeld diskutierten theoretischen Begrifflichkeiten und Konzeptionen an der Generierung des diskursiven Elements Szenarien des Autounfalls exemplarisch demonstriert werden. Szenarien des Autounfalls steht beispielhaft für die entworfene analytische Vorgehensweise der Diskursanalyse, wie sie im Rahmen der gesamten Untersuchung Anwendung findet und im Vorfeld theoretisch hergeleitet wurde. Dieser spezielle Teildiskurs schien hierfür besonders geeignet, da er historisch bereits sehr früh in der filmtheoretischen Diskussion als eine Form der Thematisierung des Automobils valid hervortritt und eine konkrete und spezifische Thematisierung des Automobils in der Filmtheorie darstellt. Weiterhin konstituiert er sich vor dem Hintergrund der Vorstrukturierung und Ordnung, der der Analyse zugrunde liegenden Textbasis bereits innerhalb des Teildatenkorpus’ Frühphase filmtheoretischen Denkens (1907-1919) exemplarisch. Nicht zuletzt weisen bereits die ältesten filmtheoretischen Publikationen aus den 1910er-Jahren signifikant auf Szenarien des Autounfalls hin. Eine Feststellung, die sich aus der chronologischen Vorgehensweise ergibt, da innerhalb der Teildatenkorpora ausgehend von der historisch ältesten Textquelle aufsteigend vorangeschritten wird. Neben dem Aufzeigen der schrittweisen Generierung des Diskurselements Szenarien des Autounfalls verdeutlicht die folgende Ausführung auch in Ansätzen das Verhältnis dieses Teildiskurses zu weiteren Teildiskursen bzw. der diskursiven Elemente untereinander und verweist auf die vergleichenden Eruierungen folgender Bestandteile des Automobildiskurses der Filmtheorie: Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, Automobil und Verbrechen, Filmische Realisierung der Automobildarstellung, Automobil als klassifizierendes Element sowie
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Automobil als Erlebnis. Hierdurch wird analytisch ein Einblick in die Strukturen und Verbindungen des sich aus zahlreichen, gegenseitig aufeinander verweisenden und sich bedingenden Teildiskursen und diskursiven Elementen bildenden Automobildiskurses gegeben. Zur Veranschaulichung arbeitet dieses Kapitel verstärkt mit den konkreten Begrifflichkeiten der Diskursanalyse und Grounded Theory sowie den modifizierend hergeleiteten Ver- und Anwendungen dieser. Es wird aus analytischen und die Analyse veranschaulichenden Gründen Redundanzen und zahlreiche Reformulierungen aufweisen und insgesamt recht streng und nüchtern sein. Diese transparente Vorführung des exemplarischen, methodischen Vorgehens ist allerdings unverzichtbar, da sie erstens in diskursanalytischen Arbeiten häufig stark vernachlässigt bzw. gar nicht dargestellt wird und die Arbeiten dadurch oft methodisch undurchsichtig sind, ja gelegentlich geradezu beliebig wirken. Zweitens können die anderen Kapitel, die verstärkt inhaltlich und thematisch sowie an Autoren orientiert sind, so besser verstanden und nachvollzogen werden, da ihre Grundaussagen ebenfalls in der im nachfolgenden Beispiel erläuterten Weise herausgearbeitet sind. Dies gilt ebenfalls für die Schlussfolgerungen und Interpretationen innerhalb der Darstellungen der aufgearbeiteten Ergebnisse der Untersuchung. Zum besseren Nachvollzug werden die relevanten Textpassagen jeweils exponiert und vollständig6 aufgezeigt und erst im Anschluss daran einzelne konkrete Passagen extrahiert. Auf diese Weise bleibt bei den Detailanalysen nachvollziehbar, woher die teilweise kurzen Textstellen stammen. Um stets schnell und gezielt auf die bedeutsamen Formulierungen und analysierten Textpassagen hinweisen zu können, verweisen die Erwähnungen der Namen der Autoren immer auf den nachfolgenden Text bzw. dessen Gehalt und werden somit stellvertretend für den Text verwendet. Szenarien des Autounfalls in der Frühphase filmtheoretischen Denkens Die älteste auffindbare Textpassage im Rahmen filmtheoretischer Publikationen, die auf einen Autounfall im Film rekurriert, stammt aus dem Jahr 1910 von Walter Turszinsky.
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Die Vollständigkeit der Darstellung der Textpassagen automobiler Thematisierung wird innerhalb der gesamten Arbeit weitgehend beibehalten, da sie Daten darstellen, die nicht durch Kürzungen verstümmelt oder verfälscht werden sollen – auch Rechtschreibfehler und veraltete Schreibweisen werden daher beibehalten.
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„Hier braucht man Leute – ich berichte nach Tatsachen – die etwa in der Maske eines übereifrigen, schlemihiligen Amateurphotographen steile Böschungen herabstürzen, sich unter Automobilen hervorziehen lassen, an festen Eichenbäumen ihre Schädeldecke versuchen, in schmutzigen Teichen bis auf die Haut durchweichen können – immer ohne zu ‚verunglücken’, denn solch ein Unglück würde dem Ruf der Kinobühne schaden, immer auf der Suche nach neuen, launig sensationellen szenischen Ergebnissen.“ (Turszinsky 1992 [1910], 26, Herv. i. O.)
Diese Textpassage aus einem in der Schaubühne erschienenen Artikel mit dem Titel Kinodramen und Kinomimen stellt im Verständnis der Diskursanalyse eine Äußerung dar. Sie ist somit ein solitäres Aussageereignis, welches ein Phänomen oder mehrere Phänomene in sich trägt, die potentiell fähig sind, Bestandteile des als thetischen Projektionshorizont angenommenen Automobildiskurses zu sein. Die Möglichkeit dieser Einschätzung der Textpassage ergibt sich aus der Position des diskursanalytischen Vorgehens, welches die Rekonstruktion eines in einer Äußerung vorerst hypothetisch angezeigten Diskurselements, in diesem Fall dem des Autounfalls, zu generieren erlaubt. Dieses zeigt wiederum vorerst hypothetisch an, ein Element des Automobildiskurses innerhalb der Filmtheorie zu sein. Die Generierung von einer vom inhaltlich relevanten Phänomen der Äußerung abstrahierenden Bezeichnung ermöglichen die Kodierverfahren der Grounded Theory. Für die Grounded Theory stellt der Textauszug Turszinskys einen natürlichen Text dar, der eine Phänomenextrahierung und -abstrahierung in Bezug auf die Fokussierung des Forschungsinteresses erlaubt. Die Textpassage stellt, integriert man die Grounded Theory theoretisch und praktisch in die Diskursanalyse, einerseits eine diskursive Äußerung dar, andererseits initiiert sie als natürlicher Text den Ausgangspunkt der Anwendung von Verfahren der Grounded Theory zur Generierung des Teildiskurses Szenarien des Automobilunfalls. Im Sinne des die Zusammenstellung von potentiell zur inhaltlichen Verdichtung fähigen Texten leitenden Theoretischen Samplings, bildet die Textpassage von Turszinsky weiterhin auch den Ausgangspunkt für die gezielte analysegeleitete sukzessive Zusammenstellung des Analyseteilkorpus’. Diese Zusammenstellung erfolgt durch das sukzessive Hinzuziehen von im Kern homogenen Textpassagen – also durch ein Sampeln nach Szenarien des Autounfalls und dessen diskursive Elemente stabilisierenden Gemeinsamkeiten aus dem Teildatenkorpus Frühphase filmtheoretischen Denkens (1907-1919). Heterogene Textpassagen bleiben in der exemplarischen Darstellung außen vor. Sie wurden in der Untersuchung jedoch selbstverständlich berücksichtigt, ließen sich aus ihnen doch andere Teildiskurse und diskursive Elemente generieren, die hier jedoch aus Gründen der Komplexitätsreduktion innerhalb der exemplarischen Darstellung hinderlich wären.
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Betrachtet man vor dem Hintergrund der methodischen und begrifflichen Fundamentierung nun die Textpassage von Turszinsky genauer, lässt sich Folgendes entwickeln und darstellen. Zunächst wird der Teil der Textpassage fokussiert, der von Bedeutung für die Analyse ist. In Zeile 3 findet sich die Äußerung „sich unter Automobilen hervorziehen lassen“. Für diese Formulierung gilt es durch offenes Kodieren eine abstrahierende und den Kern der Äußerung benennende Bezeichnung zu finden. Dafür ist es zum besseren Verständnis notwendig, sich den unmittelbaren Kontext dieser Formulierung anzuschauen, aber auch den weiten Kontext nicht außer Acht zu lassen. Im unmittelbaren Kontext bzw. Umfeld der Äußerung geht es inhaltlich um Personen, die die Fähigkeit haben, verschiedene gefährliche Dinge zu bewerkstelligen, ohne sich dabei zu schädigen. Der weite Kontext und somit die inhaltliche Einbettung der Äußerung in die filmische Theoretisierung verdeutlicht sich in der Grundaussage des Artikels von Turszinsky. In Kinodramen und Kinomimen beschreibt dieser die Anforderungen an einen Filmschauspieler. Dieser hat „mehr ein fühlender als ein denkender Künstler zu sein“ (ebd., 25). Dieses primär körperlich praktische Agieren verdeutlicht Turszinsky nun an verschiedenen typischen Filmszenen, wobei kein konkreter Film wörtlich erwähnt wird. Eine dieser charakteristischen Szenen ist: „sich unter Automobilen hervorziehen lassen“. Aus dieser Äußerung und auch aus der Einschätzung als typische Filmszene lässt sich erstens schlussfolgern, dass Automobilszenen bereits im Film der 1910er-Jahre weit verbreitet gewesen sein müssen, da dies sonst nicht von Turszinsky thematisiert worden wäre. Zweitens wird nicht nur eine Automobil-Szene allgemein erwähnt, sondern es wird eine Szene beschrieben, in der ein Automobil in einer Weise zum Stillstand gekommen sein muss, dass sich entweder die in ihm befindlichen Personen nicht selbst aus ihm befreien konnten, da sie hervorgezogen werden müssen, oder aber die Personen wurden angefahren, sodass sie sich infolgedessen unter dem Automobil befinden und befreit werden müssen. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Szene, in der ein Automobil verunglückt ist. Diese analytisch und interpretativ erschlossene Kernaussage der Äußerung wird im Sinne des offenen Kodierens als ein Phänomen identifiziert und mit dem Kode Autounfall im Film belegt. Dieser Kode bezeichnet abstrahierend eine spezifische Art der Darstellung und Thematisierung des Automobils im Film und damit eine spezifische Form der Erwähnung des Automobils im Rahmen eines filmtheoretischen Textes. Der abgeleitet Kode Autounfall im Film bezeichnet im Verständnis der Grounded Theory den Verweis auf die Möglichkeit einer dahinterstehenden Konzeption – wodurch ein erster Hinweis auf das mögliche Konzept Autounfall im Film gegeben wird, das es an weiterem Textmaterial zu verifizieren, zu falsi-
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fizieren oder zu erweitern gilt. Das Konzept kann gleichzeitig diskursanalytisch als eine Aussage verstanden werden, die den typischen abstrahierbaren und zur Verallgemeinerung fähigen Kern einer konkreten Äußerung darstellt und damit eine konkrete Art des Redens über das Automobil in der Filmtheorie. Eine Aussage ist jedoch nur dann ein diskursives Element, wenn sie sich in zahlreichen unterschiedlichen Äußerungen erkennen und beschreiben lässt. Vorerst besitzt die Aussage Autounfall im Film daher einen hypothetischen Charakter, der auf eine eventuelle, noch an weiteren Äußerungen zu stabilisierende Verfestigung hinweist. Um die Aussage schrittweise zu einer übergreifenden und mehrere Äußerungen inhaltlich vertretenden Subsumierung zu verfestigen oder auch als Aussage wieder aufzugeben bzw. argumentativ und textbasiert zu erweitern, gilt es, das Analyseteilkorpus durch entsprechend aussagekräftige Texte zu ergänzen. In nuce weitere aussagefähige und vergleichbare Äußerungen mit Hilfe des Theoretischen Sampling zu eruieren, die gegebenenfalls zur Generierung der Aussage Autounfall im Film fähig sind. Eine Textpassage, die eine solche Äußerung im Sinne eines abstrahierbaren Phänomens beinhaltet, findet sich in einer Publikation, die nur ein Jahr nach dem Artikel von Turszinsky erscheint. 1911 schreibt Ernst Schultze in der Monografie Der Kinematograph als Bildungsmittel das Folgende: „Wenn uns eine Jagd auf Verbrecher vorgeführt wird, die nacheinander alle möglichen Verkehrsmittel benutzen, um den Verfolgern zu entrinnen, und schließlich ihr Automobil in Brand gerät, so daß eine große Explosionskatastrophe das Ende ist, so können wir ziemlich sicher sein, daß wir es mit einem amerikanischen Film zu tun haben.“ (Schultze 1911, 23)
In Zeile 2 bis 4 findet sich die Äußerung „und schließlich ihr Automobil in Brand gerät, so daß eine große Explosion das Ende ist“. Auch in dieser Formulierung wird der Autounfall wie schon in der Äußerung von Turszinsky (1993 [1910]) nicht direkt benannt. Betrachtet man für das offene Kodieren wiederum den engen Kontext, so zeigt sich in den Zeilen 1 und 2, dass das Automobil im Rahmen einer Verfolgungsszene in Brand gerät und infolgedessen letztlich explodiert. Eine abstrahierende Bezeichnung für dieses Szenario ist die Belegung mit dem Kode Autounfall im Film. Auch wenn sich die Äußerungen von Turszinsky und Schultze im Detail unterscheiden, bildet die Beschreibung eines filmischen Autounfalls den inhaltlich generierbaren Kern beider. In diesem gemeinsamen Gehalt verstärken sich die diskursiven Äußerungen gegenseitig, wodurch die Konzeption Autounfall im Film übernommen werden kann, sich weiter herausbildet und als diskursives Element abzuzeichnen beginnt. Hier wird die Logik und Angemessenheit der Kombination von Diskursanalyse und Grounded Theory deutlich, da die Formulierung von Schultze ebenfalls
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als relevante Äußerung identifiziert und im Sinne der Grounded Theory unter dem nun bereits zwei Phänomene subsumierenden Konzept Autounfall im Film kodiert werden kann. Die diskursive Aussage Autounfall im Film gewinnt dadurch an Stabilität. Betrachtet man die Textpassage von Schultze und insbesondere den Kontext, in dem die Äußerung „und schließlich ihr Automobil in Brand gerät, so daß eine große Explosion das Ende ist“ (Zeile 2 bis 3) steht, intensiver, ist erkennbar, dass sie in mehreren Dimensionen über die bloße Schilderung eines Autounfalls im Film hinausweist. Der Autounfall wird in Zeile 4 und 5 bewertet und kategorisiert. Die Formulierung „so können wir ziemlich sicher sein, daß wir es mit einem amerikanischen Film zu tun haben“ konkretisiert und erweitert die Aussagekraft dahingehend, dass der Unfall als typische Szene eines amerikanischen Films charakterisiert wird. Diese Erkenntnis wird im Sinne des offenen Kodierens mit einem weiteren Kode versehen, der auf das Konzept des Autounfalls als Merkmal amerikanischer Filme verweist und in seiner Bedeutung weit über Turszinskys Äußerung hinausgeht. Er weist abstrahiert formuliert bereits auf den Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen aufgrund inhaltlicher Merkmale hin. Diese Dimension kann der Kode Autounfall im Film nicht adäquat abdecken, weshalb der zusätzliche Kode Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen für dieses Phänomen vergeben wird. Auch dieser Kode verweist über das bezeichnete Konzept hinaus auf eine diskursive Aussage gleicher Benennung. Die Aussage Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen hat allerdings ebenfalls einen hypothetischen Status, der sich erst anhand weiterer Textquellen bewahrheiten muss. An dieser Stelle lässt sich zusammenfassen, dass sich durch das Verfahren des offenen Kodierens bereits zwei Konzepte ableiten ließen: das Konzept Autounfall im Film aus zwei Äußerungen und das Konzept Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen aus einer Äußerung. Diese Konzepte stellen im Rahmen der Diskursanalyse Aussagen dar. Vollzieht man im Anschluss den nächsten Schritt in der Logik des offenen Kodierens, so werden die Konzepte nun zueinander in Beziehung gesetzt, um Kategorien generieren zu können. Es gilt, aus den Konzepten eine gemeinsame Aussage zu abstrahieren und diese allgemeingültig zu benennen. Momentan zeichnet sich so die vorläufige Kategorie „Autounfall“ ab, die die beiden Konzepte subsumiert, ohne inhaltliche Abschneidungen und Reduzierungen vorzunehmen. Über die Kategorienbildung erfolgt auch im Sinne der Diskursanalyse ein analytisches Voranschreiten in Richtung der Betrachtung der Beziehungen zwischen den diskursiven Aussagen. Die Aussagen Autounfall im Film und Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen haben inhaltliche Verbindungen, die sich in der Kategorie Autounfall objektivieren und diskursanalytisch als Aussageformationen beschreib- und benennbar sind. Im Verständnis der Diskursanaly-
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se stellt eine Aussageformation eine Verbindung bzw. ein Gefüge verschiedener Aussagen dar, die auf der einen Seite eine weitere Abstraktion ermöglichen, auf der anderen Seite komplexe Aussagezusammenhänge hervorbringen können, die wiederum fähig sind, einen Teildiskurs zu bilden. Es kann hier aber noch nicht von einem Teildiskurs Autounfall gesprochen werden, da dieser im Sinne des Theoretischen Sampling noch nicht ausreichend an weiterem Textmaterial bestätigt wurde. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich in der Textpassage von Schultze zusätzlich Äußerungen finden, deren Phänomene zur Etablierung von zwei weiteren Teildiskursen beitragen, die wesentlich für die Generierung des Automobildiskurses in der Filmtheorie sind. So findet sich in Zeile 1 und 2 die Äußerung, „wenn uns eine Jagd auf Verbrecher vorgeführt wird, die nacheinander alle möglichen Verkehrsmittel benutzen, um den Verfolgern zu entrinnen“. Diese bringt zwei Phänomene, nämlich „Verbrechen“ und „Verfolgung“, mit dem Automobil in Verbindung und verweist damit auf zwei weitere diskursive Elemente. Auch wenn deren Generierung hier nicht exemplarisch vorgeführt wird, sei darauf aufmerksam gemacht, dass die Textpassage von Schultze auch eine frühe Quelle der Generierung der Diskurselemente Automobil und Verbrechen und Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit darstellt. Auch diese Teildiskurse nehmen ihren Ursprung u.a. ausgehend von der Textpassage Schultzes ebenfalls bereits in frühen Formulierungen und Beschreibungen im Rahmen filmtheoretischer Reflexionen. Die Erwähnung weiterer Teildiskurse neben der im Ansatz bereits herausgearbeiteten Aussageformation Autounfall und den Aussagen Autounfall im Film und Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen veranschaulicht schon an dieser Stelle die Konzeption des Diskurses als eine polydimensionale Konstellation verschiedener diskursiver Elemente zu einem Untersuchungsphänomen. Vor dem Hintergrund der Grounded Theory gesprochen, gewinnt die sich herausbildende Theorie durch die Beziehung ihrer Komponenten zueinander, aber auch durch das analytisch motivierte in Beziehung setzen verschiedener Konzepte und Kategorien, an Gestalt. Letztlich exemplifiziert sich dadurch, dass in der hier betrachteten Textpassage gleichzeitig mehrere diskursive Äußerungen angelegt sind, im Ansatz bereits die Dichte des sich über die vielfältigen Beziehungen diskursiver Elemente generierenden Diskurses. Ferner zeigt sich deutlich, dass Teildiskurse und diskursive Element nicht losgelöst voneinander existieren oder nur eine lose, über den thematischen Rahmen konstruierte Verbindung zueinander haben. Vielmehr stehen sie für verschiedene, in sich konsistente Dimensionen, die sich jedoch erst in ihrer Konstellation zueinander zu einem Diskurs formieren, der einen verfestigten Rede- und Argumentationshaushalt zu einem Gegenstand bildet und diesen dadurch gleichzeitig hervorbringt.
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Resümierend lässt bereits ausgehend von Schultzes (1911) und Turszinskys (1993 [1910]) frühen Äußerungen, aufzeigen, dass hier verschiedene Phänomene angelegt sind, die potentiell die Fähigkeit haben, unterschiedliche Teildiskurse des Automobildiskurses der Filmtheorie anzuzeigen und auszubilden. Eine weitere Stabilisierung erfährt die Aussageformation Autounfall durch die folgende Textpassage, die ebenfalls aus Schultzes7 Schrift Der Kinematograph als Bildungsmittel stammt. „Er sieht und hört nichts – und wie er mit der Dampfwalze zusammenstößt, fällt er der Länge nach hin, mit zermalmender Kraft geht sie langsam über seinen Körper, und wir sehen am Boden nur noch eine breitgequetschte Masse, die deutlich die Uniformumrisse eines menschlichen Körpers zeigt: selbstverständlich eine Puppe, die bei der kinematographischen Aufnahme in diesem Augenblick eingeschoben wurde.“ (Schultze 1911, 53)
Da die in Zeile 1 benannte Dampfwalze ein automobiles Fahrzeug ist, skizziert die Textpassage das Szenario eines Autounfalls. Sie kann somit als eine diskursive Äußerung verstanden werden, deren abstrahierbarer Gehalt durch offenes Kodieren mit dem Kode Autounfall im Film zu versehen ist und so die subsumierende diskursive Aussage Autounfall im Film weiter festig. Betrachtet man den Inhalt der Textpassage allerdings genauer und zieht den weiten Kontext hinzu – die Textpassage findet sich in einem Abschnitt mit dem Titel Trickfilms, die Schultze als Filme versteht, die „Theaterkniffe oder Varietékünste vorführen“ (Schultze 1911, 53) –, entdeckt man in der beschriebenen Filmszene das Aufdecken der tricktechnischen Realisierung der Darstellung eines Autounfalls. In Zeile 4 und 5 beschreibt Schultze den sogenannten Stopptrick, durch den der Schauspieler durch eine Puppe ersetzt wird. Diese Schilderung kann abstrahierend als Filmische Realisierung eines Autounfalls kodiert werden, wodurch sich über die Grounded Theory ein weiteres Konzept abzeichnet, welches die diskursive Aussage Filmische Realisierung eines Autounfalls vorerst hypothetisch hervorbringt. Auch diese muss sich an anderen Textpassagen verifizieren oder erweitern lassen, um Stabilität und Aussagekraft zu gewinnen. Die Aussagen Filmische Realisierung eines Autounfalls, Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen sowie Autounfall im Film weisen vor dem Hintergrund der Diskursanalyse auf die Aussageformationen Autounfall hin, da sie ein spezifisches (inhaltliches) Gefüge verschiedener Aussagen und Äußerungen anzeigen, welches an dieser Stelle noch hypothetisch ist, aber einen homogenen Gehalt in verschiedenen Formen thematisiert – den Auto7
Um die Nachvollziehbarkeit zu wahren, wird für diese Textpassage nachfolgend die Kurzbezeichnung Schultze2 verwendet.
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unfall. Dieser homogene Gehalt ließ sich durch das offene Kodieren der Grounded Theory methodisch geleitet bestimmen. Sind sie jedoch beständig und wiederkehrend, so sind sie fähig, einen komplexen und mehrdimensionalen Teildiskurs systematisch zu etablieren. In diesem (exemplarischen) Fall den Teildiskurs Autounfall, da sich in allen drei Kodes die Grundaussage Autounfall findet, die den kategorialen Kern aller Kodes bildet und sich damit durch das offene Kodieren der Grounded Theory Autounfall als eine Kategorie herausbildet. Durch das gezielte Theoretische Sampling nach weiteren homogenen Textpassagen und die sukzessive Auswahl weiterer Äußerungen, gilt es, den vermuteten Teildiskurs (im Sinne der Diskursanalyse) bzw. die Kategorie (im Sinne der Grounded Theory) weiter zu konkretisieren und über die Konzepte (im Sinne der Grounded Theory) bzw. Aussagen (im Sinne der Diskursanalyse) weiter zu dimensionalisieren. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass in keiner der drei Textquellen, die, ausgehend von der Betrachtung als diskursive Äußerungen als potentiell fähig, Aussagen und Aussageformationen auszubilden, befunden wurden, der Autounfall direkt benannt wurde. Die Bezeichnung beruht auf methodischen Verfahren der Grounded Theory, die den Weg zu analytisch abstrahierenden Kodierungen und damit auch zu nachvollziehbaren diskursanalytischen Betrachtungen geebnet haben. Auf diese Art und Weise lässt sich auch in einer Textpassage von Georg Lukács aus seinen 1913 erschienenen Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos8 ein Phänomen identifizieren, welches fähig ist, eine diskursive Aussage zu sein. In dieser frühen grundlegenden Studie zur Ästhetik des Films beschreibt er – verdeutlicht man sich für die Analyse den weiten Kontext – den Film als dazu prädestiniert, die physische Realität darzustellen und Prozesse der Moderne und der Großstadt sowie deren technische Errungenschaften zu thematisieren. Er erwähnt das Automobil hier mehrmals, so auch in folgender, diskursanalytisch interessanter Textpassage. „Auch rein mechanisch kann das ‚Kino’ phantastisch werden: wenn die Filme in umgedrehter Reihenfolge gedreht werden und Menschen unter den sausenden Autos aufstehen, wenn ein Zigarrenstummel durch das Rauchen immer größer wird, bis schließlich im Moment des Anzündens die unberührte Zigarre in die Schachtel zurückgelegt wird.“ (Lukács 1978 [1913], 116, Herv. i. O.)
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Dieser Text stellt eine geringfügig veränderte Version einer bereits 1911 unter dem gleichen Titel erschienenen Fassung des Textes dar.
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In Zeile 2 und 3 findet sich das Phänomen „Menschen unter den sausenden Autos aufstehen“, welches beschreibt, wie Personen, die in einem Film von einem Automobil überfahren wurden, also einen Autounfall hatten, wieder unter diesem hervorkriechen und aufstehen bzw. der Autounfall rückgängig gemacht wird. Dieses stellt eine diskursive Äußerung dar, die zum Ausbau der Aussage Autounfall im Film beiträgt. Schaut man sich jedoch den engen Kontext, in dem die Textpassage und damit auch die Äußerung steht, an, geht es darum, dass die filmische Wirklichkeit nicht an die Alltagswirklichkeit gebunden ist und mittels filmischer Tricktechnik „phantastisch“ werden kann. Eine dieser Möglichkeiten beschreibt Lukács anhand eines Autounfalls, der dadurch, dass er rückwärts abläuft, eine Automobildarstellung ermöglicht, die sich abseits der Realität abspielt. Vor diesem Hintergrund verweist das Phänomen zusätzlich auf den Kode Filmische Realisierung eines Autounfalls, bzw. kann abstrahierend mit diesem belegt werden. Damit unterstützt es die diskursive Aussage Filmische Realisierung eines Autounfalls, die bereits bei Schultze2 (1911) abgeleitet wurde, auch wenn sich das Phänomen von Lukács im Detail davon unterscheidet, da es sich hier nicht um den Stopptrick, sondern um das Rückwärtsabspielen eines Films handelt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es bei der Bezeichnung der Konzepte, und damit der Aussagen, um den abstrahier- und generalisierbaren Gehalt geht – und dieser subsumiert sich bei Schultze2 wie bei Lukács unter der Generierung der Aussage Filmische Realisierung eines Autounfalls. Auch die folgende Textpassage aus Konrad Langes 1913 erschienener Monografie Die Kunst des Lichtspieltheaters findet nur über ein abstrahierendes Kodieren Eingang in das Sample des Analyseteilkorpus von diskursiven Äußerungen zum Autounfall im Film. „Und dazu nehme man nun den sensationellen Inhalt dieses Schundfilms, diese raffinierte Anhäufung alles Rohen, Gemeinen und Perversen, was es je in der Welt gegeben hat: Mordanschläge, Brandstiftungen, Verbrecherverfolgungen, Eisenbahnunglücke, Menschen in der Gewalt reißender Tiere, Martyrien, Stierkämpfe, explodierende und den Abhang herunterstürzende Kraftwagen und was dergleichen schöne Dinge mehr sind, die auch ohne Worte, rein durch das Geschehnis als solches erschreckend, ängstigend und schaudererregend wirken.“ (Lange 2004 [1913], 84)
Die Äußerung „explodierende und den Abhang herunterstürzende Kraftwagen“ in Zeile 4 und 5 kann als Autounfall im Film kodiert werden, was die diskursive Aussage Autounfall im Film als den typischen, abstrahierbaren Gehalt einer konkreten Äußerung, der sich auf abstrakterem Niveau in zahlreichen unterschiedlichen Äußerungen finden und rekonstruieren lässt, weiter festigt. Gleichzeitig kann die Aussage unter die Aussageformation Autounfall subsumiert werden, die sich durch ihre zunehmende Manifestierung als Teildiskurs abzeichnet.
3.4 Exemplarische Darstellung der Generierung eines Teildiskurses
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Aber auch die Textpassage von Lange benennt nicht nur eine AutounfallSzene als Inhalt von Filmen und damit eine spezifische Form der Erwähnung des Automobils in der Filmtheorie. In Zeile 6 bis 7 beschreibt er die potentielle Wirkung einer solchen Szene. Ein Automobilunfall kann „auch ohne Worte, rein durch das Geschehnis als solches erschreckend, ängstigend und schaudererregend wirken“. Diese Einschätzung lässt sich aufgrund ihres Phänomencharakters zu dem vorläufigen Konzept Autounfall als rezeptives Angsterlebnis zusammenfassen, wodurch sich die Aussageformation Autounfall weiter etabliert und gleichzeitig um eine neue Dimension erweitert wird. Diese erneute Dimensionierung verstärkt auch die Vielschichtigkeit und thematische Gestalt der Aussageformation Autounfall und gibt im Sinne des offenen Kodierens einen weiteren Hinweis auf den Teildiskurs Autounfall. Zu betonen ist auch noch Langes Konstatieren einer „raffinierten Anhäufung“ (Zeile 1 und 2) von neben anderen rohen, perversen und gemeinen Elementen auch der des Autounfalls, womit er die Häufigkeit von Autounfällen im Film der 1910er-Jahre betont. Ein Hinweis, der dem Diskurselement Autounfall auch eine quantitative Relevanz gibt. Eine frühe explizite Benennung eines Autounfalls als filmisches Motiv findet sich in Franz Bleis Artikel Kinodramen. Ein Brief aus dem Jahr 1913. „Und was diese andern gewissen Kinostücke anlangt, welche den Menschen in die sogenannten Wunder der Technik hineinphotographieren, in Autounfälle, Eisenbahnzusammenstöße, Aeroplanabstürze, zusammenbrechende Minen und was derlei mehr, so bin ich für mich persönlich mit meiner Begeisterung wohl bei der geistigen Tat des Erfinders, nicht aber bei der praktizierten Erfindung selber.“ (Blei 1963 [1913], 310)
In Zeile 1 und 2 der Textpassage findet sich die Äußerung, „den Menschen in sogenannte Wunder der Technik hineinphotographieren, in Autounfälle“. Hier wird die bisher nur über die Abstraktionsleistung des offenen Kodierens generierte Kodierung Autounfall im Film direkt im Datenmaterial benannt. Damit findet sich der Begriff und das damit bezeichnete Phänomen Autounfall unmittelbar in einer filmtheoretischen Textquelle. Die Aussageformation Autounfall als verschiedene Äußerungen und Aussagen subsumierendes diskursives Element gewinnt dadurch erheblich an Stabilität, Aussagekraft und Relevanz. Die direkte Erwähnung und Benennung eines Autounfalls im Film gibt der hypothetischen Aussageformation Autounfall zudem eine sprachlich fixierte Basis, die als ethnokategorial bezeichnet werden kann, da sie sich nun direkt aus einer filmtheoretischen Textquelle ableitet. Unter nochmaligem Rückblick auf die im Vorfeld betrachteten Textpassagen und im Hinblick auf die Pointierung bei Blei
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3 Theoretische und methodische Voraussetzungen
wurde die Bezeichnung dieses diskursiven Elements noch einmal überdacht und in Szenarien des Autounfalls umbenannt. Dieses erfasst die Varianten der Darstellung des Autounfalls in den Theoretisierungen zum Film präziser. Im Folgenden wird daher vom diskursiven Element Szenarien des Autounfalls als Teildiskurs gesprochen. Zieht man den weiten Kontext hinzu – Blei kritisiert in seinen Ausführungen u.a., dass die Filme der Zeit den Menschen zugunsten der Darstellung von Technik vernachlässigen –, findet sich hier ebenfalls ein Hinweis auf die hohe Verbreitung der filmischen Darstellung des Autounfalls in den Filmen der 1910er-Jahre und damit eine Thematisierung des Automobils innerhalb der Filmtheorie. Wie schon bei Lange (2004 [1913]) und Turszinskys (1993 [1910]) klingt auch bei Blei bereits ein leichter Überdruss an der Darstellung von automobilen Filmszenen an, welcher aber umso mehr auf deren Häufigkeit verweist, die es vor dem Hintergrund der vorliegenden Untersuchung zu betonen gilt. Dennoch verweist Blei direkt auf die damalige Affinität des Films zu Wundern der Technik und charakterisiert das Automobil als ein solches. Diese allgemeine Technik- und auch Autoverliebtheit des frühen Films wird im Rahmen der Arbeit eine Rolle spielen, wenn es darum geht, zu erklären, warum gerade frühe Filmtheorien so häufig und vielfältig das Automobil thematisieren. An dieser Stelle muss es bei einem Ausblick bleiben, der allerdings ein weiteres Mal anzeigt, wie vielschichtig und dimensioniert die auf einen Teildiskurs verweisenden Aussagen zum Autounfall im Film sich bereits in den 1910er-Jahren in der filmtheoretischen Reflexion als Bestandteil eines frühen Automobildiskurses abzeichnen. Auf die grundsätzliche Relevanz und Prädestinierung des Automobils, Bestandteil eines Films zu sein, verweist Elsa Asenijeff in ihrem 1913 in Kurt Pinthus Kinobuch veröffentlichten (theoretischen) Filmentwurf Die Orchideenbraut. Ein Film in drei Akten dadurch, dass sie das Automobil und den Autounfall eine entscheidende Rolle spielen lässt. „Er setzt sich ins Auto auf den Chauffeurplatz und fährt los. Man sieht ihn auf einer, das Wasser entlang führenden Chaussee fahren und dann auf die gepflasterte Dorfstraße einbiegen. Von weitem kommt auf der Straße das Pferd der Gräfin dem Auto entgegen. Ein Kind, das die Gräfin gepflegt hat, will ihr zuspringen, um ihr Blumen zu reichen; es bemerkt daher das kommende Auto nicht. Vanderem hat wieder seine starren, großgeöffneten, dämonischen Augen – er sieht das Kind nicht. Erst im letzten Moment, als Leute aufkreischen, Hände ringen und das Auto ganz nahe ist, erblickt er es und biegt scharf ab, um das Kind zu retten. Das Auto stürzt dabei um, und Vanderem wird herausgeschleudert. Entsetzen packt die Anwesenden. Niemand traut sich heran, obwohl die ganze Straße sich mit erschrockenen Menschen füllt, weil das Auto zu brennen beginnt.“ (Asenijeff 1963 [1913], 62)
3.4 Exemplarische Darstellung der Generierung eines Teildiskurses
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Betrachtet man die gesamte Textpassage als eine diskursive Äußerung, lässt sich vor allem aus dem engen Kontext ableiten und besonders aus den Schilderungen in Zeile 8 bis 9, dass es sich hier um den Entwurf eines filmischen Autounfalls handelt. Auf dieser Grundlage kann der Kode Autounfall vergeben werden, wodurch der Teildiskurs Szenarien des Autounfalls weiter verfestigt wird. Gerade dadurch, dass es sich bei der Äußerung Asenijeffs nicht um eine Theoretisierung über den Film handelt, sondern, betrachtet man den weiten Kontext, um einen konkreten Entwurf für einen zu realisierenden Filmstoff, gewinnt die Äußerungen an diskursiver Bedeutung. Pinthus versammelt nämlich in seiner kanonischen Textsammlung Entwürfe von Schriftstellern, die die Spezifik der filmischen Möglichkeiten herausstellen, um den Film von Theater und Literatur abgrenzbar zu machen. Dies geschieht seiner Meinung nach hauptsächlich dadurch, dass der Film auf aktuelle Ereignisse und Gegebenheiten Bezug nimmt. Der filmische Autounfall scheint für einen, sich vom Theater und der Literatur emanzipierenden Film besonders geeignet zu sein. Asenijeff setzt ihn als Exposition für ein sich entwickelndes Liebesdrama ein und verweist damit auf den Autounfall als beliebtes filmisches Motiv, welches sich als theoretische Beobachtung bereits bei Turszinsky (1993 [1910]) und Schultze (1911) findet. Durch diese Thematisierung des Autounfalls aus dem Versuch einer praktischen und schöpferischen Filmarbeit heraus, gewinnt der Teildiskurs Szenarien des Autounfalls an Dichte und Vielschichtigkeit, da sich seine Relevanz auch aus der Perspektive, wenn auch nur mit dem Charakter eines Entwurfs, einer Praktikerin auf diesem Gebiet analytisch generieren lässt. Die Vielschichtigkeit des Automobildiskurses aber auch die Stabilität der Teildiskurse generieren sich aus einer durch das Theoretische Sampling hinzugezogenen Textpassage von Hugo Münsterberg, der 1916 die erste psychologisch motivierte Monografie zum Film mit dem Titel The Photoplay. A Psychological Study veröffentlicht. „Wir genossen das rasende Tempo, mit dem wir dem Flüchtenden über die Dächer der Stadt folgen konnten, treppauf und treppab, in den Keller und auf den Boden. Wir sprangen mit ihm in das Automobil und jagten über die Landstraßen, wobei der Hintergrund x-mal in der Minute wechselte, bis der Missetäter über eine Brücke ins Wasser stürzte, wobei der von der Polizei gefasst wurde.“ (Münsterberg 1996 [1916], 109)
In dieser Textpassage zeigt sich, wie bereits bei Schultze (1911) sehr deutlich, dass eine diskursive Äußerung nicht darauf beschränkt sein muss, durch das offene Kodieren der Grounded Theory nur mit einer Kodierung belegt zu werden. Fokussiert man die Verständnismöglichkeiten, die in der Textpassage angelegt sind, und realisiert damit den Anspruch von Diskursanalyse und Grounded Theory, die Daten als solche sprechen zu lassen, transportiert die Äußerung mehrere kodierfähige Phänomene.
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3 Theoretische und methodische Voraussetzungen
Zunächst kann der Kode Autounfall in Film vergeben werden, da sich aus der Formulierung erschließt, dass sich der „Missetäter“ im vorher in Zeile 3 erwähnten Automobil befindet, dessen Fahrt dadurch endet, dass es von der Brücke stürzt. Münsterberg beschreibt hier eindeutig ein filmisches Szenario, welches einen Autounfall darstellt. Diese kodierte Abstraktion lässt sich unter den Teildiskurs Szenarien des Autounfalls subsumieren und verdichtet diesen weiter. Die Äußerung lanciert durch die Phänomene „mit dem wir dem Flüchtenden über die Dächer der Stadt folgen konnten, treppauf und treppab, in den Keller und auf den Boden“ und „bis der Missetäter“ zusätzlich die bereits bei Schultze (1911) erwähnten Teildiskurse Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit sowie Automobil und Verbrechen. Auch wenn deren Generierung hier nicht exemplarisch vorgeführt wird, sei darauf verwiesen, dass die Textpassage von Münsterberg neben der von Schultze damit eine frühe Quelle der Generierung dieser Teildiskurse darstellt. Axial kodiert stehen die Teildiskurse über ihre unmittelbare und kontextualisierende Dimensionierung Autounfall auch mit dem Teildiskurs Szenarien des Autounfalls in Verbindung und verdeutlichen damit die polydimensionale Verfasstheit des Automobildiskurses in der Filmtheorie. Aber auch die Äußerung in Zeile 3, „wir sprangen mit ihm in das Automobil“, ist diskursanalytisch interessant. Sie zeigt einerseits das Anliegen Münsterbergs, sich mit psychologischen Dimensionen des Films zu beschäftigen, andererseits den weiten Kontext seiner Schrift. Unter anderem arbeitet er heraus, dass der Film bestimmte Strategien verwendet, um den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Münsterbergs Formulierung „wir sprangen mit ihm“ verweist, auch wenn er es nicht so nennt, auf die Möglichkeit der empathischen Teilhabe während der Rezeption von Filmen. Diese ermöglicht es, „mit“ dem Protagonisten Teil der filmischen Narration zu werden. Betrachtet man die gesamte Formulierung (Zeile 3 bis 5), schildert Münsterberg, wie der Zuschauer mit dem „Missetäter“ in das Automobil springt und mittelbar durch seine Involvierung mit verunfallt, indem er „über die Brücke ins Wasser“ stürzt. Diese Interpretation ermöglicht die Kodierung in die bereits bei Lange (2004 [1913]) abstrahierte Richtung hinsichtlich der Aussage Autounfall als rezeptives Angsterlebnis. Damit erhöht sich einerseits die Aussagekraft, anderseits zeigt sich der Teildiskurs Szenarien des Autofalls als ein verfestigter und argumentativ strukturierter Aussagekomplex. In Zeile 1 findet sich mit „das rasende Tempo“ eine zusätzliche diskursanalytisch interessante Äußerung, die Eingang in den hier ebenfalls nicht weiter erläuterten Teildiskurs Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit findet. Eine sehr aussagekräftige Textpassage hinsichtlich der Dynamisierung und Komplexitätsverdichtung des Teildiskurses Szenarien des Autounfalls stammt aus Paul Liesegangs Handbuch der praktischen Kinematographie aus dem Jahr 1918.
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„Noch ein Beispiel der Aufnahmeunterbrechung! Der Kinematograph führe folgende Szene vor, die in Figuren 183 bis 185 angedeutet ist. Ein Betrunkener liegt auf der Straße. Ein Automobil saust heran und fährt ihm beide Beine ab (Fig. 4 182). Der Mann schreit und schwenkt die Beine in der Luft (Fig. 183). Das Auto hält, der Insasse läuft heran, er flickt ihm die Beine wieder an (Fig. 184) und beide ziehen zufrieden von dannen (Fig. 185). – Nun die Lösung! Auch hier wird die Aufnahme unterbrochen, und zwar zuerst in dem Moment, wo das Automobil herangekommen ist. Das Auto hält an. Der Betrunkene wird ersetzt durch einen Krüppel, dem beide Beine fehlen, und ein Paar künstlicher Beine werden davor gelegt.“ (Liesegang 1918, 389)
In dieser sehr detaillierten Beschreibung der filmischen Darstellung eines Autounfalls schildert Liesegang im Rahmen des Kapitels Herstellung kinematographischer Aufnahmen den sogenannten Stopptrick am Beispiel der Inszenierung eines Autounfalls. Er geht jedoch weit über die kurze Erklärung Schultzes2 (1911) hinaus, indem er den Realisierungsprozess genau und bildreich beschreibt. Abstrahierend lässt sich diese umfangreiche Erläuterung eindeutig im Rahmen der Aussage Filmische Realisierung eines Autounfalls verorten. Aber auch allein aus der Tatsache, dass die filmische Umsetzung eines Automobilunfalls en détail veranschaulicht wird, ergibt sich ein Hinweis darauf, welchen Stellenwert dessen Darstellung im Film der 1910er-Jahre gehabt haben muss. Den frühen Theoretikern ist es nicht nur wichtig, auf den Autounfall im Film in zahlreichen, bereits herausgearbeiteten Formen zu verweisen, sondern auch genau zu reflektieren und dadurch offenzulegen, wie er sich filmisch realisieren lässt. Eine zusätzliche Dimension bekommen die Ausführungen Liesegangs, wenn man sich die Bebilderungen, die er benutzt, genauer betrachtet. Die gezeichneten Standbilder entsprechen motivisch eindeutig den Fotografien, die Frederick A. Talbot bereits 1912 in seiner Monografie Moving Pictures. How they are made and worked verwendet. Er beschreibt in dem Kapitel Trick Pictures and how they are produced ausführlich die tricktechnische Realisierung eines Automobilunfalls am Beispiel des Films Automobile Accident (R: Louis Feuillade, Frankreich 1907). Auf diese Weise kann einerseits der Beispielfilm Liesegangs identifiziert werden, anderseits lässt sich aus der sehr umfangreichen Darstellung des Films und seiner tricktechnischen Realisierung durch Talbot die Aussage Filmische Realisierung eines Autounfalls generieren. „A film which created a sensation when it appeared was‚Automobile Accident’. A workman, who has imbibed not wisely but too well, is homeward bound, and describes grotesque geometrical patterns as he advances along the thoroughfare. Presently he is smitten with an irresistible desire to sleep. Although the couch is hard and dangerous he lies down in the middle of the road, and in a few seconds is in the arms of Morpheus. While he is sleeping peacefully a taxi-cab comes along at a smart pace, and, not observing the slumbering form of the roysterer, the chauffeur drives
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over him, cutting off both his legs. The shock awakes the man rudely, and he is surprised to find his lower limbs scattered across the roadway. The chauffeur is horrified by the unfortunate accident; but his fare, on the contrary, a doctor, is not much perturbed. He descends from his carriage, picks up the dismembered limbs, replaces them in position, assists the afflicted man to his feet, and after shaking hands each proceeds on his separate way, the workman resuming his journey as if nothing had happened.” (Talbot 1912, 211f, Herv. i. O.)
Bemerkenswert an dieser Textpassage ist, dass hier nicht nur eine Automobilszene bzw. ein Autounfall in einem Film beschrieben werden, sondern der Autounfall, seine Folgen und deren Beseitigung das zentrale Thema des Films bilden. Zusätzlich wird hier erstmals ein konkreter Film namentlich benannt, der zusätzlich noch die Bezeichnung des Teildiskurses Szenarien des Automobilunfalls direkt im Titel trägt – Automobile Accident. Besondere Bedeutung kommt der Formulierung in Zeile 1 „A film which created a sensation when it appeared was ‚Automobile Accident’“ zu, da diese dem Film einen Sensationswert zuschreibt und damit auf die Aufmerksamkeit generierende Wirkung des Themas Automobil im Film der 1910er-Jahre verweist. 3.4.1 Schlussfolgerungen Als Quintessenz bleibt zur Frühphase des filmtheoretischen Denkens (19071919) an dieser Stelle festzuhalten, dass sich bereits in filmtheoretischen Publikationen, die bis zum Ende der 1910er-Jahre erscheinen, zahlreiche Äußerungen finden, die den Autounfall im Film als Thematisierung des Automobils in der Filmtheorie so verhandeln, dass sich ein Teildiskurs Szenarien des Automobilunfalls aus konkreten Äußerungen und Aussagen ableiten ließ. Zum Teildiskurs formieren sich durch offene und axiale Kodierungen und das damit verbundene Theoretische Sampling der Grounded Theory die Aussagen Autounfall als rezeptives Angsterlebnis, Autounfall im Film, Autounfall als Kategorisierungsmerkmal zur Einordnung von Filmen sowie Filmische Realisierung eines Autounfalls. All diese Aussagen und Äußerungen verweisen wiederum durch ihre Verbindungen und die Tatsache, dass sie teilweise aus identischen Textpassagen hervorgehen, auf einen Teildiskurs, der in der Terminologie die Aussage Autounfall im Film aufnimmt und die Kerndimension, die allen weiteren Aussagen zugrunde liegt, zuordnend aufgreift. Der Teildiskurs Szenarien des Autounfalls stellt damit eine mehrdimensionale und abgrenzbare Konstellation von Aussagen und Aussageformationen dar, der die Art und Weise, wie in den 1910er-Jahren Automobil und Film in der Filmtheorie in Beziehung zueinander treten, festhält. Zusammenfassend bedeutet dies, dass, wenn in den filmtheoretischen Schriften der 1900er-
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und 1910er-Jahre ein Zusammenhang zwischen Automobil und Film entwickelt und thematisiert wird, dann auch über Äußerungen zum Autounfall im Film. Es sei darauf verwiesen, dass durch das komparative in Beziehung setzen der hier generierten Aussagen zu anderen im Verlauf der in den gesamten Analysen abgeleiteten Aussagen und diskursiven Elementen – realisiert durch axiales und offenes Kodieren – diese letztlich essentiell zur Ableitung und Herausarbeitung der Teildiskurse Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, Filmische Realisierung der Automobildarstellung, Automobil als Erlebnis sowie Automobil als klassifizierendes Element beitragen. Dabei gehen die Aussagen, die den Teildiskurs Szenarien des Autounfalls hervorbringen letztlich in anderen Teildiskursen auf, wodurch die Dichte des Diskurses deutlich wird. Eine Dichte, die bereits hier anzeigt, dass die Bewegungsdimension des Automobils eines der wesentliche Elemente der Thematisierung des Automobils ist, welches von den frühen Theoretikern dazu genutzt wird, über den Film und seine Spezifik zu reflektieren. Das hier sukzessive analytisch offengelegte Diskurselement Szenarien des Autounfalls zeigt sich auch in der Form der Thematisierung des Automobils im Film in anderen Phasen der Filmtheorie, so beispielsweise im Rahmen der ästhetischen Filmtheorie der 1920er- und 1930er-Jahre. Hier widmen sich u.a. Walter Bloem (1922) oder Wsewolod I. Pudowkin (1961 [1928]) dem Autounfall, wobei bei letzterem die Reflexionen über die filmische Realisierung des Autounfalls ihren theoretischen Höhepunkt erreichen. Nicht zuletzt zeigt eine Textpassage von Edgar Morin, der in seinem 1956 erschienenen Werk Der Mensch und das Kino auf die Möglichkeit der Partizipation des Zuschauers am filmischen Geschehen am Beispiel des Autounfalls im Film verweist, das konstante Interesse am Szenario des Autounfalls. „Die verminderte, praktisch abgewertete Realität des Bildes hat jedenfalls ihre Vorzüge vor einer gefährlichen Realität – Meeresstürme, Autounfall –, denn sie ermöglicht es, zwar bescheiden, doch in harmloser Weise den Rausch des Wagnisses zu genießen“ (Morin 1958 [1956], 106).
Hier zeigt sich beispielhaft, wie aktuell diese Form der Behandlung des Automobils im Film vor dem Hintergrund des Realismus auch während dieser Phase der Filmtheorie ist. Neben der Verdeutlichung der Gegenstandsangemessenheit der methodischen Vorgehensweise und der Möglichkeit, durch die Verfahren der Grounded Theory diskursive Elemente inhaltlich herauszuarbeiten, konnte mit der exemplarischen Darstellung der Generierung des Teildiskurses Szenarien des Autounfalls auch der theoretische Entwurf der Kombination von Diskursanalyse und Grounded Theory praktisch veranschaulicht und der Mehrwert, nämlich auf diese
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3 Theoretische und methodische Voraussetzungen
Weise methodisch geleitet und transparent diskursanalytisch arbeiten zu können, aufgezeigt werden. Dabei hat sich gezeigt, dass die herausgearbeiteten diskursiven Elemente immer nur einen Status quo darstellen, der an den vorhandenen und neuen Daten, realisiert durch die Verfahren der Grounded Theory, immer wieder hinterfragt werden muss. Ebenso ist augenscheinlich geworden, dass die Datenerhebung und -analyse niemals endgültig abgeschlossen sein kann, da nicht alle potentiellen Daten berücksichtigt werden können. Auch ist die Generierung von Phänomen, Konzepten und Kategorien bzw. Äußerung, Aussagen und Aussageformationen zu keinem Zeitpunkt faktisch beendet. Deutlich ist auch die Flüchtigkeit der Bezeichnungen für die Konzepte und Kategorien, respektive der Aussagen und Aussageformationen geworden. Diese stellen eher eine Art Heuristik für die Bezeichnung des abstrahier- und generalisierbaren Gehalts der zugrunde liegenden Textpassagen und Phänomen dar. Auch diese Bezeichnungen müssen, so wie während der exemplarischen Darstellung veranschaulicht, stets prozesshaft reformuliert und hinterfragt werden. 3.5 Form der Ergebnisdarstellung Die Vorstellung der Ergebnisse der Untersuchung und des sukzessiven, diskursiven Verdichtungs- und Verlagerungsprozesses erfolgt nicht in der Form der exemplarischen Darstellung, sondern die entdeckten diskursiven Elemente werden in eine Aufarbeitung integriert, die diese wieder vor dem Hintergrund der jeweiligen Autoren im Kontext der Phasen der Entwicklung des Automobildiskurses der Filmtheorie verortet und diskutiert. Eine solche Darstellung spiegelt einerseits das analytische Vorgehen, da die Verfahren der Grounded Theory es zwar adäquat ermöglichen, die Diskurselemente zu generieren, die Entwicklung des Diskurses lässt sich aber nur nachvollziehen, wenn die diskursiven Elemente nochmals vor dem Hintergrund der jeweiligen Theorieentwürfe diskutiert werden. Nur so lässt sich deren Einbettung, Positionierung und Stellenwert innerhalb der Theorien reflektieren. Anderseits würde eine Darstellung im Sinne einer reinen Vorstellung der Entwicklung der einzelnen Elemente und Teildiskurse zu kategorial vorgehen und nicht dem Wesen der Diskursanalyse entsprechen, denn letztlich zeigt sich der Diskurs im Umgang mit den Quellen als vielfältiges Gebilde, das seine Impulse letztlich nur aus diesen erhält. Um diesem Anliegen gerecht zu werden, widmen sich die Kapitel 4 bis 7 jeweils einer Phase der Filmtheorie, die sich aus der Analyse der Daten formiert haben, für deren Bezeichnung zum Teil jedoch ergänzend auf die Arbeiten von
3.5 Form der Ergebnisdarstellung
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Helmut H. Diederichs (2004) und Peter Wuss (1990) zur Geschichte der Filmtheorie zurückgegriffen wurde. Innerhalb der Phasen erfolgt, zumeist chronologisch und soweit möglich unter einer inhaltlichen Klammer, die Einzel- und/oder Gruppendiskussion der Autoren hinsichtlich der Thematisierung des Automobils und der Positionierung dieser innerhalb der Theorieentwürfe mit erläuternden Zusatzinformationen. Diese Phasen sind, sofern es möglich und mit der Entwicklung der Filmtheorie vereinbar war, wiederum in Unterphasen und Strömungen gegliedert. Als Abschluss einer jeden Phase bzw. Unterphase oder Strömung werden die diskursiven Elemente stets noch einmal fokussiert unter Zwischenfazit: Automobildiskurs zusammengefasst, diskutiert und bewertet. Die Diskussion des Diskurses und seiner Entwicklung und Konstitution findet damit nahezu ausschließlich in den Zwischenfazits statt, um hier einerseits terminologisch klar die Diskurselemente usw. zu benennen und dadurch andererseits die Kapitel und Unterkapitel der Darstellung der konkreten Theorien und Theoretiker nicht zu überladen und hier nur den „Inhalt“ als solchen wirken zu lassen – womit der Lesbarkeit Vorrang gegenüber einer kategorial und terminologisch aufgeladenen Darstellung eingeräumt wird. Damit bleibt die analytische Struktur und Transparenz gewahrt, denn die Zwischenfazits gehen letztlich in das Kapitel 8 ein, welches den Automobildiskurs in der Filmtheorie noch einmal in einer Zusammenschau darstellt, zu der durch die Zwischenfazits bereits Schritt für Schritt hingeführt wird. Gelegentliche Abweichungen, so in Kapitel 7, in dem teilweise auf ein an den Autoren orientiertes Vorgehen zugunsten einer thematisch orientierten Aufarbeitung verzichtet wurde, ergeben sich daraus, dass die ausgewerteten Daten und die Form der Thematisierung bzw. Diskursivierung des Automobils natürlich einen Einfluss auf die Präsentation haben. Die Wahrung der inneren Logik und die Dynamik der Quellen stehen gemäß der offenen, flexiblen und datenbasierten Anlage einer Diskursanalyse stets im Mittelpunkt. Vor diesem Hintergrund werden gelegentlich auch Besonderheiten in der Verhandlung des Automobils durch einzelne Autoren dargestellt bzw. Thematisierungen fokussiert und diskutiert, die im Rahmen des Automobildiskurses nicht prägnant sind, aber durchaus Teil von diesem sind. Im Sinne der analytischen Transparenz werden die Äußerungen, also die diskursanalytisch relevanten Textpassagen daher möglichst vollständig wiedergegeben, da sie auch in der Ergebnisdiskussion und -darstellung nicht den Status einer bloßen Illustration einnehmen – sondern Daten sind.
3.5 Form der Ergebnisdarstellung
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4 Das Automobil in der Frühphase filmtheoretischen Denkens (1907-1919)
Nach der ersten öffentlichen Vorführung von Filmen durch die Gebrüder Auguste und Louis Lumière im Winter 1895 in Paris und nahezu parallel durch die Gebrüder Max und Emil Skladanowsky in Berlin verbreiten sich die zu mehrminütigen Programmen zusammengestellten kurzen stummen Filme als Jahrmarkts- oder Varietéattraktion, aber auch in Form von Einzelvorführungen in Gasthäusern und öffentlichen Sälen. Ausgehend von ersten dokumentarischen Alltagsaufnahmen und inszenierten dramatischen, akrobatischen und alltäglichen Episoden entwickeln sich, vor allem durch Georges Méliès initiiert und von ihm forciert, zügig tricktechnisch realisierte Illusionen und Phantasiestücke. Mit der wachsenden Beliebtheit und steigenden Nachfrage von Filmvorführungen entstehen bereits um die Jahrhundertwende sogenannte ortsfeste Ladenkinos, die den Grundstein für die heutigen Kinos legen. Vor allem in Dänemark und Italien werden bereits in der ersten Hälfte der 1910er-Jahre abendfüllende, das heißt ein- bis mehrstündige Langfilme, die unmittelbar weltweit Nachahmungen finden, produziert. „Das Jahr 1914 sah den ‚Sieg des Films’ (Jerzy Toeplitz) als neues Medium mit gesellschaftlicher Dominanz: weltweit 60.000 feste Kinos, Hunderte von Millionen Zuschauer, eine kaum noch zu überschauende Zahl von Filmproduktionsgesellschaften mit der Tendenz zum supranationalen Oligopol, ein Netz von Verleihbüros rund um die ganze Welt, ein globaler Markt mit unzähligen Rekorden – z.B. wurden die 2.900 Kinos im Deutschen Reich täglich von 1,392 Mio. Zuschauern aufgesucht; eine Filmkopie wurde dabei durchschnittlich von 100.000 Menschen gesehen, die Filmschlager gar von 13 Mio. Besuchern“ (Faulstich 2005, 32, Herv. i. O.).
Die theoretische Beschäftigung mit dem neuen Medium Film und der damit verbundene Versuch der Bestimmung eines Wesens setzen nahezu zeitgleich mit seiner Erfindung und Entwicklung in der zweiten Hälfte der 1890er-Jahre ein. „In Publikationen der unterschiedlichsten Art, die oft auf den generellen Streit um Wert und Unwert des Films Bezug nahmen, formieren sich relativ früh auch theoretische Gedanken das neue Phänomen betreffend. Der Film wurde als neuer kultureller Faktor gewertet und dabei mehr und mehr in seinen künstlerischen Potentialen erkannt“ (Wuss 1990, 29).
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Das Automobil in der Frühphase filmtheoretischen Denkens (1907-1919)
Zahlreiche der frühen filmtheoretischen Äußerungen, gerade die der 1900er- und 1910er-Jahre, sprechen zumeist noch nicht explizit vom Film, obwohl sie nach heutigem Verständnis genau diesen meinen. Sie verwenden Begriffe wie Lichtspiel, Lichtbild, Wandelbild oder Kinodrama. Auch die Bezeichnungen, die sich nach heutigem Ermessen eher auf das Kino, also die Abspielstätte des Films bzw. die Örtlichkeit der Filmvorführung beziehen – wie Kinema, Cinema, Kientop, Kintopp oder Kintop –, werden zumeist ebenfalls im Sinne einer Benennung des Films, als dem zur Aufführung gebrachten Trägermedium verwendet9. Der Begriff Film in Abgrenzung zur Abspielstätte Kino, setzt sich ebenso wie der Begriff Spielfilm, den angeblich erstmals Hermann Häfker verwendete, erst in den 1920er-Jahren durch und wurde im Plural lange Films oder Spielfilms genannt (vgl. Güttinger 1984a, 23ff.). Im Rahmen dieser Arbeit verwende ich ausgehend von unterschiedlichen Bezeichnungen und Bezüglichkeiten in den Original- bzw. Quellentexten immer den Begriff Film, wenn es sich um das vorgeführte Trägermedium in unserem heutigen Verständnis handelt. Der Begriff Kino bezeichnet dementsprechend immer die Abspielstätte im heutigen Verständnis als Örtlichkeit der Filmvorführung. Auch findet keine explizite Differenzierung zwischen Film- und Kinotheorien statt, als Oberbegriff wird Filmtheorie verwendet. Selbstverständlich wird es gegebenenfalls thematisiert, wenn sich Theoretisierungen eher auf den Ort des Kinos beziehen. In der Frühzeit des Films kann aber noch nicht von umfassenden Theorien gesprochen werden, sondern vielmehr von anfänglichen, theoretisierenden und gelegentlich auch poetisierenden Äußerungen, die versuchen, sich dem Wesen, den Eigenheiten und den Abgrenzungsmöglichkeiten des Films gegenüber Theater und Literatur anzunähern, die Technik der bewegten Bilder zu beschreiben oder in mehr oder weniger theoretisierenden Schilderungen und Reflexionen über Kinobesuche und Filminhalte und damit verbundenen Erfahrungen das neue Medium zu erfassen. In den 1900er- und 1910er-Jahren „wird man“ eine Wesensbestimmung des Films „eher aus Erlebnisberichten ableiten können als aus den theoretischen Abhandlungen, die sich endlos um die Abgrenzung von Kino und Theater drehen und damit das Neue an der Sache gar nicht erfassen“ (Güttinger 1984a, 17). Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass in gleichem Maße wie der frühe Film versuchte, seine Form und seinen Ausdruck zu finden auch das frühe filmtheoretische Denken sich erst erprobte, dabei aber bereits viele Facetten entfalte9
Eine amüsante Randnotiz zur Entstehung der Bezeichnung Kino findet sich bei Walter von Molo, der 1911/12 in einer anekdotischen Schilderung seiner Erfahrungen Im Kino Folgendes schreibt und dabei auch auf das Automobil verweist: „Warum heißt’s eigentlich Kino? Kino? Das ist so eine Umbildung wie Auto, Taxi – Sinn hat’s keinen (…)“ (von Molo 1992 [1911/12], 28).
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te, die in der späteren Filmtheorie wieder aufgenommen, spezifiziert und weitergeführt wurden. Dabei ist festzustellen, dass sich die Publikationen der Frühphase des filmtheoretischen Denkens, bis auf wenige Ausnahmen, zumeist auf dem Niveau der Deskription von in Filmen Gesehenem bewegen und dieses verallgemeinernd darstellen, ohne dabei sehr analytisch oder abstrahierend vorzugehen. Mit den ersten in sich geschlossenen Theorieentwürfen von Hugo Münsterberg (1996 [1916]) und Herbert Tannenbaum (1987 [1912]) ändert sich dies, obwohl auch hier noch der Inhalt des Films und dessen Theoretisierung eine gewichtigere Rolle für die Theoriebildung spielt als das filmische Material oder die Mittel der Kamera und der Montage, zumal diese in den 1900er- und 1910er-Jahren auch noch in den Kinderschuhen stecken und die Faszination des Films primär vom bewegten Inhalt ausgeht. Dennoch nimmt in diesen frühen Reflexionen die Entwicklung des filmtheoretischen Denkens ihren Anfang und die Thematisierung des Automobils hält bereits zu diesem Zeitpunkt massiv Einzug in die theoretischen Darstellungen zum Film. 4.1 Das Automobil in filmtheoretischen Artikeln In der Auseinandersetzung mit dem neuen Medium und seiner rasanten Entwicklung entstehen die ersten bedeutenden und in großer Dichte auftretenden Reflexionen über das Wesen und die Bedeutung des Films im Rahmen der poetologischen und kinodramatischen Diskussion der ersten zwanzig Jahre des 20. Jahrhunderts (vgl. Kaes 1978, Wuss 1990). Vorläufer sind die in der zweiten Hälfte der 1910er-Jahre erscheinenden Filmbesprechungen und Erfahrungsberichte, die bereits rudimentäre Theoretisierungen und Abstraktionen zum Wesen des Films enthalten. Die Auseinandersetzung mit dem Film findet vornehmlich in Artikeln in Zeitungen, Zeitschriften, literarischen Fachzeitschriften, Fachblättern zum Theater- und Schaustellerwesen statt sowie in ab 1907 zahlreich gegründeten Filmzeitschriften, wie beispielsweise der ersten deutschen Publikation dieser Art Der Kinematograph. Organ für die gesamte Projektionskunst10. „Die Auseinandersetzung mit dem Kino war nicht auf ein Publikationsorgan, auch nicht auf einen kleinen Kreis von Kennern beschränkt. Sie war öffentlich in dem Sinne, dass jeder interessierte Leser sich daran beteiligen konnte, wenn sich in der Praxis auch zeigte, dass die Diskussion vor allem von Vertretern der bildungsbürgerlichen Schicht bestritten wurde“ (Kaes 1978, 1f.). 10
Zur Entstehung, Vielfalt und Ausdifferenzierung deutscher Filmzeitschriften vgl. Bernhard Zeller (Hg.) (1976) und Helmut H. Diederichs (2001).
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Inhaltliche Schwerpunkte dieser Äußerungen sind vorwiegend Vergleiche zwischen Film und Theater aber auch zwischen Film und Literatur. Diese bewegen sich zwischen den Polen: Film ist abgefilmtes Theater, und: Film ist eine eigenständige Kunstform. Innerhalb dieses Gefüges agieren die Autoren. Zum Teil lehnen sie den Film ab, besonders aus pädagogischer und kunstwissenschaftlicher Sicht, andere wollen den Film positiv verändern, verbessern und vorantreiben, um seine Potentiale besser ausschöpfen zu können, wieder andere erkennen den Film als neues Phänomen, schätzen ihn diesbezüglich ein und charakterisieren ihn aus sich selbst heraus, halten sich mit einer grundlegenden Bewertung jedoch zurück. Grundsätzlich geht es also bereits hier um das, was die Filmtheorie bis heute im Wesentlichen antreibt, wenn sie „nach den Prinzipien fragt, die dem Film als Medium und Kunstform zu eigen sind. Das Ziel ist die systematische Beschreibung solcher Strukturen und Funktionen, die Film als Medium, als Kommunikationsmittel, als Kunstwerk, als Gegenstand der Geistes-, Kultur- und Ideologiegeschichte auszeichnen“ (Hartmann/Wulff 1997, 125).
4.1.1 Grundlegung der filmtheoretischen Verhandlung des Automobils: Von Méliès zu Bleibtreu Eine Thematisierung eines automobilen Fahrzeugs, des Omnibusses, findet sich bereits in einer sehr frühen Reflexion über den Film. 1907 fasst der noch stark dem Theater verpflichtete Filmpionier Georges Méliès seine aus der Filmpraxis resultierenden Erfahrungen mit dem neuen Medium im dem kurzen Aufsatz Die kinematographischen Bilder theoretisch zusammen. Der für seine zumeist in der Bühnentotale gedrehten und mit zahlreichen Theaterkunststücken versehenen, aber auch durch Kameratricks erweiterten, phantastischen und komödiantischen Filme in die Filmgeschichte eingegangene Theaterbesitzer und Filmregisseur beschreibt in seinen Ausführungen u.a. die Entdeckung des Stopptricks. „Eine Panne des Apparats, dessen ich mich anfangs bediente (ein ganz einfacher Apparat, in dem der Film oft zerriss oder hängenblieb und nicht weiterlaufen wollte), hatte eine unerwartete Wirkung, als ich eines Tages ganz prosaisch die Place de l’Opéra photographierte. Es dauerte einige Minuten, um den Film freizubekommen und die Kamera wieder in Gang zu setzen. Während dieser Minuten hatten die Passanten, Omnibusse, Wagen sich natürlich weiterbewegt. Als ich mir den Film vorführte, sah ich an der Stelle, wo die Unterbrechung eingetreten war, plötzlich einen Omnibus der Linie Madeleine-Bastille sich in einen Leichenwagen verwandeln und Männer zu Frauen werden. Der Trick zum Ersetzen, Stopptrick genannt, war gefunden, und zwei Tage später begann ich damit, Männer in Frauen zu verwandeln und Dinge plötzlich einfach verschwinden zu lassen, was anfangs ja großen Erfolg hatte“ (Méliès 2004 [1907], 39).
