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Wolf, Doris: Was war vor den Pharaonen? : Die Entdeckung der Urmütter Ägyptens Zürich : KreuzVerl., 1994 Umschlaggestaltung: Jürgen Reichert, Stuttgart Umschlagbil: Urgeschichtliche Göttin, Ägypten (Nagada), 35003000, Höhe 19,5 cm Collection Reine Margot, 7, Quai de Conti 75006 Paris (Foto: JeanLuc MABIT) Satz und Innenlayout: Isabella Ballarin Printed in Germany ISBN 3268001572 scanned by yemenitegreen 2007
Zeittafel Die Urgeschichte der Menschheit zerfällt in drei Perioden: die Alt steinzeit (Paläolithikum), die Mittelsteinzeit (Mesolithikum) und schließlich die Jungsteinzeit (Neolithikum), welche dann ins Zeitalter der Metalle (Bronze, EisenZeit) mündet, s. Anmerkung (1) Ägyptische Urgeschichte: In Ägypten zählt die Zeit vor 5000 zum Paläolithikum (Altsteinzeit), ab 4500 beginnt etwa das Neolithikum (Badari und Nagada IKultur, ab 3500 die NagadaIIKultur). Der kulturelle Umbruch fällt in die Zeit zwischen 3300 und 3000. »Früh zeitliche Schriftzeugnisse belegen etwa um 3100 erste Anfänge eines ge samtägyptischen Königtums, das in Übereinstimmung mit fragmen tarisch erhaltenen ägyptischen Überlieferungen etwa 8 10 Herr schergenerationen vor die 1. Dynastie zurückreicht (daher Dynastie 0) und in seinem letzten Abschnitt auch mit einzelnen Königsnamen (Iri Hor, Ka, Skorpion, Narmer) faßbar ist.« (Kaiser LÄ/VI/1073) »Frühzeit«: 1. und 2. Dynastie (ca. 2950 bis 2640), wird auch »Archaische« oder »ThinitenZeit« genannt. Altes Reich: 3.8. Dynastie (ca. 2640 bis 2134) 1. Zwischenzeit: 9. und 10. Dynastie (ca. 2134 bis 2040) Mittleres Reich: 11.14. Dynastie (ca. 2040 bis 1650) 2. Zwischenzeit, Hyksoszeit. 15. und 16. bzw. 14.17. Dynastie (ca. 1650 bis 1540) Neues Reich: 18.20. Dynastie (ca. 1540 bis 1070) 3. Zwischenzeit, 21.24. Dynastie (ca. 1070 bis 712) Spätzeit: 25.31. Dynastie (ca. 712 bis 332) Griechenherrschaft: ca. 332 bis 30 Römische und Byzantinische Herrschaft: ca. 30 bis 642 u.Z. nach E. Hornung »Grundzüge der altägyptischen Chronologie« 1978 zur Chronologie s. Anm. (13)
Inhaltsverzeichnis Karte Ägypten, Zeittafel Einführung KAPITEL 1: Die Verharmlosung der Vergangenheit: Idealisierende Geschichtsschreibung Der Krieg kommt in die Welt Der Auftakt zum pharaonischen Ägypten: Ein radikaler Umbruch im Niltal KAPITEL 2: Die matriarchalen Kulturen der urgeschichtlichen Epochen Die Zerstörer nahen Die matriarchale Kultur AltEuropas Anatolien Indien Mesopotamien Seite an Seite zwei verschiedene Bestattungsarten: Zeugnisse matriarchalen Wiedergeburts und patriarchalen Auferstehungsglaubens Sie waren Vegetarier KAPITEL 3: Ägypten vor den Pharaonen Die Entwertung urgeschichtlicher GöttinnenStatuetten Die urgeschichtliche Keramikkunst verschwindet Vernachlässigte Symbolforschung Die UrMütter Ägyptens: Ein urgeschichtliches Heiligtum der Großen Göttin im Tal der Königinnen Nicht beachtete urgeschichtliche Göttinnenskulpturen Stammt die Sphinx von Giza aus der Zeit vor den Pharaonen? Ägyptens Gebär und MenstruationsHöhlen Die ägyptische Vorgeschichtsforschung war und ist nicht populär
KAPITEL 4:
Von der Urgeschichte in die pharaonische Zeit: Infiltration oder Invasion? »Ägypten lag immer und liegt noch heute in Afrika« »Die Rassenfrage ist der Schlüssel zur Weltgeschichte« Schwarze Ureinwohner weiße Oberschicht Die NarmerPalette: Das Dokument einer brutalen Unterwerfung Das Messer von Gebel elArak ist sumerischer Herkunft Wer waren die Eroberer Ägyptens? Arier in Ägypten? Die Herrscherschicht: Die »AriPait« Mit Schiffen durch die ägyptische Wüste: Vom Roten Meer ins Niltal KAPITEL 5: Die erste Residenz der Eroberer: Die Stadt Nekhen (Hierakonpolis) und ein aufsehenerregendes Grab Ein »vergessenes« Indiz der Eroberung: Das bemalte Grab Nr. 100 JagdIdyll oder Massaker? Wie die Wissenschaft das Grabbild interpretiert: Die Geschichte einer Verschleierung KAPITEL 6: Auswirkungen der Invasion: Die pharaonische Schreckensherrschaft Die Massakrierung Nubiens Der Krieg gegen Unterägypten und die Vereinigung der beiden Länder »Sei hart gegen Untertanen Das Volk gehorcht nur denen, die Gewalt üben« Der pharaonische Staatsterror Unterdrückung und Folter Sklaverei Armut und Hunger Menschenopfer Das Abschlachten der Tiere: Jagdvergnügen der Herrscher
KAPITEL 7: Der Krieg gegen Frauen und matriarchale Kultur Frauenmord: »Sati« Der Mord an den Inhaberinnen der Königswürde Die Vernichtung des Wissens der Weisen Frauen Das Unsichtbarmachen des kulturellen Anteils der Frauen Die soziale Organisation der patriarchalen Familie: Eine GewaltHerrschaft Auswirkungen patriarchaler Macht Frauenfolter: Die Verstümmelung der weiblichen Sexualorgane, die »pharaonische Beschneidung« Massensterben der Frauen im Alten Reich Freiheitsberaubung: Der Harem Sexuell mißbrauchte Töchter: Der pharaonische Inzest Der VaterTochterInzest im indoarischen Patriarchat KAPITELS: Die Rolle der Religion und der religiösen Mythen bei der patriarchalen Machtnahme Die Machtnahme in Ägypten im Mythos von Horus und Seth Der Kampf zwischen Horus und Seth und der Mord an der Großen Göttin AUS B LICK Anmerkungen Literaturverzeichnis Bildnachweis
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»Nirgendwo in der Geschichte finden wir einen Anfang, sondern immer eine Folge. Wie können wir aber das Ende verstehen, wenn der Anfang ein Geheimnis bleibt?«
(Johann Jakob Bachofen)
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Einführung
A
ls ich Ägypten vor einigen Jahren das erste Mal besuchte, wußte ich nichts über seine Geschichte und Kultur und ahnte nicht, daß diese harmlose Ferienreise eine Zeit faszinierendster Forschungsarbeit nach sich ziehen würde. Zwar wollte ich mir lediglich ein paar Grund kenntnisse aneignen, als ich mich in hochglanzbebilderte Ägypten bücher vertiefte. Dann aber weckte die Äußerung einer angesehenen Ägyptologin meine Aufmerksamkeit, die zur Entstehung des pharao nischen Ägypten schrieb: Ägyptens »Hochkultur sprang aus der Vor geschichte wie das Küken aus dem Ei, ausgestattet mit sämtlichen Po tenzen«. (BrunnerTraut 1987,10) Ich war verblüfft und wurde neugierig auf die mysteriöse Geburt des pharaonischen Ägyptens und seine Urgeschichte. Im Laufe meiner Arbeit wurde mir klar, daß viele Historiker und Re ligionswissenschaftler der Meinung sind, die Veröffentlichung gewisser unrühmlicher historischer und religiöser Tatsachen sei aus »volks pädagogischen Gründen« unerwünscht, weshalb sie besser verschwie gen, verdrängt, verharmlost oder geleugnet werden. Daß diese Art der Geschichtsklitterung üblich ist, wird bestätigt durch Arbeiten von Frau en und Männern, die in den letzten Jahren einen neuen Maßstab im Umgang mit Geschichte und Religion setzten; die es wagten, einen gende, konservative, schulwissenschaftliche Fesseln zu sprengen, ihre eigene Intelligenz und ihr eigenes kreatives Potential zu nutzen und sakrosankte »Wahrheiten« kritisch zu hinterfragen. Die auch den Mut haben, die vorgetäuschte Unfehlbarkeit der Autoritäten in Frage zu stellen und die grenzüberschreitend und ganzheitlich denkend weiträumig und kulturvergleichend forschen und zudem lesbar schrei ben. »Leider bietet uns Geschichtsschreibung nicht wie Historiker es be haupten ein Bild der Wirklichkeit«, schreibt die deutsche Forscherin Gerda Weiler. »Auch Historiker sind Menschen, welche die Welt aus ei nem bestimmten Blickwinkel betrachten und dabei die Überlieferung selektieren, Sachverhalte verschweigen, idealisieren oder in den Schmutz zerren. Manche Geschichtsbücher können den Eindruck er wecken, es gäbe auf diesem Globus nur Männer, deren einziger Le benssinn der Krieg sei, Männer, die sich auf mysteriöse Weise in ihren Söhnen fortpflanzen, die wieder nur für die Macht, den Krieg und für
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Eroberungen leben. Frauen kommen in diesen Büchern nicht vor, die daher weniger als die Hälfte der Wirklichkeit erzählen. Von daher stellt sich die Frage, was Geschichtsschreibung vom Mythos unterscheidet.« (Weiler, 1989,105) Patriarchale Geschichtsschreibung, die fasziniert ist von Gewalt und Krieg, von »Helden« und »Heilsbringern«, übergeht die Unmenschlichkeiten der Mächtigen und gibt vor, daß Gewaltherrschaft rechtens ist: Die Legitimation dafür beziehen die Geschichtemacher seit Anbeginn von einem von ihnen erfundenen patriarchalen Gott, der Männern die Anordnung gegeben haben soll, sich die Welt Untertan zu machen. Und selbstverständlich setzten sie diesen Gott an den Beginn aller Zeiten, er war »schon immer« da. Mit der patriarchalen Machtnahme, die zeitlich identisch ist mit der geschichtlichen Zeit, die ihren Anfang vor etwa 5000 Jahren nahm, be gann die systematische Verdummung der Menschheit. »Du sollst nicht wissen« war das politische und religiös legitimierte Credo der neuen Herrscher, die den Menschen von nun an unter Androhung von Strafe und Höllenqualen befahlen, den falschen Autoritäten zu glauben, statt selber zu denken und sich auf die eigene, an der Realität überprüfbare Wahrnehmung und den eigenen Verstand zu verlassen. Die fundamentalistischen »Es war schon immer so«Mythen manipu lieren das Bewußtsein der Menschen bis heute. Und sie haben die ge wünschte, aber für die Mehrheit der heutigen Menschen fatale Wir kung, denn sie ersticken die Hoffnung unzähliger unterdrückter und leidender Menschen im Keim, daß es jemals eine friedlichere und ge rechtere Welt gegeben habe und daß eine solche Welt in Zukunft auch wieder einmal möglich sein könnte. Doch diese »Es war schon immer so«Mythen erweisen sich, beson ders dank der feministischen Forschung der letzten Jahre, als Lügen und Geschichtsbetrug. Dabei spielt die Erforschung der vorpatriar chalen Zeit eine besondere Rolle und wird zu einem Politikum von höchster Brisanz, denn sie lehrt uns, daß einmal andere Formen des Zu sammenlebens existierten, daß es eine Zeit gab, in der die Menschen ohne Krieg, ohne BeHerrscher und ohne Ausbeutung lebten. Der Schriftsteller JoachimErnst Berendt schreibt in seinem Buch »Das Dritte Ohr«, »daß sich noch immer eine Mehrheit von Menschen ganz besonders unter den Schulwissenschaftlern gegen die neuen Erkenntnisse wehrt. Aber unser Wissen wächst wie eine Lawine. Die Schulwissenschaftler spüren längst ihre Unterlegenheit. Daher ihre Ag
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gressivität und Empfindlichkeit, ihre Unfähigkeit zum Gespräch mit dem Andersdenkenden, der immer gleich diskriminiert wird: diese oder j ene Theorie sei »unwissenschaftlich«, dieser oder j ener verstünde nichts von der Sache. Der Mythos stimmt auch in dieser Hinsicht: Du sollst nicht essen vom Baum der Erkenntnis.« (Berendt 1985,275) Das Resultat meiner Arbeit basiert ganz bewußt auf meiner persön lichen, d.h. subjektivweiblichen Sicht, die ich als Ergänzung zum pa triarchalmännlichen Standpunkt der Schulwissenschaft verstehe. Mich fesselten weder die Pharaonen noch ihre Kriege und Eroberungen, weder ihre Reichtümer noch ihre grandiosen Bauten, darüber wurden bereits Tausende von Büchern geschrieben. Mich interessierte das, was im Dunkeln lag; Unausgesprochenes, Unerklärliches, Übergangenes, leicht Hingestreutes, ein einzelner Satz in Tausenden von Sätzen, der auf den ersten Blick unbedeutend und nebensächlich, in den stolzen Epilogen versteckt, auftauchte. Dabei kristallisierte sich allmählich ein ganz anderes Ägyptenbild als jenes der Experten heraus. Ich erkannte, daß das, was wir aus den Schulbüchern der Ägyptologen lernen, der Er fahrung heutiger Touristen gleicht, die aus vollklimatisierten Bussen und luxuriösen Hotels die bilderbuchhafte Schönheit des Landes sehen; die »heile Welt«, die künstliche Fassade: die kolossalen Monumente der Herrscher und die Zeugnisse ihrer politischen und religiösen Propa ganda. Nur wenig erahnen wir vom verschwiegenen Leben und Leiden der Menschen, die nicht zur Herrscherschicht gehör(t)en, ihrer Not und Armut, der Polizei und Beamtenwillkür, der Tyrannei und Unter drückung. Diese andere Seite will diese Arbeit aufzeigen. (Hinweis: Die Hervorhebungen in den im folgenden zitierten Texten sind, wo nicht speziell darauf hingewiesen wird, von DW. Hieroglyphen wurden z.T. vereinfacht umgeschrieben. Alle Jahreszahlen ohne Zusatz beziehen sich auf die Zeit vor unserer christlichen Zeitrechnung. Jahresangaben aus unserer Zeit werden auch in den Zitaten mit der Ab kürzung u.Z. bezeichnet.)
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»Wenn ich mir die Geschichte ansehe, bin ich Pessimist, aber wenn ich mir die Vorgeschichte ansehe, bin ich Optimist.« (J.C. Smuts)
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KAPITEL l
Die Verharmlosung der Vergangenheit: Idealisierende Geschichtsschreibung
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bwohl viele Historiker sich bemüht haben mögen, unvoreinge nommen über alle Aspekte des Weltgeschehens zu berichten, be steht die Geschichtsschreibung doch zu einem guten Teil aus sehr ein seitigen Interpretationen. Allzuoft steht der Wunsch der Historiker spürbar im Hintergrund, die dogmatischen patriarchalen »Schonim mer»Mythen aufrechtzuerhalten, vergangene Epochen zu idealisieren, die männliche KriegsHerrschaft als »gottgewollt« zu verherrlichen und Verbrechen zu verharmlosen, vor allem, wenn sie von den »die Großen« genannten Gewaltherrschern begangen wurden. Größenwahn, Macht hunger, Ruhmsucht, Sadismus, Korruptheit und Lügenpropaganda werden von den Historikern meistens nachsichtig übersehen oder durch pathetische Floskeln überdeckt. Die Leiden der Menschen, durch Terrorregimes und menschenverachtende Diktaturen verursacht, wer den überwiegend mit erschütternder Gleichgültigkeit und Empfin dungslosigkeit übergangen, ja oftmals wird man den Eindruck nicht los, daß die Wissenschaftlerinnen selbst Partei für die Unterdrücker ein nehmen und deren Unmenschlichkeiten rechtfertigen. Nicht anders steht es mit der Geschichtsschreibung Ägyptens. So we nig die »objektive« Wissenschaft sich bei der Verherrlichung der pha raonischen »Heldentaten« Zurückhaltung auferlegt, so furchtsam ent hält sie sich meistens jeglicher kritischen Stellungnahme beim Aufzei gen der von den Pharaonen verübten Verbrechen. Der Ägyptologe Adolf Erman allerdings weist darauf hin, daß es wahrscheinlich sei, »daß die trüben staatlichen Zustände im Alten Ägypten zu allen Zei ten bestanden haben. Die Inschriften versuchen uns zwar das Bild ei nes »wahren Idealreiches« zu vermitteln, in dem ein »göttlicher« Herr scher »väterlich für sein Land sorgte«, der dafür von seinen Untertanen geliebt und gepriesen worden sei. Doch der Schein trügt, denn »hinter den schönen Worten« verborgen, bestanden »schlimme Verhältnissen« (Erman 1984,57) Doch diese Art kritischer Distanz findet sich äußerst selten.
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Wohl beteuert T.G.H. James, der Ägyptologe begegne den Wort schwallen und Prahlereien der königlichen Inschriften stets mit Vor sicht. Man müsse diesen aber eine gewisse Glaubwürdigkeit zugeste hen, »sonst hätte man ja das ganze Gebäude der ägyptischen Geschichte als eine ausgeklügelte, während Jahrhunderten von Meisterbetrügern weitergegebene Lüge zu betrachten«. In der Interpretation dieser Texte liege »die besondere Faszination, ebenso aber auch die Frustration der ägyptischen Geschichtsschreibung«. (James 1988,23f) Leider verführt diese besondere Faszination der persönlichen Ge schichtsinterpretation allzuoft dazu, die Lügen und Prahlereien der kö niglichen Inschriften noch zu übertreffen. Naive Autoritätsgläubigkeit, die an Peinlichkeiten nichts zu wünschen übrig läßt, zeichnet das ein seitige Bild einer »grandiosen« Kultur. Verschwiegen wird von den mei sten Autoren, daß diese überwältigende Monumentalkultur auf dem Boden von Terror und Ausbeutung errichtet wurde. Es ist ein fataler Irrtum der Geschichtsschreiber, die die Despoten idealisierende Staats propaganda für bare Münze zu nehmen oder sie nach den Kunstwer ken zu beurteilen, die die ägyptischen Handwerkerinnen und Künstler innen hinterlassen haben, und in den dargestellten Herrschern zivili sierte Schöngeister zu sehen. Wie alles andere, was die Herrscher sich aneigneten, wurde die Kunstfertigkeit der ägyptischen Menschen skru pellos ausgebeutet, um die Herrscher und ihre sogenannten Heldenta ten zu verewigen. Charakteristisch für die herrschende Kaste der ver schiedenen Heldenzeitalter laut H. Munro Chadwick »ihrem Wesen nach barbarische Perioden« ist, daß sie nach Ruhm dürstete, die Hel dentaten von Einzelpersonen verherrlichte, deren Körperkräfte maß los übertrieben darstellte und sie in die Nähe von »gottähnlichen We sen« rückte. (Kramer 1959,153) »Der Mann ist im Grunde das Verlangen, Gott zu sein.« (JeanPaul Sartre)
Der Pharao wird zum Inbegriff des männlichen »Gottmenschen« hoch stilisiert. Er soll übernatürlicher Herkunft « gewesen sein. Himmlische Genien sollen schon den Neugeborenen umgeben haben, und selbst in seiner Krone soll überirdisches Leben gewohnt haben, »der königliche Bart war für sich selbst eine Gottheit«. (BrunnerTraut 1987,17) Es scheint, daß weder die Pharaonen selbst noch die Ägyptologlnnen de
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ren ganz gewöhnliche irdische Herkunft ertrugen. So heißt es bei Mon tet, daß ein »so außergewöhnliches Wesen wie der Pharao nicht wie je des andere Kind das Licht der Welt erblicken durfte. So entstand die fein durchdachte theologische Lehre von der göttlichen Geburt des Kö nigs.« (Montet 1975,66) Oder bei BrunnerTraut: »So will es das Kö nigsdogma, so umschreiben Mythen und Legenden das hochgeborene Haupt, so besingen Hymnen des Königs Herrlichkeit.« (BrunnerTraut 1987,17) »Schon das Schreiten des Königs verbreitet Wellen heiliger Energie, so daß der Hymnus, der sein Erscheinen begrüßt, vor dieser magischen Ausstrahlung warnt: »Paß auf, Erde, der König kommt«.« (Bonheme/Forgeau 1991,281f) Wellen dieser »magischen Ausstrah lung« dürften auch den Autor der folgenden JubelPropaganda ergrif fen haben, der die pharaonische Zeit pathetisch aufbauschend be schreibt: »Auf die großartige Ouvertüre der »Frühzeit« des Alten Rei ches folgt die ergreifende, zunächst leidenschaftlich aufrauschende, bald von schwerem Ernst getragene, dann aber in grenzenlosem Lebensgenuß aufjubelnde und schließlich, nach herrlicher Erfüllung, verhallende Musik jener größten Periode der ägyptischen Geschichte, die wir nach den Grabbauten ihrer Könige als die »Pyramidenzeit« be zeichnen.« (H. Ranke, Nachwort in Breasted 1954,355) Nur zu oft spürt man die persönliche Identifikation des Autoren mit dem ägyptischen Pharao und das Sichsonnen in seinem Glanz. Hier wird unter der Maske »wissenschaftlicher« Geschichtsschreibung die Phantasie der eigenen Zugehörigkeit zu einer illustren Herrenrasse ge pflegt. Solche Eitelkeiten und die schönfärberischen Lobeshymnen, die den Geist eher vernebeln als erhellen, hinterlassen das ungute Gefühl, daß hier zugunsten des persönlichen Images Vergangenheit idealisiert und ein Teil davon geheimgehalten wird. Diese Art der Geschichts schreibung geht von einem patriarchalen Verständnis der Welt aus. Ei nem Weltbild, in dem es ganz natürlich scheint, daß es Herrschende und Beherrschte gibt, solche, die befehlen, und andere, die zu gehorchen haben. Einer Weltanschauung auch, die vorgibt, daß Frauen kaum et was zur Kultur der Menschheit beigetragen haben und daß Brutalität normal und ihre Verherrlichung eine Selbstverständlichkeit ist, die zur menschlichmännlichen Kultur gehört.
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»Der HERR ist der rechte »Kriegsmann«. HERR ist sein Name.« (Exodus 15.3)
Der Krieg kommt in die Welt Die schriftlich dokumentierte, d.h. die sogenannte geschichtliche Zeit umfaßt ungefähr die letzten fünf Jahrtausende. Sie ist aufgrund der Er kenntnisse der Urgeschichtsforschung das grauenvollste Zeitalter, das die Menschheit seit ihrem Bestehen erlebt hat. Bereits im 5. Jahrtau send beginnen in Osteuropa nomadisierende Männerhorden friedliche Territorien zu überfallen und zu beherrschen. Waffengewalt wurde bald zum wichtigsten Mittel, sich Frauen und damit Landbesitz und Reich tum zu verschaffen, denn nur die Töchter waren in diesen Zeiten erb berechtigt. Im späten 4. Jahrtausend wurden Kriege zum Zwecke von Landeroberungen und als Mittel der Machterhaltung institutionalisiert. Es ist dies der Beginn der Vernichtung der urgeschichtlichen, frauen zentrierten Kulturen und der damit verbundenen Abwertung und Un terdrückung der Frau sowie des zerstörerischen »Fortschritts«, vor allem auf dem Gebiet der VernichtungsTechnologie. Mit einem Satz: »eines 5000 Jahre währenden Alptraumes, aus dem es für diesen Planeten Zeit ist zu erwachen«. (James Joyce). »Die norwegische Akademie der Wissenschaften hat errechnet: Seit dem Jahre 3600 bis heute fanden insgesamt 14513 Kriege statt. Dabei gab es drei Milliarden 64 Millionen Tote. Nur 292 dieser rund 5600 Jahre waren ohne Krieg. Vom Jahr 650 v. u. Zeit bis heute gab es 1656 Ver suche, durch Wettrüsten den Frieden zu bewahren. Sie führten 1640mal zum Krieg, in den restlichen 16 Fällen zum wirtschaftlichen Ruin der Beteiligten.« (Wollschläger, 1973) Viele Autoren erklären, der Krieg sei auf eine angeborene Aggres sion der Menschen zurückzuführen. Wie aber deutlich gemacht werden muß, wurden Kriege fast ausnahmslos von Männern initiiert. Sie er klären den Krieg zur Normalität, der auf die destruktive Natur des Men schen zurückzuführen sei. Und ihre Überzeugung von der Überlegen heit der heutigen Zivilisation über die vortechnischen Kulturen führt dementsprechend zum logischen Schluß: »Wenn der zivilisierte Mensch schon von so vielen Kriegen und einer so starken Destruktivität heim gesucht ist, wieviel schlimmer muß dann der primitive Mensch gewesen sein, der in der Entwicklung zum Fortschritt hin so weit im Hintertref 15
fen ist.« (Fromm 1974,193f) Der Psychoanalytiker Erich Fromm berich
tigt dieses unhaltbare Vorurteil und stellt klar, daß die Urgeschichts forschung bewiesen hat, daß die frühesten Menschen weniger de struktiv als die sogenannt Weiterentwickelten waren und daß »der Pro totyp Mensch, wie er vor SO'000 Jahren auftauchte, auch nicht der Mör der war, den wir in den fortgeschritteneren Stadien der Evolution an treffen«. (Fromm 1974,135) Gerda Weiler denkt über den gefährlichnaiven Fortschrittsglauben nach und deckt auf, daß die patriarchale Geschichtsschreibung, be herrscht von der »Ideologie von unaufhörlichem Wachstum und auf wärtsführender Entwicklung«, die Vorstellung erwecke, »als sei jeder neu gewonnene Gedanke dem vorausgegangenen überlegen, als sei jede technische Erfindung ein Fortschritt für die Menschheit^« Diese Ideologie beweise sich selbst, »daß Patriarchate schon allein deshalb vollkommener sein müssen, weil sie zeitlich den Matriarchaten folgen. Die Frage, ob das Patriarchat eine gigantische Krankheit sei, an der die Menschheit leidet, wird nicht gestellt«. (Weiler 1989,306) Mit zunehmendem Fortschritt der Technisierung werden die Kriege immer grausamer und häufiger. Jährlich werden weltweit über 1000 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben; das sind täglich fast drei Milliarden; nur 50 Milliarden fließen hingegen jährlich in die Entwick lungshilfe (Geo 6/91). Die Welt gab 1991 für die militärische Forschung sechsmal mehr öffentliche Mittel aus als für die medizinische Welt gesundheitsorganisation. Das heißt: Kriegsrüstung und Kriegführung verschlingen die größten Summen der meisten Länder der Welt. Der größte Anteil unserer geistigen Kapazität, unserer schöpferischen En ergie, unserer ökonomischen Erträge, unserer wissenschaftlichen For schungsgelder wird für Leben zerstörende Investitionen und noch effi zientere Tötungswaffen eingesetzt. Dazu kommt die Tatsache, daß »der Militarismus nur scheinbar ein Kampf von Mann gegen Mann ist... Primärer Adressat des männlichen Bedürfnisses, die eigene Überle genheit zu demonstrieren, ist die Frau. Krieg entsteht aus der männli chen Wahrnehmung des Lebens als eines Kampfes zur Überwindung des Weiblichen und der Natur.« (French 1992,202)
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»Waffen sind Werkzeuge der Trauer. Verächtlich dem Leben Achtenden. Waffenfreude ist Mordfreude. Wen Mordfreude erfüllt, hat Leben verlassen.« (Laotse, Tao Te King) Müssen wir für immer mit dem Krieg leben? »Menschliches Zusam menleben ist dann ohne Kriege denkbar, wenn die Bereitschaft da ist, auf angemaßte Macht zu verzichten, und wenn die Aggressionsfähig keit allein auf die Bewältigung der Lebensaufgaben gerichtet wird. Die Abspaltung der Aggression aus dem Lebenszusammenhang und das einseitige Interesse an der Erfindung zerstörerischen Potentials ist eine neurotische Fehlentwicklung der menschlichmännlichen Kultur.« (Weiler 1989,289) »»Heldentum«, das auf die Vernichtung der eigenen Art zielt, beruht auf fehlgeleitetem Umgang mit Aggression. Das patriarchale Bewußtsein hat den Krieg zum Ideal aufgewertet, in des sen Dienst die Völker gestellt werden. Die Frage nach den Ursachen des Krieges zu stellen, heißt, die Wurzeln des Patriarchats bloßzule gen.« (Weiler 1989,15) Der Übergang von der friedlichen matriarchalen zur kriegerischen patriarchalen Kultur läßt sich an der Geschichte Ägyptens dokumen tieren, weil uns dieses Land unzählige Zeugnisse dafür hinterlassen hat.
»Die Forderung der Wahrheitsfindung ist Voraussetzung der Geschichte als Wissenschaft.« (Walter Sontheimer)
Der Auftakt zum pharaonischen Ägypten: Ein radikaler Umbruch im Niltal Der Beginn der ägyptischen Geschichte setzt mit dem gleichzeitigen Aufkommen von Schrift und Königtum nach heutiger (allerdings kei neswegs gesicherter) Datierung um etwa 3100 v.u. Zeitrechnung ein. s. Anm. (13) Das neolithische Niltal veränderte sich in diesem Zeitab schnitt schlagartig. Radikale Neuerungen auf sozialem, religiösem, politischem und künstlerischem Gebiet sind zu beobachten, verbunden mit einem Sturm von Kriegen, Zerstörungen und Terror, der das Land 17
in ein 3000 Jahre dauerndes »pharaonisches« Blutbad stürzt. Der Ägyp tologe BJ. Kemp konstatiert, daß man beim ägyptischen Staat der frühen dynastischen Zeit »eine beträchtliche destruktive Macht« an nehmen müsse: »Die komplette Zerstörung von Siedlungen in Grenz gebieten und darüber hinaus ist auffallend.« (Kemp 1983,141) Und der Historiker H. MüllerKarpe stellt fest, daß die unter den ersten Köni gen (HorusSkorpion und Narmer) beginnende »monumentalberich tende Bildkunst uns Kenntnis gibt von einer ausgesprochen grausamen Kampfesweise und von mit Mengen von Erschlagenen sich brüstenden Triumphen«. (MüllerKarpe 1976,152) Diesem Umsturz war eine lange Epoche des Friedens vorausgegan gen, was unter anderen der Ägyptologe William C. Hayes bestätigt. Er schreibt über die kupfersteinzeitliche Kultur des Niltals: »Ihre un kriegerische Natur ist bewiesen durch das totale Fehlen jeglicher (Jagd)Waffen in ihren Gräbern und Siedlungen.« (Hayes 1990,14) Dies ist für den ganzen Nahen Osten charakteristisch. Der Archäologe Le onard Woolley (18801960), bekannt für seine Ausgrabungen in Nubi en, das im Süden an Ägypten grenzt, in Karkemisch und Alalach, stellte fest: »Seltsamerweise gab es nie irgendwelche Waffen, und man hat bis zum Ende des 3. Jahrtausends, als die patriarchalen Nomaden zum ersten Mal in die bestellten Länder des Fruchtbaren Halbmondes (dem Gebiet, das sich bogenförmig vom Persischen Golf bis an den Sinai er streckt DW) einfielen, in keiner der alten Städte des Nahen Ostens ir gendein Anzeichen für menschlichen Streit oder menschliche Gewalt tätigkeiten gefunden.« (zit. Gould Davis 1987,63f) Für das urgeschicht liche, das sogenannte AltEuropa gilt dasselbe. Über die prähisto rischen Bewohner Britanniens schreibt H.J.Massingham trocken: »Sie besaßen keine Grenzen, keine Festungen, keine Waffen und keine Kriegerklasse, denn sie brauchten keine.« (zit. Gould Davis 1987,64) Forscherinnen haben auf der ganzen Welt Kulturen zutage gefördert, die viele Jahrtausende ohne Kriege lebten. Sie lassen sich charakteri sieren durch ein friedliches Nebeneinander der Völker und durch die Verehrung der Mütter, der »Weisen Alten« und der Großen Muttergöttin und Schöpferin des Universums. Die Alteuropäer »lebten in theo kratischmonarchischen Gemeinschaftsformen, denen eine Priesterkö nigin in Personalunion vorstand«. (Gimbutas 1992,8) Die Schriftstellerin Elizabeth Gould Davis schreibt: »Im Gegensatz zum allgemeinen Eindruck, daß unsere frühen Vorfahren durch Krieg
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und Gewalttätigkeit lebten, weisen alle Zeugnisse, die geschichtlichen ebenso wie die archäologischen, auf die Tatsache hin, daß vor der pa triarchalen Revolution der Mensch friedlich war und es keine Kriege gab.« (Gould Davis 1987,62) Was hatte in Ägypten, an der Bruchstelle der urgeschichtlichen zur geschichtlichen Zeit, zu den extremen Veränderungen geführt? Die er sten Archäologinnen und Ägyptologlnnen, unter ihnen die Engländer William Flinders Petrie (18531942), der Begründer der wissenschaftli chen Archäologie in Ägypten, seine Kollegin Margaret Murray, E.A. Wallis Budge (18571934) und der Franzose Jacques de Morgan (1857 1924) vertraten die naheliegende und wissenschaftlich fundierte These, Ägypten sei, wie die Nachbarländer des Fruchtbaren Halbmondes, kurz vor der Errichtung des pharaonischen Königtums von Vorderasien bzw. Mesopotamien aus erobert worden. Erstaunlicherweise lehnen die meisten heutigen Wissenschaftlerinnen diese These ab, ohne jedoch eine andere, ebenso plausible Erklärung geben zu können für den totalen Umbruch, der zum dynastischen Ägypten führte.
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»Das Matriarchat ist eine allgemeine Kulturstufe der Menschheit, die bei allen Völkern vor dem Übergang zum Patriarchat zu finden ist.« (Uwe Wesel)
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KAPITEL 2
Die matriarchalen Kulturen der urgeschichtlichen Epochen
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er Ägyptologe Alexander Scharff richtete 1950 den Appell an seine Kolleginnen, Geschichte und Rekonstruktion historischer Daten Ägyptens nicht mehr für sich allein zu behandeln, sondern von An beginn die Nachbarkulturen in eine vergleichende Forschung mitein zubeziehen. (Scharff 1950,37) Daß dieser Aufruf Scharffs überhaupt notwendig war und bis heute kaum beachtet wurde , ist erstaunlich, denn längst ist nachgewiesen, daß Ägypten bereits in der urgeschichtli chen Zeit in Beziehung zu den anderen frühen Kulturen Vorderasiens und sogar Europas stand. Der Blick über die Grenzen Ägyptens hinaus könnte der kaum er forschten und fast völlig im dunkeln liegenden Epoche vor den Pha raonen neue und bedeutsame Impulse geben. Erstaunlicherweise ste hen zwar zahlreiche archäologische Funde aus dem Niltal zur Verfü gung, doch wurde bis heute noch keine umfassende Darstellung der Ur geschichte erarbeitet. (Hoffman 1980,xiii) Im 6bändigen »Lexikon der Ägyptologie« sind der »Vor und Frühgeschichte« von insgesamt 7838 Seiten ganze siebeneinhalb Seiten gewidmet. Dazu steht im Vorwort: »Wenn auf der einen Seite die Vorgeschichte nicht übersehen werden durfte, konnte sie auf der anderen nicht so ausführlich behandelt wer den, wie es ihr als Teil einer menschheitsgeschichtlichen Epoche zu kommt.« Eine Begründung dafür fehlt. Die Vernachlässigung der ur geschichtlichen Zeit führt zu einem Informationsmangel, der die völlig unrealistische Vorstellung begünstigt, Ägypten sei durch einen evolu tionären Quantensprung zu Beginn des 3. Jahrtausends schlagartig aus einer unzivilisierten Steinzeitkultur in eine zivilisierte Hochkultur kata pultiert worden. Diesen »Fortschritt« verdanke es der genialen Stoß kraft von Heroen und Halbgöttern, die eine segensbringende Königs herrschaft errichteten und dem Land das Licht der Zivilisation und ei ner sogenannten HochReligion brachten, die die wilden Ureinwohner aus Chaos, Dunkelheit und primitivem Aberglauben erlösten. Der Ägyptologe Günther Roeder konnte 1915 noch behaupten: »In den frühesten Zeiten, aus denen uns kein Gerät überliefert ist, waren die 21
Ägypter ein barbarisches Volk ohne höhere Kultur. In jenen Zeiten war auch sein Glaube primitiv und ohne viel Reflexion.« (Roeder 1978,11) Eine ähnliche Meinung hat der Ägyptologe Georges Posener von den Nubiern: »Die Länder im Süden Ägyptens hatten eine kulturell wenig hochstehende Bevölkerung, die sich jedoch gut als Soldaten verwenden ließen.« (Posener LdÄK,186) Obwohl diese auf Unwissen und Vorur teilen beruhenden Diskriminierungen unterdessen durch Unter suchungen der urgeschichtlichen Nachbarkulturen widerlegt wurden, findet man sie noch immer in aktuellen Publikationen. Gelehrte, die den Fortschritt der Pharaonenzeit in den höchsten Tö nen preisen, übersehen geflissentlich, daß dieser Kultur eine andere vorausging, die zu Beginn der pharaonischen Geschichte zerstört wur de. Treffend analysiert Gerda Weiler die Krankheit der Ge schichtsschreibung, die den Anschein erweckt, »als sei die Menschheit erst mit der Entstehung von Großreichen zu sich selbst erwacht... Die geschichtlichen Taten der sogenannten Vorzeit werden auf einen sa genhaften Helden projiziert, dem man Schöpfungstaten zuschreibt, der die Menschen mit Kultur und Zivilisation vertraut gemacht habe... Die Kulturleistung der archaischen Frauenkulturen, der matriarchalen Stämme, versinkt im Dunkel der Vorgeschichte.« (Weiler 1989,290) Die Faszination durch die pharaonische Macht und Pracht, der die meisten Wissenschaftlerinnen erlegen sind, dürfte einer der Gründe für die Vernachlässigung der vorpharaonischen Zeit sein. In Ägypten, ge nau wie in den Nachbarkulturen, ging dem patriarchalen Königtum eine matriarchale Kultur voraus, und wenn wir diese in die Geschichtsbe trachung miteinbeziehen, kommt das idealisierte Bild von den Herr schern am Nil gefährlich ins Wanken. Verständlich, daß sich die Schul wissenschaft damit schwer tut. Carola MeierSeethaler durchleuchtet diesen Widerstand in ihrem Buch »Ursprünge und Befreiungen und schreibt: »Die Befangenheit fast aller männlichen Wissenschaftler im patriarchalen Denkschema war und ist so stark, daß sie allein die Vor stellung einer weiblich dominierten oder auch nur weiblich inspirierten Kultur in eine völlig unreflektierte Abwehrhaltung versetzt.« (Meier Seethaler 1988,19) Die Bedrohung des patriarchalen Selbstbewußtseins durch die Erforschung der urgeschichtlichen Kulturen ist auch der Grund, daß man, seit Johann Jakob Bachofen, der als erster die Tatsa che urgeschichtlicher Frauenkulturen offenlegte, den Begriff »Matriar chat« mit ausschließlich negativen, ja diffamierenden Inhalten füllte. 22
Gerne wird uns das abschreckende Bild einer hysterischen Weiberherr schaft an die Wand gemalt, in welcher der Mann von der Frau unter drückt wurde. Patriarchales Verhalten wird so zur eigenen Rechtfer tigung ganz einfach auf die Frauen projiziert; phantasiert wird eine frau enzentrierte Gesellschaft mit umgekehrten Vorzeichen; ein Patriarchat mit einem M am Anfang. (Mary Daly) Robert Briffault konstatierte je doch in seinem Werk »The Mothers«, »daß die matriarchale Organisa tion der urzeitlichen Gesellschaft nicht mit der Diktatur des Mannes in der patriarchalen Ordnung zu vergleichen sei«, und betont: »In den pri mitivsten Gesellschaften existiert nichts, das mit der Beherrschung ver glichen werden kann, die in fortgeschrittenen Gesellschaften durch Individuen, durch Klassen, durch ein Geschlecht über das andere exi stiert.« (zit. Giedion 1964,92) Der Vorrang der Frau in den urgeschichtlichen Gesellschaften ba sierte auf ihrer Fähigkeit, Leben zu gebären, dieses durch Nahrung, Lie be und Pflege zu erhalten, und ihrem Vermögen, mit Umsicht und Klug heit Frieden zu garantieren. Die weibliche Vorrangstellung ist in den ältesten Kulturen archäologisch und mythologisch bezeugt. Wenn man einen kurzen Blick auf einige der zum Teil gut erforschten urgeschichtlichen Kulturen wirft, fällt auf, daß vom Atlantik bis nach Sibirien Zehntausende von Statuetten aus dem Zeitraum von der späten Altsteinzeit bis zum Ende des Neolithikums (einer Zeitspanne von zwischen ca. SO'000 bis 3000) gefunden wurden. Es handelt sich da bei fast ausnahmslos um weibliche Figurinen. Diese Fundstücke und die uns überlieferten Mythen bezeugen, daß das neolithische Europa (ca. 90003000) »ein bemerkenswert homogenes System von religiösen Vor stellungen hatte, die auf der Muttergöttin mit ihren vielen Titeln be ruhten«. (Stone 1988,53f.) Der Mythenforscher RankeGraves schreibt: »Das vorgeschichtliche Europa kannte keine männlichen Götter. Die Große Göttin allein wurde als unsterblich, unveränderlich und all mächtig betrachtet; der Begriff »Vaterschaft« war noch nicht in die reli giöse Gedankenwelt aufgenommen worden.« (Ranke Graves 1986,13) Die Frau mit ihren Geheimnissen stand im Mittelpunkt der Religion: »Sie wird verglichen mit der nährenden Erde; ihre Schwangerschaft ist das Symbol des keimenden Lebens der Nachkommenschaft und der Wiedergeburt; ihr Menstruationszyklus wird in Verbindung gebracht mit allen Zyklen der Natur wie denen des Mondes, der Gezeiten, der Pflanzen und der Jahreszeiten. Im Mittelpunkt der Religion stehen 23
Göttinnen, Abkömmlinge der altsteinzeitlichen Venusfiguren.« (Elia de/Couliano!991,29) Die damals bekannte Welt AltEuropas und Vorderasiens wurde von seßhaften Ackerbäuerinnen bewohnt; nirgends kann eine Ansamm lung von Reichtum oder persönlichem Besitz beobachtet werden.' Erich Fromm bemerkt zu diesen Gesellschaften, daß die wirtschaftli chen Unterschiede so geringfügig gewesen sein müssen, daß sie kaum Neid erregen konnten, daß im Gegenteil die damalige Lebensweise die Zusammenarbeit und ein friedliches Miteinander förderte. »Es war kei ne Grundlage vorhanden, auf der der Wunsch, andere auszubeuten, hätte entstehen können. In einer Gesellschaft, in der wirtschaftlich und sozial keine Basis für eine solche Ausbeutung vorhanden ist, wäre der Gedanke absurd, die physischen oder psychischen Kräfte eines ande ren Menschen für seine eigenen Zwecke ausnutzen zu wollen. Auch der Impuls, andere zu beherrschen, konnte sich kaum entwickeln.« (Fromm 1974,142f)
»Der Irrtum fing damit an, daß man sich Gott als Mann vorstellte... Das macht das Leben so widersinnig und den Tod so unnatürlich.« (Eugene O'Neill)
Die Zerstörer nahen Doch dann kam alles anders. Das Ende des »Goldenen Zeitalters« des Matriarchats, das Platon beschrieb, nahte mit dem Dröhnen von Kriegsgeschrei, Pferdehufen und Säbelgerassel. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrtausends tauchen in AltEuropa erstmals domestizierte Pferde auf; mitgebracht von eindringenden indoeuropäischen Kurganvölkern; Vieh und Pferde züchtenden Nomaden aus der asiatischen Steppe. Mit ihrem Einfall in AltEuropa, welcher als erste indoeuropäische Völkerwanderung bezeichnet wird, beginnt die Zerstörung und der Zerfall der neolithischen Kultur. »Am bedeutsamsten ist, daß die Er oberer aus dem Norden sich in historischen Zeiten als Herrenvölker betrachteten. Diese Haltung beruhte wahrscheinlich vor allem auf ih rer Fähigkeit, die kulturell höher entwickelten früheren Siedler, die dem Kult der Göttin folgten, zu überwältigen.« (Stone 1989,104f.)
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Die Archäologin Marija Gimbutas stellt fest, daß die höchsten Er rungenschaften der alteuropäischen Zivilisation sich im 5. Jahrtausend in Ostmitteleuropa manifestierten. »In ihrer höchsten Blüte wurde diese Kultur eine Beute von Hirtennomaden aus der DnjeprWolgaSteppe und, etwa 1000 Jahre später, von nordpontischen, nordkaukasischen Nomaden; dadurch erfuhr sie eine tiefgreifende Verwandlung.« (Gim butas 1992,6) Auffällige Veränderungen in Siedlungs und Sozialstruk tur, Wirtschaft und Religion sind feststellbar. Die alteuropäische Kunst geht unter, die weiblichen Statuetten und die polychrome (vielfarbige) Töpferei verschwinden. Eine zweite Wanderung der Kurganvölker aus dem Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres erfolgt zwischen 3500 und 3000. Die dritte Kurganwanderung zwischen 3000 und 2500 löst in Eu ropa eine neue Unruhezeit aus. (s. Eisler 1987,412) Der Historiker E. A. Butterworth ist der Ansicht, daß der Angriff auf die matrilinearen Kulturen die Macht und die Religion der matriarcha len Gesellschaften zerstörte. Ferner schreibt er: »Die Geschichte dieser Zeiten ist durch und durch von dem Aufeinanderprallen des matrili nearen und patrilinearen Systems erfüllt, als die alten religiösen Dyna stien zerbrochen, weggefegt und neu errichtet wurden... Die matri lineare Welt wurde durch eine Reihe von mörderischen Angriffen auf das Herz dieser Welt beendet.« (zit. Stone 1988,89)
»Ob wir Frauen eine Vergangenheit haben, unsere Geschichte und unsere matriarchale Religion wiederentdecken, beeinflußt unser Selbstbewußtsein, unsere Befindlichkeit in dieser Welt hier und heute.« (Gerda Weiler)
Die matriarchale Kultur AltEuropas Die Arbeiten Marija Gimbutas' weisen nach, daß die patriarchal orga nisierten IndoEuropäer die herrschaftsfreie, gleichberechtigte und friedliebende Kultur AltEuropas, die nicht indoeuropäisch war und während zwanzigtausend Jahren vom Paläolithikum bis zum Neolithi kum gedauert hatte, zerstörten. Im Bronzezeitalter (16001200) ist die überwiegende Mehrheit der alteuopäischen Völker indogermanisiert. 25
Marija Gimbutas betont, daß die Indogermanisierung durch siegreiche militärische Eroberungen »im wesentlichen ein kultureller, nicht physi scher Transformationsprozeß« war, »im Zuge dessen ein neues Verwal tungssystem, eine neue Sprache und eine neue Religion eingeführt und erfolgreich auf die autochthone (= eingeborene) Bevölkerung übertra gen wurden. Die kriegerische Effizienz der KurganLeute wurde in ent scheidendem Maße durch ihre straffe soziale Organisation gefördert.« (Gimbutas 1992,6f) s. Anm. (2) Wie Marija Gimbutas schreibt, gab es in den neolithischen Kulturen AltEuropas (65003500), AltAnatoliens (heutige Türkei, einschließ lich der türkischen Teile Armeniens, des Nordiraks und Nordwestsyri ens) und der vorsumerischen HalafKultur Mesopotamiens (heute Irak) kein Interesse an Waffenproduktion, statt dessen blühte die Kunst der Skulptur und der Keramik. Es gab weder Pferde noch Kampf vom Pferderücken, keine Stoßwaffen, keine Dolche, Schwerter oder Speere (außer am Ende dieser Zivilisation, in Gegenden, wo pferdereitende Kurganleute zum erstenmal auftauchen). (Gimbutas JIES 1985,186)
Anatolien Von den altbäuerlichen Gesellschaften Anatoliens hören wir durch die Ausgrabungen von Chatal Hüyük und Hacilar »von über Jahrtausende hinweg stabilen und kontinuierlich gewachsenen Zivilisationen«. (Mel laart zit.Eisler 1987,41f) Nichts weist darauf hin, daß in den 1000 Jah ren, in denen Chatal Hüyük bestanden hatte, jemals ein Massaker statt fand; unter den Hunderten von Skeletten fanden sich keine Spuren ei nes gewaltsamen Todes; auch wurden weder Waffen noch Befesti gungen gefunden. Dagegen entdeckte der Archäologe James Mellaart bei den Ausgrabungen nicht weniger als 40 Tempel und zahlreiche Statuetten, die aus der Zeit um 6500 stammen. Mellaart sagt dazu: »Die Statuen erlauben uns, die Hauptgottheiten, die von den neolithischen Menschen von Chatal Hüyük verehrt wurden, zu erkennen. Die Haupt gottheit war weiblich, sie wird in ihren drei Aspekten gezeigt, als junge Frau, als gebärende Mutter oder als alte Frau« (Mellaart zit. Stone 1988,44) bzw. als »Weise Alte« der GöttinnenTrinität. (Die in der ur geschichtlichen Zeit bekannte weibliche Trinität geht beim Übergang in die patriarchale Zeit zuerst in die geschlechtlich gemischte Triade von Mutter, Vater und Sohn und in christlicher Zeit über in die rein männ
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liehe Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist, obwohl ur sprünglich der Heilige Geist noch die Repräsentation der Göttin war; »das dritte Mitglied der Trinität war weiblich noch die christlichen Gnostiker kannten sie unter dem Namen »Sophia««. Walker 1993,459) Die MutterGöttin von Chatal Hüyük ist oft von Leopardinnen be gleitet, mit einem Leopardenfell bekleidet oder symbolisch von Leo pardinnen dargestellt. Das Leopardenfell der Göttin ist ein Machtsym bol, dem man auch im späteren Ägypten begegnet allerdings wurde es hier von den Priestern usurpiert. Im Gegensatz zu ändern neolithischen Stätten fand man in den jün geren Schichten Chatal Hüyüks acht Skulpturen, die eine männliche Gottheit symbolisierten. Sie sind »praktisch alle in ihrer Beziehung zur Göttin zu verstehen, teilweise als ihre Söhne, teilweise als ihre Gatten. In einer älteren Schicht wurden ausschließlich Figurinen der Göttin ge funden.« (Fromm 1974,139) Das unbewaffnete und unbefestigte Chatal Hüyük wurde um 5790 unter nicht geklärten Umständen zerstört. Damit verschwand eine der großen Zivilisationen vollständig. Mellaart weist darauf hin, daß zwischen dem Ende von Chatal Hüyük und dem Entstehen der Hochkulturen von Sumer und Ägypten weitere zwei tausend Jahre vergehen. Auch Hacilar endet um 5600 in einer unge klärten Katastrophe. Ab 5400 entsteht hier wieder eine Siedlung, »die gegen 5000, offenbar infolge einer Invasion, gebrandschatzt, zer trümmert und gänzlich aufgegeben wurde«. (Alkim 1968,73)
Indien Die indischen Stadtkulturen MohenjoDäro und Harappa (heute Paki stan) gehören zusammen mit Mesopotamien und Ägypten zu den drei ältesten großen Kulturen. Die Archäologen JeanFrancois Jarrige und Richard H. Meadow berichten jedoch von neuen Ausgrabungen in Mehrgarh (Pakistan), wo man auf bäuerliche Siedlungen stieß, die dreitausend Jahre vor den Beginn dieser Kulturen zurückreichen. Ende des 4. und zu Beginn des 3. Jahrtausends blühte die Landwirtschaft, und die Ausgräber fanden beeindruckende Mengen von künstlerisch hochwertiger bemalter Keramik und ebenfalls fast ausschließlich weiblichen Statuetten. Diese Entdeckung korrigierte die bis dahin gel tende Meinung, in diesem Gebiet gebe es keinerlei Anzeichen für eine
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langandauernde Entwicklungsphase. Die Ausgrabungen bei Mehrgarh dauern noch an; Jedoch lassen die Ergebnisse der ersten Grabungen be reits »erkennen, daß die bisherigen Vorstellungen von der Urgeschichte Südasiens völlig revidiert werden müssen«. Die Autoren weisen nach, daß es in Mehrgarh eine lückenlose Besiedlung gab, die sich über mehr als zweitausend Jahre erstreckte. Während dieser Zeit wurden die Voraussetzungen zur Entwicklung einer hochstehenden Stadtkultur im IndusTal während des dritten Jahrtausends geschaffen. (Jarrige/Mea dow, » Spektrum der Wissenschaft«, 1989, 9099) Die IndusKultur ging zwischen 19501750 aus noch unbekannten Gründen unter. Sie »ver schwand natürlich nicht plötzlich, wenn auch der letzte Todesstoß durch Waffengewalt erfolgte und die Invasion einiger Gruppen von Ariern der letzte Akt der Tragödie und somit das Ende der großen Zentren des Industales« war. (Taddei 1970,41f) Im Jahre 1963 berichtete E.O. James von den archäologischen Aus grabungen, die seit 1922 im Industal und den umliegenden Gegenden stattfanden, daß man sich vor diesen Ausgrabungen noch nicht bewußt war, daß die arischen Stämme, die in Indien einfielen, »nicht auf eine primitive Eingeborenenbevölkerung trafen, sondern auf eine hochent wickelte städtische Zivilisation, die ihrer eigenen relativ einfachen Le bensweise, wie sie im Rigveda (den religiösen Dichtungen der Arier In diens DW) erscheint, überlegen war. Im Jahre 1965 schreibt Giuseppe Sormani: »Die Arier kamen mit hochzivilisierten und alten Formen ei ner seßhaften Gesellschaft in Kontakt, gegen die sie reine Barbaren wa ren^« (zit. Stone 1988,109f) In matriarchaler, vorarischer Zeit war Kali, die » Schwarze Herrin In diens^ die erhabene Manifestation der Muttergöttin, die dort zweifellos die herrschende Göttin war. Die nachhaltigsten Konsequenzen der ari schen Eroberung Indiens sind die Einführung des indoeuropäischen Sonnenkults, mit einem Vater und Schöpfergott an der Spitze, und, da mit verbunden, die Verdrängung und Verteufelung der Schöpfergöttin; die Einführung der patriarchalen Gesellschaftsordnung und des rassi stischen Kastenwesens; der Sexismus, d.h. die Unterdrückung und Diskriminierung der Frau zum »geistig unterlegenen« Wesen und ihre Ermordung (»Sati« genannt) beim Tod des Mannes. Im Gegensatz zum Ursprung des Sexismus ist der Ursprung des Kastenwesens (Rassismus) oft untersucht worden. »Die verläßlichsten Theorien verfolgen ihn zu rück bis zu den Invasionen der alten Zeiten. Die weißhäutigen Arier 28
wollten sich nicht mit den dunkelhäutigen Drawiden vermischen, die die ursprünglichen Einwohner waren. Die ersten Maßnahmen zur Tren nung der Bevölkerung in Kasten waren die Gesetze, die Mischehen zwi schen Ariern und Drawiden verboten.« (Sormani zit. Stone 1988,111) Die Priester der Neuankömmlinge, die sich Brahmanen, »Erdengötter«, nannten, erklärten die Drawiden für unrein, »unberührbar«, und verur teilten sie zu Untermenschen, denen bis heute nur die niedrigsten Tätig keiten vorbehalten sind und jegliche Bildung bis ins letzte Jahrhundert streng untersagt blieb. Die frühesten Hinweise auf das Kastendenken reichen aber noch weiter zurück. Es wurde durch die Häuptlingsgräber der IndoEu ropäer aus dem 5. Jahrtausend erstmals belegt, die zeitlich nächsten Be weise stammen aus den Königsgräbern des sumerischen Ur und Kisch und den Königsgräbern der ersten beiden Dynastien in Oberägypten am Anfang des 3. Jahrtausends. Die Dreiteilung des Klassensystems wurde laut Marija Gimbutas auch sprachlich als indoeuropäisch iden tifiziert. (Gimbutas JIES 1985,196) »Die patrilineare und patriarchali sche Struktur und das DreiKlassenSystem von Herrschaft, Krieger Adel und arbeitender Bevölkerung wird durch die aus dem Sprachver gleich stammende linguistische Evidenz als indogermanisch erwiesen. Diese Klassenstruktur ist auch in den Mythologien indogermanischer Völker reflektiert.« (Gimbutas 1992,8) Die HerrenmenschenIdeolo gie, die das rassistische Kastenwesen, das heißt die Einteilung der Men schen in Höhere und Niedrigere erfand, war keinesfalls universal, wie uns viele Intelligenzler glauben machen wollen. Im Jahre 1938 erkannte der französische Gelehrte Georges Dumezil diese Ideologie zum ersten Mal in der primitiven Gesellschaft der IndoEuropäer. Sie teilten die Menschen ein in eine priesterliche, eine kriegerische und eine produ zierende (arbeitende) Klasse. »Dumezil stellte fest, daß diese »drei Funktionen die indoeuropäische Gesellschaft von jeder anderen unterscheiden.« (Eliade/Couliano 1991,138) Rückprojizierend aus unserer patriarchalhierarchischen Zeit glau ben immer noch viele Menschen, daß »die menschliche Gesellschaft seit jeher geschichtet war« und daß »eine solche hierarchische Ordnung wohl als natürliche Weltordnung angesehen« werden müsse. (Allam LÄ/I/768f) Doch das Klassenwesen ist ausschließlich bei den indoari schen Erobere/n festzustellen, die weiße Haut mit Glanz und Tages licht, dunkle Haut mit Nacht und Verderbnis, den Mann mit der Sonne 29
und dem Gott des Lichtes und die Frau mit Satan, der Hölle und der Dunkelheit gleichsetzten, s. Anm. (3)
Mesopotamien Die Kulturen des IndusTales hatten in der Zeit um 3000 mit dem me sopotamischen Sumer (heute Irak) und Elam (dem südwestiranischen Gebiet zwischen dem Tigris, den ZagrosBergen und dem Persischen Golf) Kontakt; aber auch mit Ägypten ist eine Verbindung mit Sumer und Elam in dieser Zeit nachgewiesen. Bereits im 7. Jahrtausend war das Land im Flußgebiet von Euphrat und Tigris von Ackerbauern be wohnt. Bedeutende Forscher vertreten die Auffassung, die erste Be völkerung sei nichtsumerisch gewesen. Die urgeschichtliche Bevölke rung war, wie in AltEuropa und dem übrigen Nahen Osten, seßhaft und betrieb systematischen Getreideanbau. Ihre bemalte Keramik und Tonstatuetten, die fast ausschließlich nackte Frauenkörper darstellten, sind technisch und künstlerisch von hoher Qualität. (Woolley 1961,37) Das urgeschichtliche Mesopotamien scheint »demokratische Grundzü ge aufzuweisen, nichtautokratische(machtherrschaftliche D W), wie das geschichtliche Mesopotamien« (Jacobsen zit. Moscati 1962,24), in dem die Bevölkerung von einer die Oberhand gewinnenden Aristokratie ausgebeutet wird. Der Umschwung erfolgt am Ende des 4. oder zu Be ginn des 3. Jahrtausends mit dem Eindringen primitiver sumerischer Kriegshorden, die in Folge einer Völkerwanderung in das Land einfal len und die ältere Bevölkerung unterwerfen, deren »Kultur weit fort geschrittener war, als die der Sumerer«. (Kramer 1959,163) Man kann davon ausgehen, daß dem hohen geistigen Niveau, der Kunstfertigkeit und Kreativität der matriarchalen einheimischen Be völkerung nicht nur die künstlerisch hochstehende Keramik, sondern auch die Erfindung der Schrift zu verdanken ist, die den Übergang von der urgeschichtlichen in die geschichtliche Epoche einleitete. Die ersten Schriftzeichen wurden in feuchten Ton geritzt, also in der gleichen Tech nik und in das gleiche Material, das den Frauen von der Töpferkunst her so vertraut war. Von den Symbolen der Keramikkunst zu den Sym bolen der Schrift ist ein kurzer Weg. Daß Frauen die Erfinderinnen der Schriftzeichen sein könnten, ist darum naheliegend. Die Schrift entwickelt sich nach der Anfangsperiode in Mesopota mien und Ägypten in etwa parallel: »Von der Phase der Zeichnungen, 30
der Bilderschrift, gelangt man zu derjenigen der schematisierten Figu ren, zur Ideographie; von den Wortwerten, den Ideogrammen, gelangt man zu den phonetischen Werten, den Silben, ohne daß jedoch die er sten vollkommen verschwinden.« (Moscati 1962,21) Der Sumerologe Samuel Noah Kramer spricht von einer Zeit der Sta gnation, des Rückschrittes und des Zusammenbruchs der früheren fort geschritteneren Kultur, die auf den Einmarsch der sumerischen Kriegs horden folgt. »In diesen Jahrhunderten, die in dem sumerischen Hel denzeitalter gipfelten, waren es die kulturell unreifen und psycho logisch unstabilen sumerischen Kriegsherren mit ihrer individuali stischen und raubgierigen Veranlagung, welche die geplünderten Städte und niedergebrannten Dörfer des besiegten mesopotamischen Reiches beherrschten.« (Kramer 1959, 166) In der patriarchalen sumerischen Religion begegnen wir zum ersten Mal einem »Vatergott«: Enlil, dem wichtigsten aller Götter, »König des Himmels und der Erde«, »König aller Ländern »Könige und Herrscher rühmen sich, daß es Enlil war, der ihnen die Königsherrschaft über das Land gegeben hat, das Land für sie gedeihen und sie durch seine Stärke alle Länder erobern ließ.« (Kramer 1963,119) Die vorsumerische Schöpfer und Muttergöttin Ninmah, »die Erhabenes die wahrscheinlich identisch war mit »Ki«, der Mutter Erde, und »Nintu, der Lebenspendendem und Schöpferin der Menschheit, wurde von den patriarchalen Sumerern zur Gattin des Himmelsgottes » An« und auf den vierten Platz im Götterpantheon her abgesetzt. Das »göttliche Königtum« soll in Mesopotamien vom »Himmel« ge kommen sein. Ein sumerischer Mythos aus Etana berichtet, daß es ei ne Zeit gab, als noch keine Königskrone getragen wurde, und daß es zunächst noch keine königliche Leitung für die Kinder der Göttin gab. Daß aber dann das Königtum vom »Himmel« gekommen sei. Der »Him mel« bezeichnete aber nicht überirdische Gefilde, sondern war der Na me einer Stadt südöstlich des Schwarzen Meeres (heute Georgien) mit dem indoeuropäischen Namen »Himin« (Himmel). Von hier aus sollen der legendäre arischsumerische König Gor (Georg) notabene auf sei nem Pferd und sein Sohn Michael den Krieg der »Himmlischen« ge gen die Verehrerinnen des »höllischen Drachen« (die Göttin Tiamat) und das »Satansheer« angetreten haben, den »Kampf des Lichtes gegen die Dunkelheit^ Doch waren diese Männer keineswegs »göttlich«, son dern dürften eher »gotisch«, also auch keine »Götter« oder »Halbgötter«, 31
sondern indoarische Goten gewesen sein, die in der geschichtlichen Zeit durch ihre Brutalität aufgefallen sind. Als »teuflisch« wurden die vorsumerischen Verehrerinnen der Großen SchlangenGöttin der matriarchalen Zeit bezeichnet, die als Drache oder Ungeheuer der Un terwelt diffamiert, Teufel oder Satan genannt wurde. Die tapferen bei den Männer erschlugen den Drachen bzw. die Schlangengöttin in einem heldenhaften Kampf, s. Anm. (4) Ausgangslage und Umstände, die in Sumer und Ägypten zur Errich tung des Königtums führten, sind einander zum Verwechseln ähnlich. Sowohl in Mesopotamien als auch in Ägypten vollzog sich zu Beginn des 3. Jahrtausends ein radikaler Umbruch. Die Wende in Mesopota mien führt in die sogenannte DjemdetNasrPeriode, parallel zur Zeit kurz vor der Gründung der 1. ägyptischen Dynastie. Die Gelehrten schreiben dieser Periode einen entscheidenden künstlerischen Einfluß auf Ägypten zu. Der Archäologe Leonard Woolley, der Ausgräber von Ur, stellte als unleugbare Tatsache fest, daß »Stil, Technik und manch mal sogar die Motive der ägyptischen Schieferpaletten« aus Meso potamien stammen. Die Gründe für die auffälligen Veränderungen führt Woolley auf einen »gewaltsamen Wechsel« zurück und sieht ihren »Grund in einer nationalistischem Auflehnung gegen ein fremdes Re gime«. (Woolley 1961,52) Alexander Scharff spricht von einer »zeitlichen Verklammerung« der spätesten urgeschichtlichen und frühdynastischen Zeit Ägyptens mit der mesopotamischen DjemdetNasrKultur, »die auf keinen Fall aus einandergerissen« werden dürfe. (Scharff 1950,17) Der Ethnologe Kay BirketSmith macht uns auf die aufschlußreiche Tatsache aufmerksam, daß auch im indischen MohendschoDaro und Harappa gewisse An knüpfungen an die DjemdetNasrPeriode zu beobachten seien (Birket Smith 1946,496), was die Beziehungen zwischen Indien, Mesopotamien und Ägypten bestätigt. Der Archäologe Flinders Petrie vermutete, daß eine Rasse, die ursprünglich von einem unbekannten Punkt Vor derasiens auswanderte, gleichzeitig in Indien und Ägypten einge drungen sei. Die Konsequenzen aus den vielen Hinweisen auf eine Verbindung Ägyptens mit Mesopotamien, Persien und Indien wurden nie in ihrer ganzen Tragweite gezogen. Die Thesen der frühesten Ägyptologlnnen, die eine Eroberung Ägyptens von Vorderasien aus annahmen, gelten heute als veraltet und werden, obwohl sie nie widerlegt werden konn 32
ten, nicht mehr erörtert; die hochbedeutende Frage nach Ursprung und Herkunft der ersten Könige Ägyptens wurde nie beantwortet und wird heute aus der Diskussion ausgeklammert. Der Ägyptologe Walter Emery (19031971) bemerkte dazu, moderne Wissenschaftler versuchten die Möglichkeit einer Eroberung und Einwanderung aus einer hypothetischen Gegend zu ignorieren. Aber große Gebiete des Mittleren Ostens, des Roten Meeres und der Ostküste Afrikas seien von Ar chäologen noch unerforscht, so daß eine solche Möglichkeit nicht igno riert werden dürfe. (Emery 1987,30f) Die auffallenden kulturellen Veränderungen, die sich gleichzeitig in Mesopotamien und Ägypten abspielten, können kein Zufall sein. Viel leicht haben sie doch mehr miteinander zu tun, als die Ägyptologlnnen wahrhaben wollen. Könnten die Veränderungen in Ägypten nicht auch durch einen gewaltsamen Wechsel und durch ein fremdes Regime aus gelöst worden sein vielleicht sogar durch die gleiche Erobererrasse, wie Flinders Petrie vermutete? Und könnten die Kriege, die in Ägyp ten mit der Errichtung des Königtums einhergehen, ihren Grund nicht auch in einer nationalistischem Auflehnung gegen einfallende Erobe rer gehabt haben? Auch die Forscherin Merlin Stone, der das Verdienst zukommt, als eine der ersten Frauen eine hervorragende, kulturverglei chende Geschichte der Göttinnenreligion geschrieben zu haben, teilt die Vermutung, daß dieselben Eroberer aus dem Norden, die das süd liche Mesopotamien unterworfen hatten, vielleicht kurz vor der frühe sten dynastischen Zeit auch in Ägypten aufgetaucht seien. Sie schreibt: »Dies ist zwar spekulativ, dennoch aber im Bereich des Möglichen. Un mittelbar vor dem Jahr 3000 gibt es Zeugnisse für eine Invasion in Ägypten, die genau wie in Eridu unmittelbar die Errichtung einer Kö nigsherrschaft zur Folge hatte.« (Stone 1988,130) Die zweite Frage, die sich dann stellt, ist die Frage danach, ob diese Eroberer nicht IndoArier gewesen sein könnten? Im allgemeinen las sen die Wissenschaftler die IndoArier erst im 2. Jahrtausend auf den Plan treten. Doch sie dürften schon viel früher massiv in das weltge schichtliche Geschehen eingegriffen haben. Marija Gimbutas schreibt z.B. über das Ägypten benachbarte Griechenland: »Das allerspäteste Datum für die Einwanderung von Indogermanen nach Griechenland kann im Frühhelladikum II, etwa zwischen 2900 und 2600, angesetzt werden.« (Gimbutas 1992,15) Dies entspricht genau der Zeit der 1. und 2. Dynastie in Ägypten. 33
In Nippur heißt es über das südliche Mesopotamien: »Die Flut schwemmte darüber. Nachdem die Flut darüber geschwemmt war, und als das Königtum vom Himmel heruntergelassen worden war, war das Königtum in Kisch.« (Jacobsen zit. Heinsohn VFG 23/90,7) Es scheint, »daß zivilisatorische Sprünge darunter der entscheidende von der stammesgeschichtlichen Steinzeit zur priesterlich geführten Hochkul tur nach solchen Flutschichten unbestreibar seien«. (Mallowan zit. Heinsohn VFG 23/90,7) Einige Altorientalisten (z.B. der Sumerologe Adam Falkenstein) wollten »die Flut« als eine symbolische Bezeichnung für eine Invasion semitisch sprechender Völker deuten, denn »Flut« hat auf Sumerisch zu gleich eine solche Bedeutung. Die Sumerer waren aber keine Semiten, und die ebenfalls in diese Zeit gehörenden berühmten Königsgräber von Ur und Kisch bezeugen den brutalen indoeuropäischen Brauch der Lebendbestattung der Angehörigen beim Tod des Häuptlings. Die Sumerer, auf den zahlreichen Beter(Adoranten)Statuetten mit auffal lend blauen Augen dargestellt, lassen auf eine fremde, eher nordische Herkunft der Eroberer schließen. Ein anderer Hinweis für die Richtig keit dieser Vermutung ist die Bezeichnung »Schwarzköpfige«, wie so wohl die Sumerer als auch die arischen Eroberer Indiens die unterwor fenen Völker nannten. Literarische Keilschrifttexte aus Babylonien und Assyrien endeten mit der Bitte an die Götter, dem König Menschen mit »schwarzen Köpfen« zu geben, damit er ihr Hirte sei. Man kann da von ausgehen, daß die Herrenschicht, die »Hirten« der Schwarzköpfi gen, die diesen Ausdruck verwendeten, selbst keine »Schwarzköpfigen« waren. In der Geschichte des Altertums hören wir immer wieder von Über fällen der indoeuropäischen Berg und SteppenNomaden auf die friedlichen Stadt und Bauerngemeinden. Meistens erobern sie diese Gebiete und setzen sich als fremde Herrscher über die unterworfenen Völker. Der Altorientalist Manfried Dietrich schreibt, es sei eine »schlichte Tatsache, daß die Basis für die Herrschaftsstruktur und das hierarchische System des Alten Orients laut schriftlicher Aussagen und archäologischer Rekonstruktionen Ende des 4. und Anfang des 3. Jahr tausends in der Städtekultur Südmesopotamiens liegt.« (Dietrich 1989,131) Die Ausbreitung über den ganzen Vorderen Orient be stimmte in der Folge »das machtpolitische Geschehen dieses Raumes grundsätzlich auch in der Folgezeit bis in die Gegenwart«. (Dietrich 34
ebda.) Dieser Befund Dietrichs ist auch zur Erhellung der Zeit des Um bruchs in Ägypten von tragender Bedeutung. Wie man weiß, wurde in Ägypten nach der Zeit der vermuteten Invasion aus Mesopotamien, ge nau wie dort nach der Invasion der Sumerer, das männliche Königtum errichtet.
