Ren Dhark Drakhon – 14 – Weiter Denn Je 1. Bin ich wirklich der Diener zweier Herren? ging es Colonel Frederic Huxley du...
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Ren Dhark Drakhon – 14 – Weiter Denn Je 1. Bin ich wirklich der Diener zweier Herren? ging es Colonel Frederic Huxley durch den Kopf. Ren Dhark, der Commander der Planeten, hatte ihn einst mit einem Lächeln so genannt. Und eine gewisse Berechtigung hatte diese Bezeichnung auch. Schließlich war er als Terraner Mitglied des Hohen Rates des Nogk-Imperiums. Ein einzelner humanoider Abgeordneter unter 500 reptilienähnlichen, mit Libellenköpfen ausgestatteten und etwa 2,50 Meter großen Nogk. Aber Huxleys Worte wurden im Rat inzwischen sehr ernstgenommen. Und das lag nicht nur an der freundschaftlichen Beziehung, die ihn mit Charaua, dem noch nicht einmal seit einem terranischen Standardjahr regierenden neuen Herrscher des Nogk-Imperiums verband. Huxley hatte sich allgemein Respekt unter den Nogk er worben. Seitdem er mit dem ihm unterstehenden Forschungsraum schiff FO-I 2052 per Zufall das Charr-System, die alte Heimat der Nogk entdeckt hatte, war es ihm gelungen, intensive Kontakte zu diesem Volk herzustellen. Seine eingehende Beschäftigung mit dessen Kultur hatte es möglich gemacht, eine Brücke zwischen Terranern und Nogk zu schlagen. Eine Brücke, die sich bis heute als stabil erwiesen hatte, waren die Nogk doch gegenwärtig die zuverlässigsten Verbündeten der Menschheit. Eine Tatsache, die nicht zuletzt durch den Umstand gestützt wurde, daß es einen gemeinsamen Feind gab: Die insektoiden Grakos, auch Schatten genannt, die die Galaxis mit ihrem Vernichtungsfeldzug heimgesucht hatten. Immer wieder hatten die Nogk im Verlauf ihrer Geschichte ihre Heimatsysteme verlassen müssen, wenn deren Sonnen durch einen unbekannten Feind zur Explosion gebracht worden waren. Wer dieser Feind war, blieb letztlich immer noch unklar. Viele glaubten, daß es sich bei ihm um die Grakos gehandelt hatte. Aber Huxley hegte erhebliche Zweifel daran. Und mit diesen Zweifeln war er keineswegs allein. Im Juni 2057 waren die Nogk in Richtung Andromeda aufgebrochen, um endlich eine dauerhafte Heimat zu finden. Huxley hatte dabei den Geleitschutz befehligt. Aber das Unternehmen war fehlgeschlagen.
Zwischen der Milchstraße und Andromeda hatte das sogenannte Exspect, eine Energiebarriere, die etwa 245 000 Lichtjahre in den Leerraum hineinragte, den Exodus der Nogk zumindest vorerst gestoppt. So hatte die kosmische Reise der Nogk zunächst im Corr-System ihr vorläufiges Ende gefunden. 17 Planeten umkreisten den 360 Millionen Kilometer durchmessenden roten Riesen, das Zentralgestirn dieses weit draußen im Leerraum zwischen den Galaxien gelegenen Systems. Vier von ihnen waren von den Nogk mit ihrer überlegenen Technologie umgeformt worden. Die Wasserwelten Corr VIII und IX dienten als Lebensmittelproduzenten. Auf Corr VII, auch Kraat genannt, was so viel wie »Herberge« bedeutete, hatten die Nogk Wohnstätten für die sie begleitenden Terraner errichtet. Dort herrschten für Menschen angenehme klimatische Bedingungen. Corr VI schließlich, der auf den Namen Reet getauft worden war, stellte das Zentrum dessen dar, was als das Nogk-Imperium bezeichnet wurde. Reet war die Wohnwelt der Nogk. Und hier befanden sich auch der Regierungssitz des Nogk-Herrschers Charaua und der Tagungsort des Rates der 500. Huxley blickte kurz auf sein Chrono. Nach irdischen Maßstäben waren es noch zwei Stunden bis zur nächsten Sitzung dieses Rates. Einer Sitzung, in der es um äußerst wichtige Fragen gehen würde, von deren Entscheidung die Zukunft des Nogk-Volkes abhing. Huxley war schon seit Stunden damit beschäftigt, sich auf diese Sitzung mental vorzubereiten und an seiner Rede zu feilen. In meiner Situation ist es besonders schwierig zu argumentieren, dachte er. Die Lage des Imperiums hat sich stabilisiert, die Wirtschaft boomt und nach dem Ende der verheerenden Energiestürme in der Galaxis könnten wir auch wieder daran denken, weitere Planeten w kolonisieren... Huxley lächelte mild. Du hast wirklich »wir« gedacht, als du über die gegenwärtige Lage der Nogk sinniertest! ging es ihm durch den Kopf. Ein Blick in den Spiegel hätte dich eines besseren belehren können, meldete sich ein leicht sarkastischer Kommentator in seinem Hinterkopf. Oder hast du je einen Nogk mit grauen Haaren auf dem Libellenkopf gesehen? Huxley unterdrückte ein Gähnen.
Er hatte jetzt viele Stunden am Stück und mit höchster Konzentration gearbeitet, sich schier den Kopf über einzelne Formulierungen zerbrochen. Und das bei einem Publikum, das so etwas wie eine »Sprache« im herkömmlichen Sinn gar nicht kannte, rief er sich ins Gedächtnis, denn die Nogk verständigten sich über semitelepathische Bildimpulse. Normalerweise brauchte ein Mensch einen gut konfigurierten Translator, um mit den Libellenköpfen in Kontakt treten zu können. Seit Huxley zum Mitglied des Nogk-Imperiums und dessen Rat der 500 geworden war, besaß er jedoch ein Implantat, das ihm eine direkte Kommunikation mit ihnen ermöglichte. Auf diese Weise hatte er aber auch ein besonderes Gespür dafür entwickelt, wie er durch die Benutzung herkömmlicher AngloterWorte telepathische Bildimpulse erzeugen konnte, die auf die Nogk besonders überzeugend und eindrucksvoll wirkten. Wahrscheinlich werde ich irgendwann in der Lage sein, ein Standardwerk über die rhetorische Wirkung telepathischer Bild impulse zu verfassen, dachte Huxley. Er ging auf die große Fensterfront zu.
Die Räumlichkeiten, die man ihm innerhalb des Regierungskomplexes
zur Verfügung gestellt hatte, waren perfekt an seine
menschlichen Bedürfnisse angepaßt worden.
Huxley atmete tief durch, ließ den Blick hinausschweifen.
Corr, die rote Riesensonne, deren Aussehen Huxley immer schon an
Beteigeuze erinnert hatte, stand wie eine riesige, überreife Blutorange
am Himmel von Reet und tauchte die Gebäude des
Regierungskomplexes in ihr mildes, rötliches Licht.
Die Sehnsucht der Nogk nach einer endgültigen Heimat war groß.
Huxley wußte das nur zu gut. Und gerade jetzt, da die Grako-Gefahr
beseitigt war, glaubten viele von ihnen, sich gewissermaßen
zurücklehnen zu können.
Huxley schmunzelte unwillkürlich bei diesem Gedanken.
Ein sich zurücklehnender Nogk! überlegte er. Ein Bild, das man sich nur schwer vorstellen kann, wenn man sich die körperliche Gestalt eines Nogk ansieht! Es wäre interessant zu sehen, welche telepathischen Bildimpulse es auslöst. Möglicherweise könnte es eine Reaktion hervorrufen, die eine Analogie zu dem darstellt, was wir Terraner Humor nennen... Ein Summton riß Huxley aus seinen Gedanken.
Er wandte den Blick. Eine Anzeige machte deutlich, daß jemand den
Raum zu betreten wünschte und lieferte auch gleich eine Drei-D-
Projektion des Gastes.
Der Gast war allerdings kein gewöhnlicher Nogk.
Seine Haut schimmerte kobaltblau.
»Tantal!« flüsterte Huxley und gab eine Bestätigung ab, damit der
Gast eintreten konnte.
Tantal war der erste Vertreter einer neuen Nogk-Art gewesen, dem
noch viele weitere gefolgt waren. Aus einer vergessenen Puppe
geschlüpft, hatte er sich nach seinem Geburtsplaneten benannt. Im
Gegensatz zu den herkömmlichen Nogk waren die »Kobaltblauen«
nur etwa zwei Meter groß und sowohl gegen die Auswirkungen der
Strahlenstürme als auch das sogenannte Exspect resistent.
Eine Schiebetür öffnete sich.
Tantal trat ein.
Seine Projektion hingegen löste sich in nichts auf.
»Sei gegrüßt, Huxley«, signalisierte der Blaue Nogk.
Huxleys Implantat sorgte dafür, daß die Bildimpulse des Kobaltblauen
für die Weiterverarbeitung innerhalb des menschlichen Gehirns in Worte
umgewandelt wurden. Gewiß waren damit noch lange nicht sämtliche
Kommunikationsprobleme beseitigt. Aber das Implantat arbeitete
natürlich wesentlich bedeutungsgenauer, als jeder noch so leistungsfähige
Translator es vermocht hätte.
»Sei gegrüßt, Tantal.«
Eine der Sitzschalen veränderte ihre Form automatisch so, daß sie sich
der Körperform des Blauen Nogk perfekt anpaßte.
»Nicht mehr lange, und die Sitzung des Hohen Rates beginnt, Huxley.«
»Ich habe mich bis eben darauf vorbereitet.«
»Ich zweifle nicht daran, daß auch dir klar ist, wie wichtig diese Sitzung
ist... ich befürchte, daß der Frieden der Eivater der Agonie werden
könnte.«
Huxley nickte.
Eine Geste, die das Implantat nicht in Bildimpulse übersetzen konnte.
Aber Tantal war mit der Kultur der Terraner vertraut genug, um sie
deuten zu können. Manchmal imitierte er sie sogar.
»Dein Volk sehnt sich danach, endlich Ruhe und Frieden zu finden«,
sagte Huxley im Vertrauen darauf, daß sein Implantat die konzentrierten
Gedanken adäquat übertrug. »Und das Corr-System scheint dafür ein
geeigneter Ausgangspunkt zu sein.«
»Uns stehen alle Möglichkeiten offen, Huxley. Seit dem Verschwinden
des Exspects wäre selbst eine Weiterreise nach Andro-meda möglich,
auch wenn viele jetzt der Meinung sind, daß ein weiterer Exodus nun
nicht mehr vonnöten sei. Aber das Nogk-Imperium könnte auch
innerhalb kürzester Zeit weitere Planeten in der Milchstraße besiedeln...
du weißt, wie schnell unser Nachwuchs heranwächst.«
»Ja, das weiß ich.«
Die biologische Dynamik, die die Nogk an den Tag zu legen
vermochten, war vermutlich der entscheidende Grund dafür, daß diese
Rasse bisher überlebt hatte. Innerhalb kürzester Zeit konnten sie einen
durch Kriege oder Katastrophen entstandenen Bevölkerungsverlust
wieder ausgleichen.
Tantals Existenz war der beste Beweis dafür.
Der blaue Nogk war kaum älter als ein Jahr.
»Ich denke, wir teilen dieselben Sorgen, Huxley«, signalisierte Tantal.
»Ich glaube, daß die Nogk weiterhin vor dem verborgenen Feind auf der Hut sein müssen, Tantal. Es ist überhaupt nicht gesagt, daß dieser Feind mit den Grakos identisch war.« »Ich stimme deiner Einschätzung zu.« »Zweitausend Jahre reichen die Aufzeichnungen eures Volkes zurück. Warum nicht weiter?« »Wenn wir weiterreichende Aufzeichnungen besäßen, würde uns das bei der Einschätzung der gegenwärtigen Lage zweifellos sehr helfen.« »Ich befürchte, daß die Unbekannten erneut zuschlagen und auch Corr in eine Supernova verwandeln könnten, so wie sie es mit jenen Systemen getan haben, in denen ihr zuvor gesiedelt habt.« »Wie du schon sagtest, dieser Feind ist unsichtbar, Huxley. Er hat kein Gesicht. Und das macht es für viele schwer, an seine Existenz zu glauben.« Eine kurze Pause folgte. Huxley empfing Bildimpulse, die ihn an die Raumschlachten gegen die Grakos erinnerten, an denen auch er selbst teilgenommen hatte. 2300 Nogk-Schiffe, begleitet von 100 terranischen S-Kreuzem, waren seinerzeit in Richtung Andromeda aufgebrochen und im Exspect gestrandet. Weiter als 300 000 Lichtjahre war diese Flotte nicht gelangt. Zu allem Überfluß waren sie auch noch in Kämpfe mit Grako-Verbänden verwickelt worden, die ihnen gefolgt waren. Das Corr-System war ihre Rettung gewesen. »Lebensspenderin«, so ließ sich der Name dieser Sonne in ge bräuchliches Angloter übersetzen. Eine rote Riesensonne mitten im intergalaktischen Nichts, die darüber hinaus auch noch jene Strahlungskomponenten aufwies, von denen die herkömmlichen Nogk abhängig waren. Eine Abhängigkeit, die den Nogk schon in der Vergangenheit immer wieder zum Verhängnis geworden war. Denn wenn sich die Strahlungszusammensetzung einer Sonne, auf deren Planeten sie gesiedelt hatten, änderte, so bedeutete dies eine Fortsetzung ihres Exodus. Eine derartige Veränderung konnte als Folge natürlicher Prozesse auftreten, die selbst die überlegene Technik der Nogk nicht zu beeinflussen wußte. Oder aber durch Manipulationen des unbekannten Feindes, von dem man geglaubt hatte, er sei mit den insektoiden Grakos identisch. Die Blauen Nogk stellten in dieser Hinsicht so etwas wie die materialisierte Zukunftshoffnung für die gesamte Rasse dar. Denn sie waren unabhängig von diesen Strahlenkomponenten, und es gab
Hinweise darauf, daß die Kobaltblauen so etwas wie die ursprüngliche
Form der Nogk verkörperten.
Doch auch die Antwort auf diese Frage lag wohl in der Vergangenheit. ..
Zweitausend Jahre aufgezeichnete Geschichte, dachte Huxley. Für ein
Volk, dessen Individuen eine Lebenserwartung von fast vierhundert
Jahren besaßen, war das ein Nichts. Es mußte einen Grund dafür geben,
daß das Wissen der Nogk um ihre eigene Vergangenheit nicht weiter
zurückreichte.
Zudem hatten die Nogk auch zu Beginn ihrer Geschichte bereits über
eine Hochkultur mit entsprechend fortgeschrittener Technologie verfügt.
Es war undenkbar, daß so etwas aus dem Nichts heraus entstand, ohne
daß dem eine jahrtausendelange Entwicklung vorausgegangen war.
»Wir teilen also in vielem die Analyse der gegenwärtigen Situation,
Huxley«, erklärte Tantal. »Und ich denke, daß wir uns auch über die
daraus zu ziehenden Konsequenzen schnell einig werden...«
»Gewiß.« »Wie dir sicherlich nicht entgangen sein dürfte, ist das Verhältnis zwischen Blauen und normalen Nogk etwas gespannt.« »Nach meinem Gefühl hat es sich bereits wieder deutlich verbessert, seit unter der Nachkommenschaft etwa gleich viele kobaltblaue und herkömmliche Nogk aus den Eiern schlüpfen.« »Dennoch gibt es da manchmal gewisse...« Huxley nahm ein paar unklare Bildsymbole wahr, mit denen er trotz seines Implantats zunächst nichts anzufangen wußte. »... Kommunikationsschwierigkeiten.« Ein flüchtiges Lächeln spielte jetzt um Huxleys Lippen. Er verstand sehr gut, was sein extraterrestrisches Gegenüber mit dieser Formulierung meinte. Charaua, der gegenwärtige Herrscher des Nogk-Imperiums, war Tantals Eivater. Das traf auch auf unzählige andere Nogk zu, die die Gene des Herrschers in sich trugen, aber Tantal war »anders«. Der erste der strahlungsunabhängigen Kobaltblauen, jener neuen Nogk-Unterart, der wahrscheinlich die Zukunft gehörte. Wenn man das, was Tantal als Kommunikationsschwierigkeiten bezeichnet hatte, in menschliche Begriffe übersetzen wollte, so konnte man vielleicht von einer Art VaterSohn-Konflikt sprechen. Unter den blauen Nogk hatte Tantals Wort Gewicht. Aber viele der »Alten« schienen sich unbewußt durch ihn und die anderen Kobaltblauen bedroht zu fühlen. Tantal fuhr fort: »Es ist dir sicher auch aus deiner Kultur bekannt, daß
nicht immer nur das reine Argument entscheidet, sondern auch der
Umstand, von welchem Individuum es vorgebracht wird.«
Huxley nickte.
»Das ist richtig.«
»Ich möchte dich ermutigen, deine Standpunkte mit Nachdruck
vorzubringen, Huxley.«
»Worauf du dich verlassen kannst!«
»Auf dich, einen Fremden, wird man eher hören als auf mich,
der in den Augen der Alten vielleicht voreingenommen wirkt.«
Meint er das allgemein - oder in Wahrheit eher aufseinen Eivater
Charaua bezogen? ging es Huxley durch den Kopf.
»Ich verstehe, Tantal. Aber ich glaube, du unterschätzt deinen Einfluß im
Rat der Fünfhundert gewaltig...«
Es war schwer, wenn nicht gar unmöglich, aus dem Gesicht eines Nogk
irgendwelche Gemütsreaktionen ablesen zu wollen. Die großen
Facettenaugen sahen Huxley auf eine Weise an, die einem Terraner nur
als unbeteiligt und kalt erscheinen konnte.
Eine Pause des Schweigens folgte, ohne daß irgendwelche semi
telepathischen Bildimpulse übertragen wurden.
Was geht in ihm vor? fragte sich Huxley. Er kannte die Nogk und ihre
Verhaltensweisen inzwischen gut genug, um sich in ihr Inneres weiter
einfühlen zu können, als das je einem anderen Menschen gelungen war.
Natürlich nur bis zu einem gewissen Grad.
Denn die Wahmehmungsweise eines Nogk unterschied sich erheblich
von jener der Menschen.
Sein eigentliches Anliegen hat er noch nicht vorgebracht! erkannte
Huxley schließlich.
Er sollte recht behalten.
Tantal erhob sich von seiner Sitzschale, schritt auf Huxley zu und blieb
in einer Entfernung von kaum einem Meter vor ihm stehen.
Eine Reihe unklarer Bildimpulse erreichte den Colonel. Impulse, mit
deren Übersetzung das Implantat offenbar zunächst seine
Schwierigkeiten hatte.
»Ich möchte dich um etwas bitten, Huxley. Einen... Gefallen...«
»Nur zu, Tantal«, forderte Huxley den Kobaltblauen auf. »Sag, was du
auf dem Herzen hast... äh, sorry, ich hoffe diese bildliche Redeweise wird
jetzt richtig übertragen.«
»Vielleicht erklärst du mir später mal, was genau ein Herz ist, Huxley.
Aber im Augenblick gibt es Dringenderes als den Austausch von
Kenntnissen über die menschliche Physiologie....« Huxley betrat als einer der letzten die Ratshalle, in dem das oberste Gremium des NogkImperiums tagte. 500 Paare von Facettenaugen und Fühlern... Huxleys Blick glitt über die Menge der Ratsmitglieder. Hier und da bewegten sich insektenartige Beißwerkzeuge an den Libellenköpfen. Huxley nahm seinen Platz ein. Sein Implantat in der Brust übersetzte die allgegenwärtigen se mitelepathi sehen Schwingungen für ihn. Der Begriff Euphorie bezeichnet eine gute Stimmung trotz schlechter Lage! rief sich Huxley in Erinnerung. Seiner Ansicht nach paßte dieser Begriff exakt auf die vorherrschenden Emotionen, die unter den Mitgliedern des Hohen Rates anzutreffen waren. Huxley würde sich ziemlich ins Zeug legen müssen, um hier etwas ausrichten zu können. Charaua, der Nogk-Herrscher und Huxleys persönlicher Freund, hatte bereits seinen Platz eingenommen. Die Sitzung wurde eröffnet. Es gab zunächst eine allgemeine Aussprache über die gegenwärtige Lage des Nogk-Imperiums. Ein »Redner« namens Racharr ergriff das »Wort«. Er gehörte mit seinem Alter von über 400 Erdenjahren zu den Ältesten in der Versammlung. Bislang hatte Huxley kaum je erlebt, daß Racharr sich zu Wort meldete. Üblicherweise gehörte Racharr eher zu jenen Ratsmitgliedern, die aus dem Hintergrund heraus wirkten. Das Wort dieses alten Nogk hatte Gewicht im Hohen Rat. So viel hatte Huxley inzwischen mitbekommen. Racharr genoß großes Ansehen. Warum greift er ausgerechnet heute in die Debatte ein? fragte sich Huxley. Racharr stellte seine Sicht der gegenwärtigen Lage dar. »Lange ist es her, seit unser Volk sich in einer ähnlich positiven Situation befunden hat«, signalisierte er. »In den letzten fünf Generationen war das nicht mehr der Fall.« Fünf Generationen! dachte Huxley, während er die Signale Racharrs empfing. Fünf Nogk-Generationen entsprachen bei einer Lebenserwartung von etwas mehr als 400 Jahren einer Zeitspanne von gut 2000 Standard-Terrajahren. Genau die Zeitspanne, die die gesamte überlieferte Geschichte dieses Volkes umfaßte. Ihr wißt doch gar nicht,
woher ihr kommt und wer ihr wirklich seid! ging es Huxley durch den
Kopf.
Racharr breitete einen Rückblick auf die jüngsten Ereignisse der Nogk-
Geschichte vor den Mitgliedern des Hohen Rates aus.
Huxley glaubte dabei, in den Impulsen des Alten durchaus so etwas wie
Pathos beziehungsweise eine Nogk-Entsprechung dafür erkennen zu
können.
»Das Corr-System bietet ideale Lebensbedingungen für uns. Die
Strahlungskomponenten dieser Sonne, die wir zu recht die
>Lebensspenderin< nennen, ermöglichen jenen, die mit der her
kömmlichen Nogk-Gestalt aus ihren Eiern geschlüpft sind, eine
sorgenfreie Existenz. Reet, unser Wohnplanet, hat sich mehr und mehr in
einen Ort verwandelt, der wie die Idealvorstellung einer Heimat aller
Nogk wirken muß. Unsere Wirtschaft boomt. Seit langem haben wir
nicht mehr derartig viele Güter produzieren und mit anderen Völkern
austauschen können. Insbesondere den Handel mit unseren terranischen
Freunden möchte ich hier erwähnen, der trotz großer Distanz zwischen
Corr und Sol an Schwunghaftigkeit gewonnen hat. Wir werden durch den
Ausbau dieser Handelsbeziehungen unseren Wohlstand weiter
vermehren.«
Zustimmende Signale kamen vom Auditorium.
Die Bildimpulse, die Racharr aussandte, zeigten eine rosige Zukunft des
Nogk-Imperiums.
»Wir sind von jeher ein Volk des Friedens gewesen«, fuhr Racharr fort.
»Niemand kann daran zweifeln, und seitdem der furchtbare Feind allen
Lebens, die schattenhaften Grakos, nun
endlich besiegt sind, steht der Errichtung einer galaktischen Zone des
Friedens, der Verständigung und des florierenden Handels nichts mehr
im Wege.«
Die zustimmenden Signale wurden noch stärker. Nur vereinzelt gab es
skeptische Impulse oder solche, die indifferent waren.
Huxleys Blick ruhte eine Weile auf Charaua, dem Herrscher aller Nogk.
Seine Fühler bewegten sich leicht. In den Facettenaugen blitzten
Lichtspiegelungen auf.
Auf ihn wird es im Endeffekt ankommen, wußte Huxley. Aber die Signale, die bislang von dem Nogk-Herrscher ausgingen, waren bestenfalls indifferent. »Der Weg nach Andromeda stünde uns jetzt offen, seit die Barriere des
Exspect nicht mehr vorhanden ist«, erklärte Racharr weiter. »Aber es gibt keinen Grund mehr, diese Reise in die Ungewißheit fortzusetzen. Vielversprechender erscheint mir, vom Corr-System aus damit zu beginnen, wieder Planeten innerhalb der Milchstraße zu besiedeln. Konzentrieren wir uns darauf, den Nachwuchs großzuziehen und unsere Wirtschaft weiter zu entfalten. Unser Volk braucht jetzt eine Ruhepause der Erholung. Seit fünf Generationen hat es das für uns nicht mehr gegeben...« Ein Schwall positiver Signale brandete auf und stellte eine Art Entsprechung zu menschlichem Applaus dar. Es folgten eine ganze Reihe zustimmender Beiträge, die alle in das selbe Horn stießen. Mit den Grakos, so der Tenor, war der uralte Feind endlich besiegt, der das Volk der Nogk so lange heimgesucht und immer wieder von neuem ins Exil gezwungen hatte. Der Hinweis einer einzelnen semitelepathischen Stimme, es lägen noch keinerlei Erkenntnisse darüber vor, wie es die Grakos eigentlich geschafft hätten, das jeweilige Heimatgestirn der Nogk so zu manipulieren, daß es jeweils in unnatürlich kurzer Zeit zur Nova entartet war, wurde kaum weiter beachtet. Sie neigen dazu, nur das wahrzunehmen, was ihren geheimen Wünschen entspricht, überlegte Huxley. In diesem Punkt schienen ihm die von ihrer körperlichen Erscheinung her so fremdartig wir kenden Nogk auf geradezu unheimliche Weise menschlich zu sein. Sriil, der oberste Meeg, schloß sich Racharrs Meinung an. Die Auffassung, daß die Grakos nicht der uralte Feind seien, entspringe reiner Spekulation. »Niemand«, so Sriil, dessen Rang auf Terra dem eines Wissenschaftsministers entsprochen hätte, »kann bisher auch nur einen wirklich schlüssigen Beweis dafür vorlegen, daß der uralte Feind uns noch immer nachstellt und unser Volk zu vernichten trachtet. Wir dürfen uns nicht länger zu Sklaven unserer kollektiven Furcht machen! Der einzige Gegner, den wir neben einzelnen, versprengten GrakoGruppen, die die neue Ordnung auf Grah nicht akzeptieren wollen, noch zu fürchten haben, ist tief in unseren Hirnen verborgen. Es ist unsere Furcht, die irrationale Angst vor einem Gegner, der es lange verstanden hat, sich im Verborgenen zu halten und aus seiner wahren Gestalt ein finsteres Mysterium zu machen.« Sriils Bildimpulse machten einen geradezu beschwörenden Eindruck. Huxley konnte an den Reaktionen ablesen, wie groß der Eindruck war, den Sriils Vortrag auf die Anwesenden machte. Der oberste Meeg vertrat
im Fall der Abwesenheit den Herrscher des Nogk-Imperiums. Ein Umstand, der Sriils Worten zusätzliches Gewicht verlieh. Ich werde mich ziemlich ins Zeug legen müssen! ging es dem grauhaarigen Colonel durch den Kopf. Sein Blick glitt kurz in Tantals Richtung. Der Kobaltblaue hat schon gewußt, warum er mich vorpreschen läßt und selbst in der Deckung verharrt. Ich hoffe nur, daß diese Strategie auch aufgeht... Dann erhielt schließlich Frederic Huxley das Wort. Der einzige Nicht-Nogk im Rat der Fünfhundert trat an den Rednerplatz und wandte sich an das Auditorium. »Freunde«, so begann er zu sprechen, und das Implantat sorgte dafür, daß diese Worte in entsprechende Bildimpulse umgesetzt wurden. »Als Fremder bin ich eurem Volk begegnet, inzwischen aber werde ich als einer der Euren akzeptiert. Euer Schicksal ist mit dem meinen untrennbar verbunden. Und so würde ich nichts lieber glauben, als daß die rosige Zukunftsvision, die der weise Racharr vor uns ausbreitete, eines Tages Wirklichkeit wird.« Huxley machte eine kurze Pause, versuchte die Reaktion der Nogk abzuschätzen. Er stellte fest, daß das unmöglich war. Zweifele nicht an dir und deiner Fähigkeit, die Seelen dieser Libellenköpfe w erreichen! durchzuckte es ihn. Du mußt es einfach versuchen. Mehr kannst du nicht tun... »Auch ich sehe die Verwirklichung dieser Vision in greifbarer Nähe. Aber nicht sofort. Gewiß, ich teile die Analyse des weisen Racharr, was die Beurteilung der gegenwärtigen Lage angeht. Die Wirtschaft des CorrSystems hat in der Tat einen sehr beachtlichen Aufschwung genommen, der wohl in der Geschichte des Nogk-Imperiums einzigartig sein dürfte. Und niemand empfindet mehr Freude über die Tatsache, daß sowohl Nogk als auch Terraner jetzt frei sind von der Bedrohung durch die Schatten. Doch das sollte niemanden blind und träge werden lassen. Keineswegs darf jetzt eine Phase der Selbstzufriedenheit und Ruhe anbrechen. Das wäre eine Entwicklung, die genau in die falsche Richtung ginge!« »Aber ist es nicht gerechtfertigt, die jetzt freigewordenen Ressourcen für die weitere Entwicklung unserer Kultur zu nutzen?« meldete sich einer der Nogk zu Wort und unterbrach Huxley damit. »Durch den Sieg über die Grakos und das Florieren der Wirtschaft gibt es tatsächlich freiwerdende Ressourcen im Nogk-Impe-rium. Aber diese Ressourcen dürfen wir nicht verschwenden. Sie müssen für einen einzigen Zweck gebündelt werden: nämlich den unsichtbaren Feind zu
finden, der das Volk der Nogk schon so oft aus seinen Heimatsystemen
vertrieb...«
»Aber diesen Feind kennen wir!« wurde aus dem Auditorium heraus
signalisiert.
Huxleys Bewußtsein wurde mit Bildimpulsen überflutet, die sein
Implantat gar nicht erst zu übersetzen brauchte.
Die Bilder zeigten Grakos.
20 Insektoide Ungeheuer, die von einer wabernden Hyperraumblase
umgeben wurden. Sie ließ die Grakos wie Schatten erscheinen. Ein
Umstand, der ihnen diesen Beinamen eingetragen hatte.
»Viele von euch glauben, daß die Grakos diese uralten Feinde waren...«,
sagte Huxley.
Eine Flut von Signalen schlug ihm entgegen.
»Ein Feind, der jetzt besiegt und unter Kontrolle ist!«
»Nie wieder kann er uns gefährlich werden!«
»Der Sieg war vollkommen!«
»Keine unserer Sonnen wird je wieder zur Nova entarten, es sei denn im
natürlichen Verlauf eines Stementodes!«
Huxley hob die Arme.
Niemand unter den anwesenden Nogk war in der Lage, diese Geste in
irgendeiner Form angemessen zu interpretieren. Aber vielleicht war
genau das der Grund dafür, daß die Impulse plötzlich abebbten.
Die volle Aufmerksamkeit des Auditoriums war von einem Augenblick
zum anderen wiederhergestellt.
»Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, daß wirklich die Grakos jene
uralten Feinde der Nogk waren, die immer wieder für Vertreibung
sorgten. Auch ich würde gerne glauben, daß es so ist! Aber wenn wir uns
jetzt in Sicherheit wiegen, bekommt dieser Feind vielleicht die
Gelegenheit, zum entscheidenden Schlag gegen das Nogk-Imperium
auszuholen. Einem Schlag, der diesmal tödlich sein könnte.«
»Wie steht es denn deinerseits mit Beweisen?« signalisierte jemand.
Und dieser Zwischensignalisierer bekam Unterstützung.
»Ja, welche Anhaltspunkte sprechen dafür, daß deine Meinung mehr ist
als bloße Verbreitung von Angst?«
Messerscharf haben sie meinen schwachen Punkt erkannt! überlegte
Frederic Huxley.
»Fünf Generationen reichen eure Überlieferungen zurück... so habt ihr zu
Beginn der Existenz eures Volkes bereits über eine 21 fortgeschrittene Technik verfügt, die normalerweise nur in einer jahrtausendelangen kulturellen Evolution entwickelt werden kann! Vielleicht wurde der Umstand, daß ihr keine weiter in die Vergangenheit reichenden Überlieferungen besitzt, durch Manipulation herbeigeführt. Wir wissen es einfach nicht. Aber ich bin überzeugt davon, daß der Schlüssel zu eurer Zukunft in der Vergangenheit liegt. Was war die Ursache des grausamen Konfliktes, den eure Vorfahren mit dem unbekannten Feind ohne Gesicht ausgetragen haben? Es muß doch einen Grund für diesen Vernichtungsfeldzug gegeben haben, der gegen euer Volk geführt wurde. All das liegt im Nebel eurer Vergangenheit.« »Ich bin dagegen, daß die Nogk sich mit ihrer Vergangenheit beschäftigen, anstatt in die Zukunft zu blicken!« signalisierte eines der Ratsmitglieder aufgebracht. »Du bist ein Forscher, Huxley! Aber willst du dein Interesse an historischer Erkenntnis die Zukunft unseres Volks bestimmen lassen? Dazu sage ich nein!« Huxley fuhr äußerlich ungerührt fort: »Ein großer, von der Menschheit bis heute als bedeutungsvoll angesehener Terraner namens Cicero hat dazu gesagt: >Nicht zu wissen, was geschah, ehe man geboren wurde, bedeutet, immer Kind zu bleibenRutsch-mir-den-Buckel-runter-Fingermiesen Schuppen< zu bezeichnen.« »Wo waren wir stehengeblieben?« nuschelte Flint, der bereits leicht angeheitert war. »Habe ich euch beiden schon erzählt, daß ich ursprünglich aufgrund einer wichtigen Mission mit ins All fliegen sollte? Doch jetzt schiebe ich Wache auf der Erde statt auf fremden Welten Dienst zu tun. Dagegen kann ich nichts machen, Befehl ist Befehl. Der Teufel soll General Martell holen! Selbstverständlich hat man mir auch hier eine wichtige Aufgabe zugeteilt, aber ich bin nicht zur Terranischen Flotte gekommen, um am Boden zu bleiben. Einer wie ich braucht den Kampf und das Abenteuer.« Das Gasthaus, in welchem er sich befand, lag im Amüsierviertel am Raumhafen von Alamo Gordo. Es war laut in der verräucherten, überwiegend von TF-Rauminfanteristen bevölkerten Schank-stube; trotzdem schaffte es Flint Eriksen, mit seinem Organ alle anderen Anwesenden zu übertönen. »Reiß dich gefälligst zusammen«, ermahnte ihn ein Kamerad, der ebenfalls an der Theke saß. »Du weißt genau, daß wir über unseren derzeitigen Einsatz nicht reden dürfen. Besser, du trinkst nichts mehr und gehst zurück in die Kaserne.«:. »Du hast mir überhaupt nichts zu sagen«, erwiderte Flint feindselig. »Heute ist unser erster freier Tag, das muß doch gefeiert werden! Meinen Spaß lasse ich mir von niemandem vermiesen.« »Keiner will dir was vermiesen«, mischte sich ein zweiter Kamerad ein. »Du sollst nur etwas leiser reden und den Mund nicht so vollnehmen.« Im Gegensatz zu Flint trugen die meisten der Infanteristen Zivil. Einige der Tische und Stühle waren derart schmuddelig, daß sich kein Soldat die Ausgehuniform daran schmutzig machen wollte. Wegen der schummrigen Beleuchtung konnte man die Flecken auf den Möbeln allerdings nicht auf Anhieb erkennen. Auf einer provisorischen Bühne präsentierte eine gelangweilt wirkende Stripteasetänzerin den Gästen ihre Brüste - etwas schlaff, dafür aber garantiert implantatfrei. Ein paar Männer klatschten müde. Im Anschluß daran gab es eine mäßige Gesangs darbietung. Nur wenige Frauen hielten sich in diesem heruntergekommenen Nachtclub mit Kneipenflair auf. Man sah ihnen unschwer an, daß sie auf professionellen Männerfang aus waren.
