Weihnachten bin ich bei dir
Joan Hohl
Julia Weihnachten 16 – 4
Gescannt von almutK korrigiert von briseis
1. KAPI...
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Weihnachten bin ich bei dir
Joan Hohl
Julia Weihnachten 16 – 4
Gescannt von almutK korrigiert von briseis
1. KAPITEL
Beim Blättern in der Lokalzeitung fiel Mason Conyers die Verkaufsanzeige ins Auge. Er saß in einem kleinen Restaurant in einem fast noch kleineren Nest in New Mexico, an der Grenze zu Colorado. Gerade hatte er ein ausgiebiges Frühstück verputzt, bestehend aus Spiegeleiern, Pommes frites, Würstchen, Toastbrot und schwarzem Kaffee. Die Anzeige sprang ihn förmlich an. Mason - oder Mace, wie ihn Freunde und Feinde gleichermaßen nannten, zog einen Bleistiftstummel aus seiner Hemdtasche und zog einen Kreis um den Text. Wenn das Angebot auch nur halbwegs so gut ist, wie die Anzeige verspricht, könnte es dem nahe kommen, was ich seit Wochen suche, dachte er. Kr rutschte von der plastikbezogenen Sitzbank und reckte und streckte seine verspannten Muskeln. Für jemand mit fast zwei Metern Größe waren diese Bänke und Tische einfach nicht gemacht. Mace blieb am Tisch stehen und leerte seinen Becher, ehe er seine Schaffelljacke überzog. Dann griff er sich Meinen perlgrauen Stetson, drückte ihn lässig auf sein mit grauen Strähnen durchsetztes dunkelbraunes Haar Und schlenderte zur Kasse, um zu bezahlen. Bin Rotschopf hinter dem Tresen, um die dreißig, machte sich gemächlich zur Kasse hinüber. Während Nie sein Geld nahm, beäugte sie interessiert seine drahtige, muskulöse Figur. „Fremd in der Gegend?" erkundigte sie sich mit sichtlicher Hoffnung in den hellblauen Augen. „Ich bin schon ein, zwei Mal hier durchgekommen", erwiderte Mace. Müde Amüsiertheit glomm in seinen dunkelbraunen Augen auf. „Und? Bleiben Sie noch ein Weilchen?" Hoffnung sickerte in ihre Stimme. Mace versagte es sich, zynisch die Mundwinkel zu verziehen, und schüttelte rasch den Kopf. „Diesmal nicht." Er legte kurz den Zeigefinger an den Hutrand und lächelte höflich. „Einen schönen Tag noch, Ma'am." Damit drehte er sich um, schlenderte zur Tür und trat hinaus ins Freie. Tief sog er die frische Septembermorgenluft ein. Verdammt, die Frau muss förmlich in ihrem Parfüm gebadet haben, dachte er. Noch einmal holte er tief Luft, um den billigen Duft loszuwerden. Dann endlich konnte er wieder den sauberen Geruch nach Salbei und taufeuchter Erde riechen. Aber er wusste, diese Frische würde nicht lange anhalten. Es würde ein heißer, trockener Tag werden, so heiß und trocken, wie der ganze endlose Sommer gewesen war. Ausgedörrt und erschöpft lag die Erde da, auch wenn kühle Nächte und Morgenstunden seit einigen Tagen den kommenden Herbst ahnen ließen. Er schüttelte den Rest des Parfümdufts und die Gedanken an die rothaarige Kellnerin ab und marschierte über den kiesbedeckten Parkplatz. Vor seinem mit Staub und Schlammspritzern bedeckten Bronco mit dem Pferdeanhänger daran blieb er stehen. Er hatte ihn im Schatten geparkt. Er klopfte mit der flachen Hand gegen den Anhänger. „Schön die Ruhe bewahren, Pferd. Wir müssen noch ein wenig fahren", murmelte er in beruhigendem Ton. Dann schlüpfte er hinters Steuer, setzte sich seine Pilotensonnenbrille auf die Nase, ließ den Motor an und fuhr hinaus aus dem Schatten in die Hitze der aufsteigenden Sonne New Mexicos. Mace schlug die nördliche Richtung ein. Er hatte ein Ziel. Einen bestimmten Ort, eine bestimmte Person, ein Stück Land, das er sich ansehen wollte. Die Anzeige war recht vage gehalten. Nur wenige Details waren genannt, gerade genug, Appetit zu wecken ... zumindest Mace' Appetit. Aber er hatte einen nagenden Hunger, einen Hunger nach Land, weitem, ausgedehntem Land, den Frieden und die Stille, die es bieten konnte. Fünfzehn Jahre lang hatte er ehrenvoll die Dienstmarke eines US-Marshals getragen. Die Pflicht hatte immer an erster Stelle für ihn gestanden, zum Nachteil seines Privatlebens und
letztlich auch seiner kurzen und krisenreichen Ehe. Und nun war Mace es leid ... leid, Formulare auszufüllen, leid, mürrische Kriminelle zu überführen. Vor etwas über zwei Wochen hatte er schließlich gekündigt. Und doch war er immer noch auf der Jagd. Sein Ziel: ein eigenes Stück Land. Anstatt irgendwelche harten Typen zu fassen, freute er sich darauf, Pferde einzufangen ... seine Pferde. Mace war dabei, sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen. Die Anzeige in der Zeitung, die neben ihm auf dem Sitz lag, war die dritte, die sein Interesse erregt hatte. Er hoffte sehr, dass die angebotene Ranch ihm mehr zusagte als die zwei davor. Von der genannten Stadt in Colorado hatte Mace noch nie etwas gehört. Glücklicherweise wurde ihre Lage in den Great Plains beschrieben, eine Telefonnummer stand dabei und auch ein Name. Emma Hartman. Mace ließ sich den Namen durch den Kopf gehen. Emma. Klang ziemlich altmodisch. Eine Frau in mittleren Jahren erstand vor seinem geistigen Auge. Vielleicht war sie Witwe, rundlich, mit strahlenden Augen und geröteten Wangen vom Rühren des Kuchenteigs. Es war ein beruhigendes Bild, das ihn auf der langen Fahrt in den Norden begleitete. Noch so ein Kerl. Emma verzog das Gesicht. Sie stand auf der Verandatreppe, eine Hand in der Jeanstasche, mit der anderen beschattete sie die Augen. Sie schaute einem verbeulten Laster nach, der auf der privaten Zufahrtsstraße davonrumpelte, Richtung Highway. Als die Fliegengittertür hinter ihr sich öffnete, drehte sie sich nicht um. „War nicht sonderlich viel versprechend, oder?" Emma schüttelte den Kopf und seufzte. „Überhaupt nicht." Sie lächelte kurz über die Schulter ihrer Haushälterin zu, die sie praktisch mit der Ranch geerbt hatte. „Auch wenn man sich das kaum vorstellen kann, aber er war noch schlimmer als die anderen drei der letzten Woche." Die ältere Frau setzte ein grimmiges Gesicht auf, aber dann siegte wieder ihr Optimismus. „Es ist noch früh, Emma. Sie werden sehen, irgendwann kommt jemand vorbei, der das wahre Potenzial der Ranch erkennt." „Oh, Mr. Jenkins hat das wohl erkannt", meinte Emma und grinste kurz. „Leider fehlte ihm das nötige Kleingeld, um sie kaufen zu können." Nancy Powel nickte ernst. „Das hatte ich mir schon gedacht. So wie er aussah, dazu der klapprige alte Wagen ... Natürlich darf man nicht vom Aussehen auf jemanden schließen, aber ..." Sie zuckte mit den Schultern. „Mr. Jenkins sah aus wie ein Mann, der hoffte, am Ende des Regenbogens einen Topf mit Gold zu finden." Sie kehrte ins Haus zurück und schlug hinter sich die Tür zu, als wolle sie ihre Meinung unterstreichen. Emma lachte über Nancys besondere Art, sich auszudrücken. So war es schon gewesen, als Emma vor einer Woche auf der Ranch erschienen war. Ist es wirklich erst vor einer Woche gewesen? wunderte sie sich und schaute hinaus auf das Anwesen, das sie so unerwartet geerbt hatte. Seltsam, aber vom ersten Moment an, als sie mit dem Mietwagen hier angekommen war, hatte sie das verwunderliche Gefühl, zu Haus zu sein, angekommen zu sein. Verwunderlich? Vielleicht eher unheimlich, sinnierte sie, während sie auf die große Scheune schaute. Oder nennt man das Ställe? Emma war sieh nicht sicher, welche Bezeichnung richtig war. Wie auch immer, das Gebäude, genau wie die übrigen, kleineren Nebengebäude und das niedrige, große Ranchhaus, befanden sich in einem exzellenten Zustand. Und es gehörte ihr. Alles - das Haus, die Ställe, die weißen Zäune und Weiden, die große
Garage und andere Nebengebäude, dazu die Unmenge an Land rundherum. Warum diese Vorstellung sie immer noch elektrisierte, begriff sie einfach nicht. Sie hatte sich immer als Großstadtmenschen gesehen, durch und durch. Und was Grundbesitz betraf, ihr gehörte bereits ein schickes, restauriertes Haus in Philadelphia, ihrer Geburtsstadt. Was also machte die Ranch so verlockend? Die unendliche Weite, mit den hoch aufragenden, schneebedeckten Rocky Mountains im Westen? Der strahlend blaue Himmel, der sich am Tag über ihr spannte, und nachts die Myriaden blitzender Sterne auf samt schwarzem Grund? Der kräftige Geruch nach Erde und nach Natur anstelle von Auto- und Industrieabgasen? All das, gestand sich Emma. Aber es war noch mehr, etwas Undefinierbares, das sie nicht benennen konnte. Es musste mit diesem seltsamen Gefühl zusammenhängen, hierher zu gehören. Woher kam diese Ahnung? Sie war nie zuvor an diesem Ort gewesen. Emma runzelte die Stirn. Eigentlich sollte sie sich hier fremd fühlen. Hier, wo es weder Straßen noch Fußwege, noch Stoßverkehr gab. Sicher, die kleine Stadt, ein paar Meilen entfernt, bot belebte Fußwege und Straßen. Aber all dies begann nicht direkt vor ihrer Haustür, die Bordsteinkanten waren nicht mit parkenden Wagen voll gestellt, der Verkehr rauschte nicht den ganzen Tag und beinahe die ganze Nacht an ihrem Haus vorbei. Die fast absolute Stille hier sollte sie eigentlich als merkwürdig empfinden, verwirrend zumindest. Verwirrend war jedoch nur, dass sie nicht so empfand. Natürlich, sie konnte gut eine Abwechslung zum hektischen Großstadtleben gebrauchen, Abstand zu ihrer täglichen Routine. Einen kompletten Tapetenwechsel, vielleicht sogar völlig andere Freunde und Bekannte. Allerdings, ausgebrannt war sie bestimmt nicht, wie einige ihrer Kollegen und Freunde angedeutet hatten. Selbstverständlich nicht, bestätigte sie sich noch einmal und schüttelte den Kopf. Sie liebte das quirlige Großstadtleben, ihre Arbeit, liebte den Job als Topmaklerin in dem Immobilienbüro, in dem sie arbeitete. Liebte es, immer etwas um die Ohren zu haben. Emma kniff zum Schutz vor der tief stehenden Sonne leicht die Augen zusammen. Nun ja, in ihrem Ehrgeiz hatte sie es vielleicht ein wenig zu weit getrieben, war schon manchmal mit den Nerven ziemlich herunter gewesen. Aber doch nicht ausgebrannt! Ich bin einfach nur ein wenig abgespannt, gestand sie sich ein. Ihre Verkaufszahlen im vergangenen Jahr waren astronomisch gewesen, ihre. Provision dementsprechend und das Lob ihrer Vorgesetzten daher ausgesprochen schmeichelhaft. Zudem war es ein drückend heißer Sommer gewesen. Wie hatte sie unter der brennenden Sonne, der brütenden Hitze gelitten ... Aber das war allen so gegangen. Verdammt, sie hatte ein Recht darauf, müde zu sein. Hatte sich eine Erholungspause verdient, um für eine kleine Weile all dies hinter sich zu lassen. Und deswegen hatte sie sich ihren Urlaub von drei Jahren auf einmal genommen, sich entschlossen, nach Colorado zu fliegen und den Verkauf der Ranch selbst in die Hand zu nehmen. Schließlich war sie Grundstücksmaklerin, oder? Zufrieden mit ihren Erklärungen, wandte Emma sich um und rief: „Nancy, ich will mich ein wenig bewegen." Die ältere Frau erschien in der Tür, eine Karotte in der einen, einen zerdrückten Hut in der anderen Hand. „Sie können die Finger nicht von der Mähre lassen, stimmt's?" Sie lächelte dabei. „Dies hier werden Sie gebrauchen." Sie hielt ihr die Karotte entgegen. „Und das hier auch." Den Hut. „Danke", lachte Emma und griff nach beidem. „Vielleicht reite ich sie ein wenig aus." „Das hatte ich mir schon gedacht", meinte Nancy. „Aber verirren Sie sich nicht", fügte sie
warnend hinzu. „Zum Mittag gibt es Schmorbraten." „Ich verirre mich schon nicht ... Und ich liebe Schmorbraten." Emma lachte leise, stülpte sich den zerbeulten Stetson auf den Kopf und schlenderte beschwingt zu den Ställen. Sie waren leer, bis auf die einsame Stute, die nicht mit dem restlichen Tierbestand der Ranch zusammen verkauft worden war. Es war ein Rotfuchs mit schimmerndem Fell, einem schmalen Kopf, schlanken Fesseln und sanftem Wesen. Emma hatte sich auf den ersten Blick in Glory verliebt. Es roch nur noch schwach nach Heu im Stall, die Türen standen weit offen, und Glory begrüßte sie mit einem leisen Wiehern, als sie ins schattige Innere trat. „Na, einsam?" murmelte Emma. Glory, die in der ersten Box stand, schob den Kopf vor, richtete die Ohren auf und sah sie mit großen dunklen Augen an. „Dir fehlen die anderen, nicht wahr?" Glory nickte, als würde sie sie verstehen, und stupste Emmas Schulter sanft an. Emma lachte leise und hielt ihr die Karotte hin. „Ich bin erst eine Woche hier, und doch weißt du schon, dass ich niemals mit leeren Händen herkomme ..." Während die Stute die Karotte genüsslich zermalmte, flüsterte ihr Emma Koseworte zu und streichelte ihren langen, glatten Hals. „Du bist eine Schönheit", murmelte sie. „Wie gern hätte ich deine Haarfarbe, aber ich komme nur annähernd heran, wenn die Sonne Glanzlichter in meine schwarze Mähne zaubert." Glory sah sie mit schräg geneigtem Kopf an, als würde sie sich Emmas Haare anschauen wollen. Emma lachte. „Du bist nicht nur schön, sondern auch noch schlau. Ich wünschte, ich könnte dich mit nach Haus nehmen." Sie seufzte. „Aber bei meinem Terminkalender würde ich dich kaum zu sehen bekommen. Außerdem kostet es ein halbes Vermögen, dich irgendwo unterzubringen. So ..." Sie musste plötzlich schlucken. „Leider werde ich dich ebenso wie die Ranch verkaufen müssen." Glory wieherte leise und schüttelte den Kopf, so als ob sie verstanden hätte und Einspruch einlegen wollte. „Mach dir keine Sorgen, Sweetheart, ich werde mir ganz viel Mühe bei der Suche nach dem neuen Besitzer geben", versicherte sie dem Tier. „Ich werde dich nicht an irgendeinen hergelaufenen Kerl verkaufen." Sie tätschelte ihr den Nacken. „Nicht an solch einen Kerl wie vorhin, der nach einem Topf Gold am Ende meines Regenbogens suchte." Nun schnaubte Glory, nickte wieder mit dem schmalen Kopf und begann zu tänzeln. „Na, bereit zu einem kleinen Ausritt?" Wieder nickte der schmale Kopf. „Ich auch." Emma drehte sich um und ging Richtung Sattelkammer. „Hab einen Moment Geduld, ich muss nur schnell Sattel und Zügel holen. Dann reiten wir los." Sie musste lachen. Wenn ihre Freunde und Kollegen sie jetzt sehen könnten, wie sie sich mit einem Pferd unterhielt! Sehr wahrscheinlich würden sie denken, sie hätte ... eine leichte Macke! Es war schon eine ganze Weile her gewesen, dass Emma Zeit für die Leidenschaft ihrer Kindheit, das Reiten, gehabt hatte. Nach ihrer Ankunft auf der Ranch war sie noch unsicher und zögernd gewesen. Doch nach einer Woche und täglichen Ausritten hatte sie wieder Vertrauen gewonnen, sowohl ins Reiten als auch in die Stute. Wenig später saß sie im Sattel und schlug einen schnellen, kurzen Galopp an. Dann ließ die das Tier im Schritt gehen. Sie unterhielt sich mit der Stute, als wäre es ein Mensch, und wurde mit leisem Schnauben und Kopfnicken belohnt. Sie ritten ohne richtiges Ziel dahin. Aber nicht weit hinaus, denn sie kannte die Gegend hier ringsherum nicht und behielt deswegen wohlweislich das Haus stets im Blick. Die Landschaft faszinierte sie. Sie war so ganz anders als die, die sie gewohnt war.
