Manuela Koch, Georg Westermann (Hrsg.) Von Kompetenz zu Credits
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Manuela Koch, Georg Westermann (Hrsg.) Von Kompetenz zu Credits
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Harzer wirtschaftswissenschaftliche
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HochschulefurangewandtB Wissenschaften (FH)
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Herausgegeben vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Harz (FH)
In den „Harzer wirtschaftswissenschaftlichen Schriften" werden Beitrage zu aktuellen okonomischen Fragestellungen veroffentlicht. Die Hochschule Harz (FH) in Wernigerode, an der ehemaligen Nahtstelle zwischen Ost und West gelegen, leistet mit dieser Reihe des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften einen Beitrag zur Erfullung der BriJckenfunktion zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wirtschaftjechnik und Kultur.
Manuela Koch, Georg Westermann (Hrsg.)
Von Kompetenz zu Credits Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf ein Hochschulstudium
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber abrufbar.
1.AuflageDezember2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Brigitte Siegel / Stefanie Brich Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0626-3
Vorwort „Von Kompetenz zu Credits - Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf ein Hochschulstudium" Das hier vorliegende Buch enthalt die Inhalte der Prasentationen des Workshops „Von Kompetenz zu Credits", der am 23. Mai 2006 an der Hochschule Harz in Wernigerode stattfand. Diese Publikation in der Reihe „Gabler Edition Wissenschaft" ist unter anderem auch deshalb entstanden, weil die Anzahl der zu dieser Veranstaltung eingeladenen Teilnehmer ganz bewusst sehr niedrig gehalten wurde, um einen echten Workshop mit Intensiven und erschopfenden Diskussionen zwischen alien beteiligten Stakeholder-Gruppen zu ermoglichen. Im Nachgang zeigte sich jedoch ein so grolies Interesse an den Ergebnissen des Workshops, dass diese nun in Buchform einem breiteren Publikum zuganglich gemacht werden sollen. Die jeweiligen Autoren haben sich dabei nicht darauf beschrankt, lediglich ihre Prasentationen zu veroffentlichen. Vieimehr wurden die einzelnen Vortrage so aufbereitet, dass sie in ihrer Gesamtheit einen „lesbaren" Uberblick uber den aktuellen Stand der Diskussion zur Anerkennung von berufllch enA/orbenen Kompetenzen auf ein Hochschulstudium ermoglichen. Die Herausgeber haben sich bemuht, die Beitrage so anzuordnen, dass der Leser einerseits gezielt nach einzelnen Themen und Problemkreisen suchen kann. Andererseits enthalt die Publikation durchaus einen Spannungsbogen von grundsatzllchen Fragen zu den Moglichkeiten und Grenzen der Kompetenzmessung uber die ersten Auspragungen in der deutschen Hochschulrealitat bis hin zu den Erfahrungen und Modellen, die sich im Ausland ausmachen lassen. Auf diese Weise kann auch die sequenzielle Lekture des kompletten Buches zu neuen Erkenntnissen bei den Lesern fuhren. In diesem Von/vort soil das Thema des Workshops - „Von Kompetenz zu Credits" ganz kurz in einen grofieren Rahmen eingeordnet werden. Daran anschliedend wird eriautert, auf welche Fragestellungen die Veranstalter des Workshops und Herausgeber des vorliegenden Bandes Antworten suchen. Weitgehende Einigkeit besteht wohl daruber, dass die grofle Chance von dualen Studiengange darin gesehen wird, die Ausbildung fur ein jeweils ganz bestimmtes Berufsfeld durch die geschickte Kombination praktischer und akademischer Bildung zu optlmieren. Duale Studiengange sollten sich also dadurch auszeichnen, dass sie beide Bereiche sinnvoll und unter Nutzung von Synergien miteinander kombinieren. Hier stellt sich als nachstes die Frage: Was bedeutet „sinnvoir' und unter welchen Zielstellungen soil denn „optimiert" werden?
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MANUELA KOCH/GEORG WESTERMANN
Sinnvoll muss zunSchst einmal bedeuten, dass alle - fur einen dualen Studiengang wesentlichen - praktischen und theoretischen Inhalte vermittelt werden. Am Anfang eines derartlgen Konzepts steht also eine tiefgehende Analyse der Kompetenzen, welche fur den sp^teren Einsatz der Absolventen notwendig Oder zumindest erwunscht sind. In einer ganzen Reihe von BeitrSgen - vor allem im ersten Teil dieses Buches - wird sehr deutlich herausgearbeitet, dass Kompetenzen nicht durch reine Vermittlung von (Fach)Wissen enA/orben werden. Sinnvoll muss daher weiterhin bedeuten, dass alle Inhalte, die man besser „on the job" lernt, auch dort gelehrt werden. Eher theoretische Inhalte - ab einem bestimmten Niveau - werden dann in die akademischen Bestandteile der Programme aufgenommen. „Optimieren" sollte dann in diesem Kontext jedoch auf keinen Fall bedeuten, dass man beide Ausbildungen schlichtweg aneinander hangt. Vielmehr mussen Inhalte, Qualifikationen und Kompetenzen, die wahrend eines Toils der Ausbildung vermittelt werden Oder gar wahrend einer vorgelagerten Berufsausubung bereits en^/orben wurden, im anderen Teil anerkannt werden. Im Idealfall kann dieses Vorgehen zum eInen die Jewells andere Form der Ausbildung um aktuelle (theoretische oder praktische) Inhalte bereichern. Gerade belm En/verb von Kompetenzen - im Sinne von „etwas tun konnen" - erscheinen solchen Kombinationen beinahe unerlasslich. Zum anderen sollte sich durch das Eliminieren von Inhaltllchen Redundanzen die gesamte Durchlaufzeit einer dualen Ausbildung verkurzen lassen. Dadurch wurden Bildungsverlaufe nicht nur unter zeitlichen, sondern auch unter kostenorientlerten Gesichtspunkten deutlich effizienter. Hierdurch erklart sich freilich auch das enorme Interesse von politischer Seite an diesen Ansatzen. Insbesondere fur Verantwortliche, die damit betraut worden sind, solche dualen Programme fur Hochschulen oder fur Trager beruflicher Bildung zu entwickein, ergeben sich bei der „Optimierung" vor allem unter zeitlichen Gesichtspunkten eine ganze Reihe von Fragen. Viele davon sind inhaltlicher Natur. Andere beziehen sich jedoch auf rein formale Anforderungen. Am besten ware es, wenn man diese klaren konnte, bevor man Studiengange entwickelt und zur Genehmigung/Akkreditierung vorlegt. Im Idealfall gabe es klare und bundeseinheitiiche, gesetzliche Regelungen an die man sich halten konnte, wenn man Curricula und mogliche wechselseitige Anrechnungen zwischen Praxis und akademlscher Ausbildung festlegt. NatiJrlich findet man an so manchen Stellen (z.B. bei HRK und KMK) immer wieder Fragmente, aus denen man den Willen des spateren „Genehmigers" oder „Akkreditierers" interpretieren konnte. Doch die Verantwortlichen fiir solche Programme beschleicht - viellelcht auch, well sie eigentlich an das bequeme und enge ..Korsett"
Vorwort
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ministerialer Genehmigungsverfahren gewohnt sind - hier das Gefuhl, sich ohne Netz an einen sehr aufwandigen und Gefahren behafteten Drahtseilakt heranzuwagen. Das ware sozusagen die schlechte Nachricht. Man kann dieser Situation jedoch auch durchaus positive Seiten abgewinnen, wenn man bedenkt, wie lange schon sich die Hochschulen uber die Bevormundung durch Ministerien geargert und beschwert haben. Nun k5nnen sie - zumindest vorerst - derartige Programme recht frei entwickein und in einem kollegialen Prozess akkreditieren lassen.
Diese neu ge-
wonnene Freiheit sollte dann auch genutzt werden. Dennoch spricht es - nach Meinung der Herausgeber - nicht gegen Freiheit und Profilbildung, wenn man sich auf bestimmte Standards einigen konnte, die fur sinnvolle und optimal gestaltete duale Studiengange gelten sollen. Eine der Kernfragen, zur Optimierung unter zeitlichen Gesichtspunkten, bezieht sich dabei auf die Moglichkeiten, Kompetenzen auf den akademischen Teil der Ausbildung anzurechnen, die wahrend der beruflichen Ausbildung erworben wurden. Und damit ware das Thema des vorliegenden Buches und der Veranstaltung erreicht. Inhaltllch ist die Publikation so aufgebaut, dass zunachst schrittweise eine Reihe von Eriauterungen angeboten werden, die aus der SIcht der Herausgeber fur eine rationale Diskussion der Fragestellungen unabdingbar erscheinen. In einem zweiten Schritt werden sehr kurz und pragnant die Ergebnisse einer moderierten Diskussion aufgelistet, die als ein Versuch gelten kann, die AnsStze zu einer praktikablen Losung aufzuzeigen. Die folgenden Fragestellungen sollen also im Folgenden geklart werden: (1) Welche Verfahren zur Anrechnung von Kompetenzen werden in einzelnen Studiengangen bereits eingesetzt und welche Probleme tauchen dabei auf? -
Pauschalanrechnung oder Einzelfallprufung?
-
Qualifikationen oder Kompetenzen anrechnen?
(2) Welche Losungsmoglichkeiten waren hier aus theoretischer/padagogischer Sicht denkbar? -
Messverfahren
-
Anrechnungsverfahren
(3) Welche Losungsmoglichkeiten existieren aulierhalb Deutschlands bereits? -
Anrechnungsmodelle in Europa
-
Europaischer Quallfikationsrahmen
ym
MANUELA KOCH/GEORG WESTERMANN
(4) Wie stehen Akkreditierungsagenturen, Kultusministerien und Hochschulen dazu? -
Was wird akkreditiert und was nicht?
-
Wie muss man Nachweise fur Verfahren fuhren?
An dieser Agenda kann der Leser erkennen, warum der Workshop auf eine so kleine Teilnehmerzahl begrenzt war. Wenn diese komplexe Thematik einer praktikablen Losung zugefuhrt werden soil, dann miissen die Akteure miteinander reden und miteinander arbeiten. Das bedeutet, dass man nicht in parallelen Sitzungen jeden Teil des Problems separat diskutieren kann. Vielmehr muss es nach einer Bestandsaufnahme der aktuellen Daten und Entwicklungen eine Verstandigung auf einen (oder mehrere) Wege geben. In diesem Sinne wunschen die Herausgeber alien Lesern des vorliegenden Bandes, dass sie aus dem hier enthaltenen Erfahrungs- oder Theorieschatz den Weg fur ihr eigenes Programm destillieren konnen und dass auf diesem Weg eine noch buntere Hochschullandschaft entsteht ~ zum Wohle der Studierenden und ihrer Arbeltgeber. Prof. Dr. Georg Westermann, Manuela Koch
Sehr geehrter Herr Professor Westermann, sehr verehrte Damen und Herren,
vielen Dank fur die Einladung zu diesem Workshop und die Gelegenheit ein Grufiwort im Namen des Kultusministeriums des Landes Sachsen-Anhalt ubermittein zu konnen.
Das heutige Thema, die Anrechnung beruflicher Kompetenzen ist drangend. Von daher will ich der Bitte des Veranstalters gerne folgen und die Sicht bzw. Wahrnehmung des Ministeriums zu den in diesem Zusammenhang in Sachsen-Anhalt stehenden aktuellen Diskussionen verdeutlichen. Naturlich m5chte ich auch die Envartungen zum Ausdruck bringen, die wir in Magdeburg mit diesem Workshop verbinden. Studienreform, Erhohung des Akademisierungsgrades, Lebenslanges Lernen und Verzahnung von beruflicher und akademischer Bildung laufen unter dem Druck der Globalisierung, einer zunehmenden Privatisierung und Okonomisierung von Bildung ab. Ich habe den Eindruck, dass es einerseits zu schnell, aber eben auch deutlich zu langsam vorangeht. Zu langsam, well die Notwendigkeit einer besseren Verzahnung der Bildungssysteme mittlen/veile allgemein als akzeptiert gelten kann, aber in der praktischen Umsetzung fehit noch Vieles. Berufspraktiker, Facharbeiter und Meister haben alien Grund mit der Durchlassigkeit in Richtung Hoherqualifizierung an den deutschen Hochschulen unzufrieden zu sein. Der Anteil derjenigen, die uber die Regelungen zum Zugang fur beruflich qualifizierte Bewerber ein Studium aufgenommen haben ist, gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden, nach wie vor auflerst gering und liegt bundesweit unter 1 % . Zu schnell,
well wir der rasanten Entwicklung des Bildungsmarktes mit unseren
strukturellen Uberlegungen kaum folgen konnen. Die Geschwindigkeit der Macht des Faktischen Sorge bereitet Sorge. Die Verzahnungsschnittstellen zwischen den Bildungssystemen sind kaum transparent und gleichen haufig einer black box.
PETER VIESSMANN
Wir haben in Magdeburg die Erfahrung gemacht, dass vor dem Hintergrund • •
des Systemwechsels zu den gestuften Studiengangen, des in Sachsen-Anhalt geltenden Studiengebuhrenverbots fur grundstandige Studiengange und
•
der Frage, ob berufsbegleitend bedeutet, parallel einer berufllchen Tatigkeit nachgehen zu konnen oder aber, ob auch die curriculare Integration des Arbeitsplatzes in das Studium gemeint sein konnte,
die Begriffe grundstandig, berufsbegleitend und weiterblldend schnell unterschiedlich interpretiert werden und Missverstandnisse entstehen. Das erschwert die Erorterung der Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf ein Hochschulstudium. Es muss klar sein, was unter den Begriffen zu verstehen ist. Aber auch hinsichtlich des Minimum-Standards von drei Jahren Regelstudienzeit fur einen Bachelorabschluss ergeben sich Fragen. Aufierhalb des Hochschulwesens enA^orbene Kenntnisse und FShigkeiten durfen nach KMK-Beschlusslage (KMK vom 28.06.2002) bis zu 50% eines Hochschulstudiums ersetzen. Kann dieser Beschluss dazu fijhren, dass eine Hochschule zwar eine Bachelor-Studien- und Prufungsordnung von 180 ECTS vorlegt, in der Praxis aber ein Hochschulstudium von weniger als 180 ECTS anbietet? Dieses konnte dann geschehen, wenn alle Teilnehmer des Studiengangs pauschalisiert nicht-hochschulische Vorleistungen anerkannt bekommen bzw. durch Prijfung Vorleistungen bzw. Vorkenntnisse einbringen. Meine Damen und Herren, ich spreche diese Punkte deshalb in Ausfuhrlichkeit an, well wir von Akkreditierungsagenturen und Hochschulen mit diesen Themen konfrontiert wurden und hier offensichtlich Probleme und Unklarheiten vorliegen, die erortert bzw. klargestellt werden mussen. Das gilt auch fur das Thema weiterblldender Bachelorstudiengang. Ein Weiterbildungsbachelor ist in dem neuen gestuften Studiengangssystem nicht vorgesehen. Dabei weise ich ausdrijcklich darauf hin, dass es sich um eine institutionelle Betrachtungsweise handelt, die hier zum Tragen kommt. Ein Bachelorstudiengang ist immer ein Studiengang zum Erwerb eines ersten berufsquallfizierenden Hochschulabschlusses mit einer Regelstudienzeit von mindestens 3 Jahren. Ein Bachelorstudiengang kann nicht als „weiterbildender" Studiengang akkreditiert werden. Die von der KMK beschlossenen landergemeinsamen Strukurvorgaben sehen keine Differenzierung der Studiengange auf Bachelorebene In grundstandige und weiterbildende Studiengange vor.
Geleitwort
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Der Hochschulausschuss der KMK hat diesen Sachverhalt kurzlich auch noch einmal ausdrucklich bekraftigt. Diese Position wird auch vom Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt nicht in Frage gestellt. Wurden wir einen Weiterbiidungsbachelor bejahen, wurde
dies unweigerlich zu der Frage fuhren, wo die wissenschaftliche
Erstausbildung erfolgt, ob sie institutionell nach aufierhalb der Hochschule verlegt werden kann. Eine institutionelle Verlagerung der wissenschaftlichen Erstausbildung in den nicht-hochschulischen Bereich kann nach meiner Einschatzung nicht im Interesse der Hochschule liegen. Eine klare SIchtweise erscheint bei der Abarbeitung des Themas „Anerkennung beruflicher Kompetenzen auf ein Hochschulstudium" von grofler Bedeutung.
Ein weiteres und absolut unbestrittenes Prinzip ist die Entscheidungsautonomie der aufnehmenden Hochschulen. Diese Autonomie gilt fur alle Formen der Anrechnung. Soweit es urn das Hochschulstudium geht, legt die Hochschule die Studlenanforderungen test. Der geltende rechtliche Rahmen fur die Anerkennung beruflicher Kompetenzen ist in den Landergesetzen geregelt, wobei die meisten Lander eine Anrechnung seit Jahren ermoglichen. Die Anrechnungsverfahren sind dabei fast immer auf den individuellen EInzelfall ausgelegt. Fur die weitere Entwicklung gelten folgende politische Beschlusslagen: Auf nationaler Ebene ist es der KMK Beschluss von 2002 zur Anrechnung von auflerhalb en^^orbener Kenntnisse und Fahigkeiten auf ein Hochschulstudium und die gemelnsame Erkl^rung des BMBF, der KMK und der HRK aus dem Jahre 2003 Eckwerte dieser Beschlusse fur die Anerkennung beruflicher Kompetenzen sind:
1. Leistungen aus der beruflichen Bildung sind nur in dem Mafie anzuerkennen, wie sie den Leistungsanforderungen des jeweillgen Studiengangs entsprechen. Hierbei und das ist wohl ein Spannungsfeld zu dem vorhergesagten, ist auch die pauschalislerte Einstufung / Anrechnung nicht ausgeschlossen. Allerdings wird man das nur so interpretieren wollen, dass hierfur eine konkrete Kooperation zwischen einer Hochschule und einer beruflichen Ausbildungseinrichtung Grundlage ist und somit eine Einzelfallprufung entfallen konnte. Es ist mehr als fraglich, ob es einen Automatismus geben kann, wonach eine bestimmte berufliche Ausbildung immer einen bestimmten Teil eines fachlich
XII
PETER VIESSMANN
einschlagigen Studiums ersetzt , diese Sichtweise durfte mit diesem Beschluss von 2002 nicht eroffnet sein. 2. Weiterhin die Empfehlung, die Erprobung von Anrechnungsverfahren in „anspruchsvollen Qualifizierungen im Fortblldungsbereich" durchzufuhren bzw. zu entwickeln. 3. Auf die Entscheidungsautonomie der Hochschule hatte ich bereits hingewiesen. 4. Es durfen maximal 50% des Hochschulstudiums durch die Anerkennung von Fahigkeiten ersetzt werden. Auf europaischer Ebene konnen wir auf folgende hochschulpolitische Eckpunkte zuruckgreifen:
1. Bologna-Erklarung 1999 zum europaischen Hochschulraum 2. Memorandum uber das Lebenslange Lemen, der Forderung nach einer umfassenden Strategie zur Implementierung des LLL auf institutioneller und individueller Ebene 3. Kopenhagen-Erklarung 2002, Forderung der Transparenz in der bekanntermaflen sehr unubersichtlichen beruflichen Bildung 4. Maastricht-Erklarung 2004: Forderung nach starkerer Durchlassigkeit zwischen
beruflicher
Bildung
und
Hochschulbereich,
Entwicklung
EQF(Europaischen Qualifikationsrahmens). Die politischen Stoflrichtungen fur eine umfassende Strategie fur das LLL und durchlassige Bildungssysteme sind klar, aber in der Umsetzung sind Hindernisse zu uberwinden und es ist Gestaltung gefragt. Bund und Lander fordern die Anerkennung von beruflichen Kompetenzen auf ein Hochschulstudium im Rahmen von zwei Programmen. Ein Bundesprogramm, erganzt durch Mittel des Europaischen Strukturfonds, befasst sich mit der Frage, wie Fahigkeiten aus der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Berufspraxis in das an den Hochschulen ven/vendete europaische Leistungspunktesystem (ECTS) umgerechnet werden konnen. In diesen Projekten werden zunachst die Kompetenzen von rund 60 anspruchsvollen Fortbildungsabschlussen mit fachlich ahnlichen Studiengangen verglichen.
Geleitwort
Xlll_
Das zweite Programm, aus dem auch dieser Workshop finanziert ist, ist das BundLander Programm „Weiterentwicklung dualer Studienangebote im tertiaren Bereich". Dieses Programm fordert die Entwicklung dualer Studienangebote in bisher nicht vertretenen Fachrichtungen und in der gestuften Studienstruktur, insbesondere an Universitaten und gleichgestellten Hochschulen. Eine Forderlinie zielt dabei auch auf die hochschulubergreifende Entwicklung und Erprobung von Verfahren zur Anrechnung von Qualifikationen aus der berufllchen Bildung bei Beachtung des internationalen Kontextes, einschllefllich der Qualitatsslcherung. Das Land Sachsen-Anhalt ist an diesem Modellversuchsvorhaben beteiligt. Drei der 22 insgesamt teilnehmenden Hochschulen kommen aus Sachsen-Anhalt, die Hochschule Harz mit zwei Projekten und die Universitat Magdeburg mit einem Projekt. Die drei Projekte werden mit 600.000 EUR aus Bundes- u. Landesmittein gefordert. Wir erhoffen von Ihnen, den Fachleuten aus den Bildungselnrichtungen, neue Erfahrungen, Ergebnisse und Hilfestellungen in Richtung
•
Definition beruflicher und hochschulischer Kompetenzen anhand von learning outcomes
•
Bewertung der Kompetenzen mit dem Instrument des ECTS unter Einbeziehung der aktuellen Diskussionen uber EQF/ECVET
• •
Aquivalenzvergleiche Verfahrensfragen hinsichtlich der Ermlttlung von Qualifikationen/Kompetenzen, der Lernzeit und des Niveaus
•
Kooperations- und Vernetzungsfragen zwischen den Bildungselnrichtungen
•
Last but not least einen Beitrag zur Qualitatsbestimmung und -sicherung
Mit diesen Erwartungen wunsche ich der Tagung einen gewinnbringenden Verlauf und danke fur Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Peter VieHmann Kultusministerium Sachsen-Anhalt
Inhalt Anrechnung von Kompetenzen - erste Ansatze im BLK Modellvorhaben „Weiterentwicklung dualer Studiengange im tertiaren Bereich" und Erfahrungen aus der Berufsbildungsforschung" KLAUS JENEWEIN, KLAUS WEISENBACH Uberlegungen zur Anerkennungsfahigkeit beruflicher Kompetenzen im Rahmen dualer Studiengange
1
IRMGARD FRANK Verfahren zur Dokumentation und Anerkennung informellen Lernens im Prozess der Erwerbsarbeit
17
THOMAS MATTES, OLAF ZAWACKI-RICHTER, ERICH BARTHEL Kompetenzerwerb zwischen Hochschule und Betrieb - Kompetenzdiagnostik und -entwicklung in dualen Studiengangen
35
ANNETTE GREWE, ANKE PIOTROWSKI Entwicklung eines Verfahrens zur Anrechnung formal und informell enA^orbener Kompetenzen im Berelch Gesundheit/Pflege - das Portfolio-Assessmentverfahren
53
STEFAN GRUNWALD Von Kompetenz zu Credits - Anrechnung formaler und informeller Lernleistungen am Beispiel der Entwicklung eines Leistungspunktesystems in der IT-Weiterbildung
65
MANUELA KOCH. GEORG WESTERMANN Der Entscheidungsprozess zur Auswahl eines Verfahrens zur Anrechnung beruflich en^/orbener Kompetenzen
79
VOLKER WISKAMP Vom Chemielaboranten zum Chemie-lngenieur (FH)
93
XVI
Inhalt
Ein Blick iiber die Grenzen - Moglichkeiten der Anrechnung und bildungspolitische Entwicklungen im europaischen Kontext UWE LAUTERBACH Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengange Modelle und Praxiserfahrungen
99
JAN RATHJEN Der europaische Qualifikationsrahmen - Ziele und aktuelle Entwicklungen
125
Anrechnung beruflicher Kompetenzen im Kontext der Akkreditierung Podiumsdiskussion
131
Autorenverzeichnis
137
Uberiegungen zur Anerkennungsfahigkeit beruflicher Kompetenzen im Rahmen dualer Studiengange Klaus Jenewein, Klaus Weisenbach 1
EQF und NQF
Haufig wird sehr allgemein uber die prinzlpielle Anerkennungsfahigkeit beruflicher Kompetenzen diskutiert, ohne dass die Berufsbildungs- und Beschaftigungssysteme umfassend in den Blick genommen werden. Dabei ist dies fur die Hochschulstudiengange gerade vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses keinesfalls unproblematisch. Einerseits wird uber die Ausrichtung der Studiengange und Studienabschlusse an den international ubiichen angelsachsischen Konsekutivmodellen, der Einfuhrung des ECTS-Systems (European Credit Transfer System), der Einfuhrung eines Diploma Supplements und der Akkreditierungsverfahren die Grundiage fur die Internationale Anerkennung von Studiengangen und Studienabschlussen geschaffen. Andererseits ist damit fur Inhalt und Form der nachzuweisenden Kompetenzen ein klarer Rechtsrahmen gesetzt, der durch beliebige Anerkennungsverfahren fur aufierhalb dieses Systems en/vort)ene Kompetenzen durchaus an Grenzen stofien konnte.
(CaJ2004)
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Berufeausbiidung
Abb. 1: Practitioner skill und qualification level-Systeme in der europSischen Diskussion. In: Petersen, A. Willi, „Elektro- und IT-Fachkrafte in und fur Europa", Lehren & Lemen (l&l), 2005, Sonderheft1,S. 16
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
Urn diese Uberlegung zu verdeutlichen, hilft ein rascher Blick auf die im europaischen Umfeld gefiihrten Diskussionen und die dort entwickelten Strukturierungsvorstellungen (Siehe hierzu Abb. 1) Alle im europaischen Umfeld vorgeschlagenen Systeme zur Stufung beruflicher Qualifikationen unterscheiden im Prinzip Stufen auf der Ebene beruflicher Bildungssysteme (VET qualification level; VET steht hier fur vocational education and training) und auf der Stufe von Hochschulsystemen (HE qualification level; HE steht hier fur higher education). Um die Problematik ein wenig genauer zu illustrleren, ist in Abb. 2 ein Auszug mit dem Beispiel der deutschen Stufungssysteme dargesteilt.
^rbeitsqualifikatonen"
Germany (IAB)
^usbjldungsquallflkatlonen" (Qualifications)
(Skills) Universitdtsabschiuss
(Highjfltcil tVMri
FachhochschulabscNuss
HEquaMICiMon
Universitfttsabschiuss
correspond to
ECTS FachhochsdhutaboHchhisa Fachschulabschhiss
Fachschulniveau
ECVET mit BerufeausbikJung
biidung VET qualification
BerufBfachSCtHJt-
abschluss ohne
Beaifeausbiidung
biidung
Abb. 2: Arbeits- und Ausblldungsquallfikationen im deutschen Berufsbildungs- und Beschdftigungssystem. Auszug aus Petersen, A. Willi, ..Elektro- und IT-Fachkrafte in und fur Europa", Lehren & Lernen (l&l), 2005, Sonderheft 1, 8.16.
Im linken System der Arbeitsqualifikationen sind rot umrandet die Beschaftigungsstufen dargesteilt, die fur Absolventen von Berufsbildungssystemen charakteristisch sind, auf der rechten Selte die Ausblldungsquallfikationen dieses Systems, die sich im wesentlichen auf den Abschluss von Berufsfachschulen, Berufsausbildungen und Fach-/Technikerschulen sowie Meisterausbildungen stutzen. Auch fiir dieses System wird in Europa derzeit ein Kreditpunktesystem eingefuhrt, das ECVET-System (European Credit System for Vocational Education and Training, entwickelt im Rahmen des so genannten Kopenhagen-Prozesses). Das ECTS-System findet derzeit auf der Ebene der Ausblldungsquallfikationen im Hochschulberelch Anwendung, und zwar in Abb. 2 blau umrandet dargesteilt - im Rahmen von Fachhochschul- und UniversitStsabschlussen.
Uberlegungen zur Anerkennungsfahigkeit beruflicher Kompetenzen
Die aktuellen Diskussionen urn die Anerkennung beruflich erworbener Qualifikationen beziehen sich strukturell auf zwei Ebenen, von denen die erste in Abb. 2 angedeutet ist: I. d. R. diskutiert wird eine Anerkennung beruflicher Ausbildungsqualifikationen, die im europaischen Kontext dem ECVET-System zuzuordnen sind, auf Hochschulstudiengange durch Anrechnung in Form von Credits im Rahmen des ECTS-Systems. Nach Kenntnis der Autoren sind hierfur jedoch gesicherte ReciitsgrundJagen weder im deutschen noch im europaischen Kontext zu erkennen. Daruber hinaus wird die Akzeptanz im wissenschaftlichen Umfeld etwa durch die fur die einzelnen Studiendisziplinen zustandigen Fakultatentage - auRerst zuruckhaltend eingeschatzt. Meister- und Technikerausbildungen werden derzeit nach der bundesweit gultigen Rechtslage als Studienzugangsvoraussetzungen
anerkannt
und
bilden
damit
einen
Ersatz
fur
die
Regelvoraussetzung (Fachhochschul- Oder Allgemeine Hochschulreife); daruber hinaus gehende Anrechnungen sind bislang meist nicht geregelt (vgl. etwa die Hochschulqualifikationsverordnung des Landes Sachsen-Anhalt). Mitdiskutiert werden haufig auch Aspekte, die gem. Abb. 2 den Arbeitsqualifikationen auf der Grundlage von Berufsbildungsabschlussen (VET-System) zuzuordnen sind, auf ECTS-Credits des Ausbildungssystems. Diese Anrechnungen sind nach Kenntnis der Autoren noch weniger geregelt und werden bislang zwar haufig diskutiert, aber kaum vergleichbar quantifiziert. Merkwurdigen^/eise wird nicht diskutiert jedoch der umgekehrte Weg der Anrechnung von im ECTS-System en/vorbenen Credits auf Credits, die dem ECVET-System zuzuordnen wSren. Sollte es namlich belastbare Grunde fur die Annahme einer Gleichwertigkeit zwischen beiden Systemen geben, musste dieses aus Grunden der Gleichbehandlung auch fur den umgekehrten Weg gelten. Folglich mussten auch im ECVET-System Regelungen getroffen werden, auf welcher Grundlage ECTS-Credits etwa auf eine Meisterausbildung angerechnet wird und wann etwa ein Studienabbrecher ein dem Technikerabschluss vergleichbares Niveau erreicht hat. Die in den Abbildungen 1 und 2 angedeutete Struktur macht deutlich, dass von einem System der gegenseitigen Anrechnung von Kompetenzen auf Studienleistungen und umgekehrt noch nicht die Rede sein kann. Dennoch hat der vorliegende Modellversuch einige Untersuchungsfragen zur Gleichwertigkeit von betrieblich en^/orbenen Kompetenzen und von Kompetenzen, die in einem wissenschaftlichen Studlum enA/orben werden mussen, in seinen Arbeitsplan aufgenommen. Hierauf wird in Kapitel 5 eingegangen.
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
2
Duale Studiengange an der Otto-von-Guericke-Universitat Magdeburg^
2.1
Zur Einordnung in die Typenvielfalt dualer Studiengange an deutschen Universitaten, Fachhochschulen und Berufsakademien
Duale Studiengange an Universitaten sind noch immer eine Ausnahme in der deutschen Hochschullandschaft obwohl diese Studienfomn schon selt den 90er Jahren eine stetige Nachfrage erfuhr, mit zunehmender Tendenz^. Vor allem die neu eingerichteten Studienangebote der Berufsakademien und der Fachhochschulen, mit ihrer konsequenten Ausrichtung auf die Belange der betriebliche Praxis der Wirtschaft, brachte eine vielfaltige Entwicklung in Gang, die dazu fuhrte, dass zu den bis Ende der 90er Jahren ven/vendeten drei Typen dualer Studiengange^ ein weiterer Typ, die der so genannten ..praxisintegrierten" Studiengange, hinzu kam"*. Das trug insbesondere auch den Studiengangsplanen an den deutschen Universitaten Rechnung, wo ein Praxissemester bzw. mehrmonatige Praktika, im Rahmen von Diplomstudiengangen, In Kooperation mit Untemehmen und Betrieben der Wirtschaft Oder offentlichen Institutionen und Einrichtungen, schon langer die Regel waren. Wenn gleich diese Praktika keinen unmittelbar abgestimmten inhaltlichen Bezug zu den universitaren Lehrveranstaltungen aufwies/aufweist wie die an den Fachhochschulen starker in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelte und praktizierte Konzepte das vorsehen^. Im Zuge des Bolognaprozesses und der damit verbundenen Neuorientierung der Studienstrukturen an den deutschen Hochschulen, von Diplomstudiengangen zu Bachelor-ZMasterstudiengangsstrukturen, war es nur konsequent und eine Frage der Zeit, dass die duale Studienform auch in das Blickfeld des Interesses der Universitaten rucken wird. Der Grund ist wohl in der zeitlich wesentlich kurzeren Studiendauer der ersten hochschulischen Ausbildungsstufe, dem Bachelorstudium, zu erkennen, im Weiteren als OvG-Universitat Magdeburg bezeichnet. Bund-Lander-Kommission (BLK) fur BiWungsplanung und Forschungsforderung, Perspektiven fur die duale Bildung im tertiaren Bereich, Berlcht der BLK, Heft 110, Materialien zur Biidungsplanung und zur Forschungsforderung, ISBN 3-934850-46-4. Intemetadresse: www.blkbonn.de Holtkamp, R.: Duale Studienangebote der Fachhochschulen. Hochschulplanung 115. Hochschul-lnfonnations-System (HIS) GmbH, Hannover 1996. Holtkamp schlagt drei Typen zur Unterscheidung vor: ausbildungsintegrierende, berufsintegrierende und berufsbegleltende duale Studiengange. Der Grund fur die en«/eiterte Differenzierung war die zunehmende Vielfalt dualer Studiengange, die eine besondere „Berucksichtigung zielgruppenspezifischer Aspekte fur die Studienberatung erfor-derte". Siehe Mucke, Kerstin: AbschluRbericht eines BIBB-Vorhabens (Nr. 3.0.511) „Angebote dualer Studiengange an Fachhochschulen", Kurzdarstellung, November 2002 Ebd.
Uberlegungen zur Anerkennungsfahigkett bemflicher Kompetenzen
das zukunftig an den deutschen Universitaten auf sieben Semester ausgelegt sein wird wie die Entwicklung zeigt ®. Ein anderer Gmnd 1st darin zusehen, dass mit der Entwicklung von Bachelorstudiengangen die Vorgabe eines damit verbundenen berufsqualifizierenden Abschlusses verbunden ist, der die Ausrichtung auf fachrelevante Berufsfelder erzwingt. Universitar ist damit aber auch gleichzeitig die Chance verbunden, hoch qualifizierte Studienbewerber anzuwert)en, die fur die zweite Stufe, dem Masterstudium, geeignet sind, wo die eigentliche Ausrichtung auf die von den Universitaten fur ihr Hochschulangebot traditionell und standesgemafl deklariertes Niveau einer universitaren Hochschulausbildung fur die Forschung zukunftig stattfinden wird. Es war daher konsequent, dass an der ingenieun^^issenschaftlich ausgerichteten Otto-von-Guericke-Universitat Magdeburg dieser Entwicklung fruhzeitig Rechnung getragen wird und die bis dato entwickelten und noch in der Entwicklung befindenden Bachelorstudiengange auch als duale Studiengange angeboten werden bzw. zukunftig angeboten werden sollen^. AngestoBen wurde diese Entwicklung an der OvG-Universitat Magdeburg durch eine Initiative aus dem Institut fur Berufs- und Betriebpadagogik (IBBP), am Lehrstuhl fur Didaktik technischer Fachrichtungen, wo seit dem Wintersemester 2003/2004 ein Bachelorstudiengang fur Berufsbildung angeboten wird, der inhaltlich eine starke ingenieunA^lssenschaflliche Pragung ausweist und im Folgenden kurz beschrieben wird. Die Entwicklung des dualen Studiengangs fur Berufsbildung und die Entwicklung der dualen Studiengangen an den ingenieunA^issenschaftlichen Fakultaten, die sich teilweise noch in der Entwicklung befinden, steht im Rahmen eines Modellversuchs „Duale Studiengang: „Bachelor of Science und Berufsausbildung gemafl Berufsbildungsgesetz (BBiG) an der Otto-von-Guericke-Unlversitat Magdeburg in Kooperation mit ausbildenden Untemehmen der Wirtschaft", der zu gleichen Anteilen vom Insbesondere die ingenieurwissenschafUbhen Fakuttatentage, unterstutzt durch die ingenieurwissen-schaftlichen Standesorganisatbnen haben sich hierauf geeinigt. Beteiligt sind an der Entwicklung dualer Studiengdnge sind alle ingenieunA^issenschafllichen Fakultaten: die Fakultat fur Infomnatlk mit ihren ab dem Wintersemester 2006/2007 im Studienangebot stehenden vier Bachetorstudiengangen: Infomnatik, Computervisualistik, Computersystems of Engineering und Wirtschaftsinformatik; letzterer Bachebrstudiengang in Zusammenarbeit mit der Fakultat fur Wirtschaflswissenschaften (FWW). Die drei anderen ingenieunvissenschafllrchen Fakultaten: die Fakultat fur Elektrotechnik und Infonmationstechnik (FEIT), die Fakultat fur Maschinenbau (FMB) und die Fakultat fur Verfahrens- und Systemtechnik (FVST) werden ihre Bachelorstudiengange ab Wintersemester 2007/2008 anbieten. Die Fakultaten haben vor ihre Bachetorstudiengange auch als duale Studiengange in das Angebot einzubinden.
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
Land Sachsen-Anhalt und dem Bundesministerium fur Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wird^ 2.2
Das Grundkonzept der dualen Bachelorstudiengange an der OvGUniversitat Magdeburg am Beispiel des Bachlorstudiengangs fur Berufsbildung
Das Grundkonzept fur die dualen Bachelorstudiengange an der OvG-Universitat Magdeburg entspricht dem ausbildungsintegrierenden Typus dualer Studlengange. DIeser Typ ist dadurch gekennzeichnet, dass er Studieninteresslerten ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Berufserfahrung eine betriebliche Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf gemali Berufsbildungsgesetz (BBiG) anbietet, die in einer verkurzten Zeit mit einem Facharbeiterabschluss oder einem Gesellenbrief an einer Industrie- und Handelskammer (IHK) bzw. an einer Handwerkskammer (HWK) abgeschlossen wird. Es ist an den Fachhochschulen weit verbreitet, dass der zu absolvierende Berufsschulunterricht, abgestimmt mit einer Berufsschule komprimiert oder durch die Fachhochschule abgedeckt wird wodurch eine Verkurzung der Ausbildungszeit im Vergleich zu additiven Konzepten (betriebliche Ausbildung und Studium zeitlich nacheinander angeordnet) erreicht wird. Das Grundkonzept an der OvG-Universitat Magdeburg weist dagegen eine andere Variante aus, die den Besuch der Berufschule nicht vorsieht. Diese Mogllchkeit ist dadurch geboten, dass nach dem Berufsbildungsgesetz BBiG in der Fassung von 2005, laut § 7 „Anrechnung beruflicher Vorbildung auf die Ausbildungszeit", die zustandige Stelle fur die Kontrolle der Berufsausbildung, eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf, die „in einer sonstigen Einrichtung ganz oder teilweise" absolviert wurde, auf die Ausbildungszeit anzurechnen hat ^.
Das Projekt ist als Modellversuch eingebunden in das BLK-Programm „Weiterentwlcklung duaier Studiengdnge im tertidren Bereich", das mit einer Auftaktveranstaltung am 23724 Juni 2005 in der Fachhochschule in Fulda mit der Vorstellung von der 21 ausgew^hlten Projekte offiziell begann. Naheres zum Modellversuchsprogramm der Bund-L^nder-Kommission (BLK) fur Planung und ForschungsfSrderung „Weiterentwicklung dualer StudiengSnge im tertiSren Bereich". (Siehe hierzu Fulinote 2) BBiG in der Fassung 2005: § 7 Anrechnung beruflicher Vorbildung auf die Ausbildungszeit: (1) Die Landesregierungen konnen nach Anhorung des Landesausschusses fur Berufsbildung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass der Besuch eines Blldungsganges berufsbildender Schulen oder die Berufsausbildung in einer sonstigen Einrictitung ganz oder teilweise auf die Ausbildungszeit angerechnet wird. Die ErmSchtigung kann durch Rechtsverordnung auf oberste Landesbehorden weiter ubertragen werden. Die Rechtsverordnung kann vorsehen, dass die Anrechnung eines gemeinsamen Antrags der Auszubildenden und Ausbildenden bedarf. (Hervorg. d. Verf.)
Uberlegungen zur Anerkennungsfahigkeit beruflicher Kompetenzen
Auch die Teilnahme an Zwischen- und Abschlussprufung ist ohne Unterricht an einer Berufsschule moglich, wenn gesichert ist, dass das Ziel der beruflichen Handlungsfahigkeit durch die betriebliche Ausbildung und dem parallel verlaufenden Bachelorstudium erreicht werden kann.
Berufstatigkeit
Abb. 3: Das Konzept fur die dualen BachelorstudiengSnge an der OvG-UniversitSt Magdeburg
Ohnehin erstrecken sich die Prufungen auf die in Verordnungen fur die Berufsausbildung aufgefuhrten Qualifikationen sowie eingeschrankt „auf den im Berufsschulunterricht vermittelten Lehrstoff, soweit er fur die Berufsausbildung wesentlich ist"^°. Die Nichtbeteiligung der Berufschule macht eine zeitliche Kurzung der Ausbildung moglich wie sie In dem Konzept fur die dualen Bachelorstudiengange an der OvGUniversitat angelegt ist. Dadurch lasst sich die Ausbildungsdauer der Berufsausbildung, in einem anerkannten Ausbildungsberuf gemad BBIG, erheblich reduzieren und die Regelstudienzeit des dualen Bachelorstudiengangs auf vier Jahren auslegen. Die Kurzung der Ausbildungszelt in einem anerkannten Ausbildungsberuf ist nach § 8 des BBiG rechtllch abgesichert, „wenn zu erwarten ist, dass das Ausbildungsziel in der gekurzten Zeit erreicht wird"^\ Siehe dazu z. B. „Die Verordnung uber die Berufsausbildung in den industriellen Elektroberufen" vom 3. Juli 2003,Teil 1 Nr. 31 S. 1145, ausgegeben zu Bonn am 11. Juli 2003 im Bundesgesetzblatt Jg. 2003, S. 1145. BBiG in der Fassung 2005: § 8 Abkurzung und VerlSngerung der Ausbildungszeit heilit es: „(1) Auf gemeinsamen Antrag der Auszubildenden und Ausbildenden hat die zust^ndige Steile die Ausbildungszeit zu kurzen, wenn zu erwarten ist, dass das Ausbildungsziel in der gekurzten Zeit erreictit wird. Bei berechtlgtem Interesse kann sich der Antrag auch auf die Verkurzung der tSglichen oder wochentlichen Ausbildungszeit richten (Teilzeitausbildung)". (Hervorg. d. Verf.)
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
Dies ist bei hoch quaiifizlerten Abiturienten^^ sicher zu erwarten, zumal diese durch ein exklusives Bewerbungsverfahren von den Untemehmen und Betrieben selbst ausgewahit werden, und eIn besonderes Interesse daran haben werden, besonders hoch quaiifizlerten Bewerbem das Angebot eines finanziell unterstutzten dualen Studlums machen zu konnen^^. Ein anderes Problem, dass sich durch die zeitlich parallele Anordnung beider Ausbildungen in einem dualen Studiengang zwangslaufig ergibt, ist die Frage ob die vorgegebenen Zeitrahmen in den neuen Berufsbildungsverordnungen uberhaupt an die Rahmenbedingungen einer duale Hochschulausbildung angepasst werden durfen. Aber auch diese Moglichkeit besteht. In der Verordnung uber die Berufsausbildung In den industriellen Elektroberufen, urn ein Beispiel zu nennen, helBt es dazu unter § 7 Ausbildungsrahmenplan: „Eine von dem Ausbildungsrahmenplan abweichende sachliche und zeltliche Gliedemng des Ausbildungsinhaltes ist insbesondere zulSssig, soweit betriebspraktische Besonderheiten die Abweichung erfordem"^^. Eine duale Hochschulausbildung ist ohne Zweifel eine betriebspraktische Besonderheit, die in den Betrieben nicht die Regel der betrieblichen dualen Ausbildung ist und auch nicht werden wird, da sie ausgerichtet ist auf die Ausbildung von zukiinftigen hoch quaiifizlerten Fach- und Fuhrungskraften. Die Weiterbeschaftigung als ausgebildeter Fachart)eiter oder Geselle kann ja nicht das Ziel dualer Studiengange sein, sondem stellt die seltene Ausnahme dar, die eher in Anspruch genommen wird durch die Studierenden Im Falle eines unvorhergesehenen Studienabbruchs (z. B. bei Eintreten gesundheitlicher, familiarer oder finanzieller Schwierigkeiten). Insofem stellen die dual universitar ausgebildeten Bachelorabsolventen auch keine Konkunrenz fur die in der dualen beruflichen Ausbildung quaiifizlerten Fachkrafte was oftmals von Kritikem der dualen Studiengange als Gegenargument angefuhrt wird. Und wie steht es mit dem Status eines Auszubildenden?
Die Moglichkeit, eine exteme Prufung an den zustandigen Kammem ablegen zu konnen, enthebt den auszubildenden Betrieb von der Notwendigkeit des Abschlusses eines Ausbildungsvertrags mit dem ausgewahlten Bewerber wie es fur In GroBuntemehmen wie Siemens oder VW wird ein Abiturdurchschnitt von 2,5 vorausgesetzt. Eine Bestdtigung wird durch die Prufungsergebnisse der Kammerprufungen abgebikjet, wo AuszubikJende mit Abitur im hohen Masse mit die besten Abschlusse enreichen. Siehe dazu wieder beispielhaft die unter Fu¬e 10 aufgefuhrte AusbikJungsverordnung ,Die Verordnung uber die Berufsausbildung in den industriellen Elektroberufen"; hier unter § 7 AusbikJungsrahmenplan.
Obertegungen zur Anerkennungsfahigkeit bemflicher Kompetenzen
einen Auszubildenden nach dem BBiG vorgeschrieben ist. EIn Vertrag zwischen dem Ausblldenden und dem „Auszubildenden" oder besser Stipendlaten, auf der Basis eines Stipendiatenverhaltnisses, sichert in gleicher rechtsgultiger Weise die Teilnahme an der Zwischen- und Abschlussprijfung wie sie in den Verordnungen uber die Berufsausbildung in einzelnen Bemfen vorgeschrieben sind. Im Folgenden wird anhand eines konkreten Beispiels, des dualen Bachelorstudiengangs fur Berufsbiidung, der seit dem 1. August 2006 in Kooperation mit der Siemens AG - Siemens Professional Education (SPE) in Leipzig als Modellvorhaben durchgefuhrt wird, dargestellt wie die berufliche Ausbildung von ElektronikemZ-innen fur Automatisierungstechnik in zeitlicher Parallelitdt zum Bachelorstudiengang fur Berufsbiidung, in der beruflichen Fachrichtung Elektrotechnlk, verlSuft. 2.3
Der Bachelorstudiengang fur Berufsbiidung
2.3.1 Ziele und Struktur Die Ziele des Bachelorstudiengang „Berufsbildung" sind gemaB Studienordnung „die Vorbereitung auf hoch qualifizierte Tatigkeiten im Bereich des beruflichen Bildungswesens"^^. Damit ist allgemein benannt „die betriebliche Ausbildungsleitung und -koordination in grofieren Unternehmen sowie in ubert)etrieblichen Bildungseinrichtungen der Wirtschaft; die Berufs- und Qualifizierungsberatung; die betriebliche Ausbildungsleitung und -koordination in groBeren Unternehmen sowie in ubert>etrieblichen Bildungseinrichtungen der Wirtschaft und die Berufs- und Qualifizierungsberatung; Beratungs- und Entwicklungstatigkeiten in der Lehnnittelbranche (fur Lehrbucher, technische Dokumentationen, Experimentiersysteme, Laborkonzeptionen u. a. m.) unter Einschluss neuer Medien; Aus- und Fortbildungstatigkeiten an Bildungseinrichtungen der Wirtschaft (z. B. in uberbetrieblichen Ausbildungsgangen, In der Handwerks- und Industriemeisterausbildung, in der beruflichen Anpassungsfortbildung)"^®. Das Studium vemriittelt daruber hinaus „die fachwissenschaftlichen Grundlagen fur ein spSteres Masterstudium, in dem z. B. die fur die Unterrichtsbefahigung fur das Lehramt an berufsbildenden Schulen, fur Ftihrungstatigkeiten In beruflichen Bildungseinrichtungen der Siehe OVG-Universitat Magdeburg, Studienordnung fur den Bachelorstudiengang Berufsbiidung, § 1 Geltungsberelch und Zlele des Studiums, Selte 3, 2003. Ebd.
10
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
Wirtschaft oder fur Tatigkeiten im Bereich der Berufsbildungswissenschaften erforderlichen Kompetenzen erworben werden konnen"^^. Aufierdem ist mit dem Bachelorstudium verbunden eine „fachwissenschaftliche Grundausbildung mit anwendungsorientierten Lehrveranstaltungen in ingenieurwissenschaften und Padagogik, berufspraktische Orientierung durch wissenschaftlich angeleitete und begleitete Praxisphasen in unterschiedlichen Bereichen des beruflichen Ausbildungswesens
sowie
(eine)
Einfuhrung
in
eine
spezielle
berufiiche
Fachrichtung, die ggf. in einem spateren Masterstudiums zu einem vollwertigen Zweitfach ausgebaut werden kann"^®. Strukturell ist der Studiengang auf verschiedene berufiiche Fachrichtungen ausgerichtet, wie in den beruflichen Fachrichtungen Elektrotechnik, Metalltechnik, Informationstechnik (IT), Bautechnik und Verfahrens- und Systemtechnik^^.
Semester
Spezielle berufiiche Fachrichtung
Berufiiche Fachrichtung
6.
AtitoniAtiftiani^gt*
BerufsDadagogik
?i.:::l|;|i|lS^
mm
5. 4. 3.
Bektrotechnik (113CP)
iefliKllis^^^
2. 1. 180 CP
113 CP
1
39 CP
1
28 CP
Abb. 4: Die Struktur des Bachelorstudiengangs fur Berufsbildung am Beispiel der beruflichen Fachrichtung Elektrotechnik und der gewShlten speziellen beruflichen Fachrichtung Automatisierungstechnik/Mechatronik sowie der Fachrichtung Betriebspddagogik.
Zusatzlich ist eine von funf zur Wahl stehende spezielle berufiiche Fachrichtung wie z. B. Automatisierungstechnik/Mechatronik, Umwelttechnik oder IT-Mediensysteme zu studieren. Seit kurzem werden auch affine allgemeinbildende Facher wie z. B. Mathematik und Informatik angeboten Ebd. Ebd. Die Auswahl an weiteren beruflichen Fachrichtungen ist geplant. Die beruflichen Fachrichtun gen der Bautechnik und Verfahrens- und Systemtechnik werden voraussichtlich ab dem Win tersemester 2007/2008 angeboten.
Uberlegungen zur Anerkennungsfahigkeit beruflicher Kompetenzen
1J_
Die Fachrichtung der Betriebspadagogik und eine Bachelorarbeit komplettiert das Bachelorstudium der Berufsbildung. Die Abbiidung 4 zeigt die inhaltliche Struktur des Bachelorstudiums, wie sie im Rahmen eines Kooperationsvorhabens mit der Siemens Professional Education (SPE) Leipzig vereinbart ist. D. h. In der fachlichen Ausrichtung der Fachrichtung Elektrotechnik, der spezlellen beruflichen Fachrichtung Automatlsierungstechnik/ Mechatronik und der Fachrichtung Betriebspadagogik. 2.3.2 Inhalte Die Studienplane fur die einzelnen Fachrlchtungen des Bachelorstudium fur Berufsbildung sind modularlslert, d. h. In Module strukturlert, die den Studlerenden eine Mindestanzahl von Kreditpunkten (CP - Credit Points) verblndllch vorgibt. Die Kredltpunkte sind das Mali fur die Erbrlngung der jeweiligen Studlenleistungen. Im Falle des Bachelorstudlengangs, mit der beruflichen Fachrichtung Elektrotechnik, sieht der Studlenplan dieser Fachrichtung eine Mindestanzahl von 113 CP vor, die Im Rahmen von 9 Modulen zu studieren sind^°. Die Anzahl der CP's kann dabei unterschiedlich ausfallen, je nach dem In welcher Form die Leistungen erbracht werden. Eine Prasentation, ein Vortrag, eine Hausarbeit, ein Bericht, eine Klausur sind ubiiche Leistungsformen, die je eine unterschledllche Kredltpunkteanzahl ausweisen, welche von dem Jewells verantwortllchen Lehrenden zu Beginn der Veranstaltung vorgegeben wird.
Siehe Naheres in Abb. 3
12
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
Studienmodule
Lemzeit 1 (Std.)
sws
CreditPoints
15
20
560
10
14
392
12
17
476
6
8
224
10
13
364
8
11
308
6
8
224
5
7
196
10
15
420
1 |l Mathematik Mathematik 1, II - Grundkurs fur FGSE und FMB Fourieranalysls
1
Hohere Mathematik II 2 Gmndlagen der Elektrotechnik Gmndlagen der Elektrotechnik 3 Elektrotechnik und Messtechnik Grundlagen der Elektrotechnik III Laborpraktikum Grundlagen der Elektrotechnik Messtechnik (Sensoren. Aktoren etc) 4 Infonnatik 1 IGrundlagen der Informatik 5 Elektronische Bauelemente und Schaltungen Elektronische Bauelemente und Schaltungen Laborpraktikum Elektronische Bauelemente und Schaltungen le Infonnationstechnik Informationstechnik Programmierung von Mikrorechnem |7 Elektrische Energietechnik Grundlagen der elektrischen Energietechnik 1 Elektrische Maschinen und Aktoren Is Nachiichtentechnik Grundlagen der Nachrichtentechnik I9 Schwerpunktstudium: Einer der Schwerpunkte a) Automatisierungstechnik - Regelungs-ZSteuerungstechnik - Prozessmesstechnik - Wahlangebot Automatisiemngstechnik *) b) Elektrische Energietechnik - Grundlagen der elektrischen Energietechnik II - Elektrische Antriebe 1 - Wahlangebot Elektrische Energietechnik **) c) Nachrichtentechnik - Theoretische Elektrotechnik - Wahlangebot Nachrichtentechnik ***) [Summen
82
1 113
3164 1
Abb. 5: Studienplan der beruflichen Fachrichtung ET gemSB Studienordnung fur den Bachetorstudiengang BerufsbikJung
Ubertegungen zur Anerkennungsfahigkeit berufiicher Kompetenzen
13_
3
Das Kooperationsvorhaben zwischen der OvG-Universitat Magdeburg und der Siemens AG - Siemens Professional Education (SPE), Leipzig
3.1
Zur vertraglichen Vereinbarung des Verbundmodelis zwischen beiden Partnem
Im Mai 2006 unterzeichneten, im Rahmen einer Pressekonferenz, der Leiter des Aus- und Weiterbildungsbereichs der Siemens AG Munchen und der Rektor der OvG-Universitat Magdeburg einen Kooperationsvertrag zwischen der OvGUniversitat Magdeburg und der Siemens AG, der verbindlich die Zusammenarbelt beider Partner fur die Planung und Durchfuhrung eines dualen Verbundmodelis regelt. Gegenstand des Vertrags ist der duale Bachelorstudiengang fur Berufsbildung mit der inhaltlichen und organisatorischen Ausrichtung (Siehe Abb. 6 Studienverlaufsplan) in der beruflichen Fachrichtung Elektrotechnik, der speziellen beruflichen Fachrichtung und der Fachrichtung Berufspadagogik. Die Siemens AG betonte bei der offentlichen Unterzeichnung des Vertrags, welchen besonders hohen Wert und welche Bedeutung die Fachrichtung Betriebspadagogik fur das Unternehmen hat. Es sollen die zukunftigen technischen Fach- und Fuhrungskrafle fur den Aus- und Weiterbildungsbereich der Firma Siemens neben der ubiichen ingenieunvissenschaftlichen Qualifikationen auch berufspadagogische Qualifikationen im Rahmen ihrer Ausbildung erhalten. Der Bedarf dazu resultiert aus der betriebsinternen Beobachtung, dass allein ingenieurwissenschaftliche und technische Kompetenzen nicht mehr den Anforderungen an den Arbeitsplatzen von Fach- und Fuhrungskraften in der Aus- und Weiterbildung gerecht werden. 3.2
Organisation der betrieblichen Ausbildung zum Elektroniker/-in fur Automatlsierungstechnik
Die betriebliche Ausbildung Im Rahmen des dualen Studiengangs liegt im vollen Umfange In der Verantwortung der Siemens Professional Education Leipzig. Aus der Darstellung Abblldung 7 geht die die zeitliche Organisation der betrieblichen Ausbildung zum Elektroniker/-ln fur Automatisiemngstechnik hervor sowie ihre Verzahnung mit dem Bachelorstudiengang fur Berufsbildung.
14
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
Aulierdem sind die Teil- und Prufungstermine in dem Organisationsplan eingetragen wie sie zwischen der Siemens Professional Education und der zustandigen Industrieund Handelskammer (IHK) in Leipzig abgesprochen sind. Zeitlich liegen die Prufungen in den Zeitfenstern, die gemafi der Verordnung fur die Berufsausbildung in den industriellen Elektroberufen vorgeschrieben sind, unter Berucksichtigung der reduzierten Ausbildungsdauer von zweieinhalb Jahren. Dualer Bachelorstudiengang in Kooperation mit der Siemens AG - Siemens Professional Education (SPE) Verlauf des dualen Bachelorstudiums:
1. Semester
2. Semester
3. Semester
4. Semester
5. Semester
6. Semester
7. Semester
). Semester
WS
SS
WS
SS
WS
SS
WS
SS
P - betriebliche Praxisphase im Rahmen der Vorlesungszeit eines Semesters Anmerkung: In diesem Zeitraum sind die Studierende vom Studium beurlaubt.
Abb. 6: Studlumsverlaufsplan des dualen Bachelorstudiengangs im Rahmen des Verbundsmodells
Ausbildungs- und Studienverlauf AaB-
m.
FKsiiliillj
Om,
Jan.
f^.
IMnc
14 Wo Uni Magdeburg Semesters
© Siemens AG
Abb. 7: Ausbildungs- und Studienverlauf des dualen Bachelorstudiengangs im Rahmen des Kooperationsvorhabens zwischen der OvG-Universitat Magdeburg und der Siemens AG - Siemens Professional Education (SPE) Leipzig
Uberlegungen zur Anerkennungsfahigkeit beruflicher Kompetenzen
4
1 ^
Weiterfiihrende Uberlegungen zur beiderseitigen Anrechnung von Ausbildungsleistungen im Rahmen beider Ausbildungsgange
In Kap. 2 wurde bereits ausfuhrlich darauf eingegangen, dass die derzeitigen Kenntnisse und rechtlichen Grundlagen fur die gegenseitige Anreclinung von Ausbildungsund Studienleistungen reciit defizitar sind. Dennocli liegt gerade mit dem hier vorliegenden Model! die Frage der Anrechenbarkeit von Ausbildungs- und Studienleistungen auf der Hand. Es besteht einerseits die Schwierigkeit, dass der BLK-Modellversuch keine Grundlagenforschung unterstutzt und vor allem nicht fordert. Andererseits besteht im Rahmen eines auf drei Jahre befristeten Modellversuchs, in dessen Rahmen die Curricula fur duale Studlengange erst entwickelt und auf dieser Basis die Studiengange erst eingefuhrt werden sollen, nicht einmal die M6glichkeit, eine Kohorte bis zum Abschluss des Bachelorstudiums zu verfolgen und die hier erworbenen Erfahrungen auszuwerten. Dennoch wurden bei der Projektplanung einige Aspekte im begleitenden Evaluationskonzept aufgegriffen. Evaluationsschwerpunkt des Magdeburger Modellversuchs ist die Untersuchung der Kompetenzentwicklung. Hierzu bestehen folgende Untersuchungsfragen: Was bewirkt betrlebllche Praxiserfahrung in Bezug auf Kompetenzentwicklung der Studierenden? Welchen Beitrag leistet sle zur Kompetenzbildung der Studierenden, und zwar o
in den fachubergreifenden Kompetenzen?
o
in der wissenschaftlichen Fachkompetenz?
Welche Mess- und Bewertungsverfahren fur Kompetenzentwicklung stehen zur Verfijgung? Intendiert ist die Anwendung der folgenden Untersuchungsmethoden: Summativ angelegte Evaluationsuntersuchung, die die Einfuhrung der Studiengange begleitet. Befragung der direkt beteiligten Personen 0
an der Universltat (Studenten, Hochschullehrer);
0
in den beteiligten Ausbildungsunternehmen.
Vergleich hinsichtlich des Ausbildungserfoigs mit den „konventionellen" Studiengangen. Erste Ergebnisse sind fur das Jahr 2007 zu en/varten.
16
KLAUS JENEWEIN/KLAUS WEISENBACH
Literatur Bund-Lander-Kommission (BLK) fur Bildungspianung und Forschungsforderung, Perspektiven fur die duale Bildung im tertiaren Bereich, Bericht der BLK, Heft 110, Materialien zur Bildungspianung und zur Forschungsforderung, ISBN 3-934850-46-4. Intemetadresse: www.blk-bonn.de Bundesinstitut fiir Berufsbildung (BIBB), „Die Verordnung uber die Berufsausbildung in den industriellen Elektroberufen" vom 3. Juli 2003. Bundesgesetzblatt Jg. 2003 Teil 1 Nr. 31, ausgegeben zu Bonn am 11. Juli 2003, S. 1145 Hochschulqualifikationsverordnung (HSQ-VO) des Landes Sachsen-Anhalt vom 4.2.2002. Holtkamp, R., Duale Studienangebote der Fachhochschulen. Hochschulplanung 115. Hochschul-lnformations-System (HIS) GmbH, Hannover 1996. Mucke, K., Abschluflbericht eines BIBB-Vorhabens (Nr. 3.0.511) ,Angebote dualer Studiengange an Fachhochschulen", Kurzdarstellung des Abschlussberichts, November 2002 Otto-von-Guericke-Universitat Magdeburg, Studienordnung fur den Bachelorstudiengang Berufsbildung, S. 3, § 1 Geltungsbereich und Ziele des Studiums, Magdeburg 2003; siehe: www.uni-magdeburg.de/ibbp Petersen, A. Willi: Elektro- und IT-Fachkrafte in und fur Europa. In: lemen&lehren 2005. Sonderheft1,S. 16-28.
Verfahren zur Dokumentation und Anerkennung informellen Lernens im Prozess der Erwerbsarbeit Irmgard Frank Vorbemerkung Im
Zusammenhang mit der Schaffung eines europaischen Bildungsraumes , der
Forderung des lebensbegleitenden Lernens ist die (Neu-) Bewertung der gesamten Lernleistungen des einzelnen und die Einfuhrung darauf abgestimmter Konnpetenzfeststellungsverfahren von zentraler Bedeutung. Ausgehend von einer Auseinandersetzung nnit den verschiedenen Lernformen wird die Bedeutung des informellen Lernens fur den
Kompetenzerwerb
herausgearbeitet.
Anschlieflend
werden
die
wesentlichen Entwicklungslinien der gegenwartigen Bemuhungen zur Scliaffung von Verfahren zur Dokumentation und Bewertung informell en/vorbener Kompetenzen aufgezeigt und in einem Ausblick drei alternative Konzepte zur Integration dieser Lernleistungen skizziert.
1
Informelles Lernen ~ Bedeutungszuwachs unbestritten Anerkennung erst in den Anfangen
Die Debatte uber die Bedeutung des lebenslangen Lernen hat den Blick dafur gescharft, dass Lernen und Kompetenzen/verb nicht allein in eigens dafiir eingerichteten Institutionen und Einrichtungen, sondern immer und uberall, an alien Orten, in der Familie, beim Sport beim Ehrenamt, in der Freizeit stattfinden kann und dem damit verbundenen informellen und nicht-formalen Lernprozessen eine immer groliere Bedeutung zukommt.^ Mit dem Jahr des „Lebenslangen Lernens" Mitte der 90er Jahre begann die Auseinandersetzung mit diesem Thema. Inzwischen ist das „Lebenslange Lernen" zu einem welt verbreiteten Schlagwort geworden; dabei sind die zugrundellegenden konzeptionellen Vorstellungen nicht neu: Bereits Anfang der 70er Jahre widmete sich die UNESCO diesem Thema und beauftragte eine von Edgar Faure geleitete internatio-
vgl. dazu: Deutsche UNESCO- Kommission (Hrsg.): Lernfahlgkeit. 1997; Kommission der Europaischen Gemeinschaften: Weifibuch der EU - Memorandum uber Lebenslanges Lernen. November 2000; Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen fur alle"; Bundesmlnisterium fur Bildung und Forschung, Bonn und Berlin; Januar 2001
18
IRMGARD FRANK
nale Kommission mit der Erarbeitung einer Zukunftsvision fur das Bildungswesen. Der von der Kommission 1973 vorgelegte Bericht wird als eines der wichtigen internationalen Bildungsreform-Dokumente des 20. Jahrhundert angesehen, die wesentlichen Reformaspekte sind in der Tabelle auf der folgenden Seite aufgelistet. In der Fachwelt fanden diese Ideen eine grofle Resonanz, im Zuge der Reformbemuhungen in den 70 und 80er Jahren wurde daruber heftig diskutiert, eine breite Umsetzung in der pSdagogischen Praxis in Deutschland blieb dagegen aus. In den von Dieter
Merten
vor
mehr
als
25
Jahren
entwickelten
und
publizierten
„Schlusselqualifikationen" ist eine inhaltliche Nahe zu den Vorstellungen zu erkennen^.
D. Merten: Schlusselqualifikationen. Thesen zur Schulung fur eine moderne Geselischaft. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 7. Jhrg. Nurnberg, 1974, S. 40/41. Schlusselqualifikationen sind (...) solche Kenntnisse, Fdhigkeiten und Fertigkeiten, welche nicht einen unmittelbaren und begrenzten Bezug zu bestimmten disparaten praktischen Tdtigkeiten erbrlngen, sondern vielmehr > die Elgnung fOr die grofie Zahl von Positionen und Funktionen als alternative Option zum gleichen Zeitpunkt, und > die Elgnung fur die BewSltigung einer Sequenz von (meist unvorhersehbaren) Anderungen im Laufe des Lebens. Im einzelnen deflnierte er Schlusselqualifikationen als: > FShlgkeit zum lebenslangen Lernen und Wechsel der soziale Rollen, > FShigkeit zur Distanzierung durch Theoretlsierung, Relativierung, Verknupfung von Theorle und Praxis, > Technikverstandnis, > FShigkeit zur Interessenanalyse und zum gesellschaftliches GrundverstSndnis, > Planungsfdhigkeit, Fdhigkeit sich Ziele zu setzen, Zeit und Mittel einzuteilen, > Befahigung zur Kommunlkation, DecodierungsfShigkelt, > FShlgkelt zur Zusammenarbeit, Mitverantwortung und zur rationalen Austragung von Konflikten.
Informelles Lernen in der Erwerbsarbeit
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Reformgesichtspunkte Zentrales Ziel der Bildungsarbeit jedes menschlichen Lernens ist die individuelle Kompetenzentwicklung. Diese Kompetenzentwicklung ist notwendig, urn eine aktive und verantwortungsbewusste demokratische Mitwirkung moglichst vieler Menschen an der friedlichen Zukunft zu ermfigiichen. Die traditionellen Schulen und Bildungseinrichtungen sind nicht in der Lage, die noch brachliegenden Begabungspotentiale zu entwickeln. Dagegen sollte das naturliche, situative Lernen der Menschen in ihren alltdglichen Lebens- und ArbeitszusammenhSngen starker beachtet, unterstutzt und weiterentwickelt werden - insbesondere durch eine FOrderung von Lernprozessen. Der ursprungliche Sinn des menschlichen Lernen ist die Kompetenzentwicklung fur das Weltverstehen und die Bew^ltigung der Lebensaufgaben. Dazu ist die Auseinandersetzung mit den aktuellen Situatlonen und Problemen des menschlichen Lebens, Arbeiten und Zusammenlebens wichtig. Von Bedeutung ist es, ProblemzusammenhSnge in ihren inneren Zusammenhangen besser zu verstehen und zu lernen, angemessene Verhaltenswelsen und Konflikticisungen zu entwickeln. Das kann nicht primar theoretisch - abstrakt geschehen, sondern in aktiver Auseinandersetzung mit und In der Situation selbst und mit den in ihr handelnden Personen. Die BewSltigung der Lebensaufgaben erfordert ein kontinulerliches Lernen in alien Lebenssituationen. Dieses lebenslange Lernen sollte durch entsprechende Lerngesellschaften unterstutzt werden. In dieser Lerngesellschaft verlieren die traditionellen Bildungsinstitutionen ihre Monopolstellung. Sie sind allerdings ein wichtiger Bestandteil in einem umfassenden Lern-Netzwerk. Die Forderung des lebenslangen Lernens in Lern- Netzwerken kann zu einer Reduzierung der Lernzeiten an Schulen, Universitaten und in der Ausbildung fuhren. Lehrer und Ausbilder mussen neben einer Fachexpertise auch ijber lebensbezogene FShigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten verfugen. Dabei steigen zuglelch die Anforderungen an die Lernenden: Sle mussen befShigt werden, den gesamten Lernprozess starker eigenverantwortlich und selbstandig zu gestalten. Abb. 1: Vorschlage der Faure - Kommission - zum lebensbegleitenden Lernen^
Integration der verschiedenen Lernformen - Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Lernverstandnis Mit dem Konzept des lebensumspannenden Kontinuum des Lernens wird das Bildungssystem insgesamt in den Blick genommen, es stellt ab auf die verst^rkte Durchlassigkeit der Teilsysteme und richtet die Aufmerksamkeit auf eine verstarkte Integration der verschiedenen Lernformen und stellt dabei den Lernenden selbst In den MIttelpunkt.
E. Faure u. a.: WIe wir leben lernen. Der UNESCO - Bericht uber Ziele und Zukunft unserer Erzlehungsprogramme, Reinbek, 1973; G. Dohmen: Das lebenslange Lernen - Leitlinien einer modernen Bildungspolitik, Bonn 1996
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IRMGARD FRANK
Formales Lemen
In Aus- und Weiterbildung wird uberwiegend nach vorgegebenen Curricula und Lehrpldnen, mit einer definierter Zielsetzung und unter den Rahmenbedingungen institutioneller Angebote gelernt. Das Lernen ist vorgabeorientiert und fiihrt zu anerkannten Abschlussen ^.
Non-formales Lemen
Findet auRerhalb der Hauptsysteme der allgemeinen und beruflichen Bildung statt und fuhrt nicht unbedlngt zum Enverb eines allgemeinen Abschlusses. NIcht-formales Lernen kann am Arbeitsplatz und im Rahmen von Aktivitaten der Organisationen und Gruppierungen der Zivilgesellschaft stattfinden. Auch Organisationen und Dienste, die zur Erganzung der formalen Systeme eingerichtet wurden, konnen als Orte nicht formalen Lernens fungieren (z.B. Kunst-, Musik- und Sportkurse oder private Betreuung durch Tutoren zur Prijfungsvorbereitung)
Informelles Lemen
Findet in der allgemeinen Lebensumwelt jedes Einzelnen aulierhalb von formalen Bildungseinrichtungen statt. Informell gelernt wird im Zusammenhang mit aktuellen Problemen und Aufgabenstellungen. Es ist aniass- und erfahrungsbezogen, kann andererseits sporadisch und mehr oder weniger selbstgesteuert stattfinden. Die Ergebnisse des Lernens sind hSufig nicht bewusst^.
Abb. 2: Lernformen und Ihre charakteristischen Merkmale
Damit soil eine Brucke zwischen den formalen, non - formalen und informellen Lernprozessen geschlagen werden u. a. mit dem Ziel, das informelle Lernen, starker ins allgemeine Bewusstsein zu rufen und es als eigenstandige Lernform wahr- und ernst zu nehmen und im weiteren Wege zu deren gleichberechtigter Anerkennung aufzuzeigen.
Auch in formallsierten Bildungsgangen findet eine informeller Kompetenzerwerb statt. Es besteht unter den Fachleuten Einigkeit daruber, dass neben dem intendierten und geplanten Lernen auch immer noch etwas Anderes gelernt wird (sogenannter heimlicher Lehrplan). In der Ubersicht sind die im internationalen Kontext gebrauchlichen Beschreibungen aufgefuhrt. Im Unterschied zu den angelsachsischen L^ndern ist eine Differenzierung in drei Lernformen in Deutschland kaum ubiich. Non- formales und informelles Lernens wird im Allgemeinen als Informelles Lernen zusammengefasst. In dieser Zusammenfassung wird die Eigenstandigkeit des Informellen betont, wShrend mit dem Begriff des non-formalen Lernens eine eher negative Angrenzung zum formalen Lernen assoziiert und damit eine verstarkte AbhSngigkeit unterstellt werden kann. Zugleich ist von einer starken Wechselwirkung der beiden Lernformen auszugehen.
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Kompetenz und Kompetenzentwicklung
Wenn wir von Kompetenz oder Kompetenzen reden, dann ist damit die Frage verbunden, was ein Mensch tatsachlich kann und weifl. Der Kompetenzbegriff grenzt sich vom Qualifikationsbegriff - der seit den 1960er Jahren den Leitbegriff darstellte - insofern ab, als dass der Kompetenzbegriff das subjektive Potential zur Selbstorganisation von Individuen widersplegelt, wo hingegen der Qualifikationsbegriff auf die Kenntnisse und Fertigkeiten rekurriert, die fur die Ausiibung einer beruflichen Position von Noten sind. Der Qualifikationsbegriff deckt demnach den Ven/vertungszusammenhang im EnA/erbskontext ab. Der Kompetenzbegriff geht darijber hinaus und ist ganzheitlicher angelegt. Ganzheitlicher deshalb, well der Kompetenzbegriff auch diejenigen Lernprozesse und -ergebnisse berucksichtigt, die in informellen Lernkontexten angeeignet wurden. Dies sind zum Beispiel Kontexte wie die Familien- und Hausarbeit, ehrenamtliche Tatigkeiten, d.h. alles was im sozialen, gesellschaftlichen Umfeld geschieht. Ein weiterer informeller Lernkontext ist aber auch die En/verbsarbeit selber. Ins Zentrum der Betrachtung geraten dort alle Lernprozesse, die bei der Ausfuhrung von Handlungen im beruflichen Kontext geschehen, sozusagen das learning-on-the-job. Experten berichten, dass 70 % aller Kompetenzen, die wir fur die Ausubung eines Berufes brauchen, in informellen Lernkontexten en/vorben wurden. Nur ca. % aller Kompetenzen sind im s.g. formalen Bildungssystem angeeignet worden.^ Der Kompetenzbegriff wird ahnlich wie der des „informellen Lernens" In nationalen und internationalen Kontext unterschiedlich venvendet. In Deutschland variiert das Begriffsverstandnis je nach wissenschaftlichen Disziplinen (z. B. in den Arbeitswissenschaften, in der Padagogik, in den Sozialwissenschaften oder den Wirtschaftswissenschaften) und den unterschiedlichen theoretischen Implikationen mit der Folge, dass es ein einheitliches Begriffsverstandnis nicht gibt. Mit Kompetenz konnen die gesamten Handlungs- und Dispositionsfahigkeiten des Einzelnen umschrieben, die es ihm ermoglichen anstehende Aufgaben und Arbeiten angemessen (d. h. bezogen auf die Situation und die in ihr handelnden Personen) bewaltigen zu konnen.
Gunther Dohmen, Das informelie Lernen. Die internationaJe Erschlieliung einer bisher vernachiassigten Grundform menschlichen Lernens fur das lebenslange Lernen aller. BMBF (Hg.), Bonn 2001 S. 7
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Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die umfassende berufliche Handlungsfahigkeit der Person; die sich zusammensetzt aus einem Biindel an Fachi^ompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und personalen Kompetenzen. Im Unterschied zur Qualifikation, die den Schwerpunkt auf die aus den Berufsfeldem abgeleiteten Leistungspotentiale legt, ist der Kompetenzbegriff damit weiter gefasst und beinhaltet die gesamten WlssensbestSnde des Einzelnen und die Fahigkeit zu einer angemessenen Anwendung. Kompetenzen entwickein sich in der tStigen und reflexiven Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Herausforderungen innerhalb und aullerhalb von EnA/erbsarbeit. Kompetenzentwicklung in der Arbeit als wichtige Voraussetzung fur die Entfaltung personlicher und organisationaler Kreativitat setzt die Existenz entsprechender lernforderlicher Rahmenbedingungen voraus, z. B. das Vorhandensein und die Inanspruchnahme von HandlungsspielrSumen in der Arbeit, eine Problemhaltigkeit in der Aufgabenstellung die den Betreffenden nicht uber Gebuhr unter- noch uberfordert und die vom Einzelnen die Entwicklung von Handlungsoptionen erfordert, die uber routinemafliges Handein hinausgehen. Die Kompetenzentwicklung kann verstanden werden als ein weitgehend selbstgesteuerter Lern- und Aneignungsprozess, in dem der Lernende durch die Ermoglichung von Lern- und Reflexionsprozessen zur Infragestellung, Reflexion und Veranderung eingelebter und routinebehafteter und bewShrter Handlungsmuster und Sichtweisen gefuhrt und so seine fachlichen, personllchen, methodischen und sozialen Handlungsfahigkeiten erweitern, neu strukturieren und aktuallsieren kann. Dabei wird ein konstruktivistisches VerstSndnis von Lernen unterstellt. Damit wird angenommen, dass Lernen kein passives Aufnehmen und Abspeichern von Informationen ist, sondern einen aktiven Prozess darstellt, der von Indlviduum zu Individuum unterschiedlich ist und auf der Basis der eigenen Wahrnehmung und des bisher Gelernten und Erfahrenen verlSuft. Gelernt wird an fur den Einzelnen bedeutungsvollen Sachverhalten und Kontexten. Neues das mit dem bisher Erfahrenen und Gelernten nicht ubereinstimmt, lost beim Einzelnen Irritationen aus, die nur dann gelost werden, wenn die „alten" Deutungsmuster verSndert werden, und die Negativerfahrungen der fruheren Lernprozesse nicht zu gravierend waren. Die folgende Beschreibung enthait einen Definitionsversuch des Kompetenzbegriff es, der die zuvor beschrlebenen Aspekte in sich aufnimmt.
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Definition Kompetenz Der Begriff umfasst die Summe der WissensbestSnde und auch die AnwendungsfShigkeit des Wissens der Person. „Damit ist (...) ausgedrijclct, dass Kompetenz in ihrer Gesamtheit aus aktiven und ruhenden Wissensbestanden, aus sichtbaren und verborgenen, damit aus beschreibbaren und nicht beschreibbaren sowie fur seinen TrSger sogar aus bewussten und unbewussten FShigkeiten und Fertigkeiten besteht (...). Insgesamt ist damit gesagt, dass Kompetenz ganz allgemein wie berufliche Kompetenz im Besonderen an eine TStigkeit und gleichsam an ein Individuum gebunden ist. Dass heiflt weiter, dass es durch die Subjektbezogenheit und durch den Tatigkeitsbezug aligemeine Kompetenzen nicht gibt, sondern Kompetenz sich immer definiert in Bezug auf eine konkrete Tatigkeit, Anforderung, Aufgabe bzw. Problemstellung, sowie in Bezug auf eine konkrete Realisierung dieser Anforderungen durch ein Individuum; Kompetenz und Kompetenzentwicklung; sind so nicht in dem IVIafte wie Qualifikationen objektivierbar.
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Wachsende Bedeutung des informellen Kompetenzerwerb in formal strukturierten Bildungssystemen
Das Bildungs- und Ausbildungssystem in Deutschland ist stark formalisiert, Lemwege sind strikt vorgegeben. Alternative Lernwege, auHerhalb des formalen Systems, haben bisher kaum eine Tradition. Gleichzeitig haben die in formalen Bildungswegen en/vorbenen Nachweise eine zentrale Bedeutung fur den Zugang zum Arbeitsmarkt, sie sind ein Garant fur die individuellen Beschaftigungsfahigkeit, sie haben daruber hinaus einen zentralen Stellenwert fur die EIngruppierung in geltende Tarif- und Entlohnungssysteme^. Als Folge dieser Konzentratlon auf in formalen, institutionell vorgegebenen Lernwegen en/vorbenen Abschlusse, Zeugnisse und Zertifikate ist eine Wertschatzung der informell erworbenen Kompetenzen gegenwartig nicht gegeben. Es wird haufig nicht als richtiges Lernen empfunden, well es nicht bescheinigt und nachgewlesen wird. Es wird nicht nur nicht hinreichend anerkannt, der Einzelne kann diese Kompetenzen fur seine individuelle Berufs- und Lebensplanung kaum verwerten, es stellt auf dem Arbeitsmarkt keine „harte, ven/vertbare WShrung" dar.
In Deutschland gibt es in vielen TarifvertrSgen eine enge BIndung zwischen der anerkannten Ausbildung im dualen System und deren Bewertung in der EIngruppierung entsprechender Entgeldsysteme. Das bedeutet hSufig auch, dass BeschSftigte nach einer erfolgreichen Teilnahme an einer Qualifizierungsmalinahme einen Anspruch auf eine entgeldmadig hOhere Einstufung erwerben.
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3.1
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Funktion und Anforderungen an Kompetenzfeststellungsverfahren
Mit der Identifizierung, Bewertung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen wird eine Erhohung der Transparenz der Lernprozesse und der Lernleistungen angestrebt. Dabei lassen sich auf europaischer Ebene gegenwartig drej unterschiedliche Zielsysteme bezogen auf verschiedene Zielgruppen erkennen. Daruber lassen sich unterschiedliche Entwicklungsstande und Ausrichtungen erkennen: Einlge Verfahren sind ausschlief^lich auf die Dokumentation und Erfassung ausgerichtet, andere gehen welter und richten das Augenmerk auf die Anerkennung richten. Ziele kfinnen sein: • • •
Dokumentation der en/vorbenen Kompetenzen zur individuellen Standortbestimmung Dokumentation und Anerkennung zur Forderung im Betrieb bzw. zur (Re-) Integration auf dem Arbeitsmarkt Dokumentation und Anerkennung zur Forderung des Zugangs fur weiterfuhrende schulische und berufliche Bildungsgange.
Wahrend einige Lander (z.B. Vereinigtes Konigreich, Frankreich, Finnland, Niederlande) bereits uber Dokumentations- und Anerkennungsverfahren verfugen und Erfahrungen in der Anwendung aufweisen, wurden in anderen europaischen Landern in jungster Zeit zunSchst Dokumentationsverfahren entwickelt (z.B. Non/vegen, Danemark, Schweiz), Verfahren zur Anerkennung stehen noch aus. In Deutschland fehit es zur Zeit an abgestimmten Vorgehensweisen: hier gibt es eine Vielzahl von Initiativen und branchenspezifischen Ansatzen, die sich mit dem Thema befassen. Gegenwartig gibt es eine fast unuberschaubare Vielfalt an Test- und Bewertungsverfahren. Sie umfassen differenzierte Tests und Priifungen, unterschiedliche Formen der Assessment - Verfahren, vielfaltige Formen der Selbst- und Fremdeinschatzung und -bewertung sowie verschiedene Befragungstechniken und Interviewformen. Arbeitsproben und im Arbeitprozess verankerte Bewertungsverfahren werden in unterschiedlicher Art und Weise zur Dokumentation und Anerkennung der Kompetenzen herangezogen.
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Informelles Lernen in der Erwerbsarbeit
Was ist das Ziel?
Welche Methode kommt zum Wer ist beteiligt?
Dokumentation und/oder
Einsatz?
Anerkennung/ Zertifizierung
Selbstbeurteilung/ Fremdeinschdtzung
Anerkennung Pruf- und Testverfahren, prakti-
Uben/viegend Fremdeinschat-
sche Ubungen, z. B. multiple-
zung
choice-Aufgaben, Fragebogen, Portfolios Dokumentation der Lernleis-
Beobachtungs- und Personlich-
Uben/viegend Mischformen der
tungen ggf. als Vorstufe fur ein
keitsverfahren, z. B. Narrative
Selbsteinschatzung und Fremd-
Interviews, Beobachtungsleltfa-
beurteilung
Anerkennungsverfahren
den, Aufzeichnungen Dokumentation der Lernleis-
Beschreibende und deskriptive
tungen, ggf. als Vorstufe fur ein Verfahren, Anerkennungsverfahren
Ubenviegend SelbsteinschStzungen und Selbstbeurteilungen
z. B. Portfolioansatze, Lernta-
ggf. erganzt durch Fremdbeur-
gebucher, Tatigkeitsbeschrei-
teilungen.
bungen. Abb. 3: Verfahren zur Dokumentation und Anrechnung informell en/vorbener Kompetenzen
Ein grundsatzliches Problem ergibt sich bei der Dokumentation informell en/vorbener Kompetenzen: Die Kompetenzen sind haufig „verborgen", den einzelnen nur bedingt bewusst. Das macht es schwierig, Erfassungs- und Bewertungsverfahren zu entwickeln und anzuwenden, mit denen im Ergebnis der gleiche Grad an Verlassllchkeit erreicht werden kann, wie es mit den aus dem formalen Blldungswesen bekannten und standardisierten Prufungs- und Bewertungsverfahren moglich ist. Die Festlegung der Referenzstandards als Grundlage fur das gesamte Anerkennungsverfahren und die Entscheidung daruber, inwieweit ein eindeutlger und nachvollzlehbarer Bezug zum bestehenden formalen Berufsbildungssystem und den dort formulierten Qualifikationsstandards hergestellt werden soil, ist fur die Akzeptanz der Bewertungsverfahren von Bedeutung. Das gilt auch fur die Frage, wie die politische und institutionelle Umsetzung und Einfuhrung der Verfahren unterstutzt werden sollen. Bedeutend ist, welche Unterstutzungsleistungen von wem angeboten werden, wie „anwenderfreundlich" der gesamte Prozess gestaltet wird und wie ein mogllchst unkompllzierter Zugang zu den erforderlichen Daten und Informationen gewahrleistet werden kann. Schliedlich Ist zu entscheiden, wer die Dokumentation und Anerkennung ubernimmt, wie die Zustandigkeiten und Verantwortlichkeiten geregelt werden und welche Finanzierungsregelungen vorgesehen sind.
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3.2
IRMGARD FRANK
Stand der Kompetenzfeststellung in Deutschland
Gesetzliche Bestimmungen im berufsbildenden Bereich, die eine explizite Anerkennung informell erworbener Kompetenzen vorsehen, existieren ansatzweise bei der Extemenprufung. Weitergehende, gesetzliche Regelungen sind nicht vorhanden, allerdings gibt es in Deutschland gegenw^rtig eine Vielzahl von Initiativen und branchenspezifischer Ansatze, die sich mit der Frage der Erfassung und Dokumentation von informell en^/orbenen Kompetenzen befassen. Von Seiten der Unternehmen sind gegenwartig keine einschlagigen Projekte bekannt, die uber Unternehmensgrenzen hinweg eine Bedeutung haben. Im Folgenden werden gesetzliche Regelungen im berufsbildenden Bereich aufgezeigt und betriebliche Ansatze eriautert. 3.3
Anrechnung von Lernlelstungen im berufsbildenden Bereich
3.3.1 Extemenprufung Nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung konnen Personen im Rahmen der Externenregelung zur Abschlussprufung fur einen anerkannten Ausbildungsberuf zugelassen werden, ohne eine regulare Berufsausbildung durchlaufen zu haben. Voraussetzung ist dafur der Nachweis einer vorangegangenen Tatigkeit in dem Beruf, in dem die Prijfung abgelegt werden soil. Die Dauer dieser Berufstatlgkeit muss mindestens das Eineinhalbfache der regularen Ausbildungszeit betragen. Von dieser Regelung kann abgewichen werden, wenn durch die Vorlage von Zeugnissen oder auf eine andere Art und Weise glaubhaft dargelegt werden kann, dass der Bewerber Kenntnisse und Fertigkeiten en/vorben hat, die die Zulassung zur Prufung rechtfertigen. Die Extemenprufung, als Zulassung zur Prufung in besonderen Fallen, zielt insbesondere auf En/verbspersonen mit einschlagiger Berufserfahrung ab. Die Prufung erfolgt auf der Grundlage der formalen Ausbildungsordnung und des Rahmenlehrplanes des anerkannten Ausbildungsberufes. Das bedeutet, der Absolvent hat seine, auch auderhalb des formalen Blldungssystems en/vorbenen Kompetenzen, nach eben diesen formalen Grundsatzen zu prasentieren und nachzuweisen, damit findet keine eigenstandige oder besondere Ermittlung und Bewertung der informell enA/orbenen Kompetenzen statt ®. Jahrilch erwerben etwa 25.000 - 30.000 Personen mit der Extemenprufung einen Berufsabschluss. Gemessen an der hohen Zahl der un- bzw. angeiernten BeschSftigten ist die Anzahl gering, das Instrument der Extemenprufung ist reiativ unbekannt. Ailerdings ist der nachtrSgliche Erwerb reiativ zeitaufwSndig, mit Kosten verbunden und bedeutet fur die Teilnehmer eine
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3.4 3.4.1
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Kompetenzfeststellungsverfahren zur personlichen Standortbestimmung Bildungspasse
Eine relativ ausgepragte Experimentierfreude zeigt sich gegenwartig in der Entwicklung von Bildungspassen, die ganz allgemein zunn Ziel haben, durch eine Kombination verschiedener Instrumente eine Ermittlung und Dokumentation der individuellen Kompetenzen durciizufuhren und damit ein umfassenderes Kompetenzprofil abzubilden. Hier sind Ansatze zu erkennen, den Konfipetenzen/verb unabhangig von den institutionellen Wegen zu erfassen und die bisher vorherrschende Fremdbeurteilung und -bewertung der Kompetenzen unn Formen der Selbstbewertung zu erganzen. Gegenwartig gibt es mehr als 80 Bildungspasse die im Rahmen von Projekten und Initiativen entstanden sind bzw. sich in der Entwicklung befinden. Sie konzentrieren sich einerseits auf die Erfassung spezifischer Kompetenzen oder sind andererseits schwerpunktmaliig auf die Bediirfnisse bestlmmter Gruppen gerichtet, z. B. werden sie fur Jugendliche in der Berufsvorbereitung, bzw. fur Erwachsene im Rahmen von berufsbegleitenden Nachqualifizierungsbemuhungen eingesetzt, bzw. sind darauf ausgerichtet, Arbeitslosen den Wiedereinstieg in den „ersten" Arbeitsmarkt zu erleichtern. Andere Projekte bzw. Initiativen richten den Fokus auf die Erfassung von spezifischen Kompetenzen (IT - Qualifikationen) um Berufsruckkehrer/innen den Einstieg zu erieichtern; sollen den Zugang zu weiterfuhrenden berufllchen Bildungsmaflnahmen fordern, indem sie den Anspruch auf eine umfassende Dokumentation der personlichen und fachlichen Kompetenzen verfolgen.
nicht unerhebliche Doppel- bzw. Mehrfachbelastung. Die vorbereitenden Lehrg^nge, die von einer VIelzahl unterschiedlicher Trager in Deutschland angeboten werden, finden in aller Regel berufsbegleitend statt, melstens abends oder an den Wochenenden und erstrecken sich auf eine Dauer von bis zu zwei Jahren. Die Kosten fur die Vorbereitungskurse tragen im allgemelnen die Teilnehmer.
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3.5
IRMGARD FRANK
Kompetenzfeststellungsverfahren im betrieblichen Kontext
3.5.1 Betriebliche Personalentwicklung Assessmentverfahren/Beurteilungen/Mitarbeitergesprache Eines der wichtigen und in Grofibetrieben haufig praktizierten Verfahren zur betrieblichen Beurteilung ist das Assessment-Center. Dieses „Beurteilungs- Verfahren" wurde in der Vergangenheit in erster Linie zur Auswahl von Fuhrungskraften in der Industrie eingesetzt, sie . Dabei werden unterschiedliche Beurteilungsmethoden eingesetzt. Verfahren der Mitarbeiterbeurteilung sind insbesondere in Groflbetrieben weit verbreltet und werden zunehmend wichtig fur die gesamte Personalplanung und entwicklung. Die Verfahren werden eingesetzt bei der Einstellung von Mitarbeitern, bel der Feststellung bzw. Eignung fiir bestimmte Aufgaben und Tatigkeitsfelder, bel der Beurteilung der individuellen Arbeitsleistungen, im Rahmen der Personalforderung und zur Abschatzung der Leistungspotenzlale. Die Teilnehmer /Innen haben sich in gemeinsamen Gruppendiskussionen, in Rollenspielen oder in Einzelarbeiten mit moglichst realitatsnahen, unterschiedlichen Arbeits- und Entscheidungssituationen aus dem Berufsalltag auseinander zu setzen. Mit einem moglichst breit gefacherten Einsatz unterschiedlicher Auswahlmethoden, die stark auf die Eigeninitiative und Eigenaktivltat der Teilnehmer/innen zielen und einer Beurteilung durch mehrere Beurteller soil eine zuverlassige und differenzierte Einschatzung der Kandidaten moglich sein und ein moglichst umfassendes Kompetenzprofil ermittelt werden konnen. 3.5.2
Bildungspasse
Neue Verfahren der Bewertung sehen eine starkere Einbeziehung der Beschaftigten in den Prozess vor; Beurteilungs- bzw. Mitarbeitergesprache haben das Zlel, das Leistungsverhalten zu beurteilen, hier soil ein Dialog zwischen Vorgesetzen und Mitarbeiter zu einer angemessenen und von beiden Seiten getragenen Einschatzung der Leistung fiihren. Die Selbsteinschatzung des Mitarbeiters hat ein hohes Gewicht, individuelle Zielvereinbarungen (d. h. Festschreibung von in einem bestimmten Zeitraum zu erbringenden Leistungen ) haben eine grofle Bedeutung. Die genannten Beurteilungsverfahren haben ihre Bedeutung fiir den einzelnen Betrieb, eine weitergehende Nutzung der Daten ist ausgeschlossen. Inzwischen gibt es auf einzelbetrieblicher Ebene Bildungspasse, die den Beschaftigten die Moglichkeit bietet, die en/vorbenen Kompetenzen zu dokumentieren und fur
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die individuelle Karriereplanung zu nutzen. So heiflt es im Vorwort eines mit Mittein des BIBB im Rahmen eine Modellversuchs entwickelten und in der Anwendung befindlichen Bildungspass: „ (...) denn der Bildungspass soil Ihr personliches Instrument sein zur beruflichen Standortbestimmung und Zwischenbilanz Ihres bisher erworbenen Wissens und Ihrer Fahigkeiten. Der Bildungspass soil Sie anregen, uber den zuruckliegenden Arbeits- und Lernweg, uber neue berufliche Ziele und, wenn Sie wollen, ijber eine mogliche Erweiterung Ihres Einsatzspektrums nachzudenken. Der Bildungspass wird von jedem Beschaftlgen auf freiwilliger Basis gefuhrt und kann eine hilfreiche Grundlage fur die nach dem Tarifvertrag vorgeschriebenen regelmafiigen Gesprache uber den Qualifizierungsbedarf sein"^.
3.5.3
Arbeitszeugnisse
Auf betrieblicher Ebene werden die im Arbeits- und Berufsleben informell erworbenen Kompetenzen gegenwartig hauptsachlich in Arbeltszeugnissen festgehalten. Diese Zeugnisse geben nur einen allgemeinen Einblick in die Fahigkeiten des Beschaftigten, sie enthalten in erster Linle eine Auflistung der hauptsachllchsten Aufgaben und Tatigkeiten und eine Bewertung. Soziale und personale Fahigkeiten werden haufig umschrieben, die geltende Zeugnissprachregelung, wonach Zeugnisse keine negativen bzw. rufschSdigenden Angaben enthalten diJrfen, eroffnet den Betrieben nur begrenzte Moglichkeiten, das Kompetenzprofil umfassend zu beschreiben. Beschaftigte haben beim Wechsel des Arbeitgebers einen Anspruch auf ein Zeugnis, sie konnen aber auch bei beabsichtigten Innerbetrleblichen Veranderungen ein Zeugnis beantragen. In den Arbeltszeugnissen wird in erster Linie eine Fremdbeurteilung der Kompetenzen vorgenommen. Trotz dieser Einschrankungen sind Arbeitszeugnisse auf dem Arbeitsmarkt ein weitgehend akzeptiertes Dokument. Fur Beschaftigte bzw. Arbeitssuchende haben sie den Status des Nachweises iJber berufliche Erfahrungen.
Bildungspass, DC, Werk Gaggenau. Ein Instrument zur beruflichen Standortbestimmung. Der Bildungspass wurde im einem vom BIBB geforderten Modellversuch entwickelt und wird gegenwartig im Unternehmen eingesetzt.
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Konzepte zur Anerkennung informell erworbener Kompetenzen - drei alternative Wege
Die entscheidende Frage bei der Anerkennung von in informellen Lernkontexten erworbenen Kompetenzen lautet: Wie kann das individuell initiierte und oftmals selbstorganisierte Lernen beschrieben, gennessen und bewertet werden? Welche Methoden sind geeignet, die dem Einzelnen oftmals verborgenen individuellen Kompetenzen sichtbar zu machen, und wie lasst sich der KompetenzenA^erb mogliciist unkompliziert, kostengunstig und zugleich valide erfassen? Bildungspolitische Uberlegungen und die Frage, an weiciien Standards die auderhalb des formalen Aus- und Weiterbildungssystems en^/orbenen Kompetenzen gemessen und anerkannt werden sollen, sind von zentraler Bedeutung fur die Gestaltung der Verfahren und sie sind zugleicii maflgebend fur die Akzeptanz der gesamten Verfahren. Das zeigen Erfaiirungen aus europaischen Landern, wo in der jiingeren Vergangenheit Anerkennungssysteme entwickelt und implementiert wurden. Im folgenden werden drei mogliche L6sungsansatze''° fur die Anerkennung informell en/vorbener Kompetenzen vorgestellt und die damit verbundenen Vor- und Nachteile eriautert: 4.1
Variante 1: Anpassung an das formale System
In diesem Modell werden die aulierhalb des formalen Bildungssystems enA/orbenen Kompetenzen an den staatlich anerkannten Standards und Prufungen gemessen und als gleichwertig angesehen. Beim erfolgrelchen Bestehen der Prufung fur einen definierten Beruf bzw. im Rahmen eines allgemeinbildenden oder schulischen Abschlusses wird das entsprechende Zertiflkat unabhangig von zuruckgelegten Lernweg vergeben. Die meisten der in Europa gegenwartig entwickelten Verfahren, orientieren sich an diesem Modell, so regein z. B. Finnland, NonA/egen, aber auch Frankreich und die Schweiz die Anerkennung informell enA/orbener Kompetenzen: Bine Messung und Anerkennung erfolgt auf der Basis unterschiedlich differenzierter, staatlich vorgegebener Berufsprofile.
Slehe dazu auch: Ute Laur- Ernst, Kompetenzentwicklung, Manuskript 2003
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Ziel der Verfahren ist es im allgemeinen, dem Einzelnen die Moglichkeit einzuraumen, sich die gesamten Kompetenzen offiziell bestatigen zu lassen; Lucken im eigenen Kompetenzprofil erkennen zu konnen, urn ggf. in Hinblick auf beabsichtigte berufiiche/schulische Abschlusse Qualifizierungsdefizite beheben zu konnen die fur eine Anerkennung erforderlich sind. Zertifikate klassischer Pragung haben einen entscheidenden Vorteil: Sie verleihen dem Inhaber den „gesellschaftlich gesicherten Wert", der mit dem Abschluss verbunden ist. Mit dieser Gleichsetzung ist zugleich eine hohe Gultigkeit - sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch innerhalb des formalen Bildungssystems - gegeben. Problematisch ist dabei, dass die Bewertung und Anerkennung der Kompetenzen an den durch das formale Biidungssystem festgelegten Kompetenzen erfolgt; dass sind in der Regel nicht alle Berufe und Tatigkeiten, die in der Arbeitswelt existieren und von besonderer Relevanz sind. 4.2
Variante 2: Erweiterung
Eine Erweiterung dieser auf formalen Standards beruhenden Vorgehensweise ist mit der zweiten vorgeschlagenen Variante moglich. Hier werden explizit die in informellen Lernkontexten erworbenen Kompetenzen erfasst und bewertet, z. B. durch erganzende Informationen, aus denen die Art der Kompetenzen und die besonderen Arbeits- und Lebenszusammenhange, in denen sie erworben wurden, deutlich werden. Dabei geht es insbesondere darum Schnittstellen zu dem bestehenden System ausfindig zu machen und Integrationsmoglichkeiten aufzuzeigen. Ein Beispiel kann die Sinnhaftigkeit verdeutlichen: Ein Angestellter, der uber einen langeren Zeitraum im Einkauf eines Unternehmens erfolgreich seiner Tatigkeit nachgegangen ist, hat durch den Bau und die Finanzierung seines Eigenheims und die Abwicklung von Erbangelegenheiten nach dem Tod der Eltern eine Expertise in rechtlichen und finanztechnischen Fragen erworben: Er ist Experte im Erbrecht und ist fit in der Immobiiienfinanzierung. Seine Kompetenzen in diesen Bereichen sind wesentllch umfangreicher als z. B. die eines dual ausgebildeten Immobilienkaufmanns bzw. eines Absolventen einer Fachhochschule im Fachgebiet Finanzwesen. Bel einem ausschliefllichen Abgleich mit dem Standards des formalen Ausbildungssystems, werden diese „zusatzlichen" Kompetenzen nicht „angerechnet".
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4.3
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Variante: Parallelitat
Im Unterschied zu den vorher beschriebenen Verfahren werden fur die Bewertung Anerkennung keine Standards zugrundegelegt, die einen eindeutigen Bezug zum formalen Bildungssystem aufweisen. Der besondere Charme dieses Ansatzes besteht in der Moglichkeit, die erworbenen Kompetenzen umfassend anzuerkennen. Diese Chance ist auf der anderen Seite nicht ohne Risiko: Wie kann es gelingen, ein dauerhaftes und eigenstSndiges Dokumentations- und Anerkennungssystems zu etablieren, das praktikabel, zuverlassig, transparent, sozial anerkannt und zugleich glaubwurdig ist? Woran werden die Kompetenzen gemessen und wie wird die Beziehung zu den geltenden Berufs- und Arbeitsmarktstrukturen hergestellt? Wie lasst sich eine Gleichwertigkeit herstellen? Auch hier soil der Sachverhalt durch ein Beispiel illustriert werden: In einem Projekt zur Entwicklung einer Kompetenzbilanz, wurde eine Instrument zur Selbsteinschatzung der Kompetenzen aus informellen Lernorten im Bereich der Familientatigkeiten geschaffen. Es richtet sich in erster Linie an berufstatige Mutter und Vater und Berufsruckkehrer/innen und eroffnet den Personenkreis die Moglichkeit, die sozialen und personalen Kompetenzen, die im Rahmen der Familienarbeit erworben wurden, zu erfassen und zu bewerten, und im welteren fur die Karriereplanung nutzbar zu machen. Die Kompetenzbilanz zielt daruber hinaus auf die betriebliche Nutzung dieser aulierhalb von En/verbsarbeit en/vorbenen Kompetenzen ab^\
Vgl. Bundesmlnisterium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familienkompetenzen als Potential einer innovatlven Personalentwicklung. Die Kompetenzbilanz: Kompetenzen aus informellen Lernorten erfassen und bewerten. Dokumentation. Berlin/Bonn. 2002, S. 6
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Literatur Bundesministerium fur Bildung und Forschung, Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen fur alle"; Bonn und Berlin; Januar 2001 Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend, „Familienkompetenzen als Potential einer innovativen Personalentwicklung. Die Kompetenzbilanz: Kompetenzen aus informellen Lernorten erfassen und bewerten", Dokumentation, Berlin/Bonn, 2002, Deutsche UNESCO- Kommission (Hrsg.), „Lernfahigkeit", 1997 Dohmen, G., „Das informelle Lernen. Die Internationale ErschlieHung einer bisher vernachlassigten Grundform menschlichen Lernens fiir das lebenslange Lernen aller", BMBF (Hg.), Bonn 2001 Dohmen, G., „Das lebenslange Lernen - Leitlinien einer modernen Bildungspolitik", Bonn 1996 Faure, E., „Wie wir leben lernen. Der UNESCO - Bericht uber Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme", Reinbek, 1973 Kommission der Europaischen Gemeinschaften, „Wein>buch der EU - Memorandum uber Lebenslanges Lernen", November 2000; Laur, U., „Ernst, Kompetenzentwicklung", Manuskript 2003 Merten, D., „Schlusselqualifikationen. Thesen zur Schulung fur eine moderne Gesellschaft. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung", 7. Jhrg. Nijrnberg, 1974
Kompetenzerwerb zwischen Hochschule und Betrieb Kompetenzdiagnostik und -entwicklung in dualen Studiengangen Thomas Mattes, Olaf Zawacki-Richter, Erich Barthel 1
Einleitung
In der deutschen Hochschullandschaft vollzieht sich gegenwartig ein Paradigmenwechsel. Unter dem Stichwort ,Bologna' lassen sich auf verschiedenen Feldern tiefgreifende Veranderungen beobachten^ Begonnen hat der Bologna-Prozess mit der Bologna-Erklarung, die 1999 von 29 europaischen Bildungsminlstern unterschrieben wurde.^ Die Unterzeichner vereinbarten die Schaffung eines europSischen Hochschulraums zur Forderung der Mobilitat und Berufsfahigkeit der europaischen Burger und der internationalen Wettbewerbsfahlgkeit des europaischen Hochschulsystems. Bis 2010 sollen die folgenden sechs Teilziele erreicht werden: 1. Einfuhrung eines Systems leicht verstandlicher und vergleichbarer Abschlusse (..Diploma Supplement"); 2. Einfuhrung einer Studienstruktur. die im Wesentlichen aus zwei Hauptzyklen besteht (..undergraduate" und ..graduate"); 3. Einfuhrung eines Leistungspunktesystems (European Credit Transfer System, ECTS) zur Forderung grofitmoglicher Studierendenmobilitat; 4. Forderung der Mobilitat durch Uberwindung von HIndernlssen, die der Freizuglgkeit von Studierenden und Lehrenden im Wege stehen; 5. Forderung der europaischen Zusammenarbeit bei der Qualltatssicherung; 6. Forderung der europaischen Dimension Im Hochschulbereich, Insbesondere bei der Curriculumentwicklung und der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen. Im Laufe welterer Folgekonferenzen in Prag^, Berlin"^ und Bergen^ wurde die Bologna-Erklarung durch weitere „Aktionslinien" erganzt. Im Hinblick auf die Thematik der dualen Studiengange ist die Aktionslinie „Lebenslanges Lernen" (lifelong learning), die 2001 in Prag beschlossen wurde, hervorzuheben. Die Europalsche Kommission hat hierzu eine Mitteilung
verfasst, in der die Bestlmmung und Anerkennung von
Massen, O. (2004), S. 1.; Witte/Otto (2003); Drager, J. (2003) European Ministers of Education (1999) European Ministers of Education (2001) European Ministers of Education (2003) European Ministers of Education (2005)
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THOMAS MATTES/QLAF ZAWACKI-RICHTER/ERICH BARTHEL
formal und nicht-formal erworbenen Kompetenzen (prior learning assessment) hervorgehoben wird.^ Welche Auswirkungen haben diese europaischen Aktionslinien fur die operative Ausgestaltung von dualen Studiengangen in Deutschland? Von April 2005 bis Marz 2008 wird an der HfB - Business School of Finance & Management ein durch die Bund-Lander-Kommission gefordertes Verbundprojekt zu dualen Studiengangen durchgefuhrt. Projektpartner sind die Fachhochschule fur Wirtschaft Berlin und die Berufsakademie Weserbergland e.V.. Ziel dieses Projektes 1st es unter anderem, ein Verfahren zu entwickein und zu erproben, wie das Zusammenwirken der beiden Lernorte Hochschule und Betrieb im Rahmen eines dualen Studiums gestaltet werden kann. Daruber hinaus sollen standardisierte Verfahren zur Anrechnung betrieblichen Erfahrungswissens sowie von Methoden- und Sozialkompetenz im Rahmen der Modularisierung und des Leistungspunktsystems (ECTS) fur die Akkreditierung von dualen Bachelor-Studiengangen entwickelt werden. Die HfB Business School of Finance & Management nimmt an dem BLK-Verbundprojekt mit den zwei dualen Studiengangen Bachelor of Business Administration und Bachelor of Computer Science teil.
Kommission der Europaischen Gemeinschaften (2001)
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Nationaler und Europaischer Qualifikationsrahmen
Die Erarbeitung von Verfahren fur eine mogliche Gestaltung dualer Studiengange muss sich an bestehenden Richtlinien und Strukturen orientieren. Bei der Einordnung von dualen Studiengangen in das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland kristallisieren sich sehr schnell zwei grundlegende Dokumente heraus, die fur die Erreichung der Projektziele wesentlich sind: der Europaische und der Nationale Qualifikationsrahmen. Der Europaische Qualifikationsrahmen'' befmdet sich gegenwartig in einem Konsultationsprozess, weswegen Anderungen durchaus noch wahrscheinlich sind. Der Hauptzweck des Europaischen Qualifikatlonsrahmens soil in seiner Funktion als Meta-Rahmen^ bestehen, der es ermoglichen soil: „... nationale, sektorale Qualifikationsrahmen und-systeme in Bezug zueinander zu setzen - womit wiederum die Ubertragung und Anerkennung der Qualifikationen einzelner Burger erieichtert wird." ^ Fur die Hochschulbildung in Deutschland stellt der Qualifikationsrahmen fur Deutsche Hochschulabschlusse diesen entscheidenden Bezugspunkt dar.^° Es wird hierbei deutllch, wie die angesprochenen Aktionsllnien auf der Ebene der operative Gestaltung von Studiengangen umgesetzt werden konnen. Die Neufassung des Qualifikatlonsrahmens war insbesondere durch den Wechsel von der Input- zur Outputorientierung vor dem Hintergrund der Qualitatssicherung notig geworden, well dieser Perspektivenwechsel grundlegende Anderungen nach sich zieht. Im Mittelpunkt steht fortan die Qualifikation des Absolventen eines Studienganges, worunter auch eine Umorientierung von der lehrerorientierten zur lernerorientierten Sichtweise verstanden werden kann. Definiert ist dieser Wandel wie folgt: „Bisher warden deutsche Studienprogramme vor allem durch ihre Studieninhalte, Zulassungskriterien, Studienlange beschrieben. Bin Qualifikationsrahmen ermoglicht dagegen die Beschreibung an Hand der Qualifikationen, die der Absolvent nach einem erfolgreich absolvierten Abschluss erworben haben soil/''
Europaische Europaische Europaische KMK (2005) KMK (2005),
Kommission (2005) Kommission (2005), S. 15. Kommission (2005), S. 4. S. 3.
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Weiterhin werden die Qualifikationen um Kompetenzen erweitert. Zusammen stellen sie die anzustrebenden Lernergebnisse eines Studienprogramms dar.''^ Die Definitionen der Begriffe Qualifikation und Kompetenz wurden aus dem europaischem TUNING Project^^ und den Veroffentlichungen der Dublin Descriptors^"^ entwickelt. Im folgenden werden diese Definitionen kurz dargestellt, um auf dieser definitorischen Grundlage aufbauend den Verlauf des Forschungsprojektes zu eriautern. 2.1
Qualifikation
Hierunter fassen die Dublin Descriptors - bei unterschiedlichen Auspragungen fur Bachelor, Master und Doctorate Cycle - die folgenden funf Kategorlen.^^ „•/. Knowledge and understanding [is] supported by advanced text bool<s [witti] some aspects informed by knowledge at the forefront of their field of study... 2. Applying knowledge and understanding [through] devising and sustaining arguments. 3. Making judgements [involves] gathering and interpreting relevant data... 4. Communication [of] information, ideas, problems and solutions... 5. Learning skills have developed those skills needed to study further with high level of autonomy..." Das TUNING Project beschreibt Qualifikation wie folgt: „Any degree, diploma or other certificate issued by a competent authority attesting the successful completion of a recognised programme of study."^^ Dies ist Im Zusammenhang der Ziele des TUNING-Project zu sehen: „The main aim and objective of the project is to contribute significantly to the elaboration of a framework of comparable and compatible qualifications in each of the (potential) signatory countries of the Bologna process, which should be described in terms of workload, level, learning outcomes, competences and profile. ^^"
KMK (2005), 8. 3 und 8. 2 ff.. Tuning (2006a) Joint Quality Initiative (2006) Joint Quality Initiative (2004), 8. 4. Tuning (2006b) Tuning (2006c)
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Man erkennt an diesen Begriffsdefinitionen vor allem drei Hauptlinien. So bilden Qualifikationen nach wie vor das zentrale Ziel von Hochschulstudiengangen. Hierbei wird jedoch erstens ein umfassendes Qualifikationsprofil bei einem Absolventen erwartet. Die Fahigkeit eines Absolventen, das erlemte Fachwissen in verschiedenen Situationen angemessen anzuwenden, wurde mit einem Schwerpunkt versehen. Zweitens sind die zu vergebenden Qualifikationen in ein Verhaltnis mit den vergleichbaren Qualifikationen in Europa zu setzten. Deutsche Abschlusse mussen sowohl hinsichtlich ihrer Beschreibung, als aucii hinsichtlich ihres Niveaus mit Abschlussen anderer europaischer Lander korrespondieren. Drittens muss durch einen Evaluierungsprozess sichergestellt sein, dass der Absolvent das angestrebte Qualifikationsniveau auch tatsachllch erreicht hat. Entsprechend dieser drei Hauptlinien wurde im Europaischen Qualifikatlonsrahmen folgende Definition fur den Begriff Qualifikation vorgeschlagen, der die verschiedenen Ansatze Integriert: „Eine Qualifikation wurde erreictit, wenn eine zustandige Stelle entscheidet, dass der Lernstand einer Person den im Hinblick auf Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen spezifizierten Anforderungen entspricht. Dass die angestrebten Ergebnisse erreicht wurden, wird durch einen Evaluierungsprozess Oder einen erfolgreich abgeschlossenen Bildungsgang bestStigt. [...] Immer aber schafft ein Qualifikatlonsrahmen die Voraussetzung fur eine Verbesserung der Qualitat, der Zuganglichkeit und der Durchlassigkeit sowie der Anerkennung von Qualifikationen auf dem nationalen und intemationalen Arbeitsmarkt."^^
Europaische Kommission (2005), S. 14.
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2.2
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Kompetenz
Neben dem Begriff der Qualifikation tritt nun verstarkt die Bedeutung von Kompetenzen und ihrer Entwicklung auf. Die Dublin Descriptors ven/venden bezuglich des Begriffes Kompetenz folgende Definition: „The word 'competence' is used in ttie descriptors in its broadest sense, allowing for gradation of abilities or skills. It is not used in the narrower sense identified solely on the basis of a 'yes/no' assessment"^^ Beim TUNING Project wurde folgende Definition angenommen: „Competences represent a dynamic combination of knowledge, understanding, skills and abilities. Fostering these competences is the object of educational programmes. Competences are formed in various course units and assessed at different stages. They may be divided in subject-area related competences (specific to a field of study) and generic competences (common to any degree course).'^^ Gemafi den obigen Definitionen konnten Kompetenzen einen angemessenen Mafistab darstellen, urn den umfassenden Begriff der Qualifikation handhabbarer zu machen. Sie bilden eine Basis, wie fachliches und uberfachliches Wissen und Konnen zur Herausbildung einer Qualifikation beitragen. Werden in Modulen eines Studienganges bestimmte Kompetenzen vermittelt, so liefle sich durch eine entsprechende Modulauswahl ein gewunschtes Qualifikationsprofil erzeugen.Kompetenzen verfugen uber mindestens zwei Dimensionen. Die fachlichen Kompetenzen einerseits und die uberfachlichen Kompetenzen andererseits. Ausgehend von der vorgeschlagenen Definition des Europaischen Qualifikationsrahmens lassen sich die uberfachlichen Kompetenzen welter untertellen. „Kompetenz umfasst: i) kognitive Kompetenz, die den Gebrauch von Theorien/Konzepten einschlieflt, aberauch implizites Wissen (tacit knowledge), das durch Erfahrung gewonnen wird; ii) funktionale Kompetenz (Fertigkeiten, Know-how), die zur Ausubung einer konkreten Tatigkeit erforderlich sind; Hi) personale Kompetenz, die das Verhalten/den Umgang in/mit einer gegebenen Situation betrifft; iv) ethische Kompetenz, die bestimmte personliche/soziale Werte umfasst." Die Untergliederung der uberfachlichen Kompetenz in weitere Kompetenzklassen, z.B. funktionale, personale und ethische Kompetenz macht eine exaktere Beschreibung des anzustrebenden Qualifikationsproflls moglich und erscheint grundsatzlich sinnvoll. Allerdlngs besteht noch kein Konsens, welche und wie viele Kompetenzklassen ven/vendet werden sollten. Joint Quality Initiative (2004), S. 3. Tuning (2006b)
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Voruberlegungen zur Kompetenzerfassung
Vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 dargestellten Aktionslinien auf europaischer und nationaler Ebene, ergibt sich fur Hochschulen folgende Aufgabenstellung: Vergibt eine Hochschule einen Abschluss, so muss sie sicherstellen, dass diese Qualifikation auch tatsachlich durch die Absolventen erreicht wird. Dies ist grundsatzlich kein neues Problem, jedoch fuhrt das modifizierte Qualifikationsprofil und der Wechsein von der Input- zur Outputorientierung zu neuen Herausforderungen. Das Qualifikationsprofil ist in seinem Niveau durch den Nationalen und den Europaischen Quallfikationsrahmen bestimmt. So mussen Bachelorabsolventen eines deutschen Studlenganges
beispielsweise selbstandig weiterfuhrende Lernprozesse
gestalten konnen oder Verantwortung in einem Team ubernehmen konnen}^ Gerade diese belden Beispiele machen deutlich, dass Fachwissen allein nicht mehr ausreicht, um das Niveau eines Bachelors zu erreichen. Unbestrltten stellt das Fachwissen einen wichtigen Baustein dar, jedoch nicht mehr den alleinigen.
Die Wichtigkeit der uberfachlichen Kompetenzen wurde auch bereits bei verschiedenen Akkreditierungsagenturen in Konzepte umgesetzt. So schlagt die ZEVA fur eine Vermittlung von .Schliisselkompetenzen' einen Anteil von 10-15% der Gesamt-ECTS eines Studlenganges vor. Bei einem sechssemestrigen Bachelor-Studiengang konnten somit 18-27 ECTS fur Module vergeben werden, in denen Methoden-, Sozialund Selbstkompetenz vermittelt wird.^^ Dieser Umstand ist fur duale Studiengange besonders deshalb interessant, well sich bei der Vermittlung dieser Kompetenzen eine Praxisphase in einem Unternehmen hervorragend eignen konnte. Wie lassen sich aber solche uberfachlichen Kompetenzen erfassen? Im Gegensatz zu Fachwissen erscheint eine Prufung mit Hilfe einer Klausur wenig sinnvoll. Im Rahmen des laufenden Projektes an der HfB - Business School of Finance & Management soil untersucht werden, inwiewelt eine solche Kompetenzmessung mit Hilfe eines Kompetenzmessverfahrens durchgefuhrt werden kann. Outputorientierung bedeutet, dass das Lernergebnis das entscheidende Kriterium darstellt und nicht der Input durch die Institution. Dieser Perspektivenwechsel bringt weitreichende hochschuldidaktische Auswirkung mit sich, auf die jedoch an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann.^^ In der Modulgestaltung sollte diesem Umstand unbedingt beachtet werden. Denn jedes einzelne Modul soil einen Baustein zur ^' ^' ^^
KMK (2005), S. 2 und 3. ZEVA (O.J.) Gutzkow/ Quailier (2005)
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Eriangung des angestrebten Qualifikationsprofils darstellen. Hierfur ist es unerlasslich, ein gemeinsames Verst^ndnis uber das Qualifikationsprofil des Studienganges herzustellen, urn in einem zweiten Schritt die zu vermittelnden Kompetenzen auf die passenden Module aufteilen zu konnen. Die Umgestaltung bestehender Curricula scheint hierbei dringend geboten. Fur die Erreichung der Projektziele soil neben den soeben erwahnten Punkten vor allem auch die Funktion und Bedeutung von Praxisphasen im Rahmen eines dualen Studiums untersucht werden. So besteht eine grundsatzliche Moglichkeit auderhochschulisch erworbene Kenntnisse und Fahigkeiten konnen mit bis zu 50% auf die Gesamtstudienleistung auf ein Hochschulstudiunn anrechnen zu.^"* Tatsachlich wird diese Moglichkeit jedoch nur in geringem AusmaU in Anspruch genommen.^^ Sofern die Kompetenzen eines Bewerbers eine bestimmte Auspragung aufwelsen und dies durch die aufnehmende Hochschule festgestellt wurde, kann diesem Bewerber bspw. ein bestimmtes Modul angerechnet werden. Im Rahmen des laufenden Projektes soil untersucht werden, ob Studierende durch Praxisphasen Kompetenzen en/verben, die fur das Qualifikationsprofil des Studienganges relevant sind. Lieden sich solche Kompetenzfortschritte durch Praxisphasen messen und dadurch in ihrem Niveau beurteilen, konnte ein solcher Kompetenzerwerb auch mit einer entsprechenden Anzahl an ECTS-Punkten bewertet werden. Ausgehend von diesen Voruberlegungen wurde an der HfB - Business School for Finance an Management ein Anforderungsprofil an ein Kompetenzmessverfahren erstellt, um die aufgeworfenen Fragen beantworten zu konnen. 1. Das Verfahren sollte auf einem anerkannten Kompetenzmodell beruhen. Gerade weil noch kein Konsens bei der Definition und Modellierung von Kompetenzen besteht, ist aus Sicht der Autoren ein reines Messverfahren nicht ausreichend. Sofern einem Messverfahren ein Kompetenzmodell zugrunde liegt, fuflt ein Kompetenzmessverfahren^^ auch auf einer definitorlschen Grundlage. 2. Sollte das Verfahren wissenschaftlich fundiert sein. Gerade die grolie Auswahl an Kompetenzmessverfahren, kann zu der Auswahl eines nicht validen und nicht reliablen Verfahrens fuhren. 3. Sollte das Verfahren die Messung individueller Kompetenzen ermoglichen, um die Uberprufung des Kompetenzniveaus an Absolventen untersuchen zu konnen.
KMK (2002) KMK (2005b) ErpenbeckA/. Rosentiel (2003)
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4. Sollten sich sowohl der Zeit- wie auch der Kostenaufwand in angemessenem Rahmen bewegen. Verfahren die ein- Oder mehrtagige Interviews fur jeden Interviewten vorsehen sind fur den operativen Einsatz nicht praktikabel. 5. Sollte die Messung der Konnpetenzen sowohl in der Hochschule, wie auch im Unternehmen moglich sein. Idealerweise sollte das Verfahren bereits von einigen Hochschulen und Unternehmen in Anwendung sein. 6. Sollte das Kompetenzmessverfahren fur einen sinnvollen Einsatz auch Ansatze fur Maflnahmen zur Entwicklung von Kompetenzen vorsehen. Insbesondere fur den Evaluierungsprozess erscheint es dringend geboten, bestimmten Studierenden gezielte Hilfestellungen zu bieten, die auf bestimmten Kompetenzfeldern noch Defizite aufweisen.
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4
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Untersuchungsdesign und erste Ergebnisse
Fur die empirische Untersuchung wurden folgende Forschungsfragen festgelegt: 1) Wie konnen Kompetenzen von Studierenden gemessen werden? 2) Lasst sich ein Kompetenzerwerb wahrend einer Praxisphase erfassen? 3) Lasst sich die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Hochschule im Rahmen eines dualen Studienganges mit Hilfe eines Kompetenzprofils gezielter strukturieren? Zur Beantwortung dieser Fragen wurde je eine Kohorte von Studierenden im sechsten Semester des Studienganges Bachelor of Business Administration und eine des Studienganges Bachelor of Computer Science an der HfB - Business School of Finance & Management ausgewahlt. Bel diesen Kohorten soil zum Ende einer Theoriephase (Semesterende an der Hochschule) eine erste Kompetenzmessung durchgefuhrt werden. Eine zweite Messung soil zum Ende der sich anschliefienden Praxisphase (Vorlesungsfreie Zeit, welche die Studierenden in ihren Betrieben verbringen) erfolgen, um Anderungen im Kompetenzprofil erfassen zu konnen. Eine dritte Messung soil zum Ende des siebten Semesters erfolgen. Mit Hilfe der Dritten Messung kann uberpruft werden, inwieweit die Absolventen das festgelegt Kompetenzprofil erreicht haben. Begleitend sollen regelmafiige Treffen der Projektgruppen den Austausch zwischen Betrieben und Hochschule fordern. Bel den jeweiligen Messungen sollen sowohl Selbst- wie auch Fremdeinschatzungen durch Kommilitonen, Arbeitskollegen, Hochschul- und Unternehmensvertreter erfolgen. Nach der Priifung verschiedener Kompetenzmessverfahren entschied sich die HfBBusiness School of Finance & Management Ende 2005 fur das KODE(B)-Verfahren^^ (Kompetenz-Diagnose und -Entwicklung), das auf dem Verfahren von Erpenbeck und Heyse beruht.^^
Heyse in: Erpenbeck/v. Rosenstiel (2003), S.376ff.. Erpenbeck/Heyse (1999)
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Kompetenzen
personale Kompetenz
aktivitatsund umsetzungsorientierte Kompetenz
fachlichmethodische Kompetenz
sozialkommunikative Kompetenz
P
A
F
S
Abb.1: Kompetenzklassen nach Erpenbeck und Heyse
Den vier Kompetenzklassen (personale; aktivitats- und umsetzungsorientierte; fachlich- methodische und sozial-konnmunikative Kompetenz) sind Jewells 16 Tellkompetenzen zugeordnet.^^ So umfasst die personale Kompetenz unter anderem die Teilkompetenzen Loyalitat, Eigenverantwortung, Einsatzbereitschaft und Hilfsbereitschaft. Grundsatzllch steht also ein Kompetenzatlas mit 64 Teilkompetenzen zur Verfiigung. Das Verfahren KODE®/ - Kompetenzexplorer ist ein Instrument zur Erkundung und Messung von (strategischen) Kompetenzstrukturen (Anforderungsprofile, Kompetenzkanale, Abgleich von Ist-Soll-Profilen) und weist einen standardisierten Ablauf aus. Die HfB -
Business School of Finance & Management nimmt an dem BLK-
Verbundprojekt mit dem Bachelor of Business Administration und dem Bachelor of Computer Science teil. Die Studierenden und Absolventen dieser Studiengange sind ubenA/iegend bei Banken Oder Finanzdienstleistern beschaftigt. Fur beide Studiengange wurde eine dezentrale Arbeitsgruppe eingerichtet, der im Geiste des BolognaProzesses Hochschulvertreter, Unternehmensvertreter und Studlerenden-vertreter angehoren. In jeder dieser Gruppen wurde das Verfahren KODE®X durchgefiihrt, um das Kompetenzprofil des jeweiligen Studienganges zu ermitteln.
Erpenbeck/Heyse (1999) Heyse in: Erpenbeck/v. Rosenstiel (2003), S.383
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Die dezentralen Projektgruppen bestimmten diejenigen 12-16 Kompetenzen, die nach Ihrer Meinung die wichtigsten Kompetenzen fur einen Absolventen des jeweiligen Studienganges darstellen. Beim Bachelor of Business Administration waren dies die Kompetenzen: Kommunikationsfahigl<eit
(P), Belastbarkeit
(A), Zuverlassigkeit
(P), Ergebnis-
orientiertes Handein (A), Eigenverantwortung (P), Fachwissen (F), Impuls geben (A), Integrationsfahigkeit
(S),
Offenheit
fur
Veranderungen
(P),
Systematisch-
methodisches Vorgehen (F), Beurteilungsvermogen (F) und Kooperationsfahigkelt (S). Dieses Profll weist bezijgllch seiner Einordnung in die Kompetenzklassen Personale Kompetenz (4); Aktivitats- und umsetzungsorientierte
Kompetenz (3); Sozial-
kommunikative Kompetenz (2); und Fachlich- methodische Kompetenz (3) eine recht ausgewogene Verteilung auf. Einzig die sozial-kommunikativen Kompetenzen scheinen etwas schwacher gewichtet. Dennoch splegelt dieses Profil die im Workshop geauflerten Beschaftigungsmoglichkeiten im Unternehmen gut wieder. So konnen die Bachelor-Absolventen flexibel eingesetzt werden, ohne aufwandige Schulungsmafinahmen absolvieren zu mussen. Beim Studiengang Bachelor of Computer Science wurden folgende sechzehn Kompetenzen als besonders relevant bestimmt: Glaubwurdigkeit (P), Kommunlkationsfahigkeit (S), Normativ-ethische Einstellung (P), Tatkraft (A), Integrationsfahigkeit (S), Kooperationsfahigkelt (S), Projektmanagement (F), Analytische Fahigkeiten (F), Offenheit fur Veranderungen (P), Systematischmethodisches Vorgehen (F), Ausfuhrungsbereltschaft (A), Fachwissen (F), Lernbereitschaft (P), Problemlosungsfahlgkeit (S), Zuverlassigkeit (P), Beratungsfahlgkeit (S). Dieses Profil weist bezuglich seiner Einordnung in die Kompetenzklassen Personale Kompetenz (5); Aktivitats- und umsetzungsorientierte
Kompetenz (2); Sozial-
kommunikative Kompetenz (5); und Fachlich- methodische Kompetenz (4) ein weniger starkes Gewicht bei den Aktivitats- und umsetzungsorientierten Kompetenzen auf. Dieses Bild erganzte sich sehr gut mit den Beitragen im zugehorigen Workshop der Projektgruppe. Insbesondere seltens der Unternehmensvertreter wurde die Mittlerfunktion zwischen der Fachabteilung IT und den Anwendungsabteilungen in der Bankfiliale angemessen reprasentiert.
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Im nachsten Schritt des KODE®X-Verfahrens werden die ausgewahlten Kompetenzen fur eine Messung operationalisiert. Jede Kompetenz kann auf einer 12er Skala eingeschatzt werden, von 0 (nicht ausgepragt) bis 12 (ubermadig ausgepragt). Die Projektgruppe ist aufgefordert die Niveaus so zu operationaiisieren, dass nach einer bestimmten Beobachtungsphase die betreffenden Kompetenzen eingeschatzt werden konnen. Sie mussen beobachtbares Verhalten der handelnden Individuen beschreiben. Folgende Niveaus und Operationalisierungen wurden fur die Kompetenz .Kommunikationsfahigkeit erarbeitet. (Anmerkung: Es wurde darauf verzichtet fur jeden Wert z.B. 2 eine eigene Operationalisierung anzugeben. Die Entscheidung ob ein Studierender mit 2 Oder mit 3 bewertet wird, hangt von seiner Tendenz zur hoheren oder niedrigeren Stufe ab.) Operationalisierung Kommunikationsfahigkeit: •
Teilweise ausgepragt (2-3) —
•
Spricht und schreibt verstandlich.
Ausgepragt (4-5) —
Spricht und schreibt verstandlich und druckt sich kundengerecht aus.
—
Geht offen auf andere zu, kann zuhoren und geht auf Gesprachspartner ein.
•
•
Deutlich ausgepragt (6-7)
—
Zeigt diese Fahigkeit auch in einer Fremdsprache.
~
Uberzeugt durch rhetorische Fahigkeiten.
Stark ausgepragt (8-9)
—
Zeigt dIese Fahigkeit auch in einer Fremdsprache und bei schwierigen Gesprachssituationen.
Sehr stark ausgepragt (10-11)
—
Kommuniziert sicher auch in einem interkulturellen Umfeld.
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Mit Hilfe dieser Operationalisierung wurde im Juni/Juli 2006 eine Kompetenzmessung bei 81 Studierenden im sechsten Semester des Bachelor of Business Administration durchgefuhrt. Jeder Studierende schatzte seine Kompetenzen selbst ein und wurde durch zwei Kommilitonen und einen Hochschulvertreter fremdeingeschatzt. Die Daten dieser Messung werden gegenwartig ausgewertet und stellen das Ist-Profil der Studierenden dar. Im weiteren Verlauf der Untersuchung werden die Studierenden in einer zweiten Messung am Ende der Praxisphase vor dem siebten Semester durch die Ausbildungsverantwortlichen, Vorgesetzte und Kollegen fremdbewertet, um einen moglichen KompetenzenA/erb festzustellen. Zum Ende des Studiums wird eine abschliedende Kompetenzmessung erflogen, um in einem Abgleich zwischen dem Soll-Profil des Studienganges und dem ermittelten Ist-Profil der Studierenden festzustellen, ob das angestrebt Qualifikationsziel des Studienganges erreicht wurde.
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Fazit
Bezuglich der Frage einer generellen Messbarkeit von Kompetenzen Studierender kann noch kein abschliedendes Urteil gefallt werden. So ermoglicht das Verfahren KODE(B)X die Messung individueller Kompetenzen, die Gute iiangt jedoch madgeblich von dem Beobachtungsumfeld und dem Beobachter ab. Es ist unserer Ansicht nach nicht moglich die Kompetenzen eines Studierenden zu beurteilen, der lediglich an Vorlesungen teilnimmt. Die erste Kompetenzmessung an der HfB - Business School of Finance & Management wurde im Rahmen des zweitagigen Seminars ,Extrafunktionale Qualifikationen' durchgefuhrt. Im Rahmen des Seminars bestand aufgrund von zahlreichen Gruppenarbeiten, Prasentationen und Rollenspielen ein gutes Umfeld, um Kompetenzen beobachten zu konnen. Allerdings muss ein solches gunstiges Beobachtungsumfeld in einem Studiengang existieren oder geschaffen werden. Aus dem passiven, lehrerzentrierten Besuchen von Vorlesungen und Ubungen kann keine Einschatzung der Kompetenzen erfolgen. Den idealen Rahmen bieten in diesem Zusammenhang die Praxisphasen eines dualen Studienganges. Durch den Einsatz von Studierenden in einem Unternehmen besteht eine gute Moglichkeit, die Kompetenzen durch Ausbildungsverantwortliche und Vorgesetzte oder Arbeitskollegen einschatzen zu lassen. Es scheint also durchaus erreichbar, Kompetenzen von Studierenden messen zu konnen. Die Forschungsfrage, wie sich ein Kompetenzerwerb wahrend einer Praxisphase erfassen lasst, kann gegenwartig noch nicht beantwortet werden. Mit der folgenden zweiten Messung zum Ende der Praxisphase kann durch Abgleich mit der ersten Messung der Kompetenzerwerb ermittelt werden. Erst diese Daten werden eine Beantwortung ermogllchen. Die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Hochschule mit Hilfe eines Kompetenzprofils, Im Sinne der dritten Forschungsfrage, kann zum bisherigen Zeitpunkt als positiv bewertet werden. Ein gemeinsames Verstandnis uber die zu entwickelnden Kompetenzen auf beiden Seiten ermoglicht vielfaltige Ansatzpunkte zur Verbesserung des dualen Studiums. Insbesondere das gemeinsame Kompetenzprofil eines Absolventen macht die zielgerichtete Zusammenstellung der Elemente des dualen Studiums moglich.
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Entwicklung eines Verfahrens zur Anrechnung formal und informell erworbener Kompetenzen im Bereich Gesundheit/Pflege - das Portfolio-Assessmentverfahren Annette Grewe, Anke Piotrowski 1
Ausgangslage
Mit mehr als 10% des Bruttoinlandsproduktes und insgesamt uber vier Millionen Beschaftigten ist die Gesundheitsversorgung in Deutschland ein Wachstumsbereich, der in Anbetracht der demografischen Entwicklung noch an Bedeutung gewinnen wird und hochqualifizierte Arbeitskrafte verlangt. Innerhalb der Berufsgruppen, die den Gesundheitsberufen zugerechnet werden, stellen professionell Pflegende die grodte Gruppe. Im Gegensatz zu intemationalen Entwicklungen, die auf die steigenden Qualifikatlonsanforderungen an professionell Pflegende u.a. mit der Verlagerung der Ausbildung in den tertiSren Sektor reagiert haben, beharren selbst die in jungerer Zeit in Kraft getretenen nationalen Berufsgesetze fur die Altenpflege (AltPfIG, 2003) sowie die Gesundheits- und Krankenpflege (KrPfIG, 2004) auf dem Ausbildungsniveau der "besonderen Schulen des Gesundheltswesens", eines Fachschultypus, der tradltionell aufierhalb des dualen Systems beruflicher Bildung angesiedelt ist. Die in der Bundesrepublik vor ca. 15 Jahren begonnene Einrichtung von pflegebezogenen Studiengangen an Fachhochschulen und Unlversitaten wurde in beiden Gesetzgebungsverfahren nahezu vollstandig ignoriert. Die einzige Ausnahme betrifft die Qualifizierung von Lehrkraften an Krankenpflegeschulen: Waren vormals berufliche Weiterbildungen freier Anbieter fur die Ausubung der Lehrtatigkeit an Krankenpflegeschulen hinreichend, so wird nun die staatliche Anerkennung der Schulen an den "Nachweis einer im Verhaltnis zur Zahl der Ausblldungsplatze ausreichenden Zahl fachlich und padagogisch qualifizierter Lehrkrafte mit entsprechender, abgeschlossener Hochschulausbildung fur den theoretlschen und praktischen Unterrlcht" gebunden (§ 4 Abs. 3 KrPfIG). Uber das Hochschulniveau der Lehrerqualifikation konnen die Lander entscheiden (§ 4 Abs. 4 KrPflG), nicht jedoch daruber, auf welcher Bildungsebene die Erstausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege respektive der Altenpflege statt zu finden hat. Hier aufiert sich der Gesetzgeber dezidiert, indem die Anrechnung anderer Ausbildungen - also auch die eines Studiums der Pflege - auf maximal zwei Drittel der dreijahrigen Ausbildung in der Gesundheitsund Krankenpflege bzw. der Altenpflege beschrankt wird (§ 6 KrPfIG, § 7 AltPfIG). Es ergeben sich aus diesen gesetzlichen Vorgaben paradoxe Konstellationen:
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ANNETTE GREWE/ANKE PIOTROWSKI
Einerseits fuhrt ein Bachelor-Studium der Pflege, selbst wenn es inhaltlich den Vorgaben des KrPflG und der Ausbildungs- und Prufungsverordnung fur die Berufe in der Krankenpflege (KrPflAPrV) entsprechen wurde, nicht zur staatlichen Prufung in der Gesundheits- und Krankenpflege. MIndestens ein Jahr konventioneller Ausbildung ist vonnoten, da § 6 KrPfIG die Anrechnung auf die Ausbildung nach Zeitkriterien limitiert und nicht nach inhaltlicher Deckungsfahigkeit mit der Ausbildung bestimmt. Analoges gilt fur die Altenpflege. Unterstellt man andererseits, dass der Lehrerberuf an den Schulen des Gesundheitswesens in seinen Quallfikationsanforderungen analog zu dem an beruflichen Schulen zu sehen ist, muss in der neuen Klassiflkation von Bildungsabschlussen Im tertiaren Bereich von einem Master-Nlveau ausgegangen werden. Fur weitergebildete Lehrer/innen fur Pflegeberufe - selbst fur diejenigen, die selt Jahren verantwortlich an den Schulen des Gesundheitswesens lehren - wurde sich demnach eine Nachqualifizierungszeit
von
minimal
vier
Jahren
(sechssemestriger
BA
und
zweisemestriger MA) bis zu funf Jahren (bei viersemestrigem Masterstudium, wie es fur das Lehramt an berufsbildenden Schulen avisiert Ist) ergeben, um anschlussfahig an die im KrPfIG formulierten Vorgaben zu werden. Dies ist Insbesondere unter Karriere- und Mobilitatsgeslchtspunkten eIne nicht zu unterschatzende Hurde und somit fur einige Hochschulen Aniass genug, uber Anerkennungsverfahren aufierhochschulisch en/vorbener Kompetenzen nachzudenken.
2
Das Projekt WAWiP
Das kooperative Projekt der Hochschule Fulda und der Unlversitat Kassel "Wechselseitige Anerkennung vorgangig en/vorbenen Wissens in der Pflege" (WAWiP) ist Tell des Modellversuchsprogramms "Weiterentwicklung dualer Studienangebote im tertiaren Bereich" in der Forderachse (2): "Hochschulubergreifende Entwicklung und Erprobung von Verfahren zur Anrechnung von Qualifikationen aus der beruflichen Bildung und der beruflichen Erfahrung bei Beachtung des Internationalen Kontextes einschliefilich Qualitatssicherung" der Bund-Lander-Kommlssion fur Bildungsplanung und Forschungsf6rderung\ Das Projekt wird aus Mittein des Europaischen Sozialfonds, Politikbereich C: Berufliche und allgemeine Bildung „Neue praxisorlentierte Ausbildungseinheiten an Hochschulen zur Vorbereitung auf die Berufs- und Arbeltswelf, kofinanziert.
vgl. Bund-Lander-Kommlssion fur Bildungsplanung und Forschungsforderung, 2005
Anrechnung von Kompetenzen im Bereich Gesundheit/Pflege
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Die Projektkonzeption beriicksichtigt sowohl die gegenwartigen Beschrankungen, die durcli die Berufsgesetze gegeben sind, als auch die im Zuge des BruggeKopeniiagen-Prozesses angestof^enen Umdenkungsprozesse der Einstufung und Zertifizierung von Bildungsleistungen, die zumindest partiell quer zur Tradition des deutsclien Bildungssystems und seiner institutionsgebundenen Zuschreibung von Qualifikationsniveaus liegen. Es soil ein AP(E)L-Verfaliren^ entwickelt werden, das sowolil der Realitat der Bildungskarrieren in der Pflege als auch der Stufenlogik des neuen Studiengangssystems gerecht wird und prinzipiell auf andere Berufsfelder und Studienbereiche ubertragbar ist. Das Projekt WAWiP geht von folgenden aktuellen Konstellationen im Pflegebereich aus: • Alle Ausbildungen im Bereich Pflege (Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits-
und
Kinderkrankenpflege,
Altenpflege)
stehen
durch
eigene
berufsgesetzliche Regelungen aufierhalb des tradierten Systems beruflicher Bildung. Die Zugangsvoraussetzung fur die Ausbildung entspricht der Realschulrelfe. Eine abgeschlossene Ausbildung + mehrjahrige Berufserfahrung + einschlagige Weiterbildung ermoglicht in einigen Bundeslandern fur Interessierte ohne Hochschulreife den Zugang zu einer fachgebundenen Hochschulzulassungsprufung. • Der Pflegebereich ist traditlonell von einem variantenreichen Fort- und Weiterbildungsangebot gepragt, das landerdifferent und institutionsgebunden gestaltet wird. Bundeseinheitlich standardisierte Qualitatskriterien existieren bislang nicht. • Der Pflegebereich ist sowohl institutionell als auch im Aufgabenprofil heterogen: Ambulante Pflegesettings sind mit der Arbeit auf einer Intensivstation nicht pauschal vergleichbar; die Arbeit im OP fuhrt zur Ausbildung anderer Kompetenzen als die Begleitung Sterbender auf Palliativstationen oder im Hospiz, die Wahrnehmung administrativer Funktionen ist traditlonell nicht zwingend an den Nachweis erweiterter pflegefachlicher Kompetenz gebunden. Studieninteressierte aus dem Berufsfeld Pflege weisen dementsprechend ein indlviduelles Kompetenzprofil auf, das sich uber die retrospektive Beurtellung ggf. absolvierter zertifizierter Weiterbildungsleistungen nur eingeschrankt erschlieflt. Zudem wurde allein die Beurteilung absolvierter klassischer Weiterbildungslehrgange innerhalb des traditionell sanktionierten Beurteilungsrahmens zu nichts mehr fuhren konnen als zur Attestierung der erfullten Voraussetzungen fur eine Hochschulzugangsprufung.
Dieser
starre
Beurteilungsrahmen
wird
dem
tatsachlichen
Qualifizierungsniveau vieler Berufstatiger In der Pflege allerdings nicht gerecht. vgl. AP(E)L bedeutet Accreditation of Prior (Experiential) Learning. Vgl. hierzu Hannken-llljes & Lischka, 2004, S. 31 ff.
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ANNETTE GREWE/ANKE PIOTROWSKI
Der im Zuge des Brugge-Kopenhagen-Prozesses entwickelte Europaische Qualifikationsrahmen (EQF), der seit Mai 2005 in der Entwurfsfassung der Europaischen Kommission vorliegt, konnte in seiner Beschreibung und Hierarchisierung von Kompetenzniveaus sowohl ein Instrument werden, Bildungsangebote ungeachtet der anbietenden Institution prospektiv zu klassifizieren und zu akkreditieren, als auch dazu dienen, en/vorbene Kompetenzen zuzuordnen und somit transparent und "anrechnungsfahig" zu machen. Eine Voraussetzung fur die Anwendung des EQF ist die einheitliche, Kompetenzniveaus ausweisende Beschreibung aller fornnalisierten Bildungsangebote - somit auch eines Studiengangs. Ein Teilbereich des Projektes WAWiP ist dieser Aufgabe gewidmet. Als quantitative Bezugsgrofie wurden die Module der pflegeorientieren Bachelor- und Master-Studiengange der Hochschule Fulda und der Unlversitat Kassel gewahit, da in Anbetracht der differenten Karrieren potenzieller Anrechnungs-Bewerber/innen davon aus zu gehen ist, dass Anerkennungen auflerhochschulisch en/vorbener Kompetenzen nicht semesterpauschal ausgesprochen werden konnen. Unter Bezugnahme auf die Kompetenzbeschreibungen der Module - nach den Kriterien der Entwurfsfassung des EQF als "Kompetenzstandard" formullert - konnen Interessierte ein Anerkennungsverfahren durchlaufen, das nach angloamerikanischem Vorbild als Portfolio-Assessment durchgefuhrt wird. 2.1
Portfolio-Assessment
Im Gegensatz zu pauschalisierten Anrechnungsverfahren zertifizierter Bildungsleistungen werden im Portfolio-Assessment individuell vorhandene Kompetenzen, ungeachtet des Werdeganges ihres Erwerbs, "gepruft" bzw. uber ein Begutachtungsverfahren einem Kompetenzniveau zugeordnet. Im Kontext der Anrechnung auf Studienbereiche bilden die Module des jeweillgen Studiengangs die Bezugsgrofie. Kern des Portfolio ist die schriftliche Darstellung der eigenen Fahigkeiten, Kenntnisse und Kompetenzen durch den/die Antragsteller/ln unter Bezugnahme auf die Im Kompetenzstandard des Moduls ausgewiesene inhaltliche Ausrichtung und das jeweilig modulspezlfische Kompetenzniveau. Dem Antrag werden entsprechende Referenzen und Belege beigefugt, die die Argumentation stutzen. Das Portfolio wird in der Regel von dem/der Modulverantwortlichen begutachtet und eine Empfehlung an den Prufungsausschuss ausgesprochen, der dann uber die Anrechnung entscheidet. Eine wesentliche Voraussetzung fur eine "erfolgreiche Antragstellung" ist die Beratung und Begleltung der Antragsteller/innen und - zumindest in der Aniaufphase - auch der Fachgutachter/innen, da das Portfolio-Assessment im deutschen Bildungssystem, von Ausnahmen z.B. in kunstlerischen Studiengangen abgesehen, noch nicht
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etabliert ist. Gleichermafien fallt beiden Seiten - Antragsteller/innen wie Fachgutachter/innen - die Auflistung von Lern- bzw. Lehrinhalten leicht, die Formulierung von und Orientierung an Kompetenzen und Fahigkeiten, vor allem differenziert nacli Niveaustufen, dagegen sciiwer. Als unerlassliche Richtgrofie und Hilfe fiir die Selbsteinschatzung und die Fremdbewertung dient die Ausweisung eines Kompetenzstandards fiir jedes Modul. 2.2
Kompetenzstandard
Die Moglichkeit, dass Kompetenzen transparent, (wechselseitig) verstanden, bewertet bzw. zertifiziert und somit explizit; gesellschaftlich und individuell folgenreich werden konnen, hangt mit ihrer Kodifikation und Standardisierung zusammen. Wichtige Aspekte fiir eine solclie Standardisierung sind: 1. Anerkennung, 2. Normierung im Bezugssystem, und 3. Qualitatssicherung.^ Zweckmaflig und notwendig erscheint uns, bei der Formulierung von Kompetenzstandards die berufliche Handlung zum Ausgangspunkt zu nehmen. Diese Handlung muss in das Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis hineingelegt und aus diesem Spannungsfeld unter Koinzidenzbedingungen von Absicht und Handlung komplex beschrieben werden. 2.2.1 Entwicklung eines Verfahrens zur Formulierung von Kompetenzstandards Als Grundlage fur die Formulierung von Kompetenzstandards wird im Projekt WAWiP das bereits erwahnte Consultation Document der Arbeitsgruppe zu einem Europaischen Qualifikationsrahmen fur lebenslanges Lernen (EQF) der Kommission der Europaischen Gemeinschaften vom 27.05.2005 genutzt. Der EQF soil nach Vorstellung der Kommission einen Metarahmen bilden, der es ermoglicht, nationale und sektorale Qualifikationsrahmen und -systeme in Bezug Anerkennung (1) bedeutet, dass viele ahnliche Institutionen ein hohes Gewicht auf die Ausbildung derselben komplexen und berufsspezifischen Kompetenzen legen. Hinter der Normierung im Bezugssystem (2) steht die Festlegung einer minimalen Zahl solcher Kompetenzen, die im Diskurs der Fachleute Akzeptanz finden. Qualitatssicherung (3) meint die Validitat und Reliabilitat mit der eIne Kompetenz im Feld gezeigt werden muss, damit man von Kompetenzbeherrschung spricht. Diese Kriterien sind mehrfach gefahrdet. So ist beispielsweise eine Kompetenz nur uber sichtbare Handlungsformen festzuhalten, also nur uber die eher unvollstandige Performanz (diese ist gegeben, wenn der Kontext, die zur Verfugung stehende Zeit Oder die persGnliche Disposition es nicht zulassen, dass man eine Kompetenz in ihrer vollen Entfaltung zum Zuge kommen lasst). Eine weitere Storung einer professionellen Kompetenz stellt die Routine, die aus erlebter Praxis kommt, dar. Vgl. Oser, F./Oelkers, J., 2001
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zueinander zu setzen. Durch die Verbindung bestehender Qualifikationsstrukturen und -systeme mit dem EQF sollen berufliche Zertifikate wechselseitig besser verstanden und bewertet werden konnen. Der EQF soil das lebenslange Lernen unterstijtzen und dafur sorgen, dass die Ergebnisse des Lernens (learning outcome) angemessen beurteilt und genutzt werden. Kern des vorgeschlagenen Qualifikationsrahmens sind 8 Referenzniveaus, die die unterschiedlichen Niveaus von Qualifikationen aus den verschiedenen Bildungssystemen (z.B. Schulblldung, Berufsbildung, Hochschulbildung) und dem lebenslangen Lernen verlasslich abbilden sollen. Jewells in Termini von Lernergebnissen werden Deskriptoren in den Bereichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen im weiteren Sinne (personliche und fachliche Kompetenzen, die differenziert werden in Selbstandigkeit und Verantwortung, Lernkompetenz, Kommunikatlonskompetenz und soziale Kompetenz, Fachliche und berufliche Kompetenz) beschrieben. Die drei Arten von Lernergebnissen schreiten vom niedrigsten bis hin zum hochsten Qualifikationsniveau voran."* 2.2.2
Das Verfahren
Im ersten Schritt wird der Titel des Standards festgelegt. Der Titel des Kompetenzstandards bezeichnet diejenige berufliche Handlung, deren sachgerechte und effizlente Beherrschung zertlfiziert werden soil. Im Weiteren werden analog den Kriterien des EQF Kompetenzen formuliert, die fur die vollstandige berufliche Handlung (Handlungsplanung, -durchfuhrung und -evaluation) relevant sind und gleichzeitig den curricularen Modulzielen entsprechen.^ Der Titel des Kompetenzstandards Der Titel eines Kompetenzstandards besltzt die Form: Gegenstand + Verb (+ Spezifizierung). Er beschreibt, welche Handlung an welchem Objekt auszufuhren ist und benennt gegebenenfalls einschrankende Kriterien und Umstande.
vgl. Kommission der Europaischen Gemeinschaften: Arbeitsunterlage der Kommissionsstellen, 2005, S. 20ff Die Kompetenzstandards werden mit Hilfe des im Folgenden dargestellten Leitfadens und unter Anieitung der Projektmitarbeiter/innen von den Modulverantwortlichen - als Experten/innen fur berufsrelevante Kompetenzen - formuliert. Der Wechsel von einer traditioneli input-orientierten Curriculumbeschreibung zur Fonnulierung von berufsreievanten Kompetenzen setzt ein Umdenken voraus; fuhrt u. U. zu einer Reflexion der ModuJpianung und durchfuhrung und kann so gesehen der Professionallsierung und Qualitatssicherung dienen.
Anrechnung von Kompetenzen im Bereich Gesundheit/Pflege
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Kompetenzen haben eine bestimmte Hohe (der Entscheidungs- und Komplexitatsumfang einer Kompetenz) und eine Breite (wie viele ahnliche Handlungen der Standard mit einschliefit). Fur den Beispielkompetenzstandard „Lehr- und Lernszenarien fur die berufliche Aus- und Weiterbildung methodisch - didaktisch planen" bedeutet Breite, dass sich die Kompetenz z.B. nicht nur auf ein Unterrichtsfach bezieht und Hohe, dass die Kompetenz z.B. einschliedt, dass Entscheidungen zur Gestaltung von Lernumgebungen theoriebasiert, unter Berucksichtigung aktueller individueller, sozialer und didaktischer Bedingungen getroffen werden konnen. Eine zu enge Eingrenzung von Kompetenzstandards z.B. auf Teilhandlungen, Spezialisierungen oder bestimmte Produkttypen fuhrt zu einer Uberlast an entsprechenden Zertifikatsprijfungen. Zudem haben solch kleinteilig angelegte Kompetenzen in der Regel eine kurze Halbwertzeit und mussen haufig revidiert werden. Sind Kompetenzen andererseits sehr offen und allgemein gehalten, leidet die Uberprufbarkeit und damit die Verlasslichkeit und Akzeptanz des Standards. Im Projekt WAWIP haben wir uns daher bislang fur die folgenden Maflgaben zum Umfang von Kompetenzen entschieden. •
Die berufliche Handlung, auf die sich ein Kompetenzstandard bezieht, ist diejenige Funktion, die EINE Person im Arbeitsprozess ubernimmt, d.h. wenn mehrere Personen arbeitsteilig an ihr beteiligt sind (z.B. eine Hirnoperation durchfuhren), muss sle kleiner geschnitten werden.
•
Die berufliche Handlung muss eine vollstandige sein, d.h. Planung, Ausfuhrung und Evaluation beinhalten. Die berufliche Handlung muss der Beschaftlgungsfahigkeit (employability) dienen, d.h. auf dem Arbeltsmarkt verwertbar sein. Die berufliche Handlung muss an einer breiten Palette von Arbeitsplatzen benotigt werden. Es sollen keine betriebs- oder produktspezifischen Kompetenzstandards entwickelt werden, die Mobilitat letztllch eher behindern als unterstutzen.
• •
Fertigkeiten benennen In einem zweiten Schritt werden diejenigen Fertigkeiten (skills) benannt, die fur die Durchfuhrung der beruflichen Handlungen notwendig sind. Fertigkeiten verstehen wir im Sinne des EQF als „funktionale Kompetenz [...], die zur Ausubung einer konkreten Tatigkeit erforderlich ist"^. Sie bezeichnen somit Teilkompetenzen bzw. Teilhandlungen eines Kompetenzstandards. Fertigkeiten werden vgl. Arbeitsunterlage der Kommissionsstellen der Kommission der EG, 2005, S. 13
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daher entlang der Frage identifiziert: Welche Teilhandlungen muss eine Person beherrschen, wenn sie die berufliche Handlung des Kompetenzstandards sicher und effizient ausfuhren soil? Beispiele fur den Kompetenzstandard „Lehr- und Lernszenarien fur die berufliche Aus- und Welterbildung methodisch - didaktisch planen" sind: • berufliche Bildungsziele identifizieren und begrunden • Methoden beruflicher Bildung mit Bezug auf Lerntheorie begrundet auswahlen und ggf. neu entwickein • • •
Lehr-/Lernszenarien systematisch und begrundet planen Medien gezielt und situationsadaquat auswahlen Moglichkeiten der Klassenfuhrung in die Planung einbeziehen Das eigene Planungshandein reflektieren und evaluieren
Kenntnisse festlegen Den einzelnen Fertigkeiten bzw. Teilhandlungen lassen sich nun Kenntnisse zuordnen. Es sollen hier die Kenntnisse benannt werden, die zur Ausfuhrung der beruflichen Handlung auf einer bestimmten Niveaustufe des Qualifikationsrahmens notwendig sind. Zu berucksichtigen sind dabei Faktenwissen, konzeptuelles Wissen und Kontextwissen. Beispiele fur den Kompetenzstandard „Lehr- und Lernszenarien fur die berufliche Aus- und Welterbildung planen" sind: • Einschlagige wissenschaftliche Konzepte von Bildung, Erziehung und Unterricht in Geschichte und Gegenwart • Struktur und Entstehung curricularer Grundlagen der Aus- und Welterbildung • Theorien, Grundlagen und Bedingungen des Lehrens und Lernens • Medienpadagogische Konzepte • Aktuelle Konzepte und Theorien der Klassenfuhrung Selbststandigkeit und Verantwortung Wo selbststandig und eigenverantwortlich gearbeitet wird, konnen neben erwiinschten auch unen/vunschte Handlungsfolgen auftreten. Hier gilt es zu benennen, welche Konsequenzen fur den Arbeitsprozess, die arbeitende Person, den Arbeitsgegenstand und die soziale wie okologische Umwelt aus der beruflichen Handlung resultieren konnte. Daraus lasst sich die Verantwortung des Handelnden innerhalb der Grenzen ableiten, die durch andere (z.B. Sicherheitsnormen, technische Vorgaben etc.) gesetzt sind.
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Beispiele fur den Kompetenzstandard „Lehr- und Lemszenarien fur die berufliche Aus- und Weiterbildung planen" sind: •
Unterricht unter Berucksichtigung ressourcieller und personeller Rahmenbedingungen planen
•
eigenstandig und flexibel die eigene Planung situativen Bedingungen anpassen
Lernkompetenz Die Lernkompetenz bezieht sich nicht auf das Lernen, das zur Eriangung der jeweils gemeinten Kompetenz notwendig ist, sondern vielmehr auf die Lernkompetenz, die nach En^/erb des Kompetenzstandards Teil der Handlungskompetenz Ist und fur lebenslanges Lernen erforderlich ist. Beispiele fur den Kompetenzstandard „Lehr- und Lemszenarien fur die berufliche Aus- und Weiterbildung planen" sind: •
konstruktives Feedback zum Unterricht Innerhalb von Kollegien geben und annehmen
•
Weiterbildungsbedarfe erkennen und formulleren
Kommunikationskompetenz und soziale Kompetenz Die Fahigkeit zu kommunizieren umfasst die schriftliche und mijndllche Kommunikation innerhalb berufstyplscher Arbeits- und Geschaftsprozesse, d.h. im Arbeitsteam, mit vor- und nachgeordneten Abteilungen und mit Kundinnen und Kunden. Je nach Qualifikationsniveau werden hier zunehmend solche kommunikativen Fahigkelten verlangt, die Entscheldungen nicht nur kommunizieren, sondern auch situationsadaquat begrunden und vermltteln. Beispiele fur den Kompetenzstandard „Lehr- und Lemszenarien fur die berufliche Aus- und Weiterbildung planen" sind: • Methodisch-didaktische Entscheldungen situationsadaquat und In Einklang mit einer koharenten padagogischen Haltung begrunden • Curriculare und methodische Entscheldungen im Team treffen • Entscheldungen zur Unterrichtsplanung methodisch-didaktisch begrunden und fur das Schulprofil wirksam werden lassen • Lehr-/Lernszenarien gemeinsam mit Kooperationspartnern in der beruflichen Bildung entwickein Fachliche und berufliche Kompetenz Diese Kategorie des EQF eroffnet die Moglichkeit, der Beruflichkeit als eigenstandigem Beschreibungskriterium innerhalb eines Kompetenzstandards Gultigkeit zu verschaffen. Gefragt wird hier nach dem Grad der Professionalitat bzw. der Autono-
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mie, der erforderlich ist, um krisenhafte Situationen nicht durch Anwendung vorgegebener
Normen,
sondern
fallbezogen
unter
Heranziehung
theoretischen
und
erfahrungsbasierten Wissens zu losen. Beispiel fur den Kompetenzstandard „Lehr- und Lemszenarien fur die berufliche Ausund Weiterbildung planen" •
Theoriebasierte Entscheidungen zur Gestaltung starker Lernumgebungen unter
Berucksichtigung
aktueller
individueller,
sozialer
und
didaktischer
Bedingungen und Wechselwirkungen in einer spezifischen Lehr- / Lernsituation treffen Nachdem die einzelnen Kriterien fur den Kompetenzstandard beschrieben sind, werden die Inhalte mit dem EQF abgeglichen.Der Abgleich mit dem EQF soil dazu fuhren, dass der Kompetenzstandard moglichst einem Qualifikationsniveau zugeordnet werden kann. Bevor die so formulierten Kompetenzstandards als Grundlage fur das AssessmentVerfahren genutzt werden konnen, mussen sie in umfangreichen Validierungs- und Evaluationsprozessen mit verschiedenen Akteuren (insbesondere Fachkollegien, Expertenrunden aus dem Praxisbereich) gepruft und diskutiert werden.
3
Perspektiven
Individuelle Anerkennungsverfahren wie das vorgestellte Portfolio-Assessment sind gegenwartig die am besten geeigneten Verfahren, der Vielfalt von Auspragungen und Niveaustufen aufierhochschulisch en/vorbener Kompetenzen im Pflegebereich zu entsprechen. Problematisch gestalten sich derartige Verfahren unter dem Aspekt zunehmend eingeschrankter personeller Ressourcen an den Hochschulen, da die Koordinierung und vor allem die Betreuung der Antragsteller/innen einen nicht unerheblichen Zeitaufwand darstellen. Im Zuge der Schaffung eines europaischen Bildungsraumes konnte ein Europaischer/ Natlonaler Qualifikationsrahmen mit der Ausweisung von Kompetenzniveaus ein Instrument werden, Bildungsangebote insgesamt transparenter zu machen. Voraussetzung fur eine Pauschalanerkennung derartiger zertifizierter Bildungslelstungen durch Hochschulen ware die einheitliche externe Qualitatssicherung der entsprechenden
Bildungsangebote
im Sinne
einer Akkreditierung
durch
autorisierte
Agenturen analog des Verfahrens der Akkreditierung von Studiengangen. Gleichwohl die Problematik einer fur alle Bildungsbereiche einheitlichen "Bildungswahrung" in Form von Lernzeit-definierten Credits uber ein Akkreditierungsverfahren beruflicher
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Weiterbildungsangebote nicht ad hoc losbar ist, ware die Attestierung eines Kompetenzniveaus einer Weiterbildungsmaflnahme ein erster zielfuhrender Schritt und fur alle Beteiligten nur von Vorteil: Fur die Weiterbildungstrager ergaben sich Positionierungsvorteile im Markt, die Teilnehmer/innen hatten die Sicherheit des Wertes ihrer Leistungen, fur die Hochschulen wurden nachweislich auf dem jeweilgen Studiengangsniveau vereinfachen.
erbrachte
Weiterbildungsleistungen
die
Anerkennung
wesentlich
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Literatur Bund-Lander-Kommission fur Bildungsplanung und Forschungsforderung (Hrsg.): Weiterentwicklung dualer Studienangebote im tertiaren Bereich. Auftaktveranstaltung zum BLK-Programm am 23./24. Juni 2005 in Fulda. Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsforderung, Heft 132, 2005 Hannken-llljes, Kati & Lischka, Irene: Ansatze zur Systematisierung von Lernleistungen im Rahmen eines Leistungspunktesystems und Lebenslangen Lernens (LLL), unter Berucksichtigung der europaischen Perspektive Einordnung und Zusammenfassung wesentllcher Rechercheergebnisse. In: Stamm-Riemer, Ida (Hrsg.): Lebenslanges Lernen. Zur Verknupfung von akademischer und beruflicher Bildung. BWV Berliner Wissenschafts-Verlag 2004,8.23-41. Kommission der Europaischen Gemeinschaften: Arbeitsunterlage der Kommissionsstellen: http://europa.eu.int/comm/education/policies/educ/eaf/index en.html 2005 [14.08.06] Kultusministerkonferenz (KMK): Landergemeinsame Strukturvorgaben gemafl §9 Abs. 2 HRG fur die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengangen. Beschluss der KMK vom 10.10.2003 Oser, Fritz & Oelkers, Jurgen (Hrsg.): Die Wirksamkelt der Lehrerblldungssysteme. Von der Allrounderbildung zur Ausbildung professioneller Standards. Ruegger, Zurich, 2001
Von Kompetenz zu Credits - Anrechnung formaler und informeller Lernleistungen am Beispiel der Entwicklung eines Leistungspunktesystems in der IT-Weiterbildung Stefan Grunwald 1
Einleitung
Die Durchlassigkeit zwischen dem beruflichen und hochschulischen Bildungsbereich bzw. deren flexible Verzahnung ist eine alte Forderung. Mit der Entwicklung des neuen IT-Weiterbildungssystems wurde dieser Forderung erneut Nachdruck verllehen. Es besteht nunmehr erstmalig die Chance - unterstutzt durch die europaische und nationale Bildungspolltik - einen substantiellen Beitrag zu leisten fur bildungsokonomische und individuelle Moglichkeiten des EIn- und Umstiegs in beide Bildungsbereiche. Das neue IT-Weiterbildungssystem ermoglicht aufbauend auf dem Facharbeiterabschluss eine systematische berufliche Qualifizierung auf drei Ebenen: Vom ,ITSpezialisten' zum ,operativen' und danach zum ,strategischen IT-Professional'. Die aufelnander aufbauenden Qualiflkationsstrukturen und Inhalte sind dabei weitgehend vergleichbar mit jenen der konsekutiv gestalteten Studiengange im Bereich der Informatik. Die Vergleichbarkeit oder auch die Aquivalenz (Gleichwertigkeit) mit einem Leistungspunktesystem (LPS) in Aniehnung an hochschulische Modelle zu belegen, ist daher nicht nur sinnvoll, sondern unbedingte Voraussetzung fur die Anrechnung der in der beruflichen Bildung erworbenen Qualifikationen auf weiterfuhrende hochschulische Bildungsangebote bzw. Hochschulabschlusse. Inwieweit das European Credit Transfer System (ECTS, Stand Ende 2004) fur ein an die Bedingungen der beruflichen Bildung angepasstes LPS Vorbild sein kann, soil Gegenstand des Beitrags sein. Nach einer entsprechenden Darstellung des ITWeiterbildungssystems und einer kurzen Eriauterung zum ECTS werden die Besonderheiten eines LPS in der beruflichen Bildung aufgezeigt und anschliedend erste Ansatze eines beruflichen LPS sowie erste Ergebnisse einer Expertenbefragung vorgestellt.
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STEFAN GRUNWALD
Das IT-Weiterbildungssystem
Im Jahr 1999 wurde im Bundnis fur Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfahigkeit eine ..Offensive zum Abbau des Fachl