Melanie Weber Alltagsbilder des Klimawandels
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Melanie Weber
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Melanie Weber Alltagsbilder des Klimawandels
VS RESEARCH
Melanie Weber
Alltagsbilder des Klimawandels Zum Klimabewusstsein in Deutschland
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Harald Heinrichs
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Lüneburg, 2008
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-7005-9
Geleitwort
Der globale Klimawandel ist in jüngster Zeit zu einem zentralen politischen und gesellschaftlichen Thema avanciert. Neben Klimamodellen, die mögliche zukünftige Entwicklungen des globalen Klimas und seiner regionalen Wirkungen aufzeigen, lässt sich anhand von Messdaten ablesen, dass der Klimawandel bereits im Gange ist: In den vergangenen hundert Jahren ist die globale Durchschnittstemperatur um 0,74 C° gestiegen. Die globale Zivilisation steht somit vor der gewaltigen Herausforderung weit reichende Transformationsprozesse zu initiieren, die einerseits durch eine Reduzierung klimarelevanter Treibhausgase zu einer Abmilderung des Klimawandels beitragen (Mitigation). Andererseits sind durch eine vorausschauende Anpassung an bereits laufende Veränderungen, Risiken des Klimawandels zu minimieren und sich gegebenenfalls eröffnende Chancen zu nutzen (Adaptation). Die Ursachen und Wirkungen des Klimawandels als globales Phänomen sind regional, national und lokal sehr unterschiedlich verteilt. Während Industrieländer - bislang - die Hauptverursacher des Klimawandels sind, werden viele Entwicklungs- und Schwellenländer in tropischen und subtropischen Breiten zu den Hauptbetroffenen gehören. Sowohl für die naturwissenschaftliche als auch die sozialwissenschaftliche Klimaforschung ist es deshalb notwendig den Klimawandel auf unterschiedlichen Skalen zu untersuchen. Melanie Weber nimmt in ihrer Dissertation die Bundesrepublik Deutschland als Untersuchungseinheit in den Blick. Sie untersucht theoretisch und empirisch das Klimabewusstsein der deutschen Bevölkerung. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Wie wird der Klimawandel angesichts zeitlicher und räumlicher Komplexität und diskursiver Einflüsse in der Laienöffentlichkeit rezipiert? Damit greift Frau Weber ein ebenso wissenschaftlich interessantes wie gesellschaftlich relevantes Thema auf. Im theoretischen Teil des Buches diskutiert die Autorin zunächst zentrale naturwissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftspolitische Aspekte des globalen Klimawandels und zeigt die soziale Konstruktion des Themas auf. Anknüpfend an diskurstheoretische Überlegungen skizziert die Autorin, wie der Klimawandel in der gesellschaftlichen Kommunikation durch mehr oder weniger machtvolle Akteure aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft sowie Medien und Öffentlichkeit ‚konstruiert’ wird. Die individuelle Wahrnehmung des Klimawandels ist eingebettet in diesen sozialen Kontext. Zur adäquaten Erfassung der Laienwahrnehmung des Klimawandels formuliert die Autorin Forschungshypothesen auf der Grundlage einschlägiger gesell-
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Geleitwort
schafts- und individualtheoretischer Ansätze: Systemtheorie, Theorie reflexiver Modernisierung, Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse, Umweltbewusstseinstheorie, Umweltverhaltenstheorie, Lebensstiltheorie. Die empirische Überprüfung der Hypothesen erfolgt zum einen durch Sekundäranalysen quantitativer Studien, zum anderen durch die Analyse selbst erhobener Daten aus Fokusgruppen. Die empirischen Ergebnisse zeigen ein facettenreiches Bild des Klimabewusstseins der deutschen Bevölkerung. Es wird deutlich, dass der anthropogene Klimawandel, vermittelt durch gesellschaftliche Diskurse, durchaus zu Resonanz in der Bevölkerung geführt hat. Aber trotz einer relativ verbreiteten sozialökologischen Krisenwahrnehmung fehlt es an persönlicher (emotionaler) Betroffenheit, Wissen sowie Handlungsoptionen, um individuelle Verhaltensänderungen zu initiieren. Dementsprechend besteht weiterhin Bedarf an theoretischen, konzeptionellen und empirischen Arbeiten, um die Mechanismen von Klimawandelbewusstsein und klimasensiblem Verhalten noch besser zu verstehen und transparent zu machen. Ebenso großen Bedarf sieht die Autorin aber in praktischen Aktivitäten zur Förderung von Bewusstsein und Handeln. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse plädiert sie für emanzipatorische Kommunikations- und Beteiligungsstrategien, die Bürger darin unterstützen sozial-ökologische Transformationsprozesse aktiv voranzubringen. Das vorliegende Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung sozialwissenschaftlicher Klimaforschung. Die integrative Analyse, die auf etablierten umweltsoziologischen, -psychologischen und sozial-ökologischen Ansätzen aufbaut und existierende empirische Studien - ergänzt durch eigene Fokusgruppenanalysen - auswertet, ermöglicht einen differenzierten Einblick in das Klimabewusstsein der bundesdeutschen Bevölkerung. Die umfassende, sehr gut lesbare Darstellung der theoretischen und empirischen Erkenntnisse macht das Buch aber nicht nur für Sozialwissenschaftler zur Pflichtlektüre, sondern für alle, die sich mit Klima-Wahrnehmung und -verhalten der Bevölkerung in Deutschland beschäftigen.
Prof. Dr. Harald Heinrichs
Vorwort
Die Superlative in den Medien lassen nicht nach: Der Tropensturm ‚Noel’, der im Herbst 2007 über Haiti, die Dominikanische Republik, Kuba und Mexiko fegte und über 100 Todesopfer forderte, wurde vom mexikanischen Präsidenten Felipe Caldéron als schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte des Landes bezeichnet. In Deutschland wurden Helgoland und die Nordseeinseln im November 2007 von der stärksten Sturmflut seit 30 Jahren heimgesucht. Der extreme Winter in China im Januar 2008 war der kälteste seit 50 Jahren. Und die Hitzewelle in Australien 2006 verursachte die schlimmste Trockenheit, die es je auf dem Kontinent gab. Die vielen Katastrophenmeldungen, die immer häufiger mit den Folgen des Klimawandels in Zusammenhang gebracht werden, sollten die Bevölkerung doch eigentlich wachgerüttelt haben, sollte man meinen. Doch als ich vor einigen Jahren begann, mich mit dem Thema ‚Wahrnehmung des Klimawandels’ zu beschäftigen, war mein Eindruck, dass in der Öffentlichkeit ein Missverhältnis zwischen (Medien) vermittelter Katastrophe und tatsächlichem gesellschaftlichen Einlenken herrschte. Ob und inwieweit Klimawandel induzierte Extremwetterereignisse, die massive Veränderungen für Mensch und Natur zur Folge haben, in der Bevölkerung überhaupt wahrgenommen werden und inwieweit dies im Alltag der Menschen eine Rolle spielt, wurde mehr und mehr zu meiner zentralen Fragestellung. Entgegen der Auffassung einiger Sozialwissenschaftler im Forschungsfeld, beharrte ich darauf, mich speziell mit Klimabewusstein und nicht mit Klimabewusstsein als einem Unteraspekt des Umweltbewusstseins zu befassen. Ich wollte wissen, ob unsere Gesellschaft das von der Politik gerne als ‚größte Menschheitskatastrophe des 21ten Jahrhunderts’ bezeichnete Umweltproblem wahrnimmt und wie sie darauf reagiert. Ich verfolgte die wissenschaftliche, aber auch die aktuelle politische Debatte. Parallel dazu beobachtete ich, wie die verschiedenen Medien das Bild des Klimawandels transportierten, welches meist einer heranrollenden Flutwelle glich. Und vor allem beschäftigte ich mich zunehmend mit der Frage, ob und wie der Klimawandel in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Am meisten erstaunt hat mich bei meiner empirischen Arbeit, dass die meisten Menschen den anthropogenen Klimawandel bestätigen und relativ genau beschreiben können, welche Folgen er für Natur und Menschheit hat, gleichzeitig aber kaum realisieren, dass der Klimawandel bereits in vollem Gange ist.
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Vorwort
Es ist ein Dilemma, dass wir die globale Erwärmung zu einem großen Teil nur vermittelt wahrnehmen (können) und damit von der Krisenwahrnehmung der vermittelnden Akteure im Klimadiskurs abhängig sind: Unterschätzen sie die Folgen des Klimawandels, wird kaum ein Aufschrei durch die Bevölkerung gehen, der zu einem grundlegenden Wandel hin zu klimabewusstem Verhalten führt. Machen Politik, Wissenschaft, Medien und zivilgesellschaftliche Akteure uns jedoch eindringlich genug bewusst, dass jeder und jede einzelne unmittelbar einen individuellen Beitrag zum klimabewussten Handeln leisten kann, dann ist das Schlimmste vielleicht noch abzuwenden. In jedem Fall ist der anthropogene Klimawandel ein Paradebeispiel für die moderne Wissensgesellschaft, in der wir leben, und die uns abhängiger denn je von Experten und Fachleuten macht, die uns die Existenz globaler (Umwelt-) Probleme bewusst machen - bevor wir sie nachhaltig lösen können und müssen. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen bedanken, die mich bei der Umsetzung meiner Doktorarbeit unterstützt haben: Ich möchte mich beim deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bedanken, das das Forschungsprojekt „Global Governance und Klimawandel. Eine Mehrebenenanalyse zu den Bedingungen, Risiken und Chancen sozial-ökologischer Transformationen“ im Rahmen des Schwerpunktprogramms sozial-ökologische Forschung (SÖF) gefördert hat. Großer Dank geht an meine Kolleginnen und Kollegen des Forschungsprojektes, die mich während der ganzen Zeit begleiteten und tatkräftig unterstützten: PD Dr. Achim Brunnengräber, Kristina Dietz und Marie Lindberg (alle Freie Universität Berlin), PD Dr. Heike Walk (ZTG der Technischen Universität Berlin), Dr. Bernd Hirschl (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung). Großer Dank gilt auch meinem Betreuer Prof. Dr. Harald Heinrichs und seiner Mitarbeiterin Katina Kuhn vom Institut für Umweltkommunikation an der Universität Lüneburg für ihren unermüdlichen Einsatz. Außerdem danke ich Maren Kandulla für ihre Hilfe. Ein besonderer Dank geht an Christiane Schaper, dir mir beistand, um das Schiff ins richtige Fahrwasser zu bringen. Den folgenden Personen bin ich besonders dankbar, ohne euch hätte ich manche Durststrecke kaum überwunden: Antje Klemm, Christina Reiffert, Christina Rocker, Dr. Martina Dieckhoff und Wenke Siedersleben. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie, die mich immer unterstützt und für manche Abwechslung gesorgt hat: Elisabeth Weber, Claudia, Bernd, Roman und Annika Schrön. Mein ganz besonderer Dank geht an Florian Moritz für seine unendliche Geduld.
Melanie Weber
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort…......…………………………..…………………….…........... 5 Vorwort. .............……......……………………………………………........ 7 Abbildungsverzeichnis ………………………………………………....... 11 Tabellenverzeichnis………………………………………………………...13 Boxenverzeichnis………………………………………………………….. 15 Abkürzungsverzeichnis.………………………………………………........ 17
1 1.1 1.2
Einleitung……………………...………………………………... 19 Zentrale Forschungsfrage……………………………………...... 21 Aufbau der Arbeit und Kapitelübersicht……………………....... 27
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem............................................................................ 33 Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen…………....... 33 Die Komplexität des Klimawandels………………….…….……38 Klimawandel und nachhaltige Entwicklung…….……………… 41 Klimaschutz und Emissionsentwicklung….……………………. 44 Klimapolitik in Deutschland………………………..…………... 50 Globaler Umweltdiskurs und Klimawandel…………………….. 53
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Die soziale Konstruktion des Klimawandels………………….... 59 Zyklen des Klimadiskurses in der BRD………………………… 61 Wissenschaft…………………………………………………..... 65 Politik………………………….………………………………... 70 Zivilgesellschaft und Wirtschaft….…………………………...... 77 Medien und Öffentlichkeit……………………………………… 81 Laienwahrnehmung des Klimadiskurses…………………..…… 92
4 4.1 4.2 4.3
Klimawandel als gesellschaftliches Risiko……………..……..... 97 Die Risikokommunikation des Klimawandels…………..…….... 97 Klimawandel als Modernisierungsrisiko…………………..….....107 Klimawandel als ‚gesellschaftliches Naturverhältnis’….………. 112
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Inhaltsverzeichnis
5 5.1 5.2 5.3
Klimawandel als individuelles Risiko.……………….……......... 115 Individuelles Umweltbewusstsein des Klimawandels………….. 115 Diskrepanzen zwischen Klimabewusstsein und -handeln…….…121 Individuum und Kollektiv……………………………..………... 126
6
Hypothesen………………………………………………….…...131
7 7.1 7.2 7.3
Untersuchungsdesign………………..………………………...... 135 Empirische Studien ……………………………..………………. 135 Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie...…..…………. 138 Fokusgruppen...........................................................……….…… 144
8 8.1 8.2
Empirische Ergebnisse ……………………………..…………. 153 Auswertung empirischer Studien…………...…………………....153 Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie........................................................... 166 Ergebnisse der Fokusgruppenanalyse………………..………… 196
8.3 9
Zusammenfassung der Ergebnisse und Hypothesenüberprüfung................................................................................... 221
10 10.1 10.2
Fazit……………………………………………………………... 235 Forschungsbedarf und Erkenntnisse für die politische Praxis….. 235 Emanzipation und Partizipation……………………………….....240
11
Literaturverzeichnis………………………………………….......243
12 12.1 12.2 12.3
Anhang………………………………………………………..… 257 Ergänzende Abbildungen und Tabellen…………………..…….. 257 Fragebogentext Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie 264 Moderationsleitfaden Fokusgruppen…………………..………... 270
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Abbildung 2
Abbildung 3 Abbildung 4
Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Abbildung 9 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14 Abbildung 15 Abbildung 16 Abbildung 17 Abbildung 18 Abbildung 19 Abbildung 20
Individuelle Wahrnehmung des Klimawandels……… 24 Reziproke Prozesse zwischen öffentlicher Problemwahrnehmung des Klimawandels und Klimaakteuren………………………………………... 25 Aufbau der Arbeit, methodische Umsetzung und Ziele………………………………………………31 Treibhausgasentwicklungen 1990 - 2003 der nach Kyoto-Protokoll zur Treibhausgasreduktion verpflichteten Länder (Annex-I-Länder)....................... 48 Lastenteilung der Treibhausgasemissionen der EU-15...........................................……………....... 75 Der mediale Vermittlungsprozess des Klimawandels... 84 Kognitive, affektive und konative Faktoren des Umweltbewusstseins……………………………... 118 Sorge um die Umwelt........................................…........ 167 Eintritt von Klimaveränderungen…………………...... 168 Selbsteingeschätzte persönliche Gefährdung durch den Klimawandel...........................................................169 Vermeidung und Anpassung…………………............. 170 Vier-Felder-Matrix „Vermeidung oder Anpassung“.............................................…………...... 172 Fortschritte beim Klimaschutz …………………......... 173 Klimaschutz: deutsche oder europäische Aufgabe?...................................................………........ 174 Zufriedenheit mit deutscher Rolle auf internationalen Klimakonferenzen………………….... 175 Sparsamer Umgang mit Energievorräten und Rohstoffen.................................................……............ 177 Lohnt sich umweltgerechtes Handeln?…………......... 178 Eigener Beitrag zum Umweltschutz...……………....... 180 Informationsstand Umweltprobleme………………..... 181 Effektivste Maßnahmen für den Umweltschutz............ 263
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Tabelle 2
Tabelle 3 Tabelle 4
Tabelle 5 Tabelle 6 Tabelle 7
Tabelle 8 Tabelle 9
Tabelle 10
Tabelle 11
Tabelle 12 Tabelle 13
Sektorale Entwicklung der CO2-Emissionen in Deutschland, Angaben in Mio. t CO2……………........ 51 Entwicklung der Treibhausgasemissionen in der BRD seit 1990 und Handlungsbedarf gemäß der Ziele des Kyoto-Protokolls…………............................................52 Liste sozio-demographischer Variablen (unabhängige Variablen)……………………………... 140 Zuordnung der deskriptiv ausgewerteten klimarelevanten Einstellungsvariablen des Eurobarometers 2005 und der Umweltbewusstseinsstudie 2004 zu den Klimabewusstseinsindikatoren…... 142 Skalierung abhängiger Variablen der multiplen linearen und logistischen Regressionsanalysen……………...... 143 Sozio-demographische Auswahlkriterien der Fokusgruppen………………………………………… 150 Stichprobenbeschreibung Fokusgruppen, Verteilung der Personen nach sozio-demographischen Merkmalen.................................................................... 151 Zusammenfassende Darstellung empirischer Wahrnehmungsstudien zum Klimawandel............................ 161 Multiple Regressionsmodelle der abhängigen Variablen: Klimaveränderung, Klimagase, Extremwetterereignisse und Gefährdung…………...... 184 Multiple Regressionsmodelle der abhängigen Variablen: Mitigation, Adaptation, Klimaschutz..................................................……......... 188 Multiple und logistische Regressionsmodelle der abhängigen Variablen: (politische) Verantwortung und Informationsstand....................................…........... 191 Übersicht signifikanter Effekte der Prädiktorvariablen auf die Zielvariablen................…………………..........195 Zusammenfassung der Ergebnisse der Fokusgruppendiskussionen…………………………... 220
14 Tabelle 14
Tabellenverzeichnis
Verteilung sozio-demographischer Merkmale in der Umweltbewusstseinsstudie 2004 nach Geschlecht (Liste der unabhängigen Variablen)..............……........ 257 Tabelle 15 t-Tests Umweltbewusstseinsstudie 2004....................... 259 Tabelle zu Abb. 8 Sorge um die Umwelt……………................................ 260 Tabelle zu Abb. 14 Klimaschutz: deutsche oder europäische Aufgabe?...... 260 Tabelle zu Abb. 15 Zufriedenheit mit deutscher Rolle auf internationalen Klimakonferenzen...................……..... 261 Tabelle zu Abb. 18 Eigener Beitrag zum Umweltschutz.……………......... 261 Tabelle zu Abb. 19 Informationsstand Umweltprobleme......……………... 262 Tabelle zu Abb. 20 Effektivste Maßnahmen für den Umweltschutz…….... 264
Boxenverzeichnis
Box 1 Box 2 Box 3 Box 4 Box 5
Sieben Resonanzfilter der ökologischen Kommunikation……………………………………… 63 Etappen internationaler Klimapolitik und ihre Ergebnisse……………………………………….. 73 Das Beispiel Greenpeace…………………………….. 79 Lobbyismus und US-Klimapolitik…………………… 80 Komplexe Interessenverflechtung……………………. 81
Abkürzungsverzeichnis
ABL AOSIS ATTAC BMBF BMU BUND CDM COP DFG DMG DNR DPG EL ET EH EU FAO G8 G33 GEF ICAU ICSU IEA IPCC IUCN JI
Alte Bundesländer Allianz kleiner Inselstaaten (Alliance of small island states) Association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. Clean Development Mechanism (Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung) Conferences of the Parties (Klimakonferenzen der Unterzeichnerstaaten der UNFCCC) Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Meteorologische Gesellschaft Deutscher Naturschutzring Deutsche Physikalische Gesellschaft Entwicklungsländer Emission Trading Emissionshandel Europäische Union Food and Agriculture Organization (UN-Organisation) Gruppe der G8 (sieben führende Industrieländer und Russland) Gruppe der G33 (Gruppe von Entwicklungsländern) Global Environment Facility (Globale Umweltfazilität) International Council of Scientific Unions International Council for Science (Internationaler Wissenschaftsrat) International Energy Agency (Internationale Energieagentur der OECD) Intergovernmental Panel on Climate Change International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (auch: World Conservation Union) Joint Implementation (Mechanismus für gemeinsame Klimaschutzprojekte; projektbezogene Zusammenarbeit zwischen zwei Annex-I-Staaten (Industrieländern)
18 KfW LDC MOP NBL NGO OECD OPEC PPP SRU UBA UN UNCED UNDP UNEP UNESCO UNFCCC WBGU WCRP WHO WMO WTO WWF
Abkürzungsverzeichnis
KfW Bankengruppe (früher: Kreditanstalt für Wiederaufbau) Least Developed Countries Members of the Parties (Klimakonferenzen der Unterzeichnerstaaten des Kyoto-Protokolls) Neue Bundesländer Non-governmental organization (Nicht-Regierungs-Organisation) Organization for Economic Cooperation and Development Organization of the Petroleum Exporting Countries Private-Public-Partnerships Sachverständigenrat für Umweltfragen (auch: Umweltrat) Umweltbundesamt United Nations United Nations Conference on Environment and Development (Erdgipfel 1992) United Nations Development Programme United Nations Environment Programme United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Framework Convention on Climate Change Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen World Climate Research Programme World Health Organization (UN) World Meteorological Organization World Trade Organization World Wide Fund for Nature
1 Einleitung
Der Klimawandel ist in aller Munde. In Zeitungen sind Titel zu lesen wie „Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für die Menschheit“ und „Die Klimaveränderung hat verheerende Folgen für Mensch und Natur“ oder „Wann kommt die Klimakatastrophe?“. Die Internetsuchmaschine Google meldet über 5 Millionen Einträge zum Stichwort „Klimawandel“, der englische Begriff „climate change“ wird sogar über 100 Millionen Mal aufgerufen.1 Die Popularität des Themas in den Medien stellt dabei nur eine Seite der öffentlichen Resonanz des Klimawandels dar. Aber wie wird der Klimawandel von der Bevölkerung wahrgenommen? Reicht es, durch eine hohe Themenaufmerksamkeit ein ökologisches Bewusstsein für den Klimawandel herzustellen? Und inwieweit wird der Klimawandel von der Bevölkerung überhaupt als menschlich produziertes Umweltproblem gesehen? Die Dissertation nimmt die gesellschaftliche Wahrnehmung und Bewertung des Klimawandels in den Blick. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie das Umweltproblem Klimawandel und seine soziale Vermittlung, also der Klimadiskurs, ins individuelle Bewusstsein rücken und welche Handlungskonsequenzen zu erwarten sind. Ferner wird gefragt, ob sich überhaupt ein Klimabewusstsein abbildet und wie sich dieses darstellt. Dabei beziehen sich die theoretischen Ausführungen zuvorderst auf den westlichen, industriestaatlich geprägten Kulturraum. Die Untersuchung nimmt in erster Linie Bezug auf umweltsoziologische und umweltpsychologische Arbeiten vor allem aus der sozial-ökologischen Forschung und Risikoforschung. Somit ordnet sich die Dissertation innerhalb des Fachgebiets „Umweltsoziologie“ ein. Ziel ist es, Alltagsbilder des Klimawandels zu untersuchen, die an der in Deutschland lebenden Bevölkerung empirisch überprüft werden. Werden die Wechselwirkungen zwischen Natur und Gesellschaft betrachtet, so ist es wichtig, nicht nur Stärke und Relevanz von Umweltveränderungen, Sensibilität, Verwundbarkeit und Reaktionsvermögen von Ökosystemen einerseits und gesellschaftliche Reaktions-, Adaptions- und Alternativmöglichkeiten andererseits auszuloten. Darüber hinaus gilt es, die zugrunde liegenden oder 1 Im Folgenden werden die Begriffe globale Erwärmung, globaler Klimawandel, anthropogener Klimawandel oder nur Klimawandel meist synonym verwendet. An Stellen, bei denen Hinweise auf den Unterschied zwischen natürlichem oder menschlich verursachtem Klimawandel erforderlich sind, wird darauf explizit hingewiesen.
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Einleitung
resultierenden gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Bewertungen dessen zu analysieren. Die Aufgabe der Umweltsoziologie ist es zu untersuchen: „ […] wie soziale und kulturelle Strukturen die Art der Wahrnehmung, Nutzung und Gestaltung von Natur prägen und wie die Folgen dieser Nutzung wieder auf Gesellschaften und ihre Institutionen zurückwirken. Zentraler Fokus der Umweltsoziologie ist der gesellschaftliche Umgang mit der ökologischen Problematik.“ (Brand und Reusswig 2001: 573) „Eine der wichtigsten Aufgaben der Umweltsoziologie [besteht] darin, Unterschiede der Prioritätensetzung und Wahrnehmungsmuster sowie massenmedialen und politischen Bearbeitung innerhalb und zwischen Gesellschaften zu beschreiben und in ihren Ursachen zu erklären.“ (Thompson und Rayner 1998, zit. aus Brand 2001: 564)
Aufgrund von Rückkopplungseffekten der vom Menschen verursachten Umweltveränderungen muss die Umweltsoziologie nicht nur untersuchen wie Gesellschaft die Natur nutzt und sich dadurch selbst gefährdet, sondern auch wie diese ökologische Selbstgefährdung auf die Gesellschaft und ihre Institutionen zurückwirkt (Brand und Reusswig 2001).2 Normatives Ziel der soziologischen Umweltbewusstseins- bzw. Umweltverhaltensforschung ist es mitunter, Strategien zur Neubildung, Veränderung und Stabilisierung von umweltrelevanten Einstellungs- und Verhaltensmustern zu finden. Dazu müssen deren soziale Ursachen, institutionelle Fehlfunktionen und der Zusammenhang des Verhaltens resp. der Einstellung zu Verhaltensbereichen und individuellen sowie gruppen- bzw. schichtspezifischen Mustern (Milieus) herausgefunden werden (Wegener 1982; Joußen 1995; Vester 2001). Die globalen Umweltveränderungen, und dabei auch der Klimawandel, gelten allerdings innerhalb der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung als neues Forschungsfeld. Transdisziplinäre Ansätze bspw. aus der Global-ChangeForschung, die sich mit der Analyse globaler Umwelt- und Entwicklungsprobleme beschäftigen, sind vergleichsweise neu und bahnen sich erst langsam ihren Weg in die noch immer vorrangig disziplinär ausgerichtete Forschungs-
2
Dem folgenden Verständnis von Natur und Umwelt wird hier gefolgt: Nach Huber (2001: 155) ist Natur „alles [...] was der Geo- und Biosphäre angehört und nicht dem operativen System der Gesellschaft, etwa als Nutztier, Produkt oder Infrastruktur“. Unter Umwelt ist im Folgenden gemeint „[…] die jeweils spezifizierte geo- und biosphärische Umwelt bestimmter Populationen. Eine Umwelt besteht nicht an und für sich, sondern für interagierende Lebewesen. [...] allgemein heißt Umwelt der spezielle Lebensraum einer Population samt den Ressourcen und Senken, die sie sich darin verfügbar macht. Umwelt bedeutet in diesem Sinne die Gesamtheit der stofflichen raum-zeitlichen Lebensbedingungen der betreffenden Populationen“ (ebd.: 157).
Zentrale Forschungsfrage
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landschaft.3 Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz der Klimaproblematik verfolgt die Dissertationsschrift zwei Perspektiven: 1.
2.
Zum einen werden aus einer problemorientierten Sichtweise die sozialökologische Relevanz individuellen Klimaschutzes und mögliche Handlungskonzepte herausgearbeitet. Damit nimmt die Arbeit im Sinne der sozial-ökologischen Nachhaltigkeitsforschung eine normative Perspektive ein.4 Zum anderen schließt die Dissertationsschrift an bestehende umweltsoziologische und umweltpsychologische Arbeiten an und nimmt diese zur Basis der Analyse. Die Erkenntnisse tragen zum besseren Verständnis über die Grundlagen individueller Wahrnehmung komplexer Umweltprobleme wie dem Klimawandel bei.
1.1 Zentrale Forschungsfrage Betrachtet man sowohl die internationalen als auch nationalen Emissionsentwicklungen, so steht ein grundlegender Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft mit einer Energiebilanz, die keine gefährlichen Folgen für das natürliche Klimasystem verursacht, noch aus. Klar ist, dass eine Transformation der Energiesysteme nicht allein von den technischen Möglichkeiten abhängt, sondern auch und vor allem von der Bereitschaft zur Veränderung gesellschaftlicher Lebensweisen. Ziel muss deshalb also nicht nur die punktuelle Reduktion von Treibhausgasen (Mitigation) sein, sondern eine langfristige (nachhaltige) Umstellung der sozial-ökologischen Verhältnisse auf ein für das natürliche Klima 3 Die Forschungsaufgabe der so genannten Global Change-Forschung (bzw. Forschung zum globalen Wandel) resultiert aus der Erkenntnis, dass neben der Bedrohung durch den Klimawandel weitere globale Veränderungen der Umwelt durch den Menschen stattfinden, die existentielle Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden haben. Ressourcen wie Nahrung, Wasser, Frischluft und eine die menschliche Gesundheit begünstigende Umwelt sind in steigendem Maße vom globalen Wandel betroffen. Dabei hat die Globalisierung der Weltwirtschaft seit den 1990er Jahre durch die zunehmende Verflechtung von globalen Umweltveränderungen, ökonomischer Globalisierung, kulturellem Wandel und wachsendem Nord-Süd-Gefälle zum Globalen Wandel geführt (Michelsen 2005). Siehe dazu auch die Internetseiten des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) und des Nationalen Komitees für Global Change Forschung (NKGCF): http://www.wbgu.de und http://www.nkgcf.org (Zugriff: 14.05.2008). 4 Sozial-ökologische Forschung nimmt komplexe Umweltprobleme wie den Klimawandel aus einer interdisziplinären (Disziplin übergreifenden) und transdisziplinären (interdisziplinären und Praxis bezogenen) Sichtweise in den Fokus. Nach dem Rahmenkonzept des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) lautet die Definition sozial-ökologischer Forschung: „Soziale Ökologie ist die Wissenschaft von den Beziehungen der Menschen zu ihrer jeweiligen natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt. In der sozial-ökologischen Forschung werden die Formen und Gestaltungsmöglichkeiten dieser Beziehungen in einer disziplinübergreifenden Perspektive untersucht. Ziel der Forschung ist es, Wissen für gesellschaftliche Handlungskonzepte zu generieren, um zukünftige Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen sichern zu können.“ (Balzer und Wächter 2002)
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Einleitung
verträgliches Treibhausgasniveau bei gleichzeitiger Anpassung (Adaptation) an die Folgen des bereits stattfindenden anthropogenen Klimawandels (Hasselmann et al. 2003).5 Die Umsetzung von Treibhausgasvermeidung und Anpassung ist dabei sowohl vom individuellen Umweltbewusstsein6 als auch von Möglichkeiten und Grenzen des Umwelthandelns abhängig. Es spielen Handlungszwänge ebenso eine Rolle wie Anreize, Infrastruktur, öffentlicher Diskurs konkurrierender Interessen, Gewohnheiten, Präferenzen und Lebensstile. So findet der gesellschaftliche Transformationsprozess nachhaltiger Entwicklung in einem durchaus widersprüchlichen sozialen Kontext statt (Brand 1997). Es stellt sich die Frage, welche individuellen Wahrnehmungen des Klimawandels bestehen und ob und wie sich innerhalb der institutionell geprägten Handlungsmuster,7 konkurrierenden Normen und Alltagspraktiken ein Klimabewusstsein herausbildet. Insofern nimmt die Arbeit eine Problem bezogene Perspektive ein. Vorannahme der Dissertation ist, dass die Problemwahrnehmung des Klimawandels als Voraussetzung für individuelle Bewusstseinsbildung und Verhaltensintention zweifach beeinflusst wird: durch die beobachtbare Naturveränderung sowie durch den gesellschaftlichen Klimadiskurs. Dabei wirkt der Klimawandel auf die Gesellschaft zurück und stellt sie unter Veränderungsdruck. Die Wechselwirkungen zwischen Veränderungen des Klimas und Gesellschaften sind dabei Teil eines komplexen Zusammenhangs: Die bereits stattfindenden Folgen des Klimawandels sowie die noch in der Zukunft zu erwartenden Folgen beeinflussen Menschen in der Wahrnehmung des Klimawandels. Da das Problem komplex ist, gibt es darüber hinaus zahlreiche wissenschaftliche Unsicherheiten bei dem Versuch, die Folgen und ihr räumliches und zeitliches Eintreten exakt nachzuweisen und vorherzusagen. Somit findet die Vermittlung zwischen Klimaexperten und -expertinnen und breiter Öffentlichkeit unter Unsicherheit statt. Zusätzlich zu den bereits stattfindenden Folgen des Klimawandels erreicht 5
Der vierte Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change geht nicht nur davon aus, dass ein anthropogener Klimawandel bereits stattfindet, sondern zudem, dass selbst eine sofortige Stabilisierung der Treibhausgase seine Folgewirkungen in den nächsten Jahrzehnten nicht stoppen könnte: „Anthropogenic warming and sea level rise would continue for centuries due to the timescales associated with climate processes and feedbacks, even if greenhouse gas concentrations were to be stabilized.” (IPCC 2007a: 17) Als Lösungsvorschlag wird deshalb ein Strategiemix aus sowohl Reduktions- als auch Anpassungsmaßnahmen vom Individuum bis zu nationalen und internationalen Regierungen gefordert: „ This suggests […] a mix of strategies that includes mitigation, adaptation, technological development (to enhance both adaptation and mitigation) and research (on climate science, impacts, adaptation and mitigation). Such portfolios could combine policies with incentive-based approaches, and actions at all levels from the individual citizen through to national governments and international organizations.” (IPCC 2007b: 20) 6 Im Folgenden wird der Begriff des Umwelt- bzw. Klimabewusstseins zunächst als Über- und Sammelbegriff für verschiedene, direkt mit dem ökologischen Bewusstsein zusammenhängende Aspekte wie Umweltwissen, -einstellung, -verhaltensbereitschaft u. a. verwendet. Eine präzise Begriffstrennung erfolgt in Kapitel 5.1 („Individuelles Umweltbewusstsein des Klimawandels“). 7 Das Handlungsfeld umfasst dabei sowohl Anpassungsmaßnahmen (Adaptation) an die Folgen des Klimawandels als auch vorsorgende Klimaschutzmaßnahmen (Mitigation).
Zentrale Forschungsfrage
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die Öffentlichkeit nur eine Übersetzung wissenschaftlich z. T. unsicherer Erkenntnisse über die genauen Folgen des Klimawandels (s. Abbildung 1). In der vorliegenden Dissertationsschrift stehen Wahrnehmung, Bewusstseinsbildung und Handlungsintention bezüglich des Klimawandels bei Laien und nicht bei Experten bzw. Expertinnen im Mittelpunkt. Deshalb finden letztere auch nur am Rande Erwähnung, ihre Untersuchung im Themenfeld Klimawandel oder ein Vergleich zwischen den beiden Gruppen hätte ein anderes Untersuchungsdesign als das vorliegende erfordert.8 Der Forschungsbedarf ergibt sich aus sozialökologischer, problemorientierter Sicht folgendermaßen: Der anthropogene Klimawandel ist ein zeitlich und räumlich komplexes globales Umweltproblem, welches von Laien, so die Annahme, nur durch die Vermittlung und Übersetzung wissenschaftlicher Experten und Expertinnen wahrgenommen wird. Die Unterscheidung zwischen normalem Wetter und atypischen Klimaveränderungen ist für Laien ohne wissenschaftliche Deutung nicht möglich. Insofern gilt die Klimakommunikation bzw. der Klimadiskurs als wesentlicher Einflussfaktor auf die Laien-Wahrnehmung des Klimawandels. Der Zusammenhang des Klimabewusstseins mit der Problemvermittlung durch Klimaexperten bzw. -expertinnen und Medien erhält eine besondere Relevanz durch die Komplexität und ‚Glokalität’ (gemeint ist das Zusammenspiel globaler, nationaler, regionaler und lokaler Strukturen) des Klimawandels. Dabei stellt sich die öffentliche Problemwahrnehmung des Klimawandels als Wechselspiel dar: Einerseits wirken die Informationen der Klimaakteure auf die öffentliche Wahrnehmung ein, und andererseits wirkt die Resonanz in der Bevölkerung auf die Art und Weise der durch Klimaexperten und -expertinnen, Medien und anderen Akteuren vermittelten Klimakommunikation zurück, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird (s. Abbildung 2). Die Klimakommunikation findet dabei nicht zuletzt vor dem Hintergrund vielfältiger, Interessen geleiteter Problemlösungsstrategien statt.
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Die im englischen Sprachgebrauch übliche Trennung zwischen „lay people“ und „experts“ (vgl. O’Riordan 2001; Kempton 1991; Dunlap 1998) ist in der deutschsprachigen Forschung oft missverständlich. In der Dissertationsschrift werden unter Laien Personen verstanden, die keine Experten sind, also weder wissenschaftliche Fachleute aus dem engeren und weiteren Bereich der Klimaforschung noch Experten oder Expertinnen aus Praxisfeldern wie Politik, NGOs und Medien, die sich in besonderem Maße mit dem Thema Klimawandel beschäftigen. Obgleich hier in erster Linie auf Laien fokussiert wird, wird an manchen Stellen auch auf Experten und Expertinnen verwiesen, insbesondere im Zusammenhang mit den internationalen Klimaverhandlungen, dem Klimadiskurs und dem individuellen Risikobewusstsein. In der Risikoforschung wurde mit der Erkenntnis subjektiver und sozial konstruierter Risiken („The risks that kill you are not necessarily the risks that anger and frighten you“; Sandman 1987: 21) die Diskrepanz zwischen Experten- und Laienwahrnehmung von Risiken bestätigt. Gleichwohl sind qualitative Unterschiede zwischen Experten- und Laienwahrnehmung noch umstritten. Wiedemann spricht von „[der] Geburtsstunde einer bis heute anhaltenden ideologischen Auseinandersetzung über die Dissense zwischen Experten und Expertinnen und Laien bei der Beurteilung von Risiken“ (vgl. dazu auch Kapitel 5.1; Wiedemann und Mertens 2005: 39).
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Einleitung
Beobachtbare Naturveränderungen
Problemwahrnehmung
Bewusstseinsbildung und Verhaltensintention
Gesellschaftlicher Klimadiskurs
Abbildung 1:
Individuelle Wahrnehmung des Klimawandels (eigene Graphik)
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Zentrale Forschungsfrage
Problemwahrnehmung der Klimaakteure: Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Medien
Öffentliche Problemwahrnehmung
Abbildung 2:
Reziproke Prozesse zwischen öffentlicher Problemwahrnehmung des Klimawandels und Klimaakteuren (eigene Graphik)
So wird angenommen, dass die Öffentlichkeit den Klimawandel nicht nur durch tatsächliche Klima- und Wetteränderungen wahrnimmt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass der Diskurs über den Klimawandel, und damit auch seine potentielle Problemkonstruktion, einen ebenso großen Einfluss auf die öffentliche Meinung ausübt. Dabei wird der Diskurs von verschiedenen Akteuren, vor allem aus der Klimawissenschaft, aus staatlicher und nicht-staatlicher Politik, der Wirtschaft und den Medien geführt, die jeweils unterschiedliche Interessen und Lösungsstrategien vertreten (eine differenzierte Sichtweise auf ‚die Medien’ erfolgt in Kapitel 3.5). Die öffentliche Problemwahrnehmung des Klimawandels ist also geprägt durch den medial vermittelten Klimadiskurs zentraler Akteure vor allem aus den Bereichen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.
26
Einleitung
Die Stellung der Medien ist dabei im Sinne einer Doppelposition hervorzuheben: Zum einen sind sie durch ihre Funktion als Vermittler für die öffentliche Meinungsbildung gekennzeichnet und zum anderen dadurch, dass sie keine neutrale Mediationsfunktion ausfüllen, sondern ebenfalls spezifischen Interessen unterliegen. Die Spezifität der Frage der Wahrnehmung des Klimawandels ergibt sich nun zum einen aus der Neuartigkeit (einen anthropogenen Klimawandel hat es zuvor nicht gegeben) und zum anderen aus der Komplexität des Umweltproblems. Dies bedeutet auch, dass Analogien zur sozialen Rezeption anderer (globaler) Umweltprobleme nicht ohne weiteres hergestellt werden können und diesbezügliche theoretische Vorarbeiten unzureichend für die Untersuchungsfragestellung sind. Gleichwohl kann auf bereits vorhandene Theoriebestände zurückgegriffen werden. Die Schwerpunkte der soziologischen Umweltforschung umfassen vor allem die Bereiche Umweltkommunikation, Umweltbewusstsein und -verhalten. Theorie und Empirie der Forschung nehmen dabei Bezug auf Umweltbewusstsein (Brüggemann 1995; de Haan und Kuckartz 1998), Umwelt- und Konsumverhalten (Beier 1993; Kösters 1993; Diekmann 1994), Umweltbildung und -erziehung (de Haan und Kuckartz 1998; de Haan 1995; Bolscho und Seybold 1996), Umweltkommunikation (Luhmann 1986) oder Risikowahrnehmung und Partizipation im Umweltschutz (Stoll-Kleemann et al. 2003; Bechmann 1996; Hiller und Krücken 1997). Darüber hinaus hat die Feststellung, dass Umweltbildung und Umweltbewusstsein nicht immer kongruent mit umweltangepassten Verhaltensweisen sind, zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Bestimmungs- und Wirkungsfaktoren umweltbewussten Verhaltens geführt (Preisendörfer und Wächter-Scholz 1997; Preisendörfer 1999; Schütz 1995). Die Anwendung dieser Ansätze auf die Frage der Wahrnehmung des anthropogenen Klimawandels ist jedoch bislang noch nicht ausreichend erfolgt. Die vorliegende Dissertation trägt somit zur Schließung einer Forschungslücke bei. Es wird dabei vor allem auf Theorien zur ökologischen Risikowahrnehmung und -kommunikation und auf handlungstheoretische Ansätze zurückgegriffen. Die Arbeit ordnet sich somit bei den umweltsoziologischen Arbeiten zur sozial-ökologischen Forschung und Risikoforschung ein. Der Fokus der Analyse liegt auf der Laien-Wahrnehmung und Laien-Reaktion auf die globale Erwärmung. In der vorliegenden sozialwissenschaftlichen Dissertationsschrift werden dazu Alltagsbilder zum Klimawandel analysiert. Empirisch wird weiterhin untersucht, wie Klimawandel, Klimaschutz und Klimapolitik von der in Deutschland lebenden Bevölkerung wahrgenommen werden. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem an die Öffentlichkeit vermittelten Klimadiskurs. Dass hierzu Forschungsbedarf besteht und sich das Thema ‚öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels’ von den traditionellen Themen der Risikoforschung unterscheidet, unterstreichen Lorenzoni et al. (2005: 1395f.):
Aufbau der Arbeit und Kapitelübersicht
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„Initial research on public opinion and perceptions on climate change stressed the importance of lay misunderstandings of climate science. A key future research requirement would seem to be the extent to which the gathering global policy debate, and with this the possibility of rising public awareness, is influencing the qualitative structure of such beliefs among the general population, and in different countries of the world. While for many of the issues traditionally studied by risk perception researchers (e.g., nuclear power, chemicals) one would forecast little radical modification of public representation in the near term, climate change stands out as entirely different in this regard. Radical disjunctions from the understandings gained from the past are a very real possibility.”
Die zentrale Forschungsfragestellung lautet somit: Wie wird der Klimawandel angesichts zeitlicher und räumlicher Komplexität und diskursiver Einflüsse in der Laienöffentlichkeit rezipiert? Mit der umweltsoziologischen Dissertation wird das Ziel verfolgt, das ‚Umweltbewusstsein des Klimawandels’ in der Laien-Bevölkerung zu analysieren. Dabei wird der Einfluss des Klimadiskurses auf individuelles Klimabewusstsein und auf individuelle Handlungsbereitschaft für Klimaschutz berücksichtigt. Auf der Grundlage der gewählten theoretischen Ansätze und gemeinsam mit empirischen Analysen kann so ein tieferes Verständnis über die Zusammenhänge zwischen komplexen Umweltproblemen und der Laienwahrnehmung erlangt werden. Es wird außerdem das Ziel verfolgt, gruppenspezifische Wahrnehmungsund Einstellungsmuster zu identifizieren, die sich entweder aus soziodemographischen Merkmalen, aus Lebensstilmerkmalen oder aus anderen, Theorie geleiteten Gruppenspezifikationen ableiten lassen. Des Weiteren leistet die Arbeit einen Beitrag zur Aufklärung der individuellen Klimaschutzmotive und -hemmnisse. Zur Verbesserung der Umweltkommunikation können, gemäß der Zielsetzung sozial-ökologischer Forschung, daraus Strategieempfehlungen für staatliche und nicht-staatliche politische Akteure abgeleitet werden. Nicht zuletzt aufgrund der (nicht nur) in Deutschland steigenden Emissionsraten, vor allem in den Bereichen Privathaushalte und Verkehr (Ziesing 2006), erhält die Arbeit einen praxisrelevanten Bezug. Die Ergebnisse der Dissertationsschrift befördern Erkenntnisse darüber, unter welchen Voraussetzungen (freiwillige) Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden (können). Hierzu ist es notwendig, die Wahrnehmung der Klimaproblematik als eine Voraussetzung von Bewusstseinsbildung und Handlungsintention von Laien zu begreifen.
1.2 Aufbau der Arbeit und Kapitelübersicht Eine Annäherung an die Frage nach der Klimawahrnehmung in der Bevölkerung macht zunächst die Darstellung des anthropogenen Klimawandels als globales
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Einleitung
Umweltproblem notwendig. Im Rahmen einer problemorientierten Analyse wird in Kapitel 2 (Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem) die Spezifität der Klimaproblematik dargelegt. Anhand der zeitlich und räumlich komplexen Ursachen- und Wirkungsdimensionen wird der Klimawandel als Mehrebenenproblem beschrieben. Es wird dabei darauf hingewiesen, dass die räumliche Nivellierung bei der Problembeschreibung die öffentliche Wahrnehmung beeinträchtigt. Des Weiteren wird der Klimawandel als gesellschaftlich bearbeitetes Problem dargestellt. Ausgehend vom umfassenden Konzept nachhaltiger Entwicklung wird der Klimawandel ordnungspolitisch sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene bearbeitet. Dass die derzeit bestehenden ordnungspolitischen Instrumente aber noch keinen ausreichenden Klimaschutz gewährleisten, wird bei der Betrachtung weltweit steigender Emissionen deutlich. Aus einer problemorientierten Sichtweise kommt dem individuellen Klimabewusstsein, das eng an die Entstehung eines allgemeinen ‚globalen Umweltbewusstseins’ geknüpft ist, eine wesentliche Rolle zu. So wird auf den Zusammenhang zwischen nationalem und internationalem Klimadiskurs in Bezug auf die Debatte um die ‚Grenzen des Wachstums’, angestoßen in den 1970er Jahren durch Dennis Meadows, eingegangen. Dabei spielen in der internationalen Debatte um die Lösung des Klimaproblems normative Vorstellungen eine wichtige Rolle, die zumeist entweder mit Suffizienz- oder technischen Effizienzlösungen zusammenhängen. Weiterhin werden in Kapitel 3 (Die soziale Konstruktion des Klimawandels) die wichtigsten Diskursarenen (Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Medien und Öffentlichkeit) innerhalb der Klimadiskussion betrachtet. Zunächst veränderte sich der Diskurs parallel zum (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, aber auch durch bestehende Unsicherheiten über sich verändernde Zusammenhänge zwischen Klimasystem und Gesellschaft. Berücksichtigt werden Aspekte wie ordnungspolitische Verträge, aber auch politische Interessen und politischer (Un-)Wille zu handeln, Diskursmacht und die Begrenztheit zivilgesellschaftlicher Einflussnahme über Interessenvertretungen (NGOs). Darüber hinaus werden, von der ersten internationalen Umweltkonferenz über die Klimarahmenkonvention bis zu den jährlich stattfindenden Klimakonferenzen, die Eckpfeiler internationaler Klimapolitik und deren Bedeutung für die öffentliche Bewusstseinsbildung dargestellt. Der Rolle der Medien wird ein eigener Abschnitt gewidmet, da sie für die öffentliche Wahrnehmung eine zentrale Doppelfunktion erfüllen: Wie in der Arbeit gezeigt wird, sind sie nicht nur selbst Akteure im Klimadiskurs, sondern stellen die relevanten Informationen über ihre Nachrichtenvermittlungsfunktion überhaupt erst der Öffentlichkeit zur Verfügung; für die Bürgerinnen und Bürger sind sie sogar die primäre Informationsvermittlungsinstanz. Gleichwohl geschieht dies auf dem bestehenden gesellschaftlichen Resonanzboden. Vor diesem Hintergrund wird die soziale Konstruktion des Klimawandels in Bezug auf indi-
Aufbau der Arbeit und Kapitelübersicht
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viduelle Wahrnehmung, Klimabewusstseinsbildung und entsprechende Handlungsintention herausgearbeitet. In den folgenden Kapiteln wird die soziale Konstruktion des Klimawandels tiefergehend analysiert. In den Kapiteln 4 und 5 werden soziologische Gesellschaftstheorien zur Erklärung umweltspezifischer Einstellungen bezüglich der zentralen Fragestellung und als Grundlage für die Hypothesengenerierung ausgewertet. Der Theorieauswertung wird sich dabei von zwei Seiten genähert: Erstens wird in Kapitel 4 der Klimawandel als gesellschaftliches Problem beschrieben. Ansätze zur ökologischen Risikokommunikation geben dabei wichtige Anstöße. Die Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr wird unter konstruktivistischen Gesichtspunkten zwar als anregend, bezogen auf die Problembeschreibung des Klimawandels aber von der Autorin als unzureichend bewertet. Unter modernisierungstheoretischer Sicht eignet sich zur Beschreibung des Klimawandels der von Beck geprägte Risikobegriff besser, der von selbst produzierten Gefahrenlagen und deren Zunahme als Folge der industriellen Risikogesellschaft ausgeht. Der weltumspannende Charakter des Klimawandels ordnet sich zunächst einmal gut in diesen Ansatz ein. Doch muss dieses Verständnis modifiziert werden, um nicht lokale und regionale Unterschiede zu nivellieren. Letztlich eignet sich das Konzept der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse am besten für die Beschreibung des anthropogenen Klimawandels als komplexes Wechselspiel zwischen Natur und Gesellschaft und als Ergebnis einer tief greifenden industriegesellschaftlichen Krise. In Kapitel 5 werden zweitens aus einer handlungstheoretischen Perspektive die individuellen Bestimmungsfaktoren der Wahrnehmung und Bewertung des Klimawandels herausgearbeitet. Dafür werden umweltsoziologische und -psychologische Theorieansätze als grundlegend erachtet. Diese werden in Hinblick auf kognitive, affektive und konative Faktoren des Umweltbewusstseins ausgewertet. Weiterhin wird auf Diskrepanzen zwischen Einstellungen und Handeln verwiesen. Ebenso wie bei den Systemansätzen geht es darum, die für die o. g. zentrale Fragestellung relevanten Aspekte herauszuarbeiten. Da individuelle Einstellungen sozialisiert sind, sich also durch Interaktion mit anderen Menschen strukturieren, wird der Klimawandel als kollektives Problem analysiert. Verschiedene Ansätze zur Allmende-Klemme, die für die Frage der Übernutzung des Gemeinschaftsguts Erdatmosphäre anwendbar sind, werden hinsichtlich der Theorie rationalen Handelns ausgewertet. Schließlich wird unter Bezugnahme des Lebensstilansatzes nachgezeichnet, dass individuelle Überlegungen immer auch im alltagsweltlichen Kontext des eigenen (klimaschädlichen) Lebensstils stehen. In Kapitel 6 werden acht Arbeitshypothesen formuliert, die am empirischen Material überprüft werden. Zur methodischen Umsetzung wird im empirischen Teil ein dreifaches Vorgehen gewählt (das Untersuchungsdesign wird in Kapitel 7 dargestellt): In Kapitel 8.1 werden erstens anhand von empirischen Studien Untersuchungsergebnisse zur Laienwahrnehmung des Klimawandels ermittelt. Die Ergebnisse deutscher
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Einleitung
Umfragen zu den Untersuchungskategorien Wahrnehmung, Wissen, Risikobewusstsein, Besorgnis und Betroffenheitsgefühl, Verantwortung und Verhaltensintention von Individuen in Hinblick auf den Klimawandel werden am Ende des Kapitels zusammengefasst. So können Vorannahmen über verschiedene Klimawahrnehmungs- und Bewertungsmuster getroffen werden. Die sich abzeichnenden zentralen Merkmale werden dann anhand eigener empirischer Untersuchungen überprüft. Zweitens werden in Kapitel 8.2 die Repräsentativerhebungen Eurobarometer aus dem Jahre 2005 und Umweltbewusstseinsstudie aus dem Jahre 2004 mittels deskriptiver und multivariater Analysemethoden (Regressionsanalysen) untersucht. Dies wird drittens durch qualitative Fokusgruppeninterviews in Kapitel 8.3 ergänzt. Die Untersuchungsregion sowohl für die quantitativen als auch für die qualitativen Analysen ist Deutschland. Zusammenfassung und Überprüfung der Hypothesen erfolgen in Kapitel 9. Die Dissertationsschrift endet mit einem Fazit im Schlusskapitel und einem Ausblick für den weiteren Forschungsbedarf. In Abbildung 3 werden Methoden und Analyseziele noch einmal zusammengefasst dargestellt.
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Aufbau der Arbeit und Kapitelübersicht
Block
Methode
Ziel
Problemorientierte Literaturstudie
Entwicklung der Fragestellung
Diskursbeschreibung
Thesenentwicklung
Analyse zentraler (umwelt-) soziologischer u. (umwelt-) psychologischer Arbeiten
Hypothesengenerierung
I Problemstellung
II Risikowahrnehmung des Klimawandels
Auswertung empirischer Studien III Empirischer Teil
Repräsentativdatenanalyse
Verifizierung/ Falsifizierung der Hypothesen
Fokusgruppenanalyse IV Schlusskapitel
Abbildung 3:
Zusammenfassung der Ergebnisse
Synthese theoretischer und empirischer Ergebnisse und Ausblick
Aufbau der Arbeit, methodische Umsetzung und Ziele (eigene Graphik)
2 Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
Aus einer problemorientierten Sichtweise wird im Folgenden das Problem des anthropogenen, also menschlich verursachten Klimawandels aus einer sozialökologischen Perspektive hergeleitet. Der Klimawandel wird zunächst als ökologisches Problem mit Folgen für Natur und Gesellschaft beschrieben. Daraufhin gilt der Blick der gesellschaftlichen Reaktion auf die dargestellten Folgen. Dabei wird die Nachhaltigkeitsdebatte als gesellschaftliche Rahmung globaler Umweltprobleme dargestellt. Weiterhin werden die bestehenden, international vereinbarten Klimaschutzziele an den realen Emissionsentwicklungen gemessen. Da sich die empirische Arbeit auf Deutschland bezieht, wird die klimapolitische Situation in der BRD besonders in den Blick genommen.
2.1 Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen Das Klimasystem der Erde umfasst alle für die Genese, Erhaltung und Variabilität des Klimasystems wichtigen Geosysteme: Atmosphäre, Hydrosphäre, Lithosphäre, Biosphäre, Kryosphäre. Das lokale Klima ist dabei das Ergebnis der lokalen Auswirkungen des Klimasystems: „[Das lokale Klima bildet] die Gesamtheit der meteorologischen Erscheinungen, welche den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgendeiner Stelle der Erdoberfläche charakterisieren.“ (von Hann, zit. aus Stehr und v. Storch 1999a: 12)
Seit Beginn der Industrialisierung nahm die Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre zu. Die erhöhte Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
verstärkt dabei den natürlichen Treibhauseffekt9 und führt zu klimatischen Veränderungen. Dabei treten die Folgen des Treibhausgasausstoßes zeitlich verzögert ein; der heutige Ausstoß der Klimagase gelangt erst nach mehreren Jahrzehnten in die Atmosphäre. Laut Umweltbundesamt kam es seit der Industrialisierung zu einer 30prozentigen Erhöhung der CO2-Emissionen; ohne Gegensteuerung wird eine Verdoppelung der CO2-Konzentration bis Mitte dieses Jahrhunderts angenommen, was einen Anstieg der globalen Mitteltemperatur von +1,4 bis zu +5,8 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zur Folge hätte (Umweltbundesamt 2004). Dabei wird häufig die vom Wissenschaftlichen Beirat globale Umweltveränderungen (WBGU) gesetzte Marke von +2° Celsius als maximaler Richtwert genommen, bei dessen Überschreiten die weltweite Ernährungssicherheit aufgrund von Agrarverlusten und Verlust der Wasservorräte nicht mehr gesichert werden könne. Die Anzahl der durch den Klimawandel betroffenen Menschen würde sich bereits bei einer Temperaturerhöhung von +1,5 bis +2,5°C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau laut einer WBGU-Studie auf über die Hälfte der Weltbevölkerung belaufen (Graßl et al. 2003). Doch die Autoren des Berichts weisen selbst darauf hin, dass der Indikator der globalen Mitteltemperatur problematisch ist, da eine globale Durchschnittstemperatur nicht die Unterschiede der Klimawirkungen in verschiedenen Regionen und Sektoren widerspiegeln kann.10
9 Der Treibhauseffekt in der Atmosphäre meint den Wärmestau der von der Sonne beschienenen Erde, ähnlich dem in einem Gewächshaus (Treibhaus). Dabei sorgt der natürliche Treibhauseffekt dafür, dass es auf der Erde nicht zu Minustemperaturen kommt, sondern dass (ohne menschlichen Einfluss) eine globale Durchschnittstemperatur von ca. +15° Celsius statt ca. -18° Celsius herrscht (Stehr und v. Storch 1999a). Erst der vom Menschen verursachte so genannte anthropogene Treibhauseffekt, der vor allem durch menschlich verursachte übermäßige Verbrennung fossiler Brennstoffe und den Rückbau von CO2-Senken zustande kommt, führt dazu, dass die Aufnahmekapazitäten für Treibhausgase auf der Erde soweit überschritten werden, dass sich die natürliche global gemittelte Durchschnittstemperatur erhöht. 10 Dennoch gilt das +2°C-Ziel nach wie vor als ein wichtiger Indikator für die Berechnung der Emissionsobergrenzen. Das Ziel gilt außerdem als politischer Richtwert, wie der Bericht der International Climate Change Task Force (International Climate Change Taskforce 2005) oder die Umweltstrategie der Europäischen Union (Lorenzoni et al. 2005: 1389) zeigen. Die Task Force wurde vom Institute for Public Policy Research in England, dem Center for American Progress in the United States und dem Australia Institute eingesetzt. Bestehend aus Experten und Expertinnen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft dient es als Think Tank für die Umsetzung internationaler Klimaschutzziele nationaler Regierungen und Regierungskoalitionen (bspw. der G8).
Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen
35
Auch das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)11 geht, setzt man ein Weitermachen wie bisher (business-as-usual) voraus, von einem Temperaturanstieg von 4°C bis zum Ende des Jahrhunderts aus (IPCC 2007a). Die Schwankungsbreite, die hier angegeben wird, liegt zwischen +0,6 bis +6,4°C. Dabei kann mittlerweile ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Konzentrationserhöhung um natürliche Ursachen wie bspw. Vulkanausbrüche oder die veränderte Intensität der Sonneneinstrahlung handelt. Dies hatte im letzten Jahrhundert nur minimalen Einfluss auf Klima- und Temperaturveränderungen. Die Annahme, dass der momentan zu beobachtende Klimawandel menschlich verursacht (also ein anthropogener Klimawandel) ist und v. a. aus der Verbrennung fossiler, also nicht nachwachsender Rohstoffe wie Kohle, Gas und Öl resultiert und darüber hinaus durch die Abholzung von CO2-Speichern (Wälder) beschleunigt wird, konnte durch die vier Berichte des IPCC bestätigt werden (IPCC 2007a, 2007b, 1990, 1996, 2001). Die hierdurch verursachte erhöhte Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre verändert das globale Klima und führte bereits zu einer Erhöhung der globalen Mitteltemperatur von 0,74° Celsius zwischen 1906 und 2005 (vgl. IPCC 2007a). So wurden die elf bislang wärmsten Jahre seit 1850 zwischen 1995 und 2006 gemessen, wobei 2005 das zweitwärmste jemals gemessene Jahr war. Die klimatischen Veränderungen haben noch zahlreiche weitere und weitreichende Auswirkungen in unterschiedlichen Regionen der Erde (vgl. u. a. IPCC 2007a, 2007b; Graßl et al. 2003; IPCC 1996, 2001; Bundesumweltministerium 2002a; IPCC 2005; Kovats et al. 2005; Oppenheimer 2005):12 Der Klimawandel führt zu höheren Jahresmitteltemperaturen. Dies führt dazu, dass sich Meere erwärmen, Meerwasser ausdehnt und der Meeresspiegel ansteigt. Die Folgen betreffen besonders Küstenregionen.13 Die Veränderungen in den Meeren haben negativen Einfluss auf marine Organismen wie Korallen. Flüsse und Seen erwärmen sich; dies beeinträchtigt die Wasserqualität.
11 Das IPCC setzt sich aus Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus aller Welt zusammen. Die Organisation wurde 1988 von UNEP (United Nations Environment Programme) und WMO (World Meteorological Organization) gegründet. Seine Aufgabe ist es, aktuelle wissenschaftliche, technische und sozio-ökonomisch relevante Informationen zu den Risiken und Folgen des Klimawandels zusammenzutragen und Lösungsstrategien zu präsentieren, die in Sachstandsberichten (Assessment Reports) veröffentlicht werden (s. http://www.ipcc.ch, Zugriff: 14.05.2008). Am vierten Bericht aus dem Jahre 2007 waren ca. 800 Autoren und Autorinnen beteiligt, mehr als 2.500 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weltweit beteiligten sich am Review-Prozess. 12 Als „key impacts“ gelten im vierten Bericht: Wasser, Ökosysteme, Nahrung, Küsten und Gesundheit. 13 Besonders betroffen sind solche Inseln und Inselstaaten wie bspw. Tuvalu, die nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Die Folgen des Meeresspiegelanstiegs sind also nicht nur der Verlust von Landflächen, sondern ganzer Kulturen durch deren Delokalisierung.
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
In den Polarregionen schmelzen Eisschollen und Permafrostböden. Aufgrund höherer Temperaturen schmelzen Gletscher, bspw. in Alpenregionen. Dies hat zur Folge, dass Flusspegel steigen und sich Überschwemmungen häufen. Es wird eine allgemeine Zunahme der Häufigkeit von Extremwetterereignissen wie Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürmen und Hitzewellen beobachtet. Dies betrifft insbesondere Entwicklungsländer.14 Intensität und sehr wahrscheinlich auch Anzahl von extremen Wirbelstürmen steigen. Der Treibhauseffekt führt in manchen Erdregionen zu zunehmender Wüstenbildung, in anderen zu erhöhter Niederschlagshäufigkeit und Niederschlagsmenge, wodurch es zu vermehrten und stärkeren Überschwemmungen kommt. Die Anzahl von warmen und heißen Tagen steigt im Jahresmittel in vielen Erdregionen. Dadurch verschieben sich Jahreszeiten, bspw. beginnt der Frühling früher und damit auch Baumblüte, Brutzeiten etc. Der anthropogene Klimawandel verursacht Veränderungen im Bestand von Flora und Fauna, die zu Unterbrechungen von biologischen Nahrungsketten führen. Dies wiederum hat Wanderungsbewegungen, Veränderungen der Tier- und Pflanzenwelt bzw. einen Verlust an Biodiversität zur Folge. Durch den Rückgang von agrarischen Nutzflächen und von Wasservorräten wird die Ernährungssicherheit gefährdet. Dies beeinflusst auch die Gesundheitssysteme; Krankheiten in Folge von Extremwetterereignissen treten häufiger auf. Darüber hinaus beeinflusst eine veränderte biologische Umwelt das Gesundheitssystem. Bspw. begünstigen neue, temperaturveränderte Klimazonen Tier- oder Insektenarten, die dort als Krankheitsüberträger fungieren können. Indirekte Folgen sind u. a. durch Hitze verursachte Brände und Veränderungen für die Tourismusindustrie. Ferner werden traditionelle Kulturen, wie die Inuits, in ihren Lebensräumen bedroht. Neben diesen bereits stattfindenden Veränderungen werden von Klimaforschern und -forscherinnen singuläre, irreversible Veränderungen der natürlichen Umwelt bestätigt. Hierzu gehören neben dem Verlust der Biodiversität das Abschmelzen des Eises in Grönland, Arktis und Antarktis, das Abtauen von Permafrostböden sowie das Ausbleichen und der Verlust von Korallenriffen und eine mittel- bis langfristig prognostizierte Verlangsamung der Ozeanzirkulation 14
In einer Studie von Poumadère et al. (2005) werden die Folgen der extremen Hitzewelle im Jahre 2003 für Frankreich untersucht (ca. 15.000 Tote durch Dehydration, Herzinfarkte, Überhitzung). Es wird deutlich gemacht, dass auch Industrieländer verwundbar gegenüber den Folgen des Klimawandels sind. Die Verwundbarkeit durch die Auswirkungen der Hitzewelle hing in Frankreich stark mit sozio-demographischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Einkommen, Wohnbezirk) zusammen.
Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen
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bzw. des Golfstromes (Schwartz und Randall 2003).15/16 Sobald bestimmte Schwellenwerte erreicht werden, sind besonders schwere Klimaschäden zu erwarten (bspw. ein großflächiges Abbrechen von Gletschereis oder der Abbruch der thermohalinen Zirkulation; Graßl et al. 2003).17 Außerdem kommt es zu Rückkopplungseffekten: Durch das Abschmelzen des Eises in Grönland und der Antarktis verringert sich die Gesamteisfläche, die die Sonneneinstrahlung reflektiert, so dass größere Flächen die Wärme absorbieren und somit zusätzlich zur Erderwärmung beitragen. Ferner wird durch das Eiswasser, welches in die Meere fließt, der Anstieg des Meeresspiegels, der bereits durch die direkte Meereserwärmung entsteht, verstärkt. Die Folgen für Gesellschaften sind je nach geographischer Lage und Anpassungsmöglichkeiten höchst unterschiedlich. Aufgrund z. T. nichtquantifizierbarer Auswirkungen des Klimawandels und regional unterschiedlicher Folgenwirksamkeit mahnt der vierte IPCC-Bericht eine differenzierte Debatte in Hinblick auf die zu erwartenden Kosten an: „It is very likely that globally aggregated figures underestimate the damage costs because they cannot include many non-quantifiable impacts. Taken as a whole, the range of published evidence indicates that the net damage costs of climate change are likely to be significant and to increase over time. It is virtually certain that aggregate estimates of costs mask significant differences in impacts across sectors, regions, countries, and populations. In some locations and amongst some groups of people with high exposure, high sensitivity, and/or low adaptive capacity, net costs will be significantly larger than the global aggregate.” (IPCC 2007b: 21)
Innerhalb ihrer Nutzungssysteme von Umweltressourcen entwickeln Menschen komplexe Formen von Anpassungsstrategien, um Schäden aus der natürlichen Umgebung bewältigen zu können. Klar ist, dass Entwicklungsländer und kleine Inselstaaten aufgrund ihrer geringeren Anpassungskapazitäten besonders benachteiligt sind. Bei der Entwicklung von Anpassungsstrategien muss berücksichtigt 15 Oppenheimer weist anhand der Beispiele des Abschmelzens von Grönlandeis und antarktischem Eis und des Abbrechens der thermohalinen Zirkulation auf drei Gemeinsamkeiten der Folgewirkungen singulärer, irreversibler Ereignisse hin: erstens auf die Reichweite ihrer Folgen (ein lokaler Effekt, der globale Reichweite erlangt), zweitens auf das Ausmaß der Folgen (Verwüstung großer Regionen) und drittens auf die Dauer (wahrscheinlich bleibt das Eis über Jahrtausende verschwunden; Oppenheimer 2005). 16 In der so genannten Pentagon-Studie prognostizieren Schwartz und Randall außerdem, dass als Folgen des Klimawandels Kriege um Naturressourcen aufgrund verringerter Trinkwasservorräte und fehlender Ernährungssicherheit, häufigere Dürren und Flutwellen zu erwarten seien. Die USA seien davon zwar weniger betroffen als andere Länder, sie müssten aufgrund der zu erwartenden Kriege aber Sicherheitsvorkehrungen treffen. 17 Mastrandrea et al. weisen auf den Zusammenhang zwischen abrupten Folgen des Klimawandels und gesellschaftlicher Anpassungskapazität hin: „The capacity to adapt is enhanced by foresight of upcoming changes and reduced when changes are abrupt, large and/or relatively unforeseen. Thus, abrupt changes are likely to be more dangerous than changes that are more slowly evolving and better foreseen.” (Mastrandrea und Schneider 2001: 444).
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werden, dass die Folgen des Klimawandels nicht exakt vorhersehbar18 und mit lokalen Gegebenheiten (Umweltverschmutzung, Armut, Konflikten, Krankheiten etc.) rückgekoppelt sind. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) warnt außerdem in seinem Jahresgutachten 2007 vor klimainduzierten Konflikten („Sicherheitsrisiko Klimawandel“) und weist auf eine Reihe von Folgewirkungen hin, die mit dem Klimawandel verbunden sind, so vor allem auf die Zunahme von Umweltmigration, Risiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung, ein zunehmendes Nord-Süd-Gefälle und kriegerische Konflikte: „Sowohl die durch den Klimawandel verursachten schleichenden Veränderungen als auch die voraussichtlich häufiger auftretenden Naturkatastrophen können betroffene Regionen destabilisieren und im Extremfall einen erheblichen Risikofaktor für die nationale und internationale Sicherheit darstellen.“ (WBGU 2007)
2.2 Die Komplexität des Klimawandels Der Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang des Klimawandels wird insbesondere durch die genannten IPCC-Berichte eindeutig beschrieben. Dennoch gibt es nach wie vor Unsicherheiten beim Versuch die Folgen des anthropogenen Klimawandels exakt wissenschaftlich-empirisch nachzuweisen (Edwards 2002). Diese Unsicherheiten resultieren nicht zuletzt aus der Komplexität des Problemzusammenhangs. In diesem Kapitel werden die Prozesse dargestellt, die im Allgemeinen gemeint sind, wenn von einem komplexen Klimawandel die Rede ist. Diese hängen mit der zeitlichen und räumlichen Dimension des Problems zusammen. Hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung ist dabei die Unterscheidung zwischen Wetter- und Klimaänderungen entscheidend, da Wetter und Klima häufig verwechselt werden, indem vermeintlich ungewöhnliches lokales Wetter als Folge des Klimawandels gedeutet wird. Dabei unterscheiden sich Klimaszenarien von Wettervorhersagen dadurch, dass erst durch langfristige Messungen klimatische Schwankungen sichtbar werden. Nach Edwards (ebd.: 141) bezeichnet Wetter einzelne Ereignisse und Zustände über einen Zeitraum von Stunden, Tagen oder Wochen. Wegen der inhärent chaotischen Natur des Wetters sei es mit Methoden der numerischen Wettervorhersage nicht möglich, Prognosen für mehr als einige Wochen abzugeben. Klima beschreibt dagegen den durchschnittlichen Zustand der Atmosphäre über längere Zeiträume, wie Jahreszeiten, Jahrzehnte, Jahrhunderte, hinweg. Um Klima zu simulieren, müssen die Zirkulationsmodelle über lange Zeiträume getestet werden. Ein typischer Durchlauf liegt heute zwischen 20 und 100 Modelljahren. Einzelne Wetterereig18 Auf die im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Unsicherheiten entstandene Klimaskeptikerdiskussion, also die Frage, ob es überhaupt einen anthropogenen Klimawandel gibt, wird im Zusammenhang mit den Akteuren im Klimadiskurs eingegangen (s. Kapitel 3.2 „Wissenschaft“).
Die Komplexität des Klimawandels
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nisse können demnach nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückgeführt werden, da erst eine Häufung von Extremwetterereignissen als Indikator für eine ungewöhnliche Klimaänderung gilt. Hinzu kommt, dass der derzeitige Ausstoß von Klimagasen sich erst zeitlich verzögert auswirkt. Es ist deshalb nicht eindeutig, sondern nur mit Hilfe von Szenarien prognostizierbar, wie sich unser jetziger Lebensstil, der direkt mit der Nutzung CO2-intensiver Energieträger verbunden ist, auf die natürliche Umwelt der kommenden Generationen auswirkt. Prognosen über zeitliche und räumliche Folgen des Klimawandels variieren stark und hängen davon ab, wie und auf welcher Ressourcen- und Energiegrundlage Gesellschaften in Zukunft leben. Darüber hinaus weisen Klimaforscher und -forscherinnen auf quantitative und qualitative Beschleunigungseffekte hin: Da die Klimawirkungen gegenwärtig ausgestoßener Klimagase erst in einigen Jahrzehnten spürbar sind, werden, bei Annahme eines zunehmenden Ausstoßes klimaschädlicher Gase, Ausmaß und Stärke ihrer Folgewirkungen entsprechend zunehmen. Ferner beschleunigte sich laut viertem IPCC-Bericht (2007) der Temperaturanstieg in den letzten Jahrzehnten und beträgt derzeit 0,2°C pro Jahrzehnt, so dass hierdurch die Folgewirkungen früher eintreten. Klimaprognosen - also die Vorhersage langfristiger klimatischer Entwicklungen - sind somit per definitionem unsicher, weil sie zwangsläufig auf ungesicherten Annahmen über die Entwicklung von Gesellschaften und ihrer Energiesysteme basieren. Edwards macht deutlich, dass die Klimaforschung auf die komplexe Beziehung zwischen Modell und Daten im öffentlichen Diskurs hinweisen muss und darauf, dass diese Komplexität nicht auf Fehlern beruhe, sondern ein unvermeidliches Merkmal Modell basierter Wissenschaft ist (ebd.). Hinzu kommen Messprobleme, denn obwohl diese laut viertem IPCC-Bericht zu einem großen Teil verringert werden konnten (durch mehr Messstationen und -instrumente und somit exaktere Nachweise), fehlen in einigen Erdregionen die Ausstattung bspw. für Temperaturmessungen. Deshalb können regionale oder gar lokale Vorhersagen von Temperaturänderungen nicht zuverlässig erfolgen: „Difficulties remain in reliably simulating and attributing observed temperature changes at smaller scales.” (ebd.: 12).
Ebenso wie die zeitlichen variieren die räumlichen Komponenten der Klimaszenarien. Einerseits ist die Ursache des Klimawandels global, weil es für den Treibhauseffekt unerheblich ist, wo die Klimagase entstehen. Andererseits ist der Treibhausgasausstoß in Industriestaaten ungleich höher als in Transformationsund Entwicklungsländern. Die Anteile, die einzelne Länder und gesellschaftliche Gruppen zur Verursachung globaler Erwärmung beitragen, verteilen sich weltweit höchst unterschiedlich. Die Unterschiede werden am stärksten zwischen Entwicklungs-, Schwellen- und Industriestaaten deutlich: In erster Linie sind die Industrieländer durch ihre CO2-intensiven Ökonomien für die globale Erwärmung verantwortlich. Ihr Anteil am Treibhauseffekt ist ungleich höher als derje-
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
nige von Schwellen- und Entwicklungsländern, da sie bereits sehr viel länger und in einem viel höheren Maße CO2 ausstoßen, nämlich seit Beginn der Industrialisierung Mitte des 18. Jahrhunderts.19/20 Dies hat auch die Debatte um eine global gerechte Klimapolitik ausgelöst (Ott et al. 2004). Allerdings basieren die nationalen Ökonomien wachsender Schwellen- und Entwicklungsländer ebenfalls zu einem Großteil auf fossilen Energieträgern und beschleunigen so die klimaschädliche Entwicklung (International Energy Agency 2004). Besonders China und Indien gelten als Wachstumsmärkte mit steigendem Energiebedarf (Scheffran 2004). Gleichwohl gibt es auch innerhalb von Gesellschaften deutliche Unterscheide vergleicht man die Pro-Kopf-Emissionen. Die Folgewirkungen sind ebenfalls im globalen Maßstab ungleich verteilt: Zwar betrifft der Klimawandel alle Erdregionen, doch manifestieren sich die Folgen, wie bereits erwähnt, in verschiedenen Ländern, Regionen, Bevölkerungen und gesellschaftlichen Gruppen auf unterschiedliche Weise. Auf dieses Ungleichgewicht weist das IPCC bereits in seinem zweiten Bericht hin (IPCC 1996).21 So betreffen Folgeschäden wie Dürren, Wassermangel, Meeresspiegelanstieg, eine Zunahme von Waldbränden, Gletscherschwund oder Stürme vor allem arme Menschen in Entwicklungsländern, die eine geringere Anpassungskapazität haben. Außerdem sind diese Bevölkerungsgruppen eher von den direkten Folgen wie Ernteausfall und damit Hunger betroffen (IPCC 2007b).22 Was nun die individuelle Wahrnehmung komplexer Umweltprobleme wie den Klimawandel angeht, so betont Lantermann (2001: 115f.) den folgenden Zusammenhang:
19 Die Industrialisierung begann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England und breitete sich zunächst in Nordamerika und Europa aus. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts industrialisierten sich Asien und Lateinamerika. Viele Entwicklungsländer wie China oder Indien erfahren dabei gerade eine ‚industrielle Revolution’. 20 Der vierte IPCC-Bericht weist darauf hin, dass die schnelle Industrialisierung in Asien Umweltschäden hervorruft, die sich durch den Klimawandel noch weiter verschärfen: „Climate change is projected to impinge on sustainable development of most developing countries of Asia as it compounds the pressures on natural resources and the environment associated with rapid urbanisation, industrialisation, and economic development.” (IPCC 2007b: 10) 21 Im ersten Bericht (IPCC 1990) stehen noch die Folgen des anthropogenen Klimawandels für die Natur im Mittelpunkt, bspw. der Rückgang des Gletschereises und der Korallenriffe. 22 Wie stark die Klimafolgen sind hängt jedoch auch mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen zusammen, also damit, wer darüber entscheidet wie Ressourcen genutzt werden. Bspw. ist der Verlust an Biodiversität als eine Folge des Klimawandels eng verknüpft mit politischen Fragen nach Nutzungsansprüchen und Verfügungsrechten über biologische und genetische Ressourcen (Brand, U. und Görg 2003).
Klimawandel und nachhaltige Entwicklung
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„Ein Mensch und Umwelt gleichermaßen ins Kalkül ziehender, kompetenter Umgang mit mehr oder weniger komplexen Umwelten ist daher an ein hinreichendes Maß an Transparenz, Vorhersehbarkeit, sinnlicher Erfahrbarkeit und Kontrollierbarkeit von Umweltereignissen gebunden.“
Nun zeichnet sich der Klimawandel aber dadurch aus, dass er aufgrund der genannten Komplexität wenig transparent ist. Auf der individuellen Ebene ordnet sich individueller Klimaschutz in den Gesamtkomplex des Umweltschutzes ein und stellt gleichermaßen einen ‚glokalen’ Zusammenhang dar: Beispielsweise schützt der Verzicht auf CO2-intensive Autos die lokale Umwelt ebenso wie die globale, weil durch geringeren Treibstoffverbrauch weniger Abgase und Russpartikel die lokale Luft verschmutzen und weniger klimaschädliches CO2 in die Atmosphäre steigt. Aus der Sicht individueller Handlungslogik heraus betrachtet kann der ‚glokale’ Zusammenhang handlungsstimulierend sein, weil Notwendigkeit und Wirkungskraft individuellen Klimaschutzes durch die weitreichende Handlungseffektivität bestärkt werden. Betrachten Individuen die Zusammenhänge allerdings aus einer globalen Perspektive, kann der Befund der ‚Glokalität’ jedoch auch handlungshemmend wirken, weil zum einen die eigene Ohnmacht wahrgenommen wird und zum anderen eine Überforderung einsetzt, komplexe globale Systemlogiken zu verstehen. Wie nun der anthropogene Klimawandel gesellschaftspolitisch verarbeitet wird, wie auf ihn reagiert wird und wie er politisch bearbeitet wird, steht im Mittelpunkt der folgenden Kapitel. Als Rahmensetzung gilt dabei das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung.
2.3 Klimawandel und nachhaltige Entwicklung Häufig wird Klimaschutz mit dem allgemeinen Konzept nachhaltiger Entwicklung in Zusammenhang gebracht. So stellt bspw. das Deutsche Bundesumweltministerium sein nationales Klimaschutzprogramm in den Kontext der Agenda
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
2123 und des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung24 hat dabei den Anspruch, die Integration der Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales (3-Säulen-Modell) zu leisten.25 Nachhaltige Entwicklung dient als Leitbild, welches entsprechend normativ konnotiert ist und kontrovers diskutiert wird. Die am weitesten verbreitete Definition stammt aus dem nach der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin benannten Brundlandt-Bericht (Brundtland und Hauff 1987): „Eine nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne die Befriedigung der Bedürfnisse künftiger Generationen zu gefährden.“
Diese Definition wurde später in die Rio-Deklaration aufgenommen. Es wird deutlich, dass es bei nachhaltiger Entwicklung sowohl um intra- als auch um intergenerationale Gerechtigkeit geht, also sowohl um eine nachhaltig gerechte Entwicklung zur Verbesserung der Lebensumstände zwischen den heute leben23
Die Agenda 21, die Rio-Deklaration für Umwelt und Nachhaltigkeit und das Wald-Abkommen wurden auf dem UN-Weltumweltgipfel von Rio de Janeiro 1992 (UNCED) von 178 Regierungen unterzeichnet. Die Agenda 21 stellt dabei ein Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert dar, welches als Leitpapier für nachhaltige Entwicklung gilt. Im Papier finden so unterschiedliche Nachhaltigkeitsbereiche wie Armut, Konsum, Gesundheit, Trinkwasserversorgung, Siedlungs- und ländliche Entwicklung, Bildung, NGOs, Biodiversität, Frauen, Finanzen, Entwicklungsländer aber auch der Schutz der Erdatmosphäre Erwähnung (Bundesumweltministerium 1992). Die Agenda 21 ist ein Aktionsprogramm, welches weltweit Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung schaffen soll, sie ist aber kein völkerrechtliches Dokument. Vielmehr kann sie als moralische Selbstverpflichtung der Unterzeichnerländer gelten. Sie fokussiert vor allem auf die Bereiche politische Kultur und Bewusstseinsbildung und weniger auf konkrete Maßnahmen (Brand und Warsewa 2003). In Kapitel 28 des Dokuments werden die Kommunen der Unterzeichnerländer aufgefordert, in Zusammenarbeit mit Bürgerschaft, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der privaten Wirtschaft ein an Nachhaltigkeit orientiertes Handlungsprogramm zu erstellen (lokale Agenda 21). 24 Der Begriff „sustainable development“ wurde unterschiedlich übersetzt, u. a. als „dauerhafte Entwicklung“ (deutsche Fassung des Brundlandt-Reports), „dauerhaft umweltgerechte Entwicklung“ (Sachverständigenrat für Umweltfragen), „nachhaltige zukunftsfähige Entwicklung“ (EnquêteKommission Schutz des Menschen und der Umwelt) und in Bezug auf die BRD „zukunftsfähiges Deutschland“ (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie für die Studie von BUND und Misereor 1996). Ursprünglich wurde der Begriff in der Forstwirtschaft verwendet, die bereits seit dem 18. Jahrhundert von „Forstwirtschaftlicher Nachhaltigkeit“ spricht (Brand 1997). 25 Dabei weist die Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ 1998 auf wesentliche Problembereiche bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit hin: Der Wertekonflikt sei zu beachten, der durch die gleichwertige Integration von Ökologie, Ökonomie, Sozialem entsteht, die Zeitdimension müsse berücksichtigt werden, da langfristige Konzepte häufig kurzfristigen weichen müssen, und partizipative Prozesse müssen angestoßen werden, um das normative Leitbild in individuelles Handeln umzusetzen. Bei der Umsetzung nachhaltiger Entwicklung sei darüber hinaus die Zusammenarbeit von der lokalen zur globalen Ebene (‚glokal’) ebenso notwendig wie staatliche Steuerungsinstrumente (Gesetze, Steuern, Verträge) und die Einbeziehung der Akteure verschiedener Bereiche (Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft). Der „top-down“-Prozess wird hier als Anstoß verstanden (Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ 1998; Deutscher Bundestag 1998).
Klimawandel und nachhaltige Entwicklung
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den Generationen als auch für die zukünftigen Generationen. In der Literatur wird deshalb meist „von dauerhaft-umweltgerechter, zukunftsfähiger, ökologisch-dauerhafter, zukunftsverträglicher oder auch nachhaltig zukunftsverträglicher Entwicklung“ (Michelsen 2005: 26) gesprochen. Die Nachhaltigkeitsdebatte verlangt, dass die Grenzen des Umweltraumes durch eine veränderte Lebensweise im globalen Maßstab gewahrt werden. Der Umweltraum ergibt sich aus der ökologischen Tragfähigkeit von Ökosystemen, der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ressourcen und der Verfügbarkeit von Ressourcen. Das Naturverständnis in der Nachhaltigkeitsdebatte zeichnet sich dadurch aus, dass es erstens ein globales Ökosystem in den Mittelpunkt stellt, zweitens die Belastbarkeit der Natur (‚Grenzen des Wachstums’) problematisiert, drittens eine Regulierbarkeit des Gesellschafts-Natur-Verhältnisses annimmt und viertens ein dauerhaftes Gleichgewicht anstrebt (Rink et al. 2004). Die der Nachhaltigkeitsdebatte zugrunde liegenden Überzeugungen hängen eng mit den Erfordernissen nachhaltigen Klimaschutzes zusammen. Denn das energieintensive Wohlstandsmodell der Industrienationen, welches zu großen Teilen auf der Gewinnung fossiler Ressourcen basiert, ist nicht global verallgemeinerbar. Außerdem werden aufgrund der Endlichkeit bei der Verwendung fossiler Ressourcen die Möglichkeiten für die kommenden Generationen verringert, ihre Bedürfnisse auf die gleiche Weise zu befriedigen. Darauf wies bereits der Club of Rome in seinem 1972 veröffentlichten Bericht über die „Grenzen des Wachstums“ hin (Meadows 1972). Um also sowohl das Naturkapital durch Nicht-Übernutzung fossiler Ressourcen zu erhalten als auch den zukünftigen Generationen die gleichen Entwicklungschancen zu gewährleisten und mehr Gerechtigkeit innerhalb der heutigen Generationen herzustellen, ist entsprechend dem Verständnis nachhaltiger Entwicklung ein Umsteuern der gegenwärtigen Lebensweise notwendig. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie hat hierzu in seiner Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ vier Regeln aufgestellt, nach denen ein nachhaltiger Umgang mit Naturkapital gewährleistet werden kann (BUND und Misereor 1996): 1. 2. 3.
4.
Die Nutzung einer erneuerbaren Ressource darf nicht größer sein als ihre Regenerationsrate. Die Freisetzung von Stoffen darf nicht größer sein als die Aufnahmefähigkeit der Umwelt. Die Nutzung nicht-erneuerbarer Ressourcen muss minimiert werden. Ihre Nutzung soll nur in dem Maße geschehen, in dem ein physisch und funktionell gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen geschaffen wird. Das Zeitmaß der menschlichen Eingriffe muss in einem ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der natürlichen Prozesse stehen (Abbauprozesse von Abfällen, Regenerationsrate von Ökosystemen oder Rohstoffen).
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
Der Wuppertal-Studie, die die natürliche Umwelt ins Zentrum stellt, steht eine stärker anthropozentrische, also eine auf den Menschen fokussierende, Perspektive gegenüber (Brand 1997). Letztlich haben Individuen unterschiedliche normative Vorstellungen darüber, wie eine wünschenswerte Gesellschaft in ihrem Verhältnis zur Natur aussehen soll. Die individuelle Zielformulierung gesellschaftlicher Entwicklung kann bspw. entweder auf ein hohes Maß an Erhalt natürlicher Ressourcen abzielen, oder eher eine ressourcenverbrauchende bzw. -übernutzende, oder aber eine technikorientierte Entwicklung verfolgen.26 Wesentlich für die Lösung des Umweltproblems Klimawandel ist die Tatsache, dass dieser eng mit dem Verbrauch der fossilen Ressourcen und nicht-nachhaltiger Landnutzung, also mit der gesellschaftlichen Lebensweise zusammenhängt. Wissenschaftliche Experten und Expertinnen gehen mittlerweile mehrheitlich von einem für Mensch und Umwelt gefährlichen anthropogenen, bereits stattfindenden Klimawandel aus. Besonders die vier Sachstandsberichte des internationalen Klimawissenschaftsgremiums Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) stellen dabei die wichtigsten Forschungsergebnisse zusammen (IPCC 2007a, 2007b, 1990, 1996, 2001). Als Ursache des anthropogenen Klimawandels gilt vor allem die Verbrennung fossiler, also nicht nachwachsender Rohstoffe wie Öl, Kohle und Gas. Insbesondere das bei der Verbrennung entstehende Kohlendioxid (CO2) trägt maßgeblich zu einem Treibhauseffekt und dadurch zum Klimawandel bei. Weitere so genannte Klimagase sind: Methan, Lachgas, Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), perfluorierte Kohlenwasserstoffe und Schwefelhexafluorid. Das Ziel, die Grenzen des Naturraumes nicht zu überschreiten und natürliche Ressourcen so zu nutzen, dass sie im Einklang mit dem heutigen und zukünftigen Mensch-Natur-Verhältnis sind, steht noch aus. Dies wird im folgenden Kapitel anhand der politischen Ziele und Instrumente zum Klimaschutz und deren Wirksamkeit angesichts realer weltweiter Emissionssteigerungen deutlich.
2.4 Klimaschutz und Emissionsentwicklung Verbindliche Emissionsreduktionsziele wurden erst mit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls (1997) festgelegt und durch sein Inkrafttreten (2005) umgesetzt. Danach müssen diejenigen Industriestaaten, die das Protokoll unterzeichnet haben, bis zum bisherigen Vertragsende 2012 insgesamt mindestens 5,2% ihrer Treibhausgase gegenüber ihrem Treibhausgasniveau von 1990 reduzieren (vgl. 26 Bezüglich der Lösung von Umweltproblemen werden häufig die Begriffe „Suffizienz“ und „Effizienz“ verwendet: Eine suffiziente Lebensweise bezieht sich dabei auf den Verzicht auf energieintensive Lebensformen (Simonis 1998), während der Effizienzbegriff mit der Optimierung natürlicher und technischer Systeme durch höhere Wirksamkeitsgrade und mehr Wirtschaftlichkeit in Zusammenhang gebracht wird (von Weizsäcker et al. 1995). Letzteres wird auch als ökologische Modernisierung verstanden.
Klimaschutz und Emissionsentwicklung
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Kapitel 3.3 zur Entstehungsgeschichte und dem Stand der Ratifizierung). Doch zur Erreichung der Ziele sieht das Kyoto-Protokoll so genannte flexible Instrumente vor, die bei der CO2-Reduzierung behilflich sein sollen. Statt ihre Reduktionsziele bis 2012 durch Verringerung des CO2-Ausstoßes zu erreichen, können die Vertragsstaaten danach entweder Emissionsrechte aus anderen Verpflichtungsstaaten hinzukaufen,27 über den Clean Development Mechanism (CDM) Treibhausgas reduzierende Projekte in Entwicklungsländern finanzieren oder über den Mechanismus für gemeinsame Klimaschutzprojekte (Joint Implementation, JI) in anderen Verpflichtungsstaaten CO2-reduzierende Maßnahmen umsetzen.28 Kritik an den flexiblen Mechanismen bezieht sich vornehmlich darauf, dass durch sie Möglichkeiten zur Umgehung der Treibhausgasreduktion bereitgestellt werden. So kann es durch die Instrumente zu einer Verlagerung von Betrieben und Anlagen in Länder ohne oder mit nur unwirksamen Emissionskontrollen kommen (Brunnengräber et al. 2004, 2005). Das Protokoll ist neben der Kritik an den flexiblen Mechanismen wegen der (zum Zeitpunkt der Niederschrift) noch nicht beschlossenen Post-Kyoto-Phase und der unzureichenden Zielvorgaben umstritten. Das Protokoll sieht Maßnahmen zum Klimaschutz bis dato bis zum Jahr 2012 vor. Ferner ist einer der Hauptkritikpunkte am Kyoto-Protokoll die von Klimaexperten und -expertinnen als unzureichend bezeichnete Zielmarge der Treibhausgasreduktion (zunächst nur CO2) von 5,2%. Darüber hinaus werden diese Reduktionsziele durch die realen Emissionsentwicklungen um ein Vielfaches eingeholt. Prognosen weisen auf einen exponentiellen Anstieg in den nächsten Jahren hin (International Energy Agency 2004; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 2004). In einer umfassenden Studie des UNFCCC, in der alle offiziellen Treibhausgasdaten von Entwicklungs- und Industrieländern, die die 27
Bisher wurde ein funktionierendes Emissionshandelssystem lediglich in Europa aufgebaut. Das zweite flexible Instrument des Kyoto-Protokolls ist der Clean Development Mechanism (CDM bzw. Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung). Gemäß des Abschlussdokuments der neunten UNFCCC-Vertragsstaatenkonferenz (COP 9) in Marrakesch können Staaten ihre Reduktionsverpflichtungen auch in Nicht-UNFCCC-Verpflichtungsstaaten einlösen, indem sie Projekte finanzieren, die Treibhausgase reduzieren. Diese können sie sich zuhause als Gutschriften statt lokaler Emissionsreduktion anrechnen lassen. Bei CDM handelt es sich um von Industrie- und Schwellenländern finanzierte Projekte in Entwicklungsländern. Dies können emissionssparende Maßnahmen wie der Bau von Kraftwerken und Windkraftanlagen oder Wiederaufforstungsprojekte sein. Die eingesparten Emissionen werden auf das Konto des investierenden Landes gutgeschrieben und verringern hierdurch seine Verpflichtungen zuhause. Das dritte flexible Instrument des KyotoProtokolls ist der so genannte Mechanismus für gemeinsame Klimaschutzprojekte (Joint Implementation, JI). Dieses Instrument ermöglich die projektbezogene Zusammenarbeit zwischen zwei Industrieländern (im Kyoto-Protokoll als Annex-I-Staaten bezeichnet), d.h. dass - ebenso wie bei CDM emissionsmindernde Projekte eines Industrielandes in einem anderen auf das jeweilige heimische Emissionskonto angerechnet werden. Die Umwandlung von Emissionshandelskrediten aus JI und CDM in Emissionshandelszertifikate ist allerdings nicht uneingeschränkt möglich: So dürfen keine Kernenergieprojekte und vorerst keine Senkenprojekte angerechnet werden. Große Wasserkraftwerke dürfen nur nach den Kriterien der World Commission on Dams (WCD) angerechnet werden. 28
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
Klimarahmenkonvention unterzeichnet haben, veröffentlicht sind, werden die Daten von 40 Industrie- und 121 Entwicklungsländern in einer Trendanalyse von 1990 bis 2003 dargestellt (s. Abbildung 4). Eine Trendumkehr des zunehmenden Emissionsausstoßes ist demnach vorerst nicht zu erwarten. Die Tabellen und Graphiken zum Länder- und Sektorenvergleich der Treibhausgasentwicklung von 1990-2003 zeigen, dass ein Großteil der Industrieländer seit 1990 einen Zuwachs der Treibhausgase zu verzeichnen hat. In Spanien wurden bspw. seit dem Referenzjahr 1990 45,3% mehr Emissionen ausgestoßen, in Portugal wurde ein Plus von 47,4% verzeichnet, in Finnland ein Plus von 30% und in Österreich von 24,4%. Bei der Interpretation der Graphik muss berücksichtigt werden, dass viele Transformationsländer aufgrund des Systemwechsels und damit Zusammenbruchs ihrer Industrien Anfang der 1990er Jahre einen erheblichen Rückgang der Treibhausgase zu verzeichnen hatten, weshalb sie auch vom Verkauf überschüssiger Zertifikate profitieren. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer, so dass die Bundesrepublik in dieser Berechnung eine gute CO2-Bilanz zu verzeichnen hat: Die Treibhausgasreduktion von bisher circa -18% von verpflichtenden -21% seit 1990 hängt primär mit den so genannten ‚wall fall profits’, also dem Zusammenbruch der Industrie in den neuen Bundesländern zusammen (Benedick 2005). Betrachtet man alle Treibhausgase, so sind die Emissionen der KyotoVertragsstaaten zwar gegenüber 1990 um 14% gefallen, dies ist aber ausschließlich auf die drastischen Emissionsrückgänge durch den industriellen Zusammenbruch der Transformationsländer Mittel- und Osteuropas zurückzuführen. Zwischen 1998 und 2005 ist es auch dort wieder zu einem Anstieg um 10% gekommen (Ziesing 2006). Aufgrund der Ausnahmesituation, dem Zusammenbruch der Industrien in Osteuropa Anfang der 1990er Jahre, blieb die Gesamttreibhausgasentwicklung in den letzten Jahren laut der UNFCCC-Studie (ebd.) zwar relativ stabil, die Zukunftsprognosen weisen aber auf eine Erhöhung der CO2-Emissionen hin. So ist es schon in der Summe der im Anhang B des Kyoto-Protokolls genannten westlichen Industrieländer von 1998 bis 2005 zu einem Emissionsanstieg um ca. 10% gekommen (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 2006). Hinzu kommen die Emissionen vor allem stark prosperierender Entwicklungsländer wie China und Indien (Non-Annex-A-Staaten), die hier, aufgrund der nicht bis ins Jahr 1990 zurückreichenden CO2-Messungen, nicht berücksichtigt wurden. Weltweit sind die CO2-Emissionen allein im Jahr 2003 um 4% gestiegen. Damit waren sie um fast ein Fünftel höher als 1990. Zwischen 2004 und 2005 ist es ebenfalls zu einem CO2-Anstieg von 2,5% weltweit gekommen. Im Vergleich zum Referenzjahr 1990 ist das Treibhausgasniveau weltweit sogar um 27% gestiegen. Man kann daher weder von einer Stabilisierung noch von einer Annäherung an die Kyoto-Ziele sprechen, denn die Erfüllung der Emissionsreduktionsziele des Kyoto-Protokolls stehen weiterhin aus. Hinzu kommt, dass die schnell
Klimaschutz und Emissionsentwicklung
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steigenden Emissionsraten der Entwicklungs- und Schwellenländer die Treibhausgaskonzentrationen zusätzlich beschleunigen (International Energy Agency 2004). Weitere Kritikpunkte an den Unzulänglichkeiten des internationalen Klimaschutzes betreffen die Länderverpflichtungen. Dass die USA und Australien bis dato das Protokoll nicht unterzeichnet haben, ist ein zentraler Punkt bei den internationalen Verhandlungen (Torvanger et al. 2004). Dabei sind die USA der mit Abstand weltweit größte Treibhausgas-Emittent, sowohl absolut als auch bezogen auf den Pro-Kopf-CO2-Ausstoß. Mit einem Anteil von 4,6% an der Weltbevölkerung verursachen sie fast 25% des weltweiten CO2-Ausstoßes, das ist mehr als doppelt so viel wie China mit einem Bevölkerungsanteil von ca. 20%.29
29 Vgl. dazu Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, http://www.diw.de/ deutsch/wb_39/03_treibhausgas_emissionen_nehmen_weltweit_zu_keine_umkehr_in_sicht/31116.ht ml, Zugriff: 15. 05.2008) und des World Resources Institute (http://www.wri.org, Zugriff: 15.05.2008).
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
Ände runge n de r Tre ibhausgase missione n de r Anne x-ILände r de s Kyoto-Protokolls z wische n 1990 - 2003 (Ve rände runge n in %) Litauen -66,2 -58,5 Lettland -50,8 Estland -50 Bulgarien -46,2 Ukraine -46,1 Rumänien -44,4 Weißrus. -38,5 Russland -34,4 Polen -31,9 Ungarn -28,3 Slowak.Rep -24,2 T schechien -18,2 BRD -16,1 Luxemburg -13 GB -8,2 Island -6 Kroatien -2,3 Schweden -1,9 Frankreich -1,9 Slowenien -1,4 EU -0,4 Schweiz 1,3 Belgien 1,5 Niederlande 5,3 Liechtenst. 6,8 Dänemark 9,3 Norwegen 11,5 Italien 12,8 Japan 13,3 USA 16,5 Österreich 21,5 Finnland 22,5 Neuseeland 23,3 Australien 24,2 Kanada 26,6 Irland 25,8 Griechenl. 36,7 Portugal 37,8 Monaco 41,7 Spanien -80
Abbildung 4:
-60
-40
-20
0
20
40
60
Treibhausgasentwicklungen 1990 - 2003 der nach Kyoto-Protokoll zur Treibhausgasreduktion verpflichteten Länder, so genannte Annex-I-Länder (Quelle: UNFCCC 2005)
Klimaschutz und Emissionsentwicklung
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Ein weiterer Kritikpunkt am Protokoll ist, dass viele Länder, die schnell steigende Wachstumsraten vorweisen (vor allem China und Indien), nicht den Reduktionsverpflichtungen unterliegen, was nicht zuletzt die Debatten um globale Gerechtigkeit forciert (Ott, Winkler et al. 2004).30 Schließlich stehen technische Möglichkeiten der CO2-Speicherung, die bisher noch nicht vertraglich umgesetzt wurden, im Mittelpunkt kontroverser Debatten: Dazu gehören CO2-Sequestrierung31 und -Speicherung, die in ihren Folgewirkungen und Risiken noch nicht hinlänglich bekannt sind. Wissenschaftliche Unsicherheiten hängen bspw. bei der ozeanischen Sequestrierung mit eventuellen negativen Folgen für im Wasser lebende Organismen zusammen (IPCC 2005). Außerdem umstritten sind künstlich angelegte CO2-Speicher wie Monokulturen, da sie das natürliche Ökosystem beeinträchtigen, oder genetisch modifizierte Organismen. Auch Aufforstungsprojekte für exogene, also standortfremde Baumarten werden als Klimaschutzmaßnahme kritisch betrachtet (Brouns et al. 2003). 30 Bei der Konkretisierung der Umsetzung der Klimaschutzziele kam es u. a. auf der achten Klimakonferenz in Neu Delhi 2002 zu Diskussionen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern bzw. den Ölförderstaaten (OPEC). Die Entwicklungsländer forderten eine stärkere Einbeziehung von Gerechtigkeitsaspekten, neben Emissionreduktionen (mitigation) wurde auch die Unterstützung bei Anpassungsmaßnahmen (adaptation) an den bereits stattfindenden Klimawandel gefordert. Auch wurden Strategien für den Technologie-Transfer aus den Industriestaaten diskutiert. Auf der COP 10 in Buenos Aires 2004 wurde der „Buenos Aires Plan of Action“ mit einem Arbeitsprogramm für Anpassungsmaßnahmen an die Klimaänderung verabschiedet (http://unfccc.int/resource/ docs/cop4/16a01.pdf, Zugriff: 15.05.2008). Dies sollte den Aspekten der global ungleichen Verteilung von Risiken und Folgen des Klimawandels ebenso Rechnung tragen wie den unterschiedlichen Möglichkeiten des Klimaschutzes der Länder. Die Klimarahmenkonvention verlangt bereits, die speziellen Bedürfnisse und Verwundbarkeiten von Entwicklungsländern (EL) zu berücksichtigen. Es sollen ihnen dabei neue Entwicklungschancen eröffnet werden. In der Folge entstanden spezielle Fonds zur Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in EL; bezüglich des KyotoProtokolls wurde der „Kyoto Protocol Adaptation Fund“ eingerichtet. Die UNFCCC betont die Berücksichtigung der Entwicklungsländer und so genannter Least Developed Countries (LDC) in besonderem Maße. Die Gruppe der kleinen Inselstaaten bildet dabei eine besondere Allianz (Alliance of Small Island States, AOSIS). Die Inselstaaten sind z. T. existentiell von den Folgen der globalen Erwärmung betroffen, weil sie nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Die Bewohner der Insel Tuvalu haben deshalb bereits als so genannte climate refugees bei den neuseeländischen und australischen Regierungen um Asyl gebeten. Prinzipiell gilt nach den Vorgaben der Klimarahmenkonvention, dass die Industriestaaten den Entwicklungsländern finanzielle Möglichkeiten für Mitigation- und Adaptation-Maßnahmen bereitstellen sollen. Der größte Finanzfonds ist dabei die 1991 entwickelte Global Environmental Facility, GEF, die Umweltprojekte zu den Problemfeldern Biodiversität, Klimawandel, Wasser- und Landnutzung, Schutz der Ozonschicht und Verschmutzung unterstützt. Die GEF ist eine unabhängige Organisation, die vor allem von der Unterstützung der Staatengemeinschaft (UNEP, UNDP und Weltbank) abhängig ist. So sollen die Industrieländer die Entwicklung und den Transfer umwelt- und klimaschützender Technologien in Schwellen- und Entwicklungsländer vorantreiben. 31 Carbon Capture und Sequestration meint die Abscheidung und langfristige Einbindung und Speicherung von CO2 entweder in Biomasse, z.B. Pflanzen, Bodenorganismen oder Plankton, in so genannten Senken oder aber technisch durch bspw. Pressen unter hohem Druck unter die Erde oder in den Ozean, ebenfalls mit dem Ziel einer langfristigen Lagerung.
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Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
Aufgrund der dargestellten Problembereiche der internationalen Klimapolitik wird angesichts steigender Emissionen deutlich, dass die politisch verhandelten Lösungen noch eine Reihe von Unzulänglichkeiten hinsichtlich eines nachhaltigen Klimaschutzes aufweisen. Wie sich die Situation in Deutschland darstellt und was dies für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet, wird im nächsten Kapitel deutlich.
2.5 Klimapolitik in Deutschland Die gesellschaftliche Bearbeitung des Klimawandels innerhalb einzelner Verpflichtungsstaaten erfolgt gemäß nationaler Voraussetzungen und Handlungsbereitschaften. Den Verpflichtungen durch das Kyoto-Protokoll und dem EULastenausgleich kommen die Länder nach, indem sie Reduktionsstrategien entwickeln, die an die einzelnen Sektoren (Industrie, Energiewirtschaft, Handel, Gewerbe, Dienstleistungen, Verkehr, Agrarwirtschaft, Privathaushalte) entweder als Reduktionsverpflichtung oder über Anreizprogramme weitergegeben werden, bspw. über Bildungsprogramme.32 Für die Bundesrepublik Deutschland gilt, dass diejenigen Sektoren, die nicht durch die flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls erfasst werden, auf anderem Wege in die Verpflichtung zur Erreichung des nationalen Emissionsziels (für die BRD gelten 21% Treibhausgasreduktion bis 2012) genommen werden (müssen). Dies betrifft die Unternehmen in Verkehr, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie die privaten Haushalte. Zwar gibt es staatlicherseits Maßnahmenprogramme, die Klimaschutz in diesen Bereichen fördern sollen, doch unterliegen viele Klimaschutzmaßnahmen wie Energieeffizienzprogramme, die Nutzung Erneuerbarer Energien oder klimafreundliche Mobilität keinen ordnungspolitischen Vorgaben sondern der Freiwilligkeit. Das Bundesumweltministerium weist in seinem nationalen Klimaschutzprogramm 2005 darauf hin, dass sich in diesen Bereichen die Minderungsraten seit Mitte der 1990er Jahre deutlich abgeschwächt haben und sie im Verkehrssektor sogar angestiegen sind (Bundesumweltministerium 2005).
32
So fallen unter das von der Bundesregierung gesteuerte Klimaschutzprogramm Maßnahmen im Bereich der Altbau- bzw. Gebäudesanierung, Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, aber auch Maßnahmen zur direkten Förderung Erneuerbarer Energietechniken (prominentes Beispiel ist das 100.000-Dächer-Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Förderung von Photovoltaik). Weitere staatliche Initiativen sind bspw. das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) oder die ökologische Steuerreform (Bundesumweltministerium 2002b; Deutscher Bundestag 2003). Als indirekter Klimaschutz gelten darüber hinaus Maßnahmen, die zur Förderung energieeffizienter, CO2reduzierender Infrastrukturmaßnahmen dienen, z. B. die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV).
Tabelle 1: 86,3 75,4 72,4 67,4 68,5 79,2 66,8 66,8 62,6 59,2 61,8 59,1 60,3
929,5 920 905,6 902,2 924,9 893,5 885,2 857,4 860 873,8 863,8 865,3
90,6
1015 976,9
Gewerbe
Gesamt*
122,4
120,1
131,2
116,8
119,9
132
138,4
142,5
129,2
128,4
134
123,5
131,5
129,3
Haushalte
166,5
172,5
174,6
178,3
181,9
176,4
173,1
172,6
172,5
168,9
172,5
167,8
161,5
158,1
Verkehr
130,9
134
137,3
141,8
141,3
143,1
149
148,3
152,9
153,5
150,7
160
169,8
195,5
Industrie
385,1
378,1
368,9
364
351,6
366,8
364,2
382,4
379,2
387,5
390,5
402,9
402,9
441,6
Energieerzeugung
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
Klimapolitik in Deutschland
51
(* Differenzen in der Summe liegen in den jeweiligen Rundungen begründet.)
Sektorale Entwicklung der CO2-Emissionen in Deutschland, Angaben in Mio. t CO2 (Quelle: Nationaler Inventarbericht 2005, DIW Wochenbericht Nr. 9/2005)
52
Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
Tabelle 1 zeigt, dass die Sektoren Energieerzeugung und Industrie seit 1990 bis 2003 einen leichten Trend zur Emissionsminderung aufweisen; auch im Bereich Gewerbe ist dies der Fall. Hingegen kann das für die Bereiche Verkehr und Privathaushalte nicht bestätigt werden. Das Bundesumweltministerium betrachtet die Klimaschutzmaßnahmen für die Bereiche Industrie und Energiewirtschaft durch den Emissionshandel als ausreichend, obgleich Studien aufgrund der Emissionsentwicklungen bereits davon ausgehen, dass Industrie und Energiewirtschaft ihre Emissionsziele über den Emissionshandel nicht erreichen und sie deshalb entweder durch den Clean Development Mechanism (CDM) und Joint Implementation (JI) oder durch die anderen Sektoren ausgeglichen werden müssen (Ziesing 2005; Schüle und Hartmann 2005; Böde et al. 2000). THG-Sektor (Zahlen in Mio. Tonnen)
Ist 1990
Ist 2003
Ziele 2008-2012
Rechnerische Differenz 2003-2008/2012
CO2 Äquivalente
1248
1017
986
-31
Sonstige THG
233
152
142
-10
CO2
1015
865
844
-21
Haushalte und Verkehr Gewerbe/Handel/ Dienstleistungen Energie, Industrie (im Emissionshandelssystem)
287
289
291
2
91
60
58
-2
637
516
495
-21
Tabelle 2:
Entwicklung der Treibhausgasemissionen in der BRD seit 1990 und Handlungsbedarf gemäß der Ziele des Kyoto-Protokolls (Quelle: Bundesumweltministerium 2005)33
Für die Sektoren Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und sonstige Bereiche, die Treibhausgase ausstoßen, sind außer Anreizprogrammen keine weiteren Maßnahmen vorgesehen, so dass die Zielmargen für Haushalte und Verkehr bis 2012 nach oben korrigiert wurden (vgl. Tabelle 2), obgleich es gerade in diesen Bereichen laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung noch erhebliches Einsparpotential gäbe (Ziesing 2005). So muss bei den Sektoren Verkehr und Privathaushalte davon ausgegangen werden, dass ohne weitere Maßnahmen die CO2-Emissionen ansteigen werden. Allein die Anzahl der von Deutschland aus reisenden Fluggäste ist zwischen 33
Nationales Klimaschutzprogramm 2005. Online-Publikation (http://www.bmu.de/files/klimaschutz/downloads/application/pdf/klimaschutzprogramm_2005_lang.pdf; Zugriff: 15.05.2008).
Globaler Umweltdiskurs und Klimawandel
53
1990 und 2006 um das 2,5fache gestiegen: So flogen 65,7 Mio. Passagiere vor allem innerhalb Europas und nach Asien im Vergleich zu 24,2 Mio. Passagieren, die im Jahr 1990 geflogen sind. Das Statistische Bundesamt führt dies vor allem auf die Zunahme von preisgünstigen Flügen zurück.34 Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat nun einen Maßnahmenkatalog vorgeschlagen, mit dem die Zielvorgaben bis zum Ende der Kyoto-Vertragslaufzeit 2012 erreicht werden sollen. Dieser Katalog umfasst für die Privathaushalte eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen (Kampagnen, Bildungs- und Forschungsprogramme), Fördermaßnahmen (Anreize für die Nutzung Erneuerbarer Energien) und ordnungsrechtliche Maßnahmen (u. a. Einführung eines Energiepasses). Für den Verkehrsbereich werden steuerliche Anreizprogramme (für Niedrigverbrauchsfahrzeuge), technische Verbesserungen (z. B. alternative Kraftstoffe und innovative Antriebe) und ebenfalls öffentlichkeitswirksame Kampagnen vorgeschlagen (s. Fußnote 33). Allerdings lassen sich auch widersprüchliche staatliche Maßnahmen bezüglich CO2sparender Strategien feststellen, die nicht zuletzt Einfluss auf das öffentliche Bewusstsein nehmen. So konterkarieren bspw. der Neubau von Kohlekraftwerken oder die Nicht-Besteuerung des Flugbenzins35 klimaschutzpolitische Anstrengungen im Bereich der Erneuerbaren Energien.
2.6 Globaler Umweltdiskurs und Klimawandel Aus umweltpolitischer Sicht ist freiwilliges individuelles Klimaschutzhandeln notwendige Voraussetzung, um die Folgen der globalen Erwärmung zu mindern und Anpassungsstrategien zu entwickeln. Voraussetzung für das freiwillige Klimaschutzhandeln ist aber wiederum die soziale Verarbeitung des Klimawandels, also seine gesellschaftliche Wahrnehmung und die problembezogene Bewusstseinsbildung. Wie erläutert, muss dabei berücksichtigt werden, dass es sich um ein vergleichsweise neues und komplexes globales Umweltproblem handelt, das ein hohes Maß an diskursiver Dynamik besitzt und deshalb für die Laienöffentlichkeit eine Herausforderung darstellt. Da dieser Prozess noch nicht hinlänglich beforscht ist, leistet die Untersuchung der Laienwahrnehmung des Klimawandels einen wesentlichen umweltsoziologischen Beitrag. Gleichwohl ist die Beschäftigung mit globalen Umweltproblemen auch in der Soziologie nicht neu. Im folgenden Kapitel wird der Frage nachgegangen, wie und wann ein regionen- und länderübergreifender, also globaler Umweltdis34
Siehe Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2007/06/PD07__259 __464,templateId= renderPrint.psml (Zugriff: 07.07.2007). 35 Siehe hierzu zwei Artikel des BUND: http://www.bund.net/index.php?id=1987 (zur Förderung von Kohlekraftwerken in der BRD) und: http://www.oeko-steuer.de/downloads/bund-kerosinsteuerinland.pdf (zur Besteuerung des Flugverkehrs; Zugriff: 15.05.2008).
54
Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
kurs entstanden ist. Da dies nur in Wechselwirkung mit der ökologischen Debatte und damit zusammenhängenden institutionellen Prozessen zu erklären ist, gilt das Augenmerk denjenigen Entwicklungen, die maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung umwelt- und klimapolitischer Regulierungen und damit auch kollektiver Umweltbildung hatten. Die Idee einer internationalen Kooperation zum Schutz von Natur und die Einsicht in die Notwendigkeit, internationale Institutionen hierfür zu schaffen, kann zumindest institutionell bereits auf das Jahr 1928 zurückdatiert werden: 1928 wurde in Brüssel das Office International pour la Protection de la Nature (OIPN) gegründet, welches später in International Union for the Protection of Nature (IUPN) und 1948 schließlich in The World Conservation Union (IUCN) umbenannt wurde. Die Gründung der IUCN macht deutlich, dass internationaler Umweltschutz damals in erster Linie Naturschutz bedeutete (Hünemörder 2004: 39). Die Entstehung eines globalen Umweltbewusstseins kann wiederum nicht losgelöst von den Diskussionen über globale Umweltprobleme und der Formierung globaler Umweltregime betrachtet werden. So wurde die Aufmerksamkeit für globale Umweltprobleme nicht erst seit den Debatten über den Treibhauseffekt und das Ozonloch Mitte der 1980er Jahre geschärft, sondern bereits Anfang der 1970er durch die Diskussion über die Grenzen des Wachstums und die im gleichen Jahr erfolgte erste UN-Umweltkonferenz in Stockholm. Dabei unterlag die Wahrnehmung globaler ökologischer Probleme starken Schwankungen entsprechend der historischen, kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kontexte und wechselnder Prioritäten der jeweiligen nationalen politischen Agenda (ebd.: 340). Die zentrale Botschaft der Studie des Club of Rome, die 1972 veröffentlicht wurde, lautet, dass das ressourcenintensive Wirtschaftswachstum der Industrieländer gemeinsam mit der Bevölkerungszunahme in den Entwicklungsländern die weltweite Entwicklung an die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde stoßen lasse.36 Diese globale Umweltkrise sei nur mittels eines international vernetzten, globalen Umweltregimes zu lösen. Mit der Debatte um die Zukunftsvision des Club of Rome ging schließlich eine hohe Verunsicherung seitens der Bevölkerung einher. Gleichsam wurde der Glaube an einen nachhaltigen Wandel mittels moderner Technik in der Studie verworfen: „Der Glaube an die Technologie kann unsere Aufmerksamkeit vom Hauptproblem, dem exponentiellen Wachstum innerhalb eines begrenzten Systems, ablenken und wirklich wirksame Maßnahmen zu seiner Lösung verhindern.“ (Meadows 1972: 139)
36 Die Folge seien eng gekoppelte Probleme wie das Entstehen von Megastädten durch Landflucht, Nahrungsverknappung, Umweltzerstörung.
