Johannes Kopp · Daniel Lois · Christina Kunz Oliver Arránz Becker Verliebt, verlobt, verheiratet
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Johannes Kopp · Daniel Lois · Christina Kunz Oliver Arránz Becker Verliebt, verlobt, verheiratet
Johannes Kopp · Daniel Lois Christina Kunz · Oliver Arránz Becker
Verliebt, verlobt, verheiratet Institutionalisierungsprozesse in Partnerschaften
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörfelden Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16860-9
Inhaltsverzeichnis
1 Vorbemerkungen ............................................................................................... 7
2 Zum Stand der Diskussion: theoretische Überlegungen, empirische Ergebnisse und offene Fragen...................................................15
3 Zur Datenbasis: Design und Feldphase der TIP-Erhebung.....................27
4 „Verliebt, verlobt, verheiratet?“ – Wie lässt sich die Entwicklung von Partnerschaften erfassen? .......................................................................43
5 Warum verfestigen sich Partnerschaften? Theoretische Argumente und empirische Befunde .................................................................................55
6 Vier Typen vorehelicher Partnerschaften, Institutionalisierungstempo und Beziehungsstabilität.....................................................................79
7 Netzwerkeinflüsse auf Institutionalisierungs- und Auflösungsprozesse in Partnerschaften..........................................................................101
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Inhaltsverzeichnis
8 „Values of Cohabitation“: Struktur, Dynamik und Vorhersagekraft subjektiv antizipierter Nutzen- und Kostenaspekte des gemeinsamen Haushaltes..............................................................................123
9 Subjektive Ursachen von Trennungen in nichtehelichen Partnerschaften...............................................................................................151
10 Konsequenzen und Bewältigung von Trennungen und deren Determinanten................................................................................................165
11 Zur Institutionalisierung von Partnerschaften – einige abschließende Überlegungen........................................................................189
Literatur .................................................................................................................195
Anhang A Anmerkungen zu den eingesetzten Methoden und Analyseverfahren........207
Anhang B Die Fragebögen der TIP-Untersuchung ..........................................................215
Kapitel 1 Vorbemerkungen
‚Verliebt, verlobt, verheiratet’ – so beginnt ein bekannter Kinderreim. Es gehört jedoch zur alltäglichen Erfahrung, dass die dabei meist unbewusst unterstellte Entwicklungsgeschichte und -dynamik von Paarbeziehungen in mindestens zweierlei Hinsicht nicht stimmen muss: Erstens führt gerade heutzutage nicht jedes Verliebtsein auch zur Verlobung oder gar zur Heirat, Liebes- und Lebensformen haben sich ausdifferenziert und pluralisiert, verschiedene Beziehungs- und Lebensformen werden ausgetestet, Optionen erhöhen sich, bindende Entscheidungen werden aus – wie zu sehen sein wird – guten Gründen möglichst hinausgezögert und im Laufe jeder Biographie wird eine Fülle von Beziehungserfahrungen gesammelt.1 Zweitens gibt es zwischen diesen groben Entwicklungsschritten – verlieben, verloben, heiraten – eine ganze Reihe von feinen Zwischenschritten, Nuancen und Abstufungen, die zur Beschreibung des Stands einer Beziehung notwendig sind, um nicht wichtige Differenzierungen und deshalb unterschiedliche Entwicklungspfade zu vernachlässigen. So muss man letztlich schon die erste Stufe, das Verliebtsein, sicherlich genauer differenzieren. Zumindest die Trennung zwischen einer romantischen, stark affektuellen Phase einerseits und eher auf vertraute Rituale beruhenden Aspekten der Liebe andererseits (vgl. einleitend Amelang et al. 1991; Florsheim 2003) erscheint unumgänglich. Diese unterschiedlichen Aspekte, aber auch weitere Differenzierungen sind notwendig, wenn man die Entwicklungsprozesse von Partnerschaften genauer abbilden, aber auch theoretisch erklären und empirisch untersuchen will. Diese groben ersten Überlegungen standen Pate, als im Frühjahr 2007 im Rahmen des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützten Schwerpunktprogrammes 1161 ‚Beziehungs- und Familienentwicklung (Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics = Pairfam)’ ein empirisch orientiertes Forschungsprojekt zum „Timing der Institutionalisierung in partnerschaftlichen Beziehungen“ – im Folgenden kurz TIP-Projekt – begonnen wurde, dessen wichtigste Ergebnisse in diesem Band vorgestellt werden sollen. In der traditionellen 1
Dies bedeutet nicht, dass die Zahl von Partnerschaften in der Kohortenabfolge dramatisch gestiegen ist. Im Laufe der Studie wird noch deutlich werden, wie schwierig manche der verwendeten Konstrukte zu operationalisieren sind. Unabhängig von diesen Schwierigkeiten zeigt sich jedoch, dass die Zahl von Partnerschaften insgesamt nicht allzu hoch ist (Tölke 1991; Brüderl 2004).
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Vorbemerkungen
Familienforschung und -soziologie (als Überblick Hill & Kopp 2006) werden diese feinen Übergänge, die aus einem anfänglichen Kennenlernen und erstem Verliebtsein eventuell bis hin zur Heirat oder Gründung einer Familie führen, nur selten genauer differenziert. Neben den Überlegungen zur Homogamie (vgl. Wirth 1996) oder den eher psychologischen Arbeiten zur Partnerfindung (vgl. Amelang et al. 1991), stehen dort vor allem die klassischen Schritte ‚Haushaltsgründung’, ‚Heirat’ und ‚Familiengründung’, also die Geburt eines ersten gemeinsamen Kindes des Paares, sowie eventuell die Familienerweiterung oder die Scheidung (vgl. zu diesen Übergängen zusammenfassend Rupp & Blossfeld 2008) im Mittelpunkt. Diese Übergänge lassen sich als Verfestigung oder Institutionalisierung bzw. bei Scheidung als Deinstitutionalisierung der Partnerschaft verstehen. Somit sind sie Phasen der gegenseitigen Erwartungsbildung und -erfüllung bzw. ein mehr oder weniger allmählicher Abbau dieser Gemeinsamkeiten. Diese konzeptionelle und theoretische Lücke sollte genauer betrachtet und – soweit möglich – geschlossen werden. Dabei erschöpfte sich die Projektarbeit nicht nur in der Aufarbeitung bisheriger Überlegungen und der theoretischen (Neu-)Konzeptionalisierung der einzelnen Institutionalisierungsschritte. Vielmehr sollten die entwickelten Überlegungen anhand empirischer Daten überprüft und getestet werden. Gerade im Bereich der Familienforschung finden sich teilweise seltsam anmutende Diskussionen über das Verhältnis zwischen so genannten qualitativen und quantitativen Verfahren. So wird beispielsweise vermutet, qualitative Verfahren würden eine größere Wirklichkeitsnähe ermöglichen oder zumindest erleichtern (Lenz 2009: 32) und seien deshalb zu präferieren. Es ist eine eher wissenschaftssoziologisch anzugehende Fragestellung, warum gerade in diesem Bereich derartige Missverständnisse und methodologisch abenteuerliche Vorstellungen herrschen. Die wissenschaftstheoretische und methodologische sowie methodenorientierte Diskussion der letzten Jahrzehnte sollte jedoch deutlich gemacht haben, dass selbstverständlich die verschiedensten qualitativen Methoden ihren festen Platz im Kanon des wissenschaftlichen Arbeitens besitzen und sie in der Regel nahezu unabdingbar sind, um sich selbst bekannte Forschungsfelder neu oder immer wieder zu erschließen (vgl. einleitend Abraham & Kopp 2008). Wenn man jedoch über die Beschreibung sicherlich interessanter Einzelfälle oder der paradigmatischen Darstellung sozialer Prozesse und damit einer – wie sie von den entsprechenden Vertretern selbst ab und an so bezeichnet wird – Nanosoziologie hinaus ein Interesse an Verallgemeinerungen oder auch nur Verteilungsannahmen hat, führt kein Weg an auf Zufallsstichproben beruhenden und eben deshalb verallgemeinerbaren Untersuchungen vorbei. In Anbetracht der meist notwendigen Fallzahlen und der damit einhergehenden faktischen Unmöglichkeit, ungewollte Beeinflussungen und Reaktivität im Interviewprozess zu kontrollieren, sind standardisierte Verfahren in der Regel angemessen, zumal hier genaue Gütekriterien formulierbar sind. Die ab und an zu findende Diskussion über das Verhältnis von qualitativen und quantitativen
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Verfahren und die dort proklamierte Lösung in Form der Triangulation übersieht meist die beiden zu differenzierenden Schritte: Wie wird einerseits die zu untersuchende Gruppe bestimmt – wobei es ausreicht, zwischen Zufallsstichproben und nichtzufälligen Auswahlverfahren zu unterscheiden – und wie werden andererseits die Daten dann erhoben. Wer ein neues Feld kennen lernen und die Vielfalt der empirischen Welt und eventueller Einflussfaktoren skizzieren will, dem ist sicherlich angeraten, sich bewusst bestimmte Fälle auszuwählen und die Möglichkeiten dieser eher ethnographischen Studien auch nicht durch allzu strikte und stark strukturierte Befragungsformen einzugrenzen.2 Wenn man inhaltlich an verallgemeinerbaren Aussagen interessiert ist und zudem die Fülle von Biasvariablen im Interviewprozess kontrollieren will – denn wie zu Recht von allen Seiten immer wieder betont wird: auch das Interview ist eine soziale Situation, in der Realität produziert und konstruiert wird – muss im Mittelpunkt der empirischen Arbeiten eine standardisierte Befragung einer zufällig ausgewählten Stichprobe stehen. Zielsetzung des Projektes war es also, die verschiedenen Schritte bei der Bildung und Verfestigung von Paarbeziehungen, die einzelnen Schritte der Institutionalisierung theoretisch genauer zu fassen und diese Überlegungen dann empirisch umzusetzen. Nicht aus allen ,Liebeleien’ werden ernsthafte Beziehungen und bei weitem nicht alle ernsthafte Beziehungen werden zu Ehen und schließlich entsprechen nur – je nach Schätzung und abhängig von den betrachteten Eheschließungskohorten – rund 60 bis 70 Prozent dieser Ehen dem zumindest in Hollywood-Filmen immer wieder zitierten Satz ‚bis dass der Tod Euch scheidet’. Welche Schritte und Mechanismen sind aber dafür verantwortlich zu machen, dass in einigen Fällen aus einer ersten Liebe eine lang anhaltende Partnerschaft wird und im nächsten Fall die Phase romantischer Liebe nur kurz währt oder gar von einem ‚Rosenkrieg’ abgelöst wird? Folgen Paare beim Übergang vom ersten Kennenlernen hin zu einer stabilen Beziehung dabei festen Regeln und Entwicklungspfaden oder gibt es verschiedene, individualisierte und bastelbiographische Wege, sich in einer Beziehung weiter zu entwickeln? Sind bestimmte Übergänge – wie die Einführung in die jeweiligen Freundeskreise und Familien, eine Vermehrung der jeweils miteinander verbrachten Zeit, gemeinsame Urlaube, das Deponieren von Gegenständen in der Wohnung des jeweils anderen oder gar die Gründung eines gemeinsamen Haushaltes – für alle Paare nur eine Frage der Zeit und erfolgen in einer bestimmten Reihenfolge? Oder lassen sich Beziehungsverläufe an bestimmten Stellen mehr oder weniger beliebig 2
Eine Fülle von Studien zeigt, welch interessante Ergebnisse dabei entstehen können (vgl. etwa Kaufmann 1994; 2004). Wissenschaftstheoretisch muss man diese Überlegungen jedoch in den so genannten Entdeckungszusammenhang einordnen und es wäre beispielsweise – um noch einmal auf die Frage nach dem Morgen danach (Kaufmann 2004) einzugehen – interessant, wie sich die verschiedenen Reaktionen auf die erste gemeinsame Nacht verteilen, ob sich hierbei historische Veränderungen zeigen und von welchen persönlichkeitsbedingten, paarbezogenen und soziologischen Faktoren die unterschiedlichen Reaktionen und gegenseitigen (An-)Passungen abhängen.
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lange anhalten, ohne dass dies die Stabilität oder Qualität der Beziehung beeinflusst? Existieren in diesen Entwicklungsbahnen Übergänge und Ereignisse, die die Beziehung unwiderruflich festlegen und von denen aus sich eine Beziehung nicht mehr ‚rückwärts’ entwickeln, sondern bestenfalls auf dieser Ebene stagnieren kann oder sich auflösen muss? Oder konkret: Lässt sich beispielsweise ein einmal an den Partner übergebener Schlüssel für die eigene Wohnung wieder zurückfordern, ohne damit gleich die Beziehung zu beenden? Weisen vielleicht nur bestimmte Paarkonstellationen eine derartige Reusenstruktur auf und andere, aber bestimmbare Paare folgen unterschiedlichen Entwicklungsschritten und -logiken? Ist das Timing der einzelnen Prozesse von bestimmbaren Größen abhängig oder folgen Paare einer mehr oder weniger eigenlogischen, beziehungsspezifischen Zeit? Hat die Geschwindigkeit, in der die einzelnen Phasen durchlaufen werden, Folgen für die Stabilität der Beziehung? Diese und ähnliche Fragen mehr standen am Beginn unseres Forschungsprojektes. Nahezu selbstverständlich ist es, dass im Laufe der Projektarbeiten einige Fragen nicht – oder zumindest: so nicht – zu beantworten waren und immer wieder auch neue Fragen auftauchten. Trotzdem bilden die genannten Überlegungen das Gerüst der folgenden Monographie. Um diesen Problemen nachzugehen, soll zuerst (Kapitel 2) ein Überblick über die bisherige Forschung zur internen Entwicklungsdynamik von Paarbeziehungen und damit deren Institutionalisierung gegeben werden. Dabei kann man leider nicht auf einen festen Theoriebestand rekurrieren, sondern ist gezwungen, verschiedene Felder gemeinsam zu betrachten und die wichtigsten Aspekte miteinander zu verknüpfen. Es zeigt sich aber, dass hier eine Fülle von Vorarbeiten und Anschlussmöglichkeiten besteht. Im Mittelpunkt der Ausführungen sollen jedoch nicht so sehr theoretische Betrachtungen und Spekulationen, sondern empirische Beobachtungen und Analysen stehen. Wie immer sind dabei verschiedene Herangehensweisen denkbar, wenn man jedoch über anekdotisches Wissen hinaus fundierte Erkenntnisse erzielen will, muss man auf breit angelegte und letztlich auf einer Zufallsstichprobe beruhende Daten zurückgreifen. In der Zwischenzeit liegen gerade im Bereich der Familienforschung relativ viele nutzbare Datenbestände wie etwa das Familiensurvey oder das Sozioökonomische Panel vor (vgl. als Überblick Abraham & Kopp 2008). Bedauerlicher Weise finden sich aber in diesen Daten nicht die notwendigen Informationen, um die in diesem Projekt im Mittelpunkt stehenden Fragen der Institutionalisierung – und eben auch Deinstitutionalisierung – wirklich hinreichend gut analysieren zu können. Aus diesem Grunde wurde im Jahr 2007 eine auf Informationen des Einwohnermeldeamts beruhende Stichprobe zu diesen Prozessen und Entwicklungen erhoben und befragt. Im Kapitel 3 sollen diese, die Grundlage der weiteren Analysen bildenden Daten genauer vorgestellt werden, wobei auch die mit dieser Datengrundlage verbundenen Probleme und Einschränkungen zu diskutieren sind.
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Im Mittelpunkt des Projektes stehen Prozesse der Institutionalisierung von Paarbeziehungen. Welche Stadien durchlaufen Paare normaler Weise, welche Ereignisse führen dazu, dass die Bindung größer wird? Lassen sich hier allgemeine Aussagen treffen oder ist für jedes Paar die ‚Magie’ der Liebe unterschiedlich? Im vierten Kapitel wird genau diesen Fragen nachgegangen, indem untersucht wird, ob sich die Entwicklungsprozesse von Paaren in einer für alle Paare gültigen Skala erfassen lassen. Bei diesem Vorgehen lassen sich prinzipiell zwei unterschiedliche Herangehensweisen finden. Einerseits ist es möglich, mit Hilfe eher psychologischer Modelle und Skalen das gegenseitige Commitment und die Entwicklung von verschiedenen Liebesdimensionen zu erfassen (vgl. Amelang et a. 1991). Andererseits finden sich Versuche, die Entwicklungen von Paarbeziehungen anhand bestimmter Handlungen und Ereignisse zu bestimmen. Im vorliegenden Modell wird diesem zweiten Weg gefolgt und in Anlehnung an eine Arbeit von King und Christensen (1983) eine Skala partnerschaftlicher Institutionalisierung konstruiert. Nahezu zwangsläufig schließt sich die Frage an, ob es sozialstrukturelle, soziologische oder beziehungsspezifische Faktoren gibt, die das Entwicklungstempo der Institutionalisierung beeinflussen. Welche Umstände führen zu einer raschen Institutionalisierung und welche Paare bleiben vielleicht auf einer niedrigen Stufe stehen? Sind eher beziehungsinterne Prozesse für eine Verstetigung verantwortlich oder sind es äußere Gegebenheiten und Anlässe? Das Kapitel 5 widmet sich dieser Fragestellung. Eng damit einher geht die Überlegung, ob sich bestimmte Typen von Beziehungen bestimmen lassen. Es wird also der Frage nachgegangen, ob es voneinander abgrenzbare Typen vorehelicher Paarbeziehungen gibt, die sich durch ein Bündel spezieller Eigenschaften charakterisieren lassen. Hierzu werden mit Hilfe clusteranalytischer Verfahren vier unterschiedliche Konstellationen herausgearbeitet und näher betrachtet (Kapitel 6). Hierbei finden sich zwei Gruppen von Paaren, die relativ jung sind, die sich aber dahingehend unterscheiden, ob sie einen eher belastenden familialen Hintergrund – operationalisiert über die Scheidung oder Trennung der Eltern – haben oder nicht. Eine dritte Gruppe zeichnet sich durch ihre große Harmonie aus. Die eher dem Durchschnitt entsprechenden Paare bilden als vierte Gruppe sozusagen die Referenzkategorie. Im siebten Kapitel wird der Einfluss sozialer Netzwerke genauer betrachtet. Hierbei wird untersucht, inwieweit die Einstellungen relevanter Netzpersonen die Institutionalisierung des Paares beeinflussen. Verhindern, beschleunigen oder verlangsamen die Meinungen der peers oder der Eltern die Entwicklung einer gemeinsamen Paaridentität? Werden diese Prozesse eventuell durch bestimmte Variablen moderiert – wie es etwa ab und an mit Bezug auf die klassische Tragödie von William Shakespeare behauptet wird? Andererseits soll in diesem Abschnitt der Frage nachgegangen werden, ob sich Diffusionsprozesse, so genannte soziale „Ansteckungsprozess“ hinsichtlich der Heirat in bestimmten peer-groups finden. Verän-
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Vorbemerkungen
dert sich eventuell das Framing einer Beziehung, wenn im Bekanntenkreis der Fokus von romantischer Liebe hin zur Familie wechselt? Eine der wichtigsten Veränderungen im Bereich der Familienforschung ist die starke Zunahme so genannter nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Während bis vor 40 Jahren derartige partnerschaftliche Lebensformen zumindest in der alten Bundesrepublik gesetzlich nahezu unmöglich waren – der so genannte Kuppeleiparagraph untersagte die Vermietung einer Wohnung an ein unverheiratetes – Paar stellen sie heute einen festen und nahezu obligatorischen Bestandteil des Lebenslaufes dar. In den meisten Beziehungen stellt die Gründung eines gemeinsamen Haushaltes einen der wichtigsten Insitutionalisierungsschritte dar, der auch als bedeutsame Test- und Erprobungsphase angesehen wird. Nun unterliegt auch dieser Übergang natürlich individuellen Schwankungen – der Zeitpunkt, zu dem dieser Schritt unternommen wird, hängt von einer ganzen Reihe von paarbezogenen und sozialstrukturellen Faktoren ab wie die – übrigens erstaunlich wenigen – Studien zu diesen Fragen zeigen. Noch seltener steht allerdings der diese Verbindungen verursachende Mechanismus im Mittelpunkt. Wie vermitteln sich objektive Faktoren und individuelle Handlungen? Um dieser Frage nachzugehen, wird im achten Kapitel der Einfluss der subjektiv antizipierten Nutzen- und Kostenvorstellungen des gemeinsamen Haushaltens genauer untersucht und analysiert. Auch wenn die verschiedenen Prozesse der Institutionalisierung einer Partnerschaft im Mittelpunkt des diesen Bandes zugrunde liegenden Forschungsprojektes stehen, ist es natürlich auch von Interesse, die andere Seite dieser Entwicklung genauer zu betrachten. Welche Faktoren führen dazu, dass Institutionalisierungsprozesse scheitern, dass Beziehungen sich verlieren oder auseinandergehen? Um diesen Fragen nachzugehen, werden zwei Aspekte dieser Deinstitutionalisierung genauer betrachtet: Im Kapitel 9 wird untersucht, welche subjektiven Trennungsgründe von den Paaren für die Auflösung ihrer Beziehung verantwortlich gemacht werden. Gerade in der soziologischen Scheidungsforschung gab und gibt es eine Diskussion darüber, inwieweit subjektiven Motiven eine eigenständige Erklärungsleistung zukommt oder ob diese Motive nichts weiter sind als mehr oder weniger korrekte Spiegelungen der objektiven Umstände, die vor allem von Interesse sind. In dieser Diskussion muss man keine vorgefestigte Meinung vertreten, vielmehr soll in diesem Kapitel untersucht werden, welche Rolle diesen Motiven empirisch zukommt. Besonders interessant ist dabei, dass in der vorliegenden Untersuchung nicht wie üblicher Weise das Auseinandergehen fest institutionalisierter Partnerschaften oder Ehen im Mittelpunkt steht, sondern dass hier Deinstitutionalisierungen in allen Entwicklungsschritten beobachtbar sind. Spätestens seit der klassischen Studie von Weitzman (1985) gehört es zum soziologischen Standardwissen, dass gerade für Frauen die Auflösung einer Ehe neben sozialen und psychologischen Konsequenzen auch der Auslöser ökonomischer Probleme sein kann. Entsprechende Studien finden sich in der Zwischenzeit auch
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für die Bundesrepublik (vgl. Andreß et al. 2006). Im Kapitel 10 soll nun untersucht werden, welche Konsequenzen die Auflösung einer Beziehung in früheren Stadien der Institutionalisierung haben. Hierbei wird nach Determinanten für ökonmische, psychosoziale und bindungsbedingte Folgen einer Trennung gesucht. Im abschließenden Kapitel 11 werden die wichtigsten Ergebnissen, aber auch weitere Forschungsdesiderate diskutiert, denn selbstverständlich entstehen in Forschungsprojekten nahezu genauso viele neue Fragen wie alte beantwortet werden. So zeigte sich, dass beispielsweise aufgrund des beschränkten Altersrahmens der Befragung entsprechende Untersuchungen zur lebenszyklischen bzw. altersabhängigen Variation bestimmter Institutionalisierungsprozesse kaum durchzuführen sind. Gerade vor dem Hintergrund der hohen Lebenserwartung und der hohen und vielleicht sogar steigenden Scheidungszahlen sind Partnerfindungsprozesse nicht nur auf Jugendliche bzw. junge Erwachsene beschränkt. Es ist jedoch zu vermuten, dass diese Prozesse bei älteren Personen – beispielsweise aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungshorizonte, aber auch der sicherlich nicht gleichen Lebensumstände – anders ausgestaltet sind. Im Anhang befindet sich eine kurze und nicht-technische Darstellung der wichtigsten in der Studie zum Einsatz kommenden statistischen Analyseverfahren. Dieser Überblick kann und soll kein Lehrbuch darstellen, sondern nur erste Hinweise auf die Vorgehens- und vor allem Interpretationsweise, aber auch eventuell vorhandene Schwierigkeiten und Einschränkungen der einzelnen Verfahren geben. Darüber hinaus finden sich in einem zweiten Anhang die Fragebögen der ersten und zweiten Befragung, um die genaue Formulierung der Fragen nachlesen zu können. Vielleicht mag es dem ein oder anderen bei einem ersten Blick auf dieses Buch aufgefallen sein, dass es sich nicht – wie es häufig üblich ist – um einen von einer oder mehreren Personen herausgegebenen Sammelband der wichtigsten Projektergebnisse handelt, sondern dass insgesamt vier Personen als gleichberechtigte Autoren genannt sind. Obwohl selbstverständlich die Beiträge nicht vollständig in gemeinsamer Arbeit geschrieben wurden, sind im Laufe der Projektarbeit so viele Gemeinsamkeiten entstanden, dass es wenig sinnvoll erschien, die einzelnen Beiträge wieder genau zuzuschreiben. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Forschungsprojekt wurde 2006 an der Professur für empirische Sozialforschung des Instituts für Soziologie der TU Chemnitz von Johannes Kopp mit großer Unterstützung von Daniel Lois beantragt. Im April 2007 begann Christina Kunz die eigentliche Projektarbeit. Seit Mai 2008 arbeitet Oliver Arránz Becker an der Professur für allgemeine Soziologie des Instituts für Soziologie der TU Chemnitz und konnte zur Kooperation für diese Publikation gewonnen werden. Bei einem derartigen Unterfangen ist wie immer die Liste der Personen lang, die durch Rat und Tat zu seinem letztendlichen Gelingen beigetragen haben. Zuallererst sind hierbei die Personen zu nennen, die im Rahmen der empirischen Erhebung bereitwillig Auskunft über ihre persönlichen Beziehungen gegeben haben. Unser
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Dank gilt darüber hinaus den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Einwohnermeldamtes der Stadt Chemnitz für ihre große Kooperationsbereitschaft. Johannes Huinink und Bernhard Nauck haben, auch als Koordinatoren des DFGSchwerpunktprogramms Pairfam, das Projekt begleitet und standen immer für Diskussionen bereit. Daniela Ackermann, Anne Keßler und Nico Stawarz haben als studentische Hilfskräfte tatkräftig zum Gelingen der empirischen Untersuchung beigetragen. Viele Kolleginnen und Kollegen im Institut für Soziologie der TU Chemnitz, aber auch an anderen Standorten des PAIRFAM-Verbundes standen immer für Diskussionen bereit. Ihnen allen sei dafür herzlichst gedankt. Nico Stawarz und Franziska Schork haben – man ist versucht zu sagen: wieder einmal – die Herstellung des Manuskriptes in den verschiedensten Phasen in jeder erdenklichen Art begleitet. Ohne die Unterstützung der deutschen Forschungsgemeinschaft hätte das Projekt nicht stattfinden und ohne das Interesse des VS Verlages an dieser Thematik dieses Buch nicht publiziert werden können. Auch hierfür unseren herzlichsten Dank.