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Méliès schildert hier Aufnahmen auf dem Pariser Opernplatz, deren Beschreibung die Erwähnungen von Omnibussen und Wagen beinhaltet. Omnibusse als automobile Fahrzeuge tauchten ab 1895 im Bild großer Städte auf11 und auch von dem erwähnten Leichenwagen kann begründet angenommen werden, dass es sich um ein Automobil handelte, da bereits ab ca. 1900 solche Fahrzeuge als Kranken- und Leichenwagen zum Einsatz kamen (vgl. Voswinckel 1981). Weder der Omnibus noch der Leichenwagen als solche, geschweige denn, deren filmische Bedeutung, finden bei Méliès eine explizite Thematisierung, dennoch ist es bemerkenswert, dass die Entdeckung eines der frühesten Kameratricks und Special Effects, des Stopptricks12, der den Film um eine sich vom Theater emanzipierende, medienspezifische technische Dimension erweiterte, unmittelbar im Zusammenhang mit Automobilen steht. Méliès erwähnt nicht einfach nur ein Automobil als filmisches Element, sondern setzt es in einen funktionalen sowie ursächlichen Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Filmhandwerks und mit der Entdeckung einer künstlerischen Ausdrucksform des Films mit Hilfe seiner materialen und apparativen Möglichkeiten. So sieht beispielsweise Siegfried Kracauer in der Entdeckung des Stopptricks und weiterer tricktechnischer filmischer Möglichkeiten durch Méliès und unter direktem Verweis auf dessen Ausführungen bereits den Beginn einer spezifischen Entwicklungslinie von Filmen mit formgebender und illusionistischer Tendenz: „Das unerwartete Resultat war ein Film, in dem sich aus unerfindlichen Gründen ein Autobus13 in einen Leichenwagen verwandelte“ (Kracauer 1985 [1960], 60). Diese Filme sind kreative Neuschöpfungen einer eigenen phantastischen Welt und bilden einen starken Kontrast zu den Filmen der Gebrüder Lumière, die sich laut Kracauer (1985 [1960]) an der Wiedergabe der bewegten Realität orientierten und damit die realistische Tendenz des Films begründeten (vgl. ebd., 60ff.)14. Als entscheidend bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die erste eruierte Thematisierung eines Automobils in einer als filmtheoretisch zu bezeichnenden Ausführung (vgl. zu dieser Einschätzung Diederichs 2004) 11 12
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Kurt Möser schreibt in seiner Geschichte des Autos: „1895 wurde im Siegerland der DaimlerMotoromnibus in Betrieb genommen“ (Möser 2002, 115). Hierbei wird die Aufnahme der Kamera unterbrochen, ein sich vor der Kamera befindliches Objekt verändert oder ausgetauscht und anschließend wird die Aufnahme fortgesetzt. Bei der späteren Projektion des Films verschmelzen die Veränderungen miteinander, wodurch es möglich wurde, beispielsweise Gegenstände verschwinden oder sich verwandeln zu lassen. Einen Höhepunkt erreichte dieses Verfahren in der Stop-Motion-Animation von Fabelwesen im Realfilm durch Ray Harryhausen oder auch in der Trickfilmkunst (vgl. Hoffman 1997). Die unterschiedliche Wortwahl, Autobus bei Kracauer und Omnibus bei Méliès, ergibt sich sicherlich aus den verschiedenen Übersetzungen. Diese Unterscheidung Kracauers ist jedoch eine rein theoretische, da es sich, wie zahlreiche Autoren festgestellt haben, bereits bei den ersten Filmen der Gebrüder Lumière, wie bei jeglichem Film, um inszenierte Aufnahmen handelt.
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durch Méliès im Rahmen der Beschreibung der Möglichkeit einer spezifisch filmischen Inszenierung – des Stopptricks – erfolgt. Das Automobil als solches hebt erstmals Max Brod explizit in seinem Artikel Kinematographentheater in der Neuen Rundschau aus dem Jahre 1909 hervor. Der Schriftsteller und Verleger der Werke Franz Kafkas ist, wie Hanns Zischler eindrucksvoll schildert, ebenso wie sein Freund Kafka ein begeisterter Kinogänger (vgl. Zischler 1998). In dem Artikel schildert Brod eine Zusammenfassung seiner Eindrücke zu verschiedenen Kinobesuchen, liefert Einschätzungen des Programms und macht Vorschläge zu inhaltlichen Neuerungen. Dabei thematisiert er das Automobil wie folgt: „Nun auf dem Heimweg werde ich zum Erfinder, denke mir selbst neue Bilder für den Biographen aus: eine Verfolgung, in der einmal statt Automobil, Lokomotive oder Dräsine zwei Schiffe miteinander Wettlauf machen, ein Kreuzer und ein Piratenschiff, über weite Meeresflächen hin verringert sich immer mehr im wütendsten Schießen ihr Abstand … Das wäre allerdings ein teurer Film“ (Brod 1992 [1909], 17)
Das Automobil wird hier bereits in einer seiner im Verlauf der Darstellung noch vielfach filmtheoretisch thematisierten und bis heute im Film etablierten Weise des Vorkommens – der Automobilverfolgung – beschrieben. Aus der Schilderung Brods lässt sich schlussfolgern, dass es bereits 1909 ein bekanntes filmisches Objekt war, da er vorschlägt, „einmal statt [dem] Automobil“ zwei Schiffe sich verfolgen zu lassen. Brod scheint der Automobilverfolgung beinahe überdrüssig zu sein und trifft damit im Unterschied zu Méliès, der nur das Auftreten eines Automobils dokumentiert, bereits eine indirekte Aussage zur Häufigkeit seines Vorkommens. Brod führt damit die Automobilverfolgung bereits in seinen frühen filmtheoretischen Überlegungen als eine spezielle Form der Thematisierung ein. Das Automobil beschreibt auch Walter Turszinsky in einem Beitrag in der Schaubühne aus dem Jahre 1910 mit dem Titel Kinodramen und Kinomimen. In diesem geht er theoretisch auf die Anforderungen an den Filmschauspieler ein, der „mehr ein fühlender als ein denkender Künstler zu sein“ (Turszinsky 1992 [1910], 25) hat. Wobei der Autor dessen Fähigkeiten stark ironisiert und gegenüber dem des Theaterschauspielers abschwächt. Diese abwertende Einschätzung, abgeleitet aus den Inhalten der damals aktuellen Filme, nimmt er u.a. anhand des primär körperlichen Agierens der Schauspieler vor. „Hier braucht man Leute – ich berichte nach Tatsachen – die etwa in der Maske eines übereifrigen, schlemihligen Amateurphotographen steile Böschungen herabstürzen, sich unter Automobilen hervorziehen lassen, an festen Eichenbäumen ihre Schädeldecke versuchen, in schmutzigen Teichen bis auf die Haut durchweichen können – immer ohne zu ‚verunglücken’, denn solch ein Unglück würde dem Ruf
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der Kinobühne schaden, immer auf der Suche nach neuen, launig sensationellen szenischen Ergebnissen “ (ebd., 26, Herv. i. O.).
In dieser Textpassage erwähnt Turszinsky eine weitere, bis heute gängige filmische Darstellungsweise des Automobils: den Autounfall. Auch dieser entwickelt sich, neben der Automobilverfolgung, zu einem festen Element der Theoretisierungen über das Automobil im Film. Eine filmtheoretische Erwähnung des Automobils ganz anderer Art findet sich bei Hans Land. Dieser beschreibt 1910, wie die Besucher eines Kinos mit dem Automobil vorfahren und stellt damit einen Zusammenhang zwischen dem Automobil in der außerfilmischen Realität und dem Film her: „Jetzt fahren die Autos am Nollendorfplatz vor, man bricht sich den Hals um ein Billet, und Herr Direktor Halm, der Hausgenosse, wird leider bald zum Selbstmord schreiten“ (Land 1992 [1910], 19). In diesem Auszug aus Lichtspiele wird deutlich, dass in den 1910er-Jahren nicht mehr nur die untere soziale Schicht ins Kino ging, sondern auch gut situiertes Publikum. Denn nur diese konnten sich damals ein Automobil leisten, da es ein Luxusobjekt darstellte (vgl. Sachs 1984). Das Kino hatte sich 1910 also bereits von einer Vergnügung der Arbeiterklasse zu einem Teil der bürgerlichen Freizeitgestaltung entwickelt (vgl. Müller/Eckert 1990). Hervorzuheben ist, dass damit das Automobil auch als ein Objekt zur Charakterisierung der Gegenwartsgesellschaft außerhalb des Films in das filmtheoretische Denken Einzug hält. Einen interessanten Vergleich zwischen Automobil und Film zieht 1910 Hanns Heinz Ewers in seinem Aufsatz Vom Kinema: „Und die Leute, die noch auf das Kino schimpfen, sind genau dieselben, die früher auf das Fahrrad, dann auf das Auto und jetzt auf den Aeroplan schimpfen: es sind Dummköpfe“ (Ewers 1984 [1910], 20). Indem er eine Analogie zwischen der ehemaligen Ablehnung u.a. des Automobils und der gegenwärtigen des Kinos durch die ewigen gleichen Kritiker des technischen Fortschritts aufzeigt, liefert er die zeitgenössische Einschätzung, dass das Automobil bereits um 1910 allgemein akzeptiert war. Außerdem setzt er das Automobil und den Film in einen Erwähnungszusammenhang zur gegenseitigen Charakterisierung und Bewertung und entwirft damit eine spezifische Analogie zwischen Automobil und Film, die sich zu einer typischen Form der Automobilthematisierung im Rahmen der Filmtheorie entwickelt. Wie Ewers, der dem Film eine Zukunft vorhersagt, in der das Automobil bereits angekommen ist, ist auch Ferdinand Hardenkopf ein Apologet des Films, was in seinem 1910 publizierten Artikel Der Kinematograph deutlich wird. Er verteidigt das Kino vehement, „anstatt den cinéma zu schelten, genieße man ihn lieber (…)“ (Hardenkopf 1992 [1910], 159). Gleichzeitig liefert er eine frühe filmtheoretische Unterscheidung zwischen dokumentarischen Formen, bei denen er die Filme in der „Rolle des Berichterstatters, des Journalisten (…)“ (ebd., 155)
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sieht und fiktionalen Formen, die von ihm als die „arrangierten“ Filmsujets beschrieben werden. Im Zuge dieser frühen Berücksichtigung der dokumentarischen Form innerhalb einer filmtheoretischen Reflexion erwähnt Hardenkopf die Darstellung eines Automobilrennens als einen, aus heutiger Sicht, frühen dokumentarischen Film mit automobilem Inhalt. „Wie diese illustrierte Ergänzung der Tageszeitung da etwa über das heutige Automobilrennen, über den neuesten Aufstieg Wilbur Wrights, über Monarchenbegegnungen am Vormittag berichtet, das bleibt durch die Disziplin und Bewusstheit der angewandten Technik, durch die starre Zweckmäßigkeit, durch den kühlen Amerikanismus bewundernswert“ (ebd., 156).
Damit spricht Hardenkopf einen Bereich der Automobildarstellung im Film an, der das Spektrum der Erwähnung des Automobils im Rahmen der Filmtheorie auf den nicht-fiktionalen bzw. dokumentarischen Film erweitert. Mit der konkreten Benennung eines filmischen Beitrags über ein Automobilrennen, verweist Hardenkopf indirekt auf die mit ihm verbundene Geschwindigkeits- und Bewegungsdimension, die bei einem Automobilrennen besonders hervortritt. Die Beschreibung und Fokussierung dieser Dimension wird sich in der Entwicklung der Filmtheorie noch als eine entscheidende Form der Thematisierung des Automobils herauskristallisieren. Auf das Automobil als Mittel zur Entführung von Personen in Filmen geht 1913 Walter Hasenclever in seiner kurzen Abhandlung Der Kintopp als Erzieher. Eine Apologie ein. Mit dem Anliegen, den Film als Bildungsmittel einzusetzen bzw. dessen diesbezügliches Potential auszuloten, beschreibt er detailliert das filmische Motiv der Entführung: „Als sie von einem Spaziergang nach Hause kam, wurde sie vor dem Haustor von einigen bereit stehenden Männern gepackt und in das vor dem Hause haltende Automobil geworfen. Man band ihr die Hände und umschlang ihr den Kopf mit Tüchern. Als das Auto sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, gelang dem Mädchen, so viel Luft zu gewinnen, daß es schreien konnte, und der Chauffeur lenkte den Wagen nach der nächsten Polizeistation, wo die Entführer verhaftet wurden“ (Hasenclever 1978 [1913], 47).
Bei dieser Entführung durch die Verwendung eines Automobils handelt es sich um die filmische Darstellung eines Verbrechens, bei dem das Fahrzeug eine entscheidende Rolle spielt. Die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Automobil und Verbrechen ist, wie noch zu zeigen sein wird, eine weitere wichtige diskursive Größe innerhalb der filmtheoretischen Auseinandersetzung mit dem Automobil.
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Etwas später im Text geht Hasenclever, wie vor ihm bereits Brod (1992 [1909]), auf die Automobilverfolgung ein: „Nicht die Burschikosität im Erleben von Automobiljagden und Freudenhäusern, sondern die Angst, das Mitfühlen, die Errettung“ (ebd., 49). Neben der erneuten Thematisierung des Automobils in Form der Verfolgungsjagd, die deren Präsenz im Rahmen des filmtheoretischen Denkens anzeigt, verweist Hasenclever erstmals abstrahierend, wenn auch eher indirekt, auf den zuschauerseitigen Erlebniswert der Automobilfahrt. Auch gibt er einen Hinweis auf die empathische Qualität dieser Form der Darstellung, wenn er durch die Formulierung „im Erleben“ auf das Miterleben dieser durch den die Automobilverfolgung rezipierenden Zuschauer verweist. Gleichzeitig benennt er mögliche Reaktionen wie Angst, Mitfühlen und Errettung. Wesentlich für die Interpretation dieser Äußerung in Richtung eines frühen Verweises auf die empathischen Fähigkeiten der filmischen Automobildarstellung ist die Formulierung „Mitfühlen“, welches eine Möglichkeit der Teilhabe am Film darstellt. Auf eine automobile Entführung in einem anderen Zusammenhang geht 1912 Alfons Paquet ein. Der gegen den Dilettantismus und die Trivialität des Kinos angehende und eine Zensur aus ärztlichen und psychiatrischen Gründen fordernde Autor schildert folgendes Szenario: „Eine Entführungsnovelle mit einem virtuos durchgeführten Sensationsstück: der Verfolgung des Liebespaares, das sich auf einer Draisine davonmacht, durch ein Auto“ (Paquet 1978 [1912], 64). Diese Darstellung eines Automobils charakterisiert er einige Zeilen später als „echt amerikanisch“. Mit dieser Einschätzung des automobilen Inhalts eines Films als typisches Merkmal eines amerikanischen Films liefert Paquet einen frühen filmtheoretischen Gedanken in Richtung der Thematisierung des Automobils im Film als ein Merkmal zur Klassifikation und Einordnung von Filmen. Unter Bezugnahme auf die filmische Darstellung eines Automobils geht Karl Bleibtreu bereits 1913 auf die referentiellen Verweisstrukturen ein. In seinem Artikel Theater und Kino schreibt er der filmischen Darstellung des Automobils nicht nur eine die Gegenwart porträtierende Dimension zu, sondern sieht darin einen Verweis auf die Wirklichkeit außerhalb des Films. „Daß sich der ,Autor’ hier nicht nehmen lässt, Eisenbahn, Automobil, Pferde anzubringen, verzeiht man gern, denn es ist taktvoll und unaufdringlich eingeflochten und erhöht hier tatsächlich die Wirklichkeitsanschauung“ (Bleibtreu 1984 [1913], 223, Herv. i. O.).
Diese Belegung der Automobildarstellung mit einem Verweischarakter auf die außerfilmische Wirklichkeit und die damit verbundene Steigerung des Authentizitätsanspruchs des Films stellt eine Verhandlung des Automobils innerhalb des filmtheoretischen Denkens dar, die mit dieser frühen Formulierung nicht einmalig bleiben soll.
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An anderer Stelle seiner Ausführungen verweist Bleibtreu auf die Häufigkeit des Vorkommens von Automobilen im Film, verbindet diese aber mit dem Hinweis, dass die Darstellung des Automobils narrativ motiviert sein sollte. „Die Handlung ist oft ganz dürftig und schwach, wird ungebührlich gedehnt und in unnötige Episoden zersplittert, die irgend etwas Zuständliches, das gar nichts mit der Handlung zu tun hat, verfilmen. Die an sich sehr berechtigte (siehe später) Neigung für Automobil, Eisenbahn, Reiterei wird zu chronischem Leiden, wenn man ihr völlig unmotiviert und bei jeder passenden Gelegenheit frönt“ (ebd., 221).
Bleibtreu gibt sich nicht mit der von ihm als berechtigt eingeschätzten häufigen Automobildarstellung zufrieden, da sich bei übermäßigem und nicht durch die filmische Handlung getragenen Einsatz schnell ihre Attraktivität und Wirkung verlieren kann. Mit seiner impliziten Forderung nach einer narrativen Motivierung der Automobildarstellung und dem darin enthaltenen Hinweis auf die Möglichkeit, dass das Automobil als filmisch integriertes Element fungieren kann, weist Bleibtreu bereits in den 1910er-Jahren auf eine weitere Form der Diskussion des Automobils in einer sich erst noch entwickelnden wissenschaftlichen Disziplin – der Filmtheorie – hin. An anderer Stelle kritisiert er die ständige Darstellung von Automobilen und Automobilverfolgungen und gibt eine sehr negative Einschätzung ab, wie an folgender Textpassage deutlich wird: „Aber die Kinoleiter mögen sich gesagt sein lassen, dass der Kinobesucher endlich zu gähnen anfängt, wenn er immer wieder bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die Autos oder Lokomotiven fahren, die Pferde dahinjagen, die Wellen schäumen, die Feuerbrünste prasseln sieht“ (ebd., 232).
Diese Beurteilung eines filmischen Einsatzes von Fahrzeugen zeigt eine frühe kritische bzw. kritisierende Dimension in der filmtheoretischen Charakterisierung des Automobils. 4.1.1.1 Zwischenfazit: Automobildiskurs Die im Vorfeld vorgestellten Verhandlungen des Automobils im frühen filmtheoretischen Denken der Jahre 1907 bis 1913 eröffnen acht verschiedene Diskursfelder, die sich zu diskursiven Elementen entwickeln und damit wesentlich zu der Generierung des Automobildiskurses der Filmtheorie beitragen. Méliès’ (2004 [1907]) Beschreibung der Entdeckung des Stopptricks anhand der Aufnahmen eines Automobils im Rahmen einer Pariser Straßenszene ist eine diskursive Äußerung. Diese trägt vor dem Hintergrund des zugrunde
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gelegten Datenkorpus initiierend zur Etablierung des diskursiven Elements Filmische Realisierung der Automobildarstellung bei. Das Diskurselement Szenarien des Autounfalls beginnt seine Entwicklung basierend auf den vorliegenden Daten in der Äußerung Turszinskys (1993 [1910]) über einen Autounfall. Brod (1992 [1909]) beschreibt die Verfolgungsfahrt von Automobilen als ein etabliertes filmisches Element, welches in der Entwicklung der Filmtheorie häufig Thema zahlreicher Äußerungen ist, die sukzessive das diskursive Element Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit generieren. Die im Rahmen der filmtheoretischen Erwähnung des Automobils oft bemühte Analogiebildung zwischen Automobil und Film hinsichtlich verschiedenster Perspektiven und Möglichkeiten der Veranschaulichung findet sich u.a. in der Äußerung Ewers’ (1984 [1910]) zur vergleichbaren anfänglichen gesellschaftlichen Ablehnung von Automobil und Film. Das Diskurselement Analogien zwischen Automobil und Film entwickelt sich im Rahmen der Arbeit aus dieser Äußerung. Das Element Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, das sich zu einer der häufigsten Formen der Diskussion des Automobils innerhalb der Filmtheorien entwickeln wird, deutet sich nach Brod (1992 [1909]) bereits bei Hardenkopf (1992 [1910]), der die filmische Aufnahme eines Automobilrennens erwähnt, an. Im Rahmen seiner Einschätzung dieses Films über ein Automobilrennen als nicht arrangiert, liefert Hardenkopf zusätzlich eine frühe Äußerung zur Reflexion über das Automobil als Gegenstand dokumentarischer Formen des Films und der mit diesem verbundenen Referenz auf eine außerfilmische Realität, die sich als eine wesentliche Dimension des Diskurselements Automobil als Symbol durchsetzen wird. Hasenclever (1978 [1913]) äußert sich zum Thema Entführung mit Hilfe eines Automobils und initiiert den Ausgangspunkt des sich als sehr prägnant für das „Reden“ über das Automobil im Rahmen der Filmtheorie erweisenden Elements des Diskurses Automobil und Verbrechen. Weiterhin lässt sich in Hasenclevers Schilderung der Erlebnisqualität der filmischen Autoverfolgung das sich im Rahmen der Filmtheorie etablierende diskursive Element Automobil als Erlebnis bereits als eine typische Form der Erwähnung antizipieren. Die Bewertung und Einschätzung der filmischen Automobildarstellung als eine Art Kategorisierungs- und Kritikmerkmal entwickelt sich im filmtheoretischen Denken zu einer häufigen Form der Thematisierung des Automobils, was sich bereits bei Paquet in der Einschätzung einer Automobilszene als amerikanisch zeigt. Diese identifiziert das Automobil als klassifizierendes Element als Entität des Automobildiskurses, welche in der Genretheorie im Allgemeinen und im Road Movie im Speziellen ihren Höhepunkt erreichen wird.
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Auch bei Bleibtreu findet sich bereits eine Äußerung, die erneut das diskursive Element Automobil als klassifizierendes Element generiert, da auch hier die Automobildarstellung den Anlass für eine kritische Einschätzung eines Films bildet und damit eine spezifische Form der Erwähnung des Automobils in einer filmtheoretischen Reflexion anzeigt. In nur sechs Jahren der Frühphase des filmtheoretischen Denkens, in denen die filmtheoretische Reflexion eher am Rande stattfindet, wird das Automobil in Formen erwähnt, die sich zu spezifischen Arten der „Rede“ über das Automobil in der sich erst noch etablierenden Filmtheorie weiterentwickeln werden. Bereits acht der zehn den Automobildiskurs ausbildenden Elemente, Filmische Realisierung der Automobildarstellung, Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, Szenarien des Autounfalls, Analogien zwischen Automobil und Film, Automobil als Symbol, Automobil und Verbrechen, Automobil als Erlebnis und Automobil als klassifizierendes Element, nehmen damit ihren Ausgang in frühen filmtheoretischen Texten. Diese Schriften tragen maßgeblich zur Entwicklung des filmtheoretischen Denkens bei und leiten die Entwicklung eines filmtheoretischen Automobildiskurses ein. Eines Automobildiskurses, dessen Elemente bereits in dieser frühen Phase ihre Deutungen der Rolle des Automobils für den Film im Wesentlichen auf dessen Bewegtheit zurückführen und über diese das Automobil als eine vielfältige Metapher verwenden – was sich beispielsweise in den Diskurselementen Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, Szenarien des Autounfalls, Filmische Realisierung der Automobildarstellung, Automobil als Erlebnis bzw. den ihnen zugrundeliegenden Textpassagen deutlich zeigt. Die Entwicklung der bereits erwähnten und die Genese weiterer Diskurselemente gilt es nachfolgend weiter zu erläutern und in ihrer Entwicklung darzustellen, da es sich nicht um einmalige Äußerungen handelt, sondern um sich über einen langen Zeitraum in zahlreichen einzelnen Erscheinungsweisen abzeichnende verfestigte Formen der Thematisierung und Formulierung eines Gegenstandes. Da sich eine Diskursanalyse auch damit auseinandersetzen sollte, wer eigentlich zu einem Diskurs beiträgt, dass heißt, welche Akteure sprechen, lohnt ein nochmaliger Blick auf die frühen Vertreter der Filmtheorie. So eröffnet Méliès (2004 [1907]), beginnend in den 1910er- und 1920er-Jahren, den Reigen der sich zunehmend auch theoretisch äußernden Filmschaffenden, die im weiteren Verlauf der Darstellung eine bedeutende Rolle spielen werden. „Praktiker der Regie wie der Däne Urban Gad und der Sowjetrusse Lew Kuleschow verallgemeinerten ihre Berufserfahrungen, Gad in einer Art Handbuch für den Filmpraktiker, der sehr junge Kuleschow in Artikeln zu Einzelaspekten, drunter so wichtige wie die Montage, welcher auch seine ersten filmpsychologischen Experimente galten“ (Wuss 1990, 34).
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Brod (1992 [1909]), Hasenclever (1978 [1913]) etc. wiederum stehen beispielhaft für „Schriftsteller, Journalisten, Theater- und Kulturkritiker [, die sich, Anm. d. A] (…) mit dem Phänomen Kino aktiv (…)“ (Kaes 1978, 1) auseinandersetzten und deren Schriften den Ursprung des filmtheoretischen Denkens in Deutschland in der Auseinandersetzung mit dem „aufkommenden Medium des Films als Teil der poetologischen Diskussion der zehner und zwanziger Jahre (…)“ (ebd., 1) bilden. Dabei geht es, wie die Texte zeigen, nicht nur um die Klärung des Selbstverständnisses der Literatur vor dem Hintergrund des aufkommenden Mediums Film, sondern auch um erste fruchtbare theoretische Wesensbestimmungen und Einschätzungen des Films. 4.1.2 Konsolidierung und Ausdifferenzierung der Thematisierung des Automobils: Von Rauscher zu Spitteler Im Rahmen der frühen, vor allem in Zeitschriften geführten (vgl. Kaes 1978), theoretischen Auseinandersetzung mit dem Film finden sich weitere Beschäftigungen mit dem Automobil. Diese lancieren und erweitern dabei bestimmte, bereits benannte diskursive Formen der Automobilerwähnung und schreiben den Diskurs fort. Das Automobil als verbindendes Element einzelner filmischer Sequenzen beschreibt eindrucksvoll Ulrich Rauscher. Mit leicht ironischem Unterton verweist er auf die über dem konkreten Inhalt des Films stehende, universelle narrative Verbindungsfunktion der Autofahrt. In dem 1913 in der Schaubühne erscheinenden Artikel Das Kintop-Epos findet sich folgende Passage: „Die Fabel des Kintopdramas kann so saudumm und so leicht zu erraten sein, wie sie will, wenn die Verbindung ihrer Bruchstücke nur durch recht rasende Autofahrten garantiert ist, jubelt das Publikum“ (Rauscher 1984 [1913], 138).
Mit dieser frühen Interpretation der Autofahrt liefert Rauscher einen Hinweis auf deren Erlebnisqualität und versieht sie zugleich mit einer narrativen Funktion, die sich als Thematisierung des Automobils im Rahmen der Filmtheorie jedoch nicht diskursiv durchsetzen wird. Rauscher, der sich in seinem Artikel durch einen Vergleich mit dem Theater und der Literatur dem Wesen des Films theoretisch anzunähern versucht, sieht einen wesentlichen Einfluss auf den Publikumserfolg darin, dass der Film dem Theater und dem Buch überlegen ist. „Man sieht die Vorgänge wie auf der Bühne, es werden also keine Ansprüche an eine vorhandene Phantasie gestellt, und trotzdem ist das Prinzip der Darstellung episch,
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novellistisch, fabulierend. Er [der Film, Anm. d. A.] greift zurück, erinnert, läßt nicht einen Handlungszusammenhang ganz ablaufen, sondern greift rasch den und jenen erzählerisch wichtigen Punkt heraus, macht mit einem abrupt eingeschobenen Bild auf irgendetwas aufmerksam und bringt dann zwischendurch wieder etwas nur zum Ansehen, eine Landschaft, eine Kahnfahrt, ein Autorennen. Der Kintop erspart, wie das Schauspiel, Phantasieausgaben und arbeitet mit allen Faulheiten des Buchs, das er dadurch wieder übertrifft, daß er Wichtiges bedeutsam herausheben kann, über das der Herr Leser im Buch hinweggleiten könnte. Der Kintop bedient die vollkommenste Trägheit und ist daher unbesiegbar“ (Rauscher 1984 [1913], 138).
In dieser wiederum ironischen Charakterisierung des Films sind Aussagen versteckt, die 1913 inhaltlich ihresgleichen suchen. So verweist Rauscher bereits auf ein wesentliches gestalterisches Merkmal des Films, die Auslassung, die es ermöglicht, die Handlung zu raffen, indem Erzählzeit und erzählte Zeit des Films auseinanderklaffen, und schildert den Wechsel von Einstellungen und Einstellungsgrößen, der die Aufmerksamkeit fokussiert und die Auslassungen überbrückt. Eines dieser fokussierten Motive ist das Autorennen, welches, da es von Rauscher extra herausgestellt wird, im damaligen Film weit verbreitet gewesen sein muss. Mit der Erwähnung des Autorennens, das ja immer ein Vorhandensein mehrerer Autos voraussetzt, thematisiert Rauscher indirekt eine Verfolgungsfahrt und lenkt das Augenmerk auf das Geschwindigkeitsmoment dieser Form der Automobildarstellung. Auf das Geschwindigkeitsmoment weist auch die Formulierung „recht rasende Autofahrten“ (ebd., 138) in der zuvor erwähnten Textpassage hin. Die Automobilfahrt als inszenierte Geschwindigkeit tritt in den 1910erJahren auch in einer Textpassage von Walter Serner hervor. 1913 schreibt dieser in seinem Beitrag zur frühen Kinodebatte (vgl. Kaes 1978) Kino und Schaulust: „Es war die aufregende Abenteuerlichkeit einer Tigersjagd, eines abertollen Gebirgsrittes, einer todesmutigen Autofahrt; es war die atemberaubende Verfolgung eines angeschossenen blutenden Rowdies über die schwindelnd hohen Dächer New-Yorks; es war die unheimliche Vorstadt mit Elend, Krankheit und Verbrechen, und die ganze grause Detektivromantik mit Mord und Kampf, Browning und Navaha; und es waren all die blutigen feurigen Bilder von Brand und Tod, Greuel und Entsetzen, an denen aller Augen sich satt sogen nach langem Entbehren. Ein Schauen wars, das Tempo hatte und Leben, und das eine Lust war. Damit hatte das Kino kampflos gesiegt: er gibt nur dem Auge sich hin und dessen Lust“ (Serner 1978 [1913], 55).
Serner sieht gerade in der Rezeption der Filme bzw. im lustvollen Rezeptionsakt den Grund und die Daseinsberechtigung des Kinos gegenüber anderen Künsten. In der Schilderung dieses Erlebnisses verweist er u.a. auf eine rasante Autofahrt und deren Schauwert. Eine Autofahrt allein scheint nicht ausreichend zu, erst die
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Erwähnung dieser in Kombination mit dem auf die hohe Geschwindigkeit hinweisenden Adjektiv „rasend“ bringt die von Serner fokussierte Dimension der Thematisierung des Auto innerhalb seines filmtheoretischen Denkens – die Geschwindigkeit – zum Ausdruck. Neben der automobilen Geschwindigkeit stellt sich insbesondere in der Frühzeit der Filmtheorie der Hinweis auf das Verhältnis der filmischen Automobildarstellung zur außerfilmischen Wirklichkeit als wichtig heraus. Dies zeigt sich im Jahr 1913 nicht nur in den Texten von Bleibtreu (1984 [1913]), sondern auch bei Alfred Bäumler und Julias Hart. Bäumler spricht in seiner 1913 erschienenen Reflexion Versuch einer Apologie des Kinematographen von Automobil und Film als „absoluter Modernität“. Das wird besonders dadurch deutlich, dass der Film dem Zuschauer die Gegenwart zeigt oder, wie es Bäumler formuliert: „Das Leben, welches das Lichtbild schildert, ist unser eigenes Dasein. Die Straßen, durch die wir gehen, das Auto, die elektrische Bahn, die Zimmer, in denen wir wohnen, unsere Kleidung, unsere Art zu essen, unsere ganze Form zu leben finden wir auf den Films wieder“ (Bäumler 1992 [1913], 190).
Damit gibt Bäumler einen Hinweis darauf, dass sich die Darstellung von Automobilen im Film durch die lebensweltliche Etablierung und Verbreitung desselben motiviert. 1913 gibt es in Deutschland bereits „77 789“ Automobile, wie eine von Uwe Frauholz zitierte Aufzählung aus einem statistischen Jahrbuch zeigt (vgl. Fraunholz 2000, 42). Außerdem kann die filmische Automobildarstellung hier als Referenz auf die außerfilmische Entität des Automobils und damit auf dessen Rolle im Film als Symbol verstanden werden. Auf andere Art und Weise, inhaltlich jedoch ähnlich, formuliert es Hart. In seiner 1913 veröffentlichten Filmkritik Der Atlantis-Film, in der er ausgehend vom sogenannten Atlantis-Film „nach dem gleichnamigen Roman Gerhard Hauptmanns“ (Hart 1984 [1913], 292) über das generelle Verhältnis von Literatur, Film und Theater reflektiert, findet sich folgende Passage: „Für den Kinematographen gibt es da wenig gerade fesselnde Bilder. Man sieht verschiedenen Männlein und Fräulein beim Essen und Trinken, sich begrüßen, auf der Straße umhergehen, im Wagen, Schlitten und in Eisenbahnen fahren –, aber die Welt bietet gewiß Merkwürdigeres und Sehenswürdigeres als das, und solche alleralltäglichsten Vorgänge sind für den Film nur keine dankenswerten Objekte“ (ebd., 295).
Da das Automobil in den 1910er- und 1920er-Jahren häufig als Wagen bezeichnet wurde (vgl. Sachs 1984), ist davon auszugehen, dass sich Hart hier auf das Automobil bezieht und somit einen Hinweis darauf gibt, dass es im Alltag wie auch im Film in der ersten Hälfte der 1910er-Jahre bereits weitverbreitet war. Im
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weiteren Verlauf schreibt er, der Film vermöge es, und darauf solle er sich auch spezialisieren, „die Außenwelt, die materiellen Erscheinungen, die Natur und das Leben“ (Hart 1984 [1913], 296) darzustellen. Der Kinematograph, so Hart, könne sein Bestes geben, „wenn er merkwürdige, interessante Vorgänge und Situationen reinen Außen- und Wirklichkeitslebens festhält“ (ebd., 296). Das Automobil im Film sei zwar eine Referenz auf die außerfilmische Wirklichkeit, jedoch recht alltäglich. Damit nutzt Hart die Automobildarstellung hier gleichzeitig, um den Film zu kritisieren. Eine Feststellung, die sich schon bei Bleibtreu (1984 [1913]) andeutete. Die außerfilmische Verbreitung des Automobils und seine Bedeutung für die Gesellschaft nutzt Egon Friedell in seiner 1913 mit Prolog vor dem Film überschriebenen Apologie des Kinos für einen Vergleich mit dem Film. „Ich soll natürlich für das Kino sprechen. Das ist nun wieder nicht schwierig; denn für das Kino sprechen ja die Tatsachen. Es ist, das wird jedermann zugeben, aus der Physiognomie unseres heutigen Daseins gar nicht mehr wegzudenken. Ebensowenig wie jene anderen verrufenen neue Dinge, die unserm modernen öffentlichen Leben seine spezifische Signatur geben: die Eisenbahn, der Fernsprecher, der Autobus, das Grammophon, die Untergrundbahn. Ich weiß, es gibt eine ganze Gruppe von Menschen, die in allen Dingen ebenso viele Mittel sehen, um alle Kultur und Geistigkeit aus unserem Dasein zu entfernen, und die infolgedessen unsere ganze Gegenwart in Bausch und Bogen verdammen. Aber was soll uns dieses Lamento? Ein tüchtiger Mensch wird mit seiner Zeit niemals unzufrieden sein, sie ist sein Medium, genau jenes Medium, dem er mit seinen sämtlichen Organen angepaßt ist, und in dem er zu wirken und zu leben hat“ (Friedell 1992[1913], 202, Herv. i. O.).
Fiedell beschreibt hier Kino und Automobil als kulturelle Zeitphänomene und stellt sie dadurch in einen argumentativen Zusammenhang, dass er beide als „verrufene neue Dinge, die unserem modernen Leben seine spezifische Signatur geben“ (ebd., 202) charakterisiert. Das „verrufen“ ist jedoch nicht negativ zu lesen, vielmehr nimmt Friedell diese Zuschreibung als vorherrschende Meinung auf und setzt ihr eine Verteidigung des Kinos als neue Kunst- und Kulturform entgegen. „Ich soll natürlich für das Kino sprechen. Das ist nun wieder nicht schwierig; denn für das Kino sprechen ja die Tatsachen“ (ebd., 202, Herv. i. O.). Hier entwirft er, ähnlich wie vor ihm bereits Ewers (1984 [1910]), eine Analogie zwischen Automobil und Film, um das gesellschaftlich bereits akzeptierte Fahrzeug zu nutzen, um das noch wenig akzeptierte Kino zu verteidigen. Verblüffend ist, dass Ewers und Friedell beide die Analogiebildung nutzen und dies außerdem auf vergleichbare Weise. Sie sehen ähnliche Kritikpunkte und -quellen im Zusammenhang von Automobil und Film und funktionalisieren diese Analogiebildung zur einer Apologie des Films.
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Eine recht komplexe und begründete Analogie zwischen Automobil und Kinematographen, wobei in diesem Fall explizit der Vorführapparat gemeint ist, entwickelt vor dem Hintergrund von deren maschineller Struktur Victor Klemperer in seiner kurzen Abhandlung Das Lichtspiel (1911/12). Ausgehend vom damals etablierten Wanderkino und der damit verbundenen Mobilität des Kinematographen formuliert er folgende Passage: „Eine Beweglichkeit steckt darin, nicht der des einstigen Thespiskarrens gleichend, sondern der des Automobils verwandt. Buchstäblich verwandt, denn auch beim Kinematographen handelt es sich um den Ersatz des Natürlichen durch das Maschinelle. Und weil man die notwendige Maschinerie wohl in jedem langgestreckten Laden und Schanklokal unterbringen kann, und weil kein Bühnenraum notwendig ist und keine Kulisse und kein Schauspieler, so erklärt eben das Maschinelle der Einrichtung, die aus höchstem technischem Raffinement hervorgegangene höchste Simplizität der jeweiligen Aufführung, die Beweglichkeit der Anlage“ (Klemperer 1992 [1911/12], 171f.).
Klemperer begreift den Kinematographen aufgrund seiner Mobilität als dem Automobil verwandt. Diese Verwandtschaft sieht er nicht zwischen dem Thespiskarren – eine in Anlehnung an den Wagen, auf dem der griechische Tragödiendichter Thespis seine Stücke vorführte so bezeichnete Wanderbühne (vgl. Brockhaus, Bd.14 1998, 95) – und dem Kinematographen, da die Verwandtschaft nicht auf die bloße Beweglichkeit zurückzuführen ist, sondern auf den maschinellen Charakter von Automobil und Projektionsapparat. Diese maschinelle Verwandtschaft ermöglicht beiden technischen Artefakten auf der Grundlage ihrer simplen aber zweckmäßigen Konstruktion eine besondere Beweglichkeit. Weiterhin konstruiert Klemperer über die Ersetzung „des Natürlichen durch das Maschinelle“ eine weitere Verbindung. Die Schauspieler und die Bühne des Theaters werden ersetzt durch den belichteten und künstlichen Filmstreifen und den technischen Vorführapparat. Die Pferde oder Ochsen, die den Karren der Wanderbühne ziehen, werden ersetzt durch das motorisierte technische Fahrzeug – das Automobil. Damit sieht Klemperer nicht nur eine Analogie zwischen Automobil und Kinematograph aufgrund ihrer Modernität oder einer vergleichbaren Adop-tionsgeschichte, wie z. B. Ewers (1984 [1910]) und Friedell (1992[1913]), sondern er liefert dafür sogar eine Begründung, die für ihn in der verwandten maschinellen und technischen Konstruktion von Automobil und filmischer Apparatur15 liegt. Der Schauspieler Paul Wegener, der durch den von ihm initiierten Film Der Student von Prag (R: Stellan Rye, Deutschland 1913) als Begründer des künstle15
Hiermit deutet sich bereits bei Klemperer (1992 [1911/12]) der Entwurf einer strukturellen Verwandtschaft zwischen Automobil und filmischer Apparatur an, die sich im Rahmen der Dispositivtheorie, die detailliert in Kapitel 7.1.3 zur Darstellung kommt, konkret entfaltet.
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rischen Autorenfilms gilt, nutzt 1916 eine, wenn auch anders konstruierte Analogie zwischen Automobil und Film, um ebenfalls das Entwicklungspotential des Films zu verteidigen und veranschaulichen. „Wenn eine neue Technik aufkommt, so pflegt sie zunächst an Vorhandenes anzuknüpfen, und eine neue Idee findet nicht gleich die ihr allein eigentümliche Form. Die ersten Dampfschiffe sahen aus wie große Segelschoner, die statt eines Mastes einen hohen Schornstein hatten. Die ersten Eisenbahnen ahmten Postkutschen nach, die ersten Automobile trugen große Karosserien von Landauer, und das Kino geriert sich als Pantomime, Drama oder illustrierter Roman. Es gibt aber Filmmöglichkeiten, die sich eben aus der Technik des Wandelbildes ergeben, und für die nicht Theaterstücke, nicht spannende Dramen, nicht Sensationsromane, sondern Stoffe, deren Reiz vornehmlich in der Bildwirkung liegt, geschrieben werden müssen“ (Wegener 1984 [1916], 342f.).
Mit dem Hinweis darauf, dass die ersten Automobile die Karossen von Landauern – Kutschen mit klappbarem Verdeck (vgl. Pfeifer (Hg.) 2005 [1989]) – nutzten und damit auf ein verwandtes und bereits etabliertes Fahrzeug zurückgriffen, verknüpft Wegener (1984 [1916]) einen Vergleich mit dem Film, der als „Pantomime, Drama oder illustrierter Roman“ ebenfalls auf verwandte historische Kunstformen zurückgreift. Über diese Analogie, die die Entwicklung des Automobils als Entfernung von seinen kutschenhaften Ursprüngen implementiert, sieht er die Zukunft des Films in der Distanzierung von anderen Kunstformen durch die Nutzung der technischen Möglichkeiten. Dies soll vor allem durch die Loslösung vom Theater und durch die Hinwendung zu den technischen, vor allem aber tricktechnischen Möglichkeiten des Films geschehen, die auf visueller Ebene Aufmerksamkeit generieren können – wie er es in seinem phantastischen Film Der Student von Prag (R: Stellan Rye, Deutschland 1913), der mit Doppelbelichtungen und Stopptricks arbeitet, vorgeführt hat. Diskursanalytisch betrachtet, nutzt auch Wegener die Analogiebildung zwischen Automobil und Film als eine Form des Zusammendenkens von Automobil und Film, deren Antrieb in den bisher erwähnten Texten immer eine Verteidigung des Films vor dem Hintergrund des sich bereits entwickelten und akzeptierten Automobils darstellt. Dagegen sieht der erklärte Kinogegner und Kunsttheoretiker Konrad Lange (2004 [1913]), der das Kino als Kunstform generell ablehnt und eine harte Kinozensur fordert, insbesondere in sogenannten Schundfilmen16 das Unvermögen 16
Schundfilme, oder in der damals etablierten Pluralform Schundfilms, sind Filme mit moralisch verwerflicher Handlung und stehen namentlich für das „Anprangern des Kinos als Brutstätte der Jugendkriminalität (…)“ (Güttinger 1984, 24). Der Begriff geht, so Güttinger (1984), auf Albert Hellwig und seine 1911 erschienene Schrift Schundfilms. Ihr Wesen, ihre Gefahren und ihre Bekämpfung zurück. Diese Schrift entfachte eine sich über mehrere Jahre hinziehende Debatte zwischen sogenannten Kinogegnern und -reformern, deren führende Vertreter Ernst Schultze und Hellwig waren.
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des Kinos. In seiner Abhandlung Die Kunst des Lichtspieltheaters (1913) sieht er gerade im filmischen Autounfall das Nichtkünstlerische des Films, was in der folgenden Textpassage deutlich wird: „Und dazu nehme man nun den sensationellen Inhalt dieser Schundfilms, diese raffinierte Anhäufung alles Rohen, Gemeinen und Perversen, was es je in der Welt gegeben hat: Mordanschläge, Brandstiftungen, Verbrecherverfolgungen, Eisenbahnunglücke, Menschen in der Gewalt reißender Tiere, Martyrien, Stierkämpfe, explodierende oder einen Abhang herunter-stürzende Kraftwagen und was dergleichen schöne Dinge mehr sind, die auch ohne Worte, rein durch das Geschehnis als solches erschreckend, ängstigend und schaudererregend wirken“ (Lange 2004 [1913], 84).
Zwar beschreibt er, dass solche Unfallszenarien – „explodierende oder einen Abhang herunterstürzende Kraftwagen“ (ebd., 84) – auf den Zuschauer wirken, jedoch „erschreckend, ängstigend und schaudererregend“. Wenn auch negativ bewertet, so verweist Lange hier, wie bereits Turszinsky (1993 [1910]), auf den Autounfall als eine besondere Form der Thematisierung des Automobils. In den Äußerungen Langes über die zuschauerseitigen Reaktionen wird die empathische Dimension der Automobildarstellung thematisiert, die bereits bei Hasenclever (1978 [1913]) eine Rolle spielt. Ginge es jedoch nach Lange, sollten solche Unfallszenarien verboten und zensiert werden (vgl. Lange 2004 [1913]). Auf die geforderte und in den 1910er-Jahren auch drastisch praktizierte Zensur17 von zu dramatischen und unsittlichen Szenen geht der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky in einem Artikel Verbotene Films der Schaubühne aus dem Jahr 1913 ein. Im Gegensatz zu Lange lehnt Tucholsky den Film nicht grundsätzlich ab. Er tritt aber für einen qualitativ anspruchsvollen Film ein und verteidigt die Filmzensur vor allem aus Jugendschutzgründen18. Tucholsky rechtfertigt die Notwendigkeit der Zensur anhand der Schilderung einer verbrecherischen Automobilszene: „Vor diesen Kindern, die pausbäckig und langwimperig aussehen wie eine Reklame von Sunlight-Seife; vor diesen Autoschiebern, die vorgeben Detektive zu sein; vor diesen Siouxs – id est: der Naturmensch Voigt und Käsewillem mit Locken … hier muß man kapitulieren und sich übergeben“ (Tucholsky 1992 [1913], 217).
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Oksana Bulgakowa beschreibt die Entstehung einer institutionalisierten Filmzensur für die Zeit um 1910 zeitgleich in verschiedenen Ländern, darunter auch Deutschland, wo bereits 1920 als rechtliche Grundlage der Zensur „das erste Lichtspielgesetz verabschiedet“ (Bulgakowa 2002, 674) wurde. Es sei darauf hingewiesen, dass Tucholsky diese Meinung später revidiert: „1913 und 1919 hielt er die Filmzensur für nötig; 1926 und 1928 hielt er dafür, sie sei abzuschaffen“ (Güttinger 1984, 155).
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Tucholsky thematisiert hier das Automobil im Zusammenhang mit der filmischen Darstellung einer verbrecherischen Handlung, nämlich dem Verschieben von gestohlenen Automobilen. Wie Hasenclever (1978 [1913]) festigt auch Tucholsky mit der Erwähnung des Zusammenhangs von Automobil und Verbrechen eine besondere Form des Redens über das Automobil in der Filmtheorie. Last but not least liefert der Schweizer Dichter und anfängliche Kinogegner Carl Spitteler im Rahmen der frühen Auseinandersetzung mit dem Film und dessen Darstellung in seiner Schrift Meine Bekehrung zum Kinema (1916) eine letzte, kurze Textpassage von diskursanalytisch interessantem Inhalt. Er benennt in seinen Ausführungen zahlreiche Vorteile, die der Film gegenüber dem Theater hat: so die ethnografische und dokumentarische Qualität, die Erreichbarkeit für viele oder den geringen Preis (vgl. Spitteler 1984 [1916]). Spitteler spricht sich für ein hochwertiges Filmprogramm aus. In diesem Zusammenhang kritisiert er die Automobilverfolgung: „Die albernen Dachklettereien und Automobiljagden langweilen mich nicht minder als irgendeinen anderen“ (ebd., 336). 4.1.3 Zwischenfazit: Automobildiskurs Zieht man eine Zwischenbilanz, lässt sich in Bezug auf die Thematisierung des Automobils in frühen filmtheoretischen Reflexionen in Zeitschriften- und Zeitungsartikeln der späten 1900er- und frühen 1910er-Jahre zum Film festhalten, dass das Automobil bereits häufig und in verschiedenen Formen diskutiert wird. Im Wesentlichen finden Beschreibungen von automobilen Szenen statt, die den Autounfall und die Verfolgung von Automobilen mit zumeist hoher Geschwindigkeit hervorheben. Damit finden sich hier Äußerungen (Turszinsky 1993 [1910], Lange 2004 [1913]), die das Diskurselement Szenarien des Autounfalls generieren. Ebenso können Textpassagen zur Autoverfolgung (Brod 1992 [1909], Hardenkopf 1992 [1910], Rauscher 1984 [1913], Serner 1978 [1913], Spitteler (1984 [1916]) und zur Geschwindigkeit des Automobils eruiert werden (Bleibtreu 1984 [1913], Rauscher 1984 [1913]), die das diskursive Element Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit initiieren. Entführungen mit Hilfe eines Automobils (Hasenclever 1978 [1913], Paquet 1978 [1912]) und die Beschreibung und Diskussion von Szenen, in denen gestohlene Fahrzeuge illegal verkauft werden (Tucholsky 1992 [1913]), weisen auf das Diskurselement Automobil und Verbrechen hin. Häufig werden aber auch filmische Inszenierungen von automobilen Szenen anhand des Stopptricks (Méliès 2004 [1907]) erläutert. Damit ist der Grundstein für die Entwicklung des diskursiven Elements Filmischen Realisierung der Automobildarstellung gelegt.
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Neben diesen Deskriptionen des automobilen Inhalts von Filmen entwickeln sich bereits erste Interpretationen und Abstraktionen ausgehend von der Darstellung des Automobils, die das Automobil als Symbol und als Verweis auf die außerfilmische Realität verstehen und deuten (Land 1992 [1910], Bleibtreu 1984 [1913], Bäumler 1992 [1912], Hart 1984 [1913]) und einen entsprechenden Teildiskurs hervorbringen. Aber auch das Erkennen der Erlebnisqualität der filmischen Automobildarstellung als Möglichkeit der empathischen Teilhabe (Hasenclever 1978 [1913], Lange 2004 [1913]) kann als Beginn der Entwicklung eines diskursiven Elements beschrieben werden. Der Teildiskurs Automobil als Erlebnis nimmt in diesen frühen Theoretisierungen seinen Anfang. Die Einschätzung des Automobils als typisch amerikanisch (Paquet 1978 [1912]) und die Kritik seiner Darstellung im Film (Bleibtreu 1984 [1913], Hart 1984 [1913], Spitteler 1984 [1916]) tragen zur Generierung des Diskurselements Automobil als klassifizierendes Element bei. Frühe Analogiebildungen zwischen Automobil und Film, und damit ein Zusammenhang zwischen Automobil und Film, der nicht aus der Reflexion über das Automobil als Inhalt des Films erwächst, finden sich bei Ewers (1984 [1910], Friedell (1992 [1913]), Klemperer (1992 [1911/12]) und Wegener (1984 [1916]). Daraus ergibt sich der Teildiskurs Analogien zwischen Automobil und Film. Die Thematisierungen des Automobils in der frühen filmtheoretischen Debatte in Zeitungen und Zeitschriften sind fast ausschließlich reine Beschreibungen dessen, was die Autoren in den verschiedenen Filmen gesehen haben. Diese Erfahrungen werden als Wiedergabe der Inhalte der Filme vermittelt, um sich so dem neuen Medium Film annähern zu können und es mit anderen Medien, wie dem Theater und der Literatur, in Beziehung setzen und sich auf diese Weise das Wesen und die Technik des Films erklären zu können. Es geht also primär um die Auseinandersetzung mit der Beschreibung von dem, was im Film zur Darstellung kommt – und das ist, wie die zahlreichen Erwähnungen zeigen, eben nicht selten das Automobil. Entscheidend dabei ist, dass es das Automobil in seiner Bewegung ist, welches thematisiert wird und diese Bewegung ist es, die in den theoretischen Entwürfen fruchtbar gemacht wird, um sich dem Film theoretisch anzunähern. Dadurch, dass sich die Artikel aus der Frühphase des filmtheoretischen Denkens so konkret mit einzelnen Filmen und typischen Inhalten von Filmen auseinandersetzen, entfaltet sich hier ein vielschichtiger Automobildiskurs. An den mannigfaltigen Beschreibungen des Automobils zeigt sich, wie tiefgründig und detailliert die Beobachtungen und deren Zusammenfassungen bereits sind, auch wenn hier noch keine theoretischen Konzepte entworfen, sondern Erkenntnisse mehr oder weniger aneinandergereiht werden. Die automobilen Schilderungen stehen unmittelbar neben anderen und tauchen zumeist bei-
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spielhaft auf, was bedeutet, dass sie nicht argumentativ in eine theoretische Reflexion eingebunden sind – in der analytischen Draufsicht aber meistens als von der Bewegtheit des Automobils aus gedacht erscheinen. Damit legen die Texte über das Automobil im Film und die Reflexionen über die Beziehung von Automobil und Film in den filmtheoretischen Schriften der späten 1900er- und vor allem der ersten Hälfte der 1910er-Jahre den Grundstein für die Entwicklung zahlreicher diskursiver Elemente des Automobildiskurses. Ein Diskurs, der sich zu diesem Zeitpunkt vornehmlich mit dem Inhalt der Filme auseinandersetzt. 4.2 Das Automobil in frühen Filmtheorien und Monografien zum Film Wie bereits ausgeführt wurde, findet eine theoretische Beschäftigung mit dem Film bis zum Beginn der 1910er-Jahre vorwiegend in Zeitungen und Zeitschriften statt. Abgesehen von diesen frühen Versuchen einer Wesensbestimmung des Films ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema, wie Ernst Schultze 1911 schreibt, noch nicht weit gediehen: „Es gibt nur pädagogische und technische Aufsätze über ihn, die Tages- und Zeitungspresse erwähnt ihn in häufigen Berichten, auch in der juristischen und verwaltungsrechtlichen Literatur sind einige Arbeiten über ihn erschienen. Zusammenhängend sind die Kulturprobleme, die der Kinematograph geschaffen hat, noch nicht untersucht worden (…)“ (Schultze 1911, 7f.).
Dieses soll sich jedoch bald ändern. Dazu tragen u.a. zitierter Schultze (1911) und Albert Hellwig (1911) bei, die beide vor dem Hintergrund einer bereits in Zeitungen und Zeitschriften geführten Schundfilm-Debatte 1911 erste Monografien zum Film veröffentlichen. Diese enthalten filmtheoretische Ansätze, da sie sich intensiv mit der kulturellen Wirkung des Films beschäftigen und versuchen, dessen Nutzen zu bestimmen. Ausgehend von dieser „Initialzündung“ entwickelt sich insbesondere das Jahr 1913 zu einem „Schlüsseljahr“ für die frühe Filmtheorie (vgl. Diederichs 2004). So stammen fast die Hälfte der im Vorfeld diskutierten Beträge aus dieser Zeit, in der, beispielsweise mit den Werken von Herman Häfker (1913) und Kurt Pinthus (1963 [1913]), noch zahlreiche weitere gehaltvolle Veröffentlichungen erscheinen19. Generell steigt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Film 19
Aus dem Jahr 1913 stammt auch eines der zahlreichen Manifeste des Futurismus von Filippo Tommaso Marinetti. In diesem preist er nicht nur das Automobil (zum Verhältnis von Futurismus und Auto vgl. Daniela Zenone (2002)) sondern zieht eine Verbindung zwischen Automobil und Film/Kino, die bereits wesentliche Dimensionen der Dromologie von Paul Virilio (vgl. Kapitel 7.1.2) vorweg nimmt: „Der Futurismus beruht auf einer vollständigen Erneuerung der
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auf ein höheres und teilweise auch abstrakteres Niveau, was die nachfolgend vorgestellten Werke zeigen werden. Mit der Steigerung der Komplexität und der Abstraktion der filmtheoretischen Betrachtungen, die sich zusehends vom literarischen und journalistischen in den wissenschaftlichen Bereich verlagern und sich Schritt für Schritt von der Beschreibung der Filminhalte und deren Ausdeutung entfernen, indem sie sich aus verschiedensten Perspektiven (Kunsttheorie, Psychologie, Philosophie) mit verallgemeinerbaren ästhetischen Dimensionen des Films beschäftigen, verändern sich auch die Art und Weise der Thematisierung des Automobils. 4.2.1 Ein Potpourri an Automobilem: Schultze und Häfker Ernst Schultze entwirft in seiner Monografie Der Kinematograph als Bildungsmittel zwar keine Filmtheorie, dennoch finden sich darin durchaus theoretische Ansätze. Seine Darstellungen können hier nicht außer Acht gelassen werden, da, wie Schultze im Vorwort selbst schreibt, „bisher kein Buch über die Rolle des Kinematographen in unserer Kultur erschienen“ (Schultze 1911, 7) ist. Dies möchte Schultze mit seiner Publikation ändern, was er programmatisch anzeigt: „Ist doch der Zweck meines Buches der, dieses wundervolle Erzeugnis der Technik [den Film, Anm. d. A.], das die Fähigkeit in sich trägt, ein Volksbildungsmittel allerersten Ranges zu bilden, in möglichst weitgehendem Maße für unsere Kultur zurückgewinnen zu helfen“ (ebd., 8).
In diesem Gegenentwurf zur Diskussion des sogenannten Schundfilms im Allgemeinen und insbesondere als Reaktion auf Albert Hellwigs Buch Schundfilms (1911), der, wie Schultze selbst anmerkt, nur die Auswüchse des Films beschreibt, würdigt er „seine guten Seiten (…)“ (ebd., 8). Das filmtheoretische Potential der Schrift des Autors liegt darin, dass sie versucht, dem Film eine übergeordnete gesellschaftliche und kulturelle Funktion zuzuschreiben, die in der Möglichkeit des Einsatzes des Films als Bildungsmittel liegt. So geht Schultze beispielsweise besonders auf den gewinnbringenden Einsatz des Films in Schulen, aber auch zur Erwachsenenbildung ein.
menschlichen Sensibilität, die eine Folge der großen wissenschaftlichen Entdeckungen ist. Wer heute den Fernschreiber, das Telefon, das Grammophon, den Zug, das Fahrrad, das Motorrad, das Auto, den Überseedampfer, den Zeppelin, das Flugzeug, das Kino, die große Tageszeitung (Synthese eines Tages der Welt) benutzt, denkt nicht daran, daß diese verschiedenen Arten der Kommunikation, des Transportes und der Information auf seine Psyche einen entscheidenden Einfluß ausüben“ (Marinetti 2005 [1913], 39).
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Vor diesem Hintergrund beschäftigt er sich detailliert mit den Inhalten und Inszenierungsmöglichen des Films, wobei er wiederholt das Automobil und dessen Darstellungsweisen thematisiert. So beschreibt er ausführlich die Verfolgungsfahrt mit einem Automobil im Rahmen einer Filmszene: „Da wird der raffinierte Diebstahl ausgeführt, zu dessen Verfolgung die Polizisten aufbrechen. Gerade noch gelingt es dem Verbrecher, in den schon abgehenden Eisenbahnzug zu springen – die Polizisten kommen zwei Sekunden zu spät. Aber sie sausen in einem Automobil hinterher und beginnen eine wilde Jagd nach dem Entkommenen, durch Straßen und Häuser hindurch, über die Dächer hinweg – bis sie ihn nach erbittertem Kampfe gefangen nehmen“ (ebd., 14).
Interessant hierbei ist, dass es bei dieser Schilderung der spezifischen Form der Automobildarstellung (Verfolgungsfahrt) nicht um eine Verfolgung von Automobilen geht, sondern um ein Automobil, das eine Eisenbahn verfolgt. Auch weist Schultze durch das Verb „sausen“ auf die hohe Geschwindigkeit hin, mit der sich das Automobil bewegt. An einer anderen Stelle seiner Ausführungen thematisiert er wiederum anhand der Schilderung einer Filmszene die Entführung einer Person unter Verwendung eines Automobils und benennt diese Person als Ursache für die Aufnahme der Verfolgung. „Ein Auto entführt ihn und seine Getreuen. Natürlich sind die Verfolger hinter ihm her. Eine wilde Jagd beginnt“ (ebd., 50). Damit betont er neben der Verfolgungsfahrt eine weitere konkrete Art der Darstellung des Automobils, nämlich die Entführung, und verweist zugleich auf die Verbindung zwischen Automobildarstellung und der Inszenierung von Verbrechen im Film. Schultze führt seine Schilderungen aber noch weiter aus, wenn er brennende Autos als Finale einer Verfolgungsfahrt und als Erkennungszeichen des amerikanischen Films beschreibt: „Wenn uns eine Jagd auf Verbrecher vorgeführt wird, die nacheinander alle möglichen Verkehrsmittel benutzen, um den Verfolgern zu entrinnen, und schließlich ihr Automobil in Brand gerät, so dass eine große Explosionskatastrophe das Ende ist –, so können wir ziemlich sicher sein, dass wir es mit einem amerikanischen Film zu tun haben“ (ebd., 23).
In dieser Passage wird deutlich, wie analytisch der Blick Schultzes auf den Film bereits ist, wenn er explodierende Automobile als eine nationale Eigenart von amerikanischen Filmen aufzeigt und damit eine bestimmte Form der filmischen Automobildarstellung als ein Element sieht, welches zur Klassifizierung von Filmen im Sinne früher Genrekonventionen führt20. 20
Vgl. die ausführliche Darstellung der Genregeschichte und -theorie in Kapitel 7.2.
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Unabhängig davon verweist er mit seiner Schlussfolgerung und der Hervorhebung der automobilen Katastrophe in Form der filmischen Inszenierung eines Unfalls auf ein Finale von Verfolgungsszenen, das noch heute essentieller Bestandteil vieler, nicht nur amerikanischer Actionfilme ist. Gleichzeitig ist die Schilderung Schultzes eine erneute Benennung einer spezifischen Form der Automobildarstellung – des Autounfalls. An anderer Stelle beschreibt der Autor den von Méliès (2004 [1907]) aufgrund einer Automobilszene entdeckten und beschriebenen Stopptrick in seiner Verwendung zur tricktechnischen Realisierung eines Unfalls: „Er sieht und hört nichts – und wie er mit der Dampfwalze zusammenstößt, fällt er der Länge nach hin, mit zermalmender Kraft geht sie langsam über seinen Körper, und wir sehen am Boden nur noch eine breitgequetschte Masse, die deutlich die Uniformumrisse eines menschlichen Körpers zeigt: selbstverständlich eine Puppe, die bei der kinematographischen Aufnahme in diesem Augenblick eingeschoben wurde“ (ebd., 53).
Dieser Schilderung lässt sich entnehmen, dass Schultze sich auch für die filmische Realisierung der Automobildarstellung interessiert und damit eine weitere Dimension der Diskussion der Automobildarstellung lanciert, nämlich die Beschäftigung mit der Frage, wie der Film etwas zeigen kann bzw., in diesem konkreten Fall, wie man eine Automobilszene filmisch umsetzt. Mit dieser Frage beschäftigte sich zwei Jahre später auch Hermann Häfker. In seiner 1913 veröffentlichten Monografie Kino und Kunst, in der er leidenschaftlich die Kunstfähigkeit des Films verteidigt, veranschaulicht er die filmische Realisierung einer Automobilszene: „Wenn ich z.B. vor einem laufenden Automobil die Aufnahmekurbel zu langsam drehe, das fertige Bild aber im gewöhnlichen Zeitmaß abrolle, so läuft das Bild Automobil mit einer ganz unmöglichen Schnelligkeit“ (Häfker 1913, 44).
Häfker schildert hier die Probleme, die beim Drehen einer Automobilfahrt entstehen können und weist dabei ausdrücklich auf die für eine Automobilszene so wichtige Geschwindigkeit hin. Wird die Aufnahme des fahrenden Automobils nicht in der richtigen Geschwindigkeit gefilmt, wird sie auch bei der späteren Projektion des Films verzerrt wiedergegeben. Das darf nicht geschehen, denn eine „unmögliche Schnelligkeit“ zählt nicht zu den Merkmalen einer gelungenen Automobildarstellung, über die hier in einer Marginalie im Rahmen eines frühen filmtheoretischen Entwurfs reflektiert wird. Als wären diese zahlreichen unterschiedlichen Automobilthematisierungen, die im Gegensatz zu Häfker bei Schultze (1911) mehr als eine bloße Randnotiz
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sind, noch nicht genug, findet sich bei ihm außerdem noch ein Verweis auf dokumentarische Aufnahmen von Automobilen und Automobilrennen, auf deren Existenz bereits Hardenkopf (1992 [1910]) hinweist. Schultze schildert diese im Rahmen der Aufzählung von Filmtiteln zum Thema „Sport- und militärische Szenen“ als Großes Automobilrennen Dieppe 1907, Automobilrennen im Taunus und Automobil passe-partout (vgl. Schultze 1911, 55). Nicht zuletzt dieser Hinweis auf dokumentarische Automobilaufnahmen (bereits um 1907) macht seine Abhandlung zu einem Fundus von Thematisierungen des Automobils. Schultze macht außerdem auf ein Kuriosum aufmerksam: ein zum Kino umfunktionierbares Automobil, welches als eine Form des Wanderkinos betrachtet werden kann (vgl. Schultze 1911, 28). 4.2.2 Das Kinobuch als Automobilbuch: Pinthus und die Schriftsteller Kurt Pinthus, der Initiator und Herausgeber des legendären Kinobuches, welches 1913 erscheint und frühe, stark an literarischen Texten orientierte Drehbücher für Filme von vorwiegend expressionistischen Schriftstellern beinhaltet, verfasst mit dem programmatischen Eröffnungsartikel Einleitung: Das Kinostück eine vielbeachtete, frühe Theoretisierung über den Film. Er erkennt darin das Potential des Films, eine eigene Kunstform zu sein, wendet sich gegen eine theaternahe Verfilmung von Stoffen und fordert, dass die vom Theater emanzipierenden Ausdrucksmittel des Films, wie „Bewegung“, „Trick“ und „das unbegrenzte Milieu“ eingesetzt werden, um ihn weiter zu etablieren und qualitativ zu verbessern. In dieser frühen Wesensbestimmung des Films, die in ihrer Tiefe über die früheren, auch die hier erwähnten, Äußerungen zum Film weit hinausgeht, thematisiert Pinthus auch das Automobil. So schildert er dessen filmische Darstellung im Zusammenhang mit der eines Verbrechens: „Der Mensch sieht den Reichen täglich im Auto vorübersausen; aber wie der Überfall auf dieses Auto vorbereitet wird, wie niederträchtige Burschen ein Seil über die Chaussee spannen, wie im letzten Augenblick ein wackerer kleiner Ingenieur das Auto anhält und schließlich die Tochter des geretteten Reichen heiratet – das sieht man nur im Kino“ (Pinthus 1963a [1913], 23).
Doch diese Passage bietet mehr als nur die Beschreibung dieser spezifischen Form der Automobildarstellung. In diesem Satz verweist Pinthus zusätzlich auf das Auto als Statussymbol wohlhabender Kreisen. Er schildert seine Geschwindigkeit nicht nur als ein filmisches Phänomen, sondern auch als reale Tatsache – es saust vorbei. Letztlich verweist Pinthus auf die Fähigkeit des Films durch seinen fiktionalen Charakter etwas zu zeigen, was so im Alltag nicht wahrnehm-
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bar ist. Man könnte so weit gehen zu behaupten, dass in der Formulierung „das sieht man nur im Kino“ bereits ein Fünkchen des Kracauerschen Verständnisses der Leistung des Films als der Hervorbringung von etwas in der Realität vorhandenem, aber nicht wirklich wahrnehmbarem steckt – der Film als The Redemption of Physical Reaity, also, wie es im Untertitel der englischen Originalausgabe seiner Theorie des Films heißt (vgl. Kracauer 1985 [1960]). Dieser Satz von Pinthus, der darauf verweist, dass der Film etwas zeigen kann, was für den Zuschauer sonst nicht wahrnehmbar ist und damit das Besondere, die Attraktion hervorhebt, liest sich wie die Essenz der Wesensbestimmung des Films anhand der Schilderung einer Automobilszene. Er versteht den Film als Massenphänomen, welches eine ungewöhnliche Erlebnisqualität beinhaltet und sich mittels seiner spezifischen Ausdrucksmittel vom Theater emanzipieren kann. Diese Überzeugung von der emanzipatorischen und wesensbestimmenden Kraft der filmischen Mittel zeigt sich auch in einer späteren Reflexion Pinthus’, nämlich in dem Aufsatz Dr. Mabuses Welt (1984 [1922]), in dem er über die gleichnamigen Filme von Fritz Lang referiert. Auch wenn dieser Artikel erst 1922 erscheint, sei er hier aufgrund der inhaltlichen Relevanz kurz erwähnt. Er weist in seiner Schrift darauf hin, dass die filmischen Mittel, vor allem die Trickund Kameratechnik, es vermögen, Spannungs- und Erregungsmotive zu schaffen, die „nicht aus der Handlung (…)“ (Pinthus 1984 [1922], 306) resultieren. Pinthus zeigt dies anhand der phantastischen Inszenierung einer Autofahrt: „Wie hier mittelmäßige Schauspieler durch Beherrschung der kinematographischen Möglichkeiten gesteigert sind; wie die Leute von den Gespenstern ihrer Einbildung gejagt werden; selbst Titel und Worte unmittelbar mit ‚spielen’; wie der Staatsanwalt von dem hypnotischen Wort ‚melior’ im Auto durch die Nacht gepeitscht wird, das haben – die Gerechtigkeit gebietet es zu sagen – auch die Amerikaner noch nicht besser gemacht“ (ebd., 306, Herv. i. O.).
Indem Pinthus darauf verweist, dass diese Automobilfahrt diejenigen amerikanischer Filme übertrifft, verweist er hier indirekt auf die Automobildarstellung als ein Element zur Kategorisierung von amerikanischen Filmen. Er nutzt diesen Vergleich zur Hervorhebung der besonders gelungenen Automobildarstellung in den Mabuse-Filmen und betont die Geschwindigkeit und Dynamik der Automobilfahrt durch Wörter wie „gejagt“ und „gepeitscht“. Die beiden neun Jahre auseinanderliegenden Schilderungen von Automobilszenen verweisen auf zwei der von Pinthus in seiner filmtheoretischen Betrachtung Das Kinostück als spezifische Ausdrucksmittel des Films beschriebene Entitäten – die „Bewegung“ und das „unbegrenzte Milieu“. Die Verbreitung und Beliebtheit der filmischen Darstellung des Automobils in den 1910er-Jahren wird u.a. besonders dadurch deutlich, dass sechs der Ent-
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würfe filmischer Geschichten, die in Pinthus’ Kinobuch versammelt sind, Passagen enthalten, in denen ein Automobil vorkommt bzw. dieses ein wesentlicher Teil der Handlung ist – eine Tatsache, die sicherlich dem Unterhaltungswert des Automobils und seiner Modernität geschuldet ist, da viele der Entwürfe bewusst in der Gegenwart angesiedelt sind und nachdrücklich Bezug auf das Zeitgeschehen nehmen. In diesen Szenen sind die programmatischen Forderungen von Pinthus realisiert. „Das Kinodrama, welches Theaterdramen verfilmt oder Romane dramatisiert, muß absterben. (…) Das Kino wird sich nur halten und entwickeln können, wenn es wirklich Kino sein will, also wenn es sich seiner unendlichen Möglichkeiten erinnert und aufgibt, der Schaubühne nacheifern zu wollen“ (Pinthus 1963a [1913], 19).