Seite an Seite zwei verschiedene Bestattungsarten: Zeugnisse matriarchalen Wiedergeburts und patriarchalen Auferstehungsglaubens Zu den wichtigsten Informationsquellen über die Kulturen der alten Völker gehören die archäologischen Funde aus den Grabstätten. Und hier lassen sich weltweit zwei prinzipiell verschiedene Bräuche unter scheiden. Bei den ältesten gefundenen Bestattungen in Ägypten, Me sopotamien, Indien, überhaupt dem ganzen vorderasiatischen Raum und AltEuropa wurden die Toten in einfachen Erdgruben in einer den Embryo nachahmenden, kontrahierten Haltung (auch Hockerstellung genannt) mit wenigen Grabbeigaben bestattet. Muscheln, Korn, Früch te, Brot, Öl usw. waren nicht als Nahrung für die Toten gedacht, wie man gemeinhin behauptet, sondern als religiöse Symbole der Wandlung und der Wiedergeburt; so wie im christlichen Ritual Brot und Wein Wandlungssymbole für den Leib und das Blut Christi dar stellen. Unmittelbar nach der ersten indoeuropäischen Invasionswelle, die im fünften Jahrtausend aus der russischen Steppe nach Europa vor dringt, sind jedoch eine Reihe von »Häuptlingsgräbern« belegt, deren Bestattungsriten völlig anders und nach Gimbutas eindeutig als frem des Kulturphänomen« zu bezeichnen sind. Die Häuptlinge ließen sich nicht in Erdgruben, sondern in rechteckigen Steingräbern, die mit Grabhügeln versehen wurden, auf dem Rücken liegend bestatten. »Im Gegensatz zu den Sitten im Alten Europa, die kaum Rückschlüsse auf soziale Ungleichheiten zulassen, unterscheiden sich die Gräber nun er heblich, und zwar sowohl nach Größe als auch bezüglich der Grabbei gaben. »Sati« wurde offensichtlich von den indoeuropäischen Kurgan Völkern nach Europa gebracht und ließ sich westlich des Schwarzen Meeres erstmals bei Suworowo im Donautal nachweisen.« (Eisler l 1987,105f). (»Sati« d.h. die Lebendbestattung von Menschen, vor allem \ von Frauen, beim Tod des Häuptlings in Ägypten s. Kapitel 7) Men 35
sehen und Tieropfer seien typisch für die Kurganvölker, schreibt Ma rija Gimbutas (Gimbutas JIES 1980, 289), und wurden in Europa so wohl nach der 1. als auch nach der 2. indoeuropäischen Völkerwande rungswelle festgestellt. »In solchen Gräbern nahm der erwachsene Mann die zentrale Po sition in der Steinkammer ein. Diese außergewöhnlichen Gräber ent hielten zwischen drei und zehn Skelette, die alle zur gleichen Zeit be erdigt wurden. Geschlecht, Alter und die Position der Skelette läßt ver muten, daß ein oder mehrere kleine Kinder, eine erwachsene Frau und eine oder zwei Dienerinnen getötet wurden (oder sich freiwillig opfer ten?), um den Vater, Ehemann und Herrn in die andere Welt zu be gleiten.« (Gimbutas JIES 1980, 292, 296) In einigen »Kurgan«Lagern, den frühesten nachgewiesenen IndoEuropäern, scheint der über wiegende Teil der weiblichen Bevölkerung nicht den KurganStämmen, sondern der alteuropäischneolithischen Bevölkerung angehört zu ha ben. So daß die Vermutung naheliegt, »daß die KurganInvasoren die ortsansässige Bevölkerung und die Kinder massakrierten, die Frauen hingegen zumindest teilweise verschonten, um sie zu ihren Konkubi nen, Frauen oder Sklavinnen zu machen«. (Eisler 1987/105) Der auffallende Kontrast zwischen indoeuropäischen und alteuro päischen Bestattungen zeigt sich auch darin, daß indoeuropäische Grä ber Wohnungen glichen, verschwenderisch versehen mit Grabbeiga ben: Waffen, Booten (die Bootsbegräbnisse der Vikinger sind bestens bekannt), nützlichen Gebrauchsgegenständen, Schmuck, Wertsachen, Menschen und Tieropfern. Zudem wurden indoeuropäische Bestat tungen gewöhnlich von intensiven Totenklagen begleitet, während es viele Hinweise dafür gibt, daß für die AltEuropäer der Tod die Er füllung eines natürlichen Zyklus war, dem sie mit respektvollem Schweigen begegneten. Demgegenüber glaubten die hirtennomadi schen IndoEuropäer an ein ideales jenseitiges Leben. Ihr Wunsch war es, ihren Besitz und ihrenJRang im Jenseits zu behalten. Wenig bekannt dürfte sein, daß man bei den Kurganvölkern den frühesten bekannten IndoEuropäern häufig bemalte Grabwände fand, wie sie später auch in Ägypten zu finden sind. (s. Leigh Jellison Hansen, JIES 1980, 3140) In allen Gebieten Europas, des Nahen Ostens und Asiens findet in der Folge der indoeuropäischen Invasionen diese auffallende Verände rung in der Beerdigungspraxis statt. Die Grabungen in Mehrgarh (Pa kistan) sind von besonderem Interesse. J.F. Jarrige und R.H. Meadow
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fanden auch hier in den ältesten Grabungsschichten sowohl Be stattungen in embryonaler als auch in der gestreckten Rückenlage. Dies könnte auf die Datierung der arischen Einwanderer ein neues Licht werfen, die möglicherweise schon sehr viel früher als bisher an genommen ihren Weg von der russischen Steppe in den Iran und nach Indien antraten. Natürlich kann man sich fragen, ob neue Bestattungsarten das Ein dringen von Menschen einer ändern Kultur anzeigen. Man kann jedoch davon ausgehen, daß während Jahrtausenden gewachsene soziale und religiöse Traditionen nicht ohne wichtige Gründe verändert werden. So hatten z.B. Menschen, die gleichberechtigt zusammenlebten, keine we sentlich verschiedenen Grabbeigaben: Menschen, die wenig Wert auf Besitz legten, hatten kein Interesse, diesen mit ins Grab zu nehmen, und die Gräber von Menschen, die nicht an Auferstehung und ein Leben nach dem Tod, sondern an eine zyklische Wiedergeburt glaubten, wur den nicht mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen des tägli chen Lebens versorgt. Zwischen den Beerdigungsbräuchen der IndoEuropäer und jenen der frühdynastischen ägyptischen Herrscherschicht, die zu Beginn der geschichtlichen Zeit ebenfalls als kulturfremdes Phänomen in Ägypten auftaucht, gibt es eine verblüffende Übereinstimmung. »Auf einem frühgeschichtlichen Grabungsfelde nahe Kairo hat sich neben der ein heimischen die nordische Rechteckbauweise wenn man so will der »Megaronhaus«Typ (Vorhallenhaus) nachweisen lassen.« (Lange 1952,21) Die Bauweise der »Mastabas«, wie die neuen wohnungsähnli chen, von Steinhügeln bedeckten Gräber von den Ägyptologlnnen ge nannt werden, ist praktisch identisch mit jener der Kurganvölker (Kur gan = russisch »Steinhügelgrab«). Sie werden zur typischen Grabbau form der Oberschicht, der Beamten und Priesterschaft des Alten Rei ches. Eine andere Parallele finden wir in den bemalten Gräbern der In doEuropäer. Das erste bemalte Grab wurde im oberägyptischen Hier akonpolis gefunden und von seinen Entdeckern in die Zeit des Ein treffens einer fremden Rasse datiert, (ausführlich Kapitel 5) Auch Waf fen wurden erstmals in den frühesten Gräbern der fremden Rasse in Oberägypten gefunden, und Bootsgräber sind seit der frühesten dyna stischen Zeit in Ägypten bekannt. Die grauenerregendste Sitte der In doEuropäer, die Lebendbestattung von Angehörigen, Frauen und Kindern, Dienerinnen und Tieren beim Tod des Häuptlings, ist bei den 37
Königen der 1. und 2. Dynastie in Oberägypten in großem Umfang nachgewiesen, (ausführlich Kapitel 7) Flinders Petrie, der die Friedhöfe der ersten beiden ägyptischen Dy nastien in Oberägypten ausgegraben hat, schreibt, daß sich die Gräber der »Neuen Rasse« von allen bisher bekannten vordynastischen Grä bern unterscheiden. Ihre Charakteristiken seien für Ägypten so unüb lich, daß er und sein Grabungsteam während Wochen über diese Fried höfe in Nagada gelaufen seien, ohne die leiseste Ahnung zu haben, um was es sich handeln könnte. »Anstatt die Toten in einer Grube zu begra ben, waren die typischen Gräber nun vertikale Kammern, in denen der Körper auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Boden lag.« Petrie be tont, daß es keine einzige Übereinstimmung in der Art der Begräbnis se bei den Ägyptern und der Neuen Rasse gab. (Petrie 1896,18) Das gleiche Phänomen findet sich auch in Mesopotamien. In der frühsumerischen Zeit tritt ein neuer Grabtyp mit gebauten Grab kammern an die Stelle der einfachen Erdgruben. Zu ihnen gehören die berühmten Königsgräber von Ur und Kisch und bedeutende Privatgrä ber. Auch die Grabbeigaben in den neuen Gräbern der Herrscher schichten aller vorderasiatischen eroberten Kulturen sind die gleichen wie bei den frühesten Häuptlingsgräbern der Kurganvölker: Waffen, Schmuck, Toilettengegenstände, Nahrungsmittel und Getränke. Die neue Begräbnisart ist überall ausschließlich bei der Herrscherklasse zu konstatieren und typisch für sie. In Ägypten wurden nach der Zeit des Umbruchs zwei verschiedene Bestattungsarten kontinuierlich nebeneinander fortgesetzt. Auf der ei nen Seite bestatteten die Einheimischen ihre Toten weiterhin in runden Gruben oder Tongefäßen, manchmal eingehüllt in Tierhäute, mit eini gen wenigen Grabbeigaben, die die Wiedergeburt symbolisierten, und führten damit die Tradition der urgeschichtlichen Begräbnisse fort. Auf der ändern Seite wurde die neue Bestattungsart von der herrschenden Schicht weiterentwickelt. »Die Gräber werden den Wohnungen der Reichen angeglichen; einige hatten sogar Räumlichkeiten für die Die nerschaft, Badezimmer und Toiletten und waren mit Gärten umgeben. Am Ende der 2. Dynastie war der Grabtypus für den königlichen Hof und den Adel standardisiert.« (David 1982,33ff) Wie bei den KurganVölkern hoffte auch die neue Herrscherschicht Ägyptens, das Leben gehe nach dem Tod in einem idealen Jenseits im gleichen Stil weiter, und wie bei den Kurganvölkern wurden die Häupt
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linge der 1. und 2. Dynastie Ägyptens auf dem Rücken ausgestreckt be stattet, umgeben von gleichzeitig mit ihnen begrabenen Menschen, die aber alle in embryonaler Lage beigesetzt wurden (Petrie 1932,145); dar aus kann man schließen, daß nur der Häuptling einer fremden Kultur angehörte, während die mit ihm beigesetzten Menschen zur einheimi schen Bevölkerung zu zählen sind; eine Parallele zu den ersten Kurgan Häuptlingsgräbern in Europa, wo vermutet wird, daß die einheimischen Männer und Kinder massakriert, die Frauen hingegen zu Konkubinen oder Sklavinnen gemacht wurden. Der Ägyptologe W.B. Emery berichtet, daß sich die Gräber der Bauern während der ersten Dynastien wenig von denen der vordynastischen Zeit unterscheiden. »Es ist offensichtlich, daß die Bestattungsbräuche des Volkes nicht beeinflußt wurden von denen der herrschenden Schicht (die wahrscheinlich einer anderen Rasse angehörte).« (Emery 1987,139) Begräbnisse in embryonaler Lage hielten sich bei der ursprünglichen Bevölkerung noch während vieler Jahrhunderte, auch noch als Mumifizierung und Begräbnisse in prächtigen Gräbern für die Reichen zur Regel geworden waren. (Gardiner 1961,392) s. Anm. (5) Es ist offenkundig, daß man aus der Körperstellung, in welcher die Toten begraben wurden, auf den Totenglauben einer Kultur schließen kann. Der Religionsforscher Mircea Eliade schreibt zur Bestattung in Embryonalhaltung oder ganz allgemein zur Bestattung der Toten: »In der Tat ist es legitim, ja sogar unabdingbar, davon auszugehen, daß es keine menschlichen Handlungen geben kann, die nicht irgendeinen Sinn hätten. Jedem Bestattungsbrauch muß also eine Glaubensvorstel lung zugrunde liegen, die ihn notwendig macht.« (Eliade/Couliano 1991,27) Die Toten in embryonaler Lage zu bestatten (was an die vorgeburtli che Stellung des Foetus im Mutterleib erinnert), ist ohne Zweifel das aussagekräftigste Merkmal der matriarchalen Religion, die verbunden ist mit dem Glauben an eine zyklische Wiedergeburt. Dieser Wiedergeburtsglaube muß schon während 80100'000 Jahren be standen haben, denn »die ältesten bekannten Bestattungen (Neander taler des MittelPaläolithikums) sind Hockerbestattungen«. (Behrens LÄ/II/1227f) Diese Vorstellung ist aber nur möglich in Verbindung mit dem Glauben an eine Göttin. Tote, die nicht nur in embryonaler Hal tung, sondern in ein feines Leinengewebe oder eine Tierhaut sozusa gen in eine Fruchtblase eingehüllt waren, dürfen sogar vermuten las
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sen, daß die Frauen der Vorzeit anatomische Kenntnisse über die Be schaffenheit des weiblichen Körpers, des Wachsens des Embryos in der Fruchtblase und der Ernährung durch das mütterliche Blut hatten. Dies bezeugt auch die Bestreuung mit rotem Ocker, dem Symbol für weibli ches Lebensblut, und die Beigabe von Kaurimuscheln, die oft über Hunderte von Kilometern hergebracht werden mußten. (Im anatoli schen Chatal Hüyük fand man große Kaurimuscheln, die vom Roten Meer, was »Ozean von Blut« bedeutet, herbeigeschafft wurden. Die Ost küste Arabiens zum »Roten Meer« heißt noch immer »Tihamat«, ein Sy nonym der arabischen Göttin »Tehama« und der babylonischen Göttin Tiamat, der »wahren Quelle des Lebens«, der »Ozean voller Blut«, Tia mat, die ihr Menstruationsblut während dreier Jahre unaufhörlich fließen ließ, um die Schöpfung zu gebären, (s. Walker 1993,1090f) »Es ist durchaus einzusehen, warum man keine Mühen und keinen Weg scheute, um gerade Kaurischaien zu beschaffen«, schreibt der Paläolinguist Richard Fester. »Die Öffnung der Kauri ist eine Laune der Natur eine genaue Nachbildung der weiblichen Leibesöffnung, der Vulva, und spätestens an dieser Beigabe mußte die Forschung er kennen, daß die so Bestatteten für eine Wiedergeburt vorbereitet wur den. Dafür spricht im nachhinein die Ausrichtung zum Sonnenlauf ge nauso wie das Bestreuen mit rotem Ocker.« (Fester 1989,29f) »Kauri« geht auf die vorarischindische Göttin Karuna/Kali, »die Leuchtende«, zurück und war auch der Name für Vulva/Yoni. Die Kaurischnecke war das universelle Symbol der weiblichen Genitalien und deren heilende und fruchtbare Fähigkeiten. (Walker 1993,534) Im zyklischen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt war das Sterben ein bloßes Durchgangs stadium, nach dem man durch die Mütter zur Wiedergeburt gelangte. Zweifellos war die Stellung der Frau in Kulturen, wo die Göttin in der religiösen Vorstellung eine mächtige Position einnahm, eine hochge achtete und nicht zu vergleichen mit jener in den späteren patriarcha len Gesellschaften mit einem von Männern erfundenen männlichen Gott, der die Frauen als zweitklassige Menschen geschaffen haben soll. Patriarchale Religionen setzten dem Glauben an eine zyklische Wie dergeburt aus dem Schoß der Frau ein Ende und erhoben die Fiktion einer physischen Auferstehung und ein Weiterleben nach dem Tode zum Dogma. Sei es, daß sie die Grenzen ihrer Macht über die Geburt aus dem Mutterleib, über Leben und Tod zu leugnen suchten, sei es, weil sie sich von Status und Besitztümern nicht trennen wollten. Insbe 40
sondere die Herrscher fürchteten sich vor dem Tod und dem Verlust ihrer Macht und ihres Besitzes und ließen von den ihnen zur Seite ste henden Priesterschaften politisch motivierte, pseudoreligiöse Ideolo gien austüfteln, die zwar wenig mit Theologie zu tun hatten, aber ihren Interessen dienten und ihnen ein ewiges Weiterleben garantieren soll ten. Bereits im sumerischen GilgameschEpos ist die Angst des Man nes vor dem Tod und seine Suche nach dem » ewigen Leben« das Grund motiv der Heldenlegende. »Der »Herr« Gilgamesch sieht ein, daß er wie alle Sterblichen früher oder später sterben muß, und ist folglich ent schlossen, sich wenigstens »einen Namen zu errichten«, bevor ihn sein vorbestimmtes Ende erreicht.« (Kramer 1959,134) Gilgamesch, der wahrscheinlich mit Gor/Georg identisch ist, der hel denhafte erste »Drachentöter«, geht als Schlächter der Göttin der Un terwelt (in ihrer vermännlichten Form des »Chuwawa«) in die Ge schichte der Mythologie ein. Der Ethnologe und Religionsforscher Ja mes G. Frazer zeigte in seinem Werk »Fear of Dead« (Angst vor dem Tod), daß der Glaube an ein Leben nach dem Tod nicht universal ist. Bei einigen Völkern werde aber z.B. angenommen, daß es das spezielle Privileg der höheren Klasse sei, Unsterblichkeit zu erreichen, während die unteren Klassen wie Tiere verenden. Daß der Unsterb lichkeitsgedanke nicht semitischen Ursprungs ist, zeigt die arabische Geschichte: »Unsterblich zu sein war für einen Araber der vorislami schen Zeit undenkbar; er war mißtrauisch gegen alles und glaubte nur an das, was er sah: Die Kinder werden von einer Frau geboren, sie ster ben und werden zu Staub. Die Vaterschaft hat nur Sinn für einen Mann, der sich für unsterblich hält, der sich als Glied einer Abfolge von Ge nerationen begreift, als Teil eines Planes, der über die kurze und flüch tige individuelle Erfahrung hinausgeht.« (Mernissi 1992,180) Die Verleugnung des Todes und die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, die das Denken der Herrscherschicht Ägyptens do minierten, bilden die Basis der Ägyptischen Totenbücher. Die Herr schenden widmeten den größten Teil ihrer religiösen Anstrengungen dem zwanghaften Versuch, den Tod zu leugnen und sich der All machtsphantasie eines ewig dauernden Lebens in Luxus hinzugeben. Der Tod gehörte für die Herrscher zur »Furchtbarkeit des Monströsem (Assmann) und nimmt in den Jenseitsvorstellungen »auch die Züge ei ner Hölle, eines Straforts der Verdammten und einer vor bluttriefender Grausamkeit starrenden Abschreckung des Bösen an. Das bis zum 41
Monströsen abschreckende Gesicht des »Todes als Feind« ist nichts als die dialektische Kehrseite des »Todes als Heimkehre« (Assmann LÄ/II/362f) Als Heimkehr in den Schoß der Göttlichen Mutter, müßte man der Vollständigkeit halber anfügen, deren Aspekt als Göttin des Todes nun zur Furchtbarkeit des Monströsem diskriminiert wurde. Mit der Bekämpfung der matriarchalen Religion und, damit verbunden, der Aufgabe der tröstlichen Idee einer Heimkehr und Wiedergeburt aus dem Schoß der Großen Muttergöttin, inkarniert in der Frau, war der Verlust des Urvertrauens in die ewige Erneuerung verbunden. Zwar wird noch in der Bibel die Erde als Mutterschoß bezeichnet, doch wan delte die jüdischchristliche Religion den Schoß der universalen Göttin in » Abrahams Schoß« um, obwohl er kaum mit weiblichen Organen aus gestattet war. Dieses theoretische Konstrukt war dem naturver bundenen Denken der Menschen der Vorzeit, wie sich am Beispiel Ara biens zeigt, fremd. Auch die Ägypterinnen begegneten dem neuen Auf erstehungsglauben, wie er von den Priesterkasten erdacht wurde, of fensichtlich mit Skepsis. Die Zweifel klingen in den sogenannten Harf nerliedern an:
»Noch keiner kam wieder, daß er unser Herz beruhige. Keiner kam, der ihr Schicksal erzählt und alles, worum unser Herz sich quält, bis auch wir gelangen, wohin sie gegangen... Denn keiner nahm mit sich, woran er gehangen, und niemand kommt wieder, der einmal gegangen.« (zit. Brunner 1989,146) Den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod, ob im Paradies oder in der Hölle, haben sämtliche patriarchalen Religionen von der indo europäischen Religion übernommen, deren Essenz es ist, das Leben (vor allem der NichtPrivilegierten) nach dem Tod höher zu bewerten als das Leben vor dem Tod. »Die für die frühen matriarchalen Völker kennzeichnende optimistische Vorstellung von der nächsten Welt«, schreibt Sibylle von ClesReden, »der Glaube an die Reinkarnation im alles erneuernden Schoß der Großen Göttin, scheint später einer dü steren, pessimistischen Aussicht auf das Jenseits gewichen zu sein. Mit dem Rückzug der mütterlichen Welt und dem Erscheinen der neuen 42
männlichen Götter wurde die Welt häßlicher, die Vorstellung von der Zerstörung stärker und die Hoffnung auf Erlösung immer schwächere« (zit. Gould Davis 1987,122) Die noch lange mächtigen Göttinnen der eroberten Gegenden gin gen alle auf jene der Jahrtausende alten Mutterkulturen zurück. Sie wurden in der Folge der Eroberungen in das patriarchale GötterPan theon integriert, wobei ihnen jedoch ein Teil ihrer Macht entwunden und auf die männlichen Götter übertragen wurde; absurderweise vor allem ihre Schöpfungsmacht und die Fähigkeit, Leben zu gebären. Die indoeuropäischen Eroberer, die keine allmächtigen weiblichen Göt tinnen duldeten, verwiesen die großen Schöpfergöttinnen in die zweite Generation, als Töchter, die ein Vatergott »geboren« haben soll. Die meisten wurden mit einem Gatten versehen und diesem mit der Zeit untergeordnet. »So wurde Isis zur Tochter des AmunRe, Ischtar zur Tochter des An, AlUzza zur Tochter des Allah, Astarte zur Gemahlin Baals, Hera zur Gattin des Zeus.« (MeierSeethaler 1988,272) Der ägyptische »Reformer« Echnaton hatte ein verräterisches Faible. Er ließ sich gerne mit einem schwangeren Frauenkörper darstellen. Der Religionsforscher Mircea Eliade sagt zu dieser seltsamen Neigung: »Die rituelle und symbolische Transformation in eine Frau ist vermut lich mit einer Ideologie zu erklären, die aus dem archaischen Matriar chat stammt.« (zit. Walker 1993,1103) Echnaton versuchte in Ägypten vergeblich, die Erinnerung an die matriarchale Zeit und die Göttinnen auszulöschen und diese durch transvestierte Götter zu ersetzen. Der Er folg blieb Echnaton versagt, doch die Durchsetzung dieser patriarcha len Ideologie gelang kurze Zeit darauf Moses, der im dort herrschen den Klima der Frauen und GöttinnenFeindlichkeit am ägyptischen Hofe aufgewachsen ist: In seiner von ihm gestifteten jüdischen Religion hatten die Göttinen, jetzt als »Götzen« diffamiert, endgültig aus dem Götterhimmel abzutreten. Noch eine andere Information über die urgeschichtlichen Ägyp terinnen brachten die Gräberfunde zutage:
Sie waren Vegetarier »Unter der Göttin, schreibt Bachofen, »war eine besondere Schuld mit der körperlichen Verletzung irgendeines lebenden Wesens verbunden 43
ganz gleich ob Mensch oder Tier.« (zit. Elizabeth Gould Davis 1987,139) Die Menschen im Niltal lebten wie ihre Nachbarn vom Ackerbau, pflanzten Getreide und Gemüse, ernteten Früchte, stellten Leinen her, hielten Ziegen und Schafe wegen der Milch und der Wolle und hielten Schweine, die nicht nur zum Einstampfen der Saat, sondern auch als Allesfresser für Hygiene sorgten und giftige Schlangen von den Be siedlungen fernhielten. (Dies kann in Indien noch heute beobachtet werden.) Es gibt wie in Chatal Hüyük Hinweise dafür, daß sich die Men schen ausschließlich vegetarisch ernährten, denn Laboranalysen menschlicher Fäkalien aus der vordynastischen Zeit zeigten stär kehaltige und vegetarische Nahrungsrückstände. (Hoffman 1980,159) Die Untersuchung der Mageninhalte natürlicher, d.h. im Wüstensand vertrockneter vordynastischer Mumien von Naga edDer ergab, daß sich die Menschen von Getreide, Samen einer wilden Hirseart, Blättern eines Borretschgewächses, Erdmandeln, Melonensamen und von Fisch ernährten. (Germer 1991,28) Die demotische Schöpfungslehre erwähnt ausschließlich pflanzliche Kost, doch andere religiöse Texte, z.B. der Hymnus in der Lehre von Merikare (um 2060), nennen ausdrücklich Tiere als menschliche Nah rung. Den matriarchalen Vegetariern mußte also noch 1000 Jahre nach dem patriarchalen Umsturz in Ägypten beigebracht werden, daß »Gott« den Menschen Fleischessen verordnet habe. Es ist offensichtlich, daß sich hier zwei verschiedene Anschauungen gegenüberstehen. Der Religionsforscher Walter Beltz ist der Ansicht, die Vorstellung von fleischlicher Nahrung sei die Folge der Eroberung des Niltals durch die von Viehzucht und Jagd lebenden Nomaden (Beltz 1982,70), und sein Kollege Mircea Eliade betont, daß die ari schen Eroberer Indiens Fleischesser waren und Tieropfer darbrachten. (Eliade/Couliano 1991,290) Auch Elizabeth Gould Davis weist darauf hin, daß das Töten und der Verzehr von Tieren durch den Menschen eine Erscheinung jüngeren Datums sei. In Griechenland berichten sowohl Lukretius wie Platon, »daß sich der Mensch in frühen Zeiten von Wurzeln, Beeren, Eicheln, Getreide und Früchten ernährte und Por phyrios sagt, daß unsere Vorfahren nur Früchte und Gemüse opferten«. (Gould Davis 1987,141) Diese Informationen zwingen uns, »das alte Bild vom jagenden Höhlenmenschen, der seine Beute nach Hause zu seiner Frau und sei nen Kindern schleppt, zu überprüfen. Denn die fleischliche Nahrung 44
war... eine späte Entwicklung der menschlichen Geschichte und der Jäger kam nach dem den Acker bebauenden Menschen.« (James »The Cult of the Mother Goddess«, zit. Gould Davis 1987,79) »Seit Urmen schenforscher Paläanthropologen nachweisen konnten, daß unsere frühesten Vorfahren vor vier Millionen Jahren vor allem von Körnern, Früchten und Nüssen lebten, scheint klar zu sein: Pflanzlich sei des Menschen angestammte Nahrung.« (GEO »Wissen« 5.3.90,160)
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»Kühner, als das Unbekannte zu erforschen kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln.« (J. Kaspar)
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KAPITEL 3
Ägypten vor den Pharaonen
M
it dem heutigen Wissen um die großen urgeschichtlichen Kultu ren kann nicht bezweifelt werden, daß auch Ägypten schon in den Jahrtausenden vor der Errichtung des Königtums eine große Zivilisation besaß, und es ist keineswegs auszuschließen, daß Archäologen wie im pakistanischen Mehrgarh durch weitere Grabungen auf Überra schungen stoßen werden. Eine solche ist die kürzliche Entdeckung ei ner in der westlichen Wüste gelegenen aus dem Fels gehauenen Höhle mit gemalten Alltagsszenen, deren Alter auf 20'000 Jahre geschätzt wird. (Memorandum der Ägyptischen Verwaltung der Altertümer, Mai 1993) Es ist zu hoffen, daß weitere klärende Funde folgen und auch veröffentlich werden. Alle großen Schöpfungen der sogenannten Hoch oder Schriftkultu ren haben ihre Wurzeln tief in den ihnen vorausgehenden matriarcha len Kulturen, die man heute abwertend als »PrimitivKulturen» be zeichnet. Wohl sind die geschichtlichen Kulturen, die in etwa zusam menfallen mit der patriarchalen Zeit, den vorhergehenden technisch überlegen; Errungenschaften, wie etwa die Silex und Keramikkunst, das Weben feinster Leinen, die Heilkunde, die Erfindung von Bild symbolen (als Ursprung der Schrift), die demokratische Gesellschafts ordnung, der Ackerbau hingegen sind Schöpfungen der matriarchalen Kulturen. Eine Geschichtsschreibung aber, die diese Beiträge der Frauen zur Kultur tilgen und den Mann als alleinigen Schöpfer der Zivilisation in den Vordergrund schieben will, läßt die Vorgeschichte außer acht, obwohl »zwischen Vorgeschichte und Geschichte keinerlei Grenzscheide besteht; ohne die erstere läßt sich die letztere nicht begreifen und bleibt sinnlos«. (Moscati 1962,18) Jüngere, d.h. patriarchale Epochen legen mehr Wert auf die Aus weitung und Festigung politischer Macht, die Anhäufung von Besitz und technischem Fortschritt. Bezeichnenderweise erhob das Patriar chat sein ihm eigenes Kriegshandwerk zur Kriegs«Kunst». Von den künstlerischen Leistungen der urgeschichtlichen Bewoh nerinnen des Niltals zeugen beispielsweise die bearbeiteten Feu ersteine; »von wunderbarer, auf Erden so nirgendwo wieder vorkom
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mender Feinheit der Materialwahl und Arbeit«. (Lange 1952,23) Viele davon »sind für normale Beanspruchung zu dünn und wohl überhaupt einzig zu dem Zwecke hergestellt worden, als Prunkstücke den Toten zu dienen. Zu zarten, höchst dekorativ wirkenden Reihen ordnen sich über die gesamte Messeroberfläche hin die mu schelig aufeinander folgenden Schlagspuren.« (Lange ebda.) Ebenso dürfte die hochstehende Qualität der urgeschichtlichen bemalten Keramik, die einen »ausgesprochen afrikanischen Zusammenhang« zeigt (Lange 1952,21), »in der gesamten späteren Geschichte Altägyptens unerreicht geblieben sein«. (Daniel/Rehork 1990,62) Abb. 1: Zeremonialmesser, Feuerstein mit vergoldetem Griff, auf dem drei weibliche Figuren eingraviert sind, die möglicherweise die Göttinnen Trinität symbolisieren
Die Entwertung urgeschichtlicher GöttinnenStatuetten Wie in den ändern urgeschichtlichen Kulturen fand man auch in Ägypten eine große Anzahl weiblicher Statuetten, die frühesten aus der Zeit zwischen 61003800, welche die Verehrung einer Großen Göttin be zeugen. Doch damit haben die Ägyptologlnnen Mühe. Während die urge schichtlichen, weiblichen Statuetten anderer Länder von den Wissen schaftlerinnen wenigstens vereinzelt als »Göttinnen« oder doch zumin dest in der neutralisierenden Form als »Gottheiten« oder »Idole« (Ab götter) bezeichnet werden, ist dem nicht so in Ägypten: Die diskrimi nierenden Beschreibungen der nackten weiblichen Figurinen würde man eher von Redaktoren pornographischer Männermagazine erwar
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ten als von Wissenschaftlerinnen. Kaum eine andere Altertumswissen schaft spricht von diesen Statuetten so respektlos wie die Ägyptologie. »Beischläferinnern, »Konkubinen«, »Tänzerinnen«, »Puppen«, »Diene rinnen« oder »Sklavinnen« werden sie hier genannt, obwohl diese Sta tuetten als Grabbeigaben dienten und auch in Gräbern von kleinen Mädchen gefunden wurden.
Abb. 2: Weibliche Statuetten, welche die Wiedergeburt aus der Frau bzw. der MutterGöttin symbolisieren.Grabbeigaben, prädynastisch
Zur Abbildung eines weiblichen Figürchens ist unter dem Titel »Pup pe« im offiziellen Katalog des Museums von Kairo zu lesen, daß die Frauenfigürchen mit den stark betonten Schoßdreiecken zur Freude der männlichen Toten bestimmt waren, weil diese die weibliche Präsenz im Grab zur Erhaltung ihrer Zeugungskraft für wünschenswert hielten, »während Frauen und Mädchen, denen diese Figürchen mitgegeben wurden, diesem weiblichen Ideal ewig gleichen wollten«. Diese »Pup pe« mit dem ausgeprägten weiblichen Dreieck und dem sakralen Karo Muster weist auf einen mythischen Hintergrund. Carola MeierSeetha ler erforscht die Symbolik dieses archaischen Ornamentes, das weltweit immer wieder auftaucht (z.B. bereits in den jungsteinzeitlichen Höhlen Zeichnungen als graviertes Netzmuster, in Chatal Hüyük, im alten Grie chenland, bei den Etruskern, in China und Bali bis zur tragikomischen 49
Figur des Harlekin in der Commedia delParte): »Es ist, als wäre ein un ausweichliches, ewiges Gesetz in diese Musterung eingeschrieben, ein Gesetz, das in den großen Einschnitten des Lebensablaufes am deut lichsten zur Wirkung kommt.« (MeierSeethaler 1993,200) Die Ethno login Brigitte HauserSchäublin, »kommt zu dem Ergebnis, daß alle jene Wesen das schwarzweiße Karo tragen, die sich nicht fürchten vor der Totalität des Lebens. Dazu gehören immer Licht und Schatten, Freude und Schmerz, Werden und Vergehen.« (ebda. 202) Zu einer anderen Figur im gleichen Katalog steht, daß diese Kleinplastiken das Aussehen einer Puppe mit der verführerischen An mut einer nackten, tätowierten Tänzerin verquicken und so das Ewig weibliche, dessen Aufgabe es ist, den Verstorbenen zu erfreuen und zu beleben, verkörpern. (Offiz. Katalog Museum Kairo 1986) Alle Wissenschaftlerinnen scheinen diese verzerrte Ansicht nicht zu teilen, doch eine würdige Gegendarstellung fehlt. Patriarchale Män nerideologie geht davon aus, daß Frauen dem Mann als Sklavin, Ge spielin und zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse nicht nur zu Lebzeiten, sondern selbst noch nach dem Tod zur Verfügung zu stehen haben. Solche Interpretationen sagen wohl viel über die Denkweise heutiger Wissenschaftler, aber nichts über die Geisteshaltung der frühen Menschen aus. Unverkennbar machen Männer hier unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit frauenverachtenden Phantasien Luft. Diese weiblichen Statuetten, welche die Wiedergeburt aus der Muttergöttin symbolisieren, sind zu vergleichen mit dem gekreuzigten Jesus auf den Särgen der Christen, der die Auferstehung der Toten ga rantieren soll. Zu Recht schockiert die Vorstellung, in 5000 Jahren könnten Archäologen die JesusStatuetten aus Gräbern unserer Zeit einmal als »Beischläfer« oder »Lustknaben« bezeichnen, den Frauen ins Grab gelegt, um sie sexuell zu erfreuen. Die Reduzierung der urgeschichtlichen GöttinnenDarstellungen auf sexuelle Spielgefährtinnen der Männer ist kein Ruhmesblatt für die Ägyptologie. Dagegen zeigt man sich äußerst prüde, wenn es um die korrekte Übersetzung von Texten mit sexuellem Inhalt geht. So be richtet etwa die Ägyptologin Barbara Watterson (was wir auch von än dern Wissenschaften wissen), daß bis vor nicht allzu langer Zeit Ge lehrte jene Textpassagen, die ihnen anstößig erschienen, ins Lateinische zu übersetzen pflegten, weil sie es vorzogen, eine keusche Version vor zulegen, und alle »unzüchtigen« Passagen in der schicklichen Unver 50
ständlichkeit einer Gelehrtensprache beließen. (Watterson 1984,119) Kein Wunder, daß die matriarchale Religion, welche Sexualität als Ge schenk der Göttin betrachtete und als Feier ritualisierte, keine Gnade in diesem verklemmten puritanischen Kreis fand. Die Uninformiertheit der meisten Wissenschaftlerinnen in bezug auf die urgeschichtliche weibliche Religion ist katastrophal. »Der namhafte britische Archäologe Christopher Hawkes wies 1974 seine Kollegen mit Recht auf die be denkliche Vernachlässigung und Unterbewertung religiöser Aspekte der Urgeschichte durch die Forschung der letzten 20 Jahre hin und be tonte, daß »... im Geist des Menschen der Frühzeit das Materielle und das Übernatürliche noch nicht getrennt waren«, und daß auch der prähi storische »Handel« stark religiös motiviert war.« (Reden 1978,24) Nach bald zwei Jahrzehnten wissenschaftlichen Fortschreitens ist diese Kritik für die Ägyptologie unvermindert aktuell. Ab der Zeit der Errichtung des männlichen Königtums und dem Be ginn der männlich dominierten Religion findet man die weiblichen Sta tuetten in den Gräbern nur noch vereinzelt. Der Ägyptologe Wolfgang Helck glaubt, daß sie »Wohl unter dem Zwang zur »Ordnung« und dem Bestreben, alle »chaotischen« Mächte, zu denen auch die Erotik gehört, zu negieren«, verschwinden mußten. (Hrvh. Helck LÄ/I/684) Das heißt, die Eroberer verfolgten den matriarchalen Kult und erbauten Tempel für ihre männlichen Götter über den urgeschichtlichen Heiligtümern der Göttin. Der Ägyptologe Robert A. Armour weist darauf hin, daß die Zerstörung der Kultschreine und Darstellungen der urgeschichtli chen Gottheit von den HorusAnhängern ausdrücklich angeordnet wurde. (Armour 1989,50f) Von Cheops, dem von der Ägyptologie ohne jeden haltbaren Beweis zum »Pyramidenerbauer« der 4. Dynastie ge machten Pharao, ist verbrieft, daß er die Heiligtümer schließen ließ und den alten Kult verbot. Doch das Unsichtbarmachen der Zeugnisse der matriarchalen Religion dauert bis in unsere Zeit an: Der größte Teil der gefundenen urgeschichtlichen weiblichen Statuetten verschwand in den letzten hun dert Jahren in Privatsammlungen, Instituts und Museumskellern, die selbst für Fachleute nur mit größter Mühe zugänglich sind. Dort dürfte noch eine große Anzahl der das Patriarchat so beunruhigenden Zeu ginnen der matriarchalen Religion unter Verschluß gehalten, vielleicht sogar vernichtet worden sein, wie dies in Ägypten von den ersten Chri sten, später den Muslimen und den Besatzern bekannt ist. s. Anm. (6) Eine auch von den Ägyptologlnnen als Skandal gewertete Tatsache 51
kommt hinzu: Die Wissenschaftlerinnen veröffentlichen nur einen Teil, d.h. eine subjektive Auslese der Ausgrabungsfunde. Sie bestimmen, welche Informationen preisgegeben oder der Öffentlichkeit zugemutet werden können und welche nicht. Der Grund dafür dürfte sein, daß we der die islamischen noch die judeochristlichen Wissenschaftlerinnen ein Interesse daran haben, die Zeugnisse der Jahrtausende währenden GöttinnenVerehrung und der urgeschichtlichen Frauenkultur Ägyp tens ans Licht zu bringen.
Die urgeschichtliche Keramikkunst verschwindet Gleichzeitig mit dem Verschwinden der Göttinnenstatuetten geht auch die für die vordynastische Zeit charakteristische bemalte Keramikkunst verloren. Zur Zeit der Eroberung aller Länder des Ostens, auch Ägyp tens, taucht eine neuartige Töpferware auf, und zwar genau vor der er sten Dynastie. Die kriegerische Zeit ließ dem Künstlerischen keinen Raum mehr; die Töpferware hatte nun strikten Gebrauchscharakter, als Eß und Vorratsgeschirr. (Hoffman) Der Urgeschichtsforscher und Ar chäologe Michael Hoffman stellte fest, daß 99% der in Abydos (Oberägypten) gefundenen Töpferscherben aus der frühen dynasti schen Zeit grobes Gebrauchsgut war und nur ein Prozent feinere, rot polierte und schwarz gerandete Ware. Dagegen betrug der Anteil einer in einem urgeschichtlichen Testfeld in Hierakonpolis untersuchten Ke ramik 50% feine Töpferwaren. (Hoffman 1980,152) s. Anm. (7) Es mag erstaunen, daß ausgerechnet die als zivilisierte Kulturbringer gepriesene Herrscherschicht sich mit weniger künstlerischen Töpfer waren begnügte (ja diese sogar zum Verschwinden brachte) als die »un kultivierten« urgeschichtlichen Ägypterinnen, die doch erst durch den pharaonischen »Segen« ins Zeitalter der Zivilisation rutschten. Doch die »Kulturbringer« waren weder an künstlerischer Keramik interessiert noch daran gewöhnt; denn sie waren im Gegensatz zu den Ein heimischen ursprünglich keine Seßhaften, sondern nomadisierende Viehzüchter, und diese töpfern nicht; das zerbrechliche Tongeschirr wäre für sie unzweckmäßig.
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»Wer die Bilder, die eine Kultur hervorgebracht hat, systematisch außer acht läßt, hat wenig Aussicht, sich von dieser Kultur, erst recht vom religiösen Symbolsystem, an dem sie sich orientiert hat, ein auch nur einigermaßen adäquates Bild machen zu können.« (Keel/Uehlinger 1992.XI)
Vernachlässigte Symbolforschung Das Fehlen einer kulturvergleichenden UrgeschichtsForschung, die Ägypten miteinbezieht, und die Vernachlässigung der Erforschung der Symbolik der vorschriftlichen Epochen ist ein anderer Grund für die mangelhaften Kenntnisse über die matriarchale Zeit. Leider bleiben uns dadurch wichtige Informationen aus diesen Kulturen verborgen. Die Symbolik der bemalten Vasen der urgeschichtlichen NagadaZeit, die in Tausenden von Exemplaren weltweit in den Museen verstreut sind, harrt bis heute ernsthafter Deutungsversuche. Die Zeichnungen, aber auch die Farben und die Formen der Gefäße dürften jedoch we sentliche Mitteilungen enthalten, die für die Erforschung der vorpha raonischen Zeit genauso wichtig sind wie die Hieroglyphentexte für die pharaonische Zeit. Offenbar fehlte es aber bisher an einem Champol lion zur Entzifferung dieser in Symbolen gespeicherten Informationen. (Dem Franzosen J.F. Champollion gelang 1823 die Entschlüsselung der Hieroglyphenschrift.) s. Anm. (8) Die Nichtbeachtung und Geringschätzung der Bildaussagen und Symbole der vorschriftlichen Epochen führt zu einem mangelhaften Verständnis der Urgeschichte; man tappt im dunkeln und ist auf Ver mutungen angewiesen, die unvermeidlich auch zu Fehlinterpretationen führen. So dürften die als »Schiffe« bezeichneten Darstellungen auf den NagadaVasen ein Irrtum sein. Möglicherweise geht es hier um die Darstellung von »Fäden«, um ein Symbol der spinnenden, webenden und knüpfenden Schicksalsgöttin und um »Knotenmagie«. Isis »band oder löste das Leben der Menschen mit dem Tat, dem Schicksalsknoten und lehrte die Herstellung magi scher Knoten... Heidnische Religionen stellten einen Bezug her zwi schen der Kunst des Knotens und den Binde bzw. Lösekräften der Schöpfung und Vernichtung«. (Walker 1993,557)
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Abb. 3: a) Detail einer NagadaVase mit »Schiff« b) Knotenschnur
Es könnte sich bei den »Schiffs« Zeichnungen aber auch um die Wie dergabe eines KnotenschnurSystems handeln, wie es in vielen Kultu ren sehr geschickt für die verschiedensten Zwecke verwendet wurde. Knotenschnüre dienten als Kalender oder Almanach, eine Art Jahres kalender, wie sie noch bis vor wenigen Jahrhunderten in der ägypti schen, griechischen und arabischen Welt bekannt waren, wo sie auch für Verträge, als Quittungen oder als Archivierungssystem in der Verwal tung Anwendung fanden. Die Annahme, daß es sich bei den »Schiffen« um kalendarische oder religiöse Informationen handeln könnte, die
Abb. 4: a) NagadaVase mit echtem Ruderboot b) NagadaVase ca. 3500 54
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mittels des KnotenschnurSystems festgehalten wurden, wird durch eine Beobachtung Flinders Petries untermauert. Er schreibt: »Die Zahl zeichen (auf den frühen Rollsiegeln) sind sämtlich von verschieden lan gen Seilstücken hergeleitet, was auf eine ursprüngliche Rechenart mit Schnurknoten, wie in manchen ändern Ländern hinweist.« (Petrie (Deuel Hrsg.) 1988,70) s. Anm. (9) Galeerenartige Ruderboote mit bis zu 60 Ruderern waren in der ur geschichtlichen Zeit unbekannt. Selbst aus der Zeit der Hochkultur und des technischen Fortschritts zeigt ein Bild in Deir elBahari den Last kahn, der die beiden Obelisken der Königin Hatschepsut (14731458) transportiert, von 27 Schiffen mit »nur« je 32 Ruderern gezogen.
Die UrMütter Ägyptens: Ein urgeschichtliches Heiligtum der Großen Göttin im Tal der Königinnen Die Ägyptologin Christiane Desroches Noblecourt erforschte in den letzten Jahren die das Ende des »Tals der Königinnen in LuxorWest bildende Felsgrotte und veröffentlichte die Ergebnisse im Jahre 1990. Sie kommt zu dem Schluß, daß es sich bei dieser Grotte um ein schon in urgeschichtlicher Zeit benutztes Höhlenheiligtum der Göttin Ha thor(Sothis) bzw. um die symbolische Darstellung des gigantischen Uterus der göttlichen Himmelskuh handelt. Die in der Grotte gefun dene rote Keramik, Spuren von rotem Ocker, die Felszeichnung einer Kuh und ein rotes Dreieck bezeugen, was seit dem Paläolithikum von den Höhlen der Großen Göttin bekannt ist: Die Symbolik der Wieder geburt aus dem weiblichen Schoß; Höhle, Sargraum, Sarg und Grab ha ben alle die Bedeutung von »Mutterschoß der Großen Göttin«. Im ägyp tischen Totenglauben kommt die überragende Bedeutung der Mutter göttin als »die große Aufnehmende« zum Tragen; die Vereinigung mit der Großen Mutter ist das zentrale Thema. »Die Mutter der Millionen, die Hunderttausende aufnimmt.« »Die Mutter der Götter, in der sie auch zur Ruhe gehen, die Herrin des Seienden, der das (noch) nicht Seiende gehört: die das Eintreten liebt und das Her auskommen haßt, das ganze Land sehnt sich danach, dort zu sein.«
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»Die Stadt der Verklärten, der Gau der Toten, an deren Ufer jeder Er mattete landet. Ihre Mutter ist sie, die sie allesamt erschaffen hat; sie ge hen ein zu ihr, soviel ihrer sind.« »O Amme, zu der gut eintreten ist, zu der jedermann eingeht, Tag für Tag! O Große Mutter, deren Kinder nicht entbunden werden! O Große Göttin im Innern der Unterwelt, zweifach geheime, die niemand kennt, Große Göttin, deren Schleier niemand lüftet! O Löserin der Fesseln, o Bergende, zu der den Weg niemand weisen kann!« (zit. Assmann LÄ/IV/268) Ohne Zweifel waren die Sanktuare wie die heilige Grotte im Tal der Königinnen absichtlich an jenen Stellen in den Felsen errichtet, die in ihrer Form an die weiblichen Genitalien, an Vagina und Schoß erinnern; in Fels»Spalten« und unter pyramidenförmigen Bergen, die den Urhügel oder schwangeren Bauch der Großen Göttin symbolisier ten. Dieses »kosmische Sanktuar«, schreibt Christiane Desroches No blecourt, diente religiösen Zwecken. Prähistorische Felszeichnungen beweisen, daß es bereits in der vorpharaonischen Zeit als HathorUte rusHeiligtum benutzt wurde und von außerordentlicher religiöser Wichtigkeit gewesen sein muß. (Desroches Noblecourt 503 »Les Dos siers d'Archeologie«, No. 149150/ MaiJuin 1990) Der ursprüngliche Name der hier verehrten Kuhgöttin ist unbekannt und war vielleicht »Bat« oder »Beth«; eine andere vordynastische Göttin heißt NekBeth, und in EhBeth im Delta findet sich im klassischen Altertum ein Göt tinnenheiligtum. Der Name »Beth« oder »Bat« ist der libyische Name der Göttin Neith. »Die Höhepunkte der Verehrung der Göttin liegen in der Frühgeschichte und zu Beginn des Alten Reiches.« (Schlichting LÄ/IV/392) Jedoch wurde in einem Grab in Nagada aus der Zeit zwi schen 43004000 eine mit der Roten Krone der Göttin Neith von Un terägypten dekorierte Vase gefunden, was darauf schließen läßt, daß sie schon mindestens 1000 Jahre vor den Pharaonen verehrt wurde. »Als Urgöttin steht Neith am Anfang der Welt. Sie selbst ist ungeschaffen und vereinigt in sich männliche und weibliche Eigenschaften. Aus sich selbst heraus erschafft sie die Götter... Sie ist Vater der Väter, Mutter der Mütter.« (Schlichting LÄ/IV/393) (Die Erobererhäuptlinge nah men sich ihre Legitimation zum Königtum durch Heirat der NeithPrie sterköniginnen NeithHotep, MeritNeith und HerNeith, die den Na men der Göttin als Bestandteil ihres KöniginnenNamens trugen.) 56
Die ägyptischen Bethen sind eine erstaunliche Parallele zu den Heiligen Drei Bethen in Europa, die noch heute verehrt werden. (»Die Bethen anrufen« wurde zum Verb »beten«.) HatHor (=Haus des Horus) wurde diese Göttin erst in der dynastischen Zeit nach dem Einfall der Horus Anhänger genannt. Der Prähistoriker Jacques de Morgan schreibt, daß viele ägyptische Gottheiten wie Horus (der keilschriftlich als »Haara« überliefert ist, Schenkel 1990,60), Hathor und Sothis asiatischer Herkunft seien (Morgan 1926,337), und der Assyriologe Sayce vermutet, daß Hathor identisch ist mit der babylonischen (Kuh) Göttin Isthar, die wiederum identisch ist mit der in späterer Zeit in Südarabien in der vermännlichten Form als Atthar verehrten Göttin. (Sayce 1902,147f) Die Kuhgöttin krönt in vierfacher Darstellung auch die NarmerPa lette, die Siegespalette der Eroberer, deren Form selbst einem Kuhkopf nachempfunden ist, und vierfach wird sie auf dem Kultschurz des Nar' mer dargestellt, (s.Weiler 1991,56,59) Sie ist von Anfang an die Schirm herrin, Schutzgöttin und »Mutter der Könige«. Bezeichnenderweise fehlt in der ganzen ÄgyptenLiteratur bis heute eine zusammenhängende Untersuchung der ägyptischen Muttergöt tinnen, (s. Assmann LÄ/IV/269) Herodot berichtete, daß die Ägypter die Kuh viel mehr als jedes an dere Tier verehrten. Es ist anzunehmen, daß Kühe im matriarchalen Ägypten, wie noch heute in Indien, nicht getötet wurden. Hingegen wurden sie im Alten Reich unübersehbar in den NoblenGräbern von Sakkara massenhaft geopfert. Der Rinderschenkel ist die bevorzugte Opfergabe des dynastischen Ägyptens und steht für die rituelle Ver nichtung des »Bösen«, d.h. für den Mord an der verfolgten, vordynasti schen Kuhgöttin. Horus wird erwähnt als derjenige, der seinem Vater ein RinderschenkelOpfer darbringt, was bedeutet, daß er die Him mels und Muttergöttin dem Vaterkult opfert. In der Mythologie reißt Horus, der Gott der Eroberer, dem Seth, der Gottheit des vordynasti schen Ägypten »den Schenkel aus und wirft ihn an den Nordhimmel, wo er als Sternbild erscheint, das wir »Großer Bär« nennen« (Helck LÄ,V,580), ganz ähnlich dem sumerischen Mythos, wo der Hero der Eroberer, Gilgamesch, dem Himmelsstier ebenfalls den Schenkel aus reißt und ihn im Himmel der Göttin Astarte ins Gesicht wirft, (ebda.)