Kapitel 2 Zum Stand der Diskussion: theoretische Überlegungen, empirische Ergebnisse und offene Fragen
Wenn man sich mit dem Forschungsstand zur Institutionalisierung von Partnerschaften auseinandersetzt, so kommt man vor einer Sichtung der relevanten Überlegungen letztlich nicht umhin, sich zuerst darüber Gedanken zu machen, was eigentlich unter Partnerschaften und unter Institutionalisierung verstanden werden soll. An einer solchen Stelle finden sich in anderen (familien-)soziologischen Lehrbüchern dann gerne relativ breit angelegte Diskussionen über die Vor- und Nachteile verschiedener Definitionsversuche (vgl. Hill & Kopp 2006: 12ff.; Lenz 2009: 11ff.). Auch wenn man sich – nicht nur in der Wissenschaft – sicherlich ab und an Gedanken darüber machen sollte, über und von was man eigentlich spricht, so sind lange Streitereien über verschiedene Definitionsversuche in aller Regel sinnlos. Definitionen sind nichts anderes als sprachliche Vereinbarungen und Kürzel und sollen die Kommunikation erleichtern. Unterschiedliche Definitionen können diese Aufgabe dann mehr oder weniger gut erfüllen und sind somit mehr oder weniger funktional, Definitionen können aber nicht richtig oder falsch oder wahr oder unwahr sein. Ein gutes Beispiel liefert die in der Wissenschaft, vor allem aber auch in der Politik und der Öffentlichkeit aufflackernde Diskussion über die Familie und deren begriffliche Bestimmung. So finden sich vor allem in der Politik Versuche, Familie allein über die Existenz eines Kindes zu definieren: ‚Familie ist da, wo es Kinder gibt’. So verständlich, gut gemeint und wohl auch sinnvoll die politische Intention hinter dieser Definition sein mag, so findet sich in der Familiensoziologie immer noch eine Definition von Familie, die darüber hinaus die gemeinsame Haushaltsführung beider Eltern als Kriterium anführt. Eine solche Definition impliziert nun aber nicht, dass beispielsweise Alleinerziehende kein Thema der Familiensoziologie sind oder gar sein sollen. Wenn man aber beispielsweise die Qualität von ElternKind-Beziehungen untersucht, wird man sicherlich spätestens dann die Koresidenz als Einflussgröße einbeziehen und man wird wohl feststellen, dass sich beispielsweise die Vater-Kind-Beziehungen in Familien, die einen gemeinsamen Haushalt haben, eventuell von den Vater-Kind-Beziehungen unterscheiden, in denen die Eltern
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keinen gemeinsamen Haushalt führen. Anstelle der doch etwas umständlichen Beschreibungen würde man vielleicht dann an dieser Stelle – und das eben aus Gründen der Sprachökonomie – wieder einfacher von Familien und Alleinerziehenden sprechen. Diese Aufgabe von Definitionen bedenkend soll nun zuerst geklärt werden, was Gegenstand der im Folgenden ausgeführten Überlegungen ist: Welche Art persönlicher Beziehung fällt unter den Begriff der Partnerschaft und was wird unter Institutionalisierung verstanden? Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen und Analysen stehen gegengeschlechtliche, enge emotionale Liebesbeziehungen. In den Vereinigten Staaten hat sich eine Forschungstradition unter dem Begriff der ‚Close Relationships’ (vgl. Kelley et al. 1983; Duck 1997; Reis 2007) etabliert, die – auch wenn sie ihren Schwerpunkt auf Partnerschaften richtet – ebenso Freundschaften oder die Beziehung zu den Eltern oder eigenen Kindern umfasst (Berscheid & Peplau 1983: 1; vgl. zur Abgrenzung der verschiedenen Formen auch Allan 2008). In der Bundesrepublik finden sich Versuche, den Begriff der Zweierbeziehung einzuführen (Lenz 2009). Unabhängig von diesen – wie gezeigt: ja meist wenig fruchtbaren – Diskussionen über Begriffe, soll im Folgenden die Entwicklungsdynamik von Beziehungen zwischen Frauen und Männern untersucht werden, die zumindest zum Teil auf einer engen emotionalen, affektiven Basis beruhen und sich beispielsweise von Freundschaften oder intergenerationalen Beziehungen durch eine romatischsexuelle Komponente unterscheiden (vgl. Miller & Benson 1999). Sicherlich kann man weitere Einschränkungen und Spezifikationen durchführen und die gerade berücksichtigten Kriterien kritisch diskutieren. So unterliegen auch gleichgeschlechtliche Beziehungen ähnlichen Gesetzmäßigkeiten (vgl. Kurdek 2004, 2005; Black et al. 2000), vor allem die hochritualisierten Institutionalisierungsschritte wie Heirat oder gar Familiengründung bedürfen dort jedoch einer genaueren Analyse und können nicht en passant abgearbeitet werden. Auch das Kriterium der engen emotionalen Liebesbeziehung ist sicherlich nicht immer eindeutig, vor allem wenn man das Interesse auch auf Deinstitutionalisierungsprozesse richten will und damit auf Beziehungen, die sich eventuell durch das Fehlen genau dieser Basis auszeichnen, aber vielleicht aus unterschiedlichsten Gründen doch stabil sind (vgl. hierzu schon Lewis & Spanier 1979). Partnerschaften weisen dabei in aller Regel bestimmte typische Eigenschaften auf. Charakteristisch sind sicherlich das „Moment der personellen Unersetzbarkeit“ und die „als Idealisierung unterstellte Fortdauer“ (Lenz 2009: 42), die auch als Unendlichkeitsfiktion bezeichnet wird. Berscheid und Peplau (1983: 13) führen folgende Punkte an: „A high degree of interdependence between two people is revealed in four properties of their interconnected activities: (1) the individuals have frequent impact on each other, (2) the degree of impact per each occurrence is strong, (3) the impact involves diverse kinds of activities for each person, and (4) all of these properties characterize the interconnected activity series
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for a relative long duration of time”. Dass diese verschiedenen Kriterien im Laufe einer Beziehung eben auch wieder verschwinden können, ist Gegenstand der Untersuchung. In der Praxis der empirischen Sozialforschung erscheint die Definition von Beziehungen eher unproblematisch. So lautet beispielsweise die entsprechende Frage in dem vom Deutschen Jugendinstitut organisierten Familiensurvey (vgl. Tölke 1991: 120f.) wie folgt: „Ich möchte Sie nun nach Zeiten in Ihrem Leben fragen, in denen Sie eine feste Partnerschaft hatten oder verheiratet waren, einschließlich der Partnerschaft oder Ehe, in der Sie heute leben. Mit fester Partnerschaft meine ich vergangene Beziehungen, die mindestens ein Jahr andauerten und mehr waren als vorübergehende Bekanntschaften oder Schwärmereien, sowie eine heutige feste Partnerschaft, auch wenn sie noch nicht ein Jahr dauert. Die jetzige Ehe ist natürlich auf jeden Fall gemeint. Hatten Sie bisher schon eine oder mehrere Partnerbeziehungen in diesem Sinne?“. In anderen Untersuchungen wird der Zeitraum auf 6 Monate verkürzt (vgl. Lauterbach 2007), in manchen Untersuchungen wird ganz darauf verzichtet, einen zeitlichen Rahmen vorzugeben – wie etwa in der PAIRFAM-Befragung aus dem Jahr 2008. Bei einem Vergleich der verschiedenen Untersuchungen ist auf solche Unterschiede in der Operationalisierung selbstverständlich zu achten und manche Befunde – wie beispielsweise die insgesamt geringe Zahl an Beziehungen im Lebensverlauf (vgl. Tölke 1991 oder Brüderl 2004) – ist auch auf die zugrunde liegende Definition zurückzuführen. Darüber hinaus kann man vermuten, dass sich in unterschiedlichen Lebensphasen auch differierende Selbstdefinitionen von Partnerschaften finden (vgl. etwa Furman & Simon 1999). Das Eingehen einer Partnerschaft bedeutet für Jugendliche sicherlich etwas anderes und hat einen ganz anderen Zukunftsbezug als für junge Erwachsene (vgl. einleitend Florsheim 2003). Bei Querschnittbetrachtungen könnten dann eventuell Kohortenunterschiede sich eher hierauf als auf sich wandelnde Verhaltensmuster gründen.3 Da die Altersspanne der im TIP-Projekt untersuchten Personen jedoch relativ gering ist, sollten dadurch keine Probleme entstehen. Partnerschaften in dem hier verstandenen Sinne einer spezifischen Form von close relationships oder romatic relationships sind somit die gemeinsame Basis unterschiedlicher Lebensformen wie Ehen, nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften, Dating-Beziehungen, living-apart-together-Beziehungen, Jugendlieben oder was 3
Es ist eine offene Frage, ob sich die immer wieder thematisierte sexuelle Liberalisierung wirklich so deutlich zeigt, wie ab und an vermutet. So berichtet beispielsweise White (1990: 28), dass sich bei einem Vergleich der Kohorten 1925-44, 1945-64 und 1965-1984 zwar ein Rückgang des Alters beim ersten Sex und bei der ersten festen Partnerschaft (‚going steady’) zeigt, jedoch nicht beim Alter, bei dem das erste Date stattfand (zur amerikanischen Dating-Kultur vgl. White 1990 oder klassisch Waller 1937; als neueres Dokument kultureller Besonderheit vgl. auch Fein & Schneider 2007). Auf der anderen Seite ist darauf hinzuweisen, dass manchmal schon in ein und derselben Beziehung zweier Personen die entsprechenden Definitionen über den Status der Beziehung nicht übereinstimmen (vgl. Knab 2005; Knab & McLanahan 2007).
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man hier noch immer aufführen möchte. Die gerade genannten, aber auch andere Charakterisierungen von Partnerschaften stellen, dann eventuell Phasen in der Entwicklungsdynamik dar, die im Mittelpunkt des TIP-Projektes stehen. In diesem Rahmen sollen vor allem so genannte Institutionalisierungprozesse untersucht werden. Hierfür muss in einem zweiten Schritt abgeklärt werden, was unter Institutionalisierung verstanden werden soll. Institutionen stellen eine soziologische Grundkategorie dar und lassen sich als relativ dauerhafte Erwartungen definieren, dass bestimmte Regeln eingehalten werden. Institutionen stellen somit erwartbare Verhaltensregelmäßigkeiten dar (vgl. ausführlicher Esser 2000). Mit dem Prozess der Institutionalisierung ist der Aufbau dieser – im einfachsten Fall einer dyadischen Interaktion – gegenseitigen Regelorientiertheit beschrieben, die dann allerdings rasch, wie etwa Berger und Luckmann (1977) zeigen, auch allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Gerade enge Beziehungen in dem hier verstandenen Sinne erzeugen prototypisch eigene soziale Welten, mit eigenen Ritualen und Bedeutsamkeiten (vgl. Berger & Kellner 1965; Bell et al. 1987). Institutionalisierung ist also hier der Prozess, bei dem sich eine gemeinsame neue Identität als Paar bildet. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frage, welche einzelnen Schritte bei diesem Emergenzprozess zu beobachten sind, der von vereinzelten Interaktionen zur Bildung und allgemeinen sozialen Akzeptanz eines Paares und einer Beziehung führen. Wie wird der soziale Tatbestand einer Beziehung erschaffen? Bei aller Idiosynkrasie der individuellen Prozesse und der proklamierten Einzigartigkeit der dadurch entstehenden Beziehung zeigen sich dabei jedoch meist auch verallgemeinerbare Muster in der Entwicklung von Paarbeziehungen. Im Zusammenhang mit dem TIP-Projekt sind nun die Manifestationen genau dieser Institutionalisierungsprozesse von besonderem Interesse. Welche einzelnen Schritte und Übergänge lassen sich beobachten? Lassen sich bestimmte Muster festmachen, die beispielsweise zu dauerhaft eher instabilen Beziehungen führen währenddessen andere Verläufe zu eher stabilen Beziehungen führen? Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen wurden im Rahmen des TIP-Projekts junge Erwachsene zu ihren Partnerschaften sowie deren Verläufen befragt. Bevor nun die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung vorgestellt werden können, sollen im Folgenden zuerst verschiedene Modelle der Partnerschaftsentwicklung vorgestellt und diskutiert werden (vgl. als ersten Überblick Lenz 2009: 65ff.). Wer nun vermutet, dass dieses Thema im Schnittfeld von (Familien-) Soziologie, (Entwicklungs-)Psychologie und öffentlichem Interesse bereits mehr als gut erforscht und der Literaturstand eher überbordend ist, wird enttäuscht oder verwundert sein. Erstaunlicher Weise ist die entsprechende Literatur relativ übersichtlich. Auch wenn es müßig ist, über die Gründe für diese Tatsache zu spekulieren, so mag das Interesse der (Familien-)Soziologie an einigen wenigen, dafür sehr klar definierbaren Übergängen wie eben in die Ehe oder in die Familie und der (Entwicklungs-)Psychologie an individuellen Prozessen und Voraussetzungen für
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das Eingehen von Partnerschaften (vgl. exemplarisch Crittenden 1997 oder Collins & Sroufe 1999) hierbei sicherlich eine Rolle spielen. Die (frühen) Entwicklungsschritte von Beziehungen als Entität bleiben meist unthematisiert. Dies ist umso erstaunlicher, da es doch einige, aus heutiger Sicht nahezu klassische Vorarbeiten zu dieser Thematik gibt. Im Folgenden sollen diese aus den unterschiedlichsten Bereichen kommenden Ideen skizziert werden, bevor abschließend einige die wichtigsten Punkte zusammenfassende Überlegungen vorgestellt werden können. Eine nähere Analyse der mit der Partnerschaftsentwicklung verbundenen Entscheidungen und Interaktionen nährt die Vermutung, dass sich bestimmte Grundmuster innerhalb des Prozesses der Paarbildung finden und dass sich darauf aufbauend Entwicklungsmodelle formulieren lassen. Diese Modelle kann man allgemein als Filter- oder Stufenmodelle bezeichnen, da sie eine Abfolge von typischen Interaktionsverdichtungen darstellen, wobei die erfolgreiche Interaktion innerhalb einer Stufe als Vorbedingung für das Erreichen der jeweils folgenden Stufe vorausgesetzt wird. Eines der ersten Modelle entwickelte Reiss (1960). Ihre wheel theory unterscheidet vier Stadien: ‚rapport’, ‚self revelation’, ‚mutual dependency’ und ‚personality need fulfillment’. Im Initialprozess des ersten Schrittes ist die Ähnlichkeit der kulturellen und sozialen Herkunft der Personen von besonderer Bedeutung, da diese die Kompatibilität der persönlichen Bedürfnisse begünstigt. Ergeben sich hier hinlänglich Übereinstimmungen und damit ein Gefühl subjektiven Wohlbefindens und wechselseitiger Anerkennung, wird die zweite Stufe erreicht, in der die Beteiligten intimere persönliche Fakten und Ansichten offen legen, wobei auch hier weniger die psychologischen Charakteristika im Zentrum des soziologischen Interesses stehen als vielmehr die soziale Herkunft, die ihrerseits bestimmt, welche persönlichen Anliegen offen gelegt werden, über welche Themen gesprochen wird und welche – eventuell auch sexuellen – Aktivitäten akzeptiert werden. Werden diese Interaktionen wechselseitig positiv beurteilt, entwickelt sich im dritten Stadium eine wechselseitige Abhängigkeit, ein dyadisches ‚habit system’, aus dem schließlich viertens als mögliche Konsequenz eine wechselseitig als befriedigend empfundene Beziehung erwächst. Nach Reiss können diese vier Stufen nur analytisch getrennt werden; empirisch wiederholt sich dieser Prozess auf den verschiedenen Stufen, und die Abhängigkeiten, Aktivitäten und Befriedigungen nehmen zu. Er kann aber auch zum Stillstand kommen bzw. in umgekehrter, negativer Richtung ablaufen und damit eine Beziehung beenden (Reiss 1960: 143). Weiter glaubt Reiss, dass auch alle anderen affektiven Beziehungen diesem Muster folgen (Reiss 1960: 145). Die wheel theory ist zu Recht vor allem aus zwei Gründen kritisiert worden (vgl. Murstein 1976: 92; 1986: 82): Erstens fehlt es an empirischen Belegen, und zweitens können die Ausführungen von Reiss wohl kaum als Theorie im engeren Sinne qualifiziert werden. Dazu fehlen eine allgemeine theoretische Perspektive, aus der der erklärende Mechanismus, der von einer Stufe in die nächste überleitet, übernommen wird, und Angaben über die
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Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn der Prozess von einer Stufe zur nächsten schreiten soll (Huston 1974). Im Anschluss an diese Thesen wurden weitere Vorschläge gemacht, die jeweils verschiedene inhaltliche Schwerpunkte berücksichtigen und theoretisch zunehmend austauschtheoretische Argumente explizieren. Am wichtigsten dabei ist das Stimulus-Value-Role-Modell von Murstein (1986). Dieses Modell ist nach der Relevanz verschiedener Handlungsorientierungen benannt. Auch hier ist die Partnerwahl kein singulärer Entscheidungsakt, sondern ein Prozess, in dem sukzessiv die Eignung des anderen für eine dauerhafte Partnerschaft oder Ehe erprobt wird. Dabei läuft der Prozess durch drei Stadien: Im Stimulusbereich geht es primär um die Kontaktaufnahme und deren Stabilisierung. Als dominantes Kriterium sieht Murstein die physische Attraktivität, aber zweifellos dürfte hier auch die Emotion der romantischen Liebe von großer Bedeutung sein. Murstein vermutet, dass Personen mit ausgeprägter Attraktivität begehrter sind als weniger attraktive Personen. Attraktive Personen haben zwar einen höheren intrinsischen und sozialen Belohnungswert, aber dieser Belohnungswert ist nicht der entscheidende Faktor für die ersten Kontakt- und Interaktionsversuche. Vielmehr wird der erwartete Nutzen mit der Erfolgswahrscheinlichkeit gewichtet. Vor diesem Hintergrund werden dann nicht nur attraktive Personen präferiert, sondern unter Berücksichtigung der eigenen Erfahrungen und der eigenen Attraktivität können auch weniger attraktive Personen die bessere Wahl sein (Murstein 1976: 117f.). Die entsprechenden Überlegungen und Entscheidungen spielen sich dabei in einem sozial strukturierten Handlungsraum und nicht auf einem perfekten Markt ab. In der zweiten Phase, dem Wertestadium, verlieren die Attraktivität und analog die romantische Liebe an Bedeutung. Dafür gewinnt die allgemeine Wertorientierung der Partner an Relevanz. Die Einstellungen, Meinungen, Lebensorientierungen und -planungen sowie das soziale Umfeld des Partners bestimmen die Kommunikation. Wenn diese Weltsichten und Alltagsinterpretationen wechselseitig akzeptiert und als belohnend empfunden werden, dann wird nach und nach mehr von der eigenen Person offenbart. Das dritte Stadium, das Rollenstadium, markiert dann die zunehmende Wichtigkeit der konkreten Verhaltensabstimmung im Alltag. Das Paar braucht für eine funktionierende Beziehung Rollenkompatibilität. Nicht die Homogamie oder Komplementarität sind entscheidend, sondern die für beide gewinnbringende Abstimmung der Rollen. Die allgemeinen Orientierungen müssen also erfolgreich in die Alltagspraxis übersetzt werden, dies ist auch ein Lern- und Anpassungsprozess, der für die Fortführung oder den Abbruch der Beziehung zentral ist (Murstein 1976; 1977). Die drei von Murstein postulierten Stadien markieren somit die jeweils zentralen Kommunikations- und Interaktionsfelder, die ein (erfolgreiches) Paar durchläuft. Keines der Felder wird je gänzlich irrelevant, aber sie wechseln in ihrer jeweiligen Bedeutung mit dem Fortschreiten der Partnerschaft. Die Aufmerksamkeit der Partnerschaft liegt also jeweils auf einem unterschiedlichen Frame. Da Murstein seine
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Überlegungen explizit handlungstheoretisch begründet, unterstellt sein Modell auch keinen unbekannten inneren Determinismus mehr. Bei Reiss und anderen älteren Versuchen ging man noch davon aus, dass die postulierte Abfolge einen genuin gesetzesartigen Charakter hat. Diese Sicht wurde im Zuge der Entwicklung korrigiert, die allgemeine Theorie bezieht sich nicht mehr auf das Ablaufmuster, sondern auf das Handeln der Akteure. Dabei lässt sich auch die Kulturspezifität solcher Modelle methodologisch sinnvoll berücksichtigen, die jedoch bislang fast unerforscht geblieben ist. Im historischen und interkulturellen Vergleich sind solche Muster offensichtlich nicht stabil, sondern sehr starken Variationen unterworfen. Insbesondere die Einordnung sexueller Aktivitäten in entsprechende Ablaufschemata verdeutlicht dieses Problem (vgl. Meyer 1994: 350ff.). Inwiefern die Abfolge von Interaktionsfeldern selbst von gesellschaftlichen Randbedingungen abhängig ist, wurde von der skizzierten Forschungstradition bislang kaum berücksichtigt. Ähnliche Modelle werden auch noch aktuell vertreten: So berichten etwa Walper et al. (2008: 116ff.) in ihrem Überblick über die Liebesbeziehungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen von entwicklungspsychologischen Phasenmodellen der Entwicklung von Partnerschaften und Liebesbeziehungen. Nach der ersten Etablierung des Kontaktes zwischen den Geschlechtern, der Initiationsphase, bei der vor allem die Selbstfindung in der neuen Rolle als Partner von Bedeutung ist, spielt in der anschließenden Statusphase vor allem das Ansehen bei den jeweiligen Peers eine große Rolle (vgl. hierzu übrigens schon Waller 1937). In der anschließenden Affektphase „werden die Liebesbeziehungen sowohl in sexueller Hinsicht als auch in emotionaler Hinsicht intensiver“ (Walper et al. 2008: 117). Die abschließende Bindungsphase repräsentiert die Verfestigung der Beziehung und die Ausrichtung hin zu einer längerfristigen Partnerschaft (vgl. auch Brown et al. 1999 sowie Seiffge-Krenke 2003). Allen genannten Modellen ist gemein, dass sie davon ausgehen, dass mit der Erreichung der jeweils nächsten Stufe der Verbindlichkeitscharakter der Beziehung und damit ihre Institutionalisierung zunimmt. So richtig es sicherlich auch sein mag, dass in unterschiedlichen Beziehungsphasen verschiedene Aspekte im Mittelpunkt der Beziehung stehen, so ist doch anzumerken, dass eine derartige Abfolge, wie sie beispielsweise in der SVR-Theorie postuliert wird, zu wenig diskriminierend und differenzierend ist. Beziehungen durchlaufen verschiedene Zwischenstufen, eine Intensivierung der Liebesbeziehung kann gänzlich unterschiedliche Formen annehmen und nicht alle dauerhaft orientierten romantischen Bindungen sind gleich stark und stabil. Benötigt wird eine weitere und feinere Differenzierung. Darüber hinaus ist immer noch der letztlich erklärende Mechanismus nicht explizit genug formuliert, der Einbezug äußerer Ereignisse und Umstände fehlt so gut wie vollständig, und schließlich mangelt es diesen Modellen an einer theoretischen Fundierung für nicht erfolgreiche Beziehungsverläufe. Ein Scheitern der Entwicklungs-
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oder Institutionalisierungsprozesse wird meist mit dem Nichterreichen der jeweils nächsten Stufe gleichgesetzt; wie und warum dies geschieht, bleibt meist offen.4 Auch andere, eher (sozial-)psychologisch fundierte Modelle beschreiben den Beziehungsverlauf als eine zunehmende Verdichtung von Interaktionen und eine damit einhergehende Zunahme des gegenseitigen Commitments, eventuell beeinflusst von Investitionen in die Beziehung (vgl. als Überblick Le & Agnew 2003) oder als ein Prozess des gegenseitigen self-disclosure (Hendrick 1981). Dabei finden sich auch Vermutungen, dass sich im Beziehungsverlauf die zugrunde liegende emotionale Basis ändert (vgl. für eine genauere Erklärung dieses häufig beschriebenen Übergangs von romantischer in eher kameradschaftliche Liebe den Beitrag von Hill 1992). Zwar ist es sicherlich richtig, dass sich die Entwicklung einer Beziehung in der Veränderung der emotionalen Basis widerspiegelt, wenn man jedoch an der Institutionalisierung von Beziehungen interessiert ist, ist der Bezug auf einzelne Dimensionen – wie eben etwa commitment, romatic love oder self-disclosure – letztlich nicht weiterführend. Derartige Konstrukte erfassen bestimmte Wahrnehmungen der an einer Beziehung beteiligten Personen meist auf einer Skala, die ein Mehr oder Weniger relativ problemlos widerspiegeln kann. Der theoretische Ausgangspunkt des hier im Mittelpunkt stehenden Projektes liegt jedoch auf der Entwicklung von Beziehungen und diese Beziehungen durchlaufen empirisch – so die These – bestimmte diskrete Schritte, die nicht beliebig fein untergliederbar sind, sondern eher diskrete Zustände beschreiben. Des Weiteren ist ein Wechsel zwischen den einzelnen Zuständen nicht beliebig möglich – zwar bleibt so gut wie immer die Option, eine Beziehung zu beenden, sie jedoch auf eine bereits durchlaufene Stufe ‚down zu graden’ erscheint nur schwer vorstellbar. So ist es zwar denkbar, dass im Laufe einer Beziehung das Gefühl des romantischen Verliebtseins langsam schwindet und Konflikte und fehlende bzw. dysfunktionale Kommunikationsformen (vgl. die Beiträge in Hill 2004) auch dazu führen, dass andere Liebesformen nicht hinreichend entwickelt oder eben auch zurückentwickelt werden. Wenn man jedoch beispielsweise einmal als Paar von seiner sozialen Nahumwelt wahrgenommen wird, ist ein Zurück in den Status Bekanntschaft ein kaum zu erreichendes Vorhaben.5 4
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Zumindest hinsichtlich dieses letzten Punktes ist das Modell von George Levinger (1983) herauszuheben. Sein den gesamten Beziehungsverlauf abdeckendes A-B-C-D-E-Modell, wobei die einzelnen Buchstaben für ‚acquaintance’, ‚buildup’, ‚continuation’, ‚deterioration’ und ‚ending’ stehen, fußt explizit auf austauschtheoretischen Überlegungen. Besonders interessant ist in dem hier behandelten Zusammenhang die so genannte buildup-Phase. Dabei muss auch Levinger (1983: 325) feststellen: „There is little literature on the processes whereby interpersonal relations become increasingly interdependent“. Auch in der zumindest durch Hollywood-Filme vermittelten Wirklichkeit ist die Vorstellung, dass Beziehungen Phasen durchlaufen, die nahezu unumkehrbar sind, weitgehend akzeptiert. So lässt sich trotz des Eingeständnisses der beiden Hauptdarsteller in „When Harry met Sally“, einen Fehler begangen zu haben, der Zustand einer engen Freundschaft nicht wieder herstellen, nachdem die bei-
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Benötigt wird also eine Entwicklungsgeschichte von Beziehungen, die auf diskrete Unterscheidungen und klar auszumachende Übergangspunkte Bezug nimmt. An dieser Stelle stößt man auch empirisch auf eine wichtige Problemlage: So ist selbst der auf den ersten Blick so klare Übergang hin zu einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, also die Gründung eines gemeinsamen Haushaltes, in der Praxis nur schwer zu terminieren, da häufig ‚a slide into cohabitation’ (Manning & Smock 2005) zu beobachten ist anstelle eines klaren Übergangspunktes und da selbst innerhalb eines Paares unterschiedliche Selbstdefinitionen vorliegen können (vgl. auch Knab 2005 und Knab & McLanahan 2007). Zielsetzung sollte es aber trotzdem sein, klare und vor allem auch klar messbare Übergangsschritte zu postulieren. Häufig finden sich dann der Versuch, die Paare in bestimmte Kategorien wie „casually dating, seriously dating, going steady, dating exclusively, living together, engaged and married“ (King & Christensen 1983: 671) zu fassen. Nun sind selbst in den Vereinigten Staaten die einzelnen Phasen nicht so klar definiert, dass sie als klare Beschreibungen dienen können. Für die Bundesrepublik erweisen sich Versuche, diese Typologie zu übernehmen, jedoch als mehr oder weniger sinnlos, da Partnerschaftsentwicklungsprozesse hier wohl gänzlich anders ablaufen. Schon 1990 findet sich der Vorschlag, Phasen des Ablaufs von Zweierbeziehungen zu unterscheiden (Lenz 1990): die Aufbauphase, die Bestandsphase, die Krisenphase und die Auflösungsphase. Dabei steht vor allem die Abfolge bestimmter Ereignisse während diesen Phasen im Mittelpunkt des Interesses, da sie „in einem besonderen Maße Anstoß zu Institutionalisierungen geben bzw. vorhandene verstärken“ (Lenz 1990: 234). Fünf verschiedene Schritte werden hierbei unterschieden: „die Aufnahme und Aufrechterhaltung einer auf Wiederholbarkeit angelegten Sexualinteraktion“, „die Gründung eines gemeinsamen Haushalts“, „die Heirat“, „das Bilden einer Wirtschaftsgemeinschaft“ und schließlich „die Geburt eines Kindes“ (Lenz 1990: 234ff.). Als gefällige Zeitdiagnose wird dann vermutet, dass diese einzelnen Schritte der Institutionalisierung von Paarbeziehungen in den 1950er und 1960er Jahren noch zeitlich dicht aufeinander folgten während mit einer zunehmenden Modernisierung diese Prozesse zeitlich entkoppelt wurden und heute – so zumindest die These – in nahezu beliebiger Reihenfolge auftreten können.6 „Die Stufen der Institutionalisierung einer Zweierbeziehung sind aber nicht nur auseinandergefallen, sondern sind auch in hohem Maße variabel verknüpfbar geworden“ (Lenz 1990: 239). So interessant diese Vermutungen auch sein mögen, mindestens
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den miteinander geschlafen haben. In „You’ve got mail“ bespricht Tom Hanks mit einem Mitarbeiter und Freund, dass er nun in seiner bislang rein aus e-mail-Kontakten bestehenden Beziehung zu Meg Ryan auf die nächste Stufe gehen wird und ihr ein persönliches Treffen vorschlägt. Auszunehmen sind hierbei sicherlich die Abfolge des ersten und des letzten Schrittes. Gerade in den so genannten neuen Bundesländern erfolgt beispielsweise häufig die Familiengründung ohne eine Eheschließung. Generell ist es wohl vor allem die Eheschließung, die als variable Größe betrachtet werden kann.