Eine der Damen hob sich wohltuend von den übrigen Prostituierten ab. Sie trug enge Jeans, ein dunkelblaues T-Shirt und konnte es sich leisten, auf Schminke gänzlich zu verzichten. Allein saß sie an einem Zwei-Personen-Tisch in Thekennähe. Fortwährend wurde sie von begehrlichen Blicken gestreift, doch offenbar traute sich kein Mann, sich zu ihr zu setzen. Die jungen Infanteristen hatten wohl Angst vor einer Abfuhr, oder sie hatten nicht genügend Geld dabei. Flint spürte, wie ihn die Frau mit den Augen fixierte. Er lächelte sie zaghaft an. Zu seinem Erstaunen lächelte sie verheißungsvoll zurück. »Finger weg von der«, raunte ihm ein älterer Kamerad zu, der neben ihm saß. »Ein Mädchen dieser Güteklasse kannst du dir mit deinem Sold nicht leisten. Im übrigen bringst du es eh nicht mehr.« »Ich bringe es nicht mehr?« erwiderte Eriksen - wieder einmal eine Spur zu laut. »Was glaubst du wohl, warum man mich den Bullen nennt?« »Würde mich brennend interessieren«, hauchte ihm die Schöne zu, die plötzlich hinter ihm stand. »Wieso gehen wir nicht irgendwohin, wo es ruhiger ist, und du erzählst mir alles darüber?« Lautlos wie eine Katze hatte sie sich ihm genähert, ohne daß er es mitbekommen hatte. Was für eine ungewöhnliche Frau! Flint konnte es kaum erwarten, mit ihr allein zu sein. Er zahlte die Zeche und bat den Wirt, ein Schwebertaxi zu rufen. Dann begab er sich mit seiner Eroberung nach draußen. Den Er mahnungen seiner Kameraden schenkte er kein Gehör mehr. »Du bist mir gleich aufgefallen, kaum daß ich das Lokal betreten hatte«, säuselte die unbekannte Schöne, während sie mit ihrem betrunkenen Freier auf das Taxi wartete. »Mir war sofort klar, daß du etwas ganz Besonderes bist, ein mutiger Soldat, der stets dort eingesetzt wird, wo es brennt. Ich bin überzeugt, dein General hatte einen guten Grund, dich nicht ins All zu schicken. Er brauchte dich dringend hier, weil er keinen anderen mit dieser wichtigen Aufgabe betrauen konnte.« »Nun ja, Martell hält große Stücke auf mich«, entgegnete Flint Eriksen. »Ich bin zwar nicht der einzige, der eingeteilt wurde, doch die anderen versehen ihren Dienst ziemlich lax. Der General weiß schon, was er an mir hat.« »Daran habe ich keinen Zweifel. Worum geht es bei eurem Einsatz eigentlich? Und wo findet er statt?«
»Darf ich dir leider nicht sagen, die ganze Angelegenheit ist streng geheim. Wir Infanteristen dürfen uns nicht einmal untereinander darüber unterhalten. Als man uns mit dem Einsatzplan vertraut machte, erfuhren wir nur das Nötigste. Meinen Kameraden genügt das, sie stellen niemals neugierige Fragen. Ich hingegen bin von Natur aus sehr wißbegierig und sperre meine Augen und Ohren immer weit auf. Meinem hochmodernen Präzisionsfeldstecher entgeht nichts. Ich habe sie gesehen, dort obenin den verschneiten Bergen - alle vier. Sie stiegen aus ihren Flash und verschwanden eilig in der Blockhütte.« »Alle vier?« wiederholte die Frau. »Wer sind sie?« Er legte einen Finger auf seine Lippen und deutete ihr damit stumm an: Bis hierhin und nicht weiter. Das Taxi kam herangeschwebt. »Wie heißt du überhaupt?« erkundigte sich Flint vor dem Einsteigen bei seiner Begleiterin. . »Nenn mich Cinderella«, antwortete sie geheimnisvoll. »Ich werde dir eine märchenhafte Nacht bereiten.« Bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen von Alamo Gordo hatte Amy Stewart zunächst überlegt, ob sie einen Schweber mieten sollte, hatte sich dann aber für einen kleinen Privatjett entschieden. Auf der Flucht war sie damit mobiler. Als sie jetzt zum nächtlichen Himmel aufstieg, wußte sie, daß sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Mit dem Jett würde sie schneller in den Rocky Mountains sein, wo sich der schwer bewachte Landsitz der Regierung befand. Das Los Morenos, Dharks Stammlokal, hatte Amy alias Cinderella glücklicherweise nicht mehr aufsuchen müssen. Der großmäulige Infanterist aus der Nachtclub-Spelunke hatte ihr alles gesagt, was sie wissen wollte. Eine schmerzhafte Erfahrung für ihn, die noch nicht zu Ende war. Nach dem Erwachen würde der Alkoholkater sein geringstes Problem sein. Seine Vorgesetzten würden ihn in kleine Häppchen schneiden und zum Frühstück verspeisen. Während Amy das Bürohochhaus überflog, in welchem sich das Hauptquartier der Galaktischen Sicherheitsorganisation befand, fragte sie sich, wie dicht Bernd Eylers ihr wohl schon in den Hakken stand. Hätte sie getrost noch ein paar Tage in dem Luxushotel
verbringen können, ohne entdeckt zu werden? Oder würde der einarmige GSO-Leiter bereits im Morgengrauen an ihre Zimmertür klopfen? In dieser Hinsicht unterschätzte sie den zweiunddreißigjährigen Sicherheitschef gewaltig. Zwar wirkte Eylers mitunter etwas un beholfen, ein Eindruck, der durch seine linke Unterarmprothese noch verstärkt wurde, doch das täuschte. Wenn Handlungsbedarf vorlag (wie es so schön im Behördenchinesisch hieß), dann handelte er - und zwar innerhalb der kürzestmöglichen Zeit. Der vietnamesische Taxifahrer, der Amy und Flint zum Hotel gebracht hatte, nutzte eine freie Minute, um sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Die Unterhaltung seiner beiden ungleichen Passagiere war ihm reichlich merkwürdig vorgekommen. »Von einem geheimen Einsatz war die Rede«, teilte er dem wachhabenden Beamten mit. »Und von Ren Dhark und Dan Ri ker.« Eylers arbeitete noch in seinem Büro, als er kurz darauf von der protokollierten Aussage erfuhr. Die Beschreibung der Unbekannten namens »Cinderella« ließ ihn aufhorchen. »Bringen Sie den Taxifahrer sofort zu mir!« ordnete er ohne viel Federlesens an. Für ihn zählte jede Sekunde, deshalb wartete er erst gar nicht ab, bis der Vietnamese bei ihm war. Umgehend setzte er sich mit einigen zur Einsatzbereitschaft eingeteilten Agenten in Verbindung und schickte sie zum Hotel. Es gab Augenblicke, da leistete es sich der GSO-Chef, laut und herzhaft zu fluchen. »Dieses verdammte Luder! Während wir in allen möglichen Ländern nach ihr fahnden, tanzt sie uns direkt vor der Nase herum! Und sie hält es noch nicht einmal für nötig, sich zu verkleiden!« Niemand hörte ihn, er war allein im Büro. In Gegenwart anderer benahm er sich meist wortkarg und verschlossen. Der Nachtportier staunte nicht schlecht, als plötzlich und unerwartet vier GSO-Mitarbeiter an der Hotelrezeption standen, aufgeregt mit ihren Ausweisen herumwedelten und den Computer nach Amy Stewarts Zimmernummer abfragten. Wie nicht anders zu erwarten, war sie unter einem Falschnamen abgestiegen, doch der leitende Portier wußte auch so, wer gemeint war. »Eine beeindruckende Erscheinung«, bemerkte er fasziniert. »Ihr
uniformierter Begleiter paßte überhaupt nicht zu ihr. Beim Ein checken entschied sie sich für die am höchsten gelegene Suite.« »Logisch«, meinte ein GSO-Mann. »Sie will möglichst nah an der Dachplattform sein, für den Fall einer überstürzten Flucht.« An Amys Tür hing ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stören!«. Die GSO störte trotzdem und öffnete das Zimmer mit der Generalchipkarte des Portiers. Flint Eriksen hatte sich inzwischen vom Knebel befreien können. Er rief jedoch nicht um Hilfe, da er aufgrund seines Alkoholpegels gleich wieder eingeschlafen war. Die Agenten lösten seine Fesseln und rüttelten ihn dann unsanft wach. Bernd Eylers unterzog den Rauminfanteristen einem strengen Verhör, wobei der GSO-Leiter auf Flints Zustand - halb besoffen, halb nüchtern - keine Rücksicht nahm. Anschließend wurde Eriksen zurück in die Kaserne gebracht und in eine Zelle gesteckt. Ihm stand ein Disziplinarverfahren bevor. Eylers persönlich informierte General Martell über Amys bevor stehenden »Besuch«. »An den Überwachungsanlagen und unseren bewaffneten Wach leuten kommt sie nicht vorbei«, war sich der erfahrene Offizier sicher. »Die TF-Rauminfanterie und Terra Command kontrollieren rund um den Landsitz das ganze Gebiet. Was immer diese Rebellin vorhat, sie wird sich hier nur Eisfüße holen. In den Rockys liegt meterhoch Schnee.« Das war auch Amy Stewart klar. Daher erledigte sie auf halbem Weg noch eine kleine Besorgung. Bald darauf erreichte sie die Rocky Mountains und nahm Kurs auf das Gebiet, das Flint ihr beschrieben hatte. Der 4300 Kilometer lange, bis zu 700 Kilometer breite Gebirgszug wies im Süden steppenartige Areale auf und war im Norden dicht bewaldet. Er war das Quellgebiet berühmter Flüsse wie Missouri, Rio Grande und Colorado. Nachdem man die Bodenschätze weitgehend ausgebeutet hatte, wurde das Felsengebirge wirtschaftlich vor allem als Freizeitund Erholungsgebiet genutzt. Ren Dhark machte hier mit Sicherheit keine Ferien, obwohl ihm der Glacier-Nationalpark oder der Yellowstone-Park sicherlich gefallen hätten. Amy war überzeugt, daß es einen wichtigen Grund für seinen Aufenthalt in den Rockys geben mußte. Der interessierte sie allerdings herzlich wenig. Sie war ausschließlich in eigener Sache
hier.
Die erfahrene Pilotin war sehr tief geflogen und hatte den auto
matischen Peilgeber des Jetts manipuliert. Unbemerkt landete sie in
einem verschneiten Waldstück zu Füßen eines Berges.
Der Landsitz der Regierung befand sich oben auf dem Bergplateau.
Um es zu erreichen benötigte Amy weder Waffen noch warme
Socken - nur das, was sie unterwegs »eingekauft« hatte.
Gegen Mitternacht machte sie sich auf den Weg. Eine gewagte
Kletterpartie mit Hindernissen lag vor ihr.
Die CHARR setzte sanft auf der Planetenoberfläche auf. Sand
wirbelte auf. Mehrere der typischen eiförmigen Gebäude umgaben
das ehemalige Landefeld. Die meisten dieser Gebäude waren
ebenfalls zu einem beträchtlichen Teil mit Sand bedeckt.
Tantal, Srool, Maxwell und Sybilla Bontempi sollten zusammen mit
Huxley selbst das erste Außenteam bilden. Da man nicht wissen
konnte, was auf die Gruppe zukam, ordnete der Commander die
Bewaffnung mit Lähmstrahlern und Blastem an.
Maxwell lenkte den Schweber, mit dem das Außenteam die etwa
800 Meter Luftlinie zwischen Landeplatz und dem Hexagon-Ge
bäude zurücklegte.
Tantal zeigte Maxwell einen Landeplatz, der ganz in der Nähe des
Hauptportals lag.
»Bruchstücke einer noch weiter in die Vergangenheit reichenden
Erinnerung?« erkundigte sich Huxley hoffnungsvoll.
Tantal blieb skeptisch.
»Ich weiß es nicht. Hin und wieder scheint da etwas aufzublitzen...
aber es sind wirklich nur Bruchstücke, Huxley.«
»Immerhin haben uns diese Bruchstücke hierher gebracht!« gab der
grauhaarige Offizier zu bedenken.
Der Schweber setzte sanft auf dem sandigen Boden auf, sank sogar
etwas tiefer darin ein, als ein Terraner das von den Verhältnissen auf
der Erde her gewohnt war. Eine Folge der erhöhten Schwerkraft.
Huxley war der erste, der ins Freie trat.
1,31 Gravo - ein Gefühl, als ob man einen mittelschweren Rucksack trägt, der einen niederdrückt. Zuerst merkt man es nicht gleich, aber auf die Dauer macht sich das schon bemerkbar... Er sog die extrem trockene Luft in sich hinein. Die hoheSchwerkraft
hatte immerhin den positiven Nebeneffekt, daß der Wind den Sand
nicht so stark aufwirbeln konnte wie auf anderen Wüstenwelten.
»Wo soll hier ein Portal sein?« drang Sybilla Bontempis Stimme in
Huxleys Bewußtsein.
Die Fremdvölkerexpertin deutete auf die vollkommen kahle Wand,
die vor ihnen aufragte.
»Tja, da bin ich wahrscheinlich nicht der Richtige, um Ihnen die
Frage beantworten zu können!« sagte Huxley.
Fragende Blicke richteten sich nun auf Tantal.
Dessen Fühler bewegten sich heftig.
Er ging voran, auf die kahle Wand zu.
»Den Legenden nach liegt das Portal an der längsten Seite dieses
unregelmäßigen Hexagons«, erklärte er. »Und zweifellos ist dies die
längste Seite...«
Einige Augenblicke später standen sie direkt vor der Mauer aus
massivem Stein. Das Material erinnerte an Marmor. Es war voll
kommen glatt. Tantal berührte es leicht. Seine Fühler waren dabei
absolut still. ''•
»Ich messe hier einige schwache Energiesignaturen«, stellte
Maxwell mit Blick auf ein Handmeßgerät fest, mit dessen Hilfe er
die Umgebung überprüfte.
»Ja, es muß hier ein elektronisches Schloß geben, welches das Portal
öffnet«, bestätigte Tantal.
Dann berührte er plötzlich eine ganz bestimmte Stelle auf dem Stein,
dessen glatte Oberfläche für menschliche Augen vollkommen
gleichförmig und strukturlos wirkte.
Ein Symbol wurde sichtbar.
Dunkle Linien zeichneten drei ineinander verschlungene Ellipsen.
Tantal wandte sich an Srool, öffnete seine Gedankenimpulse jedoch
nur ihm und nicht den anwesenden Terranern.
Srool trat neben Tantal an die Außenwand der Kraat-kal-meeg
heran.
Der Meeg setzte ein Modul an die Steinwand, mit dessen Hilfe man
in eventuell vorhandene Rechnersysteme eindringen konnte.
Außerdem konnten durch gezielte energetische Impulse derartige
Systeme wieder aktiviert werden.
Tantal und Srool waren eine Weile beschäftigt, dann tat sich endlich
etwas.
Eine hohe Tür bildete sich in der zuvor vollkommen glatt er
scheinenden Steinoberfläche. Mit einem schabenden Geräusch schob sie sich zur Seite. Mehrere Kubikmeter Sand rutschten ins Innere des Gebäudes hinein, dessen Bodenniveau etwa zwei Meter tiefer lag. »Dann nichts wie rein!« meinte Maxwell. »Lassen wir Tantal den Vortritt«, schlug Huxley vor. »Instinktiv scheint er sich hier ganz gut auszukennen...« Tantal wandte den Kopf in Huxleys Richtung. »Ich verspüre das vage Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein«, erklärte er. »Splitter verlorener Erinnerungen?« »Möglich.« Der Kobaltblaue ging voran. Srool folgte ihm, dann traten Huxley, Bontempi und Maxwell ein und kletterten die gerade entstandene sandige Böschung hinab. Nach wenigen Schritten war es stockfinster. Aber Huxleys Gruppe war darauf eingerichtet, eventuell in lichtlosen Räumen vorankommen zu müssen. Alle Mitglieder des Außenteams waren mit Leuchtaggregaten ausgerüstet, die dafür sorgten, daß man sich gut orientieren konnte. Tantal ging einen langen, breiten Korridor entlang, und die anderen folgten ihm. Er scheint genau zu wissen, wo er hinwill, ging es Huxley durch "en Kopf. Das Tempo, mit dem Tantal voranschritt, verriet ein gehöriges Maß an Zielstrebigkeit. Die Gruppe erreichte schließlich eine Halle von gewaltigen Ausmaßen. Säulen standen darin, deren Grundriß exakt jener unrgelmäßigen Hexagonform des ganzen Gebäudes nachgebildet war. In der spärlichen Beleuchtung der tragbaren Aggregate war die volle Pracht dieser Halle nur zu erahnen. Sie wurde von einer Kuppel überwölbt. Auf kleineren Säulen befanden sich Terminals, die wie eine Frühform jener Geräte wirkten, wie sie jetzt in den Archiven auf Reet im Corr-System zu finden waren. »Es ist wahr!« sagte Huxley ergriffen. »Hier müssen die Nogk einst das Wissen ihres Volkes gesammelt haben.« Seine Worte hallten vielfach wider. »Warum wurde diese Anlage hier zurückgelassen?« fragte Sybilla Bontempi.
»Ich nehme an, es war unmöglich, sie bei dem Exodus, der hier vor 2098 Jahren stattgefunden haben muß, mitzunehmen«, antwortete Huxley. »Aber so bestand doch die Gefahr, daß das gesammelte - auch kriegstechnische - Wissen dieser Rasse in die Hände von feindlichen Intelligenzen fällt!« sagte Bontempi. Maxwell strich mit dem Finger an konsolenartigen Terminals entlang. Dicke Staubschichten hatten sich auf den Terminals abge setzt. »Sie meinen, die Nogk wären besser beraten gewesen, die ganze Anlage zu vernichten, Captain Bontempi?« »Unter der Voraussetzung, daß sie nicht erwogen haben, jemals hierher zurückzukehren, ja.« Jetzt mischte Srool sich ein, der die Unterhaltung der Terraner mit zunehmendem Interesse verfolgt hatte, wie an der Aktivität seiner Fühler abzulesen war. »Der Respekt vor dem gesammelten Wissen ist in unserer Kultur sehr stark verankert«, erklärte er. »Wie ich aus der Beschäftigung mit der terranischen Geschichte weiß, hat es bei euch immer wieder Phasen der Geschichte gegeben, in denen Kunstwerke oder Datenträger mutwillig vernichtet wurden. Vor allem in der Epoche, als das Buch das vorherrschende Speichermedium war, kam es immer wieder zu Datenträger Verbrennungen. Etwas derartiges wäre für die Nogk undenkbar. Und ich nehme nicht an, daß unsere Vorfahren sich in diesem Punkt von uns unterschieden haben.« »Das heißt, euer Volk ist aus Respekt vor dem Wissen das Risiko eingegangen, daß die Kraat-kal-meeg in falsche Hände gerät?« zweifelte Huxley. »Du vergißt, das die Sonne Geret zur Nova zu werden drohte«, gab Srool zu bedenken. »Du meinst, deine Vorfahren rechneten ohnehin mit der baldigen Vernichtung der Kraat-kal-meeg.« »Ja. Außerdem wissen wir nicht, welche Sicherheitsmaßnahmen ursprünglich installiert waren, um das Wissen dem Zugriff Unbe fugter zu entziehen.« Tantal hatte sich an dem Gespräch nicht beteiligt. Huxley war schon die ganze Zeit über aufgefallen, daß sich der Kobaltblaue in einem Zustand befand, der auf einen außenstehenden Beobachter fast wie eine Art Trance wirkte. Zumindest kapselt er sich im Augenblick ziemlich von uns ab! erkannte der grauhaarige
Colonel. Aber vielleicht ist das genau der richtige Weg für ihn. Er scheint in den wenigen wieder zugänglichen Splittern seiner verschütteten Erinnerung zu suchen... Huxley trat näher an den Kobaltblauen heran, sprach ihn aber nicht
an.
Tantal schien die Nähe des Commanders gar nicht zu bemerken.
Seine Fühler waren vollkommen starr.
Die Facettenaugen fixierten eine der Konsolen.
Dann berührte er unvermittelt eine bestimmte Stelle, wie von einem
plötzlichen Impuls getrieben.
Ein Summton begann zu rumoren.
Die Beleuchtung wurde aktiviert.
Es wurde hell. Überall begannen Anzeigen aufzublinken.
Ein Schwall semitelepathischer Bildimpulse begann auf die Be
wußtseine der Anwesenden Terraner und Nogk einzuprasseln.
Die Translatoren konnten damit kaum etwas anfangen, und auch
Huxleys Transformer-Implantat hatte mit diesen Signalen seine
Schwierigkeiten.
Huxley faßte sich unwillkürlich an den Kopf. Die Intensität dieser
Bildimpulse war ungewöhnlich stark. Er verspürte rasende
Kopfschmerzen.
Die Impulse mußten künstlichen Ursprungs sein, denn im weiten
Umkreis waren keinerlei Lebensformen geortet worden. Offenbar
war ihre Stärke nicht so justiert, daß sie für terranische Bewußtseine
bekömmlich war.
Srool schien allerdings ähnliche Schwierigkeiten zu haben. Seine
Fühler zitterten.
Nur Tantal war offenbar durch die Intensität der semitelepathi-schen
Bildimpulse nicht beeinträchtigt.
»Was geht hier vor sich?« stöhnte Maxwell auf.
»Das Rechnersystem wurde aktiviert und es fordert uns auf, uns zu
identifizieren«, erklärte Tantal jetzt in erstaunlicher Ruhe und
Gelassenheit. »Ich habe es bereits versucht...«
»Und?«
»Das System reagiert nicht. Vielleicht ist es nach den zwei
Jahrtausenden defekt, oder es erwartet irgendeine Art der Autori
sation, von der wir nichts wissen.«
Die semitelepathische Bilderflut verebbte.
Der Kopfschmerz ließ nach.
»Verdammt, mir ist schwindelig«, stöhnte Maxwell und schüttelte
energisch den Kopf.
Sybilla Bontempi lehnte sich gegen eine der Säulen.
Auch Srool machte einen mitgenommenen Eindruck.
Oben in der Kuppel bildeten sich jetzt Öffnungen.
Es waren insgesamt sechs - angeordnet wie die Eckpunkte der
Kraat-kal-meeg. Etwas metallisch Blitzendes kam aus einer dieser Öffnungen hervorgeschossen. »Eine Robotsonde!« stieß Huxley hervor. Sie hatte etwa die Länge eines menschlichen Unterarms. Surrend schwebte die Robotsonde ein paar Meter dahin. Das auf der Unterseite angebrachte Sehorgan schwenkte suchend hin und her. Eine weitere Sonde kam aus der Öffnung, trudelte zu Boden und schlug dort auf. Offenbar war das Antigravaggregat, das sie schweben ließ, nach zwei Jahrtausenden nicht mehr intakt. Die noch schwebende Robotsonde wandte ihnen jetzt die Vor derseite zu, die Huxley unwillkürlich an etwas erinnerte. Die Mündung eines Strahlers... Tantal reagierte.
Er griff zum Biaster, schoß den gebündelten Energiestrahl auf die
Robotsonde ab.
Der Strahl erfaßte sie voll.
Sie zerplatzte mit einer beachtlichen Energieentladung.
Huxley schützte die Augen mit der Hand vor dem gleißenden
Licht. »Das ist ein Abwehrmechanismus!« riefen Tantals semitelepa
thischen Impulse.
Die dritte Robotsonde schwebte aus ihrer Öffnung hervor. Sie
feuerte sofort. Ein Energiestrahl zischte mit gleißender Lichter
scheinung durch die Halle, fraß sich in die Steinsäule hinein, hinter
der Tantal nur Sekundenbruchteile zuvor Deckung gesucht hatte.
Huxley und Maxwell rissen beinahe gleichzeitig ihre Biaster empor
und feuerten.
Die Sonde schoß ebenfalls.
Strahlen zuckten durch die Halle.
Augenblicke später zerplatzte auch Robotsonde Nummer drei.
Die drei restlichen Sonden kamen jetzt gleichzeitig hervor.
Alle Mitglieder von Huxley s Team hatten Deckung gesucht. Eine der drei Sonden trudelte in einer mehr oder minder chaotischen Flugbahn abwärts, feuerte dabei mehrere Strahlschüsse ab. Davon zischte einer haarscharf an Huxley vorbei, der sich gerade noch rechtzeitig hinter einer der Konsolen in Sicherheit brachte. Dann knallte die Robotsonde auf den Boden. Sie verschoß wei-te!' ihr ungezieltes Blasterfeuer. Wie bei einer Wunderkerze sprühten die Strahlen in alle Richtungen. Es war Maxwell, der sie mit einem gezielten Schuß schließlich ausschaltete. Jetzt eröffneten auch die beiden intakten Sonden das Feuer. Huxley, Maxwell und Tantal feuerten zurück. Ein Strahlschuß traf die Konsole, hinter der Maxwell sich ver schanzt hatte. Der Erste Offizier der CHARR warf sich mit einem Hechtsprung zu Boden, ehe die Konsole explodierte. Er rollte sich ab, feuerte immer wieder in Richtung der Robotsonden und rettete sich dann hinter eine der Säulen. Im selben Augenblick wurden die Sonden fünf und sechs kurz nacheinander vom B lasterfeuer getroffen. Sie explodierten. Ein zelne glühendheiße Metallteile wurden durch die Luft geschleudert und regneten zu Boden. Dann war es plötzlich ruhig. »Ich hoffe, das war die einzige Überraschung dieser Art!« stieß Huxley hervor. »Wie du siehst, hatten sich unsere Vorfahren sehr wohl Gedanken darum gemacht, was passieren sollte, wenn Unbefugte Zugang zu den Daten dieses Archivs bekommen möchten«, erklärte Srool. »Aber ich verstehe nicht, weshalb die beiden Nogk nicht akzeptiert wurden«, sagte Huxley. »Mich hat das System akzeptiert«, verkündete Tantal. »Aber auch du bist beschossen worden«, gab Huxley zur Antwort. »Möglicherweise kam ich in der falschen Begleitung. Oder das System arbeitet einfach nicht mehr einwandfrei.« Tantal wandte sich wieder jenem Terminal zu, über das er die internen Systeme dieser Anlage ganz offensichtlich aktiviert hatte. Aber jetzt zögerte er. »Ich habe Angst, einen Fehler zu machen«, erklärte er. Huxley trat an ihn heran. »Du mußt deine blockierten Erinnerungen weiter zu reaktivieren versuchen...«
»Gewiß...«
»Du wußtest als erster von uns, daß es sich bei diesen Biestern um
Waffen handelte, Tantal...«
»Ja.« »Auch das muß deinen Erinnerungen entsprungen sein.«
Tantals Fühler bewegten sich ziemlich nervös.
»Ich werde versuchen, die Mentalsteuerung zu aktivieren und in das
Datenarchiv einzudringen«, sagte er dann.
»Commander, ich habe hier eine beunruhigende Anzeige auf
meinem Meßgerät...«, meldete sich nun Maxwell zu Wort. Er run
zelte die Stirn.
Srool schaute jetzt ebenfalls auf seine Anzeigen.
»Das Strahlungsniveau verändert sich«, gab der Meeg bekannt.
»Es steigt. Und zwar rapide!« stellte Maxwell klar. »Commander,
hier geht irgend etwas vor sich, was mir nicht gefällt.«
»Möglicherweise wird die Anlage durch Fusionsreaktoren mit
Energie versorgt, die die Zeit nicht ganz schadlos überstanden ha
ben«, vermutete Sybilla Bontempi.
Maxwell lächelte nachsichtig über das Statement einer Nicht
technikerin. »Energetisch war das Gebäude bis auf schwache Si
gnaturen vollkommen tot«, erklärte er. »Ich glaube kaum, daß sich
ein Fusionsreaktor derart schnell hochfahren läßt!«
»Immerhin haben wir Licht, und vergessen Sie nicht diese beinahe
tödlichen Robotbiester!«
»Die Energie dafür muß irgendwo gespeichert gewesen sein«,
beharrte Maxwell. »Mit den Strahlungswerten hat das nichts zu
tun.«
»Aber die Anzeichen sind eindeutig. Hier findet irgendwo radio
aktiver Zerfall statt«, berichtete Srool.
Huxley versuchte über Vipho Verbindung zur CHARR herzustellen,
um das Gebäude von den Ortungsscannem des Schiffes unter die
Lupe nehmen zu lassen.
Aber es kam keine Verbindung zustande.
»Muß an dem Gestein liegen, aus dem die Kraat-kal-meeg besteht«,
murmelte er vor sich hin.
»Wenn das Strahlungsniveau weiter so steigt, dann haben wir noch
gut eine Viertelstunde, bis ein kritisches Maß erreicht wird«, erklärte
Maxwell. »Tantal könnte in dieser Zeit noch einmal versuchen in
das Archivsystem einzudringen.«
Tantal berührte das Terminal. Dann zuckte er zurück.
Von einem Augenblick zum anderen fiel es ihm wie Schuppen von
den Augen. Bilder blitzten in seinem Bewußtsein auf. Bilder aus
sehr femer Vergangenheit.
Erinnerungen. »Wir müssen raus hier!« verkündete er. »Die Kraat-kal-meeg
verfügt über einen Selbstzerstörungsmechanismus! Ich weiß es jetzt
wieder! Der Anstieg des Strahlungsniveaus hängt damit zu
sammen!«
Die anderen sahen den Kobaltblauen entgeistert an.
Tantal sandte semitelepathische Bilder einer atomaren Explosion.
Diese Explosion diente allerdings nur dazu, für eine genügend große
Hitze zur Erzeugung einer Kernfusion zu sorgen. Ein Inferno drohte.
Die Bildimpulse waren auch ohne Translator unmißverständlich.
»Worauf wartet ihr?« fragte der Kobaltblaue.
Huxley und seine Gruppe hetzten ins Freie. Sie erreichten den
Schweber.
»Im Freien ist der Anstieg des Strahlungsniveaus kaum meßbar«,
erklärte Maxwell plötzlich mit Blick auf sein Meßgerät.
»Das machen die dicken Wände, die offenbar stark abschirmend
wirken«, erwiderte Tantal.
»Huxley an CHARR!« versuchte Huxley Kontakt zu seinem Schiff
herzustellen.
Diesmal gelang es.
Das Gesicht von Lee Prewitt erschien auf dem Vipho-Display.
»Was geht da bei Ihnen vor, Sir? Wir haben versucht Sie zu er
reichen , aber die Verbindung...« »Alles klarmachen zum Start, 1.0.!
Wir sind gleich bei Ihnen!«
»Sir?«
»Sie haben richtig verstanden.«
Maxwell startete den Schweber.
Wenig später erreichte das Gefährt den Landeplatz der CHARR und
schwebte in einen der Hangars ein.
Als Huxley, Maxwell und Tantal den Leitstand des Raumers er
reichten, hatte die CHARR sich schon von der Planetenoberfläche
erhoben.
»Sicherheitshalber habe ich die Schutzschilde aktiviert, Sir!«
meldete Prewitt.
»Das ist gut!« nickte Huxley erleichtert.
Auf der Sichtsphäre war Sekunden später eine Explosion zu sehen.
Die Kraat-kal-meeg begann, sich in einen Atompilz zu verwandeln.
Die ersten Ausläufer der Druckwelle wurden von den Instrumenten
der CHARR registriert. Die Strahlungswerte stiegen rasant.
»Was geht da eigentlich vor sich?« fragte Prewitt etwas ver
ständnislos an den Commander gerichtet.
»Ein Selbstzerstörungsmechanismus«, erklärte Huxley lakonisch.
Ortungsoffizier Perry meldete sich. »Das, was wir gerade gesehen
haben, scheint erst der Anfang gewesen zu sein! Ich habe hier
deutliche Anzeichen für eine Fusionsreaktion...«
Huxley atmete tief durch, starrte auf die Sichtsphäre, um sich dieses
Schauspiel der Zerstörung anzusehen. Ein wahres Inferno brach dort
unten los.
Es wird nichts von der Kraat-kal-meeg übrigbleiben! durch zuckte es ihn. Dort, wo sich die Wiege des Nogk-Wissens befand, ^vird buchstäblich kein Atom auf dem anderen bleiben... Die CHARR stieg weiter auf.
Prewitt ließ sie in einen stabilen Orbit einschwenken. Auf Grund
des wolkenlosen Himmels von Geret III war die Explosion sogar aus
dem All heraus zu beobachten.
»Deine Vorfahren haben uns einen Strich durch die Rechnung
gemacht, Tantal«, wandte sich der grauhaarige Colonel an den
Kobaltblauen.
»Wir werden den uralten Feind dennoch eines Tages finden«,
versprach Tantal daraufhin.
Oder er findet uns, ging es Huxley durch den Kopf. Zumindest ist es
in der Vergangenheit immer so gewesen.
Die Stimme von Mr. Perry riß Huxley aus seinen Gedanken.
Er meldete sich über einen Sichtschirm aus der Ortungszentrale
heraus.
»Commander, ich empfange hier äußerst beunruhigende Werte.«
»Sprechen Sie von der Nuklearexplosion?« hakte Huxley etwas
ungläubig nach.
»Nein, Sir. Ich beziehe mich auf immer eigenartigere Meßer
gebnisse in Bezug auf das Zentralgestim dieses Systems!«
»Geret...?«
»Helligkeit und Größenausdehnung haben bereits um mindestens
eine Klasse zugenommen«, fuhr Perry fort.
Huxley wurde blaß.
Er hörte Perrys weiteren Ausführungen gar nicht mehr richtig zu.
Eine derartig rasche Veränderung von Helligkeit und Ausdehnung
konnte nur eines bedeuten: Geret wird zur Supernova! durchzuckte
es den Colonel.
Tantal wandte den Libellenkopf mit den Facettenaugen in Richtung
des Commanders.
»Der Feind - er ist hier im System!« erklärte der Kobaltblaue.
Mit einer Verspätung von über 2000 Jahren schickten sich die
Gesichtslosen offenbar an, ihr Vemichtungswerk zu vollenden.
6.
