Birgit Reißig Biographien jenseits von Erwerbsarbeit
Birgit Reißig
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Birgit Reißig Biographien jenseits von Erwerbsarbeit
Birgit Reißig
Biographien jenseits von Erwerbsarbeit Prozesse sozialer Exklusion und ihre Bewältigung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Priska Schorlemmer VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17561-4
Inhaltsverzeichnis 1
Einleitung..................................................................................................... 7
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Theorie der sozialen Exklusion ................................................................ 17 2.1 Soziale Exklusion – kein neues Phänomen im Kapitalismus .................. 17 2.2 Einblick in den internationalen Diskurs – eine Begriffsgeschichte ......... 20 2.2.1 Frankreich – die Ansätze von PAUGAM und CASTEL ............................... 20 2.2.2 Die angloamerikanische Debatte – der Underclass-Begriff ........................... 25
2.3 Der Diskurs in Deutschland – die Hauptlinien ........................................ 28 2.3.1 Soziale Ungleichheit, Zentrum-Peripherie und die „Überflüssigen“ ............. 28 2.3.2 Konzept der sozialen Exklusion nach KRONAUER ..................................... 34
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Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe .......... 45 3.1 Institutionalisierung des Lebenslaufs und Normalbiographie ................. 45 3.2 Biographische Verläufe ........................................................................... 48
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Copingstrategien im Lebenslauf .............................................................. 55 4.1 Kritische Lebensereignisse und allgemeine Bewältigungsstrategien ...... 55 4.2 Bewältigungskonzepte im Jugendalter .................................................... 59 4.3 Der Copingansatz von BRANDSTÄDTER und GREVE ....................... 61
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Annahmen der Untersuchung .................................................................. 67
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Untersuchungsdesign und Methoden ...................................................... 71 6.1 Grundlagen des qualitativen Untersuchungsdesigns ............................... 71 6.2 Datenerhebung......................................................................................... 72 6.2.1 Das erste Interview: biographische Erzählung ............................................... 72 6.2.2 Das zweite Interview: Aspekte sozialer Exklusion und ihre Bewältigung ..... 75
6.3 Datenauswertung – qualitative Inhaltsanalyse ......................................... 78 7
Untersuchungssample ............................................................................... 83
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Ergebnisse.................................................................................................. 87 8.1 Soziodemographische Beschreibung des Untersuchungssamples ........... 87 8.2 Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der jungen Erwachsenen ................. 89 8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion ........................................................ 96 8.3.1 Erfahrungen sozialer Exklusion neben der Arbeitsmarktexklusion ............... 96 8.3.2 Verteilung von Erfahrungen sozialer Exklusion im Untersuchungssample . 119
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8.4 Copingstrategien .................................................................................... 122 8.4.1 Bewältigung auf der Einstellungsebene ....................................................... 122 8.4.2 Bewältigung auf der Ebene des Handelns.................................................... 128 8.4.3 Copingstrategien auf der Einstellungs- und Handlungsebene in beiden Erfahrungsgruppen mit sozialer Exklusion ................................................. 131
8.5 Verlaufstypen ........................................................................................ 133 8.5.1 Verlaufstyp I: Verschärfung sozialer Exklusion .......................................... 135 8.5.2 Verlaufstyp II: gleichbleibendes Ausmaß sozialer Exklusion...................... 153 8.5.3 Verlaufstyp III: Verringerung sozialer Exklusion........................................ 175 8.5.4 Fazit zu den Verlaufstypen .......................................................................... 193
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Zusammenfassung .................................................................................. 197
10 Literatur .................................................................................................. 207
1 Einleitung
Zunehmend sieht sich auch die Mittelschicht von Prozessen sozialer Ausgrenzung bedroht und befindet sich u. U. bereits in einer Zone der Verwundbarkeit (Castel 2000a). Das hat das Gefühl eines Unbehagens hervorgebracht, welches dazu führt, dass in den letzten Jahren die Diskussion um Exklusion und Inklusion, um Überflüssige, um Entkopplung und Prekarität angefacht wurde. Erst mit der Angst, dass gesellschaftliche Strukturprozesse auch die Welt der Mittelschicht erschüttern können, scheint ein verstärktes Nachdenken über Fragen sozialer Ungleichheit, die sich jenseits horizontaler Ungleichheitsaspekte abspielen, auf die Tagesordnung gebracht zu haben. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo der sich in anderen europäischen Ländern bereits intensiv abspielende Diskurs um soziale Exklusion und soziale Ungleichheit, lange Zeit weithin unbeachtet blieb (Kronauer 2006). Doch auch in Deutschland scheint, wenn auch noch wenig empirisch erforscht und belegt, Unbehagen darüber zu existieren, dass zu Beginn des neuen Jahrtausends die Gefahren sozialen Ausschlusses sich für eine wachsende Anzahl von Menschen vergrößert haben (Bude 2004). Dabei wird vielfach betont, dass die „Schockwellen“ (Castel 2000a) einer neuen Furcht vor sozialem Ausschluss insbesondere aus der Mittelschicht herrühren (Vogel 2004; Barthelheimer 2002; Castel 2000a, 2000b; Kronauer 2002, 2006; Newman 2000). Mit der Fokussierung auf die Mittelschicht besteht jedoch die Gefahr, dass diejenigen, die bereits seit langem und massiv von sozialer Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind, aus dem Blickfeld geraten und als Überflüssige oder Underclass gelabelt werden, die zuletzt doch selbst für ihre prekäre Lage verantwortlich sind. Das widerspiegelt sich zunehmend auch in der Ausrichtung wohlfahrtsstaatlichen Handelns. Es wird auf die Ausbildung eines „Arbeitskraftunternehmers“ (Voß, Pongratz 1998) orientiert. Somit wird der neue Wohlfahrtsstaat „zum Generator in Individualisierungsprozessen“ (Bude, Willisch 2006). Vor allem von den Medien wird das Leben an den Rändern der Gesellschaft in düsteren Farben als Horrorszenario geschildert, insbesondere, wenn sich soziale Konflikte in gewalttätigen Auseinandersetzungen entladen wie vor einigen Jahren in den Pariser banlieues. Die Politik, insbesondere auf der europäischen Ebene, hat sich des Themas sozialer Exklusion seit Ende der 1980er/Anfang der
B. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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1 Einleitung
1990er Jahre angenommen. Die Europäische Union stellte ihre Bemühungen im Kampf gegen Armut nun in den Kontext sozialer Exklusion (Commission of the European Communities 1993). Die Forschungsprogramme der EU führten das Thema soziale Exklusion explizit auf (vgl. das 7. Rahmenprogramm der EU, in dem das Thema „Jugend und soziale Exklusion“ zu einem Schwerpunkt gemacht wurde) und beförderten damit einen Boom des Begriffes auf politischer, praktischer und wissenschaftlicher Ebene (Steinert 1999; Littlewood, Herkommer 2000; Steinert, Pilgram 2003). Die sozialwissenschaftliche Diskussion reagiert teilweise sehr diffus auf die beobachtbaren gesellschaftlichen Entwicklungen von Exklusion am Beginn des 21. Jahrhunderts. Insbesondere um die begriffliche Erfassung dieser gesellschaftlichen Entwicklungen wird in Deutschland (aber nicht nur hier) gerungen. So wird, wenn der Begriff der sozialen Exklusion (oftmals auch soziale Ausgrenzung) benutzt wird, nicht unbedingt über das Gleiche gesprochen (Luhmann 1997; Nassehi 1997; Kronauer 1998, 2002). Es wird vom Phänomen der Überflüssigen gesprochen (Bude 1998). Andere Autoren sehen, insbesondere in den neuen Bundesländern, einen „sekundären Integrationsmodus“ vorliegen (Land, Willisch 2006). In Anlehnung an Castel (2000b: 14) wird auch immer wieder von Entkopplung des Randes vom Zentrum der Gesellschaft gesprochen und in der jüngeren Debatte findet sich die Kategorie der Prekarität1 (Dörre 2006). Dabei wird jeweils versucht, ein Phänomen zu beschreiben, das Fragen nach den Bedingungen und Erfahrungen sozialer Ungleichheitsentwicklungen aufwirft. Vor allem Länder wie Frankreich, die USA und Großbritannien, in denen die gesellschaftlichen Auswirkungen sozialer Ausgrenzungsprozesse bereits eher als in Deutschland sichtbar wurden, haben das Nachdenken über „Exclusion sociale“ oder die „Underclass“ vorangetrieben (z. B. Wilson 1987; Castel 2000a). Das gilt für die genannten Länder mit ihren Problemen in den banlieues und den Ghettos (Jargowsky 2004; Waquant 2004). Mit den Diskussionen rückt gleichzeitig eine räumliche Komponente in das Blickfeld der Fragestellungen um die soziale Ausgrenzung. Sozial-räumliche Ausgrenzung schien für Deutschland lange Zeit keine Aktualität zu besitzen. Verglichen mit den Erfahrungen in Frankreich, den USA und auch Großbritannien trifft das für die meisten Städte hierzulande nach wie vor zu. Dennoch haben Studien in den letzten Jahren gezeigt, dass in Deutschland – insbesondere in Großstädten – Tendenzen räumlicher Segregation virulent wurden (u. a. Dangschat 1995; Häußermann 1997; Häußermann, Kapphan 2000; Farwick 2004). Aber auch jenseits räumlicher Segregation, werden immer stärker Tendenzen sozialen Ausschlusses sichtbar 1
Zum Beispiel wurde am 4.5.2007 von der Universität Jena eine Tagung mit dem Titel „Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts - Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung“ durchgeführt, an der u. a. Robert Castel zu diesem Thema referierte.
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oder zumindest erahnbar (vgl. z. B. der dauerhafte Ausschluss von Erwerbsarbeit). Anhaltende Marginalisierung am Arbeitsmarkt bis hin zum dauerhaften Ausschluss von Erwerbsarbeit bilden den Kern der Debatte über soziale Ausgrenzung. Die damit einhergehenden Konsequenzen wie beispielsweise Armut, Verminderung von gesellschaftlichen Teilhabechancen, das sukzessive Herausfallen aus institutionellen Bezügen scheinen den „kurzen Traum immerwährender Prosperität“ (Lutz 1984) endgültig zu begraben. Die Auswirkungen sozialer Exklusion sind jedoch auch dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen immer stärker sozial isoliert sind oder werden. Das bedeutet neben der Vereinzelung auch das Zurückgeworfensein auf ein soziales Umfeld, das sich aus ähnlich marginalisierten Personen zusammensetzt. Damit werden auch jene Unterstützungsnetzwerke brüchig, die einen Zugang zu Institutionen oder zum Arbeitsmarkt befördern könnten. Die Realisierung eines Normallebensverlaufs, zu dem vor allem die institutionalisierte Abfolge eines Bildungs- und Erwerbsverlaufs gehört (Kohli 1985), in dessen Zentrum ein möglichst ununterbrochenes Vollzeiterwerbsarbeitsverhältnis steht (Mückenberger 1985), scheint immer weniger zu den selbstverständlichen Bedingungen heutiger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gehören. Kürzere aber auch lange Phasen von Arbeitslosigkeit bestimmen eine Reihe von Erwerbsverläufen. Prekäre Beschäftigungsformen (z. B. Zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge) werden für eine wachsende Anzahl von Frauen und Männern zur Normalität (Mutz et al. 1995; Oschmiansky, Oschmiansky 2003). Selbst denjenigen, die in scheinbar gesicherten Arbeitsverhältnissen stehen, geht häufig der Glaube an die Beständigkeit des eigenen Arbeitsplatzes verloren. Auch für Jugendliche und junge Erwachsene erhöhen sich die Probleme bei der Bewältigung der ersten Schwelle (von der Schule in Ausbildung) und zweiten Schwelle (von der Ausbildung in Erwerbsarbeit). Trotz der jahrelang im europäischen Vergleich geringeren Arbeitslosenzahlen der unter 25-Jährigen steigen in der Bundesrepublik auch in diesem Alterssegment die Arbeitslosenquoten in den letzten Jahren kontinuierlich an oder verbleiben auf hohem Niveau. So stiegen die Arbeitslosenzahlen der unter 25-Jährigen von 2001 443.888 bis 2003 auf 516.131. Auch im Januar 2008 lagen die Arbeitslosenzahlen noch immer über einer halben Million (ca. 540.000). Das entspricht einem Anteil von 10,5 %. Besonders gravierend ist dabei der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern. In letzteren betrug die Arbeitslosenquote der unter 25Jährigen 2004 18,3 % und war damit doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern (9 %). In den neuen Bundesländern kommen die Probleme, wie vorstehend aufgezeigt, besonders an der zweiten Schwelle zum Tragen (Lutz 2001), da im Ausbildungssektor der außerbetriebliche Anteil eine höhere Quote der Aus-
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bildungslosigkeit verhindert. Dennoch kann sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands nicht von einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage an Ausbildungsplätzen gesprochen werden. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen überstieg auch im Jahr 2006 das Angebot (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2007). Dazu kommen diejenigen Jugendlichen, die in den Vorjahren unversorgt geblieben waren und jeweils mit den aktuellen Schulabgängern um die begrenzte Anzahl der Ausbildungsplätze konkurrieren. Mit diesen schlechten Aussichten für eine erfolgreiche Platzierung innerhalb des Ausbildungs- und Übergangssystem werden formale Bildungsabschlüsse die entscheidenden Zugangsvoraussetzungen (Solga 2005, 2006). War das schulische Bildungssystem vor Jahrzehnten so aufgebaut, dass mit einem Hauptschulabschluss der Weg in eine duale Berufsausbildung ermöglicht wurde, ist dieser Abschluss in den letzten Jahren einer immer stärkeren Entwertung unterlegen (Braun, Lex, Rademacker 2001; Reißig et al. 2006). Laut Berufsbildungsbericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sind es aber gerade Schülerinnen und Schüler der Hauptschulen, die am stärksten den Wunsch (zu 71 %) nach Ausbildung in einem anerkannten Beruf äußern (BMBF 2005). Gegenüber Jugendlichen mit Realschulabschlüssen oder gar dem Abitur, die eine Berufsausbildung aufnehmen wollen, haben Absolventen von Hauptschulen häufig das Nachsehen. Führt man sich vor Augen, dass das Einmünden in Hauptoder Realschule oder Gymnasium gerade hierzulande stark von der sozialen Herkunft dominiert wird, werden soziale Unterschiede bei der Möglichkeit der Erlangung bestimmter sozialer Positionen bereits sehr früh determiniert (vgl. PISA-Untersuchungen 2000 und 2003 Baumert et al. 2001; Prenzel et al. 2004). Direkte Übergänge von Schule in Ausbildung und Ausbildung in den ersten Arbeitsmarkt werden also für einen Teil der Jugendlichen immer weniger realistisch. Dabei nutzen eine Reihe von ihnen die notwendig werdenden oder bewusst gewählten Zwischenstationen als Chance, sich auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln oder die eigenen Bildungsvoraussetzungen zu verbessern (z. B. Auslandsaufenthalt, Freiwilliges soziales Jahr). Für andere Jugendliche und junge Erwachsene jedoch erweisen sich diese Zwischenstationen zumindest als Umwege, manchmal sogar als Sackgassen. Sie werden in Maßnahmen vermittelt, die ihnen kaum den Weg in Ausbildung und Arbeit ebnen, die zuweilen die Stigmatisierung auf Seiten der ausbildenden Betriebe und Einrichtungen erhöhen (Lex 1997). Diese, mit dem Etikett „benachteiligt“ versehenen, jungen Frauen und Männer mit so genannten Maßnahmekarrieren werden von den zuständigen Institutionen oftmals als ausgefördert betrachtet. Eine rigide Auslegung des so genannten Hartz IV-Gesetzes des SGB II für die unter 25-Jährigen sieht die Kürzung oder Streichung der finanziellen Unterstützung vor, wenn diese jungen Erwachsenen ihnen angebotene Maßnahmen ablehnen. Auch wenn dazu noch
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keine empirischen Daten vorliegen, steht zu vermuten, dass dies eine Tendenz stärkt, die bisher in Einzelfällen zu beobachten war2. Benachteiligte und mehrfach an der ersten und/oder zweiten Schwelle gescheiterte Jugendliche und junge Erwachsene ziehen sich aus institutionalisierten Bezügen zurück. Sie sind beispielsweise nicht mehr in den Arbeitsagenturen gemeldet. Die Vermutung liegt nahe, dass auch hierzulande eine Gruppe (wie umfangreich sie auch immer sein mag) existiert, für die sich soziale Exklusion als reales Thema in ihrer Lebenswelt darstellt. Eine Gruppe, die entweder bereits von sozialem Ausschluss betroffen oder aber davon massiv bedroht ist. Trotz der sich offenbar ausweitenden Angst vor sozialem Ausschluss auch in bisher traditionell davor verschonten Schichten der Gesellschaft, sind tatsächlich nicht alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen davon berührt. Es sind vor allem diejenigen, die aufgrund schlechter oder fehlender Bildungsabschlüsse, aufgrund des Geschlechts, der sozialen oder regionalen Herkunft oder aufgrund eines vorhandenen Migrationshintergrundes einem höheren Risiko der sozialen Exklusion ausgesetzt sind. Sie gehören nicht selten einer vulnerablen Gruppe an, die verstärkt Strategien anwendet (anwenden muss), einen (weiteren) Prozess der sozialen Ausgrenzung zu verhindern. Soziale Exklusion wird als ein Prozess gedacht, der in beide Richtungen (Inklusion – Exklusion) offen ist (Castel 2000a; Kronauer 2002). Diese möglichen Entwicklungsrichtungen sozialer Exklusion öffnen forschungspraktisch den Blick auf die Deutungen und das Handeln der Betroffenen. Soziale Exklusion kann nicht als eine Einbahnstraße betrachtet werden, die in einem unveränderbaren Exklusionszustand als „biographischer Endstation“ mündet (Vobruba 2000: 107). Bezogen auf die Erwartungen und Pläne von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mit schlechten Startbedingungen versuchen, sich im Ausbildungs- und Erwerbssystem erfolgreich zu platzieren, haben eine Reihe von Untersuchungen ergeben, dass gerade sie, unabhängig vom Gelingen, stark am Normalitätsprinzip von Biographien ausgerichtet sind (Gaupp et al. 2004; Walther 2004; Förster et al. 2006). Diese Ausrichtung kann jedoch in den meisten Fällen als eine Reaktion der wahrgenommenen Erwartungen seitens der Institutionen gedeutet werden, mit denen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommunizieren.
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Die hier ausgewerteten Interviews wurden 2002 und 2003 geführt. Zu diesem Zeitpunkt war das SGB II, das die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe regelt, noch nicht in Kraft getreten.
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1 Einleitung „Das erwerbszentrierte deutsche Übergangssystem3 orientiert sich nach wie vor am Normallebenslauf und der Maxime ‚Ausbildung für alle bzw. ihrer wohlfahrtsstaatlichen Variante: ‚Jede und jeder muss unterkommen. Die Koppelung einer selektiven Schule an ein rigide standardisiertes System beruflicher Bildung garantiert jedoch immer weniger eine verlässliche, wenn auch ungleiche Zuweisung zu sozialen Positionen; ein wachsender Anteil junger Frauen und Männer bleibt von einer regulären Ausbildung ausgeschlossen“ (Walther 2004, Hervorhebung im Original).
Benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich somit in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite stehen die Anforderungen von Institutionen des Übergangssystems, die auf die Normalbiographie (Levy 1996) abzielen und die von den jungen Frauen und Männern zumeist in ihr eigenes Orientierungsmuster übernommen werden. Auf der anderen Seite unterliegen sie der Anforderung eben dieser Institutionen, selbständig ihre (Berufs-)Biographien gestalten zu müssen. Die Verantwortung für die Ausbildungs- und Erwerbswege wird den Individuen selbst zugeschrieben. Damit bewegen sich die Betroffenen zwischen den institutionellen Vorgaben und Erwartungen und den eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten der Biographiegestaltung. Gerade benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird seitens der Institutionen des Übergangs oftmals weniger Spielraum zugestanden als anderen jungen Frauen und Männern. Die individuelle Verantwortung für ihre Biographiegestaltung wird ihnen dennoch auferlegt. Es bleibt also die Frage, wie benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in ihren Ausbildungs- und Erwerbskarrieren dauerhaft oder immer wieder in prekären Situationen befinden, und damit der Gefahr der sozialen Ausgrenzung unterliegen, Handlungsoptionen wahrnehmen und nutzen. Dabei geht es um die Betrachtung „multidimensionaler und dynamischer Prozesse von Einschluss und Ausschluss in der Gesellschaft unter Beachtung der akteurseigenen Deutungen und Handlungspotentiale in diesen Prozessen“ (Vobruba 2000: 107). Aus Akteurssicht müssen also die Deutungen der Betroffenen über Institutionen, oder besser: ihrer Gatekeeper (Struck 2000) untersucht werden, und es geht um die Erfassung von Copingstrategien. So können Erkenntnisse u. a. darüber gewonnen werden, wie von sozialer Exklusion bedrohte oder betroffene Personen diese Ausgrenzungsprozesse beeinflussen, aber auch, wo die Grenzen individueller Einflussmöglichkeiten liegen. 3
Mit dem Begriff Übergangssystem werden alle Angebote und Maßnahmen beschrieben, in die Jugendliche vermittelt werden, denen der direkte Übergang von der Schule in Ausbildung nicht gelingt. Über schulische und praktische Maßnahmen sollen die Jugendlichen die Ausbildungsreife erhalten. In diesen Maßnahmen (z. B. Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) oder Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB) können keine Ausbildungsabschlüsse erlangt werden (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006).
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Solche Bewältigungsstrategien können dabei auf zwei Ebenen betrachtet werden: einmal auf der Einstellungsebene, bei der normative Vorstellungen (z. B. der Ausrichtung des eigenen Lebens an der Normalbiographie) beibehalten und verstärkt werden oder aber Normen und Werte werden verändert und es wird eine Reorganisation von Zielen und Wünschen vorgenommen (Brandtstädter, Greve 1992). Die zweite Ebene, auf die sich Bewältigung bezieht, ist die Handlungsebene. Die Strategien können problemzentriert und eher aktiv auf die Umwelt ausgerichtet sein oder emotionsorientiert, eher auf die eigene Person gerichtet. Für die Erfassung von Prozessen der Exklusion und Inklusion von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und die angewandten Handlungsstrategien ist Coping weniger in seinem Einfluss auf intrapersonale Voraussetzungen und Veränderungen von Bedeutung als vielmehr als transaktionales Verhältnis zwischen Person und Umwelt (Lazarus, Folkman 1987; Lazarus 1991). In der soziologischen Betrachtung tritt Bewältigung als sozioökonomisches Coping ins Blickfeld, das auf die Erhaltung oder Wiederherstellung entscheidender Teilhabebedingungen gerichtet ist (Gerhardt 1986). Die vorliegende Arbeit stellt junge Erwachsene ins Zentrum der Betrachtung, deren Ausbildungs- und Erwerbskarrieren zum Großteil jenseits der Normalitätserwartungen verlaufen. Sie sind über lange Zeit oder immer wieder arbeitslos und geraten so in die Gefahr sozial ausgegrenzt zu sein. Das theoretische Konzept sozialer Exklusion eröffnet für die Analyse verschiedene Möglichkeiten. So schafft es eine Verbindung zwischen objektiv feststellbaren Kriterien und dem subjektiven Empfinden sozialer Ausgrenzung (Bude, Lantermann 2006). Das Konzept sozialer Exklusion fußt an zentraler Stelle auf dem Problem der dauerhaften Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt. Als damit in Wechselwirkung stehend und Einfluss nehmend auf den Fakt sozialer Ausgrenzung treten weitere entscheidende Aspekte hinzu – die der sozialen Isolation sowie des Schwindens anerkannter Teilhabemöglichkeiten in der Gesellschaft (die sich nicht allein in materieller Teilhabe erschöpfen). So zeigen vereinzelt empirische Arbeiten, dass soziale Isolation oder, im Gegenteil, soziale Eingebundenheit bei vorhandener Arbeitslosigkeit einen verstärkenden oder verringernden Einfluss auf soziale Exklusion haben können (Callies 2004). Soziale Exklusion muss als Zustand und Prozess betrachtet werden. Auf der Forschungsebene hat das von der Europäischen Kommission unterstützte Projekt (YUSEDER), das für Deutschland von der Universität Bremen durchgeführt wurde, eine Zustandsbeschreibung für die einzelnen Exklusionsaspekte im Vergleich zu weiteren sechs EU-Ländern erbracht (Kieselbach et al. 2001). Für die hier untersuchten Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde gezeigt, dass das bestehende Ausmaß sozialer Exklusionsrisiken in Deutschland besonders ausge-
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prägt ist (Kieselbach, Beelmann 2003). Das rührt vor allem aus der im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stärker ausgeprägten sozialen Isolation her. Eine Frage, die an die zuvor erwähnte Studie anknüpft, ist die nach der Prozesshaftigkeit von sozialer Ausgrenzung. Was macht auf der einen Seite soziale Exklusion zu einem Syndrom, aus dem es für die Betroffenen nur schwer eine Rückkehr zu mehr Inklusion gibt und welche Entwicklungen sind auf der anderen Seite dafür entscheidend, dass bei vorhandenen einzelnen Aspekten sozialer Exklusion der Weg aus der Ausgrenzung funktioniert? Das lenkt den Blick über die Erfassung des Zustandes sozialer Exklusion hinaus zur Betrachtung von Prozessen sozialer Exklusion, bei denen vor allem auch die Bewältigungsmechanismen der Betroffenen im Umgang mit sozialer Exklusion Beachtung finden. Die vorzustellende Untersuchung hat die Prozesshaftigkeit sozialer Ausgrenzung in das Zentrum der Betrachtung gerückt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Prozesse sozialer Exklusion prinzipiell in alle Richtungen offen sind. Das bedeutet, dass beginnende Prekarisierungen in eine Verschärfung sozialer Exklusion münden können, dass aber in anderen Fällen, Wege aus sozialer Ausgrenzung in Richtung sozialer Inklusion ebenso denkbar und möglich sind. Als dritte Möglichkeit verbleibt ein über längere Zeiträume hinweg etwa gleiches Ausmaß an sozialer Exklusion. Über die Ausbreitung sozialer Exklusion in der Gesellschaft wurden in Deutschland bislang kaum Untersuchungen angestellt4. Darüber kann auch die hier vorzustellende Untersuchung keine Auskunft geben. In ihrem Mittelpunkt stehen vielmehr junge Erwachsene, über deren individuelle Erfahrungen mit sozialer Exklusion im Lebenslauf Erkenntnisse gewonnen werden sollen. In der Untersuchung werden Biographien betrachtet, die am Rande normaler Erwerbsarbeit verlaufen. Im Mittelpunkt stehen dabei Ausbildungs- und Erwerbsverläufe junger Erwachsener. Es wird zunächst auch die Frage des Ausmaßes sozialer Exklusion zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben gestellt sowie das Zusammenspiel unterschiedlicher Aspekte sozialen Ausschlusses (z. B. von Arbeitslosigkeit und sozialer Isolation). Zentraler Aspekt der Untersuchung ist jedoch die Frage nach Verlaufsprozessen sozialer Exklusion, nach den individuellen Deutungen von Determinanten solcher Prozesse durch die jungen Erwachsenen sowie Bewältigungsstrategien, die die jungen Frauen und Männer einsetzen. Unter welchen Bedingungen wird dabei soziale Exklusion zum Syndrom, aus dem sich zu befreien den Betroffen nur schwer gelingt? Unter welchen Bedingungen können Exklusionsprozesse aber auch umgekehrt werden? Dazu werden Verlaufstypen gebildet, die die drei möglichen Richtungen von Exklusi4
Erste Versuche dazu wurden u. a mithilfe der Daten des Wohlfahrtssurveys sowie dem Eurobarometer unternommen und auf dem 32. Kongress der DGS 2004 in München von Petra Böhnke vorgestellt.
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onsprozessen umfassen (abnehmende, zunehmende sowie gleichbleibende soziale Exklusion). Innerhalb dieser Verlaufstypen werden Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Bewältigungsmustern – auf der Einstellungs- und auf der Handlungsebene – betrachtet und diskutiert. Arbeitslosigkeit bildet den zentralen Angelpunkt bei der Beschreibung sozialer Exklusion. Sie ist damit zugleich der Ausgangspunkt des untersuchten Samples. Bei der Betrachtung des Lebenslaufs, der nach wie vor stark um das Erwerbssystem herum zentriert scheint, eröffnen sich an den Übergängen, an den Statuspassagen, besondere Risiken zur Arbeitslosigkeit und in der Folge zu möglicher sozialer Ausgrenzung. Dies betrifft zum einen die Übergänge an der so genannten ersten und zweiten Schwelle, also den Übergängen von der Schule in Ausbildung und von der Ausbildung in Erwerbsarbeit. Zum anderen treten diese Risiken beim Übergang aus der Erwerbsarbeit in den Renteneintritt zutage. Die Untersuchung nimmt den Eintritt in Ausbildung und Erwerbsarbeit in den Blick. Mit einem methodisch qualitativen Design werden insgesamt 35 junge Erwachsene aus Stadtteilen dreier Städte in den neuen Bundesländern interviewt. Die Untersuchung ist dabei als ein Minipanel angelegt, insofern die jungen Frauen und Männer nach einem ersten – biographisch ausgerichteten – Interview sechs bis acht Monate später ein zweites Mal – nun mithilfe eines problemzentrierten Interviews – befragt wurden. Die methodische Anlage der Studie soll es ermöglichen, ausführlich auf die Ausbildungs- und Erwerbskarrieren, aber auch auf andere Lebensbereiche einzugehen und darüber hinaus Prozesse sozialer Exklusion und ihre Bewältigung zu betrachten. Die folgenden Kapitel legen die theoretischen Bezüge der Untersuchung dar. Ausgangspunkt ist hierbei die Diskussion um die Theorie sozialer Exklusion. Hier lässt sich u. a. die Annahme finden, dass es im Lebenslauf mit dem Eintritt in bzw. dem Austritt aus dem Erwerbsleben besonders neuralgische Passagen gibt, an denen das Risiko zur sozialen Ausgrenzung steigen kann. Insofern geraten auch die theoretischen Bezüge zur Lebenslaufforschung in den Blick dieser Arbeit. Ausführungen zu den für die Arbeit relevanten Theorieansätzen des Copingverhaltens werden anschließend vorgestellt. Die Frage der Bewältigungsmuster junger Frauen und Männer unter dem Eindruck lang anhaltender Arbeitslosigkeit sowie (unterschiedlich ausgeprägter) sozialer Exklusion ist ein zentraler Aspekt der Betrachtung der Unterschiede zwischen den drei Verlaufstypen.
2 Theorie der sozialen Exklusion
2.1 Soziale Exklusion – kein neues Phänomen im Kapitalismus Exklusion wird wesentlich auf drei Ebenen behandelt: der politischen, der theoretischen und der empirischen Ebene. Als politisch gebrauchter Begriff wird er häufig dafür verwendet, auf soziale Missstände oder zumindest Gefahren möglichst nachhaltig aufmerksam zu machen. In vielen Fällen durchmischen sich die drei Zugänge. Der empirische Zugang benötigt eine theoretische Fundierung. Die vorliegende Arbeit nutzt den theoretisch formulierten Exklusionsbegriff als einen Zugang zur Untersuchung von Ausbildungs- und Erwerbsverläufen junger Erwachsener, die von hoher Prekarität gekennzeichnet sind. Es soll damit den vorhandenen empirischen Untersuchungen, die sich auf das Exklusions-/Inklusionsparadigma stützen, eine weitere Sichtweise hinzugefügt werden, die den Fokus auf die Betrachtung von Prozessen legt. Der dauerhaft versperrte Zugang zu Erwerbsarbeit ist ein wichtiger Faktor für Ausgrenzung. Aber erst im Zusammenhang mit weiteren Aspekten kann ein Prozess in Gang kommen, der zu sozialer Ausgrenzung führt. Bedeutet soziale Exklusion heute, innerhalb der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein, ist Ausgrenzung jedoch kein neues Phänomen, sondern begleitet die kapitalistische Gesellschaft seit ihren Anfängen. Dabei bestand in vergangenen Jahrhunderten die Gefahr, tatsächlich fast außerhalb der Gesellschaft zu stehen. „Die Wiederkehr des Ausgrenzungsproblems in den Städten“ verdeutlicht, „dass es sich gleichermaßen um eine alte wie eine neue gesellschaftliche Realität handelt“ (Kronauer 2000: 14). Spätestens der Übergang zur Neuzeit markiert einen Zeitpunkt, an dem sich Formen von sozialer Ausgrenzung sichtbar machen lassen. Neben ökonomischen Entwicklungen, die Armut und Exklusion befördern, wirkt sich auch das Regulieren durch den Staat und verschiedene Institutionen auf die Frage aus, wer als ausgeschlossen aus der Gesellschaft gilt. Dieses Ausgeschlossensein bedeutete an der Schwelle zur Neuzeit häufig das Herausfallen aus allen sozialen Bezügen. Das gilt beispielsweise für all jene, die außerhalb der Zunftordnungen standen und als Tagelöhner und Handlanger ihr Leben fristeten. Zünfte boten dagegen auch den ihr zugehörigen Armen den Schutz einer Zugehörigkeit, der ein gänzliches Herausfallen aus der Gesellschaft verhinderte. B. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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2 Theorie der sozialen Exklusion
Sie waren zwar wenig wohlhabende, aber hochintegrierte Gruppen in der damaligen Gesellschaft. Somit existierte eine integrierte Armut (Castel 2000a). Arme wurden, wenn sie sich des Bettelns oder der Landstreicherei schuldig machten, registriert und u. U. der Stadt verwiesen. Die bereits im Mittelalter entstandene und durch das Christentum beförderte Unterscheidung zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen existierte zu Beginn der Entstehung des Kapitalismus fort (Vobruba 1989). Für arbeitsfähige, aber beschäftigungslose Arme – also nicht jenen „würdigen“ Armen, die als unverschuldet arm galten – begann eine Abwärtsspirale der Ausgrenzung. Auch nach den Umwälzungen der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert (die zweite Bruchstelle der Sichtbarmachung von Ausgrenzung im Kapitalismus) findet sich die Auffassung von „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen wieder. Ursachen von Armut waren nun zunehmend die neuen industriellen Produktionsverhältnisse und weniger die Wanderungsbewegungen, die die niedergehende Agrargesellschaft hervorrief. In der Industriearbeiterklasse befanden sich vor allem die arbeitenden Armen. Diese wurden streng unterschieden von der Gruppe der Arbeitsfähigen, aber Beschäftigungslosen. Unter Aufgabe ihrer bürgerlichen Rechte und Freiheiten konnten sie wohltätige Hilfe in Anspruch nehmen. Diese Ausgrenzung aus gesellschaftlichen Bezügen sollte bewirken, dass „ ‚freie Lohnarbeit selbst bei kärglichstem Lohn, (…) in jedem Fall dem Status des Fürsorgeempfängers vorzuziehen sei.“ (Kronauer 2002: 83). Wohltätige Hilfeleistungen waren lediglich auf das physische Überleben ausgerichtet. Jahrzehnte später geführte Debatten um sich angleichende Teilhaberechte am gesellschaftlichen Wohlstand wurden sowohl am Beginn der Neuzeit als auch zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Regel nicht geführt. Wohl aber sollten die schlimmsten Ausprägungen von Armut gemildert werden, allein um die soziale Ruhe und Ordnung in der Gesellschaft zu erhalten. Auffallend ist jedoch, dass sich in der Sozialwissenschaft ein erhöhtes Interesse an „den“ Armen bzw. der Klasse der Armen regte. Dabei war England das Land, in dem die Entwicklungen, vor allem im ökonomischen Bereich, schneller voranschritten als im übrigen (westlichen) Europa (Landes 1999). Gerade die 1901 veröffentlichte Untersuchung von Rowntree gilt als wegweisend in der Erfassung und Betrachtung von Armut (Rowntree 1902). Georg Simmel befasste sich ebenfalls mit der Frage der Armut und stellte dabei ein erkenntnistheoretisches Prinzip, das der Wechselverhältnisse in der Gesellschaft, in den Mittelpunkt seines Denkens. Bei seiner Betrachtung über den Armen wird dieses Prinzip sichtbar, indem Simmel ganz konsequent auf Formen der Wechselwirkungen eingeht, die letztlich den Armen erst zum Armen machen.
2.1 Soziale Exklusion – kein neues Phänomen im Kapitalismus
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Des Weiteren denkt er dieses Wechselverhältnis als eines des „simultanen Drinnen und Draußen“ (Simmel 1999: 547). Der Arme tritt als solcher erst in Erscheinung, wenn er auf öffentliche Fürsorge angewiesen ist. Zweck der Fürsorge ist nicht der Arme, sondern vielmehr das gebende Individuum (das sich als gottgefällig erweist, wie im Mittelalter verbreitet) und die Gesellschaft (die in ihrer aktuellen Konstellation erhalten werden soll). Denn die Armenpflege will „nicht einmal der Tendenz nach die Differenzierung der Gesellschaft in Arme und Reiche aufheben“ (ebd.: 518, Hervorhebung im Original). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde mit der soziographischen Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ aus dem Jahr 1933 der empirische Versuch unternommen, die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, darunter auch Armut, auf das Individuum und sein gesellschaftliches Umfeld zu betrachten (Jahoda, Lazarsfeld, Zeisel 1975). Gleich anderer gesellschaftlicher Phänomene durchläuft auch das Thema Armut Konjunkturen. Dies geschieht oftmals unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß der betrachteten Phänomene (Leibfried, Leisering 1995). Bereits 1956 spricht Weisser von Lebenslagen, wenn es um die Betrachtung von Armut geht (Weisser 1956). Aber erst viel später wird der Lebenslagenansatz in der soziologischen Forschung angewandt. Der wirtschaftliche Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg förderte vor allem in den Ländern Westeuropas neue, gefestigte demokratische Strukturen. Das Anrecht auf eine an den allgemeinen Standards einer Gesellschaft orientierte Teilhabe der Mitglieder der Gesellschaft wurde zu einem Merkmal der auf Inklusion ausgerichteten demokratischen Staaten. Armut wurde nicht mehr als ein notwendiges, weil nicht zu verhinderndes Phänomen betrachtet. Armut konnte und sollte entgegengewirkt werden, insbesondere durch das einschränkende Eingreifen in den Markt (Kronauer 2002). Auch wenn in der Entwicklung des Kapitalismus soziale Exklusion als totale Form, nämlich als gänzlicher Ausschluss aus gesellschaftlichen Zusammenhängen, immer weniger zu konstatieren war, setzt das Nachdenken über soziale Exklusion und seine Modi gesellschaftliche Teilhabe und Interdependenz (siehe Kapitel 2.3.2) erst auf einem hohem Niveau existierender sozialer Inklusion ein. Begriffe wie Exklusion, Ausschluss, Ausgrenzung wurden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als soziale Phänomene der Gegenwart in den Blick sozialwissenschaftlicher Betrachtungen gerückt. Eine Vorreiterrolle übernahm dabei die französische Soziologie mit dem Begriff der „exclusion sociale“. Aber auch in der britischen und US-amerikanischen Sozialwissenschaft firmierten unter der Kategorie „Underclass“ Arbeiten zu Phänomenen sozialen Ausschlusses.
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2.2 Einblick in den internationalen Diskurs – eine Begriffsgeschichte 2.2.1 Frankreich – die Ansätze von PAUGAM und CASTEL Die deutsche Debatte um den Begriff der Exklusion speist sich aus zwei Theorietraditionen. Da sind zum einen der französische Diskurs und zum anderen der angelsächsische (Kronauer 2006). In der französischen Tradition herrscht dabei eine „Vorstellung von sozialer Kohäsion (vor), die durch wechselseitige Abhängigkeitsbeziehungen, die „organische Solidarität“ im Sinne Durkheims, gestiftet wird“ (ebd.: 28, Hervorhebung im Original). Die englische Tradition stützt sich mit seinen Bürgerrechten auf das „citizenship“. Diese unterschiedlichen Richtungen können/konnten, fruchtbar gewendet, die deutsche Debatte beleben, wie beispielsweise der Ansatz der Interdependenz und der Partizipation verdeutlicht (vgl. Kapitel 2.3.2). Folgend soll auf beide Denkrichtungen eingegangen werden, da sie die Grundlage für die in Deutschland erst später einsetzende Debatte um die theoretischen und faktischen Ausprägungen sozialer Exklusion bilden. Die Traditionen des Umgangs insbesondere mit Armut haben einen nicht geringen Einfluss auf die Art und Weise der aktuellen Diskussionen sowohl um den Underclass-Begriff als auch den Begriff der sozialen Exklusion. Dabei wird augenfällig, dass der Bezugspunkt jeweils ein nationalstaatlicher ist. Zwar verlaufen wirtschaftliche Entwicklungen mehr und mehr global, aber die gesellschaftlichen, besonders die institutionellen, Rahmenbedingungen, entlang derer Ausgrenzung und Risiken zu Ausgrenzung definiert werden, sind nach wie vor nationalstaatlich ausgerichtet. Mit dem Ausgrenzungsthema unter dem Begriff soziale Exklusion hat man sich zunächst in Frankreich beschäftigt. Dabei brachte eine Veröffentlichung von Klanfer bereits im Jahr 1965 den Begriff der sozialen Exklusion in die öffentliche Debatte (Klanfer dt. 1969). Grundlage dieser Arbeit bildet die Armutskonferenz, die 1964 von der UNESCO durchgeführt wurde. Soziale Exklusion wurde jedoch sehr stark mit Armut verknüpft und als ein kaum weit in die Gesellschaft – schon gar nicht bis in ihre Mitte – reichendes Problem angesehen. Diese Tendenz der Betrachtung von spezifischen Gruppen (z. B. Drogenabhängige, Straftäter, Kranke) als sozial Exkludierte setzte sich auch 1974 mit der Arbeit von Lenoir, der als Staatssekretär tätig war, fort (Kronauer 2002). Spätestens an dieser Stelle wird aber deutlich, dass der Begriff der sozialen Exklusion in Frankreich von Beginn an eine sehr stark politische Konnotation hatte. Allerdings wurden die von Ausgrenzung Betroffenen weniger als ein systematisch durch gesellschaftliche Entwicklungen verursachtes Problem betrachtet, sondern vielmehr als individuelle Einzelschicksale.
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Auslöser für die weitere Verwendung und Ausdifferenzierung des Exklusionsbegriffs in den 1980er und 1990er Jahren waren hauptsächlich die Bedingungen, wie sie sich in den banlieues, den Vororten in der Peripherie speziell um Paris entwickelt hatten (u. a. Wacquant 2004). Dort kulminierten die negativen Entwicklungen des Arbeitsmarktes, die sich in Frankreich gerade auch in einer hohen Jugendarbeitslosigkeit widerspiegelten, die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergund in einem höherem Maße trafen als die Gruppe ohne Migrationshintergrund. Die starke sozial-räumliche Komponente sowie ein ausgeprägt zentralistisches Staatsmodell, das in Frankreich herrscht, scheinen ebenso die Vorstellung von sozialer Exklusion beeinflusst zu haben. Soziale Exklusion wird in Frankreich sehr häufig als ein Zentrum-PeripherieProblem wahrgenommen. Das kommt auch in der wissenschaftlichen Literatur um den Exklusionsbegriff in Frankreich zur Geltung. Jedoch bleibt auch für Frankreich, ähnlich wie für Deutschland, festzuhalten, dass „selbst im ‚Mutterland der Exklusionsdebatte (…) der Exklusionbegriff alles andere als eindeutig“ ist (Kronauer 2002: 43). So werden zum Teil eher neue, aber letztlich auf dieselben Phänomene bezogene, Begriffe aufgebracht, ohne die Erklärungskraft des Exklusions/Inklusions-Pradigmas ausgeschöpft zu haben. Dies kann beispielsweise für den Begriff der Prekarität gelten (Castel 2007 Tagung vom 4.5.2007). Ein wichtiger Vertreter, auf den an dieser Stelle kurz eingegangen werden soll, ist Paugam. Er hat, zusammen mit weiteren Vertretern der französischen Sozialwissenschaft, die deutsche Debatte um Exklusion und Inklusion stark beeinflusst. Paugam verdeutlicht sehr klar, dass der Armutsbegriff (in welcher Ausformung auch immer) nicht mehr in der Lage ist, aktuelle soziale Entwicklungen, denen sich die Akteure gegenüber sehen, in ihrer Vielfalt zu erfassen (Paugam 1996, 2004). Allerdings kann nach seiner Meinung der Exklusionsbegriff nicht unreflektiert an seine Stelle rücken, da sowohl seine theoretischen Ausformulierungen als auch sein faktischer Gebrauch noch zu mehrdeutig sind. Gerade in Frankreich scheint die Verwendung des Begriffes der Exklusion in der Alltagssprache und besonders in den Medien, die Versuche, ihm einen soziologisch ausgerichteten Inhalt zu geben teilweise zu konterkarieren. Zwei Aspekte, die Paugam im Begriff der Exklusion jedoch verankert sieht und die zu den aktuellen problematischen Entwicklungen zählen, sind die gravierenden Verschlechterungen auf dem Arbeitsmarkt sowie die zunehmende Schwächung sozialer Bindungen. Von besonderer Wichtigkeit ist die Beachtung der Prozesshaftigkeit von Exklusion. Paugam nennt diesen Prozess „soziale Disqualifizierung“. Ihm wird jedoch keine teleologische Ausrichtung unterstellt, bei der vereinzelte negative Entwicklungen unweigerlich in sozialer Exklusion münden. Es ist denkbar, dass „unterschiedliche Phasen, die sich progressiv aneinander reihen und in Situationen extremer Deprivation münden können, (…) jedoch keineswegs irreversi-
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bel sind“ (Paugam 2004: 74). Prozesse hin zur oder weg von sozialer Exklusion sind also beeinflussbar und keine „Einbahnstraße“ in die eine oder andere Richtung. Paugam plädiert für einen historischen Blick auf soziale Phänomene. Auch wenn es Armut und soziale Ausgrenzung zu allen Zeiten gegeben hat, sind die konkreten Ausformungen dessen, was darunter verstanden wird veränderlich. Zudem ergeben sich zwei Analyseebenen: zum einen auf der Makroebene, auf der insbesondere die sozialen Institutionen und ihr Handeln und damit das gesellschaftliche Verständnis von dem was Inklusion, Exklusion und Armut bedeuten, betrachtet werden. Zum anderen auf der Mikroebene, auf der die Bedingungen, Erfahrungen, die Deutungen und das Handeln der Betroffenen in den Blick geraten. Aufgrund unterschiedlicher Faktoren, die Paugam einer Analyse unterzogen hat, schlägt er drei Typen des Umgangs mit Armut und Exklusion vor. Zu diesen Faktoren zählen: Stand der ökonomischen Entwicklung, der Arbeitsmarkt, die Art des Wohlfahrtsstaates, die Art und Weise der vorherrschenden sozialen Bindungen sowie die das Individuum prägenden Werte und die Kultur einer Gesellschaft. Er versucht einen Vergleich des Umgangs mit Armut und Exklusion in Europa sichtbar zu machen, in dem er drei Typen von Armut bildet: Integrierte Armut, Marginale Armut und Ausschließende Armut. Kennzeichen des Typus der Integrierten Armut ist der beträchtliche Umfang der von Armut Betroffenen. Sie bilden einen großen Teil der Bevölkerung und sind wenig stigmatisiert. Eine schwache Wirtschaftsentwicklung befördert eine ausgeprägte Schattenwirtschaft. Es existiert kaum eine staatliche Absicherung, dafür sind die sozialen Bindungen, insbesondere innerhalb der Familie sehr stark. Dieser Typ, so Paugam ist vor allem in den südlichen Ländern Europas anzutreffen. Die Marginale Armut, der zweite Typus, zeichnet sich durch eine geringe Anzahl von Armut Betroffenen aus. Diese Gruppe der Armen ist allerdings einer starken Stigmatisierung ausgesetzt. Durch ein umfassendes wohlfahrtsstaatliches System soll die Armut dieser Gruppe bekämpft werden. Die ökonomischen Zustände weisen fast eine Vollbeschäftigung und eine geringe Arbeitslosigkeit auf. Für Paugam hängt mit diesem Typus das „goldene Zeitalter“ Europas zusammen, das von (weitgehender) Vollbeschäftigung und allgemeinen Wirtschaftswachstum geprägt war. Auch wenn man heute nicht mehr vom „goldenen Zeitalter“ sprechen kann, verkörpert gerade Deutschland mit seinem Umgang mit armen Bevölkerungsgruppen immer noch das der damaligen Zeit entsprechende Herangehen. Das wohlfahrtsstaatliche Herangehen birgt einen hohen Grad an Stigmatisierung der Betroffenen, der sie schnell zu Problemfällen und Überflüssigen werden lässt (Paugam 2004). Der letzte Typus ist der der Ausschließenden Armut. Ihn kennzeichnet das Anwachsen von Armut und Exklusion. Gleichzeitig entbrennt eine
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breite gesellschaftliche Debatte über „neue Armut“ und Exklusion. Die Angst davor, von Armut und Ausgrenzung zukünftig betroffen sein zu können, steigt an. Die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern sich zunehmend, die Beschäftigungssituation ist allgemein unsicherer. Die arbeitslosen und benachteiligten Gruppen haben schwache soziale Bindungen. In Paugams Sichtweise entsprechen, bei allen Unterschieden, Frankreich und Großbritannien aktuell bereits diesem Typus. Paugam sieht den Umgang mit Armut und Exklusion dieses dritten Typus jedoch nicht allein auf die beiden genannten Länder beschränkt. „Es ließe sich außerdem behaupten, dass dieser andauernde Prozess, (…), sich sehr wahrscheinlich auch auf andere Länder ausdehnt, einschließlich derer, die gegenwärtig noch das erleben, was hier als ‚marginale Armut bezeichnet wurde.“ (Paugam 2004: 94).
Paugam liefert hier den Versuch, den Umgang mit Armut und Exklusion sowohl auf der makro- als auch mikrosoziologischen Ebene zu fassen. Für das Fassen sozialer Exklusionsprozesse spielen auf der Makroebene die jeweiligen gesellschaftlichen Bestimmungen von Exklusion sowie deren institutionelle Verankerungen eine wichtige Rolle. Zugleich geraten aber auch die Selbstdefinitionen und Deutungen der Betroffenen bei der Bestimmung sozialer Exklusionsprozesse in den Blick. Paugam bietet damit gleichzeitig einen Rahmen, in dem innereuropäische Vergleiche möglich werden. Zudem finden sich bei ihm bereits wichtige Beschreibungen dessen, was soziale Exklusion ausmacht: die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, soziale Beziehungen/Bindungen sowie Exklusion als Prozessbegriff betrachtet. All diese Überlegungen finden sich auch bei Castel, einem zweiten wichtigen französischen Vertreter innerhalb der Exklusionsdebatte. Auch Castel verweist bei seinen Überlegungen zur sozialen Exklusion auf den Ausschluss am Arbeitsmarkt und auf die Auflösung sozialer Bindungen. Als Gegenpol zur sozialen Exklusion wird mit einem „stabilen Arbeitsverhältnis“ und einem „soliden Eingegliedertsein in soziale Beziehungen“ die Zone der Integration beschrieben (Castel 2000a). Diese beiden Punkte der Ausgrenzung am Arbeitsmarkt sowie der Auflösung sozialer Bindungen bezeichnen den Kern der französischen Debatte um den Exklusionsbegriff (vgl. auch Dubet, Lapeyronnie 1994; Martin 1996). Mit der Einbeziehung der sozialen Bindungen wird deutlich, dass „Ausgrenzung am Arbeitsmarkt (…) demnach gewissermaßen eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung für Exklusion“ ist (Kronauer 2002: 44). Kronauer weist zu Recht darauf hin, dass in Frankreich die Einbindung in die Sozialbeziehungen – also die wechselseitigen Kooperationsverhältnisse – nicht als die Beziehung einzelner Individuen zueinander gedacht werden. In der Tradition Durkheims werden diese sozialen Beziehungen
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immer bereits als solche verstanden, die sozial vorgeformt sind (z. B. durch Arbeitsteilung, Verträge, Solidarität) (Kronauer 2002). Castel betrachtet diese beiden Ausformungen sozialer Exklusion (und auch Inklusion) als Achsen. Zum einen existiert die Achse der Arbeit (Integration durch Arbeit, stabile Beschäftigung – prekäre Beschäftigung – Ausschluss aus Arbeit); zum anderen die Achse der Dichte der sozialen Beziehungen (Integration in Beziehungsnetzwerke der Familie und der Gemeinschaft – Brüchigwerden der Beziehungen – soziale Isolation). Für ihn hängen diese beiden Achsen nicht mechanisch zusammen. Sie beschreiben so genannte Zonen. So addiert sich das Fehlen produktiver Tätigkeit sowie der Mangel an sozialen Beziehungen zu sozialer Ausgrenzung. Zwischen der Zone der Integration und der der Exklusion verortet Castel jedoch noch eine breite Zone der Vulnerabilität. Diese soziale Verwundbarkeit stellt eine instabile Zwischenzone dar, die ein prekäres Verhältnis zur Arbeit mit einer fragilen Unterstützung durch die nächste Umgebung kombiniert (Castel 2000a). „Die Zusammensetzung der Gleichgewichte zwischen diesen ‚Zonen kann daher (weil sie keine monokausale Verbindung aufweisen – B.R.) – so lautet zumindest meine Hypothese – als ausgezeichneter Indikator zur Einschätzung der Kohäsion einer gesellschaftlichen Ganzheit zu einem gegebenen Zeitpunkt dienen.“ (Castel 2000a: 13).
Wenn Castel also seinen Zonenansatz auch auf Zustände in der Geschichte und in der Gegenwart von Gesellschaften angewendet wissen will, geht es ihm nicht darum, Personen statisch in diesen Zonen zu verorten, sondern darum, Prozesse aufzuklären, „die ihren Übergang (der Personen – B.R.) von einer in eine andere Zone bewirken.“ (Castel 2000a: 14). Was sind beispielsweise protektive Faktoren, die eine Schwäche auf der einen Seite (z. B. Ausschluss aus den Arbeitsmarktbeziehungen) durch Stärke auf der anderen Seite (gute soziale Einbindung mit Unterstützungspotentialen) auszugleichen vermögen? Der Zone der Gefährdung kommt dabei eine spezifische Rolle zu. Zum einen gewährleistet sie die Stabilität der vorhandenen Sozialstruktur (z. B. durch soziale Grundsicherungen). Zum anderen führt die Ausdehnung des Umfangs der Zone der Gefährdung dazu, gesichert geglaubte Statuspositionen brüchig werden zu lassen. Mit der Einführung der Annahme von verschiedenen Zonen, Integration, Vulnerabilität und Exklusion (in den „Metamorphosen der sozialen Frage“ spricht Castel auch noch von der Zone der Fürsorge; 2000a) sowie dem Rekurrieren auf die Prozesshaftigkeit von Inklusion und Exklusion hat Castel der Theorie der Ausgrenzung wichtige Impulse verliehen. Diese wurden insbesondere auch in Teilen der deutschen Debatte um diesen Begriff aufgegriffen. Nichtsdestotrotz hat sich Castel auch sehr kritisch mit der Verwendung des Exklusionsbe-
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griffs auseinandergesetzt. Als erstes benennt er das Problem der klaren Trennungslinie zwischen der Zone der Verwundbarkeit und der der Exklusion. „Die Ausgegrenzten sind meist durch besondere Verwundbarkeit gekennzeichnet, bei ihrem Balanceakt sind sie gestrauchelt.“ (Castel 2000a: 385). In der Konsequenz möchte Castel lieber von Entkopplung als von Ausgrenzung sprechen. Eine Abhängigkeit vom Zentrum besteht auch für diese Entkoppelten. Es bleibt jedoch bei Castel noch unausformuliert, was mit einem Begriff der Entkopplung gegenüber der sozialen Exklusion gewonnen würde. Die Hilfskonstruktion der Einführung eines neuen Begriffs enthebt uns nicht des Problems einer Definition. Hier scheint die bisherige Bestimmung des Inhaltes von Exklusion und Inklusion anzuregen, weiter mit diesen Begriffen zu operieren und diese weiter zu konkretisieren. Denn richtig ist sicher, dass „man nicht bei jeder Gelegenheit Alarm schlagen und jede beliebige soziale Dysfunktion als Exklusion bezeichnen (sollte), sondern die Exklusionsprozesse sorgfältig unterscheiden vom Ensemble der Bestandteile, die heute die soziale Frage in ihrer Gesamtheit ausmachen.“ (Castel 2000b: 24 f.). Und gerade in der Betrachtung von Prozessen weist Castel in eine Richtung, in die auch die empirische Forschung gehen soll. Denn, wenn man nicht der Ansicht folgt, dass soziale Exklusion einen starren Dualismus von Drinnen und Draußen beschreibt, gelangt die Art und Weise in den Blick, wie sich Personen zwischen den Zonen Integration und Ausgrenzung bewegen. Die Frage nach Prozessen und ihren Einflussfaktoren stellt sich für die empirische Forschung. Zu einigen empirischen Arbeiten französischer Soziologen wird neben den Interdependenzansätzen der Stellung auf dem Arbeitsmarkt sowie dem Eingebundensein in soziale Beziehungen auch die Frage der Partizipationsmöglichkeiten thematisiert. Insbesondere in den Forschungen in den banlieues wurden die abnehmenden Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlich allgemein vermittelten und anerkannten Lebenschancen aufgezeigt (Dubet, Lapeyronnie 1994; Wacquant 2004). Beide Modi sozialer Exklusion – Interdependenzbeziehungen und Partizipation – finden sich in der deutschen Diskussion um den Ansatz der sozialen Ausgrenzung wieder (Kapitel 2.3.1 und 2.3.2).
2.2.2 Die angloamerikanische Debatte – der Underclass-Begriff Eine etwas andere Konnotation als in Frankreich erfährt das Problem sozialer Exklusion in der angloamerikanischen Diskussion. In dem dort verwendeten Begriff der Underclass wird dies bereits sichtbar. Mit dem Underclass-Begriff verbinden sich unterschiedliche sozialwissenschaftliche und politische Konzepte. Es kann davon ausgegangen werden, dass Myrdal bereits in den 1930er Jahren
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den Begriff der Underclass erstmalig benutzte und so in die sozialwissenschaftliche Diskussion einführte (Myrdal 1963). Er verwendete diese Kategorie im Zusammenhang mit seinen Forschungen zur Situation der schwarzen Bevölkerung in Großstädten der USA. Dabei ist seine Begriffsauffassung durchaus einer europäisch geprägten wohlfahrtsstaatlichen Tradition verpflichtet. Es zeugt von einem gewissen aufklärerischen Verständnis, wenn er meint, dass dem Anwachsen der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in den USA – den grundlegenden Ursachen für das Entstehen einer Underclass – durch „eine entschiedene Verbindung von keynesianischer Nachfragepolitik, Sozialreform und Bildungsoffensive abgeholfen werden kann und muss“ (Myrdal 1963; zitiert nach Kronauer 2002: 54 f.). Erst Jahrzehnte später gelang der Underclass-Begriff wieder verstärkt in die Debatte um Ausgrenzung und Armut. Dabei finden sich bei seiner Bestimmung ebenfalls Modi wieder, die auch von den französischen Forschern als zentral angesehen werden, soziale Exklusion zu beschreiben: „marginale ökonomische Position“ und „soziale Isolation“ (Wilson 1987). Im Zusammenhang damit finden sich die in Frankreich thematisierten Überlegungen zu einer Abspaltung der Peripherie vom Zentrum auch in der angloamerikanischen Debatte. Eine weitere Gemeinsamkeit mit der französischen Debatte wird bei der Art und Weise sichtbar, wie die Forscher ihre theoretischen Annahmen empirisch erhärten. So zeigt sich sowohl in Frankreich als auch in den Vereinigten Staaten eine stark sozialräumlich ausgelegte empirische Forschung. In den US-amerikanischen Ghettos auf der einen und den banlieues auf der anderen Seite werden diese Spaltungen in der Gesellschaft wie unter einem Brennglas besonders augenfällig (vgl. u. a. Wilson 1987; Wacquant 2004). Allerdings zeigt sich in der amerikanischen gegenüber der französischen Debatte eine deutlichere Fokussierung des Problems auf bestimmte Bevölkerungsgruppen – insbesondere auf die afroamerikanischen Einwohner. Koch stellt das Underclass-Konzept nach Devine und Wright wie folgt dar. Insgesamt bestimmen vier Dimensionen die Underclass: a) die ökonomische Dimension; b) die sozialpsychologische Dimension; c) die Verhaltensdimension; d) die räumliche bzw. ökologische Dimension. Es werden nicht alle dauerhaft Armen zur Underclass gezählt. Erst wenn auch die weiteren genannten Dimensionen hinzutreten, kann von einer Underclass gesprochen werden. Unter sozialpsychologischer Dimension sind Phänomene der Entfremdung von der gesellschaftlichen Majorität beschrieben sowie die Ablehnung der geltenden Werte und Normen in sich neu formierenden Milieus. Zur Unterscheidung unterschiedlicher Typen und Untergruppen innerhalb der Underclass wird abweichendes, anomisches und kriminelles Verhalten als Kriterium aufgeführt. Es existieren Armutszonen, in denen die Dimensionen a) bis c) kumulieren. In Ghettos kon-
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zentrieren sich Armut, Entfremdung usw. (Devine, Wright 1993, zitiert nach Koch 1999: 39). Diese Bestimmung der Underclass verabschiedet sich recht deutlich von der Vorstellung, dass es vorrangig bestimmte gesellschaftliche Bedingungen sind, die die Entstehung einer Underclass befördern. Spätestens mit Begriffen wie abweichendem Verhalten, eigenständiges Milieu geraten die betroffenen Individuen in den Blick und weniger Entwicklungen auf der strukturellen, gesellschaftlichen Ebene. Diese Ansichten stießen – vor allem in den Vereinigten Staaten – das Tor für reaktionäre und moralisierende Reaktionen auf die Herausbildung einer Underclass auf. Gesellschaftliche Entwicklungen des Arbeitsmarkts und der Erwerbsarbeit verloren in dieser Diskussion immer mehr an Bedeutung. Bereits in den 1970er Jahren gab es eine öffentlich geführte Debatte, innerhalb derer Underclass lediglich als Stigma verwandt wurde. Diese Sicht des Underclass-Begriffes hat ihn „von einer analytischen, strukturorientierten Kategorie zum verhaltensorientierten, stigmatisierenden Etikett“ werden lassen (Kronauer 2002: 56). Es bleibt also ein Dualismus in der amerikanischen Diskussion um die Kategorie Underclass festzuhalten. Zum einen jene Sozialwissenschaftler, die Underclass als einen Begriff einführten, der Strukturen gesellschaftlicher Entwicklungen aufzeigen und aufklären will (z. B. Myrdal, Wilson). Zum anderen diejenigen, die Underclass als moralisierenden, politisch ausgerichteten Begriff verwenden und die Betroffenen selbst für ihre (sich immer mehr verfestigende) Lage verantwortlich machen (z. B. Auletta 1983). In Europa wird vor allem in Großbritannien der Underclass-Begriff diskutiert. In seiner Abhandlung über die Rezeption des Underclass-Begriffs in Europa schlägt Koch allerdings vor, bis zum Vorhandensein entsprechender empirischer Untersuchungen aus den Ländern Europas, diesen Begriff nicht zu gebrauchen. Trotz der sich verschärfenden Situationen in den bzw. am Rande von Großstädten kann noch nicht von ghettoähnlichen Zuständen gesprochen werden, die mit dem Gebrauch des Underclass-Begriffs adäquat zu fassen wären (Koch 1999). Seine theoretischen Ausformulierungen scheinen ebenfalls noch zu unklar. Dies lässt sich zum Teil auch für die französische Exklusionsdebatte feststellen (Kronauer 2002). Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Exklusionsbegriff und dem Underclass-Begriff existiert aber hier. „Der Exklusionsbegriff verweist auf Ausschließung als Prozess, der im ‚Inneren der Gesellschaft einsetzt. Der Underclass-Begriff dagegen hebt auf die Reproduktion des Ausschlusses, seine Verfestigung zur eigenständigen sozialen Lage ab.“ (Kronauer 2002: 71).
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Wenn im Folgenden die deutsche Diskussion um Exklusion und Inklusion betrachtet wird, finden sich – auch aufgrund des „verspäteten“ Einsteigens in diese Diskussion – einige der voranstehend skizzierten Inhalte sowohl aus der französischen Exklusionsdebatte als auch aus den amerikanischen Abhandlungen. Hierbei wird besonders Bezug genommen auf die in der französischen Diskussion entwickelten Vorstellungen der sozialen Ausgrenzung als Prozess und der starken Rolle, die der Stellung des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt zukommt. Aus der angloamerikanischen Theoriedebatte finden sich vor allem die Überlegungen zur Underclass, wenn auch nicht so benannt, wieder.
2.3 Der Diskurs in Deutschland – die Hauptlinien 2.3.1 Soziale Ungleichheit, Zentrum-Peripherie und die „Überflüssigen“ In Deutschland fand erst mit einiger Verspätung die Diskussion um den Exklusionsbegriff ihren Anfang. Dies vor allem deshalb, weil die vorzufindenden Problemlagen im Vergleich zu den Ländern, in denen bereits verstärkt von Ausgrenzung und Underclass gesprochen wurde, sich in Deutschland als (noch) nicht derart akut darstellten. Erst Ende der 1980er Jahre und besonders in den 1990er Jahren flammte auch in der deutschsprachigen Soziologie verstärkt die Debatte um soziale Ausgrenzung auf. Zu diesem Zeitpunkt ließen sich die Entwicklungen insbesondere auf dem Arbeitsmarkt (der gerade im deutschen wohlfahrtsstaatlichen System eine immanent wichtige Stellung einnimmt) mit seinen dauerhaft hohen Arbeitslosenzahlen kaum mehr als eine konjunkturbedingte Talsohle kaschieren. Die Entkopplung der Entwicklung von Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt, also die Tatsache, dass wirtschaftliche Konjunkturphasen kaum zur Senkung der Arbeitslosenzahlen führen, wurde und wird immer augenfälliger. Die Veränderungen, die am Arbeitsmarkt zu beobachten sind, haben ein großes Themenfeld hervorgebracht, mit dem sich die Sozialwissenschaften bereits seit fast drei Jahrzehnten beschäftigen. Spätestens zu Beginn der 1980er Jahre wurde das endgültige „Ende der Arbeitsgesellschaft“ beschworen (Arendt 1981). Dass es sich dabei eher um das Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft mit seiner Vorstellung einer Vollbeschäftigung handelt, wurde in den Jahren danach deutlich (Vobruba 2000). Dennoch stellen sich Fragen nach sozialer Integration: einer Integration, die jahrzehntelang über Erwerbsarbeit gesichert schien (ebd.). Wird nun der Zugang zu Erwerbsarbeit für viele schwieriger und für manche fast unmöglich, stellen sich diese Fragen nach dem Verhältnis von Integration und Ausgrenzung neu. Denn für „die derzeitige Umbruchsituation ist charakteristisch, dass dieser Modus (sozialer Integration – B.R.) erodiert“ (Barthelheimer
2.3 Der Diskurs in Deutschland – die Hauptlinien
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2002: 2). Diese empirischen Befunde oder manchmal lediglich „Empfindungen“ (Bude) haben das Thema Inklusion/Exklusion auf die theoretische Bühne der Sozialwissenschaft auch in Deutschland gehoben. Betrachtet man die Debatte um dieses Begriffspaar hierzulande, lassen sich grundsätzlich zwei theoretische Zugänge ausmachen. Zum einen sind dies systemtheoretisch geprägte Abhandlungen zu Inklusion/Exklusion (Luhmann 1997; Nassehi 1997; Hillebrandt 1999), zum anderen sind es Überlegungen, die auf Theorien sozialer Ungleichheit sowie Armutstheorien rekurrieren. Bei letzterem Zugang bilden die in Frankreich und den USA geführten Debatten um Exklusion/Inklusion und Underclass eine wichtige Grundlage. Dabei lehnt sich insbesondere die französische Sozialwissenschaft oftmals an Klassiker wie Simmel oder Durkheim an. Vertreter der Exklusionsdebatte in Deutschland beziehen sich auf verschiedene theoretische Vorläufer und Diskussionen in den Ländern, in denen Anzeichen sozialer Exklusion und Underclassentwicklung früher sichtbar wurden als in Deutschland. Diese unterschiedlichen Rückbezüge bedeuten auch, dass die hierzulande geführte Debatte sehr fassettenreich ist. Befasste sich die Sozialwissenschaft mit Fragen nach den Ursachen, Auswirkungen und Erscheinungsformen von sozialer Ungleichheit, lehnte sie sich über Jahrzehnte hinweg am (vor allem marxistisch geprägten) Klassenansatz und an Schichtungsmodelle an (vgl. Marx MEW 4; Weber 1980). Im engeren Sinn nahm sie damit insbesondere vertikale Ungleichheitsdimensionen (wie Bildung, Beruf, Einkommen) in den Blick. Die Wohlstandsentwicklung in Deutschland, die Angleichung von Lebensbedingungen und Lebenschancen für den Großteil der Bevölkerung, der Fahrstuhleffekt (Beck 1986) eines ganzen Landes lenkte die Aufmerksamkeit immer weiter weg von vertikalen Ungleichheitsdimensionen. Es rückten immer mehr horizontale Ungleichheitsaspekte in den Fokus der sozialwissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Dabei handelte es sich nicht um neue Faktoren für Ungleichheit. Da sich jedoch auf der Vertikale die Faktoren nicht mehr im herkömmlichen Maße als Struktur bestimmend erwiesen, konnte nun der Blick auf die bis dahin als sekundär zu bezeichnenden Aspekte gerichtet werden (z. B. Lebensstile, Performanz). Der Klassenbegriff, aber auch der Schichtbegriff schien in der Debatte zur sozialen Ungleichheit zunehmend obsolet zu sein. Man wähnte sich bereits „jenseits von Klasse und Stand“ (Beck 1983). Als alternative Konzepte zu Klasse, Schicht und Stand kamen individualisierende Entwürfe sozialer Ungleichheit ins Spiel. Die Mitte der 1980er Jahre entwickelte Individualisierungsthese von Beck gab diesen Tendenzen zusätzlichen Auftrieb und theoretische Untermauerung. So rankten sich die Überlegungen zu sozialer Ungleichheit um „Lebensstile, Milieus, Lebenslagen, Lebensläufe und Biographien – verbunden mit einer opti-
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mistischen Sicht der Erhöhung individueller Lebenschancen und Ausdrucksmöglichkeiten.“ (Leisering 2000: 14). Behielten vertikale Aspekte auch in einigen der genannten neuen Konzepte zur Erfassung sozialer Unterschiede eine strukturierende Funktion (z. B. der Milieuansatz, Vester, von Oertzen, Geiling, Hermann, Müller 1993; Vester, Hofmann, Zierke 1995), waren ebenso Tendenzen zu beobachten, vertikale zugunsten horizontaler Faktoren gänzlich aus dem Blick zu verlieren (Schulze 1992; Spellerberg 1997). Spätestens seit den 1990er Jahren jedoch lassen sich im Zusammenhang mit den neuen rasanten ökonomischen Entwicklungen (wieder) verstärkt Tendenzen sozialer Ungleichheit beobachten. Solche Entwicklungen sind mit Begriffen wie Globalisierung, Standortkonkurrenz oder Deregulierung (Berger, Vester 1998) zu umreißen. Wie die genauen Auswirkungen derartiger Prozesse auf gesellschaftliche Strukturentwicklungen und damit auf soziale Ungleichheitsverhältnisse aussehen, wird unterschiedlich bewertet. Im Allgemeinen sind es jedoch Szenarien, die ein Ansteigen der sozialen Unterschiede, ein weiteres Auseinanderdriften von Arm und Reich (bei einem Anwachsen von Armut) vermuten (ebd.). Damit rücken auch wieder vertikale Ungleichheitsfaktoren in den Mittelpunkt des Interesses, ohne dass dies für die Mehrheit der Sozialwissenschaftler jedoch mit einer Rückkehr zum marxschen Klassenbegriff verbunden wäre. Dennoch scheint man nicht umhin zu können, die Stellung am Arbeitsmarkt, das Verhältnis von Kapital und Arbeit als einen zentralen Punkt bei den Überlegungen zu sozialer Ungleichheit anzusehen – auch wenn sich der alleinige Bezug auf das Konzept der (Erwerbs-)Arbeitsgesellschaft als zu eng erweist (Kreckel 1992). Denn die Ausschließlichkeit der Stellung in der Erwerbsgesellschaft (Betrachtung als „Bezahlte-Arbeits-Gesellschaft“ (ebd.: 33) lässt einen Gutteil von Gesellschaftsmitgliedern außerhalb der Analyse gesellschaftlicher Ungleichheiten. Das gilt beispielsweise für Personen, v. a. Frauen, die nicht im Erwerbsprozess stehen. Des Weiteren finden andere Ungleichheitsfaktoren, z. B. regionale Disparitäten keine Beachtung. Welche Möglichkeiten werden nun aber gesehen, die neuen Spaltungslinien in einer – wie immer angenommenen – nicht mehr so krisenfesten Wohlstandsgesellschaft angemessen zu erfassen? Kreckel sieht, dass sowohl alte und neue, aber auch vertikale und nicht-vertikale Ungleichheiten ein „gemeinsames begriffliches und damit theoretisches Dach“ benötigen (ebd.: 41). „Als neue, verallgemeinerungs- und differenzierungsfähige Metapher möchte ich nun das Begriffspaar Zentrum und Peripherie vorschlagen. Es ist ebenfalls im Alltagsdenken verankert (wie „Oben und Unten“ – B.R.), enthält aber, im Gegensatz zum Schichtungs- oder Klassenkonzept, keine eindeutig vertikalen Konnotationen. Es legt vielmehr den Gedanken an ein asymmetrisch strukturiertes Kräftefeld nahe
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und rückt die Ungleichheitsthematik damit näher an die politische Soziologie heran“ (Kreckel 1992: 41f.; Hervorhebung im Original).