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hinsichtlich zweier Punkte sind sie doch zu kritisieren: Erstens ist festzuhalten, dass die genannten Institutionalisierungsstufen sicherlich noch feiner differenziert werden können; zweitens liegen beispielsweise zwischen ‚dem ersten Mal’ und auch der Verstetigung sexueller Kontakte und dem Zusammenziehen sicherlich eine Fülle von Schritten, die eben zu einer stabilen Paarbeziehung beitragen bzw. dieser eben entgegen stehen (vgl. als ausgesprochen illustratives Beispiel die Studie von Kaufmann 2004). Ebenso unterscheiden sich nichteheliche Lebensgemeinschaften, ganz unabhängig von der Frage nach Heirat und Kinder, intern sehr deutlich, wobei auch hier wieder auf entsprechende Szenen in Hollywood-Filmen hingewiesen werden könnte. Zweitens ist es natürlich von Interesse, die Verteilungen und Übergänge zwischen diesen einzelnen Phasen genauer zu beschreiben. Folgen hier alle Partnerschaften einem gleich bleibenden Muster oder haben Paare hier ihre eigenlogische Geschwindigkeit? Dabei muss man zwei grundlegende Herangehensweisen oder Perspektiven unterscheiden: So finden sich einerseits vielfach Spekulationen über die Veränderung dieser Institutionalisierungsprozesse im historischen Wandel. „In the development of modern society, the number of life stages has increased and they become more clearly defined and set apart in relation to chronological age“ (Buchmann 1989: 25; vgl. ähnlich Lenz 1990; 2009). Eine Vermehrung der Optionen, wie sie ja beispielsweise mit der Bildungsexpansion gerade für Frauen einhergeht, ist eben auch mit Entscheidungsproblemen verbunden, die rationaler Weise zu einem Aufschub bindender und damit eben Optionen einschränkender Entscheidungen verbunden sind (vgl. hierzu auch Birg et al. 1991). Derartige diachrone Betrachtungen besitzen nahezu immer einen gewissen Reiz und sind – wenn sie die Ergebnisse der historischen Familienforschung berücksichtigen oder durch ein entsprechendes Forschungsdesign überhaupt in der Lage sind, historische Aussagen zu machen (vgl. hierzu beispielhaft Buchmann & Eisner 1997) – ausgesprochen fruchtbar. Eine Erklärungsleistung für aktuelle Prozesse in Partnerschaften leisten sie jedoch wohl nicht, da hierfür heroische Annahmen notwendig wären. Andererseits kann das Interesse auf den synchron zu beobachtenden Gleichheiten oder Unterschiedlichkeiten der Paarverläufe und -entwicklungen liegen. Oder, noch einmal in den Worten von Lenz (2009: 82), man muss „die Vorgänge im Beziehungsaufbau selbst in den Mittelpunkt der Analysen stellen“. Wenn man nun an einer Erklärung dieser Prozesse interessiert ist, so kann man zwar nicht – wie geschildert – auf ein festes Gerüst an Theorien und Modellen zurückgreifen, es findet sich jedoch eine Fülle von Ideen, die relativ problemlos miteinander verknüpfbar sind. Ausgangspunkt ist das Treffen und erste gegenseitige Sympathiegefühle der Partner. Dieser Prozess ist dabei alles andere als zufällig, sondern von sozialstrukturellen (vgl. Feld 1981 und die daran anschließenden Überlegungen etwa in Hill & Kopp 1999), aber auch individualpsychologischen und verhaltenstheoretischen
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Faktoren (Dörmer-Tramitz 1990) abhängig.7 In einem nächsten Schritt erfolgt die Verbreitung und Verfestigung der jeweiligen Überzeugung, dass die Partnerschaft zumindest einen gewissen Bestand hat (vgl. hierzu nochmals Esser 2000: 303ff.). Dabei wird selbstverständlich auf alltagsweltliche und kulturspezifische Vorgaben zurückgegriffen.8 Diese Entwicklung wird durch positive und verstärkende Interaktionen und Austauschprozesse und die Entstehung einer ersten emotionalen Basis – ganz im Sinne der Attachment-Theorie und entsprechender Liebestypologien – begleitet.9 In den einzelnen Phasen der Beziehungsentwicklung kommen dann auch bestimmten sozialen Nahumwelten wichtige Funktionen zu. So spielen erweiterte Familienbeziehungen und peer relations eine bedeutsame Rolle bei diesen ersten Schritten und dies sowohl hinsichtlich des Möglichkeitsraum des Kennenlernens wie der Beurteilung des jeweils anderen. In weiteren Schritten konstruieren die Paare sich nun ihre jeweils eigene Lebenswelt, ihre eigene Wirklichkeit (Berger & Kellner 1965). Ehen oder eigentlich genauer Partnerschaften stellen ein wichtiges nomosbildendes Instrument dar. Wie sich die Partnerschaften dann genau entwickeln und welche Schritte hier gegangen werden, ist eine erste zu beantwortende Frage. Wie sich der erreichte Institutionalisierungsgrad dann auf verschiedene Bereiche – wie etwa das Trennungsrisiko oder eventuelle Folgen einer Trennung – auswirken, ist ebenso zu klären. Wie bereits oben angedeutet sind diese Übergänge zwischen den einzelnen Phasen einer Beziehung – bei aller eventuell vorhandenen Unsicherheit der beteiligten Personen über ihren jeweiligen Status – diskrete Ereignisse. Verliebtsein oder in einer festen Beziehung leben sind Dinge, die in der Regel entweder vorliegen oder nicht. Ein mehr oder weniger ist hier nicht möglich, weder objektiv noch in der subjektiven Repräsentation der beteiligten Personen. In einer hierbei notwendigen dynamischen Betrachtungsweise müssen die einzelnen Prozesse der Kontaktaufnahme, der Entstehung einer festen Bindung und der Vergewisserung der Beziehungsqualität (‚tell me you love me’), des gegenseitigen besseren Kennenlernens (‚self disclosure’), der auch nach außen sichtbaren gemeinsame Aktivitäten sowie 7
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Hierbei sind kleine Zeichen und Symbole, Augenaufschläge, Körpersprache wie beispielsweise der berühmte ‚hair flip’ und ähnliches zu untersuchen. So wichtig diese Prozesse auch sein mögen, so sind sie außerhalb des Labors zu gut wie nicht zu berücksichtigen. „Wenn es auch verhältnismäßig schwierig ist, Vis-à-vis-Wirkungen zu schablonisieren, so sind sie doch ihrerseits, wenn nicht von Schablonen, so doch von Typen vorgeprägt“ (Berger & Luckmann 1977: 33). Romantische Beziehungen und Liebe sind sicherlich Skripte und Schemata, die heute in breiter Vielfalt zur Verfügung stehen, auch wenn sie an sich schon sehr alt sind (vgl. Luhmann 1982). Untersuchungen sprechen dafür, dass eine derartige emotionale Basis als „gelungene Balancierung von Verbundenheit und Autonomie“ (Walper et al. 2008: 122) zu verstehen ist. Zudem gilt wohl, dass ganz im Sinne der oben skizzierten entwicklungspsychologischen Modelle unterschiedliche Schwerpunkte in den einzelnen Phasen einer Beziehung gibt (vgl. noch einmal Seiffge-Krenke 2003). Zumindest in herkömmlichen sozialwissenschaftlichen Studien sind diese Konstrukte jedoch nur ausgesprochen schwer zu messen.
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der wechselseitigen Unterstützungsleistungen und insgesamt damit der Entstehung einer gemeinsamen Paaridentität, aber auch deren Folgen genauer untersucht werden. Bevor nun die empirischen Befunde vorgestellt und diskutiert werden können, ist es notwendig, auf die im TIP-Projekt durchgeführte Datenerhebung einzugehen. Die Erhebung eigener Daten war notwendig, da die im Mittelpunkt des Interesses stehenden Prozesse in vorhandenen Daten – wie beispielsweise dem Sozioökonomischen Panel, dem DJI-Survey oder dem ALLBUS – nicht hinreichend genau erfasst werden.
Kapitel 3 Zur Datenbasis: Design und Feldphase der TIP-Erhebung
Das TIP-Projekt ist in die sogenannte „Panel Study of Intimate Relationships and Family Dynamics (PAIRFAM)” eingebettet. Das PAIRFAM-Projekt ist multidisziplinär angelegt und behandelt die Themenschwerpunkte Gründung und Aufrechterhaltung von Paarbeziehungen, Fertilität und Intergenerationenbeziehungen. Zwischen 2005 und 2006 fand im Rahmen der ersten Phase von PAIRFAM eine dreiwellige Pilot-Studie für das deutschlandweite Familienpanel, dessen erste Welle im Jahr 2008 gestartet ist, statt. In diesem ,Mini-Panel‘ wurden zusammen etwa 600 Personen in Mannheim, Bremen, Chemnitz und München wiederholt befragt. Das TIP-Projekt ist ein Teil dieser Vorstudien, kam jedoch erst Anfang 2007 in den Projektverbund, d.h. zu einem Zeitpunkt, als die Mini-Panel-Erhebungen bereits abgeschlossen waren. Aus diesem Grund wurde im Rahmen von TIP eine eigene Datenerhebung durchgeführt, die aus zwei Befragungen in Chemnitz, einer mittelgroßen Stadt in Sachsen, besteht. Das folgende Kapitel beschreibt das Design dieser Erhebung und fasst die Feldphasen kurz zusammen.
Design der TIP-Erhebung Da es sich bei der TIP-Erhebung um eine von mehreren Pilotstudien für eine große Paneluntersuchung handelt, stand die Entwicklung und Validierung von paneltauglichen Messinstrumenten im Vordergrund. Aus diesem Grund wurde die TIPBefragung ebenfalls als kleines Panel konzipiert, das sich aus zwei Befragungen im Winter 2007 und im Winter 2008 zusammensetzt. Es ist hier nicht der Ort, um die Vor- und Nachteile von Panelerhebungen im Detail zu diskutieren (für einen Überblick siehe z.B. Rendtel 1995: 11-16). Dennoch wird kurz auf einige wichtige Aspekte eingegangen. Ein Vorteil des Paneldesigns gegenüber Retrospektivstudien besteht darin, dass es in verringertem Maße zu Verzerrungen infolge von Erinnerungsfehlern kommt (siehe Teitler et al. 2006). Insbesondere im Hinblick auf subjektive Bewertungen (z.B. die Partnerschaftszufriedenheit oder den antizipierten Nutzen einer Eheschließung) erscheint eine retrospektive Erhebung wenig sinnvoll. Paneldaten sind im Gegensatz zu Querschnittdaten zudem dazu geeignet, um kausale
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Design und Feldphase
Mechanismen zu identifizieren. Es ist im Panel nicht nur möglich, die potentielle Ursache vor der Wirkung zu messen. Zusätzlich können Quasi-Experimente durchgeführt werden, in denen z.B. die Veränderung eines Merkmals (etwa der Heiratsabsicht) zwischen Personen verglichen wird, die zwischen den Messzeitpunkten ein bestimmtes Ereignis (z.B. die Geburt eines Kindes) erleben oder nicht (siehe Anhang A für eine ausführlichere Diskussion). Von den hier nur kurz angerissenen Vorteilen des Paneldesigns wurde im Rahmen von TIP Gebrauch gemacht, da ein Schwerpunkt der Datenerhebung auf subjektiven Bewertungen, Motiven und Handlungsintentionen lag, die in den gegenwärtig verfügbaren Datensätzen, z.B. dem Sozioökonomischen Panel oder dem Familiensurvey, weitgehend fehlen. Dabei handelt es sich z.B. um den antizipierten Nutzen einer Haushaltsgründung, die subjektive Heiratsabsicht oder verschiedene Aspekte der Partnerschaftsqualität wie Zufriedenheit, Matching oder Paaridentität. Im Anhang A findet sich ein Überblick über die entsprechenden Skalen. Um VorherNachher-Messungen bzw. Quasi-Experimente durchführen zu können, wurden einzelne Aspekte wie z.B. die Heiratsabsicht zudem in beiden Wellen in identischer Weise abgefragt. Nachdem also die Entscheidung für ein Panel-Design gefallen war, stand zur Diskussion, wie die Stichprobe gezogen wird. Da es sich bei TIP um eine Pilotstudie handelt, war die Höhe der zur Verfügung stehenden Erhebungsmittel begrenzt. Aus diesem Grund fiel die Entscheidung zugunsten einer regional auf die Stadt Chemnitz beschränkten Befragung, die auf einer Einwohnermelderegisterstichprobe basiert. Folgende Gründe sprachen für diese Vorgehensweise: Im Rahmen von TIP sollten Personen befragt werden, die in der ersten Welle noch ledig sind, d.h. den zu analysierenden Institutionalisierungsprozess noch nicht durch eine Eheschließung abgeschlossen haben. Das Ziel bestand also darin, den Verfestigungsprozess im Rahmen des Panels zu beobachten und eben nicht ausschließlich retrospektiv zu erfragen. Um ledige Personen identifizieren zu können, wäre ohne Vorabinformationen ein Screening notwendig gewesen. Da im Einwohnermelderegister erfasst ist, ob eine Person verheiratet ist, konnte dieses entfallen. Es wurden also nur Personen aus dem Register gezogen, die nicht verheiratet sind.10 Weiterhin sprach für die Registerstichprobe, dass bei den Befragungen im Rahmen des PAIRFAM-MiniPanels in Chemnitz gute Erfahrungen gemacht wurden. Der Anteil der ungültigen Adressen im Melderegister war sehr klein, was sich auch in der TIP-Befragung bestätigte. Eine weitere Entscheidung war im Hinblick auf die Altersspannweite der Stichprobe zu fällen. Nach Daten einer Repräsentativbefragung aus den USA steigt der 10
Nicht registriert wird im Melderegister, ob eine Person bereits Eheerfahrung hat, d.h. geschieden oder verwitwet ist. Da im Rahmen der TIP-Befragung jedoch Personen im Alter von 16-35 Jahren befragt wurden, waren letztlich nur sehr wenige Personen mit Eheerfahrung in der Stichprobe (n = 15).
Design und Feldphase
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Anteil von Personen, die in den vergangenen 18 Monaten eine Liebesbeziehung hatten, im Alter zwischen 12 und 18 Jahren linear an, von 25 Prozent (12-jährige) bis 70 Prozent bei den 18-jährigen (Carver et al. 2003). Die untere Altersgrenze im TIP-Projekt wurde auf das 16. Lebensjahr festgelegt, also etwa auf die Mitte des genannten Altersbereichs 12-18 Jahre. Für diese Altersgrenze sprachen auch rechtliche Gründe, da bei unter 16-Jährigen eine Teilnahmegenehmigung der Eltern zur Befragung eingeholt werden muss; dieser Mehraufwand erschien nicht gerechtfertigt. Als obere Altersgrenze wurde das 35. Lebensjahr festgelegt. Hier ist zwar einerseits zu bedenken, dass es sich bei Personen, die im Alter von 35 Jahren noch ledig sind, möglicherweise bereits um eine selektive Gruppe handelt. Andererseits ist das mittlere Erstheiratsalter mittlerweile stark angestiegen. Es liegt im Jahr 2006 bei 29,6 Jahren im Falle von ostdeutschen Frauen und bei 32,6 Jahren bei ostdeutschen Männern. Institutionalisierungsprozesse werden also heute häufig in ein deutlich höheres Alter verschoben als in der Vergangenheit. Durch das realisierte Altersspektrum ist darüber hinaus ein Vergleich mit dem Mini-Panel problemlos möglich. Im Hinblick auf die Stichprobengröße wurden für die erste Welle mindestens 500 realisierte Interviews mit Zielpersonen angestrebt, die zum Befragungszeitpunkt einen Partner haben. Vor dem Hintergrund einer kalkulierten Ausschöpfungsquote von 40 Prozent wurden insgesamt 2.500 Adressen zufällig aus dem Einwohnermelderegister gezogen. Eine Befragung der Partner der Zielperson wurde nicht vorgesehen, einige Partnerinformationen wie Bildungsabschluss oder Erwerbsstatus wurden allerdings als Proxy-Angaben von der Zielperson erfragt. Bei der Kalkulation der Bruttostichprobengröße war zu beachten, dass der Anteil von Personen ohne Partner in Abhängigkeit des Alters stark variiert. Würden also von jeder Altersgruppe gleich viele Adressen gezogen, wäre mit einer Unterrepräsentation von jungen Personen mit Partner zu rechnen. Aus diesem Grund wurden – auf der Basis der Daten des PAIRFAM-Mini-Panels – Singleanteile für verschiedene Altersgruppen berechnet (getrennt nach Geschlecht). Auf der Basis dieser Informationen wurde der Anteil der zu ziehenden Adressen dann entsprechend gewichtet. D.h., dass bei Personengruppen mit hohem Singleanteil (z.B. Männer unter 18) mehr und bei Personen mit niedrigem Singleanteil (z.B. über 30-jährige Frauen) weniger Andressen gezogen wurden. Das Ziel dieser Prozedur war eine ausgeglichene Alters- und Geschlechterverteilung in der Stichprobe der Personen mit Partner. Im Hinblick auf das Geschlecht war die dargestellte Vorgehensweise erfolgreich, da hier ein annähernd ausgeglichenes Verhältnis erreicht werden konnte. 42,9 Prozent der Befragten sind in der ersten TIP-Welle männlich. Ohne die disproportionale Adressziehung hätte sich ein Verhältnis 37,3 Prozent Männer zu 62,7 Prozent Frauen ergeben. Bezogen auf die Altersverteilung, die in Abbildung 3.1 getrennt nach Geschlecht dargestellt ist, wurde das Ziel einer ausgeglichenen Verteilung nur bedingt erreicht. Es konnte zwar eine Unterbesetzung der jüngsten Altersgruppen mit hohem Singleanteil, d.h. bei den unter 20-jährigen Männern und Frauen, ver-
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Design und Feldphase
mieden werden. Der Effekt der disproportionalen Stichprobenziehung wurde jedoch durch das Response-Verhalten konterkariert, da jüngere Befragte mit Partner, vor allem Frauen, offensichtlich häufiger an der Befragung teilgenommen haben als ältere. Ein negativer Zusammenhang zwischen dem Alter und der Teilnahme an den Befragungen zeigte sich auch im PAIRFAM-Mini-Panel (Brüderl et al. 2008: 50). Insgesamt sind vor allem über 30jährige Männer in der ersten TIPBefragungswelle tendenziell unterrepräsentiert.