Fft,fft,fft... Infanterist Leif Larkins vernahm das leise Geräusch, das einem sanften Flügelschlagen ähnelte, über den Bäumen und verspürte dabei ein beruhigendes Gefühl. Er wußte, daß es von keinem Vogel, sondern von einem kleinen Fluggerät verursacht wurde. Das Gerät sah aus wie die Kreuzung eines Modellhubschraubers mit einem auf den Kopf gestellten Kaffeefilter. Es war die ultimative Weiterentwicklung früherer Wärmebildkameras und diente zum Aufspüren unbefugter Personen in gesperrten Gebieten. Während die einstigen Kameras lediglich feststellen konnten, ob und wo jemand durch die Dunkelheit schlich, erkannte der »fliegende Abtaster« (die offizielle militärische Bezeichnung konnte sich nicht einmal der Erfinder selbst merken) den Unterschied zwischen Freund und Feind. Das funktionierte ganz einfach. Freund war, wer eine spezielle Anstecknadel trug, die fortwährend einen ^stimmten Signalkode ausstrahlte. Feind war alles andere. ^Registrierte der Abtaster einen Menschen, der sich ohne jene Anstecknadel auf dem Gelände aufhielt, sendete er einen stummen Alarm an die Zentrale. Von dort aus wurde der weitere Einsatz koordiniert. Die Wachen wurden zusammengezogen, der Unbefugte umzingelt und gestellt. Leiter der Zentrale, die sich in einem separaten Gebäude unweit von Dharks verschneitem Landhaus befand, war General John Martell. Seit Eylers' Anruf kam Schlaf für ihn nicht mehr in Frage. Zwar wußte er nicht genau, wer Amy Stewart war und was sie hier wollte, doch er war fest entschlossen, sie nicht an den Commander herankommen zu lassen. Der GSO-Leiter hatte sich wie üblich geheimnisvoll gegeben und ihn nur mit Halbinfonnationen versorgt. Das war John von ihm jedoch gewohnt - ebenso von Ren Dhark. Kartell stellte nie mehr Fragen, als für den jeweiligen Einsatz ^pnnöten war. 157 Nicht nur deswegen hatte man den einundsechzigjährigen TerraCommand-General zu Dharks Schutz abkommandiert. Außer eiserner Verschwiegenheit konnte er auch praktische Einsatzerfahrung vorweisen. Felsmassive zwischen Schnee und Eis waren ihm von Alaska her vertraut, einschließlich der damit verbundenen Entbehrungen.
Unterstützt wurde die Martell-Truppe von Raumsoldaten der Terranischen Flotte. Der General hatte den Eindruck, daß sich nicht alle ihm zugeteilten TF-Infanteristen mit ihrer Abkommandierung abgefunden hatten. Einige von ihnen hätten wohl lieber auf fremden Planeten Dienst getan. ; Gelegentliche Unmutsbekundungen ignorierte John Martell jedoch geflissentlich. Beim Militär konnte man sich seinen Einsatzort halt nicht aussuchen. Und überhaupt: War es nicht egal, ob sich ein Fußsoldat auf einem fernen Gestirn oder hier die Beine in , den Bauch stand? Verglichen mit Eisplaneten wie Pluto war es in den Rocky Mountains doch richtig schön kuschelig. ' Leif Larkins war keiner der Warmduscher, die sich dauernd be schwerten. »Was uns nicht umbringt, macht uns härter«, lautete die Devise des hünenhaften Infanteristen, i Der Uppercut, der ihn innerhalb von Sekundenbruchteilen von den Füßen riß, war dann aber doch eine Spur zu hart für ihn. i Das letzte, an das er sich später erinnern konnte, war eine geisterhafte Gestalt, die sich direkt vor ihm aus dem Schnee erhoben ; hatte... : Von einem Augenblick auf den anderen hatte er aufgrund des punktgenau angesetzten Aufwärtshakens das Bewußtsein verloren. Fft.fft.fft... Das fliegende Überwachungsgerät registrierte den Eindringling und löste den stummen Alarm aus. Martell reagierte sofort und leitete die Gefangennahme in die Wege. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich der Kreis um die gemeldete unbefugte Person geschlossen. Ein Entkommen war unmöglich. GEIST DER BERGE. Amy Stewart fand, daß dieser Name zu ihrem weißen Skianzug paßte, den sie sich in einem Sportgeschäft »ausgeliehen« hatte. Sonderlich warm war er zwar nicht, doch die eisigen Temperaturen machten einem Cyborg wie ihr nichts aus. Der Anzug diente lediglich dem Zweck der Tarnung. Sie hatte sich damit rücklings in den tiefen Schnee gelegt und war dadurch so gut wie unsichtbar geworden. Der hünenhafte, bewaffnete Soldat, der sich ihr arglos genähert hatte, hatte sie erst bemerkt, als es bereits zu spät für ihn war. Nach seinem K.O. hatte sie ihm blitzschnell die Anstecknadel abgenommen und an ihrem linken Ärmel befestigt. Militärische Wachstrategien waren Amy nicht fremd. Über den
Einsatz von fliegenden Abtastern hatte sie sogar mal eine Abhandlung verfaßt und zusätzlich diverse Verbesserungsvorschläge eingereicht. Seinerzeit hatte sie sich noch in der Ausbildung befunden und war daher nicht ernstgenommen worden. Lamettaträger nahmen von unteren Dienstgraden grundsätzlich nichts an, schon gar keine Vernunft. Nicht überall am Hang patrouillierten Wachsoldaten. Eine große, breite Lichtung, die Amy wenig später überqueren mußte, schien völlig unbewacht zu sein. Ein hungriges Kaninchen suchte dort im Schnee nach Eßbarem. Amy benutzte ihr Program mgehim, um ihre Sehkraft zu verändern. Auf einer anderen Sichtebene konnte sie deutlich die gleißenden Strahlen erkennen, die wie Irrwische über die Lichtung tanzten. »Schau an, die gute alte Lichtschranke hat noch nicht ausgedient«, murmelte sie. Die »gute alte Lichtschranke« war in Wahrheit die neueste Ent wicklung auf diesem Gebiet. An mehreren Bäumen waren unauf fällige winzige Geräte angebracht. Sobald sich deren Suchstrahlen kreuzten, änderten sie ihre Richtung, bis sie auf den nächsten Strahl trafen, der wiederum eine Richtungsänderung verursachte. Auf diese Weise waren sie ständig in Bewegung, als ob sie ein Eigenleben hätten. Auf das Kaninchen reagierten die Suchstrahlen nicht; erst beim Kontakt mit intelligenten, denkenden Wesen gab es Alarm. Das hing mit der Intensität der Gehirnströme zusammen, die bei Tieren wesentlich geringer war als bei Menschen. Amy schüttelte alle negativen Gedanken ab und zwang sich innerlich zur Ruhe. Unter Zuhilfenahme des Programmgehirns senkte sie ihre Gehirnstromaktivität für einen begrenzten Zeitraum auf das äußerste Minimum. Dann ging sie los, ganz langsam, bedächtig einen Fuß vor den anderen setzend. Ihr Zustand glich einer Trance. Sie fühlte sich ganz und gar entspannt, völlig losgelöst von der Welt. Giants, Brana-Tal, Dhark... all das war in Vergessenheit geraten. Amy wußte nicht einmal mehr, wer sie war und was sie hier wollte. Nur eins war ihr wichtig - das Ende der Lichtung zu erreichen. Lautlos wie ein Gespenst »schwebte« die junge Frau über die l feste Schneedecke. Amy spürte nicht die Suchstrahlen, die sie erfaßten und
wieder von ihr abließen, weil sie sie nicht wahrnahmen. Sie fühlte überhaupt nichts, weder Angst noch Freude. Die von ihren Gehirnströmen verursachte Ausstrahlung befand sich auf dem untersten Niveau, noch unter dem von Tieren. Eine weitere Absen kung würde Amy nicht verkraften, es hätte sie den Verstand gekostet. Doch das Programmgehirn ließ seine Trägerin nicht im Stich. Rechtzeitig stieg die Intensität wieder an, und die Gehirntätigkeit normalisierte sich. Als Amy Stewart wieder klar bei Sinnen war, konnte sie sich "icht mehr daran erinnern, wie sie die Strecke zurückgelegt hatte. Eben noch hatte sie drüben gestanden, jetzt war sie plötzlich hier. Was zwischenzeitlich geschehen war, hatte ihr Gedächtnis nicht ^gistriert, zumindest nicht bewußt. Wahrscheinlich gab es irgendwo in den komplizierten Windungen ihres Programmgehirns einen versteckten Speicherplatz mit »Notizen« über das Geschehen der vergangenen Minuten. Inzwischen wurde Leif Larkins von seinen Kameraden entdeckt. Sie hatten ihn von allen Seiten umzingelt und richteten die Waffen auf den vermeintlichen Eindringling. Entkommen konnte er ihnen nicht schon deshalb, weil er gefesselt und geknebelt war. Als man ihn erkannte, wurde er aus seiner mißlichen Lage befreit. »Der Kerl hat meine Anstecknadel«, informierte Larkins die anderen, nachdem man ihm den Knebel entfernt hatte. »Welcher Kerl?« fragte ein Unteroffizier. »Der General warnte uns davor, daß eine Frau versuchen könnte, zum Landsitz zu gelangen.« Leif Larkins schnaubte verächtlich. »Eine Frau? Da hat man ihm aber einen schönen Bären aufgebunden. Der Typ, der mich umgehauen hat, hatte einen Schlag wie ein Holzfäller. Der reinste Mörderhammer, sage ich euch.« Leif war von mächtiger Statur, deshalb glaubte man ihm unbesehen. Per Vipho wurde Martell über den Stand der Dinge unterrichtet. Der Regierungslandsitz wies Ähnlichkeiten mit der luxuriösen Blockhütte auf, in die sich Terence Wallis ab und zu zurückzog (und das ganz sicher nicht zum Meditieren), allerdings war Dharks Haus ein wenig größer. Zudem gab es angrenzende kleinere Gebäude. Vor dem Blockhaus parkten zwei Flash. Etwas abseits davon lag die Soldatenunterkunft. Im selben Gebäude war auch die Überwachungszentrale untergebracht. Ren Dhark und seine drei Gäste wurden im Haus von Blechmännern
bedient und bewacht. Nachdem Martell davon erfahren hatte, hatte er einen der vielseitigen Roboter für sich beansprucht. Er setzte ihn auf dem Plateau als bewaffneten Wächter ein. Falls es tatsächlich jemandem gelang, bis nach hier oben vorzudringen, würde sich die Kampfmaschine ausgiebig um ihn kümmern. Wie eine Spinne klebte Amy Stewart an der glatten Steilwand. Ihre sensiblen Fingerkuppen ertasteten die winzigste Unebenheit. Ein normaler Mensch hätte das nicht gekonnt. Ohne ihre Cyborg-kräfte wäre sie keinen Meter an der Felswand hochgekommen. Sie hoffte, daß die auf dem Plateau patrouillierenden Wachtposten den Steilhang vernachlässigten. Aus dieser Richtung rechnete gewiß niemand mit einem Angriff im Morgengrauen. Vorsichtig zog sich Amy über den Rand. In einiger Entfernung sah sie den Gebäudekomplex. Nur hinter einem Terrassenfenster brannte Licht, die übrigen Räume waren unbeleuchtet. Ein anderes, etwas abseits gelegenes Gebäude hob sich mit vielen hell erleuchteten Fenstern vom nebligen Grau des anbrechenden Tages ab. Amy vermutete darin die Unterkünfte für die Soldaten sowie die Kommandozentrale. Von ihrer Position aus erblickte sie nur vereinzelte, verstreute Wachtposten. In unmittelbarer Nähe von Dharks Landhaus waren keine zu sehen. Amy schloß daraus, daß der Commander seinen Bewachern verboten hatte, zu nahe heranzukommen. Offensichtlich hatte er etwas zu verbergen. Die Cyborgfrau zog in Erwägung, einen Sprint zum Haus zu riskieren. Augen zu und durch! Wenn es sein mußte, mitten durchs Terrassenfenster. Sobald sie Ren Dhark vor sich hatte, konnte sie ihm ihr Verhalten erklären. Was dann mit ihr passierte, stand in den Sternen... Nach kurzem Nachdenken entschied sich Amy gegen die Blitzangriffsmethode. Wie hatte doch Artus, der selbsternannte Erfinder neukreierter Sprichwörter, auf der Krankenstation so treffend gesagt? »Vorsichtig legt die Mutter ihren kleinen Elefanten aus dem Porzellanladen in die Kiste.« Damit hätte er sie fast ^m Lachen gebracht. Einerseits fand Amy den lebenden Roboter recht originell, ande rerseits hatte sie keine Lust gehabt, sich mit ihm zu unterhalten. Wenn man den Kopf voller Fluchtpläne hatte, stand einem nicht der Sinn nach Smalltalk.
In gewissen Situationen Vorsicht walten zu lassen konnte allerdings nicht verkehrt sein, darin gab sie Artus recht. Da es am Haus keine Wachleute gab, mußten sich Dhark und seine Begleiter dort sehr sicher fühlen. Schlußfolgerung: Der Gebäudekomplex wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Alarmanlage geschützt. Von einer sehr guten, die auf Anhieb nicht als solche zu erkennen war. Amy näherte sich unbemerkt dem Blockhaus, allzeit bereit, sich auf den Boden zu werfen und eins mit der Schneelandschaft zu werden. Auf der rückwärtigen Außenterrasse standen Gartenmöbel. Die Stühle waren ineinandergestellt, zwei Tische hatte man umgekehrt aufeinandergelegt. Bei dieser Witterung war es drinnen zweifelsohne gemütlicher. Durch die großen Fensterscheiben waren undeutlich zwei Gestalten zu erkennen. Eine war menschlich, die andere sehr unförmig, ähnlich einer Amöbe, aber sehr viel größer. Da sich das Monstrum bewegte, gehörte es zweifelsohne zur Gattung Lebewesen. In diesem Augenblick wurden per Knopfdruck die dichten, schwarzen Vorhänge geschlossen. Amy setzte ihre heimliche »Besichtigungstour« fort. Vorn gab es eine Veranda, die zu den Seiten hin offen war und die gesamte Vorderfront des Blockhauses einnahm. An der linken Hausfront zog sich ein breiter Holzsteg entlang, von der Veranda zur Terrasse. Rechts befanden sich die Anbauten - Lager- und Vorratsräume - außerdem war dort die Energieversorgung untergebracht. Diese Gebäude waren ebenfalls mit Stegen ausgestattet. Man konnte also aus dem Blockhaus treten und den gesamten Komplex umrunden, ohne sich im Schneematsch nasse Füße zu holen. Amy Stewart hatte einen bestimmten Verdacht. Sie streckte ihre Hand nach dem hölzernen Fußsteig aus und berührte ihn ganz sanft mit den Fingerspitzen, so als hätte sich ein Insekt kurz darauf niedergelassen. Wie sie es erwartet hatte, verspürte sie leichte Vibrationen. Dank ihrem ausgeprägten Fingerspitzengefühl wußte sie nun, woran sie war. Hätte sie die Stege, die Veranda oder die Terrasse arglos betreten, wäre der Alarm umgehend losgegangen. Nur ein Fliegengewicht unter hundert Gramm konnte bei eingeschalteter Anlage ungehindert darüber hinweg spazieren. Simpel, aber wirkungsvoll, dachte Amy. Die Techniker und Tüftler des dritten Jahrtausends entwickelten in einem fort so viele neue komplizierte Alarm Vorrichtungen, daß die einfachen
Erfindungen früherer Zeiten darüber längst in Vergessenheit geraten waren. Amy erinnerte sich an ein Spielzeuggerät, mit dem sie als kleines Mädchen ihre Kleiderschranktür gesichert hatte, aus Furcht, die darin verborgenen Monster und Spukgestalten könnten nachts herauskommen und sie im Schlaf kidnappen. Unter dem Schrank hatte sie einen batteriebetriebenen Signalgeber befestigt, der im eingeschalteten Zustand jaulende Laute von sich gab - es sei denn, man unterbrach den Schalterkontakt mit einem Streichholz. Um das Streichholz hatte sie einen Bindfaden geknotet und den Faden mit der Schranktür verbunden. Hätte jemand die Tür aufgezogen oder von innen aufgestoßen, wäre das Hölzchen herausgerissen worden, und die »Alarmsirene« hätte losgeheult. Unwillkürlich mußte Amy schmunzeln. Nicht über ihre kindlichen Ängste damals. Vielmehr erheiterte sie die Vorstellung, daß selbst heutzutage derlei primitive Fallen Wohnungseinbrechern zum Verhängnis werden könnten. Jeder gewiefte Dieb verfügte über die modernsten »Arbeitsmaterialien« für die verschiedensten Zwecke. Aber rechnete er auch damit, im Türrahmen über einen Bindfaden zu stolpern, der ein quäkendes Alarmsignal auslöste? Qder in der Diele einem häßlichen Plastikköter mit Kunststoffe!! gegenüberzustehen, dessen einzige Fähigkeit darin bestand, bei Sichtkontakt sofort loszukläffen? Ihre Eltern hatten ihr einen solchen Hund geschenkt, ein Null-acht fuffzehn-Modell, das schon damals museumsreif war. Amy hatte gern mit ihm gespielt. Leider war ihre heile Kinderwelt nur von kurzer Dauer... Als sich plötzlich eine Metallhand auf Amys Schulter legte, zerplatzten ihre Erinnerungen und Phantasien wie Seifenblasen. Jetzt stand sie mit beiden Beinen wieder fest in der Realität des Jahres 205 8. »Sie sind festgenommen«, schnarrte eine metallische Stimme. Aus. Und das so kurz vor dem Ziel. Normalerweise kannte Amy das Wort Aufgeben nur vom Hörensagen. Aber ein guter Stratege wußte, wann er verloren hatte. Mit den PhantViren im Körper hätte sie vielleicht den Kampf gegen den bewaffneten Roboter aufgenommen. Ohne sah sie jedoch keine Chance, die
Auseinandersetzung zu gewinnen. »Gehen Sie voran«, forderte der Blechmann sie auf. »Ich bringe Sie zu General Martell.« »Warum gehen wir nicht gleich zu Commander Dhark?« erwiderte Amy. »Er ist der Ranghöhere. Im übrigen wollte ich ohnehin mit ihm reden.« Unkomplizierte Frauenlogik gegen die programmierte Logik einer leblosen Apparatur. »Mein Befehl lautet, den Commander vor jeglichen Eindringlingen zu schützen«, antwortete die Maschine auf Beinen mit schnarrender Stimme. »Widersetzen Sie sich nicht, und gehen Sie voran.« Da Amy sich fügte und seiner Anweisung nachkam, gab es für ihn keinen Grund, den Paraschocker aus der Halterung zu ziehen. Seufzend warf die Cyborgfrau einen letzten Blick aufs einstök-kige Blockhaus. Fast hätte sie es geschafft... Abrupt blieb sie stehen. Jemand hatte die Terrassentür einen Spalt geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Ein himmlisches Zeichen? Eine wirklich allerletzte Chance? »Weitergehen!« befahl der Roboter. Amy ging langsam auf das ebenerdige Gebäude zu, in welchem sie die Zentrale vermutete. Sie hatte keine Eile, ging langsam. Ihr Bewacher bedrängte sie nicht und paßte sich ihrem gemächlichen Tempo an. Plötzlich schien Amy förmlich zu explodieren. Sie wechselte die Richtung und sprintete mit der Geschwindigkeit eines Profiläufers auf das Landhaus zu. Was sich hinter ihrem Rücken abspielte, konnte sie nur erahnen. Höchstwahrscheinlich griff der Roboter nach seiner auf Betäubung eingestellten Waffe und legte auf sie an. Zielen und... Noch bevor es zum Schuß kam, schlug Amy einen Haken nach rechts. Danach folgte ein weiterer Blitzausfall nach links, dann wieder nach rechts. Amy spürte fast, wie der Blechmann den Ziel Vorgang ihrem Bewegungsablauf anpaßte. Erst wenn er sie hundertprozentig im Visier hatte, würde er den Auslöser betätigen. Haken nach links. Haken nach rechts. Haken nach links, Haken nach... Amys Berechnung nach bewegte der Roboter seine Waffe erneut nach rechts, weshalb sie zwei linke Haken hintereinander schlug, bevor wieder ein rechter an die Reihe kam. Einen Hasenjäger hätte sie damit total aus dem Konzept gebracht, doch eine Präzisionsmaschine konnte man nicht nervös machen. Unbeirrt vollzog der Arm des Blechmanns jede
Richtungsänderung nach. Die Terrasse lag direkt vor der fliehenden Gefangenen. Was würde die Auslösung der versteckten Alarmvorrichtung bewirken? Ein akustisches Signal? Elektroschocks? Strahlenbeschuß? Amy legte keinen Wert darauf, es herauszufinden. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie über den vorderen Teil der Terrasse hinweg und landete mit den Füßen sicher im hinteren Bereich, dort, wo die Gartenmöbel standen. Trotz der Entfernung fühlte sie aufs neue den Lauf der Waffe in ihrem Nacken. Ducken! Wieder kam der Roboter nicht zum Schuß. Amy Stewart öffnete die Terrassentür, schob den schwarzen Vorhang ein Stück beiseite und huschte geduckt ins Zimmer. Erst drinnen wagte sie es, sich aufzurichten. Der Roboter würde gewiß nicht blindlings in einen Raum feuern, in dem sich weitere Personen aufhielten. Ren Dhark katapultierte regelrecht von seinem Sitzplatz hoch und griff automatisch nach seinem Strahlerhalfter. Amy machte sich bereit, dem schlanken, weißblonden Commander die Waffe aus der Hand zu treten. Fast gleichzeitig stellten beide fest, daß er momentan kein Halfter trug es hing über der Stuhllehne. Die riesige Amöbe hatte sich in einem extragroßen Sessel ausgebreitet und machte keine Anstalten, einzugreifen. Außerplaneta-rische Wesen mischten sich nur ungern in die inneren Angelegenheiten anderer Völker ein. Amy hielt es mit dem Fremden genauso und schenkte ihm nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig. In diesem Moment betrat ein schwarzhaariger, zirka dreißigjähriger Mann mit vorstehenden Kinn den Raum. Er trug einen seidenen Morgenmantel. Dan Riker zog sein Handfunkgerät aus der Tasche und wollte die Wachen alarmieren. Amy kannte ihn nur aufgrund diverser Berichterstattungen. Ein zehnjähriges Mädchen mit einem gefüllten Tablett kam ins Zimmer und fragte: »Frühstück? Mister Dhark? Mister Riker? Jim?« Als es »die weiße Frau« erblickte, blieb es wie angewurzelt stehen. Amy schlug ihre Kapuze nach hinten und hob dann leicht die Arme, als Geste des Friedens. »Ich suche keinen Streit«, sagte sie. Dhark spürte instinktiv, daß von ihr keine Gefahr ausging. Er gab seinem Freund Dan ein Handzeichen, woraufhin Riker das Funkgerät wieder
einsteckte. Draußen machte sich der Wachroboter daran, die in den Terrassenboden eingelassene Alarmvorrichtung zu überwinden. Ren Dhark sah es durch den Vorhangspalt, begab sich kurz auf die Terrasse und erteilte der Maschine den Befehl, umzukehren und den Patrouillendienst wieder aufzunehmen. »Sie haben uns eine Menge zu erklären«, sagte er zu Amy, nachdem er ins Haus zurückgekehrt war. Amy nahm in einem freien Sessel Platz. »Mein Name ist Amy Stewart«, stellte sie sich vor und schaute lächelnd zu Juanita. »Ich komme aus dem Brana-Tal und hätte gern eine Tasse dieses frisch duftenden Kaffees.« Das Mädchen stellte das Tablett ab und schenkte allen ein. »Eigentlich wollte ich Sie unter vier Augen sprechen, Commander«, wandte sich Amy an Dhark und blickte dann Dan an. »Es ist ein vertrauliches Gespräch, Riker, dennoch habe ich gegen Ihre Anwesenheit nichts einzuwenden. Immerhin sind Sie der beste Freund des Commanders.« Ihre Augen fixierten die Riesenamöbe. »Was man von Ihnen ganz bestimmt nicht behaupten kann, Jim Smith. Soweit ich informiert bin, stehen Sie auf der staatlichen Fahndungsliste ganz weit oben.« Gisol erhob sich zu voller Größe. Dann begann er, sich zu verformen, zu verändern... Kurz darauf stand er in seiner Jim-Smith-Menschengestalt vor ihr. Dhark stellte anerkennend fest, daß Amy nicht die geringsten Anzeichen von Überraschung oder gar Furcht zeigte. »Woher kannten Sie seine wahre Identität, Amy?« fragte er. »Gisol wurde unter strengsten Sicherheitsbestimmungen auf mei-"en Landsitz gebracht. Um kein unnötiges Aufsehen zu erregen, hatte er auf dem Weg hierher sein menschliches Äußeres ange nommen.« »Ebendrum«, entgegnete Amy kurz und knapp. »Ein vorwitziger Infanterist hat ihn beim Aussteigen aus dem Flash beobachtet und erkannt. Der Mann war recht geschwätzig - nachdem ich seine Zunge ein bißchen gelockert hatte. Als die Kleine Gisol mit Jim anredete, brauchte ich nur noch eins und eins zusammenzuzählen.« »Und woher wissen Sie, daß sein wahrer Name Gisol ist?« staunte Dhark.
»Von Ihnen, Commander, Sie haben seinen Namen gerade erwähnt.«
»Sie kombiniert schneller als du sprichst, Ren«, merkte Dan Ri-ker
amüsiert an.
»Meinen Namen kennst du nicht, wetten?« sagte Juanita, während sie
Amy den Kaffee reichte.
»Wette gewonnen«, antwortete die Frau.
»Ich heiße Juanita«, entgegnete das Kind.
Amy gab Juanita die Hand. »Freut mich, Juanita, ich heiße Amy.«
»... habe ich mich der schmerzhaften Umwandlungsprozedur nur unter
der Voraussetzung unterzogen, daß ich am Ende ein vollwertiger Cyborg
sein werde. Ich bestehe darauf, daß die Regierung ihren Vertrag erfüllt.
Um keinen Geheimnisverrat zu begehen, wollte ich persönlich mit Ihnen
darüber reden, Commander, unter Umgehung sämtlicher Vorschriften.
Sie glauben gar nicht, wie schwierig es ist, einen Termin bei Ihnen zu
bekommen. Vorher muß man etliche Instanzen durchlaufen und bei
zahllosen Mittelsmännern von Mittelsmännern vorstellig werden, die
mich alle nach dem Anlaß für mein Ersuchen gefragt hätten. Hätte ich
denen etwa von der geheimen Cyborgstation und der Viren-Krise erzäh
len sollen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Ren Dhark, nachdem er sich Amy
Stewarts Erklärungen angehört hatte. »Aber das ist noch lange kein
Grund, auf ein bewachtes Grundstück der Regierung vorzudringen.«
»Auf das bestbewachte Grundstück Terras«, ergänzte Dan Riker, der als
einziger bei der Unterredung anwesend sein durfte; Gisol und Juanita
hielten sich im oberen Stockwerk auf. »Der Wachtposten, den Sie
niedergeschlagen und gefesselt haben, Amy, war schockiert, als er
erfuhr, daß er von einer Frau umgehauen wurde. Er braucht jetzt
dringend Erholung und hat seinen Resturlaub beantragt, wie mir General
Martell berichtete.«
In Dans Stimme schwang so etwas wie Bewunderung mit. Auch Ren
mußte zugeben, daß ihn die Fähigkeiten seiner ungebetenen Besucherin
beeindruckten, allerdings ließ er sich das nicht anmerken.
»Sie gehören zu der Sorte von Frauen, die einem nichts als Ärger
macht«, sagte er uncharmant zu Amy. »Weil Sie unbedingt Ihre eigenen
Interessen durchsetzen mußten, kennen Sie jetzt eins der größten
Geheimnisse der terranischen Regierung. Nicht einmal der GSO-Leiter
wurde über Jims wahre Identität unterrichtet. Sie wissen zuviel, Amy. Zu
Zeiten des Kalten Krieges hätte man Sie mit einem Schall
dämpferrevolver durchlöchert und Ihren Leichnam im Krematorium
entsorgt.«
»Oder man hätte mich mit viel Geld bestochen«, konterte die
Cyborgfrau, »und mir auch sonst jeden Wunsch von den Augen
abgelesen.«
Dhark stand auf. »Man sollte Sie einsperren und den Schlüssel
wegwerfen. Kommen Sie mit.«
Beide begaben sich in eins der angrenzenden Gebäude.
Dort stand ein Transmitter.
Echri Ezbal weigerte sich hartnäckig, Amy Stewart mit dem Phant-Virus
der Snides zu infizieren. Ren Dhark mußte all seine
Überzeugungskünste aufwenden. Darin lag eine seiner Stärken.
»Es ist im Interesse der Regierung«, machte der dreißigjährige
Commander der Planeten dem greisen Brahmanen klar. »Amy stellt sich
freiwillig für dieses Experiment zur Verfügung. Sie ist erwachsen und
intelligent genug, um die Risiken abzuschätzen. Wenn sich das Virus in
ihr, die vorher keine Phant-Trägerin war, bewährt, kann man mit den
Snide-Kulturen weitere neue Cyborgs ausrüsten. Schlägt der Versuch
fehl, wird das F-Virus künftig nicht mehr eingesetzt. Nie mehr, darauf
gebe ich Ihnen mein Wort.«
»Ein Fehlschlag würde Sie das Leben kosten - sind Sie sich überhaupt
darüber im klaren?« fragte Ezbal Amy, die ihm in seinem Wohnzimmer
in der Sitzecke gegenübersaß.
»Der Tod ist eine ehrliche Sache«, erwiderte sie unbeeindruckt. »Wer
stirbt, zieht einen konsequenten Schlußstrich unter sein Leben. Das ist
immer noch besser als mein derzeitiger Daseinszustand. Ich bin kein
richtiger Mensch mehr, aber auch kein echter Cyborg. So hatte ich mir
das ganze nicht vorgestellt.«
»Demnach sind Sie fest entschlossen, jedes Risiko einzugehen?«
Amy nickte stumm.
Ren Dhark nutzte seinen Aufenthalt im Brana-Tal, um sich bei Artus für
dessen Mithilfe bei der Bewältigung der Cyborg-Krise zu bedanken.
Auch Jamie Savannah sagte er guten Tag, und er lernte ihren Neffen
Frank Buscetta kennen.
Artus setzte den Commander von seiner neuen Erfindung in Kenntnis
und schilderte ihm die Schwierigkeiten mit dem Patentamt.
»Wir werden einen Weg finden, dir die terranische Staatsbürgerschaft zu verleihen«, versprach ihm der Commander. »Zwar kann ich gegen die bestehenden Gesetze nichts ausrichten, doch ich werde versuchen, eine Gesetzesänderung durchzudrücken, die eine großzügigere Ausnahmeregelung vorsieht. Leider dauert das ziem lieh lange, so etwas kann sich Monate hinziehen.« »Terence Wallis wird nicht so lange warten«, entgegnete der Roboter. »Du hättest dich nie mit ihm einlassen dürfen«, hielt Dhark ihm vor. »Er ist ein guter Kerl, man könnte Pferde mit ihm stehlen. Doch sobald er ein Geschäft wittert, kennt er keine Freunde mehr.« »Demnach sollte man besser keine Pferde mit ihm stehlen«, widersprach Artus, der es liebte, am Sinngehalt terranischer Sprichwörter und Aussprüche zu rütteln. »Zwar wäre er ein exzellenter Dieb, doch sobald es ans Teilen der Beute geht, haut er einen übers Ohr.« »Du hast recht, Artus«, räumte Dhark ein. »Dieser Gauner würde sich mit meiner Hälfte der Herde glatt aus dem Staub machen. Schade, daß es mir als gewähltem Volksvertreter nicht zusteht, direkten Einfluß auf Entscheidungen der Ämter zu nehmen.« »Aber es steht dir zu, mich zum terranischen Staatsbürger zu machen, auch ohne langwieriges Verfahren«, erwiderte der Roboter. »Mich erstaunt immer wieder, wie wenig ihr Terraner euch in eurer eigenen Historie auskennt. Sagt dir der Name Dai Pehtao etwas? Oder Burt Brain?« »Auf Anhieb fällt mir zu den beiden nichts ein.« »Dann beginne ich am besten ganz von vorn, zum leichteren Verständnis. Über Jahrhunderte hinweg war die Erde in zahlreiche eingegrenzte Staaten unterteilt. Die jeweiligen Regierungsoberhäupter vertraten fast ausschließlich die Interessen ihrer eigenen Bevölkerung. Mit der Gründung der Weltregierung änderte sich so einiges. Die Grenzen wurden aufgeweicht und die Gesetze weitgehend vereinheitlicht, wobei allerdings die lokalen Belange der un terschiedlichen Regionen berücksichtigt wurden.« »Nicht in jedem Fall«, warf Dhark ein. »In einigen Ländern Wurden unmenschliche Bestimmungen mittels eines übergeordneten Gesetzes für null und nichtig erklärt und ihre gewaltsame Durchsetzung unter Strafe gestellt. Leider ist es der Weltregierung bis heute nicht gelungen, überall auf dem Planeten das Unrecht abzuschaffen, aber wir arbeiten dran.« »Abgesehen von solchen Ausnahmen gestattete die neue Regierung den
jeweiligen Regionen, ihre eigene Politik weiterzuverfolgen, solange sie nicht den Zielen der Weltgemeinschaft widersprach«, fuhr Artus fort. »Somit gibt es in manchen Teilen der Erde Gesetze, die keine Allgemeingültigkeit haben, weil sie nur für die Bevölkerung bestimmter Landstriche wichtig sind.« »Beziehungsweise weil die dortige Bevölkerung diese Gesetze für wichtig hält«, ergänzte Dhark. »Oftmals klammern sich die Leute nur an verstaubte Traditionen. Es fällt ihnen schwer, sich von Erlassen loszulösen, die bereits vor mehreren hundert Jahren verfaßt wurden.« »Ein derartiger Erlaß existiert noch heute in der chinesischen Provinz Sezuan«, kam Artus jetzt zur Sache. »Laut einer Gouver neursentscheidung aus dem neunzehnten Jahrhundert können nur Asiaten Bürger von Sezuan werden. - Zum Zeitpunkt der Gründung der Weltregierung hieß der dort amtierende Gouverneur Dai Pehtao. Dai war mit einem Engländer namens Burt Brain befreundet, einem selbstlosen, vermögenden Mann, der schon seit mehr als vierzig Jahren in dieser Provinz lebte und sehr viel zum bescheidenen Wohlstand der Einheimischen beigetragen hatte. Vor allem in schwierigen Zeiten konnte man sich immer auf ihn verlassen. Die Bewohner nannten ihn den guten Menschen von Sezuan. Dank ihm kam die von Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen heimgesuchte Provinz stets wieder auf die Beine. Nur zu gern wäre Burt Brain ein waschechter Bürger Sezuans geworden, mit allen Rechten und Pflichten und den dazugehörigen Dokumenten, doch Dai Pehtao mochte nicht gegen die Bestimmung aus dem neunzehnten Jahrhundert verstoßen. Weil der Gouverneur aber ein pfiffiger Mann war, fragte er die neue Weltregierung um Rat. Sollten sich »die da oben« doch mit dem Problem herumschlagen... Eine knifflige Rätselaufgabe für die Politiker, die sich in ihren Irdischen Ämtern noch bewähren mußten. Wie ernennt man einen 'Europäer zum Bürger einer Provinz, in der nur Asiaten Bürger werden dürfen? Ein weiteres übergeordnetes Gesetz mußte her, eines, das Brains Einbürgerung möglich machte, ohne dabei gegen las Dekret des Amts Vorgängers zu verstoßen. Wann immer eine Sitzung einberufen wurde, stand dieser Punkt ils letztes auf dem Protokoll. Sicher, man hatte weitaus bedeutsa-nere Fragen zu klären - und trotzdem... es mußte eine Lösung geben, so schwierig konnte das doch nicht sein. >Wir verankern im terranischen Staatsbürgerschaftsgesetz einen Passus, der es dem Commander der Planeten erlaubt, Menschen, hie sich um
Terra verdient gemacht haben, unabhängig ihrer Herkunft die sezuanische Bürgerschaft zu verieihenDem Commander der Planeten ist es erlaubt, Menschen, die sich um Terra verdient gemacht haben, unabhängig ihrer Herkunft die terranische Staatsbürgerschaft zu verleihen.< vom Tisch haben. Als Dai Pehtao nach viel zu langer Wartezeit erfuhr, daß >die Person Burt Brain< aufgrund ihrer zu würdigenden Verdienste an der Allgemeinheit zum terranischen Staatsbürger und infolgedessen auch zum Bürger von Sezuan ernannt worden war, hatte sein Freund gerade das Zeitliche gesegnet. Somit hatte die Politposse ein unerwartetes Ende gefunden. Der kleingedruckte Passus im Staatsbürgerschaftsgesetz wurde bis zum heutigen Tag nie mehr angewandt, aber auch nicht ausgestrichen.« »Es ist dem Commander der Planeten somit erlaubt, Personen, die sich um Terra verdient gemacht haben, unabhängig ihrer Herkunft die terranische Staatsbürgerschaft zu verleihen«, wiederholte Ren Dhark nachdenklich den Zusatzartikel, nachdem Artus geendet hatte. »Seinerzeit hat man dabei bestimmt noch nicht an Außerirdische gedacht, denn bis dahin waren uns noch keine Fremden aus dem All begegnet. Mit einem lebenden Roboter war die Menschheit ebenfalls noch nicht konfrontiert worden. Stellt sich nur die Frage: Was ist eigentlich eine Person? Antwort: Jedes Intelligenzwesen, das über eine Persönlichkeit verfügt. Du bist ein solches Intelligenzwesen, Artus. Damit dürfte der Erfüllung deines Wunsches nichts im Wege stehen.« Als Terence Wallis in Begleitung seines besten Anwalts auf den Eingang zum Patentamt zuging, schaute er auf seine Uhr. Ich beobachtete ihn durchs Bürofenster und versuchte, seine Gedanken zu erraten. In einer Viertelstunde lief das Moratorium aus, sprich: In fünfzehn Minuten würde er, der reichste Mann der Welt, noch ein kleines Stückchen reicher sein. Nichts, aber auch gar nichts würde ihn mehr daran hindern, meine Konstruktionsunterlagen einzusehen.