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Nicht beachtete urgeschichtliche Göttinnenskulpturen Bei der Grotte der Großen Göttin im Tal der Königinnen ist noch eine andere Erscheinung interessant, die allerdings bisher unbeachtet blieb: eine aus dem Fels gemeißelte überlebensgroße weibliche Skulptur auf der linken Seite des Eingangs, die über dem Boden zu schweben scheint. Obwohl der Kalkfelsen hoffnungslos brüchig ist« (Desroches Noblecourt), kann man bei der verwitterten Großplastik die untere Körperhälfte mit dem betonten Schoßdreieck erkennen, die gut erhalten ist.
Abb. 5: Bisher nicht beachtete urgeschichtliche GöttinnenGroßskulptur im Tal der Königinnen
Die Steinplastik wurde zum Teil durch Wasser und Hitzeeinwirkung, vielleicht aber auch absichtlich zerstört. Sintflutartige Regenfälle sind zwischen 15'000 und lO'OOO in Oberägypten häufig, in späterer Zeit sel tener nachgewiesen, und die Grotte liegt bezeichnenderweise im »Tal des Großen Wasserfalls«. In Ägypten werden verschiedene Göttinnen 58
der »Urflut« und des Himmels in Kuhgestalt verehrt: Methyer, Ihet, Nut und Neith, auch Hathor steht dieser Gruppe nahe. (Assmann LÄ/IV/267) Die GöttinnenSkulptur ist den südfranzösischen Göttinnen (»Ve nus«) von Laussei nicht unähnlich, deren Alter auf 22'000 Jahre ge schätzt wird. s. Anm. (10) Felsen und Steine repräsentierten die Große Mutter Erde, wie auch das Meer, der Mond, die Milchstraße, die Ele mente, Berge, Flüsse, Vegetation und die Frauen, (s. Walker 1985,27) »Ihr wurde die uranfängliche Schöpfung des Universums mit allem, was es enthält, zugeschrieben, wie auch die sich weiter entfaltende Schöp fung und die temporäre Erhaltung jedes individuellen Geschöpfs.« (ebda.) Eine andere aus dem Fels gemeißelte Skulptur, die bisher ebenfalls übersehen wurde, befindet sich in der Wüste des oberägyptischen Hierakonpolis, dem heutigen Köm elAhmar. Der weibliche, ca. 35cm große, auf den mittleren Körperbereich reduzierte Torso ist von beein druckender künstlerischer Qualität und besteht aus einem stark ge wölbten, schwangeren Bauch und stumpf artig abgerundeten Schenkel oberteilen.
in Köm elAhmar, prädynastisch
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»In urältester Zeit mag die Verbundenheit des Numens (= göttliches Wesen DW) mit dem Felsen sogar einmal als ein Einwohnen im Stein geglaubt, der Stein und sein Gott (Göttin? DW) also einander nahezu als gleich empfunden worden sein.« (H. Schmidt »Der heilige Fels in Je rusalem«, Tübingen 1933,78, zit. Keel 1972,161)
»Man rüttelt nicht ungestraft an den Fundamenten der akademischen Wissenschaften, unter den Augen von Koryphäen, die überzeugt sind, unumstößliche Theorien aufgestellt zu haben.« (Louis Pauwels/Jacques Bergier)
Stammt die Sphinx von Giza aus der Zeit v o r den Pharaonen? Eine höchst irritierende Meldung erschütterte Ägypterinnen und Ägyptologlnnen im Jahre 1991. Die Kairoer Zeitung »A1 Akhbar« ti telte am 20. April: »Neue amerikanische Geburtsurkunde für die Große Sphinx von Giza: Amerikanischer Wissenschaftler behauptet, die Skulptur sei mehr als lO'OOO Jahre alt und Teil einer unbekannten Zi vilisation^ Einige ägyptische Altertumswissenschaftler fürchten, dieser Befund versuche, »die ägyptische Geschichte zu ruinieren«. Dr. Zahi Hawass, zuständig für die GizaMonumente, argwöhnte gar, daß mit solchen Ideen versucht werde, Ägypten das Wertvollste, was es besitze, wegzunehmen. Was hatte diese heftigen Emotionen um das Wahrzei chen Ägyptens ausgelöst? Ein nicht der ägyptologischen Schulwissenschaft verpflichteter Ägyptenforscher, John Anthony West, fiel im Jahre 1987 mit dem Buch »Serpent in the sky« durch seine erfrischend unorthodoxen Thesen auf, die den meisten Ägyptologlnnen jedoch unangenehm und indiskutabel erschienen. Aufgrund seiner eigenen Forschungen und derjenigen des Mathematikers, Philosophen und Orientalisten R.A. Schwaller de Eu bitcz (geb. 1891) sah er in der ägyptischen Wissenschaft, Medizin, Ma thematik und Astronomie nicht eine »Entwicklung«, sondern das Ver mächtnis einer früheren, weitaus höher entwickelten Zivilisation, die viele Jahrtausende vor dem dynastischen Ägypten blühte. Den handfe
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sten Beweis für diese Thesen sollte die geologische Untersuchung der Großen Sphinx erbringen. Auffallend an dieser monumentalen Skulptur, einem Mischwesen mit menschlichem Kopf, ist die starke Beschädigung des Körpers, während der Kopf keine solchen Oberflächenabtragungen aufweist; er wurde erst durch einen Mamelukensultan des Mittelalters, der das »Götzenbild« mit Kanonen beschießen ließ, verstümmelt. Der Schaden am Löw(inn)enleib ist um so unerklärlicher, als der Körper der Skulptur die meiste Zeit des ägyptischen Altertums »vom Flugsand der Li byschen Wüste wie mit einem Schutzmantel zugedeckt« war. (DuMont »Kairo« 1982,58) Diese Erosion entstand laut J.A. West nicht durch Wind, Sand oder Grundwasser, sondern durch stehendes Wasser und die Sphinx müßte darum schon viele tausend Jahre vor den Pharaonen ihren Platz bei den Pyramiden eingenommen haben, (s. John Anthony West »Serpent in the Sky«, 1987) Die Wissenschaftler sind sich darüber einig, daß die Sahara erst in relativ jüngerer Zeit zur Wüste wurde und diese Zone gegen lO'OOO fruchtbare Savanne war. Auch scheint es, daß Ägypten zwischen IS'000 und lO'OOO mehreren großen Überschwem mungen zum Opfer fiel und daß das untere Niltal während einer langen Periode unter Wasser stand, ausgelöst durch einen Wasseranstieg, der durch das Schmelzen der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit verur sacht wurde. Die geologischen Untersuchungen der Gesteinsschäden bestätigen nun, daß die Sphinx, wie sie sich heute präsentiert, durch diese Wasserfluten beschädigt worden sein muß. (s. J.A. West, »Kadath« 1990, No 74,17ff »Le sphinx de Gizeh seraitil antediluvien?«) Die wissenschaftlichen Analysen wurden durch das Boston Univer sity's College of Basis Studies unter der Leitung von Prof. Robert M. Schoch durchgeführt. Das Schlußgutachten attestiert, daß die Sphinx nicht in der bisher angenommenen Zeit der 4. Dynastie, also um ca. 2500 aus dem Fels gemeißelt wurde, sondern zwischen dem 7. und 5. Jahrtausend oder noch früher. (Schoch, KMT, Summer 1992, 5359) John A. West führt aus, daß schon im 19. Jahrhundert einige Wis senschaftler annahmen, daß die Sphinx älter sein könnte als die Pyra miden, weil kein einziger anderer ägyptischer Bau und keine einzige an dere Skulptur so stark beschädigt oder erodiert sei wie die Sphinx und der angrenzende Tempel, der sich außerdem im Stil eindeutig von den restlichen ägyptischen Konstruktionen unterscheidet. Der geologische Befund hat nun bewiesen, daß die Großskulptur schon zu Beginn des
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Abb. 7: Die Große Sphinx von Giza
pharaonischen Ägypten stark beschädigt sein mußte und möglicher weise von den Pharaonen der 4. Dynastie lediglich restauriert wurde. Die rätselhafte Sphinx hat eine ebenso rätselhafte Geschichte. Hero dot, der um 450 Ägypten bereiste, erwähnt die drei großen Pyramiden, jedoch erstaunlicherweise nicht die Sphinx. Dagegen berichtet Plinius (23 79 u.Z.): »Vor diesen Pyramiden steht die Sphinx, eine Gottheit der dortigen Bewohner, welche noch weit mehr Bewunderung verdient, aber von den Schriftstellern fast mit Stillschweigen behandelt wird... Sie ist aus einem einzigen natürlichen Stein gearbeitet, und das rote Gesicht dieses Ungeheuers wird göttlich verehrt.« (zit. Demisch 1977,239) Heinz Demisch fällt zwar auf, daß die Sphinx erst aus der 4. Dynastie stam men soll; »erstaunlich spät, denn schon in vordynastischer Zeit, d.h. vor der Reichseinigung um 3000 entstanden Kleinplastiken und Re'liefs, die neben Menschen und Tieren auch Mischwesen darstellen« (ebda. 16), geht aber nicht weiter auf diesen Widerspruch ein. Die Ägyptologin Christiane Zivie, eine Spezialistin des GizaPla teaus, berichtet, daß man im Alten Reich für dieses Monument keinen Namen kannte und daß es scheine, daß es auch keine religiöse Rolle spielte; daß aber das Gebiet das Zentrum eines »WallfahrtsOrtes« 62
gewesen sei, das sich um die Sphinx zentrierte. (Zivie LÄ/II/604ff) Es ist demnach nicht auszuschließen, daß die Sphinx von den ägyptischen Ureinwohnern, die der matriarchalen Religion verpflichtet waren, als ursprüngliche Göttin verehrt wurde, diese jedoch in der patriarchalen Religion des Beginns der Pharaonenzeit »keine Rolle spielte«; mögli cherweise galt sie wie die griechischthebanische Sphinx als Repräsen tantin alter Weisheit: Euripides, der, wie alle patriarchalen Dichter, »ihre grauenvolle Natur auszumalen nicht versäumt, nennt sie die »Weise Jungfrau««. (Demisch, 1977,96) Die Zuweisung der rätselhaften Sphinx an Chefren, oder Cheops, ei nen der Pharaonen der 4. Dynastie (um 2500), scheint wie bei den drei Großen Pyramiden eine Verlegenheitslösung zu sein, denn auch für diese Pyramiden gibt es keinen einzigen haltbaren Beweis, der diese Zu ordnung rechtfertigen würde. Selbst ein Schulwissenschaftler, der nicht in Gefahr steht, als Anhänger unorthodoxen Gedankengutes zu gelten, stellte 1952 fest, daß die Zuschreibung an Chefren »aufrecht schwachen Füßen steht«. (Lange 1952,42) Er beklagt jedoch, daß man bei sonst ernstzunehmenden Autoren lesen könne, »ihr Aussehen bewiese, daß sie nicht der ägyptischen, sondern einer weit älteren Kultur angehöre«, (ebda. S. 40f) Lange schreibt weiter, »eine unbestimmte Erwähnung des Chefren in einer zwischen den Vordertatzen eingemeißelten Inschrift, die rund 1400 Jahre später unter Pharao Thutmosis IV. entstanden ist, besagt vielleicht nur, daß man Chefren damals für seinen (der Sphinx) Schöpfer gehalten hat«, (ebda.) Chefren steht als Auftraggeber der Kolossalstatue nicht allein zur Debatte. Der Ägyptologe Pierre Montet »glaubte«, daß die Sphinx von Cheops in Auftrag gegeben worden sei. Aber »wir kennen natürlich nicht das Dekret, in dem Cheops die Arbeit an der Sphinx befahl. Das wäre auch zuviel verlangt«. (Montet o.J. »Das Leben der Pharaonen« 35) Auch Rainer Stadelmann, Direktor des Deutschen Archäologi schen Instituts in Kairo, hängt dieser Version mit dem Argument an: »Ikonographische Gründe (wissenschaftliche Bestimmung der Bildnisse DW) und die Lage der Sphinx in den Steinbrüchen der Cheopspyra mide erlauben eine Zuschreibung dieser Riesenstatue an Cheops.« (Stadelmann 1990, Text zu Abb. 157) Heinz Demisch übernimmt in sei nem Buch »Die Sphinx« die unbegründete Behauptung, die Sphinx sei die Repräsentation eines Pharaos: »Sicher ist, daß der kolossale Sphinx kopf in Gise das Antlitz eines Königs wiedergibt. Das bekunden das Kö 63
nigskopftuch mit der UräusSchlange über der Stirn und der künstliche Bart.« (Demisch 148/19) Doch »sicher« ist an dieser Annahme gar nichts, nicht einmal, daß die Sphinx einmal einen Bart hatte. Die Steinhauer, die die Sphinx renovieren, stellen dies kategorisch in Abrede. Keine Spur von einem Bart, und da er nie vorhanden war, läßt man ihn ins Bri tische Museum verlegen, wo er aber auch nicht ist. Die Pharaonen sind dafür bekannt, daß sie sich Bestehendes aneigneten, warum nicht auch die Darstellung des Königskopftuches und des Uräus? Denn das mit »Nemes« bezeichnete Königskopftuch ist das Attribut der Göttin »Ne mesis«, der lunaren Zeit und Schicksalsgöttin der Urzeit. Es sei ein alter Brauch, schreibt Hans Bonnet, »den König und selbst seine Gemahlin im Bilde eines Sphinx, d.h. als Löwen (Löwin? DW) mit einem Menschenhaupt darzustellen. Durch eine wohl weibliche SphinxFigur ist er bereits für das frühe Alte Reich bezeugt.« (Bonnet 1971,746) Dieser »alte Brauch« könnte allerdings von der UrSphinx in spiriert und keine Neuschöpfung gewesen sein. Die Zuschreibung der Sphinx an einen der Pharaonen der 4. Dyna stie zeigt, wie einfach es sich Forscher bei ihren »wissenschaftlichen« Be weisen machen können und wie solche »Tatsachen« durch ständige Wie derholung zu historischen Wahrheiten« werden. Die Ägyptologlnnen gründeten ihre Behauptung auf vier außerordentlich schwache Indizien: »1. darauf, daß im 19. Jahrhundert eine Statue von Chefren im Tal tempel gefunden wurde, der sich in unmittelbarer Nähe der Sphinx be findet; 2. auf eine unklare (und heute verwischte) Inschrift auf einer Stele aus dem Neuen Reich; 3. auf eine behauptete Ähnlichkeit zwischen dem Gesicht der Sphinx und jenem von Chefren (oder Cheops); und 4. auf die geographische Nähe der Sphinx zur Pyramide des Chefren.« (Schoch KMT, Summer 1992, 5359) Diese »Beweise« sind, wie J.A. West konstatiert, in der Tat »rein zufällig und nicht beweisfähig«. Das beharrliche Zuweisen der Sphinx an die Pharaonen der 4. Dy nastie hat in jüngerer Zeit noch zu einer weiteren Unsitte geführt. »Der Sphinx!«, korrigieren die »Informiertem mit Vehemenz jene Ignoran ten, die sich nicht davon abbringen lassen, die weibliche Form zu ge brauchen und im Gesicht der Sphinx ein weibliches und im Körper den einer Löwin zu sehen. Doch der Ägyptologe Bonnet vermerkt: »Eigen genug, sind die meisten dieser LöwenGottheiten weiblich, so die Ma tit von Der el Gebrawi, die Mehit von This, die Mentit von Latopolis, die Pachet vom Speos Artemidos, die Sachmet von Memphis sowie die 64
Menet.« (Bonnet 1961,427) In ihrem Buch »Am Anfang war die Frau« schrieb Elizabeth Gould Davis 1971 empört: »Es ist unglaublich: Ein Altertumsforscher des 19. Jahrhunderts sprach von der Sphinx als von »ihm«! Die VorViktorianer wußten jedoch, daß die Sphinx weiblich war, denn die erste Auflage der »Encyclopedia Britannica«, die 1771 veröf fentlicht wurde, beschrieb die große Sphinx als »ein Ungeheuer... mit Kopf und Brüsten einer Frau«.« (Gould Davis 1987,117 + Anm. S. 367) Der Schweizer Ägyptologe Eduard Naville argumentierte, aufgrund alter Texte sei die Sphinx weiblich und ein Abbild der Göttin Tefnut oder Hathor gewesen. (Naville, »Sphinx« V, 1902,193199) Der Streit um den männlichen oder weiblichen Artikel scheint erst im 20. Jahrhundert so richtig in Schwung gekommen zu sein. Kurt Lange fühlt sich in seinem Buch »Pyramiden Sphinxe Pharaonen« förmlich gedrängt, sich dafür zu rechtfertigen, daß er die weibliche Form benutzt. Er schreibt, es gehöre »zum guten Ton, der Sphinx zu sagen und darauf zu achten, daß dies auch die anderen tun. Es ist ihnen BildungsEhrensache, Unkundige in dieser Hinsicht zu belehren.« (Lange 1952,40) Zu seiner Verteidigung zitiert er Gerhard Evers, der schreibt, daß man sich »mit einem Ruck daran gemacht« habe, »wider das angeborene Sprachgefühl »Der Sphinx« zu sagen. Dieser Übereifer ist heute nicht mehr nötig; niemand sagt »Der Statue« oder »Der Büste«, auch wenn Napoleon oder Apollo dargestellt sind.« (Lange ebda.) In ihrem Buch »Von der göttlichen Löwin zum Wahrzeichen männli cher Macht« beschreibt die Forscherin Carola MeierSeethaler anhand zahlreicher Beispiele aus der Alt und Jungsteinzeit die Usurpation der ursprünglich der Großen Göttin zugehörigen Tiere, wie etwa der Löwin, durch patriarchale Herrscher und zeigt auf, »wie stark unsere archäologische Forschung im Banne patriarchaler Vorurteile steht«. (MeierSeethaler 1993,47) Das Fazit der aufsehenerregenden Forschungsergebnisse der geolo gischen Untersuchung, welche der Sphinx eine »neue Geburtsurkunde« ausstellen eine Schlußfolgerung, die jedoch auch West außer acht läßt , ist, daß man in dieser Skulptur die Repräsentation einer urgeschicht lichen Göttin sehen muß, denn vor dem patriarchalen Umsturz, der in Ägypten nicht vor dem letzten Drittel des 4. Jahrtausends stattfand, gab es weder männliche Götter noch männliche Herrscher. 65
Ägyptens Gebär und MenstruationsHöhlen Höhlen sind die ältesten Heiligtümer der Göttin. Der griechische Phi losoph Porphyrios (234305 u.Z.) wußte noch, daß alle religiösen Riten, bevor es Tempel gab, in Höhlen stattfanden. Sie waren zu allen Zeiten eng verbunden mit dem Archetyp der Großen Mutter und weltweit mit dem Leib der Erdgöttin identifiziert, dem symbolischen Ort für Geburt und Wiedergeburt, der Quelle des Lebens und primärer Urquell jedes schöpferischen Prozesses. Als Einstieg zur Unterwelt wurden die Höhlen immer mit dem yonischen Tor der Großen Mutter in Verbin dung gebracht. (Walker 1993,405) Das Sanskritwort für Heiligtum »gharbhagrha« ist identisch mit dem Wort für »Schoß«. Das sumerische Wort für Heilige Höhle, Grab, Unterwelt und Schoß war »matu«, gebil det aus der gleichen Wurzel wie »Mutter«. (Walker ebda.) Die Anthropologin und Höhlenforscherin Doris F. Jonas schreibt: »Unser Wissen um die Präzedenz der Muttergöttin in chronologischer wie rangmäßiger Bedeutung vor den späteren und am Ende siegreichen männlichen Göttern sieht darin eine Bestätigung der Deutung von (paläolithischen) Höhlenmalereien als dem Wesen nach symbolische Darstellungen des urweiblichen Prinzips und nicht als »Jagdmagie«, wie früher allzu bereitwillig geglaubt wurde.« (Jonas 1980,91) Im Zuge der Patriarchalisierung wurde die »Höhle« der Unter weltsgöttin Hei/Helle, die Gebärmutter der Erde, zur »Hölle« diffa miert. Diese imaginäre Folterkammer, Ort aller Schrecken, deren sadi stischer Zweck es war, die Menschen in Angst und Schrecken zu ver setzen und sie für die neuen Ideologien gefügig zu machen, ist demnach gleichzusetzen mit dem verteufelten Schoß der urgeschichtlichen Mut tergöttin. »Die männliche Beschäftigung mit der Qual, ein psychischer Auswuchs des harten und strengen asketischen Lebens, stand in kras sem Gegensatz zur matriarchalischen Beschäftigung mit den Freuden des Lebens. Es gibt Grund genug zur Annahme, daß die widerlichen Höllenmartern in erster Linie zur Einschüchterung der Frauen erfun den wurden, damit sie den neuen patriarchalischen Gesetzen gehorch ten.« (Walker 1993,408) In Persien drohten die Priester des arischen Za rathustra den Frauen, »daß den Ehebrecherinnen in der Hölle die Brüste mit eisernen Kämmen aufgerissen würden«. (Walker ebda.) Die jü dische Religion übernahm das Bild der persischen Hölle »als einen Ort der Bestrafung für die Mehrheit der Frauen, die als hoffnungslos un
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würdig für den Himmel des Gottvaters befunden wurden. Männern drohte dann die Hölle, wenn sie überflüssige Konversation mit ihren Ehefrauen betrieben oder den Rat einer Frau angenommen hatten.« (Walker ebda.) Am schlimmsten aber grassierte der perverse Sadismus der Höllenphantasien unter den christlichen Klerikern. Ägypten ist übersät mit Höhlen, die in der urgeschichtlichen Zeit be stimmten Zwecken dienten, doch außer jenen, die in pharaonischer Zeit usurpiert und zu Schachtgräbern umfunktioniert und zum Teil mit HieroglyphenTexten und Bildern versehen wurden, stießen sie er staunlicherweise bis heute nicht auf das Interesse der Wissen schaftlerinnen. Man kann verschiedene Höhlentypen unterscheiden. Die einen waren wahrscheinlich zur Ausübung des religiösen Kultes be stimmt, andere dienten als letzte Aufbewahrungsstätten von menschli chen Knochen; einzelne Skelettreste sind noch immer darin zu finden. (Die Pyramidentexte beschreiben den alten Brauch, die Leiche in der Erde zerfallen zu lassen, bis nur noch die Knochen übrig blieben, die dann nochmals beigesetzt wurden.) Andere Höhlen lassen vermuten, daß sie als Sanatorien gedient hatten. Aus dem Boden geschlagene Mul den wurden möglicherweise mit warmem Sand gefüllt, in denen Rheu ma und andere Krankheiten auskuriert wurden, so wie es in Oberägyp ten noch heute praktiziert wird. Am interessantesten sind die Höhlen, die mit roter, weißer und schwarzer Farbe, den sogenannten »Mondfarben« der GöttinnenTri nität, bemalt wurden, und solche, die vollständig mit einer rot durch mischten Nilschlammschicht ausgekleidet sind. Sie sind u.a. bei Köm elAhmar, was »Roter Hügel« heißt, zu finden. Die Annahme, daß es sich dabei um urgeschichtliche Menstruations oder Gebärhöhlen han delt, ist naheliegend. Und ebenso naheliegend ist die Vermutung, daß es sich bei der verblaßten roten Farbe nicht um Ocker, sondern um weibliches Blut handeln könnte, wurde Menstrualblut doch sogar bis in jüngster Zeit eine besondere Kraft zugeschrieben und galt in sehr vielen Gebieten als eines der stärksten Zaubermittel. Bis zum Jahre 1991 war es jedoch nicht möglich, mittels Laboranalysen Jahrtausende altes Blut bestimmen zu können. In diesem Jahr jedoch gelang es dem australischen Urgeschichtsforscher Dr. Thomas Loy von der Univer sität Canberra, die Farben der Fels und Höhlenmalereien der austra lischen Ureinwohner zu analysieren. Er entdeckte, daß die Höhlenbil der (die ältesten sind über 20'000 Jahre alt) unter anderem mit Men72 67
schenblut gemalt wurden. Es scheint, daß sich Blut gerade auf Steinoberflächen Millionen von Jahren konserviert und das Alter zuverlässig datiert werden kann. Außerdem ist eruierbar, ob es sich um Tier oder Menschenblut handelt. Die Untersuchung der Proben aus den oberägyptischen Höhlen im Institut von Dr. Thomas Loy bestätig ten die Vermutung; bei der roten »Farbe« handelt es sich tatsächlich um Blut. Dieser Befund könnte auch für die Zuordnung der Höhlenmale reien Südfrankreichs und Spaniens von Interesse sein. Sollte es sich bei der bis heute als »Ocker« bezeichneten Farbe um Menstrualblut han deln, müßte wohl die liebgewonnene Idee von der » Jagdmagie« endgültig aufgegeben werden, und es dürfte wie schon oft vermutet wohl kaum mehr ernsthaft angezweifelt werden, daß Frauen die Schöpferin nen dieser Kunstwerke waren. Aus den »Bluthöhlen« Oberägyptens ist zu schließen, daß Frauen das in matriarchaler Zeit als heilig verehrte Menstruations und Gebärblut zur Bemalung der Höhlen verwendeten und sie damit symbolisch zum Uterus der Schöpfergöttin ausgestalteten. Es ist auch nicht auszu schließen, daß das weibliche Blut und die Plazenta (der »Mutterku chen«) der Mutter und Erdgöttin als »Opfergabe« dargebracht wurden; d.h. eine Art matriarchales »Blutopfer« waren. Auch das rituelle Ver graben der Plazenta und der Nabelschnur in der Erde, das im ländlichen Oberägypten noch heute Brauch ist, kann als solches betrachtet wer den. Es wäre nicht überraschend, wenn dieses Blutopfer, als wichtiges matriarchales Kultritual, für die späteren männlichen Blutopfer Pate gestanden hätte. Allerdings wurde in den patriarchalen Religionen das natürlich fließende weibliche »Lebensblut« als unrein verfemt und von den Priestern durch »reines« Tötungsblut von Menschen und Tieren er setzt.
»Die ägyptische Vorgeschichtsforschung war und ist nicht populär.« (Heide StreiterBuscher) Die Vorfälle, die in Ägypten von einer egalitären, losen Siedlungsge meinschaft zu einem zentralistischen, absoluten Staat führten, müssen, wie in der Folge noch zu sehen ist, dramatisch gewesen sein. Es ist dar um um so erstaunlicher, daß der vordynastischen und der Zeit des Um
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bruchs in die dynastische Zeit so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Ägyptologe Walter Wolf findet es schwer verständlich, daß man nicht früher nach der vordynastischen Kultur geforscht habe, ob wohl das Material reichlich vorhanden und gar nicht schwer zu finden sei. Er sieht den Grund darin, daß man sich zunächst auf die Über setzung geschriebener Urkunden stürzte, dabei aber die vielen in schriftlosen Zeugnisse vernachlässigte. Wolf glaubt darin eine gewisse »Geringschätzung der archäologischen Seite der Ägyptologie« zu er kennen und findet es nicht verwunderlich, »daß die Entdeckung der ägyptischen Vorgeschichte durch Männer herbeigeführt wurde, die nicht aus der Schule der ägyptischen Philologie kamen, sondern als Außenseiter bezeichnet werden können«. (Wolf 1966,18f) Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Urgeschichte führte dazu, daß die Epoche vor den Pharaonen weitestgehend unerforscht ist. Neue Forschungen könnten hier viel Licht ins Dunkel bringen, »aber nen nenswerte größere Ausgrabungen mit dieser Zielsetzung sind aus jüng ster Zeit nicht bekannt. Lediglich kleinere Zufallsfunde im Zusammen hang mit anderen Ausgrabungen machen gelegentlich von sich reden. Das ist aber auch alles. Die ägyptische Vorgeschichtsforschung war und ist nicht populär.« (StreiterBuscher 1989,148) Es sei schwer zu glauben, schreibt der Archäologe James Mellaart, daß das fruchtbare Niltal keine Rolle gespielt haben sollte während der 5000 Jahre zwischen 9500 und 4500, in einer Zeit, die so viele signi fikante Entwicklungen bei den östlichen und westlichen Nachbarn zeigte. Seiner Meinung nach liegt hier »die größte Herausforderung für die ägyptische Archäologie der Zukunft«. (Mellaart 1975,271) Walter Emery berichtet, daß nach der ersten Begeisterung, die die Funde von umfassenden frühdynastischen Gräbern durch de Morgan, Flinders Pe trie und Quibell auslösten, das Interesse schwand und diesen Ent deckungen seltsamerweise keine weiteren folgten. Es scheine, daß die Wissenschaftler entmutigt wurden durch die geringe Menge von be schriftetem Material und durch ihr Scheitern beim Lösen des Rätsels der archaischen Schrift, wofür eine verläßliche Interpretation bis heute fehlt. »Aber Fortschritte werden gemacht, und indem mehr Texte zu gänglich werden, besteht wenig Zweifel, daß die Sprachwissenschaftler schließlich den Schlüssel finden werden, welcher diese Fundgrube mit dem geheimnisvollen Inhalt über den Beginn der ägyptischen Ge schichte öffnen wird.« (Emery 1987,26f) 69
Doch möglicherweise wurde das Rätsel dieser mysteriösen, archai schen Texte längst gelöst. Der englische Gelehrte L. A. Waddell identifi zierte diese Schriftzeichen bereits 1929 als sumerisch und übersetzte sie. Er wurde aber seltsamerweise weder von den Ägyptologlnnen noch den Sumerologlnnen zur Kenntnis genommen. Als Beispiel seiner umfassenden Arbeit sei das Ebenholztäfelchen des Kriegerkönigs MenesAha der 1. Dynastie gezeigt.
Abb. 8: EbenholzTäfelchen aus dem Menes Grab in Abydos
Waddells Übersetzung des in Ägypten gefundenen Täfelchens in su merischer Schrift lautet: »König Manash (oder Minash), der Pharao von Mushsir (Ägypten), Land der zwei Kronen, der tödlich Verunglückte des Westens der (Sonnen) Falkenrasse, Aha Manash des Unteren (oder Sonnenaufgangs oder Ostens) und des Sonnenuntergangs (oder Obereren oder Westens) Wassers und ihrer Länder und Ozeane, der Regent, der König von Mushrim, der (zwei Ägypten) Länder, Sohn des großen ShaGana (oder ShaGunu) der (Sonnen) Falkenrasse, der Pharao, der Verstorbene, der Chefkommandant der Schiffe. Der oberste Befehlshaber der Schiffe (Minash) machte den ganzen Weg zum Ende des Landes des Sonnenuntergangs mit Schiffen. Er beendete die In 70
spektion der Westländer. Er baute (dort) einen Besitz in UraniLand. Beim See der Bergspitze. Das Schicksal ereilte ihn in Gestalt einer Hor nisse (oder Wespe), den König der beiden Kronen, Manash. Diese Holztafel wurde zu seinem Gedächnis gefertigte (Waddell 1929, 560ff) Dies ist ein bedeutender Text, bezeugt er doch die sumerische Be setzung Ägyptens und Manshus (Menes) Inspektion und Schiffsreise. Das Überprüfen der Thesen Waddells könnte ein wichtiger und not wendiger Beitrag zur Klärung der Entstehung des pharaonischen Ägyp tens bedeuten. Es sei bedauerlich, schreibt Emery, daß trotz des zu nehmenden Wissens bezüglich dieser fernen, undurchsichtigen Periode der ägyptischen Geschichte es immer noch viele Aspekte gebe, über die sich die Ägyptologen uneins seien. Seiner Meinung nach »verwirren die zahlreichen Werke, die diese Themen behandeln, den Studierenden oft durch die im Widerspruch zueinander stehenden Ansichten der Auto ritäten, welche nur zu oft versäumen, den Beweis für ihre Überzeu gungen zu erbringen«. (Emery 1987,27f.)
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»Alles Glück ist dahin, die Welt ist ins Elend gestoßen durch jene, die sich mästen, die Asiaten, die das Land durchziehen. Aufruhr ist im Osten entstanden, die Asiaten sind nach Ägypten hinabgestiegen.« (zit. Eric Hornung l990,108)
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KAPITEL 4
Von der Urgeschichte in die pharaonische Zeit: Infiltration oder Invasion?
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aben Menschen aus dem Osten wirklich das Niltal erobert, wie es einige Ägyptologen glauben? Waren die frühen urbanen Gesell schaften des Iranischen Plateaus und Mesopotamiens verbunden mit dem frühesten Königtum am Nil und wenn ja, wie?« fragt der Urge schichtsforscher Michael Hoffman. Die Existenz einer Herrenrasse, die zu Beginn des 3. Jahrtausends Ägypten regierte, zeigt sich nicht nur in den kulturfremden Bestat tungsarten der »Neuen Rasse«, sondern auch an den anatomischen Überresten der Menschen dieser Gräber, deren Schädel und Körper verschieden waren von denen der Einheimischen. »Die Unterschiede sind so auffallend, daß es unmöglich ist, daß diese Menschen von frü heren Einheimischen abstammen«, stellten die Anthropologen fest. (Emery 1987,4O) Außerdem sind die Darstellungen brutalster Grausamkeiten zu Be ginn der pharaonischen Geschichte nicht zu übersehen, doch sie wer den auf eine erstaunliche Art und Weise interpretiert. Der Ägyptologe Wolfgang Helck unterstellt sie ganz einfach der ägyptischen Bevöl kerung selbst, er schreibt: »Zu Beginn der Geschichte waren Angehö rige fremder Völker für den Ägypter Objekt eines lustvollen Ab schlachtens Wehrloser«. (Helck LÄ/II/3O6) Wenn dem so wäre, müßte man sich aber die Frage stellen, warum die ägyptischen Menschen, aus deren Vorzeit man keine Spuren von kriegerischer Aggression und keine Waffen gefunden hat, plötzlich verrückt geworden, Fremde lust voll abschlachten? Kriegerische Aggressionen sind erst zu Beginn oder direkt vor der dynastischen Zeit bezeugt. So beobachtete auch der Ägyptologe Dietrich Wildung, daß in keinem der Gräber des vordyna stischen Friedhofs von Minshat Abu Omar Waffen gefunden wurden. (Wildung 1984) Die »gänzlich unkriegerische Natur des ägyptischen Ackerbauern, welche die Könige schon der urältesten Zeit zwang, sich fremder Truppen zu bedienen«, attestiert der Altorientalist W. Max Müller. (Müller 1893,2) Und zu den Schlachtbildern aus Beni Hassan
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(12. Dynastie) schreibt er: »Die auf den großen Wandflächen hervor tretende Kunstrichtung stammt aus Babylonien. Speziell ihre wollüstige Grausamkeit ist unägyptisch.« (Müller 1893,5) Gaston Maspero (1846 1916), einer der besten Kenner der altägyptischen Geschichte, hält fest, daß der Ägypter reiner Rasse keine Freude am Waffenhandwerk hatte und daß die Not des Soldatenelends dem altägyptischen Schriftsteller unerschöpflichen Stoff für Spott und Hohn bot. »Er schildert mit be sonderem Vergnügen den Krieger, der zerlumpt, halb verhungert und verdurstet, von seinen Vorgesetzten beim kleinsten Anlasse mißhan delt, den feindlichen Pfeilen nur entgehend, um den Marschanstren gungen zu erliegen, und stellt dann diesem wenig schmeichelhaften Gemälde das Bild des Schreibers entgegen, der ohne Gefahr reich und angesehen wird. Deshalb flüchtet sich auch, sobald von Krieg nur die Rede ist, mindestens die Hälfte der Männer, welche ihrem Alter nach diensttauglich wären, in die Berge, wo sie außer dem Bereich der das Aufgebot vornehmenden Beamten sind. Dort bleiben sie versteckt, bis die Aushebung vorüber und die junge Mannschaft unterwegs ist, dann erst kehren sie in ihre Dörfer zurück.« (Maspero 1891,80) Der Vor steher der Soldaten« unter Phiops (6. Dynastie) berichtet von einem Feldzug mit ägyptischen und nubischen Soldaten: »Keiner von ihnen stritt mit dem ändern, keiner von ihnen raubte Brotteig oder Sandalen von einem Wanderer, keiner von ihnen nahm Brot aus irgendeiner Stadt, keiner von ihnen nahm irgend jemandem eine Ziege weg.« (Er man 1984,623) Dies steht in krassem Gegensatz zum Verhalten der Er oberer, die raubten, plünderten und mordeten. Der englische Gelehrte Lewis Mumford, der das Leben in den städ tischen Zivilisationen der neugegründeten Königtümer Mesopotami ens und Ägyptens untersuchte, berichtet, daß Machtausübung in Form von Kampf, Angriff, Herrschaft, Eroberung und Knechtschaft das We sen dieser Zivilisationen und die Methoden der Beherrschung der Be völkerung rigoros, hart, ja sadistisch waren; daß die ägyptischen Herr scher ebenso wie die Könige von Mesopotamien auf ihren Denkmälern und Tafeln sogar damit prahlten, wie sie höchst eigenhändig ihre wich tigsten Gefangenen verstümmelt, gefoltert und getötet hätten. (Mum ford zit. Fromm 1974,147) Daß der Beginn der dynastischen Kultur Ägyptens mit den vorder asiatischen Kulturen Sumers, Babylons und Elams eng verbunden war, wurde von einigen Wissenschaftlerinnen rundwegs bestritten. Andere
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schlossen eine solche Beziehung nicht vollständig aus. Jedoch reichen die Kontroversen über die Art des asiatischen Einflusses von Handels beziehungen, friedlichen Infiltrationen, harmlosen, kleinen Gefechten bis zur Eroberung und Kolonisierung Ägyptens und der Gründung der 1. Königsdynastie durch eine »Neue Rasse«. »An eine sumerische Eroberung denkt Massoulard (Prehistoire et ProtoHistoire d'Egypte), an eine Einwanderung Vandier (Manuel I); jeglichen Einfluß leugnete von Bissing.« (Helck 1971,5) Der Ägypto loge Wolfgang Helck selbst glaubt, von einem unmittelbaren Zusammentreffen von Sumerern und Ägyptern oder gar von einer Er oberung Ägyptens durch jene könne auf keinen Fall gesprochen wer den. (Helck 1971,10) Jedoch zeugen die kriegerischen Motive der gefundenen Artefakte (von Menschenhand geformte oder abgeänderte Gegenstände), die allesamt auf sumerischen Ursprung zurückzuführen sind, kaum von friedlichen Handelsbeziehungen oder harmlosen In filtrationen. Helck schreibt an anderer Stelle, daß nach Abschluß der Unterwerfung des Nordens durch eine aus dem Süden gekommene Er obererschicht und der Konstituierung eines Flächenhäuptlingtums es die entscheidende Aufgabe der Herrenschicht war, die Macht zu erhal ten. »Waren sie doch nicht nur zahlenmäßig geringer, sondern auch si cherlich kulturell unterlegen. Damit war die Gefahr einer schnellen Auflösung der Macht gegeben... Wir können erkennen, wie einerseits gewaltsame Unterdrückung der Unterworfenen und rituelle Abgren zung, anderseits Tabus und bestimmte Privilegien zum Erhalt der Macht eingesetzt wurden.« (Helck 1985,9f) Flinders Petrie war der Überzeugung, die Eroberer, die als Fal kenstamm mit dem Namen »ShemsuHor« identifiziert wurden, hätten ihren Ursprung im indoiranischen Elam gehabt und seien vom Persi schen Golf herkommend über das Rote Meer in Oberägypten ein gedrungen. Bemerkenswert ist, daß Eeonard Woolley, der Ausgräber von Uruk im sumerischen SüdMesopotamien, annimmt, daß auch die Invasoren, die ungefähr zur gleichen Zeit Sumer überfielen und kolo nisierten, aus dem Gebiet von Elam kamen. Er schreibt: »Es scheint, daß in einer Epoche, die wir die Uruk Zeit nennen, aus den Bergen nördlich von Elam eine Infiltration von Menschen stattfand, die sich schließlich zu Herren dessen machten, was jetzt der sumerische Staat war.« (Woolley 1961,15) Merlin Stone stellt die berechtigte Frage: »Könnten nicht die ShemsuHor einstmals mit jenem Volk verwandt ge 75
wesen sein, die wir später als Churriter (Horiter) kennenlernen, die sich zuerst im nördlichen Iran ansiedelten, später dann in Sumer, um schließlich die ShemsuHor Ägyptens zu werden?« (Stone 1988,134) Die Horiter wurden von einer indoarischen Herrenschicht regiert. Man vermutet, daß die Menschen, die im Alten Testament als Horiter oder Horim auftauchen, wahrscheinlich aus dem Kaukasus kamen. An die Herkunft der Herrscherrasse aus dem Kaukasus glaubt auch der Ägyptologe E. A. Wallis Budge, er schreibt: »Über die Rasse derje nigen Ägypter, die uns durch Mumien und Statuen bekannt sind (also der Herrscherklasse D W), und ihre Charakteristiken gibt es überhaupt keinen Zweifel: Sie waren Kaukasier, und es scheint, daß sie von ihrer ursprünglichen Heimat in Asien nach Ägypten gekommen sind.« (Budge 1989,lf) Zu den wichtigsten Indizien, die für eine kriegerische Invasion spre chen, gehören die gefundenen Waffen. Neben die Steinkeulen, womit der König auf der NarmerPalette die Gefangenen erschlägt, gehören Lanzen, Messer, Speere und Beile aus Metall (Kupfer). Die Waffen schmiede (die ShemsuHor), die in Ägypten eindrangen und von Süden nach Norden über Ägypten stürmten, stammten vermutlich aus der ma lachitreichen Gegend des Kaukasus. (Die Kupferschmiede aus dem Kaukasus beherrschten als erste das Handwerk der Gewinnung und Verarbeitung von Metall.) Sie wurden später vergöttlicht, und zu ihren Ehren wurde das »Allerheiligste« des Tempels von Edfu »Schmiede« ge nannt und mit einem »heiligen Boot« ausgestattet. Der Kriegsgott der Eroberer, der Horusfalke, war der »Meister« und »Herr der Schmiede stadt, Edfu«. Shemsu wird üblicherweise mit »Nachfolger«, »Geleit«, »Diener« oder »Verehrer« von Horus übersetzt, doch laut Budge sind sie Schmiede und identisch mit den (Waffen) Schmieden von Edfu. Fremde wurden bereits zu Beginn der pharaonischen Zeit in der 1. und 2. Dynastie, ca. 30002635, dargestellt. Die ältesten sind Darstel lungen von Personen mit langem Mantel mit KaroMuster, wie sie die Königsmäntel von Sumer bis zum Mittelalter zieren (s. MeierSeetha ler 1993,197ff), und mit »zipfelmützenartiger Haarfrisur«. (Helck LÄ/II/315) Was der Autor als »zipfelmützenartige Haarfrisur« bezeichnet, ist wohl eher eine bei indoarischen Herrschern (und ihren Göttern) übli che Kopfbedeckung. Sie ist z.B. bei den indoeuropäischen Hethitern auffallend vertreten. »Die Indoeuropäer waren physisch größer und be
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Abb. 9: a) Oberägyptische Krone b) Elfenbeinfigürchen mit Kegelhaube aus Abydos um 2850 c) Töpfer bei der Arbeit
tonten das noch durch konisch zulaufende Hüte, die wahrscheinlich zwischen 50 und 60 Zentimetern hoch waren.« (Stone 1988,139) In Ägypten könnte die Kegelhaube, aus Lehm modelliert, der Kopfform des Trägers im feuchten Zustand angepaßt worden sein. Auf der Nar merPalette begegnen wir dieser Kopfbedeckung zum ersten Mal; sie wurde zur oberägyptischen Königskrone.
»Ägypten lag immer und liegt heute noch in Afrika« (A. Scharff) Diese triviale Feststellung machte der Ägyptologe Alexander Scharff 1950, und eigentlich müßte er daraus den logischen Schluß ziehen, daß auch die ägyptische Kultur, die ägyptische Sprache afrikanisch und die Urbevölkerung der negroiden afrikanischen Rasse zugehörig gewesen sein müßten. Doch hier beginnt das Problem. Zwar bestätigt Scharff, daß Skelettfunde aus Gräbern der urgeschichtlichen Zeit (Badari und I. Nagadakultur, ca. 45003500) in der Tat ergeben haben, daß die Be völkerung hamitischafrikanischen Ursprungs war (Scharff 1950,14), und unbestritten ist auch die ethnische und sprachliche Zusammen gehörigkeit der Ägypter und der dunkelhäutigen Nubier. Interessan terweise war eine Bezeichnung für Ägypten »kmt«. Kamt wird übli cherweise als »schwarzes Land« übersetzt, weil die ägyptische Erde schwarz sei, dürfte aber »Land der Schwarzem oder der »Schwarzköp 77
figen« bedeuten, denn es ist auch die Bezeichnung für »Schwarze« und »Ägypter«. Die Bezeichnung dürfte aus dem sumerischen »kam« = schwarz, herzuleiten sein. Der Prähistoriker Jacques de Morgan schreibt, es scheine, daß die ursprünglichen Ägypterinnen afrikanisch waren und eine afrikanische Sprache sprachen (Morgan 1926,337), und Gaston Maspero konstatierte 1912, die Kunst Ägyptens sei, wie der Rest seiner Zivilisation, das Produkt des afrikanischen Bodens. (Mas pero zit. Leclant LÄ/I/85) Geleugnet wird aber von vielen Gelehrten bis heute, daß die Kultur der dynastischen Oberschicht, die sich mit dem Umbruch in Ägypten installierte, eine ägyptenfremde Kultur war und daß diese fremdländi sche Kultur in ihrer Gesamtheit aus Mesopotamien stammt. Scharff be hauptet, es liege »keinerlei Grund dafür vor, die ägyptische Kultur, trotz der sicher vorhandenen kulturellen Einflüsse von Vorderasien her, kul turell als eine Art Ableger der sumerischen Kultur zu bezeichnen«. (Scharff 1950,14) Dagegen stellt de Morgan einen ganzen Katalog von Beweisen für die Herkunft der pharaonischen Kultur aus Mesopotamien zusammen, u.a. diese, daß bestimmte Getreidesorten und die land wirtschaftlichen Geräte aus Mesopotamien nach Ägypten gebracht wurden, daß die Metallurgie, die sicherlich im nördlichen Vorderasien beheimatet war, aus Mesopotamien und Elam eingeführt wurde und die gleiche Art der Erzeugung und Verwendung zeigt, daß der Kult des Horusfalken und der Hathor aus Asien kommen wie auch die pharao nischen Bestattungsbräuche und die Kunst Ägyptens und Mesopo tamiens der gleichen Schule zugehören und vor allem daß man um gekehrt in Mesopotamien keine ägyptischen Einflüsse feststellen konnte. (Morgan 1926,337f) »Warum sollen wir nicht zugeben, daß ganz Ägypten von den ShemsuHor besetzt wurde?« fragt de Morgan, (ebda. 334) Die asiatische Herkunft bezeugen auch die grobknochig gebauten Menschen, die für die meisten Statuen charakteristisch sind, und deren Gesichtszüge. Die Angehörigen der Herrscherschicht sind nicht negroid (auch nicht semitisch), sondern, wie schon Budge betonte, kaukasisch, d.h. europäid und weiß. Der Ägyptologe Jean Leclant stellte fest, die »Ägypter« hätten sich selbst nie als Schwarze betrachtet, sondern im Gegenteil mit einer gewissen Befriedigung die Fremdartigkeit und exo tische Besonderheit der Bewohner des Südens, erst der Nubier, dann später im Neuen Reich der Neger, vermerkt. (Leclant LÄ/I/86f) Es mu
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tet aber doch etwas eigenartig an, daß die ägyptischen Menschen die ih nen sprachlich und ethnisch verwandten Nubier und Neger als exoti sche Besonderheit betrachtet haben sollen. (Der Ägyptologe Kurt Lange will erstaunlicherweise wissen, daß »die Neger erst um 2000 in das ägyptische Blickfeld getreten sind«. Lange 1952,41) Der Grund des Mißverständnisses kann nur darin liegen, daß es sich bei den von Leclant erwähnten »Ägyptern« um Fremde, also um An gehörige einer nichtägyptischafrikanischen Rasse gehandelt hat. Die von Leclant gemachte Aussage entstammt Texten der Oberschicht des dynastischen Ägyptens. Nur von ihr gibt es schriftliche Überliefe rungen, und diese Schicht war offensichtlich geradezu stolz, sich als be sondere Rasse zu betrachten, die sie in Ägypten ja wohl auch war, näm lich weiß.
»Die Rassenfrage ist der Schlüssel zur Weltgeschichte« (B. Disraeli) Die Frage nach der Rassenzugehörigkeit der Ureinwohner ist ver ständlicherweise von außerordentlicher Brisanz. Denn einerseits wol len die modernen Ägyptologlnnen unter gar keinen Umständen wahr haben, daß Ägypten von Mesopotamien aus erobert und kolonisiert wurde und daß weiße Eroberer der schwarzen ägyptischen Bevölke rung ihre Herrschaft aufzwangen. Anderseits empfinden viele Angehö rige der weißen Rasse die Möglichkeit, daß sich aus einer »primitiven« afrikanischen Kultur eine große Kultur entwickelt haben könnte, als unzumutbare These. Die dynastische Kultur darf folglich auch nicht afrikanisch gewesen sein. Somit stehen die Ägyptologlnnen vor einer unlösbaren Schwierigkeit. Der Zwiespalt führt zu einem Argumentati onsNotstand, aus dem heraus nicht mehr mit überprüfbaren Thesen, sondern vor allem mit emotionaler Heftigkeit reagiert wird. So schreibt etwa der Ägyptologe B.G. Trigger: »So wie einige Sprachgelehrte ver sucht haben, eine afrikanische Grundlage in der ägyptischen Sprache zu erkennen, so nahmen einige Ägyptologen an, daß die früheste vor dynastische Bevölkerung negroid war. Sie sehen in jedem kaukasischen Element einen Beweis für die spätere Einwanderung von »hamito semitischen« Typen. Zu oft bestand die Tendenz, die kulturelle Ent wicklung Ägyptens wiederholten feindlichen Einfällen von Menschen des letzteren Typs zuzuschreiben.« (Trigger 1983,12f) Anthropologi
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sehe Studien zeigten jedoch, daß eine kleine Minderheit der frühesten dynastischen Bewohner Ägyptens einer ändern Rasse als jener der fein gliedrigen, schlanken, dunklen Oberägypter angehörten. Die im Verhältnis zur ursprünglichen Bevölkerung kleine Anzahl ab weichender Skelettfunde weist aufgrund der Analysen des Anthro pologen D.E. Derry auf »wuchtig gebaute Menschen, die wahr scheinlich aus Asien kamen, da sie mit dem armenoiden Typ identifi ziert werden können, die ungefähr zum Zeitpunkt des Beginns der 1. Dynastie in Ägypten auftauchten«, (zit. Trigger 1983,13) Derry berich tet, nachdem er die verschiedenen Skelettfunde ausgewertet hatte, über die von ihm vorgenommenen Schädelausmessungen: Selbst wer mit Kraniometrie nicht vertraut sei, müsse verblüfft sein über die Un terschiede der Messungen der beiden Gruppen von Ureinwohnern und Invasoren. (Derry JEA 42,1956, 8085) Trotz besseren Wissens warnt Trigger ausdrücklich davor, die frühdynastische Kultur dem Erscheinen einer eingedrungenen ethnischen Gruppe zuzuschreiben; »das hieße die erlaubten Grenzen der Rückschlüsse zu überschreiten«. (Trigger 1983,13) Ein anderer Wissenschaftler, der mit Vehemenz gegen die These einer Invasion kämpft, greift einerseits vor allem Flinder Petries For schungsergebnisse an, gemäß denen die dynastische Epoche durch eine fremde, in Ägypten eingedrungene Rasse ausgelöst wurde, die sich zu einer höheren Kaste aufgeschwungen und die Ureinwohner Ägyptens kolonisiert habe, anderseits beschimpft er die Arbeit der Anthro pologen als »Besessenheit, Schädel auszumessen«. Dies ginge auf Ko sten der Studien zahlreicher anderer menschlicher Überreste, wie der Ernährung, der Gesundheit und anderer Gebiete menschlicher Aktivitäten. Diese Informationen seien dadurch unwiederbringlich verloren. (Romer 1982,52) Doch der Beitrag der Anthropologen hat Gewicht. Für die Aufklärung der Geschichte Ägyptens dürfte die Fra ge, ob Ägypten durch Angehörige der eigenen Rasse oder durch fremde Invasoren versklavt wurde, ungemein wichtiger sein, als was die Leute bei ihrem Tod im Magen hatten. Salomonische Lösungen zur Rassenfrage versuchen das Problem da hingehend zu entschärfen, daß Unterschiede der Rassen in bezug auf Ober und Unterägypten postuliert werden: »Die Wurzel der deutlichen Trennung des unterägyptischen und oberägyptischen Raumes liegt auch in der rassischen Verschiedenheit der Bevölkerung«, schreibt die
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Ägyptologin Irmgard Woldering. Sie bezeichnet die oberägyptische Be völkerung als zur afrikanischhamitischen Völkergruppe gehörend, glaubt aber, daß »die unterägyptische Bauernbevölkerung eher eine rassische Verwandtschaft zu den semitischen Völkerstämmen Palä stinas und Syriens aufweist«. (Woldering 1967,11) Doch die Semiten sollen erst im Laufe des 3. Jahrtausends, wahrscheinlich aus der arabi schen Halbinsel, nach Syrien und Palästina eingedrungen sein, und die Ortsnamen im syrischpalästinensischen Küstenstrich bezeugen, daß die Bewohner der urgeschichtlichen Zeit nicht semitisch waren. (Mos cati 1962,17) Hingegen finden wir sie Ende des 4. bzw. zu Beginn des 3. Jahrtausends bereits in Mesopotamien. Wie schon Marija Gimbutas deutlich machte, brachten die Eroberungen durch kleine, aber kriege risch effiziente indoarische Gruppen nicht in erster Linie eine physi sche, sondern eine kulturelle Veränderung, z.B. in verwaltungstechni scher, religiöser und sprachlicher Hinsicht. Unbestritten ist, daß zu Beginn der dynastischen Zeit semitische Sprachelemente in Ägypten festgestellt wurden. Es sei aber keineswegs leicht anzugeben, »wann und unter welchen Umständen sich die Sym biose in Ägypten vollzog«. (Moscati 1962,17) Der Ägyptologe J.H. Breasted meint, daß die urgeschichtlichen Ägypterinnen rassenver wandt mit den Libyern und mit den ostafrikanischen Stämmen der Gal la, Somali und Bedscha waren, daß dann eine Einwanderung semiti scher Nomaden aus Asien der Sprache dieses afrikanischen Volkes ih ren Stempel aufgeprägt habe. »Die ältesten auf uns gekommenen Bestandteile der ägyptischen Sprache zeigen diesen zusammengesetz ten Ursprung ganz deutlich. Der Bau der Sprache ist im wesentlichen semitisch, aber doch noch gefärbt durch den ihrer afrikanischen Vor gänger.« (Breasted 1954,28) E.A. Wallis Budge stellte fest, daß eine große Zahl von einsilbigen Wörtern in der ägyptischen Sprache von einem der ältesten afri kanischen Völker im Niltal abstammen. »Dies sind Worte, die tiefe Be ziehungen, Gefühle und Glauben ausdrücken, die spezifisch afrikanisch und jedem semitischen Volk fremd sind. Die Urheimat dieser Men schen, die diese Worte erfanden, liegt weit im Süden von Ägypten, und alles, was wir über das prädynastische Ägypten wissen, weist daraufhin, daß sie in der Gegend der Großen Seen lag.« (Budge 1978,I,lxviii)
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Schwarze Ureinwohner weiße Oberschicht Vor allem die große Anzahl von Statuen, die aus dem Alten Reich stam men, bezeugen die fremde Rasse in Ägypten anschaulich. Der Ägypto loge Pierre Montet bemerkt, daß man häufig »an Statuen, und gerade an den bedeutendsten deutlich fremdländische Züge findet«. (Montet 1975,58.) Die Statue des Prinzen HemOn »zeigt einen Mann von gänzlich unägyptischem Typ, und doch war dieser Mann ein mit höch sten Würden bekleideter königlicher Prinz und wahrscheinlich sogar ein Neffe des großen Cheops. Sein gewaltiger von Fettsucht gezeich neter Körper trägt auf einem Stiernacken einen beinahe zu kleinen Kopf, aber seine schmale, gebogene Nase, seine zusammengepreßten Lippen und das energische Kinn müssen das Erbteil eines Vorfahren aus östlichen Ländern sein.« (Montet 1975,59) Auch über die in Boston befindliche Büste des Anchaef, das Abbild eines anderen Großen dieser Zeit, schreibt Montet, es unterscheide sich von dem rein ägyptischen Typus. (Montet 1975,59) Doch nicht nur die Gesichtszüge, auch die Hautfarbe unterscheidet sich von der der ägyp tischen Bevölkerung. Der Ägyptologe von Bissing konstatierte, daß die
Abb. 10: a) HemOn, ein europäisch aussehender Verwandter des Cheops b) Anchaef dürfte kaum ägyptischer Herkunft sein. Altes Reich
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rosa Hautfarbe in Ägypten nicht selten sei und sich schon bei Skulptu ren des späteren Alten Reiches finde, (von Bissing ZÄS 73,124) Königin Hetepheres (4. Dyn.), wahrscheinlich die Mutter von Cheops, wurde in ihrem Grab mit blondem Haar und hellen Augen dargestellt. (Zehren 1980,359) »Cheops Tochter Hetepheres II. war semmelblond, seine Enkelin Meresanch war rotblond, wie aus Reliefs in deren Grab hervorgeht. Otto Muck hat aus diesem Befund bereits geschlossen, daß Cheops eine alteuropäische (Neben) Frau hatte.« (Heinsohn/Illig 1990,167) Von Nitokris, »NeitIkeret«, der letzten Königin der 6, Dyna stie, erzählt der ägyptische Priester des 3. Jahrhunderts, Manetho: »Es" gab eine Frau, Nitokris, die regierte: sie war mutiger als alle Männer ih rer Zeit und sie war die schönste aller Frauen; sie hatte die Züge einer Blonden mit rosa Teint. Man sagt, daß sie es war, die die dritte Pyra mide erbaute.« Die blonden Haare vieler Frauen der ägyptischen Ober schicht will die Ägyptologin Christiane Desroches Noblecourt auf eine Modeerscheinung zurückführen, »denn die Prinzessinnen liebten es, helle Perücken zu tragen«. (Desroches Noblecourt 1986,108) Sollten die Frauen der »Neuen Rasse« wirklich blonde Perücken getragen ha ben und wenn ja, wie kam es zu dieser Modeerscheinung? Und wie er klärt man sich die rosa Haut und die blauen Augen? Waren diese Frauen vielleicht nicht doch ganz einfach blauäugig, blond und weiß, wie etwa Sennui?
Abb. 11:a) Chephren, König der 4. Dynastie b) Sennui, die Gattin eines Gouverneurs im Sudan, mit einem ausgesprochen europäischen Profil, Mittleres Reich; die beiden gleichen sich wie Geschwister
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Auch in einem Grab von Beni Hassan sind Leute mit heller Haut, blonden Haaren und blauen Augen dargestellt. Der ruhmsüchtige Krie gerpharao Ramses II. (19. Dynastie) war rotblond, weißhäutig und nor discher nicht mediterraner Herkunft. (Mahieu 1989,8f) Es wurde schon vermutet, daß der von Herodot, der im 5. Jahrhun dert Ägypten besuchte, überlieferte »Haß der Ägypter gegen Cheops aus der Herkunft der Könige der 4. Dynastie herrühre. Nordische Bronzeschwerter im Boden der ägyptischen Frühgeschichte und merk würdig andersartig geformte Schädel in gewissen Totenfeldern scheinen die Auffassung zu rechtfertigen, daß es sich bei den Pharaonen der er sten Dynastien zum Teil um fremdrassige Herrscher handle. Ja, es ist sogar gesagt worden, daß die ganze Oberschicht des sich bildenden Staates aus einer ausgeprägt weißen Rasse stammen müsse.« (Zehren 1980,359)
Die NarmerPalette: Das Dokument einer brutalen Unterwerfung Die sumerische und elamische Kunst ist mit der in Ägypten auftau chenden Kunst der Neuen Rasse weitgehend identisch. »Das Ver gleichsmaterial ist in solcher Fülle vorhanden, daß es schwierig ist, Bei spiele auszuwählen.« (Langdon 1921,146) Von sumerischem Einfluß zeugt auch die NarmerPalette. Auf der Vorderseite wird der Triumphzug des Königs dargestellt. Die aufgereihten Leichen, denen man die abgehackten Köpfe zwischen die Füße gelegt hat, lassen keinen Zweifel, daß diesem Sieg ein Massaker vorausging. Ebenso grausam sind die Darstellungen auf der Rückseite. Hier erschlägt der König einen vor ihm zusammengesunkenen Un terägypter, den er am Schöpf gepackt hält. Diese Gewaltszene wird fortan zum festen Bestand ägyptischer Königsdarstellungen. In der obe ren rechten Ecke bringt der Horusfalke dem König das »Papyrusland« (Unterägypten) dar, vermenschlicht durch den Kopf eines Unterägyp ters, durch dessen Nase ein Strick gezogen ist. (Eine Praktik, die auch in Mesopotamien üblich war.) Auf dieser Palette begegnet man auch zum erstenmal dem Klassen denken, das in der Folgezeit nicht mehr zu übersehen ist. Es manife stiert sich durch die unterschiedlichen Größen der Figuren. Der Ägyp tologe Hermann Ranke, der sichtlich Gefallen an der Herrenmenschen
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Abb. 12: a) NormerPalette mit dem sumerischen Motiv der Schlangenhalspanther auf der Vorderseite
b) Schlangenhalspanther auf einem Siegelbild aus Sumer, Uruk IVZeü
Ideologie findet, hebt in seiner Beschreibung der Palette hervor, daß die übereinandergereihten Bilder »die dargestellten Vorgänge übersicht lich ordnen; die Hervorhebung der Hauptpersonen durch ihre Größe, welche die hohen Beamten über die einfachen Leute des Volkes, den König selbst aber weit über seine Würdenträger emporragen läßt«. (Ranke, Nachwort zu Breasted 1954,354) Und der Ägyptologe Pierre Montet vemerkt: »Die ägyptische Kunst läßt zu allen Zeiten das 85
Nebeneinander eines hochgezüchteten und eines gewöhnlichen Typs erkennen.« (Montet 1975,58) Das Kastendenken wird in den ägypti schen »Weisheitslehren«, in denen die Menschen nach Höhergestellten, Gleichrangigen und Niedrigeren eingeteilt werden, als »göttlich« legiti miert; aus ihnen geht hervor, daß »der Schöpfergott nach seinem freien und unerforschlichen Willen die Geschöpfe qualitativ differenziert und die einen zu Niederen und die anderen zu Höheren bildet«. (Morenz ZÄS 85,1959, 79) Zum blutigen Auftakt des pharaonischen Ägyptens schreibt Wolf gang Helck: »Zu Beginn der Geschichte bestand in Ägypten keine Not wendigkeit für Fremdarbeiter; daher wurden bei kriegerischen Aus einandersetzungen die Gefangenen erschlagen, zumindest die männli chen. Diese ritualisierte Abschlachtung, wie von 120'000 Unter ägyptern (sind Unterägypter keine Ägypter? DW) bei Narmer und von 47'209 Unterägyptern bei Chasechem... ist auch im frühen Mesopo tamien gang und gäbe.« (Helck LÄ/II/304) Dies erinnert wiederum an die Massaker in den kurganisierten Gegenden AltEuropas, wo man vermutet, daß vor allem Männer und Kinder dahingeschlachtet wurden, während die jungen Frauen als Sexualobjekte und Sklavinnen behalten wurden. »Ein Beleg dafür, daß dies durchaus die Regel war, sind die ei nige tausend Jahre jüngeren Berichte des Alten Testaments über die In vasion jüdischer Nomadenstämme in Kanaan. So lesen wir im 4. Buch Mose (31:3235), daß sich die Beute der Eindringlinge nach dem Kampf gegen die Midianiter in dieser Reihenfolge aus Schafen, Rindern, Eseln und 32'000 Mädchen, die noch keinen Geschlechtsverkehr hat ten, zusammensetzte.« (Eisler 19,87,105) Ein anderes Dokument aus der 1. Dynastie, der Keulenkopf des Kö nigs Skorpion, bezeugt das brutale Vorgehen gegen die Ägypterinnen ebenfalls. Der Archäologe Werner Kaiser ist der Ansicht, daß es sich bei den auf dem Keulenkopf »aufgeknüpften« Kiebitzen, welche die als KiebitzVolk bekannte Bevölkerung Unterägyptens repräsentieren, doch wohl nur um »rebellierende Untertanen«, d.h. um Unterägypter handeln könne. (Kaiser 1964, 91,3) Damit stellt sich aber die Frage: Warum werden Ägypter in ihrem ei genen Land zu Feinden und als Rebellen aufgehängt und plötzlich zu Untertanen, und zu Untertanen welcher Herren? Sind das nicht Ein heimische, die man Aufständische und Rebellen nennt, die sich gegen die Invasoren und den Massenmord an ihrem Volk zur Wehr setzen?
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Abb. 13: Keulenkopf des Königs Skorpion, im oberen Teil erhängte Kiebitze, die Unterägypterinnen symbolisieren
Die These Margaret Murrays dürfte den Tatsachen entsprechen, die auf eine bewaffnete Invasion schloß, die die einheimische Bevölkerung ausgerottet oder versklavt hat. (Murray 1951,1) Aber eine heutige Ägyptologin sieht den Umbruch »als die Schwelle, über die der Alte Ägypter aus der Prähistorie in die Geschichte eingetreten ist. In jener Sternstunde erhielt der Mensch am Nil die Charis, aus seinem märchen haften Zusammenhang mit dem Urgrund der Welt zu der neuen Bewußtseinsebene aufzusteigen, die durch den Mythos gekennzeichnet ist.« (BrannerTraut 1988,151) Diese naive Verklärung ist leider keine Erklärung für das, was am Nil wirklich passiert ist; und weil der Schlüssel zum Verständnis der »Stern stunde« am Nil, die Invasion, nicht akzeptiert wird, hat man bis heute auch keine plausible Erklärung gefunden für den radikalen Umbruch. Auch die Behauptung, daß der Übergang von der urgeschichtlichen in die geschichtliche Zeit ein kultureller Fortschritt gewesen sei, wie ei nige Leute behaupten, tönt wie blanker Hohn angesichts der Barbarei der Tyrannen. Jene Wissenschaftler, die diese Neuerungen unkritisch und idealisierend als »zivilisatorischen Fortschritt, nicht aber die damit verbundene Zerstörung der alten Kultur und des egalitären sozialen Gefüges sehen wollen, hüten und verteidigen diesen »Fortschritt« eifer süchtig als »ägyptische« Errungenschaft. Nur durch das Verharmlosen der störenden Beweise der brutalen Gewaltherrschaft ist es möglich, das so populäre aber künstliche Bild der heilen Welt des pharaonischen Ägyptens aufrechtzuerhalten.
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Das Messer von Gebel elArak ist sumerischer Herkunft Ein anderer wichtiger Fund aus der Zeit des Umbruchs ist das Feuer steinMesser von »Gebel elArak«. Das Messer (heute im Louvre) läßt der Ägyptologe Alan Gardiner als einen der »möglichen« Beweise gel ten, daß es zur Zeit des Umbruchs nicht nur innere Kämpfe gegeben hat, sondern daß daran Invasoren beteiligt gewesen sein könnten. Das FeuersteinMesser zeigt auf dem geschnitztem Elfenbeingriff Tiere auf der einen und kriegerische Kämpfe auf der ändern Seite. Über den Tie ren steht ein mit einem Mantel bekleideter Mann zwischen zwei Löwen; eine Darstellung, die für mesopotamisches Handwerk einer sehr frühen Zeit typisch ist. Die heroische Figur zwischen den beiden Löwen be zeichnet Gardiner von echt sumerischer Art. Tracht und Kopfbeklei dung sind die des babylonischen Gottes Tamuz. Sein Kollege, der Ar chäologe Henri Frankfort, stimmte zu, daß die babylonische Phase als die Ähnlichkeiten zwischen der Kunst Ägyptens und Mesopotamiens auf ihrem Höhepunkt waren ungefähr in die 1. ägyptische Dynastie zu datieren sei. (Wolfgang Helck bezweifelt die Echtheit des Messers von Gebel elArak. Helck 1971,9)
Abb. 14: Der Griff des Messers von Gebel elArak, sumerischer Stil
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»Kernstück des von den Invasoren eingeführten Systems war, daß sie die Macht, die das Leben nimmt, höher bewerteten als diejenige, die das Leben gibt.« (Riane Eisler)
Wer waren die Eroberer Ägyptens? Schon im 4. und zu Beginn des 3. Jahrtausends war Vorderasien ein Sammelbecken vieler Völkergruppen. Doch eines ist auffallend: immer wieder tauchen IndoArier (IndoEuropäer) als Beherrscher weiter Gebiete auf. Ihre expansivkriegerischen Stämme scheinen sukzessive die ganze damals bekannte Welt überflutet und dominiert zu haben. »Der Zeitpunkt ihres ersten Erscheinens im Nahen Osten wird unter schiedlich angesetzt. Professor E.O. James vermutet, daß sich die In doeuropäer seit dem 4. Jahrtausend auf dem iranischen Plateau fest eta bliert hatten. Die Kuratoren des FitzwilliamMuseums in Cambridge datieren ihre Einwanderung in Anatolien gegen Ende des 4. Jahrtau sends oder zu Beginn des 3. Jahrtausends.« (Stone 1989,104) Der Ar chäologe und Sprachwissenschaftler William F. Albright vermutet, daß sie in Anatolien spätestens zu Beginn des 3. Jahrtausends« erschienen sind. (Stone ebda.) Daß der Iran und Indien von Ariern erobert und unterworfen wurden, ist unbestritten. Unklar ist jedoch bis heute, wer die Eroberer Mesopotamiens, die Sumerer, waren, von denen so viele Verbindungen zum frühdynastischen Ägypten führen. Der englische Sprachgelehrte und Asienforscher Laurence Austin Waddell will aufgrund seiner ausgedehnten Sprach und Schriftfor schungen nachgewiesen haben, daß es sich nicht nur bei der Herrscher schicht Indiens und Irans, sondern auch bei jener Sumers um Arier handelte: »Arier sind die »Arios, Marios oder Harri« Mediens, die » Arya« und » Airya« (auch Haraiva) des alten Persien, die Arya Indiens und die »Hara« der späteren Sumerer.« (Waddell 1929,6) s. Anm. (11) »Hara« ist in Ägypten die keilschriftlich überlieferte Bezeichnung für den Gott der Eroberer, den kriegerischen Falken, der von den Griechen Horus genannt wurde. (Die »ShemsuHor« dürften demnach wohl »ShemsuHar« geheißen haben und »arische Schmiede« gewesen sein.) Es dürfte wohl kein Zufall sein, daß der deutsche »Aar« ebenfalls einen großen Raubvogel bezeichnet, der poetisch »Ari« genannt wurde und 89
auf das indogermanische »Horn« zurückgeht. Bemerkenswert ist auch, daß noch heute viele Staaten, die ihren Ursprung auf die » Arier« zurück führen, den Aar als Falken oder Adler stolz in ihrem Wappen tragen und daß gewisse politische Parteien, die besondere Sympathien für das Kriegshandwerk, d.h. den Militarismus hegen, als »Falken« bezeichnet werden. Die These, daß es sich bei der Herrscherschicht Sumers um Arier handeln könnte, wird gestützt durch die typischen Charakteristiken der frühesten IndoEuropäer, die bei ihnen anzutreffen sind. Beispielsweise der indoeuropäische Sonnenkult, die hierarchische Klassenstruktur, der barbarische Brauch der Opferung von Menschen beim Tod des Häuptlings vor allem von Frauen , die Rückenlage der Toten, Waf fen und Besitz als Grabbeigaben und die Entrechtung der Frau. s. Anm. (12) Die heutige Wissenschaft geht davon aus, daß die sumerische Sprache weder indoeuropäisch noch semitisch war. Waddell schreibt jedoch: »Ich beobachtete, daß die Tatsache genau das Gegenteil dieser allgemeinen Annahme war. In meinen Arbeiten brachte ich dafür eine große Anzahl von vollattestierten, konkreten, wissenschaftlichen Be weisen. Diese neuen Befunde belegen überzeugend, daß die Sumerer Arier waren, vom physischen Typ, von der Kultur, Religion, Sprache und Schrift her.« (Waddell 1929,2f) Und dieselbe Behauptung stellt er auch für die ersten Herrscher im Niltal auf: »Die öffentlichen Auf zeichnungen der frühesten Pharaonen sind in sumerischer Schrift und in sumerischer bzw. früharischer Sprache festgehalten.« (Waddell 1930.174f) Interessanterweise machte auch der Ägyptologe E.A. Wallis Budge auf einen indoarischen Anteil in der altägyptischen Sprache aufmerksam. Er schreibt: »Die uns aus Inschriften bekannte Sprache der Ägypter gehört weder vollständig zu den indoeuropäischen noch zu den semitischen Sprachen.« (Budge 1989,3f) Der letzte Hinweis, der diese These zu bestätigen scheint, kam 1985 am 4. Internationalen ÄgyptologenKongreß in München von P. Lava lade. Er präsentierte die bemerkenswerten Resultate seiner verglei chenden Sprachforschung, welche bereits im Alten Reich eine große Anzahl von übereinstimmenden lexikalischen Entsprechungen für Be zeichnungen aus den Bereichen des menschlichen Körpers, von Pflan zen und Tieren mit indoeuropäischen Sprachen aufzeigen. (Lavalade IAE 1985,122f)
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Waddells Thesen gehen aber noch weiter, und hier wird es für die ägyptische Geschichte besonders interessant: Anhand vergleichender Schriftforschungen will er nachgewiesen haben, daß nicht nur das Ge biet zwischen dem Mittelmeer bis Elam, sondern auch Indien und Ägypten durch die Eroberungen des Ariers Sargon und seines Sohnes ManisTusu, der in Ägypten Menes, und seines Enkels NaramEnzu (NaramSin), der in Ägypten Narmer genannt wurde, unterworfen und in einem arischen »Weltreich« zusammengefaßt waren. Er behauptet, die dynastische Zivilisation Ägyptens sei sumerischen bzw. frühari schen Ursprungs: »Sie wurde voll ausgereift von Menes und seinen prädynastischen pharaonischen Vorfahren mitgebracht.« (Waddell 1930,174f) Auch ein führender Assyriologe, A.H. Sayce, erwähnte Sargon, König von Kisch, als Herrscher in Ägypten; »doch keiner der babylonischen oder ägyptischen Historienschreiber nahm diesen Hinweis auf, wahrscheinlich weil es gegen deren Theorie der selbständigen Entste hung der ägyptischen Zivilisation war«. (Waddell 1929,231) Der Sumerologe Samuel Noah Kramer bestätigt in seinem Buch Be schichte beginnt mit Sumer«, daß Sargon I. »sich zum Herrn über so ziemlich den gesamten Nahen Osten einschließlich Ägyptens und Äthiopiens« bzw. Nubiens machte. (Kramer 1959,180) Gunnar Hein sohn und Heribert Illig schreiben in ihrem Buch »Wann lebten die Pha raonen?« zur ägyptischen und mesopotamischen Chronologie: »Der alt akkadische Großkönig NaramSin, der konventionell zwischen 2254 und 2218 datiert wird und sich als »erster Herrscher der vier Weltge genden« nennt, was gewöhnlich Ägypten und Gebiete bis nach Indien einschließt, hat ägyptische Querverbindungen auch deswegen, weil er sich als Sieger über »Maniu (Menes), König von Magan«, bezeichnet. Magan wird immer als Ägypten übersetzt, wenn die entsprechenden Textquellen aus dem 1. Jahrtausend stammen. Schon der Großvater NaramSins, Sargon von Akkad, erklärt, daß ihm »Schiffe aus Meluhha und Schiffe aus Magan« ihre Güter bringen, was auf eine tributäre Be ziehung bereits vor NaramSins eigentlicher Herrschaft schließen läßt... Keine anderen Herrschaftsangaben haben der Ägyptologie und der Assyriologie mehr Verdruß bereitet als diese altakkadischen über Ma gan, Meluhha und Dilmun. Da mitten im Alten Reich Ägyptens eine mesopotamische Herrschaft nicht möglich sein konnte und an der Chronologie nicht gerüttelt wurde, ist man auf die Konstruktion zwei
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er verschiedener Bedeutungen für die geographischen Angaben verfal len. Im 1. Jahrtausend seien sie tatsächlich mit Ägypten, Äthiopien und Indien zu übersetzen. Im 3. Jahrtausend jedoch hätten sie drei andere Länder bezeichnet, die bisher nicht gefunden werden konnten, weshalb sie immer noch »eines der Rätsel der antiken Geographie aufgeben« und die Literatur über diese Nationen unablässig wachsen lassen.« (Hein sohn/Illig 1990,315f) »Gleichwohl haben nur vereinzelte Ausnahme gelehrte darauf beharrt, daß die bekannten Texte mit Magan auch im mer die Übersetzung Ägypten, die mit Meluhha immer die Überset zung Äthiopien und die mit Dilmun immer die Übersetzung Indien er fordern.« (ebda. 316) »Trotzdem hat man bisher im allgemeinen nicht schließen wollen, daß NaramSin gegen Ägypten gezogen sei und sei nen König Mani (Menes) geschlagen habe, sondern hat lieber Magan in Arabien gesucht... Diese vernünftigen Fragen blieben unbeantwor tet, auch von denen, die sie stellten, aber sich nicht vorstellen konnten, an der Chronologie zu rütteln.« (ebda., 316f) s. Anm. (13) Sargon, der von den Orientalisten als semitischer Herrscher be zeichnet wird, könnte ein indoeuropäischer Name bzw. Titel sein. Die erste Silbe »Sar« entspricht dem indoeuropäischen Fürstentitel »Zar«, CäSar (Kaiser), die zweite Silbe »gon« ist das Äquivalent von »gyne«: weibliches Geschlecht, Frau, Abstammung, und der Titel Sargon dürfte etwa mit »aus dem fürstlichen Geschlecht der Frauen stammend« übersetzt werden, denn Sargon kannte, wie so viele andere berühmte Männer, die der matrilinearen Tradition entstammten, seinen Vater nicht. Er war Sohn einer adeligen Theologin und Priesterin, die eine der bemerkenswertesten Frauen der Frühgeschichte war und die vollkom menste sumerische Sprache schrieb, die überhaupt aus dieser Zeit be kannt ist. (Kramer) Sargon wurde nach der Legende im geheimen ge boren und in einem Kästchen aus Schilf und Erdpech im Fluß ausge setzt und auf wunderbare Weise errettet. Sargons Geburtslegende findet sich erstaunlicherweise wieder in der Legende vom »vaterlosen« Moses in Ägypten. »Sar« oder wegen der unsicheren Vokalisation: »Ser« ist auch in Ägypten die Bezeichnung für einen Fürsten oder Vornehmen und begegnet uns bereits in der ersten Dynastie bei Zer (deutsche Transkription Djer), dessen Geburtsname Ati (griechisch Athothis) ist und genau wie im indoarischen Altiranisch »Vater« und »Herrscher« heißt. Ein anderer Zar ist König Djoser/ZoSar. Auch Sargons Enkel NaramSin wird aufgrund seines Namens als Se mite bezeichnet. Doch »Nar« dürfte identisch sein mit dem indoari
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sehen Sanskritwort »Nar«, was »Mann« bedeutet. Nar bezeichnet in den indoeuropäischen Sprachen »den Mann höherer Klasse im Gegensatz zum Gemeinen »wiro«« (altindisch »vira«, althochdeutsch »wer«, Mensch und Mann). (Haudry 1986,26) »Sin« ist der Name des sumerischen Mondgottes, des Sohnes der babylonischsumerischen Göttin Tiamat, dem sie die heiligen »Gesetzestafeln« anvertraute, die später von Moses usurpiert wurden, und ist identisch mit der nordischen Götterbezeich nung »Zuen« oder »Zuin«. (s. Albright/Lambdin, Cambridge Ancient History, 1,147) Die Könige der Frühzeit von Uruk wurden »enzu« ge nannt, eine Umkehrung der Silben »zuen«. Erstaunlicherweise ist die häufigste Bezeichnung für König in Ägypten »nesu«, die Lautumkeh rung des sumerischen »ensu«! Die indoarische Bezeichnung »Zuen« entspricht dem althoch deutschen Wort für »Gott«: »Ziu«, »Tiu«, altnordisch Tyr (Himmel und Gott), gothisch »Thius«, Sanskrit »Dyaus«, althochdeutsch »Tius«, grie chisch »Theos« (oder Zeus), römisch »Deus«, keltisch »Div«. Der Ur geschichts und Sprachforscher Hans Rudolf Hitz kam aufgrund seiner vergleichenden Sprachforschung zu dem Schluß, daß es scheine, »daß zwischen Sumerisch und Protokeltisch einst sehr enge sprachliche Beziehungen existiert haben, oder daß Sumerisch letzten Endes gar auf Protokeltisch beruhen könnte«. (Hitz 1986,153)
Arier in Ägypten ? Die These von den arischen Eroberern Ägyptens ist bei genauerem Be trachten gar nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Es ist geradezu unbegreiflich, daß der häufige Titel »Ari« in der ägypti schen Sprache bisher von den Ägyptologlnnen übersehen werden konnte. Er kommt schon in den frühesten Königsnamen vor, z.B. bei An'Hor in der sog. 0Dynastie, bei SemerchetAnNebti (1. Dynastie); Djoser/ZoSar heißt auch NetArzkhe (4. Dynastie); UserkefAn Maat ist ein König der 5. Dynastie. Die Bezeichnung für Angehörige der Oberschicht ist »An'pait«. Außerdem kommt die Silbe in Beam tentiteln und Götternamen vor, z.B. bezeichnet An den kreativen Gott oder Schöpfergott. Arienabf ist ein blauäugiger Gott (Horus); An'ta ist ein Titel des Vatergottes Ptah; Arzhetchf heißt »der Schöpfer seines Lichts«; Ankhet heißt Schöpfer und ist ein Titel von verschiedenen Göttern und Königen; Arjmaat ist ein Name von Asar/AsAn/Osiris,
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dem » Asiatischen^ Ari ist auch der »Große Gott«, der König und der Chef. Ari heißt sowohl Freund als auch Feind. Ariaaut heißt Amt und Würde, Ehrenämter innehaben, An'aui ist ein Priestertitel, Ariuaak hut wird übersetzt als »Bewohner im Horizont« bzw. »Fremdländer«, Ariam ist der Titel eines Hohenpriesters, Ariast ist der ThronAn wärter, Arihat ist der Titel eines Priesters oder Führers, Ariheb ist der Direktor des Festes, An'henbiu ist der Aufseher der Bauern usw.usw. Die Liste ließe sich noch mit Dutzenden von Beispielen verlängern. Das Auffallende an dieser Ansammlung von An'Silben ist, daß sie sich auf Götter, Titel, Tätigkeiten und allgemeine Bezeichnungen beziehen, die typisch sind für eine hierarchischpatriarchale Gesellschaft (Priester, OberPriester, Führer, Aufseher, Direktor etc.) und erst mit der Er richtung einer hierarchischen »Ordnung« und einer bürokratischen Ver waltung des Eandes relevant wurden. Im Alten Reich gab es 2000 Beamtentitel, ein großer Teil davon mit der Vorsilbe Ari. In der 18. und 19. Dynastie finden wir den Titel Ari in den Königs namen sogar noch häufiger. Z.B. bei Königin AhmoseNefertAn, Gattin des 1. Königs der 18. Dynastie, und der Königin Nefertyln, die wahrscheinlich ihre Tochter ist; Thutmosis I. hat den Titel Arz'nRe und Thutmosis II. AriAmon (Thutmosis III. und sein Nachfolger Ameno phis II. bezeichnen sich erstaunlicherweise sogar als »Hyksos«, das sind jene Eindringlinge unbekannter Herkunft, die Ägypten für ein Jahr hundert beherrschen und im nordöstlichen Delta ihre Hauptstadt er richten, der sie den Namen AuAris gaben); Amenophis III. (der sich in asiatischen Gewändern verewigen ließ, in einer Haltung, »die an die zeitgenössischen elamitischen oder besser babylonischen Statuen erin nert« , Bresciani 1990,279) und Amenophis IV (Echnaton) nennen sich NibmuAria; Aja (Eje) HeperuArzMaat ist Wesir am Hofe Echna tons und der hochbetagte Nachfolger TutAnchAmuns; Sethos I. nennt sich MinmuArz'fl; Ramses II. hat die Bezeichnung WasmuAria in seiner Titulatur, und seine Gattin ist NefertAn, die »schöne Arierin«. Die AnBezeichnungen finden sich im »Egyptian Hieroglyphic Dictionary« aus dem Jahre 1920 des Ägyptologen E.A.Wallis Budge. Er staunlicherweise wurde bei neueren Übersetzungen eine mysteriöse Vokalumwandlung vorgenommen: das A wurde durch ein I ersetzt, so daß die Silbe jetzt nicht mehr »Ari« sondern »Iri« heißt. Tatsächlich weist aber der Historiker Eduard Meyer, ein Kenner der Hieroglyphen schrift, in seiner » Geschichte des Altertums« darauf hin, daß der durch
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ein Schilfblatt geschriebene Laut zwar in vielen Fällen ein I sei, in vie len anderen Fällen aber als Aleph (A) behandelt werden müsse, wie es bei den Namen Atum, Amun, Anubis, Aton usw., die mit dem gleichen Zeichen geschrieben werden, gesichert sei. (Meyer 1909,XV) Auch An' wird mit der SchilfblattHieroglyphe geschrieben. Durch die Vokalum wandlung wurde die an(sche) Komponente unsichtbar.
Die Herrscherschicht: Die »AriPait« Doch damit sind die Hinweise auf frühe Arier in Ägypten noch nicht erschöpft. Die höchste sozialpolitische Stufe bei den IndoAriern ist der Führer des Clans: »woykpoti«, arischavestisch: »vispaitis«. Der Haushaltsvorsteher ist der Vater: »Pater« (P wandelt sich in deutsch und englisch zu V und F). Die Verwandtschaft der VaterWurzel »PT« ist nicht zu übersehen in der lateinischen Bezeichnung »Potentat« und im deutschen »Despoten«: Synonym für herrische und rücksichtslose Gewalt und Willkürherrschaft. Im arischen Sanskrit heißt der Herr und Gebieter »Pati«, und die Sumerer verwenden dafür die Bezeichnung »Patesi«. Kaum ein Zufall kann sein, daß die höchste sozialpolitische Stufe der neuen aristokratischen Schicht Ägyptens sich ebenfalls »Pait« nennt. Der Königssohn erhält den Titel »AriPait«. Montet bezeichnet die »Pait« als die Erobererschicht, die »Henmemet« als die wahren Urein wohner des Niltals und die »Rechit« oder »Kiebitz«Leute, die Bewoh ner der Mittelmeerküste im Delta, die eng mit den libyschen Stämmen im Osten des Deltas verwandt sind. »Pait« bezeichne »vor allem göttli che Wesen« und stehe »im Gegensatz zum obsoleten, aber eindeutig vulgären KiebitzVolk«, schreibt der Ägyptologe Kaplony, die ein heimischen Ägypterinnen diskriminierend. (Kaplony LÄ/III/177f) Göttliche Wesen sind natürlich die der Herrscherklasse angehörenden, vulgär die versklavten Menschen Ägyptens. »Das Leid der Kiebitze (RechitLeute) illustriert schon die kleine Keule des Königs Skorpion: Kiebitze erscheinen da mit Stricken am Hals an Standarten aufgehängt, im weiteren Verlauf der 1. Dynastie mit durchgeschnittenem Hals und von der weißen oberägyptischen Keule erschlagen. In der 3. Dynastie (unter Djoser) hocken die Kiebitze (Rechit) mit gekreuzten Flügeln be wegungslos zu Füßen des Königs.« (Kaplony LÄ/III/418) »Rechit« heißt übersetzt »Untertanen, Volk«. Interessant ist, daß auch im IndoEu
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ropäischen der Begriff der Menge, z.B. die Anzahl der Alltagsmen schen, mit »Rehi« bezeichnet wird. (s. Haudry 1986,140) Unter der Führung ihres Kriegsgottes, des Horusfalken, besiegten die Pait die Einheimischen und blieben die stärkste Stütze des Pharaos. »Bereits in den Pyramidentexten erscheinen die Pait als Gefolgsleute des Horus, als dessen irdische Inkarnation ja der König gilt. An seinem Krönungstag empfängt der König die Pait, als ob sie zu ihm gehörten, sein Todestag stürzt sie in tiefe Trauer, während die Henmemet und die Rechit gleichgültig bleiben. Eine Stele berichtet uns, daß die Behörden angewiesen waren, die Pait und die Rechit nicht auf die gleiche Stufe zu stellen.« (Montet 1975,50) Ein Wesir rühmt sich, diese Anordnung im mer korrekt befolgt zu haben. »Im Alten Reich wird der Titel Pait re lativ häufig an königliche Prinzen, Provinzvorsteher und andere hohe Beamte verliehen.« (Montet 1975,53) Der Baumeister König Djosers, Imhotep, war ein »wirklicher Pait«. Er wird auch »Sohn des Ptah«, des Vatergottes der Pait, genannt. Pait, Ptah und Hotep haben die gleiche Wort bzw. Spiegelwurzel: »pt«, »tp«; und dargestellt werden beide Im hotep und Ptah ebenfalls gleich: mit der blauen Kappe der Schmiede (der HorusNachfolger). Ist es nur ein Zufall, daß in der (indoeu ropäisch) armenischen Sprache »Pait'ar« Hufschmied heißt? Nicht weniger interessant ist, daß sich viele Herrscher des Alten Rei ches »Chef« nannten. Z.B. Chefu/ChufuChaef (Cheops), MinChaef, Chefra, ChaefSnofru, AnChaf, ShepsesKef, UserKaf usw. (Die ver schiedenen und unsinnig verwirrenden Schreibweisen sind subjektive Transkriptionen einzelner Autoren verschiedener Sprachen.) Das Wort Chef stammt aus der indogermanischen Wurzel »Kopf/Chopf«, das be nutzt wird für Haupt und Oberhaupt. Der Titel Chef ist für Noma denstämme charakteristisch; sie kennen keinen König, sie haben einen Chef. Das altägyptische Chefau ist eine Bezeichnung für »Eroberer« und »Feinde«.
Mit Schiffen durch die ägyptische Wüste: Vom Roten Meer ins Niltal E.A. Wallis Budge vermutete, daß die Invasoren vom Roten Meer durch das Wadi Hammamat an den Nil vorgedrungen seien. Hingegen glaubt der Archäologe Jacques Vandier nicht, daß es um jene Zeit mög lich gewesen sei, mit dem Schiff direkt vom Roten Meer durch das Wa
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di Hammamat nach Koptos (Kuft) im Niltal zu gelangen. Auch scheine es absolut unwahrscheinlich, daß die Eroberer ihre Boote durch die Wüste transportiert hätten. Unter diesen Umständen sei es vorzuzie hen, eine andere Lösung zu finden. (Vandier 1952,607) Aus welchen Gründen immer Vandier diese Möglichkeit ausschließt und damit viel leicht die Spur der Eroberer verliert, scheint sie doch wert, nochmals aufgenommen zu werden. Insbesondere weil »das Gebiet der Wüste in der älteren Zeit der ägyptischen Kultur noch weniger trocken und trostlos war als heute. Es verfügte über großen Wildreichtum, und es war auch noch mehr bewachsen. Es gab dort noch zahlreiche Wasserstellen.« (LdÄK, Yoyotte 1960,305) Neben dem Weg vom Roten Meer durchs Wadi Hammamat an den Nil gab es noch andere Wüstenpisten, z.B. die durchs Wadi Barramija, das Goldminengebiet zwischen Edfu und Marsa Alam, das schon in der 1. Dynastie bekannt war, und eine andere Route, die vom Roten Meer nach ElKab führt. Auf der ändern Seite des Nils befindet sich Hiera konpolis, die erste Residenz der Eroberer. Wahrscheinlich waren die verschiedenen Wüstenwege von den Handelsleuten aus Mesopotamien längst benutzte Reisewege. Die genaue Kenntnis der Gegebenheiten des Landes erlaubte somit auch ein strategisches Planen der Invasion. Von einem der ersten ägyptischen Könige, Djet, der wie sein Vorgän ger Djer/Zer Kriegszüge außerhalb Ägyptens unternahm, hat man »Spuren seines Durchzugs durch die Arabische Wüste auf der Straße zum Roten Meer gefunden«. (Vercoutter 1965,238) Es gibt keinen Grund auszuschließen, daß die kriegerischexpansio nistischen Eroberer, die den ganzen Nahen Osten unter ihre Gewalt brachten, ihr Auge nicht auch auf das reiche Niltal geworfen hatten; ja es wäre geradezu erstaunlich, wenn sie ausgerechnet vor den Grenzen Ägyptens halt gemacht hätten. Insbesondere das reiche Vorkommen von Gold bot genügend Anziehungskraft für eine Eroberung. Und es ist durchaus möglich, daß Eroberer aus Mesopotamien, an der Küste von Ägypten angelangt, ihre Schiffe zerlegten, schulterten und sie so durch die östliche Wüste an den Nil trugen. »Die Merkzeichen auf den einzelnen Teilen des Schiffes von Cheops in Giza zeigen an, daß man die Voraussetzungen für ein solches Auseinandernehmen und Zusam mensetzen von Schiffen kannte.« (Helck 1971,21) Bereits im Alten Reich hören wir von einem stattlichen Lastschiff, das in nur 17 Tagen zusammengefügt worden war. (Erman 1984,573) Interessant ist, daß die
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Meerenge, die das Rote Meer nach Süden begrenzt, Bab elMandeb, das »Tor der Wehklagen«, und die Bucht der Hafenstadt Berenike die »Unsichere Bucht« heißt. Eine eigenartige andere Bezeichnung der Bucht lautet »Um elKetf«, was sich etwa als »Mutter der Schulter« über setzen läßt. Diese Namen, die vielleicht nicht zufällig gewählt wurden, könnten etwas mit dem Einfall der gefürchteten Eroberer, der » elenden Asiaten«, wie sie in Ägypten immer genannt wurden, zu tun haben. Und hier könnte auch der Ursprung des seltsamen späteren religiösen Ritu als liegen, bei dem ägyptische Priester das sogenannte Himmelsboot mit dem Sonnengott Ra/Re in Prozessionen auf den Schultern tragen: als historische Erinnerung an die Eroberung Ägyptens mit Booten, die vom Roten Meer durch die Wüste an den Nil getragen wurden. Und es würde auch verständlich machen, daß einige Könige des Alten Reiches ihre Boote mit sich begraben ließen; als Zeichen ihrer geglückten Er oberung und als Zeugen ihrer Ankunft mit Schiffen (z.B. Udimu und HörAha, 1. Dynastie, in Sakkara; Chefu/Cheops, 4. Dynastie, in Giza). In Sumer kann vielen Bildern entnommen werden, daß dort ebenfalls Rituale stattgefunden haben, in welchen das Götterbild des Son nengottes in einem Boot herumgetragen wurde, (von Soden 1992,181f) »Warum ein Boot im Himmel?« fragt Merlin Stone. »Vielleicht, weil die Männer, die die Vorstellung eines Lichtgottes mit sich brachten, tatsäch lich in ihren Booten ankamen? Von Ra's Boot hieß es, daß es aus den Urwassern aufgetaucht sei. Ganz ähnlich hieß es vom arischen Sonnen
Abb. 15: Ägyptische Priester mit dem geschulterten Sonnenboot
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gott, daß er aus den kosmischen Wassern aufgetaucht sei.« (Stone 1988,135) »Die begriffliche Symbolik, daß der Sonnengott in seinem Boot im Himmel umherfährt, ist im Grunde der indoeuropäischen Metaphorik Indiens und Griechenlands nicht unähnlich, wo der Son nengott in einem von Pferden gezogenen Wagen über den Himmel fuhr.« (Stone 1988,133) Die bisherigen Argumente reichen natürlich noch keineswegs, um die These einer Eroberung Ägyptens zu beweisen, doch können sie nicht einfach übergangen werden. J.R. Ogden sagte am 4. Inter nationalen ÄgyptologenKongreß 1985 in München, betreffend den Beginn der geschichtlichen Zeit: »Die Erschütterung des religiöspoli tischen Gleichgewichts führte zu einem Bürgerkrieg; vielleicht zum er sten uns bekannten Krieg in der Geschichte der Menschheit.« (Ogden IAE 1985,160) Doch dieser erste Krieg war vielleicht kein Bürgerkrieg, sondern, wie noch weitere Indizien bezeugen, ein brutaler Eroberungs krieg.
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»Der Geschichte ist am besten gedient, wenn man sich an das Offensichtliche hält.« (Harry Smith)
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KAPITEL 5
Die erste Residenz der Eroberer: Die Stadt Nekhen (Hierakonpolis) und ein aufsehenerregendes Grab
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aut E.A. Wallis Budge machten die Eroberer, die vom Roten Meer her ins Niltal vordrangen, die oberägyptische Stadt Nekhen, von den Griechen Hierakonpolis, »Falkenstadt«, genannt (heute Köm el Ahmar), zu ihrer ersten Residenz, um dann von hier aus weitere Ge biete zu erobern. Die Spuren menschlicher Besiedlung reichen in Nek hen bis ins 6. Jahrtausend zurück. Nekhen ist der Sitz der Göttin Nek Beth, der archaischen Geiermutter OberÄgyptens. Das ägyptische Wort für Mutter »Mut« wurde mit dem GeierZeichen geschrieben. Die Göttin Mut repräsentierte wahrscheinlich die »Weise Alte« der Göttin nenTriade, sie war die UrMutter aller späteren ägyptischen Gotthei ten. Das ägyptische »mwt«, Mut, was »Mut, Seele und Geist« beinhaltet, dürfte das Urwort der deutschen Bezeichnung »Mutter« sein, indoger manisch »Mater«, altindisch »Matar«, tocharisch »Macer«, griechisch (De) »Meter«, englisch »mother« (s. Kluge 1989,494) und könnte die Patin des arabischen MundartAusdrucks für Ägypten und Kairo, »Masr«, sein. Ägypten wird von den Ägypterinnen nicht ohne Stolz »Mutter der Welt« genannt. Der Name »Masr« ist schon im vorklassischen Altertum und in vorislamischer Zeit nachgewiesen. »Masr« dürfte ebenfalls ver wandt sein mit dem Ausdruck »Metropole«, wörtlich »Mutterstadt«, zu sammengesetzt aus griechisch »Meter«, Mutter, Erzeugerin, Ursprung, Quelle, und griechisch »polis«, Stadt, (ebda. 476) »Im »Totenbuch« bewacht die Geiergöttin das erste Tor der Unter welt und versinnbildlicht Muts Aufnahme der Toten in ihre mütterliche Substanz. Das Wort »Nekropole« für die »Stadt der Toten« stammt von »Nekhen«, der heiligen Stadt der Geiergöttin NekBeth, die jeden Tag die sterbende Sonne verschluckt und sie wieder auferstehen läßt.« (Walker 1988,412) Die außerordentliche Bedeutung der Stadt Nekhen wird vom Urge schichtsforscher Michael A. Hoffman betont: »Wir sollten uns daran er innern«, mahnt er, »daß das Studium des Aufstiegs einer Eliteklasse in Nekhen von allgemeiner Bedeutung für die ägyptische Geschichte und
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die Theorie einer Staatsgründung ist. Die archäologischen Entdeckun gen der letzten 83 Jahre in Nekhen unterstützen die Behauptung, daß in dieser Region der Aufstieg der Pharaonen begann.«(Hoffman et al. 1982,59) Hier wurden die NarmerPalette, der berühmte goldene Fal kenkopf, zwei steinerne Keulenköpfe (der Könige Skorpion und Nar mer) und die Kupferstatuen des Königs Phiops I. und seines Sohnes Me renre (6. Dyn.) gefunden.
Abb. 16: Goldener Falkenkopf von Hierakonpolis
Am Rande der Siedlung stehen noch heute die Überreste einer gi gantischen militärischen Festung, wahrscheinlich der ersten Festung Ägyptens überhaupt. Gebaut wurde sie aus getrockneten Schlammzie geln, einer Bauweise, die aus Mesopotamien stammt und in der vor pharaonischen Zeit unbekannt war. Z w e i Mauern umgeben den Innenhof, wovon die Außenmauer über zwei Meter breit und acht Meter hoch und die innere beinahe fünf Meter breit und zehn Meter hoch war. Zwischen den beiden Mauern verläuft ein Korridor, bewehrt mit einem turmartigen Bau, durch den ein schmaler Eingang führte. 102
Ähnliche Festungen finden sich in vielen Gebieten des Nahen Ostens, die von Invasoren unterworfen wurden. Sie dienten vor allem dazu, die Eroberer gegen etwaige und mit Recht zu befürchtende Auf stände der unterworfenen Bevölkerung zu schützen und die gefangenen Einheimischen, die nicht erschlagen wurden, zu Soldaten zu drillen. Die Festung diente in der Folge als Operationsbasis für weitere Erobe rungs und Raubzüge. Walter Emery war der Meinung, daß die ersten ägyptischen Könige richtig organisierte Kampftruppen hatten und daß die Festungen von Nekhen, und die etwas spätere von Abydos, ein deutig nach militärischen Abwehrprinzipien gebaut worden waren. (Emery 1987,116f) s. Anm. (14) Nekhen wurde zur Zeit der vermuteten Invasion plötzlich und voll ständig verlassen. Alles deutet auf eine Massenflucht der Einheimi schen beim Einfall der Eroberer hin, denn auch die weiter weg liegen den »prähistorischen WüstenSiedlungen brachen zusammen«. (Hoff man et al 1982,60)
Ein »vergessenes« Indiz der Eroberung: Das bemalte Grab Nr. 100 JagdIdyll oder Massaker? Die wichtigste Entdeckung der beiden Archäologen F.W. Green und J.E. Quibell, die als erste die Siedlungsüberreste erforschten, war ein Grab mit dem ältesten gefundenen Wandbild Ägyptens. Es wird in die Zeit, die der 1. Dynastie unmittelbar vorausgeht, datiert. In einer Ecke des Friedhofs wurde eine Gruppe von fünf weiteren großen Gräbern gefunden, die an die reichen Gräber von Nagada aus der Zeit des Um bruchs erinnern, wo sich »eine Elite vermögender und mächtiger Be wohner von ihren Nachbarn getrennt hielten und versuchten, einen Teil ihres Reichtums mit sich in die andere Welt zu nehmen«. (Hoffman 1980,133f) Der Archäologe Werner Kaiser betont, die eigenartige An lage mit der Wandmalerei nehme gegenüber allen ändern bisher be kannten Bauten der Umbruchszeit »eine so einzigartige Sonderstellung ein, daß eine Möglichkeit, sie in das allgemeine Bild dieser Kultur ein zuordnen, bisher vornehmlich darin gesehen wurde, das Außerge wöhnliche des Befundes auf diese oder jene Weise abzuschwächen«. (Kaiser MDIK 16,1958,187f) Dazu hatte man allen Grund. Das auffallende Grab sorgte nicht nur für Aufregung wegen seiner Datierung und dem Bau in mesopotami
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scher Ziegelbaustruktur, »noch aufregender«, schreibt Hoffman, »waren die lebendig gemalten Szenen auf seinen Wänden«, deren Motive für die »iranische und mesopotamische Kunst jener Zeit typisch waren«. (Hoffman 1980,133) Das Grab ist unterdessen nicht mehr auffindbar, und vom Original des Bildes ist lediglich ein kleiner, beinahe zerstörter Teil im Museum von Kairo erhalten. Glücklicherweise fertigte einer der Entdecker, F.W. Green, ein aus vielen Papierteilen zusammengeklebtes Aquarell im Originalformat von etwa 4,5 x 2,5 Metern an. Das kostbare Dokument verstaubt seit vielen Jahren im GriffithInstitute in Oxford, und im danebenliegenden Ashmolean Museum ist lediglich ein sehr verkleinertes Duplikat des Greenschen Aquarells zu sehen.
Abb. 17: Das Bild von Hierakonpolis. Der stark beschädigte Rest des Originals im Museum von Kairo
Wenige haben dieses Dokument je gesehen, niemand scheint sich darum zu kümmern, und niemand scheint es besonders zu mögen; es ist zugegeben ein höchst irritierendes Zeugnis. Es wird kaum je abgebildet, und seine Beschreibungen sind so dürftig, daß es schon deshalb Aufmerksamkeit wecken muß. Wenn das Bild in ägyptologischen Abhandlungen überhaupt Erwäh nung findet, wird es meistens als harmlose Ansammlung von Zusam menhang und belanglosen Alltagsszenen interpretiert. Schon J.E. Qui bell sieht in den Szenen vor allem JagdDarstellungen (Quibell 1902,11,21), und diese Ansicht wurde von den meisten Ägyptologlnnen 104
Abb. 18: Das Grabbild von Hierakonpolis, auf welchem die Invasion der weißen Eroberer und das damit verbundene Massaker dargestellt sind. Die Schiffe stehen im Sand.
übernommen: »Die ägyptische Welt der Jäger, der Viehzüchter und der Schiffer; Bilder von Tänzerinnen und Idolen« (Off. Katalog Museum Kairo 1986,19), »... große Schiffsbilder, Jagd und Kampfszenen« (Kai ser MDAIK 16, 1958,189), »Darstellungen von Booten, Tieren und Menschen«. (Baines/Malek 1980,78) »Alles in allem in den Augen des Jägers das Ideal eines glücklichen Daseins, eines Paradieses ohneglei chen.« (Maspero 1913,10) Meistens wird das Bild weder gezeigt noch beschrieben, dem Leser wird aber ohne daß er sich selbst eine Mei nung bilden kann gesagt, was er davon zu halten hat. Der Ägyptolo ge Karlheinz Schüssler zeigt einen kleinen Ausschnitt des Bildes und kommentiert etwas ausführlicher, daß man in der linken unteren Ecke der Malerei einen großen Krieger erkennen könne, der mit einer Keule auf drei mit einem Strick zusammengebundene Menschen einschlägt, während er den ihm am nächsten hockenden Feind an den Haaren packt. »Beachtung verdient auch jene kleine Gruppe ein wenig rechts dieser Niederschlagungsszene: Da kämpft ein Krieger gleichzeitig mit 105
Die untere Begrenzung des Bildes ist keine »künstlerische Standlinie«, sondern die Grenzlinie zwischen Land und Wasser. Die Kopie des Bildes wurde angefertigt von einem seiner Entdecker, F. W. Green.
zwei Löwen, die ihn zu beiden Seiten anspringen. Diese Art der Dar stellung scheint ihren Ursprung im babylonischen Raum zu haben; auch die vielrudrigen Schiffe auf der Wandmalerei von Nekhen erinnern stark an mesopotamischen Einfluß.« (Schüssler 1988,20f.) Trotz der Brutalität der Szenen schließt Schüssler lediglich auf »kulturelle und wirtschaftliche Beziehung zu jenem Gebiet«, (ebda) Alle Kommentare geben vor, daß die Malerei, alles in allem, scheinbar ziemlich uninter essant und ohne besonderen Aussagewert für die Zeit seiner Datierung, dem Übergang zur dynastischen Geschichte Ägyptens sei. Der franzö sische Archäologe Jacques Vandier hingegen war der Ansicht, das Bild könne ein wertvoller Beitrag zur Klärung des Beginns der ägyptischen Geschichte sein. Und sein Kollege Charles Boreux vertrat die These, daß es sich bei diesem Bild um das Dokument einer Invasion in der Re gion von ElKab/Hierakonpolis (Nekhen) handelt und daß es sich um die Darstellung der Ankunft der kahlköpfigen asiatischen Invasoren und um den triumphalen Einzug einer sicherlich sehr wichtigen Persön 106
lichkeit handle. Nach Boreux muß die Freske eine der ältesten Episo den des Kampfes, den die horischen Eroberer gegen die Bevölkerung von Ägypten geführt haben, darstellen. (Vandier 1951,605ff) Leider fin den die Thesen von Boreux und Vandier heute keine Beachtung mehr. Wenn man das Bild nicht in Einzelszenen zerlegt, sondern als Ganzes, als Darstellung eines einzigen Ereignisses betrachtet, muß man Boreux und Vandier zustimmen: Es dürfte mit eindrücklichen Bildern die Geschichte der Eroberung Ägyptens erzählen. Der Assyriologe Ste phen Langdon schreibt dazu: »Falls die Grabmalerei das Erscheinen der ersten Bewohner des Niltales genau wiedergibt, kann es keinen Zweifel ihrer rassischen Verbindung mit den Sumerern und den prähistorischen Elamiern geben. Die vogelartigen Köpfe der mensch lichen Figuren im Grab von Hierakonpolis sind praktisch identisch mit Darstellungen von Köpfen von Sumerern auf Siegelzylindern (zylin derförmige Rollsiegel DW) und Reliefs der ersten Periode.« (Langdon 1921,147) Was wir auf dem Bild sehen, ist schon auf den ersten Blick eigenartig. Sechs riesige Boote stehen im Sand, am Ufer eines Gewässers. Könnte es sein, daß die Boote nach dem Transport durch die Wüste hier wieder zusammengebaut wurden und deshalb noch im Sand stehen? Ein Boot unterscheidet sich in Form und Farbe von den ändern und könnte eines jener Schiffe sein, wie sie sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien in der urgeschichtlichen Zeit aus Papyrus gebaut wurden. Sie haben oft einen nach oben ragenden Bug und ein hohes Heck. Bei den restlichen fünf Booten handelt es sich um einen ganz anderen Typus; sie sind wesentlich größer, haben zwei Kajüten und scheinen auch aus einem andersartigen Material, wahrscheinlich aus Holz, gefertigt zu sein. Wenn man sich eingehender mit dem Bild beschäftigt, sieht man, daß bei einigen gut erkennbaren Einzelszenen Kampfhandlungen im Mit telpunkt des Geschehens stehen. Dabei ist besonders auffallend, daß es sich um Kämpfe zwischen Menschen von heller und solchen von dunkler Hautfarbe handelt. Die Dunkelfarbigen sind braunrot und vollflächig ausgemalt, von den Hellen sind nur die Konturen gezeichnet. Die Weißen haben offensichtlich die Oberhand; so in der Szene im linken unteren Bildteil, wo der mit einer Keule bewaffnete Weiße drei ge fesselte, am Boden kniende, auf ihren Fersen hockende dunkelfarbige Männer erschlägt, die als »Hinrichtungsszene« in die Literatur einging.
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Abb. 19: Auf den Fersen hockende dunkelhäutige Gefangene werden von einem, weißen Mann mit einer Keule erschlagen. Ausschnitt aus dem Bild von Hierakonpolis
In der Szene rechts davon wird ein dunkelhäutiger Mann von zwei Tieren angegriffen, die nicht leicht zu identifizieren sind; sie haben spitze HundeKöpfe, aber eher die Größe von Löwen. Möglicherweise sind es Jagdhunde oder eine Doggenart, wie sie auch auf dem Messer von Gebel elArak zu sehen ist, von der Vandier schreibt, daß diese Art von Hunden in der urgeschichtlichen Zeit Ägyptens nicht bekannt war, und von der man annehmen müsse, daß sie zu einer fremden Rasse gehöre. Daß es sich um domestizierte Tiere handelt, erkennt man an den Hals bändern, die sie tragen. (Vandier 1952,535f) Demnach ist es wahrscheinlich, daß die Eroberer Hunde auf die Einheimischen hetzten. Seit Beginn des Alten Reiches ist die ägyptische Polizei fast immer mit den sie begleitenden, abgerichteten Hunden abgebildet, die sie gegen das Volk einsetzten. Auch die Jagdtruhe des TutAnchAmun zeigt den Einsatz von Hunden gegen die schwarze Bevölkerung, und im Louvre ist die Figur eines Mannes zu sehen, der, mit auf dem Rücken zu sammengebundenen Händen und Füßen, von einem Hund zerfleischt wird. Im linken oberen Bildteil scheint sich ebenfalls ein dunkelhäutiger Mann gegen zwei dieser Tiere verteidigen zu müssen. Auffallend sind hier zwei Wagenräder und Fragmente eines Wagens, die von den Fach leuten allerdings als »Tierfallen« gedeutet werden. In einer der Szenen im unteren Bildteil sieht man einen mit Leopardenfell bekleideten Weißen, der einen knienden Farbigen erschlägt. (In Chatal Hüyük sind Leopardinnen als Attribut der anatolischen Göttin bezeugt. Hier dürf3 108
te es sich um einen Vorfahren der dynastischen »SemPriester« handeln, die das Leopardenfell für sich usurpierten. Von ihnen wird als Teil kulti scher Reinheit das Entfernen der Haare, also Kahlköpfigkeit, gefor dert, wie sie bereits bei den kämpfenden Invasoren auf dem Messer von Gebel elArak dokumentiert ist.) In der Szene daneben erhebt ein Weißer seinen Stock gegen einen am Boden liegenden Farbigen. Daneben knien drei gefesselte Frauen mit nacktem Oberkörper und langen weißen Röcken. Drei weitere Frauen mit knielangen weißen Röcken und ein Kind sind im oberen Bildteil zu erkennen. Sie scheinen sich mit verzweifeltem Mut gestiku lierend vor dem Boot des weißen Häuptlings gegen das Morden zu weh ren, während dieser, seinen linken Arm lässig in die Hüfte gestützt, von der Kajüte aus das Massaker beobachtet. Ebenfalls im linken Bildteil sehen wir verschiedene Tiere, rotockerfarbige, weiße und schwarze die drei Farben der Großen Göttin. Sie repräsentieren also heilige Tie re. Zwei von ihnen, eine Gazelle und eine Antilope im unteren Bildteil, haben deutlich und sorgfältig von vorne gezeichnete Hörner. Sie erin nern auffallend an die Kronen der Kuhgöttin Hathor und der oberägyptischen Antilopengöttin Satis. Im rechten oberen Bildteil sehen wir das Erstaunlichste: PFERDE. Pferde sollen aber erst mit den als »Hyksos« bezeichneten Eroberern (16401532), also etwa 1500 Jahre später nach Ägypten gekommen sein. Doch spricht einiges dafür, daß sie bereits von den Invasoren auf die sem Bild mitgebracht wurden, sich wahrscheinlich aber aus klimati schen Gründen nicht lange halten konnten. (Pferde sind in Mesopo tamien und Elam in dieser Zeit nachgewiesen. P.V. Scheu »U epoque du cheval en Elam et en BasseMesopotamie« Melanges Paris 1924) Den Beweis, daß es sich bei den abgebildeten Tieren um Pferde han delt, erbringt die NarmerPalette. Hier trägt der König nicht einen der später üblichen Stierschwänze, sondern einen buschigen Pferde schwanz. Diese Tatsache wurde aber von den Wissenschaftlerinnen ignoriert. Für das Mitbringen der Pferde sprechen auch die her unterklappbaren Kajütenwände, die auf dem Bild gut erkennbar sind; sie konnten von Mensch und Tier als Schiffsstege zum Ein und Aus steigen benützt werden, s. Anm. (15) Die Tatsache, daß Pferde in Ägypten schon viel früher als bisher an genommen auftauchten, wurde 1990 durch den Fund eines australi schen Forschungsteams unter der Leitung von Dr. Naguib Kanawati
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von der Macquarie Universität bestätigt. Die Wissenschaftler fanden in der Nähe der oberägyptischen Stadt Sohag Friedhöfe, von denen einige prädynastisch sind und andere aus dem Alten und Mittleren Reich, also aus der Zeit vor den Hyksos stammen. Unter den gefundenen Ar tefakten befindet sich ein gravierter Pferdekopf. Wie aus der Relief darstellung ersichtlich ist, setzten die Ägypter das Pferd und den Wagen demnach bereits im Kampf gegen die Hyksos ein. (KMT Journal Nr 3, 1990, 5) Der Ägyptologe Eugene Lefebure machte bereits 1902 darauf aufmerksam, daß die Tatsache, daß das Pferd nicht schon in der 1. und 2. Dynastie erwähnt sei, auch auf die wenig zahlreichen archaischen Funde und Texte zurückgeführt werden könne. Flinders Petrie habe bei seinen Ausgrabungen in Kahun das Fragment einer Vase aus der 12. Dynastie gefunden, auf dem galoppierende Pferdebeine und ein Pferdeschwanz sichtbar seien. (Lefebure, Sphinx V, 1902)
Wie die Wissenschaft das Grabbild interpretiert: Die Geschichte einer Verschleierung Humphrey Case und Joan Crowfoot Payne, damals Leiter des Griffith Instituts in Oxford, veröffentlichten 1962 eine ausführliche Studie des Bildes im » Journal of Egyptian Archeology«. (Case und Payne, JE A 48, 1962,518, »The decorated Tomb at Nekhen«) Sie bedauern, daß die mei sten Wissenschaftler einen Erzählanteil in den Malereien sahen und daß einige die Rolle kriegerischer Aktivitäten übertrieben hätten, so zum Beispiel Flinders Petrie in seinem Buch »The making of Egypt«. Die Autoren unterscheiden ebenfalls zwischen Menschen ver schiedener Hautfarbe: Roten und Schwarzen. In den Roten sehen sie Aggressoren asiatischer Herkunft« und »Helden mit heroischem Geha be«. Auch den Häuptling der Horde bezeichnen sie als »Eroberer«, den sie auch gleich zum »König« erhöhen. In den gefesselten Einheimischen sehen sie »kniende Untergebene in unterwürfiger Haltung«. Sie beur teilen das Bild als eine erläuternde Abhandlung, die dokumentiere, »wie das Häuptlingtum in raschen Schritten von unzivilisierten Stäm men in das Königtum eines zivilisierten Staates« hineinwachse was angesichts des abgebildeten Massakers eine bemerkenswerte Inter pretation ist. Die beiden Autoren werten einige Darstellungen verharmlosend als »Konfliktszenen«, in denen der Held, der den Löwen trotze, glaubwürdig als symbolische Autoritätsfigur betrachtet werden
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könne. Die kniende Figur vor dem mit einem Leopardenfell beklei deten »Priester« biete diesem aber sicher eher ein Fell an, als daß er sich mit einem Schild verteidige. Sein Stürzen interpretieren sie als eine » amüsante Art von Magie«. An anderen Stellen sei Jagen und friedliches Bootsfahren das Hauptmotiv, was leider aus dem Bild nirgends ersichtlich ist. Immerhin stellen sie aber fest, daß die gefährlich aus sehenden Aggressoren den Stempel fremden Einflusses tragen und sich in ihrer physischen Erscheinung von den dunklen Einheimischen un terscheiden; das Bild zeige ähnliche Aggressoren asiatischen Ursprungs wie jene, die tief in den Süden von Oberägypten eingedrungen seien. »Aber was bewog sie dazu?« fragen sie und können sich vorstellen, daß eine Mischung von Handel und Räuberei eine vernünftige Erklärung dafür sein dürfte: Elfenbein, Felle, Holz und möglicherweise Gewürze nubischer Herkunft wurden gesucht, gegen »angebotene« technische und ideologische Neuheiten. Dazu muß man bemerken, daß das »An gebot« auf eine recht unfreundliche Art gemacht wurde. Auf diese zwiespältige Bildbeschreibung folgt eine bemerkenswerte Interpretation des Szenarios. Die Autoren glauben, daß Eindringlinge die Grenze von Oberägypten überschritten hätten und der energische Chef vorteilhafte Abmachungen mit ihnen habe treffen können. Das Bild könne teilweise als Erzählung einer solchen Begebenheit in terpretiert werden, und zwar »1. als Widerstand gegen Aggression, dar gestellt in den Figuren, die den Eroberer konfrontieren. 2. Assimilation der fremden Ideologie, dargestellt in der heroischen Haltung. 3. Auto rität über Eingeborene und Fremde, dargestellt durch den Helden, der den Löwen trotze. 4. Harmonische KoExistenz, dargestellt in den paar weisen Antilopen und in der friedlichen Vorbeifahrt von Schiffen«. Diese sind aber nirgends zu sehen, denn alle Schiffe stehen im Sand. Diese von den Autoren erfundene, absurde Geschichte wird in der Folge zur Tatsache gemacht: Der »Herrscher«, der zugänglich sei für sol che Konzepte wie das des » göttlichen Königtums«, besäße das Potential der Könige der ersten Dynastie. (Wenn man darunter das Gewalt potential des »göttlichen Königtums« versteht, ist diese Aussage leider zutreffend.) Man könne daraus schließen, daß die Person, die einst in diesem dekorierten Grab begraben worden sei, es verdiene, als einer der legendären Könige von Oberägypten in Betracht gezogen zu wer den. Noch etwas ist bei den Autoren auffallend: Während das Massa ker der weißen Männer verharmlost und die Mörder zu Heroen hoch
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stilisiert werden, werden die Frauen getadelt: Ihnen, die sich verzweifelt gegen das Morden wehren, wird vorgeworfen, daß sie die graziösen Gebärden« und »bestimmte weibliche Konturen, wie man sie auf ähnlichen Darstellungen der urgeschichtlichen Vasen« finde, vermissen lassen. Sexistische Geschichtsschreibung maßregelt nur zu gerne weib liches Verhalten, heroisiert dagegen männliche Brutalität und Verbre chen. Die Arbeit von Case und Payne gilt heute als die wissenschaftlich kompetente Bildinterpretation.
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»Unter Waffen gehen heißt Untergang. Hinter strengen Herren tobt strengere Herrschung. Hinter großen Heeren folgt größere Verheerung. « (Laotse Tao Te King)
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KAPITEL 6
Auswirkungen der Invasion: Die pharaonische Schreckensherrschaft Die Massakrierung Nubiens
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on der ersten Militärbasis im oberägyptischen Nekhen (Hiera konpolis) aus begannen die Überfälle auf die angrenzenden Ge biete, in erster Linie auf das Goldland Nubien, südlich von Assuan. Nu bien wurde nicht nur als Lieferant für Gold, Elfenbein, Weihrauch, Par füm, exotische Tiere, Pantherfelle (Leopardenfelle), Gewürze usw., sondern vor allem als Menschenreservoir für Sklavinnen und Soldaten benutzt. Dabei wurde das Land verwüstet, wurden die Menschen deportiert, das Vieh geraubt, bis die urgeschichtliche Kultur schließlich zusammenbrach. Der Anthropologe und Archäologe Stuart Smith nennt die Politik der Herrscher des Alten Reiches gegenüber Nubien einen »AusrottungsImperialismus« (KMT Journal 3, 1992, 40); dage gen behauptet der Ägyptologe Georges Posener, die Bewohner Nubi ens seien von den Ägyptern »zivilisiert« worden. (LdÄK 1960,186) Wie Wolfgang Helck schreibt, war zu Beginn der Geschichte die Ge fangennahme »von Angehörigen fremder Völker für den Ägypter Ob jekt eines lustvollen Abschlachtens Wehrloser«. Vor allem soll dieses Ritual den König von »chaotischen Emotionen« befreit haben, wenn er das Morden, das zu den »bedeutsamen Tätigkeiten« der Herrscher gehörte, nicht »aus »weltanschaulichen« Gründen praktizierte«. (Helck LÄ/II/306f und LÄ/III/786) Als für den Bau der königlichen Monumente immer größere Men schenmassen erforderlich wurden, konnte sich der König von seinen chaotischen Emotionen« nicht mehr durch das Abschlachten von Ge fangenen befreien, weil die auf Feldzügen nach Nubien gemachten Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte eingesetzt werden mußten. In einer Annale aus der Regierungszeit des Königs Snofru wird vom »Zer hacken« des Nubierlandes und dem »Einbringen« von 7'000 Gefangenen und 200'000 Stück Vieh gesprochen, und in einer Inschrift aus der 4. Dy nastie ist vom »Einfangen« von 17'000 Nubiern die Rede. »In einer bio
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Abb. 20: Nubische Gefangene unter den Füßen der Kolossalstatue des Pharao in Abu Simbel
graphischen Inschrift des Pepinacht aus der 6. Dynastie ist die Feststel lung überliefert: »Es sandte mich die Majestät meines Herrn, um das Land Wawat (Nordnubien) zu zerhacken. Und ich handelte zum Lob preis meines Herrn und ich brachte von dort für den Palast eine große Menge von Gefangenen).« (Seipel 1984,149f) s. Anm. (16)
»Die größten Tyrannen des menschlichen Geschlechts haben am lautstärksten den Ruhm der Freiheit gepriesen.« (Stantislaw Staszic)
Der Krieg gegen Unterägypten und die »Vereinignng der beiden Länder« Nach der Zerstörung Nubiens eroberten die Invasoren in blutigen Krie gen Unterägypten, den Sinai, das Delta samt den libyschen Stämmen am Rande des WestDeltas. Das älteste Siegesrelief vom Sinai zeigt den König, wie er mit seiner Keule einen vor ihm auf die Knie gesunkenen Sinaiten erschlägt. Der Sinai war für die Eroberer wegen des dort vor kommenden Kupfers bedeutsam, das für die Herstellung von Waffen benötigt wurde. Denn mit Waffengewalt wurden Ober und Un terägypten »vereinigt« obwohl ein Autor glaubt, daß sich die einen
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»gutwillig zu einer Gemeinschaft zusammenschlössen«, während die anderen, die »aus Eigensucht, Hochmut oder Trotz widerstrebten«, mit Gewalt gezwungen werden mußten, »sich dem gemeinsamen Interesse unterzuordnen«. (Roeder 1952,40) Daraus sei nicht eine neue Kultur entstanden, schreibt der Ägyptologe Jürgen von Beckerath, es handle sich »um eine Fortentwicklung der bisherigen unter Aufnahme un terägyptischer und vorderasiatischer Einflüsse. In der allmählichen Be setzung des Nordens und dem gleichzeitigen Erlöschen der dortigen, älteren Kulturen«. (Beckerath 1971,12) Diese Kulturen »erloschen« natürlich nicht einfach, sondern wurden in furchtbaren Kriegen zer stört.
Abb. 21: Frauenarbeit im Krieg: Zur Ehre Pharaos müssen die Frauen nach dem Massaker an ihrer Bevölkerung die abgehackten Hände und Genitalien ihrer ermordeten Männer zusammentragen und vor dem Pharao aufhäufen.
Mögliche Anzeichen von Flüchtlingen aus der Zeit der von den Ägyptologen glorifizierten »Reichseinigung« sind in Kreta zu finden. Arthur Evans, der Ausgräber von Knossos, fand Anhaltspunkte, »daß die kretische Herrin der Schlangen sich ursprünglich von der Verehrung der Kobragöttin des prädynastischen Ägypten ableitete. Er vermutete, 116
daß die Verehrung der Herrin der Schlangen etwa um 3000 nach Kreta gekommen war. Dies entspricht in etwa der Zeit, als sich die 1. Dynastie Ägyptens bildete, und er nahm ferner an, daß damals Ägypter(Innen) aufgrund von Invasionen nach Kreta geflohen sind.« (Stone 1988,285) Heute wollen die Historiker in der blutigen Unterwerfung der beiden Länder, die einem despotischen Herrscher die zentrale Machtausübung und die Ausplünderung und Versklavung der einheimischen Bevölkerung möglich machte, eine große, »zivilisationsbringende« Tat sehen und erklären die Ausblutung und Unterjochung der einheimi schen Bevölkerung kurzerhand zum Akt der Befreiung aus dem ur geschichtlichen Chaos. Doch läßt sich unschwer feststellen, daß hier die alte, egalitäre Ordnung durch eine diktatorische ersetzt wurde. Michael Hoffman äußert denn auch zu Recht die Vermutung, daß die politische Konsolidierung Ägyptens, die beschönigend eher als »Vereinigung«, denn als Eroberung bezeichnet wurde, ein Versuch gewesen zu sein scheine, den tückischen politischen und militärischen Ränken und Machenschaften der oberägyptischen Könige den Anschein einer ge rechten Sache zu verleihen. (Hoffman 1980,335) Walter Wolf baga tellisiert die Unterwerfung Unterägyptens, indem er behauptet, daß es. sich »im Endergebnis nicht um die Vernichtung der Deltakultur durch ein oberägyptisches Reich, sondern um die Verschmelzung zweier Kul turbereiche«, nicht um »die Unterwerfung des Nordens durch den Sü den, sondern um die Offenbarung der Schöpfungsordnung in der mensch lichen Gesellschaft« handelte. Zynisch vertuscht er die blutigen Kriege der »Vereinigung« als die »wohltuende Großtat eines Welten und Him melsgottes« und behauptet, die Reichseinigung hätte die chaotischen, politischen Verhältnisse der Vorzeit in eine klare und feste politische Ordnung verwandelt. (Wolf 1977,54 und 58) Über die Kampagne unter Sahure gegen die Libyer am östlichen Rande des Deltas ist bekannt, daß sie sensationelle Kriegsbeute« und die Unterwerfung der fremden Prinzen und ihrer Familien brachte. Der Ägyptologe Alan Gardiner entschuldigt diesen Terror damit, daß er ei nem mützlichen Ziel« diente, »diese »Reisen« lieferten dem Souverän das »Material«, um seine Leidenschaft für Bauten zu befriedigen und den Luxus seines Hofes zu vergrößern und um den Ansprüchen seiner Götter gerecht zu werden.« (Gardiner 1961,88f) Eine andere Art der EntSchuldung der Verbrechen sind die ver harmlosenden Bezeichnungen für Massaker und Deportationen, ein ty 117
pisches Vorgehen der Eroberer gegenüber den besiegten Völkern. Helck schreibt etwa: »Als die unter Djoser einsetzenden, gewaltigen Anstrengungen zur Sicherung der Mumie des Königs als des Garanten des ewigen Weiterlebens der Menschen seiner Zeit zu immer stärkerem Herausnehmen von Menschen aus der Lebensmittelproduktion und endlich zu akutem Arbeitskräftemangel führten, begann der ägyptische Staat auf ausländische Arbeitskräfte zurückzugreifen, indem er große Razzien in Nubien ansetzte.« (Helck LÄ/II/304) Abgesehen davon, daß ausgerechnet diese skrupellosen Verbrecher das ewige Weiterleben der Menschen garantieren sollen es tönt wahr scheinlich nicht erst in unseren Ohren wie Hohn , fällt die teilnahms lose Sprache vieler Autorinnen auf. So schreibt etwa Helck weiter: »Da wir aber diesen Fremdarbeitern kaum als Individuen begegnen, schei nen sie rasch integriert worden zu sein, wobei die ethnische und sicher auch sprachliche Verwandtschaft zu den Ägyptern geholfen hat, ob wohl diese Razzien (Menschenjagden D W) bis ans Ende des Alten Rei ches angehalten haben.« (Helck LÄ/II/304) Daß hier Familien ausein andergerissen, bestehende Gemeinschaften zugrundegerichtet, Dörfer mit ihrer ganzen Kultur zerstört, die Menschen verschleppt, versklavt oder ermordet wurden, wird mühelos übergangen. John Romer be hauptet sogar, daß die Herrscher ihre Feldzüge durch Ägypten nicht machten, um im Triumph mit ihrer Beute in ihre südlichen Städte zurückzukehren, sondern um mit ihren Eroberungen eine einzige Na tion zu schaffen. Er gibt aber zu, daß der Staat, welchen sie schufen, viel vom Vermögen aus Handel und Gewerbe, d.h. der arbeitenden Men schen, an sich nahm. Doch das scheint für ihn gerechtfertigt, denn »da war nur eine einzige Kraft, die das Wohlergehen des ganzen Landes überblickte: der König«. (Romer 1982,56) Auch die Ägyptologinnen Bonheme und Forgeau bagatellisieren die Kriege gegen die Einheimischen und wollen darin eine schöpferische Tat sehen: »Trotz vieler realistischer Äußerungen über den Krieg, trotz der Darstellung der gefesselten Feinde unter den Füßen des Herrschers und trotz der Fülle von militärischen Szenen in der bildenen Kunst, ist der Krieg nie Selbstzweck, sondern dient der Aufrechterhaltung und Fortführung der Schöpfung.« (Bonheme/ Forgeau 1991,174) Ob diese Behauptung auch noch aufrechterhalten werden kann, wenn der König »Zerstörung in den eroberten Gebieten« verbreitet, »wenn er ihre Be j wohner »schlägt«, »zurückstößt«, »zerdrückt«, »niederschlägt«, »tötet«,
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»packt« und » unterwirft«? (Bonheme/Forgeau 1991,181) Eine ebenso erstaunliche Behauptung stellt auch ein anderer Autor auf: »Pharao ist, von Ägypten aus gesehen, kein willkürlicher Despot, sondern seiner seits einer Gottheit verantwortlich, die mit dem Anspruch der Befrei ung auftritt.« (Assmann 1990,15) Doch das hindert die ihrem Gott ver pflichteten »Befreier« nicht daran, sich ihre Macht durch Mord an ihren Vorgängern anzueignen. Nach Ansicht des Archäologen G.A. Reisner ist Djedefre (4. Dynastie) »erst nach dem Mord an seinem älteren Bru der, der der eigentliche Kronprinz war, auf den Thron gelangt. Er selbst scheint nach einer Regierung von nur acht Jahren seinerseits von einem jüngeren Bruder, Chephren, vom Thron gestoßen und ermordet wor den zu sein... Auch Amenemhet L, den Begründer der 12. Dynastie, er eilte wahrscheinlich ein ähnliches Geschick.« (Montet 1975,108) König Semerchet hat die Namen seines Vorgängers Adjib und dessen Mutter MeritNeith ausgehackt. Das gleiche tat sein Nachfolger Kaa mit dem Namen von Semerchet, der demnach ein Usurpator war. Doch die schwerwiegenden Auseinandersetzungen waren für einen ändern Autor »wohl zugleich religiöser und politischer Natur. Daß die Zeiten unruhig blieben, zeigen die von Peribsens Nachfolger Chasechem im Tempel von Hierakonpolis geweihten Denkmäler. Am Sockel zweier Statuen, die ihn thronend mit der oberägyptischen Krone auf dem Haupte zeigen, sind Bilder erschlagener Unterägypter mit riesigen Zahlenangaben eingeritzt.« (Wolf 1977,57) Schaeffner informiert uns, daß Cheops den »Ruf eines verabscheu ungswürdigen Tyrannen besaß. Die Priesterschaft von Memphis be schuldigte ihn, das Volk mit Steuern zu erdrücken. Wie es scheint, rührte diese Feindschaft der Priester daher, daß der König selbst die geist lichen Würdenträger ernannte, wobei er die höchsten Posten seinen Verwandten übertrug.« (Schaeffner 1968,30) Kein Wunder, daß die Ägypterinnen ihre Könige kaum so vereh rungswürdig sahen, wie man uns weismachen will. Nach den Zeugnis sen Herodots und anderer Erzähler war das ägyptische Volk von der »Göttlichkeit« der Könige kaum überzeugt. Nichtsdestotrotz will man uns einreden, das einfältige Volk hätte an die » Göttlichkeit der des potischen Machthaber geglaubt; doch dazu hatten sie wenig Grund. Was Herodot, »der Vater der Geschichtsschreibung^ von »Cheops, Chephren und Mykerinos zu berichten weiß, kann wohl kaum auf reiner Erfindung beruhen. Cheops drückte das Volk mit Abgaben, um sei 119
ne Pyramiden errichten zu können. Als ihm die Mittel dazu dennoch ausgingen, soll er seine Tochter an ein Bordell vermietet haben, damit ihm dessen Einkünfte zukamen. Auch König Rampsinit soll Gefallen an dieser Methode gefunden haben.« (Montet 1975,109f) Die Praxis der Prostitution wurde aus Mesopotamien eingeführt. Sumerische Tempel priester erfanden sie im 3. Jahrtausend und benutzten Priesterinnen, um dem Tempel Männer und Einkommen zuzuführen. (French 1992,129)
»Sei hart gegen Untertanen. Das Volk gehorcht nur denen, die Gewalt üben.« (Pharao Sesostris) Die Einheimischen hatten sichtlich wenig Anlaß, in ihren Peinigern »Göttliches« zu sehen. Die ersten beiden Dynastien werden von inneren Kämpfen und Unruhen erschüttert. Zur Zeit der 3. Dynastie »wird der absolute, allein auf die Person des Königs konzentrierte Staat des Alten Reiches verwirklicht... Alles Land ist königlicher Staatsbesitz. Die Bevölkerung wird nach Bedarf aus ihren Dörfern in neugegründete Siedlungen versetzt« (Beckerath 1971,17), d.h. sie wird skrupellos de portiert und ausgebeutet. Nach Cheops Tod und wahrscheinlich schon viel früher war die wirtschaftliche Lage des Landes katastrophal. »Die ökonomische Politik des Königs hatte verheerende Folgen. Obwohl er theoretisch Ägypten mit allen seinen Menschen, Ressourcen und Besitztümern besaß, wurde dieser große königliche Staat schrittweise ausgehöhlt und zerstört.« (David 1982,88) In der 6. Dynastie verfällt die Kunst, die pharaonische Religion wuchert in primitiven Aberglauben und Magie aus, und das Alte Reich endet im Chaos und schlußendlich im Zusammenbruch. Zur EntSchuldung der »Maßlosigkeit des unge zügelten Emporkömmlingtums« (Lange 1952,31), (wie sie den Passa gen der Kannibalentexte der Unaspyramide entnommen werden kön nen), die »schließlich den Thron gefährden und die erste große soziale Revolution heraufbeschwören sollte« (ebda.), findet Kurt Lange die Schuldigen in den urgeschichtlichen »nichtverfeinerten« Menschen des Niltals: »Aus ihr spricht der prähistorische Mensch, der ja ringsum in ursprünglicher Lebensweise fortdauert und sich dem verfeinerten Bewohner der Residenz gegenüber als der Stärkere erwies.« (ebda.)
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Montet behauptet, daß man »viele« Fälle kenne, »in denen sich der König seinen Untertanen gegenüber wie ein mit Vernunft und Feinge fühl begabter Mitmensch benahm«, so, als der »König einem Priester zuliebe das Gesetz außer Kraft setzte, das den mit dem Tode bestrafte, der königliche Insignien berührte«, oder daß ein alter Höfling bei der Audienz den Fuß des Königs küssen durfte, obwohl das Zeremoniell sonst erforderte, daß man den Boden vor dem König mit den Lippen berührte. (Montet 1975,114) (Trotz intensiver Bemühungen gelang es der Autorin nicht, weitere Belege zu finden, welche diese vernunftbe gabtem Wesen als »feinfühlige« Herrscher den Untertanen gegenüber ausweisen würden, jedoch viele, die das Gegenteil beweisen.)
»Je mehr Verwaltung, um so mehr Gewalt. Je mehr Verordnung, um so mehr Übertretung. Je mehr Waffen, um so mehr Unruhe. Je mehr Gesetzlichkeit, um so weniger Gesetzmäßigkeit.« (Laotse Tao Te King)
Der pharaonische Staatsterror Der Staatsterror wird durch eine »Satire« auf die Berufe überliefert: Das Los des Ackerbauern wird als das schlimmste von allen geschildert: »Er wurde von seinen Herren geschlagen, von den Steuereinnehmern aus gebeutet und von den Heuschrecken zugrunde gerichtet. Seine Frau lief Gefahr eingesperrt, seine Kinder verpfändet zu werden« aber, fügt der Autor beschwichtigend hinzu, »es handelt sich dabei wirklich um eine Satire«. (Schaeffner 1968,37) Mit der religiösen Doktrin des »göttlichen« Königtums, mit der Aus übung von Repression und Gewalt unter Einsatz der Polizei und Mili tärmacht, mit dem Bau von kolossalen Tempelpalästen, dem ras sistischen Klassensystem, das die Versklavung der Einheimischen zur Folge hatte, war die vielgepriesene neue Staatsform Ägyptens etabliert. Einige wenige herrschten von nun an über viele andere. »Der Pharao erhob als Herr von Ober und Unterägypten Anspruch auf alles, was es in den beiden Ländern gab: Menschen und Tiere, Gebäude und Lände reien, Werkzeuge und Mobiliar unterstanden seiner Gewalt.« (Montet 1975,117) Eine machtvolle Verwaltung wurde notwendig, um das Land besser beherrschen zu können und seine Reichtümer für die Ober schicht zu erschließen. Die ersten Anfänge sind bereits in der 1. und 2.
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Dynastie zu erkennen. »Von einem König zum ändern kann man die Wichtigkeit der Beamtenschaft zunehmen sehen.« (Montet 1975,125) Nach dem bewährten Prinzip von »teile und herrsche« wurden die Menschen in Klassen eingestuft. Die einen wurden zum Nutzen der Oberschicht ausgesondert und gegen ihre eigenen Landsleute einge setzt. Dazu gehörten in erster Linie die Beamten, die Steuereintreiber, die Polizei und eine Unzahl von Aufsehern. Helck schreibt: »Von An fang an besteht in Ägypten eine scharfe soziale Trennung zwischen Verwaltenden und Verwalteten. Die Beamtenschaft bildete eine Hier archie, an deren Spitze der Wesir stand, der auch als »Beamter par ex cellence« bezeichnet wurde.« (Helck LÄ/I/672f) Die Erziehung zum Be amten war erbarmungslos streng. So sollte schon der Schüler »das Schreiben lieben und das Vergnügen hassen, und so soll auch der Be amte immer gegen seine Triebe ankämpfen und seine Pflicht tun, auch wenn das Amt bitterer als Galle ist. Allein die Gnade des Königs ist dafür sein Lohn.« (Helck LÄ/I/673) Mit dieser Methode züchtete man die Sorte von sadistischen, gefühllosen Kriechern, die man zur Unter drückung der Bevölkerung brauchte, um sie zum Schweigen und Lei den zu erziehen. Denn »die hierarchische Ordnung war von Gott ge wollt, davon war auch Pharao zutiefst überzeugt«. (BrunnerTraut 1987,12)
Unterdrückung und Folter »Folter als Mittel zur gerichtlichen Wahrheitsfindung wird in den Grabräuberpapyri protokolliert. Es finden sich als erste Stufe das »Schlagen mit dem Stock«, manchmal als auf die Füße und Hände vor genommen präzisiert; der zweite Grad ist das Bearbeiten der Hände und Füße mit »Stacheln« mit Drehen und Schrauben verbunden, so daß an ein Werkzeug zum Verdrehen der Hände und Füße gedacht werden kann.« (Helck LÄ/II/279) Bei »Ungehorsam gegen den Staat« drohten Stockschläge, die oft Knochenbrüche herbeiführten, Einziehung des Besitzes, Versklavung von Ehefrau und Kindern, Gefängnisstrafe oder Verbannung in Oasen und Steinbrüchen zur Zwangsarbeit. Doch für diese Willkür findet sich schnell eine Rechtfertigung, denn »Strafen bestanden in der Zufügung von Übel zur Vergeltung von Verstößen gegen die durch die Göttin Maat verkörperte Weltordnung«, beschönigt ein verständnisvoller Au
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tor und berichtet weiter, daß der Zweck der Strafe gewesen sei, »die ge störte Ordnung wiederherzustellen und die durch die Straftat beleidig ten Gottheiten zu versöhnen«. (Boochs LÄ/VI/68ff) Daß diese Gott heiten durch brutalste Verstümmelung, Zufügung von Brandmalen, Abschneiden von Händen, Nasen, Ohren und Zunge, Kastration, Pfählen, Verbrennen, Ertränken, Köpfen oder durch Gefressenwerden von wilden Tieren beruhigt werden mußten, wirft ein eindrückliches Licht auf die Religion des pharaonischen Staates. Auch Kinder und Frauen wurden von dieser Folter nicht ausge
Abb. 22: a) Die Bastonade, d.h. das Prügeln mit Stöcken, war an der Tagesordnung und konnte sogar zum Tode führen.
b) Zwei Frauen werden von vier Priestern brutal verprügelt.
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Abb. 23: Gefolterte Frau. In ihren Körper wurden 13 Metallstäbe getrieben
nommen, und der König hatte das Recht, die Frauen ihren Gatten nach Belieben fortnehmen zu können. Daß Frauen keineswegs dem männli chen Sadismus entgingen, bezeugt eine Statuette im Louvre. Einer jun gen Frau mit auf dem Rücken gefesselten Händen und Füßen wurden 13 Metallstäbe in Augen, Ohren, Mund, Schädel, Brust, Vagina, Anus, Fußsohlen und Hände getrieben. Ob man dies nun als »VodooZauber« oder »Ritual« verbrämt, die geistige Haltung, die zu solcher Barbarei fähig ist, legt ein beredtes Zeugnis der pharaonischen Kultur und der Behandlung der Frau ab. Bis in die römische Zeit sind die Grausamkeiten gegen das geknech tete ägyptische Volk überliefert. Der Zeitzeuge Philo von Alexandrien berichtet: »So hat jüngst ein bei uns zum Steuereinnehmer bestellter Mann, als Leute, die wohl aus Armut im Rückstand waren, aus Furcht vor den unerträglichen Strafen das Weite gesucht hatten, deren Frauen, Kinder, Eltern und alle übrigen Verwandten gewaltsam fortgeschleppt, sie geschlagen, mißhandelt und schändliche Gewalttaten aller Art an ihnen verübt, damit sie entweder den Flüchtling verrieten oder dessen Rückstände bezahlten, wiewohl sie beides nicht vermochten, jenes (nicht), weil sie (seinen Aufenthalt) nicht wußten, dieses (nicht), da sie nicht minder arm waren als der Entflohene. (Der Steuereinnehmer) gab sie aber nicht eher frei, als bis er mit Folter und Marterwerkzeu gen ihre Körper gepeinigt und sie durch unerhörte Tötungsarten ums
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Leben gebracht hatte; einen mit Sand gefüllten Korb befestigte er an Stricken, hing ihnen diese schwere Bürde auf den Nacken und stellte sie unter freiem Himmel auf offenem Markte hin, damit sie durch den furchtbaren Druck der auf sie gehäuften Strafen, durch Wind und Son nenbrand, durch die Schande vor den Vorübergehenden und durch die aufgebürdeten Lasten zur Verzweiflung gebracht würden, die anderen aber, die deren Bestrafung mitansehen mußten, im voraus Schmerz empfänden. Manche von den letzteren, die mit der Seele schärfer schauten als mit dem leiblichen Auge und in der Person der anderen sich selbst mißhandelt fühlten, haben zuvor durch das Schwert oder durch Gift oder den Strang ihrem Leben ein Ende bereitet, da der Tod ohne Folterqualen ihnen ein großes Glück in ihrem Unglück erschien. Die aber, die nicht zuvor Hand an sich gelegt hatten, wurden der Reihe nach, wie bei Erbschaftsprozessen, herangeholt, zuerst die Nächstverwandten und nach ihnen die Verwandten zweiten und dritten Grades bis zu den entferntesten; und als von den Verwandten keiner mehr übrig war, da schritt das Unheil noch weiter zu den Nachbarn, gelegentlich auch in (ganze) Dörfer oder Städte, die bald ihre Einwohner verloren und einbüßten, weil sie fortgezogen und sich dahin zerstreuten, wo sie erwarteten, unentdeckt zu bleiben.« (Philo von Alexandria, zit. Cohn 1910,232f) Wer diesen Sadismus überlebte, litt unter der körperlichen Schwer arbeit, Entbehrungen und Not. Hunger, Krankheit, drohende Polizei und Beamtenwillkür waren das tägliche Los der Menschen im Niltal. »Jeder einzelne dieser traurigen Lebensumstände, unter denen der Bauer von der Geburt bis zum Tod zu leiden hatte, war schon für sich genommen schwer genug zu ertragen. In ihrer Gesamtheit richteten sie ihn jedoch körperlich und seelisch zugrunde, bis er einem gezähmten Ochsen glich, unterwürfig, duldsam, verängstigt, teilnahmslos.« (Cami nos 1990,48f)
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»Du mußt herrschen und gewinnen oder dienen und verlieren, leiden oder triumphieren, Ambos oder Hammer sein.« (Job. Wolfgang von Goethe)
Sklaverei Mit Sicherheit war Sklaverei in allen dynastischen Epochen üblich und die persönliche Freiheit stark beschnitten. »Zwangsarbeit, Frondienste, Umsiedlungen von ganzen Dörfern usw. waren an der Tagesordnung. Nicht einmal die freie Wahl des Wohnortes war den Menschen zuge standen. Immer stand das Interesse des Landbesitzers oder des Staates im Vordergrund.« (Gutgesell 1989,33) Doch das Wort »Sklaven« mögen die wenigsten Gelehrten; sie ziehen Begriffe wie »Hörige«, »Untergebene«, »Diener« oder »Kriegsgefangene« vor. So schreibt etwa Wolfgang Helck, die Stellung der Sklaven sei »mit der von Hörigen des europäischen Mittelalters zu vergleichen, nicht aber mit der von römischen Sklaven«. (Helek LÄ/II/1235f) Doch an an derer Stelle schreibt der gleiche Autor, daß es bereits im Alten Reich einen lebhaften Sklavenhandel mit Syrien gegeben habe, der sich im Mittleren Reich wohl noch intensivierte. »Besonders syrische Frauen finden ihren Weg nach Ägypten.« (Helck 1971,87) Die meisten direkt ins pharaonische Bordell oder Arbeitslager. Von diesem Verbrechen an den Frauen lenkt der Autor mit der zynischen Bemerkung ab, daß im Alten Reich »das ägyptische Denken in einer großartigen Entwicklung den Weg vom urtümlichen Gottkönigtum bis zu jenen Vorstellungen ge funden (habe), nach denen der König Gottes Willen, der sich in der Ge rechtigkeit manifestiert, auszuführen hat«. (Helck 1971,87) Den Bau der Pyramiden befreit der Ägyptologe Kurt Lange von al len »bösartigen Unterstellungen« der Sklavenarbeit und rühmt sie als »ein Werk schöpferischer Gläubigkeit«. Ungeheuerlich mutet seine Be hauptung an, das ägyptische Volk habe sich mit dieser Fronarbeit für seine Herrscher »selbst erhöht«, und er begründet diese Augenwische rei damit, daß der König damals »das Zentralgestirn« gewesen sei, des sen Wille dem einzelnen »Dasein, Sinn und Auftrag« gegeben habe. (Lange 1952,37) Schwärmerisch doziert er weiter: »Der Urzeit häuptling, von dessen Weitblick, Tapferkeit und Zielstrebigkeit das Wohl der Horde, des Stammes, des Volkes abhing, und der deshalb 126
scheue, ja kultische Verehrung genoß, hat im Pharao der Pyramidenzeit die höchste Ausprägung erfahren.« (ebda.) Seine Version findet Lange unendlich »denkwürdiger und befriedigender als die früher fast allge mein angenommene«. Sie befreie »die Wahrzeichen Ägyptens von der Vorstellung stöhnender Sklaven und klatschender Geißeln, die sich von alters her an sie knüpfte«. (Lange 1952,38) Helck bietet ebenfalls eine erstaunliche Interpretation der Sklaverei, indem er schreibt, daß Sklaven »ursprünglich abhängige Diener waren, die von ihrem Herrn versorgt werden mußten«, woraus ein »Versor gungsEhrenamt« entstanden sei. (Helck LÄ/V/982) So wird die Un menschlichkeit der Sklaverei zur menschenfreundlichen Tat geschönt. Das Beispiel aus dem Mittleren Reich eines durchschnittlichen Be amtenhaushalts zeigt, daß in diesem mindestens 75 Sklavinnen, davon 33 ägyptischer Herkunft (19 Männer und 14 Frauen) und 42 Asiatinnen (8 Männer und 34 Frauen) beschäftigt wurden. Aus der 2. Zwischenzeit und der beginnenden 18. Dynastie sind noch größere Zahlen von Sklavinnen in Privathaushalten belegt; später schweigen auffallender weise die Quellen. Sklavinnen konnten vererbt und verkauft werden. Auch Kinder entgingen diesem Los nicht. »Diodor berichtet, noch vor der Pubertät stehende Sklavenjungen seien zur Arbeit in den Goldmi nen herangezogen worden.« (Feucht LÄ/III/438)
Abb. 24: Gefangene werden gefesselt, deportiert und versklavt. Aufweg zum Titentempel des Sahure in Abusir. Altes Reich.
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Wieder eingefangene Flüchtige wurden zum Tode verurteilt. Belegt sind offizieller wie privater Sklavenhandel mit ziemlich stabilen Preisen (Männer 2 dbn Silber, Frauen 4 dbn). (Helck LÄ/V/984) Sklavinnen wurden teurer gehandelt, denn nicht nur ihre Arbeitskraft konnte viel fältig ausgebeutet werden, als Sexualobjekte ihrer Herren und Gebä rerinnen von willkommenem Nachwuchs waren sie den doppelten Preis wert. Offensichtlich wußten viele diese »Ehre«, die ihnen die ehrenamt lichen Sklavenhalter angedeihen ließen, nicht zu schätzen und liefen trotz Androhung der Todesstrafe weg. Dagegen sollte das im Neuen Reich belegte Einbrennen der Eigentümermarke mit Brandstempeln, auch bei Frauen und Kindern, Abhilfe schaffen. Mit dem Thema der Sklaverei befaßt sich auch die amerikanische Historikerin Gerda Lerner in ihrem Buch »Die Entstehung des Patriar chats« und weist darauf hin, daß Sklaverei in der Folge von Krieg und Eroberungen auftritt. Ihr Fazit: »Die Sklaverei ist die erste institu tionalisierte Form hierarchischer Dominanz in der Geschichte der Menschheit.« (Lerner 1991,106) Gerda Lerner stellt fest, daß hi storische Erkenntnisse die Auffassung nahe legen, daß zunächst die Mehrheit der Gefangenen Frauen waren, daß die Historiker aber über diese Tatsache hinweggegangen sind, »ohne ihr viel Beachtung zu schenken«, (ebda. 109) Die Ideologie des Herren und Untermenschendenkens und der da mit verbundenen Sklaverei des späteren Vorderen Orients steht in en gem Zusammenhang mit jenem der dynastischen Zeit Ägyptens. Die wenigsten Historiker betrachten Sklaverei als etwas Unrechtes, son dern sehen sie ganz im Sinn der »gottgewolltem hierarchischen Klassen aufteilung, wie sie in Mesopotamien und Ägypten entstand und be zeichnenderweise im indoeuropäischen, sich als »demokratisch« be zeichnenden Griechenland von Aristoteles weiterpropagiert wurde: »Nach ihm gibt es »Sklaven von Natur aus«, sie zu beherrschen, daran ist nichts schändlich. Er war ein Mensch zweiter Klasse. Sklaven galten rechtlich lange als Gegenstände, ähnlich wie Tiere.« (BleibtreuEh renberg 1990,71f) Das Christentum übernahm die Sklaverei bedenken los. »Die Gleichnisse, die die Evangelien Jesus in den Mund legen, set zen ohne ein Wort der Kritik die Sklaverei voraus, ja verklären sie zum Modell des Verhältnisses GottMensch: Matthäus 18,23ff («Deshalb ist das Reich der Himmel gleich einem König, der mit seinen Sklaven ab rechnen wollte»); Markus 13,34; Lukas 12,42ff; 17,7ff.« (Kahl 1968,18)
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Armut und Hunger Armut und Hunger sind die Folgen der pharaonischen Ausbeutungs und Expansionspolitik. Statt ihre Felder bestellen zu können, werden die Männer in Bergwerken, Steinbrüchen (aus dem Mittleren Reich wird berichtet, daß bei einer einzigen Expedition in die Steinbrüche des Wadi Hammamat in der östlichen Wüste 18'741 Männer eingesetzt wur den) (Valbelle 1990,59) und auf den gigantischen Baustellen eingesetzt und an den Kriegsschauplätzen verheizt. Spätestens in der 5. Dynastie können die Menschen kaum noch ernährt werden. Hunger und Armut waren an der Tagesordnung. Es war keineswegs immer die ausbleibende Nilflut, sondern die Kriege, Habgier, Skrupellosigkeit und die Un fähigkeit, das Land zu führen, die zu Hungersnöten führten. Irritierend sind für die Historiker deshalb die ausgemergelten, zu Tode gehungerten Frauen, Männer und Kinder aus dem Alten Reich am Aufweg zur UnasPyramide in Sakkara, was der Ägyptologe Alan Gardiner be fremdend und unerklärbar« findet. (Gardiner 1961,87)
Abb. 25: Hungernde Frauen und Männer am Aufweg zur Pyramide des Unas in Sakkara, 5. Dyn.
Doch finden sich für diese befremdenden und unerklärbaren Hun gerdokumente noch befremdendere Interpretationen: So schreibt die Ägyptologin Waltraut Guglielmi: »Wenn auf einem Relief des Mittleren Reiches in Meir ein bis auf die Knochen abgemagerter BedjaHirte fette Rinder vorführt, denen ein herkulischer Ägypter folgt, so soll dadurch vor allem der Fremdländertypus charakterisiert werden.« (Guglielmi LÄ/III/82ff)
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Abb. 26: Ausgehungerte BedjaHirten, Meir, Altes Reich
Auch die Archäologin Renate Germer glaubt, der Zweck dieser Darstellungen sei sicher darin gelegen, »den großen Unterschied zwi schen dem reichen, wohlgeordneten Ägypten und dem armen Ausland zu verdeutlichen, das seinen Bewohnern keine ausreichende Versor gung bot«. (Germer 1991,138) Doch nach dieser sonderbaren Ausle gung muß die Autorin anerkennen, daß diese Darstellungen zwar den Eindruck vermittelten, »in Ägypten hätte es immer für alle Be völkerungsschichten ausreichend Nahrung gegeben, und die sprich wörtlichen »Fleischtöpfe Ägyptens« wären immer gefüllt gewesen«, daß aber die Texte dieser Vorstellung widersprechen. »Zu allen Zeiten fin den wir, oftmals nur versteckt angedeutet, Hinweise auf Hungersnöte.« (ebda.) Die gleiche Autorin konstatiert, daß aufgrund der an Mumien ge fundenen Anzeichen von Unterernährung fast 30 Prozent der Ägypte rinnen in der Kindheit nicht ausreichend ernährt wurden, (ebda. 139) Von der 1. bis zur 2. Zwischenzeit (19911650) starb »der ganze Süden an Hunger, jeder verzehrte seine eigenen Kinder«. In einem Brief schreibt ein Thebaner an seine Mutter: »Hier hat man nun damit be gonnen, Männer und Frauen aufzuessen«, laut den HekanakhtePapie ren aber besonders die Kinder. (Helck LÄ/I/1269) Das Leiden des Vol kes, Hunger und Armut waren freilich für die schreibkundige Ober schicht nicht darstellungswürdig, und so ist man vor allem auf die we nigen privaten Überlieferungen angewiesen. »Nur wenigen war es ver gönnt, selbstverständlich jeden Abend satt ins Bett zu gehen«, schreibt Emma BrunnerTraut (BrunnerTraut 1987,140), empört sich aber dar über, daß »Vokabeln wie Notschrei und Hunger die Vorstellung von Bettlerelend unter blutsaugenden Sklavenhaltern evozieren. Es trifft zu, daß die Alten Ägypter, an unserem Standard gemessen, bescheidenlebten, aber in Normalzeiten waren sie vergnügt am Dasein und hatten satt.« (BrunnerTraut 1987,12) An unserem Standard 130
gemessen fehlte es aber den meisten Menschen am Lebensnotwendigsten und an unserem Standard gemessen können die Pharaonen tatsächlich mit blutsaugenden Sklavenhaltern verglichen werden, wie auch das Volk offensichtlich ständig vom Hungertod bedroht war. »In der Wüste herrschte immer Hungersnot; ein Relief stellt mit grausamem Realismus zu Gerippen abgemagerte Beduinen dar, die, zu schwach, um sich aufrechthalten zu können, in erbarmungswürdiger Haltung am Boden liegen.« (Sauneron LdÄK 1960,110) Im Grabbild des Antefoker sehen wir einen bettelnden Jungen, »der für sein Alter ein ungewöhnlich rundes Bäuchlein hat«, während ein alter Arbeiter Datteln durch ein Sieb preßt: »Gib mir Dattelbrei, ich habe Hunger!«, worauf der Alte ihn anfährt: »»Soll dich und die dich gebar doch das Nilpferd holen! Du frißt ja mehr als ein Königssklave beim Pflügen.«« (BrunnerTraut 1987,13) Ob es sich bei dem ungewöhnlich runden Bäuchlein nicht vielleicht um das aufgeblähte Hungerbäuchlein eines unterernährten Kindes handelte? Von blankem Zynismus zeugt die Behauptung eines Ägyptologen, die Ägypterinnen hätten als »Gegenleistung für zunehmende Besteue rung und Frondienst Frieden und eine größere Absicherung gegen Hunger und demzufolge mehr Wohlstand erhalten«, wie dies Trigger schreibt. (Trigger 1983,51) Es ist kaum verwunderlich, daß bei soviel Hunger, Elend und Unter drückung Revolten stattfanden, doch wurden sie brutal niedergeschla gen: »Als am Ende der 2. Dynastie die Menschen ihre »in der Ordnung verankerte Unterwerfung« und die Sklaverei als »Ausbeutung« empfin den, erheben sie sich. Aber Chasechemui konnte den Abfall Un terägyptens in blutigen Massakern beenden.« (Helck LÄ/II/1O87) Aus dieser Zeit zeugen Grabfunde von einem grausamen Blutbad. In Massengräbern Oberägyptens fand sich eine große Anzahl von Skelet ten verstümmelter Menschen: Skelette ohne Köpfe, abgeschlagene Köpfe zwischen den Beinen, Rumpf ohne Beine, Bündel von Glied maßen, Beine ohne Füße, abgehackte Hände und Finger, Teile von gebrochenen Wirbelsäulen und solchen ohne Rippen. Auch Hinweise auf Kannibalismus findet man im oberägyptischen Ballas. Bei großen Mengen von gewaltsam geöffneten Röhrenknochen wurde das Kno chenmark offensichtlich ausgekratzt oder ausgesaugt einige zeigen
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noch Spuren von Zähnen. »Daß wahrscheinlich auch die Hirnmasse ge gessen wurde, muß aufgrund der vielen fehlenden Schädel vor allem an Frauenskeletten angenommen werden«, schreibt Margaret Murray und vermutet, daß sie als Inhaberinnen von übernatürlichen Kräften ge golten haben mußten und daß man sich ihre Kraft aneignen wollte. (Murray JEA 42,1956,93)
Menschenopfer Der alltägliche Sadismus, der sich gegen die ägyptischen Ureinwohner richtete, spiegelt sich auch in der pharaonischen Religion. Pseudoreli giös verherrlicht und gerechtfertigt wurden Menschen gemordet, weil sie ihre Freiheit und ihren matriarchalen Glauben nicht aufgeben woll ten. Hier beginnt die grauenhafte Blutspur der religiös verbrämten »Glaubenskriege«, die die patriarchalen Religionen bis in unsere Tage begleitet. Über das »rituelle Menschenopfer schrieb der ägyptische Historiker Manetho, daß man im oberägyptischen Eileithyaspolis (Elkab) zu einer gewissen Jahreszeit Menschen lebendig verbrannte, die man »typho nisch« nannte. »Sethisch«, »rot« oder »typhonisch« wurden die Anhän gerinnen der GöttinnenReligion genannt, die vom patriarchalen ägyp tischen Klerus diffamiert und verfolgt wurde. Das Verbrennen typhoni scher Menschen geht auf die Zeit des Eindringens der »Horusverehrer« in Hierakonpolis und die ältesten geschichtlichen Dynastien zurück. Obwohl man gerne behauptet, über die Frühzeit hinaus habe sich die barbarische Sitte schwerlich behauptet, fehlt es an Hinweisen in späterer Zeit nicht. So wurden noch im Neuen Reich nach dem Zeugnis eines Privatgrabes bei der nach altem königlichen Ritual vollzogenen Beisetzung Nubier mit Stricken erwürgt. Das Alibi für das Hin schlachten von Menschen war die ihnen zugeschriebene Verkörperung feindlicher Mächten Auf den Wänden der späten Tempel von Edfu, Dendera und Philae sind etliche Menschenmorde dargestellt. »In Edfu haben sich sogar die Reste eines Altares gefunden, der nach seinem Bildschmuck für die Menschenopfer bestimmt war.« (Bonnet 1971,452 55) Manchmal wurde dabei den Menschen eine Maske des Sethtier Kopfes übergestülpt, bevor sie dem asiatischen Osiris oder dem Kriegs gott Horus geopfert, d. h. vom König mit einer Lanze erstochen wur den.
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Von Amenophis II. (die griechische Umformung von Amenhotep) ist bezeugt, »daß er sieben aufrührerische Fürsten vor Amun mit der Keule erschlug. Aber die Tötung kleidet sich doch in die Form eines Opfers, und damit folgte man gewiß altem Brauch«, versucht Bonnet die Verbrechen zu entschuldigen. (Bonnet ebda.) Wie abwehrend mit der Frage des Menschenopfers umgegangen wird, zeigt sich im »Lexikon der Ägyptologie^ Dem unrühmlichen Thema wird nur eine knappe halbe Seite gewidmet, wobei der Autor vor allem versucht, die Tatsache überhaupt anzuzweifeln, als »symbolisch« darzustellen oder auf frem den Einfluß« zurückzuführen. Auf reinen Vermutungen basierende, »wissenschaftliche« Behaup tungen, daß Menschen schon in matriarchalen Epochen geopfert wur den, konnten durch keine Beweise erhärtet werden. Diese hypo thetischen Annahmen beruhen lediglich auf Rückschlüssen aus späte ren, bereits patriarchal überlagerten Zeiten, als die Königin auf Druck der Eroberer einen mitregierenden König neben sich akzeptieren mußte und die bisher bedeutungslosen Geliebten der Königin sich gegen seitig umbrachten, um an die Macht zu kommen. Daraus entstand das jährliche Ritual des Königsmordes, das dann allerdings in bekannter Manier der Schuldzuschiebung an die Frauen, als Befehl oder Wunsch der Königin ausgegeben wurde.
»Die EliteJagd befriedigt offenbar das Bedürfnis nach Macht und Herrschaft und außerdem einen gewissen Sadismus, der für Machteliten kennzeichnend ist» (Erich Fromm)
Das Abschlachten der Tiere: Jagdvergnügen der Herrscher Das Schlachten machte keineswegs bei den Menschen halt. Es war durchaus nicht um den Hunger des Volkes zu stillen, das sowieso vege tarisch lebte, daß auch erbitterte Jagd auf die ägyptische Tierwelt ge macht wurde; es war die blanke Tötungslust. Vor allem die Symboltiere der Großen Göttin: Schlange, Nilpferd, Krokodil, das Wild der Wüste, Löwen und Panther, Gazellen und Antilopen, Esel, Schweine und so gar Fische, Vögel und Schildkröten wurden zu Feinden erklärt und von
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den Pharaonen und ihrem Gefolge gehetzt, gejagt und gemordet. Die brutale Jägerei in den reichen ägyptischen Savannen beschreibt ein Text des Mittleren Reiches. Jagdtreiber bereiteten die Jagd für den Pharao vor und lockten das Wild an, was den Jägern erlaubte, ins volle zu schießen. »Wenn gar beim eingelappten Treiben das Wild dicht bei dicht im Gehege zusammengetrieben war, kam die Jagd einem Scheiben schießen gleich.« (BrunnerTraut 1987,41) Thutmosis III. prahlte damit, schon vor dem Frühstück 12 Wildstiere umgelegt zu haben, und auf dem Feldzug gegen die Mitanni will er im Sumpfland am Orontes 7 Löwen und 120 Elefanten erlegt haben. Amenophis III. steht ihm an Blutdurst und Sadismus in nichts nach. Aus einer Herde von 176 Stieren im Delta erlegte er deren 96 und brüstet sich »im ersten Jahrzehnt seiner Re gierung, wie er auf einem Gedenkskarabäus bekanntgibt, 102 Löwen erbeutet zu haben«. (BrunnerTraut 1987,41) Dieser heldenhafte Jäger wurde nicht nur für sein Hinmetzeln der Tiere bekannt. Im fünften Jahr seiner Regierung bestrafte er einige »hochmütige NegerStämme im Su dan, die sich empört hatten und große Dinge plantem, und er erzählt triumphierend von dem Gemetzel, das er dort angerichtet hatte. »Der wildblickende Löwe, dieser Fürst, schlug sie auf Befehl des (Gottes) AmonAtum.« (Weigall 1923,21) Die menschliche Feindseligkeit gegen die Tiere, die bis zur Aus rottung ausartete, wurde mit der angeblichen Feindseligkeit, Mordlust und Hinterlistigkeit der Tiere gerechtfertigt: Krokodile dauerten feind selig^ oder das böse Prusten der Nilpferde »erschreckte den arglosen Jäger unheilvolle (BrunnerTraut) »Während der Ägypter das Nilpferd durch Harpunieren zu tilgen suchte, wehrte er dem Krokodil allein durch Zauber, offensichtlich aber mit Erfolg. Denn beide Tiere, nicht nur das Flußpferd, sind zur Römerzeit in Ägypten ziemlich selten und nur noch auf bestimmte Gebiete beschränkt. Die letzten Artgenossen wurden im Delta 1658, in Oberägypten 1850 erlegt.« (BrunnerTraut 1987,42) Seit dem Mittleren Reich mußten aus dem Sudan und aus Libyen lau fend Tiere eingeführt werden, um die ausgerotteten Arten zu ersetzen. In römischer Zeit ging die Barbarei so weit, daß man Tierhetzen veran staltete, bei denen zum Vergnügen der Oberschicht Nilpferde gegen Krokodile zu kämpfen hatten. Das Töten von Tieren war in erster Li nie Sache des Pharao, »dem als Garant der Weltordnung die Rolle ei nes Vorkämpfers gegen menschliche und tierische Feinde zukam«.
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(Störk LÄ/IV/5O2) Und damit man sich jetzt nicht unerwünschte Fra gen stellt, werden wir belehrt, daß schon Pharao in Bedrängnis kam zwi schen Tierliebe und Verehrung und der Notwendigkeit, Tiere zu schlachten, zu jagen und für den Gott zu opfern. Ob man ihm seine »Be drängnis« abnimmt oder die Beschönigung glaubt, abstoßend ist das Schlachten auch dann noch, wenn »Jagd wie Opfer vor einem religiösen Hintergrund spielten, und in den quasikultischen Schauspielen die Tiere rituell zu Feinden erklärt wurden«. (BrunnerTraut 1987,42) Brutalität wird wieder pseudoreligiös verbrämt und dadurch als ethisch ak zeptabel und notwendig dargestellt, denn das Wüstenwild »war Reser vat des Königs, der durch seinen Sieg über die Tiere symbolisch das Land von Feinden freihielt«, (ebda) Eine andere Brutalität verraten die Bilder von Tieropfern, wo es kei nen Zweifel darüber geben kann, »daß das lebende Tier dem Toten als Opfer dargebracht wurde: Ein typisches Bild von der Opferszene zeigt uns einen kahlrasierten PriesterSchlächter, wie er einem Kälbchen ein
Abb. 27: Das Bein eines Kälbchens wird von einem Priesterschlächter bei lebendigem Leib abgehackt. Das Muttertier steht in offensichtlicher Qual neben dem verstümmelten Jungen.
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Bein abschlägt, während das Muttertier in offensichtlicher Qual hinter ihm steht. Andere Darstellungen an Grabwänden und im Totenbuch zeigen das bedauernswerte Tier auf drei Beinen stehend.« (Brier 1984,92f) Das Reinwaschen der tötungslustigen Herrenmenschen führt auch zu Ungereimtheiten, etwa da, wo die Autorin schreibt, daß die Herren, die zum sportlichen Vergnügen jagten, dies nicht ohne Verant wortungsbewußtsein taten. »Mit der gewissensentlastenden Erklärung des zu jagenden oder zu opfernden Tieres zum Feind kommen die Ägypter der ethischen Forderung Albert Schweitzers entgegen, sich über die, wenn schon nötige, Tötung von Tieren Rechenschaft zu ge ben. Auch mag es das Schlachten und Jagen erleichtert haben, daß sich die Ägypter der Entzweiung der Natur (Hegel) bewußt waren, d.h. daß sich das Leben nur durch Töten erhält.« (BrunnerTraut LÄ/VI/558f) An Albert Schweitzers Brust braucht man nicht weiter nachzugrübeln über Herrscher und Götter und die Fragen nach der »Notwendigkeit« des Tötens zum Vergnügen. Trotzdem packt einen beim Lesen der fol genden Zeilen das Grauen: »Jagdzeiten und Schonfristen waren den Ägyptern unbekannt. Auf Darstellungen des Alten und Mittleren Rei ches ist zu erkennen, daß die Jagd vor allem im Frühjahr stattfand, zu einer Zeit, als das Wild sich paarte oder die Jungtiere zur Welt gebracht wurden.« (Altenmüller LÄ/III/222) Wenig Trost findet man auch in der Beteuerung, daß »sich über jedes ägyptische Tierbild das verborgene Wissen um die Wesensver wandtschaft von Mensch und Tier wie geheimes Leuchten breitet«, während in den assyrischen Wiedergaben spürbar werde, wie der Mensch die Kreatur vergewaltigte (BrunnerTraut). Zum Beispiel auf dem Bild der sterbenden Löwin, die bemerkenswerterweise »motivisch ihr Vorbild auf der Schatztruhe TutAnchAmuns hat. Brüllend vor Schmerz schleppt sich das todwunde Tier auf den Vorderbeinen weiter, nachdem zwei Jagdpfeile Assurbanipals ihr Rückgrat getroffen haben, so daß sie die gelähmten Hinterbeine langsam nur noch nachschleifen kann.« (BrunnerTraut 1987,46) Der Autorin geht das gleiche Mitge fühl für die Menschen und Tiere Ägyptens ab, denn sie hat ja nicht übersehen, daß auf der Jagdtruhe des TutAnchAmun das Bild einer ebenso mörderischen Löwenjagd mit einem halben Dutzend von Tut AnchAmuns Pfeilen durchbohrten Löwinnen abgebildet ist. Aber noch schlimmer ist, daß auf der Rückseite nochmals eine Jagd abgebil
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det ist, nur daß hier die gejagten und mit Pfeilen durchbohrten Wesen nicht Löwinnen, sondern schwarze Menschen sind, die außerdem noch von Hunden gehetzt und zerfleischt werden.
Abb. 28: Jagd auf schwarze Menschen. Jagdtruhe des TutAnchAmun.
Die ins Auge springende Verwandtschaft der ägyptischen mit den mesopotamischen Herrschern ist nicht zu leugnen. Das mörderische Abschlachten der Tiere durch die »großen Jäger« wird nicht nur auf ägyptischen, assyrischen und iranischen Darstellungen überliefert: In der Bibel hört man das Echo. Noahs Sohn Kusch erzeugte Nimrod; »er war der erste Gewaltherrscher auf Erden. Er war ein gewaltiger Jäger vor Jahwe«. (1. Mos.10,89)
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»Nicht länger darf Geheimnis mehr das
Ungesprochene bleiben, nachdem es lange verhüllt ist.« (Friedrich Hölderlin)
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KAPITEL 7
Der Krieg gegen Frauen und matriarchale Kultur
S
chon das kollektive Leiden der ägyptischen Menschen unter den Pharaonen übersteigt jedes Vorstellungsvermögen, doch vollends überfordert die Vorstellung der Einzelschicksale von Frauen, Männern und Kindern. Kaum etwas ist davon überliefert (oder nicht publiziert?), doch die Greuel, die diese Menschen erdulden mußten, sind nicht we niger existent als die uns heute über die Medien aus aller Welt über mittelten. Eines der düstersten Kapitel, das die Machtnahme des Pa triarchats einleitet, ist die Brutalität männlicher Gewaltherrschaft ge gen die Frauen.
»...und er soll dein Herr sein.« (l.Mose3,16)
Frauenmord: »Sati« Die Ermordung der Frauen beim Tod ihrer Beherrscher, »Suttee« oder »Sati« genannt, wurde durch archäologische Funde aus vielen Ländern bekannt, und zwar immer in der Folge von gewaltsam eroberten und unterworfenen matriarchalen Gesellschaften. Diese Morde, eine Machtdemonstration der Herrscher über Leben und Tod der Monar chinnen und ihrer Töchter, haben den Zweck, die bis dahin respektierte Suprematie der Stammesköniginnen zu vernichten, die weibliche Erb folge durch die männliche zu ersetzen und ein totalitäres, männliches Königtum zu errichten. Außer im frühdynastischen Ägypten geschah dies im frühdynastischen sumerischen Ur, im frühdynastischen Kerma im Sudan, im frühdynastischen chinesischen Shang und zu Beginn der Errichtung des Häuptlingtums in SüdostEuropa. Die Archäologin Ma rija Gimbutas sieht in der Ermordung der Frauen ein Charakteristikum der patriarchalen KriegerPriester, welche die Ackerbaukulturen in der DonauRegion unterworfen hatten. Sie schreibt über die grausigen Ent deckungen in indoeuropäischen Häuptlingsgräbern der KurganKultur aus dem 5. Jahrtausend, daß üblicherweise neben dem Skelett eines 139
außergewöhnlich großen, grobknochigen Mannes die Gebeine geop ferter Frauen gefunden wurden, eine Praxis, die offensichtlich von den indoeuropäischen KurganVölkern nach Europa gebracht wurde und sich erstmals westlich des Schwarzen Meeres im Donautal nachweisen ließ. »Daß es sich um Todesfälle gehandelt haben kann, die zufällig zur gleichen Zeit eintraten, wird durch die Häufigkeit derartiger Mehr fachbestattungen ausgeschlossen. Dieselben brutalen Praktiken sind ein gemeinsames Charakteristikum aller drei Invasionswellen in Euro pa.« (Gimbutas zit. Eisler 1987,106ff.)"""" Die Praxis blieb nicht auf SüdostEuropa beschränkt. Ein deutscher Archäologe fand 1951 in einer Höhle in Bamberg (Bayern) die Über reste von 38 Personen. Nur ein Skelett stammte von einem Mann. Die übrigen Opfer waren 9 Frauen, 28 Kinder und Jugendliche zwischen ei nem und vierzehn Jahren, die, nach den zertrümmerten Skeletten zu ur teilen, einen grauenvollen Tod gefunden hatten. (Richardi 1977,15) Die Skelette werden auf ein Alter von etwa 5000 Jahren geschätzt; könnten also in die Zeit nach der zweiten indoeuropäischen Eroberungswelle datiert werden. Ein anderer Fund wurde in der sogenannten »Stierhöh le« in Mähren gemacht: »Im Innern der Höhle war ein vornehmer Mann auf einem Streitwagen verbrannt worden, rings um ihn lagen die Ske lette von 41 Menschen. Die meisten dieser Geopferten waren Frauen.« (Richardi 1977,22) Bei den Ausgrabungen im sumerischen Ur fand der Archäologe Leo nard Woolley im Jahre 1922 einen Friedhof mit 16 tiefangelegten Schachtgräbern von Königinnen und Königen, welche die Leichen zahl reicher weiterer Menschen bargen. Im Königsgrab von Abargi und sei ner Gemahlin Puabi zeugen 65 Frauen und Männer, die mit dem König lebend bestattet wurden, von den grausamen Verbrechen, die im 3. Jahrtausend in Ur begangen wurden. Herodot berichtet von dieser un menschlichen Gepflogenheit auch bei den indoeuropäischen Skythen Königen, die sich mit einem Gefolge von Frauen, Dienern und Leib wächtern beisetzen ließen.