Sie kannte nur hohe Gebäude, die in den Himmel ragten, und Beton und Asphalt unter den Füßen. Die Schönheit der Natur um sie herum begeisterte sie - besonders der grandiose Anblick der gewaltigen Rocky Mountains mit ihren gezackten, schneebedeckten Gipfeln. Auch wenn es nach dem Kalender noch nicht Herbst war, so war die frische Brise doch ein Vorbote kühleren Wetters und zeigte das Ende des Sommers an. Das trockene, verbrannte Gras, die Bäume und andere Pflanzen zeigten die ersten Anzeichen von herbstlicher Verfärbung. Nancy hatte gesagt, nicht mehr lange und die Zitterpappeln würden wie mit schimmerndem Gold bedeckt dastehen. Spontan wünschte sich Emma, dann noch immer hier zu sein, um es sehen zu können. Es war schon seltsam ... früher hatte sie sich nicht einmal zu der recht kurzen Fahrt in die Pocono Mountains von Pennsylvania aufraffen können, deren goldene und rote Pracht jeden Herbst Tausende von Touristen in ihren Bann zog. Sie seufzte. Ein solches Gefühl der Zufriedenheit hatte sie seit Jahren nicht mehr empfunden. Emma brachte Glory zum Stehen. Sie richtete sich in den Steigbügeln auf und überzeugte sich mit einem schnellen Blick, dass sie immer noch in Sichtweite des Ranch hauses war. Doch dann stöhnte sie auf, als sie die Staubwolke sah, die sich langsam auf das Haus zu bewegte. „Verdammt, sieht so aus, als bekämen wir Besuch", murmelte sie und zog unwillkürlich die Zügel an, als sie sich wieder in den Sattel sinken ließ. „Ich hoffe nicht, es ist wieder dieser Jenkins, um mir zu erzählen, er habe seine Meinung geändert und wolle mir nun meinen Preis bezahlen." Ein Schauer überlief sie ungewollt bei der Erinnerung an den mürrischen alten Mann, seinen gierigen Blick, als er Glory anstarrte. „Das Pferd ist doch im Preis mit drin, oder?" hatte er langsam mit schlauem Grinsen gesagt. Emma änderte schlagartig ihre Meinung. „Äh ... nein. Sie ist nicht mit dabei." Er lachte hässlich. „Sie sind ein verdammter Dummkopf." Das war sein erster Fehler gewesen. Emma hatte es nicht gern, wenn jemand sie Dummkopf nannte, besonders nicht die heruntergekommene Karikatur eines Mannes. „Mag sein", erwiderte sie gepresst. „Dennoch bleibt es dabei." Seine Stimme bekam einen missmutigen Unterton. „Sie verlangen diesen horrenden Preis für die Ranch, und dann soll noch nicht einmal das Pferd dabei sein?" Er schnaubte höhnisch und zeigte hässliche gelbe Zähne mit breiten Lücken dazwischen. „Das Geld bekommen Sie nie, Mädchen!" Das war sein zweiter Fehler. Emma mochte es absolut nicht, wenn man sie herablassend behandelte. So benutzte sie einen Trick, den sie von ihrem oft arroganten Chef gelernt hatte. Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wir werden ja sehen." „Darauf können Sie wetten, Püppchen." Er lachte höhnisch. „Ein paar Monate, und Ihnen wird das Geld ausgehen. Dann werden Sie nur allzu gern bereit sein, die Ranch und die Mähre an mich zu verkaufen. Und zwar zu meinem Preis, der um einiges niedriger sein wird, das kann ich Ihnen versichern." Nun reichte es Emma. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe von etwas über einem Meter sechzig auf und starrte ihm böse in die unsteten Augen. „Träumen Sie weiter, Sir", sagte sie betont mit der kalten Stimme, die sie für Männer mit schwitzigen Händen und gierigen Augen in petto hatte, wenn sie glaubten, bei ihr landen zu können. „Dort steht Ihre Klapperkiste, und dort ist die Straße!" Sie deutete kurz hinüber. „Ich schlage vor, Sie benutzen beides - und zwar auf der Stelle!" Er hatte sie wütend angestarrt und irgendetwas Undeutliches vor sich hin gemurmelt. Dann war er davongeschlurft, eingestiegen und weggefahren. Emma hatte gedacht, das wär's gewesen. Bestürzung packte sie, als die riesige Staubwolke sich dem Haus näherte. Sie packte die
Zügel fester. Wenn dieser Kerl die Frechheit besaß zurückzukommen, würde sie ... Das Pferd reagierte auf ihre innere Anspannung nervös und begann zu tänzeln. Die unvermutete Bewegung brachte Emma wieder zu Verstand. „Ruhig, ruhig", sprach sie auf das Pferd ein und ließ die Zügel wieder locker, entspannte ihren Schenkel. Glory stand still, drehte aber den Kopf und fixierte Emma mit einem großen, schreckhaft geweiteten Auge. Emma hatte auf einmal das Gefühl, als würde das Tier ihre Gedanken und Befürchtungen wegen Mr. Jenkins erkennen und teilen. „Schon gut." Sie beugte sich vor und strich der Stute über den zitternden Nacken. „Ich werde dich nicht an ihn verkaufen. Das verspreche ich dir." Wieder schien Glory zu verstehen und beruhigte sich auf der Stelle. Natürlich wusste Emma vom Kopf her, dass das Tier nur auf ihre Entspannung und ihre sanfte Stimme reagierte, und doch war sie sicher, dass sie beide etwas ganz Besonderes miteinander verband. Was bei Menschen und Tieren gar nicht so selten vorkam, wie sie sich erinnerte. Noch einmal tätschelte sie den schlanken Hals, dann richtete sie sich im Sattel auf und ruckte kurz am Zügel, damit Glory sich in Bewegung setzte. „Wir sollten wohl besser nachsehen, was los ist", sagte sie und lenkte die Stute Richtung Ranchhaus. „Und wenn der Besucher sich als Mr. Jenkins entpuppt - schicken wir den alten Knacker postwendend zurück!" Wie sich herausstellte, war es nicht Mr. Jenkins - und eindeutig kein alter Knacker.
2. KAPITEL
Die Frau sah absolut nicht so aus, wie er sie sich vorgestellt hatte. Aber sie war auch gar nicht Emma Hartman. Nachdem sie ihm auf seine Frage mitgeteilt hatte, dass Miss Hartman in Kürze zurückerwartet werde, hatte sie sich selbst als Nancy Powel vorgestellt, die Haushälterin. Dann hatte sie ihn gebeten zu warten. Mace wartete gern. Er trank einen Schluck von dem starken, heißen Kaffee, den Nancy Powel ihm angeboten hatte, zusammen mit der Einladung, es sich an dem langen Holztisch in der Küche gemütlich zu machen. Mace musterte die Frau über den Rand seines Steingutbechers hinweg. Sie war mittleren Alters, groß und fast hager, mit klarem, ruhigem Blick. Ihr stahlgraues Haar trug sie im Nacken zu einem festen Knoten gebunden. Ihre stahlgrauen Augen schauten hinter einer Stahlrandbrille in die Welt. Und Mace würde darauf wetten, dass sie auch einen Willen aus Stahl besaß. „Kommen Sie hier aus der Gegend?" Mace trank noch einen Schluck, ehe er antwortete. „Nein, Ma'am." Er schüttelte den Kopf, und sein widerspenstiges Haar flog ihm um den Kopf. „Ursprünglich aus Texas. Die letzten fünfzehn Jahre habe ich in New Mexico gelebt." „Das hatte ich mir gedacht." Mace verzog eine Augenbraue. „Was gedacht?" „Dass Sie Texaner sind." Sie grinste, und ihr Gesicht veränderte sich erstaunlich. „Sie sehen aus, wie man sich einen Texaner vorstellt: groß, schlank und knallhart. Der personifizierte Mythos!" Er musste lachen, verschluckte sich und hätte fast den Kaffee auf den makellos sauberen Tisch geprustet. „Mythos, soso ..." Er wischte sich mit der rauen Hand über die tränenden Augen. „Das ist Blödsinn, wissen Sie das?" „Sicher." Ihre stahlgrauen Augen blitzten vergnügt. „Aber die Greenhorns glauben so etwas!" . Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. „War dies die Ranch eines Dandyranchers?" „Klar war es das." Nancy lachte leise auf. „Zumindest für kurze Zeit. Vor ungefähr zehn Jahren hatte der vorherige Besitzer, Gott sei seiner Seele gnädig, den Einfall, er könnte für ein Weilchen Gesellschaft brauchen." Sie lachte herzhaft. „Das Weilchen dauerte nicht allzu lange. Diese Gesellschaft raubte ihm den letzten Nerv." Sie grinste wieder. „Also beschloss er, stattdessen Pferde zu züchten." „Das ist auch meine Absicht", vertraute Mace ihr an und erwiderte ihr Grinsen. „Mit einem einzigen Pferd?" Nancy deutete mit dem Kopf hinüber zum Hof, auf dem sein Wagen mit dem Anhänger stand. Mace lächelte und nickte. „Ein Deckhengst." „Das reicht für den Anfang", meinte sie und erhob sich mit einer für ihr Alter erstaunlichen Geschmeidigkeit. „Aber zuerst brauchen Sie Land, nicht wahr?" „Richtig." Mace lief das Wasser im Mund zusammen bei dem köstlichen Geruch, der dem riesigen Herd entströmte. „Deshalb bin ich hier." Hungrig nach Land und einer anständigen Mahlzeit, dachte er, sagte aber laut: „Meinen Sie, Miss Hartman kommt bald wieder?" „Sicher." Nancy ging zum Herd und zog die Glaskanne aus der modernen Kaffeemaschine heraus. „Noch einen Becher - bevor ich frischen Kaffee fürs Abendessen aufbrühe?" „Okay. Warum wegschütten?" Mace atmete tief durch, sog den würzigen Duft ein. „Was auch immer Sie gerade kochen, es riecht verdammt essbar." „Das hoffe ich doch." Sie lachte, drehte sich um, stellte den aufgefüllten Becher vor ihn hin und zog ihre dünnen grauen Augenbrauen hoch. „Möchten Sie zum Essen bleiben oder sich
lieber irgendwo etwas suchen?" Ob er zum Essen bleiben wollte? Genauso gut könnte sie einen Verdurstenden fragen, ob er ein Glas kühles Wasser möchte, dachte Mace, und bekämpfte den Impuls, sofort Ja zu sagen. „Ich möchte nicht stören", erwiderte er und hoffte, sie würde es mit einer Handbewegung abtun. Sie maß ihn mit forschendem Blick „Wenn Sie stören würden, hätte ich Sie nicht gefragt." „Nun, hungrig bin ich schon. Seit dem frühen Morgen habe ich nichts mehr gegessen. Und es riecht wirklich schrecklich gut." Mace bot sein charmantestes Lächeln auf. „Ich würde gern bleiben - wenn Sie sicher sind, Miss Hartman hat nichts dagegen." „Warum sollte sie", meinte sie und zuckte mit den Schultern. „Seit sie hergekommen ist, haben wir außer ein paar armen Schluckern, die eine prächtige Ranch für ein Butterbrot und Ei kaufen wollten, keinen Besuch gehabt." „Hierher gekommen?" Mace runzelte die Stirn. „Von woher?" „Philadelphia." Beim Klang der hellen Frauenstimme drehte er sich auf dem Stuhl um. Er lugte durch das Fliegengitter, konnte aber nur eine zierliche weibliche Gestalt ausmachen, die draußen vor der Tür auf der überdachten Veranda stand. „Da sind Sie ja, Emma, und es wird auch Zeit", schalt Nancy sie mit sanftem Tadel. „Das Essen ist fast fertig." Die Tür wurde aufgestoßen, die Frau trat über die Schwelle, blieb stehen, nahm ihren Stetson ab und starrte Mace an. „Ihnen gehören der Bronco, der Anhänger und das Pferd im Korral, das seine Runden darin dreht, als wäre es hier zu Haus?" „Ja, Ma'am." Seine Kehle wurde plötzlich trocken. Langsam erhob er sich. „Ich habe ihm gesagt, er soll das Pferd in den Korral stellen und ihm zu fressen geben, Emma", sagte Nancy. „Das Tier war reichlich lange im Hänger ... es brauchte dringend Futter und Bewegung." „Hm ..." Was zum Teufel soll das heißen? fragte sich Mace stumm und musterte sie eingehend. Sie warf der Haushälterin einen trockenen Blick zu, aber Nancy hatte sich bereits wieder zum Herd umgedreht, um den Kaffee aufzusetzen. „Ich schätze, das ist in Ordnung." Nun blickte sie wieder Mace an. Einen Moment lang ... nur einen winzigen Moment, standen sie beide da, unbeweglich und schweigend, starrten sich an, nahmen Maß. Auf Mace' Skala von eins bis zehn bekam sie eine Zwanzig. Sie entsprach absolut nicht dem Bild, das er sich von ihr gemacht hatte. Anstatt in mittlerem Alter, rundlich und rotbackig, war Emma atemberaubend, schlichtweg eine Schönheit. Mit hämmerndem Herzen betrachtete er ihr exquisites Gesicht und ihren ebenso exquisiten Körper. Sie war schätzungsweise Mitte zwanzig, schlank, aber nicht mager, mit wundervoller glatter Haut wie Satin. Sie trug eine offensichtlich teure Designerjeans, die sich aufregend um ihre langen wohlgeformten Beine und den festen Po schmiegte. Ihre Taille war schmal, die Brüste klein, aber fest. Mace löste nur mit Mühe den Blick von diesen Brüsten, ließ ihn höher gleiten über ihren schlanken Hals bis zu dem lieblichen Gesicht mit dem sinnlichen Mund. Heißes, herrliches Verlangen schoss in ihm auf. Er wollte ihren Mund küssen. Gott, wie sehr wollte er ihn küssen ... mehr als essen, trinken, sogar noch mehr als Land. Die Haushälterin schloss geräuschvoll die Herdklappe und beendete damit diesen zeitlosen Moment. Mace atmete tief durch. Emma ebenfalls.
Er wünschte, sie hätte es nicht getan. Dadurch sprangen ihre Brüste nach oben, seine Lenden verkrampften sich. Emma kniff die Augen leicht zusammen und öffnete ihren sündigen Mund. Ihrer Miene nach zu urteilen konnte er sich auf eine scharfe Bemerkung gefasst machen. Aber Nancy, die nichts von der aufgeheizten Atmosphäre mitzubekommen schien, redete drauflos. „Dies ist Mace Conyers, Emma", wandte sie sich mit einem Lächeln um. „Er hat Ihre Anzeige in dieser Zeitung gelesen. Er sucht nach einer Ranch für die Pferdezucht." Mace streckte die Hand aus. „Es ist mir ein Vergnügen, Miss Hartman", sagte er, und noch immer kribbelte alles in ihm. „Mace?" Sie zog die Augenbrauen hoch. „Abkürzung für Mason", erklärte er und hielt die Hand weiterhin ausgestreckt, obwohl sie sie noch nicht ergriffen hatte. „Hm ...", wiederholte sie, dann endlich nahm sie seine Hand. Funken. Mace fühlte sie, als hätte er ein Elektrokabel berührt, und der Schlag fuhr ihm durch die Hand in jede Nervenfaser seines Körpers. Es fühlte sich verdammt gut an ... aber die Gefahr bestand, dass er die Ladys schockierte und sich selbst in eine peinliche Situation brachte. „Ich habe Mace zum Essen eingeladen", fuhr Nancy fort, als wäre es das Normalste der Welt. „Sie haben doch nichts dagegen, oder?" Oh doch, das hat sie, dachte Mace, als er deutlich den Ärger in ihren wundervollen blauen Augen aufblitzen sah. Miss Emma Hartman hatte sogar sehr viel dagegen, dass er zum Essen blieb. „Nein, natürlich nicht", erwiderte sie und setzte eine ausdruckslose Maske auf. „Das wusste ich doch." Nancy lächelte, ihre Augen aber zeigten, sie amüsierte sich heimlich. „Dann wollen wir mal. Sobald der Tisch gedeckt ist, stell ich den Schmorbraten hin." Mace erkannte einen Wink mit dem Zaunpfahl sofort. Emma anscheinend auch. Sie begannen im selben Moment zu sprechen. „Das übernehme ich", sagte sie. „Kann ich irgendwie helfen?" fragte er. Selbstbewusst ratterte Nancy vom Herd her ihre Anweisungen herunter und schloss mit: „Sie können auch die Küchentür schließen, denn es ist draußen reichlich kalt geworden. Sobald nämlich der Herd ausgegangen ist, wird es hier drinnen sonst ziemlich ungemütlich", schloss sie. Schon wenige Momente später war die solide Tür zu, Teller, Messer und Gabel lagen auf dem Tisch, duftender Kaffee und Schmorbraten folgten, und Nancy sprach mit gesenktem Kopf das Dankesgebet. Auch Mace dankte stumm - für die freundliche Einladung der Haushälterin, das Essen und dass er endlich saß, um seine Erregung unter dem Küchentisch verbergen zu können. Es war der beste Schmorbraten, den er je gegessen hatte, und er sparte auch nicht mit Lob. Und nach dem Essen, als Nancy aufstand, bot er natürlich an, beim Abräumen und Abwaschen zu helfen. „Sie können Emma ein wenig zur Hand gehen", sagte Nancy und ging hinüber zum Wohnzimmer. „Seit ihrer Ankunft hier besteht sie darauf, dass sie den Abwasch macht, da ich koche." Sie grinste und meinte über die Schulter hinweg: „Das verschafft mir die Gelegenheit, mir meine Lieblingsnachrichtensendungen in Ruhe anzusehen. " „Sie müssen nicht mithelfen, Mr. Conyers." Emma hatte Mühe, mit normaler Stimme zu sprechen - erfreut konnte sie sich absolut nicht zeigen. „Mace", berichtigte sie dieser Mann sofort. „Und ich muss helfen, und ich will es auch." „Wie Sie wollen." Sie zuckte mit den Schultern und versuchte ihn zu ignorieren. Was
absolut danebenging. Emma presste die Zähne zusammen und schleuderte fast das schmutzige Geschirr in den Abtropfkorb. Wen interessierte es, was er wollte? Dies war ihre Küche, und zuerst kam, was sie wollte. Und sie wollte, dass er aus diesem Raum verschwand, so weit wie möglich fort von ihr, und nicht bei jeder Bewegung zwischen Tisch und Geschirrspüler wie ein Schatten an ihr klebte. Er kam ihr zu nahe, entschieden zu nahe ... beunruhigend, sexy und viel zu groß. Neben Mace Conyers fühlte sie sich wie ein Zwerg. Wortwörtlich. Auch wenn sie es bisher hatte verbergen können, sie konnte nicht leugnen, dass er sie einschüchterte. Eigentlich seit er aufgesprungen war, als sie das Haus betrat. Emma war nicht viel größer als ein Meter sechzig, und dieser Mann war groß ... sehr groß, schlank, hatte kräftige Armmuskeln, wie die hochgerollten Ärmel seines ausgewaschenen blauen Hemds zeigten, schmale Hüften, lange Beine. Mason Conyers wirkte einschüchternd und übte gleichzeitig eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf Emma aus! Sein Gardemaß war längst nicht alles. Auch sein kantiges Gesicht, das dichte, leicht wellige und etwas längere Haar mit den silbernen Strähnen und erst recht seine dunklen Augen mit den attraktiven Fältchen, ob nun vom Lachen oder häufigem Aufenthalt im Sonnenschein, bedeuteten eine Versuchung. Ein wohliger Schauer durchrieselte Emma. Es waren tiefgründige Augen, die alles zu sehen schienen ... Von der Nase zogen sich tiefe Furchen hinunter zu dem dünnlippigen, aber dennoch sinnlichen Mund. Sie schätzte den Mann auf zwischen fünfunddreißig und vierzig. Allein schon ein Blick auf ihn hatte bei Emma die Wirkung wie ein Schlag in die Magengrube. Kein Gefühl, das sie sonderlich schätzte. „Sehen Sie, so sind wir in der halben Zeit fertig." Seine lakonische Bemerkung riss Emma aus ihren fruchtlosen Gedanken. Fertig? Sie schaute sich in der aufgeräumten Küche um. Und nun? Emma warf dem Mann einen Seitenblick zu. Mason Conyers lehnte lässig am Arbeitstresen, kaum einen halben Meter von ihr entfernt. Du musst ihn loswerden, beschloss sie. „Äh ... Mr. Conyers ...", begann sie. „Mace", unterbrach er sie mit seiner tiefen, vibrierenden Stimme. „Könnte ich mir die Ranch jetzt einmal ansehen?" Emma warf einen schnellen Blick aus dem Fenster und war heilfroh, als sie die blassrosa Zeichen der Dämmerung am bergverstellten Horizont bemerkte. „Ich fürchte, das müssen wir auf ein anderes Mal verlegen", sagte sie und ging zur Tür, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Es sollte auch eine Aufforderung zum Gehen sein. „Es ist jetzt ..." „Noch Zeit genug, um sich einen ersten Überblick über die Ställe und anderen Außengebäude zu verschaffen", unterbrach er sie wieder unhöflich, aber mit sanfter Stimme. „Und wenn es dann richtig dunkel ist, habe ich alle Zeit der Welt, mir das Ranchhaus in Ruhe anzusehen." Wenn es dunkel ist? Emma bekam Panik. Nein danke, auf keinen Fall würde sie ihn nach Einbruch der Dunkelheit durchs Haus führen, ihm die Schlafzimmer zeigen. Nicht einmal, wenn Nancy dabei war und ein scharfes Auge auf sie hatte. Glücklicherweise fiel Emma eine perfekte formale Ausrede ein, warum sie ihm weder das Land noch das Haus zeigen müsste. Sie zögerte nicht, es zu benutzen. „Mr. Conyers", sagte sie betont kühl, „ein Kaufinteressent hat vor der Besichtigung einer zu verkaufenden Immobilie einen Termin abzusprechen." „Das habe ich."