Ich verließ meinen Stehplatz am Fenster und setzte mich auf einen freien Stuhl. Ilja Iwanoff saß hinter seinem Schreibtisch und starrte fortwährend fassungslos auf meine frisch ausgestellte Iden titätskarte. »Was ist nun?« fragte ich ihn. »Bekomme ich mein Patent?« Der mürrische Beamte nickte und setzte seinen Suprasensor in Gang, um mir die erforderliche Bestätigung auszustellen. Die Tür öffnete sich. Wallis und sein Begleiter kamen herein. »Herzlich willkommen!« begrüßte ich sie so herzlich, wie man normalerweise nur seine besten Freunde begrüßt. »Wie schön, daß du pünktlich bist, Wallis. Dann haben wir eine Menge Zeit, um über die Lizenzgebühren zu verhandeln, die du mir für meine verbesserte Gelenkkonstruktion zahlen mußt.« Sein ungläubiger Gesichtsausdruck entschädigte mich für allen Ärger, den er mir bereitet hatte. :my Stewarts Infektion mit den neuen Phant-Viren verlief zur vollsten Zufriedenheit der Mediziner und Wissenschaftler aus dem Brana-Tal. Sie vertrug die Viren und wurde somit zum ersten Cy-borg der nächsten Generation. Ren Dhark nahm sich die Zeit für einen Besuch an ihrem Bett, das sie am liebsten so schnell wie möglich wieder verlassen wollte. »Nur die Ruhe, ein bißchen Erholung wird Ihnen guttun«, sagte Dhark beim Abschied zu ihr. »Schon bald können Sie Ihr gewohntes Training wieder aufnehmen.« Er war von ihr beeindruckt. Die körperlichen Auswirkungen der Behandlung taten ihrer Schönheit keinen Abbruch. Amy hingegen fand ihn nicht sonderlich attraktiv. Sie konnte blonde Männer nicht ausstehen. Weißblonde schon gar nicht. 7. Bert Stranger, Starreporter der Terra-Press, gönnte sich seinen freien Abend. In den letzten Monaten kam es selten vor, daß er einmal mehr als 24 Stunden in Alamo Gordo zubrachte und die Annehmlichkeiten seines Apartments genießen konnte. In einer Höhe von 300 Metern über dem Boden befand es sich in einer Kugel, die langsam auf ihrem Stiel rotierte und den Bewohnern der »Außenapartments« zweimal am Tag das gesamte Stadtpanorama zeigte. Diese Stielbauten waren in den Jahren nach der Invasion der Gi-ants entstanden. Jeder von ihnen war praktisch eine Stadt in der Stadt, nahezu
autark mit Wohnraum für mehr als viertausend Menschen, die hier alles fanden, was sie benötigten, vom Kino bis zum Krankenhaus. Strangers Wohnung befand sich im unteren Drittel der Kugel. Das hieß, daß er zwar eine prachtvolle Aussicht über die Stadt - und dank der Höhe - bis weit ins Hinterland hinein hatte, aber vom Stemenhimmel bekam er herzlich wenig mit. Ihn störte das nicht weiter; er sah die Sterne oft genug aus erster Hand und nicht von der Erdatmosphäre gefiltert, wenn er in seiner Eigenschaft als Reporter draußen im Weltraum aktiv war. Die Wohnungen im oberen Bereich der Kugel waren erheblich teurer, aber von der Ausstattung her auch nicht viel besser als seine eigene. Stranger hatte es sich bequem gemacht. Die Lehne des Multi funktionssessels war schräggestellt, so daß er fast in dem Sitzmöbel lag, und die Füße hatte er hochgelegt. Neben ihm schwebte ein kleiner Antigravtisch mit einer Platte aus italienischem Carrara-Marmor. Aus diesem Material hatte einst der große Michelangelo seine Skulpturen geschaffen. Aus Italien stammte auch der Wein, von dem Stranger sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen ein Schlückchen auf der Zunge zergehen ließ. Dabei hatte er einen Teil des Panoramafensters auf TV geschaltet und langweilte sich von Minute zu Minute mehr über den Spielfilm im Holokanal, der die Heldentaten eines von seinem Volk verstoßenen Rebellen irgendwo in den Weltraumtiefen einer fremden Galaxis zeigte. Als die Werbepause kam, war er fast erleichtert. Wenn sie wenigstens die Paarungsrituale in aller Ausführlichkeit gezeigt hätten? dachte Stranger sarkastisch. Dann könnte man diesem Filmchen vielleicht noch etwas abgewinnen... aber für derartige Sequenzen fehlten dem Drehbuchautor und dem Regisseur wohl die nötige Fantasie. Die Werbung plätscherte ebenfalls banal an ihm vorbei, und er spielte mit dem Gedanken, auf einen anderen Kanal umzuschalten, aber dafür hätte er sich die Mühe machen müssen, die Fembedienung aufzurufen und ihr eine andere Programmnummer anzusagen. Aber das widersprach seiner festen Absicht, an diesem Abend einfach absolut stinkfaul zu sein. Und dann riß ihn ausgerechnet die Werbung doch noch aus seiner selbstgewählten Feierabendlethargie. Der Spot war genial gemacht. Psychedelische Farbmuster, rotierende Fraktale, wohltuende Klänge. Dazu kam eine sanfte, erotische Frauenstimme. Die Bilder wechselten. Ein Gerät raste aus der Tiefe des Bildes kommend auf den Betrachter zu, schien direkt vor ihm zu stoppen. Hs
sah aus wie ein brillenähnlicher Kopfbügel, der aber keine Gläser besaß, sondern eine geschlossene Front zeigte. So ähnlich hatten Anfang des Jahrhunderts die Geräte ausgesehen, mit denen sich Menschen in computergenerierte virtuelle Spielewelten versinken lassen konnten. Aber das hier war eleganter gestylt, wirkte leichter und sympathischer. »Sensorium. Mehr braucht kein Mensch«, raunte die erotische Frauenstimme, und unter dem Gerät entstand zunächst transparent, dann verfestigt der Kopf einer jungen Frau. So wie das Gerät aus dem Nichts herangerast war, glitt es jetzt wieder zurück, zeigte dabei den gesamten Körper, der in den wenigen Sekunden, die er zu sehen war, den Eindruck erweckte, nackt zu sein, ohne anstößig zu wirken. Ein raffiniertes Spiel von Licht und Schatten überflog die Holographie. »Sensorium. Mehr brauchen auch Sie nicht!« Eine plastische Schemazeichnung entstand und erläuterte, wie dieser Bügel zu tragen war. Dann tauchte wieder der Frauenkopf auf, und die Kamera schien in ihn einzudringen und durch die Augen zu erfassen, was das »Sensorium« darstellte. Eine paradiesische Landschaft tauchte auf. »Sie wollen Ihren Urlaub für die Ewigkeit aufzeichnen? Vergessen Sie jede Kamera - das Sensorium ist besser. Sie wollen Filme abspielen? Vergessen Sie ihre Holowand. Das Sensorium ist viel besser. Sie können es ständig bei sich führen. Projektionsfelder und Lautsprechersysteme? Brauchen Sie nicht. Kopfhörer? Brauchen Sie nicht. Klobige VR-Helme? Brauchen Sie nicht. Sie brauchen nur das Sensorium. Bilder und Klänge werden unmittelbar in Ihr Gehirn projiziert.« Eine weitere Bildsequenz folgte: Sie zeigte die wohl berühmteste Szene aus dem Paradies, nur überreichte Eva ihrem Adam keinen Apfel, sondern eines dieser Geräte, von denen sie ein weiteres bereits selbst auf dem Kopf trug. Adam setzte seines auf, zeigte ein verzücktes Lächeln. Und die beiden wurden nicht vom Erzengel mit dem Flammenschwert aus dem Garten Eden vertrieben, sondern dieser tauschte sein Schwert bei der Schlange ebenfalls gegen ein Sensorium ein... »Sensorium. Auch für Engel. Jetzt überall im Handel«, hauchte die Stimme aus dem Off. »Erleben Sie die Welt ganz neu. Für nur...« Der genannte Kaufpreis ging irgendwie an Stranger vorbei. Der Werbespot endete damit, daß noch einmal das Gerät in Großaufnahme gezeigt wurde, zusammen mit einem leuchtenden und blinkenden Schriftzug. »Sensorium. Mehr braucht kein Mensch.« Das Logo des Senders leuchtete auf, der seichte Spielfilm, als spannender Action-Thriller angekündigt, fand seine Fortsetzung, und
Stranger entschloß sich, seine Faulheit teilweise zu vergessen. »Holokanal aus. TV aus.« Das Fensterstück wurde wieder transparent und zeigte die Abenddämmerung über Alamo Gordo. Stranger erhob sich. Das Weinglas in der Hand, trat er ans Fenster. Weit draußen, jenseits der Stadt, sah er Cent Field, den größten Raumhafen der Erde. Sah die Ringraumer, die dort abgestellt waren, und die Kugelraumer, deren größte Exemplare bis zu 400 Meter hoch emporragten, sah einen im Licht der Abendsonne rot funkelnden Ikosaederraumer aus Tofirit. Sein Blick kehrte zurück zu den Häusern von Alamo Gordo, die niedriger waren als die Stielbauten, zum Regierungsgebäude, jenem riesigen, grauen Quader, der mehr als hundert Meter aufragte und auf dessen Flachdach zahlreiche Schweber parkten. Das Botschaftsviertel mit seinen Villen in einer Parklandschaft. Die Hochstraßen, von schnellen Wagen befahren, und tief unten die normalen Straßenschluchten für den Versorgungs- und Personenverkehr. Dazwischen die Schweber in den ihnen zugewiesenen Luftkorridoren. Ein hektisches Gewimmel, kaum noch durchschaubar. »Sensorium«, murmelte er. »Mehr braucht kein Mensch?« Überall im Handel? Da übertrieb die Werbung gewaltig, wie Bert Stranger feststellen mußte, als er am kommenden Tag eine Menge Anrufe tätigte, um einen Händlernachweis zu erhalten. Im ganzen Stadtbezirk gab es lediglich einen Händler, der das Sensorium anbot. »Aber die Nachfrage ist sehr groß. Wenn Sie eines der Geräte erwerben wollen, sollten Sie sich beeilen, Sir. Ich weiß nicht, wann die nächste Lieferung eintrifft.« Stranger benutzte ein Jett-Taxi, um sich in den anderen Stadtteil bringen zu lassen. Da war etwas, das ihn alarmierte. Er konnte nicht sagen, was es war, aber er witterte eine Story. Deshalb wollte wissen, was es mit diesem Sensorium auf sich hatte. Die Übertragung von Bildern und Klängen direkt ins Gehirn? Mußte das nicht sogar die legendäre Gedankensteuerung der POINT OF übertreffen? Von der war nur bekannt, daß sie sich stimmlich im Bewußtsem des Raumschiffskommandanten meldete. Allerdings ohne ein Übertragungsmedium wie diesen Kopfbügel. Stranger konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß jemand
eine solche Technologie zur Perfektion weiterentwickelt hatte, falls es nicht die Mysterious selbst gewesen waren. Aber wie sollte ein solches Stück Supertechnologie nach Terra gelangt sein? Selbst auf Hope und Babylon konnte es keine Weiterentwicklung geben, weil die Geheimnisvollen vor tausend Jahren die Galaxis fluchtartig verlassen hatten, um nie wieder zurückzukehren. Die POINT OF, der Ringraumer, den Ren Dhark seinerzeit auf Hope entdeckte und in Betrieb nehmen konnte, war das absolute Nonplusultra an M-Technologie. Wie hätte irgendwo eine noch weiter modernisierte Technik auftauchen sollen? Nun gut, die Giants waren mit ihrer CE-Technik auch nicht gerade unbedarft gewesen, die aber eine völlig andere Einflußnahme auf menschliche Gehirne vorsah. Und auch die Nogk mit ihren auf mentaler Basis arbeitenden Translatorkugeln... Nein. Es mußte etwas völlig anderes sein. Entweder war jemandem ein absoluter Geniestreich gelungen, oder es handelte sich um den größten Betrug der Mediengeschichte überhaupt. Und Bert Stranger wollte herausfinden, welche Version stimmte. Deshalb hatte er seinen Anruf aufgezeichnet und beabsichtigte, auch alles weitere zu dokumentieren. Er war sicher, wieder mal auf einer heißen Spur zu sein. Wohin auch immer die führte. Eine halbe Stunde später stand er in dem Laden. Eine hübsche junge Frau in äußerst knapper Bekleidung, die wohl ablenkend wirken sollte, bediente ihn. Mit einem beachtlichen Wortschwall erklärte sie ihm, welch fantastische Neuentwicklung dieses Gerät sei und daß der Hersteller bereits in der ersten Woche Millionenumsätze gemacht habe. Stranger hörte geduldig zu, und ebenso geduldig ließ er sich die Handhabung des Gerätes erklären. Die war denkbar einfach und wäre mit drei oder vier Sätzen und einigen demonstrierenden Griffen abzuhaken gewesen. Aber die Verkäuferin überflutete Stranger mit einem langatmigen Redeschwall, derweil er längst begriffen hatte, wie das Sensorium zu bedienen war und den Rest der Zeit damit zubrachte, den Anblick der jungen Dame zu genießen und sich auszumalen, wie sie wohl ganz ohne ihre sparsame Bekleidung aussehen mochte. Er war fast erschüttert, als sie endlich fertig war, das Gerät wieder verpackte und dann seine Kreditkarte forderte. Er gab ihr die Firmenkarte der Terra-Press. Wie wohl er daran tat, sah er an dem abgebuchten Betrag; was das Sensorium kostete, hatte er sich bei
der Werbung nicht gemerkt und jetzt beim Geschwätz der Hübschen auch nicht. Jedenfalls hätte die Summe seinen Etat für den laufenden Monat Februar annähernd ausgeschöpft; auch Starreporter waren keine Millionäre. Sein Chef würde ihn mal wieder in hingebungsvoller Wut zur Schnecke machen und darauf hinweisen, daß Ausgaben in dieser Höhe zuvor beantragt und genehmigt werden müßten. Aber Stranger war in seinem Job einfach zu gut, als daß Caroon ihn feuern würde. Das kleine Päckchen mit dem Sensorium unter dem Arm, die versteckte Filmaufnahme des Verkaufsgesprächs im Kragenknopf und in der Jackentasche, rief er per Armbandvipho erneut ein Jett-Taxi, das ebenfalls auf Spesen ging, und ließ sich zurück zu seiner Wohnung fliegen. Zu Hause packte er das Gerät aus und nahm es näher in Augenschein. Es war leicht zu tragen; er spürte es kaum, als er es aufsetzte. Auch die Handhabung war tatsächlich einfach und sogar °hne die Bedienungsanleitung und ohne den Redeschwall der Verkäuferin leicht zu verstehen. Es gab einen kleinen, auswechsel baren Chip, der im Bügel eingelegt wurde und auf dem die Bild-und Tonaufzeichnungen gespeichert waren. Drei dieser Chips gehörten zur Grundausstattung des Sensoriums, weitere konnten hinzugekauft werden. Die in der Werbung und auf der Verpackung beschriebene Möglichkeit zur eigenen Aufzeichnung gab es mit diesen Chips nicht. Dafür mußten weitere, modifizierte Speicherchips gekauft werden, deren Preis in der Bedienungsanleitung vorsichtshalber nicht genannt wurde. Dennoch hatte Bert Stranger einen davon erstanden. Ebenfalls auf Rechnung von Terra-Press. Zunächst wollte er aber erst einmal sehen, was die mitgelieferten Chips zu bieten hatten. Er legte einen davon ein und setzte das Sensorium auf. Im ersten Moment sah er durch den Apparat weiterhin seine unmittelbare Umgebung, obgleich der vor seinen Augen befindliche Teil an sich völlig undurchsichtig wirkte. Stranger schaltete das Sensorium ein. Im gleichen Moment wechselte das Bild. Er fühlte sich übergangslos in eine andere Welt versetzt. Eine paradiesische Strandlandschaft mit ausgesucht schönen Menschen, Sonne, weißem Sand, kristallklarem Wasser. Er bewegte sich über den Strand. Eine südländische, langhaarige Schönheit im winzigen Tanga schritt an ihm vorbei, lächelte ihn
freundlich an und setzte ihren Weg fort. Stranger wollte sie ansprechen, aber er stellte nur fest, daß er seine Lippen bewegte, doch wurde kein Wort hörbar. Dafür hörte er das Rauschen des Meeres, hörte, wie die Palmen sich im leichten, warmen Wind wiegten. Er ging ein paar Meter weit in das klare Wasser hinein, bückte sich, hob eine Muschel auf und legte sie dann wieder zurück. Als er sich umdrehte, sah er eine Gruppe junger Leute ein Ballspiel durchführen. Er hörte ihre fröhlichen Rufe und hätte sich gern beteiligt. Aber Er schaltete ab und fand sich in seiner Wohnung wieder, in seinen Komfortsessel hingelümmelt. Er war am Strand entlanggegangen, aber in Wirklichkeit hatte er sich keinen Zentimeter weit bewegt. »Faszinierend«, murmelte er und setzte das Sensorium wieder ab. Die Sichtfläche, durch die er geblickt hatte wie durch eine Brille, war wieder schwarz. Stranger drehte das Gerät zwischen den Händen hin und her, versuchte den Trick herauszufinden, durch den diese schwarze Fläche beim Aufsetzen transparent wurde und ihn seine Umgebung so lange wahrnehmen ließ, bis er den Chip zuschaltete und alles von dessen gespeicherten Bildeindrücken überlagert wurde. Wieder mußte er an die Mysterious denken. Auf Hope hatte man ihm vor einigen Jahren vorgeführt, wie im Industriedom von Deluge eine der hochhausgroßen, unitallverkleideten Maschinen plötzlich transparent wurde und vorübergehend Einblick in ihr Innenleben und den darin stattfindenden Produktionsprozeß gewährte. Dennoch wollte er bei dem Sensorium immer noch nicht an M-Technik glauben. Das Gerät sah auch allein vom Design her nicht danach aus. Er schloß die Augen und rief sich das, was der Chip ihm gezeigt hatte, in Erinnerung. Es war, als wäre er tatsächlich selbst an diesem Strand gewesen. Das faszinierte ihn. Die Eindrücke waren unglaublich realistisch. Bild, Ton, Gerüche... beinahe das gesamte Wahmehmungsspektrum wurde hier abgedeckt. Stranger war durchaus begeistert. Es reizte ihn, diese Urlaubssituation weiter auszukosten. Er glaubte, einige hundert Meter weiter im Landesinneren ein kleines Lokal gesehen zu haben. Vielleicht gab es da etwas zu essen und zu trinken. Er war gespannt auf diese Darstellung, setzte das Gerät wieder auf und schaltete es ein. Ein wenig ärgerte es ihn, daß die Wiedergabe nicht an dem Punkt
ansetzte, an welchem er abgebrochen hatte. Es begann wieder ganz von vom. Aber dann gelangte er wieder an die Stelle von vorhin. Er wollte zu dem kleinen Lokal gehen. Das funktionierte nicht. Das Sensorium, genauer gesagt der Chip darin, schrieb ihm einen anderen Weg vor. Dabei geriet er in eine Gruppe junger Mädchen, die winzige String-Tangas trugen oder sogar darauf noch verzichteten, und die ihn heiter anlächelten, auch ansprachen, und er hörte seine eigene Stimme antworten, nur gehörten die Worte nicht zu seiner normalen Diktion. Er berührte eines der Mädchen, und es schmiegte sich an ihn, aber dann lösten sich die Strandschönheiten von ihm und liefen fröhlich lachend davon. Er rannte ihnen nach. Irgendwann erreichten sie bei dieser Verfolgungsjagd auf einem Umweg doch noch das kleine Lokal, aber alle Plätze waren besetzt. Im nächsten Moment brach der »Film« ab. Stranger keuchte. Das war mehr als der einstige Cyberspace, der am Anfang des Jahrhunderts Furore machte, um dann irgendwann in seiner Wei terentwicklung zu stagnieren und fast wieder in Vergessenheit zu geraten. Das hier war einfach perfekt. So perfekt, daß er sogar seine eigene Stimme erkannt hatte, als das Programm vorgab, daß den Mädchen geantwortet wurde. Stranger nahm das Sensorium wieder ab. Eine Diode blinkte und zeigte an, daß der Chip sein Programm abgespult hatte und ausgetauscht oder neu gestartet werden wollte. Der Reporter setzte einen anderen Chip ein und probierte es erneut. Von einem Moment zum anderen befand er sich mitten m einer wilden Raumschlacht! Er saß in der Zentrale eines Kugelraumers im Kommandantensessel. Vor ihm das große Steuerpult, rechts und links von ihm Offiziere der Terranischen Flotte. Die Kontrolleuchten flackerten, am Suprasensor gab es etwas Hektik. Der Raumer wurde durchgeschüttelt. Die großen Bildschirme zeigten feindliche Raumer in der typischen Falschfarbenprojektion, die bei taktischen Manövern angezeigt wurde. Ein neuer Schlag erschütterte den Kugelraumer, aber diesmal lag es daran, daß das Schiff selbst feuerte. »Treffer«, meldete die Ortung. »Ratekisches Schiff im senkrech ten Triebwerkswulst getroffen.« Wieder rummste es. »Schutzschirm auf 23 Prozent«, meldete der Offizier
rechts neben Stranger.
»Ausweichmanöver über Rot«, hörte Stranger sich sagen.
Der Pilot ließ seine Hände über die Steuerschalter wirbeln. Die
Andruckausgleicher im Schiff brüllten auf. Die Bildschirmanzeige
änderte sich. Plötzlich tauchte ein weiteres Feindsymbol auf.
»Strukturerschütterung! Zweiter Ratekenraumer aus dem Hyperraum ins
Normalkontinuum eingebrochen! Eröffnet Feuer!«
Der Kugelraumer taumelte.
»Schutzschirm auf Null! Notenergie auf Schirmfeldprojektoren!« hörte
Stranger jemanden rufen.
»Gehe auf Fluchtgeschwindigkeit! Nottransition vorbereiten«, hörte er
sich befehlen.
»Nicht genug Energiereserven für Transitionstriebwerk, Schutzschirm
und Waffen«, kam es aus dem Maschinenraum.
Weitere Treffer schlugen ein.
»Schwere Schäden im oberen Polbereich und im Triebwerkssektor.
Eingeschränkte Manövrierfähigkeit!«
»Fliegen Sie zwischen den beiden Räumern hindurch«, befahl Stranger.
»Aber, Sir...«
»Tun Sie, was ich sage!« herrschte er den Piloten an.
Wieder krachte es. Funken sprühten über die Steuerkonsole. Ein
kleinerer Bildschirm platzte jäh.
»Verlieren Hilfsenergie! Hüllenbruch in Decks 15 bis 23. Strukturelle
Integrität des Schiffes gefährdet!«
Falsche Serie, dachte Stranger unwillkürlich, der sich durch diese
Terminologie an eine TV-Serie des vergangenen Jahrhunderts erinnert
fühlte. In der TF waren diese Formulierungen jedenfalls nicht üblich.
»Lebenserhaltungssysteme abschalten. Keine Energie auf Waffen und
Schutzschirme, alles auf Antrieb«, befahl er.
»Sir...«
»Machen Sie schon, oder wollen Sie sterben?«
Der Kugelraumer beschleunigte. Er raste zwischen den beiden
Ratekenschiffen hindurch.
»Nottransition!«
Noch während der Kugelraumer mit eigentlich viel zu niedriger
Ausgangsgeschwindigkeit in den Hyperraum wechselte, sah er, wie die
beiden Ratekenschiffe gleichzeitig aus allen Strahlantennen das Feuer
eröffneten.
Aber ihre Kampfstrahlen huschten bereits durchs Nichts. Sie konnten die
Moleküle des Kugelraumers nicht mehr zerreißen, weil das Schiff sich bereits in der Übergangsphase befand und de facto schon nicht mehr zum Normalkontinuum gehörte. Statt dessen erfaßten sie sich gegenseitig. Das letzte, was Bert Stranger sah, waren zwei gewaltige Explosionen. Der Kugelraumer stürzte wieder aus dem Hyperraum zurück. Die Energie hatte nicht gereicht, die Nottransition erfolgreich durchzuführen. Wenn es eine Versetzung gegeben hatte, dann höchstens um ein paar hunderttausend Kilometer. Die Bildschirme zeigten die beiden Feuerkugeln, die einmal ratekische Raumschiffe gewesen waren. Sie bedeuteten keine Gefahr mehr für das schwer angeschlagene Schiff der TF. »Schadensmeldungen«, verlangte Stranger. Und der »Film« brach ab. Er riß sich das Sensorium vom Kopf. »Verdammt!« Seine Verwünschung galt nicht der Tatsache, daß er so jäh aus dem »Film« gerissen worden war, sondern dieser: Woher hatten jene, die dieses Szenario geschaffen hatte, die exakten Kenntnisse über das Innere der Zentrale eines Kampfraumers? Es war einfach zu perfekt! Und unglaublich eindrucksvoll. Selbst das Knistern der Funken auf der Konsole... Stranger hatte persönlich noch kein Raumgefecht an Bord eines Kugelraumers erlebt, schon gar nicht als Kommandant, aber er hatte eine recht klare Vorstellung von diesen Dingen. Seine bisherigen Erfahrungen reichten dafür aus. Alles stimmte perfekt! Sein Mund war trocken geworden. Er orderte beim Servo ein kühles Bier und löschte seinen Durst. Dann überlegte er, ob er sich noch fit genug fühlte für den dritten Chip - und entschied sich dafür. Er erlebte ein Jett-Rennen, wie es dramatischer nicht sein konnte. Er sah, wie andere Schnellschweber aus der Bahn flogen, bei Kursänderungen miteinander kollidierten, sah die grellen Blitze, mit denen sie auseinanderplatzten. Er nahm die ständigen Warnmeldungen des Kontrollsystems seines Jetts wahr, das permanent Überlastungen signalisierte. Aber Stranger ignorierte die Warnungen und raste schließlich als erster durchs Ziel. Er landete den Jett auf die brutalste Art, indem er den Boden des Schwebers als Bremse benutzte. Metall kreischte und verformte sich kalt, Kunststoff brach. Alarmsignale gellten
durch die Kanzel der Rennmaschine. Stranger stieß die Cockpitluke auf und schnellte sich nach draußen. Er begann zu laufen... und hinter ihm flog der Jett in einer brüllenden Explosion auseinander. Aber er hatte das Rennen gewonnen! Als die Wiedergabe des Chips endete, fühlte er sich gestreßt. Er brauchte eine Weile, um wieder zur Ruhe zu kommen. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt, und er war hypemervös. Verdammt, es war alles so echt! Das war nicht nur Holographie. Das war viel mehr. Das war das Eintauchen mit Augen und Ohren in eine virtuelle Welt, wie sie perfekter kaum dargestellt werden konnte. Stranger betrachtete seine Finger und erwartete tatsächlich, Brandflecken zu sehen, wo ®r schmelzende Steuerschalter berührt hatte, um auch noch das Allerletzte aus der völlig überlasteten und teilweise schon glühenden Maschine herauszuholen. Er atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Die beiden letzten »Filme« hatten ihn mit ihrem Tempo und ihrer Spannung stark gefordert. Er war nicht sicher, ob er sie sich ein zweites Mal antun wollte. Es gab sicher genug junge Leute, die sich daraus ihren Kick holten, aber für den 2030 geborenen Reporter war das nichts mehr, auch wenn er sich noch längst nicht zum »alten Eisen« zählte. Seinen Kick holte er sich aus seinen Reportagen, die ihn oft genug in haarsträubend lebensgefährliche Situationen brachten. Er ging keinem Risiko aus dem Weg. Nur so konnte er Erfolg haben und blieb nicht in der zweiten oder dritten Reihe stehen. »Okay... ein bißchen friedlicher wollen wir's nun aber schon ausklingen lassen«, murmelte er und legte diesmal den Aufzeichnungschip ein. Während der Aufzeichnung bewegte er sich tatsächlich durch seine Wohnung. Er konnte durch das eigentlich schwarze Gerät wieder normal sehen. Der Bedienungsanleitung zufolge nahm das Sensorium genau das auf, was er selbst sah. Das verführte ihn zu einer waghalsigen Schlußfolgerung, was die Raumschlacht anging: Sollte man einen Kommandanten der TF dazu gebracht haben, während eines Einsatzes ein Sensorium zu tragen und den Verlauf des Kampfes gegen zwei Rateken-schiffe aufzuzeichnen? Allerdings war Bert Stranger nichts davon bekannt, daß es in den letzten zwei Jahren zu einem neuerlichen Zusammenstoß mit Rateken gekommen wäre. Und er hörte immerhin das sprichwörtliche Gras wachsen! Die Sache wurde ihm immer rätselhafter. Bei dem Strandszenario war ja
noch leicht nachzuvollziehen, wie es zustande kam, notfalls auch noch bei dem Jett-Rennen. Möglicherweise hatte ein solches Rennen in letzter Zeit tatsächlich stattgefunden. Bert hatte sich für solche motorsportlichen Dinge nie sonderlich interessiert, aber er beschloß, mal bei den Kollegen nachzufragen. Aber die Raumschlacht gab ihm zu denken! Sie war so unglaublich realistisch... Stranger bereitete sich einen kleinen Imbiß zu, während der Sen sorium-Chip alles aufnahm, was er tat - aus seiner eigenen Beob achterperspektive heraus, wie er anschließend feststellen konnte, als er die Aufnahme wieder abrief. Zum zweiten Mal sah er sich durch die Wohnung gehen, in die kleine Küche, sah sich darin agieren. Einige Male übte er dabei Kritik an seinen eigenen Handlungen, weil sie in der gezeigten Folge ein wenig unlogisch waren. Er hätte bei der Imbißzubereitung wesentlich effizienter arbeiten können... Schließlich schaltete er das Gerät endgültig ab und legte es zur Seite. Er war beeindruckt. Er beschloß, morgen mit seinem Ressortchef darüber zu reden. Maik Caroon, Ressortchef für Aktuelles, Sensationen und Innenpolitik und mit dem Spitznamen »Toppy Secret« bedacht, kam ihm zuvor und zitierte seinen Starreporter ins Allerheiligste. Er wedelte mit einem Beleg. »Stranger, sind Sie wahnsinnig geworden? Was denken Sie sich dabei. Ihr Privatvergnügen von der Terra-Press finanzieren zu lassen? Da - sechstausenddreihundert Dollar und ein paar Zerquetschte! Ohne Antrag, ohne Genehmigung! Für ein >Sensorium< - sind Sie irre, Mann?« Er starrte Bert wütend an, als wolle er gleich mit ihm Fußball spielen und ihn ins gegnerische Tor schießen. Was vom Vergleich her durchaus nahelag; Stranger besaß eine etwas unglücklich aus den Fugen geratene Figur, war entschieden zu klein für sein Gewicht und besaß darüber hinaus einen annähernd kugelförmigen Kopf, der von einer strohdünnen, rötlichen Haarpracht verunziert wurde. Das Faszinierendste an ihm war sein Gesicht, das dem eines zufriedenen, satten Babys ähnelte mit seinen großen, immer irgendwie staunend strahlenden großen Augen. Der Reporter ließ sich in den Sessel vor Caroons Schreibtisch fallen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. »Regen Sie sich nicht auf wegen dieser lumpigen paar Dollars«, sagte er. »Stranger, wer hat Ihnen erlaubt, sich zu setzen?« bellte Caroon.