Abbildung 3.1:
Alter der Befragten mit Partner nach Geschlecht in der TIPStichprobe (1. Welle)
120
weiblich männlich
Absolute Häufigkeit
100
80
60
40
20
0 16-20 Jahre
21-25 Jahre
26-30 Jahre
31-35 Jahre
Altersgruppen Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007)
Im Hinblick auf die Befragungsmethode wurde in der ersten Welle die Entscheidung für einen Methodenmix aus telefonischer und postalischer Befragung getroffen, in der zweiten Welle kam als zusätzliche Option eine Online-Befragung hinzu.
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Design und Feldphase
Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht über das Design der Erhebungen in den beiden Befragungswellen.
Tabelle 3.1:
Welle 1 (Winter 2007)
Welle 2 (Winter 2008)
Übersicht über das Design der TIP-Studie Auswahlkriterien
Befragungsmethoden
Ledige Personen mit oder ohne aktuelle Partnerschaft im Alter von 16-35 Jahre; deutsche Staatsbürgerschaft; Haupt- oder Nebenwohnsitz in Chemnitz Ledige bzw. mittlerweile verheiratete Personen, die zum Befragungszeitpunkt in Welle 1 einen Partner hatten
Ankündigungspostkarte an alle Adressen; Hauptbefragung telefonisch oder postalisch
Ankündigungspostkarte an alle Adressen; Hauptbefragung nach Wunsch des Befragten telefonisch, postalisch oder online
Realisierte Fallzahl n = 1104 (n = 613 mit aktueller Partnerschaft)
n = 334
Die Feldphase der ersten Welle Den Start der Erhebung in der ersten Welle (Oktober 2007) markierte eine Ankündigungspostkarte, die an alle Befragte versendet wurde. Anschließend wurde versucht, Festnetz-Telefonnummern anhand von aktuell verfügbaren Telefon-CDs zu identifizieren; dies gelang nur bei knapp einem Viertel der gezogenen Personen (n = 594). Diese wurden von geschulten Interviewern des universitätseigenen TelefonLabors angerufen, wobei es maximal 10 Kontaktversuche gab. Alle anderen Personen wurden im Rahmen eines leicht abgewandelten Dillmann-Designs (Dillman 2000) schriftlich befragt. Die insgesamt vier Kontakte umfassten, über die Ankündigungspostkarte hinaus, die erste Versendung eines standardisierten Fragebogens, eine Dankes- und Erinnerungspostkarte und schließlich die zweite Fragebogenversendung mit einem kleinen Incentive. Der Erstkontakt in Form einer orange gedruckten Ankündigungspostkarte hatte hierbei zwei wesentliche Funktionen:
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Design und Feldphase
Zum einen sollte die Postkarte den Befragten die baldige Erhebung ankündigen und sie motivieren, daran teilzunehmen. Zum anderen wurden hier aber auch erste ungültige Adressen identifiziert und aussortiert. Der im Abstand von einer Woche zur Ankündigungspostkarte versendete standardisierte Fragebogen hatte 19 Seiten. Die benötigte Zeit für das Ausfüllen betrug nach Maßgabe von Pretests ca. 20 Minuten. Der Fragebogen (siehe Anhang B) umfasst mehrere Themenblöcke wie z.B. Partnerschaftserleben, partnerschaftliche Ereignisse und demografische Angabe der Zielperson sowie ihres Partners. Dem Fragebogen waren ein Anschreiben und ein ausführliches Datenschutzblatt beigelegt, um so die Befragten erneut auf die Wichtigkeit ihrer Teilnahme für eine erfolgreiche Befragung aufmerksam zu machen und ihnen gleichzeitig ein Gefühl bzw. die Bestätigung einer seriösen und anonymen Befragung zu vermitteln. Zwei Wochen nach Versand des ersten Fragebogens erhielten alle Teilnehmer eine Dankes- bzw. Erinnerungspostkarte. Diese hatte zum Zweck, den Befragten ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln, um ihre Bereitschaft zur Teilnahme an weiteren Befragungen – wie der Nachbefragung – zu erhöhen. Bezogen auf diejenigen, die noch keinen Fragebogen zurück gesendet hatten, enthielt die Postkarte eine etwas dringlicher formulierte Aufforderung zur Teilnahme. Im Abstand von weiteren zwei Wochen nach dieser Aktion wurde schließlich der Fragebogen erneut versandt. Auf einen weiteren und somit fünften Kontakt wurde verzichtet. Dieser würde typischer Weise in einer anderen Kommunikationsform stattfinden, beispielsweise mittels Einschreiben (vgl. Dillman 2000).
Tabelle 3.2:
Ausschöpfung in der ersten TIP-Befragungswelle
Bruttostichprobe Stichprobenneutrale Ausfälle Nettostichprobe Nonresponse Verweigerung Nicht erreichbar Nicht in der Lage Realisierte Interviews Ausschöpfung Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007)
telefonisch 594 32 562
postalisch 1906 149 1753
79 144 7 332 59,1%
977 2 2 772 44,0%
insgesamt 2500 181 2315 1056 146 9 1104 47,7%
33
Design und Feldphase
In Tabelle 3.2 ist eine Übersicht über die Ausschöpfung in der ersten Welle dargestellt. Das erreichte Gesamtergebnis von 47,7 Prozent ist zufriedenstellend, entspricht dem gegenwärtigen Durchschnitt von Befragungen in Deutschland (Schnell 1997; Schnell et al. 2008) und fällt zudem ähnlich aus wie die Ausschöpfung der ersten Welle des PAIRFAM-Minipanels (46 Prozent). Die telefonische Befragung schneidet mit 59,1 Prozent besser ab als die postalische Befragung (44,0 Prozent). Von den insgesamt realisierten Interviews (n = 1104) sind allerdings primär diejenigen für die nachfolgenden empirischen Auswertungen relevant, die sich auf Personen mit Partner beziehen. Dies sind in der ersten Welle 613 Befragte. Die kalkulierte Mindestfallzahl (n = 500) konnte somit übertroffen werden.
Abbildung 3.2:
Entwicklung der Rücklaufquote in der postalischen Erhebung
90
Anzahl der eingegangenen Fragebögen
80 70 60 50 40 30 20 10
64 Tage
58 Tage
49 Tage
35 Tage
32 Tage
30 Tage
28 Tage
25 Tage
23 Tage
21 Tage
19 Tage
16 Tage
14 Tage
12 Tage
8 Tage
5 Tage
3 Tage
1 Tag
0
Tage seit Erhebungsstart gesamt (781)
mit Partner (503)
ohne Partner (258)
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007) Anmerkungen: Die leicht höhere Zahl des Rücklaufs, im Vergleich zu der in Tabelle 3.2 angegebenen Zahl, begründet sich in einigen unausgefüllt zurückgeschickten Fragenbögen.
34
Design und Feldphase
In Abbildung 3.2 ist dargestellt, wie sich die Rücklaufquote der postalischen Befragung über die Zeit entwickelt hat. Gut erkennbar sind drei Ausschläge der Kurve: Der höchste Rücklauf, von über 80 Fragebögen an einem Tag, ist unmittelbar nach dem Start der Erhebungsphase (am 3. Tag) zu verzeichnen. Nach Versendung der Erinnerungspostkarte (nach knapp zwei Wochen) und nach dem erneuten Versand des Fragebogens (über drei Wochen nach dem ersten Fragebogen) zeigen sich zwei weitere deutliche Anstiege des Rücklaufs. Die mehrfache Kontaktierung der Befragten, wie sie im Dillman-Design vorgesehen ist, erweist sich somit eindeutig als wirkungsvoll.
Beschreibung der Stichprobe: Welche Charakteristika weisen die Befragten auf? Bevor die Feldphase in der zweiten Befragungswelle behandelt wird, befasst sich der folgende Abschnitt mit einer Beschreibung der Stichprobe in der ersten TIP-Welle anhand von wesentlichen soziodemografischen Merkmalen. In Tabelle 3.3 ist hierzu eine Übersicht dargestellt, wobei sich diese Zahlen ausschließlich auf Personen mit Partner beziehen, die auch der Hauptgegenstand der empirischen Analysen sein werden. Die Befragten sind im Durchschnitt zwischen 24 und 25 Jahre alt. Ein nicht unwesentlicher Teil der Befragten hat entsprechend wichtige biografische Entscheidungen noch vor sich. 29,2 Prozent der Männer und 31,4 Prozent der Frauen sind zum Befragungszeitpunkt noch in Schul- oder Berufsausbildung und haben daher wahrscheinlich noch keine ökonomische Unabhängigkeit erreicht; 34,5 Prozent der Männer und 26,8 Prozent der Frauen leben zudem noch im Elternhaus. Auch der Übergang zur Familiengründung wurde überwiegend noch nicht vollzogen; ungefähr drei Viertel der Paare sind kinderlos. Im Hinblick auf Merkmale der Partnerschaft zeigt sich, dass die Stichprobe ungefähr jeweils zur Hälfte aus schwach institutionalisierten Paaren besteht, bei denen die Partner noch nicht zusammengezogen sind, und aus schon stärker verfestigten Partnerschaften mit gemeinsamen Haushalt. Insofern bietet die Stichprobe genügend Potential, um frühe und spätere Phasen im Verfestigungsprozess analysieren zu können. Die mittlere Partnerschaftsdauer beträgt bei Männern und Frauen etwas mehr als drei Jahre. Die Verteilung des höchsten allgemeinen Bildungsabschlusses ist relativ ausgeglichen. Im Durchschnitt etwa 40 Prozent der Befragten weisen eine (Fach-)Hochschulreife oder einen vergleichbaren Abschluss auf und 46 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen haben einen mittleren Bildungsabschluss. Um beurteilen zu können, ob die TIP-Stichprobe möglicherweise einen (positiven) Bildungsbias aufweist, wurden Mikrozensusdaten vom Statistischen Landesamt Sachsen für die Stadt Chemnitz als Vergleichsmaßstab abgefragt. Im Jahr 2007
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Design und Feldphase
hatten hiernach 44,9 Prozent der Männer und Frauen im entsprechenden Altersbereich einen mittleren Bildungsabschluss (Realschule oder polytechnische Oberschule der DDR) und 33,5 Prozent eine (Fach-)Hochschulreife oder einen vergleichbaren Abschluss.
Tabelle 3.3:
Stichprobenbeschreibung (nur Personen mit Partner)
Alter Partnerschaftsdauer in Monaten Höchster allgemeiner Schulabschluss Kein Schulabschluss Hauptschulabschluss (8./9. Klasse POS) Realschulabschluss (10. Klasse POS) (Fach-)Hochschulreife (12. Klasse EOS) Sonstiger Schulabschluss In Schulausbildung Erwerbsstatus Voll erwerbstätig Teilzeit erwerbstätig Nicht oder geringfügig erwerbstätig In Schul- bzw. Berufsausbildung Lebensform Getrennte Haushalte (LAT) Gemeinsamer Haushalt (NEL) Befragter lebt noch im Elternhaus Anzahl der Kinder (Zielperson oder Partner) Kein Kind Ein Kind Zwei oder mehr Kinder n Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007)
Männer Frauen Anteils- bzw. Mittelwerte 24,8 24,5 38,6 43,0 1,9 8,2 46,1 37,1 0,6 5,9
0,8 5,3 43,5 43,5 0,7 6,4
54,2 2,3 14,2 29,2
38,5 8,2 21,8 31,4
54,1 45,9 34,5
51,7 48,3 26,8
79,5 14,6 6,0 260
73,6 16,0 10,5 353
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Design und Feldphase
In der TIP-Stichprobe haben – inklusive der Personen ohne Partner – 42,9 Prozent einen mittleren Abschluss und 40,7 Prozent eine (Fach-)Hochschulreife.11 Insofern sind hochgebildete Personen in der TIP-Stichprobe gegenüber dem Mikrozensus etwas überrepräsentiert. Der Anteil von Volksschul- bzw. Hauptschulabschlüssen oder von Personen ohne Schulabschluss konnte nicht mit dem Mikrozensus verglichen werden, weil die amtliche Statistik Zellenbesetzungen von unter absolut 7.000 Personen (weniger als 70 erfasste Fälle) nicht ausweist.
Die Feldphase der zweiten Welle Um Längsschnittdaten zu gewinnen und Entwicklungsprozesse analysieren zu können, fand im Rahmen von TIP im Abstand von einem Jahr nach der Erstbefragung, also im Winter des Jahres 2008/09, eine zweite Befragungswelle statt. Zunächst wurde entschieden, ausschließlich Personen zu befragen, die in Welle 1 eine Partnerschaft hatten (n = 613). Dies liegt darin begründet, dass das Projekt primär auf die Entwicklung und nicht auf die Entstehung von Partnerschaften abzielt. Im Rahmen der ersten Welle im Winter 2007 wurde jeder Person die Frage gestellt, ob sie zu einer erneuten Befragung 12 Monate später bereit ist. 90 Prozent der Personen mit Partner (n = 555) gaben hierzu ihr Einverständnis. Außerdem konnte jeder Befragte die von ihm bevorzugte Befragungsform angeben, wobei als Optionen eine Befragung per Brief, Telefon oder Online-Fragebogen zur Verfügung standen. 22,5 Prozent der Personen gaben an, telefonisch befragt werden zu wollen, 56,9 Prozent entschieden sich für die postalische Variante und 20,5 Prozent für eine OnlineBefragung. Zu Beginn der Feldphase wurde allen Befragten erneut ein Ankündigungsschreiben zugesendet, das ein unbedingtes Incentive, einen Kalender für das Jahr 2009, enthielt. Den Personen, die eine schriftliche Befragung präferiert hatten, wurde einige Tage später der standardisierte Fragebogen der zweiten Welle zugesendet, der eine Länge von 11 Seiten hat.12 Bei den telefonischen Interviews wurde – im Unterschied zur ersten Welle – auf eine (aufwendige) CATI-Programmierung verzichtet. Stattdessen führten studentische Hilfskräfte mittels ,paper und pencil‘ die Interviews. Für die Online-Befragung wurde jedoch eigens ein Fragebogen programmiert und auf einen Server der TU-Chemnitz gestellt. Die entsprechenden Befragten erhielten dann per E-Mail ein Passwort, mit dem sie sich online identifizieren konnten, sowie den Link zur Befragung. Im Rahmen der schriftlichen Befragung wurden – wie in der ersten Welle – noch zwei weitere Kontaktierungsversuche unternommen, die in einer Erinnerungspostkarte und einer erneuten Fragebogen11 12
Wird die disproportionale Stichprobenziehung durch Gewichtung rückgängig gemacht, haben 43 Prozent einen mittleren Abschluss und 42,6 Prozent eine (Fach-)Hochschulreife. Der Fragebogen ist in Anhang B abgedruckt.
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Design und Feldphase
versendung bestanden. Befragte, die nach einer gewissen Zeit den OnlineFragebogen noch nicht ausgefüllt hatten, erhielten Erinnerungs-E-Mails. In Tabelle 3.4 ist die Ausschöpfungsquote für die zweite Welle dargestellt. Bezieht man sich nur auf Personen, die in der zweiten Welle tatsächlich kontaktiert wurden, zeigen sich sehr gute Ausschöpfungsquoten, vor allem für die telefonische (88 Prozent) und die Online-Befragung (72,4 Prozent). Insbesondere bei den Telefoninterviews gab es kaum Verweigerungen. In die Berechnung der gesamten Ausschöpfungsquote fließen auch diejenigen Personen ein, die bereits auf dem Fragebogen in der ersten Welle angekreuzt hatten, dass sie nicht noch einmal befragt werden möchten (n = 76). Unter Einbezug dieser Personen beträgt die erreichte Gesamtausschöpfungsquote 54,5 Prozent; dies entspricht 334 realisierten Interviews. Dieser Wert ist zwar immer noch zufrieden stellend, liegt aber deutlich niedriger als in der zweiten Welle des PAIRFAM-Mini-Panels, in der eine Ausschöpfung von 75 Prozent erreicht werden konnte (Brüderl et al. 2008: 56). Im Mini-Panel standen jedoch auch wesentlich mehr Mittel zur Verfügung. Die Befragung wurde hier in jeder der vier Städte von jeweils etwa 20 Interviewern face-to-face durchgeführt.
Tabelle 3.4:
Ausschöpfung in der zweiten Befragungswelle
Bruttostichprobe Nonresponse Verweigerung zu t1 Verweigerung zu t2 Nicht erreichbar Realisierte Interviews Ausschöpfung
Telefonisch 75
Postalisch 393
5 4 66 88,0%
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008)
237 18 192 48,8%
Online 105
Gesamt 613
29 0 76 72,4%
76 261 22 334 54,5%
%
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Design und Feldphase
Welche Personen haben nicht mehr an der zweiten Welle teilgenommen? Um zu überprüfen, ob sich die Nichtteilnehmer von den Teilnehmern an der zweiten Welle systematisch unterscheiden, wurden zusätzliche Analysen durchgeführt. In Tabelle 3.5 sind die Ergebnisse von logistischen Regressionsmodellen dargestellt. In Modell 1 wird überprüft, welche Personen bereits in der ersten Welle angegeben haben, nicht noch einmal befragt werden zu wollen. Die dargestellten Koeffizienten sind so zu interpretieren, dass alle Werte über 1 anzeigen, dass das entsprechende Merkmal die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Nachbefragung verweigert wurde; Koeffizienten unter 1 senken diese Wahrscheinlichkeit und bei einem Wert von 1 gibt es keinen Zusammenhang. Es wird deutlich, dass ältere Personen, Befragte mit eher niedrigem Bildungsniveau, Männer und Personen ohne aktuelle Partnerschaft in verstärktem Maße nicht mehr an der Nachbefragung teilnehmen wollten. Diese Ergebnisse entsprechen weitgehend der vorliegenden Forschung, z.B. im Hinblick auf den bekannten Bildungsbias (Schnell 1997: 202) oder die Tatsache, dass Personen, für die das Thema der Befragung nicht relevant erscheint (hier die Personen ohne aktuelle Partnerschaft), eher verweigern (Schnell 1997: 181f.). Die tendenziell niedrigere Teilnahmebereitschaft von Männern muss wahrscheinlich auch vor dem Hintergrund des Themas der Befragung gesehen werden. Es ergeben sich auch in anderen familiensoziologischen Studien (z.B. Rüssmann et al. 2004: 86) Hinweise darauf, dass Frauen eher geneigt sind, Fragen zum Thema Partnerschaft zu beantworten. In den Modellen 2 und 3 werden alle Verweigerungen gemeinsam analysiert, d.h. die Personen, die bereits in der ersten Welle nicht mehr befragt werden wollten sowie diejenigen Befragten, die – trotz signalisierter Bereitschaft – nicht an der zweiten Welle teilgenommen haben.13 Auch hier bestätigt sich, dass ältere und niedrig gebildete Personen sowie Männer in verstärktem Maße verweigert haben. Zudem wird deutlich, dass Verweigerungen im Rahmen der postalischen Befragung signifikant häufiger und in der telefonischen Befragung signifikant seltener vorkamen als in der Online-Befragung. Interessant ist, dass der in Modell 2 positive Alterseffekt in Modell 3 insignifikant wird, wenn die Befragungsmethode kontrolliert wird. Dies liegt daran, dass die telefonisch befragten Personen relativ jung sind, häufig noch bei den Eltern wohnen, diese noch einen Festnetzanschluss mit Telefonbucheintragung besitzen und in diesem Fall entsprechend häufig Telefonnummern identifiziert werden konnten. Gleichzeitig wurde in den Telefoninterviews relativ selten die Teilnahme verweigert. 13
Die abhängige Variable nimmt in den Regressionsmodellen in Modell 2 und 3 nur dann den Wert 1 an, wenn die Teilnahme an der Befragung explizit verweigert wurde. Wurde ein Befragter nicht erreicht, wird bei der abhängigen Variablen der Wert 0 codiert. Für ein multinomiales Modell, in dem zwischen Verweigerung und Nichterreichbarkeit unterschieden wird, ist die Zahl der nicht erreichten Personen zu klein.
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Design und Feldphase
Tabelle 3.5:
Determinanten der Teilnahmebereitschaft in den TIPBefragungen (logistische Regressionsmodelle, exponierte bKoeffizienten, Wald-Statistik in Klammern) Nachbefragung zu t1 verweigert
Alter der Zielperson Bildungsniveau der Zielperson Geschlecht (Frau, Ref.: Mann) Zielperson hat zu t1 Partner Postalisch befragt (Ref.: Online)
1 1,05* (4,8) ,93+ (3,5) ,69+ (3,3) ,37** (24,2) -
Nachbefragung zu t1 verweigert oder Panelmortalität Modell 2 1,04* (5,7) ,91** (8,8) ,77 (2,3) -
3 1,02 (1,3) ,91** (7,5) ,75+ (2,7) -
-
Telefonisch befragt (Ref.: Online)
-
-
Pseudo-R² (Nagelkerke) n
,07 844
,03
596
1,83* (5,6) ,14** (13,5) ,14
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008) Anmerkungen: + p< .10; * p .05; ** p .01
Es wird im Rahmen der nachfolgenden empirischen Analysen darauf verzichtet, eine Gewichtung zu konstruieren, die auf den gerade identifizierten Effekten auf das Responseverhalten basiert. Dies hat den einfachen Grund, dass sich weder das Verweigerungsverhalten, noch die Nichterreichbarkeit, durch individuelle demografische Merkmale wie Alter, Bildung oder Geschlecht gut vorhersagen lässt und diese Variablen entsprechend nicht geeignet sind, um systematische Ausfälle zu korrigieren (Schnell 1997: 245f.). Dies bestätigen auch die in Tabelle 3.5 dargestellten Regressionsanalysen. Das Pseudo-R² nach Nagelkerke nimmt in den Modellen 2 und 3, in die diese demografischen Merkmale einfließen, relativ geringe Werte von 0,03 und 0,07 an. Ferner wurde analysiert, ob bestimmte Merkmale der Partnerschaft wie Zufriedenheit, Konfliktniveau oder Verfestigungsgrad in systematischer Weise mit dem
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Design und Feldphase
Teilnahmeverhalten zusammenhängen. Hier konnten keine bedeutsamen Effekte identifiziert werden. Dies spricht dafür, dass die in dieser Studie vorgestellten Panelanalysen nicht durch Selektionseffekte, die sich über den Institutionalisierungsgrad oder die Qualität einer Partnerschaft vermitteln, verzerrt werden.
Wie haben sich die Partnerschaften der Befragten zwischen den Wellen verändert? Der letzte Abschnitt dieses Kapitels beschäftigt sich nun mit der Frage, inwieweit bei den befragten Personen mit Partner Veränderungen zwischen den beiden Befragungswellen eingetreten sind. In Abbildung 3.3 ist hierzu eine Übersicht dargestellt.14 Von 608 Personen, die in der ersten Welle einen Partner haben und in den Lebensformen NEL oder LAT leben, konnten in der zweiten Welle 334 Personen erneut befragt werden. Von diesen haben sich 74 innerhalb von 12 Monaten nach der Erstbefragung von ihrem Partner getrennt. Innerhalb der verbleibenden 260 Partnerschaften hat sich in 41 Fällen ein Zusammenzug, bei 33 Paaren eine Eheschließung und bei 34 Paaren eine Familiengründung ereignet. Diese Fallzahlen verdeutlichen, dass die Möglichkeiten für komplexere Ereignisdatenanalysen, insbesondere im Falle des Übergangs zur Ehe und zur Familiengründung, begrenzt sind. Das Ziel des TIP-Projektes besteht jedoch gerade darin, die kleinen Schritte im Institutionalisierungsprozess, die zwischen den großen Übergängen in die Kohabitation und die Ehe liegen, zu analysieren. Die Berücksichtigung dieser kleinen Veränderungen, die in Abbildung 3.3 nicht eingetragen sind, führen im Ergebnis dazu, dass auch im Rahmen der Ereignisdatenanalysen ausreichend Fälle zur Verfügung stehen (siehe weiter unten). Die Zahl der eingetretenen Trennungen ist zudem hinreichend groß, um eine detailliertere Analyse von Trennungsgründen und -folgen durchführen zu können (siehe Kapitel 9 und 10).
14
Die hier dargestellten Zahlen beziehen sich nur auf Personen mit Partner, deren Lebensform (LAT oder NEL) bekannt ist (n = 608).
41
Design und Feldphase
Abbildung 3.3:
Partnerschaftliche Veränderungen zwischen Welle 1 und 2 Welle 1
Welle 2
Ja n = 609
Partnerschaft?
Ja n = 260 LAT n = 319 NEL n = 290
Partnerschaft? Nein
Nein n = 496
Panelmortalität n = 275
Trennungen n = 74
n = 41 Zusammenzüge n = 33 Eheschließungen n = 34 Familiengründungen
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008)
Fazit Im Rahmen der TIP-Studie sollte eine Zielgruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in einem urbanen Umfeld befragt werden, welche jedoch im Hinblick auf das zu erwartende Teilnahmeverhalten durchaus nicht unproblematisch einzustufen ist (vgl. Brüderl et al. 2008: 72). Außerdem waren die im Projekt zur Verfügung stehenden Erhebungsmittel, bedingt durch den Pilotcharakter der Studie, begrenzt. Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass die TIPBefragungen insgesamt erfolgreich verlaufen sind und eine angemessene Datenbasis für die im Projekt zu analysierenden Fragestellungen geschaffen werden konnte. Dennoch soll an dieser Stelle auch auf einige Restriktionen hingewiesen werden, die beim Lesen der folgenden Kapitel bedacht werden sollten. Hier ist vor allem bedeutsam, dass die Erhebung regional auf eine Stadt in Ostdeutschland eingegrenzt ist. Dieser Aspekt fällt deswegen ins Gewicht, da im Hinblick auf den partnerbezogenen Institutionalisierungsprozess nach wie vor Ost-West-Unterschiede
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Design und Feldphase
festzustellen sind. Nach derzeitigem Forschungsstand äußert sich dies darin, dass ostdeutsche Personen den Übergang in die Kohabitation früher vollziehen (Kley & Huinink 2006), zusätzlich später heiraten und auch deutlich häufiger nichtehelich eine Familie gründen (Huinink 1999; Kreyenfeld & Konietzka 2005). Außerdem vollziehen ostdeutsche Frauen der sog. Nachwendekohorten, d.h. ab dem Geburtsjahr 1971, den Übergang zur Familiengründung nach wie vor etwas früher als westdeutsche (Kreyenfeld 2003). Es ist aus zwei Gründen nicht leicht abzuschätzen, inwieweit auch bei den im Folgenden dargestellten Analysen, die den Institutionalisierungsprozess in Partnerschaften deutlich feingliedriger beleuchten, von Ost-West-Unterschieden auszugehen ist. Der wichtigste Grund hierfür besteht darin, dass eine westdeutsche Vergleichsgruppe fehlt. Darüber hinaus wird eine Einschätzung auch dadurch erschwert, dass über die Ursachen für die dargestellten Ost-West-Divergenzen bei den Übergängen in die Kohabitation und in die erste Ehe sehr wenig bekannt ist. Es lassen sich hier zwar einige begründete Vermutungen anstellen. So ist z.B. zu erwarten, dass die stärkere Berufsorientierung ostdeutscher Frauen (Adler 2004), oder die allgemein schwächer ausgeprägte Religiosität in Ostdeutschland (Pollack & Pickel 2003), zum Teil für die geringere Heiratsneigung verantwortlich sind. Diese und andere Hypothesen wurden jedoch bisher nicht direkt empirisch getestet. Es kann daher als eine wichtige Aufgabe zukünftiger Forschungen gesehen werden, die im Folgenden präsentierten Ergebnisse explizit vergleichend zwischen Ost- und Westdeutschland zu betrachten. Insbesondere die Daten des Familienpanels bieten hier ein großes Potenzial.
Kapitel 4 „Verliebt, verlobt, verheiratet?“ – Wie lässt sich die Entwicklung von Partnerschaften erfassen?15
In der Schlussszene des Films „Sleepless in Seattle“ nehmen sich Meg Ryan und Tom Hanks stillschweigend an den Händen und gehen, nachdem sie sich vorher mehrmals knapp verpasst haben, in ihr nun gemeinsames Leben – so die Dramaturgie dieses Filmes. Die dort auch explizit formulierte These, wie Paare zusammenfinden lautet: ‚Es ist Magie’. So romantisch diese These auch sein mag, so wenig entspricht sie den Überlegungen der Familienforschung.16 Es soll an dieser Stelle nicht die Rolle der so genannten Liebe auf den ersten Blick bestritten werden (vgl. hierzu Doermer-Tramitz 1990), es ist nur fraglich, ob dies eine ausreichende Basis für die weitere Entwicklung einer Beziehung sein kann. Wie oben im zweiten Kapitel erläutert wurde, durchlaufen romantische Beziehungen verschiedene (Entwicklung-)Stadien, unterschiedliche Aspekte stehen während diesen Entwicklungen im Mittelpunkt und soziologisch relevante Faktoren spielen dabei jeweils eine große Rolle. Entgegen dem im Titel zitierten Kinderreim entwickeln sich Partnerschaften zudem in aller Regel nicht gleichförmig und gleichmäßig. Es gibt empirisch sehr unterschiedliche Entwicklungsformen und vor allem sehr unterschiedliche Tempi, in denen Partnerschaften die einzelnen Stufen einer Verfestigung und Institutionalisierung durchschreiten (z.B. Surra & Hughes 1997). Darüber hinaus sind in dem Reim auch nur drei, wenn auch sicherlich sehr prägnante Stationen der Partnerschaftsentwicklung genannt. Selten ist diese Entwicklung aber so klar und zwangsläufig vorbestimmt: häufig liegen eine ganze Reihe wenn auch kleiner, jedoch wichtiger Schritte zwischen diesen großen Veränderungen. Bei einzelnen Paaren stockt dieser Prozess aber auch und nicht selten werden Partnerschaften natürlich auch wieder aufgelöst. 15 16
Erste Überlegungen und erste Ergebnisse dieses und des nächsten Kapitels finden sich in Lois et al. (2010). Ohne den sicherlich vorhandenen Zauber entsprechender Filme endgültig zerstören zu wollen, sei zudem darauf hingewiesen, dass auch die Zukunft der in dieser Szene anscheinend beginnenden Beziehung sicherlich nicht ohne Probleme ablaufen wird: Nach nur kurzer Kennenlernphase gegründete ‚Living-apart-together’-Stieffamilien vereinigen bedeutsame Belastungsfaktoren für Familien und Beziehungen. Trotz allem soll die Bedeutung der romantischen Liebe für die Entstehung von Paarbeziehungen nicht unterschätzt werden (Hill 1992; Hill & Kopp 2008).
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Die Institutionalisierungsskala
Die Zielsetzung dieses Abschnittes ist es nun, diesen Prozess der Partnerschaftsentwicklung oder -institutionalisierung empirisch genauer zu untersuchen und in einem ersten Schritt ein auch empirisch umsetzbares – und das bedeutet vor allem auch messbares – Modell der Institutionalisierung zu entwickeln. Im Vordergrund steht die Frage, durch welche (Zwischen-)Schritte diese Verfestigung und Verstetigung der Partnerschaft gekennzeichnet ist. Gesucht wird also, den theoretischen Argumenten aus den vorangehenden Kapiteln folgend, eine Skala zur Erfassung der Entwicklungsgeschichte von Beziehungen, die auf diskrete Unterscheidungen und klar zu identifizierende Übergangspunkte Bezug nimmt. Lassen sich die Interaktionsverdichtungen in Beziehungen, die feinen Institutionalisierungsschritte, einheitlich abbilden? Selbst wenn man derartige Schritte jedoch bestimmen kann, ist es eine weitere und prinzipiell offene Frage, in welcher Reihenfolge sich diese Übergänge vollziehen. Sind hier soziale Regelmäßigkeiten und Muster zu beobachten oder vollziehen sich diese Institutionalisierungsschritte in modernen Gesellschaften – wie einige Autoren immer wieder vermuten (vgl. Lenz 1990; 2008) – mittlerweile beinahe ohne erkennbares Muster in nahezu beliebiger Reihenfolge? Generell stellt sich also die Frage, wie sich der Institutionalisierungsgrad vorehelicher Partnerschaften messen lässt. Wie ja schon oben deutlich geworden ist, ist die einfache Erfassung der Partnerschaftsdauer oder die Unterscheidung in Paare mit und ohne gemeinsamen Haushalt relativ ungenau und wird der Vielfalt von Lebensformen nicht gerecht. Gesucht wird ein Messinstrument, das feinere Institutionalisierungsschritte ebenso erfasst wie die immer thematisierten größeren Schritte des Beginns regelmäßiger sexueller Interaktionen, der Haushaltsgründung oder der Ehe- und Familiengründung.
Indikatoren zur Messung des Institutionalisierungsgrades einer Partnerschaft Die in diesem Kapitel zu behandelnde Frage lautet ganz einfach, mit welchen Instrumenten gemessen werden kann, wie verfestigt oder institutionalisiert eine voreheliche Partnerschaft ist. In manchen Fällen wird wie erwähnt als Indikator der Institutionalisierung schlicht die Partnerschaftsdauer herangezogen. Bei diesem Vorgehen wird jedoch mindestens implizit unterstellt, dass alle Partnerschaften sich in einem gleichbleibenden Tempo entwickeln – eine Vermutung, die empirisch stark angezweifelt werden kann (Surra & Hughes 1997; Sassler 2004). Einen anderen Versuch stellt die Unterscheidung zwischen Lebensformen ohne gemeinsamen Haushalt, nichtehelichen Lebensgemeinschaften (NEL) und Ehen dar. Dieses Vorgehen ist relativ grob, da die entsprechenden Zwischenstufen wie beispielsweise das Deponieren von Gegenständen in der Wohnung des Partners oder die Verlobung nicht berücksichtigt werden. In ihrer Bedeutung noch unklarer und verschieden interpretierbar erscheinen bestimmte Begrifflichkeiten aus der US-amerikanischen
Die Institutionalisierungsskala
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Forschung wie „casually dating“, „serious dating“ oder „going steady“, mit denen Paare, die sich in frühen Stadien der Partnerschaftsentwicklung befinden, klassifiziert werden (Surra et al. 2007). Diese Bezeichnungen sind darüber hinaus auch eng mit dem hochgradig institutionalisierten Dating-System der Vereinigten Staaten (vgl. schon Waller 1937) verbunden und deshalb auch kaum in anderen kulturellen Kontexten anwendbar sind. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die dann meist bereits verheirateten Befragten zu bitten, den Verlauf ihrer vorehelichen Partnerschaft retrospektiv einzuschätzen. Eine der hier verwendeten Methoden basiert auf der Einzeichnung einer Linie in ein Koordinatensystem, die zum Ausdruck bringen soll, wie sicher sich die entsprechende Person zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit war, den aktuellen Partner zu heiraten (siehe z.B. Cate et al. 1986; Houts et al. 1996; Surra & Hughes 1997). Auch die Validität dieser Form der Messung ist in vielerlei Hinsicht fraglich – etwa aufgrund der möglichen Positivselektion von verheirateten Paaren, der allgemeinen Problematik von retrospektiv erhobenen Daten (vgl. Bernard et. al. 1984; Schwarz & Sudman 1994) und natürlich der Beschränkung auf ein einzelnes, sehr konkretes Ereignis. Vor dem Hintergrund dieser Unzulänglichkeit bisher verwendeter Messinstrumente wird im Folgenden ein Ansatz wieder aufgegriffen, der zwar bereits Anfang der 1980er Jahre von King und Christensen (1983) vorgeschlagen wurde, der jedoch in der familiensoziologischen Forschung auch in den Vereinigten Staaten erstaunlicher Weise bisher kaum beachtet wird. Die dort postulierte Vorgehensweise basiert darauf, die Messung der Interaktionsverdichtung nicht auf subjektive Einschätzungen der Akteure zu stützen, sondern soweit wie möglich zu objektivieren. Diese Objektivierung wird erreicht, indem als Grundlage der Messung bestimmte signifikante Ereignisse herangezogen werden, die mit Fortschritten im Verfestigungsprozess in Verbindung stehen. Diese Ereignisse indizieren eine Verfestigung der Partnerschaft in verschiedenen Bereichen, wie sie etwa auch bei Lenz (1990) zu finden sind, vertiefen und ergänzen diese jedoch in wichtigen Aspekten. Ein erster wichtiger Schritt, der insbesondere freundschaftliche von intimen Paarbeziehungen unterscheidet, ist zunächst die Aufnahme und Aufrechterhaltung einer wiederholten Sexualinteraktion der Partner. Ein signifikantes Ereignis, das diesem Prozess zugeordnet werden kann, ist der erste Sex. Eine sexuelle Involviertheit geht mit einem emotionalen Commitment, das sich objektiv in symbolträchtigen Bekenntnissen wie etwa der Aussage „ich liebe dich“ äußern kann (Hill & Kopp 2008), nicht zwangsläufig einher. Die Bindungsforschung zeigt jedoch, dass Körperkontakt den Aufbau einer engen Bindung der Partner begünstigt (Brennan et al. 1998; Maolem 2009). In modernen Gesellschaften scheint zudem – zumindest ab einem gewissen Alter – der Beginn einer Beziehung nahezu zwangsläufig mit der Aufnahme einer sexuellen Interaktion einherzugehen (vgl. Kaufmann 2004). Teilweise entscheidet sich wohl erst am ‚Morgen danach’, ob eine Beziehung wirklich existiert und welcher Entwicklungsweg eingeschlagen wird.
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Die Institutionalisierungsskala
Ein weiterer zentraler Bereich, in dem sich Institutionalisierungsprozesse vollziehen können, ist die Wohnsituation. Der wichtigste Schritt ist hier sicherlich die Haushaltsgründung, die sich allerdings oft nicht abrupt vollzieht, sondern langsam anbahnt: Die Partner tauschen die Wohnungsschlüssel, verbringen zunehmend mehr Zeit in der Wohnung eines Partners oder deponieren dort private Gegenstände wie z.B. Kleidung, Zahnbürste (Vaskovics & Rupp 1995: 45). Irgendwann wird sich dann für die Partner die Frage stellen, ob die Gründung eines gemeinsamen Haushaltes nicht praktischer oder kostengünstiger wäre, weil dadurch so genannte Transaktionskosten wie etwa das Pendeln zwischen den Wohnungen reduziert bzw. bestimmte Kohabitationsgewinne wie etwa die Möglichkeit für gemeinsam verbrachte Zeit oder zur Teilung der Miete erzielt werden können (Lenz 1990; Sassler 2004). Die Haushaltsgründung ist auch ein wichtiger Schritt, um den Partner – vor allem im Hinblick auf eine mögliche, spätere Eheschließung – besser kennen zu lernen (Klijzing 1992). Je mehr Zeit die Partner miteinander verbringen, desto mehr potentielle Anlässe gibt es auch für Reibungspunkte und Konflikte. Für den Erfolg der Partnerschaft ist es nun zentral, welche Formen der Konfliktaustragung oder Konfliktbewältigung ausgebildet werden. Als ein Anzeichen der zunehmenden Verfestigung einer Paarbeziehung ist auch das Bilden einer Wirtschaftsgemeinschaft anzusehen. Erste Anfänge dieser Gemeinschaft sind schon mit der Haushaltsgründung verbunden, da z.B. gemeinsame Anschaffungen getätigt, bzw. Miete und Lebenshaltungskosten gemeinsam bezahlt werden müssen. Selbst in vielen nichtehelichen Lebensgemeinschaften werden diese Kosten jedoch aus getrennten Kassen bestritten (Vaskovics & Rupp 1995: 47). Eine volle Wirtschaftsgemeinschaft ist daher erst dann gegeben, wenn das von beiden Partnern erwirtschaftete Geld in einen gemeinsamen „Topf“ bzw. auf ein gemeinsames Konto kommt. Ein signifikantes Ereignis, das Fortschritte bei der Bildung einer Wirtschaftsgemeinschaft dokumentiert, ist daher die Einrichtung einer gemeinsamen Kasse zur Bestreitung von anfallenden Kosten. Als nach wie vor wohl bedeutsamster Institutionalisierungsschritt ist weiterhin die Heirat anzusehen. Zwar hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und in vielen anderen westlichen Ländern ein tiefgreifender Wandel des Heiratsverhaltens vollzogen, der sich in einem Aufschub der Eheschließung in ein höheres Lebensalter sowie in einem Anstieg des Anteils dauerhaft lediger Personen äußert. Dennoch werden beispielsweise voraussichtlich 71 Prozent der im Jahr 1965 geborenen Männer und 82 Prozent der Frauen mindestens einmal in ihrem Leben heiraten (Schneider & Rüger 2007); dauerhaft ledige Personen sind somit in Deutschland weiterhin in der Minderzahl. Eine Eheschließung verändert den Charakter einer Paarbeziehung in verschiedener Hinsicht. Durch die Heirat kann die Partnerschaft symbolisch sowohl nach außen als auch nach innen bekräftigt und ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit erzeugt werden (Davis 1986; Schneider & Rüger 2007). Der Übergang in die Ehe hat darüber hinaus rechtliche Konsequenzen, z.B.
Die Institutionalisierungsskala
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im Hinblick auf Steuervorteile wie beispielsweise dem Ehegattensplitting, die Regelung von Versorgungsansprüchen im Falle einer Scheidung oder die Sicherstellung von Vaterrechten und Vaterpflichten. Insgesamt führt die Eheschließung so zu einer emotionalen und vertraglichen Verfestigung der Paarbeziehung. Auch der Übergang in die Ehe vollzieht sich jedoch nicht abrupt, sondern sukzessiv. Signifikante Ereignisse im Vorfeld einer Heirat sind z.B. ein ernsthaftes Gespräch über eine Eheschließung, das Vorstellen des Heiratskandidaten bei den zukünftigen Schwiegereltern oder die Verlobung. Eine wichtige Verfestigungsstufe, die eng mit der Eheschließung zusammenhängt, ist schließlich die Familiengründung. Die Geburt eines Kindes lässt es aus der Perspektive der Beteiligten rational erscheinen, die „Exitkosten“ durch eine weitere Verfestigung der Partnerschaft (vor allem durch eine Heirat) zu erhöhen. Insbesondere die beruflichen Chancen der mit der Kinderbetreuung befassten Frauen verschlechtern sich mit zunehmender Dauer der Erwerbsunterbrechung; eine ökonomische Absicherung durch eine kindorientierte Eheschließung gewinnt so an Attraktivität (Oppenheimer 1988). Für den Vater ist die Eheschließung im Zuge der Familiengründung wichtig zur Sicherung seiner Vaterschaftsrechte (Schneider & Rüger 2007). Auch der Kinderwunsch der Partner lässt sich über signifikante Ereignisse operationalisieren, zu denen z.B. ein Gespräch über das ,ob‘ und ,wann‘ der Familiengründung gehört. Insgesamt lassen sich somit verschiedene Ereignisse benennen, die potentiell eine Verfestigung der Partnerschaft in emotionaler und struktureller Hinsicht anzeigen. Nun stellt sich die empirische Frage, ob sich die genannten Verfestigungsschritte in eine typische Reihenfolge bringen lassen und es so ermöglichen, den Institutionalisierungsgrad einer Partnerschaft in der Form einer zumindest ordinalen Variablen zu messen. Die Konstruktion und Validierung einer entsprechenden Skala wird im nun folgenden Abschnitt vorgestellt.
Konstruktion und Validierung einer Institutionalisierungsskala Die Institutionalisierungsereignisse, die im Rahmen der ersten TIP-Befragungswelle erhoben wurden, sind in Tabelle 4.1 im Überblick dargestellt (vgl. auch Frage 2 des im Anhang B dargestellten Fragebogen). Die Items wurden dabei auf Grundlage der Skalierung von King und Christensen (1983) entwickelt, wobei die dort zu findende Liste aufgrund verschiedener qualitativer Voruntersuchungen ergänzt und leicht modifiziert wurde. Darüber hinaus wurde im Gegensatz zu King und Christensen darauf verzichtet, einzelne Items aus Sicht von Ego und dessen Partner abzufragen, da die Vorstudien ergaben, dass etwa das Eingestehen der Liebe offensichtlich nahezu zeitgleich erfolgt. Zunächst soll ein Blick auf die Häufigkeitsverteilungen geworfen werden. Die Häufigkeit, mit der ein Ereignis in den untersuchten Partner-
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Die Institutionalisierungsskala
schaften bereits eingetreten ist, kann als Kriterium für die ‚Popularität’ eines Ereignisses interpretiert werden. Beispielweise ist das Ereignis „Der Partner wurde den Freunden vorgestellt“ das häufigste Item, da es in 98 Prozent der Partnerschaften unverheirateter Personen bereits eingetreten ist. Als das seltenste Ereignis erweist sich mit 13 Prozent die Verlobung der Partner.
Tabelle 4.1:
Häufigkeit verschiedener Institutionalisierungsereignisse
Institutionalisierungs-Ereignisse Partner wurde Freunden vorgestellt Partner wurde Eltern vorgestellt Immer Foto vom Partner dabei Erster gemeinsamer Sex Paar wurde von Freunden zu Feier eingeladen Partner haben „Ich liebe dich“ gesagt Partner wurde zu Familienfeiern eingeladen Gegenstände in Wohnung des Partner deponiert Ernsthafte Diskussion über Zusammenziehen Urlaub wurde gemeinsam verbracht Feiertage wurden gemeinsam verbracht Schlüssel für Wohnungen ausgetauscht Ernsthaftes Gespräch über gemeinsame Kinder Mit Partner zusammengezogen Ernsthaftes Gespräch über eine Heirat Gemeinsamer Geldtopf für Lebensunterhalt Partner haben über Verlobung gesprochen Partner haben sich verlobt
eingetreten (%) 98,0 96,4 95,3 94,5 93,6 93,5 87,3 81,8 78,2 77,7 74,9 67,6 62,3 48,6 34,0 31,1 27,9 13,0
Stufe 1 1 (1) (1) 1 1 2 2 2 (3) (3) 3 3 3 4 4 4 4
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007); n = 607
Diese relative Häufigkeit der Ereignisse liefert auch Hinweise auf ihre zeitliche Ordnung. Die Annahme lautet hier, dass die Vorstellung des Partners bei den Freunden, die sich bereits bei 98 Prozent der befragten Paare ereignet hat, relativ früh im Insti-
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Die Institutionalisierungsskala
tutionalisierungsprozess erfolgt, während die Verlobung als unmittelbare Vorstufe der Eheschließung sich in der Regel später ereignet. Um die zeitliche Ordnung direkt zu überprüfen, wurde im Rahmen einer Retrospektivbefragung in Welle 1 für einige Ereignisse abgefragt, wann genau sie sich im Laufe der Partnerschaft ereignet haben. In Abbildung 4.1 ist nun in Abhängigkeit von der Partnerschaftsdauer der Anteil der Personen zu sehen, bei denen das entsprechende Ereignis noch nicht eingetreten ist. Dargestellt sind also die so genannten Überlebensfunktionen.
Abbildung 4.1:
Überlebensfunktionen zu verschiedenen Institutionalisierungsereignissen
1
Anteil von Paaren ohne Ereignis
0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0
6
12
18
24
30
36
42
48
54
60
Partnerschaftsdauer (Monate) Zusammenzug
Verlobung
Erster Sex
Liebesbekenntnis
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007)
Es ist deutlich zu erkennen, dass sich der erste Sex und das Liebesbekenntnis sehr früh im Partnerschaftsverlauf ereignen. Diese beiden Verfestigungsstufen erreichen etwa 90 Prozent der Paare in einem Zeitraum von sechs Monaten nach dem Kennenlernen, wobei sich das Liebesbekenntnis etwas überraschend offenbar in der
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Die Institutionalisierungsskala
Regel nach dem ersten Sex ereignet.17 Der Übergang in den gemeinsamen Haushalt wird dagegen später vollzogen: Nach einer Partnerschaftsdauer von einem Jahr sind 25 Prozent der Paare zusammengezogen, nach zwei Jahren 45 Prozent und nach fünf Jahren 76 Prozent. Die auf die Verlobung bezogene Überlebensfunktion fällt am langsamsten über die Partnerschaftsdauer ab. Hier ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der Paare ohne vorherige Verlobung heiratet. Nach Schneider und Rüger (2008: 142) beträgt dieser Anteil in Gesamtdeutschland etwa 40 Prozent, in Ostdeutschland dürfte er noch höher liegen.18 Darüber hinaus kann die Häufigkeit eines Institutionalisierungsereignisses in der Population auch als Hinweis darauf gewertet werden, wie nachhaltig bestimmte Ereignisse sind. So kann von dem eher unverbindlichen Vorstellen des Partners bei den Freunden wahrscheinlich in geringerem Maße auf eine Verfestigung der Partnerschaft geschlossen werden als von den stärker verpflichtenden Ereignissen Haushaltsgründung oder Verlobung. Im nächsten Schritt der Skalenkonstruktion werden die Ereignisse nun nach dem Kriterium ihrer relativen Häufigkeit in verschiedene Stufen eingeteilt; die Einstufung folgt damit einem empirischen Kriterium. In Anbetracht der Häufigkeitsverteilung wurde eine Skalenspannweite von vier Stufen ausgewählt. Zum Beispiel zählen die ersten sechs in Tabelle 4.1 dargestellten Items (Partner bei Freunden vorgestellt bis „Ich liebe dich“ gesagt) zu den 25 Prozent häufigsten Ereignissen. Die Zuordnung von mehreren Items zu einer Skalenstufe erscheint notwendig, da der vorliegenden Guttman-Skala nicht wie gewöhnlich Einstellungsitems, sondern Ereignisse zugrunde liegen. Die Validität der Skala könnte daher durch Konstellationen beeinträchtigt werden, in denen bestimmte Ereignisse zwar nicht eintreten, obwohl der Institutionalisierungsprozess voranschreitet (z.B. heiratet ein Paar, ohne bis zur Heirat über gemeinsame Kinder gesprochen zu haben). Das Risiko derartiger Selektionseffekte sinkt, wenn die Skalenstufen jeweils mehrere Indikatoren umfassen. Mit der dargestellten Vorgehensweise wird allerdings implizit angenommen, dass die einer Stufe zugeordneten Items im Hinblick auf ihre Schwierigkeit (im Sinne von Realisationswarscheinlichkeit) gleichwertig sind. Damit ist ein Informationsverlust verbunden, da die Unterschiede zwischen den Ereignissen auf einer Stufe nicht mehr berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird deutlich, dass einzelne Ereignisse bei der Skalenbildung nicht richtig einzuordnen sind: So ergaben sich hinsichtlich des Items „immer ein Foto vom Partner dabei“ in den Prestest sehr 17
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Einige Paare geben an, dass sich der erste Sex bzw. das Liebesbekenntnis vor Beginn der Partnerschaft ereignet hat. Diese Fälle können subjektiv durchaus valide den Verlauf der Institutionalisierung beschreiben. Zur besseren Darstellung wurde in diesen Fällen das Ereignis auf den ersten Monat der Partnerschaft datiert. Es ist darüber hinaus zu bedenken, dass die Altersverteilung der Stichprobe von 16 bis 36 reicht und somit eben auch relativ junge Beziehungen hier abgebildet sind. Mit zunehmenden Alter ist mit einer weiteren Linksverschiebung der Kurve zu rechnen. Die bei Schneider und Rüger (2008) zugrunde liegende Stichprobe wurde mittels einer bundesweiten Telefonbefragung von Paaren gewonnen, die zwischen 1999 und 2005 erstmals geheiratet haben.
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große Schwankungen, bei den Angaben zum ersten gemeinsamen Sex ergaben sich erwartungsgemäß eine relativ große Zahl fehlender Werte und die Zuordnung der Items „gemeinsamer Urlaub“ bzw. „Feiertage gemeinsam verbracht“ war aufgrund des gewählten Schwellenwertes nicht eindeutig. Diese vier Items wurden bei der Skalenbildung deshalb nicht berücksichtigt. Auch wenn die Ereignisse über alle Befragten hinweg nach ihrem Schwierigkeitsgrad angeordnet sind, bedeutet dies noch nicht, dass die Befragten im Sinne einer Guttman-Skala geantwortet haben. Ist dies der Fall, dann müssen z.B. bei einer Person, in deren Partnerschaft mindestens ein Ereignis aus Stufe 4 eingetreten ist, auch alle Ereignisse aus niedrigeren Stufen 1 bis 3 bereits eingetroffen sein.19 Wenn eine Person also berichtet, dass in ihrer Partnerschaft mindestens ein Ereignis aus Stufe 4 eingetreten ist, gelten alle Ereignisse niedrigerer Stufen, die sich noch nicht ereignet haben, als Fehler. Um diese Anforderung an die Konstruktvalidität der Skala zu überprüfen, werden in einem weiteren Schritt die beobachteten Antwortmuster der Befragten mit den erwarteten verglichen und die entsprechenden Fehlersummen berechnet. Als Maß für die Güte der Übereinstimmung zwischen erwarteten und beobachteten Antwortmustern dient bei der Guttman-Skala der Reproduzierbarkeitskoeffizient (CR). Er gibt Auskunft über den Anteil der Antworten, die aufgrund der Skalenwerte fehlerfrei vorhergesagt werden können. Ein Reproduzierbarkeitskoeffizient von größer als 0,90 gilt dabei als akzeptabel (Schnell et al. 2008: 194f.). Es wurden nun verschiedene Skalenvarianten berechnet und einzelne Ereignisse aus der Skala ausgeschlossen, um den Reproduzierbarkeitskoeffizienten zu maximieren. Es resultiert für die Institutionalisierungsskala der ersten Welle, welche die Stufen 1-4 umfasst und aus insgesamt 14 Items besteht, ein sehr zufriedenstellender Reproduktionswert von 0,94.20 Die genaue Formulierung der so entwickelten Institutionalisierungsskala ist in Tabelle 4.2 zu sehen. Im Rahmen der Nachbefragung im Winter 2008 wurden die Items der Institutionalisierungsskala erneut abgefragt. Da einige der – in der Erstbefragung ausschließlich ledigen – Personen in der Zwischenzeit eine Eheschließung vollzogen haben21, kann die Skala für die Personen, die an der Nachbefragung teilgenommen 19
20
21
Eine liberale Anforderung an die Skala wäre, dass z.B. bei einem Paar, das Stufe 4 erreicht hat, mindestens ein Ereignis aus den Stufen 1-3 ebenfalls eingetreten sein muss. Im Folgenden wurde sich jedoch für die strengere Variante entschieden, dass alle Ereignisse aus untergeordneten Stufen eingetreten sein müssen. Bei insgesamt 607 Befragten und 14 Items treten nur 502 Fehler auf. Bei 64,4 Prozent der Befragten weichen die im Rahmen der Guttman-Skalierung erwarteten Antwortmuster nicht von den beobachteten ab. Bei 16,1 Prozent der Personen weist das Antwortmuster einen Fehler auf und nur bei 5 Prozent der Befragten mehr als drei Fehler. Dieser Kategorie werden auch die 10 Personen zugerechnet, die zum Zeitpunkt der zweiten Befragung zwar noch nicht geheiratet, einen Termin für eine Eheschließung im Jahr 2009 jedoch schon festgelegt haben.
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Die Institutionalisierungsskala
und sich nicht von ihrem Partner getrennt haben (n = 260), um eine fünfte Stufe erweitert werden (siehe Tabelle 4.3). Auch für die Institutionalisierungsskala mit fünf Stufen resultiert ein sehr guter Reproduzierbarkeitskoeffizient von 0,97.22
Tabelle 4.2: Stufe 1 x x x x
Partner wurde den Eltern vorgestellt Partner wurde den Freunden vorgestellt Paar wurde von Freunden zu Feier/Party eingeladen Partner haben „Ich liebe dich“ zueinander gesagt
Stufe 2 x x x
Partner wurde zu Familienfeiern eingeladen Partner haben Gegenständen in der Wohnung deponiert Partner haben ernsthaft über das Zusammenziehen gesprochen
Stufe 3 x x x
Partner haben die Schlüssel für die Wohnungen getauscht Partner sind zusammengezogen Partner haben ernsthaft über gemeinsame Kinder gesprochen
Stufe 4 x x x x Stufe 5 x
22
Institutionalisierungsereignis-Skala
Partner haben gemeinsamen Geldtopf eingerichtet Partner haben ernsthaft über eine Heirat gesprochen Partner haben über Verlobung gesprochen Partner haben sich verlobt Partner sind verheiratet
Eine weitere Ausprägung der Guttman-Skala ergibt sich theoretisch für den Fall, dass in einer Partnerschaft bis zum Erhebungszeitpunkt keines der genannten Ereignisse eingetreten ist. Diese Konstellation kommt empirisch in den Daten jedoch nicht vor. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass die hier entwickelte Skala wenig geeignet ist, um die unmittelbare Startphase einer Paarbeziehung erfassen zu können. In der Tabelle 4.2 ist aus Gründen der Vergleichbarkeit nur die Verteilung für die 250 Personen angegeben, die auch schon zum Zeitpunkt t1 die Fragen zur Institutionalisierung beantwortet hatten.
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Die Institutionalisierungsskala
Die Institutionalisierungsskalen zum ersten und zweiten Messzeitpunkt sind rechtssteil verteilt (siehe Tabelle 4.3). Die höheren Institutionalisierungsstufen sind also wesentlich häufiger besetzt als die Stufen 1 und 2.23 Der Mittelwert über alle Personen beträgt für die Skala der ersten Welle, die einen Range von 4 aufweist, 3,33 bei einer Standardabweichung von 0,87 und einem Schiefekoeffizienten von -1,13. In der zweiten Welle erweitert sich die Spannweite der Skala, durch die Berücksichtigung von Eheschließungen, um eine Einheit. Der Mittelwert beträgt hier 3,76 bei einer Standardabweichung von 0,74 und einem Schiefekoeffizienten von -0,48.
Tabelle 4.3:
Verteilung der Institutionalisierungsskala zum ersten und zweiten Befragungszeitpunkt
Stufe
Befragte in Welle 1 (n=607)
1 2 3 4 5 MW SD Schiefe
4,6 12,5 27,8 55,0 3,33 0,87 -1,13
In Welle 2 Befragte zu Welle 1 (n=250) % 1,2 8,8 27,6 62,4 -
Befragte in Welle 2 (n=250) 0,4 4,8 26,9 55,0 12,9 3,76 0,74 -0,48
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008)
Deutlich ist darüber hinaus zu erkennen, dass bei den Befragten, die in beiden Wellen die entsprechenden Fragen beantwortet haben, sich ein klarer Prozess der zunehmenden Institutionalisierung beobachten lässt.
23
Hier ist allerdings zu bedenken, dass erstens die Verteilung der Skala von der Zusammensetzung der Stichprobe abhängig ist und zweitens die Rechtssteilheit der hier vorgestellten Skala im Vergleich zu einer nicht dargestellten Pretest-Version reduziert werden konnte.
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Die Institutionalisierungsskala
Zwischenfazit: Lässt sich der Institutionalisierungsgrad in Partnerschaften ereignisbasiert messen? Im ersten Teil des vorliegenden Kapitels wurde ein Instrument zur Messung des Verfestigungsgrades vorehelicher Paarbeziehungen konstruiert. Dieses basiert auf objektiven Ereignissen, die von der Vorstellung des Partners bei den Eltern, dem Deponieren von Gegenständen in der Wohnung des Partners, der Haushaltsgründung über die Verlobung oder die Einrichtung einer gemeinsamen Kasse bis zu einer Eheschließung der Partner reichen. Es konnte gezeigt werden, dass sich diese Ereignisse im Rahmen einer Guttman-Skala Stufen zuordnen lassen, die eine zunehmende Institutionalisierung der Partnerschaft in verschiedenen Interaktionsbereichen – Wohnsituation, Wirtschaftsgemeinschaft, emotionale Bindung, Netzwerkintegration – indizieren. Die resultierende Skala weist nach Maßgabe des Reproduzierbarkeitskoeffizienten eine gute Konstruktvalidität auf. Zwar folgen nicht alle untersuchten Paare dem empirisch dominierenden Muster, Abweichungen zwischen den beobachteten und den im Rahmen der Guttman-Skalierung erwarteten Verfestigungsmustern sind jedoch vielmehr Ausnahmen als die Regel. Dies verdeutlicht, dass der Institutionalisierungsprozess in partnerschaftlichen Beziehungen in aller Regel nicht ,individualisiert‘ und idiosynkratisch abläuft, sondern einem erkennbaren Entwicklungsmuster folgt und somit einer soziologischen Analyse zugänglich ist. Ein Nachteil der Institutionalisierungsskala ist darin zu sehen, dass sie eher progressiv-eindimensional konstruiert ist und somit Rückschritte im Verfestigungsprozess – im Gegensatz zu anderen, stärker bidirektional ausgerichtete Ansätzen (Surra 1990) – nicht erfassen kann. Zwar sind einige der berücksichtigten Ereignisse (z.B. Haushaltsgründung, Deponieren von Gegenständen, Tausch der Wohnungsschlüssel) umkehrbar, andere (z.B. das Vorstellen des Partners bei Eltern oder Freunden) dagegen nicht. Der Eindimensionalität der Skala kann allerdings durch Erweiterungen des Forschungsdesigns entgegengewirkt werden. Zum Beispiel kann durch (panelbasierte) Ereignisanalysen der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Institutionalisierungsprozess bei vielen vorehelichen Partnerschaften durch eine Trennung abbricht. In den nachfolgenden empirischen Analysen (Kapitel 5) wird daher eine Modellierung angewendet, in der ein Fortschritt auf der Institutionalisierungsskala und eine Trennung der Paarbeziehung als konkurrierende Risiken aufgefasst werden.
Kapitel 5 Warum verfestigen sich Partnerschaften? Theoretische Argumente und empirische Befunde
Im vorangehenden Kapitel wurde gezeigt, dass die Institutionalisierung von Partnerschaften sich gut in einer einfachen, so genannten Guttman-Skala erfassen lässt und dass Paare im Laufe der Zeit auch immer weitere Stufen auf dieser Institutionalisierungsleiter emporsteigen. Ein nächster nahezu logischer Schritt ist es, sich nun die Frage zu stellen, ob es soziologisch relevante Faktoren gibt, die diesen Institutionalisierungsprozess beeinflussen, die ihn eventuell beschleunigen oder aufhalten. Wovon hängt es also ab, dass sich die Partnerschaften immer mehr verfestigen oder eben institutionalisieren? Oder handelt es sich bei der Institutionalisierung um einen mehr oder weniger selbstverständlichen und gleichsam gleichförmig automatischen Prozess, der letztlich bei allen Beziehungen eintritt. Egal, in welchen Bereich der Beziehungsforschung man sieht oder ob man sich auf Alltagserfahrung beruft, diese letzte Vermutung der immergleichen Entwicklung kann nicht der Realität entsprechen: Das einhellige Ergebnis aller Überlegungen ist, dass die Entwicklung zwischen Paaren sich unterscheidet, was allein der schlichte Hinweis darauf, dass eben nicht alle Beziehungen dauerhaft sind, aber eben auch nicht alle Partnerschaften in einer Trennung münden, belegt. Eine erste und sicherlich naheliegende Idee bezieht sich dann auf die Eigenschaften der Partner oder spezifischer auf deren gegenseitige Passung und die Liebe der Partner: Es bleibt zusammen, wer sich liebt – oder je nach Grad der Veralltäglichung vielleicht auch: wer zusammenpasst. Bereits im zweiten Kapitel wurde beispielsweise auf die Phasenmodelle wie sie etwa von Murstein in seinem StimulusValue-Role-Modell vorgeschlagen hat, eingegangen. Nach einer ersten Phase des Kennenlernens, in der sich die Partner aus sicherlich selbst wiederum erklärbaren Gründen sympathisch, attraktiv oder kurz anziehend finden, lassen sich bestimmte soziale Vergleichsprozesse beobachten, die entweder dazu führen, dass die Beziehung erkaltet und es zu einer Trennung kommt oder die als weitere Verfestigung verstanden werden kann. Die Studie „Der Morgen danach“ (Kaufmann 2004) gibt detailliert darüber Auskunft, welche auf den ersten Blick vielleicht nebensächliche Details und Idiosynkrasien hierbei eine Rolle spielen. Eine zweite Denktradition führt – nun eher soziologisch orientiert – den Einfluss sozialer Gründe, wie gesellschaftliche Normen, die soziale Herkunft oder der
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Warum verfestigen sich Partnerschaften?
Bildung und damit Faktoren, die normaler Weise unter dem Stichwort der Homogamie gefasst werden, oder eben auch den Einfluss der sozialen Nahumwelten wie Freunde und Familie an. Auch in diesen Punkten wird die Passung der Partner geprüft und eventuelle Schwierigkeiten oder Friktionen führen eben zu einer Trennung, positive Erfahrungen bestärken die Beziehung. Beide Denktraditionen lassen sich nun bruchlos in ein gemeinsames theoretisches Modell integrieren, bei dem die erklärenden Mechanismen explizit genannt und somit eben auch empirisch prüfbar gemacht werden. Es handelt sich dabei um ein auf die Tradition der soziologischen Austauschtheorie aufbauenden und von der niederländischen Sozialpsychologin Caryl E. Rusbult zuerst 1980 entworfene so genannte Investitionsmodell, auf das im Folgenden kurz eingegangen werden soll. In einem nächsten Schritt soll dieses Modell empirisch mit den Institutionalisierungsschritten verbunden werden.
Das Investtionsmodell partnerschaftlicher Entwicklung und Stabilität Die theoretische Überlegungen Rusbults entstammen wie erwähnt der austauschtheoretischen Tradition der Familienforschung und behandeln in erster Linie die Problematik ehelicher Stabilität (vgl. Thibaut & Kelley 1959 sowie einleitend Hill & Kopp 2006). Ausgangspunkt sind dabei die Arbeiten von Lewis und Spanier (1979), die die Stabilität von Beziehungen in Abhängigkeit von der Beziehungsqualität, wahrgenommenen Alternativen und Barrieren modellieren. Auch aufgrund empirischer Schwierigkeiten ergänzt Rusbult diese Überlegungen um zwei Gedanken. Zuerst berücksichtigt sie eine intervenierende Variable zwischen der Qualität und der Stabilität: Das Commitment der Partner zu ihrer Beziehung. Zudem gibt sie zu bedenken, dass auch bislang getätigte Investitionen – über ihren Einfluss auf die Ehequalität – einen eigenständigen Effekt besitzen.24 In Abbildung 5.1 sind die wichtigsten Größen dieses Modells noch einmal zusammengefasst. Auch wenn es in diesem Modell natürlich zuallererst um die Stabilität von Beziehungen geht, ist die zentrale Variable des Modells trotz allem das Commitment der Partner. Hierunter kann die subjektive Bindung eines Akteurs an eine andere Person bzw. an die Beziehung zu jener aufgefasst werden (Hill & Kopp 2006: 171f.).25 24
25
In der Diskussion über die Tragfähigkeit des homo oeconomicus finden sich immer wieder Hinweise, dass Menschen gegen die Logik rationalen Handelns verstoßen, da sie vergangene Investitionen, so genannte sunk costs, bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Die von Rusbult vorgetragenen Überlegungen unterscheiden sich davon fundamental, da hier Investitionen deshalb eine Rolle spielen, da sie entweder die ‚Produktivität’ einer Beziehung und damit deren Qualität oder indirekt die Alternativen zur aktuellen Beziehung beeinflussen. Hierbei lässt sich sowohl zwischen verschiedenen inhaltlichen Komponenten des Commitments (gefühlsmäßige Bindung an den Partner, Intention die Beziehung aufrecht zu erhalten, Glaube an die
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Warum verfestigen sich Partnerschaften?
Abbildung 5.1:
Investitionsmodell
Partnerschaftszufriedenheit
Qualität der Alternativen zur Partnerschaft
Commitment
Stabilität
Investitionen in die Partnerschaft
Quelle: eigene Darstellung von Rusbult (1980)
Das Ausmaß dieses Commitments hängt von den drei Komponenten Beziehungszufriedenheit, wahrgenommene Alternativen zur Partnerschaft und Investitionen in die Partnerschaft ab, die auch untereinander systematische Zusammenhänge aufweisen: So wird eine negative Korrelation zwischen Alternativen und Zufriedenheit sowie Investitionen und eine positive Korrelation zwischen Zufriedenheit und Investitionen erwartet. Le und Agnew (2003) untersuchten nun in einer Meta-Analyse insgesamt 53 Studien zum Investitionsmodell. Die Ergebnisse zeigen, dass die positiven Effekte der Zufriedenheit und der Investitionen auf das Commitment sowie der negative Effekt der Alternativen als empirisch ausgesprochen gut bestätigt gelten können. Die entsprechenden Studien beziehen sich in erster Linie auf die Partnerschaftsstabilität. Hier wird angenommen, dass das Commitment einen direkten positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit hat, in der aktuellen Partnerschaft zu verbleiben (vgl. nochmals Abbildung 5.1); auch dieser Zusammenhang konnte bereits mehrfach empirisch bestätigt werden (Le & Agnew 2003). Dauerhaftigkeit der Beziehung), als auch zwischen verschiedenen Möglichkeiten der theoretischen Strukturierung des Konzeptes differenzieren. Johnson et al. (1999) unterscheiden etwa persönliches Commitment (Liebe, Partnerschaftszufriedenheit), moralisches Commitment (Verpflichtungsgefühl gegenüber dem Partner oder generellen Werten der Beständigkeit) und strukturelles Commitment (Einfluss des sozialen Netzwerkes, Trennungskosten, Investitionen in die Partnerschaft).
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Warum verfestigen sich Partnerschaften?
Der im Investitionsmodell entwickelte Erklärungsansatz lässt sich nicht nur im Zusammenhang mit der Partnerschaftsstabilität anwenden, sondern auch auf den Institutionalisierungsprozess in Partnerschaften übertragen. Der theoretische und später auch empirische Unterschied zu bisherigen Studien besteht jedoch im Folgenden darin, dass das Commitment der Partner nicht auf subjektiven Einschätzungen – wie etwa „ich rechne mit einer langfristigen gemeinsamen Zukunft mit meinem Partner“ – basiert. Anstelle dessen wird nun ein relativ gut objektivierbares Konstrukt, die Institutionalisierung der Partnerschaft, eingefügt. Darüber hinaus soll auch die partnerbezogene Informationsunsicherheit – wie gut kenne ich meinen Partner und dessen Verhalten – mit einbezogen werden. Das Investitionsmodell basiert auf der Austauschtheorie (Nye 1982). Dieser liegt die Vorstellung zugrunde, dass jedes Individuum als subjektiv rational handelnder Akteur auftritt, der seine Handlungen am Prinzip der Nutzenmaximierung ausrichtet. Ein weiteres grundlegendes Postulat ist, dass Akteure auf soziale Tauschprozesse angewiesen sind, um eine bilaterale Steigerung ihres Nutzenniveaus zu erreichen. Dies liegt darin begründet, dass Akteure nur mit begrenzten Ressourcen ausgestattet sind und gleichzeitig andere Personen benötigte Ressourcen besitzen und kontrollieren. Hierbei handelt es sich neben materiellen Gütern vor allem um immaterielle Güter im sozialen und familialen Bereich wie etwa soziale Anerkennung, Fürsorge, Zuneigung und Liebe (Safilios-Rothschild 1976). Von grundlegender Bedeutung für den Transfer der Austauschtheorie auf die Entstehung und Verfestigung von Partnerschaften ist die Tatsache, dass Akteure einerseits diejenigen Austauschbeziehungen verdichten, die eine beiderseitige Nutzensteigerung versprechen, und andererseits ‚unrentable’ Tauschbeziehungen lockern oder beenden (Hill & Kopp 2006: 105). Der Anreiz zur weiteren Verfestigung der Partnerschaft wird in diesem Zusammenhang am stärksten ausfallen, wenn die Partner wechselseitig über Ressourcen verfügen, die dauerhaft und kontinuierlich, also beispielsweise alltäglich benötigt werden. Ressourcen wie Aufmerksamkeit und emotionale Zuwendung können insbesondere im Rahmen einer positiven Paarinteraktion getauscht werden, die einen starken Belohnungswert hat (Hill 1992). Der Belohnungswert der Paarinteraktion hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa vom Ausmaß der Ähnlichkeit von Interessen und Einstellungen der Partner (Grau & Bierhoff 1998) oder vom Verhalten in Konfliktsituationen (Arránz Becker 2008). Angenehme und aversive Erfahrungen aus Interaktionen verdichten sich mit der Zeit zu einem kognitiven Muster, in dem zentrale Beziehungsmerkmale und damit verknüpfte Bewertungen verbunden sind. Diese Gesamtbewertung der Partnerschaft, die als Beziehungszufriedenheit bezeichnet werden kann (Hassebrauck 1995), sollte die Institutionalisierung der Paarbeziehung begünstigen und ihre Stabilität erhöhen. Das Voranschreiten der Institutionalisierung kann dann auch als Signal an den jeweiligen Partner betrachtet werden, als eine expressive Darstellung des eigenen Commitments. Eine hohe Zu-
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friedenheit und eine starke Zukunftsorientierung können so als Beschleunigungskräfte im Institutionalisierungsprozess verstanden werden, der selbst wiederum zu höheren Investitionen und damit wieder zu einem stärkeren Commitment führen kann. Beziehungen können so eine Reusenstruktur entwickeln, die einer gewissen erklärbaren Eigendynamik folgt. Es ist allerdings zu bedenken, dass Akteure speziell in vorehelichen Partnerschaften noch nicht mit Sicherheit einschätzen können, wie gut etwa die eigenen Interessen und Einstellungen zu denjenigen des Partners passen und wie belohnend dementsprechend die Paarinteraktion mittel- und langfristig ausfällt. Eine wichtige Funktion vorehelicher Lebensformen besteht daher darin, das Zusammenleben mit dem Partner zu testen (,Weeding‘-Hypothese, Klijzing 1992), bevor langfristige Bindungen, die mit einer Familiengründung und Eheschließung verbunden sind, eingegangen werden. Wie bereits empirisch nachgewiesen wurde, korrelieren die Merkmale Partnerschaftszufriedenheit und Unsicherheit bezüglich des Partners negativ miteinander (Rhoades et al. 2009). Da die Testphase jedoch unter Umständen eine gewisse Zeit beansprucht, kann trotz momentaner Zufriedenheit eine Unsicherheit darüber bestehen, ob eine langfristige gemeinsame Zukunft mit dem Partner zu erwarten ist. Diese Unsicherheit sollte primär die weitere Verfestigung der Paarbeziehung temporär hemmen, während ein Effekt auf die Stabilität nur für den Fall zu erwarten ist, dass sich die empfundene Unsicherheit als dauerhaft erweist. Auch diese Überlegungen weisen also auf den Signalcharakter bislang befriedigend verlaufender Beziehungsentwicklungen hin. Thibaut und Kelley (1959) gehen zusätzlich davon aus, dass für die Attraktivität und den Belohnungswert von Interaktionen nicht die absolute Größe des Nettonutzens der Interaktion entscheidend ist, sondern dessen relative Stellung zu verschiedenen Vergleichsstandards. Einer dieser Referenzpunkte ist das Vergleichsniveau für Alternativen, das von der Güte des Ergebnisses der besten Alternative abhängt, die einer Person zur Verfügung steht, wenn sie sich nicht an der aktuellen Interaktion bzw. Beziehung beteiligt. Zu diesen Alternativen können das Eingehen einer anderen Partnerschaft oder das Leben als Single gehören. Das Verhältnis des aktuellen Interaktionsergebnisses zum Vergleichsniveau von Alternativen bestimmt die Abhängigkeit einer Person von der aktuellen Beziehung. Je schlechter das in der besten Alternative erzielbare Ergebnis ist, desto stärker ist die Bindung einer Person an die aktuelle Partnerschaft. Durch dieses Zusatzelement kann erklärt werden, warum der Institutionalisierungsprozess auch im Falle einer hohen Beziehungszufriedenheit nicht voranschreitet und warum Partnerschaften, in denen die Akteure relativ unzufrieden sind, weiter verstetigt werden. Attraktive Alternativen zur Partnerschaft sollten vor allem die Stabilität von Partnerschaften senken, in denen bereits eine gewisse Unzufriedenheit besteht (vgl. Mikula & Stroebe 1991: 69f.). Ob darüber hinaus auch eine allgemeine Verzögerung der Verfestigung von Paarbeziehungen beobachtet werden kann, ist eine empirische Frage.
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Die dargestellten Aussagen von Thibaut und Kelley (1959) verdeutlichen, dass die zwischenmenschliche Anziehung und die Zufriedenheit mit einer Interaktionsbeziehung weder notwendige noch hinreichende Bedingung für ihre weitere Verfestigung sind. Dieser Aspekt findet sich auch im Investitionsmodell wieder, da hier neben den genannten Faktoren die Investitionen in die Partnerschaft berücksichtigt werden. Die Annahme lautet, dass die Akteure in eine stabile und glückliche Beziehung mehr investieren als in Partnerschaften mit einer geringeren subjektiv empfundenen Qualität. Diese Investitionen können sowohl immaterieller Art wie beispielsweise Liebe, Zuneigung, Vertrauen oder Kinder, als auch von materieller Natur wie etwa Wohneigentum sein. Die genannten Investitionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie häufig als – nicht zwangsläufig intendierte – Nebenfolge der Partnerinteraktion entstehen, in der Regel irreversibel sind und im Fall einer Trennung drastisch an Wert verlieren. Empirisch wird zu überprüfen sein, ob Investitionen in die Partnerschaft zu ihrer weiteren Verfestigung führen, durch höhere Trennungskosten die Stabilität erhöhen oder beide Effekte gleichzeitig zu beobachten sind. Theoretisch und empirisch sind diese partnerschaftsspezifischen Investitionen von allgemeinen Investitionen zu unterscheiden, die zwar ebenfalls den Interaktionsgewinn erhöhen, die allerdings relativ problemlos auch mit anderen Partnern verwendbar sind. Insgesamt ist im austauschtheoretischen Erklärungsansatz und somit auch im Investitionsmodell der Motor der weiteren Verfestigung der Paarbeziehung in einer hohen Beziehungszufriedenheit zu sehen. Mit dieser theoretischen Modellierung korrespondiert ein von Surra und Hughes (1997) im Rahmen einer Clusteranalyse identifiziertes Verlaufsmuster der vorehelichen Partnerschaftsentwicklung, das als ‚relationship driven’ bezeichnet wird (siehe auch Sassler 2004). Die Interdependenzzunahme entwickelt sich hier langsam und stetig, gesteuert über positive Interaktionsepisoden und eine hohe Zufriedenheit innerhalb der Beziehung. Daneben finden Surra und Hughes (1997) jedoch eine zweite Verlaufsform, die sie als ‚event driven’ bezeichnen. Das Gefühl einer Verpflichtung gegenüber dem Partner und der Partnerschaft entwickelt sich hier häufig mit höherem Tempo, ist jedoch starken Schwankungen unterworfen und geht mit Rückschlägen, Konflikten und Ambivalenzgefühlen einher. Negative Interaktionsepisoden – wenn der Partner etwa als unsensibel oder eigensinnig erlebt wird – wechseln sich mit positiven Ereignissen ab, wodurch die voreheliche Beziehungsentwicklung durch ein ständiges ‚Auf und Ab’ gekennzeichnet ist. Personen, die diesem Cluster angehören, weisen zudem spezifische Charakteristika auf: Sie zeichnen sich in der Regel durch eine schlechtere Passung (matching) hinsichtlich bestimmter Eigenschaften wie beispielsweise den Freizeitinteressen zwischen den Partnern aus, berichten dementsprechend ein höheres Konfliktniveau und sind unzufriedener mit der Partnerschaft als Personen im Cluster ‚relationship driven’. Dennoch münden auch viele dieser ‚event driven’
Warum verfestigen sich Partnerschaften?
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Paare in eine Ehe und sind – zumindest in dem beispielsweise von Surra und Hughes (1997) untersuchten Zeitraum von einem Jahr – nicht signifikant instabiler. Die identifizierten Verlaufsmuster zeigen, dass der austauschtheoretische Erklärungsansatz, der im Investitionsmodel von Rusbult (1980) mündet, offensichtlich nicht ausreicht, um Institutionalisierungsprozesse zu erklären. In den verschiedenen Stufenmodellen der Partnerwahl, wie eben etwa im SVR-Modell von Murstein (1986), wird zwar angenommen, dass die Partner in zeitlich aufeinander folgenden Kommunikations- und Interaktionsprozessen ihre Kompatibilität überprüfen. Bei gegebener Kompatibilität steigt die Beziehungszufriedenheit und die Partnerschaft wird sukzessiv weiter institutionalisiert. Dieser prototypische Verlauf, der eben als ‚relationship driven’ bezeichnet werden kann, trifft jedoch nur auf einen Teil der Paare zu. Andere Partnerschaften – ‚eventdriven’ – institutionalisieren sich entgegen den Aussagen der Austauschtheorie trotz geringer Zufriedenheit und hoher Konflikte, was Zweifel an der Konzeption der Stufenmodelle aufkommen lässt.26 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die Liste der Erklärungsfaktoren zu verlängern und anzunehmen, dass es Beschleunigungs- und Bremsfaktoren im Verfestigungsprozess gibt, die zum Teil paarextern sind und auch zu nicht intendierten Veränderungen des Institutionalisierungsgrades führen können. Einer dieser Push-Faktoren ist eine Trennung bzw. Scheidung der Eltern. Nach der Stresshypothese sind ein frühzeitiges Verlassen des elterlichen Haushaltes und der häufig daraus folgende frühe Übergang in die Kohabitation von Scheidungskindern auf die Störung des familialen Gleichgewichts zurückzuführen. Dies kann aus einem belasteten häuslichen Umfeld oder aus der Auflösung der bisherigen Haushaltskonfiguration und Wohnsituation bei einer Trennung resultieren. Nach der Hypothese der ökonomischen Deprivation (Weiss 1979; Elder 1974) sind Scheidungskinder besonderen materiellen Restriktionen ausgesetzt, weil sie häufig mit einem allein erziehenden Elternteil aufwachsen. Mit einer ökonomischen Deprivation wird ein frühzeitiges Verlassen des Elternhauses und im Zuge dessen auch eine frühzeitige Aufnahme und Verstetigung von Paarbeziehungen in Verbindung gebracht. Eine ökonomische Deprivation des Kindes kann auch durch den Tod eines Elternteils entstehen (Axinn & Thornton 1992) bzw. daraus resultieren, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen wie die finanziellen Mittel oder der Wohnraum auf viele Geschwister verteilt werden müssen (Woodward et al. 2001). Empirisch 26
Die bereits schon oben (Kapitel 2) vorgestellte Kritik an den Stufenmodellen bezieht sich auch auf die Vernachlässigung von Aushandlungs- und Anpassungsprozessen der Partner, da implizit unterstellt wird, dass Einstellungen und Erwartungen zeitinvariant sind. Noch schwerer wiegt, dass es keine klaren Kriterien dafür gibt, wer in welcher Phase ist und wie es sich feststellen lässt, dass ein Paar in die nächste Phase gewechselt ist (zur Kontroverse siehe Leigh et al. 1987; Murstein 1987). Die genannten Unschärfen machen es schwierig, dass SVR-Modell und ähnliche Konzeptionen überhaupt zu operationalisieren. Leigh et al. (1984) haben einen empirischen Test des SVR-Modells versucht, können die postulierte Stufenabfolge jedoch nicht bestätigen.
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Warum verfestigen sich Partnerschaften?
konnte in diesem Zusammenhang nachgewiesen werden, dass Kinder aus Scheidungs- bzw. Ein-Eltern-Familien eine Neigung dazu haben, relativ früh Partnerschaften aufzunehmen, früher als andere Personen sexuell aktiv zu sein, häufiger vorehelich zu kohabitieren und dass auch deren Risiko einer vorehelichen Schwangerschaft deutlich erhöht ist (McLanahan & Bumpass 1988; Feng et al. 1999; Jacquet & Surra 2001; Teachmann 2003; Wolfinger 2003). Gerade diese vorehelichen Schwangerschaften und vorehelich geborene Kinder stellen einen weiteren Beschleunigungsfaktor im Institutionalisierungsprozess dar. Sie wirken sich (nach vorliegenden Studien) einerseits positiv auf die Institutionalisierung der Partnerschaft, also auf die Übergänge in die Kohabitation (Müller et al. 1999) und in die Ehe (Berrington 2001), aus. Mit der Geburt eines Kindes ist – ganz im Sinne des genannten Verlaufsmusters ‚event driven’ – nicht selten eine Verringerung der Partnerschaftszufriedenheit, gleichzeitig jedoch eine Erhöhung der Stabilität verbunden (White et al. 1986; Reichle & Werneck 1999). Die Wahrscheinlichkeit einer so genannten ‚teenage pregnancy’ ist – zumindest in den Vereinigten Staaten – darüber hinaus vor allem dann besonders hoch, wenn es sich um ökonomisch wenig privilegierte Eltern, Scheidungs-, Ein-Eltern- oder Großfamilien handelt (Woodward et al. 2001). Damit wird deutlich, dass positive Korrelationen zwischen den verschiedenen Beschleunigungsfaktoren bestehen. Schließlich sind auch spezielle Lebenssituationen zu berücksichtigen, die den Institutionalisierungsprozess zumindest vorübergehend verlangsamen können. Hier ist an erster Stelle darauf hinzuweisen, dass Liebesbeziehungen in der Adoleszenz sich in einer Reihe von Merkmalen von denen Erwachsener unterscheiden. Wie Walper et al. (2008) erläutern, stellen sie häufig ein zeitlich begrenztes Übungsfeld zum Erwerb von Beziehungskompetenzen dar. Wesentliche Kennzeichen von Liebesbeziehungen im Jugendalter sind dementsprechend vor allem Leidenschaft und körperliche Anziehung sowie das Bedürfnis, durch die Partnerschaft den eigenen Status innerhalb der Peergruppe zu erhöhen. Eine enge Bindung an den Partner, wie sie etwa die Institutionalisierungsschritte Haushaltsgründung und Eheschließung mit sich bringen, ist für Jugendliche dagegen nicht nur von geringer Bedeutung, sondern wird sogar als Nachteil erlebt (z.B. Feiring 1996). Erst mit zunehmendem Alter steigt die Bindungsbereitschaft und überwiegt irgendwann die wahrgenommenen Kosten durch Autonomieverluste (vgl. Walper et al. 2008). Vor diesem Hintergrund ist eine positive Korrelation zwischen Alter und Institutionalisierungsgrad zu erwarten. Ferner ist auf den so genannten Institutioneneffekt der Bildung zu verweisen (Blossfeld & Huinink 1991; Brüderl & Diekmann 1994), wonach sich die Institutionalisierung der Paarbeziehung häufig solange verzögert, bis die Schul- oder Berufsausbildung abgeschlossen ist. Dieser Zusammenhang lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Personen während der Ausbildung ökonomisch noch nicht unabhängig und zudem erhöhten biografischen Unsicherheiten ausgesetzt sind, was
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längerfristigen Partnerbindungen abträglich sein kann (Oppenheimer 1988). Empirisch ist entsprechend nachweisbar, dass sich die Übergänge in die Kohabitation (Müller et al. 1999), in die erste Ehe (Brüderl & Diekmann 1994) und zur Familiengründung (Blossfeld & Huinink 1991) während der Ausbildung verzögern.
Wie lässt sich der Institutionalisierungsgrad in Partnerschaften erklären? Ergebnisse einer Regressionsanalyse im Querschnitt Im Anschluss an die gerade formulierten theoretischen Annahmen soll nun überprüft werden, mit welchen Merkmalen die entwickelte Institutionalisierungsskala zusammenhängt. Diese Analysen dienen auch der Überprüfung einiger Annahmen, die implizit bei der Konstruktion der Skala gemacht wurden. Sind beispielsweise Paare, die sich noch nicht lange kennen, häufig auf niedrigen Institutionalisierungsstufen eingeordnet? Lässt sich darüber hinaus eine positive Altersabhängigkeit der Verfestigung erkennen? Welchen Einfluss hat die Dauer der Partnerschaft auf den Grad der Institutionalisierung? Wie unterscheiden sich Paare auf den unterschiedlichen Stufen hinsichtlich ihrer eigenen familialen Situation und der Situation in ihrem Elternhaus? In Tabelle 5.1 sind einige deskriptive Verteilungen angegeben, die eine erste Antwort auf diese und ähnliche Fragen geben. Bereits ein kurzer Blick auf die Tabelle 5.1 macht deutlich, dass vielen der oben zu findenden Einflüssen zumindest in einer bivariaten Perspektive Bedeutung zukommt. So steigt das durchschnittliche Alter, aber auch die Dauer der bisherigen Beziehung von Stufe zu Stufe. Ebenso ist ein positiver Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit der Partnerschaft und der Institutionalisierung festzustellen. Bevor nun jedoch weiter über mögliche Zusammenhänge spekuliert wird, ist zu bedenken, dass hier selbstverständlich viele Prozesse zeitgleich die Institutionalisierung von Partnerschaften beeinflussen. Bei einer derartigen Struktur müssen entsprechende Schlussfolgerungen durch multivariate Verfahren abgesichert werden. Prinzipiell sind dabei zwei Vorgehensweisen denkbar. Zuerst könnte man einfache muliple Regressionen berechnen, die den Einfluss der verschiedenen Kovariate auf die Institutionalisierungsskala bestimmen. Es lässt sich nun jedoch argumentieren, dass Guttman-Skalen nur ein ordinales Skalenniveau erreichen, so dass multiple Regressionen hier fehlerhafte Schätzwerte erzeugen könnten. Aus diesem Grunde werden im Folgenden die Ergebnisse so genannter ordered-logit-Modelle (McCullagh & Nelder 1989) vorgestellt (Tabelle 5.2). Die ausgewiesenen b-Koeffizienten können wie bei einer logistischen Regression interpretiert werden – mit dem Unterschied, dass mehrere, im vorliegenden Falle, drei Wahrscheinlichkeitsübergänge simultan geschätzt werden. Ein positiver b-Koeffizient bedeutet also beispielsweise, dass sich – bei Erhöhung der unabhängigen Variablen um eine Einheit – für eine Person die Wahrscheinlichkeit
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Warum verfestigen sich Partnerschaften?
erhöht, in eine höhere Institutionalisierungsstufe eingeordnet zu sein. Die Darstellung untergliedert sich in drei Regressionsmodelle, die jeweils einem Bündel von Erklärungsfaktoren entsprechen. Dabei handelt es sich um zeitbezogene Indikatoren, soziodemografische Variablen und Indikatoren des Investitionsmodells.
Tabelle 5.1:
Deskriptive Statistiken zur Institutionalisierungsskala 1
Alter (Jahre) Partnerschaftsdauer (Monate) Partnerbezogene Unsicherheit Alternativen zur Partnerschaft Partnerschaftszufriedenheit (%) Immaterielle Investitionen Materielle Investitionen Keine Kinder im Haushalt (%) Ein Kind (%) Zwei oder mehr Kinder (%) Schwangerschaft (%) Eltern getrennt / geschieden (%) Tod eines Elternteils (%) Mehr als zwei Geschwister (%) In Schul-, Berufsausbildung (%) Konfessionslos (%) n
20,9 5,9 1,9 2,5 76,6 2,9 1,0 92,9 3,6 3,6 0,0 17,9 3,6 0,0 50,0 89,3 28
Institutionalisierungsgrad 2 3 Mittel- oder Anteilswerte 20,0 24,9 14,8 38,8 1,8 2,0 2,2 2,1 84,1 84,0 3,7 3,9 1,2 2,1 96,1 80,4 2,6 13,7 1,3 4,8 0,0 1,8 27,0 27,8 2,7 7,1 5,3 4,7 64,5 26,0 85,5 86,3 76 169
4 25,8 51,8 1,8 1,9 89,0 4,2 3,1 69,0 20,2 9,0 9,3 30,8 7,3 8,7 21,6 82,0 334
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007)
Nun sind selbstverständlich nicht alle genannten Konstrukte intuitiv klar und sie können auf unterschiedliche Art und Weise operationalisiert werden. Um hier Missverständnisse zu vermeiden, finden sich im folgenden Einschub kurz einige nähere Erläuterungen zu den konkreten Operationalisierungen.
Warum verfestigen sich Partnerschaften?
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Einige Anmerkungen zur Operationalisierung wichtiger Konstrukte x Zur Messung des erwerbsbiografischen Status wird im Querschnitt eine Dummy-Variable „in Ausbildung“ mit der Referenz: Nichterwerbspersonen bzw. Erwerbstätige verwendet. Im Längsschnitt fließt eine Dummy-Variable zum Erwerbseinstieg der Zielperson oder ihres Partners zwischen t1 und t2 ein. x Beim Beziehungsstatus der Eltern, der sich auf den Zeitpunkt t1 bezieht, wird zwischen drei Ausprägungen unterschieden: Scheidung bzw. Trennung, Tod eines Elternteils, Eltern leben zusammen. x Im Querschnitt werden eine Dummy-Variable zur Schwangerschaft zum Befragungszeitpunkt sowie die Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder (der Zielperson oder des Partners) berücksichtigt; im Längsschnitt fließt eine Dummy-Variable ein, die den Wert 1 annimmt, wenn die Zielperson oder ihr Partner bereits zu t1 mindestens ein Kind haben oder wenn zwischen t1 und t2 eine Familie gegründet wird bzw. eine Schwangerschaft eintritt. x Die Partnerschaftszufriedenheit wird mit folgendem Item gemessen: „Wie zufrieden sind Sie – alles in allem – mit ihrer Partnerschaft? Bitte geben Sie die Zufriedenheit in Prozent an (0% = sehr unzufrieden, 100% = sehr zufrieden).“ Die durch die Prozentabstufung bedingte Skalenbreite wurde bewusst gewählt, um bei diesem typischerweise schief verteilten Item hinreichend Varianz zu erzeugen. x Materiellen Investitionen werden über das folgende Item operationalisiert: „Wir haben seit Beginn unserer Partnerschaft einen größeren Geldbetrag in gemeinsame Anschaffungen investiert (z. B. gemeinsames Auto, Haus, Firma, Wohnungseinrichtung).“ x Die Konstrukte „Alternativen zur Partnerschaft“, „partnerbezogenen Informationsunsicherheit“ und „immateriellen Investitionen“ sind jeweils Skalen auf der Grundlage verschiedener Items. Genauere Hinweise zur Konstruktion dieser Skalen finden sich im Anhang A.
In Modell 1 der Tabelle 5.2 wird deutlich, dass der Institutionalisierungsgrad relativ stark vom Alter, besonders aber von der Partnerschaftsdauer, abhängig ist, wobei die entsprechenden Zusammenhänge nicht linear sind. Kurz andauernde Partnerschaften (0-11 Monate) weisen gegenüber Partnerschaften, die länger als 57 Monate dauern (Referenzkategorie), einen deutlich niedrigeren Verfestigungsgrad auf. Die Unterschiede zwischen den weiteren Kategorien sind dagegen weniger gravierend.
66 Tabelle 5.2:
Warum verfestigen sich Partnerschaften?
Ordered logit-Regression auf den Institutionalisierungsgrad vorehelicher Partnerschaften (b-Koeffizienten) 1
Zeitabhängigkeit Alter 16-20 Jahre 1 Alter 21-24 Jahre 1 Alter 25-29 Jahre 1 P-Dauer 0-11 Monate 2 P-Dauer 12-29 Monate 2 P-Dauer 30-57 Monate 2 Soziodemografie Geschlecht (Mann, Ref.: Frau) Konfessionslos In Ausbildung Eltern getrennt/geschieden 3 Tod eines Elternteils 3 Anzahl der Kinder im Haushalt Schwangerschaft > 2 Geschwister (Ref.: = 80% (2.-4.Quartil)
1
0
0
Partnerschaftszufriedenheit >= 90% (3.-4. Quartil)
1
1
0
Partnerschaftszufriedenheit >= 95% (4. Quartil)
1
1
1
Zunächst werden für alle metrischen Indikatoren die Quartilgrenzen berechnet. Anschließend werden auf der Basis dieser Werte pro metrische Variable drei Dummy-Variablen gebildet. Die erste Dummy-Variable nimmt jeweils den Wert 1 an, wenn die Ausprägung der metrischen Variablen gleich oder größer ist als der Grenzwert für das 25%-Quartil, der für die Partnerschaftsqualität bei 80 Prozent liegt. Nur ein Viertel der untersuchten Partnerschaften weisen also eine Zufriedenheit von unter 80 Prozent auf. Die zweite Dummy-Variable nimmt entsprechend den Wert 1 an, wenn die Ausprägung bei einer Person gleich oder größer ist als der Median (im Beispiel: 90%). Personen, die zu den 25 Prozent unzufriedensten gehören, erhalten also bei allen drei Dummys den Wert 0. Durch die dargestellte Vorgehensweise wird es ermöglicht, im Rahmen der Clusteranalyse ausschließlich Dummy-Variablen zu berücksichtigen und gleichzeitig den Informationsverlust zu begrenzen. Insgesamt fließen 29 Dummy-Variablen in die Analyse ein, neu ist hierbei die Berücksichtigung der Items zur finanziellen Situation der Eltern und zum Familienklima (vgl. zur genauen Itemformulierung und den verwendeten Antwortkategorien die Darstellung der Skalen im Anhang A sowie den im Anhang B zu findenden Fragebogen der Untersuchung). Die Aufgabe der Clusteranalyse besteht in der Aufteilung einer zunächst ungeordneten Menge von Objekten, in diesem Falle also Personen, in Gruppen ähnlicher Objekte, so genannte Cluster. Die derselben Gruppe zugeordneten Objekte sollen eine möglichst hohe Ähnlichkeit hinsichtlich der berücksichtigten Variablen aufweisen, während die Objekte unterschiedlicher Gruppen möglichst verschieden sein sollen. Hierarchische Clusteranalysen folgen dann einer einfachen Logik: Vor dem ersten Fusionierungsschritt sind alle Personen isoliert voneinander. Anschlie-
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
87
ßend werden Personen, die einander im Hinblick auf die in die Analyse eingehenden Merkmale ähnlich sind, sukzessiv zu Gruppen zusammengefasst. Im letzten Schritt sind dann alle Personen in einem einzigen Cluster vereinigt. Die Aufgabe besteht nun darin, ein optimales Verschmelzungsniveau, eine bestimmte Stufe in der Hierarchie, zu finden, bei dem sichergestellt ist, dass die Objekte in einem Cluster nicht zu heterogen und die Unterschiede zwischen den Clustern nicht zu gering sind. Um die am besten auf die Daten passende Clusteranzahl zu finden, wird die Entwicklung der Fehlerquadratsumme betrachtet. Diese ist für die letzten 10 Fusionierungsschritte in Abbildung 6.2 dargestellt. Die Fehlerquadratsumme steigt umso stärker an, desto unähnlicher sich die Cluster sind, die im jeweiligen Schritt fusioniert werden. Einen Hinweis auf die optimale Clusteranzahl erhält man dadurch, dass sich in einem Fusionsschritt eine überproportional starke Zunahme der Fehlerquadratsumme zeigt; dies deutet darauf hin, dass eine weitere Komplexitätsreduzierung nicht mehr angemessen ist, da ansonsten Personengruppen zusammengefasst werden müssten, die sich relativ stark voneinander unterscheiden. In Abbildung 6.2 sind zwei Knickstellen oder so genannte ,Ellenbogen‘ im Linienverlauf zu erkennen. Der starke Anstieg der Fehlersumme zwischen dem vorletzten und letzten Fusionierungsschritt ist für die Festlegung der Clusterzahl nicht relevant, da beim Übergang von der Zwei- zur Ein-Cluster-Lösung immer der größte Heterogenitätssprung zu verzeichnen ist (Backhaus et al. 2005: 536). Darüber hinaus zeigt sich eine weitere überproportionale Zunahme zwischen dem viertletzten und drittletzten Fusionierungsschritt; demnach ist eine 4-Cluster-Lösung angemessen. Die Entwicklung der Fehlerquadratsumme ist dabei lediglich eine Entscheidungshilfe für die Festlegung der Clusterzahl, aber keine zwingende Vorgabe. Es können auch aus sachlogischen Überlegungen heraus andere Varianten herangezogen werden, wie etwa in diesem Falle eine Lösung mit 3 oder 5 Clustern (Backhaus et al. 2005: 536). In weiteren Verlauf des Textes werden derartige Lösungen ebenfalls diskutiert. Allerdings finden sich auch inhaltliche Gründe, die für eine 4Cluster-Lösung sprechen.