Das machte sie sprachlos ... für einen Moment. „Wann denn?" begehrte sie mit Verspätung auf. „Während Sie herumritten", erwiderte er. Ein irritierendes Lächeln spielte um seinen wohlgeformten Mund. „Sobald ich in der Stadt war, rief ich hier an - um einen Termin für eine Besichtigung abzumachen. Nancy bat mich herauszukommen." „Oh." Emma unterdrückte einen Seufzer. „Ich verstehe." „Also, dann." Er verzog den Mund zu einem Lächeln. „Wollen Sie mich herumführen ... solange noch ein wenig Tageslicht ist?" Wollen? Nein, dachte Emma, davon kann keine Rede sein. Aber sie war gefangen zwischen Baum und Borke, wie ein altes Sprichwort sagte. Da ihr keine andere Möglichkeit blieb, riss sie die Tür auf und lud ihn mit einer Handbewegung ein, wenn auch nicht gerade mit Begeisterung in der Stimme. „Ich führe Sie gern herum ... Mr. Conyers." „Mace." Offenes Lachen schwang in seiner Stimme mit, schimmerte in seinen Augen. Geh zum Teufel! dachte sie erbost. „Sie werden eine Jacke brauchen." Emma schaute sich betont im Raum um. „Sie haben keine." „Liegt im Wagen. Ich hole sie auf dem Weg." Er trat zur Seite, damit sie an den Garderobenhaken an der Wand neben der Tür gelangen konnte. „Danke", sagte sie zähneknirschend, griff sich ihre modische Lederjacke, die neben einem perlgrauen Stetson hing, den sie nicht kannte. Dann ging sie voran. Als er auf die Veranda trat, hatte er den Stetson auf. Es war also sein Hut, der am Haken gehangen hatte. Der Wind hatte aufgefrischt und war nun zum Sonnenuntergang eisig geworden. Emma zog den Reißverschluss ihrer kurzen Wildlederjacke hoch und kuschelte sich tiefer hinein. Viel wärmte das dünne Leder allerdings nicht. Sie presste verärgert die Lippen zusammen, als sie einen Umweg zu seinem Wagen machten. Mason holte seine Jacke heraus und schlüpfte hinein. Sie war auch aus Wildleder, allerdings reichte sie bis zu den Schenkeln und war mit Schaffell gefüttert. Sie sah so wunderbar warm aus, dass sie ein Frösteln überlief. Er schlug nicht als Erstes den Weg zum Stall ein, wie sie vermutet hatte, sondern zum Korral. Mit sanften Lauten lockte er seinen Hengst an den Zaun. „Na, mein Freund, fühlst du dich jetzt besser, nachdem du ein wenig Auslauf gehabt hast?" sprach er leise mit dem Tier und hob die Hand. Der kraftvoll aussehende Hengst tänzelte und schnaubte in Mason Conyers' Hand. „Ich hätte eine Karotte mitnehmen müssen." Emma seufzte und schimpfte stumm mit sich, weil sie sich von diesem Mann so aus der Fassung bringen ließ, dass sie die tägliche Karotte für Glory vergessen hatte. Mason Conyers sah sie mit geneigtem Kopf an. „Mehr als eine Karotte braucht er einen warmen Stall für die Nacht." Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich hatte vor, Sie zu fragen, ob er vielleicht für die Nacht hier im Stall bleiben kann - ich würde ihn dann morgen früh abho len." Kurz überlegte sie eine Absage ... aber sie ging ihr nicht über die Zunge. „Es ist nur für diese eine Nacht, und ich bezahle natürlich auch dafür", fügte er hinzu, um sie zu überreden. Sie hatte einfach nicht das Herz, dem Tier einen warmen Platz zu verweigern. „In Ordnung", gab sie nach, fügte dann aber vorsichtshalber hinzu: „Allerdings werde ich ihn separat unterstellen ... mein Pferd ist eine Stute." „Oh, das weiß er schon." Mason deutete mit dem Kopf auf den Stall. „Er weiß, dass sie dort drinnen ist. Ihren Duft hat er sofort wahrgenommen." Emma wurde plötzlich warm. Ein besonderer Unterton in seiner Stimme ließ ihr Blut
schneller zirkulieren. Unbehaglich entfernte sie sich ein paar Schritte vom Korral, um Abstand zwischen sich und diesen aufregenden Mann zu bringen. „Wenn Sie entschlossen sind, sich die Gebäude anzusehen, sollten wir uns besser bewegen", sagte sie. „Es wird gleich dunkel sein." „Ja, Ma'am." Als er neben ihr herging, spannte sich alles in ihr an. War es sein amüsierter Ton oder seine Nähe? Sie konnte es nicht sagen. Sie wusste nur, sie wünschte sich, dass diese verdammte Besichtigung so schnell wie möglich zu Ende ging und Mr. Mason Conyers sich ebenso schnell wieder auf dem Rückweg in die Stadt befand. Recht bald erkannte Emma, dass der Mann wusste, was er wollte. Und das bedeutete, er kannte sich mit Ranchanlagen auf jeden Fall besser aus als sie. Aber das ist eigentlich keine große Überraschung, oder? tröstete sie sich selbstironisch, du hast schließlich nicht die blasseste Ahnung. Mason Conyers schaute sich sehr genau um, ließ seinen scharfen Blick über jeden Zentimeter jedes der Nebengebäude kriechen. Oft blieb er stehen, besah sich etwas aus der Nähe, klopfte kräftig an einen der Tragebalken. Als er schließlich mit langen Schritten auf den Stall zustrebte, war es fast schon dunkel. „Wollen Sie sich den Rest nicht an einem anderen Tag ansehen?" schlug sie vor, zog den Jackenkragen enger um den Hals und hoffte den Mann loszuwerden. Ohne langsamer zu gehen, warf er ihr einen ironischen Blick zu. „Gibt es hier kein Licht?" „Doch, natürlich", erwiderte sie, gelinde verzweifelt. „Aber ..." Er unterbrach sie mit einer Handbewegung. „Bitte, dann gehen Sie hinein und schalten es an. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, natürlich." Emma machte es etwas aus. Dennoch tat sie wie erbeten. Zum Teil auch, weil sie nicht länger dem eisigen Wind ausgesetzt sein wollte. Sie riss eine der riesigen Doppeltüren auf, marschierte in den Stall und schlug mit der flachen Hand kräftig auf den Lichtschalter. Sofort und möglichst unauffällig, ließ sie die Hand sinken und rieb ihre schmerzende Handfläche an der Hose. Glory begrüßte sie mit einem Wiehern. „Hallo ...", murmelte Mason Conyers und schlenderte zur ersten Stallbox. „Wen haben wir denn da?" Er hob die Hand, beugte sich über die Boxentür und strich der Stute über den Rist. „Glory, mein Pferd", betonte Emma, während sie beim Anblick der streichelnden Hand kaum einen Schauer unterdrücken konnte. Wie es sich wohl anfühlte, wenn diese starken, langen Finger über ihre Haut glitten ... Hastig verscheuchte Emma die beunruhigenden Gedanken. Masons Stimme riss sie gleich darauf wieder in die Wirklichkeit zurück. „... zur Ranch?" „Wie bitte?" entschuldigte sie sich und ärgerte sich maßlos über sich selbst. „Ich habe leider den ersten Teil Ihrer Frage nicht mitbekommen." Er lächelte nachsichtig. Emma hätte ihm dieses Lächeln gern aus dem Gesicht gewischt. „Ich fragte, ob die Stute zur Ranch gehört." Emma erinnerte sich nun wieder an den alten Knacker, der die gleiche Frage gestellt hatte, und gab ihm die gleiche Antwort: „Nein, das ist nicht der Fall." „Schade." Es klang aufrichtig. „Sie ist eine Schönheit und bringt bestimmt gut aussehende, gesunde Fohlen zur Welt." „Ja." Emma wandte sich ab, plötzlich zerrissen von einem inneren Konflikt. Ihre misstrauische Seite freute sich über ihre kalte Entschlossenheit, während ihre andere, weichere, wünschte, sie wäre nicht so knallhart gewesen. „Wollen Sie sie mir verkaufen?" fragte er und schaute sie an. „Ich meine, getrennt von der Ranch, natürlich."
Nun saß sie in der Klemme. Verdammt! Sie flüchtete sich in Unentschlossenheit. „Noch habe ich mich nicht entschieden, was ich mit ihr mache." „Ein Vollblüter, nicht wahr?" Er warf noch einen schnellen Blick auf die Stute, ehe er sich umdrehte und Emma anschaute. „Ja." Emma nickte, und ihr stockte der Atem bei seinem bohrenden Blick. „Ich möchte sie gern von Pferd decken lassen." Emma sah ihn verständnislos an. „Von welchem Pferd?" „Meinem Pferd." Da fiel der Groschen. „Sagen Sie mir nicht, was ich denke. Sie haben Ihr Pferd ... Pferd genannt?" „Gut geraten." Er grinste. Sein sinnliches Grinsen haute sie förmlich um. Schmetterlinge wirbelten in ihrem Bauch. Ihr Puls jagte in die Höhe. Genug! ermahnte sie sich und wandte sich ab. „Wenn Sie sich den Stall genauer ansehen möchten, bitte. Mir ist kalt, und ich möchte zurück ins Haus." Ein leiser Laut drang an ihre Ohren, weich und undeutlich. Natürlich konnte sie es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber dieser Laut musste aus Mason Conyers' Kehle stammen. Ein glucksendes Lachen. Gereizt wirbelte sie herum ... und landete direkt an seiner breiten Brust. Der Zusammenprall nahm ihr den Atem. Seine Jacke stand offen. Seine Brust fühlte sich stahlhart und warm an. Ein verlockender Duft reizte ihre Sinne. Mason Conyers roch schwach nach Zitrone und Leder und erregend männlich. Einen Moment lang konnte Emma nicht denken, sich nicht bewegen. Ein Moment war alles, mehr brauchte er nicht. „Eisig, nicht wahr?" murmelte er verführerisch. „Kommen Sie, ich wärme Sie." Ihr Verstand blockierte. Nur so war zu erklären, dass sie Mason gewähren ließ, als er seinen großen Körper an ihren schmiegte, seine Hände über ihren Rücken gleiten ließ. Plötzlich begriff sie, dass er sie in seine Jacke gezogen hatte, fühlte seine warmen Arme um sich. „Was ... was tun Sie da?" stotterte sie mit einer Stimme, die sie kaum als ihre erkannte. „Ich wärme Sie." Sein Atem streifte ihre Stirn. Das war nicht alles, was er tat. Er hielt sie fest und machte einen Schritt zwischen ihre geöffneten Beine. Emma bekam plötzlich weiche Knie, ihr war nicht länger kalt. Im Gegenteil. Ein Hitzestoß durchfuhr sie, sammelte sich an ihrem intimsten Punkt „Sie riechen gut", flüsterte er. „Und Sie sind so weich." Du riechst auch gut, dachte Emma, brachte noch immer kein Wort heraus. Und du bist so hart. Sie war entflammt. Brannte richtig. Für ihn. Für seinen harten Körper ... mit dem sie sich so gern vereinigen würde ... Dieser Gedanke brachte sie schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Hatte sie den Verstand verloren? Sie nahm die Arme von ihm, die sie, ohne es zu merken, um seine Hüften geschlungen hatte, und stemmte die Hände gegen seine Brust. „Lassen Sie mich los", verlangte sie bebend. „Warum?" Er hob eine Hand, umfasste ihr Kinn und drückte ihren Kopf hoch. Sie musste ihn ansehen. Er bewegte seine Hüften, und sie keuchte unwillkürlich auf. Leidenschaft verdunkelte seine Augen. „Gerade noch wollten Sie mich durch unsere Jeans in sich hineinziehen." Das abzustreiten hatte wenig Sinn. Außerdem wäre es gelogen gewesen. Emma verstärkte den Druck ihrer Hände gegen seine Brust. „Ich meine es ernst, Conyers", fauchte sie. „Lassen Sie mich los, auf der Stelle."
„Ich könnte es mir überlegen", sagte er schleppend und zog sie dichter an sich heran. „Aber das hat einen Preis." „Das ist Erpressung!" protestierte sie wütend. „Wie auch immer." Er grinste. Ihr Widerstand drohte zu schmelzen. Sie wappnete sich gegen Mason Conyers' sinnliche Ausstrahlung, stand stocksteif da und funkelte ihn böse an. Er lachte, offensichtlich völlig unbeeindruckt. „Nennen Sie Ihren verdammten Preis", zischte sie, sicher, er wollte von ihr das Versprechen, ihm Glory zu verkaufen. „Einen Kuss." „Was?" Sie riss die Augen auf. „Natürlich mit Ihrem vollen Einsatz", fügte er hinzu. „Offener Mund, zuckende Zungen, all das." Emma war wirklich in Versuchung, ihm eine zu kleben. Noch stärker war jedoch der Wunsch, den Preis zu entrichten. Verrückt! Vor ihr stand ein völlig Fremder. Sie konnte es nicht tun. Sie würde es nicht tun. Konnte sie? Würde sie? Er umfasste ihren Po, presste sie an sich und stieß dann seine Hüften bedeutungsvoll gegen ihre. Emma war entsetzt ... weil es ihr gefiel! „Also gut, verdammt noch mal." Schiere Frustration -sexueller Natur, wenn sie ehrlich war - vibrierte in ihrer Stimme. „Tun Sie's, damit wir endlich fertig werden." „Wie könnte ich einer solch süßen Einladung widerstehen?" Er senkte langsam den Kopf, ließ seine Lippen über ihre gleiten. Emma hörte auf zu denken. Mit allen Sinnen ergab sie sich diesem fordernden, raffinierten Kuss, wollte mehr davon und schlang Mason hingebungsvoll die Arme um den Nacken. Leidenschaft packte sie, wild erwiderte sie die heiße Liebkosung. Mason bekam alles, was er verlangt hatte: geöffnete Lippen, zuckende Zungen, einen willigen Körper. Emma überließ sich dem sinnlichen Rausch, spürte Masons feste, angespannte Muskeln, die warme Hand, die ihr Gesicht streichelte, wie sich seine Brust gegen ihre Knospen presste, seine harten Lenden, die er provozierend an ihr rieb. Nach langer Zeit der sexuellen Enthaltsamkeit war Emmas Körper voller Begeisterung wieder erwacht. Sie sog seinen herben, männlichen Duft ein, schmeckte seine warmen Lippen, bis sie, schwindlig vor Verlangen, keine Luft mehr bekam. Abrupt unterbrach sie das gefährliche Spiel. Sie rang nach Atem und starrte ihn wie ein Wunder an. „Das war nicht schlecht", meinte er und lächelte entwaffnend. „Für den Anfang." „Anfang?" keuchte Emma und entwand sich seinen Armen. „Sie ... Sie ..." Sie knirschte mit den Zähnen, als er schallend zu lachen anfing. „Ja, ich", sagte er, und plötzlich war er ganz ernst. „Sie und ich, und die Funken, die wir schlagen, wenn wir uns nahe kommen. Das war wirklich erst der Anfang. Es wird noch eine ganze Menge mehr kommen." Er besaß die Frechheit zu grinsen. „Und das soll kein Witz sein, ehrlich." „Nur über meine Leiche", schwor sie. „Und diese Besichtigungstour ist vorbei. Schwingen Sie sich in Ihre Karre und verschwinden Sie." Sie stöhnte in stummer Verzweiflung, als sie davonmarschierte. Wieder war ihr nur ein banaler Spruch eingefallen. Heute war wirklich nicht ihr bester Tag.
3. KAPITEL Mein Gott, diese Frau war das reinste Dynamit! Stocksteif stand Mace da, immer noch erregt, und sah zu, wie Emmas zierliche Gestalt in der Dunkelheit verschwand. Er konnte es einfach nicht fassen, dass er über sie hergefallen war. In seinen siebenunddreißig Jahren auf dieser Erde war er nicht ein einziges Mal so direkt zur Sache gekommen. Allerdings hatte ihn bisher keine Frau zu solch einer heftigen Reaktion herausgefordert. Mace stieß den angehaltenen Atem aus. Es war völlig verrückt. Beinahe unheimlich. Vorherbestimmt, vielleicht? überlegte Mace, aber sein logischer Verstand wehrte sich gegen diese Erklärung. Die Küchentür fiel geräuschvoll ins Schloss und holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Das bittersüße Unbehagen sexueller Frustration erfüllte ihn. „Sie gehört mir", murmelte er, und es war ein Versprechen an sich selbst. Glory schnaubte. „Ich meinte nicht dich, Schöne, auch wenn ich hoffe, dass Emma dich an mich verkaufen wird." Er ging hinüber zur Stute und streichelte ihren Nacken. „Du bist für Pferd bestimmt." Glory wieherte und schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, Mädchen, aber so ist es nun einmal", murmelte er. „Du und Pferd, ihr werdet bestimmt großartige Fohlen produzieren." Als würde Glory verstehen, wich sie vor ihm zurück. „Genauso nervös und schreckhaft wie die Besitzerin, stimmt's?" Mace lachte leise. „Aber mach dir keine Sorgen", fuhr er beruhigend fort. „Gegenseitiges Vergnügen wird angestrebt. Ich lasse nicht zu, dass Pferd dir wehtut, ebenso wenig, wie ich Emma verletzen werde." Aber eine Sache nach der anderen, Conyers, sagte Mace sich dann. Er wandte sich ab und schlenderte durch die offene Tür zum Korral. Als Erstes musste er Pferd für die Nacht unterbringen. Danach hatte er vor, alle Geschwindigkeitsbegrenzungen zu übertreten, um zu dem billigen Zimmer zu gelangen, das er sich in einem schäbigen Motel ein paar Meilen außerhalb der Stadt gemietet hatte. Er brauchte dringend eine eiskalte Dusche. Mace war sich nicht sicher, ob er vorher überhaupt seine Klamotten ausziehen sollte. Kaum war Emma im Haus, verriegelte sie die Tür. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen. Ihr Puls hämmerte, sie atmete heftig. Noch nie in ihren sechsundzwanzig Jahren hatte sie auch nur annähernd solche chaotischen Gefühle erlebt, wie Mason Conyers sie anscheinend mühelos bei ihr erzeugte. Sie war weder Jungfrau noch unerfahren, was Sex betraf. Ihre Unschuld hatte sie einem Mann geschenkt, dem sie in einem schwachen Augenblick sogar die Ehe versprochen hatte. Ihre Verlobung wurde nach drei Monaten wieder gelöst. Diese Zeit hatte sie gebraucht, um zu begreifen, dass sie beide nicht zusammenpassten. Sie waren einander zu ähnlich, Emma und ihr Verlobter, jeder zu sehr mit sich selbst, mit der eigenen Karriere beschäftigt, zu ehrgeizig, unwillig, Kompromisse einzugehen. Außerdem war es im Bett eher mäßig. Von Ekstase keine Spur. Das war vor ungefähr vier Jahren gewesen. Und obwohl sie ab und zu mit Männern ausging, hatte keiner ihre Sinne erregt, hatte sie auch nur mit einem von ihnen geschlafen. Warum sich die Mühe machen? hatte sie sich immer gesagt. Sex und Intimität wurden einfach maßlos überschätzt. Heute Abend hatte Mason Conyers sie eines Besseren belehrt.