»Muß ich drüber nachdenken«, konterte Stranger. »Vielleicht war's der Geist der harmonischen Verständigung...« »Verschonen Sie mich mit Ihren Geistern!« brüllte Caroon. Etwas ruhiger fuhr er fort: »Verdammt noch mal, Bert, Sie wissen genau, daß ich Ihnen immer jede nötige Unterstützung gebe, auch wenn's zwischendurch mal wieder Unsummen kostet, weil irgendein windiger GSO-Agent Ihnen die Richtmikrofone zerbröselt oder ich teure Anwälte bezahlen muß, weil Sie mal wieder angeeckt oder verhaftet worden sind. Aber wir haben Spielregeln, und die lauten: privat ist privat und Dienst ist Dienst!« »Weiß ich doch, Chef«, brummte Stranger und zeigte sein strahlendstes Lächeln, nur konnte er Maik Caroon damit nicht beeindrucken. »Und weshalb haben Sie dann mit Ihrer TP-Kreditkarte dieses Dingsbums, diesen Mist... Sensorium oder was auch immer... gekauft? Für ein solches Schweinegeld?« »Weil das eine Schweinestory wird«, konterte Stranger gelassen. »Trauen Sie meiner Nase nicht mehr?« »Story?« konterte Caroon. »Was soll daran eine Story sein, wenn irgendeine obskure Firma ein völlig überteuertes Lifestyle-Spielzeug auf den Markt wirft?« »Sie halten das wirklich für ein Spielzeug, Maik?« »Ich habe die Werbung gesehen. Das reicht mir.« »Und ich habe dieses Gerät ausprobiert. Es ist einfach fantastisch. Man kann vorgegebene Szenarien nacherleben, man kann auch selbst Erlebnisse aufzeichnen und sich immer wieder darin verlieren. Wie's aussieht, werden die Eindrücke direkt ins Gehirn projiziert. Das ist ein absolutes Novum, eine unglaubliche Sache. Ich halte das Sensorium für das Medium der Zukunft, weit besser als Holographie.« »Sie lehnen sich da ziemlich weit aus dem Fenster«, meinte Caroon. Stranger zuckte mit den Schultern. »Allerdings gaben mir die vorgefertigten Szenarien ein wenig zu denken. Da stimmt was nicht.« »Wie meinen Sie das?« Er hat angebissen, stellte Stranger fest. Er schilderte seine Eindrücke und Überlegungen. Caroon lehnte sich zurück, hörte zu und dachte nach. »Sie haben Ihre Story, Bert«, sagte er schließlich. »Trotzdem hätten Sie vorher zu mir kommen müssen. Sie können nicht einfach auf Rechnung der Terra-Press eigenmächtig irgendwelche Käufe tätigen.« »Sie hätten abgelehnt«, sagte Stranger. »Weil ich zu dem Zeitpunkt noch
nicht mit entsprechenden Begründungen hätte auffahren können, mangels eigener Erfahrung.« Toppy Secret verzog das Gesicht. »Spielen Sie jetzt bloß nicht den Schlaumeier, Stranger«, grummelte er. »Sie hätten aus eigener Tasche vorlegen können, um später das Geld anzufordern.« »Für wie dämlich halten Sie mich, Chef?« wollte Stranger launig wissen. »So unendlich viel verdient ein kleiner Reporter wie ich bei der TerraPress nun auch wieder nicht. Der Kauf hätte mein Konto über den Dispo hinaus belastet und ich hätte Ärger mit meiner Bank bekommen. Und Sollzinsen gelöhnt, bis endlich der Ausgleich von Terra-Press gekommen wäre. Und wie lange es dauert, bis unsere Buchhaltung mal einen Auftrag bearbeitet, wissen Sie doch selbst am besten!« »Wollen Sie mehr Geld?« »War' nicht die schlechteste Ihrer Ideen, Chef«, grinste Stranger. »Dann wechseln Sie zu Intermedia. Die zahlen ein paar Cent mehr, vor allem für Klatschgeschichten über und Kampagnen gegen Ren Dhark.« »Nicht mein Stil, Maik«, winkte Stranger ab und erhob sich. »Das Sensorium ist also meine Story?« »Warum fragen Sie noch so blöd? Finden Sie mehr über dieses Spielzeug heraus. Wer hat es entwickelt, wie, warum und so wei ter.« »Nichts anderes habe ich vor«, grinste Stranger, erhob sich und strebte die Bürotür an. »Eines möchte ich Ihnen noch mit auf den Weg geben«, rief Caroon ihm nach. »Die Firma, die das Sensorium produziert und auch das Patent hält, nennt sich nach dem Gerät > Sensorium Incor-porated< und
ist eine anonyme Kapitalgesellschaft.«
»Woher wissen Sie das?« fragte Stranger verblüfft.
»Das ist top secret«, verabschiedete ihn Toppy Secret und machte
seinem Spitznamen wieder mal alle Ehre.
Maik Caroon sah noch eine Weile auf die Tür, die Bert Stranger hinter
sich geschlossen hatte. Kurz bevor der Reporter sein Büro betreten hatte,
hatte Caroon eine Besprechung mit Sam Patterson gehabt, der »obersten
Heeresleitung« von Terra-Press. Darin war ihm vom Oberboß
klargemacht worden, daß er Stranger auf die Firma Sensorium Inc.
ansetzen sollte, weil diese journalistische Kampfkugel die besten
Voraussetzungen besaß, mehr über die Hintergründe herauszufinden.
Deshalb war der Anschiß, den er seinem besten Mann eben wegen des
Kaufes verpaßt hatte, reine Makulatur. So etwas gehörte zu den internen Spielregeln... Ebenso hatte Patterson Caroon klargemacht, daß es wichtig war, so viel wie möglich über die Sensorium-Technik herauszufinden, da Terra-Press beabsichtigte, sich daran zu beteiligen, um von dem zu erwartenden Boom zu profitieren. Nicht nur Bert Stranger hielt das Sensorium für das Medium der Zukunft! Gisol, der Mysterious, trat nach wie vor in der Öffentlichkeit nur in seiner Jim-Smith-Gestalt auf, an der er besonderen Gefallen gefunden zu haben schien, denn er verfügte doch über noch mehrere Tarnidentitäten, in denen er sich nach seiner Ankunft in der Milchstraße auf verschiedenen Planeten herumgetrieben hatte, um Informationen zu sammeln. Seine wahre Natur kannten bislang nur Ren Dhark, sein Freund Dan Riker sowie das elfjährige Mädchen Juanita Gonzales und der weibliche Cyborg Amy Stewart. Die Mysterious, die sich selbst »Worgun« nannten - was soviel bedeutete wie die »Lebenden« -waren ein Volk von Gestaltwandlern. Das heißt, sie hatten die vollkommene Kontrolle über ihre Körperzellen und konnten jedwede Gestalt annehmen. Ihre »normale« Gestalt war die einer unförmigen Amöbe, die sich auf laufend wechselnden Pseudopodien fortbewegte. Dabei waren sie natürlich alles andere als Amöben, einzellige Geschöpfe. Sie waren eingeschlechtliche Lebewesen mit einer Zellmasse, die ein Gewicht von durchschnittlich 100 Kilo auf die Waage brachte. Diese Masse konnten sie nicht verändern, egal, ob sie als Gestaltwandler kleinere oder größere Wesen nachahmten. Nach »unten« waren ihnen dabei Grenzen gesetzt, bei deren Überschreiten sie sich im größten Notfall unter Schmerzen von Teilen ihrer Körpermasse trennen und sich so verkleinern konnten, aber danach mußten sie diese Masse in einer langwierigen Prozedur wieder nachwachsen lassen. Bis zu einem gewissen Grad konnten sie ihre Masse allerdings komprimieren und so wie ein Mann von 60 oder 70 Kilo wirken, wenn sie Menschen nachbildeten. Nach »oben« war es einfacher; sie konnten eine dünne Hülle erschaffen und so den Eindruck eines wesentlich größeren Wesens erzeugen. Als Jim Smith brauchte der Worgun Gisol keine zu großen Um stände betreiben. Er war ein hochgewachsener, muskulös-kräftiger
Terraner mittleren Alters, etwa 100 Kilo schwer, mit dunklem Haar. So hatte ihn Juanita kennengelernt, und dieses Aussehen behielt er nun bei. Vielleicht eben wegen dieses Mädchens, das sich heimlich in sein Worgunherz geschlichen hatte? Er hatte die Waise in den Slums von Rio de Janeiro aufgegriffen, weil sie über eine verblüffende Parafähigkeit verfügte. Sie konnte sich und andere unsichtbar machen! Natürlich war das keine echte Unsichtbarkeit. Eher eine HyperUnauffälligkeit: Sie wurde von anderen gar nicht mehr wahrgenommen. Gisol alias Smith war das zugute gekommen, als er auf Terra und später auf Hope Informationen sammelte und dabei bemüht sein mußte, sich vor der Galaktischen Sicherheitsorganisation, der GSO, zu verbergen. Anfangs war Juanita für ihn nur Mittel zum Zweck gewesen. Aber sie brachte ihm ein geradezu umfassendes Vertrauen entgegen, eine Zuneigung, als sei er so etwas wie ihr Ersatzvater. So hatten sie sich aneinander gewöhnt, und Gisol war mittlerweile bereit, ihr fast jeden Wunsch zu erfüllen. Den Wunsch, sich im Regierungsgebäude umzusehen, allerdmgs nicht. Das Zentrum des expandierenden terranischen Einflußbereichs in der Milchstraße blieb für sie tabu. Schon allein aus Sicherheitsgründen; ins »Allerheiligste« Terras konnten nur Menschen vordringen, die über spezielle Legitimationen verfügten oder Bert Stranger hießen, der vor Jahren der GSO vorgeführt hatte, wie wenig ihre Sicherheitssysteme wert waren, wenn hochtechnisierte Terroristen wie die Robonen es darauf anlegten, diese Systeme zu knacken. Dhark und Gisol wurden überprüft. Dharks Gehirnstrommuster war bekannt; das von Gisol mußte erst eingelesen und gespeichert werden, wobei der Commander der Planeten für den Mysterious bürgte, von dem noch niemand ahnte, daß er kein Mensch war, sondern etwas unglaublich Fremdes aus einer anderen Galaxis. Sicherheitsbeamte begleiteten das Duo dennoch auf dem Weg durch das Regierungsgebäude, diesen hochaufragenden Betonblock mit seinen weit über 40 Etagen, in dessen höchsten Stockwerken die terranische Stemverwaltung angesiedelt war. Dhark ignorierte sein eigenes Büro. Er suchte das seines Stellvertreters auf. Henner Trawisheim, bisher einziger Cyborg auf geistiger Basis und damit ein Mensch, dessen IQ ebenso wie sein Gedächtnis von Echri Ezbals Experten im Brana-Tal enorm aufgestockt worden war, erhob
sich hinter seinem Schreibtisch, als der Commander der Planeten in Begleitung Gisols eintrat. »Nett, daß Sie sich auch mal wieder herablassen, dem Regie rungsgebäude einen Besuch abzustatten, Commander«, sagte Tra wisheim ironisch. »Es gibt mittlerweile Leute, die schon gar nicht mehr wissen, wie Sie aussehen, und einige, die Sie für eine längst verstorbene Legende halten.« Er wandte sich dem Worgun zu. »Sie sind Jim Smith, nicht wahr? Wie ich erfuhr, hat die GSO die Fahndung nach Ihnen eingestellt. Nehmen Sie bitte Platz.« Er schüttelte Dhark kurz, aber herzlich die Hand. Ren nahm ihm die Begrüßungsworte nicht übel. Ihm war selbst klar, daß er sich in den letzten Jahren viel zu wenig auf Terra aufgehalten hatte. Seine Repräsentationspflichten als Staatschef hatte er stark vernachlässigt und alles seinem Vize Trawisheim überlassen, während er selbst dem Rätsel der Mysterious nachgejagt war, von Stern zu Stern, seit damals, als plötzlich die Robotflotte der Geheimnisvollen im Sol-System auftauchte und sich bemühte, Terra zu vernichten. Nach der Abwehr der Invasion folgten die Entdeckung der Stemenbrücke, die Konfrontation mit dem Telin-Imperium, dann die Galaxis Drakhon... es war eine nicht endenwollende Kette von Entdeckungen und Abenteuern, nur sporadisch unterbrochen von Aufenthalten auf Terra, die jeweils kaum mehr als ein Zwischenstop waren. Aber Dhark hatte sich nie danach gedrängt, Regierungschef zu werden. Sein verstorbener Vater Sam Dhark, der den Kolonistenraumer GALAXIS nach Hope geflogen hatte, um noch vor der Landung an einer rätselhaften Krankheit zu sterben, hatte starke Ambitionen gezeigt, in die Politik einzusteigen. Ren dagegen war in die Führungsrolle hineingedrängt worden, ohne es zu wollen. Er hatte sie akzeptiert, um zu verhindern, daß Figuren wie einst Rocco auf Hope oder später Norman Dewitt auf Terra die Macht an sich rissen. »Wer mich zum Präsidenten wählt, sollte wissen, daß ich ein Sternzigeuner bin«, hatte er damals gesagt, als er 2053 aufgefordert wurde, sich zur Wahl zu stellen. Gut, sie hatten ihn dann 2054 nicht zum Präsidenten, sondern zum »Commander der Planeten« gemacht, was im Grunde nichts anderes als eine andere Bezeichnung für das gleiche Amt war. Und er hatte seine Wähler zumindest in dieser Hinsicht nicht enttäuscht - er war ein Sternzigeuner geblieben, den es in die Weltraumtiefen hinaus trieb, um die »final frontier«, die letzte Grenze
des terranischen Einflußbereichs, immer weiter nach »draußen« zu verschieben. Das aber eher ungewollt; er war der Forschertyp, nicht der Eroberer. »Henner, vermutlich wundern Sie sich, weshalb Mister Smith mich begleitet«, sagte Ren. Trawisheim schüttelte den Kopf. »Im Zusammenhang mit Ihnen wundert mich überhaupt nichts mehr«, sagte er. »Ich würde nicht mal staunen, wenn Sie in Begleitung einer menschengroßen Kakerlake auftauchten und behaupteten, das sei der Botschafter des Planeten Wropprwrcek. Warum soll ich mich dann wundern, wenn Sie den Datendieb Smith mitbringen?« Gisol wechselte einen kurzen Blick mit Ren. Der grinste plötzlich wie ein Honigkuchenpferd. Trawisheim zuckte zusammen. Als sein Blick von Dhark zu Smith wechselte, sah er einen Menschen, der einen überdimensionalen Kakerlakenkopf auf den Schultern trug, und aus dessen Jakkenärmeln insektenhafte Greifglieder hervorragten. Trawisheim sprang auf. Seine Hand befand sich in gefährlicher Nähe des Alarmschalters vor ihm unter der Schreibtischplatte. »Das -das...« Der Insektenköpfige sprach. »Der arme alte Kakerlak Ist traurig, weil ihn keiner mag. Auch nicht die Medizinstudönten, Die ihm doch sicher helfen könnten. Selbst Nachbars Katze faucht ihn an Da faßt er 'nen verwegenen Plan: Er transmutiert zur Weihnachtsgans. Jetzt mag ihn sogar Nachbars Franz.« Übergangslos veränderte sich der Insektenkopf zu dem einer Mastgans um anschließend wieder menschlich zu werden. Aus den vernachlässigten Insektengreifgliedern wurden wieder normale Hände. »Verzeihung, Gentlemen«, sagte Smith. »Aber diesen Knüttelvers habe ich von Senorita Juanita Gonzales gelernt.« »Was ist das für ein verdammter billiger Taschenspielertrick?« entfuhr es Trawisheim. »Was soll dieser Zauberzirkus?« »Das ist kein Taschenspielertrick, Henner«, sagte Ren Dhark. »Was Sie gerade gesehen haben, war absolut echt. Jim Smith kann sein Aussehen ganz nach Belieben verändern. Und er kann noch ein wenig mehr.« »Nur eines kann ich nicht«, sagte der. »Ein Mensch sein. Denn ich bin
ein Worgun. Mein richtiger Name ist Gisol.«
»Worgun?« fragte Trawisheim. »Was bedeutet das?«
»Ihr Terraner«, sagte Gisol, »bezeichnet mein Volk als die My-sterious.«
Langsam sank Trawisheim in seinen A-Gravsessel zurück. Selbst sein
Cyborgverstand brauchte seine Zeit, mit der Überraschung
zurechtzukommen.
Der weißblonde Commander der Planeten schmunzelte. »Genau so
dämlich wie Sie jetzt habe ich aus der Wäsche geschaut, als Gi-sol mir
sein Geheimnis preisgab. Es war, als wir das Zentrums-Black Hole
umpolten und Drakhon zurück in sein eigenes Universum katapultierten.
Ohne Gisols Eingreifen wäre es uns möglicherweise nicht gelungen, die
durchdrehenden Rahim wieder in den Griff zu bekommen.«
»Davon haben Sie bisher in Ihrem Bericht nichts erwähnt«, murmelte
Trawisheim.
»Es war bislang auch nur ein Kurzbericht«, gestand Dhark. »Den
ausführlichen erhalten Sie und die GSO. Den Rest braucht noch niemand
zu wissen. Ich möchte nicht, daß die Gerüchteküche angeheizt wird und
die Medien wieder mal ausflippen.«
Trawisheim nickte ganz langsam. Er ließ den Blick nicht von dem
Worgun.
»Sie haben es also geschafft, Ren«, flüsterte er. »Sie sind am Ziel Ihrer
Suche. Sie haben tatsächlich die Mysterious gefunden. Ich habe es nie
für möglich gehalten. Die Chancen standen eins zu eine Milliarde gegen
Sie, höchstens. Ein Volk, das vor tausend Jahren auf dem Höhepunkt
seiner Macht von einem Moment zum anderen aus der Milchstraße
verschwand, ohne auch nur den geringsten Hinweis zu hinterlassen...
nein. Und ich kann es immer noch nicht richtig glauben. Ren, haben Sie
die Salter schon vergessen, die Sie und wir alle anfangs auch für die
Mysterious gehalten haben? Sind Sie sicher, daß dieser Metamorph Sie
nicht düpiert, wie die Salter es getan haben?«
Gisol blieb ruhig und schwieg.
»Bei den Saltern hatten die Shirs ihre Hypno-Finger im Spiel«, wehrte
der Commander ab. »Aber die Shirs sind mit Drakhon aus unserem
Kontinuum verschwunden. Nein, Henner, diesmal stimmt alles. Sie
haben das Raumschiff nicht gesehen, das Gisol fliegt. Ich war an Bord.«
»Schön«, raffte Trawisheim sich auf. »Gehen wir mal davon
aus, daß Mister Gisol, oder wie auch immer er wirklich heißt, ein
Mysterious ist - ein Worgun, sagten Sie, Gisol? Daß er nicht einfach ein
Abenteurer und Taschenspieler ist, der einen Ringraumer gefunden hat und dessen Technik nutzt, so wie Sie auf Hope den Industriedom und die POINT OF fanden, Ren. Was folgt nun für uns daraus? Kehren die Mysterious zurück? Ist Gisol ihr Vorbote? Wollen sie ihre Planeten und Stützpunkte wieder in Besitz nehmen? Welten, die längst von uns oder auch von den Tel übernommen worden sind?« »Ja«, sagte Gisol. »Natürlich wollen wir das.« Trawisheim sah ihn an. »Wir geben diese Planeten aber nicht wieder her. Allein Babylon ist mittlerweile von Millionen Terra-nem besiedelt worden und...« »Ich weiß«, sagte Gisol. »Ich war dort. Ich nannte mich John Brown.« »Und?« fragte Trawisheim. »Werden Sie unsere Besiedelung akzeptieren, oder haben wir in Kürze mit riesigen Geschwadern von Ringraumem zu rechnen, die unsere Schiffe zu Staub zerblasen?« Gisol lächelte. , »Rechnen Sie mit gut fünf Millionen S-Kreuzem und einigen Dutzend Trägerschlachtschiffen, von denen eines reicht, ein ganzes Sonnensystem wie Ihres innerhalb einiger Sekunden vollständig in eine stellare Gaswolke zu verwandeln.« Trawisheim sah Dhark an. »Das meint der doch nicht wirklich ernst?« fragte er unnatürlich ruhig; er hatte sein Cyborg-Pro-grammgehim in den Aktivzustand versetzt, das Emotionen unterband. Dhark verdrehte die Augen. »Vor tausend Ihrer Jahre«, sagte Gisol, »hätten Sie von einem Vertreter meines Volkes genau diese Antwort erhalten, die ich Ihnen eben gab, Mister Trawisheim. Aber viel Zeit verging, selbst für ein langlebiges Volk wie uns. Wir sind längst nicht mehr die Herren des Universums, und ich bin nicht als Vorbote einer Inva sionsflotte hier. Ich komme als Bittsteller. Ich wiederhole, worum ich den Commander bei unserer ersten Begegnung im Zentrum dieser Galaxis bat: Helft uns!« Trawisheim, der eben noch behauptet hatte, sich über nichts mehr zu wundern, was mit Ren Dhark zu tun hatte, geriet nun doch ins Staunen, als Gisol ihn über die fatale Lage der Myste-rious in Kenntnis setzte. Die Worgun blickten auf eine kontinuierliche Geschichte von rund 1,5 Millionen Jahren zurück. Seit etwa einer Million Jahre befuhren sie das All. Ihre Heimat lag in der Galaxis Orn im Sculptor-Haufen. Orn war
etwas größer als die Milchstraße und lange Zeit absolutes Herrschaftsgebiet der Worgun gewesen. Vor etwa 500 000 Jahren drangen sie in den benachbarten Stemenhau-fen vor, unsere lokale Gruppe. Vor etwa 2000 Jahren trat ein neues, dynamisches Volk auf die galaktische Bühne von Om: die insektenhaften Zyzzkt. Sie bauten sich rasch ein eigenes Sternenreich auf, was in den galaktischen Weiten von Orn kein Problem darstellte. Doch sie suchten die Konfrontation mit den von ihnen als überheblich empfundenen Worgun, die ihnen keine der von ihnen schon erschlossenen Planeten zu Verfügung stellen wollten. Die Zyzzkt aber hatten und haben wegen ihrer hohen Vermehrungsrate einen großen Platzbedarf. Es kam zu ersten Auseinandersetzungen. Die Zyzzkt kamen auf den Spuren der Worgun auch in die Milchstraße, wo sie auf die Grakos trafen. Die beiden Insektenvölker verbündeten sich, die Zyzzkt versprachen den Grakos die Herrschaft über die Milchstraße, wenn sie ihnen im Kampf gegen die Worgun halfen. Die Grakos bauten mit Hilfe der Zyzzkt Stützpunkte im Hyperraum auf, in denen sie für Worgun und Salter unerreichbar waren. Unter dessen Strahlung verwandelten sie sich langsam und wurden teilweiser Bestandteil des Hyperraums. Um ihre schweren Angriffe endlich abzustellen, manipulierten die Worgun das gigantische Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße. Die verstärkte Gravitationswirkung des Schwarzen Überlochs riß die Stationen der Grakos aus dem Hyperraum und machte sie so angreifbar. Die Grakos wurden vernichtend geschlagen, ihre Überlebenden flohen in die Weltraumtiefen. Aber die Manipulation der Gravitationskräfte hatte weitere, un vorhergesehene Folgen: Die Worgun Margun und Sola rechneten anhand verschiedener Phänomene, die angemessen wurden, aus, daß eine Galaxis aus einem anderen Kontinuum - Drakhon - in unseres gerissen und den Untergang der Milchstraße herbeiführen würde. Die Worgun wollten aus der Milchstraße fliehen, mußten aber zu ihrem Schrecken feststellen, daß ihre Raumschiffe das ebenfalls durch die Manipulation des Schwarzen Überlochs entstandene Exspect nicht überwinden konnten. Aber bald stellte sich heraus, daß zehn Ringraumer, gekoppelt zu einem »Tunnel« - also aufeinandergestapelt - mit ihren Intervallfeldern eine Art Düseneffekt erzeugten, mit dem das Exspect durchstoßen werden konnten. So verschwanden die Mysterious vor 1000 Jahren. Und weil sie
glaubten, daß alle Humanoiden in der Milchstraße zum Untergang verdammt waren, nannten sie sie »die Verdammten«. Sie mittels einer Evakuierung zu retten, kam ihnen nie in den Sinn, denn die Worgun waren auch arrogant -damals zumindest. Inzwischen hatten die Zyzzkt eine Waffe gegen das Intervallum entwickelt und schlugen die Worgun schließlich deshalb entscheidend, weil sie einfach Verluste ob ihrer hohen Vermehrungsrate besser verkraften konnten. Masse schlug Klasse! Das war vor rund 900 Jahren. Die überlebenden Worgun wurden auf ihrem Ursprungsplaneten Epoy eingepfercht und mußten fortan als Vasallen der Zyzzkt vegetieren. Ihre Führungsschicht hatte man ausgerottet, ihre besten Forscher wurden regelmäßig in Zyzzkt-Dienste gepreßt, an die Spitze der Worgun kamen den Zyzzkt genehme zwielichtige Gestalten, und der Nachwuchs wurde einer Art Dauergehirnwäsche unterzogen, nach der die Worgun der Abschaum und die Zyzzkt die Retter des Universums waren. »Diese Situation dauert noch an«, schloß Gisol. »Ich gehöre zu den wenigen, die dagegen rebellieren. Ich bin hierher gekommen, um Hilfe zu erbitten.« Dhark nickte dazu. »Wir sind es den Mysterious schuldig«, sagte er. »Wir haben bislang stets von ihrer Technologie profitiert. Ohne die M-Technik wären die Siedler der Galaxis noch auf Hope, wäre Terra noch in der Gewalt der Giants, wäre niemand dazu gekommen, die Manipulation des Schwarzen Überlochs rückgängig zu machen und damit unsere beiden Galaxien, Milchstraße und Drakhon, vor dem Untergang zu retten... Henner, wir müssen etwas tun. Wir müssen eine Schuld zurückzahlen.« Trawisheim sah zwischen den beiden Personen hindurch. Er ahnte, daß Gisol nicht alles erzählt hatte, was es zu berichten gab. Aber er schwieg. [ »Ohne die M-Technik würden wir in ein paar Monaten alle im galaktischen Feuer verbrennen. Wir müssen denen helfen, die uns die Chance zum Überleben lieferten.« »Gisol sagte eben, daß die Worgun vor tausend Jahren nicht daran dachten, Menschen und andere Humanoiden mitzunehmen, als sie aus der Milchstraße flohen. Sie haben uns alle einfach im Stich gelassen. Chance zum Überleben, Ren? Wenn der >Time-Ef-fekt< Ihres Kolonistenraumers nicht versagt hätte und Sie planmäßig das DenebSystem erreicht hätten, statt auf Hope zu stranden, wäre das alles nie
geschehen. Und wir würden in dem von Ihnen so schön benannten galaktischen Feuer verbrennen, das von den Mysterious entzündet wurde. Nein, Commander, wir schulden den Worgun nichts. Daß ihre Technik uns eine Chance gab, bindet uns nicht. Es geschah unabsichtlich, rein zufällig.« Dhark beugte sich vor und wollte etwas sagen, aber sein Stellvertreter unterbrach ihn. »Ren, daß die Worgun unterdrückt werden, ist das, was uns Mister Gisol erzählt. Ob es wirklich stimmt, wissen wir nicht. Wir können es nicht nachprüfen. Die Galaxis Orn ist verdammt weit entfernt, um die zehn Millionen Lichtjahre, wenn mich nicht alles täuscht. Aber selbst, wenn Gisol uns die Wahrheit erzählt hat, was sollen wir tun? Uns mit einer Macht anlegen, die schon vor neunhundert Jahren mächtig genug war, die mächtigen Mysterious zu besiegen? Hören Sie auf. Das ist unsinnig. Wir haben die Ressourcen dafür einfach nicht. Sie blasen uns aus dem Kosmos, wenn wir uns mit ihnen anlegen. Falls es diese Macht tatsächlich gibt, tun wir sehr gut daran, uns vor ihr möglichst bedeckt zu halten!« »Wir dachten auch lange Zeit, die Grakos würden uns aus dem Kosmos blasen«, erinnerte Dhark. »Aber trotzdem sind wir mit ihnen fertiggeworden.« »Das ist etwas anderes«, widersprach Trawisheim. »Dieser Krieg fand in unserer Milchstraße statt. Wollen Sie eine Kampfflotte in eine andere Galaxis führen und dort Wildwest spielen?« Dhark erhob sich langsam. Auf seiner Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. Es war Gisol, der nach seinem Arm griff und den Commander mit unwiderstehlicher Kraft wieder zurück in den Schwebesessel drückte, ohne daß ihm auch nur ein Hauch von Anstrengung anzumerken war. »Keine Kampfflotte«, sagte Dhark. »Nur eine Erkundungsexpedition. Schon allein«, er zwinkerte seinem Stellvertreter zu, »um herauszufinden, ob Gisol uns nicht beschwindelt.« »Und wie stellen Sie sich das vor?« »Eine kleine S-Kreuzerflotte, die mit meiner PO INT OF und Gi-sols EPOY nach Orn fliegt und dort nach dem Rechten sieht. Vorerst. Alles weitere zeigt sich dann später, wenn wir verläßliche Daten haben.« Trawisheim schüttelte den Kopf. »Dazu werde ich meine Zustimmung nicht geben«, sagte er. »Das ist auch gar nicht nötig«, sagte Dhark. »Ich bin der Com
mander der Planeten. Ich ordne es an.« »Sie sind wahnsinnig«, entfuhr es Trawisheim. »Ich glaube. Sie sind nicht mehr bei Sinnen«, wiederholte er einige Sekunden später. »Sie haben den Blick für die Realität völlig verloren. Dhark, Terras Finanzlage ist angespannt wie nie zuvor, und wie Finanzminister Lamont immer noch wieder ein paar Cent aus dem Hut zaubert, um wenigstens das Notwendigste zu finanzieren, ist nicht nur mir unbegreiflich. Wenn Sie jetzt aber auch noch eine kostspielige intergalaktische Expedition ausrüsten wollen - verdammt, wer soll das bezahlen? Dafür ist einfach kein Geld da, Ren! Und«, er machte eine kurze Pause, »Sie scheinen vergessen zu haben, daß im November Wahlen anstehen.« »Und?« fragte Dhark. »Begreifen Sie nicht, Ren? Wenn Sie jetzt noch mal in den ohnehin leeren Geldtopf greifen, sind Sie weg vom Fenster. Die Opposition wird Sie schlachten.« , »Die Bevölkerung wird schätzen, daß sie dank unserer finanziellen Kraftanstrengung überleben kann, und sie wird auch begreifen, daß wir unsere Schuld zurückzahlen müssen - auch wenn es nicht die Absicht der Mysterious war, uns zu helfen, indem sie einen Haufen technischer Relikte zurückließen, als sie vor tausend Jahren verschwanden! Die Menschen...« »Die Menschen sind dumme Schafe, die hinter jedem herlaufen, der ihnen das Schlaraffenland verspricht. Und sie werden jeden verdammen, der ihnen das Geld aus der Tasche gezogen hat oder ziehen will. Das war immer so und wird auch immer so bleiben. Eine Wahl gewinnt man nicht, indem man auf Erfolge hinweist, sondern dadurch, daß man das Blaue vom Himmel lügt. Und vor allem dadurch, daß man ständig vor Ort präsent ist und dem politischen Gegner eine Ohrfeige nach der anderen verpaßt.« »Ohrfeigen zu verteilen ist nicht mein Stil«, sagte Dhark. »Aber der Stil der anderen, und Sie werden diese Ohrfeigen kassieren. Wenn Sie jetzt nach Orn fliegen, haben Sie keine Chance, wiedergewählt zu werden.« »Vielleicht will ich das gar nicht«, sagte Ren leise. »Vielleicht bin ich nicht der Politiker, den jeder in mir sehen will. Vielleicht will ich nur einfach die Wunder der Weltenschöpfung erforschen und für ein bißchen Frieden sorgen.«
»Glauben Sie im Ernst, daß man Sie das noch tun läßt, wenn Sie nicht mehr Commander der Planeten sind?« fuhr Trawisheim ihn an. »Dann sind Sie Privatmann. Dann fliegen Sie nicht mehr mit Ihrer POINT OF zu den Sternen, weil die das Flaggschiff der Ter-ranischen Flotte ist und nicht Ihre Privatyacht, auch wenn Sie das manchmal so sehen. Dann wird man Sie für viele Dinge zur Rechenschaft ziehen, wie zum Beispiel die Notstandsgesetze oder den Steuer-Deal mit Wallis Industries sowie Ihre verschiedentli-chen Kurzurlaube, die von Wallis Industries finanziert wurden... verdammt, Ren, Sie machen es sich zu einfach.« »Haben Sie Angst um Ihren Job?« »Ich?« Trawisheim schüttelte den Kopf. »Ich bin Cyborg. Mich wird man nicht einfach gehen lassen. Ich werde einen Verwaltungsjob erhalten, der mich unterfordert, aber ebensogut bezahlt werden muß. Nein, Dhark, ich habe keine Angst um mich. Ich habe Angst um Sie und auch um die Kontinuität unserer Regierungsarbeit. Dhark, erledigen Sie Ihren Wahlkampf auf anständige Art. Danach, wenn Sie als Commander der Planeten bestätigt wurden, können Sie gern wieder machen, was Sie wollen, dann kräht erst nial kein Hahn hinterher. Und dann können Sie, in zwei, drei Jah-rcn, wenn vielleicht endlich wieder etwas Geld in der Staatskasse ist, das abgezweigt werden kann, nach Orn fliegen, um Ihren Mysterious zu helfen. Aber jetzt bleiben Sie hier und schwören das Volk auf Sie und Ihre Arbeit ein!« Ren Dhark schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Henner, und Sie wissen es. Kandidieren Sie für das Amt des Commanders.« »Den Teufel werd' ich tun!« platzte es aus Trawisheim heraus. »Dann gelte ich überall als der Königsmörder!« »Wie Sie wollen«, sagte Dhark. »Ich weiß nur, daß ich etwas tun muß. Ich kann die Worgun nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie wissen, daß ich derzeit dafür niemandes Einverständnis einfordern muß. Die erste Stufe des Notstands ist immer noch in Kraft.« »Was die Opposition bereits gehörig ausgeschlachtet hat! Man macht Sie fertig, Ren! Dieser ganze politische Kram, dazu die Kampagne, die Intermedia wegen Ihres Privatlebens gegen Sie fährt... Sie gießen doch mit allem, was Sie tun, nur noch mehr Wasser auf die Mühlen!« Gisol hob die Hand. »Wenn ich auch mal was dazu sagen darf...« »Bitte«, schnarrte Trawisheim, dem unwohl war in der Nähe des Gestaltwandlers. Er befürchtete, daß Gisol ihn studierte, um ihn vielleicht zu kopieren. Wenn er dann als falscher Trawisheim an die
Öffentlichkeit trat und Dnarks Vorhaben unterstützte, war die Show endgültig gelaufen. Woher sollte er ahnen, daß sein Mißtrauen völlig unbegründet war? Daß Gisol nicht die geringsten Ambitionen hegte, in Terras Politgeschehen einzugreifen? »Dieser Notstand, was bedeutet das?« »Notstandsgesetze, die die Vollmachten der Regierung erweitem und die dafür sorgen sollen, daß in diesem speziellen Fall der finanzielle Kollaps verhindert wird. Befristete Sondersteuem können initiiert werden und...« »Ich verstehe«, sagte Gisol. »Es mangelt Ihnen an finanziellen und materiellen Ressourcen.« Trawisheim nickte. »In Zeiten der Rezession ist es nicht gut, repressiv zu agieren«, sagte der Mysterious. »Steuererhöhungen helfen nicht, wenn die Kaufkraft dadurch sinkt. Umgekehrt muß es sein. Der Bürger muß so viel Geld wie möglich verfügbar haben, um so viel wie möglich davon in Umlauf zu bringen. Das sorgt von selbst für höhere Steuereinnahmen.« »Klugscheißer«, murmelte Trawisheim fast unhörbar. Natürlich hatte Gisol recht. Aber mußte erst ein Worgun kommen, um es den Terranern zu erklären? Sicher nicht, nur ließen solche Dinge sich nicht ohne die Zustimmung der Opposition durchsetzen - nicht bei der derzeitigen Parteienkonstellation der Erde. »Und was die materiellen Ressourcen angeht«, fuhr Gisol unbeeindruckt fort: »Sie haben doch Kaso mit seinen industriellen Anlagen. Warum werden die nicht genutzt? Produzieren Sie, was benötigt wird, auf Kaso, und bringen Sie es nach Terra, um es dort zu verteilen. Sie...« »Was ist Kaso?« »Der Worgun-Name für Hope«, erklärte Ren, der als einziger die Sprache der Mysterious beherrschte. »Gisol, was meinen Sie mit Ihrem Vorschlag?« »Der Industriedom läßt sich doch umstellen und Ihren Bedürfnissen anpassen«, sagte der Worgun. »Es kostet Sie allenfalls den Transport. Wenn diese Waren auf Terra nahezu kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, haben Sie doch schon ein Versorgungsproblem weniger, und die Kaufkraft der Bürger wird nicht beeinträchtigt.« »Es wird mehr Arbeitslose geben...« »Nein«, widersprach Gisol. »Denn die Nachfrage ist größer als das bestehende Angebot. Warum nutzen Sie die Anlagen auf Kaso oder
Hope nicht? Die waren doch während des galaktischen Blitzes unter Intervallfeldschutz und sind in ihren Funktionen nicht beeinträchtigt.« »Das stimmt zwar«, erwiderte Dhark etwas überrascht. »Aber ^h muß gestehen, daß wir diese Anlagen noch immer nicht durchschaut haben. Außerdem wurden die Maschinen in zwei von drei Höhlen vernichtet.« »Das muß ich mir genauer ansehen«, sagte Gisol. »Sie waren doch schon auf Hope«, sagte Trawisheim stimrun-zelnd. »Also müßten Sie doch wissen, wie es da derzeit aussieht.« Der Mysterious zuckte in einer von den Menschen übernommenen Geste die Schultern. »Als ich dort war, hatte ich andere Interessen. Ich habe mich um Daten gekümmert, nicht um die Technik. Wenn ich weiß, was noch funktioniert, kann ich helfen, es zielgerichtet einzusetzen.« »Da ist was dran«, sagte Dhark. Er sah Trawisheim an. »Wenn wir Alltagsgüter auf Hope produzieren und verkaufen, darf das allerdings nicht die Produktionsstätten auf Terra beeinträchtigen. Das heißt - wir müßten eine Art Mischkalkulation erstellen, die den Mittelwert der Transportkosten von Hope und den Verkaufspreis der heimischen Güter darstellt. Ansonsten fahren unsere eigenen Betriebe über kurz oder lang in die Pleite, weil die Menschen sich daran gewöhnen, Hope-Waren fast umsonst zu erhalten. Dennoch wird genügend Kaufkraft übrigbleiben. Die zusätzlichen Einnahmen werden den Staatshaushalt so lange entlasten, bis der Notstand aufgehoben wird.« »Sie können ja doch ökonomisch denken, Commander«, spöttelte Trawisheim gutmütig. »Nur so kann es gehen, denn wenn Hope einfach zum Billiglieferanten wird, gehen unsere Betriebe rasch den Bach 'runter. Sie haben ihre Fixkosten, die wir nicht subventionieren können. Hope kann und darf seine Waren nur zu Preisen anbieten, die den Markt nicht ruinieren.« »Und die Kosten der Hope-Waren werden allmählich die der TerraProdukte übersteigen.« Trawisheim nickte. »Richtig, aber so weit sind wir noch nicht. Ich werde diese Vorschläge dem Parlament vorlegen.« »Legen Sie los. Henner, und legen Sie vor«, sagte Dhark. »Allerdings werden wir nicht sofort nach Hope fliegen können. Die Mannschaft der POINT OF hat noch Urlaub und müßte um ständlich zurückgerufen werden, was ich den Leuten aber nicht zumuten mag, nach allem, was sie in den letzten Monaten erlebt und geleistet haben. Ich habe aber auch kein gesteigertes Interesse daran, mit einem
beliebigen S-Kreuzer oder einem der Kugelrau-mer zu fliegen... ich geb's ja offen zu, ich bin vom Komfort der POINT OF verwöhnt...« »Den Komfort bietet Ihnen meine EPOY auch«, schlug Gisol vor. »Warum fliegen Sie nicht einfach bei mir mit, Commander?« »Und wo bekommen wir dafür eine terranische Besatzung her?« fragte Trawisheim. »Wer sagt, daß ich eine terranische Besatzung an Bord meines Schiffes nehme?« fragte der Mysterious etwas scharf. »Ich sage das«, erwiderte Trawisheim. »Ich kann es nicht zulassen, daß der Commander der Planeten ohne Schutz an Bord eines fremden Raumschiffs geht. Wenn Dhark mit Ihnen fliegt, werden Sie eine Mannschaft akzeptieren müssen.« »Abgelehnt«, sagte Gisol trocken. »Dann fliegt Ren Dhark nicht mit Ihnen nach Hope.« Der erhob sich. »Henner, Sie greifen in meine Entscheidungskompetenz ein.« »Die sie stets in meinen Händen belassen haben - zumindest fast immer. Sie sind die Nummer Eins der Erde. Ich rede mit Eylers. Er wird die Mannschaft eines GSO-Raumers freistellen, die Sie begleitet, um im Ernstfall einzugreifen und den Ringraumer mit Ihnen an Bord sicher zur Erde zurückzubringen.« »Meinen Sie, das könnte ich nicht?« warf Gisol ein. »Mister Trawisheim, ich werde keine terranische Besetzung meines Schiffes... keine terranische Besatzung an Bord meines Schiffes dulden. Allerdings, um Ihre Sicherheitsbedenken zu zerstreuen, mag Mister Dhark gern noch eine Begleitperson seiner Wahl mitnehmen. Weshalb mißtrauen Sie mir?« Trawisheim deutete auf Dhark. »Weil der Commander schon häufig sehr negative Erfahrungen mit den Hinterlassenschaften Ihres Volkes gemacht hat«, sagte der Cyborg. »Solange er sich im Weltraum herumtreibt, unerreichbar für die Erde, läßt sich das nicht vermeiden. Hier aber habe ich die Möglichkeit, Schutzmaßnahmen im voraus einzuleiten.« »Ich weiß mich sehr gut selbst zu schützen«, sagte Dhark. »Das dürfte Ihnen bekannt sein.« »Sie werden gebraucht. Für den Wahlkampf und als Ikone, als Lichtgestalt, als die wir Sie aufbauen müssen. Sie haben die Erde zwar immer wieder mit Ihrer Abenteuerlust in Gefahr gebracht, aber Sie haben auch dafür gesorgt, daß wir größer denn je geworden sind und besser
denn je da stehen - ausgenommen den Aspekt der Staatsfinanzen. Wer
weiß, ob Ihrem Nachfolger Ihre verdammt großen Schuhe passen.