Dieses Bild von Zentrum und Peripherie findet sich in den InklusionsExklusionsansätzen wieder. In einigen Aufsätzen zum Thema Ausgrenzung und Exklusion wird genau auf diese Unterscheidung zwischen Drinnen und Draußen abgehoben (Leisering 2000; Callies 2004; Bude 2004; Bude, Vogel, Willisch 2004). In vielen Fällen wird – ähnlich der systemtheoretischen Lesart – Zentrum und Peripherie als ein dichotomes Drinnen oder Draußen gesehen. Die im Zentrum sind drin und die an der Peripherie sind draußen. Schon Kreckel jedoch verweist (ohne die Ausrichtung auf einen Exklusionsbegriff) auf die Vielfältigkeit der Beziehungen, die sich mit einem Zentrum-Peripherie-Paradigma denken und beschreiben lassen (Kreckel 1992). Das bedeutet, dass sich derartige Beziehungen nicht allein als ein dichotomes Verhältnis denken lassen. Dies scheint auch für die Betrachtung von Exklusion, soll der Begriff nicht in einem simplen Dualismus von Entweder-Oder verbleiben, von großer Bedeutung zu sein (vgl. Kapitel 2.3.2). Denn gerade die Kritik in der deutschsprachigen Diskussion zum Exklusionsbegriff resultiert häufig genau aus der Dichotomie, die diesem Begriff unterstellt wird. Die Debatte in Deutschland stützt sich dabei vielfach auf den Exklusionsbegriff wie er in der systemtheoretischen Tradition verwandt wird. So schreibt Leisering, dass nicht graduelle Unterschiede von mehr oder weniger für Exklusion begriffskonstitutiv seien, sondern die dichotome Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit (Leisering 2000). Es folgt denn auch der Schluss, dass sich in den europäischen Gesellschaften Exklusion kaum finden lassen wird, da es maximalistisch betrachtet den Ausschluss aus allen Lebensbereichen bedeuten würde. Die Möglichkeit des gleichzeitigen Drinnen und Draußen wird für die Interdependenzbeziehungen, die einen großen Teil des Exklusionsproblems beschreiben, nicht in Betracht gezogen. In anderen Beiträgen zur Ausgrenzungsdebatte finden sich jedoch Ansätze, die diesem Spannungsfeld „Drinnen – Draußen“ als gleichzeitigen Möglichkeiten Rechnung tragen. In diesen Ansätzen wird besonders auf die Prozesshaftigkeit sozialer Ausgrenzung rekurriert (Kronauer 2002; Dangschat 1995; Vogel 2001; Vobruba 2000; Bude 1998) In der deutschen Debatte um den Exklusionsbegriff, deren Vertreter anerkennen, dass mit tradierten Konzepten aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen nicht ausreichend zu erfassen sind und die sich nicht auf einen systemtheoretisch ausgerichteten Begriff von Ausgrenzung berufen, ist vielfach die Suche nach einem für Deutschland eigenständig geltenden Begriff beobachtbar. Neben dem Begriff Ausgrenzung (der meist jedoch in Anlehnung an den Exklusionsbegriff verwandt wird und auch synonym mit diesem gebraucht wird), finden sich in-
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nerhalb der deutschen Debatte in diesem Zusammenhang auch Überlegungen zur Kategorie der Überflüssigen (Bude 1998; Willisch 2000; Vogel 2001). Insbesondere Bude hat in seinem Aufsatz „Die Überflüssigen als transversale Kategorie“ (1998) diesen Überlegungen Vorschub geleistet. Mit Bezug auf Olson (1963) verweist er darauf, dass es sich bei den Verlierern des ökonomischen Wandels nicht allein um den „sozialstrukturellen Bodensatz der ‚sozial Verachteten oder der ‚unteren Unterschicht, sondern (um) eine Querkategorie von Freigesetzten und Aussortierten“ handelt (Bude 1998: 365, Hervorhebung im Original). Die rasante, weltweite ökonomische Entwicklung wirft neue, oder zumindest sich verschärfende sozialstrukturelle Probleme auf, die Bude mit der Kategorie der „Überflüssigen“ fassen möchte. Auch er stellt, wie andere Vertreter der sozialen Ungleichheitsforschung fest, dass neben die vertikale und die horizontale Ungleichheit eine akzidentielle Ungleichheit von Drinnen und Draußen tritt. Draußen stehen und mithin auch „überflüssig“ kann derjenige werden, der ohne institutionelle Interessenvertretung verbleibt. „Überflüssig“ zu sein bemisst sich dann hinsichtlich der Zuschreibung in Fragen der sozialen Teilhabe (Arbeitsbereitschaft, legale Verfügbarkeit, Gesundheitsverfassung, familiale Sicherheit, kulturelle Affinität) (Bude 1998). Die veränderten Bedingungen der Arbeitsgesellschaft spielen für die Herausbildung von „Überflüssigen“ eine entscheidende Rolle. Unter der Maßgabe betriebswirtschaftlicher Kostenerwägungen wird quer durch die Schichten der Bevölkerung Desintegration befördert. Es können auf fast allen Ebenen im Arbeitsprozess Arbeitskräfte freigesetzt werden. Das betrifft produzierende Bereiche ebenso wie den Dienstleistungssektor. „Arbeit hat sich vom ‚großen Integrator zu einer Quelle von Desintegration verwandelt.“ (Bude 1998: 373, Hervorhebung im Original). Bildet bei dem Prozess des Überflüssigwerdens die Arbeit (oder vielmehr die Arbeitslosigkeit) den Ausgangspunkt, treten zumeist drei weitere strukturelle Elemente hinzu: Familie, Institution und Körper (Bude 1998). In der inhaltlichen Ausformulierung dieser vier Elemente wird explizit darauf verwiesen, das Phänomen sozialer Ausgrenzung nicht allein auf die Exklusion vom Arbeitsmarkt zu reduzieren. Familiale Systeme, die gerade auch in Krisenzeiten Unterstützung bieten können, drohen u. U. durch die langfristige Verweigerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt und der damit oftmals verbundenen Erosion traditioneller Rollenverteilungen zu zerfallen, wodurch eine weitere Verstärkung sozialer Desintegrationsprozesse befördert würde. Eine weitere Ausgrenzungserfahrung, die Bude anführt, wird über Institutionen und dabei insbesondere über so genannte Gatekeeper (Struck 2000; Vobruba 2000) innerhalb der Institutionen vermittelt.
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„Aber vor allem die Alltagstheorien des Personals in den Verwaltungen von Arbeitslosigkeit und Armut verfügen hier über diskriminierende Indikatoren. Wer sich den Anschein sozialer Haltlosigkeit gibt, hat nach der Investitionslogik der Amtsträger schnell den Anspruch auf volle Leistungen verloren“ (Bude 1998: 376).
Als ein viertes Strukturmerkmal von sozialen Ausgrenzungsprozessen wird der Körper hervorgehoben. Hier benennt Bude lediglich Sucht (gemeint sind vor allem stoffgebundene Süchte wie die Alkoholsucht) als Beispiel für das mögliche Herausfallen aus gesellschaftlichen Bezügen – dem Überflüssigwerden. Spielen die genannten vier Merkmale Arbeit, Familie, Institution und Körper in ihren negativen Auswirkungen zusammen, kann ein Prozess des Überflüssigwerdens in Gang gesetzt werden, der nur schwer reversibel ist. Um am Ende tatsächlich von Überflüssigkeit sprechen zu können, bedürfe es eines „phänomenologischen Befundes“ (Bude), bei dem „Müdigkeit, Abgestumpftheit und Apathie“ feststellbar seien. Diese beiden Aussagen, die Existenz dreier möglicher Exklusionsgruppen sowie die spezifische Beschreibung der Überflüssigen als letzthin apathische Gruppe (vgl. auch Jahoda, Lazarsfeld, Zeisel 1975) verweisen m. E. auf zwei Punkte des hier dargestellten Überflüssigenbegriffs, die nicht unproblematisch erscheinen. Dass jemand zur Population der Überflüssigen gezählt werden kann, hängt, wie vorstehend dargestellt, entscheidend von der individuellen Bewertung der eigenen Lage ab. Der Begriff des Überflüssigen wird also letzthin am Individuum festgemacht (vgl. auch Steinert 2001). Dabei wurden zuvor zumindest zwei Strukturelemente eingeführt, die sich einer rein auf das Individuum bezogenen Sichtweise entziehen. Das war zum einen der dauerhafte Ausschluss vom Arbeitsmarkt. Dieser liegt nicht selten weniger in individuellen Defiziten begründet als in vorgefundenen Strukturbedingungen. Zum anderen wurde Institutionen und hierbei insbesondere den Gatekeepern eine wichtige Rolle im Prozess des Überflüssigwerdens attestiert. Das Phänomen des Überflüssigseins scheint letztendlich weniger eines, das Personen individuell angeheftet werden sollte als vielmehr eine in der Gesellschaft strukturell (zunehmend) beobachtbare Lage einer Anzahl von Personen (vgl. auch Solga 2002b, 2006). Bei den Ausführungen von Bude zum Begriff der Überflüssigen fällt auf, dass zwischen den Kategorien der Überflüssigen und der Ausgrenzung häufig eine Diffusion herrscht. Die Einführung des Überflüssigenbegriffs geschah mit der Absicht, ein deutsches Pendant zu den – vorgeblich – für hiesige Verhältnisse nicht passfähigen Kategorien Underclass und Exklusion zu schaffen (Bude 1998; Baecker, Bude, Honneth, Wiesenthal 1998; Land, Willisch 2006). In den unterschiedlichen Arbeiten zum Überflüssigenbegriff wird jedoch deutlich, dass der Begriff der Exklusion oder Ausgrenzung ebenfalls häufige Verwendung findet. In welchem Verhältnis die Begriffe Ausgrenzung und Überflüssige ste-
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hen, bleibt jedoch unexpliziert. So beschreibt Bude zunächst die vier Elemente Arbeit, Familie, Institution und Körper als Elemente des Prozesses des Überflüssigwerdens, benennt sie dann jedoch gleichzeitig als Strukturmerkmale von Prozessen sozialer Ausgrenzung. Ähnliches findet sich in den Ausführungen von Vogel zum Thema der Überflüssigen. Auch er betont, dass überflüssig zu sein mehr beinhaltet als die Marginalisierung am Arbeitsmarkt, dass es vor allem um das subjektive Empfinden geht, überflüssig in der Überflussgesellschaft zu sein (Vogel 2001). Als Klammer und strukturellen Überbegriff verwendet jedoch auch Vogel die Kategorie Ausgrenzung und hebt auf deren Prozessualität ab. Geht man der Frage nach, in welchem Verhältnis Überflüssigsein und Ausgrenzung stehen, scheint der Begriff der Überflüssigen den der sozialen Ausgrenzung – anders als es die ursprüngliche Absicht war – nicht obsolet zu machen. Vielmehr stellen sich die Überflüssigen als mögliches Ergebnis sozialer Ausgrenzung dar. Vor allem scheint es neben den beiden anderen Funktionen, den Armen und den Arbeitslosen, diejenige zu sein, die einen gewissen Endpunkt darstellt, von dem aus eine Rückkehr zur „Normalität“ nur schwer möglich ist. Um also auf die Kernfrage der vorliegenden Arbeit eingehen zu können, nämlich mit welchen Bewältigungsstrategien junge Erwachsene auf Armut, Ausschluss vom Arbeitsmarkt, auf soziale Isolation reagieren und wie sie somit Ausgrenzungsprozesse beeinflussen, erwiese sich ein Rückgriff auf die Kategorie der Überflüssigen als nicht zielführend. Folgte man der Annahme, dass Müdigkeit und Apathie das Handeln der so genannten Überflüssigen bestimme, könnte man kaum eine Varianz an Bewältigungsmustern erwarten. Allerdings lohnt es sich, genauer auf die theoretischen Ansätze zum Exklusionsbegriff zu schauen, die aus einer vorrangig französischen Tradition heraus, den Exklusionsbegriff auch für Deutschland versuchen fruchtbar zu machen.
2.3.2 Konzept der sozialen Exklusion nach KRONAUER In den letzten Jahren hat sich die Debatte um Inklusion und Exklusion noch einmal verstärkt. So wurde beispielsweise im Anschluss an die Überflüssigendebatte versucht, den Begriff der Exklusion als eine Möglichkeit fruchtbar zu machen, „objektive“ Kriterien für soziale Ausgrenzung und subjektives Exklusionsempfinden zu verbinden und so „die empirische Brauchbarkeit des zwischen Ungleichheits- und Armutsforschung vermittelnden Exklusionsbegriffes“ zu prüfen. (Bude, Lantermann 2006: 233). Andere Autoren untersuchen den Exklusionsbegriff auf seine Grenzen hin und setzen neue Konzepte – wie z. B. den sekundären Integrationsmodus – dagegen (Land, Willisch 2006). In den meisten Fällen wird auf Kronauer Bezug genommen und damit auf den prominentesten
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Vertreter dafür, den Exklusionsbegriff in Deutschland einzuführen. Er schließt dabei insbesondere an die theoretischen Konzepte der exklusion sociale aus der französischen Diskussion sowie z. T. auch an angloamerikanische Ansätze an, die sich mit Fragen der Underclass beschäftigen. Somit ist er in Deutschland ein maßgeblicher Vertreter einer Exklusionstheorie, die sich jenseits eines systemtheoretischen Zugangs den Modi sozialer Ausgrenzungsprozesse zuwendet und versucht hat, diese systematisch zu erfassen. Bevor sich Kronauer den Bestimmungen von gesellschaftlicher Ausgrenzung zuwendet, stellt sich für ihn die Frage nach den Formen gesellschaftlicher Integration. Ohne diese Formen bereits spezifisch für unsere Gegenwartsgesellschaft auszuformulieren, benennt er Interdependenz und Partizipation als die beiden übergreifenden Modi gesellschaftlicher Integration. Über Interdependenzen ist die Einbindung in die gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie die Wechselseitigkeit sozialer Nahbeziehungen vermittelt. Die entscheidenden Dimensionen, die die gesellschaftliche Zugehörigkeit über Partizipation ausmachen, sind materielle, politisch-institutionelle sowie kulturelle Teilhabe (Kronauer 2002). In ihren negativen Bestimmungen – und damit denen, über die sich soziale Ausgrenzung festmachen lässt – gehören auf der Seite der Interdependenz die Marginalisierung am Arbeitsmarkt, die bis zum letztendlichen Ausschluss reichen kann sowie die Einschränkung sozialer Beziehungen, die sich im Extremfall zu Vereinzelung und sozialer Isolation steigert. Aufseiten der Partizipation bedeutet soziale Ausgrenzung den Ausschluss von Teilhabemöglichkeiten an „gesellschaftlich anerkannten Lebenschancen und Lebensstandards“ (ebd.: 151). Abbildung 1:
Kriterien der sozialen Exklusion nach Kronauer, eigene Darstellung
Kriterien sozialer Exklusion nach KRONAUER Interdependenz
- Marginalisierung (bis Ausschluss) vom Arbeitsmarkt/ Erwerbsarbeit - Einschränkung sozialer Beziehungen – soziale Isolation
Partizipation
- Ausschluss von Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlich anerkannten Lebenschancen und Lebensstandards Soziale Ausgrenzung ist Prozess und Zustand
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Mit Teilhabechancen werden im Wesentlichen die drei Dimensionen der materiellen, politisch-institutionellen sowie kulturellen Partizipation umschrieben. Sie bilden die Teilhabestandards, die die Chancen auf eine angemessene Lebensführung innerhalb unserer Gesellschaft garantieren sollen. Angemessen ist dabei freilich ein relativer Begriff, der sich nach historisch gewachsenen (und erkämpften) sozialen Rechten bemisst, die weitgehend einen gesellschaftlichen Konsens darstellen. „Soziale Rechte sollen Statusgleichheit im Zugang zu den Leistungen zentraler gesellschaftlicher Institutionen (vor allem Bildungswesen, medizinischer Versorgung, sozialer Sicherung bei Notfällen und im Alter) her- und kulturell angemessene Lebenschancen sicherstellen. Sie sollen damit zugleich die Wahrung der persönlichen Integrität und die Wahrnehmung der politischen Rechte durch die Individuen materiell und sozial ermöglichen. Soziale, durch den Wohlfahrtsstaat garantierte Rechte sind dabei in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Sie beziehen die Ausgestaltung intermediärer Institutionen unter staatlichem Rechtsschutz oder staatlicher Beteiligung (…) ebenso ein wie die rechtliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse“ (Kronauer 2002: 152).
Insofern muss im Hinblick auf das Ausgrenzungsproblem die Perspektive neben den Fragen nach Sozial- und Systemintegration insbesondere auch auf die demokratische Qualität und deren Erhaltung in der Gesellschaft gelegt werden. Bei der Diskussion der oben eingeführten Modi von Interdependenz und Partizipation, die in der Realität jedoch nicht so trennscharf existieren, mahnt Kronauer zu einer jeweiligen Betrachtung als Zustand und Prozess. Damit ist gemeint, dass diese Modi zum einen in ihren ausgrenzenden Wirkungen eine zu einem bestimmten Zeitpunkt beobachtbare Tatsache darstellen. Zum anderen jedoch darf die Prozesshaftigkeit dieser Ausgrenzungsmerkmale nicht aus dem Blick geraten. Kronauer befindet sich mit der Annahme, dass Exklusionsprozesse keine festgeschriebenen, unveränderlichen Tatsachen sind, in Übereinstimmung mit anderen Autoren, die sich mit Exklusion beschäftigen (Castel 2000a). Zugleich fließen hier empirische Erfahrungen aus der Armutsforschung ein, in denen festgestellt werden konnte, dass Armut häufig keine festgeschriebene und unumkehrbare Lage darstellt, sondern Menschen in bestimmten Situationen treffen kann, aus denen sie in einer Vielzahl der Fälle wieder herausfinden (Leibfried, Leisering 1995). Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Gefahr, in Armut zu geraten und ausgegrenzt zu werden, für bestimmte gesellschaftliche Gruppen höher ist als für andere. Damit geraten auf den ersten Blick ganz verschiedene Personenkreise ins Blickfeld. Jugendliche und junge Erwachsene, die auf einen blockierten Zugang zu Ausbildung und Arbeit stoßen, Langzeitarbeitslose, Arbeitnehmer am Ende ihrer Erwerbskarriere, Frauen und Männer mit Mig-
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rationshintergrund, Alleinerziehende und viele mehr. Um Exklusion hier als eine analytische Kategorie einsetzen zu können, muss das über diese Gruppen hinweg Gemeinsame gefunden und festgehalten werden. Es ist in verschiedenen soziologischen Abhandlungen darüber reflektiert worden, dass in den letzten Jahrzehnten eine wachsende Ausdifferenzierung von Lebenslagen zu verzeichnen ist (Beck 1986). Ein stark reduzierender Begriff wie der Klassenbegriff, bei dem sich die Platzierung innerhalb der Gesellschaft (und damit war – in seiner marxschen Lesart – zugleich ein bestimmter Habitus verbunden) vor allem über die Stellung des Einzelnen im Produktionsprozess definierte, scheint in der Gegenwart als Analysekategorie nicht mehr ausreichend. „Was aber, wenn Vereinzelung und Zersplitterung der Interessen selbst ein wesentliches Merkmal von Ausgrenzung darstellen? Wenn also dieses Merkmal seinerseits ein starker Indikator für das Herausfallen aus sozialen Bezügen ist, das Ausgrenzungsprozesse gerade kennzeichnet? Dann bleibt nichts anderes übrig, als beides im Blick zu behalten – das Gemeinsame von Ausgrenzungskonstellationen ebenso wie die Heterogenität von Lebenssituationen und Erfahrungen, in denen Ausgrenzung zur Geltung kommt“ (Kronauer 2002: 155).
Die spezifischen biographischen Situationen geraten so ins Blickfeld der Betrachtungen. Neuralgische Punkte in einer Biographie scheinen gerade jene zu sein, an denen im Sinne eines normalbiographischen Verlaufs Übergänge zu meistern sind. So beispielsweise der Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand. Aber in vielen Fällen stellt auch der Eintritt in das Erwerbsleben (der Übergang Schule – Ausbildung – Beruf) eine biographisch schwierige Phase dar. Was bedeutet also der Ausschluss aus Interdependenzbeziehungen und von Partizipationsmöglichkeiten insbesondere für die in dieser Untersuchung betrachtete Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen? Zunächst war deutlich geworden, dass die Interdependenzbeziehungen die Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sowie die Einbindung in soziale Netzwerke beschreiben. Der Erwerbsarbeit kommt dabei nach wie vor eine entscheidende Rolle zu. Über sie regelt sich zum einen hauptsächlich die Platzierung in der Gesellschaft, zum anderen sichert sie für die meisten Menschen den Lebensunterhalt. Dennoch wird im Exklusionsansatz, wie ihn Kronauer verfolgt, nicht die einfache Formel, Ausschluss von Erwerbsarbeit führt linear und unweigerlich zu sozialer Exklusion, aufgemacht. Ausbildung, Hausarbeit oder Ruhestand sind zwar alternative Rollen in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, sie haben jedoch eine enge Verbindung zur Erwerbsarbeit und bleiben auf diese bezogen. Gerade Hausarbeit und Ruhestand gehen nicht unbedingt mit einem sozialen Statusverlust einher, sofern sie freiwillig gewählt sind. Wer-
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den insbesondere Frauen (wieder) zunehmend in die Hausfrauenrolle gedrängt und werden ältere Arbeitnehmer in einen Vorruhestand gezwungen, sind zumindest die subjektiven Empfindungen einer sozialen Ausgrenzung durchaus vorhanden. „Soziale Ausgrenzung droht, wenn keine Statusalternativen zur Verfügung stehen; wenn der langfristige Ausschluss aus Erwerbsarbeit mit dem Verlust jeder Einbindung in die gesellschaftlich anerkannte Arbeitsteilung zusammenfällt. Je länger Erwerbslosigkeit anhält und je jünger die von ihr Betroffenen sind, desto größer das Risiko der sozialen Ausgrenzung“ (Kronauer 2002: 157).
Für all diejenigen, die sich nicht in alternative Rollen begeben wollen und können, bedeutet der Ausschluss vom Arbeitsmarkt und von gesellschaftlicher Arbeitsteilung Arbeitslosigkeit. „Wegen ihrer strukturellen und nicht mehr nur konjunkturellen Ursachen ist sie ein Ungleichheitsfaktor eigenständiger Qualität“ (Kronauer 2002: 160; Offe, Hinrichs 1977). Sind nach wie vor bestimmte Schichten der Gesellschaft stärker und dauerhafter von Arbeitslosigkeit betroffen als andere, treten neben diese vertikalen Faktoren weitere, die tatsächlich „jenseits von Klasse und Stand“ liegen. Solche horizontalen Aspekte sind beispielsweise die Prosperität bestimmter Regionen (neben dem diesbezüglichen OstWest-Gefälle existiert hier auch ein Nord-Süd-Gefälle) oder die wirtschaftlichen Branchen, auf die in den einzelnen Regionen gesetzt wird. Neben den vertikalen und horizontalen Faktoren spielen jedoch auch die bereits zuvor angedeuteten biographischen Situationen eine entscheidende Rolle bei der Frage, bei wem sich soziale Ausgrenzungsprozesse bezogen auf die Position innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung häufiger zeigen. Als eine Gruppe werden Jugendliche und junge Erwachsene identifiziert, für die aufgrund eines blockierten Zugangs zum Arbeitsmarkt gleichfalls der Zugang zu gesellschaftlichem Status blockiert wird (Kronauer 2002). Eine Berufsausbildung und die Platzierung auf dem Arbeitsmarkt stellen für Jugendliche wichtige, Identität stiftende Schritte dar. Diese Übergänge von der Schule in Ausbildung und Arbeit verlaufen seit einigen Jahren für junge Frauen und Männer immer weniger linear und sind häufig von Warteschleifen, Um- und Neuorientierungen sowie Brüchen gekennzeichnet (Braun, Lex, Rademacker 2001; Reißig, Gaupp, Lex 2008). Ein Teil der Betroffenen nutzt diese Auszeiten als Chance, sich in verschiedenen Feldern auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und die eigenen Fähigkeiten zu vervollkommnen. Für einen anderen Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen allerdings bedeutet das Schwinden von Möglichkeiten der stabilen Platzierung auf dem Arbeitsmarkt den Weg in soziale Ausgrenzung (Reißig 2005).
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Zu dem dauerhaften Ausschluss vom Arbeitsmarkt, der, ist er nicht finanziert und statusabgesichert, zu sozialer Exklusion führen kann, tritt eine wachsende Bedeutung der so genannten Zone der Vulnerabilität (Castel 2000a). Auf den Arbeitsmarkt bezogen erweist sich insbesondere die steigende Anzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse als Vulnerabilitätsfaktor. Die Bedrohung von Arbeitslosigkeit ist für befristet Beschäftigte bedeutend höher als für dauerhaft Beschäftigte, für die in den meisten Fällen immer noch ein guter Kündigungsschutz gilt. Vor diesem Hintergrund müssen Jugendliche und junge Erwachsene als eine besonders vulnerable Gruppe betrachtet werden. Zum einen sind sie – insbesondere an der zweiten Schwelle des beruflichen Einstiegs in den Arbeitsmarkt – von einem blockierten Zugang auf den (ersten) Arbeitsmarkt betroffen (Lutz 2001). Zum anderen sind es gerade Berufseinsteiger, die in befristete Beschäftigungsverhältnisse gelangen (Buchholz, Kurz 2005, 2007). Das bedeutet vor allem für gering qualifizierte Jugendliche und junge Erwachsene Beschäftigung in Zeitarbeit, die unsicher und häufig schlecht bezahlt sowie oft mit hohen Mobilitätsanforderungen und dementsprechenden Kosten verbunden ist und nur in den seltensten Fällen in ein gesichertes Beschäftigungsverhältnis überführt wird (Buchholz, Kurz 2007). Wie bereits beschrieben, lässt sich Exklusion nicht allein an der Marginalisierung und dem Ausschluss vom Arbeitsmarkt festmachen. Zu den Interdependenzen zählt auch der Ausschluss aus sozialen Netzwerken, der letzthin soziale Isolation bedeutet. „Soziale Ausgrenzung kann sich auf zweierlei Weise äußern: entweder als Vereinzelung, d h. als Verlust oder Fehlen von Beziehungen zu einem Partner/einer Partnerin, Freunden oder Verwandten; oder aber als Konzentration der sozialen Beziehungen auf Menschen in gleicher, benachteiligter Lage“ (Kronauer 2002: 168).
Einseitig negative soziale Beziehungen erweisen sich dann als Exklusionsfaktor, wenn sie dazu führen, die aktuelle Lage nicht überwinden zu können. Derartige Netze verhindern geradezu, wieder oder überhaupt in gesellschaftliche Arbeitsteilung zu gelangen, z. B. in Aus- oder Weiterbildung oder in Arbeit. Ebenso fällt die Unterstützung auf finanzieller Ebene, der Beistand auf psychologischer Ebene oder auch auf der Informationsebene gering aus oder ist nicht vorhanden. Gerade für die hier beschriebene Form sozialer Isolation als Vereinseitigung sozialer Beziehungen lassen sich Beispiele in so genannten marginalisierten Stadtteilen in Großstädten finden. Aufgrund der auch in Deutschland zunehmenden Segregationsprozesse sind eine Reihe derartiger Stadtteile Homogenisierungsprozessen unterworfen. Alle jene, die es sich leisten können, verlassen diese Quartiere und lediglich arme und benachteiligte Bevölkerungsschichten
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verbleiben dort (Dangschat 1995; Häußermann, Kapphan 2000). Es entstehen so Stadtviertel, die weithin stigmatisiert sind, gerade auch durch jene Institutionen (wie z. B. Arbeitsagentur, Sozial- und Jugendämter), mit denen die Betroffenen in Kontakt stehen. Nicht nur bei Jugendlichen führt in diesen Stadtteilen soziale Isolation nicht selten zu sozialer Schließung, denn die wie auch immer gearteten, einseitigen Beziehungen zu anderen vor Ort bieten auch eine Art Schutzraum für die dort lebenden Personen (Krahek 2004; Mühler, Opp 2004). Programme, die diesen Homogenisierungstendenzen und sozialen Schließungen entgegen wirken sollen (z. B. das Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“), werden durch die vom SGB II beförderte Wohnungszuweisungspolitik einiger Kommunen konterkariert. So muss man davon ausgehen, dass sich die Segregationseffekte und damit der Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und sozialer Isolation weiter verstärken werden. Auch hier scheint die Zone der Gefährdung wiederum eine wichtige Funktion zwischen Inklusion und Exklusion einzunehmen. Nicht nur der Ausschluss aus Interdependenzbeziehungen ist kennzeichnend für soziale Exklusion, sondern ebenso der Ausschluss von Partizipationsmöglichkeiten. Kronauer benennt explizit drei Felder der Teilhabe, von denen ausgeschlossen zu sein, soziale Exklusion nach sich ziehen kann. Diese drei Felder sind:
Ausschluss von materieller Teilhabe, Ausschluss von politisch-institutioneller Teilhabe, Ausschluss von kultureller Teilhabe.
Ausschluss von materieller Teilhabe Ausschluss von materieller Teilhabe bedeutet Armut. Armut bezeichnet dabei ein gesellschaftliches Verhältnis. Nicht (nur) das physische Überleben ist gemeint, sondern vor allem das signifikante Zurückbleiben hinter einem gesellschaftlich erreichten und anerkannten Lebensstandard. Gerade das Fehlen von Teilhabe an anerkannten Lebensstandards ist aber auch der Grund, weshalb „Armut für die Betroffenen nicht nur Mangel bedeutet, sondern ein soziales Ausgrenzungsverhältnis begründen kann“ (Kronauer 2002: 176). Die Einsicht, dass Armut mehr ist als materielle Armut und dass es zu ihrer Definition nicht ausreicht die Armutsgrenzen zwischen 40 % und 60 % des Durchschnittseinkommens festzulegen, setzt sich immer mehr durch und hat ihre deutlichste Ausdrucksform im Ansatz der multiplen Deprivation von Lebenslagen gefunden (Glatzer, Neumann 1993; Geissler 1994). Dennoch findet seine Anwendung auch
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in Deutschland lediglich in wenigen Untersuchungen konsequent statt (Andreß 1999). Diese Untersuchungen zeigen auch, dass besonders Erwerbslosigkeit Armut nach sich zieht. Aber es finden sich auch in Deutschland vermehrt so genannte „working poor“ (ebd.). Hier sind wiederum besonders prekär Beschäftigte betroffen, die vermehrt unter jungen Erwachsenen zu finden sind und dort besonders jenen, die gar nicht oder schlecht ausgebildet sind (Solga 2005, 2006). „Armut ist zu einem festen Bestandteil der Zone der Gefährdung geworden. Die Existenz der ‚arbeitenden Armen und die Breite ihrer Risiken belegen, dass der wohlfahrtsstaatliche Schutz in dieser Zone bereits erhebliche Lücken aufweist. Damit gilt auch für Deutschland, dass mittlerweile Erwerbsarbeit alleine keine hinreichende Absicherung vor sozialer Ausgrenzung in allen relevanten sozialen Dimensionen mehr bietet. Sie mag zwar noch vor Statusverlust bewahren, garantiert aber weder einen Mindeststandard an materiellen Teilhabemöglichkeiten noch an Zukunftsabsicherungen“ (Kronauer 2002: 179).
Ausschluss von politisch-institutioneller Teilhabe Die Frage sozialer Rechte wird auch durch politisch-institutionelle Teilhabe berührt. Kronauer sieht drei Formen, in denen sich politisch-institutioneller Ausschluss manifestiert. Die erste Form bildet dabei die Verweigerung politischer und sozialer Rechte von vornherein, wenn die Betroffenen keine (vollständigen) Mitglieder des Nationalstaates sind, in dem sie leben. Das gilt beispielsweise für bestimmte Migrantengruppen wie Flüchtlinge und illegale Einwanderer. Die zweite Form, die Kronauer benennt, „manifestiert sich als Erosion der Reichweite und Qualität bereits bestehender sozialer Schutzrechte“ (Kronauer 2002: 185). Deren Auswirkungen sind wiederum vor allem in der Zone der Gefährdung zu spüren. Dazu zählen Einschränkungen staatlich-institutioneller Leistungen (z. B. Hartz IV), die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen (Leiharbeit, Befristung), das Unterlaufen von Tarifverträgen mit den entsprechenden Auswirkungen auf sozialstaatliche Absicherungen. In der dritten Form des Ausschlusses von politisch-institutioneller Teilhabe ändert sich die Blickrichtung weg von der Sicht der von Exklusion Betroffenen und Bedrohten hin zu den Teilhabe vermittelnden Institutionen selbst. Diese Institutionen fungieren „selbst als Weichensteller in die Ausgrenzung oder aus bedrohlichen Lagen heraus“ (ebd.: 187). Über Institutionen und ihre Rahmensetzungen werden indirekt die Handlungsoptionen von Menschen beeinflusst und darüber haben Institutionen entscheidenden Einfluss auf ihre weiteren Laufbahnen. Menschen treten aber nicht Institutionen als solche gegenüber, sondern ihren Mitarbeitern. Diese Mitarbeiter geraten dabei in eine Gatekeeperfunktion,
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in der sie Statusübergänge im Lebenslauf gestalten und kontrollieren können (Struck 2000). Erhält jemand Kurse oder Weiterbildungen über die Arbeitsagentur, die sich sinnvoll in die bisherige Ausbildungs- und Erwerbsbiographie einfügen? Oder fällt jemand durch das Raster, weil er oder sie als nicht ausbildungsoder arbeitsfähig eingestuft wird, weil eine unzureichende Employability diagnostiziert wird? Gerade auch für Jugendliche an der ersten und später an der zweiten Schwelle führt das dazu, dass die Förderung den Auflagen und Anforderungen der Institutionen nachgeordnet passiert. Maßnahmen werden häufig nicht an den individuellen Voraussetzungen der Betroffenen ausgerichtet, sondern diese werden zufällig in die Maßnahmen vermittelt, die noch freie Kapazitäten aufweisen. Auf diesem Wege entstehende Maßnahmekarrieren wenden sich nicht selten gegen die Jugendlichen selbst und werden zu einem eigenständigen Benachteilungsfaktor und u. U. Ausgrenzungsfaktor (Lex 1997). Bevor jedoch Institutionen relevant werden, die in Ausbildung und Arbeit vermitteln helfen, spielt die Bildungsinstitution Schule eine wichtige Rolle. Dass sie auch als Ausgrenzungsfaktor fungiert, ist spätestens seit den PISAUntersuchungen bekannt. Die soziale Herkunft sowie ein Migrationshintergrund erwiesen sich als wesentliche, benachteiligende Aspekte im Durchlaufen des deutschen Bildungssystems (Baumert 2001; Prenzel et al. 2004). Da ein höherer und guter Schulabschluss nach wie vor das Risiko mindert, ohne Ausbildung zu bleiben, kann davon ausgegangen werden, dass die Gefahr von Ausgrenzung, bezogen auf die Teilhabe an der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, bei denen, die die Schule ohne oder mit schlechten Abschlüssen verlassen, höher ist (Solga 2005, 2006). Betrachtet man die Wahrnehmung politischer Teilhabe bemisst sich diese zum großen Teil über die Wahlbeteiligung. Hier zeigt sich, dass mit dem Steigen des wahrgenommenen Risikos von sozialer Exklusion das Vertrauen in die politische Vertretung über (etablierte) Parteien abnimmt, was sich in sinkenden Wahlbeteiligungen besonders in marginalisierten Stadtvierteln widerspiegelt (Hopf 1999, zitiert nach Kronauer 2002; Häußermann, Kapphahn 2000). Alle Versuche, gerade Bewohner von Problemstadtvierteln stärker in Beteiligungsprozesse auf kommunaler Ebene mit einzubeziehen, erwiesen sich bislang als schwierig (vgl. Programm „Freiwilliges Soziales Trainingsjahr“ für Jugendliche und junge Erwachsene, Förster 2004). Die Erfahrung der Machtlosigkeit dominiert insbesondere bei den Jugendlichen, die benachteiligt sind und außerhalb jugendpolitischer Vereinigungen und Organisationen stehen. Sie werden auch durch Programme und Initiativen kaum erreicht (Wächter, Zinser 2006; Reutlinger, Wächter, Mack 2007).
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Ausschluss von kultureller Teilhabe Für Kronauer spitzt sich die Frage der kulturellen Teilhabe bei von Exklusion bedrohten oder betroffenen Menschen in der Alternative kulturelle Ausgrenzung oder Kultur der Armut zu. Dabei hat die Annahme, dass sich eine Kultur der Armut herausbildet und so zu einer „Sonderwelt der Armen“ führt, starke Berührungspunkte zum Begriff der Underclass. Es wird davon ausgegangen, dass sich diese Kultur der Armut über Generationen hinweg reproduziert und somit in eine eigenständige soziale Lage führt (Lewis 1966). Tatsächlich werden jedoch in den Thesen bei näherer Betrachtung lediglich „eine Reihe zentraler Armuts- und Deprivationsindikatoren sowie eine genaue und sensible Beschreibung von charakteristischen Reaktionen und Bewältigungsstrategien“ sichtbar (Kronauer 2002: 195; Gebauer 2007). Die Annahme der Vererbung über Generationen hinweg bleibt ebenfalls unklar und umstritten. Dass sich eine Kultur der Armut als eine Gegenkultur zu etablierten Werten einer Gesellschaft entwickelt, vermutet man u. U. besonders bei jungen Frauen und Männern, deren Platzierung auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bislang gescheitert ist und die, in benachteiligten Quartieren lebend, von Jugendlichen und jungen Erwachsenen umgeben sind, die gleiche Erfahrungen machen. Aber gerade hier, das stellen verschiedene Untersuchungen fest, existiert eine hohe Identifikation mit Werten und Orientierungsvorgaben der Gesellschaft (Nightingale 1993, Dubet, Lapeyronnie 1994). Eine eigenständige Kultur der Armut lässt sich auch in marginalisierten Quartieren nicht finden. Die Beschreibung der einzelnen Aspekte, die soziale Exklusion ausmachen, lässt deutlich werden, dass der Zone der Vulnerabilität eine wichtige Rolle zukommt. Ausgehend von der wachsenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse können Menschen auch in anderen Bereichen (z. B. der Partizipation) mehr und mehr in das soziale Abseits geraten. Eine Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist es, für die betrachtete Gruppe der jungen Erwachsenen zu bestimmen, an welchen Punkten Gefährdungen tatsächlich in Ausgrenzung umschlagen. Welches sind die Wege dieser jungen Frauen und Männer zwischen Inklusion, Gefährdung und Ausgrenzung? Die Reichweite des hier verwendeten Exklusionsbegriffs ist dabei sehr weit. Zwar fungiert als zentrales Kriterium für die Exklusionsbedrohung die Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, so dass dem Ausschluss vom Arbeitsmarkt eine besondere Wirkung zukommt. (Diese Sicht scheint auch nach wie vor berechtigt, da die Mehrzahl der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt über Erwerbsarbeit sichern muss.) Aber neben der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt wird der Blick auch auf andere Modi gelenkt, die zu sozialer Exklusion führen können (von working poor über soziale Isolation bis zu Aspekten von Partizipation). Insbesondere mit der Frage nach sozialer
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2 Theorie der sozialen Exklusion
Isolation, nach dem Ausschluss aus sozialen Nahbeziehungen „kommt ein Aspekt ins Spiel, der über die üblichen sozial-strukturellen Bestimmungsfaktoren hinausgeht“ (Callies 2004: 22). Will man die Wege zwischen den Zonen Inklusion, Vulnerabilität und Exklusion betrachten, geht man davon aus, dass Übergänge prinzipiell in alle Richtungen möglich sind. Betrachtet man den Übergang hin zu sozialer Exkusion ist dieser auch durch einen Mangel an Handlungsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven bestimmt (Callies 2004). Damit wird neben der Erfassung von Ist-Zuständen (also wie stark ist jemand von sozialer Ausgrenzung bedroht bzw. betroffen) auch auf eine zeitliche Komponente hingewiesen. Der Exklusionsbegriff ist letztlich ein Prozessbegriff, der eben nicht auf ein starres Drinnen oder Draußen abhebt. In den Blick geraten bei der Suche nach den Umschlagpunkten zwischen den Zonen individuelle, biographische Verläufe.
3 Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe
3.1 Institutionalisierung des Lebenslaufs und Normalbiographie Strukturveränderungen in der Gesellschaft haben die Anforderungen an die individuelle Gestaltung von Biographien erhöht. So wird spätestens Ende der 1970er Jahre festgestellt, dass die zunehmende Diskontinuität im Lebenslauf im Zuge gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse auch zu einem gestiegenen Stellenwert der individuellen Biographie geführt hat (Kohli 1978). Zudem wurde zu dieser Zeit immer mehr von einer abnehmenden Bedeutung von Klassen- und Schichtgrenzen ausgegangen, was gleichfalls ein stärkeres Rekurrieren auf den Lebens(ver)lauf zur Folge hatte (Mayer, Müller 1989). Mit dem individuellen Gestaltungsspielraum haben sich zugleich die „Chancen zur Nutzung historischer Gelegenheitsstrukturen erhöht als auch die sozialen Risiken neuer individueller Benachteiligung und gesellschaftlicher Ausgrenzung“ (Behrens, Voges 1996: 16). Ungleiche soziale Voraussetzungen und Lebensbedingungen sind in unserer Gesellschaft nach wie vor vorhanden – sie lassen sich jedoch immer schwerer in eindeutig zu beschreibende Klassenlagen transformieren. Die Konjunktur biographischer Ansätze und die zunehmende Betrachtung von Lebensläufen ist eine Reaktion der Sozialwissenschaft auf diese Entwicklungen (u. a. Berger, Hradil 1990). Dabei wird an einigen Stellen explizit darauf verwiesen, dass Lebensverläufe und Biographien die Analyse sozialer Ungleichheit nicht ersetzen können, sondern dass diese als Mechanismen der Reproduktion von sozialer Ungleichheit gesehen werden müssen (Mayer 1996). Lebensläufe selbst werden als Institutionen gefasst, die sozial integrieren, aber gleichzeitig den Rahmen liefern, in dem sich Spannungen zwischen Individuum und gesellschaftlichen Institutionen aufbauen. Dabei bringt die Perspektive auf den Lebenslauf die gesellschaftliche Dynamik, die Prozesshaftigkeit in den Blick. Das hat zugleich Auswirkungen auf die methodische Herangehensweise. Die Beschreibung gesellschaftlicher Zustände und besonders ihrer sozialen Probleme wird nicht mehr allein auf Querschnittsebene, die statisch eine aktuelle Situation erfasst, vorgenommen. Über Längsschnitte (sowohl Surveys als auch Panels) können Prozesse aufge-
B. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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3 Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe
deckt und empirisch veranschaulicht werden (Behrens, Voges 1996; Vobruba 2000; Sackmann, Wingens 2001). Das Thema der „Entfaltung und Veränderung sozialer Ausgrenzung im Lebenslauf“ ist spätestens mit Rowntree, dem Begründer einer dynamischen Armutsforschung in die Sozialwissenschaft eingekehrt (Kohli 1999: 112). „Der Lebenslauf ist eine Zeitreise, die durch verschiedene Zonen führen kann. Die Individualisierungsthese behauptet, die Verschiedenheit der Zonen habe im historischen Verlauf zugenommen, und die Sozialstruktur habe sich ganz überwiegend verflüssigt. Wie weit das tatsächlich der Fall ist, bleibt umstritten. Aber das Prinzip ist (…) klar: Die Individuen können nicht fest einer sozialen Kategorie zugeordnet werden; es muss immer mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass sich ihre Zugehörigkeit im Lauf des Lebens verändert“ (Kohli 1999: 112).
Auch wenn die Anforderungen an die Individuen, ihren Lebenslauf selbst zu gestalten, seit dem Eintritt in die Moderne unzweifelhaft gestiegen sind, geben gesellschaftliche Institutionen Richtung und Rahmen vor (Dux 1982). An diesen Richtungen und Rahmen orientieren sich Individuen zum einen, zum anderen überschreiten sie im Verlauf der Geschichte auch immer wieder jene Grenzen. Kohli legt die historischen Linien im Prozess der Institutionalisierung des Lebenslaufes offen. Dieser Prozess ist wesentlich durch die Verzeitlichung und Chronologisierung des Lebenslaufs gekennzeichnet. Verzeitlichung bedeutet einen Wandel von Alterszuständen als rein kategoriale Beschreibungen hin zu „zentralen Strukturprinzipien“ (Kohli 1985: 2). Dies führt letztlich zu einer am Lebensalter ausgerichteten Chronologisierung des Lebenslaufs, dem so genannten „Normallebenslauf“. Dieser ist einer Dreiteilung unterworfen, die sich historisch durch die Herausbildung einer Phase der Schulpflicht und der Phase des Ruhestands entwickelt hat. Ein Rentensystem, wie es bis heute realisiert wird, konnte sich jedoch erst mit der Lohnarbeit als entscheidender Einkommensquelle durchsetzen. Die Dreiteilung des Lebenslaufs lässt sich mit Kohli in Vorbereitungs-, Aktivitäts- und Ruhephase beschreiben. Das macht deutlich, dass die Lebenslaufgestaltung zentral auf dem Arbeitssystem beruht. „Der Lebenslauf ist um das Erwerbssystem herum organisiert“ (Kohli 1986: 186). Noch klarer beschreibt es die These, dass das Normalarbeitsverhältnis erst die Herausbildung der Normalbiographie ermöglicht hat (Osterland 1990). Diese Strukturierung des Lebenslaufsregimes bestimmt zu einem großen Teil auch die Erwartungen und das daran ausgerichtete Handeln von Individuen. Die Erwartungen richten sich auf längere Zeiträume und versprechen, trotz des Individualisierungsprozesses, „biographische Perspektiven“ (Kohli 1985: 16; in der historischen Perspektive auch: Elias 1969). Diese erhöhte Planungssicherheit, sich an ein Gerüst für den eigenen Lebenslauf anlehnen zu können, birgt
3.1 Institutionalisierung des Lebenslaufs und Normalbiographie
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zum einen eine Entlastung des Individuums. Die Institutionalisierung des Lebenslaufs bedeutet zum anderen aber eine Einschränkung individueller Handlungsspielräume. Diese Gleichzeitigkeit von Entlastung und Einschränkung des Individuums bei der eigenen Biographiegestaltung wirft die generelle Frage nach dem Verhältnis von Handlungs- und Systemebene auf: vom Verhältnis „des Lebenslaufs als institutionelles Programm und als subjektive Konstruktion“ (Kohli 1985: 20). Kohli nähert sich diesem Verhältnis über drei Modelle des Verhältnisses von Handlungs- und Systemtheorie an. Das erste Modell betrachtet Individuen „ausschließlich als biographisch prozessierte Einheiten“ (ebd.) und lenkt damit die theoretische Aufmerksamkeit auf die Analyse des institutionellen Programms. Die individuelle Handlungsebene wird lediglich als Ergebnis dieses Programms interpretiert. Das zweite von Kohli genannte Modell sieht institutionelles Programm und subjektive Konstruktion als parallel existierend an. Die Rolle des Subjektiven wird hier bereits mitgedacht. Dennoch bedarf es eines dritten Modells, welches nicht auf die Parallelität setzt, sondern auf die Wechselwirkung beider Ebenen und damit auf Spannungen zwischen ihnen. Individuelles Handeln ist nicht nur Anpassung und Übernahme institutionell vermittelter Entwürfe, sondern es kommen immer auch eigene Entwürfe zum Tragen. Mit dem Prozess der Individualisierung werden dabei die persönlichen Handlungsspielräume erweitert. Allerdings weist Kohli bereits Mitte der 1980er Jahre darauf hin, dass die Krise des Arbeitsmarktes und die sozialpolitischen Veränderungen dazu führen, dass die „Hintergrundbedingungen, auf denen es zu verlässlichen Kontinuitätsansprüchen kommen kann, für Teile der Bevölkerung nicht gegeben sind; für sie trifft die Individualisierungsthese nur in eingeschränktem Sinn zu“ (Kohli 1985: 26). Heute, gut 20 Jahre später, gilt diese Aussage in einem mindestens genau so starken Maße. Eine Frage, der sich Kohli und später auch andere gewidmet haben, war, ob die beobachtbaren Wandlungsprozesse zu einer abnehmenden Institutionalisierung führen würden. Zentrale Bereiche, in denen dies zuerst sichtbar werden könnte, sind aus seiner Sicht die Familie und die Arbeit. Das Heiratsalter sowie das steigende Alter von Frauen bei der Geburt des ersten Kindes auf der einen und abnehmende Heiratsneigung sowie sinkende Geburtenraten (insbesondere in den neuen Bundesländern) weisen auf Entwicklungen in Richtung einer DeStandardisierung hin. Zugleich ist im Bereich der Arbeit in den letzten Jahren deutlich geworden, dass Bildung und Ausbildung immer weniger abgeschlossene Prozesse sind. Das viel zitierte lebenslange Lernen wird mehr und mehr zur Realität. Nichtsdestotrotz hat der Ansatz eines institutionalisierten Lebenslauf und der darauf aufbauenden Vorstellung einer „Normalbiographie“ immer noch Bestand. Die „Normalbiographie“ bildet noch immer die Referenzgröße, an denen
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3 Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe
Lebensläufe gemessen werden. Für Levy meint „Normalbiographie“ „eine sozial standardisierte, also institutionalisierte Konfigurationssequenz (…), die normative Geltung hat und/oder faktisch vorwiegt“ (Levy 1996: 81). Damit legt er (auch) einen empirischen Blick nahe, der jedoch keineswegs beinhaltet, dass alle Lebensläufe dasselbe Muster aufweisen. Aber jenseits aller Debatten um Veränderungen der Normalbiographie oder gar ihrer Auflösung scheint die Dreiteilung des Lebenslaufs, betrachtet man gerade empirische Analysen, überwiegend noch nicht obsolet (z. B. Levy 1996). Auch auf institutioneller Seite sind ein „staatlicher regulierter Arbeitsmarkt und funktionierende wohlfahrtsstaatliche Stützsysteme“ (Kohli 1985) trotz ihres scheinbaren Brüchigerwerdens nach wie vor die Grundlage des normalen Lebenslaufregimes. Einen Ausblick, in welche Richtung ein möglicher Übergang von der „Normalbiographie“ in veränderte Normalitätsvorstellungen stattfinden kann, geben u. a. Behrens und Vogel sowie Heinz. Erstere gehen von der Annahme aus, dass es eine zunehmende Tendenz gibt, die einen Wechsel von der „Normalbiographie“ hin zu einem Konzept konkurrierender sozialstaatlicher „Normalitätsunterstellungen“ impliziert. „Solche Normalitätsunterstellungen werden für die Individuen zu Ressourcen, Anreizen und Einschränkungen ihres Handelns“ (Behrens, Voges 1996: 18). Mit diesem Konzept wird zugleich der Versuch unternommen, normative Vorgaben an den Lebenslauf unabhängig vom Umfang seines faktischen Vorkommens zu sehen. Als Beispiel dafür wird die Schulpflicht genannt, die vorgeschrieben ist, und zwar unabhängig von ihrem tatsächlichen Einhalten. Auf das konflikthafte Verhältnis von Individuum, Gelegenheitsstrukturen und Institutionen der Steuerung des Lebenslaufs verweist Heinz. Die Veränderungen am Arbeitsmarkt und den Sozialpolitiken (Rente, Gesundheit usw.) rufen ein spannungsgeladenes Verhältnis „an Schaltstellen der Biographie“ hervor (Heinz 2000). Damit wird der Blick insbesondere auf die Mikroebene gelenkt und die Frage aufgeworfen, wie Individuen ihre Biographien gestalten und welche Einflüsse veränderte Bedingungen (die Deutung dieser Veränderungen durch die Akteure) haben.
3.2 Biographische Verläufe Die Aufgabe von Individuen bei der Gestaltung ihrer individuellen Biographien ist es zunächst, institutionelle Anforderungen subjektiv zu deuten sowie die daraus resultierenden konkreten individuellen Handlungsanforderungen.
3.2 Biographische Verläufe
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„Der Beitrag des Individuums ist allerdings beträchtlich. Ihm obliegt es, die den Steuerungsprogrammen der Institutionen zugrunde liegenden Normalitätsunterstellungen mit den in der Folge gesellschaftlicher Modernisierung veränderten Handlungsorientierungen und kulturellen Deutungen in Einklang zu bringen“ (Leisering, Müller, Schumann 2001: 15).
Besonders evident werden diese Anforderungen an das Individuum in Statuspassagen, wie beispielsweise den Übergängen der so genannten ersten und zweiten Schwelle von der Schule in Ausbildung und von der Ausbildung in Erwerbsarbeit. Dabei sind sie nicht allein passive Adressaten standardisierter Anforderungen an ihren Lebenslauf, sondern sie treten auch als Akteure im Umgang mit diesen institutionellen Anforderungen auf. „In dieser interaktiven Struktur werden institutionelle Steuerungsvorgaben in biographische Selbststeuerung übersetzt“ (Leisering, Müller, Schumann 2001: 21). Gerade an den genannten Statuspassagen werden Individuen aufgefordert, ihre Biographien hinsichtlich der jeweiligen institutionellen Anforderungen darzustellen. An diesen Punkten geraten sie in einen „Bilanzierungs- und Biographisierungsdruck“ (Behrens, Voges 1996: 22). Die institutionellen Normalitätsvorstellungen werden durch das Individuum über die gesetzten Rahmenbedingungen wahrgenommen (z. B. dass die meisten sozialstaatlichen Leistungen an Erwerbsarbeit gekoppelt sind), Institutionen wirken somit indirekt auf das Handeln der Personen. Individuen stehen jedoch nicht den Institutionen gegenüber, sondern letztere werden durch Personen vertreten – den so genannten Gatekeepern (Struck 2000, 2001; Vobruba 2000). Diese Gatekeeper spielen für die Ausbildungs- und Erwerbsbiographie eine gewichtige Rolle. So bewegen sich die entscheidenden Statusübergänge in unserer Gesellschaft innerhalb des Bildungs- und Erwerbssystems. Zwar haben sich innerhalb und zwischen beiden Systemen die Mobilitätschancen erhöht, „dennoch bleiben die Berufswege durch Übergänge innerhalb des Bildungswesens vorbestimmt. In diesem Bereich üben dann Gatekeeper, also etwa Lehrer, Prüfer oder Personalverantwortliche, einen erheblichen Einfluss auf die weitere Lebensführung aus“ (Struck 2000: 7). Struck definiert die Kategorie des Gatekeepers, wie sie in der Sozialwissenschaft verwendet werden sollte, als einen Begriff, der exklusiv auf „Schlüsselpersonen mit Entscheidungsautorität in der Vermittlung von Individuum und Organisation mit Bezug auf Institutionen“ angewandt wird (Struck 2000: 10). Dass Personen in eine solche Rolle als Gatekeeper überhaupt gelangen konnten, hat funktionale Voraussetzungen. Sie kommen zum einen dann ins Spiel, wenn es um die Verteilung oder die Zuwendung von knappen Gütern geht. Dabei handelt es sich sowohl um teilbare als auch nicht teilbare Güter (ersteres z. B. Noten, die eine distinkte Markierung von Personen für den Statusübergang darstellen; letzteres z. B. eine ausgeschriebene Stelle, die nur an
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3 Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe
einen Bewerber gehen kann). Neben Knappheit spielt zum anderen Ausdifferenzierung eine wichtige Rolle für die Existenz von Gatekeepern. Sie werden auch dann wichtig, wenn Zugänge und Möglichkeiten immer schwieriger sichtbar sind. So existiert ein breites Spektrum an Angeboten und Maßnahmen im Übergangssystem (vgl. Fußnote 3). Vielen Betroffenen fehlt jedoch das Wissen um die Angebote und Möglichkeiten in diesem System. Die Zugänge werden über Gatekeeper vermittelt. In ausdifferenzierten Gesellschaften kommt Gatekeepern die Aufgabe zu, „erstens Übergänge innerhalb der gelockerten Strukturen zu gestalten sowie zweitens die angewachsenen Unbestimmtheitslücken zu schließen“ (Struck 2001: 36). Im Verhältnis zwischen Gatekeepern und Personen, die Anwartschaften auf bestimmte Leistungen hegen, kann ein Ungleichgewicht festgestellt werden, welches sich erhöht, je stärker der entsprechende Gatekeeper Einfluss auf den Lebenslauf nehmen kann. Dennoch sind auch Gatekeeper an Kriterien gebunden, die sie in diesem Fall zu „ ‚quasi-neutralen Dritten“ (Struck) machen. Sie müssen bei ihren Entscheidungen Interessen und Deutungen verschiedener Akteure berücksichtigen. Für die Betrachtung der Rolle von Gatekeepern ist es wichtig zu beachten, dass sie sowohl strukturieren aber auch in Strukturen eingebunden sind. „1. Gatekeeper beeinflussen in zentraler Weise Übergänge im Lebensverlauf. Die Bedeutung des Gatekeeping ergibt sich dabei vor allem aus der Knappheit und der Zeitabhängigkeit von Gütern und den zugemessenen Entscheidungsspielräumen. Neben individuell zu bewältigenden Übergängen formen die durch Einzelentscheidungen von Gatekeepern geschaffenen Strukturen zugleich Strukturmuster von Übergängen und Übergangssysteme. Diese Muster und Systeme implizieren Handlungsspielräume (Weymann 1989) und damit Chancen und Risiken, die von Individuen antizipiert werden. 2. Die Übergangsentscheidungen der Gatekeeper sind abhängig von Rahmenbedingungen. Aus diesen Gründen müssen institutionelle Normen, sozialstrukturelle Verteilungen, das professionelle Umfeld und Organisationsinteressen, die zum Teil das Ergebnis eigener früherer Entscheidungen der Gatekeeper sind, in einer erklärenden Analyse von Übergängen und Übergangsentscheidungen berücksichtigt werden“ (Struck 2000: 18).
Gatekeeper fungieren als Scharnier zwischen Organisation/Institution und Individuum. Es war bereits festgestellt worden, dass Individuen Normalitätsunterstellungen und Handlungsanforderungen von Institutionen antizipieren. Dies geschieht insbesondere auch durch Gatekeeper. Insofern muss bei der Betrachtung von Biographien hinsichtlich der Ausbildungs- und Erwerbsverläufe besonderes Augenmerk auf die Deutungen dieser Normalitätsunterstellungen und Handlungsanforderungen gelegt werden. Wie nehmen z. B. Schülerinnen und
3.2 Biographische Verläufe
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Schüler die Anforderungen von Lehrern diesbezüglich wahr? Wie bewerten z. B. Jugendliche und junge Erwachsene die Kommunikation mit Berufsberatern, Mitarbeitern der Arbeitsagenturen, Sozialpädagogen u. a. und welche Konsequenzen hat dies für die individuelle Gestaltung ihres weiteren Ausbildungs- und Erwerbsverlaufs? An dieser Stelle wird damit der Blick auf die Individuen und ihre Deutungen gelenkt. Dabei rücken Biographien (nicht Lebensverläufe, deren Betrachtung stärker auch auf die institutionelle Ebene an sich abhebt) in den Mittelpunkt der Forschung. Die Biographieforschung befasst sich bereits seit Jahrzehnten mit Ausbildungs- und Erwerbswegen (Andreß 1984; Brose 1986; Blossfeld 1990; Berger, Sopp 1992). Ein spezifisches Interesse liegt dabei häufig auf Biographien, die durch diskontinuierliche Erwerbsverläufe gekennzeichnet sind (Jahoda, Lazarsfeld, Zeisel 1975 (1933); Bonß, Heinze 1984; Alheit, Glas 1986; Andreß 1989; Mutz et al. 1995). Dieser Fokus auf Prozesse ergab, ähnlich der Betrachtung von Armut in ihrer Prozesshaftigkeit, dass das Herausfallen aus der Erwerbsarbeit häufig eine zeitlich begrenzte Erfahrung für die arbeitslosen Frauen und Männer ist (Mutz et al. 1995). Mit dem Blick auf die Normalitätsvor- und unterstellungen würde das bedeuten, dass sich die betroffenen Personen keineswegs vom erwartbaren Verlauf ihres weiteren (Erwerbs)-Lebens verabschieden müssten (Gangl 2003; Gebauer 2007). Sie können auf den Wiedereinstieg in normale Erwerbsarbeit (also am Normalarbeitsverhältnis ausgerichtet) hoffen und damit auf alle weiteren Implikationen (z. B. eine Rente, die einen angemessenen Lebensstandard sichert). Für bestimmte gesellschaftliche Gruppen lassen sich jedoch auch andere Tendenzen ausmachen, die Biographien stärker beeinflussen und keine, zumindest keine schnelle, Rückkehr (bzw. kein Einstieg) in eine normale Erwerbsbiographie zulassen. Das gilt insbesondere für die Gruppe der Langzeitarbeitslosen, aber auch für Frauen und Männer mit einem niedrigeren (Aus-)Bildungsniveau. Für diese wachsende Zahl von Betroffenen verliert die Arbeitslosigkeit den Charakter einer erwerbsbiographischen Episode und wird zu einem dauerhaften Zustand (Kronauer, Vogel 1998: 338). Das gilt in besonderem Maße für die Lage in den neuen Bundesländern, in denen mit der Transformation massenhaft Arbeitskräfte freigesetzt wurden, die häufig überhaupt keinen oder über Jahre hinweg keinen Zugang zu normaler Erwerbsarbeit mehr bekamen (Backhaus-Maul, Olk 1995; Lutz 1996). So gab es 1989 8,9 Millionen Erwerbstätige in der DDR. Bereits 1994 waren davon nur noch 25 % in normaler Erwerbsarbeit und ununterbrochen im selben Betrieb beschäftigt. Dagegen waren 34 % nicht mehr erwerbstätig (Sozialreport 1995). Vor dem Hintergrund, dass erwerbstätig zu sein, sowohl für Frauen wie für Männer in der DDR die Normalität darstellte, stellten die Entwicklungen nach der Wende, die zu einem massenhaften „Freisetzen“ von
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3 Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe
Arbeitskräften führten, eine besonders hohe Belastung dar. Es entstand die Notwendigkeit, sich bezüglich der eigenen biographischen Orientierungen neu zu verorten (Mühler 1996). Wie sollte die biographische Kontinuität gewahrt werden bei sich radikal ändernden Bedingungen? Wie könnten neu entstehende Chancen, aber auch damit verbundene Risiken in die biographischen Planungen einfließen (Weymann, Rabe-Kleeberg et al. 1995)? Die Risiken im Lebenslauf beziehen sich insbesondere auf die Arbeitslosigkeit, die für die Frauen und Männer aus der ehemaligen DDR eine völlig neue Realität darstellte. Zugleich bildete sich ein neuer Typus von Arbeitslosigkeit heraus – die so genannte Umbruchsarbeitslosigkeit (Vogel 1999). Hohe Arbeitslosenquoten bilden jedoch bis heute den Erfahrungshorizont in den neuen Bundesländern. Das gilt inzwischen auch für die Kindergeneration, die bislang über die Erfahrungen ihrer Eltern mit Arbeitslosigkeit und ihren Auswirkungen konfrontiert waren. Jugendliche können (trotz der in Deutschland verglichen mit anderen Ländern Europas geringeren Arbeitslosenquote für unter 25-Jährige) als gefährdete Gruppe gelten, wenn es darum geht, Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu finden. Auch hier sind es insbesondere gering Qualifizierte, denen ein misslungener Start bei der Platzierung auf dem Arbeitsmarkt enorme Schwierigkeiten in ihrer weiteren Erwerbsbiographie bereiten könnte. Für Jugendliche haben Alheit und Glas (1986) die biographischen Verläufe der von Arbeitslosigkeit Betroffenen untersucht. Anders als für Personen, die bereits im Erwerbsleben verankert waren und dann den (oft unerwarteten) Wegfall von Arbeit verarbeiten müssen („Bruchstellenparadigma“), gilt für arbeitslose Jugendliche, dass sie erst gar nicht in das Erwerbsleben hineingelangen. Das hat Folgen für die Identitätsbildung in der Jugendphase, die sich nach wie vor zu einem großen Teil über den Beruf herstellt (Mowitz-Lambert, Heinz, Witzel 2001). Am Übergang von der Schule in das Erwerbsleben trifft Arbeitslosigkeit in eine „Weichstelle“ der Biographie von Jugendlichen (Alheit, Glas 1986: 21). Nach wie vor verbessern sich die Chancen auf einen gelungenen Übergang für Jugendliche durch einen guten Bildungsabschluss und durch eine berufliche Ausbildung. Das erfolgreiche Durchlaufen dieser klassischen biographischen Stationen ermöglicht am ehesten eine aussichtsreiche Platzierung auf dem Arbeitsmarkt. Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, dass diejenigen, die diese Stationen (Schule, Ausbildung) nicht erfolgreich durchlaufen, zuerst von Arbeitslosigkeit bedroht sind und immer mehr Schwierigkeiten haben, in den normalen Erwerbsrhythmus zu gelangen (Dietrich 2001; Lauterbach, Sacher 2001; Solga 2002a). Bildungsbenachteiligte und ausbildungslose Jugendliche sind in den letzten Jahren einem immer größeren Verdrängungswettbewerb unterlegen (Solga 2006). Arbeitsplätze für An- und Ungelernte brechen weg und die Qualifikationsansprüche in den einzelnen Berufszweigen sind deutlich ange-
3.2 Biographische Verläufe
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stiegen. Zudem verdrängen Jugendliche mit besseren (Schul-)Abschlüssen diejenigen mit schlechten oder gar keinen Abschlüssen aus Berufen, für die früher niedrigere Abschlüsse ausreichend waren. Jugendliche, die dann ohne Ausbildungsabschluss bleiben, sind dieser Verdrängung in einem hohen Maße ausgesetzt, da sich der Bildungsmisserfolg in beruflichem Misserfolg fortsetzt (Solga 2002a, 2002b). Die Frage ist für die Betroffenen nicht mehr, ob sie einen höheren oder niedrigeren Status innerhalb des Erwerbssystems erlangen, sondern ob sie überhaupt in das Erwerbssystem gelangen (Kronauer 1999). An dieser Stelle wird die Gefahr, sozial ausgegrenzt zu werden besonders deutlich. Der Arbeitsmarkt bleibt dabei nicht der einzige Bereich. So zeigen verschiedene Erhebungen, dass auch die Heiratschancen von Ausbildungslosen schlechter sind (Solga 2002b). Zum einen heiraten sie seltener als Ausgebildete, zum anderen heiraten sie, wenn sie heiraten, sehr früh. Damit verstärkt sich wiederum das Risiko zur Scheidung (Wagner 1997). Es bleibt festzuhalten, dass das erfolgreiche Passieren von Stationen, die zu den Bestandteilen eines normalbiographischen Lebenslaufs gehören, gegenwärtig noch immer entscheidenden Einfluss auf den Ausbildungs- und Erwerbsverlauf zeitigt. Im Umkehrschluss können sich junge Frauen und Männer ohne arbeitsmarktverwertbare Abschlüsse und Zertifikate immer schlechter dauerhaft auf dem Erwerbsarbeitsmarkt platzieren. Ist diese Ausgrenzung dauerhaft oder gelangen die Betroffenen lediglich in marginale Positionen am Arbeitsmarkt (prekäre Beschäftigungsverhältnisse), erhöht sich die Gefahr sozialer Exklusion. Denn nur ein begrenztes Andauern von Risikolagen im Lebenslauf „ist im modernen Lebenslaufregime auch normativ verankert“ (Kohli 1999: 126). An dieser Stelle greift die postulierte Doppelnatur der Normalbiographie kaum noch. Dieser Doppelcharakter zeigt sich in der Gleichzeitigkeit von Sicherung und Einschränkung des Lebenslaufs (Levy 1996). Werden die erwarteten normalbiographischen Abläufe als Zwangscharakter (also Einschränkung) interpretiert, werden die Betroffenen nach Alternativen suchen oder es sind „Formen von nichtnormativer Akzeptanz (…) oder von Resignation zu erwarten“ (ebd.: 84). Überwiegt in der subjektiven Sicht eher der Sicherungscharakter, sind Personen eher bereit, bestimmte Begleitumstände zu akzeptieren (Unterdrückung eigener Bedürfnisse, Abhängigkeiten u. a.) (Levy 1996). Die Frage, die allerdings ungeklärt bleibt, ist, wie Personen agieren, bei denen trotz der Einschränkungen Sicherheit im Lebenslauf erwünscht ist, die jedoch nicht in die Lage kommen, Sicherheit im Lebenslauf zu erhalten. „Der Prozess der Institutionalisierung des Lebenslaufes bedeutete eine Institutionalisierung von verlässlich erwartbarer materieller Sicherheit. Solange man von einer solchen normalbiographischen Erwartbarkeit ausgehen kann, sind vorübergehende Engpässe oder Notlagen leichter erträglich. Sie mögen schmerzlich sein, gerade
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3 Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe weil sie der Erwartung von Sicherheit zuwiderlaufen, aber solange man sie als vorübergehend wahrnehmen kann, brauchen sie nicht zu einer Umstellung des Selbstund Lebenskonzeptes zu führen“ (Kohli 1999: 126).
