Rex Corda � Corda Nova � Nova Nr. 4 � 4
Margret Schwekendiek �
Agentin für Lakton � Nach einer Idee von Dirk van den B...
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Rex Corda � Corda Nova � Nova Nr. 4 � 4
Margret Schwekendiek �
Agentin für Lakton � Nach einer Idee von Dirk van den Boom
Vorwort des Verlegers der Taschenbuchausgabe � Mit diesem Rex Corda-Nova Band fügen wir ein weiteres Teil in das Universum unseres Helden ein – füttern Sie als Leser sozusagen mit Informationen über Personen und Völker aus dem Rex Corda-Universum. Dies alles geschieht mit Hinsicht auf die Fortschreibung der Serie, die handelnden Personen sollen mit 'Fleisch' gefüllt werden. In der Altserie wurde auf die Geschichte der Protagonisten nur sehr wenig eingegangen, auch über andere wichtige Angaben gab es nur sehr spärliche und verstreute Informationen. Wir bemühen uns, all dies zu sammeln und zu bündeln, so dass der ganze Hintergrund wesentlich homogener erscheint. Bedingt durch die Kürze der Laufzeit der Altserie hatten die Autoren natürlich auch kaum Möglichkeit, einzelne Szenen dahingehend genügend auszuarbeiten – und teilweise wurde damals auch recht wenig Wert darauf gelegt. Mittlerweile verlangen die Leser aber etwas mehr als nur rein zweidimensionale Personen; hoffen wir, dass durch die neuen Romane etwas Licht in das Dunkel kommt. Ihr/Euer Heinz Mohlberg
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Vorwort des Bearbeiters der Taschenbuchausgabe � Es ist oft erstaunlich, welche Umwege nötig sind, um aus einem Exposé einen Roman zu machen. Im vorliegenden Buch schrieb Dirk van den Boom, der bisherige Bearbeiter der Rex Corda-Serie, das Exposé. Irene Salzmann und Sylke Brandt, beides Autorinnen der Corda- Spinoff-Serie Sigam Agelon, sollten nach Dirks Willen den Roman ›Agentin für Lakton‹ schreiben. Aber oft kommt es ja anders als man denkt… Zum einen stand Corda-Experte Dirk durch vermehrte berufliche Verpflichtungen nicht mehr als Bearbeiter und Exposéredakteur zur Verfügung. Heinz Mohlberg, Verleger der Corda-Serie, zögerte nicht lange, und es gelang ihm schnell, mich als Nachfolger zu verpflichten. Zum anderen musste ich gleich mit meiner ersten Amtshandlung ein oft auftretendes Problem lösen: wer schreibt einen Roman, wenn der vorbestimmte Autor ausfällt? Unsere Damen sind sehr vielseitig und nicht nur an eine Serie gebunden. Irene schrieb gerade Band 6 der Sigam Agelon-Serie, ›Die Bedrohung‹, während Sylke an Band 7 mit dem Titel ›Infektion der Liebe‹ arbeitete. Außerdem sind beide Autorinnen feste Größen bei der SF-Serie Rettungskreuzer Ikarus. Die Zeit zur Erstellung dieses Romans wäre also sehr knapp geworden. Es gibt eine Reihe hervorragender Autoren, aber nicht jeder ist für Teamarbeit geschaffen. Welchen Kollegen sollte ich also auswählen? Ich entschied mich für eine Kollegin, mit der ich bei der SF-Serie Raumschiff Promet/Titan hervorragend zusammenarbeitete. Margret Schwekendiek schrieb viele Gruselromane, aber ihr Herz hängt an utopischer Literatur. Sie zögerte nicht, mir aus der Verlegenheit zu 3 �
helfen. Margret bekam alle nötigen Unterlagen, damit sie sich in das Thema einlesen konnte. Und dann schrieb sie. Schnell, gut und sehr professionell. Sie machte sogar Anregungen für einen laktonischen Kalender. Von den Laktonen wissen wir ja immer noch viel zu wenig, zumeist wurden sie in den Romanen der ClassicSerie nicht anders als Menschen beschrieben. Aus diesem Grund habe ich auch Margrets Monatsbezeichnungen beibehalten. Ich habe Margret Schwekendiek sinngemäß ›ins eiskalte Wasser geworfen‹ und finde, dass sich das Ergebnis sehen lassen kann. Danke Maggie! Und nun wünsche ich viel Lesevergnügen mit dieser neuesten Ausgabe von Rex Corda Nova. Weitere Bände sind schon in Vorbereitung. Schaafheim, im Januar 2007 Manfred H. Rückert
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1. � 25. Mukthiar im Zeichen des Asbers (auf der Erde schreibt man Juli 1982) »… bei allen Sternengöttern, Tana, mach dir nichts vor. Die Astroniker sind eine Splittergruppe unserer Wissenschaftler. Du kannst dich nicht bei Ihnen bewerben. Die suchen sich ihre Mitarbeiter selbst aus. Und ganz bestimmt lassen sie sich nicht beeindrucken von einer jungen Studentin, die noch nicht einmal ihr Studium abgeschlossen hat. Da magst du noch so gut sein, niemand wird dich überhaupt nur ernst nehmen.« Tana Velatip schüttelte den Kopf, dass ihre langen schwarzen Haare nur so flogen. Sie widersprach Bordulak cor Hadalip, ihrem Freund, heftig. »Das siehst du falsch. Ich will unserem Volk dienen, so gut ich es kann. Auf meinem Gebiet, der Mathematik, bin ich mit Abstand die beste Studentin. Meine Leistungen liegen weit über dem Durchschnitt, und ich bin vertraut mit den neuesten wissenschaftlichen Techniken und Ergebnissen. Ganz sicher werden die Astroniker meine Bewerbung in Erwägung ziehen. Unser Volk braucht jeden klugen Kopf, denn wir stehen gegen die Orathonen auf verlorenem Posten. Wir können es uns gar nicht leisten, auf jemand wie mich zu verzichten. Ich bin bereit alles zu tun, was helfen kann. Die Astroniker sind auf dem richtigen Weg, sie arbeiten an neuen Waffen, mit denen wir den Orathonen empfindlich schaden können. Mehr als 5.000 Jahre dauert dieser Krieg schon, Bordulak. Gerade du solltest darauf hoffen, dass wir endlich Erfolge erzielen. Schließlich steht dein Clan 5 �
dem Schenta nahe…« »Ich sehe nicht, was das damit zu tun hat, dass ausgerechnet du zu den Astronikern gehen willst«, murrte er missmutig. »Aber verstehst du denn nicht?« Tana strich ihm sanft mit der Hand über die dunklen Haare. Sie lächelte und ließ dabei perfekt geformte rötliche Zähne sehen. Ihre dunklen Mandelaugen strahlten, wenn sie sich in Begeisterung redete. »Ich kann unsere Verbindung dadurch festigen, dass ich mir einen eigenen Platz in der Hierarchie erarbeite. Du bist schon durch Blutsverwandtschaft in der Lage, auf einem wichtigen Posten zu dienen. Ich hingegen werde…« »Erst einmal wirst du dein Studium zu Ende bringen müssen«, erklärte er energisch. Die Berührungen von Tana hatten ihn erregt, und er wollte nicht mehr länger über ihre Zukunftsperspektiven diskutieren, sondern sie endlich besitzen. Ihre Wunschträume waren ohnehin undurchführbar, aber das würde er ihr jetzt wohl kaum klarmachen können. Bei den Astronikern handelte es sich um eine kleine Gruppe hochqualifizierter Wissenschafter, die dem verrückten Plan nachhingen, durch Manipulation und Versetzen ganzer Planeten den Orathonen empfindliche Schläge beizubringen. Obwohl selbst der Schenta, der Hofrat der Laktonen, in seiner Weisheit nicht an die Verwirklichung einer solchen Möglichkeit glaubte, ließ er den Astronikern große Geldmengen zufließen – ganz einfach deswegen, weil eine geringe statistische Wahrscheinlichkeit auf Erfolg bestand. Doch es war vollkommen abwegig, dass ausgerechnet Tana zu der Gruppe stoßen konnte. Es handelte sich ausnahmslos um hochangesehene und verdiente Wissenschaftler, die ihre Fähigkeiten schon mehrfach unter Beweis gestellt hatten. Eine Studentin, mochte sie auch noch klug und begabt sein, hatte ganz bestimmt keine Chance dazuzustoßen. Der junge Laktone wollte nicht darüber nachdenken. Tana 6 �
würde früher oder später die Normalität akzeptieren, jetzt hatte er wirklich etwas anderes im Sinn. Die 20-Jährige galt bei ihrem Volk als Schönheit. Ihr goldbrauner Teint und die dunklen Mandelaugen wirkten ebenso aufregend wie die schmale, etwas zu streng wirkende Nase und die kleinen vollen Lippen. Auch bei ihr brach sich die Erregung Bahn, doch der herbe Duft ihres Körpers brachte Bordulak fast um den Verstand. Die Karriere der schönen Laktonin trat völlig in den Hintergrund, während die reale körperliche Befriedigung an erster Stelle stand. Der persönliche Instruktor von Tana Velatip ordnete für die anstehende Zwischenprüfung eine verschärfte Simulation an. Längst war die 20-Jährige Laktonin über das normale Pensum einer normalen Mathematikstudentin hinausgewachsen. Das Laktonische Imperium, das seit über 5.000 Jahren in einem verheerenden Galaktischen Krieg mit den Orathonen lag, hatte einen unersättlichen Bedarf an gut ausgebildetem Personal. Kanonenfutter in den niederen Rängen gab es mehr als genug, die vielen tausend Planeten, die zum Reich gehörten, lieferten unbegrenzte Mengen an lebendem Material für die Industrie und natürlich auch als Besatzungen der zahllosen Raumschiffe, die für die ständigen Raumschlachten gebraucht wurden. Trotzdem waren die Laktonen auf dem Rückzug. Der Skrupellosigkeit der Orathonen hatte man keine ausreichenden Kräfte entgegenzusetzen. Außerdem besaßen die Laktonen keine semibiotischen Konduktoren, um ganze Völker als willenlose lebende Mauern gegen den Feind voranzuschicken. Die Laktonen setzten bei ihren eroberten Völkern in der Regel darauf, dass diese schon aus Angst vor den Orathonen alles daran setzten, nicht überrannt zu werden. Was natürlich nicht hieß, dass man die Laktonen als Besatzer besonderer Liebe würdigte, auch sie waren darauf angewiesen, dass die besetzten Planeten und ihre 7 �
Völkerschaften sich voll und ganz den Befehlen von oben unterwarfen. Das führte oft genug zu Ungerechtigkeiten, die aber als vernachlässigbar hingenommen wurden – zumindest auf laktonischer Seite. Doch der Krieg dauerte schon lange, viel zu lange. Niemand konnte sich mehr an eine Zeit erinnern, in der es keine Kämpfe gegeben hatte. Der technische Fortschritt hatte immer wieder rasante Sprünge gemacht, neu eroberte Völker hatten auf beiden Seiten nicht nur gigantischen Nachschub an Material und Technologie zur Folge gehabt – die Expansion brachte es auch mit sich, dass zumindest aus laktonischer Sichtweise die Versklavung in gewissen Grenzen blieb. Das bedeutete nicht unbedingt ein humanes Verhalten, führte jedoch zu einem sinnvollen Einsatz der vorhandenen Ressourcen. Das mochte ein Fehler sein, denn die Orathonen gingen daran, ohne Rücksicht auf Verluste ganze Sonnensysteme auszubeuten, und die Planeten als öde leere Welten ohne Leben zurück zu lassen. Immer neue Systeme mussten erobert werden, um den täglich größer werdenden Bedarf zu stillen. Ein Teufelskreis, aus dem niemand entkommen konnte. Der Gedanke an Kapitulation oder gar Frieden lag beiden Völkern so fern wie das Ende des Universums. Eines von ihnen würde schließlich untergehen, und im Augenblick deutete alles auf die Laktonen hin. Da war es nicht verwunderlich, dass jeder in sich den Wunsch hegte, das Beste zu geben, um die Niederlage aufzuhalten. Die Einstellung von Tana Velatip war daher nicht ungewöhnlich. Als Patriotin, wie es praktisch alle Laktonen waren, konnte sie gar nicht anders denken. Die Simulation, der sie sich unterziehen sollte, ging weit über das hinaus, was ein normaler Student zu absolvieren hatte. Das konnte sie jedoch nicht wissen, wie auch nicht die Hintergründe 8 �
für diesen Test. Sie wurde direkt an die Simulation angekoppelt, die Umwelt verschwand, und Tana fand sich in einem Forschungslabor wieder. Sie hatte eine schwierige Aufgabe zu lösen, bei der sie bis an die Grenzen ihres Wissens gehen musste. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Prüfungen bekam Tana jedoch im Anschluss daran keine Ergebnisse vorgelegt. Erschöpft und unzufrieden traf sie sich mit anderen Studenten zum Essen und zog sich dann in ihr Zimmer zurück. Sie versuchte ihren Instruktor zu erreichen, wurde aber regelrecht abgewimmelt. Einen ganzen Tag lang ging das so, es entsprach nicht dem üblichen Verfahren, und sie begann sich Sorgen zu machen. Tana wagte nicht mehr, ihren Raum zu verlassen, denn jeden Augenblick konnten die Ergebnisse vorliegen. Sie wollte nicht einmal mit Bordulak sprechen, der darüber nicht gerade erfreut war. Tana wurde durch hartnäckiges Läuten an der Tür aufgeschreckt. »Lass mich in Ruhe«, rief sie unwillig, weil sie dachte, dass erneut Bordulak Einlass begehrte. Doch der Besucher blieb hartnäckig und meldete sich auch nicht mit Namen. Schließlich öffnete sie unwillig. Zu ihrer Überraschung stand ein fremder Laktone mittleren Alters vor der Tür. Seine dunklen Augen musterten sie sezierend, die schmalen Lippen ließen ihn arrogant erscheinen. Die halblangen dunklen Haare hatte er im Nacken zusammengebunden. »Tana Velatip? Mein Name ist Hortek, und ich möchte gern mit Ihnen reden. Es geht um Ihre Bewerbung bei den Astronikern…« Tana runzelte die Stirn. Sie hatte sich geweigert mit dem Fremden in ihrem Zimmer zu sprechen, also waren die zwei in ein 9 �
nahe gelegenes Restaurant gegangen, das von vielen Studenten aufgesucht wurde. Hier war es laut und unruhig, der richtige Ort, um ein ungestörtes Gespräch zu führen, denn niemand konnte zuhören. Am Nebentisch diskutierten vier Leute hitzig über eine abstrakte physikalische Anomalie, aus verborgenen Lautsprechern erklang schrille Musik, Stimmengewirr wogte auf und ab. »Sie wollen mir also erzählen, dass Sie vom Geheimdienst kommen?«, fragte die junge Frau mit einem ungläubigen Lächeln. »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber so geheim können Sie und Ihr Auftrag wohl kaum sein, sonst hätten Sie bestimmt nicht so offen darüber gesprochen. Und wie kommen Sie überhaupt dazu, von meiner Bewerbung bei den Astronikern zu wissen?« »Das klingt ja fast wie eine Kampfansage«, meinte Hortek ruhig. Sein Tonfall wirkte immer, als würde er sich anderen überlegen fühlen. »Es wäre natürlich vollkommen sinnlos, würde ich jedem erzählen, wer und was ich bin. Doch ich bin natürlich aus einem bestimmten Grund zu Ihnen gekommen. Ihre Leistungen während des Studiums haben die Aufmerksamkeit vorgesetzter Stellen erregt. Aus diesem Grund wurde auch die zusätzliche Simulation angesetzt, bei der Sie sich übrigens gut geschlagen haben.« »Moment, wollen Sie damit sagen, dass nicht mein Instruktor für die Zwischenprüfung gesorgt hat? Weshalb wissen Sie mehr darüber als ich?« »Es muss Ihnen doch gleich aufgefallen sein, dass diese Simulation Ihr bisheriges Pensum weit überschritten hat. Wir wollten wissen, wie weit Sie sind, wie Sie sich unter Stress verhalten, was Sie zu leisten in der Lage sind, wenn eben diese Lage hoffnungslos erscheint.« »Und jetzt wissen Sie es?«, fragte Tana bitter. »Ich kann nicht 10 �
sagen, dass ich mich wohl dabei fühle. Eher komme ich mir vor wie ein Versuchstier in einem Labor.« »Und das sagt jemand, der versessen darauf ist, zu den Astronikern zu gehören?« Ihr Kopf ruckte hoch. »Soll das heißen, dieser Test war eine Aufnahmeprüfung, um zu den Wissenschaftlern…?« »Halt, nein, langsam, so weit sind wir noch nicht. Ich kann dazu noch nichts sagen, Tana. Zunächst einmal müssen Sie sich bewähren. Diese Wissenschaftler werden keinen Grünling in ihren Reihen dulden. Im Übrigen würden wir uns selbst ein schlechtes Zeugnis ausstellen, wüssten wir nicht, was das laktonische Volk tut und denkt. Das gilt für jeden einzelnen. Ihr Wunsch ist uns nicht verborgen geblieben.« »Was soll ich tun?« Allein die vage Aussicht darauf, zu der bevorzugten Gruppe zu gehören, ließ bei Tana jeden anderen Gedanken in einem großen schwarzen Loch verschwinden. Sie war buchstäblich bereit alles zu geben, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn sie dafür mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten musste, dann würde sie das auch ohne jeden Vorbehalt tun. Sie würde sogar auf der Stelle ihr Studium abbrechen, falls sich das als nötig erweisen sollte. Hortek bremste ihre Begeisterung aber erst einmal. »Ich habe Ihnen keine Versprechungen gemacht, Studentin Velatip. Und ich werde das auch nicht tun. Aber eine Tätigkeit für den Geheimdienst hält Ihnen alle Türen offen.« Tana verzog das Gesicht. »Sie widersprechen sich da aber selbst.« Hortek lächelte kühl, seine rosaroten Zähne waren zwischen den schmalen Lippen kaum sichtbar. »Ich denke nicht«, gab er etwas arrogant zurück. »Sie haben die große Chance Ihr unbestreitbares Talent in den Dienst unseres Volkes zu stellen. Ich biete Ihnen die Möglichkeit, nach einer 11 �
angemessenen Zeit der Bewährung, Kontakt zu den Astronikern aufzunehmen. Das heißt nicht, dass Sie damit schon einen Platz bei ihnen sicher haben, doch man wird Ihnen wohlwollend gegenüberstehen. Ich denke, das ist mehr, als Bordulak Ihnen bieten kann. Trotz seiner hohen Abstammung wird er doch nie einen wirklich wichtigen Posten bekleiden können.« »Was wissen Sie über Bordulak?« »So ziemlich alles. Es ist schließlich unsere Aufgabe, alles zu wissen. Ihr Freund besitzt keinen Ehrgeiz und hat nicht den Biss, um es wirklich weit zu bringen. Das haben Sie selbst doch auch schon bemerkt, wenn Sie ehrlich sind. Sie hingegen sind aus einem anderen Rohstoff gegossen. Sie haben den festen Willen, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern. Ich biete Ihnen diese Chance. Gibt es eine bessere Gelegenheit dem Volk der Laktonen zu dienen und sich gleichzeitig den großen Wunschtraum zu erfüllen? Sie sind eine kluge Frau, Tana Velatip, denken Sie darüber nach.« Genau das tat sie natürlich schon längst. Der Reiz dieser Aufgabe war nicht zu übersehen. Tana fühlte sich in ihrer Intelligenz herausgefordert und gleichzeitig geschmeichelt. Sie war dem Geheimdienst aufgefallen – wichtig genug, um direkt angesprochen zu werden. Trotzdem zögerte sie mit einer sofortigen Zusage, obwohl alles in ihr stolz danach schrie, dieses Angebot anzunehmen. Sie war auserwählt, einer Elite anzugehören, die seit langem daran arbeitete, das laktonische Volk im Kampf gegen die Orathonen endlich zum Erfolg zu führen. Es kam ihr nicht in den Sinn darüber nachzudenken, dass der Geheimdienst in Person von Hortek offen darüber sprach, mehr Einfluss zu besitzen als die Oberschicht des Volkes. Bordulak cor Hadalip, der doch immerhin der höheren Gesellschaftsschicht angehörte, wurde abgetan als Narr und unwichtiges Rädchen im 12 �
Getriebe, während sie selbst… Halt, nein, nicht weiter spekulieren, verbot sie sich selbst. Ein letzter Rest von klarer Überlegung hielt Tana Velatip davon ab, ihrer Begeisterung voll und ganz nachzugeben. »Wie würde dann das weitere Vorgehen aussehen?«, fragte sie bemüht sachlich. Hortek lächelte im Innern verächtlich über die Frau. Sie war nicht anders als all die anderen, die er bisher angeworben hatte. Jeder Laktone hatte seinen Preis, der eine mehr, der andere weniger hoch. Hier war es tatsächlich nur die geringe Aussicht, in einigen Jahren einer Horde verrückter Wissenschaftler anzugehören, die nichts anderes zu tun hatten als Hirngespinsten nachzujagen. Hortek glaubte nicht an die vage Möglichkeit, mit technischem Schnickschnack einen nennenswerten Vorteil über die Orathonen zu erlangen. Auch die unendlichen Raumschlachten, die Unmengen an Material verschlangen, hatten nicht wirklich Aussicht auf Erfolg. Seiner Meinung nach konnte nur eine tief greifende Untergrundarbeit die Orathonen nachhaltig schädigen. Und dazu war dem Geheimdienst jedes Mittel recht. Hortek war sicher, dass Velatip nach einer kurzen Bedenkzeit dieses unwiderstehliche Angebot annehmen würde. Er bemühte sich, ihr den weiteren Weg einigermaßen schmackhaft darzustellen. »Sie werden zunächst Ihr Studium beenden. Aufgrund der bisherigen Leistungen gehe ich davon aus, dass Sie mit Auszeichnung abschließen werden. Parallel dazu werden Sie bereits während der nächsten Studienpause ein Ausbildungslager besuchen, in dem Sie mit den Grundregeln Ihrer zukünftigen Aufgaben vertraut gemacht werden. Nach dem Studium folgt dann die eigentliche Ausbildung, später werden Sie einem Posten zugeteilt, der Ihren Fähigkeiten angemessen ist, und wo Sie sinnvolle Arbeit leisten können. Wir müssen die Orathonen aus dem 13 �
Untergrund heraus schädigen, um den Krieg gewinnen zu können.« Hortek ließ seine Worte nachwirken. Er hatte gerade die Standardprozedur geschildert, die er selbst als äußerst langweilig empfand. Für Tana mochte das jedoch Anreiz genug sein – vorerst. »Und wann werde ich dann die Möglichkeit erhalten, zu den Astronikern zu stoßen?«, forschte sie nach. Hortek seufzte innerlich. Hatte sie denn wirklich keinen anderen Ehrgeiz? »Nach einer angemessenen Zeit werden wir alle Mühe darauf verwenden, den Kontakt herzustellen. Es wird jedoch an Ihnen selbst liegen, die Wissenschaftler davon zu überzeugen, Sie auch zu nehmen. Falls Sie bis dahin jedoch noch immer ein so großes Interesse daran haben, wird Ihnen das sicherlich gelingen.« Er drückte sich absichtlich unklar aus. In einigen Jahren konnte sich die Situation grundlegend geändert haben, niemand konnte zu diesem Zeitpunkt eine Prognose abgeben. Der Offizier musterte die schöne junge Laktonin. Ein bisschen naiv war sie, trotz ihrer hohen Intelligenz. Aber allein mit ihrem guten Aussehen mochte es ihr zu Anfang schon gelingen, kleine Erfolge als Agentin zu haben. Jetzt brauchte er nur noch ein bisschen Geduld. »Ich werde darüber nachdenken«, versprach Tana und erhob sich etwas abrupt. »Bis wann brauchen Sie eine Antwort?« »Das liegt allein bei Ihnen«, sagte er zufrieden. Auf keinen Fall würde er sie jetzt drängen, auch das gehörte zu seiner Taktik. Die zukünftige Agentin sollte tatsächlich das Gefühl haben, sich eigenständig entscheiden zu können, auch wenn dem längst nicht so war. Sollte sie tatsächlich den Nerv haben, jetzt ablehnen zu wollen, würde man andere Mittel finden, um sie mit Druck doch noch zu zwingen. Das Reich konnte sich keinerlei 14 �
Verschwendung leisten; eine Frau wie Velatip an irgendeine Forschungsstation zu verlieren wäre nicht zu verantworten. Mit einem rätselhaften Lächeln erhob auch er sich. Hortek besaß eine athletische Figur und seine Bewegungen wirkten irgendwie katzenhaft. »Haben Sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Tana Velatip. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass dieses Gespräch vertraulich bleiben sollte. Hier ist der Code für meinen Com-Anschluss. Sobald Sie sich entschieden haben, geben Sie mir eine kurze Meldung.« Er gab ihr einen schmalen Kunststoffstreifen, drängte sich durch die Menge und verschmolz im nächsten Augenblick mit der Umgebung. Tana starrte eine Weile ins Leere, ihre Gedanken purzelten wild durcheinander, doch immer mehr drang eine einzelne Idee durch. Sie würde zu den Astronikern gehören – alles andere war nebensächlich.
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2. � »Wer war das, mit dem du im Restaurant gesprochen hast?« Bordulak legte besitzergreifend seinen Arm um die Schultern seiner Freundin. Tana wunderte sich kaum über die Frage. Auf dem Gelände der Universität, wozu auch das Gebiet nebenan gehörte, konnte nichts wirklich geheim bleiben. Man kannte sich untereinander, und ein Fremder fiel sofort auf. Daher war es fast normal, dass Bordulak Fragen stellte. Jedermann war über die Freundschaft des Adligen mit der jungen Studentin informiert. Ganz sicher hatten es einige der Klatschmäuler kaum erwarten können, dem Spross einer der großen Familien zu berichten, dass seine Freundin sich mit einem anderen Mann traf – mochte dieses Treffen auch noch so öffentlich gewesen sein. So war unschwer zu erkennen, dass Bordulak von Eifersucht geplagt wurde. Aber Tana hatte sich nichts vorzuwerfen. Gerade weil das Treffen in aller Öffentlichkeit stattgefunden hatte, hatte sie ein reines Gewissen. Anders sah es schon aus mit der Erklärung, um wen es sich gehandelt hatte. Sie hatte überlegt Hortek als Verwandten vorzustellen, war jedoch schnell von diesem Gedanken abgewichen. Es wäre zu leicht zu überprüfen, dass es sich um eine Lüge handelte. »Das war jemand vom Wissenschaftlichen Studienrat. Mein Instruktor hatte die zusätzliche Zwischenprüfung angeordnet, wie du weißt, und ich wurde jetzt über die Ergebnisse informiert.« Bordulak runzelte die Stirn. »In einem Restaurant?«, fragte er 16 �
misstrauisch. Tana seufzte und entschloss sich, die Lüge noch zu erweitern. »Ja, warum nicht? Ich habe dir doch gesagt, dass ich zu den Astronikern gehen will. Also habe ich schon einen Antrag gestellt, um dort wenigstens gehört zu werden. Dieser Antrag ist beim Wissenschaftlichen Studienrat gelandet. Und gerade um Eifersucht zu vermeiden, habe ich vorgeschlagen, dass wir ganz offen darüber reden.« »Du hast den Kopf in den Wolken«, warf er ihr vor. Sein Körpergeruch wurde mit einem Mal schärfer, Zeichen seines Unmuts. »Reicht es dir denn wirklich nicht, mit mir zusammen eine sichere Zukunft aufzubauen? Was soll dann dieser Unsinn mit den Astronikern? Die werden mit Sicherheit kein Interesse daran haben, einen Grünling wie dich auch nur anzusehen. Ich bin überzeugt, dieser Abgesandte vom Wissenschaftlichen Studienrat hat dir das auch klar gemacht. Komm zurück in die Realität, Tana. Du kannst noch so viele Prüfungen machen, wie du willst, du hast keine Chance. Hör zu, mein Onkel ist im Planetarischen Siedlungsrat. Ich bin gern bereit mit ihm zu reden, damit er dir klarmacht, dass du einem nutzlosen Wunschtraum nachhängst. Aber danach muss endgültig Schluss sein mit diesem Unsinn, verstehst du? Ich brauche eine Frau, die voll und ganz hinter mir steht und mich in meiner Karriere unterstützt. Du wist noch genug Gelegenheit bekommen, mit wissenschaftlichen Arbeiten zu glänzen. Aber nicht bei den Astronikern. Wir werden uns nach meiner Dienstzeit in der Raumflotte auf einem netten kleinen Planeten niederlassen, wo ich als Repräsentant meine Arbeit mache. Du kannst, wenn du wirklich willst, dann immer noch Forschung durchführen.« Er holte tief Luft nach dieser langen Rede und erwartete, dass Tana jetzt zufrieden und gehorsam den Kopf senken würde. Zu seiner Überraschung reagierte sie jedoch ganz anders. 17 �
In Velatip zerbrach in diesem Augenblick jedes Gefühl, das sie für Bordulak empfunden hatte. Er wollte über ihre Zukunft bestimmen? Seinetwegen sollte sie alle ihre Träume begraben? Ausgerechnet jetzt, wo sie das Angebot ihres Lebens erhalten hatte? Nein, auf keinen Fall. Sie würde sich nicht irgendwo in einem relativ sicheren Labor einsperren lassen, um von Zeit zu Zeit seine mageren Erfolge bei der Verwaltung oder in einem Raumschiff zu bewundern. »Wenn du glaubst, dass du dich benehmen kannst wie der orathonische Diktator persönlich, dann passen wir nicht zusammen«, erklärte sie kalt und abweisend. »Geh und such dir eine Frau bei unseren Feinden… die gehorchen aufs Wort, habe ich mir sagen lassen. Ich habe das jedenfalls nicht vor. Vielen Dank auch, aber auf die Protektion deines Onkels kann ich gut verzichten. Man hat mir bereits ein Angebot gemacht, das besser ist als alles, was du vorschlagen könntest. Bis gerade eben war ich mir nicht ganz sicher, aber jetzt werde ich dieses Angebot annehmen. Geh, Bordulak cor Hadalip, geh und komm nicht wieder.« Sie spürte, dass ihr ungewollt Tränen in die Augen traten, auch ihr Körpergeruch nahm stark zu, und sie wusste, dass dieses verräterischen Zeichen dem Mann nicht entgingen. Deshalb öffnete sie die Tür von ihrem Quartier, wo das Gespräch stattfand, und ging hinaus auf den Flur. Sie musste jetzt allein sein. Bordulak starrte ihr verblüfft hinterher. Was hatte sie gesagt? Er sollte gehen? Nein, auf keinen Fall würde eine Frau mit ihm Schluss machen. Dieses Recht stand allein ihm zu. Doch Tana lief schon längst den Flur entlang und strebte dem Transportband zu, mit dem sie das Gelände verlassen konnte. »Tana!«, brüllte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »Tana, komm sofort zurück. Wir müssen darüber reden. Du kannst jetzt nicht einfach davonlaufen. Tana!« 18 �
Sie blieb einen Moment stehen, drehte den Kopf etwas und blickte über die Schulter zurück. »Es gibt nichts mehr zu sagen, Bordulak. Du hast deine Meinung klar ausgedrückt, und ich habe eine Entscheidung getroffen. Ab sofort gehen wir getrennte Wege, unsere Verbindung war nichts weiter als ein Irrtum. Komm nie wieder zu mir.« Einige andere Studenten blieben stehen und lauschten ganz offen neugierig. Tana war das egal. »Diese Sache ist noch lange nicht vorbei. Es wird dir noch leid tun, was du heute gesagt und getan hast«, drohte er. Wütend schlug er mit der geballten Faust gegen die Wand und schrie eine Reihe malerischer Flüche in die leere Luft. Einige der Studenten machten eindeutige Zeichen, man zweifelte am Geisteszustand des Mannes. Einer der Männer legte Bordulak mitfühlend eine Hand auf die Schulter, doch er schüttelte sie zornig ab. In seinem Kopf formten sich Rachegedanken, er schmiedete jede Menge Pläne. Auf jeden Fall würde er sämtliche Beziehungen seiner Familie ausnutzen, um diese Frau zu vernichten. Niemand gab ihm ungestraft den Laufpass. »Ich bitte um Entschuldigung, aber ich bin hier, um einen ersten Eindruck zu gewinnen.« Tana fühlte sich etwas verloren und gleichzeitig bedrängt. Das so genannte Ausbildungscamp, das sie jetzt in der Studienpause besuchte, erinnerte sehr stark an eine Kaserne, in der Rekruten von vorgesetzten Offizieren einem erbarmungslosen Drill unterworfen wurden. Davon hatte ihr niemand etwas gesagt. Hortek hatte Tana auf dem Weg zu dieser abgelegenen Welt begleitet und hielt sich jetzt im Besuchertrakt der Anlage auf. Tana hingegen sollte sich etwas mit dem Gelände vertraut machen und war bei ihrem Rundgang von einem Offizier scharf angefahren worden. »Es gibt hier keine Eindrücke. Es gibt nur Befehl und Gehor19 �
sam. Zu welcher Einheit gehören Sie?« Er baute sich in strenger Haltung vor ihr auf und musterte sie voller Abscheu. »Ihre Kleidung ist nicht vorschriftsmäßig, und Meldung haben Sie auch keine gemacht. Was hat man Ihnen denn bisher beigebracht?« »Bei allen Göttern!« Tana funkelte den Mann wütend an. Wenn sie hier eine Ausbildung bekommen sollte, dann konnte sie gut darauf verzichten. »Ich bin nicht hier, um mich von Ihnen herumkommandieren zu lassen. Noch nicht jedenfalls, und ich lege auch in Zukunft keinen Wert darauf. Ich will mich hier umsehen, dann kehre ich zu meinem Studium zurück. Und jetzt geben Sie den Weg frei.« Zu ihrer Verblüffung begann der Mann zu lachen. »Gut gekontert, Kadett, aber falsche Antwort.« Sie öffnete den Mund, um noch einmal zu protestieren, da legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter. Hortek war unbemerkt aufgetaucht, genau im richtigen Moment, um eine Eskalation dieser Situation zu vermeiden. »Dies ist Tana Velatip«, stellte er vor und machte eine Handbewegung zu dem Mann hin. »Und das ist Lamos Bulgar, der beste Ausbilder, den der Geheimdienst sich wünschen kann. Ich hoffe, er hat Sie nicht gleich zusammengefaltet.« »Schlimmer«, erklärte Tana. »Er hat mich behandelt wie ein Kleinkind – oder noch ärger, wie einen Gegenstand. Dabei habe ich ihm gesagt, dass ich nicht hierher gehöre.« »Niemand, der nicht hierher gehört, hält sich hier auf. Sie werden also in absehbarer Zeit hier Quartier nehmen und Ihre Ausbildung beginnen«, widersprach Bulgar. »Hier?«, fragte sie entsetzt. Hortek nickte. »Es ist der beste Ort, um alles zu lernen, was eine Agentin wissen und können muss. Niemand kann vorhersagen, wo Ihr Einsatzort sein wird, oder welche Gefahren möglicherweise auf Sie lauern. Hier bekommen Sie alles Wissen ver20 �
mittelt, was Ihnen das Leben retten kann. Im Gegensatz zu den meisten Rekruten werden Sie keine drei Jahre der Ausbildung brauchen, denke ich. Vielleicht wird schon ein halbes Jahr genügen, wenn Sie sich nicht gerade dumm anstellen.« Tana schluckte schwer. Ihre Blicke wanderten von den beiden Männern über die Anlage hinweg, streiften eine Gruppe junger Laktonen, die mit heftigen Bewegungen Gymnastik trieben, und blieben schließlich auf dem Boden haften. Ihre Fäuste öffneten und schlossen sich, dann stieß sie zischend die Luft aus. Wenn die Ausbildung dazu führte, dass sie irgendwann ihren Traum verwirklichen konnte, dann musste es eben sein. »Gibt es keinen anderen Ort, an dem ich…?« Tana vollendete ihren Satz nicht, als sie in das Gesicht ihres zukünftigen Führungsoffiziers sah. Nein, hier oder gar nicht. Sie bekam trotzdem ein Gefühl dafür, wichtig zu sein, sonst würde man nicht dafür sorgen, dass sie das Beste und Härteste bekam. »Sie dürfen Ihren Rundgang fortsetzen. In Gegenwart eines Vorgesetzten werden Sie sich allerdings in Zukunft korrekt melden.« Bulgar nannte die notwendigen Daten, übergab ihr eine ID-Karte und nickte zum Abschied. »Ich erwarte in Kürze Ihren Antritt als Rekrut. Sie dürfen sicher sein, dass ich Sie nicht einen Augenblick schonen werde.« Bulgar und Hortek, die sich gut zu kennen schienen, entfernten sich und ließen sie zurück. Das hier war etwas anderes als das lockere Leben an der Universität. Nicht nur der Körper musste topfit gehalten werden – als Tana durch die Station ging, stellte sie fest, dass sie viel lernen musste. Hortek bestand darauf, dass Tana bereits am nächsten Tag mit dem ersten Unterricht begann. Sie sollte keine Zeit verschenken. Sie konnte natürlich eine qualifizierte wissenschaftliche Ausbildung vorweisen, aber sie besaß bislang keine Ahnung davon, wozu die Technik diente, die alle Laktonen so gedankenlos 21 �
benutzten. Tana hatte genau 20 Tage Zeit, um etwas zu lernen, bevor das Studium wieder begann. 20 Tage, in denen sie feststellte, dass selbst harmlose Gegenstände zu einer Waffe werden konnten. Der Raum war karg eingerichtet. Ein Tisch, zwei Stühle, eine Kommode an der Wand, eine verschlossene Tür, kein Fenster. Von der Decke her kam grelle, indirekte Beleuchtung, zwei Personen saßen am Tisch. Tana Velatip war eine von ihnen, sie lauschte aufmerksam den Instruktionen, die der Mann vor ihr von sich gab. Der Fremde hatte sich nicht vorgestellt. Er besaß ein Durchschnittsgesicht, keine auffälligen Merkmale, gleich welcher Art, er verschwand ganz einfach in der Menge, ohne dass sich jemand seiner erinnern würde. Auch Tana hätte nichts über ihn zu sagen gewusst, wäre sie aufgefordert worden, den Mann zu beschreiben. Er öffnete einen kleinen Koffer aus einem ihr unbekannten Material und holte eine glänzende, handtellergroße Scheibe heraus. »Hier, sehen Sie«, sagte er und reichte ihr den glitzernden Gegenstand. Ein kleines Stäubchen störte den makellosen Gesamteindruck, unwillkürlich wischte sie mit dem Finger darüber und wunderte sich über das leise Lachen ihres Gegenübers. »In diesem Augenblick haben Sie wahlweise ein tückisches Gift oder einen Mini-Spion direkt über die Haut aufgenommen.« Erschreckt zuckte sie zusammen, entspannte sich dann aber wieder. Dies hier war nur eine Übung. Der Fremde blickte sie wieder kalt an. »Es ist ausgesprochen leicht, mit Bomben im Gigatonnenbereich aufzuwarten oder eine ganze Flotte Raumschiffe durch die Galaxis zu hetzen. Doch oft genug erweist es sich als wichtiger, eine einzelne Person zu bespitzeln oder auch zu töten. Hier 22 �
kommt der Vorteil der Miniaturisierung ins Spiel.« »Aber ich will nicht töten. Ich bin Wissenschaftlerin«, protestierte Tana schwach. »Das eine schließt das andere nicht aus. Und Skrupel sind etwas, was Sie besser schnellstens ablegen, die sind nämlich sehr hinderlich. Sie würden doch nicht ernsthaft zögern einen Orathonen zu töten, oder?« »Nein«, gab sie doch etwas zögernd zurück. »Nein, die Orathonen sind unsere Todfeinde, die selbst keine Gnade kennen. Natürlich würde ich nicht zögern.« »Und einen Laktonen?«, wollte er lauernd wissen. »Einen Verräter an unserem Volk? Jemanden, der selbst keine Skrupel besitzt, unsere Geheimnisse an die Todfeinde weiterzugeben?« Sie schwieg einen Moment, nickte dann aber. »Wenn er den Tod verdient hat, würde ich das natürlich tun. Es ist eine Frage der Notwendigkeit.« »Sie werden noch eine ganze Menge lernen müssen, Rekrut Velatip. Jemand, der erst die Notwendigkeit für den Tod eines Verräters feststellen muss, ist fehl am Platze.« »Aber ich…« »Nichts aber«, donnerte er. »Offenbar haben Sie bis jetzt noch immer nicht begriffen, dass es sich hier nicht um ein Spiel handelt. Es ist tödlicher Ernst. Im Einsatz haben Sie keine Zeit darüber nachzudenken, ob die Notwendigkeit noch in Frage gestellt ist. Da heißt es, Ihr Leben, oder das des Gegners. Wenn Sie erst anfangen wollen zu überlegen, können Sie sich auch gleich hier und jetzt erschießen, dass erspart uns eine Menge Kosten für Ihre Ausbildung und verschwendet nicht meine Zeit.« »Das ist ungeheuerlich. Ich werde sicher niemanden ermorden, nur auf einen Verdacht hin, das widerspricht dem ethischen Empfinden aller Laktonen«, fuhr sie auf. »Ihre grenzenlose Dummheit ist ungeheuerlich. Wer ist nur auf 23 �
die Idee gekommen einen Eierkopf wie Sie anzuwerben? Lassen Sie uns eines von vornherein klarstellen, Rekrut: Sie werden innerhalb der nächsten Tage alles vergessen, was Sie jemals über Mord, Moral oder gar Ethik gelernt haben. Unsere Gesellschaft ist seit Jahrtausenden von Krieg und Gewalt geprägt, und Sie haben tatsächlich noch ethische Bedenken?« Er stand auf, riss Tana vom Stuhl hoch und schlug ihr hart ins Gesicht. Sie taumelte zurück und hielt sich entsetzt das Gesicht. »Was soll das?« Aufflackernde Angst tanzte in ihren Augen, sie wich noch weiter zurück, bis sie dicht an der Wand stand. Hier gab es kein weiteres Zurück mehr. Der drohende Gesichtsausdruck des Fremden verhieß nichts Gutes, Tana musste weitere Schläge einstecken und wimmerte vor Schmerz. Blut rann ihr aus einer Wunde an der Stirn. Die Verachtung, die in den stummen Blicken des Mannes lag, war jedoch weit schlimmer als die Schläge, die er austeilte. Verachtung konnte sie nicht ertragen. Sie hatte nichts getan, um auf diese Weise gestraft zu werden. Tana ballte die Fäuste, duckte sich plötzlich weg und begann zurückzuschlagen. Natürlich besaß sie gegen den sportlich durchtrainierten und bestens ausgebildeten Mann keine Chance, aber sie wollte sich auch nicht länger tatenlos als Opferlamm darstellen. Unkoordiniert und wenig effektiv wehrte sie sich, bis er schließlich mühelos ihre Hände festhielt und sie so bändigte. »Es hat ziemlich lange gedauert, bis Ihre Überlegungen Sie dazu geführt haben zurückzuschlagen. Im Ernstfall wären Sie längst tot.« »Ich hasse Sie«, brüllte Tana und versuchte sich aus dem harten Griff zu befreien. »Gut, sehr gut«, erklärte er und lachte auf. Mühelos zwang er sie, sich wieder auf den Stuhl zu setzen. »Beruhigen Sie sich wieder. In der nächsten Zeit werden Sie noch öfter von Hass heimgesucht werden. Sie müssen lernen, diese Gefühle zu kanalisie24 �
ren und in konkrete Handlungen umzusetzen. Danach kommt die Phase, in der Sie lernen, diese Emotionen auch zu verbergen.« »Das ist ja wie eine Gehirnwäsche«, protestierte Tana entsetzt. Der Mann setzte sich hin und fixierte sie. Völlige Ruhe strahlte er aus, und sogar ein gewisses Mitgefühl schimmerte in seinen Augen. »Sagen Sie, Velatip, was haben Sie sich eigentlich vorgestellt unter dem Begriff Geheimdienst? Ab und zu vertrauliche Gespräche, verstohlene Blicke und geheimnisvolle Verfolgungen durch den Weltraum? Dann sind Sie wirklich nur naiv. Der Geheimdienst übernimmt die Schmutzarbeit, von der andere nicht einmal etwas wissen wollen. Machen Sie sich das klar. Je früher, umso besser. Und nun gehen Sie, und ruhen Sie sich etwas aus. In etwa einer Stunde machen wir weiter. Sie haben schließlich nur wenige Tage, um diesen Grundkursus abzuschließen. Später erwarte ich von Ihnen einen Abschluss Ihres Studiums mit Auszeichnung. Zeigen Sie mir, dass Sie wenigstens in einem Punkt kein Versager sind.« Die Tür glitt fast lautlos hinter ihm zu, Tana schlug die Hände vor das Gesicht. Sollte das noch länger so weitergehen mit den Demütigungen? War sie tatsächlich so naiv und unwissend? Eine schwache innere Stimme sagte ihr, dass sie jetzt nicht so einfach aufgeben durfte. Was auch geschah, sie musste durchhalten. Eine Stunde war nicht viel Zeit, sie sollte sich beeilen, um etwas zu essen und sich frisch zu machen. Offenbar fand die Ausbildung rund um die Uhr statt. Eine erste Lektion hatte Tana jedenfalls schon gelernt. Sie durfte keine Schwäche zeigen. *
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12. Bakhtiur im Zeichen der Umji (auf der Erde schreibt man Februar 1983) Strahlend gratulierte der Präsident der Universität seiner besten Studentin. Tana Velatip hatte alle Prüfungen fast im Vorbeigehen gemeistert und ihre Instruktoren immer wieder aufs Neue verblüfft. Die übrigen Studenten, die zur Abschlussfeier vollständig erschienen waren, klatschten Beifall, als Tana die verdiente Urkunde in Empfang nahm. Hier an der Universität wurden noch uralte Traditionen gepflegt, trotz des hoch entwickelten technischen Standards gab es Ausdrucke auf Folien, kostbar ausgestattet und von dauerhafter Qualität. »Mein liebes Kind«, erklärte der Präsident jovial und legte ihr gönnerhaft einen Arm um die Schulter. »Was werden Sie als nächstes tun? Sicher haben Sie schon feste Vorstellungen, wie Sie in Zukunft Ihrem Volk dienen wollen? Lassen Sie uns teilhaben an Ihrer Vorfreude.« Tana hatte nicht vor, dem arroganten Mann anzuvertrauen, dass sie in Zukunft für den Geheimdienst arbeiten würde. Eine solche Frage war jedoch zu erwarten gewesen, und sie hatte sich selbstverständlich vorbereitet. »Ich werde innerhalb der Flotte eine Aufgabe übernehmen. Ein Fronteinsatz ist noch nicht vorgesehen, aber ich werde mein Bestes geben.« So nichts sagend diese Auskunft war, wurde sie doch wieder mit Beifall aufgenommen. Ein letztes Mal betrat Tana ihr Quartier. Jeder Raum im Studentenwohnheim war an das stellare Kommunikationssystem angeschlossen, auf dem Monitor blinkten zahlreiche Symbole: eine Menge Nachrichten waren eingegangen, auch von ihren Eltern waren Glückwünsche eingetroffen. Ihr Vater befehligte ein Geschwader direkt an der Front, ihre Mutter arbeitete in der Planetaren Verwaltung. Beide hatten keine Möglichkeit ihre Tochter zu besuchen, doch sie legten auch keinen großen Wert 26 �
darauf. Tana war schon frühzeitig mit ihrer Begabung aufgefallen und hatte die Familie bereits als Kind verlassen, um zu lernen. Schade war nur, dass die beiden sich nicht die Mühe gemacht hatten, mit ihrer Tochter direkt zu sprechen, die Nachrichten wirkten unpersönlich und wenig familiär. Aber da war ja auch noch Hortek, ihr Führungsoffizier – der Mann, der mehr über sie wusste, als jeder andere sonst. Als Tana mit ihren wenigen Habseligkeiten aus dem Gebäude trat, wartete Hortek schon auf sie. Wie immer wirkte er kühl, beherrscht und etwas arrogant. Aber er war stolz auf sie, was man deutlich sehen konnte – so als habe er nicht geringen Anteil an ihrem Erfolg. »Wir sollten uns beeilen, um keine Zeit zu verlieren. Ihre Ausbildung kann endlich beginnen.« Tana hatte plötzlich Angst. Hortek war ein gutes Beispiel für das, was aus einem Laktonen werden konnte, der sich voll und ganz den Regeln des Geheimdienstes unterwarf. Besaß dieser Mann überhaupt noch so etwas wie eine eigene Persönlichkeit? Er konnte ungeheuer charmant sein, wenn es seinen Zwecken diente. Dann flog sogar manchmal ein echtes Lächeln über sein Gesicht. Im Allgemeinen jedoch war Hortek überheblich und arrogant, ließ Tana immer wieder spüren, dass er sich ihr hoffnungslos überlegen fühlte. Sie kam sich ihm gegenüber manchmal wie ein kleines Kind vor, dumm, unwissend und verängstigt. Da nutzte es gar nichts, wenn sie sich selbst sagte, dass sie durchaus eine kluge junge Frau war, eine Wissenschaftlerin, die sich nichts vormachen lassen musste. Dieses Gefühl des Versagens saß tief und fest in ihr. Hortek bestimmte über sie – jedenfalls seit dem Tag, an dem sie sich entschieden hatte, sein Angebot anzunehmen. Sie war mittlerweile dankbar, wenn er durch kleine Zeichen zu verstehen gab, dass er zufrieden mit ihr war. Auch die restliche Zeit ihres Studiums war von häufigen Besu27 �
chen des Mannes geprägt gewesen, er hatte sie nicht wieder von der Angel gelassen, seit sie ihm ihr Einverständnis gegeben hatte. Tana hatte Angst vor der Zukunft. Nach allem, was sie bis jetzt über das Ausbildungscamp erfahren hatte, würde ihr Leben von nun an ganz sicher nicht einfacher werden. Aber sie dachte nicht einen Augenblick daran, von der Vereinbarung wieder zurückzutreten. Das würde ihre Chancen, jemals einen Platz bei den Astronikern zu erlangen, bis ins Bodenlose fallen lassen. Hortek fasste mit festem Griff ihren Oberarm und zog sie energisch mit sich. Der Raumhafen war hoffnungslos überfüllt, alle Studenten der Abschlussklasse hatten ihre Familien hier, und nun wollten alle so schnell wie möglich zurück auf ihre Heimatplaneten. Der Passagierbetrieb war heftig ins Stocken geraten, und es würde wohl noch Stunden dauern, bis sich alles wieder normalisiert hatte. Doch der Agent zog sie mit sich in einen abgeschirmten Bereich. Keine Kontrollen, keine Trauben von Laktonen, die sich drängten, stattdessen stand auf der Landefläche ein kleines Raumschiff, das Tana vom Typ her nicht einordnen konnte. »Wo ist die Besatzung?«, fragte sie verwirrt, als sie feststellte, dass außer ihr und Hortek niemand an Bord war. Der Agent schloss die Luken, meldete sich mit einem Impuls von der örtlichen Kontrollstation ab und startete. »Wir sind die Besatzung«, erklärte er in aller Seelenruhe. »Und wohin fliegen wir?« »Nun, ich denke, wir sollten den schnellsten Weg nach Catalo einschlagen, wo sich das Ausbildungscamp befindet. Es sei denn, Sie möchten vorher einige Umwege machen.« »Wie soll ich das verstehen?« »Sie werden dieses Raumschiff fliegen.« »Aber – aber ich habe keine Pilotenlizenz für diese Klasse. 28 �
Dafür braucht man…« »Wer spricht denn hier von einer Lizenz?«, unterbrach er sie hart. »Ich sagte, Sie sollen fliegen, nicht bürokratische Hemmnisse beseitigen. Dazu kommen wir später noch.« Etwas ratlos betrachtete Tana die Kontrollen. Natürlich hatte sie schon Landeteller, die üblichen Fluggeräte innerhalb einer Planetenatmosphäre, geflogen – die Theorie war ihr also nicht unbekannt. Aber im Weltraum zu navigieren, auch wenn jede Menge technischer Hilfsmittel vorhanden waren, erforderte mehr als bloßes Fliegen. Im Grunde war auch die Navigation nichts anderes als ein mathematisches Problem, also konzentrierte sich sie auf die nahe liegenden Fragen. Es dauerte nicht einmal lange, bis sie die Strecke nach Catalo errechnet hatte. Jetzt kam es nur noch darauf an, mit den Kontrollen des kleinen Raumschiffs zurechtzukommen. Hortek verschränkte die Arme und betrachtete sie. Er mischte sich nicht ein, gab ihr keine Hilfestellung, kommentierte auch nichts. Als Tana die Schaltungen vornahm, um den Kurs zu programmieren, ließ sich der Agent gemütlich in einen Sessel fallen – und schlug blitzschnell auf den Knopf, der das Schiff in einen unkontrollierten Hyperraumsprung zwang. »Was tun Sie da?«, rief Tana entsetzt und starrte hilflos auf den jetzt unbekannten Raumsektor. »Nun, Velatip, es ist leicht, zwischen zwei bekannten Punkten zu rangieren. Hier haben Sie eine echte Herausforderung. An die Arbeit, Rekrut.« Der letzte Satz kam mit ätzendem Sarkasmus, Tana fühlte sich zutiefst verletzt. Aber Protest hatte natürlich keinen Zweck.
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3. � 2. Malghu im Zeichen der Orobar � (auf der Erde schreibt man Dezember 1985) � Völlig ausgepumpt lag Tana auf ihrem Bett. Körperlich und geistig war sie leer, und sie wünschte sich in diesem Augenblick nichts weiter, als tot zu sein. Dann könnte sie keinen Schmerz mehr empfinden, niemand würde ihr mehr Fragen stellen, und sie musste sich dann auch nicht mehr bewegen. Hatte sie sich tatsächlich gewünscht eine der Besten, nein, die Beste zu sein? Dann war dieser Wunsch absoluter Irrsinn gewesen. Sie würde alles hinwerfen, Hortek in das arrogante, beherrschte, überlegene Gesicht lachen und die Vereinbarung ein für allemal vergessen. Es musste auch noch andere Möglichkeiten geben, zu den Astronikern zu kommen. Dabei hatte Tana schon fast vergessen, was eigentlich ihr Antrieb gewesen war, sich dieser Tortur zu unterziehen. Die Ausbildung forderte sie bis an die Grenzen. Das war mehr als ein Laktone geben konnte. Sie fragte sich flüchtig, warum die anderen Rekruten nicht auch so gequält wurden, aber das lag mit Sicherheit daran, dass Hortek in ihrem Fall einen Großteil der Ausbildung selbst übernommen hatte. Er forderte immer mehr, ließ keine Schwäche gelten und schaffte es, ihren Ehrgeiz selbst dann noch weiter anzustacheln, wenn sie eigentlich schon aufgeben wollte. Nie kam ein Lob über seine Lippen, keinerlei Anerkennung, außer gelegentlich einem Blick, der ihr sagte, dass sie nicht vollständig versagt hatte. Das war nicht das Leben, das sie sich erträumt hatte. Nein! 30 �
Schluss damit! Sie wollte seine Kälte und Arroganz durchbrechen, er sollte die Beherrschung wenigstens einmal ein bisschen verlieren, wenn sie ihm lächelnd erklärte, dass sie genug hatte und nach Hause wollte – wo auch immer das für sie sein mochte. Ihre Eltern besaßen kein Haus und nutzten die offiziellen Einrichtungen, waren im Übrigen ohnehin ständig im Einsatz und benötigten keinen festen Wohnort. Egal, dann würde sie sich eben ein Zuhause suchen und schaffen. Nur weg von hier. Sie hatte genug. Genau das alles wollte sie Hortek ins Gesicht schleudern. Aber nicht jetzt, nicht heute. Tana stöhnte, als sie sich bewegte. Ein heißes Bad und eine Massage wären genau richtig, aber selbst dafür war sie zu erschöpft. Das Blut rauschte in ihren Ohren, jeder Herzschlag hämmerte mit Gewalt durch die Adern, vor den Augen tanzten bunte Schlieren. Nur so konnte es passieren, dass jemand unbemerkt ihr Zimmer betrat. Sie schrak auf und ging automatisch in Abwehrstellung, als sie die Anwesenheit einer anderen Person spürte, ungeachtet der wild tobenden Schmerzen in ihren Muskeln. »Das habe ich erwartet, Velatip, zumindest die Abwehr sollte bei Ihnen funktionieren, wenn Sie schon vorher nichts merken. Es mag nicht viel sein, aber ich sehe, dass ein kleines Stück aus dem Grundkurs bei Ihnen hängen geblieben ist. Entspannen Sie sich etwas, ich habe nicht vor, Sie anzugreifen.« »Können Sie mir nicht einmal etwas Ruhe gönnen?«, fragte sie patzig. »Ich weiß, dass ich mehr leiste als die anderen Rekruten, und ich weiß, dass ich besser bin. Dann muss mir wenigstens auch mal eine Ruhepause gestattet sein.« Er betrachtete sie wie ein seltenes Insekt. »Höre ich recht? Sie halten sich für besser als andere? In welcher Welt leben Sie eigentlich? Und Sie protestieren gegen meine Anweisungen? 31 �
Unglaublich. Velatip, ich bin es, der Ihnen sagt, ob und wann Sie gut sind, wann auch immer das sein mag. Ich bin es, der bestimmt, wann Sie eine Pause erhalten. Und ich allein bin es, dem ein Urteil darüber zusteht, was Sie tun, und wie Sie es tun.« Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, ihm all das ins Gesicht zu schleudern, was ihr so lange schon auf der Seele lag. Aber Tana war jetzt viel zu sehr damit beschäftigt, sich auf den Füßen zu halten und dem drohenden Zusammenbruch vorzubeugen. »Sie sehen schrecklich aus, Velatip«, stellte Hortek genüsslich fest. »Sie sollten etwas dagegen unternehmen. Ich bin eigentlich nur hier, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie in zwei Tagen mit mir zusammen zu einem kleinen Einsatz aufbrechen. Natürlich liegt keine große Verantwortung auf Ihnen. Sie werden mich begleiten und ein paar Hilfsarbeiten ausführen, um ein Gespür für die Arbeit an sich zu bekommen. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, aus Ihnen eine brauchbare Agentin zu formen. Sie dürfen morgen Ihre Pflichten auf ein Minimum reduzieren, dafür erwarte ich aber volle Motivation und werde keine Fehler tolerieren.« Als ob er das jemals getan hätte. »Ein Feldeinsatz? Ich? Jetzt? Aber warum?«, fragte sie völlig überrumpelt. »Weil selbst Sie einmal damit anfangen müssen, etwas draußen in der großen bösen Welt zu lernen«, erklärte er ironisch. Tana war wie erschlagen. Das warf doch alle ihre Pläne wieder über den Haufen. Hatte sie nicht gerade noch vorgehabt, alles hinzuwerfen? Jetzt plötzlich hatte sie das Gefühl, es könnte gar nicht schnell genug gehen, um mit Hortek zusammen in den Einsatz zu gehen. Sie nickte nur stumm und erklärte sich so einverstanden. »Dann versuchen Sie, übermorgen wenigstens ein bisschen besser auszusehen. Ich möchte nicht den falschen Eindruck 32 �
erwecken, als hätte ich eine halb verhungerte gequälte Sklavin an meiner Seite.« Er wartete keine weitere Erwiderung ab, sondern verließ das winzige Quartier wieder. Tana fiel auf ihr Bett und schlug vor Wut und Demütigung auf die Kissen ein. Konnte er denn nicht einmal ein freundliches Wort für sie finden? Selbst ein Roboter wurde besser behandelt. Aber sie war so erschöpft, dass sie im nächsten Moment schon einschlief, ohne sich noch lange auszumalen, was sie alles mit Hortek anstellen würde, sollte sie die Gelegenheit dazu haben. Den freien Tag vor dem Abflug hatte Tana genutzt, um sich mit dem Planeten Fermanagh und dem geplanten Einsatz vertraut zu machen. Der Flug würde mit einem kleinen Raumschiff von Catalo wegführen, auf einem der großen Raumhäfen wollten Tana und Hortek dann in einen ganz normalen Passagierraumer umsteigen. Auf Fermanagh würden sie als offizielle Delegation für den Handel ein Hotel beziehen und Gespräche mit Beauftragten des Handelsministeriums führen. Fermanagh war ein besonderer Planet zwischen den mehr als zehntausend Welten, die zum Reich gehörten. Hier wurde ein seltenes Mineral abgebaut, das im gesamten Imperium heiß begehrt war. Ob als Schmuck oder in bestimmten technischen Geräten, an unglaublich vielen Stellen war Ceresyl mehr als willkommen, was auch an den physikalischen Eigenschaften lag. Das Erz an sich strahlte bereits im hyperfrequenten Bereich, nach der Verarbeitung blieb die Strahlung konstant und war so in der Lage, einige der auftretenden Streustrahlungen zu »schlucken«. Dadurch ließen sich Interferenzen vermeiden, wie sie immer noch vorkamen, obwohl die Technik der Laktonen schon in vielen Bereichen völlig abgeschirmt war. Cereysl beseitigte auch die letzten Ausstrahlungen der Com-Geräte, die direkt am Körper getragen wurden, und es gab eine Menge Personen, die eifrig beteuerten, dass das Mineral ihnen persönliches Wohlbe33 �
finden durch die Strahlung schenkte. Das galt natürlich dann, wenn man genügend Geld besaß, um einen Überzug der ComGeräte oder wertvolle Schmuckstücke aus Ceresyl zu bezahlen. Denn auch als Schmuck in besonderer Verarbeitung war das Mineral heiß begehrt, adelige Frauen schätzten es sehr, Ketten, Anhänger oder Broschen aus Ceresyl zur Schau zu tragen. Kurzum, Fermanagh war ein wichtiges Rädchen in der Maschinerie des Laktonischen Reiches. Der Abbau des Minerals oblag allein den Fermanern, wie sich das Volk selbst nannte. Aufgrund der ungefilterten Strahlung konnte man es nicht riskieren, Maschinen oder andere Lebewesen zum Abbau einzusetzen. Die Fermaner hingegen waren in der Lage diese Strahlung zu absorbieren, jedenfalls einige von ihnen. Sie besaßen die Fähigkeit durch Mutation und konnte zudem bestimmte Gehirnbereiche aktivieren, um die Ausbeutung effektiv zu gestalten. Niemand sonst war dazu in der Lage, deshalb mussten die Fermaner auch mit Respekt und Höflichkeit behandelt werden. Nicht auszudenken, dass der Nachschub an Ceresyl abbrechen könnte. Auch Maschinen konnten den Abbau nicht vornehmen, ihre Programmierung würde von der Strahlung zerstört. Das alles und noch einiges mehr hatte Tana in den Dossiers gelesen, die Hortek ihr hatte zukommen lassen. Sie war also bestens präpariert für den Aufenthalt auf diesem exotischen Planeten. Warum dieser Einsatz nötig war, hatte der Agent ihr jedoch noch nicht gesagt. Ebenso wenig wusste sie, wie dieses seltsame Volk überhaupt aussah. Auf eine diesbezügliche Frage hatte Hortek nur ganz lapidar geantwortet, und die Informationen im allgemeinen Netz waren auf Catalo gesperrt, aus welchem Grund auch immer. Sie solle sich überraschen lassen, war die einzige Auskunft, die Tana bekam. Nun gut, damit konnte sie leben. Außer34 �
dem wurde während der Reise das Training auf ein Minimum reduziert, so dass Tana tatsächlich in den Genuss von etwas Ruhe und Erholung kam. Im Übrigen blieb Hortek einigermaßen wortkarg und verweigerte jede Unterhaltung, die sich mit dem bevorstehenden Einsatz beschäftigte. Zum Glück dauerte die Reise nicht lange. Nach knapp zwei Tagen setzte das Raumschiff, auf dem sich nur eine Handvoll laktonischer Händler befanden, zur Landung auf Fermanagh an. »Erschrecken Sie nicht«, sagte Hortek plötzlich, als er sich mit ihr auf der Gangway befand. »Der Fermaner sehen nicht aus wie wir. Aber das haben Sie sich bestimmt schon gedacht…« Nein, daran hatte Tana nicht mehr gedacht, schließlich hatte im Dossier nichts gestanden, also hatte sie verdrängt, dass es sich um ein Volk handeln könnte, das den Laktonen nicht ähnlich war. Neugierig schaute sich sie um – und erstarrte. Ekel stieg in ihr hoch, panische Angst sogar, und sie hatte Mühe sich zu beherrschen. Natürlich, Hortek kannte jede ihrer Schwächen, auch ihre Abneigung, eher schon Panik gegenüber Spinnen. Mit Insekten konnte sie sich anfreunden, die acht- bis zwölfbeinigen Geschöpfe jedoch jagten ihr tatsächlich Angst ein, auch wenn das absoluter Unsinn war. Auf Fermanagh jedoch lebten keine humanoiden Lebewesen, die Fermaner waren zwar auch Sauerstoffatmer, besaßen jedoch zehn Beine und vier Arme, mit denen sie äußerst geschickt umgehen konnten. Die Gliedmaßen waren in einem perfekten Kreis angeordnet, der Oberkörper erhob sich aus der Mitte zu beindruckender Höhe, ein kugelrunder Kopf mit acht Augen in einem ebenfalls perfekten Kreis vervollständigten den Eindruck einer mehr als außergewöhnlichen Spezies, einer Art Spinne eben. Für Tana waren die Fermaner ein lebendig gewordener Alptraum. Daran änderte auch die farbenfrohe Kleidung aus hauch35 �
zarten Tüchern nichts, die geschickt um den behaarten Körper drapiert wurden. Selbst der kleinste Fermaner überragte einen Laktonen um mehr als einen Kopf. Dazu kam, dass es zwar eine Art Gesicht gab, die Mimik jedoch praktisch nicht vorhanden war. Empfindungen waren für einen Laktonen nicht feststellbar. Für Händler wurden die Verhandlungen dadurch enorm erschwert, und auch im allgemeinen Umgang zwischen Fermanern und Laktonen blieb die Kommunikation auf ein Minimum beschränkt, weil die humanoiden Lebewesen daran gewöhnt waren, sich mit ihrem Gegenüber mehr als nur verbal zu unterhalten. Wie aber wollte man sich auch mit jemandem unterhalten, dessen Mimik ausdruckslos war wie bei einer Maschine? Tana spürte einen harten Stoß in ihrem Rücken. »Na los, vorwärts, Velatip. Sie wollen doch hier kein Aufsehen erregen, oder? Sie werden sich schon daran gewöhnen.« Tana holte tief Luft und drehte sich zu ihrem Führungsoffizier um. »Was macht Sie eigentlich sicher, immer recht zu haben, Hortek?«, fragte sie mühsam beherrscht leise. »Sie manipulieren jeden und glauben fest daran, damit richtig zu handeln. Jede Demütigung, jede Qual, jeden Schmerz werde ich Ihnen eines Tages zurückzahlen. Und jetzt gehe ich wieder an Bord. Auf diesem Planeten bleibe ich keine Sekunde länger. Ich kann das nicht.« Er packte sie mit eisernem Griff am Arm und hielt sie so fest, dass sie vor Schmerz fast geschrien hätte. So schob er sie weiter die Gangway voran. »Sie werden jetzt gesittet und ruhig weitergehen, Velatip. Von Ihnen lasse ich mir diesen Auftrag nicht vermasseln. Sie können ruhig Ihren Hass gegen mich richten, damit kann ich leben. Aber sollten Sie es wagen, hier auf Fermanagh auch nur den kleinsten Fehler zu machen, bringe ich Sie eigenhändig um. Sie werden 36 �
dieses Volk voller Respekt und Höflichkeit behandeln. Und Sie werden lächeln, Tana. Denn Lächeln ist hier lebenswichtig. Zeigen Sie Ihre hübschen rosa Zähne, überwinden Sie Ihren Abscheu, und Sie werden vielleicht sogar eines Tages neue Freunde gewinnen.« Ihr schossen Tränen in die Augen, zum einen vor Schmerz, zum anderen vor Hilflosigkeit gegenüber der Situation. Es gab kein Zurück. Je eher sie sich das klarmachte, umso besser. Hasserfüllt starrte sie Hortek an, der das mit ruhiger Gelassenheit zur Kenntnis nahm. »Lächeln, Tana, lächeln«, mahnte er und schob sie noch weiter die Gangway hinunter. In der Empfangshalle stand eine Art Delegation, die auf die beiden Gäste wartete. Tana spürte, wie ihr ganzer Körper in Abwehr erstarrte, doch sie bezwang sich tatsächlich und lächelte. In den so genannten Gesichtern der Fermaner öffnete sich eine Art Mund, eigentlich nicht mehr als ein ovales Loch – nadelspitze Zähne kamen zum Vorschein, offenbar legten die Fermaner großen Wert auf diese Art der Begrüßung. Aber sie schienen erfreut, dass ihre Gäste den Anstand besaßen, sich anzupassen. Ein langgliedriger, schwarz behaarter Arm mit einem leuchtend roten Tuch aus zarter Seide und einem Armband aus Ceresyl streckte sich Tana entgegen. Die Hand besaß nur drei Finger, die äußerst filigran wirkten. Ein betörender Duft nach exotischen Blüten umschmeichelte Tana. »Ich bin sehr erfreut, die Abgesandten unserer laktonischen Partner begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Theklam, ich bin die Ministerin des Handels. Mögen unsere Gespräche von Frieden geprägt und den Göttern gesegnet sein.« Die Stimme war wohlmoduliert und angenehm, besaß nur einen kleinen Akzent, der verriet, dass Laktoran nicht die Muttersprache war. 37 �
Tana brachte es mit Überwindung über sich, die Hand der Fermaner zu berühren. Ihr Lächeln saß wie festgefroren in ihrem Gesicht. Die Laktonen mochten Tausende von Welten beherrschen, die persönliche kreatürliche Angst war immer noch vorhanden und ließ sich auch nicht durch einen Befehl abschalten. In einem offenen Gleiter ging es zu einem Hotel, wo sie sich ausruhen konnte, wie Hortek ihr leise versicherte. Sie brauchte weniger Ruhe als vielmehr Abstand von diesen – diesen Wesen. Das Hotel erinnerte ein bisschen an einen Kokon, wirkte wie eine große Röhre aus schillerndem Material und enthielt eine Reihe von relativ kleinen engen Zimmern, die aber dennoch sehr gemütlich wirkten. »Unsere Häuser sind anders gebaut«, erklärte Theklam. »Wir bemühen uns jedoch, für unsere Gäste eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Wir hoffen, Sie werden sich hier wohl fühlen. Sicher haben Sie nach der Reise das Bedürfnis, sich auf festem Boden etwas auszuruhen. Heute Abend nach Sonnenuntergang erwarte ich Sie zum Empfang im Ministerium. Schutz der Götter über euch.« Tana lernte rasch, dass dieser Spruch bei den Fermanern die offizielle Verabschiedung war, denn diese Floskel wurde von allen Fermanern benutzt. Das Hotel war nicht vollautomatisiert, es gab eine Reihe von lebendem Personal, Fermaner eben, die sich um das Wohlbefinden der Gäste kümmerten. Für die beiden Laktonen, die daran gewöhnt waren, ständig von Maschinen umgeben zu sein, die jede Arbeit erledigten, war dies eine neue Erfahrung, doch gerade Tana war es, die diesen Luxus zu schätzen wusste. Nachdem dann auch alle bürokratischen Hemmnisse, wie Anmeldung und Überprüfung der Legitimationen, erledigt waren, begann Tana in ihrem Zimmer das wenige Gepäck auszupacken. Hortek kam herüber und schaute sich um. 38 �
»Sie bewohnen also ebenfalls eine Höhle«, stellte er fest. »Die Fermaner haben nicht viel Ahnung von den Bedürfnissen humanoider Wesen. Aber ich glaube, wir werden es für einige Tage schon aushalten, in diesen Räumen zu leben. Oder haben Sie ein Problem damit? Nein, damit nicht, wie ich sehe, Velatip.« Tana blickte gar nicht auf, sie beschäftigte sich weiter damit ihre Reisetasche auszupacken. Hortek ließ sich davon nicht beeindrucken. »Ich wäre ein schlechter Ausbilder würde ich nicht versuchen, Ihre kleinen Schwächen auszumerzen, Velatip. Sie mussten damit rechnen, dass etwas in dieser Art passiert. Sie haben eine instinktive Abneigung gegen spinnenartige Wesen. Das müssen Sie zu überwinden lernen. Andere Agenten haben eine allzu große Vorliebe für Schlangen – gebraten auf dem Teller, meine ich. Die müssen lernen, Wyandotts zu respektieren und mit ihnen umzugehen. Sie kennen Wyandotts? Das sind die schlangenähnlichen Wesen, die wir als Reparaturtrupps in engen Schächten einsetzen. Hervorragende Techniker, allerdings von Natur aus sehr arrogant. Ich habe da schon einige Zusammentreffen mit angehenden Agenten erlebt, die waren bemerkenswert. Falles es Ihnen nicht gelingen sollte, Ihre Abneigung gegenüber Spinnen zu kompensieren, muss ich wohl einsehen, dass ich viel Geld und Zeit für nichts investiert habe. Dann werden Sie irgendwo in einem kleinen, unwichtigen unterirdischen Stützpunkt ohne Aussicht auf eine Karriere versauern und den Rest Ihrer Tage damit verbringen, Aktenvermerke anzulegen. Also, Velatip, wie sieht es aus? Sind Sie in der Lage, sich selbst zu überwinden? Können Sie hier auf Fermanagh arbeiten, oder reisen wir morgen wieder ab? Ich auf der Suche nach einer weiteren guten Agentin – Sie auf dem Weg ins Vergessen.« Tana schwieg noch eine Weile, dann drehte sie sich um. »Wir bleiben selbstverständlich hier. Ich bin durchaus in der Lage 39 �
meine Arbeit durchzuführen, unter welchen Umständen auch immer. Allerdings hätte ich es vorgezogen, bereits im Vorfeld darüber informiert zu werden, mit wem ich es zu tun habe.« »Damit Sie mir während des ganzen Fluges in den Ohren liegen, wie sehr Sie doch Spinnen verabscheuen? Nein, danke. Ich ziehe es meinerseits vor, Sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Für heute Abend legen Sie formelle Kleidung an, nicht die Uniformkombi. Es handelt sich schließlich um einen offiziellen Empfang zu unseren Ehren.« »Die Fermaner machen ganz den Eindruck, als wären sie geehrte Partner unseres Volkes. Wozu wird da eigentlich der Geheimdienst gebraucht?«, erkundigte sich Tana. »Haben Sie immer noch nicht gelernt, dass jeder nur für sich selbst arbeitet? In letzter Zeit haben wir immer wieder Hinweise darauf erhalten, dass Ceresyl auch außerhalb des Reiches gehandelt wird. Das Mineral steht aber ausschließlich Laktonen zur Verfügung. Wir sollen herausfinden, ob hier jemand ein falsches Spiel treibt. Innerhalb des Imperiums existiert relativ freier Handel, und es gibt eine Reihe unabhängiger Händler, die hier einkaufen und eigene Betriebe besitzen, in denen das Ceresyl verhüttet und weiter verarbeitet wird. Andere kaufen hier ein und machen gute Geschäfte mit dem Rohstoff auf Szahan. Sie alle werden dennoch streng überwacht, keiner von ihnen würde es wagen, einem nicht lizenzierten Händler etwas zu verkaufen.« »Also werden wir hier im Handelsministerium auf den Busch klopfen?«, wandte sie ein. Er hob die Augenbrauen und blickte sie strafend an. »Haben Sie das Dossier nicht richtig gelesen? Die Fermaner sind ein äußerst empfindliches Volk. Sie werden hier sicher nicht auf den Busch klopfen. Allein die Unterstellung, dass jemand falsch spielen könnte, selbst wenn es so sein sollte, ist schon eine Beleidigung für alle Fermaner. Wir dürfen nicht einmal den Verdacht 40 �
erwecken, dass wir nach Unregelmäßigkeiten suchen. Nein, wir müssen anders vorgehen. Vorschläge, Velatip?« Sie seufzte, bei dieser Frage handelte es sich um ein standardmäßiges Vorgehen. »Abhöranlagen in den wichtigsten Büros. Den Weg des abgebauten Ceresyl verfolgen, Abgleich der Fördermengen mit dem tatsächlich abtransportierten Material.« »Gut, das also sind Ihre Aufgaben.« Sie schluckte schwer. Womit sollte sie anfangen? Aber genau darin lag natürlich die Hauptarbeit eines Agenten. In dem Augenblick, da sie sich diese Fragen stellte, hatte sie auch schon die Antworten. Blieb nur noch eine letzte Frage. »Ich habe außer meiner Uniform keine andere Kleidung dabei, mir war nicht bekannt, dass ich an einem Empfang teilnehmen soll. Was also bezeichnen Sie jetzt als formell?« Hortek lachte leise auf. »Ein Diener wird Ihnen gleich etwas Passendes bringen. Sie dürfen die Kleidung dann übrigens behalten. Und vergessen Sie nicht, die Abhöranlagen einzustecken. Eine so gute Gelegenheit wie bei diesem Empfang bekommen Sie so schnell nicht wieder. Bis später.« Er schloss die altmodische Tür hinter sich, und sie schnitt eine Grimasse. In was für eine Lage hatte er sie da nur gebracht? Etwas so wunderschönes hatte Tana noch nie besessen. Ein Diener hatte in einem verschlossenen Karton Kleidung gebracht – fermanische Kleidung, aus diesem hauchdünnen farbenfrohen seidenartigen Stoff, den auch die Spinnenwesen trugen. Farbenfroh? Nein, zuerst nicht. Absolut farblos war der Stoff, und Tana wollte ihn im ersten Augenblick enttäuscht beiseite legen. Doch sie strich mit den Fingern darüber, fühlte das zarte schmeichelnde Gespinst und fragte sich, woraus der Stoff wohl gemacht wurde. Es gab im Laktonischen Reich nichts vergleichbares, soweit sie wusste. Er schmeichelte der Haut, schmiegte sich an – und bekam plötzlich Farbe. Erschreckt zog sie die 41 �
Hand zurück, augenblicklich verschwand die Farbe wieder. Ungläubig starrte Tana darauf, dann ging ihr auf, dass es sich um eine Art denkendes Material handeln musste, das auf Berührung und Kontakt reagierte. Die Farben wechselten in rascher Folge, als Tana den Stoff aufnahm und sich wunderte, wie auch freute. Sie begriff, dass die Farbgebung von den persönlichen Empfindungen abhing. So also kompensierten die Fermaner die fehlende Mimik in den Gesichtern. Welch eine Laune der Natur. In dem Karton befand sich noch eine Nachricht, die ausgesprochen persönlich und freundlich klang. ›Geehrter Gast. Unsere Stoffe werden von uns selbst für uns selbst erschaffen. Um Sie besonders willkommen zu heißen, bitten wir darum, diese Kleidung als Geschenk anzunehmen. Der Stoff wird nur auf Sie persönlich reagieren und Ihnen hoffentlich viel Freude bereiten. Schutz der Götter über Sie. Theklam.‹ Tana schnappte nach Luft. Dieses wunderbare Material wurde von den Spinnenwesen also nur für den eigenen Gebrauch hergestellt. Es handelte sich tatsächlich um eine besondere Ehre, dass ausgerechnet sie etwas davon bekam. Tana empfand schon fast Scham, weil sie ihre Abneigung zu Anfang so offen zur Schau getragen hatte. Die Fermaner bemühten sich, ihre laktonischen Partner in allem zufrieden zu stellen und ihnen besondere Ehre zukommen zu lassen. Jetzt fragte sie sich nur noch, wie sie aus der langen Stoffbahn ein Kleid machen sollte, doch da kam ihr das Material mit seinen seltsamen Eigenschaften entgegen. Als sie es probeweise um den Körper legte, haftete der Stoff förmlich an ihr, wurde zu einem Teil der schlanken Gestalt, verbarg das, was verborgen werden sollte und ließ 42 �
sie noch schöner wirken. Allerdings blieb die Farbe nicht einheitlich, was sicher darauf zurückzuführen war, dass in der Laktonin eine Reihe von Empfindungen vorhanden war, von denen keine dominierend in den Vordergrund trat. Doch gerade dadurch schuf das Material ein eigenes Kunstwerk. Hortek kam ohne sich anzumelden herein und nickte zufrieden. »Ich sehe, Sie haben sich schon damit vertraut gemacht. Es handelt sich hier um ein ganz besonderes Geschenk der Fermaner, Spinnwebseide. Diese Stoffe werden nicht gehandelt, obwohl bereits Unsummen geboten wurden. Das Material stimmt sich auf den Träger ab und kann von niemand anderem mehr benutzt werden. Halten Sie das Kleidungsstück in Ehren. Meines Wissens nach gibt es nur wenige Laktonen, die jemals in diesen Genuss gekommen sind.« Er erzählte ihr jetzt nichts Neues, und doch war es schon befriedigend zu wissen, einmal etwas Besonderes zu sein. »So, sind Sie fertig, Velatip?«, fragte der Agent etwas ungeduldig. Längst hatte Tana alles beisammen, was wichtig genug war, um das Ministerium an den neuralgischen Punkten mit Abhöranlagen auszustatten. Sie bemerkte nicht die insgeheim bewundernden Blicke von Hortek, die schöne Frau hatte durch die ungewöhnliche Kleidung noch an Faszination dazu gewonnen. Auf Ferga würde sie Aufsehen erregen, sollte sie dorthin kommen. Doch soweit war sie noch lange nicht. An diesem Abend legte Tana, ohne es zu wissen, ihre erste Prüfung als Agentin ab. Sie behandelte die Fermaner wie ihre besten Freunde, brachte die Gespräche geschickt auf die Handelsbeziehungen und platzierte vollkommen unauffällig diverse kleine Geräte, mit denen fast jedes Gespräch abgehört werden konnte. Spät am Abend fiel sie glücklich, aber todmüde ins Bett, fühlte 43 �
ein letztes Mal den wunderbaren Stoff, der jetzt ihr gehörte, und versank schließlich in wirren Träumen. Drei Tage lang verließ die junge Agentin ihr Zimmer nicht, während Donon Hafis, der Staatssekretär zur besonderen Verwendung, die offiziellen Termine wahrnahm. Tana täuschte Unwohlsein hervor, wenn die Diener hereinkamen, um ihr das Essen zu bringen. Hortek hingegen hatte auch weiterhin den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass er hier war, um die Handelsbeziehungen noch zu vertiefen und vielleicht neu zu ordnen. Tana hingegen saß die meiste Zeit an den Empfangsgeräten, die mit einer speziellen Technik ausgestattet waren und auf Schlüsselworte reagierten. Es wäre vollkommen unmöglich gewesen, jedes Gespräch abzuhören, das Programm sorgte dafür, dass nur solche Unterredungen herausgefiltert wurden, die einen eventuellen Verrat zum Inhalt hatten. Gleichzeitig verglich Tana die Förder-, Bestands- und Transportlisten, eine mühselige Arbeit, für die sie die kleine Positronik nur begrenzt einsetzen konnte, weil sie sich keinen Zugang zu den offiziellen Datenbanken der Fermaner beschaffen durfte. Sie führte hier ein eintöniges und anstrengendes Leben, eine Aufgabe, die zwar einen raschen Verstand, aber nicht unbedingt eine hoch qualifizierte Mathematikerin erforderte. Am Abend des dritten Tages kam Hortek in ihr Zimmer und lächelte sie wohlwollend an. »Morgen werden Sie mich begleiten, wir besichtigen eine Ceresyl-Mine. Ich hoffe, dass Sie dann endlich Ergebnisse vorzuweisen haben. Oder sollte unser Flug hierher nur Kosten verursacht haben?« »Falls dem so ist, liegt es sicher nicht an mir«, gab sie etwas patzig zurück. »Bisher habe ich nichts gefunden, was auf Unregelmäßigkeiten hindeutet. Im Ministerium gibt es nichts, was verbotenen Handel anzeigt, weder in den Gesprächen noch in 44 �
den Daten.« »Nun gut, wir werden sehen«, erklärte er wortkarg. Tana seufzte. Das klang ja fast, als würde er sie verantwortlich machen dafür, dass hier doch alles mit rechten Dingen zuging. Sie beschloss, am folgenden Tag Augen und Ohren besonders offen zu halten, vielleicht kam im unverfänglichen Gespräch mit den Fermanern doch noch etwas heraus. Längst hatte Tana ihre Vorbehalte gegen die spinnenartigen Wesen abgelegt. Sie benahmen sich sehr höflich und waren äußerst sensibel, dabei aber freundlich und aufgeschlossen – also ganz anders als die Laktonen. Ministerin Theklam hatte der Agentin täglich Grußbotschaften ausrichten lassen, und als weiteres Geschenk war ein Schmuckstück aus Ceresyl eingetroffen, was Tana laut Hortek ebenfalls behalten durfte. Das war mehr als großzügig. Aber sie fragte sich gerade, ob es sich dabei nicht doch nur um eine geschickte Taktik handelte, um davon abzulenken, dass das Handelsministerium einige Geheimnisse verbarg. Vermutlich war für die beiden Agenten eine Besichtigung der Mine die letzte Chance, doch noch etwas herauszufinden, auch wenn Tana keine Ahnung hatte, was sie wie finden sollte. Die Fermaner besaßen eigene Luftfahrzeuge, die ganz auf ihre körperlichen Bedürfnisse abgestimmt waren. Doch auch ein Laktone konnte damit bequem transportiert werden. So flogen die Gäste in Begleitung der Ministerin hinaus, weitab von jeder Siedlung. Der Abbau von Ceresyl vollzog sich anders, als Tana es bisher aus den gängigen Unterlagen über Bergbau wusste. Schwere Maschinen brachen das Gestein aus den Bergen, dann traten die mutierten Fermaner in Aktion. Mit ihren unbegreiflichen Sinnen spürten sie selbst kleine Mengen Ceresyl im Gestein auf, dann umwickelten sie mit den Spinnwebfäden aus dem Körper die Felsbrocken und brachen den Stein mit einem gedanklichen Befehl auf. Ein erstaunlicher Vorgang, bei dem fast 45 �
reines Ceresyl zutage trat. Das wurde dann zum Teil als Roherz verkauft, doch es gab auch einige Verhüttungsanlagen, in denen die Weiterverarbeitung vorgenommen werden konnte. Genau da lag nach Tanas Meinung die einzige Möglichkeit, die strengen Kontrollen zu umgehen. Es war ihre Aufgabe die Datenbanken vor Ort aufzurufen und abzugleichen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Hortek blieb ausgesprochen schweigsam, während Theklam mit ihrer angenehmen Stimme erzählte und kaum auf Antwort zu warten schien. Das Gelände dieser einzelnen Minenanlage war gigantisch und erstreckte sich weiter, als das Auge sehen konnte. Aber nichts wirkte hektisch an diesem Ort, an dem doch in Wirklichkeit eine riesige Industrie ihren Standort hatte. Die Gesteinsbohrer befanden sich unterirdisch, dort musste kein lebendes Wesen arbeiten. Lange Förderbänder brachten den Bruch zu einzelnen Plätzen, wo unzählige Fermaner standen und quasi im Akkord das taube Gestein und das wertvolle Material trennten. Alles machte einen wohlgeordneten und ruhigen Eindruck, niemand schien in Eile oder gar Hektik zu sein. Zum ersten Mal sah Tana, wie die Fermaner aus ihrem Leib die farblosen Fäden schießen ließen und damit die Felsbrocken in unglaublich kurzer Zeit umwickelten. Fasziniert schaute sie zu, bis Hortek sie anstieß. Ja, sie war hier, um zu arbeiten, nicht zu einer Vergnügungstour. Höflich erkundigte sie sich, ob sie die Daten prüfen durfte, um sie mit den Ergebnissen abzugleichen, die den Laktonen bereits vorlagen. Zahlen, die die Grundlage für den Handel und den Preis bildeten, auch wenn diese Bitte nur vorgeschoben war, um in Wirklichkeit andere Fakten auszuforschen. Es war also eine etwas fadenscheinige Ausrede, doch Theklam schien nichts dagegen zu haben und gab Anweisung, der Laktonin alles zur Verfügung zu stellen. Tana besaß nun 46 �
unbegrenzten Zugriff auf die Datenbanken. Erst jetzt kam ihre Ausbildung als Mathematikerin zum Tragen. Sie war in der Lage, innerhalb kürzester Zeit auch verschleierte Daten ausfindig zu machen. Ein bisschen beneidete sie Hortek, der einen ausgedehnten Rundgang machte und sich keine weitere Arbeit aufbürden musste. Ein wenig nachdenklich schaute Tana schließlich aus dem Fenster, um die Informationen geistig zu verarbeiten, die in konzentrierter Form auf sie einstürzten. Bisher hatte sie absolut nichts finden können. Der Besuch auf Fermanagh war offensichtlich teuer, dafür aber umsonst gewesen. Ein paar Einzelheiten weckten plötzlich ihre Aufmerksamkeit, ohne dass sie dabei bewusst etwas wahrnahm. Die Fermaner draußen an den Sprengplätzen, wie sie genannt wurden, arbeiteten äußerst effektiv. Das freigelegte Ceresyl wurde mit kleinen Förderbändern abtransportiert, das taube Gestein fiel durch endlose Schächte woanders hin. Doch es blieben immer wieder kleine Gesteinsbrocken liegen, die von emsigen Robotwagen davongefahren wurden, die eher wie Spielzeuge wirkten und keinerlei Aufmerksamkeit erregten. Um was handelte es sich dabei eigentlich? Warum wurden diese Steine nicht mit den übrigen entsorgt, mochte es sich nun um Abraum oder wertvolles Erz handeln? Tana hatte plötzlich eine Idee, die sie aber noch nicht recht fassen konnte. Doch sie begann mit fliegenden Fingern Daten aufzurufen, endlose Zahlenkolonnen huschten über den Monitor, ihre Augen bewegten sich unglaublich schnell, und in ihrem Kopf liefen komplizierte Vorgänge ab, ohne bisher zu einem Ergebnis zu gelangen. Sie verfolgte die Idee dennoch weiter. Natürlich hätte sie jetzt ganz einfach einen der hier anwesenden Mitarbeiter fragen können, was es mit dem kleinen Steinen auf sich hatte, die nach Tanas Meinung eindeutig noch viel 47 �
Ceresyl in sich trugen. Aber hätte sie eine wahrheitsgemäße Antwort bekommen? Das wagte sie im Augenblick zu bezweifeln. Tana begann fieberhaft Subroutinen in den Programmen aufzurufen, Befehlsketten zu überprüfen und scheinbar überflüssige oder vergessene Befehlszeilen zu koordinieren. Plötzlich sah sie klar, ein triumphierendes Lächeln flog über ihr Gesicht. Rasch legte sie selbst ein neues Programm an, in dem sie die bisher gefundenen Unregelmäßigkeiten ablegen konnte. Ein neues Bild formte sich, und die Agentin schüttelte ungläubig den Kopf. Allein durch den 'Ausschuss' dieser Mine konnten mehrere Tonnen des wertvollen Minerals im Jahr zusammenkommen. Deren Vorhandensein kontrollierte niemand, deren Handel konnte durchaus außerhalb des lizenzierten Freiraumes stattfinden. Unglaublich! Und so ungeheuer geschickt gemacht, dass selbst bei der Überprüfung der Programme nicht das geringste auffallen konnte – es sei denn, man hatte einen Anfangsverdacht und wusste, wonach man suchen musste. Erst wenn man bereits mit konkreten Anhaltspunkten arbeitete und wusste, welche neuralgischen Punkte aufgerufen werden mussten, fielen die kleinen zusätzlichen Befehle auf, die sich sonst versteckten. Aber auch dann brauchte man noch eine Menge an fundiertem Wissen, um aus all diesen Kleinigkeiten auch die richtigen Rückschlüsse zu ziehen und die Befehlsketten zu einem eigenständigen Programm zusammenzusetzen. Hier hatte sie den Beweis, dass auf Fermanagh ein unglaublicher Schwindel aufgebaut worden war. Das heiß begehrte Ceresyl war offenbar außerhalb des genehmigten Handels exportiert worden. Die Fragen waren jetzt: Wer wusste davon? Geschah das alles mit Wissen und Billigung der Regierung? Wer profitierte letztendlich davon? Wie wurde das Mineral transportiert? Und wer besaß so ungeheuer viel Einfallsreichtum und Wissen, um diese Programme zu schreiben? 48 �
Tana dachte einen Augenblick lang daran, all diese Befehle und Subroutinen zu löschen oder zumindest stillzulegen, entschied sich dann aber doch dagegen. Diese Entscheidung musste Hortek treffen, denn es bestand durchaus die Möglichkeit, dass die Mine dann komplett ins Stocken geriet. Sie wollte jetzt auch nicht mit der Neuigkeit herausplatzen; die Reaktion der Fermaner war kaum vorherzusehen. Dieses Volk war tatsächlich so sensibel, dass die bloße Ankündigung eine Art Schock hervorrufen konnte. Hier waren Diplomatie und Fingerspitzengefühl gefragt, was Tana im Umgang mit den Fermanern nicht in ausreichendem Maße besaß, wie sie selbst befand. Mit ausgesuchter Freundlichkeit bedankte sie sich bei den hier anwesenden Mitarbeitern, nachdem sie ihr eigenes Programm abgesichert hatte, so dass niemand anders es finden konnte. Hortek kam mit Theklam und einigen Begleitern von dem ausgedehnten Rundgang zurück. Er musste ihre Erregung bemerkt haben, auch wenn Tana sich bemühte sich zu beherrschen, so dass nicht einmal ihr verstärkter Geruch sie verraten konnte. Doch der Agent machte ihr ein Zeichen zu schweigen, bis sie allein miteinander reden konnten. Das allerdings zog sich noch in die Länge, denn zunächst wurden unzählige Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, bevor es an den Rückflug zum Hotel ging. Endlich aber befanden sich die beiden Laktonen wieder in Tanas Zimmer. »Ich sehe Ihnen an, dass Sie mir etwas zu sagen haben«, stellte Hortek fest. »Da haben Sie verdammt recht«, stieß sie hervor und berichtete so knapp wie möglich, was sie gefunden hatte. Hortek runzelte die Stirn. »Das klingt nicht gut, bestätigt aber unsere Vermutungen. Was haben Sie unternommen?« »Noch gar nichts«, gestand sie. »Ich wollte Ihnen die letzte Ent49 �
scheidung überlassen. Allerdings habe ich Kopien der Daten in einem versteckten Programm abgelegt und außerdem einen Spion im System hinterlassen, durch den es mir möglich ist, auch von außen zuzugreifen, falls Sie das wünschen. Ich denke allerdings, wir sollten zunächst herausfinden, ob dieser dreiste Plan nicht sogar von den höchsten Stellen auf Fermanagh sanktioniert wird.« »Und wie wollen Sie das tun?«, kam die spöttische Gegenfrage. »Ich – ich dachte, Sie wüssten vielleicht – immerhin wissen Sie mehr über die Fermaner als ich… Also, ich meine…« »Habe ich Ihnen denn tatsächlich gar nichts beigebracht?«, fuhr er sie an. »Denken Sie gefälligst nach, bevor Sie Vorschläge machen, deren Verwirklichung nicht feststeht. Also, was genau schlagen Sie vor? Und denken Sie gut nach, denn schließlich hängt das Wohl des Laktonischen Reiches davon ab.« »Das wird nicht nötig sein«, erklang in diesem Augenblick die wohlmodulierte Stimme der Handelsministerin. Ihr Abbild tauchte auf dem bislang nicht eingeschalteten Monitor auf, eine erzwungene Verbindung. Gleichzeitig öffnete sich die Tür, und bewaffnete Fermaner wurden sichtbar. Das Gesicht von Hortek verzerrte sich. »Haben Sie nicht daran gedacht, unsere Quartiere zu untersuchen, Velatip? Hier befinden sich offenbar Abhörgeräte, demnach war unsere ganze Tarnung von Anfang an sinnlos. Sie haben diesen Einsatz verpatzt.« »Das ist nicht wahr«, fauchte Tana und ignorierte für den Augenblick die drohende Gefahr von außen. Diesen Vorwurf wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. »Ich habe täglich Überprüfungen vorgenommen und die vorhandenen Abhöranlagen neutralisiert. Sollte es noch mehr geben, dann habe ich sie nicht erkannt. Und vielleicht hätten Sie ja auch einmal daran denken können, zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Schließlich sind Sie in solchen Dingen 50 �
wesentlich erfahrener als ich.« »Oh, bitte, verehrte Gäste, keine Auseinandersetzung. Das ist vollkommen unnötig«, mischte sich Theklam ein. »Ich muss Ihnen sagen, Sie hätten trotz sorgfältiger Suche nichts weiter finden können. Die Übertragung erfolgte durch die Spinnwebseide. Das Kleidungsstück, das Sie zu unserer Freude angenommen haben, wäre als Abhöranlage nie von Ihnen erkannt worden. Es sei denn, Sie wären mit den physikalischen Eigenheiten unserer persönlichen Materialien vertraut gewesen.« »Darüber wussten Sie auf jeden Fall mehr als ich«, warf Tana ihrem Führungsoffizier vor. »Und Sie haben es versäumt, sich ausreichend kundig zu machen, Velatip.« Er lachte plötzlich auf und stellte sich lässig hin. »Aber ich muss gestehen, soweit ist noch kein Anfänger gekommen. Selbst lang gediente Agenten aus dem Feldeinsatz sind meist bei der Suche nach den versteckten Programmen gescheitert.« Er ließ sich in einen Sessel fallen und machte den Fermanern an der Tür ein Zeichen. Die steckten ihre Waffen ein und verschwanden. Tana blickte ungläubig verwundert drein. »Wie soll ich das verstehen?«, fragte sie irritiert. »Das alles war nur ein groß angelegter Test? Eine Prüfung? Nichts davon war real? Sie haben mich getäuscht?« »Nicht ganz«, gestand Hortek. »Das meiste von dem, was Sie hier gesehen und erlebt haben, ist vollkommen realistisch, und die Fermaner sind tatsächlich ein wichtiges Volk für uns. Die Prüfungen für Sie, speziell für Sie, waren das Zusammentreffen mit den Fermanern und die Suche nach den verborgenen Programmen. Und natürlich sollte auch festgestellt werden, ob Sie in der Lage sind, sich auf diplomatischem Parkett anständig zu bewegen. Ich muss gestehen, dass selbst ich damals Probleme damit hatte, die Programme ausfindig zu machen. Das war gute 51 �
Arbeit, Velatip. Aber nur das. Sie hätten zumindest in Betracht ziehen müssen, dass es noch weitere Abhöranlagen gibt, die nicht so einfach aufzuspüren sind. Ich denke da zum Beispiel an das Schmuckstück aus Ceresyl, das hätten Sie ebenfalls noch untersuchen müssen.« Warum konnte Hortek ihr nicht einmal ein Lob zugestehen, ohne es mit Kritik wieder zu zerstören? »Ehrenwerte Theklam, ich muss mich noch einmal für Ihre große Hilfe bedanken. Sie war sehr willkommen. Morgen werden wir Theklam verlassen. Mögen Sie von den Göttern gesegnet sein.« Tana stand noch immer da, als hätte ihr jemand eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Offenbar hatte sie doch bei dieser Prüfung versagt, auch wenn einiges besser gelaufen war als vermutet. Sie fühlte Scham in sich aufsteigen und Wut auf sich selbst. Wie hatte sie nur so dumm sein können, nicht wirklich jede Möglichkeit zu beachten? Nun gut, vielleicht bekam sie ja noch eine weitere Chance. Am nächsten Tag bestiegen sie und Hortek das Raumschiff, mit dem sie die erste Etappe nach Catalo zurücklegen würden. Tana hielt sich die meiste Zeit im Observatorium auf. Hier war sie dem Weltraum und den Sternen nah. Hier empfand sie das Gefühl des Versagens nicht so stark. Irgendwann setzte sich Hortek schweigsam neben sie. Nach einer Weile hatte er jedoch von der Ruhe genug. »Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, dass sich versteckte Befehlsroutinen in den Programmen verbergen müssen?«, fragte er interessiert. Sie schaute ihn nicht an. »Das liegt doch auf der Hand, oder? All die kleinen Maschinen, die Robotwagen, die das scheinbar überflüssige Gestein abtransportieren, statt Förderbänder und Hohlschächte damit zu füllen. Es war nur eine Frage der Beob52 �
achtung. Das hatten Sie doch bezweckt, oder nicht? Warum fragen Sie jetzt noch? Ich habe diese Prüfung offenbar nicht bestanden, da spielt es ohnehin keine Rolle mehr.« »Welche kleinen Robotwagen? Und welches Gestein?«, fragte Hortek verblüfft. Tana stutzte, dann lachte sie auf. »Wollen Sie mir jetzt tatsächlich erzählen, dass Sie nicht einmal darüber informiert sind, wie die kleinen Fallen auf Fermanagh konstruiert und angelegt sind?« Er stand auf, seine Augen funkelten zornig. »Ganz im Gegenteil, ich will Ihnen gerade sagen, dass Sie tatsächlich einem geschickten Betrug auf die Spur gekommen sind, Tana. Diese kleinen Robotwagen und das verschwundene Gestein dürfte es nämlich gar nicht geben.« Er stürmte hinaus, um die Meldung weiterzugeben. Auf Fermanagh würde es in den nächsten Tagen vermutlich recht turbulent zugehen und für einige Leute recht ungemütlich werden. Obwohl es Tana leid tat, dass sie mit ihrer Entdeckung vermutlich einige unangenehme Stunden für die Ministerin heraufbeschworen hatte, ahnte sie doch, dass es nicht lange schwierig bleiben würde. Dazu war dieses Volk einfach zu wichtig. Sicher würde Theklam schon bald wieder ihren Aufgaben nachgehen. Als Tana endlich begriff, was Hortek gerade gesagt hatte, begann sie zu lachen und konnte gar nicht wieder aufhören. Vielleicht hatte sie ihre Prüfung ja doch noch bestanden.
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4. � 7. Khutari im Zeichen Osmar � (auf der Erde schreibt man März 1987) � Sechs Monate laktonischer Standardzeit hatte Hortek einmal gesagt? Sechs Monate der Ausbildung, wenn sie sich nicht allzu dumm anstellte? Das war eine glatte Lüge gewesen. Aber wahrscheinlich musste man dumme, unwissende Grünlinge vor der Wahrheit schützen, damit sie nicht einfach davonliefen. Es schoss Tana Velatip durch den Kopf, dass sie vermutlich noch zu Anfang versucht hätte, die Vereinbarung zu durchbrechen, wäre ihr in vollem Umfang bewusst gewesen, was auf sie zukam. Der Dienst für das Volk erforderte ziemlich viel von demjenigen, der sich in diesen Dienst stellen wollte. Über ein Jahr befand sich Tana jetzt schon auf Catalo, und in der ersten Zeit war ihre Verzweiflung groß gewesen. Dabei hatte sie kaum Zeit gehabt, an sich selbst zu denken, denn die Ausbildung erfolgte praktisch rund um die Uhr. Ob es sich um das Schießen und die Kenntnis um diverse Waffen handelte, das Klassifizieren, Verabreichen oder Neutralisieren von Giften, die geschickte Platzierung von Abhörmechanismen und noch vieles andere mehr, Tana lernte mit jedem Atemzug, mit jedem Gedanken, mit jeder Bewegung. Ganz wichtig dabei war auch die körperliche Fitness, jeden Tag gab es lange Dauerläufe und andere Trainingseinheiten, was sich zu Anfang schwierig gestaltete, denn die Schwerkraft von Catalo war höher als die, die sie gewohnt war. Doch mittlerweile hatte sie am Laufen gefallen entwickelt und sonderte sich dabei gerne von den anderen ab, 54 �
um längere Strecken in Angriff zu nehmen. Das geschah natürlich mit Billigung des Ausbilders, ohne dessen Zustimmung kein Rekrut auf Catalo zu atmen wagte, wie ein Witzbold einmal festgestellt hatte. Tana war stets darauf bedacht, zu den Besten zu gehören. Ihr Ehrgeiz hatte, wie auch schon in der Zeit ihres Studiums, dazu geführt, dass sie jede Aufgabe als persönliche Herausforderung ansah, die es bestmöglich zu meistern galt. Noch nie zuvor war ein Lob über die Lippen des Ausbilders gekommen, so hieß es jedenfalls. Doch Velatip bekam mehr und schwierigere Aufgaben zugeteilt – das war das einzige Zeichen, an dem man erkennen konnte, wie weit und gut sie in ihrer Ausbildung fortgeschritten war. Flüchtig schossen ihr alle diese Gedanken durch den Kopf, während sie mit gleichmäßigen Schritten durch einen dichten Wald lief. An einer Quelle hielt sie an und erfrischte sich etwas, nahm dann ihren Lauf wieder auf. Sie liebte es, während dieser langen Strecken alles zu rekonstruieren, was sie gelernt hatte. Auf Catalo gab es außer dem ausgedehnten Camp und dem kleinen Raumhafen auf einer riesigen Landmasse nur noch einen weiteren Kontinent, auf dem primitive Eingeborene lebten, die die Laktonen wie Götter verehrten. So gesehen gab es hier keine ernsthaften Gefahren, außerdem lag der Planet etwas abseits der üblichen Routen und wurde demnach auch nicht rein zufällig von fremden Raumschiffen angeflogen. Ein Geräusch in den Zweigen ließ Tana nach oben blicken. Sie erwartete eines der possierlichen Schlangenäffchen zu sehen, absolut harmlose Geschöpfe, die vom Versuchslabor eingefangen und für diverse Experimente gebraucht wurden. Ihre Augen forschten in dem dichten Gewirr von Laub und Zweigen, konnten aber nichts erkennen. Sie hielt an, als sich das Geräusch wiederholte, ohne dass eines der Tiere auftauchte. Alle ihre Sinne signalisierten plötzlich Gefahr. Tana spürte den eige55 �
nen Körpergeruch, wie bei allen Laktonen wurde ihr Duft stärker, je größer die Erregung war. Aufmerksam schaute sie sich um, konnte jedoch nichts entdecken. Schließlich rief sie sich selbst zur Ordnung. Hier auf Catalo konnte es keine Gefahr geben, der Planet war fest in der Hand der Laktonen – nein, besser ausgedrückt, in der Hand des Geheimdienstes. Sie wurde wahrscheinlich schon paranoid. Sicher hatte eine Horde Schlangenäffchen in der oberen Etage der Bäume fangen gespielt, und sie bekam hier unten gleich Verfolgungswahn. So ein Unsinn! Es wurde Zeit, dass sie zum Camp zurückkehrte. Sie entspannte sich etwas, lächelte und wollte ihren Lauf wieder aufnahmen. Doch genau in diesem Augenblick geschah es. Einen Energiestoß hätte man im Camp vermutlich orten können, doch die Angreifer hatten zu anderen Mitteln gegriffen. Ein Netz flog durch die Luft, legte sich eng über ihren Körper und zog sich selbständig zusammen. Tana mochte sich wehren und sträuben, sie hatte nicht die geringste Chance. Sie stolperte haltlos über eine Baumwurzel, fiel hin und verletzte sich am Bein, wobei sich das Netz noch enger zusammenzog. Das war mit Sicherheit keine neue Prüfung ihrer Ausbilder, die legten Wert darauf, ihren Rekruten von Anfang an klarzumachen, wer das Sagen hatte. Tapfer verbiss sie die Schmerzen und fragte sich, wie Fremde auf Catalo gelandet sein konnten und was sie ausgerechnet von ihr wollten. Fremde! Allein dieses Wort ließ alle Alarmglocken ihr aufheulen. Erst als sie wie ein handliches Gepäckstück am Boden verschnürt lag und sich nicht mehr bewegen konnte, traten zwei Gestalten zwischen den Bäumen hervor. Orathonen! Tana spürte, wie die Erregung immer weiter zunahm, die Duftstoffe lagen wie ein Teppich über ihr. Die Gesichter der beiden 56 �
Orathonen verzogen sich zu einem hämischen Lächeln. »Schade, dass wir sie nicht gleich töten dürfen«, sagte der eine. »Aber unseren Spaß werden wir auf jeden Fall noch mit ihr haben.« Würgende Übelkeit stieg in Tana auf. Dies war mehr als nur das Ende ihres Traumes, jemals die Karriereleiter auf besonderen Sprossen hinaufklettern zu können – dies war das Ende ihres Lebens. Denn eher würde sie sich selbst töten, als zuzulassen, dass ein dreckiger Orathone Hand an sie legte. Einer der Feinde gab ihr eine Injektion. Das letzte, was sie sah, war das lüstern lächelnde Gesicht mit den begehrlich blitzenden Augen. Dann wurde es dunkel um sie. Tana erwachte mit grässlichen Schmerzen und dem quälenden Gefühl von Durst. Schlagartig kehrte mit dem vollen Bewusstsein die Erinnerung zurück, unwillkürlich machte sie abwehrende Bewegungen und schlug erst dann die Augen auf. Das Netz lag nicht mehr um ihren Körper, und sie befand sich auch nicht mehr draußen im Wald. Ein kleines Zimmer, stellte sie mit raschem Blick fest, fensterlos, erhellt von indirektem Licht. Sie lag auf einer primitiven Pritsche, direkt gegenüber, kaum einen Schritt entfernt, befand sich eine Tür. Das war auch schon alles. Der Raum war kaum groß genug, um die Utensilien für einen Reinigungsroboter aufzunehmen. Aufmerksam suchten die Blicke der jungen Frau jeden Zentimeter von Decke und Wänden ab, während sie gleichzeitig versuchte ihre Kräfte zu reaktivieren. Sicher gab es hier Überwachungsanlagen, sie musste sie nur entdecken. Mühsam richtete Tana sich auf. Was hatte man ihr gegeben, dass sie sich so elend fühlte? Von den Orathonen hatte sie weder Mitleid noch Gnade zu erwarten. Sie war dennoch fest entschlossen zu schweigen und auch keine Schwäche zu zeigen. Man würde sie letztendlich töten, so wie es Laktonen nicht anders ielten, wenn ihnen ein 57 �
Orathone in die Hände fiel. Tana zerbrach sich den Kopf darüber, was man ausgerechnet von ihr wollte. Sie war kein Geheimnisträger, sie befand sich nicht an einer wichtigen strategischen Position; genau genommen war sie noch nicht einmal eine ausgebildete Agentin. Da hätte es im Camp doch wesentlich lohnendere Ziele gegeben. Es sei denn… Tana kam die Erleuchtung. Die Orathonen besaßen keine Möglichkeit in das Camp einzudringen, weil die Sicherheitsvorkehrungen zu effektiv waren. Oder – auch diese Möglichkeit war nicht von der Hand zu weisen -man wollte sie umdrehen. Was wäre im Kleinkrieg der Geheimdienste wohl praktischer, als seinen eigenen Spion in den feindlichen Reihen zu wissen? Nachdem Tana soweit in ihren Überlegungen gekommen war, versuchte sie ihre Gedanken weiter zu ordnen. Als erstes musste sie versuchen festzustellen, wo sie sich hier befand, dann brauchte sie eine Fluchtmöglichkeit, um das Camp zu warnen. Auf keinen Fall durfte sie zulassen, dass man sie umdrehte. Eher musste sie… nein, nicht daran denken. Mit einem leisen Zischen glitt die Tür auf. Im gleichen Moment spürte sie ein kaum wahrnehmbares Vibrieren im Boden. Sie befand sich auf einem Raumschiff! Das warf erst einmal alle möglichen Fluchtpläne über den Haufen. Von einem Raumschiff zu fliehen war fast unmöglich. »Na los, komm schon«, grinste der Orathone schmierig und griff nach ihrem Arm. »Wir haben lange genug darauf gewartet, jemanden wie dich in die Finger zu bekommen. Du wartest sicher auch schon auf das Vergnügen, das dir bevorsteht.« Wieder breitete sich Übelkeit in Tana aus. Sie unterdrückte sie weiterhin, ebenso wie den noch immer quälenden Durst. Widerstandslos ging sie mit dem Orathonen mit. Sie musste eine günstige Gelegenheit abwarten. Bis dahin sollten die Feinde ruhig glauben, dass sie sich in ihr Schicksal fügte. 58 �
Brennend heiß fauchte der Strahlschuss an Tana vorbei. Sie spürte die Hitze, ignorierte den Beschuss aber und blieb noch in Deckung. »Komm da heraus, du hast keine Chance«, brüllte der eine Verfolger. Sie machte nicht den Fehler, darauf zu antworten oder ihre Deckung preiszugeben. »Velatip, komm heraus, du kommst hier nicht weg. Mach nicht noch mehr Ärger, als dir gut tut«, rief der andere Orathone, der noch immer nicht wusste, wo sie sich befand. Sie bedauerte es, dass sie keine Waffe erbeutet hatte, sonst würde sie ihm die in den Mund stopfen. Aber es grenzte schon an ein Wunder, dass ihr überhaupt die Flucht gelungen war. Sie durfte dem Feind nicht wieder in die Hände fallen, noch eine solche Flucht würde ihr nicht gelingen. Vor ihrem geistigen Auge zogen die letzten Stunden noch einmal vorbei. Man hatte sie durch schmale Gänge geführt, und sofort hatte sich ihre Annahme bestätigt, dass sie sich auf einem Raumschiff befand. Sie spürte die begehrlichen Blicke des Orathonen auf ihrer Haut wie körperliche Berührungen. Seine Augen wanderten über ihren Körper, und sie ekelte sich wieder. Allgemein war bekannt, dass der Feind seine Frauen wie Sklaven behandelte. Tana wollte daher gar nicht wissen, was im Kopf des Mannes vor sich ging. Rüde hatte er sie in einen Raum gestoßen, wo bereits ein anderer Feind auf sie wartete. Anhand der farbigen Uniform konnte sie erkennen, dass es sich um einen hochrangigen Offizier handelte. Der Raum selbst war nüchtern und sachlich gehalten, was ihr unbewusst etwas Sicherheit gab. Ein Schreibtisch mit einem Monitor und einer ausgedehnten Schaltanlage, einige Kommunikationspads, zwei Stühle, nichts weiter. Der Feind erschien ihr plötzlich so unglaublich gleichwertig. 59 �
Das Verhör begann eigentlich auf eine völlig normale Art, so wie sie es auch begonnen hätte. Der Offizier, der sich natürlich nicht vorstellte, baute sich vor ihr auf; abgesehen von den Federn auf dem Kopf schienen die Unterschiede nicht so groß zu sein. Er stellte die üblichen Fragen nach ihrem Namen, ihrem Alter und ihrem Herkunftsplaneten, wie auch andere eher unwichtige Einzelheiten. Tana musste davon ausgehen, dass die Orathonen bereits über das Ausbildungscamp Bescheid wussten, doch sie weigerte sich, auch nur eine Information darüber preiszugeben. Standhaft ertrug sie die Schläge, die man ihr gab. Sie waren nur der Vorgeschmack auf das, was noch kommen würde, da gab sie sich keinen Illusionen hin. Später würden ihr diese Schläge vermutlich wie harmloses Streicheln vorkommen. Zu ihrem Erstaunen hatte man ihr keine Fesseln angelegt. Hielt man sie als Frau für so harmlos? So ganz genau wollte sie es dann lieber nicht wissen. Ihr Hass auf die Feinde wuchs ins Unermessliche, als einer der beiden sie mit einem schmutzigen Lächeln vom Stuhl hochriss und sie dicht an sich presste, wobei er schamlos ihren Körper abtastete. Tana kämpfte mit dem Ekel und unterdrückte nur mühsam die Übelkeit. »Lass uns allein«, befahl der Offizier plötzlich, und der andere verschwand. »Ich denke, wir zwei sollten uns doch einmal vertraulich unterhalten«, sagte er. »Es ist vollkommen unnötig, dass du dich in Schweigen hüllst, wir wissen längst Bescheid über Catalo.« »Wenn Sie schon alles wissen, warum fragen Sie dann noch?« Tana biss sich auf die Lippen. Da hatte sie sich doch zum Sprechen verleiten lassen. Der Orathone lachte kurz auf. »Na also, du kannst ja doch reden. Aber um deine Frage zu beantworten – sagen wir einfach, ich möchte gern eine Bestätigung aus erster Hand. Wenn du ver60 �
nünftig bist und mit mir kooperierst, kann ich dir eine anständige Behandlung versprechen. Im anderen Fall – nun, ich glaube nicht, dass es dir gefallen würde, wenn ich dich meinen Leuten überlasse. Du scheinst mir doch sehr verletzlich.« Tana schaute verbissen zu Boden. Sie war ebenfalls sicher, dass es ihr nicht gefallen würde, mit seinen Leuten Bekanntschaft zu schließen. Aber bevor es soweit kam, dass… Nein, eher würde sie eine Möglichkeit finden müssen, sich selbst zu töten. Sie verfluchte die Tatsache, dass sie ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen hatte. Dann wäre sie wenigstens soweit gewesen, ein schnell wirkendes Gift im Körper zu tragen, um durch Selbstmord der demütigenden Gefangenschaft zu entgehen. Aber wer wäre denn auch auf die Idee gekommen, dass die Orathonen einen relativ unwichtigen Planeten überfallen würden? Es gab doch wirklich bessere Ziele im Laktonischen Reich. Der Offizier kam auf Tana zu und beugte sich vertraulich vor, seine Hand streckte sich aus und strich ihr über die Wange. »Sei doch nicht so störrisch. Du wirst feststellen, dass ich ausgesprochen nett sein kann.« In Tana wallte erneut der Hass auf, doch dieses Mal ließ sie es nicht zu, dass er die klare Überlegung verdrängte. Sie zwang sich, dem Mann ins Gesicht zu sehen. »Wie würde dieses Arrangement denn aussehen?«, fragte sie sachlich. Er grinste und ließ ein wenig in seiner Wachsamkeit nach. Tana explodierte förmlich. Sie sprang auf, griff nach dem ausgestreckten Arm des Orathonen, übertrug den eigenen Schwung auf den Körper des Mannes und schleuderte ihn gegen die Wand. Obwohl er insgeheim mit einem Angriff gerechnet hatte, wurde er zu diesem Zeitpunkt völlig überrascht. Er schlug mit dem Kopf so hart auf, dass die Federn auf seinem Kopf wild umherflogen. Jetzt zeigte sich, wie gut Tana wirklich ausgebildet wor61 �
den war. Sie ließ dem Mann keine Chance zur Abwehr, traf mit harten Schlägen die empfindlichen Stellen seines Körpers und hörte erst auf, als er reglos am Boden lag. Etwas in ihr hielt sie jedoch davon ab, ihr Werk zu vollenden und den Orathonen zu töten, was er eigentlich verdient hatte, so wie alle Feinde des Laktonischen Reiches. Schweratmend stand sie über den leblosen Körper gebeugt. Es wäre so einfach. Nur noch ein kurzer Ruck, und sie konnte ihm das Genick brechen. Tana wartete zu lange. Offenbar wurde der Raum überwacht, denn plötzlich gellte der Alarm durch das Schiff. Sie musste fliehen, solange sie noch eine Chance dazu hatte. Der Orathone trug keine Waffe, sie stand also auch weiterhin ohne Hilfsmittel da. Egal, sie würde es schon schaffen. Sie betätigte den Türöffner, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Schott leise zischend zur Seite glitt. Der Aufbau der orathonischen Schiffe gehörte für die Rekruten beim Geheimdienst zur Standardausbildung. Sie orientierte sich kurz und sprang in den nächsten Gravolift abwärts. Sie wusste noch nicht genau, zu welcher Klasse dieses Schiff gehörte – ein Beiboot musste aber auf jeden Fall an Bord sein. Wer auch immer an den Kontrollen saß, reagierte unwahrscheinlich schnell. Der Alarmton veränderte sich, ganze Sektionen wurden durch die Schotten automatisch geschlossen und abgeriegelt, und auch der Gravolift wurde abgeschaltet. Tana besaß plötzlich ihr volles Gewicht und fiel wie ein Stein durch den Schacht. Gute fünf Körperlängen mochten es noch sein, eine beeindruckende Höhe, während der sich das Körpergewicht vervielfachte. Sie krümmte sich im letzten Moment wie eine Feder, dann kam auch schon der Aufprall. Der ganze Körper wurde schwer erschüttert, die Verletzung, die sie sich bei ihrer Gefangennahme zugezogen hatte, schmerzte unerträglich. 62 �
Ein Schrei entfuhr ihr, und die Luft wurde gewaltsam aus den Lungen gepresst. Aber sie lebte und war offenbar nicht schwer verletzt, wie Tana sogleich erleichtert feststellte. Sie versuchte die Schmerzen zu ignorieren und sie in den Hintergrund ihres Bewusstseins zu verdrängen. Links ging es zum Hangar, doch der Weg war durch ein Sicherheitsschott bereits versperrt. Also musste sie einen Umweg nehmen. Das nächste Schott glitt widerstandslos zur Seite, ein kleiner Raum wurde sichtbar, in dem einige Raumanzüge hingen. Irgendetwas irritierte sie daran, aber das war jetzt egal. Noch ein Schott. ›Bleiben Sie, wo Sie sind‹, kam eine harte befehlsgewohnte Stimme aus unsichtbaren Lautsprechern. ›Eine Flucht ist sinnlos. Jemand wird Sie abholen.‹ Tana dachte nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. An einem der Anzüge hing ein MAS, ein bleistiftdünnes Gerät mit kleinem Abzugshebel. Es verschoss winzige Stahlnadeln, die einen starken Elektroschock verursachten. Der Getroffene versank sofort in ein tiefes Koma. Endlich eine Waffe! Hätte Tana jemand vor knapp zwei Jahren prophezeit, dass sie eines Tages ohne Bedenken von einer Schusswaffe Gebrauch machen würde, um zu töten, hätte sie denjenigen vermutlich für verrückt gehalten. Was war aus der ruhigen sanften Tana Velatip geworden, die nichts weiter wollte, als im wissenschaftlichen Dienst alles für ihr Volk zu tun? Der Wunsch nach wissenschaftlicher Arbeit war ungebrochen, aber vieles im Wesen von Tana hatte sich radikal verändert. Aus der etwas naiven begeisterten Patriotin war eine knallharte Agentin geworden, die auch nicht davor zurückschreckte, für den Dienst am Volk zu töten. Zufrieden überprüfte sie die Ladung, um festzustellen, wie lange sie würde Widerstand leisten können. 63 �
Von diesem Raum aus ging es durch einen schmalen Flur in den Hangar. Tana hatte erwartet, dass es hier noch mehr Schwierigkeiten geben würde. Sollte es jetzt plötzlich so einfach sein? Natürlich nicht. Der Hangar war leer! Eiskalte Schauder tobten durch den Körper der Laktonin, erstarrt umklammerte sie ihre Waffe und hegte den absurden Wunsch wild herumzuschießen, um ihrer Enttäuschung Luft zu machen. Sie konnte also nicht fliehen. Dann blieb ihr nur noch ein ehrenvoller Tod. Dazu wollte sie möglichst das ganze Schiff mitnehmen. Zum einen konnte sie so die Schande ihrer Gefangenschaft sühnen, zum anderen gab sie so der Überwachung im Camp ein Zeichen, dass der Feind den Weg gefunden hatte. Aus den Lautsprechern kam zum wiederholten Male die Aufforderung sich zu ergeben. Tana achtete schon nicht mehr darauf. Sie musste zum Herzstück des Antriebs kommen, dort konnte sie den Fusionsreaktor manipulieren und so sich selbst mitsamt den Feinden in die Luft sprengen. Das war der Augenblick, in dem sie den Verfolger entdeckte. Sie schoss, und die Worte, die er ihr zurief, gingen im Fauchen der Entladung unter. Mit einem Hechtsprung warf sich der Mann in Deckung und brüllte wieder etwas. Tana hastete weiter, ohne auf die Worte zu achten. Die Zeit zum Nachdenken, ob sie etwas hätte anders machen können, war vorbei. Ihrer Meinung nach musste sie sich schon dicht an der Maschinensektion befinden, hier würde es bestimmt noch einige unerwartete Sicherungen geben. Sie musste vorsichtig und gleichzeitig schnell sein. Das nächste Schott ließ sich nicht einfach öffnen. Nervös schaute sich Tana um, dann öffnete sie die Reparaturklappe, um die Anschlüsse zu überbrücken. Ihre Finger zitterten, verharrten dann aber reglos in der Luft, als sie das kalte Metall einer Waffe an ihrem Kopf spürte. 64 �
Aus! Vorbei!, Alles umsonst! hämmerten ihre Gedanken mit schmerzhafter Intensität. Langsam drehte sie sich um. Die Augen des Feindes blickten sie mit aufrichtiger Anerkennung an. Das spielte aber keine Rolle mehr für Tana. Noch bevor der Mann reagieren konnte, hatte sie die eigene Waffe an den Kopf gesetzt und drückte auf den Abzug.
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5. � »Corron? Wo, bei allen Göttern, liegt Corron? Es muss sich ein ziemlich unwichtiges System handeln, denn sonst würde ich es kennen. Ja, weiß denn im Diplomatischen Corps niemand, wer und was ich bin? Warum weist man mir einen völlig nebensächlichen Posten zu?« Kront Enschko, hochgewachsen und hager gebaut, fuchtelte wild mit der Ernennungsurkunde herum, so dass seine kostbaren Armreifen helles Klingeln erzeugten. Gerade hatte ihm ein Mitglied der Diplomatischen Missionsbehörde die Nachricht überbracht, dass er zum Repräsentanten auf Corron ernannt worden war. Natürlich wusste Enschko, wie fast jeder Laktone in hochrangiger Position, um welche Welt es sich bei Corron handelte. Die Corroni waren neben den Kynothern die besten Dolmetscher der bekannten Galaxis und somit in der Lage, innerhalb kürzester Zeit die Sprache fremder Völker zu erfassen. In seiner Überheblichkeit und Arroganz war Enschko jedoch davon ausgegangen, dass ihm als Mitglied einer angesehenen Adelsfamilie gleich ein wirklich bedeutender Posten zugeteilt würde. Aber ausgerechnet Corron? Der Planet und seine Bewohner waren für das Laktonische Militär von herausragender Bedeutung, auch wenn diese Tatsache gern herabgespielt wurde. Corronische Xeno- Kommunikatoren erfassten fremde Sprachen mit allen Untertönen und hielten so den Kontakt mit allen fremden Völkern aufrecht, was für die Laktonen unter ihrer Würde lag. So war jedenfalls immer sichergestellt, dass alle Befehle der laktonischen Herrscher fehlerfrei übermittelt wurden. 66 �
Vor einigen Jahren hatten die Corroni jedoch selbst gegen die laktonische Besatzung rebelliert und in einem verheerenden Aufstand versucht, ihre Unabhängigkeit durchzusetzen. Die Rebellion war blutig niedergeschlagen worden, das ganze System wurde seitdem isoliert und die Bevölkerung wie Sklaven gehalten. Der Präsident von Corron war nicht mehr als eine Marionette, er unterstand in allen Belangen dem Repräsentanten von Lakton. Doch die Existenz des Planeten war fast ganz aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit geschwunden – was nicht existierte, konnte auch nicht rebellieren. Deshalb war auch nicht allgemein bekannt, dass die Corroni sich nicht mit der aufgezwungenen Fremdherrschaft abfinden wollten. Immer wieder kam es zu Verschwörungen und Anschlägen, die jedoch vom effektiv arbeitenden Geheimdienst meist schon vor der Verwirklichung der tödlichen Pläne aufgedeckt wurden. Hierher sollte Kront Enschko fliegen und das Laktonische Reich vertreten. Für ihn kam das fast einer Demütigung gleich, obwohl die meisten anderen seines Ranges diese Aufgabe voller Eifer übernommen hätten. »Sie sollten diese Ernennung als Sprungbrett für zukünftige große Aufgaben betrachten«, sagte der Diplomat. Er war sichtlich angewidert von der arroganten Überheblichkeit, mit der Enschko über diese Ernennung hinwegging. Jeder andere wäre dankbar gewesen, gleich am Anfang seiner Karriere mit einem derart verantwortungsvollen Posten betraut zu werden. Enschko hingegen empfand diesen Posten als Abstieg. Der hagere Laktone ließ sich schwer in einen Sessel fallen und legte die Handflächen gegeneinander. An den Fingern blitzten kostbare Ringe, die Kleidung des Mannes war teuer, elegant und entsprach der neuesten Mode vom Planeten Ferga, der Hauptwelt der Laktonen. 67 �
»Habe ich es nötig, ein Sprungbrett zu benutzen?«, fragte er aufbrausend. Der Diplomat, der aus einer ähnlich hochgestellten Familie stammte, hatte mit derartigen Problemen schon fast gerechnet. Er arbeitete schon so lange im diplomatischen Dienst, dass er über eine unendliche Geduld verfügte. »Selbst einer der Schenta hat zu Beginn seiner Karriere einen kleinen Verwaltungsposten angenommen«, erklärte er im Brustton eines Verschwörers. Enschko zog die Augenbrauen zusammen, dass sie wie ein Strich wirkten. Er war fast besänftigt, auch deswegen, weil der Diplomat sich so intensiv mit ihm beschäftigte. Das unterstrich die Wichtigkeit seiner Person und machte deutlich, dass er mehr war als ein kleiner Verwaltungsangestellter. »So, einer der Schenta, ja?«, fragte er dennoch argwöhnisch und bezog sich damit auf den Hofrat der Laktonen, der aus vier Personen bestand und nur dem Schento unterstellt war. Der Diplomat bestätigte mit einem Lächeln. »Eigentlich hat jeder von uns klein angefangen. Es ist eine große Ehre für Sie und Ihre Familie, dass Ihre Ernennung gleich einen so verantwortungsvollen Posten erfasst. Sie haben selbstverständlich alle Vollmachten und absolute Handlungsfreiheit. Der Präsident von Corron ist Ihnen unterstellt. Solange die Corroni sich an unsere Regeln halten, wird Ihnen niemand Vorschriften machen. Sorgen Sie dafür, dass wir ausreichend gut geschulte Xeno-Kommunikatoren zur Verfügung haben, verhindern Sie einen erneuten Aufstand, und ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, dass man an höherer Stelle ein Auge auf Sie haben wird. Man hat noch Großes mit Ihnen vor. Zeigen Sie, dass Sie dessen würdig sind.« Das Letzte fügte der Diplomat aus eigenem Antrieb hinzu. Man musste dem Ego von Kront Enschko schmeicheln. Er war wie alle Mitglieder der großen Familien aufgeblasen und maß 68 �
sich selbst zuviel Bedeutung zu. Das durfte allerdings niemand laut sagen, auch der kluge Diplomat nicht. Er hatte aber die richtigen Worte getroffen, wie die Reaktion des jungen Laktonen bewies. »Was erwartet man von mir? Ich werde mich doch nicht mit Einzelheiten der dortigen Verwaltung herumschlagen müssen?« »Selbstverständlich nicht. Sie bekommen einen Stab an die Seite gestellt, ausgewählte fähige Leute, die Ihre Befehle ausführen werden. Außerdem gehört natürlich eine angemessene militärische Eskorte dazu, die dafür sorgt, dass alle Ihre Anweisungen durchgesetzt werden.« Enschko war besänftigt. Das hörte sich an, als wüsste man seine Wichtigkeit zu schätzen. Langsam freundete er sich mit dem Gedanken an, auf Corron zu herrschen. Immerhin besaß er unumschränkte Vollmachten. Er würde dafür sorgen, dass die Corroni dankbar für die Besetzung ihres Planeten waren. Sie durften dem Laktonischen Reich dienen, eine Ehre, die andere Völker nicht genossen. Er würde ihnen die Bedeutung dieser Ehre schon klarmachen. Enschko stand auf. Er überragte den fülligen Diplomaten um fast einen Kopf und wirkte dadurch noch hagerer. »Kann ich meinen Stab selbst aussuchen?«, wollte er wissen. »Die Hälfte der Mitarbeiter wird Ihnen zugeteilt«, stellte der andere Laktone klar, der sehr wohl ahnte, dass die Mitarbeiter von Enschko in erster Linie darauf abzielten, sich selbst zu bereichern und eigene Machtkreise aufzubauen. Das lag nicht ganz im Sinne der Regierung. »Es handelt sich dabei um ausgesuchte Spezialisten auf den entsprechenden Gebieten. Die übrigen Leute können Sie nach eigenem Ermessen bestellen«, beeilte er sich zu versichern. Mit dieser Maßnahme wurde auch verhindert, dass nur treue Gefolgsleute von Enschko bestimmt wurden, die unter Umstän69 �
den keine Ahnung von der planetaren Verwaltung hatten. Ungewöhnlich war es in dieser Situation ohnehin, dass der komplette Stab ausgetauscht wurde. Normalerweise wechselten nur der Repräsentant und seine engsten Leute. Hier hatte der letzte Aufstand jedoch gezeigt, dass die Loyalität der einzelnen Mitarbeiter zu den Corroni tendierte, eine unerhörte Einstellung. Es war an der Zeit, dass frisches Blut auf den Planten kam. Im Übrigen wurde der ehrgeizige junge Adlige bespitzelt, um sicherzustellen, dass er nicht um der persönlichen Ambitionen willen Unheil anrichtete. »Ich bin einverstanden«, erklärte Kront Enschko nun, als sei es eine besondere Gnade, dass er diesen Posten annahm. Der Diplomat verabschiedete sich, so schnell es der Anstand zuließ. Wieder einmal hatte er eine schwierige Situation gemeistert. Auch seine Karriere führte unaufhaltsam nach oben. Eine Woche später reiste Kront Enschko nach Corron ab. Sein persönlicher Mitarbeiterstab umfasste rund vierzig Personen, und er war doch erzürnt darüber, dass man ihm eine persönliche Assistentin an die Seite gestellt hatte, die weder aus einer der großen Familien stammte, noch andere besondere Verdienste vorzuweisen hatte. Sein Freund Bordulak cor Hadalip hatte bei dem Namen jedoch gestutzt und dann erklärt, dass er diese Person sehr wohl kennen würde. Mit Freude hatte Enschko dann den ganz privaten Auftrag angenommen, dieser Frau das Leben zur Hölle zu machen. Nun, es hätte im Grunde dieser Bitte gar nicht bedurft. Enschko empfand diese Berufung als persönlichen Affront, denn er hatte drauf verzichten müssen, eine Person seines Vertrauens an diese Stelle zu setzen. Es konnte ein interessanter Aufenthalt auf Corron werden. * 70 �
Tana hatte mit dem Leben abgeschlossen. Schade, sie wäre gerne eine große Wissenschaftlerin geworden. Nur dafür hatte sie all das auf sich genommen. Fast zwei Jahre der Ausbildung, der Mühen und des Lernens – alles umsonst. Sie starrte in die Augen des Orathonen und erwartete ihren Tod, als sie abdrückte. Nichts geschah. Panik breitete sich in ihr aus, hektisch betätigte sie den Abzug der Waffe erneut. Noch immer nichts. Fast zärtlich nahm ihr der Feind die Waffe aus der Hand. Ihre Beine wurden weich, sie hielt sich nur noch mit Mühe aufrecht. Jetzt gab es nichts mehr, was sie noch retten konnte. »Genug, Velatip, es reicht. Sie haben Ihre Aufgabe bestens gemeistert.« Sie nahm die Bedeutung der Worte nicht auf. Ihre Gedanken rasten wild durcheinander, noch immer auf der Suche nach einem Ausweg. »Nun kommen Sie schon zu sich. Es ist vorbei.« Der Orathone griff nach ihren Händen, und sie zuckte zurück. Er lachte leise auf, bemerkte dann aber die Panik in ihren Augen. Zu ihrer Überraschung zog er mit einiger Mühe eine Maske vom Kopf und nahm dann auch die Blenden aus dem Mund, die seine rosa Zähne verbargen. Fassungslos schaute Tana zu, konnte noch immer nicht glauben, was da gerade vor ihren Augen geschah. Der Orathone war gar kein…? Ja, aber dann… Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Die Beine gaben endgültig unter ihr nach, sie sackte zu Boden und begann vor Erleichterung und Erschöpfung hemmungslos zu weinen. Zischend öffnete sich ein Schott, Hortek kam herein. Hortek, dem sie all dies hier wohl zu verdanken hatte. »Das war knapp«, stellte er fest. »Fast wäre es uns nicht gelungen, die energetischen Emissionen in dieser Sektion aufzuheben. 71 �
Dann hätten wir eine hervorragend ausgebildete Agentin verloren. Velatip, was haben Sie sich dabei gedacht, bis zum äußersten zu gehen? Selbstmord ist immer nur die letzte Alternative, und Sie hätten hier schon noch ein paar Möglichkeiten gehabt, den Orathonen zu schaden. Stattdessen haben Sie Ihre persönliche Angst vorangestellt und wollten vorzeitig alles beenden. Ich werde darüber nachdenken müssen, ob Sie die Prüfung tatsächlich bestanden haben.« Tana rappelte sich langsam wieder auf. Nach und nach sickerte die Wahrheit in ihren Kopf. Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt, auch wenn sie einsah, dass eine echte Prüfung vermutlich notwenig war, um Loyalität, Kampfgeist und Reaktion in Extremsituation zu testen. Das konnte eben nur unter realistischen Bedingungen stattfinden. Am meisten ärgerte sie sich jedoch gerade über sich selbst. Mit etwas mehr Logik hätte sie vielleicht erkannt, dass nichts von alledem hier echt gewesen war – außer dem Raumschiff natürlich, das man irgendwann erbeutet hatte. Sie hatte sich jedoch zum Teil von Angst und Abscheu beherrschen lassen, war sogar bereit gewesen das eigene Leben wegzuwerfen. Aber Hortek stand da und betrachtete sie wie ein seltenes Insekt, das er zu sezieren gedachte. Diese Demütigung war für sie noch größer als alles andere vorher. Mühsam riss sie sich zusammen. Ihre Augen bekamen einen harten Glanz. Jetzt war sie wieder ganz die kühle Agentin, als die sie ihr Führungsoffizier sehen wollte. Stolz und hoch aufgerichtet stand sie da, und nun blickten die Männer bewundernd auf die schöne Frau. Tana holte kurz aus und verpasste Hortek eine schallende Ohrfeige. (Eine der vielen Übereinstimmungen zwischen Laktonen und Terraner betreffs 'Körpersprache') »Ich mag diese Prüfung vielleicht nicht bestanden haben«, sagte sie leise und überdeutlich. »Aber die Art und Weise, in der 72 �
Sie mir das mitteilen, ist absolut unwürdig.« Sie drehte sich um und ging davon. Hortek war völlig überrascht von dieser Reaktion. Nachdenklich rieb er sich über die Wange. Sein Partner und Kollege zog sich ebenfalls die orathonische Maske vom Körper und lachte leise. »Die hat es dir aber gegeben. Eine bemerkenswerte Frau, immer noch für eine Überraschung gut. Willst du wirklich die Prüfung für gescheitert erklären? Wir haben schon Agenten mit weit weniger Mut und Können ins Feld geschickt.« Hortek schüttelte den Kopf. »Sie hat bestanden, ganz eindeutig, aber sie besitzt noch viel mehr an Potential, was sie nicht ausschöpft. Ich hoffe nur, dass sie niemals in eine Situation kommt, in der sie tatsächlich gezwungen ist, eine derartige Entscheidung zu treffen, wie sie es gerade tun musste. Sie hat gezögert, den Orathonen zu töten.« »Warum? Sie hat doch im Prinzip alles richtig gemacht. Der Rest kommt später mit der Erfahrung. Sie hat eigentlich alles sogar viel zu gut gemacht für eine Anfängerin. Immerhin hätte sie mich töten können, als sie die Gelegenheit dazu hatte.« »Genau das meine ich«, sagte Hortek langsam. »Glaube nicht, dass ich dir den Tod wünsche. Aber sie wird letztlich immer Skrupel haben.« »Die du natürlich nie aufbringen würdest. Manchmal glaube ich, du besitzt überhaupt keine Emotionen, Hortek. Bist du sicher, dass du nicht doch ein Roboter bist?« »Du würdest dich wundern festzustellen, wie viel Emotionen bei mir vorhanden sind.« Sein Partner betrachtete ihn nachdenklich. »Ich glaube fast, du fühlst etwas für diese Tana Velatip und machst dir Sorgen, dass die beste Agentin, die du je ausgebildet hast, durch einen dummen Fehler außer Gefecht gesetzt werden könnte.« 73 �
»In einem Punkt hast du Recht. Sie ist vermutlich die Beste, die ich je ausgebildet habe. Aber Sorgen habe ich nur, dass sie schon bei der ersten Aufgabe versagen könnte. Das würde sich in meinem Personalbogen nicht besonders gut machen.« Hortek zuckte zusammen, als ihm sein Kollege krachend auf die Schulter schlug. »Du hast eine seltsame Art mit deinen Agenten umzugehen. Ich wünsche Velatip jedenfalls alles Gute, sie wird schon schaffen, was sie sich vorgenommen hat.« Er bekam keine Antwort auf diese Bemerkung. Hortek ging wortlos in die Zentrale, um das Schiff im Ausbildungscamp zu landen. Der Trakonkreuzer Regoll war auf dem Weg nach Szahan. An Bord des 2160 Meter langen und 160 Meter durchmessenden Raumschiffs befanden sich zwölf frisch ausgebildete Agenten. Hortek hatte nach Abschluss aller Prüfungen entschieden, dass die Gruppe eine Belohnung verdiente. Die Reise nach Szahan sollte der krönende Abschluss sein, gleichzeitig konnten einige der angehenden Geheimdienstler ihren zukünftigen Arbeitsplatz in Augenschein nehmen. Bei Szahan handelte es sich um einen der wichtigsten Wirtschaftsplaneten im Laktonischen Reich. Die ganze Welt war ein einziger Marktplatz, auf dem Händler mit allem handelten, was auf den unzähligen Planeten im ganzen Reich produziert wurde. Die Ernten von fruchtbaren Welten wurden ebenso verkauft wie ganze Geschwader von Raumschiffen. Hier gab es buchstäblich alles, vom lektorianischen Sandhüpfer über Vyuscha-Pelze oder Spinnenseide von Raperoll bis hin zum gonderischen Grabstein aus changierendem Celesit. Drei riesige Raumhäfen sorgten für einen rasanten Warenumschlag, zusätzliche Raumdocks mit Transmittern im Orbit schleusten Passagiere und Händler durch, die nicht darauf angewiesen waren, mit eigenen Frachtern auf dem Planeten zu landen. 74 �
Neben den unzähligen Handelsposten gab es natürlich auch riesige Vergnügungsviertel, in denen jede noch so bizarre Art von Vergnügen feilgeboten wurde. Rauschgifthöhlen, Bordelle, Spielcasinos, Traumpaläste – auch hier war die Auswahl so vielfältig wie die Völker, die zum Laktonischen Reich gehörten. Das meiste war auf die eine oder andere Weise illegal, sowohl auf den betreffenden Planeten, wie auch hier auf Szahan. Doch da kam der Leitspruch des Handelsplaneten ins Spiel: »Der Schaden des einen ist der Vorteil des Schnellsten.« Es gab niemanden der Klage einreichte, also führte jedermann seine Geschäfte, wie es ihm gefiel. Die Obrigkeit war in erster Linie daran interessiert, Zoll und Steuern einzutreiben, um dem unersättlichen Moloch Krieg noch mehr Material und Kanonenfutter in den Rachen zu werfen. Hier auf Szahan gab es die besten und die schlechtesten Gerüchte, die meisten Informanten in diesem Teil der Galaxis und noch mehr Verbrechen, an deren Aufklärung niemand interessiert war. Auch der Geheimdienst war nicht wild darauf, die Verbrecher dingfest zu machen. Man kannte die mehr oder weniger kriminellen Elemente und hielt sie unter Kontrolle. Wenn man jemand einsperrte, wusste man nicht, was dem folgte; da war es klüger, die bekannten Verbrecher zu beaufsichtigen. Ein Teil der jungen Agenten würde für längere Zeit hier stationiert werden, die meisten von ihnen zunächst im langweiligen und ungefährlichen Verwaltungsdienst. Hortek wusste bereits, dass Tana Velatip einen anderen Auftrag bekommen sollte. Diese Frau war zu wertvoll, um in einer routinemäßigen Aufgabe verschlissen zu werden. Der Aufenthalt auf Szahan sollte tatsächlich eine Belohnung und Wiedergutmachung sein. Hortek wollte mit ihr durch das große Vergnügungsviertel laufen und jeder ihrer Launen nach75 �
geben, selbst wenn er dabei gegen Gesetze verstoßen sollte, was hier ohnehin niemand kontrollieren würde. Am Ende des Aufenthalts stand dann die Vorbereitung auf den großen Einsatz. Die Formalitäten auf dem Raumhafen beschränkten sich auf das Notwendigste, in Gruppen zu zwei und vier Leuten verließen die Grünlinge und ihre Ausbilder das Schiff, um sich drei Tage lang zu amüsieren. Tana legte eigentlich keinen Wert darauf, wie ein Kleinkind an die Hand genommen zu werden, schon gar nicht von Hortek. Jeden anderen hätte sie akzeptiert, nur ihn nicht. Die Verlockungen von Szahan waren riesengroß; normalerweise brauchte man ein Permit, um für den Handel zugelassen zu werden und erst dabei das Vergnügen kennen zu lernen. Jeder der Raumschiffskapitäne, Händler und Besatzungsmitglieder besaß einen solchen Ausweis. Für den Geheimdienst wurde einfach eine Sondergenehmigung erstellt, die sich kaum von den echten Permits unterschied. Schließlich hatten die Agenten kein Interesse daran, irgendwo abgewiesen zu werden, nur weil sie der Obrigkeit angehörten und der Anbieter von was auch immer, Angst hatte, dass sein Geschäft auffliegen könnte. Tana hatte wenig Interesse am Vergnügungsviertel, sie wollte dorthin, wo die großen Geschäfte gemacht wurden. »Ich brauche keinen Babysitter«, sagte sie abwehrend zu Hortek. »Sie haben hier doch sicher Bekannte oder Freunde. Gehen Sie ruhig und lassen Sie mich allein.« »Niemand wird hier allein gehen, Velatip. Ich habe nämlich keine Lust, anschließend eine Suchmannschaft auszuschicken. Wir beide werden gemeinsam gehen. Ich bin gern bereit, mich Ihren Wünschen zu beugen. Sie bestimmen den Weg, Agentin.« Wohl oder übel musste sie sich dieser Anweisung beugen. »Ich will die große Handelskuppel sehen«, forderte sie. Hortek war erstaunt. »Dort sind keine Besucher zugelassen.« 76 �
»Bestimme ich nun den Weg oder nicht?« Sie hob die Augenbrauen und blickte den Offizier spöttisch an. Der seufzte. Die Handelskuppel beherbergte unzählige einzelne Arbeitsplätze, die alle mit einem Zentralrechner verbunden waren. Jeder der mehr als zehntausend Händler besaß in Sekundenbruchteilen Überblick über die Angebote aller auf dem Planeten angebotenen Waren. Die Kuppel war die Börse, das Herz von Szahan. Auch wenn es nicht erlaubt war, Hortek machte es möglich. Tana betrat die Kuppel und blickte ehrfürchtig in die Höhe. Die einzelnen Händler saßen an ihren Plätzen, auf den ersten Blick wirkte das Innere der Kuppel wie mit Schubladen angefüllt. Tausende von Monitoren zeigten in rasender Schnelligkeit die Angebote. Um hier handeln zu können, brauchte es eine Menge Erfahrung. »Unglaublich«, flüsterte sie ergriffen und fast ehrfürchtig. »Was haben Sie davon, hier zu stehen?«, fragte er nüchtern. »Das werden sie vermutlich nie verstehen, denn Ihnen mangelt es an Phantasie. Stellen Sie sich doch mal vor, dass mit einem Knopfdruck das Einkommen eines ganzen Planeten vernichtet oder verdoppelt werden kann.« »Klar, ich verstehe. Da drüben hat übrigens gerade eine ganze Flotte Frachter für ein Trinkgeld den Besitzer gewechselt. Was ist denn daran so faszinierend? Hier wird mit Zahlen jongliert, mit abstrakten Begriffen. Na und?« Sie seufzte. »Und ich bin Mathematikerin, Zahlen sind für mich etwas Lebendiges«, konterte sie. »In den nächsten Wochen dürfen Sie sich noch genug mit Zahlen beschäftigen. Jetzt sollten Sie abschalten. Kommen Sie, ich will Ihnen etwas zeigen.« Der Traumpalast bestand aus einem unscheinbaren Gebäude. An den schmalen hohen Fenstern hingen irisierende Vorhänge, 77 �
die sich im leichten Windzug bewegten. Das Haus selbst war grau und verschmolz förmlich mit der Umgebung. »Sieht nicht gerade aus wie ein Palast«, bemerkte Tana. Hortek zog sie mit sich, obwohl sie sich sträubte. Sie wollte nicht träumen, aber er ließ keinen Einwand gelten. Drinnen gab es einen nüchternen Empfangsbereich; einen Tresen, drei leuchtende Tore, ein höflich lächelnder Angestellter. »Ich will das nicht.« Tana wollte lieber weg von hier. Diesmal war es Hortek, der sie spöttisch musterte. »Haben Sie von mir eine so schlechte Ausbildung bekommen, dass Sie Angst vor dem Träumen haben?« Sie erkannte die pure Provokation – und fiel prompt darauf herein. »Ich habe keine Angst.« »Worauf warten wir dann?« Das war die übliche Art von Hortek. Tana gab sich einen Ruck und trat einen Schritt vor. Hortek bestellte zwei Träume für Laktonen. »Die Mischungen sind für die verschiedenen Völker unterschiedlich«, erklärte er eine bekannte Tatsache. Die beiden wurden durch den mittleren Eingang in einen knallbunten Raum geführt, in dem außer zwei Liegen keinerlei Einrichtungsgegenstände vorhanden waren. Eine kaum bekleidete Lithalonierin kam herein und reichte ihnen jeweils einen Becher mit einem aromatischen Getränk. Hortek hob sein Glas. »Angenehme Träume wünsche ich, Velatip.« Sie zögerte. »Warum?«, fragte sie dann. »Warum wollen Sie unbedingt, dass ich dieses Teufelszeug ausprobiere?« »Sie wissen nicht viel über Traumpaläste und Traumkraut, nein?« Sie verneinte. »Man sagt dem Traumkraut prägkognitive Fähigkeiten nach. 78 �
Es heißt, was Sie beim ersten Mal träumen, könnte sich als mögliche Zukunft herausstellen.« Sie lachte ungläubig auf. »Sie nehmen diesen Unsinn doch nicht für bare Münze? Niemand kann die Zukunft vorhersagen, nicht einmal mit einer komplizierten Wahrscheinlichkeitsberechnung lässt sich eine konkrete Vorhersage machen.« Er lächelte kalt. »Das scheint mir der Unterschied zwischen uns beiden zu sein. Sie haben mir vorhin noch vorgeworfen, keine Phantasie zu besitzen. Meine Vorstellungskraft reicht aber weit genug, um mir mit Traumkraut mögliche Wirklichkeiten zeigen zu lassen. Und nun, noch einmal angenehme Träume, Velatip.« Es gab kein Zurück. Tana setzte tapfer den Becher an die Lippen und trank. Es schmeckte anfangs bitter, dann setzte sich eine süßsaure Komponente durch. »Jetzt warten wir. Die Wirkung setzt normalerweise binnen weniger Minuten ein.« »Sie wissen sehr viel darüber. Wie oft haben Sie hier schon geträumt?«, wollte sie wissen. »Oh, erst einmal. Bei allzu häufigem Gebrauch kann Traumkraut süchtig machen.« Das Gesicht von Hortek veränderte sich plötzlich etwas, nahm skurrile Formen an, und seine Worte erreichten Tana nicht mehr. Sie spürte auch nicht mehr, dass sie in verkrümmter Haltung auf die Liege fiel. Vor ihren Augen baute sich eine fremde Welt auf. Tana Velatip begann zu träumen. Eine Raumschlacht tobte. Wie grelle Lichtfinger schossen Energiestrahlen durch das All, trafen auf Raumschiffe oder vergingen irgendwo im Nichts. Trümmerteile schwebten umher. Rettungskapseln taumelten hilflos dazwischen. Orathonische Raumschiffe kämpften gegen laktonische Raumer, unzählige Strahlen schossen durch das All, lautlos verglühten Schiffe, neben den Trümmern flogen auch Körper umher, die Gesichter 79 �
verzerrt, aufgedunsen, tot. Es war nicht zu erkennen, wer diese Schlacht gewinnen würde, doch ein Gefühl sagte ihr, dass die Orathonen nicht im Vorteil waren. Die Gefiederten hatten beträchtliche Verluste hinzunehmen, eine befriedigende Erkenntnis. Tana befand sich irgendwo dazwischen inmitten des Chaos, doch sie wusste genau, dass sie selbst nicht gefährdet war. Was sie sah oder erlebte, war nicht real, dessen war sie sich bewusst. Sie versuchte sich zu orientieren, anhand der Sternbilder fand sie sich jedoch nicht zurecht. Die Raumschlacht fand innerhalb eines Systems statt, wie es viele gab: Eine gelbe Sonne, umringt von neun Planeten, die Lebenszone war eng bemessen, vermutlich würde nur auf dem dritten und vierten Planeten eine intelligente Rasse existieren können. Kaum hatte Tana diese Erkenntnis verarbeitet, wurde sie mit unwiderstehlicher Kraft auf eben diesen dritten Planeten gezogen. Sie sah unendliche Verwüstungen in den Städten, Krater von gewaltigen Explosionen und eine Unzahl orathonischer Raumschiffe. Also war auch dieses System dem Expansionsdrang des Feindes erlegen. Auffällig war dennoch die hohe Anzahl an Raumschiffen. Normalerweise wurden eroberte Planeten schnell und gnadenlos ausgebeutet, den Bewohnern blieb keine Möglichkeit sich dagegen zu wehren, und zurück blieb nichts weiter als eine öde tote Kugel, die keinerlei Lebenskraft mehr bot. Hier schien etwas anders zu laufen, denn die Orathonen schienen noch keinen endgültigen Sieg errungen zu haben, und das lag nicht allein an dem erbitterten Kampf, der über dem System im Weltraum tobte. Wieder wechselte Tanas Perspektive. Sie veränderte ihren Standort und befand sich plötzlich in einer Art Stützpunkt voller Lebewesen. Keine Orathonen, aber auch keine Laktonen, obwohl 80 �
der Körperbau ähnlich war. Ein hochgewachsener Mann erregte ihre Aufmerksamkeit. Er hob sich von den anderen ab, nicht nur durch die Körpergröße, sondern auch durch die natürliche Autorität, die er ausstrahlte. Und noch etwas war an ihm besonders, ohne dass Tana eine Definition dafür gefunden hätte. Augenblicklich aber ahnte sie, dass dieser Mann der Grund war, dass die Orathonen hier keinen entscheidenden Sieg errungen hatten. Erneut wechselte die Szene. Tana wurde von dem Hochgewachsenen weg von den brennenden Überresten eines Raumschiffes getragen, als plötzlich vor ihnen Bordulak cor Hadalip auftauchte und sie und ihren Retter mit einer Waffe bedrohte. Gleich würde ihr ehemaliger Freund feuern… Ihr Traum wurde jäh beendet. Die Bilder vor ihrem geistigen Auge wirbelten wild durcheinander, verwoben sich zu einem wirren Kaleidoskop und verschwammen schließlich zu surrealistischen Farben. Eine harte Hand schüttelte sie, Tana fand in die Wirklichkeit zurück und sah das besorgte Gesicht von Hortek vor sich. »Alles in Ordnung?«, fragte er. »Natürlich. Warum stören Sie meinen wohlverdienten Schlaf?«, fragte sie ungnädig. Er lachte plötzlich und wurde wieder kühl und gelassen. »Unsere Traumphase ist beendet. Werden Sie mir erzählen, was Sie erlebt haben?« »Ich befand mich auf einen urzeitlichen Planeten und wurde von einem Barbaren an den Haaren in eine Höhle geschleift«, erwiderte sie ohne zu zögern. Was sie tatsächlich gesehen hatte, wollte sie für sich behalten, das ging niemanden etwas an, Hortek schon gar nicht. Entgegen ihrer früheren Worte hatte Tana doch das Gefühl, dass sich dieser Traum auf eine sehr persönliche Art als wichtig erweisen würde. Davon sollte niemand 81 �
erfahren. Hortek musterte sie argwöhnisch. So ganz glaubte er ihren Worten nicht. Aber nicht einmal er besaß die Macht, ihr in diesem Punkt einen Befehl zu erteilen. Nach drei Tagen flog das Raumschiff mit allen Agenten wieder ab, und einige Zeit später bekam Tana Velatip den Einsatzbefehl. Ausgerechnet Corron! Ausgerechnet Kront Enschko!