Das Automobil als Transportmittel, ohne dass ihm eine besondere Funktion und Bedeutung zugeschrieben wird, taucht in Richard A. Bermanns Filmentwurf Leier und Schreibmaschine (1913) auf: „Er steigt in ein Auto und fährt sofort zu dem Verleger Salomon Auflage und zeigt ihm den Käse“ (Bermann 1963 [1913], 32). Als eine Art Handlungsraum integriert Walter Hasenclever das Automobil in seinen Entwurf Die Hochzeitsnacht. Ein Film in drei Akten (1913) und lässt dort eine entscheidende Szene spielen: „Ein Automobil fährt in der Nacht vor ein kleines Haus der Vorstadt. Die Türe des Hauses geht auf; Clarissa steht auf der Straße, sie blickt sich scheu um; dann steigt sie schnell ein. Der Graf sitzt im Automobil, Koffer sind aufgeschnallt. Während des Fahrens nimmt er aus seinem Portefeuille fünf Tausendmarkscheine und gibt sie Clarissa, die verschleiert, unbeweglich vor ihm sitzt. Sie öffnet ein Kuvert, tut die Scheine hinein, verschließt es. Das Auto hält am Bahnhof. Sie steigt aus und wirft das Kuvert in den Briefkasten“ (Hasenclever 1963 [1913], 38f.).
Eine wichtige und zentrale Funktion nimmt das Automobil in Elsa Asenijeffs Die Orchideenbraut. Ein Film in drei Akten (1913) ein. Der Autounfall wird hier zum Ausgangspunkt eines Liebesdramas. Die filmische Szene des Autounfalls beschreibt Asenijeff sehr detailliert. „Er setzt sich ins Auto auf den Chauffeurplatz und fährt los. Man sieht ihn auf einer, das Wasser entlangführenden Chaussee fahren und dann auf die gepflasterte Dorfstraße einbiegen. Von weitem kommt auf der Straße das Pferd der Gräfin dem Auto entgegen. Ein Kind, das die Gräfin gepflegt hat, will ihr zuspringen, um ihr Blumen zu reichen; es bemerkt daher das kommende Auto nicht. Vanderem hat wieder seine starren, großgeöffneten, dämonischen Augen – er sieht das Kind nicht. Erst im letzten Moment, als Leute aufkreischen, Hände ringen und das Auto ganz nahe ist, erblickt er es und biegt scharf ab, um das Kind zu retten. Das Auto stürzt dabei um, und Vanderem wird herausgeschleudert. Entsetzen packt die Anwesenden. Niemand
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traut sich heran, obwohl die ganze Straße sich mit erschrockenen Menschen füllt, weil das Auto zu brennen beginnt“ (Asenijeff 1963 [1913], 62).
Das Automobil als Fluchtmittel integriert Ludwig Rubiner in seinen filmischen Entwurf. In Der Aufstand. Pantomime für das Kino (1913) schreibt er es in der Schilderung der vierten Szene: „4. Ausfahrt aus der Geliebten aus dem Schloß. Vorbei an der Fabrik. Streikende umringen das Auto; es fährt flüchtend davon. Fahrt nach dem Flußufer. Park am Fluß“ (Rubiner 1963 [1913], 107). Paul Zech entwirft in Der große Streik (1913) das folgende Szenario eines städtischen Betriebsgeländes, in dem Automobile in schneller Bewegung und mit großer Geschwindigkeit auftauchen: „Die riesigen Schlote rauchen dünn und langsam, und die schwarze, rußgeschwärzte Luft beginnt sich zu lichten. Auf den holprigen Wegen fauchen Automobile in sausender Fahrt“ (Zech 1963 [1913], 115).Das Automobil als Statussymbol und in dieser Funktion die Filmhandlung rahmend und teilweise motivierend spielt in Otto Picks Florians glückliche Zeit (1913) eine entscheidende Rolle. Der Filmentwurf eröffnet mit der Begegnung zwischen dem Flurhüter Florian und der in einem heranfahrenden Automobil sitzenden Tochter des Grafen, bei dem Florian angestellt ist und in dessen Tochter er sich verliebt. „Da naht ein Auto. Die Insassen lassen stoppen. Der Schlossherr und seine schöne Tochter mit Gästen aus der Stadt nähern sich. (…) Die Komtesse fragt, ob Florian beim morgigen Dorffeste mit ihr tanzen wolle. Das Auto rast davon. Florian liegt im Grase und gibt sich seinen glücklichen Träumen hin (Pick 1963 [1913], 99).
Die Handlung beschließt Pick mit einem davonfahrenden Automobil, in dem einige Monate später Florians ehemalige Freundin Brigitte an ihm vorbeifährt: „Wir sehen ihn [Florian, Anm. d. A.] bei Sonnenuntergang am Feldrain sitzen, erschöpft und doch hoffnungsvoll, da er an Brigitte denkt. Da nähert sich ein leeres Auto. Es fährt langsam. Er erkennt den gräflichen Chauffeur und, dicht an ihn geschmiegt, Brigitte. Florian sinkt weinend um“ (Pick 1963 [1913], 104).
In der von diesen beiden Autoszenen gerahmten Handlung gewinnt Florian im Lotto, versucht der Tochter des Grafen zu imponieren, verlässt Brigitte, verliert durch seine Gutgläubigkeit schließlich alles und will in sein altes Leben zurückkehren. Das Automobil spielt in dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle, da sich Florian nach seinem Lottogewinn sofort ein Automobil kaufen will: „Das erste ist, daß Florian dem Hausierer das Auto abkaufen will; da es gemietet ist, geht dies nicht“ (Pick 1963 [1913], 101). Durch einen Autokauf möchte er seinen finanziellen Aufstieg zur Schau stellen, was ihm auch gelingt. Pick schildert Florians Zustand in dieser Situation wie folgt:
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„Er besitzt ein Auto mit einem Neger als Chauffeur und wohnt in einem Haus am Quai. Seine Diener engagiert er unter der Schar von Speichelleckern, die sich ihm in den Nachtlokalen nähern“ (Pick 1963 [1913], 101).
Wie Pinthus (1963a [1913]), der den Besitz eines Automobils als Ausdruck eines gesellschaftlichen Status beschreibt, nutzt auch Pick das in den 1910er-Jahren nur der reichen Oberschicht vorbehaltene Automobil zur Veranschaulichung des Aufstiegs und Falls einer Person. Auf die tatsächliche Verbreitung des Automobils geht im selben Jahr in einem anderen Text und Kontext wieder Pinthus selbst ein, indem er Automobil und Kinobesuch zueinander in Beziehung setzt und dies diskutiert, worauf im Folgenden kurz eingegangen werden soll. In einem Zeitungsartikel, ebenfalls aus dem Jahr 1913 zur Eröffnung eines neuen Kinos, des Königpavillon-Theaters, im Leipziger Tageblatt beschreibt Pinthus den Zusammenhang zwischen Kinobesuch und Automobil: „Nun tritt man in das neue Königspavillon-Theater. Während draußen in dem gelben Kreis, den das Licht der Bogenlampe hinwirft, die Autos und Droschken anhalten, bemüht man sich in dem violetten Foyer Hut und Mantel in der bestürmten Garderobe abzugeben“ (Pinthus 1978 [1913], 73). Dieser Schilderung kann man entnehmen, dass sich der Kinobesuch in den 1910er-Jahren von einer Freizeitbeschäftigung der unteren Bevölkerungsschichten zu einem Vergnügen der höheren Schichten entwickelt hat. Denn nur diese konnten sich ein Automobil leisten und mit diesem zum Kino fahren (vgl. Gutberlet 2007). Pinthus nutzt damit das Automobil zur Reflexion über die Gesellschaftsstruktur der damaligen Zeit. Neben den hinsichtlich der Automobilthematisierung vorgestellten Filmentwürfen befindet sich in Pinthus’ Kinobuch – abgesehen von seinem eigenen filmtheoretischen Entwurf – auch Franz Bleis Beitrag Kinodramen. Ein Brief, der eine weitere, rudimentäre, kritische Wesensbestimmung des Films liefert. Einer der zentralen Kritikpunkte Bleis ist die filmische Darstellung von Autounfällen: „Und was diese anderen gewissen Kinostücke anlangt, welche den Menschen in die sogenannten Wunder der Technik hineinphotographieren, in Autounfälle, Eisenbahnzusammenstöße, Aeroplanabstürze, zusammenbrechende Minen und was derlei mehr, so bin ich für mich persönlich mit meiner Begeisterung wohl bei der geistigen Tat des Erfinders, nicht aber bei der praktizierten Erfindung selber“ (Blei 1963 [1913], 310).
Er kritisiert in dieser Passage, dass Filme „den Menschen in sogenannte Wunder der Technik hineinphotographieren, in Autounfälle, (…)“ (ebd., 310). Auf diese Weise vernachlässigen sie zugunsten der Darstellung spektakulärer und auf neue Technik konzentrierter Szenen die Menschen, die laut Blei die wesentliche Rolle
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in Filmen spielen sollten. Denn der Film birgt seiner Meinung nach die Möglichkeit, für aufklärerische Zwecke eingesetzt zu werden, wenn er alltägliche Menschen in ihrem Tun und Werden zeigt. „Daß der Mensch auf sich aufmerksam werde, scheint mir in dieser Zeit scheinbelebter Materie und ihrer Anbetung [der Technik und damit auch des Automobils, Anm. d. A.] so nötig zu sein. Man filme also nicht nur wilde Völkerstämme (…), sondern man filme das Nächste, das uns so fremd ist, die Köchin, den Strizzi, den Leutnant, was vielleicht gar nicht interessant, aber voller Bedeutung ist für unsere Leben“ (ebd., 311).
Mit dieser kritischen Erwähnung der filmischen Darstellung eines Autounfalls schließt Blei einerseits an Pinthus’ (1963a [1913]) programmatische Forderungen in seiner den eigentlichen Filmentwürfen vorangestellten Theoretisierung Einleitung: Das Kinostück zum Bezug des Films zum Zeitgeschehen an. Andererseits schreibt er dem Film eine Dimension zu, die erst wieder bei den russischen Montagetheoretikern und auch bei Walter Benjamin zum Tragen kommt, wenn dem Film die Möglichkeit der politischen Agitation bzw. der reflektierenden Selbsterkenntnis der Arbeiterklasse durch die Darstellung von Arbeitsprozessen und -bedingungen zugeschrieben wird. 4.2.3 Exponierung und Poetisierung des Automobils: Von Altenloh zu Lukács In Aussagekraft und Eindeutigkeit in den 1910er-Jahren nie nachdrücklicher und stärker formuliert, beschreibt Emilie Altenloh in ihrer Monografie Zur Soziologie des Kino (1914) die Stellung des Automobils im Film. In der Beschreibung eines Rundgangs über ein Filmstudiogelände findet sich folgender Satz: „An das Haus schließt sich ‚der Urwald’ an, von einem Wasserarm durchflossen, und zehn Schritt weiter stehen wir vor einer Autogarage, die den wichtigsten Bestandteil jedes Kinostücks, das Automobil, enthält“ (Altenloh 1914, 34, Herv. i. O.).
Leider wird diese Aussage, die das Auto als das bedeutendste Element des Films klassifiziert, nicht reflektiert oder begründet und das in einer Arbeit, die ansonsten sehr gewissenhaft und analytisch vorgeht. Als erste sozialwissenschaftliche Abhandlung zum Film enthält sie u.a. empirischen Studien in Form von Umfragen unter Kinobesuchern zur Erfassung der sozialen Schichtung des Filmpublikums. Die Ergebnisse werden zu den Filminhalten in Beziehung gesetzt, um dadurch Erkenntnisse über den Filmgeschmack der Kinobesucher und deren inhaltliche Präferenzen zu gewinnen. Im Rahmen von Altenlohs Auseinanderset-
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zung mit dem Film als Produkt, welche auch theoretische Betrachtungen enthält, findet sich dann relativ unvermittelt diejenige Aussage, die das Automobil zum „wichtigsten Bestandteil jedes Kinostücks“ erhebt. Ob diese Anmerkung eher beiläufig gemacht wurde und Altenloh ihr keine tiefere Bedeutung beimaß und ob sie sich auf die Darstellung des Automobils im Film oder die Funktion des Automobils bei der Filmproduktion oder gar beides bezieht, ist nicht zu klären. An dieser Stelle lässt sich spekulieren, dass diese Bedeutungszuschreibung und Gewichtung des Automobils zu der damaligen Zeit einfach keiner Erklärung bedurfte, da die Filme und das Vorkommen des Automobils in ihnen für sich sprachen und Altenloh nur das zusammenfasste und pointierte, was damals ohnehin jeder annahm. Dass das Automobil in den Filmen der 1910er-Jahre mehr als präsent ist, beschreiben bereits die im Vorfeld erwähnten Autorinnen und Autoren. Willy F. Storck erhebt das Automobil in seinem 1914 erschienenen Aufsatz Kino, Theater und Kunst. Gedanken über Gestaltungsprobleme des Kino ebenfalls zu einem das Wesen des Films bestimmenden Bestandteil und versucht sich sogar in einer Begründung. Er benennt nicht nur, wie Altenloh (1914), explizit die Bedeutung des Automobils für den Film, sondern verbindet es argumentativ aufs Engste mit den Mitteln des Films, die seine Spezifik ausmachen und ihn vom Theater und von der Literatur absetzen. Eingeleitet mit den Worten: „Welches sind nun die Eigenheiten des Kinos, aus denen sein künstlerisches Wesen Gestalt gewinnen kann“ (Storck 1987 [1914], 87, Herv. i. O.), benennt Storck drei Punkte, von denen der dritte auf das Automobil eingeht. „3. Er [der Film, Anmerk. d. A.] sprengt noch einmal die Einheit von Zeit und Raum, und schafft so eine Unbegrenztheit des Milieus. Er bringt Menschen, Tiere, Sachen auf einen Generalnenner. Eine Sache, ein Tier – haben dieselben Existenzund Bewegungsberechtigung im Film wie der Mensch. Der Hintergrund – die Natur, das Interieur – wird lebendig, greift in die Handlung ein, ist Bestandteil von ihr: das Rauschen des Wassers, der Wind in den Bäumen, das Toben des Gewitters, – und hier finden das Automobil, das Luftschiff, der Aeroplan ihre poetisch-sinnliche Verwertung. – Nicht selten hat man gerade in dieser Hinsicht künstlerische Verheißungen empfangen können; als besonders prächtige und gelungene Verwertung ist etwa Das schwarze Los zu nennen; welche Sensationen haben Aeroplane und Luftschiffe noch sonst geboten! So schaltet das Kino die Kategorien der Unmöglichkeit aus, setzt Möglichkeit und Wirkung gleich; alles ist möglich – dies ist die Weltanschauung des Kinos (ebd., 87, Herv. i. O.).
Dadurch, dass Storck „Menschen, Tiere, Sachen“ im Film als gleichberechtigte filmische Elemente betrachtet, sind dessen Möglichkeiten nicht eingegrenzt, wie beispielsweise beim Theater. In, wie es scheint, Anlehnung an Pinthus (1963a [1913]) der bereits 1913 von der Unbegrenztheit des Milieus gesprochen hat und unter Bezugnahme auf Lukács (1992 [1911]) worauf bereits Diederichs (1987)
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verweist, ohne jedoch auf einen der beiden Autoren hinzuweisen, beschreibt Storck, wie der Film auch Gegenstände, also die dingliche Welt, „poetischsinnlich“ gestalten kann. Wobei er dezidiert auf das Automobil verweist. Damit ist das Potential des Films, das Automobil zu einem filmischen Ort bzw. zu einer die Handlung bedingenden und gestaltenden Entität zu machen, eine „Eigenheit des Kinos“. Bei genauerer Betrachtung könnte man behaupten, dass Storck aus der Darstellung des Automobils (neben anderen Gegenständen) eine den Film charakterisierende Eigenschaft ableitet. Der Philosoph und Literaturwissenschaftler Georg Lukács, bei dem Storck die Idee vom Vermögen der poetisch-sinnlich Gestaltung des Films entlehnt hat, geht in seiner 1911/1913 erschienenen Abhandlung Gedanken zu einer Ästhetik des Films21 selbst auf die filmische Darstellung des Automobils ein. In seiner frühen, grundlegenden Studie zu den ästhetischen Möglichkeiten des Films beschreibt er ihn als dazu prädestiniert, die physische Realität darzustellen und Prozesse der Moderne und der Großstadt sowie deren technische Errungenschaften zu thematisieren. Diese physische Gegenständlichkeit vermag der Film im Gegensatz zum Theater zu poetisieren, was ihn dadurch eigenständig macht. Eine jener technischen Errungenschaften, die im Film besonders zur Wirkung kommt, ist für Lukács das Automobil. „Erst im ‚Kino’ ist – um nur ein Beispiel zu bringen – das Automobil poetisch geworden, etwa im romantisch Spannenden einer Verfolgung auf sausenden Autos. So erhält hier auch das gewöhnliche Treiben der Straßen und Märkte einen starken Humor und eine urkräftige Poesie: das naiv-animalische Glücksgefühl des Kindes über einen gelungenen Streich, über das hilflose Nichtzurechtfinden eines Unglücklichen wird in unvergesslicher Weise gestaltet“ (Lukács 1992 [1911], 304).
Der Film verleiht dem Automobil als Kunstform eine Poesie, die die älteren Künste, wie Theater und Literatur, ihm nicht zu geben vermögen, gerade dann, wenn der Film es in seiner Bewegung und mit seiner Geschwindigkeit zeigt, was Lukács anhand einer schnellen Verfolgungsfahrt erläutert. Das Technische des Automobils findet im Film seinen adäquaten künstlerischen Ausdruck. Durch diese Zuschreibung entwickelt Lukács einen das Wesen des Films bestimmenden Zusammenhang zwischen Film und Automobil, der die Dimension der reinen, auf der filmischen Abbildung basierenden Deskription verlässt und die Darstellung des Automobils eng mit dessen Kunstfähigkeit verbindet. Die Verfolgungsfahrt ist für Lukács nicht nur narrativ, spannend und 21
Lukács veröffentlichte 1911 eine Version des Aufsatzes und 1913 noch einmal eine leicht veränderte Variante.
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visuell attraktiv – sie wird durch die filmische Inszenierung zu Poesie und gleichzeitig zu einem Teil der Wesensbestimmung des Films. 4.2.4 Theoretisierende Filmregisseure und das Automobil: Mack und Gad Bemerkenswert und ergiebig hinsichtlich der Erwähnung des Automobils ist das 1916 von dem Regisseur Max Mack veröffentlichte Werk Die zappelnde Leinwand, da es der Diskussion um die Bedeutung des Automobils im Film ein eigenes Unterkapitel widmet und ihm allein damit eine besondere Bedeutung zuschreibt. In diesem mit Ein Filmbuch untertitelten Kompendium schildern Mack und weitere Filmschaffende, so zum Beispiel der Regisseur Ewald André Dupont, aus der Sicht von Praktikern das Handwerk, das Wesen und die Eigenarten des Film(en)s in leichter, ja gelegentlich ironisierender Art und Weise. Das Buch gibt einen Überblick, welcher von der Entstehungsgeschichte über die Entwicklung von Filmstoffen und die Position bzw. den Status von Schauspielerinnen und Schauspielern bis hin zur Schilderung von Dreharbeiten und Postproduktion reicht. Selbst Reflexionen über die Zuschauer finden hier ihren Platz. Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig auf dem Einblick, den die Regisseure in die praktische Filmarbeit geben – was Mack im Vorwort wie folgt formuliert: „Und einen Vorzug hat unser Buch. Es ist aus der Seele des Kinos heraus geschrieben worden. Die Atmosphäre ist sozusagen gesättigt von Kohlenstaub mit Celluloiddüften …“ (Mack 1916, 3). Im Kapitel Amerikanismus schildert Mack die Besonderheit des amerikanischen Films und der filmischen Darstellung von Amerikanern. Deren herausragendes Merkmal ist die Eleganz, die sich u.a. an den Utensilien Monokel und Zigarre zeigt. Ein weiteres wichtiges Objekt ist aber auch das Automobil, welchem Mack ein mit Das Auto überschriebenes, kurzes Unterkapitel widmet. Diese Hervorhebung des Automobils ist innerhalb der Publikationen der 1910erJahre, aber auch im Vergleich zu späteren Veröffentlichungen, nahezu einzigartig und liest sich wie eine Zusammenfassung der Automobilthematisierungen der anderen bisher vorgestellten Autoren. Aus diesem Grund seien dieser Absatz und der Beginn des folgenden, der mit Der Detektiv überschrieben ist, hier nahezu vollständig zitiert, da sie wichtige Aussagen zum Automobil enthalten. „Das Auto ist der dritte große Faktor, mit dem sich der Film die vornehme Gebärde gibt. Der Wagen in allen seinen Typen belebt das Bild, gibt Schwung, macht die Millionen wahrscheinlicher, die im Film das Kleingeld ersetzen. Ein dahinrasendes Auto, möglichst so gestellt, daß es dem Publikum ins Gesicht fährt, ist ein nie versagender Effekt. Man wird seekrank, wenn das gut gemacht ist. In einem vorderen
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Wagen steht der Apparat und nimmt auf, was in dem dicht hinter ihm fahrenden Wagen geschieht. Straßen und Laternen sausen an uns vorbei, der Wagen mit seinen spielenden Insassen ist uns gerade gegenüber und rast uns ins Gesicht hinein. Man hat das Gefühl, das Leben beginne erst dann lebenswert zu werden, wenn man alle dramatischen Momente des Lebens in einem so bequemen, sausenden, federgepolsterten Rennwagen erleben könnte! (…) Und was müssen die Autos alles hergeben! Nie weiß der Zuschauer, daß es ehrbare Droschken sind, die so geschickt ins Objektiv gestellt werden, daß nur der Fond zu sehen ist. Oder sie müssen wie explodierende Schatten hintereinander hersausen, in wilder Verfolgung sich überbietend, um ein Tempo im Zuschauerraum zu erzeugen, das vorbereitet auf die kühnen Abenteuer des Films. Im Detektivfilm – immer noch einer der gängigsten und amüsantesten Artikel –, im Detektivfilm wäre die Welt ohne Autos farblos. Sie wäre wertlos, entstellt, eine Fratze und kein komplettes Kulturland, um Abenteurer und Gefahren filmmäßig erleben zu können. Der Filmdetektiv, die Blüte der Filmmenschheit, wäre ein Wahn ohne sein Auto“ (ebd., 82).
Mack schreibt dem Automobil hier, ausgehend vom aus der dynamischen Bewegung resultierenden Attraktionswert des Automobils, die Funktion eines finanziellen Erfolgsgaranten zu. Außerdem verleiht die filmische Darstellung eines Automobils dem Film eine „vornehme Gebärde“, was sicherlich darauf zurückzuführen ist, dass es in den 1910er-Jahren nur in der reichen Oberschicht verbreitet war und diese Exklusivität sich auf dem Film überträgt, wenn dieser Automobile präsentiert. Er wird dadurch sozusagen aufgewertet. Gleichzeitig erkennt Mack, dass der Film das Potential besitzt, durch die geschickte Darstellung des Automobils ein diesbezügliches Bedürfnispotential zu schaffen: „Man hat das Gefühl, das Leben beginne erst dann lebenswert zu werden, wenn man alle dramatischen Momente des Lebens in einem so bequemen, sausenden, federgepolsterten Rennwagen erleben könnte!“ (ebd., 82). Weiterhin verweist Mack an zahlreichen Stellen seiner Ausführung auf die Inszenierung von Geschwindigkeit durch die Automobildarstellung – Formulierungen wie „dahinrasendes Auto“, „sausen“, „Rennwagen“ und „wilde Verfolgung“ bedürfen keiner weiteren Erläuterung. An mehreren Punkten finden sich Hinweise auf die Verfolgungsfahrt und Mack versucht sogar, diese Form der Automobildarstellung zu interpretieren. Sie soll „ein Tempo im Zuschauerraum (…) erzeugen“, was sich dahingehend deuten lässt, dass die Autoverfolgung den Zuschauer in eine erregte und aufmerksame Stimmung versetzen soll bzw. dieses zu leisten vermag und dadurch ein Erregungslevel schafft, „das vorbereitet auf die kühnen Abenteuer des Films“. Damit spricht Mack die empathischen Fähigkeiten der filmischen Automobildarstellung an, die vor allem von der Art der Realisierung solcher Szenen bedingt sind, worauf er an anderer Stelle hinweist. Anhand der Schilderung einer Sequenz, in der die Fahrt so realisiert ist, dass das Automobil auf den Zuschauer zurast, schreibt er: „man wird seekrank, wenn das gut gemacht ist“ und verweist
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damit auf die Schockwirkung dieser Inszenierung. Das Motiv von auf den Zuschauer zufahrenden Automobilen ist in den Filmen der 1910er-Jahre sehr beliebt (vgl. Smith (2009 [1980]). Auch Mack gibt eine Auskunft darüber, wie solche Szenen filmisch realisiert werden und gibt damit einen frühen Hinweis auf die Verwendung des Automobils zur Realisierung von Phantom Rides22. „In einem vorderen Wagen steht der Apparat und nimmt auf, was in dem dicht hinter ihm fahrenden Wagen geschieht. Straßen und Laternen sausen an uns vorbei, der Wagen mit seinen spielenden Insassen ist uns gerade gegenüber und rast uns ins Gesicht hinein“ (Mack 1916, 82).
Zwar spricht Mack abschließend nicht, wie Altenloh (1914) es tut, davon, dass das Automobil der „wichtigste Bestandteil jedes Kinostücks“ ist, er beschränkt diese Einschätzung auf ein bestimmtes Genre. „Im Detektivfilm – immer noch einer der gängigsten und amüsantesten Artikel – im Detektivfilm wäre die Welt ohne Autos farblos. Sie wäre wertlos, entstellt, eine Fratze und kein komplettes Kulturland, um Abenteurer und Gefahren filmmäßig erleben zu können. Der Filmdetektiv, die Blüte der Filmmenschheit, wäre ein Wahn ohne sein Auto“ (ebd., 82).
Mit dieser Feststellung liefert er einen Hinweis darauf, dass das Vorhandensein eines Automobils im Film bzw. die Art seiner Darstellung dazu genutzt werden kann, Filme hinsichtlich bestimmter inhaltlicher Elemente kategorisieren zu können. Diese Kategorisierung kann in Bezug auf bestimmte Genres stattfinden, aber auch in Bezug auf das Produktionsland, denn schließlich befinden sich Macks Ausführungen zum Automobil im Kapitel Amerikanismus, in dem es um den amerikanischen Film und seinen Einfluss geht. Abschließend bleibt festzustellen, dass diese starke Hervorhebung der Automobildarstellung im Film allein schon aufgrund ihrer Fülle und Komplexität beeindruckend ist und in den 1910er-Jahren, aber auch in späteren Filmtheorien ihresgleichen sucht. Insbesondere die Tatsache, dass ein Regisseur, der den Film und seine Entwicklung von innen heraus betrachten und reflektieren kann, dies tut, verleiht der Hervorhebung weiteren Nachdruck. Ein anderer Regisseur, Urban Gad, veröffentlicht mit Der Film. Seine Mittel – seine Ziele 1919 einen Titel, der dem Automobil in zahlreichen Randbemerkungen einen wesentlichen Platz einräumt. Im seinem Werk mit Lehrbuchcha22
Pantom Rides sind „Fahrtaufnahmen aus der Frühzeit der Kinematographie, für die Apparaturen auf Züge, Straßenbahnen, manchmal auch Autos montiert wurden“ (Rother 1997a, 230).
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rakter versammelt und komprimiert der erfolgreiche dänische Regisseur und Pionier des narrativen Langfilms23 die praktischen Erfahrungen seines Schaffens und formuliert auf dieser Grundlage theoretische Regieprinzipien und filmhandwerkliche Hinweise. Er führt die von Méliès 2004 [1907] und Mack (1916) begonnene Linie theoretisierender Regisseure fort und eröffnet das Feld für die Schriften von Regisseuren wie Wsewolod I. Pudowkin, Dziga Vertov oder auch René Clair. Gad widmet sich neben filmpraktischen Beschreibungen und Hinweisen vor allem der Führung der Schauspieler, die wesentlich dazu beiträgt, seine Vorstellung vom Film als einer Fusion von literarischer Erzählung und Malerei geleitet von den Bedingungen der Fotografie zu realisieren. Dabei ist Gad als ein Materialtheoretiker zu verstehen, der die Kunstfähigkeit des Films auf Grundlage der technischen und materialen Bedingungen seiner Entstehung sich entwickeln sieht: „Hier ist es notwendig noch einmal daran zu erinnern, dass die künstlerischen Pflichten, die der Film wie jede Kunst hat, in den technischen Grundregeln wurzeln, von denen seine Entstehung bedingt wird“ (Gad 1920 [1919], 279). Im praktischen Entstehungs- und Produktionszusammenhang des Films erwähnt Gad dann auch das Automobil und schreibt ihm eine wichtige Bedeutung zu: „Diese Anlagen müssen soweit wie möglich von feuergefährlichen Bauten entfernt sein; Automobile aber sind nun einmal ein notwendiger Bestandteil jeder Filmfabrik. Der Regisseur muss sie zu seiner Verfügung haben, wenn er Plätze im Freien wählt, oder wenn er Eilboten nach diesem oder jenem schickt, das bei einer Aufnahme fehlt, außerdem sind Motorwagen bei allen Film-Expeditionen in die Umgebung unbedingt nötig“ (ebd., 59).
Dass es in dieser Passage nicht nur um das Automobil als ein Beförderungsmittel im Rahmen der praktischen und organisatorischen Filmrealisierung, sondern auch um seine Funktion während der Dreharbeiten geht, verdeutlicht ein genauere Schilderung Gads davon, was er unter dem Arbeiten an „Plätzen im Freien“ versteht. An anderer Stelle schildert Gad, wie er das Publikum oder die Passanten, welche sich am Drehort befinden, als „unfreiwillige Mitspieler“ einbezieht: „Es lässt sich ganz gut machen, dass sich der Operateur an einem Fenster im ersten Stock oder in einem zufällig dort haltenden Auto befindet, während ein Schauspieler in der Nähe, als er von Krämpfen befallen zu Boden sinkt und sich von anderen Schauspielern, die sich unter der herbeigeeilten Menge befinden, forttragen lässt. Dann wird das Publikum in unmerklicher Weise dorthin dirigiert, wo die beste Aufnahme gemacht werden kann“ (ebd., 221). 23
Hier ist beispielhaft der kanonische Film Abgründe (R: Urban Gad, Dänemark 1910) zu nennen.
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Das Automobil wird so zu einem Versteck für den Kameramann, von dem aus er unbemerkt die Passanten filmen und sie somit zu Mitspielern des Films rekrutieren kann. Gad verweist hiermit auf die filmpraktische Dimension des Automobils in den frühen Jahren des Films. Es wird damit im Gegensatz zu den bisherigen theoretischen Reflexionen nicht nur in seiner narrativen und inhaltlichen Funktion und Dimension thematisiert, sondern auch in seiner Funktion als Hilfsmittel während der Dreharbeiten. In dieser Funktion, als Hilfsmittel während aber auch vor und nach den Dreharbeiten, beschreibt auch der Schriftsteller und Journalist Max Prels in seinem 1926 erschienenen Werk Kino das Automobil. Aufgrund der diesbezüglichen Nähe zu Gads Ausführungen erfolgt hier ein kurzer Einschub der Darstellung Prels, dessen eher populärwissenschaftlichen und deskriptiven Ausführungen zum Film, abgesehen von diesem einen Punkt, keine erwähnenswerten Beiträge zum Thema liefern. In seiner Schrift, in der er die Einschätzung vornimmt, dass die Kinematographie „die volkstümliche Ausdrucks- und Vermittlungsform geworden“ (Prels 1926, 8) ist, thematisiert er die Funktion des Automobils wie folgt: „Ein Park von Autos steht vor dem Atelier harrend bereit und holt im Eilzugtempo, was von Nöten“ (ebd. 21). In ähnlicher Aussage schreibt Prels an anderer Stelle: „Die Diva läßt noch ein klein wenig ihre Laune schießen – die Komparserie eilt zur Bahn – ein Auto nimmt die Prominenten auf – der Filmtag ist zu Ende“ (ebd., 23f.). Anders als Prels geht Gad, um wieder zu diesem zurückzukommen, jedoch auch auf die (narrative) Funktion des Automobils im Film ein, wenn er die Automobilverfolgung als ein Mittel zum Spannungsaufbau erwähnt. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die der Autoverfolgung per se die Dimension der Spannungssteigerung und Aufmerksamkeitsgenerierung zuschrieben, spricht aus Gad die analytische Perspektive eines Regisseurs. So reicht, seiner Meinung nach, nicht die bloße Autoszene für eine Spannungssteigerung, sie muss außerdem sinnvoll und logisch in die Handlung integriert sein. „Weniger wesentlich ist, ob es sich um große oder kleine Ereignisse handelt; Spannung kann in dem harmlosesten und leichtesten Lustspiel hervorgebracht werden, während das episodenreichste Blutdrama mit Automobilverfolgungen, Revolverschüssen und Herabspringen von hohen Mauern vollständig interesselos am Auge vorbeischwirren kann, ohne die mit so viel Mühe und Kostenaufwand beabsichtigte Spannung hervorzurufen. In solchem Fall hat das kleine Lustspiel eine Entwicklung gehabt, einen inneren Zusammenhang, der von Anfang bis Ende das Interesse fesselt, während die angehäuften Spannungseffekte in dem Sensationsdrama der inneren Logik entbehren. Der Filmschriftsteller muss sich darüber klar sein, dass Ereignisse durch sich selbst nicht Handlungen sind, dass sie Spannung nur dann auslösen, wenn sie der Ausdruck einer zusammenhängenden Ursachenreihe, einer Steigerung sind“ (Gad 1920 [1919], 16f.).
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Mit diesem von Gad zur Abfassung eines Drehbuchs formulierten Hinweis darauf, dass die Autoverfolgung nur einen Sinn bekommt, wenn sie narrativ motiviert ist, wird Gads Verständnis vom Film als einer Erzählung in Bildern deutlich. Er kritisiert darin, mit Tom Gunnings Terminologie gesprochen, das sogenannte Attraktionskino und plädiert für eines der narrativen Integration (vgl. Gunning 1990). Filmhistorisch betrachtet ist Gad als einer der wichtigsten frühen Vertreter dieser narrativen Integration anzusehen (vgl. Gronemeyer 1998). Dem Automobil wird bei Gad eine narrative Funktion zugeschrieben und es wird, bei logischer Einbettung in die Handlung, damit zu einem filmdramaturgischen Mittel. Außerdem ist das Automobil für ihn auch ein praktisches Hilfsmittel, das während des Entstehungsprozesses und Drehs des Films eingesetzt wird. 4.2.5 Tricktechnische Realisierung automobiler Szenen: Liesegang und Talbot Das Handbuch der praktischen Kinematographie von Paul Liesegang, welches 1918 erscheint und eine der ersten umfassenden Publikationen zum technischen Umgang mit dem Kinematographen als Filmvorführgerät darstellt, beinhaltet zwar keine Filmtheorie oder den Entwurf einer solchen, kann aber, wie Bernhard Zeller (1976) es formuliert, als ein frühe Untersuchung zum Film angesehen werden. Aus der Perspektive eines Produzenten und Vertreibers von Kinematographen und vor dem Hintergrund seiner Erfahrung im Umgang mit der Apparatur als Betreiber von Kinos versammelt Liesegang hier Hinweise zu dessen technischem Aufbau und zur Handhabung desselben, aber auch zur Anfertigung von Filmaufnahmen. Im Rahmen dieser Beschreibungen zur „Herstellung kinematographischer Aufnahmen“ geht er erstaunlich oft auf das Beispiel eines zu filmenden Automobils ein und verweist damit auf die Häufigkeit von Automobilszenen bzw. auf das Bedürfnis nach Offenlegung der filmischen Realisierungsmöglichkeiten. Detailliert schildert Liesegang, was es aufgrund der Eigenbewegung und der Geschwindigkeit des Automobils bei der Filmaufnahme zu beachten gilt: „Nun kommt die Geschwindigkeit des Objektes! Ein vorbeisausendes Automobil muß beispielsweise wesentlich kürzer belichtet werden, als eine Prozession“ (Liesegang 1918, 348). An anderer Stelle weist er auf Folgendes hin: „Ein Automobil z.B., welches sich in sehr großer Entfernung vom Apparat befindet, wird, auch wenn es in großer Geschwindigkeit fährt, sich im Bilde nur langsam verschieben, und diese Verschiebung wird noch geringer sein, wenn die Bewegung in der Richtung der Kamera erfolgt“ (ebd., 349).
Liesegang geht hier insbesondere auf das Phänomen der Geschwindigkeit im Zusammenhang mit der Automobildarstellung ein, indem er Hinweise dafür gibt,
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wie die Autofahrt so aufgenommen werden kann, dass deren Geschwindigkeit im Film adäquat zu sehen ist. Diese Geschwindigkeit, die schon in vielfältiger Form im Rahmen filmtheoretischer Reflexionen als ein entscheidendes Moment und eine wichtige Form der Automobildarstellung beschrieben wurde, wird hier aus praktischer Perspektive beleuchtet. Wie bereits Schultze (1911) und andere Autoren, schildert auch Liesegang den Stopptrick sehr ausführlich am Beispiel der Inszenierung eines Autounfalls: „Noch ein Beispiel der Aufnahmeunterbrechung! Der Kinematograph führe folgende Szene vor, die in den Figuren 183 bis 185 angedeutet ist. Ein Betrunkener liegt auf der Straße. Ein Automobil saust heran und fährt ihm beide Beine ab (Fig. 182). Der Mann schreit und schwenkt die Beine in der Luft (Fig. 183). Das Auto hält, der Insasse läuft heran, er flickt ihm die Beine wieder an (Fig. 184) und beide ziehen zufrieden von dannen (Fig. 185). – Nun die Lösung! Auch hier wird die Aufnahme unterbrochen, und zwar zuerst in dem Moment, wo das Automobil herangekommen ist. Das Auto hält an. Der Betrunkene wird ersetzt durch einen Krüppel, dem beide Beine fehlen, und ein Paar künstlicher Beine werden davor gelegt“ (Liesegang 1918, 389).
Liesegang thematisiert damit den Autounfall als eine spezielle Art der Darstellung von Automobilen, schildert gleichzeitig die filmische Realisierung einer solchen Szene und die hierzu verwendete filmische Raffinesse einer innerbildlichen Montage. Eine zusätzliche Bedeutung bekommen die Ausführungen Liesegangs, wenn man die Bilder, die er benutzt, genauer betrachtet. Die gezeichneten Standbilder entsprechen motivisch betrachtet den Fotografien (Standbildern), die Frederick A. Talbot bereits 1912 in seiner Monografie Moving Pictures. How they are made and worked verwendet. Er beschreibt in dem Kapitel Trick Pictures and how they are produced über mehrere Seiten ebenfalls die tricktechnische Realisierung eines Automobilunfalls am Beispiel des hinsichtlich Regisseur und Entstehungsjahr nicht weiter spezifizierten Films Automobile Accident. Recherchen haben jedoch ergeben, dass es sich um den französischen Film Un accident d’auto handeln muss, den Louis Feuillade 1907 drehte und der in den USA und in Großbritannien unter dem Titel Automobile Accident gezeigt wurde. Die Passage, in der Talbot den entsprechenden Film und dessen Story beschreibt, lautet wie folgt: „A film which created a sensation when it appeared was the ,Automobile Accident’. A workman, who has imbibed not wisely but too well, is homeward bound, and describes grotesque geometrical patterns as he advances along the thoroughfare. Presently he is smitten with an irresistible desire to sleep. Although the couch is hard and dangerous he lies down in the middle of the road, and in a few seconds is in the arms of Morpheus. While he is sleeping peacefully a taxi-cab comes along at a smart
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pace, and, not observing the slumbering form of the roysterer, the chauffeur drives over him, cutting off both his legs. The shock awakes the man rudely, and he is surprised to find his lower limbs scattered across the roadway. The chauffeur is horrified by the unfortunate accident; but his fare, on the contrary, a doctor, is not much perturbed. He descends from his carriage, picks up the dismembered limbs, replaces them in position, assists the afflicted man to his feet, and after shaking hands each proceeds on his separate way, the workman resuming his journey as if nothing had happened” (Talbot 1912, 211f., Herv. i. O.).
Bemerkenswert an dieser Textpassage ist, dass hier nicht nur eine Automobilszene bzw. ein Unfall in einem Film beschrieben wird, sondern der Unfall, seine Folgen und deren Beseitigung die zentralen Themen werden und der konkrete Film als solcher Grundlage der Reflexionen ist – blieben doch bisher die konkreten Filme, auf die sich die Autoren bezogen haben, zumeist unerwähnt. Die herausragende Stellung des Films im Rahmen der Ausführungen Talbots zeigt sich weiterhin daran, dass er ein Foto von den Dreharbeiten des erwähnten Films als Deckblatt seiner Publikation wählt, welches mit einem Hinweis auf die zur Realisierung verwendeten Tricktechniken versehen ist: „Trick Cinematograhy – The Automobile Accident. The producer giving instructions to the principal actor and his double, the legless cripple. The dummy legs in the foreground” (ebd., Deckblatt). Die tricktechnische Realisierung steht dann auch im Zentrum der Auseinandersetzung Talbots mit dem Film als solchem. Seine detaillierten Äußerungen fasst er folgendermaßen zusammen: „In this picture we have seen two ‚Stop and substitution’-movements, once when the principal actor was withdrawn from the scene to make way for the legless cripple, and again when the reverse change was made. Owing to the neat and skilful manner in which the change from the actor to the cripple, and back from the cripple to the actor, is effected, the public fails that one man acted the role throughout. The fact that the accident occurs on the high-road, and the possibility of a man being run over in this manner, helps in the deception” (ebd., 213, Herv. i. O.).
Augenscheinlich sind sich die Ausführungen zur filmischen Realisierung eines Automobilunfalls von Talbot und Liesegang (1918) sehr ähnlich. Zur Verteidigung Liesegangs ist jedoch zu betonen, dass sich Talbots Werk in seinem Literaturverzeichnis findet24. 24
Das genaue Zitieren war in den 1910er-Jahren, wie auch die Schrift von Storck (1987 [1914]) mit ihren nicht angegebenen Bezügen auf Lukács und Pinthus verdeutlicht, wohl noch nicht zwingend nötig. Obwohl Schultze (1911) in seiner Publikation Der Kinematograph als Bildungsmittel bereits mit sehr genauen Zitaten arbeitet.
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4.2.6 Empathie und Nebenhandlung: Das Automobil bei Münsterberg und Tannenbaum Mit seinem 1916 in den USA erschienenen Werk The Photoplay. A Psychological Study veröffentlicht der deutschstämmige Amerikaner Hugo Münsterberg eine umfassende theoretisierende Arbeit zum Film, die sich neben ästhetischen und funktionalen Aspekten vor allem der Rezeption und Verarbeitung von Filminhalten widmet. „Was da scheinbar beiläufig entstand, war die erste systematisch aufgebaute Theorie des Spielfilms, deren Ansatz schon wegen seiner strengen Ausrichtung auf die Rezeptionsmomente noch heute als höchst modern und fruchtbar anzusehen ist“ (Wuss 1990, 67).
Nicht nur Wuss bezeichnet sie daher als erste echte Filmtheorie. Münsterberg betrachtet den Film nicht isoliert, sondern eingebunden in die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen seiner Entstehungs-, Verbreitungs- und Entwicklungszeit. Vor diesem Hintergrund entwirft er folgende Analogie zwischen Automobil und Film: „Es ist natürlich, dass das Kino mit der bloßen Nachahmung des Theaters begann, ebenso wie Automobile zuerst einfach maschinenbetriebene Pferdekutschen waren. Jedes neue Prinzip findet langsam zu seiner eigenen Form. Das Lichtspiel von heute steht diesen Theaternachahmungen so fern wie das Rennauto einem Pferdewagen“ (Münsterberg 1996 [1916], 108).
Münsterberg sieht eine Parallele zwischen der technischen Entwicklung und Etablierung des Automobils und dem Film. Beide haben sich aus einer noch stark an ihre Vorläufer angelehnten Form zu etwas Eigenständigem entwickelt, das mit den Ursprüngen nicht mehr viel zu tun hat. Der Film hat sich vom Theater emanzipiert und das Automobil von der Kutsche. Beide durch die Weiterentwicklung der ihnen eigenen technischen Möglichkeiten. Automobil und Film werden über ihr Entwicklungsmoment von Münsterberg zu einer Analogie verbunden, um besonders die Entwicklung und den Stand des Films nachdrücklich vor dem Hintergrund des in der zweiten Hälfte der 1910er-Jahre in den USA im Gegensatz zu Deutschland bereits weit verbreiteten Automobils25 herauszustellen.
25
Laut Wolfgang Roediger „produzierte [allein, Anm. d. A.] Henry Ford in den USA von 1912 bis 1915 weit über eine Million Automobile Modell T“ (Roediger 1990 [1987], 67). Und 1920 besaß in den USA bereits jeder 14. Einwohner ein Automobil, während es in Deutschland nur jeder 834. war (vgl. Fraunholz 2002, 45).
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An einer anderen Stelle thematisiert Münsterberg das Automobil, wie beispielsweise vor ihm bereits Hasenclever (1978 [1913]), Schultze (1991) oder Brod (1992 [1909]), im Zuge seiner konkreten Auseinandersetzung mit den Inhalten und Wirkungspotentialen des Films. Im Rahmen der Schilderung einer Verfolgungsszene, bei der Automobile zur filmischen Darstellung kommen, schreibt er: „Wir genossen das rasende Tempo, mit dem wir dem Flüchtenden über die Dächer der Stadt folgen konnten, treppauf und treppab, in den Keller und auf den Boden. Wir sprangen mit ihm in das Automobil und jagten über die Landstraßen, wobei der Hintergrund x-mal in der Minute wechselte, bis der Missetäter über eine Brücke ins Wasser stürzte und von der Polizei gefasst wurde“ (Münsterberg 1996 [1916], 109).
Münsterberg nimmt hier verschiedene Elemente des Automobildiskurses auf. Er lenkt den Fokus auf die empathische Fähigkeit des Films – „wir sprangen mit ihm in das Automobil“ – im Sinne des Einfühlens in die Aktionen der Filmcharaktere und er beschreibt die Geschwindigkeitsdimension der filmischen Bewegung als einen der den Film vom Theater abgrenzenden Unterschiede. Aber auch den Unterhaltungs- und Attraktionswert der filmischen Automobilfahrt hebt er durch Formulierungen wie: „wir genossen das rasende Tempo“ hervor. Neben der bereits aus zahlreichen Schriften abgeleiteten Verortung der Automobildarstellung in der filmischen Inszenierung von Verbrechen und Kriminalität ist besonders Münsterbergs Erwähnung des wechselnden Hintergrundes – „wobei der Hintergrund x-mal in der Minute wechselte“ – interessant. Damit verweist der Autor auf den die Umgebung in der Art eines Panoramas präsentierenden Charakters einer filmischen Autofahrt, die es vermag, dem Zuschauer den Handlungsraum, in dem er filmisch bewegt wird, vorzustellen. Auf diese Dimension der Autofahrt im Film geht bereits Herbert Tannenbaum in seiner 1912 publizierten Broschüre Kino und Theater ein. Im Gegensatz zu Wuss ist für Diederichs (1987) Tannenbaum „der erste in Deutschland gewesen, der sich ausführlich mit dem Wesen und den Bedingungen der Filmkunst auseinandersetzte (…)“ (Diederichs 1987, 1) und der sich sicher war, dass „das Kino vermöge, künstlerische Aufgaben zu erfüllen, die keine andere Kunstgattung ausführen könne“ (Diederichs 2004, 19). An anderer Stelle bezeichnet Diederichs Tannenbaum explizit als den Einzigen, „der vor dem ersten Weltkrieg eine umfassende Spielfilmästhetik vorlegte (…) (Diederichs 1996, 249). Da die Frage, wer nun der erste wichtige Theoretiker des Spielfilms war, hier nicht geklärt werden kann, muss man sich vielleicht darauf einigen, die Entstehung der Filmtheorie als eine Summe von Leistungen zahlreicher Autoren zu sehen. Von Bedeutung ist letztlich hier nur, dass diese beiden Theoretiker entscheidend zum Automobildiskurs der Filmtheorie beitrugen.
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In seinem Werk unterscheidet Tannenbaum zwischen der Haupthandlung und den Nebenszenen eines Films und beschreibt die Automobilfahrt als eine typische Nebenszene: „So ist gar oft zu sehen, dass z.B. auf der Fahrt zu einem Besuch das Automobil lange Zeit durch die schönsten Gegenden fährt, während die Spannung auf rasche Vollendung der Handlung drängt. Hier ist ein dramatisch geschulter Blick und verständiger Geist vonnöten, der das Ganze einheitlich ordnet und bewirkt, dass der Faden der Haupthandlung nicht zerreißt“ (Tannenbaum 1987 [1912], 36).
Damit schildert Tannenbaum nicht nur eine Automobil- bzw. eine Fahrszene, sondern verleiht ihr eine übergeordnete Bedeutung für die narrative Struktur des Films und damit eine über den eigentlichen Inhalt der Szene hinausgehende Funktion. Außerdem verweist er, wie Münsterberg (1996 [1916]), auf die porträtierende und in der Landschaft verortende Bedeutung der filmischen Autofahrt, wenn er davon spricht, dass das Automobil „lange Zeit durch die schönste Gegend fährt (…)“ (ebd., 36). 4.2.7 Film und reale Autofahrt: Le cinéma et l’automobile Der einzig auffindbare Titel, der sich in den 1910er-Jahren explizit mit dem Verhältnis von Automobil und Film auseinandersetzt, stammt von einem anonymen Autor aus dem Jahr 1917 und wurde unter dem Titel Le cinéma et l’automobile in der erstmals 1946 von Marcel L’Herbier herausgegeben Textsammlung Intelligence du cinematograhie erneut veröffentlicht. Der bereits zur Stummfilmzeit tätige französische Filmregisseur und -theoretiker L’Herbier versammelt hier in Frankreich erscheinende Artikel und Aufsätze zum Film und seinen Vorläufern aus den Jahren 1892 bis 1945. Trotz seiner mehr oder weniger direkten Verbindung von Automobil und Film im Titel, fällt der kurze, ursprünglich in der Gazette de Bruxelles und wenig später auch in der Film-Revue erschienene Artikel hier etwas aus der Reihe, da er einen recht eigenwilligen Zusammenhang zwischen Automobil und Film konstruiert: „Que les films reproduisent sur l’écran les péripéties d’un voyage en auto? Les panoramas succèdent aux panoramas, les villes aux villes“ (Anonym 1977 [1917], 396). Ausgehend von einem Vergleich bzw. der Frage, ob die Höhepunkte einer Autoreise nicht wie filmische Reproduktionen auf der Leinwand sind, beantwortet er diese selbst, indem er die Gemeinsamkeit in der Abfolge von Panoramen sieht – ein Panorama folgt dem anderen, eine Stadt der anderen. Hierauf aufbauend berichtet der Artikel von einem englischen Erfinder, der einen Apparat entwickelt hat, der dem Autofahrer, vergleichbar mit unserem heutigen Navigationssystemen,
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vor Erreichen des nächsten Ortes auf der Reiseroute zur Orientierung einen Film mit den wichtigsten Straßen und deren Details vorspielt. „L’appareil peut être applique sur toutes les voitures, ne présente aucun encombrement d’installation, opère et déroule automatiquement le film ou la réimpression indiquant l’itinéraire à parcourir. Voilà qua va singuliérement faciliter les voyages. On achète ou on loue le film du parcours à suivre et c’est la route en poche… ou mieux, constamment sous le yeux à quelque distance prévue d’office d’ailleurs du point intéressant à atteindre (ebd., 396).
Die ausführliche Schilderung der Apparatur kann hier jedoch nicht berücksichtigt werden, da sie thematisch irrelevant ist. Was jedoch diskursanalytisch interessant ist, ist der grundlegende Vergleich zwischen der am Autofahrer vorbeiziehenden Landschaft und den während der Filmrezeption am Zuschauer vorbeiziehenden Inhalte, die als Panoramen beschrieben werden. Diese Verknüpfung stellt eine Form der Analogiebildung zwischen Automobil und Film dar, die sich auf deren apparative Verwandtschaft bezieht und als ein sehr frühes, quasi vor seiner Zeit formuliertes Zeugnis des Entwurfs einer wahrnehmungsbedingten Verwandtschaft zwischen Automobil und Film verstanden werden kann, wie sie speziell im Rahmen dispositivtheoretischer Betrachtung ab den 1980er-Jahren erfolgt (vgl. Kapitel 7.1.3). 4.2.8 Zwischenfazit: Automobildiskurs Die frühen Monografien zum Film und die nachträglich als Filmtheorien eingeschätzten und klassifizierten Schriften (vgl. Wuss 1990, Diederichs 2004, MacCann 1966) der 1910er-Jahre nehmen die sich bereits in den Zeitschriften und Zeitungen von 1907 bis 1916 ankündigenden Diskurselemente auf, gestalten sie aus und/oder heben sie teilweise auf eine höhere theoretische Ebene. Zunächst ist hier das Element Automobil als inszenierte Geschwindigkeit anzuführen, welches Autoverfolgungen schildert (Schultze 1911, Zech 1963 [1913], Lukács 1992 [1911], Mack (1916), Münsterberg 1996 [1916]), deren sinnvolle Verwendung thematisiert (Gad 1920 [1919]) sowie auf das Tempo der Fahrt abhebt (Schultze 1911, Häfker 1913, Pinthus 1963a [1913], Mack 1916). Als ebenfalls gut etabliert erweist sich das diskursive Element Automobil und Verbrechen, das sich in der Erwähnung der Verfolgung von Dieben (Schultze 1911), der Entführung von Menschen (Schultze 1911) oder auch im Überfall auf ein Automobil (Pinthus 1963a [1913]) bzw. im theoretischen Entwurf einer Filmszene über eine eskalierende politische Auseinandersetzung (Rubiner 1963 [1913]) zeigt. Die damals sehr verbreiteten „Crime Films“, die kriminelle Delik-
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te aller Art inszenierten – von Re-Enactments tatsächlicher Ereignisse über dokumentarische Aufnahmen von Kriminellen bis zu fiktionalen Spielszenen (vgl. Abel 2005a, 157) – geben einen Hinweis auf die Beliebtheit der filmischen Thematisierung von Verbrechen: „Among the sensational melodramas that comprised much of early fiction film production in the USA, Great Britian, France, Germany, Brazil, and other countries, crime films were unusually significant” (Abel 2005a, 157). Das Diskurselement Automobil als klassifizierendes Element wird vor allem als Kennzeichen von amerikanischen Filmen (Schultze 1911, Mack 1916) verstanden und macht das Automobil zu einem der wichtigsten Bestandteile des Films (Altenloh 1914) bzw. zu einer wesensbestimmenden Eigenheit des selbigen (Storck 1987 [1914]). Auch Macks (1916) Einschätzung des Automobils als essentiell für den Detektivfilm trägt zur Etablierung dieses Elements bei. Szenarien des Autounfalls tritt in der Schilderung von Autoexplosionen (Schultze 1911), über- und angefahrenen Personen (Schultze 19111), im theoretischen Entwurf eines Filmplots (Asenijeff 1963 [1913]) oder in der Thematisierung eines Autounfalls zur Kritik der Fixierung des Films auf die Darstellung von technischen Erfindungen (Blei 1984 [1913]) hervor. Die Schilderung von Méliès’ (2004 [1907]) Stopptrick zur filmischen Darstellung eines Autounfalls (Schultze 1911, Liesegang 1918, Talbot 1912) zeigt die zunehmende Etablierung des diskursiven Elements Filmische Realisierung der Automobildarstellung ebenso an wie das Arbeiten mit Zeitraffer zur tricktechnischen Inszenierung von hohen Geschwindigkeiten (Häfker 1913) oder die gezielte Komposition der Filmaufnahme (Mack 1916). In Schilderungen von Szenen, in denen das Automobil ein Indikator für den sozialen Status (Pinthus 1963a [1913]) bzw. den theoretischen Entwurf eines solchen ist (Pick 1963 [1913]), wird der diskursive Charakter des Automobil(s) als Symbol deutlich. Die Erlebnisqualität des Automobils ermöglicht die Rezeption von Ereignissen, die dem Zuschauer außerhalb der filmischen Narration nicht zugänglich wären (Pinthus 1963a [1913]); dies lässt die Etablierung des Diskurselements Automobil als Erlebnis zu. Aber auch die Schilderung der zuschauerseitigen Möglichkeit des Erlebens von Geschwindigkeit (Mack 1916, Münsterberg 1996 [1916]) leistet einen Beitrag zu dieser Form der Thematisierung des Automobils. Nicht zuletzt bleibt die Analogiebildung zwischen Automobil und Film auch in der zweiten Hälfte der 1910er-Jahre wichtig, wodurch sich mit Münsterbergs vergleichender Veranschaulichung der Entwicklungsgeschichte von Film und Automobil der Teildiskurs Analogien zwischen Automobil und Film weiter fortschreibt. Eine recht abstrakte Analogiebildung findet sich in der anonymen Beschreibung einer technischen Verbindung von realer Automobilfahrt und Film. Eine anonyme Schrift (1977 [1917]), die von L’Herbier (1977 [1946])
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wiederentdeckt und herausgegeben wurde, weist bereits dispositivtheoretische Grundzüge auf und nimmt im Rahmen der Analogiebildung zwischen Automobil und Film eine zentrale Position ein. Das Automobil als Handlungsraum ist eine Form der filmtheoretischen Erwähnung, die sich erstmals in dem Entwurf eines Filmplots durch die exakte Beschreibung einer Szene im Automobil zeigt (Hasenclever 1963 [1913]), aber auch in späteren Phasen der Filmtheorie aus den Reflexionen über den Film abgeleitet wird und sich zum diskursiven Element Automobil als Handlungsraum entwickelt. In der zweiten Hälfte der 1910er-Jahre formiert sich durch die Schilderung eines Zusammenhangs zwischen Automobil und Film, der sich nicht aus der Darstellung des Automobils im Film ableitet, sondern aus der Auseinandersetzung mit der Entstehung von Filmaufnahmen, das Diskurselement Automobil in der Filmproduktion. Dieses tritt sowohl in den Schilderungen des Automobils als Phantom Ride (Mack 1916) hervor als auch in seiner Funktion als Versteck für die Kamera während der Aufnahmen von Massenszenen mit Passanten (Gad 1920 [1919]) oder im Zuge der Hervorhebung des Automobils als unverzichtbarer Bestandteil der Realisierung und Vorbereitung von Filmaufnahmen (Gad 1920 [1919]). Die Autoren, die diese Thematisierungen vornehmen, sind vorwiegend Regisseure, wie Urban Gad und Max Mack, die ihre Reflexionen aufs Engste mit den praktischen Erfahrungen der Filmarbeit verbinden. Betrachtet man die Entwicklung des Automobildiskurses bis zum Ende der 1910er-Jahre finden sich in diesem Zeitraum bereits nahezu alle Formen der Thematisierung des Automobils, die auch in der Folgezeit auftreten. Einige Elemente, wie beispielsweise die Analogien zwischen Automobil und Film, die Auseinandersetzung mit Szenarien des Autounfalls, das Automobil als Symbol oder auch die Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, ziehen sich durch die Geschichte der Filmtheorie, während andere Formen wie z.B. Automobil und Verbrechen eher phasenweise auftreten. Diese Fülle von unterschiedlichen Thematisierungen des Automobils und besonders die seiner Bewegung, gerade auch in den späten 1900er- und frühen bis mittleren 1910er-Jahren, liegt sicherlich auch darin begründet, dass zu dieser Zeit die Form des sogenannten „Chase Films“ sehr beliebt war. Die Haupthandlung dieser zum „Kino der Attraktionen“ (vgl. Gunning 1990) zählenden Einakter bildet im Wesentlichen die Verfolgungsjagd (vgl. Auerbach 2005, 110ff.). „Im chase film erkundeten die Filmemacher den Übergang zwischen zwei räumlich getrennten Schauplätzen und befreiten die Kamera aus der starren Position des Theaterzuschauers. Sie entdeckten die Verfolgungsjagd als ureigenstes Mittel filmischer Spannungserzeugung, die bald nicht nur zu Fuß, sondern im Streben nach ständiger Temposteigerung auch zu Pferde, mit dem Zug und dem Automobil in Szene gesetzt wurde“ (Gronemeyer 1998, 33ff.).
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In den diskutierten filmtheoretischen Äußerungen finden sich zahlreiche Hinweise auf diese Art von Filmen immer dann, wenn von automobilen Verfolgungsfahrten und Entführungen die Rede ist. In Kombination mit der Tatsche, dass die Schriften aus der Frühphase des filmtheoretischen Denkens stark an der Beschreibung der Inhalte orientiert waren und das Automobil dort sehr häufig eine Rolle spielte, was Dorit Müllers Untersuchung zum Automobil im Film bis 1918 eindrucksvoll nachweist (vgl. Müller 2004), ist es nicht verwunderlich, dass es zahlreich und verschiedentlich thematisiert wurde. Besonders die Bewegung des Autos ist es, die in den „Chase Films“ von den Theoretikern dieser Zeit gesehen und reflektiert wird. Eine Bewegung, die die Technologie des Films wiedergeben kann, da sie gleichfalls eine Bewegungstechnologie darstellt und aus der Darstellung von Bewegungen ihren Wert gewinnt. Außerdem ist die zeitlich relativ parallele Entwicklung und Etablierung (technisch, soziokulturell) von Film und Automobil sicherlich von Bedeutung. Das Automobil war neu, exotisch, mit ihm konnten sich seine Insassen ohne eigene Muskelkraft selbstbestimmt von einem Ort zum anderen bewegen – kurz: es hatte einen hohen gesellschaftlichen und filmischen Attraktionswert (vgl. Gutberlet 2007), was sich u.a. in der häufigen Erwähnung von dessen Erlebniswert im Rahmen filmtheoretischer Schriften zeigt. Der Automobildiskurs ist in der Frühphase des filmtheoretischen Denkens vor allem ein Diskurs der deskriptiv-inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Film und hebt auf diese Weise eher beschreibende und inhaltliche Typisierungen (beispielsweise bei Pinthus 1963a [1913] oder Storck 1987 [1914]) hervor. Die filmtheoretischen Entwürfe von Münsterberg (1996 [1916]), der, ausgehend von dessen Mitteln, den Film in recht analytischer und abstrahierender Weise „als eine entäußerte Form des Denkens, Träumens und Vorstellens“ (Hartmann/Wulff 1997, 126) beschreibt und Lukács (1992 [1911]), der bereits eine ästhetische Funktionsbestimmung des Films vornimmt, bilden hier eine Ausnahme. Sie weisen bereits in den 1910er-Jahren auf zwei Entwicklungen hin. Zum einen auf die beginnende Entwicklung einer ästhetischen Filmtheorie, in der diese für lange Zeit ihre, nicht primär an den Inhalten von Filmen, sondern vielmehr an den Mitteln, mit denen er arbeitet interessierte Ausdrucksform findet; zum anderen erwähnen Lukács (1992 [1911]) und Münsterberg (1996 [1916]) das Automobil nicht nur, sondern integrieren es, indem sie es poetisieren (Lukács) bzw. ihm eine empathische Qualität zuschreiben (Münsterberg), in ihre Theorieentwürfe. Hier zeigt sich eine Entwicklung, die sich in den Filmtheorien der 1920erund 1930er-Jahren fortsetzt, und die bereits zu diesem Zeitpunkt verdeutlicht, dass es wiederum die Bewegtheit des Automobils ist, die als eine vielfältige Metapher verwendet wird, um über das Wesen des Films nachzudenken. Es ist die Bewegung des Automobils, die der Film bei Lukács zu poetisieren vermag und aus der sich bei Münsterberg eine Empathie im Miterleben der Autofahrt im
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Film durch den Zuschauer ermöglicht. Das potentiell bewegte Automobil zeigt sich besonders bei diesen beiden Autoren, aber auch in den meisten filmtheoretischen Textpassagen anderer Autoren aus den 1900er- und 1910er-Jahren als eine gewinnbringende Metapher zur Beschreibung der Eigenschaften des Films als einem Bewegtbildmedium mit hoher gesellschaftlicher Akzeptanz.
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5 Das Automobil in der ästhetischen Filmtheorie (1920er- und 1930er-Jahre)
An der Schwelle zu den 1920er-Jahren hat sich der Film endgültig von den bis zu zweistündigen Nummernprogrammen zusammengestellten, sogenannten „One Reeler(n)“, zum narrativen stummen Langfilm entwickelt. Aus Einaktern von wenigen Minuten Dauer sind Filme von durchschnittlich 90 Minuten Länge geworden, die sich in verschiedene Genres ausdifferenziert haben und sich in den 1920er-Jahren zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor weiterentwickeln werden. „1922 war Deutschland mit einer Jahresproduktion von 474 Filmen nach den USA das zweite Filmland in der Welt“ (Wilkening/Baumert/Lippert 1965, 418). In den 1920er- und 1930er-Jahren erreicht der Film durch den Einsatz von unterschiedlichen Kameraoperation – wie wechselnde Einstellungsgrößen und Kameraperspektiven sowie -bewegungen und Formen der Montage – eine höhere Stufe der filmischen Ästhetik. Nicht zuletzt durch die Entwicklung des Tonfilms verbunden mit der zunehmenden Institutionalisierung von Produktion und Vermarktung der Filme durch die Gründung von Warner und MGM und den Aufstieg der deutschen UFA (vgl. Kreimeier 2002 [1992]) wird eine produktive und künstlerische Hochphase eingeläutet. Diese Verdichtung auf allen Ebenen führt zur verstärkten theoretischen Beschäftigung mit dem Medium. Sowohl innerhalb des akademischen Betriebs, als auch durch Regisseure. Sie versuchen, die Grundlagen und Bedingungen ihrer Arbeit theoretisch und analytisch zu fassen und zum Zwecke der Weitergabe und praktischen Anleitung programmatisch festzuhalten. In den 1920er- und 1930er-Jahren „setzt ein Strom an Filmtheorien ein, der an den Film zusehends ästhetische Fragestellungen heranträgt“ (Lampe 2002, 112). Es entstehen zahlreiche elaborierte Filmtheorien, die die Ebene der Deskription verlassen und das Potential und Wesen des Films aus seiner Beschaffenheit, seiner formalen Gestaltung – vor allem durch die Montage – und aus seinen Mitteln der filmischen Inszenierung vor und durch die Kamera heraus erklären. Dabei werden entweder einzelne Aspekte betont, mehrere miteinander verbunden oder Fragen nach deren innerfilmischer aber auch gesellschaftlicher Funktion gestellt. Grundsätzlich steht dabei aber immer die Kunstfähigkeit des Films im Mittelpunkt, nur werden deren Bedingungen nun nicht mehr primär im
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Inhalt der Filme gesucht, sondern in den ästhetischen Gestaltungsmitteln, die jetzt zu Theorien des Film ausgebaut werden. Der Automobildiskurs entwickelt sich dabei in den bekannten Dimensionen weiter, die durch die Erhöhung des Abstraktionsniveaus der Filmtheorien zunehmend in dessen Argumentationsweisen und -strukturen integriert werden. Eine Thematisierung des Automobils findet dabei vor allem in vier Bereichen der Auseinandersetzung mit der Ästhetik des Films statt, die in freier und vor dem thematischen Hintergrund der Untersuchung erweiterter Anlehnung an Helmut H. Diederichs Phaseneinteilung der Filmtheorie (vgl. Diederichs 2004) und Peter Wuss’ Chronologie der Filmtheorie (vgl. Wuss 1990) nachfolgend erläutert werden. An erster Stelle stehen mit den sogenannten Schauspielertheorien diejenigen Arbeiten, die die Ästhetik des Films wesentlich in dem begründet sehen, was vor der Kamera stattfindet. Zweitens sind jene Theoretiker zu erwähnen, die das, was vor der Kamera passiert mit den technischen Mitteln der Kamera verbinden und darin das Wesen des Films erkennen – in dieser Darstellung durch Béla Balázs vertreten. Die dritte Gruppe besteht vor allem aus russischen Formalisten, die mit einigen Differenzierungen die Form des Films theoretisch über den Inhalt erheben und dessen Kunstfähigkeit in erster Linie in den Mitteln der Kamera und noch mehr in denen der Montage praktisch und theoretisch begründet sehen. Den vierten Bereich bilden die sogenannten Kunsttheorien des Films, die den Film systematisch als Kunst beschreiben, indem sie von der Fokussierung einzelner Mittel absehen, diese vielmehr in ihrer Gesamtheit abstrahieren und zu einer umfassenden Theorie ausbauen. Nicht selten sind diese Theorien dann mit Fragen nach der künstlerischen, aber auch gesellschaftlichen Funktion und Bedeutung des Films verbunden. Bei allen Unterschieden eint diese filmtheoretischen Perspektiven die Auffassung, dass der Film die Realität nicht reproduziert, sondern eine eigene filmische Realität schafft bzw. konstruiert (Formalismus) oder zumindest eine veränderte Anschauung dieser ermöglicht (Balász 2001 [1924]) bzw. sein künstlerisches Potential aus der Differenz des Films zur Realität (Rudolf Arnheim stellvertretend für die Kunsttheorie) schöpft. 5.1 Das Automobil in Schauspieler- und Kameratheorie sowie Avantgarde 5.1.1 Automobilkritik in der Schauspielertheorie: Von Bloem zu Stindt Den Mitteln des Films widmet sich aus der Perspektive eines Kunstwissenschaftlers Walter Bloem in seiner 1922 veröffentlichten Monografie Seele des Licht-
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spiels. Ein Bekenntnis zum Film. Wie bereits zahlreiche Autoren vor ihm, die sich mit dem Wesen des Films beschäftigen, stellt er darin die Frage nach dessen Kunstfähigkeit. Das Potential hierzu sieht Bloem im geschickten Einsatz von Mimik und Gestik, welche, richtig angewendet, Gefühle auslösen und vermitteln können. Aus der gelungenen Vermittlung definiert sich für Bloem ein künstlerischer Film, der im Wesentlichen von der Führung und den Fähigkeiten der Schauspieler abhängt. Einerseits bewegt sich Bloem damit in einem Feld von Autoren, die die Kunstfähigkeit des Films primär aus der Schauspielkunst ableiteten. Dabei handelt es ich um eine Phase der frühen Filmtheorie, die Diederichs als Schauspielertheorie des Films (vgl. Diederichs 2004) bezeichnet, und die bereits bei Turszinskys (1993 [1910]), der schon 1910 über die Rolle der Filmschauspieler referiert, angelegt war. Andererseits setzt Bloem einen der Grundsteine für die sich entwickelnde Theorie der Ausdrucksbewegung, die mit Balász (2001 [1924]) ihren Höhepunkt erreichen wird. Durch richtiges Agieren der Schauspieler entwickelt sich ein „Gefühl durch Geste“. Dieses entsteht im Film laut Bloem aber erst allmählich und realisiert sich selten umfassend. Auch muss der Zuschauer den Gefallen daran erst entwickeln. Der Film befindet sich in einem historischen Entwicklungsprozess, dieses durch die Geste hervorgebrachte Gefühl als „Seele des Lichtspiels“ zu entwickeln. „Aber das Lichtspiel schreitet in seiner unverkennbaren, wundervollen Entwicklung zur Höhe: im Schaffen wie im Genuß. Unsere Augen werden schärfer für Gesten und Gebärden, unsere Einbildungskraft hellhörig für die Sprache von Bild und Bewegung“ (Bloem 1922, 6).
Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Auslösung von Gefühlen hinterfragt Bloem u.a. ausführlich die technischen, schauspielerischen und dekorativen Bedingungen des Films. Bloem stellt fest, dass zahlreiche Filme versuchen, über Tricks Spannung zu erzeugen und somit Gefühle auszulösen. Dieses schildert er am Beispiel der Realisierung der bereits vielfach thematisierten Autounfälle. Wobei er vor allem darauf verweist, dass hier die Schauspieler durch Puppen ersetzt werden. „Und welcher Schauspieler würde sich bei einem der vielgeliebten Automobilzusammenstöße in die Luft sprengen lassen? In einer solchen Szene, bei der lebendige Darsteller unter keinen Umständen mitwirken, setzt jedes Kunstempfinden, jede seelische Ergriffenheit auch beim naivsten Zuschauer aus. Bleibend ist dann nur der quälende Eindruck einer unzulänglichen Regie“ (ebd., 57).
In der Formulierung „vielgeliebt“ wird deutlich, dass auch Bloem die filmische Darstellung eines Autounfalls und damit eine spezifische Form der Inszenierung des Automobils als sehr weit verbreitet und als vom Publikum sehr geschätzt
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charakterisiert. Gleichzeitig schreibt er solchen Szenen jegliche Kunstfähigkeit ab und nutzt sie pauschal, um den Film bzw. die Leistung des Regisseurs zu beanstanden. Seine Kritik an filmischer Tricktechnik verdeutlicht Bloem an anderer Stelle ebenfalls an einer Automobilszene, wobei er diesmal offenlegt, welche filmischen Techniken verwendet werden, um einen dramatischen und hochgeschwindigen Automobilstunt zu realisieren. „Wenn Harry Piel26 sich in einen dahersausenden Kraftwagen stürzen soll, so geht es bei der Aufnahme recht gemütlich zu: vier Bilder pro Sekunde, und der Wagen im 15 km-Tempo. Dann bei der Vorführung zwanzig oder dreißig Sekundenbilder, rasende Geschwindigkeit, tollkühne Verachtung jeglicher Gefahr“ (ebd., 55).
Bloem veranschaulicht hier sehr nachvollziehbar wie durch die Erhöhung der Projektionsgeschwindigkeit im Gegensatz zur Aufnahmegeschwindigkeit – also durch einen Zeitraffer – die „rasende Geschwindigkeit“ erzeugt wird, die in ähnlicher Weise schon im Zusammenhang mit der filmischen Automobildarstellung thematisiert wurde. Die im Rahmen der Automobildarstellung verdeutlichten Filmtricks sind für Bloem keineswegs künstlerisch, da zur Realisierung und filmischen Vorführung dieser Szenen „der Mechanismus beginnt, mitzudichten“ (ebd., 54). Ein Film, der durch Mittel und Techniken der Kamera versucht, Gefühle zu transportieren und beim Zuschauer auszulösen, ist auf keinen Fall eine Kunstform und daher sind solche Filmtricks abzulehnen oder nur in ganz geringem Maße dezent in den Film zu integrieren. Der Film kann für Bloem nur künstlerisch sein, wenn er die Naturgesetze beachtet und die Wirklichkeit in ihm erkennbar bleibt und vor allem das Agieren der Schauspieler mit ihrer Fähigkeit und Funktion Gefühle zu vermitteln zum Einsatz kommt. Dies ist nicht der Fall, wenn Puppen explodieren und nur die Geschwindigkeit des technischen Objekts, des Automobils, im Zentrum steht. Auch wenn das Automobil hier eher negativ konnotiert herangezogen wird, so verdeutlicht die Diskussion sein vielfältiges Vorkommen im Film. Sie rückt das Automobil stark in die Nähe der technischen und mechanischen Dimension des Films, was an anderer Stelle, so bei den russischen Montagetheoretikern ins Positive, ins eigentlich Filmische, gewendet wird. Das Automobil ist ein Thema für Bloem, obwohl es nicht in seine an der Kunst des Schauspielers orientierte und stark normative Konzeption des Films 26
Harry Piel war laut Enno Patalas „der erste männliche Star der deutschen Produktion, der unter eigenem Namen auftrat“ (vgl. Patalas 1967, 28). Als Star des sogenannten Sensationsfilms, der als frühe Form des Action-Films verstanden werden kann, „vertrat er den Typ des ‚rittlichtollkühnen Heißsporns’, der gewitzte Verbrecher zur Strecke brachte und unschuldige Mädchen errettete, (…)“ (ebd., 28, Herv. i. O.).
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passt. Als zu kritisierendes filmisches Motiv konnte es jedoch auch für ihn nicht unreflektiert bleiben. Diese Kritik an der Automobildarstellung wird nachfolgend noch an weiteren filmtheoretischen Arbeiten deutlich, die ebenfalls ihren Schwerpunkt auf die Schauspielkunst legen. Eine ähnliche Auffassung wie Bloem über das Verhältnis von Filmtricks und Schauspielkunst, ergänzt um Ausführungen über die Rolle von Ausstattung und Requisiten im Film, entwickelt Hans Siemsen in seiner 1921 erschienen Publikation Die Filmerei. Hans Siemsen, der zahlreiche Aufsätze über Kino und Film veröffentlichte und „als erster eine anständige und gebildete Kinokritik forderte“ (Tucholsky 1928, zitiert nach Güttinger 1984, 427), stellt ebenfalls die Rolle und Leistung des Schauspielers in den Mittelpunkt eines jeden Films. Sie entscheidet über die Güte des Films. Er verdeutlicht dieses u.a. in folgender Textpassage. „Diese eine Tatsache sollte genügen, dem Film-Regisseur den rechten Weg zu zeigen. Und sie sollte ihm außerdem zeigen, daß der Film noch weit, weit mehr als das Theater auf der Person des Schauspielers ruht. Zwanzig oder zweitausend Automobile, echte Kostüme und eine Zimmerflucht von achtzehn fürstlichen Gemächern: das ist garnichts; ein lebenswürdiger, harmloser, vernünftiger und begabter Schauspieler: das ist alles“ (Siemsen 1984 [1921], 434).
Besonders interessant ist, dass Siemsen, wie Bloem (1922), zur Veranschaulichung der falschen Fixierung des Films auf die gegenständliche Ausstattung das Beispiel des Automobils wählt. Nicht diese oder jene Ausstattungselemente (Utensilien und Requisiten) machen einen guten Film aus, sondern nur der Mensch, der Schauspieler. Die in dieser Textpassage transportierte Kritik an der filmischen Darstellung von Automobilen gewinnt zusätzlich dadurch an Bedeutung, dass Siemsen durch die Übertreibung „zwanzig oder zwanzigtausend Automobile“ ironisierend auf die tatsächliche Verbreitung des Automobils im Film referiert, die er als sehr hoch – ja zu hoch – einschätzt. Damit nutzt er letztlich das Beispiel der Automobildarstellung zur Kritik am Status quo des Films der frühen 1920er-Jahre, der sich wieder weg vom Ausstattungsfilm zum von der schauspielerischen Leistung getragenen Film entwickeln sollte. Dass Siemsen das Automobil jedoch nicht grundweg ablehnt, sondern nur zahlenmäßige Übertreibungen bzw. Überausstattungen, zeigt seine im gleichen Jahr erschienene Arbeit Deutsch-amerikanischer Filmkrieg. Hier kritisiert er den deutschen Film der frühen 1920er-Jahre als zu intellektuell und schwermütig und hat dabei, obwohl er keine Filmtitel nennt, wohl solche Filme wie Das Cabinet des Dr. Caligari (R: Robert Wiene, Deutschland 1920) und andere vom Expressionismus beeinflusste Filme wie Der Golem, wie er in die Welt kam (R: Paul Wegener, Deutschland 1920) im Kopf. An den amerikanischen Filmen liebt er vor allem die Einfachheit und den hohen Unterhaltungswert, wobei er u.a. expli-
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zit auf Automobilverfolgungen verweist, die er als ein positives Merkmal des amerikanischen Films hervorhebt. „Der einfache Mensch weiß das nicht. Aber er benimmt sich, als ob er es wüßte. Er geht gern in den Zirkus und in die Menagerie und geht auf der Straße lieber spazieren als in den meisten Büchern und sieht sich den ungebildeten amerikanischen Film lieber an als den gebildeten deutschen. Und ich gehe mit ihm und sehe eine Kavalkade schöner Menschen, die herrlich reiten können, eine waldige Schlucht hinunterrasen, ich sehe einen halbnackten Indianer auf kahlem Felsen neben seinem Pferde, ich sehe einen Bären durch das Unterholz trotten, einen führerlosen Wagen mit zwei wilden Pferden einen Steinbruch hinunter stürzen, einen Neger unter Wasser schwimmen, eine fröhliche Boxerei und Verfolgungen auf Autos, Lokomotiven, Motorrädern, Dampfern, Kanus und zu Pferde und immer wieder zu Pferde“ (Siemsen (1984a [1921], 436).
Der „ungebildete amerikanische Film“, eine zeitgenössische Einschätzung des amerikanischen Films, die Siemsen ironisierend aufnimmt, definiert sich für ihn hauptsächlich über eine Reihung von Action- und Sensationsszenen, zu denen er auch die automobilen Verfolgungsjagden zählt. Diese lehnt er jedoch nicht ab, wie zahlreiche seiner Zeitgenossen, sondern setzt sie positiv gegen das verkopfte und bombastische Kino im Deutschland der 1920 Jahren. „Wahrhaftig, die Amerikaner verfilmen nicht Sonette, keine psychologischen Romane, keine Musikdramen, keine Relativitätstheorien – und der himmlische Vater amüsiert sich doch“ (ebd., 436). Bei genauerer Betrachtung wünscht sich Siemsen das Kino der Attraktion und leichten Unterhaltung zurück, von welchem sich der deutsche Film der 1920er-Jahre entfernt hatte. Er trauert Szenen nach, darunter auch die klamaukhaften Autoverfolgungen, die der deutsche Film der 1910er-Jahre noch besessen hatte, und wendet sich daher dem amerikanischen Film zu. Diesen bestimmten solche Szenen bereits in den 1910er-Jahren identifizierbar, wie schon Schultze (1911) und Paquet (1978 [1912]) verdeutlichen. Mit dieser Einschätzung erhebt auch Siemsen die Automobilverfolgung zu einem motivischen Charakterisierungs- und Ordnungsmerkmal von Filmen hinsichtlich der Bestimmung ihrer Herkunft – in diesem Fall den USA. Letztlich klingt aber auch in dieser Ausarbeitung Siemsens zum Verhältnis von deutschem und amerikanischem Film seine Position hinsichtlich der den Film letztlich bestimmende Größe an: der Kunst der Schauspieler. Er verweist auf eine „Kavalkade schöner Menschen, die herrlich reiten können, eine waldige Schlucht hinunterrasen“ und weitere schauspielernde Personen, die sich dann letztlich auch in Automobilen verfolgen. Paquet fokussiert dabei deutlich die Schauspieler im Film, ohne freilich so in die Tiefe bezüglich ihrer spezifischen Fähigkeiten zu gehen, wie Bloem (1922) es tut.
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Diese thematisiert und differenziert jedoch Otto Stindt im Jahr 1924 in dem Buch Das Lichtspiel als Kunstform. Wie Bloem (1922) erkennt er in der Mimik und Gestik, von ihm als Pantomime bezeichnet, eine wesentliche Dimension des Films als einer neuen Kunstform im Vergleich zum Theater und zur Literatur. Einer Kunst, die ihr Formgesetz in einer Verschmelzung von Pantomime und Rhythmus zu einer wirkungsmächtigen Handlung gefunden hat. „Ganz allgemein lautet also das Formgesetzt so: Handlung (Pantomime+Rhythmus) = Wirkungseinheit“ (Stindt 1924, 25). Die Pantomime als innere Bewegung des Films und Entäußerung seelischer Erregung des Schauspielers muss der äußeren Bewegung des Films, worunter Stindt die Handlung durch Schauplatzwechsel, Figurenkonstellation usw. versteht, angemessen sein. In einem gelungenen Film ist die pantomimische Schauspielkunst daher nicht übertrieben, sondern immer der Handlung entsprechend. So, wie der Film laut Stindt sich generell nicht durch Übertreibungen und ein „zuviel an allem“ definieren sollte, sondern durch eine auf die jeweilige Handlung und Dramaturgie bezogene Wahl der Mittel. Als ein Beispiel für einen überfrachteten filmischen Entwurf, den es zu vermeiden gilt, führt Stindt folgendes an: „Ein Held, der bildhübsch, reich, hochelegant und sehr klug ist, der als Autofahrer, Flugzeugführer, Rennruderer und Golfmann alle ersten Preise holt, als Schriftsteller und Maler glänzende Erfolge hat, als Vollblutmusiker auch noch komponiert, ein solcher Held ist stilgemischt, ist kitschig“ (ebd., 67).
Hier wird ein filmischer Charakter mit allen Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet, die sich finden lassen – unter anderem fährt er natürlich auch ein Automobil. Dieses wird damit einerseits als ein typisches Element des Films zur Charakterisierung und Ausstattung eines Filmhelden beschrieben, andererseits verweist die Aufzählung des Automobils wieder einmal auf die weite Verbreitung des Automobils im Film an sich, auf welche Stindt kritisch referiert. Besonders, wenn man ihm Glauben schenkt, dass er seine Darstellung zum Film „an vielen hundert erfolgreichen Filmen der letzten Jahre erprobte (…)“ (ebd., 5). Der Grund der Thematisierung des Automobils ist aber auch bei Stindt, wie schon bei Bloem (1922) und Siemsen (1984 [1921]) die Tatsache, dass diese kritisiert wird, da sie von der Kunst des Schauspielers als wesensbestimmendes Element des Film ablenkt. Zwar nutzt auch Carlo Mierendorff (1984 [1920]) die Automobilverfolgung, um Kritik am Film zu äußern, allerdings nicht vor dem Hintergrund der Schauspielertheorie des Films, sondern zur Kritik an der herrschenden Filmzensur. Diese führt zu einer Verflachung und Angleichung der Filme, die so nur noch aus der ewigen Wiederkehr des Gleichen bestehen. In der 1920 erschienen Abhandlung Hätte ich das Kino äußert sich dieser Vorwurf wie folgt.
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„Ich hasse die Zensur. Alles wälzt sie platt. War es schon barbarisch, so war es doch reich. Jetzt aber ist alles verbravt, geechtet, arm, weil phantasielos. Instinktverlassene Regisseure verstehen kaum noch, mit den Dingen zu jonglieren, sie durcheinander zu wirbeln: Autojagd, Schlafzimmer, Rennbahn, Pistolenschuß, Hoteldiebe, Start der Aeros. Ihr armseliges Repertoire dreht karussellhaft lahm vorbei“ (Mierendorff 1984 [1920], 388).
Einer der von Mierendorff kritisierten Standards ist die Autoverfolgung, die er aufgrund ihres häufigen Vorkommens im Film als langweilig charakterisiert. Der kritisierte Überfluss an dieser speziellen Form der filmischen Automobildarstellung ergänzt durch die Kritik an der generellen Häufung von Automobildarstellungen im Film stellt eine herausragende Form der Thematisierung des Automobils in der Filmtheorie der 1920er Jahre im Allgemeinen und der Schauspielertheorie des Films im Besonderen dar. 5.1.2 Das Automobil als Ausdrucksbewegung: Balász In unmittelbarem Zusammenhang mit der Schauspielertheorie des Films steht auch die Filmtheorie von Béla Balász, der die Ausdrucksbewegung der Schauspieler auf die gesamte im Film sichtbare belebte und unbelebte Materie überträgt. Die Ausdrucksbewegung bildet den Kern des 1924 erschienenen Hauptwerkes von Balász Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, welches von ihm selbst als „Versuch einer Kunstphilosophie des Films (…)“ (Balász 2001 [1924], 9) charakterisiert wird. Der erfahrene Filmkritiker und Drehbuchautor stellt die ästhetischen Mittel des Films ins Zentrum, welche sich für ihn aus der Sichtbarkeit des Menschen im Film als primäre Dimension ableiten. D.h. der Stummfilm findet seinen ihm eigenen Ausdruck in der sichtbaren Gebärde und speziell in der Mimik und Gestik der Schauspieler als einer Entäußerung der inneren Bewegung. Diese Ausdrucksbewegung erarbeitet Balász speziell an den schauspielerischen Möglichkeiten, die Physiognomie des Körpers und vor allem des Gesichts einzusetzen, und überträgt diese analog – und das unterscheidet ihn wesentlich von beispielsweise Bloem (1922) und Stindt (1924) – auch auf den Ausdruck von Landschaften und Dingen im Film. Das Sichtbare und seine Ausnutzung und Gestaltung ist das, was den Film ausmacht und sich nicht nur auf den Film als solchen beschränkt, sondern eine Entwicklung unserer Kultur zu einer Kultur des Visuellen darstellt. Damit knüpft er einerseits an Bloem (1922) an, da dieser der Ausdrucksbewegung ebenfalls die Rolle des künstlerischen Filmerlebnisses zuschreibt. Er geht aber gleichzeitig wesentlich über ihn hinaus, da Balász die Ausdrucksbewegung nicht nur auf die Schauspielkunst bezieht, wie noch Bloem, sondern sie aus auf den technischen Bedingungen des Films
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heraus begründet, die für Bloem nur eine Ergänzung der Kunst des Schauspielers sind bzw. sich dieser unterzuordnen haben. Anders Balász: für ihn werden sie zur Condition sine qua non der Ausdrucksbewegung des Films. „Die Großaufnahme ist die technische Bedingung der Kunst des Mienenspiels und mithin der höheren Filmkunst überhaupt“ (ebd., 48). Sie ermöglicht durch ihren fokussierten Bildausschnitt die Ausdrucksbewegung im Film sicht- und wahrnehmbar zu machen. Durch diese ästhetische Bestimmung des Films aus seinen technischen Möglichkeiten heraus, ist die Theorie von Balász nicht nur eine Schauspielertheorie des Films, wie Diederichs (2004) behauptet, sondern in erster Linie eine materialästhetische Theorie des Films. Die Ausdrucksbewegung zeigt sich dabei für Balász auch in der Bewegung von Objekten, wie beispielsweise dem Automobil. „Überhaupt spielen Pferd und Auto, Flugzeug und Schiff nicht nur darum eine so große Rolle im Film, weil sie an sich schon ‚Sehenswürdigkeiten’ sind. Es ist immer der Mensch, der sich in ihrer Bewegung bewegt, seine Gesten sind es, die hier nur weit ausgelegt werden. Die Fläche der menschlichen Ausdrucksbewegung wird durch sie riesenhaft vergrößert“ (Balász 2001 [1924], 80).
Einerseits wird in dieser Passage deutlich, dass das Automobil durch seinen Schau- und Attraktionswert eine wichtige Stellung im Film einnimmt. Anderseits liefert Balász entgegen vielen anderen Autoren, die diese nur behaupten, auch eine Begründung für seine Einschätzung. Dadurch, dass Balász das Automobil als eine – hier sei an McLuhan (1995 [1964]) erinnert – Ausweitung des Menschen innerhalb des Films betrachtet, drückt es ebenso Gesten und Gebärden aus und erweitert damit die Möglichkeiten der Darstellung des Menschen im Film. Indem der Mensch beispielsweise mit dem Automobil fährt, steht dieses auch für ihn und erweitert dadurch seine Ausdrucksmöglichkeit. Wir sehen ein fahrendes Automobil und wissen, dort fährt ein Mensch, wir sehen das Automobil sich schnell bewegen und wissen, der Mensch ist in Eile. Auch wenn dieser Punkt von Balász nicht weiter ausgeführt wird, sind in ihm Deutungen angelegt, die auf den symbolischen Wert des Automobils im Film verweisen. Dafür liefert Balàsz an anderer Stelle auch einen konkreten Hinweis, indem er schreibt: „Das wachsende Tempo wird Ausdruck der wachsenden Ungeduld. Häuser, Bäume, Menschen fliegen an dem rasenden Wagen vorbei, in überschwänglichem Rausch des Glücks vergeht die Welt“ (Balász 2001 [1924], 80). Das menschliche Gefühl der Ungeduld wird hier durch die schnelle Fahrt eines Automobils beschrieben – die innere Gefühlslage einer Person auf ein Objekt übertragen und als solche, quasi in ihrer Ausweitung, visualisiert und dadurch im Film sicht- und wahrnehmbar. Das Automobil als ein technisches Artefakt kann damit nicht nur eine narrative und motivische Rolle innerhalb des Films übernehmen, sondern es übernimmt eine symbolische
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und metaphorische Funktion, die sich aus dem Wesen des Automobils, der beschleunigenden, technischen Fortbewegung ergibt. Neben dieser symbolischen und metaphorischen Funktion verweist Balász an anderer Stelle auch noch auf die empathische Funktion der Autofahrt. „In der Wirklichkeit sehen wir nur einen Moment, einen Querschnitt der Bewegung. Im Film begleiten wir aber den Läufer und fahren mit dem schnellsten Auto mit“ (ebd., 81, Herv. i. O.). Der Film vermag damit uns etwas, was wir in der Wirklichkeit nur sehen, auch fühlen zu lassen – womit sich der Kreis zur Ausdrucksbewegung als das ästhetische und künstlerische Potential des Films nach Balász wieder schließt. Nicht zuletzt liefert Balász auch noch einen Verweis auf die porträtierende Funktion der Fahrt, die die durchfahrene Umgebung dem Zuschauer als Panorama vorführt. Er schreibt, „Häuser, Bäume und Menschen fliegen an dem rasenden Wagen vorbei, in überschwänglichem Rausch des Glückes vergeht die Welt“ (ebd., 80). Eine Thematisierung der Funktion der Automobildarstellung, wie sie sich bereits bei Münsterberg (1996 [1916]) und Tannenbaum (1987 [1912]) findet. In toto kann resümiert werden, dass in der Darstellung Balász’ das Automobil damit nicht nur seine Erwähnung findet, sondern es wird aufs Engste mit dem dargelegten Wesen des Films verbunden und innerhalb dessen Logik begründet. Dem Automobil kommen damit über sein Wesen, die Geschwindigkeit und Bewegung, verschiedene Funktionen innerhalb des Films zu. Die Automobildarstellung im Film wird so auf einem bis dahin nicht erreichten Niveau und in Dimensionen reflektiert, auf die ich an andere Stelle wieder zu sprechen kommen werde. Balász liefert nicht nur eine der ersten, neben Münsterberg und Tannenbaum, fundierten materialästhetischen Theorien des Films ab, sondern auch die erste begründete materialästhetische Reflexion über die Rolle und Funktion der Darstellung des Automobils im Film, die das Automobil in die Filmtheorie kausal integriert. 5.1.3 Stillstand und Dynamik: Das Automobil bei Harms, Bagier und Richter Gerade Rudolf Harms, für den Film in Anlehnung an die Ausdrucksbewegung von Balázs (2001 [1924]) aber auch unter Verweis auf die reine im Film sichtbare Bewegung und Mobilität von Personen und Gegenständen und durch die Dynamik, die durch den Wechsel von Szenen entsteht, wesentlich „eine Kunst der Bewegung (…)“ (Harms 1926, 142) ist, erwähnt das Automobil unabhängig von seiner Geschwindigkeit und Bewegung. In dem 1926 erschienen Buch Philosophie des Films verweist Harms auf das stehende Automobil als filmisches Element. „So waren eine Zeitlang besonders berüchtigt die immer wieder auftauchenden imposanten Treppenaufgänge, das wartende Automobil, der Ballsaal“ (ebd., 142). Damit thematisiert er nicht, wie zahlreiche Autoren vor ihm, das fahrende Automobil, sondern das Automobil als ein ruhendes Objekt des War-
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tens und schreibt damit auch dieser Darstellung des Automobils im Film eine etablierte Position zu. Unter Verweis auf Ewald André Dupont27 beschreibt Harms in diesem Zusammenhang bezogen auf das im Vorfeld thematisierte Automobil, dass es schwer ist, immer wieder neue originelle Einstellungen und Motive zu finden, bestimmte Darstellungen oft für eine Zeit en vogue sind, sodann aber auch inflationär verwendet werden und somit zu einer Verflachung des Films führen (vgl. Harms 1926, 142). „Das wartende Automobil“ ist laut Harms eines dieser „berüchtigten“ Motive, woraus sich schließen lässt, dass auch das immobile Automobil im Film der 1920er-Jahre weit verbreitet war, da es filmtheoretische Beachtung findet. An andere Stelle seiner Ausführungen betont Harms aber gerade wieder den Zusammenhang zwischen Bewegung und Automobil und das in einer erstaunlichen Weise. Die Bewegung im Film als Handlung und als Darstellung der Bewegung von Personen, Gegenstände usw. kann für Harms dadurch potenziert werden, dass sich die Kamera während der Aufnahme ebenfalls bewegt. Was er u.a. am Beispiel des Automobils verdeutlicht. „Diese Bewegung kann noch eine Erweiterung erfahren, indem einmal der Aufnahmestandpunkt selbst bewegt ist (Aufnahme vom fahrenden Objekt, wie Auto, Flugzeug, Schiff usw. aus), oder das Wiedergabemittel selbst, allerdings unter gleichzeitiger Mitbewegtheit der Zuschauer: Bildvorführung in amerikanischen Eisenbahnzügen, auf Schiffen usw.“ (ebd., 87).
Damit verweist auch Harms nach Mack (1916) explizit auf die sogenannten Phantom Rides und konstatiert dem Automobil dadurch eine dienende Funktion während der Filmproduktion im Sinne einer Verstärkung der den Film konstituierenden und zur Kunst erhebenden Bewegung und deren Darstellung. Wodurch er auf dieser Ebene thematisch an Gad (1920 [1919]) anknüpft, der ebenfalls bereits das Automobil als Hilfsmittel während der Dreharbeiten thematisiert und es als Versteck für Kamera und Kameramann beschreibt. Direkt im Anschluss und damit mehr oder weniger aus der Thematisierung des Automobils heraus, resümiert Harms noch einmal sein Verständnis des Films. „Der Film stellt eine flächige, vereinfacht-optische, stumme (dafür aber bewegte) Welt der Handlung dar. Die Bewegung bildet dabei sowohl das äußere (Szenenwechsel) wie das innere (Gebärde) Bindemittel des Filmbandreihe“ (Harms 1926, 87).
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Dupont ist ein vor allem in Deutschland arbeitender Regisseur einflussreicher Filme, wie z.B. Varieté (R: Ewald André Dupont, Deutschland 1925), und ein Theoretiker des Films, der bereits 1919 unter dem Titel Wie ein Film geschrieben wird und wie man ihn bewertet, ein Buch veröffentlicht, dass sich u.a. als eine Anweisung zum Verfassen von Drehbüchern versteht.
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Damit bindet er das Automobil, wie Balász (2001 [1924]), aufs Engste in seinen Entwurf einer Filmtheorie ein. Das Automobil wird nicht nur beispielhaft oder punktuell erwähnt, sondern ist durch seine Darstellung im Film und seine Verwendung zur Realisierung des Films ein essentieller Bestandteil und eine konstituierende Entität des Wesens des Films – der Bewegung. Unabhängig von der Bewegungsdimension des Automobils und dem Motiv des wartenden Automobils verweist Harms auch noch auf den Sensationswert des Automobils. Er sieht nämlich den Erfolg des Films u.a. darin begründet, dass er dem Zuschauer das Fremde zeigt. „Die in den Dörfern sahen das Getriebe der Citys, Lichtmaste, Autos, Fassaden der Hotels, Bahnhöfe. Die in den Städten sahen Waldgebirge, Telegraphendrähte, Chausseen, Friedlichkeit.“ (ebd., 25) Damit verdeutlicht er einerseits den Attraktionswert des Automobils, anderseits schlägt er eine Brücke zu gesellschaftlichen Realität seiner Verbreitung, in dem er konstatiert, dass das Automobil in den 1920er-Jahren erst in den Großstädten verbreitet war, deren Bild aber bereits prägte. Für den Dorfbewohner stellt das Automobil allerdings noch immer etwas Besonderes dar, weshalb es sich für ihn lohnt, ins Kino zu gehen, da er dort Automobile zu sehen bekommt, deren Sensationswert sich nicht unwesentlich aus ihrer schnellen Bewegung ergibt. Das Automobil in einem engen Zusammenhang mit der filmischen Bewegung sieht auch Harms unmittelbarer Zeitgenosse Guido Bagier (1928), dessen Betrachtungen zu diesem Verhältnis aber einen Schritt weiter gehen, indem sie historisieren. Der Regisseur Bagier stellt sich in seinem inhaltlich und formal recht avantgardistischen Buch Der kommende Film. Eine Abrechnung und eine Hoffnung die Frage nach der Form des zukünftigen Films. Eines Films der von seinem Wesen her Bewegung ist. Ausgehend von der Geschichte des Films stellt er die Forderung auf: „Der kommende Film muß als selbständiges Kunstwerk nur seinen eigenen Gesetzen folgen“ (Bagier 1928, 10). Die Möglichkeit hierzu sieht Bagier vor allem im abstrakten und auf Gegenständlichkeit fokussierten Film. Dieser verbindet die ideellen Vorläufer der filmischen Bewegung, die technische Bewegungskonstruktion – hier nennt er u.a. das Automobil – sowie die Bewegungskonstruktion des inneren bzw. geistigen Materials – hier nennt er u.a. psychologisierenden Methoden –, zu filmischen Bewegungskonstruktionen. Diese filmische Konstruktion ist, und das betont Bagier, nun der Masse zugänglich, im Gegensatz zur technischen und geistigen Konstruktion, die nur einigen vorbehalten ist. „Man fand den Film. Seine Verschmelzung kommt dem Sentiment der Menge entgegen: Die Verschmelzung von Geist und Technik, von Seelischem und Materiellem, von realer Handlung und gefühlsmäßiger Wirkung“ (ebd., 24).
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„Das Auto, der Ozeandampfer sind nur Wille, den Raum zu überwinden, wird dieser Wille bis in die letzte Einzelheit dem konstruierten Organismus aufgeprägt, so ist jene Harmonie vorhanden, die dem Auge das absolute Kriterium reiner Schönheit ist“ (ebd., 23),
Das Automobil als Mittel der Raumüberwindung bildet für Bagier einen historischen und technischen Strang der Konstruktion von Bewegung, der im Film aufgenommen wird bzw. durch dessen Reproduktionsmöglichkeit von Bewegung verbreitet werden kann. „Der reale Inhalt des Films ist die Revolution der Bewegung des in einer äußeren Handlung sich darbietenden Gegenständlichen“ (ebd., 64). Wenngleich Bagiers Darstellungen sehr abstrakt sind und teilweise gleichsam künstlerisch entrückt wirken, so beschreiben sie dennoch einen Zusammenhang zwischen automobiler Bewegung als realer Fortbewegung und der in der filmischen Reproduktion illusionierten Bewegung, die das Wesen der technischen Fortbewegung aufnimmt und es filmisch übersetzt. Hier deutet sich bereits eine Dimension des Zusammenhangs zwischen Automobil und Film an, die Paul Virilio seiner Dromologie zugrunde legen wird (vgl. Kapitel 7.1.2). Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Automobil und Film wie Bagier (über das Bewegungsmoment) betont Hans Richter in seiner 1929 erschienen theoretisierenden Gestaltungslehre des Films Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen. Darin möchte der Experimentalfilmer und Vertreter des absoluten Films28, der Bagiers Entwurf des „kommenden Films“ teilweise praktisch einlöste, durch die Offenlegung und Beschreibung der filmischen Mittel – was anschaulich, durch zahlreiche Bildausschnitte direkt am filmischen Material erfolgt – über die Möglichkeiten des Films aufklären. Er kritisiert wie Bagier den etablierten Film bzw. ruft zu dessen Kritik auf und fordert im Wesentlichen einen rhythmischen Film und die Hinwendung zu entsprechenden Montagetechniken. „Der Rhythmus ist die Grundform, das Skelett eines Films – sofern er Kunst ist“ (Richter 1929, 34). Wuss (1990) schreibt über Richter: „Doch obschon die Theorie für ihn stets nur eine Art gelegentlicher Rechenschaftsbericht über die praktischen Erfahrungen bleibt, die er als Filmexperimentator und Avantgardist gesammelt hatte, brachte sie Erkenntnisse für die Filmwissenschaft ein, die über eine Verallgemeinerung persönlicher Werkstattprobleme weit hinausgingen“ (Wuss 1990, 267).
28
Der absolute Film steht für den in der Filmavantgarde der 1920er Jahre aufkommenden Versuch, „durch Komposition, Bewegung und Rhythmus von Farben und Formen eine neue, rein visuelle Filmsprache zu gestalten, die gleichzeitig auf die Materialität und den Prozeß des Filmens hinweist“ (Müller 2002, 9).
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5 Das Automobil in der ästhetischen Filmtheorie (1920er- und 1930er-Jahre)
Besonders die zahlreichen Erwähnungen und Thematisierungen des Automobils sind interessant. Wie bereits Gad (1920 [1919]) thematisiert Richter das Automobil im Rahmen der praktischen Filmarbeit. „Und die Stative: neben den normalen gibt es ganz niedrige, man kann sie auf Karren setzen, auf Lokomotiven und Autos“ (Richter 1929, 17). An anderer Stelle wird er genauer und beschreibt die von Mack (1916) und Harms (1926) in die Filmtheorie eingeführte Reflexion über die Phantom Rides. „Und nun: die Kamera ist auf ein Fahrzeug montiert und folgt dem bewegten Objekt. Sie ist neben dem Läufer und dem galoppierenden Pferd, sie saust vor einer Schar von Autos daher, sie folgt dem Eisenbahnzug vom Flugzeug aus“ (Richter 1929, 22).
Außerdem nimmt Richter das Automobil in seine Betrachtungen zum Film durch die zahlreichen Abbildungen von Automobilen auf, die hier als Veranschaulichungsobjekte von Tempo und Geschwindigkeit thematisiert und als mögliche Elemente der Rhythmisierung des Films vorgestellt werden (vgl. Richter 1929). Damit nutzt der Film die Bewegtheit des Automobils, um sich zu rhythmisieren – eine Rhythmisierung die sich im Wesentlichen aus der richtige Montagetechnik ergibt. Damit kann Richter nicht zuletzt als ein deutscher Anhänger des russischen Formalismus betrachtet werden, der sein ganz eigenes praktisches und theoretisches Verhältnis zum Automobil entwickelte (vgl. Kapitel 5.2). 5.1.4 Zwischenfazit: Automobildiskurs Zieht man eine Zwischenbilanz, so lässt sich in Bezug auf den Automobildiskurs in deutschen filmästhetischen Theorien der Schauspielerkunst und/oder der Kamerakunst der 1920er-Jahre festhalten, dass sich dieser zwar fortsetzt, wenngleich nicht in der Breite und Vielfalt der 1900er- und 1910er-Jahre. Auch hier ist als prägnantes Diskurselement die Thematisierung des Automobils als inszenierte Geschwindigkeit zu nennen. Diese tritt als Herausstellung der Geschwindigkeit von Automobilen Bloem (1922) ebenso wie in der Erwähnung von Autoverfolgungen (Siemsen 1984 [1921], Mierendorff 1984 [1920], Balász 2001 [1924]) oder als Veranschaulichungsobjekt von Geschwindigkeit und Bewegung (Richter 1929) auf. Intensiv wird sich ferner der Filmischen Realisierung der Automobildarstellung gewidmet. Somit tritt das diskursive Element entsprechend hervor und zeigt sich einerseits als Offenlegen der tricktechnischen Realisierung eines Autounfalls, bei dem der Schauspieler durch ein Puppe ersetzt wird (Bloem 1922) oder anderseits in der entschleunigten Aufnahme eines Automobilstunts, die dann während der Projektion des Films, wieder die nötige Geschwindigkeit erhält (Bloem 1922).
5.1 Das Automobil in Schauspieler- und Kameratheorie sowie Avantgarde
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Das Diskurselement Automobil als klassifizierendes Element tritt in der Einschätzung des Automobils als ein Objekt im amerikanischen Film hervor, der dieses im Gegensatz zum deutschen Film noch immer in der Form von Autoverfolgungen beinhalten (Siemsen 1984a [1921]). In der Herausstellung des Automobils als ein Ausstattungselement des Filmhelden (Stindt 1924) zeigt sich das Automobil als Symbol, während sich das diskursive Element Szenarien des Autounfalls in der Form eines Zusammenstoßes von Automobilen verdeutlicht, die zusätzlich als vielgeliebtes filmischen Element bewertet werden (Bloem). Die Einschätzung des Automobils als filmische „Sehenswürdigkeit“ durch Balász (2001 [1924]) und in vergleichbarer Thematisierung durch Harms (1926) bringt den Teildiskurs Automobil als Erlebnis auch in den 1920er-Jahren hervor. Durch die Schilderung der Nutzung des Automobils als Phantom Ride (Harms 1926, Richter 1929) zeigt sich auch hier das Diskurselement Automobil in der Filmproduktion als Thematisierung eines Zusammenhangs von Automobil und Film unabhängig von der theoretischen Reflexion über die Darstellung des Automobils im Film. Auch die Beschreibung der Nutzung des Automobils zur schnellen und spontanen Besorgung von allen Dingen, die am Filmset nötig sind durch Prels (1926) verweist auf dieses Element des filmtheoretischen Automobildiskurses. In den Schauspielertheorien und/oder Kameratheorien werden zwar nur etwa die Hälfte der Elemente des Automobildiskurses der 1900er-und 1910erJahre aufgeführt, dafür erhalten sie jedoch eine erhebliche Intensivierung durch die teilweise Verankerung in die herausgearbeiteten ästhetischen Grundaussagen der Theorien. So beispielsweise, wenn die Schauspielertheorien die Darstellung des Automobils im Film kritisieren, um darauf aufbauend zu verdeutlichen, wie essentiell der Schauspieler im Film ist. Denn er ist es, der durch sein ausdrucksstarkes Agieren vor der Kamera, das ästhetische Prinzip des Films, die Ausdrucksbewegung, die Inhalte und Gefühle transportiert, erst ermöglicht. Aber auch Balász (2001 [1924]) der das Prinzip der Ausdrucksbewegung auf die filmische Darstellung unbelebter Dinge überträgt und am Beispiel der Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit verdeutlicht, in welcher Weise die Bewegung des Automobils nicht nur Bewegung zeigt, sondern Inhalte und Gefühle transportiert. Deren filmische Inszenierung – bei Balász dann auch bereits durch die Mittel der Kamera (er beschreibt hier detailliert die Großaufnahme) – ermöglicht einerseits das Entstehen des ästhetischen Prinzips der Ausdrucksbewegung. Balászs Überlegungen stehen damit beispielhaft für die filmästhetischen Theorien der Schauspielerkunst und/oder der Kamerakunst der 1920er-Jahre, die versucht haben, wie die verschiedenen Diskurselemente zeigen, die Bewegtheit des Automobils weiter auszudeuten. Die Bewegung des Automobils wird bei Balász letztlich zu einem Beispiel für das wesensbestimmende Merkmal des Films – seine Aus-
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drucksbewegung – und das Automobil damit erneut zu einer konstruktiven Metapher für die Charakterisierung des Films und seiner ihm eigenen ästhetischen Mittel, die sich im sich weiter etablierenden Automobildiskurs innerhalb der Filmtheorie verdeutlicht und fortschreibt. Auch wenn Balász laut Sergej Eisenstein die Schere vergisst (vgl. Eisenstein 2004 [1926]), womit dieser auf die Vernachlässigung der Montage in seiner Filmästhetik verweist, legt er einen Grundstein für diejenigen ästhetischen Filmtheorien, die die Kunst des Films in erster Linie in den Operationen der Kamera und den Möglichkeiten der Montage sehen. 5.2 Das Automobil in der russischen Montagetheorie Der russische Formalismus und die mit ihm verbundene Montagetheorie des Films besitzt eine starke Affinität zur filmischen Darstellung von dynamischer Technik und somit, wie zu zeigen sein wird, zum Automobil. „Wie die frühen russischen Filme die Möglichkeit ausgeschöpft haben, alle Arten von Maschinen zu verherrlichen, ist noch jedem im Gedächtnis“ (Panofsky 1999 [1934], 39). Diese „Verherrlichung“ erfolgt einerseits durch die zentrale Stellung von Maschinen in der Narration der Filme aber auch in motivischer Funktion. Wie beispielsweise in den Filmen Erde (R: Alexander Dovshenko, UdSSR 1930) oder Die Generallinie (R: Sergej Eisenstein, UdSSR 1929), die beide u.a. den Konflikt zwischen, um den Erhalt ihrer Eigenständigkeit bemühten Bauern und Traktoristen der Kolchose sowie deren Fahrzeugen, den Traktoren, als Ideal der landwirtschaftlichen Plan- und Kollektivwirtschaft stilisiert. Anderseits verherrlicht, neben dieser Art der Thematisierung, vor allem die Montage auf formaler Ebene den technischen Fortschritt der Motorisierung. „Bei allen Unterschieden – gemeinsam war den russischen Regisseuren die Bewertung der Montage als zentrales und originäres filmsprachliches Gestaltungsmittel“ (Schleicher 2002, 391). Dieser Beschäftigung mit den Potentialen der Montage erwächst, angetrieben durch das Bestreben nach der Oktoberrevolution im Jahr 1917, eine in Inhalt und Form den Sozialismus propagierende Filmkunst zu entwickeln. Aber auch aus der Kritik an der kontinuierlichen, das Publikum nicht überfordernden und Interpretationen nivellierenden Montagetechnik des westlichen und vor allem des amerikanischen Films resultiert das Streben nach einer neuen Form der filmischen Ausdrucks. „Die neu zu entwickelnde sozialistische Ästhetik hingegen sollte den Zuschauer zum Mitdenken auffordern und die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse spiegeln“ (Gronemeyer 1998, 64). Die russischen Filmemacher selbst theoretisieren dann auch ihre Arbeiten und Experimente in Bezug auf die Montage und ihre meist normativen und resolutionsartigen Schrif-
5.2 Das Automobil in der russischen Montagetheorie
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ten stellen bis heute den wichtigsten Beitrag zur Montagetheorie innerhalb der Filmtheorie dar. Den Grundgedanken sämtlicher Montageformen stellt dabei das dialektische Prinzip dar. Einstellungen werden dabei so montiert, dass eine ihre eigene visuelle Informationen transportierende Einstellung einer anderen, mit konträrer visueller Information, entgegengestellt wird. Die heterogen visuellen Informationen der beiden Einstellungen verschmelzen in einem kreativen Prozess der Rezeption zu Informationen, die so in keiner der Einstellungen direkt vorhanden waren. Der These einer Einstellung oder auch eines Filmbildes steht die These einer anderen Einstellung entgegen, deren Konflikt sich durch ihre Synthese zu einer erklärenden und aufklärenden Bedeutung auflöst. Ausgehend von diesem Prinzip entwickelten sich verschiedene Formen und Ausdifferenzierungen der Montage mit je nach Vertretern unterschiedlichen Ansprüchen und Zielen und damit verbundenen Verständnissen des Films, auf die hier allerdings nicht detailliert eingegangen werden kann29. Im Zentrum steht nachfolgend die Thematisierung des Automobils innerhalb der einzelnen Theoretisierungen der russischen Montagepioniere. 5.2.1 Filmtheorie als Automobilpropaganda: Vertov Zuvorderst sei hier auf Dziga Vertov verwiesen, der kein Praktiker und Theoretiker des Spielfilms ist. Er lehnt diesen vielmehr als den Zuschauer abstumpfend und ablenkend ab. Als Dokumentarfilmer gehört er zu den bedeutendsten Apologeten der Montage. In seinen filmtheoretischen Manifesten Wir. Variante eines Manifestes (1979 [1922]), Kinoki – Umsturz (1979 [1923]), Kinoglaz (1979 [1924]), die beispielhaft genannt seien, entwirft er seine Idee des Triumphes der Filmtechnik bzw. der Kamera über die menschliche Wahrnehmung. Die Kamera vermag dabei Details zu erfassen und zu betonen, die das menschliche Auge nicht wahrnehmen kann. Somit ist sie fähig, die Realität erst in allen ihren Dimensionen hervorzubringen. Durch die Montage der den Alltag durchdringenden Filmbilder kann der Film eine „Kino-Wahrheit“ erschaffen, die aufklären, agitieren und bilden kann – und zwar sozialistisch propagandistisch. Dieses wird besonders deutlich an seinem Film Der Mann mit der Kamera (Regie: Dziga Vertov, UdSSR 1929), in welchem inhaltlich, wie bereits im Titel erkennbar, die Kamera zum Auge und Protagonisten wird. Diese Überlegenheit der Filmtechnik über die menschliche Wahrnehmung findet sich ansatzweise bereits bei Pinthus (1963a [1913]). 29
Überblicksartige Darstellungen finden sich beispielsweise bei Hans Beller (2007) oder Peter Wollen (1972 [1969]).
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Die Vertovsche Apotheose der Kamera resultiert aus dem Glauben an den sozialistischen Fortschritt durch Technik. Dessen positives Potential stellt Vertov in seinen Filmen dar und fordert dessen filmische Thematisierung in seinen theoretischen Schriften. Ja, er sieht sogar die Aufgabe des Films darin, die Menschen an die Technik heranzuführen. In Wir. Variante eines Manifestes (1979 [1922]) schreibt er: „Unser Weg – vom sich herumwälzenden Bürger über die Poesie der Maschinen zum vollendeten elektrischen Menschen. Die Seele der Maschine enthüllen, den Arbeiter in die Maschine verlieben, den Bauern in den Traktor, den Maschinisten in die Lokomotive. Wir tragen die schöpferische Freude in jede mechanisierte Arbeit. Wir verbinden den Menschen mit der Maschine“ (Vertov 1979 [1922], 21).
Neben dem in diesem Zitat deutlich werdenden Antrieb zu einer Überwindung der durch den Kapitalismus bedingten Entfremdung des Menschen von den Bedingungen und Produkten seiner Arbeit durch die Identifikation mit den Produktionsmaschinen, zeigt sich eindrucksvoll der Technikglaube Vertovs. Die maschinelle Technik vermag es, die menschliche Evolution voranzutreiben – „vom sich herumwälzenden Bürger über die Poesie der Maschinen zum vollendeten elektrischen Menschen“. Doch nicht genug, Vertov thematisiert hier erstmals das Automobil, in der Form eines landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugs, dem Traktor. Damit betont er eine in den bisherigen filmtheoretischen Reflexionen noch nicht weiter herausgestellte Variante des Automobils. Die vorherigen filmtheoretischen Bewertungen des Automobils verorteten dieses, bis auf Schultze (1911), der eine Dampfwalze erwähnt, immer in einem eher privaten und beförderungstechnischen Kontext. Zusätzlich verknüpft Vertov das Wesen des Films mit dem Automobil dahingehend, dass der Film vermag, zur Akzeptanz und Verbreitung des Automobils beizutragen, indem er es thematisiert. Der Mensch wird dadurch an die Technik, hier das Automobil, herangeführt und der Film erfüllt damit seine ihm – laut Vertov – eigene Aufgabe der Agitation und Propaganda von Fortschritt und Technik. Auf das Automobil als ein filmisches Element kommt er indirekt auch an anderer Stelle zu sprechen. So, wenn er gegen das Theater argumentiert und nur dem Film die Möglichkeit zugesteht, alltägliche Dinge interessant darzustellen (vgl. Vertov 1979 [1923]). Das Theater bleibt, wenn es dieses versucht, doch nur Theater und das Automobil hat dort, laut Vertov, nichts verloren. Ein Verständnis des Films, welches an Lukács’ (1992 [1911]) Beschreibung der Möglichkeit der Poetisierung der Technik, besonders der Automobilverfolgung, alleinig im Film im Gegensatz zu Theater und Literatur erinnert.
5.2 Das Automobil in der russischen Montagetheorie
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„Einige Meister des Theaters zerstören es von innen heraus, indem sie mit den alten Formen brechen und neue Lösungen für die Arbeit am Theater verkünden; sie holen die Biomechanik zu Hilfe (an sich eine gute Übung), den Film (ihm sei Ruhm und Ehre), die Literaten (an sich sind sie nicht dumm), Konstruktionen (es gibt gute), Automobile (wie könnte man Automobile nicht verehren) und Gewehrfeuer (an der Front etwas sehr Gefährliches und Eindrucksvolles), aber alles in allem kommt nichts dabei heraus. Theater sonst nichts“ (Vertov 1979 [1923], 36).
Noch einmal herauszustellen sei auch der Hinweis Vertovs „wie könnte man Automobile nicht verehren“. Eine Affinität zum Automobil, die auch seinen zahlreichen Darstellungen des Automobils in Der Mann mit der Kamera (UdSSR 1929, Dziga Vertov) zeigen. Die von Ferdinand Hardenkopf und Schultze (1911) formulierte Beschreibung von frühen dokumentarischen Darstellungen des Automobils wird bei Vertov eingebunden in sein Wesens- und Montageverständnis des Films, welches im eigentlichen Sinne eine Theorie des Dokumentarfilms darstellt. Eine normative Theorie, die, wenn man leicht überinterpretierend argumentiert, die Verbreitung und Überhöhung des Automobils zum Fortschritt des Menschen propagiert. 5.2.2 Montagetheorie am Beispiel der Automobildarstellung: Pudowkin Die Affinität zur filmischen Darstellung des Automobils zeigt sich auch in Wsevolod I. Pudowkins theoretischer Fixierung seiner filmpraktischen Erfahrungen in Über die Filmtechnik aus dem Jahr 1928. „Die Grundlage der Filmkunst ist die Montage“ (Pudowkin 1961 [1928], 7) – dieses macht Pudowkin unmissverständlich im ersten Satz seines Werkes klar. Dennoch setzt er im Gegensatz zu Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]) nicht vorrangig auf das kontrastierende Moment der Montage und das filmische Erzählen durch rhythmische und collagenartige Bilderfolgen. Pudowkin hat stets das Ziel der filmischen Kontinuität vor Augen, welches er in der Entwicklung einer geradlinigen Narration zu verwirklichen versucht, in die die dialektischen Momente dann integriert werden30. Dieses Bestreben verdeutlicht sich auch in der Gesamtkonzeption von Über die Filmtechnik, welche den Leser wie eine Art Lehrbuch von der Konzeption und Entwicklung eines Stoffes mit Hilfe des Manuskripts über die praktische Regiearbeit bis in die „Kopieranstalt“ führt. Im Kapitel Besonderheiten des Filmmaterials, welches im Wesentlichen eine Analyse und hinweisartige Beschreibung der praktischen Filmarbeit darstellt, bildet die filmische Realisierung eines Autounfalls das zentrale Beispiel der Darstellung und Argumentation. 30
Das zeigt sich in Filmen wie Die Mutter (R: Wsevolod I. Pudowkin, UdSSR 1926) oder Sturm über Asien (R: Wsevolod I. Pudowkin, UdSSR 1928).
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„Ein anderes Beispiel einfacher, aber recht charakteristischer Filmarbeit: Wie soll ein Autounfall dargestellt werden? Ein Mensch wird überfahren. Das reale Material ist reichlich vorhanden und vielfältig vorhanden. Da ist die Straße, das Auto, der Mann, der über die Straße geht, das Auto, das ihn überfährt, das Bremsen, der Mann, er unter den Rädern, das durch die Stoßkraft nach vorn schnellende Auto und schließlich die Leiche“ (ebd., 103).
Pudowkin beschreibt hier die Realisierung eines Autounfalls als „charakteristische Filmarbeit“ und verweist damit auf die etablierte Stellung des Autounfalls innerhalb des Films. Eine Position, die sich bereits in den frühen filmtheoretischen Erwähnungen des Autounfalls durch Schultze 1911, Turszinsky (1993 [1910]), Lange (2004 [1913]) etc. abzeichnet. Pudowkin geht allerdings weit über diese hinaus, indem er, ausgehend von einer Analyse der gelungenen filmischen Auflösung eines Autounfalls in einem amerikanischen Film, die Wichtigkeit der Szenenauswahl und deren Montage zu einem filmischen Gesamtwerk beschreibt. „Um den Unfall filmgerecht darzustellen, zerlegte der Regisseur die reichlich Stoff bietende, in der Wirklichkeit sich ununterbrochen abwickelnde Szene analytisch in ihre Bestandteile und wählte darunter – sparsam – nur die sechs wesentlichen aus. Nicht nur sind sie vollkommen ausreichend, sie geben das Geschehen in seiner Tragik erschöpfend wieder“ (ebd., 104).
In der Reflexion über die filmische Darstellung eines Autounfalls verdeutlicht sich exemplarisch Pudowkins Auffassung vom Wesen des Films. Ein Verständnis, welches neben der filmischen Herausarbeitung von in der Wirklichkeit nicht wahrnehmbaren Details, in der Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]) das primär schöpferisch nutzbare Potential des Films sieht, stets auch die filmische Möglichkeit der Wiedergabe von umfassenden Situationen und Ereignisses betont. Wuss (1990) fasst diese Auffassung Pudowkins folgendermaßen zusammen: „daß es dem Film einerseits darum zu tun sei, nahe an das beobachtete Objekt heranzukommen und das einzufangen, was sich nur der intensivsten Betrachtung erschließt, gleichzeitig tendiere die Filmkunst aber auch dazu, eine Erscheinung umfassend wiederzugeben“ (Wuss 1990, 181).
Diesem Verständnis sieht Pudowkin auch die Montage untergeordnet, die er, ebenfalls ausgehend von dem Beispiel des Autounfalls, in ihren verschiedenen Formen beschreibt. Grundlegend für die Geschwindigkeit und den Rhythmus der Montage ist für Pudowkin dabei das Ziel und der Anspruch, den eine Einstellungsfolge verfolgt. Nicht die filmische Montageform steht allein im Vordergrund, wie teilweise bei Vertov und auch Eisenstein, sondern ihr Einsatz und ihre Integrierung in den Filmverlauf in Bezug auf die zu entwickelnde Narration
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und der verkürzten aber dennoch logischen und nachvollziehbaren Wiedergabe umfassender Situationen. Hierin liegen das Können und die Aufgabe des Regisseurs. Ausgehend von einer unglücklichen Variante der Montage eines Autounfalls resümiert Pudowkin: „Ein solchermaßen montiertes Filmband würde in richtiger räumlicher Länge dem Zuschauer absurd vorkommen. Das Auto würde den Anschien geben, langsam zu fahren. Der an sich kurze Vorgang des Überfahrens würde unverhältnismäßig und unverständlich ausgedehnt“ (Pudowkin 1961 [1928]), 107).
Ein paar Seiten später präzisiert Pudowkin dann bezogen auf eine gelungene Szenenauflösung und Montagevariante: „bei der Montage des Autounfalls gebrauchte der Regisseur, um im Zuschauer das gewünschte Gefühl der Erregung hervorzurufen, einen ruhigen Rhythmus, bewirkt durch die geringe Länge jeder einzelnen Einstellung“ (ebd., 115).
Mag die von Pudowkin gewählte Automobilszene zur Veranschaulichung seiner filmischen Prinzipien noch mehr oder weniger zufällig erscheinen bzw. aus der weiten Verbreitung solcher Szenen im Film allgemein resultieren, so hat sie doch eine tiefere Bedeutung als den bloßen Beispielwert. Pudowkin stellt seine Theorie damit nämlich in einen argumentativen Zusammenhang mit dem dynamischen Wesen des Automobils. An anderer Stelle geht Pudowkin diesbezüglich noch einen Schritt weiter, indem er auf die tiefere Bedeutung des Automobils im Film eingeht – seine, wie ich es nennen möchte, symbolische Objektdimension. „Ein besonders starkes Ausdrucksmoment wohnt dem Gegenstand, dem sachlichen Requisit des Films, inne. Der Gegenstand an sich ist von großer Ausdruckskraft, da der Zuschauer mit ihm eine Reihe von Vorstellungen verbindet. Eine Pistole bedeutet stumme Drohung, ein rasendes Auto verbürgt Rettung und Hilfe in der Not“ (ebd., 165).
Pudowkin geht hier auf die Konnotation des schnell fahrenden Automobils ein (wie bereits Balázs 2001 [1924]), welches, seiner Meinung nach, im Film die nahende Erlösung aus einer Notlage symbolisiert. Mit dieser Bedeutungszuschreibung verweist er mehr oder weniger direkt auf den in den 1920er-Jahren sehr verbreiteten und den bis heute beliebten sogenannten Last Minute Rescue. Dieser dramaturgische Höhepunkt innerhalb oder am Ende der filmischen Narration ist eine Form der frühen Parallelmontage, in der zwei Handlungsstränge so lange alternierend aneinander montiert werden, bis sie sich schließlich in einer Einstellung treffen. Häufig bildet den einen Handlungsstrang das zur Hilfe herbeieilende Automobil mit seinen Insassen, den anderen Strang eine gefährliche
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Situation, in der die Protagonisten auf die Hilfe der herbeieilenden Automobilinsassen bewusst oder unbewusst warten und hoffen. In letzter Minute treffen diese dann ein und finden in der auflösenden Einstellung zusammen. Solche automobilbezogenen Sequenzen sind in den Filmen der 1920er-Jahre weit verbreitet (vgl. Smith 2009 [1980] sowie Müller 2004) und auch filmtheoretischen Äußerungen im Vorfeld, so die zu den Verfolgungs- und Entführungsfahrten, weisen darauf hin. Pudowkin geht allerdings über die reine Deskription hinaus und verbindet das fahrende Automobil unmittelbar mit dem Aspekt der Rettung – womit er es eindeutig positiv konnotiert. Dazu, wie eine Autofahrt gefilmt sein sollte, so dass besonders die Geschwindigkeit verdeutlicht wird, äußert sich Pudowkin an anderer Stelle detailliert. Er geht davon aus, dass sich die Konstellation und Konstitution eines Gegenstandes in der Bewegung verändert und die Bewegung daher selbst ein Objekt der Filmaufnahme ist. Deshalb muss ein fahrendes Automobil in seiner Distanz und Raum überbrückenden Dynamik aufgenommen werden, worauf bereits Bagier (1928) hinweist. „Warum ist der Eindruck eines fahrenden Zuges oder Autos so besonders stark, wenn das Fahrzeug so aufgenommen wird, dass es in der Ferne auftaucht, direkt auf die Kamera zu und an ihr vorbei schießt? Weil sich die Schnelligkeit der Bewegung am besten durch das perspektivische Anwachsen des auf uns zukommenden Gegenstandes darstellen lässt“ (ebd., 179).
Pudowkin belässt es aber nicht beim fahrenden Automobil. Wie Harms (1926) geht er auch auf das stehende Automobil ein. Auch hier ganz Filmpraktiker beschreibt er, wie ein immobiles Automobil zu filmen ist, damit es in seiner Ruhe zu Geltung kommt. „Wollen wir ein Auto mit einem schlafenden Chauffeur aufnehmen, so lassen wir den Kameramann den Apparat neben dem Automobil zu ebener Erde aufstellen“ (Pudowkin 1961 [1928], 179). Das Ganze erfolgt in Abgrenzung und Kontrastierung zur Aufnahme eines fahrenden Automobils. „Soll aber gezeigt werden, wie sich das gleiche Auto durch den Straßenverkehr windet, so nimmt der Kameramann, um Form und Art der Bewegung hervorzuheben, die Szene vom dritten Stock eines Gebäudes auf. Die Wahl des Standortes kann die Ausdruckskraft der Aufnahme vertiefen“ (ebd., 180).
Damit reflektiert Pudowkin das erste Mal in direktem Bezug auf das Automobil: Es reicht nicht, ein fahrendes Automobil einfach zu zeigen, seine Bewegung muss filmisch inszeniert und montiert werden. Dabei greift er das bewährte filmische Motiv des sich auf die Kamera zu bewegenden Objekts auf, welches bereits die Gebrüder Lumières beim auf die Kamera und damit auf den Zuschau-
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er zufahrenden Zug in Arrivée d’un train à La Ciotat (R: Auguste & Louis Lumière, Frankreich 1897) einsetzen. Eine frühere Automobilszene dieser Konstellation beschreibt Müller (2004) für den Film How It Fells To Be Run Over (R: Cecil Heptworth, USA 1900). Hier rast ein Automobil auf die Kamera zu, um dem Zuschauer zu verdeutlichen, wie es sich gestaltet, wenn er von einem Automobil angefahren wird (vgl. Müller 2004). Auf diese spezifische Art der filmischen Inszenierung weist theoretisch schon Mack (1916) hin, der, wie bereits dargestellt, davon spricht, dass einem das Automobil buchstäblich ins Gesicht fährt (vgl. Mack 1916). Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass Pudowkin nicht nur bereits beide Grunddimensionen des Automobils, die dynamische und die immobile, charakterisiert und hinsichtlich ihrer jeweiligen filmischen Umsetzung diskutiert. Er reflektiert ebenso über die positive, Hilfe und Rettung symbolisierende, Konnotation des fahrenden Automobils und erläutert zentrale Punkte seines theoretischen und praktischen Film- und Montageverständnisses an automobilen Szenen. Diese stellen die „charakteristische Filmarbeit“ dar. Nicht zuletzt zeigt sich Pudowkins Zusammendenken von Automobil und Film bzw. seine Affinität zur filmischen Automobildarstellung in einem Ausblick am Ende seines Werks, in dem er auf die Zukunft des Films, den Tonfilm, eingeht. Das Potential des Tonfilms sieht er, wie andere russische Regisseure – beispielsweise Eisenstein (1979 [1928]) oder Grigorij W. Alexandrow (1979 [1928]) –, in der schöpferischen Möglichkeit zur Asynchronität von Bild und Ton, die es im Gegensatz zur verbreiteten Bild-TonSynchronität noch zu entwickeln gilt. Als Beispiel für die synchrone wie die asynchrone Verwendung des Tons wählt Pudowkin das Automobil. Für die Synchronität: „Hier einige Beispiele solch primitiver Geräuscheffekt: Im Stummfilm konnten wir ein fahrendes Auto zeigen, nun kann der Tonfilm diesem Bild die entsprechende Geräusche beifügen“ (Pudowkin 1961 [1928]), 216). Im Gegensatz dazu für die Asynchronität: „Aber Sie hören die Begleitgeräusche dieser Autos und Autobusse nicht, statt dessen klingt immer noch der Schrei, der sie zuerst erschreckte, in Ihrem Ohr“ (ebd., 218, Herv. i. O.). Es ist daher sicherlich nicht übertrieben, Pudowkins Filmtheorie als eine Montagetheorie am Beispiel des Automobils und seiner filmischen Darstellung zu bezeichnen. 5.2.3 Das Automobil als Symbol und Analogie: Schklowskij und Eisenstein Pudowkins (1961 [1928]) Beispiel einer gelungen filmischen Inszenierung eines Autounfalls findet sich zitiert in Viktor Schklowskijs (1966 [1927]) Aufsatz Sergej Eisenstein. Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftlicher Schklowskij entstammt der formalen Schule der russischen Literaturwissenschaft, die den
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formalistischen Ideen der russischen Filmschule nahesteht. Ausgehend von seinem Bestreben, in der Literatur übergreifende Gestaltungs- und Systemstrukturen zu finden, nähert er sich dem Film mit eben diesem Ziel. Praktisch wirkt Schklowskij als Szenengestalter an zahlreichen Filmen mit. Sein Kollege und Mitstreiter Juri N. Tynjanov bezeichnet ihn als „Schöpfer einer neuen SujetTheorie (…)“ (Tynjanov 1979 [1927], 164). Einer Theorie, die die Bedeutung von Objekten und Szenenbild für das filmische Gesamtwerk betont und fordert, diese nicht nur in den schöpferischen Filmprozess zu integrieren, sondern auch deren Beziehung und Auswirkung auf den Stil des Films herauszustellen. Durch die Wiedergabe von Pudowkins (1961 [1928]) Automobilszene macht Schklowskij auf ihre Bedeutung aufmerksam, nutzt sie aber gleichzeitig, um auf Pudowkins eher „amerikanischen“ Montagestil hinzuweisen. Dieser orientiert sich an der Kontinuität von Raum und Zeit und hat stets den Film als Ganzes vor Augen, im Gegensatz zu Eisensteins und Vertovs Montagestil, der räumliche und zeitliche Grenzen sprengt. Zur Veranschaulichung von Eisensteins Stil beschreibt Schklowskij zahlreiche Montagesequenzen aus den Filmen Eisensteins, so auch eine, in der er das Automobil als Symbol des technischen Fortschritts und der Geschwindigkeit kontrastiv zur Veranschaulichung der stagnierten und in traditioneller Handarbeit durchgeführten Landwirtschaft einsetzt. „Auch Eisenstein baut auf die Exzentrik des Materials, die Schroffheit der Kontraste. Er blendet Automobilrennen in einen Film über die Landwirtschaft ein“ (Schklowskij 1966 [1927]), 70). An anderer Stelle geht Schklowskij auf den Film Streik (R: Sergej Eisenstein, UdSSR 1924) ein. „Nicht zur Übereinstimmung gebracht mit den Gesetzen des Films sind beispielsweise die Szene der in Kniehosen badenden Arbeiter, die Schilderung der Lumpenproleten und die Verwendung der Automobile als glänzende Versatzstücke“ (Schklowskij 1966 [1927]), 87).
Beide von Schklowskij gewählten Beispiele verdeutlichen, wie Eisenstein das Automobil als Symbol des technischen Fortschritts aber auch der sozialen Distinktion einsetzt, um durch die Kontrastierung mit Einstellungen landwirtschaftlicher Arbeit und verarmter Arbeiter politisch zu agitieren und so Bedeutungen zu induzieren. In dem Artikel Die Grenzlinie (1930) setzt sich Schklowskij mit Eisensteins Film Generallinie (R: Sergej Eisensein, UdSSR 1929) auseinander und betont das Vermögen dieses Films, Gegenstände nicht nur als Objekte zu sehen, sondern sie seinen theoretischen Forderungen entsprechend so zu inszenieren, dass sie Teil des filmischen Gesamtwerks sind. „Bisher hat der Film die Dinge abgebildet, Eisensteins Film beruht auf dem Verhältnis zu den Dingen“ (Schklowskij
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1966 [1930]), 118). Zur Verdeutlichung wählt Schklowskij u.a. eine Szene, in der ein Traktor – ein automobiles landwirtschaftliches Fahrzeug – nicht nur ein bloßes Objekt ist. Er ist Teil der filmischen Handlung, die den Kontrast zwischen technischem Fortschritt und Dorfleben und die friedliche technische Umwandlung der Landwirtschaft in eine Kollektivwirtschaft thematisiert. „Der Traktor, der auf der Leinwand nicht weniger kompromittiert ist als der blutrünstige Weißgardist, ist nicht einfach in den Film hineingestellt. Über den Traktor machen sich die Pferde lustig, als er steckenbleibt“ (ebd., 117).
Die anfängliche Ablehnung der modernen Technik, zeigt sich im immobilen Traktor. Die besondere Stellung dieses technischen Objektes als Teil der filmischen Narration symbolisiert sich in den sich zum automobilen Nutzfahrzeug verhaltenden Pferden. Auch wenn Schklowskij das Automobil nicht direkt zum Gegenstand seiner filmtheoretischen Betrachtungen macht, so taucht es doch häufig in seinen gewählten Filmbeispielen und -szenen aus den Filmen Eisensteins auf. Dadurch, dass er Automobilszenen und die Beschreibung der Montage eines filmischen Automobilunfalls durch Pudowkin (1961 [1928]) zur Beschreibung unterschiedlicher Montagestile wählt und seine Sujet-Theorie in automobilen Szenen und der Thematisierung des Automobils durch Filmregisseure wie Eisenstein realisiert sieht, erhält das Automobil eine zentrale Position in seinen Ausführungen. Sergej Eisenstein selbst, der neben seiner herausragenden Rolle als Regisseur ein nicht minder bedeutender Filmtheoretiker war, thematisiert die Verwendung und filmische Inszenierung des Automobils in seinen Filmen nicht in seinen theoretischen Arbeiten. Trotzdem greift Eisenstein in seiner Schrift Jenseits der Einstellung (1988 [1929]) auf das Automobil als Analogie zur Erklärung und Veranschaulichung seines primären filmischen Ausdrucksmittels, der Montage, zurück. „Wollte man die Montage mit irgend etwas vergleichen, so ließe sich die Phalanx der Montageabschnitte, der ‚Einstellungen’, mit einer Serie von Explosionen im Verbrennungsmotor vergleichen, die sich in ihrer Montagedynamik gleichsam zu den blubbernden ‚Stößen’ eines davonrasenden Automobils oder Traktors hochschaukeln“ (Eisenstein 1988 [1929]), 82).