Die Frage, die sich aus dieser Feststellung jedoch ergibt, ist die nach dem Umkehrschluss. Was sind Auswirkungen auf die subjektive Sicht der Biographie, auf das eigene Selbst- und Lebenskonzept, wenn sich der – erstrebte – normalbiographische Lebenslauf dauerhaft nicht verwirklichen lässt? Was sind Bewältigungsstrategien von Personen, die, nach der Lesart Castels, tief in der Zone der Vulnerabilität verankert und damit immer stärker von sozialer Ausgrenzung bedroht sind?
4 Copingstrategien im Lebenslauf
4.1 Kritische Lebensereignisse und allgemeine Bewältigungsstrategien Es kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere junge Frauen und Männer mit schlechten Startchancen (schulische Voraussetzungen, soziale Herkunft, personale Kompetenzen, strukturelle Bedingungen am Wohnort) an dem klassischen Muster ausgerichtete Lebensläufe bezogen auf ihre Bildungs- und Ausbildungswege anstreben (Gaupp et al. 2004; Förster et al. 2006; Lex et al. 2006). Allerdings gelingt es ihnen nur in einem geringen Umfang, tatsächlich direkt die erste Schwelle (nach der Schule unmittelbar eine Ausbildung beginnen) erfolgreich zu bewältigen (Reißig, Gaupp, Lex 2008; Reißig, Gaupp 2007). Die damit möglicherweise einhergehenden Probleme zwingen zu einer wie auch immer gearteten Auseinandersetzung mit dem Nichtgelingen angestrebter Ziele. Dieser andauernde Dissens zwischen Wunsch und Realität kann als kritisches Lebensereignis betrachtet werden. Der Ansatz der kritischen Lebensereignisse stellt ein eigenes Konzept dar, das in den letzten Jahrzehnten auch außerhalb der psychologisch orientierten Theorie immer mehr Beachtung fand. Dass es bei soziologisch angelegten Fragestellungen Anwendung finden kann, liegt besonders darin begründet, dass das Konzept der kritischen Lebensereignisse auch jenseits einer rein klinischpsychologischen Sicht definiert wurde. Als eine Unzulänglichkeit vieler dieser klinisch-psychologischen Ansätze kann die einseitige Konzentration auf die Personen als passive Opfer solcher Lebensereignisse gesehen werden. Über sie brechen kritische Lebensereignisse herein wie Naturkatastrophen. Lebensspezifische Kontextbedingungen werden außer Acht gelassen. An Lazarus anschließend soll jedoch „jede Konfrontation mit einem Lebensereignis und die folgenden Prozesse der Auseinandersetzung und Bewältigung als transaktionales Geschehen konzipiert und nur in ihrem prozessualen Verlauf hinreichend beschrieben werden können“ (Filipp 1995: 9). Transaktional bedeutet dabei, dass die Umwelt und die Personen als aktive Kräfte verstanden werden müssen. Unter diesen Voraussetzungen definiert Filipp kritische Lebensereignisse als „Eingriff in das zu einem gegebenen Zeitpunkt aufgebaute Passungsgefüge zwischen Person und Umwelt“ (ebd.).
B. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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4 Copingstrategien im Lebenslauf
Mit einem eher entwicklungspsychologisch orientierten Herangehen an das Konzept der kritischen Lebensereignisse kann ein Unterschied zwischen „normativen“ und „non-normativen“ Lebensereignissen angenommen werden (Filipp 1995). Die erste Kategorie umfasst dabei altersabhängige und damit oftmals erwartbare Lebensereignisse, die universell vorgegeben sind. Dazu können die Entwicklungsaufgaben der Adoleszenzphase zählen, z. B. der Übertritt aus der Schule in das Ausbildungs- und Erwerbsleben. Dagegen sind „non-normative“ Lebensereignisse wenig erwartbar und können unabhängig vom Alter in jeder Phase des Lebenslaufs auftreten (z. B. Tod von nahe stehenden Personen, Scheidung, Arbeitslosigkeit). Diese Unterscheidung erweitert die Sicht auf die Folgen kritischer Lebensereignisse, in dem sie nicht ausschließlich als Ursachen oder Auslöser physischer und psychischer Erkrankungen betrachtet werden, sondern in ihrem Auftreten im Lebenslauf auch Anreize zu weiteren Entwicklungen geben. Wenn kritische Lebensereignisse als ein – beeinträchtigtes – Wechselverhältnis zwischen Person und Umwelt wahrgenommen werden, dann spielen neben individuellen personalen Voraussetzungen, diesen Lebensereignissen zu begegnen (Coping), vor allem auch die Rahmenbedingungen, unter denen sie auftreten, eine entscheidende Rolle. So erhöhen beispielsweise die vielerorts schlechten wirtschaftlichen Voraussetzungen in Regionen der neuen Bundesländer die Wahrscheinlichkeit, dass Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit eintreten. Betrachtet man das Verhältnis von Prozessen sozialer Exklusion und kritischen Lebensereignissen, lässt sich vermuten, dass in einer Verlaufskurve der sozialen Ausgrenzung kritische Lebensereignisse die „Spitzen“ an zu bewältigenden Erfahrungen darstellen. So wäre Arbeitslosigkeit eine solche „Spitze“, wenn die Betroffenen sonst in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Die Ablehnung oder Kürzung staatlicher Transferzahlungen wäre die „Spitze“, wenn die Antragsteller bereits am Rand von oder in Armut existierten. Bei der Frage nach dem Bewältigen von kritischen Lebensereignissen spielt die „Bewältigungsgeschichte“ eine wichtige Rolle (Filipp 1995). Welche Strategien wurden in ähnlichen Fällen bereits angewandt und mit welchem Erfolg? Kritische Lebensereignisse, werden sie als solche wahrgenommen, fordern eine Auseinandersetzung mit ihren Ursachen heraus. Im Prozess dieses Copings ist die Wahrnehmung eines solchen Ereignisses bereits ein erster Schritt zur Bewältigung. Die Bewältigung kritischer Lebensereignisse ist als ein prozessuales Geschehen konzipiert, welches grundsätzlich auf den Ebenen des beobachtbaren Verhaltens und der kognitiven Prozesse stattfinden kann (ebd.). Als Prozess betrachtet, spielen hierbei eher situative, weniger feste Dispositionen eine Rolle. Die Diskussion um Bewältigungsformen fußt nicht allein auf dem Konzept der kritischen Lebensereignisse, sondern ist vorrangig in der Stressforschung ent-
4.1 Kritische Lebensereignisse und allgemeine Bewältigungsstrategien
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standen. Hier haben insbesondere Lazarus und Mitarbeiter einen elaborierten Ansatz geliefert. Ähnlich deren Definition kritischer Lebensereignisse verfolgen sie auch hier ein transaktionales Herangehen, bei dem Stress als eine Beziehung zwischen Person und Umwelt verstanden wird (Lazarus, Folkmann 1987). Das bedeutet, dass Bewältigung nicht je aus der Person oder der Situation allein abgeleitet werden kann. Vielmehr beeinflussen sich beide Größen, was zu einer Dynamik führt, die Bewältigung als Prozess begründet (Laux, Weber 1987). Die Bewältigung ist dann eine sich ständig verändernde, kognitive und verhaltensmäßige Bemühung einer Person, sich mit den externen oder internen Anforderungen auseinanderzusetzen, die ihre adaptiven Ressourcen stark beanspruchen oder übersteigen (Lazarus, Folkman 1984; Trautmann-Sponsel 1988). Allgemein, so folgern Laux und Weber (1987), lässt sich das Bewältigungskonzept von Lazarus durch drei wesentliche Merkmale bestimmen: „a) Bewältigung ist ein prozeßhaftes Geschehen, bei dem entscheidend ist, wie die involvierte Person innerhalb eines spezifizierbaren Kontextes aktuell denkt und handelt, wobei ihr Verhalten einer steten Änderung unterworfen sein kann. (…) b) Die Definition von Bewältigung schließt bei Lazarus nachdrücklich auch die nicht erfolgreichen Versuche zur Bewältigung mit ein, dabei wird keine Form der Bewältigung von vornherein als unter- bzw. überlegen bewertet. (…) c) In Abgrenzung gegenüber automatisierten Anpassungsverhalten wird von ‚Bewältigung nur im Zusammenhang mit streßhaften Geschehen gesprochen, Sreß und Bewältigung sind als Konzepte aneinander gebunden“ (Laux, Weber 1987: 290).
Die Formen von Coping sind zwar zielgerichtet, können aber sowohl Abwehr als auch Meisterung sowie Adaption beinhalten (Braukmann, Filipp 1984). Als zwei grundsätzliche Funktionen von Coping können das instrumentelle Coping und das emotionsorientierte Coping bestimmt werden. Instrumentelles Coping ist dabei tendenziell auf die Veränderung belastender Umweltbedingungen gerichtet, während das emotionsorientierte Coping auf die Regulierung von Emotionen abhebt, d. h. über das (Um-)Definieren oder Ignorieren belastender Ereignisse wird versucht, das emotionale Gleichgewicht wieder herzustellen (TrautmannSponsel 1988). Filipp spricht auch von ereigniszentriertem bzw. selbstzentriertem Coping (Filipp 1995: 39). Die Annahme, die hinter beiden Funktionen steht ist, dass lediglich entweder instrumentelles oder emotionsorientiertes Coping Anwendung findet. Tatsächlich können jedoch im Bewältigungsprozess beide Funktionen auftreten (Lazarus, Folkmann 1984). Bisherige empirische Erhebungen haben bei ihrer faktorenanalytischen Auswertung jedoch die theoretisch vorgenommene Differenzierung in emotionsorientiertes und problemzentriertes Coping bestätigen können (Filipp 1991).
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4 Copingstrategien im Lebenslauf
In der Vergangenheit wurde dem instrumentellen Coping im Gegensatz zum emotionsorientierten Coping eine bessere, weil langfristigere Wirksamkeit unterstellt. Inzwischen hat sich jedoch immer mehr die Ansicht durchgesetzt, dass beide Funktionen ein angemessenes und wirksames Coping darstellen können, zumal sie sich gegenseitig beeinflussen (Lazarus 2000, nach Rademacher 2003). In sozialwissenschaftlich ausgerichteten Betrachtungen von Coping findet sich die Unterscheidung von sozialem und psychologischem Coping (Gerhardt 1986; Ludwig 1996). Insbesondere Gerhardt hat in der Medizinsoziologie Patientenkarrieren unter dem Gesichtspunkt dieser Möglichkeiten der Bewältigung betrachtet. Psychologisches Coping ist dabei die passive (kognitive) Verarbeitung, bei der Deutungen (z. B. einer Krankheit) verändert werden. Soziales Coping wird als Handeln begriffen, das aktiv in die Umwelt eingreift (Gerhardt 1986). Die inhaltlichen Beschreibungen dieser beiden vorgenannten Bewältigungsmöglichkeiten lassen eine große Nähe zur bereits ausformulierten Unterscheidung von instrumentellen und emotionsorientierten Coping deutlich werden. Eine weitergehende Sichtweise bringt Gerhardt jedoch mit der Einführung des sozialökonomischen Copings ein. „Als sozialökonomisches Coping in unserem Zusammenhang gilt ein soziales Handeln, dessen Zweck eine Erhaltung oder Wiederherstellung von StatusteilhabeMöglichkeiten in den Bereichen Beruf, Finanzen und Familie ist, die durch eine Krankheit (möglicherweise) bedroht oder verloren ist“ (Gerhardt 1986: 35).
Sozialökonomisches Coping bezieht sich auf die Existenz bedrohende Ereignisse und auf eine Umwelt, die gesellschaftliche Umwelt ist. In den Untersuchungen Gerhardts wird der Blick auf Krankheiten gerichtet, die diese Existenzbedrohung auslösen. Diese Bedrohungen sind jedoch auch in anderen Lebensbereichen denkbar. So erlangen Prozesse sozialer Exklusion u. U. ebenfalls Existenz bedrohenden Charakter. Ein sozialökonomisches Coping, das auf die (wieder herzustellende) Teilhabe am gesellschaftlichen Leben rekurriert, wäre für die Betroffenen eine mögliche Handlungsalternative. Die Anforderungen auf der Forschungsebene an einen Copingbegriff, der auch soziale Voraussetzungen mitdenkt, wäre ein Ansatz, „der schon in den theoretischen Vorarbeiten den gesellschaftlichen Hintergrund eines Untersuchungsfeldes reflektiert (…) und schließlich bei der Interpretation der Daten den gesellschaftlichen Rahmen herstellt, der im empirischen Material allein nie erkennbar sein kann“ (Faltermaier 1988: 58). Es kann nicht um eine Auflistung von Belastungsfaktoren gehen. Dies führt eher zu einer Verschleierung gesellschaftlicher Wirklichkeit mit ihren Machtverhältnissen, Strukturen, sozialen Prozessen und Beziehungen (Faltermaier 1988).
4.2 Bewältigungskonzepte im Jugendalter
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4.2 Bewältigungskonzepte im Jugendalter Es wurde weiter oben bereits darauf verwiesen, dass kritische Lebensereignisse und ihre Bewältigung z. T. an bestimmte Abschnitte und Übergänge im Lebenslauf gebunden sind – die so genannten „normativen“ Lebensereignisse, die insbesondere beim Übergang ins Erwachsenenalter als Entwicklungsaufgaben auftreten. Das lenkt den Blick auf die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Zunächst fanden jugendliche Bewältigungsstrategien Beachtung im Zusammenhang mit dem Meistern von Entwicklungsaufgaben der Adoleszenzphase. Diese Entwicklungsaufgaben scheinen in den westlich geprägten Kulturen Generationen übergreifend die gleichen Inhalte aufzuweisen. Sie reichen von der Partnersuche und -wahl über die Gründung eines eigenen Haushalts bis zur Platzierung in das Erwerbssystem (Havighurst 1948; Dreher, Dreher 1985a, 1985b). Die frühen Arbeiten zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben lassen vermuten, dass es insbesondere um die Frage der Anpassung an gesellschaftlich vorgegebene Erwartungen – definiert als Entwicklungsaufgaben – ginge. In späteren Konzepten zu Entwicklungsaufgaben im Jugendalter werden jedoch folgende Annahmen unterstellt: „(a) die Auffassung, daß sich Entwicklung über den gesamten Lebenslauf erstreckt …; (b) die Auffassung, daß Entwicklungsprozesse in die Wechselwirkung von Individuum–Umweltsystemen eingebettet sind …; (c) die Berücksichtigung einer handlungstheoretischen Auffassung, unter der die Individuum-Umwelt-Auseinandersetzung als aktiver und bewußter, zielorientierter Prozeß gesehen wird“ (Dreher, Dreher 1985a: 30). Mit diesen Annahmen wird eine deutliche Nähe zum Copingkonzept (insbesondere von Lazarus) sichtbar. Auch hier werden das aktive Verhältnis von Person und Umwelt sowie die Prozesshaftigkeit von Bewältigung in den Blickpunkt gerückt. In der Copingforschung lag und liegt der Schwerpunkt jedoch auf der Gruppe der Erwachsenen. Wie Seiffge-Krenke feststellt, hat die Copingforschung mit Jugendlichen noch nicht die „Problemsicht und Differenzierung erfahren“, die sie bei den Erwachsenen hat (Seiffge-Krenke 1989: 202). „Von ihren Merkmalen (der Copingforschung bei Jugendlichen – B. R.) her stehen Ereignisse im Vordergrund, die sehr selten auftreten, extrem belastend sind, auf die die Jugendlichen nicht oder nur unzureichend vorbereitet sind und die kaum durch sie kontrolliert werden können“ (Seiffge-Krenke 1989: 202).
Weniger extrem belastende Ereignisse, die jedoch im Jugendalter auftreten und z. T. länger andauernden Charakter haben, stehen nur selten im Mittelpunkt von Untersuchungen. Erst in den 1980er Jahren fanden Fragen von Bewältigungsverhalten „normaler“ Jugendlicher zögerlich Eingang in die deutsche Forschung.
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4 Copingstrategien im Lebenslauf
Dazu zählt der bereits erwähnte Zugang über die Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz, bei dem vor allem Dreher und Dreher sowohl nach dem Verhältnis von Bedeutung verschiedener Entwicklungsaufgaben, dem Grad und dem Zeitpunkt ihrer Bewältigung fragen sowie nach der Art der Bewältigung gemessen am Selbständigkeitsgrad (von „nur allein bewältigt“ über „passiert von selbst“ zu „gemeinsam mit externen Hilfen bewältigt“) (Dreher, Dreher 1985a, 1985b). Gleichzeitig wurden auch Alltagsereignisse zum Thema von Copingstrategien gemacht (Seiffge-Krenke 1984). Hierbei ist es wichtig auf jugendtypische Problemsituationen zu rekurrieren sowie – im Gegensatz zu vielen klinischen Untersuchungen – nicht nur auf Copingdimensionen von Abwehrverhalten, sondern auch auf gelingende, aktive Bewältigung abzuheben. In der Untersuchung von Seiffge-Krenke (1989), die zunächst die Konstruktion eines Copingfragebogens zum Ziel hatte, wurden die befragten Jugendlichen selbst für die Benennung typischer Problembereiche herangezogen. Schulische Probleme und die berufliche Zukunft wurden als häufigste Aspekte benannt, gefolgt von den Themen Familie, Freizeit, Peers, Freund/Freundin sowie von Problemen mit der eigenen Person. Die freien Antworten der Jugendlichen zum Copingverhalten zeigten eine große Nähe zu bereits bei jungen Erwachsenen und Erwachsenen erhobenen Copingdimensionen (Westbrook 1979). Sie wurden deshalb auch von Seiffge-Krenke verwandt. Die fünf Hauptdimensionen waren dabei:
Aktion/Konfrontation, Ausweichen/Vermeiden, Hilfe anderer suchen, Optimismus, Fatalismus.
Aus gefundenen inhaltlichen Problembereichen und den genannten Copingstrategien wurde eine Matrix gebildet. Das Copingverhalten der befragten Jugendlichen wurde, nun auf mehrere ganz konkrete Problemsituationen bezogen, per Fragebogen erfasst. Dabei ergaben die Auswertungen sowohl der Faktoren- als auch der Itemanalyse folgendes Bild. Es wurden drei Komponenten ermittelt:
Aktive Bewältigung unter Nutzung sozialer Ressourcen (Beispiel-Item: „Ich suche bei Schwierigkeiten fachmännischen Rat (Arbeitsamt, Jugendberatungsstellen u. a.).“),
4.3 Der Copingansatz von Brandstädter und Greve
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Internale Bewältigungsstrategien (Beispiel-Item: „Ich denke über das Problem nach und spiele verschiedene Lösungsmöglichkeiten in Gedanken durch.“), Problemvermeidendes Verhalten (Beispiel-Item: „Ich ziehe mich zurück, da ich es doch nicht ändern kann.“).
Dieses Ergebnis deckt sich nahezu mit einer früheren Studie von Seiffge-Krenke, zeigt zudem auch hohe Korrelationen mit anderen, zumeist außerhalb Deutschlands durchgeführten Studien zum Thema Copingstrategien. Seiffge-Krenke kommt zu dem Schluss, dass die gefundenen Dimensionen diejenigen Komponenten, die in der Copingforschung generell als bedeutsam identifiziert wurden, auch hier bestätigt werden konnten (u. a. Lazarus 1974). „Soweit (…) ein Vergleich zulässig ist, zeigen sich Übereinstimmungen insofern, als aktive Problembewältigung und die Suche nach Unterstützung, kognitive Bewältigungsformen sowie Abwehrdimensionen in nahezu allen verglichenen Verfahren wesentliche Grunddimensionen der Bewältigung darstellen“ (Seiffge-Krenke 1989: 215).
Bislang wurde Coping ausschließlich unter dem Aspekt von unterschiedlichen Handlungsstrategien betrachtet. Dabei wurde sichtbar, dass im Wesentlichen von zwei Verhaltensstrategien ausgegangen wird: von einem eher aktiven, Problem bewältigenden Verhalten sowie von einem eher ausweichenden, Problem vermeidenden, Verhalten. Beide Strategien werden in der Psychologie als legitime Möglichkeiten der Bewältigung von problemreichen Situationen anerkannt. Sie erfüllen entweder die Funktion eines instrumentellen oder eines emotionsorientierten Copings. Coping basiert, wie alles Handeln, auf Einstellungen. Insofern führt die Betrachtung von Copingstrategien zur Betrachtung von Einstellungen. In der Copingtheorie werden also auch Strategien diskutiert, die dem Handeln quasi vorgelagert sind und Einstellungscharakter tragen. Einer dieser Ansätze soll im Folgenden näher vorgestellt werden.
4.3 Der Copingansatz von BRANDSTÄDTER und GREVE Brandstädter und Greve haben adaptive und protektive Mechanismen der Bewältigung im Alter untersucht. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die gefundenen Bewältigungsmuster bereits im Alter junger Erwachsener Geltung besitzen. Auch Jugendliche zeigen bereits Erscheinungsformen allgemeiner Copingstrategien.
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4 Copingstrategien im Lebenslauf „Insofern sind zwischen den Entwicklungsübergängen im Jugendalter und den kritischen Lebensübergängen des mittleren und höheren Erwachsenenalters neben allen Unterschieden, die sich aus altersnormativen, biologisch-somatischen und kulturbzw. kohortenspezifischen Differenzen ergeben, auch gewisse Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Ausdrucks- und Bewältigungsmuster zu sehen“ (Brandtstädter 1985: 8).
Brandtstädter und Greve geht es in ihrem Modell um „die Analyse der Stabilisierung, Verteidigung und Anpassung des Selbst im Kontext von Entwicklungsund Alternsprozessen“ (1992: 272). Fragen der Identität rücken dabei in den Mittelpunkt. Als Komponenten zur Identitätsbestimmung nennen sie neben Kontinuität und Permanenz sowie diskriminativer Relevanz auch die lebensgeschichtliche Bedeutung. Kontinuität und Permanenz bedeuten dabei, dass vor allem solche Merkmale einer Person eine wichtige Rolle spielen, die sie über eine längere Zeit hinweg charakterisieren und damit das Selbstverständnis einer Person bestimmen. Es ist hier nicht allein zeitliche Stabilität gemeint, sondern auch Stabilität in den thematischen Sinnzusammenhängen5. Unter diskriminativer Relevanz verstehen die Autoren gerade solche personalen Eigenschaften, die auf die Besonderheit und Unverwechselbarkeit abheben. Mit der lebensgeschichtlichen Bedeutung wird darauf verwiesen, dass nur solche Merkmale der o. g. Bereiche eine bewusste Rolle für die Identitätsbildung spielen, die in Beziehung zu eigenen Lebensplänen gesehen werden und somit wichtig für die eigene Lebensgeschichte werden. Hiernach können nur von Personen selbst als wesentlich erachtete Komponenten der eigenen Lebensgeschichte als Elemente von Identitätsbildung betrachtet werden (Brandtstädter, Greve 1992). Identitätsdefizite resultieren vorrangig aus einer Nicht-Passung zwischen der normativen Selbstkonstruktion und der Definition des aktuellen Selbst einer Person. Zur Verringerung bzw. Beseitigung dieser Diskrepanzen sehen Brandtstädter und Greve drei Mechanismen:
Assimilativer Bewältigungsmechanismus Die eigenen Aktivitäten zielen darauf, das Verhalten und die Einstellung an das vorhandene normative Selbstbild (wieder) anzupassen. Das entspricht einer Veränderung der Ist-Seite (vgl. Rademacher 2003). Akkomodativer Bewältigungsmechanismus Es werden die Anpassung und Reorganisation von Zielen, Wünschen und Werten der normativen Selbstentwürfe vorgenommen. Das entspricht einer Veränderung der Soll-Seite.
5 Dies wird besonders deutlich in biographischen Erzählungen, in denen rekonstruktiv biographische Abläufe sinnaufbauend berichtet werden.
4.3 Der Copingansatz von Brandstädter und Greve
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Immunisierender Bewältigungsmechanismus Auf der Ebene der Selbstbeobachtung kommt es zu Negierungen bzw. Umdeutungen diskrepanter Selbstbilder.
Prinzipiell ist das Zusammenwirken dieser drei genannten Mechanismen bei der Identitätsbildung denkbar. Allerdings machen Brandtstädter und Greve deutlich, dass im Prozess der Bewältigung einer dieser Mechanismen in den Vordergrund treten kann, was von den jeweils fallspezifischen Rahmenbedingungen abhängt. So kann davon ausgegangen werden, dass „die Bereitschaft zur Anpassung von Zielen und Aspirationen in dem Maße zunehmen [sollte], wie aktivproblemlösende Tendenzen (etwa aufgrund von Misserfolgen und misserfolgsbedingt reduzierten Handlungs-Ergebnis-Erwartungen) abgeschwächt werden“ (Brandtstädter, Greve 1992: 277). Wie lassen sich diese drei vorgestellten Bewältigungsmechanismen in ihren Realisierungsformen bestimmen? Für assimilative Mechanismen werden instrumentelle Handlungen benannt – wie z. B die Stabilisierung spezifischer Kompetenzen oder Leistungsniveaus sowie kompensatorische Aktivitäten. Im Bereich der Akkomodation kommt es zur „Abwertung blockierter Entwicklungsoptionen und zu einer positiven Neubewertung von zunächst negativ bewerteten Aspekten der Lebenssituation“ (ebd.: 281). Als alternative Prozesse im Sinne akkomodativer Mechanismen werden eine Ablösung von bisherigen Lebenszielen und der Aufbau neuer Präferenzstrukturen sichtbar. Diese veränderten Präferenzstrukturen und Lebensziele entstehen jedoch nicht voraussetzungslos, sondern in Abhängigkeit sowohl individueller als auch gesellschaftlicher Ressourcen. Auf der Seite der Empirie wird damit die Frage aufgeworfen, welchen Spielraum für Konzepte jenseits eines normalbiographischen Lebensverlaufes, jenseits eines normalen Ausbildungs- und Erwerbsverlaufes sich Frauen und Männer zum einen selbst zutrauen und zum anderen in den sie umgebenen Institutionen wahrnehmen. Für immunisierende Mechanismen gilt, im Gegensatz zu assimilativen und akkomodativen Prozessen, dass sie darauf ausgerichtet sind, erst gar keine Diskrepanz „zwischen empirischem und normativem Selbst“ (ebd.: 287) entstehen zu lassen. In diesem Sinne bedrohliche Informationen werden von vornherein abgewertet bzw. umgedeutet. Damit wird augenfällig, dass sowohl assimilative als auch akkomodative Mechanismen in ihren extremen und einseitigen Ausformungen eine Nähe zur Immunisierung aufweisen, insofern auch dort Vermeidungsstrategien und Ausweichmechanismen beobachtbar sind (Rademacher 2003). Für Brandstädter und Greve sichern alle drei aufgezeigten Mechanismen, also auch die Immunisierung, die Erhaltung der eigenen Selbstkonstruktion bei
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4 Copingstrategien im Lebenslauf
z. T. erheblichen Veränderungen in der biographischen Gesamtsituation. Die Strategien von Bewältigung stresshafter Situationen, wie beispielsweise kritische Lebensereignisse, können prinzipiell auf zwei Ebenen betrachtet werden: zum einen auf der Einstellungsebene und zum anderen auf der Handlungsebene. Auf der Einstellungsebene lassen sich nach Brandtstädter und Greve drei verschiedene Mechanismen des Copings unterscheiden: die Assimilation, die Akkomodation und die Immunisierung. Die „klassischen“ Copingtheorien beziehen sich dagegen auf die Handlungsebene. Hier zeigen sich zwei grundsätzliche – sich logisch, aber nicht empirisch ausschließende – Richtungen des Copings. Das sind das problemzentrierte, auf die Umweltbedingungen gerichtete Coping sowie das emotionsorientierte Coping, das auf die Regulierung der eigenen Emotionen abzielt. Auf das Jugendalter angewandt, konnten diese prinzipiellen Richtungen empirisch bestätigt werden, wobei Seiffge-Krenke mit den internalen Bewältigungsstrategien eine ergänzende Form nachwies (1989). Für sozialwissenschaftliche Fragestellungen, denen sich die vorliegende Arbeit widmet, ist das Coping als transaktionales Verhältnis von Person und Umwelt zu begreifen. Die von Gerhardt eingeführte Unterscheidung in psychologisches und soziales sowie sozioökonomisches Coping unterstreicht dieses Verhältnis. Richtet sich psychologisches Coping eher auf Emotionen, greifen soziale und vor allem sozioökonomische Bewältigung stärker in die Umweltbedingungen ein. Dabei wird vor allem auf den aktiven Charakter eines solchen Handelns Bezug genommen, es wird ein aktives Verhältnis zur Umwelt eingegangen (auch „strategische Interaktion“ Goffman 1981). In eine ähnliche Richtung weist die Resilienzforschung, wobei Resilienz als das positive Gegenstück zu Vulnerabilität begriffen werden kann, indem die Resilienz die Erfahrung beschreibt, dass Kinder und Jugendliche trotz schlechter Voraussetzungen zu leistungsfähigen und stabilen Persönlichkeiten werden (Wustmann 2003). Ergebnisse der Resilienzforschung verdeutlichen, dass neben stabilen sozialen Beziehungen und verschiedenen Persönlichkeitsfaktoren vor allem auch aktive Bewältigungsmuster eine wichtige Rolle im Entwicklungsprozess spielen (vgl. Kaunai-Studie, Werner, Smith 1982). Bei empirischen Untersuchungen in Deutschland zeigte sich, dass benachteiligte Jugendliche trotz hoher Risikofaktoren in Fragen der Lebensbewältigung positive Entwicklungen aufweisen. Neben dem Vorhandensein sozialer Netzwerke (Eltern, Peers), sind insbesondere verschiedene Persönlichkeitsfaktoren dafür ausschlaggebend, dass sich die Jugendlichen zu stabil resilienten Persönlichkeiten entwickeln. Dazu zählen vor allem aktives Bewältigungsverhalten, wenig impulsives Temperament, positives Selbstkonzept, aber auch realistische Zukunftsperspektiven (Lösel, Bender 1999).
4.3 Der Copingansatz von Brandstädter und Greve
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Die soziologisch orientierte Stressforschung hat deutlich gemacht, dass nicht nur kurzfristige kritische Lebensereignisse eine Belastung darstellen können, sondern dass vor allem „auch chronische Anspannungen und überdauernde bzw. über einen längeren Zeitraum anhaltende Situationen der Verunsicherung, der Bedrohung oder Befürchtung des Eintretens eines unerwünschten Ereignisses, der Überforderung oder Unzufriedenheit (…) zu Stresserleben führen [können]“ (Mansel 1994: 12). Insofern betonen moderne Copingtheorien die Prozesshaftigkeit von Bewältigung. Sowohl die Ansätze auf der Einstellungsebene als auch der Handlungsebene beziehen sich (fast ausschließlich) auf Lebensläufe und Ausschnitte aus Lebensläufen (z. B. Adoleszenzphase) als Referenzgrößen für die empirische Forschung. Normalitätsunterstellungen für die Lebensläufe, ihr Nichtgelingen, u. U. sogar der Prozess hin zu sozialer Ausgrenzung im Lebenslauf können hinsichtlich verschiedener Copingstrategien betrachtet und ins Verhältnis zueinander gesetzt werden. Daraus ergeben sich die in der vorliegenden Arbeit zu untersuchenden Fragestellungen, die im folgenden Abschnitt ausgeführt werden. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Betrachtung von Ausbildungs- und Erwerbsverläufen junger Erwachsener, die sich lediglich am Rande normaler Erwerbsarbeit bewegen. Dabei sollen Erfahrungen und vor allem Prozesse sozialer Exklusion aufgespürt werden und der Zusammenhang von sozialer Ausgrenzung und individuellen Bewältigungsstrategien dargelegt werden. Vorstehend wurden dazu die theoretischen Bezüge aufgeführt. Es wurde verdeutlicht, dass einem Ansatz sozialer Exklusion gefolgt wird, der die von sozialer Exklusion Betroffenen nicht als eine eigenständige Gruppe i. S. einer Underclass oder von Überflüssigen betrachtet, die sich kaum aus ihrer Lage befreien können und zudem selbst für ihre Lage verantwortlich sind („blaming the poor“). Es handelt sich bei sozialer Ausgrenzung vielmehr um Prozesse, die prinzipiell offen sind. Das bedeutet, dass einmal gemachte Erfahrungen mit sozialer Exklusion sich nicht notwendig verfestigen müssen, sondern durchaus Wege (zurück) in soziale Inklusion möglich sind. Allerdings sind auch Entwicklungen denkbar, die für die Betroffenen in eine sich immer mehr verfestigende Lage führen. Es gibt aus der Sicht biographischer Verläufe besonders neuralgische Punkte, an denen sich die Gefahr sozial ausgegrenzt zu werden, erhöht. Solche Punkte sind in einer Biographie insbesondere in Übergangsphasen zu finden. Das zeigt sich einmal beim Übergang in Ausbildung und Erwerbsarbeit, ein weiteres Mal beim Übergang in die Ruhephase beim Austritt aus der Erwerbsarbeit. Dahinter steckt die Annahme, dass trotz aller beschworenen Auflösungstendenzen der normalbiographische Lebenslauf nach wie vor eine wichtige Rolle spielt. Auch das Handeln von Institutionen ist weiterhin auf die Normalbiographie ausgerichtet. So versuchen die den Übergang begleitenden Institutionen Jugendliche
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4 Copingstrategien im Lebenslauf
und junge Erwachsene in Ausbildung zu vermitteln, mit dem Ziel, danach in eine Erwerbsarbeit, möglichst auf dem ersten Arbeitsmarkt, zu münden. Diese impliziten Zielvorgaben der Institutionen werden vom Großteil der betroffenen Personen übernommen. Auch sie verfolgen, betrachtet man ihre Wünsche und Pläne, die klassischen Abläufe von (Aus-)Bildung, stabiler Erwerbsarbeit und der Ruhephase. Die in die Untersuchung integrierten jungen Erwachsenen waren bislang noch nicht oder nur über kurze Zeiträume hinweg in der Lage, diese Vorstellungen über den eigenen Lebensweg tatsächlich umzusetzen. Für sie lässt sich ein Scheitern an der ersten oder/und zweiten Schwelle konstatieren. Die Diskrepanz zwischen Plänen und Wünschen und deren Realisierung, verbunden mit mehr oder weniger umfangreicher Erfahrung sozialer Exklusion, fordern eine Reaktion seitens der jungen Erwachsenen. Diese Reaktionen, dieses Handeln wird unter Copingaspekten betrachtet. Dabei spielt Coping sowohl auf der Einstellungs- als auch auf der Handlungsebene eine wichtige Rolle. Auf der Einstellungsebene wird die Möglichkeit der „Umwertung aller Werte“ in Betracht gezogen, in Form der akkomodativen Bewältigung. Das bedeutet, dass die Nichtübereinstimmung gesellschaftlicher und individuell übernommener Werte – z. B. ein normalbiographischer Lebenslauf – aufgelöst wird, indem sich die Personen neue Werte und Normen setzen. Auf der anderen Seite wird auch die Möglichkeit des Beibehaltens ursprünglicher Ziele und Werte in Betracht gezogen – das assimilative Coping. Auf der Ebene des Handelns werden passive sowie aktive, soziale Strategien des Copings in den Blick genommen beim Umgang der jungen Erwachsenen mit Auswirkungen sozialer Exklusion. Auf der Grundlage der theoretischen Analysen zu sozialer Exklusion, der Lebenslaufforschung sowie des Copingansatzes werden die grundlegenden Fragestellungen durch folgende Annahmen benannt.
5 Annahmen der Untersuchung
Im Zentrum dieser Arbeit liegen die Betrachtung von schwierigen Ausbildungsund Erwerbsverläufen junger Erwachsener und ihre Bewältigung. Wie gestalten sich Biographien von jungen Erwachsenen, die von sozialer Exklusion bedroht und betroffen sind und wie können dabei verschiedene Bewältigungsstrategien Einfluss auf Prozesse zwischen Inklusion und Exklusion nehmen? Diese sind in der bisherigen Forschung noch unterbelichtet. Der Terminus „schwierige Ausbildungs- und Erwerbsverläufe“ meint dabei zum einen die Erfahrung mit Langzeitarbeitslosigkeit (mindestens ein Jahr Arbeitslosigkeit), zum anderen meint er Erfahrungen mit einem häufigen Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung, wobei es sich bei letzterer fast ausschließlich um Phasen prekärer Beschäftigung handelt. Diese dauerhafte Marginalisierung bzw. der Ausschluss vom Arbeitsmarkt in Verbindung mit weiteren Aspekten von Ausgrenzung (Isolation, gesellschaftliche Teilhabe) erhöht u. U. die Gefahr eines Prozesses sozialer Exklusion. Die Annahmen der Theorie der sozialen Exklusion betonen die Prozesshaftigkeit von Entwicklungen zwischen den Zonen sozialer Inklusion und sozialer Exklusion. Soziale Exklusion muss nicht zum biographischen Endpunkt geraten. Es wurde bereits gezeigt, dass sich im biographischen Lebenslauf Phasen ausmachen lassen, die eine erhöhte Gefahr sozialer Exklusion in sich bergen. Diese Phasen stellen wichtige Statuspassagen im Lebenslauf dar, die institutionell gerahmt sind und sich an der Vorstellung eines Normallebenslaufs orientieren. Diese Normalitätsvorstellungen wirken über Institutionen vermittelt auf die Individuen. Schwierige oder, gemessen an Normalitätsvorstellungen, gescheiterte Ausbildungs- und Erwerbsverläufe erfordern eine Auseinandersetzung von den Betroffenen mit ihnen. Bewältigungsmechanismen können dabei auf zwei Ebenen greifen – zum einen auf der Einstellungsebene zum anderen auf der konkreten Ebene des Handelns (wobei beide einander bedingen). Aus den beschriebenen theoretischen Ansätzen über die Prozesse sozialer Exklusion ergibt sich zuerst eine allgemeine Frage: Worüber wird die Inklusion in eine Gesellschaft (jenseits rein formaler staatsbürgerlicher Rechte) gesichert? Vollbeschäftigung, die über abhängige Erwerbsarbeit hergestellt wird und die Inklusion der (meisten) Gesellschaftsmitglieder sichert, scheint immer weniger realistisch. Es sind keine Alternativen für Erwerbsarbeit sichtbar, die die MögB. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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5 Annahmen der Untersuchung
lichkeit der Existenzsicherung für die Mitglieder der Gesellschaft bieten sowie einen Sinngehalt für das eigene Leben darstellen. Die befragten jungen Erwachsenen mit ihren Erfahrungen jenseits normaler Erwerbsarbeit, gehen unter Umständen Wege, die von den den Erwerbsprozess begleitenden Institutionen nicht als Möglichkeit der gesellschaftlichen Integration wahrgenommen werden. Es ist jedoch denkbar, dass es sich dabei um Wege handelt, die ansatzweise Richtungen aufzeigen, sich (auch) jenseits normaler Erwerbsarbeit, aber auch jenseits von Illegalität und bloßem Transferleistungsempfang zu bewegen. Das Ziel der Arbeit wird es sein, Antwort auf zwei übergreifende Fragen zu geben: 1.
2.
Wie gestalten sich Ausbildungs- und Erwerbsbiographien junger Erwachsener, die am Rande normaler Erwerbsarbeit verlaufen hinsichtlich der Prozesse sozialer Inklusion und sozialer Exklusion? Welche Faktoren neben dem Ausschluss von Erwerbsarbeit wirken besonders auf ExklusionsInklusions-Prozesse? Welche, diese Prozesse beeinflussenden, Bewältigungsstrategien werden dabei von ihnen eingesetzt? Lassen die jungen Erwachsenen wirksame Alternativen zu einem Lebenslauf innerhalb normaler Erwerbsarbeit sichtbar werden, die Prozesse sozialer Exklusion nicht befördern?
Dazu sollen Verlaufstypen generiert werden. Diese ergeben sich aus den theoretischen Ausführungen zum Exklusionsbegriff. In der Literatur zum Thema Ausgrenzung wird immer wieder betont, dass es sich um einen Prozess handelt, der prinzipiell offen ist und damit Exklusionsprozesse auch umkehrbar sind. Damit lassen sich drei mögliche Richtungen annehmen, die Personen mit Exklusionserfahrungen einschlagen können: Vorhandene soziale Ausgrenzungsprozesse können verstärkt, sie können abgeschwächt werden und sich in Richtung größerer Inklusion bewegen, und sie können auf einem bestimmten Niveau verharren. Bisherige empirische Forschungsarbeiten haben noch nicht ausreichend expliziert, welche Zusammenhänge zwischen bestimmten Voraussetzungen und den Prozessen von Inklusion und Exklusion bestehen. Ausgehend von diesen drei prinzipiellen Verlaufsmustern soll in der Arbeit aufgezeigt werden, welche Zusammenhänge sich zwischen einzelnen Aspekten sozialer Exklusion finden lassen und wie diese auf den Lebenslauf wirken. Des Weiteren wird nach Wechselwirkungen mit den verschiedenen Copingstrategien gefragt. Die methodisch qualitative Anlage der Untersuchung soll dabei an Einzelfällen Möglichkeitsspektren solcher Prozesse aufzeigen.
5 Annahmen der Untersuchung
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Um die Verlaufstypen generieren zu können, werden zunächst zwei empirische Vorarbeiten durchgeführt. 1. Vorarbeit: Mit der Theorie der sozialen Exklusion ist anzunehmen, dass Ausstrahleffekte oder zumindest Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Aspekten sozialer Exklusion bestehen. Es gilt somit zunächst zu prüfen, ob und in welchem Umfang die jungen Erwachsenen, die von Erwerbsarbeit exkludiert sind, auch in anderen Bereichen ausgegrenzt sind. Dazu zählt auf der Ebene der Interdependenz der Bereich der sozialen Isolation, was sowohl die individuelle Vereinzelung als auch das Zurückgeworfensein auf eine ähnlich exkludierte Gruppe umfasst. Auf der Ebene der Teilhabe ist zu prüfen, ob die Befragten auch Ausgrenzungserfahrungen in den Bereichen politisch-kulturelle, materielle und institutionelle Teilhabe aufweisen. Für den weiteren Auswertungsprozess werden die befragten jungen Erwachsenen zwei Gruppen zugeordnet, bei denen sich unterschiedlich ausgeprägte Zusammenhänge von Arbeitsmarktexklusion und Exklusion bzw. eine starke Vulneralibiltät in anderen Bereichen zeigen: Gruppe A: Diejenigen, bei denen neben der Arbeitsmarktexklusion nur eine weitere und häufig direkt mit ihr in Verbindung stehende Exklusionstendenz sichtbar wird (z. B. Bereich materielle Teilhabe, Armut als direkte Folge der Arbeitsmarktexklusion). Gruppe B: Diejenigen, die neben der Arbeitsmarktexklusion in fast allen anderen Bereichen von Interdependenz und Teilhabe Exklusionstendenzen aufweisen. Eine zweite Vorarbeit betrifft die Copingstrategien. 2. Vorarbeit: Andauernde Exklusion vom Ausbildungs- und/oder Arbeitsmarkt stellt für die jungen Frauen und Männer ein kritisches Lebensereignis (mit andauerndem Charakter) dar. Um dies bewältigen zu können, bedienen sich die Befragten bestimmter Copingstrategien. Diese stellen eine Verbindung zwischen der Einstellungs- und der Handlungsebene dar. Zum einen wird auf der Einstellungsebene geprüft, ob eher akkomodative oder eher assimilative Strategien bezüglich der Einstellung zum normalbiographischen Lebenslauf sichtbar werden. Zum anderen wird auf der Ebene des Handelns betrachtet, ob psychologische, also passive, lediglich auf das individuelle psychische Wohlbefinden gerichtete Strategien oder eher soziale, also auch aktiv auf die Umwelt gerichtete Strategien dominieren.
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5 Annahmen der Untersuchung
In der soziologischen Copingtheorie (vgl. Gerhardt 1986) sowie in der Resilienztheorie (vgl. Wustmann 2003) wird davon ausgegangen, dass vor allem aktive, soziale Copingstrategien unterstützend wirken, sich positiv mit kritischen Lebensereignissen auseinander zu setzen und dass soziale, aktive Copingstrategien helfen, trotz schlechter Voraussetzungen positive Entwicklungen zu realisieren. Insofern wird auch für die hier zu verfolgenden Fragestellungen angenommen, dass insbesondere soziale, aktive Bewältigungsstrategien den Prozess sich verstärkender sozialer Exklusion aufzuhalten helfen. Unter der Voraussetzung eines aktiven Copings auf der Handlungsebene können sich sowohl assimilative, als auch akkomodative Copingstrategien bezogen auf den normalbiographischen Lebenslauf positiv auf den Prozess der sozialen Integration auswirken. Im Anschluss an diese Vorarbeiten werden die Interviews unter dem Gesichtspunkt der Prozesse von sozialer Exklusion betrachtet und drei Verlaufstypen zugeordnet:
Verlaufstyp I: Verschärfung sozialer Exklusion, Verlaufstyp II: gleichbleibendes Ausmaß sozialer Exklusion, Verlaufstyp III: Verringerung sozialer Exklusion.
Innerhalb dieser Verlaufstypen soll die Frage beantwortet werden, wie die jungen Erwachsenen mit ihren Erfahrungen, jenseits eines normalen Erwerbsverlaufs zu stehen und unterschiedlich ausgeprägt sozialen Exklusionsmechanismen zu unterliegen, agieren. Welches sind ihre individuellen Deutungsmuster und wie entwickelt sich ihre Einstellung zu Normalbiographie und Erwerbsarbeit? Welche entsprechenden Copingstrategien werden eingesetzt und unterliegen diese ebenfalls Entwicklungen? Mit dem vorliegenden qualitativen Sample soll vor allem auf die Heterogenität der Biographien abgezielt werden. Dennoch steht auch die Frage nach gemeinsamen Erfahrungen in den einzelnen Verlaufstypen.
6 Untersuchungsdesign und Methoden
6.1 Grundlagen des qualitativen Untersuchungsdesigns In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, in welcher Weise junge Erwachsene, deren Ausbildungs- und Erwerbsbiographien am Rande normaler Erwerbsarbeit verlaufen, diese Karrieren bewältigen und wie ihre Copingstrategien zugleich mögliche Prozesse sozialer Exklusion beeinflussen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Erfassung von Ausbildungs- und Erwerbsverläufen und den Prozessen zwischen Inklusion und Exklusion. Wo liegen Umschlagpunkte zwischen Merkmalen der Vulnerabilität und sozialer Exklusion? Über die Zusammenhänge von Exklusionsprozessen und Bewältigungsformen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie der biographischen Umschlagpunkte zwischen Inklusion, Vulnerabilität und Exklusion ist bisher nur wenig geforscht worden (Kieselbach et al. 2001; Callies 2004; Bude, Lantermann 2006). Aufgrund der Fragestellung sowie der bislang geringen Erkenntnisse in diesem Feld der sozialwissenschaftlichen Forschung verfolgt die Untersuchung ein qualitatives Design. Damit verbinden sich bestimmte Standards, die an qualitative Forschung gestellt werden (Gläser, Laudel 2001; Mayring 2002). Zwei der wichtigsten Standards betreffen die Offenheit des Forschungsprozesses und das theoriegeleitete Vorgehen. Offenheit des Forschungsprozesses meint dabei, dass unerwartete, womöglich den vorherigen Annahmen widersprechende Informationen beachtet werden müssen und nicht unter vorhandene Kategorien subsumiert werden dürfen. Innerhalb der qualitativen Forschung existiert bezüglich des Prinzips der Offenheit (Hoffmann-Riem 1980) auch die Auffassung, dass ohne theoretisch begründete Annahmen vorzugehen sei. Eine Untersuchung sollte ohne Vorstrukturierungen durchgeführt und ausgewertet werden. Dieser Auffassung des Prinzips der Offenheit wird hier nicht gefolgt. Es wird davon ausgegangen, dass sozialwissenschaftliche Forschung immer – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – auf theoretischer oder zumindest alltagsweltlicher Basis realisiert wird (Gläser, Laudel 2001). In dieser Untersuchung wird einem Ansatz qualitativer Methoden gefolgt, der ein theoriegeleitetes Vorgehen impliziert. „Theorien, so wird häufig gesagt, würden das Material verzerren, den Blick zu sehr einengen, würden ein ‚Eintauchen in das Material behindern. Begreift man jedoch
B. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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6 Untersuchungsdesign und Methoden Theorie als System allgemeiner Sätze über den zu untersuchenden Gegenstand, so stellt sie nichts anderes als die geronnenen Erfahrungen anderer über diesen Gegenstand dar. Theoriegeleitetheit heißt nun, an diese Erfahrungen anzuknüpfen, um einen Erkenntnisfortschritt zu erreichen“ (Mayring 1993: 48).
Ein dritter wichtiger Standard qualitativer Forschung ist der des regelgeleiteten Vorgehens. Hierbei sollen alle Schritte des Forschungsprozesses, die zwischen den forschungsleitenden Fragen und den letzthin gegebenen Antworten lagen, genau und nachvollziehbar expliziert werden. So kann ein Minimum an Intersubjektivität hergestellt werden. Es sollen in der vorliegenden Arbeit die Biographien der jungen Erwachsenen zum Gegenstand der Erhebungen gemacht werden. Von besonderem Interesse sind dabei die Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der Befragten. Aber gleichzeitig sollen diese Verläufe eingebettet in die gesamten Biographien betrachtet werden. Es geht zum einen darum, welche Bedeutung und eventuelle Bedeutungsverschiebungen die jungen Erwachsenen ihren Ausbildungs- und Erwerbsverläufen im Verhältnis zu anderen Lebensbereichen (z. B. Familie, Kinder, Freizeit, Peers) geben. Zum anderen geht die Untersuchung der Frage nach, welchen Aspekten und Prozessen sozialer Ausgrenzung die jungen Frauen und Männer unterlegen sind, wie sie diese bewerten und vor allem welche Strategien ihrer Bewältigung sie einsetzen. Um diesen Fragen in einem qualitativen Design nachgehen zu können, wurde als Untersuchungsanlage die Einzelfallanalyse gewählt. Fallanalysen bilden dabei eine entscheidende Hilfe bei der Suche nach relevanten Einflussfaktoren und der Interpretation von Zusammenhängen (Mayring 2002). Insbesondere bei biographisch orientierten Fragestellungen stellt die Fallanalyse ein probates methodisches Mittel dar. Zur Beantwortung der als forschungsleitend vorangestellten Fragen wurden Befragungen, als Minipanel, zu zwei Messpunkten durchgeführt. Das erste Interview befasste sich dabei mit den biographischen Verläufen und wurde vorrangig narrativ geführt. Das zweite Interview, das sechs bis acht Monate nach dem ersten Interview realisiert wurde, basierte auf einem Leitfaden und erfolgte problemzentriert.
6.2 Datenerhebung 6.2.1 Das erste Interview: biographische Erzählung In einem ersten Erhebungsschritt der Untersuchung wurden die jungen Frauen und Männer nach ihren Biographien befragt. Auch wenn das vorrangige Interes-
6.2 Datenerhebung
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se auf den Ausbildungs- und Erwerbskarrieren lag, war es wichtig, die gesamte Biographie zu erfassen. Das biographische Interview sollte dem Zweck dienen, die bisherige Lebensgeschichte festzuhalten sowie das Verhältnis der Ausbildungs- und Erwerbsverläufe zu anderen Lebensbereichen zu beleuchten. Dementsprechend wurden zum ersten Erhebungsmesspunkt zwei Interviewformen kombiniert (Hopf 1978; Fuchs 1984). Es wurde mit einem narrativ geführten Interviewteil begonnen, der zur Erzählung der Lebensgeschichte diente. Im Anschluss daran erfolgte ein problemzentrierter Teil des Interviews, der mittels Leitfaden spezifische Umstände des Ausbildungs- und Erwerbsverlaufs sichtbar machen sollte. Auch wenn die jungen Erwachsenen in noch keinem wissenschaftlichen Kontext aufgefordert waren, über ihre Biographien zu berichten, kann man davon ausgehen, dass die „biographische Kompetenz zu den zentralen Orientierungs- und Interaktionsmitteln in einer Vielzahl von sozialen Situationen der Gegenwartsgesellschaften (gehört)“ (Fischer-Rosenthal, Rosenthal 1997: 405). In Übereinstimmung mit der Argumentation von Fischer-Rosenthal/Rosenthal wird eine Korrespondenz zwischen Erzählen und Erleben angenommen, wobei keine Gleichsetzung von erzählter Geschichte und gelebter Wirklichkeit stattfinden darf (Schütze 1981, 1984; Rosenthal 1993; Fischer-Rosenthal, Rosenthal 1997). Gegen die Vertreter, die Biographieerzählung und damit auch Biographieforschung als retrospektive oder „biographische Illusion“ begreifen (Osterland 1983; Bourdieu 1990), wird eingewandt, dass „sowohl die ‚EreignisSucher, wie auch die ‚Deutungsmuster-Sucher – wenn auch von entgegengesetzten Positionen aus – die Wechselwirkung von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem verfehlen. Es wird nicht gesehen, dass sich sowohl das Vergangene aus der Gegenwart und der antizipierten Zukunft konstituiert als auch die Gegenwart aus dem Vergangenen und dem Zukünftigen“ (Fischer-Rosenthal, Rosenthal 1997: 411). Der erste Teil des Interviews sollte die möglichst frei generierte Erzählung der Lebensgeschichte der Befragten beinhalten. Zur Anwendung kam dabei die Technik des narrativen Interviews. Diese Art des Interviews wurde Mitte der 1970er Jahre von Schütze entwickelt. Über das freie Erzählen der Lebensgeschichte sollen Bedeutungszuschreibungen über die einzelnen Lebensereignisse erfasst werden, ohne dass diese vorstrukturiert abgefragt würden. Es geht an dieser Stelle um die Handlungsgeschichte mit ihren Kognitionen, Gefühlen und Motiven (Fischer-Rosenthal, Rosenthal 1997). Das Erzählen bildet dabei eine Technik, die auch im Alltag häufig angewandt wird. Für das Führen eines narrativen Interviews ist es entscheidend, Deutungen, Begründungen und Motive nicht durch in die Erzählung eingreifende Fragestellungen hervorzurufen oder zu befördern. Laut Schütze soll der Befragte bei ei-
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nem biographisch-narrativen Interview nicht dem Eindruck ausgesetzt werden, seine Lebensgeschichte zu Legitimationszwecken zu erzählen (Schütze 1984). Gerade bei Themenstellungen, die zu legitimatorischen Darstellungen einladen, wie es in der vorliegenden Arbeit mit der Betrachtung von größtenteils gescheiterten Ausbildungs- und Erwerbsverläufen gegeben ist, muss darauf geachtet werden. Das biographisch-narrative Interview soll als eine „Stegreiferzählung des selbsterfahrenen Lebenslaufs“ geführt werden (Schütze 1984: 78). Das narrative Interview hat folgende Phasen (nach Fischer-Rosenthal, Rosenthal 1997): 1. 2. 3. 4.
die Erzählaufforderung, die autonom gestaltete Haupterzählung oder biographische Selbstpräsentation, erzählgenerierende Nachfragen: a) anhand der in der zweiten Phase notierten Stichpunkte oder b) anhand externer Nachfragen, Interviewabschluss.
Die Erzählaufforderung sollte möglichst offen gestaltet sein und zu einem Stegreiferzählen anregen. Auch wenn sich die Forschungsfragen auf bestimmte Aspekte der Biographie eines Befragten beziehen (z. B. die Erwerbsbiographie), soll die Erzählaufforderung so offen formuliert sein, dass sich der Befragte seiner gesamten Biographie zuwendet. Nur über diesen Weg sind Bedeutungszuschreibungen über den eigentlich interessierenden Teil der Biographie zu erfassen. In den meisten Fällen werden die Befragten aufgefordert ihre Lebensgeschichte zu erzählen, sich dabei so viel Zeit zu nehmen, wie sie brauchen und alles erzählen, was ihnen dabei einfällt. Die zweite Phase des biographisch-narrativen Interviews, die autonom gestaltete Haupterzählung bzw. die biographische Selbstpräsentation unterliegt einem wichtigen Prinzip. Sie sollte, egal in welcher Form und in welchem Umfang sie erfolgt, nicht durch intervenierende Eingriffe des Interviewers unterbrochen werden. In diesem Teil des Interviews, der Haupterzählung, wird bereits sehr deutlich, auf welche Abschnitte und Inhalte der eigenen Biographie besonderer Wert gelegt wird. So kann ein Befragter den Schwerpunkt seiner Erzählung z. B. auf seine Herkunftsfamilie, auf seine schulische oder berufliche Laufbahn oder aber auf sein Freizeitverhalten legen. Auch die Art und Weise der Präsentation gibt für die Auswertungen Aufschluss. So kann der Hauptteil in erzählerischer Form dargeboten werden, aber auch in argumentativer oder evaluierender Form. Unabhängig von der Möglichkeit, das gesamte Interview auf Tonband aufzuzeichnen, werden während der Haupterzählung Punkte, an denen der Inter-
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viewer nochmals nachfragen will, notiert. Diese Notizen bilden eine Grundlage für die dritte Phase des narrativen Interviews – dem erzählgenerienden Nachfragen. In diesem Teil geht es nicht darum, vorab festgelegte Fragen an den Interviewten zu stellen, sondern darum, sich aus der Haupterzählung ergebende Unklarheiten, Widersprüche oder nur angedeutete Sequenzen nachzufragen. Das kann Bereiche betreffen, die in der Erzählung ausgespart blieben, bei denen die Erzählung abgebrochen wurde oder bei denen Widersprüchlichkeiten auftraten. Häufig wird auch angeraten, für Nachfragen einen weiteren Interviewtermin zu vereinbaren. Die Anlage der vorliegenden Untersuchung mit ihren zwei Messpunkten ließ es zu, am Beginn des zweiten Interviews einen solchen erneuten Nachfrageteil durchzuführen. Es lassen sich drei Grundtypen narrativen Nachfragens benennen. Zum ersten können ganz gezielt bestimmte Abschnitte einer Lebensphase angesteuert werden, um zu einem vertieften oder erstmaligen Erzählen darüber zu animieren. Zum zweiten kann dazu aufgefordert werden, bestimmte Situationen nochmals näher und ausführlicher zu beschreiben. Zum dritten kann der/die Befragte dazu aufgefordert werden, eine getroffene Behauptung zu belegen (Fischer-Rosenthal, Rosenthal 1997). Das externe Nachfragen der dritten Phase des narrativen Interviews sowie der Interviewabschluss als die vierte Phase bilden den abschließenden Teil des Interviews. Externe Fragen betreffen Bereiche, die aus Sicht des Interviewers wichtig erscheinen, aber vom Erzählenden noch nicht angesprochen wurden. Den Abschluss bildet oft die Aufforderung das Gespräch kurz zu bewerten sowie auf diese – bei der Planung weiterer Interviews mit dem Befragten – hinzuführen.
6.2.2 Das zweite Interview: Aspekte sozialer Exklusion und ihre Bewältigung Der Abschluss des Interviews der ersten Welle und das gesamte zweite Interview wurden als problemzentriertes Interview mithilfe eines Leitfadens geführt. Auch hier steht das möglichst freie Berichten im Vordergrund. Anders als beim narrativen biographischen Interview der ersten Welle standen nun konkretere Inhalte im Mittelpunkt des Interviews, die auf theoretischen Annahmen basierten. Anhand dieser Kenntnisse sollten bestimmte Bereiche im Interview in Gesprächsform behandelt werden. Dieses Vorgehen wird durch den Begriff der Problemzentrierung beschrieben (Witzel 1985). Dabei ist der Forscher keine tabula rasa, sondern bringt sein bisheriges theoretisches und empirisches Wissen ein. Aber auch bei diesem spezifischen qualitativen Ansatz gelten die o. g. Standards, wie z. B. die Offenheit gegenüber neuen und das bisherige Wissen ergänzenden empirischen Befunden. Das in der Untersuchung angewendete Verfahren des quali-
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tativen Interviews ist nach Witzel neben der Fallanalyse, der biographischen Methode, der Gruppendiskussion und der Inhaltsanalyse ein Teilelement des problemzentrierten Interviews (Witzel 1985, Mayring 2002). Der Leitfaden spielt für das problemzentrierte Interview eine wichtige Rolle. In ihm wird das Hintergrundwissen des Forschenden thematisch zusammengefasst, um ein theoriegeleitetes Herangehen an den zu erhebenden Gegenstand zu gewährleisten. Die einzelnen Problemfelder des Gegenstandes werden im Leitfaden als Orientierungshilfe für den Forscher aufgeführt. Unter diese einzelnen Problemfelder werden Fragen und Themen subsumiert, die im Interview erfasst werden sollen. Dabei meint Leitfaden nicht die unumstößliche Reihenfolge für die Interviewführung. Um einen Gesprächscharakter des Interviews zu erhalten, steht der „Gesprächsfaden“ (Witzel) des Interviewten im Mittelpunkt des Interesses. Reihenfolge und Übergänge der im Leitfaden verankerten Inhalte sollen an die innere Logik des Interviewverlaufes angepasst werden. Die Aufgabe des Interviewers besteht besonders darin, zu entscheiden, wann weitere Nachfragen zu einem vom Interviewten verfolgten Erzählstrang angebracht sind und wann auf ein weiteres dem Leitfaden entsprechendes Thema gelenkt werden soll. Bei der Interviewführung kommen nach Witzel bestimmte Kommunikationsstrategien zum Einsatz. Von entscheidender Bedeutung „sind der Gesprächseinstieg, allgemeine Sondierungen, spezifische Sondierungen und Ad-hoc-Fragen“ (Witzel 1985: 245, Hervorhebungen im Original). Der Gesprächseinstieg soll so gewählt werden, dass mittels einer möglichst allgemeinen Frage der Interviewte zum Erzählen angeregt wird. In der vorliegenden Untersuchung wurde zum Einstieg in das zweite, nun leitfadengestützte Interview, mit einem Nachfrageteil zum ersten Interview begonnen. Über diese Anknüpfung konnte ein guter Einstieg in das Interview realisiert werden und die weiteren Inhalte knüpften an diesen Einstieg an. Die allgemeinen Sondierungsfragen dienen dazu, bestimmte Sachverhalte näher zu beleuchten. Das kann durch die Aufforderung, weitere Details eines Sachverhalts zu erläutern, geschehen. Laut Witzel stellen die spezifischen Sondierungsfragen die schwierigste Kommunikationsstrategie eines Interviews dar, denn hier geht es um die inhaltliche Klärung von Sachverhalten. Dazu müssen Verständnis generierende Fragen eingesetzt werden. Das geschieht einmal über die Zurückspiegelung bestimmter Inhalte des Gesagten, aber auch Verständnisfragen und Konfrontation sind entsprechende Formen. Ad-hoc-Fragen als Kommunikationsstrategie des problemzentrierten Interviews dienen dazu, weitere Auskünfte über die im Leitfaden aufgeführten Problembereiche zu erhalten. Oftmals gehen die Erzählungen des Befragten nicht ausreichend auf diese, zentral interessierenden, Bereiche ein. Hier helfen Ac-hoc-Fragen, auf bestimmte Themengebiete genauer einzugehen.
6.2 Datenerhebung
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Auch das problemzentrierte Interview der zweiten Befragungswelle dieser Untersuchung wurde wie das gesamte Interview der ersten Welle, nach vorheriger Einverständniserklärung der Befragten, auf Tonband aufgezeichnet. Diese Aufzeichnungen wurden durch Transkribierende (extern, nicht durch die Interviewführerin) verschriftlicht, die nach vorgegebenen Notationszeichen arbeiteten. Da die Auswertung der Interviews nicht durch das Verfahren der objektiven Hermeneutik erfolgte, wurden lediglich verbale Merkmale, also das Gesprochene sowie parasprachliche Merkmale (z. B. Lachen, Weinen, Räuspern) festgehalten. Prosodische oder außersprachliche Merkmale wurden im Transkript nicht verzeichnet (vgl. dazu Kowal, O’Connell 1995). Es wurde weitestgehend in Standardorthographie transkribiert, wobei Dialektausdrücke beibehalten wurden. Kowal und O’Connell geben einige allgemeine Empfehlungen für die Transkription (ebd.). Unter anderem sollte danach darauf geachtet werden, dass nur solche Merkmale des Gesprächsverhaltens transkribiert werden, die auch tatsächlich ausgewertet werden. Aus allen hier vorgestellten Inhalten und Abläufen ergibt sich folgender Ablauf des problemzentrierten Interviews: Abbildung 2:
Ablauf eines problemzentrierten Interviews (Mayring 2002: 71) Problemanalyse
Leitfadenkonstruktion
Pilotphase Leitfadenerprobung und Interviewerschulung
Interviewdurchführung
Aufzeichnung
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6.3 Datenauswertung – qualitative Inhaltsanalyse Für die Auswertung sowohl der narrativen als auch der problemzentrierten Interviews der ersten und zweiten Welle wurde die qualitative Inhaltsanalyse als Analysemethode eingesetzt. Dabei wurde das Material in zwei Schritten ausgewertet. Im ersten Schritt kam die Analysemethode der inhaltlichen Strukturierung zum Einsatz. Im zweiten Schritt war es das Ziel der Analysen, Verlaufstypen zu generieren, wofür eine typisierende Strukturierung vorgenommen wurde. Zudem wurden einzelne Fälle für die entsprechenden Fallübersichten herausgezogen. Dabei wurde darauf geachtet, innerhalb der Verlaufstypen möglichst heterogene Fälle auszuwählen, um das Spektrum an Möglichkeiten der jungen Erwachsenen im Umgang mit ihren Ausbildungs- und Erwerbskarrieren und dem Ausmaß an erfahrener sozialer Exklusion verdeutlichen zu können. Das Verfahren der Auswertung von qualitativen Interviews durch die Inhaltsanalyse wurde insbesondere durch Mayring ausgearbeitet. Abgeleitet aus quantitativen Inhaltsanalysen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den USA durchgeführt wurden (vgl. die Content Analysis in den Kommunikationswissenschaften), entwickelten Mayring u. a. die Methode einer qualitativen Inhaltsanalyse. Diese wird als eine Analyse von Material bestimmt, das aus einer Art von Kommunikation stammt. Das spezifische der Inhaltsanalyse beschreibt Mayring in sechs Punkten. (1) Die Inhaltsanalyse hat Kommunikation zum Gegenstand. Am häufigsten hat sie mit Sprache zu tun. In selteneren Fällen können auch Musik oder Bilder inhaltsanalytisch betrachtet werden. (2) Die Inhaltsanalyse arbeitet an Sprache, Bildern oder Musik in fixierter Form, also als Text oder Noten. (3) Die Anwendung der Inhaltsanalyse bedeutet ein systematisches Vorgehen. (4) Diese Systematik wird vor allem in der Regelgeleitetheit der Inhaltsanalyse sichtbar. Damit wird sie intersubjektiv nachvollziehbar und besser überprüfbar. (5) Ein wichtiger Punkt, dem die Inhaltsanalyse folgt, ist der der Theoriegeleitetheit. Ausgangspunkt der Analyse sind dabei theoretisch hergeleitete Fragestellungen. Das Material wird vor diesem Hintergrund ausgewertet und interpretiert. (6) Inhaltsanalyse ist immer Teil des Kommunikationsprozesses. Es sollen auch Rückschlüsse auf die Art der Kommunikation gezogen werden sowie Aussagen über den Sender des Materials und den Empfänger getroffen werden (Mayring 1993). Bereits diese genannten Punkte verdeutlichen, dass die qualitative Inhaltsanalyse einigen Spezifika unterliegt, die sie zum einen von der quantitativen Inhaltsanalyse, aber auch von anderen qualitativen Verfahren (z. B. hermeneutischen Ansätzen) unterscheidet. So ist es weniger ein Schwerpunkt des quantitativen Herangehens Rückschlüsse auf die Art der Kommunikation zu ziehen oder sich Gedanken um das Verhältnis der Akteure dieser Kommunikation zu ma-
6.3 Datenauswertung – qualitative Inhaltsanalyse
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chen. Auf der anderen Seite stellen die Theoriegeleitetheit oder auch das regelgeleitete Vorgehen der Inhaltsanalyse eine gewisse Abgrenzung zu anderen qualitativen Verfahren dar. Die Interviews der beiden Erhebungswellen wurden unter dem in Kapital 5 vorgestellten, theoretisch hergeleiteten Fragestellungen inhaltsanalytisch ausgewertet. Das bedeutet, dass bei der qualitativen Inhaltsanalyse alle Analyseschritte vor Beginn der Auswertung festgelegt werden. Damit wird das Prinzip der Regelgeleitetheit angewandt. Neben der Bestimmung der Kodiereinheit und der Kontexteinheit steht die Entwicklung eines Kategoriensystems im Zentrum der Analyse. Dabei werden bei der qualitativen Inhaltsanalyse diese Kategorien „in einem Wechselverhältnis zwischen der Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt, durch Konstruktions- und Zuordnungsregeln definiert und während der Analyse überarbeitet und rücküberprüft“ (Mayring 1993: 49, Hervorhebung im Original). Des Weiteren kamen bei der Auswertung des Materials spezifische Techniken der Inhaltsanalyse zur Anwendung. Mayring unterscheidet dabei drei Grundformen des Interpretierens. Diese sind die Zusammenfassung, die Explikation sowie die Strukturierung. Die Grundformen der Explikation und der Strukturierung können nochmals unterteilt werden. Bei der Explikation kann entweder eine enge oder eine weite Kontextanalyse zum Tragen kommen, wobei bei der ersten Form beim Textkontext des Materials verblieben wird und bei der zweiten Form zusätzliches Material zum Textkontext herangezogen werden kann. Bei der Strukturierung benennt Mayring insgesamt vier Untergruppen, wobei für die hier auszuwertenden Interviews lediglich zwei durchgeführt wurden: die inhaltliche und die typisierende Strukturierung (Mayring 1993). Mayring benennt die Strukturierung als die „zentralste inhaltsanalytische Technik“ (ebd.: 76). Um eine Struktur aus dem Material gewinnen zu können, bedarf es eines Kategoriensystems, mit dem am Material gearbeitet wird. Auch an dieser Stelle wird wiederum auf die theoretische Begründung der Fragestellung und des auf dieser Grundlage entwickelten Kategoriensystems verwiesen. Erste Arbeiten mit dem gebildeten Kategoriensystem am Text fordern z. T. die Überarbeitung und Schärfung des Kategoriensystems. Die Bildung eines Kategoriensystems zur Auswertung des Materials hat also sowohl einen deduktiven, als auch einen induktiven Anteil (Mayring 2002). Die Strukturierung der Texte der durchgeführten Interviews wurde computergestützt vorgenommen. Dabei wurde auf das Programm MAXqda zurückgegriffen. Zunächst sollten bei der Auswertung der Interviews die Ausbildungs- und Erwerbsverläufe sichtbar gemacht werden und zugleich die von den jungen Erwachsenen gedeuteten Einflüsse darauf. Dann sollten berichtete Erfahrungen mit
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bestimmten Aspekten sozialer Exklusion erfasst werden. Dazu wurde eine inhaltliche Strukturierung vorgenommen. Dieses Vorgehen erlaubte es, die benannten Inhalte aus dem Material herauszufiltern und es zusammenzufassen. Das gewonnene Kategoriensystem spielt die zentrale Rolle. Die Zuordnung des Textmaterials erfolgt in drei Schritten. In einem ersten Schritt werden die Kategorien definiert. Es wird also festgehalten, welche Textbestandteile unter die jeweilige Kategorie fallen. Als Zweites werden Ankerbeispiele festgelegt. Diese bestehen aus konkreten Textstellen, die als besonders sinnfällige Beispiele für die Kategorie gelten können. Der dritte Schritt besteht in der Formulierung von Kodierregeln. Diese sind entscheidend dafür, die Kategorien gegeneinander abzugrenzen und eindeutige Zuordnungen zu ermöglichen (Ulich, Haußer, Mayring, Strehmel, Kandler, Degenhardt 1985; Mayring 2002). Die ersten Schritte wurden analog der strukturierten Inhaltsanalyse durchgeführt. Daran schließt sich die Paraphrasierung des extrahierten Materials an. Diese Paraphrasen werden im nächsten Schritt nach den Unterkategorien und dann nach den Hauptkategorien zusammengefasst. Der weitere Analyseverlauf der Interviews sollte dazu führen, aus dem Material Verlaufstypen zu generieren, die aufzeigen, wie sich von sozialer Exklusion bedrohte und betroffene Ausbildungs- und Erwerbsverläufe je nach den durch die jungen Erwachsenen angewandten spezifischen Copingstrategien (auf der Handlungs- und auf der Einstellungsebene) gestalten. Auch dazu wurde ein Analyseverfahren der qualitativen Inhaltsanalyse angewandt – die typisierende Strukturierung. „Von einer Typisierung spricht man in der Regel dann, wenn einzelne Aspekte eines gefundenen Phänomens gedanklich gesteigert als wesentliche Merkmale des Phänomens herausgestellt, als überindividuelle angesehen und in ihrer spezifischen Konstellation als typisch bezeichnet werden, ohne dass sie immer in einer reinen Form in der sozialen Wirklichkeit zu finden wären. Die zugrunde liegende Handlungsfigur wird dabei als Prototyp eines strukturellen Phänomens, des Handlungsmusters, aufgefasst“ (Lamnek 1989: 339, Hervorhebung im Original).
Voraussetzung ist, wie bereits bei der inhaltlichen Strukturierung, dass spezifische Typisierungsdimensionen zuvor bestimmt und in Kategorien geformt werden. Mit diesen Kategorien wird am Material gearbeitet. Es geht dabei darum, besonders markante Aussagen zu finden. Als Kriterien, nach denen solche Typisierungen vorgenommen werden können, fungieren bei Mayring extreme Ausprägungen, theoretisch bestimmte Ausprägungen und häufig auftretende Ausprägungen. Für die typisierende Strukturierung im vorliegenden Fall wurden die Ausprägungen nach theoretischen Interessen angewandt. Auch hier gelten wiederum die Schritte eins bis sieben der strukturierten Inhaltsanalyse. Als nächster
6.3 Datenauswertung – qualitative Inhaltsanalyse
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Schritt erfolgt die Bestimmung der typischen Ausprägungen – im vorliegenden Fall – nach theoretischem Interesse. Daran anschließend werden – im neunten Schritt – Prototypen ausgewählt, die die zuvor bestimmten Ausprägungen in besonderer Weise aufzeigen. An ihnen können in einem letzten Schritt die (Verlaufs-)Typen genau beschrieben und veranschaulicht werden.
7 Untersuchungssample
Eines der wesentlichen Ziele dieser Arbeit ist es Verlaufstypen zu generieren, die die Ausbildungs- und Erwerbswege von sozialer Exklusion Bedrohten und Betroffenen zum Gegenstand haben. Zielgruppe sind dabei junge Erwachsene an verschiedenen Standorten in den neuen Bundesländern. Im Folgenden soll zum einen die Frage nach der Auswahl des qualitativen Samples beantwortet werden, zum anderen wird das Untersuchungssample vorgestellt. In das Sample sollten junge Erwachsene aufgenommen werden, die bereits Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit aufweisen, und zwar mit Langzeitarbeitslosigkeit bzw. mit dem häufigen Wechsel von Phasen der Arbeit und der Arbeitslosigkeit. Anders als in quantitativen Untersuchungen geht es in der vorliegenden Erhebung nicht um Häufigkeiten im Auftreten bestimmter Handlungs- und Erfahrungsmuster, sondern es sollen möglichst die für die Fragestellung relevanten Handlungs- und Erfahrungsmuster erkennbar gemacht werden. Neben der Auswahl der Fälle spielte in der vorliegenden Untersuchung auch die Möglichkeit des Zugangs zur Zielgruppe eine wichtige Rolle. Hier sind Gatekeeper zentrale Personen, die den Zugang zu den entsprechenden Personen herstellen können (Merkens 2000). Es wurden dabei verschiedene Einrichtungen an den Untersuchungsstandorten (s. u.) ausgewählt. Dazu zählten Jugendklubs, Jugendtreffs, Streetworkeinrichtungen. Zuvor wurde durch das Aufsuchen von Stadtteilverantwortlichen (Runde Tische, Quartiermanager, Stadtjugendpflege usw.) gesichert, dass diese Einrichtungen Treffpunkte der zu untersuchenden jungen Erwachsenen sind. Merkens betont, dass beim Ziehen eines qualitativen Samples vor allem auf Facettenreichtum geachtet werden soll (ebd.). Dabei können verschiedene Techniken zur Anwendung kommen, wie z. B. Stichproben typischer, extremer oder kritischer Fälle. In der vorliegenden Untersuchung waren bestimmte Kriterien für die Stichprobe zuvor bestimmt worden (Altersrange, Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit). Durch den Kontakt zu verschiedenen Einrichtungen sollten, innerhalb der vorgegeben Kriterien, möglichst verschiedene Fälle ins Sample aufgenommen werden. In diesem Sinne wurde kein theoretisches Sampling (vgl. Glaser, Strauss 1967; Strauss 1998) vorgenommen. Letzthin wurde das Untersuchungssample auf der einen Seite über die genannten Einrichtungen gewonnen, auf der anderen Seite kam das SchneeballB. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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prinzip zur Anwendung. Über letztere Methode erreicht man geklumpte Stichproben, da weitere Interviewpartner mit bereits Interviewten bekannt oder befreundet sind (Merkens 2000). Im vorliegenden Fall hat es aber auch dazu geführt, junge Frauen und Männer für das Sample zu gewinnen, die sich kaum oder gar nicht in öffentlichen Einrichtungen aufhalten. Die Untersuchung wurde an drei verschiedenen Standorten in den neuen Bundesländern durchgeführt. In der Untersuchung spielt die Deutung der Befragten von institutionellen Erwartungen bezogen auf ihre individuellen Ausbildungs- und Erwerbsverläufe eine wichtige Rolle. Sie treffen dabei auf unterschiedliche Gatekeeper, die diese Institutionen vertreten (z. B. in Arbeitsagenturen oder Jugend- und Sozialämtern sowie in Berufsvorbereitenden Maßnahmen). Die Auswahl verschiedener Standorte sollte möglichst verhindern, dass sich die Deutungen der jungen Frauen und Männer auf dieselben Personen beziehen. Zudem wurde eine größere Bandbreite von institutionellen Einrichtungen, über die die Befragten erzählen, angestrebt. Einbezogen waren die Standorte Chemnitz-Kaßberg und Zentrum, Leipziger Osten sowie Wolfen-Nord. Bei allen drei Stadtteilen handelt es sich um so genannte soziale Brennpunkte, die Teil im Bund-Länder-Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten – Soziale Stadt“ sind. In diesen Stadtteilen konzentrieren sich solche Personen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht oder bereits betroffen sind. Andere Bewohner, jene, die es sich leisten können, versuchen, aus diesen Wohngegenden wegzuziehen. Da sich in der Folge ebenso Infrastruktureinrichtungen (z. B. Jugendklubs, Arztpraxen, Einkaufsmöglichkeiten unterschiedlicher Preislagen) immer stärker zurückziehen, sind diese Stadtteile einer Abwärtsspirale unterworfen, die auch durch staatliche Programme oftmals nur schwer aufzuhalten ist. Damit laufen diese Quartiere insgesamt Gefahr, sozial-räumlich immer weiter ausgegrenzt zu werden. Für die Untersuchung boten sich diese Quartiere gerade aus diesem Grund an. So konnte der sozial-räumliche Aspekt sozialer Exklusion mit erfasst werden. Die Standorte wurden des Weiteren so gewählt, dass bezogen auf die soziostrukturellen Bedingungen, vergleichbare Voraussetzungen aufzufinden waren. Das bezieht sich insbesondere auf die Einkommensverhältnisse und die Arbeitslosenraten, aber auch auf die Angebotsbedingungen an Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Wie bereits an verschiedener Stelle deutlich gemacht wurde, steht die Gruppe der jungen Erwachsenen im Mittelpunkt der Untersuchung. Der Alterschwerpunkt der jungen Erwachsenen liegt dabei zwischen 18 und 25 Jah-
7 Untersuchungssample
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ren6 (Zum Begriff der jungen Erwachsenen: u. a Böhnisch 1999). Eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben dieses Alters liegt – neben der Ablösung von der Herkunftsfamilie sowie dem Aufbau eigener Partnerbeziehungen – in der beruflichen Entwicklung und der erfolgreichen Platzierung im Erwerbsleben. Innerhalb der Exklusionstheorie wird darauf verwiesen, dass gerade die Übergänge an der ersten und zweiten Schwelle eine erhöhte Gefahr bergen, diese nicht erfolgreich zu meistern und somit Marginalisierung oder gar Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt die Folge ist. Die für das Sample ausgewählten jungen Erwachsenen befinden sich an diesen Übergängen und verfügen über vielfältige Erfahrungen, die sie während ihres Ausbildungs- und Erwerbsverlaufs gemacht haben. Es wurden solche jungen Frauen und Männer in die Untersuchung aufgenommen, die bereits Erfahrungen mit Langzeitarbeitslosigkeit gemacht haben oder einen andauernden Wechsel von Erwerbs- und Arbeitslosigkeitsphasen aufweisen. Trotz des Fokus auf die genannte Gruppe der jungen Erwachsenen mit Arbeitslosigkeitserfahrungen wurde darauf geachtet, junge Frauen und Männer in das Sample aufzunehmen, die daneben unterschiedliche biographische Erfahrungen einbringen. So befinden sich unter den Befragten:
junge Frauen und Männer, die bereits Eltern sind und Familien aufgebaut haben, junge Frauen und Männer mit unterschiedlichen Qualifikationsvoraussetzungen (bezogen auf Art und Vorhandensein von Schulabschlüssen sowie keinen oder abgeschlossenen Berufsausbildungen), obdachlose junge Erwachsene, drogenabhängige Befragte, in unterschiedlichem Ausmaß und Umfang kriminelle junge Erwachsene, junge Aussiedler und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund in der zweiten Generation.
Diese verschiedenen Aspekte und Hintergründe, die die jungen Erwachsenen mitbringen, führten dazu, eine breite Sicht auf die Erfahrungen und die Bewältigung von sozialen Exklusionsbedingungen zu gewinnen sowie unterschiedliche Entwicklungen für Verlaufstypen zu generieren. Für das biographische Interview der ersten Welle im ersten Halbjahr 2002 wurden insgesamt 35 junge Erwachsene befragt, von denen 28 männlich und sieben weiblich waren (zu sozialdemographischen Ergebnissen und Verteilungen siehe Kapitel 8.1). Bis auf wenige Interviews, die bei den Befragten zu Hause stattfanden, wurden die Interviews in dafür zur Verfügung gestellten Räumen der 6 In das Sample wurden auch zwei Personen aufgenommen, die älter als 25 Jahre waren, weil ihre Lebenssituation der der anderen jungen Erwachsenen vergleichbar war.
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7 Untersuchungssample
Einrichtungen geführt, über die die Akquise der jungen Frauen und Männer stattfand. Dieselben Befragten sollten sechs bis acht Monate nach dem ersten Interview erneut befragt werden. Da es sich einerseits um eine zum Teil schwierige Zielgruppe handelt (Kriminalität, Drogenkonsum) und andererseits um eine teils sehr mobile Gruppe, war zu erwarten, dass nur ein bestimmter Teil für ein zweites Interview bereitstehen würde. Die Kontaktaufnahme für die zweite Welle erfolgte über die Telefonnummern, die die Befragten zum ersten Interview angegeben hatten (sowohl Mobil- als auch, wenn vorhanden, Festnetznummern). Über diese direkte Kontaktaufnahme konnte in 16 Fällen ein zweites Interview vereinbart werden. In weiteren sechs Fällen wurden die jungen Frauen und Männer über die entsprechenden Stadtteileinrichtungen erneut erreicht und befragt. In 13 Fällen kam jedoch kein Kontakt zustande, da sowohl die Telefonnummern nicht mehr aktuell waren, als auch die Einrichtung von den jungen Erwachsenen nicht mehr aufgesucht wurde. Lediglich in einem Fall gab es eine Verweigerung für ein zweites Interview, indem der Betreffende zu mehreren vereinbarten Interviewterminen nicht erschien. In einem anderen Fall konnte kein zweiter Termin vereinbart werden, weil der junge Mann inzwischen in der JVA war. Insgesamt wurden in der zweiten Welle 22 junge Erwachsene ein zweites Mal interviewt. Davon waren 17 männlichen und fünf weiblichen Geschlechts. Aufgrund der geringen Zahl aktiver Verweigerer wird davon ausgegangen, dass es keine Verzerrungen dahingehend gibt, dass bevorzugt die „Erfolgreichen“ im Sample verblieben, während die „Verlierer“ die weitere Teilnahme an der Untersuchung verweigerten. Wie viele aufgrund eines Wegzugs aus ihren bisherigen Wohnquartieren, z. B. wegen der Aufnahme einer Ausbildung oder Arbeit, nicht mehr erreicht werden konnten, bleibt offen. In einzelnen Fällen wurden aber auch junge Erwachsene zum zweiten Interviewtermin befragt, die genau aus diesen Gründen bereits umgezogen waren. Bei den folgenden Auswertungen standen für die „querschnittlichen“ Fragestellungen (Exklusionserfahrungen, Soziodemographie) alle 35 Interviewten zur Verfügung, für die „längsschnittlichen“ Auswertungen, die Verlaufstypen, wurden nur die Interviews der jungen Frauen und Männer einbezogen, die zu beiden Wellen anwesend waren.
8 Ergebnisse
8.1 Soziodemographische Beschreibung des Untersuchungssamples Zunächst werden im Folgenden die jungen Frauen und Männer hinsichtlich ihrer soziodemographischen Merkmale beschrieben. Betrachtet werden dabei die Geschlechter- und Altersverteilung sowie die soziale Herkunft der Befragten. Während der ersten Untersuchungswelle wurden insgesamt 35 junge Frauen und Männer befragt. Zu diesem Zeitpunkt waren sie zwischen 17 und 30 Jahre alt. Je 14 junge Frauen und Männer kamen aus Wolfen-Nord und dem Leipziger Osten, sieben junge Erwachsene lebten zum Zeitpunkt des Interviews in Chemnitz-Kaßberg bzw. Chemnitz Zentrum (Herkunft und Alters- und Geschlechterverteilung siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Herkunft und Alters- und Geschlechterverteilung Leipzig
02-001 02-002 02-003 02-004 02-005 02-006 02-007 02-008 02-009 02-010 02-011 02-012 02-013 02-014
Wolfen Alter
Geschlecht
21 23 25 22 25 19 20 20 19 25 25 30 23 19
m w m m m m w m m m m m m m
03-001 03-002 03-003 03-004 03-005 03-006 03-007 03-008 03-009 03-010 03-011 03-012 03-013 03-014
Chemnitz Alter
Geschlecht
19 23 22 23 22 18 19 20 17 17 17 17 17 18
m m m w m m m m m m w m m m
01-001 01-002 01-003 01-004 01-005 01-006 01-007
Alter
Geschlecht
27 21 18 25 22 24 20
w m m m m m w
B. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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8 Ergebnisse
Das Untersuchungssample weist eine große Differenz zwischen weiblichen und männlichen Befragten auf. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen liegt es an der Wahl des Zugangs zur Untersuchungsgruppe. Es wurden vor allem typische Anlaufpunkte für junge Erwachsene in den entsprechenden Stadtteilen gewählt. Dazu zählten Jugendklubs, Freizeiteinrichtungen mit niedrigschwelligen Angeboten oder Streetworkeinrichtungen. In diesen öffentlichen Einrichtungen hielten sich weniger junge Frauen als junge Männer auf. Zum anderen waren die dort anzutreffenden jungen Frauen weniger von Arbeitsmarktausgrenzung betroffen als die männlichen jungen Erwachsenen. Junge Frauen in das Sample aufzunehmen, gelang vor allem durch das Schneeballprinzip. Darüber konnten zwar insgesamt immer noch weniger weibliche als männliche Probanden gewonnen werden, aber es war möglich, junge Frauen ins Sample aufzunehmen, die sonst kaum im öffentlichen Raum zu finden sind und zu einer so genannten „versteckten“ Gruppe gezählt werden müssen (z. B. junge, mehrfache Mütter, die sich ganz auf die Familie konzentrieren). Dass der Anteil der jungen Erwachsenen (wie in der Bevölkerung insgesamt) mit Migrationshintergrund im Osten Deutschlands deutlich geringer ist als im Westen spiegelt sich auch im Untersuchungssample wider. Lediglich in Wolfen-Nord konnten zwei junge Aussiedler in die Befragungsgruppe aufgenommen werden. Über die Hälfte der Befragten war zum Zeitpunkt des ersten Interviews 20 Jahre und älter. Für die Bestimmung der sozialen Herkunft der Befragten im Untersuchungssample wird auf die berufliche Ausbildung der Eltern sowie auf deren Beschäftigungsstatus eingegangen. Grundlage bilden jeweils die Erzählungen der jungen Frauen und Männer. Es wird deutlich, dass sowohl die Mütter als auch die Väter beruflich tätig sind oder waren. Nicht in allen Fällen waren sich die Befragten sicher, welchen Beruf die Eltern ausgeübt haben oder noch ausüben und welche Berufsausbildung sie dafür absolviert haben. In einigen Fällen spielt auch das schlechte Verhältnis zu den Eltern oder zu Elternteilen bzw. die Tatsache, dass der Vater oder die Mutter Alkoholiker sind (trifft auf fünf Probanden zu) sowie Kriminalitätskarrieren aufweisen (trifft auf zwei Probanden zu), eine Rolle, wenn die Befragten kaum Aussagen zum erlernten Beruf oder zum Erwerbsstatus machen konnten. Lediglich die Väter von zwei Befragten weisen einen Hochschulabschluss auf. Alle weiteren Elternteile haben entweder Facharbeiterabschlüsse oder sind als An- oder Ungelernte tätig (gewesen). Bei den Vätern dominieren Bau- und Handwerksabschlüsse. So arbeiteten sie als Trockenbauer, Maurer, Elektriker, Drucker und Schlosser. Bei den Müttern wurden Berufe genannt wie Sekretärin, Verkäuferin, Lagerarbeiterin oder Textilfacharbeiterin. Eine Besonderheit stellt
8.2 Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der jungen Erwachsenen
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hier der Standort Wolfen-Nord dar. Im Raum Bitterfeld-Wolfen dominierte vor der Wende die Chemieindustrie (z. B. Filmfabrik Wolfen). Das zeigt sich in den ursprünglichen Berufen der Eltern der befragten jungen Frauen und Männer. Überwiegend waren die Eltern als Chemiefacharbeiter tätig oder arbeiteten in anderen Berufen in verschiedenen Chemiebetrieben (als Elektrotechniker, Sekretärin oder Lehrausbilderin). Betrachtet man den Beschäftigungsstatus vor der Wende 1989 wird deutlich, dass es die erwartbar hohe Teilhabe an Beschäftigung sowohl von Frauen und von Männern gegeben hat. Auf der Seite der Mütter wird lediglich in zwei Fällen angegeben, dass sie den Status einer Hausfrau hatten. Ansonsten berichten alle Befragten, dass ihre Mütter und Väter berufstätig waren. Das Bild ändert sich in der Nachwendezeit, besonders zu Beginn der 1990er Jahre, deutlich. Eine stark ausgeprägte Umbruchsarbeitslosigkeit (Vogel 1999) wird sichtbar. Gerade an einem monoindustriell geprägten Standort wie Wolfen, an dem ein großer Betrieb bzw. ein Kombinat der fast einzige Arbeitgeber war, hat die Reduzierung der Betriebsgröße oder die gänzliche Schließung verheerende Wirkungen auf den Beschäftigungsstatus der Eltern der Befragten gehabt. Nur sechs der 35 Befragten berichten keine Erfahrungen ihrer Eltern mit Arbeitslosigkeit. Das bedeutet, dass 29 junge Frauen und Männer mit der z. T. lang anhaltenden Erfahrung von Arbeitslosigkeit in der Familie aufgewachsen sind. Der überwiegende Teil der Väter und Mütter wurde 1990/91 oder 1995 arbeitslos. Auch nach verschiedenen ABM und Umschulungen schafften nur die wenigsten einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. 19 der befragten jungen Frauen und Männer gaben an, dass ein Elternteil oder beide zum Zeitpunkt des Interviews beschäftigt waren.
8.2 Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der jungen Erwachsenen Die Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der befragten jungen Erwachsenen stehen im Zentrum der Betrachtung der vorliegenden Arbeit. Um sich zunächst einen Überblick zu verschaffen, werden die Erwerbswege der jungen Frauen und Männer nach dem Verlassen der Schule bis zum Zeitpunkt des ersten Interviews vorgestellt. Als Ausgangspunkt der Verlaufsbetrachtung dient der Austritt aus der Schule. Im Sample fanden sich von keinem Schulabschluss bis zum Abitur alle Möglichkeiten, die Schule zu beenden. Es kristallisierten sich jedoch zwei Hauptgruppen heraus: Diejenigen, die ohne Abschluss die Schule verließen und diejenigen, die sie mit einem Realschulabschluss beendeten. Für diese beiden Hauptgruppen zeigt die Abbildung 3 die Ausbildungs- und Erwerbsverläufe auf.
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8 Ergebnisse
Abbildung 3:
Ausbildungs- und Berufsverläufe der jungen Erwachsenen im Sample, eigene Darstellung
Ausbildungs- und Berufsverläufe für Befragte ohne Schulabschluss und mit Realschulabschluss
Schulabschlüsse
Ausbildung
in Ausbildung (6)
Berufliche Tätigkeit
Normale Erwerbsarbeit (1)
(3) ohne Abschluss (14) ohne Ausbildung (11)
in Ausbildung (15) Realschulabschluss (17)
(7) ohne Ausbildung (9)
Selbständigkeit Zeitarbeit Schwarzarbeit
Normale Erwerbsarbeit (4) Zeitarbeit Schwarzarbeit Zeitarbeit Schwarzarbeit
(in Klammern: Anzahl der Befragten)
Zunächst werden die Verläufe der 14 jungen Erwachsenen betrachtet, die die Schule ohne Abschluss verlassen haben. Sechs junge Frauen und Männer begannen ohne einen Schulabschluss eine Ausbildung (sowohl betrieblich als auch außerbetrieblich). Drei von ihnen brachen diese Ausbildung jedoch wieder ab, so dass insgesamt elf Befragte versuchten, ohne Schulabschluss und ohne Ausbildungsabschluss auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dies gestaltete sich sehr kompliziert. Diese jungen Erwachsenen berichten lediglich von Erfahrungen mit Zeit- bzw. Schwarzarbeit oder dem (gescheiterten) Versuch der Selbständigkeit.
8.2 Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der jungen Erwachsenen
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Kurzzeitige Erfahrungen mit normaler Erwerbsarbeit hatte nur eine junge Frau, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatte. Für die 17 Befragten, die mit einem Realschulabschluss die Schule verließen, wird folgendes Bild sichtbar. Fast alle jungen Frauen und Männer mit einem Realschulabschluss begannen eine Ausbildung (betrieblich oder außerbetrieblich). Knapp die Hälfte jedoch brach diese Ausbildung vor der Beendigung wieder ab. Ähnlich der Gruppe, die sich ohne Ausbildung und ohne Schulabschluss auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren suchte, berichten auch hier diejenigen, die zwar mit Schulabschluss, aber ohne abgeschlossene Berufsausbildung in dauerhafte Arbeitsverhältnisse kommen wollten, lediglich von Zeit- und Schwarzarbeit. Aber auch nur vier der acht Befragten, die ihre Ausbildung beendeten, gelangten kurzzeitig in ein Normalarbeitsverhältnis. Es wird bei der Betrachtung des skizzenhaft dargestellten Ausbildungs- und Berufsverlaufs deutlich, dass zwar ein Schulabschluss den Zugang zu einem Ausbildungsplatz erleichtert, eine abgeschlossene Berufsausbildung aber keineswegs den (langfristigen) Zugang zu normaler Erwerbsarbeit sichert. Allerdings weisen nur junge Erwachsene mit einem Ausbildungsabschluss überhaupt Erfahrungen mit normaler Erwerbsarbeit auf. Gleichzeitig wird ein weiterer Aspekt sichtbar. Es zeigt sich bei allen Befragten, dass sie einen normalbiographischen Lebensverlauf bezüglich ihres Ausbildungs- und Erwerbsverlaufes favorisieren. Dabei steht für fast alle diese Vorstellung seit der Schulzeit fest. Andere führten biographische Verwerfungen oder eine zunächst vorhandene Unsicherheit über den weiteren beruflichen Weg erst später zu der Vorstellung eines normalen Lebensverlaufes. Deutlich wird diese Orientierung an Berufsausbildung und normaler Erwerbsarbeit anhand verschiedener Aussagen der Befragten jungen Erwachsenen.
Alle befragten jungen Frauen und Männer geben an, dass sie einen Beruf erlernen wollen. Keiner hat in seiner biographischen Erzählung dieses Thema ausgelassen. Die genannten Berufswünsche sind unterschiedlich realistisch, sie wurden teilweise durch Misserfolgserlebnisse an die Realität angepasst. Die Motivation für die Wahl eines normalen Ausbildungs- und Berufsweges ist durchaus verschieden und reicht von dem wirklich bewussten Wählen einer Ausbildung, um daran hohe Erwartungen an den weiteren (sicheren) Erwerbsverlauf zu knüpfen, über die pragmatische Einstellung, erst mal (irgend-)eine Ausbildung zu haben bis zum fast zufälligen Hineinstolpern in einen Ausbildungsweg.
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8 Ergebnisse Für einige der jungen Erwachsenen sind die Ausbildungsaufnahme und eine (normale) Erwerbsarbeit das offensichtliche Festhalten an einer Illusion (z. B. bei lernbehinderten und drogenabhängigen Befragten).
Einige Auszüge aus den Interviews illustrieren diese Aussagen: Richard7: „(...) Ich habe ja nun auch keine Lust, mein Leben lang ohne Ausbildung rumzurennen. (...) Man möchte doch mal ein geregeltes Einkommen und geregelte Arbeitszeiten haben. Einen festen Job haben und nicht nur so Sachen nebenbei.“ (03-003, 22 Jahre, ohne Ausbildung) Michael: „Ich sag mal, teils ist es so, dass du wirklich bloß durchziehst (die Ausbildung – B.R.), damit du einen festen Job in der Tasche hast. Aber teils ist es auch so, dass du dann denkst, irgendwie geht dir der Job auf den Sack. Weil, es war nicht das, was ich mir erhofft hatte.“ (02-010, 25 Jahre, Einzelhandelskaufmann) Mike: „So und dann wie das so üblich ist, halt keinen Abschluss gehabt und nichts, hab dann durch Zufall über `nen Kumpel `ne Lehre gekriegt. (…) ich hab `ne Maurerlehre gehabt.“ (01-006, 24 Jahre, ohne Ausbildung)
Die berichtete hohe Anzahl von Ausbildungsabbrüchen (z. T. auch auf Initiative der Ausbildungseinrichtung) zeugt in den meisten Fällen von vorhandenen Unsicherheiten bezüglich der gewählten Berufsrichtungen. Viele hatten vor dem Verlassen der Schule entweder keine Vorstellungen, welche Richtung sie beruflich einschlagen sollten oder ihre Vorstellungen waren, gemessen an ihren Voraussetzungen, unrealistisch. So wollte z. B. ein großer Teil der jungen Männer – auch ohne einen Schulabschluss – Kfz-Mechatroniker werden. Die Darstellung in der Abbildung 3 suggeriert geradlinige Übergänge aus der Schule in Ausbildung oder Arbeit. Die Erzählungen der jungen Erwachsenen in den Interviews machen jedoch deutlich, dass sie häufig eine Reihe von Wartezeiten und Brüchen in ihren Ausbildungs- und Erwerbswegen aufweisen. Zum Teil haben die Befragten die Zeit in berufsvorbereitenden Maßnahmen überbrückt. Patricia: „Dann hatte ich noch ein BVJ8 gemacht, weil ich keine Ausbildung hatte und eh nicht noch ein Jahr länger auf der Straße hängen und auf die schiefe Bahn geraten wollte. Hat auch was gebracht.“ (03-004, 23 Jahre, Beiköchin)
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Alle Namen wurden geändert. Das BVJ ist die schulische Maßnahme Berufsvorbereitungsjahr.
8.2 Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der jungen Erwachsenen
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Ein Teil hat Zeiten der Arbeitslosigkeit kurzzeitig durch die Teilnahme an ABM unterbrechen können. Wobei diese einmal recht pragmatisch genutzt wurden, um ein bisschen Geld zu verdienen, ein anderes Mal wurde es als Maßnahme betrachtet, die für den Betroffenen keine Vorteile bringt und der man sich deshalb entzieht. Mike: „(...) dann hatte ich eine ABM gekriegt, das war so ´ne Teil-ABM. Hab ich ein halbes Jahr gemacht, um Geld zu verdienen, dass ich umziehen kann.“ Olaf: „Dann kam noch ein halbes Jahr ABM mit dazu. Grünflächenamt, Bäume putzen und so ein Kack. Da war ich drei Tage, dann habe ich auf Krankenschein gemacht.“ (02-006, 19 Jahre, ohne Ausbildung)
Die Ausbildungs- und Erwerbswege der jungen Erwachsenen zeigen, dass kaum Erfahrungen mit normaler Erwerbsarbeit vorliegen. Die Verläufe sind durch Abbrüche, Maßnahmen, z. T. Maßnahmekarrieren und Umorientierungen geprägt. Bei den Arbeitslosigkeitserfahrungen lassen sich verschiedene Ausprägungen dieser Erfahrungen ausmachen. Zum einen betrifft das diejenigen, die zwar (noch) keinen Berufsausbildungsabschluss erworben haben, aber nach wie vor versuchen, zunächst in eine Ausbildung zu gelangen, um sich erst danach auf dem Arbeitsmarkt zu platzieren. Die folgenden Aussagen aus den Interviews der ersten Welle machen das deutlich: Ralf: „(I: Du würdest gern eine Ausbildung machen?) Ich würde die Ausbildung gern machen, so dass ich meinen Abschluss hab. Ich denke mal mit 25, da bin ich 28, warum denn nicht. Da kann man was machen.“ (01004, 25 Jahre) Yvonne: „Ich will mich nicht immer von ABM zu ABM schleppen. Ich will gleich was Richtiges machen. Ich meine, wenn das drei Jahre geht. Ich kann nicht erst mit 30 meine Lehre machen.“ (01-007, 20 Jahre) Steffen: „Ich versuche jetzt immer mehr, ein Jahr zu machen. Bis nächstes Jahr. Da suche ich mir dann eine Lehre. (…) So auf’m Bau, Maurer, Maler, so was.“ (02008, 20 Jahre)
Ein anderer Teil derer, die noch keinerlei Erfahrungen mit normaler Erwerbsarbeit gemacht haben und ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind, plante zum Zeitpunkt des Interviews aber nicht mehr eine Ausbildung zu absolvieren. Mehr oder weniger aktiv, versuchen diese jungen Frauen und Männer in normale Erwerbsarbeit zu gelangen.
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8 Ergebnisse Olaf: „Ne, Ausbildung, das ist jetzt meine Meinung, Ausbildung will ich gar nicht haben. Weil das nützt mir hier draußen nichts. Du kannst was und sitzt drei Jahre in einer Ausbildung rum und danach kriegst du genau so wenig was.“ (02-006, 19 Jahre)
Olaf ist ein Beispiel dafür, dass er ohne Ausbildung versucht, Arbeit zu finden, wobei es sich kaum um normale Erwerbsarbeit handelt, wenn er sagt: Olaf: „Na ja, ich habe nächste Woche wieder mal einen Termin mit denen (vom Arbeitsamt – B.R.). Da wird der mich das Gleiche fragen, da werde ich sehen, was ich dem da antworte. Ich lecke den nicht am Arsch. Das habe ich einfach nicht nötig. Wenn ich Arbeit brauch, gehe ich schwarzarbeiten, was auch zumutbar ist. (I: Was kannst du da so machen?) Alles. Alles, was auf’m Bau ist.“
Anderen jungen Erwachsenen ist zum Zeitpunkt der Befragung lediglich klar, dass sie keine Ausbildung (mehr) machen wollen. Inwieweit sie versuchen, dennoch in normale Erwerbsarbeit zu gelangen, bleibt oftmals eher unklar. Mike: „Das glaube ich nicht, da wird nichts draus (aus einem normalen Arbeitsleben – B.R.). Ja, denke ich echt nicht. Ausbildung, da haste wieder kaum Kohle. Reißt dir trotzdem den Arsch auf. Drei Jahre noch und ich bin jetzt so aus dem Alter raus, wo man noch richtig aufnahmefähig ist.“ (01-006, 24 Jahre) Steve: „Aber ... mit 25. Das wird dann bloß noch eine Umschulung sein, denke ich mal. Mit Lehre wird da nichts.“ (02-011, 25 Jahre)
Eine andere Richtung von Arbeitslosigkeitserfahrung besteht in dem steten Wechsel zwischen normaler Erwerbsarbeit, Zeitarbeit, Umschulung und Arbeitslosigkeit. Der Überblick über die Ausbildungs- und Erwerbswege der Befragten hat ergeben, dass lediglich fünf Personen eine zeitlang in normaler Beschäftigung standen. Sie alle haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Allerdings war die Dauer der Beschäftigung jeweils sehr kurz. Nur ein Befragter war über einen Zeitraum von vier Jahren hinweg in normaler Erwerbsarbeit. Alle anderen waren jeweils zwischen einem halben und einem Jahr normal erwerbstätig. Zwischen diesen Episoden kurzer Erwerbsarbeit lagen Zeiten der Arbeitslosigkeit. Für 17 junge Frauen und Männer dauerten die Phasen der Arbeitslosigkeit ein Jahr und länger. Zum einen ist es eine Strategie (ähnlich der einiger junger Frauen und Männer ohne bisherige Erfahrungen mit normaler Erwerbsarbeit), über Zeitarbeit in eine normale Beschäftigung zu gelangen. Zum anderen dient Zeitarbeit für die jungen Erwachsenen dazu, erst einmal überhaupt wieder arbeiten
8.2 Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der jungen Erwachsenen
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zu können. Die berichteten Erfahrungen der Befragten sind jedoch ausschließlich negativ. Dennis: „(I: Und hast du dann hier irgendwo gejobbt oder was hast du denn da gemacht?) Na ich habe versucht zu jobben. Ich bin dann wieder auf Baustellen gegangen, zum Teil legal, also über das Arbeitsamt. (I: War das auch so Zeitarbeit oder so?) Zeitarbeit auch, zweimal sogar schon und von den zwei Firmen kriege ich immer noch, also heute noch Geld, und das Arbeitsamt versucht mir heute noch diese Zeitarbeitsfirmen irgendwie wieder neu reinzudrücken, und ich wehre mich irgendwie strikt dagegen, (…) aber irgendwie, ich renne da schon seit Ewigkeiten hinterher (dem ausstehenden Lohn – B.R.) und habe da überhaupt gar keine Chance, irgendwas zu kriegen, weil die hauen mir da ständig, wenn ich da vorbeikomme, irgendwelche Paragraphen um den Kopf und das Arbeitsamt sagt zu mir, ja, abwarten und Tee trinken.“ (02-005, 25 Jahre) Ralf: „(I: Du hast ja immer zwischendurch so Jobs gehabt. Waren denn das auch so Zeitarbeitsfirmen?) Ja, solche Zeitarbeiterfirmen, aber da hat das auch nicht immer hingehauen mit dem Geld. So dass ich auch gesagt hab, da kann ich mich auch auf die Straße hinstellen, da kriege ich mehr. (…) Ich saß hier bei Rossmann (zum Betteln – B.R.), 60-80 Mark am Tag.“ (01-004, 25 Jahre) Torsten: „Dann in Dessau, also Zeitarbeitsfirma so, die haben mich dann nach Stuttgart geschickt. Da war ich dann bloß drei Wochen tätig, (…) na ja, da gekündigt, Arbeitslosengeld und dann so ab und zu mal einen Job gehabt, was organisiert, so für ein halbes Jahr. Aber mein Fall ist es nicht.“ (03-001, 19 Jahre)
Die Aussagen machen sichtbar, dass die jungen Erwachsenen (vor allem die jungen Männer) fast ausschließlich Zeitarbeit im Baubereich gefunden hatten, unabhängig davon, ob jemand einen Ausbildungsabschluss vorzuweisen hat oder nicht. Zumeist bezogen sich die berichteten Erfahrungen auf Schwierigkeiten, den erarbeiteten Lohn zu erhalten, so dass sich die vagen Hoffnungen, vielleicht längerfristig angestellt zu werden, schnell zerschlugen. Die Aussage von Torsten macht zudem deutlich, wie schwer es für die jungen Erwachsenen ist, über Zeitarbeit direkt in normale Beschäftigung übernommen zu werden. Die aus der Sicht der jungen Männer negativen Erfahrungen mit Zeitarbeit führten bei einigen zu einer generellen Ablehnung, zukünftig wieder in Zeitarbeit zu gehen. Als Alternative sieht ein Teil die Schwarzarbeit, von der insgesamt 12 Befragte in den Interviews berichteten.
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8 Ergebnisse
Der Überblick über die Ausbildungs- und Erwerbswege der befragten jungen Erwachsenen zeigt, dass sowohl junge Frauen und Männer mit besseren Voraussetzungen (z. B. Realschulabschluss, abgeschlossene Berufsausbildung) als auch mit schlechten Vorbedingungen (z. B. vorzeitiges Verlassen der Schule, keinen oder schlechten Schulabschluss, keine Berufsausbildung) Erfahrungen mit Langzeitarbeitslosigkeit gemacht haben. Dabei weisen Befragte mit besseren Voraussetzungen eher einen Wechsel kürzerer Zeiten normaler Beschäftigung mit Zeiten von Arbeitslosigkeit, Maßnahmen u. a. auf. Viele Befragte mit schlechten Voraussetzungen haben noch gar keine Erfahrungen auf dem ersten Arbeitsmarkt in normaler Beschäftigung sammeln können. Eine Ausnahme bilden hier lediglich die Fälle, die nach einem guten Schulabschluss (Abitur) oder einer erfolgreichen Berufsausbildung bewusst eine Pause einlegen, um zunächst Alternativen im Leben zu testen (z. B. Freiwilliges Soziales Jahr oder Schwarzarbeit als bewusster kurzzeitiger Ausstieg aus dem normalen Ausbildungsverlauf). Es ist also zu konstatieren, dass alle Befragten in zum Teil unterschiedlicher Ausprägung durch Ausschluss vom Arbeitsmarkt betroffen sind.
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion 8.3.1 Erfahrungen sozialer Exklusion neben der Arbeitsmarktexklusion Das folgende Kapitel geht der Frage nach, ob und welche weiteren Aspekte sozialer Exklusion neben der Arbeitsmarktexklusion bei den befragten jungen Erwachsenen sichtbar werden. In der Literatur (vgl. Kapitel 2) findet sich eine Reihe von Aussagen darüber, was soziale Exklusion ausmacht (u. a. Kronauer 2002; Häußermann, Kronauer, Siebel 2004; für die empirische Forschung: Kieselbach, Beelmann 2003; Callies 2004). Die verschiedenen Aspekte können zwei grundlegenden Richtungen zugeordnet werden – der Interdependenz und der Partizipation (Kronauer 2002). Unter dem Begriff der Interdependenz werden als Aspekte sozialer Exklusion die Marginalisierung bzw. der Ausschluss vom Arbeitsmarkt sowie die soziale Isolation subsumiert. Soziale Exklusion unter dem Aspekt der Partizipation umfasst die Dimensionen der materiellen, politisch-institutionellen sowie der kulturellen Teilhabe. Im vorangegangenen Kapitel wurden bereits die unterschiedlichen Ausprägungen der Exklusion vom Arbeitsmarkt der Befragten beschrieben. Weitere mögliche Erfahrungen sozialer Ausgrenzung im Bereich der Interdependenz und der Partizipation sollen im Folgenden untersucht werden.
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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Im Bereich der Interdependenz geht es um die Frage der sozialen Isolation. Dabei wird betrachtet, ob und in welchen sozialen Netzwerken die jungen Erwachsenen verankert sind. Soziale Isolationstendenzen können dabei sowohl an Vereinzelung und Vereinsamung festgemacht werden, als auch an der Einseitigkeit sozialer Beziehungen in dem Sinne, dass fast ausschließlich Kontakte zu Personen bestehen, die selbst von sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind. Zudem spielt bei der Frage nach sozialer Isolation auch die Frage nach sozial-räumlicher Segregation eine wichtige Rolle (Häußermann, Kronauer, Siebel 2004). Zunehmend verstärken sich Faktoren der Benachteiligung allein dadurch, dass die Betroffenen in Quartieren wohnen, die von Segregation betroffen und auch in der Außenwahrnehmung (z. B. durch Institutionen, Einrichtungen und Betriebe) mehr und mehr negativ bewertet sind. Zudem können hier Tendenzen der Selbstausgrenzung zutage treten, indem die negativen Bedingungen der Wohnquartiere bekannt sind, diese aber zugleich einen Schutzraum bieten, in dem auch für die meisten anderen Bewohner ähnlich schlechte Lebensbedingungen herrschen. Damit sind auf einer bestimmten Ebene soziale Netzwerkbildungen möglich (gegenseitige Hilfe beim Umgang mit verschiedenen Institutionen, Informationsnetzwerke für gelegentliche Arbeiten oder für Schwarzarbeit). Die Verbindungen zu in normaler Erwerbsarbeit stehenden Personen, die Unterstützung bei der eigenen Platzierung auf dem Arbeitsmarkt bieten könnten, fehlen jedoch. Soziale Ausgrenzung lässt sich vor allem auch an verschiedenen Bereichen der gesellschaftlichen Teilhabe, bzw. des Schwindens der Teilhabe an gesellschaftlich anerkannten Lebensgütern und Lebenschancen festmachen. Die drei wesentlichen Bereiche sind dabei die materielle, politisch-institutionelle sowie die kulturelle Teilhabe. Materielle Ausgrenzung findet vor allem durch den Verlust von Einkommen und auch zunehmend der sukzessiven Verringerung sozialstaatlicher Transferleistungen bei andauerndem Ausschluss vom Arbeitsmarkt statt (z. B. von Arbeitslosengeld zu Arbeitslosengeld II). Dort, wo gut funktionierende Netzwerke (Familie, Freunde) die Betroffenen unterstützen, können über materielle und immaterielle Hilfen, die Folgen eines fehlenden oder geringen Einkommens abgefedert werden. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Betrachtung des Zusammenspiels der verschiedenen Dimensionen sozialer Ausgrenzung von großer Bedeutung ist, um Aussagen darüber treffen zu können, in welchem Ausmaß soziale Exklusion vorliegt. Gleichzeitig müssen im Zusammenhang mit der Frage nach materiellem Ausschluss Möglichkeiten in den Blick genommen werden, die abgekoppelt von der Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt stattfinden. So ist es durchaus denkbar, dass von Arbeitslosigkeit betroffene oder in gering entlohnten Arbeitsverhältnissen
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8 Ergebnisse
stehende Personen über halblegale und illegale Wege (z. B. Schwarzarbeit) keine materielle Ausgrenzung erfahren. Dies kann sich hinsichtlich der politisch-institutionellen Ausgrenzung gänzlich anders darstellen. Indem Zuständigkeiten auf der institutionellen Ebene wechseln und sich verschieben, sinkt nicht selten die Interessenvertretung für die betroffenen Personen. Zudem verringern sich soziale Schutzrechte, wenn man über einen langen Zeitraum einseitig auf Leistungen des Wohlfahrtsstaates angewiesen ist. Die Wahrnehmung der Institutionen (z. B. Arbeitsamt, Jugend- und Sozialämter, soziale Einrichtungen, Schule), mit denen die befragten Jugendlichen zu tun haben, spielt also eine große Rolle bezüglich der Gefahr institutioneller Ausgrenzung. Politische Partizipation lässt sich vor allem am politischen Engagement, an der Informationsbereitschaft zu politischen Themen und der Wahlbeteiligung der Befragten messen. Da sich im Untersuchungssample keine jungen Frauen und Männer befanden, denen durch eine fehlende deutsche Staatszugehörigkeit bestimmte politische Teilhaberechte von vornherein verweigert werden, kann man am Grad der eigenen politischen Beteiligung Tendenzen der Selbstausgrenzung festmachen. Das betrifft die Fragen nach dem eigenen Einfluss auf politische Entscheidungen und die Annahme einer politischen Interessenvertretung für die von sozialer Exklusion bedrohten und betroffenen Personen. Ein dritter Bereich, der soziale Exklusion ausmacht, ist die kulturelle Teilhabe. Ausgrenzungstendenzen lassen sich hier an der negativen Etikettierung der benachteiligten jungen Erwachsenen erkennen (vgl. Häußermann, Kronauer, Siebel 2004). Im Allgemeinen geht es bei kultureller Ausgrenzung um das Schwinden der Möglichkeit, das eigene Leben nach allgemein anerkannten Lebenszielen und -inhalten auszurichten. Das wird für die betroffenen jungen Erwachsenen vor allem im Vergleich mit Gleichaltrigen augenfällig. Dabei entsteht die sinkende kulturelle Teilhabe besonders aus bereits aufgeführten Aspekten sozialer Exklusion, wie z. B. finanzielle Ausgrenzung oder sozialer Isolation. Konkret äußert sich kulturelle Ausgrenzung darin, dass – für die Altersgruppe als normal geltende – Freizeitaktivitäten nicht realisiert werden können (Besuch von Kino, Kneipe, Konzerten) und dass ein eingeschränktes Konsumverhalten zutage tritt. Anhand der Systematisierung von Exklusionsaspekten in Fragen der Interdependenz und der Partizipation sowie der oben aufgeführten konkreten Bereiche (soziale Isolation, materielle, politisch-institutionelle sowie kulturelle Exklusion) werden im Folgenden die Erfahrungen der befragten jungen Erwachsenen in diesen Bereichen sozialer Exklusion untersucht. In diesem ersten Auswertungsschritt bilden also die Kategorien (der sozialen Exklusion) die Grundlage der Auswertungen. In einem zweiten Auswertungsschritt wird der Frage der
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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Verteilung dieser Exklusionserfahrungen unter den jungen Frauen und Männern nachgegangen. Hier bilden die Personen die Auswertungsgrundlage. Gibt es Häufungen oder gar Syndrombildungen sozialer Exklusion im Untersuchungssample? Gleichzeitig wird damit die erste Vorarbeit, die dieser Arbeit zugrunde liegt, durchgeführt (vgl. Kapitel 5).
Interdependenz
Soziale Isolation Für die Frage, wo und in welchem Ausmaß die jungen Erwachsenen sozialer Isolation unterliegen, wurden alle Interviews nach Aussagen zu familialen Beziehungen/Netzwerken sowie zu Freundschafts- und Peerbeziehungen ausgewertet. Zugleich ging es darum, Aussagen zu tatsächlichen Vereinzelungs- und Rückzugstendenzen zu finden. Insbesondere bei den Erzählungen zu Freundschafts- und Peerbeziehungen spielten in der Auswertung die sozial-räumliche Verankerung und der Status der Bezugspersonen eine große Rolle. Das Unterstützungspotential der Familie hinsichtlich arbeitsloser Jugendlicher und junger Erwachsener ist besonders in vergleichenden Europastudien untersucht und beschrieben worden. So fangen familiale Netzwerke vor allem in südeuropäischen Ländern – u. a. auch in Ermangelung staatlicher Unterstützungsleistungen – den sozialen Aus- und Abstieg Jugendlicher und junger Erwachsener vielfach auf (Kieselbach 2001;et al. Kieselbach, Beelmann 2003; Walther 2002b). Aber auch in Ländern wie Deutschland, in denen staatliche Transferleistungen und ein breites Maßnahmenangebot die Folgen von (lang anhaltender) Jugendarbeitslosigkeit abfedern sollen, spielt die Familie eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, sozialer Exklusion vorzubeugen (Kieselbach, Beelmann 2003). Die Herkunftsfamilie bietet dabei nicht nur die Möglichkeit, materielle Unterstützung zu leisten, sondern kann vor allem auch emotionalen Rückhalt bieten und damit ein Abgleiten in (weitere) soziale Ausgrenzung verhindern. Vor diesem Hintergrund ging es zunächst darum, die Aussagen der Jugendlichen zur Herkunftsfamilie zu betrachten. Augenfällig wird hierbei eine Gruppe von jungen Erwachsenen, die bereits seit der Kindheit von Problemen mit den Eltern bzw. Pflegeeltern berichtet. In einzelnen Fällen (3) führte das dazu, dass sie über den gesamten Zeitraum ihrer Kindheit und Jugend bzw. in wiederkehrenden Abständen im Heim aufgewachsen sind.
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8 Ergebnisse So bei Mario: Mario: „Also geboren bin ich in Grimma und Eltern ja, bin halt mit drei oder mit dem fünften Lebensjahr, glaube ich, ins Heim gekommen. Weil sich halt meine Mutter mit meinem Vater nicht verstanden hat. Mein Vater hat dann einen Heimantrag gestellt und halt ins Heim und dann, da war ich glaube ich, also ich bin zwischenzeitlich halt - ich war glaube ich bin insgesamt 10 Jahre im Heim gewesen. Ja, ungefähr 10 Jahre im Heim und dann bin ich halt zwischenzeitlich immer, gab es mal Zeiten, da bin ich halt mal für ein halbes Jahr nach Hause und dann wieder rein und, weil es zu Hause halt nicht geklappt hat, da hat halt meine Mutti einen neuen Freund kennen gelernt, hat gesagt, ja, der ist gut und ja. Im Endeffekt hat sich es wieder anders rausgestellt, sondern doch nicht so, sondern wieder Wamse gekriegt (…), halt wieder ins Heim und dann bin ich hier nach Leipzig (…).“ (02-004, 22 Jahre)
Ein immer wieder genannter Grund für das schlechte Verhältnis, sowohl in der Kindheit und Jugend als auch aktuell, ist die Alkoholabhängigkeit eines oder beider Elternteile. So berichtet Mirko, dass sich die Alkoholsucht seines Stiefvaters über Jahre hinweg aufgebaut hat und so auch Einfluss auf das Verhältnis zu ihm hatte. Mirko: „Ja, es ist so er (der Stiefvater – B.R.) hat die Familie ernährt, der war halt arbeiten und meine Mutter war zu dem Zeitpunkt Hausfrau: Und er hat halt auch getrunken, also viel getrunken, aber konnte sich so die ersten 10 Jahre, so bis ich 13 war, zusammenreißen. Also es war immer so in Maßen. Und dann hat er getrunken, immer weiter, immer weiter und da ist er halt immer ausgeflippt. Hat keinen geschlagen oder so, bloß immer dumm rumgequatscht. Na meine Mutter, 2001 hat sie sich jetzt von ihm trennen lassen. (…) Und mit dem hatte ich noch über längere Zeit Kontakt gehabt, aber jetzt höre ich gar nichts mehr und gehe mal davon aus, dass die Abfindung verbraucht ist. Naja, nicht gekümmert oder selbst wenn er sich gekümmert hätte, er ist total abgerutscht. Er hat halt die Charakterstärke nicht.“ (02009, 19 Jahre)
Auch Dennis, René und Ralf berichten von der Alkoholabhängigkeit ihrer Eltern. Dennis: „So in der Drehe rum, ja. Und da fing das ganze Theater eigentlich bei uns zu Hause an, weil mein Vater war oder ist immer noch schwer alkoholabhängig.“ (02-005, 25 Jahre) René: „Weil wo er noch Maurer war, da hat, da haben sich ja meine Eltern gestritten, weil mein Vati kam immer jeden Tag besoffen nach Hause und na ja, die Mutti hat sich das eine Weile angeguckt und ich habe das auch alles mit angesehen (…)“ (01-005, 22 Jahre)
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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Ralf: „(I: Sind deine Eltern tot?) Ja. Alle beide. (…) meine Eltern haben auch geraucht und so, und da gab es auch schon öfters Streit und Zoff und mein Vater hat schon öfters an der Flasche gehangen. Meine Mutter auch.“ (01-004, 25 Jahre)
Eine Reihe von jungen Erwachsenen im Sample berichten von Erfahrungen häuslicher Gewalt, die sich zum Teil ausschließlich auf die Eltern untereinander beschränkt, zum Teil aber auch die Befragten selbst betraf. Oftmals handelte es sich um neue Lebenspartner der Mutter, die diese Gewalt verübten. Miriam: „Meinen richtigen Vater kenne ich fast gar nicht. (…) Meine Mutter hat irgendwann einen anderen Vogel geheiratet, sage ich jetzt mal. Das war wirklich ein Vogel. (…) Das ging dann damit los, dass er angefangen hat, uns zu schlagen. Ohne Grund. Das war immer nett. Im Zimmer gesessen, nichts geahnt, musste man rüber. Da gab es diese alten DDR-Hauslatschen, die haben ziemlich gezogen.“ (02-002, 23 Jahre)
Als ein extremes Beispiel häuslicher Gewalt und häuslichen Missbrauchs muss die Erzählung von Yvonne gelten, deren Erfahrungen dazu führten, keinerlei familiales Netzwerk zu besitzen und die letztlich sogar eine Traumatisierung hervorgerufen haben. Yvonne: „Also ich weiß nicht wer meine Mutter ist, ich weiß auch nicht wer mein Vater ist so richtig. Na und irgendwann bin ich mal adoptiert worden. Und ich muss aber ganz ehrlich sagen, ich lege überhaupt keinen Wert drauf meine Mutter zu kennen. Aber meine Adoptivmutti ist meine Mama. Also echt. Mein Vater, den könnte, na ja, sagen wir mal nichts dazu. Weil, der übelst, also man denkt ja immer, dass man, wenn man schon was hinter sich hat, in eine Familie rein kommt, dass auch eine Familie ist, wo Probleme so nicht wieder auftauchen. Aber ich sage mal, wenn du früh aufstehst und nach einer Stunde das Haus verlässt, irgendwann um fünf wieder da bist und um sechs das Haus verlässt, damit du bis um eins arbeitest, damit du nicht zu Hause bist. Nur damit du nicht zu Hause bist, weil du Angst hast, wenn du nach Hause kommst, dass dein Vater wieder rumfliegt oder was. Immer diese Angst nach Hause zu kommen. Du wusstest nicht was Sache ist und das hat man ihm schon angesehen, der saß auf dem Sofa und hat eine Gusche gezogen. Der hat mit keinem geredet, das ging eine Stunde so. Und dann ist der explodiert, ist gleich rot geworden, kam aus der Garage wieder, hat noch was getrunken und dann hat er meine Mutter fertig gemacht. (…) Ich weiß aber, dass ... ich habe mich immer so an meinen Vater rangekuschelt und irgendwann saß ich mal auf dem seinen Schoß und da fing der damit an. Und ich habe aber gedacht, irgendwie ist das komisch. Ich weiß nicht wie alt ich da war, acht, ich weiß es nicht. Und ich habe mich aber immer wieder hingesetzt und ich weiß nicht ... der war dann auch anders und ... dann einmal lag ich im Kinderzimmer hatte mein Betttuch weggeklappt, hatte gelesen, und der
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8 Ergebnisse kam in mein Kinderzimmer und wollte das wieder machen und da habe ich etwas lauter gesagt, er soll das lassen. Seitdem hat der mich auch nie wieder angegriffen, aber seitdem habe ich auch kein gutes Verhältnis mehr zu dem. Das ist krass.“ (01007, 20 Jahre)
In allen Fällen, in denen in der Kindheit und Jugend überwiegend schlechte Erfahrungen im Verhältnis zu den Eltern gemacht wurden, existiert auch zu den Zeitpunkten der beiden Interviews keine veränderte Situation, so dass diese jungen Frauen und Männer nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen können, dass es ihnen materiell und emotional ermöglichen würde, die Folgen lang anhaltender Arbeitsmarktexklusion oder anderer Aspekte sozialer Ausgrenzung abzufedern. Auf der anderen Seite gibt es im Sample eine Gruppe, die grundsätzlich gute Erfahrungen des Aufwachsens mit den Eltern in der Kindheit und Jugend hatte, die höchstens durch altersspezifische Auseinandersetzungen in der Phase der Pubertät gekennzeichnet waren. Susanne, Tobias und Manja schätzen ihr Verhältnis zu den Eltern in der Zeit des Aufwachsens als überwiegend positiv ein. Susanne: „Mein Verhältnis war eigentlich immer gut zu meinen Eltern. Es gab halt mal Zeiten, da habe ich mich mit meinem Vater besser verstanden als mit meiner Mutter. Und dann war es mal andersherum. (...) Aber wir hatten eigentlich immer ein gutes Verhältnis ... egal was war.“ (02-007, 20 Jahre) Tobias: „Na, doch, also ich habe zu Hause eigentlich keine Probleme gehabt, aber ich wollte halt doch mal raus. Das hat mich einfach gelockt. (...) Also, ich hatte eine behütete Kindheit (…).“ (01-002, 21 Jahre) Manja: „Ich versteh mich mit meiner Mutter halt besser. Mein Bruder und ich verstehen uns überhaupt mit meiner Mutti viel besser als mit meinem Vater. Die ist fast so eine Bezugsperson ist die für mich so. Weiß ich nicht warum. Aber ist dann einfach so.“ (01-003, 18 Jahre)
In einzelnen Fällen, in denen von schlechten Beziehungen zu den Eltern berichtet wurde und in denen die Betroffenen aktuell nicht auf ein elterliches Netzwerk zurückgreifen können, haben Großeltern diese Funktion übernommen. Mike: „(…) da hat mich meine Mutter zu meiner Oma gegeben. Damit ich halt nicht ins Heim muss und so`n Scheißdreck. Wie gesagt ich war halt kein Bösewicht oder so. (…) (I: Und deine Oma? Arbeitet die noch?) Nö, die ist Rentnerin. Die unterstützt mich auch noch ein bissel.
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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(I: Wohnst du offiziell noch bei ihr?) Ja, ich bleibe auch dort gemeldet, weil das ist einfach günstiger. Keine eigene Wohnung, muss ich nichts bezahlen.“ (01-006, 24 Jahre)
Es lässt sich feststellen, dass es im Sample eine Reihe junger Frauen und Männer gibt, die über kein familiales Netzwerk verfügen, auf das sie regelmäßig zurückgreifen können. In diesen Fällen gab es bereits in der Zeit des Heranwachsens sehr umfangreiche Probleme im Verhältnis zu den Eltern. Vereinzelt existiert überhaupt kein Kontakt zu den Eltern mehr. In den Fällen, in denen die jungen Erwachsenen über ein insgesamt – und von wenigen Phasen abgesehen – positives Verhältnis zu den Eltern während ihrer Kindheit und Jugend berichten, lässt sich feststellen, dass auch zum Zeitpunkt der Interviews, zu dem die meisten Befragten bereits das Elternhaus verlassen haben, gute und intensive Kontakte zu den Eltern bestehen. Die Eltern, bzw. familiäre „Ersatzpersonen“, fungieren als wichtige Bezugspersonen und unterstützen die Befragten einmal finanziell (entsprechend der eigenen Möglichkeiten), sind aber auch emotionale Ratgeber. Trotz der Bedeutung der Familie als Unterstützungsnetzwerk treffen an dieser Stelle widersprüchliche Entwicklungen in den aktuellen Lebensphasen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufeinander. Unabhängig von der Intensität und der Güte der Beziehungen zu den Eltern befinden sich die jungen Frauen und Männer an einem Punkt, an dem die Ablösung von der Herkunftsfamilie eine wichtige Entwicklungsaufgabe darstellt (Havighurst 1948; Dreher, Dreher 1985a; Hurrelmann 1990). Insofern bietet die Familie einen möglichen Schutz vor zunehmender sozialer Exklusion, sollte aber auch immer weniger durch den Betroffenen in Anspruch genommen werden. In die Zeit der Ablösung von der Herkunftsfamilie fällt auf der anderen Seite der Aufbau von dauerhaften Partnerund Freundschaftsbeziehungen. Diese können gleichfalls ein Netzwerk bilden, das im positiven Fall den Unterschied zwischen sozialer Exklusion und sozialer Inklusion ausmachen kann. Callies hat diesen Punkt der sozialen Isolation bzw. der sozialen Einbindung bei der Frage nach dem Vorhandensein sozialer Exklusion explizit hervorgehoben. „Bezöge sich der Exklusionsbegriff allein auf die Kriterien Armut und Arbeitslosigkeit, wären die Ausgegrenzten bzw. Exkludierten in weiten Teilen identisch mit jenen Personen, die dem gesellschaftlichen Unten oder dem gesellschaftlichen Rand zugeordnet werden. Mit der dritten Dimension sozialer Exklusion, dem Ausschluss von sozialen Nahbeziehungen, kommt ein Aspekt ins Spiel, der über die üblichen sozialstrukturellen Bestimmungsfaktoren hinausgeht“ (Callies 2004: 22).
Wie gestalten sich die Peerbeziehungen der jungen Erwachsenen? In den Interviews wurde bei der Beantwortung dieser Frage besonders darauf geachtet, ob
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8 Ergebnisse
ein fester Freundeskreis existiert, welchen Erwerbsstatus der überwiegende Teil der Freunde hat, ob die Freunde hauptsächlich aus dem segregierten Wohngebiet stammen und welche Entwicklungen hinsichtlich der Anzahl und Qualität des Freundeskreises zu beobachten sind. Die Mehrheit der befragten jungen Frauen und Männer berichtet von Freundschaftsbeziehungen oder Cliquen, mit denen sie Kontakte haben und die zum Teil bereits seit Jahren bestehen. Dabei werden die gemeinsamen Aktivitäten meist mit „gemeinsam abhängen“, „in Klubs oder Kneipen aufhalten“ beschrieben. So schildert es Robert mit „Bier trinken, unterhalten. Über irgendwelche Themen unterhalten“ (02-0014, 19 Jahre). Speziell für die Befragten aus dem Leipziger Osten wird deutlich, dass sich der Freundeskreis hauptsächlich aus Personen zusammensetzt, die auch im Gebiet des Leipziger Ostens wohnen. Zudem werden gemeinsam vor allem Orte und Einrichtungen im Leipziger Osten besucht. Olaf: „(I: Die Freunde sind auch meistens hier aus dem Viertel?) Ja, die sind komplett aus dem Viertel. Vielleicht mal welche aus Schönefeld (ein angrenzender Stadtteil – B.R.) oder so. Aber sonst.“ (02-006, 19 Jahre) Sven: „Ich bin seit 30 Jahren hier. Ich will eigentlich auch nicht weg, jetzt so hier. Ich kenne da viel zu viele Leute.“ (02-012, 30 Jahre)
Bei eher mobilen jungen Erwachsenen, die entweder nicht in dem Quartier aufgewachsen sind, in dem sie aktuell leben oder die schon mal in anderen Städten gelebt und/oder gearbeitet haben, fällt eine größere Bandbreite an Freundesbeziehungen auf. Das zeigt sich zum einen daran, dass die jeweiligen Freunde aus verschiedenen Städten und Stadtteilen kommen. Zum anderen ist der Erwerbsstatus dieser Freunde heterogener. Tobias: „Ja, hier bin ich dann auch in die Gemeinde gegangen und ich habe halt auch meine Freunde in Dresden gehabt und habe sie immer noch. (I: Der Kontakt ist immer noch da?) Ja. (I: Und hier im Stadtteil?) Na ja, ich habe mich nicht so 100% binden wollen, weil ich nicht wusste, wann ich halt wieder abhaue und woanders eine Ausbildung mache. Und da habe ich, also hier gemeindemäßig ja, da kenne ich ein paar Leute. Das geht auch so, aber nicht so richtig ... Obwohl das nicht immer richtig ist, habe ich jetzt gemerkt. Man soll die Chance, die Zeit, wo man irgendwo ist, sich auch irgendwo festmachen können.“ (01-002, 21 Jahre)
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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Betrachtet man den Bildungs- und Erwerbsstatus der Freunde der befragten jungen Erwachsenen, fällt auf, dass diejenigen, die selbst bessere Schulabschlüsse aufweisen häufiger Kontakt zu Gleichaltrigen haben, die bessere Schulabschlüsse besitzen und die über eine Berufsausbildung verfügen bzw. aktuell eine Berufsausbildung machen. So berichtet Richard, der zwar selbst zum Zeitpunkt des ersten Interviews in keiner Ausbildung ist, aber über ein Abitur verfügt, über seine Kontakte zu Freunden, die verschiedene Studiengänge an der Universität begonnen haben. Richard: „Die meisten sind in Leipzig, studieren da oder machen eine Lehre. Die machen auch in Leipzig alles zusammen. Wochenende fährt man da mal nach Leipzig. Weil meistens treffen wir uns ja im Jugendklub hinten. Seit der Schulzeit, ´94, ´95.“ (03-003, 22 Jahre)
Auf der anderen Seite finden sich im Freundeskreis häufiger von Arbeitslosigkeit betroffene junge Erwachsene bei denjenigen Befragten, die selbst nur schlechte Schulabschlüsse aufweisen und von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Barbara: „Weil viele Freunde von mir, da weiß ich, die wollen gar nicht arbeiten. Den reicht die Sozialhilfe. (…) Ja, aber die Einstellung ist, ich kriege 1200 Mark9 Sozialhilfe, warum soll ich dann arbeiten gehen.“ (01-001, 27 Jahre)
Finden junge Frauen und Männer aus dem Freundeskreis der Befragten Arbeit oder Ausbildung führt das oftmals dazu, dass sich die Kontakte zwischen ihnen entweder verringern oder gänzlich auflösen. In den meisten Fällen wird das auf den Ortswechsel zurückgeführt, den die Freunde für ihre neue Arbeits- oder Ausbildungsstelle in Kauf genommen haben. Das führt dazu, dass sich der Freundeskreis zum einen dezimiert, zum anderen zunehmend auf diejenigen beschränkt, die keinen Erfolg bei der Arbeitssuche oder der Suche nach einer Lehrstelle haben, also eine Homogenisierung der Bezugspersonen im Freundeskreis stattfindet. Robert: „Freundeskreis habe ich noch. Aber ich bin halt nicht mehr so oft dabei, früher haben wir uns tagtäglich alle getroffen und so. Aber jetzt gehen ja zum größten Teil alle so gut wie arbeiten. Von da her treffen wir uns auch nicht mehr so großartig.“ (02-014, 19 Jahre)
9 Trotz der Einführung des Euro ab dem 1.1.2002 sprechen die Jugendlichen an verschiedenen Stellen von Mark.
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8 Ergebnisse Richard: „(I: (…) Die haben studiert o. Ä. Hast du da jetzt auch noch Kontakt?) Also so, naja, zu ein paar noch. Also so Kontakt eigentlich so, naja, gelegentlich. (…) Aber dadurch, dass ich, wie gesagt, bloß halt meine Freundin hab besucht und der Rest von den Leuten, das ist mir nicht so. Ist nicht mehr so mein Ding. Da kann man jedenfalls mit den meisten nichts mehr anfangen. (…) Die haben irgendwie sich nicht wirklich weiterentwickelt. Die stehen genau auf dem gleichen Standpunkt wie vor vier, fünf Jahren.“ (03-003, 22 Jahre)
Am Beispiel von Richard wird deutlich, dass auch die eigene Familiengründung dazu führen kann, dass sich Freundschaftsbeziehungen auflösen. In diesem Fall scheint es aus Richards Sicht nicht möglich, das studentische Milieu seiner Freunde mit dem Aufbau einer familialen Partnerschaft, in der er die Verantwortung für das behinderte Kind seiner Freundin übernommen hat, zu vereinbaren. Insofern können auch Veränderungen in den Peerbeziehungen konstatiert werden, die keine negativen Folgen aufgrund des Zurückgeworfenseins auf ein einseitiges benachteiligtes Milieu nach sich ziehen, sondern bei denen anstelle der alten Peerbeziehungen wieder neue aufgebaut werden. In diesem Sinne ist in einzelnen Fällen die Veränderung der Peerbeziehungen das Resultat einer Ablösung aus – im weitesten Sinn – jugendkulturellen Szenen, mit denen die Befragten (zumindest vordergründig) nichts mehr zu tun haben möchten. Ralf: „(I: Du hast ja erzählt, du hast dich so ein bisschen gelöst von deinen Punkfreunden.) Fahre auch gut damit. (I: Hast du auch keine Kontakte mehr weiter?) Nein. (…) Na einige im Bau. (…) Ich kann dazu nichts weiter sagen. Ich mache mein eigenes Ding halt. (I: Hast du jetzt irgendwie einen anderen Freundeskreis oder überhaupt einen Freundeskreis?) Ja, habe ich. (I: Was machen die so?) Auch so mal hier und dort mal arbeiten. Zusätzlich Geld verdienen. So, ansonsten sind sie auch zu Hause ein bisschen dies und das, ausquatschen (…), Partys vielleicht mal.“ (01-004, 25 Jahre) André: „(I: (…) Ihr hattet doch früher immer enge Kontakte nach Leutzsch (zur dortigen rechten Szene – B.R.).) Na ja, viele sind im Knast, wo soll man sonst hin. Bringt nichts mehr.(…) Ich habe dafür früher gerade gestanden und jetzt mach ich mein eigenes Ding. (…) Das ist auch schwierig mit Kindern. Wenn man alleine wäre, wär’s vielleicht was anderes, aber man muss Rücksicht auf die Kinder nehmen.“ (01-001, 21 Jahre)
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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Neben den beiden sich bisher herauskristallisierenden Hauptgruppen, einmal diejenigen, die in ihren Peerbeziehungen auf ein homogenes, benachteiligtes Milieu beschränkt sind und diejenigen, die zwar heterogene Peerkontakte haben, die sich jedoch im Zeitverlauf verringert haben, wird im Sample eine dritte Gruppe sichtbar, in der Vereinzelungstendenzen sichtbar werden. Sie umfasst junge Frauen und Männer, die in den Interviews entweder von nicht vorhandenen Peerbeziehungen berichten oder lediglich Kontakte zum Lebenspartner haben. Es sind dies junge Erwachsene, die auch auf keinerlei familiale Netzwerke zurückgreifen können. Insofern handelt es sich hier tatsächlich um eine zunehmend sozial isolierte Gruppe junger Frauen und Männer. Die betroffenen jungen Frauen und Männer berichten in ihren Interviews mehr oder weniger explizit von Vereinzelungstendenzen. Offensichtlichstes Indiz dafür ist ein nicht vorhandener Freundeskreis. Mario: „Ich kenne keine Privatleute weiter. (…) habe mich halt sehr abgekapselt und wollte halt keinen Kontakt mehr zu anderen Leuten. Das ist aber vielleicht auch im Endeffekt besser.“ (02-004, 22 Jahre)
Bei zwei jungen Frauen im Sample, die beide Kinder haben, äußert sich das Vorhandensein von Tendenzen sozialer Isolation einmal durch das Fehlen eines eigenen Freundeskreises, aber auch durch eine starke Einschränkung ihres Aktionsradius, der fast ausschließlich aus der eigenen Wohnung besteht. Im Hinblick auf die soziale Isolation, die neben der Arbeitsmarktexklusion einen wichtigen Aspekt für die Antwort auf die Frage darstellt, ob eine Person tatsächlich sozial ausgegrenzt ist, lassen sich unterschiedliche Erfahrungen der jungen Erwachsenen feststellen. Diese wurden anhand ihrer Erzählungen zu den familialen und Freundesnetzwerken interpretiert. Bezogen auf das Vorhandensein familialer Netzwerke berichtet die Mehrzahl der befragten jungen Frauen und Männer, dass sie auf ein derartiges Netzwerk nicht zugreifen können. In diesen Fällen waren die Beziehungen zu den Eltern bzw. zu einzelnen Elternteilen bereits seit der Kindheit gestört. Eine zweite Gruppe, die die Minderheit im Sample darstellt, sieht in den Eltern oder anderen Verwandten nach wie vor eine Ressource, auf die auch in Notfällen zurückgegriffen werden kann. Das meint vor allem den materiellen Bereich bezieht sich aber ebenso auf die emotionale Unterstützung der jungen Frauen und Männer. Die Aussagen zu den Peerbeziehungen lassen die Unterscheidung dreier Gruppen deutlich werden. Eine erste Gruppe berichtet von sehr heterogenen Freundeskreisen, wenn man den Ausbildungs- und Erwerbsstatus sowie die Wohnorte betrachtet. Dies hängt zum einen vom eigenen Bildungsstatus (besonders der Art des Schulabschlusses), zum anderen von der eigenen Mobilität der
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Befragten ab. Eine zweite Gruppe, deren Vertreter selbst meist über schlechte Bildungsabschlüsse verfügen, hat häufiger Kontakte zu Gleichaltrigen, die ebenfalls arbeitslos sind, z. T. keine Ausbildung haben. Hier fällt zugleich eine große Immobilität auf. Der Freundeskreis konzentriert sich auf das eigene Wohnquartier, das durch verschiedene Problemlagen gekennzeichnet ist. Die dritte Gruppe muss hinsichtlich der Prozesse sozialer Exklusion als besonders vulnerable Gruppe gelten. Es handelt sich dabei um junge Frauen und Männer, die bereits starke Tendenzen zur sozialen Isolation aufweisen. Diese äußern sich vor allem im Fehlen von Peerbeziehungen. Zum Teil sind das Ergebnisse eines bewussten Rückzugs der Jugendlichen, der auf Selbstexklusionsprozesse schließen lässt. In Einzelfällen lässt sich ein Rückzug in den rein häuslichen Bereich beobachten, der dazu führt, dass die Betroffenen kaum noch im öffentlichen Raum, sondern lediglich zu Hause anzutreffen sind. Neben den Aspekten der Interdependenz, die vorstehend behandelt wurden, bilden auch die Möglichkeiten und Ausprägungen von Partizipation eine Grundlage für Inklusion bzw. Exklusion. Die Erfahrungen der befragten jungen Erwachsenen bezogen auf die gesellschaftliche Teilhabe werden nachfolgend näher beleuchtet.
Partizipation
Materielle Ausgrenzung Der ökonomische Status einer Person hat einen entscheidenden Einfluss auf die Möglichkeiten der Teilhabe innerhalb einer Gesellschaft. So wird Armut (hier tatsächlich monetär verstanden) neben dem Ausschluss vom Arbeitsmarkt oftmals als zentrales Kriterium („wesentliche und notwendige Komponente von sozialer Ausgrenzung“ Kohli 1999: 114) für soziale Exklusion verstanden. So wurden die Interviews dahingehend ausgewertet, ob die jungen Erwachsenen Armutserfahrungen haben oder ob sie trotz der anhaltenden Exklusion vom Arbeitsmarkt und dem damit fehlenden Erwerbseinkommen andere Wege gefunden haben, einen ausreichenden bis guten ökonomischen Standard zu erlangen. Dazu wurden in den Erzählungen der jungen Frauen und Männer die Aussagen zu Einkommen/Transfereinkommen ausgewertet sowie Erfahrungen mit Schwarzarbeit. Eine Frage hierbei war auch die Kombination verschiedener Einkommensquellen, um den Lebensstandard zu sichern. Einen wichtigen Aspekt bilden auch die Angaben einiger junger Erwachsener zu Verschuldungen,
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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die die materielle Situation zusätzlich negativ beeinflussen. Es wurden die Einschätzungen der Befragten zu ihrer finanziellen Situation betrachtet. Eine Reihe der befragten jungen Erwachsenen bezieht Transfereinkommen. Da die meisten Befragten im Sample noch keiner normalen Erwerbstätigkeit nachgegangen waren, hatten sie auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. Vereinzelt hatten die jungen Erwachsenen durch eine einjährige ABM einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben oder dadurch, dass sie nach einer betrieblichen Ausbildung arbeitslos geworden waren. Von ihnen bezogen die meisten zum Zeitpunkt des ersten Interviews bereits Arbeitslosenhilfe. Sebastian: „Ich wohne jetzt noch bei meinen Eltern, weil ich mir im Moment nicht finanziell eine Wohnung leisten kann. Ist ja klar, wenn man arbeitslos ist. Ich kriege jetzt auch Arbeitslosenhilfe.“ (03-002, 23 Jahre)
Die jungen Erwachsenen, die schon einmal Arbeitslosengeld erhalten haben, machen zumeist die Erfahrung eines immer weiteren ökonomischen Abstiegs. Sie erhalten ein Jahr Arbeitslosengeld, fallen danach in die Arbeitslosenhilfe und müssen danach wiederum Sozialhilfe beantragen. Einzelne junge Frauen und Männer lehnen es allerdings bewusst ab, Sozialhilfe zu beantragen. So zum Beispiel Steffen: Steffen: „(I: Wie hast du dann diese Zwischenzeit finanziert?) Eltern. (I: Und Sozialamt? Warst du da mal und hast Sozialhilfe beantragt?) Ne. Ne, will ich nicht.“ (02-008, 20 Jahre).
Zwei der befragten jungen Frauen, die gleichzeitig Mütter sind, beziehen ihren Unterhalt aus einer Mischfinanzierung staatlicher Leistungen (Erziehungsgeld bzw. später Kindergeld und Sozialhilfe). In den Interviews berichtete Alternativen oder zusätzliche Einkommen zum staatlichen Transfereinkommen sind für einen erheblichen Anteil der Jugendlichen Schwarzarbeit für einen sehr geringen Teil das Betteln. Steffen: „Und na ja, sind wir rumgelaufen und haben Schrott gesammelt. Kupfer, Metall und haben uns nebenbei was verdient.“ (02-008, 20 Jahre) Michael: „ (…) sitze ich halt wieder auf der Straße. Muss mich so durchboxen. Mit malern, mit kellnern, alles was so anfällt. (I: Also so Nebenjobs unter der Hand.) Richtig. Weil anders überlebst du das nicht. Ganz einfach.“ (02-010, 25 Jahre)
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Richard arbeitet bei seinem Vater, der als Hausmeister für eine Reihe von Wohnungen verantwortlich ist. Er renoviert dort wieder zu vermietende Wohnungen und finanziert sich auf diese Weise. Richard: „Ne. Offiziell habe ich keins (ein Einkommen – B.R.). (…) Ja, so, also ich bin meistens ein-, zweimal im Monat in München unten. (…)Wenn ich, abgesehen vom Geld für das hin und her fahren, die 14 Tage, drei Wochen unten bleiben würde, dann wäre es im Endeffekt ein bisschen weniger als ich in Regensburg hatte (Zeitarbeit bei BMW – B.R.). Von daher, na ja es ist wesentlich mehr als wenn ich jetzt hier irgendwo Kisten einpacken oder sowas arbeiten würde. Wenn ich da drei Wohnungen unten mache, der Kostenvoranschlag, da biste locker bei 8000 Mark. Am Ende habe ich da in der Woche 4000 Mark.“ (03-003, 23 Jahre)
Mario, Dennis und Ralf berichten davon, eine Zeit lang ihr Einkommen mit Betteln entweder aufgestockt zu haben (z. T. noch tun) bzw. es als einzige Möglichkeit für den eigenen Unterhalt eingesetzt zu haben. Dennis: „(…) ich gehe im Moment schnorren und so. Das ist die einzigste Möglichkeit, wie ich noch extra zu Geld komme. Die einzigste vernünftige Möglichkeit denke ich mal, bevor ich klauen gehe, weil ich habe genug in den letzten zwei Jahren Blödsinn verzapft, mit Klauen gehen und allen Möglichen.“ (02-005, 25 Jahre) Ralf: „Da war das auch so üblich, weil klauen wollteste auch nicht immer, und da hast’ dich halt hingestellt, haste mal ne Mark und so. Gehört halt zum Lebenslauf. (I: Und hat das geklappt?) Ja, das hat geklappt. Nicht gleich, wenn du neu bist. Also man muss ja schon dazu gehören. Da wird schon da der Weg gezeigt eben. Da erst mal (...) da haste erst mal schwer Kontakt. Das ist normal, glaube ich.“ (01-004, 25 Jahre)
Bereits die vorstehend berichteten Erfahrungen machen mehrheitlich deutlich, dass es für die jungen Erwachsenen häufig schwierig ist, den Lebensunterhalt zusammenzubekommen. Eine finanzielle Rücklagenbildung, um in besonders schwierigen Situationen (z. B. wenn Anträge auf Transfereinkommen länger bearbeitet werden) dem sofortigen Abrutschen in Armut vorzubeugen, ist von den jungen Frauen und Männern nicht zu realisieren. Im Gegenteil gibt es einen hohen Anteil, die von Schulden berichteten. Die Höhe der Schulden ist dabei sehr unterschiedlich. Allerdings spielt hier das subjektive Empfinden eine große Rolle, wann Schulden tatsächlich als Belastung interpretiert werden. Konstantin spricht beim Thema Schulden von relativ kleinen Beträgen, die er bei Personen aus dem nahen Umfeld hat und nicht bei Banken o. Ä.
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Konstantin: „Ich habe bei meinem besten Freund 50 Euro offen. Der hat aber gesagt, gib mir wie du es hast, weil er gerade Arbeit hat und ich nicht. Der kennt meine Situation. Und bei meinen Eltern habe ich glaube ich 70 Euro offen. Das ist was Älteres.“ (02-003, 25 Jahre)
Wieder andere Befragte aus dem Sample berichten von sehr hohen Schulden und die Möglichkeiten, die Schulden zu tilgen. Sven: „Und dadurch habe ich auch die Wohnung verloren, weil ich konnte ja keine Miete bezahlen. (…) Weil insgesamt 15000 DM mit Mietschulden. Durch die Firma habe ich ungefähr 10000 Euro minus. (…) Hm, Kassenbuch ist ja ganz einfach. Man hat Eingänge und Ausgänge geschrieben. Und Kontobewegung hatte ich ja keine. Ich hatte alles bar. Weil ich hatte ja Schulden auf der Sparkasse. 20000 Mark. (I: Woher kamen die?) Na das war 90, wo sie noch keine Computer hatten. Da ist man hingegangen mit dem Auszahlungsschein. 400 Mark. Eine Stunde später wieder hin mit 400 Mark. Ja, ich sag mal so krass, da habe ich dann mein Konto überzogen mit 20000 Mark.“ (02-012, 30 Jahre)
Neben dem von Sven berichteten Beispiel sehr hoher Schulden, die vorrangig durch Betrug und einen gescheiterten Versuch, eine eigene Firma aufzubauen herrühren, haben einige Befragte von Schulden berichtet, die durch Handyrechnungen bei einer Vielzahl verschiedener Handyverträge sowie durch das Bestellen im Versandkatalog entstanden sind. Sie alle sind noch nicht entschuldet und zahlen von ihren – häufig geringen – Einkünften ihre Schulden ab. Betrachtet man das Sample, zeigt sich, dass der Großteil der Befragten nur ein geringes materielles Auskommen hat, das in den meisten Fällen aus staatlichen Transferzahlungen (v. a. Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, finanzielle Hilfen für eigene Kinder) besteht. Diejenigen, die geringere finanzielle Probleme haben, finanzieren sich entweder ausschließlich oder zusätzlich durch (meist) illegale Tätigkeiten (z. B. Schwarzarbeit). Die Einschätzungen der jungen Erwachsenen über das Auskommen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Finanzen fallen dementsprechend unterschiedlich aus. Allerdings gab es keine Aussagen, die eine besondere Zufriedenheit mit den eigenen Finanzen aufwiesen. So weist Yvonne darauf hin, dass ohne eine Unterstützung der Oma ihres Freundes kaum ein Auskommen mit dem zur Verfügung stehenden Geld möglich wäre: Yvonne: „106 Euro im Monat und dann das, was ich jetzt arbeite. Je nach dem wie viele Stunden. (I: Und wie macht ihr das dann so?) Ne Woche von meinem Geld leben. Dann Oma.“ (01-007, 20 Jahre)
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Ihr Lebensgefährte versucht, die prekäre Situation abzuschwächen. Mike: „Na, wir haben nicht viel Geld, wir sind nicht reich, aber ich habe abends immer einen vollen Bauch und eine warme Wohnung. Das geht schon. Ich sage mal, wenn ich die Y. (01-007) nicht hätte, wäre es dann schon noch ein bisschen komplizierter. Aber das geht schon.“ (01-006, 24 Jahre)
Dass sich ihre ökonomische Situation eher prekär gestaltet, verdeutlichen auch folgende Aussagen: Olaf: „(I: Wie kommt Ihr so hin finanziell?) Nicht gut. Also es reicht vorn und hinten nicht. Wenn wir jetzt nicht die Eltern hätten, würden wir irgendwie was anderes machen.“ (02-006, 19 Jahre) Miriam: „Na, da hat noch ein Kunde bei uns geschlafen, die Woche, weil seine Eltern weggefahren waren und der hatte von seiner Tante noch was gekriegt ... und der hat uns auch noch geholfen. Der hat von sich zu Hause noch Zeug mitgebracht, sonst hätten wir die zwei Wochen nicht überlebt.“ (02-002, 23 Jahre)
Politisch-institutionelle Ausgrenzung Ein weiterer Aspekt sozialer Exklusion, der im Folgenden betrachtet werden soll, ist die Frage nach der Teilhabe im politisch-institutionellen Bereich. Eine politisch-institutionelle Ausgrenzung ist dabei für die Befragten eher graduell verschieden erwartbar gewesen. Im Sample befanden sich keine Personen, denen politische und soziale Rechte von vornherein verweigert werden, weil sie keine entsprechende Staatsbürgerschaft aufweisen können. Es geht hier vielmehr darum, zunehmende Einschränkungen staatlicher Schutzrechte sowie staatlich institutioneller Leistungen aufzuspüren. Verringern sich, immer aus Sicht der Betroffenen selbst, Handlungsoptionen, weil die Gatekeeper bestimmter Institutionen den Befragten eher Wege verschließen als sie zu öffnen? Gleichfalls ist die politische Teilhabe ein Gradmesser tatsächlicher und wahrgenommener sozialer Prekarität und Exklusion. In die Interviewauswertungen flossen für diese Frage die Erfahrungen und Kontakte mit Ämtern (besonders dem – damals noch unter diesem Namen fungierenden – Arbeitsamt), aber auch zu anderen öffentlichen Einrichtungen (z. B. der Jugendhilfe) ein. Im Hinblick auf die politische Teilhabe wurde vor allem die Wahlbeteiligung betrachtet, aber zugleich auch politische Äußerungen und Ansichten.
8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion
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Die jungen Erwachsenen aus dem Sample, die Kontakte zum Arbeitsamt haben, berichten überwiegend von negativen Erfahrungen, die sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort hatten. Sie fühlten sich als Person kaum wahrgenommen, kaum unterstützt, sondern eher als Last. Individuelle Vorstellungen (soweit vorhanden) wurden, wenn überhaupt, nur auf wiederholte Initiative der jungen Frauen und Männer in die Zukunftsplanungen einbezogen. Eine Reihe von Aussagen unterstreicht das: Susanne: „Musste mich aber auf dem Arbeitsamt melden und alles. Die haben mir da Dinge erzählt, was nicht so schön war. (I: Was haben sie erzählt?) Die haben über das Zeugnis dann noch rumgeschimpft. Dass ich die und die Arbeit nicht kriegen kann. (…) Aber so richtig geholfen haben die da nicht. Die haben einem nicht erklärt, das und das kannst du machen. Oder Vorschläge gemacht. So Alternativen wie man sagt, das könnte man weiter machen. Das kam halt nicht rüber. Ich gehe da auch nicht so gern hin.“ (02-007, 20 Jahre) Sven: „(I: Wie sind deine Erfahrungen mit dem Arbeitsamt?) Da war es schwer. Ich sag mal so, melden - gut. Mehr ist da nicht. Arbeit habe ich noch nie gekriegt.“ (02-012, 30 Jahre) Michael: „Ich würde mal eher sagen, den geht das irgendwie am Arsch vorbei, was die da so denken. Was mit den Leuten passiert halt. Warum sollen die sich einen Kopp machen. Die haben da eher zu tun gehabt, dass sie ihre eigene Arbeitsstelle behalten. Denk ich eher mal.“ (02-010, 25 Jahre) Mike: „(I: Und wie ging das eigentlich mit dem Arbeitsamt weiter (…)?) Ach, arbeitslos, 2. Arbeitsmarkt. Schicken wir sie auf den Bau. (…) Die sind schon irgendwie halt, die machen ihren Job. Rasseln ihr Blatt runter.“ (01-006, 24 Jahre) Sebastian: „Ich weiß nicht, ich halte nicht viel vom Arbeitsamt. Also, wenn man Geld haben will, da muss man tiefe Wege machen, aber wenn sie es einmal sperren, das geht übelst leicht. Das Arbeitsamt ist nicht meine Sache.“ (03-002, 23 Jahre)
In Ausnahmefällen berichten die jungen Erwachsenen von eigenen Vorstellungen, mit denen sie zum Arbeitsamt gehen und die sie dort versuchen umzusetzen. Konstantin: „Und da musste ich hin (zu einem Bewerbungsseminar – B.R.). Am Anfang habe ich getobt, aber ich habe erstens ein paar Dinge erfahren, was Praktika angeht, die 12 Wochen im Jahr muss das Arbeitsamt mir genehmigen, die ich für verschiedene Praktika verwenden kann. Und da will ich mal demnächst in der Nonnenstraße im Druckereimuseum ein belangloses 14-tägiges Praktikum machen.“ (02-003, 25 Jahre)
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Für einen Teil der jungen Erwachsenen führen die als negativ wahrgenommenen Kontakte zum Arbeitsamt zu einem sukzessiven Rückzug. Es werden eher Alternativen zur Geldbeschaffung gesucht oder der Kontakt zum Arbeitsamt beschränkt sich auf die wirklich notwendigen Besuche, um weiterhin die Transferzahlungen zu erhalten. Die Erzählungen der jungen Frauen und Männer sind dabei von einer hohen Einseitigkeit bestimmt, denn es wird zwar die individuelle Bearbeitung der Probleme eingefordert, die eigenen individuellen Voraussetzungen jedoch meist nicht thematisiert (Bildungsvoraussetzungen, Kompetenzen, Auftreten usw.). Mike: „Ich hab mich jetzt seit einem guten halben Jahr nicht mehr gemeldet. Ich krieg auch keine Leistungen vom Arbeitsamt. (…) Ich kriege von niemand, nich’ mal vom Sozialamt was. Aber da hab ich mich auch nicht drum gekümmert. Das ist mir zu viel Stress gewesen.“ (01-006, 24 Jahre) Richard: „(I: Und hast du jetzt Kontakte zum Arbeitsamt?) Ja, ja, meine vierteljährliche Meldung da zwecks Rentenversicherung und ansonsten halt, mal gelegentlich zur Berufsberatung. Da gibt's ja manchmal so Sachen, die man sonst nicht so erfährt und man doch mal hin muss. Aber ansonsten habe ich mit Arbeitsamt nicht wirklich was zu tun.“ (03-003, 22 Jahre)
Diese Rückzugstendenzen finden sich im Sample auch bezogen auf andere Ämter, insbesondere das Sozialamt. Olaf: „(I: Aber du warst nicht auf dem Sozialamt?) Ne, das lehne ich vollkommen ab. Für ein halbes Jahr habe ich, voriges Jahr habe ich ein halbes Jahr als Sozi gelebt, das hat mir aber auch nicht gepasst. Das war nur assi. Ich finde das richtig eklig. Das gibt viel zu wenig Kohle, aber was willst du erwarten?“ (02-006, 19 Jahre) Mike: „Und da hab ich mir mit einem Kumpel zusammen ausgerechnet, wir haben das Sozialgesetzbuch und den ganzen Mist haben wir da, und da haben wir uns ausgerechnet, dass ich am Tag so 5 Euro nicht mal ganz brutto kriegen würde, dann würde noch was abgezogen und dann hätte ich meine 2 Euro am Tag. Dafür kann ich mir was zu essen kaufen, davon kann ich mit Bus und Bahn zu - irre, hab ich gleich gelassen.“ (01-006, 24 Jahre)
Für die Mehrheit jedoch bleibt der Gang zum Arbeits- oder Sozialamt ohne Alternative, um sich den Lebensunterhalt einigermaßen zu sichern. Dabei werden Erfahrungen wie schwindende Interessenvertretung durch die Institutionen sowie das Problem einer dauerhaften einseitigen Abhängigkeit vom Wohlfahrtsstaat,
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die als Kriterien zunehmender institutioneller Ausgrenzung gelten können (Häußermann, Kronauer, Siebel 2004), in Kauf genommen. Ralf: „Für Freiheit plädieren kann ich nicht, ich bin gezwungen egal wie. Arbeiten ist auch mit Zwang. Entweder ich gehe arbeiten und krieg mein Geld, oder ich gehe nicht. Das ist meine einzige freie Entscheidung. Aber du bist gezwungen, zu tun, zu machen. Wennste´s nicht machst, gehste kaputt hier in dem Staat. Das war schon immer so. Gehste nicht aufs Arbeitsamt kriegste kein Geld. Kannste auch keine Sozialhilfe beantragen, außer deinen Tagessatz irgendwann mal. Oder du kannst sagen, ich nehme mir ein Dach übern Kopf, in dem ich jetzt aufs Wohnungsamt gehe oder ich sage, ich verrecke unter der Brücke. Na ja, mehr Möglichkeiten gibt's nicht.“ (01-004, 25 Jahre)
Im Hinblick auf die Frage der politischen Teilhabe wurden die jungen Frauen und Männer zunächst nach ihrer Wahlbeteiligung befragt. Die Zahl derer, die wahlberechtigt sind und angegeben haben, dass sie zur Wahl gehen (das bezog sich hauptsächlich auf die im September 2002 stattgefundene Bundestagswahl), liegt nur leicht über der, die angeben, nicht (mehr) wählen zu gehen. Diese Aussage allein bietet jedoch nicht ausreichend Information darüber, welchen Einfluss auf politische Prozesse die Befragten glauben ausüben zu können und welches Interesse an politischen Fragen überhaupt besteht. Ist die Nichbeteiligung an Wahlen das Ergebnis bloßen Desinteresses oder eine bewusste Entscheidung gegen ein Partizipationsinstrument, an dessen Wirksamkeit die Betroffenen nicht glauben? Sind auf der anderen Seite diejenigen, die wählen gehen der Überzeugung, damit politische Entscheidungsprozesse beeinflussen zu können? Olaf: „(I: Warst du eigentlich wählen?) Ja. (I: Hast du dich da vorher erkundigt?) Bei mir war es klar, wen ich wähle. Und da hat es mich nicht eigentlich großartig interessiert. (I: Meinst Du, dass Du da einen Einfluss ausüben kannst?) Nein. Das wird alles nur manipuliert. Denke ich jedenfalls. Ich denke mal nicht, dass alles so abgestimmt wurde. (I: Siehst Du Möglichkeiten, dass man woanders mehr Einfluss ausüben könnte? Oder würdest Du das gerne wollen?) Mal so gesagt. Wenn, ich würde es gerne wollen. Aber ich würde nie was lösen können. Also weil die machen ihr Ding da drin. Die gucken nach der Kohle. Die gucken nicht was hier draußen abgeht.“ (02-006, 19 Jahre) Steve: „(I: Warst du zur Wahl letztes Jahr im Herbst?) Ich hab gewählt, ja. FDP und Partei biblicher Christen. (…) Ich wusste nicht, wem ich die Zweitstimme geben sollte. Da hab ich sie denen gegeben.
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8 Ergebnisse (I: Wie bist du dann auf die gekommen?) Die klangen so blöd, so idiotisch, dass die eh keiner wählt. (I: Hast du sonst da was am Hut mit Christen und so?) Nee, gar nicht! Kann überhaupt nicht, bin voll gegen Kirche. Kann die nicht ab.“ (02-011, 25 Jahre) Mike: („I: Warst du eigentlich zur letzten Wahl?) Nö. (I: Warst du überhaupt schon mal?) Nö. (…) Na, das ist halt wirklich dieses Hin und Her. Irgendwie muss man wählen, damit keine Idioten an die Macht kommen, aber auf der anderen Seite macht die eine Stimme dann sowieso nichts. (…) Wirtschaft. Politik ist nur das Wort, damit die Leute das nicht checken, um was es wirklich geht. Damit die Leute das nicht raffen. Weil was ich nicht verstehen kann, was für mich absolut nicht sein kann, ist, dass Leute aus der CDU, die da im Vorstand sitzen, dass die gleichzeitig im Vorstand von VW sitzen und plötzlich fängt die IG Metall an rumzuspucken (…).“ (01-006, 24 Jahre)
Insgesamt überwiegen sowohl bei den Wählern als auch bei den Nicht-Wählern eher skeptische Ansichten darüber, was mit politischer Teilhabe tatsächlich erreicht werden kann. Alternative Formen der politischen Betätigung wurden von den Befragten jedoch nicht berichtet, so dass Rückzug die typische Haltung der jungen Frauen und Männer ist. Allerdings verdeutlichen die Erzählungen auch, dass lediglich in Ausnahmefällen auf das Thema Politik mit totalem Desinteresse reagiert wurde. Die jungen Erwachsenen haben trotz ihrer Skepsis eine Meinung zu Politik und versuchen sich über entsprechende Medien zu informieren. Die politischen Äußerungen, die die jungen Erwachsenen in den Interviews machten, zeugen – besonders in der Leipziger Teilstichprobe – von verbreitet rechtsgerichteten und/oder ausländerfeindlichen Ansichten. An dieser Stelle wird deutlich, dass die sich in besonders prekären Lagen befindlichen jungen Frauen und Männer versuchen, sich nochmals gegen eine vermeintlich schwächere Gruppe abzugrenzen. André: „Es wird überall gesagt die Scheiße (NPD – B.R.). Die sind ja sowas von blöd und verblendet. Die sind braun. Aber die Gegenseite ist die, ich hab es gesehen wie sie in Halle in Jugendklubs die Jugendlichen von der Straße geholt haben. Von 182.000 qm haben sie drei Häuser draufgesetzt und die Jugendlichen haben das Stein für Stein aufgebaut und haben sich da drin einen Jugendklub und eine Zukunft geschaffen. Das Ding gibt's heute noch. Davon erzählt keiner was. (…) So kleine Kinder stellen se dann hin. Die müssen Plakate hochhalten mit "Nazis raus". Das finde ich auch nicht in Ordnung, weil das sind alles Menschen. Die versuchen doch auch bloß ... Die wollen ihre Zukunft sichern. Das heißt nicht wie zu Hitlers Zeiten, dass hier alle Ausländer raus sollen. Davon ist nie die Rede gewesen. Wir brauchen
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die ganzen Ausländer na sicherlich brauchen wir die Ausländer wegen Rüstung und so weiter. Und die zweite Seite ist die, die Rechtsradikalen wollen einfach das System wieder richtig drehen. Dass wir Kinder in die Welt bringen können, dass die später eine Zukunft haben, dass die auch arbeiten können. Und das wollen die. Aber die Medien drehen das so, die sind Faschisten. Der Hitler war ein Arschloch. Das war kein Mensch. Das war eine Marionette.“ (02-001, 21 Jahre) Michael: „Weil, wenn du die Ausländer siehst, wenn die auf der Baustelle sind. Die drücken mit ihrer Arbeit den Preis vom Job, na ja, kein normaler Deutscher geht für 2,50 Euro die Stunde arbeiten. Der Russe macht es halt. Das kann bald gar nicht sein. Genauso mit den Gemüseläden. Die Vietnamesen, die machen doch die ganze Konkurrenz kaputt mit ihren Preisen.“ (02-010, 25 Jahre)
Vereinzelt finden sich, auch bei den in Leipzig befragten jungen Erwachsenen, etwas differenziertere Aussagen, die vor allem vor der Gefahr des Neonazismus warnen. Konstantin: „Ne, ich sage mal, es ist vielleicht wichtig, auf der einen Seite ein bisschen darauf zu achten, dass das Land nicht ganz von Türken und Russen unterwandert wird, aber auf der anderen Seite ist es auch wichtig, dass der rechte Arm unten bleibt und dass ... dass wir aufpassen, dass wir nicht alle bald wieder braune Hemden anziehen müssen.“ (02-003, 25 Jahre)
Kulturelle Ausgrenzung Die zuvor aufgeführten Aspekte möglicher sozialer Ausgrenzung (insbesondere materielle Ausgrenzung) finden ihren Ausdruck im Aspekt der kulturellen Ausgrenzung. Darunter kann die verringerte Möglichkeit, ein Leben nach allgemein anerkannten Lebenszielen zu gestalten, verstanden werden. Ein wichtiger Bereich für die jungen Erwachsenen ist die Freizeit. Bei der Freizeitgestaltung nicht mithalten zu können mit anderen Gleichaltrigen ist ein Punkt, an dem sich Ausgrenzungstendenzen manifestieren. Neben dem Freizeitverhalten wurde in den Interviews gleichzeitig das Kaufverhalten betrachtet. In den Interviews zeigt sich deutlich der Zusammenhang von fehlenden materiellen Ressourcen und der Ausgrenzung bei kultureller Teilhabe. Insbesondere bei den Beschreibungen des Kaufverhaltens, vor allem der alltäglichen Waren wie Lebensmittel. Dass in den meisten Erzählungen zum Kaufverhalten Kleidung, Medien (CD’s, DVD’s, Geräte) u. Ä. als Themen ausgelassen werden, macht deutlich, dass es für sie um die Beschaffung des Lebensnotwendigen geht.
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8 Ergebnisse Yvonne: „Ja, wir kriegen da so fünf bis zehn Euro jeden Tag, davon werden Kippen gekauft und Essen. (I: Das macht ihr dann jeden Tag? Oder macht ihr mal einen Einkauf für die Woche?) Das können wir uns gar nicht leisten. Wir leben von Nudeln mit Soße. (…) Das nervt. Ich würde auch gern mal wieder in die Kaufhalle gehen ... ich sage mal ganz am Anfang, wenn ich mein Geld krieg, da machen wir das schon so, dass wir mal viel für 20 Euro oder so einkaufen gehen. Aber ich möchte halt, wir kaufen dann auch immer nur das Billigste vom Billigen. Ich möchte einfach nur mal in die Kaufhalle gehen und mal nicht drüber nachdenken, sondern weißte, das würde mir auch mal gut tun. Dadurch, dass ich in letzter Zeit wieder so absacke mit dem Essen, da mal wirklich reinzugehen und wirklich das, auf das ich Appetit hab, mir das wirklich zu holen, weil ich das dann auch esse.“ (01-007, 20 Jahre) Michael: „Also ich gucke nach den Preisen. Das steht fest wie das Amen in der Kirche.“ (02-010, 25 Jahre)
Auch bei Freizeitgestaltung machen sich schwindende Teilhabemöglichkeiten bemerkbar und werden thematisiert. Susanne: „Mich stört das nicht, wenn ich mir mal keine Klamotten kaufen kann oder so. Oder wenn ich halt, wenn ich den Pfennig dreimal rumdrehen muss. Das stört mich eigentlich weniger. Aber es ist halt doch, wo man dran knausert. Man sieht halt doch mal etwas Schönes. Oder man würde doch mal gerne das Wochenende weggehen, spontan. Das Geld ist halt nicht da. Das ist halt das Traurige dran.“ (02-007, 20 Jahre)
Ein weiterer Aspekt, an dem sich gesellschaftliche, kulturelle Teilhabe festmachen lässt, ist die Informationsbeschaffung über Printmedien, TV oder auch Internet. Fast alle der Befragten besitzen einen Fernseher und nutzen diesen ausdrücklich auch für Nachrichtensendungen. Zeitungen werden schon eher zu einer Geldfrage für die jungen Frauen und Männer und Internetanschlüsse existieren lediglich in Einzelfällen. Michael: „(I: Und Internet hast du auch?) Ne, musste ich leider abmelden, konnte ich mir nicht mehr leisten. Und Zeitungen ... je nach dem, steht ja immer dasselbe drinne. Da brauchst dir in der Woche immer nur eine zu kaufen, das reicht.“ (02-010, 25 Jahre) Mike: „Ja, Morgenpost bei der Oma früh. Ansonsten, ich bin eigentlich ganz schön abgeschnitten von der Außenwelt so. Das ist aber ganz gut so. Da kann ich mir meine eigene Birne machen über das Ganze.“ (01-006, 24 Jahre)
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In den hier betrachteten Bereichen kultureller Teilhabe wird sichtbar, dass es Tendenzen von Ausgrenzung gibt. Diese sind zumeist über materiellen Ausschluss vermittelt. Das betrifft die Möglichkeiten der Teilhabe am öffentlichen Leben (Freizeit) genauso wie das Kaufverhalten. Hinsichtlich der Frage nach kultureller Ausgrenzung als ein Aspekt sozialer Exklusion wird nicht selten auch die Frage nach dem Entstehen einer eigenständigen „Kultur der Armut“ diskutiert (Kronauer 2002). Die vorliegenden Erzählungen der jungen Erwachsenen deuten jedoch daraufhin, dass das Wirken der Befragten auf das (wieder) Dazugehören ausgerichtet ist. Das bedeutet, dass wesentliche, in einer Gesellschaft anerkannte Lebensziele auch für die jungen Frauen und Männer verbindliche Lebensziele darstellen. Das vorstehende Kapitel ging der Frage nach, ob sich im Sample weitere Aspekte von Exklusion neben der Arbeitsmarktexklusion finden lassen und in welcher Form sie sichtbar werden. Dabei wurde deutlich, dass sich bei allen genannten Kriterien für soziale Exklusion auf der Interdependenz- aber auch auf der Partizipationsebene Beispiele bei den befragten jungen Erwachsenen ausmachen lassen. Besonders offensichtlich wird dies im Bereich der sozialen Isolation und der materiellen Teilhabe, die erwartungsgemäß andere Bereiche determiniert.
8.3.2 Verteilung von Erfahrungen sozialer Exklusion im Untersuchungssample Vorstehend wurde gezeigt, dass die jungen Erwachsenen neben der Arbeitsmarktexklusion weiteren Aspekten sozialer Exklusion unterworfen sind. Diese kommen jedoch in unterschiedlicher Ausprägung und Verbindung zum Tragen. Es ist demzufolge anzunehmen, dass es im Sample junge Frauen und Männer gibt, bei denen Erfahrungen sozialer Exklusion so kumulieren, dass sie bereits als ein Syndrom bewertet werden müssen. Zugleich kann man eine zweite Gruppe vermuten, bei der es neben der Exklusion von Erwerbsarbeit lediglich einen weiteren Aspekt sozialer Prekarität oder Ausgrenzung gibt. Dieser lässt sich zudem, so die Annahme, als eine direkte Folge der Arbeitsmarktexklusion definieren. Für die Betrachtung der weiteren Ausbildungs- und Erwerbsverläufe sowie der Copingstrategien der jungen Erwachsenen ist es m. E. von wesentlicher Bedeutung, wie stark und wie umfangreich bereits Erfahrungen sozialer Ausgrenzung vorhanden sind. Deshalb sollen die Befragten des Samples anhand der Erkenntnisse, die im Kapitel 8.3.1 gewonnen wurden, zwei unterschiedlichen Gruppen zugeordnet werden, wobei der Gruppe A diejenigen angehören, die neben der Arbeitsmarktexklusion lediglich in einem weiteren Aspekt Exklusionstendenzen aufweisen und in die Gruppe B diejenigen zusammengefasst wer-
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8 Ergebnisse
den, die in mehr als einem Aspekt Prekaritäts- oder Exkusionstendenzen deutlich werden lassen. Grundlage bilden hier die Interviews der ersten Welle. Für die Auswertungen zu den Copingsstrategien der jungen Erwachsenen sowie zur Generierung von Verlaufstypen wird die Unterscheidung in diese beiden Gruppen fortgeführt. Sie bilden die Analyseeinheiten. Für die Zuordnung der Befragten im Sample zu einer der beiden Gruppen wurde die Verteilung der im vorangegangenen Kapitel aufgeführten Kriterien für soziale Exklusion zugrunde gelegt. Dabei wird deutlich, dass der Gruppe A weniger junge Frauen und Männer (insgesamt 13) zugeordnet werden können als der Gruppe B (22 junge Erwachsene). Auch wenn es sich bei der vorliegenden Untersuchung nicht um eine quantitative Erhebung, die zugleich noch repräsentativ für eine Grundgesamtheit stehen soll, handelt, zeigt sie dennoch einen gewissen Zusammenhang zwischen anhaltendem Ausschluss vom Arbeitsmarkt und der Gefahr der sozialen Prekarisierung bzw. Exklusion. Im Folgenden werden die beiden Gruppen näher beleuchtet. Dabei geht es vor allem um die Art der Kombinationen der einzelnen Faktoren von Interdependenz und Partizipation bei den jungen Frauen und Männern.
Gruppe A Zu dieser Gruppe wurde zugeordnet, wer neben der Arbeitsmarktexklusion als Merkmal für die Aufnahme ins Sample von einem weiteren Aspekt sozialer Exklusion berichtete. Das konnte im Bereich der Interdependenz soziale Vereinzelung sein oder im Bereich der Partizipation der materielle, politischinstitutionelle oder der kulturelle Ausschluss sein. Betrachtet man nun die 13 Personen dieser Gruppe wird augenfällig, dass der größte Teil der jungen Erwachsenen Ausgrenzungserfahrungen im Bereich der politisch-institutionellen Teilhabe aufweist. Wie die beschriebenen Erfahrungen im vorangehenden Kapitel zeigen, betrifft dies vor allem institutionelle Ausgrenzungserfahrungen (Arbeitsagentur und weitere Ämter). In kleinerem Umfang gehören dazu auch die Ohnmachtserfahrungen bezüglich des eigenen Einflusses auf politische Entscheidungen. Dass die Kombination aus Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und institutioneller Ausgrenzung in dieser Gruppe am häufigsten vorkommt, kann durchaus als überraschender Befund gewertet werden. Vielmehr war zu erwarten, dass vorrangig materielle Ausgrenzung als eine direkte Folge lang anhaltender Arbeitslosigkeit die größte Rolle in dieser Gruppe spielen würde. Dagegen war ein weiteres Ergebnis zu erwarten. Bisherige Forschungsergebnisse zur sozialen Exklusion haben gezeigt, dass soziale Isolation und/oder das Zurückgeworfensein
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auf Kontakte zu Personen, die in der gleichen prekären sozialen Lage sind, einen entscheidenden Punkt darstellen, ob von einer verstärkten, also bereits jenseits einer vulnerablen Zone befindlichen, sozialen Exklusion gesprochen werden kann (Callies 2004). Diese Annahme lässt sich für das hier untersuchte Sample bestätigen. Nur in zwei Fällen berichten die jungen Erwachsenen in dieser Gruppe von Tendenzen sozialer Isolation, die sich zum einen auf den Kontakt zu den Eltern beziehen sowie auf die Homogenisierung des Freundeskreises. Zusammenfassend lässt sich für die Gruppe A feststellen, dass neben der Exklusion vom Arbeitsmarkt die politisch-institutionelle Ausgrenzung im Vordergrund steht. Materielle Ausgrenzungserfahrungen spielen nach den Erzählungen der jungen Erwachsenen keine Rolle. Führt man sich die Vorstellung Castels über soziale Inklusion und Exklusion vor Augen, nämlich als ein Kontinuum, bei dem zwischen den Polen Inklusion und Exklusion eine breite Zone der Vulnerabilität existiert, haben wir es hier mit einer Gruppe junger Frauen und Männer zu tun, die sich in der Verwundbarkeitszone befinden. Sie weisen mit der Arbeitsmarktexklusion und einem weiteren Merkmal sozialen Ausschlusses Faktoren für soziale Exklusion auf, es kann bei ihnen jedoch nicht von einem Syndrom der sozialen Exklusion gesprochen werden. Dies stellt sich in der zu bildenden zweiten Gruppe anders dar.
Gruppe B Die deutliche Mehrheit der im Sample befragten jungen Erwachsenen kann der Gruppe B zugeordnet werden. Das bedeutet, dass diese jungen Frauen und Männer neben dem Ausschluss von Erwerbsarbeit in mindestens zwei weiteren, aber zumeist drei oder vier weiteren Kriterien von Erfahrungen sozialer Exklusion aufweisen. Anders als in der Gruppe A fällt auf, dass fast alle der hier Befragten von sozialer Isolation berichten. Das bezieht sich zum einen auf den Kontakt zur eigenen Familie (den Eltern, anderen Verwandten, Pflegeeltern oder neuen Partnern von Elternteilen). Zum anderen schwinden für diese jungen Erwachsenen aber auch Freundschaftsbeziehungen. Zugleich ist an dieser Stelle die Kontakteinengung auf Personen, die unter ähnlich prekären Bedingungen leben, äußerst deutlich geworden. Im untersuchten Sample bildet die soziale Isolation somit ein prägendes Merkmal des Ausschlusses. Finden sich in der Gruppe A keine jungen Erwachsenen, die von materieller Ausgrenzung betroffen sind, wird dieser Aspekt in der Gruppe B umso augenfälliger. Allein 18 der 22 jungen Frauen und Männer in dieser Gruppe berichten von massiven materiellen Problemen. Dass Armut ein weit verbreitetes Problem im Zusammenhang mit sozialer Exklusion ist, wird auch dadurch belegt, dass
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sich Folgeprobleme wie z. B. aus dem Bereich der kulturellen Teilhabe (u. a. Kaufverhalten) in dieser Gruppe häufen. Die Einschätzung der institutionellen und politischen Teilhabe ist ähnlich wie in der Gruppe A auch bei den in Gruppe B zugeordneten jungen Erwachsenen von Ausgrenzungsprozessen, zum Teil auch von Selbstausgrenzung gekennzeichnet. Das betrifft die Wahrnehmung der jungen Erwachsenen durch Gatekeeper der verschiedenen Ämter und Einrichtungen, aber auch die Wahrnehmung des eigenen Einflusspotentials auf politischer Ebene. Die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Exklusionserfahrungen bei den im Sample befragten jungen Erwachsenen bildet das grundlegende Zuordnungskriterium zu den beiden Gruppen. Aber ebenfalls beachtenswert sind die Aussagen der jungen Frauen und Männer zur Intensität der gemachten Erfahrungen mit sozialem Ausschluss.
8.4 Copingstrategien 8.4.1 Bewältigung auf der Einstellungsebene Die Aussagen in den Interviews der befragten jungen Frauen und Männer zeigen, dass es zu Beginn des Übergangs aus der Schule in eine Berufsausbildung und einen Beruf bei allen eine starke Orientierung auf einen normalbiographischen Lebenslauf gegeben hat. Für alle sollten sich in ihren Zukunftsplanungen an die Schule eine Ausbildung und daran eine Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt anschließen. Für die jungen Erwachsenen im Sample ließ sich diese normalbiographische Vorstellung nicht umsetzen. Ein Teil scheiterte bereits an der ersten Schwelle des Übergangs von der Schule in Ausbildung, weitere konnten die zweite Schwelle, den Übertritt in Erwerbsarbeit, nicht überwinden. Es wurde festgestellt, dass die jungen Frauen und Männer in unterschiedlichem Ausmaß von sozialer Exklusion bedroht und betroffen sind. Für alle Befragten ergibt sich eine Diskrepanz zwischen dem ursprünglich anvisierten Ziel (Ausbildung, Einmündung in Erwerbsarbeit) und seiner Nichterfüllung. Der dauerhafte Ausschluss vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zwingt die Betroffenen dazu, zu reagieren und diese Diskrepanz zu bewältigen. Dies kann zum einen auf der Einstellungsebene geschehen, zum anderen auf der Handlungsebene. Im Folgenden wird also zu prüfen sein, ob diese Diskrepanz von den jungen Frauen und Männern wahrgenommen wird und ob bestimmte Copingstrategien auf der Einstellungs- und der Handlungsebene sichtbar werden. Dabei wird zunächst auf die Einstellungsebene rekurriert. Wie reflektieren die jungen Erwachsenen ihre Lage und welche Ziele streben sie an? Bleiben sie weiterhin dem Ziel eines nor-
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malbiographischen Lebenslaufes verhaftet (assimilative Copingstrategie), das zumeist auch von den Gatekeepern der Institutionen, mit denen sie zu tun haben, favorisiert wird? Oder kommen bei den jungen Frauen und Männern mehr und mehr akkomodative Strategien zum Tragen, insofern sie sich von gesellschaftlich suggerierten und selbst verfolgten Zielen abwenden? Alle Interviews, zunächst nur der ersten Welle, wurden danach untersucht, welche Aussagen die jungen Erwachsenen zu den Plänen für ihre Zukunft und ihren weiteren Bildungs- und Ausbildungsweg treffen und ob sich dabei Veränderungen zu ursprünglich verfolgten Zielen zeigen. Dabei werden vor allem Berichte darüber in den Blick genommen, die deutlich werden lassen, ob normalbiographische Lebensvorstellungen weiter das Ziel darstellen, an dem sich die Wünsche und Pläne ausrichten oder ob – u. U. nach und nach – andere Wege als die in Ausbildung und normale Erwerbsarbeit angestrebt werden. Den Weg einer Normalbiographie haben die jungen Frauen und Männer bereits verlassen bzw. er ist deutlich erschwert worden, indem sie entweder ohne Ausbildung geblieben sind und/oder über lange Zeiträume hinweg ohne Erwerbsarbeit waren und sind. Ihre Wege durch das Bildungs- und Ausbildungssystem sind also schon durch verschiedene Zwischenschritte gekennzeichnet (z. B. arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, Schwarzarbeit, Nichtstun). In einem nächsten Schritt wird in den Interviews der zweiten Welle nochmals nach Veränderungen in den Einstellungen gesucht. Verbleiben die Befragten bei einer assimilativen Copingstrategie? Lassen sich Verschiebungen von einer assimilativen Copingstrategie zu akkomodativen Bewältigungsmustern ausmachen? Gibt es jedoch auch „Rückkehrer“ von zunächst akkomodativen Einstellungsmustern zu nun wieder assimilativen Strategien? Blickt man auf die konkreten Zukunftspläne der jungen Frauen und Männer für den überschaubaren Zeitraum der nächsten sechs Monate, wird deutlich, dass die Mehrheit der jungen Erwachsenen auf den normalbiographischen Lebenslauf gerichtete Ziele verfolgt. Damit stehen assimilative Copingstrategien im Vordergrund. Noch ohne, dass die Befragten auf die Art und Weise eingehen, wie sie diese Ziele realisieren wollen, berichten viele von dem Wunsch, eine Ausbildung oder eine feste Arbeit haben zu wollen. Die Zitate aus den Interviews belegen dies: Olaf: „Dass ich was Festes hab. Was Festes an Arbeit.“ (02-006, 19 Jahre) Michael: „Dass ich einen Job habe (...). Weil, anders kannst du nicht überleben.“ (02-010, 25 Jahre)
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8 Ergebnisse Steve: „Na auch erst mal einen Job. Das ist ganz wichtig. Dass es wieder ein bisschen aufwärts geht. Arbeit und eine Wohnung. Das ist eigentlich so das Wichtigste.“ (02-011, 25 Jahre) Patricia: „Dass ich eine richtige Arbeit habe.“ (03-004, 23 Jahre)
Aber auch bei den kurzfristigen Plänen gibt es junge Erwachsene, bei denen Ausbildung und Beruf entweder eine untergeordnete oder keine Rolle spielen. Für sie haben Ziele wie Ausbildung und Arbeit nicht (mehr) den obersten Stellenwert, daher stehen zum einen die eigene Familie oder der Freund/die Freundin im Mittelpunkt ihrer Zukunftspläne, zum anderen geht es bei ihnen um die räumliche Abkoppelung von der Herkunftsfamilie mit einem Umzug in eine eigene Wohnung. Es wird gleichzeitig deutlich, dass sie dabei sind, ihre Einstellungen zwar weg von normalbiographischen Ansprüchen zu gestalten, dass jedoch (noch) keine tragfähigen Alternativen an deren Stelle getreten sind. Ralf: „Was ich da gemacht hab (in einem halben Jahr – B.R.)? Ich glaube, da habe ich meine Wohnung eingerichtet. Das ist ja nächste Woche. Sonst, weiß ich noch gar nicht.“ (01-004, 25 Jahre) Mike: „Wenn ich einen Plan hätte, das würde mir schon reichen. Wenn ich nur einen Plan hätte.“ (01-006, 24 Jahre) Susanne: „Ich will mir auf jeden Fall ein Kind anschaffen.“ (02-007, 20 Jahre)
An anderen Stellen in den Interviews berichten einige junge Erwachsene über Zukunftspläne, die über das nächste halbe Jahr hinausgreifen und auch Einstellungen zum weiteren eigenen Ausbildungs- und Erwerbsweg verdeutlichen. Ähnlich der kurzfristigen Zukunftsplanungen überwiegen bei den jungen Frauen und Männern assimilative Bewältigungsstrategien, insofern eine eindeutige Ausrichtung an Ausbildung und darauf folgender Erwerbsarbeit dominiert. Aber auch akkomodative Strategien werden bei einigen jungen Frauen und Männern sichtbar. Aussagen, die in Richtung assimilativer Strategien gedeutet werden können, zeigen sich beispielsweise bei Mario, Michael, Konstantin, Tobias und Daniel: Michael: „Also jetzt ist es auf alle Fälle Außendienst. Wo ich dann eben so Getränkeheimdienst gemacht habe, das ist ja eigentlich kein Außendienst. Das nennt sich Verkaufsfahrer. Aber ich sage mal Außendienst, weil du bist kaum im Lager oder sonst dergleichen. Und du hast wirklich mit Kunden zu tun. Kannst mit Kunden reden. Hörst auch mal die Problematik mit den ganzen Kunden. Das hat schon Spaß gemacht.
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(I: Also, es wäre schon dein Ding.) Auf alle Fälle.“ (02-010, 25 Jahre) Tobias: „(I: Wie ist das mit dem kaufmännischen Bereich so gekommen?) Na ja, ich habe so im Kopf, oder hab mal vor, irgendwann mal Richtung Pastor zu gehen. Und da muss man gewisse Sachen mit Verwaltung lernen, so Buchhaltung und so. Da habe ich gedacht, nutze deine Ausbildung, um dich auf das später vorzubereiten. (...) Und dann gibt es noch die Möglichkeit auf eine Bibelschule zu gehen. Und das sind dann die Leute, die bei freien Gemeinden, wie zum Beispiel die Heilsarmee, dann halt arbeiten. Das geht dann so drei, vier Jahre ungefähr und das ist sehr breit gefächert. Viel Theorie leider, ich mag das nicht so, aber na ja.“ (01-002, 21 Jahre) Daniel: „Mal gucken. Und dann wollte ich entweder mal gucken, wie der Abschluss wird. Entweder Fachgymnasium machen oder eine Lehre als Mechatroniker anfangen. (I: Was ist das?) Das ist so ein neuer Beruf. Der ist vielleicht vor vier Jahren so, alles kompakter Beruf. Das ist so Computer, Elektriker, Schlosser in einem.“ (03-010, 17 Jahre)
Die Erzählungen der jungen Erwachsenen verdeutlichen, dass sie sich zum einen zwar weitreichende und zum Teil über einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmende Ziele setzen. Zum anderen wissen sie aber auch, welche Voraussetzungen (z. B. Studium) sie für ihre Ziele benötigen und planen, auf welchen Wegen sie diese erwerben können. Auch wenn sie ihre bisherigen Ziele nicht in dem Umfang verwirklichen konnten (keine Ausbildung oder andauernde Arbeitslosigkeit), richten sie ihre Zukunftspläne eindeutig an bereits vorhandenen Lebensvorstellungen, nämlich normalbiographischen, aus und verfolgen so assimilative Bewältigungsmuster. Auf der anderen Seite werden bei den jungen Frauen und Männern aus dem Sample auch bei den längerfristigen Zielen für den weiteren Ausbildungs- und Erwerbsweg Abkehrtendenzen von normalbiographischen Vorstellungen sichtbar. Exemplarisch finden sich dazu Aussagen bei Dennis, Miriam und Mike: Dennis: „Ja, also im Moment habe ich keinen Plan irgendwie, ich lasse das eigentlich auf mich zukommen.“ (02-005, 25 Jahre) Miriam: „Die nehmen sowieso nur Leute, die kinderlos sind. (I: Und wie willst du das zukünftig machen? (…)) Ich schätze mal, bis alle in die Schule gehen, kriege ich sowieso erst mal nichts. Weil da nehmen die lieber Leute, die keine Kinder haben.“ (02-002, 23 Jahre)
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8 Ergebnisse Mike: „Das Problem ist, ich hab, ich weiß nicht richtig mit mir anzufangen. Jetzt auf dem normalen Weg wie andere Leute ihr Arbeitsleben und alles machen. Funktioniert alles nicht. Komisch, ich hätte es gerne anders, wirklich, aber es ist immer dasselbe irgendwie. Ich hab noch nichts gefunden wo ich sag hier (…). (01-006, 24 Jahre)
Bei diesen Aussagen wird sichtbar, dass zum einen Unsicherheit und unklare Perspektiven ein Grund dafür sind, dass Ausbildung und Berufseinmündung nicht im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stehen (Dennis, Mike). Zum anderen findet sich eine Abwehrhaltung gegenüber der Aufnahme einer Ausbildung oder einer Erwerbsarbeit, die zum Teil auch auf bereits gemachten schlechten Erfahrungen beruht (Miriam). Gerade in den letzten Fällen werden stark von außen kommende, individuell schwer beeinflussbare, Argumente angeführt, wenn behauptet wird, dass „die“ Umwelt, „die“ Gesellschaft sie nicht akzeptiert und ihnen keine Chance auf Integration lässt. In den ersten Fällen dominiert eine internale Attribuierung, wenn die Gründe für den bisherigen Misserfolg, aber auch die aktuelle Orientierungslosigkeit nicht außen oder sogar explizit in der eigenen Person gesucht werden. Die Aussagen aus der ersten Interviewwelle zu Fragen der Einstellung des weiteren individuellen Ausbildungs- und Erwerbswegs offenbaren eine größere Zahl von Befragten, die nach wie vor einen normalbiographisch geprägten Lebenslauf favorisieren, also eher assimilative Bewältigungsmuster aufweisen. Zu diesem Zeitpunkt werden aber auch bei 12 der 35 Befragten akkomodative Einstellungen (z. T. erst tendenziell) sichtbar. Im Folgenden werden die Interviews der zweiten Welle betrachtet und es wird der Frage nachgegangen, ob es hier bereits – also sechs bis acht Monate nach dem ersten Interview – zu Veränderungen in den Einstellungen gekommen ist oder ob sich die assimilativen bzw. akkomodativen Bewältigungsstrategien der ersten Interviews bestätigen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei den Interviewten gewidmet, bei denen sich in der ersten Welle sowohl Aussagen in Richtung assimilativer Copingstrategien als auch akkomodativer Tendenzen (z. B. eine feste Arbeit bekommen, aber keine Ausbildung mehr machen wollen) finden lassen. Generell zeigt sich in den meisten Interviews der zweiten Welle eine Bestätigung oder sogar Verstärkung der bereits im Interview zuvor gemachten Aussagen, also einer sich über eine längere Zeit herausgebildeten Einstellung. Das gilt sowohl für akkomodative, als auch assimilative Copingstrategien. Mike: „(…) das glaube ich nicht, da wird nichts draus (aus einem normalen Arbeitsleben – B.R.). Ja, denke ich echt nicht. Ausbildung, da haste dann wieder kaum Kohle. Reißt dir trotzdem den Arsch auf. Drei Jahre noch drauf und bin jetzt so aus
8.4 Copingstrategien
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dem Alter raus, wo man noch richtig aufnahmefähig ist. Das lässt dann einfach nach. Ich hab das selber gemerkt, mit 21, 22 fällt es dir immer schwerer zu lernen. Dich wirklich hinzusetzen und das in den Kopf reinzudrücken. Geht dann nicht mehr so richtig.“ (01-006, 24 Jahre) Sebastian: „Ich bin jetzt so drauf, weil wenn ich jetzt einen guten Job habe, dann bleibe ich auch dabei, dann denke ich auch nicht weiter, dann gucke ich in dem Job weiter, dass ich da weiter komme. Kann ja passieren, dass sie mir jetzt anbieten, sagen wir mal, dass ich Meister machen kann. Also klar, dann mache ich Meister.“ (03-002, 23 Jahre)
Es lassen sich in den Interviews der zweiten Welle aber auch Aussagen finden, in denen sich zuvor unentschiedene Einstellungen nun eindeutiger zugunsten einer Bewältigungsstrategie darstellen. So beispielsweise bei Olaf, der im ersten Interview zwar angab, innerhalb des nächsten halben Jahres eine feste Arbeit finden, aber keine Ausbildung machen zu wollen. Eine feste Arbeit hat Olaf in dieser Zeit nicht bekommen. Dennoch bleibt er bei seiner Skepsis einer Ausbildung gegenüber. Olaf: „Na die Ausbildung, die bringt auch großartig nichts. Mal so gesagt. Du hast zwar deine Ausbildung. Aber was bringt dir das. Der heutige Arbeitsmarkt, da nehmen sie dich nicht mal mit Ausbildung. (I: Würdest du das für dich selber auch sehen?) Ja.“ (02-006, 19 Jahre)
Es ist also bei einzelnen jungen Erwachsenen durchaus eine Differenzierung zwischen Ausbildung und späterer Erwerbsarbeit zu beobachten, wenn es um ihre Einstellungen geht. Richard, der im ersten Interview die klare Perspektive einer Ausbildung als Grundlage für eine darauf folgende sichere und feste Erwerbsarbeit favorisierte, sagt im zweiten Interview, nachdem er nun eine Ausbildung begonnen hat: Richard: „Für 900 Euro gehe ich bestimmt nicht arbeiten. Da gehe ich nach München runter (…). Schwarzarbeiten oder gehe auf den Bau arbeiten. Für 900 Euro, da brauche ich keine Lehre zu machen. Das ist quatsch. Da brauche ich nicht zweieinhalb Jahre zur Schule zu gehen irgendwo. Ich meine da komme ich hinten und vorne nicht hin. Das reicht hinten und vorne nicht. Davon geht alleine schon über die Hälfte weg für eine Wohnung.“ (03-003, 22 Jahre).
Im Sample wird überwiegend assimilativen Bewältigungsstrategien der Vorrang gegeben, d. h. man orientiert sich an gesellschaftlich favorisierten Normen eines Weges von der Schule über eine Ausbildung in stabile Erwerbsarbeit. Das heißt
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8 Ergebnisse
die befragten jungen Erwachsenen verfolgen auch nach andauernder Erfolglosigkeit, sich auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu platzieren, weiterhin diese gesellschaftlich akzeptierten Ziele eines klassischen biographischen Weges. In einem kleineren Umfang finden sich bei den jungen Erwachsenen aber auch Tendenzen der Abkehr von diesen Vorstellungen. Für sie kristallisiert sich heraus, dass sie keine Ausbildung bzw. keine normale Erwerbsarbeit anstreben. Allerdings offenbaren sich bei ihnen noch kaum tragfähige und langfristige Alternativen jenseits einer dauerhaften Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen.
8.4.2 Bewältigung auf der Ebene des Handelns In vielen Aussagen der jungen Erwachsenen über ihre Zukunft konnte man einerseits assimilative oder akkomodative Einstellungen erkennen, andererseits wurde aber auch von (geplanten) Aktivitäten berichtet, wie bestimmte Ziele erreichbar sein könnten. Das weist auf die im Folgenden zu behandelnde zweite Ebene der Copingstrategien hin: die Ebene des Handelns. Hier geht es vor allem um die Frage, ob die jungen Frauen und Männer vorrangig sozial aktive oder eher psychologisch passive Copingstrategien aufzeigen (vgl. Gerhardt 1986). Laut Annahmen innerhalb der Resilienzforschung, die der Frage nachgeht, weshalb Personen mit schlechter Ressourcenausstattung (wie beispielsweise im vorliegenden Sample die dauerhafte Exklusion vom Arbeitsmarkt und verschieden ausgeprägte weitere Exklusionsaspekte) letztendlich dennoch erfolgreich ihr Leben meistern, wird dem aktiven Coping eine wichtige Rolle eingeräumt (Bender 1999; Wustmann 2003; Lösl). Insofern werden die Interviews der jungen Erwachsenen nach den verschiedenen Copingstrategien auf der Handlungsebene hin untersucht. Zunächst sollen bisherige Erfahrungen der jungen Frauen und Männer aufzeigen, welches Handlungsspektrum in ihren Ausbildungs- und Erwerbsverläufen sie zum Einsatz gebracht haben. Die meisten der jungen Erwachsenen berichten von ihren mehr oder weniger intensiven Bemühungen, überhaupt oder wieder in Ausbildung oder Arbeit zu gelangen. Ein Indikator dafür sind Aussagen zum Bewerbungsverhalten der jungen Frauen und Männer. Hierbei gibt es diejenigen, die von der Schulzeit an bis zum Zeitpunkt des ersten Interviews sehr aktiv Bewerbungsanstrengungen unternommen haben. Nicht immer allerdings mit dem gewünschten Ergebnis.
8.4 Copingstrategien
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Barbara: „Ich hab auf dem Arbeitsamt mir die kleinen Zettel ausdrucken lassen und habe mich überall beworben. Da war ich recht blauäugig, denn keiner hat mich genommen, weil ich hatte ja keine Ausbildung. Keinen Abschluss zumindest. So, und da habe ich den Kopf in den Sand gesteckt, dann war mir das alles egal, (...) Nach einem halben Jahr habe ich dann wieder auf Zeitungsannoncen geschrieben, wenn ich mich dazu berufen fühlte. Das war’s dann.“ (01-001, 27 Jahre)
Eine Reihe der jungen Frauen und Männer berichtet aber auch von eher eingeschränkten Bewerbungsaktivitäten. Dies ist zumeist, aber nicht ausschließlich, das Ergebnis nichterfolgreicher Bewerbungsversuche. Olaf: „(I: Hast du auch schon mal Erfahrungen gemacht mit Bewerbungsschreiben und so?) Ja, das habe ich alles hingeschickt. Habe aber keine Antwort erhalten oder eine Absage. Und wenn ich die Schnauze voll gehabt habe, habe ich es sein lassen.“ (02006, 19 Jahre) Manja: „Aber ich denke mal auch, da wird das Arbeitsamt sich darum kümmern.“ (01-003, 18 Jahre) Thomas: „Na da war ich arbeitslos bis Juni 2000, dann habe ich mich nicht weiter gekümmert wegen Arbeit zwischendurch.“ (03-005, 22 Jahre)
Die letzte Aussage von Thomas macht deutlich, dass zum Teil auch eine Auszeit akzeptiert wird und die Bewerbungsanstrengungen ruhen. Das gilt auch, wenn sie etwas – real oder vermeintlich – in Aussicht haben (eine Ausbildung oder eine Arbeit) und bis dahin keine zusätzlichen Bewerbungen versenden. Die Aussage von Manja zeigt einen stark passiven Aspekt. Sie verlässt sich ganz auf die Unterstützung der Institution Arbeitsagentur, ohne sich selbst aktiv um Arbeit zu kümmern. Die bisherigen Erfahrungen und Bewältigungsmuster verdeutlichen in einzelnen Fällen auch die Kompromissbereitschaft, die die jungen Erwachsenen eingehen, um überhaupt in Ausbildung oder Arbeit zu gelangen. Für sie ist alles besser als arbeitslos zu sein. Sie versuchen teilweise sehr aktiv, einen Weg zurück in Beschäftigung zu finden. Karl: „So und jetzt habe ich seit ein paar Wochen habe ich jetzt einen Job als Gebäudereiniger. Bin ich jetzt in der Stadt bei Karstadt. Und dort warte ich jetzt auf einen Festvertrag, dass die mich jetzt übernehmen. (…) ehe ich zu Hause rumsitze. Liege ich wenigsten dem Sozialamt nicht auf der Tasche. Da geht das noch.“ (02013, 23 Jahre)
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8 Ergebnisse Konstantin: „Und da will ich mal demnächst in der Nonnenstraße im Druckereimuseum ein belangloses 14-tägiges Praktikum machen, vielleicht ... vielleicht setze ich mir da einen ganz anderen Furz in den Kopf und ich werde auf einmal da Maschinenrestaurator, weil die alten Maschinen, wenn ich alte Maschinen, genau wie Mischpult oder Plattenspieler - zittern mir die Hände, da möchte ich loslegen.“ (02003, 25 Jahre)
In den Interviews der zweiten Welle wird sichtbar, dass diejenigen, die bereits im ersten Interview, also im Laufe ihrer bisherigen Biographie, eine aktive Bewältigungsstrategie verfolgten, diese auch weiterhin beibehalten haben. Das gilt auch, wenn ihre verschiedenen Bemühungen zur Reintegration in den Ausbildungsund Arbeitsmarkt in den letzten sechs bis acht Monaten, die zwischen beiden Interviews lagen, gescheitert sind. Michael: „(I: LKW-Führerschein wolltest du machen?) Richtig. Da habe ich denen (dem Arbeitsamt – B.R.) damals noch auf die Füße getreten. Jetzt bin ich so weit, dass ich erst mal einen Lehrgang mitmache, der geht, also die sind so clever, dass die dich da erst mal einen Monat hinschicken. (…) Meine Vorstellungen wurden ja auch gefragt, wenn ich den Führerschein kriegen sollte. Da hatte ich auch als Vorstellung angegeben, mein eigener Chef zu werden, wenn es klappen sollte. Da würde ich gerne eine Ich-AG aufmachen. Ich würde versuchen, das Geld vom Staat zu kriegen und würde mein eigener Chef werden und mir einen gebrauchten LKW kaufen und bei Speditionen anrufen und mich dort als LKWFahrer anbieten.“ (02-010, 25 Jahre)
Vereinzelt finden sich auch Veränderungen zwischen beiden Interviews in den Bewältigungsmöglichkeiten. So beispielsweise bei Mike, der bislang eine passive Bewältigungsstrategie verfolgte und sich kaum beworben und keinen Kontakt mehr zum Arbeitsamt hatte. Mike: „Na, ich bin jetzt mit meiner Musik weitergekommen als mit meinem sämtlichen anderen Mist. Ich hab immer noch nicht gearbeitet und immer noch keine gesicherte Zukunft und immer noch kein Plan, aber mit der Musik geht's jetzt langsam bergauf.“ (01-006, 24 Jahre)
Hier deutet sich an, dass langsam etwas anderes an die Stelle von Ausbildung und normaler Erwerbsarbeit tritt. Der Versuch, aus dem Hobby (DJ) eine Berufsalternative zu machen, hat für Mike dazu geführt, aktiv zu werden. Eine neue Bewältigungsstrategie wird von ihm eingesetzt. Bei einer Reihe von jungen Frauen und Männern des Samples finden sich eher passive Bewältigungsmuster, die sich auch in Unsicherheit über das weitere Vorgehen und über die eigenen Ziele ausdrücken.
8.4 Copingstrategien
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Yvonne: „Ich habe mir in den letzten Tagen schon Gedanken darüber gemacht, seit ich wusste, dass du wieder her kommst. Und ich habe mir echt überlegt, so was kannst du jetzt sagen? Also ich habe jetzt nichts direkt Positives, irgendeine Veränderung mitzuteilen. Im Gegenteil: Ich glaube, ich bin noch ein bisschen weiter ... hach, es ist halt irgendwie.“ (01-007, 20 Jahre)
Die Frage wie bestimmte Einstellungen bezogen auf den individuellen Ausbildungs- und Erwerbsverlauf durch konkretes Handeln untermauert werden, wurde mit Blick auf die Copingstrategien auf der Handlungsebene behandelt. Die Erzählungen verweisen auf eine Gruppe von jungen Erwachsenen, die sich auffallend rege bemüht, sich erfolgreich zu platzieren bzw. große Anstrengungen unternimmt, auch über Zwischenschritte erstmals oder wieder in den Arbeitsmarkt zu gelangen. Diese jungen Frauen und Männer verfolgen aktive, soziale Copingstrategien. An diesen wird auch im Verlauf der Biographie festgehalten. Ähnlich verhält es sich mit denjenigen, die sich eher eines passiven Copings bedienen. Auch hier wird diese Strategie stabil über die Zeit beibehalten. Nur vereinzelt zeigen sich Wechsel der angewendeten Copingstrategien. Es handelt sich dabei ausschließlich um einen Wechsel von passiven zu aktiven Strategien.
8.4.3 Copingstrategien auf der Einstellungs- und Handlungsebene in beiden Erfahrungsgruppen mit sozialer Exklusion Bei der Betrachtung der Verteilung der Exklusionserfahrungen im Untersuchungssample wurden als Analyseeinheiten zwei Gruppen gebildet (vgl. Kapitel (8.3.2). Die erste Gruppe (A) umfasst dabei diejenigen jungen Frauen und Männer, die neben der Exklusion vom Arbeitsmarkt ein weiteres Merkmal sozialer Exklusion aufweisen, das zumeist in einem direkten Zusammenhang mit dem Ausschluss vom Arbeitsmarkt steht (z. B. finanzielle Exklusion oder institutionelle Ausgrenzung). Der zweiten Gruppe (B) wurden die jungen Erwachsenen aus dem Sample zugeordnet, die neben der Arbeitsmarktexklusion in zwei oder mehreren weiteren Bereichen von sozialer Exklusion betroffen sind (z. B. sozialer Isolation). Vorstehend ist in Abhängigkeit der oben ausgeführten theoretischen Annahmen zu Bewältigungsverhalten (Kapitel 5) beschrieben worden, welche Copingstrategien die Befragten sowohl auf der Einstellungsebene als auch auf der Handlungsebene aufweisen. Im Folgenden soll nun untersucht werden, ob und welche Copingstrategien in welcher der beiden Gruppen bevorzugt sichtbar werden. Betrachtet man dazu ausschließlich den Zeitpunkt des ersten Interviews, zunächst ohne Entwicklungen und Veränderungen bis dahin und auch ohne Entwicklungen und Veränderungen zwischen dem ersten und zweiten Interview, können folgende Zusammenhänge festgestellt werden.
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8 Ergebnisse
Gruppe A Lenkt man die Aufmerksamkeit zunächst auf die Copingstrategien, die auf der Einstellungsebene liegen, stellt sich die Frage, ob in der Gruppe A eher assimilative oder eher akkomodative Strategien der jungen Erwachsenen vorzufinden sind. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews zeichnen sich die jungen Erwachsenen beider Analysegruppen dadurch aus, dass sie über einen längeren Zeitraum oder immer wieder von Arbeitslosigkeit betroffen sind. In den meisten Fällen der Gruppe A kam ein Aspekt sozialer Exklusion, materielle bzw. politisch-institutionelle Ausgrenzung, hinzu. Kaum anzutreffen waren in dieser Gruppe Erfahrungen mit sozialer Isolation. Hinsichtlich der Copingstrategien auf der Einstellungsebene lassen sich bei fast allen jungen Frauen und Männern dieser Gruppe assimilative Strategien feststellen. Das bedeutet, dass diese jungen Erwachsenen bestrebt sind, ihre Vorstellungen eines Ausbildungs- und Erwerbsverlaufs weiterhin aufrechtzuerhalten. Wer noch keine Ausbildungsstelle und keinen Ausbildungsabschluss hat, möchte dies vorrangig realisieren. Sie und auch diejenigen, die zwar eine Berufsausbildung haben und eventuell erste Erfahrungen im Arbeitsleben sammeln konnten, wollen auf dem (ersten) Arbeitsmarkt Fuß fassen und eine möglichst unbefristete, angemessen bezahlte Vollzeitstelle erhalten. Auffallend ist, dass in dieser Gruppe der „Exklusionserfahrungen“ nicht eine junge Frau oder ein junger Mann akkomodative Copingstrategien aufweist. Das heißt, dass diejenigen, die im Sample zum Zeitpunkt des ersten Interviews nicht von einer kumulierten sozialen Exklusion betroffen sind, ihre klare Ausrichtung an normalbiographischen Zielen beibehalten haben. Trotz zum Teil massiver Armutserfahrungen und insbesondere institutioneller Ausgrenzung halten sie an ihren bisherigen Zielen fest und präferieren zu diesem Zeitpunkt keine Alternativen (seien sie legal, illegal oder mündeten sie einfach im Aufgeben). Ein ähnlich eindeutiges Bild offenbart sich in dieser Gruppe bei den Copingstrategien auf der Handlungsebene. Bis auf eine Ausnahme weisen alle jungen Erwachsenen der Gruppe A aktive, soziale Copingstrategien auf. Es geht hier also nicht allein darum, ein Ziel – nämlich das Einmünden in normale Ausbildungs- und/oder Erwerbsverläufe – zu postulieren, sondern die jungen Erwachsenen versuchen zugleich, dies durch unterschiedliche Aktivitäten tatsächlich zu verwirklichen.
8.5 Verlaufstypen
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Gruppe B In dieser Gruppe sind diejenigen jungen Frauen und Männer, die bereits bis zum Zeitpunkt des ersten Interviews eine Reihe von Exklusionserfahrungen gemacht haben. Insbesondere befinden sich junge Erwachsene in dieser Gruppe, die von sozialer Isolation (in der oben beschriebenen Art und Weise) betroffen sind. Bereits der Blick auf die Copingstrategien auf der Einstellungsebene offenbart kein so eindeutiges Bild wie innerhalb der Gruppe A. Zwar gibt es auch hier diejenigen, die assimilative Bewältigungsstrategien aufweisen, dennoch finden sich auch eine Reihe junger Frauen und Männer, die akkomodative Copingstrategien entwickelt haben. Sie sehen für sich immer weniger die Notwendigkeit, sich an (vermeintlich) gesellschaftlich vorgegebene Ziele hinsichtlich der Gestaltung des eigenen Ausbildungs- und Erwerbsweges anzupassen. Vielmehr versuchen sie, diese Themen und Ziele mehr und mehr aus ihren Erzählungen auszublenden (z. B. beziehen sich Zukunftsvorstellungen kaum mehr auf Ausbildung und/oder Erwerbsarbeit). Allerdings sind bei den meisten Betroffenen wenig klare Alternativen sichtbar. Drei der jungen Frauen stellen ihre Familie und ihre Kinder in den Mittelpunkt ihrer Zukunftsplanungen. Bezogen auf die Handlungsebene finden sich in dieser Gruppe der Befragten sowohl aktive, soziale als auch passive, psychologische Copingstrategien. Allerdings wird deutlich, dass, wie bei den jungen Frauen und Männern in der Gruppe A, vor allem diejenigen, die auf der Einstellungsebene assimilative Bewältigungsmuster aufweisen, eher aktive, soziale Copingstrategien nutzen. Die vorstehenden Kapitel 8.3 und 8.4 bezogen sich darauf, ob und in welchem Ausmaß bestimmte Aspekte sozialer Exklusion und verschiedene Copingstrategien im Sample vorhanden sind. Es wurde auf der Kategorienebene analysiert, wie sich die genannten Kriterien im Sample verteilen. Im Folgenden verändert sich die Richtung der Betrachtung, denn es wird nicht mehr nach dem Vorhandensein einzelner Exklusionserfahrungen geschaut, sondern die Personen als solche und wie sie jeweils in oder aus sozialer Exklusion gelangen, dargestellt. Damit stehen nun die einzelnen Fälle des Samples im Mittelpunkt der Analysen.
8.5 Verlaufstypen Ausgehend von der These, dass soziale Exklusion kein festgeschriebener Zustand ist und keine Einbahnstraße hin zum biographischen Endpunkt sozialer Ausschluss (Castel 2000a; Vobruba 2000; Kronauer 2002), sondern ein Kontinuum, auf dem sich Menschen zwischen den Zonen der Inklusion, Vulnerabilität
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8 Ergebnisse
und Exklusion bewegen, sind für die Befragten im Sample, die bereits Exklusionserfahrungen aufweisen (vgl. Kap. 8.3) prinzipiell drei Szenarien denkbar: der Weg ganz oder teilweise heraus aus der sozialen Exklusion, ein gleichbleibender Umfang sozialer Exklusion sowie der Weg einer weiteren Verschärfung sozialer Exklusion. Diese drei prinzipiell möglichen Entwicklungen sollen im Folgenden als Typen vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um Verlaufstypen, da sowohl im ersten, biographischen Interview, als auch im zweiten, dem Leitfadeninterview, besondere Aufmerksamkeit auf die Prozesse und Entwicklungen in der Biographie allgemein als auch der Ausbildungs- und Erwerbswege im Speziellen gerichtet wurde. Auf der Analyseebene wurden zwei Gruppen von Befragten gebildet, die zum Zeitpunkt des Beginns ihres Ausbildungs- und Erwerbsweges Erfahrungen mit sozialer Exklusion haben (vgl. Kap. 8.3.2), wobei die Gruppe A diejenigen bezeichnet, die neben der Arbeitsmarktexklusion ein weiteres Merkmal sozialer Ausgrenzung aufweisen, das zudem als direkte Folge von anhaltender Arbeitsmarktexklusion gesehen werden kann und die Gruppe B, die diejenigen zusammenfasst, die bereits Erfahrungen mit einer Reihe von Aspekten sozialer Exklusion haben (insbesondere auch sozialer Isolation). Hinsichtlich der Verlaufstypen wird zunächst zu prüfen sein, in welche dieser Typen sich die jungen Frauen und Männer aus der Gruppe A und der Gruppe B einordnen lassen. Zwar ist das Ziel dieser Untersuchung nicht die Quantifizierung bestimmter Fälle zu bestimmten Gruppen und Verlaufstypen, aber es lassen sich auch bei geringen Fallzahlen zweifelsohne Tendenzen aufzeigen, in welche Richtungen sich Möglichkeitsspektren auffächern. Freilich bleibt es weiteren Untersuchungen vorbehalten derartige Tendenzen quantitativ zu untermauern. Neben der Zuordnung nach dem Ausmaß der Exklusion zu Beginn des Ausbildungs- und Erwerbsweges der jungen Erwachsenen zu den drei Verlaufstypen wird einer weiteren Frage nachgegangen. Welche jungen Frauen und Männer mit welchen Copingstrategien auf der Handlungs- und auf der Einstellungsebene – auch dem möglichen Wechsel von Copingstrategien – finden sich bis zum Zeitpunkt des zweiten Interviews in welchem Verlaufstyp wieder? Im Folgenden werden die drei möglichen Verlaufstypen, die sich bei jungen Erwachsenen mit vorhandenen Erfahrungen sozialer Exklusion ergeben können, vorgestellt. Es handelt sich dabei um den Verlaufstyp I: Verschärfung sozialer Exklusion, den Verlaufstyp II: gleichbleibendes Ausmaß sozialer Exklusion sowie den Verlaufstyp III: Verringerung sozialer Exklusion. Für jeden dieser drei Verlaufstypen wird zunächst beschrieben, was er beinhaltet und wer sich von den jungen Frauen und Männern aus dem Untersuchungssample in ihm befindet. Hier werden also in einem ersten Schritt die Gemeinsamkeiten innerhalb des
8.5 Verlaufstypen
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Verlaufstyps beschrieben. In einem nächsten Schritt werden anhand ausgewählter Fälle die Möglichkeitsspektren innerhalb des jeweiligen Verlaufstyps verdeutlicht. Es stehen also die Differenzen zwischen den Personen des Typs im Blickpunkt. Dazu werden jeweils drei Fallbeschreibungen von jungen Erwachsenen des Samples herangezogen, die heterogene Lebenswege aufweisen.
8.5.1 Verlaufstyp I: Verschärfung sozialer Exklusion Bei diesem Verlaufstyp wird davon ausgegangen, dass sich in der Biographieentwicklung und vor allem seit Beginn des Ausbildungs- und Erwerbsweges der Betroffenen die bereits vorhandenen Aspekte von sozialer Exklusion weiter verschärft haben oder weitere Aspekte sozialen Ausschlusses hinzugekommen sind. Das beinhaltet auch die Möglichkeit, dass Personen, die zunächst der Analysegruppe A zugeordnet wurden, in die Gruppe B der von sozialer Exklusion Betroffenen gelangen. Betrachtet man die Zusammensetzung des Verlaufstyps I zunächst hinsichtlich der oben genannten Erfahrungsgruppen bei Aspekten sozialer Exklusion, wird deutlich, dass bis auf zwei Personen, die der Gruppe A zugeordnet wurden, alle weiteren Befragten (sechs Personen) der Gruppe B angehörten. Das heißt, dass bei den meisten Personen dieses Verlaufstyps ausgehend von den Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung eine verstärkende Wirkung auf den weiteren Verlauf eintrat. Für die beiden jungen Männer (Aljoscha 03-006; Alexej 03-007), die zunächst neben der Arbeitsmarktexklusion lediglich Erfahrungen in einem weiteren Exklusionsbereich aufwiesen, verschärfte sich die Lage ebenfalls. Es handelt sich bei beiden um junge Aussiedler, die im Verlauf ihrer Biographie (das machte vor allem das zweite Interview deutlich) immer stärker sozial isoliert waren. Der Freundeskreis, der zum Zeitpunkt des ersten Interviews noch viele und vor allem deutsche und Aussiedlerjugendliche umfasste, reduzierte sich zum einen in der Anzahl, veränderte sich aber zum anderen auch in seiner Zusammensetzung dergestalt, dass die Kontakte immer stärker auf die eigene Herkunftsgruppe der Aussiedler beschränkt blieben. Die jungen Frauen und Männer weisen in ihren Ausbildungs- und Erwerbswegen von Beginn an problematische Karrieren auf. Keiner aus diesem Verlaufstyp hat eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die eine Hälfte hat nie eine Berufsausbildung begonnen, die andere Hälfte hat die Berufsausbildung ein- oder mehrmals abgebrochen. Eine Annahme dieser Arbeit (vgl. Kap. 5) war, dass Copingstrategien (und zwar im vorliegenden Fall diejenigen, die sich auf die Erwerbsbiographie bezie-
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hen) einen Einfluss auf den Ausbildungs- und Erwerbsverlauf und auch auf die Prozesse sozialer Inklusion und Exklusion haben. Es werden dabei immer zwei Ebenen von Bewältigungsstrategien betrachtet: die Einstellungs- und die Handlungsebene. Nach den normalbiographischen Vorstellungen, die alle Befragten während und auch (zumindest) unmittelbar am Beginn ihrer Ausbildungs- und Erwerbskarriere aufweisen, setzt innerhalb dieses Verlaufstyps mehr und mehr eine Abkehr von diesen Vorstellungen und Zielen ein. Bis auf wenige Ausnahmen verabschieden sich – gerade diejenigen, die bereits älter, also Anfang bis Mitte 20 sind und somit mehr (schlechte) Erfahrungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gemacht haben – von der Normalbiographie. Das bedeutet, dass hier assimilative Strategien, die auf das Beibehalten – in der Wahrnehmung der jungen Erwachsenen – allgemein anerkannter und gesellschaftlich vermittelter Normen und Vorstellungen ausgerichtet sind, zugunsten akkomodativer Bewältigungsmuster aufgegeben werden. Wie stark diese akkomodativen Bewältigungsmuster differieren können, zeigen die unten folgenden Fallbeispiele für den Verlaufstyp I. Bezogen auf die konkrete Handlungsebene zeigen sich, ähnlich den Veränderungen auf der Einstellungsebene, starke Tendenzen hin zu passiven Bewältigungsmustern. Haben fast alle jungen Frauen und Männer dieses Verlaufstyps zu Beginn ihres Ausbildungs- und Erwerbsweges versucht, Schulabschlüsse nachzuholen (Aljoscha 03-006, Alexej 03-007), (wieder) einen Ausbildungsplatz zu bekommen (Yvonne 01-007, Ralf 01-004, Robert 02-014) oder dauerhaft in Erwerbsarbeit zu gelangen (Ralf 01-004), zum Beispiel über verschiedene ABModer Zeitarbeitstätigkeiten, richten sich die Interessen im Verlauf der Biographie mehr und mehr auf das Aufrechterhalten von Transferleistungen. Zum Teil sind die Aktivitäten der jungen Erwachsenen ausschließlich auf Dinge außerhalb von Arbeit und Beruf konzentriert (Wohnung, Familie, psychische und physische Gesundheit). Diese Ausrichtung hat jedoch nicht dazu geführt, wirkliche Alternativen zu einer Erwerbstätigkeit zu entwickeln. Die soziale Ausgrenzung hat sich immer mehr verschärft. Die Passivität in ihren Strategien wird vor allem in einer Haltung deutlich, die alles auf sich zukommen lässt. Zum Teil werden noch Lippenbekenntnisse darüber abgegeben, überhaupt oder wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu wollen, aber Aktivitäten in diese Richtung finden nicht mehr statt. Neben diesen Gemeinsamkeiten, die die jungen Erwachsenen dieses Verlaufstyps aufweisen, zeigen sich jedoch individuell sehr verschiedene Wege, die zu einer immer stärkeren sozialen Ausgrenzung bei diesen jungen Frauen und Männern geführt haben. Im Folgenden werden daher drei Fallbeispiele näher vorgestellt.
8.5 Verlaufstypen
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Miriam (02-002): „Die nehmen sowieso nur Leute, die kinderlos sind.“ Familiärer Hintergrund Miriam wird Ende der 1970er Jahre in G. geboren. Ihren leiblichen Vater lernt sie nicht kennen und wächst mit der Mutter, dem Stiefvater sowie drei jüngeren Brüdern auf. Das Klima zu Hause ist sehr aggressiv, der Stiefvater schlägt sowohl Miriam als auch manchmal den jüngeren Bruder. Die Oma nimmt Miriam oftmals längere Zeit auf. Zu ihr hat sie auch später ein gutes Verhältnis. „ …aber immer, wenn meine Mutter keine Lust hatte, uns zu erziehen, da hat sie uns zu meiner Oma geschickt. Mit zerfetzten Klamotten. (I: Wie oft, wie lange warst du da bei deiner Oma?) Kommt drauf an, mal einen Monat, mal drei Monate.“
Mit der Geburt der beiden jüngsten Brüder beruhigt sich die Situation der häuslichen Gewalt etwas. Die Mutter bekommt Miriam noch während ihrer eigenen Schulzeit. Sie arbeitet später ohne Ausbildung im Lager eines Warenhauses, wird aber kurz nach der Wende arbeitslos. Der Stiefvater arbeitet im Kohlehandel, bei dem auch die Mutter bis zur Scheidung Anfang der 1990er Jahre als Sekretärin arbeitet. Aufgrund einer Bürgschaft für den Stiefvater ist die Mutter von Miriam zum Zeitpunkt des Interviews hoch verschuldet. Aufgrund der Alkoholkrankheit ihrer Mutter hat Miriam selbst immer mehr die Rolle der Mutter für ihre jüngsten Brüder eingenommen.
Schulbiographie Miriam wird Mitte der 1980er Jahre eingeschult. Während der Grundschulzeit geht sie gern zur Schule und bewältigt den Lernstoff gut. Mit einem Wohnortwechsel innerhalb der Stadt und der Neustrukturierung des Schulsystems in den neuen Bundesländern kommt sie an eine andere Schule. Dort gibt es vor allem mit den neuen Mitschülern eine Menge Probleme. Insbesondere aufgrund der Armut in der Familie hat Miriam das Gefühl nicht mithalten zu können und damit nicht dazuzugehören. „Da mussteste Markenklamotten haben, ansonsten biste nichts Wert gewesen. Und ich hatte, meine Mutter hatte ja nach der Wende keine Arbeit mehr und da hat se ja nich so viel Geld gehabt. Sozialhilfe hat sie auch nicht bezogen. (…) Da sind wir immer in Polen gewesen zum Einkaufen.“
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Sie macht an dieser Schule einen, wenn auch schlechten, Realschulabschluss. Allerdings war der Schulalltag wegen der Pflege der kleineren Brüder beschwerlich. „Ich hatte einen Tagesablauf: morgens aufstehen, meine kleinen Brüder wecken, Frühstück machen, Kinder wegschaffen, heme hechten (nach Hause laufen – B.R.), Schulranzen nehmen, in die Schule gehen, Schule abreißen, Hausaufgaben machen, irgendwas kurz reinschlappern. Musste ich meist selber für sorgen, in der Kaufhalle irgendeine Büchse kaufen. So, dann ging es um zwei, drei Kinder abholen. Da hatte ich meist ein, zwei Stunden, wo ich lernen konnte. Und äh danach habe ich mich mit meinem Bruder beschäftigt.“
Ähnlich ihrer Mutter wird auch Miriam noch während der Schulzeit schwanger. Kurz nach Beendigung der 10. Klasse bekommt Miriam einen Sohn.
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Da Miriam bereits zum Ende ihrer Schulzeit ein Kind bekommen hat, ist ihr gesamter weiterer Ausbildungs- und Erwerbsverlauf über die Tatsache bestimmt, Mutter zu sein. Zunächst zieht sie mit dem Vater des Kindes zusammen und bleibt zu Hause. Nach ca. zwei Jahren meldet sie sich beim Arbeitsamt und bekommt einen Ausbildungsplatz als Verkäuferin. „Dann habe ich eine Lehre bekommen. (I: Was hast du für eine Lehre angefangen?) Verkäuferin. (I: Und hast du dich da selber drauf beworben oder lief das über das Arbeitsamt?) Über das Arbeitsamt. Ich sollte mich mal wieder melden, bin dahingegangen und die Tante vom Arbeitsamt war sowieso nicht ganz life. (…) … na nach dem Motto, na wenn ich heute nichts kriege, da müssen sie sich selber drum kümmern. Werden schon sehen, ob sie was kriegen. (I: Haben sie dich gefragt, was du gern machen würdest?) Ja, aber das haben die nicht für voll genommen. Die haben mich bei Verkäuferin reingesteckt und das war’s. (…) (I: Und wie lange hast du die Lehre gemacht?) Sechs Monate und danach bin ich rausgeschmissen worden. (I: Warum?) Dadurch, dass der Schluss gemacht hat (der Vater des Kindes – B.R.), hat sich bei mir … bin ich andauernd krank gewesen. Der Große ist ständig durch die Kinderkrippe krank gewesen. Und dann haben sie gesagt: Tschüsi, die brauchen wir nicht mehr. Normalerweise hätten sie mich nicht entlassen dürfen, aber …“
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Bis zu ihrem Umzug nach Leipzig 1999 folgen keine weiteren Angebote für eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz. Für Miriam steht dabei fest, dass ihr Kind der Grund ist, weshalb sie weder auf dem Arbeitsamt noch von Ausbildungsbetrieben eine Chance erhalten hat, wieder eine Lehre oder einen Job zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt scheint sie durchaus noch die Vorstellung zu haben, eine Ausbildung zu absolvieren. „Mich wollten sie nicht vermitteln (das Arbeitsamt – B.R.). (I: Auch keine Maßnahmen oder so?) Gar nichts, die doch nicht. Ich habe zwar Bewerbungen geschrieben, dass ich jemanden hätte, der sich um das Kind kümmern könnte – immer Ablehnungen gekriegt. Ich weiß auch warum. Also, die hatten ein Problem, dass ich ein Kind hatte.“
Noch in G. lernt sie einen neuen Mann kennen, mit dem sie zum Zeitpunkt der Interviews zusammenlebt. Gemeinsam ziehen sie nach Leipzig. Bis zum Zeitpunkt des ersten Interviews bekommt Miriam gemeinsam mit ihrem Freund (André, 02-001) zwei Töchter (im Mai 2000 und im November 2001). Mit nunmehr drei Kindern entfernt sich Miriam immer mehr von der ursprünglich noch vorhandenen Idee, eine Ausbildung aufnehmen zu wollen, wobei ihren Erzählungen nicht entnommen werden kann, ob der vollständige Rückbezug auf die eigene Familie eine Reaktion auf ihre schlechten Chancen auf dem Ausbildungsund Arbeitsmarkt ist oder ob ihre Präferenzen von Beginn an eher auf der Rolle als Mutter und Hausfrau gelegen haben. Im Interview wird jedoch deutlich, dass alle eigenen Überlegungen, die sich auf Ausbildung oder Erwerbsarbeit beziehen, sofort durch die (u. U. vermeintliche) Annahme außer Kraft gesetzt werden, dass man mit Kindern keine realistische Chance auf dem Arbeitsmarkt hat. Eine Ausbildung kommt laut ihren Überlegungen nicht mehr in Frage. „Wenn man drei Kinder hat, wäre es angebrachter gleich einen Job zu haben, aber keinen, wo man vielleicht noch Schichten arbeiten muss. (…) Mmm, die nehmen sowieso nur Leute, die kinderlos sind. (I: Und wie willst du das zukünftig machen?) Ich schätze mal, bis alle in die Schule gehen, kriege ich sowieso erst mal nichts. Weil da nehmen die lieber Leute, die keine Kinder haben.“
Es wird also bezogen auf ihren weiteren Ausbildungs- und Erwerbsweg eine passive Strategie sichtbar. Es erfolgt in ihren Aussagen kein klares Bekenntnis zu ihrer auf die Familie bezogenen Rolle. Dies ändert sich auch nicht zum Zeitpunkt des zweiten Interviews, zu dem sie erneut schwanger ist und ihr viertes Kind erwartet.
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Die Orientierung darauf, zumindest jobben zu gehen, findet sich nun gar nicht mehr. Die Begründungen, weshalb es mit einer Ausbildung oder Arbeit sowieso nicht klappen würde, sind die gleichen geblieben auch wenn Miriam, außer der Erfahrung mit der angefangenen Verkäuferinnenlehre, keine weiteren Erfahrungen mit einer Ausbildung oder einem Job gemacht hat. „Ich werd’ auch keine Arbeit kriegen, wenn man es so nimmt. Im Prinzip könnte ich mir noch 10.000 Kinder anschaffen, weil Arbeit mit vier Kindern – na ja. Ich habe es gesehen wie schwer es war mit einem Kind. (…) Deswegen (wegen Arbeit – B.R.) haben wir uns ja auch mal mit der Oma gestritten, weil die sagt auch immer, ja ich war arbeiten und hatte auch Kinder. Bloß heutzutage, die Zeit ist anders. (…) … früher zu DDR-Zeiten, da konnste mit fünf Kindern – und hast Arbeit gehabt. Heute, wenn du sagst, hier ich habe Kinder: Tschüsi, melden sie sich dahinten, ich weiß nicht, wer da zuständig ist. Da lassen die sich dann irgendwelche Ausreden einfallen.“
Die antizipierten Benachteiligungen von Frauen mit Kind oder Kindern bezieht Miriam sowohl auf das Arbeitsamt als auch auf potentielle Arbeitgeber. Dementsprechend hat Miriam auch keinerlei Kontakte mehr zum Arbeitsamt.
Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf Sowohl das Aufwachsen, als auch ihr bisheriges Erwachsenenleben ist gekennzeichnet von Armut. Miriam hat selbst (ausgenommen die wenigen Monate ihrer begonnenen Ausbildung) nie ein Gehalt bezogen. Sie ist auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Der Hauptteil des ihr zur Verfügung stehenden Geldes ist das Erziehungs- und Kindergeld für ihre Kinder. Miriam selbst bringt ihre Situation wie folgt auf den Punkt: „Ich krieg’ doch nichts vom Staat. Ich ernähre mich nur durch die Kinder.“
Da ihr Freund lediglich Sozialhilfe bezieht, leben beide unter äußerst prekären materiellen Bedingungen. Das hat neben den Schwierigkeiten, einen normalen Alltag zu organisieren (Einkauf, Kleidung u. a.) auch große Auswirkungen auf ihre Teilhabe am kulturellen Leben. So muss beispielsweise jeder Kinobesuch finanziell abgeklärt werden, aber auch die Aufsicht der Kinder muss organisiert werden. Das führt wiederum dazu, dass Miriam im Laufe der Zeit, insbesondere seit dem Umzug nach Leipzig, kaum noch soziale Kontakte hat und ihre soziale Isolation deutlich zugenommen hat.
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Transferleistungen bilden das einzige Einkommen für Miriam und ihre Kinder. Dafür hat sie regelmäßig Kontakt zum Sozialamt. Dennoch herrscht bei ihr eine große Zurückhaltung Ämtern gegenüber. Den Kontakt zum Arbeitsamt hat sie völlig aufgegeben. Dem Jugendamt, das eine Erziehungshilfe für ihren ältesten Sohn gefordert hat, steht sie besonders skeptisch gegenüber: „Die (das Jugendamt – B.R.) sollen wegbleiben. Die sollen sich um die Leute kümmern, die es wirklich brauchen. (…) Vom DRK hatte ich noch Sachen gekriegt, weil ich gesagt hatte, mit Ämtern möchte ich gar nichts mehr zu tun haben. Die hängen sich bloß rein und wollen die Finanzen dargelegt haben. Da rechnen die mir vielleicht noch vor, was ich im Monat auszugeben habe. Und das will ich nicht. Deshalb war ich beim DRK.“
Wenn Probleme mit Einrichtungen oder Ämtern auftauchen, agiert Miriam eher vermeidend und versucht, sich um weitere Alternativen für den Lebensunterhalt, zumindest ergänzend, zu kümmern. Miriam hat sich zwar darin eingerichtet, Transferleistungen zu erhalten und lässt kaum noch die Tendenz erkennen, in ein Erwerbsleben einmünden zu wollen, ist jedoch mit ihren Lebensverhältnissen sehr unzufrieden. Ein klares Bekenntnis dazu, dass sie sich in ihrem Leben vorwiegend in der Rolle der Mutter und Hausfrau sieht, findet sich in beiden Interviews nicht. Nicht zuletzt durch ihren Freund, der ein aktives Mitglied der Neonaziszene war und nach wie vor ausländerfeindlich ausgerichtet ist, zeigt auch Miriam stark ausländerfeindliche Tendenzen in ihren politischen Äußerungen: „Wir wollen denen ja nicht die Gusche einhauen. Wir wollen nur, dass nicht so viele hierein kommen. (…) Das habe ich auch gesagt, also so weit reicht’s, das kann nicht sein. Ich habe im gewissen Teil gegen so ne Leute (Ausländer – B.R.) was, weil die können nicht einfach reinkommen und sagen, jetzt kriege ich Arbeit und schön ist es. Weil so ist es einfach nicht. Wir Deutsche müssen drum kämpfen, dass wir überhaupt …(…) Wie ich die Lehre hatte, da hatten wir hinter der Berufsschule ein Asylantenheim und die Lehrerin hat erzählt, dass die pro Familie 50.000 Mark kriegen, nur damit sie dort drinne wohnen. (…) Es kommt auch auf die Menschen an, weil es gibt welche, die sind ganz in Ordnung, das können auch Ausländer sein. Aber solche, die reinkommen und nur Kohle abfassen und sich dick und fett hinstellen, ich bin was, die Leute finde ich auch nicht in Ordnung. Unsereins muss sehen, wie er mit dem Arsch an die Wand kommt und die kommen rein und sagen, wir wollen …“
Es finden sich bei den Erzählungen zu ihrer politischen Haltung die fast stereotyp vorgebrachten Argumente rechtsradikaler Gedanken. In aktive Handlungen setzen sich diese Haltungen bei Miriam allerdings nicht um. Das wird u. a. in ihrem Wahlverhalten deutlich. Für ihre Nichtteilnahme an Wahlen (konkret der
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Bundestagswahl im Herbst 2002) führt sie an, dass sie nicht mit allen Kindern hätte zur Wahl gehen können. Hier wiederholt sich ein Argument, welches sich bei Miriam immer wieder findet. Für Aktivitäten, die sie als gesellschaftlich erwünscht antizipiert (eine Ausbildung machen, erwerbstätig sein, zu Wahlen gehen), führt sie als Grund für das Nichtgelingen oder das Nichtausführen jeweils ihre Kinder an, deren Vorhandensein (es wird nicht mit Aufsicht und Betreuung der Kinder argumentiert) ihr bestimmte Handlungen unmöglich machen.
Ralf (01-004) „Es ist auch ein ganzes Stück schwerer, wenn du auf der Straße bist.“ Familiärer Hintergrund Ralf wird Ende der 1970er Jahre in Polen geboren und zieht in seinem vierten Lebensjahr gemeinsam mit seinen Eltern nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Nach Ralfs Aussagen war sein Vater eine zeitlang Kranführer und seine Mutter hat als Sekretärin beim Kohlehandel gearbeitet. Er hat insgesamt noch fünf Geschwister, zu denen er heute jedoch keinerlei Kontakt mehr hat. Die Eltern lassen sich nach dem Umzug in die DDR sehr bald scheiden. Von 1989 an ist Ralf für fast vier Jahre in einem Jugendwerkhof. Erst nach der Wende erfährt Ralf, dass sein Vater 1990 verstorben ist. „Und erst mit 16, auf normalem Weg wieder zurück nach Chemnitz (aus dem Jugendwerkhof – B.R.). Zu meiner Mutter, die Geschwister waren schon alle weg. Wo die waren – keine Ahnung. Habe seitdem auch keinen Kontakt mehr gehabt. Und meine Mutter hatte einen neuen Freund.“
Sechs Jahre später verstirbt auch seine Mutter. Grund war jeweils Alkoholsucht, bei seiner Mutter kam zudem eine Tablettensucht hinzu. Mit dem Freund, mit dem seine Mutter bis zu ihrem Tod zusammengelebt hatte, kam Ralf nach eigenen Aussagen nicht zurecht, so dass er sich möglichst wenig zu Hause aufhielt und den Kontakt zur Familie auf ein Minimum beschränkte.
Schulbiographie Seine Schulbiographie lässt Ralf in seinem Interview fasst völlig aus den Erzählungen heraus. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr läuft alles recht gut in der Schule. Dann verschärft sich die Situation durch die Alkoholsucht seiner Eltern
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und er wird, nachdem bei ihm „überhaupt nichts mehr ging“, als schwer erziehbar in den Jugendwerkhof gebracht. „Ich habe da (im Jugendwerkhof – B.R.) auch meine Schule beendet. Warste ja auch gezwungen praktisch teilweise.“
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Noch im Jugendwerkhof schließt Ralf an seinen Schulabschluss eine Berufsvorbereitung an. Daran anschließend (1993) beginnt er eine Ausbildung als Maler und Lackierer bei einer großen Chemnitzer Malerfirma. Zwar bleibt er drei Jahre in dieser Ausbildung, legt jedoch nur die praktische, aber nicht die theoretische Prüfung ab. Im Anschluss daran wechseln sich Zeiten ab, in denen er gejobbt hat und in denen er arbeitslos war. Wenn er zwischendurch auch „offizielle“ Jobs hatte, ist er dieser Arbeit häufig ferngeblieben. „Da war ich auch zwischenzeitlich immer mal arbeitslos, aber da hatte ich auch teilweise Arbeit gehabt. Da hatte ich so eine Art Elektriker gemacht, ABM hatte ich gemacht, zwischenzeitlich Staplerführerschein gemacht und alles. (…) Ja, ich hatte hier in Chemnitz immer mein Job. Aber ich habe mir das einfacher gemacht und habe einen Krankenschein geholt, so dass ich dann mal, na o.k. heute machen wir eine Weltreise nach Hannover, Chaostage. Oder mit ein paar Kumpels an die Nordsee.“
In dieser Zeit, in der Ralf fest in der Punkerszene verankert war, ist er kaum ernsthaft auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder einer längerfristigen Arbeitsstelle. Zeitweise verdient er sich seinen Lebensunterhalt mit Betteln. „Das war auch so üblich, weil klauen wollteste auch nicht immer, und da haste dich halt hingestellt, haste mal ne Mark und so. Gehört halt zum Lebenslauf. (…) (I: Du hast ja immer zwischendurch so Jobs gehabt. Waren das auch so Zeitarbeitsfirmen?) Ja, solche Zeitarbeitsfirmen, aber das hat auch nicht immer hingehauen mit dem Geld. So dass ich auch gesagt hab, da kann ich mich auch auf die Straße hinstellen, da kriege ich mehr. Ich habe voriges Jahr eine gehabt (eine Freundin – B.R.), die hat in der JBH (Jugendberufshilfe – B.R.), draußen, so eine Einrichtung. Die ist mit drei Mark heime gegangen am Tag. Ich saß hier bei Rossmann, 60-80 Mark am Tag.“
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Nichtsdestotrotz hält er regelmäßig Kontakt zum Arbeitsamt und lässt sich bei seinen Behördenangelegenheiten von Einrichtungen der Jugendberufshilfe unterstützen. Er erhält über das Arbeitsamt eine Lehre als Elektriker. Aufgrund eines langen Krankenhausaufenthaltes (ein Unfall in Folge von übermäßigem Alkoholeinfluss) wird er aus gesundheitlichen Gründen aus dieser Lehre wieder entlassen. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews macht Ralf gerade einen Grundausbildungslehrgang zum Maler und Lackierer. Damit verbindet er die Hoffnung, nun doch seine vor Jahren abgebrochene Ausbildung beenden zu wollen. Zum Zeitpunkt des zweiten Interviews wird noch deutlicher, dass sich Ralf auf das verlässt, was von außen an ihn herangetragen wird. Er wird nach dem Grundbildungslehrgang wieder arbeitslos. Das Vorhaben, seine Ausbildung abzuschließen oder gar eine neue Ausbildung zu beginnen, hat er nun gänzlich aufgegeben. „Ich habe mich arbeitslos gemeldet. Ich habe gesagt gehabt da drin (beim Arbeitsamt – B.R.), wenn ihr was findet für mich, auch das, was ich gerne machen will. Da meldet euch. (I: Also eine Ausbildung noch?) Nein, eine Ausbildung kriege ich keine mehr. Keine Umschulung bzw. ABM. Wenn dann halt eben einen normalen Job. Oder einen Nebenjob. (I: Wieso kriegst du keine Ausbildung mehr?) Weil ich über dem Altersdurchschnitt bin. Da kriegst du keine Ausbildung oder ABM mehr am Ende. (…) Das war es dann. (…) (I: Welche Richtung hast du jetzt angegeben, was du gern machen würdest?) Ich wollte eigentlich eher so ins Transportunternehmen rein. Aber momentan läuft das so oder so nicht. Von daher sage ich mir, (…), mache ich meine Arbeitsstunden (vom Gericht angeordnet – B.R.) fertig. So und danach gehe ich wieder auf das Arbeitsamt.“
Ralf hat sich damit immer mehr von der Vorstellung entfernt, über eine abgeschlossene Berufsausbildung in ein stabiles Arbeitsverhältnis zu kommen. Er wartet darauf, dass ihm das Arbeitsamt etwas vermittelt, glaubt aber auch nicht daran, dass er wirklich etwas bekommt, schon gar nicht in der von ihm favorisierten Richtung. Insbesondere das zweite Interview verdeutlicht, dass das Leben jenseits von Ausbildung und Erwerbsarbeit eine viel wichtigere Rolle für Ralf spielt und fast alle Ziele, die er sich setzt und Überlegungen, die er für die Zukunft anstellt, sich außerhalb von Ausbildung und Beruf befinden.
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Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf Ralf hat sich schon kurz nach seiner Rückkehr aus dem Jugendwerkhof der Punkszene in Chemnitz angeschlossen. In diesem Zusammenhang gab es häufiger Kontakte mit der Polizei. „(…) `97 war hier der letzte Zentralstress gewesen mit der Polizei. (…) Weil da wollten uns die Bullen vertreiben, alle so raus aus Chemnitz. Wir würden nicht zur Gesellschaft gehören und so. Und da kamen dann die ganzen Leute von überall her (andere Punks – B.R.). Das war mir auch dann irgendwann zu viel. Da bin ich nur noch ein halbes Jahr dabei geblieben.“
Ralf steigt dann konsequent aus der Punkszene aus und bereut dies auch später nicht. Er hat auch weiterhin einen Freundeskreis, dabei handelt es sich jedoch nach wie vor um Frauen und Männer, die sich selbst in äußerst prekären Lebenslagen befinden. Keiner aus seinem Freundeskreis hat eine normale Erwerbsarbeit. Mit Freunden gemeinsam verübt er kriminelle Delikte, u. a. Körperverletzung und Diebstahl sowie Schwarzfahren. Dafür erhält er eine zweijährige Bewährungsstrafe, die er zum Zeitpunkt des Interviews bereits verbüßt hat. Ein zentrales Thema in Ralfs Leben ist immer wieder die Frage des Wohnens. Er hat zeitweise in einem Nonnenhaus der Stadtmission gewohnt, zuweilen auch in verschiedenen Punk-WG’s. Aus seiner ersten Wohnung musste er nach einem Jahr wieder ausziehen, weil es Ärger mit den weiteren Mietern des Hauses gab (Ruhestörung u. a.). Eine zeitlang war Ralf ohne Wohnung, obwohl er sich dagegen wehrt zu sagen, er war obdachlos. „Ich will mal sagen, obdachlos gibt es gar nicht in Deutschland. Es gibt nur wohnungslos, weil es gibt Einrichtungen, wo man reingehen kann. (…) Obdachlos kann ich nicht sagen, in keiner Großstadt, in der ich je gewesen bin. Man hat auch Kumpels, die Wohnungen haben, scheißegal, wie die schon aussieht, hat man geklingelt, komm rein, kriegst ein Bier.“
Seine finanzielle Situation hat sich im Verlauf der Jahre ebenfalls immer mehr verschlechtert. Aufgrund hoher Schulden, erhält er nun über einen amtlichen Betreuer von seiner Arbeitslosenhilfe 40 Euro pro Woche. Aber er thematisiert auch die Probleme, die man hat, wenn man keine Wohnung hat, kein Geld und auch sonst nicht dazugehört.
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8 Ergebnisse „Es ist auch ein ganzes Stück schwerer, wenn du auf der Straße bist, du hast nun keine Eltern mehr, hast dich von ein paar Leuten abgeseilt, weil du weißt, wie das abläuft. Das ist ja keine Szene mehr, die meisten, schon damals, gehen alle ihre Wege, aber trotzdem sitzte dann irgendwie da: Wie kommste an zusätzlich Geld? Oder so.“
Ähnlich seinem Handeln in Bezug auf Ausbildung und Arbeit wartet Ralf auch bei der Suche nach einer Wohnung immer ab, dass sich externe Stellen darum kümmern. Das verweist insgesamt auf ein passives Verhalten. Das Fazit, welches er selbst über sein Handeln zieht, ist, dass er lieber alles auf sich zukommen lässt und es sich nicht schwer macht.
Yvonne (01-007) „Ich will mich nicht immer von ABM zu ABM schleppen.“ Familiärer Hintergrund Yvonne wird Anfang der 1980er Jahre in L. geboren, wächst jedoch in Z. auf. Die familiäre Situation von Yvonne stellt sich als äußerst schwierig dar und die Auseinandersetzung damit überschattet alle anderen ihrer Lebensbereiche. Yvonne wurde sehr früh adoptiert, was sie allerdings erst im Alter von 17 erfährt. Trotz ihrer diesbezüglich bereits früher angestellten Vermutungen, führte die Gewissheit um ihre Adoption zu einer Krise bei Yvonne. Dennoch erkennt sie die Adoptiveltern als ihre richtigen Eltern an. Besonders zu ihrer Mutter, die vor der Wende als Textillaborantin gearbeitet hat und seitdem fast zehn Jahre arbeitslos war bevor sie als Verkäuferin in einem Textilgeschäft wieder arbeitet, hatte sie ein gutes Verhältnis. Das Verhältnis zu ihrem Vater, der beim Rohrleitungsbau tätig war, Ende der 1990er Jahre jedoch arbeitslos wurde, ist jedoch sehr konflikthaft. Von ihm wurde sie – besonders in der Pubertätsphase – sehr streng erzogen. Der besondere Knackpunkt für das Verhältnis ist jedoch die im Interview angedeutete sexuelle Nötigung durch ihren Adoptivvater während der Kindheit. Dieses Erlebnis hatte zum einen Auswirkung auf ihr Verhältnis zum Vater, aber auch zur Mutter sowie auf Yvonnes psychische und damit auch physische Verfasstheit. Letztere Auswirkungen wurden besonders in der späteren Adoleszenzphase (ca. ab dem Alter von 17 bis 18) sichtbar. Yvonne berichtet von Essstörungen, die immer wieder auftreten (bis zum Zeitpunkt der beiden Interviews) sowie von autoaggressivem Verhalten. Während ihrer Ausbildung kommt sie wegen eines Unfalls, der vermutlich ein Selbstmordversuch war, ins Krankenhaus.
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„Das ist … manchmal hat man irgendeine Wut in sich, die man nicht loskriegt und da schnippelt man an sich rum. Und so ne Dinger. Das war aber nie auf der Basis, ich will mich umbringen, sondern nur damit du den Schmerz irgendwie spürst, dass du noch da bist. Sowas halt. War halt ein bisschen tief.“
Schulbiographie Trotz dieser familiären Probleme hat Yvonne gute Schulleistungen und schließt die Schule mit einem guten Notendurchschnitt nach der 10. Klasse ab. Aber auch die Schulzeit verläuft nicht ohne Probleme. An die ersten fünf Schuljahre kann sich Yvonne nicht mehr erinnern. Nach dem Schulwechsel gehört sie zwar zu den Leistungsstärksten in der Klasse, hat aber kaum Freunde, wird gehänselt oder gar verprügelt. „… da bin ich dann da rein gekommen (in die Realschule – B.R.) und ich war immer die Beste. Dabei habe ich gar nicht irgendetwas gelernt, ich habe einfach nur zugehört, weil ich mit den Leuten immer nicht so klar kam, sah auch wie ein Junge. (…) Ja, ich sah immer aus wie ein Junge, dann waren Tussen drinne (…) ich hatte eben keine Markenklamotten und sehe auch wie ein Junge, bin ja auch der größte Streber, den es gibt. Ich bin ja auch viel verprügelt worden. Ich habe niemanden gehabt.“
Lediglich in einer Nachbarklasse findet Yvonne eine Freundin, mit der sie sporadisch Kontakt hat. Ansonsten bleibt Yvonne sowohl in ihrer Familie, als auch der Schule und der Freizeit stark isoliert. Aufgrund der Ablehnung in der Klasse versucht Yvonne jedoch, sehr gute schulische Leistungen zu erzielen und lässt sich durch ihre Mitschülerinnen und Mitschüler nicht beeinflussen. So beendet sie die Schule mit einem Notendurchschnitt von 1,4 und beginnt unmittelbar im Anschluss eine Berufsausbildung.
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Yvonne nimmt nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung zur Physiotherapeutin auf. Die Physiotherapieschule besucht sie zwei Jahre lang. Aufgrund eines Selbstmordversuches bleibt sie einige Zeit im Krankenhaus und ist auch nachdem sie wieder zu Hause lebt, häufig krank. Infolge dieser Fehlzeiten sollte sie das gesamte Lehrjahr aussetzen, es anschließend wiederholen und dann ihre Ausbildung abschließen. Wegen der nach wie vor komplizierten Situation zu Hause beschließt Yvonne jedoch, Z. zu verlassen. Sie geht nach Chemnitz, wo
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sie eine entfernte Freundin hat. Sie verbleibt seitdem mit wenigen Ausnahmen in Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe. „(…) da habe ich gleich am Anfang (als sie nach Chemnitz gekommen ist – B.R.) so einen Lehrgang vom Arbeitsamt gekriegt. (…) Also ich habe mich da beworben, am Anfang habe ich Sozialhilfe bekommen und kurz drauf habe ich diesen Lehrgang vermittelt bekommen, über acht Monate in der Werkstatt Holz, Metall, da hatte ich immer viel zu tun. Und da habe ich auch gut Geld gekriegt und nach acht Monaten war ich wieder arbeitslos und jetzt bin ich wieder in der Sozialhilfe.“
Zum Zeitpunkt des ersten Interviews geht Yvonne nach eigener Aussage noch regelmäßig zum Arbeitsamt. Sie schreibt auch einige Bewerbungen für einen neuen Ausbildungsplatz. Allerdings zeigt sich eine starke Orientierungslosigkeit bezüglich der Richtung ihrer beruflichen Zukunft. Das einzige, was sie mit Bestimmtheit sagt, ist, dass sie eine Ausbildung machen möchte. Dafür fühlt sie sich mit 20 noch jung genug. Vor allem möchte sie keine Maßnahmen, Qualifizierungskurse oder ABM mehr. Sie möchte gleich „etwas Richtiges machen“. Sie möchte sich aber keinesfalls mehr zur Physiotherapeutin ausbilden lassen. Ansonsten finden sich in den Erzählungen von Yvonne Berufswünsche, die von Meeresbiologin, über Tierpflegerin und Maskenbildnerin hin zu Floristin reichen. Anscheinend gibt es im Umfeld von Yvonne auch keine Personen (weder ihr Freund, noch andere Freunde oder institutionelle Stellen wie das Arbeitsamt oder Jugendhilfeeinrichtungen), mit denen sich Yvonne über ihre berufliche Zukunft beraten könnte. Sie bekommt vom Arbeitsamt Adressen, bei denen sie sich um eine Ausbildung bewerben soll (was sie zumeist erfolglos schon aus Eigeninitiative getan hat), ohne dass ein inhaltliches Interesse an den jeweiligen Ausbildungsrichtungen vorhanden ist. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews muss Yvonne im Rahmen eines Programms „Arbeit statt Sozialhilfe“ für ca. 14 Stunden in der Woche arbeiten gehen. Sie leistet diese Stunden bei der Volkssolidarität in der Seniorenbetreuung. Zwar kann sie sich dadurch ein bisschen Geld dazuverdienen. Die äußerst prekäre Armutslage mindert das jedoch kaum. Zum Zeitpunkt des zweiten Interviews berichtet Yvonne, dass sie seit fast einem halben Jahr nicht mehr zum Arbeitsamt gegangen ist. Ihr allgemeiner persönlicher, besonders seelischer, Zustand hat sich in dieser Zeit stark verschlechtert. „(…) aber ich kriege momentan das Kindergeld nicht, weil ich auf dem Arbeitsamt nicht gemeldet bin. (…) Bloß, ich bin von denen (dem Arbeitsamt – B.R.) übelst enttäuscht, weil die haben ja … ich habe selber von mir viel mehr Bewerbungen geschrieben, als die mir Adressen zugesandt haben. Und die Adressen, die die mir zu-
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gesandt haben, ohne eine Ausnahme, waren alles Adressen, wo ich längst die Absagen in der Tasche hatte. Und das sind alles so ne Enttäuschungen. Ich habe dann auch gar keinen Bock mehr gehabt am Anfang, dorthin zu gehen. Und jetzt habe ich Angst davor hinzugehen, weil es ja schon wieder so lange her ist.“
Zwar sagt Yvonne auch jetzt noch, dass sie eine Ausbildung absolvieren möchte, die diesbezüglichen Aktivitäten sind jedoch kaum mehr vorhanden. Sie kümmert sich nicht mehr um Bewerbungen, und eine größere Klarheit über die Richtung der Ausbildung hat sie in den letzten Monaten nicht gewonnen. Ähnlich der Tätigkeit bei der Volkssolidarität übt Yvonne acht Monate später im Rahmen von „Arbeit statt Sozialhilfe“ eine stundenweise Arbeit aus. Sie ist dabei Reinigungskraft in einer Kirche. Aufgrund ihres psychischen und physischen Zustands fehlt sie jedoch sehr oft oder geht gar nicht zu dieser Arbeit. Es wird deutlich, dass eine Ausbildung oder gar eine Vollzeittätigkeit derzeit von Yvonne kaum zu bewältigen wäre. Dies ahnt oder weiß sie zwar, lässt sich jedoch von kaum einer Seite mehr helfen, spätestens seit ihre Vertrauensperson, eine Sozialpädagogin aus einer Jugendeinrichtung, die Stadt verlassen hat. „Na, weil … die ganze Hoffnung, die ich damals hatte mit Lehre etc. ist alles nur den Bach runter gegangen. Ich bin momentan einfach total ausgelaugt, ich bin einfach nur kaputt. Ich esse wieder fast gar nichts. (…) Aber es ist halt alles … es ist für mich so hoffnungslos. … Ach, ich weiß es auch nicht mehr.“
Nicht nur hinsichtlich des eigenen Ausbildungs- und Erwerbswegs stellt sich die Lage für Yvonne immer prekärer dar, auch ihr Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf hat sich in den letzten Monaten mehr und mehr verschlechtert.
Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf Im Fall von Yvonne liegt die Vermutung nahe, dass es vor allem die familiären Erfahrungen, aber auch das Fehlen von echten Bezugspersonen außerhalb der Familie sind, die negative Auswirkungen auf ihr Leben insgesamt, aber auch ihr Erwerbsleben hatten. In ihren Bewältigungsstrategien wird eine immer größere Passivität sichtbar, besonders im Rückzug von Institutionen (Arbeitsamt, Jugendhilfeeinrichtungen), aber auch im Rückzug von Personen (größer werdende Distanz zu ihrem Lebenspartner). „Der M. (ihr Freund, 01-006 – B.R.) hat mir am Anfang sehr viel geholfen, der war da. (…) Der ist nicht gegangen, der hat mir immer wieder Chancen gegeben. (…)
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8 Ergebnisse Und jetzt sind wir schon über ein Jahr zusammen und ich habe jetzt das Gefühl, dass wir gar nicht mehr miteinander so richtig klar kommen. (…) und sein größtes Problem ist, dass ich nicht mit ihm rede.“
Die Isolationstendenzen, die sich im Bereich Ausbildung und Beruf mit dem Fernbleiben vom Arbeitsamt bereits zeigten, finden auch im Privatleben ihre Fortsetzung. Yvonne hat keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater, kaum Kontakt zu ihrer Mutter und sie hat keinen eigenen Freundeskreis. Neben dieser sozialen Isolation haben sich jedoch auch in weiteren Aspekten die Lebensbedingungen für Yvonne verschlechtert. Da ihr Freund über gar kein eigenes Einkommen verfügt und weder beim Arbeitsamt, noch beim Sozialamt gemeldet ist, versuchen beide von der Sozialhilfe von Yvonne sowie der Unterstützung der Oma ihres Freundes zu leben. Dabei leben sie unterhalb der Armutsgrenze. „(I: Was hast du jetzt an Geld zur Verfügung?) 106 Euro im Monat und dann das, was ich jetzt arbeite. Je nach dem wie viele Stunden. (I: Und wie macht ihr das dann so?) Ne Woche von meinem Geld leben. Dann Oma. (…) Wir kriegen da so fünf bis zehn Euro jeden Tag, davon werden Kippen gekauft und Essen. (…) Wir leben von Nudeln mit Soße.“
Kleidung kaufen oder kulturelle Aktivitäten (Kino, Kneipe o. Ä.) liegen für Yvonne weit außerhalb der Möglichkeiten. Ihr Interesse an politischen Themen oder daran, selbst wählen zu gehen, ist im Verlauf der Zeit immer geringer geworden. Sie versucht, sich durch Massenmedien, wie z. B. Fernsehen, nur noch abzulenken. Die Dinge, die sie in ihrem Leben regeln müsste, türmen sich für sie zu hohen Mauern auf, die sie eher zunehmend passiv machen als dass sie sie aktiv überwinden könnte. „Wenn das alles nur mal geregelt wäre. Wenn ich jetzt die neue Wohnung hätte und ich wüsste die Miete würde ordentlich bezahlt und ich hab meine Lehrstelle, dann würde ich mich um die Hälfte leichter fühlen, ehrlich. Aber das ist noch so viel, was da auf mich zukommt. Und ich bin einfach nur alleine. Ich muss das alles alleine auf die Reihe bringen. Klar, ich kann mir Unterstützung holen, aber ich muss es trotzdem alleine machen …. Und ich denke, ich krieg das einfach nicht hin.“
Dieses letzte Fallbeispiel für den ersten Verlaufstyp stellt eine Entwicklung dar, die von besonders schweren familiären Verhältnissen überschattet wird, die auf alle anderen Lebensbereiche ausstrahlen. Trotz guter Schulleistungen und einer
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begonnenen Ausbildung schafft es Yvonne nicht zurück in einen normalen Ausbildungs- und Erwerbsweg. Kontakte zu anderen, insbesondere zu Institutionen wie dem Arbeitsamt, werden immer seltener und ihr diesbezügliches Handeln immer passiver.
Zusammenfassung Verlaufstyp I Im Verlaufstyp I sind diejenigen Personen aus dem Untersuchungssample zusammengefasst, bei denen sich die Aspekte sozialer Exklusion im Verlauf ihrer Biographie immer mehr verstärkt haben. Bei ihnen stellt sich bis zum Zeitpunkt der beiden geführten Interviews soziale Ausgrenzung als ein Syndrom dar, bei dem neben dem anhaltenden Ausschluss vom Arbeitsmarkt eine Vielzahl weiterer Entwicklungen sozialer Exklusion auf der Interdependenz- und Partizipationsebene beobachtet werden können, die sich immer stärker verfestigt haben. Bei vier der insgesamt sechs jungen Frauen und Männer wurde bereits frühzeitig in deren Bildungs- und Ausbildungsbiographie eine Reihe von Exklusionserfahrungen sichtbar. Sie wurden in die Analysegruppe B eingeordnet, also die Gruppe, bei der neben der Arbeitsmarktexklusion als Auswahlkriterium für die Aufnahme ins Sample, bereits in mehr als einem weiteren Merkmal soziale Exklusionserfahrungen deutlich wurden. Nur bei zwei jungen Männern wurden diese Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung erst im weiteren Biographieverlauf offensichtlich. Sie waren zunächst der Analysegruppe A zugeordnet worden, da sie neben der Marginalisierung am Arbeitsmarkt lediglich von materieller Ausgrenzung berichteten. Zum Zeitpunkt des zweiten Interviews befinden sich alle Befragten dieses Verlaufstyps in der Analysegruppe B. Ihre Entwicklung verdeutlicht, dass sich die Bedingungen für sie noch einmal verschärft haben und nicht auf einem – wenn auch niedrigen – gleichen Niveau verblieben sind (wie z. B. bei Personen des Verlaufstyps II, s. u.). Der anhaltende Zustand der Nichterwerbstätigkeit ist ein besonders augenfälliges Merkmal der jungen Erwachsenen in diesem Verlaufstyp. Dazu kommen materieller Ausschluss und Armut, die sich negativ auf die kulturellen Teilhabechancen auswirken. Hinzu kommen Erfahrungen institutioneller Ausgrenzung. An dieser Stelle wird eine Wechselwirkung von institutioneller Ausgrenzung durch die entsprechenden Gatekeeper und Selbstausgrenzung durch die Betroffenen selbst sichtbar. So berichten die jungen Erwachsenen dieses Typs, dass sie von Ämtern oder z. T. anderen Einrichtungen nicht ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechend behandelt würden. Auf der anderen Seite führt diese vermutete oder real erfahrene Ablehnung seitens offizieller Institutionen dazu, dass sich die jungen Erwachsenen diesen Einrichtungen verweigern und
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vor allem das Arbeitsamt oftmals meiden. Zuweilen nehmen sie dabei sogar finanzielle Nachteile in Kauf. Ein Aspekt sozialer Exklusion wird bei diesem Verlaufstyp jedoch besonders deutlich und scheint bezeichnend für die Negativspirale, in der sich die jungen Frauen und Männer dieses Typs befinden: Trotz aller in den Einzellfällen deutlich gewordenen Unterschiede in den Entwicklungen ist allen diesen jungen Erwachsenen gemeinsam, dass sie einer immer größeren sozialen Isolation unterworfen sind. Das meint zum einen tatsächliche Vereinzelung (vgl. Miriam, Yvonne), bei der sich die Kontakte zu Familie und Freunden zahlenmäßig immer weiter reduzieren. Die jeweiligen Lebenspartner befinden sich gleichfalls im Zustand sozialer Ausgrenzung. Zum anderen zeigt sich zunehmende soziale Isolation auch bei denjenigen, die ausschließlich Kontakt zu Personen haben, die ebenfalls sozial exkludiert sind (Ralf). Durch diese Personengruppe finden die Betroffenen zwar teilweise Unterstützung darin, wie sie sich im Zustand sozialer Exklusion zurechtfinden, es besteht jedoch auch die Gefahr, sich letztendlich in diesem Zustand einzurichten (trotz der zumeist empfundenen Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation). Die beiden jungen Aussiedler in diesem Verlaufstyp können zwar innerhalb der Familie auf ein funktionierendes Netzwerk zurückgreifen, sind als Familie in ihrer Umgebung (Aussiedler in einem Neubaugebiet einer Kleinstadt) dennoch isoliert. Neben sozialer Isolation und ihrer Verschärfung als wichtigem Merkmal für diesen Verlaufstyp, überwiegen bei den jungen Erwachsenen passive Bewältigungsmuster. Bezogen auf den Einstieg oder die Rückkehr in den Ausbildungsund Arbeitsmarkt verringern sie ihre Aktivitäten mit der Zeit deutlich. Nach wiederholten Misserfolgserlebnissen ziehen sie sich mehr und mehr zurück und versuchen, andere Lebensbereiche in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten zu stellen. Das geht einher mit der Verstetigung oder der Entwicklung hin zu akkomodativen Bewältigungsmustern auf der Einstellungsebene. Die passiven Handlungsstrategien erstrecken sich zum Teil auch auf Bereiche jenseits von Ausbildung und Arbeit, insofern sich einige junge Erwachsene von Hilfeanbietern auf institutioneller Seite zurückziehen und dabei weitere Nachteile (finanzielle Unterstützung, Beschaffung von Informationen, Erziehungshilfe) in Kauf nehmen. Auch wenn es sich bei den hier untersuchten Personen um junge Erwachsene handelt, die einen Großteil ihres Lebens noch vor sich haben und die aktuelle prekäre Situation nicht als biographischer Endpunkt gewertet werden darf, zeigt sich bei ihnen bislang eine Entwicklung, die verschiedene Aspekte sozialer Exklusion zu einem Syndrom haben werden lassen. Sie werden es von allen hier
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vorgestellten Verlaufstypen am schwersten haben, den Prozess sozialer Exklusion rückgängig zu machen.
8.5.2 Verlaufstyp II: gleichbleibendes Ausmaß sozialer Exklusion Neben Prozessen, die aus der Zone der Vulnerabilität sozialer Exklusion herausführen, aber auch Entwicklungen, die – wie im Verlaufstyp I ausgeführt wurde – zur Verfestigung sozialer Exklusionslagen führen, wird bei dem Verlaufstyp II davon ausgegangen, dass es auch eine Gruppe gibt, die zwar in unterschiedlicher Weise bereits von sozialer Exklusion betroffen ist, bei der sich jedoch über längere Zeit hinweg keinerlei Veränderungen offenbaren. Weder hat sich ihre Lage weiterhin verschlechtert, noch haben sich sichtbare Entwicklungen vollzogen, die die Lage verbessert hätten. Dennoch wird davon ausgegangen, dass sich bei diesem Verlaufstyp Hinweise finden lassen, in welche Richtung auf dem Kontinuum zwischen sozialer Inklusion und Exklusion die Entwicklung verlaufen kann, auf welchem Weg sich die Betroffenen befinden, ohne dass diese bereits augenfällige Auswirkungen auf die verschiedenen Exklusionsbereiche hatte. Insofern spielen hier vor allem Pläne, Einstellungen und auch Bewältigungsstrategien eine zentrale Rolle bei der Betrachtung der einzelnen Fälle dieses Verlaufstyps II. Da das Niveau, auf dem die jungen Erwachsenen schon von sozialer Exklusion betroffen waren sehr unterschiedlich sein kann, ist anzunehmen, dass es sich beim Verlaufstyp II um den heterogensten der drei hier vorgestellten Typen handelt. Betrachtet man dabei zunächst das Ausmaß sozialer Exklusion, dem die jungen Erwachsenen dieses Verlaufstyps ausgesetzt sind, wird deutlich, dass bis auf eine junge Frau (Manja 01-003), die der Gruppe A zugeordnet wurde, alle weiteren fünf Personen dieses Typs der Gruppe B zugeordnet werden mussten und damit bereits in einem starken Ausmaß von sozialer Ausgrenzung betroffen sind. In diesem Zusammenhang kann also kaum von einer großen Heterogenität gesprochen werden. Ähnlich den jungen Erwachsenen aus dem Verlaufstyp I weisen die jungen Frauen und Männer dieses Verlaufstyps schwierige Ausbildungs- und Erwerbskarrieren auf. Das beginnt bereits damit, dass bis auf Manja keiner der Befragten einen Schulabschluss hat. Vier junge Männer haben die Schule vorzeitig abgebrochen, Olaf verlässt die Schule schon nach der sechsten Klasse. Keiner von ihnen hat es bislang vermocht, einen Schulabschluss nachzuholen. Diese überwiegend problematischen Schulkarrieren haben einen negativen Einfluss auf den weiteren Ausbildungs- und Erwerbsverlauf. Keine der sechs
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Personen dieses Verlaufstyps besitzt eine abgeschlossene Berufsausbildung. Trotz der fehlenden Schulabschlüsse hatten Steve (02-011) und Mike (01-006) eine Berufsausbildung begonnen, die sie jedoch – beide kurz vor Beendigung – abbrachen. Für Olaf, René und Mario beginnen Maßnahmekarrieren, die für sie einen Weg ins Abseits bedeuten, insofern diese verschiedenen Maßnahmen nicht zu einem Übergang in eine Ausbildung oder in eine geregelte Erwerbstätigkeit geführt haben. Für Steve und Mario verschärft sich die Situation durch ihren Drogenkonsum (beide konsumieren Heroin) beträchtlich. Während Steve durch eine Entziehungskur den Ausstieg aus dem Konsum illegaler Drogen zunächst schafft, ist Mario zum Zeitpunkt beider Interviews drogensüchtig. Bei einem Teil der jungen Erwachsenen dieses Verlaufstyps (Olaf, Mike und René) kommt es im Lebenslauf zu einer schnellen Abkehr von normalbiographischen Vorstellungen. Sie verfolgen immer häufiger akkomodative Bewältigungsmuster und verabschieden sich von dem Ziel, über eine Ausbildung in normale Erwerbsarbeit zu gelangen. Dass sie für sich noch keine wirkliche Alternative gefunden haben oder so realisieren konnten, dass der Prozess sozialer Exklusion aufgehalten und rückgängig gemacht werden konnte, zeigt ihre Zuordnung zum Verlaufstyp II, was bedeutet, dass sich für sie seit geraumer Zeit keinerlei Veränderungen bei den Kriterien sozialer Exklusion ergeben haben. Dennoch wird sich in den nachfolgenden Fallbeschreibungen zeigen, dass zumindest vereinzelt Ideen für Alternativen zum normalbiographischen Lebenslauf existieren, die zukünftig eine positive Tendenz für diese jungen Erwachsenen vermuten oder zumindest erhoffen lassen. Die anderen drei Personen dieses Verlaufstyps II (Steve, Mario und Mandy) halten mehr oder weniger deutlich an ihren assimilativen Bewältigungsmustern fest und wollen eine Ausbildung machen sowie in eine normale Erwerbsarbeit einmünden. Ein eindeutiges Bild für die Vertreter des Verlaufstyps II offenbart sich bei den Copingstrategien auf der Handlungsebene. In den biographischen Erzählungen des ersten Interviews weisen alle Befragten passive, z. T. vermeidende, Copingstrategien auf. Nur in vereinzelten Fällen wird zum Zeitpunkt des zweiten Interviews eine Tendenz zum aktiven, sozialen Bewältigungsverhalten sichtbar (s. u. Mike 01-006). Im Folgenden sollen wiederum drei Fallbeschreibungen Differenzen und Gemeinsamkeiten der jungen Frauen und Männer dieses Verlaufstyps verdeutlichen.
8.5 Verlaufstypen
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Olaf (02-006) „Ich brauch keine Hilfe, von niemandem.“ Familiärer Hintergrund Olaf wird Anfang der 1980er Jahre in L. bei Leipzig geboren. Er ist das jüngste von insgesamt vier Kindern. Er hat noch einen Bruder und zwei Schwestern. Die ersten vier Jahre seines Lebens verbringt Olaf in D. und zieht dann mit seiner Familie nach Leipzig. Sein Vater ist Elektriker. Er verlässt die Familie als Olaf ungefähr sieben Jahre alt ist. Von ihm weiß Olaf lediglich, dass er jetzt in Thüringen, vermutlich in J. lebt. Nach anfänglich noch guten Beziehungen hat er später keinen Kontakt mehr zu seinem Vater. Zu seiner Mutter, die eine Zeit lang in der Küche gearbeitet hat (Olaf weiß nicht genau, wo und ob sie als Köchin dort gearbeitet hat), jetzt arbeitslos ist, hat Olaf eine sehr schlechte Beziehung. Sie ist schon lange alkoholkrank, was immer wieder zu Problemen und Auseinandersetzungen in der Familie geführt hat. „Die (die Eltern – B.R.), da habe ich keinen Kontakt, also mein Vater gar nicht, meine Mutter, die ist zurzeit arbeitslos, alkoholkrank, kein Kontakt, will ich nicht.“
Sein älterer Bruder kommt eine Zeit lang ins Heim. Zu seiner älteren Schwester hat Olaf keinen Kontakt. Sie ist sehr zeitig von zu Hause ausgezogen und wohnt mit ihrem Kind in einer eigenen Wohnung. Im Verlauf des Interviews erzählt Olaf, dass seine zweite ältere Schwester mit 12 Jahren verstorben ist. Als Grund nennt er ihre geistige Behinderung. Den einzigen familiären Kontakt hält Olaf zu seinem fünf Jahre älteren Bruder aufrecht. Zu ihm zieht er auch als er mit 16 die Wohnung seiner Mutter verlässt. Sein Bruder ist allerdings fest im kriminellen Milieu verankert und kommt wegen schweren Raubs und Körperverletzung in die JVA. Zunächst imponiert Olaf das Verhalten seines Bruders und bietet ihm auch eine Art „Schutz“ an seiner eigenen Schule, in der er zu kleinkriminellen Gruppen gehört. Aktuell möchte Olaf zwar noch lose Kontakt zu seinem Bruder aufrechterhalten, als Vorbild sieht er ihn allerdings nicht mehr. „(I: Und dein Bruder, hast du gesagt, der ist jetzt gerade frisch draußen (aus dem Knast – B.R.)?) Ja. (I: Und würdest du gerne mehr Kontakt zu ihm haben wollen?) Ne. Bisschen quatschen ist o.k., aber jetzt Kontakt nicht mehr so. (I: Ist er ein Vorbild für dich?) Mein Bruder? – Früher ja. Jetzt nicht mehr, jetzt weiß ich, was für einer er ist. Früher war er eben der, der viele Connections hatte. Der alles mitgebracht hat, war in Ordnung.“
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Schulbiographie Olaf wird zunächst in eine Sprachheilschule eingeschult, in der er die ersten vier Schuljahre verbringt. Allerdings kann er sich an den genauen Grund, weshalb er eine Sprachheilschule besuchen musste nicht mehr erinnern. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Schulkarriere berichtet Olaf von Problemen, die er mit Mitschülern hat und vor allem von Problemen mit Lehrerinnen und Lehrern: „(I: Hast du noch Erinnerungen an die Schule (Sprachheilschule – B.R.)?) Ja, aber nicht gute. (…) Weil ich mich da drinne mit keinem vertragen habe. Ich war immer entweder hyperaktiv gewesen oder so. (I: Waren das kleine Klassen?) Das waren 18 Mann. Das hat schon gereicht, da kannste schnell mal jemanden umhauen. Das hat die Lehrerin auch nicht interessiert großartig. (I: Umgehauen? Bist du umgehauen worden oder hast du umgehauen?) Alles beides mal. (…) Ja, weil sonst lernst du es ja nicht. Vor allem nicht in der Ecke und nicht in der heutigen Zeit. Nicht in Deutschland.“
Bezogen auf seine schulischen Leistungen hat Olaf zwar bessere Erinnerungen, dennoch muss er die vierte Klasse wiederholen und kann dafür die Sprachheilschule verlassen. Er geht nun in eine „normale“ Schule und später in eine Mittelschule im Leipziger Osten. „Ich hatte ja vier Jahre in der Sprachheilschule. Dann bin ich ja in der vierten, die ich ja wiederholt habe, in die 18. (Mittelschule – B.R.) rein. Und da gab es bei mir sowieso einen kleinen Riss. Da hab ich dann verrückt gespielt in meinem Kopf oder so. (…) (I: Was denkst du, wie das kam?) Ich weiß es nicht, entweder die falschen Kontakte, falsche Leute. Na ja.“
Olaf kommt in der Schule überhaupt nicht zurecht und fällt vor allem durch äußerst aggressives Verhalten auf. Seine Leistungen sind über die gesamte Schulzeit schlecht, so dass er insgesamt dreimal eine Klassenstufe wiederholen muss. Damit ist er bald um einiges älter als seine Mitschülerinnen und Mitschüler. Er bildet u. a. mit weiteren überalterten Schülern eine Clique, verschafft sich „Respekt“ in der Klasse und in der Schule. Zu den Auseinandersetzungen mit anderen Schülern kommt exzessives Schwänzverhalten gemeinsam mit der Clique. Das bringt Olaf einige Suspendierungen von der Schule ein. Letztendlich geht er nach der sechsten Klasse von der Schule ab.
8.5 Verlaufstypen
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Rückblickend sagt Olaf über die Sanktionen durch die Schule: „Früher hat es mich nicht gestört. Jetzt stört es mich natürlich, weil ich hätte die Schule schon gern zu Ende gemacht.“
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Nach dem Absolvieren seiner Pflichtschulzeit nach der sechsten Klasse, Olaf musste dreimal eine Klasse wiederholen, verlässt er ohne Abschluss die allgemein bildende Schule. Sein Wunsch zu diesem Zeitpunkt war es lediglich zu arbeiten. Da er sich jedoch kaum ernsthaft um Möglichkeiten des Arbeitens gekümmert hat, greift er schließlich auf das durch die Schule vermittelte Angebot einer berufsbildenden Maßnahme zurück. Dies ist für Olaf der Beginn einer Maßnahmekarriere, die bis zum Zeitpunkt des zweiten Interviews eher zu einem weiteren Ausschluss aus dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt geführt hat als zur Möglichkeit, darüber fehlende Abschlüsse nachzuholen und in eine Ausbildung einzumünden. Keine dieser Maßnahmen, an denen Olaf nach der Schule teilnimmt, führt er zu Ende. Auch hier, wie schon in der Schule, sind Verhaltensauffälligkeiten sowie mangelnde Motivation die Gründe dafür, dass Olaf entweder von selbst die Maßnahmen abbricht oder ihm gekündigt wird. Als seinen Wunschberuf sieht Olaf Maler. Zugleich weiß er, dass er mit einem Abgangszeugnis der sechsten Klasse keine Chance hat, eine Ausbildung zu bekommen. Die bereits durchlaufenen berufsvorbereitenden Maßnahmen, die Olaf immer wieder vermittelt wurden („… die wollten mich einfach nur irgendwo unterkriegen“) hat er zu keiner Zeit dazu genutzt, einen Schulabschluss nachzuholen. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews gibt er ein klares Bekenntnis gegen die Aufnahme einer Ausbildung ab: „(I: …wenn das Jahr rum ist (in dem er aktuell in einer Maßnahme ist – B.R.). Würdest du jetzt lieber darauf hoffen, dass es dort weitergeht oder …?) Ja, sonst hier draußen kriege ich nichts mehr. (I: Und in Richtung Ausbildung?) Ne, Ausbildung, das ist jetzt meine Meinung, Ausbildung will ich gar nicht haben. Weil das nützt mir hier draußen nichts. Du kannst was und sitzt drei Jahre in einer Ausbildung rum und danach kriegste genau so wenig was.“
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Diese ablehnende Haltung behält er auch im zweiten Interview bei: „Na die Ausbildung, die bringt auch großartig nichts. Mal so gesagt. Du hast zwar deine Ausbildung. Aber was bringt dir das. Der heutige Arbeitsmarkt, da nehmen sie dich nicht mal mit Ausbildung.“
Auffällig ist bei Olaf, dass er häufig von „draußen“ oder „hier draußen“ spricht und damit deutlich macht, dass er sich mit seiner stark passiven und immunisierenden Strategie in seiner Argumentation im Unterschied zu jenen begreift, die einen Schulabschluss haben, die eine Ausbildung haben und machen und die auf eine feste und geregelte Erwerbsarbeit hoffen. Während dessen hat sich Olaf darauf eingerichtet, immer wieder ABM, Arbeitsgelegenheiten oder andere Maßnahmen angeboten zu bekommen und ansonsten zu versuchen, schwarzzuarbeiten. „Na ja, ich habe nächste Woche wieder mal einen Termin mit denen (vom Arbeitsamt – B.R.). Da wird der mich das Gleiche fragen, da werde ich sehen, was ich dem da antworte. Ich lecke den nicht am Arsch. Das habe ich einfach nicht nötig. Wenn ich Arbeit brauch, gehe ich schwarzarbeiten.“
Dennoch hofft auch Olaf, wenn er nach seinen Wünschen für die Zukunft gefragt wird, dass er mal „was Festes an Arbeit“ bekommt. Doch das liegt nach seiner Aussage irgendwo in der Zukunft, möglicherweise. Aktive Strategien, Arbeit zu finden, eine Ausbildung zu machen oder den Schulabschluss nachzuholen, werden in den Aussagen Olafs nicht sichtbar. Im Verlauf der Interviews wird deutlich, dass Olaf in seinen Aussagen häufig zwischen einer immunisierenden Strategie und dem Anpassen an – vermeintlich – normativ vorgegebene Lebenswege schwankt. So sagt er an einigen Stellen, dass er die Schule gern beendet hätte oder auch einen Schulabschluss hätte machen wollen. An anderer Stelle führt er aus, dass es unter den heutigen Bedingungen keine sinnvolle Strategie ist, einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung zu machen, da dies auch keine Garanten für eine erfolgreiche berufliche Laufbahn wären. Diese Aussagen werden immer als Begründung dafür angeführt, dass Olaf sich selbst nicht darum kümmert, auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf Seit seiner Schulzeit lebt Olaf im Stadtteil Leipziger Osten. Auch bei seinem letzten Umzug hat er sich ganz bewusst für diesen Stadtteil entschieden.
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„(I: Wohnst du jetzt auch im Leipziger Osten?) Ja. Das wird auch immer dabei bleiben. (…) Das ist die beste Ecke. (I: Wieso?) Durch die Kontakte. Hier hinten kennste jeden, du weißt, was hier hinten los ist. Du weißt, was passieren kann. (I: Wie hast du denn die meisten hier kennen gelernt?) Kontakte über Fußball, Drogen, Geschäfte, das ging schon alles hier.“
Über diese Kontakte wird Olaf in kriminelle Delikte verwickelt. Für diese Delikte wird er verurteilt und muss er eine Reihe von Arbeitsstunden leisten. Nach eigenen Aussagen hat er trotz des Ärgers mit Polizei und Gericht immer alles „hinbekommen“. Seitdem er ein eigenes Kind und eine feste Freundin hat, hat er sich aus den kriminellen Kreisen weitgehend herausgezogen. Sein Hooligansein hält er jedoch aufrecht und geht regelmäßig zu Fußballspielen. „Gegenüber früher habe ich mich komplett geändert. (I: Durch die Familie?) Ja. Ich will ja nicht mal lange im Knast sitzen und der braucht draußen meine Hilfe, mein Kind. Oder meine Frau. Ich weiß auch nicht, was mal ist, wenn ich mit meiner Frau Schluss mache. Kann ich jetzt nicht sagen, ob ich mal wieder Scheiße baue.“
Materiell befindet sich Olaf in einer prekären Situation. Er hält sich vor allem durch gelegentliche Hilfen seines Bruders über Wasser und geht zeitweise schwarzarbeiten. Ein halbes Jahr lang bezieht er Sozialhilfe, lehnt dies später jedoch für sich ab. „Ne, das lehne ich vollkommen ab. Für ein halbes Jahr habe ich, voriges Jahr habe ich ein halbes Jahr als Sozi gelebt, das hat mir aber auch nicht gepasst. Das war nur assi. Ich finde das richtig eklig. Das gibt viel zu wenig Kohle, aber was willst du erwarten?“
Diese Einstellung behält er auch im zweiten Interview bei: „Also zum Sozialamt will ich nicht. Mal so gesagt. Das ist mir zu assig.“
So versucht Olaf, ohne staatliche Unterstützung auszukommen. Das bedeutet aber auch, dass er von kulturellen Angeboten und vielen Freizeitunternehmungen keinen Gebrauch machen kann. Ein Jugendklub, in dem er auch seine Arbeitsstunden leistet, ist die häufigste Anlaufstelle in der Freizeit. Hier trifft er sich mit einem Großteil seines Freundeskreises, von denen sich die meisten in einer ähnlich prekären Lebenslage befinden wie Olaf.
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Dass er selbst Einfluss auf politische Entscheidungen hat, glaubt Olaf nicht. Er geht zwar wählen, kümmert sich aber höchstens am Rande um politische Themen. Auch an dieser Stelle verortet sich Olaf wiederum „hier draußen“ und die anderen, in diesem Fall die Politiker, als die drinnen. „(I: Meinst du, dass du einen Einfluss ausüben kannst?) Nein. Das wird alles bloß manipuliert. Denke ich jedenfalls. Ich denke nicht, dass alles so abgestimmt wurde. (I: Würdest du gern mehr Einfluss ausüben wollen?) Mal so gesagt. Wenn, ich würde es gerne wollen. Aber ich würde nie was lösen können. Also, weil, die machen ihr Ding da drin. Die gucken nach der Kohle. Die gucken nicht, was hier draußen abgeht.“
Als Schulabbrecher kann sich Olaf nicht erfolgreich auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt platzieren. Angebote des Übergangssystems, z. B. berufsvorbereitende Maßnahmen, bricht er regelmäßig ab. Das ursprünglich noch angestrebte Ziel einer Berufsausbildung als Maler verfolgt er nie ernsthaft und entfernt sich im Lauf der Zeit mehr und mehr von den Zielen einer normalen Erwerbsbiographie. Bis zum Zeitpunkt des zweiten Interviews hat er sich darin eingerichtet, schwarzzuarbeiten und immer wieder arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu beginnen. Im Folgenden wird die Entwicklung von René vorgestellt, die – ähnlich dem oben geschilderten Fall von Olaf – kaum Veränderungen der prekären Situation aufweist. Jedoch zeigen sich auch hier deutliche Unterschiede zum ersten Fallbeispiel für diesen Verlaufstyp.
René (01-005) „Und das ist mir eben immer passiert, also, ich bin immer gescheitert.“ Familiärer Hintergrund René wird Ende der 1970er Jahre in Chemnitz geboren. Seinen Vater lernt er nie kennen. Noch vor seiner Geburt lernt Renés Mutter einen anderen Mann kennen, mit dem sie zusammenzieht und der René adoptiert. René akzeptiert ihn als seinen „richtigen“ Vater. „Ja, also, ich denke immer noch der wäre jetzt noch mein richtiger Vater.“
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Drei Jahre später wird Renés Bruder geboren. Das Verhältnis zu seinem Bruder ist von häufigem Streit geprägt, wozu auch das Aufwachsen in einem gemeinsamen Zimmer beiträgt. Die Mutter arbeitet als Reinigungskraft. Der Vater arbeitete vor der Wende als Klempner und ist nach der Wende immer wieder längere Zeit arbeitslos. Das Verhältnis zwischen Renés Mutter und seinem Stiefvater wird immer schlechter, vor allem auf Grund der Alkoholkrankheit des Stiefvaters. Letztendlich lassen sich die Eltern scheiden. „Und dann hat die Mutti gesagt, Schluss, aus, ich mache es nicht mehr mit, ich habe mir das genug angeguckt und die Mutti hat auch gesagt, der soll sich ändern. Und der hat immer versprochen, dass er sich ändern will, aber er schafft es nicht. Na ja und da hat die Mutti einen Schlussstrich gezogen und hat die Scheidung eingereicht.“
Renés Mutter lernt in der Folge einen neuen Mann kennen, mit dem sie – gemeinsam mit beiden Kindern – zusammenzieht. Der neue Freund der Mutter stellt einige Anforderungen an den gemeinsamen Umgang und kümmert sich um schulische Belange von René, dem dies jedoch nicht recht ist. Weil René weder Lust hat, zur Schule zu gehen noch sich gewissen Verhaltensregeln zu Hause anzupassen, zieht er mit 16 Jahren zu seinem Stiefvater. Insbesondere aufgrund der Alkoholkrankheit des Vaters versucht er aber auch dort schnell wieder wegzukommen. Um in ein Heim zu kommen, wendet sich René an den Kinder- und Jugendnotdienst, deren Mitarbeiter in ihm jedoch keinen dringlichen Fall sehen und ihn wieder zum Vater schicken. Später bekommt René einen Platz im Betreuten Jugendwohnen.
Schulbiographie Von seiner Schulzeit berichtet René nur sehr wenig. Er ist mit sieben Jahren in die Schule gekommen und verlässt sie nach der siebten Klasse ohne Schulabschluss. Seine Pflichtschulzeit hatte er zu diesem Zeitpunkt aufgrund zweimaliger Klassenwiederholungen absolviert. Erst zu einem späten Zeitpunkt des ersten Interviews wird deutlich, dass René eine Sonderschule besucht hat. René schwänzt ab der sechsten Klasse massiv den Unterricht und begründet dies mit dem schlechten Einfluss, den ein Mitschüler auf ihn ausgeübt hat. „Na ja, ich bin ja nicht deswegen sitzen geblieben, weil ich schlecht in der Schule war. Das war zwar auch mit ein Punkt, aber das war nicht der hauptsächlichste Punkt. Der hauptsächlichste Punkt war, wir haben einen Mitschüler gehabt, der aus
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8 Ergebnisse dem Heim kam und der schwer erziehbar war (…) und der hat immer die Schüler, total die ganze Klasse hat er, sagen wir mal durcheinander gebracht. (…) Ja, und da habe ich lieber, um keine drauf zu kriegen und na ja, habe ich eigentlich immer mit geschwänzt.“
Auch von Seiten der Schule, so berichtet René, wird ihm nahe gelegt, dass er von der Schule abgehen soll und daran anschließend eine Berufsvorbereitung beginnen soll.
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Weder während seiner Schulzeit noch danach macht sich René ernsthafte Gedanken darüber, welche Richtung er beruflich einschlagen möchte. Am Ende seiner Schulzeit machen ihm die Schulvertreter den Vorschlag, die Schule zu beenden und eine berufsvorbereitende Maßnahme zu besuchen. Über das Arbeitsamt wird er in einen Förderlehrgang vermittelt. Dieser Lehrgang war für zwei Jahre geplant und René besucht ihn zunächst auch. Nach eineinhalb Jahren jedoch „macht“ er immer häufiger krank. Daraufhin vermittelt ihn das Arbeitsamt in eine Werkstatt für Behinderte. „Und hat gesagt (die Betreuerin vom Arbeitsamt – B.R.), so René, das klappt nicht mit dir, ich habe den Kanal voll, fing sie an, ich nehme dich dort raus (…) du kannst es dir aussuchen, entweder du bleibst zu Hause, bist arbeitslos oder du arbeitest in der WfB. Und da habe ich gefragt, was ist WfB und da fing sie an, das ist eine Werkstatt für Behinderte bei der Stadt. Und da sollte ich dort arbeiten gehen oder eben zu Hause bleiben und da habe ich mich entschieden, dass ich das mache, weil vielleicht besser als gar nichts, weil ich Geld brauche.“
In dieser Werkstatt bleibt René nicht lange. Zum einen fühlt er sich dort unterfordert und zum anderen fehl am Platz, weil er u. a. mit geistig Behinderten zusammen ist. Zudem zeigt sich auch bei dieser Station seines Ausbildungs- und Erwerbsweges, dass er nie selbst die Initiative ergreift und (mit) bestimmt, in welche Richtung es für ihn gehen soll. Er lässt sich von Institutionen in verschiedene Richtungen vermitteln, ohne selbst eine Perspektive in den jeweiligen Maßnahmen zu sehen. Nicht zuletzt diese Passivität führt dazu, dass René schnell wieder aufgibt. Er selbst spricht davon, dass er immer wieder scheitert. Auch nach mehreren dieser gescheiterten Stationen nach der Schule hat René keine klarere Vorstellung, welchen beruflichen Weg oder welche Arbeitsrichtung er einschlagen möchte.
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„Was nicht zu leicht und was nicht zu schwer ist. So ein Mittelding kann man sagen. Was nicht draußen ist auf der Straße, was ich drin machen kann und was mir Spaß macht und wenn schönes Wetter ist, was ich dann draußen machen kann.“
In der Folge ist er arbeitslos und erhält Sozialhilfe. Im Rahmen des Programms „Arbeit statt Sozialhilfe“ wird er immer wieder in Arbeitsgelegenheiten vermittelt. Diese Maßnahmen bricht er regelmäßig ab. Im zweiten Interview berichtet René zwar, dass er nun – vermittelt über einen ehemaligen Mitschüler – bei der Deutschen Vermögensberatung arbeitet. Im Verlauf der Erzählung stellt sich jedoch heraus, dass er als wahrscheinlich freier Mitarbeiter vollständig auf Provisionsbasis bezahlt wird und da er bis zum Zeitpunkt des Interviews keine Kunden akquiriert hat, noch keinerlei Geld verdient hat. „(I: Wie läuft das jetzt? Wie viele Stunden machst du da?) Also das steht mir frei. Das kann ich selber frei entscheiden. Je nachdem was ich an Leuten kennen lerne. Oder wie es sich ergibt von alleine. Also ich bin ja nicht verpflichtet. (…) Da ist ein großer Vermögensberatungstreffpunkt. Und wenn die (Kunden – B.R.) zum Gespräch eingeladen werden (…) und sind richtig fest mit drin, dann kann es passieren, ich verdiene an den Leuten. (I: Hast du schon Geld verdient?) Leider noch nicht. Pech gehabt immer.“
René ist also nach wie vor arbeitslos und bezieht Sozialhilfe. Über eine Jugendberufshilfeeinrichtung hat er die Vermittlung in eine Maßnahme erhalten, bei der er wiederum im Rahmen „Arbeit statt Sozialhilfe“ gemeinnützige Arbeit leistet. René offenbart aber auch an dieser Stelle, dass er eigentlich keine große Lust zum Arbeiten hat. „Weil bei mir ist es ein sehr großes Problem, das Durchhaltevermögen. Weil theoretisch hätte ich halt wieder arbeiten müssen und habe aber keinen richtigen Bock gehabt.“
Nach wie vor weiß René nicht, was er beruflich machen möchte und lässt sich von Maßnahme zu Maßnahme schicken, die er jeweils nicht zu Ende führt. Dabei gibt er an, dass er gern aus der Sozialhilfe herauskommen möchte. Das Handeln von René bleibt jedoch passiv und die Vorstellung, über eine Berufsausbildung in eine Arbeit zu gelangen, existiert nicht. Es werden immer wieder Negativspiralen aufgebaut. Dabei ist das erfolgreiche Durchlaufen der Maßnahme der Jugendberufshilfe eine Auflage des Gerichts und René droht ein Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt, wenn er diese Maßnahme abbricht.
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8 Ergebnisse „Meine größte Angst ist, dass ich es nicht packe hochzukommen. Aus der Sozialhilfe rauszukommen irgendwie. Dass ich dort wieder rein, dass ich meinen anderen Fuß, mit dem ich fast draußen bin, wieder reinstecke in die Sozialhilfe. Und das macht mir Angst irgendwie. (I: Was denkst du, was da alles Einfluss drauf hat?) Dass ich die Arbeit verliere. Dass ich wieder in das Gefängnis komme. Dass ich die Wohnung verliere. Dass ich die Freundin verliere. (…) Dass alles auseinander fällt. Also, dass, wie ein Kartenhaus.“
Es wird immer wieder deutlich, dass René die Ursachen für seinen Misserfolg oftmals in anderen Personen sieht. Das bezieht sich auf Personen mit Gatekeeperfunktion, die solche Institutionen vertreten, mit denen er in Kontakt steht – wie z. B. Einrichtungen der Jugendberufshilfe. „Na ja, ich versuche, was zu machen, was zu machen ist, aber irgendwie, na ja, es liegt nicht bloß an mir. Es liegt auch an Herrn Bär (Name geändert – B.R.), was er draus macht. Ob er sagt, hier den Jungen kann ich nehmen, der arbeitet einwandfrei, der kommt nicht mehr zu spät. Oder ob er sagt, nee, der ist noch wie früher und faul und so.“
Eine akkomodative Bewältigungsstrategie wird bei René kaum sichtbar. Allerdings hat er auch keinerlei realisierbare Zukunftspläne, die sich auf seinen Ausbildungs- oder Erwerbsweg beziehen würden. Die Möglichkeiten, die er über verschiedene Maßnahmen erhalten hat, hat er nicht genutzt, indem er alle bisherigen Maßnahmen abgebrochen hat. Seine Zukunftsvorstellung fasst er wie folgt zusammen: „Aber ich habe mir eigentlich vorgenommen, Ziele aufzubauen. Ich wollte eine Wohnung haben, die ich ja jetzt habe. Und eine Freundin, das wollte ich haben. Die habe ich auch. Und es fehlen aber noch drei Ziele. Ich will die Fahrerlaubnis machen, will ein Auto haben und will viel Geld haben. Ich will zwar nicht arbeiten gehen, aber irgendwie Millionär werden.“
Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf René berichtet von einem Gerichtsverfahren wegen zweier Sexualstrafdelikte. Infolge einer Strafanzeige wegen Vergewaltigung eines 14-jährigen Mädchens gesteht René auch den früheren sexuellen Kontakt zu einem 13-jährigen Mädchen. Bis zu seiner Verhandlung verbringt René fünf Monate in Untersuchungshaft. Letztlich wurde er wegen sexueller Nötigung zu drei Jahren Bewährung, 90
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Stunden gemeinnütziger Arbeit sowie der Begleichung der Gerichtskosten in Höhe von 800 Mark verurteilt. Die Erzählungen zu diesem Thema zeigen – ähnlich denen zum Thema Ausbildung und Arbeit oder auch Schule –, dass sich René zu einem Großteil als Spielball von anderen Personen begreift und sich kaum als selbstverantwortlich handelnden Menschen wahrnimmt. Er sieht sich in der Sache der sexuellen Nötigung lediglich als jemanden, der mitgemacht hat und auf die Aufforderung des Mädchens reagiert hat. Im zweiten Interview berichtet René von einer festen Beziehung mit einer 17-jährigen Gymnasiastin. Allerdings empfindet er die Zukunft dieser Beziehung als sehr unsicher, da das Mädchen nach Beendigung der Schule ein Studium in den alten Bundesländern beginnen möchte und es für René keine Alternative darstellt selbst auch in die alten Bundesländer überzusiedeln. Andere Lebensbereiche stellen sich als gleichbleibend problematisch dar. So ist vor allem die finanzielle Situation seit geraumer Zeit prekär. Das folgt zum einen aus dem anhaltenden Bezug von Sozialhilfe seit seinem 19. Lebensjahr (sowie der immer wieder aufgegebenen Möglichkeit, im Rahmen von „Arbeit statt Sozialhilfe“ etwas dazuzuverdienen), zum anderen aus einer beträchtlichen Schuldenbelastung von mehreren tausend Euro, die u. a. aus Handyschulden und AOK-Schulden resultiert. René erhält für seinen Lebensunterhalt (ohne Mietkosten) 70 Euro in der Woche. Das hat erheblichen Einfluss auf den Spielraum, den er für die Anschaffung alltäglich benötigter Waren hat. So kauft er ausschließlich bei Lebensmitteldiscountern. Alle Bedürfnisse außerhalb dessen können nicht verwirklicht werden. „Klamotten kann ich mir keine kaufen, weil das Geld dazu nicht reicht.“
Im zweiten Interview berichtet René von einem Weg, sich zumindest weitere 15 Euro pro Woche dazuzuverdienen, indem er einmal pro Woche Plasmaspenden geht. Eine entscheidende Verbesserung der finanziellen Situation stellt dies jedoch nicht dar. Da René nicht ernsthaft an der Aufnahme einer Ausbildung oder Arbeit interessiert ist, hielt er Sozialhilfe zunächst für eine gute Möglichkeit, zu leben ohne arbeiten zu müssen. Im Verlauf der Jahre hat sich diese Einstellung zwar gewandelt, doch blieb dies in seinen Auswirkungen auf das Handeln Renés weitgehend folgenlos. „Ich muss sagen, also mir gefällt das nicht, dass ich jetzt Sozialhilfe kriege. Weil ich fühle mich da irgendwie, wie soll ich sagen, auf jeden Fall fühle ich mich schlecht. (…) Aber eben halt, ich habe gemerkt, dass ist doch nicht so schön wie ich es mir vorgestellt habe. Also ich habe immer gehört, Sozialhilfe ist schön. Da kriegst du Kohle, brauchst nicht arbeiten und so. Aber es ist nicht das Gelbe vom Ei habe ich
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8 Ergebnisse gemerkt. Weil da bist du gebunden, dass du in der Wohnung bleiben musst. Und du kannst dir kein Auto leisten. (…) Du darfst eben halt eben nicht die großen Sprünge machen. Musst das Geld nehmen, was dir zusteht und dir einteilen.“
Außerhalb der Beziehung zu seiner aktuellen Freundin hat René kaum Kontakte und keinen Freundeskreis. Er hat das bewusst so gewählt. „Na, ich muss auch sagen, ich bin ein Einzelgänger, der seine Ruhe will. Der sich nicht groß mit Leuten abgibt, der eigentlich für sich alleine sein will, der seine eigenen Wege geht. (…) Das ist schon immer so gewesen. Also ich mag das nicht so irgendwie in der Clique rumzuhängen.“
Insofern richtet sich sein Freizeitverhalten vor allem auf Treffen mit seiner Freundin. Eine Teilhabe am kulturellen Leben findet kaum statt. Von Besuchen im Kino oder der Kneipe berichtet René nicht, zum einen, weil die finanzielle Situation dies nicht zulässt, zum anderen aber auch aufgrund der fehlenden Freundschaftsbeziehungen. An politischen Themen besteht bei ihm kein Interesse. Er sieht keinen Grund wählen zu gehen, liest keine Zeitung und sieht bzw. hört keinerlei Nachrichten. „Das hat mich nicht so interessiert. Ich habe mir gedacht, warum soll ich denn wählen. Das bringt doch eh nichts. Und außerdem habe ich eh keine richtigen Vorstellungen, wen ich wählen soll.“
Die Betrachtung der Fallanalyse von René macht deutlich, dass er fast ausschließlich von externen Einflüssen geleitet wird. Er hat bislang kaum eigene und vor allem tragfähige Lebensperspektiven entwickelt, was zu Stagnation seines beruflichen Werdegangs führt. Die prekären Lebensverhältnisse bleiben nach wie vor bestehen. Einen deutlich anders gelagerten Fall stellt im Folgenden Mike dar. Dennoch haben sich auch bei ihm über einen langen Zeitraum hinweg keine Veränderungen im Ausmaß sozialer Exklusion offenbart.
Mike (01-006) „Wenn ich einen Plan hätte, das würde mir schon reichen. Wenn ich nur einen Plan hätte.“ Familiärer Hintergrund Mike wird Ende der 1970er Jahre in Chemnitz geboren. Sein leiblicher Vater lebt lediglich die ersten ein oder zwei Jahre (genau kann Mike dazu keine Angaben
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machen) mit ihm und seiner Mutter zusammen. Mike hat zwei jüngere Halbbrüder, die seine Mutter mit einem Freund und dem späteren Stiefvater von Mike bekam. Noch vor dem Schuleintritt lebt Mike zuerst zeitweise und später dauerhaft bei seiner Großmutter, die für ihn auch die Vormundschaft erhält. Der Grund hierfür liegt in den Problemen, die Mike mit seinem Stiefvater hat. Bei diesen Problemen geht es nicht, das betont Mike, um gewalttätige Auseinandersetzungen mit seinem Stiefvater, sondern darum, dass das gemeinsame Kind des Stiefvaters und Mikes Mutter zuungunsten der beiden älteren Kinder bevorzugt wird. Seine Mutter scheint insgesamt von der Situation, drei Kinder er- und aufziehen zu müssen, stark überfordert. Seine Mutter zieht nach der Scheidung Mitte der 1990er Jahre mit ihrem mittleren Sohn nach M., wo sie in einem Callcenter arbeitet. Vor der Wende war sie als Reinigungskraft tätig. Der Stiefvater übersiedelt nach der Scheidung mit dem jüngsten Sohn in die alten Bundesländer. Dort ist er als Maschinist tätig und arbeitet somit in dem Beruf, den er vor der Wende bereits gelernt und ausgeübt hatte. Zu seiner Mutter hat Mike heute noch gelegentlichen Kontakt. Die wichtigste familiäre Bezugsperson ist nach wie vor die Großmutter, die ihn sowohl finanziell als auch emotional unterstützt.
Schulbiographie Mike wird Mitte der 1980er Jahre, also noch vor der Wende, eingeschult. Seine Grundschulzeit beschreibt er als ruhig und unaufgeregt. Leistungsmäßig bewegt er sich im Mittelfeld. Erste Schwierigkeiten beginnen in der Wendezeit, in der es ein „Lehrstoffchaos“ gegeben hat, das die Lehrer nur mit Mühe bewältigen konnten und das nicht ohne Auswirkung auf die Schüler blieb (z. B. durch Lehrerund Schulformwechsel). Die siebte Klasse musste Mike wiederholen. Dennoch war es das Ziel von Mike, einen Realschulabschluss zu erlangen. Allerdings wird deutlich, dass Mike sehr passiv agiert und sich kaum anstrengt, die für einen Realschulabschluss erforderlichen Leistungen zu erbringen. Zudem berichtet er immer wieder von „Stress“ mit Lehrern, weil ihm die Lerninhalte bzw. deren Vermittlung nicht passten. Ähnlich dem Verhältnis zu seinem Stiefvater fühlt sich Mike auch von einigen Lehrerinnen und Lehrern ungerecht behandelt. „Und am Ende, wo die (Mikes Deutschlehrerin – B.R.) dann in der achten Klasse da war, da hab ich ihrs am Ende dann noch ins Gesicht gesagt, dass halt sie mich nicht leiden kann, dass sie’s hätte mir gleich sagen können. Da hätten wir uns den ganzen Stress erspart. Das fand sie nicht cool. Ich war den letzten Tag da, das musste mal gesagt werden.“
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Nach der neunten Klasse verlässt Mike die Schule ohne einen Abschluss, mit einem Abgangszeugnis der achten Klasse. Bereits zu diesem Zeitpunkt hält er sich für einen „Sonderling“, der versucht, sich aus allem rauszuhalten, möglichst ohne Stress durchzukommen, der seine „Ruhe haben“ will „nichts weiter“. Insofern war Mike während seiner Schulzeit kaum in größere Freundesnetzwerke eingebunden, sondern berichtet lediglich von einem Mitschüler, mit dem er befreundet war. Die Vorbereitung im Hinblick auf eine berufliche Orientierung während der Schulzeit schätzt Mike eher als schlecht ein. Zwar realisiert er sein 14-tägiges Pflichtpraktikum, aber für eine Berufsorientierung reicht dies nicht aus. „… also in der Schule kriegt man ja absolut nicht gesagt bzw. die haben da keine Muse festzustellen, was einem liegt und was nicht, so war’s bei mir zumindest, halt keen Bock mehr, sich mit mir abzugeben, weil ich immer jemand, ich musste immer alles … ich muss es genau wissen und da gab’s dann halt Schwierigkeiten.“
So verlässt Mike die Schule, ohne genau zu wissen, in welche Richtung er zukünftig gehen will.
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Trotz des fehlenden Schulabschlusses erhält Mike über einen Freund einen Ausbildungsplatz auf dem Bau. Der Vater dieses Freundes führt eine Baufirma und nach einem zweiwöchigen Praktikum beginnt Mike eine Maurerlehre. Diese Ausbildung führt er jedoch nicht zu Ende. „Halt die Lehre abgebrochen, ja also von mir aus abgebrochen, das wär’ sowieso soweit gewesen und hatte keine Lust dann den ganzen Stress noch mitzumachen. Es war einfach zu viel und so, wenn man mich stresst, steck ich schnell meine Finger in die Ohren.“
Die Lehre bricht er nach zwei Jahren ab. Die Gründe liegen vor allem im schulischen Teil der Ausbildung, bei dem sich ähnliche Probleme offenbaren wie sie bereits während der Schulzeit in der allgemein bildenden Schule aufgetreten sind. So ist er wiederum schlecht mit Lehrerinnen und Lehrern klar gekommen. „Ich hab zwei Wochen nachdem ich die Lehre angefangen hatte, also nach zwei Wochen, die ich in der (Berufs- B.R.) Schule war. Im Grunde, also ich weiß noch, was ich falsch gemacht habe, hab ich von meiner Klassenlehrerin gesagt gekriegt, dass ich auf einer Liste steh von den Leuten, die sie am Ende des Schuljahres nicht
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mehr sehen möchte. Das nach zwei Wochen und ich kann wirklich von mir sagen, dass ich nicht irgendwie genervt habe oder so. Ich scheine bei gewissen Leuten eine Antipathie zu erregen, weiß ich nicht. Ich scheine irgendeine Art an mir zu haben, weil’s den Leuten nicht passt, vielleicht, ich sag vielleicht zu offen, was ich denk.“
Mike bewältigt die Leistungsanforderungen der Berufsschule nicht und zieht sich dann, wie er es selbst immer wieder in den Interviews betont, an einem bestimmten Punkt lieber zurück. Mit dem Ausstieg aus der Lehre kommt er letztlich einem Rauswurf zuvor. „Ich hab das zwei Jahre durchgehalten dort, echt, hab gerudert wie `ne Sau, dass ich dort klar komm. Ich musste mindestens einen Durchschnitt von 4,0 musste ich erreichen in allen Fächern, damit ich bestanden hab und das war mir eigentlich gar nicht möglich.“
In der Folge ist Mike arbeitslos. Bezogen auf seine beruflichen Zukunftspläne bleibt Mike nach wie vor orientierungslos. Er geht zu diesem Zeitpunkt zwar noch zum Arbeitsamt und zur Berufsberatung, findet aber nicht, dass er von dort Hilfe und Orientierung erhält. Nach zwei erfolglosen Bewerbungen stellt Mike seine diesbezüglichen Aktivitäten ein, weil er „keinen Bock“ mehr hatte. Zwar werden ihm vom Arbeitsamt Jobs, meist Zeitarbeitsstellen und einmal eine ABM angeboten. Diese nimmt er jedoch nur selten an. „Ich habe Zeitarbeit angeboten gekriegt. Ich hab mich immer drum gedrückt, echt. Ich hab wirklich nur versucht dann zu arbeiten, wenn ich wirklich muss.“
Mike realisiert, dass er als Schulabbrecher wenige Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt hat und dass ihm zumeist nur Jobangebote für den Baubereich gemacht werden. Dies ist jedoch nicht die Richtung, in die er gehen will. Da er keinen Schulabschluss nachholen will und die Option Ausbildung für ihn immer weniger in Frage kommt, hat er lange Zeit keine klare Perspektive, wie er sein Erwerbsleben alternativ gestalten kann. Dass er sich hier von allgemeinen Vorstellungen in der Gesellschaft unterscheidet, ist ihm bewusst. „Das Problem ist, ich hab, ich weiß nichts richtig mit mir anzufangen. Jetzt auf dem normalen Weg wie andere Leute ihr Arbeitsleben und alles machen. Funktioniert alles nicht. Komisch, ich hätte es gern anders, wirklich, aber es ist immer dasselbe irgendwie. Ich hab noch nichts gefunden, wo ich sag hier …“
Zwar sagt Mike am Ende des ersten Interviews, dass er einen Plan für sein Leben entwickeln möchte, dennoch kristallisiert sich über die Jahre hinweg immer mehr
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sein Hobby, die Musik, als das heraus, was er als Alternative zu einem normalen Erwerbsleben etablieren könnte. Zu Beginn verbindet er diese Idee immer noch mit der – vermeintlichen – Anforderung, dass er Ausbildung machen müsste, die er jedoch eigentlich nicht machen möchte. „… hab ich aushilfsweise mal ein, zwei Stunden gejobbt dort oben (im Plattenladen eines Freundes – B.R.). Es hat mir eigentlich gefallen. Da geht’s aber schon wieder los. Jetzt könnte ich mir überlegen, machste im Einzelhandel `ne Kaufmannslehre (…). Also ich denke jetzt so, wenn ich die Lehre mache, aber da mach ich die Lehre in der Kaufhalle, da denk ich bestimmt, es geht schon wieder los. Das geht doch gar nicht. Und selbst wenn die mich nach den drei Jahren übernehmen könnten, ich sach mal, die Chance ist so verschwindend gering, dass das geht, wüsst ich nicht, ob ich das schaffe drei Jahre diesen Stumpfsinn mit Regal einräumen zu ertragen.“
Insofern bleibt Mike lange Zeit passiv und tut nichts. Er bewirbt sich nirgends, schränkt die Kontakte zu Institutionen (z. B. Arbeitsamt, Sozialamt) zunehmend ein und entwickelt keine Perspektive für seine berufliche Zukunft innerhalb normalbiographischer Verlaufsvorstellungen. Nachdem er bei der Durchführung seines Hobbys (als DJ Schallplatten auflegen) einen Rückschlag erleidet, weil ihm die entsprechende Ausrüstung gestohlen wird, weitet er seine passive Copingstrategie auf alle Lebensbereiche aus. „Da hab ich dann alles total schleifen lassen. Das ging dann los und jetzt fällt’s mir schwer, da wieder raus zu kommen. (…) Ansonsten schleich ich mich so durch.“
Auch wenn sich an den Fakten und z. T. auch den Einstellungen von Mike zum Zeitpunkt des zweiten Interviews nicht viel verändert hat, ist er bei der Suche nach einer Alternative für einen normalen Ausbildungs- und Erwerbsweg aktiver geworden. Dabei setzt er, wie es sich bereits seit Jahren andeutete, darauf, sein Hobby des Plattenauflegens als DJ zur Grundlage für das Bestreiten seines Lebensunterhalts zu machen. „Na, ich bin jetzt mit meiner Musik weiter gekommen als mit meinem sämtlichen anderen Mist. Ich habe immer noch nicht gearbeitet und immer noch keine gesicherte Zukunft und immer noch keinen Plan, aber mit der Musik geht’s jetzt langsam bergauf.“
Sein Traum ist nun, sich als freischaffender Künstler anzumelden. Dazu muss er ein Einkommen bestimmter Höhe im Vierteljahr nachweisen. Deshalb hat er begonnen, in Chemnitz eigene Partys zu geben und sich über den Eintritt zu finanzieren. Noch sichert dies Mikes Lebensunterhalt nicht. Dennoch hat er sich
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zu diesem Zeitpunkt von der Aufnahme einer Ausbildung oder einer Erwerbsarbeit verabschiedet. „… das glaube ich nicht, das wird nichts draus (aus einem normalen Arbeitsleben – B.R.). Ja, denke ich echt nicht. Ausbildung. Da haste wieder kaum Kohle. Reißt dir trotzdem den Arsch auf. Drei Jahre noch drauf und ich bin jetzt aus dem Alter raus, wo man noch so richtig aufnahmefähig ist.“
Auch wenn er die Alternative für sich in der Musik, als Künstler sieht, weiß er auch, dass er damit einen anderen Weg einschlägt, als die Mehrheit in der Gesellschaft und sieht sich dabei trotzdem an den Rand gestellt. „Ist bloß das Problem, dass das halt keiner so richtig ernst nimmt, so großartig. (I: Was heißt das?) Also keine Erwachsenen. Erwachsene nehmen mich nicht ernst. (I: Du bist doch erwachsen.) Na ja, ältere Leute, na älter, eben richtige Erwachsene. Ich bin noch nicht erwachsen, glaube ich nicht. (…) Auf jeden Fall die Leute nehmen das echt nicht ernst, weil man hat keine Bezüge, man kann nicht sagen, hier, das ist mein Abrechnungszettel, mein Kontoabrechnungszettel. Und sobald man das nicht hat, interessiert das die Leute nicht mehr.“
Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf Der Alltag von Mike ist durch ein hohes Maß an sozialer Exklusion geprägt. Das hat sich auch nicht geändert, als er im zweiten Interview über aktivere Bewältigungsstrategien berichtet, um sein bereits seit Jahren favorisiertes Hobby – als DJ Musik zu machen – zur Grundlage seiner Lebenssicherung zu machen. Seine andauernde Exklusion vom Arbeitsmarkt und die bei Mike zunehmende Selbstexklusion Institutionen gegenüber wirken sich auf den Erhalt von Transferleistungen aus. Nach dem Abbruch seiner Ausbildung erhält Mike nach einer dreimonatigen Sperrfrist noch Arbeitslosenhilfe. Trotz gelegentlicher Zeitarbeit oder einer ABM verschlechtert sich die finanzielle Situation und damit die materielle Teilhabe immer mehr. „Ich kriege von niemand, nicht mal vom Sozialamt was. Aber da hab ich mich auch nicht drum gekümmert. Das ist mir zu viel Stress gewesen.“ „Ich denke, die denken, ich bin beim Sozialamt und das Sozialamt denkt, ich bin beim Arbeitsamt. Weil die ja nun nicht miteinander kommunizieren, weil wir das ja machen müssen, für die den Rotz hin und her schleppen, haben die halt keine Ah-
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8 Ergebnisse nung. Na, wir haben nicht viel Geld, wir sind nicht reich, aber ich habe abends immer einen vollen Bauch und eine warme Wohnung. Das geht schon. Ich sage mal, wenn ich die Y. (01-007 – B.R.) nicht hätte, wäre das dann schon ein bisschen komplizierter.“
Da Mike keinerlei eigenes Einkommen hat und seine DJ-Auftritte bislang noch keinen Gewinn einbringen, wird Mike von seiner Freundin, bei der er wohnt und von deren Sozialhilfe beide leben, sowie von seiner Großmutter unterstützt. An Lebensmitteln kann demzufolge nur das Nötigste eingekauft werden und die Kleidung stammt entweder aus dem Second Hand oder die Großmutter gibt das Geld für notwendige Anschaffungen. Dass sich Mike schon frühzeitig in seinem Leben als Sonderling sieht, führt dazu, dass er eigentlich keinen wirklichen Freundeskreis hat. „(I: Kannst du sagen, du hast einen relativ festen Freundeskreis?) Na ja, die Welt ist schlecht. Sage ich mal so. Na ja, das sind echt noch zwei, drei Leute so, auf die ich mich verlassen kann.“ „(I: Also ist das deine Entscheidung vorsichtig zu sein, sich mit Freunden einzulassen?) Na ja, das ist generell. Die Zeit ist einfach so. Selbst wenn das Problem nicht wäre, die Zeit ist. Man kann sich kaum noch Freunde suchen, das geht gar nicht, weil die haben alle nur sich im Kopf. Geht ja auch nicht anders, wenn man hier nicht auf sich aufpasst, ist man ganz schnell am Arsch. Ich hatte ja alles schon miterlebt die letzten zwei Jahre.“
Mike macht die Erfahrung, dass er als Freund auch zunehmend gemieden wird von denjenigen, die sich erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt platzieren konnten. „… die sind finanziell so gut gestellt gewesen, dass sie dann am Ende wahrscheinlich kein Interesse mehr an mir hatten. Weil, ich hab’s halt nicht gebracht.“
Obwohl sich Mike für Politik interessiert, war er sowohl bei der letzten Bundestagswahl als auch bei anderen Wahlen nicht wählen. Er hält seinen Einfluss auf politische Entscheidungen für sehr begrenzt. „Irgendwie muss man wählen, damit keine Idioten an die Macht kommen, aber auf der anderen Seite macht die eine Stimme sowieso nichts. (…) Und egal welche Regierung hier dran sitzt, irgendwas ist immer beschissen. Passiert nichts mehr. (I: Meinst du dass Politik überhaupt so einen Einfluss hat?) Wirtschaft. Politik ist nur das Wort, damit die Leute das nicht checken, um was es wirklich geht. Damit die Leute das nicht raffen, Weil, was ich nicht verstehen kann, was für mich absolut nicht sein kann, ist, dass Leute aus der CDU, die da im Vorstand von VW sitzen (…)“
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Bezogen auf den Erhalt von Informationen (z. B. über Tageszeitungen), aber auch die Teilhabe an allgemeinen kulturellen Möglichkeiten in der Freizeit sieht sich Mike stark exkludiert, versucht dieser Situation jedoch immer noch eine positive Seite abzugewinnen: „Ansonsten, ich bin eigentlich ganz schön abgeschnitten von der Außenwelt so. Das ist aber ganz gut so, da kann ich mir meine eigene Birne machen über das Ganze.“
Auch wenn bei dem vorstehend beschriebenen Fallbeispiel Mike keine Veränderungen im Ausmaß sozialer Exklusionsbedingungen erkennbar werden, unterscheidet er sich hinsichtlich seiner Bewältigungsstrategien von den anderen Personen dieses Verlaufstyps. Ist er anfangs sehr passiv in seinem Handeln bezogen auf den Bildungs- und Ausbildungsweg, wird er im Verlauf der Zeit aktiver, wenn es darum geht, sich die Basis für einen selbständigen Geldverdienst zu schaffen, indem er als DJ arbeitet. Damit ist Mike eines der wenigen Beispiele dafür, dass akkomodative Strategien der Abkehr von normalen Erwerbsverläufen mit aktiven Handlungsstrategien einhergehen können. Allerdings stand Mike erst am Beginn dieses alternativen Weges und ist den Beweis des Erfolgs bislang schuldig geblieben.
Zusammenfassung Verlaufstyp II Der Verlaufstyp II beschreibt die Gruppe von jungen Erwachsenen des Untersuchungssamples, deren Erfahrungen mit sozialer Exklusion über den Zeitraum mehrerer Jahre gleichbleibend ausgeprägt sind. Trotz der sehr heterogenen Einzelfälle, betrachtet man die konkreten biographischen Verläufe, wird sichtbar, dass sich alle jungen Erwachsenen dieses Verlaufstyps dauerhaft auf einem bestimmten Niveau sozialer Exklusion bewegen. Wie auch in den vorgestellten Fallbeschreibungen deutlich wird, sind die jungen Männer und die junge Frau über eine lange Zeit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, zumeist existieren kaum Erfahrungen mit normaler Erwerbsarbeit. Aber auch Tendenzen sozialer Isolation bzw. der Selbstexklusion bilden Merkmale dieses Verlaufstyps. Auf der Ebene der Partizipation wird vor allem materielle Exklusion, aber ebenso institutionelle Exklusion sichtbar. Die Kontakte zu wichtigen Institutionen des Erwerbslebens (Arbeitsagentur, Jugendberufshilfeeinrichtungen) und für Transferleistungen (z. B. Sozialhilfe) zuständige Institutionen werden geringer, zum Teil gänzlich abgebrochen. In der Deutung der jungen Erwachsenen fühlen sich diese Institutionen nicht mehr für sie zuständig und die Hoffnung, von ihnen die Hilfe zu erhalten, die den jungen Frauen und Män-
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nern längerfristig eine – selbstbestimmte – Zukunft sichert, schwindet zunehmend. Ähnlich der Gruppe junger Erwachsener im Verlaufstyp I hatten die Befragten des Verlaufstyps II bereits sehr frühzeitig in ihrer Biographie Erfahrungen mit sozialer Exklusion. Bis auf eine junge Frau wurden alle weiteren fünf Personen dieses Typs der Analysegruppe B zugeordnet, haben also in mehr als einem Lebensbereich außer der Arbeitsmarktausgrenzung mit sozialer Exklusion zu tun. Es zeigt sich bei den sechs jungen Erwachsenen des vorstehend vorgestellten Verlaufstyps, dass sich akkomodative und assimilative Bewältigungsstrategien die Waage halten und dass weder die eine noch die andere Copingstrategie auf der Einstellungsebene bislang eine Verringerung der Bedingungen sozialer Exklusion bewirkt hat. Betrachtet man die genannten Aspekte, rückt der Verlaufstyp II näher an den Verlaufstyp I heran als an den – noch zu beschreibenden – Verlaufstyp III. Die jungen Erwachsenen befinden sich auf dem Kontinuum sozialer Inklusion und sozialer Exklusion in der Zone der Vulnerabilität, wobei einige eine bereits stark verfestigte Form sozialer Exklusion aufweisen. Trotz der Ähnlichkeit der Bedingungen im Verlaufstyp II und I, die sich darin zeigen, dass ein dauerhafter Ausschluss vom Arbeitsmarkt vorliegt, dass Tendenzen sozialer Isolation sichtbar werden, dass kaum ein Einfluss assimilativer Copingstrategien auf die Rückkehr oder den Eintritt in ein Erwerbsleben auszumachen ist, wird eine Differenz zwischen beiden Verlaufstypen sichtbar. Ein wichtiger Aspekt, der Einfluss auf einen zukünftigen Rückgang sozialer Exklusion haben kann, ist die Frage nach den Copingstrategien auf der Handlungsebene. So scheint ein passives oder vermeidendes Copingverhalten wenig geeignet, den Prozess aus der sozialen Exklusion heraus zu befördern. Das zeigte sich bereits in den betrachteten Biographien des ersten Verlaufstyps. Dies wird aber ebenfalls beim Verlaufstyp II augenfällig. Hier verdeutlicht vor allem das Vorhandensein bzw. der allmählige Übergang von passiven zu aktiv sozialem Bewältigungsverhalten, dass sich darüber Möglichkeiten ergeben, schrittweise aus sozialer Exklusion herauszukommen. Dass dies auch mit einer eindeutig akkomodativen Bewältigung auf der Einstellungsebene möglich scheint, zeigt das Fallbeispiel von Mike, der es mit seinem Plan, als freischaffender Künstler tätig zu sein, zum Zeitpunkt der Interviews zwar noch nicht vermocht hat, entscheidende Schritte aus der sozialen Ausgrenzung herauszugehen, der aber mit diesem Ziel Chancen zu haben scheint, seine Lage zu verbessern. Ähnliche Tendenzen lassen sich bei Steve und Manja ausmachen, die mit – nach einer Zeit des Suchens – klaren Vorstellungen für ihren weiteren Ausbildungs- und Erwerbsweg (Verpflichtung bei der Bundeswehr bzw. die Aufnahme einer überbetrieblichen Ausbildung) bei erfolgreicher Umsetzung die Chance
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haben werden, wieder besser sozial inkludiert zu sein. Somit wird deutlich, dass sich der Verlaufstyp II letztendlich als „Durchgangstyp“ darstellt. Verbleibt eine Person jedoch über einen sehr langen Zeitraum auf einem gleichbleibenden Niveau sozialer Exklusion, geht dies sehr wahrscheinlich mit einer Verschlechterung der Lage einher. Diese Personen nähern sich dem Verlaufstyp I an, bei dem sich soziale Exklusion zu einem Syndrom verfestigen kann. „Durchgangstyp“ kann jedoch auch bedeuten, dass sich nach längerer Zeit gleichbleibenden Ausmaßes sozialer Exklusion Entwicklungen erkennen lassen, die Schritt für Schritt aus sozialer Ausgrenzung herausführen.
8.5.3 Verlaufstyp III: Verringerung sozialer Exklusion Ein in der Theorie zur sozialen Exklusion immer wieder betonter Aspekt ist, dass soziale Exklusion nicht den biographischen Endpunkt eines Lebenslaufs darstellen muss (Vobruba 2000, Kronauer 2002). Das bedeutet, dass es für die Betroffenen grundsätzlich die Möglichkeit gibt, aus der Zone sozialer Ausgrenzung sowie der Zone der Vulnerabilität in die Zone sozialer Inklusion zu gelangen. Im Folgenden sollen diejenigen jungen Erwachsenen des Samples betrachtet werden, deren Lebenswege zunächst in die soziale Exklusion (in unterschiedlichem Ausmaß), aber auch wieder heraus geführt haben. Die Wege aus der sozialen Exklusion, das werden die Fallbeispiele für diesen Verlaufstyp zeigen, sind dabei bislang unterschiedlich weit beschritten worden. Die Tendenz zeigt jedoch ein jeweils verringertes Ausmaß sozialer Ausgrenzung an. Ähnlich dem Verlaufstyp II spielen bei der Betrachtung der Biographien dieses Verlaufstyps Pläne, Einstellungen und Bewältigungsmuster eine zentrale Rolle, wenn von Wegen aus der sozialen Exklusion heraus gesprochen wird. Wichtig sind bei diesem Verlaufstyp aber vor allem konkrete Aspekte sozialer Ausgrenzung, die sich verringert haben. Das betrifft nicht ausschließlich die Exklusion vom Arbeitsmarkt, sondern ebenso die Verringerung sozialer Isolation und die Verbesserung von Teilhabemöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft. Im Gegensatz zu den beiden bereits beschriebenen Verlaufstypen befinden sich im Verlaufstyp III weniger junge Erwachsene mit schwierigen Schulkarrieren und fehlenden Schulabschlüssen. Lediglich ein junger Mann (André 02-001) verlässt die Schule nach der sechsten Klasse ohne einen Schulabschluss. Die meisten jungen Männer dieses Verlaufstyps (in ihm befinden sich ausschließlich junge Männer und keine jungen Frauen aus dem Sample) beendeten die Schule mit einem Realschulabschluss, einer sogar mit Abitur (Richard 03-003). In diesem Verlaufstyp befinden sich diejenigen der jungen Erwachsenen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und die bereits Erfahrungen mit norma-
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ler Erwerbsarbeit sammeln konnten (Konstantin 02-003, Michael 02-010 und Sebastian 03-002 haben eine abgeschlossene Berufsausbildung). Dies unterstreicht, was in der Forschung zu Ausbildungs- und Erwerbsverläufen bereits nachgewiesen werden konnte: Nach wie vor verbessern formale Abschlüsse (sowohl Schulabschlüsse als auch Berufsausbildungsabschlüsse) die Chancen auf eine erfolgreiche Platzierung auf dem Arbeitsmarkt (Solga 2004, 2005; Prein 2006). Zwar garantieren sie nicht den reibungslosen normalbiographischen Lebenslauf, aber die Chancen, sich erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt (wieder) zu platzieren und Wege auch aus Lagen sozialer Ausgrenzung zu finden, scheinen leichter, wenn die formalen, auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Voraussetzungen vorhanden sind. Dass von sozialer Ausgrenzung auch solche Personen betroffen sein können, die die gerade genannten guten formalen Voraussetzungen für den Ausbildungs- und Erwerbsweg mitbringen, zeigt die Tatsache, dass bis auf eine Ausnahme alle jungen Männer dieses Verlaufstyps der Analysegruppe B zugeordnet wurden, also bereits weit reichende Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung gemacht haben. Allerdings wird deutlich, dass soziale Isolation bei diesem Verlaufstyp weniger oft auftritt als es beim Verlaufstyp I und II zu beobachten war. Ohne Ausnahme verfolgen alle Personen dieses Verlaufstyps assimiliative Bewältigungsmuster und bleiben damit der Vorstellung eines normalbiographisch orientierten Lebenslaufs verhaftet. Ihre Zukunftsziele richten sich alle, so noch nicht vorhanden, auf die Aufnahme einer Ausbildung als Grundlage für ein Normalarbeitsverhältnis, auf die (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbsarbeit. Dafür planen sie Zwischenschritte in Form von Umschulungen und Weiterbildungen. Diese hier angedeuteten Pläne zeigen einen nächsten wichtigen Punkt, der die jungen Erwachsenen dieses Verlaufstyps von denen der beiden anderen Verlaufstypen unterscheidet: Sie weisen alle ein aktives, soziales Copingverhalten auf der Handlungsebene auf. Dennoch werden auch bei diesem Verlaufstyp die folgenden Fallbeispiele die Unterschiedlichkeit der einzelnen Biographien sichtbar machen.
Konstantin (02-003) „Und vor allem Fachkräfte im technischen Bereich suchen die immer.“ Familiärer Hintergrund Konstantin wird Ende der 1970er Jahre in Leipzig geboren. Er ist das dritte von fünf Kindern und hat zwei Brüder und zwei Schwestern.
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Sein Vater ist Druckereimeister und hat bis Mitte der 1990er Jahre bei einer großen Druckerei in Leipzig gearbeitet. Seit dem ist er arbeitslos, unterbrochen von ABM-Stellen und kurzen befristeten Beschäftigungen. Konstantins Mutter arbeitet bis zur Geburt des zweiten Kindes als Pionierleiterin an einer allgemein bildenden Schule. Noch vor der Wende arbeitet sie in der Telefonzentrale und in der Poststelle der Sporthochschule und in der Druckerei, in der Konstantins Vater arbeitete. Die anschließende Umschulung hilft ihr nicht, die Arbeitslosigkeit zu beenden. Sowohl zu seinen Eltern als auch zu seinen Geschwistern, besonders seinem jüngeren Bruder, hat Konstantin ein sehr gutes Verhältnis. Lediglich in der Pubertät, Konstantin ist 16, 17 Jahre alt, ist sein Verhältnis zum Vater schwierig, da dieser den Kleidungsstil, die Freunde und die Musik Konstantins nicht toleriert. „Deine Musik ist mir zu krass, deine zerfetzten Jeans möchte ich nicht sehen, wenn deine Leute mich nicht grüßen. (…) Na ja, konservativ halt. Aber selber war er auch kein Engel. Haha, ich kenne Storys, die erzählt der selber. So wie ich ausgezogen war, vielleicht zwei Monate hat es gedauert, da hatten wir wieder ein bombiges Verhältnis. Jetzt ist er mein bester Freund. (I: Und zu deiner Mutter, wie würdest du das Verhältnis beschreiben?) Meine beste Freundin, auf jeden Fall. Ich kann mit der aber auch mit jedem Mist, wo man sagt, das bespricht man mit seinem besten Kumpel, Liebesdinge oder so, (…) ich frage da lieber meine Mutter, weil die da vernünftiger rangeht. (I: Und die Geschwister?) Mein kleiner Bruder, lange Zeit waren wir so was wie siamesische Zwillinge.“
Bis zum Zeitpunkt der beiden Interviews kann sich Konstantin bei fast allen Problemen an seine Eltern und seine Geschwister wenden. Auch wenn die Familie wenig Geld zum Leben zur Verfügung hat, unterstützen sie Konstantin auch materiell so gut es geht. Seine älteren Geschwister machen alle eine Berufsausbildung, wobei zwei von ihnen Abitur haben und ein Studium an die Berufsausbildung anschließen.
Schulbiographie Konstantin kommt Anfang der 1980er Jahre in die Schule. Die Zeit bis zur Wende beschreibt er als „gediegen“. Er ist in der siebten Klasse als mit der Wendezeit sich eine Reihe von Veränderungen ergeben. Dabei erinnert sich Konstantin weniger an die Veränderung von Lehrinhalten innerhalb der Schule, sondern eher an die der äußeren Bedingungen des Schulumfeldes. Insbesondere von steigender Gewalt und Drogenkonsum berichtet Konstantin:
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8 Ergebnisse „Schulzeit war ganz gediegen bis zur Wende. Dann kam, auch wenn das fast wie ein Klischee klingt, dann kam die ganze Gewalt auf.“ „(I: Und wie hast du denn diese Veränderungen erlebt?) Das ging dann los, dass jeder erst mal eine Bomberjacke haben musste. (…) Aber dann ging das los, da kamen die in die Schule mit Sprungmessern und Butterfly. (…) Da kamen sie mit geklauten Autos und haben die vor der Schule geparkt, als wäre es das Normalste von der Welt, dass man mit 16 sein eigenes Auto vor der Schule parkt.“ „Na ja, die haben sich alle dann so krass verändert, dadurch, dass dann – das war in der 9. Klasse – (…) da ging das dann los mit den Drogen hier ganz heftig.“
Zwar hält sich Konstantin von Gruppen fern, die rechtsradikal und gewaltbereit sind, hat während seiner Schulzeit aber engen Kontakt zu Jugendlichen, die Drogen, vor allem auch harte Drogen, nehmen. Er selbst konsumiert kein Heroin, aber dennoch berichtet er, dass seine Schulleistungen in dieser Zeit nachgelassen haben, weil er der Schule zeitweise fernbleibt und insgesamt wenig Interesse am Unterricht hat. Noch im siebten Schuljahr hatte man ihm von Seiten der Schule angeboten, auf die Gymnasialstufe zu wechseln. Konstantin lehnt dieses Angebot jedoch mit der Begründung ab, lieber gleich arbeiten zu gehen und schnell Geld zu verdienen. Im Nachhinein bereut er diese Entscheidung. Aus der heutigen Perspektive erkennt er die Notwendigkeit möglichst guter Bildungsvoraussetzungen für die erfolgreiche Platzierung auf dem Arbeitsmarkt an. Er beendet mit einem durchschnittlich guten Abschluss die 10. Klasse und schließt direkt eine Ausbildung an.
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Das familiäre Umfeld und auch seine Schulkarriere lassen kaum Hinweise auf Aspekte sozialer Ausgrenzung erkennen. Prekäre Bedingungen treten erst im Verlaufe seiner Erwerbskarriere zutage. Doch zunächst verläuft der Übergang Schule – Berufsausbildung im Sinne normalbiographischer Vorstellungen. Über ein Praktikum in der Druckerei, in der sein Vater tätig ist, wird das Interesse an diesem Beruf auch bei Konstantin geweckt. Über die Fürsprache seines Vaters erhält er nach seinem Schulabschluss einen Ausbildungsplatz im Betrieb des Vaters. Er schließt nach drei Jahren seine Ausbildung als Drucker erfolgreich ab. Allerdings übernimmt der Betrieb Konstantin nicht, so dass er zunächst ein halbes Jahr arbeitslos ist.
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In dieser Zeit jobbt er in einer Disko und hat nebenbei noch weitere Jobs, um sein Leben zu finanzieren. „Na ja, arbeitslos damals. (…) Und dann auch ständig übermüdet durch das Schauhaus (eine Disko – B.R.). Das war immer so krass, von Mittwoch zu Donnerstag, als ich noch Zeitarbeit gemacht habe, war es ganz krass. Von Mittwoch zu Donnerstag bis früh um sechse da drinne geschuftet. Heme geduscht, Zähne geputzt, in die Arbeitsklamotten gesprungen und ab zur Zeitarbeit.“
Nach seinem Dienst bei der Bundeswehr ist Konstantin zunächst wieder arbeitslos, findet dann jedoch eine Druckerei, bei der er offiziell geringfügig beschäftigt ist. In dieser Druckerei erhält er von Zeit zu Zeit zusätzlich, schwarz, Geld für seine Arbeit. Dort ist er fast vier Jahre beschäftigt, bevor er wiederum, und nun anhaltend, arbeitslos wird. Bis auf eine dreimonatige Unterbrechung findet Konstantin keine Arbeit mehr als Drucker. Seine Erfahrungen mit Zeitarbeit sind zwar eher schlecht, aber er versucht dennoch, darüber ein wenig Geld zu verdienen. In dieser Zeit entwickelt er die Idee, sich über Weiterbildung eine neue Perspektive für sein Erwerbsleben aufzubauen. Die Bewältigungsmuster auf der Einstellungsebene sind klar assimilativ, also auf den Einritt in ein Normalarbeitsverhältnis ausgerichtet. „Aber wenn alle Stricke reißen und ich als Drucker nichts kriege, mache ich ein Jahr Fachschule, dann habe ich Fachhochschulreife und dann mache ich meinen Diplomingenieur. Da bleibe ich im Beruf.“
Zum Zeitpunkt des ersten Interviews berichtet er von dieser Idee, gibt sich aber noch ein paar Monate Zeit, um zu sehen, ob er doch wieder Fuß fassen kann auf dem Arbeitsmarkt. Als er zum Zeitpunkt des zweiten Interviews immer noch ohne Arbeit ist, nehmen die Vorbereitungen für die Aufnahme eines Fachschulstudiums bereits ernsthafte Züge an. „Mein Fachwissen wurde dann dort (auf der Arbeitsstelle, die er für drei Monate hatte B.R.) auch anerkannt. Der Produktionsleiter sagte am Ende dann zu mir: Horch zu, mache was aus deinem Wissen. Du gehörst nicht nur an die Maschine. Und da mache ich jetzt das, was ich sowieso vorhatte. Ich schreibe nächste Woche Bewerbungen für, erst mal für die Fachoberschule, damit ich die Fachschulreife hab. Und dann ziehe ich meine vier Jahre Diplomingenieur durch. Das sind fünf Jahre, habe ich mir überlegt, da hat sich der Arbeitsmarkt wieder ganz anders entwickelt. Und vor allem Fachkräfte im technischen Bereich suchen die immer.“
Lange Zeit war sich Konstantin nicht sicher, ob er wirklich noch einmal – so lange nach seiner Lehr- und Schulzeit – einen solchen Bildungsweg einschlagen
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soll. Hier hat ihn jedoch besonders seine ältere Schwester bestärkt, die ebenfalls nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung ein Hochschulstudium anschließt und es gut bewältigt. Es wird vor allem bei der Betrachtung des Ausbildungs- und Erwerbsweges von Konstantin sichtbar, dass er fast durchgängig sehr aktive Bewältigungsstrategien anwendet, um wieder in ein normales Arbeitsverhältnis zu gelangen oder wenigstens, um die fast dauerhaft vorhandenen finanziellen Engpässe abzumildern.
Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf Das Leben außerhalb seines Berufes und der Jobs ist für Konstantin fest mit dem Quartier, dem Leipziger Osten, verbunden. Hier ist er aufgewachsen und hier wohnt der Großteil seiner Familie und Freunde. Auch wenn er eine eher kritische Einstellung zu dem hat, was im Stadtteil an Unterstützung geleistet wird, bewegt er sich gern hier und findet sich in seiner Freizeit viel weniger perspektivlos als was seine beruflichen Aussichten angeht. „Ja, es wird versucht (Unterstützung für den Stadtteil – B.R.), aber es kommt nichts rüber. (…) Weil ein Jugendklub am andern wird zugemacht. Aber für so eine Scheißnazidemo hat das Land Sachsen Geld. (…) Und das kostet Millionen und deswegen sage ich mal, auf der einen Seite versuchen sie und erzählen sie, sie wollen sozial und hin und her, aber auf der anderen Seite kommt nichts rüber. Die Lebensqualität hier im Osten, die ist nicht bloß schlechter, weil es hier finanziell beschissener ist, sondern die ist, gerade hier in Leipzig, ist die schlechter, weil zu wenig Perspektiven geboten werden. Irgendwie außerhalb der Schule, der Arbeit irgendwas zu machen und da hängen die auf der Straße, die Jungs, ist ja klar.“
Dass Konstantin nicht nur bezogen auf seine berufliche Perspektive aktives, soziales Coping anwendet, sondern auch generell im Leben aktiv ist, zeigt nicht zuletzt seine ehrenamtliche Tätigkeit als Ordner bei einem Fußballklub in Leipzig. Trotz der langen Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen sehr prekären materiellen Situation versucht Konstantin an gesellschaftlichen Belangen teilzuhaben. So interessiert er sich für politische Fragen und geht auch wählen. Konstantin hatte jedoch auch weniger aktive Phasen in seinem Leben. In der ersten Zeit seiner Arbeitslosigkeit nimmt er sehr häufig Haschisch oder Marihuana. Dadurch verschärft sich die finanzielle Lage so sehr, dass er ein- oder zweimal kleinere Einbruchsdelikte begeht.
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„Dann auch Drumrum, dann haben wir auch zwei, drei Kellertüren eingetreten, um Videorekorder und Zeug rauszuholen, ums für 10 Euro in den A&V zu schaffen. Da habe ich zwei Touren mitgemacht. Danach habe ich mir geschworen: nie wieder.“
Kurz darauf schränkt Konstantin seinen Drogenkonsum erheblich ein und ist „runter vom Hardcorekiffen“. Kommt er mit dem Arbeitslosengeld und kurzzeitiger Schwarzarbeit finanziell zunächst gut über die Runden, wird die Lage dann immer prekärer. Das hat zum einen Auswirkungen auf sein Konsum- und Freizeitverhalten, aber auch auf seinen Freundeskreis. Für die einen wird er nun, ohne finanzielle Mittel, uninteressant, von den anderen Freunden distanziert sich Konstantin bewusst. Das sind vor allem auch arbeitslose junge Erwachsene, die sich jedoch in der Wahrnehmung von Konstantin in dieser Situation eingerichtet haben und nicht mehr das Ziel haben, wieder regulär in den Arbeitsmarkt einzutreten. „Die sind auch schon seit der Lehre arbeitslos, teilweise. Die haben aber auch keinen Bock irgendetwas anderes zu machen. Die kriegen ihre Sozialhilfe und dadurch, dass sie Sozialhilfe haben, kriegen sie schön ihre Wohnung bezahlt. Mal hier mal da schwarzarbeiten für eine Woche, aber nicht zu lange, weil sonst wird es ja wieder Stress – wenn ich das schon höre.“
An dieser Stelle wird deutlich, dass eine Verkleinerung des Freundeskreises nicht unbedingt zu einer negativ zu bewertenden sozialen Isolation führen muss. Vielmehr versucht Konstantin mit seinem Schritt, sich von den beschriebenen Freunden zu trennen, sich aus einer spezifischen Form der sozialen Isolation zu befreien, genau die Kontakte zu meiden, die einen eher verstärkenden Einfluss auf die soziale (Selbst-)Exklusion ausüben. Institutionell, besonders bezogen auf das Arbeitsamt, fühlt sich Konstantin ausgegrenzt. Das bezieht sich nicht allein auf die dortigen Gatekeeper, die aus seiner Sicht keinerlei positiven Einfluss auf den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt haben. „Na ja, und da bin ich ausgetickt, weil der mich gefragt hat, haben sie sich denn um Arbeit gekümmert? Ich sage, die gleiche Frage wollte ich ihnen stellen. Sie sind mein Arbeitsvermittler (…), sie sitzen hier nicht, damit der Tag rumgeht.“
Das Gefühl des Ausgegrenztseins bezieht sich aber auch auf die anderen Personen, die Konstantin auf dem Arbeitsamt begegnen. „Ich war zwar schon mal im Berufsberatungszentrum drinne damals, aber …dahin (zum Arbeitsamt – B.R.) – das war ein Schlag, das war wirklich wie ein Schlag in die Fresse als ich die Tür aufgemacht habe, (…), und die ganzen Abgestürzten da
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8 Ergebnisse sehe. Und das ist nicht bloß ein Klischee. Wenn man aufs Arbeitsamt guckt, sieht man, was für abgefuckte Typen da mitunter sitzen.“
So will Konstantin sich nicht sehen und tatsächlich hat sich gezeigt, dass er trotz zum Teil schlechter Bedingungen versucht, Perspektiven für seinen Erwerbsweg zu entwickeln und sich auf seine Familie, weniger auf seine Freunde, als wirksames soziales Netzwerk stützt. Auch wenn er zum Zeitpunkt des zweiten Interviews noch immer arbeitslos war, hat er bis dahin schon eine Reihe von Schritten unternommen und vorbereitet, sich aus sozialer Exklusion herauszubegeben.
André (02-001) „Ich war der Schlimmste, mit mir wollte niemand was zu tun haben.“ Familiärer Hintergrund André wird Anfang der 1980er Jahre in G. geboren. Sein Aufwachsen ist von häufigen Wohnortwechseln und von oftmaligem Wechseln der Bezugspersonen gekennzeichnet. Bei seiner Mutter ist André nur kurze Zeit. Als sie – vermutlich wegen Betrugs – ins Gefängnis kommt, übernimmt Andrés Oma die Pflegschaft für ihn. Mit ihr zieht er mehrmals innerhalb der DDR um. Die längste Zeit verbringt er in B., wo die Oma als Köchin in einem Hotel tätig ist. Als sie jedoch, André ist ungefähr 12 Jahre alt, an Krebs stirbt, kommt er in ein Heim. Mehrfach läuft er aus dem Heim weg und nimmt sowohl zu seinem Vater als auch zu seiner Mutter Kontakt auf. „Na ja, abgehauen, zur Mutter gefahren, weil ich Adresse irgendwo rausgesucht hab. Wollte mit der reden, dass ich bei der bleiben kann, weil ins Heim wollte ich einfach nicht. Na ja, und die wollte mich nicht haben.“
Bei André zeigt sich schon früh ein hohes Aggressionspotential. So sagt er über sich, dass niemand im Heim mit ihm etwas zu tun haben wollte. „Ich hatte keine Konkurrenz. Es wollte niemand mit mir was zu tun haben, also – alle wollten was mit mir zu tun haben, aber keiner wollte mich kennen lernen.“
Nach insgesamt zwei Jahren im Heim, geht André „auf die Straße“ und „kümmert sich um sich selbst“. Das bedeutete, dass André in Kreise des organisierten Verbrechens geriet.
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Zu den Mitgliedern seiner leiblichen Familie hat André heute keinerlei Kontakt mehr, nachdem ein Treffen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern Ende der 1990er Jahre im Unfrieden endete.
Schulbiographie Schon bald nach der Einschulung wird André wegen seines sehr aggressiven Verhaltens gegenüber einer Lehrerin in eine Schule für schwererziehbare Kinder vermittelt. Dort bleibt er bis zur Wende und hatte bis dahin ein recht gutes Verhältnis zu den dortigen Lehrerinnen und Lehrern. Nachdem diese Schule geschlossen wird, kommt André in der siebten Klasse zurück nach G. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt hat es André aufgegeben zu lernen und einen Schulabschluss anzustreben. Während des siebten Schuljahres kommt er in den Jugendwerkhof außerhalb von G. Aufgrund einer Amnestie zur Wendezeit wird er nach vier Monaten wieder aus dem Jugendwerkhof entlassen und kommt wieder in ein Heim. In dieser Zeit zieht er sich völlig aus der Schule heraus und verlässt diese ohne einen Schulabschluss.
Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Bereits im frühen Teenageralter gerät André in schwerstkriminelle Kreise mit mafiösen Strukturen. Einen normalen Verlauf von Schule – Berufsausbildung – Erwerbsarbeit thematisiert André in seinem Leben lange Zeit nicht. Mehrere Jahre verbringt André im kriminellen Milieu (u. a organisierter Autodiebstahl) und begeht eine Reihe von schweren Straftaten. Dann steigt er aus, stellt sich selbst der Polizei und geht für einige Monate ins Gefängnis. Zu dieser Zeit ist er immer noch minderjährig. Nach seiner Entlassung aus der JVA (er hat zu diesem Zeitpunkt noch eine dreijährige Bewährungsauflage) lebt André noch eine Weile von Geld, das aus der Zeit seiner kriminellen Karriere stammt. Er ist weder beim Arbeitsamt noch beim Sozialamt gemeldet und entwickelt keine Ideen und Initiativen für einen Ausbildungs- und Berufsweg. Zwar interessiert er sich für Autos und möchte gern in dieser Richtung „etwas machen“, jedoch ohne einen Schulabschluss und mit einer kriminellen Vergangenheit scheint ein solches Ziel sehr weit weg. Erst nach dem Umzug gemeinsam mit seiner Freundin (Miriam 02-002) nach Leipzig versucht André über den Kontakt zu Einrichtungen der Jugendberufshilfe eine Ausbildung zu erhalten. Zu diesem Zeitpunkt hat er auch wieder Kontakt zu anderen Institutionen (u. a. Arbeitsamt).
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Über seine Bewährungshelferin erhält André die Adresse einer Jugendberufshilfeeinrichtung, die Träger eines Modellprojektes des Bundes war – das Freiwillige Soziale Trainingsjahr (FSTJ). In dieses Programm, das sehr niedrigschwellig besonders benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene integrieren soll, wird André für die Laufzeit von 12 Monaten aufgenommen. Trotz seines immer wieder auffällig aggressiven Verhaltens und seiner extrem rechtsradikalen Einstellung kann André die Zeit im FSTJ nutzen. Besonders in der Leiterin der Einrichtung, aber auch in einem der Lehrmeister findet André Personen, die ihn auch über die 12 Monate des FSTJ hinaus unterstützen. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews versucht er mit deren Hilfe in eine weitere berufsvorbereitende Maßnahme (BBE) zu gelangen. „(I: Und was machst du, wenn das jetzt mit der BBE nicht klappen würde?) Dann reiße ich mir die Haare raus. (I: Und dann?) Hab ich mir noch nicht überlegt.“
An diese weitere Maßnahme hängt André große Hoffnungen für seine Zukunft, zum Beispiel für die Aufnahme einer Ausbildung. „Ja, man hofft es, man hofft es. Ich meine, ich möchte ja mal was in die Reihe kriegen. Ich meine, ein Kumpel von mir, den ich früher, da war ich mal, weil ich dem aus der Scheiße geholfen hab (…) und dafür gesessen hab, sag ich mal, der hat es gepackt, der hat seine eigene Firma.“
Zunächst klappt es jedoch nicht mit einer berufsvorbereitenden Maßnahme. André geht in dieser Zeit mit einem Freund schwarzarbeiten. Dann beginnt er ein Praktikum bei dem Träger, bei dem er das FSTJ besucht hatte. „Ja, ich habe zwischenzeitlich auch ein Praktikum gemacht, um Zeit zu überbrücken, weil die ganze Zeit zu Hause sitzen aufeinander, das ist es nicht.“
Im Herbst bekommt André dann bei diesem Träger eine außerbetriebliche Ausbildung zum Hochbaufachwerker. „… das war nur, weil ich mit meinem alten Ausbilder auf du und du stehe und der halt gesagt hat, kommste ein bisschen arbeiten. Erst mal brauche ich jede Hilfe, weil die anderen (Lehrlinge – B.R.) kommen ja eh, wann sie wollen und kaum einer was macht.“ „Der Ausbilder hat zu mir gesagt, es ist kein Problem, du kannst arbeiten, du holst sie alle ein.“
8.5 Verlaufstypen
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Zwar ist die Ausbildungsrichtung nicht der lang gehegte Wunsch von André, etwas in der Kfz-Richtung zu lernen, aber er sieht hier seine Chance und will die dreijährige Ausbildung unbedingt abschließen.
Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf André wächst unter schwierigen familiären Bedingungen auf und hat nach dem Tod seiner Oma, bei der er über Jahre hinweg gelebt hat, keine familialen Netzwerke mehr zur Verfügung. Zudem zeigt sich bereits in der Kindheit, dass André eine sehr niedrige Frustrationstoleranz aufweist und sich häufig äußerst aggressiv verhält. Nach mehreren Aufenthalten als Jugendlicher und Erwachsener im Jugendwerkhof und in der JVA belegen psychologische Tests, dass André unter einem Borderline-Syndrom leidet. Da es dagegen „keine Tabletten“ gibt, wie André selbst bemerkt, ist diese Diagnose für ihn, aber auch für seine Lebenspartnerin (Miriam, 02-002) auch eine Ausrede dafür, dass er gegen seine aggressiven „Ausraster“ nichts machen kann. Von Seiten institutioneller Stellen (Jugendgerichtshilfe, Jugendberufshilfe, Sozialamt o. Ä.), zu denen André immer wieder Kontakt hat, scheinen Angebote, z. B. ein Antiaggressionstraining, nicht mehr als hilfreich eingeschätzt worden zu sein. „Normalerweise hätte ich ja so ein Trainingsding gehabt. Und da meine Bewährungshelferin nach einmal angucken gesagt hat, das wird nichts mehr bei ihnen. (…) weil du dann erst mal in der Gruppe sitzt, da redest du erst mal dir selber. Dann kommt da so ein Mensch da an, der das gelernt hat und labert dich dicht. Und da sagte sie, das wollen wir mal nicht machen, sonst sitzt du wieder im Kahn, weil du dem den Kopf eingehauen hast. (…) Und da haben sie dem Gericht geraten, das zu unterlassen, weil es so instabil ist mit mir.“
Als Jugendlicher lebt André einige Zeit auf der Straße und gelangt in kriminelle Kreise (organisierter Autodiebstahl), in denen er einige Jahre verbleibt. Nach seinem Ausstieg aus diesen Kreisen und einer Haftstrafe beginnt nun auch der finanzielle Abstieg. Er ist nach dem Umzug nach Leipzig eine Zeit lang obdachlos und lebt später von Sozialhilfe. Seine sozialen Netzwerke wechseln im Verlauf der Jahre. Aus den kriminellen Netzwerken war er ausgestiegen. In der Haft kommt er in Kontakt zu rechtsradikalen Kreisen, u. a. über Anwälte der NPD, die in der JVA aktiv waren. In Leipzig hat er intensiven Kontakt zur rechtsradikalen Szene. Ohne seine diesbezüglichen Einstellungen aufzugeben, zieht er sich jedoch aus dem aktiven Kreis dieser Szene zurück.
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8 Ergebnisse „(I: Wie sieht es mit dem Freundeskreis in Leutzsch (Rechtsradikalenszene – B.R.) aus? Na ja, viele sind im Knast, wo soll man auch sonst hin. Bringt nichts mehr. (I: Hast du jetzt auch gesagt?) Schon lange. Ich habe dafür früher gerade gestanden und jetzt mache ich mein eigenes Ding.“
Einen wirklichen Freundeskreis hat André zwar nicht mehr, dies scheint jedoch eher ein Vorteil für ihn zu sein. Er hat sich Kontakte auf institutioneller Seite aufgebaut. So hält er Kontakt zu verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen (z. B. Streetwork) und hat die Zeit im Freiwilligen Sozialen Trainingsjahr genutzt, um sich dem Ausbilder dort als jemand zu präsentieren, der die gestellten Arbeitsaufgaben gut und schnell erledigt. Darüber erhält André auch die außerbetriebliche Ausbildung. Die Haushaltslage von André (und Miriam) bleibt jedoch prekär. Sie leben von den Transferleistungen des Staates für sich und die drei (demnächst vier) Kinder und müssen sich jede zusätzliche Ausgabe (Kino o. Ä.) genau überlegen. Sporadisch beschäftigt sich André mit politischen Themen und liest dazu ab und zu den Fokus und sieht Nachrichten im Fernsehen. Wählen war er jedoch noch nicht. „Die (Politiker – B.R.) quatschen einem eh nur das Goldene vom Himmel runter. Die Sache, gut die Arbeitslosenzahlen sind ja gesunken, habe ich gestern gehört. Aber ab nächstes Jahr wollen sie jetzt Familien fördern mit vielen Kindern. (…) Ja, wenn du ein Haus baust. Davon reden die jetzt. Es geht nicht darum, normale Leute zu unterstützen, sondern halt Leute, die viele Kinder haben und ein Haus bauen.“
Richard (03-003) „Man möchte doch mal ein geregeltes Einkommen und geregelte Arbeitszeiten haben.“ Familiärer Hintergrund Richard wird zu Beginn der 1980er Jahre in Wolfen geboren. In den ersten beiden Lebensjahren wächst er vorwiegend bei den Großeltern in einem Nachbarort Wolfens auf. Danach lebt er mit seinen Eltern und seiner Schwester in Wolfen. Die Großeltern ziehen ebenfalls nach Wolfen. Beide Eltern arbeiten bis zur Wende als Chemiefacharbeiter in der Wolfener Filmfabrik. Nach 1989 gründet der Vater eine Baufirma, die er jedoch wieder aufgeben muss. Nach einigen Jahren der Arbeitslosigkeit erhält er eine Stelle als Objektverwalter in M. Gemeinsam mit Richards Mutter, die in der Nähe M.’s als
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Verkäuferin eine Anstellung gefunden hat, zieht der Vater nach M. Richards Schwester beginnt, gleichfalls dort, eine Ausbildung zur Köchin. Über das Verhältnis zu seinen Eltern berichtet Richard nicht sehr viel. Es war nicht von Gewalttätigkeit geprägt, aber auch nicht besonders herzlich und eng. „Mein Vater, der ist früher, der hat hier eine eigene Firma gehabt. Der ist dann, wenn ich früh aufgestanden bin, war der auf Arbeit gewesen. Und wenn ich nach Hause gekommen bin, dann war der auch noch auf Arbeit gewesen. Da bin ich abends ins Bett gegangen, da kam er noch mal rein. Meine Mutter ist in Schichten arbeiten gegangen. Da war es genau das gleiche Spiel. Von daher habe ich meine Eltern am Wochenende mal gesehen. Am Wochenende war ich normalerweise auch nicht hier gewesen, weil am Wochenende zu Hause sitzen, das muss auch nicht sein. Also so wahnsinnig allzu oft haben wir uns nicht gesehen.“
Nachdem seine Eltern und seine Schwester nach M. gezogen waren, übernimmt Richard die elterliche Wohnung. Er hält den Kontakt zu seinen Großeltern aufrecht und fährt mehrfach im Monat nach M., um dort, vermittelt über seinen Vater, schwarzzuarbeiten.
Schulbiographie Mitte der 1980er Jahre wird Richard im Alter von sechs Jahren eingeschult. Die Wendezeit erlebt Richard nicht als eine Zeit, in der sich innerhalb der Schule vieles verändert hätte; lediglich, dass die äußeren Insignien der Schulzeit in der DDR wegfielen (z. B. Fahnenappelle, Zugehörigkeit zu den Pionieren). Die Schulzeit beschreibt Richard als ruhig und ohne größere Probleme. Er berichtet weder von Auseinandersetzungen mit Lehrern oder Mitschülern noch von Schulschwänzen. Auch die Schulleistungen waren immer gut und sehr gut. „Meist immer gute Noten gehabt. Das Schlechteste war mal eine 1,6 oder so. Dann später war’s schon ein bisschen Stress. Aber hat man ein bisschen aufgepasst und dann ging es wieder.“
Nach der Grundschule wechselt Richard zunächst auf eine Realschule, die er bis zur sechsten Klasse besucht. Während er in der sechsten Klasse ist, erhält er von seiner Schule ein Empfehlungsschreiben, in dem sein Wechsel auf ein Gymnasium vorgeschlagen wird. Er wechselt ab der siebten Klasse auf das Gymnasium und macht Ende der 1990er Jahre sein Abitur.
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Ausbildungs- und Erwerbsverlauf Direkt nach seinem Abiturabschluss geht Richard zur Bundeswehr. „Ja, da habe ich mein Abi gemacht. September zum Bund gegangen. Wiedergekommen vom Bund. Dann erst mal eine Zeit lang nichts gemacht. Versucht irgendwo nebenbei noch ein bisschen was ranzukriegen.“
Richard beendet die Schule ohne eine genaue Vorstellung über seinen weiteren Bildungs- und Ausbildungsweg. Er möchte kein Studium an einer Universität beginnen und auch in den handwerklichen Bereich möchte er nicht gehen. Er hat eine vage Vorstellung, „was Kaufmännisches“ machen zu wollen, am besten ein berufsbegleitendes Studium. Um den Zugang zu einem solchen Studium hat er sich jedoch nicht gekümmert, weil es erstens nicht im Umkreis seines Wohnortes angeboten wird und zweitens, so vermutet er, seine Abiturnoten dafür nicht ausreichen würden. Da er Geld für seinen Lebensunterhalt verdienen muss, geht er als Leiharbeiter, vermittelt über einen Freund, in das BMW-Werk nach Regensburg. Je nach Auftragslage wird er dort entlassen und wieder eingestellt. Nach einem Dreivierteljahr wird er dann endgültig entlassen und geht wieder zurück nach Wolfen. Noch immer hat er keine konkreten Pläne für seine berufliche Zukunft und fängt an, bei seinem Vater in M. schwarzzuarbeiten. „Ja, ich bin eigentlich öfter mal unten (in M. – B.R.), weil hier ist ja nicht allzu viel mit Arbeiten so. Und mein Vater lässt mich da immer mal was machen. (I: Also eher unter der Hand?) Alles nebenbei, so was, weil ich hab kein Problem damit, das so zu machen. Ich darf es nicht offiziell machen und von daher … zahl ich keine Steuern (…) Arbeitslosengeld kriege ich nicht (…) Sozialhilfe kriege ich auch nicht.“
Diese Schwarzarbeit sichert Richard einen ausreichenden Lebensstandard. Zum Arbeitsamt und zum Sozialamt hat er in dieser Zeit keinerlei Kontakte. Er beginnt sich in diesen Rhythmus von Schwarzarbeit in M. und Pendeln zu den Freunden nach Wolfen einzurichten. Nach zwei Jahren in diesem Rhythmus denkt er dann doch über den Weg einer Ausbildung nach. „Jetzt will ich doch mal mit ´ner Lehrstelle anfangen, mit 30 brauche ich da nicht anfangen. Das ist dann ein bisschen spät, so. Das muss nicht sein. Und Studium, na ja, ich hab mir schon überlegt, vielleicht zu studieren, aber … na ja, da ist mir auch nichts Richtiges eingefallen.“
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„(I: Wenn du dir das mal so überlegst, du willst ja eine Ausbildung machen. Würdest du denn dann finanziell Miese machen gegenüber dem, was du jetzt so verdienst?) Würde ich machen, ja, auf jeden Fall. (I: Aber du willst die Ausbildung trotzdem machen.) Na ja, ich habe ja nun auch keine Lust, mein Leben lang ohne Ausbildung rumzurennen. Weil irgendwo ist es vielleicht doch nicht so das Wahre. Man möchte doch mal ein geregeltes Einkommen und geregelte Arbeitszeiten haben. Einen festen Job und nicht nur so Sachen nebenbei.“
Für das Ziel, über eine Ausbildung in einen normalen Ausbildungs- und Erwerbsverlauf zu gelangen, will Richard durchaus finanzielle Einbußen akzeptieren. An eine erfolgreiche Ausbildung hängt er denn auch große Erwartungen. In seiner Vorstellung garantiert ihm eine Ausbildung den klassischen Erwerbsweg mit einer geregelten Vollzeiterwerbstätigkeit, die möglichst unbefristet ist. Für Richard stellen die Jahre seiner Arbeitsmarktexklusion lediglich einen Zwischenschritt dar, in dem er zwar keinen institutionellen Kontakt hat, aber doch einen hohen Standard materieller Teilhabe. Noch ist zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht klar, in welcher Richtung er konkret eine Ausbildung beginnen möchte. Trotz seiner bisher gezeigten hohen Mobilität sucht er zunächst nur in der näheren Umgebung nach einer Ausbildung und bleibt, trotz der guten Voraussetzungen eines Abiturabschlusses, zunächst erfolglos bei der Lehrstellensuche. Als er ein halbes Jahr später immer noch keinen Ausbildungsplatz bekommen hat und aus privaten Gründen nun eher nach Brandenburg gehen möchte, hilft ihm das Arbeitsamt in M. bei der entsprechenden Lehrstellensuche. So beginnt er in der Nähe von Berlin eine duale, kaufmännische Ausbildung im Speditionswesen. Es handelt sich um eine große Speditionsfirma mit rund einem Dutzend Filialen in Deutschland, die ihre Auszubildenden nach Abschluss der Lehre auch übernehmen wollen. „Ja, na ja, ich sag mal so, wenn das Geld stimmt, werde ich da auch bleiben. Aber (…) für 900 Euro gehe ich bestimmt nicht arbeiten. (…) Für 900 Euro brauche ich keine Lehre zu machen. Das ist Quatsch.“ „Die Lehre mache ich erst mal fertig. Also irgendwie so ein bisschen sollte man vielleicht doch schon haben. Das ganze Leben ohne irgendeinen scheiß Abschluss rumlaufen, das muss nicht unbedingt sein. Im Endeffekt gibt es dann wesentlich mehr Geld (…) als Kaufmann sowieso.“
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Leben außerhalb von Ausbildung und Beruf Richard ist trotz seiner Jobs außerhalb seines Wohnortes fest in den Stadtteilund Freundesstrukturen in Wolfen-Nord verankert. Erst nachdem zum einen berufliche Zukunftsaussichten in Wolfen und Umgebung für ihn nicht gegeben sind und – meist aus demselben Grund – viele Freunde Richards aus Wolfen weggehen, sowie zum anderen immer mehr an Infrastruktureinrichtungen wegbrechen (z. B. schließende Jugendklubs, Rückbau im Wohngebiet) trägt sich auch Richard mit dem Gedanken, Wolfen zu verlassen. Er geht nach Brandenburg, wo seine Lebensgefährtin lebt und er einen Ausbildungsplatz gefunden hat. Soziale Isolation ist für Richard nicht festzustellen. Nach dem allmählichen Auflösen seines Freundeskreises aus Wolfen, der zum überwiegenden Teil noch aus der Schulzeit stammte, findet er in seiner neuen Umgebung in Brandenburg und Berlin neue Freundesnetzwerke. Für seine Jobs vor dem Beginn der Ausbildung waren vor allem Freundes- und Familiennetzwerke entscheidend, denn Kontakt zum Arbeitsamt hatte er in dieser Lebensphase kaum. Bis zur Aufnahme seiner Ausbildung hat Richard wenig finanzielle Probleme. „Ein normaler Monat, das ist nicht das Problem (finanziell – B.R.). Wenn ich, abgesehen vom Geld für das Hin und Her fahren, die 14 Tage, drei Wochen unten bleiben würde (in M. – B.R.), dann wäre es im Endeffekt ein bisschen weniger als ich in Regensburg hatte. Von daher, na ja, es ist wesentlich mehr als wenn ich jetzt hier irgendwo Kisten einpacken so was arbeiten würde.“
Seit Ausbildungsbeginn hat Richard deutlich weniger Geld zur Verfügung, da er jedoch den Wert einer abgeschlossenen Ausbildung höher stellt als den unmittelbaren Verdienst, schätzt er seine Lage dennoch positiv ein: „Noch habe ich was zu essen und weggehen kann ich auch noch. Also von daher ist schon alles im grünen Bereich.“
Finanziell ist er dabei, bis auf kleinere Unterstützung durch die Großeltern, ganz auf sich allein gestellt. Das gilt auch im Bezug auf seine Eltern. Zwar hatte ihn sein Vater immer wieder mit Schwarzarbeit in M. versorgt, auf direkte finanzielle Unterstützung hofft Richard jedoch nicht. „(I: Kannst du dich an deine Eltern wenden, wenn es finanziell mal eng wird?) Meine Eltern unterstützen mich persönlich nicht wirklich.“
Politisch ist Richard wenig interessiert. Er hat zwar einen Fernseher, benutzt diesen jedoch kaum. Auch Zeitungen liest er nicht. Über das Tagesgeschehen
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informiert er sich regelmäßig im Radio. Zwar war er wählen (hat dabei sogar die aufwändigere Form der Briefwahl gewählt), aber er glaubt nicht an einen entscheidenden Einfluss seiner Stimme. Fragen von Benachteiligung, von Ausgegrenztsein macht Richard demnach auch nicht an politischer oder institutioneller Teilhabe fest, sondern vor allem am materiellen Standard. Dabei geht er davon aus, dass letztendlich ein normalbiographischer Lebenslauf mit Ausbildung als Grundlage für ein sicheres und vor allem finanziell ertragreiches Leben, das Ziel ist, was es zu erreichen gilt.
Zusammenfassung Verlaufstyp III Diejenigen jungen Erwachsenen des Samples, die im Verlauf mehrerer Jahre weg von sozialer Exklusion hin zu einer größeren gesellschaftlichen Inklusion gelangten, sind im Verlaufstyp III zusammengefasst. Im Vergleich zu den beiden bereits vorgestellten Verlaufstypen zeigen sich hier zwar auch Ähnlichkeiten zu Voraussetzungen und Entwicklungen der jungen Erwachsenen der Verlaufstypen I und II, es werden jedoch auch entscheidende Unterschiede sichtbar. Vergleichbar den Verlaufstypen I und II überwiegen auch im Verlaufstyp III die jungen Erwachsenen, die der Analysegruppe B zugehörig sind. Das heißt, dass diese jungen Erwachsenen neben der Arbeitsmarktexklusion in mehr als einem weiteren Bereich soziale Ausgrenzung erfahren haben. Der entscheidende Unterschied zu den beiden ersten Verlaufstypen ist aber die Tatsache, dass keiner sozialer Isolation im wortwörtlichen Sinne ausgesetzt ist und nur in einzelnen Fällen die jungen Männer auf fast ausschließlich homogene Netzwerke zurückgeworfen sind, die selbst von sozialer Exklusion betroffen sind (André 02-001, Michael 02-010). Bei Konstantin (02-003), Richard (03-003), Sebastian (03-002) und Tobias (01-002) spielt vor allem auch die Herkunftsfamilie eine positive Rolle in den sozialen Netzwerkbeziehungen. Auffällig ist, dass im Verlaufstyp III, im Unterschied zu den beiden anderen Verlaufstypen, alle Befragten eine assimilative Bewältigungsstrategie auf der Einstellungsebene verfolgen. Das wird vor allem daran deutlich, dass es in dieser Gruppe keine Alternativsuchenden gibt, die normale Erwerbstätigkeit und normale Erwerbswege durch andere Ideen zu ersetzen versuchen und damit akkomodative Strategien einsetzen. Selbst nach einer Kriminalitätskarriere war es z. B. für André (02-001) nach wie vor das Ziel, eine Ausbildung aufzunehmen. Im Verlaufstyp II finden sich vereinzelt akkomodative Bewältigungsmuster in der Art, dass tragfähige Alternativen zur normalen Erwerbsarbeit gesucht werden (vgl. Mike (01-006)).
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Im Verlaufstyp III zeigen sich bei den Betroffenen keine akkomodativen Bewältigungsmuster derart, nicht mehr von dem Ziel auszugehen, in ein normales Erwerbsleben zu münden, ohne jedoch aktive Alternativen zu suchen. Das betrifft im Verlaufstyp I vor allem diejenigen, die sich auf den langfristigen Bezug von Transfereinkommen eingerichtet haben. Die jungen Erwachsenen des Verlaufstyps III haben – bis auf André (02001) – einen gewissen Bildungsstand vorzuweisen (Schulabschlüsse, meist Realschulabschlüsse oder gar Abitur, z. T. abgeschlossene Berufsausbildung). Darauf aufbauend verfolgen sie eine assimilative Strategie und wollen wieder oder erstmals in den Ausbildungs- oder ersten Arbeitsmarkt einmünden. Ihre Bemühungen sind dabei vor allem auf Weiterbildung gerichtet. So wollen sie sich über Studium (Konstantin 02-003) oder Umschulung (Michael 02-010) höher qualifizieren, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Eine wichtige Rolle für das schrittweise Heraustreten aus sozialer Ausgrenzung spielt das Copingverhalten auf der Handlungsebene. Ein aktives, soziales Coping scheint ein wichtiger Motor zu sein, um unter gleich schlechten äußeren Rahmenbedingungen, denen alle jungen Erwachsenen im Sample ausgesetzt sind, dennoch (wieder) stärker sozial inkludiert zu sein. Alle jungen Männer dieses Verlaufstyps weisen ein aktives, soziales Coping auf. Auch in Zeiten anhaltender Arbeitslosigkeit versuchen sie, über unterschiedliche Wege ihren Unterhalt zu sichern, Beschäftigung zu suchen und dabei Aktivitäten zu entwickeln, wieder in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu kommen (bzw. überhaupt einzutreten). So jobbt Konstantin (02-003) in unterschiedlichsten Einrichtungen, ist dabei ehrenamtlich als Ordner bei einem Leipziger Fußballklub tätig und stellt die Unterlagen für ein Fachschulstudium zusammen, für das er sich bewerben wird. Tobias (01-002) bewirbt sich deutschlandweit für eine Ausbildung als Buchhändler, ist im Rahmen eines Freiwilligen Jahres und danach ehrenamtlich bei der Heilsarmee tätig und befasst sich gleichzeitig mit der Möglichkeit einer Ausbildung als Priester. Sebastian (02-002) sucht nach Möglichkeiten einer beruflichen Weiterbildung (die er auch erhält) und ist daneben als Musiker tätig und übernimmt stundenweise die Aufsicht über die Computer im Jugendklub in seinem Stadtteil. In diesem Verlaufstyp finden sich also eine Reihe von jungen Erwachsenen, die trotz ihrer lange Zeit und z. T. noch vorhandenen prekären Situation auf verschiedenen Ebenen aktiv werden, ein Aspekt – freilich ein entscheidender – ist dabei die aktive Gestaltung ihres weiteren Ausbildungs- und Erwerbsweges.
8.5 Verlaufstypen
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8.5.4 Fazit zu den Verlaufstypen Die drei vorab vorgestellten Verlaufstypen generierten sich aus der Annahme, dass Exklusionszustände veränderbar sind und biographische Entwicklungen prinzipiell offen. Demzufolge können Entwicklungen stattfinden, die soziale Exklusion verschärfen, Entwicklungen, bei denen sich soziale Exklusion verringert bzw. sich Inklusionsentwicklungen verdeutlichen und es ist ein gleichbleibendes Maß an sozialer Ausgrenzung über einen längeren Zeitraum hinweg denkbar. Für die drei Verlaufstypen stellt sich die Frage, welche Handlungsorientierungen und Handlungen die befragten jungen Erwachsenen innerhalb der Verlaufstypen aufweisen. Daneben ist von Interesse, welche Aspekte sich als besonders starke Hemmnisse beim Weg aus der sozialen Ausgrenzung heraus erweisen? Nicht zuletzt ging es darum, die Bewältigungsstrategien der jungen Frauen und Männer in den Blick zu nehmen und ihren Einfluss auf die Biographien zu betrachten. Innerhalb der drei Verlaufstypen wurden jeweils drei Fallbeispiele ausführlicher mit dem Ziel vorgestellt, die sehr heterogenen Lebensverläufe in diesen Verlaufstypen sichtbar zu machen, aber auch, um dennoch die Gemeinsamkeiten zu den anderen Personen des jeweiligen Typs hervorzuheben. Im Folgenden soll noch einmal auf diese gemeinsamen Erkenntnisse der Entwicklungen in den Verlaufstypen eingegangen werden. Die Tabelle 2 gibt einen Überblick. Im Verlaufstyp I wurde deutlich, dass ein bereits dauerhaft hohes Maß an sozialer Ausgrenzung zu einer weiteren Verschärfung sozialer Exklusion geführt hat. Die Tatsache, dass soziale Isolation in der einen (als tatsächliche Vereinzelung) oder anderen (als Zurückgeworfensein auf eine homogene Bezugsgruppe, die selbst sozial ausgegrenzt ist) Form immer in diesem Verlaufstyp auftritt, macht ihren besonderen Einfluss auf Exklusionsprozesse deutlich. Des Weiteren findet sich in diesem Verlaufstyp eine klare Tendenz weg von assimilativen, an der Normalbiographie ausgerichteten, hin zu akkomodativen Bewältigungsstrategien, die im vorliegenden Fall bedeuten, dass eine Rückkehr in Ausbildung und Arbeit in den Hintergrund tritt und andere Lebensbereiche wichtiger werden (Familie, Kinder, Wohnung u.Ä.). Nicht immer sind die Alternativen zu Ausbildung und Beruf schon klar definiert. Neben der zunehmend akkomodativen Ausrichtung auf der Einstellungsebene, werden auf der Ebene des Handelns vorrangig passiv vermeidende Copingstrategien sichtbar. Entweder ziehen sich diese passiven Muster bereits durch den gesamten Lebenslauf und sind dabei auch auf fast alle Lebensbereiche bezogen oder es zeigen sich im Verlauf der Biographie zunehmend passive Bewältigungsstrategien, die dann vor allem auf den Bereich des Ausbildungs- und Erwerbslebens bezogen sind.
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Tabelle 2: Überblick über die Verlaufstypen
Umfang an Erfahrung bisheriger sozialer Exklusion Gruppe A10 Gruppe B
Coping – Einstellungsebene assimilativ akkomodativ
Coping – Handlungsebene aktiv, sozial passiv, vermeidend
Verlaufstyp I „zunehmende soziale Exklusion“
Verlaufstyp II „gleichbleibende soziale Exklusion“
Verlaufstyp III „abnehmende soziale Exklusion“
Wechsel von Gruppe A zu Gruppe B bereits in Gruppe B und Verschärfung der Erfahrung sozialer Exklusion soziale Isolation als spezifisches Kriterium für zunehmende Exklusion
bereits länger in Gruppe B ohne Verbesserung oder sogar weitere Verschlechterung
unterschiedlich lang in Gruppe B
soziale Isolation nur vereinzelt vorhanden
kaum soziale Isolation
zunehmende Abwendung von assimilativen und Hinwendung zu akkomodativen Strategien
assimilative Strategien bleiben bestehen
ausschließlich assimilative Strategien, die aufrecht erhalten werden
durchgehend passive Bewältigungsmuster bzw. zunehmend passiv und vermeidend
zunächst überwiegend passive Bewältigungsmuster
auch akkomodative Strategien als wirkliche Alternativen (verbunden mit konkreten Plänen)
teilweise Entwicklung von aktiven Copingstrategien
ausschließlich aktive, soziale Copingstrategien, die sich meist auf alle Lebensbereiche erstrecken
10 Gemeint sind hier die beiden Analysegruppen. Hierbei bezeichnet Analysegruppe A, dass die jungen Erwachsenen außer der Arbeitsmarktexklusion nur in einem weiteren Bereich (z. B. materiell oder institutionell) ausgegrenzt sind. Der Analysegruppe B wurden all diejenigen Befragten zugeordnet, die neben der Ausgrenzung am Arbeitsmarkt in mindestens zwei weiteren Bereichen sozial exkludiert sind.
8.5 Verlaufstypen
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Der Verlaufstyp II vereint junge Erwachsene, die über einen langen Zeitraum hinweg (meist über Jahre) ein gleichbleibend hohes Maß an sozialer Exklusion aufweisen. Im Vergleich zum Verlaufstyp I zeigen sich hier jedoch Unterschiede in den Bereichen, in denen soziale Exklusion auftritt. Die größte Differenz liegt im Ausmaß sozialer Isolation, der die Betroffenen unterworfen sind. Sie ist im Verlaufstyp II weniger ausgeprägt als im Verlaufstyp I. Die jungen Erwachsenen im Verlaufstyp II behalten zum Teil ihre assimilativen Strategien bei. Die Ausrichtung auf einen normalen Lebensverlauf mit der Aufnahme einer Ausbildung bzw. einer Erwerbsarbeit bleibt also bestehen. Es treten aber auch vermehrt akkomodative Bewältigungsstrategien in den Vordergrund. Anders als beim Verlaufstyp I sind diese akkomodativen Strategien jedoch mit Vorstellungen und Plänen untersetzt, bei denen Formen von Arbeit den eigenen Lebensunterhalt sichern sollen. Immer wenn konkrete nächste Schritte für den weiteren Ausbildungs- oder Arbeitsverlauf geplant werden, wird eine größere Hinwendung zu aktiven Copingstrategien auf der Handlungsebene sichtbar. In den anderen Fällen überwiegen weiterhin passive, vermeidende Strategien. Zwar offenbart sich auch im Verlaufstyp III ein hohes Maß an sozialer Exklusion, allerdings ist es teilweise weniger dauerhaft als in den beiden anderen Verlaufstypen. Auffällig ist, dass soziale Isolation nur vereinzelt auftritt. In den meisten Fällen spielt soziale Isolation keine Rolle; im Gegenteil die Eingebundenheit in soziale, vor allem familiäre, Netzwerke ist fast immer vorhanden. In diesem Verlaufstyp werden durchgängig assimilative Bewältigungsstrategien verfolgt, das heißt, dass der Eintritt oder die Rückkehr in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt als Ziel anvisiert werden. Die Zukunftspläne richten sich vor allem auf die Aufnahme einer Ausbildung oder Erwerbsarbeit. Dabei spielen Weiterbildung und der Erwerb höherer Bildungsabschlüsse eine wichtige Rolle. Ein ähnlich eindeutiges Bild wie auf der Einstellungsebene mit den ausschließlich assimiliativen Copingstrategien zeigt sich auch auf der Handlungsebene. Im Verlaufstyp III lassen sich nur aktive Bewältigungsstrategien beobachten. Diese aktiven Muster werden zum einen für den (Wieder-)Eintritt in den Arbeitsmarkt aktiviert; sie greifen zum anderen auch auf weitere Lebensbereiche über. In diesem Verlaufstyp fällt auf, dass schlechte Voraussetzungen, die sich in einem hohen Maß an sozialer Exklusion manifestieren, vor allem durch das Vorhandensein sozialer Netzwerke sowie eines aktiven Bewältigungsmusters egalisierbar sind
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Wie verlaufen Karrieren am Rande oder jenseits normaler Erwerbsarbeit? Welche Auswirkungen hat die lange oder gar dauerhafte Abstinenz vom Arbeitsmarkt? Lassen sich Prozesse sozialer Exklusion beobachten und wie bewältigen junge Erwachsene diese Prozesse? Dies sind die zentralen Fragestellungen einer Untersuchung junger Erwachsener, deren Ergebnisse diese Arbeit vorstellt. Ausgangspunkt für die Untersuchung war die zunehmende Diskussion darüber, dass sich die Gefahr der sozialen Exklusion in den letzten Jahren für eine größer werdende Anzahl von Menschen erhöht hat (Kronauer 2002; Bude 2004). Dabei geriet die Furcht der Mittelschicht, nicht mehr vor sozialer Ausgrenzung gefeit zu sein, immer stärker ins Blickfeld (Castel 2000a; Vogel 2004). Die Untersuchung wollte jedoch den Blick auf diejenigen lenken, die nicht nur von sozialer Ausgrenzung bedroht, sondern die bereits davon betroffen sind. Insbesondere für einen Teil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben sich seit Jahren die Zugangswege zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt prekarisiert. Normalbiographien lassen sich offenbar immer schlechter realisieren. Dagegen sind Umwege, Unterbrechungen, ungesicherte Arbeitsverhältnisse mehr und mehr Realität gerade für den Teil der Bevölkerung, der zukünftig auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen will (Mutz et al. 1995; Buchholz, Kurz 2007). Diese Probleme finden sich vor allem auch in Regionen in den neuen Bundesländern. Strukturelle Benachteiligungen potenzieren sich nochmals für jene, die mit schlechteren Startchancen als andere ihren Weg in Ausbildung und Arbeit beschreiten müssen. Für einen Teil von ihnen stellt sich soziale Ausgrenzung als ein Problem dar, mit dem sie sich täglich konkret konfrontiert sehen. Die Bedrohung sozialer Ausgrenzung existiert speziell dort, wo der Zugang zu normaler Erwerbsarbeit dauerhaft versperrt bleibt. Arbeitslosigkeit bildet somit den Kernpunkt sozialer Ausgrenzungsprozesse. Des Weiteren treten aber Aspekte hinzu, die sich um Fragen der Interdependenz und der Partizipation gruppieren. Neben dem Ausschluss am Arbeitsmarkt spielt auf der Ebene der Interdependenz insbesondere die soziale Isolation eine wichtige Rolle, wenn von sozialer Exklusion die Rede ist (Kronauer 2002; Callies 2004). Sie beschreibt die tatsächliche Vereinzelung von Personen, meint zudem aber auch eingeschränkte soziale Kontakte auf Personen, die sich in ähnlich prekären Lebensumständen befinden. Die Ebene der Partizipation beinhaltet den zunehmenden Ausschluss von den in der GesellB. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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schaft als normal geltenden Teilhabemöglichkeiten. Das umfasst die Partizipation im materiellen, politisch-institutionellen sowie kulturellen Bereich. Ein Aspekt, der von vielen Vertretern der Theorie der sozialen Exklusion betont wird, ist die Prozesshaftigkeit sozialer Ausgrenzung (u. a. Castel 2000a; Kronauer 2002). Die Betrachtung der Karrieren am Rande normaler Erwerbsarbeit erfolgte unter dem Blickwinkel von Exklusionsprozessen. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die biographischen Verläufe der jungen Erwachsenen. Der Eintritt in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt stellt eine Lebensphase dar, in der die Gefahr eines Scheiterns größer ist, als an anderen Punkten der Biographie. Neben den Annahmen aus der Theorie der sozialen Exklusion spielen also auch Lebenslaufansätze eine wichtige Rolle bei der Betrachtung schwieriger Karriereverläufe (Kohli 1978, 1985; Levy 1996). Denn sowohl die den Ausbildungs- und Erwerbsprozess begleitenden Institutionen als auch die jungen Erwachsenen selbst, verfolgen mehrheitlich Ziele, die an einem normalbiographischen Lebenslauf ausgerichtet sind. Für sie gelten fast immer die Vorstellungen von einem Übergang aus der Schule in eine Berufsausbildung mit einer anschließenden stabilen Phase der Erwerbsarbeit und letztendlich dem Eintritt in die Ruhephase. Auch wenn Jugendliche heute kürzere Wartephasen und Umorientierungen in ihren Bildungs- und Ausbildungsweg einplanen, ist das Münden in einen klassischen Ablauf von Schule – Ausbildung – Erwerbsarbeit nach wie vor das am häufigsten angestrebte Ziel, gerade bei benachteiligten Jugendlichen (Förster et al. 2006; Reißig, Gaupp 2008). Lassen sich diese Ziele jedoch auch mit Umorientierungen und Wartezeiten nicht verwirklichen, sind die Betroffenen gezwungen zu reagieren. Dabei können unterschiedliche Copingstrategien zum Tragen kommen. In der Untersuchung wurden Bewältigungsstrategien auf der Einstellungsebene und auf der Handlungsebene unterschieden. Ein dauerhaftes Scheitern angestrebter Ziele kann dazu führen, diese gesellschaftlich anerkannten Ziele aufzugeben und sich andere, alternative Ziele zu setzen. In Anlehnung an das Copingkonzept von Brandtstädter und Greve (1992) handelt es sich dabei um akkomodative Bewältigungsstrategien. Natürlich können auch ursprünglich gesteckte Ziele weiterhin verfolgt werden, was als eine assimilative Copingstrategie gilt. Diese beiden Möglichkeiten des Umgangs mit nicht erfolgreichen Ausbildungs- und Erwerbswegen haben Einstellungen zum Thema. Die zweite betrachtete Ebene nimmt konkretes Handeln in den Blick. Beim Umgang der jungen Erwachsenen mit Prozessen sozialer Exklusion infolge eines lang anhaltendem Ausschlusses vom Arbeitsmarkt werden die Auswirkungen aktiven, sozialen und passiven Copings untersucht (Gerhardt 1986; Seiffge-Krenke 1989; Filipp 1991).
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Die Frage der Prozesshaftigkeit sozialer Exklusion stellt einen zentralen Aspekt der Untersuchung dar. Gerade diese theoretische Annahme über soziale Ausgrenzung blieb in bisherigen empirischen Untersuchungen unterbelichtet. Um die Fragestellungen der Studie bearbeiten zu können, wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Es bildete die Grundlage, um in einem noch wenig bearbeiteten Feld zentrale Fragen nach Prozessen sozialer Exklusion, das Zusammenspiel verschiedener Aspekte sozialer Ausgrenzung sowie wichtige Umschlagpunkte zwischen den Zonen der Inklusion, Vulnerabilität und Exklusion untersuchen zu können. Soziale Exklusion hat zwar oftmals ihren Ausgangspunkt in der Marginalisierung bzw. dem versperrten Zugang zum Arbeitsmarkt, sie greift in ihren Auswirkungen jedoch viel weiter. So wird eine Reihe von Lebensbereichen beeinflusst, wenn von sozialer Exklusion gesprochen wird. Um also zum einen Prozesse betrachten zu können und neben dem Schwerpunkt des Ausbildungs- und Erwerbsverlaufs zum anderen Informationen über weitere Lebensbereiche zu erhalten, wurden biographisch orientierte Interviews durchgeführt. Die als Minipanel angelegte Untersuchung sah vor, die jungen Erwachsenen des Samples ca. ein halbes Jahr nach dem ersten Interview mithilfe eines Leitfadens ein zweites Mal zu befragen. Es wurden insgesamt 35 junge Erwachsene im Alter zwischen 17 und 30 Jahren im ersten Interview befragt. Von ihnen waren 28 männlich und sieben weiblich. In der zweiten Welle konnten noch 22 der jungen Erwachsenen erreicht werden (17 junge Männer, fünf junge Frauen). Ein erster Fragekomplex der Untersuchung befasste sich mit der Gestaltung der Ausbildungs- und Erwerbsbiographien junger Erwachsener am Rande normaler Erwerbsarbeit. Es stellte sich die Frage, welche Aspekte, neben dem Ausschluss vom Arbeitsmarkt, die als Zugangsbedingung für die Aufnahme ins Sample galt, besonders auf Exklusions-Inklusions-Prozesse wirken. Im Anschluss daran sollte geklärt werden, welche Bewältigungsstrategien von den Befragten auf der Einstellungs- und der Handlungsebene eingesetzt werden und welche Wirkungen sie auf die Exklusionsprozesse haben. Daran anschließend wurde untersucht, ob die jungen Erwachsenen wirksame Alternativen zur normalen Erwerbsarbeit entwickeln können, die nicht zu einer Verschärfung oder Beibehaltung sozialer Ausgrenzung führen. Bevor die Verläufe von Exklusionsprozessen im Lebenslauf betrachtet werden konnten, wurde zunächst das Ausmaß und das Zusammenspiel der einzelnen Aspekte sozialer Ausgrenzung erfasst und beschrieben. Dazu wurden zwei Analysegruppen gebildet. Der Gruppe A wurden diejenigen Personen zugeordnet, bei denen neben der Arbeitsmarktexklusion nur ein weiterer und meist direkt mit ihr in Verbindung stehender Aspekt sozialer Ausgrenzung sichtbar wurde (z. B. Armut als direkte Folge lang anhaltender Arbeitslosigkeit). Die Gruppe B umfasste die jungen Frauen und Männer, bei denen neben der Arbeitsmarktexklusi-
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on in fast allen Bereichen von Interdependenz und Teilhabe Exklusionserfahrungen vorlagen. In diesem ersten Teil der Auswertungen ging es zunächst darum, ob und in welchem Ausmaß weitere Kriterien sozialer Ausgrenzung bei den Befragten vorhanden sind. Der zweite Teil der Auswertungen zielte speziell auf Verläufe. Dazu wurden drei Verlaufstypen gebildet, denen die befragten jungen Erwachsenen zugeordnet wurden. Die Annahme lautet, dass Prozesse sozialer Exklusion nicht in jedem Fall ihren Endpunkt im Syndrom einer sozialen Ausgrenzung finden müssen, sondern dass es Umkehrungsprozesse zu mehr sozialer Inklusion geben kann. Diesen Überlegungen folgend, wurden drei Verlaufstypen generiert:
Verlaufstyp I: Verschärfung sozialer Exklusion, Verlaufstyp II: gleichbleibendes Ausmaß sozialer Exklusion, Verlaufstyp III: Verringerung sozialer Exklusion.
Innerhalb dieser Verlaufstypen sollte geklärt werden, wie die jungen Erwachsenen unter den Bedingungen sozialer Exklusion handeln, ob und wie sich ihre Einstellungen zu den ursprünglichen Vorstellungen über die eigenen Erwerbsbiographien entwickeln. Neben den Copingstrategien auf der Einstellungsebene ging es auch um die Bewältigungsmuster auf der Handlungsebene. Welche Copingstrategien werden angewandt, und unterliegen diese Strategien Veränderungen? Lassen sich Zusammenhänge zwischen Bewältigungsmustern und Exklusionsprozessen ausmachen? Die Beobachtung von Biographien ermöglicht es, ein Spektrum von Verläufen sozialer Exklusion, des Zusammenspiels von Exklusionsmerkmalen sowie die Bewältigung sozialer Exklusion abzustecken. Es geht aber neben der Heterogenität der Einzelfälle auch um das Aufzeigen gemeinsamer Erfahrungen innerhalb der einzelnen Verlaufstypen. Im ersten Auswertungsschritt, in dem es zunächst um das Ausmaß und das Zusammenspiel einzelner Aspekte sozialer Exklusion ging, wurde deutlich, dass trotz der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit, die jungen Erwachsenen nicht im gleichen Umfang von sozialer Exklusion betroffen sind. Bei einer Gruppe (Analysegruppe A) zeigte sich neben der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt das Vorhandensein eines weiteren Merkmals für soziale Exklusion. Die Annahme lautete, dass dieses Merkmal zumeist als direkte Folge des lang versperrten Zugangs zum Arbeitsmarkt gelten kann. Es wurde vermutet, dass es sich dabei vor allem um materielle Ausgrenzung handeln würde. Die Erzählungen der jungen Erwachsenen ergaben jedoch, dass sie sich in den meisten Fällen von politischinstitutioneller Teilhabe in der Gesellschaft ausgegrenzt fühlten. Sie sprachen sich wenig Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu und fühlten sich vor
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allem institutionell ausgegrenzt (was u. U. zu einem Kreislauf führen kann, in dem sie sich auch selbst ausgrenzen). Das bezog sich hauptsächlich auf die ausbildungs- und arbeitsmarktrelevanten Institutionen, wie das Arbeitsamt. Es kann durchaus als überraschender Befund gewertet werden, dass nicht materielle Ausgrenzung (Armut und in der Folge Nichtteilhabe an Bereichen des gesellschaftlichen Lebens), sondern institutionelle Ausgrenzung eher zu einem weiteren Aspekt sozialer Exklusion wird. Zudem wird in dieser Gruppe deutlich, dass das Ausmaß an sozialer Isolation marginal bleibt. Auch wenn diese Untersuchung keine quantifizierbaren Aussagen über das Ausmaß und das Auftreten sozialer Exklusion erlaubt, wird im Sample sichtbar, dass der Umfang der Gruppe mit weniger Erfahrungen an sozialer Exklusion deutlich geringer ist als die Gruppe, die im Zusammenhang mit Arbeitsmarktexklusion bereits stark ausgeprägte Erfahrungen mit weiteren Bedingungen sozialer Ausgrenzung aufweist. Diese zweite Gruppe (Analysegruppe B) bildet mit 22 Personen den größten Teil des Samples. Das heißt, dass neben dem dauerhaft versperrten Zugang zum Arbeitsmarkt zwei, meist jedoch drei oder vier weitere Aspekte sozialer Exklusion auftreten. Soziale Isolation spielt in dieser Gruppe eine herausragende Rolle. Fast alle Befragten berichten in der einen (Isolation als Rückgang sozialer Beziehungen bis zur Vereinzelung) oder anderen (Isolation als Kontakteinengung auf Personen in ähnlich prekären Lebenslagen) Form davon, von sozialer Isolation betroffen zu sein. Soziale Isolation ist in dieser Gruppe ein prägendes Merkmal sozialer Ausgrenzung. Aber auch das Merkmal der materiellen Ausgrenzung wird, im Gegensatz zu Gruppe A, hier augenfällig. Es muss festgestellt werden, dass das Ausmaß und die Art der Aspekte sozialer Exklusion, aber auch ihre Kombination für die meisten der jungen Erwachsenen dieser Gruppe bereits zu einem Syndrom sozialer Ausgrenzung geworden sind. In welchem der drei Verlaufstypen finden sich die Vertreter der beiden Gruppen wieder und welche Bewältigungsstrategien beeinflussen wie die Verläufe sozialer Exklusion?
Verlaufstyp I: Verschärfung sozialer Exklusion
Der Verlaufstyp I fasst diejenigen Fälle zusammen, bei denen sich soziale Exklusion sowohl auf der Interdependenz- als auch auf der Partizipationsebene immer weiter verfestigt hat und Ausgrenzung als Syndrom gesehen werden muss. In diesem Verlaufstyp überwiegen junge Erwachsene, die der Analysegruppe B zugeordnet wurden, also diejenigen, die bereits frühzeitig in ihrer (Ausbil-
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dungs- und Erwerbs-)Biographie in einem erheblichen Umfang von sozialer Exklusion betroffen waren. Aber auch für die beiden jungen Erwachsenen, die zunächst der Analysegruppe A zugeordnet wurden, verschlechterte sich die Lage soweit, dass sie dem Verlaufstyp I zugehörig sind. Es fällt auf, dass die jungen Frauen und Männer dieses Verlaufstyps kaum über formale Bildungsabschlüsse verfügen. Besitzt ein Teil noch einen Schulabschluss, kann jedoch keine/r eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen. Beim Zusammenspiel von Aspekten sozialer Ausgrenzung, ist festzustellen, dass eine starke Wechselwirkung von institutioneller Ausgrenzung und Selbstausgrenzung zu beobachten ist. Vermutete oder tatsächlich schlechte Erfahrungen mit Gatekeepern institutioneller Einrichtungen führen zu einer erhöhten Verweigerung der jungen Erwachsenen, mit diesen Institutionen in Kontakt zu treten. Aspekte sozialer Exklusion häufen sich in dieser Gruppe und verstärken sich gegenseitig. Eine spezifische Rolle spielt dabei das Merkmal der sozialen Isolation. Es hat vor allem in dieser Gruppe verhindert, dass Prozesse sozialer Ausgrenzung nicht rückgängig gemacht werden konnten, sondern dass, im Gegenteil, sich diese Prozesse verstärkt haben. Als weiteres Merkmal für diesen Verlaufstyp kann konstatiert werden, dass passive Strategien auf der Handlungsebene entweder von Beginn an vorherrschen oder als Reaktion auf wiederholte Misserfolgserlebnisse angenommen werden. Rückzug und die Konzentration auf andere Lebensbereiche außerhalb von Arbeit und Ausbildung (z. B. Familie) dominieren. So wird auch auf der Einstellungsebene eine anhaltende oder sogar zunehmende Hinwendung zu akkomodativen Bewältigungsmustern sichtbar.
Verlaufstyp II: gleichbleibendes Ausmaß sozialer Exklusion
In diesem Verlaufstyp konzentrieren sich diejenigen Fälle, bei denen in unterschiedlichem Ausmaß bereits von sozialer Ausgrenzung gesprochen wird und bei denen sich über einen längeren Zeitraum, d. h. über Jahre hinweg, nichts verändert. Bis auf eine Ausnahme handelt es sich hierbei um Personen aus dem Sample, die der Analysegruppe B zugeordnet wurden, also bereits über weit reichende Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung berichteten. Auch in diesem Verlaufstyp konzentrieren sich diejenigen mit schwierigen Ausbildungs- und Erwerbskarrieren. Oftmals fehlen Schulabschlüsse; keiner hat eine abgeschlossene Berufsausbildung. Neben sozialer Isolation, die auch in diesem Verlaufstyp eine wichtige Rolle spielt, jedoch nicht in Form tatsächlicher Vereinzelung, sondern fehlender nützlicher Netzwerke auftritt, ist ein Hauptfaktor der zunehmende Ausschluss
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von materieller und institutioneller Teilhabe. Ähnlich wie es für den Verlaufstyp I beschrieben wurde, werden auch hier Tendenzen von Selbstausgrenzung sichtbar, wenn junge Frauen und Männer keine Kontakte zu wichtigen Institutionen des Erwerbslebens sowie für Transferleistungen haben. In der Deutung der betroffenen jungen Erwachsenen fühlen sich diese Institutionen, deren Gatekeeper, nicht mehr für sie zuständig, die Hoffnung auf Unterstützung von dieser Seite schwindet zunehmend. Anders als im Verlaufstyp I kann in diesem Verlaufstyp keine eindeutige Hinwendung zu akkomodativen Bewältigungsstrategien konstatiert werden. Wenn vorhanden, äußern sich diese zunächst nur im Ablehnen früher verfolgter Ziele des klassischen Ausbildungs- und Erwerbsweges. Bis auf eine Ausnahme zeigen die jungen Frauen und Männer noch keine tragfähigen Alternativen zum normalbiographischen Verlauf. Auch assimiliative Strategien, also das Festhalten an den normativen Zielen einer Einmündung in Ausbildung und stabile Erwerbsarbeit, finden sich bei den jungen Erwachsenen. Beide Strategien haben für sie bislang keine Veränderung ihrer Lage bewirkt. Es überwiegen auf der Handlungsebene passive Copingstrategien, aber es gibt ein Beispiel, bei dem eine Entwicklung von stark passiven zu immer stärker aktiven Bewältigungstrategien zu beobachten ist. Hervorgerufen wurde diese Veränderung vor allem durch die Abkehr von der Ausrichtung an klassischen Verläufen und durch den Aufbau von Alternativen, die zukünftig ein den eigenen Lebensunterhalt erwirtschaftendes Leben ermöglichen sollen.
Verlaufstyp III: Verringerung sozialer Exklusion
In diesem Verlaufstyp werden diejenigen Befragten des Samples zusammengefasst, deren Lebenswege eine Verringerung sozialer Exklusion aufweisen. Dabei sind diese Wege hin zu mehr sozialer Inklusion von den Betroffenen unterschiedlich weit beschritten worden, sie zeigen aber die eindeutige Tendenz eines verminderten Ausmaßes sozialer Exklusion. Ähnlich den beiden weiteren Verlaufstypen befinden sich im vorliegenden Verlaufstyp mit nur einer Ausnahme junge Erwachsene, die der Analysegruppe B zugeordnet wurden. Es handelt sich also um Personen, die in ihrer bisherigen Biographie bereits in einem umfangreichen Ausmaß von Exklusionserfahrungen berichtet haben. Das weist darauf hin, dass das formal vorhandene Ausmaß an sozialer Exklusion allein noch keinen Hinweis auf die Prozesse sozialer Ausgrenzung gibt. Vielmehr scheinen das Zusammenspiel und die unterschiedlichen konkreten Aspekte sozialer Exklusion eine wichtige Rolle zu spielen. Der entscheidende Unterschied zu den jungen Erwachsenen der anderen beiden Verlaufstypen liegt darin, dass die jungen Erwachsenen hier kaum von sozialer Iso-
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lation betroffen sind. Soziale Isolation in Form tatsächlicher Vereinzelung ist an keiner Stelle beobachtbar und es finden sich in den sozialen Beziehungen zu anderen häufiger als in den beiden anderen Gruppen Bezugspersonen, die sich selbst nicht in prekären Lebenslagen befinden und die die jungen Erwachsenen für einen Zugang zu Ausbildung und Arbeit nutzen können. Die jungen Erwachsenen dieses Verlaufstyps, es handelt sich ausschließlich um junge Männer, bringen mehrheitlich gute Bildungs- und Ausbildungsvoraussetzungen mit. So haben fast alle zumindest einen mittleren Schulabschluss, z. T. auch eine abgeschlossene Berufsausbildung. Diejenigen aus dem Sample, die überhaupt schon Erfahrungen mit normaler Erwerbsarbeit gemacht haben, befinden sich in diesem Verlaufstyp. Bei der Betrachtung der Bewältigungsmuster sowohl auf der Einstellungsals auch auf der Handlungsebene werden deutliche Unterschiede zu den beiden anderen Verlaufstypen sichtbar. Akkomodative Strategien, also eine Abkehr von angestrebten Zielen, wie der Eintritt in Ausbildung und/oder stabile Erwerbsarbeit, finden sich bei keinem der jungen Männer. Sie alle verfolgen eindeutig assimilative Strategien. Das gilt nicht nur für diejenigen, die auf ihre bisherigen Schritte im Bildungs- und Ausbildungsweg aufbauen können, sondern auch für einen jungen Mann, der ohne Schulabschluss und Berufsausbildung, diese Ziele verfolgt. Ein weiterer entscheidender Punkt ist das Bewältigungsmuster auf der Handlungsebene. Alle jungen Männer dieses Verlaufstyps weisen aktive, soziale Copingstrategien auf. Dies zeigt sich in den Bemühungen, (wieder) in den Ausbildungs- oder Erwerbsmarkt zu gelangen, aber auch außerhalb des Erwerbsverlaufs in allen anderen Lebensbereichen (z. B. im ehrenamtlichen Engagement im Freizeitbereich). Diese Aktivitäten haben zur Aufnahme von Ausbildungen geführt, zum Eintritt in Umschulungen für einen neuen Berufsabschluss, zur Vorbereitung der Aufnahme eines Fachhochschulstudiums. Was die der Arbeit zugrunde liegenden theoretischen Bezüge betrifft, lassen die aufgezeigten Ergebnisse folgende Schlüsse zu. Prozesse sozialer Exklusion sind bei den jungen Erwachsenen des Samples mit lang anhaltender Arbeitslosigkeit sowohl in Richtung einer Verschlechterung bis zu einer Syndrombildung, als auch in Richtung einer Entwicklung heraus aus sozialer Exklusion hin zu Inklusion und auf einem über Jahre hinweg gleichbleibenden Niveau zu finden. In allen drei Verlaufstypen dominieren junge Frauen und Männer, die bereits weit reichende Erfahrungen mit sozialer Exklusion gemacht haben. Wichtig erscheint weniger das Ausmaß an sozialer Exklusion im Lebenslauf, als vielmehr die Art der Aspekte der Ausgrenzung. Eine spezifische Rolle spielt hierbei auf der Ebene der Interdependenz das Vorhandensein sozialer Isolation. In den Verlaufstypen, die eine Verschärfung sozialer Exklusion und deren gleichbleibendes Ausmaß zum Inhalt haben, sind bei fast allen jungen Frauen und Männern Ten-
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denzen sozialer Isolation festzustellen. Im ersten Verlaufstyp betrifft dies auch das Schwinden sozialer Kontakte, also eine Isolation im wörtlichen Sinn. Im dritten Verlaufstyp, der Wege aus der sozialen Ausgrenzung heraus betrachtet, werden fast keine Isolationstendenzen sichtbar. Es hat sich herauskristallisiert, dass das Vorhandensein sozialer Isolation ein wichtiges Moment darstellt, das verhindert, dass Entwicklungen aus sozialer Exklusion heraus in Gang gesetzt werden. Die Vorstellungen der jungen Erwachsenen sind, zumindest zu Beginn ihrer Ausbildungs- und Erwerbsverläufe, klar an dem klassischen Ablauf von Schule – Berufsausbildung – stabile Erwerbsarbeit ausgerichtet. Diese Normalitätsunterstellungen werden auch durch die den Übergang begleitenden Institutionen verstärkt. Zwar zeigt sich immer mehr, dass es den Königsweg des erfolgreichen Einstiegs in Ausbildung und Beruf nicht gibt, sondern eine Pluralität an Möglichkeiten de facto existiert. Eine solche Gleichzeitigkeit verschiedener Wege gerade auch für benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene ist vonseiten der Institutionen für diese Gruppe nicht vorgesehen. Alternative Vorstellungen einzelner junger Erwachsener, die vom klassischen Weg abweichen, aber doch eine Möglichkeit darstellen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, fanden in der Deutung der Betroffenen von institutionellen Gatekeepern kaum Unterstützung. Es wurde deutlich, dass in den meisten Fällen die bisherigen Bildungs- und Ausbildungsverläufe eine wichtige Rolle für das Risiko spielen, in einem starken und dauerhaften Maße sozial ausgegrenzt zu sein. So befinden sich diejenigen jungen Erwachsenen mit guten Schulabschlüssen und abgeschlossenen Berufsausbildungen mehrheitlich im dritten Verlaufstyp, konnten also Prozesse sozialer Exklusion aufhalten und umkehren. Allerdings finden sich im Sample auch andere Beispiele. So konnte es trotz fehlender Schulabschlüsse gelingen, sich erfolgreich in Ausbildung zu platzieren und so das Ausmaß an sozialer Exklusion deutlich zu verringern. Auf der anderen Seite finden sich Beispiele, bei denen es jungen Erwachsenen trotz guter Bildungsvoraussetzung (noch) nicht gelungen ist, sich aus ihren prekären Lagen zu befreien. Insofern treten weitere Aspekte hinzu, die Prozesse sozialer Exklusion beeinflussen. In der Arbeit wurden dabei vor allem Bewältigungsstrategien in den Blick genommen. Auf der Einstellungsebene ist zu beobachten, dass eine Abkehr von den ursprünglich angestrebten Zielen, in Ausbildung und Erwerbsarbeit zu gelangen, von den Befragten des dritten Verlaufstyps, also denen, die das Ausmaß an sozialer Exklusion erfolgreich vermindern konnten, in keinem Fall sichtbar ist. Assimilative Bewältigungsmuster, also das Beibehalten normativ verankerter Ziele, sind hier vorherrschend. Ein fast spiegelbildliches Ergebnis zeigt sich im ersten Verlaufstyp, also dort, wo sich soziale Exklusion schrittweise zum Syndrom verfestigt. Hier werden immer mehr akkomodative Copingstrategien
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sichtbar und die Konzentration auf Lebensbereiche außerhalb von Ausbildung und Arbeit nimmt eine zentrale Rolle ein. Lediglich in einem Fall wurde versucht, eine akkomodative Strategie mit einer tragfähigen Alternative zu verknüpfen, die es erlaubt, jenseits staatlicher Transferleistungen zu existieren. Eine exponierte Stellung im Zusammenhang mit Exklusionsprozessen nehmen die Bewältigungsstrategien auf der Handlungsebene ein. Vor allem aktive, soziale Copingstrategien scheinen bei den jungen Erwachsenen im Sample die langfristig Erfolg versprechendere Strategie zu sein. So weisen alle Befragten des dritten Verlaufstyps aktive, soziale Bewältigungsmuster auf, nicht nur bezogen auf den (Wieder-)Einstieg in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, sondern auch in anderen Lebensbereichen. Die Untersuchung hat gezeigt, welchen Einfluss individuelle Strategien haben können, Verläufe sozialer Exklusion zu beeinflussen, sowohl um sie zu stoppen und umzukehren, aber auch sie weiter zu verschärfen. In vielen Fällen des hier vorgestellten Samples wird jedoch auch deutlich, dass erst bestimmte strukturelle Bedingungen entscheidend dazu geführt haben, dass die Betroffenen in soziale Ausgrenzungsprozesse geraten sind. Das bedeutet, dass die Frage nach Determinanten sozialer Exklusion nicht allein auf der individuellen Ebene zu beantworten ist. Zwar spielen die Wahrnehmung von Exklusion und Prozesse der Selbstexklusion eine wichtige Rolle, entscheidender Faktor dafür, dass soziale Exklusion als Thema derzeit so aktuell ist, sind jedoch strukturelle Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft. Insofern dürfen Gegenstrategien zu Prozessen sozialer Ausgrenzung nicht allein individuelle Voraussetzungen und Bedingungen, wie z. B. Bewältigungsstrategien, in den Blick nehmen, sondern müssen sich zugleich den gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen sozialer Exklusion widmen. Mit dem Einbezug des Ansatzes der sozialen Exklusion kann jedoch die Möglichkeit geschaffen werden, den Blick auf Ungleichheitsfaktoren zu erweitern (vgl. die Ergebnisse zur Bedeutung sozialer Isolation) sowie eine Verbindung von strukturellen Aspekten sozialer Ungleichheit und der subjektiven Einschätzung darüber herzustellen. Anregungen für weiterführende Untersuchungen zu diesem Thema sind in jedem Fall gegeben.
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