Deshalb sollten Sie ein wenig zurückstekken. Am liebsten wäre es mir,
wenn Sie aufTerra blieben. Mister Gisol kann auch allein nach Hope
fliegen.«
»Glauben Sie im Ernst, ich ließe mir einen Trip an Bord der EPOY
nehmen?« fragte Ren etwas spöttisch.
»Nein«, seufzte Trawisheim. »Leider...«
Per Transmitter begab Dhark sich ins Brana-Tal im Himalaja. Dort
befand sich die sorgfältig abgeschirmte Cyborgstation, das medizinische
Zentrum der Erde, in dem nicht nur das Cyborgpro-jekt entwickelt
worden war und immer weiter vorangetrieben wurde, sondern dem die
Menschen auch darüber hinausgehende medizinische Innovationen
verdankten.
Die Cyborgstation war nicht öffentlich zugänglich. Viele Bereiche
unterlagen der höchsten Sicherheitsstufe und Geheimhaltung. Deshalb
war die Anlage, die von einem hochgespannten Energieschirm geschützt
wurde, auch nur per Transmitter erreichbar.
Ren Dhark gehörte natürlich zu den Privilegierten, die jederzeit Zutritt
hatten.
Ganz kurz durchzuckte ihn der Gedanke, daß es damit vielleicht vorbei
sein könnte, wenn er als Commander der Planeten abge
wählt würde. Aber dieser Gedanke war jetzt irrelevant. Es ging um
anderes.
Echri Ezbal, der über hundertjährige, aber gemäß dem Stand der
aktuellen Medizintechnik immer noch geistig rege Leiter der Station,
hatte immer Zeit für Ren Dhark. Ezbal, in seiner Jugend wegen seiner
»utopischen« Ideen und Forschungen verlacht, hatte erst im hohen Alter
den Durchbruch erzielt und den Prototyp des Supermenschen geschaffen,
als das Cy borgprojekt, das bereits seit Mitte der 60er Jahre des
vergangenen Jahrhunderts durch die medizinische Forschung und
Entwicklung spukte, heranreifte und zusätzlich auf dem Planeten Bittan
im 404-System das Phant-Virus entdeckt wurde. *
Ezbals Privaträume waren spartanisch einfach. Bis auf die Kom
munikationseinheit war alles so eingerichtet, wie es in einer tibetischen
Berghütte vor hundert Jahren ausgesehen haben mochte. Ezbal benötigte
keinen Luxus. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, zwei Stühle und zwei
Freßnäpfe für seine Tiere reichten ihm aus. Und trotz aller Einfachheit strahlte seine Behausung eine schwer zu beschreibende Gemütlichkeit aus. »Wie weit sind Sie mit der Behandlung von Amy Stewart mit der neuen Phant-Variante?« wollte Dhark wissen. Der alte Mann, der nie den Planeten Erde verlassen hatte, sah den jungen Mann an, der den Menschen den Weg ins Weltall gebahnt hatte, und lächelte. »Die Behandlung ist abgeschlossen«, sagte er leise und streichelte Urran, seinen Hund. Eifersüchtig pirschte sich Choldi, die Katze, an und verlangte ebenfalls gestreichelt zu werden. Dhark erbarmte sich ihrer, was Choldi aber nicht so recht gefiel, und deshalb zog sie ihm ein paar Krallenspuren über die Hand und schmeichelte sich schnurrend bei Ezbal ein. Urran fuhr ihr mit der weichen Hundezunge einige Male durchs Fell. »Die Behandlung ist abgeschlossen«, sagte Ezbal erneut. »Es sind keine Schwierigkeiten zu erwarten. Amy Stewarts Umwandlung zu einer Cyborg ist damit endgültig abgeschlossen.« »Das heißt, sie kann eingesetzt werden?« Ezbal hob beide Hände und legte sie unter seinem Kinn zusammen. »Das zu entscheiden, liegt nicht mehr in meiner Hand. Medizinisch gibt es keine Einwände. Sprechen Sie mit Ember To Yu-kan. Er ist jetzt für sie zuständig.« »Ich danke Ihnen, Echri«, sagte Dhark, erhob sich und neigte den Kopf vor dem genialen Wissenschaftler. Dann verabschiedete er sich. Amy Stewart war überrascht, Ren Dhark so schnell wiederzusehen. Dhark musterte die 1,75 m große, schlanke, aber muskulöse Frau eingehend. Sie war mit 18 Jahren der Terra Defence Force beigetreten. Vor zwei Jahren war Echri Ezbal auf ihre Akte aufmerksam geworden und hatte sie ins Brana-Tal geholt. Er hatte ihr den Vorschlag gemacht, Cyborg zu werden. Nach reiflichem Überlegen hatte sie zugestimmt und war damit als erste Frau ein vollwertiger Cyborg der neuen Generation. Sie besaß eines der neuen Programmgehirne, über das sie als Mensch ständig die Kontrolle behielt. Die früheren Programmgehirne ließen sich zwar über die Rückschaltungsphase deaktivieren, aber nicht während des Phant-Zustands, weil das zu riskant war. Und solange sie aktiv waren, dominierten sie die CyborgPersönlichkeit. »Sie sind doch sicher nicht hier, um einen tiefen Blick in meine wunderschönen blauen Augen zu werfen«, sagte sie. »Was liegt an,
Commander?« »Ich benötige Sie für einen Geheimauftrag, den nur Sie ausführen können. Miß Stewart«, sagte Ren. »Sind Sie dazu bereit?« »Moment mal«, wandte Ember To Yukan ein. Der aztekische ^yborg-Ausbilder, in dessen Büro das Gespräch stattfand, schüttelte den Kopf. »So einfach geht das nicht, Commander. Miß Stewart muß sich einem intensiven Trainingsprogramm unterziehen, bevor...« »Bevor man mich auf die Menschheit und den Rest der Galaxis loslassen kann«, vollendete Amy den Satz etwas anders, als To Yukan es beabsichtigt hatte. »Mister To Yukan hat recht«, fuhr sie fort. »Das Training ist nötig. Ich muß lernen, mit dem Phant-Virus zu arbeiten. Sie finden sicher jemand anderen für Ihren Geheimauftrag, Sir.« »Nein«, sagte Dhark. »Ich brauche Sie! Es geht um eine Sache, in die Sie bereits eingeweiht sind.« To Yukan spitzte die Ohren. In Amy erwachte Neugier. »Die verschneite Hütte?« fragte sie vorsichtshalber nach. Dhark nickte. »Das wäre von Interesse«, sagte sie gedehnt. Dhark wandte sich dem Ausbilder zu. »Stellen Sie Miß Stewart bitte vorübergehend vom Trainingsprogramm frei. Ich benötige sie wirklich.« »Ist das eine dienstliche Anweisung, Sir?« fragte der Indianer. »Die nehme ich eigentlich nur von Mister Houston entgegen.« »Mister Houston wird keine Einwände haben, To Yukan«, sagte Dhark. C. S. Houston, Chef der Cyborgtruppe, hatte tatsächlich keine Einwände. Erst als er Stewart offiziell für den Einsatz freigab und sie selbst ebenfalls zustimmte, informierte Dhark sie über diesen Einsatz. Von einem Moment zum anderen war sie Feuer und Flamme. Einen Flug mit Jim Smith alias Gisol in dessen Raumschiff mitlachen? Dafür hätte sie die Seele des Finanzministers dem Teufel Erkauft. Jetzt begriff sie auch, weshalb der Commander beim Ge sprach mit To Yukan nicht so recht mit den Informationen heraus gerückt war. Gisol war noch »geheime Verschlußsache«! Offenbar wollte Dhark
derzeit keine weiteren Personen über die Identität des My-sterious
informieren. Somit blieb wirklich nur sie, Amy Stewart, übrig.
Sicherheitsbegleitung für den Commander der Planeten... das klang
gut und verschaffte ihr ein einmaliges Erlebnis.
Daß sie in diesem Einsatz wirklich gefordert sein würde, konnte sie
sich kaum vorstellen. Was sollte denn schon passieren?
9. In den Tagen nach seiner Bespechung mit Toppy Secret war Bert Stranger damit beschäftigt, Nachforschungen anzustellen. Zunächst beschritt er die üblichen Wege und warf einen Blick ins Handelsregister. Er fragte bei Wirtschaftsauskunfteien nach. Er plauderte mit Wirtschaftsbossen und klapperte alle seine Kontakt personen ab, die sich teilweise schon unter Druck gesetzt fühlten, wenn sie Stranger nur in der Nähe ihres Büros aufkreuzen sahen. Das waren Leute, die der Reporter sich verpflichtet hatte, indem er zwischendurch auch mal auf eine gute Story verzichtete, die dem jeweiligen Wirtschaftsmagnaten garantiert das Genick gebrochen hätte. Anderen wiederum hatte er mit Tips geholfen, und die zeigten sich dankbar, indem sie ihrerseits Stranger mit Informationen versorgten. Aber in diesem Fall kam er nicht weiter. Niemand wußte etwas über Sensorium Inc. Niemand kannte das Management, niemand die Geldgeber, die den Anlauf des Projekts und die Firma finanzierten, um später mit am Gewinn zu profitieren! Das machte ihn erst recht neugierig. Welchen Grund gab es für eine Firma, dermaßen anonym zu bleiben? Es sah geradezu danach aus, als versteckten sich die Leute, die hinter Sensorium Inc. standen! Aber warum? Gerade bei einer solchen Erfindung konnte es doch nur gut sein, wenn sich die Verantwortlich im Ruhm sonnten. Wenn sie darauf hinwiesen, daß sie es waren, die der Welt diese einmalige Technologie schenkten. Es würde ihnen Einfluß verschaffen und auch Macht! Wer Erfolg hat, bestimmt die Wegrichtung! Wer darauf verzichtete, verhielt sich doch nicht normal! Was stimmte an dem Projekt nicht? Stranger suchte das Patentregister auf und verlangte Einsicht in die Unterlagen. Aber zu seiner Überraschung gab es auch hier keine Hinweise auf die Firma selbst. Es gab nur den Namen und die postalische Adresse. Wer das Sensorium entwickelt hatte, ging daraus
nicht hervor. Die Firma hatte das Patent eingereicht. Stranger ging die Patentschrift dennoch aufmerksam durch. Er wünschte sich, das Gespür zu haben, aus der »Handschrift« des Konstrukteurs schließen zu können, wer dieser war. Er kannte es von Kunstobjekten; Experten konnten oft schon nach dem ersten Blick sagen, von welchem Künstler ein bestimmtes Objekt -Skulptur, Gemälde oder was auch immer - geschaffen worden war. Aber Bert Stranger war kein solcher Experte. Ihm fiel etwas anderes auf. In der Patentschrift war unter anderem davon die Rede, daß das Sensorium mit induzierten Deltawellen arbeitete. Dieser Begriff weckte etwas in ihm, aber er konnte nicht sagen, was da eben hatte erwachen wollen. Er verließ die Räumlichkeiten des Patentregisters wesentlich schlechtergelaunt als er sie betreten hatte. Induzierte Deltawellen! Wo hatte er diesen Begriff schon mal gehört? Er kannte ihn doch! Und dann begriff er plötzlich. Der Deltawelleninduzierer der Robonen! »Verdammt«, murmelte der Reporter. Sollten die Robonen hinter Sensorium Inc. stecken? Ziemlich unmöglich. Er erinnerte sich. Im vergangenen Jahr hatten die Robonen, die sich selbst die »wahren« oder »wirklichen Menschen« nannten, versucht, mit Hilfe des Deltawelleninduzierers Menschen suggestiv zu beeinflussen und zu willigen Sklaven zu machen. Diese Technologie war wesentlich subtiler als die der Giants, die ihre Opfer zu einer Art willenloser Zombies gemacht hatten, deren Gehirne so »umgeschaltet« worden waren, daß sie auf Funkimpulse reagierten. Mit diesen Funkimpulsen, die sich als unverständliche Buchstaben- und Zahlenketten darstellten, hatten die Giants den Menschen Befehle übermittelt - den Befehl zu essen und zu trinken ebenso wie den Befehl, bestimmte Dinge zu tun. Erst als es gelang, mit dem Encephalo-Commutator diese be dauernswerten Menschen wieder »zurückzuschalten«, war der Bann der Giants gebrochen, aber bis dahin waren Millionen Terra-ner verhungert und verdurstet, weil die Giants teilweise vergessen hatten, die entsprechenden Befehle auszustrahlen. Wie man ein menschliches Gehirn zu einem UKW-Empfänger machen konnte, war bis heute ungeklärt.
Man kannte nur die Wirkung, und man kannte die Technik, diesen Vorgang rückgängig zu machen. In der Zwischenzeit aber hatten die Giants, diese raubtierköpf i -gen Wesen mit gelblicher Haut und vier Armen, von denen das untere Paar verkrüppelt war, Menschen zum Planeten Robon gebracht. Die »Robonen« wußten nicht mehr, daß ihre ursprüngliche Heimat die Erde war. Sie glaubten, schon immer auf Robon gelebt zu haben; eine geschickte Manipulation der Giants, die sich hochtrabend »All-Hüter« nennen ließen und die in Wirklichkeit eine Rasse von biologischen Robotern darstellten, die einst von den Mysterious gezüchtet oder konstruiert worden war. Und diese Robonen, die sich der »Zurückschaltung« mittels des CE-Geräts entzogen hatten, infiltrierten in der Folge die Erde, um sie für sich zu erobern. Der Planet hatte ihnen zu gehören und nicht den »Verdammten«, eine Bezeichnung für die Terraner, welche die Robonen ebenfalls von den Giants übernommen hatten. Um ihr Ziel zu erreichen, griffen die Robonen zu nackter Gewalt. Der Gipfel war, daß sie mit dem Deltawelleninduzierer Menschen zu ihren Sklaven machten, so wie es vor Jahren die Giants getan hatten, nur waren damals die Menschen noch wesentlich einfacher davongekommen. Stranger schüttelte den Kopf. Die Robonen konnten nicht hinter dem Sensorium stecken! Am 13. September des vergangenen Jahres hatte der letzte von ihnen Terra verlassen, um nie wieder zurückzukehren. Wenn Stranger seiner Spürnase immer noch vertrauen konnte, dann waren Scholf und seine Leute längst irgendwo in Weltraumtiefen und schmiedeten an einem unbekannten Ort neue Pläne, für welche Aktionen fern der Erde auch immer. Aber auf Terra gab es keinen Robonen mehr! Und es gab sie auch nicht wieder. * Dessen war sich nicht nur Bert Stranger sicher. Die immer noch überall auf der Welt an neuralgischen Punkten installierten Robo nenspürer der GSO zeigten keine Robonen mehr an, deren Gehim strommuster sich in einem bestimmten Punkt erheblich von dem des Durchschnittsterraners unterschieden. Und über den langen Zeitraum von immerhin fast fünf Monaten hätte sich zumindest einer verraten müssen. Von dieser Seite her drohte keine Gefahr mehr.
Dennoch schien jemand für das Sensorium genau jene Technik zu verwenden, mit denen die Robonen gearbeitet hatten. Damals hatten terranische Forscher sich ebenfalls damit befaßt, um Ab schirmmöglichkeiten zu entwickeln. Sollte etwa Wallis Industries dahinterstecken? Mit einem Interkontinentaljett flog Stranger nach Lyon in Frankreich. Dort mietete er einen schnellen Schweber und nahm Kurs auf den kleinen Ort Le Puy, der Firmensitz von Biotechnologique war. Wenn Wallis Industries tatsächlich die Finger im Spiel hatte, würde Stranger das hier am ehesten erfahren. Denn die WITochterfirma Biotechnologique hatte sich damals mit diesen ro bonischen Geräten befaßt. Per Vipho hatte er schon von Alamo Gordo aus um einen Ge sprächstermin mit Veronique de Brun gebeten, der Leiterin der Firmenniederlassung. Der Termin war bestätigt worden. Stranger schmunzelte; sich vorher anzumelden entsprach nicht unbedingt seinen Gepflogenheiten. Normalerweise machte er »Überraschungsbesuche«. • Diesmal allerdings wollte er keinen Skandal aufdecken, sondern lediglich Informationen einholen. Wenn er die nicht einfach so erhielt, gab es immer noch andere, strangere Möglichkeiten... Le Puy lag im kargen und von immer mehr Menschen verlassenen Zentralmassiv Frankreichs, wo mit Biotechnologique ein neuer Arbeitgeber angesiedelt worden war, um wieder Bewohner in die karge Region zu locken. Doch das hatte sich ziemlich rasch als Fehlschlag herausgestellt. Die meisten Angestellten wohnten in Lyon oder in der Provence und kamen nur zum Arbeiten mit ihren schnellen Hoverjetts hierher. Der Gegensatz zwischen der düsteren, regenreichen, mittlerweile fast menschenleeren Gegend mit alten Industriebrachen aus der Zeit des Jahrtausendwechsels und dem hochmodernen Komplex von Biotechnologique war mehr als deutlich zu erkennen. Weniger leicht erkennbar waren die Konflikte der wenigen Alteingesessenen mit den Jungdynamikern, die nur zum reichlichen Broterwerb hierherfanden. Davon hatte Jos Aachten van Haag erzählt; Stranger fand nicht die Zeit und hatte auch kein Interesse daran, das nachzuprüfen. Pünktlich auf die Minute landete er seinen Schweber auf dem
Besucherparkplatz des Firmengeländes und wurde von Mitarbeitern des Werkschutzes in Empfang genommen. Man brachte ihn auf dem schnellsten Weg in den Verwaltungstrakt. Nicht, weil Bert es eilig hatte, sondern um zu verhindern, daß der Reporter zu viel von der Firma sah. Ein paar Minuten später stand er bereits in de Bruns Büro. Veronique de Brun war eine 30jährige, attraktive Brünette, die Stranger recht kühl empfing. »Meine Zeit ist knapp bemessen«, beschied sie ihm. »Womit kann ich Ihren Wissensdurst stillen?« »Erzählen Sie mir etwas über das Sensorium«, bat er. Sie sah ihn an, als sei er ein Gespenst. »Das was, bitte?« »Das Sensorium«, erläuterte Stranger geduldig. »Dieser Apparat, der momentan in der TV-Werbung angepriesen wird und den Benutzem ganz neue Dimensionen der Wahrnehmung bieten soll.« »Wie kommen Sie darauf, daß ausgerechnet ich etwas darüber wissen sollte, Mister Stranger?« »Das Gerät arbeitet laut Patentschrift mit induzierten Deltawellen«, fuhr Stranger fort. »Sagt mir nichts...« »Darf ich dann Ihrem Gedächtnis ein wenig nachhelfen?« bot der Reporter an. »Im vergangenen Jahr hat sich Biotechnologique mit diesen Dingen befaßt. Ein gewisser Doktor Pierre Seigle...« »Erinnern Sie mich nicht an den«, wehrte de Brun sich vehement. »Dieser Lumpenhund, der mit den Robonen paktierte...« »Doktor Seigle arbeitet nicht mehr bei Ihnen?« »Doktor Seigle ist tot«, erwiderte de Brun. »Hat Ihnen das Ihr Freund Aachten van Haag nicht gesagt?« Den GSO-Agenten, der besser unter seinem Vornamen Jos bekannt war, als seinen Freund zu bezeichnen, fiel Stranger doch ein wenig schwer. Sie kannten sich und hatten sich schon einige Male gegenseitig geholfen, aber schon von ihren Berufen her mußten sie wie Katze und Hund sein, wobei offen blieb, wer nun die Katze und wer der Hund war. Das variierte. Sie waren Bekannte, keine Freunde. Bert verzichtete darauf, de Brun diese Feinheit nahezubringen. Statt dessen rief ihm die Frau ins Gedächtnis, was damals geschehen war: Seigle, der Verräter, war maßgeblich an der geheimen Entwicklung eines Deltawelleninduzierers für die Robonen beteiligt und Mißbrauchte dazu auch heimlich Material und Kapazitäten von
giotechnologique. Der Deltawelleninduzierer war ein Gerät, das (ie besonderen Geisteskräfte der Robonen bündeln und großflä-|hig Teile der »normalen«, sprich terranischen Bevölkerung manipulieren konnte. Aber dies konnte entsprechend der Natur der Deltawellen nur im Ichlaf geschehen. Das machte Stranger nachdenklich, denn er iatte sich ja im Wachzustand befunden, als er die Chips abspielte. »Damit dürfte feststehen«, sagte de Brun, »daß diese Robonen-?chnik nichts mit dem Sensorium zu tun hat. Nachdem das geklärt st, können Sie ja nun ruhigen Gewissens nach Alamo Gordo zu-"rückkehren. Sagen Sie Ihrem Freund Jos, beim nächsten Mal kpnne er ruhig selbst hier herkommen, wenn er etwas erfahren | »Jos Aachten van Haag hat mich nicht hierher geschickt«, prote feierte Stranger. »Ich gehöre nicht zur GSO, ich bin Reporter der t'erra-Press, wie Sie ja wissen müßten. Ich recherchiere in deren Auftrag und nicht für die GSO.« »Als ob mich dieser Unterschied sonderlich interessierte«, murmelte de Brun düster. »Und deshalb stieß ich auf Sie, Mademoiselle de Brun«, fuhr fetranger ungerührt fort, »weil Biotechnologique damals mit den Forschungsarbeiten zu tun hatte.« »Welch ein Pech für Sie«, seufzte die Firmenleiterin. »Nun haben Sie die lange Reise hierher gemacht, um ohne Resultat wieder Heimzukehren... sorry, Mister Stranger, aber wir haben mit dem Sensorium nichts zu tun. Absolut nichts. Wir haben auch immer noch keine umfassenden Kenntnisse über die Manipulation von Deltawellen, da es sich beim Deltawelleninduzierer um eine roX)nische Erfindung handelte, die wir nicht weiter verfolgt haben. i^ozu auch? Die Robonengefahr besteht nicht mehr, und es gehört Glicht zur Firmenphilosophie von Biotechnologique oder unserer Mutterfirma Wallis Industries, sich mit Methoden zu befassen, Surch die Menschen dermaßen radikal manipuliert werden können. Darf ich sonst noch etwas für Sie tun, Mister Stranger?« »Sie könnten sich von mir zum Essen einladen lassen.« »Nein, danke«, wehrte de Brun ab. »Dazu fehlt mir die Zeit. Sie verstehen: geschäftliche Termine und Besprechungen, auch in den Mittags- und Abendstunden. In meiner Position kann ich nicht alles liegen und stehen lassen, nur weil offiziell Feierabend ist. Das können die Arbeiter und Angestellten, nicht aber die Chefin. Sonst noch etwas?«
Stranger zuckte mit den Schultern und verabschiedete sich. Veronique de Brun sah ihm durch das Panoramafenster ihres Büros nach, bis er mit seinem Schweber abhob und die Firma endgültig verließ. Bert Stranger... Jos Aachten van Haag... die beiden gehörten doch irgendwie zusammen, und Jos hatte sie nicht vergessen, daß der einfach verschwand, als sein Fall abgeschlossen war. Vorher hatten sie einige interessante Nächte miteinander verbracht. Und dann - von einem Moment zum anderen: aus. Ohne Abschied. Sie trauerte Jos noch nach; der Sex mit ihm war geradezu sensationell gewesen. Aber er hatte sich äußerst unsensationell verdrückt. Das nahm sie ihm übel, und unterbewußt übertrug sie es auch auf seine Freunde, zu denen dieser Reporter ihres Wissens nach gehörte. Männer! Einer wie der andere! dachte sie. Mit einer Einladung zum Essen hatte es bei Jos auch angefangen. Sie waren nach Lyon geflogen, hatten im teuersten Restaurant diniert, waren dann in Veroniques Wohnung gelandet und... ... und ich bringe ihn um, wenn er mir noch einmal über den Weg läuft, beschloß sie. Trotzdem hatte sie Jos' Freund nicht belogen. Die Forschungsarbeiten am robonischen Deltawelleninduzierer waren tatsächlich eingestellt worden. Auf ihre Anweisung hin, denn sie sah keinen Sinn darin, hier weiter zu forschen oder gar zu entwickeln. So etwas brauchte Terra nicht. Und jetzt das Sensorium... | Sie kannte die Werbung. Aber erst Stranger machte sie neugie-'rig. Wenn sich ein Mann wie er dafür interessierte und eine Story daraus machen wollte, war vielleicht doch mehr dran als nur teures Teizeitvergnügen. Sie beschloß, auch ein Sensorium zu kaufen und es anzutesten. Bert Stranger war skeptisch. Sein Gefühl sagte ihm zwar, daß Veronique de Brun ihn nicht belog. Aber vielleicht wußte sie selbst nicht alles. Davon, daß Pierre Seigle zwar offiziell an der Entwicklung des Robonenspürers arbeitete, in Wirklichkeit aber den Deltawelleninduzierer zusammenbastelte und dafür auf die Ressourcen von Biotechnologique zurückgriff, hatte sie auch nichts gewußt, bis Jos alles aufdeckte. Vielleicht war es diesmal wieder so. 11 |; Vielleicht spinnst du
gewaltig, kritisierte er sich selbst. Vielleicht Imachte er sich mehr Gedanken um die Sache, als wirklich daran war. Aber zum einen hatte er seinen Auftrag, und zum anderen ein persönliches Interesse. Jetzt die Recherche abbrechen kam überhaupt nicht in Frage. Er lenkte seinen Schweber nach Paris. Dort hatte er einen Infor manten, welcher ihm vielleicht weiterhelfen konnte. Der Mann war ihm schon seit Jahren verpflichtet. Jetzt konnte er auch mal etwas tun. Natürlich wäre es effektiver gewesen, nach Lyon zurückzukehren und die Schnellbahn nach Paris zu nehmen. Aber Stranger entschied sich dagegen. Er folgte mit dem Schweber den alten Straßen, auf denen teilweise noch Räderfahrzeuge unterwegs waren, die im Lauf der Jahre immer weniger wurden und irgendwann, bis wenige gepflegte Oldtimer, ganz aus dem Blickfeld ver schwinden würden wie einst die Pferdekutschen und Ochsenkarren. Stranger ließ sich Zeit. Er wollte die Fahrt nutzen, seine Gedanken ein wenig zu ordnen. Deshalb nahm er die Überlandstrecke. Immer wieder fragte er sich, wer fähig war, robonische Technik anzuwenden. Und er rätselte, weshalb laut Patentschrift mit Deltawellen gearbeitet wurde, die doch erst in der Schlafphase dominierten. Bei vollem Wachbewußtsein dagegen war der Alpha-Rhythmus aktiv. Mit ihm ließen sich unter anderem auch telepa-thische und teilweise auch telekinetische Tricks exerzieren. Aber, verdammt, Stranger hatte die Bilder, die die Chips ihm zeigten und die er aufgenommen und später noch einmal angeschaut hatte, im Wachzustand wahrgenommen und nicht während er schlief! Da stimmte doch etwas nicht! Irgendwann während der Reise von Le Puy nach Paris alarmierte ihn ein sechster Sinn, und er begann, auf seine Umgebung zu achten, statt seinen Gedanken nachzuhängen. Plötzlich hatte er das Gefühl, verfolgt zu werden. Er überprüfte das und fand seinen Verdacht bestätigt. Tatsächlich folgte ihm ein anderes Schwebefahrzeug mit erstaunlicher Beharrlichkeit. Der Fahrer achtete auf einen größeren Abstand und war wohl sicher, nicht entdeckt zu werden. Aber Stranger hatte für so etwas einen Riecher. Er erhöhte die Geschwindigkeit seines Schwebers. Vorübergehend hatte er das Gefühl, sein Verfolger falle zurück, aber dann war der plötzlich wieder hinter ihm. Bert gab noch mehr Energie,
So viel, daß er in Bodennähe den Schweber kaum noch unter Kontrolle halten konnte. Er mußte in höhere Zonen aufsteigen. Das erhöhte aber auch sein Risiko im Ernstfall. Solange der Schweber sich allenfalls einen Meter oder weniger, über dem Boden befand, war es kein besonders großes Problem, sich nach draußen fallen zu lassen. Nicht einmal für die Leibesfülle eines Bert Stranger. Aber wenn die Maschine in 30 oder mehr Metern [öhe flog, war ein Aufschlag entsprechend verheerend. Er hoffte, daß nichts dergleichen geschah. Vorsichtshalber schaltete er noch die Positionsleuchten seines Schwebers aus. Die .Maschine jagte mit enormem Tempo davon, und nach etwa einer 'halben Stunde, in der Stranger von dem Verfolger nichts mehr feststellen konnte, wich er abrupt von seinem bisherigen Kurs ab. Er flog einen weiten Kreisbogen, der seiner Berechnung nach hinter dem Verfolger wieder auf seinen alten Kurs führen mußte. - Aber da war niemand. Die Radareinrichtungen des Schwebers waren bei weitem nicht so gut, wie Bert es sich gewünscht hätte. Sie reichten gerade aus, andere Luftund Bodenfahrzeuge in der Nähe zu erfassen, um vor möglichen Kollisionen zu warnen. Eine halbwegs brauchbare Femortung war nicht möglich. So konnte Stranger nur rätseln, wo sich seine Verfolger jetzt befanden. Seiner Berechnung nach hätte er sie im Distanzradar vor sich haben müssen, aber vielleicht hatten sie auch zu einem Trick gegriffen... Er opferte noch einmal Zeit und flog einen weiteren Bogen. Danach konnte er sicher sein, daß er sie endgültig abgeschüttelt hatte. Er setzte seinen Flug nach Paris ungestört fort. Die Dunkelheit brach herein, bevor er die Stadt erreichte, und er hatte keine große Lust weiterzufliegen. Also machte er Zwischenstation in einem kleinen Landgasthof im Bourbonnais. Die hübsche Wirtstochter, die er auf kaum älter als 20 Jahre schätzte, nahm sich seiner an. »Ich möchte ein Abendessen mieten und ein Zimmer für die Nacht verspeisen - oder wie auch immer«, strahlte er sie aus seinen unschuldigen Baby äugen an. »Sicher können Sie mir dabei helfen.« Was die Nacht angeht, die kommt und geht auch ohne meine Hilfe«, vermerkte die junge Dame. »Was das Abendessen angeht -das vermieten wir nur langfristig. Und das Zimmer ist so alt, zäh und
ungenießbar wie Ihr Versuch, witzig zu sein, Monsieur.«
»Ich versuche es doch gar nicht, ich beherrsche es in Perfektion«,
grinste Stranger sie an.