Ein heißer Schauer durchrieselte Emma allein bei der Erinnerung an seinen umwerfenden Kuss und das verzehrende Verlangen, das er ausgelöst hatte. Sie zog den Reißverschluss auf, schlüpfte rasch aus der Jacke und hängte sie an den Haken. Sie fühlte sich innerlich schrecklich schwach und verletzlich. „Warum ist es so ruhig, Emma?" rief Nancy, die offenbar die Tür hatte zuschlagen hören. „Ist Mace nicht bei Ihnen?" Emma war der Haushälterin unendlich dankbar, dass sie sie aus ihrer Verzückung riss. Sie holte tief Luft, drückte den Rücken durch, straffte die Schultern und machte sich auf den Weg in Richtung Nancys neugieriger Stimme. Weiche Knie hatte sie allerdings immer noch, wie sie bei jedem Schritt merkte. „Nein, Mr. Conyers ist nicht bei mir", erwiderte sie möglichst lässig. Sie schlenderte ins Wohnzimmer und brachte sogar ein Lächeln zu Stande. „Ich ... habe mich dann doch entschlossen, ihm morgen das Haus zu zeigen, wenn er wiederkommt, um sich das Land anzusehen." „Gute Idee", murmelte Nancy vage, offenbar abgelenkt durch das, was sie gerade im Fernseher sah. „Es ist immer besser, sich ein Haus bei Tageslicht anzuschauen." „Ja." Emma ging hinüber zum Sofa und dem Roman, der auf dem Tisch daneben lag. „Aber Sie denken doch daran, dass Sie mir das Wochenende freigegeben haben, damit ich meine Schwester in Denver besuchen kann? Morgen früh um neun bin ich weg." Emma hatte es vergessen, und es passte ihr überhaupt nicht. Aber was blieb ihr anderes übrig, als sich zu fügen? Nancy war so offensichtlich froh darüber, einmal drei Tage hintereinander freizuhaben. „Ich ... natürlich, ich weiß Bescheid", griff sie zu einer Notlüge. Nancy wäre bestimmt sehr enttäuscht, wenn sie sie bitten würde, ihre Pläne zu ändern. Außerdem konnte sie kaum als Grund angeben, sie wolle nicht mit Mason Conyers allein auf der Ranch sein. „Gut." Nancy nickte, als wolle sie sagen: Da bin ich aber froh, dass alles geregelt ist, und wandte sich wieder dem Fernseher zu. Emma unterdrückte einen Seufzer und griff nach ihrem Buch. Innere Ruhe fand sie aber erst, als sie hörte, wie draußen der Motor des Broncos ansprang. Bis dahin hatte sie dieselbe Seite das dritte oder vierte Mal gelesen, ohne den Sinn der Zeilen recht zu erfassen. Mason Conyers fährt weg, schloss sie und seufzte erleichtert. Vielleicht würde sie dann doch etwas von der Geschichte verstehen, die der Autor geschrieben hatte. Leider hatte sie Pech. Kaum hatte sie die Seite halb gelesen und endlich begriffen, worum es ging, wurde kräftig an die Küchentür geklopft. Emma schreckte zusammen. „Also ... wer ...?" Nancy runzelte ärgerlich die Stirn, offensichtlich gestört. „Ich gehe." Emma wusste nur zu gut, wer dort draußen stand, und fluchte stumm vor sich hin. Natürlich ist es Mason Conyers ... wer denn sonst? überlegte sie. Nachbarn kamen um diese Stunde nicht mehr meilenweit hergefahren, nur um kurz hereinzuschauen. Allerdings taten sie Letzteres in der Stadt auch nicht, obwohl sie gleich nebenan wohnten. Zumindest Emmas Nachbarn nicht. Sie riss die Tür auf und funkelte ihn an. „Ich dachte, ich sage Ihnen besser Bescheid", erklärte er schnell, ehe sie ihn anfahren konnte. „Ich habe den Anhänger abgehängt ... Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen." Emma knirschte förmlich mit den Zähnen. Welchen Unterschied würde es denn auch machen, wenn sie etwas dagegen hätte ... da es sowieso schon geschehen war? Aber eigentlich hatte sie nichts dagegen. Nur, dass sie es ihm eingestehen musste, das wurmte sie. „Nein, ich habe nichts dagegen. Gute Nacht." Sie wollte die Tür schließen. Er schob seinen großen Stiefel in den Spalt. Ärgerlich blickte sie ihn an. „Gibt es sonst noch etwas?"
„Ja. Ich möchte eine Option auf die Ranch erwerben und..." „Aber Sie haben sie doch noch gar nicht richtig gesehen", unterbrach sie ihn ungläubig. „Warum ...?" Mason ließ sie nicht ausreden. „Ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass jemand anders ein Kaufangebot abgibt, bevor ich morgen wieder hier bin." „Aber ... es hat nicht einmal jemand angerufen, um sich die Ranch anzusehen." „Macht nichts." Er wirkte fest entschlossen. „Ich will auch das Pferd haben." Sie öffnete den Mund, um ihn daran zu erinnern, dass sie sich bisher noch nicht entschieden hatte, was sie mit Glory tun wollte. „Wenn Sie sich entscheiden, sie zu verkaufen", fuhr er rasch fort. Emma seufzte, bereit, auf alles einzugehen, nur damit dieser attraktive, verlockende und nervtötende Mann endlich von ihrer Ranch verschwand. „Also gut." „Nennen Sie mir eine Summe", sagte er und griff zur Gesäßtasche. „Ich schreibe Ihnen einen Scheck aus." Sie schüttelte den Kopf. „Das wird nicht nötig sein. Ihre Option steht." Sie senkte den Kopf und schaute auf seinen Stiefel. Als sie wieder aufblickte, war der entschlossene Ausdruck aus seinem Gesicht verschwunden. „Gibt es sonst noch etwas?" Er grinste. „Nein, eigentlich nicht ... Nur, gute Nacht, Emma." Er legte zwei Finger an den Hutrand, zog seinen Fuß zurück, drehte sich um und ging davon. Emma stand da, starrte seiner hoch gewachsenen Gestalt nach und kämpfte gegen die entwaffnende Wirkung seines umwerfenden Lächelns an. Zur Hölle mit dem Kerl! Am nächsten Morgen hatte Emma ihre Hormone im Griff und ihre Selbstbeherrschung gestählt. Meinte sie zumindest und versicherte es sich noch einmal ausdrücklich, als sie sich zu Glorys Stall aufmachte, um ihr zu fressen und zu trinken zu geben. Und später nochmals, als sie unentschlossen in der Küche stand und Nancy zum Abschied nachwinkte. Ihre Selbstsicherheit wurde jedoch am späten Morgen auf die Probe gestellt, als sie eine verräterische große Staubwolke in schnellem Tempo auf die Ranch zukommen sah. Bestimmt ist es der Bronco, dachte sie, als sie auf die Veranda hinaustrat. Die eisige Luft war wie ein Schock für sie, sie hatte sich durch den strahlend blauen Himmel täuschen lassen. „Eigentlich sollte es doch noch Sommer sein", murmelte sie vor sich hin, eilte zurück und stieg die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf, um sich ein Sweatshirt über ihre kurze Baumwollbluse zu ziehen. Dann rannte sie wieder hinunter und griff sich ihre Wildlederjacke. Es war die einzige Jacke, die sie sich mitgebracht hatte. Gerade als sie aus dem Haus auf die Veranda trat, kam das Fahrzeug lärmend zum Stehen. Sie stöhnte auf, als sie Mr. Jenkins aus seinem verbeulten Lastwagen steigen sah. „Morgen, Miss!" rief er verdächtig munter. „Guten Morgen, Mr. Jenkins", erwiderte sie höflich, weil es ihre gute Erziehung erforderte. Im Grunde wäre sie am liebsten ins Haus gegangen und hätte die Tür fest verschlossen. Der Mann sah aus, als hätte er sich seit Tagen weder gewaschen noch rasiert. Er lachte gackernd und schlurfte auf sie zu. „Ich bin hergekommen, um Ihnen ein Angebot für das Pferd zu machen." Er deutete mit dem Kopf zu den Ställen. Emma seufzte resigniert und fragte sich, wie viel er von dem verstanden hatte, was sie ihm vor weniger als vierundzwanzig Stunden gesagt hatte. „Wie ich Ihnen schon gestern mitteilte, Mr. Jenkins", sagte sie betont langsam, „habe ich wegen der Stute noch keine Entscheidung getroffen." „Ja, das war gestern, und heute ist heute." Er grinste schlau. „Ich hab inzwischen mit meinem Sohn ein Wörtchen geredet, und Billy hat mir versprochen, sich mit mir Ihr Pferd zu teilen. Und noch haben Sie unser Angebot nicht gehört, Mädchen." Mädchen. Wieder. Ärger schoss in ihr hoch. Egal, wie hoch sein Angebot sein mochte, sie
würde es auf jeden Fall ablehnen! Emma war richtig stolz auf sich, dass sie in normalem Ton sprach, obwohl sie den Kerl am liebsten auf der Stelle vom Hof gejagt hätte. „Ich muss Ihnen leider sagen, ich habe bereits einen potentiellen Käufer, der sich ernsthaft für das Land und das Pferd interessiert", sagte sie von oben herab. „Was soll der Blödsinn?" regte er sich auf. Wie ein unterernährter Spaniel, der seinen Knochen verteidigt, dachte Emma. „Ich bin doch erst gestern Nachmittag hier gewesen und habe keine Typen herumlaufen sehen, die sich die Ranch anschauen wollten!" „Wie auch immer", gab sie kühl zurück. „Dieser Interessent hat um eine Option gebeten, und ich habe sie ihm zugesagt." „Ja, aber warten Sie erst mal unser Angebot ab. Wie finden Sie das?" Mr. Jenkins warf sich in die Brust und nannte schließlich eine Summe. Emma starrte ihn fassungslos an und war erst einmal sprachlos. Die Summe, die er genannt hatte, war erbärmlich niedrig, fast lachhaft. Aber ihr war nicht nach Lachen zu Mute. „Ja, das haben Sie nicht erwartet, nicht wahr?" brüstete er sich und gackerte wieder. Wut stieg in ihr auf. Dieser Mann - diese Karikatur von einem Mann - glaubte ernsthaft, sie wäre so dumm ... so naiv ... Emma wurde wütend. Am liebsten hätte sie ihm einen Tritt in seinen mageren Hintern versetzt. Leider war sie für solch eine Konfrontation nicht gebaut, musste sich also auf ihre verbalen Kräfte verlassen. „Ihr Angebot, Sir, ist eine Beleidigung meiner Intelligenz", erwiderte sie verächtlich. „Sie versuchen nicht nur, mich legal auszurauben, sondern vergeuden auch noch meine Zeit. Also, steigen Sie wieder in Ihren Schrotthaufen und scheren Sie sich von meinem Land ... bevor ich in Versuchung gerate, den Sheriff zu rufen!" „Den Sheriff?" brüllte Jenkins los. „Was soll der Quatsch denn? Dazu gibt es überhaupt keinen Grund." Emma war so sauer, dass sie die Staubwolke, die einen zweiten Wagen ankündigte, nicht wahrgenommen hatte. Erst als er sich mit dröhnendem Motor näherte und knapp zwei Meter vor ihnen zum Stehen kam, schaute sie überrascht auf. Auch Jenkins hatte nichts mitbekommen, weil er mit hochrotem Kopf und drohendem Blick einen Schritt auf Emma zugegangen war. Obwohl Emma Gewalt verabscheute, war sie doch entschlossen, sich zu wehren. Sie konnte ihm vielleicht nicht in den Hintern treten, aber dorthin, wo es besonders wehtat. Und damit würde sie nicht zögern, wenn er auch nur die Hand gegen sie erhob. Die Tür des Wagens wurde zugeschlagen. Jenkins blieb abrupt stehen. Emma seufzte voller Erleichterung. „Probleme, Miss Hartman?" erkundigte sich Mason Conyers mit stahlharter Stimme und kam herangeschlendert. Einen halben Meter vor ihr blieb er stehen. „Ach, nur ein ziemlich unbedeutendes", erwiderte Emma, um die Situation herunterzuspielen, jetzt, wo sie Hilfe hatte. Sie zeigte auf den dürren Mann. „Mr. Jenkins besteht darauf, dass ich ihm Glory für eine absurd niedrige Summe verkaufe." „Von wegen niedrig", grollte Jenkins, aber ohne Überzeugung in der Stimme. Mace warf einen einzigen kühlen Blick auf den älteren Mann, dann blickte er wieder Emma ruhig an. „Wie viel?" Sie nannte ihm den Betrag. Mace hob amüsiert eine Augenbraue. „Ich dachte, auf die Stute ... und das Land wäre eine Kaufoption erworben worden?" „Das ist korrekt. Wie Sie wissen, habe ich ...", begann Emma, wurde aber durch Jenkins unterbrochen. „Welche Option? Ich war gestern Nachmittag hier, und da war keine Rede von
irgendwelchen Optionen. Wer hat denn genug Zeit gehabt, sich hier alles anzusehen?" „Ich." Mace sah den Mann eindringlich an. „Und wer zum Teufel sind Sie?" blies Jenkins sich nun auf. Mace lächelte. Emma überlief ein Schauer bei der Art, wie er die Lippen leicht verzog. Jenkins wurde sichtlich blass. Mason Conyers griff in seine Jeans, zog eine Brieftasche heraus und klappte sie auf. Ein offiziell aussehender Ausweis war zu erkennen. „Mason Conyers. United States Marshai." Emma starrte ihn verblüfft an. Mace war Polizist? Jenkins blieb fast der Mund offen stehen. „Ich will keinen Ärger mit dem Gesetz!" rief er mit schriller Stimme und wich vor Mace zurück. „Sie können die Mähre meinetwegen haben." „Wie großzügig von Ihnen", bemerkte Mace schleppend. „Und nun empfehle ich Ihnen, schleunigst von hier zu verschwinden." Seine Stimme wurde gefährlich leise. „Und belästigen Sie Miss Hartman nie wieder." Jenkins war schon auf dem Weg zu seinem Wagen. „Ja, Sir. Ich meine, nein, das werde ich nicht." Ohne sich noch einmal umzublicken, sprang er hinters Steuer und raste davon, als wäre der Teufel hinter ihm her. Eine Staubwolke hüllte sie ein, und Emma musste husten und spucken. Sie wirbelte herum und rannte ins Haus. Mace folgte ihr auf den Fersen. Er lachte leise vor sich hin, schloss die Tür hinter ihnen und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Emma blieb stehen, klopfte sich den feinen Staub von der Jacke und blickte ihn scharf an. „Was ist so verdammt lustig daran, eine Staubdusche ins Gesicht zu bekommen?" fauchte sie und fuhr sich mit der Zungenspitze über die sandigen Zähne. „Ein wenig Staub wird nicht schaden", bemerkte er trocken. „Außerdem habe ich nicht darüber gelacht." Er kam zu ihr, hob die Hand und wischte ihr sanft den Staub von Haaren und Wangen. „Weshalb dann?" fragte Emma und trat vorsichtig einen Schritt zurück. Er lächelte und verringerte den Abstand zwischen ihnen wieder. „Die ganze Szene war urkomisch. Jenkins' Plan, das unerfahrene Greenhorn mit seiner Billigofferte über den Tisch zu ziehen, ist völlig danebengegangen." Mit dem Zeigefinger berührte er hauchzart ihren Mundwinkel, und sie bekam eine Gänsehaut. „Aber Sie waren auch nicht ohne." „Ich?" Emma runzelte die Stirn. „Halten Sie mich etwa auch für eine Witzfigur?" „Nein." Er schüttelte den Kopf. „Es war Ihre Haltung, als ich aus dem Wagen stieg." Mace musterte ihr Gesicht, dann kehrte sein Blick wieder zu ihrem Mund zurück. „Sie sind eine kleine, zierliche Frau ... Und doch sah man Ihnen an, dass Sie wild entschlossen waren, sich handgreiflich gegen den Mann zu wehren." Emma hob das Kinn. „Ich lebe in einer Großstadt, Mr. Conyers. Und ich bin kein Dummerchen. Ich habe an Selbstverteidigungskursen teilgenommen." „Das dachte ich mir." Er lächelte. „Dennoch, irgendwie fand ich es lustig. Und - ich heiße Mace." Nun, da die Situation entspannt und ihr Adrenalinspiegel wieder auf Normalwerte gesunken war, sah auch Emma die lustige Seite der Szene. Außerdem wurde ihr klar, es hätte brenzlig für sie werden können, wäre Mace nicht aufgetaucht. Aber da er aufgetaucht war, konnte sie sich ein Lächeln und eine schnippische Antwort leisten. „Na, dann hat sich wenigstens einer von uns amüsiert", meinte sie und wich zwei Schritte zurück von ihm und seinem beunruhigendem Finger, mit dem er sie geistesabwesend streichelte. „Und ich muss sagen, auch Jenkins bot einen amüsanten Anblick, als er weiß wie eine Kalklatte wurde, nachdem Sie sich als US-Marshal ausgewiesen hatten."
Er hob leicht eine Augenbraue und lächelte schwach, blieb aber stehen. „Ex-US-Marshal." „Bitte?" Sie runzelte die Stirn. „Ich sagte, Ex-US-Marshal." Er lächelte selbstzufrieden. „Ich dachte, das müsste Jenkins nicht unbedingt wissen." Dann ist er also doch kein Polizist, dachte Emma, und sie wusste nicht, ob sie sich nun deswegen besser fühlte. Oder warum es überhaupt für sie eine Bedeutung haben sollte, so oder so. Überrascht und genervt, dass es sie überhaupt interessierte, verbannte Emma diesen Gedanken sofort wieder. „Es ist viel zu ruhig hier." Mace runzelte die Stirn und schaute sich um. Dann schnupperte er hörbar. „Und es riecht nicht nach Essen. Wo ist Nancy?" Oh, oh! Er wird es sowieso bemerken, dass Nancy nicht da ist, dachte Emma und seufzte stumm. „Sie besucht übers Wochenende ihre Familie in Denver", klärte sie ihn auf und unterdrückte noch einen Seufzer. Sie hatte gehofft, ihn aus dem Haus heraushalten, ihm irgendwie Nancys Abwesenheit verheimlichen zu können. Sogar, die Besichtigungstour durchs Haus verschieben zu können, bis die Haushälterin zurück war. Sie hätte sich sicherer gefühlt, wenn er nicht gewusst hätte, dass sie allein war. Vergebliche Hoffnungen. „Ich denke, jetzt kann man wieder nach draußen gehen." „Wie bitte?" Emma blickte ihn verwirrt an. „Der Staub hat sich gelegt." Er deutete auf den Hof. „Wollen wir rausgehen und mit der Besichtigung der Ranch beginnen?" „Oh ..." Sie kam sich ein wenig dumm vor, weil sie so begriffsstutzig gewesen war, und ging zur Tür. „Ja, natürlich, lassen Sie uns gehen. Je eher wir anfangen, desto früher sind wir fertig." Sie hätte schwören können, dass er hinter ihr lachte, als er ruhig die Tür ins Schloss zog.