Globaler Umweltdiskurs und Klimawandel
55
Die Lösung liege in der Einschränkung des Wachstums, die durch technische Mittel nicht erreicht werden könne, vielmehr müsse ein Gleichgewicht zwischen Bevölkerungsentwicklung und kapitalistischem Wachstumsmodell hergestellt werden.37 Trotz der Debatten um eine mögliche Überzogenheit der Modelle, gilt der Bericht als wichtiges, die weltweite Öffentlichkeit beeinflussendes Dokument, was nicht zuletzt durch eine große Medienaufmerksamkeit verstärkt wurde (Hünemörder 2004: 223). Wichtig ist, dass bereits damals die Aufmerksamkeit auf die Grenzen des Wachstums und damit auf die mangelnde Zukunftsfähigkeit des bisherigen Wachstumsmodells gelenkt wurde; dies hat das Umweltbewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung beeinflusst. Auch der Klimadiskurs hängt eng mit der gesellschaftlichen Lebensweise und der Diskussion über Lösungen durch technischen Fortschritt oder Suffizienzstrategien zusammen. Mitunter angestoßen durch die Debatte von Meadows, stehen sich auch hier vor allem zwei Positionen gegenüber: Von der einen Seite wird die Auffassung vertreten, dass die Krise eng mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise zusammenhängt und nur durch eine grundlegende Neuausrichtung gelöst werden kann (Brunnengräber und Weber 2004; Görg 2004). Auf der anderen Seite gibt es Vertreter und Vertreterinnen der ökologischen Modernisierung, die der Auffassung sind, dass die Ursachen mehr oder minder systemunabhängig mit dem Stand der Industrialisierung und der Technik zusammenhängen (von Weizsäcker et al. 1995; Jänicke et al. 1993). Vor allem die Diskussion, ob zur Bewältigung der Krise ein ‚Nullwachstum’ notwendig sei, trug zu einem ideologischen Wandel in der Debatte um angemessene Umweltpolitik bei. Im Vordergrund stand nun der Beitrag des Wirtschaftswachstums zur Lebensqualität (Hünemörder 2004: 228).38 Ein weiteres wesentliches Argument der in den 1970ern geführten Umweltdebatte ist ferner, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Unterentwicklung des Südens und Fehlentwicklungen des Nordens besteht. So wurde bei der ersten UN-
37
Die Studie war und ist allerdings nicht zuletzt aufgrund des dargestellten ‚Weltuntergangsszenarios’ umstritten. Dabei wird neben dem unzulänglichen Modellcharakter der Studie vor allem die Unterschätzung des technischen Fortschritts (u. a. die Förderung neuer Ressourcenreservoirs) kritisiert (Hünemörder 2004: 224). 38 Der Club of Rome hat später seine These vom Nullwachstum revidiert: An die Stelle der „undurchdachte[n] wirtschaftliche[n] Expansion“ soll „ein […] unter Beachtung aller systemaren, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge sorgsam geplantes weiteres wirtschaftliches Wachstum“ treten (ebd.: 334).
56
Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
Umweltkonferenz 1972 in Stockholm39 auf einige Aspekte hingewiesen, die bereits die Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung forcierten: Die Entwicklungsländer sollten nicht die gleichen Fehler bei ihrer Industrialisierung machen wie die EU oder die USA, sondern vielmehr sollte frühzeitig nach Technologien gesucht werden, die nicht zusätzlich zur Umweltverschmutzung und -zerstörung beitragen. Gleichzeitig sollten die Industrieländer verstehen, dass die Hilfe in Entwicklungsländern der eigenen Existenzfürsorge dient und Entwicklungs- und Umweltdebatte zusammengehören (Eppler 1971). Auch das Problem des Treibhauseffekts wurde bereits auf der Stockholmer Umweltkonferenz aufgegriffen. Die Position der BRD (durch das Positionspapier des Bundesverkehrsministeriums, BMV, repräsentiert, welches damals federführend für den Bereich ‚atmospheric science’ war) war, dass die Kenntnisse noch unzureichend seien und es deshalb noch erheblichen Forschungsbedarf gebe. Gleichzeitig wurde aber auf das grundlegende Problem einer menschlich verursachten Verschmutzung der Atmosphäre durch Verbrennungsvorgänge hingewiesen, welche zusätzlich zur natürlichen Erderwärmung das lokale und globale Klima beeinflusse und eine internationale Zusammenarbeit notwendig mache (Hünemörder 2004: 251). Bereits seit Beginn der Umweltbewegung, die in der BRD vergleichsweise früh einsetzte, stand der Grundsatz der Club of Rome-Studie im Mittelpunkt des Aktionismus: „Think globally, act locally“. Augenfällig ist, dass die hier aufgeführten Argumente viele Überschneidungen zum Klimadiskurs aufweisen: Es geht ebenso um den hohen Energiebedarf der Industrieländer, um Wachstumsgesellschaften, Lösungspotentiale durch technische Innovationen, Suffizienz- und Effizienzstrategien und um Gerechtigkeit zwischen nördlichen Industriestaaten und südlichen Entwicklungsländern. Demnach schließt der Klimadiskurs, der im nächsten Kapitel im Mittelpunkt steht, an einen bereits seit den 1970er Jahren bestehenden, wenngleich sich später gewandelten ökologischen Diskurs an. So findet neben der Politisierung ökologischer Themen seitdem eine öffentliche Berichterstattung statt. Dazu tragen nicht zuletzt die Massenmedien
39 Neben einem Umwelt-Aktionsplan mit über 100 Empfehlungen für internationale Zusammenarbeit, wurde die Schaffung des Umweltprogramms UNEP (United Nations Environment Programme) in Nairobi beschlossen. Ferner einigte man sich auf eine Umwelt-Charta, diese wurde jedoch nicht formell ratifiziert (UNEP 1972). Die Konferenz gilt weiterhin als Weichenstellung für die Erforschung globaler Umweltgefährdungen. Erst 20 Jahre nach der ersten Umweltkonferenz fand die zweite in Rio de Janeiro statt. Dort wurde schließlich das umfassende Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in der Agenda 21 von der Staatengemeinschaft unterzeichnet (Bundesumweltministerium 1992). Auch wurde bereits damals über die Folgen für die nachfolgenden Generationen, also über nachhaltige Entwicklung diskutiert. Der Begriff der ‚Nachhaltigkeit’ ist somit keine Erfindung der Brundlandt-Kommission von 1987. Er wurde aber erst durch den Brundlandt-Bericht formal verankert und hierdurch weltweit bekannt.
Globaler Umweltdiskurs und Klimawandel
57
maßgeblich bei.40 Schließlich gibt es einen engen Zusammenhang zwischen den Anfängen der Umweltdebatte in Deutschland und anderen Industrieländern und den steigenden Konsummöglichkeiten aufgrund der Wohlstandsentwicklung in der Nachkriegszeit (‚Wirtschaftswunder’): Zwischen 1950 und Mitte der 1970er Jahre steigerte sich das Durchschnittseinkommen rasant, wodurch auch die Konsummöglichkeiten wuchsen. Der von Beck geprägte Begriff des ‚Fahrstuhleffekts’ steht sinnbildlich für die - wenngleich auf unterschiedlichem Niveau schnell steigenden Einkommen, die dazu führten, dass sich auch die unteren Einkommensschichten Anschaffungen wie Autos oder andere Luxusgüter leisten konnten. „Die ‚Klassengesellschaft’ wird insgesamt ‚eine Etage höher gefahren’. Es gibt - bei allen sich neu einpendelnden oder nach wie vor bestehenden Ungleichheiten - ein kollektives Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft, Massenkonsum.“ (Beck 1986: 122)
Ein enger Zusammenhang bestand zwischen der Verfügbarkeit billiger Energieträger wie Kohle und Öl und der Steigerung industrieller Produktion und des privaten Konsums, v. a. in Europa und Nordamerika. Entsprechend stieg der Energieverbrauch zwischen 1950 und 1970 in der BRD auf mehr als das Doppelte an. Parallel zu dieser Entwicklung verschlechterte sich die Umweltsituation. So stiegen auch die Konzentrationen von Schadstoffen in der Luft und - wie dann später nachgewiesen werden konnte - Treibhausgasen an (Hünemörder 2004: 32). Der Klimadiskurs knüpft an einen bereits über 30jährigen globalen Umweltdiskurs an. Im nächsten Kapitel wird deutlich, dass sich einige Analogien der o. g. Positionen im Klimadiskurs finden lassen. Gleichwohl führt der komplexe Charakter des Umweltproblems Klimawandel zu besonderen diskursiven Verlaufsmustern, institutionellen Rahmensetzungen und Besonderheiten in der 40
Die frühe Umweltbewegung in der BRD ist der gut gebildeten Mittelschicht zuzuordnen und trat in den 1970er Jahren vor allem gegen Atomkraft und für Konsumverzicht, in den 80ern gegen das Waldsterben und für Luftreinhaltung ein. Die ökologische Bewegung entwickelte sich eng verbunden mit der Auseinandersetzung um staatliche Umweltpolitik. Erst in den 1980er Jahren gelang es, statt eines eher technischen Nachsorgeprinzips ein Vorsorgeprinzip stark zu machen. Gleichzeitig konnten Mechanismen der Selbstorganisation von Interessen gegenüber Planungs- und Verwaltungsstaat gestärkt werden. Durch die Politisierung des Umweltschutzes kam es auch zur Institutionalisierung in Ministerien (Gründung des Umweltministeriums im Jahre 1986, kurz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl), Parteien (Gründung der Grünen 1979/80) und Umweltorganisationen (etwa die Gründungen von Greenpeace 1971 bzw. in der BRD 1980 oder des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND, 1975). Im Grundgesetz wurde der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Verantwortung für künftige Generationen allerdings erst 1994 als Staatsziel verankert: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ (Art. 20a GG).
58
Der anthropogene Klimawandel als globales Umweltproblem
öffentlichen Kommunikation. Die diskursiven Merkmale der globalen Erwärmung werden im Folgenden im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung und Bewusstseinsbildung dargestellt.41
41
Zur Herleitung des Diskursbegriffes s. folgendes Kapitel.
3 Die soziale Konstruktion des Klimawandels
Der globale Klimawandel stellt nicht nur ein komplexes globales Umweltproblem dar, sondern ist für Laien überhaupt erst durch die Kommunikation der Wissenschaft wahrnehmbar. Dies gilt nicht nur für den Klimawandel, sondern auch für andere globale ökologische Gefahren wie bspw. das Ozonloch.42 Dies lässt den Klimadiskurs in den Vordergrund rücken, denn die gesellschaftliche Problematisierung einer Gefährdung für Mensch und Natur durch die globale Erwärmung ist wiederum Teil eines kontroversen Diskurses. So sind politischer Wille und Gestaltung der Lösungsstrategien davon abhängig, welche Akteure den Klimawandel als wichtig definieren und mit welchen Mitteln er gelöst werden soll. Nicht zuletzt spielen dabei Interessenkoalitionen und politische Machtverhältnisse eine Rolle.43 Zur real existierenden ‚glokalen’ Problemlage kommt demnach eine vermittelte und dadurch konstruierte Problemsicht hinzu. Aufgrund der dem Thema immanenten Unsicherheiten, bekommt der Klimadiskurs eine besondere Bedeutung für die gesellschaftliche Wahrnehmung des Umweltproblems Klimawandel. Die den Diskurs maßgeblich beeinflussenden Akteure sind dabei neben staatlichen Akteuren die Wissenschaft, Wirtschaft, zivilgesellschaftliche Akteure sowie Medien. Im folgenden Kapitel wird zunächst der Verlauf des Klimadiskurses beschrieben (Kapitel 3.1), der zyklisch entlang der umstrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse verläuft. Hiernach werden die verschiedenen Diskursarenen innerhalb des Klimadiskurses dargestellt: Wissenschaft (Kapitel 3.2), Politik (Kapitel 3.3), Wirtschaft und Zivilgesellschaft (Kapitel 3.4). Dabei spielt die ökologische Kommunikation der Medien eine besondere Rolle (Kapitel 3.5). Ziel des Kapitels ist es, das soziale Konstruktionspotential des Klimadiskurses in seiner Be42 Das Montreal Abkommen zum „Schutz der Ozonschicht“ von 1987 gilt als eines der erfolgreichsten Beispiele globaler Umweltregime. Ob dies auch für die Klimaschutzverträge (vor allem für die Klimarahmenkonvention und das Kyoto-Protokoll) gilt, muss sich an den real erreichten Emissionsreduktionen messen lassen. Viele Autoren und Autorinnen rechnen mit einem ähnlichen Prozess bei den Klimaverhandlungen. Dabei wird oft nicht berücksichtigt, dass es sich beim Klimawandel um ein komplexeres, unüberschaubareres Problem handelt mit widersprüchlicheren Interessen und gravierenderen sozio-ökonomischen Auswirkungen als dies beim Ozon-Regime der Fall war (Missbach 1999: 53). 43 Wehling (2001) problematisiert im Zusammenhang mit der Definition von ‚globalen Umweltproblemen’ bezüglich der Nord-Süd-Thematik die Frage der Macht und Durchsetzungskraft. Er geht davon aus, dass vor allem der Norden das Agenda-Setting bestimmt.
60
Die soziale Konstruktion des Klimawandels
deutung für die öffentliche Wahrnehmung und Bewusstseinsbildung herauszuarbeiten (Kapitel 3.6). Der im Folgenden verwendete Diskursbegriff lehnt sich an diskurstheoretische Überlegungen Foucaults an (Foucault 1977). Es wird davon ausgegangen, dass es sich beim Klimadiskurs nicht um einen herrschaftsfreien, rationalen Diskurs handelt. Dem entgegen steht das normative Diskursverständnis von Habermas, der Diskurse als Verfahren geregelter Argumentation beschreibt (Nonhoff 2004). Habermas’ ‚Konsensualtheorie der Wahrheit’ meint, dass eine normative Äußerung dann als wahr gilt, sobald alle potentiellen Gesprächspartner hinsichtlich dieser Äußerung einen intersubjektiven Konsens erzielen. Er nimmt dabei insbesondere Bezug auf die Politik: Dort soll in praktischen Diskursen das Normative ins Rationale umgesetzt werden. Der Diskurs in der Politik soll vernünftige normative Lösungen hervorbringen, wobei die Öffentlichkeit als Resonanzraum dient. Der Diskurs befördert nach Habermas durch „reflexiv gewordenes kommunikatives Handeln“ aufgrund der Klärung strittiger Geltungsansprüche die Rationalisierung der Gesellschaft: „Ein Diskurs kann als ein Prozess intersubjektiver, auf Verständigung ausgerichteter Meinungsbildung beschrieben werden, in dessen Verlauf die Diskursteilnehmer in reflexiver Weise strittige Geltungsansprüche klären.“ (ebd.: 67)
Foucault (1977) konstatiert im Gegensatz zu Habermas, dass sich hinter Mustern der Argumentation Machtbeziehungen und Hegemonie verbergen. Formatierungen gültigen Wissens bilden Macht, die produktiv (statt primär unterdrückend oder ausschließend) wirkt. Macht bei Foucault ist nichts worüber Menschen verfügen, sie entsteht in der Regelmäßigkeit von Beziehungsgeflechten zwischen Elementen, die durch diskursive wie nicht-diskursive Praktiken angeordnet werden. Macht ist: „der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt“ (zit. nach Nonhoff 2004: 73f.).
Für Foucault ist ein Diskurs eine, für die jeweilige Epoche geltende, bestimmte Bedeutungsproduktion, ein Prozess, der mit bestimmten Bedeutungen Wissen produziert. Die Regeln des Diskurses definieren dabei, was von wem wann und wie gesagt oder nicht gesagt werden darf.
Zyklen des Klimadiskurses in der BRD
61
Foucault zeigt auf, „dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selek44 tiert, organisiert und kanalisiert wird.“ (ebd.: 7)
Er stellt den Diskurs sogar noch weiter in den Mittelpunkt machtvoller Auseinandersetzung: „[Der Diskurs ist nicht nur das] was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: Er ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht.“ (ebd.: 8)
Für die Betrachtung des Klimadiskurses wird somit angenommen, dass es sich hierbei nicht in erster Linie um den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und den rationalen Austausch mit im Klimadiskurs involvierten gesellschaftlichen Gruppen handelt, sondern vielmehr um die von verschiedenen Akteuren im öffentlichen Diskurs umkämpfte und kommunizierte Bedeutungskonstruktion, die Realität erzeugt und strukturiert, und die dann wiederum von der Öffentlichkeit rezipiert wird.
3.1 Zyklen des Klimadiskurses in der BRD Wie der Klimawandel in der Öffentlichkeit diskutiert wird ist zunächst einmal davon abhängig auf welchen länderspezifischen Resonanzboden die Debatte trifft. Länderunterschiede in der ökologischen Resonanzfähigkeit basieren auf historischen, kulturellen und sozio-ökonomischen Merkmalen, aber auch auf unterschiedlichen Wertorientierungen. Nach Brand wird die ökologische Kommunikation westlicher Industrienationen im Allgemeinen durch sieben Filter strukturiert (s. Box 1; Brand 1995). Weingart et al. (2002) identifizieren bezüglich des wissenschaftlichen, politischen und medialen Klimadiskurses in Deutschland drei historische Diskursabschnitte. Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Diskurs wird Phase 1 (19751985) als selbstbezügliche Phase bezeichnet, in der noch weitere Forschung benötigt wurde, um erste Prognosen wissenschaftlich zu fundieren. Damit hing auch eine Änderung in der öffentlichen Wahrnehmung zusammen. Naturkatastrophen wurden zunehmend vor dem Hintergrund der Klimaänderung interpre44 Darüber hinaus sind Diskurse Restriktionen unterworfen: „Es gibt [...] eine dritte Gruppe von Prozeduren, welche die Kontrolle der Diskurse ermöglichen. [...] Es geht darum, die Bedingungen ihres Einsatzes zu bestimmen, den sprechenden Individuen gewisse Regeln aufzuerlegen und so zu verhindern, dass jedermann Zugang zu den Diskursen hat [...]. Niemand kann in die Ordnung des Diskurses eintreten, wenn er nicht gewissen Erfordernissen genügt, wenn er nicht von vornherein dazu qualifiziert ist. Genauer gesagt: nicht alle Regionen des Diskurses sind in gleicher Weise offen und zugänglich […].“ (Foucault 1977: 26)
62
Die soziale Konstruktion des Klimawandels
tiert. Mit der Anthropogenisierung, also der „Entdeckung“ des Menschen als Verursacher des Klimawandels, ging weiterhin eine Politisierung einher: Klima wurde zum regulierbaren Gegenstand politischen Handelns. Phase 1 ist politisch besonders durch Abwehr, Skepsis, Abwarten und Beobachten gekennzeichnet, da die Wahrnehmung selbst produzierter Klimarisiken noch durch zahlreiche wissenschaftliche Unsicherheiten flankiert wurde. In der zweiten Phase (1986-1990) richtete sich die Wissenschaft zunehmend mit politischen Forderungen an die Außenwelt, weshalb sie als politikorientierte Phase bezeichnet werden kann. Immer mehr wissenschaftliche Nachweise entkräfteten Ungewissheiten und forcierten politische Regulierungen. Dabei kam es auch zur wissenschaftsinternen Politisierung des Forschungsgegenstands, da die Wissenschaft nun direkt mit politischen Akteuren kommunizierte (Engels und Weingart 1997). In dieser Phase wurde bspw. in der BRD die EnquêteKommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ eingesetzt (19871990).45 Durch die Vereinbarung, politikrelevantes Wissen bereitzustellen, konnte die Kontroverse im wissenschaftlichen Diskurs zumindest abgeschwächt werden. Auch wurde versucht, den Begriff der Klimakatastrophe (den bspw. die Deutsche Physikalische Gesellschaft in ihrem Warnruf von 1986 verwendete) durch den moderateren Begriff ‚Klimaänderung’ zu ersetzen (ebd.). Dennoch galt der Forschungsgegenstand immer noch als brisant, zumal Ungewissheiten über wissenschaftliche Prognosen der Erkenntnis irreversibler Folgeschäden und der Dringlichkeit der Problemlösung gegenüber standen. Die Abwägung zwischen Vorsorge und politischer Legitimation noch unsicherer wissenschaftlicher Forschungsergebnisse war bestimmend für diese Phase: Während Unsicherheit ein üblicher Bestandteil der wissenschaftlichen Forschung ist, muss bei politischen Entscheidungen der potentielle Legitimationsverlust im Falle falscher Entscheidungen berücksichtigt werden. Das so genannte Vorsorgeprinzip (‚precautionary principle’)46 sollte dabei die politischen Entscheider von der Bürde der Ungewissheit entlasten (no-regrets-measures).
45 Entgegen der zweiten Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ (1990-1994) galt die erste als sehr erfolgreich (ebd.). 46 Das ‚precautionary principle’ (Vorsorgeprinzip) wurde nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 und der dort verabschiedeten Klimarahmenkonvention bekannt. In der Konvention heißt es: “Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall not be used as a reason for postponing cost-effective measures to prevent environmental degradation” (principle 15, United Nations 1992).
Zyklen des Klimadiskurses in der BRD
63
1. Da viele Umweltprobleme erst durch wissenschaftliche Nachweise sichtbar werden und diese häufig umstritten sind, wird die ökologische Kommunikation durch die Eigendynamik der wissenschaftlichen Umweltdebatte beeinflusst. 2. Weiterhin wird die Umweltkommunikation durch nationale Problembetroffenheit und Interessenkonstellationen beeinträchtigt. Dabei kann eine direkte oder indirekte (empathische) Betroffenheit vorliegen. 3. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche kulturelle Resonanzen, die die Umweltdebatte prägen. Dazu gehören Mythen, Symbole und Traditionen, die auf die Mobilisierungsfähigkeit beim Umweltschutz Einfluss nehmen. 4. Ferner wird der Resonanzboden durch die jeweilige Entwicklungsdynamik des Umweltkonflikts innerhalb eines Landes geprägt. Das umweltpolitische Agenda Setting hängt mit dem nationalen Charakter (den politischen Strukturen, der gesellschaftlichen Bestimmtheit) zusammen. So gibt es bestimmte zyklische Verlaufsmuster, die eng mit Wertekonflikten zusammenhängen. Dabei rückt die Umweltthematik in den Hintergrund sobald andere dominante Themen auftauchen (z. B. Arbeitslosigkeit). 5. Die Veränderung politischer Großwetterlagen bestimmt ebenfalls den Resonanzboden und Stellenwert für die ökologische Kommunikation. 6. Auch das politische Agenda Setting und parteipolitische Machtkonstellationen bestimmen die öffentliche Umweltdebatte. 7. Schließlich ist die Selektivität der Massenmedien wesentlicher Bestimmungsfaktor öffentlicher Umweltdebatten. Massenmedien machen Umweltthemen überhaupt erst öffentlich. Box 1: Sieben Resonanzfilter der ökologischen Kommunikation
Im Übergang in die dritte, die „Institutionalisierungsphase“, rückten wissenschaftliche Autoritäten und Faktenwissen in den Mittelpunkt, die mehr Glaubwürdigkeit schaffen sollten. In dieser Phase des Klimadiskurses (1991-1996) ging es schließlich um die Überführung in die politische Regulierung und damit um die Institutionalisierung und Diversifizierung des wissenschaftlichen Diskurses.47 In diese Zeit fiel die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung, UNCED, in Rio de Janeiro (1992), die mit der Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention (UNFCCC, Inkrafttreten 1994), der Wald-Erklärung, des Biodiversitätsabkommens und der Lokalen Agenda 21 abgeschlossen wurde (Bundesumweltministerium 1992).48 Statt eines quantitativen Reduktionsziels wurde in der UNFCCC allerdings nur die Stabilisierung von Treibhausgasen 47
Die Institutionalisierungsphase hat in Deutschland zwei Forschungsfelder hervorgebracht: das der Klimafolgenforschung (repräsentiert u. a. durch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) und des Nationalen Komitees für Global Change Forschung (gefördert von DFG und BMBF, vgl. http://www.nkgcf.org, Zugriff: 15.05.2008). 48 Vgl. Fußnote 23.
64
Die soziale Konstruktion des Klimawandels
ohne verbindliche Vorgaben vereinbart. In der dritten Phase kam es ferner zur Diffundierung des Meta-Problems Klimawandel in eine Vielzahl einzelner Maßnahmen, bspw. die Gründung lokaler Klimaschutzprogramme und -bündnisse.49 Die Diffusion mündete in einer Diskurswende, denn der Klimawandel wurde schließlich als Problem einer übergreifenden Problematik, der globalen Nachhaltigkeit, verstanden. Der Klimawandel wurde damit zum Teilproblem einer sozial-ökologischen Krise (Weingart et al. 2002). Eine vierte Phase von 1997 bis 2005 kann als die vertragliche Etablierungsphase des internationalen Klimaregimes gelten. 1997 wurde das Kyoto-Protokoll verabschiedet, 2004 wurde es durch Russland ratifiziert50 und konnte daraufhin Anfang 2005 in Kraft treten mit dem Ziel, 5,2% der globalen Treibhausgase zwischen 2008 und 2012 im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. So wurde ein völkerrechtsverbindlicher Vertrag vereinbart und das Kyoto-Protokoll erlangte eine symbolische Bedeutung für den Klimadiskurs. Gleichwohl wird das Protokoll von Kritik an zu niedrigen Reduktionszielen, der Nicht-Einbindung der Entwicklungsländer (Benedick 2005) und an den flexiblen Mechanismen CDM (Clean Development Mechanism) und JI (Joint Implementation) begleitet (Brunnengräber et al. 2005; Brouns et al. 2003; vgl. Kapitel 2.4). Bei der chronologischen Betrachtung des wissenschaftlich-politischen Klimadiskurses gilt es zu berücksichtigen, dass Schwankungen und Zyklen dadurch beeinflusst werden, dass unterschiedliche Akteure und Machtverhältnisse das Diskursfeld mitbestimmen. Regierungswechsel (bspw. der Rückzug der USA aus dem Kyoto-Prozess 200151) und nicht-staatliche Akteure (Wirtschafts-
49
Als für die BRD einflussreiche Studien in dieser Zeit gelten die Studie von BUND und Misereor (BUND und Misereor 1996), das Jahresgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen von 1995 (WBGU 1996) und das Umweltgutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (Sachverständigenrat für Umweltfragen 1996). Allerdings stellen die Studien ganz unterschiedliche Zielsetzungen in Aussicht (Engels und Weingart 1997). 50 Das Inkrafttreten des Protokolls war an zwei Bedingungen geknüpft: Es mussten erstens mindestens 55 Kyoto-Verpflichtungsländer unterzeichnen, die zusammen, zweitens, für mindestens 55% des globalen Treibhausgasausstoßes (Referenzjahr 1990) verantwortlich sind. Vgl. auch Kapitel 3.3. 51 George W. Bushs Rückzug aus dem Kyoto-Prozess wurde von weltweiter Kritik begleitet. Seitdem bemühen sich die Unterzeichnerstaaten die USA umzustimmen, nicht zuletzt weil sie bis dato weltweit größter CO2-Emittent sind. Bush hat auch Einfluss auf den Klimarat IPCC genommen: Der vom vorherigen US-Präsidenten Bill Clinton besetzte IPCC-Vorsitzende Robert Watson wurde von Bush durch Rajendra K. Pachauri ersetzt, der als unkritischer gegenüber der fossilistischen Energiewirtschaft gilt (Grundmann und Stehr 2002).
Wissenschaft
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akteure und NGOs52) haben den Diskursverlauf dabei mit beeinflusst. Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn über Ursachen und Folgen des Klimawandels ist also nicht frei von Einflüssen anderer, Diskurs bestimmender Akteure. Die Erwartung an die Klimaforschung, eindeutige Erkenntnisse und Problemlösungen zu präsentieren, wird durch die Komplexität des Klimawandels erschwert und bietet Interessen geleiteten Akteuren Raum den Diskurs zu beeinflussen. Dabei geraten insbesondere die wissenschaftsimmanenten Unsicherheiten, die zwangsläufig den Erkenntnisprozess begleiten, in den Mittelpunkt. Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz des Klimawandels nimmt die Wissenschaft eine spezifische Rolle ein. Dabei bewegt sie sich zwischen wissenschaftlicher Unabhängigkeit und Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber. Im folgenden Kapitel wird auf den Umgang mit wissenschaftlichen Unsicherheiten und den Einfluss auf die Laienwahrnehmung im Diskursfeld Klimawandel eingegangen. Unter anderem geht es dabei um den Verlust wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit.
3.2 Wissenschaft Der wissenschaftliche Nachweis über einen menschlichen Einfluss auf das Klima kann nur auf Grundlage der Trennung zwischen natürlicher und anthropogener Klimaveränderung erfolgen und erfordert langfristige Messungen von Klimafaktoren wie Sonneneinstrahlung, Meeresströmungen, Meeres- und Lufttemperatur etc., die die globalen natürlichen Variablen ebenso einbeziehen wie die anthropogenen. Dabei wandelte sich die Diskussion von einem Nachweisproblem, ob überhaupt ein Klimawandel stattfindet, zu einem Zuordnungsproblem, also der Frage, ob dieser Klimawandel natürliche oder anthropogene Ursachen hat und zu welchem Anteil (Edwards 2002). Der öffentliche Klimadiskurs (also nach Foucault: die organisierte, kontrollierte, selektierte und kanalisierte Bedeutungskonstruktion) entwickelte sich dabei ent52 Insbesondere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nehmen zunehmend Einfluss auch auf den internationalen Verhandlungsprozess (Walk und Brunnengräber 2000; Beisheim 2004). Von den Vereinten Nationen wird unter NGOs zunächst ein recht heterogenes Spektrum zivilgesellschaftlicher Akteure zusammengefasst. Demnach zählen neben den Umwelt- und Entwicklungsverbänden auch Gewerkschaftsverbände, kirchliche Einrichtungen, Forschungseinrichtungen oder Universitäten und die Lobbyverbände der Industrie zu dieser Akteursgruppe. Diesem breiten Verständnis wird hier nicht gefolgt. Wenn nachfolgend von NGOs die Rede ist, sind vor allem jene aus dem entwicklungs-, sozial- und umweltpolitischen Bereich gemeint, die universelle Werte vertreten und sich für allgemeine Ziele einsetzen. So sind hier organisierte kollektive Gruppen gemeint, die sich weder Gewinn orientiert noch von staatlicher Seite begünstig für Klimaschutzaktivitäten engagieren, bspw. Umweltschutzgruppen wie BUND, WWF, Robin Wood, Greenpeace oder der übergeordnete Klimaschutzverband CAN. Diese manchmal auch als „grüne NGOs“ bezeichneten Non-GovernmentalOrganisationen sind allerdings von so genannten „grauen NGOs“ der Privatwirtschaft zu unterscheiden.
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
lang des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts zum Nachweis des anthropogenen Klimawandels. Deshalb stand zu Beginn der Auseinandersetzung über einen vermeintlich anthropogenen Klimawandel die Frage im Mittelpunkt, ob ein anthropogener Einfluss auf das Klimasystem und damit eine Erhöhung des natürlichen Treibhauseffekts durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Eingriffe in die Senkenkapazität53 der Erde vorliegt. Das IPCC (1996: 4) beantwortete in seinem zweiten Assessment Report Mitte der neunziger Jahre die Frage noch vage: „The balance of evidence suggests a discernible human influence on global climate.“
Noch weitere Beweise seien erforderlich, um übereilte Reaktionen zu vermeiden. Erst später, nicht zuletzt unter Einfluss des dritten Assessment Reports des IPCC, standen die Fragen nach dem wie, wo und wann im Mittelpunkt. Im dritten IPCC-Report wurde der anthropogene Einfluss auf den Klimawandel bestätigt (IPCC 2001: 8 und 51): „Carbon dioxide concentrations, globally averaged surface temperature, and sea level are projected to increase under all IPCC emissions scenarios during the 21st century“ und “There is new and stronger evidence that most of the warming observed over the last 50 years is attributable to human activities.“
Stärker rückten nun Fragen nach räumlichen und zeitlichen Dimensionen der Folgen des Klimawandels und seines Ausmaßes in den Vordergrund. Schwierigkeiten bereitet es allerdings, einzelne Extremwetterereignisse mit Sicherheit auf den anthropogenen Klimawandel zurückzuführen. Darüber hinaus bietet die angenommene Schwankungsbreite der Erderwärmung Raum für kritische und skeptische Positionen (IPCC 2007a). Hieran knüpfen Debatten über wissenschaftliche Unsicherheiten an, die von den so genannten Klimaskeptikern ebenso genutzt werden wie der Umstand, dass der Klimawandel auch positive Effekte 54 für vereinzelte Regionen hat. Im vierten IPCC-Bericht, der im Jahr 2007 vorgestellt wurde, konnten die bisherigen Ergebnisse durch eine noch umfangreichere und verbesserte Datensammlung erneut bestätigt werden, gleichwohl nicht mit absoluter sondern (nur) 55 mit hoher Sicherheit (IPCC 2007b: 4): „There is high confidence that natural systems are effected” oder „The Working Group I Fourth Assessment concluded that most of the observed increase in the 53
Als Kohlenstoffsenken werden CO2-Speicher aus der Biosphäre (Ozeane, Böden, Wälder) bezeichnet. 54 In dem genannten dritten IPCC-Bericht wird allerdings eindeutig darauf verwiesen, dass diese die negativen Folgen nicht überwiegen (ebd.: 67). 55 Hervorhebungen der Verfasserin.
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globally averaged temperature since the mid-20th century is very likely due to the observed increase in anthropogenic greenhouse gas concentrations.” und „[It] is sufficient to conclude with high confidence that anthropogenic warming over the last three decades has had a discernible influence on many physical and biological systems.”
Es wird aber auch darauf verwiesen, dass exaktere, regionale Prognosen aus mehreren Gründen schwierig sind: erstens, weil nicht in allen Ländern der gleiche technische Messstandard vorhanden ist; zweitens, weil die natürliche Temperaturschwankung auf regionaler Ebene höher ist als auf globaler und drittens, weil andere lokale Faktoren hinzukommen, die die Klimamessungen beeinträchtigen (z. B. Landnutzung, Verschmutzung; ebd.). Zwar werden keine absolut sicheren aber doch eindeutige Prognosen der Folgen des Klimawandels mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit gegeben (bspw. „falls die Temperaturen weiter ansteigen, werden in diesem Jahrhundert 20-30% der Tiere und Pflanzen aussterben“). Dies wird für einzelne Erdregionen geleistet und z. T. sogar mit Angaben über die zu erwartenden ökonomischen Anpassungskosten versehen. Über die bisher gesicherten Hinweise, dass der anthropogene Klimawandel zu gefährlichen Folgen für Mensch und Natur führt, hinaus, hängen die noch bestehenden Unsicherheiten zu einem großen Teil mit den Unwägbarkeiten sozial-ökologischer Entwicklung zusammen, z. B. Art und Ausmaß des zukünftigen Energieverbrauchs oder die (Nicht-)Durchsetzung internationaler Abkommen. Entscheidend ist letztlich wie groß der Anteil der Energienutzung auf Basis fossiler oder alternativer (erneuerbarer) Energieträger ist (Europäische Umweltagentur 2004). Unsichere Prognosen über die sozio-ökonomische Entwicklung, vor allem über Bevölkerungsdynamik und den Umbau der Energiesysteme, können deshalb nur zu einem Teil auf die naturwissenschaftlichen Ungewissheiten zurückgeführt werden. Zwar sind sie Teil der Klimaszenarien, aber deren Entwicklung ist zuvorderst abhängig von gesellschaftspolitischen Steuerungsentscheidungen (Brunnengräber und Moritz 2006). Dadurch entstehen Schwierigkeiten in der Präzisierung der Klimaszenarien und Unsicherheit muss als Teil der Klimaforschung akzeptiert werden. „Uncertainty is defined here as imperfect knowledge of an event’s probability, magnitude, timing and location. Insofar as the future cannot be known with certainty, any attempt to prepare for the future is characterized by uncertainty. In this sense ‘a modicum of uncertainty is a universal condition’, and it is important to recognize that uncertainty about the future cannot be reduced to zero - what Wildavsky calls ‘the principle of irreducible uncertainty’” (Barnett 2001: 981).
Die Klimamodelle eignen sich nur in begrenztem Maße dazu, die komplexen räumlichen und zeitlichen Größenordnungen globaler Veränderungen vollständig darzustellen. Dies deutet nicht auf Fehler der Modelle hin, sondern ist ein unvermeidliches Merkmal Modell basierter Wissenschaft auf globaler Ebene. Ed-
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wards (2002) weist darauf hin, dass ohne Computersimulation eine Modellierung globaler Klimaszenarien nicht möglich ist, diese aber von den zugrunde liegenden, z. T. unsicheren Daten abhängen. Die Problematik des Unsicherheitsdiskurses sei deshalb in erster Linie im politischen und weniger im wissenschaftlichen Umfeld zu suchen. So ist die Klimaforschung per definitionem Forschung unter Unsicherheit, und zwar nur zu einem Teil deshalb, weil die modellhafte Abbildung der Klimasysteme unzureichend ist. Zu einem anderen Teil deshalb, weil ungewiss ist wie sich Gesellschaften in der Zukunft entwickeln. Die wissenschaftlichen Korrekturen und Relativierungen während des Verlaufs des Klimadiskurses haben nicht nur in der Öffentlichkeit zu Verunsicherung geführt. Sie haben auch die Stimmen derer lauter werden lassen, die den Klimawandel nicht auf anthropogene, sondern auf natürliche Einflüsse zurückführen oder ihn gänzlich bestreiten. Diejenigen, die den anthropogenen Klimawandel anzweifeln, werden dabei als Klimaskeptiker bezeichnet. Was für die wissenschaftliche Forschung ein normaler Vorgang ist, wird in der Kommunikation mit einem Laienpublikum zur Frage von Glaubwürdigkeit. Im skeptischen Modell richtet sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf die soziale Dimension der Wissenschaftskommunikation: Die Frage nach der Legitimation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern steht nun im Mittelpunkt und wissenschaftliche Standards werden in Frage gestellt, was wiederum Spielräume für Spekulation über nicht-wissenschaftliche Motive und Diskreditierungen eröffnet.56 Ganz im Sinne Foucaults zeigt das Beispiel der Klimaskeptiker, dass es sich beim wissenschaftlichen Klimadiskurs nicht um einen herrschaftsfreien Diskurs handelt, sondern die öffentliche Bedeutungskonstruktion des Klimawandels davon abhängt, wie stark sich Befürworter und Skeptiker bei ihrem Versuch allgemeingültiges Wissen zu produzieren machtvoll durchsetzen können. Dabei ist weniger die Quantität der Klimaskeptiker als deren Salienz bzw. deren zugeschriebene Bedeutung entscheidend. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von ‚visible scientists’, also wissenschaftlichen Experten und Expertinnen, die aufgrund ihrer bereits bestehenden öffentlichen Präsenz auch häufiger zu Fachgesprächen u. a. medial begleiteten öffentlichen Darstellungen aufgefordert werden oder sich auf Eigeninitiative in die öffentliche Diskussion
56 Weingart et al. weisen auf politisch motivierte Oppositionen hin, die mittels medialer Hilfe Debatten vorantreiben: „Skeptische Kommunikation [...] ist immer auch als eine spezifische mediale Strategie der Bewältigung neu produzierter Unsicherheiten in Bezug auf die wissenschaftlichen Grundlagen der Klimaproblematik zu begreifen“ (Weingart, Engels und Pansegrau 2002: 137). Zum Einfluss der Öl- und Kohleindustrie und konservativer Politiker auf die öffentliche Meinung zum Klimawandel siehe auch Gelbspan (Gelbspan 1997). Auf Interessenverflechtungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel wird in den Kapiteln 3.3 und 3.4 näher eingegangen.
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bringen (Goodell 1977).57 Darüber hinaus obliegt die Entscheidung, wie viel empirische Bestätigung des anthropogenen Klimawandels für die Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen überhaupt notwendig ist, den politischen Akteuren, die gemäß der gesellschaftlichen Risikobereitschaft und dem gesellschaftlichen Anpassungsvermögen an die Folgen des Klimawandels handeln. Für die öffentliche Wahrnehmung gilt: Je mehr wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen, desto mehr Freiraum bietet sich auch für die öffentliche Problemkonstruktion, die in einer Angstkommunikation über die unvorhersehbaren Folgen des Klimawandels münden kann, oder im Gegenteil, Gefahren gering schätzt. Unsicherheit ist demnach eine Kategorie im wissenschaftlichen Klimadiskurs, die die öffentliche Risikowahrnehmung des Klimawandels - kontrovers strukturiert. Nach Ansicht von Weingart et al. (2002) sollte öffentlich gemacht werden, dass es sich bei der Klimadiskussion um Gefahren mit vielen Unwägbarkeiten handelt, aber dass dies nicht bedeutet, dass die Klimawissenschaft damit ihre Kompetenz in Frage stellt, sondern dass die Diskussion und Umsetzung von unsicherem Wissen in Entscheidungen unvermeidlich und Teil der Wissensgesellschaft ist. Um einen Glaubwürdigkeitsverlust der Wissenschaft zu verhindern, plädieren auch Stehr und v. Storch (2000) dafür, die Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in den sozialen und kulturellen Kontext zu stellen und Grenzen des Wissens aufzuzeigen. Derweil wird in der politischen Debatte das durch wissenschaftliche Unsicherheiten geprägte diskursive Konstruktionspotential des Klimawandels von verschiedenen Interessengruppen genutzt. Dabei entstehen vor allem bezüglich der Dringlichkeit der Problemlösung und entsprechender Lösungsstrategien Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit. Generell gilt: „Öffentliche Diskurse sind kontrovers strukturierte Felder symbolischer Interaktion, in denen verschiedene Akteure um die Definition der Wirklichkeit, um die Durchsetzung spezifischer Deutungen der ökologischen Probleme konkurrieren.“ (Brand 1995: 47)
Im öffentlichen Klimadiskurs ist dabei nur eine begrenzte Anzahl von Akteuren vertreten, die in der Debatte um ihre jeweiligen Problemdeutungen konkurrieren,
57 Da die (Klima-)Forschung von politischen Entscheidungen wie Forschungsmittelzuwendungen abhängt, vertreten einige Autoren und Autorinnen die Ansicht, die wissenschaftlichen Warnungen sollten sich an den tatsächlich eintretenden ökologischen Ereignissen messen. Denn treten diese nicht ein, sei die Wissenschaft von dem Risiko des Glaubwürdigkeitsverlusts bedroht (Pansegrau et al. 2003). So solle eine Abwägung getroffen werden zwischen der Notwendigkeit der Problemaufmerksamkeit und dem Risiko des Glaubwürdigkeitsverlusts. Weingart et al. (2002) nennen dies das „Risiko der Kommunikation von Risiken“ und verwenden das Bild des Kassandra-Rufes; der Unterschied zur Klimadebatte sei, dass die moderne Wissenschaft - im Gegensatz zu Kassandra - die Zukunft nicht vorhersehen kann. In beiden Fällen sei aber mit ungläubiger Öffentlichkeit zu rechnen.
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so dass nur eine begrenzte Zahl von Problemrahmungen existiert, die die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels beeinflussen. „Praktisches Umweltbewußtsein findet sich [...] historisch gesehen ‚nie in isolierter Form’, sondern stets in Kontexten, die von einem ‚edlen’ Idealtypus weit entfernt sind. Umweltbewusstsein entsteht stets im Rahmen der Wahrnehmung von spezifischen Interessen.“ (Radkau, zitiert nach Büschenfeld, 1997: 99)
Die wichtigsten am Klimadiskurs beteiligten kollektiven Interessenvertreter und -vertreterinnen sind: staatliche politische Akteure, zivilgesellschaftliche Organisationen, vor allem NGOs, und die Privatwirtschaft. Die Sonderrolle der Medien wird in Kapitel 3.5 noch ausführlich erläutert. Sie haben häufig nicht nur unterschiedliche Interessen und Ziele, sondern sind auch in unterschiedlichem Maße in der Lage auf die anderen Interessengruppen und die Öffentlichkeit Einfluss zu nehmen. Das folgende Kapitel nimmt zunächst die staatliche Politik in den Fokus. Dabei macht die Historie des (langsamen) Klimaverhandlungsmarathons noch einmal deutlich, wie stark die Durchsetzung völkerrechtsverbindlicher Emissionsreduktionsziele auf internationaler Ebene - neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn - auf Interessen und Kompromissen der Vertragsparteien beruht.
3.3 Politik Nationale Regierungen wirken auf vielen Ebenen auf den Klimadiskurs ein.58 Sie nehmen dabei aber auch direkten Einfluss auf die Öffentlichkeit, bspw. durch die Initiierung und Unterstützung von Öffentlichkeitsarbeit.59 Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt, sind die nationalen Regierungen in ihrer Klimaschutzstrategie an internationale Verträge und Richtlinien gebunden. Dabei sind sowohl der lange Verhandlungszeitraum der Klimaverträge als auch deren (schwache) Lösungskapazitäten Folgen der Interessenspolitik einzelner Vertragsstaaten. Im Folgenden wird noch einmal auf die Eckpunkte des internationalen Verhand58
Nationale Klimapolitik findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: neben der internationalen Ebene auf der supranationalen (EU), der nationalen, der subnationalen (Bundesländer) und lokalen Ebene. Hinzu kommen übergreifende internationale Institutionen (z. B. IPCC, UNEP, UNDP, WTO, Weltbank, IUCN, WMO, IEA) und Programme (z. B. GEF), die von den einzelnen Nationalstaaten mit unterschiedlicher Einflussstärke ausgestaltet werden. Z. B. gibt es auf bundesdeutscher Ebene neben den ministerialen Institutionen (BMU, UBA) zusätzliche Umweltinstitutionen (WBGU, SRU) und Programme (z. B. 100.000-Dächer-Programm der KfW), die auf die Öffentlichkeit programmatisch Einfluss nehmen. 59 Die im Jahr 2000 gegründete Deutsche Energie Agentur (dena) ist bspw. eine von der Bundesregierung und der KfW-Bank unterstützte GmbH, die es sich zur Aufgabe macht, die Öffentlichkeit und private Unternehmen über Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu informieren und damit eine Umwandlung der Energiesysteme - nicht zuletzt durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen - zu forcieren (s. http://www.deutsche-energie-agentur.de; Zugriff: 15.05.2008).
Politik
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lungsprozesses eingegangen, der sich wiederum parallel zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt. Dieses Zusammenspiel ist für die gesellschaftliche Wahrnehmung wesentlich, sowohl was die Zustimmung zu politischen Maßnahmen anbelangt als auch aufgrund ihres öffentlichkeitswirksamen Charakters.
3.3.1 Der Verhandlungsprozess Die ersten wissenschaftlichen Nachweise von veränderter Wärmeabstrahlung der Atmosphäre durch den Einfluss von Kohlendioxid wurden bereits 1896 von Svante Arrhenius im Rahmen einer Erklärung der erdgeschichtlichen Eiszeiten präsentiert (vgl. Zirnstein 1994: 120). Er äußerte später auch die Vermutung, dass das Klima durch Industrieabgase verändert wird. Es folgten weitere, mitunter gegenläufige Arbeiten zur Erkenntnis einer anthropogenen Erderwärmung und politische Aufrufe: So hielt der schwedische UN-Botschafter Sverker Aaström 1968 eine Rede über die aktuellen Ergebnisse in der Klimaforschung und versuchte, die UNO-Vollversammlung davon zu überzeugen, dass der Mensch das Gleichgewicht zwischen Temperaturfaktoren der Erde unsicher mache. Doch erst 1979 wurde politisch reagiert und es fand die erste Weltklimakonferenz der World Meteorological Organisation (WMO) in Genf statt. Dort wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es potentielle vom Menschen verursachte Änderungen des Klimas gebe, die sich nachteilig auf das Wohl der Menschen auswirken könnten.60 Erst 16 Jahre später, 1985, organisierten UNEP, WMO und das International Council of Scientific Unions (ICSU) eine weitere Klimakonferenz in Villach. Der internationale Verhandlungsprozess in der Klimapolitik wurde aber erst durch das 1988 von UNEP und WMO eingesetzte Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) maßgeblich beeinflusst.61 Seine Forschungsergebnisse, die in mittlerweile vier Sachstandsberichten zusammengetragen wurden, haben die zunehmende Dringlichkeit politischen Handelns deutlich gemacht. Der erste völkerrechtsverbindliche Vertrag zum Klimaschutz war die UNKlimarahmenkonvention (UNFCCC), die unter dem Mandat der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio vorbereitet wurde und 1994 in Kraft trat. Die UNFCCC, damals von über 150 Staaten unterzeichnet, legte noch keine verbindlichen Ziele fest. Sie enthielt aber eine Reihe von Absichtserklärungen
60 Ferner wurde der Entwicklung eines Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) zugestimmt, welches von der WMO (einer Organisation der UNO), dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und dem Internationalen Rat wissenschaftlicher Vereinigungen (ICSU) getragen werden sollte. 61 Die Toronto-Konferenz von 1988 gilt als Anfangspunkt des politischen Klimadiskurses. Zwar gab es bereits zuvor Klimakonferenzen, doch der dortige Beschluss von UNEP und WMO, das IPCC ins Leben zu rufen, wird meist mit dem Beginn der internationalen Klimapolitik gleichgesetzt.
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
und Zielformulierungen, wobei das maßgebliche Ziel in Artikel 2 formuliert wurde: „Das Endziel dieses Übereinkommens und aller damit zusammenhängenden Rechtsinstrumente, welche die Konferenz der Vertragsparteien beschließt, ist es, in Übereinstimmung mit den einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Ein solches Niveau sollte innerhalb eines Zeitraums erreicht werden, der ausreicht, damit sich die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann.“ (Art. 2, UNFCCC)
Die UNFCCC war die maßgebliche Vorlage für das Kyoto-Protokoll von 1997. Erst im Kyoto-Protokoll wurden konkrete Ziele beschlossen, nämlich dass in der Verpflichtungsperiode von 2008-2012 im Vergleich zum Referenzjahr 1990 5,2% des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes62 reduziert werden sollten. Bis zum Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls dauerte es acht Jahre, da erst im Jahr 2004 die beiden Bedingungen des Protokolls erfüllt wurden (mindestens 55 Staaten, die für mindestens 55% des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich sind, mussten unterzeichnen). Da die USA als weltweit größter CO2Emittent im Jahre 2001 aus dem Kyoto-Verhandlungsprozess ausstieg, konnte trotz bereits ausreichender Anzahl der Unterzeichnerstaaten erst mit der Ratifizierung Russlands 2004 die zweite Bedingung erfüllt werden (dass die Unterzeichnerstaaten insgesamt für 55% der weltweiten Treibhausgase verantwortlich sind), so dass der Vertrag am 16.2.2005 in Kraft treten konnte.63 Seit 1995 treffen sich die UNFCCC-Vertragsstaaten jährlich (Conferences of the Parties, COP); seit 2005, dem Jahr des Inkrafttretens des KyotoProtokolls, finden zudem parallel jährliche Treffen der KyotoUnterzeichnerstaaten statt (Meeting of the Parties to the Kyoto Protocol, MOP), bei denen Maßnahmen jenseits der Kyoto-Verpflichtungsperiode diskutiert werden sollen (s. Box 2). Der langjährige Verhandlungsprozess und das Ausscheiden der USA sind nicht zuletzt Ausdruck der von Beginn an unterschiedlichen Interessenpolitik der Vertragsstaaten.
62 CO2 hat mit 85% den weitaus größten Anteil am Treibhauseffekt und ist damit wichtigstes Treibhausgas. Das Kyoto-Protokoll bezieht sich insgesamt auf sechs Treibhausgase: CO2, Methan, Lachgas, teilhalogene Flurchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), perfluorierte Kohlenwasserstoffe und Schwefelhexafluorid (Ziesing 2005; United Nations 1992). 63 Bis zum 15.05.2008 hatten 177 Staaten (und eine Wirtschaftsorganisation) das Kyoto-Protokoll ratifiziert. Dies entspricht einer Emissionsmenge der Annex-I-Länder von 63.7% (siehe: http://www.unfccc.int; Zugriff: 15.05.2008).
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Politik
1972: 1979:
1985: 1988: 1990: 1990: 1992: 1995: ab 1995: 1995: 1996: 1997: 1998: 1999: 2000: 2001: 2001: 2001: 2001: 2002: 2003: 2004: ab 2005:
2005: 2006: 2007: 2008:
Erste Umweltkonferenz der UNO in Stockholm Erste Weltklimakonferenz der WMO (World Meteorological Organization) in Genf, Beschluss des Weltklimaforschungsprogramms (World Climate Program) Klimakonferenz in Villach, organisiert von WMO, UNEP und dem International Council of Scientific Unions, ICSU Toronto-Konferenz und Einsetzung des IPCC von UNEP und WMO Erster Sachstandsbericht des IPCC Zweite Weltklimakonferenz (Vorlage des ersten Sachstandsberichts des IPCC) Umweltgipfel von Rio de Janeiro (Klimarahmenkonvention, UNFCCC) Zweiter Sachstandsbericht des IPCC Jährliche Zusammenkunft der Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention (COP): COP1 in Berlin, erste Vertragsstaatenkonferenz COP2 in Genf COP3 in Kyoto (Kyoto-Protokoll) COP4 in Buenos Aires COP5 in Bonn COP6 in Den Haag Dritter Sachstandsbericht des IPCC USA treten aus Kyoto-Verhandlungsprozess aus COP6 Fortsetzung: Bonn COP7 in Marrakesch COP8 in Neu Delhi COP9 in Mailand COP10 in Buenos Aires Jährliche Zusammenkunft der Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention (COP) und gleichzeitig Tagung der Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls (MOP) COP11/MOP1 in Montreal COP12/MOP2 in Nairobi Vierter Sachstandsbericht des IPCC / COP13/MOP3 in Bali COP13 in Posen Box 2: Etappen internationaler Klimapolitik und ihre Ergebnisse
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
3.3.2 Vorreiterin EU Innerhalb des internationalen Klimaregimes galt die Europäische Union lange als Vorreiterin der Klimavertragsverhandlungen. So wurde in der EU ein 8%Reduktionsziel vereinbart. Dieses europäische Gemeinschaftsziel zur Reduktion von Treibhausgasen geht damit über das Kyoto-Ziel von 5,2% Treibhausgasreduktion bis 2012 im Vergleich zu 1990 hinaus. Aufgrund divergierender Interessen der Mitgliedsländer und ihrer unterschiedlichen Industrialisierungsentwicklung, wurde gemäß der unterschiedlichen Möglichkeiten und bisherigen Treibhausgasausstoßmengen eine Lastenteilung (‚burden sharing’) auf der Grundlage von Artikel 4 des Kyoto-Protokolls für die EU-15 vereinbart (gemäß EU-Ratsentscheidung 2002/358/EG). Mit dieser Entscheidung wurde für jeden der 15 Mitgliedstaaten ein eigenes Reduktionsziel festgelegt.64 Das ‚burden sharing’ ist dabei Ausdruck der unterschiedlichen CO2intensiven Industrialisierung der Länder; insbesondere mit Blick auf die mittelund osteuropäischen Länder. Sie ist aber auch ein Ergebnis der Möglichkeiten, des (Un-)Willens und nicht zuletzt der unterschiedlichen Diskursmacht einzelner europäischer Staaten im Verhandlungsprozess. Danach müssen, gemäß des nationalen CO2-Anteils in der EU im Jahre 1990, in Deutschland bis 2012 21% der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 reduziert werden, wohingegen Frankreich im gleichen Zeitraum den Ausstoß nicht reduzieren muss und z. B. in Griechenland der Treibhausgasausstoß noch um 25% steigen darf (s. Abbildung 5).
64
Zwar haben mittlerweile alle EU-Mitgliedstaaten das Kyoto-Protokoll ratifiziert, 23 Staaten haben sich gemäß dem Kyoto-Protokoll Reduktionsziele gesteckt und die Gemeinschaft selbst ist Vertragspartei des Kyoto-Protokolls. Doch das für die Gemeinschaft festgelegte Ziel bezieht sich nur auf die Mitgliedstaaten der EU-15. Die meisten der neuen Mitgliedstaaten haben sich dennoch verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen, gerechnet ab dem Basisjahr 1990, im ersten Verpflichtungszeitraum des Kyoto-Protokolls 2008-2012 um 8% zu reduzieren. Ungarn und Polen beabsichtigen, ihre Emissionen um 6% zu reduzieren. Zypern und Malta sind keine UNFCCC-Anhang-I Vertragsparteien, weshalb für sie keine im Sinne des Kyoto-Protokolls festgelegten Ziele gelten.
75
Politik
Tre ibhausgase missionsz ie le de r EU-15 z wische n 2008-12 (EU burde n sharing)
Deutschland
-21% -12,5%
GB
-6,5%
Italien Dänemark
-21% -6%
Niederlande
-7,5%
Belgien
-13%
Österreich
-28%
Luxemburg Finnland
0%
Frankreich
0% 4%
Schweden
13%
Irland
27%
Portugal
25%
Griechenland 15%
Spanien -30%
-20%
-10%
0%
10%
20%
30%
Tre ibhausgase missione n (in Mio. t C O 2-Äquiv.)
Abbildung 5:
Lastenteilung der Treibhausgasemissionen der EU-15 (Quelle: European Energy Agency 2002)
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
3.3.3 Vorsorgeprinzip und Lastenteilung In den Klimaverträgen (UNFCCC und Kyoto-Protokoll) werden zwei wesentliche Prinzipien festgehalten: die Aufteilung der Emissionsreduktionslasten gemäß der nationalen Voraussetzungen der Vertragsstaaten und das Vorsorgeprinzip. Nach Artikel 3 der UNFCCC soll eine gerechte Verteilung der Klimaschutzverpflichtungen sowohl nach dem Verantwortlichkeitsprinzip als auch nach dem Fähigkeitsprinzip erreicht werden (United Nations 1992). Vor allem soll berücksichtigt werden, dass die Industrieländer einen deutlich höheren Ausstoß von Klimagasen zu verzeichnen haben als die Entwicklungsländer. Deshalb sollen nur erstere in die Reduktionsverpflichtung einbezogen werden. Dabei ist die historische Verantwortung, also der Ausstoß von Klimagasen seit Beginn der Industrialisierung, noch nicht berücksichtigt. Die historische Verantwortung der Industriestaaten zur Treibhausgasreduktion wurde und wird bis heute bei den politischen Verhandlungen und bei politischen Maßnahmen seitens der mächtigen Staaten des Nordens weitgehend ausgeblendet. Die Ausblendung des Verursacherprinzips im Klimadiskurs hat auch dazu beigetragen, dass der Klimawandel in der Öffentlichkeit oft als „neues“, aktuelles Problem und nicht als historisch gewachsenes Problem wahrgenommen wird.65 Das Vorsorgeprinzip (precautionary principle) sieht vorsorgliche Maßnahmen auch im Falle wissenschaftlicher Unsicherheiten vor. So wird die wissenschaftliche Unsicherheitendebatte bereits durch die Rahmenkonvention aufgegriffen, bspw. indem aufgrund der Irreversibilität der Schäden besondere, auch kostenintensive Vorsorgemaßnahmen gefordert werden: „Die Vertragsparteien sollen Vorsorgemaßnahmen treffen, um den Ursachen der Klimaänderungen vorzubeugen, sie zu verhindern oder so gering wie möglich zu halten und die nachteiligen Auswirkungen der Klimaänderungen abzuschwächen. In Fällen, in denen ernsthafte oder nicht wiedergutzumachende Schäden drohen, soll das Fehlen einer völligen wissenschaftlichen Gewißheit nicht als Grund für das Aufschieben solcher Maßnahmen dienen […].“ (United Nations 1992)
Eine weitere Bestimmung, die für die vorliegende Arbeit zentral ist, wurde in Artikel 6 der UNFCCC festgelegt. Dort wird ausdrücklich gefordert, die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels zu erhöhen. So verpflichten sich die Vertragsstaaten, auf nationaler, regionaler und subregionaler Ebene:
65
Bezüglich der Debatte um eine gerechte Verteilung der Lasten gibt es verschiedene politisch diskutierte Vorschläge, u. a. die Forderung nach weltweit gleicher Verteilung der Emissionsrechte bspw. durch gleich verteilte Pro-Kopf-Emissionsquoten (Graßl et al. 2003; BUND und Misereor 1996); erst allmählich werden solche Ansätze auch im offiziellen internationalen Verhandlungsprozess diskutiert.
Zivilgesellschaft und Wirtschaft
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„[…] die Entwicklung und Durchführung von Bildungsprogrammen und Programmen zur Förderung des öffentlichen Bewußtseins in bezug auf die Klimaänderungen und ihre Folgen; den öffentlichen Zugang zu Informationen über die Klimaänderungen und ihre Folgen; die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Beschäftigung mit den Klimaänderungen und ihren Folgen sowie an der Entwicklung geeigneter Gegenmaßnahmen; die Ausbildung wissenschaftlichen, technischen und leitenden Personals […] zu fördern und zu erleichtern.“ (Art. 6a, UNFCCC)
So ist Klimaschutz nunmehr seit der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention (1992), der Unterzeichnung (1997) und dem Inkrafttreten (2005) des KyotoProtokolls und der parallel dazu geltenden EU-Richtlinie mit ihren verbindlichen Reduktionsverpflichtungen als vertraglich bindende Aufgabe festgelegt. Nimmt man die erste Weltklimakonferenz 1979 als Beginn, dann umfasste der Verhandlungsprozess bis zur Kyoto-Verpflichtungsperiode ab 2008 ca. 30 Jahre mit einem Verhandlungsergebnis, welches noch zahlreiche Unzulänglichkeiten aufweist und Kritik an den vertraglich festgelegten Instrumenten zur Umsetzung der Emissionsziele nach sich zieht (Brunnengräber et al. 2004; vgl. auch Kapitel 2.4). Der lange Verhandlungsprozess und sein - in Anbetracht des im gleichen Zeitraum erfolgten immensen Anstiegs globaler Kohlendioxydemissionen unambitioniertes Ziel einer globalen Treibhausgasemissionsreduktion von 5,2% bis zum Jahre 2012 ist dabei das Ergebnis machtvoller Diskursbeeinflussung seitens der Industriestaaten, die ihre Emissionen nur zögerlich reduzieren wollen, weil sie Einschnitte in ihre nationalen Ökonomien befürchten. Obgleich bereits früh die Dringlichkeit des Klimaschutzes bei den regelmäßigen Treffen der Verhandlungspartner deutlich wurde und somit ein intersubjektiver Prozess der Verständigung über das Problem stattfand, kann das Verhandlungsergebnis kaum als hinreichend für seine Lösung - den globalen Klimaschutz - beschrieben werden. Dies ist nicht zuletzt der Grund weshalb die klimapolitischen Verhandlungsschritte der Vertragsstaaten von zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Interessengruppen begleitet werden, die versuchen über öffentliche Aufmerksamkeit politisch Einfluss zu nehmen.
3.4 Zivilgesellschaft und Wirtschaft Diejenigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den öffentlichen Klimadiskurs mitzugestalten, versuchen u. a. über öffentlichkeitswirksame Kampagnen Aufmerksamkeit für ihre Belange zu generieren. Was die Aktionsformen anbelangt, so spielen Öffentlichkeitsarbeit und Protestaktionen eine große Rolle. Durch die Mobilisierung einer möglichst gro-
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
ßen Öffentlichkeit, bspw. durch medienwirksame Aktionen, können die Verbände und Initiativen ihren Forderungen Nachdruck verleihen (s. Box 3).66 Dabei versuchen zivilgesellschaftliche Gruppen auf der Grundlage ihrer Interessen - dem Foucaultschen Verständnis folgend, dass öffentliche Diskurse nicht herrschaftsfrei und rational sind - ein Gegengewicht zur machtvollen Regierungspolitik und auch zu einflussreicheren Oppositionsparteien und Wirtschaftslobbyisten im öffentlichen Diskurs darzustellen. Gerade weil sie insbesondere das Fehlverhalten staatlicher und wirtschaftlicher Akteure im Fokus haben, sollen nach dem Selbstverständnis „grüner“ NGOs67 durch öffentlichkeitswirksame Aktionen klimaschädliches Verhalten von Unternehmen kritisiert und öffentliche Aufmerksamkeit über klimapolitische Fehlleistungen generiert werden. Wie groß der Einfluss von NGOs auf Regierungshandeln und Öffentlichkeit tatsächlich ist, hängt wiederum mit ihrer Unabhängigkeit und ihrer Überzeugungskraft im öffentlichen Klimadiskurs, also ihrer Diskursmacht, zusammen. Doch mittlerweile werden Umweltgruppen von staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren zunehmend auch als Legitimationsfaktoren für die internationalen Klimaverhandlungen und als Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen. So gelten NGOs aufgrund ihres internationalen, nationalen, regionalen und lokalen Organisationsgrades als Bindeglied zwischen Regierungen und Bürgerinnen und Bürgern und sind somit wichtige Informationsdienstleister bei den internationalen Klimaverhandlungen (Partizipativstatus). Durch ihre Teilnahme an den Klimakonferenzen sind sie dann zwar an deren Agenda Setting beteiligt. In der Regel haben nicht-staatliche Akteure jedoch lediglich die Möglichkeit, ihre Expertise in den Verhandlungsprozess einzuspeisen bzw. ihre Meinung öffentlich vorzutragen (Konsultativstatus; Beisheim 2002). Durch die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Interessen über NGOs erhöhen Regierungen und Organisationen sowohl ihre Legitimitätsgrundlage als auch Expertise und Informationsgrad. Dabei erfolgt die Legitimation der NGOs selbst nicht über Wahlen, sondern durch öffentliche wie mediale Resonanz und über Spendeneinnahmen. Das Legitimationskapital von NGOs, so Beck, fußt „auf ihrer dauerhaften Glaubwürdigkeit als Produzenten zuverlässiger Informationen” (Beck 2002: 355). Dies verlangt wiederum ihre Unabhängigkeit.
66
Als eine wichtige Triebfeder für den kommunalen Klimaschutz unter Einbeziehung des Aspekts der Bürgerbeteiligung hat sich in den 1990er Jahren in vielen europäischen Ländern der Lokale Agenda Prozess herauskristallisiert (vgl. Fußnote 23). Diese lokalen Klimaschutzprojekte zeichnen sich durch eine breite Beteiligung vielfältiger zivilgesellschaftlicher Gruppen und Unternehmen aus. 67 Vgl. auch Fußnote 52.
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Zivilgesellschaft und Wirtschaft
Im Zeitalter von Medialisierung finden auch Bewegungsakteure neue Möglichkeiten der massenmedialen Präsentation. Vor allem Greenpeace grenzte sich zu den sozialen Protestbewegungen der 1970er und 80er Jahre ab, indem die Organisation auf die symbolische Konfrontation durch Aktion setzte. Durch moralisierende Diktion stellte und stellt Greenpeace seine Aktionen in den öffentlichen Raum und erzielt damit medial unterstützte Aufmerksamkeit. Die Dramaturgie lebt von der Konfrontation mit Machtinstanzen der Gesellschaft, indem Gegner vor dem Hintergrund des umweltpolitischen Objekts ausgemacht werden. Eine der bekanntesten Aktionen der Organisation ist die erfolgreiche Kampagne gegen die Versenkung der Bohrinsel Brent Spar in der Nordsee. Durch den Boykott tausender Menschen in Europa, wurde der Eigentümer der Insel (das Unternehmen Shell) unter Druck gesetzt und von dem Vorhaben abgehalten (Krüger 1996). Im April 2007 startet Greenpeace gemeinsam mit WWF und BUND mit der auflagenstärksten deutschen Zeitung, Bild, eine Klimaschutzkampagne unter dem Titel „Rettet unsere Erde!“. Kurz zuvor wurde von Greenpeace unter dem Titel „Schwarzbuch Klimaschutzverhinderer“ eine Liste einflussreicher politischer Akteure veröffentlicht, die durch ihre Entscheidungen aus Sicht der NGO Klimaschutz unterbunden hatten.68 Box 3: Das Beispiel Greenpeace
Doch die gerät durch die Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen in die Kritik. So hat sich der ökologische Protest gewandelt, da im ‚Post-Environmentalism’ die Wirtschaftsakteure zunehmend Einfluss auf NGOs nehmen (Eder 1997). Die Zunahme von Werbekommunikation im Umweltbereich erlangt mittlerweile große Bedeutung, was dazu geführt hat, dass die Bereiche Öko-Consulting und -Mediation zu etablierten Institutionen des Umweltmanagements avanciert sind. ‚Öko-Sponsoring’ auf der Grundlage der Zusammenarbeit von Umweltorganisationen und Wirtschaftsunternehmen wird dabei oft kritisch bewertet (Heins 2005). Die Unternehmen fördern ihr Image, während die Umweltorganisationen ihre finanziellen und ihre Informationsressourcen optimieren können. Umweltgruppen werden bereits im Vorfeld unternehmerischer Planungen in Entscheidungsprozesse einbezogen und sind als Ökoberater kostengünstiger als ein nachsorgendes Konfliktmanagement oder eine Imagereparatur (Krüger 1996). Durch die Zunahme des öffentlichen Drucks auf Unternehmen weiten diese ihre Praxisfelder auf Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit) aus und beziehen systematisch Umweltbewegungen unter dem Motto ‚Kooperation statt Konfrontation’ unternehmerisch ein. Solche Kooperationen sind nicht unumstritten: Was dem Unternehmen zur Imageverbesserung verhilft und dadurch gewinnbringend ist, kann 68 Vgl. http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/Verflechtung_Energiewirtschaft_Politik.pdf (Zugriff: 15.05.2008).
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
für die Umwelt-NGO Vertrauensverluste bedeuten. Inwieweit Umwelt- und Sozialstandards von Unternehmen besser eingehalten werden, oder ob dies nur zur formalen Unternehmensstärkung führt, muss im Einzelfall überprüft werden. In jedem Falle müssen NGOs im Umweltbereich zumindest danach differenziert werden, wie stark sie von Unternehmensinteressen dominiert sind bzw. wie unabhängig sie sich als kritische Mahner im Diskursfeld bewegen können. Im Zuge des Bedeutungsgewinns von NGOs in der internationalen Klimapolitik wird gleichzeitig auch die zunehmende Teilnahme von Lobbyverbänden der Industrie legitimiert. Aufgrund der breiten NGO-Definition durch die UN wird dies begünstigt. Diese Akteure haben ihren Einfluss ausgebaut, in erster Linie weil sie von den Klimaverhandlungen nachteilige Ergebnisse für ihre Interessen befürchten. Das Beispiel der US-amerikanischen Kohleindustrie (s. Box 4) zeigt, wie Wirtschaftsunternehmen und deren Lobbyverbände auf das Regierungshandeln diskursiven Einfluss nehmen.
McRight und Dunlap (2003) haben in den USA die Positionen von Regierung und Lobbyverbänden der Industrie zum Klimawandel analysiert. Sie untersuchten den Einfluss der Konservativen auf die Klimapolitik und stellten fest, dass sie sich zwischen 1990 und 1997 mit prominenten wissenschaftlichen Klimaskeptikern und Lobbyisten der Öl- und Kohleindustrie vereinten und dies die Argumentation des Senats gegen das Kyoto-Protokoll beeinflusste. Die Position lautete, dass einer Unterzeichnung des Protokolls nur stattgegeben wird, falls ebenfalls die Unterzeichnung der Entwicklungsländer erfolgt und nur solange die nationale Wirtschaft dadurch nicht negativ beeinflusst wird. 2001 stieg die US-Regierung aus dem Kyoto-Verhandlungsprozess aus. McRight und Dunlap zeigen, wie sich die politische Definition der globalen Erwärmung als Umweltproblem durch den Einfluss der konservativen Akteure wandelte und Klimaschutzpolitik blockiert wurde. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass nur durch den machtvollen Einfluss der Konservativen eine weitreichende Klimaschutzpolitik verhindert werden konnte. Die konservativen ‚Think Tanks’ beeinflussten zwar die Regierungsposition, aber offenbar nicht die öffentliche Meinung, denn die Bevölkerungsmehrheit hat die Regierungsposition nicht unterstützt (Gelbspan 1997). Box 4: Lobbyismus und US-Klimapolitik
Doch ergeben sich durchaus auch klimapolitische Interessenverflechtungen zwischen staatlichen und ökonomischen Akteuren (vgl. Box 5). Wie in Kapitel 4.1 noch ausführlich erläutert wird, kommunizieren die klimapolitischen Akteure auf der Basis ihrer jeweiligen Codes. Im Klimadiskurs verfolgt die Privatwirtschaft ökonomische Interessen und betrachtet den Klimaschutz innerhalb ihres Systems meist als reinen Kostenfaktor. Das Interesse von Umweltschutzorganisationen dagegen ist überwiegend ökologisch motiviert, so
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Medien und Öffentlichkeit
dass der Klimawandel von ihnen als ein für Mensch und Umwelt gefährliches Problem vermittelt wird, das es durch klimapolitische Maßnahmen zu lösen gilt.
Ein Beispiel zur Illustration der Komplexität des Klimawandels im Zusammenhang mit geostrategischem Kalkül liefert die Diskussion um die Besitz- und Nutzungsansprüche in der Arktis. Als Folge der globalen Erwärmung schmilzt das arktische Eis stetig. Das eröffnet geostrategische Potentiale für die Anrainerstaaten Dänemark, Kanada, USA, Norwegen und Russland. Durch den Rückgang des arktischen Eises steigt die Wahrscheinlichkeit neue Gas- und Ölvorkommen zu entdecken. Darüber hinaus eröffnen sich neue Fischfang- und Handelspotentiale sowie Tourismusrouten, weil die Handelswege in den Sommermonaten länger eisfrei bleiben. Durch die Erwärmung entstehen so nicht nur neue ökonomische Möglichkeiten in sich verändernden geographischen Räumen. Zudem können durch das Abschmelzen Anrainerstaaten auch (größere) Teile der Arktis beanspruchen, da sich die Berechnung von nationalen Besitzansprüchen nach der Länge der angrenzenden Küsten und dem Ausmaß des Kontinentalsockels, der in das Nordpolarmeer hineinreicht, richtet. Das Beispiel zeigt, wie eng ökonomische und geostrategische nationalstaatliche Interessen mit den Folgen des Klimawandels zusammenhängen. Box 5: Komplexe Interessenverflechtung
Eine weitere wichtige Diskursarena im Diskursfeld Klima gestalten die Medien. Sie nehmen insofern eine Sonderrolle ein, da sie einerseits selbst als Akteur im Diskurs auftreten und ihn gemäß ihrer politischen Ideologie steuern. Andererseits sind sie maßgeblich für die Bereitstellung der Kommunikationsplattform für andere Akteure zuständig, denn ohne mediale Vermittlung der Informationen können diese nicht oder nicht weitreichend von einer breiten Öffentlichkeit rezipiert werden. Dies machen sich auch Nichtregierungsorganisationen zunutze (s. Box 3). Für Brand (1995) stellt der Mediendiskurs deshalb das zentrale interdiskursive Feld moderner Gesellschaften dar, das auch Konflikte erst öffentlich macht. Dabei sind Medien selbst Teil eines symbolisch strukturierten Konfliktfeldes, in dem die jeweilige Sicht auf Umweltproblematiken in einem ständigen Prozess rekonstruiert wird. Darauf wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.
3.5 Medien und Öffentlichkeit Die Kommunikation von Risiken und Unsicherheiten im Klimadiskurs bedarf einiger Voraussetzungen. In Diskursen werden Probleme wahrgenommen, definiert und präformiert. Es finden (Rück-)Übersetzungen zwischen politischen,
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
wissenschaftlichen, medialen und alltagskulturellen Problemwahrnehmungen statt, bei denen bspw. naturwissenschaftlich-technische Probleme und Lösungsansätze sozialwissenschaftlichen Wahrnehmungsmustern gegenüber stehen und beide sich gegenseitig konterkarieren (Jahn und Wehling 1998). Im Diskursfeld zwischen Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Medien kommt den Medien deshalb eine besondere Rolle zu, weil sie die wissenschaftlichpolitischen Ergebnisse an die Öffentlichkeit kommunizieren und dabei gleichzeitig ihren eigenen Vermittlungsstrukturen und Selektionskriterien unterliegen, die den Vermittlungsprozess präformieren. Medien sind im Foucaultschen Sinne also nicht nur ein Akteur, der um eine bestimmte Bedeutungskonstruktion im Diskursfeld kämpft, sondern sie bestimmen darüber hinaus maßgeblich über die Regeln des Diskurses, indem sie filtern wer wann in welchem Maße kommunizieren darf. Sie sind also entscheidend an der Kontrolle, Selektion und Kanalisation der Informationen beteiligt. Schließlich haben - wie noch in Kapitel 4.1 ausführlich dargelegt wird - nach Luhmanns systemtheoretischem Ansatz alle Umweltveränderungen keine Relevanz, solange nicht darüber kommuniziert wird (Luhmann 1986). Umweltprobleme wie Chemieunfälle, Reaktorstörfälle und auch die Folgen des Klimawandels erreichen eine breite Öffentlichkeit dabei in erster Linie durch mediale Kommunikation. Die mediale Vermittlung strukturiert deshalb maßgeblich individuelles Umwelt- und Klimabewusstsein, weil sie die Vermittlung zwischen Wissenschaft und der Öffentlichkeit in der Regel überhaupt erst herstellt. Medien erfüllen dabei verschiedene Funktionen der ökologischen Kommunikation.
3.5.1 Funktionen der medialen ökologischen Kommunikation Zwei wichtige Funktionen von Medien sind ihre Thematisierungs- und ihre Informationsverbreitungsfunktion. Die Erreichbarkeit der Öffentlichkeit ist durch massenmediale Vermittlung über Fernsehen, Radio, Internet und Printmedien größtmöglich gewährleistet.69 Themen, seien sie auch noch so relevant für das öffentliche Interesse, lassen sich über andere Kommunikationsmöglichkeiten (wie etwa face-to-face-Kommunikation, Hauswurfsendungen oder Plakatierungen) nicht gleichermaßen flächendeckend und schnell kommunizieren wie über Massenmedien (de Haan 1995). Medien im Allgemeinen verhelfen dazu Infor69
Im Folgenden werden die Begriffe Öffentlichkeit und Massenmedien gemäß einer Definition von Peters verstanden: „Öffentlichkeit konstituiert sich unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen in westlichen Massendemokratien hauptsächlich über Massenmedien, unter denen hier redaktionell gestaltete, allgemein-informierende und aktuelle Medien verstanden werden, die sich an ein allgemeines und nicht an ein Fachpublikum richten und deren Inhalt einen Bezug zu zeitlich aktuellen Vorgängen aufweist. Unter diese Definition von Massenmedien fallen vor allem Tageszeitungen, Wochenzeitungen und -zeitschriften sowie die Nachrichten- und Magazinsendungen von Rundfunk und Fernsehen.“ (Peters 1994: 168)
Medien und Öffentlichkeit
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mationen öffentlich zu machen. Ihre Verbreitungseffizienz ist aber durch Reichweite und Rezipienz des jeweiligen Mediums bestimmt, Massenmedien erreichen dabei den höchsten Grad. Ferner ist die Thematisierung eine wesentliche mediale Funktion (de Haan und Kuckartz 1996). Die Thematisierungsfunktion der Medien gilt für die ökologische Kommunikation als notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingung für öffentliches Problembewusstsein und Handlungsbereitschaft. So gilt, dass im Sinne eines Spiraleffektes Aufmerksamkeit und Sensibilisierung mit zunehmender Berichterstattung zunächst steigen. Ab einem gewissen Punkt kann dies bei den Rezipienten aber auch zu einem Sättigungseffekt oder, durch die Konkurrenz mit neuen Themen, zu geringerer Aufmerksamkeit führen. Der Anteil medialen Einflusses auf individuelle Bewusstseinsbildung und Handlungspotentiale ist wiederum davon abhängig, wie medial vermittelt wird. Dies kann selektiv, verzerrt, suggestiv, falsch, einseitig, subjektiv, normativ, aber auch aufklärend, informativ, bildhaft, diskursiv etc. sein. Da Medien Themen überhaupt erst öffentlich machen (Luhmann 1996), ist ein dritter wesentlicher Bestimmungsfaktor ihre Selektivitätsfunktion (Brand 1995). So genannte Nachrichtenfaktoren bestimmen darüber, ob spezifische Themen über Medienkanäle kommuniziert werden, so dass anhand bestimmter Merkmale darüber befunden wird, ob eine Information zur Nachricht wird. Diese Selektion hängt bspw. mit räumlicher und politischer Nähe, Relevanz, Aktualität, regionaler und nationaler Zentralität, Prominenz, Überraschung, Schaden oder Erfolg zusammen (vgl. Peters 1994: 172). Erst wenn einer oder mehrere dieser Nachrichtenfaktoren zutreffen, werden Themen von Journalisten und Journalistinnen bzw. Redakteuren und Redakteurinnen ausgewählt und erreichen über das jeweilige Medium die Öffentlichkeit. Kritik an den medialen Selektionsmechanismen hängt häufig mit zwei Aspekten zusammen: zum einen mit dem Vorwurf des Katastrophenjournalismus (Schulz 2003). Hier wird die überdurchschnittlich häufige Meldung von negativen Themen (Umweltkatastrophen, Kriegen etc.) und deren überzeichnete Darstellung bemängelt. Zum anderen wird die so genannte ‚inszenierte’ Information kritisiert. Sie wird bspw. als Teil der Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) von Interessen geleiteten Unternehmen oder Personen benutzt, die vor allem zu Werbezwecken Themen selektiv hervorheben und dadurch eine Nachricht inszenieren (Brand 2000).70
70 Dabei büßen Medien als öffentliche ‚Diskursunternehmer’ aufgrund von wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten oft ihre Unabhängigkeit und ihren Objektivitätsanspruch ein.
Abbildung 6: Filter
x abhängig vom Medium (Print, TV, Hörfunk, Internet) x Darstellungsunterschiede je nach Aggregierungsebene (lokal, regional, national, global) x Symbolische Vermittlung
Vermittlung des Klimawandels:
Filter
Filter
x Thematisierungsfunktion x Selektivitätsfunktion x Alarmfunktion x Informationsverbreitungsfunktion
Funktionen medialer Kommunikation:
Gesellschaftlicher Resonanzboden und öffentliche Rezipienz
x abhängig von wissenschaftlichem Kenntnisstand x Einfluss von Skeptikern, Verträgen (Kyoto Protokoll etc.) und Handlungsinteressen
Wissenschaftlich/ politische Rahmenbedingungen:
84 Die soziale Konstruktion des Klimawandels
Der mediale Vermittlungsprozess des Klimawandels (eigene Graphik).
Medien und Öffentlichkeit
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Medien folgen ihrer eigenen Logik, indem sie spezifische Selektionsmechanismen umsetzen, die häufig im Zusammenhang mit Komplexitätsreduktion, Personalisierung und Sensationalisierung stehen (Meyn 1994). Das gilt auch für die Kommunikation des Klimawandels. Das maßgebliche Ziel insbesondere von Massenmedien ist es, einen möglichst hohen Grad an Aufmerksamkeit zu erregen; der Verlust von Aufmerksamkeit bedeutet gleichsam einen Verlust von Marktanteilen und stellt ein existentielles Risiko von Massenmedien dar (ebd.). Schließlich strukturiert neben Thematisierungs-, Informationsverbreitungsund Selektivitätsfunktion die Alarmfunktion die mediale ökologische Kommunikation. Nach Eder (Eder 1997) liegt die Rationalität des Mediendiskurses in seiner Funktion als gesellschaftliche Alarmanlage begründet, d. h. Medien machen auf gesellschaftliche und ökologische Probleme aufmerksam und rütteln so die Öffentlichkeit auf. So gilt, dass Medien aufgrund ihrer Informationsverbreitungsmöglichkeiten einerseits und der gesellschaftlichen Erwartung an die Nachrichtenvermittlung relevanter Themen andererseits ein Sprachrohr für aktuelle gesellschaftliche und ökologische Probleme darstellen. Werden Nachrichten zu spät oder gar nicht übermittelt, kann sich dies für das Medium als Existenz bedrohend erweisen. In Abbildung 6 wird noch einmal zusammenfassend dargestellt, wie der Klimawandel über den Filter wissenschaftlicher Erkenntnis und politischökonomischer Rahmenbedingungen an die Medien vermittelt wird. Je nach Darstellungsform und regionaler Reichweite werden die Informationen gemäß ihrer vier Funktionen (Thematisierung, Informationsverbreitung, Selektion und Alarmfunktion) an die Öffentlichkeit verbreitet, wo sie entsprechend des jeweiligen gesellschaftlichen Resonanzbodens rezipiert werden (zur Resonanzfähigkeit s. auch Kapitel 3.5.4).
3.5.2 Vermittlung des Klimawandels Klimawandel als naturwissenschaftliche Erkenntnis und als sozial-ökologisches Problem stellt sich aus der Sicht der Medien bzw. der Journalisten und Journalistinnen als zu vermittelndes Ereignis dar. Ein allgemeines hohes Umweltbewusstsein, wie bspw. in Deutschland gemessen (Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt 2004), bekräftigt dabei das wahrscheinliche Interesse für das Thema und lässt Medienwirkende warnend oder aufklärend in Bezug auf drohende Klimarisiken auftreten. Dabei sind die Journalisten und Journalistinnen auf die Übersetzung des komplexen, mit Unsicherheiten behafteten Klimawandels durch die Wissenschaft angewiesen. So stellen Wilkins und Patterson (Wilkins 1993; Wilkins und Patterson 1991) bei einer Untersuchung der amerikanischen Berichterstattung über den Treibhauseffekt zwischen 1987 und 1990 fest, dass es eine stärkere Beziehung zwischen Journalismus und Wissenschaft gibt als bei anderen Umweltthemen. Die medial vermittelten wissenschaftlichen
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Die soziale Konstruktion des Klimawandels
Nachweise werden häufig nicht korrekt von der Öffentlichkeit rezipiert, sondern erregen zunächst einmal nur die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema. Wilkins (1993) stellt weiterhin fest, dass die Häufigkeit der Beiträge über den Treibhauseffekt eng mit der aktuellen Wetterlage zusammenhängt. Dabei beeinflusst das so genannte ‚psychologische Klima’ die Aufmerksamkeit für das Thema. Auch stellen Medien bspw. Wetterextreme als Folgen eines anthropogenen Klimawandels dar, ohne dass dies zwangsläufig im Einzelfall wissenschaftlich nachgewiesen ist (ebd.). Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein: In einer neuseeländischen Studie von Bell (1989, 1991, 1994) konnte festgestellt werden, dass eine Reihe von falschen Zusammenhängen über Ursachen und Folgen des Klimawandels in der Öffentlichkeit rezipiert wurden, obwohl die Informationen von den Massenmedien korrekt dargestellt wurden. Weiterhin wird die mediale Berichterstattung durch aktuelle politische Debatten zum Klimawandel beeinflusst. Einer Studie von Krosnick et al. (2000) zufolge, war die Medienaufmerksamkeit für das Thema vor und nach den Vertragsverhandlungen zum Kyoto-Protokoll höher, führte aber im Allgemeinen nicht zu einer veränderten Meinung über den Klimawandel. Carvalho et al. (2005) identifizieren ferner in Großbritannien drei unterschiedliche Phasen des medialen Klimadiskurses: Zwischen 1985-1990 stieg die Medienaufmerksamkeit für den Klimawandel nach der Vorlage des ersten IPCC-Berichts signifikant, auch bestärkt durch öffentliche Äußerungen der Premierministerin Thatcher. Zwischen 1991 und 1996 konnte ein Abflauen der medialen Berichterstattung verzeichnet werden, da sich die erwartete ‚Klimakatastrophe’ nicht einstellte. Neue wissenschaftliche Nachweise und das Kyoto-Protokoll führten schließlich zwischen 1997-2003 zu massiver Medienaufmerksamkeit. Dabei stützten regionale Extremwetterereignisse wie die Überflutungen im Jahr 2000 oder die Hitzewelle 2003 in Europa die Thematik. In einer US-amerikanischen Längsschnittstudie wurde ferner untersucht, zu welchen Anteilen der mediale Klimadiskurs auf wissenschaftliche oder politische Quellen zurückgeführt werden kann (Trumbo 1996). Man fand heraus, dass sich der Anteil wissenschaftlicher Quellen in der amerikanischen Printmedienberichterstattung über den Klimawandel bis Mitte der 1990er Jahre zwar zur politischen Thematisierung hin verschoben hat - er fällt von 82% (bis 1988) auf 41% (bis 1995) - aber der Anteil der Wissenschaftsberichte ist damit immer noch hoch im Vergleich zu anderen Umweltthemen; s. Kapitel 8.1 für eine ausführliche Ergebnisdarstellung empirischer Studien zur Wahrnehmung des Klimawandels). Eine im Vergleich zu anderen Umweltproblemen relativ hohe Abhängigkeit
Medien und Öffentlichkeit
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der Medienberichterstattung von wissenschaftlichen Quellen71 bedeutet einerseits eine höhere Bewertung der vorgegebenen Lösungsstrategien. Andererseits bieten die wissenschaftlichen Unsicherheiten größere Interpretationsfreiräume für die mediale ökologische Kommunikation. Letzteres begünstigt auch die jeweilige Dramaturgie der Darstellung (Narration), die auch die Verwendung spezifischer Stilmittel einschließt: Viehöfer (2004) untersucht die Wahrnehmung des Klimawandels auf der Grundlage von Narrationen (Erzählweisen) in Printmedien und Fachpublikationen. Er findet heraus, dass nicht allein die Intention der Sprecher und Sprecherinnen den Diskurs steuert, sondern vor allem die Eigenschaften der Narration selbst, z. B. welche Bezüge hergestellt werden, oder ob die Erzählform anschlussfähig und kohärent ist.72 Auch Greenberg (1989) und McComas und Shananhan (1999) bestätigen den Effekt der Mediennarration bei der Vermittlung des Klimawandels und anderer ökologischer Risiken und dabei insbesondere den Einfluss von Dramatik. Corbett und Durfee (2004) stellen in einem Experiment eines mehrfach aufbereiteten Artikels Unterschiede bei dessen Rezeption fest. Vier Artikel weisen auf den gleichen Sachverhalt hin (Unsicherheiten beim Nachweis der Gletscherschmelze als Folge globaler Erwärmung), allerdings in unterschiedlicher Narrationsweise. Die Forscher können signfikante Gruppenunterschiede bei der Rezeption des vierfach aufbereiteten Artikels feststellen.73
71 Hierbei spielen außerdem noch zwei Aspekte eine wichtige Rolle: erstens die Qualität der Recherche- und Quellenarbeit von Journalisten und Journalistinnen und zweitens die öffentliche Inszenierung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen (vgl. auch Kapitel 3.2 zur Klimaskeptikerdebatte). Dabei entscheidet nicht allein die journalistische Arbeit über die Qualität der Nachrichten, sondern auch die Zugänglichkeit zu Informationen ist wichtig. Zum zweiten Aspekt sei angemerkt, dass wissenschaftliche Reputation nicht allein darüber bestimmt, ob die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse medial erfasst werden, sondern außerdem die Prominenz einer Person relevant ist, v. a. bezüglich des Engagements im außerwissenschaftlichen Bereich (vgl. Peters 1994: 173f.). 72 Dabei bleibt allerdings offen, inwieweit die von den Medien verwendete Narration nicht bereits vom Klimadiskurs anderer Akteure (v. a. aus Wissenschaft und Politik) präformiert ist. 73 Gruppe 1 (Kontrollgruppe) liest einen Artikel über neue Forschungsergebnisse zum Klimawandel, in dem behauptet wird, dass statt schmelzender Gletscher in der Antarktis diese sogar größer werden. Gruppe 2 (Controversy Treatment Group) erhält einen Artikel mit denselben Hintergrundinformationen, aber in einer kontroversen Narrationsweise. Gruppe 3 (Context Treatment Group) wiederum liest einen Artikel ebenfalls mit den gleichen Informationen, diesmal aber in der Erzählweise einer in den wissenschaftlichen Kontext eingebetteten Diskussion. Die Diskussion wird dabei als Einzelfall im Kontext der großen Übereinstimmung über schmelzende Gletscher als Folge globaler Erwärmung bezeichnet. Der vierten Gruppe wird schließlich eine Mixtur aus den Artikeln 2 und 3 präsentiert mit der Darstellung eines komplexen Phänomens Klimawandel, das nachgewiesen aber noch mit unsicherem Wissen behaftet ist.
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Mazur und Lee (1993) wiederum finden heraus, dass die Rezipienz der Umweltberichterstattung Ergebnis des Zusammenspiels zwischen Narrationsweise, Informationsquelle, Aufmerksamkeit der nationalen Nachrichtenkanäle und persönlicher Relevanz ist. Hinzu kommen „Irritationen“ in der Kommunikation, die durch Fehler, Ungenauigkeiten, Vorurteile, Übertreibung oder Verwendung von Informationen im falschen Kontext entstehen. Die Bedeutungskonstruktion des medial vermittelten Klimawandels kann somit durch eine bestimmte Kontextualisierung (der Gesamtzusammenhang, in dem die Information steht) oder aber durch die Art der Meta-Kommunikation (die Glaubwürdigkeit der Information wird positiv oder negativ dargestellt) beeinflusst werden (Peters und Heinrichs 2004: 136). Eine allzu undifferenzierte Sicht auf ‚die Medien’ darf allerdings nicht dazu führen, die unterschiedliche Berichterstattung zwischen Ländern und verschiedenen Medienformaten, v. a. zwischen Print- und audiovisuellen Medien, zu nivellieren. Mormont und Dasnoy stellen bspw. in einer in Deutschland, Frankreich und Belgien durchgeführten Studie deutliche Länderunterschiede der journalistischen Berichterstattung über den Treibhauseffekt fest. Der anthropogene Klimawandel ist auch für die journalistische Berichterstattung erst durch wissenschaftliche Nachweise wahrnehmbar. Das erhöht die Medienabhängigkeit von Sekundärquellen. Nicht nur unterliegt der Klimawandel den kommunikationsimmanenten Funktionen, Symbolismen und journalistischen Vermittlungsrisiken, sondern außerdem findet dies unter wissenschaftlichen Unsicherheiten und indirekter Erfahrbarkeit statt.74 Hinzu kommen Politisierungen, auf die bereits in den Kapiteln 3.3 und 3.4 eingegangen wurde. Die Überprüfung von Informationen aus Sekundärquellen und damit die Beurteilung der ‚wissenschaftlichen Wahrheit’ wird dabei entweder dem Informanten oder dem öffentlichen Kommunikationsprozess selbst überlassen. In der Arena75 massenmedialer öffentlicher Kommunikation findet keine unbeeinflusste, im Foucaultschen Terminus herrschaftsfreie, direkte Nachrichtenvermittlung an ‚die Öffentlichkeit’ statt. Vielmehr reagieren auf medial vermittelte Themen diejenigen Akteure, deren Interessen hierdurch beeinflusst werden bzw.
74 In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Peters und Heinrichs (2004) keine signifikanten Unterschiede zwischen Wissenschaftlern bzw. Wissenschaftlerinnen und Journalisten bzw. Journalistinnen hinsichtlich der Rezeption des Klimawandels feststellen konnten: Es herrscht weitgehende Übereinstimmung bei der Einschätzung des Klimarisikos und keine systematische Unterscheidung bei der Beurteilung von Klimaschutzmaßnahmen zwischen den Gruppen. Insofern kann laut dieser Studie vielmehr von Co-Orientierung und einer geteilten Problematisierungskultur gesprochen werden. Dennoch wird von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen im Allgemeinen eine einseitige Auswahl bei der Zuarbeit zur Klimaberichterstattung moniert, wenngleich diese nicht die Klimaskeptiker bevorzuge (ebd.: 152). 75 Laut Kitschelt (1980) bezeichnet eine Arena einen politischen Handlungsraum, der sich um einen bestimmten Problembereich entwickelt.
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die über Medienkommunikation Aufmerksamkeit für ihre Position erregen wollen (Peters 1994: 169). „Dangerous climate change is thus both politically defined and ideologically constrained.“ (Carvalho und Burgess 2005: 1467)
Darüber hinaus sind diese mit relativen Machtpositionen ausgestattet, die nicht zuletzt auch die mediale Kommunikation und Konstruktion des Klimawandels beeinträchtigen (Rückkopplungseffekt; vgl. auch Kapitel 3.6). Medien wiederum haben im diskursiven Raum der Klimadebatte die wesentliche Funktion, Themen zu verbreiten, die im Umkehrschluss bei den anderen relevanten Akteuren zu Anpassungszwängen führen können. Medien wirken aber auch als Sprachrohr, Konstrukteur und Verstärker von Informationen.
3.5.3 Symbolismen Klimawandel gilt, wie bereits dargestellt wurde, als von den Naturwissenschaften entdecktes Umweltproblem, welches erst mit zunehmenden wissenschaftlichen Nachweisen den Weg in den politischen und öffentlichen Diskurs fand und findet. Die Kommunikation des Klimawandels findet unter der Voraussetzung des Zusammenspiels von Unsicherheit, Risiken und nicht unmittelbarer Erfahrbarkeit statt und wird gleichzeitig komplexitätsreduziert umgesetzt. Eine Möglichkeit ist dabei die Vermittlung über Bilder, Metaphern und Symbolismen. Ein häufig zitiertes Beispiel für die bildhafte Darstellung der Folgen des Klimawandels ist ein Titelblatt des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.76 Als Reaktion auf den Warnruf der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zum Meeresspiegelanstieg77 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin 1986 eine Ausgabe mit dem Bild des in der Nordsee versinkenden Kölner Doms. Der Spiegel hatte die Warnungen der Wissenschaftler über die drohende ‚Klimakatastrophe’ mit dieser Illustration drastisch dargestellt. Zum Zwecke der Versinnbildlichung werden in den Medien häufig lokale Wetterereignisse auf den Klimawandel bezogen, um durch Dramatisierung eine ‚schleichende’ Klimaveränderung zu veranschaulichen (Peters und Sippel 1998). Die Medien überführen mit einer solchen Darstellung komplexe Zusammenhänge und Ungewissheiten in einfachere Kausal76
Ausgabe Nr. 33 vom 11.08.1986. Eine Ausgabe vom 06.11.2006, über 20 Jahre später, titelt gleichermaßen mit dem Ausruf: „Achtung, Weltuntergang! Wie gefährlich ist die globale Erwärmung wirklich?“. 77 Der Aufruf der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG) und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) 1986, bei dem vor gefährlichen Klimaänderungen gewarnt wird, gilt als ein wesentlicher Beitrag zum öffentlichen Klimadiskurs in der BRD. Er wurde durch die Forderung begleitet, die durch den Menschen bedingten Emissionen von Kohlendioxyd weltweit und national drastisch zu reduzieren.
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zusammenhänge, die im Falle antizipierter Katastrophen an individuelle Wahrnehmungsmuster anknüpfen können. Indizien und Evidenzen, die dazu bereitgestellt werden, müssen aus ihrer Sicht von der Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. Medien benutzen dabei Sensationalisierungen und Personalisierungen zur Aufmerksamkeitsbildung und fokussieren und verstärken damit einzelne Aspekte des Inhalts via Symbolismen (Weingart 2002). Medien haben im Kontext des Klimadiskurses die Aufgabe Informationen zu selektieren und zu übersetzen, u. a. durch metaphorische Mittel, um die Differenz zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und konkreter Erfahrbarkeit zu reduzieren. Ein nicht oder nur indirekt wahrnehmbarer Klimawandel lässt Medien Raum für die Bestimmung von Art, Form und Richtung der Klimakommunikation. Die Komplexitätsreduktion funktioniert dabei über die Alltagsanbindung.78 Die Anbindung an den alltäglichen Bedeutungshorizont erfolgt durch direkt oder indirekt wahrnehmbare Klimafolgen und über die Anbindung an individuelle Verhaltensmuster (Energieverbrauch, Mobilitätsverhalten etc.). Die Alltagsrelevanz bezüglich konkreter individueller Verhaltensänderungen ist allerdings vom individuellen Verstehen der Klimavariablen abhängig. Doch ob und wie die mediale Vermittlung des Klimawandels, die in der Regel auf Extremwetterereignisse (ökologische Katastrophen und damit zusammenhängende Konflikte) fokussiert, schließlich die Bevölkerung (Rezipienten) erreicht, muss über die Analyse medialer Vermittlungsprozesse hinaus untersucht werden. Die Aufmerksamkeit für den Klimawandel wird dabei häufig auf der Grundlage eines diffusen Kenntnisstands erregt. So haben US-amerikanische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen herausgefunden, dass die Verhaltensintention beim Klimaschutz häufig nur geringfügig vorhanden bzw. falsch ist. Gleichzeitig ist richtiges Wissen über den Klimawandel aber wesentliche Voraussetzung für das konkrete Handeln (Dunlap 1998; Bord et al. 1998a, 1998b).
3.5.4 Resonanzfähigkeit Die mediale Vermittlung des Klimawandels unter Unsicherheiten, auf der Basis der Medienfunktionen und mittels symbolischer Komplexitätsreduktion fußt weiterhin auf der bereits erwähnten gesellschaftlichen Resonanzfähigkeit. Bei der Bedeutungskonstruktion von Umweltrisiken vermitteln Medien, unter der Maßgabe der sozialen Kontextualisierung und wissenschaftlicher Prognosen über stattfindende und zukünftig zu erwartende Ereignisse, indirekte Vorstellungen über den Klimawandel. Das Agenda Setting der Medien findet dabei unter verschiedenen Rahmungen statt. Diese so genannten Frames meinen semantische 78 Ungar bezweifelt allerdings, dass die Alltagsrelevanz beim komplexen Klimawandel überhaupt hergestellt werden kann. Er weist auf die Diskrepanz zwischen Themenaufmerksamkeit und Verwendbarkeit der Information im eigenen sozialen Kontext hin (Ungar 2000).
Medien und Öffentlichkeit
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Strukturen, in denen Einzelinformationen zu umfassenderen Einheiten organisiert sind: „Frames sind also Vor-Urteile über die Struktur der Wirklichkeit und bewirken eine Organisation der Erfahrung in der Weise, dass die Wirklichkeit als Bestätigung der Vor-Urteile aufgefasst werden kann“ (Peters 1994: 177).
Innerhalb der Rahmungen werden dann Themen strukturiert. Heinrichs und Peters (2001; 2003) unterscheiden weiterhin zwischen einer ‚Issue Culture’, die den themenspezifischen kulturellen Kontext begrenzt, und dem ‚Issue Framing’, welches die Basis für kooperatives Handeln bildet. Erst daran schließen sich Prozesse der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik u. a. Klimaakteuren einerseits und der breiten Öffentlichkeit andererseits an. Für die deutsche ‚Issue Culture’ entwickeln Brand und Deisböck (1997) bspw. sechs maßgebliche Rahmungen, die ökologische Auseinandersetzungen strukturieren: 1. 2.
3. 4.
5. 6.
Die erste Rahmung betrifft die Charakterisierung Deutschlands als ein Land, das eine vergleichsweise starke Umweltpolitik verfolgt. Die zweite Rahmung steht im engen Zusammenhang mit Wachstumsperspektiven: Umweltschutz erreicht dann eine hohe Resonanz, sobald er auch wirtschaftliches Wachstum verspricht bzw. dem nicht entgegensteht. Drittens gilt die Rahmung einer ökologischen Marktwirtschaft, also Umweltschutz unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Das ökologische Modell impliziert einen Grundwiderspruch zwischen Wachstum und Ökologie, bei dem immer wieder Natur- und Umweltschutzforderungen der kurzfristigen Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohlstand gegenübergestellt werden (vierte Rahmung). Die fünfte Rahmung schließt die Frage nach demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten ein. Und schließlich manifestiert sich sechstens die ökologische Auseinandersetzung in Deutschland in der moralisierenden Kritik an der Industriegesellschaft.
Über die nationalen Rahmungen hinaus ist der soziale Resonanzboden für die ökologische Kommunikation aber auch abhängig von verschiedenen Lebensstilen und sozialen Milieus, welche die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Chancen und Barrieren für klimafreundliches Handeln im Alltag prägen (Bogun 1997; de Haan 1996; Hunecke 2000; Reusswig 1994; SINUS 1992; Spellerberg und Berger-Schmidt 1998).
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3.6 Laienwahrnehmung des Klimadiskurses Der Frage, ob durch soziale Konstruktion des Klimawandels die Öffentlichkeit statt der objektiven Umweltsituation nur die diskursive Behandlung des Themas wahrnimmt und das Publikum allein der „Widerhall der Umweltkommunikation“ (Eder 1997: 24) ist, wird in diesem Kapitel nachgegangen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Laien zwar das Phänomen Klimawandel kennen, dies aber nicht zwangsläufig mit einem tieferen Verständnis über Ursachen und Zusammenhänge einhergehen muss: „Obviously, having heard of climate change is not the same as understanding the phenomenon, possessing accurate knowledge about it, or being certain about it. On these dimensions, the research has found much lower levels.“ (Corbett und Durfee 2004: 132)
Die Besonderheit des Klimadiskurses besteht darin, dass er ein hohes soziales Konstruktionspotential besitzt, welches mit dem Diskurs über wissenschaftliche Unsicherheiten zusammenhängt. Da Laien ohne wissenschaftliche Übersetzung nicht zwischen natürlichen und Treibhausgas verursachten Klima- und Wetteränderungen unterscheiden können, sind sie auf wissenschaftliche Nachweise angewiesen, die z. T. aber modifiziert werden und nicht unveränderlich bleiben. Zwar konnten die Unsicherheiten über den tatsächlichen Nachweis anthropogener Klimaänderungen vor allem durch das seit 1988 arbeitende IPCC zu großen Teilen durch immer eindeutigere Nachweise ausgeräumt werden (IPCC 2007a, 2007b, 1990, 1996, 2001), aber es bestehen nach wie vor Unsicherheiten über das genaue Ausmaß der Schäden, Zeitverläufe und präzise Wirkungsketten. Bei der Frage wie Gesellschaften Klima- und Wetterbedingungen wahrnehmen, muss zunächst berücksichtigt werden, dass das Klima Grundlage gesellschaftlicher Zivilisation ist und dadurch besondere Entwicklungen und Rückständigkeiten einer Region beeinflusst (durch Klimazonen, Bodenbeständigkeit eines Landes etc.). Darüber hinaus bestimmt das Klima den Gesundheitszustand von Gesellschaften und geht dabei über kurzfristige Wettereinflüsse hinaus (Stehr und v. Storch 2000). Hinzu kommen konstruierte mikroklimatische Bedingungen wie bspw. klimatisierte Räume, die vor allem westliche Industrienationen von Klima- und Wetterveränderungen entkoppeln und damit potentiell von der Notwendigkeit natürlicher klimatischer Anpassung. Moderne Gesellschaften können sich dabei relativ unabhängig von direkten Klimaeinflüssen machen. Durch Hochtechnologien sind sie zumindest teilweise in der Lage, sich an Klimaschwankungen anzupassen und Extremwetterereignisse wie Hochwasser und Stürme auszugleichen, wenngleich mit kostenintensiven ökonomischen
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Auswirkungen.79 Die Annahme eines vollkommenen Klimadeterminismus80 ist nicht zu vertreten: Eine verkürzte Sichtweise, die Gesellschaften als vollständig abhängig von klimatischen Variablen betrachtet, ist falsch. Gleichwohl beeinflusst das Klima sowohl die natürliche Lebensgrundlage als auch die soziale Umwelt und wird von ihr beeinflusst (Rückkopplungseffekt). Die Veränderungen klimatischer Bedingungen aufgrund des anthropogenen Klimawandels ist für Laien nur wahrnehmbar, solange sie im Kontext (direkt oder indirekt) erfahrbarer Veränderungen und klimawissenschaftlicher Nachweise stattfindet. Dass Individuen ohne Unterstützung der Wissenschaft Wetterphänomene von nicht-natürlichen Klimaveränderungen nicht unterscheiden können, kann wiederum sowohl zu einer Unterschätzung von Wetterextremen als
79 Diese sind für Industriestaaten nicht gleichermaßen existentiell wie für Schwellen- und Entwicklungsländer. 80 Der Geograph Ellsworth Huntington gehörte zu einem der Verteidiger kausaler Klimawirksamkeit auf Gesellschaften. Huntington, der die Einflüsse von Wetter und Wetterextremen auf gesellschaftliche Unterschiede erforschte, kam zu dem Schluss, das Klima determiniere gesellschaftliche Leistungsfähigkeit, Wohlstand und die allgemeine Performanz von Gesellschaften. Dadurch geriet er in die Nähe sozialdarwinistischer bzw. nationalsozialistischer und rassistischer Ansätze. Eigenständiges menschliches Handeln wird in diesem Ansatz auf rein geophysikalische Faktoren reduziert; die Sicht auf die Menschen wird als Unterwerfung unter das Klimasystem verstanden (ebd.). Dieser Ansatz wurde von den Sozialwissenschaften abgelehnt. Allerdings etablierte sich erst durch die Umweltsoziologie überhaupt ein soziologischer Zugang zur Erforschung des Natur-GesellschaftsVerhältnisses, wodurch auch das Durkheimsche Paradigma (vgl. Kapitel 4.1.3) revidiert wurde: „Environmental sociology constitutes the environment within sociological discourse as a social problem [...].“ (Stehr und v. Storch 1999b: 164) In diesem Zusammenhang wird von Grundmann und Stehr (1997) die mangelnde Interdisziplinarität in der Klimaforschung kritisiert, nicht zuletzt weil das Verständnis des Klimaeinflusses äußerst unterschiedlich ist, je nachdem ob eine natur- oder sozialwissenschaftliche Perspektive eingenommen wird. Die Autoren kritisieren die Dichotomie natürlicher vs. gesellschaftlicher Phänomene und weisen auf die Notwendigkeit von interdisziplinärer Forschung hin. Es sollten in der Klimaforschung natur- und sozialwissenschaftliche Forschungen gleichermaßen berücksichtigt werden. Kritik an rein naturwissenschaftlich geprägter Klimawissenschaft richtet sich vor allem darauf, dass Modelle bspw. Wirkungen von globalen Veränderungen auf Wasserverbrauch, Lebenserwartung, Biosphäre, Landwirtschaft oder Tourismus betrachten, aber zu wenig deren politische und ökonomische Grundlagen. Dadurch entsteht das Bild, Gesellschaften würden zum Spielball klimatischer Veränderungen. Es sollte deshalb ein Forschungsfeld entwickelt werden, in dem Natur- und Sozialwissenschaften gleichberechtigt tätig sind (Stehr und v. Storch 2000). Dadurch, dass naturwissenschaftliche Klimaforschung direkte klimatische Auswirkungen auf gesellschaftliches Verhalten misst, werden - entgegen geläufiger Annahmen - implizite Antwortstrategien bereitgestellt, die durch die Vorannahmen der Simulationen und Modellierungen (häufig basierend auf Konzepten aus der Ökonomie zur Risikoanalyse) entwickelt werden. Stehr und v. Storch fordern anstelle eines (naturwissenschaftlichen) „climate works“ ein relativierendes (sozialwissenschaftliches) „climate matters“ (Stehr und v. Storch 1999b). Dies soll sich einerseits von der Eindimensionalität des Klimas abgrenzen (relevant, aber nicht allein determinierend) und andererseits den Fokus auf den gesellschaftlichen Einfluss des Klimawandels (sozio-ökonomisch relevant) lenken. „Wir brauchen eine ‚soziale Naturwissenschaft’, die die Gesellschaft als Teil des Ökosystems Erde begreift, ohne dabei die nicht-mathematisierbare, interne gesellschaftliche Dynamik auf einen Umweltdeterminismus zu verkürzen.“ (Stehr und v. Storch 1999a:123)
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auch zu einer Überschätzung von Wetteränderungen führen. Wahrgenommen wird in der Öffentlichkeit deshalb das soziale Konstrukt des Klimas: „ [...] Wir folgern, daß die Gesellschaft das Klima selbst nicht unmittelbar wahrnimmt, sondern die warnenden Beobachtungen der Experten und deren Aussagen, insbesondere zu extremen Wetterereignissen. Die moderne Gesellschaft nimmt das Klima im Wesentlichen durch einen gesellschaftlich bestimmten Filter wahr. Dieses gefilterte Abbild des tatsächlichen Klimasystems bezeichnen wir als das ‚soziale Konstrukt des Klimas’. [...] Die Vertrauenswürdigkeit der Experten […], die Abwesenheit anderer schwerwiegenderer Probleme sowie die Art und Weise, mit der diese Fragen in den Medien verschiedener Länder behandelt oder auch nicht behandelt werden, haben generell einen größeren Einfluß auf das allgemeine Klimaverständnis als tatsächliche Klimaereignisse.“ (Stehr und v. Storch 1999a: 120)
Nach dieser Sichtweise ist davon auszugehen, dass die Gesellschaft nicht auf den realen Klimawandel, sondern auf dessen soziale Konstruktion reagiert. Die individuelle Wahrnehmung ist begrenzt und die Unterscheidung zwischen natürlichen Wetterereignissen und unnatürlichen Klimaschwankungen wird dadurch bedingt, dass sie diskursiv übersetzt wird und wie und in welcher Form sie eine bestimmte Bedeutungskonstruktion erlangt. Nun gilt dies nicht nur für den Klimawandel: „Wesentliche Dimensionen von Umweltveränderungen sind für die Menschen nicht wahrnehmbar. Für eine direkte Perzeption von schleichenden, sich über einen langen Zeitraum erstreckenden Veränderungen in der Umwelt stehen den Menschen kein Wahrnehmungsorgan und kein Gedächtnis zur Verfügung. Ereignisse ohne sinnliches Pendant verlieren jedoch ihre handlungsorientierende und -stabilisierende Funktion.“ (Lantermann 2001: 118)
Die Tatsache, dass Umweltprobleme nicht oder nur indirekt wahrnehmbar sind, wird dabei durch die Metaphorisierung der ökologischen Kommunikation über Massenmedien forciert. Bezüglich der Frage, wie der Klimawandel schließlich in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und in welchem Maße dies aufgrund objektiver oder sozial konstruierter Zusammenhänge geschieht,81 sind Stehr und v. Storch (1995) der Auffassung, dass Wetterextreme und die Zeitspanne der Klimaänderungen für die Wahrnehmung entscheidend sind. Dabei werde die Aufmerksamkeit auf Extremereignisse gelenkt, auch auf solche, die gar nicht mit der Erwärmung zusammenhängen. So stellen die Autoren fest, dass die Gesell81 Brand und Eder (1997) wenden allerdings ein, dass auch die naturwissenschaftliche Forschung Ergebnis bzw. Teil der sozialen Konstruktion sei. Konstruktivismus und Objektivismus sind interdependent und es sei notwendig, dass natur- und sozialwissenschaftliche Klimaforschung interagieren, um die Interdependenzen zwischen sozialer Konstruktion und objektivem Klimawandel zu verstehen. (Zur Realismus-Objektivismus-Debatte siehe u. a. Luhmann 1990a, Brand 1998a, Eder 1998 und vgl. Kapitel 4.1).
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schaft Wetterextreme übermäßig häufig wahrnehme und sie fälschlicherweise automatisch als Zeichen klimatischer Veränderungen deute.82 Dies wiederum sei jedoch riskant für die Kommunikation tatsächlicher Veränderungen durch die globale Erwärmung, weil es zu einem Gewöhnungsprozess an die Ereignisse führen kann und die Öffentlichkeit im Falle falscher Zusammenhänge desensibilisiert werde. Die öffentliche Wahrnehmung über die Folgen anthropogener Klimaänderungen ist abhängig davon, wie diese von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Medien in der Öffentlichkeit interpretiert werden. Aufgrund ihrer verschiedenen Interessen und unterschiedlich stark ausgeprägten Möglichkeiten, den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne zu beeinflussen, erlangt die Öffentlichkeit nie eine ungefilterte, objektive Perspektive auf den Klimawandel. Individuelles Bewusstsein für Klimaschutz und die damit zusammenhängende individuelle Handlungsmotivation zur Lösung derselben sind somit nicht unabhängig von der gesellschaftspolitischen Problemkonstruktion der Klimaakteure zu erklären. Der Kontext, in dem Klimaschutz thematisiert und problematisiert wird, wird durch die Bedeutungskonstruktion der Akteure im Klimadiskurs strukturiert, die insbesondere vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Unsicherheiten über exakte Ursachen und Folgen greift. Im Foucaultschen Sinne wird dabei die Realität des Klimawandels von den verschiedenen Akteuren im umkämpften Diskursfeld erzeugt. Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Frage, wie der Klimawandel in der Laienöffentlichkeit wahrgenommen wird, stärker vor dem Hintergrund des Diskurses untersucht werden muss. Um entsprechende Arbeitshypothesen herauszuarbeiten ist es deshalb notwendig theoretische Ansätze auszuwerten, die das soziale Konstruktionspotential des Klimadiskurses einerseits und die Frage der Wahrnehmung komplexer Umweltprobleme andererseits in den Mittelpunkt stellen. Dieses wird in den folgenden Kapiteln zweifach umgesetzt: Zum einen werden gesellschaftstheoretische Ansätze und zum anderen handlungstheoretische Ansätze aufgearbeitet. Ziel der Kapitel 4 und 5 ist es dabei, auf die zentrale Fragestellung bezogene Hypothesen zu generieren, die am empirischen Material überprüft werden. Schließlich geben sowohl die theoretischen als auch die empirischen Ergebnisse Hinweise auf die Frage, wie der Klimawandel angesichts seiner zeitlichen und räumlichen Komplexität und unter diskursiven Einflüssen aus Laiensicht rezipiert wird.
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Als Beispiel hierfür kann die Wahrnehmung des Tsunamis in Asien im Dezember 2004 als Folge des Klimawandels gelten: Der Tsunami ist eindeutig eine natürliche, wenngleich seltene auftretende Umweltkatastrophe, und wurde dennoch von einigen Medien mit dem anthropogenen Klimawandel in Zusammenhang gebracht (bspw. in einem Artikel der Welt: „Teurer Klimawandel. Versicherungen leiden unter Schäden durch Wetter-Extreme“, Die Welt, Ausgabe vom 25.02.2005).