»Na schön. Welches Zimmer möchten Sie denn essen?«, erkundigte
sie sich, während sie ihm die Speisekarte entgegenhielt.
Er betrachtete sie und nickte. »Ja«, sagte er.
»Was - ja?« »Alles.«
Sie sah ihn ungläubig an. Stranger strich mit den Händen über seine
körperlichen Rundungen. »Da paßt eine Menge hinein«, behauptete
er.
»Na, hoffentlich übernehmen Sie sich damit mal nicht«, winkte sie ab.
»Ich zeige Ihnen dann mal den Nacht-Tisch.«
»Mit Vergnügen. Folgen Sie mir voraus, Mademoiselle.«
Das Zimmer befand sich im Obergeschoß des Hauses, zwei Treppen
hoch, war klein, sauber und urgemütlich. Was der Reporter nicht
erwartet hatte: Es gab sogar eine kleine Kammer mit Dusche und
Toilette statt einer Etageneinrichtung für alle Gäste. Ein breites
Doppelbett lud zum Ausruhen oder zu interessanteren Tätigkeiten ein,
es gab einen Vipho-Anschluß und ein Holo-TV sowie die
Möglichkeit, einen portablen Suprasensor ans Terranet anzuschließen.
»Und der Zimmerservice?« wollte er wissen.
»Nicht für Männer mit Bauch«, beschied ihm die Wirtstochter
gelassen.
»Eh, das ist kein Bauch, das ist mein Großhirn«, behauptete er. »Ich
mußte es auslagern, weil es zu groß wurde und da oben«, er tippte sich
gegen den Schädel, »neben dem ebenfalls stetig wuchernden
Kleinhirn keinen Platz mehr fand.«
»Gehirne sind nicht so mein Fall«, erwiderte sie. »Ich bevorzuge
andere Dinge.«
»Und welche, Mademoiselle?«
"»Das sollten Ihnen Ihre beiden Gehirne doch selbst sagen kön
en.« Sie entschwebte abwärts.
Stranger richtete sich rasch im Zimmer ein, ging wieder nach hinten
und bezahlte Abendessen und Zimmer für eine Nacht im voraus.
Eine Viertelstunde später wußte er, daß die junge Dame Diana ließ,
und noch einmal eine halbe Stunde später war ihm klar, daß "aus einer
Nacht mit ihr nichts werden würde. Entweder hatte er es falsch
angepackt, oder er war einfach nicht ihr Typ. Jedenfalls blitzte er
gnadenlos ab. Als er später etwas enttäuscht sein Zimmer aufsuchte, fragte er ich, ob er mit seiner Witzigkeit übertrieben hatte, oder ob es, wie in vielen anderen Fällen, an seiner Figur lag. Schließlich gehörte .er nicht gerade zu den sieben attraktivsten Menschen der Welt. Er nußte um die Mädels kämpfen, die einem Beau wie Jos Aachten van Haag gleich dutzendweise nachliefen. »Wie die Blondine nach dem Jogging: dumm gelaufen«, murmelte er und ließ sich auf das Bett fallen, das genug Platz für zwei Jemand klopfte. Diana? War sie doch noch aufgetaucht, hatte sie vorhin nur mit ihm gespielt? Er schwang sich wieder aus dem Bett und ging zur Tür, um sie zu öffnen. Aber draußen auf dem Gang stand nicht, wie erhofft, die hübsche Wirtstochter. Stranger sah als erstes zwei ihm unbekannte Männer und als zweites den Paraschocker in der Hand eines der beiden. Da feuerte der auch schon. Paralysiert brach der Reporter zusammen. jjAls er wieder erwachte, spürte er den typischen ziehenden Schmerz im Nacken, der ihm verriet, daß man mit schwächster Dosierung auf ihn geschossen hatte. Also konnte er nicht lange ausgeschaltet gewesen sein. Aber die Zeit hatte den beiden Männern gereicht. Stranger auf einen Stuhl zu binden. Er war gefesselt und geknebelt. Er befand sich immer noch in seinem Zimmer, aber die beiden Unbekannten gaben sich so, als sei es seine Gefängniszelle. Ihre Gesichter hatte er nie zuvor gesehen. Daß sie sie ihm so offen zeigten, ließ ihn Böses vermuten. Andererseits: Wenn sie ihn hätten töten wollen, warum hatten sie ihn dann nur paralysiert und gefesselt? Ein schneller Blasterschuß, als er arglos die Tür öffnete, und alles wäre erledigt gewesen. Was wollt ihr von mir, wollte er fragen, bekam aber außer einem unverständlichen Stöhnen und Knurren nichts hervor. Der Knebel saß so, daß er ihn nicht ausspucken konnte. Auch mit der Zunge konnte er ihn nicht lockern, und das verdammte Ding löste immer wieder Würgreflexe aus. Das fehlte ihm jetzt noch, daß er sich übergeben mußte und dabei erstickte! Er dachte an die Verfolger, die er abgeschüttelt hatte. Offenbar war ihm das doch nicht so gelungen, wie er dachte. Sie hatten sich wohl nicht täuschen lassen. Oder hatten sie ihn durch einen
Zufall wiedergefunden?
Wer waren diese beiden Männer, und warum waren sie hinter ihm
her? In welches Wespennest hatte er jetzt schon wieder gestochen?
Einer von ihnen lehnte mit verschränkten Armen grinsend an der
Wand. Der andere stand am Tisch, öffnete ein Paket.
Auch er grinste böse.
»Ihr Interesse an der Firma Sensorium Inc. geht eindeutig in die
falsche Richtung, Mister Stranger«, sagte er. »Ich denke, wir sollten
das korrigieren.«
Natürlich erwartete er keine Antwort. Stranger konnte sie ihm ohnehin
nicht geben. Aber er fragte sich, was das für eine Richtung sein sollte.
Scheinbar hatte die Firma tatsächlich Dreck am
;cken, wenn sie zu solchen Methoden griff, um Nachforschun-en zu
blockieren.
Er wollte lieber nicht wissen, was sie als nächstes beabsichtigen. Er erfuhr es trotzdem. Der Grinsende am Tisch holte ein Sensorium aus dem Paket und es dem Reporter auf. Kommentarlos schaltete er es ein. Von einem Moment zum anderen wechselte die Umgebung. Bert Stranger befand sich nicht mehr in dem kleinen, gemütlichen Zimmer des Landgasthofs, sondern in einem ihm fremden |iaus. Und doch kannte er sich hier aus, denn zielstrebig bewegte ?r sich auf eine der Türen zu. Er hielt eine Champagnerflasche in äer einen, zwei Gläser und einen Öffner in der anderen Hand. Mit dem Fuß stieß er die Zimmertür auf, die nur angelehnt war. lautlos schwang sie nach innen und gab den Weg frei. Etwas war "anders: Er spürte den Kontakt des Türblattes mit seinen Zehenspitzen. Nach einigen Schritten blieb er stehen. | Ein breites Bett, mit Seide bezogen, dominierte in dem großzügigen Raum. An der Decke darüber hing ein riesiger Spiegel. Aus verborgenen Lautsprechern erklang dezente, leise Musik. Kerzen irannten; der Duft ihres Wachses und ihrer Dochte mischte sich lit einem anderen Duft, der von der Frau ausging. Es WQ.T die Frau! Das Höchstmaß an Attraktivität und lockender Verführung. |Stranger hatte nie eine aufregendere Frau gesehen als diese. Sie 'räkelte sich auf dem Bett und spiegelte sich an der Zimmerdecke. Weiche, sonnengebräunte Haut wartete darauf, gestreichelt und peküßt zu werden.
Stumm, aber erwartungsvoll sah die Schönheit Bert Stranger entgegen. Ihre Augen glänzten. Blondes, fast hüftlanges Haar fiel in wallenden Strähnen über ihre perfekt geformten Brüste, ohne sie wirklich zu bedecken. Es war normal, daß sie ihn völlig unbekleidet erwartete; jedes noch so kleine Fetzchen Stoff an ihrem wundervollen Körper hätte den Eindruck der Perfektion nachhaltig zerstört. Und sie genoß Strangers bewundernden Blick. Neben dem Bett stand ein kleiner, verchromter Rolltisch. Altmodisch in einer Zeit, wo alles auf Antigrav setzte und es mittlerweile in Nobelrestaurants schon A-Gravtabletts gab, die von den Kellnern per Minifemsteuerung an die Gästetische dirigiert wurden. Ein Eiskübel wartete darauf, die Flasche aufzunehmen, die Stranger aber zunächst zu öffnen hatte. Die Frau schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln und sah zu. Sie war immer noch stumm. Erst als der Korken mit explosionsartigem Knall in die Höhe ge schleudert wurde und den Spiegel über dem Bett nur um Zentimeter verfehlte, lachte sie und zuckte zusammen, fauchte und lachte wieder, als er den schäumenden Champagner über ihren Körper strömen ließ. Für die beiden Gläser blieb nicht viel übrig. Aber das spielte keine Rolle. Stranger fand ebenfalls seinen Platz auf dem breiten Bett, und er sorgte rasch dafür, daß der Champagner die weiche, warme Haut der attraktiven Frau nicht klebrig werden ließ. »He, deine Zunge kitzelt«, stieß sie hervor und wehrte sich spielerisch. Er überwand ihren schwachen Widerstand leicht, küßte sie und wunderte sich über das Glück, das ihm diese wunderbare Frau beschert hatte. Und er wunderte sich darüber, daß er dieses Erlebnis einfach so hinnahm. Sein Unterbewußtsein warnte ihn. Etwas stimmte nicht. Von seinem eigenen Gerät her kannte er die Bilder und Szenarien, welche das Sensorium anzubieten hatte. Er wußte, wie unglaublich intensiv die Eindrücke waren. Aber das, was er hier erlebte, war nicht nur unglaublich intensiv. Es war perfekt! Er sah nicht nur Bilder und hörte Töne, er war Itestandteil der Szene, mit sämtlichen Sinnen. Er spürte, wie sein Körper auf die Reize reagierte, die die Frau auf ihn ausübte. Jede |einste ihrer Berührungen durchzuckte ihn mit einem Schauer der
Immer wieder versuchte ihn sein Unterbewußtsein zu warnen, daß dies keine normalen Sensoriumsbilder waren, aber diese Warnungen wurden rasch von neuen Eindrücken überlagert und zurückgedrängt. Und schließlich achtete er überhaupt nicht mehr darauf. Er gab sich seinem Erlebnis hin. Es war wie nie zuvor. Bert Stranger erlebte den besten Sex seines Lebens. Die Traumfrau trieb ihn von einem Höhepunkt zum anderen. Sie schien unersättlich, und Bert fühlte sich ständig erneut herausgefordert. Er nahm und gab. Er genoß jede Sekunde, er gönnte sich und ihr keine Pause. Bis alles von einem Moment zum anderen abriß und er wie aus einem Glückstraum erwachte. Im ersten Moment hatte er Schwierigkeiten, sich zurechtzufin-|^en. Eben noch mit dieser wundervollen, beglückenden Frau auf dem Seidenlaken, saß er jetzt gefesselt auf einem Stuhl... »Was zum Teufel...« murmelte er. Dumpfe Erinnerungsbilder kamen. Zwei Männer. Ein Paralyseschuß. Das Erwachen, gefesselt und geknebelt auf diesem Stuhl. Den Knebel hatte er nicht mehr im tä_Mund. Sonst wäre er wohl in den letzten Stunden erstickt. Denn raußen graute bereits der Morgen. Und mir graut auch, dachte er. Vor den beiden Männern, die jetzt wieder in seiner Wahrnehmung auftauchten. Noch überlagerten sich die Bilder. Was das Sensorium ihm gezeigt hatte, wirkte nach. Nur langsam schob sich die Realität her ein und verdrängte die virtuelle Welt. Bert erschauerte. Was hatte man ihm gegeben, Was hatte man ihm genommen? Er sehnte sich nach der Frau. Er wollte weiter mit ihr zusammen sein. Dabei war er völlig erschöpft. Er hatte sich in dieser Nacht total verausgabt. Und doch war da das Verlangen, weiterzumachen, nicht aufzuhören. Eine ganze Nacht voll mit berauschendem Sex! Bert wußte, daß er das unter normalen Umständen niemals durchgehalten hätte. Er hatte keine Sekunde lang geschlafen, sie hatten immer weitergemacht, immer weiter... ohne Pause. Und es war wunderbar gewesen! Jetzt dieser eschlafen, sie hatten immer weiterg furchtbare
Kontrast - er hätte schreien mögen. Aber der Rest Verstand, der ihn ihm war, warnte ihn davor. Die beiden Männer würden ihn sehr schnell wieder zum Schweigen bringen. Das Sensorium lag auf dem Tisch. Sie hatten es ihm abgenommen und damit diesen unendlichen Liebestraum jäh unterbrochen. Er haßte sie dafür. Er wollte weiter das Glück genießen, das ihm seine Traumfrau bescherte. »Geben Sie mir das Gerät zurück«, hörte er sich rauh krächzen und fragte sich, ob das wirklich seine eigene Stimme war. »Setzen Sie es mir wieder auf! Sie haben kein Recht...« Habe ich den Verstand verloren? fragte er sich. Ich winsele wie ein Junkie! Die beiden Männer lachten. »Sie haben wohl zum ersten Mal in Ihrem Leben eine richtige Frau erlebt, wie?« spöttelte einer von ihnen. »Na ja, wenn ich Sie mir so anschaue, Stranger... da wundert mich überhaupt, daß Sie jemals eine Frau hatten. Wer Sie 'ranläßt, läßt auch 'nen Hund 'ran...« »Ich bring dich um, du Scheißkerl!« keuchte Stranger in verzweifelter Wut. ' »Später vielleicht, wenn du dann noch kannst. Junge«, grinste ler Spötter. »Falls dir bis dahin deine Favoritin nicht den letzten lest von Hirn aus dem Schädel ge...« Stranger brüllte ihn an. Er schaffte es, trotz seiner Erschöpfung nitsamt dem Stuhl aufzuspringen. Da war der zweite Mann da, va.rf ihn wieder zurück. »Nur ruhig, mein Bester«, sagte er. »Sparen Sie sich Ihre Kraft, Sie werden sie noch brauchen.« Der Spötter öffnete das Sensorium und nahm den Chip heraus, ließ ihn in seiner Tasche verschwinden und grinste wieder. Der andere löste Strangers Fesseln. Als der Reporter aufsprang, sah er wieder in die Mündung eines Schockers. Der Abstrahlpol leuchtete bläulich. »Ganz ruhig, mein Junge«, sagte der Mann. »Sie bekommen leue Chips, wenn Sie aufhören, weiter nachzuforschen und Ihre Jase in Angelegenheiten zu stecken, die Sie nichts angehen.« »Was...« Aber da verließen die beiden das Zimmer bereits. Stranger taumelte ihnen nach. Aber jetzt machte sich seine Erschöpfung stärker bemerkbar. Er taumelte, wäre beinahe gestürzt. |Er war todmüde, und der Gedanke an die Frau tobte dennoch ilurch sein Bewußtsein. Er
mußte wieder mit ihr zusammen sein, mußte wieder... Er erreichte die Zimmertür, riß sie auf. Korridor und Treppe waren menschenleer. Die beiden Halunken waren längst verschwunden. Erschüttert wankte Stranger zu seinem Bett und ließ sich einfach
iarauff allen.
Er blinzelte und starrte das Sensorium auf dem Tisch an. Ohne den Chip nützte es ihm überhaupt nichts. Er brauchte diesen Chip. ^r mußte wieder... Ich bin süchtig geworden! erkannte er bestürzt. Süchtig nach diesem falschen Erleben! Süchtig nach einer virtuellen Welt. Und jene/die dahinter steckten, hatten ihn genau an der richtigen Stelle gepackt. Wie eine Versuchsratte im Labor, die mit elektrischen Stromstößen stimuliert wird, um bestimmte Dinge zu tun - nur besaß er im Gegensatz zu dieser Laborratte noch die Fähigkeit, zu begreifen, was da mit ihm geschah. Sich dagegen wehren konnte er trotzdem nicht. Er brauchte die Stimulanz! So fertig, wie er war, so sehr sehnte er sich auch nach einer Wiederholung des Glücksgefühls. Er würde es auskosten wollen bis zu seinem Tod. »Ich muß davon loskommen«, keuchte er bitter. Er versuchte zu analysieren, was geschehen war. Eine ganze Nacht über war der Chip gelaufen, hatte ihm suggeriert, mit der perfektesten aller Frauen zusammen zu sein und die gemeinsame Erfüllung zu finden. Verdammt, wer war diese Frau? Wer war das Vorbild? Aber war das nicht unwichtig? , Wichtiger war etwas anderes. Der Chip! Die kleinen Speicher, welche man ihm zusammen mit dem Sensorium verkauft hatte, liefen bei weitem nicht so lange wie dieser, der Stranger eine komplette Liebesnacht vorgegaukelt hatte. Und es konnte kein Zeitraffereffekt gewesen sein, denn es war tatsächlich die ganze Nacht vergangen! Das hieß, daß es zwei verschiedene Chiptypen gab. Die »normalen«, die für eine Menge Geld nur über eine relativ kurze Zeit liefen, und diese »langen«, die für... Ja, wofür? Für Erpresserzwecke, wie man sie gegen ihn, Bert Stranger, an
wandte? Oder...? Er verstand es nicht. Das Denken fiel ihm ohnehin schwer. Er brauchte Entspannung. Er mußte sich beruhigen, indem er wieder mit jener Traumfrau zu sammen war. Aber dazu benötigte er den Chip! Den aber hatten die beiden Männer mitgenommen. Sie hatten ihm weitere Chips versprochen, wenn er seine Nase ns der Angelegenheit heraushalte. Er stöhnte auf. Er brauchte eine Fortsetzung seines Erlebnisses. Dabei ahnte er, aß er sich dabei über kurz oder lang selbst zerstörte. Aber auf lern Höhepunkt des erfüllenden Glückes zu sterben, was konnte man sich besseres wünschen? Er mußte wieder einen Chip bekommen. In der Tat, er war hochgradig süchtig nach den Sensoriumserlebnissen geworden... Er haßte sich dafür, aber noch mehr haßte er die beiden Männer, lie ihm das Paradies gezeigt und ihn wieder daraus vertrieben latten. Aber dieser Haß konnte sein Problem auch nicht lösen. 10. Am Montag, dem 17. Februar 2059, startete die EPOY vom Raumhafen Cent Field. An Bord befanden sich Gisol, Ren Dhark, Amy Stewart und Juanita Gonzales. Die Elfjährige nahm die blonde Amy gleich bei der Hand und begann ihr das Schiff zu zeigen und zu erklären. Schmunzelnd sah Dhark den beiden nach. Er fand es gut, daß die beiden sich verstanden. Das hatte sich schon im Landsitz in den Bergen gezeigt. Er selbst blieb in der Zentrale und verfolgte, wie Gisol mit den Möglichkeiten der Automatik geradezu spielte. Der Mysterious nutzte die technischen Einrichtungen des Ringraumers virtuoser als Ren es sich jemals hätte träumen lassen. Sie begeisterten ihn. »Im Prinzip können alle Ringraumer, die über eine Gedanken steuerung verfügen, von einem Mann allein geflogen werden«, er läuterte Gisol zwischendurch. Dhark nickte. Das war ihm bekannt. Er hatte die POINT OF auch
schon einige wenige Male im Alleingang geflogen. Allerdings war da immer noch die Mannschaft im Hintergrund gewesen, um notfalls eingreifen zu können. Gisol war völlig allein - und er machte es besser als Dhark, wie dieser sich eingestehen mußte. . Allerdings gab es zwischen der POINT OF und der EPOY gering fügige Unterschiede in der technischen Ausstattung. Der Commander hatte den Eindruck, daß die EPOY zwar wesentlich jünger war, die POINT OF dagegen, obgleich tausend Jahre alt, ein wenig ausgereifter. Er sprach Gisol darauf an. »Ich erfuhr, daß Margun und Sola, die beiden größten Genies, die das Volk der Worgun jemals hervorgebracht hat. Ihre POINT OF unvollendet auf Kaso zurückließen«, sagte der Mysterious. »Sie, Commander, haben das Schiff mit Ihren Leuten erst fertiggestellt.« Dhark nickte. »Das ist richtig«, bestätigte er. »Aber es ist uns nicht sonderlich schwergefallen. Das Mentcap-Archiv in der Ringraumerhöhle war uns dabei eine große Hilfe.« »Mentcap«, murmelte Gisol. »Sie meinen die Informationsträger?« »Ja. Eine geniale Entwicklung, Wissen in kleinen Kapseln zu speichern und durch das Verschlucken dieser Kapseln im Gehirn freizusetzen...« »Es ändert nichts am umständlichen Lernprozeß«, sagte Gisol. |»Es erleichtert ihn nur, und es spart bisweilen den Lehrer. Dhark, haben Sie durch die Informationsträger... die Mentcaps... auch In formationen über Margun und Sola erhalten?« »Nein.« Ren schüttelte verblüfft den Kopf. »Warum?« »Ich hätte gern mehr über die beiden erfahren«, sagte der Mysterious. »Kaum jemand weiß etwas über sie. Nur daß sie existierten und seit der Flucht aus Nai, wie wir Ihre Galaxis nennen, verschwunden sind. Inzwischen müssen sie längst tot sein.« »Sie wissen nichts über Ihre größten wissenschaftlichen Genies?« staunte Dhark. »Bedauerlicherweise. Mir und anderen ist nur bekannt, daß sie auf Kaso eine der geheimnisvollsten Forschungsstätten errichteten, über die unser Volk jemals verfügte. Ich hatte gehofft, ich könnte mehr von Ihnen erfahren.« »Da muß ich passen«, gestand Dhark. »Aber wenn ich mir Ihre EPOY ansehe, vermute ich immer mehr, daß meine POINT OF so etwas wie ein Prototyp gewesen sein muß. Ein Raumschiff, in das
alles an Neuentwicklungen eingebaut wurde, was zur Verfügung stand, das Neueste vom Neuen.« l »Das ist richtig«, sagte Gisol. »Die Ringraumer, die wir heute bauen, basieren nicht mehr auf den veralteten Schiffen, die Sie als S-Kreuzer bezeichnen und die meine Vorfahren im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr ausmusterten, um sie zu automatisieren und nur noch von Robotern fliegen zu lassen, die von Kommandosternen aus ferngelenkt wurden, wie Fände einer ist und wie es noch aber Tausende von Planetenbasen überall in Nai gibt. Zum Beispiel besitzen diese veralteten Raumer noch keine Gedanken-Steuerung, sie sind weniger einfallsreich bewaffnet... die modernen Typen, zu denen auch die EPOY gehört, basieren samt und sonders auf dem Prototyp, der auf Kaso entstand.« »Was ich allerdings in Ihrem modernen Typ vermisse«, stellte Ren Dhark fest, »ist ein Checkmaster, wie wir ihn in der POINT OF haben.« Gisol seufzte. »Ihren Checkmaster kenne ich nicht. Vielleicht war er eine Einzelfertigung, ein einmaliges Unikat wie vieles, was von Margun und Sola entwickelt wurde. Hinzu kommt, daß unsere Raumer später nicht mehr nennenswert weiterentwickelt wurden. Seit der Niederlage gegen die Zyzzkt stagniert die Entwicklung der Worgun.« »Auf einem Planeten, den wir Dockyard nannten und auf dem seit dem Galaktischen Blitz auch nichts mehr funktioniert, fanden wir Fabriken mit Bandstraßen, auf denen Ringraumer gefertigt -und schließlich wieder abgewrackt wurden, weil niemand kam, um sie abzuholen. Diese Raumer waren vom Durchmesser her kleiner als die POINT OF oder die EPOY. Wissen Sie etwas darüber?« fragte Dhark. »Diesmal bin ich es, der passen muß, um Ihren Sprachgebrauch zu verwenden«, sagte Gisol. »Von diesen kleineren Räumern weiß ich nichts. Vergessen Sie nicht, Dhark, daß ich nicht in Nai aufwuchs, sondern in Orn, und das Jahrhunderte nach der Flucht und der Niederlage. Sehr viel Wissen wurde einfach verschüttet, ist verlorengegangen... und ich bin hier ebenso nur ein Suchender und Forscher wie Sie.« Ren Dhark lächelte. »Schade«, sagte er. »Schade, daß wir beide nicht genug wissen. Sonst hätten wir uns jetzt gegenseitig prima ergänzen können.« Gisol, nach wie vor in seiner Jim-Smith-Gestalt, erwiderte das
Lächeln nicht. Aber in seiner Mimik glaubte Ren Dhark so etwas wie Trauer festzustellen. Gisol bevorzugte den »gemütlichen« Flug, wie es auch Ren Dhark bisher fast immer getan hatte. Keine Kette von Transitionen, sondern ein linearer Überlichtflug mit Sternensog zwischen Terra und Hope. Der dauerte etwa drei Tage; genug Zeit, sich aneinander zu gewöhnen. Dhark berichtete von den Angriffen, welchen die POINT OF in der Anfangszeit gerade auf dieser Route ausgesetzt gewesen war. Schon vom ersten Flug von Hope in Richtung Erde an war der Ringraumer immer wieder von Schiffen der unterschiedlichsten Völker attackiert worden, manchmal in Flottenstärke. Einige dieser Raumertypen waren später niemals wieder irgendwo in Erscheinung getreten, aber damals hatten sie stets alles daran gesetzt, die POINT OF zu vernichten. Dabei hatten sie mit einer selbstmörderischen Verbissenheit gekämpft und waren größtenteils auch zerstört worden, speziell dann, wenn der Checkmaster die Kontrolle über das Schiff an sich riß und mit all seiner Macht gnadenlos zurückschlug. »Die Utaren erzählten uns später, daß es hier eine Ortungsstrek-ke im Hyperraum gab, von der aus die POINT OF stets angemessen wurde, aber irgendwann sei dieses Alarmsystem abgeschaltet worden, als sich herausstellte, daß die POINT OF nicht von Grakos geflogen wurde...« Gisol sah an Dhark vorbei. »Wie verbittert müssen all diese Völker gewesen sein«, sagte er leise. »Wir Worgun wurden nie geliebt, unserer Arroganz wegen, aber die Grakos, die eroberte Ringraumer flogen, haben uns dann erst richtig in Verruf gebracht. Und heute... heute fliegen die Zyzzkt unsere Schiffe.« Er hieb mit der Faust auf das Kontrollpult. »So viel Lüge und Betrug! Gut, wir waren niemals das, was ihr in euren Mythologien als Engel bezeichnet. Aber wir waren auch nie die Grausamen, als die wir hingestellt wurden. Damals wie heute. Vielleicht haben meine Vorfahren Schuld auf sich geladen, in welcher Form auch immer. Aber die Zyzzkt bestrafen uns jetzt noch immer dafür. Sie unterdrücken uns, unterjochen uns. Das muß anders werden. Die Galaxien müssen erfahren, daß wir Worgun, wir Mysterious, oder wie auch immer wir genannt werden, nicht die Ungeheuer sind, als die man uns darstellt.« »Es wird ein langer Weg, Gisol«, sagte Dhark leise. »Ein sehr, sehr langer Weg voller Domen und Schmerzen.«
»Werden wir ihn gemeinsam gehen, Terraner?« »Ich weiß es noch nicht«, gestand Dhark offen. »Mein Herz sagt ja, mein Verstand sagt, prüfe zuerst! Und Terra sagt, stürze uns Menschen nicht von einer Katastrophe in die andere! Gisol, was wir jetzt am wenigsten gebrauchen können, ist ein Krieg gegen die Zyzzkt. Wir würden ihn ebenso verlieren, wie ihr ihn verloren habt. Uns fehlen die Ressourcen. Wir sind ausgeblutet durch den Krieg gegen die Grakos. Und ich bin für die Menschheit verantwortlich. Ich darf keinen Fehler machen. Und«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »vielleicht wird es so kommen, wie Trawisheim sagte, und man wird mich nicht wie derwählen. Dann kann ich nichts mehr für Ihr Volk tun, Gisol, und es wird Ihnen schwererfallen, andere zu überzeugen als mich.« »Ich danke Ihnen für die Ehrlichkeit«, sagte Gisol. »Und ich hoffe immer noch. Denn die Hoffnung darf niemals sterben.« Über dem Inselkontinent Deluge spannte sich nach wie vor das weite Intervallfeld, und nach wie vor akzeptierte die automatische Kontrolle der Mysterious-Anlagen die EPOY nicht. Aber auf einen Funkspruch hin wurde das Intervallum kurzfristig manuell abgeschaltet, so daß der Ringraumer einfliegen konnte. Liebend gern hätte Dhark die EPOY selbst gesteuert, aber Gisol ließ nur zu, daß der Commander ihm kurze Anweisungen gab. Wenig später parkte die EPOY auf ihren 45 Auslegerpaaren dort, /o einst die unfertige POINT OF gestanden hatte, um tausend Fahre auf ihre Vervollständigung zu warten. Optisch gab es nur einen Unterschied: die POINT OF besaß auf ihrer Außenhülle eine entsprechende Beschriftung, die sie als Flaggschiff der TF auswies, die EPOY zeigte blankes Unitall. Guliver Bligh, der Sicherheitschef des Höhlensystems, zeigte sich nicht sonderlich begeistert von dem hohen Besuch, und am wenigsten gefiel ihm, daß sich dieser Jim Smith in Dharks Begleitung befand. Der hatte eine Menge Unruhe gestiftet, den To-Ringaumer EUROPA geklaut und stand jetzt plötzlich nicht mehr auf ier Fahndungsliste? Bligh übte keine offene Kritik, aber er zeigte sich von seiner Zironenseite. Chefwissenschaftler Gerd Dongen und Leute wie Tim Acker "oder Raoul Pelletier, die von Smiths und Juanitas Aktivitäten persönlich betroffen gewesen waren, zeigten Smith ebenfalls die kalte Schulter,
aber sie ließen auch Ren Dhark spüren, daß sie diesen Besuch als Belästigung empfanden. »Verbrechen zahlt sich aus«, knurrte der beleibte Tim Acker, der längst bedauerte, damals in eine körperliche Auseinandersetzung mit Pelletier geraten zu sein, die in Wirklichkeit durch die beiden »Unsichtbaren« Juanita und Smith provoziert worden war; daß dies ungewollt geschah, wußte er nicht, noch spielte es für ihn eine Rolle. »Dieser Lump bringt hier die ganze Welt durcheinander, |Nind jetzt spaziert er Seite an Seite mit dem Commander durch das Höhlensystem, als sei überhaupt nichts geschehen!« * Raoul Pelletier, der seinem Kollegen längst nichts mehr übelnahm, winkte ab. »Der Commander wird schon wissen, was er tut, aber ob ich ihn im Herbst noch einmal wähle, steht auf einem anderen Blatt...« Andere beachteten Jim Smith überhaupt nicht. Die wenigsten hatten ihn jemals gesehen. Durch Juanitas Parafähigkeit hatten er und das Mädchen sich der Wahrnehmung durch die Menschen weitgehend entzogen. Erst durch den Einsatz von Überwachungskameras waren sie entdeckt worden. Dhark und Gisol benutzten eine Antigravplatte, um sich durch den ausgedehnten Höhlenkomplex zu bewegen. Der Pullman, der ein bequemes und komfortables Transportmittel darstellte, funktionierte nur im Industriedom. Wohlweislich verschwieg Gisol, daß er bei seinem ersten Hope-Besuch dieses Gerät so manipuliert hatte, daß es auch in der Ringraumerhöhle einsetzbar war. Um vom Industriedom in die beiden vorgelagerten Höhlen zu gelangen, mußten sie einen unter dem Bodenniveau angelegten Tunnelschacht benutzen. Der war Ren Dhark und seinen Begleitern einst auf der Flucht vor Roccos Spreng- und Mordkommandos beinahe zum Verhängnis geworden, weil sich plötzlich energetische Sperren aufbauten, aber die gab es inzwischen nicht mehr. Mit der AGravplatte erreichten sie die beiden vorgelagerten Höhlen, und Dhark steuerte die Platte bis hinaus ins Freie, wo es einst die tote Stadt gegeben hatte, durch die die vom Diktator Rico Rocco nach Deluge deportierten Menschen erst auf das Höhlensystem aufmerksam geworden waren. Die Grundrisse der zerfallenen Häuser waren stets ein regelmäßiges Siebeneck gewesen. Damit erwiesen sie sich als eine Ansiedlung der Mysterious außerhalb des Höhlenkomplexes, denn die Sieben war für
dieses Volk typisch. Sogar die Supermathematik der Mysterious beruhte darauf, mit ein Grund, weshalb sie für an das Dezimalsystem gewohnte Menschen so unverständlich war. »Welche Bedeutung hat die Zahl Sieben für Sie, Gisol?« wollte Dhark wissen. Der betrachtete die Grundrisse, die übriggeblieben waren, nachdem Roccos Sprengkommandos auch die Ruinenstadt zerstört hatten; terranische Archäologen waren dabei, die Reste wieder auszugraben. »Ich weiß es nicht«, sagte der Worgun. »Falls es einen Mythos gibt, ist er mir nicht bekannt. Ich sagte ja schon, daß sehr viel Wissen verlorenging.« [ Sie kehrten um in die erste Höhle, die durch ein riesiges, unzer-stört gebliebenes Unitalltor von der zweiten, der sogenannten Ma "schinenhöhle, getrennt wurde. In beiden gab es nur Staub. Aber in der zweiten Höhle hatte es anfangs noch Maschinen gegeben, fast so gigantisch wie im Industriedom, doch diese Maschinen waren plötzlich zu Staub zerfallen, während unter der Höhlendecke das Bild einer goldenen Galaxisspirale rotierte. Und diese Spirale war Dhark später noch oft auf anderen Planeten und in anderer Darstellung aufgefallen, sie war eine Art Standardemblem der Mysterious. »Das ist richtig, Commander«, sagte Gisol, »aber Ihnen ist sicher nie aufgefallen, daß diese Spirale nicht Ihre Milchstraße abbildet, sondern Orn.« Dhark pfiff durch die Zähne. »Allerdings nicht«, gestand er verlüfft. »Daraufhat wohl niemand geachtet.« Gisol stiefelte durch den Staub der Maschinenhöhle und nahm einige Proben. Zusammen mit Dhark kehrte er dann zur Ringraumerhöhle zurück, um in den Labors der EPOY diesen Staub zu untersuchen. »Was sich an Maschinen in jener Höhle befunden hat, kann ich nicht herausfinden«, gestand er einen Tag später. »Der Staub besteht aus einer Mischung aus Unitall und anderen Metallarten, die von uns verwendet wurden. Somit bleibt es auch ein Rätsel, weshalb diese Geräte so zerfallen konnten. Wir kannten eine Waffe, die Perr genannt wurde und Unitall zu Staub verwandelte, aber anderes Material nicht angriff, doch diese Waffe sowie Unterlagen darüber gibt es nicht mehr, und der Duststrahl zerpulvert jedes andere anorganische Material, aber dann hätte auch Ihre Kleidung
Kunstlicht erhellt gewesen, wechselte das Licht jetzt in schnellem
Rhythmus über Gelb zum Grün, zurück zum Blau, wieder über Gelb
zum Grün... und als Dhark instinktiv den Blick nach oben richtete, sah
er unter der Decke der Ringraumerhöhle die große, goldene
Galaxisspirale, die langsam rotierte...