4. KAPITEL
Sie waren nun schon eine Stunde geritten, und es war deutlich kälter geworden. Tief hängende Wolken bedeckten den weißgrauen Himmel. Auch wenn er erst einen kleinen Teil der Ranch kennen gelernt hatte, so gefiel sie Mace immer besser, je mehr er von ihr sah. Bald stand seine Entscheidung fest. Emma hatte ihm die genaue Größe der Ranch genannt. Wie sie eingestand, war sie selbst davon beeindruckt gewesen, als sie von ihrer Erbschaft erfuhr, und sie war es noch immer. Mace hatte nur kurz genickt. „Im Vergleich zu den großen Rinderfarmen ist sie klein, aber ich bin auch nicht auf der Suche nach riesigen Ländereien." Emma hatte nicht geantwortet, aber ihr Gesicht hatte ihm verraten, dass sie überlegte, wie groß wohl eine richtig große Ranch sein mochte. Wie die meisten Menschen von der Ostküste konnte sie sich die wahre Größe eines solchen Besitzes einfach nicht vorstellen. „Das Land wirkt grenzenlos ...", murmelte sie ehrfürchtig. „Jetzt erst wird mir klar, wie riesig die USA eigentlich ist." „Ja", stimmte ihr Mace zu und dachte dabei, wie klein und zierlich die Frau neben ihm hingegen war. Genau dieser Gedanke war ihm auch durch den Kopf gegangen, als er vorhin seinen Wagen angehalten und gesehen hatte, wie Jenkins in drohender Haltung auf sie zugegangen war. Spontane Wut hatte ihn erfasst, er hatte richtiggehend Rot gesehen. Wenn dieser Kerl sie auch nur anrührt, wird er sein blaues Wunder erleben, war sein einziger Gedanke gewesen. Als Polizist schockierte ihn dieser Zorn, als Mann registrierte er nur immense Beschützergefühle für eine völlig fremde Frau. Am liebsten hätte er sie in Watte gepackt, sie auf die Arme gehoben und vor allem beschützt ... außer vor sich selbst, natürlich. Allein schon der Gedanke, sie in seinen Armen zu halten, erweckte auf der Stelle erotische Bilder. Die Weite um ihn herum versank, seine Fantasie gaukelte ihm wilde, heiße Nächte vor, und er spürte auch die kalte Luft nicht mehr. Bis das Objekt seiner Begierde ihn wieder in die Wirklichkeit zurückriss. „Wissen Sie", sagte sie und fröstelte sichtlich, „ich habe in Philadelphia Freunde, die selbst jetzt noch ans Meer fahren, sich in der Sonne bräunen und baden." Sie zog die dünne Lederjacke enger um sich. „Man mag kaum glauben, dass hier in Colorado der Herbstanfang offiziell erst nächste Woche beginnt." „Ich verstehe, was Sie meinen." Mace hob den Kopf und schaute zum Himmel hinauf. „Das Wetter hier in Colorado ist ziemlich unberechenbar. In höheren Regionen kann es durchaus vorkommen, dass noch Ende Juni Schnee fällt oder in Denver im Winter die Temperaturen fünfzehn Grad unter null fallen." „Nun, in Philadelphia haben wir im Januar manchmal ein paar richtig warme Tage", meinte Emma. „Aber an Schnee im Juni kann ich mich nicht erinnern." „Die Bundesstaaten im Mittelwesten sind dafür bekannt, dass im späten Frühling noch Schneestürme über sie herfallen." Er lachte leise auf. „Letztens hat ein Ranger vom Yellowstone-Nationalpark im Fernsehen gemeint, in Wyoming gäbe es nur zwei Jahreszeiten: Winter und Juli. Ich glaube, das gilt für all diese Bundesstaaten." „Und wohl auch für den Frühherbst", murmelte Emma bibbernd und presste die Zähne zusammen, damit sie nicht hörbar aufeinander schlugen. Er grinste sie kurz an, runzelte dann aber die Stirn. „Sie sehen aus, als wäre Ihnen ziemlich kalt", meinte er und verfluchte sich, dass es ihm nicht schon früher aufgefallen war. „Warum zum Teufel haben Sie mir das nicht gesagt?" Emma biss weiterhin die Zähne zusammen und zuckte nur mit der Schulter. „Kommen Sie, reiten wir." Ein kaum merklicher Zug am Zügel, ein leichter Druck mit den Knien, und der große Hengst wirbelte herum Richtung Ranchhaus. „He, wollten Sie mich zu Tode erschrecken?" rief Emma. „Das war ja fast so perfekt wie
die Sachen, die ich im Fernsehen über den alten Westen gesehen habe." Sie zog Glorys Zügel an. Nervös begann die Stute zu tänzeln. „Wohin wollen Sie jetzt?" fragte sie, und Ungeduld schwang mit. „Zurück zum Ranchhaus", erwiderte Mace, griff nach ihrem Zügel und brachte Glory zum Stehen. „Die Temperatur fällt ständig - und für heute habe ich genug gesehen." Obwohl sie einen ziemlich scharfen Schritt anschlugen und den direktesten Weg nahmen, brauchten sie fast eine Stunde zurück. Als sie ankamen, war Emma bis auf die Knochen durchgefroren. Die Temperatur musste jetzt unter null Grad liegen. „Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor", sagte Mace, noch bevor er abgestiegen war. „Ich versorge die Pferde, und Sie machen Kaffee und etwas Warmes zu essen." Dankbar für die Gelegenheit, sich so schnell wie möglich im Haus aufzuwärmen, nahm sie seinen Vorschlag an. „Okay, abgemacht." Sie schwang ein Bein über Glorys Rücken und sprang vom Pferd. Dann rannte sie förmlich hinüber ins Haus. Das Thermometer am Küchenfenster gab ihr Recht: Es zeigte knapp unter null Grad. Unglaublich. Sie schüttelte den Kopf über die Unberechenbarkeit des Wetters, schlüpfte aus ihrer Jacke, ließ aber ihr Sweatshirt an. Der Kaffee lief durch den Filter der Kaffeemaschine, sein köstlicher Duft erfüllte die Küche, und Emma rührte gerade das kreolische Hühnchengericht um, das sie kurzerhand aus zwei Dosen in den Kochtopf geschüttet hatte, als kurz an die Tür geklopft wurde. Mace betrat den Raum. „Es schneit", verkündete er, zog seine Jacke aus, nahm den Stetson ab und hängte beides an den Haken neben ihre Jacke. Netter Witz, dachte Emma und schenkte Mace einen spöttischen Blick. „Na klar", murmelte sie und drehte sich zum Fenster um. Aber er hatte Recht. Fein, kaum sichtbar rieselten die zarten Kristalle vom Himmel. Ungläubig und voller Freude zugleich riss sie die Augen auf, lachte und wandte sich wieder ihm zu. „Es schneit tatsächlich!" „Das habe ich doch gesagt", meinte er trocken und kam auf sie zugeschlendert. „Ich wusste, ich hatte irgendwo davon gehört, dass es Schnee geben sollte." „Wie nett." Emma verdrehte die Augen und wandte sich ostentativ wieder dem Eintopf zu. Sie brauchte den Abstand, weil seine Nähe sie irritierte. Neben ihm, mit seinen breiten Schultern und der beeindruckenden Größe, kam sie sich so winzig vor. Sicher, mit knapp einem Meter sechzig war sie klein. Aber noch nie zuvor hatte sie sich so ... verletzlich, so ... überwältigt gefühlt bei einem Mann. Emma warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. Gleichzeitig fühlte sie sich geborgen, beschützt. Ja, sie war aufgeregt und völlig durcheinander! „Das Essen ist fast fertig." Sie seufzte stumm und rührte noch einmal kräftig im Topf. „Sie können schon den Tisch decken." „Sicher." Er schnupperte. „Rieche ich tatsächlich kreolischen Hühncheneintopf?" „Ja." Emma warf ihm einen unsicheren Blick zu. „Mögen Sie ihn nicht?" „Ich liebe dieses Essen!" Er ging hinüber zum Brotkasten, nahm den Brotlaib heraus, schnitt vier Scheiben ab und steckte sie in den Toaster. „Aber man muss das Brot toasten, damit man es in die Suppe tunken kann." „In die Suppe tunken?" „Ja." Mace sah sie mit todernstem Gesicht an. „So verlangt es das Gesetz." Emma konnte nicht anders, sie musste lachen. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch kein geröstetes Brot in Eintopf getunkt - Kräcker, ja, aber niemals Toastbrot. Doch nachdem sie probiert hatte, gestand sie, dass es ihr ausgezeichnet schmeckte. Sie genoss also die heiße, würzige Mahlzeit, den Kaffee anschließend und dazu Nancys
köstlichen Aprikosenkuchen. Ganz besonders jedoch genoss sie Mace' Gesellschaft. Erstaunlich zwanglos unterhielten sie sich über dieses und jenes. Und irgendwann ertappte sich Emma dabei, wie sie ihm die Geschichte ihrer völlig unerwarteten und überraschenden Erbschaft erzählte. „Kirk Hartland war der Großonkel meines Vaters, ein Einzelgänger und offensichtlich das schwarze Schaf der Familie. Ich bin ihm nur einmal begegnet", begann sie, machte dann aber eine Pause und runzelte die Stirn. „Ich glaube, damals war ich vier oder fünf. Und ich kann mich nur noch erinnern, dass er sagte, ich würde sein Haar und seine Augen haben." Sie lächelte bei der Erinnerung. „Das hat mich ziemlich verwirrt, denn wie konnte ich sein Haar und seine Augen haben, da er beides doch offensichtlich selbst hatte!" Mace lachte zusammen mit ihr, machte aber weiter keine Bemerkung. „So können Sie sich vorstellen", fuhr sie fort, „wie verwundert ich war, als ich dann völlig unerwartet ein Schreiben von seinem Anwalt erhielt. Jahrelang hatte ich nichts mehr von Onkel Kirk gehört, aber er hatte mich in seinem Testament als Alleinerbin eingesetzt." Mace sah sie nachdenklich an. „Nancy erzählte mir gestern, er hätte mit der Zucht von Rassepferden begonnen. Was ist aus dem Rest der Herde geworden?" Emma seufzte. „Nancys Worten nach hatte Kirk Krebs im Endstadium und nur noch sechs Monate lang zu leben." Mitgefühl für den Mann, den sie nie richtig kennen gelernt hatte, schwang mit. „Er akzeptierte sein Schicksal und war entschlossen, sein Erbe schuldenfrei zu hinterlassen. So verkaufte er die Herde." „Alle Tiere bis auf Glory." „Ja." Sie nickte. „Onkel Kirk muss sich an meine jugendliche Leidenschaft fürs Reiten erinnert haben, denn er verfügte gesondert, dass Glory nur an mich gehen sollte." „Aber Sie dürfen sie verkaufen, wenn Sie wollen?" fragte er schnell. „Natürlich. Weder mit der Ranch noch mit Glory war irgendeine Bedingung verbunden." Mace spielte gedankenverloren mit seinem Teelöffel, als sie die Tassen nachfüllte. „Sie sagen, Sie sind von Philadelphia hierher gekommen ..." „Ja", murmelte sie und nickte, während sie vorsichtig einen Schluck trank. Er runzelte die Stirn. „Wieso kommen Sie selbst hierher, um die Ranch zu verkaufen? Sie hätten das doch von einem hiesigen Makler erledigen lassen können." „Dafür gibt es zwei Gründe", erwiderte sie. „Auch wenn ich schon einige Male zu verschiedenen Gelegenheiten an der Westküste gewesen bin, habe ich doch das Binnenland immer nur von oben aus dem Flugzeugfenster gesehen. Der Hauptgrund war, dass ich selbst Immobilienmaklerin bin. Eine ziemlich erfolgreiche, darf ich hinzufügen." Sie zuckte mit den Schultern. „Indem ich die Ranch selbst verkaufe, schlage ich sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe." „Nicht zu sprechen von der Maklergebühr, die sie dabei sparen", meinte er trocken. „Das auch." Wieder nippte sie an ihrem Kaffee und wählte dann sorgfältig ihre Worte. „Außerdem habe ich eine ziemlich lange Zeit durchgängig und hart gearbeitet und nicht einmal Urlaub gemacht. Drei Jahre, um genau zu sein. Ich war müde und erschöpft, brauchte eine Pause. Also beschloss ich, hierher zu kommen, den Verkauf selbst in die Hand zu nehmen und mich ansonsten auszuruhen und zu entspannen." Mace verzog den Mund zu einem wissenden Lächeln. „Mit anderen Worten, Sie sind fix und fertig. Ausgebrannt." „Ich bin ganz bestimmt nicht ausgebrannt!" rief sie ein wenig zu heftig. „Regen Sie sich doch nicht gleich auf", murmelte er beruhigend. Dann grinste er. „Ich bin auch ausgebrannt." Gereizt fuhr Emma von ihrem Stuhl hoch. Mace hatte eindeutig einen ihrer verletzlichsten Punkte erwischt. „Ich sagte Ihnen doch, ich bin nicht ausgebrannt, verdammt noch mal!" Mace hob beide Hände und lächelte. „Okay, Sie haben Recht."
„Das hoffe ich doch", fauchte sie und stellte klappernd die Teller zusammen, um den Tisch abzuräumen. Mace räusperte sich. „Ich ... also, vielen Dank fürs Essen. Es hat köstlich geschmeckt." Emma, die schon auf dem Weg zur Spülmaschine war, schaute sich um und funkelte ihn an, misstrauisch wegen seines höflichen Tons. Und ihr Misstrauen war gerechtfertigt, denn seine Mundwinkel zuckten amüsiert. „Bitte, gern geschehen." Sie zuckte innerlich zusammen, weil sie sich so gehen ließ. Er besaß die Frechheit zu lachen. Sie warf die Teller mehr oder weniger in die Spülmaschine. „Sie sind sauer, stimmt's?" Das traf ins Schwarze. Emma holte tief Luft, zählte stumm bis zehn, dann verzog sie die Lippen zum schwachen Abglanz eines Lächelns. „Um ehrlich zu sein, mich langweilt die Unterhaltung", erwiderte sie mit einer Stimme, die sich in ihren Ohren leider etwas gequetscht anhörte. „Okay", meinte er freundlich. „Worüber möchten Sie sich denn unterhalten?" Wieder stand er zu dicht, ließ sie sich klein, zierlich und verletzlich fühlen. Unwillkürlich musste sie erneut daran denken, wie er sie an sich gerissen, geküsst hatte ... Und an diese wirbelnden, heißen Gefühle, die sie bislang noch nicht hatte analysieren mögen. „Ich möchte mich nicht unterhalten." Sie schloss heftig die Spülmaschinentür und drehte den Schalter. „Was möchten Sie stattdessen tun?" Stattdessen tun? Ihr wurde heiß, erst im Bauch, dann tiefer. Ihre Kehle war auf einmal trocken. Um sich seiner magnetischen Anziehung zu entziehen, ging sie rasch ans Fenster und schaute hinaus auf die wirbelnden weißen Flocken. Eine Idee schoss ihr durch den Kopf. „Mir ist nach einem Spaziergang im Schnee zu Mute." „Dann schlage ich vor, wir gehen gleich los." Mace schlenderte zu den Garderobenhaken an der Tür. „Denn bestimmt wird es nicht lange schneien, und der Schnee wird schnell wieder schmelzen." Er zog sich seine lange Schaffelljacke über. Als er dann aber eine alte hüftlange Öljacke vom Haken nahm, runzelte sie die Stirn. „Die gehört Nancy, nicht mir", sagte sie, als er sie ihr hinhielt. „Und sie ist viel zu groß für mich." „Mag sein." Mace stellte sich hinter sie, um ihr hineinzuhelfen. „Aber auf jeden Fall ist sie um einiges wärmer als Ihre todschicke Wildlederjacke." Emma widersprach nicht. Warum auch? Er hatte ja Recht. Und zudem hatte sie genug damit zu tun, sich gegen die lustvollen Schauer zu wehren, die sie überliefen, als seine Fingerspitzen ihren Nacken berührten. Sie schob die Arme in die Ärmel und trat dann einen Schritt von ihm fort. Die Ärmel reichten ihr bis zu den Fingernägeln, die Jacke bis zu den Knien. Emma kam sich vor wie ein kleines Mädchen, das mit den Sachen der Mutter Verkleiden spielte. Sie marschierte zur Tür, riss sie auf und stürmte auf die Veranda. Aber als der erste eisige Windstoß sie traf und ihr den Atem raubte, war sie Mace auf einmal richtig dankbar. Rasch knöpfte sie die Jacke zu, schlug den Kragen hoch und zog die Finger tief zurück in die überlangen Ärmel. „Danke", murmelte sie, als Mace ihr den alten Hut, den sie beim Reiten aufgehabt hatte, auf den Kopf stülpte. „Bitte, gern geschehen." Er legte ihr wie selbstverständlich den Arm um die Schultern und verließ mit ihr den mageren Schutz der Veranda, hinaus in die feinen, wirbelnden Schneeflocken.
Emma war wie verzaubert, auch wenn sie fror. Lachend entwischte sie Mace' Arm und rannte auf den Hof. Sie warf den Kopf in den Nacken, öffnete den Mund, um mit der Zunge die tanzenden Flocken einzufangen. Plötzlich bedeckten statt der kühlen Schneekristalle warme männliche Lippen ihren Mund. Mace legte beide Arme um Emma und zog sie dicht an sich. Ihr schwacher Protest wurde sofort erstickt von seiner Zunge. Er schob sie ihr in den Mund und begann ein erotisches Spiel. Emma fühlte den eisigen Wind nicht mehr und vergaß auch den Schnee. Ihr war heiß, höllisch heiß. Verlangen schoss wie glühende Lava durch ihre Adern ... Mit einem Ruck riss sie sich los. Sofort traf sie wieder die Eiseskälte, der beißende Wind, die stechenden Schneeflocken im Gesicht ... und sie empfand eine schreckliche Leere in sich. Mace stand ruhig da, sah sie nur an. Aber sein dunkler Blick bohrte sich förmlich in ihre Augen, als wolle er sie zwingen, das Verlangen einzugestehen, sich der sinnlichen Anziehung zwischen ihnen zu ergeben. Emma war ernsthaft in Versuchung. Der Himmel wusste, noch nie war sie derart versucht worden. Und er wusste es. Sie las es in seinen Augen, Er wusste, wie zerrissen sie innerlich war. „Ich will dich so sehr, dass ich es schmecken kann, Emma", sagte er rau. Ihr stockte der Atem, sie starrte ihn an, mit großen Augen, unfähig zu denken, sich zu bewegen, wie gefangen von seinem Blick, von seinem direkten Angebot. Von ihrem eigenen Verlangen. „Ich ... Wir ..." Sie stockte, schluckte, stammelte weiter. „Ich ... wir kennen uns kaum. Ich ... du könntest verheiratet sein." „Bin es nicht." Es klang ehrlich. „Ich war es einmal, aber die Sache ist schon lange zu Ende", fuhr er fort und verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. „Und du? Ich meine, bist du verheiratet oder bis vor kurzem ... mit jemand liiert gewesen?" „Nein", gab sie zu. „Also, warum eine große Sache daraus machen?" Große Sache? Große Sache! Emma starrte ihn fassungslos an. Sie waren mehr oder weniger Fremde füreinander, waren fast übereinander hergefallen ... und dann diese lässige Bemerkung? „Mein Gott, Mace, wie kannst du mich so etwas fragen? Wir haben uns doch gerade erst kennen gelernt." „Ich weiß." Mace schüttelte den Kopf und atmete hörbar aus. „Mir ist so etwas noch nie passiert. Nicht mit meiner Exfrau, nicht mit anderen Frauen und nicht einmal in meiner Teenagerzeit, wo die Hormone verrückt spielten", bekannte er erstaunlich offen. Er lächelte kaum merklich. „Verdammt, Emma, ich weiß auch nicht warum, aber ich habe diese ... seltsame, spontane Anziehung zwischen uns schon gespürt, als du gestern in die Küche kamst." Emma verstand nur zu gut, was er meinte, denn ihr war es nicht anders ergangen. Was sollte sie antworten? Der Drang zu leugnen war stark, aber eindeutig unsinnig. Sie hatte sich selbst etwas vorgemacht, gestern im Stall, und eben gerade auch. „Ich habe im Augenblick Schwierigkeiten damit ... Ich kann einfach nicht." Sie wandte sich abrupt ab und ging einfach drauflos, ungeachtet des scharfen Winds, der kalten Schneeflocken, die ihre Wangen nässten. Mace holte sie umgehend ein, hielt mit ihr Schritt. „Möchtest du eine Entschuldigung hören?" Als wäre eine Entschuldigung ernst zu nehmen nach dem, was er mir gerade gestanden hat, dachte Emma, schüttelte den Kopf und zischte: „Nein!" „Dann ... Wohin gehst du eigentlich?" Es war keine rhetorische Frage, denn Emma ging weder in Richtung des Ranchhauses noch der Ställe.