4 Klimawandel als gesellschaftliches Risiko
4.1 Die Risikokommunikation des Klimawandels In den folgenden Kapiteln wird sowohl eine makro- als auch eine mikrosoziologische Perspektive eingenommen: So wird in Kapitel 4 aus system- und modernisierungstheoretischer Sicht das Ziel verfolgt, den Klimawandel mitunter im Vergleich zu anderen Umweltrisiken als gesellschaftliches Risiko zu beschreiben. Weiterhin werden in Kapitel 5 umweltsoziologische und umweltpsychologische Arbeiten herangezogen, die auf der Ebene des Individuums ansetzen. Dabei wird deutlich, welche individuellen Mechanismen die Rezeption des Klimawandels bzw. des Klimadiskurses vorstrukturieren. Beide Blickwinkel vertiefen das Verständnis über den Klimawandel einerseits als gesellschaftliches und andererseits als individuelles Risiko. Nachdem nun im letzten Kapitel die Relevanz des sozialen Konstruktionspotentials des Klimadiskurses deutlich geworden ist, wird dies im folgenden Kapitel 4 vertieft. Die Frage nach dem Laienverständnis des Klimawandels wird dabei anhand systemtheoretischer Ansätze aus den Bereichen der (ökologischen) Kommunikations- und Risikoforschung beleuchtet. Aus kommunikations-systemtheoretischer Sicht führt die funktionale Differenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme dazu, dass diese nicht oder nur eingeschränkt miteinander in Kommunikation treten können und insofern auch nur geringe bis keine Resonanzfähigkeit erzeugen (Luhmann 1986). Die Resonanzfähigkeit der einzelnen Funktionssysteme83 (bspw. Recht, Wirtschaft, Wissenschaft) ist dabei abhängig von ihrer (binären) Codierung84 und Programmierung (Operationalisierung). Resonanz bedeutet, dass Systeme nur nach Maßgabe ihrer eigenen Struktur auf Umweltereignisse reagieren können. Systeme unter83 So bezeichnete autopoietische Systeme grenzen sich bei Luhmann dadurch von der Umwelt ab, dass ihnen jeweils alle elementaren Einheiten und deren Reproduktion zueigen sind. Autopoiesis ist die selbstreferentielle Reproduktionsweise dieser Systeme. 84 Die binäre Codierung ist wichtig für die Operationalisierung der Systeme durch bzw. an einer Differenz. Binäre Codes sind Duplikationsregeln: Informationen werden im Kommunikationsprozess bewertet und einem Vergleich mit einem genau korrespondierenden Gegenwert ausgesetzt. Beispielsweise gilt im Rechtssystem die binäre Codierung „recht“ kontra „unrecht“ oder im gesellschaftlichen Subsystem Eigentum gilt die Codierung „haben“ und „nicht haben“ usw. „[Es geht] um die Projektion einer positiv-negativ Entscheidung, mit deren Hilfe die Möglichkeit und die Konsequenz des Gegenteils geprüft werden können.“ (ebd.: 78)
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scheiden sich durch ihre Differenz, wobei diese nicht allein als Trennungslinie, sondern als Instrument der Reflexion betrachtet werden können. „Jedes Systemproblem [ist] letztlich auf die Differenz von System und Umwelt zurückzuführen [...].“ (ebd.: 13)
Besonders schwierig ist bei der Betrachtung des Umwelt-GesellschaftsVerhältnisses, dass wir uns zunächst selbst betrachten müssen, denn nur wenn das beobachtende System zur Selbst- und Fremdreferenz in der Lage ist findet eine Annäherung an die ‚Wahrheit’ statt. Insofern gilt: „Ein System kann nur das sehen, was es sehen kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann. Und es kann nicht sehen, dass es nicht sehen kann, was es nicht sehen kann.“ (ebd.: 45)
Dies meint die Beobachtung von Beobachtung oder die Kybernetik zweiter Ordnung. Ein System kann nur dann zweiwertig operieren, wenn es zwischen Fremd- und Selbstreferenz unterscheiden kann. Die Operationalisierung zwischen den Systemen gelingt indes durch die Kommunikation, denn Gesellschaft ist allein Kommunikation und grenzt sich dadurch von anderen Systemen ab. Für das Mensch-Umwelt-Verhältnis bedeutet dies, dass Umweltveränderungen solange keine gesellschaftliche Resonanz erzeugen, solange nicht darüber kommuniziert wird. Gesellschaft kann nicht anders als kommunizieren, weil die Umwelt nicht mit der Gesellschaft kommunizieren kann. Nach Luhmann kann die Umwelt sich nur durch Störungen bemerkbar machen.85 „Es geht nicht um die vermeintlich objektiven Tatsachen: dass die Ölvorräte abnehmen, die Flüsse zu warm werden, die Wälder absterben, der Himmel sich verdunkelt und die Meere verschmutzen. Das mag alles der Fall sein, erzeugt als physikalischer, chemischer oder biologischer Tatbestand jedoch keine gesellschaftliche Resonanz, solange nicht darüber kommuniziert wird. Es mögen Fische sterben oder Menschen, das Baden in Seen oder Flüssen mag Krankheiten erzeugen, es mag kein Öl mehr aus den Pumpen kommen und die Durchschnittstemperaturen mögen sinken oder steigen: solange darüber nicht kommuniziert wird, hat dies keine gesellschaftlichen Auswirkungen. Die Gesellschaft ist ein zwar umweltempfindliches, aber operativ geschlossenes System. Sie beobachtet nur durch Kommunikation. Sie kann nicht anders als sinnhaft kommunizieren und diese Kommunikation durch Kommunikation selbst regulieren. Sie kann sich also nur selbst gefährden.“ (ebd.: 62f.)
Für die ökologische Kommunikation einer funktionalistischen Gesellschaft bedeutet dieser Ansatz, dass der Komplexitätszuwachs moderner Gesellschaften 85 Zum Vergleich bezieht er sich auf den menschlichen Körper, der durch Schmerzen reagiert, um ins Bewusstsein zu gelangen, also in einer für das Bewusstsein resonanzfähigen Weise.
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gleichzeitig zu geringerer Resonanzfähigkeit zwischen den einzelnen Teilsystemen führt und dadurch auch das Gesellschafts-Umwelt-Verhältnis beeinträchtigt.86 Systemtheoretisch gesprochen sind die Codierungen untereinander schlecht integriert in dem Sinne, dass positive Wertungen in einem Code noch keine Positivwertungen in anderen Codes meinen. Übertragen auf den Klimawandel lässt sich hier bspw. der Wertekonflikt zwischen kapitalistischfossilistischem Wirtschaftswachstumspostulat und dem Schutz der Erdatmosphäre wiederfinden. Ferner lässt sich an die Schwierigkeiten bei der Integration der drei Säulen der Nachhaltigkeit denken (vgl. Kapitel 2.3). Für die Frage, wie die Gesellschaft auf den Klimawandel reagiert, bedeutet das also, dass Gesellschaft nicht mit dem Klima, sondern nur nach Maßgabe ihrer Informationsverarbeitungskapazitäten über den Klimawandel kommunizieren kann. So ist zwar die Frage der Lösung nachhaltigen Klimaschutzes leicht zu beantworten, nämlich dass es um geringere Emissionen, weniger Ressourcenverbrauch usw. geht. Doch viel schwieriger ist es, die Frage der Risikokommunikation des Klimawandels zu lösen, voraussetzend, dass moderne Gesellschaften auf der Grundlage differenzierter Funktionssysteme auf ihre Umwelt reagieren.
4.1.1 Über den Konstruktivismus des Klimawandels Die Beantwortung der Frage nach der Kommunikation des Klimawandels verlangt weiterhin die Berücksichtigung des in Kapitel 3 hergeleiteten sozialen Konstruktionspotentials des Klimadiskurses. Was also das ‚konstruktivistische Potential’ des klimapolitischen Diskurses,87 dem Luhmannschen operativen
86 Historisch betrachtet sei dabei seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein neues Problembewusstsein entstanden: Die Resonanz auf die Umwelt wird durch funktionsspezifische Codes und nicht mehr durch ein gesellschaftseinheitliches, durch die Oberschicht vorgegebenes Ethos gesteuert. 87 Erkenntnistheoretisch wird (auch) in den Sozialwissenschaften zwischen verschiedenen Ansätzen des Konstruktivismus unterschieden. Die wichtigsten sind dabei der Radikale, der soziokulturelle und der operative Konstruktivismus nach Luhmann, ferner der pragmatische und der Erlanger (auch methodische) Konstruktivismus. Während beim Radikalen Konstruktivismus davon ausgegangen wird, dass unser gesamtes Wissen konstruiert ist und eine objektive Erkenntnis nicht möglich ist, wird beim soziokulturellen Konstruktivismus danach geschaut, wie die soziale Wirklichkeit und soziale Phänomene sozial konstruiert sind. Im operativen Konstruktivismus wiederum beschreibt Luhmann kognitive Systeme, die nicht zwischen Realität und Erkenntnis (d. i. Beobachten, die Fähigkeit zu Unterscheiden und Bezeichnen), also auch nicht zwischen Realität und deren Konstruktion unterscheiden können. Realität wird dabei nicht bestritten, aber die Fähigkeit diese zu erkennen. Außerdem gibt es den politikwissenschaftlichen Konstruktivismus, mit dessen Hilfe die Strukturen und Akteure hinsichtlich ihrer sozialen Konstruiertheit und politischer Handlungsmuster untersucht werden.
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Konstruktivismus folgend,88 angeht, so ist bezüglich der Beobachtung von Natur zunächst einmal festzustellen, dass es keine Beobachtung der Natur gibt, die für alle gleich ist.89 Deshalb müssen Formen der Beschreibung entwickelt werden, die explizit angeben, von welchem System aus die Welt und die Gesellschaft gesehen werden. „Es müssen Formen der Beschreibung sein, die sich über eine solche Systemreferenz ihrem Gegenstandsbereich einordnen. [...] Eine funktional differenzierte Gesellschaft erzwingt [...] einen radikalen Relativismus.“ (ebd.: 11)
Dabei teilt sich die Welt in reale Realität (durch Selbstbeschreibung der Gesellschaft via Beobachtungen zweiter Ordnung) und fiktionale Realität (durch Beschreibungen von Beschreibungen). Eder (1998) bezeichnet die Geschichte der globalen Erwärmung als eine Konstruktion, die innergesellschaftlich über etwas außerhalb der Gesellschaft wahrgenommen wird. Dabei ist er allerdings nicht der Auffassung, dass es keine realen Naturveränderungen gibt. Vielmehr stellt er den konstruktivistischen Anteil der realen Naturwahrnehmung heraus: „Unsere Bilder über die Natur sind immer an das begrenzte Wissen gebunden, das wir über die Natur besitzen. Man könnte dies realistisches Wissen nennen und daraus folgern, dass Menschen immer auch Realisten sind. Ist das ein Argument für Grenzen des Konstruktivismus? Nicht notwendig, weil auch realistisches Wissen ein konstruiertes Wissen eines spezifischen Typus ist. Es handelt sich um eine Konstruktion der Objektivierung von Beobachtungen, die sich auf eine Außenwelt beziehen. Diese Beobachtungen, ‚Ereignisse’, sind das Material, aus dem die soziale Konstruktion der Natur gemacht wird und als Wissen verkörpert wird.“ (ebd.: 101)
Hieraus wird deutlich, dass zunächst einmal zwischen realen Ereignissen und deren konstruierten Anteilen zu trennen ist. Darüber hinaus muss aber das so genannte realistische Wissen ebenfalls als konstruiertes Wissen, wenngleich auf 88 Für Luhmann steht die Existenz des Konstruktivismus in Abgrenzung zum Realismus außer Frage: „Offensichtlich hat die sich so bezeichnende Theorie [Konstruktivismus] Mühe, sich gegen den Verdacht eines erkenntnistheoretischen Idealismus oder Solipsismus zu wehren. Und immer wieder versuchen sympathisierende professionelle Vermittler, ihr [der Konstruktivismustheorie] eine wenigstens kleine Beimischung von Realismus aufzudrängen, um sie von diesem Verdacht zu befreien. Damit wird jedoch das Problem verfehlt und nur eine alte Diskussion fortgesetzt. Tatsächlich steht der Realismus des Konstruktivismus auf sicheren Beinen, denn weder Jean Piaget noch Heinz von Förster, weder Humberto Maturana noch Ernst von Glassersfeld lassen den geringsten Zweifel daran, dass es sich um Konstruktionen real operierender Systeme handelt.“ (Luhmann 1990a: 9) 89 So werden bei der Analyse der Risikokommunikation des Klimawandels von Peters und Heinrichs (2004) z. B. drei unterschiedliche Risikokonstrukte (das politisch-administrative, das wissenschaftliche, das öffentliche) bestätigt, die z. T. Koorientierungen aber auch unterschiedliche Bedeutungskonstruktionen des Klimawandels aufweisen.
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der Grundlage realer Beobachtungen gelten. Realisten sind also ebenfalls Konstruktivisten, nur dass sie ihre Ereignisse unter anderen Gesichtspunkten, nämlich denen der Praxisrelevanz oder Politikrelevanz, selektieren (ebd.). Diesem Ansatz folgend, ist jede institutionalisierte Form des Umgangs mit dem Klimawandel eine doppelte Konstruktion, zum einen eine soziale Konstruktion realer Fakten und zum anderen eine soziale Konstruktion von Glaubensvorstellungen, die hinzugefügt werden.90
4.1.2 Klimawandel als Gefahr oder Risiko? Ein weiterer wesentlicher Aspekt der gesellschaftlichen Risikowahrnehmung des Klimawandels, auf den im folgenden Kapitel eingegangen wird, ist die Frage der Wahrnehmung und Reaktion auf ökologische Krisen unter dem Gesichtspunkt der Unsicherheit des Handelns. Ob der Klimawandel als Gefahr oder als Risiko wahrgenommen wird hat dabei auf der rationalitäts- und entscheidungstheoretischen Ebene entscheidende Konsequenzen. Da die Umwelt nicht in der Lage ist zu kommunizieren, sondern sie sich nur durch Störungen bemerkbar machen kann, muss die Resonanzfähigkeit zwischen Umwelt und Gesellschaft darüber hergestellt werden. Die Gesellschaft wiederum operationalisiert ihr System durch Kommunikation und grenzt sich damit von anderen Systemen ab. Weil Gesellschaft nicht mit der Umwelt kommunizieren kann, gefährdet sie sich, wie bereits erwähnt, selbst. Will sie sich vor diesen Gefahren schützen, kann sie dies nur durch die Mittel der Kommunikation tun. Deshalb gilt aus systemtheoretischer Sicht als Voraussetzung für jegliches Umwelt- oder Klimabewusstsein, dass alle Umweltveränderungen erst dann Relevanz bekommen, wenn darüber kommuniziert wird. Wird nun Resonanz zwischen den Systemen Umwelt und Gesellschaft erzeugt und der Klimawandel als Umweltproblem kommuniziert, wird wiederum der individuelle Entscheidungs- und Handlungsimpuls zum Klimaschutz vom Umgang mit Unsicherheiten bestimmt: „Von Risiken und von Gefahren spricht man im Hinblick auf mögliche Schäden. In Bezug auf den Schadenseinritt besteht im gegenwärtigen Zeitpunkt, also im Zeitpunkt des Risikos bzw. der Gefahr, Unsicherheit. Diese Unsicherheit kann, da der Schadenseintritt von künftigen Ereignissen abhängen wird, nicht ausgeschlossen werden (oder man würde, wenn sie ausgeschlossen werden kann, nicht mehr von Risiken oder Gefahren sprechen).“ (Luhmann 1990b: 138)
90 Der Klimawandel eigne sich überdies sehr gut, um die Relevanz des Konstruktivismus dahingehend zu begründen (ebd.).
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Handeln unter Unsicherheit bedeutet nun, dass eine von mehreren Handlungsalternativen gewählt wird mit dem Wissen, dass die Folgen, und damit die Bestätigung der Entscheidung, erst später sichtbar werden (das Risiko hat insofern einen Zukunftsbezug). Auch mehr Informationen können dabei Unwägbarkeiten nicht verhindern, denn unser Handeln ist nicht unabhängig vom Handeln anderer, wodurch es unter permanenten Veränderungsdruck gestellt wird. Entscheidungen werden aus der Perspektive möglicher Schäden in der Zukunft prognostiziert, damit werden Ungewissheit und Unsicherheit zunehmend zum Handlungsmuster (Görg 1999). Dabei gilt, dass Nicht-Handeln ebenso wie bewusstes Handeln Auswirkungen auf das Umweltrisiko hat. Voraussetzung für den Umgang mit anthropogenen Umweltgefahren wie dem Klimawandel ist die Frage, ob das Umweltproblem als Gefahr oder als Risiko91 wahrgenommen wird. Dabei muss zwischen dem Risiko als Folge einer vom Menschen getroffenen Entscheidung und der Gefahr als externem, der Umwelt zugehörigem Schaden unterschieden werden. So existiert Gefahr: „ [...] unabhängig von Entscheidungen bzw. kann von Kalkulationen nicht eingegrenzt werden.“ (Luhmann 1991: 148)
Die Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr ist grundlegend, denn von ihr hängt im Wesentlichen das Entscheidungsverhalten der Akteure ab. „Eine erste Hypothese ist, dass sich unterschiedliche Formen sozialer Solidarität entwickeln je nachdem, ob die Zukunft unter dem Aspekt von Risiko oder unter dem Aspekt von Gefahr wahrgenommen wird.“ (ebd.: 112)92
Dabei ist es ein ganz erheblicher Unterschied, ob eine Bedrohungssituation als Risiko oder als Gefahr wahrgenommen wird. Je nachdem ob das Gegenüber ein Risiko als Gefahr oder aber eine Gefahr als Risiko bewertet, ändert das die Entscheidungsfindung über den Umgang mit dem Problem und die Konsenschance.93 Darüber hinaus kann die Risikobereitschaft (inklusive die Überzeugung ihrer Kalkulierbarkeit) der einen Seite zu Protektionsforderungen der anderen Seite führen (Luhmann 1990b). Ferner gilt, dass durch Vorbereitung auf 91 Die zukunftsgerichtete Risikokalkulation wird dabei unter dem Code ‚wahrscheinlich’ oder ‚unwahrscheinlich’ gefasst. 92 Darauf, dass es auch innerhalb der Wahrnehmungen ökologischer Gefahren als sozial beeinflussbare Risiken höchst unterschiedliche Risikoabschätzungen gibt, weist H.-J. Luhmann hin. Er unterscheidet zwischen unbewusster („wir haben es nicht gewusst“) und bewusster („wir hätten es wissen sollen“) Risikowahrnehmung (s. hierzu H.-J. Luhmann, 2001). 93 Aufgrund dieser Erkenntnis hat sich beim internationalen Klimarat (IPCC) das so genannte Vorsorgeprinzip (‚precautionary principle’) durchgesetzt. Es soll von wissenschaftlicher Ungewissheit beim Nachweis menschlicher Verursachung des Klimawandels unabhängig machen (“Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall not be used as a reason for postponing cost-effective measures to prevent environmental degradation”, principle 15, (United Nations 1992; s. auch Kapitel 3.1.).
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Risiken und Gefahren, bspw. durch den Abschluss einer Versicherung, sich unter Umständen die Handlungsbereitschaft unter Risiken erhöht und das Handeln risikobereiter wird. Die Risikowahrnehmung divergiert wiederum erheblich zwischen den unterschiedlichen sozial-ökonomischen Kontexten und ist abhängig vom Grad der Betroffenheit und Partizipationschance. Dies kann als bounded rationality, also als kontextabhängige rationale Kalkulation von Risiken, bezeichnet werden: „Man darf ferner annehmen, dass der Entscheider sich eher als der Betroffene in der Lage sieht, künftigen Schäden zu begegnen. Zumindest hat der Entscheider, anders als der Betroffene, die Möglichkeit, seine Sachkenntnis, sein Selbstvertrauen, seine Absicherungen bei seinen Entscheidungen in Rechnung zu stellen, während der Betroffene darauf angewiesen ist, daran zu glauben, dass andere die Situation beherrschen werden. Dieses Vertrauen in Experten, Technologien, Zusagen und Sorgfalt anderer schwindet mehr und mehr; es wird durch die Härte der Differenz von Risikoperspektiven und Gefahrperspektiven ruiniert, und zwar in dem Maße, als die Gefahr nicht auf Naturereignisse zurückgeht, sondern aus Entscheidungen anderer resultiert. Entsprechend findet man in der Bevölkerung andere Einschätzungen von Risiken und Möglichkeiten ihrer Vermeidung als in der Politik, und bei Laien andere als bei Experten. Unter bestimmten Bedingungen [...] schwindet das Vertrauen in das Selbstvertrauen der anderen.“ (Luhmann 1991: 123f.)
Demnach ist bei der Wahrnehmung ökologischer Risiken oder Gefahren maßgeblich zwischen Laien und Experten zu unterscheiden. Ob sich Akteure in Entscheider- oder Betroffenenpositionen befinden beeinflusst wiederum ihr Vertrauen. Weil Betroffene abhängig von der Entscheidung anderer, z. B. Experten, sind, müssen sie auf Sachverstand und Verbindlichkeit der Entscheidungsakteure vertrauen.
4.1.3 Der Klimawandel zwischen Natur und Gesellschaft Aus systemtheoretischer Perspektive ist die Wahrnehmung von Klimaveränderungen maßgeblich dadurch bestimmt, dass die systemische gesellschaftliche Trennung einen ganzheitlichen Blick auf den Klimawandel verhindert; stattdessen können die jeweiligen sozialen Teilbereiche nur ihrer Resonanzfähigkeit entsprechende Problemsichten entwickeln: bspw. sehen Ökonomen allein das ökonomische, Ökologen in erster Linie das ökologische Risiko. Diese Betrachtung schärft zwar einerseits den Blick für gesellschaftliches Reaktions(un-)vermögen auf ökologische Krisen wie den Klimawandel. Andererseits ist es schwierig, auf der Grundlage der getrennten Systeme Gesellschaft und Umwelt ein adäquates Instrument zur Problembeschreibung zu erarbeiten, denn der Klimawandel ist ein wechselseitiges Mensch-Umwelt-Problem.
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Zum einen wirken menschliche Risiken auf das Umweltproblem ein, zum anderen resultieren daraus wiederum natürliche Gefahren, die auf Mensch und Natur zurückwirken. Der anthropogene Klimawandel ist also mit natürlichen Prozessen rückgekoppelt, so dass auch eine Trennung zwischen Risiko und Gefahr nicht ohne weiteres möglich ist.94 Gleichwohl schärft der systemtheoretische Ansatz den Blick für die Selektivität der Resonanz, die Bearbeitungsfähigkeit ökologischer Probleme in gesellschaftlichen Teilsystemen, Grenzen gesellschaftlicher Wahrnehmungsfähigkeit ökologischer Probleme und daraus erwachsende Handlungsrisiken (Brand und Reusswig 2001). Die Schwäche des Luhmannschen Ansatzes besteht nach Brand darin, dass er die ökologische Problematik allein auf kommunikative Operationen reduziere, mit denen Gesellschaften das Problem bearbeiten. Weil nach Luhmann Mensch und Umwelt ein jeweils selbstreferentielles System darstellen, bleibt die Gesellschafts-Umwelt-Interaktion unberücksichtigt. Doch erst durch die Betrachtung der Wechselwirkung von menschlichem Einfluss auf das natürliche Klima und daraus resultierenden Rückwirkungen aus der Natur für diese selbst und für Gesellschaften wird das Problem des anthropogenen Klimawandels adäquat erfasst.95 U. a. Diekmann und Jäger (2001: 55f.) stellen heraus, dass der Konstruktivismus in der Umweltsoziologie im Allgemeinen zumeist zwischen naturalistisch und kulturalistisch, bzw. - erkenntnistheoretisch formuliert - zwischen Realismus und Konstruktivismus hin und her pendle. Letztlich gelte aus ihrer Sicht aber, dass anfangs alle „neuen“ Umweltphänomene und ihre theoretischen 94 In der Katastrophenforschung wurde festgestellt, dass, beeinflusst durch den Klimadiskurs, Laien die Unterscheidung zwischen Naturkatastrophen und menschlich verursachten technischen Katastrophen zunehmend schwerfällt. Plapp (2003) untersuchte z. B. wie Naturkatastrophen als Risiken wahrgenommen und bewertet werden. Ein wesentlicher Faktor ist hierfür die Bedeutungszuschreibung von „Risiko“. Sie bestätigt, dass durch die zunehmende Aufmerksamkeit auf den Klimawandel das Interesse an Katastrophen im Allgemeinen zunimmt. Dies hängt ihrer Ansicht nach auch mit der z. T. unscharfen Trennung zwischen natürlichen und anthropogenen Naturkatastrophen zusammen. Die Ergebnisse bei Plapp zeigen, dass es für die individuelle Risikowahrnehmung eine wesentliche Rolle spielt, ob die Ursache als natürlich oder menschlich bewertet wird. Darüber hinaus findet sie heraus, dass es häufig zu Ursachenkonfusionen kommt, so werden bspw. Erdbeben als Folge des Klimawandels gedeutet. Dies zeigt, dass die (mediale) Bedeutungskonstruktion des Klimawandels auch für natürliche Katastrophen, die explizit nicht anthropogen sind, zutrifft: „Aktuell kursierende Erklärungsmuster werden in inkonsistenter, eklektizistischer Manier von einem Kontext (Hochwasser, Sturm), in einen anderen Kontext (Erdbeben) übertragen, ohne die Adäquatheit des Erklärungsmusters in Zweifel zu ziehen.“ (ebd.: 241) Sowohl Plapp als auch Murphy plädieren deshalb für eine stärkere Integration von Katastrophen- und Umweltsoziologie (Murphy 2006). 95 Die Interaktion von Natur- und Sozialkonstruktion wird dabei bspw. von Latour durch den Begriff der „Hybride“ beschrieben. Statt reinem Sozialkonstruktivismus oder Naturkonstruktivismus spricht er von Hybriden bzw. von Ko-Konstruktionen zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem (Latour 1995). Nach Latour ist zu Beginn der modernen Naturwissenschaft die strikte Trennung von Natur und Gesellschaft forciert worden. Doch seien zwischen den getrennten Bereichen hybride „Quasiobjekte“ entstanden, die sowohl natürlich als auch gesellschaftlich determiniert sind; diese Hybride, die die moderne Gesellschaft ausgeblendet hat, gelte es anzuerkennen (ebd.).
Die Risikokommunikation des Klimawandels
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Analysen (auch bezüglich des Treibhauseffekts) mit Skepsis und Unsicherheiten begleitet werden. Erst im Laufe der Zeit erhöhe sich die Problemakzeptanz; statt Streit um die Wahrheit stehe zunehmend die Problemlösung im Mittelpunkt. Dieses Phänomen habe dann weniger mit einem konstruierten Problem als mit der normalen Entwicklung neuer Erkenntnisse zu tun. Dieses Kapitel abschließend, soll noch einmal auf einen grundlegenden Aspekt zurückgekommen werden. Generell gilt, dass die Beschreibung des Mensch-Umwelt-Dualismus, die sich zwischen realistischen und konstruktivistischen Theorien bewegt, in der Umweltsoziologie nicht abschließend vollzogen ist.96 Hinzu kommt die Frage, inwieweit die natürliche Umwelt für die Soziologie überhaupt eine Rolle spielt bzw. spielen sollte. Die strikte sozialwissenschaftliche Trennung zwischen physischen und sozialen Objekten und dabei die Ausgrenzung von natürlichen Phänomenen aus dem Blickfeld der Sozialwissenschaften wurde seinerzeit durch das Durkheimsche Paradigma begründet, Soziales nur durch Soziales erklären zu können. Sowohl von ihm als auch von Georg Simmel wurde der Gedanke verworfen, dass materiell-stoffliche Faktoren einen relevanten Einfluss auf Gesellschaften nehmen (Grundmann und Stehr 1997). Die Befreiung vom reduktionistischen Naturalismus wurde dabei als soziale Emanzipation gesehen (Stehr und v. Storch 1999b). Der Versuch der Integration der Natur-Thematik in die soziologische Disziplin wird deshalb zur konstitutionstheoretischen Fragestellung: Welche Konsequenzen hat die Integration „der Natur“ in die Soziologie? Kann man in Anbetracht der vergesellschafteten Natur und den Diskussionen um die Grenzen des Wachstums überhaupt am Paradigma festhalten (Conrad 1998)? Dagegen gibt es insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender interdisziplinärer (Umwelt-)Forschung verstärkt Versuche, den häufig als überkommen bezeichneten Gesellschafts-Natur-Dualismus bzw. den Dualismus zwischen
96 Dabei kann man durchaus der Auffassung sein, dass beide Blickwinkel unterschiedliche Funktionen erfüllen: So sind Brand und Reusswig (2001: 570) bspw. der Meinung, dass die konstruktivistische die realistische Perspektive in der Soziologie ergänzt, weil sie eine kritische, distanzierte Beobachtung von Umweltproblemen, die von unterschiedliche Akteuren in verschiedenen systemischen Kontexten sozial konstruiert werden, zulässt. Sie meinen, dass sich beide Positionen nicht zwangsläufig ausschließen.
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Naturalismus und Soziozentrismus aufzulösen (Brand 1998b).97 Brand und Reusswig (2001) schlagen bspw. drei Perspektiven vor, die die Umweltsoziologie bei der Analyse des Mensch-Umwelt-Verhältnisses einnehmen kann: 1. 2. 3.
eine eher naturalistische Perspektive; einen sozio-zentristisch, kulturalistischen Blickwinkel; eine Perspektive, die auf das Wechselverhältnis zwischen Gesellschaft und Natur fokussiert.
Dabei wird aus der naturalistischen Sicht die gesellschaftliche Abhängigkeit von der Natur beobachtet, die disziplinär eher den Naturwissenschaften bzw. der Ökologie zugerechnet wird. Umweltsoziologie betrachtet hier die Wechselwirkung zwischen Natur und Gesellschaft. Die sozio-zentristische, kulturalistische Sichtweise nimmt dagegen sozial konstruierte Natur und Umwelt in den Blick. Es geht vornehmlich um die durch Technisierung beeinflusste Natur. Die Umweltsoziologie sei hier Teil einer rein sozial-kulturwissenschaftlichen Betrachtung. Die dialektische Perspektive auf Natur-Gesellschaft betrachtet schließlich die Wechselwirkung der beiden Systeme in einem systemtheoretischfunktionalistischen Ansatz. Dabei hat Natur eine Lebensraumfunktion (Natur als Existenzgrundlage), eine Regelungsfunktion (Natur leistet für die Gesellschaft etwas, indem sie Klima, Atmosphäre, Biosphäre etc. bereitstellt), eine Nutzungsfunktion (Agrar- und Forstwirtschaft) und eine Kulturfunktion (symbolische Bedeutung; Brand und Reusswig 2001). Auf die dritte Perspektive, die die Wechselwirkung zwischen Natur und Gesellschaft in den Blick nimmt, wird im 97 Was diese Fragestellung angeht, gibt es zahlreiche unterschiedliche Ansätze: Catton und Dunlap (1978) fordern bspw. klar die Überwindung des Durkheimschen Paradigmas: „Die Kernaufgabe der Umweltsoziologie ist die Beschreibung von Gesellschaft-Natur-Interaktion.“ Auch Huber plädiert in seinen Ausführungen zu theoretischen Grundlagen für eine interdisziplinäre Umweltsoziologie, die System- und Handlungstheorie integriert: „Allgemeine Umweltsoziologie befasst sich mit dem Verhältnis von Mensch und Gesellschaft zu ihrer Naturumwelt; etwas genauer gesagt, mit den gesellschaftlichen Bedingungen des Stoffwechsels zwischen dem Menschen als einem Teil der Natur und der umgebenden Natur, die für den Menschen diesbezüglich geo- und biosphärische Umwelt ist.“ und „Umweltsoziologie muss etwas darüber aussagen, wie Stoff und Geist sich diesbezüglich zueinander verhalten, insbesondere, wie sich menschliches Bewusstsein, Kommunizieren und Operieren in der Naturumwelt auswirken und wie diese Umweltwirkungen auf die physischen und geistigen Lebensbedingungen des Menschen in der Gesellschaft zurückwirken.“ (Huber 2001: 13ff.) Dagegen richten sich dualistische Ansätze von Boyden oder in abgestufter Form Godelier (er unterscheidet mehrere Stufen der gesellschaftlichen Naturverhältnisse: Natur außerhalb vom Menschen; Natur, die vom Menschen unbeabsichtigt verändert wurde; veränderte Natur, die nur durch Menschen reproduziert werden kann; und Natur, die nur der Herstellung materieller Existenzbedingungen wie Werkzeuge, Waffen oder Natur-Bauten dient). Sieferle wiederum setzt an Boyden an und entwickelt das Modell eines sozialökologischen Systems, welches Anschluss an Humanökologie und Systemtheorie findet. Dort meint das sozial-ökologische System „Natur, Bevölkerung und Kultur“, das soziale System bezeichnet „Bevölkerung und Kultur“ und das human-ökologische System meint „Natur und Gesellschaft“ (Fischer-Kowalski und Weisz 1998).
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Zusammenhang mit der Frage nach der Überwindung des Gesellschafts-NaturDualismus (Kapitel 4.3 „Klimawandel als ‚gesellschaftliches Naturverhältnis“) näher eingegangen.
4.2 Klimawandel als Modernisierungsrisiko Aus modernisierungstheoretischer Perspektive nach Beck ist der Klimawandel in erster Linie eine gesellschaftliche Selbstgefährdung. Hinter dieser Beschreibung steckt ein gesellschaftskritischer Risikobegriff, der ein verändertes Verständnis des Mensch-Umwelt-Verhältnisses in den Blick nimmt. So spricht Beck (1986) in der ‚zweiten Modernisierung’ von der Selbstkonfrontation der Moderne mit ihren Gefahren, indem er die klassische Industriegesellschaft von der industriellen Risikogesellschaft unterscheidet, wobei erstere durch Risiken und letztere durch Selbstgefährdungen beherrscht werde. Moderne Gesellschaften gefährden sich also zunehmend selbst: „[…] die Industriegesellschaft produziert mit der wirtschaftlichen Ausschlachtung der durch sie freigesetzten Risiken die Gefährdungslagen und das politische Potential der Risikogesellschaft.“ (ebd.: 30)
Parallel zur Wohlstandsexplosion und dem dadurch ausgelösten Fahrstuhleffekt,98 erfährt die individualisierte Risikogesellschaft Modernisierungsrisiken, die sowohl soziale als auch geographische Grenzen überschreiten und alle Menschen betreffen. Dabei werden auch Umweltrisiken grenzüberschreitend, das Beispiel des Atomreaktorunglücks in Tschernobyl steht hierfür symbolisch. Aus der Globalität der Umweltrisiken folgt, dass Kausalitäten, Schuld und Haftung der Problemlagen immer schwieriger zurechenbar sind. Darüber hinaus werden die Probleme nicht mehr kompensierbar. Die Folgen des Klimawandels, wie abschmelzende Gletscher und Polareis und Verlust der Biodiversität, stehen dabei beispielhaft für die Irreversibilität von Schäden. Damit wird (auch) die ökologische Krise zur tief greifenden Institutionenkrise der Industriegesellschaft: Die gleichen Institutionen, die die Gefährdungslagen schaffen, sind nicht mehr in der Lage sie zu kontrollieren und zu 98 Beck beschreibt den gesellschaftlichen Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg als ‚Fahrstuhleffekt’: Durch die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung erfuhr die westdeutsche Gesellschaft einen sozialen Wandel, der zwar die Einkommensdifferenzen nicht maßgeblich veränderte, aber durch zunehmenden materiellen Wohlstand dazu führte, dass die Gesamtgesellschaft „eine Etage höher gefahren wurde“. Dabei bewirkte die Wohlstandsexplosion die Erhöhung des materiellen Wohlstands für alle sozialen Schichten und dadurch einen Zugewinn an Freizeit und verbesserte Bildungschancen: „Bei allen sich neu einpendelnden oder durchgehaltenen Ungleichheiten [gibt es] ein kollektives Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft, Massenkonsum.“ (Beck 1986: 122) In Becks Ansatz wurden die klassischen Ungleichheitsstrukturen in Frage gestellt.
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bewältigen. Diese Entwicklung zeigt sich am Beispiel des Klimawandels, gemessen an den nach wie vor steigenden globalen Emissionen und an den bislang unwirksamen politischen Strategien. Letztlich wird der Max Webersche Glaube, alle Dinge durch Berechnen beherrschen zu können, ersetzt durch die Annahme einer prinzipiellen Unsicherheit des Handelns angesichts der Folgen komplexer Entscheidungssituationen.99 Die zunehmend grenzüberschreitenden, selbst produzierten Gefährdungen sind darüber hinaus für Laien immer weniger wahrnehmbar. Dies hat damit zu tun, dass die Verwissenschaftlichung (bzw. die wissenschaftliche Aufklärung) die Folgen- und Risikodeutungen stärker beeinflusst: „[…] Was die Gesundheit beeinträchtigt, die Natur zerstört, ist häufig für das eigene Empfinden und Auge nicht erkennbar, und selbst dort, wo es scheinbar offen zutage liegt, bedarf es der sozialen Konstruktion nach zu seiner ‚objektiven’ Feststellung des ausgewiesenen Expertenurteils.“ Und: „Diese Wissensabhängigkeit und Unsichtbarkeit von zivilisatorischen Gefährdungslagen […] sind niemals nur auf bloße Tatsachenaussagen reduzierbar. Sie beinhalten konstitutiv sowohl eine theoretische als auch eine normative Komponente. [Zur Gefährdung] hinzukommen muß eine kausale Deutung. […] Die unterstellte Kausalität bleibt [aber] immer mehr oder weniger unsicher und vorläufig.“ (ebd.: 35ff.)100
4.2.1 Grenzüberschreitende anthropogene Umweltrisiken Nach dem oben dargestellten Verständnis moderner ökologischer Risiken, wird der Klimawandel dadurch bestimmt, dass erstens die Gesellschaft selbst die Ursache des Problems ist, indem sie sich selbst gefährdet, zweitens das Klimarisiko stark wissensabhängig ist und drittens das Klimarisiko grenzüberschreitend wirkt. Im Vergleich zu bspw. technischen Risiken, muss der Risikobegriff jedoch für den Klimawandel noch weiter spezifiziert werden. Dass dies wichtige Implikationen für die Risikodefinition hat, wird im Folgenden deutlich. Becks ökologischer Risikobegriff in der „Risikogesellschaft“ bezieht sich vor allem auf ökologische Gefahren, die auf menschlich verursachte technische Risiken zurückzuführen sind. Der Reaktorunfall in Tschernobyl kann deshalb exemplarisch für seinen Ansatz gelten. Doch der folgende Vergleich zwischen
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Becks Antwort auf die Frage, wie den ökologischen Gefährdungen zu begegnen sei, ist die „Reflexive Modernisierung“. Damit ist eine selbstbezügliche Konfrontation der Gesellschaft mit den selbst geschaffenen Gefahren und eine Reflexion dieser Folgen gemeint (Beck 1986; Görg 1999: 26ff.). 100 Nach Görg geht Beck mit seinem Risikobegriff - im Gegensatz zur Luhmanns konstruktivistischer Sichtweise - von einer objektiven Gegenmacht der Gefahr aus, die unabhängig von jeder gesellschaftlichen Wahrnehmung und Kommunikation ist. Sein Ansatz ist gesellschaftskritisch inspiriert, schwankt nach Ansicht Görgs aber zwischen Realität bzw. Objektivität ökologischer Gefahr und ihrer gesellschaftlichen Konstruiertheit („Risiken sind soziale Konstruktionen“; Görg 1999: 158ff.).
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dem Reaktorunfall und der Gefahr des Klimawandels macht deutlich, dass dieser Risikobegriff für den Klimawandel modifiziert werden muss. Der Klimawandel gilt ebenso wie der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 als grenzüberschreitendes Umweltproblem. Beide Verursachungen sind anthropogen, d. h. sie beruhen auf ‚menschlichem Versagen’. Beide ‚Katastrophen’ hängen darüber hinaus direkt mit den Folgen der industriellen Entwicklung zusammen. Tschernobyl gilt als exemplarisch für die Selbstgefährdung postindustrieller Gesellschaften durch selbst produzierte Gefahrenlagen. Für beide Beispiele gilt, dass der eng mit der technisch-industriellen Entwicklung zusammenhängende Umgang mit Energiesystemen Gefahren und Risiken birgt, die zu grundlegenden Gesellschaftsdebatten über den Umgang mit menschlich verursachten ökologischen Risiken angestoßen haben. Dennoch trennen sie auch wesentliche Unterschiede. Das Reaktorunglück in Tschernobyl war ein lokalisierbarer ‚Unfall’ aufgrund technischer Risiken, die mit der Nutzung von Atomenergie einhergehen, während sich der Treibhauseffekt aufgrund des Ausstoßes von Klimagasen als langfristiges, häufig als schleichend bezeichnetes Risiko darstellt. Auch sind die Schäden eines Reaktorunfalls - wenngleich sehr langfristig - reversibel. Hingegen ist der anthropogene Klimawandel ein Phänomen mit irreversiblen Schäden wie dem Verlust an Biodiversität oder dem Schmelzen der Gletscher (IPCC 2001; Millennium Ecosystem Assessment 2005). Weitere Unterschiede zwischen dem Klimawandel und dem Reaktorunfall in Tschernobyl hängen ebenfalls mit ihren Auswirkungen zusammen: Der Unfall im Atomkraftwerk hat zur direkten Kontamination breiter Landstriche und zu erheblichen Gesundheitsschäden geführt, während die Folgen des Klimawandels nicht zur Verseuchung, sondern zu Veränderungen der Natur und dadurch zu Schäden für Mensch und Umwelt führen. Insofern hat Tschernobyl ein direktes Katastrophenpotential. Zwar ist auch Radioaktivität von Laien nicht wahrnehmbar, sie führt aber zu messbaren direkten - wenngleich z. T. erst langfristig einsetzenden - schädlichen Folgen für Mensch und Umwelt. Die Folgen des Klimawandels sind nur mit Hilfe von Experten und Expertinnen als solche zu identifizieren, und selbst mit eindeutigen Messungen, die den anthropogenen Anteil der Erderwärmung durch Klimagase nachweisen, bleiben Unsicherheiten über die Identifikation einzelner Extremwetterereignisse als Folgewirkung. Die möglichen Auswirkungen des Treibhauseffektes sind unterschiedlichen Charakters (sowohl Erwärmung als auch Abkühlung sind möglich), sie sind nicht linear (ein Abbruch des Golfstromes z. B. würde zu einer radikalen Umweltveränderung führen), sie sind irreversibel und sie sind insofern indirekt, weil sie die natürlichen Effekte durch Veränderungen verstärken statt unnatürliche Schäden hervorzurufen. Dies macht die Unterscheidung zwischen normalem Wetter und langfristigen klimatischen Veränderungen für Laien unmöglich.
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Es gilt für beide grenzüberschreitende Umweltgefahren, dass der Umgang mit Unsicherheiten einen wesentlichen Teil der Umweltdebatten bestimmt. Am Beispiel des Reaktorunfalls in Tschernobyl wird deutlich, dass die weltweite Nutzung von Atomenergie vor dem sichtbar gewordenen Risiko seiner gefährlichen Folgen messbar geworden ist. Die Unsicherheit besteht also weniger in der Unkenntnis der Folgen, sondern vielmehr in der Ungewissheit und dem Risiko eines nächsten Störfalls (Unsicherheit des Eintrittsrisikos). Hingegen findet der Klimawandel bereits statt, während die Unsicherheit in der exakten Prognose der räumlichen und zeitlichen Verteilung seiner Folgen besteht (Unsicherheit der Folgerisiken). Somit sind die Deutungen, die aus der Folgenunsicherheit des Klimawandels entstehen, erheblich davon abhängig wie die zugrunde liegende Risikoeinschätzung erfolgt.
4.2.2 Das regional-lokale Risiko Klimawandel Mit dem Klimawandel hat die ökologische Problematik eine andere, neue Zeitund Raumdimension eingenommen. Es geht um komplexe Zusammenhänge, die mit dem Begriff ‚grenzüberschreitendes Umweltproblem’ nicht adäquat beschrieben werden können. Um das Risikopotential der Klimafolgen näher zu bestimmen, muss außerdem der Bezeichnung und damit Konstruktion einer globalen Umweltgefahr Klimawandel widersprochen werden, da hierdurch räumliche Gleichheit suggeriert wird, die weder bei der Verursachung noch bei den Auswirkungen Klima verursachter Umweltgefahren wie Dürren, Stürmen, Überschwemmungen existiert. So wird aus der Globalität mitunter abgeleitet, dass sozio-ökonomische Unterschiede einen geringen Einfluss auf die Folgenbetroffenheit durch grenzüberschreitende Umweltprobleme haben. Das Gegenteil ist der Fall: Die Folgen der globalen Erwärmung wirken gemäß den lokalen sozio-ökonomischen Voraussetzungen zurück und werden sogar noch weiter verstärkt. Die Folgen des Klimawandels gehen zu Lasten bestimmter Bevölkerungsgruppen, insbesondere in Entwicklungsländern, und betreffen nicht alle Menschen gleichermaßen. Dies hängt nicht zuletzt eng mit den jeweiligen sozio-ökonomischen Möglichkeiten der Folgenbewältigung, also der Anpassung an den Klimawandel, zusammen. „Allgemeine Analysen und Aussagen über den ‚globalen’ Umweltwandel und ökologische Krisen (wie zum Beispiel Klimawandel, aggregierte Verluste der globalen Biodiversität, Weltenergieverbrauch und nicht erneuerbare Energien) sagen nichts aus über die Umweltschäden in bestimmten Kontexten und Regionen. Sie übersehen vor allem die soziale Verwundbarkeit, die nur der regionale Blick erschließt. […] Die Ärmsten der Welt wird es am schlimmsten treffen. Sie werden sich am wenigsten den Umweltveränderungen anpassen können.“ (Beck 2007: 78 und 309)
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Trotz dieser Annahme kommt Beck zu keinem schlüssigen Ergebnis bezüglich seiner Einschätzung, dass der Klimawandel einerseits global sei und andererseits regional-lokal wirke: „Die Dynamik der Risikogesellschaft erfolgt ‚jenseits von Stand und Klasse’, weil globale Gefahren am Ende alle treffen, auch ihre Verursacher. Das bleibt richtig und ist doch zu undifferenziert. Im Kapitel X entfalte ich systematisch die Ungleichheitsdynamik globaler Risiken, für die die Einsicht und Analyse der lokalen Verwundbarkeit zentral ist. […] Aber die Klimaerwärmung ist egalitär und insofern ‚demokratisch’ (obwohl die Konsequenzen regional sehr unterschiedlich ausfallen).“ (ebd.: 53 und 77)
So weist Beck zwar darauf hin, dass einzelne Regionen höchst unterschiedlich von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, aber die Tatsache, dass prinzipiell jeder betroffen sein kann, deute auf ein globales Problembewusstsein („Prinzip der Globalität“) hin. Deshalb spricht er auch hier wieder von einer globalen „Schicksalsgemeinschaft“ (ebd.: 323). Hingegen macht Görg (2004) deutlich, dass sich eine völlig unterschiedliche Realität ökologischer Problemlagen in nördlichen Industrieländern im Vergleich zu südlichen Entwicklungsländern darstellt. Unter Hinweis auf Bryant (1997) hebt er zwei Aspekte hervor: die Verschiedenheit der scheinbar globalen Umweltprobleme in unterschiedlichen Gesellschaften und die Bedeutung des Machtkonzepts („politicised environment“). Ökologische Probleme wie die Folgen des Klimawandels wirken in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich (gleichzeitig sind diese Gesellschaften an der Verursachung der globalen Umweltprobleme höchst ungleich beteiligt). Insofern gibt es keine ‚globale Betroffenheit’, sondern vielmehr eine soziale und regionale Ungleichverteilung der Folgen der Gefährdungen. Dabei sieht Görg auch in der Konstruktion der Problemlage zwischen Nord und Süd einen gravierenden Unterschied: Während im Norden in erster Linie das Bedrohungsgefühl vor ökologischen Katastrophen dominant sei, habe im Süden die alltägliche Sicherung des Lebensunterhalts Priorität, was häufig wiederum als Armutsproblem erscheint. „Ökologische Degradationen betreffen nämlich keineswegs alle gleichermaßen, sondern verschärfen hierarchische gesellschaftliche Verhältnisse und generieren neue Dimensionen von Ungleichheit.“ (Görg 2004: 99)
Das Risikopotential des Klimawandels wird demnach zunächst durch die geographische Lage determiniert. Der globale Süden ist generell stärker betroffen als nördliche Industriestaaten. Außerdem wird die Betroffenheit von den Klimafolgen durch die lokale Anpassungsfähigkeit bestimmt, m. a. W. vom Klimawandel betroffen zu sein hängt von den sozio-demographischen und den sozioökonomischen Voraussetzungen am lokalen Ort ab. Häufig ist dies wiederum ein direktes Resultat der geographischen, also regionalen Lage.
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Klimawandel als gesellschaftliches Risiko
4.3 Klimawandel als ‚gesellschaftliches Naturverhältnis’ Das Ziel von Kapitel 4 ist eine adäquate Beschreibung des Klimawandels als gesellschaftliches Risiko. Aus systemtheoretischer Perspektive nach Luhmann konnte zwar der Blick für die Grenzen der gesellschaftlichen Wahrnehmung ökologischer Risiken geschärft werden, doch wird hier als Defizit bewertet, dass die Webersche und Durkheimsche Tradition fortgeführt wird, natürliche Umweltfaktoren aus der Soziologie auszugrenzen und Soziales nur durch Soziales zu erklären: „Untersucht, beobachtet wird nur, wie Gesellschaften ihr Naturverhältnis thematisieren - nicht dieses selbst.“ (Brand 1998a: 21)
Aus modernisierungstheoretischer Sicht nach Beck wiederum wird die ökologische Krise vor allem zur technisch-institutionellen Krise. Dabei interessiert in erster Linie die technische Bearbeitung der Natur und darüber vermittelte Gesellschaftsverhältnisse, m. a. W. geht es um die Folgeprobleme des industriellen Naturverhältnisses aus sozio-zentrierter, Institutionen-kritischer Perspektive. Für eine umfassende Problemsicht auf den anthropogenen Klimawandel, so die hier verfolgte Auffassung, bedarf es aber einer interdisziplinären, problemzentrierten Umweltforschung, so wie sie sich im Konzept der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse (GNV) darstellt.101 Der Begriff der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse soll dabei den Natur-Gesellschafts-Dualismus durch eine integrative Sichtweise von stofflich-materieller (wie Natur genutzt wird) und symbolischer Dimension (wie sie normativ betrachtet wird, ihr Stellenwert für die Gesellschaft, z. B. ob Natur ausgebeutet, verehrt, nachhaltig genutzt wird) von Natur überwinden (Brand 1998a). Dies eröffnet eine dialektische Perspektive auf das Natur-Gesellschafts-Verhältnis, indem die Wechselwirkung der beiden Systeme in einem systemtheoretisch-funktionalistischen Ansatz betrachtet wird. Die GNV werden dabei durch konkurrierende Naturwahrnehmungen geprägt. Diese entstehen durch den unterschiedlichen Einfluss kultureller, sozio-ökonomischer und politischer Faktoren, die maßgeblich die Problemsicht durch bspw. eine andro(statt öko-)zentristische Sichtweise, durch Technikglaube oder die Vorstellung von Natur als Bedrohung prägen. Die Forschung der GNV ist Disziplin übergreifend und verbindet Mikround Makroperspektiven. Das Konzept der GNV wurde in den 1980er Jahren am 101 Mit dem in den 1980er Jahren entwickelten Konzept der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse ist hier ein von verschiedenen Vertretern und Vertreterinnen (Christoph Görg, Peter Wehling, Thomas Jahn, Egon Becker, Marina Fischer-Kowalski u. a.) verfolgter kritischer Zugang zur Erforschung des Natur-Gesellschafts-Verhältnisses gemeint. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die gesellschaftlichen Naturverhältnisse hat nicht zuletzt Eingang in ein neues Forschungsfeld, das der sozialökologischen Forschung, gefunden. In dem Zusammenhang wurde 1989 das Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) gegründet.
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Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung entwickelt. Sein zentraler Gegenstand ist das wechselseitige Verhältnis zwischen Veränderungen in der Natur und den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen. Dabei wird von einer Krise der GNV ausgegangen, die nicht allein naturwissenschaftlich beschrieben werden darf und technisch lösbar ist, sondern vielmehr als tief greifende Gesellschaftskrise verstanden werden muss. Aus einer kritischen Perspektive heraus, hängt die Krise eng mit den politisch-ökonomischen Verhältnissen zusammen. So ist die Ökologiekrise z. B. bei Görg (2004: 97ff.) direkt mit der Krise des Fordismus und des post-fordistischen Kapitalismus verbunden. Zur Erhaltung des materiellen fordistisch-fossilistischen Wohlstandsmodells nördlicher Industriestaaten werden die natürliche Umwelt übermäßig belastet und Ressourcen ausgebeutet. Als krisenhaft gelten dabei die sozio-ökonomischen, politischen, kulturellen, wissenschaftlich-technischen Formen, die den gesellschaftlichen Umgang moderner Industrienationen mit der Natur gestalten. Natur kann demnach nicht unabhängig von der jeweiligen gesellschaftlichen Form ihrer Bearbeitung, Wahrnehmung und Symbolisierung erfahren werden. Aus der Perspektive der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse werden gesellschaftliche Einflüsse auf natürliche Vorgänge wie das Klima, deren Rückwirkungen auf Mensch und Umwelt und die zu problematisierenden Folgewirkungen als sozial-ökologische Problemlage beschrieben. So gilt der Klimawandel als Ausdruck spezifischer gesellschaftlicher Naturverhältnisse, da Natur nicht unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Bestimmtheit existiert. Dementsprechend ist der Klimawandel im Konzept der GNV als eine umfassende Gesellschaftskrise zu verstehen. Das Konzept richtet sich auch gegen die Auffassung, dass anthropogenen Umweltproblemen technisch begegnet werden sollte.102 Krisenhaft sind also sowohl die ökonomischen als auch die politischen, kulturellen, wissenschaftlichtechnischen Formen, in denen die hoch industrialisierte Gesellschaft ihren Umgang mit der natürlichen Umwelt gestaltet. Der Gedanke, dass die natürlichen Lebensgrundlagen als Voraussetzung für die (industriegesellschaftliche) Produktions- und Lebensweise gelten, lässt folgern, dass durch die Gefährdung der Natur auch Reproduktion, Stabilität und Entwicklungspotential der Existenzbedingungen gefährdet sind (Jahn und Wehling 1998: 80). So ist die Unterscheidung zwischen kalkulierbaren und unkalkulierbaren Risiken (externen Gefahren) aus Sicht der GNV hinfällig, da es keine internen oder externen Ursachen, sondern nur eine sozial-ökologische Krisendynamik gibt.
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Dagegen steht der Ansatz der ökologischen Modernisierung, davon ausgehend, dass moderne Gesellschaften durch eine umweltverträgliche Wirtschaft und technische Innovation ökologische Probleme überwinden und sich in den eingeschlagenen Bahnen weiterentwickeln können (u. a. von Weizsäcker et al. 1995; Mol und Spargaaren 2000; Spargaaren und Mol 1992; Jänicke 1993). Aus dieser Sicht funktioniert Gesellschaft nicht gegen die Industrie, sondern nur mit ihr, m. a. W. „Ökologie ist Langzeitökonomie“ (Huber 2001: 287f.).
5 Klimawandel als individuelles Risiko
Nachdem nun der Klimawandel als gesellschaftliches Risiko beleuchtet wurde, liegt der Schwerpunkt des folgenden Kapitels auf der Analyse des Klimawandels als individuelles (Umwelt-)Risiko. Dabei gilt es, die maßgeblichen individuellen Variablen des Umweltbewusstseins als Grundlage für die Wahrnehmung und Bewusstseinsbildung des Klimawandels zu eruieren. Hierzu werden verschiedene umweltsoziologische und -psychologische Handlungstheorien dargelegt und am Ende von Kapitel 5.1 in einem Schaubild zusammengefasst. Neben individuellen Voraussetzungen werden soziale Kontextbedingungen und Bewusstseins-Handlungs-Diskrepanzen als strukturelle Bedingungen für die individuelle Risikowahrnehmung des Klimawandels dargestellt und bewertet.
5.1 Individuelles Umweltbewusstsein des Klimawandels Was als Risiko gilt ist davon abhängig, aus welchem disziplinären Blickwinkel heraus es betrachtet wird. Neben der klassischen Definition der technischen Risikoforschung, die Risiko als Produkt aus Wahrscheinlichkeit von Ereignissen und Schadensausmaß betrachtet, wird zum Beispiel in der Toxikologie Risiko als Ausdruck von Gefahrenpotential verstanden. In der Ökonomie wird Risiko als Wagnis verstanden. Die Soziologie wiederum bewertet Risiko vor dem Hintergrund des Entscheidungsbezugs (nach Luhmann im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Risiken und Gefahren). In der Psychologie ist ein Risiko das, was Menschen als Risiko wahrnehmen; dies schließt intuitive Risikowahrnehmung sowie die alltagsweltliche Risikokonstruktion ein (Wiedemann und Mertens 2005). Sozialwissenschaftliche und sozialpsychologische Erklärungsmodelle zur Risikowahrnehmung von Umweltproblemen, also auch des Klimawandels, beziehen eine ganze Reihe von Faktoren in ihre Untersuchungen ein, wobei die Schwerpunkte sehr unterschiedlich sein können. Meist wird zwischen Risikoakzeptanz, Risikoübernahme, persönlicher Kontrollchance des Risikoausmaßes (Kontrollüberzeugung), Natürlichkeit oder industrieller Artefaktizität eines Risikos und sinnlicher Wahrnehmbarkeit (subjektiver oder wissenschaftlicher Risikobestimmung) unterschieden. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie meist zwischen kognitiven, affektiven und konativen Einflussfaktoren (in der
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Klimawandel als individuelles Risiko
Umweltsoziologie als Umweltwissen, Wertebasis und umweltpolitische Willensbildung und Einflussnahme bezeichnet) unterscheiden. Bei kognitiven Merkmalen handelt es sich um Wahrnehmung, Wissen über Ursachen (sowohl sozial als auch moralisch-rechtlich) und persönliches Involviertsein. Die affektive oder auch evaluative Ebene umfasst Einstellungen103 und Werte,104 die die Kognitionen und Konationen sinnhaft interpretieren. Hier werden sowohl affektive als auch rationale Urteile bewertet. Konative Faktoren bezeichnen schließlich das latente Handeln, also die Handlungsbereitschaft (verbalisierte Handlungsbereitschaft) bzw. die Handlungsintention (verbalisiertes Handeln; Huber 2001: 214).
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Fishbein und Ajzen definieren Einstellung als „a learned predisposition to respond in a consistently favorable or unfavorable manner with respect to a given object“ (Fishbein und Ajzen 1975: 6). Demnach werden Einstellungen erlernt, sie bereiten das Handeln vor und dieses Handeln ist in konsistenter Weise vorteilhaft oder unvorteilhaft für den Objektbezug. Rokeach (1968) unterscheidet ferner objektbezogene von situationsbezogenen Einstellungen, die verhaltensbestimmend interagieren. Einstellungen bestimmen Richtung bzw. selektive Ausrichtung des Denkens, Erkennens, Wahrnehmens, Urteilens, Wertens und Verhaltens. Einstellungen werden durch Erfahrung vermittelt, sie sind das Ergebnis der Interaktion und Kommunikation des einzelnen mit seiner Umwelt. Eine weitere wichtige Eigenschaft ist, dass Einstellungen emotional oder affektiv geladene Stellungnahmen sind. Ferner sind Einstellungen relativ situationsunabhängig und deshalb verhältnismäßig beständig. Einstellungen sind gleichwohl nicht starr, aber es bedarf der Änderung bestimmter Einflüsse und Bedingungen, um einen Einstellungswandel zu erreichen. Einstellungen werden von externen und internen Faktoren beeinflusst, wobei externe Faktoren objektbezogen sind und interne Faktoren mit der Persönlichkeitsstruktur des Individuums bzw. mit der sozialen Wahrnehmung des einzelnen zusammenhängen. Einstellungen werden aus (verbalem oder nonverbalem) Verhalten geschlossen und sind nicht das Verhalten selbst oder dessen Ursachen, sondern vermittelnde Bedingungen, d. h. sie reflektieren Werthaltungen der sozio-kulturellen Umwelt. 104 Einstellungen können Resultate vormaliger Wertprägung sein und lassen auf diese Weise Rückschlüsse auf Werte und deren Wandel zu. Während Einstellungen (nur) vermittelnde Funktion haben, können Werte grundlegende, zentrale, allgemeine Zielvorstellung und Orientierungsleitlinie für das menschliche Handeln sein. Werte sind laut Kluckhohn (1976) Vorstellungen des Wünschbaren. Zwar sind Werte nicht beliebig, doch sind sie allgemeiner als Normen, weil sie Orientierungspunkte und keine Vorschriften für das menschliche Handeln vorgeben (Meulemann 1996). Werterwartungstheoretische Ansätze (Atkinson 1957 u. a.) verweisen darauf, dass Erwartungen erlernt werden und Personen ihr Verhalten in Erwartung potentieller positiver Ereignisse beeinflussen. Diese Erwartungen können auf Wertüberzeugen beruhen, die den Eintritt eines positiven Ereignisses durch individuelle Einflussnahme wahrscheinlich machen. Werte bilden für eine kollektive Einheit das Element der Integration. Rokeach (1973) versteht unter einem Wert oder einer Werthaltung die Überzeugung, dass bestimmte Verhaltensweisen und Ziele vor deren Alternativen präferiert werden. Werte gelten für Rokeach als der Einstellung und dem Verhalten übergeordnet. Mehrere Werte werden nach ihrer Priorität hierarchisiert. Bei Bernsdorf (1969) wird ferner die Fähigkeit des Wertens als angeboren definiert, während die Maßstäbe des Abwägens und Wertens durch Erziehung und Erfahrung erlernt werden. Man unterscheidet ferner Ideal- und Grundwerte von instrumentellen Werten (Handlungsweisen zum Erreichen von Idealwerten). Instrumentelle Werte wie beispielsweise Leistung oder Effizienz üben oft stärkeren Einfluss auf das Verhalten aus als Idealwerte. Werte gelten in Form von abstrakten Regeln als Normen der Religion, Sitte, Moral oder des Rechts. Werturteile entscheiden indessen über die Angemessenheit oder Unangemessenheit einer menschlichen Handlung. Unsere derzeitige Wertegemeinschaft wird häufig mit dem Adjektiv postmaterialistisch beschrieben (Inglehart 1997).
Individuelles Umweltbewusstsein des Klimawandels
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Entsprechend der ‚Ecology Scale’ von Maloney und Ward (1973) wird noch einmal zwischen Bereitschaft zum Handeln (verbal commitment) und tatsächlichem umweltbezogenen Handeln (actual commitment) differenziert. Um der Frage nachzugehen, was aus einem individuellen Blickwinkel heraus als Umwelt- bzw. Klimarisiko bewertet wird, wird vorab der als hierfür grundlegend erachtete Begriff des allgemeinen Umweltbewusstseins erläutert. Dieser wird sowohl in der Umweltsoziologie als auch -psychologie unterschiedlich (eng bzw. weit) definiert. So definiert der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einem seiner ersten Gutachten Umweltbewusstsein als „Einsicht in die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst, verbunden mit der Bereitschaft zur Abhilfe“ (Sachverständigenrat für Umweltfragen 1978). Demgemäß sind drei Komponenten für die Herausbildung des Umweltbewusstseins zentral, das Umweltwissen, was auch handlungsrelevantes Wissen umfasst,105 umweltrelevante Einstellungen und Handlungsbereitschaft. Nach Dierkes und Fietkau (1988: 12) bilden die Begriffe Umweltbewusstsein, ökologische Wertvorstellungen und umweltgerechtes Handeln jeweils „ein Sammelbecken für eine Vielzahl psychischer Funktionen (Wahrnehmung, kognitive Verarbeitung, Bewertung, Handlungsintentionen und Handlungen) und inhaltlicher Zielbereiche (schonender Umgang mit Ressourcen, Vermeidung von gesundheitlich und ökologisch belastenden Emissionen, Erhalt von Biotopen, umweltbezogenes gesellschaftliches Engagement usw.)“. Im Folgenden wird Umweltbewusstsein als ebensolcher Sammel- bzw. Überbegriff verwendet. Umweltbewusstsein wird als ein multi-dimensionaler Begriff verstanden, der verschiedene umweltrelevante Einflussfaktoren umfasst. In Abbildung 7 („Kognitive, affektive und konative Faktoren des Umweltbewusstseins“) werden diese zusammengefasst dargestellt. Als exogene, indirekt mit Umweltbewusstsein zusammenhängende Faktoren, werden neben der sozialen und natürlichen Umwelt die sozio-demographischen und sozioökonomischen Voraussetzungen (Alter, Bildung, Einkommen etc.) und allgemeine Einstellungen und Werte gefasst. Bei der Rückführung des Umweltbewusstseins auf zugrunde liegende Werte, werden in der Umweltsoziologie häufig kulturtheoretische oder (post-)materialistische Ansätze angewendet. Dabei gehen bspw. Wohlstandsund Postmaterialismusthese davon aus, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Umwelteinstellungen und ökonomischer Entwicklung bzw. Bruttoinlandsprodukt (BIP) gibt. So wird in der Postmaterialismusthese, die eine Makro-
105
Wissen umfasst dabei Sach- und Handlungswissen. Empirische Studien haben gemessen, dass Umweltwissen (nur) 10% des Umweltbewusstseins (de Haan und Kuckartz 1996) erklärt und Verhaltensabsichten (nur) 10-15% des tatsächlichen Verhaltens (Kuckartz 1998) erklären.
Exogene Faktoren: Natürliche und soziale Umwelt, SozioDemographie, Sozio-Ökonomie, allgemeine Werte und Einstellungen
Umweltbewusstsein: Umweltbewusstsein, Wahrnehmung ökolog. Probleme, Umweltwissen, Kontrollüberzeugung (Ressourcen, Fähigkeiten, Möglichkeiten), Verhaltenswirksamkeit, Selbstverpflichtung, direkte und indirekte Betroffenheit, Ängste, Besorgnis, Verantwortungsgefühl, Handlungsbereitschaft, Verhaltensintention
Abbildung 7: Persönlicher Handlungskontext: bereichsspezifische Handlungsmöglichkeiten (Verfügbarkeit, Restriktionen, Anreize), Zahlungsbereitschaft Kosten-NutzenAbwägung
Persönliche / soziale Norm: Sozial erwünschtes Handeln Politisch gewolltes Handeln
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Kognitive, affektive und konative Faktoren des Umweltbewusstseins (eigene Graphik)
Individuelles Umweltbewusstsein des Klimawandels
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Perspektive einnimmt, angenommen, dass Umwelteinstellungen die Folge eines fundamentalen Wertewandels der industrialisierten Länder sind. Erst wenn drängende ökonomische Probleme überwunden sind, kehren Gesellschaften zu ihren postmaterialistischen Werten zurück, die sich bspw. in Zielen wie Freiheit, Selbstverwirklichung oder Umweltschutz manifestieren (Inglehart 1997). Diese Werte sind dabei Folge von langfristigen Veränderungen aufgrund von Sozialisationseffekten, die weniger mit individuellem Wohlstand, sondern mit dem Aufwachsen in ökonomischer Sicherheit zu tun haben. Die Postmaterialismusthese ist dabei nicht unstrittig. Beispielsweise konnte sie durch die Gallup-Studie von 1992, in der repräsentative Vergleichsdaten aus 24 Ländern erhoben wurden (davon zur Hälfte Entwicklungsländer), nicht bestätigt werden (Dunlap und Mertig 1996). Vielmehr kommt man hier zu dem Schluss, dass Umwelteinstellungen sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern stark ausgeprägt sind und besser mit der Globalisierungsthese, also dem Einfluss der Globalisierung auf die Werteentwicklung, erklärt werden können. Eine kulturanthropologische Perspektive nimmt der Ansatz von Mary Douglas ein. In ihrem Grid-Group-Modell werden zwei Dimensionen einer 4Felder-Matrix unterschieden. Grid bezeichnet den Umfang und die Dichte eines Netzes hierarchisch differenzierter Regulierungen bzw. regulierender Vorschriften und Group den Grad der sozialen Einbindung. Dabei beschreibt Douglas vier Gruppen, die sich hinsichtlich ihrer konkurrierenden Formen der Wirklichkeitswahrnehmung unterscheiden: Individualisten, Hierarchisten, Egalitaristen und Fatalisten (Douglas und Wildavsky 1982). Douglas’ Ansatz ist insofern für die Umweltsoziologie relevant, weil sich die vier Gruppen vier Naturmythen zuordnen lassen, die bestimmte konkurrierende Natur- und Risikowahrnehmungen bzw. Grundvorstellungen über Stabilität und Gefährdung natürlicher Gleichgewichte repräsentieren: ‚Individualismus’ (Natur ist berechenbar und robust und die Eingriffsfreiheit legitim), ‚Hierarchie’ (Eingriffe können nur in den staatlich gesetzten Grenzen verantwortet werden), ‚Egalitarismus’ (Natur ist verletzlich, Eingriffe müssen beschränkt werden) und ‚Fatalismus’ (Natur ist unberechenbar). Die persönliche Disposition zur Umwelt, und dadurch auch das Klima, direkt beeinflussende Faktoren sind: das Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge, was die Wahrnehmung von Umweltproblemen mit einschließt, umweltrelevantes Wissen, Verhaltensbereitschaft (verbalisierte Bereitschaft zu Handeln), Handlungsintention (verbalisiertes Handeln), ein persönliches Verantwortungsgefühl, die persönliche Gewissheit über das eigene Handeln (Kontrollüberzeugung und Verhaltenswirksamkeitsüberzeugung), die dazugehörigen manifesten persönlichen Fähigkeiten und Ressourcen, Selbstverpflichtung und direkte und indirekte Betroffenheit106 bzw. Besorgnis und Ängste. 106
Das Gefühl der Betroffenheit oder Bedrohung kann dabei direkt oder auch indirekt wirken (Gardner und Stern 1996).
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Klimawandel als individuelles Risiko
Wie sich Menschen tatsächlich verhalten wird wiederum beeinflusst von der Verfügbarkeit benötigter Einstellungs- und Handlungsressourcen.107 So spielen für den persönlichen Handlungskontext folgende Aspekte eine Rolle: bereitgestellte Handlungsmöglichkeiten sowie deren Anreizstrukturen (u. a. Belohnungen) und Restriktivität. Darüber hinaus erfordert es eine (ideelle und finanzielle) Zahlungsbereitschaft, die nach rationalen Kosten-Nutzen-Überlegungen abgewogen wird. Nicht unerheblich ist schließlich der handlungsspezifische Bereich, in dem das Handeln stattfindet. Ferner gibt es eine normative Komponente des Umweltbewusstseins: So werden Umweltbewusstsein und umweltbewusstes Handeln von persönlichen und sozialen Normsetzungen beeinflusst. Dabei spielen politische Regulierungen ebenso eine Rolle wie das objektiv zur Problemlösung notwendige bereichsspezifische Handeln und die soziale Erwünschtheit. Bei letzterem muss beachtet werden, dass, befragt nach ihrem umweltbewussten Verhalten, Menschen sich nicht immer wahrheitsgemäß äußern, sondern ihre Aussage nach dem von ihnen (vermeintlich) erwarteten Verhalten treffen. Bezüglich ihres tatsächlichen Verhaltens, kann die „soziale Erwünschtheit“ dazu führen, dass Personen sich entgegen ihrer eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen verhalten.108 Voraussetzend, dass die genannten Vorannahmen über das allgemeine Umweltbewusstsein ebenso für die individuelle Bewusstseinsbildung gegenüber dem Klimawandel gelten, spielen individuelle Dispositionen (Wahrnehmungen, Wissen, Einstellungen, Werte etc.) ebenso eine Rolle wie soziale Kontextbedingungen (sozio-demographisches Setting) und strukturelle Restriktionen. Die individuellen klimaschutzrelevanten Verhaltenskonsequenzen sind darüber hinaus an den jeweiligen Verhaltensbereich, die situative Erfahrungswelt (gemeint ist die sozio-strukturelle Situation zum jeweiligen Handlungszeitpunkt) und stark an ideelle und monetäre Kosten-Nutzen-Kalküle109 gebunden. Auf den letzten Punkt wird nachfolgend näher eingegangen. Im folgenden Kapitel liegt der Schwerpunkt auf der Diskrepanz zwischen umweltrelevantem Wissen und Bewusstsein und entsprechendem Handeln. In unterschiedlichem Maße spielen hierbei die oben erläuterten Einflussfaktoren eine Rolle.
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Man unterscheidet in der Umweltpsychologie zwischen objektivem Möglichkeitsraum (verfügbare Handlungsalternativen) und ipsativem Handlungsspielraum (es muss der Person in den Sinn kommen; Tanner und Foppa 1996). 108 Je höher die soziale Kontrolle bezüglich eines Themas ist, desto stärker zeigt sich ein verbalisiertes Bedürfnis dieser zu entsprechen. Diese Problematik hat dazu geführt, dass in der empirischen Umweltsoziologie mittlerweile zwischen der verbalisierten Handlungsbereitschaft, dem verbalisierten Handeln und dem tatsächlichen Handeln getrennt wird. Das Problem betrifft insbesondere solche Befragungen, die eine ausgeprägte normative Komponente besitzen. 109 An dieser Stelle gibt es Analogien zur Rational-Choice-Forschung, auf die in Kapitel 5.2.1 näher eingegangen wird.
Diskrepanzen zwischen Klimabewusstsein und -handeln
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5.2 Diskrepanzen zwischen Klimabewusstsein und -handeln Ziel der sozialwissenschaftlichen Umweltverhaltensforschung ist es mitunter, Strategien zur Neubildung, Veränderung und Stabilisierung von umweltrelevanten Einstellungs- und Verhaltensmustern zu finden. Das gilt insbesondere für dringliche Umweltprobleme wie die globale Erwärmung. Dazu müssen deren soziale Ursachen, institutionelle Fehlfunktionen und der Zusammenhang des Verhaltens mit individuellen und kollektiven Merkmalen (z. B. soziale Milieus) herausgefunden werden.110 Es bestehen nicht immer Verbindungen zwischen den dargestellten Faktoren des Umweltbewusstseins. So kann man auch ohne umweltrelevante Wissensbestände umweltbewusst handeln oder man handelt nicht umweltbewusst, obwohl subjektive Wahrnehmungen von Umweltbelastungen und Handlungsmöglichkeiten vorhanden sind. Auch können kognitive Dissonanzen,111 die mit Widersprüchen und Diskrepanzen der äußeren Lebenswelt zusammenhängen, Diskrepanzen zwischen individuellen Umwelt- bzw. Risikobewusstsein des Klimawandels und nötigem Handeln hervorrufen. Bspw. steht das individuelle Klimabewusstsein der gesellschaftlich übermittelten Norm eines CO2-intensiven Lebensstils diametral gegenüber, so dass das Individuum widersprüchlichen Botschaften ausgesetzt ist, denen es sich schwer entziehen kann (Reinhardt 2007). Ein starkes Umweltbewusstsein muss demnach nicht zwangsläufig mit einem umweltbewussten Verhalten einhergehen. Im Gegenteil, Untersuchungen zeigen, dass sich beides durchaus diametral gegenüberstehen kann (Joußen und Hessler 1995). Die Ursachen für Diskrepanzen zwischen vorhandener Umwelteinstellung und mangelnder Verhaltensbereitschaft können allerdings höchst unterschiedlich sein. Insbesondere gelten eingefahrene Verhaltensweisen, Gewohnheitsmuster, situative Gründe, die ein umweltbewusstes Verhalten anderen, ‚wichtigeren‘ Faktoren nachordnen, eingeschränkte Möglichkeiten, mangelnder Anreiz, geringe Rückmeldung über die Verhaltensfolgen, keine öffentliche 110
Die Feststellung, dass Umweltbildung und Umweltbewusstsein nicht immer kongruent mit ökologischen Verhaltensweisen sind, zeigt die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit Bestimmungs- und Wirkungsfaktoren umweltbewussten Verhaltens (Preisendörfer und WächterScholz 1997; Preisendörfer 1999; Schütz 1995). Theorie und Empirie der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung nehmen dabei vor allem Bezug auf Umweltbewusstsein (Brüggemann 1995; de Haan und Kuckartz 1998), Umwelt- und Konsumverhalten (Beier 1993; Kösters 1993; Diekmann 1994), Umweltbildung und -erziehung (de Haan und Kuckartz 1998; de Haan 1995; Bolscho und Seybold 1996), Umweltkommunikation (Luhmann 1986), Lebensstile (Bogun 1997; Schuster 2003) oder Risikowahrnehmung und Partizipation im Umweltschutz (Bechmann 1996; Hiller und Krücken 1997). 111 Die aus der Psychologie stammende Theorie der kognitiven Dissonanz besagt, dass miteinander unvereinbare Kognitionen (Gedanken, Absichten, Wünsche, Einstellungen etc.) zu inneren Konflikten führen können. Der Wunsch, diesen Konflikt aufzulösen, hat wiederum Konsequenzen für individuelle Einstellungen und individuelles Handeln (Festinger 1978).
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Klimawandel als individuelles Risiko
Selbstverpflichtung oder mangelndes Wissen über die tatsächliche Verhaltensrelevanz als häufigste Gründe für nicht-nachhaltiges Verhalten bei gleichzeitig ausgeprägtem Umweltbewusstsein (Schahn und Giesinger 1993; Bamberg et al. 1995; Mosler 1995).112 Verschiedene Ansätze werden als sinnvolle Erklärungsmodelle für die Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz erachtet. Dazu gehören vor allem RationalChoice-Modelle (Diekmann und Preisendörfer 1991, 1993; Diekmann 1995a; Frey und Busenhart 1995), bereichsspezifische Analysen (Preisendörfer 1999), Lebensstilmodelle (SINUS 1992, 1991; Schulze 2000), Typenbildungen (de Haan et al. 2001) und umweltpsychologische Zusammenhangsmodelle (Maloney und Ward 1973; Schahn und Giesinger 1993; Lantermann und Schmitz 1994). Als zentral für die Analyse des Wechselspiels zwischen handlungsrelevanten Faktoren und der Diskrepanz zwischen Wissen, Bewusstsein und Handeln gelten in der Umweltpsychologie die folgenden drei handlungspsychologischen Ansätze. Dabei werden jeweils unterschiedliche Faktoren als handlungsbestimmend hervorgehoben: a. Ajzen und Fishbeins Theory of planned behaviour Ziel des verhaltenspsychologischen Ansatzes ist es, Verhalten unter Berücksichtigung von sozialen Normen und Verhaltensabsicht vorherzusagen. Die Theorie geht davon aus, dass nicht in erster Linie die Einstellung, sondern die Verhaltensabsicht eine Rolle spielt. Absicht wird wiederum bestimmt durch Einstellung, soziale Norm und wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Die Theory of planned behaviour, Fortführung der Theory of reasoned action, verbindet Einstellung mit Handeln, wobei dem Handlungsbegriff drei grundlegende Einstellungen vorausgehen: erstens handlungsbezogene Überzeugungen (auch die Folgenbewertung), zweitens normative Überlegungen (Kontrolle, Sanktionserwartung, das Urteil anderer) und drittens Kontrollüberzeugungen (wahrgenommene Kontrolle des Verhaltens). Diese drei Faktoren zusammen ergeben die Handlungsintention bzw. die Verhaltensabsicht (Ajzen und Fishbein 1980; Ajzen 1985).
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Strategien, um die Kluft zwischen dem Anspruch auf Umweltbewusstsein und nichtumweltschonendem Verhalten zu überbrücken, werden auch als „Neutralisierungstechniken“ bezeichnet (Reinhardt 2007).
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b. Das Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz Das Modell von Schwartz bezieht sich auf normorientiertes Handeln, bei dem die innere Überzeugung für die Verantwortungsübernahme wichtig ist. Dabei gibt es fünf Verarbeitungskomponenten: 1. die Aktivierung bereichsspezifischer, problemrelevanter Kognitionen und Emotionen, 2. die Generierung einer bereichsspezifischen moralischen Verpflichtung gegenüber der Umwelt (auch personale Norm), 3. die Bewertung der Verhaltenskonsequenz, 4. die Möglichkeit der Redefinition (Leugnung, Rechtfertigung) der Problemlage und der moralischen Verpflichtung, 5. das tatsächliche Handeln (Fuhrer 1996; Schwartz und Howard 1981; Schwartz und Bilsky 1987, 1990). Das Transtheoretical Model (TTM, 5-Stufen-Modell) von Prochaska und DiClemente Das ‚transtheoretical model’, das vor allem im psychotherapeutischen Zusammenhang angewendet wird, geht von fünf Stufen aus, die bis zum stabilen Umwelthandeln durchlaufen werden müssen: 1. Absichtslosigkeit (Umweltproblem wird nicht erkannt), 2. Absichtsbildung (Umweltproblem wird erkannt), 3. Vorbereitung (Bildung der Handlungsbereitschaft), 4. Handlung, 5. Aufrechterhaltung und Stabilisierung (Vermeidung von Rückfall und Integration in den lebensweltlichen Alltag). Es muss berücksichtigt werden, dass es sich hier um kein einfaches lineares Modell handelt, sondern um ein Modell, dass sowohl durch Regressionen als auch durch Interaktionen zwischen den Komponenten geprägt ist (Prochaska und DiClemente 1992; Prochaska et al. 1992). c.
Im Hinblick auf den Klimawandel wird häufig angenommen, dass profundes Wissen um die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge notwendige Voraussetzung für Klimabewusstsein und entsprechendes Verhalten ist. Einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nehmen die Wissensdefizite bei Laien durchaus als Grund für Nicht-Handeln an (Bord et al. 1998b). Nun führt mehr und tieferes Wissen nicht zwangsläufig zu mehr Handlungsmotivation, im Gegenteil, es kann auch zur Handlungslähmung führen. Beispielsweise wäre es durchaus rational für den oder die Einzelne zu sagen, dass sich individuelles Klimaschutzverhalten nicht ‚lohnt’, weil Dritte über mehr Wissen und Ressourcen (Regierungen, Umweltgruppen etc.) verfügen oder eine größere Verantwortung (USA, China) zum Handeln haben. Darüber hinaus kann es Diskrepanzen zwischen hoher Risikobewertung und geringem Wissen geben.
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Bord et al. (ebd.: 206) finden bspw. heraus, dass für das Problembewusstsein des Klimawandels allgemeines Umweltbewusstsein viel wichtiger ist als spezielles Klimawissen. Auch in einer baden-württembergischen Umfrage zur Risikowahrnehmung des Klimawandels wurde festgestellt, dass Wissen ein schwacher Indikator für die Akzeptanz von Risiken ist, was für die Bedeutung subjektiver, emotionaler Faktoren spricht (Renn und Zwick 2002: 141). Gleichwohl werden die Ergebnisse differenziert: Zwar korrelieren Einstellungen zum Klimawandel stark mit allgemeinem Umweltbewusstsein, doch kann klimabewusstes Handeln wiederum stärker durch zugrunde liegendes Wissen erklärt werden. Interessanterweise finden Bord et al. (1998) in ihrer empirischen Studie heraus, dass sowohl richtiges als auch falsches Wissen signifikanten Einfluss auf die Einschätzung des Temperaturanstiegs haben. In ihrem Beispiel ist das falsche Wissen (die falsche Antwortvorgabe „Pestizide“ als Ursache) sogar stärkster Prädiktor für die Überzeugung der Erderwärmung. Richtiges Wissen hingegen erklärt wiederum die Einstellungen zu Handlungsintention und Regierungsinitiativen am besten. Daraus kann geschlossen werden, dass falsches Wissen zwar zu (auf falschen Erkenntnissen beruhenden) Überzeugungen führen kann, es aber für konkretes Handeln unzureichend ist (wer nicht weiß, was zu tun ist, kann auch nicht handeln). Was den Handlungswillen angeht, gibt es bei Bord et al. (ebd.) aber generell kaum Hinweise auf die Bereitschaft, den Lebensstil zu ändern oder höhere Kosten zu akzeptieren. Die Autoren kommen deshalb zu dem Schluss, dass Klimaerziehung über Sensibilisierung hinausgehen muss: „More in-depth knowledge is required. A basic understanding of cause and probable effects is necessary, with all the uncertainty and complexity included.” (ebd.: 215)113
5.2.1 Rational-Choice, intrinsische und extrinsische Motivation Aus Rational-Choice-Perspektive steht einem hohen Umweltbewusstsein häufig dann eine mangelnde Verhaltensbereitschaft entgegen, wenn es um (finanzielle) Aufwendungen geht (Diekmann 1995a; Frey und Busenhart 1995; Kuckartz 2002). So gilt, dass es in Bereichen, in denen das Verhalten wenig kostet, einfacher ist zu handeln als in High-Cost-Bereichen.114 Das handlungstheoretische Paradigma des Rational-Choice-Ansatzes sieht das Individuum aus einer 113
Diese Hinweise legen nahe, dass eine komparative Analyse des Klimawissens und -handelns zwischen Laien und Klimaexperten und -expertinnen viel versprechend wäre. Gleichwohl bedarf dies eines anderen Untersuchungsdesigns als dem vorliegenden. 114 Zusammengefasst besagt die Low-Cost-Hypothese, dass das umweltgerechte Verhalten in erster Linie mit geringem Kostenaufwand zusammenhängt: Je niedriger der Kostendruck, um so wahrscheinlicher wird ein entsprechendes Verhalten im Zusammenhang mit der vorhandenen Einstellung; sind die Verhaltenskosten hoch, wird die Umsetzung umweltbewussten Handelns unwahrscheinlicher.
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rein Nutzen maximierenden Perspektive als Homo Oeconomicus. Der Nutzen ist allerdings nicht nur rein ökonomisch, wie in der neoklassischen Ökonomie angenommen wird, sondern im sozialwissenschaftlichen Modell wird davon ausgegangen, dass ein Individuum im Rahmen seiner verfügbaren Ressourcen diejenige Handlungsoption auswählt, die seinen Bedürfnissen und Präferenzen am ehesten entspricht.115 Weiterhin wird zwischen intrinsischen und extrinsischen Motivlagen unterschieden. Als intrinsische Motive gelten diejenigen, die einer Person zueigen sind, während extrinsische Motive außerhalb der betrachteten Person liegen. Letztere können Anreize wie Entlohnung, Beförderung, soziale Anerkennung sein. Hierunter fallen ebenso monetäre wie ideelle Motivationen. Studien, die die Höherwertigkeit entweder intrinsischer oder extrinsischer Motivation untersuchen, nehmen häufig das Gegensatzpaar Moral und Preise bzw. Geld in den Blick. Insbesondere bei der Zielvorgabe, Umweltbewusstsein langfristig zu stärken, wird als Argument gegen die Stärkung extrinsischer Motivation hervorgebracht, diese würde mit der Wegnahme der monetären Motivation wegfallen und zerstöre darüber hinaus intrinsische Motive. Auch schränke es die Selbstbestimmung des Individuums ein, indem die Selbsteinschätzung durch die Einflussnahme von außen reduziert würde und moralische durch monetäre Faktoren überlagert und verdrängt würden (Frey und Busenhart 1995). Dieses Argument wird sowohl von Ökonomen (u. a. im Zusammenhang mit ökonomischer, rein monetärer Einflussnahme auf das Umweltverhalten) als auch von Umweltpsychologen diskutiert (Schahn und Giesinger 1993; Frey und Busenhart 1995). Gleichwohl ist dieser Einwand abhängig vom Verhaltensbereich, z. B. ob es sich um einen moralisch determinierten Bereich handelt oder nicht. Darüber hinaus gibt es durchaus extrinsische Regulierungsmaßnahmen wie Vorschriften und Gesetze, die die kollektive Sozialisation langfristig verändern und ggf. auch zur Bildung von Wertegemeinschaften beitragen. Ferner kann festgestellt werden, dass neben intrinsischer und extrinsischer Motivation, Umweltbewusstsein bereichsspezifisch erklärt werden muss (Preisendörfer 1999; Diekmann und Preisendörfer 1992; Poferl et al. 1997). Für die Untersuchung der Verhaltensdimension des Klimabewusstseins ist wichtig, Verhalten im bereichsspezifischen Handlungskontext zu erfassen. Dieses kann dann wiederum mit sozialen Gruppenunterschieden, monetären (Kosten-Nutzen) und mentalen (Werte- und Einstellungsmuster) Ansätzen in Zusammenhang gebracht werden. Lantermann kommt seinerseits zu dem Ergebnis, dass das Umweltverhalten umso wahrscheinlicher wird, je weniger interne und externe Motiv- und Zielkonflikte es gibt (Lantermann 1999). So behindern sich unterschiedliche interne 115
Im neoklassischen Modell wird angenommen, dass - vollkommene Information und geordnete Präferenzen vorausgesetzt - die beschränkten Ressourcen zum maximalen Nutzen ausgetauscht werden können. Rationales Handeln wird hier also mit Nutzenmaximierung gleichgesetzt.
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und externe Motive nicht, sondern führen bei gleichem Ziel sogar zur Stärkung der Motivation zu handeln. Motive wie soziale Anerkennung, Gewinnmaximierung und Umweltbewusstsein können sich also gegenseitig stärken. Im folgenden Abschnitt wird, das Kapitel 5 abschließend, noch einmal auf die kollektive Dimension des individuellen Klimabewusstseins und -handelns eingegangen. Bereits deutlich wurde, dass individuelles Bewusstsein für ökologische Risiken wie den Klimawandel nicht unabhängig von äußeren Einflüssen ist. Dabei können Diskrepanzen zwischen Bewusstsein und Handeln auf Faktoren zurückgeführt werden, die im Zusammenhang mit der sozialen Umwelt stehen. Im nächsten Kapitel wird ausgeführt, welche kollektiven Aspekte bei der Frage der Übernutzung der Erdatmosphäre berücksichtigt werden müssen und inwieweit dies mit dem individuellen Lebensstil zusammenhängt.
5.3 Individuum und Kollektiv 5.3.1 Die Allmende-Klemme Eine Erweiterung erfährt der Rational-Choice-Ansatz durch die Betrachtung des Individuums als Teil einer sozial-strukturell beeinflussten Umwelt. In diesem Modell geht es um die Frage, wie sich ein Individuum in Interaktion mit anderen verhält bzw. wie sich einzelne in einer Kollektivsituation verhalten und welches Verhalten effizient bzw. rational ist. Ein Gemeinschaftsgut-Dilemma (oder auch Allmende-Klemme116 genannt) tritt dann ein, wenn ein gemeinsam genutztes knappes Gut zur Verfügung steht, und einzelne Personen nicht über das Ausmaß der Nutzung anderer verfügen können (Hardin 1968; Ostrom 1977). Diese Situation ist vergleichbar mit der Erdatmosphäre, die durch den globalen Emissionsausstoß kollektiv übernutzt wird. Dabei fügt das Individuum der Gemeinschaft aus seiner Sicht aus rationalen Gründen - durch Übernutzung dieses Guts Schaden zu. Gemeinschafts- bzw. Allmende-Güter werden deshalb überreizt, so die Annahme, weil die Kosten auf alle Allmende-Nutzer zurückfallen. Dies kann durchaus wider besseres Wissen erfolgen, denn aus Rational-Choice-Perspektive wollen Individuen bei der Nutzung nicht benachteiligt sein („Trittbrettfahrer116
Die Bezeichnung einer „Allmende-Klemme“ geht auf einen Science-Artikel mit dem Titel „The tragedy of the commons“ von Garrett Hardin (1968) zurück. Bei der Betrachtung der gemeinschaftlichen Nutzung einer Viehweide kommt er zu dem Schluss, dass, wenn ein öffentliches Gut uneingeschränkt allen Menschen zur Verfügung steht, jeder versuchen werde für sich selbst soviel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften. Das funktioniere aber nur, solange nur so viele Menschen das Gut nutzen (ausbeuten), dass es nicht erschöpft wird. Übersteigt jedoch die Zahl der Nutzer bzw. das Ausmaß der Nutzung die Größe der Ressource komme es zur „Tragik der Allmende“: Das Gut wird übernutzt und die Kosten, die durch den Raubbau entstehen, trägt die Gemeinschaft. Letztlich trägt jeder sowohl zum eigenen als auch zum Ruin der Gemeinschaft bei.
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Mentalität“). Gleichwohl handelt es sich um kurzfristige, beschränkte Überlegungen, die die Möglichkeit der Kooperation zur Problemlösung meist ausschließen. Aus der Sicht einzelner Menschen ist der Verzicht auf CO2intensiven Konsum, z. B. Flugreisen, nicht rational, da das Individuum nicht davon ausgeht, dass andere ebenfalls der Suffizienz-Strategie folgen und aus ökologischen Gründen auf Dinge verzichten. Folgen alle Nutzer dieser Logik und sind nicht bereit die Kosten zu tragen (also auch auf CO2-intensiven Konsum zu verzichten), kommt es zur Übernutzung des Gemeinschaftsguts und zur Erschöpfung der Ressource zum Schaden aller (Diekmann und Jaeger 2001: 79). Darüber hinaus entsteht ein sozialer Konflikt: „Der Nutzen ist individuell, der Schaden sozialisiert.“ (Mosler 1995: 78)
Der Klimawandel stellt in diesem Sinne eine Ökodilemma-Situation dar, weil durch den Ausstoß von Treibhausgasen die endliche Ressource Erdatmosphäre übernutzt wird und hieraus weltweit kollektiver Schaden entsteht.117 Die Lösung der Allmende-Klemme wird häufig in der umweltpolitischen Regulierung gesehen, bspw. durch Umlegen der Kosten auf die Gemeinschaft durch Steuern. Huber wiederum plädiert für eine Lösung durch eine Kombination aus ordinativen, ökonomischen und operativen Lösungen (2001: 342ff.). Nach Ostrom (1999) ist das Gelingen einer Kollektivgutnutzung v. a. von der Ressourcengröße (je größer das Gut, desto unwahrscheinlicher die individuelle Fürsorge) und dem gemeinsamen Interesse abhängig. Für Ostrom sind glaubwürdige Selbstverpflichtung, gegenseitige Überwachung und Partizipation grundlegende Voraussetzungen für die Begrenzung des kollektiven (Übernutzungs-)Risikos und damit die Lösung des Dilemmas. Damit könnten Trittbrettfahrer-Mentalität und Rational-Choice-Handeln eines Homo Oeconomicus gemindert werden.
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Aus kritischer Sicht spielt die Privatisierung von Teilen des Allmende-Guts Erdatmosphäre eine wesentliche Rolle bei deren Übernutzung: Da die Nutzung (bzw. die „Nachfrage“) der Atmosphäre durch den in Kapitel 2.4 dargestellten Emissionshandel bereits in Teilen privatisiert wurde, indem an europäische Anlagebetreiber Emissionzertifikate als Berechtigungsscheine zur Verschmutzung verteilt wurden, können einige partizipierende Akteure durch diese Inwertsetzung von Natur profitieren, während andere (vor allem Bürger und Bürgerinnen) hiervon ausgeschlossen sind. Altvater (2003: 200) kritisiert dabei insbesondere die internationalen Governance-Institutionen (IWF, GATS, Weltbank, OECD), die die Bevorzugung Markt vermittelter Bereitstellung öffentlicher bzw. Allmende-Güter gegenüber staatlicher öffentlicher Daseinsvorsorge fördern. Er kritisiert zwar die Privatisierung von natürlicher Allmende dabei nicht grundsätzlich (einige privatisierte Öko-Reservate können durchaus als positive Beispiele gelten), jedoch weist er darauf hin, dass nur diejenigen Teile der Natur durch Eigentumsrechte eingegrenzt werden, die in Wert gesetzt werden können weil sie profitabel sind, wodurch die Ganzheit der Natur partialisiert wird. (Öffentliche, Allmende, so genannte Klub- und private Güter unterscheiden sich nach dem Grad der Ausschließbarkeit und Rivalität.)
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Klimawandel als individuelles Risiko
5.3.2 Lebensstile Weitere Erklärungsansätze für den kollektiven Umweltkonflikt ‚Übernutzung der Erdatmosphäre’ kann die Lebensstilforschung liefern. Das globale Umweltproblem Klimawandel ist in erster Linie auf den klimaschädlichen, weil CO2intensiven Lebensstil - v. a. verursacht durch die Verbrennung fossiler Energieträger und die Zerstörung von CO2-Speichern - westlicher Industrieländer zurückzuführen. Dieser Lebensstil wird in Industrieländern derzeit intensiviert und in andere Ökonomien exportiert (International Energy Agency 2004). In der Lebensstilforschung werden Zusammenhänge zwischen Werten (evaluative Dimension), Geschmacks- bzw. Konsumpräferenzen (expressive und interaktive Dimension) und sozialer Lage (Sozialstruktur) verknüpft (de Haan 1996; Lantermann et al. 2003; Müller 1992). So können innerhalb der horizontalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft verschiedene Lebensstile identifiziert werden.118 Nach diesem Ansatz hätte die Kombination aus Sozialstruktur und Konsumpräferenz den höchsten Erklärungswert für die Einstellung zum Klimawandel. Das liegt insofern nahe, da auf individueller und Haushaltsebene das Konsumverhalten wesentliche Ursache für den CO2-Ausstoß darstellt. Vor allem den Zusammenhang zwischen Energienutzung und Lebensstil gilt es dabei zu berücksichtigen (Reusswig 1994; Reusswig et al. 2004; Prose und Wortmann 1991). Die Untersuchung von Lebensstilen kann hierbei als Weiterentwicklung des individuellen Handelns nur auf einer höheren Aggregatebene verstanden werden (Hunecke 2000). Ziel ist es, aufgrund der genannten Dimensionen (soziale Lage, Konsumpräferenz, Werte) eine Typenbildung vornehmen zu können. Das klima- bzw. umweltbewusste Verhalten manifestiert sich außerdem in konkreten Lebensräumen, m. a. W. das Verhalten korreliert mit dem Lebensbereich (Haushalt, Konsum, Freizeit etc.). Kruse-Graumann (2003) fasst drei Kategorien zusammen, die für das Umweltverhalten im Kollektiv bestimmend sind: Neben individuellen spielen interpersonale Faktoren (soziale Normen, Interaktion in Gruppen, Netzwerke) und externe Umstände (Möglichkeiten u. a.) eine Rolle. Im Unterschied zu den meisten sozialpsychologischen Ansätzen, hält sie die Kombination aller drei Kategorien für wesentlich statt einzelne Aspekte als entscheidend hervorzuheben. Im Zusammenhang mit der Verhaltensrelevanz beschreibt Huber den Einfluss individueller Faktoren auf Umweltbewusstsein wie folgt: 118
Das SINUS-Institut unterscheidet dabei entlang der Koordinaten „sozialer Status“ und „Grundwerte“ Länder übergreifend folgende Gruppen: Etablierte, Intellektuelle, moderne Performer, Traditionelle, Konsum-Materialisten, Sensations-Orientierte und den modernen Mainstream. Für die deutsche Bevölkerung werden unterschieden: Konservative, Etablierte, bürgerliche Mitte, DDRNostalgische, Traditionsverwurzelte (größte Gruppe mit 14%), Konsum-Materialisten, moderne Performer, Experimentalisten und Postmaterielle (http://www.sinus-sociovision.de, Zugriff: 15.05.2008).
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„Eine Person ist nicht nur das eine, sondern sie spielt eine Reihe verschiedener Rollen und erfüllt damit verschiedenste gesellschaftliche Funktionen. Umweltbewusstsein bildet eine sinngenerative Kompetenz, die aktives und passives Diskursund Handlungsvermögen verleiht. Das Umweltbewusstsein, das die Mitglieder der Gesellschaft als ein grundlegendes und generelles entwickeln, kann dann in verschiedenen Rollen- und Funktionsbezügen seine spezielleren Einflüsse ausüben.“ (Huber 2001: 411)
Huber geht sogar noch weiter und meint, dass die meisten Bewusstseinsaktivitäten für den Umweltschutz passiver Art sind, d. h. sie sind beobachtend, rezeptiv, verarbeitend. Er glaubt, dass Umweltschutzmotive des multifunktionalen Menschen je nach Lebensbereich als Wähler, Verbraucher, Arbeitnehmer etc. mehr mit Gesundheits-, Qualitäts- und Stilbewusstsein zu tun haben. So sei umweltgerechtes Verhalten umso wahrscheinlicher, je näher es sich am Normalverhalten orientiere (ebd.: 392ff.). Beides, Lebensstile und soziale Kontexte, zu verbinden, versucht ein vergleichsweise neuer Ansatz; das Modell der ‚social practices’ von Gert Spargaaren basiert auf dem Lebensstil-Ansatz und untersucht Verhaltensdiskrepanzen unterschiedlicher Lebensbereiche (Spargaaren 2003; Martens und Spargaaren 2005). Hier werden nicht mehr allein individuelle Einstellungen als zentrale Variablen für Umweltverhalten betrachtet, sondern - über die Selbsteinschätzung hinaus, dass man einen bestimmten Lebensstil pflegt - wird kontextspezifisches Verhalten (m. a. W. soziale Praktiken) untersucht, das durchaus im Widerspruch zum angegebenen Lebensstil stehen kann. Zu individuellen Einstellungen und Präferenzen kommen also Kontextfaktoren hinzu. Soziale Praktiken meinen bei Spargaaren Regelungssysteme (‚systems of provision’), bzw. der soziale und technologische Handlungsrahmen. So werden Einstellung und Norm als zweitrangig hinter der sozialen Praxis betrachtet. Auch das Individuum selbst steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern die Gruppe. Die empirischen Bezüge der sozialen Praktiken liegen vor allem bei Untersuchungen des Verbraucherverhaltens. Ferner grenzt sich der Ansatz explizit von den traditionellen EinstellungsHandlungs-Modellen (wie dem von Ajzen und Fishbein) ab. Zwar ist es durchaus wichtig, Normen und Verhalten im jeweiligen Sozialkontext zu untersuchen, doch die Vernachlässigung von Einstellungen als Voraussetzung für Handeln auch beim Klimaschutz (und dies betrifft auch kontextspezifisches Verbraucherverhalten) wird hier als ein Defizit des ‚socialpractices’-Ansatzes betrachtet.
6 Hypothesen
Aus den theoretischen Ausführungen werden die folgenden Hypothesen abgeleitet, die am empirischen Material überprüft werden. Davon ausgehend, dass Unsicherheit und Unwissenheit das Laienbewusstsein und die persönliche Verantwortungsübernahme bezüglich des Klimawandels prägen, wird dem sozialen Konstruktionspotential des Klimawandels viel Bedeutung beigemessen. Bezug nehmend auf die Ausführungen zum sozialen Konstruktionspotential des Klimawandels, welches nicht unerheblich mit der Komplexität des Problems, den noch bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten und dem globalen Charakter des Umweltproblems zusammenhängt, wird die folgende Annahme getroffen:
Î H1: Der Klimawandel wird nicht als reales, sondern als konstruiertes Umweltproblem wahrgenommen. Die Wahrnehmung bezieht sich in erster Linie auf das kommunizierte soziale Konstrukt Klimawandel, m. a. W. das Klimabewusstsein ist kongruent zu seiner gesellschaftlichen Konstruktion. Außerdem wurde deutlich gemacht, dass der anthropogene Klimawandel ein zentrales Beispiel für die zunehmende Betroffenheit moderner Gesellschaften gegenüber grenzüberschreitenden globalen Umweltproblemen ist. Ausgehend von der Annahme, dass globale Umweltprobleme im globalen Maßstab für alle Menschen die gleichen Betroffenheiten zur Folge haben, wird die Annahme abgeleitet, dass aufgrund der gleichen Betroffenheit verschiedene soziale Gruppen den Klimawandel auch gleichermaßen wahrnehmen. Somit sollten soziodemographische Unterschiede bezüglich der Wahrnehmung des Problems nur einen geringen Einfluss haben. Î H2: Für die Wahrnehmung und Bewertung des globalen Klimawandels und seiner Folgen sind sozio-demographische Faktoren nicht bzw. nachrangig relevant. Im Gegensatz dazu vertreten Befürworter des Konzepts Gesellschaftlicher Naturverhältnisse (GNV) die Auffassung, dass es keine Gleichverteilung der Klimarisiken gibt, sondern im Gegenteil die Folgen des Klimawandels sich gemäß den lokalen und regionalen Voraussetzungen auswirken. Dass dies die Bevölkerung auch so bewertet, prüft Hypothese 3a:
132
Hypothesen
Î H3a: Ökologische Risiken der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse betreffen Menschen nicht gleichermaßen, sondern verstärken bestehende sozio-ökonomische Ungleichheiten. Dies wird von der Bevölkerung auch so bewertet. Vertreter und Vertreterinnen des Konzepts Gesellschaftlicher Naturverhältnisse beschreiben weiterhin den Klimawandel als sozial-ökologische Krisendynamik, die aus dem krisenhaften sozio-ökonomischen, kulturellen und wissenschaftlichtechnischen Umgang moderner Gesellschaften mit der Natur resultiert. Der Klimawandel ist eine umfassende Gesellschaftskrise und hängt direkt mit der industriegesellschaftlichen klimaschädlichen Produktions- und Lebensweise zusammen. Hypothese 3b nimmt deshalb Folgendes an:
Î H3b: In der Bevölkerung wird der Klimawandel als umfassende Gesellschaftskrise beurteilt. Bezugnehmend auf die genannten Ansätze zum rationalen Handeln, spielen sowohl ideelle als auch monetäre Kosten-Nutzen-Kalküle eine wesentliche Rolle für das Risikobewusstsein des Klimawandels.
Î H4a: Individuelle Einstellungen zum Klimawandel und Diskrepanzen zwischen Einstellungen zum Klimawandel und Verhalten bzw. Verhaltensabsicht sind durch (monetäre und ideelle) Kosten-Nutzen-Kalküle zu erklären. Dabei gilt, je geringer die Kosten, desto wahrscheinlicher werden Handlungsabsicht und manifestes Handeln. Was das klimarelevante Wissen anbelangt, so wird auf der Grundlage o. g. Analysen der Wissensbestand für das Klimabewusstsein als nachrangig bewertet, jedoch nicht für die Verhaltensabsicht.
Î H4b: Wissen erklärt zwar nicht das Klimabewusstsein, aber die Handlungsintention. Weiterhin wird angenommen, dass Individuen sich nicht klimafreundlich verhalten solange das Verhalten von Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus ihrer Sicht auch nicht klimafreundlich ist, und sie deshalb nicht glauben, dass sie das Problem lösen können. Aus dieser Einstellung heraus, die eng mit Kostengründen zusammenhängen kann, ist es aus Sicht einzelner rational sich nicht klimaschützend zu verhalten. Diese Dynamik, die Widersprüche zwischen individueller und kollektiver Ratio zugrunde legt, ist eine wesentliche Erklärung für die Übernutzung der Erdatmosphäre als Gemeinschaftsgut, die wiederum zum kollektiven Dilemma Klimawandel führt.
Hypothesen
133
Î H5: Individuen verhalten sich „rational-klimafeindlich“, weil sie nicht glauben, dass sie selbst das Problem lösen können. Die Rückführung von Klimabewusstsein und Klimaschutzverhalten auf unterschiedliche Lebensstile, also die Kombination aus Werten, Geschmacks- und Konsumpräferenzen und sozialer Lage, wird anhand der folgenden Hypothese überprüft:
Î H6: Einstellungen zum Klimawandel lassen sich auf den Lebensstil zurückführen. Die aufgelisteten Arbeitshypothesen werden im folgenden Teil am empirischen Material überprüft. Deren Bestätigung oder Verwerfung trägt zur Erkenntnisgewinnung über Prozesse der Wahrnehmung, Bewusstseinsbildung und Handlungsintention von Laien beim Klimaschutz bei.
7 Untersuchungsdesign
7.1 Empirische Studien Für die empirische Untersuchung der Forschungsfragestellung, wie der komplexe, Diskurs beeinflusste Klimawandel in der Laienöffentlichkeit wahrgenommen wird, und zur Überprüfung der Arbeitshypothesen wird ein gekoppeltes empirisches Design gewählt. Es besteht erstens aus der Auswertung empirischer Klimastudien, zweitens einer quantitativen und drittens einer qualitativen Datenanalyse (Fokusgruppenanalyse). Der erste Schritt - die Analyse relevanter Studien - endet mit einer Zusammenfassung und einer Übersichtstabelle zu den Kategorien, die zur Erfassung von individuellem Klimabewusstsein wesentlich sind. Dies legt die Grundlage für die weiteren empirischen Datenanalysen. Für die eigene Sekundärdatenanalyse stehen zwei repräsentative Datensätze für die Untersuchungsregion Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung, die Eurobarometerstudie aus dem Jahr 2005 und die Umweltbewusstseinsstudie aus dem Jahr 2004, die relevante Variablen zur Untersuchungsfragestellung enthalten. Diese Umfragedaten werden mittels deskriptiver und regressionsanalytischer Verfahren untersucht. Da die beiden Umfragen nur unzureichend zur Beantwortung der Frage, inwieweit der Klimawandel auf menschliche oder natürliche Ursachen zurückgeht (Klimaskeptikerdiskussion), beitragen, wird dies durch qualitative Interviews ergänzt. Ferner fehlen in den beiden Repräsentativerhebungen Fragen zum Wissensstand, der, wie in Kapitel 8.1 deutlich wird, wesentlicher Indikator für die Bewusstseinsbildung bzw. soziale Konstruktion des Klimawandels ist. Auch hier können qualitative Interviews die Ergebnisse ergänzen. Für die Erhebung qualitativer Interviews wird die Methode der Fokusgruppen bzw. der Gruppendiskussion angewendet. Die Gruppendiskussion ermöglicht die teilnehmende Beobachtung und Erhebung von Meinungen und Einstellungen durch Rekonstruktion einer annähernd privaten Diskussionsrunde. Da Laien Umweltthemen häufig eng an ihrer privaten Situation bewerten, gelten partizipative Prozesse, wie sie sich bei der Gruppendiskussion darstellen, als besonders geeignet zur Erhebung von umweltrelevanten Einstellungsmustern (Pelz et al. 2004: 64; Kasemir et al. 2000: 36).
136
Untersuchungsdesign
So ergänzen sich die Auswertung empirischer Studien, die Sekundärdatenanalysen von Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie und die Fokusgruppen im multimethodischen empirischen Design. Die Untersuchung der Studien zur Wahrnehmung des Klimawandels bietet zunächst einmal die Grundlage für das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen: So können erste Gruppenunterschiede ebenso gefunden werden wie Hinweise darauf, welche Untersuchungskategorien (Indikatoren) gebildet werden müssen. Anschließend erlaubt die Analyse der Repräsentativerhebungen Aussagen über signifikante Effekte auf der Grundlage von repräsentativen Modellen. Diejenigen Indikatoren, die von den Repräsentativdaten entweder gar nicht oder aufgrund standardisierter Fragevorgaben nur unzureichend berücksichtigt werden können, werden durch die qualitativen Interviews untersucht. Über die Erweiterung der Indikatoren hinaus, eignet sich die qualitative Methode der Fokusgruppen durch halbstandardisierte, Leitfaden gestützte Interviews für eine tiefergehende Analyse. So können Schlussfolgerungen aus den Repräsentativdatenanalysen getroffen werden, die mit Hilfe des Gruppendiskussionsverfahrens weiter untersucht werden. Das Untersuchungsdesign wird im folgenden Kapitel 7 in drei Schritten dokumentiert: Es erfolgt zunächst die inhaltliche und methodische Beschreibung der empirischen Studien (Kapitel 7.1), danach folgt die Darstellung der beiden repräsentativen Stichproben Eurobarometerstudie 2005 und UBAUmweltbewusstseinsstudie 2004. Daran anschließend werden die quantitativen Untersuchungsmethoden dargestellt und die Operationalisierung entsprechend der zentralen Untersuchungskategorien präsentiert (Kapitel 7.2). Schließlich erfolgt die Darstellung der qualitativen Untersuchungsmethode (Kapitel 7.3). Da sich die Erhebung der Fokusgruppen nach den theoretischen und empirischen Vorannahmen richtet, werden zunächst die Gruppenauswahl und die Operationalisierung dargestellt und erst im Anschluss hieran die Stichproben beschrieben. Die empirischen Ergebnisse werden in Kapitel 8 zusammengefasst. Die Zusammenstellung der folgenden vier Studien dient dazu, zentrale empirische Ergebnisse aus der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Untersuchungsfragestellung - Laienwahrnehmung des Klimawandels - zu ermitteln. Bisher gibt es noch wenige sozialwissenschaftliche (empirische) Arbeiten, die sich mit der Frage der Laienwahrnehmung des Klimawandels in der BRD beschäftigen. Aufgrund der Heterogenität der Studien ist es für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse notwendig, die unterschiedlichen methodischen Designs zu dokumentieren. Eine ausführliche Methodenbeschreibung ist allerdings nicht notwendig, da es sich in der Ergebnispräsentation um eine einfache Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse aus den genannten Quellen handelt. Es werden drei deutsche Regionalstudien und eine einschlägige Umfrage unter Kinobesuchern betrachtet. Bei der ersten Studie handelt es sich um eine nicht-repräsentative Untersuchung der Klima- und Risikowahrnehmung an der Nordseeküste, die von Pe-
Empirische Studien
137
ters und Heinrichs (2004) durchgeführt wurde. Hier wurden sowohl Medienbeiträge (1.176 Beiträge aus Print- und audiovisuellen Medien) untersucht als auch eine Bevölkerungsumfrage (183 Personen aus Bremen, Wilhelmshaven und Wangerland) durchgeführt, die wiederum durch Gedankenprotokolle zur Rezeption einschlägiger Medienberichte ergänzt wurde. Ein Schwerpunkt lag auf der kognitiven Verarbeitung der Medieninhalte, dem so bezeichneten ‚sense making’. Ein Ziel der Untersuchung bestand darin nachzuvollziehen wie die Bevölkerung das Problem Klimawandel definiert (Risikoeinschätzung) und was daraus für die Akzeptanz der Bewältigungsstrategien und für die Kommunikation über den Klimawandel folgt. Dabei wurde die „öffentliche Risikokonstruktion“ unter der Fragestellung untersucht, inwieweit es Zusammenhänge zwischen lokalem Küstenschutz und globalem Klimaschutz gibt. Darüber hinaus wurde der besonderen Rolle der Medien Rechnung getragen, indem die Interaktion zwischen Wissenschaft und Journalismus hinsichtlich der Fragestellung untersucht wurde, ob und wie Journalisten und Journalistinnen ihrer Vermittlungsrolle entsprechen und wie sich das Verhältnis der beiden Akteursgruppen zueinander darstellt. Dabei wurden 169 Akteure aus der Wissenschaft und 85 Journalisten und Journalistinnen befragt. In der zweiten, nicht-repräsentativen Studie von Linneweber et al. (2001) wurde die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels auf der Insel Sylt untersucht.119 Dort wurden 70 so genannte Schlüsselpersonen der Insel interviewt. Diese sind soziale Repräsentanten verschiedener gesellschaftlich relevanter Bereiche. Sie gelten als Meinungs-, Entscheidungs- oder Funktionsträger, die vom Thema betroffen, repräsentativ und sozial vernetzt sind und Einflusspotential haben. Mittels zweier halbstandardisierter offener Interviews wurden im Abstand von einem Jahr (1998 und 1999) diese 70 Personen nach ihrer Wahrnehmung und Bewertung des Klimawandels befragt. Im ersten Interview wurden zunächst allgemeine Einschätzungen zur Insel Sylt erhoben, im zweiten Interview wurden die gleichen Personen explizit zum Klimawandel befragt. Schwerpunkte lagen in der Identifizierung von Akteursgruppenunterschieden und deren Einschätzung der Folgen des Klimawandels für Natursphäre und Anthroposphäre sowie von Klimaschutzmaßnahmen (Adaptation und Mitigation). Die dritte deutsche Regionalstudie, die hier dargestellt wird, ist eine Repräsentativbefragung aus Baden-Württemberg. 2001 wurden dort mittels eines Risikosurveys 1.508 Personen zu ihren Einstellungen zur globalen Erwärmung befragt. Die standardisierte Umfrage wurde durch 62 persönliche Leitfadeninterviews ergänzt (Zwick 2001). Die vierte deutsche Studie ist eine Befragung zum Film „The Day after tomorrow“. Im Jahr 2004 wurde im Auftrag des Potsdam-Institut für Klima119
Die Arbeit ist Teil des BMBF-Forschungsprojekts „Soziale Repräsentationen von Entwicklungen in Natur- und Anthroposphäre auf Sylt vor dem Hintergrund des globalen Wandels“ im Rahmen des Verbundprojekts Sylt.