Die Farbe Grün bedeutete bei den Mysterious dasselbe wie Rot bei
den Menschen: Alarm!
»Was ist passiert, Smith?« zischte Dhark dem Worgun zu.
Der trat einen Schritt von den Geräten zurück, an denen er bisher
gearbeitet hatte, und streckte Dhark die offenen Handflächen ent
gegen.
»Ich muß eine Sicherungsschaltung übersehen haben«, sagte er.
»Keine Sorge. Das kriege ich wieder hin.«
»Sicherungsschaltung?« erwiderte Dhark. »Schauen Sie sich das da
an.« Er deutete auf die rotierende Galaxisspirale. »Das ist mehr als
eine Sicherung. Smith, diese Spirale kreiste über uns, als damals in der
Maschinenhöhle alles zu Staub wurde...«
»Was aber nicht bedeutet, daß genau das hier erneut geschehen wird!«
protestierte Gisol. »Lassen Sie mich machen, ich arbeite dran...«
Dhark ließ ihn machen.
Aber es gab einige, die ihn nicht machen lassen wollten.
Roboter!
Von einem Moment zum anderen waren sie da und griffen an!
Kugelroboter! Zu Dutzenden jagten sie aus einem Maschinenblock
hervor, der in all den Jahren sein Geheimnis noch nicht preisgegeben
hatte. Plötzlich entstand eine große Öffnung an der Frontseite; eine
vorher fugenlos dichte und daher nicht erkennbare Luke schwang
nach innen zurück, und der Maschinenblock spie die
Robotkonstruktionen aus, die sich auf A-Gravfeldern blitzschnell
bewegten und in ihren ausgefahrenen Armen Waffen hiel
;n, mit denen sie unverzüglich das Feuer eröffneten.
Gisol und Dhark reagierten blitzschnell. Beide ließen sich fallen, als
neben ihnen Wissenschaftler und Hilfskräfte im Strahlbeschuß zu
Boden gingen. Dhark riß seinen Biaster aus dem Lederfutteral am
Gürtel und schoß. Ein blaßroter Nadelstrahl fauchte aus der Mündung
der Waffe, die der Commander im Zentrum des getarnten Planeten
Zwitt in der Kabine des Mysterious Ma-Soor gefunden hatte, des
letzten Kommandanten der Stemenbrücke.
In einem grellen Aufblitzen wurde der getroffene Kugelroboter in Energie umgewandelt. Die anderen Maschinen waren davon nicht zu beeindrucken. »Deckung suchen!« schrie Dhark den anderen zu. Plötzlich tauchten Sicherheitskräfte auf. Guliver Bligh mußte sehr schnell reagiert haben. Männer mit schweren Biastern feuerten auf die Kugelroboter, die bei jedem Treffer auseinanderflogen und glühende Sprengstücke durch die Luft jagen ließen. Eines verfehlte Ren Dhark nur knapp. Auch Gisol, der vorher unbewaffnet gewirkt hatte, hielt jetzt einen Biaster in der Hand, wie ihn Dhark noch nie gesehen hatte. Auch er schoß auf die Kugelroboter, ohne die schier endlose Flut aufhalten zu können, die nach wie vor aus der Öffnung im Maschinenblock hervorströmte. In der Schleuse der EPOY tauchte Amy Stewart auf, in jeder Hand eine Strahlwaffe. Sie war dermaßen schnell, daß ihre Bewegungen kaum zu erkennen waren. Sie hatte auf ihr Zweites System geschaltet und kämpfte als Cyborg gegen die Robotkugeln an. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich die Ringrau merhöhle in eine Hölle. Die Strahlschüsse und die Explosionen setzten ungeheure Hitze frei. Neben Dhark ging einer der Sicherheitsleute zu Boden. Verblüfft sah der Commander, daß der Mann nicht verletzt war. Die Robs setzten Paralysewaffen ein? Sie töteten die Menschen nicht? Immer noch signalisierte die Höhlenbeleuchtung Alarm. Jetzt kamen auch terranische Alarmsignale hinzu. Und trotz der ent schlossenen Abwehr der Terraner wurden es immer mehr Kugel roboter, die aber nicht nur in der Ringraumerhöhle auf alles schössen, was sich bewegte, sondern auch in den Industriedom vordrangen. Dhark sah, wie sich einige von ihnen an den paralysierten Terra-nem zu schaffen machten. Je zwei Kugelrobots hoben einen Menschen an und versuchten mit ihm die Ringraumerhöhle zu verlassen. Stewart raste zwischen den Landestützen des Raumers hin und her, nahm hier und da Deckung hinter Geräten und feuerte immer wieder auf die Roboter, aber die ließen sich immer weniger leicht abschießen, weil sie zwar erstklassige Ziele boten, aber sich zu nahe an den Menschen bewegten, die mit schweren Verletzungen rechnen mußten, wenn in ihrer unmittelbaren Nähe ein Rob abgeschossen wurde.
Gisol zerrte Dhark hinter die abgenommene Verkleidung des Mentcap-Archivs. In den letzten Minuten hatte er sich nicht mehr an dem Feuergefecht beteiligt, sondern sich wieder um die Schaltungen gekümmert. »Meine Schuld, Dhark«, sagte er und wies auf die Galaxisspirale, die nach wie vor unter der Höhlendecke langsam rotierte. »Ich habe mit meinem Schaltfehler eine Selbstvemichtungsauto-matik ausgelöst.« »Na klasse!« fuhr der Commander ihn an. »Das hätten wir auch ohne Sie hinbekommen, Mister Mysterious! Können Sie sie deaktivieren?« »Ich arbeite ja schon dran, brauche aber noch Zeit. Wenn diese verdammten Defensiven nicht...« »Wieviel Zeit?« drängte Dhark, ohne nach dem von Gisol genannten Begriff zu fragen. »Ich weiß es nicht, wie ich auch nicht weiß, wann die Selbst vernichtung eintritt! Sie müssen damit rechnen, daß dann hier nicht nur alles in Staub zerfällt, sondern möglicherweise der ganze Kontinent abgesprengt und in den Weltraum geblasen wird!« Prachtvolle Aussichten, dachte Dhark. Das war nicht die Art, ien Weltraum zu erreichen, wie er sie sich vorstellte. Was annähernd acht Jahre lang keiner der manchmal leichtsinnig agierenden Forscher und »Knopfdruck-Hausierer« fertiggebracht hatte, schaffte einer aus dem Volk der Erbauer mit einer Handbe ||iivegung: den Höhlenkomplex von Deluge zu zerstören! Nicht einmal den Schergen Roccos, die schwerste Waffen zum Einsatz gebracht hatten, als sie Dhark und seine Freunde in den Höhlen tagten, war das gelungen. ( »Wir müssen mit der EPOY verschwinden!« rief Amy Stewart den anderen zu. Sie achtete nicht mehr darauf, Deckung zu finden. Auch sie hatte erkannt, daß die Roboter mit Paralysewaffen schössen, und solange sie auf ihr Zweites System geschaltet hatte, war sie gegen diese Strahlen immun wie jeder Cyborg. Ihr Programmgehirn riet ihr, diese Tatsache zu nutzen und so viele betäubte Menschen wie möglich zu bergen und in die EPOY zu bringen, ehe pie von den Robotern fortgeschleppt werden konnten. Sie schoß nicht mehr auf die Robots, weil das ohnehin sinnlos geworden war, sondern versuchte, im Blitzgewitter der Lähmstrah llen den Kugeln Menschen zu entreißen. »Wir verschwinden nicht!« rief Dhark zurück. »Wir können die Menschen im Industriedom nicht im Stich lassen!«
»Das ist Wahnsinn«, entfuhr es Gisol. »Ich versuche diese Selbstvemichtung abzuschalten, aber wenn mir das nicht gelingt, bleibt uns tatsächlich nur noch die Chance, mit der EPOY zu ver schwinden!« »Es ist nicht Wahnsinn, sondern humanitäre Notwendigkeit aber davon versteht ihr Worgun wohl nicht sonderlich viel«, blaffte Dhark ihn an. »Gisol, Ihre Vorfahren haben darauf verzichtet, Menschen und andere Intelligenzen aus der Milchstraße zu evakuieren, aber ich werde nicht darauf verzichten, diese Menschen hier möglichst zu retten!« Er sprang auf. »Warten Sie«, rief Gisol ihm nach. »Sie...« Da mußte er doch noch mal seinen Biaster benutzen, weil gleich drei Roboter sich auf Ren Dhark einschossen, der in weiten Sprüngen durch die Halle davonhetzte. Einen zerstrahlte er, die beiden anderen wurden von Amy Stewart erledigt. Der Druck der Explosionen traf Dhark und schleuderte ihn meterweit durch die Luft vorwärts und aus dem Schußbereich eines vierten Robots, auf den keiner von ihnen geachtet hatte. Im nächsten Moment schaltete Stewart auch diese Maschine aus. Sie hetzte hinter Ren Dhark her und holte ihn in Sekundenschnelle ein. »Bleiben Sie hier! Sie können sich nicht zur Zielscheibe machen!« Dabei riß sie ihn in Deckung. Weitere Paralyseschüsse verfehlten sie beide nur knapp. »Ich muß wissen, was im Industriedom los ist!« In den strömte die Flut der Roboter. Es war fast kein Durchkommen, denn auch hier schössen die Robots auf alles, was sich bewegte. Dhark sah, wie sie auch im Industriedom paralysierte Menschen einsammelten, um mit ihnen zu verschwinden. Wohin? Das mußte er in Erfahrung bringen! Gisol wußte, daß Ren Dhark keine Chance hatte. Selbst wenn der Cyborg ihn schützte, würde er nicht weit kommen. Es war sinnlos. Ebenso sinnlos schien es dem Worgun, gegen die Selbstvemich tungsschaltung zu arbeiten. Er fand den Fehler nicht, den er gemacht hatte, und somit auch keine Möglichkeit, ihn rückgängig zu machen. Ein direktes Abschalten war unmöglich. Zumindest nach Gisols Kenntnisstand. Aber was wußte er schon von den Raffinessen, die Margun und Sola in ihre Entwicklungen hatten
einfließen lassen? In der Ringraumerhöhle gab es keine Menschen mehr, die sich im Wachzustand befanden. Da riskierte Gisol es, seine wahre Geistalt anzunehmen. Er floß förmlich aus der terranischen Kleidung heraus und zeigte sich dann als Worgun. »Ich bin Gisol«, rief er den Robotern in seiner Sprache zu. »Ich bin ein Erbauer. Ihr gehorcht mir.« / Und von einem Moment zum anderen war alles anders. Sie erkannten ihn an seiner Gestalt. Sie gehorchten ihm! »Stoppt die Angriffe auf die... die Salter«, stieß er hervor, weil ihm kein anderer Begriff einfiel, mit dem die Defensiven etwas anfangen konnten. Die Salter, jenes Hilfsvolk, das die Worgun einst auf dem längst vergessenen Kontinenten Lemuria auf Terra herangezogen hatten, mußten den Robotern bekannt sein, und da die Menschen hier von Terra stammten, war auch das optische Erscheinungsbild gleich. Vielleicht, schoß es durch Gisols Bewußtsein, wurde den Terranern nur deshalb so viel Bewegungsfreiheit in diesen und anderen Anlagen gewährt, weil die Automatiken sie mit Saltern verwechselten. »Es sind keine Angriffe, Thendar Gisol«, widersprach eine der Maschinen, die nach dem Zufallsprinzip als Kommunikationspartner geschaltet wurde. »Es ist Schutz. Wir folgen dem Programm, das die Thendaren Margun und Sola in uns initiierten. Im Falle einer Selbstzerstörung des Komplexes sind so viele Individuen wie möglich per Transmitter zu retten. Im Falle einer irrationalen Gegenwehr ist angemessene Gewaltanwendung erlaubt. Thendar, du solltest uns nicht an der Erfüllung unserer Aufgabe hindern. Uns bleibt wenig Zeit. In...«, es folgte eine Angabe, die etwa acht Minuten terranischer Zeit entsprach, »... tritt die Selbstzerstörung in Kraft. Wir müssen unserem Programm gehorchen. Du kannst es nicht außer Kraft setzen, Thendar. Dein Befehl kollidiert mit dem Programm.« Gisol war mehr als überrascht. Der Angriff durch die Defensiven als Rettungsmaßnahme? »Dennoch werdet ihr keine Salter mehr angreifen«, ordnete Gisol an. »Redet zu ihnen in ihrer Sprache. Sie werden den Transmit-ter freiwillig benutzen.« »Welchen Transmitter?« fragte Ren Dhark.
Er war in die Ringraumerhöhle zurückgekehrt. Amy Stewart hatte ihn
geschützt, soweit es ihr möglich war. Sie hatte einige Dutzend Robs
abgeschossen. Die Explosionen hatten die Ortungssysteme der Robs
wohl so gestört, daß sie dann jeweils den Terra-ner nicht exakt
erfassen konnten.
Und plötzlich war eine Pause eingetreten. Keine der Maschinen schoß
mehr!
Dhark ging davon aus, daß Gisol dafür verantwortlich war, und mit
ihm wollte er reden, bevor er weitere Schritte unternahm.
»Dieser ist ebenfalls ein Thendar«, hörte er Gisol sagen, der auf Dhark
zeigte. Der Commander begriff. Thendar war eine Ehrenbezeichnung,
sie ließ sich am ehesten mit »Erhabener« übersetzen.
»Welchen Transmitter?« wiederholte er seine Frage, diesmal in der
Sprache der Mysterious, die er als einziger Mensch perfekt be
herrschte. Teilweise durch die Mentcaps und seine anschließende
intensive Geistesarbeit, sich diese Sprache zu verinnerlichen, teilweise
aber auch dadurch, daß er in der Station im Zentrum von Zwitt
vorübergehend zum Checkmaster der Station gemacht worden war,
um unter diesem Zwang die Invasionsflotte der Tel unter ihrem
Kommandanten Girr-0 per Hy-Kon zu vernichten.
»Der Transmitter verbringt die zu Rettenden auf den Kontinent...« es
folgte eine blumige Bezeichnung, die unübersetzbar war.
»Die zu Rettenden?«
»Noch fünf Minuten, Dhark«, sagte Gisol. »Bis dahin muß es
|eschafft sein - und der letzte Salter das Höhlensystem verlassen
haben, von uns mit der EPOY mal ganz abgesehen! Denn dann zündet
die Selbstvemichtungseinrichtung.«
»Salter«, murmelte Ren Dhark, begriff aber, weshalb Gisol diese
Bezeichnung gewählt hatte.
»Gisol, Sie müssen es schaffen, diese Automatik abzuschalten!«,
drängte er. »Es sieht so aus, als gäbe es keinen einzigen Ter... Salter
mehr, der auf eigenen Beinen steht. Wir können sie nicht alle retten.«
»Die Defensiven können es«, widersprach der Mysterious. »Geht und
handelt, wie euer Programm es befiehlt!«
In die Robots kam wieder Bewegung.
»Defensive?« echote Dhark.
»So haben wir diese Maschinen genannt, die für Verteidigungsund
Rettungsaktionen konzipiert wurden«, erklärte Gisol knapp. »Bei
diesen Aktionen ist auch begrenzte Gewalt erlaubt.«
»Für so was haben wir hier Zylinderroboter kennengelernt, die fünf Arme besitzen«, erinnerte sich der Commander. »Kann sein, daß die hier auch eingesetzt wurden, weil sie billiger herzustellen sind«, brummte Gisol und beugte einen Teil seines amöbenähnlichen Körpers wieder über die Schaltungen. »Noch drei Minuten, und ich glaube nicht, daß ich es schaffe.« »Sie müssen es schaffen, Gisol. Welche Schaltungen haben Sie hier vorgenommen? Erzählen Sie es mir, schnell.« »Welchen Sinn...« »Machen Sie!« fuhr Dhark ihn an. Ihm kam ein Verdacht. Er hatte einmal miterlebt, wie Arc Doorn eine ähnlich verhängnisvolle Fehlschaltung ausgelöst hatte, auf einem anderen Planeten, aber Doorn hatte dann auch rechtzeitig die Lösung gefunden. Gisol begann zu erklären. Langatmig und ausführlich, wie es seine Art war. Unterdessen verstrich wertvolle Zeit ungenutzt. Stewart war bereit, die beiden so unterschiedlichen Wesen im Blitztempo in die EPOY zu schaffen, aber ob Gisol es dann noch rechtzeitig schaffte, das Intervallfeld einzuschalten und den Ringraumer dadurch zu schützen, blieb eine offene Frage. »Das Wesentliche, Gisol!« drängte Dhark. Noch eine Minute... »Wir müssen weg!« warnte die Cyborg. »Kommen Sie. Schnell!« Dhark hob abwehrend die Hand. »Nicht jetzt! Gisol, schalten Sie Fin g3 auf Terz 7. Das müßte klappen!« »Aber dann muß ich erst den Garan-Trill neutralisieren...« »Tun Sie's, Mann!« brüllte der Commander. »Sofort!« Da flogen Gisols Hände über Sensortasten. »Garan-Trill neutralisiert - ihr Sternengötter! Jetzt wird nicht nur Deluge in den Weltraum geblasen, sondern der ganze Planet gesprengt...« Wie W-4 im Ika-S- 3'-System, durchzuckte es Dhark, als die Pla netenbombe gezündet wurde! Und an Gisols Tentakeln vorbei griff er zu, um Fin-g3 auf Terz 7 zu schalten. Aber da erwachte der Worgun aus seiner panischen Starre. »Stop, Dhark! Das geht jetzt so nicht...« Er nahm eine andere Schaltung vor. Terz 7 war danach nicht mehr ansprechbar. Dhark stöhnte auf. »Noch zwanzig Sekunden«, warnte Stewart und wollte Dhark und den 100 Kilo-Klumpen Gisol packen, um beide ins Raumschiff zu tragen. Noch länger zu warten konnte sie nicht riskieren. Lieber hätte sie nur Dhark mitgenommen, aber allein der Myste
rious war in der Lage, die auf ihn abgestimmte Gedankensteuerung zu benutzen. Gisol holte mit einem Tentakel aus und stieß Stewart zurück, die trotz ihrer verstärkten Cyborg-Kraft diesem Stoß nichts entgegenzusetzen hatte. Mit zwei weiteren Pseudopodien manipulierte der Worgun die Schalteinheit. Dann sprang er zurück und schrie auf. »Geschafft!« Dreizehn Sekunden vor Ablauf der Frist war es Gisol gelungen, das Selbstvernichtungsprogramm zu deaktivieren. Von einem Moment zum anderen erfüllte wieder das kalte Blaulicht die Höhlen, und die rotierende Galaxisspirale an der Decke war nicht mehr zu sehen. »Ihr Hinweis auf Fin-g3 war richtig, Dhark«, erklärte Gisol, Bonur Terz 7 konnte hier nicht funktionieren. Woher hatten Sie das Wissen?« Ren sagte es ihm. »Sie sind wirklich ein Wahnsinniger«, seufzte Gisol, der wieder menschliche Gestalt annahm und in aller Gemütsruhe seine Kleidung anlegte, während Amy Stewart seine Anatomie recht interessiert betrachtete. »Sie hätten es damit fast noch schlimmer gemacht als ich, weil die 7-Sequenzen situativ variabel sind. Farr 7 war in diesem Fall richtig. Ihren Arc Doorn würde ich übrigens sehr gern kennenlernen.« »Kein Problem bei unserem Flug nach Orn«, sagte Dhark und fügte in Gedanken hinzu: Wenn er denn stattfindet. Trawisheims Warnungen hatte er nicht vergessen. Aber zunächst gab es Wichtigeres. Die Kugelroboter hatten ihnen den Transmitter zu zeigen, über den sie paralysierte »Salter« -Menschen in Sicherheit brachten. »Margun und Sola müssen ganz besondere Philanthropen gewesen sein, weil sie im Gegensatz zum Denken Ihres Volkes mit dieser Programmierung auch andersartige Wesen vor der Zerstörung zu retten versuchten«, bemerkte Dhark trocken. Gisol zuckte mit den Schultern, eine von vielen Gesten, die er sich von den Terranern abgeschaut hatte. Absolute Notwendigkeit, weil er unerkannt zwischen ihnen leben mußte, als er auf Datensuche war. Wenig später standen sie vor einem Transmitter, der bislang un bekannt war. Auch Gisol kannte ihn nicht, obgleich er bei seinem ersten Aufenthalt als Datendieb im Höhlensystem Apparate benutzt hatte, die die Terraner auch jetzt noch nicht kannten. Hunderte von Kugelrobotern schwebten in der Nähe dieses Transmitters, der sich weitab von der Großtransmitteranlage im
Zentrum des Industriedoms befand. Sie alle hielten paralysierte Terraner bereit, um sie durch den Transmitterring an ein unbekanntes Ziel zu schicken. Dhark riskierte es, den Transmitter zu benutzen. Von einem Moment zum anderen befand er sich auf Kontinent Vier! Piranha-Gebrüll ließ ihn zusammenzucken, und gerade noch rechtzeitig konnte er den Bolas ausweichen, die das Biest auf ihn abgeschossen hatte, dessen Spezies ihren Namen den riesigen Ge bissen verdankte, welche sie aufzuweisen hatte. Dabei handelte es sich nicht um Fische, sondern um säugende Landbewohner, die aber um vieles gefährlicher waren als die irdischen Piranhas. Dhark schoß mit seinem M-Blaster auf den Piranha, sah ihn auflodern und zu Asche zerfallen, um im nächsten Moment von zwei weiteren dieser Biester angegriffen zu werden. Eine Bola erwischte ihn und riß ihn zu Boden. Irgendwie schaffte er es noch, dennoch den Biaster abzufeuern und mit dem Nadelstrahl einen Pi-ranha zu erwischen. Den zweiten erwischte Amy Stewart, die in diesem Moment aus dem Transmitterring kam und beidhändig aus Biastern schoß. Nicht nur auf den zweiten Piranha, sondern auf Dutzende andere, die sich versammelt hatten, um leichte Beute zu machen. Als der fünfte Piranha tot zusammenbrach, ergriffen die anderen die Flucht. »Danke«, murmelte Dhark und befreite sich von der Bola. »Keine Ursache«, konterte Stewart kühl. »Irgend jemand muß ja den Retter des Universums retten.« Die Distanz zwischen ihnen war unüberhörbar. Eine Distanz, die Ren nicht gefiel, der gern ein entspannteres Verhältnis zu der jungen Frau aufgebaut hätte. Aber es sah so aus, als mache Stewart diesen Einsatz nur mit, weil sie an der M-Technik interessiert war, die sie in der EPOY kennenlernen konnte. Der Commander der Planeten schien für sie nur als Amtsträger zu existieren, nicht als Mensch. »Diese Piranhas sind wohl einfach nicht auszurotten«, brummte E- und steckte seinen Biaster wieder ein. »Erlegt man einen, tauschen drei weitere auf. Die vermehren sich wohl durch Zellteilung. Die reinste Plage...« »Zellteilung als Fortpflanzungsart ist bei höher entwickelten Spezies wie diesen Raubtieren unlogisch«, erklärte Stewart und signalisierte Dhark damit, daß sie immer noch auf ihr Zweites Sy listem geschaltet hatte. !i »Das hier ist Kontinent 4«, erklärte Ren unverdrossen. »Scheinbar
der einzige Ort auf Hope außerhalb von Deluge, wo noch Transmitter funktionieren. Der hier arbeitet wohl nicht auf subatomarer, sondern auf Schwerkraftbasis, sonst wäre er nach dem Galaktischen Blitz ebenfalls ausgefallen wie der Rest der M-Technik, die nicht wie das Höhlensystem von Deluge durch ein Intervallfeld geschützt war. Hier wird übrigens auch...« »Tofirit abgebaut«, vollendete Stewart seinen Satz. »Sorry, Commander, aber ich habe in der Schule aufgepaßt.« Dhark winkte ab. ; Er sah die Menschen, die hier aufgereiht lagen. Säuberlich korrekt in der Seitenlage, so daß sie keine Probleme mit der Atmung bekamen. Die Robs, die nach jedem »Rettungstransport« wieder nach Deluge zurückgekehrt waren, hatten erstklassig gearbeitet, nur mußten sie bei ihrer Rettungsaktion die Piranhas ignoriert haben. Die waren schon über einige der Paralysierten hergefallen und hatten ihnen mehr oder weniger starke Verletzungen zugefügt. l »Die müssen zuerst in die Medo-Station«, erkannte Dhark. »Amy, kehren Sie um und informieren Sie Gisol, damit der Roboter herschickt, die die Verletzten und überhaupt alle zurück nach Deluge holen. Und einen Haufen Roboter, die hier aufpassen, daß die Piranhas nicht zurückkommen!« Sie widersprach. »Ich halte hier die Stellung, weil ich als Cyborg dafür besser geeignet bin, Commander. Gisol sollten deshalb besser Sie selbst unterrichten.« Er beugte sich dem Argument und kehrte nach Deluge zurück. Die »Geretteten« wurden zurückgeholt und medizinisch behandelt. Dabei erwies es sich zunächst als Problem, daß die Robots ganze Arbeit geleistet hatten und außer Dhark, Gisol, Stewart und Juanita alle Terraner paralysiert worden waren, mithin auch das medizinische Personal! Die Ärzte und Helfer mußten zuerst einmal aus ihrer Paralyse geweckt werden. Das übernahm Amy Stewart. Ihr Programmgehirn schöpfte aus dem gespeicherten Wissenspool und verriet ihr, was sie zu tun hatte. Dann endlich konnten die Ärzte sich um die Verletzen kümmern. »Diese Piranhas auf Kontinent 4 entwickeln sich mehr und mehr zu einem Riesenproblem«, behauptete Guliver Bligh nach seinem Erwachen. »Wir werden wohl, um dort sicher arbeiten zu können, einen ziemlich großen Ausrottungsschlag führen müssen. Weiß der Teufel, woher die verdammten Biester immer wieder kommen. Alle
paar Tagen säubern Sonderkommandos die Insel zumindest im
unmittelbaren Bereich des Transmitters und der Abteufstelle von
diesen gefräßigen Ungeheuern, und alle paar Tage sind wieder neue
Piranhas da.«
»Von einem solchen Radikalschlag halte ich nichts«, sagte Dhark.
»Wer weiß, was wir da an Schaden in der Ökologie des In
selkontinents anrichten. Wie wäre es. Energiezäune zu errichten?«
»Womit, Commander?«, knurrte Bligh. »Seit mehreren Jahren stelle
ich Anträge, aber bis heute ist nichts bewilligt worden.«
»Ich werde dafür sorgen, daß die Finanzmittel bewilligt werden«,
versprach Dhark. Auf die paar tausend Dollar kam es beim derzeitigen
Finanzfiasko der Erde sicher auch nicht mehr an.
Glaubte er. Finanzminister Lamont war da ganz anderer Ansicht. ..
Unterdessen befaßte sich Gisol-Smith wieder damit, das Archiv
imzuprogrammieren. Danach gab es die bisher geschützten Infor
mationen über die Anlage auf Deluge preis. Erstaunliche Dinge
kamen dabei ans Tageslicht.
Zum Beispiel, daß in den beiden damals vernichteten Höhlen -der
»Maschinenhöhle« und der »Vorhöhle« - Bandstraßen zum Bau von
Kampfraumem und Waffensystemen existiert hatten. Die waren
allerdings unwiederbringlich verloren. Alles war zu Staub zerfallen,
und wer sollte es jemals wieder neu errichten? Selbst wenn die
Terraner nun erfuhren, was sich in den beiden Höhlen befunden hatte,
fehlten ihnen die Kenntnisse und das Material, diese Maschinen und
Bandstraßen nachzukonstruieren.
Der Industriedom dagegen mit seinen Wolkenkratzer-Maschinen, die
Hunderte von Metern emporragten, konnte Güter des täglichen
Bedarfs produzieren. Speziell Tim Acker hatte einmal miterlebt, was
alles hergestellt und per Großtransmitter in Weltraumtiefen verschickt
worden war. Bis heute wußte niemand, welche Welten die Empfänger
dieser Industriegüter waren. Mochten die Mysterious auch vor tausend
Jahren die Milchstraße verlassen haben, ihre vollautomatisierte
Technik arbeitete weiter bis zum jüngsten Tag - oder hatte bis zum
Galaktischen Blitz weitergear|beitet, wo sie nicht durch Intervallfelder
geschützt war.
Smith besprach sich mit den Hope-Experten. Nach den anfänglichen
Animositäten kam es bald zu einer intensiven Zusammenarbeit. Smith
programmierte die Produktionsgiganten des Industriedoms auf
irdische Bedürfnisse um. Woher er sein Wissen darüber nahm, verriet
er nicht - nach wie vor wußte kein Außenstehender, daß es sich bei ihm um einen Mysterious handelte. Und in den Mi nuten, als er sich den Kugelrobotern in seiner wahren Gestalt gezeigt hatte, war kein uneingeweihter Zuschauer zugegen gewesen. Es gab auch keine Holo-Aufzeichnungen, da durch die Explosionen der Roboter und Fehlschüsse ein großer Teil der Überwachungsanlage der Ringraumerhöhle zerstört worden war. In einem Punkt blieb das Archiv nach wie vor enttäuschend. Es fanden sich in den Mentcaps nur sehr spärliche Informationen über die Forschungsanlage von Margun und Sola. Die letzten Salter hatten seinerzeit erwähnt, daß die Anlage auf Kaso, mithin Hope, nur eingerichtet worden war, um diesen beiden Mysterious ein schier unglaubliches Forschungszentrum zu schaffen, aber jetzt sah es so aus, als wäre dieses Forschungszentrum nur ein kleiner »Nebenbetrieb« der gesamten Anlage von Deluge gewesen. Mehr nicht... Mitte März begannen die Lieferungen von Hope nach Terra. Ein erster Frachtraumer brachte Haushalts-Energieerzeuger. Danach landete jeden zweiten Tag ein Frachter, der neue technische Geräte anlieferte. Was der Handel bestellte, wurde baldmöglichst gefertigt und geliefert. Nur die Frachtkosten fielen an - und so teuer ein Raumflug auch war, bei der Menge des produzierten Materials verloren sich die Kosten in marginalen Bereichen. Hope-Waren konnten sich auch von hohen Steuern gebeutelte Durchschnittsverdiener leisten, und trotzdem kam frisches Geld in die leeren Kassen der Regierung. Die Versorgungslage Terras verbesserte sich dank dieser Lieferungen schlagartig. »Wir können den Notstand aufheben«, drängte Henner Trawis-heim, als er sich mit Dhark, dessen engstem Freund Dan Riker und Gisol im »Los Morenos« traf, einem exklusiven spanischen Restaurant, das längst zu Rens Stammlokal geworden war. »Wir stecken zwar immer noch bis zur Oberkante Unterlippe in der...« Er hüstelte. »In der Tinte«, vervollständigte Dan Riker mit süffisantem Grin sen. Der nominelle Chef der Terranischen Flotte war kein Freund allzu drastischer Ausdrucksweisen. »Wir haben immer noch mehr als zwei Milliarden Arbeitslose«, nahm er
Trawisheim die Redewrweg. »Aber die können wir nun immerhin ausreichend versor-(gen und somit >ruhigstellenmysterioussüchtig< bin, etwas zu blauäugig. Aber ebenso wie von diesem Umstand bin ich auch davon überzeugt, daß wir uns nur vor Ort ein unverfälschtes Bild der Verhältnisse machen können... was meinst du?« Riker mußte sich eingestehen, daß sein Freund doch sehr viel kritischer und besonnener zu Werke ging als befürchtet. »Wann genau hast du vor aufzubrechen - und wer soll uns auf der Expedition begleiten?« fragte er. Während Arc Doorn den Monteuren beim Einbau der neuen Feldgeneratoren zusah, hatte er ein flaues Gefühl in der Magengrube. Das, was die Männer und Frauen vor seinen Augen mit Feuereifer verrichteten, kam ihm fast wie ein Sakrileg vor. Wie eine Entweihung. Immerhin betrafen die Veränderungen, die in Ren Dharks Auftrag vorgenommen wurden, nicht irgendein Schiff, sondern die POINT
OF. Und die POINT OF war, auch wenn Doorn dies nie laut ausgesprochen hätte, sein Schiff - irgendwie jedenfalls. Seit den frühen Tagen ihrer Entdeckung in der Ringraumer-Höhle auf Hope identifizierte er sich mit diesem Fund, der alles verändert und die Menschheit vor der Unterjochung durch fremde Intelligenzen bewahrt hatte. In Doorns Augen war die POINT OF schon von dem Moment an perfekt gewesen, als sie zu ihrem Jungfernflug im Schutz des Doppelintervallums abgehoben hatte - durch das massive Gestein des Gebirges hindurch, in dem sie erbaut worden war. Von Margun und Sola, rief er sich in Erinnerung, den beiden Mysterious-Genies... ... über die bis heute noch kaum etwas bekannt war. Für Doorn war dennoch klar, daß es Außenseiter gewesen sein mußten, geniale »Einzeltäter«, die im Schutz der Höhle auf Deluge ein Unikat geschaffen hatten, das vielleicht einmal der Prototyp für eine ganze Flotte von Spezialringraumern hatte werden sollen Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden