Nr. 419
Welt der Schätze Im Zentrum des Rghul-Reviers von Marianne Sydow
Als AtlantisPthor, der durch die Dimensionen...
9 downloads
476 Views
275KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 419
Welt der Schätze Im Zentrum des Rghul-Reviers von Marianne Sydow
Als AtlantisPthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Neben Atlan und seiner Gefährtin, deren Weg im Marantroner-Revier von Abenteuern und tödlichen Gefahren gekennzeichnet ist, operiert noch ein Fremder in den Randbezirken der Schwarzen Galaxis. Dieser Fremde ist Nomazar, der Mann ohne Gedächtnis. Auf unerklärliche Weise gelangt er in das Rghul-Revier, den Herrschaftsbereich des Neffen Duuhl Larx, wo er zuerst als Sklave gehalten wurde. Jetzt aber, nach Peleffs Entmachtung, findet Nomazar eine Möglichkeit, sich aufzuwerten und ins Zentrum des Rghul-Reviers zu gelangen – direkt zur WELT DER SCHÄTZE …
Welt der Schätze
3
Die Hautpersonen des Romans: Nomazar - Der Mann ohne Gedächtnis gewinnt seine Erinnerung zurück. Peleff - Der Valvke wird in Gewahrsam genommen. Subtuhl - Galionsfigur von Peleffs Schiff. Frant-Erf - Nomazars Fremdenführer. Drafgar-Kert - Duuhl Larx' neuer Vertrauter.
1. Die PELEFFS RACHE war ein Organschiff, ein unregelmäßiger Konus, knapp zweihundert Meter lang und am Heck einhundertsechzig Meter dick – ein großes Schiff, viel zu groß für eine nur dreiköpfige Besatzung. Noch größer, wenn man bedachte, daß Subtuhl, die Galionsfigur, in der Bugkanzel festsaß und keinen Raum beanspruchte. Während Nomazar durch das Schiff schlenderte, lauschte er auf jedes Geräusch. Manchmal hörte er tappende Schritte. Das waren die Roboter, die alle technischen Vorgänge an Bord überwachten. Die Roboter waren völlig auf Peleff, den Valvken, fixiert. Wenn Nomazar einer solchen Maschine begegnete, dann bog er schleunigst in einen Seitengang ein. Die Roboter schienen ihn gar nicht zu beachten. Trotzdem wußte Nomazar, daß die Maschinen ihn im Auge behielten und alles an ihren Meister weitermeldeten. Nomazars Status an Bord war schwer zu definieren. Er konnte sich frei bewegen, als sei er Peleffs Gast. Aber der Schein trog, wie er vor einer knappen Stunde hatte feststellen müssen. »Du warst bei den Hangars«, sagte da Peleff, als Nomazar von einem seiner Ausflüge in die Zentrale zurückkehrte. »Ehe du auf dumme Gedanken kommen kannst, möchte ich dich warnen: Die Beiboote sind präpariert. Nur ich kann sie benutzen. Jeder andere, der mit ihnen von der PELEFFS RACHE wegfliegt, stirbt eines schrecklichen Todes.« »Reizend!« war Nomazars Antwort. Peleff lächelte nur. Eine Flucht, so dachte Nomazar, kam also nicht in Frage. Er grübelte seit Stunden darüber nach, was er tun
sollte. Peleff hatte die Organschiffe des Neffen Duuhl Larx abgehängt. Die Flucht aus dem Caudin-System war geglückt. Und jetzt hielt das Schiff auf die Grenzen des RghulReviers zu. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die PELEFFS RACHE in das Marantroner-Revier eindrang. Dort herrschte Chirmor Flog, der wie Duuhl Larx ein Neffe des Dunklen Oheims war. Die beiden Neffen haßten sich seit ewigen Zeiten, und jeder wartete nur darauf, daß der andere einen Fehler beging und seinem Konkurrenten somit Gelegenheit gab, ihn beim Dunklen Oheim, wer immer das auch sein mochte, anzuschwärzen. Peleff war bis vor kurzem Duuhl Larx' Vertrauter gewesen. Er wußte mehr über den Neffen als irgendein anderes Wesen im ganzen Rghul-Revier. Jetzt war er in Ungnade gefallen, und wenn er sich erwischen ließ, würde man ihn nach Cagendar schaffen und ihn einen Kopf kürzer machen. Peleff hatte den begreiflichen Wunsch, seinen Kopf noch für einige Zeit zu behalten, und darum befand er sich nun auf der Flucht. Chirmor Flog würde die Informationen, die Peleff ihm geben konnte, zu schätzen wissen. Wenn der Valvke Glück hatte, tauschte er die Rolle des todgeweihten Verräters gegen die eines umhegten Favoriten im Marantroner-Revier um. Nomazar hatte dagegen nichts einzuwenden. Ihn ärgerte nur, daß Peleff ihn einfach mitschleppte. Vor etlichen Wochen hatte er auf der Welt Ximmerrähne das Bewußtsein erlangt. Er hatte nicht gewußt, wer er war und woher er kam, und daran hatte sich bis jetzt noch nichts geändert – er wußte nur, daß er alles, was seine Herkunft betraf, aus Sicherheitsgründen vergessen hatte. Aber irgend etwas
4 trieb ihn immer weiter, und nach der Flucht vom Planeten der Fischmenschen war er zu den Kunstsammlern von Achtol gelangt, und von dort aus reiste er weiter nach Guhrno, der Hauptwelt der legendären Planetenschleuse. Zwar war keine dieser Reisen auf Nomazars persönlichen Wunsch erfolgt, aber er glaubte, doch ein System darin zu erkennen: Er war Duuhl Larx, beziehungsweise dem Planeten Cagendar, immer näher gekommen. Und je mehr er über das RghulRevier erfuhr, desto dringender wurde in ihm der Wunsch, den Neffen aus der Nähe zu erleben. Er wollte wissen, was für eine Sorte Lebewesen es fertigbrachte, einen ganzen Raumabschnitt in Angst und Schrecken zu versetzen. Peleff hatte den Lauf der Dinge unterbrochen, als er Nomazar nach Caudin entführte. Dort lebten in einem Palast etwa zwei Dutzend unglückliche Wesen, deren einziger Fehler es war, daß sie eine Affinität zu Peleff besaßen, wie das auch bei Nomazar der Fall war. Der Lebenszweck dieser Kreaturen bestand darin, sich erbitterte Kämpfe um die Gunst des Valvken zu liefern, und diese Kämpfe waren das einzige, woran Peleff sich von ganzem Herzen erfreuen konnte. Nun, Caudin lag hinter ihnen, und vergangen war auch die Zeit, da Peleff von der Gnade seines Gefangenen abhängig gewesen war. Ohne Nomazars Hilfe wäre der Valvke im Sumpf von Caudin ertrunken. Nomazars Hilfsbereitschaft wurde von dem Transfusionsgebundenen übel belohnt, und auch die gemeinsam bestandenen Strapazen der Flucht hatte die beiden ungleichen Männer nicht zu Freunden gemacht. »Ich muß zurück in die Nähe von Cagendar«, sagte Nomazar leise zu sich selbst. Er lauschte dem Klang seiner Stimme. Sie hörte sich fremd an. In der PELEFFS RACHE klangen jeder Laut und jedes Geräusch, als würden sie inmitten eines Wattebergs erzeugt. Die Stille an Bord war bedrückend. Nomazar kehrte in die Zentrale zurück. Dort hatte sich nichts verändert. Peleff hock-
Marianne Sydow te fett und träge in einer Sitzschale vor dem Hauptkontrollpult. Sein weites, leuchtend blaues Gewand hing nach allen Seiten über, so daß es aussah, als habe der Valvke gar keine Beine, sondern sei gezwungen, sich rollend wie eine Kugel von der Stelle zu bewegen. Aus dem Gewand stachen die dürren, schwarzen Hände hervor, unheimliche Gebilde mit je zwölf Fingern, und oben auf der blauen Kugel saß der ebenfalls viel zu knochige Kopf mit den kalten gelben Augen. »Hast du endlich einen Fluchtweg gefunden?« Nomazar ignorierte den ätzenden Spott, den Peleff in diese Frage legte. »Nein«, antwortete er ruhig. »Warum sollte ich nach einem suchen? Du hast mir oft genug erzählt, wieviel Gutes uns im Marantroner-Revier erwartet.« »Wie schön es ist, jemanden um sich zu haben, der einem vertraut!« sagte Peleff. Spotte du nur, dachte Nomazar grimmig. Eines Tages werde ich dir die dürre Kehle zudrücken, das steht fest. Aber noch brauche ich dich. Eine Idee schoß ihm durch den Kopf, und er wandte sich ab, damit Peleff ihm nicht ins Gesicht sehen konnte. Der Valvke hatte die fatale Begabung, die Mimik auch des fremdartigsten Wesens spontan zu durchschauen und aus den winzigsten Anhaltspunkten ganze Gedankenketten zu rekonstruieren. Er hörte, wie Peleff neue Anweisungen für Subtuhl in das Mikrophon flüsterte. »Ich bin müde«, sagte er, als der Valvke damit fertig war. »Hast du etwas dagegen einzuwenden, wenn ich mich jetzt zurückziehe?« »Ganz im Gegenteil«, versicherte Peleff mit falscher Freundlichkeit. »Ich wünsche dir angenehme Träume.« Nomazars Kabine lag direkt neben der Zentrale. Peleff schien entschlossen zu sein, für die gesamte Dauer des Fluges hinter den Kontrollen hocken zu bleiben, und Nomazar schloß daraus, daß der Valvke auch dem Groden in der Bugkanzel mißtraute. Das war
Welt der Schätze kein Wunder, denn Peleff traute grundsätzlich niemandem, sich selbst ausgenommen. Und dann waren da ja auch noch die Roboter, die der Valvke selbst programmiert hatte. Nomazar legte sich aufs Bett und dachte über die Galionsfigur nach. Er hatte inzwischen vieles über die Rolle dieser bedauernswerten Wesen erfahren. Man schien sie von allen möglichen Welten zu holen. Sie wurden in die Bugkanzeln gebracht und mit Hilfe von Schläuchen und Kabeln mit ihrem Schiff verbunden. Von diesem Augenblick an begannen sie zu sterben. Auch wenn es Jahre dauern mochte – ihr Leben endete mit dem Moment, in dem der letzte Kontakt sich schloß. Denn von da an hatten sie nur noch eine Aufgabe: Sie mußten das Schiff nach den Befehlen des Kommandanten lenken. Ob sie im früheren Leben Wissenschaftler, Philosophen, Krieger oder Jäger gewesen waren, interessierte niemanden, individuelle Interessen galten für sie nicht mehr. Sie verbrachten ihre Tage in dem kleinen Raum am Bug, und sie starben dort, wenn die Arbeit sie aufgefressen hatte. Waren sie tot, so entfernte man die Schläuche und Leitungen aus ihren Körpern, und eine neue Galionsfigur nahm ihren Platz ein. Die gesamte Raumfahrt in der Schwarzen Galaxis war darauf abgestellt, daß die Galionsfiguren ihre Arbeit versahen. Hätten alle diese Wesen auf einen Schlag beschlossen, für bessere Lebensbedingungen in den Streik zu treten, dann hätte dies mit großer Wahrscheinlichkeit das Ende für den Dunklen Oheim und seine seltsamen Neffen bedeutet. Dementsprechend waren Wesen wie Subtuhl konditioniert worden. Die Mannschaft eines Organschiffs mochte auf dumme Gedanken kommen und eine Meuterei anfangen – die Galionsfiguren aber hielten treu zu genau der Macht, die ihnen den schleichenden Tod bescherte und sich nicht scheute, die Galionsfigur im Fall eines Totalschadens samt ihrem Raumschiff zu verschrotten. Es wäre interessant zu wissen, dachte No-
5 mazar, ob das, was Peleff jetzt tut, sich mit den Gesetzen der Schwarzen Galaxis verträgt. Sitzt er deshalb die ganze Zeit vor dem Mikrophon? Hat er Angst, ich könnte mich mit Subtuhl unterhalten? Man müßte das ausprobieren. Aber wo gibt es ein zweites Mikrophon? Er war bei seinen bisherigen Raumflügen niemals auch nur in die Nähe der Kommandoräume gekommen. Natürlich galt das nur für jene Reisen, die er mit Hilfe von Organschiffen unternommen hatte – an das, was früher gewesen war, erinnerte er sich ja nicht. Jedenfalls waren seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Raumfahrt alles andere als überragend. Die Logik sagte ihm, daß es für den Dienstbetrieb an Bord normaler Schiffe nicht ausreichte, wenn ein einziges Mikrophon für die Verbindung zur Bugkanzel zur Verfügung stand. Es mußte mehr davon geben, schon für den einfachen Fall, daß technische Störungen auftraten. Nomazar entsann sich plötzlich, daß er an der Peripherie des Schiffes, nahe den Hangars, eine versiegelte Tür gesehen hatte. Das Siegel trug Peleffs Zeichen, die zwölffingrige Hand. Peleff aber ertrug nur in Ausnahmefällen organisches Leben in seiner Nähe. Die wenigen Wesen, die eine natürliche Affinität zu dem Valvken besaßen, verloren in Peleffs Nähe schon nach kurzer Zeit den Willen und die Kraft, sich gegen ihr Schicksal aufzulehnen. So gesehen, hatte Peleff es überhaupt nicht nötig, an Bord seines eigenen Schiffes irgendeinen Raum besonders abzusichern. Also mußte es mit der bewußten Tür eine ganz besondere Bewandtnis haben. Nomazar beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Das Risiko, daß Peleff ihm auf die Schliche kam und ihn für seine Neugier bestrafte, konnte ihn nicht schrecken. Er ahnte, daß ihm Schlimmes bevorstand, wenn es ihm nicht gelang, dem Valvken zu entkommen. Hatte der Dicke erst das Marantroner-Revier erreicht, so war es zu spät. Bestenfalls würde Peleff ihn zu seiner Belustigung an Bord behalten, bis er seines Gefangenen überdrüssig würde.
6
Marianne Sydow
»Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende«, sagte Nomazar zu sich selbst und machte sich auf den Weg.
* Das Siegel war groß und klobig, und Nomazar betrachtete es mißtrauisch von allen Seiten. Er hatte auf Guhrno beobachten können, was geschehen war, als der Transfusionsgebundene Elkort ein Handsiegel des Neffen Duuhl Larx zerbrechen wollte. Es hatte einen grellen Blitz gegeben, und was danach noch von Elkort übrig war, reichte nicht einmal mehr für ein Begräbnis. Gab es hier ähnliche Vorrichtungen? Zu sehen war nichts. Das Siegel bestand aus einem schimmernden, rötlichen Material, das weich und elastisch aussah. Als Nomazar das Zeug berührte, spürte er ein schwaches Kribbeln in den Fingerspitzen. Erschrocken wich er einen Schritt zurück und betrachtete seine Hände. Aber das Kribbeln schien harmlos zu sein. Entschlossen griff er zu. Er bekam einen Zipfel des Siegels zu fassen und zog daran. Die rötliche Masse leistete Widerstand. Sie war zäh wie Gummi und fühlte sich beinahe lebendig an. Nomazar lächelte grimmig. Er besaß gewaltige Kräfte, und wenn er auch nicht mehr wußte, wie er an sie gekommen war, so verstand er sich doch ausgezeichnet darauf, mit ihnen umzugehen. Er setzte seine Muskeln ein, und eine halbe Sekunde später löste sich das ganze Siegel mit einem schmatzenden Geräusch von der Tür und klatschte auf den Boden. Nomazar stieß das fladenähnliche Gebilde mit dem Fuß zur Seite und schlug die Riegel zurück. Die Tür schwang auf. Er hatte richtig vermutet. Der Raum, in der er blicken konnte, war eine Miniaturausgabe der Zentrale. Das Mikrophon über dem Hauptkontrollpult zog Nomazars Blicke geradezu magisch an. Mit festen Schritten ging er darauf zu. Er entdeckte Schalter, Hebel und Knöpfe in genau derselben Anordnung, wie Peleff sie ständig vor sich hatte, und er
streckte die Hand aus, um die Verbindung herzustellen. Einen Augenblick lang zögerte er noch, denn er mußte daran denken, was geschehen mochte, wenn Peleff ausgerechnet jetzt mit Subtuhl sprach. Aber er wußte nicht, wie man das von hier aus feststellen konnte. Er mußte sich auf sein Glück verlassen. »Subtuhl, kannst du mich hören?« fragte er in das Mikrophon. »Wer bist du?« kam die Antwort nach einigen Sekunden. »Man nennt mich Nomazar.« Für einen Augenblick blieb es still. »Bist du der Fremde, den Peleff mit an Bord brachte?« »Ja. Ich muß mit dir reden.« »Das geht nicht.« »Warum nicht?« »Ich darf nur mit Peleff sprechen.« »Ich kann mir denken, daß der Valvke einen solchen Befehl gab. Trotzdem – es muß sein, denn es ist dringend. Subtuhl, wem bist du im Zweifelsfall Gehorsam schuldig: Peleff oder dem Gesetz der Schwarzen Galaxis?« »Dem Gesetz.« »Und wenn Peleff dagegen verstößt?« »Das tut er nicht. Er kann es gar nicht, denn er ist ein Transfusionsgebundener.« »Duuhl Larx hat ihm die Gunst entzogen. Seine Schiffe griffen uns an, als wir von Caudin starteten.« »Das geschah, um den Schein zu wahren. Wir sind in geheimer Mission unterwegs ins Marantroner-Revier. Es ist anzunehmen, daß Chirmor Flog Spione ausgesandt hat, die uns beobachten konnten. Sie wurden getäuscht.« »Das hat dir Peleff weismachen wollen«, sagte Nomazar. »Aber er hat dich belogen, Subtuhl. Es gibt Funkempfänger – wenn du geduldig bist, wirst du hören, daß Duuhl Larx nach der PELEFFS RACHE suchen läßt.« Wieder herrschte für kurze Zeit Schweigen. Es schien, als ließe der Gorde sich das Ganze durch den Kopf gehen. Allein dies war für Nomazar ein deutlicher Beweis da-
Welt der Schätze für, daß die Galionsfigur dem Valvken nicht so sehr vertraute, wie es bisher scheinen mochte. »Komm zu mir herauf!« sagte Subtuhl schließlich. »Es ist zu gefährlich, über diese Verbindung zu sprechen.« »Die Roboter werden mich beobachten, und dann wird Peleff dafür sorgen, daß ich dich nicht erreiche.« »Das ist dein Problem.« Nomazar vernahm ein feines Knacken. Subtuhl hatte die Verbindung unterbrochen. Nomazar verließ den Raum. Das Siegel lag immer noch auf dem Boden. Er hob es auf und drückte es gegen die geschlossene Tür, nachdem er die Riegel wieder an ihren Platz geschoben hatte. Zuerst wollte das Siegel nicht halten. Es kräuselte sich von der Tür weg, und fast schien es, als versuche der Fladen zu fliehen. Aber Nomazar hielt geduldig still, und endlich schmiegte sich die elastische Masse gegen das Metall. Sicher würde Peleff feststellen können, daß jemand die Tür geöffnet hatte, aber Nomazar hoffte, daß diese Entdeckung erst dann erfolgte, wenn der Valvke zufällig an die Tür geriet. Solange Peleff in der Zentrale blieb und sich darauf beschränkte, das Schiff per Bildschirm zu kontrollieren, sollte alles in Ordnung sein. Es sei denn, der Bursche weiß längst Bescheid, dachte Nomazar. Es würde zu ihm passen, mich in dem guten Glauben zu lassen, daß ich eine Chance habe. Aber noch hatte er Hoffnung, und so schlich er durch das stille Schiff der Bugkanzel entgegen. Er hielt sich an Gänge und Schächte, die so aussahen, als würden sie auch von den Robotern nur selten benutzt, und es begegnete ihm auch wirklich keine einzige Maschine auf seinem Weg. Trotzdem fühlte er sich unsicher. Er wußte, daß es überall in der PELEFFS RACHE versteckte Kameras gab. Als er ein paar Minuten später vor dem Schott stand, das die Bugkanzel vom Rest des Schiffes trennte, war er beinahe bereit, zu glauben, daß Peleff ihn noch nicht ent-
7 deckt und durchschaut hatte. Er legte die Hand auf das Schott, und sobald die Öffnung groß genug war, schlüpfte er hindurch. »Du hast lange gebraucht!« sagte Peleff mißbilligend. »Ich hasse es, wenn man mich warten läßt.« Nomazar stand wie erstarrt da. »Andererseits liebe ich die Abwechslung«, fuhr der Valvke fort. »Die Fahrt ist langweilig genug, und es ist mir nur recht, wenn du für Unterhaltung sorgst. Allerdings«, seine zwölffingrigen Hände hielten plötzlich eine Waffe, deren Lauf auf Nomazars Bauch gerichtet war, »bin ich absolut nicht begeistert, wenn jemand versucht, eine Galionsfigur gegen mich aufzuhetzen.« Nomazar beherrschte sich eisern. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Er wird mich nicht töten, dachte er. Er braucht mich. Er braucht die Gesellschaft lebender Wesen, auch wenn es nur selten ein Individuum gibt, dessen Nähe er ertragen kann. Alle anderen Affinen starben auf Caudin – ich bin der letzte, bis es ihm gelingt, sich Ersatz zu beschaffen. Und laut sagte er: »Subtuhl ist intelligenter, als du glaubst. Er wäre auch ohne mich dahintergekommen, daß du das Gesetz brichst.« Aus dem Augenwinkel sah er Subtuhl an. Der Grode war ein weißhäutiger Organklumpen, ein meterdicker, plumper Ball, der Pseudoarme nach allerlei Instrumenten ausgestreckt hatte. »Mag sein«, murmelte Peleff gleichgültig. »Es spielt keine Rolle. Subtuhl hat mir zu gehorchen. Für ihn bin ich das Gesetz.« »Wirklich?« fragte Nomazar lächelnd. »Einen Wurm wie dich braucht man nicht zu belügen«, erklärte der Valvke verächtlich. »Geh voran. Wir haben hier nichts mehr verloren.« Nomazar wandte sich schweigend um. Das Schott stand noch immer halb offen. Er ging hindurch, und Peleff folgte ihm schwebend, die Waffe noch immer im Anschlag. Als Nomazar einige Schritte vom Schott entfernt war, vernahm er einen wütenden
8 Laut, und instinktiv warf er sich zu Boden. Das war sein Glück. Ein Energiestrahl fuhr heiß und fauchend über ihn hinweg. Gegenüber dem Schott glühte es in der Wand auf. Beißender Gestank breitete sich aus. Nomazar rollte sich zur Seite und sprang auf, und Peleff, der im Schott eingeklemmt war, feuerte wieder, aber er konnte schlecht zielen, und so ging auch dieser Schuß daneben. Ehe der Valvke ein drittes Mal abdrücken konnte, war Nomazar bei ihm und schlug ihm die Waffe aus der Hand. »Du verdammter Narr …«, schrie Peleff wütend auf. »Ruhe!« befahl Nomazar kalt, hob die rechte Faust und versetzte dem Valvken einen wohldosierten Schlag auf den kahlen Schädel. Peleff verstummte augenblicklich. »Mach das Schott wieder auf!« rief Nomazar der Galionsfigur zu. »Er kann uns nichts mehr tun.« Er schleifte den Valvken in die Bugkanzel, fand ein paar lose Kabelenden in einer staubigen Ecke und fesselte Peleff damit kunstgerecht. Subtuhl schloß unterdessen das Schott. »Danke«, sagte Nomazar zu dem Organklumpen. »Ich habe nur meine Pflicht getan«, erwiderte die Galionsfigur sachlich. »Was soll nun geschehen?« »Was schlägst du vor?« »Wir bringen Peleff zum Neffen Duuhl Larx.« »Ja, das dachte ich auch schon. Aber weißt du auch, wie wir zu ihm kommen?« »Nein«, gestand Subtuhl. »Ich gebe euch gerne die Koordinaten!« ließ Peleff sich vernehmen. Nomazar fuhr herum. Der Valvke lag gefesselt auf dem Boden. In seinen großen gelben Augen funkelte es boshaft. Der Dicke mußte widerstandsfähiger sein, als Nomazar angenommen hatte. Zwar war der Schlag relativ sanft ausgefallen, aber es hätte reichen müssen, um Peleff für gut eine halbe Stunde ins Land der Träume zu verbannen.