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6. � Tana war froh, dass sie eine kleine Gnadenfrist erhalten hatte; sie musste nicht mit Enschko in einem Raumschiff fliegen. Nach allem, was sie über ihn gehört hatte, handelte es sich um einen höchst unangenehmen Mann; arrogant, eingebildet und maßlos überheblich. Außerdem war seine Familie gut befreundet mit der von Bordulak cor Hadalip, dem sie den Laufpass gegeben hatte. Sie ahnte, dass einiges an Schwierigkeiten auf sie zukommen würde. Hortek war auf ihre Beschwerde überhaupt nicht eingegangen. Mit hochgezogenen Augenbrauen hatte er seine Agentin gemustert. »Wir alle erfüllen unsere Aufgaben an dem Platz, der uns angewiesen wird. Sie sollten dankbar sein, einen derart privilegierten Posten zu erhalten. Passen Sie sich an, Velatip, und nehmen Sie Enschko als das, was er ist: einen aufgeblasenen Wichtigtuer, der letztendlich glaubt, die Macht in den Händen zu halten, während in Wirklichkeit wir, der Geheimdienst, die Herrschaft ausüben. Haben Sie Ihre Ausrüstung komplett? Hier sind Ihre Unterlagen. Als persönliche Assistentin des Repräsentanten von Lakton sind Sie selbst eine Respektsperson. Sie sollten vorsichtig sein, wenn Sie versuchen, ein Netz von Informanten aufzubauen. Greifen Sie ruhig auf die Leute zurück, die bereits vor Ort sind. Ihr Kontaktmann wird sich bei Ihnen melden und Ihnen alles liefern, was er bekommt.« »Warum brauchen Sie jemanden auf Corron, der eine solche Spezialausbildung hat?«, fragte sie. »Wenn ich das richtig ver83 �
stehe, besteht ein Netz. Wozu jemanden wie mich?« »Weil jemand wie Sie in der Lage ist, auch aus bruchstückhaften Informationen Rückschlüsse zu ziehen. Wir sehen im Augenblick keine akute Gefährdung, aber ich – und nicht nur ich – glaube, dass es schon viel zu lange ruhig ist seit dem letzten Aufstand. Wir brauchen die Corroni, doch sie sind nicht gerade ein Volk, das sich einfach mit einer Besetzung abfindet.« »Und weil das Volk keine Freiheiten genießt, befürchten Sie die Bildung einer Rebellenzelle oder eines neuen Aufstandes?« Er runzelte die Stirn. »Wozu sollten die Corroni Freiheiten brauchen? Wie schon gesagt, jeder erfüllt seine Aufgabe an dem Platz, an den er gestellt wird. Das gilt auch, oder ganz besonders, für Corron. Das Laktonische Reich braucht die Corroni. Im Übrigen sorgen wir schließlich dafür, dass das System nicht von den Orathonen überrannt wird. Eine gute Reise wünsche ich, Velatip. Enttäuschen Sie mich nicht.« Das war der Abschied gewesen, und nun setzte das Raumschiff zur Landung auf Corron an. Tana ging in Gedanken noch einmal ihr Gepäck durch. Hatte sie auch nichts vergessen? Nein, alles war vorhanden – und es wäre auch zu spät gewesen, jetzt noch etwas zu ordern. Draußen auf dem Landefeld stand ein Mann und wartete mit einem Fluggleiter auf sie. Überall war Militär zu sehen, und gleich beim Verlassen der Schleuse wurden Tana und ihr Gepäck eingehend kontrolliert. Da nutzte auch ihr diplomatischer Status nicht viel. Endlich konnte sie das Landefeld verlassen, während ihr Gepäck bereits von Bediensteten in die Residenz gebracht wurde. Tana schaute sich um. Was sie über die Corroni wusste, war nicht sehr viel und bestand in erster Linie aus Berichten, die so nüchtern und trocken gehalten waren, dass es sich ebenso um sorelianische Waldameisen hätte handeln können. 84 �
Der Körperbau der Corroni ähnelte im Grunde dem der Laktonen. Sie hatten dunkelbraune Haut, besaßen eine Durchschnittsgröße von einsachtzig und eine sehr hagere Statur. Sie bestanden mit einem letzten Rest von Stolz darauf, die eigene Kleidung zu tragen und weigerten sich, die praktischen Uniformkombis der laktonischen Besatzungsmacht anzuziehen. Hier auf dem Raumhafen konnte Tana jedenfalls noch nicht die etwas antiquiert anmutenden Kleidungsstücke entdecken, die für die Corroni so charakteristisch waren. Was sie sofort bemerkte, war die geringere Schwerkraft dieses Planeten. Auf Lakton herrschten umgerechnet fast 1,5 Gravos, hier betrug die Gravitation den Wert 1,21. Der Mann, der auf Velatip wartete, machte einen etwas ungeduldigen Eindruck, als er jetzt auf sie zutrat. »Ich bin Laptor, einer der Sekretäre Seiner Exzellenz, des edlen Kront Enschko.« Tana hätte fast laut aufgelacht. So aufgeplustert sich dieser Mann mit seinem Titel auch gab, er war in Wirklichkeit nur ein kleines Licht, kaum der Beachtung wert. Aber das an sich war schon ein Affront. Die persönliche Assistentin Seiner Exzellenz hätte mit dem gebührenden Respekt empfangen werden müssen. Enschko setzte also von Anfang an Maßstäbe – er nahm Tana nicht für voll. Nun, er sollte sich noch wundern. »Danke«, sagte sie nur knapp. »Ich möchte sofort in mein Quartier gebracht werden. Exakt eine Zeiteinheit später will ich meine Mitarbeiter sehen, um sofort einen Überblick zu bekommen. Für wann ist meine Vorstellung und Einführung bei Seiner Exzellenz vorgesehen?« Der Sekretär schwieg erschüttert. Er hatte damit gerechnet, eine Frau vorzufinden, die keine großen Ansprüche stellte und zufrieden damit war, einen relativ einfachen Posten zu bekleiden. Er hatte vermutet, dass Tana nur durch Beziehung an die85 �
sen Posten gelangt war und sich eine ruhige Zeit machen würde. Velatip machte von Anfang an klar, dass sie bereit war, eigene Kreise aufzubauen. Jedermann in der Residenz war klar, dass Enschko sie nur widerwillig dulden würde. Allein an der Tatsache, dass ein kleiner Sekretär sie empfing, konnte jedermann sehen, dass Tana nicht erwünscht war. Normalerweise hätte sie still in einem Büro sitzen und auf geringe Beachtung hoffen müssen. Mit ihren Anweisungen machte sie deutlich, dass sie eigene Pläne verfolgte, damit brachte sie den Sekretär in große Verlegenheit. »Es – es ist noch kein Termin für Ihre Vorstellung geplant«, erklärte er kleinlaut. »Dann wird es Zeit, dass Sie das sofort erledigen. Oder sind Sie damit überfordert, Sekretär Laptor? In diesem Fall lässt sich bestimmt eine weniger anspruchsvolle Aufgabe für Sie finden.« Er fluchte innerlich, wagte aber nicht laut zu protestieren. Stattdessen rief er über sein Armbandgerät in der Residenz an und stürzte damit einige Leute in Verlegenheit. Unterdessen hatte Tana bereits im Fluggleiter Platz genommen und blickte Laptor ungeduldig an. »Gibt es Schwierigkeiten, oder können wir endlich fliegen?«, fragte sie unfreundlich. »Nein, nein, natürlich keine Schwierigkeiten, ganz sicher nicht«, beeilte er sich zu versichern und machte dem Piloten ein Zeichen loszufliegen. Tana blickte interessiert umher. Die Corroni hatten eine sehr eigenwillige Art, ihre Häuser zu bauen. Sie glichen matten Kristallen mit unzähligen Ecken und Kanten, glitzerten durch ein besonderes Mineral im Sonnenlicht, waren im Innern jedoch klar gegliedert und zweckmäßig eingerichtet. Jetzt endlich sah sie auch die Bewohner des Planeten selbst. Die Zivilisation war hier längst nicht soweit vorangeschritten, wie sonst im Laktonischen 86 �
Reich üblich. Um weitere Rebellionen zu verhindern, hatte man auch darauf verzichtet den Lebensstandard der allgemeinen Bevölkerung zu erhöhen. Die Corroni selbst hatten das Zeitalter der Kernspaltung erreicht, eine eigene primitive Raumfahrt entwickelt und blieben auf diesem Status, weil die Laktonen es so wollten. Nur die ausgewählten Xeno- Kommunikatoren kamen in den Genuss, mit überlichtschnellen Raumschiffen zu fliegen. Obwohl Kront Enschko sich erst seit wenigen Tagen auf Corron befand, hatte er bereits eine Reihe von Anordnungen erlassen, die das Volk schwer trafen, und deren Befolgung nicht ganz einfach war. Die Strafen für Verstöße waren jedoch drastisch, wie Tana wenig später feststellen musste. Auf einem großen zentralen Platz hatte sich eine ansehnliche Corronimenge versammelt. Wie zu sehen war, trieben die Militärs die Leute regelrecht zusammen. In der Mitte des Platzes befand sich ein erhöhtes Podest, zwei Gruppen von Personen standen sich gegenüber. »Was ist da unten los?«, wollte Tana wissen. »Die tägliche Bestrafungsaktion«, erklärte Laptor wegwerfend. »Wie bitte?« »Seine Exzellenz hat eindeutige Befehle erteilt, ein Versammlungsverbot außerhalb bestimmter Zeiten, zum Beispiel das Tragen von Waffen, eine tägliche Mindestproduktion der Wirtschaft, die Einhaltung der Bereitstellung von Xeno-Kommunikatoren. Wird dagegen verstoßen, werden fünf Corroni hingerichtet. Bisher gab es noch keinen Tag, an dem keine Bestrafung ausgeführt werden musste. Die Corroni lernen offenbar nicht dazu. Es ist bedauerlich, dass dieses Volk die Vorzüge unserer Zivilisation nicht zu schätzen weiß.« »Würden Sie es schätzen, mit Gewalt Ihr Leben zu verändern?«, fragte Tana scharf. Sie war abgestoßen von der 87 �
offen zur Schau gestellten Gewalt. Ganz bestimmt konnten die Corroni profitieren von der laktonischen Hilfe. Mit der wahllosen Hinrichtung würde der Hass auf die Besatzer aber nur geschürt und brachte keine Erfolge. »Es steht Ihnen frei, Seine Exzellenz von Ihren Bedenken in Kenntnis zu setzen. Schließlich sind Sie seine persönliche Assistentin«, erwiderte er ironisch. »Wie recht Sie doch haben, Laptor«, gab sie freundlich zurück. »Für wann, sagten Sie, haben Sie jetzt meine Vorstellung arrangiert?« Er fluchte leise. Natürlich war es ihm in der kurzen Zeit noch nicht gelungen, die Anweisungen von Velatip auszuführen. Der Sekretär sah schon jetzt große Schwierigkeiten voraus. Kront Enschko war gegen sie voreingenommen, aber sie schien ausgesprochen hartnäckig und ehrgeizig zu sein. Da prallten zwei Charaktere aufeinander, und die dabei entstehenden Explosionen würden sicherlich einige Leute mit sich reißen. Laptor gab dem Piloten das Zeichen, auf dem schnellsten Weg zur Residenz zu fliegen. Er war froh, wenn er Velatip nicht mehr in seiner Nähe wusste. »Ihre Bedenken interessieren mich nicht. Meine Anweisungen sind klar und eindeutig. Falls es Ihnen nicht gelingt, sie auszuführen und durchzusetzen, muss ich annehmen, dass Sie total unfähig sind. Dann kann Ihre Abberufung nur eine Frage der Zeit sein.« Tana biss sich auf die Lippen. Sollte ihr erster Auftrag gleich in einem Fiasko enden, nur weil sie plötzlich Gewissensbisse entwickelte? Wenn die Corroni sich nicht an die Befehle des Repräsentanten hielten, waren sie an ihrem Elend schließlich selbst schuld. Sie war nicht hier, um für Corron zu kämpfen, sondern dem Laktonischen Reich zu dienen. Und vielleicht einen Aufstand zu entdecken, noch bevor er überhaupt entstand. Ergeben 88 �
senkte sie den Kopf. »Ich bitte um Vergebung, Exzellenz. Selbstverständlich haben Sie Recht. Ich werde dafür sorgen, dass Ihre Befehle befolgt werden.« Er betrachtete sie voller Abscheu. Natürlich, Velatip sah ausgesprochen gut aus, sie wäre bestimmt etwas für eine paar lange Nächte. Aber zu mehr taugte sie nun wirklich nicht. Was hatte Bordulak an ihr gefunden, dass er sie sogar hatte zur Frau nehmen wollen? Sie war eigensinnig, störrisch und besaß tatsächlich eine eigene Meinung. Kront Enschko hatte vor, den Willen von Velatip zu brechen. Dann würde er sie Bordulak überreichen, damit der noch seinen Spaß an ihr haben konnte. »Ich erwarte, dass innerhalb von drei Planetentagen meine Anweisungen vollständig ausgeführt sind, andernfalls werden die täglichen Bestrafungen verdoppelt. Sie werden den Präsidenten noch heute davon in Kenntnis setzen.« Tana hütete sich darauf hinzuweisen, dass das eigentlich seine Aufgabe war. Er düpierte nicht nur seine Assistentin, er behandelte den Präsidenten wie einen dummen Jungen. Enschko ließ keinen Zweifel daran, wer in diesem System das Sagen hatte. Tana nickte und wandte sich ab, erstarrte im nächsten Moment aber, als Enschko weitersprach. »Heute Abend nach dem Essen will ich Sie in meinen privaten Räumen sprechen.« Auch dagegen gab es keinen Widerspruch – vorerst. Sie ging hinaus, schloss die Tür und rannte förmlich in ihr Büro. Am liebsten hätte sie auf der Stelle Hortek informiert, dass er jemand anders an diese Stelle setzen sollte. Doch dann riss sie sich energisch zur Ordnung. Wollte sie wirklich vor diesem aufgeblasenen Kerl kapitulieren statt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen? Nein, Enschko würde sie wohl noch etwas länger ertragen müssen. Und die Corroni auch. Mit kühlem Kopf gab sie ihrem eigenen 89 �
Sekretär Befehl, den Präsidenten von Corron in ihr Büro zu führen, sobald der die Residenz betrat. »Das müssen Sie sich nicht bieten lassen, Präsident, das ist eine grobe Beleidigung.« Donon Hafis, der Staatssekretär zur besonderen Verwendung, stand mit blitzenden Augen vor Katton Leffel, dem Präsidenten von Corron. Gerade hatte ein Offizier den beiden mitgeteilt, dass Kront Enschko keine Zeit für sie hatte. Seine Assistentin würde ihnen die neuen Befehle mitteilen. Hafis, der die Laktonen aus tiefster Seele hasste, war durch diese Demütigung noch mehr aufgebracht als ohnehin schon. Leffel, ein älterer Mann, der kaum noch die Kraft besaß sich gegen die Besatzer zu wehren, schüttelte den Kopf. Er besaß einfach nicht mehr den Mut, Widerstand zu leisten. Als Präsident war er ohnehin nur eine Marionette, derjenige, der auf Corron das Sagen hatte, war ein anderer. Durch diese Zurückweisung fühlte er sich nicht einmal besonders verletzt. Leffel war einfach nur leer und ausgebrannt. »Es spielt doch keine Rolle, wer dir das Todesurteil überreicht, wenn schon feststeht, dass du es bekommst, oder nicht«, sagte er müde. »In diesem Fall kann es sich doch wirklich nur um noch mehr Grausamkeiten handeln.« »Und Sie wollen sich das alles immer weiter gefallen lassen?«, rief Hafis aufgeregt. »Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Enschko umbringen?« »Keine schlechte Idee – für den Anfang.« »Schweig. Allein der Gedanke an Widerstand gegen die Laktonen…« »… ist ein Sakrileg? Präsident, warum müssen wir uns denn immer nur ducken? Müssen wir alles hinnehmen, was die Laktonen befehlen?« 90 �
Der alte Mann richtete sich plötzlich zu voller Größe auf. »Donon Hafis, unser Volk hat bereits mehr als genug gelitten. Ich werde nicht zulassen, dass durch eine erneute Rebellion noch mehr Unschuldige sterben müssen. Ja, wir müssen uns beugen. Wir müssen einige wenige aus unserem Volk opfern, damit wir als Ganzes überleben können. Auch du wirst dich beugen, so wie ich – so wie wir alle.« Hafis senkte den Kopf, damit der Präsident nicht in seinen Augen lesen konnte, was er wirklich dachte. Wenig später betraten die beiden Männer das Büro von Tana Velatip. Hafis starrte fasziniert auf die schöne Frau und vergaß für einen Moment, dass er die Laktonen allesamt hasste. Dies hier war eine außergewöhnliche Frau mit ausdrucksvollem Gesicht und einer überwältigenden Ausstrahlung. Leffel räusperte sich und gab ihm einen kleinen Schubs. Hafis spürte tiefe Verlegenheit und versuchte das zu überspielen. Mit einer eher nachlässigen Ehrenbezeigung trat er näher und begegnete plötzlich dem stahlharten Blick von Tana. Verwirrt hielt er inne und grüßte noch einmal, während der Präsident mit einem Lächeln näher trat und versuchte, eine einigermaßen harmonische Basis zwischen beiden Parteien zu finden. Tana wollte das nicht zulassen, nur keine persönlichen Gefühle für diejenigen, denen sie wehtun musste. »Sie sind der Präsident?«, fragte sie ziemlich kühl und hütete sich mit einer Geste zu zeigen, dass sie von diesem ruhigen ehrfurchtgebietenden Mann beeindruckt war. Velatip spürte seine innere Leere, aber auch den Stolz und die Würde, die er noch immer besaß. Eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Das durfte für sie jetzt aber keine Rolle spielen. Sie beachtete Donon Hafis nicht weiter, er war ein Untergebener, der zu warten hatte, bis sie geruhte, ihn zu bemerken – oder auch nicht. »Ja, ich bin Präsident Leffel. Ich freue mich, Sie kennen zu ler91 �
nen.« »Mein Name ist Tana Velatip. Seine Exzellenz Kront Enschko hat mich beauftragt, Sie mit den neuen Anweisungen vertraut zu machen. Sie werden schnellstens für die Umsetzung sorgen und mir täglich Bericht erstatten.« In Hafis schwoll der Zorn über diese Zumutung. »Ist es Kront Enschko bereits zuviel, ein persönliches Gespräch mit dem Präsidenten zu führen?«, zischte er wütend. »Seine Exzellenz«, sagte Tana mit deutlicher Betonung, »hat dringende Staatsgeschäfte zu erledigen. Es ist mit Sicherheit nicht Ihre Sache, Kritik an seinem Tun zu üben. Präsident, ich will doch hoffen, dass es in Ihrem Mitarbeiterstab keine Probleme mit der Loyalität gibt?« Sie ignorierte den hasserfüllten Blick von Hafis und spielte ihre Rolle weiter. »Natürlich nicht«, erklärte der alte Mann gebrochen, der die unausgesprochene Drohung wohl verstanden hatte. Auch Donon Hafis senkte den Kopf. Es hatte keinen Zweck sich gegen sie aufzulehnen. Wenn sie ihn hier und jetzt verhaften ließ, konnte er seine Arbeit nicht mehr fortführen. Damit wäre niemandem auf dem Planeten gedient. »Ich bitte um Vergebung, Edle Dame«, sagte er gepresst. »Ich hatte nur gehofft, dass Seine Exzellenz uns die Ehre eines Gesprächs erweisen würde.« »Sonst noch etwas?«, unterbrach sie ihn barsch. Er schwieg. Tana gab kurz und knapp die Befehle von Enschko weiter und sah die Bestürzung im Gesicht des Mannes. »Das ist vollkommen unmöglich«, sagte der Präsident. »Das Wort unmöglich existiert für einen Laktonen nicht. Sie tun gut daran, diesem Beispiel zu folgen.« Hafis wagte es erneut, ihr offen ins Gesicht zu blicken. »Ist es deswegen unmöglich, den Krieg gegen die Orathonen zu gewin92 �
nen?«, fragte er trotzig. »Ihre Unverschämtheit wird binnen kurzer Zeit dazu führen, dass ich die Geduld verliere. Sie haben bisher eine gewisse Narrenfreiheit, weil Sie offenbar zur corronischen Regierung gehören. Das verleiht Ihnen dennoch keine Immunität. Präsident, ich will diesen Mann nicht länger in meiner Gegenwart dulden. Sorgen Sie dafür, dass auch er sich an die Befehle hält, sonst muss ich annehmen, dass die Regierung von Corron gemeinsame Sache mit einer Handvoll unzuverlässiger Leute macht.« Augenblicklich zog Leffel am Ärmel des talarähnlichen Kleidungsstücks von Hafis. »Donon, du wirst auf der Stelle um Verzeihung bitten und dich entfernen. Wir sprechen uns später.« »Sie können auch gehen, Präsident, ich brauche Sie nicht mehr. Morgen erwarte ich den ersten Bericht, in dem Erfolge zu finden sind.« Tana hatte sich genauso rüde und abweisend benommen wie Kront Enschko. Es lag den Laktonen im Blut, ebenso wie die Orathonen mit besiegten und unterlegenen Völkern von einer höheren Warte aus zu sprechen. Diese Arroganz kam bei Tana gerade zum Vorschein, obwohl eine innere Stimme sie warnte, dass Donon Hafis mehr war als ein einfacher Staatssekretär. Dieser Mann hütete seinen Hass wie ein Geheimnis, und er war gefährlich. Sie glaubte nicht daran, dass er etwas mit einer möglichen Rebellion zu tun hatte. Viel eher vermutete sie persönliche Rachegelüste, die dazu führten, dass Hafis alles verabscheute, was laktonischen Ursprungs war. Sie nahm sich vor, den Mann im Auge zu behalten. Von solchen Leuten konnte eine Menge Ärger ausgehen. Und vielleicht musste sie sogar schnell dafür sorgen, dass er von der Bildfläche verschwand, bevor er eine aktive Zelle von Aufständischen um sich scharte. Tana holte tief Luft. Dieses unangenehme Gespräch hatte sie 93 �
hinter sich, aber damit war der Tag ja noch nicht beendet. Sie hatte noch mit Enschko eine Verabredung, und ihr war gar nicht wohl dabei. »Wie lange soll das noch so gehen?«, fragte Donon Hafis, als er sich mit dem Präsidenten draußen auf der Straße befand, wo niemand ihr Gespräch belauschen konnte. »Es wird solange gehen, bis die Laktonen uns die Freiheit zurückgeben oder gegen die Orathonen den Krieg verlieren«, antwortet der alte Mann gemessen. Das Sonnenlicht fiel jetzt auf die Wände der Häuser und zauberte Farbreflexe. Die Straßen waren eben und sauber, nur wenige Corroni hielten sich hier auf. Einer der Befehle von Enschko besagte, dass niemals mehr als sechs Corroni zusammen sein durften – ausgenommen in Lehranstalten, Fabriken und natürlich auf dem großen Versammlungsplatz, wo das Volk den Hinrichtungen beiwohnen musste. Genau dabei wurden dann aber wiederum eine Menge der Leute verhaftet, um in einem schrecklichen Schauspiel bestraft zu werden für etwas, an dem sie nicht einmal Anteil hatten. Unter den Corroni gärte es schon lange wieder. Im Grunde war das Volk stolz auf seine Fähigkeiten, und vielleicht hätte man sich sogar freiwillig bereiterklärt, mit den Laktonen zusammenzuarbeiten. Schließlich war in der ganzen Galaxis bekannt, dass die Orathonen keine Gnade kannten, wenn sie einen Planeten übernahmen. Das musste um jeden Preis verhindert werden. Aus diesem Grund war es ungeheuer wichtig, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Völkern reibungslos aufrecht zu erhalten. Die Sklaverei jedoch, unter der Corron litt, führte dazu, dass die Vernunft nicht mehr zum Tragen kam. Immer mehr Corroni lehnten sich insgeheim auf, doch noch fehlte der Führer, der die nicht richtig organisierten Rebellen vereinte und auf eine Richtung einschwor. Unter Umständen konnte Hafis dieser Führer werden. Er hatte jedenfalls seinen Zorn und Hass 94 �
nur noch mit Mühe unter Kontrolle. Präsident Leffel legte ihm jetzt eine Hand auf den Arm und bemerkte traurig, dass der junge Mann zurückzuckte. »Ich weiß, dass du mich für einen Feigling hältst, Donon«, sagte er müde. »Vielleicht bin ich das sogar. Ich bin ein alter Mann, der mehr Blut und Vernichtung gesehen hat, als du dir denken kannst. Meine Söhne wurden ebenso getötet wie meine einzige Tochter. Seit auch vor zwei Jahren meine Frau an gebrochenem Herzen starb, habe ich aber keine Energie mehr, mich gegen die Laktonen aufzulehnen. Vielleicht muss dieses Volk so sein, um sich im Galaktischen Krieg behaupten zu können. Mit Schwäche und Erbarmen erobert man keine Welten, und man kann sie auch nicht halten.« »Wollen Sie damit sagen, dass wir alle stillhalten und diese Versklavung weiter hinnehmen sollen?« »Nein. Das wäre dumm. Ich sage nur, dass ich nicht mehr in der Lage bin, mich aufzulehnen. Du, Donon, bist ein junger zorniger Mann voller Intelligenz und Tatkraft. Zorn aber verleitet dazu, Fehler zu machen. Bekämpfe also als erstes deinen Zorn. Dann setze seine Klugheit ein, um den Corroni zu helfen. Du besitzt die Fähigkeit, dich an die Spitze der noch nicht wirklich existierenden Rebellion zu stellen. O ja, ich weiß es sehr wohl. Du musst nicht versuchen, es abzustreiten. Du gehörst schon längst dazu. Ich mag alt sein, Hafis, aber ich bin nicht blind oder dumm.« Er amüsierte sich ein wenig über die Verblüffung, die der andere zeigte. »Wahrscheinlich weiß ich mehr, als dir lieb sein kann. Aber was wäre ich denn für ein Präsident, wenn ich nicht mehr weiß, was in meinen Volk passiert? Ich sage dir eines, Donon Hafis, geh hin und kämpfe. Du wirst unser Volk wohl kaum von der Besetzung der Laktonen befreien können. Das solltest du viel95 �
leicht auch gar nicht, denn immerhin beherrscht dieses Volk den Kampf im Weltraum und kann uns vor den Orathonen beschützen. Aber du kannst versuchen dafür zu sorgen, dass wir als Partner behandelt werden – nicht als Sklaven. Die Laktonen brauchen uns, das werden sie lernen müssen. Und nun, Staatssekretär, möchte ich gern zurück zum Regierungssitz. Ich bin ein alter Mann und brauche etwas Ruhe.« Donon Hafis war mehr als erstaunt über dieses Gespräch. Er ahnte, dass der alte Mann mit jedem Wort Recht hatte. Jetzt lag alles nur noch an ihm selbst. Er musste in aller Ruhe nachdenken und dann die notwendigen Maßnahmen koordinieren. Dankbar schaute er Leffel an, doch der wirkte völlig unbeteiligt und starrte aus dem Fenster des Wagens, mit dem sie jetzt beide zurückfuhren. Tana Velatip stand in der Nähe der Tür. Kront Enschko hockte in nachlässiger Haltung auf einem Sofa und blickte sie an. »Möchten Sie etwas zu trinken, Velatip? Das hier wird keine offizielle Besprechung, Sie dürfen sich also locker geben.« »Danke. Was wollten Sie mit mir besprechen?« Tana war auf der Hut. Sie glaubte nicht daran, dass dieser Mann plötzlich Sympathie für sie empfinden könnte. Also musste diese Einladung einen bestimmten Zweck verfolgen. Enschko ging darüber hinweg, dass sie es ablehnte, sich mit einer Erfrischung zu ihm zu setzen. Er lachte leise auf. »Es dürfte kein Geheimnis für Sie sein, dass ich Ihre Ernennung nicht begrüßt habe. Mir ist auch nicht klar, aus welchem Grund Sie überhaupt hierher geschickt wurden. Nein, sagen Sie besser nichts«, wehrte er ab, als sie etwas erwidern wollte. »Denken und vermuten kann ich eine ganze Menge, aber es wird besser sein, wenn Sie sich Ihre Ausreden für jemand anderen aufheben. Da ich es aber ausgesprochen lästig finde, mich mit einer Mitarbeiterin abzugeben, die mir entgegen arbeitet, sollten wir 96 �
einen Weg finden, eine Art Waffenstillstand auszuhandeln.« Tana wurde vorsichtig. Kront Enschko war nicht gerade für Freundlichkeit und Kooperation bekannt. Dieses Gespräch gefiel ihr nicht. Was wollte der Mann wirklich? Er stand auf und kam näher, betrachtete sie von Kopf bis Fuß und nickte beifällig. »Ich hätte es schlechter treffen können. Wir werden sicher gut harmonieren, sobald Sie gelernt haben, auf meine Wünsche einzugehen. Und nun stehen Sie nicht länger herum. Wir wollen es uns gemütlich machen und zur Sache kommen.« Seine Augen glitzerten gierig, und der starke Körpergeruch deutete hohe Erregung an. Tana begriff langsam, was er wollte. Für einen Moment stieg Panik in ihr auf. War es das, was Hortek von ihr erwartete? Sollte sie mit Enschko eine Beziehung beginnen? Zu welchem Zweck? Nein, sie war hier, um eine mögliche Rebellion aufzuspüren, nicht, um einem überheblichen Repräsentanten als Bettgespielin zu dienen. Ihre innere Ruhe kehrte zurück. Sie lächelte, nahm ihm das Glas aus der Hand und schüttete den Inhalt kurzerhand über seinen Kopf. »Ich bin untröstlich, dass ich Sie enttäuschen muss, Exzellenz. Aber ich habe nicht die Absicht mich mit Ihnen im Bett zu vergnügen. Ich bin hier, um meine Arbeit auszuführen, alles andere geht Sie nichts an. Dieses Gespräch dürfte damit beendet sein.« Zorn flammte in seinen Augen auf, er riss Tana brutal am Arm herum und gab ihr eine schallende Ohrfeige. »Sie werden genau das tun, was ich Ihnen sage«, zischte er. »Dort drüben ist das Schlafzimmer, na los, vorwärts.« Tana nahm den Schlag ungerührt hin. »Dazu können nicht einmal Sie mich zwingen.« Mit einer anmutigen Geste ließ sie das Glas zu Boden fallen, wo es in tausend Scherben zersprang. Sie ging hinaus und ließ den völlig verblüfften Enschko zurück. 97 �
»Diesen Augenblick werden Sie noch bereuen«, brüllte er hinter ihr her. »Ja, das fürchte ich fast auch«, sagte sie leise zu sich selbst. Mit hoch erhobenem Kopf und heftig klopfendem Herzen ging sie in ihre Räume und verschloss sämtliche Türen. Die Funksendung war absolut abhörsicher. Tana blickte auf den kleinen Bildschirm, auf dem Hortek zu sehen war. Gerade hatte sie ihm die unschöne Szene mit Enschko geschildert, und der Führungsoffizier wirkte ein wenig ungehalten. »Sie können es sich nicht leisten, sich diesen Mann zum Feind zu machen. Wäre es denn wirklich so schlimm gewesen, wenigstens einmal auf seine Wünsche einzugehen?«, warnte er. »Es liegt in seinen Händen, genügend Druck auszuüben und Sie doch noch versetzen zu lassen. Noch einmal werden wir keinen Agenten auf diesen wichtigen Posten setzen lassen können.« »Ach, und deswegen hätte ich mit ihm schlafen sollen? Nein, danke. Im Übrigen wird er mich nicht versetzen lassen. Es gefällt ihm, seine Macht über mich auszuspielen.« Hortek fragte nicht nach, wie lange Tana diese Demütigungen dann noch ertragen würde. Es gab wichtigere Dinge als das Wohlbefinden einer Agentin im Feldeinsatz. »Wir haben durch einen unserer Mittelsmänner erfahren, dass sich die Rebellen auf Corron neuerdings in einer festen Struktur finden. Das heißt, es muss einen Anführer geben, der das Ganze straff organisiert. Sie müssen herausfinden, wer es ist. Außerdem will ich wissen, inwieweit hochrangige Corroni daran beteiligt sind, unter Umständen sogar der Präsident selbst. Finden Sie das heraus, und zwar schnell. Das Laktonische Reich kann es sich nicht leisten, dass die Unruhe auf Corron weiter zunimmt.« Hortek beendete das Gespräch ziemlich abrupt. Auch wenn die Verbindung als sicher galt, wollte er kein Risiko eingehen. Aus diesem Grund meldete er sich bei Velatip nicht öfter als etwa 98 �
alle zehn Tage. Er hoffte, dass sie nicht versagen würde. Sie hatte die besten Möglichkeiten den Auftrag auszuführen, also sollte sie vielleicht auch einmal skrupellos vorgehen. Tana selbst blieb noch eine Weile nachdenklich sitzen. Sie hatte längst damit begonnen die notwendigen Nachforschungen anzustellen. In jedem Volk gab es Personen, die durch Geld und Versprechungen dazu verleitet werden konnten, die eigenen Leute zu verraten. Tana hatte auf einige dieser Verräter zurückgegriffen, traute den Berichten allerdings nicht ganz. Sie hatte in den letzten Tagen noch zweimal mit Donon Hafis zu tun gehabt, und das ungute Gefühl in ihr wurde immer stärker. War er zu Anfang ihrer Bekanntschaft noch von Hass und Zorn getrieben worden, so benahm er sich jetzt ausgesprochen höflich, ja fast freundlich, gegen sie. Das weckte ihr Misstrauen zusätzlich. Mit dem Mann war eine große Veränderung vorgegangen, und die Agentin war nicht dumm genug zu glauben, dass Hafis plötzlich seine große Liebe für die Laktonen entwickelt hatte. Eher war das Gegenteil der Fall. Der Mann besaß Autorität, und Velatip vermutete, dass er etwas mit den Rebellen zu tun hatte. Falls sich das als wahr herausstellen sollte, dann stand er in der Hierarchie sicher ganz oben. Sie überlegte, wer von ihren Informanten in der Lage war, mehr über Hafis herauszufinden. Mit Bedauern stellte sie fest, dass das wohl keinem gelingen würde. Sie musste selbst etwas unternehmen, auch wenn sie noch nicht so recht wusste, was das sein sollte. Ein guter Anfang mochte es sein, den Mann erst einmal in seinem eigenen Büro aufzusuchen. Sie erhoffte sich nicht, dort irgendeine Verbindung zu den Aufständischen zu finden – so dumm war Donon Hafis nicht, dass eine offenkundige Spur zu ihm weisen würde. Sie wollte ihn aber etwas verunsichern. Er sollte wissen, dass sie im Grunde unberechenbar war und auf ihre eigene Weise noch schwieriger zu nehmen als Kront Enschko. 99 �
Krachend schlug Bordulak seinem Kameraden auf die Schulter. »Du bist schon der richtige«, erklärte er und bestellte eine weitere Runde des berauschenden Getränks, mit dem die beiden Laktonen sich bereits eine ganze Zeit hier vergnügten. Hier, das war eine ziemlich heruntergekommene Spelunke. Der Spross einer der großen Familien befand sich zu einem Landurlaub auf Szahan. Seit einiger Zeit besaß das Militär ein spezielles Dock für Raumschiffe über dem Handelsplaneten. Obwohl auf Szahan alles für den Handel getan wurde, war es unvermeidlich, dass auch die Soldaten des Reiches hier Station machten, allerdings weniger, um nach dem Rechten zu sehen, als vielmehr aus profaneren Gründen. Mannschaften und Offiziere, die sich besonders verdient gemacht hatten, durften zur Belohnung den Handelsplaneten besuchen, um sich beim Landurlaub in besonders ausgewiesenen Vergnügungsvierteln zu erholen. Dieser Anreiz hatte unter den Soldaten dazu geführt, dass der Einsatz auf Schiffen in besonders aktiven Gebieten heiß begehrt war, weil dort rasch die Möglichkeit bestand sich auszuzeichnen. Aber auch der Dienst an Bord unter dem Kommando von jemandem aus einer der einflussreichen Familien brachte schnell diese Vorteile mit sich. Bordulak gehörte auf der Shagheera zu den Kommandanten unter dem Oberkommando von Ashat Yento, einem nahen Verwandten eines des Schento. Er kam nicht in die Verlegenheit an vorderster Front kämpfen zu müssen, zu den Aufgaben dieser Schiffe gehörten die Absicherung wichtiger Systeme und Nachschublinien, wie auch Patrouillenflüge in bestimmten Sektoren, die für die Laktonen von großer Bedeutung waren. Eigentlich gab es hier nicht viele Chancen sich auszuzeichnen, aber durch gute Beziehungen und die richtige Herkunft ließ sich immer ein Grund finden, um einen Landurlaub zu bekommen. Daher 100 �
drängten auch die Mannschaften aus den unteren Rängen in solche Geschwader. Bordulak hatte als Kommandant der Shagheera sich und seinen Offizieren Landurlaub verordnet, obwohl er eigentlich eine Patrouille hätte zu Ende fliegen sollen. Aber das konnte er ja später immer noch tun. Die übrigen Mannschaften durften sich abwechselnd ebenfalls dem Genuss und dem Laster der auf Szahan dargebotenen Vergnügungen hingeben. Der junge Laktone hatte einen dringenden Grund, den Planeten in regelmäßigen Abständen anzufliegen. Er war süchtig nach Kashtani, einer Droge, die von dem entlegenen Planeten Geryon stammte und dort in völlig natürlicher Form vorkam. Durch die Zubereitung unter Druck und mit heißem Wasser wurde aus den Kashtan-Bohnen ein anregendes und leicht berauschendes Getränk, das nach mehrmaligem Gebrauch süchtig machte. Bei Entzug kam es zu Halluzinationen, Aggressivität und Depressionen. Selbstverständlich war der Gebrauch unter den Laktonen offiziell nicht nur verpönt, sondern sogar verboten, auf Szahan regierten jedoch andere Gesetze, es war kein Problem an Kashtani heranzukommen. Bordulak hatte mit einigen Schwierigkeiten sogar in seinem Quartier einen Kashtani- Kompressor einbauen lassen. Davon durfte natürlich niemand etwas wissen. Selbst sein Vorgesetzter oder seine Familie würden ihn nicht vor Strafe schützen können, sollte diese Tatsache bekannt werden. So brauchte der Offizier aber regelmäßigen Nachschub an Kashtan-Bohnen, was dazu führte, dass die Shagheera ziemlich oft außer der Reihe den Planeten Szahan anflog. Bordulak war jetzt bester Laune. Gerade hatte er mit einem Händler wieder einmal ein Geschäft abgeschlossen, die dringend benötigen Bohnen würden innerhalb der nächsten zwei Zeiteinheiten getarnt als Luxusnahrung an Bord gebracht werden. Bis 101 �
dahin konnte er sich noch ein wenig mit seinem Freund Olphir ins wirkliche Vergnügen stürzen. In einem der Häuser gab es besondere Frauen, die bereit waren, auch auf besonders ausgefallene Wünsche der Kunden einzugehen. Dabei spielte es für die beiden Laktonen keine Rolle, dass diese Frauen einer anderen Rasse angehören – ganz im Gegenteil, das machte den besonderen Reiz aus. »Ich werde heute für uns beide zahlen«, verkündete Bordulak zufrieden. »Du bist ein wahrer Freund«, sagte Olphir und starrte mit gierigem Glitzern auf das 'Angebot' des Händlers. Auch Frauen, Männer und Sex waren eine Handelsware, das galt für Szahan wie auch anderswo. Die beiden Laktonen hatten rasch eine Wahl getroffen, dann gingen sie in einen Raum, der durch Lichteffekte und holographische Wände ganz der jeweiligen Stimmung des Kunden angepasst werden konnte. Hier konnte Bordulak all seine Phantasien ausleben. Er war tief im Innern immer noch nicht mit der Zurückweisung durch Tana Velatip fertig, und so musste diese fremde Frau für all das herhalten, was er noch nicht verarbeitet hatte. Trotz der enorm hohen Bezahlung gingen seine Wünsche schon bis an die Grenze dessen, was sie zu tun bereit war, doch das kümmerte den Mann nicht, er forderte noch mehr. Irgendwann aber schlief er ein, während sie zutiefst entsetzt und gedemütigt dasaß. Sie befand sich ohnehin nicht ganz freiwillig an diesem Ort, doch sich selbst zu verkaufen war auch eine Art des Überlebens. Handel beherrschte nun einmal das Leben. Plötzlich aber bot sich hier eine ganz besondere Art der Flucht. Bordulak besaß reichlich Geld, hier auf Szahan wurde mit laktonischen Kredit-Chips gezahlt. Sie leerte die Taschen des Offiziers, nicht nur das Geld, auch alle ID-Karten und sonstigen 102 �
Geräte nahm sie mit, sie waren leicht zu Geld zu machen. Im Nebenzimmer befand sich ihre Schwester, die Olphir zu Willen gewesen war. Rasch verständigten sich die beiden Frauen, Olphir wurde ebenso ausgeplündert wie Bordulak. Um ihre Flucht noch etwas sicherer zu machen, benötigten sie einen Vorsprung, bis sie sich mit neuen Papieren abgesetzt hatten. Also wurden die beiden Männer großzügig mit einem Schlafmittel versorgt, sie wachten dabei nicht einmal auf. Unbemerkt von ihrem Besitzer verließen die beiden dann das Gebäude und tauchten unter. Ihre Spur verlor sich fast augenblicklich, mit den erbeuteten Kredit-Chips konnten sie ein neues Leben anfangen. »He, aufstehen, ihr Penner. Was habt ihr mit meinen Frauen gemacht? Sie sind wertvolle Ware. Wo sind sie? Na los, bewegt euch.« Nur langsam kehrte Bordulak in die Wirklichkeit zurück. Sein Kopf war immer noch benebelt vom Schlafmittel, und er wusste nicht recht, was dieser aufgeregte Dhanaer von ihm wollte. Automatisch griff er in die Tasche, um seinen Ausweis hervorzuziehen. »Ich bin Bordulak cor Hadalip, Mitglied der großen Familie, und du solltest dir gut überlegen, wie du mit mir redest. Was hast du für ein Problem mit deinen Frauen? Was geht es mich an? Gar nichts, natürlich. Lass mich in Ruhe.« Er wollte nun endlich seine ID-Karte vorzeigen, um von dem anderen den nötigen Respekt einzufordern, stellte aber fest, dass alle seine Taschen leer waren. Er rannte in das Nebenzimmer. »He, Olphir, los wach auf!« Auch der Freund kam nur langsam in die Realität zurück. Doch auch die Taschen von Olphir waren leer. Nun wurde Bordulak zornig. Er wandte sich mit aller Arroganz deren er fähig war, an den Dhanaer. »Du willst von mir wissen, wo deine Weiber sind? Das solltest du besser mir erklären. Ausgeraubt worden sind wir, all unser 103 �
Geld, unsere Ausweise, unsere Geräte – alles ist weg. Und du wirst den Kopf dafür hinhalten müssen, das kann ich dir schon jetzt versprechen. Nun ruf endlich den Sicherheitsdienst«, schnaubte er. »Es ist nicht mein Fehler, wenn du zu dumm bist, um auf dein Eigentum aufzupassen. Schließlich hättest du mir alles in Verwahrung geben können«, erklärte der Händler wütend. »Und den Kopf wirst du hinhalten müssen. Du hast meiner Ware die Flucht ermöglicht. Das wird dich teuer zu stehen kommen. Wer auch immer du bist, du haftest für meinen Ausfall.« Bordulak glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Hast du denn nicht gehört, wer ich bin? Wie kannst du es wagen…?« »Kannst du deine Behauptung beweisen?«, unterbrach der Händler ungerührt mit einem schmierigen Grinsen. »Und ob ich das kann«, brüllte Bordulak, doch weder er noch Olphir besaßen im Augenblick die erforderlichen Legitimationen, die Auskunft über ihre Herkunft geben konnten. »Betrüger seid ihr. Wer weiß, ob ihr meiner Ware nicht sogar geholfen habt zu fliehen.« Der Händler blieb unbeeindruckt, er fühlte sich ganz im Recht und rief den Sicherheitsdienst. Die Darstellung des Dhanaers wurde häufig durch das Gebrüll und die Zwischenrufe von Bordulak unterbrochen, doch da er im Augenblick als unberechtigt hier anwesend galt, hatte sein Wort keinerlei Gewicht. Er mochte die schlimmsten Drohungen von sich geben, solange er seine Identität nicht nachweisen konnte, war er ein Nichts. Die vier Beamten vom Sicherheitsdienst beleidigte er dann so massiv, dass die keine große Lust verspürten, die Angaben des Laktonen sofort und schnell zu überprüfen. Sie sperrten ihn und Olphir erst einmal ein. Wie es der Zufall wollte, wurde die Streife dann zu weiteren wichtigen Brennpunkten gerufen, die 104 �
Überprüfung der beiden Laktonen verschob sich noch weiter. Mittlerweile war längst der Zeitpunkt überschritten, an dem Bordulak seine nächste Dosis Kashtani gebraucht hätte. Hier in der Zelle konnte er die Droge natürlich nicht bekommen, und so begannen die Entzugserscheinungen einzusetzen. Es gab nichts, was das Unheil jetzt noch aufhalten konnte. Olphir duckte sich hilflos in eine Ecke und starrte seinen Freund verängstigt an. Der aber schien ihn nicht einmal mehr zu erkennen. Aus den Augen floss Sekret, die rosa Zähne waren gefletscht, und der Körpergeruch war so intensiv, wie er es noch nie erlebt hatte. Bordulak schlug wild um sich, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob er sich oder andere verletzte. Die Zellen auf Szahan dienten dazu Raumfahrer aufzunehmen, die einmal über die Stränge geschlagen hatten. In der Regel wurden sie rasch wieder an Bord ihrer Schiffe gebracht. Die meisten von ihnen befanden sich im vorübergehenden leichten Rauschzustand, es gab daher in den Zellen nichts, womit sie sich oder andere verletzen konnten. Im Allgemeinen wurden vier Personen in einer Zelle untergebracht, Bordulak und Olphir waren jedoch ganz allein. Die Überwachung von außen erfolgte durch einen Computer, beschränkte sich aber darauf, etwa jede halbe Stunde einmal das Verhaltensmuster der Personen mit den Daten des jeweiligen Volkes abzugleichen. Nur bei gravierenden Veränderungen wurde die Wache alarmiert. Bei diesen beiden Laktonen hatte nicht die Gefahr von Aggressivität gegeneinander bestanden, also war auch keine permanente Überwachung angeordnet worden. Wie hätte auch jemand vom zuständigen Sicherheitsdienst wissen sollen, dass Bordulak durchdrehen würde? Olphir wurde von den heftigen Schlägen getroffen, seine Gegenwehr war nutzlos. Und es gab keine Möglichkeit, die Wachen zu verständigen, die Zellen waren schallisoliert. 105 �
Bordulaks Raserei erreichte irgendwann ihren Höhepunkt, aber da war er schon lange nicht mehr Herr seiner selbst. Längst waren die Wände und der Boden mit dem Blut der beiden Laktonen bespritzt, wobei Olphir das meiste davon verloren hatte. Bordulak schien keinen Schmerz zu verspüren, ganz im Gegensatz zu seinem Freund, der schon die ganze Zeit um Hilfe und Gnade flehte. Jetzt wimmerte er nur noch und nahm die schweren Schläge ohne weitere Gegenwehr hin. Der Rasende ließ in seinem Tun erst nach, als er selbst am Rande des totalen Zusammenbruchs stand. Da war es für Olphir aber schon längst zu spät. Wie ein Bündel schmutziger Kleidung lag er verkrümmt auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Bordulak starrte ihn an und wusste nicht, was gerade noch mit ihm geschehen war. Vor seinen Augen verschwamm die Realität, und in seinem Innern begann ein grauenvoller Horrortrip, der ihn bis an den Rand des Todes brachte. Als die Überwachung endlich registrierte, dass in dieser Zelle etwas nicht stimmte, war es auch für den Offizier fast zu spät. Eilig wurde ein Ärzteteam herbeordert, und endlich machte sich auch jemand die Mühe die Angaben der beiden Laktonen zu überprüfen. Schnell stellte sich heraus, dass beide zu den großen Familienclans gehörten, und auf der Shagheera wurden sie bereits vermisst. Selbst auf Szahan hatte man die nachfolgende Art der Untersuchung noch nicht erlebt. Das war mehr als ein unbedeutender diplomatischer Zwischenfall, hier rollten reihenweise die Köpfe, angefangen bei den vier Wachen vom Sicherheitsdienst und dem Dhanaer, der sich noch immer keiner Schuld bewusst war. Die Vorfälle auf dem Handelsplaneten konnten trotzdem geschickt vertuscht werden, selbst der Tod von Olphir blieb letztendlich nicht mehr als eine Randnotiz. Szahan blieb, was es immer schon gewesen war, ein Schmelztiegel verschiedener Völ106 �
ker. Die Geschäfte wurden durch diesen unbedeutenden Zwischenfall schließlich nicht beeinträchtigt, das war das einzige, was wirklich zählte.
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7. � 12. Ambasar im Zeichen des Horon (auf der Erde schreibt man August 1987) Noch nie zuvor war Tana abends allein in der Hauptstadt gewesen. Die Häuser besaßen jetzt eine ganz andere Atmosphäre. Die beiden Monde strahlten ihr rötliches und weißes Licht auf Corron und verursachten eine ganz eigentümliche Stimmung zwischen den kristallinen Wänden. Es war unheimlich still. Die wenigen Personen, die sich um diese Zeit überhaupt noch auf den Straßen befanden, gehörten fast ausnahmslos zum laktonischen Militär, die vereinzelten Corroni mussten schon einen guten Grund besitzen und wurden von jeder Streife genau kontrolliert. Tana hingegen wollte nicht bemerkt oder gar kontrolliert werden. Natürlich hätte sie ganz offiziell auftreten können, doch damit hätte sie ihr Ziel nicht erreicht. Zunächst war es nötig gewesen, sich einheimische Kleidung zu besorgen. Etwas ratlos hatte sie dann davor gestanden. Keine Laktonin trug Kleider, und die Agentin tat sich schwer damit, etwas anderes als eine Uniformkombi zu tragen. Velatip hatte lernen müssen, die ungewohnte Garderobe richtig anzulegen. Schließlich kam noch ein weiter Umhang mit einer Kapuze dazu, so konnte sie ihr Äußeres gut tarnen. Tana huschte durch die Straßen, nutzte jede Deckung, die sie finden konnte und war froh, dass sie in ihrer Ausbildung auch das gelernt hatte. Warum war sie überhaupt allein in der Nacht unterwegs? 108 �
Warum ging sie das Risiko ein, sich von den Soldaten lächerlich und bei Kront Enschko noch mehr unbeliebt zu machen? Der Grund war relativ einfach. Einer ihrer Informanten hatte Tana mitgeteilt, dass ein Treffen der Aufständischen stattfinden sollte. Der Mann war total verängstigt gewesen und hatte seinen Verrat sofort bereut. Als Tana ihn später noch einmal erreichen wollte, um ihm den Lohn für seinen Verrat auszuzahlen, erfuhr sie, dass der Mann einem Unfall zum Opfer gefallen war. Dieser 'Unfall' erschien ihr dann doch ein wenig zu zufällig. Die Information bekam dadurch für die Agentin eine neue Brisanz. War sie bisher mehr oder weniger im Dunkeln getappt und hatte die Aussagen der Verräter mit Vorsicht betrachtet, so deutete der plötzliche Tod des Mannes darauf hin, dass er wohl doch zuviel gewusst hatte. Tana konnte sich nicht auf dieses Vielleicht verlassen, aber sie musste persönlich das Risiko eingehen. Sie wollte wie eine Einheimische an dem Treffen der Rebellen teilnehmen, um festzustellen, welche hochrangigen Corroni dazugehörten. Es wurde Zeit, dass jemand diesen Leuten das Handwerk legte. In den letzten Tagen waren aus dem Nichts Flugblätter aufgetaucht, die zum Widerstand aufriefen. Das durften die Laktonen nicht tatenlos hinnehmen. Die Methode von Enschko, für jedes Flugblatt einen Corroni hinrichten zu lassen, fand allerdings nicht die Zustimmung seiner persönlichen Assistentin. Wichtig war jetzt, den oder die Anführer aufzuspüren, denn ohne Führer wurde der Aufstand zu einem leeren Gerede. Die Agentin verbarg sich im Schatten eines Hauses, als eine Patrouille ihren Weg kreuzte. Sie fragte sich unwillkürlich, wie eigentlich die anderen Verschwörer ihren Weg fanden. Offenbar machte das Militär seine Arbeit nicht sehr sorgfältig, sonst würde man viel mehr Leute aufgreifen. Oder die Rebellen besaßen gut getarnte Wege, die niemandem sonst bekannt waren. Auch das war eine Information, die Tana sehr interessierte. 109 �
Eine halbe Stunde später befand sie sich an der Adresse, die der Informant genannt hatte. Nichts und niemand war zu sehen. Es handelte sich um ein altes Firmengelände, das jetzt leer und verlassen dalag. Tana öffnete verschiedene Türen, doch außer einigen Tieren, die erschreckt davon huschten, gab es nichts zu entdecken. Offensichtlich doch eine Fehlanzeige. Enttäuscht wollte sie sich auf den Rückweg machen, als aus den Schatten eine einzelne Gestalt auf sie zutrat. »Du musst sofort verschwinden«, zischte eine Stimme, von der nicht zu erkennen war, ob männlich oder weiblich. »Das Treffen ist abgesagt. Wir geben euch Bescheid über das weitere Vorgehen.« »Aber ich wollte doch…«, begann sie zögernd, als wäre sie tatsächlich eine Rebellin. »Was?«, fragte die Stimme ungnädig. »Ich – ich hatte gedacht, einer unserer Anführer würde kommen und uns einen Weg weisen, wie wir die verhassten Laktonen vertreiben können.« »Da bist du falsch informiert. Unsere Anführer wollen die Laktonen nicht vertreiben. Und nun verschwinde, bevor man noch einen von uns erwischt.« Das war nicht gerade die Auskunft, die Tana sich erwartet oder erhofft hatte. Weitere Fragen konnte sie jedoch nicht riskieren. »Warte noch. Du solltest vermeiden, dem Regierungssitz zu nahe zu kommen.« »Warum?« »Stelle keine unnötigen Fragen. Beeile dich und lass dich nicht fangen.« Die Gestalt verschmolz wieder mit der Dunkelheit und wurde unsichtbar. Tana war etwas erschrocken. Was hatte diese Warnung zu bedeuten? Sie musste nicht am corronischen Regierung110 �
spalast vorbei, und auch aus Neugier würde sie es jetzt nicht tun. Sie musste zurück, bevor man sie vermisste, dieser Weg hatte sich als länger erwiesen, als sie vorher gedacht hatte. Auf dem gleichen Weg huschte sie von einer Deckung zur nächsten. Es gelang ihr tatsächlich, allen Patrouillen auszuweichen. Auch daraus zog sie eine Lehre. Wenn ihr nächtlicher Ausflug sonst schon keinen Erfolg hatte, dann zumindest doch die Erkenntnis, dass die gesamte Überwachung nichts weniger als ein schlechter Witz war. Sie wollte zunächst erleichtert aufatmen, als sie die Residenz erreichte, jetzt konnte ihr nichts mehr passieren. Kaum war ihr dieser Gedanke gekommen, erfolgte in unmittelbarer Nähe eine heftige Explosion. Der gewaltige Knall ließ den Boden erzittern, Trümmerteile von Fahrzeugen, Gebäuden und Lebewesen flogen wild umher, Sirenen begannen zu jaulen, und Personen rannten wild durcheinander. Tana begriff in diesem Moment, dass sie einem Irrtum erlegen war. Der Verschwörer hatte nicht den corronischen Regierungssitz gemeint. Ihr linker Arm fühlte sich seltsam taub an. Erstaunt schaute Tana an sich herunter und griff dann haltsuchend ins Leere. In ihrem Arm steckte ein langes scharfkantiges Stück Metall. Blut sprudelte hervor, tränkte die Kleidung und floss dann zu Boden. »Was hast du hier zu suchen?«, brüllte ein Offizier der Wachmannschaft. »Mach, dass du fortkommst. Oder besser noch, du kommst gleich mit. Wahrscheinlich hast du etwas mit diesem Anschlag zu tun.« Er hielt sie offenbar für eine Einheimische. Tana war bestürzt, dass der Mann keinen Arzt rief, obwohl er doch sehen konnte, dass sie verwundet war. Aber der Posten erwartete offenbar weitere Anschläge. Sie streifte die Kapuze vom Kopf und sah, wie Mann nach einer Waffe griff. »Halt, ich bin die persönliche Assistentin von Kront Enschko. Sorgen Sie auf der Stelle dafür, dass das ganze Gebiet abgesperrt 111 �
wird. Außerdem soll sich ein Team von Fachleuten mit der Spurensicherung beschäftigen. Und rufen Sie mir einen Arzt. In einer Stunde will ich einen genauen Bericht haben. Ich dulde keine Ausflüchte, Sie haften persönlich dafür, dass der Vorfall aufgeklärt wird.« Tana spürte eine plötzliche Schwäche durch den raschen Blutverlust. In aller Öffentlichkeit wollte sie sich aber keine Blöße geben. Unauffällig tastete sie nach einem Halt. Der Offizier brauchte einen Moment, bis er in der Einheimischen seine Vorgesetzte erkannte, dann stieß er einen heftigen Fluch aus und begann in rascher Folge Befehle an seine Leute zu geben. Er verwünschte das Schicksal, das ausgerechnet ihn an diesen Platz geführt hatte. Jetzt würde er den Kopf hinhalten müssen, sollte das Attentat nicht restlos aufgeklärt werden können. Gleichzeitig bewunderte er die Energie und Beherrschung von Velatip, die sich mit unglaublicher Kraft auf den Beinen hielt. Würde er ihr jetzt Hilfe abschlagen, wäre das ein nicht wieder gut zu machender Fehler. In der Stadt explodierten auch an anderen Stellen noch Bomben. Die gut ausgewählten Ziele sollten eindeutig dazu dienen, die Laktonen zu treffen. Es handelte sich um gut bewachte Anlagen, die dazu dienten, den wirtschaftlichen oder militärischen Nachschub sicherzustellen. Die Rebellion hatte offenbar begonnen, und Tana stand mit ihren Ermittlungen noch immer am Anfang. »Wie können Sie es wagen, hinter meinen Rücken Nachforschungen anzustellen?«, fragte Kront Enschko scharf. »Sie haben festgelegte Aufgaben, die Aufdeckung eines Aufstands gehört nicht dazu.« Tana hatte wohlweislich kein Wort darüber verloren, dass sie für den Geheimdienst arbeitete. Doch sie brauchte für ihre Verkleidung und ihren nächtlichen Ausflug eine plausible Erklä112 �
rung, und die Wahrheit war immer noch das Beste. Nun, zumindest nahe an der Wahrheit dran. Doch Enschko fand ihren Arbeitseifer in keiner Weise lobenswert. »Sie werden sich nie wieder in diese Aufgaben einmischen, ist das klar? Und nun geben Sie Anweisung, dass fünfhundert Corroni aus den großen Familien als Geiseln verhaftet werden. Sollten sich die Attentäter nicht binnen eines Tages stellen, werden pro Tag einhundert Leute von der Straße und aus den Fabriken hingerichtet.« »Aber Sie können doch nicht…« Tana biss sich auf die Lippen. Doch, Kront Enschko konnte. Und er würde. »Wie Sie wünschen«, presste sie dann hervor. Fünfhundert Geiseln, und hundert wahllos ausgesuchte tote Corroni pro Tag, das würde die Rebellen noch mehr aufbringen. Längst hatte sich ein Mediziner um die Wunde gekümmert, es ging Tana schon wieder gut. Sie wollte gerade den Befehl weitergeben, zögerte dann aber. Das war eine Gelegenheit, um Hafis direkt aufzusuchen. Sollte er doch dafür sorgen, dass die Geiseln gestellt wurden. Tana ließ sich zum Regierungssitz des Corroni fliegen und amüsierte sich ein wenig darüber, welche Aufregung ihr Erscheinen hervorrief. Sie ignorierte den bestürzt umherlaufenden Adjutanten und marschierte schnurstracks in das Büro von Donon Hafis. Der blickte unwillig auf, als die Tür ohne Anmeldung geöffnet wurde. »Wer wagt es, mich zu stören?« Dann wurden seine Augen groß, er sprang auf und kam Velatip entgegen. »Ich begrüße Sie, Edle Dame. Es ist eine große Ehre für mich, Sie hier…« »Das wird viel weniger eine Ehre als mehr eine Strafe für Sie sein.« Sie ging an ihm vorbei und ließ sich in seinen Sessel fallen. Interessiert betrachtete sie auf dem Bildschirm die Liste der Vorgänge, an denen er gerade gearbeitet hatte. Das meiste davon 113 �
waren Routineaufgaben, auch Hafis musste sich mit Verwaltungsarbeit herumschlagen, offenbar machte die Bürokratie von nichts und niemand halt. Ihre Blicke blieben an einer kleinen Nachricht hängen. Das allein wäre noch nichts Besonderes gewesen. Doch die Nachricht besagte, dass Hafis zu einem Treffen erscheinen sollte. Gezeichnet war die Notiz mit einem Begriff, den Tana zum ersten Mal las: ›Im Namen Corrons‹. Auch die Bezeichnung war interessant. »Edler Herr«, eine Anrede, die nur hochgestellten Persönlichkeiten zustand. War Hafis eine so hochgestellte Persönlichkeit? Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie überhaupt etwas davon wahrgenommen hatte. Mit eiskaltem Blick musterte sie Hafis, der nicht demütig die Augen niederschlug und den Kopf senkte. Tana war plötzlich ganz sicher, dass sie sich in ihrer Vermutung nicht täuschte. Dieser Mann führte die Rebellen auf Corron an, und sie würde einen Weg finden, um das zu beweisen. »Donon Hafis, auf Anweisung Seiner Exzellenz Kront Enschko werden Sie fünfhundert Geiseln stellen – innerhalb von zwei Stunden. Und Sie werden tatkräftig an der Aufklärung der Attentate mitarbeiten.« Kühl und sachlich gab sie ihre Befehle und ließ keinen Widerspruch zu. »Ich bin sicher, Sie werden rasch fünfhundert Personen finden, deren Abwesenheit bei einigen Leuten sogar Erleichterung hervorrufen wird. Es liegt im Übrigen an Ihnen, weitere harte Maßnahmen zu vermeiden. Bringen Sie uns die Attentäter.« Sie erhob sich und starrte dem Mann neugierig ins Gesicht. »Ich weiß, dass Sie mich hassen, Hafis, aber mit Hass werden Sie uns sicher nicht vertreiben. Damit werden Sie es sich und Ihrem Volk auch nicht leichter machen. Passen Sie sich an, mehr kann ich Ihnen nicht raten.« Sie weiß es! schoss es ihm durch den Kopf. Er zwang sich zu 114 �
einem Lächeln. »Ich hasse Sie nicht, Edle Dame. Sie nicht, und auch nicht Ihr Volk. Ich würde es nur begrüßen, wenn die Laktonen etwas Verständnis und Respekt entwickeln könnten.« Tana schüttelte den Kopf. Was verlangte er da? Verrückt, Corron war eine besetzte Welt, warum sollte man für ein gedemütigtes Volk Respekt entwickeln? Sie ging hinaus und spürte förmlich die stechenden Blicke von Hafis in ihrem Rücken. »Sie weiß Bescheid, ganz bestimmt, und ich frage mich, warum sie noch nichts unternommen hat.« Donon Hafis saß in einem geheimen Stützpunkt mit anderen Rebellen zusammen. »Woher willst du das wissen?«, meldete sich einer von ihnen zu Wort. »Du sagst schon ganz richtig, sie würde dich verhaften lassen, wenn sie nur einen begründeten Verdacht hätte.« »Nein, ich glaube, sie will den ganzen Ring in die Hände bekommen. Das würde sie bei Enschko in ein gutes Licht setzen. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass er diese Frau ablehnt.« »Na gut, nehmen wir an, du hast recht«, stimmte eine weiterer Rebell zu. »Was willst du unternehmen, um dich und uns zu schützen? Das wird nicht einfach sein. Du solltest die Hilfe von außerhalb in Anspruch nehmen.« Die Hilfe von außerhalb – dabei handelte es sich um einen Fremden, der vor einiger Zeit wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er hatte die Rebellen großzügig mit Waffen und Informationen unterstützt, ohne je eine Gegenleistung zu verlangen. Allerdings, auch ohne jemals direkten Kontakt zugelassen zu haben. Da die Corroni den Laktonen technologisch haushoch unterlegen waren, hatten die kritischen und misstrauischen Fragen rasch ein Ende gefunden, als die Unterstützung sich als äußerst wertvoll erwies. Der Fremde, der sich Borkan Manilon nannte, weigerte sich hartnäckig mit den Rebellen zusammenzu115 �
treffen, er hielt das für zu gefährlich, doch er war auf einer bestimmten Funkwelle stets zu erreichen. Der Präsident hatte diesen ungewöhnlichen Kontakt vermittelt, aber auch er wusste nichts Genaues über diesen Mann. Der Name war jedenfalls mit Sicherheit genauso falsch wie sein Lebenslauf. Er war kein Corroni, dessen waren Hafis und der Präsident sicher, doch viel mehr wusste man nicht über ihn. Die Vermutung ging stark dahin, dass es sich um einen Laktonen handelte, der aus persönlichen Gründen daran interessiert war, sein eigenes Volk zu schädigen. Er hatte laktonische Waffen geliefert und ihnen einiges über dieses Volk erzählt, was bisher nicht bekannt gewesen war. Niemand aber wusste, wo Manilon lebte, womit er seinen Lebensunterhalt bestritt, und woher er all das besaß, was er so großzügig verteilte. Der Vorschlag, auf seine Hilfe zurückzugreifen, um Hafis und die Rebellen vor Velatip zu schützen, klang zuerst plausibel, doch in dem Staatssekretär regten sich Zweifel. Den Mann um Hilfe zu bitten bedeutete, sich voll und ganz in seine Hand zu begeben. Vielleicht handelte es sich sogar um einen Laktonen, der die Verschwörer von innen heraus zerstören sollte. »Du hast keine große Wahl«, sagte Ragnor, der erste Sprecher, leise. Der ältere Mann hatte seine Familie im Kampf gegen die Laktonen verloren, und doch war er nicht von blindem Hass getrieben. Ebenso wie Hafis sah er die Situation nüchtern und wünschte sich von den Laktonen Anerkennung und eine Art Partnerschaft. Er hatte lange darüber nachgedacht, wie er sich anstelle dieses Volkes verhalten hätte und war zu dem Schluss gekommen, dass sie gar nichts anders arbeiten konnte. Deshalb brachte er ein gewisses Verständnis auf, was seine Familie natürlich nicht wieder zum Leben erweckte. »Ein Risiko bist du in dem Moment eingegangen, als du dich entschlossen hast, die Besetzung nicht mehr länger tatenlos hin116 �
zunehmen. Jetzt musst du konsequent weitergehen, Donon. Du kannst dich von Velatip weiter beschatten und schließlich verhaften lassen, oder du unternimmst etwas dagegen. Du hast doch sicher eine Möglichkeit mit Manilon Kontakt aufzunehmen?« Langsam nickte der Corrone. »Es gibt eine spezielle Frequenz, auf der ich ihn rufen kann, ohne dass das laktonische Überwachungssystem darauf reagiert. Aber auch das macht mich eher noch misstrauischer. Wer ist er? Wie kommt er an soviel Macht?« »Du kannst ja versuchen, das herauszubekommen, jetzt musst du dich erst einmal darauf konzentrieren, dich selbst zu schützen.« Die leise ruhige Stimme von Ragnor machte Hafis deutlich, dass der Mann sich Sorgen machte und damit wohl Recht hatte. Das Leben eines Rebellen bestand in erster Linie aus Verbergen und Heimlichkeit, besonders dann, wenn man sich in einer hochrangigen Position befand. Hafis entschied sich endgültig dafür Manilon um Hilfe zu bitten – falls er dazu überhaupt in der Lage war. So ging wenige Minuten später ein verschlüsselter Spruch auf der besonderen Frequenz hinaus. Auf den Überwachungsmonitoren der Laktonen tauchte eine kaum wahrnehmbare Störung auf, die niemand bewusst zur Kenntnis nahm. Borkan Manilon las die Nachricht mit einem zufriedenen Stirnrunzeln. Zufrieden deswegen, weil jetzt offenbar die Zeit des Misstrauens vorbei war. Stirnrunzeln deshalb, weil ihn diese Bitte vor ein Problem stellte. Wie sollte er Hafis helfen, ohne sich und seine Tarnung zu gefährden? Manilon begann darüber nachzudenken, und schließlich fiel ihm eine Idee ein, bei der er vor sich hin lächelte. Er würde dem Rebellen helfen, gleichzeitig aber die Pläne der Laktonen unendlich stören. 117 �
Noch ein winziger Impuls jagte durch den Äther, wiederum unbemerkt, und traf bei Hafis im Gerät ein. Der Impuls enthielt nur einen Ort und eine Uhrzeit. Mehr war auch nicht nötig, die Zeit des Versteckspielens war offenbar vorbei. Bordulak benötigte auch noch längere Zeit medizinische Hilfe, das war für alle klar, die mit diesem Fall zu tun hatten. Durch seine blinde Raserei hatte er nicht nur seinen Freund getötet, er hatte damit auch seine Vorgesetzten auf seine Sucht aufmerksam gemacht. Geschwaderkommandant Asahat Yenta hatte eine sofortige Untersuchung des Raumschiffes und auch der privaten Räumlichkeiten seines Offiziers angeordnet. Natürlich waren dabei die persönlichen Vorlieben und Unzulänglichkeiten des Mannes ans Tageslicht gekommen, die sich nicht allein auf Kashtani beschränkten. Das ging soweit, dass Bordulaks Familie informiert werden musste. Seine Verfehlungen waren so groß, dass eine Disziplinarstrafe die Belange der Familie betraf, denn durch die guten Beziehungen zu den regierenden und maßgeblichen Stellen war Bordulak vorzeitig befördert worden. Mit dieser Protektion war es jetzt natürlich vorbei. Um dem Ruf der Familie nicht noch mehr zu schaden, sollte eine Degradierung vermieden werden, aber es kam natürlich nicht in Frage, dass er weiterhin an privilegierter Stelle im Geschwader von Yento blieb. Er musste also möglichst unauffällig versetzt werden. Zuvor jedoch trat er einen Besuch beim Familienrat an, die größte Demütigung, die sich der junge Raumfahrer denken konnte. Mit dem Raumschiff war der Anflug nach Ferga unmöglich, der Planet war nur per Transmitter erreichbar. Bordulak trat aus der Empfangshalle, wurde automatisch auf verborgene Waffen überprüft und konnte erst dann den Boden seiner Heimatwelt betreten. Es war ein seltsames Gefühl, wieder hier zu sein. Er hatte gedacht, erst in einigen Jahren, als erfolgrei118 �
cher und verdienter Geschwaderkommandant zurückzukehren, um eine einflussreiche Position innerhalb der Regierung zu übernehmen. Jetzt stand es sogar in den Sternen, ob er dieses Ziel jemals erreichen würde. Stattdessen kam er als fast gescheiterter Dummkopf, der darum kämpfen musste, nicht aus der Familie ausgestoßen zu werden und in der Vergessenheit zu verschwinden. Es kam Bordulak nicht in den Sinn, dass er durch seine maßlose Sucht, sein negatives Verhalten und seine unglaubliche Überheblichkeit selbst Schuld an diesem Schicksal tragen könnte. Für ihn trug allein Tana Velatip die Schuld daran. Hätte sie sich nicht von ihm abgewandt, wäre es nie soweit gekommen. Dann hätte er keine Rauschmittel gebraucht und auch all die anderen 'Vergnügungen' wären nicht notwendig gewesen. Ohne Tana hatte er jedoch eine Art Ersatzbefriedigung gebraucht, von der er auch jetzt noch nicht unbedingt lassen wollte. Wie bei allen Süchtigen drehten sich seine Gedanken nur darum, möglichst schnell wieder in den Genuss der Droge zu kommen. Die Mediziner würden noch eine Menge zu tun haben, bis er das Verlangen überwinden konnte. Trotz der medizinischen Erfolge und des großen Wissens gab es auch für laktonische Ärzte Grenzen, die sie noch nicht überschreiten konnten – sehr zum Leidwesen der Patienten. Dumm war für Bordulak nur, dass man ihn erwischt hatte. Er bedauerte nicht einmal den Tod seines Freundes wirklich. An allem war eben nur dieses Miststück schuld, das ihn einfach verlassen hatte. Niemand gab Bordulak cor Hadalip den Laufpass, das stand umgekehrt allein ihm zu. Wenigstens würde es ihr nicht wirklich gut gehen, wenn Kront Enschko noch immer ihr Vorgesetzter war. Auch der Repräsentant gehörte zu den Männern, die genügend Selbstbewusstsein und Arroganz besaßen, um eine Frau als untergeordnetes Wesen zu sehen, das seine Aufgaben zu erfüllen, im Übrigen aber nichts weiter zu melden 119 �
hatte. Obwohl unter den Laktonen die Gleichberechtigung an der Tagesordnung war, gab es einige vorwiegend Adlige, die gerne die Lebensform der Orathonen übernehmen würden. Von Schuldbewusstsein fand sich bei Bordulak also keine Spur, und all diese Gedanken schossen ihm ungeordnet durch den Kopf, während er seine Verteidigung vorbereitete. Der Palast der Familie war eindrucksvoll und verschwenderisch, ohne protzig zu wirken. Doch der Weg durch die Halle der Versammlung war lang. So endlos war dem jungen Mann die Strecke noch nie vorgekommen. Am Ende der Halle stand ein langer Tisch, an dem rund ein Dutzend Personen saßen. Sein Großvater Vanatu führte den Vorsitz, neben ihm saßen Bordulaks Vater und weitere Verwandte, darunter auch Edowina Bursala. Die alte Dame besaß einen schon fast legendären Ruf als Bewahrerin der Traditionen und Familienehre. Sie war die einzige Frau, vor der Bordulak wirklichen Respekt empfand. Dass ausgerechnet sie hier zu finden war, traf ihn tief. Er hatte auf einen kleinen Kreis gehofft, in dem man seine 'Dummheit' regeln konnte, doch offenbar ging es die ganze Familie etwas an. Der junge Laktone trat näher und stellte sich in ehrfurchtsvoller Haltung auf. Eine Weile herrschte Schweigen, während er die Blicke der Anwesenden wie körperliche Berührungen spürte. »Wir müssen nicht noch einmal darüber reden, was du getan hast. Deine Verfehlungen sind leider allen hier bekannt«, begann Vanatu und blickte ihn missbilligend an. »Du hast Schande über die Familie gebracht, und das in aller Öffentlichkeit. Die Familie deines Freundes Olphir haben wir entschädigt, und du wirst selbstverständlich noch in aller Form Abbitte leisten. Aber das ist eine Sache, die in den nächsten Tagen erledigt werden kann. Jetzt sind wir hier, um über dich zu richten, auch wenn ich gehofft hatte, dass niemals eines meiner Familienmitglieder in eine solche Lage kommen würde.« Er wandte sich an die ande120 �
ren, die schweigsam zuhörten. »Es wird in Bordulaks Raumschiff niemanden mehr geben, der bereit ist, ihm den notwendigen Respekt zu erweisen – falls das vorher überhaupt jemand getan haben sollte. Nach allem, worüber ich informiert wurde, hast du dich und die Familie nicht gerade mit Ruhm gekrönt, auch vor diesem unerfreulichen Zwischenfall schon nicht. Ganz im Gegenteil bist du dadurch aufgefallen, dass deine Mannschaften in einem schlechten Zustand sind, während du dich um dein persönliches Wohlergehen gekümmert hast statt um die Ehre für das Laktonische Reich. Ich wurde gebeten, einen deiner Unfähigkeit angemessenen Posten für dich auszuwählen, was sich als ziemlich schwierig erwiesen hat. Doch ich habe noch immer die Hoffnung, dass es sich um Probleme handelt, die du mit der nötigen Hilfe meistern kannst. Also will ich jetzt hören, was du zu deiner Verteidigung vorzubringen hast.« Bordulak war wie erschlagen. Sein Großvater war für ihn stets der Inbegriff der Ehre und Disziplin gewesen, eine Tatsache, die er respektierte, die ihn aber auch etwas ängstigte. Disziplin war etwas, was man von anderen forderte, nicht von sich selbst. »Ich bitte um Vergebung«, sagte er mit fester Stimme. »Mein Bestreben war es nur, dem Reich der Laktonen zu dienen. Aber ich habe gefehlt und will mich bemühen, das wieder gut zu machen.« Der junge Laktone hielt das für eine angemessene Aussage, aber so einfach sollte er nicht davonkommen. »Dann hast du eine sehr nachlässige Auffassung vom Dienst am Reich«, ließ sich nun sein Vater vernehmen. »Bitte entschuldige, aber warst du es nicht, der stets gesagt hat, dass der Dienst sich mit den persönlichen Neigungen vertragen muss, um anständig ausgeführt zu werden?« Aus den Augen des älteren Laktonen schossen wilde Blitze. Offenbar interpretierte sein Sohn die Lehren und Aussagen, die man ihm beigebracht hatte, auf eine sehr freizügige Art und 121 �
Weise. »Du hast den Leitsatz der Familie und des Volkes offensichtlich falsch verstanden«, kam jetzt die krächzende Stimme von Edowina. Die alte Frau war eine beeindruckende Persönlichkeit, die sich jedoch nur selten zu Wort meldete. Es musste gute Gründe geben, um sie zu einer Äußerung zu bewegen. Bordulak fühlte einen dicken Knoten in seinem Magen. Die Lage war ernst. Er versuchte es noch einmal mit einer fadenscheinigen Erklärung. »Ich bitte noch einmal um Vergebung, ehrwürdige Dame. Mir war nicht bewusst, wie sehr ich der Familie schade, ich hielt das alles für eine rein persönliche Angelegenheit. Meine Gefühle sind verwirrt, weil ich eine Frau liebe, die meine Empfindungen nicht erwidert. Sie hat mich verlassen. So wollte ich meine Gefühl betäuben und mich ablenken.« Sah er nicht einen Funken Verständnis in den Augen seines Vaters? Auch der war bekanntermaßen kein Kostverächter und nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um seinen Vergnügungen nachzugehen. Vielleicht war es doch die richtige Taktik, seine Schuld einzugestehen und Tana dafür verantwortlich zu machen. Aber Edowina sah die Sache etwas anders, und ihr Wort hatte Gewicht in dieser Runde. »Es ist das gute Recht eines jeden Laktonen oder einer Laktonin, sich einen Partner nach freiem Willen auszusuchen. Du bist zu oberflächlich, um wirklich Gefühle für andere zu entwickeln. Es spricht in meinen Augen für diese Frau, dass sie dich nicht genommen hat. Aber du wirst von verletzter Eitelkeit und Rachegefühlen getrieben. Das ist kein akzeptabler Grund, sich selbst und andere dermaßen ins Verderben zu stürzen. Selbstverständlich hätte es dir freigestanden dich selbst umzubringen, wie du es mit der 122 �
Sucht nach Kashtani gerade versuchst. Ich würde es jedoch für angemessener halten, würdest du dir eine ehrenvolle Todesart aussuchen, durch die keine Schande auf die Familie fällt.« Die harten Worte trafen Bordulak schwer. Die alte Laktonin hatte ihn durchschaut, und jetzt würde ihm auch das Verständnis seines Vaters nicht mehr helfen können. Vanatu erhob sich von seinem Platz und machte eine höfliche Verbeugung vor Edowina. »Wir alle haben dankbar deine Worte vernommen, ehrwürdige Dame. Wir wollen einen Beschluss fassen.« Nacheinander blickte der alte Mann alle Mitglieder des Familienrates an. Obwohl sonst niemand etwas gesagt oder gefragt hatte, unterwarf sich jeder seinem Willen. Er allein war es, der die Entscheidung zu treffen hatte, die anderen stimmten ihm nur zu. Bordulak wurde es plötzlich heiß und kalt. Würde man ihn jetzt zwingen, einen ehrenvollen Tod zu suchen? Das konnte nur bedeuten, dass er an vorderster Front gegen die Orathonen kämpfen musste. Dort würde er entweder den Tod oder tatsächlich Ruhm und Ehre finden, um die Schande der Familie wieder abzuwaschen. Jetzt noch zu protestieren oder um Gnade zu bitten, war jedoch undenkbar. Mit geballten Fäusten und angehaltenem Atem erwartete Bordulak seine Vernichtung. »Ich bin gewillt, die Jugend und Unerfahrenheit als Milderungsgrund anzusehen. Doch die ehrwürdige Edowina hat zu Recht angeführt, dass seine Triebfeder in erster Linie aus der persönlichen Enttäuschung resultierte. Er wird noch eine Menge lernen müssen, bevor er klug und vor allen Dingen reif genug ist, um mit wirklich verantwortungsvollen Aufgaben betraut zu werden. Wir sollten ihm also zunächst eine Aufgabe zur Bewährung übertragen.« Das war schlimmer als eine Degradierung oder die Abkommandierung in den Tod, das war eine Art Mitleid. Bordulak 123 �
fühlte sich, als hätten ihn alle Anwesenden ins Gesicht geschlagen. Bewährung, allein das Wort hatte einen giftigen Beigeschmack. Er begegnete dem Blick des alten Mannes und zuckte zusammen. Hier ging es um mehr als die persönliche Empfindlichkeit, die Ehre der Familie stand auf dem Spiel, und er musste es sich gefallen lassen, dass man ihm aus Mitleid eine Bewährung anbot, um die Ordnung innerhalb der Hierarchie im Reich wieder herzustellen. Also war dies eine Chance, erkannte er. Um seinen Namen und den der Familie wieder reinzuwaschen, blieb ihm keine andere Wahl, und er würde sein Bestes geben müssen. Sollte er versuchen sich durch Selbstmord dieser Verantwortung zu entziehen, würde sein Name auf ewig aus dem Familienstamm gelöscht, dann wäre er weniger als ein Namenloser. Das war eine erschreckende Vorstellung. »Da ich mit dem Schenta und auch mit dem Oberkommando der Raumfahrtbehörde gute Kontakte pflege, habe ich all meinen Einfluss geltend gemacht, um dir eine Aufgabe übertragen zu lassen, mit deren Bewältigung du wieder an Ansehen gewinnen kannst.« Bordulak verstand, das Urteil hatte bereits vorher festgestanden, doch er hätte ohne diesen Familienrat die Beweggründe vermutlich niemals verstanden. Vanatu machte sich nicht die Mühe zu verbergen, dass er das Heft in der Hand hielt. »Ich erwarte von dir, dass du mich nicht noch einmal enttäuscht. Bereits in zwei Tagen wirst du mit der Norea starten, um im Corron-System stationiert zu werden. Es gehen Gerüchte um, dass die Corroni eine Rebellion planen. Das können wir nicht dulden. Auf dem Planeten befindet sich bereits qualifiziertes Personal, um den Aufstand im Kern zu ersticken, doch die Flotte muss Präsenz zeigen, und das ist deine Aufgabe. Außerdem ist Kront Enschko, den du ja auch kennst, der laktonische Repräsentant auf Corron. Es handelt sich in diesem Fall um 124 �
keine schwere Aufgabe, sie ist dennoch wichtig.« Bordulak hatte Mühe, den in ihm aufsteigenden Drang nach einem völlig unpassenden Gelächter zu unterdrücken. Corron! Ausgerechnet er sollte nach Corron fliegen, wo sich Tana Velatip befand. Als persönliche Assistentin, wie es hochoffiziell hieß. Aber der junge Laktone wusste nur zu gut, dass sie dort als Agentin tätig war. Sie also war das qualifizierte Personal, das den Aufstand im Keim ersticken sollte. In seiner Position gelangte man recht schnell an Informationen, mochten die auch noch so vertraulich sein, er hatte längst Erkundigungen eingeholt, was mit seiner ehemaligen Freundin passiert war. Es bestand also kein Zweifel für Bordulak, dass Tana dort arbeitete. Würde er diese Frau wieder sehen? Würde er das überhaupt wollen? Seine kleine Unaufmerksamkeit während dieses Gedankengangs war dem Großvater nicht entgangen. »Selbstverständlich wirst du keine Gelegenheit haben, auf Corron zu landen und dich womöglich mit neuen Rauschmitteln zu versorgen. Außerdem wird der Bordarzt der Norea auf deinen Gesundheitszustand achten. Sobald du die Sucht endgültig überwunden hast und bereit bist, der Familie und dem Reich aus Überzeugung zu dienen, werden wir erneut beraten und dir eine verantwortungsvolle Aufgabe zuweisen. Bis dahin liegt es allein an dir, ob du auch weiterhin ein Mitglied unserer Familie sein möchtest. Nun geh, Bordulak, beweise uns, dass du würdig bist, einer von uns zu sein.« Ehe er noch recht wusste, wie ihm geschah, befand er sich schon wieder im Transmitter und verließ Ferga. Zwei Tage später meldete er sich an Bord der Norea als Kommandant, unterstellt aber war er ausgerechnet einem seiner Erzfeinde, Kommandant Goromdal Bahadur, den er schon seit der gemeinsamen Schulzeit nicht ausstehen konnte. Das erschien ihm wie eine 125 �
zusätzliche Verschärfung seiner Strafe. Und an allem war nur Tana schuld.
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8. � 45. Gharam im Zeichen des Busum � (auf der Erde schreibt man November 1987) � Die Norea und die Zaradu hingen im Corron-System in Warteposition. Einmal täglich wurde ein ausgedehnter Patrouillenflug unternommen, wobei das gesamte System jedes Mal gescannt werden sollte. Es gab nicht viel im Laktonischen Reich, mit dem man diese tödliche Langeweile noch übertreffen konnte. Kein Landurlaub, keine Abwechslung, nur das tägliche Einerlei. Bordulak hatte rasch herausgefunden, dass die meisten Besatzungsmitglieder auf die eine oder andere Art strafversetzt waren. Sie alle waren hier zur Bewährung, was vermutlich nichts weiter hieß, als mit sich selbst und der Eintönigkeit fertig zu werden. Die Stimmung an Bord war permanent gespannt, und immer wieder musste der Sicherheitsdienst eingreifen, um eine Eskalation unter den Mannschaften zu verhindern. Das Verhältnis zwischen den Offizieren gestaltete sich ebenfalls kompliziert, doch es wäre undenkbar gewesen, eine offene Konfrontation zuzulassen. Es wurde auf zivilisierte Art gegeneinander gekämpft, ohne dass dieser Begriff überhaupt fiel. Man begegnete sich mit eisigem Schweigen und erledigte seine Aufgaben, das war alles. Eine erfreuliche Abwechslung aus der Sicht von Bordulak war die Ankündigung von Kront Enschko, zu einem zwanglosen Gespräch auf das Schiff zu kommen. Die beiden Männer hatten sich nur kurz über Funk gesprochen, als der Kommandant im System angekommen war. Doch eine ungestörte Unterhaltung 127 �
war natürlich nicht möglich gewesen. Es war schön, jemanden zu haben, mit dem man auch einige persönliche Worte wechseln konnte. Durch diesen kurzen Kontakt wusste der junge Laktone nur wenig Bescheid über das angespannte Verhältnis zwischen dem Repräsentanten und der Agentin. Noch viel weniger war ihm bekannt, was sich gerade genau auf Corron abspielte, und welche Rolle Tana dabei übernommen hatte. All das und noch viel mehr wollten die beiden Männer bei dem Besuch erörtern. Bevor es jedoch soweit kommen konnte, begannen die Ereignisse auf dem Planeten zu eskalieren, auch wenn die Situation zu Anfang noch harmlos und unter Kontrolle schien. Ein Besuch Enschkos auf der Norea kam dann jedoch nicht mehr in Frage. Unruhig lief Kront Enschko durch sein Büro. Wie es seiner Art entsprach, war es pompös und luxuriös aufgebaut, besaß kostbare Möbel und verschwenderische Kunstgegenstände. Nur der Schreibtisch war irgendwie leer. Bis auf den Monitor, auf dem in rascher Folge die Seiten wechselten, war dort nichts von Arbeit zu sehen. Dicht an der Wand standen einige Leute vom Personal der Residenz, zwei Offiziere hielten sich mit gesenkten Köpfen im Hintergrund, und Tana Velatip bildete die Spitze derjenigen, die vom Repräsentanten gemaßregelt wurden. Selbstverständlich gehörte keiner von Enschkos persönlich ausgesuchtem Stab dazu. Hier gab es genug Leute, die den Kopf hinhalten mussten, um seine schlechte Laune aufzufangen. Von der Heimatwelt waren neue Anweisungen und eine deftige Rüge gekommen, das wollte Enschko nicht auf sich sitzen lassen. »Ich bin von Unfähigkeit umgeben«, stellte er mit scharfer Stimme fest. »Offenbar ist niemand in der Lage oder gewillt, meinen Anordnungen Folge zu leisten. Das mag zum Teil daran liegen, dass Sie alle quasi gegen meinen Willen hier sind. Ich hätte gut darauf verzichten können, Mitarbeiter zu haben, die 128 �
sich nicht die Mühe machen, das Wohlergehen des Laktonischen Reiches über die persönliche Bequemlichkeit zu stellen. Diese Tatsache werde ich im Augenblick aber wohl kaum ändern können, auch wenn ich bereits um die Ablösung gewisser Personen gebeten habe.« Er lief bei diesen Worten mit schweren Schritten durch den Raum, verbreitete dabei großzügig den Duft seines teuren aufdringlichen Parfums, und wedelte mit den Armen, an denen wie immer kostbare Ringe und Armreifen von seinem exklusiven Geschmack zeugten. Schließlich blieb er vor Tana stehen. Sie war die einzige, die nicht betroffen und demütig den Kopf senkte und hoffte, dass sein Zorn sie nicht treffen möge. Im Hinterkopf hatte sie die Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben und außerdem wusste sie den Rückhalt durch den Geheimdienst hinter sich. Ihr letzter Bericht war abgeschickt, aber Hortek hatte sich noch nicht über die sichere Leitung gemeldet. Enschko musterte Tana abfällig. Sie war die einzige, die es offen wagte, sich ihm entgegenzustellen. Der Mann war nicht dumm. Er hatte eine umfassende Ausbildung genossen, und allein durch seine Herkunft war er daran gewöhnt Befehle zu erteilen. Doch in seiner maßlosen Überheblichkeit waren ihm die Folgen seiner Befehle nicht immer klar, schon gar nicht für ihn selbst. Kront Enschko hatte noch immer nicht gelernt global, oder besser noch, stellar zu denken. Die Produktion und das Verhalten der Einwohner eines ganzen Planeten hatten Auswirkungen auf das gesamte Laktonische Reich. Auch wenn mehr als 7.000 Welten zum Imperium gehörten, so gab es doch einige Schlüsselsysteme, die für die Stabilität der anderen wichtig waren. Corron war nicht unbedingt eine dieser Welten, doch die Xeno-Kommunikatoren von hier waren lebenswichtig, so wenige es auch sein mochten. Und wenn der Nachschub an speziell ausgebildeten Personen stockte, dann war in erster Linie 129 �
der Repräsentant von Lakton verantwortlich. Kront Enschko konnte und wollte nicht mit dieser Rüge leben. Wie konnte er gute Arbeit leisten, wenn man ihm unfähige Mitarbeiter vor die Nase setzte? Das und noch viel mehr hatte er in einem langen Monolog den Leuten vorgehalten. Selbst die beiden Offiziere waren angesichts der gehäuften Vorwürfe immer kleiner geworden. Nur Tana Velatip stand noch immer hoch aufgerichtet da. Sie war es müde, dem Selbstmitleid von Enschko zuzuhören. Sollte er sich doch lieber mal Gedanken darüber machen, ob seine Anweisungen nicht allzu hart waren und die Corroni damit in die Rebellion trieben. Hier und jetzt war aber der falsche Zeitpunkt, noch einmal darauf einzugehen, wie sie es schon mehrmals getan hatte. »Sie«, sagte Enschko jetzt mit deutlicher Betonung und blickte Tana zornig an. »Sie sind diejenige, die in erster Linie gegen mich arbeitet. Ich habe ganz den Eindruck, als würden Sie genau das Gegenteil von dem tun, was ich befehle. Damit wird jetzt ein für allemal Schluss sein. Sie werden in Zukunft mit einem meiner Leute zusammenarbeiten, der überprüft, ob Sie meine Befehle korrekt ausführen.« Tana glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, sie hatte jetzt endgültig genug von dieser Farce. Enschko mochte sich hier auf Corron wie ein kleiner König gebärden und unumschränkte Rechte besitzen, um jeden nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Aber mit ihr konnte er das nicht tun, sie musste sich das nicht gefallen lassen. Selbst auf die Gefahr hin, doch noch abberufen zu werden, wollte sie sich dem nicht beugen. »Nein«, sagte sie klar und laut. Sie spürte förmlich das Erschrecken durch die Reihen der anderen Laktonen laufen. Enschko erstarrte. »Wie soll ich das verstehen?«, fragte er ungläubig. 130 �
»Ich brauche keinen Ihrer Speichellecker an meiner Seite, Exzellenz. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, alle Ihre Anweisungen wurden korrekt wiedergegeben und ausgeführt. Es spielt dabei keine Rolle, ob ich Respekt für Sie empfinde, meine Arbeit habe ich nach bestem Wissen und Gewissen ausgeführt, wie ich sehr wohl beweisen kann. Eine solche Demütigung muss ich mir nicht gefallen lassen, nicht einmal von Ihnen. Falls Sie deswegen eine Beschwerde einreichen wollen, steht Ihnen das selbstverständlich frei. Nur zu. Die nachfolgende Untersuchung wird sicherlich ergeben, dass mir nichts vorzuwerfen ist.« Enschko verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wippte auf den Füßen vor und zurück. »Sie wagen es mir zu widersprechen? Noch dazu in dieser Form? Ich habe Sie als meine persönliche Assistentin akzeptiert, widerstrebend, aber dennoch. Und nun fallen Sie mir in den Rücken? Sie haben in manchen Bereichen hervorragende Arbeit geleistet, nur in einigen Sektionen fehlt es Ihnen an der nötigen Durchsetzungskraft. Deshalb wünsche ich, dass jemand aus meinen persönlichen Stab an Ihrer Seite steht. Sind Sie zu stolz Hilfe anzunehmen, wenn Sie Ihnen gereicht wird? Sind Sie zu stolz, sich dem Willen Ihres Vorgesetzten zu unterwerfen? Wie kommen Sie dazu, mich in Frage zu stellen?« Obwohl diese Worte schon ganz anders klangen als seine erste Maßregelung, hatte Tana geahnt, dass es darauf hinauslaufen würde. Es war zu einem Duell zwischen Enschko und ihr gekommen, auch wenn das eigentlich total verrückt klang. Sie beschloss selbst zum Angriff überzugehen. »Ich stelle Sie nicht in Frage, Exzellenz. Wer bin ich denn schon, dass ich das könnte?«, fragte sie ironisch. »Aber ich gebe Ihnen nicht zum ersten Mal zu bedenken, dass Ihre harten Maßnahmen nicht gerade populär sind. Die Corroni sind sich ihrer eigenen Bedeutung durchaus bewusst. Warum gehen Sie nicht 131 �
ein bisschen darauf ein? Sie könnten sich und anderen das Leben etwas leichter machen.« »Ich bin nicht hier, um irgend jemandem das Leben leichter zu machen«, erklärte Enschko von oben herab. »Haben Sie sonst noch etwas vorzubringen?« Bei seinen Worten blickte er in die Runde, aber keiner wagte sich zu rühren. Tana seufzte. »Niemand wird etwas sagen«, gab sie ruhig zurück. »Das wäre für jedermann die klare Vernichtung.« »Nur für Sie nicht? Was macht Sie so sicher? Sie gehen da ziemlich weit, Velatip. Ich schätze es nicht, wenn man meine Gutmütigkeit ausnutzt.« Sie lachte kurz auf. »Da muss ich eine Eigenschaft an Ihnen übersehen haben. Gutmütigkeit ist mir noch nie aufgefallen. Aber wollen Sie diese Unterredung nicht endlich beenden? Sie bringt nichts mehr, und wir alle haben noch zu tun.« Er fuhr herum. »Ihre Frechheit geht entschieden zu weit. Wollen Sie mir jetzt etwa auch noch Vorschriften machen?« »Da es sonst niemand zu tun wagt – ja. Sie haben doch hier auf Corron schon alle Macht. Ist es Ihnen tatsächlich so wichtig, andere zu demütigen? Reicht Ihnen diese Machtfülle nicht aus? Oder klettert man die Karriereleiter besonders schnell hinauf, wenn man andere mit Füßen tritt? Ich dachte immer, in unserem Volk sei die Befähigung wichtig, aber da scheine ich mich wohl getäuscht zu haben.« Man hätte in diesem Augenblick eine Feder zu Boden fallen hören können. Kront Enschko stand mit großen Augen da, Tana funkelte ihn zornig an. Alle anderen wirkten wie zu Stein erstarrt. »Sie haben also an meinem Führungsstil etwas auszusetzen?«, fragte er gefährlich leise. Sie wollte jetzt keinen Rückzieher mehr machen. »Ja, Exzellenz. Bei allem Respekt, Sie könnten Corron zu einer blühenden Kolo132 �
nie machen, und die Bewohner würden uns freudig helfen, statt widerwillig unsere Befehle zu befolgen und einen Aufstand zu planen. Ist es denn so schwer, einem besiegten Volk entgegenzukommen?« So, nun war es heraus, was sie insgeheim dachte. Rein logisch hatte Tana die Lage analysiert und war zu dem Schluss gekommen, dass ein besiegtes Volk die Besatzung leichter akzeptieren würde, wenn man ihm ein Mindestmaß an Respekt entgegenbrachte. Das verringerte auch den Aufwand, den man betreiben musste, um Aufstand und Rebellion zu verhindern. Natürlich stand diese Denkweise dem Verständnis der Laktonen diametral gegenüber. Enschko machte denn auch nicht die geringsten Anstrengungen, diese Überlegungen zu würdigen. Er baute sich vor Tana auf und starrte ihr verächtlich ins Gesicht. »Das klingt ja fast wie Verrat an unserem Volk«, stellte er fest. Verrat! Allein dieses Wort ließ alle anderen erzittern, nur die junge Agentin wirkte unbeeindruckt. Sie hatte längst einen Bericht angefertigt, in dem sie diese Berechnungen klarlegte. Sie war allerdings auch ziemlich sicher, dass sich niemand an vorgesetzter Stelle damit befassen würde. Deshalb hatte sie diese bizarre Methode gewählt, um die Aufmerksamkeit des Repräsentanten darauf zu richten. Kront Enschko wollte nichts weiter davon hören. »Sie sind eine Unruhestifterin, Velatip«, sagte er leise. »Gleich am ersten Tag hätte ich Ihnen Ihre Grenzen aufzeigen sollen, doch ich hatte gehofft, Sie würden die Hierarchie unserer Gesellschaft respektieren. Nun gut, ich werde an anderer Stelle Bericht über Ihr Benehmen erstatten. Bis dahin werden Sie an Ihrem Platz bleiben und genau das tun, was ich befehle. Oder ist das für eine Frau von Ihrer Qualität zuviel verlangt?« 133 �
Sie kämpfte plötzlich mit einem heftigen Anfall von Gelächter, einen unpassenderen Augenblick konnte es wohl kaum geben. Tana hatte keine Chance, diesen hysterischen Anfall abzuwenden. Für einen Laktonen war das ein unglaubliches Verhalten und kam auch nur selten vor. Entsetzen malte sich auf den Gesichtern der Umstehenden, aber Tana stand unter einem solchen Druck, dass sich die Anspannung irgendwie entladen musste. »Wie Sie wünschen«, brachte sie mühsam heraus, doch dann war es vorbei mit ihrer Beherrschung. Das Gelächter brach sich Bahn, und sie konnte gar nicht wieder aufhören. In diesem Moment bewies Enschko, dass er doch nicht ganz der Dummkopf war, als den ihn manche sahen. »Das hat ja gerade noch gefehlt«, meinte er sarkastisch. Er schüttelte sie, was aber keinen Erfolg zeigte. Tana lachte noch immer, obwohl ihr Gesichtsausdruck unglücklich wirkte. Also gab er ihr eine kräftige Ohrfeige. Abrupt erstarb das Lachen. »Danke«, sagte sie leise, wohl wissend, dass er auf diese Weise ihr Gesicht gewahrt hatte. »Ich wünschte, Sie wären zugänglicher«, murmelte er leise und suchte ihren Blick. Aber sie hatte nicht vor, sich seinen Launen zu beugen. »Nun, gibt es sonst noch etwas vorzubringen?«, fragte er zynisch und blickte in die Runde. Natürlich gab es niemanden, der es jetzt noch wagte Kritik anzumelden. Mit einer Handbewegung löste er die Versammlung auf. »Velatip, Sie bleiben noch.« Tana blieb geduldig stehen. Schlimmeres als bisher konnte nicht mehr kommen. Sie und Enschko würden wohl niemals einen gemeinsamen Nenner finden. Er saß am längeren Hebel und konnte sie sogar verhaften lassen, wenn er das unbedingt wollte. Ein Grund würde sich immer finden lassen. 134 �
»Ich kann Sie nicht besonders gut leiden«, bekräftigte er eine bekannte Tatsache. »Aber das war wohl von Anfang an klar. Obwohl ich bereits vor Ihrer Ankunft darum gebeten hatte, Sie gar nicht erst kommen zu lassen, wurde Ihre Assistenz mir aufgezwungen. Auch mein Versuch Sie abberufen zu lassen, wurde geschickt unterlaufen.« Er ging um Tana herum und spielte den Nachdenklichen. »Sie haben mir Dummheit, Eitelkeit und Arroganz vorgeworfen, ohne diese Wörter auch nur einmal zu benutzen. Die Dummheit weise ich hiermit zurück, Velatip. So dumm kann nicht einmal ich sein, dass ich nicht erkennen würde, wie jemand seine schützende Hand über Sie hält. Meine Familie ist es nicht, also bleibt die Auswahl doch sehr beschränkt. Für wen arbeiten Sie in Wirklichkeit? Ich bin enttäuscht, dass Sie nicht genug Vertrauen hatten, mich einzuweihen. Aber diese Tatsache erklärt natürlich auch Ihre Aufsässigkeit, die ich in gewisser Weise verstehen kann.« Tana schwieg eisern. Sie durfte ihre Agententätigkeit nicht so einfach zugeben. »Sie müssen nicht antworten«, fuhr Enschko fort. »Es wäre zuviel verlangt, jetzt eine wahrheitsgemäße Antwort zu fordern. Aber ich bin froh, dass man beim Geheimdienst auf fähigen Nachwuchs setzt, der auf abgelegenen Welten seine Erfahrungen sammeln kann, bevor es an die Front geht. Nun gut. Velatip, lassen Sie uns eine Möglichkeit finden, miteinander auszukommen. Schließlich habe ich nicht gerade meine Zuneigung für Sie entdeckt.« Ohne dazu aufgefordert zu sein, ließ sich Tana auf einen Stuhl sinken. »Wir sollten an unserem Verhältnis nichts ändern«, erklärte sie sachlich. »Man wird an höherer Stelle erfreut sein zu hören, dass auch Sie den Dienst am laktonischen Volk über alles andere stellen. Deshalb wäre es wohl klug, keine weiteren Eingaben und 135 �
Beschwerden bezüglich meiner Abberufung mehr zu machen. Lassen wir alles so, wie es ist. Sie wissen am besten von gar nichts, Ihre Vermutungen habe ich weder bestätigt noch dementiert. Ich werde meine Arbeit wie gewohnt weitermachen, und Sie dürfen sich weiterhin benehmen wie…« »… wie ein Dummkopf?«, fragte er süffisant. »Meinetwegen genau so. Sind wir jetzt endlich fertig?« Tana sprach nicht darüber, doch die Zeit wurde für sie knapp. Als Enschko nickte, verschwand sie mit auffallender Schnelligkeit aus seinem Büro. Sie hatte mit einiger Mühe einen neuen Informanten gefunden, der unter Lebensgefahr die Treffpunkte der Rebellen ausfindig gemacht hatte. Der Widerstand hatte sich in den letzten Wochen straff organisiert, es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu einem erneuten Aufstand kam. Sie streifte innerlich jeden Gedanken an die gerade überstandene Besprechung ab. Wieder einmal schlüpfte sie in die Kleidung der Corroni und verließ die Residenz ungesehen. Noch immer wollte sie Donon Hafis auf die Spur kommen, denn die Nachrichten, die sie auch von anderen Informanten erhielt, waren zunehmend besorgniserregend. Hortek hatte sie in seinen letzten Gesprächen darauf hingewiesen, dass selbst auf Ferga, der Hauptwelt des laktonischen Reiches, das Gerede über eine neue Rebellion zunahm. Es war also dringend angeraten den Anführer des Aufstandes aus dem Verkehr zu ziehen. Und doch brauchte Tana mehr als nur einen Verdacht, der durch nichts zu beweisen war. Sollte Hafis unschuldig sein, würde seine Verhaftung die wirklichen Anführer warnen. War er der Anführer, konnte er vermutlich mühelos seine Unschuld in den Raum stellen. Also musste die Agentin noch einmal inkognito auf die Straße. Es hatte sich mittlerweile nicht viel geändert. Die Straßen selbst wirkten ausgestorben, sogar die Patrouillen 136 �
der Laktonen waren weniger geworden. Tana näherte sich ihrem Ziel und erwartete, hier und da eine huschende Gestalt zu entdecken, die ebenfalls auf dem Weg zum geheimen Treffpunkt war. Aber nichts davon geschah. Sie schien allein zu sein, nicht einmal aus den Fenstern der Wohnhäuser drang Licht. Ein unbestimmtes Gefühl mahnte sie zur Vorsicht, unwillkürlich tastete ihre Hand nach der verborgenen Waffe unter dem Umhang. Ein leises Knirschen ließ sie innehalten, ihr Kopf ruckte herum – doch da war nichts. Sie entspannte sich wieder etwas. Ein Fehler, wie sie in der nächsten Sekunde mit Bedauern feststellte. Eine harte Hand fasste von hinten ihren Oberarm, der Lauf einer Waffe presste sich gegen ihren Hals. »Keine Bewegung. Bleiben Sie ganz ruhig stehen.« Eine Binde wurde über ihre Augen gelegt und festgebunden. Die Hände zog man auf den Rücken. Tana überlegte kurz, doch Gegenwehr wäre zwecklos gewesen. Sie wusste nicht, mit wie vielen Corroni sie es zu tun hatte, doch dass der – oder diejenigen gefährlich waren, stand für sie außer Frage. Die Waffe, die der Unbekannte auf sie gerichtet hatte, war keine der hier üblichen mechanischen Feuerwaffen, es handelte sich um einen MAS. »Empfangt ihr alle eure freiwilligen Helfer so?«, fragte sie und erntete ein Lachen. »Helfer Ihrer Art brauchen wir nun wirklich nicht, Edle Dame. Sie hätten die Gefahr meiden sollen, jetzt wird sie Ihnen zum Verhängnis.« »Ihr Volk wird darunter leiden müssen, wenn Sie mich töten.« »Mein Volk kann wohl kaum mehr leiden, als es jetzt schon der Fall ist«, erklärte die Stimme bitter. »Im Übrigen habe ich nicht vor, Sie zu töten.« 137 �
Tanas Hände waren absolut sicher gefesselt, die Binde vor ihren Augen verhinderte, dass sie sehen konnte, wohin man sie führte. Dennoch machte sich ein winziger Hoffnungsschimmer in ihr breit. Wenn man sie nicht töten wollte, dann hatte sie immer noch die Chance mehr über die Rebellion zu erfahren. Sie leistete keinen Widerstand, als der Fremde sie am Arm mit sich zog. Der Weg war nicht lang, ihr erstes Ziel war ein Fluggleiter, wie sie hier auf Corron speziell umgebaut und zur Verfügung gestellt worden waren. Ein neuerlicher Hinweis darauf, wie gut die Rebellen organisiert waren, denn diese Maschinen waren nur in begrenzter Anzahl vorhanden. Als Tana auf dem Sitz Platz genommen hatte, machte sie den schwachen Versuch ihre Hände zu bewegen, um sie vielleicht doch noch zu befreien. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht zulassen, dass Sie mir Schwierigkeiten machen«, sagte der Fremde. Sie spürte am Hals den Einstich einer altmodischen Injektionsnadel, dann wurde es dunkel. Ihr letzter Gedanke war jedoch nicht von Angst geprägt, sondern von Bedauern. Nun konnte sie ihren Auftrag wohl doch nicht erfüllen. Bei allen Göttern, welch ein Alptraum. Tana Velatip erwachte und versuchte die Benommenheit des Schlafs abzuschütteln. Offenbar befand sie sich schon zu lange als Agentin auf Corron, sonst hätte sie nicht etwas so Verrücktes träumen können. Sie schlug die Augen auf, und die Wirklichkeit traf sie wie ein Schlag. Ihre Entführung war kein Alptraum gewesen, sondern pure Realität. Sie lag auf einer schmalen Pritsche in einem kargen kahlen Raum. Kein Fenster, eine verschlossene Tür, ein Tisch, zwei Stühle. Auf dem Tisch ein Tablett mit Essen und Trinken. Die letzten Minuten vor ihrer Bewusstlosigkeit kehrten ins Gedächtnis zurück. Man wollte sie also wirklich nicht töten. 138 �
Langsam richtete sie sich auf und litt noch etwas unter den Nachwirkungen des Mittels, das man ihr verabreicht hatte. Schwindel, ein pelziges Gefühl im Mund und rasende Kopfschmerzen, doch alles in allem blieb es erträglich. Tana trank das klare Wasser wie eine Verdurstende, rührte von den Speisen jedoch nichts an. Wie unauffällig glitten ihre Hände am Körper entlang, sie wollte wissen, ob die an sich harmlosen Dinge, die sie in die Taschen gesteckt hatte, noch immer an ihrem Platz waren. »Ich glaube nicht, dass wir Ihnen auch nur ein Teil überlassen sollten, Velatip. Eine Frau, die den Mut besitzt, allein die Rebellen zu suchen, dürfte auch in der Lage sein, mit scheinbar harmlosen Gegenständen gefährlich zu werden. Ihre Taschen sind alle leer. Aber sollten wir uns irgendwann einigen, bekommen Sie selbstverständlich alles zurück. Wir sind keine Diebe.« Tana hob den Kopf. Unbemerkt hatte sich die Tür geöffnet, und Donon Hafis stand dort. Er bemerkte ihre Verwunderung. »Ich glaube nicht, dass ich mein Versteckspiel jetzt noch länger aufrecht erhalten sollte«, meinte er wegwerfend. »Sie werden bestimmt keine Gelegenheit erhalten, Ihr Wissen weiterzugeben. Vorerst jedenfalls. Im Übrigen können Sie ruhig etwas essen, es ist nicht meine Art, jemanden zu vergiften.« Sie fühlte sich ertappt, doch die Vorsicht in ihr war so ausgeprägt, dass sie auch weiterhin nichts von der Nahrung anrührte. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, auch das Wasser zu vergiften, wie sie sich selbst eingestand. Darüber ging sie nun einfach hinweg. »Sie betreiben Verrat«, erklärte sie kalt. »Noch ist es nicht zu spät, Donon Hafis. Lassen Sie mich gehen, und stellen Sie sich, dann wird es sich um einen diplomatischen Zwischenfall handeln, den man bereinigen kann. Sie werden sicher nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten können, und Sie werden auch keinen 139 �
Posten mehr in der Regierung…« Er unterbrach sie mit einer herrischen Handbewegung. »Genug, Velatip, Sie haben ja den Kopf in den Wolken. Glauben Sie denn tatsächlich, dass ich mich erst den Rebellen anschließe, um dann reumütig in den Schoß der Laktonen zurückzukehren? Sie fragen nicht einmal, ob für mich gute Gründe bestehen, warum ich diesen ungewöhnlichen Schritt gewagt habe. Aber Sie sind Laktonin und werden nicht verstehen können, wie wir Corroni uns fühlen. Nein, wie sollten Sie auch? Abgesehen von den Orathonen fürchten Sie niemanden, wie könnte ich da Verständnis erwarten?« »Wir fürchten niemanden, auch nicht die Orathonen«, erklärte Tana empört. »Wirklich nicht?«, gab er süffisant zurück. »Aber lassen wir das. Dieses Thema steht jetzt gar nicht zur Debatte.« »Einverstanden. Dann erklären Sie bitte mir, einer unwissenden Laktonin, doch einmal, warum ein intelligenter, einflussreicher Corrone wie Sie bereit ist, für eine aussichtslose Sache sein Leben – und das seines Clans – aufs Spiel zu setzen. Sie besitzen Macht und Einfluss, haben beste Verbindungen innerhalb Ihres Volkes und werden auch von uns akzeptiert. Was bleibt Ihnen als Rebell? Ein Leben im Untergrund, Verfolgung, Hass, Angst, ständige Flucht? Ist es das alles wert, ein Rebell zu sein?« Sie hatte sich in Erregung geredet, ihre Augen blitzten, und ihr Körpergeruch wurde intensiver. Hafis hatte ruhig zugehört, nur ab und zu war ein Ausdruck von Spott und Unglauben in seine Miene getreten. Jetzt blickte er Tana fast mitleidsvoll an, leises Gelächter kam aus seinem Mund. »Sie haben da eine sehr schöne Rede gehalten, und aus der Sicht einer Laktonin können Sie wahrscheinlich gar nicht anders. Sie machen sich nicht die Mühe beide Seiten zu sehen, aber 140 �
warum sollten Sie auch? Sie sind ja die Sieger. Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben.« »Wie soll ich das verstehen?«, fragte sie irritiert. Hafis setzte sich ganz ungeniert auf den Stuhl und schaute Tana ernsthaft in die Augen. »Sie fragen sich, warum es überhaupt eine Rebellion gibt, wo Sie – die Laktonen – uns doch angeblich den Fortschritt und die Zivilisation bringen? Welch ein Fortschritt ist das für mein Volk, Velatip? Technik? Ja, sicher, Technik, die von einigen privilegierten Corroni benutzt werden darf. Die anderen aber haben nichts davon, sind im Gegenteil sogar weiter zurückgestoßen worden in ihrer Entwicklung. Haben Sie jemals die Wohnviertel besucht, in denen das gemeine Volk lebt? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie diese Corroni dahinvegetieren? Sie sind gezwungen für die Laktonen zu arbeiten, weil Seine Exzellenz Kront Enschko die Zwangsabgaben immer höher schraubt. Haben Sie die Arbeitslager gesehen, in denen unliebsame Elemente weggesperrt werden? Das alles ist Fortschritt? Velatip, so dumm kann ein Laktone gar nicht sein, um all diese Einzelheiten nicht zu wissen. Erzählen Sie mir nicht, dass Ihnen das unbekannt ist. Oder haben Sie sich tatsächlich nur eifrig damit beschäftigt, die Befehle Seiner Exzellenz aufzuführen, ohne sich jemals Gedanken über uns zu machen?« Jedes Mal wenn Hafis die Worte »Seine Exzellenz« aussprach, klang es nicht wie eine Ehrenbezeigung, sondern mehr wie ein Fluch. Aus der Sicht der Corroni konnte es vermutlich auch nicht anders sein. Tana stellte gerade für sich selbst fest, dass sie offenbar doch dumm genug war, um all dies nicht zu wissen. Warum hatte Hortek sie nicht darauf vorbereitet? Warum ging Enschko stets darüber hinweg? Und warum hatte sie selbst sich nicht dafür interessiert? Sie befand sich doch nun schon lange genug auf Corron, um sich damit zu befassen. 141 �
Sie fühlte so etwas wie Scham in sich aufsteigen, das Gefühl hielt jedoch nicht lange an. Wenn die Verhältnisse tatsächlich so schlimm hier waren, hätten die Corroni doch schon längst etwas dagegen unternehmen können – oder sie hätten bei den Laktonen intervenieren können. Vielleicht wusste ja die gesamte Führungsriege nichts davon. Schließlich war die Besatzung der Residenz ausgetauscht worden, als Enschko hierher kam. »Warum haben Sie bei Kront Enschko nicht eine Eingabe gemacht?«, fragte sie dann auch empört. »Man hätte sich doch bestimmt der Problematik angenommen.« Er stieß einen erstickten Laut aus. »Sie sind tatsächlich so dumm, kaum zu glauben. Wie sind Sie überhaupt an diesen Posten gekommen? Die Beleidigung traf Tana etwas, aber sie fühlte sich dem anderen immer noch überlegen, auch wenn ihre Position im Augenblick nicht gerade beneidenswert war. »Sie wollten mit mir über die Beschlüsse der Laktonischen Regierung und des Repräsentanten diskutieren, nicht über mich persönlich«, wehrte sie den Angriff ab. Hafis machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das eine schließt das andere mit ein. Aber ich sehe, dass Sie allein durch Worte nicht zu überzeugen sind. Ich werde Ihnen die ganze Realität zeigen, Velatip. Die Realität aus der Sicht der Corroni, die von ihrem Volk missbraucht und unterdrückt werden.« Sie seufzte. »Was wollen Sie damit eigentlich erreichen, Hafis? Dass wir Ihren Planeten verlassen? Sollten Sie ernsthaft daran glauben, tragen Sie Ihren Kopf in den Wolken. Das könnten Sie durch meine Entführung niemals erreichen, das könnte ich auch selbst nicht zustande bringen, selbst wenn ich wollte. Das läge sogar außerhalb der Machtbefugnis von Kront Enschko. Mal abgesehen davon, dass er eine solche Forderung nicht einmal anhören würde.« 142 �
»Sind Sie fertig?«, erkundigte er sich spöttisch. Verwirrt nickte sie. Dieser Corroni brachte sie völlig durcheinander. Er strahlte ungeheuer viel Ruhe und Souveränität aus, er hatte in den letzten Wochen eine Menge dazugelernt. »Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass die Laktonen nicht abziehen werden«, fuhr er fort. »Zum einen brauchen Sie unsere Xeno-Kommunikatoren, zum anderen gehe ich tatsächlich davon aus, dass Ihre Flotte unserem ganzen System Schutz bietet. Es würde uns noch viel weniger gefallen, von den Orathonen überrannt zu werden. Was wir wollen, ist nicht einmal viel, Velatip. Wir fordern eine anständige Behandlung unseres Volkes, eine Anerkennung, die uns aufgrund unserer Arbeit sicherlich zusteht. Und wir wollen den zivilisatorischen Sprung für den ganzen Planeten, weg mit den Arbeitslagern, keine unerfüllbaren Forderungen mehr, keine Restriktionen, keine Toten. Klingt das alles so abwegig und unmöglich?« Tana musste vor sich selbst zugeben, dass das alles nicht unvernünftig war – immer unter der Voraussetzung, dass seine Schilderungen der Wahrheit entsprachen. Und davon war sie noch längst nicht überzeugt. Es klang einfach zu unwahrscheinlich. »Sie glauben, Sie könnten Ihre Ziele erreichen, indem Sie mich entführen, Hafis? Haben Sie schon den letzten Aufstand vergessen? Laktonen, die wesentlich wichtiger waren als ich, sind dabei umgebracht worden, um unser ganzes Volk zu schützen. Ich halte Ihre Forderung nicht für unbillig, aber für undurchführbar. Im Übrigen glaube ich nicht, dass es Ihrem Volk so schlecht geht. Sie und Ihre… Ihre Freunde sind eine Horde unzufriedener Rebellen, die sich selbst wichtiger nehmen, als ihnen zusteht.« Hafis stand auf, trat noch einen Schritt näher, packte sie am Arm und riss sie von ihrem Platz hoch. 143 �
»Sie sind nicht nur verdammt naiv, Sie sind auch arrogant und unwissend, eine gefährliche Mischung.« Er funkelte sie an, ließ sie dann los, dass sie unwillkürlich zurücktaumelte und wieder auf die Pritsche fiel. »Ich biete Ihnen eine einmalige Chance, Tana Velatip. Ich werde Ihnen all die Gräuel zeigen, die von den Laktonen begangen werden. Auch die, für die Kront Enschko verantwortlich ist, was Sie bislang offenbar für unmöglich halten. Dazu muss ich allerdings vorher Ihr Wort haben, dass Sie keinen Fluchtversuch unternehmen werden. Ich verspreche Ihnen, dass Ihnen nichts geschehen wird, ja, dass ich Sie sogar wieder freilassen werde. Nun, was sagen Sie dazu?« Tana überlegte fieberhaft. Es war einfach, ein Versprechen abzugeben und sich dann nicht daran zu halten, für sie wie auch für ihn. Aber Hafis war auf seine Art ein Ehrenmann, er würde sein Wort halten. Sollte sie ihres brechen, würde das den Hass auf die Laktonen eher noch verstärken. Sie befand sich nun einmal in der Hand von Rebellen, was konnte es schon schaden, sich zuerst zu informieren, ob Hafis vielleicht doch in einigen Punkten Recht hatte? Im anderen Fall konnte sie ihn vielleicht überzeugen, dass ihr Volk nicht so schrecklich war, wie er es darstellte. »Ich bin einverstanden«, sagte sie spontan und hoffte, ihre Zusage nicht zu bereuen. »Zeigen Sie mir Ihre Sicht der Dinge, und ich werde Ihnen beweisen, dass Sie sich irren.« »Das dürfte Ihnen einigermaßen schwer fallen. Aber gut, Vertrauen gegen Vertrauen. Sie können gleich damit anfangen, in dem Sie sich erst einmal stärken. Oder wollen Sie die ganze Zeit über hungern? Es würde mir nicht gefallen, mit einer Frau zu fliegen, deren Magen mich ständig anknurrt.« Velatip lächelte kurz und machte sich dann über das Essen her. »Was soll das heißen, sie ist nicht aufzufinden?«, brüllte Kront 144 �
Enschko. Er hatte gerade nach Velatip geschickt, weil ihm beunruhigende Gerüchte zu Ohren gekommen waren. Doch sie befand sich offenbar nicht auf dem Gelände der Residenz, und das schon seit dem vergangenen Abend nicht mehr, denn da wurde sie das letzte Mal gesehen. Jetzt war sie jedenfalls weder in ihrem Büro, noch ihrem Quartier oder den angrenzenden Freizeiträumen aufzufinden. »Rufen Sie sie über das Com-Gerät.« »Das haben wir schon getan, Exzellenz, aber wir erhalten keine Antwort.« »Weiß jemand, ob sie vielleicht Bekanntschaften in der Stadt hat? Vielleicht gibt es ja auch einen Mann, an dem sie Gefallen gefunden hat«, setzte er zynisch hinzu. Der Sekretär verneinte. »Wie alle zur Residenz gehörenden Personen wurde Velatip überwacht. Doch obwohl sie mehrmals die Überwachung durchbrochen hat, sind wir sicher, dass es sich bei ihren Ausflügen nicht um einen Mann gehandelt hat.« Der Beamte, der in strammer Haltung vor Enschko stand, verfluchte die Tatsache, dass gerade er jetzt Dienst hatte. So musste er den Wutausbruch des Repräsentanten ertragen. Der schüttelte gerade unwillig den Kopf. »Was soll das heißen, sie hat mehrmals die Überwachung durchbrochen? Muss ich das so verstehen, dass Velatip unbeobachtete Ausflüge unternommen hat, ohne dass mir diese Tatsache gemeldet wurde?« »So ist es, Exzellenz. Die Meldung über derlei Vorfälle wurde, wie von Ihnen angeordnet, Velatip übergeben.« Enschko lachte ungläubig auf. »Ich bin tatsächlich von Dummköpfen umgeben. Welchen Sinn ergibt es, die Meldung über das Fehlverhalten einer Person genau dieser Person zu übergeben? Gibt es denn niemanden, der weiter denkt, als seine Fußspitzen reichen? Darüber werden wir uns noch unterhalten. Und ich ver145 �
spreche Ihnen, das Gespräch wird niemandem Freude bereiten. Jetzt gehen Sie, und spüren Velatip endlich auf, egal wo und wie.« »Ja, sofort.« Fluchtartig verließ der Mann den Raum, froh, für dieses Mal ohne Degradierung davongekommen zu sein. Das Problem die Frau zu finden, blieb dennoch. Wo sollte man sie suchen? Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Am Eingang hatte gerade jemand einem der Wachtposten ein Päckchen überreicht und war dann so rasch wieder verschwunden, dass nicht einmal eine vernünftige Beschreibung vorlag, die Überwachungskameras zeigten nur eine verhüllte Gestallt, die nicht zu identifizieren war. Das Päckchen wurde mit aller Vorsicht geöffnet, darin befand sich neben dem Com-Gerät von Velatip ein Brief. ›Wir haben Tana Velatip in unserer Gewalt. Machen Sie nicht den Versuch sie zu finden. Als Gegenleistung für ihre Freilassung verlangen wir die Auflösung der Arbeitslager und die anständige Behandlung unserer Xeno-Kommunikatoren. Keine Bestrafungsaktionen mehr, sonst wird die persönliche Assistentin darunter zu leiden haben.‹ Als Kront Enschko diese Zeilen las, brach er in lautes Gelächter aus. »Will mir tatsächlich jemand weismachen, es gäbe einen funktionierenden Untergrund? Das ist einfach lächerlich. Die Arbeitslager werden weiterhin streng überwacht, alle Kommunikation nach außen ist einzuschränken auf das Minimum, Besuche sind ab sofort untersagt. Außerdem will ich, dass jeder verfügbare Mann den ganzen Planeten auf den Kopf stellt. Wir werden jeden Aufständischen ausfindig machen, bis Velatip gefunden ist. Anschließend wird es mir ein Vergnügen sein, Gericht zu halten. Niemand wird es wagen, eine so hochgestellte Laktonin zu töten. Allein diese Entführung ist eine Beleidigung für uns.« Ab sofort herrschte Urlaubssperre für alle Laktonen. Eine groß 146 �
angelegte Suche begann, doch bis auf eine Handvoll Rebellen, die nicht einmal eine Ahnung von den aktuellen Treffpunkten besaßen, brachte der ganze Aufwand keinerlei Erfolg. Aber ganz Corron begann in Angst zu leben, auch diejenigen, die sich bisher noch einigermaßen sicher gefühlt hatten. Und diese Angst erzeugte neuen Widerstand, denn die weiteren Maßnahmen von Kront Enschko betrafen das tägliche Leben der Corroni in jeder Form. Donon Hafis stand auch weiterhin nicht in Verdacht. Er galt weiterhin als loyaler Mitarbeiter des Präsidenten und hatte durch diesen direkten Zugang zu allen relevanten Informationen, ein erheblicher Vorteil, um sich selbst und seine Rebellen zu schützen. Tana hatte zwei Tage lang allein verbracht. Zumindest glaubte sie, dass es zwei Tage gewesen waren, doch natürlich konnte das Zeitgefühl trügen, wenn man kein Chronometer besaß und sich in einer fensterlosen Zelle befand. Zweimal täglich wurde ihr durch eine schweigsame Frau etwas zu essen gebracht, eine winzige Hygienezelle befand sich direkt neben der ihren, so dass auch dieses Problem gelöst war. Aber selbst wenn Tana hätte fliehen wollen, wäre das unmöglich gewesen, denn ihre Wärterin trug stets eine Waffe in der Hand und ließ nicht zu, dass die Gefangene näher als drei Schritte an sie herankam. In dieser Zeit hatte Tana viel nachgedacht, über ihr bisheriges Leben, ihren Auftrag hier, über Enschko, Hortek und Donon Hafis. Extreme Persönlichkeiten, die sich in ihren Charakteren und Anschauungen gegenüberstanden und keinen Raum für Kompromisse ließen. Hatte sie sich ihr Leben so vorgestellt? Ganz sicher nicht. Zu Anfang war sie so unglaublich naiv gewesen, einzig und allein von dem Wunsch beseelt, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen, die ihr heute so weit entfernt schien wie der Ausgang aus diesem Schlamassel. Wenn sie alle Informationen nüchtern 147 �
analysierte, führte für die Corroni kein Weg an einem Aufstand vorbei. Eine nüchterne Lage, eine fatale Lage. Aber vielleicht würde sie doch dazu beitragen können, eine Entspannung der Situation herbeizuführen, auch wenn das im Augenblick eher unwahrscheinlich schien. Endlich öffnete Donon Hafis selbst die Tür. »Es tut mir leid, dass sich unser Ausflug etwas verzögert hat, aber Kront Enschko scheint eine Menge an Ihnen zu liegen. Er hat jedenfalls den ganzen Planeten in Aufruhr versetzt, um Sie zu finden.« »Täuschen Sie sich nicht. Es geht nicht um mich persönlich, er kann es nur nicht leiden, dass ein Laktone entführt wurde. Ich spiele für ihn keine Rolle in diesem Zusammenhang.« »Ja, ich habe bereits gehört, dass Sie beide nicht gerade Freunde sind«, erwiderte Hafis amüsiert. »Dann werden Sie mich jetzt freilassen? Ich nehme nicht an, dass Sie riskieren wollen, wie Ihre ganze Organisation auffliegt.« »Aber nicht doch. Alle meine Leute kennen das Risiko. Nein, ich werde jetzt mit Ihnen einem Arbeitslager einen Besuch abstatten, wie ich es Ihnen versprochen hatte.« »Unglaublich«, murmelte Tana. »In der Tat«, bekräftigte er, sie absichtlich missverstehend. Die Agentin hielt sich aber an ihr Versprechen, sie machte nicht den Versuch zu fliehen, außerdem war sie mittlerweile viel zu neugierig. Sie wollte wissen, was wirklich auf Corron geschah. Hafis gehörte zu den wenigen Privilegierten, die über einen Fluggleiter der Ponta-Klasse verfügen konnten, während sich das übrige Volk mit den normalen Maschinen mit Verbrennungsmotoren begnügen musste, sofern denjenigen überhaupt genügend Mittel zur Verfügung standen, um sich diesen Luxus zu leisten. Tana hatte vom Planeten selbst noch nicht viel zu sehen 148 �
bekommen. Sie wusste, dass es vier relativ große Kontinente gab, die durch natürliche Landbrücken miteinander verbunden waren. Im Gegensatz zu vielen natürlich besiedelten Planeten, die von einem großen Teil Wasser bedeckt waren, bestand Corron zum Großteil aus Landmassen. Daher gab es auch große Wüstengebiete und Gegenden, die kaum besiedelt waren. Tropisches Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit war unbekannt, und die meisten Städte und Siedlungen hatten sich in den gemäßigten Zonen an den Küsten entwickelt. Dennoch gab es Straßen und Einschienenbahnverbindungen über alle Kontinente, die von jedermann benutzt werden konnten. Seit der Besatzung durch die Laktonen hatten diese Verbindungen für die privilegierte Oberschicht an Bedeutung verloren. Die Regierung und ihre Mitarbeiter benutzten Fluggleiter, die allerdings überwacht wurden. So war Tana einigermaßen überrascht, dass sie mit Hafis damit unterwegs war. Sicher würde man sie mittlerweile vermissen und deshalb alles strengstens kontrollieren, besonders die Fluggleiter. Hafis musste sich sehr sicher fühlen, dass er es wagte, ganz offen mit seiner Gefangenen den Luftraum zu benutzen. Hafis verließ recht schnell die üblichen Flugrouten und schlug den Weg in Richtung eines der großen Wüstengebiete ein. »Wohin fliegen wir?«, erkundigte sich Tana. »Sagte ich das nicht? In eines der großen Arbeitslager, deren Vorhandensein Sie bis jetzt noch leugnen.« »Ich leugne gar nichts«, fuhr sie auf. »Ich bezweifle ganz einfach, dass jemand – oder wir Laktonen – solche Lager eingerichtet haben.« »Es hat keinen Zweck noch länger darüber zu reden. Sie werden schon bald sehen, was Sie mir nicht glauben wollen.« Hafis war verstimmt, doch an Stelle der Laktonin würde er vermutlich nicht anders denken. Sie musste einfach zur Vernunft kommen, 149 �
sobald sie mit den Realitäten konfrontiert wurde. Der Weg ging weit hinaus in die Wüste. Unter sich sah Tana nur noch verdorrtes Land, auf dem nicht einmal die kargen Gewächse einen Lebensraum fanden, die sonst noch in den Randgebieten angebaut werden konnten. Stein, Salz und Sand – gerade mal zwei Oasen konnte Tana aus der Luft erkennen. Doch das Wasser dort würde ungenießbar sein, denn die Wasserstellen befanden sich in einer Salzwüste. »Hier draußen sind die Lager hervorragend angelegt«, erklärte Hafis wie ein Fremdenführer. »Eine Flucht ist absolut unmöglich, deshalb können die Wachtposten bis auf ein Minimum reduziert werden. Die Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln erfolgt ausschließlich auf dem Luftweg und wird strengstens kontrolliert. Oh, es geht den Corroni in den Lagern körperlich nicht einmal schlecht, die Versorgung ist ausreichend. Aber wer hier eingesperrt ist, lebt in absoluter Isolation. Keine Kontakte zur Außenwelt, keine Besuche, selbst ein Kontakt der Gefangenen untereinander wird so weit wie möglich verhindert.« Tana schüttelte den Kopf. Das klang einfach nur unwahrscheinlich. Der Fluggleiter ging jetzt in eine scharfe Kurve, Hafis meldete sich bei einer Bodenkontrollstation und setzte wenig später sanft auf einer planierten Fläche auf. Vier Uniformierte kamen auf sie zu, alle vier waren Laktonen. Der erste von ihnen war ein Offizier, der sich mit dem Namen Dokusal vorstellte. Er erstarrte fast zur Salzsäule, als er Tana erkannte, dann salutierte er zackig. Die drei anderen hielten sich an den offiziellen Gruß und blieben im Hintergrund. Tana erwartete unwillkürlich, dass er sofort Alarm geben und Meldung darüber machen würde, dass die vermisste Assistentin von Kront Enschko wieder aufgetaucht war. Doch da täuschte sie sich, die Nachricht von ihrer Entführung war offen150 �
bar noch gar nicht bis hierher gelangt, denn der Wachtposten sah sie als offizielle Abgesandte des Repräsentanten. »Edle Dame, ich grüße Sie. Man hat mir nichts über Ihre Ankunft mitgeteilt. Ist Seine Exzellenz nicht mit unserer Arbeit zufrieden? Gibt es neue Anweisungen?« Das war es, was Tana insgeheim befürchtet hatte. Seine Exzellenz, Kront Enschko. Er hatte tatsächlich Befehle bezüglich dieser Lager gegeben, er wusste darüber Bescheid. Jetzt wollte sich Tana davon überzeugen, dass Hafis auch mit allem anderen Recht hatte. Sie reagierte schnell auf die Fragen, sehr zum Erstaunen des Corronen, der schon befürchtet hatte, dass sie die Gelegenheit nutzen würde, um ihn festnehmen zu lassen. Das wäre zwar kein Dauerzustand gewesen, doch es hätte zu einigen unerwünschten Verwicklungen geführt. »Ich bin nur hier, um mich zu überzeugen, dass alle Befehle ausgeführt wurden. Es gibt vorerst keine neuen Befehle.« »Und er?«, fragte der Offizier, der sich über die Anwesenheit des Staatssekretärs wunderte. »Er begleitet mich. Haben Sie ein Problem damit?« »Nein. Nein, natürlich nicht.« »Führen Sie mich durch das Lager«, forderte die Assistentin des Repräsentanten. Eine gute Stunde später wünschte sie sich, das nicht gesagt zu haben. Lange niedrige Baracken dienten als Unterkünfte. Tana sah Pritschen in den Sälen, dicht aneinander, etwa vierzig an jeder Seite. Vor jedem dieser Betten befand sich eine Kiste, in der sich Wäsche zum Wechseln befand, sowie notwenige Artikel für die persönliche Hygiene. Es gab nichts, was auf einen persönlichen Besitz schließen ließ, keine Fotos, keine Andenken, nichts, was den Blick und die Atmosphäre etwas aufhellen würde. Es schauderte Tana, doch das war nur der Anfang. Aus den Quartieren ging in die Kantine. Hier wiederholte sich 151 �
die Trostlosigkeit. Lange Reihen mit Tischen und Stühlen, drei Essensausgaben, alles eintönig und schmucklos, zweckmäßig eben. Jeder Fleck war peinlich sauber, aber von den hier inhaftierten Corroni hatte sie bisher nicht viel gesehen. Dokusal brauchte nicht viel zu erklären, die Umgebung sprach für sich. Trotzdem warf ihr der Offizier immer wieder fragende, sogar ängstliche Blicke zu, als erwarte er einen vernichtenden Kommentar. Offenbar war die Abkommandierung in ein Lager eine Art Strafversetzung. Wer sich auch hier nicht bewährte, musste mit Degradierung und Schlimmerem rechnen. »Wie viele Soldaten sind hier stationiert?«, wollte Tana wissen. »Nur neunzig. Wir haben zusätzlich einige Roboter der AA-2Klasse hier, aber die abgelegene Lage sorgt dafür, dass wir nur wenig Personal zur Bewachung brauchen. Außerdem sind keine Fluggleiter vor Ort, aber wir besitzen eine permanente Standardfunkverbindung, die allerdings nur bei Bedarf auf direkten Kontakt umschaltet.« »Und wie viele Corroni sind hier inhaftiert?« »Zweitausendvierhundert.« Diese hohe Zahl erschreckte Tana. Es gab schließlich nicht nur ein Lager, wenn sie den Worten von Hafis glauben konnte. »Ich möchte gern die Arbeitsplätze sehen. Wie werden die Inhaftierten eingesetzt? Es gibt doch sicher auch Spezialisten unter ihnen. Wie halten Sie es übrigens mit der Geschlechtertrennung? Ich kann mir vorstellen, dass sich da manchmal Probleme ergeben.« »Ja – aber wissen Sie es denn nicht? Die Lager sind selbstverständlich getrennt, hier gibt es nur männliche Corroni, in Bhato Allegra sind nur weibliche. So können wir auch die Familien unter Kontrolle halten. Sollte trotz aller Sicherheitsvorkehrungen jemand auf dumme Gedanken kommen, so schadet es dem jeweiligen Partner.« 152 �
Noch eine Einzelheit, die Tana erschreckte. »Und was ist mit den Kindern?«, stellte sie fast zögernd die logische nächste Frage. »Darüber bin ich nicht genau informiert, doch soweit ich weiß, werden die Kinder in Erziehungsheime gebracht und dort nach unseren Maßstäben aufgezogen. Von ihnen wird uns jedenfalls niemals eine Gefahr drohen. Aber vermutlich wissen Sie das alles selbst und wollen mich nur testen?« Misstrauen klang plötzlich aus seiner Stimme, und Tana dachte voller Schreck daran, dass die planetenweite Suche nach ihr doch endlich auch hier angekommen war. Nur die Tatsache, dass ihr Auftauchen hier draußen mehr als unwahrscheinlich war, hatte sie bisher vor einer Entdeckung bewahrt. Tana zwang sich zu einem Lächeln. »Da haben Sie nicht ganz Unrecht. Es ist wichtig für uns, was genau bekannt ist. Und da kann das Ungesagte manchmal aufschlussreicher sein als das, was wirklich ausgesprochen wird.« Das Gesicht von Dokusal verdüsterte sich. Er nahm an, dass er einer Art Prüfung unterzogen wurde. Ob er sich wohl einiges zuschulden hatte kommen lassen, dass er nicht nur diese Strafversetzung sondern noch mehr fürchtete? Der Offizier führte Velatip und Hafis jetzt in den Untergrund. Hier befanden sich endlose Arbeitstische, an denen schweigsame Corroni Arbeiten ausführten, Arbeiten, die mühelos auch von Maschinen hätten ausgeführt werden können; in diesem Fall aber waren die lebenden Arbeitskräfte billiger als Maschinen. Weiter hinten war durch riesige Glasscheiben zu sehen, dass sich dort Labors befanden, in denen weitere Corroni an der Arbeit waren. Unheimlich war jedoch die absolute Stille. Nur das Klappern von Einzelteilen war zu hören, außerdem das Summen starker Aggregate. Offenbar befand sich hier die Energieversorgung des Lagers. Warum es dann hier nicht auch Was153 �
serpumpen und hydroponische Gärten gab, war Tana nicht ganz klar, aber vermutlich würde es gute Gründe geben. Mit der Einrichtung dieser Anlagen wären die Lager jedoch völlig autark und nicht mehr durch die Versorgung durch die Luft angewiesen. Nun gut, darüber wollte sie sich jetzt keine weiteren Gedanken machen. Einige Männer hoben jetzt den Kopf. Tana sah neben der absoluten Hoffnungslosigkeit auch hasserfüllte Blicke, die besonders auf ihr hängen blieben. Natürlich, sie war eine Laktonin, und auch wenn sie nichts mit diesen Lagern zu tun hatte, trug sie die Verantwortung dafür. Hafis hingegen wurde gar nicht beachtet, und auch das war schon wieder irgendwie auffällig. Dokusal fiel dieses Verhalten gar nicht auf. Tana hingegen dachte darüber nach, dass Hafis normalerweise als Verräter angesehen werden würde. Er war schließlich nach außen hin ein Kollaborateur, der sich nicht scheute mit der verhassten Besatzung zusammenzuarbeiten. Gerade diese Corroni aber, die hier im Lager saßen und angebliche keine Verbindung nach außen besaßen, schienen ganz genau zu wissen, dass Hafis in Wirklichkeit für sie arbeitete. Eine bemerkenswerte Feststellung. »Ich habe genug gesehen«, sagte die Agentin die sich bemühte, ihre Erschütterung zu verbergen. Eine innere Stimme versuchte ihr einzureden, dass diese Lager einen guten Zweck erfüllten. Alle diese Corroni waren gut verwahrt, sie konnten nicht mehr in die Lage kommen, an einem Aufstand aktiv mitzuarbeiten, damit wurde weniger Unruhe geschürt. Aus laktonischer Sicht waren diese Lager nicht nur eine sinnvolle Einrichtung, sondern sogar notwendig. Und sie war nun einmal Laktonin, also sollte für sie alles vollkommen in Ordnung sein. Die Corroni waren doch selbst schuld an ihrer Lage. Sie hätten sich eben nicht auf die Seite der Rebellen stellen dürfen. 154 �
Dokusal schien erleichtert, dass sie bisher keine Kritik hatte laut werden lassen. Aber Tana war davon überzeugt, dass die rigorosen Regeln in den Lagern ganz der Einstellung von Kront Enschko entsprachen. Mitleid regte sich in ihr, Mitleid, das sie eigentlich gar nicht empfinden durfte. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass auch sie rebellieren würde, wäre sie in der gleichen Lage wie die Corroni. Sie kam nicht dazu, ihre Überlegung weiter zu verfolgen. Auf ein unmerkliches Kommando hin legten die Corroni ihre Arbeit nieder und standen von den Plätzen auf. Dokusal verströmte plötzlich einen sehr herben Geruch. Außer ihm und den beiden Besuchern befanden sich nur noch vier Wachen in diesem Gebäude unter der Erde, dazu kamen noch 10 Roboter. Das schien bisher eine ausreichende Zahl zu sein, die Corroni im Lager brachten keinen Widerstand auf, und die Laktonen waren der Meinung gewesen, allein durch den moralischen Druck jeden Keim von Aufstand erstickt zu haben. Gegen die Masse der Corroni war das jedoch eine verschwindend geringe Zahl. Dokusal drückte hektisch einen Knopf, Alarm gellte auf, obwohl ja noch nichts weiter geschehen war, allein das Gefühl der Bedrohung war so greifbar, dass er gar nicht anders konnte. Das änderte sich aber mit dem Einsetzen der Sirenen. Der Offizier drängte Tana und Hafis nach draußen, während die Wachen versuchten die heranrückende Mauer der Corroni zurückzudrängen. Genau das empfand Tana als beängstigend. Die Gefangenen sprachen kein Wort, bildeten nur eine Wand, die immer näher kam. Die Wachen der Laktonen hatten ihre Waffen grundsätzlich auf Betäubung stehen, jetzt schossen sie und hofften, dass es Wirkung zeigen würde, sobald die ersten Corroni zu Boden fielen. Noch immer herrschte diese unnatürliche Stille, die nur durch die schrillen Rufe der Soldaten durchbrochen wurde. Eine 155 �
gespenstische Situation, und jeder der Corroni schien auch ohne ein Wort zu wissen, was er zu tun hatte. Durch den Beschuss der Laktonen fielen die Leute reihenweise zu Boden, aber davon ließen sich die übrigen nicht aufhalten. »So gehen Sie doch endlich«, flehte Dokusal und drängte Tana noch weiter ab. Aber die blieb fasziniert stehen. Der Aufstand zu diesem Zeitpunkt war nicht ungewöhnlich, denn die Besucher waren mit einem Fluggleiter gekommen, der einzigen Möglichkeit, dieses Lager zu verlassen. Tana spürte plötzlich den festen Griff von Hafis an ihrem Arm. »Warten Sie, Velatip, Sie sollten sich auch den Rest anschauen.« Dokusal hatte es aufgegeben, seine Gäste in Sicherheit bringen zu wollen. Mit Entsetzen hatte er registriert, dass die AA-2Roboter wie festgewachsen an ihren Plätzen standen – es musste den Gefangenen gelungen sein, die klobig aussehenden Maschinen umzuprogrammieren. Von dort war also keine Hilfe zu erwarten. Die laktonischen Wachen schossen wahllos in die Menge, Dutzende von Corroni sanken bewusstlos zu Boden, die übrigen stiegen über ihre Kameraden hinweg und näherten sich weiterhin der laktonischen Bewachung. Wenn sie wirklich gewollt hätten, wäre es ein leichtes gewesen, die Soldaten zu überrennen, es waren einfach zu viele, als dass die Wachen eine Chance gehabt hätten. Doch die Gefangenen mussten einen bestimmten Zweck verfolgen, sonst wäre dieser bestens organisierte Aufstand sinnlos gewesen. Auch weiterhin sprach keiner der Corroni ein Wort, und nur die Schritte erzeugten ein dumpfes Stampfen. Eine grauenvolle Atmosphäre, die mit nichts zu vergleichen war, was einer der Laktonen jemals erlebt hatte. Daran änderten auch die noch immer vereinzelten Rufe der Soldaten nichts. Eine stumme Wand kam immer wieder langsam auf die Laktonen zu. 156 �
Dokusal hatte es längst aufgegeben, sich um seine Gäste Gedanken zu machen oder sie gar in Sicherheit zu bringen. Überhaupt, wo gab es hier Sicherheit? Auch der Offizier stand mit den übrigen Laktonen allein auf weiter Flur und feuerte auf die heranrückenden Corroni. Obwohl mittlerweile unzählige von ihnen am Boden lagen, ließ der Druck der nachströmenden Aufständischen nicht nach. Ihr Ziel schien eindeutig, sie wollten nach draußen. Doch im Grunde war das unmöglich, schließlich konnten sie nicht alle mit dem kleinen Fluggleiter wegfliegen, der fasste im Höchstfall fünf Personen. Also gab es noch einen anderen Zweck, den die Gefangenen mit ihrer stummen Revolution verfolgten. Zunächst jedoch nahmen die laktonischen Wachen Reißaus. Angesichts der beeindruckenden Übermacht blieb ihnen gar nichts anderes mehr übrig, wenn sie nicht riskieren wollten, gnadenlos überrollt zu werden. Blanke Panik stand in den Augen der Männer, sie standen vor Angst kurz vor dem Wahnsinn. Wenn die Corroni wenigstens geschrien hätten und wild durcheinander gerannt wären. Aber nein, dieses lautlos Gehen, Schritt für Schritt, ohne Eile, aber mit dem festen Willen, das war es, was blanke kreatürliche Angst hervorrief. Dokusal warf Tana und Hafis einen hilflosen und ungläubigen Blick zu, dann verschwand er eilig durch die nächste Tür, durch die schon vorher seine Leute geflüchtet waren. Wenn die Frau unbedingt sterben wollte, dann konnte sie das haben, er würde sein Leben schon in Sicherheit bringen und einen Bericht abliefern, dass er unschuldig an den Ereignissen war. Jetzt kam plötzlich Leben in Hafis, der bisher ruhig und gelassen die Ereignisse verfolgt hatte. Er ließ Tana los und trat einen Schritt vor. Dann hob er die Hand und rief laut ein Wort, das sie nicht verstand. Der Anmarsch der heranrückenden Corroni kam ins Stocken, dann stand alles ruhig und abwartend da, unzählige 157 �
Augen richteten sich erwartungsvoll auf Hafis. »Gute Arbeit, Freunde«, lobte er. »Mir ist bekannt, dass ihr schon hervorragende Vorarbeit geleistet habt, und die Meldungen, die ich bekam, sprechen davon, dass es nötig ist, einen oder mehrere von euch herauszuholen. Doch bis jetzt kenne ich noch immer nicht den Grund, aus dem heraus ihr alle dieses Risiko auf euch genommen habt. Es muss wichtige Gründe geben für diesen Schritt, denn ein zweites Mal wird ein solcher Aufstand sicher nicht gelingen.« Einer der Männer trat vor. »Es gibt einen guten Grund, Donon Hafis, aber er hat nichts mir Politik oder höheren Werten zu tun. Hier geht es um Feriadoc. Du musst ihn mit dem Fluggleiter hinausbringen, bevor die Verstärkung der Laktonen kommt.« »Und warum sollte ich das tun? Das Risiko ist auch für mich ziemlich groß. Noch ahnt niemand in der Residenz, wer ich wirklich bin.« Der Sprecher trat noch einen Schritt vor und musterte den Mann nachdenklich. »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, könnte ich glatt annehmen, dass du Angst hast, Hafis. Noch dazu, da du dich in Begleitung dieser Laktonin befindest. Aber auch du hast in der Regel gute Gründe für dein Handeln, also nehmen wir an, dass diese Frau nicht wirklich unsere Feindin ist. Nun, was ist, nimmst du Feriadoc mit, oder nicht?« »Warum muss er so dringend hier weg?«, beharrte Hafis auf einer Antwort. »Man hat seine hochschwangere Frau ins Lager gebracht. Dort kam das Kind zur Welt, aber seine Frau liegt jetzt im Sterben. Er soll noch einmal mit ihr reden können.« »Das ist sehr großherzig. Ihr alle habt ein ähnliches Schicksal, wie ich sehr wohl weiß. Warum gerade er?« Hafis blieb hartnäckig und lächelte trotzdem. Tana verstand nicht ganz, warum Hafis noch immer auf einer 158 �
Antwort bestand. Reichte das als Grund denn nicht völlig? Jetzt erschien auch ein Lachen auf dem Gesicht des anderen Mannes. »Natürlich auch deswegen, weil Feriadoc der beste Reaktoringenieur ist, den unsere Welt besitzt. Er wird an anderer Stelle gebraucht, dringend sogar.« Hafis lachte kurz und zufrieden auf. »Ich habe doch gewusst, dass ihr euer Leben nicht aus Gutmütigkeit aufs Spiel setzt. Also gut, ich nehme ihn mit. Und ihr alle solltet zusehen, dass ihr den Normalzustand wieder herstellt, dann werden die Laktonen ihren Vorgesetzten einiges zu erklären haben.« »Und sie?«, fragte der andere Corrone und deutet auf Velatip. Hafis blickte sie abschätzend an. »Sie wird Kront Enschko ganz sicher nichts verraten. Oder irre ich mich da?« Tana schaute von einem zum anderen. »Ich werde schweigen«, stimmte sie zu und wunderte sich über die eigenen Worte. Wie kam sie dazu, die Rebellen zu unterstützen? Hafis bewegte sich plötzlich ungeheuer schnell. Er nahm Feriadoc beim Arm, gab Tana einen Stoß und stürmte hinaus, auf den Ponta zu. Draußen herrschte soviel Chaos, dass niemand von der Wachmannschaft bemerkte, wie Feriadoc die Besucher begleitete. Im Gleiter legte sich der Mann flach auf den Boden, um nicht von der Aufnahmeoptik erfasst zu werden. Hafis meldete sich eindeutig verärgert bei der Bodenkontrolle. »Offenbar ist man hier nicht in der Lage, die Sicherheit einer hochrangigen laktonischen Abgesandten zu gewährleisten. Das wird Folgen haben. Nun genehmigen Sie schon den Flug, oder muss ich erst die Residenz verständigen, dass Sie hier gar nichts mehr unter Kontrolle haben?« Ein unterdrückter Fluch kam als Antwort. »Wie lange dauert es denn noch, bis aus der Luft die Verstärkung anrückt? Ich habe hier an Bord die persönliche Assistentin 159 �
des Repräsentanten. Wie lange soll sie noch in Gefahr schweben?«, brüllte Hafis aufs höchste erregt. Er bemerkte Tanas entsetzten Blick, jetzt hatte er ihren Status angesprochen, und es konnte nur eine Frage von Sekunden sein, bis es bei einem der Soldaten zu einer Reaktion kommen musste. Schließlich wurde die Frau vermisst. Aber nichts, rein gar nichts kam als Reaktion, nur die etwas verlegene Antwort auf die direkte Frage. »In etwa zwei Minuten…« Hafis schaltete den Funk an und lachte leise auf. »Na also, genau das wollte ich wissen. Wir haben zwei Minuten, um zu fliehen. Zeit genug.« Er startete und beschleunigte mit Höchstwerten. Noch während der Fluggleiter wieder Kurs auf die Hauptstadt nahm und unten die scheinbar endlose Wüste ihre Trostlosigkeit verbreitete, waren am Horizont zwei kleine Raumtransporter zu erkennen, die in rasendem Flug auf das Lager zuhielten. Der Lärm der verdrängten Luftmassen breitete sich wie ein Teppich aus Donnern über die Welt. Doch im Lager herrschte längst wieder absolute Ruhe. Und die total verschüchterte Wachmannschaft kam in gehörigen Erklärungsnotstand. Der Fluggleiter setzte zur Landung an, als ein starker Funkimpuls das kleine Fluggerät erreichte. Hafis schaltete die Übertragung ein, doch auf dem Bildschirm waren nur Schlieren zu erkennen. Der Anrufer legte offenbar keinen Wert darauf erkannt zu werden. »Ihr geheimer Stützpunkt ist entdeckt. Sie müssen ausweichen«, meldete sich eine Stimme. Tana blickte überrascht auf. Der Mann am anderen Ende klang nicht wie ein Corrone, sie hörte einen leichten Akzent heraus, den sie nicht einordnen konnte. »Wer ist das?«, fragte sie scharf. 160 �
»Ein Freund«, gab Hafis ausweichend zur Antwort. »Sie haben die Laktonin dabei?«, kam es erregt aus dem Lautsprecher. »Das ist gegen unsere Abmachung.« »Das sollten Sie mir überlassen. Velatip ist dabei zu erkennen, wie sehr wir Corroni unterdrückt werden. Das war es doch, wobei Sie mir helfen wollten, oder nicht?« »Unsinn, Sie müssen sich der Frau entledigen, sie wird Ihnen nicht behilflich sein. Haben Sie schon vergessen, worüber wir gesprochen haben?« »Sie bleibt«, erklärte Hafis unnachgiebig. »Dann werde ich Ihnen nicht länger helfen können. Meine Sicherheit hängt unter anderem davon ab, dass…« »Ein Orathone«, rief Tana plötzlich entsetzt. »Sie arbeiten mit einem Orathonen zusammen?« »Nein, bestimmt nicht«, stieß Hafis hervor und blickte sie ungläubig an. »Ich bin sicher, dass es sich um einen Laktonen handelt, der meinem Volk beistehen will.« »Sie sind ein Narr«, sagte sie. »He, Sie da, am anderen Ende, wer auch immer Sie sind – sagen Sie Hafis die Wahrheit.« »Er heißt Borkan Manilon und ist Laktone«, behauptete Hafis noch einmal. »Haben Sie ihn je persönlich gesehen? Haben Sie ihn gescannt? Kein Laktone wird so einfach sein Volk verraten – so wie Sie es getan haben, Donon Hafis.« Tana schlug auf den Knopf, der die Verbindung unterbrach. Allein das Gefühl, am anderen Ende einen Orathonen zu wissen, machte sie verrückt. Sie funkelte den Staatssekretär an. »Wie können Sie es wagen? Nicht nur, dass Sie mich entführt haben und in einem Lager, das eigentlich gar nicht existieren dürfte, einen Aufstand unterstützen. Sie arbeiten mit einem Orathonen zusammen, einem Feind unserer beiden Völker. Und Sie wollen mich überzeugen, dass wir Laktonen grausam und im 161 �
Unrecht sind? Sie sind ein Verräter, Hafis, ein doppelter Verräter – an der laktonischen Herrschaft und an ihrem eigenen Volk.« Hafis wirkte total verstört. Mit bebenden Fingern landete er den Fluggleiter bei einem verlassenen Lagerhaus, öffnete die Luke und gab Feriadoc einen Schubs. »Du weißt, was du zu tun hast. Das Gespräch hier an Bord hast du nicht gehört, du wirst kein Wort darüber verlieren – zu niemandem, verstanden?« Der ausgebrochene Corrone war so verwirrt, dass er ohnehin kaum etwas verstanden hatte. Er nickte. »Ich werde mich zu Abteilung III durchschlagen, dort werde ich gebraucht. Aber erst, nachdem ich meine Frau gesehen habe. Das war nämlich keine Lüge, sondern die nackte grausame Wahrheit.« Er schaute Tana bei diesen Worten an, doch kein Hass lag in diesem Blick, nur eine gewisse Resignation. Hafis schloss die Luke wieder, Feriadoc verschwand wie ein Schatten, und der Mann wandte sich konzentriert der Agentin zu. Er zitterte ein wenig, und seine Gesichtshaut hatte eine unnatürliche Färbung angenommen. »Was Sie da behaupten, klingt ungeheuerlich«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Ich sage Ihnen, dass mir niemals Verrat nahe gelegen hat, weder auf die eine, noch auf die andere Art. Ich arbeite für mein Volk, das dürfte Ihnen mittlerweile auch klar geworden sein. Ich will für mein Volk etwas erreichen, und dazu werde ich die Laktonen eben darauf aufmerksam machen müssen, dass wir keine Maschinen oder Gegenstände sind, die Sie nach Belieben hin und her schieben können. Wir wollen Respekt und partnerschaftliches Verhalten, das ist aber auch schon alles. Ganz sicher würde ich niemals bewusst mit einem Orathonen zusammenarbeiten, oder gar seine Hilfe annehmen. Ich habe Borkan Manilon immer für einen Laktonen gehalten, ohne jedoch eine Bestätigung für diese Annahme zu haben. Sicher war für mich jedoch immer, dass er kein Corrone ist. Welch einen 162 �
Grund sollte ein Orathone auch haben, mir zu helfen? Das sehe ich nicht ganz ein. Sie müssen sich täuschen.« Tana spürte die tiefe Betroffenheit in Hafis. Nein, er war kein bewusster Verräter. Aber offensichtlich war er auf seine Art recht naiv und gutgläubig, sonst wäre er niemals auf einen Feind des Volkes hereingefallen. »Wie sicher ist dieser Ort?«, fragte sie und deutete auf das Gelände draußen, das durch die Fenster gut zu sehen war. »Sicher? Ich weiß nicht recht. Das Gebäude hat uns mal als Versammlungsort gedient. Da mein Versteck aufgeflogen ist, werden wir sehen müssen, wo wir einen sicheren Ort finden. Hier steht alles leer, und ja, ich denke, es dürfte sicher sein.« »Falsch«, korrigierte sie trügerisch sanft. »Gerade solcher Orte sind ein beliebter Treffpunkt für Unruhestifter, und das nicht nur auf Corron. Sie dürfen sicher sein, dass die Planetare Verwaltung eine Liste solcher Plätze führt, um dort als erstes Spitzel und Agenten hinzuschicken. Schade, ich habe gedacht, Sie und Ihre Freunde wären klüger. Nun gut, wir müssen hier auf jeden Fall weg. Sicher ist nur ein Ort, der öffentlich liegt, so dass niemand dort einen konspirativen Versammlungspunkt vermuten würde.« Hafis starrte Tana an, als habe er einen Geist gesehen. »Wie soll ich das jetzt verstehen?«, fragte er ein wenig misstrauisch. Velatip seufzte. »Ich habe ganz sicher nicht vor, die Seiten zu wechseln, soviel Sympathie bringe ich Ihrer Sache nun doch nicht entgegen, falls Sie das annehmen sollten. Aber ich bin nachdenklich geworden und will versuchen Ihren Standpunkt zu verstehen. Vielleicht ist es mir dann möglich, mäßigend auf Enschko und die anderen einzuwirken. Aber um zu verstehen, muss ich mehr wissen. Das bedeutet aber auch, dass ich mich sicher fühlen muss, solange ich mich in Ihrer – na, sagen wir, 163 �
Gastfreundschaft befinde. Es würde mir gar nicht gefallen, sollte man Sie verhaften, während ich noch mehr oder weniger freiwillig in Ihrer Gewalt bin.« Hafis glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Soll das jetzt heißen, dass…« »Wie ich schon sagte, ich will mehr wissen, wie das Laktonen im Allgemeinen tun, um Ungerechtigkeiten zu mindern. Das heißt es, nicht mehr und nicht weniger«, unterbrach sie ihn. »Also los jetzt, wir müssen hier weg. Ich hoffe, dass dieser Ort nicht unter permanenter Beobachtung steht. Der nächste Punkt ist die Frage, ob der Fluggleiter dauernd überwacht wird. Falls ja, dann weiß immer jemand…« »Halt, langsam!« Jetzt war es Hafis, der Tana das Wort abschnitt. »Die Überwachungsanlage des Fluggleiters wurde manipuliert und liefert permanent falsche Daten. Aus dieser Richtung müssen Sie nichts befürchten.« Sie stutzte. »Borkan Manilon«, stellte sie dann fest. »Nur die Orathonen besitzen die notwendige Technik, um solche Manipulationen vorzunehmen. Es erstaunt mich, dass Sie mit Ihrer nicht geringen Intelligenz diese Tatsachen nicht erkannt haben.« »Ich sagte doch schon, ich habe ihn für einen Laktonen gehalten. Und eigentlich tue ich das noch immer, bis ich das Gegenteil sehen kann.« »Schon gut. Wir brauchen jetzt also einen Platz, an dem wir sicher sind, bis ich ein klares Bild habe. Und ich benötige Einblick in Ihre Organisation, um festzustellen, wie die Hierarchie aufgebaut ist. Sie haben doch eine klare Gliederung, oder? Im anderen Fall kann einer den anderen verraten, und die ganze Sache fliegt auf.« Hafis war schier überwältigt von der Energie und der Entschlossenheit, mit der Velatip ihn förmlich überrollte. Es hatte fast den Eindruck, als wollte sie die Leitung des Aufstandes 164 �
übernehmen, und er musste anerkennen, dass sie sich mit der Organisation wesentlich besser auskannte als er. In den kommenden Tagen musste er dann feststellen, wie jämmerlich seine Rebellion doch organisiert war, denn Tana ließ sich nicht aufhalten. Sie ordnete in den folgenden drei Tagen eine Menge neu, daraufhin gab es weniger Verhaftungen, weil die Kette unterbrochen wurde, in der sich alle kannten. Außerdem sorgte sie dafür, dass nur das notwendigste an Wissen weitergegeben wurde. Was ein Rebell nicht weiß, kann er anderen nicht verraten. Nachdenklich fragte sich Donon Hafis, ob Tana Velatip jetzt eine von ihnen geworden war. »Ich will ihn treffen.« »Das wird er nicht zulassen.« »Und warum nicht?« Tana Velatip saß in dem sicheren Versteck, das sie bewohnte, während Hafis noch immer unbeobachtet seinen öffentlichen Aufgaben nachging. Niemand hatte bislang Verdacht geschöpft, und mit dem Wissen, das die junge Agentin jetzt preisgab, würde es hoffentlich auch nicht soweit kommen, dass man ihm auf die Schliche kam. Die beiden sprachen über die sichere Verbindung miteinander, und die Laktonin fragte sich, warum niemand sonst vorher Verdacht gegen Hafis geschöpft hatte. Er war in seinem Vorgehen so dilettantisch gewesen, dass eigentlich jeder Dummkopf hätte darauf kommen müssen. Kein Wunder, dass sie so rasch ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte. Jetzt war sie allerdings froh, dass sich sonst niemand für den Staatssekretär interessierte. Sie hatte dafür gesorgt, dass er sich nicht auffällig benahm und keine belastenden Unterlagen in seiner Nähe zu finden waren. Auch Kront Enschko musste wissen, dass die Unruhe unter den Corroni beständig zunahm. War sie tatsächlich die Einzige gewesen, die sich mit dem Aufstand dieses Volkes 165 �
beschäftigt hatte? Aber scheinbar suchte niemand sonst ernsthaft nach den Rebellen. Hortek würde mittlerweile wissen, dass sie spurlos verschwunden war. Tana konnte es nicht wagen, mit jemandem in der Residenz Kontakt aufzunehmen. Es gab einfach niemanden, dem sie vertrauen konnte. Sie lernte jetzt, dass Agenten immer einsam waren. Sie konnte keinem ihr Geheimnis anvertrauen und führte zwei Leben. Auch Hafis war nicht informiert über ihren tatsächlichen Auftrag, er hielt sie noch immer für eine Verwaltungsangestellte, die persönliche Assistentin von Kront Enschko eben, die zwar über einige bemerkenswerte Fähigkeiten verfügte, aber sonst nichts weiter. Sie fühlte sich meist einsam und wünschte sich, jemanden zu haben, mit dem sie lachen, reden und dem sie rückhaltlos vertrauen konnte. Aber Agenten haben keine Freunde, auch das war eine bittere Lektion, die sie hier lernen musste. Es gab eine Reihe von Dingen, die Hortek ihr nie gesagt hatte, entweder, weil er sie nicht wusste oder sie nicht als wichtig empfand. Die große Leere und Einsamkeit war eines davon. Eines hatte sie hier auf alle Fälle: viel Zeit. Tana hatte darüber nachgedacht, warum Hafis ausgerechnet sie so zielstrebig entführt hatte. Dafür musste es einen besonderen Grund geben, denn es wäre bestimmt wirksamer gewesen, einen der persönlichen Freunde von Enschko zu entführen, statt ausgerechnet die Frau, die er ohnehin nicht leiden konnte. Und sie hegte einen Verdacht, dem sie genauer nachgehen wollte, denn ihre Überlegungen führten immer wieder zu einem Punkt: Jemand musste gewusst haben, dass sie als Agentin im Einsatz war, sonst hätte es keinen Sinn ergeben sie zu entführen. Und dieser Jemand musste demnach gut Bescheid wissen. Um mehr darüber zu erfahren, musste sie also Borkan Manilon treffen, den geheimnisvollen Helfer im Hintergrund, über den selbst Hafis nichts weiter wusste. Ein Laktone sollte er sein? 166 �
Lächerlich! Kein Laktone würde so gewissenlos sein Volk verraten. Nein, dieser Mann musste ganz einfach ein Orathone sein, doch Hafis würde das erst glauben, wenn er es selbst sah. Solange hielt er das für unmöglich, auch wenn sie mittlerweile Zweifel in seine Überzeugung gebracht hatte. Manilon war bereit technische Geräte zu liefern, wie sie nur die Laktonen besaßen, aber er selbst blieb auch weiterhin im Verborgenen. Es musste eine Möglichkeit geben, diesen Mann auszuschalten. War er ein Laktone, musste Tana den Verräter enttarnen, handelte es sich jedoch tatsächlich um einen Orathonen, musste dieser Agent schnellstens von Corron entfernt werden. Also musste sie in jedem Fall eine Möglichkeit finden, den Mann auszuschalten. Womöglich bekamen die Orathonen noch Einfluss auf die Corroni und unterstützten die Rebellion – eine erschreckende Vorstellung. Ihre Ausbildung war in der Tat umfassend gewesen, dafür war sie wieder einmal dankbar. Sie konnte mit allen technischen Gerätschaften umgehen, die irgendwie verfügbar waren. Ja, sie war sogar in der Lage, mit einigen Umbauten auch zusätzliche Funktionen zu erzeugen. Wichtig war nur, dass sie überhaupt erst einmal die Geräte in die Hand bekam, die sie brauchte. Dazu musste sie einen gefährlichen Plan ausführen, der durchaus ihr eigenes Verderben nach sich ziehen konnte. Um Borkan Manilon zu bekommen, war sie jedoch bereit, jedes Risiko einzugehen. Hafis lehnte es bisher noch ab, dass sie sich mit dem Fremden in Verbindung setzte, doch Tana blieb hartnäckig bei ihrer Forderung und war auch in der Lage, zu begründen, warum es ihr so wichtig war, mit Manilon zu reden. Genau das tat sie jetzt auch über die sichere Funkverbindung, die sie selbst angelegt 167 �
hatte. »Donon Hafis, ich denke, Sie sind mir etwas schuldig. Also will ich mit Manilon reden. Zum einen möchte ich Ihnen beweisen, dass er ein Orathone ist, was Sie ja noch immer nicht glauben wollen. Zum anderen will ich wissen, woher er die Technik hat, die er so freigiebig liefert. Irgendwo muss doch da ein Haken sein. Ist Ihnen das nicht auch klar? Er hat bisher keine Gegenleistung verlangt. Halten Sie ihn wirklich für einen Wohltäter, der aus rein altruistischen Motiven heraus sündhaft teure Geräte verschenkt? Machen Sie sich doch mal selbst Gedanken darüber.« Noch immer zögerte der Staatssekretär, doch ihre Worte hatten den Keim für tiefgehende Zweifel in ihm gelegt. Er versprach zumindest nachzudenken. Tana wusste, sie hatte den Corronen jetzt fast soweit, dass er nachgeben würde. Sie musste Geduld haben, und Geduld war eine der ersten Tugenden, die ein angehender Agent lernte. In der Residenz hatte sich die Aufregung über das Verschwinden von Tana Velatip ein wenig gelegt. Es gab zwar immer noch keine Spur von der Assistentin des Repräsentanten, und die Suche lief unvermindert weiter, doch es herrschte längst nicht mehr die Hektik der ersten zwei Tage. Insgeheim befürchteten die meisten, dass Tana längst nicht mehr am Leben war und die Suche nur noch ihrer Leiche galt. Auf keinen Fall aber durfte man den Rebellen durchgehen lassen, dass sie sich an einer Laktonin vergriffen hatten. Jedes Anzeichen von Schwäche bei den Laktonen konnte dazu führen, dass sich auch noch andere Völker zum Widerstand formierten. Kront Enschko erweckte also den Anschein, als habe es ich bei Velatip um eine persönliche Freundin gehandelt, er griff weiterhin hart durch. Jede Kritik an den Besatzern wurde unter Strafe gestellt, unzählige Corroni wurden verhaftet, die Arbeitslager 168 �
quollen über, und die Herrschaft der Laktonen nahm die Form von Terror an. Enschko hatte noch immer nicht begriffen, dass er mit dem System der harten Hand hier nicht weiterkommen würde. In diese angespannte Stimmung hinein kam ein Funkspruch, der mit der höchsten Dringlichkeitsstufe und zusätzlich mit einer persönlichen Codierung für Kront Enschko versehen war. Solche Funksprüche kamen in der Regel direkt vom Regierungssitz und hatten meist konkrete Befehle zum Inhalt. Hier war es jedoch etwas anderes, wie der Repräsentant rasch feststellen musste. Enschko befand sich allein in der Funkzentrale, die Verschlüsselung des Funkspruchs unterlag der höchsten Geheimhaltungsstufe, kein anderer durfte in der Nähe sein. Enschko erwartete auf dem Monitor ein Abbild des Schento oder wenigstens eines seiner persönlichen Vertrauten zu erblicken, wurde dann aber zutiefst überrascht von einem ihm unbekannten Laktonen, der nicht einmal Rangabzeichen auf seiner Uniform trug. »Ich bin Hortek, Mitglied des Geheimdienstes an maßgeblicher Position, und ich bin in der höchsten Sicherheitsstufe akkreditiert«, sagte der Mann. »Wie ich höre, haben Sie eine Mitarbeiterin verloren.« Enschko fühlte eine kalte Hand nach seinem Herzen greifen. Das war jemand aus einer Welt, die ihm immer fremd geblieben war, die jedoch selbst die höchsten Regierungskreise zu fürchten gelernt hatten. Wenn sich jemand vom Geheimdienst mit ihm in Verbindung setzte, dann gab es gute Gründe. Ihm fiel wieder ein, wie sich Velatip benommen hatte, und seine anfängliche Vermutung wurde zur Gewissheit. Auch sie gehörte zu dieser Elite von Laktonen, die im Verborgenen arbeiteten. Dieser Funkspruch hatte ganz sicher etwas mit ihrem Verschwinden zu tun. 169 �
Enschko hoffte inständig, dass man nicht ausgerechnet ihn für ihre Entführung verantwortlich machen würde. Am besten war es wohl, so zu tun, als wüsste er nicht, dass sie auch dazu gehörte. Vor allem war er jetzt sicher, dass Tana mehr über ihn bekannt war, als ihm lieb sein konnte. »Das entspricht leider den Tatsachen«, erklärte er gepresst auf die Frage. »Ich habe bereits alle Mannschaften auf die Suche angesetzt.« »Velatip gehört zu unseren Leuten«, bestätigte jetzt Hortek. »Wir haben ein großes Interesse daran, dass sie unversehrt zurückkehrt.« »Wie schon gesagt, alle meine Leute suchen nach ihr, es kann nur eine Frage der Zeit sein…« »Velatip hat keine Zeit mehr. Sie ist bis jetzt wohlauf und hat sich bei uns gemeldet. Aber sie benötigt Hilfe.« Ohne auf Einzelheiten einzugehen, forderte Hortek von Enschko Unterstützung, allerdings auf eine Art, die der Laktone kaum glauben konnte. Er berichtete nur soviel, wie der Repräsentant unbedingt wissen musste. »Ein orathonischer Spion?«, fragte er ungläubig. »Das ist vollkommen unmöglich. Hier auf Corron gibt es keine Spione. Aber wenn Sie es wünschen, werde ich selbstverständlich dafür sorgen, dass Velatip alles bekommt, was sie benötigt. Sie sollte außerdem besser in die Residenz zurückkehren. Von hier aus können wir…« Wieder ließ Hortek den anderen nicht aussprechen. »Sie hat sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, vorerst bei den Rebellen zu bleiben, um dort Informationen zu sammeln. Hätten Sie sich von Anfang an um ein normales Verhältnis bemüht, wären all diese Umwege jetzt nicht nötig gewesen.« Das war eine versteckte Rüge, die an anderer Stelle nicht unbemerkt bleiben würde. Enschko hatte einiges wieder gutzuma170 �
chen. Er nahm die Anweisungen genau, sie mussten so schnell wie möglich erfüllt werden. Insgeheim hatte er aber vor, noch einiges mehr zu tun. Dazu würde Bordulak ihm helfen müssen, das würde sie beide sicher wieder in ein gutes Licht setzen. Hätte seine Assistentin doch nur von Anfang an deutlich gemacht, dass sie für den Geheimdienst arbeitete, dann wäre er ihr natürlich weit entgegengekommen. Jetzt war es wichtig, Velatip aus den Händen der Entführer zu befreien, bevor ihr etwas passierte. Enschko wollte es nicht auf sich sitzen lassen, dass ausgerechnet auf einem Planeten, der ihm unterstand, Rebellen und Spione aktiv waren. Dem würde er ein Ende setzen, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Am nächsten Tag flog Enschko selbst mit einem Fluggleiter davon, ohne in der Residenz anzugeben, wo er sich aufhielt. Er deponierte in einem Tempel der Corroni ein Paket mit Geräten, schaute sich neugierig um, verschwand dann aber wieder rasch, so wie Hortek es ihm aufgetragen hatte. Noch wollte er Velatip nicht in Gefahr bringen. Tana war froh, dass sie eine relativ sichere Verbindung zu Hortek bekommen hatte. Über das Präsidentenamt hatte sie ganz dreist einen codierten Funkspruch an ihren Führungsoffizier geschickt. Der Erfolg war bemerkenswert. Schon jetzt, kaum zwei Tage später, bekam sie über Umwege die Nachricht, dass die angeforderten Utensilien bereit lagen. Jetzt lag es an ihr, den getarnten Orathonen aufzuspüren. Die Informationen über die Rebellen standen erst an zweiter Stelle. Aber die Agentin hatte nicht vor, diese Aufgabe zu vernachlässigen. Je mehr sie sich jedoch mit den Corroni beschäftigte, umso mehr kam sie zu der Ansicht, dass Hafis und seine Rebellen nicht ganz Unrecht hatten. Nicht, dass Tana jetzt die Partei der Aufständischen ergriffen hätte, doch in ihr regten sich Sympathie und für die Corroni 171 �
und Zweifel am Handeln des eigenen Volkes. Schließlich waren die Forderungen nicht ganz unbillig. Sie verlangten keinen Abzug der Besatzungsmacht, sondern nur eine bessere Behandlung. Warum also sollte man sie nicht wie Partner anerkennen? Sie leisteten gute Arbeit und würden das auch weiterhin tun. Tana wollte später mit Enschko und Hortek darüber reden. Sicher konnte man den Corroni entgegenkommen. Jetzt wollte sie erst einmal den Spion ausfindig machen. Sie hatte unter anderem ein kleines Peilgerät angefordert, das normalerweise dazu diente, die satellitengesteuerte Navigation für Fluggleiter zu unterstützen. Mit ein paar kleinen Umbauten ließ sich daraus jedoch noch etwas anderes machen. Aufgrund seiner Einfachheit war das Gerät in der Lage, selbst hoch verschlüsselte Impulse aufzuspüren und zu lokalisieren. Wenn man es vereinfacht ausdrücken wollte – das Ding war zu dumm, um auf komplizierte Abwehrmechanismen zu reagieren, es umging jede Sicherung. Das war aber zum Glück nur wenigen Leuten bekannt. Tana führte ein langes Gespräch mit Donon Hafis, und endlich erklärte der sich bereit, seinen unbekannten Helfer anzurufen und noch einmal ein persönliches Treffen zu fordern, was natürlich wieder einmal abgelehnt wurde. Doch wie hätte der Spion auch wissen sollen, dass Velatip nur den Funkkontakt brauchte, um ihn ausfindig zu machen? Zufrieden betrachtete Tana die Karte, auf der sie den Standort eingetragen hatte. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie diesem Kerl das Handwerk legen konnte, so hoffte sie. »Ich brauche deine Hilfe. Aber es kann sein, dass wir uns dann mit dem Geheimdienst anlegen«, erklärte Kront Enschko über die gesicherte Funkverbindung zur Norea. Bordulak am anderen Ende hörte erstaunt eine Weile zu. »Du verlangst also von mir, dass ich ausgerechnet dieser Frau 172 �
helfe?«, fragte er ungläubig. »Nein«, kam die knallharte Antwort. »Ich bitte darum, dass du mir hilfst. Wir müssen Velatip aus den Händen der Rebellen befreien, den Spion enttarnen und uns selbst als strahlende Sieger darstellen. Anschließend können wir Velatip vernichten, auf welche Art und Weise auch immer. Dazu wird uns sicher noch etwas einfallen. Erst einmal müssen wir sie allerdings wie eine Idiotin dastehen lassen, damit dieser Hortek glaubt, sie wäre allein nicht in der Lage gewesen, den Fall zu lösen. Es liegt an uns, sie in ein schlechtes Licht zu setzen und unser Ansehen aufzuwerten.« Eine Weile herrschte Stille; Bordulak überlegte. Die Situation gefiel ihm außerordentlich. Wie sonst konnte er an dieser Stelle beweisen, dass er fähig war, mehr zu leisten als langweilige Patrouillenflüge? Doch das Risiko bestand auch, dass er durch die Befehlsumgehung erneut den Unmut seiner Familie auf sich zog. Sollte irgendetwas schief gehen, würde ihm sein Status nichts nutzen, der Geheimdienst konnte sich über alles hinwegsetzen. Warum musste Tana ausgerechnet diesem Verein beigetreten sein? Das war wiederum ein Affront direkt gegen ihn. Sie machte ihm das Leben schwer, wo sie nur konnte. Die Gedankengänge des jungen Laktonen waren ziemlich verworren und noch immer von Wut und Hass beherrscht, oder vielmehr von verletzter Eitelkeit. Das hinderte ihn an der klaren Überlegung, zu der er sonst durchaus fähig war. Enschko hatte Recht. Sie beide mussten etwas unternehmen, um sich selbst ins rechte Licht zu setzen. Der Hass auf Tana trübte den klaren Verstand, Bordulak stimmte zu. Enschko war zufrieden, er gab dem anderen klare Anweisungen und setzte sich anschließend mit dem anderen Patrouillenschiff in Verbindung. Er behauptete, die Norea für einen Sondereinsatz zu brauchen, auf diese Weise war Bordulak gedeckt, wenn er nicht am nächsten Flug durch das 173 �
System teilnahm. Kommandant Bahadur blieb allerdings skeptisch und nahm sich vor, ein Auge auf die Sache zu haben. Die Norea ging in einen engen Orbit und begann den Planeten zu scannen. Bordulak wusste ziemlich genau, worauf er achten musste, doch vorerst hatte er noch keinen Erfolg bei der Suche. Ohne die Besatzung zu informieren, wonach überhaupt genau gesucht wurde, ordnete er an, dass die Peilung ununterbrochen weiterlaufen sollte. Früher oder später würde er finden, was er suchte. Wie alle Laktonen besaß auch Tana Velatip einen so genannten Energie-Taster. Das kleine Gerät, das am Handgelenk getragen wurde, ortete zielsicher die unmittelbare Nähe eines Orathonen, allerdings erst in unmittelbarer Nähe. Tana hatte den genauen Standort des Funkspruchs eingepeilt und hoffte natürlich, dass es sich dabei um das Versteck des Spions handeln würde. Sollte er seinen Standort häufiger wechseln, nutzte ihr diese Information also gar nichts. Dennoch wollte sie den Versuch wagen. Dazu würde sie sich allerdings den Fluggleiter 'ausleihen' müssen, was Hafis bestimmt nicht gefiel, doch hier ging es um höhere Ziele, da konnte sie sich nicht um die Befindlichkeiten des Corronen kümmern. Sie dachte gerade nach, wie sie am besten vorgehen sollte, als sich die Tür öffnete. Donon Hafis betrat das kleine Zimmer im Nebengebäude eines der großen Tempel auf Corron, das ihnen als sicheres Versteck diente. Zunächst war ihr ein Hotel als der passende Unterschlupf erschienen, doch sie wusste, wie streng die Kontrollen durch die Laktonen waren. Dazu kam, dass es sich nur wenige Corroni leisten konnten zu reisen, und diejenigen standen natürlich unter Beobachtung. Also hatte sie die Idee ganz schnell wieder verworfen. Hafis verschloss die Tür von innen und lehnte sich dagegen. »Was haben Sie vor?«, fragte er kühl. »In denn letzten Tagen 174 �
habe ich eine Menge von Ihnen gelernt, und ich bin kein Dummkopf. Sie sollten nicht versuchen mich zu täuschen.« »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, gab sie ruhig zurück, ahnte aber bereits, dass ihr Plan gerade durchkreuzt worden war. »Tana, Sie haben offenbar einen Weg gefunden, um Manilon aufzuspüren, denn Sie suchen nicht mehr nach ihm. Ich will dabei sein, wenn Sie mit ihm reden. Ich will ihn sehen und mich selbst davon überzeugen, dass es sich um einen Orathonen handelt. Denn das würde erklären…« »Was würde das erklären?«, fragte sie sanft, doch in ihren Augen funkelte es unnachgiebig. Hafis machte einen unglücklichen Eindruck, als hätte er erst jetzt eine Erkenntnis gewonnen, die tief greifende Auswirkungen haben konnte. »Fliegen Sie nicht, Tana. Es ist eine Falle. Ich weiß es jetzt. Manilon hatte mich gedrängt, speziell Sie zu entführen. Ja, die ganze Idee stammt überhaupt von ihm. Ich wollte nie mehr, als den Laktonen eine Art Partnerschaft abzutrotzen, ohne selbst zu wissen, wie das anzustellen war. Manilon redete mir im Laufe der Zeit ein, dass Sie die passende Person wären, um als hochrangige Persönlichkeit auf Ihre Regierung einzuwirken. Das stimmt natürlich gar nicht, wie mir mittlerweile klar geworden ist. Aber er muss gewusst haben, dass Sie eine Möglichkeit finden, ihn aufzuspüren. Er will, dass Sie ihn finden, auch wenn ich mir den Grund dafür nicht vorstellen kann.« Die Agentin hatte ruhig zugehört, und in ihren Gedanken setzte sich ein Bruchstück zum anderen. Sie lächelte – was Hafis bis jetzt noch unklar war, nahm in ihren Überlegungen Gestalt an. Der Orathone wollte also speziell sie? Dann wusste er von ihrer Mission. Das allein war schon seltsam, aber der Geheimdienst der Orathonen schlief sicher auch nicht und hatte mit Sicherheit seine Leute ebenfalls an wichtigen Stellen im Reich 175 �
postiert. Das war eine Tatsache, die man akzeptieren musste, um daran zu arbeiten. Aus diesem Grund konnte der Feind durchaus über sie informiert sein. Als Anfängerin galt sie vielleicht als einfaches Opfer, um mehr Informationen herauszufinden. Oder vielleicht war sie wirklich wichtig genug, um in den Plänen anderer Leute eine Rolle zu spielen. Nicht, dass ihr das alles wirklich gefallen würde. Eine Agentin arbeitete besser aus dem Verborgenen heraus. »Sie glauben jetzt zu wissen, warum Manilon ausgerechnet mich haben will?«, fragte sie sachlich. Hafis nickte. »Sie sind nicht das, was Sie auf den ersten Blick scheinen, Velatip. Keine kleine Verwaltungsangestellte, die Mühe hat, mit dem allmächtigen Kront Enschko zurechtzukommen. Sie müssen selbst eine Agentin sein, und eine gute dazu, sonst wäre Ihre Tarnung längst aufgefallen. Und das erklärt mir eine ganze Menge, auch wenn ich nicht weiß, warum ausgerechnet ich in Ihr Visier geraten bin. Aber natürlich will Manilon Sie in die Hände bekommen. Er wird versuchen Sie auszuquetschen, oder vielleicht sogar Sie umzudrehen. Deshalb sage ich, Sie dürfen nicht zu seinem Versteck fliegen. Sie dürfen ihn nicht treffen, das ist eine Falle.« »Ihre Besorgnis ehrt mich, Hafis. Und das alles, wo ich doch als Laktonin nicht gerade Ihre Freundin bin. Aber ich habe bereits ähnliche Überlegungen angestellt. Können Sie mir versichern, dass Manilon hier allein arbeitet? Dann werde ich ihn unschädlich machen können. Eine erkannte Falle ist keine Falle mehr. Handelt es sich aber um eine ganze Gruppe von Orathonen, wird es ziemlich ungemütlich werden.« »Haben Sie mir eigentlich gar nicht zugehört? Sie dürfen da nicht allein hinfliegen, mag Manilon nun allein sein oder nicht, er ist in jedem Fall im Vorteil. Bei den Göttern der Shavaren, Sie sind doch nicht dumm, Velatip. Sie haben die Möglichkeit, Ihr 176 �
Militär zu informieren und richtig zuzuschlagen. Warum wollen Sie sich selbst in Gefahr begeben?« »Und Sie haben nicht ausreichend nachgedacht, Hafis. Wenn es Manilon gelungen ist, in Ihrer Organisation Fuß zu fassen, muss ich befürchten, dass auch unter meinen Leuten Agenten sitzen können. Wem also kann ich trauen? Mal abgesehen davon, dass es keinen Sinn ergibt, die ganze Militärmacht aufzubieten, um nur einen Mann zu fangen. Es würde zudem eine Menge Erklärungen erfordern, meine Anweisungen durchzusetzen. Das kostet Zeit, Zeit, die wir nicht mehr haben. Was sollte ich denn sagen? Hallo, Leute, die Rebellen sind einigermaßen harmlos, wir sollten uns lieber damit beschäftigen, den Orathonen zu fangen?« Unwillkürlich lachte Hafis auf. Selten hatte er Tana in einer so ausgelassenen Stimmung gesehen. Meist war sie ziemlich angespannt, was auch nur zu verständlich war angesichts der Lage, in der sie sich befand. Auch jetzt war sie immens aufgeregt, doch sie versuchte das zu verbergen, um Hafis nicht damit anzustecken. »Dann lassen Sie mich allein, bleiben Sie im Hintergrund«, schlug der Corrone ernsthaft vor. Ein amüsiertes Lächeln traf ihn. »Sie glauben, Sie könnten allein mit ihm fertig werden? Er ist ein Orathone, Hafis. Ein gefährlicher Kämpfer, ein Agent. Sie sind, verzeihen Sie diesen Ausdruck, ein Dilettant, ein engagierter Laie. Nein, Sie werden hier bleiben und abwarten.« »Auf keinen Fall. Ich sehe ein, dass Sie diese Aufgabe wohl auf sich nehmen müssen, aber ich will ihn auch sehen. Er hat mich getäuscht und manipuliert. Ich will…« »Also gut«, entschloss sie sich spontan. »Sie kommen mit. Lassen Sie uns hoffen, dass Manilon sich auch an den eingepeilten Koordinaten befindet. Und noch mehr lassen Sie uns hoffen, 177 �
dass es für Sie nicht gefährlich wird.« »Wo ist er eigentlich?«, wollte Hafis wissen. »Dort ist die zentrale Erziehungsanstalt«, erklärte sie, und der Corrone schüttelte den Kopf. »Ein Orathone würde doch dort sofort auffallen.« »Nicht mit einer perfekten Maske. Und Sie dürfen mir glauben, es gibt solche Tarnungen.« Ein letztes Mal überprüfte sie ihren Energie-Taster und die kleine Waffe, die sie ebenfalls angefordert hatte. Selbst wenn sie den Feind nicht sofort erkennen sollte, würde das Gerät seine Anwesenheit melden.
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9. � Die Zentrale Erziehungsanstalt war ein Lehrbetrieb, in der halbwüchsige Corroni ihren letzten Schliff erhielten, bevor sie ihren Arbeitsstellen zugeteilt wurden. Man bemühte sich, die Berufe entsprechend der persönlichen Neigungen zuzuweisen. Dazu wurden die Schüler getestet und befragt, bevor jeder das für ihn Passende bekommen hatte. Tana empfand das als ein reichlich merkwürdiges System, aber es schien perfekt zu funktionieren. Hier, inmitten einer großen Anzahl von Corroni fiel ein Orathone sicher nicht auf, wenn seine Maske auch nur einigermaßen gut war. Die jungen Corroni waren allesamt sehr diszipliniert. Als Tana mit Hafis über das weitläufige Gelände ging, begegneten sie mehreren Gruppen der Jungen. Sofort gab es Ehrenbezeigungen und demütig gesenkte Köpfe, auch wenn manch neugieriger Blick die Laktonin traf. »Verstehen Sie eigentlich endlich, was ich sage?«, fragte Hafis bitter. »Mein Volk ist wichtig für die Laktonen. Aber schon unseren Kindern wird beigebracht Ihr Volk als höhere Wesen zu betrachten, die nur mit Ehrfurcht zu behandeln sind. Unsere eigene Arbeit, unsere Fähigkeiten, treten dabei völlig in den Hintergrund, und wir sind nicht viel mehr als abgerichtete Tiere. Dabei wünschen wir uns nichts anderes, als in einer Partnerschaft an Ihrer Seite zu stehen.« »Ja, schon gut, ich habe verstanden.« Velatip wirkte etwas ungeduldig. Sie achtete auf ihren Energie-Taster, der würde die Anwesenheit eines Orathonen schneller entdecken als sie das konnte. Ruhig, als wäre sie auf einer Inspektionstour, schritt sie 179 �
auf das Hauptgebäude zu und hoffte, dass keiner der Verantwortlichen auf die Idee kam, die Residenz zu verständigen. Schließlich wurde mittlerweile nach ihr gesucht. Eine Entdeckung wäre zum jetzigen Zeitpunkt höchst unwillkommen. Ganz eilig kamen Corroni eine Treppe heruntergelaufen und nahm dann etwas atemlos vor Tana Aufstellung, wobei sie hastig Ehrenbezeigungen vollführten. »Edle Dame, wir sind untröstlich, niemand hat uns von Ihrer Ankunft verständigt, sonst hätten wir selbstverständlich…« »Ich lege keinen Wert auf einen offiziellen Empfang«, unterbrach ihn Tana. »Dieser Besuch dient meiner persönlichen Information. Beachten Sie mich am besten gar nicht.« Im gleichen Moment, da Tana die Worte ausgesprochen hatte, wusste sie, dass ihre Bemerkung ein Fehler gewesen war. Kein Laktone würde einen Corroni auffordern, ihn nicht zu beachten. Genau das Gegenteil wäre richtig gewesen. Im Übrigen hätte sie leicht befehlen können, dass alle Mitarbeiter, Besucher und Schüler hier versammelt wurden. Sie beschimpfte sich selbst im Stillen, aber dieser Fehler war jetzt nicht wieder gutzumachen. Im Übrigen wäre eine Versammlung auch der falsche Weg gewesen, denn ein maskierter Orathone hätte zu leicht Corroni als Geiseln nehmen können. Jetzt war es zu spät, den Fehler zu korrigieren. Sie spürte, dass Hafis neben ihr sich versteifte, auch er hatte ihren Schnitzer bemerkt. Doch er reagierte schneller als Velatip. »Die Edle Dame ist der Ansicht, dass nicht ausreichend XenoKommunikatoren geschult werden. Sie will sich aus diesem Grund ein Bild der Auswahl und Ausbildung machen. Das ist natürlich nur unter relativ normalen Bedingungen möglich.« Der Direktor der Schule – denn um ihn und seinen Stellvertreter handelte es sich – klappte vor Ehrfurcht und Angst fast zusammen. »Wir bemühen uns, alle geeigneten Kandidaten auszufiltern 180 �
und Ihnen zur Verfügung zu stellen.« »Das zu beurteilen sollten Sie besser mir überlassen. Gehen Sie zurück an Ihre Arbeit. Wir werden uns allein zurechtfinden.« Die Wirkung dieser Worte hätte nicht größer sein können, hätte sie dem Mann ins Gesicht geschlagen. Gegen diesen Befehl gab es natürlich keinen Widerspruch, die Corroni verschwanden auffällig schnell. »Danke«, sagte Tana. »Das hätte ich geschickter anfangen müssen. Aber mir scheint, als hätte mich Ihre unangebrachte Humanität angesteckt. Kommen Sie, Hafis, ich weiß nicht, wie viel Zeit wir noch haben. Mein Gefühl sagt mir, dass gerade jemand eine Meldung an die Residenz durchgibt.« Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Tana hatte Recht, die Zeit drängte. Weil es keinen Anhaltspunkt gab, musste die Suche zwangsläufig etwas planlos vonstatten gehen. Die Laktonin warf ständig einen Blick auf den Energie-Taster, doch da war noch nichts zu sehen. Die Reichweite war begrenzt, die Agentin musste schon auf etwa fünfzig Meter Nähe an das gesuchte Ziel herankommen. Plötzlich gab es einen Piepser, und auf dem Taster war eine Anzeige. Tana blieb so abrupt stehen, dass Hafis noch eine Weile weiterlief, bevor er die Veränderung bemerkte. »Wohin geht es dort?«, fragte Tana und deutete auf einen langen Gang. »Ein Archiv. Hier findet sich die gesamte Geschichte meines Volkes. Nicht nur die nüchternen Aufzeichnungen der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, auch die Kultur wird dort aufbewahrt, alle Bücher, die geschrieben wurden und das Leben meines Volkes geprägt haben. Trotz der Miniaturisierung mussten wir einen Ort schaffen, an dem unendliche viele Informationen zusammenlaufen, aber keinem von uns oder eben auch meinen Vorfahren wäre es in den Sinn gekommen, auch 181 �
nur ein Stück davon dem Vergessen zu überlassen.« »Ja, schon gut, ich verstehe«, murmelte Tana wenig beeindruckt. Erst jetzt ging Hafis die Bedeutung ihrer Frage auf. »Sollte Manilon dort sein, ist das eine Beleidigung für das ganze corronische Volk. Ein Orathone in unserem Archiv…« »Bleiben Sie ruhig, Hafis. Sie werden ihn noch verscheuchen, bevor ich ihn gefunden habe.« Tana ging voran, riss dann mit einem Ruck die altmodische Sicherheitstür auf, ein Schwall klimatisierter Luft flog ihr entgegen, und sie fröstelte unwillkürlich. Dann stand sie in dem Raum, den Hafis als Archiv bezeichnet hatte. Selbst die Laktonin entwickelte in diesem Moment etwas Ehrfurcht. Der Raum, den Hafis so lapidar als Archiv bezeichnet hatte, erstreckte über eine Länge von wenigstens hundert Metern, an allen Wänden in unzähligen Regalen bis zur Decke hinauf standen Bücher, ebenso in weiteren Regalen, die in regelmäßigen Abstanden in den Raum eingepasst worden waren. Bücher! Für die Laktonen handelte es sich dabei um Relikte aus uralter Zeit. Seit Jahrtausenden schon gab es die elektronischen und positronischen Medien, Speicher, die in einem Fingernagel mehr Informationen aufnehmen konnten, als eines dieser Regale in sich trug. Und doch besaßen Bücher aus Papier einen ganz eigenen Reiz, auch wenn diese Art der Speicherung ins Zeitalter der Vergangenheit gehörte. Nur besondere Dokumente und Ehrungen fanden bei den Laktonen noch immer den Weg auf spezielle Folien. Eine solche Ansammlung von bedrucktem Papier hatte sie noch nie gesehen. Es reizte sie in diesem Augenblick tatsächlich hier zu stöbern, aber das musste noch warten – falls es überhaupt jemals dazu kommen sollte. Tana blieb nun ganz ruhig stehen, die Anzeige im Energie-Taster war lautlos, nur die Atemzüge der beiden Lebewesen waren 182 �
hörbar, und auch das nur, wenn man sich dicht bei ihnen befand. Hafis stand dicht neben ihr, und die Augen der zwei wanderten durch den Raum. In einer Ecke des riesigen Saales standen drei Corroni im Gespräch. Als sie jetzt die Laktonin erblickten, erstarrten sie und beeilten sich, die formellen Ehrenbezeigungen zu machen. Nichts deutete darauf hin, dass einer von ihnen der Gesuchte sein könnte. Aber nicht nur das Armbandgerät am Arm der Raum behauptete, dass ein Orathone sich in unmittelbarer Nähe befinden musste. Aufmerksam musterte die Agentin die drei Corroni, die offenbar liebend gern ihren Platz verlassen hätten, das aber nicht tun durften, bevor sie es zuließ. In der Anwesenheit der Laktonin fühlten sich die Corroni eindeutig unwohl. Oder doch nicht ganz? »Donon Hafis, erklären Sie mir, welcher Aufgabe diese Leute nachgehen«, forderte sie, wohl wissend, dass er darüber eigentlich gar keine Information besaß. »Gestatten Sie, Edle Dame, die Männer selbst sprechen zu lassen«, gab er schlagfertig zurück. Er deutete wahllos auf einen von ihnen, der für einen Corroni äußerst kräftig gebaut war und sich auch längst nicht so ängstlich und devot verhielt wie die anderen. »Meine Aufgabe ist, die jungen Mitglieder unseres Volkes auf ihre Eignung bezüglich der Ausbildung zum Xeno-Kommunikatoren zu testen«, erklärte der Einheimische. Auf den Gesichtern der beiden anderen entstand Verblüffung, offenbar war diese Information nicht ganz zutreffend. »Wirklich? Aber das stimmt doch gar nicht so, das übernimmt doch…«, begann einer der beiden anderen, wurde aber barsch unterbrochen. »Schweig! Willst du mich über meine Aufgaben belehren?«, kam es äußerst unhöflich. 183 �
»Das dürfte unnötig sein«, sagte nun Tana mit fester Stimme. »Sie gehören gar nicht zum Personal dieser Anstalt.« »Aber, Edle Dame, Sie müssen sich irren«, widersprach er und rief damit förmlich Entsetzen hervor. »Ich kann mich vielleicht irren, aber mein Energie-Taster irrt sich nicht, Orathone. Sie sind keine Corrone, Ihre Tarnung ist aufgeflogen. Nehmen Sie die Hände hoch, ich lasse Ihnen jetzt Ihre Waffen abnehmen. Widerstand würde Ihre Lage nur verschlimmern.« Die Angst der beiden Corroni war greifbar. Wer auch immer in der Anwesenheit des Feindes angetroffen wurde, musste damit rechnen, selbst unter Anklage gestellt zu werden. Aber Tana beachtete die beiden nicht weiter, sie fixierte den Feind. Hier gab es kein Entrinnen mehr, und die Anzeige auf dem Energie-Taster irrte sich auch nicht. Vor Tana stand eindeutig ein Orathone. Er machte gar keine Anstalten seine Tarnung noch länger aufrecht zu erhalten – er lachte kurz auf und zog eine am Körper verborgene Waffe, dann trat er zwei Schritte zurück und richtete sie auf die Agentin. »Ich hätte damit rechnen müssen, dass eine laktonische Agentin mich doch noch aufspüren kann. Schade, mein Ziel war es eigentlich, Sie auf beiden Seiten einzusetzen. Als Doppelagentin wären sie unschätzbar. Hätten Sie nicht vielleicht doch Interesse? Wir zahlen gut. Halt, nein, nicht bewegen, denn sonst werde ich zu meinem Bedauern abdrücken müssen.« Hafis war es, der einen Schritt vortrat, als wollte er den anderen angreifen, oder sich sogar schützend vor die Laktonin stellen. Wut, Enttäuschung und Zorn zeigten sich auf seinem Gesicht. Offenbar hatte er bis zuletzt noch gehofft, die Aussage der Laktonin würde sich als Irrtum erweisen. Doch er hatte sich täuschen lassen, war auf einen geschickten Betrug hereingefal184 �
len, der seine Ehre und Leben völlig zerstört hatte. Die Konfrontation mit den Tatsachen ließ ihn jetzt jede Vorsicht vergessen. Doch da waren ja auch noch die beiden anderen Corroni, die furchtsam bis an die Wand zurückwichen und sichtlich nichts von dem verstanden, was hier vor sich ging. »Lauft weg«, empfahl Donon Hafis hastig. Als Manilon jetzt die Waffe auf die beiden richtete, trat auch Tana vor. »An den beiden sind Sie doch gar nicht interessiert. Lassen Sie sie laufen. Das hier ist eine Sache zwischen uns, und Sie werden noch genug damit zu tun haben, selbst zu überleben.« »Große Worte«, höhnte der Orathone, kümmerte sich aber nicht länger um die beiden. »Was haben Sie vor, Laktonin? Steht draußen ein ganzer Trupp Soldaten? Nein, ganz bestimmt nicht, dafür sind Sie selbst viel zu ehrgeizig. Und wenn Hafis meinen Empfehlungen gefolgt ist, dann hat er Sie entführt und versucht gerade Sie zu überzeugen, dass die Corroni schwer unter dem Joch der Laktonen stöhnen.« »Das sagt ausgerechnet ein Orathone?«, spottete die Agentin und blieb auf der Hut. Wie konnte sie den Feind möglichst rasch überwältigen? Im Augenblick lagen die Vorteile auf seiner Seite. Er brauchte nur abzudrücken, und Tana fragte sich, warum er das nicht längst getan hatte. Der Rückzug war für ihn offen, sobald er sich seiner Gegenspieler entledigt hatte. Wie auch die Laktonen stand der Orathone unter dem Zwang seiner Befehle. Er hatte sich bemühen sollen Tana Velatip umzudrehen und sie als Doppelagentin einzusetzen, nicht sie umzubringen. Woher hatten die Feinde eigentlich von ihr gewusst? Eine Frage, die später noch zu beantworten sein würde. »Ich brauche keinen Trupp Soldaten, um mit einem Feind meines Volkes fertig zu werden«, erklärte sie kühl. »Große Worte, Agentin Velatip«, höhnte er. Da war es wieder, 185 �
Agentin hatte er gesagt. Woher wusste er von ihr? Wie viele andere aus dem Stab von Kront Enschko war sie abkommandiert worden, und aufgrund ihres Studiums als Mathematikerin war sie für den Posten als persönliche Assistentin auch durchaus befähigt. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie eine zusätzliche Aufgabe wahrzunehmen hatte, die weit über ihre Verwaltungsarbeit hinausging. Es gab zwei Möglichkeiten, wie die Orathonen an diese brisante Information gekommen sein konnten, die selbst dem Repräsentanten so lange verborgen geblieben war. Entweder hatte man aus Kreisen des Geheimdienstes diese Nachricht gezielt verbreitet, um mögliche Spione aufzuspüren, oder es gab im eigenen Geheimdienst Verräter. Das erste hielt Tana für absolut unwahrscheinlich. Warum hätte man die Agentin einer solchen Gefahr aussetzen sollen? Die Ausbildung war lang, hart und vor allem teuer. Nicht einmal die Laktonen würden derart viel riskieren. Verrat schien ihr eher möglich. Wie Tana mittlerweile wusste, hatte jeder irgendwie seinen Preis. Und manche Information bekam man auch durch Erpressung, Bestechung und Folter, was man in gewisser Weise auch als Preis bezeichnen konnte. Um das eigene Leben oder das von nahen Angehörigen zu retten, würde manch einer bereit sein, mehr als nur eine Agentin zu verraten. Das waren allerdings Fragen, deren Beantwortung noch verschoben werden musste. Jetzt suchte Tana fieberhaft nach einer Möglichkeit, diesen Spion unschädlich zu machen und in die Finger zu bekommen. »Sie sind sehr mutig, als Anfängerin gleich eine so große Aufgabe anzugehen. Wie sieht es aus, wollen Sie sich mein Angebot nicht wenigstens mal anhören? Wir können Ihnen alles beschaffen, was Sie sich wünschen. Ich will nicht prahlen, aber unsere Doppelagenten sind bislang immer sehr zufrieden gewesen.« Jetzt lächelte Tana überlegen. »Meinen Preis kann kein Orathone bezahlen«, erklärte sie kühl. »Und nun ist es an der Zeit, 186 �
dass wir diesem Spiel ein Ende bereiten. Legen Sie die Waffe nieder, und ich verspreche Ihnen eine ordentliche Behandlung. Wir sind nicht so grausam wie Ihr Volk.« Der Orathone lachte ungläubig auf. Doch wenigstens sah er in diesem Augenblick ein, dass er Tana nicht würde umdrehen können. Er musste sie beseitigen, um sein Leben und seine Identität zu schützen. Kalt lächelnd hob er die Waffe und richtete sie erneut auf die Agentin. Das war die letzte Chance für seine Flucht. In diesem Augenblick reagierte Hafis, der dem Vorgang erstaunt und erschreckt gefolgt war. Er schubste sie mit einem heftigen Stoß beiseite, der Schuss des Spions fauchte ins Leere, und gleich darauf begannen Sirenen zu jaulen. Wie in allen wichtigen Gebäuden gab es auch hier Energiespürer, die unberechtigte Emissionen meldeten. Der Orathone war gut in seinem Fach, wie Tana ihm zugestehen musste, denn den aus verschiedenen Richtungen herbeieilenden Corroni brüllte er eine Warnung zu. »Das ist eine Verräterin am Laktonischen Reich. Sie wird bereits gesucht. Wo sind die Wachen? Sie muss verhaftet werden, sie hat Donon Hafis in ihrer Gewalt. Achtung, sie ist gefährlich.« Er hatte die Situation vollkommen auf den Kopf gestellt, aber für weitere Erklärungen blieb natürlich keine Zeit. Tana wollte sich dennoch stellen, auch wenn das bedeutete, dass der Orathone vorerst fliehen konnte. Doch Hafis sah sich und die Agentin in unmittelbarer Gefahr. Er packte sie am Arm und zerrte sie mit sich. Für die unbeteiligten Beobachter war nicht festzustellen, wer nun wen mit sich zog, hier befanden sich zwei Personen auf der Flucht, und noch immer stand der perfekt verkleidete Orathone da und brüllte seine Anschuldigungen in die Welt. Auch Tana erkannte, dass sie keine Zeit hatte, die wirkliche 187 �
Situation darzustellen. »Das hätten Sie nicht tun sollen«, rief sie Hafis zu. »Wollten Sie denn unbedingt sterben?«, fragte er keuchend zurück. »Ich bin durchaus in der Lage, mich selbst zu schützen.« »Das sah aber nicht so aus. Der hätte Sie erschossen. Sie standen genau in der Feuerlinie. Ach, was rede ich denn? Sie wissen ja doch alles besser.« Trotzdem er durch das rasche Laufen angespannt war, wirkte er verstimmt. Tana war besser durchtrainiert als der Mann und zerrte ihn schließlich völlig außer Atem in den Gleiter. Mit fliegenden Fingern betätigte sie die Kontrollen, die Maschine hob vom Boden ab und gewann rasch an Fahrt und Höhe. Donon Hafis hockte auf dem Boden, war völlig ausgepumpt und rang nach Luft. Er war gar nicht in der Lage selbst etwas zu tun und musste im Augenblick der Agentin die Initiative überlassen. »Ach, übrigens, danke«, sagte Tana leise. »Auch wenn ich es noch nicht ganz glauben kann, Sie haben mein Leben gerettet. Aber ob uns beiden das jetzt noch viel nutzt? Man hat uns schon eingepeilt. Nun ja, es hätte mich auch gewundert, würden die Soldaten nicht aufmerksam den Luftraum beobachten. Und es gibt nun einmal nicht besonders viele Fluggleiter auf Corron. Jetzt wollen wir nur noch hoffen, dass niemand auf die Idee kommt, die Steuerung zu unterbrechen oder gar zu übernehmen. Dann haben wir nämlich ein Problem.« Hafis rappelte sich auf, sein rasender Puls beruhigte sich wieder etwas, die Atmung normalisierte sich, und er nahm einige Schaltungen vor, die Tana in einem Fluggleiter noch nicht erlebt hatte. »Das Problem werden wir nicht haben«, verkündigte der Corrone. »Wir mögen in dem Orathonen einen Feind haben, doch seine Hilfe war mir bisher durchaus willkommen und nützlich.« 188 �
»Augenblick, wollen Sie damit etwa sagen, es ist Ihnen gelungen, die Flugpeilung auszuschalten?«, fragte sie ungläubig. »Unsere Fluggleiter sind speziell für dieses System modifiziert worden. Sie haben da eine Besonderheit in der Atmosphäre, wodurch die normale Energieaufbereitung gestört wird. Beim Atmen macht uns Laktonen das nicht viel aus, aber es blieb uns keine andere Wahl, als die Technologie zu verändern. Da Ihr Volk nicht selbst über eine derart fortgeschrittene Technologie verfügt, hielten unsere Wissenschaftler es bei der Modifizierung für überflüssig einen Redundanz-Schaltkreis zu installieren. Wollen Sie jetzt etwa sagen, es ist Ihnen gelungen, die übergeordnete Schaltung zu überbrücken?« Er hatte sie ruhig ausreden lassen, ihre starke Erregung durch den starken Körpergeruch registriert und nur milde gelächelt. »Sie haben in vielen Worten eine neue Tatsache sehr einfach ausgedrückt«, stimmte er zu. Tana fasste sich überraschend schnell. »Meinen Respekt. Ich nehme an, die Grundlagen für dieses Wissen stammen ebenfalls von Borkan Manilon? Ja, schon gut, ich verstehe. Es ist ihm offenbar gelungen, uns zu schaden. Aber Ihnen ist doch hoffentlich klar, dass Sie sich selbst und Ihrem Volk im Endeffekt ebenfalls schaden?« Er machte eine verächtliche Bewegung. »Spielt das tatsächlich eine so große Rolle? Im Augenblick sieht es doch eher so aus, dass er noch viel mehr Ärger verursachen wird.« Tana musterte die Kontrollen und nickte. »Ja, da haben Sie wohl recht. Man wird uns abschießen, wenn wir nicht schnell eine Möglichkeit finden, uns der Peilung endgültig zu entziehen. Halten Sie uns Laktonen denn wirklich für so dumm, dass wir uns nur auf eine Methode verlassen? Direkt über uns im Orbit befinden sich zwei Raumschiffe, denen wir nicht einfach entkommen können.« 189 �
Jetzt wirkte Hafis doch verstört, seine kurzfristige Überlegenheit war geschwunden. Tana seufzte. Sie wusste, was sie zu tun hatte, um nicht einem Angriff zum Opfer zu fallen. »Hier Tana Velatip an Bord eines Fluggleiters. Ich rufe das nächste Raumschiff im Orbit um Corron«, meldete sie sich resigniert über Funk. »Ich befinde mich in der Begleitung von Donon Hafis, dem Staatssekretär von Corron. Wir waren auf der Spur eines maskierten Orathonen, der schon längere Zeit hier auf dem Planeten stationiert gewesen war. Er ist uns gerade entkommen und wird sicher versuchen, einen sicheren Ort aufzusuchen. Jedenfalls hat er die Wachen in der zentralen Erziehungsanstalt zuerst auf unsere Spur gehetzt und konnte demnach fliehen. Sie müssen versuchen ihn anzupeilen und ausfindig zu machen. Er ist gefährlich.« Als die Antwort kam, hätte sie vor Überraschung die Maschine fast gegen einen hochaufragenden Felsen geflogen. »Hier Bordulak cor Hadalip an Bord der Norea. Ich grüße dich, Tana Velatip. Du willst mir vermutlich mitteilen, dass deine Mission gescheitert ist und wir uns um die Suche nach dem vermeintlichen Orathonen kümmern sollen.« Die kühle, arrogante Stimme ließ in ihr die Erregung noch weiter ansteigen. Niemand hatte sie darüber informiert, dass ausgerechnet Bordulak mit dem Patrouillenschiff hier stationiert war. Vermutlich hatten er und Enschko längst einen eigenen Plan geschmiedet, um sie auszuschalten oder die Rache zu vollziehen, nach welcher der junge Kommandant noch immer gierte. Bordulak gehörte nicht zu den Laktonen, die vergeben und vergessen konnten. Sie überlegte fieberhaft. Auf keinen Fall wollte sie ihm den Triumph gönnen, an ihrer Stelle den Spion zu fangen. Wie stünde sie dann da? Auch wenn sie gerade gefordert hatte, ihn ausfindig zu machen, so wollte sie doch nicht, dass ausgerechnet Bordulak Erfolg hatte. Schlimmer war für Tana in diesem Augen190 �
blick der Gedanke an ihren Führungsoffizier. Hortek würde sie demütigen, und ihre Karriere beim Geheimdienst wäre zu Ende, noch bevor sie richtig angefangen hatte. Niemals würde sie zu den Astronikern gehören, wenn sie jetzt zuließ, dass Bordulak und Enschko das Handeln übernahmen und sie beiseite stießen. Aber was sollte sie tun? Sie befand sich hier an Bord des Fluggleiters, völlig ohne Möglichkeiten und auf Hilfe von außen angewiesen. »Es wäre mir ganz lieb, wenn du die Suche nach dem Orathonen mir überlassen würdest«, versuchte sie es dennoch. »Eigentlich habe ich mich nur gemeldet, damit keiner deiner Untergebenen auf die Idee kommt, uns unter Beschuss zu nehmen. Auch nicht versehentlich. Deshalb habe ich auch schon einen kleinen Funkspruch an die Residenz geschickt, damit man dort Bescheid weiß.« Das nachfolgende kleine Schweigen machte der Laktonin deutlich, dass Bordulak dieser Gedanke durchaus schon durch den Kopf gegangen war. »Er ist ziemlich skrupellos für einen Laktonen«, stellte Hafis fest, der sich ebenfalls seine Gedanken machte. »Ich dachte eigentlich nicht, dass es in Ihrem Volk üblich ist, die eigenen Leute abzuschießen. Kennen Sie diesen Kommandanten schon länger?« »Leider ja«, gestand sie ein. »Aber ich hatte gehofft, ihn nie wiederzusehen, oder auf andere Weise mit ihm zusammenzutreffen. Leider haben es das Schicksal und die Oberste Raumfahrtbehörde anders beschlossen«, gab sie leise zurück. »Deine Aufgabe ist zu Ende, Tana Velatip. Gib es ruhig zu, du bist gescheitert, und ich kann nicht gerade sagen, dass ich deswegen unglücklich bin. Als Agentin bist du nicht gerade erfolgreich zu nennen. Du hättest dich besser doch dafür entschlossen an meiner Seite zu bleiben. Jetzt habe ich natürlich kein Interesse 191 �
mehr daran, dich noch einmal auch nur anzusehen. Finde dich damit ab, du bist zerstört.« Eiskalter Triumph lag in der Stimme des Mannes. Tana hatte alle Mühe, die Beherrschung aufrecht zu erhalten. Das schlimmste war für sie tatsächlich zugeben zu müssen, dass er vielleicht doch Recht hatte. Eine bittere Niederlage. Es gab offenbar keine Möglichkeit mehr, die Situation noch einmal zu ihren Gunsten zu drehen. Resigniert drückte sie ein paar Tasten und programmierte den Fluggleiter neu. »Zurück zur Residenz«, sagte sie leise. »Ich fürchte, wir müssen es den Truppen überlassen…« »Nein!« Donon Hafis machte plötzlich einen äußerst entschlossenen Eindruck. Er zog Tana von den Kontrollen weg, gab eine neue Programmierung ein und riss schließlich die Verkleidung von den Armaturen herunter. Neben den üblichen Anordnungen der Technik kam zusätzlich ein kleiner Kasten mit Anschlüssen für Steckmodule zum Vorschein. Hafis lachte grimmig auf. »Noch ist das Spiel nicht zu Ende, Laktone«, rief er deutlich durch den Funk. »Ich glaube, es wird Velatip mehr helfen, wenn ich jetzt die Initiative übernehme. Suchen Sie lieber verirrte Asteroiden.« Er knallte die Faust auf den Schalter, der Funkverkehr brach abrupt ab, obwohl noch die Stimme von Bordulak zu hören gewesen war. »Was tun Sie da?«, fragte die Agentin verwirrt. Er blickte sie kurz an, machte sich dann in aller Ruhe an dem Kasten zu schaffen und platzierte ihn zwischen dem Antriebsmodul und dem Emissionsgitter. »Ich offenbare ein großes Geheimnis meines Volkes«, sagte er schlicht. Verständnislos schaute sie zu, wie der Corrone sicher hantierte und schließlich die Abdeckung wieder verschloss. »Was haben Sie mir dazu zu sagen, Hafis? Was ist ein großes 192 �
Geheimnis Ihres Volkes?« Er brachte den Fluggleiter auf einen eher ungewöhnlichen Kurs und wandte sich dann konzentriert Velatip zu. »Mein Volk mag dem Ihren in technischer Hinsicht hoffnungslos unterlegen sein. Das heißt aber doch nicht, dass unsere Wissenschaftler absolut unfähig sind. Auch wir haben geforscht, und wir sind teilweise zu sehr interessanten Ergebnissen gekommen. Es ist uns unter anderem gelungen, eine Art Schutzschirm zu entwickeln, durch den es den Geräten der Laktonen unmöglich gemacht wird, einen Fluggleiter, einen geheimen Stützpunkt oder auch nur ein ganz einfaches Funkgerät aufzuspüren.« Sie blickte ihn stumm an. »Das ist nicht Ihr Ernst«, stieß sie schließlich hervor. Er wirkte traurig. »Es ist bedauerlich, dass Sie uns so gar nichts zutrauen. Sehen Sie, ich habe gerade den Modulator im Fluggleiter zwischengeschaltet. Sobald ich ihn aktiviere, werden wir für das laktonische Schiff und die Ortungsgeräte der Residenz unsichtbar.« Eine Erschütterung brachte den Fluggleiter ein wenig vom Kurs ab, die nachfolgende Druckwelle des Beschusses aus dem Raumschiff ließ die kleine Flugmaschine trudeln. »Die beschießen uns tatsächlich«, stellte Tana entsetzt fest, reckte dann aber angriffslustig ihr Kinn nach vorne. »Sie sollten sich vielleicht beeilen, ihren Modulator zu aktivieren, Hafis, sonst werden Sie nicht mehr lange Gelegenheit dazu haben«, empfahl sie trocken. Sie überwand ihre Überraschung und nahm die Tatsachen erst einmal hin. Jetzt ging es nur noch um das nackte Überleben, alles andere musste Zeit bis später haben. Hafis zögerte nicht länger, er aktivierte das seltsame Gerät. Im gleichen Moment verschwand die kleine Maschine von den Monitoren im Raumschiff und in der Residenz. »Haben wir getroffen?«, fragte Bordulak zufrieden. 193 �
»Nein, Kommandant. Keine Hinweise auf Trümmer oder eine zerstörte Lebensform, wie auch immer. Der Fluggleiter ist ganz einfach verschwunden.« »Das ist vollkommen unmöglich«, brüllte der Laktone. Er stürmte zur Ortung, stieß den dort stehenden Mann unsanft beiseite und betätigte in rasender Eile die Kontrolle zum Reset und erneuten Scannen. Nichts! Die Flüchtlinge waren demnach noch am Leben und konnten darüber aussagen, dass ein laktonisches Schiff trotz eindeutiger Kennung eine Agentin beschossen hatte. Das war ein schwerwiegender Verstoß gegen sämtliche Regeln und Anweisungen der Flotte, die auch Bordulak nicht einfach übergehen konnte. Die Meldung in der Residenz hätte Enschko vermutlich verschwinden lassen können. Lebende Zeugen waren aber immer ein Ärgernis, denn Tana Velatip und Donon Hafis waren nicht käuflich oder erpressbar. Es mochte sein, dass Tana von einer Meldung absehen würde, sollte Bordulak sich entschuldigen und auf eine anständige Weise mit ihr reden. Dazu musste er sie jedoch erst einmal finden und den aufrichtigen Versuch machen, ehrlich zu sein. In der augenblicklichen Stimmung des Kommandanten war jedoch nicht davon auszugehen, dass er zu einem Gespräch oder gar einer Entschuldigung bereit sein würde. Viel wahrscheinlicher war es, dass er wiederum das Feuer auf den Fluggleiter eröffnen ließ, sollte die kleine Maschine wieder in der Ortung erscheinen. Aber die Maschine tauchte nicht auf. Bordulak ließ die Besatzung unter seiner schlechten Laune leiden. Ein harmloser Wortwechsel zwischen zwei Mannschaftsgraden führte dazu, dass die beiden Männer in Arrest gesetzt und auf der Stelle degradiert wurden. Ein Funkspruch des anderen Raumschiffes mit dem Vorgesetzten von Bordulak bereitete der Verfolgungsjagd jedoch vorerst ein Ende. Auf dem Hauptbildschirm erschien das Gesicht von 194 �
Goromdal Bahadur. »Wer hat Ihnen den Befehl gegeben, den Planeten zu beschießen?«, fragte er scharf. »In meinen Protokollen ist nichts davon verzeichnet, dass Sie den Auftrag oder gar das Recht dazu hätten.« Bordulak erstarrte. Zuerst wollte er in seiner üblichen arroganten Art antworten, doch noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass er sich tatsächlich in einer schwierigen Situation befand. Und Kront Enschko hatte ihn dahin gebracht. Also sollte auch er seinen Kopf hinhalten. »Der Repräsentant von Corron hat mich um Amtshilfe gebeten«, erklärte er. »Auf dem Planeten befinden sich zwei Flüchtlinge, die in einen geplanten Aufstand verwickelt sind.« »Dann ist es immer noch meine Aufgabe darüber zu entscheiden, ob, wann, wo und wie die Norea eingesetzt wird«, kam es mit eisiger Schärfe zurück. »Auch der Repräsentant hat nicht das Recht, den normalen Dienstweg zu übergehen. Es mag schon sein, dass Sie beide in einer persönlichen Beziehung zueinander stehen, aber auch das rechtfertigt nicht den Durchbruch der Befehlshierarchie. Ziehen Sie sich auf der Stelle in die angewiesene Umlaufbahn zurück und warten Sie weitere Befehle ab.« »Es gibt auch noch einen orathonischen Spion…« »Ich werde mich darum kümmern. Ziehen Sie sich zurück!« Gegen diesen Befehl gab es keinen Widerspruch. Bordulak gab die entsprechende Order und zog sich in seine Kabine zurück. Er fühlte sich zutiefst gedemütigt, wusste aber, dass er im Moment nichts dagegen unternehmen konnte, da er sich in dieser untergeordneten Stellung befand. Er sollte sich bewähren, vermutlich hieß das auch, dass er Befehlen Folge leisten musste, die ihm widerstrebten. Er hatte nicht das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen. Um Bordulak vor weiteren Repressalien zu schützen, musste Kront Enschko seine Autorität in die Waagschale werfen. 195 �
Wie hätte Bordulak auch wissen sollen, dass längst ein weiteres Raumschiff auf dem Weg nach Corron war, in dem Hortek der Ankunft entgegenfieberte. Der Führungsoffizier der jungen Agentin machte sich Sorgen, dass Enschko gegen seinen Willen womöglich schon eine Treibjagd auf die Rebellen und besonders auf Velatip eröffnet haben könnte. Doch auch der Geheimdienstoffizier hatte keine Ahnung, dass die Corroni auf ihre Art dabei waren, das Gefüge der Laktonen ein bisschen durcheinander zu bringen. Ein erster Erfolg war jedoch die Einpeilung des Orathonen durch Kommandant Bahadur. Die Festnahme des Mannes war nur noch eine Frage der Zeit, aber noch vorher entzog sich der Spion durch Selbstmord dem Zugriff. Er nahm eine Überdosis Vexidol. Dessen Wirkung setzte schon nach wenigen Minuten ein. Es begann mit beißenden Schmerzen, als diese nachließen, verlor er seinen Verstand. Und als ihn Bahadurs Leute fanden, war er schon tot. »Haben Sie noch ein paar andere Überraschungen vorzuweisen?«, erkundigte sich Tana, nachdem sie staunend festgestellt hatte, dass der Modulator einwandfrei funktionierte. Hafis blickte sie spöttisch an. »Erzählen Sie mir im Gegenzug laktonische Staatsgeheimnisse?«, fragte er. Sie lachte auf. »Das wäre sicherlich zuviel von mir verlangt, Hafis. Mal abgesehen davon, dass ich nicht über Staatsgeheimnisse informiert bin, würde eine Laktonin niemals Geheimnisse preisgeben.« Da war sie wieder, die unsichtbare Mauer zwischen ihnen beiden. Er, Hafis, war wieder der Unterlegene, aus welchem Grund auch immer, der eigentlich gar keine eigenen Geheimnisse haben durfte. Auf der anderen Seite sie, die Laktonin, Mitglied eines mächtigen Volkes, das es nicht nötig hatte, um etwas zu bitten. Sie würden sich diese neue Technologie holen, früher oder später. Hafis wäre ein Dummkopf, würde er ohne Not zugeben, dass die corronischen Wissenschaftler noch 196 �
mehr erfunden hatten. Das war ihm auch klar, so dass er eine verneinende Geste machte. »Sie sollten sich besser Gedanken darüber machen, dass man uns nicht weiter beschießt. Wollen Sie sich nicht besser in der Residenz melden, damit auch von dort aus die Verfolgung einstellt?« »Mir scheint, Sie tragen den Kopf in den Wolken«, gab sie sarkastisch zurück. »Gerade von dort aus wird man versuchen, uns zu beseitigen. Oder warum hätte das Raumschiff sonst das Feuer auf uns eröffnet? Kein Kommandant, nicht einmal Bordulak, wird ohne Befehl von Kront Enschko die Jagd eröffnen. Also ist es reichlich gefährlich, mich dort zu melden, bevor nicht sichergestellt ist, dass man uns nicht weiter verfolgt. Auch wenn ich im Moment noch keine Möglichkeit sehe, wie ich das überhaupt herausbekommen soll«, setzte sie seufzend hinzu. Damit hatte sie natürlich nicht ganz Unrecht. Das Armbandgerät von Hafis gab mit einem dezenten Summen einen Anruf bekannt. Er meldete sich mit unterdrückter Stimme, lauschte und wurde ganz still. Seine Augen ruhten abschätzend auf Tana, musterten dann die Kontrollen, auf denen zu sehen war, wie weit sich der Fluggleiter jetzt in Richtung Wüste bewegte. »Und das könnt ihr jetzt sofort tun?«, fragte er seinen unsichtbaren Gesprächspartner. Wieder lauschte er eine Weile, dann wirkte er ausgesprochen zufrieden. »Ich glaube, unsere Flucht hat gerade um einige Prozentpunkte an Wahrscheinlichkeit zugenommen.« »Wie soll ich das verstehen?« »Meine Freunde – die Rebellen – werden uns unterstützen und mit einigen weiteren Fluggleitern Ablenkungsmanöver fliegen.« »Ja, aber jeder Gleiter hat…« »… seine eigene Kennung durch Emission und Abstrahlung, 197 �
meinen Sie? Aber ich bitte Sie, Velatip. Halten Sie uns wirklich für so dumm, das nicht zu wissen? Selbstverständlich haben wir dafür gesorgt, dass alle Gleiter dem gleichen Muster entsprechen. Wir haben jetzt gute Chancen, Agentin.« Bevor er Vollschub geben konnte, legte sie ihre Hand auf seinen Arm. »Was haben Sie eigentlich vor, Hafis?«, fragte sie ernsthaft. »Ich sagte es schon mehrmals. Ich will, dass mein Volk anerkannt wird. Und ich will Ihr Leben retten, vielleicht kann ich dann auch überleben. Falls nicht, nun gut, dann bin ich wohl ein Märtyrer für mein Volk. Sonst noch was?« Sie zuckte zurück wie unter einem Schlag. »Nein. Nein, natürlich nicht.« Hafis betätigte die Kontrollen, der Gleiter schoss davon. »Festhalten, jetzt wird es stürmisch.« Kront Enschko tobte. In der Residenz war eine Anfrage von Kommandant Bahadur eingegangen. Demnach bezog sich Bordulak mit seinem Einsatz auf ein Amtshilfeersuchen, über die Befehlsketten hinweg. Natürlich hatten Enschko und der junge Kommandant ihre persönliche Absprache, aber das ging doch nun wirklich keinen anderen etwas an. Nun gut, Velatip schien einiges in Erfahrung gebracht zu haben, was auch ihn brennend interessieren würde. Allein deswegen wäre es gut, sie lebend zu fassen. Sollte das aber nicht möglich sein, wäre auch ihr Tod eine Alternative. Um das Gesicht zu wahren und die lästige Situation endlich zu bereinigen, bestätigte er knurrend die Anfrage. Seine Überraschung war jedoch groß, als er zur Antwort bekam, dass die Raumpatrouille nicht autorisiert war, auf dem Planeten einzugreifen, solange noch keine offene Rebellion bestand. Er musste also umdisponieren. »Ich will, dass sofort jede verfügbare Maschine aufsteigt und nach den Flüchtigen sucht. Wer nicht gerade zum Wachdienst 198 �
oder für andere lebenswichtige Aufgaben eingeteilt ist, beteiligt sich an der Suche nach Aufständischen. Jeder, der sich auch nur im Geringsten verdächtig gemacht hat, wird auf der Stelle inhaftiert und verhört – mit allen Mitteln, wenn es sein muss. Ich will dieses Komplott aufdecken und zwar sofort. Und ich brauche Velatip. Also los, oder gibt es noch irgendwelche Fragen?« Niemand wagte es den Mund zu öffnen, ganz im Gegenteil. Alle hatten besondere Eile die Residenz zu verlassen und die Befehle eiligst auszuführen. Was sich allerdings als nicht ganz einfach erweisen sollte. Die Wachzentrale der Residenz war ein kleiner Raum, voll gestopft mit Technik. Monitore übertrugen die Bilder der zahlreichen Überwachungskameras, Daten der Luft- und Bodenortung liefen auf anderen Geräten ein, Lichter blinkten, Anzeigen wechselten in rascher Folge, und nur das leise Knacken gedrückter Schalter, wie auch das leise Summen der Aggregate durchbrachen die Stille. Drei Laktonen saßen hier und verfolgten mit hellwachen Sinnen die Anzeigen. Im Normalfall versahen hier nur zwei Leute den Dienst, und selbst die hatten nur wenig zu tun. Jetzt aber suchten sechs Augen nach einem Fluggleiter, den es offenbar gar nicht gab. Es war jedenfalls nichts zu finden. Bis zu dem Augenblick, da plötzlich eine ganze Reihe von Impulsen auftauchten. Wie aus dem Nichts waren sie erschienen, und alle trugen sie die gleichen Anzeigen wie der vermisste Fluggleiter. Hafis lachte zufrieden, als er die winzigen Impulse entschlüsselt hatte, die gerade auf seinem persönlichen Com-Link eingegangen warne. »Jetzt haben wir tatsächlich gute Chancen, davonzukommen.« »Auf die gleiche Art, mit der Sie gerade geflogen sind? Dann danke ich doch jetzt schon. Wer hat Ihnen eigentlich beigebracht, wie ein Selbstmörder den Luftraum unsicher zu machen?« Hafis schaute sie irritiert an, dann lachte er amüsiert auf, als 199 �
gäbe es überhaupt keine drohende Gefahr. »Das glaube ich ja nicht. Eine laktonische Agentin, die sich fürchtet? Tana Velatip, Sie sind einfach unglaublich. Sie werden doch nicht wirklich Angst haben, nur weil ich ein bisschen schneller geflogen bin, als es diese Maschinen eigentlich zulassen. Aber nein, mal ernsthaft, ich werde nicht weiter halsbrecherische Flugmanöver durchführen müssen. Ganz im Gegenteil, ich werde mich der Flugweise der anderen anpassen, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.« »Wer sind die anderen?«, fragte Tana interessiert. Hafis flog in eine weite Kurve und nahm dann wieder Kurs auf die Hauptstadt. »Ich bin im Begriff Ihnen ein weiteres Geheimnis zu verraten. Aber davon wissen Sie ja nun schon einen Teil. Wir besitzen eine ganze Reihe weiterer Pontas, und damit werden wir die Ortung der Laktonen ein wenig durcheinander bringen.« »Ich will jetzt gar nicht fragen, wie es Ihnen gelungen ist, an Fluggleiter heranzukommen, ohne eine Genehmigung dafür zu besitzen, Hafis. Aber sagen Sie mir doch, was verschweigen Sie mir sonst noch?«, fragte sie unwillkürlich. Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Für meinen Geschmack habe ich Ihnen schon viel zuviel preisgegeben. Sie erwarten doch nicht ernsthaft, dass ich noch mehr verrate. Lassen Sie uns jetzt einen gemütlichen Ausflug machen.« Er lenkte den Ponta über die Stadt, wo selbst mit bloßem Auge andere Maschinen zu sehen waren, allerdings auch solche, die den Laktonen unterstanden. Gleich darauf zeigte sich auch, dass dieser Flug nicht ungefährlich war, denn von der Bodenabwehr schossen helle Blitze hervor, suchten und fanden ihre Ziele. Gleißende rot-weiße Kugeln flammten auf, die Fluggleiter der Corroni lagen unter Beschuss. »Vorsicht«, schrie Tana entsetzt auf und sah einen Schuss 200 �
direkt neben dem Gleiter vorbeiziehen. Hafis reagierte mit unglaublicher Geschwindigkeit und zwang die Maschine in eine enge Kurve, lenkte dann hinaus, wieder zum Stadtrand. »Wohin wollen Sie eigentlich fliegen?«, fragte die Agentin. »Sie müssen doch ein Ziel im Auge haben.« »Habe ich auch, aber ich fürchte, das werden wir jetzt nicht erreichen.« Der Corrone flog ein weiteres Ausweichmanöver, offenbar wurde vom Boden und von den laktonischen Gleitern aus jetzt auf alles geschossen, was sich nicht sofort identifizierte. Tana konnte das nicht mehr länger mit ansehen. »Können Sie Ihre Leute erreichen?«, fragte sie ruhig. Hafis bejahte. »Dann einen Rundspruch, verschlüsselt, wenn möglich. Alle Maschinen sollen dicht am Boden fliegen, die Nähe von Gebäuden mit größeren Menschenansammlungen jedoch meiden, bis auf eines. Die Residenz. Niemand wird es wagen, das Haus zu beschießen, in dem der Repräsentant der Laktonen sitzt. Damit habt ihr alle eine gute Deckung.« Der Befehl wurde ausgeführt, und der Beschuss wurde tatsächlich geringer, weil die Gefahr bestand, dass die Residenz getroffen werden konnte. Wenig später schlugen jedoch fast alle Sicherungen durch, als ein Funkspruch aus einem landenden Raumschiff mit aller verfügbaren Energie gesendet wurde. Auf ganz Corron gab es kein Funkgerät, in dem die Sendung nicht empfangen wurde. »Hier spricht Hortek vom Geheimdienst. Im Namen des Schenta fordere ich alle laktonischen Soldaten auf, das Feuer einzustellen. Tana Velatip, ich bin sicher, dass Sie mich hören können. Wo auch immer Sie sich gerade befinden, geben Sie eine Nachricht, ob es Ihnen gut geht. Sollten Ihre Entführer das nicht zulassen, werde ich persönlich dafür sorgen, dass es morgen keinen Rebellen mehr auf Corron gibt. Ich stelle Ihnen ein Ultimatum. Innerhalb einer Stunde erwarte ich eine Nachricht von 201 �
Velatip, andernfalls werde ich keine Gnade walten lassen. Ich rate allen Rebellen, sich daran zu halten. Und ich erwarte vom Repräsentanten, dass er schnellstens die entsprechenden Befehle gibt. Meine Legitimation dürfte unzweifelhaft sein.« Mit einem lauten Knacken brach die Funksendung ab, und Tana lachte erleichtert auf. Das war doch tatsächlich das erste Mal, dass sie so etwas wie Sorge von Hortek spürte. Auffordernd schaute sie Hafis an. Doch der wirkte plötzlich ganz anders. »Nun, worauf warten Sie, Hafis? Fliegen Sie am besten direkt zum Raumhafen. Ich werde dort erwartet. Jetzt muss ich mir keine Gedanken mehr machen, ob ich heil bis in die Residenz komme.« Sie wollte zum Funkgerät greifen, um ihre Meldung durchzugeben, doch in diesem Augenblick griff Hafis heftig nach ihrem Arm. »Ich habe gar nicht gewusst, wie wichtig Sie für das Laktonische Reich sind. Man schickt doch wirklich einen Geheimdienstoffizier, der im Namen des Schenta sprechen darf. Das ist außerordentlich bemerkenswert, Agentin Velatip. Glauben Sie ernsthaft, dass ich eine so wichtige Frau einfach ziehen lassen kann?« Sie starrte ihn erschreckt an. »Haben Sie nicht gehört, was Hortek tun wird, wenn ich nicht…« »Ich habe gehört, dass wir eine Stunde Zeit haben, Edle Dame«, kam es spöttisch. Die Barriere zwischen den beiden wuchs innerhalb von Sekundebruchteilen. Hatten sie bis vor wenigen Minuten noch das gleiche Ziel gehabt, nämlich zu überleben, so ging es jetzt nur noch darum, wer den anderen beherrschte. Tana spürte die Feindseligkeit in dem Corronen. Hatte sie den richtigen Augenblick verpasst, um diese Farce von einer Entführung zu beenden? Sie erinnerte sich daran, was sie in ihrer Ausbildung gelernt hatte. Es sollte kein größeres Problem sein, den Mann zu 202 �
überwältigen. Dann konnte sie zurückkehren und Hortek sogar den Anführer der Rebellen überreichen. Auftrag ausgeführt, Ende der Episode. Doch Hafis war nicht so leicht zu überrumpeln, das hätte sie mittlerweile wissen müssen. Kaum hatte sie zu einem Haltegriff angesetzt, mit dem sie sich nicht nur aus seiner Umklammerung befreien, sondern ihn auch selbst festhalten wollte, machte er schon die entsprechende Abwehrbewegung. Dadurch musste er sie zwar loslassen, konnte aber verhindern, dass er in ihre Gewalt geriet. »So nicht, Agentin Velatip«, höhnte er. »Offenbar ist unsere Partnerschaft abrupt beendet worden, schade eigentlich. Sie waren auf dem besten Wege, ein wenig Verständnis für uns zu entwickeln. Das scheint schlagartig anders geworden zu sein. Aber ich habe vor, diese eine Stunde zu nutzen. Noch sind wir nicht am Ende.« »Hortek wird den Planeten in Schutt und Asche legen lassen, wenn Sie sich weigern, mich freizugeben.« Mit flammenden Blicken musterte sie Hafis, der sich wenig beeindruckt zeigte. »Mein Volk liegt bereits in Schutt und Asche. Er würde also nur etwas bestätigen, was bisher schon eine Tatsache ist.« »Aber ich könnte versuchen, bessere Bedingungen für Sie zu erreichen.« »Nein. Das werden Sie nicht schaffen. Das würde auch eine neue Rebellion nicht schaffen, dessen bin ich jetzt sicher«, sagte Hafis leise. Dann forderte er über Rundruf seine Mitstreiter auf, sich zu sammeln, gleich darauf staunte Tana nicht schlecht, als sie fast dreißig Fluggleiter zählte, die offenbar alle zu den Aufständischen zählten. Hafis schlug wieder den Weg zur Wüste ein. »Noch einmal, was haben Sie vor?«, fragte die Agentin. »Als Geisel bin ich Ihnen zu nichts nutze, das werden Sie doch schon 203 �
eingesehen haben.« »Wirklich?«, fragte er süffisant. »Ich frage mich, ob jemand, der bereit ist, sich über die Befehle des Repräsentanten hinwegzusetzen, wirklich riskieren will, dass seine Agentin stirbt. Ich glaube eher, dass dieser Hortek zu einem Kompromiss bereit sein wird. Sie tragen eine Menge Wissen mit sich herum, darauf wird er nicht verzichten wollen.« Er hatte nicht ganz Unrecht, wie Tana eingestehen musste. Es ging um die Informationen, die sie gesammelt hatte, nicht um ihre Person, da gab sie sich keinen Illusionen hin. Und Hafis war derjenige, der noch mehr Informationen besaß, als sie im Augenblick schon hatte. Er musste zu Hortek, damit der auch den Rest aus ihm herausholen konnte. Mochte sie auch noch so viel Verständnis und Sympathie für die Corroni empfinden, an erster Stelle stand Lakton. Tana explodierte förmlich. Aus dem Stand heraus sprang sie auf, griff den Mann an und trieb ihn in die Enge. Hier an Bord war ohnehin nur wenig Platz, er konnte nicht ausweichen. Und natürlich war sie in allen Arten des Kampfes geübt, so blieb es eine recht einseitige Aktion, Hafis war von Anfang an unterlegen. Er lag am Boden und schaute sie mit offenen Augen traurig an. »Ich hatte so sehr gehofft, wir könnten zu einer Verständigung kommen«, sagte er gepresst. Tana hatte nichts, um ihn zu fesseln, also schlug sie ihn bewusstlos, gab einen kurzen Funkspruch an die übrigen Rebellen, sich gesammelt anzuschließen, weil sonst Hafis sterben müsste, und nahm Kurs auf den Raumhafen. So einfach sollte es denn aber doch nicht gehen. Einige der anderen Maschinen waren bewaffnet, die Piloten begannen zu feuern. Kront Enschko zitterte vor Wut. Dieser Hortek benahm sich wie der Schento persönlich. Nach seiner Landung auf dem 204 �
Raumhafen war er in rasender Eile zur Residenz geflogen und hatte sämtliche offiziellen Protokolle durchbrochen. Noch hatte der Repräsentant die entsprechenden Befehle nicht weitergegeben, war im Gegenteil damit beschäftigt gewesen sich über die Anmaßung des Geheimdienstlers aufzuregen. Dann hatte Hortek unvermittelt im Raum gestanden, kühl, arrogant, wütend. »Ich dachte eigentlich, meine Anweisungen waren klar und verständlich«, sagte er ätzend. »Oder ist es für jemanden in ihrer Position so schwer zu verstehen, dass das Leben meiner Agentin gerettet werden muss? Diese Frau besitzt mehr Informationen als Sie in zehn Jahren ausfindig machen könnten. Ich werde nicht zulassen, dass Velatip zu Tode kommt.« Zähneknirschend hatte Enschko alle Befehle gegeben und zugesehen, wie Hortek sich mit Bahadur an Bord des Patrouillenschiffes in Verbindung setzte. »Unter den Gleitern der Rebellen ist ein Kampf ausgebrochen«, kam plötzlich die Meldung. Der Offizier wirbelte herum. »Sofort Hilfe leisten. Lassen Sie sechs Fluggleiter aufsteigen. Bahadur, können Sie und die Norea Geleitschutz fliegen? Dann wird es niemand wagen…« Der Kommandant des Raumschiffes bestätigte, wenig später schossen aus dem Weltraum violette Strahlen, trafen jedoch keine der gegnerischen Maschinen, es handelte sich um reine Warnschüsse. Jetzt ließ der Beschuss der Rebellen nach, sie sahen ein, dass sie nicht gewinnen konnten. Tana atmete auf. Jetzt konnte sie in kurzer Zeit in Sicherheit sein. Sie versuchte Hortek zu erreichen und war erleichtert, sein Abbild auf dem Bildschirm zu erblicken. »Warum haben Sie nicht mehr Vorsicht walten lassen, Velatip?«, fuhr der Führungsoffizier seine Agentin an. »Ich habe wahrhaftig noch mehr zu tun, als mich um verschollene Anfänger zu kümmern. War das wirklich nötig? Habe ich ihnen denn 205 �
nicht mehr beigebracht?« Die Rüge störte sie in diesem Augenblick wenig. »Ich bringe Ihnen ein Geschenk mit«, sagte sie, als hätte sie sich nur zu einem Einkaufsbummel außerhalb aufgehalten. »Ich habe den Anführer der Rebellen hier an Bord. Er wird uns noch einiges zu erzählen haben.« »Ich fürchte, ihr Geschenk macht sich gerade selbstständig«, sagte Hortek mit seltsamer Betonung und fixierte einen Punkt hinter ihr. Ein Gefühl sagte ihr, dass sie offenbar einen großen Fehler gemacht hatte. Hafis war vorzeitig wieder zu sich gekommen, und er hatte nicht die Absicht, sich so einfach in die Residenz bringen zu lassen. Aber er war noch zu benommen, um Tana wirklich gefährlich zu werden. Der Kampf dauerte nicht lange, dann lag der Mann geschlagen am Boden. Hasserfüllt starrte er sie an. »Warum?«, fragte er leise. »Hat es Ihnen nicht genügt, die Rebellion verhindert zu haben? Warum müssen Sie mich so demütigen? Ich kann nicht zulassen, dass man mich verhört, das ist Ihnen doch klar, oder nicht? Leben Sie wohl, Tana Velatip, Sie sind wirklich eine Bereicherung für das Laktonische Reich.« Ohne dass sie sofort wusste, was er tat, beobachtete sie, wie Hafis seinen Siegelring drückte. Ein feiner Giftstrahl gelangte ins Blut, verteilte sich und ließ ihn schmerzerfüllt stöhnen. So hatte er das offenbar nicht geplant. Sein Gesicht verzerrte sich. »Verdammt«, schrie Tana, als ihr aufging, dass er gerade versuchte, sich selbst zu töten. »So kommst du mir nicht davon«, stieß sie hervor, aber sie konnte natürlich nichts mehr tun, musste sich im Gegenteil um die Steuerung des Fluggleiters kümmern. Ein wenig unsanft setzte die Maschine im Hof der Residenz auf, aber da lebte Hafis schon nicht mehr. Tana kam heraus, Hortek erwartete sie bereits. Die Laktonin sah nicht die Erleichterung darüber, dass sie noch lebte, sie 206 �
bemerkte nur den grimmigen Blick und musste beschämt eingestehen, dass sie ihren Auftrag verpatzt hatte. Aber eigentlich war sie viel zu erschöpft, um längere Zeit seinem Zorn standzuhalten. Sie taumelte, und Hortek fing sie auf, bevor sie zu Boden fallen konnte. Kront Enschko kam angelaufen, betrachtete voller Abscheu den Leichnam von Hafis und wirkte dann äußerst besorgt, als er zu Zustand von Velatip bemerkte. Hortek ließ sie in ihr Zimmer bringen, ein Arzt kümmerte sich um sie. Unterdessen führten Enschko und Hortek eine geheime Unterredung. »Dieser ganze Einsatz stand unter keinem guten Stern«, begann der Geheimdienstler. »Ich hatte gehofft, es wäre Ihnen möglich, zusammen mit Velatip hier auf Corron dafür zu sorgen, dass es zu keinem weiteren Aufstand kommt. Sie hatte einen festumrissenen Auftrag, nur haben Sie mit Ihren Anweisungen und Befehlen dafür gesorgt, dass es meiner Agentin fast unmöglich wurde, ihre Arbeit auszuführen. Aber ich denke, die Sache kann unter uns bleiben, Enschko. Ich persönlich würde es jedenfalls vorziehen, keinen Bericht an den Schenta abgeben zu müssen, der Sie und Ihre Familie in ein schlechtes Licht setzt.« Genau das war dem Repräsentanten auch schon durch den Kopf gegangen. In seinem Ehrgeiz legte er Wert darauf, erfolgreich dazustehen, um so schnell wie möglich einen besseren Posten zu bekommen. Wenn er sich zur Erreichung dieses Ziels mit dem Geheimdienst arrangieren musste, würde er auch das tun. »Ich lege keinen größeren Wert darauf, dass die ganze Geschichte breitgetreten wird«, sagte er also. »Aber ich hatte ja keine Ahnung, dass Ihnen soviel an dieser – dieser Agentin liegt. Sonst hätte ich von vornherein den Versuch gemacht, mit ihr zusammenzuarbeiten.« »Es spricht nicht für Ihre überragende Intelligenz, dass Sie die 207 �
Absicht nicht gleich durchschaut haben«, merkte Hortek etwas spöttisch an. »Eigentlich gelten Sie als klug, hier haben Sie sich offenbar durch unangebrachte persönliche Eitelkeiten verleiten lassen…« »Aber mein lieber Hortek, das ist doch alles nicht mehr wichtig«, beeilte sich Enschko die Sache herunterzuspielen. »Falls Sie es wünschen, werde ich mich ganz offiziell bei Tana Velatip entschuldigen. Sollte sie in irgendeiner Form Wiedergutmachung verlangen…« »Das wird sie ganz sicher nicht«, unterbrach jetzt der Offizier den anderen und ging hinaus, um nach seiner Agentin zu schauen. »Nun, werde ich in Zukunft in irgendeiner unterirdischen Station mein Leben fristen?«, fragte Tana bitter, als sie ausgeschlafen mit Hortek beim Frühstück saß. »Ich glaube nicht, dass ich eine unterirdische Station finden werde, die Ihrer Dummheit angemessen ist«, erwiderte er lächelnd. »Sie werden also auch weiterhin Ihren Dienst als Agentin versehen müssen. Und Sie tun gut daran, sich mit Kront Enschko zu arrangieren, er wird auch in Zukunft Ihr offizieller Vorgesetzter sein.« Tana seufzte. »Hier auf Corron?« »Darüber ist noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden. Warum? Sie haben doch nicht etwa besondere Sympathien für die Corroni entwickelt? Hafis Tod war unnütz und vermeidbar, das lassen Sie sich gesagt sein. Ich will niemals wieder eine solche Situation glatt bügeln müssen.« »Ich kann nicht sagen, dass ich besondere Sympathien entwickele, ich frage mich nur, ob die Corroni nicht in gewisser Weise recht haben«, wandte sie ein. »Was soll das heißen?« Seine Stimme wurde schärfer. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Hortek. Aber ich habe 208 �
mich oft und lange mit Hafis unterhalten. Die Rebellion der Corroni hat nicht die Unabhängigkeit zum Ziel, wie die meisten von uns glauben. Die Corroni wollen nichts weiter als Anerkennung und eine Partnerschaft. Ist das nicht ihr gutes Recht? Und liegt es nicht an uns, diesem Volk Respekt entgegenzubringen, denn schließlich beuten wir es ja in gewisser Weise aus. Was kostet es uns schon, Respekt und Höflichkeit zu entwickeln? Im Endeffekt dürften die Kosten sogar geringer werden, denn die Corroni werden uns ihre Dienste mit Freude zur Verfügung stellen, weil sie sich anerkannt und geschätzt fühlen.« So, jetzt war es heraus. Mit Bangen schaute Tana auf den Mann, der sie mit einem undefinierbaren Blick musterte. »Ist das Ihre persönliche Meinung, Tana? Oder ist das die Ansicht eines Toten, der nichts anderes im Sinn hatte als unserem Volk, dem Laktonischen Reich, zu schaden, wo er nur konnte? Glauben Sie das wirklich, was Sie da gerade sagen? Oder wiederholen Sie nur einige Schlagworte, die keine tiefere Bedeutung haben, die im Gegenteil sogar subversiv sind? Überlegen Sie gut, Tana, stellen Sie keine persönlichen Ansichten, die durch besondere Ereignisse beeinflusst wurden, vor die Erfordernisse des Reiches.« »Aber das tue ich doch gar nicht«, behauptete sie. »Ich habe doch gerade versucht, Ihnen klarzumachen, dass es für unser Reich von Vorteil ist, wenn die Corroni freiwillig mit uns zusammenarbeiten.« »Hm.« Hortek blickte nachdenklich drein. »Und Sie würden das auch für die anderen Völker in dieser Form gelten lassen? Die Carghesi, die als die besten Metallurgen bekannt sind; die Veelaner, die als eines der besten Völker von Einzelkämpfern gelten; die Gorrhesen, die die besten hydroponischen Gärten bauen. Und so weiter, und so weiter. Ihnen allen wollen Sie eine Partnerschaft zugestehen, nur weil Sie es für die Corroni so wol209 �
len, was natürlich Auswirkungen hat? Die Orathonen werden uns und jedes andere Volk überrennen, sobald wir auch nur das geringste Anzeichen von Schwäche zeigen. Partnerschaft mit unterlegenen Völkern ist Schwäche, Velatip. Eine Schwäche, die wir uns nicht leisten können, denn der Krieg gegen die Orathonen tritt gerade in ein entscheidendes Stadium. Sie haben tatsächlich die Stirn, unserem Reich eine Partnerschaft vorzuschlagen, die uns in eine unterlegene Position bringt?« »Warum?«, fragte sie fast verzweifelt. »Warum bringt uns das in eine unterlegene Position? Ist es nicht viel klüger, jemanden an seiner Seite zu haben, der freiwillig kämpft?« »Sie betreten da ein diplomatisches Land, von dem Sie absolut keine Ahnung haben«, rügte Hortek scharf. »Dann bitte ich um Aufklärung«, forderte sie kühn. Der Führungsoffizier schwieg. Er betrachtete seine Untergebene lange und seufzte dann. »Sie lassen mir keine Wahl, Velatip. Ich verstehe Ihre Zweifel in diesem Fall, aber ich kann nicht zulassen, dass auch nur ein Wort dieses Gesprächs, ja, dieser Gedanken, diesen Raum verlässt.« »Sie wollen mich jetzt töten?«, fragte sie erschreckt. Doch tief im Innern war sie überzeugt davon, dass sie lieber sterben würde, als ihre eigenen Überzeugungen zu verraten. Sie waren das einzige, was ihr selbst gehörte. Schade, dass Hortek sie nicht verstand, aber sie war nicht bereit, auch nur einen Schritt von ihrem eigenen Weg abzugehen. Dennoch würde sie sich seinen Befehlen beugen, was auch immer er jetzt anordnete, selbst wenn es um ihren eigenen Tod ging. Sie hatte dann wenigstens die Gewissheit, mit etwas Eigenem zu sterben. »Warum sollte ich Sie töten lassen?«, fragte er mit gespielten Erstaunen, während er wie zufällig an seinem Com-Link hantierte. »Sie sind eine hervorragende Agentin, Velatip. Ja, Sie dür210 �
fen mir ruhig glauben, auch wenn ich bisher nie etwas darüber gesagt habe. Aber Sie sind gut, wirklich gut. Es würde mir nur sehr schwer fallen, Sie von Ihrem Posten abzuziehen oder gar in einen untergeordneten Stützpunkt versetzen zu lassen. Dazu erscheint es mir aber notwendig, dass Sie ihre Position klar definieren. Haben Sie Verständnis, Sympathie, was auch immer für die Corroni? Sind Sie der Ansicht, dass wir Laktonen einen Fehler machen?« Tana spürte plötzlich einen eisigen Schauder über ihren Rücken laufen. Die Frage von Hortek schien so simpel. Und doch wirkte sie wie Sprengstoff. Sollte sie eine falsche Antwort geben, würde das ihre Vernichtung bedeuten. Aber dachte sie nicht nur an den Vorteil des Laktonischen Reiches? Tana wurde absolut unsicher, was sollte sie sagen? »Ich habe während meiner Entführung tatsächlich so etwas wie Verständnis entwickelt, weil die Corroni ein stolzes Volk sind, das es verdient, ernst genommen zu werden. Was kostet es uns schon, sie zu unseren Partnern zu machen?«, versuchte sie einen Mittelweg zu finden, doch Hortek fuhr empört auf. Seine Augen funkelten wütend, und sie verstand seine Aufregung nicht, die durch seinen starken Geruch nur noch unterstrichen wurde. »Sie haben offenbar zu lange unter den Corroni gelebt«, sagte er kalt. »Kein Volk, das wir erobert haben, kann unser Partner sein. Und Ihre Ansichten und Zweifel sind in höchstem Maße gefährlich. Velatip, ich fürchte, ich habe Ihnen eine schlechte Nachricht zu überbringen. Sie werden nicht mehr länger auf Corron bleiben können.« Wie aus dem Nichts öffnete sich die Tür, einige Bewaffnete traten ein und richten ihre Waffen drohend auf Tana. »Ich stelle Sie hiermit unter die Vormundschaft des Geheimdienstes. Sie werden auf den Planeten Markhab gebracht, wo Sie einer Identitätsüberprüfung und Neuordnung unterzogen wer211 �
den. Es tut mir leid, Tana, aber Sie haben sich zu sehr von diesen verrückten Gedanken infizieren lassen. Das kann ich einfach nicht zulassen. Sie sind zu wertvoll für das Laktonische Reich. Ich brauche Sie, Tana, das Laktonische Imperium braucht Sie. Auf keinen Fall darf ich zulassen, dass Sie sich auf die falsche Seite stellen. Ich muss so handeln, auch wenn es mir selbst weh tut, Tana. Bitte verzeihen Sie mir. Hier stehe ich, ich kann nicht anders.« Die Bewaffneten machten ihr ein Zeichen. Tana stand auf, sie wusste, dass Widerstand zwecklos war. Das hieß noch längst nicht, dass Hortek gewonnen hatte. So einfach würde sie sich nicht einer Gehirnwäsche unterziehen, denn genau das war es, was er gerade angeordnet hatte. Eine Gehirnwäsche, um jeden Gedanken an Humanität und Verständnis aus ihrem Geist zu löschen. Es würde sicher noch verschiedene Möglichkeiten geben, ihren Bewachern zu entfliehen. Sie wollte sie selbst bleiben. Auf keinen Fall durfte man sie… »Neeeeeein!« Der Schrei gellte durch die endlosen Räume der Klinik auf Markhab, als man Tana Velatip aus ihrem Quartier in den Behandlungsraum brachte. Seit mehr als zehn Tagen befand sie sich hier, immer wieder hatte sich ein Psychiater mit ihr und ihren Ansichten beschäftigt. Aber es war ihr nicht gelungen, dem anderen klarzumachen, dass ihre Ansicht einer klaren gesunden Auffassung entsprang. Man hatte sie behandelt wie eine Geächtete, nein, schlimmer noch, wie eine Geisteskranke. Mit der Geduld und dem Mitgefühl, das man einer Schwerkranken entgegenbrachte, war Tana in dieser Klinik aufgenommen worden. Man hatte sie wie eine besondere Persönlichkeit behandelt, und doch war sie unter strengster Bewachung gestanden. Nicht einen Schritt hatte sie unbeobachtet tun können, selbst im Schlaf war sie überwacht worden. Tana gab sich keinen Illusionen hin, sie ahnte, was ihr hier 212 �
bevorstand. Eine Gehirnwäsche, nach der sie nicht mehr sie selbst war. Man würde ihre Persönlichkeit umformen, sie würde in Zukunft nur noch eine Marionette des Laktonischen Reiches sein. Und genau das wollte sie nicht. Längst hatte sie sich selbst beschimpft, nicht klüger vorgegangen zu sein. Sie hätte Hortek in Sicherheit wiegen müssen, ihm vorgaukeln, dass sie vollkommen durchdrungen war von den laktonischen Idealen. Was nutzte schon eine Partnerschaft mit den Corroni? Ein unterlegenes Volk war nur dazu da, den Interessen der Laktonen zu dienen. Warum hatte sie das nicht erkannt? Und vor allem, warum hatte sie das nicht gesagt? Auch wenn es gegen ihre eigene Überzeugung verstieß! Jetzt war es zu spät. Ihr Aufschrei verlief irgendwo im Nichts. Tana Velatip wurde auf einem Stuhl festgebunden, man brachte Elektroden an ihrem Kopf an, sie erkannte niemanden, denn die Gesichter waren verhüllt und gaben nichts von der wahren Existenz preis. Tana empfand das wie ein Todesurteil, aber tief in ihrem Innern hatte sie schon mit sich selbst abgeschlossen. Kein Laktone würde ihr eine Träne nachweinen, ihren Eltern würde eine Nachricht zuteil werden, nach der ihre Tochter im Einsatz das Leben verloren hatte. Wer auch immer später von diesem Stuhl aufstand, diejenige hatte nichts mehr mit Tana Velatip zu tun. Sie war nichts weiter als ein totes Abbild, eine tote Agentin, die keinerlei Erfahrung besaß, doch auf einiges zurückgreifen konnte, was niemand je bestätigen würde. Tanas Schrei verklang im Nichts. Es gab keine Hilfe mehr. Das letzte, was sie bewusst aufnahm, war das Gesicht einer Frau, die keinerlei Mitgefühl entwickelte. Kalte Augen gehörten zu der Person, die den Schalter drückte, als Velatip ihre eigene Persönlichkeit verlor.
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Epilog � Ierra Kretan stand in ihrem Zimmer in der Klinik auf Markhab. Sie wusste, dass sie endlich ihre eigenen Probleme überwunden hatte. Wer oder was auch immer ihre Situation hervorgerufen hatte, sie hatte dieses Problem überwunden. Kretan befand sich in einer absolut sicheren Position, sie wartete nur auf den Auftrag, der sie auf einen bestimmten Posten setzte und ihr einen bestimmten Auftrag gab. Kretan fragte sich kurz, warum sie überhaupt auf Markhab stationiert gewesen war, schließlich galt sie als eine der besten Agenten des Laktonischen Reiches. Hatte sie einen Unfall gehabt, an den sie sich nicht erinnern konnte? Oder gab es andere Gründe, dass man ihre Persönlichkeit hatte neu aufbauen müssen? Ierra Kretan hielt den Kopf hoch, niemand würde sie und ihre Überzeugungen jemals in Unruhe bringen können. Sie wusste nichts mehr davon, dass sie in Wahrheit Tana Velatip gewesen war. Sie hatte keine Erinnerung mehr an ihr früheres Leben. Zurück in ihrem Quartier betrachtete sie die Nachricht, die in ihrer Abwesenheit gekommen war. Sie hatte einen neuen Auftrag bekommen. Kurz überlegte sie, ob sie nicht schon etwas damit zu tun gehabt hatte. Sie sollte zum engen Mitarbeiterstab des Chefwissenschaftlers Fan Kar Kont gehören, auf einem Planeten namens Teckan, einem Planeten, der von Wissenschaftlern bevölkert war, unter denen man subversive Aktionen vermutete. Gut, ein Auftrag, wie er ihr und ihren Fähigkeiten angemessen war. (mehr dazu in den Rex Corda-Romanen ab Nummer 21) Aber warum dann als persönliche Assistentin und nicht selbst 214 �
als Wissenschaftlerin? Schließlich war sie auch Mathematikerin. Was also hatte das zu bedeuten? So wurde Tana Velatip, die Agentin des Laktonischen Reiches, zu Ierra Kretan, einer bemerkenswerten Persönlichkeit, die niemand so recht einordnen konnte. Ierra Kretan landete mit einem Raumschiff auf Teckan, und im gleichen Augenblick wusste sie, dass hier alles anders lief, als jemand es bisher geplant hatte. ENDE
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Rex Corda-Glossar � Mit Sternchen * versehene Begriffe in Kursivschrift* werden als eigenes Stichwort behandelt. Quellennachweise: [C1] = Rex Corda – Retter der Erde (Classics, also die überarbeiteten Hefte) [N1] = Rex Corda Nova (Corda Einzelabenteuer) [SigAg1] = Sigam Agelon – Schatten über der Galaxis (Corda Spinoff-Serie) [C3] bedeutet z. B. dabei, dass es sich um den 3. Band der Classic-Serie handelt, und [SigAg4] um den 4. Band von Sigam Agelon. Diese Angaben stehen in eckigen Klammern. AA-2-Klasse – Kampf-Roboter der Laktonen* mit klobigem Aussehen. Mit ihren zylindrischen, kopflosen Körpern mit dem Linsenring an der Oberkante und den darunter befindlichen Abstrahlschlitzen, sowie den eingebauten Schockern, Thermostrahlern und Raketenwerfern (Railing-Guns) sind diese Roboter gefährliche vollautomatische Kampfmaschinen. [C1] Energie-Taster – ein kleines Gerät der Laktonen*, das wie eine Uhr am Handgelenk getragen wird. Der E-T ermöglicht es, den Energieumsatz der Orathonen* zu orten. Praktisch ist er ein Warngerät. Enschko, Kront – laktonischer Beobachter (Diplomat) auf der Erde. ein schlanker hagerer Mann, dessen verkniffener Mund seine Arroganz verrät. Blitzende Schmuckstücke zieren seine Finger und seine Handgelenke. Die kräftigen Muskeln springen unter dem dünnen Stoff seiner Bluse hin und her. Er hat eine scharfe, 216 �
unangenehm zwingende Stimme. [C11] FAMILIE – Bezeichnung für das Herrschergeschlecht der Orathonen*. Es handelt sich um die Nachkommen jenes Kolonistenraumers, dessen Besatzung auf einer unbesiedelten Welt den Grundstein für das Sternenreich gelegt hat, das nun diesen Teil der Galaxis dominiert. [C1] Ferga – Heimatwelt der Laktonen*. Schwerkraft 1,5 g. Sitz der Schenna*. Pracht- und Prunkstück des Laktonischen Reiches. Ein Planet, der mit die größten Reichtümer der Milchstraße in sich birgt. Er ist nur über eine Transmitterverbindung zu erreichen, die gleichzeitig Individualkontrolleur ist. Schärfste Kontrollen machen es so gut wie unmöglich, diese Sperre zu durchbrechen. Galaktischer Krieg – Auseinandersetzung zwischen Orathonen* und Laktonen*. Mitte 1992, kurz nach Beginn der Orathonisch/Laktonischen Invasion der Erde ist bekannt, dass der G.K. seit 4897 Jahren TerraZeit andauert, was gleichbedeutend ist mit 5020 Jahren Ferga-Zeit (Lakton-Zeit, das bedeutet 1 Terra-Jahr = 1,025 Ferga-Jahre / 1 Ferga-Jahr = 0,975 Terra-Jahre). Der G. K. begann also nach unserer Zeitrechnung im Jahr 2905 v. Chr. [C1] Gravolift – Beförderungsmittel, das den Zustand der Antigravitation ausnutzt; die technische Möglichkeit, Gravitationswirkungen auf Masseobjekte aufzuheben. Die Schwerkraft wird innerhalb des Liftes entweder ganz aufgehoben oder durch Polung in die gewünschte Richtung gelenkt. Es genügt ein leichtes Abstoßen, um langsam nach oben oder unten zu schweben. Dafür sorgt eine Art Fesselfeld um den zu 217 �
transportierenden. Ständige Überwachung durch mehrere Computer sorgt dafür, dass dem Passagier nichts geschehen kann. Zusätzlich existiert neben dem G. eine Nottreppe. [C5] Holograf – Bildschirm der Laktonenraumschiffe. Liefert ein dreidimensionales, völlig naturgetreues farbiges Abbild der Umgebung. Die holografische Darstellung ist so täuschend echt, dass ein Betrachter bei einem lebensgroßen Bild das Empfinden hat, mitten in der Szene zu sein. Hyperraum – Über- oder Zwischenkontinuum, in dem unser Universum eingebettet liegt, das Geschwindigkeiten erlaubt, die über denen des Lichts liegen. Die Dimensionen des Hyperraums sind unbekannt. Tatsache ist, dass es im Hyperraum keine Zeit- und Entfernungsbegriffe gibt, darum erfolgt jedes Eintauchen durch den Hyperraum, ohne Zeitverlust. Es ist möglich, Beobachtungen aus dem Hyperraum heraus in das Normalkontinuum zu führen und umgekehrt. Es ist ebenfalls möglich, von einem Raum in den anderen zu kämpfen. Der Hyperraum verfärbt die Angriffswaffen und überzieht sie mit einem seltsamen Lichtglanz. Beim Eintauchen in den Hyperraum werden nahe Objekte für wenige Augenblicke zu roten Streifen. Beim Verlassen des Hyperraums tritt ein leichtes Prickeln auf der Haut auf. Kretan, Ierra – (* 1962) schwarzhaarige, hochbegabte laktonische Mathematikerin, die zum engen Mitarbeiterstab des Chefwissenschaftlers Fan Kar Kont gehört. Goldbrauner Teint; dunkle Mandelaugen; schmale, etwas zu streng wirkende Nase sowie kleine volle Lippen; für laktonische Verhältnisse ist sie klein und zier218 �
lich. Ein kirschroter Ring ziert ihre rechte Hand. Im Dienst trägt K. eine dunkelgrüne Kombination der laktonischen Wissenschaftler mit einem schmalen hellen Gürtel und anthrazitfarbenen Stiefeln aus Kunststoff. Ihr richtiger Name ist Tana Velatip*. Sie war laktonische Agentin auf dem Planeten Teckan*. [C10 & N4] Kynother – (der Kynothe, die Kynothin, des Kynothers, pl.: die Kynothen, kynothisch) außerirdisches Volk, klein, knabenhaft, blaue Haare, sie gelten als ausgezeichnete Dolmetscher. Arbeiten eng mit den Laktonen* zusammen. Bekanntester Kynother bei den Terranern ist Ga-Venga*. [C1] Lakton – Staatsform: Mischung aus Demokratie und Monarchie. An der Spitze des Staates steht der Schenna*. Die Regierung der Laktonen besteht aus dem Sternenrat, in dem die verschiedenen Vertreter der einzelnen Sonnensysteme sind. Dazu gibt es den Rat der Sektoren (ein Sektor bedeutet sechs bis zwölf bewohnte Planeten). Die Schwerkraft von Lakton beträgt 1,5 g. Politisches: Sitz der Abgeordneten der einzelnen Planeten ist das Parlament. Aus diesem Gremium wird die eigentliche Regierung gestellt. Um ein Gesetz zu verabschieden, muss folgender Weg eingehalten werden: Regierung – Sternenrat – Rat der Sektoren – Regierung – Schenna – Regierung. Lakton umfasst einen Spiralarm von 400 bewohnten Planeten. Auf dem zentralen Planeten Ferga* ist der Sitz des Schenna*. Auf Lakton selbst sitzen Regierung und Räte. Zu Lakton gehören mehr als 3.000 Sonnensysteme mit mehr als 7.000 Welten. [C1] 219 �
Laktonen – (der Laktone, die Laktonin, des Laktonen, pl.: die Laktonen, laktonisch) humanoides außerirdisches Volk, vom menschlichen Standpunkt aus fettleibig; Durchschnittsgröße ca. 1,98 m. Aussehen: Sie sind sehr menschenähnlich, was Größe und Farbe der Haut, der Haare und der Augen betrifft. Besonderer Unterschied: Sie haben rötliche Zähne. Laktonen besitzen rotes Blut. Laktonen haben einen herben Körpergeruch, der je nach Situation schärfer wird. [C1] Charakter: Sehr stolz und selbstbewusst. Sie sind keine harmlosen Blender, sondern echte Gegner, die stets brandgefährlich sind. Laktoran – die Hauptsprache des Laktonischen Reiches, die von Menschen auch als laktonisch bezeichnet wird. [N3] Magnet-Smash – abgekürzt MAS; Waffe der Laktonen*, bleistiftdünnes Gerät mit kleinem Abzugshebel. Verschießt winzige Stahlnadeln, die einen starken Elektroschock verursachen, sobald sie auf Metallhaut, z. B. von Robotern, auftreffen. Spezialwaffe gegen Bronzeroboter*. Vernichtet durch Schock das postironische Gehirn des Roboters. Auf Menschen angewendet eine Waffe, die ein Koma hervorruft. Nach mehreren Stunden Eintritt des Todes, falls nicht mit einem Herzschrittmacher das Herz wieder voll aktiviert wird. Orathkant – die Lingua Franca des orathonischen Reiches, manchmal auch als orathonisch bezeichnet. [SigAg4 & 5] Orathon – Heimatwelt der Orathonen*. Es ist derzeit nicht bekannt, wie weit O. von Terra entfernt ist. Bekannt ist, dass O. Richtung Zentrum der Milchstraße 220 �
liegt. Die Schwerkraft von Orathon beträgt 1,85 g. Besonderheit: Der Siegesplatz, eine große Fläche in der Mitte der größten Metropole auf Orathon, die normalerweise für Aufmärsche und Paraden verwendet wird. An ihrem Rand reihen sich kleine Restaurants und Geschäfte aneinander. Es ist eines der wohlhabenden Viertel der Stadt, denn hier flanieren die höchsten Repräsentanten der Wirtschaftselite des Reiches in ihrer freien Zeit entlang, um sich zu entspannen. Orathonen – (der Orathone, des Orathonen, pl: die Orathonen, orathonisch) humanoides außerirdisches Volk. Sie entstammen einer Oligarchie (Vorherrschaft einer kleinen Gruppe). An der Spitze dieses gigantischen Staates steht die Familie Agelon*. Sie herrscht mit diktatorischer Gewalt über ein Reich von über 3600 von Orathonen bewohnten Planeten. Der gesamte Einflussbereich des Orathonischen Imperiums – mit allen unterdrückten Völkern – beträgt etwa 10.000 Sonnensysteme und knapp 15.000 Planeten. Aussehen: Menschenähnlich, was Größe und Form der Gliedmaßen anbetrifft. Ihre Haut ist olivgrün. Das globine Eiweiß der Orathonen ist grünlich. Lediglich das Häm stimmt als Sauerstoffbinder bei Laktonen und Orathonen überein. Es besorgt den Transport und die Abgabe. Der Kopf eines O. ist von enganliegenden, sehr feinen Federn bedeckt. Daher auch ihre Spitznamen »Featherheads« oder »Gefiederte«. Die Farbe der Federn ist überwiegend blauschwarz oder bräunlich gelb, seltener rötlich bis hellgrau oder grün. Im Alter werden die Federn stumpfgrau; sie fallen nicht aus. Die Gesichtsform ist oft quadratisch. Das 221 �
Gesicht wirkt immer gedrungen und zuweilen gutmütig, obwohl die Orathonen das auf keinen Fall sind. Durchschnittliche Größe beträgt 1,65 m. Orathonen bevorzugen bequeme, weiche Kleidung. Jacken und Umhänge sind ausschließlich der Familie Agelon vorbehalten. Besonderheit: Frauen gelten nichts unter den Orathonen, sie sind nicht mehr als Eigentum der Männer und haben sich ihrem Willen gänzlich zu unterwerfen. Den Mädchen hoher Familien werden früh die Sehnen an den Füßen gekürzt, damit sie, dem orathonischen Schönheitsideal entsprechend, nur mit Trippelschritten zu gehen in der Lage sind. Charakter: Orathonen sind sehr aggressiv. Angriff ist etwas Selbstverständliches für sie. Hier liegt eine Überbetonung ihrer Grundinstinkte. Selbst ein »vernünftiger« Featherhead würde immer aggressiv reagieren. Zudem sind die Gefiederten noch energisch, selbstbewusst, zielstrebig, egoistisch, expansionslüstern und vom unbändigen Willen nach totaler Herrschaft besessen. [C1] Ponta – Gleiter der Laktonen, der bis zu fünf Personen aufnehmen kann. Ein P. ist knapp fünf Meter lang und durchmisst etwa dreieinhalb Meter an der breitesten Stelle, er sieht von oben betrachtet verzerrt diskusförmig aus. Die Höhe beträgt fast zwei Meter. Zwei Deltaflügel helfen, den Gleiter, eine Kleinausgabe der so genannten Landeteller, bei Flügen in Sauerstoffatmosphären stabil zu halten. Er wird waagerecht auf vier ausfahrbaren Teleskopstützen gestartet und gelandet. Die Kabine kann verschlossen werden, aber bei trockenem, nicht zu kalten Wetter ist es Usus, sie offen zu 222 �
lassen. [N3] Schenna – Oberhaupt der Laktonen*. Er gilt als unsterblich. Im Allgemeinen mischt er sich nicht in die Politik seines Volkes ein, gibt aber von Zeit zu Zeit allgemeine Richtlinien. Er hat eine gelassene ruhige Stimme, aus der das Wissen und die Erfahrung aus Jahrtausenden erkennbar werden. Sein rundes Gesicht mit den schmalen dunklen Augen verrät überragende Intelligenz. Der dünne Bart, schwebt wie ein dunkler Messerrücken über der Oberlippe. [C4] Schenta – Hofrat der Laktonen*, der aus vier Adligen besteht. Er gilt als Sprachrohr des Schenna*. Durch den Hofrat erfährt die Regierung der Laktonen, welche politische Richtlinien beachtet werden sollen. Das bekannteste Mitglied des S. ist Jakto Javan. Schento – es gibt nur vier Schento. Zusammen bilden sie den Schenta*. Semibiotischer Konduktor – (= 'halblebender' Dirigent) Gedankenkontrollgerät der Orathonen*. Besteht zur einen Hälfte aus organischer, halbselbständig denkender Materie und ist zur anderen ein elektronisches Gerät. Wird ins Gehirn eingepflanzt. Es ist schwarz, hat Stacheln wie ein Seeigel, aber es ist beweglicher. Mittels elektronischer Fernsteuerung lässt sich die gesamte Instinkt- und Gefühlsskala abspielen. Zwei Zusatzfunktionen können eingespeichert werden: 1.) hemmungsloser Hass kann gegen Personen erzeugt werden, der die Betroffenen veranlasst, sie zu ermorden. 2.) der Konduktor kann explodieren, wenn man näher als zehn Schritte an das Opfer herankommt. [C1] 223 �
Szahan – die größte Handelsmetropole des laktonischen Reiches. Der gesamte Planet ist ein einziger tosender Hexenkessel, in dem sich die gewaltigen Kapitalströme Laktons verschlingen. Hier wird bis zum Exzess gehandelt und gefeilscht. Warenmuster und ganze Schiffsladungen können durch einen Federstrich der entsprechenden Händler ihren Wert verhundertfachen. Die Jahresernten von fruchtbaren Agrarplaneten wird innerhalb von Sekunden an Interessenten versteigert, während gleichzeitig die Kreditscheine für ein halbes Dutzend hervorragender Handelsschiffe fast umsonst zu haben sind. Auf Szahan gibt es nur ein Gesetz: »Der Schaden des anderen ist der Vorteil des Schnellsten.« Zahlungsmittel bei allen geschäftlichen Transaktionen sind laktonische Kreditsymbole, die gleichzeitig als Recheneinheit und als Maßstab für den Wert aller Waren, Güter und Dienstleistungen verwendet werden. [C9] Trakonkreuzer – Raumschiffgröße der Laktonen*. Raketenförmig, 2160 Meter lang, Durchmesser 160 m. [C1] Velatip, Tana – richtiger Name und Persönlichkeit von Ierra Kretan*. Vexidol – unscheinbare Pillen der Orathonen*, die Gedächtnisverlust erzeugen. Es beginnt nach der Einnahme mit beißendem Schmerz unter der Schädeldecke. Der Schmerz hält nicht lange an, ebbt in Wellen ab und versiegt schließlich völlig. Zurück bleibt erneut Benommenheit und der Verlust der Erinnerung. [N1 & 3] Manfred H. Rückert 224