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»Erinnert euch all der Gesetze, mit denen unsere Vorfahren die Freiheit der Frauen gebunden, durch die sie die Weiber der Macht der Männer gebeugt haben. Sobald sie uns gleichgestellt sind, sind sie uns überlegen.« (M. Porcius Cato, römischer Konsul 234149)
Der Mord an den Inhaberinnen der Königswürde Wie der Ägyptologe Kurt Sethe schrieb, ging die Praxis der Opferung von Menschen beim Tod des Herrschers auf die Zeit der HorusVerehrer (der Eroberer) und den Beginn der dynastischen Zeit in Oberägypten zurück. Die Ägyptologin Rosalie David berichtet, daß in den Königs und Noblengräbern der 1. Dynastie Frauen und Dienerinnen mit ihrem Herrn begraben wurden, und es gebe kaum Zweifel, daß diese »Untergebenen« zur gleichen Zeit beerdigt wurden wie der Grabinha ber. Dies beweisen einige Beispiele in Abydos, wo der Überbau sowohl über dem Hauptgrab wie auch über den Nebengräbern angebracht wur de. »Diese Dienerinnen mögen Gift genommen haben oder sich ein fach erlaubt haben, gleichzeitig mit ihrem Herrn lebendig begraben zu werden. Der Brauch von Menschenopfern hat seinen Höhepunkt mit der Regierung von Djer (l.Dyn.) erreicht. Sein Grabkomplex in Aby dos weist mehr als 500 Nebengräber auf.« (David 1982,32ff) Die oft betonte These, diese Menschen hätten sich »freiwillig« geop fert, versucht die Grausamkeit dieser Morde zu beschönigen. Doch diese Menschen wurden eindeutig in den Tod getrieben; ob gewaltsam oder durch pseudoreligiös verbrämten psychischen Terror; kein normaler Mensch » erlaubt sich«, lebendig begraben zu werden. Eine andere Art, die Betroffenheit abzuwehren, ist es, zu behaupten, daß es sich bei diesen Lebendbestattungen nur um die Bestattungen von Dienern ge handelt habe, die ihrem Herrn ins Grab folgten (Altenmüller LÄ/I/745), oder daß Dienerinnen und »andere Kreaturen« den Herrn ins Jenseits »begleiteten« (Gardiner 1961,409); doch schreibt Emery: »Die meisten dieser geopferten Personen waren Frauen, und viele hatten grobe Grabsteine, die deren Namen festhielten.« (Ernery 1987,62) Angesichts der Tatsache, daß Frauen die Inhaberinnen der Königs würde waren und »der Thron ausschließlich in der weiblichen Linie ver 141
Abb. 29: Grabstele einer ermordeten Frau des Königshofes
erbt wurde« (Cottrell 1956,165), dürfte es sich bei den geopferten Frauen lediglich im patriarchalen Denken um »Untergebene« gehandelt haben. Denn Thronerbin war die Königin, »durch Eherecht kam der König auf den Thron. Die Herkunft des Königs spielte keine Rolle. Er konnte jeder Gesellschaftsschicht angehören, doch wenn er die Königin heiratete, wurde er dadurch König.« (Cottrell 1956,165) »Im Alten Reich scheint weitgehend eine Verbindung von einer zur nächsten Dy nastie über die weibliche Linie bestanden zu haben, indem der Ehe mann oder der Sohn der Tochter des letzten Königs den Thron über nahm.« (Feucht LÄ/IV/257) Nachdem die Autorin eine Reihe von belegten Beispielen matrili nearer Erbnachfolgen (meistens wird auch auf den Grabstelen nur der Name der Mutter genannt) bis ins Neue Reich aufzählt, warnt sie aus drücklich davor, darin »mutterrechtliche« Züge zu sehen; es sei dies eher der Versuch, »die Kontinuität des königlichen Geblütes aufrechtzuer halten«, (ebda.) Doch die »Kontinuität des königlichen Geblütes« wurde über die Mütter aufrechterhalten, und diese Bedeutung der Mütter dürfte aus dem vorpharaonischen Mutterrecht stammen: »Das Herz, Sitz von Gefühl, Charakter und Verstand, stammt nach alter Überlie ferung von der Mutter.« (Feucht ebda 254)
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»Männliche Wissenschaftler haben meist nur widerstrebend über die alten Systeme mit weiblicher Erbfolge berichtet. W. Boscawen schrieb nach der Übersetzung früher babylonischer Texte: »Die Freiheit, die den Frauen in Babylonien gewährt wurde, erlaubte es ihnen, ihren ei genen Landbesitz zu erhalten und zu verwalten.« Boscawen setzte of fenbar stillschweigend voraus, daß die Frauen ihren Besitz nur der Freundlichkeit der Männer verdanken; das war aber durchaus nicht der Fall. Frauen besaßen ihren Reichtum aufgrund der ehernen Gesetze des Mutterrechts.« (Walker 1993,1158) Emery ist überzeugt, daß Narmer Unterägypten ein militärisches De saster aufzwang und sich als Eroberer die Zeichen der Herrschaft von seinen geschlagenen Gegnern aneignete, daß ihn dies aber noch nicht unbedingt zum Regenten des Deltas gemacht hätte. Erst durch die Heirat mit der gefangengenommenen Thronerbin des nördlichen Ägyptens konnte Narmer seine Position als König legitimieren. Auch die Könige nach Narmer mußten, um ihren Anspruch auf die Herrschaft des Nor dens zu legitimieren, unterägyptische Prinzessinnen heiraten. (Emery 1987,126) Auch Flinders Petrie bezweifelt, »daß ein König regieren konnte, außer als Gemahl der Erbin des Königreiches. Das Recht wurde in der weiblichen Linie weitergegeben, wie auch anderes Besitztum.« (Petrie 1991,11,183) Die matrilineare Erbfolge dauerte in Ägypten bis in die römische Zeit. Von Thutmosis IV. schreibt der Ägyptologe Rolf Gundlach: »Als Sohn der »Königstochter« Teje und Ehemann der »Kö nigstochter« Wadjit ist die Thronfolge doch wohl problemlos gewesen. Durch eine Reihe gemeinsamer ikonischer Wiedergaben Thutmosis IV. mit Teje knüpft Thutmosis IV an seine Mutter an.« (Gundlach LÄ/VI/549) Und der griechische Schriftsteller Strabo berichtete aus der Zeit des 1. Jahrhunderts u.Z., daß sich in Ägypten das Erbe auf die Töchter beschränkte. Und sein Zeitgenosse Diodorus Siculus bestätigt, daß in Ägypten nur die Töchter erbten, (s. Gould Davis 1987,127) Kleo patra, die letzte ägyptische Pharaonin, war eine Alleinherrscherin. »Mit ihr verhandelten Antonius und Cäsar bei ihren Versuchen, Ägypten auf ihre jeweilige Seite im römischen Bürgerkrieg zu ziehen.« (Gould Davis 1987,129) Laut Diodorus wurde ägyptischen Königinnen mehr Respekt entge gengebracht als Königen. (Walker 1993,750) Auch die Gräber der Kö niginnen bezeugen ihre angestammte Wichtigkeit: »Sie sind viel größer, besser ausgestattet und in ihrer Architektur moderner als die zeitglei
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eher Könige. Das der NeithHotep liegt in der Nähe von Nagada in Oberägypten, ein riesiger Lehmziegelbau mit Nischengliederung der dicken, sorgfältig gemauerten Wände. MeritNeith verfügt gar über zwei Gräber, wie sonst nur die regierenden Könige der 1. und 2. Dyna stie, eines in Sakkara und eines in Abydos.« (Schulze 1988,206) Die er sten Archäologen konnten diese Tatsache kaum fassen. Emery berich tet, daß man zuerst glaubte, daß MeritNeith ein König war, daß aber spätere Untersuchungen ergeben hätten, daß der Name weiblich ist und daß es sich, dem Reichtum des Begräbnisses zufolge, um eine Königin handelte. Ganz Ähnliches passierte mit einem ändern Grab. Als de Morgan im Jahre 1896 in Nagada ein riesiges Grab entdeckte, wurde es fälschlicherweise als der Bestattungsort von HörAha, dem ersten Kö nig der ersten Dynastie, identifiziert. Spätere Forschungen ergaben aber, daß es das Grabmal von Königin NeithHotep war. (Stone 1988,18f) Mühe mit der offensichtlich hervorragenden Bedeutung der Königinnen hatte auch der Historiker Eduard Meyer (18551930). Er fand es »höchst unwahrscheinlich«, daß »die Königin hier und der Herr scher selbst in einem der ganz unscheinbaren Gräber von Abydos be stattet sei«. (Meyer 1909,124) Die Errichtung des männlichen Königtums steht eindeutig in direk tem Zusammenhang mit der Praxis des Mordens der Frauen des Hofes beim Tod des Königs. Doch dieser wichtigen Tatsache wurde bisher keine Beachtung geschenkt. Die Ägyptologen Dieter Arnold und Eric Hornung stellen die Königsgräber von Abydos und Sakkara im »Lexi kon der Ägyptologie« vor, erwähnen dabei aber die ermordeten Frau en überhaupt nicht, sie schreiben: »So scheint es, daß der engere Hof staat des Königs (zu dem auch Hunde und Zwerge gehören) teils in Abydos, teils in Sakkara bestattet wird, während besonders bevorzugte Angehörige des Königshauses einen Grabbau von königlichen Aus maßen in Sakkara erhalten.« (Arnold/Hornung LÄ/III/497) Ebenso geschickt umgeht der Ägyptologe Jan Assmann das Verbre chen an den königlichen Frauen. Er schreibt in seinem historischen Überblick über Totenkult und Totenglauben: »Die ersten beiden Dy nastien sind die Blütezeit jener Praktiken und Vorstellungen, die auf der Auffassung nachtodlicher Existenz als eines »Wohnens im Grabe« ba sieren. Die Großgräber dieser Zeit dienen in vorderster Linie der Auf gabe, die Toten Könige und höchste Beamte zu beherbergen, und zwar zusammen nicht nur mit einer ungeheuren Fülle an Vorräten
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Nahrung, Mobiliar, Waffen und Gerät , sondern auch zusammen mit der Dienerschaft.« (Assmann LÄ/VI/663) Michael Hoffman berichtet, daß die NebenGräber in Abydos nach Ansicht des Archäologen George Andrew Reisner nicht Angehörigen des »großen Hofadels«, sondern eher »niederen Funktionären gehörten wie Offizieren, Angehörigen des Harems, Dienern, Leibwächtern, Hausvorstehern und Dienstpersonal. (Hoffman 1980,278f) Auffallend ist, daß sich die Autoren bei der Beschreibung der Opfer gerne der männlichen Form bedienen und die ermordeten Frauen des Hofes nur am Rand, in einem Atemzug mit Hunden, Waffen, Vorräten, Zwergen, Funktionären, Untergebenen und Dienern erwähnen. Mit dieser Taktik lenken sie von den vielen Frauenmorden ab, die die barbarischen neuen Herrscher begleiten. Aufschlußreich ist auch, daß Michael Hoff man schreibt, die Frauenmorde seien nur während einer »kurzen Peri ode« die aber immerhin 400 Jahre dauerte verübt worden, und dies werde am besten durch »soziale und politische Neuerungen erklärt, die die »kritische Notlage« des Staates begleiteten, als »Experimente der Gottkönige«, um ihre politische Macht »zu legitimieren. Er will die Frauenmorde lediglich als ein »Symbol« des Übergangsprozesses von der Urgeschichte in die Geschichte sehen. (Hoffman 1980,279) Doch wurden diese Frauen nicht »symbolisch«, sondern real ermordet. Etwas naiv sieht E. A. Wallis Budge den Grund der Frauenmorde darin, daß »die primitiven Ägypter überzeugt waren, jeder Mann, lebendig oder tot, sollte eine Frau und Konkubinen besitzen, so daß beim Tod eines reichen oder wichtigen Mannes mehrere Frauen getötet wurden, damit ihr Geist ihn in die andere Welt begleite, um dort seine Wünsche zu befriedigen, so wie ihre Körper ihm zu Lebzeiten zur Verfügung ge standen hatten«. (Budge 1977,25) Doch Budges Vermutung ist nicht nur kurzsichtig, sie ist auch falsch. Die ursprünglichen »primitiven Ägypter« kannten weder Polygamie noch Frauenmord beim Tod des Gatten; dieser »Brauch« wurde von den Eroberern mitgebracht und ausschließlich von ihnen praktiziert. Das Verbrechen an den Frauen war zweifellos nicht ägyptischen Ursprungs. Die Frauenmorde entlarven den Mythos, daß Männer »schon immer« an der Macht waren. Wäre dem so, hätten sie den Frauen die Macht nicht durch Gewalt und Mord entreißen müssen. Dies könnte man se hen, würden Geschichtsschreiber diese Tatsache nicht einfach ver leugnen, wie z.B. der Ägyptologe Peter Kaplony, der ohne weitere Be
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gründung schreibt: »Die Annahme, die Hofleute seien beim Tod des Königs umgebracht worden (einschließlich der zwei Königinnen), ist unwahrscheinlich.« (Kaplony LÄ/I/111O) Geradezu unfaßbar ist eine andere Erklärung, welche die Morde als »Ehre« für die Frauen dekla riert, wie etwa Adolf Erman behauptet: »Die hier Beigesetzten haben die Ehre gehabt, ihrem Herrn bei seinem Ableben in den Tod zu fol gen.« (Erman 1934,246) Das Drama dieser »Ehre« beschreibt G. A. Reisner, der die Gräber mit ermordeten Frauen im nubischen Kerma ausgegraben hat. Er be tont, daß kein geistig Normaler sich der Überzeugung entziehen kön ne, daß diese Überreste von Personen seien, die tatsächlich lebend be graben worden sind. (zit. Hoffman 1980,278) Von unglaublichem Zy nismus zeugt die Ansicht des Gelehrten Joseph Campbell, der die Frauenopfer als einen » altehrwürdigen Brauch des Menschenopfers« bezeichnet. Er erklärte, nachdem er George Reisners Beschreibung der ermordeten Frauen von Kerma gelesen hatte, daß trotz der Anzeichen von Leiden, ja sogar Panik im Augenblick des Erstickens, der seelische Zustand dieser Menschen nicht nach unserem Maßstab gemessen wer den sollte. »Denn diese Opfer waren keine Individuen im eigentlichen Sinne; das heißt, sie waren keine eigenständigen Lebewesen, die sich aus einer Klasse oder Gruppe durch ein Bewußtsein von persönlichem, individuellem Schicksal oder von persönlicher, individueller Ver antwortlichkeit heraushoben.« (zit. Daly 1986,138) Die Philosophin und Theologin Mary Daly, die diese Sätze Campells zitiert, vermerkt er schüttert, daß sie keines der Worte dieses Zitats hervorgehoben habe, weil sie sonst jedes Wort hätte unterstreichen müssen. »Was uns vorge setzt wird, ist nicht im eigentlichen Sinne Unwahrheit, sondern eine par tiell unterdrückte Wahrheit, die vom Leser übersehen, in ihrer Bedeu tung nicht wahrgenommen und ad acta gelegt wird.« (Daly ebda.) Der Mord an den Frauen der höchsten Schichten beabsichtigte die Zerstörung der bisherigen mutterrechtlichen Ordnung; die Kraft des weiblichen Primats sollte gebrochen werden. Die psychische Folge war, daß die Menschen durch die Morde demoralisiert und ihrer Hoffnung beraubt wurden, die Königinnen könnten nach dem Tod des Königs die Führung im Land wieder übernehmen und das alte matriarchale Recht fortsetzen. Durch den Mord an den Frauen wurde der Weg für die männliche Machtnahme und die (mindestens zeitweise) männliche Erbfolge durchgesetzt.
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Sicher ist, daß das Primat der Frauen ein Hindernis für die Errich tung des patriarchalen Königtums darstellte, nicht nur, weil die Frauen durch ihre Heirat die Wahl des Königs im Alleingang trafen; diese Frauen verfügten auch über ein Wissen, das die Errichtung des patriar chalen Staates behinderte, ja sogar verunmöglichen konnte: Die Frauen bestimmten selbst über ihre Sexualität und über die Anzahl der von ihnen gewünschten Geburten; sie besaßen die Kenntnisse um Geburts hilfe, Verhütung und Abtreibung. Eine Herrscherschicht, deren Ziel es ist, durch Expansionskriege und Ausbeutung der Arbeitskraft zu Reichtum zu gelangen, braucht Menschen, viele Menschen. Dazu war es notwendig, den Frauen so viele Geburten wie möglich abzuverlan gen. Dieser Forderung konnten sich die Frauen dank ihres Wissens um Verhütung und Abtreibung widersetzen und die Ziele der menschen verachtenden Despoten vereiteln. Der Mord an den Frauen der ge lehrten Schicht, zu denen die Ärztinnen und Hebammen gehörten, war somit ein Verbrechen, das aus bevölkerungspolitischen Motiven durch geführt wurde. Das Wissen konnte nur durch die Vernichtung der Wissenden ausgelöscht werden. Die deutschen Wissenschaftler Gunnar Heinsohn, Rolf Knieper und Otto Steiger sehen im »nur oberflächlich banal wirkenden Credo von der Menschenvermehrung« die »Voraus setzung der Reichtumsgewinnung« der Herrschenden. (Heinsohn et al. 1979,14) »Staatliches Wirtschaften im Interesse der Aristokratie... be nötigt dazu Arbeitskräfte.« (ebda. 77)
Die Vernichtung des Wissens der Weisen Frauen Die Parallele zwischen 400 Jahren Frauenmord in Ägypten und 400 Jahren Frauenmord in Europa durch die »Hexen»Verfolgungen ist schlagend. Auch unter den »Hexen« waren viele Hebammen, die über das Wissen der Verhütung und Abtreibung verfügten; ein Wissen, das ausgerottet wurde, weil es den Zielen von Staat und Kirchen entge genstand, ihren Reichtum durch Menschenmassen zu vergrößern. Gun nar Heinsohn et al. bezeichnen die Folterung und Ermordung von Mil lionen von Frauen »als das ungeheuerlichste Ereignis der Neuzeit vor Auschwitz« und betonen, daß mit den Hexenmorden »eine Blüte der mittelalterlichen Naturwissenschaft, das physikalische und chemische Instrumentarium für die Geburtsheilkunde und vorrangig für die Schwangerschaftsverhütung und Fruchtabtreibung, zerstört werden«
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sollte. (Heinsohn et al. 1979,14f) »Daß die naturwissenschaftlichen Kenntnisse der weisen Frauen verschüttet wurden, ist häufig beschrie ben worden. Es wurde sogar erkannt, daß sie mit den Hexenmassakern verschwinden.« (ebda. 54f) Die Ermordung weiser Frauen scheint ein Charakteristikum zu Beginn der Errichtung einer neuen bzw. ver schärften patriarchalen Herrschaft zu sein. »Der männliche Beruf des Arztes entstand als Krieg gegen die Frauen, der sich während des ganzen Spätmittelalters in Feldzügen gegen Hebammen forsetzte. Im 18. Jahrhundert hatten die Männer schließlich die Vormachtstellung in diesem Berufsstand errungen.« (French 1992,171) Die Soziologin Maria Mies resümiert in ihrem Buch »Patriarchat und Kapitale »Die Ver folgung und das Verbrennen von Hebammen als Hexen war direkt ver knüpft mit dem Aufstieg der modernen Gesellschaft: der Professiona lisierung der Medizin, dem Aufstieg der Medizin zu einer Naturwis senschaft, dem Aufstieg von Naturwissenschaft und der modernen Wirtschaft.« (Mies 1988,103) So scheint es, als handle es sich bei den Hexenmorden um eine Wiederholung dessen, was bereits zu Beginn der Errichtung der patri archalen Herrschaft in Sumer, Ägypten und AltEuropa die Politik der neuen Herrscher war. Die Weisen Frauen, Priesterinnen und Heilerin nen waren auch die Vertreterinnen der matriarchalen Religion und dürften deshalb eines der größten Hindernisse beim Durchset zungsversuch der neuen männlichen gewaltpolitischen, lebens und frauenfeindlichen Religion und Politik in Ägypten gewesen sein. Das wiederholt sich im Mittelalter in Europa. Der Hexenhammer von 1487 warnt: »Niemand schadet dem katholischen Glauben mehr als die Heb ammen.« (zit. Heinsohn et al. 1979,58) »Für die spätmittelalterliche Kir che waren die Weisen Frauen Vertreterinnen einer anderen Religion, sie standen für ein anderes Wissen, das für die Kirche unkontrollierbar blieb und daher ausgerottet werden mußte.« (Wisselink 1989,87f) s. Anm. (17 und 18) Man könnte hier natürlich einwenden, es sei unwahrscheinlich, daß die »primitive« Urbevölkerung Oberägyptens bereits ein Wissen um Verhütungsmethoden und Geburtenkontrolle haben konnte, daß die Kindersterblichkeit sicher sehr hoch war und daß Ägypten ja erst durch die Dynastiegründer einen Fortschritt erlebte und in eine höhere Zivi lisation mutierte. Doch das Gegenteil dürfte wahr sein. In ägyptischen Papyri fand man die ältesten Verhütungsrezepte der Welt: Z.B. mit
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Akaziensaft und Honig getränkte Tampons. Und aus einer viel frühe ren Zeit fand man im Friedhof von Jebel Sahaba beim nubischen Wadi Haifa unter 52 Beerdigten nur ein Baby unter 6 Monaten, ein Kind zwi schen 3 und 5, zwei zwischen 6 und 7 Jahren (Hoffman 1980,92), wor aus man schließen darf, daß die Kindersterblichkeit gering war und Frauen viel von Heilkunde verstanden. Der Ägyptologe Hermann Kees bestätigt diese Vermutung: »Die Volksüberlieferung der Ägypter läßt die Heilkunst bis an den Anfang der Geschichte hinaufreichen«, schreibt er. Die führende Zeit der sach lichen Untersuchungen scheine das Alte Reich gewesen zu sein, auch die im Laufe der 12. Dynastie aufgezeichneten Studien über Frauen krankheiten. Das Meisterwerk der ägyptischen Wissenschaft, die alt ägyptische Gefäßlehre, von der man glaubte, daß sie in der 18. Dyna stie entstand, müsse nach sprachlichen Kriterien als viel älter datiert werden. (Kees 1933,308) Die medizinischen Papyri brachten ein un geheures Wissen an den Tag. Sie berichten von der Behandlung von RückenmarkSchwindsucht, Arteriosklerose, Rheumatismus, Gallen steinen, Pocken, Kinderlähmung, Anämie, Epilepsie, Gicht und Blind darm. Mindestens 700 Medikamente werden erwähnt und 48 chirurgi sche Eingriffe geschildert, vom Schädelbruch bis zur Rückgratverlet zung. Die Verfasserinnen wußten bereits, daß »die Kontrolle der unte ren Gliedmaßen vom Gehirn erfolgt, eine Einsicht, die man vor 400 Jah ren in Europa noch nicht hatte«. (Lissner 1955,58) Der chirurgische Pa pyrus »Edwin Smith« hat den hervorragenden Anteil des frühen dyna stischen Ägypten an der ägyptischen Medizin entscheidend bestätigt. Seine Sprache verlangt »seine Ansetzung ins Alte Reich, seine ganze Art aber macht uns mit einem völlig neuen Typ der medizinischen Lite ratur bekannt, der exakt beschreibenden Methode: es ist ein knapp gehaltenes, übersichtlich gegliedertes (das will in Ägypten viel heißen, Kees) Lehrbuch, aus dem alles magische Beiwerk für den Hausge brauch des Arztes herausbleibt.« (Kees 1933,311) Beim medizinischen Papyrus »Ebers«, der um 1500 verfaßt worden war, mußten die Experten ebenfalls feststellen, daß die Rolle eine Ab schrift von weitaus älteren Vorlagen war. (Hoch 1991,172) »Da die Ge schichte mit der Erfindung der Schrift um 3000 beginnt, können wir nur vermuten, wie alt diese Verfahren sind. Obwohl der Papyrus von Ebers als Lehrbuch der inneren Medizin erkannt wurde, blieb er unbeachtet, vor allem deshalb, weil die Ingredienzen der Rezepte auch aus dem Kot
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von Fliegen, Löwen, Gazellen und anderen Tieren bestanden.« (Hoch 1991,173) Als der Papyrus »Smith« Anfang der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts gefunden wurde, erkannten die Experten, daß die Ärztinnen im Niltal ein enormes Wissen hatten. »Die »Dreckapotheke« der Ägypter erschien plötzlich in einem anderen Licht, als die Fachleute zu ihrer Überraschung feststellten, daß Kot und Harn von Menschen und Tieren antibiotische Wirkstoffe enthalten. Und nicht wenig er staunt registrierten sie, daß die Ägypter gegen das Trachom Kupfer, Ton und Alaun verwendeten, die gleichen Mittel, die auch in einem modernen Lehrbuch für Augenkrankheiten zu finden sind.« (Hoch 1991, 172) s. Anm. (19) Die meisten Ägyptologlnnen vertreten die völlig unrealistische Vor stellung, daß die hochentwickelte Medizin, der wir im Alten Reich be gegnen, während den ersten Dynastien z.B. vom Architekten der Stu fenpyramide, Imhotep, »erfunden« wurde oder ein gewisser Athotis der Verfasser anatomischer Bücher gewesen sei. Doch die Frauenheilkunde die älteste Richtung der Volks und Naturheilkunde überhaupt mußte von Frauen in jahrtausendelanger Erfahrung, Sammel und For schungsarbeit, durch »Versuch und Irrtum« geschaffen und mündlich weitergegeben worden sein. Die Frauen als Lebensspenderinnen und erhalterinnen hatten einleuchtende Gründe dafür, sich Heüwissen anzueignen. Dies wird von Mythen aller Kulturen der Welt bezeugt, »die eine Zeit beschreiben, in der nur die Frauen um die Geheimnisse von Leben und Tod wußten und von daher auch nur sie fähig waren, die magische Kunst des Heilens auszuüben. Dann, so heißt es in einigen Erzählungen, wurde in Phasen von Krisen und Katastrophen den Frau en diese hochgeachtete Stellung als Hüterinnen geheiligter Weisheit mit voller Absicht gewaltsam entrissen.« (Achterberg 1990,7) In Ägypten blieb Isis die mächtigste Heilgöttin, auch dann noch, als männliche Ärzte die Heilkunst zu dominieren schienen. Ägyptische Zeugnisse nennen selten die Namen berühmter Ärzte. Wo aber ein »Arzt« oder ein »Priester der Göttin« genannt wird, kann man genauso gut davon ausgehen, daß es sich um eine »ÄrztIN« oder eine »PriesterIN« gehandelt hat, denn wie aus der Erforschung der Hie roglyphenschrift bekannt ist, wurde bereits im Alten Reich die weibli che TEndung häufig einfach weggelassen: »das Weibliche ist in der ägyptischen Schrift eine »quantite negligeable««. (Kaplony) Dies hat für die patriarchale Wissenschaft bis heute Geltung; so wird beispielsweise
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in den Lehrbüchern für Medizin fast ausschließlich vom »Arzt« gespro chen, obwohl rund 50% der Studierenden weiblichen Geschlechts sind. Die Sprache wurde vermännlicht: Die Schöpferin wurde zum Schöpfer, die Gebärerin zum Gebärer, die Priesterin zum Priester, die Ärztin zum Arzt, die Erzieherin zum Erzieher, die Amme sogar zum männlichen Ammen und die Schreiberin zum Schreiber; damit wurden die weibli chen Kulturbeiträge zum Verschwinden gebracht.
Das Unsichtbarmachen des kulturellen Anteils der Frauen Das Ausradieren des hervorragenden weiblichen Anteils in der Kul turgeschichte führen die heutigen Wissenschaftlerinnen aber auch ganz bewußt fort und führen beispielsweise Heilkundige beinahe aus schließlich in der männlichen Form an. Die Forscherin Jeanne Ach terberg bemerkte, daß Guido Majno 1975 in seinem Buch »The Healing Hand: Man and Wound in the Ancient World« die Heilgöttinnen des al ten Sumer kaum der Erwähnung wert fand, obwohl er detailliert auf das Heilwesen der sumerischen Zeit einging. »Zwar zitiert er einen Hinweis auf die Priesterinnen, und zwar im Zusammenhang mit einer akkadi schen Abhandlung über die medizinische Prognose: »Wenn seine Ho den entzündet sind, wenn sein Penis mit Wunden bedeckt ist, dann ist er zur Hohenpriesterin seines Gottes gegangene Im Anschluß daran meint Majno jedoch bemerken zu müssen, daß der Leser diesen Hin weis auf die »Hohepriesterin« ignorieren solle, da deren Funktion nicht weit entfernt von der einer Prostituierten gewesen sei.« (Achterberg 1991, 31) Werner Hoch, der die heilkundigen Frauen ebenfalls ignoriert, glaubt, daß es PriesterÄrzte gewesen seien, die »sich im besonderen für die Körper der Frauen interessierten, denn diese sind es ja, die neues Leben gebären«. (Hoch 1991,176) Dieses seltsam anmutende Interesse der »PriesterÄrzte« für den Frauenkörper ist leicht durchschaubar. Es ging darum, sich das Wissen der Frauen anzueignen und die weibliche Sexualität und Gebärfähigkeit unter die patriarchalpolitische, reli giöse und ökonomische Kontrolle zu bringen. Trotz der Ermordung vieler gelehrter Frauen konnte ihr Wissen um die Heilkunde nie völlig ausgemerzt werden. Wie zwei Jahrhunderte nach den Hexenverbrennungen in Europa nahmen die ägyptischen Frauen ein paar Jahrhunderte nach den martialischen Frauenmorden
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ihren Platz als Heilerinnen wieder ein. Medizinheilkunde war in Ägyp ten ein anerkannter Beruf, und gebildete Frauen arbeiteten als Ärztin nen und Chirurginnen. »Medizinische Papyrusrollen behandeln die Gynäkologie, das Spezialgebiet von Ärztinnen. Die Rolle von Kahun könnte von Studentinnen von Sais geschrieben worden sein. Sie be richtet von Spezialistinnen, die Schwangerschaftsdiagnosen stellten, das Geschlecht des Kindes voraussagten, Unfruchtbarkeitstests durch führten und unregelmäßige Monatsblutungen, Dysmenorrhöe, behan delten. Chirurginnen führten Kaiserschnitte durch, operierten Brust krebs und schienten Knochenbrüche.« (Alic 1991, 33f) Unerklärlich ist den Ägyptologlnnen, daß das wissenschaftliche Denken im Laufe der dynastischen Zeit verkümmerte: »Wir mögen da her höchstens der Verwunderung Ausdruck geben, daß die kulturell fortgeschrittenen Zeiten des Mittleren und Neuen Reiches an solchen theoretischen Überlegungen scheinbar das Interesse verloren, sie je denfalls nicht weitergeführt haben.« (Kees 1933, 311) Es sei eigenartig, schreibt der Arzt A.P. Leca, daß man im Alten Reich viele medizinische Spezialisten gefunden habe, aber keine mehr in den späteren Epochen. Der über die Jahrhunderte stockende Charakter der ägyptischen Me dizin, der weit davon entfernt sei, Fortschritte zu machen, scheine im Gegenteil zu verfallen. (Leca 1988,108) Auch Siegfried Morenz spricht vom »Niedergang kulturellen Lebens in der Heilkunden (zit. Westen dorf LÄ/III/1276) Und die Annahme, »daß die wissenschaftliche Medi zin am Ende des Neuen Reiches in zunehmender Überwucherung durch Beschwörungen und Zauberei erstickte«, sei in dieser Form zwar nicht mehr haltbar, »muß aber doch wohl mindestens teilweise zugege ben werden«. (Westendorf LÄ/III/1274). Parallel zum Niedergang der Heilkunde verlief die Entmündigung der Frau, die dessen eigentlicher Grund ist. »Die Stellung der Frau war und ist gewöhnlich ein Gradmesser für den kulturellen Entwicklungs stand einer Gesellschaft.« (Achterberg 1991, 30) Die Invasoren und ihre pharaonischen Nachfolger waren Barbaren, die auf einer Stufe der geistigen, sozialen und kulturellen Entwicklung standen, die dieses Wis sen kaum zu schätzen wußte; es im Gegenteil sogar fürchteten und durch die Frauenmorde zum Verschwinden bringen wollten. Sie schlös sen die Ärztinnenschule von Sais. Udjahorresnet überredete Darius I. (521486 v. Z.), die Schule der Medizin, das Lebenshaus, wieder herzustellen, worauf er sich brüstet: »Ich begründete sie mit allen ihren
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Schülern, Söhnen eines (bekannten) Mannes, kein Sohn eines Armen war dabei«, und wir können annehmen, daß auch keine Frau mehr da bei war und möglicherweise das fortgeschrittenste Wissen aller Zeiten verfiel. Der Besuch der Schule stand den Töchtern nicht zu. »Sie wird im Haushalt auf ihre Rolle als (Ehe) Frau vorbereitet. Als Teil der Fa milie konnte sie wie alle Familienmitglieder von staatlichen Instanzen und lokalen Machthabern zur Arbeit herangezogen werden.« (Franke LÄ/VI/611) Der Sohn hat eine klare Vorzugsstellung, (ebda.) Viele Gelehrte glaubten noch bis vor wenigen Jahrzehnten, daß die Geschichte der Kultur mit den alten Griechen anfing und die griechi schen Ärzte die »Erfinder« und » Väter« der Medizin gewesen seien. »Na men wie Pythagoras, Aristoteles, Hippokrates und so weiter scheinen der Beweis dafür zu sein. Und da der zuletzt Genannte ein großer Arzt seiner Zeit (460377) gewesen sein soll (jedenfalls haben ihn griechenbegeisterte Generationen dazu gemacht), begann auch unser medizinisches Wissen mit dem Volk der Hellenen. Noch heute sprechen die angehenden Ärzte den »Eid des Hippokrates«, der die ethischen Pflichten des Berufsstandes festlegt.« (Hoch 450/171f) Ein anderes Beispiel für die Unsichtbarmachung weiblicher Kultur beiträge betrifft die Kunst, wo fast ausschließlich von männlichen Künstlern und in der Ägyptologie von »Schreibern« die Rede ist. Dabei wird suggeriert, daß die Kunst selbstverständlich in männlichen Hän den lag. Einige Wissenschaftler vermuten, die Erfindung der Schrift sei die geniale Leistung eines einzigen klugen Kopfes gewesen. Daß dieser kluge Kopf zum Körper einer Frau gehören könnte, scheint indes ihr Vorstellungsvermögen zu übersteigen. Wie könnte man sonst die Blind heit der Ägyptologlnnen erklären, denen bis heute nicht aufgefallen ist, daß die älteste Darstellung eines »Schreibers« auf der NarmerPa lette und dem Keulenkopf des Königs Skorpion unverkennbar eine weibliche Figur mit weiblichen Brüsten und nicht ein Mann ist, wie bis her behauptet wurde? Die beiden Ägyptologen John Baines und Jaromir Malek glauben zu wissen, daß »die meisten Frauen des Lesens und Schreibens unkundig waren und deshalb von der Beamtenschaft ebenso ausgeschlossen wa ren wonach sie sowieso nicht strebten wie von den wichtigsten gei stigen Bereichen der ägyptischen Kultur«. (Baines/Malek 1980,205) Die heutigen Wissenschaftlerinnen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie bei ihrer Darstellung der Geschichte den Beitrag der
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Abb. 30: »Der Schreiben auf der NarmerPalette ist eine Frau. Detail aus der NarmerPalette. s. auch Abb. 12a
Frauen »übersehen«, verschweigen, bagatellisieren, entwerten oder völlig subjektiv interpretieren. Ein Beispiel dafür ist die UnasPyramide in Sakkara, welche eines der schönsten Dokumente hieroglyphischer Schriftkunst beherbergt. Die Tochter des Königs, Prinzessin »Idut«, die in Sakkara ebenfalls ein prachtvoll gestaltetes Grab hat, war eine be gabte Schreiberin. Es ist naheliegend, daß sie die Künstlerin war, die ihrem Vater das unvergeßliche Denkmal setzte; wäre sie ein Sohn, würde man dies jedenfalls ohne weiteres annehmen. Die Vermutung, daß Frauen die ersten Schreiberinnen Ägyptens waren, wird gestützt von der Tatsache, daß es die Göttin Seshat (= Schreiberin) war, die der Schreib, Rechen und Baukunst vorstand, deren numinoses Zeichen bereits in der 1. Dynastie registriert wurde. Ein anderes Beispiel für die Ausblendung der Frauen ist die Aussage eines Ägyptologen, der aus dem Künstler und HandwerkerGhetto von DeirelMedina berichtet, einer Siedlung, in der die Menschen auf engstem Raum wie in Tierställen zusammengepfercht, eingeschlossen von mehreren unüberwindlichen Mauern und von der Polizei über wacht, leben mußten: »Manchmal amtierten in Deir el Medineh auch mehrere Schreiber gleichzeitig... Die Tätigkeit der Schreiber bezeugt ein Ostrakon (beschriftete Tonscherbe DW) aus der Zeit Ramses' VI.: »Er registrierte alle Männer der Arbeiterschaft: Es sind 16 Männer und 46 Frauen».« (Gutgesell 1989,56) Daraus kann man schließen, daß drei 154
Viertel der Künstler, die im Tal der Königinnen und Könige zwangsbe schäftigt wurden, Frauen waren und daß Frauen wesentlich zur Kunst im pharaonischen Ägypten beigetragen haben. Einer Studie von Riv kah Harris (1962) ist zu entnehmen, daß sich auch in Sumer Berichte »über viele weibliche Schreiberinnen (fanden) und aus dem Gilga meschEpos geht hervor, daß die offizielle Schreiberin des sumerischen Himmels eine Frau war; auch die Erfindung der Schrift wurde einer Göttin zugeschrieben«. (Stone 1988,74) Fehlleistungen der Wissen schaft sind, insbesondere was die Beiträge der Frauen zur Kultur be trifft, besonders zahlreich; dies sind lediglich ein paar der anschaulich sten Beispiele, die deutlich machen, daß gegenüber der vielzitierten wissenschaftlichen Objektivität Vorsicht geboten ist. Peter H. Schulze räumt in seinem Buch »Frauen im Alten Ägypten« den Frauen in leitenden Stellungen einen breiten Raum ein und findet es erstaunlich, daß die wichtige Stellung der Frauen als Wissenschaft lerinnen, Priesterinnen und Regentinnen »bisher sowenig beachtet worden ist«. (Schulze 1988,118) Der Niedergang der ägyptischen Kunst und Heilkunde, das wirtschaftliche und politische Desaster dürfte sehr viel mit der im pharaonischen Ägypten beginnenden Unterdrückung der Frauen zu tun haben, als Männer alle Bereiche des öffentlichen Le bens an sich rissen und die Frauen ausschlössen. »Männer haben getan, was Frauen besser können«, schreibt Joa chimErnst Berendt, »eine ungeheure Verschwendung, die letztlich eine Verschwendung des gesamtmenschlichen Potentials ist, also auch die Männer selber betrifft und immer stärker betreffen wird! Eine Menschheit, die um ihr Überleben kämpft, wird es sich nicht mehr lei sten können, Aufgaben an eine einzige Gruppe von Menschen zu dele gieren, wenn deutlich ist, daß es eine andere Gruppe gibt, die geeigneter ist, sie zu lösen.« (Berendt 1985,278)
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Gleichberechtigt oder »ein nützlicher Acker für ihren Herrn«? Die soziale Organisation der patriarchalen Familie: Eine GewaltHerrschaft In Ägypten tritt die patriarchale Herrschaft im Alten Reich drastisch zutage: »Eine progressive Rechtsunfähigkeit der Frauen ist sichtbar, weil sie, selbst wenn sie verheiratet waren, unter die Vormundschaft ihres Mannes, oder, bei seinem Tod, ihres ältesten Sohnes gestellt wurden zu jener Zeit waren die Frauen juristisch keine »Mündigen«. Aus dem Berliner Papyrus 9010 geht hervor, daß die Frauen damals die Vor mundschaft über ihre unmündigen Kinder nicht hatten.« (Theodorides LÄ/II/287) Trotz der nachgewiesenen Entrechtung der Frau glauben immer noch einige Ägyptologlnnen an eine »selbstverständliche Gleichwer tigkeit beider Geschlechter« (Schoske/Wildung »Nofret« Ausstellungs katalog 1984,13), doch aus den Texten, z.B. der Lehre des Wesirs Ptah hotep aus dem ausgehenden Alten Reich, erfährt man einiges über die frauenverachtenden Ideologien: »Erfreue ihr Herz in der Zeit deines Lebens, denn sie ist ein nützlicher Acker für ihren Herrn. Trenne dich nicht von ihr, laß sie aber nichts entscheiden und halte sie fern von der Macht und zügele sie. Denn eine Frau ist ein Sturm, wenn sie tun kann, was sie sieht. « »Sie ist nützlich aber von Mitbestimmung oder Gleichrangigkeit keine Spur!« (Helck »Nofret« Ausstellungskatalog 1985,11) Es ist offenkundig, daß die Anweisungen des »weisen« Ptahhotep (wie er übri gens nur von den Ägyptologlnnen genannt wird) zur Unterdrückung der Frau nicht notwendig gewesen wären, wenn dies dem allgemeinen, bisherigen Umgang mit Frauen entsprochen hätte. Diese frauen feindliche Propaganda im dynastischen Ägypten diente der Durch setzung des patriarchalen Rechts und der Abwertung der in der urge schichtlichen Zeit hochgeachteten Frau. In patriarchalen Gesellschaf ten wird die Frau immer wieder mit einem Acker verglichen, der ledig lich den »Samen« des Mannes austrägt. »In Äschylus »Eumeniden« be dient sich Apollo dieses Arguments, um jegliche physische Ver wandtschaft zwischen dem Sohn und seiner Mutter zu leugnen.«
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(Haudry 1986,122) Und Jesus, offenbar der gleichen Geistesgesinnung verpflichtet, weist seine Mutter auf der Hochzeit zu Kana mit den rü den Worten zurecht: »Weib, was habe ich mit dir zu tun?» (Joh.2.4) Um die patrilineare Erbfolge zu sichern, wurde die Sexualität der Frauen der männlichen Herrschaft unterstellt. Bei Ehebruch was in Frauenkulturen weder für den Mann noch für die Frau ein Vergehen war, insbesondere, weil es die patriarchalische Ehe noch gar nicht gab wurde die Frau (und nur sie) mit dem Tode bestraft. Für den untreuen Ehemann sah das ägyptische Gesetz keine Strafe vor. Die Strafe für die Frau aber war grauenerregend: Sie wurde lebend den wilden Tieren vorgeworfen, oder ihr Körper wurde zerstückelt und den Hunden oder Schakalen verfüttert; man ertränkte sie im Fluß oder verbrannte sie bei lebendigem Leib. Daß dies bereits im Alten Reich der Fall war, ver nehmen wir aus den sogenannten »Wundergeschichten«. Die Legende erzählt, daß König Nebka (3. Dyn.) damals nach Memphis ging und ein großes Festopfer veranstaltete, zu dem er den Vorlesepriester Ubaoner mit sich gehen hieß. Die Frau Ubaoners aber schickte inzwischen ihre Dienerin zu einem ändern Mann, mit dem sie einen schönen Tag feierte. Diesem Verstoß gegen patriarchales »Recht« folgte die Todesstrafe auf dem Fuß: »Der König ließ die Frau Ubaoners zum Schindanger im Norden der Residenz schaffen, ließ Feuer an sie legen (und ihre Asche) in den Fluß werfen.« (BrunnerTraut 1989,45) Die gleiche Autorin, die diese Geschichte nacherzählt, macht an an derer Stelle die unglaublich widersprüchliche Aussage: »Auf schlußreich beleuchten die Rechtsurkunden die hochgeachtete Stellung der Frau und ihren Schutz. Wir erfahren durch sie farbenreich von den Strafen bei Ehebruch und beim Verstoßen der Frau.« (BrunnerTraut 1987,13) Bei Ehebruch selbstverständlich nur dem einer Frau , was der Ägyptologe Schafik Allam als die »große Untat, die man an einer Frau finden kann« bezeichnet, hat der Mann das Recht, sie zu töten. Der gleiche Autor behauptet, und übernimmt damit das 5000 Jahre alte »Rechtsbewußtsein« der pharaonischen Zeit: »Diese Auffassung ent spricht dem ersten Zweck der Ehe, legitime Kinder zu erzeugen; sie be deutet keine Minderbewertung der Frau, sondern ihre Würde, den Frie den von Haus und Familie zu garantieren.« (Allam LÄ/I/1175) In matriarchalen Gesellschaften dürften aber Männer wie Frauen für ihre eigene Würde zuständig gewesen sein und kein Geschlecht mußte dafür4
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die Verantwortung stellvertretend für das andere tragen. Die Doppel moral der patriarchalen Gesellschaft delegierte die Zuständigkeit für Würde und Frieden einseitig an die Frauen und befreite die Männer so nicht nur davon, sich selbst »würdig« und friedfertig zu verhalten, son dern gab ihnen auch noch das Recht, sich als Richter über die Moral der Frauen aufzuspielen. Auch waren in den matriarchalen Gesellschaften alle Kinder die »legitimen« Kinder der Frau und nicht willkürlich ver fügbarer Besitz des Mannes, und es gab kein männliches Recht, von ih nen als »würdelos« eingestufte Frauen zu töten, wie es noch heute ge schieht. Wie niedrig ägyptische Frauen und Kinder in der dynastischen Zeit eingeschätzt wurden, ist auch daraus ersichtlich, daß nur noch Ange hörige des den König umgebenden Adels ein Begräbnis erhielten, und unter diesen sind nur wenige Frauen und kaum Kinder. Was tat man mit den restlichen Frauen und Kindern der Oberschicht? Margaret Murray schreibt: »Der einzig mögliche Schluß ist, daß sie hinaus auf die Felder (wie es oft mit toten Tieren geschah) oder in den Fluß geworfen wur den.« (Murray JEA 42,1956,86) Diese Barbarei steht in krassem Ge gensatz zu den sorgfältigen Bestattungen der urgeschichtlichen Zeit. Auffallend ist auch, daß im Gegensatz zu den vordynastischen Fried höfen des 5. und 4. Jahrtausends, in denen etwa gleich viel Männer und Frauen beigesetzt waren, in dynastischer Zeit ein »krasses Miß verhältnis« (Endesfelder) zwischen weiblichen und männlichen Bestat tungen festzustellen ist. »Im Gebiet von Abu Roasch bis SakkaraSüd sind unter Ausschluß der Königsbestattungen insgesamt 807 Gräber be kannt, aus denen Anhaltspunkte zu gewinnen sind. Nur 68 von diesen 807 Gräbern gehören Frauen. Es sind fast ausschließlich Frauen oder Töchter von Königen. In den verbleibenden 739 Gräbern männlicher Grabinhaber ist nur in 335 Fällen (also in weniger als der Hälfte!) auch die Ehefrau in irgendeiner Form berücksichtigt.« (Endesfelder 1989,47ff passim) Die gleichen Charakteristiken patriarchalen (Un)Rechts finden sich auch in Sumer, wo dem Familienvorstand außerordentliche Gewalt über seine Familie eingeräumt wurde, was keinen Zweifel läßt an der Herkunft des patriarchalen Rechts in Ägypten. Besonders befremdend ist, daß der Mann seine legitimen Kinder, die für ihn scheinbar doch so wichtig waren, als Sklaven verkaufen konnte. Auch die dominierende Stellung des Gatten gegenüber seiner Ehefrau wird in den Familien 158
gesetzen dokumentiert: »Wenn eine Ehefrau zu ihrem Ehemann, den sie haßt, sagt, 'Du bist nicht mein Gatte', so soll man sie in den Fluß wer fen. Wenn ein Ehemann zu seiner Ehefrau sagt, 'Du bist nicht meine Gattin', so soll er eine halbe Mine Silber zahlen.« (H. Schmökel 1974,94) Nach altbabylonischem Recht wurde eine Frau nicht nur bei Ehebruch, sondern auch dann im Fluß ertränkt, wenn sie den Mann, den man ihr ohne ihre Zustimmung zuteilte, nicht nahm. H.F.W. Saggs berichtet, daß der Status der Frau im frühen sumeri schen Stadtstaat sicherlich viel höher als in späterer Zeit war, was laut Merlin Stone hauptsächlich auf die Tatsache zurückzuführen ist, »daß in der frühen sumerischen Religion eine hervorragende Stellung von Göttinnen eingenommen wurde, die später so gut wie verschwanden«. (Stone 1988,73) Es gibt auch Hinweise dafür, daß die Frauen im frühen mutterrechtli chen Mesopotamien mehrere Gatten hatten. Doch beendet König Urukagina mit der Beseitigung der Polyandrie (Vielmännerei) den Zu stand des Matriarchats, und die Stellung der Frau verschlechtert sich zu sehends. (RA, »Frau») Frauen, die zwei Männer heirateten, wurden zu Tode gesteinigt und jenen, die zu einem Mann Worte sagten, die sie nicht sagen sollten, die Zähne herausgeschlagen. (Kramer 1963,83) Auf einem Dokument aus dem sumerischen Lagash findet sich zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit das Wort Freiheit: »amargi«. Die wörtliche Übersetzung von amargi heißt sinnigerweise »zurück zur Mut ter« (Kramer 1963,79) und dürfte die Sehnsucht der Menschen nach dem alten Mutterrecht ausdrücken, das ihnen ihre Freiheit und Würde ließ. Nachdem die Welt buchstäblich auf den Kopf gestellt wurde, ver teufelte man das weibliche »Chaos«, eine Bezeichnung für die uterine Urmutterflüssigkeit der kosmischen Göttin des Meeres (des Wassers), zur Anarchie und Unordnung, während man für das Männliche die so genannte »Ordnung« reklamierte. Das arabische Wort für »Freiheit« (al hurriya) ist bis auf den heutigen Tag in der arabischen Welt ein Syno nym für Unordnung. (Mernissi 1992,71) Der patriarchale Codex Hammurapi gibt dem Ehemann die Möglich keit, über die Ehefrau Gewalt auszuüben, z.B. sie für eine Schuld zu ver pfänden oder als Sklavin zu verkaufen. Sogar die eigene Mutter steht in Gefahr, vom Sohne verkauft zu werden. (RA »Gesetz« und »Frau») Bei den Assyrern war der Mann wie in Babylonien als Haupt der Familie der Frau gesellschaftlich übergeordnet, und er hatte das Recht, sie bei
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bestimmten Vergehen wie Ehebruch zu töten. Die Frauen wurden ge setzlich zum Gebären verpflichtet, um genügend »Menschenmaterial« für die aggressive Kriegsführung, die große Menschenopfer forderte, si cherzustellen. Bei der Heirat mußte die Frau die eigene Sippe verlas sen und in jene des Mannes eintreten, dem sie von nun an gänzlich aus geliefert war. Nicht einmal nach dessen Tod wurde sie aus seiner Sippe entlassen, vielmehr mußte sie den Bruder oder Vater ihres Ehemannes heiraten. (Hier liegt der Ursprung der Leviratsehe bei den Hebräern.) s. Anm. (20)
»Werk und Wort Gottes lehren uns deutlich, daß das Weib für die Ehe oder Hurerei benutzt werden muß.« (Martin Luther, christlicher Reformator, 14831546)
Auswirkungen patriarchaler Macht »Die materielle und geistige Kultur unserer abendländischen Welt ist mit ungezählten Wurzeln in der Gesittung verankert, die im 3. vor christlichen Jahrtausend von den Sumerern geschaffen wurde«, schreibt der Sumerologe Hartmut Schmöckel. (Schmöckel 1974,160) Wie wahr diese Bemerkung Schmöckels ist, sehen wir im patriarchalen Familien recht Europas. Der Indogermanist Ernst Meyer schreibt sichtlich an getan von der Gleichung »Mann = Gott = Vater = Gewalt«, daß unter dem gemeinsamen geistigen Kulturbesitz der indogermanischen Völ ker besonders die soziale Organisation der patriarchalischen Großfa milie hervorsteche. Danach tritt die Frau mit der Heirat in die Familie und Gewalt ihres Mannes ein, der zeitlebens der alleinige Herrscher über seine gesamte Familie bleibt, aber auch über alles, was sonst noch zur Familie gehört, Sklaven, abhängige Leute, Vieh und Grundbesitz. Väterliche Gewalt beinhaltet bei den Römern sogar das souveräne Recht des Familienvaters über Leben und Tod aller seiner Familienangehörigen. »Vater« bedeutet »nicht in erster Linie Erzeuger und Fürsorger der Familie, sondern Herr und Gewalthaber.« (Meyer, 1946,260f) Das Wort »Vater« hat in allen arischen Sprachen die Bedeu tung »Besitzer«. Aus der griechischrömischen Zeit ist bekannt, daß Väter das Recht hatten, sich ehelicher Kinder zu entledigen, und Kindestötungen in 160
Form des Erdrosseins, Zerschmetterns, Ertränkens, Erstechens oder des Aussetzens ausübten. Ehefrauen, die ihre vorrangige Aufgabe, »sei ne« Kinder zu gebären, nicht erfüllten oder die sexuell untreu waren (oder, auch wenn sie selbst Kinder töteten, z.B. in der Folge einer ehe lichen oder außerehelichen Vergewaltigung), drohte das gleiche Schick sal. In der Rede des Griechen Demosthenes (384322) tritt der geballte Frauenhaß patriarchaler Ideologien wohl am prägnantesten in Er scheinung: »Wir haben Dirnen zum Vergnügen, Konkubinen für den täglichen Gebrauch, Eheweiber, um uns legitime Kinder zu geben und den Haushalt zu führen. « Heutige Historiker rühmen seine leiden schaftlichen, geistreich durchdachten und glänzend aufgebautem Pam phlete als »den Gipfel der altgriechischen Redekunst«. Frauenhaß ist das Kennzeichen aller patriarchalen Gesellschaften und Religionen: Der Psychoanalytiker Erich Neumann stellte fest: »Nur daß das Männliche ohne das Weibliche nicht existieren kann, hat die sonst so beliebte Ausrottung der »bösen« Menschengruppe verhin dert« (zit. Weiler 1991,28), auf die das Gefährliche des männlichen Un bewußten projiziert wurde. Welches Schicksal auf die Frauen wartet, falls es Wissenschaftlerinnen gelingen sollte, den Frauen ihre ureigene Fähigkeit, Kinder zu gebären, durch neue Technologien (Übertragung von Embryonen, InVitroFertilisation, Insemination von »Leihmüt tern») zu entreißen, ist nicht auszudenken. Andrea Dworkin »spricht in diesem Zusammenhang von einem »Reproduktionsbordell«, denn diese Techniken werden den Männern einen ähnlichen Zugriff auf die weibliche Fortpflanzungsfähigkeit erlauben wie auf die weibliche Se xualität; sie werden sie mieten, so wie sie schon Sexualität in Bordellen mieten«. (Dworkin zit. French 1992,193) Bereits haben sich australische Wissenschaftler das Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren den ersten schwangeren Mann zu kreieren. Der apokalyptische Schatten des Grauens begleitet diesen letzten und end gültigen Versuch des Patriarchats, sich der Macht der gebärenden Mütter zu entledigen.
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Frauenfolter: Die Verstümmelung der weiblichen Sexualorgane, die »pharaonische Beschneidung« Sadismus und Frauenhaß führten unter den Pharaonen zum unvor stellbarsten Greuel an Frauen, den sich je ein männliches Gehirn aus gedacht hat: dem Herausschneiden der weiblichen Genitalien. Man kann davon ausgehen, daß diese Ungeheuerlichkeit in erster Linie ein Resultat männlichen Neides auf die Verehrung der weiblichen Vulva war, die in matriarchalen Zeiten ebenso gebräuchlich war wie die Phal lusVerehrung in patriarchaler Zeit wurde. Die Göttin Isis zeigte ihre Genitalien auf einer Sau sitzend, und Hathor »liebte die Entblößung«. Heimgekehrte Ägypter, die vor dem Golfkrieg als Gastarbeiter im Irak gearbeitet hatten, erzählten, daß dort in einigen abgelegenen Gegenden Männer ihre muslimischen Gebete noch immer vor den entblößten Genitalien einer Frau verrichteten. Genau so wie patriarchalische Semiten ihre eigenen Genitalien verehrten und bindende Eide auf sie leisteten, »indem sie gegenseitig die Hand auf die Intimteile des ande ren legten, eine Sitte, die unter Arabern bis heute gebräuchlich ist. Worte wie Testament, testieren und Testat zeugen noch heute von den Eiden, die auf die Testikel, die Hoden, geschworen wurden.« (Walker 1993,866) Im Christentum hielt sich die Phallusverehrung mindestens bis ins 14. Jahrhundert. Archäologische Forschungen ergaben, »daß sich in etwa 90 Prozent der englischen Kirchen, die vor 1348 erbaut wor den waren, verborgene Steinphalli befanden«, (ebda. 869) Die weibliche Beschneidung wurde erfunden, um die Verehrung der Klitoris das primäre weibliche Lustorgan und der Vulva zu beenden und die Verehrung des Phallus an deren Stelle zu setzen. Die grauenvolle Folter wird bis heute »pharaonische Beschneidung« genannt und gegenwärtig noch mit zunehmender Tendenz an 6080 Mil lionen afrikanischen Frauen (u.a. im Sudan, das in der dynastischen Zeit eine ägyptische Kolonie war) vorgenommen und nicht als Verstoß ge gen die Menschenrechte geahndet. Daß sie ihren Ursprung im pharao nischen Ägypten hat, ist erwiesen, denn tatsächlich ist eine große Zahl pharaonisch beschnittener Mumien aus königlichen Kreisen gefunden worden. (Daly 1986,184) Es ist anzunehmen, daß sie sich von den kö niglichen Kreisen zu den unteren Schichten der Gesellschaft und zu gleich auch geographisch ausgebreitet habe, schreibt Mary Daly.
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Zeitzeugen, wie der Grieche Strabo (6320), berichteten: »Eine Besonderheit der Ägypter... besteht darin, die Mädchen zu beschnei den.« Philon, der Jude (l.Jh.u.Z.), schrieb, daß es tatsächlich Brauch bei den Ägyptern sei, Jungen und Mädchen, wenn sie in die Pubertät ka men, zu beschneiden. Und der christliche Kirchenlehrer Ambrosius, der im 4. Jahrhundert u.Z. lebte, hielt fest, daß bei den Ägyptern die Frauen im gleichen Alter beschnitten wurden wie die Jungen, präzise dann, wenn bei den Männern die sexuellen Wünsche entflammen und bei den Frauen die Menstruation beginnt. Aetios von Amide, ein jüdi scher Arzt des 6. Jahrhunderts u.Z., überlieferte, daß die Ägypter die Klitorektomie praktizierten, (nach Leca 1984,431) Von ihm »stammt die Empfehlung, die Klitoris eines Mädchens zu entfernen, »bevor sie zu groß wird«. Er schildert den Vorgang, der einem das Blut in den Adern gerinnen läßt, folgendermaßen: Ein Mädchen sitzt auf einem Stuhl, ihre Beine werden von einer hinter ihr sitzenden Person gespreizt. Vor ihr steht ein Chirurg, der mit einer großen Zange die Kli toris ergreift und herausreißt.« (French 1992,142) Der Arzt AngePierre Leca berichtet, die Beschneidung bei den ägyptischen Mädchen habe sich auf die Klitorektomie (Entfernen der Klitoris) und die Enfernung der kleinen Labien »beschränkt«. Trotzdem behauptet Leca, wir hätten keine »direkten Beweise«, daß die Be schneidung im Alten Ägypten praktiziert worden sei. Dieses Verbre chen wird auch nur beiläufig im »Lexikon der Ägyptologie« erwähnt: »Die Beschneidung von Mädchen ist zwar nicht überliefert, doch deu ten die Erwähnungen von »unbeschnittenen« Jungfrauen darauf hin.« (Westendorf LÄ/I/728) Welche » direkten Beweise« benötigen die Wissenschaftler noch? Über die Motive für diese bestialische Folter wurde schon viel spe kuliert, (s. Anm. 21) Wenn man aber zu den Ursprüngen dieser Per version zurückkehrt, sticht ein Widerspruch besonders ins Auge. Daß die Beschneidung zuerst am königlichen Hof, an den königlichen Frauen und den Frauen des Harems durchgeführt wurde, wie die beschnittenen Mumien bezeugen, zeigt ein Paradox auf, das die von Wissen schaftlerinnen phantasierte »erotische« Atmosphäre des Harems ad ab surdum führt. Wenn die Pharaonen schon derart »potent« waren, daß sie viele Frauen zu ihrem Vergnügen benötigten, wie ein heutiger Arzt glaubt (Leca 1984,127), sich also deshalb Harems mit Hunderten von Frauen hielten, warum verstümmelten sie dann die Sexualorgane der
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Frauen? Abgesehen von der grauenhaften » Operation^ die noch heute ohne Betäubung vorgenommen wird, und den Infektionen der Wunde oder der Bauchorgane, ist eine derart verletzte und verstümmelte Frau gewiß keine lustvolle Sexualpartnerin. Außer Neid und Haß muß noch ein anderes Motiv mit im Spiel gewesen sein: die Sexualität der Frauen vollständig unter Kontrolle und zur alleinigen und vielleicht einmaligen Benutzung des Pharao zu halten und sich ihrer lediglich als Gebäre rinnen seiner Nachkommen zu bedienen. Nicht die große Potenz war der Grund, daß sich die Pharaonen zahllose Frauen hielten, sondern die Zeugung vieler Kinder, womit die Herrscher unaufhörlich prahlten. Es ist nicht auszuschließen, daß die Frauen erst nach der Feststellung der aufgezwungenen Schwangerschaft beschnitten und mit Tierdärmen (oder Dornen) »zugenäht« wurden, was sie für die sexuelle Lust emp findungslos, für andere Männer unantastbar machte (auch Haremshü ter sind Männer) und vor allem eine Abtreibung der ungewollten Frucht verunmöglichte. Die Frau, deren Leib wie ein voller Sack abge packt und verschlossen war, konnte somit gezwungen werden, das Kind ihres Vergewaltigers auszutragen. Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, wie die Herrscher auf diese schreckliche Idee kamen. Möglicherweise gibt uns die Tierzucht darauf eine Antwort. Eric J. Dingwall schreibt in seinem Buch »The Girdle of Chastity«, London 1931, daß die »Infibulation«, d.h. das Zunähen der Vulva der Stuten, bei Pferdezüchtern seit langem bekannt sei »und zwischen dieser und der gleichen Handlung bei Frauen besteht kein Unterschied. Die zwei stimmen genau überein und bestehen dar in, daß die großen Schamlippen durch einen Ring, eine Spange oder ein Vorhängeschloß zusammengehalten werden.« (zit. Gould Davis 1987,170) Durch Infibulation konnte Sexualität und Fruchtbarkeit von Stuten und zu Stuten herabgewürdigten Frauen unter Kontrolle gehalten werden. Die frühesten Pferdezüchter hinwiederum waren IndoArier! Eine andere Tatsache scheint diese Annahme ebenfalls zu stützen. Die Invasoren in Ägypten, die ShemsuHor, waren Waffenschmiede. Erstaunlicherweise betätigen sich im Sudan zum Teil auch heute noch Schmiede als Beschneider der Mädchen. Die Verstümmelung der Se xualorgane blieb nicht auf »primitive afrikanische Stämme« beschränkt; »Infibulation« bei Frauen war im 19. Jahrhundert auch in Europa und den Vereinigten Staaten noch an der Tagesordnung, wurde aber hier all
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mählich durch die Beschneidung und Entfernung des Uterus, eines in den Augen der Frauenärzte potentiell todbringenden Organs, »ersetzt«. »Die Ärzte beharrten darauf, daß durch die Exzision »sexuelle Abwei chungen wie Masturbation und »Nymphomanie« (es war undenkbar, daß eine anständige Frau sexuelle Lust empfand) wie auch Hysterie, Epilepsie, Katalepsie (Starrsucht), Melancholie und Geisteskrankheit geheilt würden.« (French 1992,143) »In den USA wurde die letzte nach gewiesene Klitorektomie (Entfernung der Klitoris) zur Behandlung von Masturbation 1948 durchgeführt an einem fünfjährigen Mädchen!« (Walker 1993,550) s. Anm. (22) Die Beschneidung der Klitoris wird im heutigen Ägypten sowohl von muslimischen wie christlichen (Kopten) Familien praktiziert. Ägypti sche Ärztinnen nehmen an, daß diese Barbarei in städtischen Verhält nissen noch bei 50 Prozent, in ländlichen Verhältnissen aber noch im mer bei 100 Prozent der Mädchen vorgenommen wird. Obwohl ein ägyptisches Gesetz die weibliche Beschneidung verbietet, wird die Ein haltung dieses Gesetzes von der Regierung weder überwacht noch seine Übertretung bestraft, im Gegenteil: Der ägyptische Arzt M.B. Assad schreibt, »daß der Islam diese Praxis ausdrücklich unterstützt, weil dadurch das sexuelle Verlangen der Frauen gedämpft und die Kontrolle der Männer über Jungfräulichkeit und Keuschheit gestärkt werden«. (Assad »Female Circumcision in Egypt« Alexandria 1980, zit. French 1992,148) »Die Verbreitung dieses Greuels wurde entschuldigt, legiti miert und gefordert von jener Weltreligion, die da Patriarchat heißt. Obgleich Sekten wie der Islam und das Christentum es nicht erfunden haben, taten sie nichts Wirkungsvolles, um dem ein Ende zu setzen.« (Daly 1986,184)
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»Laßt sie leben, solange sie gebären mögen sie sich ruhig zu Tode tragen das macht nichts, sie sind drum da.« (Martin Luther)
Massensterben der Frauen im Alten Reich Mit der Machtnahme der Eroberer setzt ein unerklärliches Sterben der Frauen ein. Wolfgang Helck berichtet: »Schon zu Beginn des Alten Rei ches ist ein großangelegter Sklavenhandel aus Asien anzunehmen. Dabei ist auch die Zahl der eingeführten Frauen höher als die der Männer; vielleicht hängt dies mit der hohen Frauensterblichkeit in Ägypten zu sammen, hervorgerufen durch die seit Beginn des Alten Reiches fest zustellende Verengung des Beckens, die zu gefährlichen Komplikatio nen bei der Geburt eines Kindes führte.« (Helck LÄ/II/3O7) Diese unsinnige Erklärung wird nur noch durch ihre pseudowissenschaftliche Begründung an Zynismus übertroffen, welche die angebliche Veren gung des Beckens« »auf Entwicklung und Folge einer Auslese aus Schönheitsgründen« zurückführt. (Masali, Population Biology of An cient Egyptians, London 1973, lölff.) Es gibt aus der urgeschichtlichen Zeit keine Hinweise für eine hohe Sterblichkeit der Frauen im Kind bett, aber auch keine Anhaltspunkte für den fälschlicherweise so oft postulierten Wunsch nach vielen Nachkommen. Der Grund für das Frauensterben dürfte mit der brutalen Beschneidung der weiblichen Genitalien in Zusammenhang stehen.
»Seid fruchtbar und mehret euch!« (l.Mose 1,28) Die Ideologie des »Kinderreichtums« geht auf die Zwangsregulierung der Geburten bei Aufkommen des Patriarchats zurück. Im Alten Reich bewirken die Massendeportationen von weißen asiatischen (indoari schen?) Frauen nach Ägypten trotz der hohen Frauensterblichkeit »eine dramatische Zunahme der Bevölkerung«. (Trigger 1983,68) Einer der Gründe dafür dürfte sein, daß die verschleppten Frauen vergewaltigt und zu unerwünschten Schwangerschaften gezwungen wurden.
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Daß männlicher Machtwahn vor nichts zurückschreckte, geht aus einer Darstellung bei Rechmire hervor, die aufzeigt, daß »es eigene Skla vinnenhäuser gab, in denen Nachwuchs »produziert« wurde«. (Helck LÄ/V/985) Der Papyrus »Harris I.« informiert darüber, daß es in der Ra messidenzeit im Tempel von Memphis eine spezielle Frauensiedlung gab, die der serienmäßigen Produktion von Menschen diente. Hitlers Lebensborn und die bosnischen Vergewaltigungslager sind, wie daraus ersichtlich ist, keineswegs neue Erfindungen. Wie im Hitlerdeutschland kann man auch für Ägypten annehmen, daß die Väter in diesen Zucht anstalten zur weißen oder arischen Erobererrasse gehörten, die mit den weißen asiatischen Frauen Semitinnen und IndoEuropäerinnen hellhäutige Menschen »züchteten«. Das rassistische Drama der Ausrot tung und Überlagerung dunkler Völker durch weiße Herrenmenschen Völker begann in Mesopotamien und Ägypten, setzte sich in Indien fort und wiederholt sich weltweit bis in unsere Zeit. Vergewaltigungen dürften zum Massensterben der Frauen in Ägypten ebenfalls beigetragen haben. Es ist, wie alle Eroberungskriege bis heute zeigen, sowohl bei den Eroberern als auch den »Befreiern« Usus, Frauen und Kinder zu vergewaltigen. Die Folgen dieser Verbrechen sind häufig Selbstmord und Tod im Kindbett. Daß dieser »finale Akt männlicher Dominanz« (Lerner) keine neuzeitliche Erfindung ist, schil dert die Historikerin Gerda Lerner, die schreibt: »Es gibt überzeugende historische Belege dafür, daß männliche Gefangene überwiegend getötet oder verstümmelt wurden, während weibliche Gefangene in der Regel versklavt und vergewaltigt wurden.« (Lerner 1991,Ulf) Von der gleichen Haltung zeugt der Aufruf zur Vergewaltigung der jungen Mädchen der Feinde Israels. Nach einer Schlacht gegen die Midianiter, in der die midianitischen Männer getötet wurden, erhielten die Israeli ten von ihren levitischen Führern Mose und Aaron den Befehl: »So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die laßt für euch leben.« (4. Mose 31,17.18) Die Bibel zeichnet hier die Tat sache auf, daß Eroberer sehr junge, unberührte Mädchen, deren ganze Familie zuvor massakriert wurde, vergewaltigten; ein Vorgang, der sich ähnlich bereits in Ägypten zugetragen haben muß. Die befremdliche Neigung vieler weißer Männer für kleine Mädchen und Knaben ist nicht erst ein Merkmal des heutigen SexTourismus. Nicht grundlos warnt Ptahhotep im Alten Reich vor sexuellen Bezie
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hungen älterer Männer mit kleinen Jungen, beschönigend »Knabenlie be« genannt, womit vorgetäuscht wird, es handle sich dabei um Spiele zwischen Kindern; diese Perversion dürfte auch die Eroberer Ägyptens ausgezeichnet haben und war ebenfalls ein Merkmal der indoarischen Eroberer Indiens. In Indien lassen sich die barbarischen Praktiken der damaligen Eroberer noch am besten erkennen, denn sie wurden von der weißen Herrenschicht, der Priesterkaste der Brahmanen (= Erd götter), politisch sanktioniert und bis heute als heiliges »religiöses« Recht in Anspruch genommen. Abbe Dubois, der im 19. Jahrhundert in Indien lebte, schreibt in seinem Buch »Hindu Manners, Customs and Ceremonies« von »der seltsamen Vorliebe, welche die Brahmanen für Kinder von ganz zartem Alter hegen«, (zit. Mayo 1929,91) Die pädophile Perversion führte in Indien zu den staatlich und reli giös erlaubten »Kinderehen»; eine Bezeichnung, die vortäuscht, es handle sich dabei um die Verheiratung von kleinen Mädchen mit klei nen Jungen. Doch dem ist nicht so, es sind kleine Mädchen unter zehn Jahren, die an beträchtlich ältere Männer verschachert werden. Der in dische Dichter Rabindranath Tagore preist in einem Essay die Kin derehe zynisch als »das indische Eheideal, als Blüte des sublimierten Geistes, als Sieg über Sexualität und Materialismus, den begeistertes Verständnis für die eugenische Hebung der Rasse davongetragen hat«. (Tagore zit. Mayo 1929,55f) Im Jahre 1891 wurde in der indischen Ge setzgebung das Mindestalter für die Ehe erörtert. Ärztinnen unterbrei teten dem Vizekönig ein Gesuch zur Erleichterung der Lage der un glücklichen Kinder und nannten Beispiele für den Zustand, in dem sol che kleinen Mädchen nach der Hochzeit in Spitalpflege gebracht oder auf Händen und Knien ins Spital gekrochen kamen: Unfähig aufrecht zu stehen, mit verrenkten Hüften, gebrochenen Becken, mit in Fetzen herunterhängendem Fleisch, blutend, manchmal so furchtbar zugerich tet, daß ärztliche Hilfe ohnmächtig war. Manche starben unter Qualen. (s. Mayo 1929,67) Im Jahre 1922 befaßte sich die indische National versammlung nochmals mit dem Problem, das nach all den Jahren nichts von seiner Gültigkeit verloren hatte. Doch die männlichen Ab geordneten der Regierung wehrten sich vehement gegen die Ein schränkung ihres »Rechts«, kleine Mädchen zu »ehelichen«.
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»Sperre sie ein, denn das schafft Ergebenheit.« (aus den Lehren des Wesirs Ptahhotep, Altes Reich)
Freiheitsberaubung: Der Harem Der Mythos vom erotischschwülen Harem, bevölkert von sich lasziv auf Seidenkissen räkelnden blutjungen Schönheiten, die ihre Zeit da mit verbringen, auf die Gunst ihres Herrn und Gebieters zu warten, ist das Produkt von Männerphantasien und hat mit der Wirklichkeit wenig gemein. Ursprünglich war der Harem Teil eines Tempelbezirkes einer Göttin, so war »Haram« das Heiligtum der babylonischen Göttin »Har«, der »Großen Hure von Babylon«, Mutter der heiligen Tempelfrauen, der Hören; ein heiliger Distrikt, der von der Priesterkönigin und gebildeten Frauen bewohnt war, die zugleich religiöse, soziale, pädagogische, künstlerische und staatstragende Funktionen, also Macht hatten. Die Eroberer brachten die Tempel unter ihre Gewalt und mit ihnen die Priesterkönigin, die Hohepriesterin, die Priesterinnen und die ändern gelehrten Frauen (Heilkundige, Hebammen, Lehrerinnen, Verwalte rinnen, Künstlerinnen usw.) und machten sie zu Gefangenen. Die Priesterkönigin so wird vermutet wurde als Inhaberin der Königskrone zur Heirat mit dem Erobererhäuptling gezwungen, um seine Machtaneignung zu legitimieren. Da die Königinnen diese Schmach wohl kaum freiwillig ertragen hätten, mußten sie, um ihre Flucht zu verhindern, eingesperrt werden. Dasselbe galt auch für ihre Töchter, denn nur sie waren Thronerbinnen und konnten wiederum durch Heirat einen Mann ihrer Wahl zum König machen und damit selbst ihren königlichen Vater des Thrones entheben. Dies geschah noch in biblischen Zeiten, wo König David den Harem zum gleichen Zweck errichtete »die Frau des rechtmäßigen Königshauses Saul sollte abgesondert und die Monarchie für Davids eigene Familie bewahrt werden«. (Gould Davis 1987,125) In der späteren arabischen Welt wurde »der Kalifenpalast in zwei Teile geteilt, genau wie die Welt, in einen männlichen Teil, wo der Herrscher die Macht ausübt und die Gewalt in Händen hält, und in einen weiblichen Teil, den Harem, wo die Frauen von allem ferngehalten werden, was nur annähernd mit Macht zu tun hat«. (Mernissi 1992,178) 169
Bereits in der 1. Dynastie wurden die Harems durch die auf auslän dischen Kriegszügen erbeuteten Frauen erweitert. Dewen (1. Dyna stie), der »Fremdlandbewohner« genannt, verschleppte 17'000 Asiatin nen, die ebenfalls »Fremdlandbewohnerinnen« genannt wurden was für die Herkunft der Eroberer aufschlußreich ist , und behielt einen Teil davon in seinem ägyptischen Harem. Der barbarische Brauch hielt sich bis ins »hochzivilisierte« Neue Reich, ja bis Anfang dieses Jahrhun derts. Von Amenophis II. (18. Dynastie) hören wir: »Seine Majestät kam nach Memphis frohen Herzens. Die Liste seiner Beute umfaßte: 550 Marjannu (Arier) und 240 ihrer Frauen; 640 Kanaanäer; 232 Für stensöhne; 323 Fürstentöchter; 270 Damen der Fürsten aller Fremdlän der; zusammen 2214 Frauen mit allem Schmuck aus Silber und Gold.« (Bibelatlas 1989,43) Es wurde präzisiert, daß diese Frauen das Kost barste mitbrachten, was sie hatten: ihren Gold und Silberschmuck. Daran war Pharao sehr interessiert und nahm sich der Frauen und des Schmuckes gleich bei ihrer Gefangennahme an. So gingen auch Ha remhab vor, Sethi I. und später Ramses II., der sogar soweit ging, seine Haremssklavinnen mit seinem Namen zu »markieren«. (Desroches No blecourt 1986,181f) Und zwar wie dies Viehzüchter mit ihrem Vieh tun: mit Brandzeichen. Das ägyptische Wort für Harem, »khent«, ist das gleiche wie für Ker ker/Gefängnis, und das ist es auch, was man sich darunter vorstellen muß. Die »Abgeschlossenen«, wie sie auch genannt wurden, sind viel fach bewacht, durch den »Vorsteher des königlichen Harems«, der die Frauen einschließt, und »Türhüter«, welche die Damen »an unnützem Verkehr mit der Außenwelt« hindern. (Erman 1984,87) Es zeugt von unfaßbarer Empfindungslosigkeit, diese Gefängnisse, in denen Frauen ihrer Freiheit beraubt, vergewaltigt, verkauft, verschenkt und zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden, heute zu Luxusbordellen mit »hoch erotischer Atmosphäre« (Schlichting) (für wen hocherotisch?) zu ver klären. Man dürfe diesen Bezirk, »in dem Frauen als Sexualobjekte zur Ver fügung stehen,« nicht unter einem »sozialethischen Gesichtspunkt« be trachten, belehrt uns der Ägyptologe Robert Schlichting, »denn er stellt einen innenpolitischen Machtfaktor dar, der mit der bedeutenden Stel lung der Königin und ihres Hofstaates in Zusammenhang steht«. (Schlichting LÄ/V/920) Der innenpolitische Machtfaktor« im Interesse des Mannes steht über der Sozialethik und Moral gegenüber Frauen
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und bestand in Freiheitsberaubung, der Aneignung des weiblichen Kör pers, ihrer Güter, des weiblichen Wissens, weiblicher Kreativität, der weiblichen Errungenschaften der matriarchalen Zeit, der Ausbeutung der weiblichen Schöpfungsfähigkeit und Arbeitskraft und war somit in erster Linie ein ökonomischer Machtfaktor von unermeßlicher Bedeu tung. Doch all dies hätten sich die Herrscher natürlich auch durch an dere Maßnahmen aneignen können. Mit der Verwahrung der Frauen wurden noch andere Ziele erreicht; etwa das, den Kontakt der weisen Frauen des Landes zu ihren Landsleuten zu unterbinden. (Die nach Ägypten verschleppten babylonischen Prinzessinen im Harem Echna tons durften nicht einmal Boten ihrer Familie empfangen. (Helck, »No fret« Ausstellungskatalog 1985,12) Durch die Gefangenhaltung der Priesterkönigin und der gebildeten Frauen wurden die Ägypterinnen ihrer religiösen und kulturellen Lei tung beraubt und waren der Willkürherrschaft der Despoten vollständig ausgeliefert. Ein weiteres Ziel bestand darin, die Macht der Hebammen, die den Frauen bisher ihr Wissen der Geburtenregelung vermittelt hatten, zu eliminieren, um die gewünschte Menschenproduktion, die für die Kriege benötigt wurde, zu beschleunigen. Und die Frauen im Harem selbst konnten gezwungen werden, die Kinder ihrer Vergewal tiger auszutragen und dem Pharao viele Kinder zu gebären. Zusammen mit den Frauenmorden war die Gefangenhaltung der weisen Frauen das beste Mittel, um das alte Wissen der Geburtenregelung auszurotten und die Frauen zu verdummen. Daß dies tatsächlich eine Strategie der Eroberer war, sehen wir an den Auswirkungen in Indien, wo die arische Invasion, im Gegensatz zu Ägypten, belegt ist. Abbe Dubois berichtete aus Indien: »Man hält die Frauen für unfähig zur Entwicklung jener höheren geistigen Ei genschaften, die sie instand setzen würden, sich Achtung zu erringen und eine nützlichere Rolle im Leben zu spielen. Aus dieser Anschau ung folgt selbstverständlich, daß die weibliche Erziehung völlig ver nachlässigt ist. Der Geist des jungen Mädchens bleibt gänzlich un entwickelt. Daß eine ehrbare Frau lesen lernte, wäre unerhört; und selbst wenn sie es gelernt hätte, würde sie sich schämen, es einzuge stehen.« (zit. Mayo 1929,127) Ihre Pflicht gegenüber ihrem Gatten, wie sie einst im Padmapurana niedergelegt wurde, wird von Abbe Dubois so umschrieben: »Es gibt für eine Frau keinen Gott auf Erden außer ihrem Gatten. Von allen guten Werken, die sie vollbringen kann, ist das
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verdienstvollste, daß sie suche, ihm zu gefallen durch vollkommenen Gehorsam. Das sei ihre einzige Lebensregel. Mag ihr Gatte mißgestaltet, bejahrt, siech, von rohen Sitten sein; mag er jähzornig sein, aus schweifend, sittenlos, ein Trinker und Spieler; mag er übelberüchtigte Orte aufsuchen, mit ändern Weibern in offenem Ehebruch leben und keine Liebe haben zum eigenen Heim; mag er rasen wie ein Toller; mag er ehrlos leben; mag er blind, taub, stumm oder verkrüppelt sein, mit einem Wort, mag er alle Gebrechen haben und alle Bosheit, dennoch soll die Frau ihn jederzeit als ihren Gott betrachten, soll all ihre Sorgfalt und Aufmerksamkeit für ihn aufsparen und ihm, unbekümmert um seine Mängel, nicht den leisesten Grund zur Unzufriedenheit geben. Bei ihres Gatten Tode soll sie sich lebendig auf seinem Scheiterhaufen verbrennen lassen; dann wird jedermann ihre Tugend preisen.« (zit. Mayo 1929,80) Wie in Indien, wußten auch die Eroberer Ägyptens, sich der Arbeits kraft der Frauen zu bedienen. Die meisten der gefangenen Frauen ver brachten ihre Tage nicht damit, wie uns die Wissenschaftlerinnen weis machen wollen, schmachtend auf die sexuelle Gunst ihres »Gottes« zu warten, sich für ihn reizvoll zu machen und sich in Tanz und Musik zu üben. Harems waren ZwangsArbeitslager, in denen Frauen neben der täglich anfallenden Arbeit für die Herren des Palastes ohne Entgelt Stoffe, Kleider, Perücken, Toilettenartikel, Parfüms, Schmuck und Kunstgegenstände aus Holz, Emailglas und Elfenbein herzustellen hat ten, die verkauft wurden und eine nicht zu unterschätzende Einnah mequelle der Herrscher darstellten. Bereits in der dritten Dynastie kannte man im Königspalast ein »Haus der Müllerinnen«, ein »Haus der Weberinnen« und ein »Haus der Wäscherinnen«. (Feucht 1990, 383) Im Harem von Gurob sind eine Textilfabrik und Verarbeitungsbetriebe für die hergestellten Stoffe belegt. Die Oberaufsicht lag »auch hier überwiegend in männlicher Hand«. (Feucht, 1990, 384) Trotz dieser Hinweise sieht eine Ägyptologin die gefangenen Frauen als »Schmuck des Königs und Schönheiten des Palastes, deren Gesang, Tanz und Benehmen dazu diente, seine Majestät zu erfreuen«. (Desroches Noblecourt 1986,77) Die Majestäten waren sicher erfreut über das Resultat ihrer Gefangenenpolitik; eine andere Frage, die aber nicht gestellt wird, ist die, ob auch die Frauen erfreut darüber waren. Es ist zu begrüßen, daß sich Forscherinnen aus anderen Gebieten darüber Gedanken machen. So schreibt etwa die Friedensforscherin Riane Eis
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ler: »Die Moral, die Frauen in die sexuelle Sklaverei zwang, soviel ist klar, wurde eingeführt, um die ökonomischen Voraussetzungen für ein strikt männerbeherrschtes System zu erfüllen, das namentlich die Ei gentumsübertragung vom Vater auf den Sohn sowie durch die Ab schöpfung der Gewinne aus Frauen und Kinderarbeit durch den Mann sichern sollte... (dadurch) konnte eine streng hierarchische Macht struktur aufrechterhalten werden.« (Eisler 1987,182) Nicht nur dem eigenen Profit und Vergnügen dienten diese in den Harems gefangenen, ausgebeuteten und gedemütigten Frauen, denn als besondere Gunst des Königs galt es, seine Freunde mit den Frauen aus seinem Harem zu beschenken. (Lange 1952,173) Es wundert nicht, daß es zahlreiche HaremsVerschwörungen und Aufstände gab, die sich ge gen den »göttlichen« Kerkermeister persönlich richteten. Einem biographischen Bericht aus der 4. Dynastie ist zu entnehmen, wie sich ein Vertrauter des Königs über alle Maßen rühmt, »die Ordnung im Ha rem wiederhergestellt zu haben«. Unter Ramses III. zettelte Königin Teje einen Aufstand an, der zur Ermordung des Königs führte.
»Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenkundig werden, und nichts Heimliches, das nicht an den Tag kommen muß.« (Markus 4,22)
Sexuell mißbrauchte Töchter: Der pharaonische Inzest Im dynastischen Ägypten ist die Heirat unter Halbgeschwistern des Ho fes schon im Alten Reich belegt, denn »ohne Zweifel genügte es, daß die Königstocher ihren Halbbruder heiratete, um dem Gatten die pharaonische Macht zu übertragen«. (Desroches Noblecourt 1986,44) Doch bald nahmen sich auch die Väter dieses Recht. Eine der drei Töchter von Djoser (3.Dyn.) war möglicherweise seine »Gemahlin«. (Beckerath LÄ/I/1112) Von Snofru und Mykerinos, den »Pyramiden bauern« der 4. Dynastie, weiß man, daß sie mit ihren Töchtern inze stuöse Beziehungen hatten. So steht in einem Grab des Alten Reiches der folgende Stammbaum: »König Snofru. Seine älteste leibliche Tochter Nefretkau. Ihr (beider) Sohn, der Schatzmeister Neferma'at. Sein Sohn, der Schatzmeister Cha'efSnofru.« Cha'efSnofru war also ein Enkel bzw. Urenkel des Königs Snofru, der sich, wie es scheint, mit sei0 173
Abb. 31: Nofretete und Echnaton trauern um ihre Tochter, die bei der Geburt des vom eigenen Vater gezeugten Kindes starb. Echnaton, dargestellt mit einem weiblichen Körper, führt Nofretete in das Zimmer des toten, neunjährigen Mädchens. Im oberen Bildteil Nofretete oder eine Amme mit dem Neugeborenen. Königsgrab in Teil Amarna, Ausschnitt
ner eigenen Tochter verbunden hatte.« (Erman 1984,185) Im Mittleren Reich hat man den Beweis dafür bei Amenemhat III., der seine Tochter Neferuptah heiratete. Und aus dem Neuen Reich gibt es viele Zeugnisse dafür, daß der König (auch noch zu Lebzeiten der Königin) ihre gemeinsamen Töchter heiratete. So weiß man, daß Amenophis III. ne ben seiner »geliebten Gattin Tiyi« und seinem »extensiven Harem« meh rere seiner Töchter ehelichte und schwängerte. SatAmon starb bei der Geburt des Kindes, das ihr Vater gezeugt hatte. Sein Sohn Amenophis IV./Echnaton, »Gott, Herrscher von Theben«, »der von der Wahrheit lebt«, hatte neben seiner Hauptfrau Nofretete mehrere Nebengemah linnen; er gehört zu den »berühmtesten TöchterGatten«. (Desroches Noblecourt) Die Ägyptologin Christiane Desroches Noblecourt baga tellisiert das Verbrechen, indem sie beschönigend kommentiert: »Min destens drei seiner Töchter wurden mit der rituellen, zärtlichen Auf 174
merksamkeit dieses Herrschers beehrt.« (Desroches Noblecourt 1986,46) Die Konsequenz dieser »Ehre»: Die älteste Tochter, Meryt Aton, gebar ihm ein Mädchen, die zweite, MaketAton, starb im Wo chenbett, und die dritte, AnchesenpaAton, brachte einen Jungen zur Welt. Wir kennen das rührende Bild Echnatons und seiner Frau Nofre tete, die zusammen an der Totenbahre des kleinen Mädchens trauern. Der Vater, der »große Mystiker« (Bonnet), ein »Prophet wie Jesus« (Breasted), »mit dem das Singen der Vögel, die Stimmen der Kinder und der Duft der Blumen kommt« (Weigall), »das Genie«, »der Welt erster Idealist« (Weigall), »der fleischgewordene Gott« (Aldred) schwängerte seine eigenen Töchter. Die neunjährige MaketAton (Lange 1951,102) bezahlte den Frevel ihresVaters mit ihrem Leben. In ihrem Grab in Amarna gibt es eine eigenartige Darstellung. Die Königin und Mutter des kleinen Mädchens, Nofretete, hält in den Armen einen Säugling, in dem man allerdings eine siebente Tochter Nofretetes sehen will. Der Grund aber, warum es in der Grabkammer abgebildet ist, dürfte sein, daß es sich um eben jenes Kind Echnatons handelte, das MaketAton das Leben im Kindbett kostete. MerytAton, die Thronerbin, scheint eine nach Echnaton alleinregierende Königin gewesen zu sein, die in den SuppiluliumaAnnalen erwähnt wird. »Semenchkare, den Meryt Aton schließlich heiratete, war als Sohn einer Nebenfrau Achenatens (Echnatons) rangniedriger als MerytAton.« (Krauss 1981,83) »Nach dem Tod Semenkares legitimiert Prinzessin AnchesenpaAton durch ihre Heirat die Thronbesteigung TutAnchAmons.« (Seipel LÄ/I/262) »Aber nicht bevor sie in ihrem Brautgemach von ihrem Vater Echnaton besucht worden war. Die Frucht dieser Verbindung war ein kleines Mädchen, das bald nach seiner Geburt starb.« (Brunner ZÄS 74, 105108) Danach wurde die junge Prinzessin »als Nebenfrau noch dem greisen Eje, dem Nachfolger TutAnchAmuns, anvertraut«, verzerrt eine Ägyptologin die Verkuppelung des mißbrauchten Mädchens an den alten Mann. (BrunnerTraut 1987,30) Sie muß auch noch mit dem alten Eje das Bett teilen und ihm die Legitimation als König garantieren. Verschiedene Autorinnen stellen die Frage nach den »edlen Moti ven« des Inzests: »Versuchte der König einen Erben zu zeugen, nach dem Nofretete ihm die sechs Mädchen geboren hatte, und mußte er, um dieses Zieles willen, der Linie seiner Großen Gemahlin treu bleiben?« (Desroches Noblecourt 1986,46) »Was war die treibende Kraft, die die
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se von den schönsten Frauen Ägyptens und der ganzen bekannten Welt umgebenen Könige veranlaßte, sich mit ihren Töchtern zu vereinigen?« (Desroches Noblecour 1986,46) Darauf weiß ein Ägyptologe Antwort: »Die »Heilige Familie« in Amarna benötigte verzweifelt einen Sohn, und Nofretetes Versagen, ei nen zu liefern, muß eine Quelle von Trauer und Scham für sie gewesen sein.« (Newby 1980,130) Abgesehen von der patriarchalen Zuteilung von Scham und Versagen an Nofretete ist diese Vermutung um so er staunlicher, als es zweifelsfrei erwiesen ist, daß man in Ägypten Söhne nicht verzweifelt benötigte, weil sich der Thron in weiblicher Linie ver erbte. Keine Scham empfanden offenbar die führenden HerrscherVä ter«, die ihre Töchter sexuell mißbrauchten, ägyptische Kinder gegen Getreide aus Byblos zu verkaufen und eine große Anzahl von Frauen aus Palästina in ihre Harems einzuschleppen, wie aus den sogenannten AmarnaBriefen hervorgeht. Es ist bezeichnend, wie die Ägyptologlnnen mit der Kenntnis um diese Verbrechen umgegangen sind. Immanuel Velikovsky berichtet: »Die Entdeckung dieser Tatsachen verminderte den Beifallschor, den man in wissenschaftlichen Kreisen, Laien und religiösen Zirkeln hörte, wann immer der Name des großen Reformers und Monotheisten ausge sprochen wurde.« (Velikovsky 1960,109) Und Peter Schulze schildert die Reaktion der Fachwelt: »So groß war die ehrliche Entrüstung man cher Ägyptologen über diese offensichtliche Verkommenheit der Pha raonen, daß sie derartige Texte oder Hinweise darauf tunlichst in Fach zeitschriften versteckten, die nur wenige Kollegen lasen, die ohnehin Bescheid wußten.« (Schulze 1988,181) Damit blieben die Ägyptologln nen mit dem unrühmlichen Geheimnis, das sie bisher gut gehütet ha ben, unter sich, und man konnte vor der Welt die Propaganda der hei len, sittlich hochstehenden Pharaonenwelt perpetuieren. Auch Schulze findet schließlich eine rettende Erklärung für die inzestuösen Verbre chen: Die Bezeichnung »Königsgemahlin« sei »in all diesen Fällen ein reiner Rangtitel für die jeweils älteste, unverheiratete Königstochter gewesen, damit sie in Vertretung bei Abwesenheit, Tod oder Verban nung ihrer Mutter die kultischen und protokollarischen Pflichten er füllen konnte, die nur der Königsgemahlin oblagen«. (Schulze 1988, 181) Dazu gehörte offensichtlich auch die Übernahme der »ehelichen Pflichten«, denn davon wurden die Töchter schwanger, nicht von den » kultischen und protokollarischen Pflichten«. Eine Ägyptologin kann
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sogar »mit Sicherheit ausschließen, daß die angeblichen Töchter der MeritAton und AnchesenpaAton TochterEnkelinnen Echnatons gewesen sind«. (Christine Meyer zit. Schulze) Die Verleugnung der Tat sachen findet sich auch im Ausstellungskatalog »Nofret die Schöne»; hier ist zu lesen: »Die mehrfach belegte Ehe zwischen König und Kö nigstochter, so zwischen Amenophis III. und SatAmun oder Ramses II. und drei seiner Töchter, ist ein recht unterschiedlich bewertbarer Be fund; vieles spricht dafür, daß es sich um rein nominelle, fiktive Ehen zur Absicherung dynastischer Interessen und zur Begründung priesterli cher Funktionen handelte.« (Schoske/Wildung »Nofret« Ausstel lungskatalog 1984,13) Über Ramses II., der zweihundert Frauen aus sei nem Harem geheiratet hat, die sechsundneunzig Söhne und sechzig Töchter geboren haben sollen, schreibt der französische Arzt A.P. Le ca mit unverhohlener Bewunderung: »Seine Potenz war derart groß, daß er sogar mit seinen heiratsfähigen Töchtern verkehrte und auch von ihnen zahlreiche Kinder bekam.« (Leca 1984,127) Ramses III., »der Tüchtige«, »der Gute«, ließ seine inzestuösen Beziehungen in seinem Pa last von Medinet Habu, »der Wohnung des lebendigen Gottes auf Er den« (BrunnerTraut 1987,226), verewigen: Der »fromme«, bis auf die Sandalen nackte Pharao krault mit der einen Hand sein kleines, eben falls nacktes Töchterchen, das vor ihm steht, am Kinn, während seine andere Hand in seinem nackten Schoß spielt. Und so liest sich die »wissenschaftliche« Beschreibung der Darstel lung im Tempel Ramses III., in Medinet Habu, »wo der König bei sei nem Aufenthalt in Theben mit seinen Töchtern gewohnt hat. Dort zei gen Wandreliefs Pharao auf einem königlich ausgestatteten Klappstuhl und vor ihm, nur mit Krone, Schmuck und spitzschnabeligen Sandalen angetan, ein stehendes Mädchen. In zarter Gebärde krault der König dem geliebten «Kind» das Kinn, während die junge Dame im Begriff ist, den Arm ihres Vaters zu liebkosen.« (BrunnerTraut 1987,25) Daß nicht nur das Mädchen bis auf ein Diadem, Sandalen und Schmuck unbe kleidet, sondern auch der zart kraulende Pharao nackt ist, übersieht die Autorin verschämt. Es könnte doch ein eigenartiges Licht auf den idealisierten Papa werfen, wenn man richtig hinsehen würde. Ein an derer Ägyptologe ist davon angerührt, daß ausgerechnet der Protago nist dieser zu Herzen gehenden Szene einem Attentat zum Opfer fiel: »Die schlanken, zierlichen Geschöpfe betätigen sich vor ihrem im Schmuck der blauen Krone thronenden Herrn stehend als Partnerin nen beim Brettspiel und halten ihm duftende Blumen an die Nase. In
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einem Fall faßt er sein anmutiges Gegenüber liebkosend unter das Kinn. Man kann das Idyll dieses zwanglosen Verkehrs nicht betrachten, ohne zugleich daran zu denken, daß gerade dieser Herrscher einer Ha remsintrige zum Opfer gefallen ist.« (Lange 1952,172) Kein Wunder, wahrscheinlich hatten die Mütter genug davon, ihre kleinen Mädchen vom inzestuösen Göttergatten für seine pädophilen, sexuellen Vorlie ben mißbraucht zu sehen. Wie es um die hochstehende Moral und Ethik« der Pharaonen be stellt war und wie sie kleine Mädchen als Lustobjekte mißbrauchten, wird in einem leicht durchschaubaren Märchen aus den »Wunderge schichten am Hofe des Königs Cheops« aufgezeichnet. Die Lustfahrt des Snofru auf dem See beginnt damit, daß der König zwanzig uner fahrene Mädchen mit makellosem Körper und jungen Brüsten, die
Abb. 32: Der nackte Vater, Ramses HL, spielt mit seinem ebenfalls nackten Töchterchen.
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noch nicht geboren haben, zu bringen befiehlt. Anstelle der Kleider will er sie mit Perlennetzen behängt sehen. Die Beschönigung dieser Ge schichte, in der Frauen zu Lustobjekten des Königs degradiert werden, tönt folgendermaßen: »Diese Lustfahrt hat einen mythologischen Hin tergrund, indem diese Mädchen als Hathorfiguren ihn, den irdischen Re, zu symbolischen Gefilden gerudert haben. Wenn die Mädchen Per lennetze »anstelle ihrer Kleider« trugen und nicht wie Hathor »über ihrem Gewand«, so mag selbst darin kaum eine Abwandlung ins Pro fanSinnliche erblickt werden, denn Hathor liebt die Entblößung.« (BrunnerTraut 1987,25) Nicht profansinnlich sind Pharaos sexuelle Ausschweifungen zu werten, sondern »mythischreligiös«, wie es auch das folgende Beispiel zeigt: »Die ausschlaggebenden Gründe (für den väterlichen Inzest) sind, wie es scheint, gewiß in erster Linie ritueller Art, im Umfeld der göttlichen Gesellschaft, die die andauernde Demonstration des überir dischen Wesens des Königs ausmachte, denn in erster Linie war Pharao der inkarnierte Weltordner.« (Desroches Noblecourt 1986,46)
Der VaterTochterInzest im indoarischen Patriarchat Die Forscherin Carola MeierSeethaler schreibt über den sexuellen Mißbrauch: »Es braucht wenig Phantasie, um sich vorzustellen, wie klein der Schritt von der Verfügungsgewalt der Väter über ihre Töch ter bis zum Niederreißen der Inzestschranke zwischen Vater und Tochter war. Tatsächlich haben sich alle patriarchalen Kulturen über die ma trizentrischen Inzesttabus mehr oder weniger hinweggesetzt, und es wurden nicht nur aus dynastischen und erbstrategischen Gründen weibliche Verwandte geheiratet, sondern immer standen die weiblichen Mitglieder des Haushalts, seien es Töchter, Mündel oder Dienerinnen, in der Gefahr, vom Hausherrn oder von dessen Brüdern und Söhnen sexuell mißbraucht zu werden.« (MeierSeethaler 1988,269) Die Religionswissenschaftlerin Wendy Doniger O'Flaherty unter suchte den Ursprung von VaterTochterInzest und Vergewaltigung und kommt zum Schluß, daß diese Praktiken in den indoeuropäischen My then hervorstechen. Wie die indoiranische und die indische ist auch die ägyptische, die sumerische, europäische und griechische Mythologie voller Inzest und Vergewaltigungsszenen. »Wenn man das griechische und keltische Material untersucht, beginnt man zu vermuten, daß es in
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doeuropäisch ist. Einige Freudianer (und vielleicht viele Jungianer) würden vorschlagen, daß dies in der Tat universal sei, doch dies muß erst bewiesen werden.« (O'Flaherty 1980,113) Auch Immanuel Veli kovsky bestätigt den indoarischen Ursprung des Inzests: »Die klassi schen Autoren irrten nicht in ihren Mitteilungen von inzestuösen Hei raten unter den IndoIraniern oder Persern. In religiösen und juristi schen Texten der Pahlavi gibt es zahlreiche Hinweise dafür.« (Veliko vsky 1969,109f) Frauenmord, Frauenbeschneidung, Freiheitsberau bung, Vergewaltigung, Kinderehen und Inzest sind Beispiele dafür, wie im patriarchalen Denken durch jahrtausendelange Indoktrinierung und religiöse Rechtfertigung aus Verbrechen »altehrwürdige Bräuche«, un antastbare »Traditionen« oder »GentlemenDelikte« wurden. Gewalt gegen Frauen ist kein »natürlicher« Wesenszug von Männern; »sie wird den Männern durch eine ganze Reihe von Institutionen eingeimpft. Re gierungsorgane tolerieren nicht nur männlichen Sadismus gegen Frau en, sie fördern und billigen ihn in jeder von Männern beherrschten Kultur auf der Welt.« (French 1992,230) Heute leben Frauen in vielen Teilen der Welt in vollkommen men schenunwürdigen und rechtlosen Zuständen. »Manchmal begründet oder rechtfertigt sich diese Behandlung mit der Berufung auf Tradition und Sitte, aber es sind nicht die Tradition und die Sitte, die diese Hand lungen ausführen, es sind Personen. Ganz konkrete, vierdimensionale, leibhaftige Menschen sind es, männliche Menschen, die als Vollstrecker der Gewalt auftreten und ihren Frauen, ihren Töchtern das Leben zur Hölle machen sie einsperren, bedrohen, schlagen, töten«, schreiben die beiden Autorinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer in ihren Re portagen aus der orientalischen Despotie: Das Gewissen der Männer«. (Benard/Schlaffer 1992,187) Die beiden Frauen klagen nicht nur die orientalischen Männer an; auch die Politiker und Entwicklungshelfer aus unseren Ländern tragen eine Mitschuld daran, weil diese unwürdi gen Bedingungen, unter denen Frauen leiden, für sie kein Thema sind. Es ist die »Schuld des Mitwissenden, der dem Opfer seine Hilfe ver wehrt und im Angesicht krasser Gewalt einfach schweigt«, (ebda. 10) »Wenn wir diesen Frauen, um Kritik zu vermeiden, unsere Solidarität verweigern, dann haben wir nicht nur diese Frauen verraten, sondern auch den besten Teil unserer Zivilisation: unseren Glauben an Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit, der sich nicht mit billiger Apologetik be friedigen läßt, sondern manchmal auch nach Konfrontationen ver langt.« (ebda. 10)
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»Die Mythen bleiben lebendig. Dem etwas entgegensetzen zu wollen bedeutet, sich auskennen zu müssen.« (Matthias Heyl)
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KAPITEL 8
Die Rolle der Religion und der religiösen Mythen bei der patriarchalen Machtnahme
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ür die Menschen der vorpatriarchalen Zeit war die Frau aufgrund ihrer Fähigkeit, Kinder zu gebären, Trägerin des Schöpferischen und Göttlichen, und selbstverständlich war für sie, daß die ersten Men schen von einer Großen Ahnfrau einer Magna Mater geboren wor den sein mußten. Die mit dieser Sicht verbundene Wertschätzung der Frau und ihre angesehene und respektierte Rolle in der Gesellschaft war mit dem totalitären Machtanspruch der patriarchalen Eroberer un vereinbar. Doch Gewalt allein genügte nicht, um die Frauen aus ihrer wichtigen Position zu verdrängen. Es mußten noch andere Mittel ge funden werden, um die Verfolgung und Entrechtung der Frau als »Be freiung« und als rechtmäßig zu legitimieren. Eines davon war ihre Ab wertung durch Verleumdung. Das weiblichschöpferische Element und die geistigen und seelischen Qualitäten der Frauen, die eine friedliche und wahrscheinlich gerech tere Welt für alle Menschen während Zehntausenden von Jahren ge währleistet hatten, mußten den Menschen als Täuschung und Verken nung der »wahren« Tatsachen aufgeschwatzt werden. Ein schwieriges Unterfangen: Menschen, die jahrtausendelang im Vertrauen auf ihre Wahrnehmung gelebt, ihren eigenen Augen und ihrem Verstand ver traut und daraus ihre Religion abgeleitet hatten, mußten davon über zeugt werden, daß sie sich getäuscht hatten und die »wahren« Schöpfer männlich seien. Den Menschen wurde mit Mythen, Märchen, Legen den und »Offenbarungen« beigebracht, den patriarchalen Lügen zu glauben, statt selber zu denken. Nicht mehr der mütterliche Schoß sollte die Quelle des Lebens sein, sondern männlicher »Geist« und männliche Götter. Mit List und Lug erfanden die Propheten der neuen männlichen Götter raffinierte Geschichten, in denen die alten Glaubens überlieferungen umgedeutet wurden, durch die die Menschen von der »männlichen« Schöpfungs und Gebärfähigkeit und einem UrGott überzeugt werden sollten, der das Universum erschuf. Es war nicht die »primitive, frühe Menschheit^ die diesen Unsinn erfand, »sondern
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männliche Priester rangen um eine Weltdeutung, welche die Göttin wegerklärte«. (Weiler 1991,58) Nach der gleichen Methode diskrimi nieren noch heutige Autoren die Göttinnen, selbst wenn sie sich be zeichnenderweise vordergründig als »Aufklären der Diffamierung und Ermordung der Göttin verstehen. So bezeichnet etwa John A. Phillips die matriarchale babylonische Göttin Tiamat als »die furchtbares »tückische Drachenmutter«, ihren brutalen Mörder aber unkritisch als »jungen KriegerGott« und männliche Götter als »gütige Partner«, die die Göttinnen ersetzen. (Phillips, 1987,14) Die verschiedenen neu erstandenen Priesterschulen rangelten um die Macht und rivalisierten aus wirtschaftlichen Interessen um die Vor machtstellung für ihren Hauptgott, der allen ändern Göttern vorausge gangen sein sollte. In Memphis war es der Vatergott Ptah, in Heliopo lis der Sonnengott Re, in Theben war es Amun, dem die Ehre des Schöpfergottes zugeschrieben wurde. Der omnipotente Amun soll sich ohne Mutter aus dem UrEi selbst geschaffen haben. Durch Mastur bation (Re »vermählte sich mit seiner Hand«) oder durch eine phanta sierte schöpferische Kraft des Denkens und des Wortes zeugte der »Selbsterzeuger« danach die Geschöpfe, gemäß dem Willen seiner Er finder. Er behauptet: »Mannigfaltig sind die Gestalten, wie sie aus mei nem Munde hervorgegangen sind.« (BrunnerTraut 1988,8) Erstmals wurden die Göttin, die geschlechtliche Vereinigung und der weibliche Uterus als überflüssig erklärt; der nicht mehr aus einer Frau geborene sterbliche Mensch sollte durch das »Wort« unsterblich werden. Der Vorstellung von der Schöpfung durch die Kraft des Wortes be gegnet man zum ersten Mal in Sumer, und sie ist auch aus Assyrien und Babylon überliefert. Der Sumerologe Samuel Noah Kramer vermutet, daß diese Idee aus dem Vergleich mit der menschlichen Gesellschaft re sultierte: Wenn schon ein irdischer König fast alles, was er wollte, durch Befehl erreichen konnte, also durch nichts mehr als das Aussprechen von Worten, dann mußte dies überirdischen und unsterblichen Göttern um so leichter möglich sein. (Kramer 1963,115) Der babylonische Schöpfungsmythos »Enuma Elisch« berichtet vom siegreichen Kampf der neuen patriarchalen Götter gegen Tiamat, die »Große Mutter, Schöpferin und Hüterin des Universums«. In einem grausamen Duell wird die Göttin geschlagen, und der Emporkömmling Marduk nimmt ihren Platz als oberster Gott ein. Der Mythos schildert die Ermordung der Großen Göttin:
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»Er schoß einen Pfeil ab, zerriß ihr den Bauch, ihr Inneres zerfetzte er und durchbohrte ihr Herz. Als er sie bezwungen hatte, setzte er ihrem Leben ein Ende. « In diesem Mord an der Schöpfergöttin durch den männlichen Krie gerGott will ein heutiger Autor, nachdem er selbst zu einem ausgiebi gen Kahlschlag gegen sie ausgeholt hat, den »Initialakt der Schöpfung des Kosmos aus dem Chaos« sehen. (Phillips 1987,15) Die Fortsetzung des Mythos erklärt die männliche »Schöpfung«. Marduk hat, bevor er zum obersten Gott gewählt wird, noch eine rätselhafte Prüfung zu be stehen, die aber den Schlüssel zum Erfassen des Mythos beinhaltet: »Sie legten ein Gewand in ihre Mitte; zu Marduk, ihrem Erstgeborenen, sag ten sie: »Wahrlich, oh Herr, dein Schicksal ist über das der ändern Götter erhaben. Befiehl zu zerstören und neu zu entstehen und so wird es geschehen! Durch das Wort deines Mundes laß das Gewand zerstört werden; befiehl aufs neue, und laß das Gewand wieder ganz werden! Er befahl mit seinem Munde, und das Gewand wurde zerstört. Und wie der befahl er, und das Gewand ward wieder heil. Als die Götter, seine Väter, die Kraft seines Wortes erkannten, da frohlockten sie und hul digten ihm und sagten: Marduk ist König.« (Heidel zit. Fromm 1974, 146)
Abb. 33: Der patriarchate »Drachentöter« Marduk kämpft gegen die Große Göttin Tiamat.
»Die Bedeutung dieser Prüfung liegt darin«, schreibt Erich Fromm, »zu zeigen, daß der Mann seine Unfähigkeit zu natürlichem Schöpfer tum einer Fähigkeit, die nur die Erde und die Frauen haben durch
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eine neue Art des Schöpfertums, nämlich das des Wortes (oder Den kens) überwunden hat. Marduk, der auf seine Weise etwas erschaffen kann, hat die natürliche Überlegenheit der Mutter überwunden und kann daher an ihre Stelle treten.« (Fromm 1974,146f) Der biblische Gott verleibt sich Marduks Erfindung ein; er schuf die Welt durch das Wort. »Wenn er spricht, so geschieht es, wenn er gebietet, so steht es da.« (Psalm 33,9) Der babylonische Marduk, der identisch ist mit »AsAri«, wird unter dem griechischen Namen »Osiris« als Gott mit dem Hirtenstab der arischen Viehzüchter in Ägypten verehrt. Er ist das Vorbild des späteren Jahwe, der seine Macht mit keiner weib lichen Gottheit teilen will. Er ist »König, Herr, Meister, Richter und Va ter. Das Fehlen von weiblichen Symbolen für Gott kennzeichnet Ju daismus, Christentum und Islam in auffälligem Gegensatz zu den übri gen religiösen Überlieferungen der Welt.« (Pageis zit. Phillips 1987,16) Spirituelle Hirnwäsche in Form von Mythen und Legenden, die als göttliche »Offenbarungen« deklariert werden, sind bis heute Bestandteil der Staatsmacht, um das Volk zu beherrschen und es zu lehren, die Götter der Macht und des Mammons und ihre Repräsentanten auf Er den zu fürchten und ihnen zu gehorchen. »Unterwerfung unter mensch liche Herrschaft wird als Akt der Unterwerfung unter Gott verklärt. Der psychische Mechanismus der Selbstbestrafung, das schlechte Ge wissen, reglementiert schließlich alle individuellen Regungen: Verin nerlichte Gewalt erscheint als Resultat freien Entschlusses. Ohnehin bestehendes Leid wird religiös überhöht: ontologisiert, nicht kritisiert.« (Kahl 1986,19) Priesterkasten tauchen immer im Gefolge der arischen Eroberer auf und nehmen ihren Platz als Helfershelfer an der Seite der Unterdrücker ein. Wo immer IndoArier auftauchen, »entsteht das Bild einer Gruppe von aggressiven Kriegern, die von einer hochgestellten Priesterkaste begleitet wurde, und die in die jeweiligen Länder zuerst einbrachen und sie eroberten, um dann die dortige Bevölkerung zu beherrschen. (Stone 1988,104) Mit größter Wahrscheinlichkeit ist sowohl das männ liche Priestertum wie das männliche Königtum indoeuropäischen Ur sprungs. Der Indogermanist Polome stellte fest: »Das Vorhandensein einer »Priester«Klasse ist entscheidend für die typologische Charakteri sierung der indoeuropäischen Gesellschaft.« (Polome JIES 1985, 26) Diese Tatsache betont auch Eduard Meyer: »Von ganz wesentlicher Be deutung ist«, schreibt Meyer, »daß sich bei den Ariern ein vollent
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wickelter berufsmäßiger Priesterstand gebildet hat.« (Meyer 1909,824) Die ägyptische Priesterschaft der SemPriester ging aus der Schmiede kaste der »ShemsuHor« hervor, die aufgrund ihrer Fähigkeit, Erde in Metall zu verwandeln, als »Magier« (Schamanen) angesehen wurden. Sie unterschieden sich in nichts von den Beamten, sie waren auch keine geistigen Führer des Volkes (Sauneron, LdÄK 1960,202), und die Grenzen männlicher Machtpolitik und patriarchaler Religion ver wischten sich: »Soweit man im alten Ägypten überhaupt einen Unter schied zwischen Kirche und Staat machen kann, sieht man, daß beide einander unterstützten.« (Ions 1982,15) Die Priesterkaste, welche den tyrannischen Herrschern mit psychischem und physischem Terror ge gen das Volk zur Seite stand, war eine dünkelhaft abgeschlossene Eli teklasse, der unter anderem zahlreiche Gewalttaten und Urkunden fälschungen nachgewiesen wurden. Trotzdem dürfe man sich sie aber »nicht ausschließlich als brutale Gewaltherrscher oder als raffinierte In triganten denken«, glaubt der Ägyptologe Günter Roeder sie ver teidigen zu müssen. (Roeder 1978,XIV) Patriarchale Herrschaft beruft sich auf Gott und meint damit faktisch den hybriden, totalitären, männlichen Herrschafts und Machtanspruch. War der Glaube an die Göttin verbunden mit der Idee be dingungsloser Liebe, gehen die patriarchalen Religionen im Dienste der Staatsmacht von einem autoritären, eitlen und strafenden Vatergott aus, dessen Liebe man sich durch blinden Gehorsam und absolute Un terwerfung gegenüber seinen Ebenbildern, den Mächtigen auf Erden, verdienen muß. Die Komplizenschaft des Establishments mit den Erfindern der neuen patriarchalen Religion, der Priesterkaste, rechtfertigt in Ägypten die Machtausübung, die dank »göttlicher Vollmacht« legitimiert wurde. Ge nau wie zu Zeiten Sargons in Sumer und Babylonien begnügten sich die Könige nicht damit, als irdische Machthaber zu gelten. Die »Gottkö nige«, die sich hebender Horus« oder »Sohn des Re« nannten, bauten sich Tempel zu ihrer eigenen Ehre und ließen sich abbilden, wie sie ihrer eigenen Person opferten. Ähnliches ist von den späteren persischen Großkönigen bekannt, von Alexander und den römischen Kaisern, die ebenfalls ihr »Gottkönigtum« als politisches Mittel einsetzten. Sie schu fen Gott im Bilde des Mannes. Ihre Vorstellung von sich selbst und von Gott war die eines unbesiegbaren überirdischen Wesens und eines un besiegbaren und allmächtigen Übermenschen. Alle späteren »höheren«
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Religionen wurden von dieser primitiven Gottesidee abgeleitet. Eine unglaubliche Menge von Publikationen befaßt sich damit, der ägypti schen Religion einen besonders vergeistigten und im Vergleich zu der »primitven« Religion der Urvölker fortgeschrittenen Anstrich zu ge ben. Doch war sie, wie Adolf Erman schrieb, »ein Durcheinander oh negleichen. Dieses Chaos hat auch später nie eine Ordnung erfahren, ja es ist in den drei Jahrtausenden, die die ägyptische Religion nach der Abfassung der Pyramidentexte noch gelebt hat, nur noch schlimmer ge worden.« (Erman 1984,297) Und an anderer Stelle schreibt Erman: »Der trübste Teil der ägyptischen Religion« sind die »Deutungen und Phantasien, denen die Priester ihren Glauben unterworfen haben. Sie haben dies von jeher mit Vorliebe getan, und der Ruf tiefsinniger Weis heit, in dem die Ägypter bis in unsere Zeit gestanden haben, gründet sich vor allem auf diese Art ihrer Wissenschaft.« (Erman 1934,88f.) Wie die sumerische Weltentstehungslehre entbehrt auch die ägypti sche Religion der inneren Logik. Alan Gardiner nennt sie ziemlich re spektlos: »a vast accumulation of mythological rubbish«, »eine große An sammlung mythologischen Plunders^ Und Gaston Maspero schrieb 1893, nachdem er 25 Jahre als Ägyptologe gearbeitet und sich einge hend mit den religiösen Texten befaßt hatte: »... mußte ich zugeben, daß sie nichts von der Weisheit enthielten, die andere in ihnen gesehen hatten.« (zit. Bernal 1992.390) Was unter der vielgepriesenen pharaonischen Frömmigkeit zu ver stehen ist, schildert der Ägyptologe James Breasted: »Um was diese Könige beteten, war nicht Charakter und untadeliges Leben: sie be gehrten materielle Güter.« (Breasted 1954,254) Das Ziel ihrer religiösen Anstrengungen war, sich Behaglichkeit, Bequemlichkeit und Reichtum in dieser Welt und die entsprechende Fortsetzung in der nächsten zu sichern. Daß diese Ziele lediglich für die Oberschicht Gel tung hatten und auf Kosten des ausgebeuteten Volkes gingen, versteht sich von selbst. Dem versklavten Volk gestand in der Pyramidenzeit die selbstherrliche Priesterschaft nicht einmal den Zutritt zum Jenseits zu. Die königliche Kumpanei mit den Priestern war eine wichtige Stütze der neuen Staatsordnung des Alten Reiches, denn der Klerus segnete die Lehre von den königlichen Privilegien als »göttlichen Willen« ab. Nicht nur der König, auch der Klerus gelangte dadurch zu außerge wöhnlicher Macht. Zu den Ländereien des Gottes Amun von Theben gehörten 433 Gärten, 46 Werkstätten und 56 Ortschaften, nahezu ein
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Zehntel Ägyptens mit 86'000 Menschen, 400'000 Stück Vieh und eine Flotte von 87 Schiffen. Dieser dem Volk gestohlene Besitz »war ein nicht hoch genug einzuschätzendes Machtmittel, das der Klerus verbis sen gegen Neider verschiedenster Art verteidigen mußte, gegen die in Zeiten der Wirren von ihrer Habe Vertriebenen, gegen Soldaten und Ausländer und sogar gegen den jeweiligen Nachbartempel. Aber nach jeder vorübergehenden Verarmung machte ein gottesfürchtiger Mann Gebrauch von seinen Verbindungen und stellte mit List und Geduld den Besitz seines Gottes wieder her.« (Montet 1975,121) Der von den neuen Herrschern in Ägypten praktizierte Sonnen und Lichtkult entstand im kalten Norden, wo die Winter lang und die Sehn sucht nach der belebenden Energie der Sonne, die das Leben garantiert, groß ist. In heißen Gegenden fürchteten die Menschen die zerstörende Glut der Sonne und verehrten die Mutter des Universums im Mond und den Gestirnen. Die nordischen Einwanderer brachten den Sonnenkult im 4. Jahrtausend nach Mesopotamien, von wo er dann nach Äypten, Persien und Indien gelangte. »In den zahlreichen Siegelfunden in Süd Babylonien finden wir die ganze Symbolik der jungsteinzeitlichen Son nenreligion, die wir aus den nordischen Felszeichnungen kennen« (Engler 1962,48), typisch dafür die geflügelte Sonnenscheibe. A.H. Sayce, der die ägyptische Religion mit der sumerischen, ba bylonischen und assyrischen verglich, machte bereits 1902 klar: »Die pharaonischen Ägypter waren asiatischen Ursprungs, und not wendigerweise brachten sie ihre religiösen Ideen aus ihrer östlichen Heimat mit.« (Sayce 1902,233f) Sayce stellte eine auffallende Überein stimmung der Sonnengötter und der göttlichen Attribute in den beiden Kulturen fest und betont, daß der Sonnenkult nicht die ursprüngliche Religion der eingeborenen mesopotamischen Bevölkerung war. »Das offizielle System der babylonischen und assyrischen Religion, wie es uns aus priesterlichen Texten und öffentlichen Inschriften bekannt ist, trägt deutliche Merkmale, daß es alles andere ist als eine Darstellung des volkstümlichen, überlieferten Glaubens. Es ist durch Priesterschaft und Staatsgewalt in der gleichen Weise künstlich ausgebildet wie die offizi elle Religion des alten Ägypten, das heißt: es ist eine für Regierungs zwecke veranstaltete, künstliche Kombination aus Elementen, die ei ner Anzahl lokaler Kulte entlehnt waren. Höchst wahrscheinlich war die wirkliche Religion der Volksmassen weit einfacher als das offizielle System.« (Smith 1899,10)
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Ra oder Re, der ägyptische Sonnengott, geht zurück auf den babylo nischen Sonnengott »Ria«. Er ist die Verkörperung und Personifikation der Sonne, deren göttliche Lichthaftigkeit besonders durch die Gestalt des Falken und die Augen des Himmelsgottes, des Sonnenauges, und die goldene Farbe symbolisiert wird. Sonnengott und Sonnenauge, die in der ägyptischen Religion eine hervorragend Rolle spielen, finden sich auch bei den arischen Göttern Indiens und des Iran: Varuna und Mit Ra stehen in Beziehung zur Sonne; sie ist sowohl das Auge des Varuna und des Mitra, der der Gott der Sonne und der Tageshelle ist. Der ira nische AhuraMazda, der Gott der Arier, ist mit dem arischindischen Varuna identisch, und Ahura ist wiederum identisch mit dem ägypti schen Hör (us). Der in der arischen Mythologie Mesopotamiens ver ehrte Sonnenfalke »Har« wird in Ägypten zu »Hor« (griechisch Horus). Er ist die Verkörperung des Sonnengottes. W. A. Budge wies 1904 darauf hin, daß Ägyptologen, obwohl es nicht möglich sei, eine absolute Identität zwischen der arischen und der ägyp tischen Religion zu beweisen , den Unterschied nicht vollständig er kannt hätten, der zwischen dem vordynastischen und dem asiatischen Element in der ägyptischen Religion bestehe. »Das asiatische Element war zweifellos von solarem Charakter und in Ägypten durch die Nach folger von Horus« bzw. der »Waffenschmiede« eingeführt worden, die ins Land eindrangen, die Einheimischen besiegten, sich niederließen und die dynastische Zivilisation, die wir Ägypten nennen, errichteten.« (Budge 1904/1969,1/Xiif) Stephen Langdon bemerkte »derart beein druckende Ähnlichkeiten zwischen den wichtigen religiösen Glau bensformen der Sumerer und Ägypter«, daß es notwendig scheine, »zwischen ihnen eine Verbindung irgendeiner Art anzunehmen«. Lang don betont, daß die ägyptische Religion eindeutig verwandt mit der sumerischen und nicht semitischer Herkunft sei. Er schreibt weiter: »Trotzdem muß für den Moment das Problem rassischer Verwandtschaft oder kultureller Einflüsse zwischen dem prähistorischen Ägypten und Sumer dahingestellt sein. Doch diese Dinge existieren und können nicht wegerklärt werden.« (Langdon JEA 7,1921,134f) Die scharfsinnigen Forschungsergebnisse dieser Gelehrten wurden nicht wegerklärt, sondern stillschweigend übergangen und die Frage nach der Herkunft dieses fremden Kultes in Ägypten nicht gestellt. Der Sumerologe Samuel Noah Kramer weist nach, daß die sumerische Re ligion nicht nur die ägyptische, sondern alle späteren Religionen des
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Nahen Ostens, inklusive der hebräischen, der griechischen, der hethiti schen, der christlichen und der muslimischen bis in die heutige Zeit tief beeinflußt hat. (Kramer »Sumerian Mythology« 1944) Mit der Zeit ent stand »ein Gemisch aus der ursprünglichen Religion und arischen Göt tern«, betont E. A. Budge, auf die arische Herkunft des offiziellen Kul tes hinweisend. (Budge 1969,I,xiv) »Die komplizierten Theologien, die etwa in Heliopolis und Hermopolis entwickelt wurden, waren das Fabrikat der Priester, sie wurden exklusiv gehalten und waren für das gewöhnliche Volk unzugänglich. Die spitzfindigen (subtle) Schöpfungs Mythen und das Benehmen der Götter zogen das Volk kaum an, und es wußte auch nicht viel darüber.« (James 1989,132) Die Funde aus der vorpharaonischen Zeit deuten auf einen Him melskult, eine Verehrung der Sterne und des Mondes. Eine Schiefer palette aus der Mitte des 4. Jahrtausends zeigt eine kuhköpfige Gott heit, die von Sternen umkreist wird und deren erhobene Arme in Ster nen auslaufen. »Die frühesten Belege zeigen nicht die Sonne, sondern einen Stern zwischen den Hörnern der Himmelskuh.« (Assmann LÄ/IV/270) »In einigen alten Mythologien ist die kosmische Kuh die AllMutter die Schöpferin des Universums. Mit einem Schütteln ih res Euters erschafft die gehörnte Mondkuh den Sternenhimmel; ihr ent strömt die Milchstraße in üppigem, niemals endendem Strom.« (John son 1990,284) Die Darstellung der Großen Göttin als Kuhkopf ist kein Zufall, sie entspricht genau heutigen wissenschaftlichen Zeichnungen des Uterus
Kuh und Sternengöttin, aus der vordynastischen Zeit, b) wissenschaftliche Zeichnung des Uterus, der Eileiter und der Ovarien
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mit Ovarien und Eileitern, was wiederum auf die erstaunlichen medizi nischen Kenntnisse der vordynastischen Ägypterinnen schließen läßt. Die stilisierte weibliche Figur mit den erhobenen Armen ist eines von verschiedenen Symbolen für die Himmels und Mondgöttin, die Königin der Sterne, die ihre Kinder sind. Alle orientalischen Länder verehrten zuerst den Mond und erst nach den arischen Eroberungen die Sonne. Der Mond war die ewige »Große Mutter«. Sie »schuf die Zeit mit all ihren Kreisläufen von Schöpfung, Wachstum, Verfall und Zer störung; alte Kalender beruhten deshalb auf den Mondphasen und Menstruationszyklen«. (Walker 1993,734) Die offensichtliche Verbindung des Mondes mit den Menstruations Zyklen und dem weiblichen »MondBlut«, welches im Mutterschoß das ungeborene Leben nährt, machte den Mond zum primären Symbol der Muttergöttin. Im vorislamischen Arabien hatte die Mondgöttin eine derartige Vorzugsstellung, daß ihr Emblem, die Mondsichel, noch heute die Flaggen islamischer Länder ziert, von denen viele außerdem noch in den drei Farben der Mondgöttin rot/weiß/schwarzgrün gehalten sind. Die GöttinnenDreifaltigkeit von Arabien, »Manat«, bedeutete dreifacher Mond«. »Der ursprüngliche Allah des Landes war AlLat, Teil der weiblichen Dreiheit zusammen mit Köre oder Q're, der Jung frau, und AlUzza, der Mächtigen... Die erste Sammlung von Gesetz büchern wurde ihnen zugeschrieben und hieß Koran, das Wort der Kö re.« (Walker 1993,54) Der Schwarze Stein von Mekka ruht im Haram, dem Heiligtum, das früher ein Frauentempel war. »Der größte mittelalterliche Dichter der Sufis, Ibn alFarid der »Sultan der Liebenden« sagte, daß wahre Gött lichkeit weiblich sei, und Mekka der Schoß der Erde. Ibn elArabia, der »größte Meister« der Sufimystiker, wurde der Blasphemie angeklagt, weil er gesagt hatte, die Gottheit sei weiblich.« (ebda. 56) AlLat, iden tisch mit der babylonischen Allatu, wurde erst spät (im 7. Jahrhundert u.Z.) von Mohammed vermännlicht und ihre Schreine usurpiert oder zerstört. Ihr Symbol war die Mondsichel und das Tragen des Mondsi chelAmuletts das sichtbare Zeichen für die Verehrung der Göttin. Plutarch sagte, die Auswirkungen des Mondes sind denjenigen von Ver stand und Weisheit ähnlich, wohingegen diejenigen der Sonne physi sche Kraft und Gewalt bewirkten, (s. Walker 1993, 733ff und 54ff) Jedoch war die vordynastische Religion Ägyptens kein »Fruchtbar keitskult«, wie dies oft behauptet wird. Forscher wie Carl Hentze haben
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darauf hingewiesen, daß »Fruchtbarkeitssymbolik an sich niemals eine Religionsform ist, sondern eine religiöse Teilerscheinung innerhalb ei ner Religion bildet. Er betonte zugleich, daß eine Religion ein Ge samtweltbild voraussetzt, denn Kulturerscheinungen seien niemals iso liert zu betrachten, es gehe immer darum, den Aspekt des Denkens von der Mitte aus zu gewinnen, also vom Weltbild ausgehend.« (König 1981,22) Seit dem Beginn des dynastischen Ägyptens existierten zwei Reli gionen nebeneinander. Obwohl die offizielle, pharaonische Sonnenre ligion so dargestellt wird, als ob hier zum ersten Mal eine »echte« Reli gion in Erscheinung träte, existiert die jahrtausendealte matriarchale Göttinnenreligion weiter. Heute wird die Volksreligion Ägyptens, d.h. die Verehrung der Göttin, von den Wissenschaftlerinnen gern als heid nisch, Abgötterei, Aberglaube oder Vulgärreligion abgestempelt.
Die Machtnahme in Ägypten im Mythos von Horus und Seth Horus oder Har, der patriarchale Kriegsgott der Eroberer, der schon früh mit dem Sonnengott Re identifiziert wurde, ist im Mythos der Kämpfer gegen die ursprüngliche, wohlwollende Gottheit Oberägyp tens, Seth. Seth wird vom patriarchalen Klerus zum Inbegriff des Bö sen, der Finsternis und des Verderbens verketzert. Aber die Gottheit wird nicht wie Tiamat in Babylonien in ihrer ursprünglichen, weiblichen Gestalt verfolgt, sondern in einer ins Männliche gewandelten. (Viel leicht eine Vorsichtsmaßnahme gegen den Widerstand der Bevölke rung?) Damit wurde nicht nur vorgegeben, daß schon die Gottheit der vorpharaonischen Zeit männlich war, sondern auch, daß diese Gottheit böse und deshalb vernichtungswürdig sei. Folglich konnte der Kampf gegen die ursprüngliche Göttin geradezu als Verdienst der neuen Herr scher dargestellt werden, mit dem das ägyptische Volk von chaoti schen, feindlichen« Göttermächten erlöst wurde. Die betrügerischen Behauptungen aller späteren Eroberer, die sich als »Heilsbringer« und »Befreier« deklarieren, nahm hier ihren mythologischen Anfang.
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Der Kampf zwischen Horus und Seth und der Mord an der Großen Göttin Der ägyptische Loskalender erinnert an den schrecklichsten Tag« in der Geschichte Ägyptens, an dem der Kampf zwischen Horus und Seth stattfand. »Am Tore der Götter von Babylon« drangen die beiden Ri valen aufeinander ein, indem sie sich in zwei Nilpferde verwandelten. Sie machten es drei Tage und drei Nächte lang so. Dann warf Isis ihre Harpune hinunter auf sie, und sie drang in Horus ein. Der schrie: »Ich bin doch dein Sohn Horus!« Da rief Isis der Harpune zu: »Löse dich, löse dich von meinem Sohn Horus!« Dann warf sie eine andere Harpune hinunter, und die fuhr in ihren Bruder Seth. Der brüllte laut: »Ich bin doch dein Bruder Seth!« Sie aber rief der Harpune zu: »Bleib stecken, bleib stecken!« Da rief Seth ihr zu: »Liebst du den fremden Mann Horus mehr als deinen leiblichen Bruder?« Da wurde ihr Herz von Mitleid überwältigt, und sie rief der Harpune zu: »Löse dich, löse dich! Er ist doch mein leiblicher B rüder. « Doch die Majestät des Horus wurde wü tend gegen seine Mutter Isis wie ein oberägyptischer Panther. Sie floh vor ihm, aber Horus schnitt Isis den Kopf ab, worauf sie mit einem Kuh kopf als »Erste der Kühe« erschien, (nach BrunnerTraut 1988,21) Einige Wissenschaftler (u.a. Gaston Maspero) hatten erkannt, daß der Mythos vom Kampf zwischen Horus und Seth den Kampf der ur geschichtlichen ägyptischen Bevölkerung, die Seth verehrte, gegen die asiatischen Eroberer, die Horus nachfolgten, symbolisierte, und der englische Ethnologe James George Frazer vermutet, daß in den ägyp tischen Kampfmythen um den Königsthron die Erinnerung an einen realen Krieg enthalten ist und an den Versuch, die weibliche Thronfolge durch die männliche zu ersetzen. (Frazer 1926,53) Der Mythos stellt eine ausdrückliche Verbindung zu Mesopotamien her und nennt den Ort des Kampfes »vor den Toren der Götter von Ba bylon«, der Stadt, die auch »CheriAha« genannt wurde. Interessanter weise wird in den Pyramidentexten einem der ersten Könige der l. Dy nastie, dem »kämpfenden« CherAha (dessen Name unmißverständlich in Verbindung steht mit CheriAha/Babylon; »aha« ist die sumerische Wortwurzel für »kämpfen«), eine Rolle im Kampf von Horus und Seth zugewiesen. Horus repräsentiert und ist der König, und der Babylonier CherAha dürfte somit mit dem »fremden Mann« identisch sein. Auf seine fremde Herkunft weist auch ein anderer Mythos (von Edfu) hin.
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Hier nennt Seth den Eroberergott einen »Mdj«. »Medj« sind die Be wohner von Medja, welches der alte Name des nordwestlichen Teils des frühen arischen Persiens (Irans) war. Der Ägyptologe H. Te Velde schreibt, daß Seth zu jenem Zeitpunkt an der ägyptischen Herkunft des Horus zweifelte und vielleicht annahm, daß Horus nur ein Vasall Persi ens sei. Dem Gelehrten gefällt dieser Zweifel nicht: »Horus, man muß das in Erinnerung behalten, wurde gleichgesetzt mit dem lebenden Kö nig von Ägypten.« (Te Velde zit. Griffiths LA/111/58) Das ist richtig; was aber, wenn der König in der Tat ein indoarischer Perser, ein »Medj« war? Eigentliches Kernstück des Mythos ist aber, wie in Babyloniens My thos von der Ermordung Tiamats durch Marduk, den »Sohn der Sonne« (wie sich interessanterweise auch die Pharaonen nennen), die Ent hauptung der Isis durch Horus. Erst durch den Mord an der Großen Göttin ist es dem Eroberergott möglich, ihren Platz einzunehmen. Das Verbrechen wird bezeichnenderweise nicht geahndet, eine Bestrafung findet nicht statt. (Schlichting LÄ/VI/85) Auch die Ächtung des Ver brechens durch die heutigen Wissenschaftlerinnen findet nicht statt, im Gegenteil. Eine Ägyptologin schreibt etwa: »Empfindlich ist das Recht, empfindlich auch gegen falsche Gefühle. Als Mutter Isis in einem An fall von Mitleid ihrem Bruder Seth zuhilfe kommt, schlägt Horus ihr rasch entschlossen den Kopf ab. Am Recht darf kein Tüttelchen geän dert werden.« (BrunnerTraut 1989,308) Es ist aufschlußreich, daß die Autorin das »Recht« auf Muttermord dem Recht auf Mitleid überord net. In der ganzen Literatur lassen sich keine Autorinnen finden, die sich daran stören, daß der Sohn seine Mutter enthauptet (in einem än dern Mythos vergewaltigt er sie) und daß er dafür nicht einmal zur Re chenschaft gezogen wird; und es scheint auch niemanden zu schockie ren, daß dieser MutterMörder zum ersten männlichen Gott Ägyptens aufgestiegen ist. Und niemand scheint zu merken, daß dieser mythische Muttermord den »Mord« an der urgeschichtlichen Frauenkultur und die Verfolgung der MuttergöttinnenReligion symbolisiert. Daß der Mut termörder nicht bestraft wird, bezweckt, den Frauen die Lektion zu er teilen, daß es sinnlos ist, sich der patriarchalen Macht in den Weg zu stellen. Verbrechen gegen die Rechte der Frau werden von nun an zu inferioren Delikten. Die historischen »Muttermörder« werden zu Ägyp tens berühmten Pharaonen.
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Das Thema des Muttermordes findet sich auffallend gehäuft in den indoeuropäischen Mythen, sei es im arischen Iran, wo der erste er schaffene Mann, »Gayo Mareta«, zum Mörder der Kuh bzw. der Mut tergöttin wird, sei es im arischen Indien, wo der Kriegsgott der Er oberer, IndRa, in einer Hymne des Rig Veda die Göttin Danu und ihren Sohn tötet, worauf diese ebenfalls als Kuh und Kalb wieder er scheinen. Muttermord ist auch aus dem indoeuropäisierten Griechen land, an der Bruchstelle zwischen altem Mutter und neuem Vaterrecht, bekannt. Wie aus der »Orestie«, den berühmtesten Dramen der griechi schen Klassik hervorgeht, wird Muttermord auch hier als rechtens ver teidigt und legitimiert die patrilineare Herkunft. »Wenn der erste Pro zeß vor dem neuen Gerichtshof den Beweis erbringt, daß Muttermord kein gotteslästerliches Verbrechen ist, weil keine matrilineare Bezie hung existiert, welches Argument für die alleinige patrilineare Ab stammung wäre schlagkräftiger?« (Eisler 1987,152) Muttermord sei die letzte Station auf dem Wege zum Sieg des Patriar chats, schreibt Gerda Weiler, »die endgültige Abschaffung der Großen Göttin. Der Mann verbindet sich kultisch mit dem Vatergott und legi timiert durch seine »Gottesebenbildlichkeit« patriarchale Männermacht auf Erden.« (Weiler 1991,82) Nicht nur ist der Kampf gegen die Göttin in indoeuropäischen, he bräischen und christlichen Mythen bezeugt, Tatsache ist auch, daß alle patriarchalen Religionen mit dem Mord an der Muttergöttin ihren An fang nehmen. Der Psychoanalytiker Carl Gustaf Jung rechtfertigt be denklicherweise den Muttermord als die »weltschöpferische Befrei ungstat des männlichen Logos«, (zit. Weiler 1991,44) Eine geradezu teuflische List der Mythenerfinder ist es, die Göttin so in die Geschichte zu verwickeln, daß sie mit dem Geschehen einverstan den scheint. In anderen HorusMythen nimmt sie sogar für den Er oberergott (wie Athene für Apollo) und gegen Seth Partei. Ein großar tiges Beispiel pseudoreligiöspolitischer List, der wir nicht nur hier be gegnen. Wenn Isis durch ihre Stellungnahme für die Männerherrschaft eintritt, soll damit die Meinung des Volkes manipuliert und die Macht übernahme des Patriarchats legitimiert werden. »Bei einem institutio neilen Umschwung«, schreibt Riane Eisler, »ist es sehr wichtig, daß eine führende Persönlichkeit der unterlegenen Partei, ersichtlich für alle, die neue Macht akzeptiert.« (Eisler 1987,151) In diesem Fall die Göttin Isis, wie es im Drama von Orest in Griechenland der Göttin Athene un
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terschoben wird. Aber alle Anpassung und Unterwerfung unter die pa triarchale Herrschaft nützen der Göttin nichts; in dem Moment, wo sie den männlichen Heroen erzürnt, indem sie nach eigenem Gutdünken mit Mitleid reagiert, wird sie ermordet. Eine blutige Warnung an die Ägypterinnen, sich den neuen Herrschern bei ihrer mörderischen Machtübernahme nicht in den Weg zu stellen. Während des Neuen Reiches wurde dem KampfMythos die Le gende von Seth und Osiris vorangestellt. Der asiatische AsAri/Osiris ist wie Horus ein Gott der arischen Eroberer. Das früheste Zeugnis für den OsirisKult stammt aus der 5. Dynastie. (Griffiths MAS 9,21) Im jüngeren Mythos geht es um den Königsthron, um die oberste Macht im Lande. Die Gestalt des Seth wird darin von den Mythenherstellern zum heimtückischen Brudermörder diffamiert, der seinem Bruder As ari/Osiris die »rechtmäßige« Macht entreißen will. Obwohl Seth eine Gottheit der urgeschichtlichen Bevölkerung des Niltals und somit die rechtskräftige Macht repräsentiert, wird dieser Mythos bis heute nicht als Lügenmythos entlarvt. Der »gute Gott« der Eroberer, Osiris, wird darin von Seth ermordet, in Stücke geschnitten und über ganz Ägypten verstreut. Isis, unterdessen zur SchwesterGattin des Osiris degradiert, sammelt die Stücke und setzt sie durch Magie wieder zusammen. Auf grund einer seltsam nekrophilen Idee soll sie von ihrem toten und zu dem entmannten Gatten ihren Sohn Horus empfangen haben. Als Horus erwachsen ist, will er sich für seinen Vater Osiris rächen und kämpft gegen Seth um das Erbe des Landes. Bezeichnenderweise er scheint Seth in diesem Kampf noch immer als achtunggebietender Gegner. Er ist dem jungen Gott der Eroberer, Horus, »an Alter, Kraft und Weisheit weit überlegene Es kommt zur Gerichtsverhandlung vor den Göttern: In diesem Prozeß wird der Göttin von den My thenerfindern der Satz in den Mund gelegt: »Vertraut die Würde Osiris' seinem Sohn an und begeht nicht eine große Ungerechtigkeit, sonst werde ich wütend und der Himmel wird auf die Erde stürzen. « Hier un terstützt die Göttin die ( Fehldruck)' Der Mythos zeigt, wie die fremden Eroberer, die die ägyptische Bau ernkultur besiegt hatten, mit ihrem martialischpatriarchalen Rechtssy stem matrilineares Brauchtum zu zerstören trachteten. Dabei haben
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Mythen die Aufgabe, nicht vorhandene oder unbedeutende Leistungen von Göttern und Heroen durch Legenden zu ersetzen, die ihnen über ragende und einzigartige Taten zuschreiben. »Der Gott, der keine nennenswerte Vergangenheit hat, weil er ein junger Gott von Er oberern ist, erhält eine Heldenvergangenheit. Die heilige Geschichte ersetzt den notwendigen Machterweis.« (Beltz 1982,57) Das Ringen mit der vorpharaonischen Gottheit hielt während der ganzen dynastischen Zeit an. Es gab Zeiten, in denen Seth »in höchster Achtung stand und nahezu die Rolle eines »Reichsgottes« spielte daneben aber Zeiten der Verfemung, wie sie keinem anderen ägypti schen Gott zuteil geworden ist, bis hin zur feierlichen rituellen Verflu chung und zur rituellen Tötung. Solche Schwankungen in der Ge schichte eines Gottes und seiner Wertung kennen wir sonst nicht.« (Hornung, Symbolen, Bd. 2, 49) Ungefähr an der Wende zum christlichen Zeitalter hatten die priesterlichen Diffamierungen ihr Ziel erreicht, die Hirnwäsche war ge lungen. Von Plutarch, dem griechischen Historiker (45125 u. Z.), hören wir, daß die Ägypter Seth der größten Verachtung preisgaben und alles taten, um ihn zu verteufeln oder zu vernichten. »An einer Stelle wurde eine schwarze Sau, die mit Seth assoziiert wurde, auf einem Sandaltar am Flußufer brutal in Stücke gehauen. Ein anderes Mal war es eine Schlange, die zerstückelt wurde. An einem anderen Festival wurden Fi sche und Vögel gefangen, die den Gott repräsentierten, und zertram pelt, während sie sangen »Du wirst in Stücke gehackt, und alle deine Glieder sollen auseinandergerissen werden, und jeder wird den ändern auffressen: denn Re triumphiert über all seine Feinde.«« (Armour 1989,53) Der Priesterkaste gelang es, mit ihren Lügenmythen die altägypti schen Menschen so zu verwirren und zu manipulieren, bis sie in Seth schlußendlich nicht mehr die ursprüngliche Schöpfergöttin erkennen konnten; das Resultat war derart, daß selbst die heutigen Gelehrten die Lüge nicht mehr durchschauen. Zu dieser Konfusion trug wahrschein lich ganz wesentlich bei, daß die ursprüngliche Göttin (I)Seth (von den Griechen Isis genannt) in doppelter Gestalt auftauchte. Sie wurde nach dem dualistischen Prinzip in die »gute« ISeth/Isis und den »bösen« Seth aufgeteilt. Im gleichen Zug wird die Schöpfergöttin in die dritte Gene ration, zur Enkelin des ReAtum, hinabgestuft. Als Kinder der in die zweite Generation verwiesenen Himmelsgöttin Nut und des Erdgottes
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Geb werden Isis und Osiris, Nephtis und Seth geboren. Isis wird dem asiatischen Asari/Osiris als Gattin zugeordnet, und der Kriegsgott der Eroberer, Horus, wird verjüngt und ihr als Kind unterschoben, dessen ägyptische Herkunft dadurch legitimiert werden soll. Die ursprünglich weibliche Gottheit (I)Seth wurde in enger Ver wandtschaft mit der » weiblichen Schlange der Dunkelheit gesehen und von klassischen griechischen Autoren oftmals mit Typhon, der Schlange der Göttin Gaia, gleichgesetzt, die vom Erobergott Apollon getötet wurde. In der Gestalt eines Drachen flieht Seth vor Horus in die Erde, und Re sprach: »Seth hat seine Gestalt in die eines brüllenden Drachen verwandelte Von diesem Tag an wurde die Göttin in der Stadt Edfu »die Brüllerin« genannt. (Roeder 1978,129f) Seth (eine andere Umschrift ist Zet) dürfte mit Ua Zet/Au Set, »der Großen«, der Kobragöttin der neo lithischen Zeiten verwandt sein, vermutet Merlin Stone zu Recht, denn täglich bekämpfte Re, »der Glänzende«, »Urvater des Lichtes« und »Herr des Lichtes« im Drachenmythos, der in der arischen Religion so sehr hervorsticht, die Schlange der Dunkelheit Seth, die später Apophis genannt wurde. (Stone 1988,135) Ihre Vernichtung ist das ausdrückliche Thema des sogenannten Apophisbuches. Mythenforscherinnen haben weltweit Kampfmythen gefunden zwi schen der Schlangengöttin (auch in der Gestalt von Drachen, Dämonen und Monstern) und einem patriarchalen Heroen oder sekundären Gott, der die ursprüngliche weibliche Macht vernichtet. »Da das Thema des Drachentöters in der sumerischen Mythologie des dritten Jahrtausends eine wichtige Rolle gespielt hat, darf man annehmen, daß so mancher Faden im Gewebe der griechischen und frühchristlichen Drachensagen auf sumerische Quellen zurückgeht.« (Kramer 1959,131) Das Motiv des Drachentöters ist bei den Mythendichtern aller patriarchalen Eroberer zu finden; in Sumer, Ägypten, in Griechenland und in der Bibel, wo der neue Gott der Hebräer mit einem großen, starken und scharfen Schwert den Drachen Leviathan, »die alte Schlange«, seine Widersacherin tötet. (Jes. 27,1) Es gibt noch andere Indizien dafür, daß es sich bei Seth um die ver männlichte Große Göttin handelt. Seth in der Gestalt des Schweines ist die Analogie zur Urgöttin Nut, die auch in der Gestalt eines Schweines dargestellt wird. Nut war das »Mutterschwein«, das die sterblichen Götter gebar und sie altern und sterben ließ, so wie sie am Abend die Sterne gebar und sie am Morgen wieder verschluckte. Bezeichnenderweise
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bestand das Schlachtopfer von Horus aus Schweinen, bis es als Tier ver femt wurde. Das Schwein als Glücksbringer hat sich aber in unserem Volksglauben bis heute erhalten. Eine andere Tatsache, die nicht übersehen werden darf, ist, daß sich in der ganzen weltweiten Mythologie kein Beispiel finden läßt, das ei nen männlichen Gott einer derartigen Verteufelung und Verfolgung aussetzt, wie dies mit den weiblichen Göttinnen geschah. Mögli cherweise sollte auch die Schöpfer und Muttergöttin »Mut«, lange vor Echnatons Versuch, sie auszulöschen, eliminiert werden. Jedenfalls ist interessant, daß der » Allgott« TUM (bzw. ATUM) der umgekehrte Na me der MUT, also ihre Vermännlichung ist. Die Vermännlichung von Göttinnen, besonders wenn es sich um wichtige Schöpfergöttinnen han delt, ist in vielen Kulturen belegt. Der Religionsforscher W. Robertson Smith »schreibt, daß er sehr erstaunt war, als er fand, daß die Göttinnen der alten Semiten tatsächlich in historischen Zeiten »ihr Geschlecht än derten und Götter wurden««. (Gould Davis 1987,46) Der Schriftsteller JoachimErnst Behrendt bemerkt nicht ohne Ironie: »Die linguistische Überprüfung fast aller Götternamen Europas, Asiens, Afrikas, Australiens und beider Amerika macht deutlich: Die Götter, so sehr die Herren Patriarchen sich später angestrengt haben mögen, sie zu mas kulinisieren, waren ursprünglich fast alles Frauen.« (Berendt 1985,335) Höchst aufschlußreich ist auch, daß »Set« sowohl die altägyptische wie auch die moderne arabische Bezeichnung für »Frau« ist. Dies dürf te jeden Zweifel beheben, daß Seth nicht nur die vermännlichte und verteufelte Große Göttin, sondern auch die ägyptische Frau reprä sentierte. Daß in den Mythen gleichzeitig der vermännlichte und verteufelte Aspekt der Göttin in der Figur des Seth, als auch der wohl wollende Teil unter dem Namen ISeth oder Isis in Erscheinung treten, ist eine ebenfalls bekannte Strategie der Mythenhersteller. Nach dem Prinzip von » entzweien und besiegen« spalteten die Priester verschie dene Manifestationen der gleichen Göttin auf in Gute und Böse, setz ten sie als Rivalinnen zueinander, die sich bekämpften, oder lösten ih re Einheit auf, um so ihre Allmacht zu zerstören. Gerda Weiler stellt fest, daß durch diese Aufspaltung der dreifaltigen Göttin »die Mädchengöttin vergewaltigt, die reife Frauengöttin der männlichen Se xualität unterworfen und die Todesgöttin dämonisiert« werden konnte. (Weiler 1991,33f)
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Die Verfemung der ISet zum teuflischen Seth könnte auch erklären, warum der Name der Isis sich erst »merkwürdig spät« sicher belegen läßt und ihr Ursprung und ihre älteste Entwicklung dunkel bleiben. (Berg man LÄ/III/186f) Die Ächtung der Großen Göttin wird in der jüdischen und christlichen Religion fortgesetzt, hier wird ISet zu »Satan«. Der Sprachgelehrte Arnold Wadler schreibt: »Vom »Satan«Stamme sind nur die Laute St echte Wurzellaute, das n erst später angefügt. Dies ergibt sich nicht allein aus dem Namen des HorusFeindes bei den Ägyptern, des Typhon, des Geistes der Finsternis Seth, sondern aus den beiden hebräischen Varianten Stn (anfeinden, Widersacher) neben st m (befeinden). In AltIndien hieß der Widersacher SaTru, der gleiche Urstamm ST nahm hier den Zusatzlaut r an.« (Wadler 1988,236) Das Wissen darum, daß der »Satan« der Christen die verteufelte Große Göttin Ägyptens ist und daß die jüdischen und christlichen Re ligionen die niederträchtige Abwertung der Frau übernommen haben und bis heute als »gottgewollt« tradieren, wirft ein finsteres Licht auf die heutigen »Hochreligionen«, die die Menschheit um ihre Große Göttin betrogen haben. Zu den in bösartige, hinterhältige, listige, blutgierige und furchterregende Ungeheuer verfälschten Göttinnen stellt der Ägyptologe Jan Assmann unkritisch fest, daß keine Gottheit als »ein seitig furchtbar, d.h. abstoßend dargestellt wird, nicht einmal jene ei gentümlicherweise sämtlich weiblichen Gottheiten, bei denen Furcht barkeit schon im Namen angedeutet ist, wie Sachmet »die Mächtige«, Wosret »die Starkes Neith »die Schreckliche«^ (LÄ/II/3601) Die »star ke«, »mächtige« Frau/Göttin (die Übersetzung »die Schreckliche« ist nicht gesichert) scheint den Wissenschaftler so sehr zu erschrecken, daß ihm eine unbefangene Betrachtung der eigentümlichen und aus schließlichen Zuordnung des »Furchtbaren« zum Weiblichen nicht mehr möglich ist. Auch die Ägyptologin BrunnerTraut stellt fest, daß »wirk lich böse weit überwiegend weibliche Figuren handeln« (BrunnerTraut zit. Beltz 1982,30), ohne die Frage nach dem Grund dieser »weit über wiegendem Zuordnung des Bösen zum Weiblichen zu stellen. Der gleiche Geist der Diffamierung zeigt sich nicht nur in der alt ägyptischen Theologie, sondern auch unter den heutigen Wissenschaft lern. Dem Versuch, die Wichtigkeit der Göttinnen abzuwerten, begeg net man auf Schritt und Tritt. Um die parthenogene Urgöttin Isis, »die Mutter der Götter«, auf das männlich gewünschte Maß zu reduzieren, »erklügelte« der Ägyptologe Serge Sauneron, »sie sei zu zwei Dritteln
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männlich, zu einem Drittel weiblich gewesen«. (Morenz 1984,180) Ein anderes Beispiel zeigt der Ägyptologe Kurt Sethe (18691934), Her ausgeber vieler bedeutender Texte. Er kam zu dem Schluß, daß die Göttin eine Personifikation des Königsthrones sei. Er wollte in »dem großen Thron«, der die Götter schuf, Isis die Große erkennen. »Man hat aber diese Übersetzung in Frage gestellt und stattdessen die Götter als Schöpfer des großen Thrones betrachtet.« (Bergman LÄ/III/187) Doch Henri Frankfort bestätigt Sethes These, daß Isis »die mit dem Thron« bedeutet und daß diese Bezeichnung auf ihre Stellung als Königin der Götter hinweist. »Der Thron« macht den König, und so ist Iset, »der Thron«, die »Mutter« des Königs. (Frankfort 1948,6f) Der Ägyptologe Steindorf behauptet irreführend, daß am Anfang Horus und Seth wa ren und erst nachher die beiden Landesgöttinnen Nekhbet und Ua Zet; und weiter behauptet er, »die beiden Göttinnen wurden in eine Position von nationalen Gottheiten erhoben, was weit über ihrer ursprünglichen Einflußsphäre war«. (Steindorf/Seele 1957,134) Und dies, obwohl er wiesen ist, daß Horus erst mit den HorusVerehrern zur Zeit des Um bruchs in Hierakonpolis auftaucht und die Göttinnen NekBeth und Ua Zet schon in urgeschichtlicher Zeit die Landesgöttinnen Ägyptens wa ren. Horus wird vor die alten Göttinen zurückprojiziert. Solche offen sichtlichen Unwahrheiten bleiben unter den Wissenschaftlern unwi dersprochen. Die Große Göttin ISet/Isis mit dem Wortstamm St, deren Planet Sotis ist, »die Strahlende«, wurde in Babylon Istara genannt, in Phöni kien Astarte, bei den Hebräern Astoret, bei den Basken und Germa nen Ostara und bei den Griechen Aster. Der Wortstamm »St«, mit der Bedeutung von »Sitz« (Sitz des Lebens) oder »Thron«, findet sich im eng lischen »sit«, im deutschen »Sitz« und im usurpierten »Heiligen Stuhl« der katholischen Kirche wieder. Auch andere Attribute der Schöpfergöttin wurden den patriarchalen Göttern zugeschlagen. ReAtum wird zum Schöpfergott, der älteste der großen GötterNeunheit von Heliopolis; die große Muttergöttin »Mut« zu seiner Gattin degradiert. In der Göt terNeunheit von Heliopolis waren die Göttinnen Tefnut, Nut, ISet und Nephtis nur noch die Gattinnen von vier Göttern, und es wurde ihnen keine eigene Macht mehr zugestanden. In den Götterlisten aus der Ramessidenzeit »werden sie in Anbetracht ihres weiblichen Ge schlechts sogar ganz weggelassen«. (Gardiner 1961,421)
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Viele Mythenforscher stellten fest, daß Mythen, selbst wenn sie mit Chronologie schwer vereinbar und oft verzerrt wiedergegeben wurden, immer einen realistischen Hintergrund haben. »Wenn manche Mythen auf den ersten Blick verwirrend erscheinen, so darum, weil der Mythen hersteller zufällig oder absichtlich ein heiliges Bild oder einen drama tischen Ritus mißdeutet hat. Beispiele dafür finden sich in jeder reli giösen Literatur, die das Ende einer radikalen Reform alten Glaubens kennzeichnet.« (RankeGraves 1986,18ff) Die Mythenschreiber verdre hen die Genealogie und projizieren ihren neuen, männlichen Gott zurück an den Anfang der Schöpfung. Sie leugnen die Tatsache der ursprünglichen Schöpfergöttin, beschönigen ihre Absetzung, vertu schen oder rechtfertigen ihren Mord oder verheimlichen die ursprüng liche Ordnung und erfinden eine neue nach männlichem Muster. »Die weibliche Genealogie wird abgeschafft, um die männliche Genealogie, die Beziehung VaterSohn zu verherrlichen«, schreibt Luisa Muraro. »Die NichtExistenz von weiblichen Genealogien hat als Folge, daß die Welt der Frauen von der männlichen absorbiert wird. Die Männer ha ben das MütterlichWeibliche sozusagen assimiliert, um sich selbst Sub stanz zu geben.« (Muraro 1989,12) Welche verheerenden Konditionierungen durch Mythen erreicht werden, zeigt die Legende von Adam und Eva. Die ungeheuerliche Lü ge, die wesentlich zur Entrechtung der Frau in unserer Gesellschaft bei getragen hat, ist offensichtlich eine tendenziöse Fälschung, die wahr scheinlich auf einen Übersetzungsfehler zurückzuführen ist. Eva, ur sprünglich eine Parallele zur sumerischen Schöpfergöttin Innana, schuf die Götter und Menschen. Das sumerische Wort »uzu TI« bedeutet »Rip pe« aber Tl(la) »Leben«; die Göttin NinTI kann deshalb mit »Herrin, die Leben schafft« oder etwas absonderlich: »Herrin der Rippe« über setzt werden. Die absonderliche Version wurde im Alten Testament darüber hinaus noch auf patriarchale Art verfremdet und die »Herrin, die Leben schafflx auch Eva bedeutet »Leben« aus der Rippe eines Mannes geschaffen. Wenn die Verfasser der Paradieslegende die Schuld für den Verlust des Paradieses der Frau zuschieben, zeigt dies wiederum den Anspruch auf patriarchale Dominanz, die nur durch Verleumdung und Abwer tung der Frau zu erreichen war. Im Jahre 1960 schrieb der Mythenfor scher Joseph Campell zum Mythos von Adam und Eva, diese »merk würdige mythologische Idee und der noch merkwürdigere Umstand, 202
daß sie zweitausend Jahre lang in der ganzen westlichen Welt als absolut verläßliche Erzählung eines Ereignisses galt... stellt zwangsläufig die höchst interessante Frage nach dem Einfluß von offensichtlich er fundenen, gefälschten Mythologien und von Pseudomythologien auf die Struktur des menschlichen Glaubens und den daraus entspringenden Verlauf der Zivilisation.« (zit. Stone 1988,33) »Wir können Evas Geschichte nicht verstehen, wenn wir in Eva nicht eine abgesetzte Schöpfergöttin und, eigentlich, in gewissem Sinne die Schöpfung selbst sehen.« (Phillips 1987,13) »Das Umschreiben und Umformulieren heiliger Geschichten sowie die Neufassung von Gesetzestexten waren zunächst in Mesopotamien und Kanaan, später aber auch in den Königreichen von Judäa und Is rael weitgehend das Werk von Priestern. Wie im Alten Europa nahm dieser Prozeß seinen Anfang mit den ersten androkratischen (männlich beherrschten) Invasionen und setzte sich im Laufe der allmählichen Umwandlung Ägyptens, Sumers sowie anderen Ländern des Frucht baren Halbmondes in männerbeherrschte, kriegerische Gesellschaften über Jahrtausende hinweg fort.« (Eisler 1987,159) Die Theologin und Philosophin Mary Daly weist darauf hin, »daß es unrealistisch wäre, sich über die Tatsache hinwegzusetzen, daß die sym bolischen und linguistischen Kommunikationswerkzeuge die im wesentlichen die ganze theologische Überlieferung in den Weltreli gionen einschließen von Männern unter patriarchalen Herrschafts verhältnissen formuliert wurden. Deshalb gehört es zum Wesen dieser symbolischen und linguistischen Strukturen, daß sie den Zwecken pa triarchaler Gesellschaftseinrichtungen dienen.« (Daly 1988,36)
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»Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« (Sprichwort)
Ausblick
A
ls praktizierender Psychologin wurden mir beim Schreiben dieses Buches immer wieder die frappierenden Parallelen zwischen der gestörten Weltordnung und der gestörten Familie bewußt. Für das Glück und Wohlbefinden einer Familie ist die Einhaltung der fami liären Ursprungsordnung unverzichtbar. Zu Störungen kommt es dann, wenn ein Familienmitglied den ihm zustehenden Platz nicht einnimmt oder einnehmen kann. Wird ein Ehepartner vom ändern nicht als gleichwertig geachtet, unterdrückt oder wie ein Kind behandelt, oder umgekehrt: wird ein Kind zum Partner gemacht (drastisch im Fall von Inzest); wird ein Mitglied der Familie ausgegrenzt, verleugnet oder ver heimlicht (z.B. bei außerehelichen Kindern, Alkoholikern oder Gei steskranken), reagiert eines der Mitglieder der Familie meistens das sensibelste oder schwächste mit schweren, oft unerklärbaren Störun gen, mit »Verrücktheit«, manchmal sogar mit Suizid. Das Ordnungssy stem gerät aus den Fugen, es wird buchstäblich verrückt. Heilung bringt erst das Wiederzurechtrücken, das Wiederherstellen der richti gen Ordnung, das Aufdecken des Familiengeheimnisses, die Sühne von Schuld und schlußendlich die Anerkennung, Würdigung und Integration aller Familienmitglieder. Das Gleiche gilt für die Ordnung der Welt. Als der patriarchale Mann die alleinige Macht an sich riß, wurde die Ursprungsordnung verrückt. Doch wie in der Familie hat dies, wie das Weltgeschehen es nicht schlim mer zeigen könnte, für die Menschen katastrophale Folgen, denn die universale Ordnung kann nicht willkürlich festgesetzt oder verändert werden. Die UrOrdnung, in welcher die Frau als Schöpferin und Er halterin des Lebens verehrt wurde, womit zugleich der Schutz und die Erhaltung des Lebens das zentrale Anliegen der Menschen war, wurde durch die Machtnahme der Eroberer und die Unterdrückung und Aus grenzung der Frauen, Kinder und der nichtweißen Völker aus den An geln gehoben. Die alte, ursprüngliche Ordnung wurde auf den Kopf ge 204
stellt und in ihr Gegenteil verkehrt. Auf dem Hintergrund dieser Tat sachen kann der immer lauter werdende Ruf nach Frieden, Einhaltung der Menschenrechte, Respektierung der Menschenwürde und Umver teilung der Macht und Güter der Welt nicht einfach als feministische Quängelei abgetan werden. Der heutige Zustand unserer Welt ist nicht »gottgegeben«, sondern das Produkt der patriarchalen Machtnahme und damit einer historischen Entwicklung, die beeinflußbar ist. Der pa triarchale Frevel muß bewußtgemacht, eingestanden und gesühnt wer den, erst dann wird die Welt wieder gesunden können. Bevor nicht die Frau als zivilisatorische Kraft ihren rechtmäßigen Platz wieder auf al len Ebenen einnimmt, werden die verheimlichten Verbrechen ihre zer störerische Wirkung nicht verlieren. Die Lügen, welche die Erinnerung an die urgeschichtlichen Frauenkulturen auslöschten, machten es mög lich, das Patriarchat am Leben zu erhalten. Seitdem insbesondere Frauen ständig neue Kenntnisse über die den patriarchalen Kulturen vor ausgehenden Frauenkulturen zutage fördern, wird es zusehends schwieriger, die Tatsache des urgeschichtlichen Matriarchats und die Tragödie, die mit dem Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht ein herging, zu leugnen. Krieg, Zerstörung der Umwelt, HerrschaftsReligionen sind nicht unser Schicksal. Das Elend dieser Welt ist gemacht. Die Entmystifi zierung der Geschichte wird uns neue Hoffnung schöpfen lassen: Die Schrecken, unter denen wir leiden, hatten einen Anfang und können so mit auch ein Ende haben. Das Bewußtsein dieser Möglichkeit wird uns die Kraft geben, uns für eine bessere Welt einzusetzen.
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Anmerkungen (1) Den Beginn der »geschichtlichen« Zeit kennzeichnen außer der Erfindung der Schrift einige wichtige andere Neuerungen: Z.B. die Ausbeutung des Metalls in großen Mengen (der früheste Kupferabbau ist im Balkan, im Kaukasus und an den Küsten des Schwarzen Meeres nachgewiesen) und seine Verarbeitung zu Waffen und die Domestizie rung des Pferdes in der asiatischen Steppe. Waffen, Pferde und Brutalität verhalfen viehzüchtenden, indoeuropäischen Männerhorden dazu, die Gebiete unbewaffneter, bäuerlicher Kulturen zu unterwerfen. Vorkommen und die Verwendung von Metall waren für die Ge schichte der Menschheit so bedeutungsvoll, daß man große Epochen der Geschichte nach den für Werkzeuge und Waffen nutzbaren Metal len benennt (Kupfer, Bronze, Eisenzeit). Die Verfügungsmacht über die Edelmetalle Gold und Silber sowie über die Werkstoffe Kupfer, Zinn und Eisen entschied über die Überlegenheit und Unterlegenheit von Völkern und Staaten. Schmiede wurden aufgrund ihrer Fähigkeit, »Erde in Metall« zu verwandeln, als Magier (Schamanen) betrachtet. Der Religionsgeschichtler Mircea Eliade macht uns auf die außeror dentlich wichtige Beobachtung aufmerksam, daß er in vielen Kulturen Beziehungen zwischen Metallurgie, Magie und Dynastiegründungen festgestellt hat. (Eliade 1980,437) Auch der ägyptische Pharao, ein Nachfolger der »Schmiede des Horus«, wird von Beginn der Geschichte als Kriegsbefehlshaber, Medizinmann und oberster Magier bezeichnet. (2) IndoEuropäer: Werden auch ProtoIndoEuropäer, IndoGer manen, IndoArier, Arier, Kurgan oder Grabhügelvölker, Streitaxt kulturen und Schnurkeramiker genannt. Diese nomadischen, patriar chalen Kriegerstämme gehören zum weißen, »europäiden« oder »arme noiden« Rassenkreis und scheinen aus der Region des Schwarzen Mee res, des Kaspischen Meeres und des Kaukasus zu stammen. »Sie sind nachzuweisen in der Ukraine, an der unteren Wolga, um den Aralsee, in Usbekistan, Kasachstan, bis zum AltaiGebirge und darüber hinaus. Ihre ursprüngliche Heimat ist vielleicht an der unteren Wolga und in Kasachstan, vor dem 5. Jahrtausend, der Zeit ihres Vordringens nach Europa.« (Adrados 1982,7)
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(3) HerrenmenschenIdeologie: Es ist nicht überraschend, daß die Väter der göttlich verbrämten HerrenmenschenIdeologie sich selbst »gottgleich« glaubten und sich sogar als » Gottherrscher« proklamierten. Der Zweck heiligt die Mittel. Der despotische Wille zur Macht wurde damals und wird bis heute als »Gottes Wille« und »Religion« getarnt und legitimiert; die verlogene Berufung auf den »göttlichen Willen« ist das klassische Mittel der Machtpolitik. (4) DrachentöterMythen: Gor fand als »Drachentöter« bzw. als hei liger Georg und Prinz Michael als Erzengel Eingang in die christlichen Legenden. Michael wurde zum Schutzpatron aller Soldaten und zum Volksheiligen der Deutschen; Georg zum Schutzherrn der Waffen schmiede, der Schützenbruderschaften und moderner Jugendbünde, vor allem aber der Reiter und Pferde; er ist das Inbild christlichen Rit tertums und der morgenländischen Aristokratie. Dies alles weist auf seinen indoarischen Ursprung hin. Der Sumerologe Samuel Noah Kra mer hält es ohne weiteres für möglich, daß der sumerische Drachentö ter »Gilgamesch« identisch ist mit » Sankt Georg«. (5) Embryonale Totenstellung: Die an den matriarchalen Wiederge burtsglauben erinnernde Bezeichnung »embryonale Haltung« wird von den Wissenschaftlern langsam aus der Sprache verdrängt. Der Ägypto loge Behrens schreibt etwa: »Im Gegensatz zu älteren Interpretationen, die die Hockerstellung des Toten als Embryonallage betrachteten, steht die heutige Auffassung, sie als Schlafstellung zu deuten.« (Behrens LÄ/II/1227f) Eine subtile sprachliche Anpassung an das Verständnis patriarchaler Wissenschaftlerinnen, die dazu dient, die ungeliebte Er innerung an die Geburt aus dem Leib der Frau bzw. den frühen Wie dergeburtsglauben aus dem Schoß der Muttergöttin zu leugnen und zu entwerten. Kurt Lange glaubt, man hätte früher viel in die Hockerlage »hineinfabuliert«. Er weiß: »Sie ist wohl sicher nicht von der Embryo nallage und damit vom Gedanken einer regelrechten Wiedergeburt in das Jenseits bestimmt.« (Lange 1952,22) (6) Verschwundene GöttinnenStatuetten: Die Ägyptologin Mona ElMoguy fand erst 1991 beim Katalogisieren der Bestände des Assuan Museums im Keller sechs verstaubte GöttinnenStatuetten aus prädy nastischer Zeit, von denen niemand Kenntnis hatte und die nirgends verzeichnet oder jemals publiziert wurden.
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(7) Keramikkunst: Alle urgeschichtlichen Kulturen von Spanien bis Persien zeichnen sich durch eine künstlerisch hochstehende Keramik aus, und es ist bezeugt, daß Frauen ihre Schöpferinnen waren, denn die Erzeugerinnen der prähistorischen Tonwaren ließen ihre Fingerab drücke auf ihren Produkten zurück. Aufgrund der Untersuchungen die ser Fingerabdrücke hat unter anderen der sowjetische Archäologe RN. Tretjakow darauf hingewiesen, daß die Tonwaren von Frauen herge stellt worden sind. (Morgan 1989,193) (8) Die Symbolikforschung steckt jedoch außerhalb der Ägyptologie keineswegs in den Kinderschuhen. Viele hervorrragend recherchierte Bücher, allen voran von Marija Gimbutas: »The Goddesses and Gods of Old Europe« und »The Language of the Goddess« und von Barbara G. Walker: »Das geheime Wissen der Frauen« und »The Womens Dic tionary of Symbols & Sacred Objects« sind wahre Fundgruben zur Symbol, Mythen und Matriarchatsforschung, auch jener Ägyptens. (s. nachstehendes Literaturverzeichnis) (9) Das KnotenschnurSystem bestand aus einem Seil, an welches verschiedene farbige Schnüre geknüpft und zu Gruppen zu sammengefaßt waren. Farbe und Anzahl der Knoten hielten verschie dene Daten fest. »Sie dienten als Kalender und wurden bei der Über mittlung von Botschaften eingesetzt.« (Ifrah 1992,77) Sogenannte Qui pu wurden sogar als astronomisches Hilfsmittel, z.B. von den Maya, ver wendet. (Müller Rolf 1970,140) Georges Ifrah berichtet, daß der Ge brauch dieses Schnursystems weltweit über Tausende von Jahren nach gewiesen wurde. Es ist übrigens interessant, daß die nachgewiesener maßen seit dem Mittelalter in Europa verwendeten Bauernkalender, sogenannte »immerwährende Kalender«, große Ähnlichkeit mit den KnotenschnurKalendern hatten. Sie enthielten Wetterregeln, Rat schläge für die Gesundheit, Prognostiken, Glücks und Unglückstage und gehörten neben der Bibel zum hauptsächlichsten Lesestoff der Bevölkerung. (10) GroßSkulpturen sind nach bisherigem Forschungsstand in sämtlichen Ländern Europas vom norwegischen Norden bis zur Mit telmeerküste im Süden, vom Atlantik im Westen hin nach Osten zu finden. Die Dozentin für Bildende Kunst Elisabeth NeumannGun drum erforschte und publizierte solche zumeist weiblichen Skulpturen
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in Europa. Dazu schreibt sie: »Daß Gesteinsformationen in ihrem natürlichen Erscheinungsbild ohne Zweifel zusätzlich mit erkennbarem Aufwand figural und ornamental ausgestaltet wurden, zeigen alle Epo chen der Kunst.« (NeumannGundrum 1981,If) Die Skulpturen zeugen für »die Gestaltungskraft einer bisher unbekannten oder vergessenen großartigen Hochkultur Europas, die offenbar nicht machtpolitisch, sondern seelischschöpferisch, menschenbildend begründet ist«, (ebda. 21) Die Skulpturen entstanden in der Zeit zwischen 32'000 und 2000.; Der Bildhauermeister Reinhard Paffrath schreibt in einem Gutachten, daß die Gestalter dieser GroßSkulpturen vorhandene natürliche For men nutzten und sie durch zusätzliche Handarbeit mit den vorhande nen Werkzeugen, plastisch und farblich ergänzten, (ebda. 462) Paffrath weist auch auf Spuren von Zerstörungen der urgeschichtlichen Monu mente hin: »Deutlich sind zwei Techniken festzustellen, an den Eigen tümlichkeiten der Spitz und Schlagwerkzeugmarken. Sie zeigen, daß diese GroßSkulpturen in christlicher Zeit teils zerstört wurden, teils durch Umänderung eine andere Symboldeutung erhalten haben.« (eb da. 465) Wie aus den zumeist weiblichen Felsskulpturen zu schließen ist, handelte es sich hier in »urältester Zeit« um eine Göttin, die im Stein verehrt wurde. In der Bibel wird der männliche Gott, der die alte weib liche Gottheit assimiliert und ihre Attribute usurpiert hat, immer wie der als »Fels« bezeichnet, darin ist »der Gedanke an den Steinkult noch lebendig«. (Keel 1972,161) (11) Die Arier als Rasse: Der englische Sprachgelehrte und Asien forscher Laurence Austin Waddell schreibt 1929 in seinem Buch »The Makers of Civilization in Race and History«: »Der Titel Arya (Arier) wurde bei ihnen einzig im rassischen und keinem ändern Sinn benutzt. Vor allem nie im sprachlichen Sinn, wie man gemeinhin annimmt; die ser wurde erst durch europäische Sprachforscher in den letzten Gene rationen eingeführt.« (Waddell 1929,5) Der Indogermanist Jean Haudry bestätigt, »daß die IndoEuropäer (oder Indogermanen) kein linguistisches Phantom«, keine Denkkonstruktion der Philologen, son dern eine reale ethnische Erscheinung waren, deren Traditionen nie aufgehört haben, in unseren Kulturen fortzuwirken«. (Haudry 1986) In den verschiedenen geographischen Gebieten und den unterschiedli chen Sprachen und ihren Dialekten bezeichnen sie sich als »Ar, Aar, Ära, Ari, Arios, Arij, Airya«, Arya, oder »Har, Hara«, Haraivia, Harios, Harri. Die Bezeichnung »Arier« ist der Ausdruck für »Herrscher« oder
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»Herr« und durchzieht die ganze arische Sprachfamilie. »Der arische Mythos«: Leon Poliakov untersucht in seinem Buch »Der arische My thos« die Geschichte des unrühmlichen Männerwahns neuzeitlicher eu ropäischer Wissenschaftler des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Laurence A. Waddell ist einer von ihnen. Diese verblendeten Wissenschaftler wollten in den frühen Ariern die Zivilisatoren der alten Welt, eine Mi litärAristokratie von Herrenmenschen sehen, welche die Eingebore nen der eroberten Gebiete durch ihre »erleuchtete Herrschaft (Wad dell) in die Zivilisation führten. Die rassistische Glorifizierung der Arier durch die Wissenschaft bereitete die Machtnahme Hitlers ideolo gisch vor. Blind für die Greuel, die »arische« bzw. weiße Eroberer in der ganzen Welt angerichtet hatten, war es für die faschistischen Gesin nungsgenossen klar, daß die größte »Rasse« in der Weltgeschichte die nordeuropäische oder arische war. Die rassistische Verherrlichung der Arier hat in der Geschichte je doch keine reale Grundlage. Die Arier waren eine primitiv kriegeri sche, patriarchal orientierte Minderheit, die eine schwächere, matriar chal orientierte Mehrheit unterwarf, zu Sklaven machte und die meist dunklen Ureinwohner durch scharfe, kastenartige Abtrennung von sich fernhielt. Die Machtnahme der patriarchalen IndoArier kann als die größte menschheitsgeschichtliche Katastrophe bezeichnet werden. Die Arier waren Nomaden, die alles, was ihnen in den Weg kam, nie dermetzelten, die Siedlungen niederbrannten und die alten Kulturen zerstörten. (12) Der Sonnenkult: Der indoeuropäische Philosoph Pythagoras (582496) gab seiner sexistischen Geisteshaltung Ausdruck mit dem Satz: »Es gibt ein gutes Prinzip, das den Mann, das Licht und die Ord nung geschaffen hat, und ein böses Prinzip, das die Frau, das Dunkel und das Chaos geschaffen hat.« Er war Anhänger des arischen Sonnen kultes. (13) Chronologie: Zwar wurde die geschichtliche Datierung Ägyp tens mit jener Mesopotamiens verbunden, aber diese Verknüpfung hat ihre Tücken. Die Chronologie Mesopotamiens wurde eher von Bibel forschern bestimmt, die die Zeit Abrahams möglichst weit zurückda tieren wollten, als von religiös unbefangenen Wissenschaftlerinnen. Dadurch entstanden Fehldatierungen, die sowohl in Mesopotamien wie in Ägypten archäologisch ungeklärte »dunkle Zeitalter« d.h. Jahrhun
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derte ohne archäologische Funde, aufweisen. Die beiden Wissenschaftler W.F. Albright und T.O. Lambdin beklagen, daß noch heute die Chro nologie Zentraleuropas und noch mehr Zentralasiens des Neolithikums und der frühen und mittleren Bronzeperioden beinahe hoffnungslos verworren seien. (The Cambridge Ancient History 1,1970,140) Gunnar Heinsohn und Heribert Illig sprechen aufgrund ihrer vergleichenden stratigraphischen Analysen (zeitliche Abfolge geologischer und ar chäologischer Schichten) von »ägyptischen Geisterdynastien analog zu den Phantomimperien Mesopotamiens, die ihre Ursache in der pseudoastronomischen Sothis und bibelfundamentalistischen Abra hamdatierung« hätten. (Heinsohn/Illig 1990,304 und 28) Der führende Ägyptologe Wolfgang Helck gab am 4. Internationalen Ägyptologen Kongreß in München 1985 zu, daß die Bearbeitung der ägyptischen Chronologie eindeutig in eine Krise geraten sei. Dies sei teilweise auf die »Übernahme dogmatischer naturwissenschaftlicher Fakten« zurückzuführen, »ohne daß dabei ihre Anwendbarkeit auf das ägypti sche Material und die Tragfähigkeit des Materials geprüft wurde«. Eine wahrheitsgemäße politische Geschichte Ägyptens ließe sich erst dann schreiben, wenn neue Kriterien entwickelt würden, die die Wirklichkeit und nicht Utopien zur Grundlage hätten. (Helck IAE, 95 passim) Da die Chronologie nicht im Zentrum dieser Arbeit steht, hielt sich die Autorin, unter Vorbehalt, an die konventionelle Datierung der Ägyptologie. Immerhin ist anzufügen, daß durch eine bereinigte, d.h. verkürzte Chronologie viele offene Fragen bezüglich der Herkunft der ägyptischen Herrscher einwandfrei beantwortet werden könnten. (14) Erste militärische Festungen: Eine Parallele dazu fand man in Mesopotamien. Burchard Brentjes berichtet, daß in Uruk und Eridu nach dem plötzlichen Umbruch im späten 4. Jahrtausend eine Fe stungsmauer den TempelKomplex umschloß, der Priester und Stadt bewohner voneinander trennte. »Die Herren fürchteten offenbar ihre Stadtbewohner mehr als äußere Feinde.« (Brentjes 1981,77) (15) Pferde: Auch die Sumerer hatten das Pferd. Esel und Pferd scheinen auf der berühmten Mosaikstandarte von Ur abgebildet zu sein. Pferde waren ein wichtiger Faktor bei den Eroberungskriegen der IndoArier; sie wurden von ihnen in der südrussischen Steppe do mestiziert. Der von Pferden gezogene, leichte zweirädrige Streitwagen
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war im Kampf der Eroberer die absolut überlegene Waffe. Wagen mit Rädern finden wir in Mesopotamien seit 3600. In Europa wurden die ersten Fahrzeuge mit Rädern aus der Zeit um 3200 in Ungarn gefun den. Die allgemeine Annahme, daß domestizierte Pferde im Mittleren Osten erst seit 1800 gehalten wurden, mußte revidiert werden, als US Archäologen im September 1992 die bisher älteste gefundene Klein plastik eines Pferdes in Syrien, 300 Kilometer nordöstlich von Damas kus, fanden. Die Skulptur soll bereits um 2300 vor unserer Zeitrech nung entstanden sein. Pferde und Wagen wurden demnach schon min destens 500 Jahre früher, als man bisher annahm, eingesetzt. (»Der Spie gel 3/1993) (16) Nubien: In den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts ging der letzte Akt des nubischen Dramas über die Bühne: Die Deportation der nubischen Bevölkerung, bedingt durch den Bau des AssuanStau damms. Doch damit beschäftigten sich weder die Nationen noch die UNESCO. Die Rettung der Denkmäler des vergotteten Ramses hielt die Welt in Atem. Mit einem ungeheuren finanziellen Aufwand wurde ihr Standort versetzt, während von der Kultur und Eigenart des nubi schen Volkes nicht einmal eine Bestandsaufnahme gemacht wurde. Der Schweizer Gelehrte Georg Gerster klagt die Gleichgültigkeit gegen über dem Volkstod der Nubier an. Die UNESCO, »dem Buchstaben ih rer Charta treuer als deren Geist, erklärte sich für unzuständig; sie kön ne sich, unaufgefordert, nicht mit den Angelegenheiten ihrer Mitglied staaten beschäftigen. Die Chance zu der letztmöglichen Aufnahme ist vertan. Nubien versank wie ein zweites Atlantis für immer im Stausee.« (Gerster 1964,221f) Fazit: Nubien ertränkt Ramses gerettet. (17) Hexe: Das deutsche Wort »Hexe« ist verwandt mit dem engli schen Schimpfwort »hag«, das im 16. Jahrhundert noch »fairy«, Fee be deutete, und mit dem altägyptischen »heka«, arabisch »haga«, griechisch »hagneia« verwandt ist. Ursprünglich bezeichnete es eine Heilige Frau oder Weise Alte, eine Repräsentantin der Göttin, eine Priesterin/Hei lerin, die durch »Zauber«, d.h. Kräfteübertragung und andere Mittel, heilte. (Hagiologie = Erforschung der Heiligenleben), (s. Walker 1988,258) Die ägyptische Göttin Hekat (die griechische Hekate) war die Göttin der weisen Frauen bzw. der Hebammen/Heilerinnen, deren Beruf im dynastischen Ägypten, wie bei der Hexenverfolgung in Euro 212
pa, verfemt wurde. Er galt als »unrein«, genau wie auch der Geburts vorgang von den Patriarchen als »unrein« verteufelt wurde. Die nach den Hexenverbrennungen erfolgte Ausübung der Frauenheilkunde durch Männer kostete unzähligen Frauen das Leben im Kindbett. Erst als der Arzt und Gynäkologe Ignaz P. Semmelweis (18181865) den Grund in der fehlenden Hygiene der Ärzte fand, nahm das Sterben ein Ende. Semmelweis konnte seine Entdeckung der Infektiosität des Wo chenbettfiebers nur gegen den Widerstand der Schulwissenschaft durchsetzen, war jedoch dem Kampf und den Intrigen seiner Gegner nicht gewachsen und starb in geistiger Umnachtung. (Berteismann Le xikon) (18) Geburtenregelung: Die heutige Überbevölkerung ist das Resultat der von patriarchalen Politikern und Kirchenmännern propagierten Ideologie des Kinder»Reichtums« durch gesetzlich und religiös erzwun gene Schwangerschaften. »Wir ahnen heute«, schreibt Richard Fester, »daß die Vermehrung der Völker zu übergroßen Populationsdichten mit dem Verlust gynaikokratischer (matriarchaler) Ordnungen zusam menhängen muß denn jene begann, als diese endeten.« (Fester 1989,14) »In allen Hochkulturen der Welt gab es ein stark zunehmendes Bevölkerungswachstum, seit die Geburtenkontrolle die jahrtau sendelang Sache der Frauen gewesen war dem weiblichen Einfluß entzogen und den patriarchalen Rechts und Moralbegriffen unterstellt wurde. Der persönliche Ehrgeiz der Männer bzw. der Wille, mit den ei genen Nachkommen (Söhnen) ein Stück Welteroberung voranzu treiben, und die religiöse Rechtfertigung dieses Willens, haben zu der unkontrollierten Wachstumsrate der Menschheit geführt, die den Kampf um die Ressourcen der Erde verschärfte und damit die Gefahr der Massenverelendung ebenso heraufbeschwor wie diejenige der krie gerischen Massenvernichtung. Erst in allerjüngster Zeit versucht man die Geister, die man rief, wieder einzudämmen durch eine weltweite Kampagne zur Geburteneinschränkung und ist erstaunt über deren geringen Erfolg, nachdem eben diese Geburtenkontrolle den Frauen mehr als 2000 Jahre lang bei Tod und ewiger Verdammnis verboten war (und von der katholischen Kirche bis heute praktisch verboten wird).« (MeierSeethaler 1988,401)
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(19) Ägyptische Medizin: Gustave Lefebvre schreibt 1956 in seinem »Essai sur la Medicine Eyptienne«: »Die Fledermaus spielt eine große Rolle in der Pharmakologie der alten Zivilisationen. In Ägypten wurde ihr Blut für Augensalben verwendet... Die Chinesen benutzten ihre Exkremente gegen Nachtblindheit. Magische Medizin könnte man den ken. Aber chemische Analysen von FledermausExkrementen zeigen, daß sie eine höhere Quantität von Vitamin A besitzen als etwa Leber tran. Wir wissen, daß Vitamin A gewisse Arten von Nachtblindheit ku riert.« (West 1987,129) (20) Die Unterdrückung der Frau wird von Mose, der in Ägypten ge boren und dort möglicherweise zur Zeit Echnatons am königlichen Hof aufgewachsen ist, fortgesetzt. Im 3. Buch Mose (21,9) ruft er öf fentlich zum Frauenmord auf: »Wenn eines Priesters Tochter anfängt zu huren, die soll man mit Feuer verbrennen, denn sie hat ihren Vater ge schändete Die levitischen Verfasser des Alten Testaments »nannten alle sexuell autonomen Frauen, einschließlich der heiligen Frauen des Tempels, Huren und Dirnen und forderten die Durchsetzung ihrer ei genen patriarchalischen Haltungen beim sexuellen Eigentum an den Frauen«. (Stone 1988,262) Frauenmord zeichnet auch die frühesten Christen aus. Der erste christliche Kaiser Konstantin steckte »seine un schuldige junge Frau Fausta auf den bloßen Verdacht des Ehebruchs hin lebendig in kochendes Wasser«. (Gould Davis 1987,130) Derselbe Kaiser unterstrich seine christliche Gesinnung dadurch, daß er Abtrei bung zu einem Schwerverbrechen erklärte. Patriarchale Doppelmoral schützt das ungeborene Leben und erhebt den Kriegsmassenmord zum Ideal. (21) Zur weiblichen Beschneidung ausführlich bei Mary Daly; dazu Literaturliste zum Thema in ihrem Buch »GYN/ÖKOLOGIE« 184 und 461. Elizabeth Gould Davis 1987,159ff. Zur heutigen pharaonischen Beschneidung im Sudan: Hanny LightfootKlein »Das grausame Ritual Fischer 1992: WIN News berichtet regelmäßig über die Klitorisbe schneidung, direkt bei Fran P. Hosken, 187 Grant Street, Lexington, MA 02173, USA und InterAfrican Committee, 147 rue de Lausanne CH1202 Genf. »Emma« div. Hinweise und Artikel seit 1977: Frauen verlags GmbH, 50667 Köln.
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(22) »Der Begriff »Infibulation« stammt von den Römern, die manch mal einen Ring oder eine Klammer durch die äußeren Schamlippen von Sklavinnen zogen, um sie vom Geschlechtsverkehr abzuhalten und Schwangerschaften zu verhindern. Möglicherweise ist die Praxis aus der Viehwirtschaft übernommen, denn genau so wird mit weiblichen Tie ren wie Eselinnen und Kühen verfahren, wenn ihr Eigentümer eine Zeugung auf der Weide vermeiden will.« (French 1992,138)
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Bildnachweis Karten »Ägypten« und »Mesopotamien«: Isabella Ballarin. Zeichnungen 2, 34b: Vera Altorfer. Abb. l, 2, 11 a, 12a (nach J.E. Quibell »Hierakonpolis« 1902), 16, 17, 28, 30: Museum Kairo. Abb. 4b: Brooklyn Museum, New York. Abb. 3a: Flinders Petrie Prehistoric Egypt« 1920. Abb. 4a, 9b: British Museum, London. Abb. 4b: Brooklyn Museum, New York. Abb. 5: Tal der Königinnen. Abb. 6: Köm el Ahmar. Abb. 7: Giza. Abb. 8: Flinders Petrie »The Royal Tombs of the earliest Dynasties« 11,1901. Abb. lOa: RoemerPelizaeus Museum, Hildesheim. Abb. lOb, lib: Museum of Fine Arts, Boston. Abb. 12b, 14 (nach W.B. Emery »Archaic Egypt« 1961 o. Quellenangabe), 23: Musee du Louvre, Paris. Abb. 13: nach W.S. Smith »A history of Egyptian sculpture and painting in the Old Kingdom« 1946, Ashmolean Musuem, Oxford. Abb. 15, 22a, 22b: Gaston Maspero »Ägypten und Assyrien« Leipzig 1891. Abb. 18, 19: J.E.Quibell./F.W. Green »Hierakonpolis« Part II. 1902, Ashmolean Museum/GriffithInstitut, Oxford. Abb. 20: Abu Simbel. Abb. 21: Medinet Habu. Abb. 24: L. Borchardt »Das Grabdenkmal des Königs SahuRe« in Abusir 1913. Abb. 25: Aufweg zur Unas Pyramide, Sakkara. Abb. 26: Aylward Manley Blackmail, The RockTombs of Meir 1,1914. Abb. 27: Grabrelief, Brier, 1980, o.Quellenangabe. Abb. 29: Kestner Museum, Hannover. Abb. 30: nach J.E. Quibell »Hierakonpolis« 1902. Abb. 31: Urbain Buriant, MIFAO (Memoires de l'Institut Francais d'Archeologie Orientale) 8,1903. Abb. 32: Uvo Kölscher »Medinet Habu« Volume VIII, Chicago 1970. Abb. 33: Alfred Jeremias »Das Alte Testament im Lichte des Orients«, 1916. Abb. 34a: Petrie & Wainwright »The Labyrinth, Gerzeh and Mazghuneh«, 1912
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