„Nirgendwohin. Irgendwohin." Sie zuckte mit den Schultern, wagte ihn nicht einmal anzublicken. „Ich habe doch gesagt, ich will einfach nur ein wenig im Schnee herumlaufen." „Okay, laufen wir im Schnee herum", versuchte er sie zu beruhigen. „Aber hättest du etwas dagegen, einen Rundgang ums Ranchhaus zu machen? Ich würde mir das Gebäude gern einmal im Tageslicht ansehen." Emma zögerte kurz, dann zuckte sie mit den Schultern. Was spielte es schon für eine Rolle, wohin sie gingen? Aufs Wetter achtete sie sowieso nicht. Dazu war ihr Mace' Gegenwart viel zu bewusst. Noch immer konnte sie ihn schmecken, auf ihren Lippen, in ihrem Mund. Sie fühlte noch immer seinen muskulösen Körper, den harten Beweis seines Begehrens und spürte dem Zittern nach, das sie in seinen Armen erfasst hatte. Nachdenklich und durcheinander zugleich versuchte sie zu ergründen, was an diesem Mann war, an Mason Conyers, das ihn so von allen anderen Männern unterschied, die sie je kennen gelernt hatte. Das ihn so unwiderstehlich für sie machte ... Er war attraktiv, sicher, aber sie hatte eine ganze Reihe attraktiver Männer gekannt, und doch war keiner von ihnen unwiderstehlich gewesen ... auch nicht der, dessen Verlobungsring sie kurz getragen hatte. Natürlich, keiner dieser Männer war so eindeutig männlich gewesen wie Mace, noch hatte er eine so unverhüllte und machtvolle sexuelle Ausstrahlung gehabt. Aber Emma hatte sich bisher eigentlich nie von markanter Männlichkeit beeindrucken lassen. Es musste also etwas anderes an ihm sein, etwas, das über reine Sexualität hinausging und irgendetwas in ihr zum Schwingen brachte. Ruhige Stärke. Dieser plötzliche Gedanke bedurfte tieferer Betrachtung. Ja, dachte sie, seine ruhige Stärke, das Gefühl der Verlässlichkeit, das habe ich sofort gespürt. Und ohne falsche Bescheidenheit wusste sie, diese Eigenschaften gehörten auch zu ihrem Charakter. Gleiches zu Gleichem? Aber das ergab keinen Sinn für sie. Wie konnte das sein, da sie andererseits so verschieden waren? Sie war ehrgeizig, jemand, der seine selbst gesetzten Ziele erreichen wollte, der das hektische, aufregende Großstadtleben liebte, das Geben und Nehmen in der Welt der Ge schäfte. Und Mace war, seinen eigenen Worten nach, ausgebrannt, müde, auf der Suche nach Einsamkeit und innerem Frieden. Auch wenn Emma sich durchaus eingestand, dass die schlichte ländliche Atmosphäre der Ranch für eine kurze Zeit durchaus erholsam sein konnte, wusste sie doch, diese ständige Ruhe würde sie auf Dauer verrückt machen. Also konnte sie das „Gleiches zu Gleichem" streichen. Mit ihren Gedanken beschäftigt, trottete Emma drei Mal neben Mace ums Haus herum, ohne es richtig mitzubekommen. Dann blieb er vor der Veranda stehen. „Na, hast du es dir jetzt abgelaufen?" Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen und sah ihn verständnislos an. „Was abgelaufen?" fragte sie. „Was meinst du damit?" „Wir stehen kurz davor, das vierte Mal das Haus zu umwandern", informierte er sie trocken. „Und da ich sehe, wie verfroren du inzwischen bist, habe ich nur gefragt, ob du vielleicht den aufgestauten Ärger, der dich die ganze Zeit vorangetrieben hat, endlich abgebaut hast." „Drei Mal?" fragte Emma, immer noch verwundert, und beschloss, seine Spitzen zu ignorieren. „Drei Mal", wiederholte er und lächelte. „Und ich weiß nicht, wie es mit dir ist, aber ich
bin lange genug durch diesen verrückten Septemberschnee gestapft." Erst jetzt spürte sie die Kälte. Sie kam sich ziemlich dumm vor und seufzte. „Zeit für etwas Heißes zu trinken", murmelte sie und stieg die Verandastufen hinauf. „Gefolgt vielleicht von einer Besichtigungstour durchs Haus?" schlug Mace vor und folgte ihr.
5. KAPITEL
Als Emma die warme Küche betrat, seufzte sie noch einmal. Gütiger Himmel, war sie durchgefroren! Sie zog sich Nancys Jacke aus, hängte sie an den Garderobenhaken und beantwortete dann erst Mace' Frage. „Wenn du unbedingt willst." Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Du bist doch Immobilienmaklerin. Würdest du ein Anwesen kaufen, ohne es dir vorher gründlich anzusehen?" „Nein, natürlich nicht." Ungeduldig, eigentlich mehr mit sich selbst als mit ihm, ging sie hinüber zum Herd. Dabei hinterließen ihre nassen Schuhe Spuren auf Nancys sauberem Fußboden. Mace überlegte vorher und zog sich seine Stiefel aus, ehe er von der Fußmatte an der Tür den ersten Schritt in die Küche hinein machte. Der Anblick seiner dicken Wollsocken machte ihr bewusst, dass sie nur dünne Strümpfe trug. „Du musst nasse und kalte Füße haben", meinte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Willst du dir nicht etwas Trockenes anziehen? Ich kann ja schon Kaffee machen." Zuerst wollte Emma dagegen protestieren, dass er einfach alles in die Hand nahm, aber sie wollte möglichst schnell aus ihren feuchten Strümpfen heraus. Und sie wollte möglichst schnell Abstand zu ihm, wenn auch nur für ein paar Minuten, um einmal tief und entspannt durchzuatmen. „Okay, danke", sagte sie und machte sich auf den Weg zur Treppe. „Ich bin gleich zurück." „Nimm dir nur ruhig Zeit. Ich gehe nirgendwohin." Genau das ist es ja, was ich befürchte, dachte sie voller Bedauern, als sie den Flur entlang und dann die Treppe hinaufeilte. Seine ständige Nähe, die innere Anspannung, weil er da war ... so nahe, dass sie ihn berühren könnte, machte ihr langsam zu schaffen, unterminierte ihren Entschluss, sich auf nichts einzulassen. Emma blieb mehr als nur ein paar Augenblicke. Sie gönnte sich sogar eine heiße Dusche, um die letzte Kälte aus ihrem Körper zu vertreiben. Als sie in die Küche zurückkehrte, empfing sie köstliches Kaffeearoma und der herrliche Duft nach warmen Zimtschnecken. Und ein rascher Rundblick im Raum zeigte ihr, dass Mace sogar ihre Dreckspuren weggewischt hatte. „Du bist wirklich fleißig gewesen", bemerkte sie und deutete auf den Boden. „Hm", murmelte er geistesabwesend, während er Glasur auf die Zimtschnecken gab. „Ich fand die Packung im Tiefkühlfach und konnte einfach nicht widerstehen." Er lächelte sie an. „Ich hoffe, dir macht es nichts aus." „Wie könnte ich, nachdem du so nett warst und für mich den Boden gewischt hast?" erklärte sie und wandte sich hastig der Kaffeemaschine zu, um ihn nicht merken zu lassen, welche katastrophalen Auswirkungen sein Lächeln auf sie hatte. Er zuckte mit den Schultern. „Ich hab nur ein paar Mal mit Küchenpapier drübergewischt, das war alles." Erstaunlicherweise konnte Emma sich beim Kaffee und den Zimtschnecken tatsächlich entspannen. Sie war inzwischen bereit, einen unausgesprochenen Waffenstillstand mit ihm einzuhalten. Die Unterhaltung lief zwar erst stockend an, doch schon bald lachten sie gemeinsam, als sie einander im selben Moment dabei ertappten, wie sie sich die Zuckerglasur von den klebrigen Fingern leckten. „Du scheinst dich mit Hausarbeiten auszukennen", meinte sie anerkennend und deutete nochmals auf den Fußboden. „Mir bleibt keine andere Wahl." Er lächelte schief. „Ich muss schon lange für mich selbst sorgen." „Deine ... Ehe?" wagte sie zu fragen. Er seufzte, antwortete aber. „Sie war ein Fehler. Zu spät erkannten wir, dass wir
verschiedene Erwartungen an das Leben hatten. Es war das klassische Beispiel einer übereilten Eheschließung, die man schon bald bereut." „Das tut mir Leid." Was konnte sie sonst sagen? „Mir nicht." Es kam sachlich heraus. „Wir waren beide jung, zu jung. Sie war hübsch, lebenslustig und sehnte sich nach Aufmerksamkeit und Erlebnissen. Verständlich, denn sie zog die Männer an wie Honig die Bären. Männer, die ihr weitaus mehr bieten konnten als ich damals." Sicher meint er Geld, dachte Emma, viel Geld, mit dem eine Frau sich eine Menge Wünsche erfüllen kann. Was sollte es sonst sein? Es gab doch sicher nicht viele Männer, die mehr bieten konnten an Beständigkeit, Kraft, Umgänglichkeit und Charakterfestigkeit als Mace. Obwohl sie ihn keine drei Tage kannte, war sie sich dessen bereits sicher. „Ich war einmal verlobt", erzählte sie ihm ungefragt. „Die Sache ging auch schief." Er sah sie an. „Ich werde nicht", betonte er mit sanfter Stimme, „sagen, dass mir das Leid tut." Ihre Haut begann zu prickeln. Um sich abzulenken, sprang Emma auf und begann eifrig abzuräumen. Diesmal bot er nicht an zu helfen, sondern saß einfach nur da und beobachtete sie. Damit verunsicherte er Emma umso mehr. Sie merkte, dass sie sich ungelenk bewegte. Ihre Hände zitterten sogar ein wenig. Schließlich ermahnte sie sich, sich wie eine Erwachsene zu benehmen, legte das Geschirrtuch beiseite und drehte sich zu ihm herum. „Komm, bringen wir die Hausbesichtigung hinter uns", sagte sie und marschierte an ihm vorbei in den Flur. Es wurde später Nachmittag, bis Mace sich jedes Zimmer, jeden Winkel im Haus angesehen hatte, selbst den Dachboden. Emma, die seine Gründlichkeit kribbelig machte, war inzwischen in die Küche zurückgekehrt, um etwas zu essen zu machen. Als sie die Deckenlampe anschaltete, wurde ihr bewusst, wie spät es inzwischen geworden war - und reichlich dunkel! Eigentlich ist es doch noch viel zu früh dafür, dachte sie verwundert und stellte das Radio auf dem Kühlschrank an. Die Stimme des Sprechers ließ sie erstarren. „... und die Straßen sind bereits glatt und gefährlich", verkündete er gerade. Die Straßen glatt und gefährlich? Wo? Emma runzelte die Stirn. Sehr wahrscheinlich in der Gegend um Denver, da Nancy immer den Sender von Denver eingestellt hatte. War der Schnee zu Eisregen geworden, das Fahren lebensgefährlich? Nancy! Nancy war heute Morgen losgefahren nach Denver. Voller Sorge um die Haushälterin starrte sie auf das Radio, lauschte den Nachrichten. „Ja, Leute, Mutter Natur hat uns einen Streich gespielt, und anstelle ein paar harmloser früher Schneeflocken beschert sie uns einen gewaltigen Schneesturm, der beständig an Stärke zunimmt. Der Schnee liegt bereits mehr als dreißig Zentimeter hoch. Autofahrten sind in zwischen zum echten Albtraum geworden. Die Behörden empfehlen dringend, im Haus zu bleiben, und wenn das nicht möglich ist, extrem vorsichtig zu sein ..." „Wieso ist der Mann denn so aufgeregt?" Erschrocken fuhr Emma herum. Mace stand in der Tür, mit gerunzelter Stirn. „Oh ... Mace, es ist nicht zu glauben, aber über Denver ist anscheinend ein Schneesturm hergefallen!" „Denver? Nur über die Stadt?" Er verzog skeptisch das Gesicht. „Das glaube ich nicht." Sein Widerspruch reizte sie. „Was meinst du, du glaubst es nicht? Ich habe es doch gerade mit eigenen Ohren im Radio gehört!" Mace schüttelte den Kopf und ging hinüber zur Haustür. „Ich wollte damit sagen, es kommt mir unwahrscheinlich vor, dass sich der Blizzard nur auf das Stadtgebiet von Denver
beschränkt", erklärte er und warf einen Blick auf die Schalterleiste neben der Tür. „Ich habe die Halogenscheinwerfer auf dem Dach gesehen - welche Schalter sind es?" „Die letzten beiden", sagte Emma und ging zu ihm. Er drückte die Schalter, öffnete die Haustür und trat hinaus auf die Veranda. Emma folgte ihm. „Oh ...", rief sie leise, als sie den vom gleißenden Licht der Scheinwerfer erhellten Hof sah. Die Schneeflocken schwebten nicht mehr länger durch die Luft und legten sich sanft auf Dächer und Erde. Nein, nun wirbelten sie in dichten Schauern durch die Luft und hatten den Hof bereits mit einer weißen Decke versehen. Der Schnee fiel so dicht, dass sie kaum den Stall und die anderen Nebengebäude ausmachen konnte. „Ist das nicht wunderschön?" murmelte sie verzaubert von dem traumhaften Anblick. „Ja." Mace warf ihr einen trockenen Blick zu. „Schön und tödlich." Mit einem Seufzer drehte er sich um und ging wieder hinein. Emma folgte ihm und fühlte sich dabei wie ein wohlerzogener Hund. Als er nach seiner Schaffelljacke griff, runzelte sie die Stirn. „Du gehst wieder nach draußen?" Dumme Frage, dachte Emma im nächsten Moment. Warum zieht er sich wohl sonst seine Jacke an! Er nickte und setzte sich den Stetson auf. „Ich will nach Pferd und Glory sehen, und dann ..." „Warte", sagte sie und eilte zum Kühlschrank. „Ich gebe dir ein paar Karotten für sie mit." Sein grimmiges Gesicht wurde durch ein Lächeln gemildert. „Das vergisst du nie, stimmt's?" „Besser nicht." Ihr Lachen wurde durch die geöffnete Kühlschranktür gedämpft. „Weil Glory sich bereits an den Leckerbissen gewöhnt hat, und das schon nach einer einzigen Woche." Augenblicke später schaute Emma ihm fröstelnd nach, wie er sich gegen den Wind stemmte, Karotten in der Hand, und durch den Schnee zum Stall stapfte. Erst als sie ihn durch die Stalltüren verschwinden sah, schloss sie die Eingangstür wieder. Abendessen, schoss ihr der Gedanke durch den Kopf. Wenn Mace die Tiere versorgt hatte, würde er durchgefroren sein und sich über ein warmes Essen bestimmt freuen. Aber was sollte sie zubereiten? Emmas Kochkünste beschränkten sich auf Rühreier und das Aufwärmen von Dosensuppen und Tiefkühlgerichten. Sie ging zum Kühlschrank in der Hoffnung, dort irgendetwas zu finden, was sie nicht verderben konnte, auch wenn es vielleicht nur ein Steak war, das sie unter den Grill legen konnte. Zu ihrer großen Erleichterung entdeckte sie im Tiefkühlfach mehrere übersichtlich beschriftete Behälter. Sie nahm einen Behälter heraus, der laut Aufkleber Putencurry enthielt, und stellte ihn in die Mikrowelle. Im Kühlschrank fand sie eine Packung Brötchen zum Aufbacken, die neben einer Schachtel Zimtschnecken lagen, von denen Mace vorhin welche warm gemacht hatte. Das werde ich wohl schaffen, machte sich Emma Mut und begab sich an die Arbeit. Alles war fertig, als sie einige Zeit darauf hörte, wie Mace sich auf der Veranda den Schnee von den Stiefeln klopfte. Der Tisch war gedeckt. Eine Holzschüssel mit Salat und zwei Fläschchen mit Sauce stand bereit. Die Brötchen im Herd brauchten nur noch eine Minute. In der Kaffeemaschine lief der Kaffee durch. Die Mikrowelle piepte drei Mal melodisch, als Mace die Tür öffnete. „Ein perfektes Timing", sagte Emma und war ziemlich stolz auf sich. „Wir können essen, sobald du dir die Hände gewaschen hast." Mace blieb einen Moment zögernd an der Tür stehen, eine kleine Falte auf der Stirn, dann seufzte er. „Okay. Und es riecht richtig gut", meinte er und zog sich die Stiefel aus. „Das ist nicht mein Verdienst." Emma grinste. „Alles war schon vorbereitet. Ich musste es