Marianne Sydow »Hat es dir die Sprache verschlagen?« höhnte der Valvke. »Gib Subtuhl die Koordinaten!« befahl Nomazar. Peleff ratterte aus dem Gedächtnis eine lange Reihe von Zahlen und Buchstaben herunter. Nomazar lauschte und fühlte sich unbehaglich, denn seine Kenntnisse reichten bei weitem nicht aus, um die Angaben des Valvken auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Er wandte seine Aufmerksamkeit der Galionsfigur zu. Es war schwer, wenn nicht sogar unmöglich, dem Groden eine Gemütsbewegung anzumerken, und falls Subtuhl seinem neuen Partner ein geheimes Zeichen zu geben versuchte, so verstand Nomazar ihn nicht. »Kannst du damit etwas anfangen?« fragte er darum, sobald Peleff schwieg. Der Valvke lächelte höhnisch. »Ja«, behauptete Subtuhl. »Mit Hilfe dieser Angaben kann ich das Schiff nach Cagendar bringen.« Peleffs Augen strahlten wütend auf, und Nomazar bog den Kopf zurück und lachte schallend. »Das hast du dir geschickt ausgedacht«, sagte er zu Peleff. Niemand flog Cagendar einfach an. Wer immer sich auch dem Sitz des Neffen nähern wollte, der mußte zuerst durch die Planetenschleuse. Nomazar nahm an, daß jedes Raumschiff, daß Cagendar zu nahe kam und nicht von Guhrno aus angemeldet wurde, auf die Abschußliste geriet. Subtuhl mochte davon nichts wissen, denn er gehorchte als Galionsfigur normalerweise nur den Befehlen, die man ihm gab. Das selbständige Denken fiel dem Groden sicher schwer. »Wir fliegen zum NurschugSystem«, entschied Nomazar. »Dort wird man wissen, was mit Peleff geschehen soll.« »Sie werden dich töten«, behauptete Peleff und starrte seinen rebellischen Gefangenen durchdringend an. »Denn du bist ein Spion. Jeder weiß das mittlerweile.« »Jeder außer mir«, konterte Nomazar ge-
Welt der Schätze lassen. »Und vielleicht ist Duuhl Larx klüger als seine Untertanen.« Peleff kicherte schrill. Nomazar bemerkte, daß Subtuhl erschrak und fast einen falschen Hebel erwischt hätte. Der Valvke wird uns mit seinen Bemerkungen zermürben, dachte er. Ich muß ihn zum Schweigen bringen. Bei dieser Gelegenheit fielen ihm die Roboter ein. Sie waren Peleff treu ergeben, und um das Gesetz der Schwarzen Galaxis würden sie sich herzlich wenig scheren, wenn sie ihren Herrn in Gefahr wußten. In der Bugkanzel waren Subtuhl und Nomazar vor den Maschinen sicher. Die Roboter würden es nicht wagen, hier einzudringen, denn jede Form von Gewaltanwendung würde sowohl Peleff als auch Subtuhl in Gefahr bringen. Und ohne Galionsfigur war das Schiff manövrierunfähig. Er würde dafür sorgen müssen, daß Peleff in der Kanzel blieb. Gleichzeitig mußte er Peleff dazu bringen, den Mund zu halten. »Hast du die Koordinaten des NurschugSystems?« fragte er die Galionsfigur. »Nein, aber ich kann sie jetzt leicht bekommen.« »Dann fange an zu rechnen und ändere den Kurs, sobald du weißt, wohin wir uns zu wenden haben.« Während Subtuhl noch mit dieser Aufgabe beschäftigt war, durchstöberte Nomazar systematisch die ganze Bugkanzel. Er stellte fest, daß er es zur Not ein paar Tage lang hier drinnen aushalten konnte. Es gab einen Anschluß an das Versorgungssystem der PELEFFS RACHE, so daß er sich mit Wasser und Proviant versehen konnte. Zum Schlafen mußte der Boden herhalten, aber auch das schien halb so schlimm, denn die ganze Kanzel war mit einem schwammigen Material ausgelegt. Und es war warm genug, daß er auf Decken und ähnliches verzichten konnte. So blieb ihm am Ende nur eine Sorge: Peleff. Der Dicke ließ am laufenden Band seine spöttischen Bemerkungen los. Nomazar ließ sich durch dumme Redensarten
9 nicht beeindrucken, aber Subtuhl wurde immer nervöser. »Paß auf«, sagte Nomazar schließlich zu dem Valvken. »Ich gebe dir die Chance, die Reise nach Guhrno halbwegs bequem zu überstehen. Voraussetzung ist, daß du den Mund hältst und Subtuhl in Ruhe läßt.« »Der arme Subtuhl«, murmelte Peleff. »Was geschieht, wenn ich mich nicht nach deinen Vorschlägen richte?« »Dann wird es weniger bequem für dich«, erwiderte Nomazar schulterzuckend. »Ich werde dich knebeln. Und falls dich das immer noch nicht daran hindert, den Groden in seiner Konzentration zu stören, werde ich dir solange eins über den Schädel geben, bist du endlich für ein paar Stunden ruhig bist.« »Wie brutal!« sagte der Valvke verächtlich. »Warum bringst du mich nicht einfach um?« »Das kann Duuhl Larx erledigen. Ich bin nicht dein Richter.« »Du hoffst auf eine Belohnung, wenn du mich auslieferst, wie? Wie hoch ist bei dir der Preis für das Leben eines Freundes?« Nomazar sah ein, daß es völlig sinnlos war, mit dem Valvken zu diskutieren. Da er nichts gefunden hatte, was sich als Knebel verwenden ließ, zog er seine Jacke aus und riß ein Stück aus dem Futter heraus. Wenig später konnte Peleff nur noch unartikulierte Grunzlaute von sich geben. Das allerdings tat er so beharrlich, daß Nomazar sich schließlich doch gezwungen sah, die rabiate Methode anzuwenden. Danach war Peleff still. Auch als er wieder bei Bewußtsein war, gab er keinen Laut mehr von sich. Aber in seinen Augen brannte der Haß. Inzwischen hatte Subtuhl den neuen Kurs berechnet. Hinter dem durchsichtigen Material der Kanzel bewegten sich die Sterne und wanderten seitwärts aus dem Blickfeld. Es waren seltsame, fremde Sterne, die alle aussahen, als hätten sie einen tiefschwarzen Kern. Endlich nahm die PELEFFS RACHE Fahrt auf. Nomazar dachte flüchtig daran, daß es eigentlich der richtige Zeitpunkt gewesen wäre, dem Organschiff einen neuen
10
Marianne Sydow
Namen zu geben. Er setzte sich auf den Boden, lehnte sich gegen ein Instrumentenpult und schloß die Augen. War es richtig, was er jetzt tat? Peleff hatte von Duuhl Larx keine Gnade zu erwarten. Indem Nomazar den Valvken zurückbeförderte, verurteilte er ihn zum Tode. Es wäre humaner gewesen, ihn hier und jetzt umzubringen, denn der Neffe des Dunklen Oheims zählte offenbar nicht zu denen, die ihren Gegnern wenigstens das Sterben halbwegs leicht machten. Er hätte Peleff retten können. Sie mußten dazu nicht einmal unbedingt ins Marantroner-Revier fliegen. Sie befanden sich in der Randzone der Schwarzen Galaxis, und wenn sie ein wenig Glück hatten, fanden sie einen Planeten, auf dem sie den Valvken absetzen konnten. Aber wenn Nomazar ohne Peleff in der Planetenschleuse auftauchte, hatte er kaum noch eine Chance, sein gestecktes Ziel zu erreichen. Dieses Ziel war Duuhl Larx. Er mußte wissen, was es mit diesem geheimnisvollen Burschen auf sich hatte. Und Peleff? Nüchtern gesehen hatte der Valvke den Tod tausendfach verdient. Man haßte und fürchtete ihn überall, wo sein Name bekannt war. Und er hatte keineswegs nur im Auftrag des Neffen gemordet und Völker in den Krieg getrieben. Wenn es ihm jetzt auch noch gelänge, Chirmor Flog zu erreichen, so war ein Krieg zwischen den beiden Revieren unausweichlich. Und so ein Krieg kostete unzählige intelligente Wesen das Leben. Nomazar schob den nutzlosen Gedanken zur Seite. Es hatte keinen Sinn, sich solche Fragen zu stellen. Recht oder Unrecht – es blieb ihm gar keine Wahl.
2. Es wurde ein ungemütlicher Flug. Die Bugkanzel war zu eng für drei Personen, die sich gegenseitig auf die Nerven gingen. Die Verpflegung war schlecht und bestand nur aus faden Konzentraten. Peleff schwieg ei-
sern und bedachte seine Umgebung mit boshaften Blicken. Subtuhl fühlte sich offenbar durch die Gegenwart zweier freier, nicht mit einem Schiff fest verbundener Wesen bedrückt. Und Nomazar litt unter der Vorstellung, daß er sich automatisch zum Komplizen des Neffen Duuhl Larx machte, indem er Peleff nach Guhrno brachte. Die Zeit verging – vier volle Tage brauchten sie, um die Planetenschleuse zu erreichen. Dann endlich lag das Nurschug-System vor ihnen, mit seiner großen, grellblauen Sonne, die wie alle anderen in dieser Galaxis einen schwarzen Kern zu besitzen schien. Subtuhl strahlte ein Kodesignal ab, und man ließ sie ungehindert in die Nähe Guhrnos gelangen. Dann allerdings ließ es sich nicht mehr umgehen, daß Nomazar seine Karten auf den Tisch legte: Das Heymfloz verlangte energisch Auskunft darüber, wer oder was sich an Bord der PELEFFS RACHE – diesen Namen kannte das Computersystem zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht – dem Hauptplaneten der Schleuse näherte. Nomazar ging bereitwillig auf das Spiel ein und wurde angewiesen, auf dem Kontinent Bryson, in der Nähe der gleichnamigen Stadt, zu landen. Zum erstenmal seit seinem Erwachen auf Ximmerrähne kehrte Nomazar an einen Ort zurück, anstatt immer neue Schauplätze hinter sich zu lassen, und das war ein seltsames Gefühl. Für einen Augenblick dachte er darüber nach, wie es wohl sein mochte, nach Hause zu kommen. Aber da solche Spekulationen doch zu nichts führten, konzentrierte er sich hastig wieder auf die Gegenwart. Die PELEFFS RACHE setzte sanft auf. Sie landete am Rand des Hafens, und von der Bugkanzel aus konnte Nomazar den Palast von Bryson sehen, einen gigantischen Gebäudekomplex, mit Türmen und Hallen, die samt und sonders aus riesigen Muschelschalen und Schneckenhäusern zusammengesetzt waren. Mittendrin erhob sich die schimmernde Heymfloz-Kuppel. Auf der
Welt der Schätze breiten Straße, die den Hafen mit dem Palast verband, rasten offene Fahrzeuge heran, dicht besetzt mit Kunen, deren goldfarbene Hautkämme in der Mittagssonne leuchteten. »Gib mir eine Verbindung«, verlangte Nomazar, der neben Subtuhl stand und fasziniert nach draußen sah. »Mit wem?« erkundigte sich der Grode. »Verlange den Hafenmeister, falls es hier so etwas gibt.« Sekunden später erhellte sich ein Bildschirm. Das Gesicht eines Kunen wurde sichtbar. Er hatte rosa Augen, die auf kurzen Stielen saßen, einen schmalen, scharfgeschnittenen Mund und große, enganliegende Ohren. Der Kune nannte sich Onnytschan. »Ich brauche deine Hilfe«, sagte Nomazar bedächtig. »Dieses Schiff gehört dem Valvken Peleff.« Er registrierte zufrieden, daß Onnytschan zunächst erschrak, als dieser Name genannt wurde, dann aber dem Fremden, den er auf seinem Gerät erblickte, dienstbeflissen das Zeichen zum Weitersprechen gab. »Ich bringe Peleff zurück, er ist mein Gefangener. Leider befinden sich aber im Schiff noch die Roboter des Valvken. Bis jetzt haben sie mich und die Galionsfigur in Ruhe gelassen. Ich fürchte aber, daß sie sofort angreifen werden, sobald ich mich mit Peleff aus der Bugkanzel herauswage.« »Wir werden die Roboter umgehen«, versprach Onnytschan. »Auf welche Weise?« »Wir werden direkt von außen in die Bugkanzel eindringen und dich und Peleff herausholen.« »Ich möchte nicht, daß Subtuhl gefährdet wird. Ohne ihn wäre es unmöglich gewesen, den Valvken hierherzubringen.« »Wer ist Subtuhl?« fragte Onnytschan verwirrt. »Die Galionsfigur.« Onnytschan schien im Zweifel zu sein, ob es wirklich nötig war, auf ein so untergeordnetes Subjekt wie den Groden Rücksicht zu nehmen. »Subtuhl hat dem Neffen Duuhl Larx
11 einen großen Dienst erwiesen«, setzte Nomazar darum hinzu. »Es dürfte ratsam sein, ihn gut zu behandeln.« Die versteckte Drohung erfüllte ihren Zweck. »Wir werden uns vorsehen«, versprach Onnytschan. »Eine Frage noch«, sagte Nomazar, ehe der Kune abschalten konnte. »Wer hat Elkorts Nachfolge angetreten?« »Bis jetzt wurde von Cagendar noch kein neuer Transfusionsgebundener zu uns geschickt«, erwiderte der Kune abweisend. Offenbar war es ihm unangenehm, an Elkorts Schicksal erinnert zu werden. »Wer bestimmt dann, was auf Guhrno geschieht?« »Eine Gruppe von Kunen, zu der auch ich gehöre.« Der Schirm wurde dunkel. Peleff gab einen verächtlichen Laut von sich, und Nomazar drehte sich nach dem Valvken um. »Was immer du sagen willst«, sagte er warnend, »behalte es für dich. Oder hattest du vor, deinen Robotern zu befehlen, daß sie uns in Ruhe lassen sollen?« »Das könnte dir so passen!« erwiderte Peleff höhnisch. »Auch gut. Und jetzt hältst du den Mund, verstanden?« Peleff fügte sich, und Nomazar fragte sich beunruhigt, ob der Valvke nicht doch noch etwas in der Hand hatte, irgendeinen versteckten Trumpf, den er im letzten Augenblick ausspielen konnte. Es kam ihm seltsam vor, daß der Valvke sein Schicksal so gelassen hinnahm. Aber dann tauchten vor der Bugkanzel die ersten Flugschalen auf, und Dutzende von Kunen hängten sich mit Hilfe dünner, scharfer Haken an die Außenhülle des Organschiffs. Nomazar sah blinkende Werkzeuge, mit denen die grau bepelzten Wesen sich durch die Schiffswand schnitten. »Sie werden bald hier sein«, murmelte Subtuhl, und seine Stimme verriet Besorgnis. »Hoffentlich beschädigen sie keine Versorgungsleitung. Mein Leben ist zwar nicht
12 besonders schön, aber ich hänge daran.« »Sie werden dich wie ein rohes Ei behandeln«, versprach Nomazar. »Unser Gefangener dürfte dem Neffen einiges wert sein. Ich nehme an, daß du mit einer Belohnung rechnen darfst.« Er glaubte selbst nicht an das, was er da sagte, aber er wollte alles tun, um Subtuhl zu beruhigen. Der Grode wußte vermutlich besser als Nomazar, wie es um Gefühle wie Dankbarkeit bei Duuhl Larx bestellt war, denn er schwieg und wandte sich demonstrativ seinen Instrumenten zu. »Die Roboter haben Verdacht geschöpft«, sagte er plötzlich. »Acht stehen jetzt vor der Schleuse.« Nomazar zog den Valvken in die Mitte der Kanzel, band ihn an einer Sitzschale fest und sorgte dafür, daß Peleff sich genau zwischen dem Schott und dem Groden befand. Damit war Subtuhl wenigstens im ersten Augenblick eines Angriffs gesichert. Nomazar hoffte jedoch, daß die Kunen kamen, ehe die Roboter sich zu einem solchen Schritt entschlossen. Unruhig beobachtete er die Schwebeplatten, von denen jetzt schon fast zwanzig um die Bugkanzel herumflogen. »Gibt es eine Schleuse hier oben?« fragte er den Groden. »Sie ist zu weit weg. Außerdem müßten die Kunen von dort aus tief in das Schiff eindringen, ehe sich eine Gelegenheit ergibt, in unsere Richtung einzuschwenken.« »Bis die sich da hindurchgearbeitet haben …« »Ich werde mit den Robotern sprechen«, sagte Peleff plötzlich. Nomazar sah ihn überrascht an. »Es ist kein Trick!« behauptete der Valvke, und er lächelte verzerrt. »Wenn die Maschinen angreifen, geht es auch mir an den Kragen.« »Das wird wohl sowieso der Fall sein«, entgegnete Nomazar skeptisch. »Oh, ich bin noch längst nicht geschlagen«, versicherte Peleff spöttisch. »Solange ich lebe, habe ich immer noch Hoffnung. Und man wird mich nicht hier auf Guhrno
Marianne Sydow hinrichten. In Fällen wie meinem schlägt Duuhl Larx mit Vorliebe persönlich zu.« »Du mußt es ja wissen. Wie willst du an die Roboter herankommen?« »Gibt mir ein Mikrophon und eine Verbindung nach draußen.« Nomazar rechnete ziemlich fest damit, daß Peleff ihn zu täuschen versuchte. Darum blieb er neben dem Valvken stehen. Er war fest entschlossen, beim ersten falschen Wort rücksichtslos zuzuschlagen. Peleff merkte das, und er lachte spöttisch, aber dann begann er zu sprechen, und was er sagte, klang aufrichtig. »Verhaltet euch ruhig«, befahl er den Robotern. »Wenn ihr mich zu befreien versucht, gefährdet ihr mich nur. Zieht euch zurück und leistet keinen Widerstand, wenn dieses Schiff durchsucht wird.« »Sie gehorchen«, rief Subtuhl überrascht. »Sie kehren in die unteren Abteilungen zurück.« Nomazar nahm dem Valvken das Mikrophon ab und wies den Groden an, ihn abermals mit Onnytschan zu verbinden. »Du kannst deine Leute zurückrufen«, erklärte er. »Peleff hat eingesehen, daß er sich nur selbst das Leben schwer macht. Ich gehe jetzt mit ihm zur Schleuse hinunter.« Onnytschan nahm es ohne erkennbare Gemütsbewegung zur Kenntnis. Ein paar Minuten später stand Nomazar auf dem Boden von Guhrno, und der gefesselte Valvke wurde von einigen Kunen davongeschleppt.
* »Was wird mit Peleff geschehen?« fragte Nomazar, als er im Palast von Bryson dem Kunen Onnytschan gegenüberstand. Onnytschan überragte Nomazar um gut einen halben Meter, aber er war so zierlich gebaut, daß man hätte meinen können, der erste etwas heftigere Windstoß würde ihn davontragen. »Der Befehl lautet, ihn nach Cagendar zu bringen«, erklärte der Kune. »Alles andere ist Sache des Neffen.«
Welt der Schätze Der Kune bewegte sich unruhig, und Nomazar hatte das Gefühl, als müsse Onnytschan ihm etwas mitteilen, was ihm nur schwer über die Lippen wollte. »Auch du wirst nach Cagendar fliegen«, sagte der Kune schließlich. »Du hast dem Neffen einen Dienst erwiesen, und dafür will er dich belohnen.« »Belohnen?« fragte Nomazar mit sanftem Spott. »Meinst du das wirklich?« »Ich habe meine Befehle«, wich der Kune hastig aus. »Für die guten Absichten des Neffen spricht wohl, daß du als freier Mann nach Cagendar reisen sollst.« Eine schöne Art von Freiheit, dachte Nomazar. Wenn ich mich weigere, werden sie mich in Ketten legen und abtransportieren. Aber was soll's – ich wollte Duuhl Larx kennenlernen, und dabei bleibt es. »Wirst du an Bord gehen, sobald die KARSEI startbereit ist?« fragte Onnytschan beinahe ängstlich. »Ja, natürlich«, antwortete Nomazar geistesabwesend. »Wieviel Zeit bleibt mir noch?« »Die KARSEI startet morgen früh«, antwortete Onnytschan erleichtert. »Ich dachte, Duuhl Larx würde darauf dringen, daß Peleff sofort zu ihm gebracht wird«, sagte Nomazar erstaunt. Onnytschan wand sich verlegen, und die Kette aus winzigen Perlmuttmessern, die ihm bis zum Gürtel herabhing, klirrte leise. »So ist es auch«, sagte er. »Aber die KARSEI ist nicht früher startbereit.« »Habt ihr kein anderes Schiff?« »Oh doch. Trotzdem – nur die KARSEI kommt für den Transport in Frage.« »Warum?« »So lautet der Befehl.« Nomazar schwieg. Bei den Domern auf Achtol kursierte das Gerücht, daß Duuhl Larx längst nicht mehr voll bei Verstand sei. Je mehr er über den Neffen erfuhr, desto stärker wurde in ihm der Verdacht, daß dieses Gerücht die Wahrheit traf. Lag darin die Chance, die Peleff noch zu haben glaubte? »Wir haben den Wunsch«, sagte On-
13 nytschan, »dir die Zeit zu verkürzen. Es ist eine große Beruhigung für uns, daß du Peleff gefangengenommen hast. Der Valvke hat viel Unheil angerichtet. Außerdem«, fügte er nüchtern hinzu, »hast du dem Neffen eine Freude bereitet, und das wirkt sich auf alle seine Untertanen günstig aus.« Sieh an, dachte Nomazar amüsiert. Er hätte sich gerne auf Guhrno ein wenig umgesehen. Allein dieser Muschelpalast war es wert, daß man ihn betrachtete, und die Stadt, die sich bis an den Fuß einer wilden Bergkette hinzog, sah aus der Ferne ebenfalls sehr reizvoll aus. Aber er entschied, daß es besser war, auf Onnytschans Angebot einzugehen. Unter anderen Umständen hätte er seine Freude an dem Fest gehabt, das die Kunen ihm zu Ehren veranstalteten. Es war eine laute, farbenfreudige Angelegenheit, und Nomazar beobachtete fasziniert die Kunen, die sich an diesem Abend von einer ihm bisher völlig unbekannten Seite zeigten. »Vor sehr langer Zeit«, erzählte Onnytschan, als der Wein ihm die Zunge gelöst hatte, »zogen wir als freie Nomaden über unsere Welt. Wir durchquerten Wüsten und Meere und trieben Handel, und oft gab es Krieg zwischen den Stämmen. Noch heute sind wir unruhig im Blut, und oft zieht es uns zu langen Wanderungen fort von diesem Palast. Aber die alten Zeiten sind verloren, und sobald unsere Füße müde werden, kehren wir in die Stadt zurück. Ein paar Lieder und Tänze – das ist alles, was uns geblieben ist.« Ein paar Meter weiter saß eine Kunin und zupfte an den Saiten einer Wüstenharfe. Eine Melodie klang auf, die voller Sehnsucht und Melancholie war und unversehens umschlug in eine leidenschaftliche Klage. »Spiel etwas Lustigeres, Sydelär!« rief Onnytschan. Die Akkorde brachen sich, dann klangen fröhlichere Töne auf. Onnytschan sprang auf und drehte sich mit der Grazie eines angeschwipsten jungen Hundes im Kreis. Andere Kunen kamen hinzu und tanzten ausgelassen
14 durcheinander. Ihre Muschelketten klingelten und klapperten im Takt, und ihre Füße schienen den Boden kaum zu berühren. Die meisten Männer trugen weite Umhänge mit wehenden Kapuzen, wie man sie in der Wüste wohl gebrauchen konnte, und an ihren Gürteln hingen zahllose Taschen und Beutel, in denen sie ihre bewegliche Habe mit sich schleppten. »Nein«, sagte Nomazar leise zu sich selbst. »Du irrst dich, Onnytschan. Es ist euch noch viel mehr von eurem Nomadendasein geblieben. Eines Tages werdet ihr frei sein und wandern können – ich möchte wetten, daß dieser ganze Planet im Lauf einer einzigen Generation entvölkert sein wird.« Es war weit nach Mitternacht, als die Tänzer müde wurden. Nomazar taumelte, benommen vom Lärm und dem würzigen Wein, in die ihm angewiesenen Zimmer. Noch im Traum hörte er die Harfen und die klaren Stimmen der Kunen, die vom Sand und vom Wind sangen, von den wandernden Bergen im Norden und dem treibenden Eis in den polaren Meeren. Mit schmerzendem Kopf begab er sich am Morgen in die KARSEI, als freier Mann, wie Onnytschan es versprochen hatte. In der Schleuse drehte er sich noch einmal um. Die Muscheltürme und Schneckenhaushallen schimmerten und glänzten im Licht der aufgehenden Sonne in pastellenen Farben. Die Heymfloz-Kuppel erhob sich wie ein Fremdkörper in ihrer Mitte. Soweit er sich erinnern konnte, war es die erste Welt, die er zweimal betreten hatte. Er fühlte eine seltsame Verbundenheit mit diesem Planeten und seinen Bewohnern. Irgendwann, dachte er, kehre ich zurück. Dann will ich deine wandernden Berge sehen, Onnytschan, und die wilden Klippenbewohner, von denen du mir gestern erzählt hast. Dann mußt du mit mir durch die Wüste wandern und mir die Pflanzen zeigen, die eurem Wein die Würze geben. Irgendwann … Aber dann brachte man Peleff an Bord, ei-
Marianne Sydow ne kleine, unglaublich dicke Gestalt, die im Innern einer Energieblase gefangen saß, und die Träume verflogen. Nomazar wußte, daß man ihn noch immer verdächtigte, ein Spion zu sein. Die Freundlichkeit der Kunen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß er in akuter Lebensgefahr schwebte. Er ging in das Schiff hinein, fand eine Art Messe und ließ sich dort von einem jungen Kunen ein Getränk servieren, das die Reste des Weins aus seinem Blut saugen sollte. Die KARSEI startete unterdessen, raste in den kristallklaren Himmel von Guhrno hinein und nahm Kurs auf Cagendar, die legendäre Welt, auf der Duuhl Larx mit seinem Hofstaat lebte.
3. Fyr-Than fuhr seinen Köcherkopf aus, richtete mühsam die Sinnesfühler auf und gewahrte schaudernd den blutroten Himmel über sich. Er fror erbärmlich, obwohl er in einer Mulde saß, die die Wärme des Tages fast die ganze Nacht hindurch gehalten hatte. Er hatte sich zusätzlich in ein halbes Dutzend Decken gewickelt und die Mulde mit trockenen, Kräutern ausgestopft. Aber die Kälte, die ihn plagte, kam von innen her, und er fühlte sich alt und krank. »He, Fyr-Than, lebst du noch?« rief es aus der nächsten Mulde. »Dasselbe wollte ich dich gerade fragen«, quakte Fyr-Than mißmutig, richtete sich auf und spähte zu Erter-Than hinüber. Er blieb lange genug oben, um zu sehen, daß sein Sohn tapfer versuchte, mit Hilfe von Freiübungen die Kälte aus seinem Körper zu vertreiben. Dann fuhr ein kalter Wind über das kahle Land, und Fyr-Than zog sich hastig wieder in sein Versteck zurück. »Als ich noch jung war«, sagte er zu sich selbst, »hat mir eine Nacht im Freien auch nichts ausgemacht. Aber erzähle das mal einer diesem Burschen. Der weiß ja sowieso alles besser.« Wie auf ein Stichwort tauchte Erter-Than am Rande der Mulde auf. »Es wird Zeit, daß wir aufbrechen«, be-
Welt der Schätze merkte er. Obwohl er mit seinem Vater sprach, dem er tiefen Respekt schuldete, hielt er es nicht einmal für nötig, den Köcher ein wenig weiter auszufahren, wie die guten Sitten es geboten. »Warte lieber noch«, meinte Fyr-Than, der es längst aufgegeben hatte, von seinem Sprößling so etwas wie manierliches Benehmen zu verlangen. »Es kommt ein Unwetter auf – ich spüre es in allen Knochen.« Erter-Than ließ die Sicht und Hörfühler über dem Rand des Köchers pendeln. »Ich finde nicht, daß es danach aussieht!« bemerkte er. »Du willst dich nur vor der Arbeit drücken.« »Unsinn«, gab Fyr-Than ärgerlich zurück und hievte seinen schweren Körper aus der Mulde. »Du wirst schon sehen, daß ich recht behalte.« Erter-Than verzichtete auf eine Erwiderung, denn er war ausreichend damit beschäftigt, seine Lautfühler, die am Grund des Köchers saßen, zu putzen. Fyr-Than durchstöberte seine Taschen und fand ein Päckchen Trockenobst. Er riß die Verpackung auf und stopfte den ganzen Block in die Eßöffnung unterhalb des Köchers. Dann sammelte er seine Decken ein und verschnürte sie zu einem glatten Paket. Dabei beobachtete er unausgesetzt den Himmel. Wenn es jetzt einen dieser fürchterlichen Regenstürme gab und sie noch hier draußen waren, weit weg von allen schützenden Dächern, dann erging es ihnen schlecht. Fyr-Than war fest davon überzeugt, daß er so etwas nicht mehr überleben würde. »Wir machen da weiter, wo wir gestern aufgehört haben«, entschied Erter-Than. »Komm jetzt.« »Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen«, bemerkte Fyr-Than, während sie dem Rand der versiegelten Fläche entgegengingen. »So ein Unsinn, auf meine alten Tage noch etwas mit den Sanitätern anzufangen – ausgerechnet ich, der ehemalige oberste Baumeister von Vemed!« »Du begleichst nur einen winzigen Teil
15 deiner Schulden, vergiß das nicht«, sagte Erter-Than streng. »Hättest du nicht so eifrig bei der Versiegelung mitgeholfen, so wäre das Klima vielleicht noch nicht ganz so schlecht.« »Das glaubst du doch selbst nicht!« protestierte Fyr-Than schwach. »Es gibt genug Baumeister auf Cagendar. Meine Rolle war denkbar klein.« Erter-Than gab keine Antwort. Schweigend stapfte er auf seinen kurzen Beinen voran, ein massiger, fest viereckiger Klotz, der sich schwarz gegen den leuchtenden Himmel abhob. »Außerdem hat die Versiegelung auch ihre guten Seiten«, behauptete Fyr-Than trotzig. »Früher war der Himmel von Cagendar nicht so farbenprächtig.« »Es ist das Gift, das die Farben bestimmt«, entgegnete Erter-Than streng. »Hör jetzt endlich auf zu reden und komm.« Der Boden war uneben und von Rinnen durchzogen. Zwischen niedrigen Kräutern zeichneten sich Flächen abgestorbener Vegetation ab. An vielen Stellen trat der nackte Boden zutage, und diese Flächen wurden immer größer – auf Cagendar waren die Wüsten am Wachsen. Sie entstanden keineswegs aus einer natürlichen Notwendigkeit heraus, weil etwa die Temperaturen sanken oder stiegen oder die Niederschläge ausblieben. Nein, auf Cagendar wurden die Wüsten kunstgerecht großgepäppelt, und Fyr-Than wußte das. Die Angst vor dem Zeitpunkt, an dem das Leben auf Cagendar völlig erlöschen und nur noch eine riesige, versiegelte Kugel übrigbleiben würde, trieb Fyr-Than auf seine alten Tage dazu, sich in Gefahr zu begeben. Je näher sie der versiegelten Fläche kamen, desto unwirtlicher wurde die Landschaft. Fyr-Than zog fröstelnd den Kopfköcher ein und vergewisserte sich, daß die Verschlüsse seiner umfangreichen Schutzkleidung in Ordnung waren. Der Wind pfiff rauh und kühl über das Land, und kein Baum, kein Strauch stellte sich ihm noch in den Weg. Aber dafür ragte er jetzt vor ihnen auf, der
16 Rand, die glitzernde, strahlende Kante, die ihr Ziel war. Die Sonne hob sich über den Horizont, und ihre Strahlen brachen sich funkelnd in den unzähligen Juwelen und Kristallen, die gerade hier in besonders reicher Zahl in die Versiegelung eingebettet waren. Fyr-Than mußte seine Sichtfühler einziehen und kurze Zeit stehenbleiben, so blendend hell war das Gefunkel. »Es ist eine Schande«, sagte er, aber er bewegte seine Lautfühler dabei so sanft, daß der Wind die Worte verschluckte und ErterThan nichts hörte. »Wie kann etwas so Schönes so schädlich sein.« Erter-Than zog ihn am Arm weiter. »Kein Bautrupp ist in der Nähe!« rief der junge Truge triumphierend. »Wir haben Glück!« Fyr-Than stolperte hinter seinem Sohn her, bis sie dicht an der Kante angelangt waren. Erst dann wagte er es, die Sichtfühler wieder auszufahren. Er starrte direkt in ein Dämonengesicht mit großen, roten Augen und einem breiten Mund, eine fremdartige Fratze, die ihn böse angrinste. »Teil einer Statue von Gunx«, murmelte er. »Ältere Arbeit, nicht besonders gut ausgeführt. Teile des Kopfes sind nur angefügt.« Die nüchterne Klassifizierung gab ihm sein inneres Gleichgewicht wieder, und er war nunmehr fähig, sich auf die selbstgestellte Aufgabe zu konzentrieren. Wie bekam man den Kopf am leichtesten aus der Versiegelung heraus? »Die Schicht ist noch nicht durchgehärtet«, bemerkte Erter-Than fachmännisch. »Wir haben den richtigen Zeitpunkt erwischt. Hast du den Säuresprüher dabei?« »Natürlich habe ich ihn«, gab Fyr-Than ärgerlich zurück. »Aber ich denke nicht daran, ihn einzusetzen. Wir haben nicht so viel Säure, daß wir sie verschwenden könnten. Wir treiben einen Keil unter den Kopf und hebeln das ganze Ding heraus. Dann fällen die Steine, die direkt darüber sitzen, von selbst herab.«
Marianne Sydow Erter-Than war enttäuscht. Er gab sich zwar gerne sehr aktiv, aber in Wirklichkeit haßte er körperliche Arbeit. Es war eine bequeme Sache, die Sprüher gegen die Kante zu setzen und zu warten, bis die Stücke abbröckelten und die Säure sich tief in die Versiegelung gefressen hatte. Aber da Fyr-Than den Keil bereits in der Hand hielt, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den Hammer zu greifen und zuzuschlagen. Die ganze Fläche schien zu dröhnen, als der Keil millimeterweise in das glasklare Material eindrang. Dem Jungen wurde es heiß in seiner Vermummung, und der Alte bekam schwarze Flecken auf seinem Köcher, so sehr mußte er sich anstrengen, den Keil gerade zu halten. Sie brauchten fast bis zum Mittag, dann endlich löste sich der Dämonenkopf knirschend aus seiner Verankerung. Die beiden Trugen brachten hastig ihre breiten Füße in Sicherheit, und der Kopf plumpste in den aufstäubenden Sand. An die fünfzig geschliffene Kristallkugeln, Hunderte von Juwelen bis zur Größe einer Trugenfaust und eine Menge kleinerer Gegenstände prasselten herab – in der Versiegelung hatte sich eine Luftblase befunden. Erter-Than schnalzte vor. Aufregung mit den Lautfühlern und stierte fassungslos auf den Haufen glitzernder Dinge. »So etwas ist uns noch nie passiert!« bemerkte er erfreut. »Was für ein Loch!« Es sah in der Tat beeindruckend aus. In der glatten Kante gähnte eine riesige Wunde. Und es kam noch besser: Die dünne Decke über diesem Hohlraum brach zusammen und riß weitere Gegenstände mit sich. »Hurra!« schrie Erter-Than. »Wir haben gesiegt! Wir werden es schaffen, wir werden die ganze Versiegelung von unserem Planeten wegsprengen!« Fyr-Than war über das Alter hinaus, in dem man Erfolge überbewertete. Nüchtern verglich er die Lücke mit der schier unendlich langen Kante, überdachte die Maße der Fläche um Vemed und fügte die übrigen Kunstwüsten in Gedanken hinzu. Von einem Sieg konnte keine Rede sein. Sie hatten
Welt der Schätze Glück gehabt – und auch das nur für einen Augenblick. »Wir brauchen einen Transporter«, stellte er fest. »Kannst du einen besorgen?« Erter-Than, der in einem wahren Freudentaumel um den glitzernden Berg herumtappte, hielt erschrocken inne. »Wie kommst du denn darauf?« fragte er. »Warum sollte ich einen Transporter …« Dann ging ihm der Sinn der Frage auf, und er starrte seinen Vater betreten an. Für einen Moment hatte er das Problem der Sanitäter vergessen. Natürlich, hätten sie Fahrzeuge zur Verfügung gehabt, so wäre es auch nicht mehr nötig gewesen, nächtelang in der Kälte auszuharren. Aber Fahrzeuge aller Art wurden von den Beauftragten des Neffen unter Verschluß gehalten und nur bei wirklichem Bedarf den Bautrupps zur Verfügung gestellt. Es war schon schwer genug, einen Personenschweber für private Zwecke zu bekommen – an einen Transporter aber kam kein Truge ohne die entsprechende Genehmigung heran. »Was sollen wir tun?« fragte Erter-Than kleinlaut. »Alles liegen lassen?« Fyr-Than setzte zu einer höhnischen Bemerkung an, zwang aber gerade noch rechtzeitig seine Lautfühler in eine neutrale Stellung zurück. Welchen Sinn hätte es gehabt, den Jungen jetzt zu verspotten? Die Sanitäter hatten sich vorgenommen, die Versiegelung des Planeten Cagendar aufzuhalten. Sie ganz zu verhindern, war ohnehin unmöglich. Duuhl Larx hatte befohlen, daß ein Panzer aus Kunstschätzen diese Welt umschließen solle, und des Neffen Befehle wurden befolgt. Hätte er den Trugen befohlen, sich in den vergifteten Gewässern zu ertränken, so hätten sie wahrscheinlich auch gehorcht. Der Befehl, in dessen Folge sich die Versiegelung über die Kontinente ausbreitete, war schließlich auch nichts anderes als die Aufforderung zum Selbstmord. Schon jetzt war die Natur aus dem Gleichgewicht geraten, und die Störmanöver der Sanitäter konnten daran nichts ändern. Ein anderes Volk hätte sich vielleicht
17 energischer gewehrt, aber die Trugen besaßen kein Übermaß an Mut und Initiative. Es war schon erstaunlich genug, daß es überhaupt Sanitäter gab. Immerhin war Fyr-Than trotz gelegentlicher Anfälle von Mißmut entschlossen, seinen bescheidenen Teil zu dem großen Werk beizutragen, und wenn Erter-Than nicht mehr weiter wußte, mußte eben sein Vater etwas unternehmen. Ließen sie das Zeug, das sie aus der Kante herausgebrochen hatten, an Ort und Stelle liegen, so würde man es schon morgen wieder einsiegeln. Der oberste Grundsatz der Sanitäter lautete: »Nichts liegen lassen«, und in den Meditationshöhlen erzählt man sich unter wohligem Schaudern die Geschichte von zwei Trugen, die schon fast die gesamte Abbruchmasse fortgeschafft hatten, als eine Bauinspektion nahte. Die beiden hatten todesmutig die letzten Stücke verschluckt und waren elendiglich daran gestorben. Fyr-Than hatte die Absicht, sein Leben auf weniger spektakuläre Art zu beenden. Außerdem konnte niemand diesen ganzen Berg von kristallenem Zeug verschlingen. Aber sie konnten das Gerümpel auch nicht bis zur nahen Küste tragen, um es dort nach bewährter Methode zu versenken. »Wir graben es ein«, sagte Fyr-Than entschlossen. Sein Sohn wackelte vor Schrecken mit den Sichtfühlern. »Das ist unmöglich«, behauptete er. »Unsinn. Die Messungen in diesem Gebiet sind längst abgeschlossen. Man wird den Boden nicht noch einmal aufgraben. Wir brauchen das Zeug nur ein bißchen zu verteilen und einen halben Meter tief im Sand zu verscharren. Dann kann nichts mehr schiefgehen.« Erter-Than resignierte und trollte sich, um nach Grabwerkzeugen zu suchen. Weit brauchte er dazu nicht zu wandern, denn in der Nähe der Kante lag immer genug Arbeitsmaterial herum. Fyr-Than schleppte unterdessen Brocken um Brocken davon, und als Erter-Than zu-
18 rückkehrte, war alles schon weit genug über die sandige Fläche verteilt. Sie arbeiteten wie die Besessenen. Während die Sonne sank, schaufelten sie Gruben in den Sand, stießen die Kristalle und Juwelen und all den anderen Kram hinein und verbuddelten sie, bis nichts mehr von ihnen zu sehen war. Wegen der Spuren ihrer Tätigkeit machten sie sich keine Sorgen. Der stetige Wind verwehte sie schon jetzt, und bis die Versiegelung ausgehärtet war, würden noch mindestens zwei Tage vergehen – solange kam höchstens zufällig jemand an diesen Ort. Vor lauter Eifer merkten sie gar nicht, wie kühl es mittlerweile schon geworden war, und erst als die Dunkelheit kam, stießen sie erschrocken die Schaufeln in den Sand. »Das schaffen wir nicht mehr«, stellte Fyr-Than fest. »Wir müssen die Nacht hier verbringen.« »Wir werden erfrieren«, jammerte sein Sohn. »Wenn wir uns beeilen, kommen wir vielleicht noch zu den Mulden, in denen wir die letzte Nacht verbracht haben.« »Wir waren seit drei Nächten nicht mehr in den Meditationshöhlen«, murmelte FyrThan mitleidig. »Unsere Reserven sind fast erschöpft. Wir können uns also die Mühe sparen.« Erter-Than brachte vor Angst keinen Ton mehr heraus. Sie würden sterben. Egal, was sie jetzt noch unternahmen, sie konnten es nicht mehr schaffen, in eine Höhle zu den meditierenden Weibern zu gelangen. Und ohne die Kodierung der Wärme mußten sie unweigerlich erfrieren. Selbst wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, die ganze Nacht hindurch ein großes Feuer zu unterhalten, so hätte ihnen das gar nichts genutzt. Gegen die innere Kälte half nur jene innere Wärme, die die Frauen der Trugen mit ihren Meditationen zu erzeugen vermochten. Fyr-Than, der immer dazu neigte, die Tatsachen so zu nehmen, wie sie waren, setzte sich neben seiner Schaufel in den Sand. Er spürte den kalten Wind durch die Kleidung
Marianne Sydow hindurch. Sein einziger Trost war, daß es schnell gehen würde. Auch hieß es immer, der Tod durch Erfrieren sei vergleichsweise angenehm. Flüchtig dachte er an die Sanitäter. Wenn man an dieser Stelle zwei erfrorene Trugen fand, würde man sich fragen, wie die Leichen an diesen Ort kamen. Und dann kamen Nachforschungen, die vergrabenen Gegenstände mußten entdeckt werden, die Familie wäre entehrt, vom Schaden, den die Sanitäter erleiden würden, ganz, abgesehen … Fyr-Than raffte sich zu einer letzten Anstrengung auf. Er tappte bis dicht an die Kante heran, kratzte mühsam den Sand zur Seite – seine Muskeln waren bereits so steif, daß er sich nur unter großen Schmerzen bewegen konnte – und rief mit fast tauben Lautfühlern nach Erter-Than. Nebeneinander hockten sie sich in die flache Mulde. Vielleicht, wenn der Wind kräftig genug war, würden ihre Körper vom Sand bedeckt sein, ehe jemand sie fand. So saßen sie dann in der Dunkelheit, spürten die zunehmende Kälte und warteten auf den Tod. Plötzlich jedoch wurde Erter-Than unruhig. »Was ist los?« fragte Fyr-Than ärgerlich, denn er bemühte sich gerade, Frieden mit sich selbst zu schließen. »Ich spüre etwas«, flüsterte Erter-Than aufgeregt. »Ich spüre – Wärme!« Fyr-Than war entsetzt. Gewiß, sein Sohn war noch jung und mochte weniger leicht dazu zu bewegen sein, sich mit dem Ende abzufinden. Aber Halluzinationen dieser Art waren ja geradezu unanständig! »Sei still!« sagte Fyr-Than streng. »Hat man dich nicht gelehrt, wie du dich zu verhalten hast, wenn es soweit ist?« »Oh doch!« »Dann richte dich gefälligst danach und störe mich nicht länger!« »Aber wenn ich die Wärme doch spüre …« »Hier gibt es keine Wärme. Wir sind mindestens einen vollen Tagesmarsch von den
Welt der Schätze nächsten Höhlen entfernt.« »Du bist ein blinder alter Narr!« fuhr Erter-Than auf. Das war zu viel. Auch ein noch so junger Truge durfte mit seinem Vater nicht auf diese Weise reden. »Du …«, stieß Fyr-Than hervor und sprang auf die Füße, seine klammen, schmerzenden Muskeln für einen Augenblick vergessend. Aber Erter-Than war auf der Hut. Er stand bereits, als Fyr-Than noch um sein Gleichgewicht kämpfte, und rannte schnurstracks auf den Einbruch in der Kante zu. Fyr-Than folgte ihm schnaufend und taumelnd. »Ich werde dich prügeln!« versprach er. Offenbar hatte die Kälte seine Sinne bereits verwirrt, denn ihm ging nicht ganz auf, daß ihm zu einem solchen Vorhaben die Kräfte fehlten. Erter-Than verschwand hinter einer glitzernden Ecke, und Fyr-Than eilte triumphierend hinter ihm her. Der Junge wollte sich also in dem Hohlraum an der Kante verstecken. Das war dumm von ihm, denn da drin konnte er seinem Vater nicht mehr ausweichen. »Merkst du denn immer noch nichts?« rief Erter-Than ihm entgegen, als Fyr-Than über die Splitter der Versiegelungsmasse kletterte. »Du warst am Erfrieren, und jetzt kannst du schon wieder laufen – woher kommt das wohl?« Fyr-Than hörte zuerst gar nicht hin. Stur wie ein Roboter stieg er seinem Sohn hinterher, den Kopf voller Rachegedanken. Aber dann sickerte allmählich die Erkenntnis in sein Bewußtsein, und er hielt abrupt an, keine zwei Meter vor Erter-Than entfernt. »Der Junge hat recht«, stammelte er mit zitternden Fühlern. »Es ist warm!« Verwundert drehte er sich im Kreis. »Wie kommt das?« fragte er seinen Sohn. Erter-Than ließ sich erleichtert zu Boden sinken. »Ich weiß es nicht«, gestand er freimütig. »Und ich habe auch gar keine Lust, lange nach einer Erklärung zu suchen. Wir sind gerettet, das ist alles, was ich wissen will.«
19 Fyr-Than setzte sich schwerfällig neben ihn. Ja, der Junge hatte wohl recht. Was brachte es ein, wenn er sich lange den Kopf zerbrach. Aber je wärmer und stärker er sich fühlte, desto größer wurde in ihm der Wunsch, die Quelle der Wärme doch noch zu entdecken, und schließlich begann er danach zu suchen. Es war leichter, als er gedacht hatte. Er brauchte nur dieser seltsamen Strahlung zu folgen, da stieß er auf eine Kugel aus purpurfarbenem Kristall, die zur Hälfte aus der Versiegelungsmasse herausragte. Fyr-Than legte die Hände um die Kugel und spürte die Kraft, die in seinen Körper strömte, stärker und mächtiger als während aller Meditationen, die er in seinem ganzen Leben mitgemacht hatte. »Das ist die Lösung!« sagte er zu seinem Sohn. »Diese Kugel nehmen wir mit, wenn wir morgen früh aufbrechen. Sie wird uns unabhängig von den Höhlen der meditierenden Weiber machen. Von jetzt an können wir gehen, wohin wir wollen, und wegbleiben, solange es nötig ist.« Aber als sie am nächsten Morgen, kaum daß sich der Himmel rot färbte, unter der kristallenen Kante hervorkrochen, warteten ihre Häscher schon auf sie. Es waren Kunen, überschlanke Wesen, die zwar schwächer als ein Truge, dafür aber um vieles beweglicher waren. Trotzdem – Fyr-Than allein hätte sie alle miteinander abwehren können, wäre er nur auf diesen Gedanken gekommen. Leider war er aber eben ein echter Truge, der so gut wie unfähig war, Gewalt anzuwenden. Die beiden Trugen ließen sich widerstandslos abführen. Man brachte sie nach Vemed und sperrte sie in eine Zelle – normalerweise bedeutete das für einen Trugen den sicheren Tod, denn nach wenigen Tagen mußte die innere Kälte ihn töten. Fyr-Than und Erter-Than starben noch nicht. Sie hatten die Kugel, die sie wärmte.
4.
20 Der Flug von der Planetenschleuse nach Cagendar dauerte nur eineinhalb Tage, aber selbst diese wurden Nomazar fast zu lang. Die Ungeduld brannte in ihm. Die Kunen in der KARSEI behandelten ihn freundlich, und die Verpflegung war gut – er hätte die Reise genießen und sich erholen können. Es waren seine Gedanken, die ihn daran hinderten. Immer wieder kehrten sie zurück und erinnerten ihn daran, daß er ein Fremder war, einer, der sich selbst kaum kannte. Woher war er gekommen? Was tat er hier? Warum mußte er immer weiter und weiter reisen, und warum konnte er sich an nichts erinnern, was vor seinem Erwachen auf Ximmerrähne geschehen war? Schon mehrmals hatte er geglaubt, mit diesem Rätsel leben zu können. Er fand sich damit ab, nichts zu wissen, und konzentrierte sich auf die Gegenwart. In solchen Augenblicken war er sicher, zum letztenmal all die Qualen der Ungewißheit überwunden zu haben. Aber irgendwann geschah dann etwas, das ihn aus seiner mühsam erkämpften Ruhe riß, und die Fragen waren größer und drängender als beim letztenmal. Als endlich Cagendar auf den Bildschirmen sichtbar wurde, entwickelte Nomazar ein fast verzweifeltes Interesse an dieser Welt, die er schon bald aus der Nähe kennenlernen sollte. Das erste, was ihm an Cagendar auffiel, war, daß der Planet ungewöhnlich hell strahlte. Je näher das Schiff kam, desto deutlicher wurde sichtbar, daß große Teile Cagendars das Licht der Sonne unwahrscheinlich stark reflektierten. Dazwischen lagen dunklere Flecken, die ein unregelmäßiges Muster bildeten. »Woran liegt das?« fragte Nomazar einen Kunen namens Breigaz, der sich vom ersten Augenblick an besonders intensiv um das Wohlergehen des geheimnisumwitterten Passagiers gekümmert hatte. Breigaz gab bereitwillig Auskunft. »Das ist die Schatzkruste. Sie besteht aus den vielen Kunstgegenständen, die durch die Planetenschleuse nach Cagendar gebracht
Marianne Sydow werden. Es ist der Wunsch des Neffen, Cagendar in den prächtigsten Planeten zu verwandeln, den es jemals gab. Er läßt ganz Cagendar mit einem Panzer aus Kunstwerken und Juwelen überziehen. Siehst du den glitzernden Fleck in der unteren Hälfte des Planeten? Das ist Harrytho im Lauen Meer. Dort lebt Duuhl Larx mit seinem Hofstaat. In Harrytho ist das große Werk schon vollendet. Dort ist jeder Fleck Boden mit Schätzen gepflastert, und alle Gebäude bestehen aus auserlesenen Kunstwerken.« Nomazar blickte den Kunen zweifelnd an. »Wie kann man dann dort noch herumlaufen?« fragte er. »Ich meine, wenn überall solche Sachen herumstehen …« Breigaz lachte. »Nein, nicht so. Die Schätze werden in einer durchsichtigen Bindemasse eingebettet. Man kann die einzelnen Stücke gut sehen. Aber die Oberfläche ist glatt. Auf ähnliche Weise wurden die Paläste gebaut.« »Hm«, machte Nomazar. Er hatte seine eigenen Erfahrungen mit den von Breigaz erwähnten Kunstwerken gemacht. Fast alles, was er auf Achtol und an Bord der RYGERKALL gesehen hatte, mochte zwar aus wertvollen Materialien bestehen, sah aber so häßlich aus, daß es Nomazar beim bloßen Gedanken an die Paläste schauderte. »Landen wir in Harrytho?« erkundigte er sich, um auf ein anderes Thema auszuweichen. »Nein, denn dort gibt es keinen Raumhafen. Wir landen auf Vemed, dem Hauptkontinent. Ich nehme aber an, daß man dich mit einem Gleiter zum Sitz des Neffen bringen wird. Ich beneide dich darum. Im ganzen Rghul-Revier spricht man von der unermeßlichen Pracht, die es dort zu sehen gibt, aber nur wenigen ist es vergönnt, die Paläste mit eigenen Augen zu sehen.« Von mir aus könntest du gerne an meiner Stelle nach Harrytho fliegen, dachte Nomazar sarkastisch. Aber damit dürfte Duuhl Larx nicht einverstanden sein. Wie sagte man doch auf Achtol? Duuhl Larx ist über-
Welt der Schätze geschnappt – mir scheint, daß dies eine milde Untertreibung ist. Wer einen ganzen Planeten zuzukleistern versucht, der muß schon einen ziemlichen Dachschaden haben! Während die KARSEI dem Hafen von Vemed entgegensank, betrachtete Nomazar die treibenden Nebel über der riesigen Stadt, die die Landefläche in sich einschloß. An einigen Stellen ballten sich die gelblichen Schwaden zu dichten Wolken zusammen, und Nomazar war sich ziemlich sicher, daß in diesen Gegenden jeder Atemzug zu einem Risiko für Leben und Gesundheit würde. »Komm«, sagte Breigaz, kaum daß das Organschiff aufgesetzt hatte. »Die Trugen warten schon auf dich.« »Was sind das für Leute?« erkundigte sich Nomazar. »Ein Volk, das sich ganz in den Dienst des Neffen gestellt hat. Über die Trugen gehen seltsame Gerüchte um. Es heißt, daß sie eigentlich sehr friedlich und faul sind. Trotzdem zittert man überall vor ihnen. Sie führen jeden Befehl des Neffen bis auf den letzten Punkt genau aus.« Das muß kein Widerspruch sein, dachte Nomazar. Mancher wird eben aus reiner Bequemlichkeit zum Verbrecher. Und dann sah er die ersten Trugen in der Hauptschleuse der KARSEI stehen. Sie waren um die zwei Meter zwanzig groß, wobei höchstens siebzig Zentimeter auf die Beine entfielen. Der Rest war nichts weiter als ein riesiger, aufrecht stehender Kasten, aus dem auf halber Höhe zwei ungeheuer biegsame Arme herausragten. An den Enden dieser Arme saßen je drei lange, klauenförmige Finger, und statt des Kopfes ragte oben aus dem Kasten ein köcherartiges Gebilde, aus dessen oberem, offenem Ende zahllose Fühlerenden baumelten. Die Trugen waren bewaffnet. An der Vorderseite der Kastenkörper klebten seltsame Schleudern und Strahler. Mehr ließ sich nicht erkennen, denn die Fremden waren allesamt so dick vermummt, als gelte es, zu Fuß eine Eiswüste zu durchqueren. »Du bist Nomazar?« fragte einer der Tru-
21 gen mit einer tiefen, quakenden Stimme, die direkt aus dem Köcher drang. »Ja«, antwortete der Mann ohne Gedächtnis lakonisch. »Wir haben den Auftrag erhalten, dich in die Stadt zu bringen. Dort ist ein Quartier für dich vorbereitet. Hast du Gepäck?« Das alles klang durchaus höflich, aber Nomazar konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß er keineswegs als Gast, sondern als Gefangener betrachtet wurde. Da er kein Gepäck sein eigen nannte, gingen die Trugen sofort zum nächsten Programmteil über. Sie brachten ihren Schützling zu einem offenen Gleiter und baten ihn höflich, auf einem der Rücksitze Platz zu nehmen. Einer der Fremden quetschte sich neben Nomazar, und der einsame Mann fühlte sich ziemlich unbehaglich neben diesem Koloß, der nicht einmal Augen besaß, an deren Ausdruck man etwas über die Stimmung des Trugen hätte ablesen können. »Ich bin Frant-Erf«, sagte der Truge. »Man hat mich zu deinem Begleiter bestimmt. Wenn es also irgend etwas gibt, was du brauchst oder dir ansehen möchtest, dann sage es mir.« »Ich werde daran denken«, versprach Nomazar, und fast gleichzeitig entdeckte er eine Energieblase, die gerade auf einen anderen Gleiter geladen wurde. Drinnen hockte der blaugewandete Valvke, der jetzt allerdings gar nicht mehr so spöttisch und überlegen dreinblickte, wie Nomazar es von ihm gewohnt war. »Was geschieht mit Peleff?« fragte er. »Bringt man ihn jetzt nach Harrytho?« »Nein, noch nicht. Er wird in Vemed vor ein Gericht gestellt. Man sagt, daß du ihn eingefangen hast. Das ist eine beachtenswerte Tat.« »Es war halb so schlimm«, murmelte Nomazar. »Ich habe nur die Umstände ausgenutzt.« »Bescheidenheit«, bemerkte Frant-Erf mit leichtem Tadel, »ist eine edle Eigenschaft, aber hier auf Cagendar kann sie einem Wesen wie dir eher schaden als nützen. Ob es
22 an den Umständen lag oder nicht – du hast Peleff bezwungen. Kennt man in deinem Volk keinen Stolz auf außergewöhnliche Leistungen?« Nomazar zuckte zusammen. Wie soll ich das wissen? dachte er alarmiert. Ich habe doch keine Ahnung, zu welchem Volk ich gehöre. Aber laut sagte er: »Wir kennen den Stolz, aber es gilt bei uns als unfein, mit seinen Taten zu prahlen.« »Dann solltest du die Sitten deines Volkes vergessen, solange du dich auf Cagendar aufhältst.« Der Gleiter schoß über das Landefeld, und Nomazar hatte Gelegenheit, sich über die Bedeutung des Hafens klar zu werden. Hier standen Tausende von Organschiffen. Und während der Landung hatte er gesehen, daß es noch mehr solche Anlagen gab. Überall waren Transportfahrzeuge unterwegs, und sie alle transportierten die ihm bereits bekannten Kisten und Kästen, in denen die Kunstwerke verpackt waren, die von allen Planeten des Rghul-Reviers nach Cagendar gesandt wurden. In einer eleganten Kurve schwenkte der Gleiter nach rechts, und dann waren sie in der Stadt. »Wie heißt dieser liebliche Ort?« fragte Nomazar ironisch. »Vemed«, erklärte der Truge. »Wie der Kontinent. Sie ist die einzige Stadt. Früher gab es mehrere, aber wir haben sie eingeebnet, damit sie der Versiegelung nicht im Wege stehen. Später, wenn das ganze Land bis an die Küsten mit Schätzen bedeckt ist, werden wir auch Vemed verlassen und die Lücke in der Glasur schließen.« »Aha. Und wo werdet ihr dann leben?« »Duuhl Larx wird uns den Ort zur rechten Zeit nennen.« Deinen Glauben möchte ich haben, dachte Nomazar. Vemed war so häßlich, daß Nomazar sich fragte, wie Duuhl Larx, der doch angeblich die Schönheit liebte, so etwas auf seinem Planeten dulden konnte.
Marianne Sydow Die Gebäude waren niedrig und grau, und wenn sie ausnahmsweise Fenster besaßen, dann handelte es sich lediglich um winzige Luken mit vom Schmutz blinden Scheiben. An der Erfindung des Lotes waren die Trugen wohl während ihrer technischen Entwicklung aus irgendeinem Grunde vorbeikatapultiert worden. Ob eine Wand oder eine Kante senkrecht ausfiel, schien bei ihnen reine Glückssache zu sein. Und was den Grundriß eines Gebäudes betraf, so blieb dieser dem Zufall überlassen. Es gab eckige und runde Häuser, ovale und gekrümmte und viele, bei denen sich die Form einfach nicht bestimmen ließ. Nomazars Respekt vor den Trugen sank mit jedem Kilometer, den der Gleiter zurücklegte. »Dort wirst du wohnen«, erklärte FrantErf nach geraumer Zeit. Der Gleiter senkte sich auf ein Gebäude hinab, das einem zerbeulten Würfel glich und von einer holperigen Landeplattform gekrönt war. Frant-Erf kletterte aus dem Gleiter und forderte Nomazar freundlich auf, es ihm gleich zu tun. Die anderen Trugen blieben sitzen, und bevor Nomazar seinem Beschützer in das Innere des Hauses folgte, sah er den Gleiter mit hoher Beschleunigung starten. Es ging eine halbdunkle Treppe hinab, deren Stufen zum Glück einigermaßen gleichmäßig waren, so daß Nomazar nur drei bis viermal stolperte, und dann öffnete der Truge eine quietschende Tür. »Hier ist es«, gab er bekannt, und aus seiner quakenden Stimme klang deutlicher Stolz. Nomazar warf einen Blick in den Raum hinter der Tür, dachte unwillkürlich an den Palast von Bryson und unterdrückte tapfer den Wunsch, einfach davonzulaufen. »Sehr gemütlich«, lobte er. Frant-Erf blieb erwartungsvoll stehen, bis Nomazar einsah, daß er seine Zufriedenheit offenbar deutlicher demonstrieren mußte. Er ging also in das Zimmer und setzte sich auf das unordentliche Lager aus übereinandergeworfenen Decken. Ein strenger Geruch hing in der
Welt der Schätze
23
Luft, die Decken fühlten sich zwar warm, aber auch sehr rauh an, und die nackten, grauen Wände zeigten im gnadenlosen Licht einer hellen Lampe zahllose Unebenheiten. »Wirklich gemütlich«, wiederholte Nomazar und stand vorsichtig wieder auf. »Aber ich habe mich vor der Landung ausgeruht und würde mich lieber gleich ein bißchen umsehen. Läßt sich das machen?« »Selbstverständlich«, quakte Frant-Erf hocherfreut.
* Vemed – die Stadt – lag nicht weit vom Äquator entfernt, und dementsprechend heiß wurde es, als die Sonne höher stieg. Nomazar schwitzte, aber der Truge trabte ungerührt in seiner dicken Kleidung neben ihm her und gab die Richtung an. »Können wir nicht ein Fahrzeug benutzen?« schlug Nomazar nach einiger Zeit vor. »Wenn wir diese riesige Stadt zu Fuß besichtigen wollen, brauchen wir ja Wochen, um vom einen Ende ans andere zu kommen.« Frant-Erf bewegte seinen Köcher ruckartig. Nomazar hatte den Eindruck, daß dies eine Geste der Verlegenheit war. »Ich werde nachfragen«, versprach FrantErf nach einer Pause. »Wirst du hier auf mich warten?« »Hier?« Sie standen in einer dieser endlos langen, staubigen Straßen. »Ich habe Durst«, sagte Nomazar. »Was hältst du davon, wenn du mir einen Ort zeigst, an dem ich etwas trinken kann, während du deine Erkundigungen einziehst?« Der Truge überlegte kurz. »Ja«, quakte er dann. »So geht es. Komm.« Und schon marschierte er wieder los. Es war erstaunlich, wie schnell der Bursche auf seinen kurzen, plumpen Beinen vorankam. Was für ihn ein gemütlicher Spaziergang war, bedeutete für Nomazar einen flotten Geländemarsch, und das war nicht sehr an-
genehm bei dieser Hitze. »Hier kannst du trinken«, sagte der Truge plötzlich und blieb so abrupt stehen, daß Nomazar fast in ihn hineingerannt wäre. Sie standen zwischen zwei von diesen windschiefen Häusern. Um sie herum gab es nur grauen, nackten Boden. Vergebens sah Nomazar sich nach einer Tür oder wenigstens einem Brunnen um. »Ich sehe nichts«, bekannte er resignierend. Der Truge trat schweigend ein paar Schritte vor und stieß seine Klauenfinger gegen die Wand. Es quietschte und knarrte, und plötzlich öffnete sich eine schmale Pforte. Ein saurer Geruch stieg Nomazar in die Nase. »Ein Erfrischungszentrum«, erklärte Frant-Erf. »Es ist speziell auf die Bedürfnisse von Wesen eingerichtet, die von außerhalb nach Cagendar kommen. Ich bin sicher, daß du dort alles findest, was du brauchst.« Nomazar war sich dessen nicht so sicher, aber ehe er zu einem Entschluß gelangen konnte, drehte Frant-Erf sich um und eilte davon. Diesmal eilte er wirklich, und Nomazar sah auf den ersten Blick, daß er keine Chance hatte, unter den gegebenen Umständen mit dem Trugen Schritt zu halten. Also gab er sich einen Ruck und schritt durch die Pforte. Er gelangte in einen stockfinsteren Raum und tastete an den Wänden herum, bis er einen Türgriff zu fassen bekam. Im nächsten Augenblick hob er stöhnend die Hände vor die Augen. Licht flutete ihm entgegen, grelles, gleißendes Licht aus unzähligen Scheinwerfern, die es alle nur auf eines abgesehen zu haben schienen: Nomazar die Augen auszubrennen. »Hier herüber, Freund«, sagte eine dunkle Stimme, und breite Hände legten sich um Nomazars Schultern. »Komm, ich führe dich. Diese verdammten Narren können nicht begreifen, daß es Wesen gibt, die dieses Licht nicht vertragen. Aber es ist gleich vorbei.« Nomazar ließ sich weiterziehen, und auch
24 wenn er sicher war, daß der oder die Fremde ihm wirklich helfen wollte, so fühlte er sich doch sehr unbehaglich, denn er ahnte, daß ihm hier auf Cagendar noch mehr unerfreuliche Überraschungen bevorstanden. »Setz dich hierhin und nimm die Hände von den Augen. So ist es gut. Nun probier's mal. Kannst du schon wieder sehen?« Nomazar blinzelte vorsichtig. Erleichtert stellte er fest, daß er sich in einem etwas weniger hellen Raum befand. Er sah Wände und fremdartige Möbelstücke und schlug die Augen vollends auf. »Na also«, sagte die fremde Stimme zufrieden. »Es ist alles halb so schlimm, nicht wahr? Wer bist du?« Nomazar nannte mechanisch seinen Namen und sah sich nach seinem unbekannten Helfer um. Der Fremde war humanoid, fast so groß wie Nomazar, und auf dem hohen, breiten Schädel trug er einen dichten Wald von grellgelben Stacheln. »Ich heiße Thusp«, sagte der Fremde. »Ich habe noch nie ein Wesen wie dich hier im Rghul-Revier gesehen«, bekannte Nomazar. »Von welchem Planeten stammst du?« »Ich habe es vergessen.« Nomazar fuhr hoch. »Vergessen?« Konnte es sein, daß es noch mehr Wesen gab, die ohne Erinnerung auf irgendeiner Welt erwachten und ihren Weg nach Cagendar suchten? Aus irgendeinem Grund war Nomazar stets davon überzeugt gewesen, ein Einzelgänger zu sein, ein Mann mit einem unvergleichlichen Schicksal. Jetzt schossen ihm die wirrsten Gedanken durch den Kopf. Er sah plötzlich eine ganze Armee von Gleichgesinnten vor seinem inneren Auge. Thusps Antwort ernüchterte ihn ungemein. »Die Trugen haben mir die Erinnerung genommen«, sagte der Fremde nämlich. »Das war, bevor man mich nach Harrytho brachte. Sie haben Erfahrung in solchen Dingen, weißt du? Irgend etwas mußte ich
Marianne Sydow im Palast des Neffen tun, aber auch daran erinnere ich mich nicht mehr. Jedenfalls sitze ich hier auf Cagendar fest. Sie lassen mich nicht heimkehren.« »Aber warum denn nicht? Wenn du dich sowieso an nichts mehr erinnerst …« »Sie fürchten wohl, die Erinnerung könnte zurückkehren, wenn ich erst einmal weit genug von Cagendar entfernt bin. Aber mach dir keine Gedanken darüber. Es gibt viele von meiner Art hier. Nur wenige, die nach Harrytho geholt werden, um dort irgendwelche speziellen Dienste zu leisten, können sich hinterher wieder auf den Heimweg machen. Was hat man mit dir vor?« Auch wenn Thusp ein Leidensgefährte war, wollte Nomazar ihm nicht alles auf die Nase binden. Cagendar war nicht der Ort für übertriebenes Vertrauen. »Ich habe keine Ahnung«, behauptete er. »Aber wahrscheinlich wird man mich zu Duuhl Larx bringen, damit ich dort irgendeine Belohnung in Empfang nehme.« »Belohnung?« Thusp zog sich schrittweise von Nomazar zurück. »Ich habe Peleff eingefangen«, sagte Nomazar hastig – er wollte nicht, daß der Fremde sich zurückzog, denn er brauchte ihn noch. »Peleff!« rief Thusp aus, und die gelben Stacheln auf seinem Haupt richteten sich auf. »Ich hörte schon, daß er in Ungnade gefallen ist. Erzähle, Nomazar, ich will alles ganz genau wissen.« »Erst brauche ich etwas zu trinken«, antwortete Nomazar lächelnd. »Ich habe nämlich Durst.« Als Frant-Erf später kam, um Nomazar abzuholen, war Thusp über Nomazars große Tat bestens informiert. Er entdeckte den Trugen und stand hastig auf. »Wenn du etwas brauchst«, flüsterte er, »oder wenn du dich bedroht fühlst, dann gehe in ein Erfrischungszentrum und frage nach der Liga der Verdammten. Aber paß auf, daß du nicht an einen Trugen gerätst.« »Was ist das für eine Organisation?« »Es reicht, wenn du den Namen kennst.
Welt der Schätze
25
Leb wohl.« »Hast du dich ausgeruht?« fragte FrantErf höflich. »Ja. Wie steht es mit einem Fahrzeug?« »Es wartet auf uns.« Als der Gleiter zwischen den schiefen Häusern nach oben stieg, bemerkte Frant-Erf beiläufig: »Der Fremde, mit dem du dich unterhalten hast, gehörte sicher zur Liga der Verdammten. Nimm dich vor diesem Haufen in acht. Die meisten von diesen Brüdern sind total verrückt.« »Der, mit dem ich gesprochen habe, machte aber einen ganz vernünftigen Eindruck.« »Vielleicht bildet er eine Ausnahme. Es geht mich ja auch nichts an. Ich wollte dich nur warnen. Es gibt eine Menge Mörder in der Liga, und sie brauchen nicht einmal ein Motiv, um jemanden umzubringen.« »Wenn ihr Trugen das wißt, wäre es wohl an der Zeit, dagegen einzuschreiten.« »Das dürfen wir nicht. Duuhl Larx hat es verboten.«
5. Es ist ein Skandal, dachte Peleff. Noch vor wenigen Tagen haben sie vor mir gezittert, und sie hatten Grund dazu. Ein Wort von mir, und meine Roboter hätten ihnen die Köcher eingeschlagen, und Duuhl Larx hätte mir noch Beifall gezollt. Aber sie werden es noch bereuen. Vielleicht ahnten die Trugen, die um sein Gefängnis herumstanden, welche Gedanken den Valvken bewegten. Aber wenn es so war, dann ließen sie sich nichts anmerken. Die braune Haut ihrer Köcher blieb gleichmäßig und glatt. Sie behandelten Peleff so gleichgültig, als sähen sie jeden Tag gefangene Valvken in Energiesphären sitzen. »Wohin bringt ihr mich?« rief Peleff nach draußen. Er wußte, daß seine Bewacher ihn hören konnten. Aber sie antworteten ihm nicht. Voller Unruhe starrte er zu den Organschiffen hinüber. Wenn er nur eines da-
von hätte erreichen können … Nicht alle Raumfahrer konnten schon jetzt wissen, daß Peleff in Ungnade gefallen war. Und selbst wenn sie davon gehört hatten, würden sie es nicht wagen, sich ihm zu widersetzen. Lange genug hatte Peleff die Macht in der Hand gehalten, und er hatte die Zeit gut genutzt. Wie sehr man ihn selbst jetzt noch fürchtete, sah man schon daran, daß man ihn in der Sphäre ließ. Die Trugen wußten genau, daß Peleff immer noch gefährlich war. Darum ließen sie ihm in weiser Voraussicht keine Chance. Aber noch bin ich nicht am Ende, dachte Peleff. Und der Weg nach Harrytho ist weit. Bis wir dort sind, werde ich schon noch ein Schlupfloch finden. Er gab sich aber keinen großen Illusionen hin. Sie würden ihn zum Neffen bringen. Duuhl Larx ließ es sich niemals nehmen, Verräter, denen er vertraut hatte, mit eigener Hand zu töten. Und dem Valvken hatte er zu sehr vertraut. Peleff war die Nummer Zwei im Rghul-Revier gewesen. Nur Duuhl Larx selbst war noch mächtiger als der Valvke. Wer würde nach Peleff kommen? Aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Vielleicht sah er den Neffen sogar, bevor er starb, dachte Peleff. Er hatte Duuhl Larx noch niemals zu Gesicht bekommen. »Warum geht es nicht endlich weiter?« schrie er zu den Trugen hinüber. »Sei still!« befahl einer dieser lebenden Kästen grob. Peleff lächelte böse. Das war immerhin eine Reaktion gewesen. Seit Stunden stand der Gleiter nun schon auf dem Raumhafen. Die Sonne schien heiß auf die Sphäre herab, und Peleff litt unter der Hitze. Den Trugen machte das natürlich nichts aus. Sie liebten alles, was heiß und hell war. Darum liebten sie sogar Duuhl Larx, der ihnen in einer ähnlichen, aber undurchsichtigen, heiß strahlenden Sphäre gegenübertrat. Plötzlich hatten es die Trugen eilig. Sie sprangen auf die Ladeplattform und kauerten sich rings um die Sphäre. Der Gleiter
26 setzte sich in Bewegung. Dicht über dem Boden schwebte er der Stadt entgegen. Peleff kannte Cagendar gut, und die Stadt Vemed bot für ihn keinerlei Geheimnisse. Er erkannte schnell, daß die Trugen nicht den Weg einschlugen, der nach Harrytho führte. Statt dessen nahmen sie Kurs auf die nördliche Vorstadt. Sie bringen mich zum Gefängnis, dachte Peleff verwundert. Was hat das zu bedeuten? Nun, auf jeden Fall gewinne ich Zeit. Wenige Kilometer vom Raumhafen entfernt gelangten sie in eine Straße, die mit gelbem Staub bedeckt war. Auch die Häuser waren gelb überpudert. Die Wächter auf der Transportplattform zogen die unförmigen Helme ihrer knallgelben Schutzanzüge hoch und schlossen sie sorgfältig. Die Luft, die durch winzige Öffnungen in die Sphäre drang, roch stechend. Da wußte Peleff, warum es so einen langen Aufenthalt gegeben hatte. Über diesem Teil der Stadt war eine Giftgaswolke niedergegangen. Es mußte sehr schlimm gewesen sein, wenn man es nicht einmal gewagt hatte, den relativ gut geschützten Gefangenen hindurchzuschaffen. Je weiter sie kamen, desto unübersehbarer wurden die Folgen der Katastrophe. Der Staub lag an manchen Stellen so hoch, daß die Rettungsmannschaften – meist Angehörige anderer Hilfsvölker, denn die Trugen hielten es für unter ihrer Würde, sich wegen solcher Unternehmungen in Gefahr zu bringen – bei jedem Schritt tief darin einsanken. Es kam immer häufiger zu solchen Zwischenfällen. Peleff kannte die Gründe. Im Norden der Stadt erhob sich jene gewaltige Anlage, in der der größte Teil der Versiegelungsmasse hergestellt wurde. Es war von Anfang an klar gewesen, daß dabei giftige Gase entstanden. Und jeder Truge wußte auch, daß der Wind fast ausnahmslos von Norden wehte und die giftigen Schwaden in die Stadt hineindrückte. Aber anfangs hatte es Schneisen in der Stadt gegeben, Grünzonen und Windkanäle, die man erst allmählich, weil man nicht auf die bereits versie-
Marianne Sydow gelten Flächen ausweichen konnte, mit Häusern zubaute. Die Trugen waren allerdings schlau gewesen, diese gefährdeten Quartiere vorzugsweise den Angehörigen anderer Völker zuzuweisen. Und wirklich gefährlich war es erst geworden, seit der Ring der Glasur eine bestimmte Breite angenommen hatte. Wie ein gigantischer Spiegel umschloß das Zeug die Stadt. Es reflektierte das Licht so stark, daß die Luft über ihm zu kochen schien. Kein bodennaher Wind konnte diese Heißluftmassen durchbrechen. Vemed war schon jetzt zum Untergang verurteilt. Dem Valvken war es ziemlich egal, ob die Trugen und andere Völker sich auf diese Weise selbst vergifteten. Er sah die Dinge von der rein praktischen Seite und wunderte sich immer wieder darüber, daß Duuhl Larx nicht endlich eingriff und den Trugen befahl, etwas zur Rettung ihrer Stadt zu unternehmen. Man würde Vemed noch für einige Zeit brauchen. Und nicht nur die Stadt, sondern auch die Arbeitskräfte, die hier wohnten, wurden benötigt. »Nun«, murmelte Peleff vor sich. »Was geht es mich an? Wenn Duuhl Larx seine eigenen Pläne in Gefahr bringt, dann ist das schließlich seine Sache. Niemand verlangt mehr von mir, daß ich meinen Verstand in den Dienst des Neffen stelle.« Ungerührt sah er nach draußen, während sich der Gleiter durch die verseuchten Straßen schob. Dann aber ließen sie die vergiftete Zone hinter sich, und vor ihnen tauchte das Gefängnis auf. Es war leicht zu erkennen, denn es unterschied sich erheblich von den Bauten der Trugen. Das Gefängnis war sehr groß, und es sah aus wie eine Burg, mit Mauern und Türmen und unzähligen Innenhöfen. Es hieß, daß Tausende von Sklaven unterschiedlichster Herkunft beim Bau dieses Komplexes gestorben waren, teils wegen der mangelhaften Versorgung, teils wegen fehlender Sicherheitsvorkehrungen, und daß man alle diese Toten kurzerhand eingemauert hatte.
Welt der Schätze Ob das nun stimmte oder nicht – das Gefängnis war ein unheimlicher Ort, an dem grausige Sachen geschahen. Nachts, so erzählte man sich in der Stadt, hörten die Gefangenen lautes Heulen und Jammern, das aus den Wänden kam, und mitunter gelang es den Geistern sogar, sich ein Opfer zu holen. »Alles Geschwätz«, sagte Peleff zu sich selbst. Aber ganz wohl war ihm nicht dabei. Zum erstenmal sah er das Gefängnis aus der Warte eines Insassen. Dadurch verschoben sich die Perspektiven, und die Mauern schienen ihm mächtiger zu sein als bei seinen früheren Besuchen. Man brachte ihn durch das riesige Tor und lud die Sphäre im Haupthof ab. Die Trugen waren dabei sehr schweigsam. Sie beeilten sich, mit ihrer Arbeit fertig zu werden, und sobald sie es geschafft hatten, stiegen sie in das Fahrzeug und brausten davon. Peleff wartete geduldig. Nach einer Stunde, als die Schatten schon weit über den Hof fielen, kamen etwa zwanzig Trugen auf die Sphäre zu. Sie waren alle in grell orangefarbene Kleidung gehüllt. Ihre Waffen klebten nicht an den Haftplatten, sondern waren auf Peleff gerichtet. Zwei von den Wächtern machten sich am Sockel der Sphäre zu schaffen. Das Energiefeld erlosch. »Komm heraus!« befahl ein besonders groß geratener Truge. »Aber hüte dich, eine falsche Bewegung zu machen.« »Du kannst dir diese Ermahnungen sparen, Kao-Ernt«, meinte Peleff gelassen. »Ich habe keine Lust, mit euren Schockschleudern in Berührung zu kommen. In welche Abteilung werdet ihr mich stecken?« »Halt den Mund.« »Aber, Kao-Ernt! An deiner Stelle wäre ich ein bißchen vorsichtiger. Nicht alles, was man dir über mich erzählt hat, muß der Wahrheit entsprechen. Was wirst du tun, wenn die Sache einen anderen Ausgang als erwartet nimmt? Ich bin sicher, daß Duuhl Larx mich bald wieder mit seinem Vertrauen beehren wird. Dann stehst du dumm da!«
27 »Man hat mich gewarnt«, erklärte KaoErnt mit Hilfe seiner Sprachfühler. »Man sagte mir, daß du es auf diese Weise versuchen würdest. Gib dir keine Mühe, Peleff. Du wirst uns nicht dazu bewegen können, unsere Pflichten in irgendeiner Weise zu vernachlässigen. Und jetzt komm, wir haben keine Zeit für sinnlose Diskussionen.« Peleff hob seine zwölffingrigen Hände zu einer resignierenden Geste. Aber die Trugen waren zu nervös, um jetzt auf die Gewohnheiten eines Valvken einzugehen, zumal sie im Umgang mit Angehörigen dieses Volkes ohnehin keine besondere Routine hatten – es gab ja nur einen davon. Bis auf Peleff waren sie alle von Duuhl Larx ausgerottet worden. Peleff kam noch dazu, einen kurzen Schrei auszustoßen, als die Geschosse der Schockschleudern sein leuchtend blaues Gewand durchschlugen. Dann verstummte er. Er fiel nicht um, obwohl er bereits fast ohne Bewußtsein war. Das Schwebefeld, mit dessen Hilfe er sich stets bewegte, hielt ihn aufrecht. »Nun«, sagte Kao-Ernt nach einer Schreckpause, »es ist sicher besser so. Dieser Bursche ist wirklich gefährlich. Bringt ihn weg.« Er drehte sich um und ging in seinen Dienstraum. Dort wartete Kezem-Hun bereits auf ihn. »Wie ist es gelaufen?« fragte der Sanitäter gespannt. »Gut. Niemand hat Verdacht geschöpft.« »Ist die Zelle präpariert?« »Ja. Fyr-Than und sein Sohn werden sich mit ihm unterhalten können. Hoffentlich haben wir Glück. Peleff weiß so viel – er könnte uns wirklich bei unserem Vorhaben helfen. Die Frage ist nur, ob der Valvke mitspielen wird. Er scheint zu hoffen, daß Duuhl Larx ihn noch einmal davonkommen läßt.« »So dumm kann er nicht sein«, meinte Kezem-Hun, aber es klang unsicher, und seine Fühler bewegten sich dabei zitternd. »Wahrscheinlich hat er alles noch gar nicht recht begriffen. Es ist der Schock, Kao-Ernt,
28
Marianne Sydow
da bin ich mir ganz sicher. Sobald er alles versteht, wird er auf unsere Seite überschwenken. Dann ist für uns Sanitäter der Zeitpunkt gekommen, diese unsinnigen Störmanöver zu unterlassen und mit dem wirklichen Kampf um die Freiheit zu beginnen.« Kao-Ernt antwortete nicht. Ihm war schwindelig. Worauf hatte er sich da eingelassen? Gewiß, auch ihm bereitete der Zustand des Planeten Cagendar große Sorgen, und es stand ohne allen Zweifel fest, daß Duuhl Larx den Untergang des trugischen Volkes heraufbeschwor. Warum mußten ausgerechnet sie, die stets treu zu dem Neffen gehalten hatten und für ihn alles taten, davon betroffen sein? Hätte der Herrscher von Cagendar sich nicht ebensogut einen anderen Planeten für sein Vorhaben auswählen können? Trotzdem – an Widerstand zu denken war eine Sache, sich daran zu beteiligen, eine andere. Kao-Ernt hatte in diesen Augenblicken das ungute Gefühl, sich an den Vorbereitungen zu seiner eigenen Hinrichtung zu beteiligen.
* Peleff war ein harter, zäher Bursche, auch wenn er nicht danach aussah. Sein schwammiger Körper hatte schon so manchen Gegner getäuscht. Peleff sah aus, als leide er an Fettsucht. In Wirklichkeit war er für einen Valvken sogar ausgesprochen schlank. Hinzu kam, daß die Geschosse der Trugen nur die äußeren Schichten seines Körpers erreicht hatten. Das Gift lähmte den Valvken, raubte ihm aber nicht ganz das Bewußtsein. Er konnte noch hören, wenn auch die Stimmen seiner Wächter durch dicke Wände zu dringen schienen. »Legt ihn dorthin!« sagte einer der Trugen. »Überprüft die Anlagen.« »Alles in Ordnung«, meldete ein anderer. »Wir ziehen uns zurück.« Anlagen – was für Teufeleien hatte man
in die Wände der Zelle eingebaut? Peleff wartete geduldig, bis die Lähmung aus seinem Körper wich. Das dauerte nicht einmal eine Stunde. Er richtete sich mit Hilfe seines Schwebefeldes auf und untersuchte die Zelle gründlich. Dabei fand er ziemlich schnell heraus, daß er von der Außenwelt völlig abgeschirmt war. Ohne Hilfe von außen würde er hier nicht herauskommen. Er kam nicht einmal an die Wände heran. Ein Energiefeld umschloß ihn von allen Seiten und hinderte ihn daran, den kühlen Stein zu berühren. Peleff setzte sich mitten in dem engen Raum auf den Boden und dachte nach. Da man ihn ins Gefängnis gesteckt hatte, anstatt ihn sofort nach Harrytho zu bringen, war wohl anzunehmen, daß man ihn vor ein Gericht stellen würde. Unter normalen Umständen hätte dies eine Chance bedeutet. Peleff traute sich durchaus zu, in den erzwungenen Mußestunden Argumente zu seiner Verteidigung zurechtzubasteln. Er hatte sich in den letzten Tagen schon eine glaubwürdige Geschichte ausgedacht, aber die war für Duuhl Larx persönlich bestimmt. Leider waren die Umstände auf Cagendar nicht normal. Peleff hatte genug Prozesse miterlebt, um zu wissen, wie das System funktionierte: Man würde ihn kaum zu Wort kommen lassen, und wenn er doch Gelegenheit erhielt, zu sprechen, so würde man vorher dafür sorgen, daß er das Richtige sagte. Und schließlich waren da noch seine Richter. Was sie am Ende der Verhandlung verkündeten, wurde ihnen vom Neffen diktiert. Die Lage schien hoffnungslos zu sein. Peleffs einzige Chance bestand darin, daß er nach der Urteilsverkündung nach Harrytho gebracht wurde. Vielleicht beging auch Nomazar in der Zwischenzeit Fehler. Dann gewannen die Argumente des Valvken an Gewicht. Als er mit seinen Gedanken so weit gekommen war, vernahm er undeutlich die Stimme eines Trugen. »Ist da jemand?« Er sah auf – die Zelle war leer, und an den
Welt der Schätze Wänden flimmerte der Energieschirm. »He, Nachbar, warum antwortest du nicht?« »Wer bist du?« fragte Peleff vorsichtig. Er erinnerte sich plötzlich an die Geister, die angeblich in den alten Mauern hausten. »Fyr-Than. Ich sitze mit meinem Sohn in der Nachbarzelle. Wir haben gehört, wie die Wächter sich über dich unterhielten. Bist du wirklich Peleff, der Valvke?« »Ja.« »Kannst du ein bißchen näher an die Wand rücken? Ich verstehe dich sehr schlecht.« »Mir kommt es schon verdächtig vor, daß wir überhaupt etwas voneinander hören können«, brummte Peleff und folgte der Bitte Fyr-Thans, wobei er die Mauer mißtrauisch betrachtete. »Diese Zellen sind schalldicht, und mich hat man noch zusätzlich abgeschirmt.« »Ich werde es dir später erklären«, versprach Fyr-Than. »Es ist sehr schade, daß wir uns jetzt erst begegnen.« Peleff glaubte, sich verhört zu haben. Schade? Mit viel Sorgfalt hatte er an seinem schlechten Ruf gebastelt, und er hatte es mit Erfolg getan – auf Cagendar und vielen anderen Planeten ging man ihm gewissenhaft aus dem Weg. Niemand nahm freiwillig Kontakt zu Peleff auf. »Hast du jemals von den Sanitätern gehört?« fragte Fyr-Than. »Gehörst du zu einem Rettungstrupp?« »Nein. Oder doch, wie man es nimmt. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, zur Rettung unseres Planeten beizutragen.« »Wer ist wir? Du und dein Sohn?« »Wir sind viele. Tausende von Trugen gehören den Sanitätern an, und noch mehr sympathisieren mit uns.« »Interessant«, sagte Peleff gedehnt. »Darf man fragen, warum ihr beide im Gefängnis sitzt?« »Man hat uns erwischt.« »Wobei?« »Sabotage«, antwortete Fyr-Than lakonisch.
29 Peleff hielt die Luft an. Manchmal, dachte er, ist es ganz nützlich, in die Rolle des Verlierers zu schlüpfen. Was, bei der Aura des Neffen, geht hier vor? »Wir haben die Versiegelung beschädigt«, erklärte Fyr-Than. Das ernüchterte den Valvken ungemein. Er mußte lachen. Daß er nicht gleich darauf gekommen war! »Das ist es also«, kicherte er. »Von diesen Sanitätern habe ich natürlich schon gehört. Duuhl Larx weiß über euch Bescheid. Mein lieber Fyr-Than, der Neffe amüsiert sich köstlich über dich und deinesgleichen.« Für einen Augenblick blieb es still. »Er wird bald aufhören, über uns zu lachen«, versicherte Fyr-Than schließlich. »Dann habt ihr also etwas Großes vor?« erkundigte sich Peleff. »Allerdings. Aber ich darf nicht länger darüber sprechen. Es wäre zu gefährlich, dich jetzt schon einzuweihen.« »Du meinst, ich könnte euch verraten?« Peleff lachte laut auf. »Man wird mich zum Tode verurteilen, Fyr-Than. Es ist ausgeschlossen, daß Duuhl Larx es sich noch einmal anders überlegt. Er kann es sich nicht leisten, mich am Leben zu lassen. Er weiß jetzt, daß ich schon seit langem insgeheim gegen ihn gearbeitet habe. Ich war immer sein Feind. Wie oft habe ich mir gewünscht, daß gerade unter euch Trugen endlich ein paar vernünftige Leute auftauchen, die mich in meinem Kampf gegen den Neffen unterstützen könnten. Ja, du hast recht, es ist schade, daß ich es erst jetzt erfahre. Gemeinsam hätten wir viel erreichen können.« Er konnte es sich leisten, so zu sprechen. Erstens hatte er nicht viel zu verlieren, und zweitens konnte er später ohne weiteres behaupten, er hätte den Trugen nur zu verräterischen Äußerungen verleiten wollen. FyrThan fiel auch prompt darauf herein. »Wenn es so ist«, sagte er zu Peleff, »dann sehe ich keinen Grund, noch länger zu schweigen. Unser Plan ist ganz einfach: Wir werden Cagendar retten, indem wir den Neffen töten. Ohne Duuhl Larx wird die
30 Versiegelung von Cagendar keine Minute länger weitergeführt werden.« Dem Valvken verschlug es sekundenlang die Sprache. Er hatte schon so manches erlebt, aber einem Trugen, der kaltblütig vom Mord an Duuhl Larx sprach, war er noch nicht begegnet. »Weißt du überhaupt, was ihr euch da vorgenommen habt?« fragte er schließlich. »Ich denke schon. Es wird schwer sein, an Duuhl Larx heranzukommen.« »Schwer?« Peleffs Lachen klang fast schon hysterisch. »Du bist ein Optimist, mein Freund! Eher gelingt es dir, zu Fuß eine Sonne zu umrunden, als daß du den Neffen zu fassen bekommst.« »Er verbirgt sich in einer Aura«, stellte Fyr-Than nüchtern fest. »Wir haben Spezialisten, die sich mit Schutzschirmen aller Art bestens auskennen. Sie werden herausfinden, wie man die Aura aufbrechen kann, und das wird der erste Schritt sein.« »Der erste Schritt, ja, aber nicht in die Richtung, die euch vorschwebt. Laßt die Finger von dieser Sache. Sage deinen Freunden, daß es sinnlos ist, gegen Duuhl Larx vorzugehen. Wenn ihr es versucht, werdet ihr dasselbe Schicksal erleiden wie einst das Volk der Valvken. Auch wir haben rebelliert, wie du ja sicher weißt. Das Ende vom Lied war, daß Duuhl Larx mein Volk vernichtete.« »Wir werden klüger sein als die Valvken«, behauptete Fyr-Than ungerührt. »Wir werden vor allem nicht den Fehler begehen, uns auf unseren eigenen Verstand zu viel einzubilden. Wir sind bereit, zu lernen. Du, Peleff, könntest uns vieles lehren. Niemand kennt den Neffen besser als du, niemand weiß in Harrytho so gut Bescheid. Aber das ist nicht alles. Du weißt, welche Fehler die Valvken sich geleistet haben. Du kennst fast jede einzelne Rebellion, die es im RghulRevier jemals gegeben hat, und du bist über die Hintergründe informiert. Wenn wir alle diese Fehler kennen und sie bei unserem Vorhaben vermeiden, müssen wir siegen.« »Das wäre möglich«, stimmte Peleff zu.
Marianne Sydow »Dann wirst du mit uns zusammenarbeiten?« »Ich glaube, du hast vergessen, wo wir uns jetzt befinden.« »Die Sanitäter haben schon jetzt mehr Macht und Einfluß als du denkst, Peleff. Sie warten nur auf deine Zustimmung. Sage ja, und du wirst morgen frei sein.« »Frei – auf Cagendar?« »Es gibt viele Verstecke. Vergiß die alten Städte nicht. Sie wurden dem Boden gleichgemacht, aber viele der subplanetarischen Anlagen existieren noch.« »Also gut«, sagte Peleff gedehnt. »Ich werde es mir überlegen.« »Wann wirst du deine Entscheidung treffen?« »Ich weiß es nicht. Lange kann es jedenfalls nicht dauern. Ich werde nach dir rufen, wenn es soweit ist.« »Gut, ich warte.« Peleff rückte von der Wand ab, und seine großen, gelben Augen richteten sich auf eine Welt jenseits der Wirklichkeit. Er schaltete jeden Gedanken an seinen Körper aus und konzentrierte sich auf das strahlende Licht der Logik, das den Valvken seit eh und je Halt und Hilfe in allen Lebenslagen geboten hatte. Es war etwas faul auf dem Planeten Cagendar. Um das zu erkennen, brauchte er das strahlende Licht nicht zu bemühen. Und was dahintersteckte – in spätestens einer Stunde würde er es wissen. Was er dann unternehmen würde, war eine andere Frage. Eines stand allerdings schon fest: Auf der Seite der Verlierer wollte Peleff nicht landen.
6. Der Tag wollte kein Ende nehmen. Seit Stunden – so schien es Nomazar – flog Frant-Erf mit ihm durch die Gegend und zeigte ihm windschiefe Gebäude und deren Inhalt. Nomazar besichtigte unzählige Fabriken, und schon bald schwirrte ihm der Kopf von all den Dingen, die er dabei erfuhr. Vielleicht wäre das alles ganz interessant ge-
Welt der Schätze wesen, wenn es ihm gelungen wäre, seine Gedanken zusammenzuhalten. Aber immer wieder quälte ihn die Frage, wann die Trugen wohl das Spiel satt hatten und zur Sache kamen. »Laß uns eine Pause machen«, schlug Nomazar vor, als sie gerade wieder einer dieser schmutzigen, stinkenden Hallen entronnen waren. Draußen war es heiß und stickig, aber im Vergleich zu dem, was er drinnen ausgehalten hatte, fühlte die Luft sich in seinen Lungen wie reiner Sauerstoff an. »Bist du müde?« erkundigte sich Frant-Erf interessiert. »Mehr als das«, murmelte Nomazar. »Gut«, meinte Frant-Erf. »Gehen wir in eine Erfrischungshalle. Dort drüben ist eine.« Nomazar zog es vor, die Augen zu schließen und sich von dem Trugen führen zu lassen. Frant-Erf war mittlerweile mit den Schwächen seines Schützlings einigermaßen vertraut. Er brachte Nomazar in eine Nische, in der das Licht gedämpft war, drückte ihn auf eine Bank und besorgte ein kühles Getränk. »Das wird dir helfen«, erklärte er. »Du kannst davon bekommen, so viel du willst, denn du bist unser Gast.« Nomazar nippte vorsichtig an dem Becher. Das Getränk schmeckte angenehm säuerlich und erfrischend, und es enthielt offenbar keinen Alkohol. Das war für Nomazar sehr beruhigend. Obwohl er im Grunde nichts zu verheimlichen hatte, fürchtete er sich vor dem Gedanken, in willenlosem Zustand ausgefragt zu werden. Frant-Erf traf keine Anstalten, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Der Truge sagte überhaupt nichts, sondern war emsig damit beschäftigt, sich mit grünen Kugeln vollzustopfen. Zu diesem Zweck hatte er seine Schutzkleidung gelockert und den Kragen aufgeknöpft. Unterhalb des Kopfköchers saß eine von Muskelwülsten umgebene Öffnung, in der die Kugeln verschwanden. Nomazar sah fasziniert und leicht angewidert zugleich zu. »Wie lange wird es dauern, bis man mich nach Harrytho bringt?« fragte er nach eini-
31 ger Zeit. »Das weiß ich nicht«, antwortete FrantErf mit Hilfe der Fühler auf dem Grund des Köchers, während sein Mund ungerührt weiterkaute. »Es ist nicht einmal sicher, daß man dich überhaupt in den Palast holt. Das Lob des Neffen ist dir sicher. Es spielt keine Rolle, ob er es hier oder dort an dich erteilt.« »Ich finde, da besteht schon ein Unterschied.« »Warum?« »Es wäre eine große Ehre für mich, Duuhl Larx zu sehen«, erklärte Nomazar vorsichtig. »Du machst dir falsche Vorstellungen. Wenn man dich zum Neffen bringt, so heißt das noch lange nicht, daß du ihn auch sehen wirst. Niemand sah ihn bisher, nicht einmal seine engsten Berater oder die Diener, die im Palast leben.« »Das verstehe ich nicht.« »Es ist ganz einfach. Duuhl Larx zeigt sich seinen Untertanen nicht in seiner wahren Gestalt. Er erscheint vielmehr im Schutz einer heißen, hellen Aura. Manche Trugen von niederem Rang glauben, daß diese Aura selbst der Neffe ist, aber das ist natürlich Unsinn. Weißt du, mein Volk liebt das Licht und die Wärme. Duuhl Larx weiß das. Er wählte eine Gestalt, die auf jeden Trugen wirkt, und er hatte von Anfang an Erfolg damit. Man liebt ihn auf Cagendar, weil er Licht und Wärme um sich verbreitet.« »Und wie steht es mit dir? Verehrst du ihn auch?« »Ich bin ein Truge«, erklärte Frant-Erf, und es klang, als wollte er einer direkten Antwort ausweichen. Aber Nomazar witterte Gefahr und versuchte erst gar nicht, seinen Begleiter zu provozieren. »Hast du dich jetzt lange genug ausgeruht?« fragte Frant-Erf. »Was willst du mir denn noch zeigen?« erkundigte sich Nomazar seufzend. »Du bist unser Gast«, erklärte Frant-Erf gelassen. »Ich habe Anweisung, dir alles zu zeigen, was das Leben meines Volkes be-
32 stimmt. Unsere Tage sind mit Arbeit erfüllt, aber in den Nächten geben wir uns anderen Dingen hin.« Nomazar versuchte, sich das Nachtleben von Vemed vorzustellen, und er mußte lachen. Wollte Frant-Erf ihn in die trugische Version einer Schönheitsrevue schleppen? Er wußte zwar nicht, was sich unter der dicken Vermummung der wandelnden Kästen verbarg, aber es war kaum anzunehmen, daß ihn der Anblick einer sich allmählich entblätternden Trugin in irgendeiner Weise erfreuen könnte. Er wußte nicht einmal, welcher Unterschied bei diesem Volk zwischen Männlein und Weiblein bestand, ja, ihm war nicht ganz klar, ob er überhaupt schon einem weiblichen Trugen begegnet war. Diese Kästen sahen für ihn alle gleich aus. »Sei mir nicht böse, Frant-Erf«, sagte er daher. »Aber ich bin wirklich sehr müde, und ich möchte schlafen, weiter nichts.« »Was dich erwartet, ist mindestens so erholsam wie Schlaf«, erklärte der Truge kategorisch. »Die Kodierung der Wärme wird dir alle Entspannung schenken, die du brauchst.« »Was ist das – die Kodierung der Wärme?« »Man kann es nicht erklären, sondern nur spüren. Komm.« Nomazar resignierte. Er wollte den Trugen nicht enttäuschen oder kränken, denn der Bursche schien ehrlich davon überzeugt zu sein, daß ihnen ein Hochgenuß bevorstand. Sie benutzten wieder den Gleiter, und diesmal flog Frant-Erf in ein Viertel, in dem die Gebäude kleiner waren als sonst und auch weiter voneinander entfernt standen. Inzwischen war es dunkel geworden, und es hatte sich abgekühlt. Nomazar genoß den frischen Fahrtwind. Frant-Erf dagegen hüllte sich enger in seine dicke Kleidung. Der Gleiter landete zwischen zwei Häusern, die im schwachen Licht einiger Straßenlampen wie formlose Klumpen aussahen. Aus dem staubigen Boden ragten einige struppige Sträucher auf, mit winzigen, stark
Marianne Sydow riechenden Blättern und langen Dornen, und über dem Eingang des am nächsten stehenden Hauses war eine matt spiegelnde Platte angebracht. Offenbar sollten die Platte und die Sträucher dazu beitragen, das Heim der hier lebenden Trugen zu verschönern. Nomazar fand diesen kläglichen Versuch geradezu rührend. Drinnen war es hell und warm. Nomazar, der zum erstenmal ein trugisches Wohnhaus von innen sah, war überrascht ob der Vielzahl der Lampen und Leuchten, die überall an Wänden und Decken befestigt waren. Selbst in den Fußboden waren hell strahlende Platten eingelassen. Frant-Erf schlüpfte sofort wieder in die Rolle des Fremdenführers. »Dies sind die äußeren Räume«, erklärte er. »Sie sind jedem Besucher zugänglich. Weiter drinnen, als nächste Zone, kommen die Wohnräume der männlichen Familienmitglieder. Und ganz drinnen leben die Frauen. Komm, ich zeige dir alles.« Nomazar ließ sich herumführen, und jetzt begriff er wenigstens, warum die Gebäude der Trugen so verbeult wirkten. Offenbar war es Gesetz, daß der Kern eines jeden Gebäudes kreisförmig war und bei späteren Umbauten nicht mehr verändert werden durfte. Wuchs die Familie, so wurden neue Räume wie Beulen außen angesetzt, wobei stets zwischen der äußeren Wand und dem eigentlichen Wohnbereich ein Raum entstehen mußte, der für die »Öffentlichkeit« bestimmt war. Es schien ganz so, als legten die Trugen es darauf an, ihre Frauen völlig von der Außenwelt abzuschirmen. »Das stimmt«, sagte Frant-Erf auf eine diesbezügliche Frage. »Aber jetzt wird es Zeit, daß wir nach drinnen gehen, denn die Stunde der Meditation wird gleich beginnen.« Nomazar folgte dem Trugen durch einen spärlich eingerichteten Wohnraum. Als die nächste Tür vor ihm aufschwang, blieb er überrascht stehen. Hinter der Tür war es dunkel. Das war in einem trugischen Haus zumindest unge-
Welt der Schätze
33
wöhnlich. Noch beunruhigender aber war das monotone Gemurmel, das aus der Finsternis drang. Außerdem roch es merkwürdig. Frant-Erf schob seinen Schützling weiter und drückte ihn sanft auf den Boden. »Verhalte dich still«, empfahl er leise. »Und höre genau hin. Es ist nicht schwer. Die Formeln wirken auch auf nichttrugische Wesen, das wissen wir.« Nomazar spürte plötzlich die Nähe einer Gefahr, und in einem Anflug von Panik wollte er aufspringen und nach draußen laufen. Aber Frant-Erf hielt ihn fest, und der Truge war sehr stark. Nomazars Widerstand währte nur Sekunden. Dann griff das Gemurmel nach ihm und lullte ihn ein. Er entspannte sich, fast gegen seinen Willen, und Frant-Erf ließ ihn los. Das Gemurmel hielt an. Nomazar spürte eine seltsame Wärme, die nicht von außen kam, sondern in seinem Körper selbst entstand. In der Mitte des Raumes erschien ein leuchtender Punkt, der sich schnell ausdehnte. Undeutlich nahm er wahr, daß überall Trugen waren, die auf dem Boden kauerten und die Fühler, die sonst ziemlich weit aus den Köchern ragten, fast eingezogen hatten. Aber er kam nicht dazu, sich auf diese Beobachtung einen Reim zu machen, denn plötzlich stieg eine ungeheure Hitze in ihm auf. Vor seinen Augen tanzten leuchtende Punkte, und im nächsten Augenblick explodierte etwas in seinem Gehirn und schleuderte ihn zu Boden.
* Als er erwachte, erinnerte er sich nur undeutlich daran, was eigentlich vorgefallen war. Er blinzelte in das helle Licht und sah einen Trugen, dessen Sichtfühler auf ihn gerichtet waren. »Geht es dir jetzt besser?« fragte FrantErf, aber es hörte sich nicht so an, als wäre der Truge sonderlich besorgt um Nomazar. »Ja«, murmelte Nomazar und richtete sich langsam auf. »Was ist passiert?«
»Die Kodierung der Wärme scheint für dich nicht das Richtige zu sein«, antwortete Frant-Erf gelassen. »Ich werde dich in dein Quartier bringen.« »Keine schlechte Idee«, murmelte Nomazar. »Welchen Zweck erfüllt eigentlich diese Kodierung der Wärme?« erkundigte er sich, als sie über die stille, schlafende Stadt flogen – Vemed war zwar sehr groß, aber vom pulsierenden Leben einer Großstadt war hier nichts zu spüren. »Es ist eine Meditationstechnik«, erklärte Frant-Erf. »Nur die Frauen beherrschen sie. Die Kodierung ist für uns Trugen lebensnotwendig. Sie regt den Stoffwechsel an, gibt uns neue Kraft und befähigt bestimmte Organe in unseren Körpern, die für uns so wichtige Wärme zu erzeugen. Ohne die Meditationen muß ein Truge innerhalb weniger Tage an innerer Unterkühlung sterben.« Nomazar nahm das zur Kenntnis. Es kam ihm zwar seltsam vor, und er wunderte sich, daß ein Volk, das eine so leicht erkennbare Achillesferse besaß, befähigt war, im RghulRevier zu bestehen und sogar eine führende Rolle einzunehmen. Aber er fühlte sich im Augenblick außerstande, dem Rätsel nachzuspüren. Frant-Erf brachte Nomazar in das kahle Zimmer, wünschte seinem Schützling eine angenehme Nacht und machte sich aus dem Staub. Die nächste halbe Stunde verbrachte Nomazar mit der Suche nach einem Lichtschalter. Die kleine, grelle Lampe aber ließ sich nicht ausschalten. Sie tauchte den Raum in kalkiges Licht und strahlte besonders das Lager an der Wand an. Schließlich wickelte Nomazar sich in eine schmutziggraue Decke und sank auch tatsächlich in einen unruhigen Schlaf. Aber das dauerte nicht lange. Plötzlich nämlich war da ein Geräusch, das ihn aus seinen wirren Träumen schreckte. Benommen richtete er sich auf – und sah einen Trugen vor sich. »Frant-Erf?« erkundigte er sich unsicher. »Nein«, antwortete der Truge. »Komm mit, Frant-Erf erwartet dich.«
34 »Warum kommt er nicht selbst her?« Der Truge zerrte Nomazar schweigend hoch und zog ihn mit sich. Anfangs setzte Nomazar sich zur Wehr, denn er hegte den Verdacht, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. Aber der Truge drohte ihm, ihn mit Hilfe seiner Schockschleuder zu paralysieren. Daraufhin zog Nomazar es vor, sich wenigstens vorerst von seiner besten Seite zu zeigen. Der Truge führte ihn wieder aufs Dach hinauf und nötigte ihn, in einem Gleiter Platz zu nehmen. »Wohin bringst du mich eigentlich?« fragte Nomazar vorsichtig, als das Gefährt sich in die Luft erhob. »In das Gewölbe des Rates«, erklärte der Truge. »Aha. Und was erwartet mich dort?« »Das wirst du in wenigen Minuten erfahren.« Na schön, dachte Nomazar. Wenn du unbedingt ein Geheimnis daraus machen willst, werde ich dir den Spaß nicht verderben. Aber was das Gewölbe des Rates darstellt, wüßte ich doch ganz gerne. Hatte Frant-Erf es ihm am Tag davor nicht gezeigt? Er konnte sich nicht genau daran erinnern. Er hatte so viele dieser formlosen Gebäude gesehen und so viele Bezeichnungen gehört, daß er sie nicht mehr auseinanderzuhalten vermochte. Wenig später landete der Gleiter. Trugen in knallgelben Schutzanzügen erwarteten Nomazar und geleiteten ihn durch ein hohes, halbrundes Tor. Die Schockschleudern trugen sie dabei schußbereit in der Hand. Nomazar ließ sich durch lange Gänge führen, in denen es von Trugen nur so wimmelte. Sie waren alle bewaffnet, aber das hatte nicht viel zu bedeuten, denn Nomazar hatte noch keinen einzigen Angehörigen dieses Volkes gesehen, der nicht wenigstens eine Schockschleuder und einen Strahler mit sich herumschleppte. Aber dann stieß man ihn durch eine offene Tür, und er sah einen Trugen, der an einer Art Tisch saß und mit seinem Strahler
Marianne Sydow auf Nomazars Bauch zielte. Diesen Trugen kannte er. Jetzt, da er ihm gegenüberstand, war er sicher, Frant-Erf zu sehen. »Was soll das?« fragte er empört. »Ich bin müde – warum läßt du mich nicht in Ruhe?« »Du bist ein Spion«, sagte Frant-Erf mit seiner lächerlichen, quakenden Stimme. Nomazar seufzte. »Das mußte ja kommen«, murmelte er. »Darf ich mich setzen?« »Nein. Welchen Auftrag gab man dir im Marantroner-Revier?« »Ich habe keinen Auftrag, Frant-Erf«, erklärte Nomazar ungeduldig. »Und ich komme auch nicht aus dem Marantroner-Revier. Warum, um alles in der Welt, glaubt mir das denn niemand?« »Weil es Beweise gibt.« »Oh, das ist mir aber neu. Kannst du sie mir nennen?« »Du hast alles getan, was nur möglich war, um nach Cagendar zu gelangen.« »Du lieber Schrecken, ich wußte bis vor kurzem noch nicht einmal, daß es einen Planeten dieses Namens gibt. Es war reiner Zufall, daß ich bei den Leuten von Achtol etwas von Cagendar und Duuhl Larx hörte.« »Dann war es auch Zufall, daß du einen schwierigen Kriminalfall aufgeklärt hast? Und du willst nicht gewußt haben, wie die Domer darauf reagieren würden?« »Woher hätte ich das wissen sollen?« »In der Planetenschleuse hast du einen Fluchtversuch vorgetäuscht.« »Was heißt hier getäuscht? Ich habe es verdammt ernst gemeint.« »Es ist nur seltsam, daß du genau im richtigen Augenblick verschwunden bist. Elkort war ein Narr, und wir wissen, welch unglaubliche Gedanken er hegte. Er wollte dich töten lassen. Zwei Dinge hielten ihn davon ab – Peleffs bevorstehender Besuch und die Tatsache, daß du Guhrno verlassen hast.« »Wie sollte ich wohl über Elkorts Gedanken Bescheid wissen? Ich ahnte ja nicht einmal, daß es ihn gab.« »Dann kam Peleff. Er teilte dir mit, daß er
Welt der Schätze dich nach Cagendar bringen wollte. Du hast dich nicht dagegen gesträubt. Im Gegenteil, unsere Beobachter berichten, du wärest ihm freiwillig gefolgt.« »Freiwillig!« schnaubte Nomazar. »Er ließ mich in Ketten legen, dann schleppten mich seine Roboter davon. Deine Beobachter scheinen ein Augenleiden zu haben.« »Dein Verhalten Peleff gegenüber änderte sich offenbar erst, als du erkanntest, daß das Ziel des Fluges nicht Cagendar war.« »Ich sehe schon, es hat keinen Sinn, mit dir zu reden. Du hörst ja doch nicht zu.« »Du hattest durch Peleff die Chance, das Rghul-Revier zu verlassen. Aber du bist freiwillig zurückgekehrt. Du hast dem Valvken sogar auf Caudin das Leben gerettet. Du hast das nur getan, um Peleff später dem Neffen ausliefern zu können. Du wußtest genau, daß du auf diese Weise zumindest hierher, vielleicht sogar in die Nähe des Neffen gelangen konntest.« Nomazar starrte Frant-Erf schweigend an. »Warum legst du so großen Wert darauf, Duuhl Larx zu begegnen?« »Es war falsch, daß ich mich gestern mit dir darüber unterhalten habe, wie? Ich will dir etwas sagen, Frant-Erf: Es gibt so etwas, das nennt man Neugierde. Überall spricht man über Duuhl Larx, jeder hat etwas anderes über ihn zu berichten, und eine Geschichte ist haarsträubender als die andere. Ich würde gerne die Wahrheit erfahren. Das ist alles.« »Nein. Du hast den Auftrag, möglichst viele Informationen zu sammeln. Chirmor Flog möchte wissen, wie es jetzt um Duuhl Larx steht. Wir wissen das. Auf den äußeren Welten geht das Gerücht um, Duuhl Larx wäre krank. Du solltest die Bestätigung liefern, vielleicht sogar den Neffen töten.« »So? Was hätte Chirmor Flog davon? Müßte er nicht fürchten, selbst zur Rechenschaft gezogen zu werden?« »Du weißt genau, daß das nicht passieren wird.« »Hör zu, Frant-Erf«, sagte Nomazar grimmig. »Wenn du so viel über mich weißt,
35 dann müßtest du eigentlich längst erkannt haben, daß ich mit der ganzen Sache nichts zu tun habe. Ihr habt den Falschen erwischt. Falls es wirklich einen Spion gibt, so lacht er sich jetzt ins Fäustchen. Solange ihr euch nämlich auf mich konzentriert, kann er ungestört arbeiten.« »Du bist der Spion.« »Du kannst mich mal …«, schrie Nomazar, außer sich vor Zorn. Frant-Erf hob drohend die Schockschleuder, und Nomazar riß sich mühsam zusammen. »So kommen wir nicht weiter«, sagte er. »Ihr seid überzeugt davon, daß ich der Spion bin, und ich weiß ebenso sicher, daß das nicht stimmt.« »Das weißt du nicht, sondern du glaubst es.« »He!« sagte Nomazar überrascht. »Was soll das nun wieder?« »Wir wissen, wie Chirmor Flog arbeitet, denn wir würden genauso handeln. Du bist der Spion, aber du weißt es nicht. Es wäre zu gefährlich gewesen, dich so einfach zu uns zu schicken. Man hat dich auf deine Aufgabe gründlich vorbereitet, alle Anweisungen in deinem Unterbewußtsein verankert und dir dann die Erinnerung genommen.« Nomazar zuckte zusammen. Ich habe meine Herkunft aus Sicherheitsgründen vergessen. Diesen Satz hatte er in seinem Gedächtnis als Antwort auf die Frage gefunden, warum er sich nicht an seine Vergangenheit erinnern konnte. Wenn Frant-Erf nun recht hatte? Wenn er wirklich aus dem Marantroner-Revier kam? Wenn er der Spion war, den man auf Cagendar erwartete? Man würde ihn bei der erstbesten Gelegenheit einen Kopf kürzer machen. Er mußte leugnen. Er mußte sich schnellstens eine glaubwürdige Geschichte ausdenken, einen Lebenslauf erfinden, eine plausible Erklärung dafür finden, daß er, der Angehörige eines im Rghul-Revier unbekann-
36 ten Volkes, scheinbar aus dem Nichts auf Ximmerrähne aufgetaucht war. Und er mußte sich bei alledem beeilen, denn es ging um seinen Hals … Halt! befahl er sich selbst, als er seinen Fehler bemerkte. Nur jetzt keine Panik. Wenn ich jetzt anfange, zu reden, dann weiß Frant-Erf, daß ich etwas zu verbergen habe. Er wird mich sofort in die Zange nehmen, und der Himmel mag wissen, was dabei herauskommt. »Vielleicht«, sagte er bedächtig, »ist es wirklich so, und ich bin euer Spion, ohne daß ich mir dessen bewußt bin. Die Möglichkeit läßt sich nicht ausschließen. Aber wie wollt ihr euch Gewißheit verschaffen?« »Wir werden es herausbekommen.« »Wie?« »Es gibt verschiedene Methoden.« »Oh ja. Und ich kann mir einige davon lebhaft vorstellen …« »Du irrst dich, Nomazar. Wir werden dich überaus schonend behandeln, denn es kann sein, daß wir dich noch brauchen.« »Das beruhigt mich. Aber hast du schon daran gedacht, daß Chirmor Flog mich auch für solche Fälle präpariert haben könnte? Wer weiß, was da alles in meinem Unterbewußtsein verborgen liegt. Der Augenblick, in dem ihr die Wahrheit erfahrt, könnte meinen Tod bedeuten.« »Dagegen können wir uns absichern.« Nomazar starrte den Trugen böse an. »Du hast auf alles eine Antwort, wie?« fragte er bitter. »Nein, keineswegs. Aber das hier ist mein Arbeitsgebiet. Du kannst dich darauf verlassen, daß ich etwas davon verstehe.« »Wie geht es jetzt weiter?« fragte Nomazar, nachdem er diese Bemerkung, die überhaupt nicht angeberisch klang, einigermaßen verdaut hatte. »Ich sehe, daß du wirklich sehr müde bist. Du wirst deine Kräfte brauchen. Wie gesagt, wir legen großen Wert darauf, daß du alles gut überstehst. Du wirst dich also jetzt erstmal ausruhen. Dann sehen wir weiter.« »Etwas interessiert mich noch«, sagte No-
Marianne Sydow mazar zögernd. »Das mit der Kodierung der Wärme war doch nur ein fauler Trick, nicht wahr?« »Nein, Nomazar, das war es nicht. Die Meditationsrunde war echt. Es ist so, daß viele fremde Intelligenzen dabei zu reden beginnen. Du hast immer behauptet, dich an deine Vergangenheit nicht erinnern zu können. Ich hatte gehofft, daß dies eine Lüge sei. Wäre es so gewesen, dann hättest du mir in der Meditationshöhle deine wahre Geschichte erzählt. Aber du konntest nicht sprechen. Du hast es in Trance versucht, und es ging nicht. Du konntest die Sperren, die in deinem Gehirn existieren, nicht durchbrechen. Dagegen hast du bis zum Zusammenbruch angekämpft. Und damit hatte ich den letzten Beweis dafür, daß ich auf der richtigen Spur bin.« Nomazar nickte nachdenklich. »Ich habe eine Todesangst vor der Wahrheit«, sagte er leise. »Das kann ich gut verstehen«, antwortete Frant-Erf, und in seiner quakenden Stimme schwang tatsächlich so etwas wie Mitgefühl. »Geh durch diese Tür dort, du findest dahinter alles, was du brauchst. Ich lasse dich rufen, wenn es soweit ist. Und – Fluchtversuche sind hier, auf Cagendar, absolut sinnlos.«
7. Als Peleff aus seiner tiefen Konzentration erwachte und sich der Dinge bewußt wurde, die er unter dem Einfluß der strahlenden Logik herausgefunden hatte, war ihm zumute, als wäre er unversehens unter eine eiskalte Dusche geraten. Drafgar-Kert! dachte er. Du verdammter Narr – siehst du nicht, was dir und deinem ganzen Volk blüht, wenn du dieses Spielchen weitertreibst? Wie bist du nur auf diese verrückte Idee gekommen? Wenn er doch nur mit dem Trugen hätte sprechen können! Aber Drafgar-Kert war weit weg, auf Harrytho, im Palast des Neffen. Von dort spann
Welt der Schätze er seine Intrigen, die den ganzen Planeten umzogen und mit denen er nun auch die an sich harmlosen »Sanitäter« eingefangen hatte. Diese armen Burschen hatten natürlich keine Ahnung, zu welch schmutzigem Spiel sie sich hergaben, indem sie auf DrafgarKerts Vorschläge eingingen. Peleff zweifelte auch daran, daß sie überhaupt wußten, wen sie sich da in ihre Reihen geholt hatten. Drafgar-Kert war ein Meister der Maske, der gerissenste Truge, den Peleff jemals kennengelernt hatte. Einst ein Schützling und Schüler des Valvken, war Drafgar-Kert unaufhaltsam in der Gunst des Neffen gestiegen, und jetzt konnte nur eine mittlere Katastrophe ihn daran hindern, nach Peleffs Tod die Position seines früheren Gönners einzunehmen. Eben diese Katastrophe aber beschwor Drafgar-Kert jetzt herauf. Natürlich wollte er nicht den Neffen töten. Er hatte – und auch daran war Peleff nicht ganz unschuldig – längst erkannt, daß Duuhl Larx sehr nützlich war, wenn man es nur verstand, sich seiner zu bedienen. Wen wollte Drafgar-Kert auf diese Weise ausschalten? Wer war das Oberhaupt der Sanitäter? Und warum bemühte sich der Truge, auch Peleff in sein Spiel hineinzuziehen? Oder handelte da jemand unter den Sanitätern auf eigene Faust? »Fyr-Than!« rief Peleff laut. »Hörst du mich?« Die Antwort kam sofort. »Hast du dich entschieden?« »Ja. Ich mache mit.« Er war gespannt, was nun geschehen sollte. Wie wollte man ihn hier herausholen? Und was kam nach der Flucht? Würde Drafgar-Kert Verbindung zu ihm aufnehmen? Die Stunden vergingen. Draußen mußte schon der Morgen grauen, da öffnete sich die Tür zu Peleffs Zelle, und Kao-Ernt kam herein. »Ich habe hier etwas für dich«, sagte der Truge und zog ein Päckchen aus einer Tasche seines Schutzanzugs. »Du wirst es spä-
37 ter brauchen können. Übrigens – nur wenige Trugen wissen schon, daß du in Ungnade gefallen bist. Man hat dich in diesem Punkt belogen.« »Du gehörst also zu den Sanitätern«, stellte Peleff trocken fest. »Allmählich wird die Sache interessant. Fürchtest du keinen Verrat?« »Von deiner Seite? Nein, Peleff. Wir wissen mehr über dich, als du dir träumen läßt. Du kennst das Archiv von Harrytho. Einer von uns arbeitet dort. Er hat alle Daten über dich gesammelt, und es ist uns gelungen, Reste des Giftes sicherzustellen, das du bei deiner Ankunft auf dem Schiff des Neffen bei dir hättest. Du wirst von nun an auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Wenn du versuchst, uns zu hintergehen – nun, du weißt besser als ich, wie schnell dieses Zeug wirkt. Und den Schützen wird niemand zur Rechenschaft ziehen. Du wurdest auf der Flucht getötet, das ist alles.« Peleff hatte Mühe, sein Erschrecken zu verbergen. An das Gift hatte er lange nicht mehr gedacht, und er machte sich Vorwürfe deswegen. Er hätte es nicht mitnehmen sollen, damals, als er von seinem brennenden Heimatplaneten floh, um Duuhl Larx zu suchen. Aber Peleff war ein wehleidiger Mann, der keine Schmerzen ertrug. Für den Fall, daß der Neffe des Dunklen Oheims ihm keinen Glauben schenkte, wollte er unbedingt etwas bei sich haben, das ihn vor den Widerwärtigkeiten des Lebens bewahrte. Nun bekam er die Rechnung dafür präsentiert. »Was habe ich zu tun?« erkundigte er sich sachlich. »Das Schirmfeld hat eine schwache Stelle. Von innen läßt sich dieser Umstand nicht ausnutzen, wohl aber von außen, zum Beispiel von der Nachbarzelle aus. Fyr-Than und sein Sohn haben bereits genaue Anweisungen erhalten. Sie werden dafür sorgen, daß das Feld zusammenbricht. Die nächste Etappe der Flucht mußt du ohne unsere Hilfe durchführen. Aber du kennst dich ja in diesem Gebäude gut genug aus. Wir haben
38 genau ausgerechnet, wieviel Zeit du brauchst, um bis zum südlichen Turm zu kommen. Dort wird ein Gleiter auf dich warten. Ein Mann namens Kezem-Hun wird dich in Sicherheit bringen.« »Wenn das nur gut geht. Sind Waffen in dem Päckchen hier?« »Nein. Es darf hier im Gefängnis keine Opfer geben.« »So – und Fyr-Than und der andere?« »Auf das, was sie getan haben, steht der Tod. Du kennst die Gesetze des Neffen – man würde es ihnen nicht leicht machen. Sie machen also einen guten Tausch, denn sie werden in ihrer Zelle sterben, in einem Augenblick, in dem sie es nicht erwarten und daher auch keine Angst haben. Und es wird schnell gehen.« »Ihr Trugen seid ein komisches Volk. Warum versucht ihr nicht, die beiden zu retten?« »Das wäre Zeitverschwendung. Außerdem würden wir unsere ganze Organisation in Gefahr bringen. Fyr-Than und sein Sohn sind nicht wichtig genug, um ein solches Risiko einzugehen.« Peleff registrierte zufrieden, daß die Trugen sich seines Wertes also durchaus bewußt waren. »Wann soll das Ganze stattfinden?« fragte er. »Sobald ich diese Tür hinter mir geschlossen habe. Es gibt keinen günstigeren Zeitpunkt. Die Sonne geht erst in einer Stunde auf. Bis dahin ist es still in der Stadt.« Kao-Ernt drehte sich um und Verließ die Zelle. Peleff wartete geduldig, und kaum fünf Minuten später hörte er einen gedämpften Knall. Er sah einen dünnen Rauchfaden, der links neben der Tür aus der Wand aufstieg, und ohne Zögern glitt er vorwärts. Die Tür ließ sich leicht aufdrücken. Vielleicht hatte Kao-Ernt sie nicht richtig geschlossen, vielleicht war aber auch das Schloß durch den Zusammenbruch des Schirmfelds zerstört worden. Peleff machte sich darüber keine Gedanken. Er schwebte schnell und zielsicher die Gänge entlang.
Marianne Sydow Um diese Zeit waren hier keine Trugen unterwegs. Die Wachen hielten sich in ihren Räumen auf und vertrauten den Alarmeinrichtungen die Aufgabe an, über die Gefangenen zu wachen. Durch eine schmale Pforte, die kaum breit genug war, den kugelrunden Valvken passieren zu lassen, gelangte er auf einen der Innenhöfe, und nun hatte er eigentlich das Spiel bereits gewonnen. Dicht an der Wand entlang schwebte er bis zum Dach hinauf und nahm dann Kurs auf den südlichen Turm. Flüchtig überlegte er, ob er sich jetzt nicht absetzen sollte. Jetzt, in diesem Augenblick, war unter Garantie keine mit Giftnadeln geladene Schockschleuder auf ihn gerichtet. Er konnte fliehen, sich nach Harrytho durchschlagen und den Neffen darüber aufklären, welchen Spielen Drafgar-Kert sich hingab. Dann würden die Köpfe rollen, und es war leicht möglich, daß Duuhl Larx, dem Valvken noch einmal verzieh. Aus irgendeinem Grund, über den sich Peleff selbst nicht restlos klar war, flog er dennoch weiter. Er fand den Gleiter an der verabredeten Stelle. Kezem-Hun erwies sich als ein älterer Truge mit höfischen Manieren. Im ersten Augenblick dachte Peleff schon, er hätte Drafgar-Kert persönlich vor sich, in einer seiner zahllosen Masken, aber nachdem er ein paar Fangfragen gestellt hatte, zweifelte er nicht mehr daran, daß Kezem-Hun echt war. Der Gleiter löste sich lautlos von dem wuchtigen Turm. Peleff blickte auf den Gefängniskomplex hinab und gestattete sich ein spöttisches Lächeln. Siehst du, mein lieber Duuhl Larx, dachte er, es ist gar nicht so einfach, den alten Peleff kaltzustellen. Ich an deiner Stelle hätte keine langen Experimente gemacht. Du solltest wissen, was man früher über die Valvken sagte: Einen wie mich hat man erst besiegt, wenn die Totenvögel zur Stelle sind. Pech für dich. Wenn ich nur wüßte, ob ich gegen oder für dich kämpfen soll! Kezem-Hun steuerte den Gleiter der auf-
Welt der Schätze
39
gehenden Sonne entgegen.
* Allmählich wurde dem Valvken die Ausstrahlung des Trugen lästig. Er verdammte sein valvkisches Erbe, das es ihm nicht gestattete, gelassen auf die Gegenwart eines Artfremden zu reagieren. Nur selten traf er auf Wesen, deren Nähe ihn nicht störte. Zu diesen wenigen hatte Nomazar gehört. Wo mochte der Bursche jetzt stecken? Peleff empfand wilden Zorn bei dem Gedanken, daß dieser Fremde womöglich frei auf Cagendar herumlief und sich bereits zurechtlegte, was er vor Gericht gegen den Valvken aussagen wollte. Nun, der Prozeß würde nicht stattfinden, und vielleicht fand sich sogar eine Gelegenheit, Nomazar für seinen Verrat zu bestrafen. Er hätte diesen Mann von Anfang an härter anfassen sollen. Es war ein unverzeihlicher Fehler von ihm gewesen, dem Fremden auch nur einen Funken Vertrauen entgegenzubringen: Das hatte Peleff nämlich am Anfang tatsächlich getan. Nomazar hatte ihm imponiert, der Fremde war geschickt und schlau – Peleff hatte viel mit ihm vor. Natürlich mußte er ihn nach Caudin bringen, aber Nomazar hatte dort nicht für immer bleiben sollen, nur für eine Weile, bis Peleff einen Weg gefunden hatte, den Fremden durch die Kontrollen von Cagendar zu bringen. Ganz nebenher bot sich auf Caudin selbstverständlich auch die Möglichkeit, ein bißchen Spaß zu haben. Peleff hätte sich ein erhebendes Schauspiel versprochen, wenn dieser Mann sich mit den anderen Gefangenen auseinandersetzte. Aber leider kamen die Schiffe des Neffen … Das alles war vorbei und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es wäre an der Zeit gewesen, Nomazar zu vergessen. Peleff wußte das, aber der Haß brannte in ihm, und dieser Haß hatte eine starke Wurzel. Soweit das einem Valvken bei einem fremden Wesen überhaupt möglich war, hatte Peleff diesen Nomazar sympathisch gefunden. Vielleicht wären sie Freunde geworden, dachte
Peleff, ohne sich bewußt zu sein, wie absurd diese Vorstellung jedem erscheinen mußte, der den Valvken kannte. Die Sonne stieg über den Horizont, und noch immer steuerte Kezem-Hun den Gleiter. Peleff war manchmal drauf und dran, den Trugen einfach über Bord zu werfen. »Wie lange dauert das denn noch!« fuhr er den Trugen gereizt an. »Wir sind gleich da«, antwortete KezemHun gleichmütig. Unter ihnen zogen Hügel und Täler vorbei, alle von einer kostbar glänzenden Kruste aus den gesammelten Schätzen vieler Planeten überzogen. Ein breiter Fluß tauchte auf. Seine Ufer waren bis zur Hochwassergrenze mit der strahlenden Glasur versehen. Einzelne Inseln ragten wie schimmernde Juwelen aus den Fluten heraus, selbst steile Felsen waren rundherum versiegelt. Von oben sah das prächtig aus, aber Peleff wußte so gut wie jeder andere Bewohner von Cagendar, daß unter der Versiegelung alles Leben erstickte, und ihn schauderte es. Schon jetzt war es so weit gekommen, daß die Bewohner von Cagendar in allen ihren Bedürfnissen auf den Nachschub von anderen Planeten angewiesen waren. Der Kontinent Vemed verwandelte sich in eine Kunstwüste – und das konnte man durchaus wörtlich nehmen. Endlich tauchte die Kante auf. Weit im Süden, von der hitzeflimmernden Luft fast verwischt, waren Bautrupps zu erkennen. Transporter brachten die Schätze heran, die über das Land verteilt wurden. Dann ergoß sich aus gigantischen Tankfahrzeugen die stinkende Flüssigkeit ins Freie, die im Verlauf mehrerer Tage zu der glasklaren, harten Schicht erstarrte, von der später ganz Cagendar umschlossen sein würde. Über den Stellen, an denen diese Arbeit getan wurde, trieben schillernde Giftwolken. »Bei den drei spitzen Hügeln dort vorne gibt es einen Tunnel«, bemerkte KezemHun. »Wir können leider nicht direkt vor dem Eingang landen. Es sind zu viele Bautrupps in der Nähe.«
40 Peleff gab keine Antwort. Er hatte im Augenblick nur einen Wunsch: So schnell wie möglich aus dem Gleiter und aus der unmittelbaren Nähe dieses Trugen zu entkommen. Aber auch als der Gleiter gelandet war, blieb Kezem-Hun dem Valvken auf den Fersen. »Da ist der Tunnel«, verkündete der Truge endlich, nach einer fast halbstündigen Wanderung durch unwegsames Gelände. »Ich muß jetzt zurück nach Vemed fliegen. Geh den Tunnel entlang, bis du das Licht siehst. Dort wartet man auf dich.« Peleff sah dem Trugen erleichtert nach, dann kletterte er durch ein ungeschickt getarntes Loch im Boden und fand sich in einem hohen Stollen, der schnurgerade in die Finsternis hineinführte. War er wirklich allein? Er blieb stehen und lauschte. Kein Geräusch verriet die Anwesenheit heimlicher Beobachter. Aber die kribbelnde Ungeduld in allen seinen Nerven verriet dem Valvken deutlich genug, daß es intelligentes Leben in seiner Nähe gab. Man ließ ihn nicht aus den Augen. Feine Verbündete sind das, dachte er ärgerlich. Dann fiel ihm ein, daß die lichtbedürftigen Trugen sich in der Enge dieses Stollens und der absoluten Finsternis alles andere als wohl fühlen mußten, und seine Laune besserte sich ein wenig. »Ich werde mir den Hals brechen, wenn ich in dieser Finsternis herumlaufe!« sagte er laut. »Und dazu habe ich eigentlich gar keine Lust. Man erwartet mich irgendwo dort hinten? Dann sollen die Brüder gefälligst jemanden schicken, der mich abholt!« Damit setzte er sich auf den kalten Steinboden. Er vertraute darauf, daß man jedes seiner Worte getreulich an die richtige Stelle weiterleiten würde. Und richtig, nach kurzer Zeit tauchte in der Ferne ein schwankender Lichtpunkt auf, der näher kam und sich als eine grellweiße Lampe entpuppte. Die Lampe hing an einer langen Stange, und ein Truge schleppte das Ding durch den Tunnel.
Marianne Sydow »Folge mir!« befahl der Truge ziemlich unfreundlich. Er wartete die Antwort des Valvken nicht ab, sondern drehte sich um und marschierte wieder davon. Peleff ärgerte sich über so viel schlechtes Benehmen, aber er sah ein, daß er in diesem Fall nachgeben mußte. »Wie weit ist es?« erkundigte er sich bei dem Trugen. »Was kümmern dich Entfernungen?« gab der Truge knurrig zurück. »Du bist doch nicht auf die Kraft deiner Beine angewiesen!« Peleff gab es stillschweigend auf. Wieder verging etwa eine halbe Stunde. Aber dann tat sich etwas. Lichter tauchten weiter vorne auf, und aus einem Seitengang kam ein Trupp von Trugen, die mit allerlei Werkzeugen beladen waren. Es schien, als würde intensiv in diesen Stollen gearbeitet, ja, als bemühe man sich, den Schlupfwinkel weiter auszubauen. Peleff fand das merkwürdig, denn die Kante war nicht mehr weit entfernt, und in nicht allzu ferner Zeit würde auch dieses Gebiet mit der Schatzglasur überzogen werden. Er hätte gerne den Burschen mit der Lampe nach diesen Dingen gefragt, aber sein Stolz war ihm dabei im Wege. Er wollte sich nicht gerne eine neue Abfuhr einhandeln. Und dann waren sie am Ziel und betraten eine hellerleuchtete Kammer. Der Truge mit der Lampe verschwand hinter einem Mauervorsprung. Peleff starrte den Mann, der mitten in der Kammer stand, fassungslos an. »Drafgar-Kert!« stieß er hervor. »Ich dachte nicht, daß ich dich so schnell zu Gesicht bekommen würde.« »Es ist mir ein großes Vergnügen«, antwortete Drafgar-Kert, »daß es mir gelungen ist, dir eine Überraschung zu bereiten.« »Nun«, bemerkte Peleff gelassen – er fing sich stets sehr schnell – und setzte sich auf einen flachen Hocker. »Ich wußte natürlich, daß du hinter der ganzen Sache steckst. Aber ich dachte nicht, daß du im Palast abkömmlich bist.« »Für dich tue ich alles. Ich lasse sogar
Welt der Schätze
41
Duuhl Larx alleine – was im Moment nicht ungefährlich ist. Er ist sehr wütend auf dich, Peleff.« »So?« »Er wird noch wütender sein, wenn er von deiner Flucht erfährt.« »Das kann ich mir denken.« »Derjenige, der dich erneut einfängt, hat mit einer großzügigen Belohnung zu rechnen.« Peleff schnellte von seinem Hocker hoch. Urplötzlich durchschaute er das Spiel, und er schalt sich einen blinden Narren, daß er auf einen so dummen Trick hereingefallen war. Aber es war zu spät. Drafgar-Kert bediente sich seiner Schockschleuder so schnell, daß es fast schien, als wäre Magie im Spiel. Peleff fühlte den heißen Schmerz, und er glaubte zu schreien, aber in Wirklichkeit kam kein Laut über seine Lippen. Er stürzte schwer, aber er spürte den Aufprall nicht. Drafgar-Kert beugte sich über ihn. »Du hast es mir leicht gemacht, Peleff«, sagte er höhnisch. »Willst du wissen, wie es weitergeht? Ich nehme dich jetzt mit in ein Versteck, das besser ist als diese alten Gänge. Dort werde ich dich aufbewahren, für ein oder zwei Tage, ehe ich dich dem Neffen ausliefere. Und rechne nicht auf Hilfe. Die Sanitäter habe ich fest in der Hand. Sie würden es niemals wagen, einen meiner Befehle zu ignorieren. Diese Narren sind froh, wenn sich jemand findet, der ihnen genau sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Und jetzt wünsche ich dir angenehme Ruhe, Peleff.« Der Valvke konnte zu diesem Zeitpunkt wenigstens noch hören und sehen. Aber nachdem Drafgar-Kert die Schockschleuder ein zweitesmal ausgelöst hatte, war es auch damit vorbei. Peleffs letzter Gedanke war, daß er jetzt kaum noch einen Grund hatte, auf Rettung zu hoffen.
8.
Nomazar war selbst überrascht darüber, wie frisch und ausgeruht er sich fühlte. Er sah den Trugen an, der ihn geweckt hatte, und obwohl er noch immer Angst hatte, war er entschieden ruhiger als bei der nächtlichen Unterredung mit Frant-Erf. Immerhin, dachte er, werde ich endlich die Wahrheit erfahren. Wenn diese Burschen es schaffen, mir die Erinnerung zurückzugeben, werde ich wissen, wer ich bin und woher ich komme. Mag sein, daß ich wenig Zeit finde, mich darüber zu freuen. Aber noch ist nicht alles verloren. Ich kann nicht der Spion sein, den sie in mir vermuten. Er klammerte sich an diese Überzeugung. Und es gab ein paar Hinweise darauf, daß er sogar recht hatte. Auch Chirmor Flog war ein Neffe des Dunklen Oheims. Von Peleff hatte Nomazar viel über diese grausamen Herrscher erfahren. Es schien, als wären sie alle miteinander unvorstellbar böse. Ein Spion, den ein Wesen wie Chirmor Flog aussandte, mußte nach Nomazars Meinung eine Reihe von Fähigkeiten und Eigenschaften besitzen, die ihm völlig abgingen. Oder war auch das nur Bestandteil eines großen Planes, von dem er noch nichts wußte? »Es wird Zeit!« sagte Frant-Erf, der gerade zur Tür hereinkam. »Bist du bereit, Nomazar?« »Ja«, seufzte er. »Bringen wir es hinter uns.« Frant-Erf blieb bei ihm und begleitete ihn in eine Art Laboratorium, wo bereits einige Trugen auf Nomazar warteten. Nomazar war jetzt fest entschlossen, alles zu tun, was die Sache beschleunigen konnte. Er spürte, daß die hier anwesenden Trugen ihm nicht unbedingt an den Kragen wollten. Es schien sich um Mediziner zu handeln, und offenbar sahen sie in Nomazar so etwas wie einen Patienten. Sie behandelten ihn freundlich. Trotzdem wünschte er sich, sie hätten wenigstens normale Augen gehabt, mit denen sie ihn ansehen konnten. Es hätte ihm einiges leichter gemacht. Während Frant-Erf still in einer Ecke saß und wartete, ließ Nomazar eine Reihe von
42 Untersuchungen über sich ergehen. Schließlich aber schienen die Trugen zu wissen, wie sie ihren »Patienten« zu behandeln hatten, denn eines dieser gesichtlosen Wesen reichte ihm einen Becher. »Trink das aus!« sagte er freundlich. Das Zeug in dem Becher roch scharf und betäubend. Nomazar schreckte instinktiv davor zurück. Aber er besann sich auf seine guten Vorsätze und stürzte das Gebräu auf einen Zug hinunter. Man reichte ihm einen anderen Becher, in dem sich klares Wasser befand, und er spülte den fremden Geschmack aus seinem Mund. Danach wurde ihm seltsam fröhlich zumute, und er stellte belustigt fest, daß die Trugen um ihn herum schwankten, als wären sie betrunken. Auch schien es ihm, als verlören die Wände ihre Festigkeit. Aber das wirkte keineswegs bedrohlich, ganz im Gegenteil, es sah sehr lustig aus, weil sich aus all den Teilen, die von den Wänden abfielen, komisch anzusehende Gestalten bildeten. Allmählich änderten sich die Figuren, die er nunmehr anstelle der Trugen sah. Sie nahmen vertraute Formen an, dann bekamen sie Gesichter, und am Ende sprachen sie sogar zu ihm. Als erstes sah er drei hagere Wesen mit spitzen Köpfen und flachen Gesichtern, die ihn aus je vier Stielaugen anstarrten und von denen er sofort wußte, daß es sich um Feinde handelte. Er schrak vor diesen Fremden zurück, und grauenhafte Angst stieg in ihm auf. Im nächsten Augenblick wurde es absolut dunkel um ihn herum, und er hatte das Gefühl, in einen schier endlosen Abgrund zu stürzen. Er schrie, und er spürte Hände, seltsame, nichtmenschliche Hände, die ihn festhielten. »Was war das?« fragte eine quakende Stimme. »Ich weiß es nicht, Frant-Erf«, antwortete eine andere. »Jedenfalls nicht das, wonach wir suchen. Wir werden ihm noch eine Dosis geben.« »Ihr dürft ihn nicht in Gefahr bringen, denkt daran!«
Marianne Sydow »Ja. Aber seine Sperren sind einfach zu stark, wir kommen anders an die Wahrheit nicht heran. Ich denke, er ist kräftig genug, um es zu überstehen.« Etwas berührte seine Lippen, er öffnete den Mund und schluckte gehorsam. »Noch einmal von vorne, Nomazar!« kam die Stimme eines Trugen wie von sehr weit her. Er hatte Angst. Er wollte die Fremden um keinen Preis der Welt noch einmal sehen. Er spürte, daß ein zweiter Zusammenprall dieser Art ihn um den Verstand bringen würde. Aber gegen die Bilder, die unter dem Einfluß der Droge in seinem Gehirn entstanden, konnte er sich nicht wehren. Diesmal ging es schneller. Wieder formten sich Gestalten, und er war erleichtert, weil es offenbar nicht die Vieraugen waren, die ihm erschienen. Statt dessen sah er ein menschliches Gesicht. Rötliche Augen sahen ihn an. Das Gesicht wurde von weißen Haaren umrahmt, dennoch wirkte es jung. »Razamon!« sagte der Mann mit den rötlichen Augen. »Nimm dich in acht.« Endlich erkannte er den Fremden. »Atlan!« rief er laut. »Was bedeutet das alles? Wo bin ich? Was tue ich hier?« Aber das Gesicht verwischte sich schon wieder. Die nächste Vision war deutlicher. Er stand in einer Wachstube und blickte zornig den terranischen Polizeibeamten an, der ihn nicht ernst nehmen wollte. »Ich bin gekommen, um mich zu stellen«, sagte er. »Mein Name ist Razamon. Ich bin ein Atlanter.« Ein neuer Wechsel. Er stand vor einem Mann, der Rhodan hieß, und er sagte zu diesem Mann: »Pthor ist meine Heimat, und sie wird von einer schrecklichen Macht beherrscht und mißbraucht. Ich habe vor, das zu ändern.« Wenig später schwamm er neben dem Weißhaarigen auf eine von Nebel fast verdeckte Küste zu, und er wußte, daß er Pthor erreicht hatte. Es kamen noch viele Bilder. Irgendwann aber erschöpfte sich die Wirkung der Droge,
Welt der Schätze
43
und die fremde und doch so vertraute Welt dieser Illusionen versank in bunten Nebeln. Die Trugen wagten es nicht, noch tiefer in die Erinnerungen ihres Patienten einzudringen. Nomazar – oder Razamon, wie er offenbar in Wirklichkeit hieß – hing halb bewußtlos in den Armen zweier Trugen, die ihn hielten. »Er sieht schlecht aus«, stellte Frant-Erf fest. »Kümmert euch um ihn, tut alles, was in eurer Macht liegt, damit er es heil und gesund übersteht.« Die Trugen brachten Razamon weg.
* Der Schirm zeigte kein Bild im üblichen Sinn. Alles, was Frant-Erf sah, war ein grelles Wabern von unvorstellbarer Pracht. Der Truge wagte vor lauter Ehrfurcht kaum, sich zu rühren. Als er Verbindung mit Harrytho aufnahm, da hatte er nicht erwartet, daß er es mit dem Neffen selbst zu tun bekam. Oder war es gar Duuhl Larx, der sich hinter dem blendenden Flammenschirm verbarg? Es gab so viele Gerüchte, daß Duuhl Larx schwerkrank sei, zum Beispiel, daß er schon seit langer Zeit sein Lager nicht mehr verlassen habe, und daß Roboter in der Sphäre saßen, die für den Neffen sprachen und handelten. Frant-Erf verdrängte diese Gedanken hastig, denn aus dem Lautsprecher drang eine dumpfe Stimme. »Was ist mit dem Fremden? Berichte!« »Er ist kein Spion«, begann Frant-Erf hastig. »Er kommt auch nicht aus dem Marantroner-Revier. Er stammt aus einem mir unbekannten Land, von dem niemand zu wissen scheint, auf welchem Planeten es liegt.« »Wie heißt dieses Land?« »Pthor.« Sekundenlang blieb es still. Frant-Erf beobachtete den Bildschirm, und allmählich bekam er es mit der Angst zu tun. Duuhl Larx, so hieß es, war allwissend. Aber eines der dunklen Gerüchte, von denen es auf Ca-
gendar nur so schwirrte, besagte, daß die Allwissenheit des Neffen lediglich in der Kunst bestand, sich niemals bei der geringsten Unsicherheit ertappen zu lassen. Und – so munkelte man – Zeugen solchen Versagens kurzerhand aus dem Verkehr zu ziehen, ehe sie den Ruf des Neffen in Gefahr bringen konnten. »Pthor«, wiederholte die Stimme schließlich gedehnt. »Es wundert mich nicht, daß ihr mit diesem Namen nichts anzufangen wußtet. Pthor gehört zu keinem Planeten der Schwarzen Galaxis. Pthor ist der Name eines Dimensionsfahrstuhls. Es handelt sich um ein Land, das durch Raum und Zeit reist. Der Dunkle Oheim selbst gebietet über die Dimensionsfahrstühle, und er setzt sie gegen fremde Galaxien ein. Nur außergewöhnliche Wesen leben auf Pthor und den anderen Ländern dieser Art. Ich hoffe, ihr seid schonend mit Razamon umgegangen.« »Wir haben uns bemüht«, versicherte Frant-Erf hastig. »Natürlich war die Prozedur anstrengend für unseren – hm – Gast, aber er befindet sich bereits auf dem Weg der Besserung.« »Ich wünsche, daß Razamon nach Harrytho gebracht wird, sobald ihm die Reise zuzumuten ist. Ich werde selbst mit ihm sprechen. Wenn er wirklich von Pthor kommt, so wird er mir von großem Nutzen sein, vielleicht ist er sogar der wertvollste Verbündete, den ich je hatte. Vor allem dürfte er vertrauenswürdiger sein als dieses Ungeziefer, mit dem ich mich jetzt herumplagen muß.« »Wir Trugen bemühen uns stets, dir mit allen Kräften zu dienen«, versicherte FrantErf hastig und zog den Köcher fast völlig ein, um seine Demut zu beweisen. Die Stimme hinter der Flammenwand lachte dumpf. »Sprich für dich selbst, Frant-Erf, aber hüte dich, dich zum Vertreter deines Volkes zu machen. Du wirst Razamon zu mir in den Palast bringen. Sorge dafür, daß ich den Pthorer bald zu sehen bekomme, aber gib ihm auch Zeit, sich zu erholen. Du bist mir
44 persönlich für seine Sicherheit verantwortlich.« »Es ist mir eine Ehre, dir dienen zu dürfen«, erwiderte Frant-Erf. »Den Spruch mit der Ehre kannst du dir sparen«, gab die Stimme sarkastisch zurück. »Wenn du deine Aufgabe gut erfüllst, sollst du andere Vorteile davon haben. Ich denke, ich werde Razamon in den Stand eines Transfusionsgebundenen erheben. Wenn du klug bist, Frant-Erf, dann sicherst du dir beizeiten die Freundschaft des Pthorers. Gerade unter denen, denen ich am meisten vertraute, finden sich immer häufiger Verräter. Ich brauche Ersatz für diese Kreaturen. Nimm also deinen Verstand zusammen, und schon bald wirst du mir in einer Weise dienen können, die dir mehr als nur ein wenig Ehre einbringt.« Frant-Erf saß wie erstarrt vor dem Schirm. Er sah nicht, wie das Bild verschwand, er nahm kaum wahr, daß ein anderer Truge den Raum betrat – er schwebte in höheren Sphären. Erst als der andere Truge sich durch ein Geräusch bemerkbar machte, fuhr Frant-Erf herum. »Was gibt es?« fragte er unwillig. »Es geht um den Fremden«, sagte der Truge. »Du wolltest doch benachrichtigt werden …« Frant-Erfs Zorn über die Störung verflog sofort. »Was ist mit ihm?« fragte er beinahe ängstlich. »Es geht ihm besser«, erklärte der andere. »Er schläft jetzt. In wenigen Stunden wirst du mit ihm sprechen können.« Frant-Erf atmete auf. Er entließ den Boten mit einer freundlichen Bemerkung. Als er wieder allein war, wäre er am liebsten wie ein übermütiges Kind im Raum herumgehüpft. Nur der Gedanke an die neue Würde, die ihm bald verliehen werden sollte, hinderte ihn daran, einer so unvernünftigen Regung nachzugeben. »Bald«, sagte er zu sich selbst, »werde ich diese abscheuliche Stadt verlassen.«
Marianne Sydow Und in Gedanken sah er sich bereits im Palast von Harrytho residieren.
* Genau dort, im Palast, gab es zur selben Zeit beträchtliche Aufregung. Der Neffe Duuhl Larx war bekannt für seine Sprunghaftigkeit. Man war überraschende Entschlüsse von ihm gewöhnt, aber was er sich jetzt hatte einfallen lassen, das war einfach unglaublich, verrückt, skandalös. Nur der Neffe selbst konnte sich so etwas erlauben. Konnte er wirklich? Oder leistete er sich diesmal einen Fehler, der sich nicht so schnell wieder ausbügeln ließ? Da kam ein Fremder daher, möglicherweise ein Spion, und kaum stellte es sich heraus, daß dieser Bursche aus einem obskuren Land namens Pthor stammte, da stellte Duuhl Larx diesen Fremden schnurstracks fast an die Spitze der Hierarchie von Harrytho. Man würde das nicht hinnehmen. Es gab nur relativ wenige Transfusionsgebundene, und in letzter Zeit hatte Duuhl Larx sich immer seltener dazu entschließen können, einem seiner Untertanen eine so hohe Ehre zu gewähren und ihn in den höchsten Stand des Vertrauens zu erheben. In Harrytho gab es nur ein knappes Dutzend, die es geschafft hatten, und mindestens die Hälfte aller Berater und Diener war der Ansicht, daß sie ganz oben auf der Warteliste stehen mußten. Und dann sollte ein hergelaufener Fremder über sie gestellt werden? Der, den die Nachricht wohl am schlimmsten traf, hieß Drafgar-Kert. Von allen Anwärtern auf die Transfusionsbindung hatte er die besten Aussichten. Schon jetzt stand fest, daß er die Nachfolge des gestürzten Valvken antreten würde. Zu diesem hohen Amt gehörte die Bindung an den Neffen. Drafgar-Kert zweifelte auch gar nicht daran, daß Duuhl Larx früher oder später befehlen würde, an ihm diese Prozedur zu vollziehen. Daran konnte
Welt der Schätze Razamons kometenhafter Aufstieg nichts mehr ändern. Aber Drafgar-Kert würde länger als geplant warten müssen. Zwischen den einzelnen Transfusionen mußten verständlicherweise längere Pausen liegen. Früher war der Neffe noch imstande gewesen, alle ein bis zwei Wochen einen Untertanen durch die Vermischung des Blutes an sich zu binden. Aber die Pausen wurden immer länger – was nicht zuletzt der Grund für das Gerücht war, daß der Neffe schwer erkrankt sei. Jetzt dauerte es schon Monate, ehe Duuhl Larx sich dazu herabließ, etwas von seinem Blut herzugeben. Drafgar-Kert war ein ehrgeiziger Mann. Peleffs Sturz hatte er schon seit langem vorhergesehen. Wäre der Valvke nicht von selbst gestolpert, so hätte Drafgar-Kert nachgeholfen, und das bald, denn er konnte es sich nicht erlauben, seine Zeit zu verschwenden. »Es gibt nur einen Weg«, sagte DrafgarKert zu seinen Freunden – und zu denen gehörten im Augenblick alle, die etwas gegen Razamons Aufstieg einzuwenden hatten. Mit anderen Worten, halb Harrytho stand auf Drafgar-Kerts Seite. »Wir müssen diesen Pthorer ausschalten.« Sie stimmten ihm zu, aber er sah es ihnen an, daß sie Angst hatten. Sie waren wütend auf Duuhl Larx, noch wütender auf Razamon, aber diese Wut war noch immer nicht groß genug, um sie ihre Furcht vor dem Neffen vergessen zu lassen. »Wir müssen einen Plan fassen!« drängte Drafgar-Kert. »Wir dürfen nicht zu viel Zeit verlieren. Wenn Razamon erst hier im Palast ist, ist es zu spät. Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir ihn vor seiner Ankunft erwischen.« »Das stimmt sicher alles«, murmelte ein Truge namens Getza-Kul. »Aber wer soll es tun? Willst du das Risiko eingehen, DrafgarKert?« »Sieh ihn dir doch an!« spottete der Kune Falart. »Er will uns doch nur aufhetzen, damit wir für ihn die schmutzige Arbeit übernehmen. Am liebsten wäre es ihm, wenn wir Außenweltler geschlossen losziehen und die
45 Jagd auf Razamon eröffnen. Dann ist er uns endlich los.« »Sei still«, schimpfte Rukul, ein Noot, der als besonders ruhig und besonnen galt. »Laß ihn doch erstmal ausreden.« »Vielen Dank, Rukul«, sagte DrafgarKert spöttisch. »Um es kurz zu machen: Keiner von uns wird Razamon auch nur aus der Ferne sehen müssen. Abgesehen davon, daß es für jeden einzelnen von uns verhängnisvoll wäre, wenn er den Verdacht des Neffen erregt. Es ist zu viel passiert in der letzten Zeit. Duuhl Larx vertraut uns nicht mehr. Er wittert überall Verrat. Wenn er nur noch einen von uns eines Vergehens überführt, wird das Leben in Harrytho für uns alle zur Hölle werden. Wir brauchen also jemanden, der uns die Arbeit abnimmt. Und es muß jemand sein, der ein gutes Motiv für den Mord hat. Eines, das auch Duuhl Larx überzeugen wird. Nur dann können wir sicher sein, daß der Neffe sich uns wieder zuwendet, wie es sich gehört.« »Das hört sich vernünftig an«, bemerkte Getza-Kul. »An wen hast du gedacht?« »An Peleff.« Sekundenlang blieb es still. Dann redeten plötzlich alle durcheinander. Drafgar-Kert ließ sie schwatzen, denn er kannte seine Freunde. Sie mußten ihrer verständlichen Erregung Luft machen, ehe man sich wieder vernünftig mit ihnen unterhalten konnte. »Wo ist der Valvke jetzt?« fragte GetzaKul schließlich aufgeregt. »Wenn Duuhl Larx ihn nun inzwischen hinrichten läßt? Wir müssen ihn sofort herausholen!« »Das ist nicht nötig«, sagte Drafgar-Kert sanft. »Ich habe bereits dafür gesorgt, daß Peleff uns zur Verfügung steht.« »Moment mal!« fuhr Falart mißtrauisch dazwischen. »Duuhl Larx hat seinen Entschluß erst vor wenigen Stunden bekanntgegeben, und in dieser Zeit hast du Harrytho nicht verlassen.« »Deine Beobachtungsgabe ist dein anerkannt größtes Talent«, spottete DrafgarKert. Aber Falart ließ sich nicht ablenken.
46 »Was hattest du mit Peleff vor?« bohrte er weiter. »Ich wollte ihn benutzen.« »Wofür? Um einen anderen Konkurrenten auszuschalten?« fragte Getza-Kul scharf. »Mach dich nicht lächerlich!« wies Drafgar-Kert den anderen zurück. »Das letzte, was wir jetzt noch gebrauchen können, wären Streitigkeiten in unserer Gruppe. Ich will euch die Wahrheit sagen: Ich will nicht, daß Peleff vor ein Gericht gestellt wird. Der Valvke ist unberechenbar. Er weiß zu genau, was wir alle in der Zeit treiben, in der Duuhl Larx die Sphäre nicht durch den Palaststreifen läßt. Stellt euch nur mal vor, was geschehen könnte, wenn Peleff all seine Kenntnisse zum Besten gibt. Das Risiko war mir zu groß. Ich holte also Peleff aus dem Gefängnis und täuschte seine Flucht vor, um ihn auf Eis zu legen. In einigen Tagen hätte ich ihn aus seinem Versteck geholt und ihn fliehen lassen. Und dann – nun, auch ein Valvke ist nicht unverwundbar. Peleff hätte jedenfalls keine Gelegenheit mehr gefunden, zu irgend jemandem zu sprechen.« Die anderen schwiegen. Sie trauten dem Trugen nicht. Ihnen allen war klar, daß Drafgar-Kert mit Peleff ein Druckmittel in der Hand hielt, dem sich keiner von ihnen hätte widersetzen können. Aber sie begriffen auch, wie wichtig dem Trugen der Mord an Razamon sein mußte, daß er seinetwegen das Geheimnis preisgab. »Wenn es so ist«, sagte Rukul schließlich, »dann besteht wohl keine Veranlassung mehr, sich über Razamon allzu viele Sorgen zu machen. Peleff hat allen Grund, den Pthorer zu hassen, und wir alle wissen, wie er mit Leuten verfährt, die seinen Zorn erregen. Razamon ist schon jetzt so gut wie tot.« »Er hat den Valvken schon einmal besiegt«, gab Falart zu bedenken. »Razamon soll ein furchtbarer Kämpfer sein, und es scheint, als hätte er auch noch genug Verstand, um es mit Peleff aufzunehmen.« »Er hatte nur Glück«, behauptete DrafgarKert wegwerfend. »Wahrscheinlich hat Peleff ihn auch zuerst unterschätzt. Dieser
Marianne Sydow Fehler wird ihm nicht noch einmal unterlaufen. Wenn ihr einverstanden seid, werde ich jetzt alles in die Wege leiten. Schon morgen können unsere Probleme gelöst sein.« »Was wird mit Peleff?« fragte Rukul. »Nach dem Mord hat er schließlich noch mehr Informationen als vorher in der Hand, mit denen er uns unter Druck setzen könnte.« »Er wird die Tat nicht überleben«, versicherte Drafgar-Kert. Und die anderen glaubten ihm. Sie wußten allerdings auch, warum Drafgar-Kert sie eingeweiht hatte, anstatt die Sache in eigener Regie über die Bühne zu bringen. Sollte wider Erwarten doch etwas herauskommen, dann würde der Zorn des Neffen nicht nur Drafgar-Kert, sondern fast alle Bewohner von Harrytho treffen. Niemand würde es unter diesen Umständen wagen, auch nur eine unvorsichtige Äußerung von sich zu geben. Drafgar-Kert hatte es wieder einmal fertiggebracht, sich auf sehr einfache Weise nach allen Seiten hin abzusichern.
9. Er war wach, aber er blieb mit geschlossenen Augen liegen und spürte seinen Erinnerungen nach. Er genoß es, wieder eine Vergangenheit zu haben, zu wissen, wer er war und woher er stammte. Er hieß Razamon, und er war ein Berserker. Er gehörte zur Familie Knyr, die vor langer Zeit am Taamberg gelebt hatte. Damals zählten die Angehörigen dieser Familie zu den Favoriten der Herren der FESTUNG. Sie hatten die Aufgabe, die Horden der Nacht zu begleiten und zu lenken. Selbst die Völker von Pthor, die an jede Art von Gewalt gründlich gewöhnt waren, fürchteten die Berserker und gingen ihnen aus dem Weg, wo immer sie konnten. Und ausgerechnet einer dieser harten, gnadenlosen Kämpfer erkannte plötzlich die Schwere des Verbrechens, das die Herren der FESTUNG an den Bewohnern unzähli-
Welt der Schätze ger Planeten begingen. Diese Erkenntnis hatte Folgen: Razamon versuchte, den Bewohnern eines armseligen Planeten zu helfen, und die Herren der FESTUNG kamen dahinter. Sie bestraften ihn, hängten einen Zeitklumpen an sein Bein, durch den er unsterblich wurde, und verbannten ihn, ließen ihn auf dem Planeten zurück, auf dem das ganze Unglück begonnen hatte. Razamon erlebte mit, wie sich die Bewohner der Erde von dem schrecklichen Überfall erholten, wie sie neue Kulturen und Zivilisationen aufbauten und schließlich zu den Sternen vorstießen. Er war unvorstellbar einsam, und in seinem Herzen brannte unstillbarer Haß auf die Herren von Pthor. Als sich die Rückkehr des Dimensionsfahrstuhls ankündigte, gab er das ewige Versteckspiel auf und nahm Kontakt mit der Regierung der Erde auf. Man hatte es in erster Linie dem Berserker zu verdanken, wenn die Terraner diesmal mit dem Schrecken davongekommen waren. Aber Razamon wollte sich nicht damit zufriedengeben, daß man den verderblichen Einfluß Pthors mit Hilfe gigantischer Energieschirme neutralisierte. Er brannte darauf, endlich seine Rache an den unheimlichen Herrschern zu vollziehen. Und er fand einen Verbündeten: Atlan. Gemeinsam drangen sie bis nach Pthor vor. Am Tage Ragnarök halfen sie den Kindern Odins, die FESTUNG zu stürzen. Atlan gewann die Freundschaft zweier hoher Magier, und die Völker von Pthor machten den Arkoniden zu ihrem neuen Herrscher. Aber inzwischen raste Pthor führerlos der Schwarzen Galaxis entgegen, und je näher sie diesem unerwünschten Gebilde kamen, desto größer wurden die Gefahren, die dem Land drohten. Den Krieg gegen die Krolocs überstanden sie, aber dann fanden sie eine im Raum treibende Geisterflotte, und in drei Schiffen entdeckten sie Dinge, die aus der Schwarzen Galaxis stammten: Einen Klumpen dunkler Materie, eine seltsame Maschine, einen Behälter mit drei hageren, vieräugigen Fremden darin. Wie blinde Narren hatten sie sich benommen und diese Dinge nach Pthor ge-
47 bracht. Bis sie dahinterkamen, welche Gefahr ihnen von diesen Mitbringseln drohte, war es fast schon zu spät gewesen. Der entscheidende Vorteil der drei Fremden bestand darin, daß sie aus einem Zeitversteck heraus agieren konnten. Damit waren sie praktisch unangreifbar. Nur Razamon konnte ihnen folgen – der Zeitklumpen erwies sich als die einzige brauchbare Waffe gegen die unheimlichen Fremden. Also ging er hin, um sie zu töten. Aber sie starben nicht durch seine Hand. Ein Unglück tötete sie. Razamon sah sie sterben, ehe eine seltsame Kraft ihn davonriß und ihn in einen dunklen Raum schleuderte. Was war damals geschehen? Wo hatte er sich aufgehalten? Was war dieser dunkle Raum? Er erinnerte sich nicht daran. Er kannte jetzt seine Geschichte bis zu dem Augenblick, in dem ihn etwas aus der normalen Welt von Pthor herausriß, und seine Erinnerung setzte mit dem Augenblick wieder ein, in dem er auf Ximmerrähne erwachte. Alles, was dazwischenlag, war wie weggewischt. Eines Tages, so hoffte er, würde er auch den Rest erfahren. Irgendwann mußten die Sperren in seinem Gedächtnis zerbrechen. Nun war er also in der Schwarzen Galaxis, und er hatte keine Ahnung, wo Pthor sich unterdessen befinden mochte. Lebte Atlan noch? Oder war das ganze Land längst von den Helfern des Dunklen Oheims verwüstet worden? Er mußte es herausbekommen. Wenn es auf Pthor noch Leben gab, wenn der Arkonide noch existierte, dann hatte es auch noch einen Sinn, gegen die Schwarze Galaxis zu kämpfen. Ich bin im Rghul-Revier, dachte er. Und das liegt erst im Randbezirk der Schwarzen Galaxis. Von hier bis zum Zentrum ist es ein weiter Weg. Dort irgendwo befindet sich der Dunkle Oheim. Ich bin von jeder Hilfe abgeschnitten, und es ist äußerst fraglich, ob ich jemals den Weg nach Pthor finden werde. An eine Rückkehr zur Erde ist schon gar
48 nicht zu denken. Ich könnte versuchen, mich aus allem herauszuhalten. Es gibt auch hier Planeten, auf denen man sich niederlassen und ein neues Leben anfangen kann. Es wäre der einfachste Weg. Aber während er das dachte, flammte der Haß in ihm auf. Nein! entschied er. Die Herren der FESTUNG sind nur Werkzeuge. Die eigentlichen Verbrecher sitzen im Zentrum dieser verfluchten Galaxis. Eines Tages werde ich sie finden. Ich habe Zeit. Er schlug die Augen auf. Endlich hatte er wieder ein Ziel. Er fühlte sich wie neugeboren. Er hörte ein Geräusch, richtete sich auf und sah zur Tür. Dort stand Frant-Erf. War der Truge schon lange hier im Zimmer? Hatte er den Pthorer beobachtet? Wußte er am Ende sogar, welche Gedanken den einsamen Mann bewegten? »Was hast du jetzt mit mir vor?« fragte Razamon. »Du bist kein Spion«, sagte FrantErf und zog respektvoll seinen köcherförmigen Kopf ein. »Dir wurde großes Unrecht angetan, Razamon.« Der Berserker begriff eines sofort: Ihm drohte keine Gefahr mehr. Offenbar wußte man hier, im Rghul-Revier, noch nicht, was sich während der letzten Reise im Lande Pthor abgespielt hatte. Neue Hoffnung erfüllte ihn, und er stand auf und winkte gutmütig ab. »Reden wir nicht mehr darüber, FrantErf«, murmelte er. Den Trugen freute das natürlich. Er schien in der Tat ein sehr schlechtes Gewissen zu haben. »Duuhl Larx will dich sehen«, berichtete er eifrig. »Ich soll dich nach Harrytho bringen. Der Neffe ist sehr beeindruckt von dir. Er will dich sogar zu einem Transfusionsgebundenen machen!« Frant-Erf schien das für eine ganz besondere Ehre zu halten. Razamon dagegen erschrak, denn er erinnerte sich an alles, was er durch Peleff erfahren hatte. Ihm war klar, daß er eine Blutübertragung wahrscheinlich
Marianne Sydow nicht überleben würde. Niemand wußte, welchem Volk der Dunkle Oheim und seine Neffen entstammten, aber da die Angehörigen vieler Völker sich dazu eigneten, zu Transfusionsgebundenen zu werden, gab es mit Sicherheit eine Artverwandtschaft zwischen ihnen und ihren Herrschern. Razamon aber war im Lande Pthor geboren, und er zweifelte daran, daß sein Organismus sich mit dem Blut des Neffen vertrug. Ich werde dem Neffen diesen Plan ausreden müssen, dachte er. Es wird nicht einfach sein, aber – wie sagte Peleff? Die Transfusionsgebundenen schulden dem Neffen absoluten Gehorsam. Es scheint mir, als sei die Methode nicht so zuverlässig, wie Duuhl Larx es sich erhoffte. Schließlich war der Valvke durchaus imstande, gegen die Interessen seines Blutspenders zu handeln. Gleichzeitig entstand in ihm ein Plan. Er wußte plötzlich, was er zu tun hatte, um einerseits der Transfusion zu entgehen, andererseits seinem Ziel näherzukommen. Er würde dem Neffen eine Komödie vorspielen. Der Neffe mußte zu dem Schluß kommen, daß es keinen treueren Diener für ihn gab als den Berserker Razamon. Und zwar ohne Blutübertragung. Ob seine schauspielerischen Fähigkeiten dazu ausreichten? Er wußte es nicht, aber er würde sein Bestes geben. Und wenn Duuhl Larx ein noch so abscheuliches Ungeheuer sein mochte – Razamon würde ihm schmeicheln, bis er allen Widerstand aufgab. Es ging nicht nur um das Leben des Pthorers. Der Gedanke an Atlan, an den Dimensionsfahrstuhl mit seinen Bewohnern und nicht zuletzt an die unheimliche Macht im Kern der Schwarzen Galaxis mußten ihm genug Kraft verleihen, um das Spiel durchzuhalten. »Bist du schon kräftig genug, um die Reise antreten zu können?« fragte Frant-Erf zaghaft. Razamon schrak aus seinen Gedanken auf. »Wir sollten noch einen Tag warten«, meinte er. »Deine Leute haben mir zwar
Welt der Schätze
49
sehr geholfen, aber ihre Methode war nicht so schonend, wie ich es mir jetzt wünschen würde. Ich brauche noch etwas Ruhe. Oder hat Duuhl Larx es so eilig?« »Er trug mir auf, in erster Linie auf dein Wohlergehen bedacht zu sein.« »Das gibt für mich den Ausschlag. Sicher wäre er sehr zornig auf dich, wenn du ihm einen Pthorer bringst, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann.« Frant-Erf versicherte nochmals, daß dies nicht im Sinn des Neffen wäre und zog sich dann respektvoll zurück. Razamon atmete auf, als er wieder mit sich alleine war. An und für sich hätte er sich stark genug gefühlt, auf der Stelle die Fahrt nach Harrytho anzutreten. Aber er wollte noch etwas Zeit haben, um sich in Gedanken gründlich auf das vorzubereiten, was ihn im Palast erwartete. Als sie dann am nächsten Morgen aufbrachen, wünschte sich Razamon, daß er sich anders entschieden hätte, denn vor dem Gebäude, in dem Frant-Erf als eine Art Polizeichef von Vemed residierte, bot sich ihm ein gräßliches Bild. »Verräter«, sagte Frant-Erf gleichmütig, als er Razamons entsetzte Blicke bemerkte. »Es war nur gut, daß ich mich noch in der Stadt befand. So konnte ich die sofortige Vollstreckung des Urteils anordnen.« Razamon wandte sich schweigend ab und stieg in den Gleiter, der unmittelbar neben
der Hinrichtungsstätte bereitstand. Er wagte es nicht, sich noch einmal umzusehen, als Frant-Erf das Fahrzeug steigen ließ. Der Gedanke daran, daß es Frant-Erf gewesen war, der diese Grausamkeit befohlen hatte, weckte Übelkeit und ohnmächtigen Zorn in ihm. In diesen Augenblicken wäre er fähig gewesen, Frant-Erf über den Rand des Gleiters zu stoßen, nur um die Nähe dieses Wesens nicht länger ertragen zu müssen. Aber er riß sich zusammen. Die sechs Wesen, die er gesehen hatte, waren bereits tot. Er hätte ihnen ohnehin nicht mehr helfen können. Während der Gleiter Kurs auf Harrytho nahm, dachte Razamon an den Neffen Duuhl Larx. Dieses Wesen war der Urheber all der Grausamkeiten, die im Rghul-Revier geschahen. Frant-Erf war nur ein winziges Rädchen im Getriebe. Das, so dachte Razamon, war zwar keine Entschuldigung für das, was er gesehen hatte, aber es half ihm, sich über einiges klar zu werden. Von mir, überlegte er, dürfte Duuhl Larx so etwas nicht verlangen. Und eines Tages werde ich diesem Ungeheuer den Hals umdrehen. Die Stadt blieb zurück. Vor ihnen lag die endlose Wüste aus glitzernden Schätzen.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 420 von König von Atlantis mit: Pakt mit dem Bösen von Marianne Sydow