138
Untersuchungsdesign
folgenforschung (PIK) eine Umfrage durchgeführt. Dabei wurden deutsche Kinobesucher des US-amerikanischen Films „The Day after tomorrow“ zu ihrer Einschätzung des Klimawandels befragt (Reusswig et al. 2004). Die Meinungen von insgesamt 1.118 Kinobesuchern und -besucherinnen in Berlin, Bremen, Magdeburg, Marburg, München und Potsdam wurden, nachdem sie den Film gesehen hatten, erhoben. 149 von ihnen wurden vier Wochen später wiederholt befragt, um die Langzeitwirkung des Films zu untersuchen. Die abgefragten Items umfassten den Klimawandel, Klimapolitik, Klimaschutz, Medienpräferenzen, sozio-demographische Merkmale und Lebensstile. Zusätzlich wurden Experteninterviews geführt und Fokus-Gruppen gebildet.120
7.2 Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie 7.2.1 Stichprobenbeschreibung Die Eurobarometerstudie121 ist eine standardisierte Erhebung. Im Jahre 2005 wurden 24.787 Personen zu verschiedenen Aspekten der Umwelt und des Umweltschutzes befragt. Dabei wurden Bürger und Bürgerinnen sowohl aus den 15 alten EU-Mitgliedsstaaten (15.529 Befragte) als auch aus den zehn im Jahre 2004 beigetretenen Ländern (9.258 Befragte) persönlich befragt. Für diese Arbeit wurden nur die Antworten der Befragten aus Deutschland ausgewertet (n=1.561, davon 772 Männer und 789 Frauen, 1.045 aus den ABL und 516 aus den NBL).122 Die deutsche Umweltbewusstseinsstudie123 ist die umfangreichste regelmäßig stattfindende Repräsentativbefragung in der BRD zum Thema Umwelt. Diese Erhebung zum Umweltbewusstsein ist Teil der Umweltberichterstattung des Umweltbundesamtes (UBA) und wird in der BRD seit Anfang der 1990er Jahre, im Zwei-Jahres-Turnus seit 1996 durchgeführt. 120
Parallel zur deutschen Befragung wurden ähnliche Kino-Befragungen der Zuschauer von „The day after tomorrow“ in Großbritannien, den USA und Japan durchgeführt, bei denen ebenso die Effekte zwischen den beiden Befragungszeitpunkten vor und nach der Filmvorführung gemessen wurden. In einer der im englischen Norwich durchgeführten Studie wurden 300 Personen befragt, die einen Monat später in Fokusgruppeninterviews wiederholt befragt wurden, um zentrale Aspekte tiefer gehend zu diskutieren. Die US-Kinostudie hatte drei Befragungszeitpunkte (vor, nach und mehrere Monate nach dem Film) vorzuweisen und hat darüber hinaus Zuschauer und NichtZuschauer verglichen, was sie von den anderen Befragungen unterscheidet. 121 Die Daten des Eurobarometers 62.1 wurden mit freundlicher Unterstützung vom Zentralarchiv für empirische Sozialforschung (ZA), Universität zu Köln, bereitgestellt. 122 Es wurden 1.561 in Deutschland lebende Personen (davon 45 mit nicht-deutscher Nationalität) befragt. 123 Die Daten der Umweltbewusstseinsstudie wurden mit freundlicher Unterstützung von Prof. Dr. Udo Kuckartz, Philips-Universität Marburg, zur Verfügung gestellt. Für weitere Informationen zur Studie siehe auch die Internetseite: http://www.umweltbewusstsein.de (Zugriff: 15.05.2008).
Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
139
Eine Darstellung der Verteilung sozio-demographischer Merkmale der Umweltbewusstseinsstudie 2004 ist in Tabelle 14 im Anhang dieser Arbeit zusammengestellt.
7.2.2 Untersuchungsmethode Die quantitativen Daten werden zweistufig analysiert. Zunächst werden die relevanten Variablen der beiden vorliegenden Datensätze deskriptiv ausgewertet. Das hat den Zweck, einen Einblick in die Verteilungen von Einstellungen und Meinungen der Befragten zum Thema Klimawandel zu erhalten. Diese Ergebnisse werden graphisch dargestellt. Daran schließen sich die multivariaten inferenzstatistischen Analysen an. Durch sie werden Zusammenhänge zwischen Einstellungen zum Klimawandel und sozio-demographischen Merkmalen gemessen. Hier werden zwei verschiedene regressionsanalytische Ansätze verwendet: die multiple lineare Regression sowie (in einem Modell) die logistische Regression. Sowohl die deskriptiven Auswertungen als auch die multivariaten Analysen werden mit Hilfe des Statistikprogramms Stata durchgeführt. Aufgrund der Datenlage kann keine multivariate Analyse der Eurobarometerstudie durchgeführt werden. Die Ergebnispräsentation der Eurobarometeranalyse bezieht sich also ausschließlich auf den deskriptiven Teil. Weiterhin ist zu beachten, dass die Fallzahl in den multivariaten Modellen nicht konstant gehalten werden konnte, da dies einen so hohen Datenverlust zur Folge gehabt hätte, dass reliable Berechnungen nicht mehr möglich gewesen wären.
7.2.3 Operationalisierung der Variablen In diesem Kapitel werden Skalierung und Manipulation der unabhängigen und abhängigen Variablen dokumentiert. Dabei zeigt Tabelle 3 die Liste der soziodemographischen Variablen, die als Erklärungsvariablen in die regressionsanalytischen Modelle aufgenommen werden. Tabelle 4 dokumentiert die Einstellungsvariablen zum Klimawandel der beiden Stichproben (Umweltbewusstseinsstudie und Eurobarometerstudie), die den deskriptiven Analysen zugrunde liegen. In Tabelle 5 werden Ausprägungen und Skalenniveau der abhängigen Variablen der regressionsanalytischen Modelle zusammengefasst. Für die regressionsanalytischen Modelle werden alle Einstellungsvariablen (abhängige Variablen) aus Interpretationsgründen invertiert, d. h. es werden geringen Werten (1) eine niedrige Zustimmung und hohen Werten (4 oder 5) eine hohe Zustimmung zum jeweiligen Item zugeordnet.
140
Untersuchungsdesign
Liste unabhängiger Variablen Geschlecht
Skalenniveau / Kodierung Frau = 1 Mann = 0 18-90 Jahre (metrische Variable) Ohne Abschluss = 0 Niedriger Bildungsabschluss = 1 (Volks- und Hauptschulabschluss) Mittlerer Bildungsabschluss = 2 (Realschulabschluss, mittlere Reife, polytechn. Oberschule) (Fach-)Abitur = 3 (Fach-)Hochschulabschluss = 4
Manipulation der Daten
Küstenregion
Küste = 1 Binnenland = 0
Familienstand
Lebt mit Partner = 1 Lebt nicht mit Partner = 0 0-11 Kinder (metrische Variable) 1-9 Mitglieder im Haushalt, Kinder werden mitgezählt (metrische Variable) Westdeutschland / ABL = 1 Ostdeutschland / NBL = 0
Mit Hilfe der angegebenen PLZ wird eine binäre Variable (Dummy) generiert.124 Keine
Alter Bildungsabschluss
Kinder Haushaltsgröße125
Region
Tabelle 3:
124
keine keine
Es werden binäre Variablen (Dummy-Variablen) für die jeweiligen Bildungsabschlüsse generiert.
keine
Variable wird anhand der angegebenen PLZ generiert. Einwohner und Einwohnerinnen Berlins werden entsprechend der ehemaligen ost- und westberliner Bezirke zugeordnet.
Liste sozio-demographischer Variablen (unabhängige Variablen)126
Die PLZ der an Ost- und Nordseeküste gelegenen Regionen beginnen mit den Ziffern 17, 18, 21, 23, 24, 25, 26, 27. 125 Die Variablen Haushaltsgröße und Kinder bleiben getrennt, weil zwei unterschiedliche Effekte angenommen werden. 126 Siehe auch Tabelle 14 im Anhang zur Verteilung der Variablen.
141
Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
Liste unabhängiger Variablen Pro-KopfHaushaltsEinkommen
Skalenniveau / Kodierung
Manipulation der Daten
Niedriges Einkommen < 1000€ Mittleres Einkommen 10002000€ Höheres Einkommen > 2000€ DK = Missing Values
Um das Pro-Kopf-Netto-Haushaltseinkommen zu generieren, wird in mehreren Schritten vorgegangen: Zunächst werden die Mittelwerte der HH-Einkommensgruppen berechnet, (es stand keine andere Einkommensvariable zur Verfügung). Um die Einkommenssumme für jeden einzelnen zu ermitteln, wird das mittlere HH-Nettoeinkommen durch die Anzahl der HH-Mitglieder geteilt. Aufgrund der hohen Zahl an Missing Values (552), werden diese über eine Hilfskonstruktion eine neu generierte Dummy Variable („DK“) im Modell gehalten. (Falls sie einen Effekt hat, muss das allerdings erklärt werden). Da die DK-Variable binär kodiert ist, muss das Einkommen kategorisiert werden. (Kinder unter 4 Jahren werden nicht als HHMitglieder berücksichtigt)
Fortsetzung Tabelle 3:
Liste sozio-demographischer Variablen (unabhängige Variablen)
Die Einstellungsvariablen des Eurobarometers und der Umweltbewusstseinsstudie werden gemäß der auf den nächsten Seiten dargestellten Indikatoren zur Wahrnehmung und Bewertung des Klimawandels und des Klimaschutzes operationalisiert. Tabelle 4 ordnet den Indikatoren die Variablen aus den deskriptiven Modellen, Tabelle 5 ordnet ihnen die Variablen aus den multivariaten Modellen zu.
142
Untersuchungsdesign
Indikatoren für Klimabewusstsein Existenz des Klimawandels Ursachen des Klimawandels Folgewirkungen des Klimawandels Bedrohungspotential des Klimawandels Einschätzung von Vermeidungsund Anpassungsmöglichkeiten
Verantwortung
Informationsstand
Tabelle 4:
Item Überzeugung, dass Klimaveränderungen eintreten Ausstoß klimaschädlicher Gase wie CO2 Zunahme von Extremwetterereignissen Klimawandel gefährdet Familie Sorge um Umwelt Klimawandel ist verhinderbar Anpassungskapazität der BRD an Folgen des Klimawandels Fortschritte beim Klimaschutz individuelles Umweltbewusstsein Bereitschaft für die Umwelt zu handeln Einschätzung des Umweltbewusstseins „Dritter“ Wichtigkeit von Umweltschutz im Allgemeinen Sparsamer Umgang mit Energievorräten und Rohstoffen Vorreiter BRD beim Klimaschutz selbstbekundetes Informationsdefizit Beurteilung der Rolle der BRD auf internationalen Klimakonferenzen
Zuordnung der deskriptiv ausgewerteten klimarelevanten Einstellungsvariablen des Eurobarometers 2005 und der Umweltbewusstseinsstudie 2004 zu den Klimabewusstseinsindikatoren
Tabelle 5 zeigt schließlich die Ausprägungen der abhängigen Variablen aus der Umweltbewusstseinsbefragung, die für die Regressionsmodelle verwendet werden.
Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie Indikator Existenz des Klimawandels
143
Ausprägungen/Kodierungen 1 = überhaupt nicht überzeugt 2 = wenig überzeugt 3 = ziemlich überzeugt 4 = voll und ganz überzeugt Reduktion Klimagase 1 = überhaupt nicht wichtig Ursachen des 2 = weniger wichtig Klimawandels 3 = eher wichtig 4 = sehr wichtig Extremwetterereignisse 1 = stimme überhaupt nicht zu Folgewirkungen des Kli2 = stimme eher nicht zu mawandels 3 = teils/teils 4 = stimme weitgehend zu 5 = stimme voll und ganz zu 1 = überhaupt nicht gefährlich für Bedrohungspotential des Gefährdung Klimawandels mich und meine Familie 2 = kaum gefährlich für mich und meine Familie 3 = etwas gefährlich für mich und meine Familie 4 = sehr gefährlich für mich und meine Familie 5 = äußerst gefährlich für mich und meine Familie Vermeidungs- und Mitigation 1 = überhaupt nicht überzeugt Anpassungsmöglichkeiten 2 = wenig überzeugt 3 = ziemlich überzeugt 4 = voll und ganz überzeugt 1 = überhaupt nicht überzeugt Adaptation 2 = wenig überzeugt 3 = ziemlich überzeugt 4 = voll und ganz überzeugt Klimaschutz 1 = ist eher schlimmer geworden 2 = keine wesentlichen Fortschritte 3 = große Fortschritte Verantwortung Vorreiter BRD 1 = sollte voran gehen 2 = sollte eher auf eine gesamteuropäische Lösung warten 3 = weder-noch/unentschieden Ressourcen sparen 1 = überhaupt nicht wichtig 2 = weniger wichtig 3 = eher wichtig 4 = sehr wichtig Informationsstand Klimakonferenzen 1 = sehr unzufrieden 5 = sehr zufrieden Tabelle 5: Skalierung abhängiger Variablen der multiplen linearen und logistischen Regressionsanalysen (Umweltbewusstseinsstudie 2004)127
127
Abhängige Variablen Klimaveränderung
Die vollständigen Frageformulierungen des Originalfragebogens sind sowohl in den Fußnoten des deskriptiven Teils als auch in Kapitel 12.2 im Anhang nachzulesen.
144
Untersuchungsdesign
Ein methodischer Hinweis betrifft die Behandlung von fehlenden Werten, Missing Values: Sowohl bei den deskriptiven als auch bei den multivariaten Modellen werden die Missing Values nicht in die Berechnung einbezogen. Außerdem werden bei der deskriptiven Analyse Geschlechterdifferenzen mit einem t-Test auf ihre Signifikanz geprüft. Alle t-Tests werden im Anhang (Tabelle 15) dokumentiert. Bei der Ergebnisdarstellung werden nur die signifikanten Werte (Irrtumswahrscheinlichkeit p < 5%) gezeigt. Die ausgewerteten Einstellungsvariablen werden zum überwiegenden Teil in vier- oder fünfstufigen Skalen abgefragt (von ‚stimme voll und ganz zu’ bis ‚stimme überhaupt nicht zu’), selten werden dreistufige Skalen verwendet (s. Tabelle 5 der abhängigen bzw. Ziel-Variablen). Bei der Darstellung der Werte werden Zahlen >= 0.5 auf- und Zahlen < 0.5 abgerundet.
7.3 Fokusgruppen Im folgenden Abschnitt werden zuerst die Methode der Fokusgruppen (focus groups), dann die Gruppenauswahl und die Operationalisierung und danach die Stichproben beschrieben. Bei der Erhebung der Fokusgruppen muss im Vorfeld über die Merkmale der Gruppenauswahl entschieden werden. Da die Methode der Fokusgruppen bzw. Gruppendiskussion noch nicht sehr lange in der sozialwissenschaftlichen Forschung angewendet wird, wird ihr im folgenden Abschnitt eine ausführlichere Darstellung gewidmet. Die Methode der Fokusgruppendiskussion wurde Ende der 1940er Jahre in den USA und Großbritannien zur Evaluierung von Zuschauerreaktionen auf Propagandafilme entwickelt. Fokusgruppen werden mittlerweile vor allem in der Markt- und Konsumforschung eingesetzt, u. a. zur Produktentwicklung, aber auch im akademischen und NonProfit-Bereich (Loos und Schäffer 2001).128
128
Eine groß angelegte Erhebung zur Laienwahrnehmung des Klimawandels mit Fokusgruppen wurde bspw. durch die beiden Projekte ULYSSES (Urban Lifestyles, Sustainability, and Integrated Environmental Asessment, ein Projekt im Rahmen des vierten EU-Forschungsrahmenprogramms, Environment and Climate, Human Dimensions of Climate Change) und CLEAR (Climate and Environment in Alpine Regions, gefördert durch den Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) durchgeführt. Es fanden dabei Gruppendiskussionen in sieben europäischen Städten statt (Athen, Barcelona, Frankfurt a. M., Manchester, Stockholm, Venedig und Zürich), an denen insgesamt ca. 600 Personen beteiligt waren. Bei der Ergebnispräsentation der Studien wird explizit darauf hingewiesen, dass für die Analyse und Evaluierung von globalem Wandel nicht nur die Beteiligung von Experten und Expertinnen und politischen Akteuren, sondern auch das Involvieren der Öffentlichkeit bspw. über Fokusgruppen wichtig ist (Kasemir et al. 2000: 40).
Fokusgruppen
145
„[Eine Gruppendiskussion ist] ein multilaterales Gespräch von Gruppenmitgliedern unter relativ kontrollierten Bedingungen, sozusagen unter den Augen des Forschers […]“ und „Gruppendiskussionen sind kommunikative Interaktionen in (mehr oder weniger realistischen, alltäglichen) Situationen, aus denen sich der gemeinte Sinn der Handlungen leichter erschließen lässt als in (mehr oder weniger) artifiziellen, bilateralen Interviewsituationen.“ (Lamnek 1998: 27 und 38)
Für die Untersuchung der Wahrnehmung des Klimawandels ist die Verwendung der Methode von Gruppendiskussionen oder Fokusgruppen (FG) aus mehreren Gründen sinnvoll: Die qualitative Methode ergänzt die Analyse der quantitativen Sekundärdaten, da die Ergebnisse der Repräsentativerhebungen durch die Gruppendiskussionen vertieft werden können.129 Darüber hinaus eignet sich die Gruppendiskussion für die Erhebung von Meinungen, da sie möglichst private Situationen abbildet (ebd.: 31ff.). „Das Gruppengespräch läßt sich so […] als ein Verfahren definieren, in dem in einer Gruppe fremdinitiiert Kommunikationsprozesse angestoßen werden, die sich in ihrem Abflauf und der Struktur zumindest phasenweise einem ‚normalen’ Gespräch annähern.“ (Loos und Schäffer 2001: 13)
Deshalb eignen sich Fokusgruppen besonders dann, wenn es um die Erforschung komplexer Themen oder (nicht-öffentlicher) Meinungen, Einstellungen, Bewusstseinsstrukturen und Motivationen geht: Durch die Gruppensituation werden Diskussionprozesse in Gang gesetzt, die einzelne Teilnehmer und Teilnehmerinnen dazu veranlassen, ihre Aussagen im Dialog mit anderen zu überprüfen, weiterzuentwickeln, zu bestärken oder auch zurücknehmen und zu ändern, und sich dabei möglichst wenig durch normative Vorgaben ‚sozialer Erwünschtheit’ beeinflussen zu lassen. Ziel der FG ist es, über ein abgrenzbares Thema Informationen über Motive von Meinungen und Wahrnehmungen zu bekommen. Dabei dienen die FG bewusst nicht der Generalisierung der Forschungsfragen, sondern vielmehr der Spezifizierung und der Identifizierung von Hintergründen. Die Methode der FG ist induktiv (Lamnek 1998: 37). Die Grundgesamtheit (üblicherweise nicht mehr als 12 Personen) wird nach vorher festgelegten (soziodemographischen und thematischen) Auswahlkriterien erhoben und die Diskussion wird durch einen Moderationsleitfaden vom Untersuchenden strukturiert. Schwierigkeiten bei der Gruppenzusammenstellung ergeben sich vor allem durch die Ausbalancierung von einerseits nicht zu geringem und andererseits nicht zu hohem Wissen. Bei Gruppeninterviews geht es nicht um die Erwartung bestimmter Antworten, sondern um - mitunter erst durch den 129
Üblicherweise werden FG ergänzend und komplementär zum methodischen Design eingesetzt (Methodenmix bzw. multimethodisches Vorgehen). Die Verwendung als eigenständige Methode ist dagegen eher selten, da sie als Spezialform der qualitativen Sozialforschung gilt (Lamnek 1998).
146
Untersuchungsdesign
Diskussionsprozess entstehenden - Konsens oder Dissens zum Thema (Morgan und Krueger 1993). Es ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ, sondern zunächst nur auf teilnehmende Personen zu beschränken sind. Ein weiterer Nachteil ist die mangelnde Standardisierbarkeit der Ergebnisse; da sie kontextabhängig sind, können sie nicht in der gleichen Form reproduziert werden. Darüber hinaus können gruppendynamische Prozesse zur Verzerrung einzelner Aussagen führen (bspw. durch Meinungsführerschaft). Deshalb muss der oder die Interviewende möglichst Meinungsführerschaften zu verhindern wissen. Dennoch gibt es eine Reihe von Vorteilen: Durch das Gruppengespräch werden gruppendynamische Prozesse angestoßen. Personen trauen sich, ihre Meinung zu äußern und psychologische Sperren der Meinungsäußerung werden ggf. bei einzelnen überwunden, so dass auf latente Inhalte einer Aussage zurückgeschlossen werden kann, was bei standardisierten statistischen Verfahren nicht möglich ist (Loos und Schäffer 2001: 20). Abgesehen von dem Vorteil des geringen Aufwands eignet sich die Methode besonders zur Erforschung komplexer Themen. Die dynamische Diskussion bringt Konsens oder Dissens hervor, der in Einzelinterviews eventuell nicht sichtbar würde (Morgan und Krueger 1993). Darüber hinaus ist die Methode flexibel hinsichtlich der thematischen Anwendung und des Verlaufs im Versuchsfeld (Prinzip der Offenheit). Die Vorteile der Bildung von Fokusgruppen hängen mit dem verhältnismäßig hohen Input-Output-Verhältnis zusammen. Insbesondere die Gruppenkonstellation dient dabei der Förderung einzelner Meinungen, die durch die Interaktion mit anderen stimuliert wird. Erzielt werden soll ein größtmöglicher Austausch untereinander mit einem möglichst hohen Anteil an persönlicher Kundgebung der eigenen Einschätzung und Meinung zum Thema. Die Gruppendiskussion dient also dem diskursiven Austausch von Ansichten und Argumenten mit möglicher Modifikation im Verlauf der Diskussion (Lamnek 1998: 34). „ […] focus groups cannot deliver everything. Such groups are not designed to elicit individual consumer preferences (which are better studied by observing actual consumption behavior); rather, they are intended to show how ordinary citizens develop preferences about public choices and how these preferences evolve and are expressed in a dynamic social setting.“ (Kasemir et al. 2000: 37)
Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, dass der gruppendynamische Prozess im Hintergrund steht:
Fokusgruppen
147
„Bei der Durchführung von Fokusgruppen steht das Interesse an inhaltlichen Ergebnissen im Vordergrund - Gruppenprozessen wird zwar ein wesentlicher Beitrag zu dem Ergebnis zugeschrieben, sie werden aber selbst nicht weiter analysiert.“ (Pelz et al. 2004: 10)
Als nicht unproblematisch für die Auswertung der Fokusgruppeninterviews wird wiederum die Auflösung des „Primats des Individuellen“ betrachtet, also der Rückschluß von individuellen Meinungen und Einstellungen auf kollektive und umgekehrt. Versteht man als ‚eigentliche’ Meinung diejenige des Individuums, wird man der Methode der Gruppendiskussion kritisch begegnen und einwenden, sie führe zur Meinungsverzerrung. Räumt man allerdings dem Kollektiven das Primat ein, so wird diese Befürchtung weniger relevant (Loos und Schäffer 2001: 30f.). Laut Goffmans Interpretation des Symbolischen Interaktionismus,130 wird die Unterscheidung zwischen persönlicher und sozialer Identität mehr im Sinne des Meadschen „I“, nämlich als persönliche Ausgestaltung verschiedener sozialer Identitäten des Individuums, begriffen (Goffman 1975). So ist das Individuelle untrennbar mit dem Kollektiven verbunden, wenngleich bei Mead das Kollektive bzw. die Interaktion mit dem Kollektiven die primäre Sinnebene darstellt: „Der Prozeß, aus dem heraus sich die Identität entwickelt, ist ein gesellschaftlicher Prozeß, der die gegenseitige Beeinflussung der Mitglieder der Gruppe, also das vorherige Bestehen der Gruppe selbst voraussetzt. Er setzt auch gewisse kooperative Tätigkeiten voraus, in die die einzelnen Mitglieder der Gruppe eingeschaltet sind.“ (Mead 2005: 207)
Mead galt als ein pragmatischer Vertreter der Auffassung, dass sich das Individuum seiner Umwelt anpasst. Der Symbolische Interaktionismus Blumers wiederum meint, dass Menschen auf der Grundlage der durch die Umwelt vermittelten Bedeutungen handeln. Diese verändern sich in sozialer Interaktion (Mayring 1983: 29). Für die zu untersuchende Forschungsfrage stellt sich die Situation nun folgendermaßen dar: Das Hauptinteresse liegt nicht darin, über die Methode der FG reine individuelle bzw. von kollektiven Narrationen zu unterscheidende Einstellungen des Klimawandels zu untersuchen. Vielmehr ist es Ziel, individuelle Wahrnehmungen und Meinungen zur globalen Erwärmung zu erheben, die sich kollektiv repräsentieren und gleichermaßen kollektiv geprägt sind. Deshalb geht es nicht um den Versuch, eine Trennung der Interaktion Individuum-Kollektiv zu vollziehen, sondern es wird davon ausgegangen, dass 130
Der symbolische Interaktionismus beschäftigt sich mit der Interaktion zwischen Personen. Dieser handlungstheoretische Ansatz geht davon aus, dass soziale Objekte, Situationen und Beziehungen im symbolisch vermittelten Prozess der Interaktion bzw. Kommunikation hervorgebracht werden. Geprägt wurde der Begriff durch Herbert Blumer, der sich auf Meads Überlegungen zur Bewusstseinsbildung und Identitätsentwicklung bezog.
148
Untersuchungsdesign
die Interaktion besteht und sie sich in spezifischen Haltungen zum Klimawandel repräsentiert: „Die Gruppenmeinung ist keine Summe von Einzelmeinungen, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen.“ (Loos und Schäffer 2001: 65)
Sieht man es so, erübrigt sich auch das Problem, dass es eine unterschiedliche Beteiligungsintensität der Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Gruppengespräch gibt. Hinzu kommt, dass durch das zweistufige Verfahren von FG und Analysen repräsentativer Umfragedaten ein Vergleich zwischen den Auffassungen in den Gruppendiskussionen und den Häufigungsverteilungen der Meinungen der Befragten aus den Repräsentativerhebungen stattfinden kann.
7.3.1 Gruppenauswahl, Operationalisierung und Auswertung Bei der Auswahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen ist zu beachten, dass explizit keine besonderen Vorkenntnisse oder Erfahrungen nötig sind, da es sich um die Frage nach der Laien-Wahrnehmung des Klimawandels handelt. Insofern muss bei der Auswahl darauf geachtet werden, dass die Probanden keine Experten und Expertinnen sind.131 Darüber hinaus wurde die Gruppenauswahl zweifach vorstrukturiert: zum einen entsprechend der Untersuchungsmethode der Gruppendiskussion (1) und zum anderen entsprechend der bereits vorhandenen Ergebnisse der empirischen Studien und der Repräsentativdatenanalysen (2). 1.
2.
131
Die Auswahl ist bewusst nicht bevölkerungsrepräsentativ und nicht zufällig. Die Gruppen werden nach theoretischen und methodischen Vorgaben ausgewählt. Sie sollen möglichst homogen sein, d. h. die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sollen sich erstens persönlich kennen, um eine annähernd private Situation herzustellen, die möglichst offene und „natürliche“ Gespräche stimuliert. Zweitens sollen sich die Mitglieder der Gruppe in ihrer Lebenssituation nicht zu stark unterscheiden, da vor allem starke Bildungsunterschiede zu Meinungsführerschaften und Gesprächsdominanz führen können. Schließlich muss vorausgesetzt sein, dass sie vor Beginn des Gesprächs noch nicht über die genaue Themensetzung (Klimawandel) informiert werden.132 Gemäß der Ergebnisse der Studien und der multivariaten Analysen konnten vor allem Alter, Geschlecht, Bildung und Kinder als signifikante Indikatoren identifiziert werden. Die Gruppen werden somit nach diesen
Als Klimaexperten und -expertinnen werden hier Personen definiert, die sich beruflich oder privat den Bereichen Umwelt, Klima oder Energie zuordnen. Bei der Durchführung ist allgemein darauf zu achten, dass die Sprache der Moderation und der begleitenden Organisation zielgruppengerecht und möglichst einfach ist.
132
Fokusgruppen
149
Merkmalen erhoben.133 In erster Linie werden Altersgruppen unterschieden, so wurden Schüler und Schülerinnen, Personen mittleren Alters und Pensionäre ausgewählt. In Tabelle 6 werden die Gruppenmerkmale dokumentiert. Da Bildung als wesentliches Distinktionsmerkmal bei der Wahrnehmung des Klimawandels identifiziert werden konnte, werden die Schüler noch einmal entsprechend ihres Bildungsniveaus unterschieden.134 Die Gespräche und Diskussionen der FG können auf der Inhaltsebene (Konversationsanalyse und qualitative Inhaltsanalyse) und auf der Beziehungsebene (Interaktionseffekte) ausgewertet werden. Es können dabei verschiedene Strategien der Auswertung verfolgt werden, z. B. die Rekonstruktion des Diskursverlaufs oder eine einfache Inhaltswiedergabe. Die anschließende Vorgehensweise erfolgt nach den Maßgaben der qualitativen Inhaltsanalyse: Da es bei der Forschungsfragestellung um Hintergründe und Motive der Wahrnehmung des Klimawandels geht, sind gruppendynamische Prozesse nicht im Mittelpunkt der Untersuchung. Vielmehr geht es darum, Schlüsselbegriffe und Narrationsweisen zum Thema globale Erwärmung zu ermitteln, die wiederum Aufschluss über Wahrnehmungen, Einstellungen und Meinungen zum Thema geben. Dabei soll eine Kategorisierung der verschiedenen Typen gemäß der o. g. Kategorien (die Indikatoren Existenz, Ursachen, Folgenbewertung, Bedrohungsgefühl, Anpassung/Vermeidung und Verantwortung) erstellt werden, bei der einzelne Fälle der jeweiligen Diskussion hervorgehoben werden. Die Auswertung orientiert sich dabei an den Vorgaben der qualitativen Inhaltsanalyse nach Loos et al. (2001: 59). Dort wird vorgeschlagen, in drei Schritten vorzugehen: erstens zusammenfassend darzustellen was gesagt wurde (Identifikation von Gesprächsmustern), zweitens diese Aussagen mit den Aussagen anderer Gruppen zu vergleichen (wie wurde etwas gesagt) und drittens Diskurstypen zu identifizieren. Die Methode wird als systematische interpretativ-reduktive Zusammenfassung bezeichnet. Anders formuliert, es wird eine klassifizierende (nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten) und eine hermeneutische (textimmanente Interpretation durch Analyse 133
Um die Gruppenmerkmale bei der Auswahl zu berücksichtigen, wurde bei allen Gruppen darauf geachtet, dass Frauen und Männer gleichermaßen teilnehmen. Nicht immer konnte die Gruppenzusammenstellung paritätisch hergestellt werden. Die vier Gruppengespräche wurden in jeweils zwei ost- und zwei westberliner Stadtteilen (Treptow, Mitte, Neukölln, Steglitz) durchgeführt; die Ost-West-Unterschiede werden allerdings bei der folgenden Gruppenauswertung nicht weiter beachtet. Es muss immer berücksichtigt werden, dass es sich, wie erwähnt, um eine nicht-repräsentative, nicht-zufällige Auswahl handelt. 134 Drei der vier FG (1, 2 und 4) haben ein vergleichbares Bildungsniveau (meist Abitur als höchsten Bildungsabschluss). Es wäre sicherlich interessant, alle Gruppen noch einmal in Bildungsgruppen (niedrige, mittlere, hohe) aufzuteilen und zu vergleichen. Das wird hier nur für die Schülergruppen durchgeführt. Gleichwohl darf nicht vergessen werden, dass mit den Daten der FG ohnehin keine bevölkerungsrepräsentativen Ergebnisse erzeugt werden können und signifikante Bildungseffekte bereits an den multivariaten Modellen nachgewiesen wurden.
150
Untersuchungsdesign
einzelner Bestandteile) Inhaltsinterpretation vorgenommen (vgl. Mayring 1983, 2002).
Tabelle 6:
Fokusgruppe
Merkmalsausprägung
1. FG1
Senioren und Seniorinnen; höhere Formalbildung
2. FG2
mittlere Altersgruppe; höhere Formalbildung
3. FG3
junge Hauptschulabsolventen und -absolventinnen; geringe Formalbildung
4. FG4
junge Gymasialschüler und -schülerinnen; höhere Formalbildung
Sozio-demographische Auswahlkriterien der Fokusgruppen
Für die Diskussionen wird ein Moderationsleitfaden (s. Anhang) erstellt. Somit ist die inhaltsanalytische Auswertung bereits vorstrukturiert. Zusätzlich werden standardisierte Fragebögen zur Sozio-Demographie verteilt. Die Auswertung der Fragebögen gilt allerdings ausschließlich der Beschreibung der Samples und wird für die Forschungsfragestellung über die zentralen Indikatoren Alter und Bildung hinaus nicht weiter berücksichtigt.
7.3.2 Stichprobenbeschreibung Die Erhebung der vier Teilnehmergruppen erfolgt nach den o. g. soziodemographischen Auswahlkriterien. Primäres Auswahlkriterium ist das Alter, sekundäres die Bildung. Über die Trennung in vier Altersgruppen hinaus werden drei Gruppen mit höherem und eine Gruppe mit niedrigem Bildungsabschluss ausgewählt. Die beiden Schülergruppen (FG3 und FG4) sind deshalb der gleichen Altersgruppe, aber unterschiedlichen Bildungsgruppen (Gymnasium und Hauptschule) zuzuordnen. Die folgende Tabelle 7 stellt die soziodemographischen Merkmale der vier Stichproben zusammenfassend dar:135 135 Die Interviews fanden alle im November/Dezember 2006 statt und dauerten zwischen 45-60 Minuten.
151
Fokusgruppen
Merkmal Personenanzahl Geschlecht Alter Höchster Bildungsabschluss
Ausprägungen
FG1 9
FG2 9
FG3 18
FG4 13
Weiblich männlich In Jahren
7 2 (62-74)
5 4 (24-40)
3 15
7 6
Vater
Ohne Abschluss Volks-/ Hauptschule Mittlere Reife/ Realschule Polytechn. OS (bis 8./9. Klasse) Polytechn OS (10. Klasse) Fachhochschulreife Abitur Fachhochschulabschluss Universitätsabschluss
(17-21) Mutter
1 3
1 3
3 2
3 1
3
5
7
4
3
1
1
2
1
3 1
2
3
2
Vater
Mutter
Vater
Mutter
2
7
8
10
8
2
1
3
4
3
1
2 4
6
1
3
Vollzeit erwerbstätig Teilzeit erwerbstätig In Ausbildung Arbeitslos
Tabelle 7:
Vater
1
Berufliche Stellung
In Weiterbildung Renter/-in Hausfrau/-mann Elternzeit
(16-23) Mutter
2
5 2
2
1 9
1 2
1
Stichprobenbeschreibung Fokusgruppen, Verteilung der Personen nach soziodemographischen Merkmalen
152 Merkmal Personenanzahl Familienstand
Anzahl der Personen im HH Anzahl Kinder137
Netto-HH-Einkommen
Region Aufgewachsen in..
Fortsetzung Tabelle 7:
136
Untersuchungsdesign
Ausprägungen Lebe allein Wohne mit Familie Wohne mit Partner Wohne in WG
FG1 9 2 2 5 (1-3)
0 1 2 3 4+ 3000€ Ostdeutschland Westdeutschland Großstadt < 100.000 Einwohner < 20.000 Einwohner Dorf
4 2 1 2
FG2 9 2 2 2 3 (1-5)
FG3136 18 6 10 2
FG4 13 1 12
(1-6)
(1-5)
7
18
13
1 1 3 1 2
2 4 1 2 9 8
1
2 2 2 3 4
3 4 5 6 1 1 1
14 4 14 2 1
3 3 1 2 1 11 13
Stichprobenbeschreibung Fokusgruppen, Verteilung der Personen nach sozio-demographischen Merkmalen)
Da es sich um eine Schulklasse handelt, wurde die gesamte Klasse statt einer Auswahl interviewt. Das gleiche gilt für FG4. 137 Bis auf eine der Senioren und Seniorinnen haben auch alle Enkelkinder.
8 Empirische Ergebnisse
8.1 Auswertung empirischer Studien Bisher konnte festgestellt werden, dass die Wahrnehmung des Klimawandels von Faktoren der themenimmanenten Komplexität, der wissenschaftlichen Unsicherheit und der diskursiven Konstruktion beeinflusst wird. Inwieweit der Klimawandel schließlich als Risiko für Natur und Gesellschaft wahrgenommen wird und zur Klimabewusstseinsbildung und Verhaltensintention zum Klimaschutz beiträgt, wird nun an empirischen Studien aus der jüngeren sozialwissenschaftlichen Umweltforschung überprüft (zum Untersuchungsdesign der Studien s. Kapitel 7.1). Dabei gilt ein Schwerpunkt dem Wissensstand über den Klimawandel, denn: „In order to educate the citizenry, we must start by educating ourselves about what they already know and believe and how it differs from what they need to know in order to make effective decisions” (Bostrom et al. 1994: 959).
Ziel des Kapitels ist es, Studien zum Klimawandel hinsichtlich der zentralen Fragestellung, ob und wie Klimawandel in der Laien-Öffentlichkeit wahrgenommen wird, auszuwerten. Die sich abzeichnenden zentralen Merkmale werden dann anhand eigener empirischer Untersuchungen überprüft. Dabei werden die Ergebnisse deutscher Befragungen zum Klimawandel zusammengetragen.138 Da es bislang nur wenige quantitativ ausgerichtete sozialwissenschaftliche Arbeiten explizit zum Thema Laienwahrnehmung des Klimawandels gibt, wird auf die im Folgenden dokumentierten, wenngleich heterogenen Studien zurückgegriffen. Sie unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer regionalen Reichweite und ihrer thematischen Schwerpunktsetzung. Nichtsdestotrotz liefern sie 138
Im Allgemeinen erfüllen Erhebungen zur öffentlichen Wahrnehmung die folgenden Zwecke: Neben dem wissenschaftlichen Interesse an Einstellungsverteilungen in der Bevölkerung werden sie als Legitimationsbasis für (klima)politische Entscheidungen beansprucht: „Public opinion can fundamentally compel or constrain political, economic, and social action to address particular risks. For example, public support or opposition to climate policies (e.g., treaties, regulations, taxes, subsidies) will be greatly influenced by public perceptions of the risks and dangers inherent in climate change. Thus, both expert and lay public interpretations of dangerous climate change are important components of the policy-making process.” (Leiserowitz 2005: 1434) Vor allem politische Akteure brauchen dabei die öffentliche Unterstützung zur Legitimation ihrer Positionen.
154
Empirische Ergebnisse
wichtige Ergebnisse für einen ersten empirischen Überblick hinsichtlich der Untersuchungsfragestellung, ob und wie der anthropogene Klimawandel in der Laien-Bevölkerung wahrgenommen wird und zur Umweltbewusstseinsbildung und Verhaltensintention beiträgt. Die Ergebnisse der in der BRD durchgeführten empirischen Klimawahrnehmungsstudien können in fünf wesentlichen inhaltlichen Kategorien festgehalten werden, nach denen sich die Kapitelunterteilung ausrichtet: Wahrnehmung, Wissen, Besorgnis und Bedrohungsgefühl, Anpassung und Vermeidung, Verantwortung.
8.1.1 Wahrnehmung des Klimawandels Die Autoren der Sylter Küstenstudie kommen zu der Annahme, dass das Thema Klimawandel einen hohen Bekanntheitsgrad hat und mit Besorgnis betrachtet wird (Hartmuth 2002). Auch eine Mehrheit von 87% der in der Nordseeküstenstudie Befragten ist der Auffassung, dass eine Klimaveränderung droht (Peters und Heinrichs 2004). Ebenso hält die Mehrheit der 2004 vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) befragten Kinobesucher des Films „The day after tomorrow“ den Eintritt eines Klimawandels für wahrscheinlich (Reusswig et al. 2004).139 Berücksichtigt werden muss bei dieser Studie allerdings, dass die Stichprobe dadurch verzerrt ist, dass die Personen den Film freiwillig gewählt haben und ggf. entsprechende pro-ökologische Einstellungen bzw. Themensensibilität schon vorher vorhanden sind. Nach Reusswig (2005) berichteten 36% der Befragten, dass sie, bevor sie den Film gesehen hatten, bereits an der Thematik ‚Klimawandel’ interessiert waren und sie deshalb motiviert waren den Film zu sehen. Darüber hinaus können die Einflussfaktoren des Films nicht kontrolliert werden, d. h. inwieweit Effekte wie Übertreibung, Verzerrung, Personen fokussierte Dramatik etc. Einfluss auf das Bild des Klimawandels und auf das hierdurch transportierte Problemverständnis nehmen. Die Autoren und die Autorin der Studie kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass das Bewusstsein über Ursachen und Folgen des Klimawandels aufgrund der Komplexität der Problematik vor allem symbolisch geschaffen werden kann. Der Film habe, trotz z. T. falscher Fakten über die exakten Zusammenhänge, das Thema in die Öffentlichkeit getragen und Bewusstsein geschaffen. Ihre Kritik richtet sich vor allem auf die Darstellung der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und deren zeitliche Abfolge: Im Film wird die Symbolik durch die Darstellung einer Eiszeit hergestellt, die nach dem Abreißen des Nordatlantikstroms in Nordamerika ausbricht. Zwar wird durchaus wissenschaftlich diskutiert, dass es durch ein Abreißen des Nordatlantikstroms zu einer starken Abkühlung kommen könnte. Doch wird dieses Szenario im vierten 139
Der Kinofilm „The Day after Tomorrow”, der den Klimawandel als Klimakatastrophe thematisiert, lief im Jahr 2004 in 80 Ländern im Kino. Regie führte Roland Emmerich.
Auswertung empirischer Studien
155
IPCC-Bericht für sehr unwahrscheinlich gehalten (IPCC 2007b). Die Umfrage ist deshalb in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Erregung von Aufmerksamkeit für das Problem Klimawandel und weniger der Aufklärung zu interpretieren.140
8.1.2 Wissen Bei der Sylter Befragung von sozialen Repräsentanten kann festgestellt werden, dass, im Gegensatz zum allgemein geringen Wissensstand und „kognitiver Konfusion“ (bspw. werden üblicherweise Zusammenhänge falsch verstanden, vor allem Ozonloch und Treibhauseffekt werden verwechselt141), die Kenntnisse der Befragten über mögliche Auswirkungen des Klimawandels inhaltlich korrekt 140
Neben der deutschen Befragung des Kinopublikums, wurden zwei britische Befragungen, eine US-amerikanische und eine japanische Befragung des Kinopublikums von „The Day after tomorrow“ durchgeführt (Aoyagi-Usui 2004; Leiserowitz 2004; Lowe et al. 2006; Balmford 2004). Bei einer der britischen Studien, die in Norwich durchgeführt wurde, wurden Einstellungen zur Wahrscheinlichkeit des Eintritts extremer Wetterereignisse als Folge des Klimawandels, Betroffenheit im Vergleich zu anderen globalen Umweltproblemen, Handlungsmotivation und Verantwortungsbewusstsein vor und nach Anschauen des Films untersucht. So sind die Befragten dieser Studie, nachdem sie den Film gesehen haben, betroffener und handlungsmotivierter als vorher (Lowe et al. 2006). Die Verhaltensintentionen können bei den einige Monate später durchgeführten Fokusgruppen konkretisiert und bestätigt werden. Auch können durch die Fokusgruppen konkrete, - gemessen an den Ergebnissen des überwiegenden Teils wissenschaftlicher Studien - richtige Einschätzungen über die Folgewirkungen des Klimawandels bestätigt werden (Temperatur- und Meeresspiegelanstieg, zunehmende Dürren, schmelzende Gletscher, ökonomische, gesundheitliche, soziale Folgen). Gleichwohl finden die Autoren auch heraus, dass dem Publikum unmittelbar nach Ansehen des Films die Trennung zwischen Realität und Fiktion schwer fällt. Bei der Frage der Verantwortung geben 67% an, dass alle Menschen etwas tun müssen; nur 24% sehen die Verantwortung in erster Linie bei Regierungen. Obgleich der Film zur Themensensibilität beiträgt, bekunden die Befragten dennoch, über keine ausreichenden Informationen über Handlungsmöglichkeiten zum Klimaschutz zu verfügen (ebd.) Vergleicht man deutsche, japanische und US-amerikanische Kinostudie, so ist festzustellen, dass die US-Befragten das Klimasystem in stärkerem Maße für ‚vom Zufall beeinflusst’ halten (34% der Filmzuschauer und 29% derjenigen, die den Film nicht sahen). Dies könnte nach Reusswig (2004) mit der öffentlichen Debatte in den USA zusammenhängen, die vergleichsweise stärker durch Klimaskeptiker beeinflusst wird als in Europa. Der stärkste Trend im vorher-nachher-Vergleich ist die Zustimmung zur Aussage ‚Das Klima ist in einem delikaten Zustand’ in Deutschland (von 29% auf 37,5%) und die Zustimmung zu ‚Das Klima ist zufällig’ in Japan von 18,7% auf 28,6% (in den USA waren nur 7% der Meinung; ebd.). Bei den US-Befragten gaben nur 17%, im Gegensatz zu den 36% der deutschen Befragten, an, dass sie bereits vorher an dem Thema Klimawandel interessiert waren; die meisten gaben an, dass sie den Film entweder aufgrund der Vorschau wählten oder weil sie Katastrophenfilme generell mögen. (Im Vergleich: Auch für die britische Studie von Lowe et. al gilt, dass 74% aufgrund der Vorschau den Film wählten und nur 5% aufgrund ihres Interesses an Klimawandel oder Umweltthemen.) 141 Die Autoren gehen von verschiedenen bereits dokumentierten Erkenntnissen aus, vor allem davon, dass der Diskurs von Umweltproblemen auf Wahrnehmung, Kognition und Evaluation beruht, m. a. W. auf der (Re)konstruktion der Umwelt. Dadurch wird die direkte Wahrnehmung schwer, wenn nicht gar ausgeschlossen, weshalb dem Gesellschaftsdiskurs eine so wichtige Rolle zukommt (Linneweber et al. 2001).
156
Empirische Ergebnisse
und differenziert dargestellt werden. Der hohe Wissensstand hat sicherlich mit der entsprechenden Vorbildung der Befragten zu tun: 90% der 70 Befragten thematisieren im offenen Interview im Durchschnitt mehr als vier Aspekte des Klimawandels (Hartmuth 2002). Dies übertrifft die Ergebnisse anderer Studien bei weitem. Auch halten es die meisten Befragten für wahrscheinlich, dass Klimaänderungen eintreten werden. So werden differenzierte Angaben über Ursachen und Folgen (Wetteränderungen, Meeresspiegelanstieg, Überschwemmungen, abschmelzende Gletscher, Sturmfluten, Wüstenbildung etc.) gemacht. Häufig werden Aussagen getroffen, die in direktem Zusammenhang mit einer Bedrohung für die Insel Sylt stehen, z. B. der Ertragsrückgang für den Tourismus. Für die globale Situation wird das Gefahrenpotential der genannten Klimafolgen aber anders bewertet als für die lokale: So werden Sturmflutrisiken und Überschwemmungen für die Insel als wahrscheinlicher eingestuft als deren Eintreten weltweit. Entsprechend wird auch in erster Linie Küstenschutz als Klimaschutzmaßnahme genannt.
8.1.3 Besorgnis und Bedrohungsgefühl In der baden-württembergischen Umfrage zur Risikobewertung aus dem Jahre 2001 werden u. a. Einschätzungen zur globalen Erwärmung erhoben (Zwick 2001). Befragt nach ihrer allgemeinen Bewertung des Katastrophenpotentials des Klimawandels, finden nur 23% das Klimarisiko akzeptabel (52% der Frauen und 46% der Männer geben an, dass das Risiko vorhanden sei). Hingegen fühlen sich nur 21% hiervon persönlich bedroht. Demnach steht ein hohes Problembewusstsein einer niedrigen persönlichen Betroffenheit gegenüber. Dieser, auch von anderen Studien bestätigte Widerspruch ist interessant; zwar führt der Klimawandel die Liste der Risiken an, von denen sich die Befragten bedroht fühlen, aber: „Obgleich die Befragten mit dem Klimawandel hohe Bedrohlichkeit und erhebliches Katastrophenpotential assoziieren, räumen die meisten ein, das Risiko globaler Klimaveränderungen ließe sich durch den Nutzen eines modernen konsum- und komfortorientierten Lebensstiles (mehr als) aufwiegen. [...] Gleichzeitig lässt die raum-zeitliche Ungleichheit in der Risiko-Nutzen-Verteilung den globalen Klimawandel in einem besonders zwiespältigen Lichte erscheinen. Ihm wird hohe Schrecklichkeit und Relevanz zugesprochen, gleichzeitig aber der Problemlösung wegen des verzögerten Schadenseintritts geringe Dringlichkeit eingeräumt. Für die meisten folgt daraus, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit besteht, persönlich Schritte zu ergreifen.“ (Zwick und Renn 2002: 138)
Bei der Beschreibung des Risikos Klimawandel wird nur von einem geringen Teil der baden-württembergischen Befragten von einer Medieninszenierung und Dramatisierung (11%) ausgegangen. Im Allgemeinen wird der Klimawandel als
Auswertung empirischer Studien
157
schleichendes Risiko mit wachsendem Schadenspotential beschrieben, dessen Folgen zwar bisher nur selektiv sichtbar sind, bei dem global und langfristig gesehen aber eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe betroffen zu werden. Der Klimawandel wird demnach als langsam fortschreitendes, zunächst räumlich ungleich verteiltes Risiko wahrgenommen, dessen Folgen v. a. die nachfolgenden Generationen zu tragen haben. Zwick beschreibt dies als „globale Bestürzung neben individueller Distanz“ (Zwick 2001: 28). Laut der Sylter Befragung hingegen ist Klimawandel für die sozialen Repräsentanten der Insel bisher kein zentrales Thema, da sein Bedrohungspotential nicht unmittelbar, sondern für die Zukunft wahrgenommen wird. Außerdem werden die Auswirkungen des Klimawandels eher für die Natur als für die Anthroposphäre erwartet (Hartmuth 2002).
8.1.4 Vermeidung und Anpassung Befragt nach den Bewältigungsstrategien glauben zwar 57% der Befragten der Nordseeküstenstudie, dass man den Klimawandel aufhalten kann, doch 65% glauben nicht, dass die Folgen in Deutschland bewältigt werden können (Peters und Heinrichs 2004). Weil es sich bei der Nordseeküsten-Befragung explizit um eine Küstenstudie handelt, haben Fragestellungen zu Sturmflutrisiken eine besondere Bedeutung. So wundert es nicht, dass der Küstenschutz als nicht ausreichend für die Bewältigung des Klimawandels bewertet wird und verstärkter Küstenschutz gefordert wird. Allerdings wird dieser davon abhängig gemacht, wie kostenintensiv er ist. Die Akzeptanz verbesserten Küstenschutzes richtet sich also nach den ökonomischen Kosten. Bei der Einschätzung der Klimaschutzmaßnahmen werden die sozialen Innovationen (z. B. Agenda 21) am höchsten bewertet, während internationale Abkommen kritisch bewertet werden. (Die zugrunde liegenden Kriterien sind ‚Notwendigkeit’, ‚Wirksamkeit’, ‚politische Durchsetzbarkeit’, ‚Kontroversität’ und ‚sozioökonomische Folgen’.) Dennoch wird der Forderung zugestimmt, dass Deutschland eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnehmen soll statt auf internationale Lösungen zu warten (Peters und Heinrichs 2004). Die Sylter Befragten werden bezüglich dieser Frage nach Themenprioritäten und Akteursgruppen differenziert. Allerdings kann kein signifikanter Gruppenunterschied zwischen Natur- und Umweltschützern und anderen Akteursgruppen festgestellt werden. Tendenziell sind Natur- und Umweltschützer eher für Vermeidungs- (Mitigation), Küstenschützer eher für Anpassungsstrategien (Adaptation). Der relativ guten Kenntnis über Ursachen und Folgen des Klimawandels der Befragten steht allerdings die Nachrangigkeit des Themas entgegen: Tourismus, Bau- und Flächennutzung haben Vorrang, Klimaschutz steht erst auf Platz 49 der Liste wichtiger Aufgaben (Hartmuth 2002).
158
Empirische Ergebnisse
8.1.5 Verantwortung Was die eigene Verhaltensintention der Befragten der Nordseeküstenstudie angeht, so gibt es eine starke Ablehnung zu dem Statement „keine Abstriche vom Lebensstandard für Klimaschutz“ zu machen (Peters und Heinrichs 2004). Konkret heißt dies, dass die Befragten bereit sind höhere Preise für klimaneutralere Produkte zu zahlen und die Ökosteuer gutheißen. Dabei steht die Zustimmung zur Ökosteuer im Widerspruch zu den Ergebnissen der deutschen Umweltbewusstseinsstudie, welche eine starke Ablehnung der Ökosteuer misst (Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt 2004). Die kognitiven Reaktionen der Befragten zeigen, dass die Risiken des Klimawandels interessanterweise als selbst verantwortet und im eigenen Verhaltensbereich liegend gesehen werden. Die Schuld wird den Industriestaaten und ihren Institutionen zugeschrieben bzw. sogar explizit der Bevölkerung. Gleichzeitig glauben die Befragten, dass das Sturmflutrisiko für „Dritte“ größer ist. Diese ‚Externalisierung der Risikofaktoren’ ist eine typische Einstellung, auf die bereits in Kapitel 5.2 näher eingegangen wurde. Schließlich werden Zusammenhänge mit anderen Faktoren gemessen, bspw. wird herausgefunden, dass die Handlungsbereitschaft der Befragten mit dem Umweltbewusstsein steigt. Sie steigt ferner mit dem Bildungsgrad und der Überzeugung der eigenen Handlungswirksamkeit (Peters und Heinrichs 2004). Ein interessantes Ergebnis der Sylter Studie ist weiterhin, dass das individuelle Verhalten in den Haushalten, im Verkehr und ‚im Allgemeinen’ zwar als wichtigste Ursache für den Klimawandel gilt, aber die Verantwortung nicht beim individuellen Verhalten gesehen wird, sondern bei den politischen Maßnahmen, die das Verhalten lenken (Hartmuth 2002). Dieses Ergebnis ist konsistent mit anderen Untersuchungen, u. a. der Eurobarometerstudie (European Commission 2005). Das Ergebnis überrascht allerdings insofern, als die Befragten soziale Repräsentanten sind und dadurch selbst ein hohes Maß an Verantwortung für die Gemeinschaft tragen. Bei der Frage nach der Verursachung sieht nur eine Minderheit von 11% der Baden-Württemberger die Hauptverantwortung für den Klimawandel bei sich selbst. Im Allgemeinen weisen die Befragten die Verantwortung für kollektive Risiken von sich. Stattdessen werden Industrie und Politik verantwortlich gemacht bei gleichzeitig niedrigem Vertrauen in sie. Nur 15% sind der Meinung, Politiker schützen die Bevölkerung, nur 22% meinen, Politiker nehmen Befürchtungen und Ängste der Öffentlichkeit ernst. Klimakonferenzen werden mitunter als ‚Symbolpolitik’ bezeichnet. Der Klimawandel und seine Wahrnehmung werden hier als gesellschaftlicher Rationalitätskonflikt beschrieben, assoziiert mit einem hohen Risiko und einem niedrigen individuellen Handlungspotential. Zwick (2001) fasst die Ergebnisse als „Modernisierungsdilemma“ bzw. als „Gefangensein in der modernen Welt“ zusammen: Die allgemeine Einschätzung der Befragten ist, dass sich der Lebensstil der westlichen Industriestaaten kaum
Auswertung empirischer Studien
159
ändern lässt, und dass dies zwar einerseits sehr große Gefahren mit sich bringt (54%), andererseits aber von sehr großem individuellen (42%) und gesellschaftlichen Nutzen (54%) ist (ebd.: 30). Methodisch interessant ist bei der baden-württembergischen Risikostudie auch, dass die zweistufige empirische Vorgehensweise Unterschiede im Antwortverhalten deutlich gemacht hat: Im standardisierten Fragebogen bestätigen die Befragten die Aussage, dass die Verantwortung für den Klimawandel bei Politik und Industrie und nicht bei ihnen selbst liegt. Im Leitfadeninterview hingegen betonen die Befragten Eigenverantwortung. Dort bekunden sie, dass sie durch ihren Lebensstil zum Risikopotential des Klimawandels beitragen. Nicht zuletzt zeigt dieses Beispiel, dass ein gekoppeltes methodisches Verfahren durchaus sinnvoll ist, um solche Widersprüche aufzuzeigen. Zusammengefasst stellt sich auf der Grundlage der badenwürttembergischen Umfrage folgendes Bild dar: Erstens ist ein Problembewusstsein bei der Wahrnehmung des Klimawandels zu identifizieren. Zweitens stellt sich die Sicht auf die Problemverantwortung widersprüchlich dar. Drittens wird die Zukunft hinsichtlich eines gesellschaftlichen Wandels im Zusammenhang mit der Risikoentschärfung des Klimawandels fatalistisch eingeschätzt. Im Gegensatz zur baden-württembergischen Studie sind die interviewten Kinobesucher nicht fatalistisch, nur 10% sind der Meinung, dass ohnehin nichts getan werden kann (Reusswig et al. 2004). Vielmehr bestätigen 82% der Befragten, dass der Klimawandel von der Gesellschaft aufgehalten werden muss. Die Befragten fordern deshalb mehr politische Aktivitäten. Klimaschutzpolitik wird als wichtig bewertet. Die BRD soll hierbei international stärker Einfluss nehmen. Bei der Verantwortung für Klimaschutz werden vor allem Wirtschaft und Staat genannt; das individuelle Verhalten halten 60% für relevant, weniger als die Hälfte der Befragten (40%) nicht. Ferner findet die Mehrheit Klimaschutz nicht nur wichtig, sondern auch finanziell leistbar. Die Befragten votieren eindeutig für das Vorsorgeprinzip (precautionary principle), das besagt, trotz vorhandener Unsicherheiten Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Die Komplexität der Thematik führt laut der Befragung des Kinopublikums nicht zu genereller Skepsis gegenüber der Existenz eines anthropogenen Klimawandels, sondern eher zu Forderungen nach verstärktem politischem Handeln. Dabei zeigen die empirischen Ergebnisse kaum Unterschiede zwischen den Befragungszeitpunkten,142 so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Einstellungen des Publikums relativ stabil geblieben sind.
142
Die Befragten wurden vor und nach Anschauen des Films interviewt. Darüber hinaus wurden hiervon 149 Personen noch einmal vier Wochen später befragt.
160
Empirische Ergebnisse
8.1.6 Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studien und Ausblick Die empirischen Ergebnisse der Sekundärstudien zum Klimawandel, die in Tabelle 8 noch einmal im Überblick dargestellt werden, haben gezeigt, dass die Wahrnehmung eines real existierenden Klimawandels von einer Mehrheit der untersuchten Befragten bestätigt werden konnte: Alle Untersuchungen bestätigen eine Zustimmung zu der Feststellung eines anthropogenen Klimawandels. Leider wurde nicht bei allen Untersuchungen gefragt, ob eher eine Verhinderung des Klimawandels (Mitigation) oder eine Anpassung an den Klimawandel (Adaptation) für die Befragten notwendig bzw. möglich erscheint. Es ist aber zu vermuten, dass die Anpassungsdiskussion, die in der naturwissenschaftlichen Klimadebatte schon lange (Hasselmann et al. 2003; IPCC 1996; Barnett 2001), bei den internationalen Klimaverhandlungen aber erst seit Ende der 1990er Jahre eine Rolle spielt, in der breiten Bevölkerung noch nicht sehr bekannt ist. Dies muss weitergehend untersucht werden. Was die Sorge um die Folgen des Klimawandels angeht, so gehen die Ergebnisse der Studien auseinander: Die Sylter Repräsentanten sind wenig besorgt, die baden-württembergischen Befragten hingegen sehr. Dennoch stellt keine der Studien persönliche Betroffenheit in besonderem Maße fest bzw. nur ein indirektes Betroffenheitsgefühl für die nächsten Generationen. Weiterhin kann festgestellt werden, dass es sich beim Klimawandel für die Befragten um ein zeitlich und räumlich entferntes Problem handelt, was in erster Linie andere, stärker vulnerable Gesellschaften betrifft. Auch wird in einigen Studien der westliche Lebensstil als Ursache für die globale Erwärmung bestätigt. Doch was die individuelle Verhaltensintention angeht, so geben nur die Befragten der Nordseeküstenstudie und die deutschen Kinobesucher des Films „The Day after Tomorrow“ an, Abstriche vom Lebensstandard für den Klimaschutz machen zu wollen. Außerdem wurde, außer bei der Nordseeküstenstudie, übereinstimmend festgestellt, dass die Mehrheit sich nicht in der Verantwortung für den Klimawandel sieht, sondern vielmehr „Dritte“ (häufig Industrie und Staat) für das kollektive Klimaschutzhandeln verantwortlich macht. Über den Wissens- und Informationsstand kann keine allgemein gültige Annahme getroffen werden, außer dass bei der Sylter Studie ein hohes Maß an Wissen nachgewiesen werden konnte.