nur noch aufwärmen." Sie wandte sich zum Herd, um das Blech mit den Brötchen herauszunehmen. „Kann ich helfen?" fragte er, während er sich die Jacke auszog und mit dem Hut an den Haken hängte. Dann ging er zur Spüle, um sich gründlich die Hände zu waschen. „Du kannst die Brötchen holen", bat sie ihn, während sie vorsichtig den Eintopf abstellte. Mace wartete höflich, bis Emma sich ihm gegenüber hingesetzt hatte, dann nahm er auch Platz. „Sobald wir gegessen und abgeräumt haben, mache ich mich besser auf den Weg." Emma, die gerade ein Brötchen mit Butter bestrich, hob den Kopf und starrte ihn an. „Auf den Weg machen? Wohin?" „Zurück in die Stadt", erklärte er und füllte sich seinen Teller ordentlich voll. „Die Fahrt wird inzwischen allerdings ein wenig ungemütlich werden, denke ich." Spontan griff Emma über den Tisch nach seinem Arm. „Aber bei diesem Wetter kannst du nicht zurück", protestierte sie. „Im Radio wurde durchgegeben, dass die Straßen gefährlich vereist sind. Die Behörden empfehlen dringend, zu Haus zu bleiben und die Straßen zu meiden, außer, es ist absolut notwendig zu fahren." Er sagte nichts. Schaute nur auf ihre Hand, die auf seinem Arm lag. Schließlich hob er den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. „Soll das eine Einladung sein, heute Nacht hier zu bleiben?" Die erotische Spannung zwischen ihnen loderte wieder auf. Emma schluckte. Wenn Mace die Nacht über blieb ... würde er ... könnte sie ... würden sie vielleicht... Hör auf! rief sie sich streng zur Ordnung. Schließlich war sie eine erwachsene, vernünftige und einigermaßen intelligente Frau. Warum benahm sie sich dann wie ein Teenager, zitternd und erwartungsvoll, voll überschäumender Fantasien? Sie raffte den kläglichen Rest ihrer Selbstbeherrschung zusammen und schaffte es, seinem Blick standzuhalten. „Natürlich", sagte sie in einem Ton, als sollte er die Antwort eigentlich selbst wissen. „Warum denn nicht?" „Das weißt du genau", erwiderte er leise, aber bedeutungsvoll. „Weil du unwiderstehlich bist?" gelang es ihr, einen lockeren Ton anzuschlagen, und er runzelte die Stirn. „Und weil ich allein hier bin? Eine schwache, wehrlose Frau?" Da lachte er auf. „Schwach und wehrlos? Du? Da bin ich anderer Meinung. Du hast vergessen, ich habe dich heute Morgen gesehen, bereit, diesem alten Knacker eins über die Rübe zu geben, falls nötig!" Emma wusste natürlich nur zu gut, es mit Jenkins aufzunehmen war eine Sache, eine ganz andere hingegen, das Gleiche bei Mace zu versuchen. Unwillkürlich musterte sie seine muskulöse Brust, die breiten Schultern, bevor ihr Blick höher zu seinem Gesicht glitt. In seinen dunklen Augen blitzte es warnend. Als er sprach, rieselte es ihr heiß über den Rücken, so unverhüllt sexy klang seine Stimme. „Allerdings muss ich sagen, das mit dem unwiderstehlich, das gefällt mir." Emma hatte Mühe, ihre Aufregung nicht zu zeigen, und schnaubte abfällig. „Komm, halt die Luft an und iss", befahl sie ihm. „Bevor es kalt wird." Ein Lachen tanzte in seinen Augen, reizte ihre Sinne. Aber er gehorchte und langte kräftig zu. Emma, die ihre gesamte Energie brauchte, sich gegen seine magnetische, sinnliche Ausstrahlung zu wehren, schwieg fast während des ganzen Essens. In Gedanken war sie damit beschäftigt, wie wohl der Abend verlaufen würde. In ihrem Kopf drehten sich alle möglichen Szenarien. Wenn der Schneesturm nun mehrere Tage anhielt? Wenn der Strom ausfiel und sie ohne Elektrizität waren, ohne Heizung? Wenn, wenn, wenn ... Wenn Mace sich in dieser Nacht tatsächlich für sie als unwiderstehlich erwies? Wenn sie
nun der Versuchung erlag, seinen heißen Körper zu spüren, seine Liebkosungen zu genießen ... „Entspann dich, Emma." Mace' Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Ich halte nichts davon, Frauen mit Gewalt zu nehmen." Zu schade. Dieser plötzliche Gedanke schockierte - und amüsierte sie zugleich. Natürlich wusste sie, was ihn ausgelöst hatte. Dann nämlich würde sie keinerlei Verantwortung tragen für das, was geschah, konnte sich einfach dem Genuss hingeben ... Es war fast komisch. Nein, es war komisch. Emma lachte. Und ihr Lachen lockerte die gespannte Atmosphäre im Raum, das angestrengte Schweigen zwischen ihnen. Danach verlief der Abend so nett und freundlich, dass es fast schon wieder enttäuschend war. Als Emma ihre Befürchtungen wegen des Wetters und der Stromversorgung aussprach, beruhigte Mace sie lächelnd. „Wir werden schon nicht allzu lange von der Außenwelt abgeschnitten sein, auf jeden Fall nicht für Tage. Dafür ist es noch zu früh im Jahr. Auch ein Stromausfall würde nicht lange dauern." Er zuckte mit den Schultern. „In der obersten Schublade des Küchenschranks liegt ein Haufen Kerzen - ich sah sie gestern, als ich nach dem Besteck suchte." Er deutete auf die alte Anrichte an der gegenüberliegenden Wand. „Und diese alte Petroleumlampe auf dem unteren Regal steht dort nicht nur zur Zierde - sie ist halb voll und der Docht sauber geschnitten. Wir würden also nicht im Dunkeln sitzen. Draußen gibt es zudem einen Generator. Ich habe ihn während unserer drei Runden um das Ranchhaus zufällig entdeckt." Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. Er lachte. „Der Generator ist so stark ausgelegt, für die alltäglichen Geräte und Lampen genügend Strom zu liefern, und selbst für die Heizung, wenn man sie nicht durchgängig laufen lässt. Zusätzlich gibt es noch den Kamin im Wohnzimmer. Holz dafür liegt im Unterstand am Ende der Veranda." Emma kam sich vor wie eine Idiotin. Sie hatte nicht nur die Lampe für Dekoration gehalten, sondern sich nicht einmal dafür interessiert, was sich in dem abgeschlossenen Verschlag hinter der Veranda befand. Gleichzeitig war sie maßlos erleichtert und scheute sich auch nicht, es Mace zu sagen. „Ich bin wohl wirklich der grünste aller Grünschnäbel", schloss sie mit reumütigem Lächeln. „Ich persönlich habe eine Schwäche für Grün", murmelte er und warf ihr ein Lächeln zu, das Schmetterlinge in ihrem Bauch aufflattern ließ. Wie sich herausstellte, waren Emmas Befürchtungen umsonst gewesen. Die Stromversorgung funktionierte ohne Probleme. Die Kerzen konnten oben auf der Arbeitsplatte liegen bleiben, wo Mace sie für alle Fälle hingelegt hatte. Die Petroleumlampe blieb an ihrem Platz im Regal. Den Kamin im Wohnzimmer machte Mace trotzdem an. Stunden später, müde und inzwischen mundfaul, lag Emma zusammengerollt auf dem Sofa, seufzte zufrieden und starrte in die tanzenden Flammen. Mace saß entspannt ihr gegenüber in einem tiefen, bequemen Sessel und schaute sie unentwegt an, ohne dass sie es bemerkte. „Es gibt kaum etwas Beruhigenderes und Tröstlicheres als ein prasselndes Kaminfeuer in einer kalten Schneenacht", murmelte sie, hob träge eine schmale Hand, um ein Gähnen zu verstecken. „Ja ... es ist wirklich gemütlich", gab er ihr Recht, hatte offenbar jedoch auch Mühe, die Augen offen zu halten. „Aber wenn wir beide hier einschlafen und morgen früh steif und kalt vor dem erloschenen Kamin aufwachen, werden wir ganz anders darüber denken." „Du hast Recht, es ist spät geworden", pflichtete sie ihm bei, zu müde, um sich noch weiter Gedanken darüber zu machen, dass sie Wand an Wand mit Mace schlafen würde. Sie richtete
sich auf und gähnte wieder hinter vorgehaltener Hand. „Du kannst schon nach oben gehen, ich lösche noch das Feuer und schalte überall die Lichter aus." Mace erhob sich, reckte und streckte den Rücken. Einen Moment lang stand Emma wie gebannt da, starrte auf seine breite Brust und schlanke Taille, den flachen Bauch, die schmalen Hüften und langen Beine. Sie musste schlucken, mehrmals, weil ihre Kehle und ihr Mund plötzlich knochentrocken waren. Ihr war auf einmal fürchterlich heiß, und das an den falschen Stellen. Ihre Brüste prickelten und spannten. Mace fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Am liebsten hätte Emma ihre Finger auch in den dichten schwarzen, mit grauen Strähnen durchsetzten Schopf geschoben. Als Mace die Arme wieder herunternahm, blickte er Emma an. In seinen Augen spiegelten sich die Flammen. Er lächelte. Ihr stockte der Atem. „Du machst dich am besten auf die Socken, ehe du noch im Stehen einschläfst", sagte er mit sanfter, verführerischer Stimme, und allein sein Anblick war schon sündhaft genug. „Gute Nacht, Emma." Mit glühenden Wangen, die nicht vom Feuer so heiß waren, kam Emma wieder zu Verstand. Sie wandte sich rasch ab, denn zu groß war die Verlockung, und floh mit einem gemurmelten: „Gute Nacht." Sie war ganz sicher, heute Nacht würde sie kein Auge schließen können. Ihr Schlafzimmer war kalt. Fröstelnd streifte sie sich ihre Sachen ab und zog ein kurzes Baumwollnachthemd an. Der Wind heulte wie eine rastlose, verlorene Seele ums Haus und rüttelte an den Fenstern. Und doch fühlte Emma sich sicher und geborgen. Mace würde im Zimmer direkt nebenan sein. Vielleicht bin ich naiv, dachte sie, als sie das Bett aufschlug, aber ich vertraue ihm. Wenige Minuten, nachdem sie ins kalte Bett geschlüpft war, schlief sie tief und fest.
6. KAPITEL
Emma wachte auf. Wässriges Sonnenlicht fiel durch die Fensterscheibe herein, und draußen herrschte eine gedämpfte Stille, wie nur eine tief verschneite Landschaft am frühen Morgen sie bot. Im Zimmer war es eiskalt. Unwillkürlich kroch Emma noch tiefer unter die warme Decke. Aber der verlockende Duft nach Kaffee und gebratenem Schinkenspeck trieb sie dann doch aus den Federn. Minuten später, nachdem sie sich im Bad kurz das Gesicht gewaschen, die Zähne geputzt und mit der Bürste durchs zerwühlte Haar gefahren war, schlenderte sie in die Küche. „Morgen ...", begrüßte Mace sie. Er war gerade dabei, Eier in eine Schüssel zu geben. „Bist du mit Rührei zufrieden?" „Ja, wunderbar." Emma trat ans Fenster. „Was kann ich noch ..." Sie unterbrach sich mit einem leisen: „Oh!" Draußen erstreckte sich eine winterliche Märchenlandschaft. Es hatte aufgehört zu schneien. Der Wind hatte sich gelegt. Der Himmel strahlte leuchtend blau. Die Sonne schien und brachte den Schnee zum Glitzern. „Es ist ... herrlich", flüsterte sie. „Wie auf einer Weih nachtspostkarte. " „Ja, Weihnachten. Klasse!" bemerkte Mace in abschätzigem Ton. „Die Temperatur steigt schon wieder, der Schnee schmilzt, und dann ist es aus mit deiner Weihnachtsidylle." Emma drehte sich mit gerunzelter Stirn um. „Du magst Weihnachten nicht?" „Es ist ein Tag wie jeder andere", meinte er nur und gab die geschlagenen Eier in eine große Pfanne. „Aber ..." Das Brot schoss aus dem Toaster hoch. „Kannst du das Brot und den Schinken auf den Tisch stellen?" unterbrach er sie und deutete mit dem Kopf auf den Arbeitstresen. „Das Rührei ist sofort fertig." Sie waren schon bald fertig mit dem Frühstück, da konnte Emma ihre Neugier nicht mehr bezähmen. „Was hast du gegen Weihnachten, Mace?" „Ich habe nicht behauptet, dass ich es nicht mag", erwiderte er. „Aber du sagtest gerade ..." „Ich weiß, was ich gesagt habe", unterbrach er sie wieder. „Es ist ein Tag wie jeder andere, und für mich ist das schon immer so gewesen." „Du hast also niemals Weihnachten gefeiert?" Emma starrte ihn verwundert an. „Aber doch wohl als Kind, oder ..?" Sein rasches Kopfschütteln brachte sie zum Schweigen. „Hör zu, ich wuchs in bitterster Armut auf, und deswegen gab es nie etwas zu feiern. Ich war zwölf, als meine Eltern den Kampf aufgaben und beide innerhalb eines Jahres nacheinander starben." „Oh, Mace ..." Emma dachte an ihre behütete Kindheit und die besinnlichen, von Liebe und Geborgenheit erfüllten Weihnachtsfeiertage, die sie zusammen mit ihrer Familie verbracht hatte. „Es tut mir so Leid." „Das muss es nicht." Seine Stimme verriet, er wollte ihr Mitgefühl nicht. „Ich kam zu einem Pflegevater, einem Pferdezüchter." Er verzog zynisch den Mund. „Genauer gesagt suchte er auf legale Weise einen Sklaven ... und fand mich. Auch dort gab es nicht viel zu feiern." Mace zuckte mit den Schultern. „Aber das war schon okay. Da ich es nie erlebt hatte, konnte ich es auch nicht vermissen." Emma war bestürzt. „Aber du musst doch zur Schule gegangen sein ... hattest Freunde mit einem normalen Familienleben ...?" Wieder schüttelte er den Kopf. „Ich musste immer zu Haus bleiben, zuerst bei meinem leiblichen Vater, dann bei meinem Pflegevater. Er wusste eine Menge ... über Pferdezucht und, seltsamerweise, über Gesetze. Er hatte eine kleine Bibliothek in seinem Arbeitszimmer, und ich las jedes einzelne Buch, manche zweimal."
„Und deshalb wurdest du Polizist", schloss sie. „Richtig." Er stand auf und schenkte ihnen Kaffee nach. „Mein Ziel war jedoch immer, mir eine Ranch zu kaufen und eine Pferdezucht aufzubauen. Ich besaß weder die Zeit noch das Bedürfnis, irgendwelche Feste zu feiern." Emma zögerte, wusste, es ging sie eigentlich nichts an, aber ihre Neugier war stärker. „Du musst doch Freunde gehabt haben, und dann warst du auch noch verheiratet", erinnerte sie ihn. „Sicher hast du doch mit deiner Frau und deinen Freunden die Festtage verbracht?" Er lachte, doch es klang nicht gerade fröhlich. „Ich war insgesamt sieben Monate verheiratet, von März bis Oktober. Das reichte meiner Frau zu begreifen, dass ich nicht bereit war, mein sauer verdientes und gespartes Geld für ihr ersehntes Luxusleben zum Fenster hinauszuwerfen. Da zog sie mit einem Spieler davon, nach Las Vegas - und von dort schickte sie mir dann auch die Scheidungsunterlagen." Emma stand auf und begann abzuräumen. „Und deine Freunde?" fragte sie. „Hatten ihre eigenen Familien", erwiderte er und half ihr. „Ich wollte mich nicht hineindrängen." Nein, das wollte er wohl nicht, dachte sie, während sie die Spülmaschine voll lud. Er hatte das Mitleid seiner Freunde nicht gewollt, das wusste sie. Ebenso wenig wie er ihres wollte. Dennoch empfand sie Mitgefühl für ihn, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Mitgefühl war allerdings nicht das Einzige, was sie für ihn empfand, nicht das stärkste Gefühl, wie sie sich eingestehen musste, als er sie zufällig anstieß und ein elektrischer Schlag sie durchzuckte. Sie blickte auf und sah, dass er sie anschaute. Offenes Verlangen schimmerte in seinen Augen. „Trost und Freude", murmelte er und kam näher heran. „Die beiden Worte hatten bis jetzt nie eine besondere Bedeutung für mich." Er hob eine Hand und strich ihr mit der Fingerspitze über die Wange, hin zu ihrem Mundwinkel. Unter seinem heißen Blick und der erotischen Berührung schmolz Emma schneller als Schnee unter den wärmenden Strahlen der Sonne. Ihr Atem beschleunigte sich. „Und ... nun?" flüsterte sie. Sein Lächeln allein war schon die reinste Verführung. „Und nun bedeutet Trost, diese Ranch zu haben, dieses Haus." Er senkte langsam den Kopf, und sein warmer Atem strich über ihre Lippen. „Und Freude, dich bei mir zu haben, im Bett." Ja. Ja, drängten ihre Sinne, sehnten sich nach der sinnlichen Freude, die sein Versprechen ihr bot. Nein. Nein, sei vernünftig, wehrte sich ihr Verstand. „Ich ... Ich ... Die Pferde", stieß sie hervor. „Wir müssen uns um Glory und Pferd kümmern." „Das habe ich schon erledigt", sagte er, und sein Mund war nun noch viel näher. „Ich bin seit der Morgendämmerung auf, habe die Ställe ausgemistet und die Tiere versorgt." Seine Lippen strichen über ihre. „Dann habe ich geduscht ... in deinem Badezimmer ... und mir die ganze Zeit gewünscht, du würdest bei mir sein." „Mace ... Ich ..." Ein wilder, hungriger Kuss erstickte ihre Worte. Mace stieß die Zunge in ihren Mund. Eine Hitzewelle überschwemmte Emma. Ihr Kopf schien völlig leer, ihre Hormone hatten die Regie übernommen. Ihr Körper sehnte sich nach Mace' Berührungen, danach, von ihm besessen zu werden, ihm die Arme um den Hals zu schlingen und mit ihm zu verschmelzen. Die Welt drehte sich, als Mace, noch immer die Lippen auf ihren Mund gepresst, sie auf die Arme schwang. Mit ausgreifenden Schritten trug er sie den Flur entlang und die Treppe hoch zu ihrem Schlafzimmer. Noch ehe er sie neben ihrem Bett auf die eigenen Füße gestellt hatte, fing sie an, ihm das Hemd aufzuknöpfen. Innerhalb kurzer Zeit lagen all ihre Sachen verstreut auf dem Boden herum, und Mace drückte Emma auf die Matratze.
Das Bett war immer noch warm. Schnell wurde es noch viel wärmer. Mace flüsterte ihr aufregende Worte ins Ohr und steigerte ihre Erregung mit Händen, Lippen und Zunge. Niemals, niemals zuvor hatte Emma solche Gefühle empfunden wie die, die Mace nun in ihr erweckte. Sie stand in Flammen, erfüllt von einem Feuer, das außer Kontrolle geraten war. Als er dann zu ihr kam, schrie sie auf, bog sich ihm entgegen. Keuchend rief sie seinen Namen, als sie den Gipfel der Lust erreichte, und hörte ihn dumpf aufstöhnen, als er ihr in die berauschende Ekstase folgte. Abgesehen von einigen kurzen Unterbrechungen verbrachten Emma und Mace den restlichen Tag und die darauf folgende Nacht im Bett, erfüllten ihr kaum zu stillendes "Verlangen nacheinander. Auch wenn Emma den Gedanken immer wieder wegdrückte, so wusste sie doch, irgendwann würde die Wirklichkeit wieder ihr Recht fordern. Denn egal wie aufregend und überwältigend es war, sich ineinander zu verlieren, niemand konnte sein Leben im Bett verbringen. Und sie hatte ein Leben außerhalb des Schlafzimmers. Die Wirklichkeit meldete sich am späten Morgen des nächsten Tags mit einem Doppelschlag zurück. Der erste Schlag war Nancys Rückkehr aus Denver. Es war ein perfekter Herbsttag, mit wundervoll blauem Himmel und hellem Sonnenschein. Angenehm warm. Abgesehen von ein paar Überresten auf der Schattenseite von Gebäuden und Bäumen war der Schnee nun endgültig geschmolzen. Der Hof bot eine einzige Matsch fläche. Glücklicherweise befanden sich Emma und Mace immer noch im Stall, wo sie Glory und Pferd ein wenig bewegt hatten. Sie waren beide noch vollständig angezogen. Wenn Nancy eine halbe Stunde später gekommen wäre ... Emma mochte gar nicht daran denken. „He, hallo!" rief Nancy ihnen zu, als sie aus dem Stall kamen, um zu sehen, wer der Besucher war. „Könnt ihr mir helfen? Ich habe den Kofferraum voller Lebensmittel, die ich in der Stadt eingekauft habe." „Sie müssen aber ziemlich früh von Denver losgefahren sein, dass Sie schon so früh hier sind", meinte Mace und hievte vier schwere Einkaufstüten aus dem Wagen. „Das bin ich." Nancy nickte. „Ich hatte mir Sorgen um Emma gemacht, weil sie bei dem Sturm hier allein war." „Aber ich habe Ihnen doch am Telefon gesagt, dass hier alles okay ist", meinte Emma, und auf einmal war ihr fürchterlich heiß in ihrer dünnen Lederjacke. Sie griff nach der letzten Tüte und Nancys Koffer und machte sich auf den Weg zum Haus. „Ich weiß, aber ..." Nancy schaute sich auf dem schlammigen Hof um. „In Denver war die Hölle los. Noch immer ist das Fahren dort lebensgefährlich." Sie folgte Emma und warf dann einen Blick über die Schulter hinüber zu Mace. „Hat Emma Ihnen die Ranch verkauft?" fragte sie in ihrer direkten Art. „Sind Sie deshalb hier?" „Wir verhandeln noch", erwiderte Mace lakonisch und stellte die Tüten auf der Veranda ab, um sich die Stiefel auszuziehen. Ach, so nennt man das, was wir im Schlafzimmer getrieben haben? dachte Emma und hatte Mühe, ernst zu bleiben. Wie man sich doch irren kann. Sie streifte sich ebenfalls die Schuhe ab, ehe sie das Haus betrat. Der zweite Schlag kam, als das Telefon klingelte, während sie noch dabei waren, die Lebensmittel zu verstauen. „Ich gehe", meinte Nancy und griff nach dem Wandtelefon. Dann: „Ja, sie ist hier", sagte sie, drehte sich um und hielt Emma den Hörer hin. „Es ist für Sie. Ein Mr. Gardner." Mein Boss? dachte Emma verblüfft, als sie den Hörer nahm. „Hallo, Mark, was gibt's?" fragte sie. „Machen Sie, dass Sie so schnell wie möglich herkommen", erwiderte er ohne jede höfliche Einleitung. „Nehmen Sie den nächsten Flug!" „Aber ...", protestierte sie. „Ich kann jetzt nicht sofort los. Ich stehe mitten in den
Verhandlungen mit einem möglichen Käufer wegen der Ranch." Sie warf Mace einen schnellen Blick zu, um zu sehen, ob er ihre Betonung mitbekommen hatte, um ihre Beziehung Nancy gegenüber deutlich zu machen. Mace zwinkerte ihr zu und lächelte. Aber sie hatte keine Zeit, das lustvolle Kribbeln zu genießen, das dieses Lächeln auslöste, denn Marks Stimme dröhnte ihr ins Ohr. „Das können Sie von hier aus weiterverfolgen ... oder übergeben die Angelegenheit einem örtlichen Makler. Ich brauche Sie hier, und zwar möglichst sofort!" Da sie nicht wollte, dass die beiden anderen mitbekamen, wie sehr Marks ultimative Forderung sie ärgerte, sagte sie: „Einen Moment bitte, Mark." Sie legte die Hand auf die Muschel und wandte sich mit bittendem Blick an Nancy und Mace. „Könnte ich vielleicht einen Moment allein telefonieren?" „Natürlich. Ich muss sowieso auspacken", erklärte Nancy, nahm ihren Koffer und marschierte hinaus in den Flur. Mace holte zwei Karotten aus dem Kühlschrank. „Ich bin im Stall", murmelte er, als er auf dem Weg zur Tür an ihr vorbeikam. Emma seufzte und nahm die Hand vom Hörer. „Okay, Mark, warum soll ich zurückkommen?" „Erinnern Sie sich noch an diese große Sache vor ein paar Monaten, bei der Sie sich fast die Beine ausgerissen haben?" bellte er in den Hörer. „Die, bei der die Firma, und auch Sie, jede Menge Geld verdient hätten? Die, von der Sie meinten, sie wäre Ihnen durch die Lappen gegangen?" „Ja, natürlich erinnere ich mich, aber ..." „Nichts aber!" sagte Mark. „Die Sache ist wieder am Laufen, und diesmal scheint es der Firmengruppe ernst zu sein, und sie bestehen darauf, nur mit Ihnen zu verhandeln. Ich habe einen Termin für Freitagmorgen vereinbart, Punkt neun. Also, packen Sie und machen Sie sich auf die Socken", befahl er ihr und legte auf. Emma starrte verdattert auf den Apparat, dann nahm sie den Hörer ein zweites Mal zur Hand. Bevor sie der Versuchung nachgeben konnte, Mark zurückzurufen und ihm zu sagen, er solle sich doch selbst um die Sache kümmern, rief sie bei der Fluglinie an und bestellte ein Ticket für einen späten Flug von Denver nach Philadelphia. Es war vorbei. Was immer auch zwischen ihr und Mace gewesen war, eine Affäre, eine kurze Affäre, es war nun vorbei. Ihr brannten auf einmal die Augen, und sie zwinkerte die Tränen fort. Natürlich hatte sie gewusst, es würde nicht für immer und ewig so weitergehen. Sie lebten in zwei verschiedenen Welten. Er sehnte sich nach ländlichem Frieden und Ruhe, sie hingegen bevorzugte den schnellen Rhythmus der Großstadt. Gegensätze ziehen sich an - dann trennen sie sich wieder. Wie zwei Schiffe, die sich des Nachts kurz begegneten und dann wieder voneinander entfernten. Sie stöhnte, weil sie wieder in abgegriffenen Metaphern dachte, dann wischte sie sich die Tränen von den Wangen und ging zum Stall, um sich von Glory zu verabschieden ... und von Mace. Es war kalt in Pennsylvania, selbst für Dezember. Der Saum ihres knöchellangen Wollmantels flatterte im Wind, als Emma auf ihren Wagen zustrebte. Sie hatte ihn auf einem der Parkplätze in den Straßen um das Luxushotel „King of Prussia" abgestellt. Es waren nicht einmal mehr zwei Wochen bis Weihnachten, und jeder Einkauf wurde zur echten Herausforderung. Auf den Gehwegen und in den Läden drängten sich die Menschen, lange Schlangen bildeten sich vor den Kassen. Weihnachtsmusik dudelte aus unsichtbaren Lautsprechern. Emma fühlte sich erschöpft. Früher hatte sie es immer genossen, Geschenke für Familie, Freunde und Kolleginnen und Kollegen zu besorgen. Auch an Nancy hatte sie Geschenke
geschickt, die auf Mace' Bitte nur zu gern vorerst auf der Ranch blieb. Aber irgendwie kam sie dieses Jahr gar nicht richtig in Stimmung beim Einkaufen, konnte überhaupt keine Begeisterung aufbringen. Und dass sie so wenig Weihnachtsstimmung verspürte, hatte sicher nichts damit zu tun, dass ihre Eltern völlig überraschend im Oktober eine Einladung zu Freunden in England angenommen hatten, um die Festtage in traditioneller Weise auf dem Land zu feiern. „Natürlich schließt dich die Einladung ein", hatte ihre Mutter schnell richtig gestellt. „Ich kann mir keinen Urlaub nehmen", hatte Emma rasch abgelehnt. „Aber es hört sich nett an, und ihr solltet auf jeden Fall hinfliegen. Ich habe zudem mehrere Einladungen von Freunden, und bei meinem vollen Terminkalender wird mir gar nicht auffallen, dass Weih nachten ist. Ein Weihnachtsfest allein - daran werde ich bestimmt nicht sterben", versicherte sie ihnen. Und sehnte sich insgeheim nach dem Mann, von dem sie wusste, er würde Weihnachten auch allein verbringen. Auch wenn ihre Eltern protestiert hatten, so hatte sie sie doch vor zwei Tagen zum Flughafen gefahren. Und erstaunlicherweise hatte es ihr wirklich nichts ausgemacht, einmal ohne sie Weihnachten verbringen zu müssen. Und ebenso wenig machte es ihr etwas aus, die Einladungen von Freunden auszuschlagen. Ihnen erzählte sie einfach, sie sei nicht in Stimmung für den normalen weihnachtlichen Trubel. Eigentlich hätte Emma in bester Stimmung sein müssen. Sie hatte nicht nur erfolgreich das große Geschäft abgeschlossen, dessentwegen sie wieder nach Philadelphia hatte kommen müssen, sondern dazu auch noch einige andere lukrative Verkäufe. Und sie war mit Mace handelseinig geworden, was die Ranch und ihre Stute Glory betraf. Aber all diese Erfolge, die dicken Provisionen, das Geld aus dem Verkauf der Ranch, all dies hatte ihre Niedergeschlagenheit nicht vertreiben können. Auch wenn sie versuchte sich einzureden, sie sei nur erschöpft und ausgelaugt, wusste Emma doch, sie machte sich etwas vor. Emma wurde verfolgt. Von Erinnerungen. Von einer ganz besonders. Mace' Worte, die er am letzten Tag zu ihr gesagt hatte, ließen ihr Tag und Nacht keine Ruhe. Geh nicht zurück, Emma. Bleib bei mir, leb mit mir. Schlaf mit mir ... liebe mich ... In dem Augenblick war Emma in ernsthafte Versuchung geraten, alles aufzugeben: ihre berufliche Karriere, ihr Haus in der Stadt, ihr Großstadtleben. Sie wollte allem den Rücken kehren, um sich in Mace' Arme zu schmiegen, sich seinen wundervollen Küssen hinzugeben. Aber weil die Gefühle, die Mace in ihr erwecken konnte, sie verunsicherten und ihr Angst machten, hatte sich Emma gegen die Verlockung gewehrt. Sie hatte Mace gesagt, sie würde ihm die Ranch verkaufen, und war nach Haus geflogen. Heute, fast drei Monate später, empfand sie eine große Leere in sich, das Gefühl, etwas Wichtiges verloren zu haben. Das Großstadtleben lud ihre Energie nicht mehr auf, ihr Haus kam ihr fremd und abweisend vor, ihr Beruf verschaffte ihr nur noch wenig Befriedigung. Liebe. War es möglich, sich so schnell zu verlieben? Konnte es sein, dass sie sich innerhalb so kurzer Zeit ernsthaft verliebt hatte? Auch dieser Gedanke verfolgte sie Tag und Nacht. Wieder einmal grübelte Emma darüber nach, während sie am Nachmittag die letzten Geschenke einpackte. Liebe mich. Kann ich es? Tue ich es? ging es ihr durch den Kopf, und sie sah sein Bild vor sich, so lebendig, dass ihr der Atem stockte. „Ja!" rief Emma laut und ergab sich den Unausweichlichen. „Ja, verdammt noch mal, ich liebe ihn." Entschlossen sprang sie auf und eilte zum Telefon, hoffte, betete, sie würde durch ein Wunder noch einen Flug ergattern.
Emma flog am einundzwanzigsten Dezember nach Denver. Sie mietete sich keinen Wagen. Sie kaufte einen. Während die Papiere fertig gemacht wurden, nutzte sie die Zeit zum Einkaufen. Sie summte die Weihnachtslieder mit, die über ihrem Kopf ertönten, lächelte die vorbeieilenden Menschen an und wünschte allen gestressten Verkäuferinnen und Verkäufern ein frohes Fest. Als sie Denver verließ, stapelten sich auf der Rückbank ihres neuen Wagens zahlreiche Einkaufstüten, Kartons und Päckchen. Es schneite. Pünktlich zum Fest! dachte sie beschwingt. Die Aussicht auf weiße Weihnachten hob ihre Stimmung in ungeahnte Höhen. Auf der letzten Strecke zur Ranch wurde die Fahrt über die vereiste Straße zum echten Abenteuer. Emma atmete erleichtert auf, als sie endlich den Wagen vor dem Ranchhaus zum Stehen brachte. „Emma!" rief Nancy überrascht von der Küchentür her. Die Stimme der Haushälterin klang wie Musik in Emmas Ohren. Nancy eilte über die Veranda und die Treppe hinunter auf sie zu. Lachend und weinend zugleich fielen sie sich in die Arme wie Freundinnen, die sich seit Jahren nicht gesehen hatten, obwohl seit ihrer Abreise doch nur gerade etwas mehr als drei Monate vergangen waren. Sie standen auf dem Hof, ohne sich um die Kälte und den fallenden Schnee zu kümmern, redeten beide gleichzeitig drauflos. „Sie haben mir so gefehlt ..." „Oh, ich habe Sie auch so vermisst ..." „... und ich habe immer gehofft, Sie würden zurückkommen, und ich weiß, Mace hat es ebenfalls gehofft ... auch wenn er es nie gesagt hat." Mace. Emma schossen unwillkürlich die Tränen in die Augen, und sie musste blinzeln. Gleichzeitig erinnerte sie sein Name daran, warum sie überhaupt hergekommen war. Sie runzelte die Stirn, warf einen Blick zum Haus, dann zu den Ställen. „Wo ist er denn?" „Er ist gleich nach dem Mittagessen weggefahren", erwiderte Nancy, nun ebenfalls eine Falte auf der Stirn. „Hat nicht gesagt, wo er hinwollte, nur dass er irgendetwas zu erledigen hätte und nicht wüsste, wann er zurückkäme." „Perfekt." Emma lachte, als Nancy sie erstaunt anblickte. „Ziehen Sie sich Ihre Jacke an", bat sie dann und wandte sich wieder zum Wagen. „Ich habe eine Menge auszuladen." „Aber ..." „Schnell, beeilen Sie sich, Nancy, bitte." Sie schlug die Wagentür zu und ging zum Kofferraum. „Wir haben ordentlich zu tun, bis Mace zurück ist." Als endlich sämtliche Kartons und Päckchen und Tüten im Haus waren, erklärte Emma Nancy ihren Plan. Nancy strahlte vor Erwartung. Zuerst schafften sie all die in hübschen Kartons verpackten Leckereien fort: geräucherten Truthahn und Lachs, würzig duftende Weihnachtskekse, kleine Kuchen, köstliche Süßigkeiten. Emma hatte alles in einem unverschämt teuren Delikatessengeschäft eingekauft. Dann machten sich die beiden Frauen mit Feuereifer an die Arbeit. Gut gelaunt, lachend und schwatzend verbrachten sie den Nachmittag damit, das Haus festlich zu schmücken. Nancy kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie einen Karton nach dem anderen öffnete. Glitzernde Kugeln und Figuren, bunte Päckchen und schimmernde Sterne kamen zum Vorschein. Der Weihnachtsbaum, eine frisch geschlagene, fast zwei Meter hohe Blautanne, erwies sich als das schwierigste Objekt. Aber nachdem sie die Möbel umgestellt hatten, so dass vor dem großen Frontfenster genügend Platz war, schafften sie es endlich mit gemeinsamer An strengung, den Baum in den Tannenbaumfuß zu stecken. Vorsichtshalber sicherten sie ihn mit einem Band zu beiden Seiten des Fensters.
Nachdem der Tannenbaum liebevoll geschmückt war, befestigten sie täuschend echt wirkende Ilex-Girlanden aus Kunststoff mit dunkelroten Plastikbeeren und winzigen Blinklichtern über dem Kaminsims und umrahmten damit auch Fenster und Türen. Draußen war es längst dunkel, als sie endlich fertig waren. „Oh, Emma, es sieht wunderschön aus", murmelte Nancy ehrfurchtsvoll. „Das Haus leuchtet richtig ..." „Ja", gab Emma ihr strahlend Recht. „Und nach all der Arbeit bin ich jetzt wirklich hungrig." Sie runzelte die Stirn, weil sie sich langsam Sorgen um Mace machte. Es hatte zwar fast aufgehört zu schneien, aber der Schnee lag inzwischen bestimmt zehn Zentimeter hoch. „Ich frage mich, was Mace so lange aufgehalten hat. Die Straßen sind gefährlich glatt." Auch lange nach dem Abendessen war immer noch nichts von Mace zu sehen. Emma und Nancy saßen im Wohnzimmer. Das Flackern des Kaminfeuers und das fahle Licht des Fernsehers waren die einzige Beleuchtung. Aber sie achteten nicht auf das, was im Fernsehen lief, bis auf die Nachrichten. Immer wieder stand Emma auf und ging hinüber zum Küchenfenster, hoffte Mace' Wagenscheinwerfer auf der Zufahrtsstraße zu entdecken. „Ich werde jetzt bei der Polizei anrufen", verkündete sie kurz vor Mitternacht, ganz krank vor Sorge. „Ja, ich denke, das sollten Sie ..." Nancy unterbrach sich und sprang aus ihrem Sessel. „Warten Sie, ich glaube, ich höre ..." Wieder lauschte sie und eilte in die Küche. „Er ist es, Emma", rief sie herüber, deutlich erleichtert. „Er ist zurück." Emma schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel, schaltete den Fernseher aus und saß unbeweglich da, wartete. Auf der Veranda erklangen schwere Schritte, ein Stampfen, dann hörte sie Nancys tadelnde Stimme. „Ich habe mir solche Sorgen um Sie gemacht, Mace. Wo um alles in der Welt haben Sie so lange gesteckt?" „In Denver." Mace klang müde, niedergeschlagen, aber dennoch war es wundervoll für Emma, seine Stimme zu hören. „Ich war am Flughafen und habe versucht, einen Flug nach Philadelphia zu bekommen. Mein Name stand zwar ganz unten auf der Warteliste, dennoch hatte ich Hoffnung. Aber dann machte mir das schlechte Wetter endgültig einen Strich durch die Rechnung. Dort schneit es noch immer, und die Start- und Landebahnen sind völlig vereist." Wieder ein abgrundtiefer Seufzer. „Alle Flüge sind ausgefallen." Philadelphia? Während sie hier auf ihn wartete, hatte er versucht, zu ihr zu fliegen! Auf einmal sprangen Emma wieder Tränen in die Augen, und leise Hoffnung schlich sich in ihr Herz. „Sie müssen hungrig wie ein Wolf sein", meinte Nancy munter. „Ich werde schnell etwas aufwärmen ..." „Nein danke", unterbrach Mace sie sanft, aber entschieden. „Ich habe am Flughafen einen Happen gegessen ... schließlich hatte ich dort nichts Besseres zu tun. Aber ich könnte gut eine Tasse Kaffee gebrauchen, wenn es Ihnen nichts ausmacht ..." „Nein, überhaupt nicht", versicherte ihm Nancy und hob ihre Stimme, um Emma vorzuwarnen. „Sie sehen ziemlich fertig aus, Mace. Wollen Sie nicht ins Wohnzimmer gehen und es sich vor dem Kamin gemütlich machen? Ich rufe, wenn der Kaffee fertig ist." „Okay. Danke. Ich bin ziemlich müde." Es klang so erschöpft, dass es ihr ins Herz schnitt. Doch als sie ihn dann durch den Flur kommen hörte, wurde sie fürchterlich aufgeregt. Sie stand leise auf und schlich sich zu der Steckdose in der Nähe des Weihnachtsbaums. Dann ergriff sie den Stecker, an den alle Dekorationen angeschlossen waren, und hielt ihn bereit. „Warum ist es denn so dunkel hier drinnen?" brummte Mace vor sich hin, sobald er das Wohnzimmer erreichte.
Emma wandte ihm den Kopf zu, hielt den Atem an, bis sie ihn in der Tür stehen sah. Rasch steckte sie den Stecker in die Steckdose. Schlagartig leuchtete das Haus auf wie ein ... nun, wie ein Weihnachtsbaum. Hastig drehte sie den Kopf, um Mace' Reaktion zu sehen. Der Anblick war unbezahlbar. Ungläubig starrte Mace sie an. Ja, sein Gesichtsausdruck war jeden Dollar wert, den sie ausgegeben hatte, jede Stunde ihrer Arbeit, jedes Zittern der Erwartung, das sie empfunden hatte. Sie wagte kaum zu atmen, als sie sich langsam erhob. „Emma?" Er flüsterte, als könne er seinen Augen nicht trauen. Dann brüllte er: „Emma!" „Ich ... ich wollte dir Weihnachten bringen", sagte sie leise. Ihre Stimme bebte, und sie bekam weiche Knie, als er langsam auf sie zuging. „Es ist umwerfend", sagte Mace und schaute sich langsam im von Lichterglanz erhellten, festlich geschmückten Raum um. „Alles." Er riss sie an sich und hielt sie fest, als wollte er sie niemals mehr hergeben. „Aber auch ohne all diesen Schmuck wäre es hier wunderschön, weil du hier bist." Er hob die Hand und drückte ihr sanft das Kinn hoch, so dass sie ihm in die Augen sehen musste. Seine schimmerten dunkel. „Du bist Weihnachten für mich. Weihnachten und jeder andere Tag des Jahres." „Oh, Mace, ich ..."; begann sie. Tränen strömten ihr plötzlich übers Gesicht. „Ich ..." Weiter kam sie nicht. Es war ein harter, leidenschaftlicher Kuss, fast verzweifelt. Emma erwiderte ihn hungrig, presste sich voller Sehnsucht an Mace. Schließlich lösten sie sich wieder voneinander, rangen beide nach Atem. „Ich liebe dich, Emma", murmelte er an ihren vibrierenden Lippen. „Bleib bei mir, bring mir jeden Tag Weihnachten." „Ich liebe dich auch", sagte sie und weinte Tränen des Glücks. „Und ja, ich bleibe." Sie schniefte, dann lachte sie. „Bleiben? Ich werde mich bestimmt an dich klammern!" „Interessant." Sexy lächelnd drückte er sie sanft auf den Teppich vor dem Weihnachtsbaum nieder. „Willst du mir nicht gleich eine Kostprobe davon geben?" „Mace, das geht nicht", stöhnte Emma, die sich plötzlich erinnerte, dass sie nicht allein im Haus waren. „Nancy wird ..." „Ich gehe jetzt ins Bett, Leute", ertönte in diesem Moment die Stimme der Haushälterin. Offenbar stand sie bereits auf der Treppe. „Der Kaffee ist fertig. Also, dann bis morgen früh", fuhr sie fort, und ihre Stimme wurde leiser, je höher sie die Stufen hinaufstieg. „Frohe Weih nachten!" „Wolltest du dich nicht an mich klammern?" flüsterte Mace und schob bereits ihren Pullover höher. Innerhalb weniger Minuten waren sie von allen störenden Kleidungsstücken befreit, und Emma drängte sich an Mace, schlang die Arme fest um seinen Nacken, als wollte sie ihn nie wieder freigeben. Mace hielt sie, schaute sie an. „Also, das nenne ich Trost und Freude." Emma rieselte es heiß über den Rücken, als sie Liebe und Verlangen in seinen dunklen Augen las. Sie kamen nicht dazu, Nancys Kaffee zu trinken. - ENDE -