Die Wahl des Automobils kommt dabei sicherlich nicht von ungefähr. Einerseits ist es ein Symbol des technischen Fortschritts, das die Fortschrittlichkeit der Montage Eisensteins verdeutlicht. Andererseits nutzt Eisenstein es auch im Detail zu einer Analogiebildung hinsichtlich des Films. Die Verbrennung eines einzelnen Tropfen Kraftstoffs bewegt das Automobil noch nicht, erst die zahlrei-
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che Aufeinanderfolge der Verbrennung mehrerer Tropfen lässt die Zylinder sich bewegen und damit das Automobil „davonrasen“. Genauso wie eine einzelne Einstellung noch keinen Film ausmacht, sondern erst die Montage vieler Einstellung den Film ergibt, wenn er denn in der richtigen Geschwindigkeit im Filmprojektor bewegt wird. Das Automobil wird zu einer Metapher für die Funktionsweise der Filmmontage und damit aufs Engste mit dem Film und der Theoretisierung des Films verknüpft. 5.2.4 Zwischenfazit: Automobildiskurs Die detailliert begründete und in die Theorieentwürfe integrierte Thematisierung des Automobils durch die russischen Montagetheoretiker veranschaulicht die Stellung und Etablierung des Automobildiskurses in der Montagetheorie der 1920erJahre eindrucksvoll. So verdeutlicht sich zwar nicht der Diskurs in seiner ganzen Breite, aber dafür die Elemente Szenarien des Autounfalls, Filmische Realisierung der Automobildarstellung und Automobil als Symbol in neuartiger Tiefe. Das Automobil wird als ein Symbol des technischen Fortschritts (Vertov 1979 [1922], Schklowskij 1966 [1927]) verstanden und aus der Schilderung und Reflexion der praktischen Filmarbeit heraus in seinem filmischen Einsatz als solches beschrieben (Vertov) und an der Darstellung in den Filmen Eisensteins durch Schklowskij erkannt und diskutiert. Dabei wird es stets als ein kontrastives Element zur Veranschaulichung der noch veralteten, mit menschlicher und tierischer Kraft agierenden russischen Landwirtschaft benutzt und durch die Verdeutlichung der kontrastiven Montage am Beispiel des Automobils einerseits in die filmtheoretischen Entwürfe integriert und andererseits auf engste mit der mit dieser normativ einhergehenden Agitation für den sozialistischen Fortschritt verbunden. So ist für Vertov und Schklowskij das Automobil ein Symbol des durch technischen Fortschritt zu verwirklichenden Sozialismus, der den Menschen durch filmische Agitation nahegebracht werden soll (Vertov) und wird (Schklowskij). Durch die zum Nachdenken anregenden kontrastiven Montagesequenzen wird es von den Zuschauern rezeptiv als solches erkannt. Die Darlegung der Symbolhaftigkeit und der Inszenierung des Automobils als ein Symbol des Fortschritts, indem durch die Montage ihm diese abstrakte Bedeutung zuordnet wird, ist hier untrennbar mit der Filmischen Realisierung der Automobildarstellung als Teil des Automobildiskurses der russischen Filmtheorie verbunden. En détail tritt dieses diskursive Element bei Pudowkin (1961 [1928]) hervor, wenn er die filmische Realisierung der Automobildarstellung am Szenarium eines Autounfalls zu einem seiner zentralen Beispiele macht oder detailliert beschreibt, wie eine Automobilszene inszeniert werden sollte, damit die Automobil-
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fahrt als inszenierte Geschwindigkeit besonders gut zur Geltung kommt. Dadurch zeigt sich auch hier nicht zuletzt das Automobil als Erlebnis. Wie Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]) integriert auch Pudowkin seine filmtheoretischen Reflexionen über die Darstellung des Automobils in seinen theoretischen Gesamtentwurf, was bereits dadurch deutlich wird, dass er die filmische Automobildarstellung als „charakteristische Filmarbeit“ beschreibt. Die Ästhetik des Films ergibt sich, wie bereits deutlich geworden ist, vor allem durch die Operationen der Kamera und das Montieren der kameratechnisch mit Bedeutungen und Fokussierungen aufgeladenen Aufnahme. Die Formästhetik ist aufs Engste mit der aufklärenden und politisch agitierenden Funktionsbestimmung der Kunst im Zeitalter des technischen Fortschritt und der sozialistischen Reformen verbunden. Eine gesellschaftliche Funktionsbestimmung der Kunst, die sich in gewendeter Form beispielsweise bei Benjamin (1969 [1936]) wiederfinden wird, wenn er dem Film eine die Wahrnehmung testende Funktion als Vorbereitung auf die Erfahrung der sich technisierenden Alltagswelt zuschreibt. Von der engen Verbundenheit der russischen Filmtheorie zum Automobil zeugt auch die diskursiv etablierte Analogiebildung zwischen Automobil und Film, die Eisenstein benutzt, um die Grunddimension seiner praktischen und theoretischen Filmarbeit als dynamische, kontrastive und eruptive Grundprinzipien der Montage zu veranschaulichen – wie die Aussage eines Films erst durch die Aneinanderreihung von Einstellungen entsteht, so fährt ein Automobil erst durch die Abfolgen von Explosionen im Verbrennungsmotor. Die russische Filmtheorie kann als Montagetheorie mit automobilem Wesen verstanden werden. Auf jeden Fall wird in den Ausführungen Schklowskijs (1966 [1927], 1966 [1930]), Eisensteins (1988 [1929]), Vertovs (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]) und Pudowkins (1961 [1928]) die starke Affinität der russischen Montagepioniere zur Technik und seiner filmischen Darstellung besonders am Beispiel des Automobils und dessen filmischer Nutzung und Darstellung und somit eine intensive Erscheinungsform des Automobildiskurses der Filmtheorie deutlich. Die Affinität zum Automobil als einer Metapher zur Veranschaulichung filmischer Mittel, hier vor allem der Montage und Kameraarbeit, zeigt sich auch bei den russischen Montagetheoretikern im Wesentlichen in einer Reflexion darüber, wie die Bewegung des Automobils adäquat im Film dargestellt werden kann. Die Bewegungsdimension des Automobils bildet somit auch in der russischen Montagetheorie eine Ursache des Automobildiskurses und ist Antrieb für einen Großteil der Verwendungen des Automobils als einer vielgestaltigen Metapher innerhalb der Filmtheorie und ihrer Entwicklung.
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5.3 Das Automobil in der Kunsttheorie des Films Zahlreiche technische und inhaltliche Neuerungen, die in den 1920er-Jahren auf dem Gebiet des Films entstehen, spielen theoretisch erst in den 1930er-Jahren eine Rolle. Ab 1927 und besonders zu Beginn der 30er-Jahre stellen alle Filmstudios nach dem Erfolg des ersten wirklich bildsynchronen Tonfilms The Jazz Singer (R: Alan Crosland, USA 1927) ihre Produktion recht zügig auf den Tonfilm um. Trotz des anfänglich filmästhetisch großen Rückschritts im Vergleich zum Stummfilm – beispielsweise werden die bereits beweglichen Kameras durch den Zwang der Tonaufzeichnung wieder starrer und Außenaufnahmen werden für die bessere Tonqualität wieder ins Studio verlegt – „bedeutete es aber für die meisten Vertreter der Theorie keine so gravierenden Umstellung, den Ton zu akzeptieren, zumal dann nicht, wenn man dabei die Bildseite des Films zur Dominante erklärte, wie es oft geschah“ (Wuss 1990, 222). So wird der Ton durch Pudowkin oder Eisenstein beispielsweise enthusiastisch als Chance zur Erweiterung der Filmsprache gedeutete. Im Gegensatz dazu lehnt jedoch beispielsweise Rudolf Arnheim den Tonfilm ab und entwirft noch 1934 eine Kunsttheorie des Stummfilm, dessen künstlerisches Potential er vor allem in seiner Beschränkung gegenüber der Realität sieht, so auch im Mangel an Ton (vgl. Arnheim (2002 [1934]). Durch die ästhetischen Mittel des Films kann diese Differenz künstlerisch ausgenutzt werden, um eine filmische Realität zu erzeugen, die trotz der Mängel ein vollständiges „Weltbild“ entwirft31. Der Titel dieser für die Kunsttheorie des Films kanonischen Publikation Film als Kunst kann programmatisch für eine Reihe von Theoretisierungen bedeutender Kunst- und Literaturwissenschaftler wie Erwin Panofsky und Walter Benjamin angesehen werden, die sich in den 1930er-Jahren vor dem Hintergrund des ungeheuren Erfolgs und gesellschaftlichen sowie kulturellen Einflusses des Films diesem zuwenden. Im Unterschied zu den bisher vorgestellten ästhetischen Theorien des Films steht neben der Bestimmung der ästhetischen Mittel vor allem bei Benjamin (1969 [1936]) die Funktionsbestimmung der filmischen Kunst im Mittelpunkt, womit sich der Abstraktionsgrad der ästhetischen Filmtheorie weiter erhöht. Im welcher Weise der Automobildiskurs sich auch im 31
Eine weitere, ebenfalls erst in den 1930er-Jahren vor allem durch die englische Dokumentarfilmschule (vgl. Grierson 2000 [1933]) thematisierte neue filmische Ausdrucksform stellen die Ende der 1920er weltweit entstandenen, abendfüllenden Dokumentarfilme wie Nanook. Der Eskimo (R: Robert Flaherty, USA 1927), Berlin – Symphonie der Großstadt (R: Walter Ruttman, Deutschland 1927) oder Der Mann mit der Kamera (R: Dziga Vertov, UdSSR 1929) dar. Diese sowie ihre Theoretisierung werden hier allerdings nicht explizit vorgestellt, da einerseits primär die Theorien des Spielfilms behandelt werden und andererseits das Automobil nicht thematisiert wird. Für einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Dokumentarfilmtheorie vgl. Eva Hohenberger (2000).
5.3 Das Automobil in der Kunsttheorie des Films
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Rahmen der Kunsttheorie des Films etabliert und wie sich die Thematisierung des Automobils innerhalb der Logik der einzelnen Theorie verortet, steht nachfolgend im Mittelpunkt. 5.3.1 Das Automobil als klassifizierendes Element: Gregor und Grosz Die Entwicklungslinie des Automobils aus der Erfindung des Rades über die Kutsche und die Tatsache, dass auch im modernsten Automobil das Prinzip der Kutsche erkennbar bleibt, nutzt Josef Gregor in Das Zeitalter des Films (1932) als Analogie zur Herleitung und Begründung seiner These zur historischen Entwicklung des Films. „Der Film ist so alt wie die Menschheit. Wer es zu gewagt findet, die Überzeugung tief zurückliegender geschichtlicher Grundlagen für ein anscheinend aktuelles Problem so paradox auszudrücken, mag aus anderen Gebieten, die sich gleichermaßen in ein modernes technisches Gewand hüllen, Vergleiche beziehen. So ist unverkennbar, dass im Bau der Limousine auch des modernsten Automobils, ja des Aeroplans, noch immer Prinzipien herrschen, die zum Bau der Kutsche, ja der Sänfte geführt haben“ (Gregor 1932, 7).
Gregor, der Leiter der Theatersammlung und des Archivs für Filmkunde der Wiener Nationalbibliothek, liefert in seinem Werk eine kultur- und kunstkritische Analyse des Films, die einerseits eine historische Darstellung der Entwicklung des Films aus dem Streben der Menschheit nach der Visualisierung von Bewegung ist. Andererseits setzt sich Gregor aber auch mit den audiovisuellen und dramaturgischen Mitteln als ästhetische Möglichkeiten des Films in Abgrenzung zum Theater auseinander und entwickelt Theoretisierungen über den Film. Dieses veranlasst ihn zu der Schlussfolgerung, dass der Film seinen bisherigen Hauptwert im Rahmen der Wissenschaft, den sogenannten Lehr- und Kulturfilmen, besitzt und zur Kunst erst fähig wird, wenn sich der Dichter des Films bemächtigt. Ein für die 1930er-Jahre recht veraltetes und überholtes Festhalten an den künstlerischen Idealen des Theaters, welches allerdings dadurch interessant wird, dass Gregor der Zukunft das Potential einräumt, den Film zu einer Kunst zu entwickeln. „Das Zeitalter des Films mag auf seinem Höhepunkt sein oder ihm entgegeneilen – es ist (ähnlich dem römischen Imperium), in seiner Buntheit, Mechanik, in seinem Glanz und seinen Qualen ein starker Wegbereiter des dereinst kommenden Geistes“ (ebd., 190).
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Wenn auch als Filmtheorie wenig innovativ und bedeutend, so ist jedoch die Tatsache bemerkenswert, dass Gregor dem Film in seinen dokumentarischen Formen bzw. seinen damaligen Verbreitungsformen als Kultur- und Lehrfilmen seinen eigentlichen Wert zuweist; ebenso wie den Filmreportagen und Wochenschauaufnahmen, die es als historische Dokumente zu archivieren gilt. Er betont damit eine Dimension des Films, die in der Theoriebildung lange vernachlässigt wurde. In Bezug auf dokumentarische Formen des Films thematisiert Gregor dann auch das Automobil. „Der Umstand nützt besonders der Kulturgeschichte selbst; schon jetzt ist es von hohem Interesse, die zwei Jahrzehnte zurückliegenden Auto- und Flugversuche, Moden u. dgl. durch den Film rapportiert zu sehen“ (ebd., 187). Einerseits liefert Gregor hiermit einen weiteren Hinweis, neben Schultze (1911), Hardenkopf (1992 [1910]) und Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]), auf den dokumentarischen Attraktions- und Erlebniswert des Automobils seit den 1910er-Jahren. Andererseits benennt er den historischen und kulturgeschichtlichen Wert solcher Aufnahmen und beschreibt das Automobil erstmals konkret als filmisches Objekt im Zusammenhang mit dokumentarischen Genrebezeichnungen wie Kulturfilm und Wochenschau. Vor dem Hintergrund der Forderung der Archivierung dokumentarischer Aufnahmen und damit, wie aus dem vorherigen Zitat ersichtlich, auch automobiler Filmaufnahmen, macht die Gregors Darstellung zum Film einleitend entworfene Analogie zwischen Automobil und Film Sinn. Hier veranschaulichte er den Ursprung des Films im künstlerischen Streben des Menschen verbunden mit dem Hinweis auf sein Entwicklungspotential am Beispiel der Karriere des Automobils. Zum Erfassen des Films als Zeitphänomen, ist es notwendig, historisierend zu arbeiten und seine Entwicklung aus dem menschlichen Streben nach der Visualisierung von Bewegung abzuleiten und ihm eine Chance zur Weiterentwicklung zuzugestehen. Ebenso wie sich das Verständnis des Automobils als technische Mobilisierung von Fortbewegung aus dem Streben nach dieser bereits im Rad und in der Kutsche verdeutlicht. Film und Automobil kommen nur – formuliert man das, was bei Gregor bereits angelegt ist, etwas pointierter – zusammen, wenn das eine zur Dokumentation und Historisierung des anderen beitragen kann und darin sein jeweiliges Wesen findet. Einen Attraktionswert des Automobils und die Häufigkeit seiner filmischen Darstellung konstatiert Gregor aber auch für den Spielfilm. Er stellt die Frage: „Wie aber ist es zu erklären, dass der amerikanische Film von diesen Automobilen ebenso sehr erfüllt ist, wie der russische von Revolutionsvorgängen, Waffen usw.“ (ebd., 172)? Die Antwort darauf ist äußert tiefgründig und versucht sich im Gegensatz zu Schultze (1911), Paquet (1978 [1912]) und Siemsen (1984a [1921]), die ja das Automobil ebenfalls als ein charakteristisches Merkmal des amerikanischen Films bereits in den 1910er und 1920er Jahren erkannten, in einer Erklärung dieses Phänomens. Gregor zeigt am Beispiel des Automobils im
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Film auf, wie seine massenhafte Darstellung einerseits dazu führen soll, dass der Zuschauer den Film gern rezipiert. „Der Produzent will, dass der Film gefalle, und er wählt aus diesem Grunde vergnügte Gegen-stände, österreichische Offiziersuniformen, Schlösser mit Hofdamen, behäbige Spießer, vorzügliche Autos, ins Ohr gehende Schlager, schließlich die Verlobung Fritschs und der Harvey32“ (Gregor 1932, 173).
Anderseits räumt Gregor aber auch ein, dass das bloße Zeigen, beispielsweise des Automobils, noch nicht ausreicht. Seine „Suggestivkraft“ entfaltet es erst durch den filmischen Rhythmus, den Gregor auch in der Montage begründet sieht. „Nun gilt es allerdings, von diesen Dingen soviel in den Filmen unterzubringen, als möglich ist, nicht, um die Phantasie zu befriedigen, sondern um sie rhythmisch zu übertönen“ (ebd., 173, Herv. i. O.). Durch diese Überhöhung der Gegenstände gelingt es dem Film, etwas als den durch den Film bestätigten Wunschtraum der Zuschauer zu präsentieren, was so gar nicht vorhanden ist. Es wird vielmehr nur als Realisierung des scheinbaren Wunschtraums dem Zuschauer suggeriert, wodurch dieser sich als tatsächlicher Wunschtraum induziert. Damit wendet sich Gregor gegen die Vorstellung, dass Film die Wünsche der Zuschauer befriedigt: „Es scheint mir, dass die Verfechter der Wunscherfüllung im Film ein Späteres für ein Früheres nehmen und so einen Denkfehler begehen“ (ebd., 173). Vielmehr beschreibt er das Potential von Filmen, Wünsche erst zu induzieren, und somit die politisch und gesellschaftlich agitative Kraft des Films. Auch auf den nationenspezifischen Hintergrund weist Gregor hin, wenn er schreibt: „Also im russischen Film: Immer mehr Maschinen, immer mehr Traktoren, immer mehr Waffen. Im amerikanischen: Immer mehr Autos, immer mehr Telefone, immer mehr Beine. Im deutschen: Immer mehr Militär, Uniformen, Abendkleider. Im italienischen: Immer mehr Fürsten, Heilige, Matadore“ (ebd., 174).
Zwar leitet Gregor aus dieser Darstellung nicht eine kulturindustrielle und System integrierende Funktion durch die Darstellung des immer Gleichen her, wie es 15 Jahre später Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der Dialektik der Aufklärung tun werden. Dennoch liefert er einen entscheidenden Hinweis auf das gesellschafts- und kulturanalytisch interessante Potential von Filmen, welches beispielsweise Siegfried Kracauer in seinem Werk Von Galigari zu Hitler mehr als ambitioniert verfolgen wird. 32
Lilian Harvey und Willy Fritsch waren eines der Star-Duos der 1920er- und 1930er-Jahre. Sie spielten vor allem in zahlreichen frühen Tonfilmoperetten zusammen (vgl. Heinzlmeier/Schulz/ Witte 1982).
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Auf die Fähigkeit des Films zur Bedürfnisproduktion geht auch George Grosz in seiner 1931 erschienenen satirischen Abhandlung Das feine Milljöh ein, weshalb hier kurz auf ihn verwiesen werden soll. In dieser schildert der sozialund gesellschaftskritische Maler, Grafiker und Schriftsteller, wie besonders der deutsche Film der späten 1920er-Jahre ein Bild von Wohlstand und Reichtum verbreitet, da primär die Oberschicht das Milieu darstellt, in dem die Geschichten der Filme angesiedelt sind. Dadurch wird ein Lebensstil angepriesen, der das Streben nach materiellen Werten in den Vordergrund rückt und von den sozialen Problemen der Zuschauer ablenken soll. „Noch im Bild Propaganda für Luxusbedürfnisse, die einem kleinen Mann niemals zugänglich. Frauenbein, Bembergseide, Frack, sportliches Wagnis, hinter jedem Stuhl Kellner mit umwickelter Flasche, Geld in Haufen, Tanzgirls, klotzige Autos. Mit einem Wort die Ideale der Massen der Zivilisation“ (Grosz 1984 [1931], 522).
Wie Gregor (1932) stellt auch Grosz die propagandistische Kraft des Films u.a. am Beispiel des Automobils heraus. Im Vergleich zu Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]), der dieses ja ebenfalls konstatiert und es positiv normativ hervorhob, haben die Einschätzungen von Grosz und Gregor eine kulturkritische Konnotation. Was aber aus der automobilen Perspektive auf den Film, und die steht hier im Mittelpunkt, an der Darstellung Gregors (1932) interessant ist, und damit wieder zurück zu ihm, ist die Tatsache, das Gregor nicht nur feststellt, dass das Automobil ein häufiges filmischen Element ist. Sondern er reflektiert darüber, warum dies so ist und wie der Eindruck der Allgegenwärtigkeit des Automobils im Film zustande kommt. Das Automobil entfaltet durch seine Integration in die rhythmische filmische Darstellung, die sich aus seiner Bewegungsdimension ergibt, eine Wünsche, in diesem Fall Besitzwünsche, induzierende Kraft. Hier werden Parallelen in Gregors Konzeption zu Pudowkin (1961 [1928]) deutlich, vor allem dann, wenn die filmische und rhythmische Realisierung der Autodarstellung betont wird. Die direkte filmische Propaganda für das Automobil stellt Werner Böhme in seiner kurzen motivgeschichtlichen Bestandsaufnahme Auto in Dichtung und Film (1934), die sich allerdings nur dem Jahr 1933 widmet, an einem Beispiel heraus. Auch wenn es sich bei der Arbeit Böhmes in keiner Weise um eine filmtheoretische Arbeit, geschweige denn um eine Kunsttheorie des Films handelt, kommt sie hier zur Darstellung, da sie die einzige eruierte Arbeit aus den 1930erJahren ist, die sich explizit dem Thema Automobil und Film widmet und an dieser Stelle inhaltlich anschlussfähig ist. Ausgehend von der Feststellung „auch im Film wird mit einem für das Publikum immer größer werdendem Interesse das Kraftfahrzeug als selbständiger
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Mitspieler herangezogen“ (Böhme 1934, 3) benennt und beschreibt er auf einer knappen Seite vier Filme, in denen das Automobil eine tragende Rolle spielt. Im Vorfeld verweist Böhme darauf, dass er davon absieht, „hier solche Filme anzuführen, bei denen das Auto und Autoleute eine ziemlich belanglose Rolle spielen“ (ebd., 3f.). Die Kurzbeschreibungen der Filme, in denen das Automobil zentral für die Handlung ist, sind jedoch reine Inhaltsangaben und liefern keine für diese Arbeit relevanten Erkenntnisse. Interessant ist jedoch der Hinweis auf einen „bewussten Propagandafilm für die Automobilindustrie“ (ebd., 4) mit dem Titel Wir parken, wo es uns gefällt. Dieser soll für „das Auto des kleinen Mannes werben“ (ebd., 4) und damit die von der gerade an die Macht gekommenen NSRegierung versprochene Massenmotorisierung unterstützen. Auch wenn die Ausführungen Böhmes von NS-Propaganda durchzogen sind, verdeutlichen sie doch eindrucksvoll, wie die von Gregor (1932) und Grosz (1984 [1931]) gemachte Beobachtung der versteckten Werbung für das Automobil und der Bedürfnisproduktion beim Zuschauer nun vordergründig genutzt werden soll. Der Film wird instrumentalisiert für das perfide Versprechen eines Volkswagens für jeden und die damit verbundenen, den Krieg vorbereitenden Straßenbaumaßnahmen. Böhme betrachtet den Erfolg einer solchen Verbindung von Film und Produktwerbung, aber auch politisch propagandistischer Werbung, allerdings noch skeptisch. „Es wird sich erst noch zeigen müssen, ob auch die Rahmenhandlung des Films das Problem der Autowerbung wirksam unterstützen kann“ (ebd., 4). Hätte er Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]) gelesen, wüsste er die Antwort. 5.3.2 Das Automobil als Ausstattungselement und Stellvertreter: Arnheim und Clair Auf das Automobil im Sinne der von Gregor (1932) kritisierten scheinbaren Erfüllung eines Wunschtraums der Zuschauer, geht auch der in materialästhetischer Hinsicht bahnbrechende Kunst- und Filmtheoretiker, Rudolf Arnheim, ein. In seiner Publikation Film als Kunst aus dem Jahr 1932 schreibt der von der Gestaltpsychologie geprägte Arnheim in Bezug auf die Psychologie des Konfektionsfilms. „Sie sind gefilmte Wunschträume, die die Sehnsucht nach Reichtum befriedigen. Der Kinobesucher freut sich über das Auto, das der Held fährt, als ob es ihm selbst gehörte, er fühlt sein eigenes Selbstgefühl gehoben, wenn ein schwarzseidenes Zimmermädchen der Heldin in den Mantel hilft“ (Arnheim 2002 [1932], 166).
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Das im Film sichtbare Automobil stellt hier die Befriedigung des Wunsches nach dem Besitz eines Automobils dar, da dieser im Filmerlebnis ersatzweise miterlebt werden kann. Die Menschen sollen so darüber hinweggetröstet werden, dass sie sich kein Automobil leisten können, womit Arnheim auf die noch recht geringe Verbreitung des Automobils zu Beginn der 1930er Jahre in Deutschland referiert33. Arnheim geht zwar nicht soweit wie Gregor (1932), der von durch den Film agitatorisch induzierten Träumen spricht. Er bemängelt allerdings, das diese Konfektionsfilme die Realität idealisieren und beschönigt darstellen, die Grenzen zwischen arm und reich verwischen und die Gesellschaft positiv verklärt darstellen, was dazu führt, „dass die Unzufriedenheit sich nicht in revolutionäre Tat entlade, sondern in Träumen von einer besseren Welt abklinge“ (ebd., 164). In dieser Kritik argumentiert er ähnlich wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, wenn sie von der Kulturindustrie, worunter sie auch den Film fassen, sprechen, die durch die ständige Wiederkehr des Gleichen und die von der Realität ablenkenden filmischen Inhalte die Menschen entmündigt, in einen lethargischen Zustand der Untätigkeit versetzt und letztlich durch Konsumgüter, worunter sie auch das Automobil zählen, ruhig stellt (vgl. Horkheimer/Adorno (2003 [1947]). „Technische Rationalität heute ist die Rationalität der Herrschaft selbst. Sie ist der Zwangscharakter der sich selbst entfremdeten Gesellschaft. Autos, Bomben und Film halten so lange das Ganze zusammen, bis ihr nivellierendes Element am Unrecht selbst, dem es diente, seine Kraft erweist. Einstweilen hat es die Technik der Kulturindustrie bloß zur Standardisierung und Serienproduktion gebracht und das geopfert, wodurch die Logik des Werks von der des gesellschaftlichen Systems sich unterschied“ (ebd., 129).
Doch wieder zurück zu Arnheim (2002 [1932]). In der im Vorfeld zitierten Passage thematisiert er weiterhin die Amalgamierung von Filmheld und Automobil – eine Verbindung, die auch bereits Harms (1926), Stindt (1924) etc. herausstellen. Das Automobil ist für Arnheim ein Utensil eines Filmhelden. Bereits in dieser Textpassage zeigt sich deutlich die psychologische Dimension filmischer Inszenierungen, die Arnheim in das Zentrum seiner Filmtheorie setzt. Im Konfektionsfilm sind diese wirkmächtigen Dimensionen vor allem Schematisierung und inhaltliche Wiederholung, wobei Arnheim zur Veranschaulichung der Kritik an der Schematisierung eine Analogie zur Automobilherstellung bemüht. „Regelmäßigkeit ist nicht komisch, wenn es sich um die Fabrikation von Kleinautos 33
In Deutschland gab es zwar beispielsweise 1932 bereits 1 499 724 Automobile, was jedoch im Vergleich zu den USA, wo 1932 durchschnittlich jeder 4,7. Einwohner ein Automobil besaß, wenig erscheint, wenn in Deutschland nur jeder 95. Einwohner eines sein eigen nennen konnte (vgl. Fraunholz 2002, 42ff.).
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handelt. In Dingen der Kunst aber wirkt Standardisierung wie ein schlechter Scherz“ (Arnheim 2002 [1932], 162)34. Dabei ist Arnheim bei weitem kein Filmgegner, vielmehr stellt er, ausgehend von den materiellen Eigenschaften des Films, die Frage danach, wann der Film Kunst sein könne. Laut Arnheim ist er dann dazu fähig, wenn er die Mängel, die die filmische Reproduktion gegenüber der Wirklichkeit besitzt, bewusst gestalterisch und psychologisch ausnutzt, um trotzdem den Eindruck eines vollständigen (filmischen) Weltbilds zu kreieren. Solche zu nutzenden Mängel des Filmbildes sind beispielsweise die Verringerungen der räumliche Tiefe, der Verlust der Kontinuität von Raum und Zeit, der Farbe sowie des Tons. Damit lieferte Arnheim 1932 eine Filmtheorie des schwarzweißen Stummfilms, die sich in einer Zeit des sich durchsetzenden Tonfilms und am Horizont bereits sichtbaren Farbfilms, gegen diesen stellt, um den Kunstwert des Films zu erhalten. Arnheims Filmtheorie ist in erster Linie eine des Filmbildes, welches dominant gesetzt wird. „Arnheim revidierte auch in den Folgejahren seine Filmtheorie nur unwesentlich, beharrte stets auf dem Primat von der Visualität im Tonfilm“ (Diederichs 2004, 25). Seine theoretische Konzeption ist dennoch bemerkenswert, da sie von den, dem filmischen Material inhärenten Eigenschaften ausgeht und an zahlreichen Filmbeispielen über den gelungenen, den Film zur Kunst erhebenden Einsatz dieser Eigenschaften reflektiert. Das Automobil thematisiert Arnheim, wie bereits zitiert, aber u.a. gerade im Rahmen des nichtkünstlerischen Konfektionsfilms, den er allein aufgrund seines Inhalts, seiner Story, ablehnt. „Wir sprechen hier nicht vom künstlerischen Niveau sondern allein vom stofflichen“ (Arnheim 2002 [1932], 163). Detaillierter auf das Automobil und seine filmische Dimension geht Arnheim im Zuge der Auseinandersetzung mit der Exposition im Film ein. Auch hier fragt er, wie der Film seine gestalterischen Möglichkeiten optimal nutzen kann, um sich als eigene Kunst gegenüber der literarischen und theatertypischen Exposition zu rechtfertigen. Arnheim sieht seine Fähigkeit vor allem darin, ohne Worte und allein durch die Bilder in eine Filmhandlung so einzuführen, dass das Gerüst der Geschichte und die Charaktere der Hauptprotagonisten bildhaft konstruiert werden. Am Beispiel des Films Neue Herren (R: Jacques Feyder, Frankreich 1929) schildert er eine gelungene Exposition und bemerkt die besondere Stellung eines Automobils darin. 34
Horkheimer/Adorno wählen, nebenbei bemerkt, zur Veranschaulichung der kulturindustriellen Normierung und ihrer Folgen ebenfalls eine Analogie zum Automobil. „Daß der Unterschied der Chrysler- von der General-Motors-Serie im Grunde illusionär ist, weiß schon jedes Kind, das sich für den Unterschied begeistert. Was die Kenner als Vorzüge und Nachteile besprechen, dient nur dazu, den Schein von Konkurrenz und Auswahlmöglichkeit zu verewigen“ (Horheimer/Adorno (2003 [1947], 131).
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„Sie zieht sich an, tritt aus der Tür, sucht ein Taxi – da steht vor dem Bühneneingang ein wundervolles neues Auto mit Suzannes Initialen; der Chauffeur grüßt, sie steigt überrascht ein, im Wagen eine Visitenkarte: Geburtstagsgeschenk des Grafen Montoire“ (ebd., 145).
In dem Film geht es um die Liebe zwischen der Tänzerin Suzanne Verrier und dem Grafen Montoire, deren Verhältnis und soziale Stellung bereits in der Exposition verdeutlicht wird – der Graf als schenkender reicher Gönner, die Tänzerin seine arme Geliebte. Das Besondere an dieser Exposition ist jedoch, wie Arnheim bemerkt, dass der Graf gar nicht selbst auftritt, sondern durch ein Automobil in seinem Charakter und Status symbolisiert wird. „Damit ist seine Rolle ohne viele Worte schlagend klargemacht, und durch die indirekte Einführung wird erstens erreicht, daß eine sehr starke Spannung bis zu seinem ersten Auftritt erzeugt wird, zweitens aber ist die Art, wie hier Blumenstrauß und Auto als Stellvertreter eines Menschen auftreten, eine unüberbietbare, nahezu stilisierende Konzentration auf das von der Handlung Geforderte: die Figur Graf wird nur soweit ins Bild gezogen, wie sie zunächst gebraucht wird“ (ebd., 145).
Arnheim betont hier die Möglichkeit, mit Hilfe eines Automobils, erstens, den Charakter einer Filmfigur zu symbolisieren, was bereits bei Balász (2001 [1924]) angelegt ist. Zweitens weist er darauf hin, dass das Auto dadurch eine Rolle im Film einnehmen kann, die über seine Objektstatus hinausgehen kann, was bereits von Tannenbaum (1987 [1912]) oder auch Rauscher (1984 [1913]) angemerkt wurde. Ersteres wird noch einmal besonders in dem Artikel Symbole (1977 [1934]) deutlich, in dem Arnheim schreibt. „In René Clairs Vierzehntem Juli flüchtet das Mädchen aus Schreck vor einem plötzlichen Donnerschlag in die Arme des Geliebten, dem sie noch zürnte, und am Schluß des gleichen Films stehen das Taxi des Helden und der Blumenwagen der Heldin, nachdem sie ineinandergerannt sind, wie aneinandergeschmiegt einsam im strömenden Regen – eine ironische Parallele zu dem happy end, das ihren Besitzern zur gleichen Zeit beschert wird“ (Arnheim 1977 [1934], 147).
Das Automobil steht hier als Stellvertreter respektive als Symbol für seinen Besitzer und trägt in dieser Funktion zur Narration des Filmes bei und stellt in dieser Ausdeutung Arnheims eine spezifische Form der Thematisierung der Funktion der Automobildarstellung im Film dar. Nicht zuletzt verdeutlicht Arnheim damit die filmische Inszenierung eines Automobils im Sinnes seines Filmkunstverständnisses und dessen Potential, gestalterisch zur Kunsthaftigkeit des Films beizutragen. Damit integriert er das Automobil funktional in seine Filmtheorie, ohne das dieses jedoch eine grundlegende Dimension seiner Betrachtungen ist, wie beispielsweise bei Pudowkin.
5.3 Das Automobil in der Kunsttheorie des Films
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Eine weitere funktionale Erwähnung im Sinne von Arnheims Theoriekonzeption findet das Automobil im Rahmen der Arnheimschen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der filmkünstlerischen Ausnutzung der Beleuchtung. „Das Aufleuchten von Autolaternen“ (Arnheim, 2002 [1932], 81) beschreibt er als ein wirkmächtiges Mittel zur Erzeugung von Stimmungen und damit als Varianten des filmkünstlerischen Umgangs mit Licht durch eine im Film natürlich vorhandene Lichtquelle und die damit verbundene adäquate Ausnutzung der filmisch und vor allem visuell vorhanden Entitäten zur Erzeugung eines vollständigen Weltbildes. Der von Arnheim erwähnte französische Filmregisseur, René Clair, der aufgrund seiner theoretischen Nähe zu Arnheim und der zahlreichen Filme Clairs, die Arnheim zur Veranschaulichung seiner Theoretisierungen wählt, hier kurz betrachtet wird, macht es sich in seinen zwischen 1922 und 1935 veröffentlichten Aufsätzen und Filmkritiken zur Aufgabe, den Film als ein Ausdrucksmittel gegenüber dem Verständnis von Film als Reproduktionsverfahren zu stärken und tritt für die Entwicklung einer dem Film eigenen visuellen Sprache ein. Eine Sprache, die er in seinen Filmen versucht zu realisieren und die ihn ob seiner Betonung der Bildebene des Films mit Arnheim verbindet. Vor allem aber, da er in seine Überlegungen teilweise auch das Automobil argumentativ einfließen lässt, seien diese hier kurz eingeschoben. In einer Hommage an Mack Sennett35 beschreibt er, wie dieser es schafft, durch die ständige Neukombination immer wiederkehrender Requisiten, so auch des Automobils (vgl. Clair (1995 [1923], 49), phantastische und komische Geschichten zu entwerfen. Damit weist er auf das Automobil als elementaren Bestandteil früher Slapstick-Filme hin. Gern bedient sich auch Clair argumentativ der Automobilindustrie, was ihn mit Arnheim verbindet, indem er eine Analogie zwischen dieser und der Filmindustrie herleitet, um die Filmindustrie und vor allem die Filmproduzenten anzuklagen, deren Profitgier niveauvolle Filme verhindert und den Film nur als eine Ware, wie eben das Automobil betrachtet. „Würde ihnen morgen eine besser bezahlte Stellung in einer anderen Branche angeboten, sie griffen mit beiden Händen zu. Der Film ist nichts anderes als Automobile oder Konserven … Sie sind die Starken, die Herren des Geschäfts“ (Clair (1995 [1927], 93).
35
Sennett ist ein amerikanischer Regisseur und Produzent, der vor allem in den 1910er-Jahren erfolgreich und stilprägend turbulenten Komödien realisierte, die unter der nach seiner Produktionsfirma benannten Keystone Comedy zum Kanon der frühen Filmgeschichte gehören. „Tollheit und Ungebundenheit sind die Merkmale seines Werkes, in dem Trickaufnahmen die unwahrscheinlichsten Vorgänge ermöglichten: Motorradfahrer benutzten Telegraphendrähte als Rennbahn, Automobile sprangen über Straßenbahnen, (…)“ (Sadoul 1982 [1955], 117).
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Neben der Kritik der Filmindustrie weist Clair damit einerseits darauf hin, dass der Film und das Automobil bedeutsame wirtschaftliche Faktor sind, die daher von ihm in einem Atemzug genannt und miteinander verglichen wurden36. Auf der anderen Seite verdeutlicht sich zum wiederholten Male die in filmtheoretischen Darstellungen sehr beliebte Analogiebildung auf der Grundlage des Automobils, die ein spezifisches Element des Automobildiskurses der Filmtheorie darstellt. 5.3.3 Automobil und Bewegung als Ursprungsprinzip des Films: Panofsky Die Ausnutzung der dem Film eigenen Ausdrucksmittel betonte auch Erwin Panofsky in dem erstmals 1934 erschienen Essay Stil und Medium im Film. In dem einzigen Beitrag des Kunstwissenschaftlers und Begründers der Ikonologie zum Film betont Panofsky die gesellschaftliche Funktion des Films, dessen Kunstfähigkeit aus der Beschaffenheit seiner Gestaltungsprinzipien erwächst sowie aus seiner Entwicklung aus der Volkskunst und der Freude am Erleben dargestellter Bewegung. Die dem Film eigene Fähigkeit zur Kunst im Unterschied besonders zum Theater sieht Panofsky in seiner Fähigkeit eines besonderen Umgangs mit Raum und Zeit. „Die spezifischen Möglichkeiten des Films lassen sich definieren als Dynamisierung des Raums und entsprechend als Verräumlichung der Zeit. Das ist evident bis zur Selbstverständlichkeit, aber eine Wahrheit jener Art, die gerade ihrer Selbstverständlichkeit wegen leicht vergessen und übersehen wird“ (Panofsky 1999 [1934], 25).
Aus dieser Konstellation heraus ergibt sich für den Film eine Vielzahl an Möglichkeiten, die im Theater nicht realisierbar sind und aus denen sich sein Wesen gestaltet. Neben zahlreichen anderen Gestaltungsfähigkeiten erwähnt Panofsky auch die Darstellung des Automobils. Dabei ist das Automobil für den Film nicht bloß wegen seiner ursprünglichen Bewegungsdimension, die es in der Frühzeit des Films für diesen interessant machte, bedeutend, sondern auch wegen seiner Funktion zur Realisierung von Schauplatzwechseln. Diese Schauplatzwechsel, auf die in anderen Zusammenhängen bereits Tannenbaum (1987 [1912]) und Rauscher (1984 [1913]) hingewiesen haben, privilegieren das Automobil zu einem Mittel der Erzeugung von Gefühlen und zum Aufbau von Spannung und verleihen seiner filmischen Darstellung damit eine übergeordnete Funktion. 36
Eine zeitnahe Schilderung des Films als Wirtschaftsfaktor findet sich in dem 1931 erschienen satirischen detail- und faktenreichen Roman Die Traumfabrik. Chronik des Films von Ilja Ehrenburg, der 1930, ebenfalls in Romanform, auch eine ironische Kritik der kapitalistischen Autoindustrie unter dem Titel Das Leben des Autos. Chronik verfasste.
5.3 Das Automobil in der Kunsttheorie des Films
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„Ja schon die bloßen Schauplatzwechsel, wenn ein Auto sich durch den dichten Verkehr schlängelt oder ein Motorboot durch den nächtlichen Hafen steuert, werden nicht nur ihre ursprünglichen Bewegungsreiz stets erhalten, sondern auch immer ein höchst wirksames Mittel bleiben, Gefühle zu erregen und Spannung zu erzeugen“ (Panofsky 1999 [1934], 26).
Das Interessante an dieser Textpassage ist, dass Panofsky hier u.a. am Automobil anschaulich macht, wie sich die Volkskunst Film durch die Beibehaltung und Weiterentwicklung einer ihrer Ursprungsdimensionen (der Bewegung) oder wie Panofsky es ausdrückt, „ganz einfach die Freunde an etwas, das sich zu bewegen schien“ (ebd., 21) zu einer Kunst entwickelt hat. „Die wahren Entfaltungsmöglichkeiten eröffneten sich nicht, indem man den Volkskunstcharakter des primitiven Films verwarf, sondern indem man ihn entwickelte“ (ebd., 24). Damit leitet Panofsky die Fähigkeit des Automobils zur Erregung von Gefühlen und Spannung im Film, die über seine Bedeutung als bewegtes Objekt hinausgeht, aus dem Ursprungsprinzip des Films, der Bewegungsdarstellung, ab und verortet das Automobil indirekt im filmischen Entwicklungsprozess, der seine Fähigkeit zur Kunst aus seinen ihm eigenen Anlagen entwickelt hat. Panofsky übersteigt damit die bisherigen Bewertungen des Automobils und erweitert die Thematisierung des Automobils im Rahmen der Filmtheorie um eine entwicklungshistorische Verbindung zwischen der filmischen Automobildarstellung und dem Finden der dem Film eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. 5.3.4 Verwandte Wahrnehmung von Automobil und Film: Benjamin Fokussiert man ein technisches Artefakt der Moderne wie das Automobil und seine Erwähnung, Stellung und Funktion in den Filmtheorien (der 1930er Jahre) führt kein Weg an Walter Benjamin, vor allem an seinem 1936 erschienen Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, vorbei. Auch wenn dieser Text das Automobil, bis auf eine Randbemerkung in einem Zitat von Franz Werfel, nur marginal oder sinngemäß erwähnt. Benjamin versucht im „Kunstwerkaufsatz“ vielmehr, eine neue Funktionsund Wesensbestimmung der Kunst vorzulegen, die sich aus der Entwicklungsproblematik und Konstellation der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft in Auseinandersetzung mit der technisch reproduzierbaren Kunst und der generellen Technisierung, Modernisierung und Medialisierung der Lebensumstände ergibt. Ausgehend von der Fotografie dient ihm der Film dabei als materiale Grundlage der Analyse der technisch reproduzierbaren Kunst und des gesellschaftlichen und kulturellen Umgangs mit ihr, weshalb seine Ausarbeitung vor allem vor dem Hintergrund eines weiten Filmtheoriebegriff als eine solche be-
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trachtet werden kann. Die neue technisch reproduzierbare Kunst ermöglicht nun eine Emanzipation vom rituellen Kultwert der Kunst als Unikat und deren kontemplativer Rezeption hin zu einem, die gesellschaftliche Konstellation rezeptiv erprobenden und politisierbaren Gebrauchswert, der sich wesentlich aus der massenhaften Verfügbarkeit und der Realitätsnähe des reproduzierten Kunstwerks, d.h. der Fotografie und des Films, ergibt. Dieser Gebrauchswert resultiert nicht mehr aus der, das traditionelle Kunstwerk durch seine ritualisierte Funktion und Rezeption umgebenden Aura, sondern aus der materialen Verfasstheit der reproduzierenden Apparatur, die die Herstellung der Reproduktion sowie ihre Rezeption bestimmt. Auf den Film bezogen klingt das bei Benjamin zusammenfassend so: „Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem Nachdruck auf allen Gebieten der Kunst bemerkbar macht und das Symptom von tiefgreifenden Veränderungen der Apperzeption ist, hat am Film ihr eigentliches Übungsinstrument. In seiner Chokwirkung kommt der Film der Rezeptionsform entgegen. Der Film drängt den Kultwert nicht nur dadurch zurück, dass er das Publikum in eine begutachtende Haltung bringt, sondern auch dadurch, dass die begutachtende Haltung im Kino Aufmerksamkeit nicht einschließt. Das Publikum ist ein Examinator, doch ein zerstreuter“ (Benjamin 1969 [1936], 48).
In dem Aufsatz Über einige Motive bei Baudelaire (2002 [1939]) geht Benjamin genauer darauf ein, was unter der einübenden „Chockwirkung“ zu verstehen ist und zieht über den Großstadtverkehr eine indirekte Verbindungen zum dem den Großstadtverkehr bestimmenden Automobil. „Der Apparat erteilte dem Augenblick sozusagen einen posthumen Chock. Haptische Erfahrungen dieser Art traten optischen an die Seite, wie der Inseratenteil einer Zeitung sie mit sich bringt, aber auch der Verkehr in der großen Stadt. Durch ihn sich zu bewegen, bedingt für den einzelnen eine Folge von Chocks von Kollisionen. (…) Wenn Poes Passanten noch scheinbar grundlose Blicke nach allen Seiten werfen, so müssen die heutigen das tun, um sich über die Verkehrssignale zu orientieren. So unterwarf die Technik das menschliche Sensorium einem Training komplexer Art. Es kam der Tag, da einem neuen und dringlichen Bedürfnis der Film entsprach. Im Film kommt die chockförmige Wahrnehmung als formales Prinzip zu Geltung. Was am Fließband den Rhythmus der Produktion bestimmt, liegt beim Film der der Rezeption zugrunde“ (Benjamin 2002 [1939], 43f.).
Ausgehend von der Fotografie schildert Benjamin hier, wie das alltägliche Leben von zerstreuten Wahrnehmungen bestimmt ist. Diese wirken schnell, dynamisch und eruptiv auf die Menschen ein, beispielsweise die Wahrnehmung des Verkehrs in der Großstadt, welcher in den 1930er-Jahren durch das Automobil als ein wesentliches Element des modernen Stadtlebens bestimmt ist. Diese „chock-
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förmige“ Aufnahme von Informationen, die zum Leben in der Großstadt nötig ist und hier bereits erlernt wurde (man stelle sich ein mit hoher Geschwindigkeit heranfahrendes Automobil vor, welcher plötzlich eruptiv auftaucht und ebenso schnell wieder verschwunden ist), entwickelt sich durch die ebenfalls „chockförmig“ auf den Zuschauer im Kino einwirkenden Bild- und Toninformationen des Films zu dessen konstitutivem Prinzip. Nur aufgrund der Wiederholung dieses auch außerhalb des Films wirkmächtigen Wahrnehmungsprinzips im Film, ist dieser überhaupt erst wahrnehmbar. Die Funktion des Films erwächst nun daraus, dass wir am Film die „chockförmige Wahrnehmung“, die auch in der gesellschaftlichen Realität essentiell ist, quasi testen und einüben können. Eine Wahrnehmung, die nicht mehr kontemplativ, sondern zerstreut erfolgt, indem sie uns die Informationen flüchtig und selektiv aufnehmen lässt, da wir anders die Fülle an täglich auf uns einströmenden fragmentierten Informationen nicht mehr verarbeiten könnten. Benjamin sieht damit die kulturelle Funktion des Films, und somit der reproduzierbaren Kunst, nicht in erster Linie in der Narration des Films, sondern in seinem durch den Apparat bestimmten Gebrauchswert des Testens und Übens von Wahrnehmungsmechanismen. Vor diesem Hintergrund wird auch Benjamins Kritik an denjenigen Filmtheoretikern und Praktikern verständlich, auf die er in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit eingeht, die zuvorderst nach der Kunstfähigkeit des Films fragen. „Hatte man schon vordem vielen vergeblichen Scharfsinn an die Entscheidung der Frage gewandt, ob die Photographie Kunst sei – ohne die Vorfrage sich gestellt zu haben: ob nicht durch die Erfahrung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe –, so übernahmen die Filmtheoretiker bald die entsprechende Fragestellung“ (Benjamin 1969 [1936], 25).
Die Beantwortung der Frage ist für diese Filmtheoretiker, Benjamin nennt hier u.a. die französischen Regisseure und Theoretiker Abel Gance und Alexandre Arnoux, damit verbunden, im Film einen mehr oder weniger auratischen Wert zu suchen und diesen damit wieder in die Nähe zum rituellen und kontemplativen Kunstwerk zu rücken. Solche Bestrebungen übersehen den grundsätzlichen Wandel der kulturellen Funktion und die apparative Beschaffenheit des reproduzierten Kunstwerks Film. Besonders deutlich wird dies in Bezug auf eine Kritik an Franz Werfel, die Benjamin äußert, und hier kommt dann das Automobil zur Sprache. „Kennzeichnend ist, dass auch heute besonders reaktionäre Autoren die Bedeutung des Films in der gleichen Richtung suchen, und wenn nicht geradezu im Sakralen so doch im Übernatürlichen. Anläßlich der Reinhardtschen Verfilmung des Sommernachtstraums stellt Werfel fest, dass es unzweifelhaft die sterile Kopie der Außenwelt mit ihren Straßen, Interieurs, Bahnhöfen, Restaurants, Autos und Strandplätzen sei, die bisher dem Aufschwung des Films in das Reich der Kunst im Wege gestan-
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den hätte. ‚Der Film hat seinen wahren Sinn, seine Möglichkeiten noch nicht erfasst … Sie bestehen in seinem einzigartigen Vermögen, mit natürlichen Mitteln und mit unvergleichlicher Überzeugungskraft das Feenhafte, Wunderbare, Übernatürliche zum Ausdruck zu bringen’“ (ebd., 26f.).
Für Benjamin hat der Film gerade seinen Wert darin, die „Außenwelt“ darzustellen, da aus der Nähe der reproduzierenden Technik zur Wirklichkeit sein Gebrauchswert, seine Test- und Übungsfunktion resultiert. Benjamin sieht, formuliert man es bewusst sehr pointiert, in der filmischen Darstellung des Großstadtlebens, des Verkehrs – und damit auch des in diesen involvierten Automobils – die Fähigkeit des Films die „chockförmige“ Dynamisierung des Alltags und dessen Wahrnehmungsbedingungen zu erfassen und zu einer filmischen Ausdrucksform zu entwickeln. Diese resultiert nun nicht nur aus dem, was im Film zu sehen ist, sondern vor allem daraus, dass die Information auch in technischem Sinne durch die fragmentarischen 24 Bilder pro Sekunde auf den Zuschauer einprasselt. Durch diese auch technisch bedingte Verwandtschaft von moderner Alltags- und Filmwahrnehmung ist der Film besonders geeignet, auch narrativ die Alltagswelt und deren Dynamisierung zu veranschaulichen. Mit, hier wiederum pointiert interpretiert, diesen apperzeptiven Verwandtschaftsdimensionen von Automobil und Film, die sich aus dem gemeinsamen „chockförmigen“ Wahrnehmungsprinzip speisen bzw. sich aus diesen heraus entwickelt haben und sich mehr oder wenig gegenseitig bedingen, bringt Benjamin einen Blickwinkel hinsichtlich der Beziehung von Automobil und Film im Rahmen der Filmtheorie ins Spiel, der die Panofskysche (1999 [1934]) entwicklungshistorische Dimension um eine wahrnehmungsgeschichtliche und -theoretische ergänzt. Benjamins Funktionsbestimmung der reproduzierbaren Kunst am Beispiel des Films ist nicht nur eine gesellschaftliche und kulturelle Analyse des Films sondern beschreibt gleichsam die Konstitution der westlichen Gesellschaft der 1930er-Jahre als medial, ja audiovisuell bestimmt. Panofsky formuliert diese gesellschaftliche Konstitution, bezogen auf den Film, wie folgt: „Denn im modernen Leben, um auf das zurückzukommen, wovon wir ausgegangen sind, ist der Film nicht Verzierung, sondern Notwendigkeit.“ (1999 [1934]), 53). Eine Formulierung, der sich Benjamin mit Sicherheit anschließen würde. Diese Notwendigkeit des Films als gesellschaftlicher und politischer Faktor zeigt sich bereits in der Nutzung des Films zur politischen Agitation in der Sowjetunion und der durch dieses Verständnis geleiteten filmpraktisch Entwicklung und theoretischen Fundierung der Montage durch die erwähnten Pudowkin (1961 [1928]), Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]) etc. Das propagandistische Potential des Films nutzen aber ebenso das nationalsozialistische Deutschland und andere faschistische Staaten Europas. „So steht es um die Ästhetisie-
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rung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst“ (Benjamin 1969 [1936], 51). Beide politischen Tendenzen, die sozialistische und nationalsozialistische, sollten die Entwicklung des europäischen Films der 1930er- bis in die mittleren 1940er-Jahre prägen und durch das kriegerische Aufeinanderprallen beider Systeme im Zweiten Weltkrieg den filmtheoretischen Betrieb für einige Jahre lahmlegen. Daher endet die Darstellung der Filmtheorien der Jahre 1930er-Jahre mit Benjamins „Kunstwerkaufsatz“ aus dem Jahr 1936, zumal dieser filmtheoretische Entwurf für einen längeren Zeitraum (bis Ende der 1940er Jahre) die letzte zu eruierende filmtheoretische Publikation ist, die das Automobil, wenn auch eher indirekt, so doch entscheidend berücksichtigt. 5.3.5 Zwischenfazit: Automobildiskurs Der Automobildiskurs wird auch im Rahmen der Filmkunsttheorien der 1930erJahre sichtbar. Mit der Zunahme von in sich sehr homogenen und geschlossenen Filmtheorien integriert sich das Automobil zunehmend in deren Argumentationsstruktur und schreibt sich verstärkt durch die Diskurselemente Analogien zwischen Automobil und Film und Automobil als Symbol fort. Vereinzelt treten auch die Diskurselemente Automobil als Erlebnis, Automobil als klassifizierendes Element sowie Filmische Realisierung der Automobildarstellung hervor. Analogien zwischen Automobil und Film veranschaulichen das Streben nach dem Film als in der menschlichen Kunst und Kultur von Anbeginn angelegt – so wie die Entwicklung konsequent von der Kutsche zum Automobil führte (Gregor 1932) – oder verdeutlichen die zu kritisierende Standardisierung der Produktion von Filmen im Vergleich zur sinnvollen Rationalisierung der Herstellung von Automobilen (Arnheim 2002 [1932]). In der Herausstellung des Automobils als ein Symbol für Status und Luxus, das ein Bedürfnis erzeugen (Grosz 1984 [1931]) aber durch die Anschauung im Film auch befriedigen kann (Gregor 1932, Arnheim 2002 [1932]), zeigt sich das Element Automobil als Symbol. Das Automobil als klassifizierendes Element manifestiert sich in der Beschreibung des Automobils als ein Kennzeichen des amerikanischen Films (Gregor 1932) aber auch als wiederkehrendes Element des Konfektionsfilms (Arnheim 2002 [1932]). In der Beschreibung der künstlerischen Ausnutzung des Scheinwerferlichts des Automobils im Film (Arnheim 2002 [1932]), zeigt sich die wiederkehrende Reflexion über die Filmische Realisierung der Automobildarstellung.
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In der analytischen und interpretativen Draufsicht zeigt sich die Theorieintegration des Automobils in nahezu allen skizzierten Filmästhetiken. So entwickelt sich der Film bei Gregor (1932) aus dem Streben der Menschheit nach der Visualisierung von Bewegung, weshalb das fahrende Automobil so zahlreich im Film dargestellt wird. Das Automobil erzeugt durch seine filmische Präsenz wiederum einen Besitzwunsch beim Zuschauer, der besonders durch seine Integration in den filmischen Rhythmus unterstützt wird, der seine Bewegungsdimension als erstrebenswert hervorhebt. Arnheim (2002 [1932]) bindet das Automobil in seine Filmtheorie ein, indem er es auf der einen Seite als Symbol beschreibt, das für etwas steht, was auf der Grundlage der Begrenzung des Bildes nicht anwesend sein kann oder anhand der filmischen Funktionalisierung der Scheinwerfer als Lichtquellen im Film das Problem der Beleuchtung im Film thematisiert. In beiden Fälle trägt das Automobil, dadurch, dass es künstlerisch in Szene gesetzt wird, dazu bei, das filmisch erzeugte Weltbild als ein vollständiges erscheinen zu lassen, welches in seinem Eindruck der Realität nahekommt, indem es das zur Verfügung stehende Material des Films kreativ ausnutzt. Panofsky (1999 [1934]) veranschaulicht u.a. durch das Automobil, wie sich der Film an frühere Formen der Volkskunst anlegt und deren Ursprungsdimension, die Bewegung, so weiterentwickelt bzw. auf eine besondere filmästhetische Weise gestaltet, dass der Film daraus eine Beliebtheit entwickelt, die auch ihn zu einer Volkskunst befähigt. Liest man Benjamin (1969 [1936], 2002 [1939]) hinsichtlich der Automobildiskussion, kann man eine apperzeptive Verwandtschaftsdimension von Automobil und Film beschreiben, die sich aus dem gemeinsamen, „chockförmigen“ Wahrnehmungsprinzip speist bzw. der Einübung von diesem durch die Wahrnehmung von plötzlich erscheinenden Automobilen im Straßenverkehr. Die Vitalität der Thematisierung des Automobils in der Phase der ästhetischen Filmtheorien der 1920er- und 1930er-Jahre, besonders hinsichtlich der Fruchtbarmachung der Bewegung des Automobils als Metapher für die Wesensbestimmung des Films, zeigt sich nicht nur unter Verweis auf den zwar nicht sehr ausdifferenzierten aber dafür tiefgründigen Automobildiskurs in der Kunsttheorie des Films. Dieser nimmt seinen Ausgang, wenn auch nicht ausschließlich, so aber mit einer starken Intensität, in der Bewegungsdimension des Automobils und entfaltet sich wesentlich über eine Entwicklungs- (Gregor 1932, Panofsky 1999 [1934]) und Wahrnehmungsverwandtschaft (Benjamin 1969 [1936], 2002 [1939]) des Automobils zum Film. Die dynamische Thematisierung des Automobils verdeutlicht sich vor allem auch durch den Stellenwert und die Bedeutung des Automobils im Rahmen der russischen Montagetheorie (Pudowkin 1961 [1928], Eisenstein 1988 [1929] etc.) und den Thematisierungen des Automobils in den Schauspielertheorien sowie als Form der Ausdrucksbewegung durch Balázs (2001
5.3 Das Automobil in der Kunsttheorie des Films
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[1924]). Das Automobil stellt hier stets eine konstruktive Metapher dar, die sich als wesentlicher Antrieb der Entfaltung eines Automobildiskurses als einem dauerhaften Diskurs innerhalb der Filmtheorien etabliert. Die Thematisierung des Automobils entwickelt sich in der ästhetischen Periode der Filmtheorie von einem Diskurs der deskriptiven inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Film zu einem in der Materialität, Form und Gestaltung begründeten Diskurs. Dabei werden einige der Elemente, die den Automobildiskurs seit der Frühphase filmtheoretischen Denkens prägen, aufgenommen und analytisch ausgedeutet. Dadurch bleibt die sich seit der Frühphase des filmtheoretischen Denkens etablierte Art und Weise der Reflexion über das Automobil in der Filmtheorie im Grunde erhalten, integriert sich jedoch in den Anspruch der sich weiterentwickelnden Theoretisierungen nach zunehmender Abstrahierung, die die Möglichkeiten des Films nicht mehr primär im Inhalt, sondern in den ästhetischen Mitteln und einer funktionalen Bestimmung (als Kunst) sieht. Leitete sich bis Ende der 1930er-Jahre die ästhetische und kulturelle Funktionsbestimmung des Films im Wesentlichen, mehr oder weniger stark theoretisiert, aus seiner Differenz zur Realität und dem damit verbundenen Entwurf einer eigenen filmischen Realität ab, so tritt die Filmtheorie nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Phase ein, in der das Wesen und die Funktion des Films aus seiner Fähigkeit zur Reproduktion der Realität abgeleitet werden. Wenn auch sehr marginal, so schreibt sich auch hier der Automobildiskurs theorieintegriert fort.
5.3 Das Automobil in der Kunsttheorie des Films
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6 Das Automobil in der realistischen Filmtheorie (1940er- bis 1960er-Jahre)
Die materiale und gestalterische Basis, aus der der Film ab den späten 1940erJahren ästhetisch schöpfen kann, erweitert sich Ende der 1930er-Jahre neben der Tondimension noch um die Möglichkeit der Farbe. In der Nachkriegszeit waren damit alle technischen und künstlerischen Grundlagen des Films vorhanden, die diesen bis zur entscheidenden Erweiterung der filmischen Möglichkeiten durch den Einzug der Videotechnik in den 1980er-Jahren und die sich vor allem auf die Entwicklung der Tricktechnik aber auch auf die sich auf Aufnahme und Projektion von Filmen auswirkende Digitalisierung in den 1990er-Jahren bestimmten. Peter Bächlin, der sich als einer der ersten nach dem Zweiten Weltkrieg filmtheoretisch zurückmeldet, charakterisiert die Lage des am Markt orientierten Films der 1940er-Jahre in der westlichen Welt wie folgt: „Es versteht sich von selbst, daß die Filmproduzenten schon frühzeitig bestrebt waren, Sicherungen gegen das große Absatzrisiko einzuführen. Diese Sicherungen bestanden nicht nur in der Standardisierung des Herstellungsprozesses, sondern hauptsächlich in einer Standardisierung der Filme selbst. Bei dieser Kategorie der Standardisierung sind drei Hauptfaktoren zu unterscheiden: 1. das Starwesen, 2. die Beschränkung der Stoffwahl auf bestimmte Filmgattungen und 3. die Propaganda“ (Bächlin 1971 [1945], 154).
Vor dem Hintergrund dieser recht treffenden Charakterisierung der Situation des Films, entwickelt sich in den Nachkriegsjahren „Erkenntniszuwachs auf vielen einzelnen Teilgebieten (…)“ (Wuss 1990, 329) der klassischen Filmästhetik. Es entstehen umfangreiche theoretische Gesamtdarstellungen zum Film, die mehr oder weniger intensiv von der Auffassung ausgehen, dass die Fähigkeit und das Potential des Films darin bestehen, die Realität abzubilden. Damit entwickeln sie eine antagonistische Position gegenüber den vorgestellten Filmtheorien der 1920er- und 1930er-Jahre, die eher von der Auffassung einer dem Film eigenen Realität ausgehen. In diesen hier als realistische Filmtheorien bezeichneten Arbeiten von André Bazin, Siegfried Kracauer und Edgar Morin ist die Automobilthematisierung jedoch häufig nicht mehr als eine theorieintegrierte Staffage. Auch Edgar Morin wird hier noch unter die realistische Phase der Filmtheorien subsumiert, obwohl er, von dieser inspiriert, seine Filmtheorie bereits um
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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6 Das Automobil in der realistischen Filmtheorie (1940er- bis 1960er-Jahre)
psychologische, anthropologische und soziologischen Perspektiven erweitert. Damit läutet er neben anderen Autoren eine Ausdifferenzierung der Filmtheorie ein, in der vor allem Ansätze aus anderen Disziplinen, wie der Semiotik oder Phänomenologie oder auch der bereits erwähnten Psychologie und Soziologie, an den Film herangetragen werden, wodurch sich die Filmtheorie sukzessive von auf konkretem filmischem Material basierenden Reflexionen entfernt. 6.1 Das Automobil als realistische Bewegung: Kracauer Siegfried Kracauer widmete sich in seinem ersten umfassenden Werk zum Film Von Galigari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films aus dem Jahre 1947 in ganz spezieller und tiefgründiger Weise Bächlins (1971 [1945]) drittem Punkt der Standardisierung des Films – der Propaganda. Kracauer arbeitet darin, die im deutschen Film in Inhalt und Form tendenziell vorhandene Disposition und Affinität zum nationalsozialistischen Gedankengut heraus, indem er einen Zusammenhang zwischen filmhistorischer, sozialhistorischer und -psychologischer Entwicklung aufzeigt. Diese kultursoziologisch motivierte Betrachtung und Analyse des Films rückt, wie bereits bei Panofsky (1999 [1934]) und Benjamin (1969 [1936]) aber auch bei den russischen Montagetheoretikern angelegt, die gesellschaftliche und kulturelle Funktion des Films in den Vordergrund. Kracauer betont besonders den Einfluss des Films auf die Hervorbringung, Verbreitung und Fundamentierung langfristiger, ideologischer Prägungen. Da Kracauer dabei sehr dicht und analytisch an einzelnen Filmen arbeitet – er versucht Kategorisierungen von Filmen und inhaltliche sowie strukturelle und ästhetischen Tendenzen herauszuarbeiten, auf die hier jedoch nicht eingegangen werden kann –, thematisiert er auch wiederholt die filmische Darstellung und Funktion des Automobils an konkreten Filmbeispielen. Dabei wird deutlich, dass das Automobil bei Kracauer immer über sein Bewegungs- und Fortschrittspotential gedacht und beschrieben wird. Das Automobil findet bei ihm überhaupt nur im Rahmen der Analyse von Filmen, die er der „Stabilisierungszeit (1924-1929)“ zuschreibt bzw. die in dieser Zeit in die Kinos kommen, Erwähnung. Es handelt sich dabei um eine Phase, in der die Folgen des Ersten Weltkrieges durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Goldenen 1920erJahre weitgehend beseitigt wurden, die Weltwirtschaftskrise noch nicht absehbar war und das Automobil sich auch in Deutschland zunehmend verbreitete37. „Dupont aber baute seinen Erfolg in MOULIN ROUGE (1928) aus, einem Film, den er durch halsbrecherische Rennwagenfahrten und Dokumentaraufnah37
So vervierfacht sich die Zahl der Automobile in der Zeit von 1924 bis 1929 nahezu, von 293.032 im Jahr 1924 auf 1214.059 (vgl. Fraunholz, 42).
6.1 Das Automobil als realistische Bewegung: Kracauer
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men von Paris auf Tempo trimmen wollte“ (Kracauer (1984 [1947]), 150, Herv. i. O.). Dem Automobil bzw. den Automobilszenen attestiert Kracauer hier eine den Film dynamisierende Funktion. Ähnlich in der folgenden Beschreibung, die sich auf Metropolis (R: Fritz Lang, Deutschland 1927) bezieht. „Hier – eine gewaltige Straße mit Luxuswolkenkratzern, die von einem unaufhörlichen Strom von Lufttaxis und Autos belebt wird – ist der Wohnort der Großindustriellen, leitenden Angestellten und einer vergnügungssüchtigen jeunesse dorée“ (ebd., 159).
In dieser von Kracauer beschriebenen Szene charakterisiert er das Automobil wiederum über seine Bewegung, die hier zur Belebung einer Szenerie eingesetzt wird. Über die Ende der 1920er-Jahre entstandenen Filme Fritz Langs schreibt Kracauer an anderer Stelle verallgemeinernd: „Sie handelten von spannenden Abenteuern und technischen Phantasien, die symptomatisch für den damals herrschenden Maschinenkult waren“ (ebd., 158). Auf diesen von Kracauer als präfaschistisch bezeichneten Technik- und Industrialisierungsglauben im Zusammenhang mit der filmischen Thematisierung des Automobils verweist er genauer am Beispiel des sogenannten Straßenfilms38, indem er Filme wie Asphalt (R: Joe May, Deutschland 1929) thematisiert. „Die Bilder der Straßenfilme deuteten darauf, dass in Deutschland zu jener Zeit von der Straße eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausging. (…) In ASPHALT wird das Pflaster zum zentralen Motiv. Der Vorspann des Films illustriert in der Art eines Dokumentarfilms, wie Asphalt hergestellt wird und wie er gierig das offene Land verschlingt, um den Weg für den Straßenverkehr zu bahnen – dieses donnernde Chaos, das, wie in DIE STRASSE, durch die magischen Gesten des Polizisten gemeistert wird. Aufnahmen, die die Einheit von Asphalt und Verkehr betonen, bilden den Abspann zur eigentlichen Handlung. Der Nachdruck, der auf den Asphalt gelegt wird, geht Hand in Hand mit Einschüben von Straßenbildern an jedem dramatischen Höhepunkt“ (ebd., 167f., Herv. i. O.).
Zum einen wird an dieser Passage deutlich, wie Kracauer den Polizisten als einen Vertreter der staatlichen Macht, die im Straßenverkehr, der am Ende der 1920er-Jahre bereits vom Autoverkehr bestimmt war, Ordnung schafft, deutet. 38
Als Straßenfilme können unter Bezug auf Lotte H. Eisinger eine Reihe von meist sozialkritischen Filmen der 1920er-Jahre bezeichnet werden, deren Handlung im Wesentlichen auf den Straßen der Großstadt angesiedelt und von diesen mitbestimmt ist. Esinger schreibt, in dem sie u.a. auch auf das Automobil in diesen Filmen verweist: „In deutschen Filmen wird die Straße vor allem des Nachts mit ihren abrupt tief erscheinenden dunklen Ecken, ihrem aufgleißenden Betrieb (…) Scheinwerfern von Autos (…) dem Lächeln geschminkter Dirnengesichter zum Schicksal, das ruft und verlockt“ (Eisinger 1980 [1955], 253).
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6 Das Automobil in der realistischen Filmtheorie (1940er- bis 1960er-Jahre)
Zum anderen legt Kracauers Beschreibung nahe, den Film als einen den in den 1920er-Jahren gerade auf Grund der zunehmenden Anzahl an Automobilen vorangetriebenen Straßenbau propagierenden zu verstehen. Eine Entwicklung, die die Nationalsozialisten durch den Autobahnbau und die Propagierung des Volkswagens unter anderen Vorzeichen aufnehmen werden. Eine Propagierung die vor allem auch filmisch betrieben wurde39. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass Kracauer, der dem Film eine den Zeitgeist porträtierende und gesellschaftliche Dispositionen transportierende Dimension, wenn nicht Funktion, zuschreibt, das Automobil nur in den Filmen der Stabilisierungszeit identifiziert und thematisiert. Einer Phase des zeitweiligen wirtschaftlichen Aufschwungs und der sukzessiven politischen Rehabilitierung Deutschlands zwischen zwei Inflationsphasen, in der auch der Film sich thematisch neu orientierte. „Jetzt, wo das Leben wieder seinen normalen Gang nahm und die soziale Revolution nicht mehr drohte, schienen sich phantastische Figuren und Schauplätze der Nachkriegsfilms wie der Vampir in Nosferatu in Luft aufzulösen. Natürlich gab es Studio-orientierte Filme noch lange nach 1924, aber im Ganzen wandten sich die Filme der Stabilisierungszeit der Außenwelt zu und verlegten die Betonung von Geistererscheinungen auf Zeiterscheinungen, von imaginären auf natürliche Landschaften. Im Wesentlichen wurden diese Filme realistische“ (ebd., 144).
Solche „Zeiterscheinungen“ sind zweifelsohne das Automobil und der Straßenbau, welche Kracauer somit nicht nur einfach anhand der Filme als Symbole der Industrialisierung und Dynamisierung ausdeutet, sondern vor seinem Verständnis des soziokulturellen Charakters des Films in ihrer dynamisierenden Funktion beschreibt. In diesem Sinne bezogen auf die narrative Dynamisierung der Filmhandlung, aber auch auf eine Dispositionierung von Technikverliebtheit und Fortschrittsglaube, welche Kraucauer als Vorzeichen des nationalsozialistischen Gedankengutes deutet. Damit thematisiert Kracauer das Automobil als eine im Film aufgenommene „Zeiterscheinung“, was in ähnlicher Weise schon bei Hardenkopf (1992 [1910]) oder Bäumler (1992 [1912]) auftaucht. Neu ist jedoch, dass dem Automobil im Film auch ein gesellschaftliche Entwicklungstendenzen bedingender Wert zukommen kann.
39
So schildert Uwe Day, wie vor allem in Dokumentar- und Werbefilmen der automobile Fortschritt propagiert wurde. „Autowerbung und Staatspropaganda bildeten im Rennsport eine Symbiose, um durch das Projekt der ‚Volksmotorisierung’ das Interesse auf bestimmte Automarken zu lenken. Die Werbefilme der Auto Union stehen exemplarisch dafür“ (Day 2005, 271, Herv. i. O.).
6.1 Das Automobil als realistische Bewegung: Kracauer
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Der von Kracauer beschriebene realistische Charakter der Filme der Stabilisierungszeit, der die Erscheinungen der Zeit spiegelt und herausstellt und der hier noch als eine Tendenz der Filme einer gewissen Epoche beschrieben wird, entwickelt sich in Kracauers 1960 erschienenem Werk Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit zur normativen Wesensbestimmung des Films an sich. „Es beruht auf der Annahme, daß der Film im Wesentlichen eine Erweiterung der Fotografie ist und daher mit diesem Medium eine ausgesprochene Affinität zur sichtbaren Welt um uns her gemeinsam hat. Filme sind sich selber treu, wenn sie physische Realität wiedergeben und enthüllen“ (Kracauer (1985 [1960], 11).
Filtert Kracauer in Von Caligari zu Hitler dispositionale Tendenzen analytisch aus den Filmen selbst heraus, trägt er nun Momente zusammen, die es dem Film in spezifischer Art und Weise ermöglichen, die Realität darzustellen. Sie vermögen es, Momente dieser Realität hervorzubringen, die sonst verborgen blieben. Diese Affinität des Films zur Realität leitet Kracauer aus der der Fotografie ab und überträgt sie programmatisch auf den Film. Ausgehend vom italienischen Neorealismus erkennt er in dessen Realitätsbezug eine Art Gegenbewegung zur Realitätsverzerrung des von ihm in Von Caligari zu Hitler analysierten deutschen Films der Vorkriegszeit, abgesehen von einigen beschrieben Ausnahme in der Filmlandschaft während der im Vorfeld beschriebenen „Stabilisierungszeit (1924-1929)“. Diesen Realitätsbezug überhöht Kracauer zum Wesen des Films und versucht ihn historisch aus einer realistischen Tendenz innerhalb der Filmgeschichte in der Nachfolge der Filme der Gebrüder Lumières aufzudecken. Das Automobil verortet sich innerhalb dieser realistischen Tendenz, indem Kracauer es im Zuge seiner Aufzählung und Reflexion der Möglichkeiten der Darstellung physischer Realität im Film als ein Objekt betrachtet, welches die die Realität registrierenden und hervorbringende Funktion der Kamera unterstützt. Diese Verbindung leitet er daraus ab, dass er die Bewegung (des Automobils) als eine äußere (reale) Erscheinung beschreibt, die für die Leinwand wie geschaffen ist (vgl. ebd., 71). Verfolgungsjagden stellt Kracauer in diesem Zusammenhang als Formen der Bewegung heraus, „die als filmische Objekte par excellence angesprochen werden können“ (Kracauer 1985 [1960], 72) und zeigt ihre filmische Entwicklung von Verfolgungen zu Fuß bis zu denen per Automobil kurz auf. „Für die amerikanischen Keystone-Komödien wäre der Verzicht auf die Verfolgung eine unverzeihliche Sünde gewesen. Sie bildete den Höhepunkt des Ganzen, seinen rauschhaften Abschluß – ein wildes Drüber und Drunter, bei dem Züge in Höchstgeschwindigkeit mit Autos zusammenstießen und Verfolgte sich dadurch retteten, daß sie sich an Seilen herabließen, die über einer Löwenhöhle baumelten“ (ebd., 72).
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6 Das Automobil in der realistischen Filmtheorie (1940er- bis 1960er-Jahre)
Ähnlich wie bereits in Von Galigari zu Hitler thematisiert er das Auto über seine Bewegung, wobei er diese Bewegung hier als filmisch charakterisiert, „weil nur die Kamera sie wiederzugeben vermag“ (ebd., 72). In einer argumentativen Verlängerung Kracauers kann man vor diesem Hintergrund pointiert formulieren, dass Kracauer das fahrende Automobil als filmisch betrachtet und aufs engste mit seiner Forderung nach einem filmischen Realismus verbindet. Da der Film über seine realistische Tendenz es ermöglicht, die Bewegung des Autos zu registrieren und somit, nach Kracauer, in seinem Element, in seinem Wesen bleibt. An anderer Stelle betont Kracauer, ebenfalls unter Verweis auf das Automobil und seine Geschwindigkeit, dass über die Bewegungsregistrierung im Film auch leblose Gegenstände zu filmischen Objekten werden können, besonders durch die die Realität zusätzlich enthüllende Funktion der Großaufnahme, was nicht nur in diesem Detail stark an Balász (2001 [1924]) erinnert. „Von den tückischen Rolltreppen, den widerspenstigen Schrankbetten, den rasenden Autos der frühen Stummfilmkomödien bis zum Panzerkreuzer Potemkin, dem Ölbohrturm in LOUISIANA STORY (LOUISIANA-LEGENDE) und der verwahrlosten Küche in UMBERTO D. ist eine lange Prozession unvergesslicher Objekte über die Leinwand gezogen – Gegenstände, die als führende Objekte herausragen und den Rest der Mitspieler in den Schatten stellen (Kracauer 1985 [1960], 76, Herv. i. O.).
Interessanterweise verweist Kracauer im Anschluss an diese Passage auch noch auf den „machtvollen Einfluss der dingliche Umwelt in THE GRAPES OF WRATH (FRÜCHTE DES ZORNS) (…)“ (ebd., 76f., Herv. i. O.), ohne allerdings auf die dominanten Rolle eines Lastkraftwagens in diesem Film näher einzugehen. Interessant deshalb, da dieser Film im Nachhinein von vielen Autoren als erstes Road Movie bezeichnet wurde (vgl. Kapitel 7.2.3). 6.2 Das Automobil als realistischer Handlungsraum: Bazin Etwa zeitgleich mit Kracauer Kracauer (1985 [1960]) führte auch André Bazin in der in Deutschland als Aufsatzsammlung Was ist Kino? Bausteine zur Theorie des Films herausgegeben Zusammenstellung verschiedener Schriften das Wesen des Films auf dessen Verhältnis zur Realität zurück. Film ist für ihn, und das unterscheidet den Film wesentlich von anderen Künsten, „die Vollendung der fotografischen Objektivität in der Zeit“ (vgl. Bazin (1975 [1958-62]). Möchte man es auf die von Bächlin (1971 [1945]) kritisierte Standardisierung des Films zur Nachkriegszeit beziehen, so widmete sich Bazin von Anfang an der Auseinandersetzung mit dem zweiten Punkt, der „Beschränkung der Stoffauswahl auf
6.2 Das Automobil als realistischer Handlungsraum: Bazin
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bestimmte Filmgattungen (…)“. Er tritt dieser als theoretisierender Apologet einer neuen Filmsprache durch den italienischen Neorealismus der Nachkriegsjahre in einer neuen ästhetischen Form wiederbelebten Realismus, der die Standardisierung aufbricht, entgegen. Kracauer und Bazin haben damit ein filmisches Ideal im Umgang mit der physischen Realität vor Augen: „Beide Autoren hegen große Bewunderung für die Leistungen des italienischen Neorealismus, insbesondere für die Filme Rossellinis“ (Tudor (1977 [1974]), 70). So beschreibt dann auch Bazin die Entwicklung bzw. Formen der (physischen) Realität im Film in einem Gang durch die Filmgeschichte und unterscheidet, ähnlich wie Kracauer mit seiner formgebenden und realistischen Tendenz, in „die Regisseure, die an das Bild glauben, und jene, die an die Realität glauben“ (Bazin (1975 [1958-62]), 28). Bazin glaubt an die Realität und richtet sich damit explizit gegen die Montagetheorien des Films, die im filmischen Bild und seiner Montage mit anderen filmischen Bildern das Wesen des Films sehen. Er entwirft im Gegenzug dazu eine an der Ausnutzung des Bildraums orientierte Filmtheorie der Mise en scène, die die durch die Montage bewirkte Entfernung von der Realität durch die innerbildliche Gestaltungen von dem, was sich vor der Kamera befindet, zurückgewinnen soll. Damit wendet er sich gleichzeitig gegen die narrativen Illusionstechniken des Hollywood-Kinos. Bazin entwickelt seine Filmtheorie u.a. ausgehend vom italienischen Neorealismus, in dem er eine Rückkehr zum Realismus und zur Gestaltung des Films mit realistischen Mitteln sieht. Bazin arbeitet in seinen Betrachtungen u.a. heraus, welchen entscheidenden Einfluss das authentische Set, das natürliche Spiel der Schauspieler, der filmische Umgang mit Objekten und die spezifische Erzähltechnik des Neorealismus auf dessen realistische Objektivität haben. In diesem Zusammenhang kommt er auch auf das Automobil zu sprechen, was das folgende längere Zitat verdeutlich. „In ‚Paisá’ (ich erinnere daran, daß ich damit mehr oder weniger alle italienische Filme meine) würde anstelle der Großaufnahme von dem Türriegel ein ‚TatsachenBild’ stehen, das eine Tür zeigt, deren konkrete Eigenschaften in gleicher Weise sichtbar wären. Aus dem gleichen Grunde achten die Schauspieler darauf, ihr Spiel niemals vom Schauplatz oder vom Spiel der anderen Darsteller zu trennen. Der Mensch selbst ist nur eine Tatsache unter anderen, ihm wird nicht a priori eine besondere Bedeutung zugemessen. Deshalb auch können nur die italienischen Regisseure Szenen im Autobus, auf dem Lastwagen oder in der Eisenbahn zustande bringen, die eine ganz besondere Intensität des Schauplatzes und der Menschen aufweisen, und sie können einen Vorgang beschreiben, ohne ihn aus seinem materiellen Kontext zu lösen und ohne die menschlichen Besonderheiten, mit denen er zusammenhängt, zu verwischen; die Subtilität und Anpassungsfähigkeit ihrer Kamerabewegungen in diesen engen und überfüllten Räumen, das natürliche Verhalten aller Personen, die sich an diesen Schauplätzen befinden, machen derartige Szenen zu ausgesprochenen Glanzstücken des italienischen Films“ (ebd., 153, Herv. i. O.).
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6 Das Automobil in der realistischen Filmtheorie (1940er- bis 1960er-Jahre)
Bazin beschreibt das Automobil, und das ist das Besondere, als einen spezifischen Handlungsraum im Film, der eine den Personen gegenüber gleichwertige Stellung einnimmt und durch seine Verfasstheit, seine Konstitution und Konstellation zu einem Schauplatz besonderer Intensität erwächst, der einen Einfluss auf das Verhalten der Personen hat. Es sei dahingestellt, ob tatsächlich die „italienischen Filme“ es in besonderer Intensität vermögen, das Automobil als „Schauplatz“ darzustellen. Bemerkenswert ist an der Passage die Beschreibung des Automobils als Handlungsraum. Damit thematisiert Bazin eine Dimension der filmischen Automobildarstellung, die auch bereits bei Arnheim (2002 [1932]) und Harms (1926) Erwähnung fand. Gleichzeitig nutzt Bazin das Automobil zur Veranschaulichung seiner Theorie, indem er aufzeigt, wie sich aus der Realität der Schauplätze, also von dem, was sich vor der Kamera gestalten lässt, durch das Zurücktreten der Kameratechnik und quasi die in den Dienst der räumlichen Gegebenheiten im Autobus oder auf dem Lastwagen tretenden Kameraarbeit ein filmischer Realismus erzeugen lässt. 6.3 Das Automobil als Erweiterung der Alltagsrealität: Morin Edgar Morin, widmet sich in seinem 1956 erschienen Buch Der Mensch und das Kino. Eine anthropologische Untersuchung ebenfalls dem filmischen Realismus. Jedoch nähert er sich diesem auf eine andere Weise als Kracauer oder Bazin. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen formuliert er auf folgende Weise: „Seltsame Natürlichkeit des Alltäglichen. Sie ist das erste Mysterium des Lichtspiels. Erstaunlich ist, daß wir nicht darüber staunen“ (Morin 1958 [1956], 7). Morin sieht im realistischen Eindruck des Films und seiner unhinterfragten Annahme ein Mysterium, welches es aufzuklären gilt, will man den Film verstehen. Er fragt danach, wie dieser Realismus zustande kommt. Laut Morin entsteht er, reduziert formuliert, dadurch, dass der Mensch das im Film Gesehene als eine Erfahrung verarbeitet, die er nicht per se von seiner Alltagserfahrung unterscheidet. Der Film zeigt dabei das ganze Spektrum des Menschen und des menschlichen Geistes, welches auf diese Weise allen Menschen zur Verfügung steht. Der Film ist damit eine anthropologische Dimension, die unmittelbar mit dem Menschen und seiner Entwicklung verbunden ist. „Der Film ist also wirklich die Welt, jedoch zur Hälfte durch den menschlichen Geist assimiliert. Es ist wirklich der menschliche Geist, jedoch aktiv in die Welt projiziert, mit seiner Ausformungs- und Umformungs-, Austausch- und Aneignungsarbeit. Seine doppelte und synkritische Natur objektiv und subjektiv zugleich, enthüllt ihr geheimes Wesen, das heißt die Funktion und das Funktionieren des menschlichen Geistes der Welt“ (ebd., 228).
6.3 Das Automobil als Erweiterung der Alltagsrealität: Morin
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Auf der Grundlage dieser, wenn man es so will Ergänzung von filmischer Realität und Alltagsrealität entfalten die Filme ihre laut Morin psychologische Wirkung. Sie „weisen uns den Weg zu den zeitgenössischen sozialen Komplexen und ihren Komponenten, den Fortschritt der Ratio in der Welt, der Seelenkultur, den Formen der Magie und den fetischen Fixierungen unseres individuellen und kollektiven Lebens“ (ebd., 237).
Der Film ermöglicht dem Menschen Erfahrungen zu machen, die er sonst nicht machen könnte und Dinge zu sehen, die ihm sonst verborgen blieben. Morin sieht darin zwar nicht wie Kracauer (1985 [1960]) nur vier Jahre später eine „Errettung der äußeren Wirklichkeit“, ihn interessiert vielmehr der Einfluss dieser erweiterten Erfahrung auf die Entwicklung des Menschen, was sich ja im Untertitel seines Werkes – Eine anthropologische Untersuchung – bereits andeutet. Im Rahmen seiner Ausarbeitung verwendet Morin an einigen Stellen die Darstellung des Automobils im Film zur Veranschaulichung der Erweiterung der Erfahrungen durch den Film. So beschreibt er, ausgehend von der Beschreibung der Kameraarbeit in Der letzte Mann (R: Friedrich Wilhelm Murnau, Deutschland 1924), wie sich durch die Entwicklung der bewegten und entfesselten Kamera die Möglichkeiten der filmischen Inszenierung verändert haben, die es nun gestatten, dass der Zuschauer Räume sieht, die er vorher nicht sehen konnte und Blickposition einnehmen kann, die ihm außerhalb des Films unmöglich sind. „Die Kamera findet jetzt überallhin, fußt und nistet überall, wo noch kein menschliches Auge hatte Stellung beziehen können. Sie springt aus der Führerkabine des Lastautos auf die sich drehende Straße, von der Straße auf den überhängenden Felsen, sie fliegt empor, fällt auf den Boden zurück, läßt sich von einer Lokomotive überfahren“ (ebd., 73).
Die Passage verweist indirekt auf das Auto als Handlungsraum, da es durch die bewegliche – und später die Handkamera – möglich ist, im Inneren des Automobils zu filmen. Zwar haben diese spezifische Form der Automobildarstellung bereits beispielsweise Arnheim (2002 [1932]) und Bazin (1975, [1958-62]) thematisiert, jedoch haben sie damit nicht die filmische Erfahrungserweiterung verbunden, dass nun auch ein Blick in die Führerkabine eines Lastwagens möglich ist, der sich sonst den meisten Menschen entzieht. Nebenbei bemerkt, ist es gerade schon symptomatisch, dass sich über die Erwähnung des Films Der letzte Mann (R: Friedrich Wilhelm Murnau, Deutschland 1924) eine Parallele zu Kracauer zeigt, da der Film der laut Kracauers Phasenbildung in die „Stabilisierungszeit (1924-1929)“ fällt und zur Strömung der
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6 Das Automobil in der realistischen Filmtheorie (1940er- bis 1960er-Jahre)
„Neuen Sachlichkeit“ zu zählen ist, auf eine realistische Darstellung und die Inszenierung von Alltagsthemen und -problematiken setzt, die dann vom NeoRealismus wieder aufgenommen wird. Auch wenn Kracauers 1960 erschienene Theorie des Films quasi gedanklich auf Morins Schrift fußen konnte, erwähnt dieser Morin ebenso wenig wie Bazin (1975, [1958-62]). An einer anderen Stelle, an der sich Morin mit der Möglichkeit der „filmischen Partizipation“ beschäftigt, worunter er die Fähigkeit des Films versteht, dem Zuschauer eine „Projektions-Identifikation“ zu ermöglichen und u.a. auf das „role taking“ von Georg Herbert Mead verweist (vgl. Morin 1958 [1956], 104f.), thematisiert er erneut die filmische Automobildarstellung. „Die verminderte Realität des Bildes ist mehr wert als gar keine Realität. Der Film rückt, wie Méliès sagte, ‚die Welt zum Greifen nahe’. Fremde Hauptstädte, unbekannte, exotische Kontinente, bizarre Bräuche und Sitten verschleudern zu Ramschpreisen jene kosmische Partizipationen, die man zwar noch angenehmer ‚in Wirklichkeit’ – auf Reisen – erleben würde, die aber praktisch außer Reichweit sind. Die verminderte, praktisch abgewertete Realität des Bildes hat jedenfalls ihre Vorzüge vor einer gefährlichen Realität – Meeressturm, Autounfall –, denn sie ermöglicht es, zwar bescheiden, doch in harmloser Weise, den Rausch des Wagnisses zu genießen“ (ebd., 107, Herv. i. O.).
Das Erleben der filmischen Darstellung eines Automobilunfalls wird hier als Möglichkeit beschrieben, diesen gefahrlos zu erleben. Die filmische Erfahrung ist zwar von der Intensität gemindert, macht es aber möglich, so einen Teil der Realität zu erleben, der einem sonst verborgen bleiben wurde bzw. aufgrund der von ihm ausgehenden Gefahr eigentlich nicht erlebt werden möchte. Damit spricht Morin den Sensations- und Erlebniswert des Automobilunfalls an, der sich bereits vielfach als diskursives Element herausgestellt hat. Keine dieser Erwähnungen der Darstellung eines filmischen Autounfalls haben diesen, bis bei Pudowkin (1961 [1928]), jedoch im Rahmen ihres Theorieentwurfes verortet, wie es Morin tut. Die filmische Erfahrung eines Autounfalls ist ein kleiner Teil der Möglichkeiten, die der Film schafft, die Erfahrung zu erweitern und trägt damit zu einem Vermischen von Alltags- und Filmerfahrung bei, die letztlich dazu führt, dass wir den Realismus des Films ungefragt akzeptieren bzw. der Mensch den Film als realistisch betrachtet. Abschließend resümierend liefert Morin mit seiner Filmtheorie bereits einen Entwurf, der die Stellung des Menschen in einer wesentlich durch Medien geprägten Zeit beschreibt. Auch wenn er dieses am Film exemplifiziert, verweist er bereits auf die „halb-imaginäre Realität des Menschen“ (ebd., 225) und eröffnet somit das Feld für medienübergreifende Theoretisierungen, die sich mit der Beziehung zwischen menschlicher Kultur und Gesellschaft und Medien, worunter
6.4 Automobilfreier Exkurs: Filmologie, -semiotik und -phänomenologie
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dann neben dem Film auch das Fernsehen und das Radio, aber auch Medien wie das Rad, Geld oder das Automobil zu verstehen sind, beschäftigen (vgl. Kapitel 7.1.1 und 7.1.2). 6.4 Automobilfreier Exkurs: Filmologie, -semiotik und -phänomenologie Neben den sich aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Intentionen am Realismus des Films abarbeitenden Morin, Bazin und Kracauer treten bis in die Mitte der 1960er-Jahre zahlreiche weitere filmtheoretische Strömungen hervor. Bereits 1946 erscheint Gilbert Cohen-Séats Film und Philosophie, worin er die Forderung nach einer Neuformierung der Filmwissenschaft formuliert. Er entwirft eine filmische Ästhetik, die interdisziplinär soziologische, psychologische, geschichtliche und linguistische Faktoren mit einbezieht. Diese von ihm selbst als Filmologie bezeichnete Wissenschaft soll sich sukzessive entwickeln und auf der Grundlage von einzelnen, fokussierten Untersuchungen, wie Peter Wuss (1990) es formuliert, übergreifende Erkenntnisse synthetisieren. CohenSéats Ziel ist die Entwicklung einer Philosophie des Films. Maurice MerleauPonty legt 1965 mit seiner Arbeit Das Kino und die neue Psychologie den Grundstein für eine Phänomenologie des Films, die vor allem von Jean Mitry (1963, 1965) entfaltet wird und sich in erster Linie damit beschäftigt, welche Wandlungen und Veränderungen filmische Inhalte durchlaufen, wenn sie wahrgenommen werden und ins Bewusstsein übergehen. Sowohl Filmologie als auch Filmphänomenologie beschäftigen sich bereits mit der Zeichenhaftigkeit des Films, die Filmologie Cohen-Séats ablehnend, Mitrys filmphänomenologischer Ansatz teilweise bejahend – doch letztlich lehnen beide ein Verständnis von Film als Sprache ab. Trotzdem bieten die Filmologie und die Filmphänomenologie Möglichkeiten, sich dem Film theoretisch anzunähern und geben bereits Hinweise auf die dritte wichtige Richtung der Filmtheorie der 1960er-Jahre, die Filmsemiotik. Diese entwickelt sich u.a. ausgehend von Jan-Marie-Lambert Peters’ Studie Die Struktur der Filmsprache, die 1962 erscheint und ein System der Filmsprache entwickelt, welches sich zwar wesentlich von der gesprochenen Sprache unterscheidet, aber dennoch als eine Anordnung von in diesem Fall filmischen Zeichen verstanden werden kann. Es ist dann vor allem Christian Metz, der in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre systematisch eine Semiotik des Films entwickelt und diese auf der Grundlage der Linguistik-Typologien von filmischen Zeichen entwirft, die, seiner Meinung nach, Bedeutungen in einer spezifischen Form transportieren. Seine wesentlichen Überlegungen erscheinen in Deutschland 1972 gesammelt unter dem Titel Semiologie des Films.
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Das Automobil findet jedoch weder in der Filmsemiotik, der Filmologie noch in der Phänomenologie des Films eine nennenswerte Erwähnung, weshalb auf keinen dieser filmtheoretischen Ansätze bzw. in diesem Zusammenhang entwickelten Filmtheorien näher eingegangen werden soll. Wir befinden uns vor diesem Hintergrund hier sozusagen in einer automobilfreien Zone. Diese nahezu völlige Abkehr vom Automobil ist im Wesentlichen sicherlich darauf zurückzuführen, dass sich alle diese filmtheoretischen Entwürfe in ihren Anliegen immer mehr von der Auseinandersetzung mit den konkreten Inhalten von Filmen entfernen und versuchen, den Film auf einem von seinen Inhalten und Darstellungsweisen abstrahierenden Niveau zu beschreiben. Setzten sich Kracauer (1985 [1960], 1999 [1947]) und Bazin (1975, [1958-62]) in ihren Arbeiten, wie die meisten der hier betrachteten Theoretiker vor ihnen, mit konkreten Filmen und Filmströmungen auseinander und entwickelten ihre Theorien in einem engen Passgang entlang von filmischer Narration und Motivik, leiteten Metz (1972) oder Mitry (1963, 1965) ihre filmtheoretischen Überlegungen eher aus der Fruchtbarmachung theoretischer Ansätze der Linguistik/Semiotik, der Philosophie und der Psychologie ab. Dass dort weder Thematisierungen des Automobils im Film noch zum Verhältnis von Automobil und Film einen Platz haben, ergibt sich aus der Art und Weise der Theoriebildung – einer Filmtheoriebildung ohne Automobildiskurs. 6.5 Zwischenfazit: Automobildiskurs Nach dem Zweiten Weltkrieg differenziert sich die Filmtheorie ausgehend von der realistischen Phase bis in die Mitte der 1960er Jahre immer mehr aus. Setzen sich die Theorieentwürfe von Kracauer (1999 [1947], 1985 [1960]) und Bazin (1975, [1958-62]) noch konkret mit dem filmischen Material auseinander und versuchen, abgeleitet aus der herausgearbeiteten realistischen Tendenz zahlreicher Filme, eine Wesensbestimmung des Films durch die Apotheose des realistischen Charakters zur Aufgabe und Funktion von Filmen, so beginnt bereits mit Morin eine Verlagerung der Problemstellung der Filmtheorien. Ist Morin (1958 [1956]) noch dem filmischen Realismus verhaftet, nähert er sich diesem jedoch bereits sozusagen von außen an. Indem er ihn aus der Perspektive der Anthropologie, Soziologie und Psychologie betrachtet, integriert er ihn als eine mediale Realität in die Alltagsrealität und betrachtet seinen realistischen Charakter eher dahingehend, dass Filme unser Leben wie reale Erfahrungen und so den Erfahrungshorizont erweitern. Diese Tendenz, externe Theorien an den Film heranzutragen, bestimmt dann vor allem in der Filmsemiotik, Filmologie und Phänomenologie des Films die Art und Weise des filmtheoretischen Arbeitens. Die Filmtheorie entfernt sich
6.5 Zwischenfazit: Automobildiskurs
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immer mehr von der Auseinandersetzung mit den konkreten Inhalten von Filmen aber auch mit deren ästhetischen Mitteln. Entsprechend findet auch immer seltener eine Thematisierung des Automobils im Film statt. Dennoch tauchen bis zur skizzierten Ausdifferenzierung der Filmtheorie in den Theorien mit realistischer Tendenz weiterhin Elemente des Automobildiskurses auf, die jedoch aufs Engste mit der Kernaussage der jeweiligen Filmtheorien verbunden sind. So thematisiert Kracauer (1999 [1947]) in Von Caligari zu Hitler das Automobil als Symbol für Technikverliebtheit und Fortschrittsglauben, die er als ein Vorzeichen nationalsozialistischen Gedankenguts versteht und integriert es auf diese Weise in sein Theoriegebäude. Das Potential des Films, uns etwas zu zeigen, das wir so in der Realität gar nicht mehr wahrnehmen – also die die physische Realität errettende Leistung des Films – zeigt sich für Kracauer (1985 [1960]), wenn er in Theorie des Films das Automobil als Symbol für Bewegung und Geschwindigkeit versteht. Diese Geschwindigkeit wird für uns erst im Film realistisch und wahrnehmbar. Vor diesem Hintergrund verweist er auch auf die filmische Tradition der Automobilverfolgung und integriert auf diese Weise das diskursive Element Automobil als inszenierte Geschwindigkeit in sein filmtheoretisches Denken. Bazin (1975, [1958-62]) der sich ganz dem realistischen Einsatz der Mise en scène widmet, thematisiert das Automobil als Handlungsraum, welcher besonders geeignet ist, realistische Szenen zu inszenieren, die den Charakter des originalen Schauplatzes und dessen Realität hervorbringen. Auch Morin (1958 [1956]) erkennt das Potential des Automobils als Handlungsraum – der Film kann dem Zuschauer Orte erfahren lassen, die ihm im Alltag verwehrt bleiben und somit seinen Erfahrungshorizont filmisch erweitern. Die filmtheoretische Thematisierung des Automobils verdeutlicht ihren diskursiven Charakter in der Filmtheorie der späten 1940er- bis frühen 1960er-Jahre vor allem dadurch, dass dieser auf wenige etablierte Elemente beschränkt bleibt, die jedoch in die einzelnen Theorien spezifisch integriert werden. Zwei dieser Elemente sind die Geschwindigkeit und die Symbolkraft des Automobils, die sich im Wesentlichen (vgl. vor allem Kracauer (1985 [1960], 1999 [1947]) aus seiner Bewegung ergeben und damit verdeutlichen, dass das bewegte Automobil auch hier als Metapher verwendet wird, die in diesem Fall spezifische Eigenschaft des Films – die Realität erst wahrnehmbar zu machen – zu veranschaulichen. Damit ist die Automobilthematisierung als Diskurs innerhalb der Filmtheorien auch hier in erster Linien ein Diskurs der analytischen Integrierung, der sich der im Vergleich zu den ästhetischen Filmtheorien der 1920er- und 1930er-Jahre noch gesteigerten Abstraktionsleistung und zunehmenden Entfernung vom konkreten Gegenstand des Film anpasst. Bis er letztlich in der Ausdifferenzierung der Filmtheorie verschwindet. Die Thematisierung des Automobils als Hand-
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lungsraum verweist aber ansatzweise auch auf ein Aufleben des Diskurses der Auseinandersetzung mit den konkreten Inhalten des Films. Hier jedoch nicht mehr oder weniger losgelöst von konkreten Theoretisierungen, wie in der deskriptiven Frühphase filmtheoretischen Denkens, sondern durch den theoretischen Blick fokussiert und fixiert. Diese beiden Dimensionen des Automobildiskurses deuten damit bereits auf seine weitere Genese hin. Das Automobil als Handlungsraum verweist auf die Auseinandersetzung mit dem Automobil als primär inhaltliche Kategorie des Films vor dem Hintergrund der erneuten Zuwendung zum Film als ästhetischem Gegenstand in der Genretheorie. Die zunehmende Entfernung von Inhalt und Material des Films während der Phase der Ausdifferenzierung der Filmtheorie durch das Herantragen externer Theorien an den Film macht sozusagen den Weg frei für eine technikdeterministische Sicht auf den Film, die vor allem Verbindungen zwischen Automobil und Film unabhängig von der Darstellung des Automobils im Film entwirft.
6.5 Zwischenfazit: Automobildiskurs
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7 Das Automobil in Technikdeterminismus und Genretheorie
Neben der Entwicklung einer neuen Filmästhetik durch die Bewegung der Nouvelle Vague in nahezu direktem Anschluss an den Neorealismus hatte das Aufkommen und die Durchsetzung des Fernsehens entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Filmtheorie ab den 1960er-Jahren. Die Nouvelle Vague nahm ihren Ausgang Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre in André Bazins filmtheoretisch geprägter Zeitschrift Cahiers du Cinéma. Junge Kritiker und Regisseure wie François Truffaut oder Jean-Luc Godard setzten sich dort kritisch mit der Geschichte und Ästhetik des Films auseinander. Sie beanstandeten die vorherrschende Uniformität des Films, woraus sich die theoretische Forderung nach und die praktische Realisierung von Filmen ergab, die durch die individuelle Kreativität und Handschrift des Regisseurs als künstlerischem Individuum gekennzeichnet sind. Statt den Forderungen der Filmindustrie nach standardisierter Massenware zu entsprechen, entwarfen sie eine neue filmische Bild- und Tonästhetik40, die sich u.a. an den Filmen der russischen Montagepioniere und der Bildsprache der Autorenfilmer der 1920erJahre orientierte, aber auch bewusste Regelverletzungen der etablierten Filmästhetik, wie Jump Cuts oder Achsensprünge, integrierte. Eine Theoretisierung erfährt die sich daraus entwickelnde Praxis der Autorenfilme seit ihrer Wiederentdeckung durch die Nouvelle Vague parallel bzw. in der diese initiierenden Autorentheorie des Films. Die Autorentheorie des Films, die größtenteils Einzelstudien zur Ästhetik und zum Stil ausgewählter Regisseure hervorbrachte und bei genauer Betrachtung eher filmpraktisch von Bedeutung ist, da die „epistemologischen und heuristischen Voraussetzungen bis heute weitgehend unformuliert geblieben“ (Kirchmann 2002, 14) sind, leitet dennoch eine Wende in der Filmtheorie ein. Sie beschäftigte sich wieder, statt den Film von außen unter Hinzuziehung externer Theorien und Wissenschaften zu betrachten, mit den konkreten Inhalten sowie den ästhetischen Mitteln des Films. In dieser Linie ist dann auch die Genretheorie des Films zu sehen, die zwar bis auf Integrationsversuche der Autorentheorie eher ein Gegenprogramm zu dieser entwirft, aber ihren Fokus 40
Diese zeigt sich beispielhaft in Außer Atem (R: Jean-Luc Godard, Frankreich 1960) oder Sie küssten und sie schlugen ihn (R: François Truffaut, Frankreich 1959).
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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eindeutig auf die Auseinandersetzung mit dem filmischen Material legt. Wodurch dann auch der Automobildiskurs wieder Teil der Filmtheorie wird. Die Etablierung des Fernsehens, das sich in den USA bereits 1960 soweit durchgesetzt hatte, das nahezu jeder Haushalt über ein Empfangsgerät verfügte – in der BRD besaßen erst 1981 98 Prozent aller Haushalte ein Gerät (vgl. Müller/Eckert 1990, 86f.) – führte dazu, dass der Film nicht mehr primär in der Filmtheorie verhandelt wird, sondern sich eine allgemeine Medientheorie entwickelte, die den Film in einem Verbund mit anderen Medien, wie dem Fernsehen oder dem Radio bzw. je nach Medienbegriff auch dem Automobil (u.a. McLuhan 1994 [1964]), betrachtet. Dadurch veränderte sich die Sichtweise auf den Film. Im Gegensatz zu einer Betrachtung des Films mit dem Antrieb der Herausarbeitung künstlerischer und ästhetischer Mittel, wie es in der Filmtheorie erfolgte, steht nun primär die gesellschaftliche und kulturelle Dimension der Medien als Konglomerat verschiedener Einzelmedien, in dem der Film nur eines unter vielen ist, im Mittelpunkt. Ein zentraler medientheoretischer Ansatz ist der des Technikdeterminismus, der sich untrennbar mit den Arbeiten von Marshall McLuhan verbindet. So führt allein die Existenz eines Mediums und seine technische Verfasstheit, also die Art und Weise, wie eine Botschaft medienspezifisch transportiert wird, langfristig zu einer Veränderung der menschlichen Kultur und Gesellschaft, indem die Technik die Wahrnehmung und Verarbeitung des medialen Inhalts determiniert. Diese Grundauffassung ist nahezu allen technikdeterministischen Theorien eigen, auch wenn sie unterschiedliche Medienbegriffe entwickeln und die Auswirkungen der technischen Fixierung verschieden beschreiben und ausdeuten. McLuhan und Paul Virilio, zwei der wesentlichen Vertreter des Technikdeterminismus, integrieren den Film explizit in ihre Medientheorien und setzen ihn nicht selten zum Automobil, welches für beide ebenfalls ein Medium darstellt, in Beziehung. Eine technikdeterministische Perspektive auf den Film entwirft ausgehend von den Arbeiten von Jean-Louis Baudry die Dispositivtheorie des Films, die die filmische Apparatur nicht als neutral betrachtet, sondern davon ausgeht, dass sich vor allem in der Anordnung von Zuschauer und Apparatur eine die Wahrnehmung des Film determinierende Kraft entfaltet, die unabhängig vom Inhalt des Films ist. Auf der Grundlage der vergleichbaren Struktur von filmischer Apparatur und Automobil werden vor dem Hintergrund der Dispositivtheorie zahlreiche Zusammenhänge zwischen diesen formuliert, wodurch vor allem die Thematisierung des Verhältnisses bzw. die Analogien zwischen Automobil und Film an Konjunktur gewinnen.
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7.1 Automobil und Technikdeterminismus 7.1.1 Automobil und Film als Medien: McLuhan Um Marshall McLuhans medienwissenschaftlichen Ansatz zu verstehen, den er in seinem 1964 erschienenen Hauptwerk Die magischen Kanäle. Understanding Media entfaltet, ist es essentiell, sich diesem über seinen Medienbegriff zu nähern. Er entwickelt hier einen sehr weit gefassten Medienbegriff, der vom Wort bis zur Waffe reicht und das Automobil ebenso einschließt wie den Film oder das Fernsehen. Sein Ansatz ist somit nicht von der Auseinandersetzung mit nur einem Medium, zum Beispiel dem Film, bestimmt, sondern von der Beschäftigung mit einer sich historisch in enger Verbindung mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft etablierenden Vielzahl von Medien, die einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und Organisation der menschlichen Gesellschaft und die Wahrnehmungs- und Denkprozesse innerhalb dieser haben. McLuhan versteht Medien als Ausweitungen des menschlichen Körpers, die dazu führen, dass sich der Maßstab und die Form der menschlichen Wahrnehmung und Kultur durch ihre Erscheinung und Etablierung verändern. Diese Wahrnehmungsveränderung ist unabhängig vom Inhalt der Medien – das Medium an sich ist die Botschaft (vgl. McLuhan 1995 [1964]). Diese Ausweitungen des Menschen verbessern jedoch seine Situation, indem er mechanisch – und später elektronisch – gesteigert zu Leistungen und Erkenntnissen fähig ist, die ihm sonst verwehrt blieben. McLuhan vertritt damit einen mediendeterministischen Ansatz, der besonders seit der Einführung des mechanischen Buchdrucks zu einem technikdeterministischen Ansatz wird, da es seit diesem Zeitpunkt, laut McLuhan, die mechanischen und später die elektronischen, also technischen Medien sind, die den Motor der gesellschaftlich und kulturellen Entwicklung bilden. Im Gegensatz zur Frühzeit des Menschen, in der die dem Menschen eigenen Medien, wie Stimme, Sprache oder Schrift, die Entwicklung motivierten. Im Vergleich zu anderen Technikdeterministen, wie Virilio, denkt McLuhan die Medien jedoch nicht primär von ihrer technischen Dimension aus, sondern unmittelbar vom Menschen aus und stellt stets die Frage, in welcher Art und Weise technisch veränderte bzw. neu entwickelten Medien die Fähigkeiten des Menschen positiv ausweiten und damit seine Lebensumstände verbessern. So gehen beispielsweise mechanische Medien, wie das Rad, unmittelbar aus dem Streben nach einer Verbesserung des Laufens zu Fuß hervor. Das Rad stellt somit eine Ausweitung des Fußes dar, in dessen Verlängerung auch das Automobil als eine solche zu verstehen ist. Erweitern mechanische Medien äußere Körper- und Wahrnehmungsorgane, so verlängern elektronische Medien, wie Radio, Film und Fernsehen, das Zentralnervensystem, in dem sie die Wahrnehmung quasi von der Physis unabhängig machen und auf die Psyche fixieren. Das Auftauchen neuer
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Medien ist damit der Motor der Gesellschaftsgeschichte, da diese den Fortschritt und das Zusammenleben verändern, indem sie neue Wahrnehmungsverhältnisse schaffen, die veränderte soziale Verhältnisse provozieren und motivieren. Vor diesem Hintergrund entwirft McLuhan vier Epochen der Gesellschafts- und Kulturgeschichte, die wesentlich von ihren Leitmedien bestimmt sind und von Angela Spahr folgendermaßen zusammengefasst werden: „die orale Stammeskultur, die literale Manuskriptkultur, die Gutenberg-Galaxis und das elektronische Zeitalter“ (Spahr 2000, 59). Innerhalb einer solchen, auf die „Wahrnehmungs-Botschaft“ als die Wirkung von vom Menschen ausgehenden Medien gedachten medientheoretischen Konzeption, zieht McLuhan Schlüsse und Verbindungen unter und zwischen den verschiedensten Medien. McLuhan greift hierbei häufig auf Analogien, Assoziationen, Metaphern oder Collagen zurück – ein Vorgehen, dass er als mosaikartig bezeichnet und in einer programmatisch gewählten Abkehr von linearen und kausalen Denkmustern sieht, die im Zeitalter vernetzter elektronischer und multimedialer Medien nicht mehr zeitgemäß sind. Damit bezieht er den Technikdeterminismus radikal auf seine eigene wissenschaftliche Arbeit und seine Art der empirischen Schlussfolgerung und macht ihn zum Antrieb eines dem in der Wissenschaft etablierten linearen und rationalen Denkens entgegenstehenden Arbeitens – mit den dem elektronischen Zeitalter entsprechenden Analogie- und Assoziationsschlüssen als Grundlage eines neuen wissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Denkens. Innerhalb der McLuhanschen Theoretisierungen steht das Automobil zwar nicht an so zentraler Stelle wie bei Virilio, dennoch stellt es eine wesentliche Ausweitung des Menschen dar, die für ihn zahlreiche argumentative Schlüsse und Verbindungen zum Film und zum Fernsehen zulässt. Um McLuhans Argumentation zum Verhältnis von Automobil und Film folgen zu können, ist jedoch ein Umweg über seine Reflexionen zum Fernsehen sowie zum Automobil als solchem nötig. Die Affinität McLuhans zum Automobil zeigt sich bereits im ersten Kapitel von Die magischen Kanäle. Understanding Media. Zur Verdeutlichung seiner Kernthese „Das Medium ist die Botschaft“ benutzt er u.a. folgende Darstellung. „Viele Menschen sind wohl eher geneigt zu sagen, daß nicht in der Maschine, sondern in dem, was man mit der Maschine tut, der Sinn oder die Botschaft liege. Für die Art und Weise, wie die Maschine unsere Beziehung zueinander und zu uns selbst verändert, ist es vollkommen egal, ob sie Cornflakes oder Cadillacs produziert“ (McLuhan 1994 [1964], 22).
Automobile oder Frühstückflocken, was die Maschine produziert, ist egal, dass sie und nicht der Mensch produziert, ist die entscheidende Veränderung für die menschliche Gesellschaft.
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Dem Automobil, das McLuhan als „mechanische Braut“ bezeichnet, widmet er ein eigenes Kapitel. In der Traditionslinie der mechanischen Ausweitung des Fußes durch das Rad stehend, „ist es beim Auto offensichtlich so, daß es noch mehr als das Pferd eine Ausweitung des Menschen ist, die den Fahrer zu einem Übermenschen macht“ (ebd., 338). Infolge seiner Etablierung nivellierte das Automobil die Grenzen des natürlichen Raums und führte zum Abbau gesellschaftlicher Unterschiede. „Vielen Menschen ist aufgefallen, daß der wirkliche, ausgleichende Faktor zwischen Weißen und Schwarzen im Süden der Privatwagen und das Lastauto waren und nicht das Vorbringen moralischer Standpunkte“ (ebd., 338).
McLuhan schwächt diese Aussage jedoch dadurch ab, dass er an anderer Stelle von einem Ausgleich zugunsten des nun herrschenden Gegensatzes von Autofahrern und Fußgängern spricht. Im Automobil sieht McLuhan gemeinsam mit dem Fließband41 die letzten prägenden Medien der Gutenberg-Galaxis. Einer Epoche der Mechanisierung von Handfertigkeiten und körperlichen Prozessen, die wesentlich bestimmt ist von der Individualisierung und Verwirklichung des Einzelnen durch eine sukzessive Loslösung von der etablierten Stammesbindung. Diese erfolgte sowohl als Individuum gegenüber anderen Individuen wie auch als Nation gegenüber anderen Nationen. Beispielhaft sei hier ausgehend vom Automobil einerseits das individuelle Fahren im Automobil angeführt, welches die Nivellierung räumlicher Grenzen für jedes einzelne Individuum ermöglicht. Anderseits trug die in den USA bereits ab den 1920er-Jahren einsetzende Massenmotorisierung zu einem Zusammenrücken der amerikanischen Nation bei. Was sie gegenüber europäischen Nationen, in denen die Massenmotorisierung erst in den 1950er Jahre einsetzte, individualisiert. „Das Fernsehen hat dann dem Auto in Amerika den entscheidenden Schlag versetzt. (…) Durch das Fernsehen wurden alle Postulate über die Gleichförmigkeit und Normung wie auch aller Konsumwerte in Frage gestellt“ (ebd., 337). Das Fernsehen bildet für McLuhan den Höhepunkt des elektrischen Zeitalters, das die gesellschaftliche Entwicklung der mechanischen Zeit wieder umkehrte, indem es die Stammesbindung wieder neu belebt. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Auswirkungen und ihre zeitliche Aufeinanderfolge nutzt McLuhan innerhalb seines medientheoretischen Gebäudes für eine Zusammenschau von Fernsehen und Automobil. Ist der Vergleich auf dieser Ebene noch nachvoll41
Nebenbei sei bemerkt, dass die Fließbandproduktion mit als erstes in der Autoindustrie eingesetzt bzw. perfektioniert wurde. Mit ihrer Hilfe wurde der Ford Modell T bereits ab 1912 in großer Stückzahl produziert, wodurch die Massenmotorisierung in den USA in Gang gesetzt wurde (vgl. Roediger 1990 [1987]).
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ziehbar, sieht McLuhan aber auch eine direkte Verbindung zwischen dem Auftauchen des Fernsehens und der Veränderung des Autodesigns bzw. der Durchsetzung von europäischen Kleinwagen auch in Amerika. „Und das Fernsehen hat, indem es den amerikanischen Publikumsgeschmack abkühlte und ein neues Bedürfnis nach einem ‚Schalen’-Raum weckte, welchem der europäische Kleinwagen auch prompt nachkam, den amerikanischen Ritter der Landstraße aus dem Sattel gehoben. Der europäische Kleinwagen macht ihn fast wieder zum Fußgänger“ (ebd., 338, Herv. i. O).
Das Fernsehen trägt die Schuld daran, dass der amerikanische Straßenkreuzer durch den europäischen Kleinwagen ersetzt wird? Eine schwer nachvollziehbare Schlussfolgerung, wie sie nur in McLuhans Denkgebäude aufgestellt werden kann oder nur die Folge von McLuhan nordamerikanischem Patriotismus (McLuhan ist wohlgemerkt Kanadier), der sich auch an folgendem Zitat zeigt, sein kann: „Seit das Fernsehen existiert, hört man häufig Klagen über das Einheitsschema auf dem Fahrzeugsektor und im Ferienbetrieb. (…) Das ist eine Fernsehauffassung, die nicht nur gegen das Auto und die Normierung gerichtet ist, sondern auch gegen Gutenberg und daher auch antiamerikanisch ist“ (ebd., 339).
McLuhan zieht hier eine Verbindung zwischen zwei Medien, dem Automobil und Fernsehen, die in Bezug auf ihr die Kultur und Gesellschaft veränderndes Potential vergleichbar sind, da ihre McLuhanschen Botschaften zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Deshalb sind sie aber noch lange nicht als technische Entitäten aufeinander zu beziehen, was McLuhans Darstellung jedoch nahelegt bzw. wozu sie verleiten kann. Fernsehen und Automobil gehen allein dadurch für McLuhan argumentativ zusammen, dass das Fernsehen das Automobil als das dominante Medium ablöst. Das Automobil, im McLuhanschen Universum ein heißes Medium des mechanischen Zeitalters, welches räumliche Grenzen überwindet und zur Individualisierung der Fortbewegung führt, wurde durch das Fernsehen abgelöst. Als kaltes Medium des elektronischen Zeitalters endindividualisiert dieses sozusagen wieder, indem es die Individuen vor einem einheitlichen Fernsehprogramm vergemeinschaftend zusammenfinden lässt. „Vierzig Jahre lang war das Auto der bedeutendste Beitrag zur Nivellierung des natürlichen Raums (…). Es ist beim Auto offensichtlich so, daß es mehr als das Pferd eine Ausweitung des Menschen ist, die den Fahrer zu einem Übermenschen macht“ (ebd., 338).
Das Fernsehen tritt nun an seine Stelle, indem es elektronisch vermittelt, den Raum nivelliert – im Gegensatz zum Automobil jedoch dabei nicht individuali-
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siert sondern vergemeinschaftet. Diese großangelegten Wirkungsverhältnisse sind der Ausgangspunkt für sämtliche Vergleiche McLuhans, die sich dann jedoch argumentativ und en détail weit von ihrem Vergleichshorizont entfernen können. Beispielsweise dann, wenn McLuhan das amerikanische Automobil in der Tradition des mechanischen Zeitalters, das europäische jedoch eher in der Tradition des elektronischen Zeitalters sieht, wodurch das europäische Automobil von seinen gesellschaftlichen Wirkungen eher mit denen des Fernsehens zu vergleichen ist. So wird der europäische Kleinwagen, jetzt tatsächlich von seiner räumlichen Größe her gedacht, zum Handlanger des vergemeinschaftenden Fernsehens. Dadurch, dass die Autoinsassen im europäischen Kleinwagen praktisch auf engem Raum näher zusammenrücken, führt dieser die elektronisch vermittelte Gemeinschaftsrezeption eines dispersen Publikums weiter. Erst vor diesem Hintergrund, daher die ausführliche Darlegung im Vorfeld, wird auch verständlich, dass McLuhan das amerikanische Automobil eher in einer Verwandtschaft zum Film sieht. „Das amerikanische Auto anderseits wurde im Einklang mit den visuellen Erfordernissen des Buchdrucks und des Films gestaltet. (…) Man ist also im amerikanischen Auto, wie die Franzosen schon vor Jahrzehnten bemerkt haben, ‚nicht auf der Straße, sondern man ist im Auto’. Im europäischen Auto dagegen wird man über die Straße entlang geschleppt, und zwar mit viel Vibrieren von unten her“ (ebd., 494).
In dieser Passage wird deutlich, dass der Film für McLuhan ein Vertreter des mechanischen Zeitalters ist und, wie das Automobil, ebenfalls ein heißes Medium darstellt. Daher entfaltet er gesellschaftlich und kulturell betrachtet ebenfalls eine u.a. individualisierende Wirkung, der Amerikaner ist nicht mit anderen gemeinsam auf der Straße, wie die Europäer, sondern allein im Auto. Entgegen seiner Denk- und Argumentationsweise geht McLuhan aber auch auf die Darstellung des Automobils im Film ein, obwohl er ansonsten zumeist die medial vermittelten Inhalte ausklammert – das Medium ist ja die Botschaft, nicht der vermittelte Inhalt. „In den Stummfilmen der Zwanziger Jahre gab es viele Szenen mit dem Auto und Polizisten. Da man damals den Film als optische Täuschung auffasste, erinnerte der Schupo in erster Linie an das Vorhandensein von Grundregeln im Spiel der Phantasie. In dieser Funktion wurde er endlos verprügelt“ (ebd., 335).
McLuhan verweist hier einerseits, auf die Tradition der Autodarstellung als Verfolgungsfahrt in den sogenannten „Chase Films“. Andererseits liefert er einen typisch McLuhanschen Erklärungsversuch für die Rolle des Polizisten im Zusammenhang mit der filmischen Darstellung von Automobilen. Der Polizist verweist in einem fiktiven Film qua seines Amtes auf sein reales Amt außerhalb
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des Films und deshalb verweist er auch innerhalb der Fiktion auf sein reales Amt. Ein Polizist ist, pointiert formuliert, immer im Dienst – auch in der Fiktion. Im Gegensatz zur außerfilmischen Realität wird er jedoch im Film verprügelt, da dieses in der Fiktion möglich ist, aber nicht im realen Alltag. Eine Interpretation, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll, da sie den Zusammenhang zwischen Film und Automobil nicht weiter spezifiziert. Fokussiert man McLuhans Thematisierungen des Zusammenhangs zwischen Automobil und Film innerhalb seiner filmtheoretischen Überlegungen im Rahmen seiner Medientheorie, so bleibt festzuhalten, dass er einerseits die vielfach erwähnte Automobilverfolgung als eine Thematisierung des Automobils im Film beschreibt, andererseits jedoch im Wesentlichen das Verhältnis von Automobil und Film über die bereits bekannte Analogiebildungen thematisiert und, das ist entscheidend, radikalisiert. Das Auto wird nicht nur, wie beispielsweise schon bei Wegener (1984 [1916]) oder Münsterberg (1996 [1916]) zur Veranschaulichung des Entwicklungspotentials des Films genutzt, Automobil und Film werden vielmehr auf der Grundlage der von McLuhan entworfenen medialen Verwandtschaft in ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft gleichgesetzt. Automobil und Film tragen zur Individualisierung bei, ohne das McLuhan erläutert, auf welche Art und Weise der Film individualisierend wirkt. McLuhan nutzt damit eine konstruierte Analogie zwischen Automobil und Film zur Beschreibung gesellschaftlicher Veränderungen und geht sogar so weit zu sagen, dass das amerikanische Automobil nach den „visuellen Erfordernissen (…) des Films (…)“ (ebd., 494) gestaltet wurde. Eine Schlussfolgerung, die außerhalb des McLuhanschen Medienbegriffs durchaus fraglich ist. Auch zeigt sich, wie stark McLuhan die verschiedenen Medien zusammen denkt, was verdeutlicht, dass es schwer ist, Betrachtungen zu Einzelmedien, wie dem Film, aus seinen Darstellungen zu extrahieren bzw. seine Verbindungen zwischen Automobil und Film zu isolieren, da diese nur verständlich sind, wenn sie in Verbindung und im Vergleich mit dem Medium Fernsehen und dessen Verhältnis zum Automobil betrachtet werden. McLuhan vereint die Einzelmedien nicht nur unter einem Medienbegriff und macht sie dadurch erst vergleichbar, sondern er gruppiert diese Einzelmedien dann wiederum in heiße und kalte Medien, um über diese Verwandtschaften dann Vergleiche anzustellen und Einzelmedien dann auch wieder komparativ voneinander abzugrenzen. Eine herausgelöste Darstellung von Einzelmedien macht daher keinen Sinn, worin sich auch der Unterschied zu den bisher betrachteten Filmtheorien zeigt: der Film ist hier nur ein Medium unter vielen und nur im Zusammenhang mit dem ihm gegenüber neueren audiovisuellen Medium Fernsehen verständlich. Das führt praktisch zu einer veränderten Betrachtung des Mediums Film im Zeitalter des Fernsehens, welches in den 1960er-Jahren in den USA längst das Leitmedium darstellte und sich auch in Deutschland kontinuier-
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lich zu einem solchen entwickelte (vgl. Zielinski 1989). Eine Betrachtung des Films ohne das Fernsehen scheint hier nicht mehr möglich zu sein. 7.1.2 Geschwindigkeit als Wesen von Automobil und Film: Virilio Stilistisch, formal und teilweise auch inhaltlich schließt sich Paul Virilios medientheoretisches Denken an McLuhans Technikdeterminismus an, obwohl er dessen Ansatz noch radikalisiert, indem er Medien grundsätzlich von der Technik und nicht vom Menschen aus betrachtet. Seine Setzung eines weiten Medienbegriffs und die damit verbundene Auffassung, dass Medien einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und Organisation der menschlichen Gesellschaft und die Strukturierung der Wahrnehmung haben, sind wesentlich von McLuhan beeinflusst und in Kombination mit strukturalistischen und dekonstruktivistischen Ansätzen zu einem Verständnis der nahezu völligen Nivellierung eines Unterschieds zwischen Medien und Alltagsrealität zu einer Medienrealität radikalisiert. Liegt der Fokus der Betrachtung von Medientheorien mit filmtheoretischen Implikationen darauf, in welcher Art und Weise das Verhältnis von Automobil und filmischer (Ausdrucks-)Form thematisiert wird, rückt Virilios Entwurf einer Medientheorie unmittelbar ins Zentrum der Betrachtung. Virilios Werk ist durchdrungen von Begriffen wie Geschwindigkeit, Transport, Automobil und Automobilität, Kino, Film und Fernsehen. In ihm amalgamieren Technik- und Mediengeschichte, Militärwissenschaft, Urbanistik, Ästhetik, Physik und Metaphysik zu einer von Virilio begründeten Theorie und Wissenschaft, der Dromologie. Diese leite sich begrifflich aus dem griechischen dromos für Lauf ab und bedeutet nach Virilio in etwa soviel wie Logik der Geschwindigkeit (vgl. Virilio 1986 [1984]). Mit der Dromologie entwirft Virilio eine Theorie der Geschwindigkeit, in der er davon ausgeht, dass diese die die menschliche Gesellschaft von jeher begründende, durchwirkende und determinierende Entität darstellt. Alle historischen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, Revolutionen und Entwicklungen sind Folgen des Wandels der Modalitäten von Geschwindigkeit. Besonders eng verbindet Virilio die Geschwindigkeit mit dem Moment des Transports – sowohl von Gütern und Informationen aber auch des Transports im übertragenen, metaphorischen und metaphysischen Sinn. „Der Mann ist der Passagier der Frau, nicht nur bei seiner Geburt, sondern auch in sexuellen Beziehungen. (…) In diesem Sinne ist die Frau das erste Transportmittel der Gattung, ihr erstes Fahrzeug. Das zweite wäre das Reittier, die rätselhafte Kopplung ungleicher Körper, die zur gemeinsamen Reise oder Wanderung gepaart werden“ (Virilio 1978, 74).
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In einer Verlängerung dieser Form der Argumentation, die Rainer Leschke nicht unberechtigt als „Hang zur Komplexitätsreduktion“ kritisiert (vgl. Leschke 2003), entwickelt Virilio vor dem Hintergrund der Dromologie eine Entwicklungslinie vom ersten „Fahrzeug“ Frau über das Pferd, die Kutsche, den Zug, das Automobil etc. zum Informationstransport in Brief, Radio, Film, Fernsehen etc. bzw. letztlich zum virtuellen Datentransport im Informationszeitalter. Virilios sehr ausgedehntem Medienbegriff ist demzufolge immer die Dimension des Transports mit einer dem jeweiligen Medium inhärenten Geschwindigkeit bzw. deren Wahrnehmung immanent. Diese Medien prägen über ihre Geschwindigkeit die menschliche Entwicklungsgeschichte, die Virilio wie McLuhan (1994 [1964]) in vier Phasen unterteilt, die Lauer Lagaay wie folgt zusammenfasst: „1. Metabolische Geschwindigkeit: die prähistorische Zeit, in der die Frau als ‚erstes Vehikel’ fungiert; die Nutzung von Tier- und Naturgeschwindigkeit (Esel, Pferd, Segelschiff); 2. die erste dromologische Revolution (19. bis 20. Jahrhundert): die Herstellung von technologischen Geschwindigkeiten – Revolution der Transportmittel (Schienenbahn, Automobil, Flugzeug); 3. die zweite dromologische Revolution (spätes 20. Jahrhundert): das Zeitalter der elektronischen Kommunikationsmedien (Telefon, Fernsehen, Internet); 4. die dritte (und letzte) Revolution (Gegenwarts- beziehungsweise Zukunftsperspektive): die Eroberung des menschlichen Körpers durch Maschinen“ (Lagaay 2004, 152, Herv. i. O.).
Die Auswirkungen und Folgen der dromologischen Veränderungen deutet Virilio dabei stets negativ, im Gegensatz zu McLuhan, der im Aufkommen neuer Medien immer einen positiv konnotierten Fortschritt sah. Mit der sukzessiven Beschleunigung des materiellen und daten- bzw. informationsbasierten Transports löst sich der mobile Mensch immer mehr von real nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Raum- und Zeitkonstellationen ab und verschwindet letztlich immobil in einer immateriellen Raum- und Zeitlosigkeit. In toto versteht Virilio innerhalb seiner Konzeption der Dromologie unter Medien „Vehikel“ des Transports, deren Funktion die Steigerung von Geschwindigkeit ist. Dadurch, dass Virilio eine Entwicklung vom realem zum virtuellem Transport bzw. eine Überlagerung und gegenseitige Durchdringung von diesen konstatiert, fällt es ihm nicht weiter schwer, beispielsweise auch den realen beschleunigten Transport von Personen im Automobil mit dem virtuellen und imaginierten Transport durch die Narration eines Films zusammenzudenken und hinsichtlich gemeinsamer Wahrnehmungsmomente und -logiken zu diskutieren. An dieser Stelle wird hier die allgemeine Diskussion der Dromologie verlassen, die Virilio über sein gesamtes und sehr umfangreiches Werk als Folie
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seines Denkens entfaltet42, und das Augenmerk auf Virilios Darstellungen zum Automobil respektive zum Zusammenhang zwischen Automobil und Film gerichtet. Dieser kann, wie schon bei McLuhan (1994 [1964]), aufgrund der medientheoretischen Ausrichtung nicht ohne das Fernsehen betrachtet und generell nur vor dem Hintergrund der Dromologie fokussiert werden. Ideen und Ansätze des Zusammendenkens von Automobil und Film sind bruchstückhaft über seine Schriften verteilt, hauptsächlich finden sie sich jedoch in: Fahren, fahren, fahren … (1978) sowie Der negative Horizont (1989 [1984]). Das Automobil denkt Virilio im Wesentlichen über die schon dem Begriff innewohnende Automobilität – die Selbstbeweglichkeit. Die Menschheit ist stets bestrebt, diese zu maximieren und deren Geschwindigkeit zu erhöhen. Die Steigerung der Transportgeschwindigkeit, also der Geschwindigkeit, mit der sich der physische Mensch von einem Ort zum anderen bewegt, entwickelt sich sukzessive und findet neben Flugzeug und Raumschiff einen seiner „negativen“ Höhepunkte im selbstgelenkten Automobil. Diese tatsächliche körperliche Beschleunigung mit Hilfe einer Maschine führt zur veränderten Wahrnehmung der Realität durch den Menschen. Dieser kann die Geschwindigkeit als solche nicht mehr reflektieren, da die Umwelt zu flüchtig vorbeirauscht, um tatsächlich erfasst zu werden. „Das metabolische Fahrzeug hält sich für ein technisches. Daß sich von Asien nach Europa die Welt verändern kann, darüber macht sich der Passagier des ‚Leerlaufs’ nur lustig, denn wie für den autistischen Autofahrer ist die Beschleunigung seine Bestimmung und sein Bestimmungsort geworden. Der kurze Aufenthalt am Straßenrand oder an der Tankstelle gilt nur noch elementaren Bedürfnissen (…)“ (Virilio 1978, 34, Herv. i. O.).
Der Mensch ist, wie die Passage verdeutlicht, für Virilio zwanghaft automobil und nahezu ortlos geworden – die Beschleunigung ist nunmehr seine Bestimmung und sein Bestimmungsort. Dennoch kann der Mensch diese mechanisierte Beschleunigung der ersten dromologischen Revolution noch halbwegs erleben und begreifen. Im Gegensatz zur elektronischen Beschleunigung in der zweiten dromologischen Revolution, die den Menschen nicht mehr nur physisch und materiell beschleunigt, sondern zusätzlich die Geschwindigkeit der ihn bestimmenden immateriellen Informationen über Film, Fernsehen, Radio und Computer erhöht und damit auch seine psychische Geschwindigkeit. Die Folgen davon sind eine „Ästhetik des Verschwindens“ (vgl. Virilio 1986 [1980], die dazu 42
Es sei darauf verwiesen, dass die Komplexität von Virilios Dromologie hier nicht annährend wiedergegeben werden konnte und Aspekte wie der Entwicklungszusammenhang zwischen Medien und Kriegstechnik vernachlässigt wurden (vgl. Virilio 1986 [1984], Virilio 1993 [1991]).
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führt, dass die Ortlosigkeit zusätzlich zu einer physischen Immobilität führt, da sich die Daten mit immer höherer Geschwindigkeit zu uns bewegen, wir aber in einem „rasenden Stillstand“ (vgl. Virilio 1992 [1990]) verharren. Die Wahrnehmung des Menschen verändert sich dadurch dahingehend, dass die reale Umwelt nicht nur flüchtig wird, sie verschwindet nun nahezu vollständig. Besonders deutlich wird diese Entwicklung zur Verflüchtigung für Virilio mit dem Aufkommen des Films. Die Materialität der einzelnen filmischen Bilder verflüchtigt sich, da sich die durch die Projektion wahrgenommene Bewegung nicht im Film selbst (wieder-)findet. Erst die Wahrnehmung durch das menschliche Auge ermöglicht die Simulation der Bewegung. „Die Qualität des Film-Bildes ist eine Qualität des Vorbeiziehenden, eine – wie Virilio sich ausdrückt – ‚organisierte Flucht’“ (Klook (2000), 141, Herv. i. O.). Über diese im McLuhanschen Sinne gleiche Botschaft des Automobils und des Films, nämlich einer Veränderung der Wahrnehmung, die durch das Automobil angelegt war und durch die elektronischen Kommunikationsmedien, wie eben Film und bei Virilio auch immer wieder Fernsehen, fortgesetzt wird, denkt Virilio diese innerhalb der Dromologie argumentativ und funktional zusammen. „Eigentlich gibt es zwei Arten von ‚Massenkommunikationsmitteln’, das audiovisuelle (Presse, Rundfunk, Fernsehen, Informatik, Telefon, …) und das automobile (die Transportmittel und Mittel der Ortsveränderung auf dem Lande, in der Luft und zur See, …). Beide befördern im Grunde einen spezifischen informativen Inhalt, bei beiden handelt es sich um Informationstypen, die von ihren jeweiligen Anlagen geprägt sind. Sowohl der Übertragungsvektor als auch das Transportvehikel haben die Eigenschaft, den eigentlichen Inhalt von Botschaften zu verändern, wobei die Botschaften durch Rundfunk, Fernsehen, Telefon usw. übermittelt werden können oder Übertragungen der Reise, im Zug, im Auto oder im Flugzeug sind. Da in beiden Fällen Sinn befördert wird, und zwar in beide Richtungen, hin und zurück, ist die Wegstrecke (die Reise) ein Diskurs (eine Botschaft)“ (Virilio 1989 [1984], 210f., Herv. i. O.).
Doch Virilios Amalgamieren von Automobil und filmischen Medien wird noch viel intensiver, indem er nämlich weiter abstrahierend auf sein Verständnis von Medien als Mittel des beschleunigten Transports zurückgreifend aufbaut. Der Transport als gemeinsames mediales Moment von Film respektive Fernsehen und Automobil – unbeachtet des Unterschieds, dass das eine nur immaterielle audiovisuelle Daten und Informationen befördert, das andere jedoch den materielle Menschen – veranlasst Virilio zu folgender Feststellung, die, wie bereits im vorherigen Zitat deutlich geworden ist, über reine pseudomorphische Beziehungen zustande kommt: „Die Ordnung des ländlichen Lebens, die Ruhe des Landes werden über den Haufen geworfen von der industriellen Revolution, dem Bergbau, der Fabrik, und werden
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künftig noch mehr durch die Revolution des Transportwesens, das heißt den exponentiellen Anstieg der Geschwindigkeit der Massenkommunikationsmittel; Telegraph, Telefon, Radio und Fernsehen zeichnen sich schon im Heckfenster des Autos ab“ (Virilio 1978, 24).
Was sich eben noch prophetisch in der Heckscheibe des Automobils abzeichnete, gewinnt eine zusätzliche Dimension, wenn man mit Virilio durch die Windschutzscheibe schaut. Ähnlich wie nämlich im Kino 24 Einzelbilder pro Sekunde projiziert werden, bzw. in Virilios Verständnis am Zuschauer vorbeiziehen, so ziehen während der Autofahrt ebenfalls Bilder am Fahrer vorbei. Was sich in der Autofahrt bereits als Verflüchtigung der Umwelt im Gegensatz zur Wahrnehmung während des Laufens zu Fuß anzeigt, wird durch die Wahrnehmung von nur suggerierter Bewegung im Film noch gesteigert. „Der Verlust kinetischer und taktiler Eindrücke, von Geruchseindrücken, wie sie die direkte Fortbewegung noch lieferte, lässt sich nicht durch eine vermittelte, eine Medien-Perzeption, durch das Vorbeiziehen der Bilder an der Windschutzscheibe des Autos, auf der Kinoleinwand oder gar dem kleinen Fernsehbildschirm ersetzen“ (Virilio 1978, 39).
Virilios Fokussierung auf die Projektion des Films, wobei er keinen Unterschied zwischen Kino, Film und Fernsehen macht, ermöglicht ihm, wiederum über die Momente des Transports und der Geschwindigkeit weitere Synthetisierungen von Automobil und Film. „In der Tat ist das Automobil ein Projektor, ein Projektor, dessen Geschwindigkeit wir mit der Schaltung regeln. (…) Etwa so wie in der filmischen Beschleunigung oder Verlangsamung eine zweite Realität, die einer anderen Zeit, aufzeigt, so führen uns die hohen Reisegeschwindigkeiten der modernen Fahrzeuge, wie aus einer Stadt in eine andere, von einer Realität in eine andere; im diesem Sinne ist das Automobil ein AUTOKOMMUTATOR, ein Selbstschalter, der Motor des Autos und der des Projektors haben einen ähnlichen Effekt: beides sind Übertragungsmittel“ (ebd., 19f., Herv. i. O.).
Bei genauerer Betrachtung dieser und der vorhergehenden Passage, die Automobil und filmisches Medium43 zusammendenken, wird deutlich, dass es Virilio immer nur um den übergeordneten vergleichbaren Wahrnehmungs- und Rezeptionszusammenhang geht. Diesen entwirft er vor dem Hintergrund der beschleunigten Transportdimension des Automobils und des Films respektive Fernsehens, die 43
Diese Formulierung resultiert daraus, dass Virilio nicht immer zwischen Film, Kino und Fernsehen differenziert.
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vergleichbare und ineinander übergehende gesellschaftliche Folgen haben. Unterhalb bzw. zur Veranschaulichung dieser medientheoretischen Ebene, bedient sich Virilio dann sämtlicher technischer, gegenständlicher, funktionaler usw. Gemeinsamkeiten zwischen Automobil und filmischen Medien, die für ihn greifbar sind. „Virilios Texte spiegeln seine Thesen formal wieder, sie sind selbst dromologisch, das heißt sie fließen schnell und wortgewaltig. Seine Theorien ergeben sich nicht aus strenger Argumentation, sondern bestehen aus Behauptungen, die voller Anspielungen sind, Bilder erzeugen und dabei weitere Bilder assoziativ hervorrufen“ (Lagaay 2004, 164).
Man wird Virilio daher meiner Meinung nach nicht gerecht, wenn man seine Reflexionen über den Zusammenhang von Automobil und Film/Fernsehen auf vielgeliebte und häufig zitierte Schlagzeilen wie „Was sich in der Frontscheibe bzw. davor abspielt, ist Kino im direkten Sinn“ reduziert. Dieses wäre zwar eine, auch besonders im Rahmen dieser Arbeit, sehr willkommene Verkürzung und Überhöhung, wie sie leider oft praktiziert wird, die aber den Kern von Virilios Dromologie außen vor lässt. Ebenfalls nicht gerechtfertigt sind Pauschalkritiken, die Virilios Arbeiten als reine Analogieschlüsse betrachten (vgl. Leschke 2003) und damit die übergeordnete wahrnehmungsverändernde Verwandtschaft ebenfalls vernachlässigen. An dieser Stelle soll Virilio daher weder überbewertet, noch als wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Quelle abgetan werden. Im Wesentlichen fokussiert Virilio nämlich nur auf die vergleichbare dispositive Struktur der Wahrnehmungsanordnung während der Autofahrt und der Film- und Fernsehrezeption, ohne diese explizit zu benennen. Er vergleicht das Vorbeiziehen der real durchfahrenen Landschaft am Auto mit der Rezeption der simulierten Bewegung in Film und Fernsehen. Die verwandte dispositive Struktur zieht Virilio aber nur auf der Vergleichsebene heran und hebt sie nicht auf eine verwandte Funktions- und Wirkungsebene – wie es Vertreter der Dispositivtheorie der filmischen Apparatur tun, die im Anschluss diskutiert werden soll (vgl. Kapitel 7.1.3). Weiterhin reflektiert er über die Möglichkeiten der Beeinflussung der Geschwindigkeit, der Bewegungsrichtung und damit darüber, was wir sehend wahrnehmen. Beim Autofahren haben wir die Möglichkeit der Beeinflussung, bei Film und Fernsehen nicht – so Virilio. Die Klammer bildet bei Virilio jedoch die Gemeinsamkeit von Automobil und filmischen Medien als wie auch immer im Detail bestimmtes Transportmittel mit den bekannten gesellschaftlichen Auswirkungen. Neben diesem Vergleich zwischen Automobil und Film/Fernsehen rückt Virilio über seinen ausgeweiteten Medienbegriff das Automobil als Transportmittel innerhalb seiner Medientheorie ins Zentrum. Er schreibt ihm mehr Bedeutung und Einfluss innerhalb der mediengeschichtlichen Entwicklung zu als sämtliche ande-
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ren Medientheoretiker. Nichtsdestotrotz gilt es diese Gewichtung zu relativieren, da diese nur innerhalb der Theorie der Dromologie sinnhaft und logisch ist. Wie McLuhan (1994 [1964]) thematisiert Virilio eine Verbindung zwischen Automobil und Film, indem er eine Analogie zwischen Automobil und Film postuliert, die zwar hochgradig komplex ist und innerhalb seines Denkgebäudes funktioniert und relevant ist, aber dennoch nur eine Analogie bleibt. Analogien zwischen Automobil und Film, wie sie schon von Wegener (1984 [1916]), Münsterberg (1996 [1916]) oder Gregor (1932) etc., um nur einige zu nennen, entworfen wurden, auch wenn sie hier genutzt werden, um die Beschleunigung des Lebens in allen seinen Bereichen zu einer Gesellschafts- und Medientheorie, in der Film und Fernsehen konstitutiv verortet sind, zu radikalisieren. Bewertet man diese Art des medienwissenschaftlichen Denkens und der Zusammenhangskonstruktion zwischen Automobil und Film, trotz ihrer zahlreichen Denkanstöße, über, geschieht argumentativ das, was Virilio wie folgt für das Autofahren schreibt. „In hohen Dosen, das heißt bei hoher Geschwindigkeit, führt das Autofahren an den Rand der Bewusstlosigkeit – zu schneller Ortswechsel ist mit Vorsicht zu genießen …“ (Virilio 1978, 26). Einige der nachfolgend vorgestellten Autoren, die sich vom auch von Virilio bemühten, aber von ihm nicht konkret benannten dispositivtheoretischem Denken haben inspirieren lassen, hätten dann wohl das Tempo eher etwas drosseln sollen. 7.1.3 Automobil, Film und Dispositivtheorie Im Folgenden werden theoretische Reflexionen vorgestellt, die ausgehend vom Begriff des Dispositivs und der Dispositivtheorie filmischer Apparate, die auf Jean-Louis Baudry zurückzuführen ist, und eine weitere spezifische Form der technikdeterministischen Medienbetrachtung darstellt. Weiterhin werden verwandte Dimensionen und Strukturen aber auch Analogien und pseudomorphische Verbindungen zwischen dem Automobil und filmischen Medien (Film, Fernsehen, Kino) beschrieben. Damit kommen hier, im Gegensatz zur bisherigen Darstellung, nicht einzelne Filmtheorien zur Diskussion, sondern filmtheoretische Reflexionen, die den Filmtheorienentwurf einer Dispositivtheorie filmischer Apparate und des Films nutzen, um Verbindungen zwischen Automobil und filmischen Medien zu postulieren. Auch wenn sich Baudry (1999 [1975], (1993 [1970]) detailliert mit den Folgen der Sitz- und Wahrnehmungsanordnung im Kino, also der Mensch-Apparat-Anordnung, beschäftigt, ist sein Ansatz nicht als eine Theorie des Kinos, sondern in erster Linien als eine des Films, da sie sich mit der Wahrnehmung des Films im Kino beschäftigt, zu verstehen. Aus diesem Grund kommt sie unter Fokussierung ihrer filmischen Dimensionen und Aspekte hier auch integriert in den filmtheoretischen Rahmen zur Betrachtung.
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Um einen Zugang zu diesen Arbeiten zu ermöglichen, werden hinführend einerseits die wissenschaftliche, besonders die film- und medienwissenschaftliche Historie des Dispositiv-Begriffs skizziert sowie die damit essentiell verbundenen Bedingungen – zentralperspektivisches Sehen und Rahmung des Blickfeldes – erläutert. Andererseits erfolgt die Vorstellung einer Tradition, die ausgehend von Wolfgang Schivelbuschs Beschreibung der kultur- und wahrnehmungsverändernden Wirkung der Sitz-, Blick und Reiseanordnung in der Eisenbahn (vgl. Schivelbusch 2000 [1977]) und der damit verbundenen verstärkten Einübung eines zentralperspektivischen, panoramatischen Blicks Verbindungen zwischen technischen Fortbewegungsmitteln und filmischen Medien und deren Vorläufern vor dem Hintergrund des Dispositiv-Diskussion zieht. 7.1.3.1 Dispositiv und filmische Apparatur Die Einführung des Begriffs Dispositiv in die geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Diskussion des 20. Jahrhunderts erfolgte im Wesentlichen durch Michel Foucault. In seinem Bestreben, verschiedene Größen und Elemente im Rahmen der auf heterogenen Formen der Macht (institutionelle, staatliche, sexuelle usw.) beruhenden Auseinandersetzung mit dem Wesen und der Geschichte verschiedener Formen der Disziplinierung gemeinsam und verbindend in ihren Grundbedingungen zu erfassen und zu beschreiben, formulierte Foucault die Konzeption des Dispositivs. Ein Dispositiv ist „(erstens) ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist ein Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann“ (Foucault 1978, 119f.).
An anderer Stelle benennt Foucault die Funktion des Dispositivs: „Das Dispositiv ist also immer in ein Spiel der Macht eingeschrieben, immer aber auch an eine Begrenzung oder besser gesagt: an Grenzen des Wissens gebunden, die daraus hervorgehen, es gleichwohl auch bedingen. Eben das ist ein Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden“ (Foucault 1978, 123).
Ausgehend von Foucaults Auseinandersetzung mit dem von Jeremy Bentham Ende des 18. Jahrhunderts konzipierten Entwurf eines panopticumartigen Gefängnisses als einem technologisch und architektonisch geplanten apparativen
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Dispositiv (vgl. Foucault (1977 [1975]), in dem von einer zentralen Position aus alle Zellen, und damit die sich darin befindlichen Häftlinge, gesehen und überwacht werden können, spielen in der (medien-)wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Foucaultschen Dispositiv häufig technische und räumliche Anordnungen und damit verbundene Momente der Seh- und Blickanordnung eine entscheidende Rolle. Auf eben diese apparativen und räumlichen Dimensionen des Dispositivs, die bei Foucault nur eine untergeordnete Rolle spielen, und die damit verbundenen Auswirkungen auf die visuelle und beim Film natürlich auch akustische Wahrnehmung greifen zahlreiche Autoren zurück, wenn sie sie auf das Kino und die Wahrnehmungssituation des Films beziehen und davon ausgehend auf weitere Medien und Apparaturen übertragen. Man könnte ihnen vorwerfen, das Foucaultschen Dispositiv auf ein Anordnungskonzept, dessen technische und räumliche Komposition einen Einfluss auf die Wahrnehmung dispositioniert und determiniert, zu reduzieren, würden sie sich nicht neben Foucault vor allem auch auf Baudry (1999 [1975], (1993 [1970]) berufen, der etwa zeitgleich, ohne jedoch explizit auf Foucault zu verweisen, den Begriff des Dispositiv auf das Kino anwendet. Unter Rückbezug auf Platons Höhlengleichnis und Freuds Psychoanalyse, besonders seiner Traumdeutung, verbindet Baudry die Anordnung der Zuschauer im Kino (im Dunklen sitzend mit Blick auf eine sich vor ihnen befindliche Leinwand) und die dort ablaufende traumartige Illusion des Films zu einer Bestimmung der Art der Wahrnehmung des Films. Eine Bestimmung, zu der Baudry auf den Begriff des Dispositivs zurückgreift. Wie Foucault bezeichnet auch Baudry als Dispositiv damit eine Konzeption, die heterogene Elemente unter ihrer spezifischen Kombination, zu einem Ensemble verbindet. Zur Verdeutlichung bietet sich ein längeres Zitat Baudrys an. „Es ist völlig klar, daß das Kino kein Traum ist: es reproduziert bloß einen Realitätseindruck, es löst einen Kino-Effekt aus, der sich mit dem durch den Traum veranlassten Realitätseindruck vergleichen läßt. Um diese Simulation hervorzurufen, tritt das ganze kinomatographische Dispositiv in Aktion: Dabei handelt es sich jedoch um eine Simulation eines Subjektzustandes, einer Subjektposition, einer Subjektwirkung, und nicht um die Realität. Bei dem Wunsch nach etwas Realem, das den Status einer Halluzination, d.h. einer als Wahrnehmung aufgefassten Vorstellung haben soll, könnte man sich fragen, ob das Kino sich nicht durch einen anderen Wunsch verdoppelt, durch den Ergänzungsversuch zu jenem, der das Subjekt in ihm umtreibt und von dem man annehmen konnte, dass er bei Platon im Dispositiv der Höhle wirksam war“ (Baudry 1999 [1975], 402f.).
Dieser recht komplexe Ansatz, „den Begriff des Dispositivs als medientheoretische Kategorie zu gebrauchen (…)“ (Hickethier 1995, 63) und die Fokussierung auf Baudrys Kernaussage, dass der Zuschauer sich weniger mit dem Dargestell-
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ten, also dem Inhalt des Films an sich, als mit den Seh- und Anordnungsbedingungen, die die Wahrnehmung des Films ermöglichen, identifiziert (vgl. Baudry 1993 [1970], 1999 [1975]), hat sich zu einem Konzept der theoretischen Bestimmung verschiedener Medien entwickelt. Zumeist sind diese Weiterführungen von Baudrys Überlegungen jedoch reduziert auf die apparative Raum- und Technikanordnung, und damit die Foucaultsche Dimension des Dispositivs, verbunden mit einer so prädestinierten Art der Wahrnehmung, wiederum im Sinne Baudrys. Vor allem die amerikanische und französische Filmtheorie greift ab den 1970er-Jahren im Ansatz der Apparatus-Theorie – wobei der amerikanische Apparatus synonym für Dispositiv steht (vgl. Lommel 2002) – die Dimension der Mensch-Apparat-Anordnung Baudrys auf. Hervorzuheben sind hier Autoren wie Jean-Louis Comolli (2003 [1971]), Stephen Heath (2003) und Stephen Lowry (1992). In Deutschland sind es Autoren wie Joachim Paech (1985), Siegfried Zielinski (1989, 2002) und Hartmut Winkler (1992), die die Dispostiv-Theorie bekannt gemacht haben. Der den Film rezipierende Zuschauer wird in der Apparatus-Theorie als Einheit mit der Projektions-, aber auch der Aufnahme-Apparatur des Films und der räumlich-apparativen Anordnung im Kino verstanden. Die Rezeption des Films ist wesentlich durch diese bedingt, ebenso wie durch die technischapparativen Bedingungen (Kamera, Schneidetisch) der Entstehung des Films. Ausgehend von Baudry (1999 [1975], (1993 [1970]) rückt damit die technische Basis des Mediums ins Zentrum der Betrachtung, die durch ihre apparativen Bedingungen unabhängig vom Agieren des Filmemachers bereits einen Einfluss auf die filmische Aufnahme und die Rezeption ausüben. Ebenso wie bereits die Seh-Anordnung im Kino unabhängig vom Zuschauer eine Auswirkung auf die Wahrnehmung des Films hat. Einen wichtigen Einfluss auf die Fokussierung der apparativen und technischen Bedingungen des Kinos und des Films hatte, wie bereits erwähnt, die in den 1960er-Jahren von McLuhan (1995 [1964]) entworfene technikdeterministische Medientheorie, die ebenfalls das Medium und seine Beschaffenheit unabhängig vom transportierten Inhalt als zentrales Element seiner gesellschafts- und kulturverändernden Wirkung sieht. Der Schritt vom Medium als Botschaft zur Konzeption des medienzentrierten Dispositivs ist nicht weit. Ebenso wie die Mensch-Apparat-Anordnung des Dispositivs nicht weit entfernt ist von der McLuhanschen Betrachtungen von Medien als Ausweitungen des Körpers. Vor allem, wenn man jeweils das Moment des Apparativen als zentral betrachtet. Dennoch sollt auf die vorschnelle begriffliche Vermischung, wie Heidemarie Schuhmacher sie verwendet – „die ‚Dispositive’ Telegrafie, Telefon, Presse, Radio, Kino, Auto, Fernsehen etc. werden in McLuhans Modell als (neurophysiologische) Erweiterungen des menschlichen Sinnesorgane gesehen“ (Schuhmacher 2000, 65, Herv. i. O.) – verzichtet werden, weist sie doch auf
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die inflationäre Verwendung des Dispositiv-Begriffs und dessen semantische Unschärfe hin. Nichtsdestotrotz zeigt das Zitat mit der Charakterisierung des Automobils als Dispositiv eine Tradition an, die sich ausgehend von Baudrys Arbeiten entwickelte: den gelegentlich gezogenen Vergleich von technischen Fortbewegungsmitteln zu filmischen Medien hinsichtlich verwandter dispositiver Sitz- und damit auch Wahrnehmungsanordnungen. Ausgehend von Baudry und Foucault hat sich das Dispositiv zu einer Entität zur Charakterisierung dem Film vorausgehender und nachfolgender Medien sowie zur Bestimmung zahlreichen Anordnungen von Mensch und technischer Apparatur entwickelt. Ein wesentliches Element ist dabei, vor allem bei der Beschreibung medialer Anordnungen, die Zentralperspektive als den Blick leitende Grundbedingung aller (audio-)visuellen Medien. Auf der Grundlage der Zentralperspektive werden aber auch die determinierten Blickstrategien während einer Zug- oder Automobilfahrt beschrieben und, ausgehend von einer homologen Beziehung, Vergleiche zwischen (audio-)visuellen Medien und Medien der Fortbewegung und des Transports gezogen. Die Zentralperspektive beschreibt die seit der Renaissance verbreitete Vorstellung vom Sehen als einen Zusammenschluss von sehendem und betrachtetem Objekt in einem dadurch erst konstruierten Raum (vgl. Paech 1988). Auf diese Weise hergestellte Räume entstehen durch einen vor einem Bild stehenden Betrachter, einen Beobachter der Wiedergabe von Objekten durch die Camera obscura bis hin zu einem im Kino einen Film rezipierenden Zuschauer. Alle versetzen das sehende Subjekt in eine Position, in dem es den so konstruierten visuellen Erscheinungen unterworfen ist44. „Die Zentralperspektive ist ein mathematisches Verfahren, mittels dessen ein dreidimensionaler Raum auf eine zweidimensionale Fläche projiziert werden kann. Anders als bei anderen Verfahren der räumlichen Darstellung ist die Basis und der Bezugspunkt der Anordnung der Standpunkt des Betrachters vor dem Bild, auf den die gesamte Raumdarstellung ausgerichtet ist“ (Gronemeyer 2004, 16).
Im Unterschied zum natürlichen Sehen zwingt ihn die Zentralperspektive in eine starre Position. Nur so kann er auf einer Fläche die konstruierte Illusion eines dreidimensionalen Objekts oder Raums wahrnehmen, wodurch das Sehen zum Betrachten eines Raumes wird, in dem sich der Sehende nicht mehr frei beweglich befindet, sondern fixiert. Zentralperspektiv erzeugte Darstellungen bleiben damit immer eine Konstruktion von Welt, eine Konstruktion, die nur dann mehr oder weniger eine reale dreidimensionale Welt illusionieren kann, wenn sich der 44
Für eine ausführliche Darstellung der medialen Geschichte der Zentralperspektive vgl. Nicole Gronemeyer (2004), Ulrike Hick (1999) und Hartmut Winkler (1992).
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Betrachter ihrer Anordnung unterordnet. Über diese Dominanz der Anordnung wird vor dem Hintergrund des Dispositivs die Zentralperspektive zu einem zentralen Element, ja sie wird selbst zu einem Dispositiv, welches in verschiedenen visuellen Medien spezifisch ausgeformt wird und, ausgehend von der Renaissance, zur bis heute konventionellen Seherfahrung wurde. Mit der Rahmung des Blicks spricht Gronemeyer ein weiteres, sämtliche dispositiven Betrachtungen vereinendes Element an. „Die Zentralperspektive versucht, dem natürlichen Seheindruck möglichst nahe zu kommen, häufig wurden die mit ihrer Hilfe konstruierten Bildräume mit dem Blick aus dem Fenster verglichen“ (Gronemeyer 2004, 16). Durch den angeführten Blick aus dem Fenster lässt sich eine Verbindung zur Rahmung des Sichtbaren ziehen. Zentralperspektivische Sehanordnungen funktionieren nur, wenn der Blick auf einen klar begrenzten Ausschnitt gelenkt und fokussiert ist. Ihren Ursprung nimmt diese Ausschnitthaftigkeit in der zentralperspektivischen Malerei der Renaissance, in der dreidimensionale Ensembles auf eine zweidimensionale Leinwand gemalt wurden, die durch die Konstruktion und Anordnung der Objekte einen Raumeindruck beim an der richtigen Stelle positionierten Betrachter erzeugten. Das Funktionieren dieser Sehanordnung begrenzt sich dabei allerdings nur auf den Blick auf eine klar definierte Fläche. Verlässt der Betrachter diese Fläche mit den Augen oder verlässt er seine Position, bricht die Zentralperspektive förmlich zusammen. Dieses resultiert daraus, dass der Maler ein zentralperspektivisches Bild konstruiert, das sich vor einem Rahmen mit einem Gitternetz befindet, hinter dem sich das zu zeichnende Ensemble positioniert. Mit Hilfe der Rahmung und der Linienführung der Gitternetzlinie wird es auf eine Leinwand übertragen (vgl. Alpers, 1998 [1983]). Der Betrachter des Bildes nimmt dann bei der Betrachtung die gerahmte Blickposition des Malers ein, in welcher sich die Dreidimensionalität illusioniert. Der Vorgang des Zeichnens und des Betrachtens durch den Rahmen „entspricht einem Fenster, durch das man die wahrnehmbare Welt sieht“ (Alpers 1998 [1983], 133). Eine Metapher, die sich durch die Geschichte der Charakterisierung des medialen dispositiven Sehens zieht und nicht zuletzt genutzt wird, um beispielsweise das Fernsehen als „Fenster zur Welt“ zu charakterisieren. Die Zentralperspektive und die Rahmung des Visuellen wurden ausgehend von der Malerei als dispositive Elemente auf (audio-)visuelle Medien übertragen. Die Position des Malers übernimmt in der Fotografie und beim Film die Apparatur, also die Kamera, die Dreidimensionales auf eine zweidimensionale Fläche bannt. Der Betrachter eines Fotos identifiziert sich mit dem Blick, der Position der Kamera bei der Anschauung des fotografischen Ausschnitts auf dem gerahmten Foto. Der Zuschauer im Kino identifiziert sich ebenfalls mit der Position der Kamera, wenn er die Projektion des Films auf die „gerahmte“ Leinwand betrach-
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tet. Zusätzlich zwingt ihn die Sitzanordnung in eine Fixierung, die dem Zuschauer eine zentrale Stellung im Sehraum zuteilt. „An die Stelle virtueller Linien und Netze der Renaissance-Perspektive sind gegenständliche Apparate getreten, Dinge einer neuen Medienordnung, die dennoch die alte Sehordnung fortsetzen und radikalisieren. Die Apparate vergegenständlichen die Gesetze, nach denen die Welt gesehen und dargestellt werden soll; sie produzieren als Zeichenapparat, später Foto-, schließlich Filmkamera nicht nur Bilder von der Welt, sondern auch den Blick, mit dem die Welt, die sie in Ihrem Ausschnitt darstellen, gesehen werden soll“ (Paech 1991, 45f.).
Die apparativ verwirklichte Zentralperspektive und der Ausschnitt im Sinne einer gerahmte Darstellung als Merkmale medialer Dispositive bilden die Grundlage, auf der homologische Verbindungen und Analogiekonstruktionen zu Apparaten der mechanischen Fortbewegung, wie dem Zug und dem Automobil, gezogen und entwickelt werden. 7.1.3.2 Vom Zug zum Panorama zum Film zum Automobil: Dispositive Analogiebildungen Neben der Entwicklung der Zentralperspektive ist die Erfahrung von technischer Bewegung und Beschleunigung ein weiteres entscheidendes Moment, welches die Seherfahrung seit dem Beginn der Industrialisierung prägte. Besonders die Durchsetzung der Eisenbahn beginnend in den 1830er-Jahren und die damit verbundene Erfahrung der beschleunigten und kollektiven Distanzüberwindung als einer Verdichtung von Raum und Zeit (vgl. Schivelbusch 2000 [1977]) gelten als kulturgeschichtliches Ereignis entscheidender Größe. Einerseits veränderte die Eisenbahn, genauer gesagt, die Fahrt darin, das Distanz-, Orts-, Geschwindigkeits- und Sozialgefühl, indem es die Menschen in vielfältiger Hinsicht näher zusammenrücken ließ (vgl. ebd.). Andererseits gilt die Wahrnehmung der Umwelt durch den Blick aus dem Fenster des Zuges als ein Vorläufer des filmischen Sehens. Schivelbuschs Analogie- und Homologiebildungen selbst bleiben auf einen Zusammenhang zwischen der Eisenbahnfahrt als einer Einübung des „panoramatischen Blicks aus dem Abteilfenster“ (Schivelbusch 2000 [1977], 59) und einem Vorläufer des Kinos, dem seit Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Panorama und seiner zentralperspektivischen Abbildung eines Rundumblicks (vgl. Comment 2000 [1999]), begrenzt. Schivelbusch spricht von der Eisenbahn nicht als Dispositiv, kommt dem aber sehr nahe, wenn er sie als ein maschinelles Ensemble charakterisiert.
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„Die Eisenbahnstrecke ist jedoch nur Ausdruck des technischen Bedürfnisses der Schiene, die ihrerseits das konstitutive Element des maschinellen Ensembles Eisenbahn darstellt. Die Entrückung der Landschaft durch die Eisenbahnstrecke ist die eigentliche Entrückung der Landschaft durch das maschinelle Ensemble. Anders gesagt, das maschinelle Ensemble schiebt sich zwischen den Reisenden und die Landschaft. Der Reisende nimmt die Landschaft durch das maschinelle Ensemble hindurch wahr“ (Schivelbusch 2000 [1977], 27f.).
Die Ausführungen Schivelbuschs legen den Grundstein für ein Denken, welches Verbindungen zwischen der Eisenbahnfahrt und dem Kino oder auch der Automobilfahrt und dem Film zieht. Nur vor diesem Hintergrund sind auch die Analogien zwischen Automobilfahrt und Film zu verstehen. Intensiv mit dem Zusammenhang zwischen Film und Eisenbahn unter Verweis auf Schivelbusch beschäftigt sich beispielsweise Lynne Kirby, die in Parallel Tracks. The Railroad and Silent Cinema nachzeichnet, dass die Wahrnehmung des Kinobesuchers mit der des Eisenbahnreisenden vergleichbar ist und die Darstellung der Eisenbahn ein wesentliches Element des amerikanischen Stummfilms und seiner Geschichte ist (vgl. Kirby 1997). Das Dispositiv als gemeinsamer argumentativer Bezugspunkt tritt dann bei Joachim Paech in den Vordergrund. Laut Paech kann die „Geschichte des filmischen Sehens als Entwicklung aufgefaßt werden; dem Sehen von Filmen ist also filmisches Sehen vorangegangen in der homologischen Bewegungswahrnehmung durch das historisch ältere Dispositiv der Eisenbahn(fahrt)“ (Paech 1985, 42, Herv. i. O.). Im Wesentlichen wird die dispositive Beziehung abgeleitet, bei Paech aber später auch bei Thomas Koebner, über die einerseits verwandte Sitzanordnung, die der Zentralperspektive entspricht. „In der Tat hat die An-Ordnung der Eisenbahn(fahrt) vieles mit der An-Ordnung Kino gemeinsam. So wird der Reisende im Abteil zum Zuschauer (s)einer Bewegung, die er nun getrennt von sich, der bewegungslos ist, visuell wahrnehmen kann, da sie sich nur dem Blick aus dem Abteilfenster mitteilt. Der Zuschauer seiner eigenen Fortbewegung am Abteilfenster findet sich bewegungslos bewegt – und das gleiche gilt für einen Kinozuschauer, der einen Film sieht“ (Paech 1985, 42).
Andererseits spielt die Rahmung des Visuellen, das Bild- und Leinwandartige, ebenfalls eine Rolle bei der Konstruktion von Parallelen zwischen dem Dispositiv Eisenbahnfahrt und der Filmwahrnehmung im Kino, was besonders Koebner in Ergänzung zu Paech herausstellt. „Wiederum scheint der Vergleich [zwischen Zugfahrt und Filmrezeption im Kino, Anmerk. d. A.] klug und treffend, als das Abteilfenster einem Bild in einem Rahmen gleichgestellt wird, in dem skizzenhaft und real farbige Bilder ihrer Platz finden“ (Koebner 2000a [1997], 53).
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Bei der Zugfahrt und der Filmrezeption im Kino sind also die unbewegte Sitzposition und die aus dieser heraus betrachtete reale bzw. illusionierte Bewegung innerhalb der gerahmten Fläche des Zugfensters bzw. der Leinwand die homologen Elemente, die dazu führen, die Bewegungswahrnehmung des Dispositivs Eisenbahn als einen Vorläufer der Filmwahrnehmung im Kino zu betrachten. Diese Betrachtung ist ein kreativer und aufschlussreicher Versuch, Strukturen zu verbinden: sie benennt strukturähnliche Beziehungen zwischen Eisenbahn und Filmwahrnehmung, die beide unsere Wahrnehmung der Welt verändert haben. Trotzdem sollte ihre Gültigkeit nicht überbeansprucht werden, da wie Koebner, im Gegensatz zu Paech, selbst betont, die Verknüpfung des Wahrnehmungserlebnisses Eisenbahnfahrt und Kino ein verbreiteter und gewohnter Gedanke ist, der skeptisch betrachtet werden sollte. Die Skepsis „gilt vornehmlich allzu rasch gefertigten Konstruktionen, die zu jedem beliebigen historischen Zeitpunkt eine Einheit der Wahrnehmung unterstellen wollen, als hocke der Hegelsche Weltgeist breit und ungeschlacht auf allen Kulturphänomenen zugleich (Koebner 2000a [1997], 49). Daneben verweist diese Art der analogisierenden Vergleichsführung auf ein grundsätzliches Problem des Dispositiv-Begriffs: „seine derzeitige Konjunktur und semantische Unschärfe in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen und Wissensbereichen (…)“ (Lommel 2002, 66). An dieser Stelle sei bei der Eisenbahnfahrt im Gegensatz zum Kino nur auf die nicht zentralperspektivische Sitz- und Seh-Anordnung in seitlicher Position zum Abteilfenster sowie die Wahrnehmung von zwar durch den fahrenden Zug als bewegt illusionierte, aber dennoch reale und nicht projizierte Welt verwiesen. Wie die Konstruktion einer Wahrnehmungsverwandtschaft zwischen Zugfahrt und Filmwahrnehmung ist auch die zwischen Automobilfahrt und der Wahrnehmung filmischer Medien stark mit den nachvollziehbaren Vorwürfen der Beliebigkeit behaftet. Ihr Zusammendenken ist aber nur vor der Tradition der argumentativ bemühten Verbindungen zwischen Zugfahrt und Filmwahrnehmung nachvollziehbar, da besonders die beiden (dispositiven) Elemente – Mensch-Apparat-Anordnung und gerahmte Blickfläche – auf der Grundlage der im Automobil veränderten Bedingungen im Mittelpunkt der Analogien und Homologien herausarbeitenden Betrachtungen zum Verhältnis von Automobil und filmischen Medien stehen. Eine aufschlussreiche Formulierung zur Weiterführung der Argumentationslogik wählt Jacques Aumont, wenn er nach der Beschreibung der DispositivVerwandtschaft zwischen Eisenbahn und Kino erklärt: „Ich habe den Zug genommen, denn an ihn hat das Kino zuerst gedacht. Weder Auto noch Straßen waren schon erfunden. Doch das Auto und die Straße teilen die gleiche Übereinstimmung mit dem Kino. Autofahren heißt, die Landschaft vorbeiziehen zu lassen wie im Panorama; und außerdem den Asphaltstreifen sich entrollen zu lassen,
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wie die Gleise unter der Lokomotive vorbeiziehen und wie der Film aus dem Projektor abrollt“ (Aumont 2007 [2004], 118).
In strukturell noch starker Anlehnung an die Eisenbahn, zieht Aumont Verbindungen zwischen dem bereits von Schivelbusch (2000 [1977]) beschriebenen panoramatischen Sehen während der Zugfahrt und überträgt es auf die Autofahrt. Auch die Schienen des Zuges nutzt er zu einer Analogiebildung mit den Fahrbahnbegrenzungen auf der Straße, um eine Verbindung zwischen der Bewegungswahrnehmung während der Autofahrt und der im Kino zu ziehen. Damit verbleibt Aumont, ohne direkt darauf einzugehen, in der Logik des Dispositivs der Eisenbahn, indem er wesentliche Elemente (z.B. die Zentralperspektive bzw. in diesem Fall das zentralperspektivische Panorama) argumentativ nutzt, um sie für den Vergleich zwischen Autofahrt und Kino fruchtbar zu machen. Aufschlussreich ist allerdings seine Begründung für dieses Vorgehen: „Ich habe den Zug genommen, denn an ihn hat das Kino zuerst gedacht. Weder Auto noch Straße waren schon erfunden“ (ebd., 118). Denn Aumont irrt. Das Auto wurde 1885 erfunden und existierte damit bereits vor dem Film bzw. vor der ersten Kinovorführung im Jahr 1895. Berechtigt auch die Frage, warum das Kino zuerst an den Zug gedacht haben soll? Sicherlich beförderte der erste öffentlich vorgeführte Film der Gebrüder Lumiéres Arrivée d’un train à La Ciotat (R: Auguste & Louis Lumière, Frankreich 1897) mit dem bekannten Zugmotiv und den sich darum rankenden Mythen maßgeblich die Schlussfolgerung einer starken Affinität besonders des frühen Films zur Eisenbahn. Aber das Automobil war, seit den Anfangstagen des Films ebenfalls ein beliebtes Motiv und Darstellungsobjekt (vgl. Müller 2004, Smith 2009 [1980]). Als nachvollziehbare Begründungen für eine Bevorzugung der Eisenbahn gegenüber dem Automobil sind Aumonts Ausführungen also nicht geeignet, aber sie weisen auf ein entscheidendes Phänomen hin – die Beliebigkeit und die inflationäre Verwendung des dispositivtheoretischen Ansatzes. Eine Äußerung wie „ich habe den Zug genommen“ im Sinne von, war halt gerade nichts anderes da, ergänzt durch „doch das Auto und die Straße teilen die gleiche Übereinstimmung“ sprechen für sich. Konkrete Entwürfe einer strukturellen Verwandtschaft zwischen Automobil und Film vor dem Hintergrund des Dispositivs sind, wie bereits erwähnt, schon bei Virilio (z.B. 1978, 1986) angelegt, finden aber ihre Konkretisierung bei Paech (1989). Ausgehend vom Flug als einer Radikalisierung der Eisenbahnfahrt, in Bezug auf die Möglichkeit der individuellen Festlegung der Distanz der sehenden Person zum betrachteten Objekt und dem Einfluss des Sehenden auf die Wahl des betrachteten Ausschnitts, der hier noch eingeschränkter ist als während der Eisenbahnfahrt, beschreibt Paech auch die Autofahrt als dispositive (Wahrnehmungs)anordnung.
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„Die Form des Individualverkehrs im Auto gibt dem Wahrnehmungssubjekt einen Teil seiner realen Verfügung über die dispositive Situation zurück; die Windschutzscheibe ist noch immer die Projektionsfläche, auf der sich die Bewegung dem selbst unbewegten Fahrer abbildet. Aber der Fahrer kann die Projektion lenken, kann (mit-) bestimmen, was auf der Scheibe zu sehen sein soll, er kann die Fahrt verlangsamen und stoppen oder abbiegen, wo es die Straße zulässt. Die Autofahrt macht (ähnlich wie das Fliegen) die Umgebung zu einem Bestandteil ‚ihres’ Dispositivs; die Autobahn ist (…) der antizipierte Film, den die Fahrt narrativ ‚aufrollt’, während der Fahrer jedoch dem ‚Programm’ gegenüber die Freiheit anzuhalten hat, zu wechseln, auszusteigen etc.“ (Paech 1989, 74f., Herv. i. O.).
Die Windschutzscheibe (auch hier eine Rahmung des Blickfeldes) des Automobils wird in Paechs Schilderung das Äquivalent zur Kinoleinwand und die durchfahrene, durch die Scheibe wahrnehmbare Umgebung wird zum Film. Wie im Kino ist der Betrachter im Sitz fixiert, blickt zentralperspektivisch auf die Windschutzscheibe – nur kann er, um in Paechs Terminologie zu bleiben, das Programm selbst wählen. Dadurch, dass der Autofahrer das Automobil selbst lenkt, bestimmt er selbst, was vor bzw. in der Windschutzscheibe auftaucht und ist nicht, wie im Kino, durch die im Film sich entwickelnde Narration bestimmt. Rupert Stuhlemmer bringt es im Sinn von Paech auf den Punkt, wenn er in seiner Arbeit über das Verhältnis von Ufa-Stars und Automobilen schreibt: „Doch ist das alles vorgefertigt [im Film, Anm. d. A.] und muß passiv aufgenommen werden, während der Autobesitzer seine Ziele nach Lust und Laune ansteuert, unabhängig überdies vom jeweiligen Fahrplan“ (Stuhlemmer 1991, 10). Ganz nebenbei referiert Stuhlemmer durch den Verweis auf die Unabhängigkeit des Automobils vom „jeweiligen“ Fahrplan auf einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Dispositiv Automobil(fahrt) und dem der Eisenbahn(fahrt) – die Individualität und Automobilität des Automobils und seiner Insassen. Auch Virilio (z.B. 1978, 1986) widmet sich in seinen Überlegungen besonders den beiden Grundelementen, Zentralperspektive und Rahmung des Dispositivs, und sieht in ihnen noch direkter als Paech die Möglichkeit zur Analogiebildung. So referiert er, weshalb er hier noch einmal aufgenommen wird, auf die Beziehung der Windschutzscheibe im Auto zur Kinoleinwand, indem er schreibt: „Was sich in der Frontscheibe bzw. davor abspielt, ist Kino im direkten Sinne“ (Virilio 1986, 188). An anderer Stelle überhöht er die zentralperspektivische Identifikation des Zuschauers mit der Kamera und überträgt sie auf das Automobil. „In der Tat ist das Auto ein Projektor, ein Projektor, dessen Geschwindigkeit wir mit der Schaltung regeln“ (Virilio 1978, 39). Auch der ebenfalls von Paech betonte Individualismus während der Autofahrt kommt hier bei Virilio zum Ausdruck, da mit der Regelung der Geschwindigkeit auch der Eindruck des Umweltausschnitts gesteuert wird, der vor der Windschutzscheibe sichtbar wird.
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Der Bezug des Automobils zum Film ergibt sich bei Virilio jedoch nur aus dem Kontext bzw. seiner Art der Argumentation und Schlussfolgerung (vgl. Kapitel 7.1.2), da er den Begriff des Dispositivs nicht explizit erwähnt. Die Grundlage seiner Vergleiche zwischen Automobil und Film ist sein Verständnis der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung als einer Geschichte des Transports bzw. der Transportmittel im Rahmen der von ihm begründeten Dromologie. Auch wenn sie gänzlich unterschiedliche Inhalte transportieren, „der Motor des Autos und der des Projektors haben einen ähnlichen Effekt: beides sind Übertragungsmittel“ (Virilio 1978, 19f.). Auf diese Weise sind sie für Virilio strukturell vergleichbar und analogiefähig. Die Sinnhaftigkeit solcher Strukturverwandtschaften und -analogien kann generell angezweifelt werden, dennoch machen sie innerhalb des DispositivGebäudes von Paech bzw. dem der Dromologie von Virilio Sinn, funktionieren sie doch in diesen Konstruktionen unproblematisch und einleuchtend. Weiterhin legen sie den Fokus auf Wahrnehmungs-, Seh- und Perzeptionsähnlichkeiten verschiedener technischer Apparaturen, innerhalb einer technikdeterministischen Auffassung von Medien- und Gesellschaftgeschichte, die so nicht akzeptiert werden müssen, aber als gedankliche Konstruktionen und empirische Kategorien aufschlussreich sind. Weitgehend losgelöst von diesen theoretischen Verortungen bzw. ohne direkt auf diese hinzuweisen, tauchen im Analyseteilkorpus filmtheoretische Äußerungen auf, die ebenfalls eine Beziehung zwischen dem Automobil und dem Film thematisieren – und dabei mehr oder weniger mit Analogie und Strukturähnlichkeiten argumentieren. Auch wenn diese Texte keine wirklichen Filmtheorien sind, so sind es doch filmtheoretische Reflexionen, die deshalb hier nicht außen vor gelassen werden sollten. Auf die verwandten dispositiven Strukturen von Automobilfahrt und Filmwahrnehmung geht Jan-Christopher Horak ein. „Die Filmapparatur verändert auf radikale Weise die menschliche Wahrnehmung von Zeit und Raum. Dieser Prozeß hatte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Eisenbahn begonnen und setzte sich mit der Verbreitung des Automobils fort. Die neuen technischen Fortbewegungsmittel ermöglichten das Zurücklegen von Entfernungen in Anfang des 19. Jahrhunderts noch unvorstellbarer Geschwindigkeit: Die Reisenden rasten durch den Raum und blieben gleichzeitig statisch auf ihrem Sitz. Sie bewegten sich und blieben doch regungslos – und sie betrachteten die vorbeiziehende Landschaft, ohne je wirklich Teil von ihr zu werden. Diese Wahrnehmungserfahrung ähnelte der Erfahrung im Kino, wo die Zuschauer statisch auf ihrem Sitz verharren, während sie vermittelt durch die Filmkamera die Erfahrung von Bewegung machen“ (Horak 2003, 103f.).
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Horak greift besonders die verwandte Seh- und Sitzanordnung zwischen Automobil und Kino auf und betont die Starrheit der Anordnung bei gleichzeitig erfahrener Bewegung, wie sie Baudry für die Wahrnehmung der illusionierten Bewegung des Films als charakteristisch beschreibt. Auf den entscheidenden Unterschied zwischen Automobil und Eisenbahn vor dem Hintergrund des Films geht Gertrud Koch (1986) in einer der wenigen deutschen Publikationen ein, die sich explizit mit dem Phänomen des Autofahrens im Film beschäftigt. „Die Eisenbahn fährt auf Schienen, Flugzeuge fliegen festgelegte Routen. Das Auto, über dessen soziale und technologische Konstruktion und Zukunft das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen ist, repräsentiert als ästhetisches Mittel [also als ein Mittel der sinnlichen Wahrnehmung, Anm. d. A.] der Fortbewegung die Aura des Unvorhergesehenen. Ziellos zerstreut kann sich verhalten, wer ohne Ziel im Kopf das Auto besteigt, wer einen Zug zerstreut besteigt, sitzt schon im falschen und befindet sich in einer Komödie“ (Koch 1986, 205).
Die Möglichkeit der Selbstbestimmung, die Paech (1989) als Wiedererlangung der realen Verfügung über das Dispositiv beschreibt, thematisiert Koch als Aura des Unvorhergesehenen – unvorhergesehen, da das Sichtbare nicht vorbestimmt ist, sondern fahrend selbst gewählt werden kann. Der Autofahrer bestimmt, was in seiner Frontscheibe als Element des Dispositivs erscheint. Oder, wie es das Zitat von Anne Friedberg unter Rückbezug auf Virilio in A. L. Rees Ausführungen über das Automobil als ein Index des Visualität ausdrückt: „What goes on in the windscreen is cinema in the strict sense, Paul Virilio has said. Anne Friedberg has echoed this idea: … the private mobility of driving transforms the windscreen into a synoptic view’” (Rees 2002, 88). An anderer Stelle geht Rees selbst indirekt auf das dispositive Moment ein. “Not surprisingly, the cinema has been fascinated by its own connections with cars (sitting in a seat and facing forward) [ein Verweis auf die zentralperspektivische Anordnung, Anm. d. A.] and by its differences (immobility of the body, mobility of the eye)” (Rees 2002, 93). Interessanterweise werden hier Elemente als Unterschiede zwischen Film und Auto angeführt, die innerhalb der Dispositiv-Diskussion verwandte Elemente sind – die Fixierung des Körpers findet sich in der apparativen Anordnung des Kinos sowie in der des Autos. Allerdings gehen die Betrachtungen darin auch nicht über den Körper an sich hinaus. Die Augen selbst sind natürlich beweglich, was Rees verdeutlicht. Denkt man das Dispositiv jedoch von der Freiheit des Blickes aus, in Bezug darauf, sein Sehziel selbst zu bestimmen, gibt es natürlich einen Unterschied zwischen der Autofahrt und der Filmwahrnehmung im Kino. Im Kino ist der Blick, wenn er sich auf die Leinwand fixiert, nicht frei – er wird durch den anlaufenden Film geleitet. Im Automobil hat der Fahrer die Möglich-
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keit, das Fahren durch das Lenken selbst zu bestimmen, und damit auch, was vor der Frontscheibe erscheint. In dieser Hinsicht ist dann auch der Körper im Automobil real in Bewegung, während er sich im Kino nur imaginär bewegt. Auch wenn diese Interpretation die Analogien zwischen Automobil und Kino hinterfragt, bleibt sie argumentativ innerhalb des Verwandtschaftsverhältnisses sowie der Dispositivlogik und geht dabei nur noch weiter ins Detail. Da aus Rees’ Worten aber nicht klar wird, worauf sich „immobility of the body, mobility of the eye” beziehen und in welchem Verhältnis sie auf die Beziehung zwischen Automobil und Kino anzuwenden sind, bewegt sich meine Interpretation zu sehr im Spekulativen, als dass sie hier fortgeführt werden sollte. Zugespitzt formuliert, zeigt sich an dieser Stelle die Schwäche des Dispositivs, es wird beliebig, wenn man es nur über Analogien oder pseudomorphische Beziehungen denkt. Eine Steigerung erfährt die Dispositiv-Verwandtschaft zwischen Automobil und Film, wenn bei Michel Rutschky die strukturelle Beziehung zu einer Einheit verschmilzt, die er folgendermaßen paraphrasiert: „Das Auto ist eine Kamera“ (Rutschky 1997, 162). Durch das Fahren, so Rutschky, nehmen die Insassen die Umwelt durch die Frontscheibe wie durch eine Kamera genauer und fokussierter wahr als im Alltag und bleiben dennoch in einer Art imaginären Welt, die an den Film erinnert, da sie von den Objekten entfernt bleiben. Das Auto wird zu einer Kamera, die die Umwelt ausschnitthaft erfasst und sie gleichzeitig zu einer Illusion werden lässt. Das Dispositiv-Moment wird deutlich, wenn Rutschky schreibt: „das amerikanische Auto transferiert den Fahrer in einen imaginären Raum, der unendlich weit von der gewohnten Objektwelt entfernt scheint. Das amerikanische Auto verwandelt im Fahren alles, was vor seinen Fenstern sich abspielt, in Kino, von dessen Bildbewegung der Zuschauer unbedingt ausgeschlossen bleibt. Er kann ihnen nur durch Zuschauen beiwohnen. (…) Man kann die Perspektive also umkehren: Der Blick aus dem Auto transferiert die Objektwelt ins Imaginäre. Das sollte für jedwedes Auto in jedwedem geographischen Raum gelten; amerikanisch daran ist, daß Auto wie Kino dortselbst ihre größten Triumphe feierten und von den USA aus die Welt eroberten“ (Rutschky 1997, 163).
Auch wenn Rutschkys Begründung des „Amerikanischen“ am Automobil und Kino recht simpel wirkt, so spezifiziert er doch ein dispositives Element des Kinos genauer. Den Abstand des Zuschauers zum Objekt des Sehens – also zur Leinwand. Im Kino verursacht die Fixierung zugleich eine „räumliche Distanzierung von Betrachter und Bild (…)“ (Paech 1989, 71). Erst diese Distanzierung ermöglicht es dem Zuschauer, sich dem Geschehen auf der Leinwand anzunähern und sich einen Sehraum selbst zu schaffen, der es ermöglicht, das auf der Leinwand Imaginierte wahrzunehmen. Laut Rutschky vermag das Auto es nun, die durchfahrene Welt zu einem imaginären Raum zu transformieren und dem Kino gleich vor der Windschutzscheibe erscheinen zu lassen. Womit abermals
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die Analogie zwischen Kino- und Automobil-Dispositiv argumentativ mitzuschwingen scheint, obwohl sie von Rutschky nicht benannt wird. Explizit auf das Dispositiv geht jedoch Tina Hedwig Kaiser (2008) ein, indem sie ebenfalls auf das Element der Distanz eingeht und diesem eine zentrale Position zuweist. „In dieser Ordnung von Gefühl und Wahrnehmung ergeben sich dergestalt neue Sichtweisen. Im imaginären Entfernungssehen auf der Kinoleinwand wird das Entfernungssehen der tatsächlichen Fahrt erstaunlich gesteigert, da sie uns bereits in die Nähe eines losgelösten Sehens bringt. So erlebt dieses Sehenwollen einen Rückhalt gerade in der Sicherheit des Kinosessels. Das Abrupte sowie Genießerische einer solchen Wahrnehmung schafft die Voraussetzung für das zuvor Genannte. Die Distanz ist zugleich durch das Kamera- und Kinodispositiv abgesichert, das Leinwandgeschehen bringt jedoch den Schock wieder“ (Kaiser 2008, 40).
Die Distanz als Abstand zwischen Sehendem und Sichtobjekt wird hier zum verbindenden Element zwischen dem Sehen im Auto und dem im Kino und zum sich aus den jeweiligen, jedoch miteinander verwandten Dispositiven ergebenden Element, welches die Wahrnehmung des Sichtbaren erst ermöglicht. Das dispositive Element des Distanzierens und der Umgang mit diesem steigern sich bei Amelie Soyka durch eine Verbindung mit der Bewertung und Verarbeitung des durch die Windschutzscheibe im Auto bzw. auf der Kinoleinwand Wahrgenommenen. „Im Moment des Fahrens entrückt dem Auto-Insassen die Welt und erscheint wie im Kino, und zwar gedoppelt: Zukünftiges im großen Rahmen der leinwandförmigen Windschutzscheibe und das zurückgelassene Vergangene im kleinen Rahmen des Rückspiegels (…)“ (Soyka 2002, 28f.).
Auch Peter Sloterdijk scheint in Rollender Uterus auf das Dispositiv Automobil zu verweisen. Für ihn ist das Automobil „eine um den einzelnen Fahrer herumgebaute platonische Höhle mit dem Vorzug, daß man in ihr nicht angeschmiedet sitzt, sondern die fahrende Privathöhle Ausblicke auf eine vorbeigleitende Welt gewährt“ (Sloterdijk 1997, 170). Zwar spricht er nicht die Verwandtschaft zum Kino an, dennoch rekurriert Sloterdijk auf das von Baudry bemühte Ursprungsdispositiv, die platonische Höhle, die er auf die Situation der Filmwahrnehmung überträgt, und die damit verbundene Determinierung der Anordnung des Sehenden. Einen eher praktischen Hinweis zur Optimierung der dispositiven Sehanordnung im Automobil gibt Stéphane Mallarmé, den Friedrich Kittler einmal im Rahmen der Entwicklung und Perfektionierung der Bewegungsillusion im Stummfilm (vgl. Kittler 2002) und ein anderes Mal vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Psychoanalyse, Romantik und Filmgeschichte (vgl. Kittler 1993) reformuliert:
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„den Fahrersitz im eben erfundenen Auto nach hinten, also hinter die damaligen großbürgerlichen Autobesitzer zu verlegen, und die vordere Glasscheibe so groß wie möglich zu machen. Dann würden die Autobesitzer nämlich, ohne ihre eigene Bewegung überhaupt wahrzunehmen und ohne Sehhindernisse wie den Chauffeur vor sich zu haben, in die Illusion geraten, die Straße und Landschaften vor ihnen öffneten und vergrößerten sich im Vorbeifahren von selbst“ (Kittler 2002, 231).
Mallarmés Vorschlag mag heute etwas eigenartig anmuten, stammt er doch aus der Frühzeit des Automobils, in der die wohlhabenden Besitzer ihre Autos nicht selbst fuhren, sondern gefahren wurden und daher hinter dem Fahrer saßen. Zwar wurde Mallarmés Vorschlag nicht realisiert, es entwickelten sich jedoch bereits in der ersten Hälfte der 1910er-Jahre die sogenannten Herrenfahrer oder Selbstlenker (vgl. Bachmair 1986), als die reichen Automobilbesitzer als Zeichen der Individualisierung und des Fortschritts nicht mehr am Ideal des durch die Kutsche traditionalisierten Gefahrenwerdens festhielten. Auch wenn Mallarmé freilich noch nicht den Begriff des Dispositivs verwendet, so zeigen sich jedoch bereits in dieser frühen Äußerung Hinweise auf eine Auseinandersetzung mit der Sehanordnung im Automobil und der Illusion der sich vorbeibewegenden Landschaft – einer der Filmwahrnehmung verwandten Illusion, die auch bereits bei Victor Klemperer (1992 [1911/12]) und der anonymen Darstellung (1977 [1917]) in der Textsammlung von L’Herbier (1977 [1946]) angelegt zu sein scheint. Alles in allem ist das Thematisieren von Automobil und Film vor dem Hintergrund der Dispositivtheorie filmischer Wahrnehmung eine spezifische Form des Zusammendenkens von Automobil und Film im Rahmen der Filmtheorie. In ihr findet die Analogiebildung zwischen Automobil und Film, die die Filmtheorie durchzieht, ihren Höhepunkt, da sie mit den Betrachtungen Baurdys (1999 [1975], (1993 [1970]) zum Dispositiv der filmischen Wahrnehmung wird und durch zahlreiche sich darauf berufende Filmtheoretiker eine filmtheoretische Basis erhält. Die Dispositivtheorie als solche entwirft noch keine Verbindungen zum Automobil, wird aber von zahlreichen anderen Autoren genutzt, um homologe, strukturelle und pseudomorphische Verbindungen zwischen dem Automobil und filmischen Medien (Film/Kino, Fernsehen) hinsichtlich vergleichbarer Seh- und Wahrnehmungsanordnungen zu entwerfen, die dann den Dispositivbegriff auf das Automobil übertragen. Diese Reduktion der filmischen Wahrnehmung, aber auch der Wahrnehmung der Situation des Autofahrens als eine von der Mensch-Apparat-Anordnung determinierte, macht es möglich, verschiedene Einzelelemente dieser Anordnungen aufgrund struktureller Ähnlichkeiten – z.B. zwischen Leinwand und Windschutzscheibe – zueinander in Beziehung zu setzen. Daraus lässt sich eine Verwandtschaft ableiten zwischen der Wahrnehmung der durchfahrenen Umgebung und der des Films auf der Leinwand, die in der unterschiedlichsten Intensität und Qualität ausgedeutet wird.
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Da die Dispositivtheorie der filmischen Wahrnehmung einen entscheidenden Wandel im Rahmen der Filmtheorie im Sinne einer (weiteren) Abwendung von konkreten filmischen Inhalten und Filmästhetiken hin zur apparativen Dimension des Films darstellt, wurde ihr hier so viel Platz eingeräumt, auch wenn ihr Begründer Baudry nicht auf das Automobil eingeht. Sie konnte außerdem nicht außer Acht gelassen werden, da zahlreiche Autoren diesen theoretischen Ansatz nutzen, um Verbindungen zwischen Automobil und Film zu entwerfen. Der Bereich der Betrachtung von konkreten Filmtheorien wurde also verlassen zugunsten einer Betrachtung der Übertragung einer Filmtheorie auf andere Bereiche im Rahmen filmtheoretischer und filmwissenschaftlicher Reflexionen. Im Zuge dessen kam es an einigen Stellen auch zu einer Vermischung von Film und Fernsehen, da einige Autoren, wie Virilio (z.B. 1978, 1986), nicht immer explizit zwischen diesen beiden filmischen Medien unterschieden haben oder Bachmair (1986, 1996) gerade explizit auf die Verbindungen zwischen Automobil und Fernsehen abgehoben hat. Diese theoretische Betrachtung nicht mehr nur eines Mediums, dem des Films, sondern eine Theoretisierung des Films im Verbund mit anderen Medien im Rahmen von Medientheorien ist ebenfalls eine Tendenz im Rahmen der Theoretisierung des Films, die bereits in den 1960er-Jahren mit McLuhan (1995 [1964]) einsetzte. 7.1.4 Zwischenfazit: Automobildiskurs Die Auseinandersetzung mit dem Automobil innerhalb technikdeterministischer Theoretisierung zum Film findet nahezu ausschließlich über Analogien zwischen Automobil und Film statt. Zwar verweisen McLuhan (1995 [1964]) – indem er indirekt auf die Automobilverfolgungen in amerikanischen Stummfilmen referiert – und Virilio (z.B. 1978, 1986) – der an zahlreichen Stellen die Beschleunigung und Geschwindigkeit von filmischem Informations- und automobilem Personentransport zueinander in Beziehung setzt – andeutungsweise auf die Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, aber sie fassen dieses Diskurselement nicht als inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Automobil im Film, sondern als Verhältnis von Automobil und Film. Dadurch kehren sie es wiederum in eine Analogie zwischen Automobil und Film um. Die Dispositivtheorie filmischer Apparate, wie sie Baudry (1999 [1975], (1993 [1970]) entwirft, thematisiert das Automobil selbst überhaupt nicht. Vor ihrem Hintergrund werden jedoch durch andere Autoren zahlreiche strukturellen Beziehungen zwischen der Apparatur des Films und dem Automobil entwickelt. Im Gegensatz zu bisherigen Analogiebildungen als Teil des Automobildiskurses der Filmtheorie, sind die entworfenen Anverwandtschaften zwischen
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Automobil und Film bei McLuhan und Virilio auf das Engste mit ihren auf dem Primat der Technik beruhenden theoretischen Grunddimensionen, die gleichzeitig die verbindende Klammer zwischen den einzelnen Medien, so auch dem Automobil und dem Film bilden, verbunden. Indem McLuhan in der vom Menschen aus gedachten Technik, dem Medium, die Botschaft sieht, die eine positive Veränderung der Wahrnehmungs- und Lebensverhältnisse, unabhängig vom transportierten Inhalt bringt, entwirft er auch seine grundsätzliche Verbindung zwischen Automobil und Film. Beide tragen zur Individualisierung des Menschen bei und transportieren dadurch ein und dieselbe Botschaft. Für Virilio (z.B. 1978, 1986) ist das den Film und das Automobil verbindende Moment das Konstrukt der Dromologie, eine Theorie der Geschwindigkeit und des Transports als die Menschheit durchwirkende Entität. Auf dieser Grundlage zieht Virilio Analogieschlüsse, die das Automobil wie den Film als eine technische Entwicklung deuten, die den Menschen nicht positiv voranbringt, wie bei McLuhan, sondern die ihn zu einer physischen und psychischen Automobilität zwingt, die ihn letztlich ortlos werden lässt. Zur Veranschaulichung dieser pseudomorphischen Beziehung zwischen Automobil und Film entwirft Virilio Metaphern, die die Frontscheibe des Automobils zur filmischen Leinwand werden lassen. Damit verweist er, ohne es explizit zu benennen, auf die strukturell vergleichbare Seh- und Wahrnehmungsanordnung zwischen dem vor den Leinwand sitzenden Zuschauer während der Filmrezeption und dem im Auto Sitzenden, der durch die Frontscheibe auf die Fahrbahn und die durchfahrene Umwelt schaut. Diese konstruierte Beziehung stellt die Grunddimension sämtlicher Ausdeutungen der Analogien zwischen Automobil und Film vor dem Hintergrund der Dispositivtheorie filmischer Apparate dar. Alle drei theoretischen Ansätze, die hier unter dem Begriff des Technikdeterminismus subsumiert wurden, integrieren damit ein spezifisches Element des Automobildiskurses in ihre Theoretisierungen zum Film. Dadurch, dass sich keiner der Entwürfe mit den Inhalten und ästhetischen Mitteln des Films auseinandersetzt, sondern die technische Apparatur in den Mittelpunkt stellt, ohne, wie beispielweise die Formalisten, auf deren spezifische Möglichkeiten einzugehen, heben sie die Filmtheorie auf eine neue Stufe der Abstraktion. Eine Abstraktion, die im Wesentlichen auf die Bewegtheit des Automobils referiert und diese nutzt, um Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen dem Bewegtbildmedium Film und dem selbstbeweglichen Automobil zu entfalten, die für die unterschiedlichsten Interpretationen und Ausdeutungen verwendet werden. Damit zeigt sich auch im Technikdeterminismus als Teil der Filmtheorie der Automobildiskurs als Ergebnis der Verwendung des Automobils als einer theoretischen Metapher zur Bestimmung der spezifischen Konstitution des Films. Im Gegensatz zu den ästhetischen Filmtheorien, integrieren die Technikdeterministen das Automobil jedoch nicht argumentativ in ihre
7.2 Automobil und Genretheorie
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Theorieentwürfe, sondern sie entwerfen strukturelle und apperzeptive Beziehungen zwischen Automobil und Film, die nur innerhalb ihrer Denkgebäude einen Sinn machen und eine Funktion erfüllen. Damit zeigt sich auf der einen Seite die Thematisierung des Automobils in technikdeterministischen Theoretisierungen zum Film als ein Diskurs der Konstruktion von Analogien zwischen Automobil und Film, die zur Grundlage von filmtheoretischen Reflexionen werden. Auf der anderen Seite erfährt das Diskurselement der Analogiebildung eine Bedeutungssteigerung und Intensivierung, wie sie nur durch einen Abstraktionsgrad wie dem des Technikdeterminismus möglich ist. Ganz im Gegensatz dazu steht die Genretheorie des Films, die sich mit dem Wissen und Erbe der gesamten Filmtheorie im Gepäck wieder dem Inhalt und den ästhetischen Gestaltungsmitteln des Films zuwendet. 7.2 Automobil und Genretheorie Genres als Klassifikationen von Filmen nach ihrer Thematik, dem verhandelten Inhalt oder ihrer Herkunft finden sich schon in frühen filmtheoretischen Äußerungen, wie die intensive Beschäftigung mit diesen im Rahmen dieser Untersuchung eher beiläufig gezeigt hat. So nimmt beispielsweise bereits 1911 Ernst Schultze auf der Grundlage von inhaltlichen Motiven und Ausstattungselementen sowie deren Häufungen eine Kategorisierung von Filmen nach ihrem Entstehungs- und Herkunftsland vor, indem er den amerikanischen Film klassifiziert. „Wenn uns eine Jagd auf Verbrecher vorgeführt wird, die nacheinander alle möglichen Verkehrsmittel benutzen, um den Verfolgern zu entrinnen, und schließlich ihr Automobil in Brand gerät, so daß eine große Explosionskatastrophe das Ende ist –, so können wir ziemlich sicher sein, daß wir es mit einem amerikanischen Film zu tun haben“ (Schultze 1911, 23).
Ähnliche Einschätzungen eines Films als amerikanisch aufgrund inhaltlicher Merkmale finden sich auch bei Paquet (1978 [1912]) und Siemsen (1984a [1921]). 1916 spricht Max Mack vom Detektivfilm und verweist auf zahlreiche essentielle Ausstattungsobjekte, wie Pfeife, Monokel und Automobil, die diese Art von Filmen ausmachen. Im Detektivfilm – immer noch einer der gängigsten und amüsantesten Artikel – im Detektivfilm wäre die Welt ohne Autos farblos. Sie wäre wertlos, entstellt, eine Fratze und kein komplettes Kulturland, um Abenteurer und Gefahren filmmäßig erleben zu können. Der Filmdetektiv, die Blüte der Filmmenschheit, wäre ein Wahn ohne sein Auto. Er würde es so schwer entbehren wie sein Monokel oder die Pfeife“ (Mack 1916, 82).
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Eine Reflexion über Inhalte von Filmen und das Bestreben, eine „Bezeichnung von Filmgruppen, die z.B. durch typische soziale oder geographische Lokalisierung, durch spezifische Milieus oder Ausstattungsmerkmale, Figuren- und Konfliktkonstellationen oder durch besondere Themen oder Stoffe gekennzeichnet sind (…)“ – so eine Genredefinition von Eggo Müller (1997, 141) – zu eruieren, findet sich also bereits in frühen filmtheoretischen Äußerungen. Damit setzen rudimentäre genretheoretische Ansätze bereits im Deutschland der 1910er-Jahre ein, auch wenn beispielsweise Knut Hickethier diese erst viel später identifiziert. „Genretheoretische Überlegungen finden sich in Europa und in den USA jedoch schon früher, z.B. in den filmtheoretischen Schriften der 50er-Jahre (Bazin 1954, Warshow 1954)“ (Hickethier 2002, 65). Ab wann jedoch konkret von einer „genretheoretischen Überlegung“ gesprochen werden kann bzw. was eine genretheoretische Überlegung im Vergleich zu einer einfachen Klassifikation ist, kann hier nicht näher geklärt werden. So geht auch beispielsweise Rick Altman in seinem Standardwerk Film/Genre (2006 [1999]) nicht auf die erwähnten Schultze (1911) und Mack (1916) oder andere frühe filmtheoretische Schriften ein – verweist jedoch auf zwei unterschiedliche Dimensionen der Genrediskussion in der Filmwissenschaft: Auf der einen Seite die Beschäftigung mit dem Genrebegriff und seiner Historie als Klassifikationskategorien für Filme, vor allem in deren Produktions- und Vorführpraxis. Auf der anderen Seite die Entwicklung der Genretheorie im Rahmen der Filmtheorie, die sich mit den verschiedensten Funktionen und Dimensionen von Filmgenres beschäftigt. So beispielsweise die sich für den Zuschauer oder auch die Entwicklung der Gesellschaft ergebenden Folgen und Wirkungen aufgrund von erwartbaren und langfristig stereotypisierenden Inhalten auf der Grundlage von filmischen Ordnungs- und Klassifikationszwängen. 7.2.1 Genrebegriff und -geschichte als Voraussetzung der Genretheorie Die Genregeschichte setzte, so Altman (2006 [1999]), Stephen Neale (1992) oder auch Barry Keith Grant (1977), bereits in den ersten Jahren des Films ein und steht in der Tradition literarischer Textkategorien. „Während literarische Genres auf Grund von theoretischen Fragen oder praktischen Klassifikationsbedürfnissen entstanden (z.B. Bibliotheksorganisationen), diente die frühe Filmgenre-Terminologie zur knappen Verständigung zwischen Filmverleihern und Kinobesitzern. Die erste Filmgenre-Terminologie entstammte Literatur und Theater (Komödie und Romanze) oder beschrieb einfach das Thema (Kriegsbilder). Späteres Filmgenre-Vokabular stammte häufig aus spezifisch filmischen Produktionspraktiken (Trickfilm, Animationsfilm. Verfolgungsfilm, Aktualität oder Film d’art)“ (Altman 1998 [1996], 253).
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In den 1920er-Jahren nahm dann die Spezifizierung und Ausdifferenzierung der Genrebezeichnungen zu und erreichte, vor allem in Hollywood, obwohl die Genreentwicklung international erfolgte, ihren ersten Höhepunkt. „Um die Produktion von Spielfilmen zu rationalisieren und um an erzielte Erfolge möglichst sicher anzuschließen, wurden in Hollywood bereits im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts Fertigungsweisen der Filme standardisiert“ (Borstnar/ Pabst/Wulff 2002, 51).
Die sogenannten Genrefilme verloren dann Ende der 1920er- und zu Beginn der 1930er-Jahre durch die Entwicklung von Genre-Normen überschreitenden persönlichen Stilen vor allem in Europa und Deutschland mit Regisseuren wie Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang oder Ernst Lubitsch etwas an Bedeutung (vgl. Altman 1998 [1996], 256). Eine Tendenz, die innerhalb der Filmtheorie im Rahmen der Autorentheorie verhandelt wird, welche u.a. auf André Bazin bzw. eine in seiner Zeitschrift Cahiers du Cinéma stattfindende Debatte zurückzuführen ist. Die Autorentheorie wurde lange Zeit als ein die individuelle Handschrift eines Regisseurs zum persönlichen filmübergreifenden Stil erhebender Gegenentwurf zur Genretheorie angesehen, ehe sich Bestrebungen entwickelt haben, beide Ansätze miteinander zu verbinden, so beispielsweise bereits bei Andrew Tudor (1977 [1974]). Nach der Durchsetzung des Tonfilms gewann die Produktion von Genrefilmen wieder an Konjunktur, denn „die Bosse der Studios waren der Meinung, dass erfolgreiche Filme nicht das Ergebnis von individuellen Genies seien, sondern innovativ allgemeingültigen Formeln folgen“ (Altman 1998 [1996], 256). In den darauffolgenden Jahren entwickelten sich zahlreiche bis heute existierende Filmgenres, die in Kombination und Ergänzung mit den sogenannten Autorenfilmen die internationale Filmlandschaft bis heute prägen. Diese Filmgenres sind, worauf u.a. Jörg Schweinitz verweist, nicht stabil, sondern dynamisch (vgl. Schweinitz 1994). Sie unterliegen Schwankungen und Trends, werden aufgegeben und wieder reanimiert und variieren in einzelnen Elementen. Nichtsdestotrotz haben sich zentrale Genres herausgebildet, die die Filmlandschaft bestimmen, obwohl die Anzahl und Benennung von Autor zu Autor variiert. So zählt Steve Neale 13 „Major genres“ auf, die er noch ausdifferenziert (vgl. Neale 2000). Altman beschreibt drei Ursprungsgenres, das Musical, den Westen und das Biopic, aus denen sich alle anderen entwickelt haben (vgl. Altman 2006 [1999]). Nils Borstnar, Eckhard Pabst und Hans Jürgen Wulff nennen 14 klassische Genres, die sie teilweise ausdifferenzieren. Darunter nennen sie als einzige auch das Road Movie als ein klassisches Genre, welches in Kapitel 7.2.3 aufgrund der zentralen Stellung des Automobils noch genauer betrachtet wird (vgl. Borstnar/Pabst/Wulff 2002). Es sei jedoch angemerkt, dass die 1992 von Ti-
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mothey Corrigan formulierte Einschätzung, „as a film genre, road movies are frequently bypassed by some of the best studies of genre“ (Corrigan 1992, 143), auch gegenwärtig noch zutrifft, was das Erscheinen des Genres in Überblickswerken und Genreauflistungen betrifft. 7.2.2 Genretheorie Die Genretheorie ist weniger ein (geschlossener) Filmtheorieentwurf eines einzelnen Autors als vielmehr ein filmtheoretischer Ansatz, der sich die Aufgabe stellt, in einer wissenschaftlichen Form, „die wahrgenommene Komplexität von Ähnlichkeiten innerhalb einzelner Genres, die weit über den im Genrenamen gegebenen Indikator hinausreicht, mit Hilfe fixierter Systeme von Merkmalen zu beschreiben“ (Schweinitz 2002, 256).
Genretheoretiker wie Schweinitz, Altman und Hickethier, die sich auch für die Entstehung und Geschichte der Genretheorie interessieren, sehen den Beginn der Theoriebildung zur Genrefrage Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre. Dazu zählen einzelne Arbeiten aus dem Bereich der Autorentheorie in ihrer Betrachtung von Genre-Regisseuren – wie beispielsweise durch Andrew Tudor zu Sam Peckinpahs Western und dessen Auslotung von Genregrenzen sowie deren mögliche Wirkung auf den Westernerfahrenen Zuschauer (vgl. Tudor 1977 [1974]). Aber auch André Bazins Herausarbeitung eines typischen Stils der Filme des Neorealismus im Italien der Nachkriegszeit (vgl. Bazin (1975, [1958-62]) wird häufig als genretheoretische Überlegung (vgl. Hickethier 2002) beschrieben. Schweinitz führt den Beginn der Genretheorie auch auf die Filmsemiotik zurück, da Genres hier teilweise in Verbindung mit filmsprachlichen Systemen zur Darstellung kamen (vgl. Schweinitz 2002, 1994). Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass mit dem Beginn der Genretheorie das theoretische Interesse sich wieder den konkreten Inhalten und der Ästhetik von Filmen zuwandte. Stand bei den technikdeterministischen Arbeiten der Film als ein Medium in einem Medienverbund im Mittelpunkt, der losgelöst vom transportierten Inhalt betrachtet wurde (McLuhan 1995 [1964], Virilio 1978, 1986 etc.), so konzentriert sich Baudrys Entwurf auf die Mensch-ApparatAnordnung der Filmwahrnehmung. Die Genretheorie stellt damit eine weitere Ausdifferenzierung filmtheoretischen Denkens in multimedialen Zeiten dar, die sich wieder ganz stark der konkreten Betrachtung von einzelnen Filmen widmet. „Die Genretheorie untersucht Gruppen von Filmen, die stoffliche, dramaturgische, thematische oder stilistische Gemeinsamkeiten aufweisen (…)“ (Rother 1997, 125). Ausgehend von diesem übergreifenden Antrieb sämtlicher Genre-
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theorien entwickelten sich zahlreiche Ausdifferenzierungen, die unterschiedliche Aspekte der Genreproblematik behandeln. Fragen des Verhältnisses von Genre und Filmproduktion, Genre und Zuschauer, Genre und Gesellschaft oder auch Ideologie aber auch Fragen der Genresystematik und -hybridisierung bzw. -mischung und des Verhältnisses von Film- und Fernsehgenres sind ebenso von Interesse wie Theorien einzelner Genres. Neben Arbeiten, die einzelne Dimensionen fokussieren, gibt es auch solche, die versuchen, die Dimensionen zu verbinden, indem sie sie alle nahezu sämtlich anhand eines einzelnen Genres beleuchten. Unter Bezug auf Christine Gledhill (1994) und Sarah Berry (1999) schreibt Hickethier hierzu: „Genretheorie gibt eine Definition des Genres, beschreibt und systematisiert die narrativen Muster eines Genres, liefert eine Ikonographie der Genres, also eine Beschreibung der visuellen Stereotypen und Standards, stellt das Verhältnis von Ideologie und Geschichte dar, untersucht das Verhältnis von Genre und filmindustriellen Produktionszusammenhang und analysiert das Verhältnis von Genre und Autorenschaft“ (Hickethier 2002, 69).
Einen guten und ausführlichen Überblick über alle diese Bereiche der Genretheorie und ihrer Erkenntnisse sowie ausführlichen Darstellungen zu einzelnen Genres bieten Altmans Film/Genre (1998 [1996]) und der Film Genre Reader (2007 [1986]) herausgegeben von Barry Keith Grant, welcher seit 1986 regelmäßig erweitert und überarbeitet wurde. Dennoch bleibt zu resümieren, dass der Genretheorie stets eine gewisse Beliebigkeit anhaftet, nachdem sich ein schier unüberschaubares Feld an genretheoretischen Ansätzen entwickelt hat, da nahezu alle Dimensionen der Filmwissenschaft auch unter dem Genrebegriff behandelt werden können. „Theorists have been unsuccessful in producing a coherent map of the system of genres, and no strict definition of a single genre has won widespread acceptance“ (Bordwell 1989, 147). Eine Genredefinition, die die am Anfang vorgestellte von Rother um zahlreiche Erkenntnisse aus den verschiedenen Bereichen der Genretheorie erweitert, formulieren Borstnar, Pabst und Wulff. Sie soll die Darstellung zur Genretheorie an dieser Stelle abschließen: „Genres sind Ordnungsschemata, mit denen sich Spielfilme hinsichtlich ihrer Handlung, ihrer räumlichen und zeitlichen Situierung, ihrer bildlichen Motive, ihres visuell-ästhetischen Stils, ihrer narrativen Muster und ihrer Textperspektive (…) klassifizieren lassen. Allgemein lassen sich Genre-Klassifikationen als Instrumente bezeichnen, die zwischen Produzenten und Rezipienten eines Spielfilms zum Einsatz kommen, um Erwartungen an den Film abzustimmen (…)“ (Borstnar/Pabst/Wulff 2002, 51).
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Stellt man sich nun die Frage, was Genretheorie mit dem Automobil zu tun hat, kommt man schnell zu der Feststellung, dass das Automobil ein essentielles Element für eine spezifische Gruppen von Filmen ist, nämlich für das Genre des Road Movies, das nachfolgend als Theorie eines ausdifferenzierten einzelnen Genres vorgestellt wird. Dabei geht es jedoch nicht um eine ausführliche Darstellung des Genres, sondern darum, aufzuzeigen, in welcher Art und Weise Genretheoretiker – respektive die Genretheorie des Road Movies – das Automobil thematisieren. 7.2.3 Das Road Movie Indem Tudor (1977 [1974]) sich am Beispiel des Western mit dem Verhältnis von Genre- und Autorentheorie beschäftigt und genrekritisch fragt, was passiert, wenn Genrekonventionen von Regisseuren gebrochen werden, gibt er, ohne auf das Road Movie einzugehen, einen Hinweis darauf, wo dessen Ursprung liegt. „In den letzten Jahren bedienten sich besonders Peckinphas ‚Western’ solcher Elemente, um die konventionelle Westernwelt zu stören. Die oft kommentierte Einleitungsszene von RIDE THE HIGH COUNTRY (Sacramento) mit ihren Polizisten und Autos; der Kavallerieangriff auf das französische Heer in MAJOR DUNDEE (Sierra Chariba); das Auto in THE WILD BUNCH. Vielleicht stimmen Sie als Leser mir zu, daß es sich hier um Fälle handelt, in denen die Regeln absichtlich gebrochen werden“ (Tudor 1977 [1974], 93, Herv. i. O.).
Der Hinweis auf den Einzug des Automobils in den Western ist auf der einen Seite ein Verweis auf die Verbreitung des Automobils im amerikanischen Film generell und verweist auf deren besondere Beziehung und lange Tradition. „Cars and movies had long been sharing the twentieth-century highway of American technology. (…) The automobile as icon and driving as action were incorporated in film narratives as early as Biopgraph’s Runaway Match (1903) and The Gentleman Highwaymen (1905)” (Laderman 2006 [2002], 3, Herv. i. O.).
Auf der anderen Seite verweist Tudor auf einen der Ursprünge des Road Movies, den nahezu alle Genretheoretiker im Western sehen, was an anderer Stelle deutlich hervortritt. „The Western, for example, is a classical genre of substantial formative significance for the the road movie“ (Tudor 1977 [1974], 23). Oder wie es Adolf Heinzlmeier, Jürgen Menningen und Berndt Schulz, die gar nicht mehr zwischen Western und Road Movie unterscheiden, auf den Punkt bringen: „Irgendwann, als das Straßennetz ausgebaut war, sattelte das Road Movie um,
7.2 Automobil und Genretheorie
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wechselten die Westmänner von einer Pferdestärke auf Motor-Power“ (Heinzlmeier/Menningen/Schulz 1985, 10). Wie das Pferd und der Planwagen konstitutive Elemente des Western sind, ist das Automobil eines des Road Movies. „Das Genre entstand in den 40er Jahren mit Filmen, in denen der Wagen nicht mehr nur ein Accessoire war (Pohl 1997, 254). So tauscht dann auch der Hauptprotagonist in dem von Westernspezialisten John Ford gedrehten The Grapes of Wrath (R: John Ford, USA 1940), der ausnahmslos von allen Genretheoretikern als einer der ersten Road Movies beschrieben wird, den Planwagen gegen den Lastkraftwagen und begibt sich mit seiner Familie zur Verbesserung seiner sozialen Notlage – wie die den Westen erobernden Planwagentracks im Western – auf die Suche nach ökonomischen und sozialen Veränderung und einem Platz zum Neuanfang. Das Automobil ist dabei nicht nur ein Transportmittel, sondern ein mobiles Heim, ein Symbol der Hoffnung und das wesentliche narrative und motivische Element des Films. „The Grapes of Wrath marks an important transition toward the contemporary road movie“ (Laderman 2006 [2002], 27, Herv. i. O.). Entsprechend liest sich dann auch eine Genredefinition des Road Movies, wie Anne Pohl sie formuliert, die sich ganz auf das Automobil fokussiert: „Im weitesten Sinne alle Filme, in denen ein Kraftfahrzeug grundlegende Bedeutung für die Handlung hat“ (Pohl 1997, 254). Auch wenn das Ziel der Darstellung hier ist, aufzuzeigen, in welcher Art und Weise das Automobil in der Genretheorie des Road Movies thematisiert wird und diese Definition daher sehr passend wäre, greift sie viel zu kurz, wenn es um eine adäquate Beschreibung des Road Movie geht. Denn ein Automobil als zentrales Element macht noch keinen Film zum Road Movie. Das zeigt der Definitionsversuch von Corrigan: „Road Movies are, by definition, movies about cars, trucks, motorcycles, or some other motoring self-descendant of the nineteenth-century train” (Corrigan 1992, 144). Dadurch, dass er mehrere Fahrzeuge aufzählt, verweist er bereits auf das damit verbundene Grundelement des Fahrens oder Reisens. Das Reisen steht im Mittelpunkt einer Definition des Road Movies, die Norbert Grob und Thomas Klein formulieren. „Road Movies: Straßenfilme/Wegefilme/Reisefilme. Filme übers Unterwegs-Sein – über Gehen, Fahren, Flanieren, Rasen, Rennen, Schleudern, moving on the road“ (Grob/Klein 2006a, 9, Herv. i. O.). Eine Ausdeutung des Reisens liegt dann der Definition von Laderman zugrunde, die nahezu alle Elemente, mit der sich die Genretheorie des Road Movies beschäftigt, involviert. „The driving force propelling most road movies, in other words, is an embrace of the journey as a means of cultural critique. Road movies generally aim beyond the boarders of cultural familiarity, seeking in unfamiliar for revelation, or at least for the thrill of the unknown. Such travelling, coded a defamiliarization, likewise suggest a mobile refuge from social circumstances felt to be lacking or oppressive in
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7 Das Automobil in Technikdeterminismus und Genretheorie
some way. This broadly conceived notion of cultural critique functions in road movies on many levels: cinematically, in terms of innovative travelling camera work, montage, and soundtrack; narratively, in terms of an open-ended, rambling plot structure; thematically, in terms of frustrated, often desperate characters lighting out for something better, someplace out. Thus the road movie celebrates subversion as a literal venturing outside of society” (Laderman 2006 [2002], 1f.).
In dieser auf einer umfangreichen Analyse der Entwicklung, Veränderung und Ausdifferenzierung des Road Movies beruhenden Definition als Ergebnis des Entwurfs einer Genretheorie des Road Movies, findet das Automobil nun aber gar keine explizite Erwähnung mehr. Damit steht sie einerseits als Definition nicht allein, auch Steven Cohen und Ina Rae Hark (1997), Michael Atkinson (1994) oder Marcus Stiglegger (2002a) thematisieren das Automobil nicht. Auch in filmwissenschaftlichen und -theoretischen Genreanalysen, die bestimmte Dimensionen des Road Movies fokussieren, wird das Automobil nicht als Einzeldimension behandelt oder konkretisiert. Weder in David Ladermans Driving Visions. Exploring the Road Movie (2006 [2002]) findet sich ein Kapitel dazu, noch widmet sich einer der zahlreichen Autoren in dem als kanonisch geltenden Sammelband The Road Movie Book (1997), herausgegeben von Cohan und Hark, explizit dem Automobil im Road Movie. Im Fokus steht das Road Movie als Genre, dessen Helden mit ihrem motorisierten Aufbruch gegen konservative Normen rebellieren und deren Reise den Zweck der Veränderung der Lebenssituation zum Antrieb hat und in dem das Automobil nur ein konstitutives Element neben vielen anderen ist45. 7.2.3.1 Das Automobil im Road Movie Im Folgenden kommen die Formen der Thematisierungen des Automobils im Rahmen der Genretheorie des Road Movies gesammelt zur Darstellung. Auch wenn das Automobil nur eines unter vielen fahrbaren Objekten im Road Movie ist, wird seine besondere Position wiederholt herausgestellt und betont. Exemplarisch hier eine Textpassage von Laderman, der diese Vormachtstellung des Automobils in seiner jedem Bürger seine individuelle Mobilität zurückgebenden Funktion sieht, die an die mythische, überhöhte Individualität 45
Eine zutreffende Reflexion über die An- und/oder Abwesenheit bestimmten Elemente zur Bestimmung einer Gruppe von Filmen formuliert Angela Keppler, wenn sie unter beispielhaftem Bezug auf ein Road Movie schreibt, „Über den Film The Big Lebowski (R: Joel Cohen, USA 1997) ist einmal gesagt worden, es handle sich um ein ‚Road-Movie ohne Road’ – eine treffende Charakterisierung, die deutlich macht, wie relativ und doch aussagekräftig die Stellung von Filmen und Sendungen im Konzert der Gattungen ist“ (Keppler 2006, 76, Herv. i. O.).
7.2 Automobil und Genretheorie
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und Freiheit des Wilden Westens anschließt, womit er indirekt ebenfalls wieder auf die Beziehung von Western und Road Movie verweist. „While some very important road movies involve motorcycles, trains, busses, bicycles, or even walking, the most common and most generically privileged vehicle is the automobile. This is due probably to the fact that cars, especially in the postwar era, become much more popular than motorcycles, trains or busses. In this respect, we should emphasize the individualized nature of such travelling, in contrast to the popularity of prewar America’s collective train and trolley transportation. Mass automobile culture – that is, individual automobiles available to the mass population – invokes the rugged individualist mythology of the Old West, yet extends this mythology as a compelling expression of postwar mobility (Laderman 2006 [2002], 13).
Laderman sieht also die herausragende Stellung des Automobils im Road Movie begründet in der tatsächlichen Verbreitung des Automobils im Amerika der Nachkriegszeit, wobei er hier sicher bereits den Ersten Weltkrieg meint, da in den USA schon ab den 1920er-Jahren eine Massenmotorisierung einsetzte. Eine Zeit, in der auch die ersten Vorläufer des Road Movies entstanden. Mit der endgültigen Motorisierung der amerikanischen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich dann auch das Road Movie als eigenständiges Genre. Direkt im Anschluss nennt Laderman einen weiteren Grund für die privilegierte Position des Automobils im Road Movie – das Automobil ermöglicht es durch seinen Innenraum, Interaktionen zwischen den sich in ihm befindlichen Figuren dazustellen. „But also we should note how the interior space of a car makes for more dramatic possibilities of character interaction” (ebd., 13). In einer erläuternden Fußnote verweist er darauf, dass dieses zwar im Bus oder Zug auch möglich ist, jedoch nicht in der Form wie im Automobil, da nur dieses die Intimität und Individualität bietet, die den für das Road Movie entscheidenden Moment der individuellen Rebellion und des individuellen Abenteuers ermöglicht und, ich ergänze, symbolisiert. Das Autoinnere fokussiert auch Atkinson: „Many road movies have explored our complex relationship with the interior of the automobile: the quiet observation of a bank robbery from the back seat of the getaway car in Joseph H. Lewis’ Gun Crazy (1949), the chilling menace of the highway cop tapping on the driver-side window in Psycho (1960), the seedy sedan intimacy of the door-to-door Bible hawkers in Salesman (1969) […]” (Atkinson 1994, 16, Herv. i. O.).
Während Atkinson nur auf die Möglichkeiten aufmerksam macht, die sich innerhalb einzelner Filme ergeben, wenn der Zuschauer sozusagen mit im Automobil sitzt oder in dieses schaut, hebt Soyka (2002) die Betrachtung des Autoinneren im Road Movie auf eine abstraktere Stufe. Ausgehend von der Feststellung, dass
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es im Road Movie im Wesentlichen um die Erkundung des Außenraumes geht, wozu aber das Automobil als gleichzeitig das Genre Road Movie konstituierendes Element essentiell ist, erkennt und fokussiert sie die Bedeutung des Autoinnenraums. „In diesem Kontext soll die Bedeutung des Autos für das Road Movie bezüglich seiner Eigenschaften als Raum selbst und als Mittel der Raumerfahrung kenntlich gemacht werden. Denn diese beiden Charakteristika zeichnen das Auto aus und bündeln sich in dem Phänomen der Gleichzeitigkeit von Bewegungslosigkeit (des im Auto sitzenden Menschen) und der Bewegung (des Autos)“ (Soyka 2002, 28).
Darauffolgend versucht Soyka über das Bemühen der Dispositiv-Verwandtschaft zwischen Automobil und Film (vgl. Kapitel 7.1.3) zu veranschaulichen, dass dem Automobil und der Straße „die Nähe zum Film schon per se innewohnt“ (ebd., 29) und das Road Movie daher diese dispositive Struktur immer mit „zelebriert“. „So, wie Autofahren durch den Rahmen der Windschutzscheibe den Blick lenkt und eine Perspektive nach außen schafft, schafft das Auto im Road Movie für die Zuschauer einen Raum nach innen: Es funktioniert als Zoom, und zwar auf seine Insassen“ (ebd., 30).
Letztlich verdeutlich Soyka hier nur die Fokussierung des Autoinnenraums im Road Movie, auf die bereits Laderman aufmerksam gemacht hat, und lädt sie technikdeterministisch mit Bedeutung auf, ohne sie wirklich näher zu beleuchten. Ganz in mediendeterministischer Tradition verweist auch Atkinson (1994) auf das dispositive Moment des Automobils im Road Movie und kombiniert es mit McLuhans (1995) [1964]) These von Medien als Ausweitung des menschlichen Körpers: „The structure of the car, designed both to conform to our bodies’ shortcoming and powerfully extend them, has become how we regard the world (through the screenlike, Panavision-shaped lens of the windscreen and, like a miniature movie within a movie, the rear view mirror), how we measure the width of continents (which have all become significantly smaller), how we both close ourselves up within our selfmade universes and gain access to every corner of the globe” (Atkinson 1994, 16).
Ähnlich wie Atkinson, der an keiner Stelle auf seine unverkennbare Anlehnung an McLuhan (1995) [1964]) hinweist, formuliert es auch Corrigan (1992 [1991]), wenn er das Automobil als Ausweitung der Körpers beschreibt. „Cars and motorcycles represent a mechanized extension of the body, through which that the body could move farther and faster than ever before quite literally evade the trajectory of classical narrative” (Corrigan 1992 [1991], 144f.).
7.2 Automobil und Genretheorie
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Wenn auch nicht als Ausweitung des Protagonisten im Road Movie, so doch als eng mit ihm verbunden, beschreibt Laderman die Beziehung zwischen Filmheld und Automobil: „But on a more thematic level, road movie characters bond with their vehicles. Cars and motorbikes often evolve in the narrative as a kind of prosthetic limb or ‚buddy’ for the driver. Road movies may develop character by showing some kind of interaction between car and driver, the latter channeling desire or anger through the former. Cars and their promise of high-speed freedom possess characters, aid them, or destroy them. At times this sense of human-machine interface suggest that the vehicle itself is a character in the film, through special close-ups of the car’s machinery ‚working’ to race down the road, for example. (…) all road movies involve some meditation on a human relation to technology” (Laderman 2006 [2002], 17f., Herv. i. O.).
Das Automobil kann im Road Movie demnach so stark mit dem Helden verbunden sein, dass dieser eine Beziehung zu diesem aufbaut oder zumindest eine Interaktion mit ihm eingeht, die vom Erfolg oder Versagen des Automobils abhängig ist. Diese enge Verbindung erinnert an die Beziehung des Westernhelden zu seinem Pferd, die häufig eine untrennbare Einheit bilden. Das Pferd ist im Road Movie durch das Automobil ersetzt. Von einer Identifikation des Protagonisten im Road Movie mit seinem Automobil sprechen unter Verweis auf Corrigan auch Cohan und Hark. „Third, the road protagonist readily identifies with the means of mechanized transportation, the automobile or motorcycle, which ‚becomes the only promise of self in a culture of mechanical reproduction “ (Cohan/Hark 1997, 2, Herv. i. O.). Auch wenn Laderman und Cohan/Hark diese spezielle Beziehung zwischen Filmheld und Automobil auf das Road Movie beziehen, so verweisen sie doch nur auf eine Thematisierung des Automobils in der Filmtheorie, wie sie sich bereits bei Arnheim (2002 [1932], 1977 [1934]) findet. Auch die Feststellung Ladermans, dass das Automobil für sich allein stehen bzw. selbst eine zentrale Rolle einnehmen kann, ist nicht auf das Road Movie beschränkt – bereits Arnheim (2002 [1932], 1977 [1934]) und Balász (2001 [1924]) verweisen auf die Stellvertreterfunktion des Automobils im Film im Allgemeinen. Im Freiheits- und Individualitätsversprechen des Automobils in Zeitalter der Reproduktion, worauf Cohan/Hark (1997) verweisen, klingt bereits der Symbolcharakter des Automobils im Road Movie an. „So avanciert es [das Automobil, Anm. d. A.] zum Beispiel zum Status-Symbol für soziale Zugehörigkeiten und findet als Symbolträger Einlass in die Filmwelt (…)“ (Soyka 2002, 27). Dass auch dieses nicht nur auf Road Movies zutrifft, bescheinigt Soyka unmittelbar im Anschluss selbst, indem sie die Symbolfunktion des Automobils für verschiedene, allerdings unbenannte, Genres konstatiert. Auf die Symbolhaftigkeit des Automo-
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bils im Road Movie verweisen u.a. auch Grob und Klein, wenn sie das Automobil als „zentrales Werkzeug zum Ausdruck von Gewalt und zugleich Ausdruck der Durchsetzung individueller Freiheit“ (Grob/Klein 2006a, 11) beschreiben. Auch Stiglegger verweist auf die Symbolfähigkeit des Automobils, wenn er dessen „Sexualisierung oder Fetischisierung“ (vgl. Stiglegger 2002, S. 515) fokussiert. Neben diesen zumeist bereits hinlänglich bekannten Thematisierungen des Automobils, finden sich weitere Erwähnungen des Automobils im Rahmen der Genretheorie des Road Movies, die sich nicht von denen anderer Filmtheoretiker unterscheiden, besonders, wenn es um die Behauptung eines allgemeinen Zusammenhangs zwischen Automobil und Film geht. „Before the road movie took as a distinct genre of the late 1960s, cars and movies had long been sharing the twentieth-century highway of the American technology. As consumer objects, cars and films seemed to evolve hand in hand, providing mobility (literally, or in a form of ‚escapist’ narrative entertainment) for Americans in transition, first from rural to urban, then from urban to suburban lifestyles. Both cars and movies promised to express the idealized uniqueness of individual costumer” (Laderman 2006 [2002], 3, Herv. i. O.).
In ähnlicher, auf Analogiebildungen beruhender Art und Weise entwerfen auch Cohan/Hark (1997) einen Zusammenhang zwischen Automobil und Film. „The mating of the road and the movies is as enduring as any of Hollywood’s famous couples, and seemingly just inevitable. The road has always been a persistent theme of American culture. Its significance, embedded in both popular mythology an social history, goes back to the nation’s frontier ethos, but was transformed by the technological intersection of motion picture and automobile in the twentieth century” (Cohan/Hark 1997, 1).
Ganz in Hinblick auf die Darstellung des Road Movies klammert hier die Straße als amerikanischer Urmythos Film und Automobil. Durch den Film und das Automobil wird sie in die Gegenwart überführt und kommt im Road Movie, obwohl dieses Cohan/Hark nicht direkt behaupten, als ein das Genre konstituierendes Element zur Darstellung, auf dem letztlich das Automobil fährt. 7.2.4 Zwischenfazit: Automobildiskurs Zuvorderst zeigt sich, dass die Genretheorie (des Road Movies) als eine Versinnbildlichung des Diskurselements Automobil als klassifizierendes Element betrachtet werden kann. Wie sich herausgestellt hat, ist die Genretheorie des Road Movies damit aber keine Filmtheorie des Automobils. Es kann jedoch
7.2 Automobil und Genretheorie
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festgehalten werden, dass das Automobil nicht nur ein Ausstattungselement dieser Gruppe von Filmen ist, sondern es narrativ und motivisch darin positioniert ist. Motivisch dadurch, dass das Automobil die für das Road Movie konstitutive Reise entlang einer Straße ermöglicht, in dem die Reise durch dieses realisiert wird und die Protagonisten im Automobil unterwegs sind. Narrativ dadurch, dass das Road Movie von Aufbrüchen und Veränderungen erzählt, die die Lebenssituationen der Protagonisten hinterfragen, und das Automobil untrennbar mit dem Aufbrechen und Hintersichlassen verbunden ist. Sowohl motivisch wie narrativ spielt die Symbolhaftigkeit des Automobils eine entscheidende Rolle, die dann auch als ein Element des Automobildiskurses der Filmtheorie in der Genretheorie des Road Movies verhandelt wird. Das Automobil als Symbol thematisiert Corrigan (1992 [1991]), wenn er in ihm in Anlehnung an McLuhan (1995 [1964]) eine Ausweitung des Protagonisten sieht, während Laderman (2006 [2002]) und Cohan/Hark (1997) die Identifikation der Filmhelden mit dem Automobil beschreiben, wodurch das Automobil auch bei audiovisueller Abwesenheit des Protagonisten symbolisch für diesen steht. Das Automobil wird im Road Movie aber auch zum Symbol für den sozialen Status seines Fahrers (Soyka 2002), Gewalt und Individualisierung (Grob/Klein 2006, Laderman 2006 [2002]) sowie Sexualität (Stiglegger 2006). Da sich im Road Movie viele Szenen im Automobil abspielen, thematisieren zahlreiche Autoren das Automobil als Handlungsraum und führen dadurch ein weiteres diskursives Element fort. So betont Laderman (2006 [2002]) die Intimität des Automobils und leitet daraus seine besondere Prädestiniertheit für die filmische Darstellung von Interaktionen ab, während Atkinson (1994) darauf aufmerksam macht, dass der Zuschauer quasi mit den Protagonisten im Automobil sitz. Soyka (2002) geht sogar so weit zu sagen, dass das Automobil, während sich die Protagonisten in ihm durch den Außenraum bewegen, für den Zuschauer als ein Zoom in den Innenraum und auf dessen Insassen fungiert. Sie begründet diese Aussage auf der Grundlage der Dispositivtheorie und argumentiert damit wie Atkinson (1994), Laderman (2006 [2002]) und auch Cohan/Hark (1997) im Rahmen der Diskursdimension Analogien zwischen Automobil und Film. Obwohl nicht explizit herausgestellt, spielt natürlich die Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit in allen Arbeiten über das Road Movie und besonders in Studien zu Rennfilmen (vgl. Mihm 2006) eine entscheidende Rolle. Wenn auch auf einige Entitäten fokussiert, so zeigt sich die Thematisierung des Automobils in der Genretheorie (des Road Movies) sowohl als ein Diskurs der Darstellung des Automobils im Film als auch als ein Diskurs des Verhältnisses von Automobil und Film, die sich beide hier geradezu überlagern. Besonders an der Diskussion des Automobils als Symbolträger zeigt sich, dass das Automobil in das Theoriegebäude der Genretheorie integriert wird, wenn es mit den
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7 Das Automobil in Technikdeterminismus und Genretheorie
wesentlichen Eckpfeilern einer jeden Genretheorie, den wiederkehrenden motivischen und narrativen Elementen, verwoben wird. Das Automobil zeigt sich besonders in der Genretheorie (des Road Movies) als eine Metapher für dessen Bewegtheit, die hier jedoch nicht verwendet wird, um die Spezifik des Films im Allgemeinen theoretisch zu bestimmen, sondern um die Verfasstheit einer besonderen Gruppe von Filmen zu charakterisieren, in den das Automobil aber auch die Bewegung als physische und psychische Dimensionen vor allem der Filmhelden eine entscheidende Rolle spielt. Damit zeigt sich auch hier der Automobildiskurs aufgrund der metaphorischen Verwendung des Automobils, die sich im Wesentlichen aus dessen Bewegtheit ergibt.
8.1 Teildiskurse als Formen der Automobilthematisierung
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8 Der Automobildiskurs: Zusammenführung und Schlussfolgerungen
Der Automobildiskurs in der Filmtheorie stellt sich nach der Auseinandersetzung mit filmtheoretischen Schriften und anderen diesspezifischen Untersuchungsdaten und Texten als ein vielfältiges und vielgestaltiges Ensemble dar. Dieses generiert sich aus einer Vielzahl von diskursiven Elementen, die ihre Impulse aus den unterschiedlichsten Formen der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Film seit den 1900er-Jahren erhalten und zahlreichen Verlagerungen und Intensitätsschwankungen unterliegen. Ausgehend von der Verhandlung des Automobils in den Publikationen der Frühphase des filmtheoretischen Denkens haben sich verschiedene Formen der Thematisierung des Automobils herausgebildet, die legitime Sichtweisen der Reflexion über das Automobil im Film, aber auch über die Möglichkeiten des Zusammendenkens von Automobil und Film, entwickelt haben. Die nachfolgenden Teildiskurse stellen maßgebliche Arten der Bezugnahme auf das Automobil im Rahmen filmtheoretischer Überlegungen dar und bilden somit etablierte Formen der Veranschaulichung der Art und Weise, wie die Filmtheorie das Verhältnis von Automobil und Film beschreibt und analysiert. 8.1 Teildiskurse als Formen der Automobilthematisierung Im Rahmen der Untersuchung haben sich zehn Teildiskurse formiert, von denen acht als Formen der filmtheoretischen Verarbeitung, Integration und Reflexion der Darstellung des Automobils im Film und zwei als spezifische Arten des Zusammendenkens von Automobil und Film verstanden werden müssen. 8.1.1 Das Automobil im Film Die filmtheoretische Reflexion über das Automobil im Film zeigt sich zuvorderst in der Betrachtung der Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit. Die wesentliche Ausdrucksform der automobilen Geschwindigkeitsinszenierung ist dabei die Verfolgungsfahrt, die als Verfolgung von zwei oder mehreren Automobilen, von Automobil und Zug oder Automobil und per pedes Flüchtenden beschrieben
A. Wagenknecht, Das Automobil als konstruktive Metapher, DOI 10.1007/978-3-531-92670-4_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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8 Der Automobildiskurs: Zusammenführung und Schlussfolgerungen
wird. Der Faszination an der automobilen Geschwindigkeit und Bewegung wird aber auch außerhalb der Schilderung von Verfolgungsjagden Ausdruck verliehen, indem das Automobil häufig in Verbindung mit Wörtern wie rasend oder sausend genannt wird, wodurch sein Tempo verdeutlicht wird. Die Begeisterung für die Geschwindigkeit des Automobils zeigt sich weiterhin in der detaillierten Auseinandersetzung mit der filmischen Realisierung der schnellen Bewegung der Autos durch die Schilderung von Phantom Rides oder das Tempo forcierenden Filmtricks, aber auch im Hinterfragen der Funktion der Autofahrt im Film. Diese wird einerseits als ein Element der narrativen Spannungssteigerung verstanden, aber auch als Steigerung der empathischen und emphatischen Erlebnisqualität des Films. Eine narrative Funktion kommt ihr weiterhin als Filmsequenzen verbindendes Element aber auch als eine Art Porträt der panoramatisch durchfahrenen Landschaft zu. Nicht zuletzt verweisen zahlreiche kritische Bewertungen der Verfolgungsfahrt oder die Schilderungen des Überdrüssigseins dieser Form der filmischen Automobildarstellung auf die Popularität dieses diskursiven Elements als einer verfestigten Form der Verhandlung des Automobils in der Filmtheorie. Verschiedene Szenarien des Autounfalls formieren ein zweites diskursives Element der filmtheoretischen Thematisierung des Automobils. Dieses kann als das Pendant zur Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit verstanden werden, da der Autounfall dessen jähes Ende darstellt. So wird der Autounfall dann auch in mannigfaltiger Weise beschrieben. Es wird über seine filmische Inszenierung – beispielsweise durch den Stopptrick sowie die richtige Szenenauflösung – reflektiert oder über sein gewalthaltiges Potential und dessen angsterzeugende Wirkung auf den Zuschauer als abrupte Beendigung der Bewegung nachgedacht. Eine dritte Form der Auseinandersetzung mit dem Automobil im Film verfestigt sich in der Formierung eines Zusammenhangs von Automobil und Verbrechen. Dessen wesentliche Ausdrucksform ist die Entführung im Automobil, gefolgt von der Flucht mit diesem. Aber auch das Verschieben von gestohlenen Automobilen wird beschrieben. Die eigentliche Entführung bezieht sich dabei auf das Verbrechen der Lösegelderpressung, aber auch z.B. auf Entführungen von Frauen, um eine nichtstandesgemäße Hochzeit zu verhindern. Während die bisherigen Teildiskurse diskursanalytische Ableitungen basierend auf der Deskription von, von den Autoren, im Film gesehenen und identifizierten Formen der filmischen Automobilinszenierung und deren Thematisierung sind, stellt der vierte Teildiskurs Automobil als Symbol eine etablierte Form der abstrakteren Reflexion über das Automobil im Film im Rahmen der Filmtheorie dar. Versteht man unter einem Symbol ein Zeichen mit oder auch ohne Ähnlichkeitsbezug zu einem Objekt bei gleichzeitiger abstrakter Bedeutungszuordnung qua Konvention oder textinterner Konstruktion (vgl. Link 1997 [1974], Borstnar/
8.1 Teildiskurse als Formen der Automobilthematisierung
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Pabst/Wulff 2001), dann wird das Automobil im Film in vielfältigster Art und Weise als ein visuelles Zeichen mit Symbolgehalt beschrieben. So ist das Automobil ein Symbol für seinen Fahrer und nimmt sozusagen eine Stellvertreterfunktion ein. Es dient der Charakterisierung von Filmfiguren und der Verdeutlichung sozialer Unterschiede. Das Automobil wird aber auch als eine zeichenhafte Referenz auf die Wirklichkeit gedeutet oder als ein Mittel zur Erzeugung eines Besitzbedürfnisses. Letztlich ist das Automobil ein Symbol für Geschwindigkeit und Bewegung, das auch für individuelle Freiheit und Aufbruch stehen kann. Die Filmische Realisierung der Automobildarstellung stellt eine fünfte Form des Nachdenkens über das Automobil in der Filmtheorie dar. So wird recht ausführlich geschildert, wie die Autofahrt oder der Autounfall inszeniert werden oder inszeniert werden sollten. Dabei kommen filmische Techniken, wie Stopptrick oder Phantom Ride, zur Erwähnung, aber auch Tricks zur scheinbaren visuellen Erhöhung der Geschwindigkeit und zur Realisierung der filmisch adäquaten Veranschaulichung der Bewegtheit des Automobils sowie die technischen Möglichkeiten der subjektiven Kamera zur Erzeugung eines Gefühls des Mitfahrens. Nicht zuletzt formieren sich in diesem diskursiven Element auch Äußerungen zur filmischen Realisierung des unbewegten Automobils oder des Filmens im Inneren des Automobils. Diesem kommt eine besondere Bedeutung im Rahmen des sechsten Teildiskurses Automobil als Handlungsraum zu, der eine der schwächer etablierten Formen der Diskussion des Automobils darstellt. So wird das Autoinnere entweder als ein Raum der Begegnung und des Gesprächs beschrieben oder auch als ein Ort des körperlichen Agierens. Das immobile Automobil stellt aber ebenso einen Raum des Wartens und Beobachtens dar. Letztlich wird auch der Ausstattung des Innerraums eine filmische Bedeutung konstatiert. Der siebente Teildiskurs zeigt sich in der Form der Diskussion des Automobil(s) als Erlebnis. Die wesentlichen Thematisierungen drehen sich dabei zum einen um das Erleben der filmischen Automobilfahrt oder des Autounfalls, denen ein Sensations- und Attraktionswert zugeschrieben wird, der zum empathischen und emphatischen Erleben von Geschwindigkeit und Bewegung als Freude oder Angst genutzt wird – dadurch, dass sich die Bewegtheit des Automobils über die filmische Bewegung auf den Zuschauer überträgt. Zum anderen erhält in der Filmtheorie aber auch das Automobil an sich eine erlebnishafte Konnotation, wenn ihm aufgrund seiner ihm innewohnenden Dynamik und Bewegung ein visueller Attraktionswert zugeschrieben wird oder die alleinige Präsenz des Automobils im Film als wertvoll und Aufmerksamkeit generierend eingeschätzt wird. Das Automobil als klassifizierendes Element stellt die achte und letzte spezifische Erwähnungsform des Automobils dar. So konstatieren einige Arbeiten dem Automobil die Position eines primären filmischen Elements, klassifizieren es als essentielle Entität des amerikanischen Films – besonders des Detektivfilms
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8 Der Automobildiskurs: Zusammenführung und Schlussfolgerungen
– oder beschäftigen sich ausführlicher mit seiner genrekonstituierenden Position und Funktion in bestimmten Gruppen von Filmen. 8.1.2 Das Automobil und der Film Zwei der sich als Teildiskurse generierenden Elemente sind als spezifische Formen des Zusammendenkens oder auch als Erwähnungszusammenhänge zwischen Automobil und Film zu verstehen. Die neunte Form der Verhandlung von Automobil und Film zeigt sich als Automobil in der Filmproduktion. Dieses eher schwache Diskurselement formiert sich auf der einen Seite durch Schilderungen der Nutzung des Automobils während der Dreharbeiten. So wird das Automobil als Versteck für die Kamera dienend geschildert, als natürliche Lichtquelle durch seine Scheinwerfer oder als fahrbarer Kamerauntersatz. Auf der anderen Seite widmet sich die Filmtheorie der Beschreibung des Automobils im Einsatz zur Vorbereitung von Dreharbeiten, so zur Erkundigung geeigneter Drehorte oder zum schnellen Transport von Schauspielern und Utensilien, aber auch zur flexiblen Besorgung aller während des Drehs benötigten Dinge. Analogien zwischen Automobil und Film stellen eine sehr etablierte Form des Entwerfens einer Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Automobil und Film innerhalb der Filmtheorie dar. So werden beispielsweise Entsprechungen in der Entwicklung der gesellschaftlichen Verbreitung und Akzeptanz genutzt, um über das Automobil auf das Entwicklungspotential des Films zu verweisen, die beiden zugrunde liegende Bewegungsdimension zu deuten und einzuordnen oder auch durch eine bildhafte Übertragung auf der Grundlage gemeinsamer Merkmale, Metaphern zur Erklärung der Funktionsweise des Film zu entwerfen oder gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu charakterisieren. Weit verbreitet und filmtheoretisch basiert, ist vor allem die Nutzung homologer Strukturen zwischen Automobil und filmischer Apparatur zum Entwurf einer anverwandten Seh- und Wahrnehmungsanordnung vor dem Hintergrund der Dispositivtheorie filmischer Apparaturen. 8.2 Der Automobildiskurs Der Automobildiskurs selbst ist kein Teil der konkreten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Automobil in der Filmtheorie, sondern eine als analytische Kategorie der Beschreibung eines Phänomens herausgearbeitete Struktur bzw. Vernetzung von Deutungen, die sich innerhalb der Filmtheorie ausgehend von seiner hypothetischen Vermutung im Rahmen der Untersuchung generieren ließ.
8.2 Der Automobildiskurs
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Die zehn veranschaulichten Teildiskurse formieren sich zu einem Netz von etablierten Deutungen und Beschreibungen des Automobils sowohl was das Verständnis der Darstellung des Automobils im Film als auch die Arten des theoretisierenden Zusammendenkens von Automobil und Film betrifft. Dieses Netz verdeutlicht den Automobildiskurs in der Filmtheorie als ein Geflecht von mehr oder weniger legitimierten Sichtweisen des Automobils in der Filmtheorie, der sich als ein Spezialdiskurs zeigt, der nur innerhalb des Feldes der Filmtheorien und angeschlossener film- und medienwissenschaftlicher Felder von Relevanz ist. Wie eng die einzelnen Teildiskurse und diskursiven Elemente miteinander verwoben sind und wie sie sich gegenseitig bedingen, zeigt sich auf der einen Seite in den Textpassagen der analysierten Daten selbst. Bereits hier bündeln sich häufig mehrere diskursive Stränge in einer Textpassage, die es analytisch zu entwirren galt, indem die einzelnen diskursiven Elemente vorerst getrennt herausgearbeitet wurden. Auf der anderen Seite verdeutlichen sich die Verbindungen zwischen den Teildiskursen auch dadurch, dass beispielsweise das eine diskursive Element essentiell für die Bildung des anderen ist. So steht die Filmische Realisierung der Automobildarstellung unmittelbar in Bezug zur Automobilfahrt als inszenierte Geschwindigkeit und zu den Szenarien des Autounfalls. Aber auch das Automobil als Erlebnis generiert sich nur auf der Grundlage der Verhandlung verschiedener Formen der Automobildarstellung innerhalb der Filmtheorie. Als Kern des Automobildiskurses zeichnen sich deutlich die Bewegung bzw. die Thematisierungen der realen und potentiellen Bewegtheit des Automobils ab. Ein Großteil der Teildiskurse resultiert aus der filmtheoretischen Auseinandersetzung mit der Bewegungsdimension des Automobils, woraus sich schlussfolgern lässt, dass das Automobil mehr ist, als ein zufällig häufig thematisiertes Objekt innerhalb der Filmtheorie. Das Automobil stellt vielmehr eine konstruktive Metapher dar, die in vielfältiger Art und Weise dazu benutzt wird, über die dem Automobil innewohnende Bewegtheit die Spezifik des Films als Bewegtbildmedium und seine ästhetischen Möglichkeiten adäquat zu veranschaulichen. Betrachtet man die Entwicklung der Filmtheorie, so hat sich der Automobildiskurs in vier Phasen, die sich wiederum unterteilen, etabliert. In ihnen treten die diskursiven Elemente unterschiedlich stark hervor und werden auf unterschiedliche Weise in die Theoriebildung zum Film integriert. 8.2.1 Phasen des Automobildiskurses In der Frühphase des filmtheoretischen Denkens in den 1900er- und 1910erJahren sind bereits alle diskursiven Elemente des Automobildiskurses angelegt, das heißt die Grundlagen der Thematisierung des Automobils im Film und des Zusammendenkens von Automobil und Film werden schon in dieser frühen Pha-
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se der Filmtheorie formiert. Vor allem im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Film in Zeitungen und Zeitschriften beruhen die theoretisierenden Reflexionen zumeist auf einer Deskription von dem, was in dem neuen Medium inhaltlich zur Darstellung kam. Diese Seherfahrungen werden gebündelt und zu anderen Medien wie Theater und Literatur in Beziehung gesetzt, um sich dem Wesen des Films anzunähern. Da der frühe Film vor allem an der Darstellung von Bewegung interessiert und von dieser Möglichkeit fasziniert war, kommt das bewegte Automobil häufig zur Darstellung, was u.a. auch die Studie von Dorit Müller (2004) zur Automobildarstellung im Film bis 1918 oder Arbeiten zum „Chase Film“ (vgl. Auerbach 2005, Sadoul 1982 [1955]) bestätigen. Innerhalb der Frühphase des filmtheoretischen Denkens nehmen bereits acht der zehn den Automobildiskurs ausbildenden Elemente, Filmische Realisierung der Automobildarstellung, Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, Szenarien des Autounfalls, Analogien zwischen Automobil und Film, Automobil als Symbol, Automobil und Verbrechen, Automobil als Erlebnis und Automobil als klassifizierendes Element, ihren Ausgang. Diese Schriften tragen maßgeblich zur Entwicklung des filmtheoretischen Denkens bei und leiten die Entwicklung eines filmtheoretischen Automobildiskurses ein. Eines Automobildiskurses, dessen Elemente bereits in dieser frühen Phase ihre Deutungen der Rolle des Automobils für den Film im Wesentlichen auf dessen Bewegtheit zurückführen und über diese das Automobil als eine vielfältige Metapher verwenden – was sich beispielsweise in den Diskurselementen Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, Szenarien des Autounfalls, Filmische Realisierung der Automobildarstellung, Automobil als Erlebnis bzw. den ihnen zugrundeliegenden Textpassagen deutlich zeigt. Zu dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Automobil hat sicherlich beigetragen, dass das Automobil nur ca. zehn Jahre vor dem Film erfunden wurde. Automobil und Film sind sozusagen Zeitgenossen mit phasenweise vergleichbarer Akzeptanzgeschichte (vgl. Metz 2006), was einen nicht unwesentlichen Einfluss darauf hatte, dass der Automobildiskurs in der Filmtheorie seine massive Grundlegung in dieser Zeit des besonders hohen Neuigkeitswerts von Automobil und Film erfahren hat. Automobil und Film folgen beide der einen grundsätzlichen Idee, der Technisierung von Bewegungsabläufen, und wie die Filmtheorie befinden sich auch Automobil und Film in den 1900er- und 1910erJahren in einer ständigen Entwicklungsphase. Beide waren technische Neuerungen mit hohem gesellschaftlichen Attraktionswert (vgl. Gutberlet 2007). Da der Film und vor allem der frühe Film, wie Tom Gunning (1990) oder Noël Burch (1990) eindrucksvoll aufzeigen, schon immer an Sensationen und Attraktionen interessiert war, kommt das bewegte Automobil entsprechend häufig in diesen zur Darstellung. Zudem verdeutlichen Studien, so beispielsweise von Julian Smith (2009 [1980]), wie eng, vor allem in den USA, die Entwicklung des Films mit der des Automobils verbunden war.
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Die ersten Monografien zum Film mit filmtheoretischen Ansätzen in den 1910er-Jahren oder die nachträglich als frühe Filmtheorien eingeschätzten Arbeiten von Georg Lukács (1992 [1911]), Herbert Tannenbaum (1987 [1912]) und Hugo Münsterberg (1996 [1916]) zeigen sich fasziniert von der Darstellung des Automobils im Film, so dass dieses häufig und mannigfaltig thematisiert wird. Alles in allem zeigt sich der Automobildiskurs in der Frühphase des filmtheoretischen Denkens (1907-1919) sehr vielgestaltig und gehaltvoll und ist in erster Linie ein Diskurs der deskriptiven inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Film. Beschreibungen und Reflexionen über das Automobil tauchen unvermittelt auf und reihen sich in die Abfolge von deskriptiven Seherfahrungen ein. Mit der Entstehung zunehmend vom Inhalt abstrahierender Theoretisierungen zum Film und der damit verbundenen Findung einer Ausdrucksform filmtheoretischer Reflexionen werden auch bereits die Automobildeskriptionen auf ein reflektiertes Niveau gehoben. So beispielsweise durch Lukács, wenn er das das Automobil und vor allem seine dynamische Bewegung poetisierende Potential des Films in seinen kurzen Filmästhetikentwurf integriert, oder wenn Münsterberg die empathische und emphatische Qualität des Automobils, die nicht unwesentlich in dessen Bewegtheit gründet, in seine von der Psychologie geprägten Theoretisierungen zur Wahrnehmung von Filmen verortet. In der Phase der ästhetischen Filmtheorie der 1920er- und 1930er-Jahre entwickelt sich der Automobildiskurs von einem Diskurs der deskriptiven inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Film zu einem in der Reflexion über die Materialität, Form und Gestaltung des Films begründeten Diskurs. Damit geht der Automobildiskurs auf das Engste mit der Entwicklung der Filmtheorie einher, die vor allem durch eine Erhöhung des Abstraktions- und Reflexionsgrades gekennzeichnet ist und nach der Ästhetik und den damit verbundenen kunstfähigen Mitteln des Films fragt. Dabei werden einige Elemente, die den Automobildiskurs seit der Frühphase der Filmtheorie prägen, aufgenommen und analytisch ausgedeutet, andere eher vernachlässigt. In den filmästhetischen Theorien der Schauspielerkunst und/oder Kamerakunst formieren sich zwar nur annähernd die Hälfte der Elemente des Automobildiskurses der 1900er- und 1910er-Jahre, dafür erfahren sie eine erhebliche Intensivierung durch die häufige Integration in die ästhetischen Grundaussagen der Theoretisierungen. In der Schauspielertheorie vor allem dann, wenn die filmische Darstellung des Automobils grundsätzlich kritisiert wird, um auf der Kritik aufbauend zu verdeutlichen, wie wesentlich das Agieren der Schauspieler vor der Kamera ist, und der Schauspieler und sein Agieren als Ausdrucksbewegung zum ästhetischen Prinzip des Films erklärt wird. Dieses Prinzip der Ausdrucksbewegung überträgt Béla Balász (2001 [1924]) auf unbelebte Dinge und verdeutlicht am Beispiel der Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit, wie das dargestellte
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Automobil nicht nur Bewegung zeigt, sondern Inhalte und Gefühle transportiert. Die Ausdrucksbewegung als ästhetisches Prinzip ist bei Balász nun aber, im Gegensatz zu den Schauspielertheorien, aufs Engste mit den Mitteln der Kamera verbunden. So trägt vor allem die Großaufnahme zur Fokussierung der Ausdrucksbewegung bei und die ästhetischen Mittel des Agierens vor der Kamera und die Kamera selbst schaffen eine neue filmische Ansicht der Realität, zu deren Verdeutlichung Balázs wiederholt auf die filmische Darstellung des Automobils und seiner Bewegtheit als filmisches Element par excellence zurückgreift. Besonders prägnant zeigen sich die Steigerung des Abstraktionsgrades der Filmtheorien und die damit verbundene Theorieintegration des Automobils in der russischen Montagetheorie der 1920er-Jahre, die die Elemente Szenarien des Autounfalls, Filmische Realisierung der Automobildarstellung sowie Automobil als Symbol quasi theorieintern neu formiert. So ist für Dziga Vertov (1979 [1922], 1979 [1923], 1979 [1924]) und Viktor Schklowskij (1966 [1927], 1966 [1930]) das Automobil ein Symbol des durch technischen Fortschritt zu verwirklichenden Sozialismus, der den Menschen durch filmische Agitation nahegebracht werden soll und von den Zuschauern rezeptiv durch die zum Nachdenken anregenden, kontrastiven Montagesequenzen als ein solches erkannt wird. Die Darlegung der Symbolhaftigkeit und der Inszenierung des Automobils ist hier untrennbar mit der Filmischen Realisierung der Automobildarstellung verbunden. En détail tritt dieses diskursive Element bei Wsewolod. I. Pudowkin (1961 [1928]) hervor, wenn er die Filmische Realisierung der Automobildarstellung am Szenarium eines Autounfalls zu einem seiner zentralen Beispiele macht oder detailliert beschreibt, wie eine Automobilfahrt inszeniert werden sollte, damit die Automobilfahrt als inszenierte Geschwindigkeit und Bewegung besonders gut zur Geltung kommt. Wie Vertov integriert auch Pudowkin seine filmtheoretischen Reflexionen über die Darstellung des Automobils in seinen theoretischen Gesamtentwurf, was bereits dadurch deutlich wird, dass er die filmische Automobildarstellung als „charakteristische Filmarbeit“ beschreibt. Die Ästhetik des Films ergibt sich, vor allem durch die Operationen der Kamera und das Montieren der kameratechnisch mit Bedeutungen und Fokussierungen aufgeladenen Aufnahme. Die Formästhetik ist eng mit der aufklärenden und politisch agitierenden Funktionsbestimmung der Kunst im Zeitalter des technischen Fortschritts und der sozialistischen Reformen verbunden. Auf jeden Fall tritt in den russischen Montagetheorien die starke Affinität zur Technik besonders deutlich am Beispiel des Automobils und dessen filmischer Darstellung hervor. Auch in der letzten Unterphase der ästhetischen Filmtheorie, der Kunsttheorie des Films, formiert sich ein Automobildiskurs – hier besonders über zwei Formen der Thematisierung des Automobils. Vor allem Analogien zwischen Automobil und Film veranschaulichen das Streben nach dem Film als in der menschlichen Kunst und Kultur seit Anbeginn angelegt – so wie die technische
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Entwicklung konsequent von der Kutsche zum Automobil führte – oder verdeutlichen die zu kritisierende Standardisierung der Produktion von Filmen im Vergleich zur sinnvollen Rationalisierung der Herstellung von Automobilen. In der Darstellung des Automobils als einem Sinnbild für Status und Luxus, das im Betrachter des Films ein Bedürfnis erzeugen, aber dieses auch befriedigen kann, zeigt sich hier das Element Automobil als Symbol als besonders etabliert. Bedingt durch das Bestreben der Kunsttheorien, den Film in seiner Gesamtheit der ihn gestaltenden ästhetischen Mittel (Schauspielkunst, Kamerakunst, Montage) und deren Ineinandergreifen zu erfassen, entstehen komplexe und in sich geschlossene Theorieentwürfe, die nicht zuletzt auch die Frage nach der Funktion der Filmkunst stellen und Reflexionen über das Automobil in ihre Theoriegebäude funktional einbinden. So entwickelt sich der Film bei Joseph Gregor (1932) aus dem Streben der Menschheit nach der Visualisierung von Bewegung – weshalb das fahrende Automobil, seiner Meinung nach, so häufig im Film dargestellt wird. Das Automobil erzeugt durch seine filmische Präsenz wiederum einen Besitzwunsch beim Zuschauer, der besonders durch seine Integration in den filmischen Rhythmus unterstützt wird, der die Bewegungsdimension des Automobils als begehrenswert hervorhebt. Rudolf Arnheim (2002 [1932], 1977 [1934]) bindet das Automobil in seine Filmtheorie ein, indem er es auf der einen Seite als Symbol beschreibt, das für etwas steht, das auf der Grundlage der Begrenzung des Bildes nicht anwesend sein kann, oder indem er anhand der filmischen Funktionalisierung der Scheinwerfer als Lichtquellen im Film das Problem der Beleuchtung im Film thematisiert. In beiden Fällen trägt das Automobil, dadurch, dass es künstlerisch in Szene gesetzt wird, dazu bei, das filmisch erzeugte Weltbild als ein vollständiges erscheinen zu lassen, welches der Realität nahekommt, indem es das zur Verfügung stehende Material des Films kreativ ausnutzt. Erwin Panofsky (1999 [1934]) veranschaulicht u.a. durch das Automobil, wie sich der Film an frühere Formen der Volkskunst anlehnt und deren Ursprungsdimension, die Bewegung, so weiterentwickelt bzw. auf eine besondere filmästhetische Weise gestaltet, dass der Film dadurch eine Beliebtheit entwickelt, die auch ihn zu einer Volkskunst werden lässt. Betrachtet man Walter Benjamins (2002 [1939], 1969 [1936]) für den Automobildiskurs relevante Passagen, kann man apperzeptive Verwandtschaftsdimensionen von Automobil und Film beschreiben, die sich aus dem gemeinsamen „chockförmigen“ Wahrnehmungsprinzip speisen bzw. aus der Einübung von diesem durch die Wahrnehmung von plötzlich erscheinenden Automobilen im Straßenverkehr, die den potentiellen Zuschauer für die Wahrnehmung der filmischen Bewegung quasi trainieren.
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Der Automobildiskurs in der Phase der ästhetischen Filmtheorie zeigt sich damit als ein Diskurs der Theorieintegration des Automobils, der die grundsätzlichen Elemente der Thematisierung des Automobils weiterführt und diese mit der Weiterentwicklung des Reflexions- und Abstraktionsgrades der Filmtheorie integrierend auf eine höhere Stufe hebt. In der realistischen Phase der Filmtheorie ab den späten 1940er-Jahren und der beginnenden Ausdifferenzierung der Filmtheorie in den frühen 1960erJahren formiert sich der Automobildiskurs nur sehr marginal, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sich die Filmtheorie immer mehr von der konkreten Auseinandersetzung mit dem filmischen Material und seinen Inhalten entfernt – wodurch natürlich auch die Thematisierung der Darstellung des Automobils filmtheoretisch nicht mehr von Interesse ist. Setzen sich die Theorieentwürfe von Siegfried Kracauer (1999 [1947], 1985 [1960]) und André Bazin (1975, [1958-62]) noch konkret mit dem filmischen Material auseinander und versuchen – abgeleitet aus der herausgearbeiteten realistischen Tendenz zahlreicher Filme – eine Wesensbestimmung des Films durch die Apotheose des realistischen Charakters zur Aufgabe und Funktion des Films, so beginnt bereits mit Edgar Morin (1958 [1956]) eine Verlagerung der Problemstellung der Filmtheorien. Dennoch tauchen in den Theorien mit realistischer Tendenz weiterhin Elemente des Automobildiskurses auf, die mit der Kernaussage der Filmtheorien eng verbunden sind. So thematisiert Kracauer (1999 [1947], 1985 [1960]) das Automobil als Symbol für Technikverliebtheit und Fortschrittsglauben, die er als ein Vorzeichen nationalsozialistischen Gedankenguts versteht, und integriert es auf diese Weise in sein Theoriegebäude. Das Potential des Films, uns etwas zu zeigen, was wir so in der Realität gar nicht mehr wahrnehmen und damit die physische Realität errettende Leistung des Films, zeigt sich für Kracauer, wenn er das Automobil als Symbol für Bewegung und Geschwindigkeit versteht. Diese Geschwindigkeit wird für uns erst im Film realistisch und wahrnehmbar. Vor diesem Hintergrund verweist er auch auf die filmische Tradition der Automobilverfolgung und integriert auf diese Weise das diskursive Element Automobil als inszenierte Geschwindigkeit in sein filmtheoretisches Denken. Bazin (1975, [1958-62]), der sich ganz dem realistischen Einsatz der Mise en scène widmet, thematisiert das Automobil als Handlungsraum, welcher besonders geeignet ist, realistische Szenen zu inszenieren, die den Charakter des originalen Schauplatzes und dessen Realität hervorbringen. Auch Morin (1958 [1956]) erkennt das Potential des Automobils als Handlungsraum. Der Film kann dem Zuschauer, indem er beispielsweise die Führerkabine eines Lastkraftwagens zeigt, Orte erfahren lassen, die ihm im Alltag verwehrt bleiben und somit seinen Erfahrungshorizont filmisch erweitern.
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Die filmtheoretische Thematisierung des Automobils verdeutlicht ihren diskursiven Charakter in der Filmtheorie der späten 1940er- bis frühen 1960er-Jahre vor allem dadurch, dass dieser auf wenige etablierte Elemente beschränkt bleibt, die jedoch in die einzelnen Theorien spezifisch integriert werden. Damit ist die Automobilthematisierung auch hier in erster Linien ein Diskurs der analytischen Integration, der sich der im Vergleich zu den ästhetischen Filmtheorien der 1920er- und 1930er-Jahre noch gesteigerten Abstraktionsleistung und zunehmenden Entfernung vom konkreten Gegenstand des Film anpasst. Bis er letztlich in der Ausdifferenzierung der Filmtheorie und der damit verbundenen abstrakteren Fassung des Films, vor allem in der Filmsemiotik, Filmologie und Phänomenologie, verschwindet. Entsprechend findet hier auch immer seltener eine Thematisierung des Automobils statt. In der Phase technikdeterministischer Theoretisierungen des Films und im Rahmen der Genretheorie des Films ab den späten 1960er-Jahren tritt der Automobildiskurs dann wieder deutlich hervor. Unter dem Begriff des Technikdeterminismus wurden hier medientheoretische Ansätze von Marshall McLuhan (1995 [1964]) und Paul Virilio (1978, 1986 etc.), die u.a. auch den Film fokussieren, ebenso subsumiert wie über Parallelen zwischen Film und Automobil reflektierende Publikationen bzw. Theoretiker, die ihren Betrachtungen Jean-Louis Baudrys Entwurf einer Dispositivtheorie filmischer Apparate zugrunde legen. Eine Auseinandersetzung mit dem Automobil formiert sich in allen drei Ansätzen nahezu ausschließlich als Analogien zwischen Automobil und Film. Dadurch, dass sich keiner der Entwürfe mit den Inhalten und ästhetischen Mitteln des Films auseinandersetzt, sondern die technische Apparatur in den Mittelpunkt stellt, ohne, wie beispielsweise die russischen Formalisten, auf deren spezifische Möglichkeiten einzugehen, heben sie die Filmtheorie auf eine neue Stufe der Abstraktion. Im Gegensatz zu den ästhetischen Filmtheorien integrieren die Technikdeterministen das Automobil nicht argumentativ in ihre Theorieentwürfe, sondern sie entwerfen strukturelle und apperzeptive Beziehungen zwischen Automobil und Film, die nur innerhalb ihrer Denkgebäude Sinn machen und eine Funktion erfüllen. Damit zeigt sich die Thematisierung des Automobils in technikdeterministischen Theoretisierungen zum Film als ein Diskurs der Konstruktion von Analogien zwischen Automobil und Film, die zur Grundlage von filmtheoretischen Reflexionen werden. Darin zeigt sich auf der einen Seite die mehr oder weniger völlige Entfernung vom konkreten Gegenstand der Reflexion, dem Film (und natürlich auch dem Automobil). Auf der anderen Seite erfährt das Diskurselement der Analogiebildung eine Bedeutungssteigerung und Intensivierung, wie sie nur durch einen Abstraktionsgrad wie den des Technikdeterminismus möglich ist. Ganz im Gegensatz dazu steht die Genretheorie des Films, die sich mit dem Wissen und Erbe der gesamten Filmtheorie wieder primär dem Inhalt und den
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ästhetischen Gestaltungsmitteln des Films zuwendet, und dadurch auch das Automobil als filmisches Element von Bedeutung wieder reflektiert und theoretisiert. In ähnlicher Weise, wie der Technikdeterminismus den Teildiskurs Analogien zwischen Automobil und Film zum Prinzip filmtheoretischer Reflexion über das Automobil erhoben hat, fokussiert und theoretisiert die Genretheorie, vor allem die hier im Mittelpunkt stehende des Road Movies, das Diskurselement Automobil als klassifizierendes Element, indem sie andere diskursive Elemente (Automobil als Symbol, Automobil als Handlungsraum, Autofahrt als inszenierte Geschwindigkeit) quasi zu dessen Bedingung ausbaut. Im Road Movie ist das Automobil nicht nur ein Ausstattungselement einer Gruppe von Filmen, sondern es ist narrativ und motivisch in sie integriert. Motivisch dadurch, dass das Automobil die für das Road Movie konstitutive Reise entlang einer Straße ermöglicht, da sie durch dieses realisiert wird und die Protagonisten im Automobil unterwegs sind. Narrativ dadurch, dass das Road Movie von Aufbrüchen und Veränderungen erzählt, die die Lebenssituationen der Protagonisten hinterfragen, und das Automobil untrennbar mit diesem Aufbrechen und Hintersichlassen verbunden ist. In beiden Fällen spielt die Bewegung des Automobils eine entscheidende Rolle – entweder als reale Distanzen überbrückendes Fahrzeug oder als Bild für den generellen Aufbruch in ein anderes Leben. Wenn auch auf einige diskursive Elemente fokussiert, so zeigt sich die Thematisierung des Automobils in der Genretheorie (des Road Movies) sowohl als ein Diskurs der Darstellung des Automobils im Film als auch des Verhältnisses von Automobil und Film, die sich hier geradezu überlagern. Besonders an der Diskussion des Automobils als Symbol(träger) zeigt sich aber auch, dass das Automobil in das Theoriegebäude der Genretheorie integriert wird, wenn es mit den wesentlichen Eckpfeilern einer jeden Genretheorie, den wiederkehrenden motivischen und narrativen Elementen, verwoben wird. Damit werden wesentliche Thematisierungen des Automobils aus der Frühphase des filmtheoretischen Denkens in der Genretheorie (des Road Movies) wieder aufgenommen und diskursiv in deren Theoriegebäude integriert. Resümierend betrachtet zeigt sich wie und dass sich der Automobildiskurs über nahezu 100 Jahre Filmtheorie formiert hat und eng mit der Entwicklung dieser verbunden ist. So hat er in einer abwechslungsreichen Karriere verschiedene Sichtweisen über die Darstellung des Automobils im Film und das Zusammendenken von Automobil und Film hervorgebracht, die nahezu vollständig bereits in der Frühphase des filmtheoretischen Denkens angelegt waren, sich prozesshaft immer wieder in die Filmtheorie integriert haben und im Wesentlichen aus der Auseinandersetzung mit der realen und potentiellen Bewegtheit des Automobils resultieren. Eine Bewegtheit, die letztlich dazu führt, dass das Automobil eine nicht unwesentliche Rolle im Rahmen der Filmtheorie und ihrer Entwicklung einnimmt. Dem Automobil, so konnte im Rahmen der Untersuchung nachgewiesen und veran-
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schaulicht werden, kommt innerhalb der Film-theorie die Funktion einer konstruktiven Metapher zur Wesensbestimmung des Films zu. 8.3 Ausblick: inhaltlich und methodisch Mit der Genretheorie und der Dispositivtheorie filmischer Apparate, die als „letzte“ große Phasen der Filmtheorie hier berücksichtigt wurden, endet selbstverständlich nicht die Entwicklung der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Film und auch die filmtheoretische Thematisierung und Diskussion des Automobils bricht hier nicht unvermittelt ab. In ähnlicher Weise wie der Automobildiskurs in seinen Elementen in der Geschichte der Filmtheorie immer wieder aufgenommen und vor dem Hintergrund der jeweiligen Reflexionen zeitgemäß reformuliert und reformiert wird, nimmt auch die neuere Filmtheorie immer wieder bereits diskutierte Entitäten und Dimensionen auf und verortet sie neu. Aktuelle bzw. vor allem in den letzten Jahren erörterte Theorien – wie die des, durch die Arbeiten von David Bordwell und Kristin Thompson (vgl. beispielhaft Bordwell/Thompson 2008) geprägten Neoformalismus oder die „Filmphilosophie“ von Gilles Deleuze (1997 [1983], 1997 [1985]) – beziehen ihre Anregungen u.a. aus der Neubewertung und Integration des russischen Formalismus, der Filmsemiotik oder auch psychoanalytisch beeinflusster Theorien des Films. Auch wenn beispielsweise Deleuze das Automobil thematisiert, in dem er die „bewegliche Kamera als allgemeines Äquivalent aller Fortbewegungsmittel, die sie zeigt oder deren sie sich bedient (Flugzeug, Auto, Schiff, Fahrrad, Gehen, U-Bahn …)“ (Deleuze 1997 [1983], S. 41, Herv. i. O.) beschreibt, tritt der Automobildiskurs in der neueren und neuesten Filmtheorie nur sehr bedingt hervor. Erste exkursive Analysen von Fernsehtheorien weisen jedoch daraufhin, dass sich der Diskurs, wenn auch nicht dorthin verlagert hat, so sich aber in diesen nachweisbar und in ähnlicher Gestalt formiert (vgl. neben anderen Cavell 2001 [1982], Ellis 1993 [1982] sowie Bachmair 1986, 1996) – was aufgrund der filmischen Verfasstheit des Fernsehens (vgl. Keppler 2006) nicht wirklich verwunderlich ist. Die Ausweitung der in dieser Arbeit erfolgreich erprobten Konzeption einer durch Verfahren der Grounded Theory methodisch fundierten Diskursanalyse auf die Analyse der Thematisierung des Automobils in der Fernsehtheorie würde mit Sicherheit eine sinnvolle Ergänzung und Erweiterung darstellen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der u.a. von Siegfried Zielinski (1989) und Siegfried Reinecke (1992) skizzierten parallel einsetzenden massenhaften Verbreitung des Fernsehens und des Automobils im Nachkriegsdeutschland der späten 1950erund 1960er-Jahren und der damit verbundenen Individualisierung und Autonomisierung des Fahr- und Filmerlebens.
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Losgelöst von der konkreten Thematik stellt die in dieser Arbeit entwickelte und im Detail vorgeführte methodische Vorgehensweise – durch Verfahren der Grounded Theory einen Diskurs inhaltlich herauszuarbeiten – ein methodisches Gerüst dar, welches die Grundlage für zukünftige transparente und nachvollziehbare Diskursanalysen bieten kann und aufzeigt, in welche Richtung sich eine Kombination von medien- und filmwissenschaftlichen und damit geisteswissenschaftlichen Fragestellungen mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Methoden (weiter) entwickeln könnte. Die Fahrt hat also gerade erst begonnen …
9 Literaturverzeichnis
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10 Filmverzeichnis