++
++
++
++
+
0
+
+
Mitigation ist wichtig
0
0
+
-
Adaptation ist wichtig
0
0
++
0
Wissens-/ Informationsstand ist hoch
0
++
--
0
Besorgnis ist groß
0
--
-
-
Persönliche Betroffenheit ist hoch
0
++
+
++
Schuld ist westlicher Lebensstil/ sind Ind.länder
Zusammenfassende Darstellung empirischer Wahrnehmungsstudien zum Klimawandel (eigene Graphik)
+
++
++
++
Klimawandel ist anthropogen
Klimawandel ist real
++
++/- (*)
++
--
Verantwortung tragen „Dritte“
+
--
-
++
Individuelle Verhaltensintention groß
* Bei der standardisierten Befragung gibt die Mehrheit an, die Verantwortung liege bei Industrie und Politik; bei den offenen Interviews ist dies nicht der Fall.
Legende: ++ wichtiges Ergebnis, + konnte bestätigt werden, 0 es liegt kein Ergebnis vor, - konnte nicht bestätigt werden, -- wurde stark abgelehnt.
Tabelle 8:
The Day after Tomorrow (BRD) (Reusswig et al. 2004)
Deutsche Studien: Nordseeküsten, studie (Peters und Heinrichs 2004) Sylter Küstenstudie (Linneweber et al. 2001; Hartmuth 2002, 2001) Risikosurvey BW (Zwick 2001)
Item
Auswertung empirischer Studien
161
162
Empirische Ergebnisse
Einige US-amerikanische Studien legen allerdings nahe, dass bei Laien allgemein von Wissenslücken auszugehen ist. So fand Dunlap (1998) bei der Auswertung einer Gallup-Umfrage heraus, dass die befragten Laien zum großen Teil wenig von den Zusammenhängen des Klimawandels verstehen, ihn aber dennoch für eines der wichtigsten globalen Probleme halten. Ein Ergebnis der offenen Befragung ist, dass als Folge des Klimawandels häufig die Zerstörung der Ozonschicht statt des Treibhauseffekts genannt wird.143 Die Verwechslung von Treibhauseffekt und Ozonloch wird nicht zuletzt durch die Tatsache gestützt, dass laut Gallup-Umfragen zwischen 1989 und 2006 parallel zur Besorgnis über die Folgen des Klimawandels auch die Sorge über das Ozonloch stabil geblieben ist (Lorenzoni et al. 2005), obwohl durch das Montrealer Abkommen von 1987 eine politische Regulierung beschlossen wurde, die zu einem Verbot der Verwendung Ozonschicht zerstörender Treibhausgase (u. a. FCKW) geführt hat.144 Diese Verwechslungen bestätigen auch neuere Studien (Lorenzoni et al. 2005; National Science Board 2002). So kommt eine Reihe von sozialwissenschaftlichen und psychologischen Arbeiten zu dem Ergebnis, dass es bei der Nachfrage nach Ursachen und Konsequenzen des Klimawandels häufig Missverständnisse und Konfusionen gibt. Am häufigsten werden bei den Ursachen fälschlicherweise Aerosole, Insektizide, Atomkraftwerke und die Zerstörung der Ozonschicht ge143
Dunlap analysiert die Gallup Daten des Jahres 1992 und unternimmt einen internationalen Vergleich der (Laien-)Wahrnehmung globaler Klimarisiken in den Ländern USA, Russland, Mexiko, Brasilien, Portugal und Kanada. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Risikobewusstsein bezüglich der globalen Erwärmung von Personen aus Staaten mit unterschiedlichem Entwicklungsstand und explizit dem Wissensstand der Befragten zum Klimawandel. Zuerst wird nach dem Verständnis der Problematik des anthropogenen Klimawandels gefragt. Diejenigen, deren Wissensstand zu gering ist, werden aus dem Sample herausgenommen. In Russland kann über ein Drittel der Befragten keine Ursache für den Klimawandel nennen. Auch glaubt der Großteil der russischen Befragten, - im Gegensatz zur Mehrheit der Befragten der anderen Länder - dass der Klimawandel noch nicht begonnen hat. Weiterhin bestätigt Dunlap (1998), dass die Befragten in erster Linie Folgen für die natürlichen und nicht für die sozialen Systeme durch den Klimawandel erwartet werden, erst danach werden Folgen für Wirtschaft und Gesundheit befürchtet. Was die Erklärung von Einstellungsunterschieden angeht, so leiste die Sozialstruktur allerdings nur einen geringen Beitrag (Bildung ist die einzige sozio-demographische Variable, die einen signifikanten Effekt zeigt). Der Autor interpretiert die geringen Effekte von Alter, Herkunft und Geschlecht als Hinweise auf Becks Risikothese, die besagt, dass globale Umweltrisiken als Mega-Gefahren über Ländergrenzen und soziale Unterschiede hinweg die Gesamtbevölkerungen statt nur einzelne Gruppen betreffen (vgl. dazu auch Kapitel 4.2). Neuere britische Arbeiten stellen allerdings soziale Kontexteffekte fest und bestätigen, dass persönliche Umstände wie Gesundheit, Familie und Finanzen Einfluss auf die Risikobewertung des Klimawandels nehmen (Norton und Leaman 2004; Poortinga und Pidgeon 2003). Der Einfluss sozialstruktureller Faktoren sollte deshalb im Folgenden näher untersucht werden. 144 Das Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Umweltrechts und wurde am 16. September 1987 von den Vertragsparteien des Wiener Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht angenommen und ist eine Konkretisierung dieses Abkommens. Es trat am 1. Januar 1989 in Kraft. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich zur Reduzierung und schließlich zur vollständigen Abschaffung der Emission von chlor- und bromhaltigen Chemikalien, die stratosphärisches Ozon zerstören. Die geregelten Stoffe sind in vier Anhängen erfasst und enthalten zum Beispiel FCKW, Halone, Bromide und Tetrachlorkohlenstoff.
Auswertung empirischer Studien
163
nannt (Kempton 1991; Bord et al. 1998b; Bostrom et al. 1994; Kempton 1997; Henry 2000; Read et al. 1994). Bisher gibt es nur wenige deutsche empirische Studien, die das Klimawissen von Laien untersuchen. Aufgrund dieses Mangels werden zum Abschluss des Kapitels, neben einer deutschen Studie, die Ergebnisse einiger USamerikanischer und britischer Studien dargestellt. Ob diese sich auch auf die deutsche Bevölkerung übertragen lassen, kann nicht weiter überprüft werden. Die zitierten Studien zeigen aber zentralen Forschungsbedarf für Deutschland und Kontinentaleuropa auf. Dass Laien tendenziell eine geringe Wissensbasis bezüglich des Themas Klimawandel haben und dabei Treibhauseffekt und Ozonloch am häufigsten verwechselt werden, wird durch eine Reihe US-amerikanischer (und auch britischer) Studien gestützt (Bord et al. 1998b; Brechin 2003; Böhm und Mader 1998). Darüber hinaus wurde in diesen Studien festgestellt, dass Laien häufig nicht in der Lage sind, zwischen Ursachen des Klimawandels und anderen Umweltproblemen zu differenzieren. Auch der Zusammenhang zwischen CO2Ausstoss und der Verbrennung fossiler Energieträger ist häufig unklar (Thompson und Rayner 1998). Dabei bestätigt die jährlich durchgeführte Umfrage des International Social Survey Programme (ISSP) aus dem Jahre 2000 auch die Fehlinformationen eines Großteils der deutschen Befragten: 37% sind der Auffassung, dass die Ursache des Treibhauseffektes ein Loch in der Erdatmosphäre ist (was falsch ist). Richtig ist, und dies wird wiederum von 46% der deutschen Befragten bestätigt, dass die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas zum Treibhauseffekt beiträgt (Allmendinger et al. 2001).145 Diese Konfusionen werden von Dunlap folgendermaßen erklärt: Menschen bauen auf ihren vorherigen Wissensbeständen auf. Da diese noch mit dem Thema ‚Rückgang der Ozonschicht durch schädlichen Ausstoß von FCKW’ konnotiert sind, wird das Thema Ozonloch durch die Debatten über das ‚neue’ Umweltproblem Treibhauseffekt und CO2-Reduktion erneut aktiviert. Außerdem habe die Ozonschicht-Problematik eine Symbolik erlangt, die bei der Darstellung
145
Die Befragung des International Social Survey Programme (ISSP) wird jährlich erhoben. Dem ISSP gehören mittlerweile 40 Länder weltweit an (s. auch http://www.issp.org; Zugriff: 15.05.2008); sie enthält Fragen zu aktuellen sozialwissenschaftlichen Themen. Alle zwei Jahre wird in Deutschland gemeinsam mit der ISSP-Umfrage die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) durchgeführt. Die Umfrage aus dem Jahre 2000 ist eine gemeinsame ALLBUS-ISSPBefragung von 3.804 Personen in Deutschland.
164
Empirische Ergebnisse
der Folgen globaler Erwärmung fehle (ebd.: 483ff.).146 Interessant ist die von Dunlap ausgewertete Gallup-Erhebung auch aufgrund seines internationalen Vergleichs: So wird gezeigt, dass der globalen Erwärmung in unterschiedlichen Ländern der Welt mit Sorge entgegengesehen wird, obgleich der Informationsstand unzureichend ist. Darüber hinaus machen sich die Menschen in ärmeren Ländern sogar größere Sorgen, vor allem was die ökonomischen Folgen anbelangt, als in reichen, obgleich sie noch weniger von dem Problem verstehen (ebd.: 488). Das stünde der Postmaterialismus-Hypothese nach Inglehart entgegen, die davon ausgeht, dass Menschen in reichen Ländern mehr um die Umweltsituation besorgt sind als arme; sind dringende ökonomische Probleme erst überwunden, könnten sich die Länder stärker mit dem Umweltschutz auseinandersetzen. In postmateriellen Gesellschaften hängt das Umweltbewusstsein demnach stark mit dem Erreichen eines bestimmten Wohlstandsniveaus zusammen. Dies bedeutet aber nicht, dass Entwicklungsländer kein Umweltbewusstsein haben, nur hängt es nach diesem Ansatz stärker mit kurzfristigeren Einstellungen und der Sorge um die lokale Umwelt zusammen (Inglehart 1997; Franzen und Meyer 2004). Außerdem haben Bord et. al (1998) in einer empirischen Studie in den USA den Einfluss von Ursachenwissen des Klimawandels sowohl auf die Wahrnehmung der globalen Erwärmung als auch auf Handlungsintention und Unterstützung (regierungs-)politischer Maßnahmen untersucht. Sie fanden heraus, dass neben Risikobewusstsein und allgemeinen Einstellungen zur Umweltsituation Wissen einen signifikanten Einfluss auf Einstellungen zum Treibhauseffekt, Handlungsintention und Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen hat. Die Autoren haben weiterhin zwischen korrekten und falschen Wissensbeständen zum Klimawandel unterschieden und kamen interessanterweise zu dem Ergebnis, dass, vergleicht man den Einfluss von falschem und richtigem Wissen auf Einstellungen und Handlungsintention bezüglich des Klimawandels, die Einstellung zum Klimawandel stärker durch die falschen Wissensbestände erklärt wer-
146
Für Dunlap ist es nicht überraschend, dass die Befragten die Zusammenhänge über den anthropogenen Klimawandel nicht kennen, weil es sich um ein komplexes Thema handelt. Deshalb hält es Dunlap auch für unrealistisch, die Öffentlichkeit über dieses Thema aufzuklären. Außerdem glaubt er nicht, dass die Änderung des kollektiven Handelns und eines institutionellen Wandels auf der Grundlage der Änderung individueller Konsummuster möglich ist. Er glaubt, dass im Sinne der reflexiven Moderne Laien zunehmend auf Expertenurteile angewiesen sind. In dem Zusammenhang müsse man die Umwelt-Opposition stärker wahrnehmen, da wissenschaftliche Forschungsergebnisse politisiert werden. In Zeiten der reflexiven Moderne werde verstärkt gegen die Einsicht opponiert, dass sich Industrienationen zunehmend zu Risikogesellschaften entwickeln. Das führe dazu, dass sich die Forschung über globale Umweltveränderungen in stärkerem Maße im Konfliktfeld befindet (bspw. streuen Skeptiker Verwirrung und Zweifel an der Tatsache des anthropogenen Klimawandels, wobei diese häufig Vertreter von Interessen seien). Aus diesem Grunde sei die öffentliche Unterstützung für Klimaschutz wichtig, um eine entsprechende Umweltregulierung in die Wege zu leiten (Dunlap 1998; McCright und Dunlap 2003).
Auswertung empirischer Studien
165
den kann, Handlungsintention und politische Unterstützung hingegen werden am besten durch das korrekte Wissen erklärt (ebd.: 213f.).147 Leider sind wissensbasierte Studien zur Laien-Klimawahrnehmung wie die genannte von Bord et. al (2000) rar. Dies ist insofern erstaunlich, als bekannt ist, dass es sich beim anthropogenen Klimawandel – wie in Kapitel 2.2 ausführlich dargestellt wurde – um ein komplexes Umweltproblem handelt und die Zusammenhänge mit Wissensgrundlagen augenscheinlich wichtig sind. Durch die Studien zur Wahrnehmung des Klimawandels konnten schließlich für die Beantwortung der zentralen Fragestellung wesentliche Untersuchungskategorien identifiziert werden. Sie bilden den Rahmen für die empirische Analyse der Alltagsbilder des Klimawandels und sind damit Grundlage für die Überprüfung der aus der Theorie abgeleiteten Arbeitshypothesen. Es wird angenommen, dass die empirische Überprüfung der Hypothesen entlang dieser Fragestellungen zu einem umfassenden Verständnis über die Alltagsbilder des Klimawandels beiträgt. In Anlehnung an die Kategorien, die in der Klima- und Risikowahrnehmungsstudie von Peters und Heinrichs (Peters und Heinrichs 2004) zugrunde gelegt werden, werden in den quantitativen und qualitativen empirischen Analysen die folgenden Indikatoren untersucht: Existenz des Klimawandels (Wird der Klimawandel als natürliches oder anthropogenes Phänomen wahrgenommen? Werden Unterschiede zwischen Wetter- und Klimaveränderung wahrgenommen?) Folgewirkungen und Bedrohungsgefühl bezüglich des Klimawandels (Wie wird das Bedrohungspotential des Klimawandels eingeschätzt? Wird eine Gefahr wahrgenommen? Welche? Für wen, wo und bis wann?) Einschätzung von Vermeidungs- und Anpassungsmöglichkeiten (Welche Möglichkeiten und Strategien zur Vermeidung und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels sind bekannt? Wie werden sie bewertet?) (politische) Verantwortung, insbesondere in Hinblick auf individuelle Handlungsmotivation bzw. Handlungsoptionen und Adressaten (Wer trägt aus Sicht der Bevölkerung die Verantwortung für den Klimawandel und den zukünftigen Umgang mit seinen Folgen? Wird die notwendige gesellschaftliche Reaktion individuell oder kollektiv gesehen? Welche individuellen Handlungsoptionen, welche kollektiven bestehen? Werden sie für Erfolg versprechend gehalten?)
147
Wie Bord et. al (1998) herausfinden konnten, kann auf falschen Erkenntnissen beruhendes Wissen durchaus zu starken Überzeugungen Pro-Klimaschutz führen. Diese reichen allerdings nicht aus für persönliche Verhaltensmotivation oder konkretes Handeln (wer nicht weiß, was er tun soll oder das Falsche tut, leistet auch keinen Beitrag zum Klimaschutz) und ebenso wenig für die Unterstützung staatlicher klimapolitischer Maßnahmen. Insofern muss, nach Ansicht der Autoren, Klimaschutzerziehung über rein mediale Sensibilisierung hinausgehen.
166
Empirische Ergebnisse
Wissens- und Informationsstand zu den Ursachen des Klimawandels (Welche Kenntnisse bestehen zu den Ursachen und Folgen des Klimawan148 dels und zu den Klimaschutzmaßnahmen?)
8.2 Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie 8.2.1 Deskriptive Ergebnisse In der folgenden deskriptiven Auswertung von Eurobarometerstudie und Umweltbewusstseinsstudie werden die Ergebnisse zu den genannten Kategorien Existenz, Ursachen, Bedrohungspotential und Folgewirkungen des Klimawandels, sowie Vermeidungsund Anpassungsmöglichkeiten, Verantwortung und Wissens- bzw. Informationsstand graphisch dargestellt. Die Darstellungsweise erfolgt auf der Grundlage prozentualer Verteilungen der Zustimmung zu den jeweiligen Items.149 Es wurden für alle Variablen Signifikanztests (t-Tests) zum Geschlecht durchgeführt. Allerdings werden sie nur dann dokumentiert, wenn sie signifikante Werte aufweisen. In Tabelle 15 im Anhang werden sämtliche Testergebnisse zusammengefasst.
I) Wahrnehmung Aus einer Liste von 15 Umweltthemen sollten die Befragten der Eurobarometerstudie fünf Items auswählen, über die sie sich am meisten Sorgen machen. Abbildung 8 zeigt, dass der Klimawandel dabei am häufigsten genannt wird (892 Nennungen), vor menschlich verursachten Katastrophen (797), Wasserverschmutzung (683), natürlichen Katastrophen (582), Gesundheitsschäden durch Chemikalien (540), Rückgang natürlicher Ressourcen (472) und genetisch modifizierten Organismen (466). 150 148
Die Repräsentativdaten enthalten keine Variablen zu den Folgewirkungen, sondern nur zu den Indikatoren Existenz, Ursachen des Klimawandels, Bedrohungsgefühl, Anpassung und Vermeidung, Verantwortung und Informationsstand. 149 Sämtliche Tabellen und Abbildungen im empirischen Teil sind eigene. 150 An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Items nicht sauber voneinander getrennt wurden, da der anthropogene Klimawandel ebenfalls ein „menschlich verursachtes Umweltproblem“ darstellt und der Verlust der Biodiversität auch als Folge des Klimawandels betrachtet werden muss. Auch Überschwemmungen, Luftverschmutzung und die Ausbeutung von Naturressourcen hängen eng mit dem Problem des anthropogenen Klimawandels zusammen. Die Antwortvorgaben sind demnach nicht trennscharf. Die Möglichkeit von Mehrfachnennungen ist einerseits positiv, da hierdurch mehrere konkurrierende Items gewählt werden können anstatt sich für eines zu entscheiden. Andererseits ist durch die Methode der Mehrfachnennung zwar eine Rückführung der einzelnen Items auf die Befragten-ID (n=1.561) möglich, aber durch die Ungleichverteilung der Nennungen je Befragte(r) ist die Durchführung multivariater Analysen nicht mehr ohne weiteres möglich.
167
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
892
Klimawandel 797
Menschlich verursachte Katastrophen 683
Wasserverschmutzung 582
Natürliche Katastrophen 540
Gesundheitsschäden durch Chemikalien 472
Rückgang natürlicher Ressourcen
466
Genetisch modifizierte Organismen 419
Verlust der Biodiversität
417
Luftverschmutzung
390
Wachsende Müllberge 330
Landwirtsch. Verschmutzung 252
Unser Konsumverhalten
226
Folgen des Mobilitätsverhaltens 166
Urbane Probleme
139
Lärmbelästigung 0
100
200
300
400
500
600
700
800
900
Anzahl der Nennungen (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 8:
151
Sorge um die Umwelt (Eurobarometerstudie 2005)151
Frage QD2: „Nennen Sie bitte aus der folgenden Liste 5 Umweltthemen, über die Sie sich Sorgen machen.“ („From the following list, please list the five main environmental issues that you are worried about.”) Siehe auch Fragebogentext im Anhang. In einer Eurobarometerbefragung des Jahres 2007 stimmten 89% der deutschen Befragten zu, dass Klimawandel und Erderwärmung eine Grund zur Besorgnis sind (Fragetext: „Are climate change and global warming a concern for you?“; vgl. http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/07/280&format=HTML&aged=0&langu age=EN&guiLanguage=en, Zugriff: 15.05.2008).
168
Empirische Ergebnisse
100%
86%
90%
73%
80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Es werden Klimaveränderungen eintreten
Abbildung 9:
Extreme Hochwasserereignisse werden in Zukunft zunehmen
Eintritt von Klimaveränderungen (Umweltbewusstseinsstudie 2004)
Die Umweltbewusstseinsstudie bestätigt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten sowohl davon überzeugt ist, dass Klimaveränderungen eintreten werden (86%) als auch davon, dass extreme Hochwasserereignisse, eine Folge des Klimawandels, in Zukunft zunehmen werden (73%; vgl. Abbildung 9). Frauen sind dabei sowohl signifikant stärker davon überzeugt als Männer, dass Klimaveränderungen eintreten werden (t-Wert: 2,07) als auch davon, dass Extremwetterereignisse zunehmen werden (t-Wert: 3,5).152
152
Frage 16: „Die meisten Klimaforscher sagen eine Erwärmung der Erdatmosphäre voraus. Sie erwarten beispielsweise eine Erhöhung des Meeresspiegels und eine Verschiebung von Klimazonen. Wie sehr sind Sie selber überzeugt, dass diese prognostizierte Klimaveränderung eintreten wird?“ (n=2.012). Frage 23s: „Bitte sagen Sie mir […] in welchem Maße Sie zustimmen oder nicht zustimmen: Durch die Eingriffe des Menschen in die Natur wird die Anzahl extremer Hochwasserereignisse in Zukunft erheblich zunehmen.“ (n=2.010)
169
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
16%
äußerst / sehr gefährlich etwas gefährlich 54%
30%
Abbildung 10:
kaum / überhaupt nicht gefährlich
Selbsteingeschätzte persönliche Gefährdung durch den Klimawandel (Umweltbewusstseinsstudie 2004)
II) Besorgnis und Bedrohungsgefühl Befragt nach dem Bedrohungspotential des Klimawandels (Abbildung 10) hält über die Hälfte der Interviewten (54%) den durch den Treibhauseffekt verursachten Klimawandel für äußerst bzw. sehr gefährlich für sich und ihre Familie. Weitere 30% halten ihn für etwas gefährlich. 16% halten ihn für kaum bis überhaupt nicht gefährlich. Auch hier sind Frauen wieder signifikant stärker davon überzeugt als Männer, dass ein direktes Bedrohungspotential des Klimawandels vorhanden ist (t-Wert: 2,8).153 Damit kann festgehalten werden, dass die große Mehrheit der deutschen Befragten aus den genannten Umfragen den Klimawandel als das dringlichste derzeitige Umweltproblem wahrnimmt. Die Interviewten sind überzeugt, dass der Klimawandel eintritt und halten ihn für persönlich bedrohlich.
153
Frage 15: „Wenn Sie jetzt an sich und Ihre Familie denken: Wie gefährlich sind die im Folgenden genannten Phänomene für Sie und Ihre Familie? Wie gefährlich ist eine durch den „Treibhauseffekt“ verursachte weltweite Klimaveränderung Ihrer Meinung nach für Sie und Ihre Familie?“ (n=2.012). Die fünfstufige Antwortskala wurde zu drei Gruppen zusammengefasst. In der gleichen Befragung im Jahr 2006 waren 47% der Meinung, der Klimawandel sei äußerst bis sehr gefährlich, 34% hielten ihn für etwas gefährlich und 19% für kaum bis gar nicht gefährlich für sich und die Familie. Somit ging die Einschätzung der persönlichen Gefährdung etwas zurück (vgl. http:// www.umweltbewusstsein.de; Zugriff: 15.05.2008).
170
Empirische Ergebnisse
III) Vermeidung und Anpassung
94% 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
63% 51% 49% 37%
ja nein 6%
Eine Die BRD kann Der Klimawandel ist die Folgen des Verringerung zu verhindern Klimawandels der Klimagase ist (sehr) bewältigen wichtig
Abbildung 11:
Vermeidung und Anpassung (Umweltbewusstseinsstudie 2004)154
Da zu vermuten ist, dass die in der Klimaforschung bereits lange geführte Debatte um Anpassung an die Folgen des bereits stattfindenden Klimawandels in Medien und allgemeiner Öffentlichkeit noch vergleichsweise geringe Bekanntheit erlangt hat, wird dem Aspekt der unterschiedlichen Bewertung von Vermeidung bzw. Verhinderung des Klimawandels (Mitigation) und Anpassung an die Folgen des Klimawandels (Adaptation) besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In der Umweltbewusstseinsstudie wurden sowohl Fragen zur Verhinderung als auch zur Anpassung gestellt, die hier miteinander verglichen werden können. Abbildung 11 zeigt, dass ca. die Hälfte der Befragten (51%) 154
Frage 17: „Die meisten Forscher gehen davon aus, dass der Klimawandel auf menschliche Aktivitäten, vor allem das Verbrennen von Kohle und Öl (z.B. beim Heizen, beim Autofahren), zurückzuführen ist. Wie sehr sind Sie davon überzeugt, dass man durch entsprechende Maßnahmen den Klimawandel noch verhindern kann?“ (n=2.014). Frage 18: „Einmal angenommen, dass der Klimawandel nicht mehr zu verhindern ist. Wie sehr sind Sie davon überzeugt, dass wir in Deutschland die aus dem Klimawandel folgenden Probleme bewältigen können?“ (n=2.011). Frage 12_8: „Ich werde Ihnen jetzt einige Ziele und Aufgaben aus dem Bereich Umweltschutz nennen. Sagen Sie mir bitte anhand dieser Liste, für wie wichtig Sie persönlich diese Aufgaben halten: Für eine deutliche Verringerung von klimaschädlichen Gasen sorgen, z.B. den Ausstoß von Kohlendioxid“ (n=2.002). Die vierstufigen abhängigen Variablen (vgl. Tabelle 5) wurden zu zweistufigen (ja/nein) zusammengefasst.
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
171
glaubt, dass der Klimawandel noch zu verhindern ist und ungefähr die andere Hälfte (49%) nicht davon ausgeht. So kann eine deutliche Spaltung hinsichtlich dieser Überzeugung festgestellt werden. Bei der Frage der Anpassung hingegen überwiegt die Skepsis: 63% sind der Auffassung, dass die Bundesrepublik die Folgen des Klimawandels nicht bewältigen kann.155 Nur 37% stehen der Anpassungsfrage optimistisch gegenüber. Auch hier antworten Frauen und Männer unterschiedlich: Männer stimmen signifikant stärker der Auffassung zu, dass eine Anpassung an den Klimawandel in Deutschland möglich ist (t-Wert: 2,29). Überwiegend überzeugt sind dagegen 94% davon, dass eine Verringerung der Klimagase (sehr) wichtig ist. Frauen sind im Vergleich zu Männern signifikant stärker davon überzeugt (t-Wert: 3,2). Nur 6% stimmen dem nicht zu. So herrscht offenbar Einigkeit darüber, dass Maßnahmen zum Klimaschutz getroffen werden müssen, bezüglich ihrer Wirksamkeit ist dagegen Skepsis zu konstatieren. Um diesen Ergebnissen weiter nachzugehen, wurden die Befragten danach getrennt, ob sie für oder gegen Vermeidungsstrategien stimmen und weiterhin danach, ob sie, vorausgesetzt der Klimawandel ist nicht mehr zu vermeiden, für oder gegen Anpassungsstrategien stimmen. Im Vergleich zur Verteilung in Abbildung 11 hat dies den Zweck, noch einmal hervorzuheben, wie sich die Einstellungen zu Vermeidung oder Anpassung in Abhängigkeit des jeweils anderen Items darstellen. Dazu wurden aus Frage 16 (vgl. Fußnote 152) zunächst diejenigen Personen herausgefiltert, die vom Eintreten eines Klimawandels überzeugt sind (86%, n=1.722). Diese wurden wiederum je nach ihrer jeweiligen pro- oder kontra-Einstellung zu Vermeidungs- und Anpassungsmöglichkeiten in vier Gruppen aufgeteilt. Daraus ergeben sich vier Gruppen (Abbildung 12). (Die Datenmanipulation erfolgte anhand der Fragen 17 und 18, vgl. Fußnote 154. Gruppe 1: pro Vermeidung/pro Anpassung; Gruppe 2: pro Vermeidung/kontra Anpassung; Gruppe 3: kontra Vermeidung/pro Anpassung; Gruppe 4: kontra Vermeidung/kontra Anpassung.)
155
Dieses Ergebnis kann in der Umfrage des Jahres 2006 bestätigt werden, im Jahr 2006 glauben 62%, dass die BRD die Folgen des Klimawandels nicht bewältigen kann. Siehe „Zusammenfassung der Ergebnisse“ der Umweltbewusstsseinsstudie 2006 unter: http://www.umweltbewusstsein.de (Zugriff: 15.05.2008)
172
Empirische Ergebnisse
ANPASSUNG
Anpassungsbefürworter 10%
Optimisten 20% VERMEIDUNG
Fatalisten 31%
Abbildung 12:
Präventionsbefürworter 25%
Vier-Felder-Matrix „Vermeidung oder Anpassung“ (Umweltbewusstseinsstudie 2004, n=1.722)
Der größte Teil der Befragten (31%) glaubt demnach, dass weder der Klimawandel aufgehalten werden kann noch die Folgen in Deutschland zu bewältigen sind. Diese Gruppe wurde als fatalistisch eingestuft. Die zweitgrößte Gruppe (25%) glaubt zwar an die Möglichkeit der Verhinderung des Klimawandels, aber falls dies nicht möglich wäre, würden sie nicht an die Wirksamkeit von Anpassungsstrategien glauben. Diese Gruppe wird als die Gruppe der Präventionsbefürworter bezeichnet. Hingegen sind nur 20% optimistisch und glauben, dass sowohl Vermeidungs- wie auch Anpassungsmaßnahmen funktionieren. Die kleinste Gruppe von 10% glaubt an Anpassung aber nicht an Vermeidungsstrategien (Anpassungsbefürworter). Die 4-Felder-Matrix in Abbildung 12 stellt die Gruppen anhand ihrer Typenbeschreibung dar. So wird deutlich, dass die meisten Befragten, die an Klimaveränderungen glauben, fatalistisch eingestellt sind.
173
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
IV) Verantwortung
30%
13%
große Fortschritte keine wesentlichen Fortschritte ist schlimmer geworden
57%
Abbildung 13:
Fortschritte beim Klimaschutz (Umweltbewusstseinsstudie 2004)156
Nur 13% der Interviewten sind der Meinung, es habe zwischen 1999 und 2004 große Fortschritte beim Klimaschutz gegeben. Über die Hälfte der Befragten (57%) sind der Auffassung, dass es beim Klimaschutz keine wesentlichen Fortschritte gegeben hat. Weitere 30% finden sogar, dass die Situation eher schlimmer geworden ist (Abbildung 13). Nun muss einschränkend berücksichtigt werden, dass nicht überprüft werden kann, welche Klimaschutzmaßnahmen die Befragten konkret meinen, kennen und inhaltlich bewerten. Doch wichtig ist hier, dass die Einstellung zum Klimaschutz eher durch Misstrauen gekennzeichnet ist.157
156
Frage 13: „Gab es Ihrer Meinung nach in den letzten fünf Jahren beim Klimaschutz große Fortschritte, keine wesentlichen Fortschritte, oder ist es im Gegenteil eher schlimmer geworden?“ (n=1.883). 157 Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass auch andere Bereiche des Umweltschutzes ähnlich pessimistisch bewertet werden. Für die Bereiche Luftverschmutzung, Naturschutz und Bodenreinheit werden ebenfalls keine Fortschritte gesehen, dort fällt die Beurteilung sogar noch viel deutlicher aus als dies beim Klimaschutz der Fall ist. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Befragten bei umweltpolitischen Themen generell eher zu pessimistischen Zukunftsbewertungen neigen. Keine Fortschritte bei der Luftreinhaltung sehen 57% (große Fortschritte sehen 27% und eine Verschlechterung der Situation 13%, n=2.011). Den Bodenzustand schätzen 61% als unverbessert ein (im Vgl. zu 13%, die Fortschritte sehen, n=2.006) und auch beim Naturschutz finden 63% (im Vgl. zu 24%, die Verbesserungen sehen, n=2.005), dass sich nichts verbessert hat.
174
Empirische Ergebnisse
BRD sollte voran gehen 59% warten auf gesamteuropäische Lösung
33%
8%
unentschieden
0%
Abbildung 14:
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Klimaschutz: deutsche oder europäische Aufgabe? (Umweltbewusstseinsstudie 2004)158
Die beiden letzten Items, die in der Umweltbewusstseinsstudie explizit zum Klimawandel abgefragt wurden, betreffen die Klimapolitik. So meinen 59%, die Bundesrepublik sollte in der Klimaschutzpolitik voran gehen anstatt auf eine gesamteuropäische Lösung zu warten (33%). Nur 8% der Befragten sind bei dieser Frage unentschieden (Abbildung 14).159
158
Frage 19: „Sollte Ihrer Meinung nach Deutschland in der Klimaschutzpolitik voran gehen oder eher auf eine gesamteuropäische Lösung warten?“ (n=2.014). 159 Dieser Trend verstärkte sich in der Umfrage des Jahres 2006. Dort gaben sogar 67% der Befragten an, dass die BRD im Klimaschutz vorangehen sollte (s. „Zusammenfassung der Ergebnisse“ der UBA-Studie 2006 unter http://www.umweltbewusstsein.de; Zugriff: 15.05.2008).
175
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
Demnach können klimapolitische Akteure mit einer breiten Unterstützung der deutschen Bevölkerung rechnen.160
zufrieden bis sehr zufrieden
40%
42% teils teils
18%
unzufrieden bis sehr unzufrieden 0%
Abbildung 15:
10%
20%
30%
40%
50%
Zufriedenheit mit deutscher Rolle auf internationalen Klimakonferenzen (Umweltbewusstseinsstudie 2004) 161
Ferner sind 40% der Befragten zufrieden mit der deutschen Rolle auf internationalen Klimakonferenzen, und nur 18% sind unzufrieden (Abbildung 15). Sowohl der hohe Anteil Unentschlossener (43%) als auch die Tatsache, dass es bei dieser Frage viele missing-Werte gab (294 Befragte), können allerdings ein Hinweis darauf sein, dass viele Befragte die Rolle der BRD auf internationalen Klimakonferenzen nicht beurteilen können oder wollen. Im Geschlechtervergleich sind wieder signifikante Unterschiede zu verzeichnen: 160
Die hohe Zustimmung zur Klimapolitik deckt sich übrigens mit der allgemeinen Einstellung zum Umweltschutz: 92% finden Umweltschutz als politische Aufgabe wichtig (UBA 2004). Bezüglich umweltpolitischer Strategien im Allgemeinen finden die Befragten des Eurobarometers, dass in erster Linie Umweltschutzgesetze besser durchgesetzt werden sollten und das öffentliche Umweltbewusstsein erhöht werden sollte (Abbildung 20 und Tabelle zu Abb. 20 im Anhang). Auch die Forderung, NGOs mehr Mitsprache zu geben, stößt auf Zustimmung, ebenso wie finanzielle Anreize zu schaffen und nur diejenigen zu besteuern, die hauptsächlich für die Umweltprobleme verantwortlich sind. Demgegenüber werden flächendeckende Preis- und Steuererhöhungen ebenso abgelehnt wie Selbstinitiativen der Industrie. Die Ergebnisse können als „Zuckerbrot-und-Peitsche“Position bezeichnet werden, da einerseits striktere staatliche Umweltschutznormen und andererseits ein höheres Umweltbewusstsein gewünscht werden. 161 Frage 20: „Um den Treibhauseffekt und Klimaveränderungen in den Griff zu bekommen, wurde auf den Weltklimakonferenzen, z.B. in Rio, Kyoto oder Bonn, versucht, international verbindliche Regelungen zur Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid und Treibhausgasen zu treffen. Wie beurteilen Sie, aus Ihrer Sicht, die Rolle Deutschlands bei den bisherigen Klimakonferenzen?“ (n=1.724, missing rate=294).
176
Empirische Ergebnisse
Männer sind zufriedener mit der deutschen Rolle auf Klimakonferenzen als Frauen (t-Wert: 3,04). So steht eine eher pessimistische Zukunftsprognose des Klimawandels einer zwiegespaltenen Bewertung von Klimaschutz und -politik gegenüber. Die deutschen Befragten haben ein hohes Klimaproblembewusstsein und fordern klimapolitische Schritte ein, sind aber gleichzeitig skeptisch was die Bewältigung der Klimafolgen angeht. Im nächsten Abschnitt soll es darum gehen, inwieweit die persönlichen Voraussetzungen für Klimabewusstsein vorhanden sind. Da allgemeines Umweltschutzhandeln, insbesondere Mobilitätsverhalten und Energienutzungsverhalten, eng mit Klimaschutzhandeln verknüpft ist, ist eine Gegenüberstellung mit der Auswertung allgemeiner Einstellungen zum Umweltschutzverhalten wesentlich.162
162
Umweltschutz wird bei einer offenen Frage nach dem wichtigsten Problem des Landes in der Umweltbewusstseinsstudie 2004 an dritter, in der gleichen Umfrage des Jahres 2006 sogar an zweiter Stelle genannt. Umweltschutz wird ferner von über 92% der Befragten der Umweltbewusstseinstudie 2004 als (sehr) wichtige politische Aufgabe gesehen (von Frauen signifikant stärker als von Männern, t-Wert: 5,25; Frage 11: „Bitte sagen Sie mir jeweils, ob Sie persönlich die Aufgabe für sehr wichtig, eher wichtig, weniger wichtig oder für überhaupt nicht wichtig halten: Für wirksamen Umweltschutz sorgen.“). Darüber hinaus stellen 58% der Befragten der gleichen Studie die heutige Lebensweise in Frage und sind der Meinung, dass ein Weitermachen wie bisher eine Umweltkatastrophe verursacht. Auch werden Wissenschaft und Technik keine mehrheitliche Bedeutung für die Lösung von Umweltproblemen beigemessen (nur 30% Zustimmung, aber 37% Ablehnung). Vergleicht man die Einschätzungen von lokaler, nationaler und globaler Umweltqualität, so wird die Umweltsituation in der BRD in der Umfrage als sehr gut (82%), die globale hingegen als sehr schlecht (84%) betrachtet. Der Trend hat sich in der UBA-Studie des Jahres 2006 leicht verändert; dort geben nur noch 2/3 der Befragten an, dass sie die Umweltqualität in der BRD als „sehr gut“ bis „recht gut“ bewerten. Allerdings hat sich der Trend bei der Bewertung der globalen Umweltqualität noch verstärkt: Es geben sogar 91% an, dass die globale Situation „eher schlecht“ bis „sehr schlecht“ sei.
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
177
96% 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20%
4%
10% 0% (sehr) wichtig
Abbildung 16:
weniger/nicht wichtig
Sparsamer Umgang mit Energievorräten und Rohstoffen (Umweltbewusstseinsstudie 2004)163
Zunächst einmal ist für eine deutliche Mehrheit der Befragten der Umweltbewusstseinsstudie (96%) der sparsame Umgang mit Energievorräten und Rohstoffen wichtig oder sehr wichtig. Nur 4% stimmen dem Item nicht zu (Abbildung 16). Frauen stimmen dabei dem sparsamen Rohstoff- und Energieverbrauch signifikant stärker zu als Männer (t-Wert: 2,03). Was nun das eigene Handeln angeht, so ist die überwiegende Mehrheit der Befragten des Eurobarometers der Überzeugung, dass sie sich für den Umweltschutz einsetzt (auf einer 5er-Skala meinen 90% der Befragten, sie setzen sich „häufig“ oder „manchmal“ für die Umwelt ein). 163
Frage 12_1: „Sagen Sie mir bitte […] für wie wichtig Sie persönlich diese Aufgabe halten: Sparsamer mit Energievorräten und Rohstoffen umgehen.“ (n=2007) Dass Klimawandel und Energiekonsum eng zusammenhängen, bestätigen 86% der Befragten einer Eurobarometerumfrage des Jahres 2007. Sie glauben, dass Energiekonsum und -verbrauch einen negativen Einfluss auf den Klimawandel haben (“Do you think the way we in Germany produce and consume energy has a negative impact on climate change and global warming?“; vgl. http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/07/280&format=HTML&aged=1&langu age=DE&guiLanguage=en, Zugriff: 15.05.2008).
178
Empirische Ergebnisse
Lohnt sich Umwe ltschutz?
Mein Handeln für die Umwelt lohnt sich.
100% 90%
32%
80% 70% 60%
30%
50% 40% 30%
27%
20% 10%
je 5%
0%
Abbildung 17:
Mein Handeln für die Umwelt lohnt sich nicht, solange andere nicht mitmachen. Mein Handeln für die Umwelt lohnt sich nicht, solange die Industrie nicht mitmacht. Ich würde gern mehr tun, aber es bringt Nachteile. Ich würde gern mehr tun, aber ich weiss nicht was.
Lohnt sich umweltgerechtes Handeln? (Eurobarometerstudie 2005)164
Dabei sind zwar 32% aller Befragten der Meinung, dass sich der Einsatz lohne (Abbildung 17). Allerdings finden 30% es habe deshalb keinen Einfluss, weil andere Bürger und Bürgerinnen sich nicht ebenso verhalten und 27% meinen, dass es deshalb keinen Einfluss hat, weil die Industrie kein Umweltbewusstsein zeigt. Die überwiegende Mehrheit von 57% findet demnach, dass sich umweltbewusstes Handeln nicht lohnt, da sich „Dritte“ ihrer Ansicht nach nicht ebenso bemühen. Dabei unterscheiden sich die Befragten, die Klimawandel als wichtigstes Umweltproblem benennen, nur geringfügig von dem Gesamtsample, weder bei der Frage nach dem persönlichen Einsatz für die Umwelt noch nach den 164
Frage QD10: „Which of these statements best reflects your own situation in relation to your efforts to take care of the environment? I take care of the environment and it is having an impact; I would like to do more but it brings too many disadvantages (time consuming, more costly, etc.); I take care of the environment but it does not have much of an impact as long as other citizens do not do the same; I take care of the environment but it does not have much of an impact as long as the big polluters (corporations and industry) don’t do the same; I would like to do more but I don’t know what to do; Don’t know” (n=1.561).
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
179
zugrunde liegenden Motiven.165 Die Ergebnisse werden durch die Umweltbewusstseinsstudie bestätigt. Auch hier glauben 66%, dass sich „Dritte“ nicht umweltbewusst verhalten.166 Bei der Frage, was die Befragten des Eurobarometers bereit sind für die Umwelt zu tun, wird die Low-cost-These bestätigt: So ist die überwiegende Mehrheit der Befragten am ehesten bereit Müll zu trennen (1178 Nennungen; Abbildung 18). Am zweithäufigsten wird die Reduzierung des Energieverbrauchs (781) und des Mülls (621) genannt, gefolgt von der Bereitschaft ökologische Produkte zu kaufen (491). Am wenigsten bereit sind die Probanden, aus Umweltschutzgründen auf ihr Auto zu verzichten (148) und eine Steuererhöhung in Kauf zu nehmen (28).167 Aus diesen deskriptiven Resultaten kann geschlossen werden, dass sich die Befragten dann umweltbewusst verhalten, wenn es entweder wenig Aufwand bedeutet und geringe Kosten verursacht (z. B. Müll trennen und Öko-Produkte kaufen) oder aber ihnen selbst auch einen Nutzen verschafft (Energie sparen). Steuererhöhungen für die Umwelt würden dagegen kaum Befragte in Kauf nehmen. Dies hängt z. T. mit dem gesellschaftlichen Unmut über die ökologische Steuerreform in der BRD zusammen (Weidner 2005). Die ökologische Steuerreform wird von über der Hälfte der Befragten (58%) der Umweltbewusstseinsstudie abgelehnt, dabei wird sie als ungerecht (73%) und als falsches Mittel zum Umweltschutz (69%) eingeschätzt.
165
Von den Befragten, die Klimawandel als wichtigstes Umweltproblem benennen, behaupten 93%, dass sie sich für Umweltschutz einsetzen. Außerdem antworten die Klimaschutz-Befürworter auf die Frage „Lohnt sich umweltgerechtes Handeln“ folgendermaßen: 33% stimmen zu, 57% lehnen ab, weil Dritte bzw. die Industrie nicht mitmachen und 10% denken, es bringt Nachteile bzw. wissen nicht, was zu tun ist. 166 Das Ergebnis korrespondiert auch mit anderen Studien: Typisch ist, dass das eigene umweltgerechte Handeln anderen Mitbürgern nicht zugetraut wird, sie werden als ‚Trittbrettfahrer’ wahrgenommen (Diekmann 1995b). Dies stellt keine spezifisch umweltrelevante Einstellung dar. 167 Laut Umweltbewusstseinsstudie 2004 beziehen nur 4% der Befragten Ökostrom. 9% behaupten zwar, sie würden es zukünftig tun, aber 48% lehnen es generell ab. Interessant ist hier, dass von den Ablehnenden über die Hälfte (56%) den Wechsel für zu aufwändig hält. 74% meinen, es sei zu teuer und 82% fühlen sich unzureichend informiert. Weiterhin nutzt nur ein Drittel (31%) häufig öffentliche Verkehrsmittel, während 69% das Auto häufig benutzen (Frauen nutzen signifikant häufiger den öffentlichen Personennahverkehr; t-Wert: 3,49). Frage 35: „Wie häufig nutzen Sie im Nahverkehr die folgenden Verkehrsmittel? Öffentlicher Personennahverkehr. (Skala 1-5: 1=sehr häufig; 5=nie). Die Aussagen zum persönlichen Umweltbeitrag in der Eurobarometerumfrage werden durch die Ergebnisse der UBA-Studie 2006 übrigens weitgehend bestätigt (vgl. http://www.umweltbewusstsein.de; Zugriff: 15.05.2008).
180
Empirische Ergebnisse
Für das Ziel Umweltschutz bin ich am ehesten bereit ...
1178
…den Müll zu s o rtieren.
781
…Energieverbrauch zu reduzieren.
621
... Müll zu reduzieren.
491
…ö ko lo gis che P ro dukte zu kaufen. …zu Ans chaffungen unter ö ko lo g. As pekten.
457 408
... ö ffentliche Trans po rtmittel zu benutzen.
148
…auf das Auto zu verzichten.
28
…etwas mehr Steuern zu zahlen.
0
200 400 600 800 1000 1200 (Me hrfachne nnunge n möglich)
Abbildung 18:
168
Eigener Beitrag zum Umweltschutz (Eurobarometerstudie 2005)168
Frage QD16: “In order to contribute protecting the environment, which three would you be ready to do first? Use public transport as much as possible instead of using your own car; Not have a car; Purchase ecologically friendly products for your daily needs even if you have to pay a little more for them; Sort waste so that it can be recycled; Reduce waste by buying bigger sizes, concentrated products, second hand items or avoid buying over packaged products, etc.; Reduce your home energy consumption (electricity, heating, household appliances); Consider environmental aspects when you make large expenditures (buying a car, heating systems, build a house, etc.); Pay a little more in taxes to help protect the environment; None of these; Don’t know”.
181
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
V) Wissen und Informationsstand
779
Genetisch modifizierte Organismen Gesundheitsschäden durch Chemie Landwirtschaftliche Verschmutzung Rückgang natürlicher Ressourcen Verlust der Biodiversität Klimawandel Wasserverschmutzung Folgen des Mobilitätsverhaltens Menschlich verursachte Katastrophen Urbane Probleme Wachsende Müllberge Unser Konsumverhalten Lärmbelästigung Natürliche Katastrophen Luftverschmutzung
683 465 427 406 370 328 278 272 206 168 164 157 154 153 0
100
200
300
400
500
600
700
800
Anzahl der Nennungen (Mehrfachnennungen möglich)
Abbildung 19:
169
Informationsstand Umweltprobleme (Eurobarometerstudie 2005)169
Frage QD4: “From the following list, please tell me the five main issues about which you feel you lack information in particular? (max. 5 answers). Climate change; Loss in biodiversity (extinction of animal species, flora and fauna, etc.); Natural disasters (earthquakes, floods, etc.); Man made disasters (major oil spills or industrial accidents, etc.); Water pollution (seas, rivers, lakes and underground sources); Agricultural pollution (use of pesticides, fertilizers, etc.); The use of genetically modified organisms in farming; The impact on our health of chemicals used in everyday products; Air pollution; Noise pollution; Urban problems (traffic jams, pollution, lack of green spaces, etc.); Depletion of natural resources; Our consumption habits; Growing waste; Consequences of current transport modes (increased use of individual cars, motorways, increased air traffic, etc.).”
182
Empirische Ergebnisse
Schließlich wurde bei der Eurobarometerumfrage eine Frage zum Informationsverhalten bezüglich Umweltproblemen gestellt (Abbildung 19). Am schlechtesten informiert fühlen sich die Befragten über das Thema „genetisch modifizierte Organismen“ (779), gefolgt von Gesundheitsschäden durch Chemikalien (683) und landwirtschaftlicher Verschmutzung durch bspw. Pestizide (465). Klimawandel befindet sich an sechster Stelle des Rankings (370) und wird damit überdurchschnittlich häufig als Umweltproblem mit einem persönlich geringen Informationsstand bewertet. Hier kann allerdings nicht kontrolliert werden, inwieweit der selbst berichtete Informationsstand mit dem tatsächlichen übereinstimmt. Nun ist der selbst berichtete Stand der Information nicht mit dem Wissensstand gleichzusetzen. Dennoch kann er als Indikator für mangelndes Wissen gelten; die Forderung nach mehr Informationen kann dem Wunsch nach Zusatzinformationen entsprechen, der zu einem Erkenntnisgewinn beitragen soll. Das würde bestätigen, dass die (zunehmende) Informationsdichte zum Thema Klimawandel nicht zwangsläufig zu hohem Wissensstand führt. Da dies nicht an den quantitativen Daten überprüft werden kann, wird der Frage im qualitativen Teil weiter nachgegangen.170
8.2.2 Multivariate Ergebnisse Im Folgenden werden die Ergebnisse der multivariaten Modelle tabellarisch dargestellt.171 Untersucht werden die Einflüsse sozio-demographischer Merkmale (vgl. Tabelle 3) auf die Einstellungen zum Klimawandel und zur Klimapolitik (vgl. Tabelle 4). Die Koeffizienten der multiplen Modelle (1-7, 9 und 10) sind Regressionskoeffizienten; die logistische Regressionsanalyse zeigt die Odd Ratios (Modell 8).172 Außerdem werden t-Werte ausgegeben. Diese zeigen an, ob der jeweilige 170
Bezüglich der Informationsquelle gibt die große Mehrheit der Personen der Eurobarometerstudie in erster Linie das Fernsehen an (gefolgt von Zeitungen, Filmen und Dokumentationen im TV, Gesprächen mit Verwandten, Freunden oder der Familie). Anzahl der Nennungen (je 5 Antworten über 10 Items): TV 1.160, Zeitung 857, Filme 542, Gespräche mit Freunden 369, Radio 368. 171 Die hier angewendete multiple Regressionsanalyse geht dabei von einem linearen Zusammenhang zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen aus. Im logistischen Modell wird versucht, die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs durch eine Linearkombination aus einer oder mehreren unabhängigen Variablen vorherzusagen. Die abhängige Variable muss metrisch bzw. mindestens Intervall skaliert sein. Logistische Regressionsmodelle benötigen binäre abhängige Variablen (so genannte Dummy-Variablen). Die Entscheidung für oder gegen eine logistische oder multiple Regressionsrechnung hängt in erster Linie vom Skalenniveau der abhängigen Variablen ab (vgl. hierzu Kohler und Kreuter 2001). 172 Zur Interpretation: Die Regressionskoeffizienten geben die durchschnittliche Veränderung der abhängigen Variablen bei Veränderung der jeweiligen unabhängigen Variablen um eine Einheit an. Gleiches gilt auch für die binär kodierten Dummy-Variablen: Der Koeffizient der Variablen gibt den Zusatzeffekt für die gewählte Vergleichsgruppe (z. B. die Frauen) an (Kohler und Kreuter 2001: 191f.).
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
183
Koeffizient signifikant ist oder nicht; nur die signifikanten Werte werden im Text (in Klammern hinter den Koeffizienten) dokumentiert. Bei den dargestellten Modellen ist zu beachten, dass die Fallzahl nicht über alle Modelle stabil ist. Eine stabile Fallzahl hätte eine so hohe Zahl an ‚drop outs’ zur Folge gehabt, dass reliable Rechnungen nicht mehr möglich gewesen wären. Die folgenden Berechnungen wurden ausschließlich mit den Daten der Umweltbewusstseinsstudie vorgenommen. Dabei wurden die Sozialstrukturvariablen Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Haushaltsgröße, Kinder, Partner, Region (alte und neue Bundesländer) sowie Küstenbewohner und -bewohnerinnen als unabhängige bzw. erklärende Variablen in die Modelle aufgenommen. Zusätzlich zur Altersvariablen wird das quadrierte Alter integriert, welches kurvlineare Zusammenhänge zwischen Alter und abhängigen Variablen kontrolliert.173 Im Unterschied zu den deskriptiv ausgewerteten Fragen, bei denen die Verteilungen im Mittelpunkt des Interesses stehen, können hier die Einflüsse sozio-demographischer Merkmale auf die Einstellungen zum Klimawandel geprüft werden. Tabelle 9 zeigt die Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalysen für die Indikatoren ‚Existenz’, ‚Ursachen’, ‚Folgewirkungen’ und ‚Bedrohungsgefühl’.
173
So ist anzunehmen, dass die Zustimmung zu Pro-Umwelteinstellungen bei Jüngeren hoch ist, sie aber im mittleren Alter abfällt und sich im höheren Alter wieder an die Einstellungen Jüngerer annähert. Bspw. nimmt man bei jüngeren Befragten ein höheres Umweltbewusstsein als bei Befragten mittleren Alters an, welches auf die schulische Umweltbildung der jüngeren Generation zurückgeführt wird. Umweltbewusstsein bei Älteren könnte aus einer wertegeleiteten Nachhaltigkeitseinstellung resultieren, die durch die Tatsache hervorgerufen wird, dass sie selbst Kinder oder Enkel haben. Was das manifeste Verhalten angeht, so könnte allerdings das umweltbewusstere Handeln bei Jüngeren aus den geringeren ökonomischen Mitteln resultieren. Auch bzgl. der älteren Kohorten weiß man aus der Umweltbewusstseinforschung, dass umweltgerechtes Handeln aufgrund eines sozialisierten sparsameren Ressourcenverbrauchs zunimmt, und häufig weniger durch Umweltschutzmotive zu erklären ist (Preisendörfer 1999). Berücksichtigt werden muss deshalb, dass es sich hierbei um eine Alterskohorteneffekt statt um einen Jahresalterseffekt handeln kann.
184
Empirische Ergebnisse
Abhängige Variablen
Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
Indikator
Indikator
Indikator
Indikator
Existenz
Ursachen
Folge-
Bedrohungs-
wirkung
gefühl
Klima-
Klimagase
Extrem-
Gefährdung
wetter-
Veränderung Unabhängige Variablen Alter
Alter²
ereignisse 0.017
0.001
0.007
0.025
(2.64)**
(1.20)
(0.88)
(2.67)**
-0.000
-0.000
-0.000
(3.09)**
(1.04)
(3.16)**
Geschlecht
0.082
0.090
0.147
0.133
(1=Frauen)
(2.50)*
(3.15)**
(3.52)**
(2.83)**
Mittlerer Bildungs-
0.124
0.073
0.031
0.080
abschluss
(3.06)**
(2.08)*
(0.60)
(1.36)
Hoher Bildungsab-
0.211
0.127
0.064
0.138
schluss
(4.11)**
(2.85)**
(0.98)
(1.87)
(Fach-)
0.189
0.100
-0.005
0.153
Hochschulabschluss
(3.72)**
(2.27)*
(0.08)
(2.09)*
Personen aus Küsten-
-0.053
0.011
-0.143
-0.235
regionen
(0.95)
(0.22)
(2.01)*
(2.92)**
(Referenzkategorie: Volks- und Hauptschulabschluss)
Tabelle 9:
Multiple Regressionsmodelle der abhängigen Variablen: Klimaveränderung, Klimagase, Extremwetterereignisse und Gefährdung (Umweltbewusstseinsstudie 2004)
Absolute Werte der t-Tests in Klammern; * signifikant auf 5%-Niveau; ** signifikant auf 1%-Niveau
185
Sekundärdatenanalyse Eurobarometer- und Umweltbewusstseinsstudie
Abhängige Variablen
Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
Indikator
Indikator
Indikator
Indikator
Existenz
Ursachen
Folge-
Bedrohungs-
wirkung
gefühl
Extrem-
Gefährdung
Klima-
Klimagase
wetter-
Veränderung Unabhängige Variablen
ereignisse -0.020
0.031
0.041
-0.001
(1.24)
(2.21)*
(1.96)*
(0.06)
-0.025
-0.035
-0.045
-0.031
(1.45)
(2.27)*
(2.01)*
(1.25)
0.108 (2.51)*
0.103 (2.75)**
0.088 (1.61)
0.157 (2.54)*
Einkommen
-0.052
-0.078
-0.014
-0.145
1000-2000€
(1.19)
(2.09)*
(0.25)
(2.34)*
Einkommen > 2000€
-0.126 (1.61)
-0.042 (0.62)
-0.165 (1.65)
-0.180 (1.60)
Missings Einkommen
0.008 (0.19)
0.029 (0.81)
-0.006 (0.12)
-0.049 (0.83)
Konstante
2.748
3.290
3.777
2.989
Kinder
Haushaltsgröße
Region (1=Westdeutschland) (Referenzkategorie: niedriges Einkommen 2000€
0.005 (0.06)
0.157 (2.06)*
0.023 (0.32)
Missings Einkommen
-0.032 (0.70)
0.034 (0.85)
0.066 (1.73)
Konstante
2.484 (14.01)**
2.690 (17.55)**
2.060 (13.97)**
n
1962
1959
1834
R-squared
0.00
0.01
0.01
Abhängige Variablen
Unabhängige Variablen (Referenzkategorie: niedriges Einkommen 2000€
0.640 (1.80)
-0.071 (1.15)
0.148 (1.44)
Missings Einkommen
0.846 (1.27)
0.040 (1.24)
0.038 (0.69)
3.231
3.658 (17.21)**
(1=Westdeutschland) (Referenzkategorie: niedriges Einkommen 1 annehmen, doch ist ihr Wertebereich nach unten beschränkt. Grundsätzlich zeigt sich, dass ein Wert der Odds von genau 1 ein Chancenverhältnis von 50:50 ausdrückt, Werte >1 drücken aus, dass die Kategorie im Zähler, Werte