88
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
Abbildung 6.2:
Entwicklung der Fehlerquadratsumme in den letzten 10 Fusionierungsschritten
3100
Fehlerquadratsumme
2900 2700 2500 2300 2100 1900 1700 1500 10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
Clusterlösung
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften. Die Ergebnisse der Clusteranalyse Zu welchen Ergebnissen kommt man nun, wenn man aufgrund von Indikatoren der Partnerschaftsqualität, Beschleunigungs- und Belastungsfaktoren sowie des Alters und des bisherigen Institutionalisierungsgrades versucht, unterschiedliche Typen zu bestimmen? In Tabelle 6.3 sind die Ergebnisse der Clusteranalyse dargestellt. Zunächst ist darauf einzugehen, wie sich die Partnerschaftsqualität, die über insgesamt fünf Indikatoren gemessen wird, zwischen den vier Clustern unterscheidet. Personen im zweiten Cluster, das im Folgenden mit ,harmonisch‘ bezeichnet wird, empfinden eine hohe Ähnlichkeit mit ihrem Partner, glauben an eine langfristige gemeinsame Zukunft mit ihm, erleben nur wenige Konflikte, nehmen kaum Alternativen zu ihrer Partnerschaft wahr und sind insgesamt sehr zufrieden mit ihrer Beziehung. Den Gegenpol zu dieser Gruppe bilden Personen aus dem vierten Cluster, der im Folgenden mit ,belastet‘ bezeichnet wird. Hier sind eine relativ niedrige subjektive Ähnlichkeit, eine relativ schwache Zukunftsorientierung, ein hohes Konfliktniveau, eine verstärkte Wahrnehmung von Alternativen und eine vergleichsweise geringe Partnerschaftszufriedenheit zu beo-
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
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bachten. Zwischen diesen beiden ,Extremgruppen‘ liegen die Cluster 1 und 3, wobei die Partnerschaftsqualität im ersten Cluster (,durchschnittlich‘) schlechter ist als im dritten (,jugendlich‘).36 Die Ergebnisse zur Partnerschaftsqualität deuten zunächst in konsistenter Weise darauf hin, dass Zusammenhänge zwischen den hier berücksichtigten Indikatoren bestehen. So scheint eine Ähnlichkeit der Partner konfliktfreie Interaktionen zu ermöglichen (Mikula & Stroebe 1991). Konflikte selbst wirken sich zwar, wie mittlerweile verschiedene Forschungsarbeiten zeigen, nur bedingt negativ auf die Partnerschaftszufriedenheit und -stabilität aus, da sie durch eine ausgeprägte Konfliktlösungskompetenz abgeschwächt werden können (Arránz Becker 2008: 194ff.; Weiß & Wagner 2008). Im vorliegenden Fall geht ein hohes Konfliktpotential dennoch mit einer verringerten Zufriedenheit und Zukunftsorientierung einher. Eine mögliche Instabilität konfliktbelasteter und wenig zufriedenstellender Partnerschaften deutet sich neben der schwächeren Zukunftsorientierung auch dadurch an, dass Alternativen zur Partnerschaft verstärkt wahrgenommen werden. Die überdurchschnittliche Alternativenwahrnehmung im Cluster ,belastet‘, die mit 3,2 mehr als doppelt so hoch ist wie im Cluster ‚harmonisch’, könnte allerdings darauf zurückgeführt werden, dass die Personen aus dieser Gruppe relativ jung sind und deshalb auch noch mehr Alternativen haben als ältere Personen, deren Partnermarkt bereits deutlich eingeschränkt sein könnte. Gegen dieses Argument spricht jedoch, dass Personen aus dem Cluster ,jugendlich‘ noch etwas jünger sind, dennoch aber weniger Alternativen wahrnehmen als im vierten Cluster (Mittelwert = 1,6). Darüber hinaus wird deutlich, dass sich die vier Cluster entlang der Dimensionen Alter und Institutionalisierungsgrad in zwei Gruppen einteilen lassen. In den Clustern ,durchschnittlich‘ und ,harmonisch‘ sind ältere Personen überrepräsentiert, das Durchschnittsalter liegt hier jeweils bei knapp 28 Jahren. Die entsprechenden Partnerschaften sind auch bereits höher institutionalisiert, sie erreichen im Mittelwert eine Skalenausprägung von jeweils 3,6. Die Personen in den Clustern ,jugendlich‘ und ,belastet‘ sind dagegen deutlich jünger und weisen in ihren Partnerschaften ein geringeres Institutionalisierungsniveau auf. Erwartungskonform ist, dass die Partnerschaften im Cluster ,belastet‘, in dem die Partnerschaftsqualität am geringsten ist, ein relativ geringes Alter bei Partnerschaftsbeginn aufweisen und auch ihre ersten Sexualkontakte mit dem gegenwärtigen Partner zu einem relativ hohen Anteil vor dem 18. Lebensjahr aufgenommen haben. 36
Bei einer 3-Cluster-Lösung (nicht dargestellt) werden die Cluster ,durchschnittlich‘ und ,harmonisch‘ fusioniert. Dies ist angesichts der in Tabelle 6.3 dargestellten Ergebnisse nicht sinnvoll, da sich die Partnerschaftsqualität und auch die Betroffenheit von Beschleunigungsfaktoren zwischen diesen Gruppen deutlich unterscheiden. Während im Cluster ,harmonisch‘ die günstigsten Bedingungen vorherrschen, erweist sich der erste Cluster bei fast allen Merkmalen als durchschnittlich (daher auch die Namensgebung). Bei einer 5-Gruppen-Variante wird der Cluster ,durchschnittlich‘ aufgespalten; zwischen den resultierenden beiden Clustern bestehen jedoch keine gravierenden Unterschiede. Insgesamt passt die 4-Cluster-Lösung am besten zu den Daten.
90 Tabelle 6.3:
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
Typen vorehelicher Partnerschaften (hierarchische Clusteranalyse, Mittel- bzw. Anteilswerte) Bezeichnung der Cluster
Indikatoren zur Partnerschaftsqualität Subjektive Ähnlichkeit (Matching) Zukunftsorientierung Konfliktniveau Wahrgenommene Alternativen Partnerschaftszufriedenheit Beschleunigungs- und Belastungsfaktoren Scheidung/Trennung der Eltern (%) Finanzielle Situation der Eltern 1 Klima im Elternhaus 2 Mehr als 2 Geschwister (%) Erster Sex mit Partner unter 18 (%) Familiengründung bis 20 Jahre (%) Beide Partner ohne Einkommen (%) Netzwerkopposition 3 Alter und Institutionalisierungsgrad Alter (Jahre) Partnerschaftsdauer (Monate) 3 Alter bei Partnerschaftsbeginn Institutionalisierungsgrad n
Durchschnittlich
Harmonisch
Jugendlich
Belastet
3,5 4,6 2,5 2,1 84,9
4,2 4,9 1,4 1,4 96,5
3,9 4,8 1,9 1,6 92,1
3,2 3,7 2,9 3,2 69,1
28,6 2,4 2,5 7,5 0,0 5,6 4,7 1,7
10,9 2,1 2,1 2,7 0,0 3,6 9,1 1,5
26,9 2,3 2,3 6,4 32,0 3,2 19,2 1,8
44,7 2,7 2,8 10,6 27,1 0,0 24,7 2,0
27,6 49,6 23,5 3,6 213
27,6 40,8 24,2 3,6 110
20,2 32,0 17,5 3,1 156
21,1 34,3 18,2 2,9 85
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007) Anmerkungen: Ward-Methode; Distanzmaß: quadrierte euklidische Distanz für binäre Merkmale; alle Mittel- bzw. Anteilswerte unterscheiden sich signifikant zwischen den Clustern (Ausnahmen: Geschwisterzahl und Familiengründung bis 20); 1 hoher Wert = schlechte finanzielle Situation; 2 hoher Wert = schlechtes Klima; 3 nicht Bestandteil der Clusteranalyse.
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
91
Im Cluster ,harmonisch‘, in dem die beste Partnerschaftsqualität anzutreffen ist, liegt das Alter bei Beginn der Partnerschaft dagegen am höchsten. Diese Ergebnisse stimmen mit den Befunden von Fowers et al. (1996) überein.37 Da der arithmetische Mittelwert anfällig gegenüber Ausreißern ist, wird die Verteilung des durchschnittlichen Alters bei Beginn der Beziehung pro Cluster in Abbildung 6.3 zusätzlich grafisch mit Hilfe von Box-Plots dargestellt. Der Median nimmt folgende Werte an: 22,8 Jahre (Cluster ,durchschnittlich‘), 24,0 Jahre (,harmonisch‘), 17,2 Jahre (,jugendlich‘) und 17,6 Jahre (,belastet‘). Im Cluster ,harmonisch‘ liegen die mittleren 50 Prozent der Verteilung zwischen 21 und knapp 27 Jahren, in der Gruppe ,belastet‘ zwischen 16,6 und 19,6 Jahren. Es wurde weiterhin erwartet, dass eine frühzeitige Aufnahme der Paarbeziehung gemeinsam mit verschiedenen ,Push-Faktoren‘ im Institutionalisierungsprozess auftritt. Die Ergebnisse gehen überwiegend konform mit dieser Annahme. Die Personen im Cluster ,belastet‘ sind mit 44,7 Prozent fast zur Hälfte Scheidungskinder; gleichzeitig waren die finanzielle Situation der Eltern und das Klima im Elternhaus hier schlechter als in allen anderen Clustern. Darüber hinaus liegt auch der Anteil der Personen mit mehr als zwei Geschwistern hier mit 10,6 Prozent etwas höher als im Durchschnitt über alle vier Cluster (6,7%). Die Ergebnisse zu frühen Schwangerschaften fallen uneinheitlich aus; insgesamt haben allerdings nur 25 Personen bis zum 20. Lebensjahr ihre Familiengründung vollzogen. In Tabelle 6.3 sind zusätzlich zwei Belastungsfaktoren dargestellt. Zum einen handelt es sich um den Anteil von Paaren im jeweiligen Cluster, in denen beide Partner noch nicht über ein eigenes Erwerbseinkommen verfügen. Dieser Anteil ist – entsprechend der jeweiligen Altersmittelwerte – in den ,jungen‘ Clustern (,jugendlich‘ und ,belastet‘) deutlich höher; trotz eines etwas höheren Durchschnittsalters sind die Paare im Cluster ,belastet‘ allerdings häufiger ökonomisch noch nicht unabhängig als Personen aus der Gruppe ,jugendlich‘. Zum anderen wird deutlich, dass sich Personen aus dem Cluster ,belastet‘ einer verstärkten Netzwerkopposition gegenübersehen. Dieser Befund wiegt umso schwerer, da dieser Indikator nicht Gegenstand der Clusteranalyse ist. Das entsprechende Item lautet, inwiefern nach dem Eindruck der Befragten Eltern oder Freunde gegen eine Heirat mit ihrem derzeitigen Partner sind. Die so gemessene ablehnende Haltung des sozialen Umfeldes ist im Cluster ,belastet‘ signifikant stärker ausgeprägt als in den ersten beiden Gruppen (vgl. auch Fowers et al. 1996).
37
Zusätzlich durchgeführte Analysen auf der Variablenebene zeigen, dass das Alter bei Beginn der Partnerschaft positiv mit dem subjektiven Matching korreliert (r = ,12) und negativ mit dem Konfliktniveau (r = -,13). Beide Korrelationen sind auf dem 1%-Niveau signifikant.
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Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
Abbildung 6.3:
Box-Plot des Alters bei Beginn der Partnerschaft nach Clustern
Alter bei Partnerschaftsbeginn
35
30
25
20
15
10 ,durchschnittlich'
,harmonisch'
,jugendlich'
,belastet'
Cluster
Institutionalisierungstempo und Partnerschaftsstabilität in den Paarclustern In einem nächsten Analyseschritt wird nun überprüft, welche Konsequenzen die aufgedeckten Bedingungskonstellationen in den einzelnen Clustern für den Partnerschaftserfolg haben. In Abbildung 6.4 ist dargestellt, wie wahrscheinlich es ist, dass sich die Partner in den vier Clustern innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr nach der Erstbefragung trennen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 46 Prozent der ursprünglichen Stichprobengröße infolge von Panelmortalität zwischen t1 und t2 verloren gehen. Zusätzliche Analysen zeigen allerdings, dass sich die NonresponseWahrscheinlichkeit nicht signifikant zwischen den vier Clustern unterscheidet. Es ist also hier keine Selektivität zu erwarten.
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Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
Trennungswahrscheinlichkeit (12 Monate)
Abbildung 6.4:
Trennungswahrscheinlichkeit vorehelicher Partnerschaften nach Paarclustern
0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 Durchschnittlich
Harmonisch
Jugendlich
Belastet
Cluster Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008)
Erwartungsgemäß liegt die Trennungswahrscheinlichkeit mit 50 Prozent im Cluster ,belastet‘ mit Abstand am höchsten, während sich die Paare aus den Gruppen ,harmonisch‘ und ,durchschnittlich‘ als relativ stabil erweisen. Die clusteranalytische Klassifikation kann damit als prädiktiv valide gelten, da sich der Partnerschaftserfolg über die Gruppenzugehörigkeit vorhersagen lässt. Die Interpretation der Ergebnisse wird allerdings dadurch erschwert, dass die Cluster sich durch spezifische Merkmalskombinationen auszeichnen; insofern bleibt unklar, welche Unterschiede zwischen den Gruppen für die variierende Partnerschaftstabilität hauptsächlich verantwortlich sind. So ist beispielsweise auffällig, dass die beiden stabilsten Cluster (,durchschnittlich‘ und ,harmonisch‘) mit einem Wert von jeweils 3,6 gleichzeitig den höchsten Institutionalisierungsgrad aufweisen. Angesichts der Ergebnisse aus dem vorangehenden Kapitel könnte somit gemutmaßt werden, dass allein der geringere Verfestigungsgrad dafür verantwortlich ist, dass das Trennungsrisiko in den Clustern variiert. Aus diesem Grund wird zusätzlich ein weiteres logistisches Regressionsmodell berechnet, in das neben der Clusterzugehörigkeit die Merkmale Alter, Partnerschaftsdauer und Institutionalisierungsgrad als Kontrollvariable einfließen; die Effekte der Gruppenzugehörigkeit werden also um diese Indikatoren bereinigt. Die
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Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
bedingte Chance einer Trennung wird zwischen dem Cluster ,harmonisch‘ (Referenz) und den anderen drei Gruppen verglichen. Laut Modell 1 der Tabelle 6.4 liegt die Trennungschance in den Clustern ,jugendlich‘ und ,belastet‘ signifikant höher als in der Referenzgruppe. Wird in Modell 2 der Tabelle 6.4 neben dem Alter und der Partnerschaftsdauer der Institutionalisierungsgrad kontrolliert, ist der Unterschied zwischen den Gruppen ,harmonisch‘ und ,jugendlich‘ nicht mehr signifikant. Auch in diesem Modell erhöht sich jedoch die bedingte Trennungschance in Partnerschaften aus dem Cluster ,belastet‘ auf knapp das Fünffache im Vergleich zu der Referenzkategorie. Dies bedeutet, dass Paare aus dem Cluster ,jugendlich‘ – verglichen mit der Referenz – hauptsächlich deshalb etwas instabiler sind, weil sie ein geringeres Verfestigungsniveau aufweisen. Die höhere Instabilität in der Gruppe ,belastet‘ lässt sich über das geringere Institutionalisierungsniveau jedoch nicht vollständig erklären.
Tabelle 6.4:
Vorhersage der Partnerschaftsstabilität über die Clusterzugehörigkeit und weitere Merkmale (exponierte bKoeffizienten)
Cluster durchschnittlich harmonisch (Referenz) jugendlich belastet Kontrollvariable Alter (t1) Partnerschaftsdauer (t1) Institutionalisierungsgrad (t1) Pseudo-R² (Nagelkerke)
Model 1
Model 2
1,36 2,69* 8,57**
1,48 1,49 4,96**
,14
,96 ,99 ,63* ,21
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008) Anmerkungen: Logistische Regression (AV = Trennung zwischen t1 und t2); * p .05; ** p .01; n = 307 Personen und n = 65 Trennungsereignisse
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
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Der letzte Analyseschritt besteht nun darin, das Institutionalisierungstempo der vier Paarcluster zu untersuchen. Hier wurde zunächst überprüft, ob sich die Gruppen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit unterscheiden, dass die Institutionalisierungsskala zwischen t1 und t2 um mindestens einen Punkt ansteigt. Nach Kontrolle von Alter, Partnerschaftsdauer und Ausgangsniveau zeigen sich hier jedoch keine signifikanten Unterschiede. Um den Beobachtungszeitraum zu verlängern, wird im Folgenden zusätzlich auf monatsgenaue Retrospektivdaten zu verschiedenen Institutionalisierungsereignissen vor t1 zurückgegriffen. Dabei handelt es sich um die Haushaltsgründung und die Verlobung und damit um zwei nach außen deutliche Zeichen der Institutionalisiserung. Wichtig ist, dass die hierzu durchgeführten Ereignisdatenanalysen keine Lebensverlaufs-, sondern eine Paarperspektive einnehmen. Die Verweildauer wird also über die Dauer der Partnerschaft (und nicht über das Alter) gemessen.38 In Abbildung 6.5 sind die entsprechenden Überlebensfunktionen zum Übergang in die Kohabitation dargestellt. Insgesamt zeigen sich relativ deutliche Unterschiede zwischen den Clustern. Personen aus den Gruppen ,durchschnittlich‘ und ,harmonisch‘, die auch das höchste Durchschnittsalter bei Beziehungsbeginn aufweisen, sind signifikant schneller zusammengezogen als Personen aus den Clustern ,jugendlich‘ und ,belastet‘, die sich untereinander kaum unterscheiden. Dieser Befund deutet darauf hin, dass insbesondere Partnerschaften mit geringem Alter bei Beziehungsbeginn eine langsame Übergangsrate in die Kohabitation aufweisen. Dies korrespondiert u.a. mit dem weiter oben genannten Institutioneneffekt der Bildung und den genannten Befunden, wonach insbesondere in Jugendpartnerschaften eine enge Bindung an den Partner häufig noch nicht gewünscht ist bzw. einfach nicht vollzogen wird.
38
Da im Rahmen von TIP keine retrospektive Partnerschaftsbiografie erhoben wurde, können an dieser Stelle keine Analysen aus der Lebensverlaufsperspektive durchgeführt werden. Um z.B. beurteilen zu können, wann eine Person in ihrem Leben erstmals zusammengezogen ist, wären ggf. Informationen über alle vorangehenden Partnerschaften notwendig.
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Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
Abbildung 6.5:
Überlebensfunktionen zum Übergang in die Kohabitation nach Paarclustern (basierend auf einer Cox-Regression) Cluster
1,0
Durchschnittlich Harmonisch Jugendlich Belastet
0,8
0,6
0,4
0,2
0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
Partnerschaftsdauer (Monate)
In Abbildung 6.6 sind Überlebensfunktionen zur Verlobung der Partner dargestellt. Auch hier zeigen sich deutliche Differenzen. Partnerschaften aus dem Cluster ,belastet‘, die eine Vielzahl von problematischen Eigenschaften aufweisen, weisen die geringste Übergangsrate in eine Verlobung auf, die auch signifikant niedriger liegt als im Cluster ,jugendlich‘. Fünf Jahre nach Partnerschaftsbeginn haben hier weniger als 10 Prozent der Paare diesen Schritt vollzogen. Die höchste Übergangsrate ist im Cluster ,jugendlich‘ zu beobachten. Hier beträgt der Anteil der Paare, die sich verlobt haben, im gleichen Zeitraum fast 30 Prozent.
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Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
Abbildung 6.6:
Überlebensfunktionen zum Übergang in die Verlobung nach Paarclustern (basierend auf einer Cox-Regression) Cluster
1,00
Durchschnittlich Harmonisch Jugendlich Belastet
0,95 0,90 0,85 0,80 0,75 0,70 0
10
20
30
40
50
60
Partnerschaftsdauer (Monate)
Welcher Erkenntnisgewinn ist mit der Paartypologie verbunden? Eine Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse Im vorliegenden Kapitel wurden im Rahmen einer Clusteranalyse vier Typen vorehelicher Paarbeziehungen identifiziert, die sich vor allem im Hinblick auf ihre Partnerschaftsstabilität, die Betroffenheit von Beschleunigungsfaktoren im Institutionalisierungsprozess und dem Alter bei Partnerschaftsbeginn unterscheiden. In weiterführenden Analysen stellte sich heraus, dass die Stabilität der Paarbeziehungen und ihr Verfestigungstempo in Abhängigkeit von der Clusterzugehörigkeit zum Teil erheblich variieren. In idealtypischer Weise sollen hier nun zunächst noch einmal die beiden Paarcluster einander gegenübergestellt werden, die sich im Hinblick
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Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
auf die Stabilität und die Geschwindigkeit der Institutionalisierung am stärksten unterscheiden. Partnerschaften aus dem Cluster ,belastet‘ weisen eine geringe Beziehungsqualität auf. Die Befragten haben hier häufiger das Gefühl, nicht zu ihrem Partner zu passen. Es kommt vermehrt zu Konflikten, der Glaube an eine langfristige gemeinsame Zukunft mit dem Partner ist schwächer ausgeprägt und Alternativen zur Partnerschaft werden vermehrt wahrgenommen. Die geringe Partnerschaftsqualität geht mit spezifischen soziodemografischen Eigenschaften dieses Clusters einher. Das durchschnittliche Alter sowie Alter bei Partnerschaftsbeginn liegen hier relativ niedrig. Dementsprechend sind die Befragten häufiger von Beschleunigungsfaktoren im Institutionalisierungsprozess betroffen. Zu beobachten sind insbesondere ein höherer Anteil von Scheidungskindern, eine schlechtere ökonomische Situation der Eltern und ein belastetes Klima im Elternhaus. Zudem sind die Personen in dieser Gruppe häufig ökonomisch noch nicht unabhängig und werden in ihren Partnerschaften durch Eltern und Freunde in verringertem Maße unterstützt. Insgesamt scheinen hier somit die ungünstigsten Bedingungen dafür vorzuherrschen, dass die Partnerschaft stabil bleibt und sich weiter institutionalisiert. Weiterführende Analysen bestätigen dies. Paare aus dem Cluster ,belastet‘ weisen mit Abstand das höchste Trennungsrisiko in einem 12-Monats-Zeitraum nach t1 auf. Zudem vollziehen sie die Übergänge in den gemeinsamen Haushalt und eine Verlobung – aus der Paarperspektive betrachtet – relativ langsam. Den Gegenpol zum Cluster ,belastet‘ bildet die Personengruppe, die als ,harmonisch‘ bezeichnet wurde. Hier ist eine ausgesprochen hohe Partnerschaftsqualität vorzufinden. Die Befragten empfinden eine ausgeprägte Ähnlichkeit mit ihrem Partner bei Interessen und Einstellungen, streiten sich selten, glauben fast ausnahmslos an eine langfristige gemeinsame Zukunft, sind insgesamt sehr zufrieden mit der Partnerschaft und nehmen kaum Alternativen zu ihr wahr. Auffällig ist, dass das durchschnittliche Alter bei Partnerschaftsbeginn in dieser Gruppe am höchsten liegt. Auch sind die Befragten hier in verringertem Maße von Beschleunigungsfaktoren wie Scheidung der Eltern oder hohe Geschwisterzahl betroffen, haben häufig bereits eine ökonomische Eigenständigkeit erreicht und sehen sich auch kaum einer Opposition gegen die Partnerschaft von Seiten der Eltern und Freunde ausgesetzt. Die Gemengelage in diesem Cluster begünstigt offensichtlich sowohl die Partnerschaftsstabilität, als auch das Institutionalisierungstempo. Die Trennungswahrscheinlichkeit innerhalb von 12 Monaten ist in dieser Personengruppe am niedrigsten. Zudem vollziehen die Befragten in dieser Gruppe die Übergänge in den gemeinsamen Haushalt und in eine Verlobung vergleichsweise schnell. Die dargestellten Befunde sprechen insgesamt dafür, dass sich ein geringes Alter bei Partnerschaftsbeginn, vermittelt über eine unvollständige Suche auf dem Heiratsmarkt, eine mangelnde persönliche Reife und ökonomische Unabhängigkeit des
Vier Typen vorehelicher Partnerschaften
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Paares sowie einen schwächeren Rückhalt der Paarbeziehung im sozialen Umfeld, negativ auf den weiteren Partnerschaftserfolg auswirken kann. Die Analysen sind ferner anschlussfähig an den gut abgesicherten Befund aus der Scheidungsforschung, wonach Frühehen ein höheres Trennungsrisiko aufweisen (z.B. Karney & Bradbury 1995). Es konnte in diesem Zusammenhang allerdings gezeigt werden, dass viele frühzeitig begonnene Partnerschaften nicht in eine Frühehe münden, da sie noch im Vorfeld dieses Institutionalisierungsschrittes durch eine Trennung enden. Außerdem wird deutlich, dass ein niedriges Alter bei Beginn der Partnerschaft mit einem geringeren Institutionalisierungstempo im Verlauf der Partnerschaft einhergeht, was auf dem ersten Blick im Widerspruch zur Frühehe zu stehen scheint. Hier erweist sich offensichtlich eine Trennung zwischen der Paarund der Lebenslaufperspektive als unbedingt notwendig (siehe auch Klein 2003). Die frühzeitig begonnenen Partnerschaften aus dem problematischen Cluster ,belastet‘ werden, sofern sie in eine Ehe münden, wahrscheinlich das geringste Heiratsalter aufweisen, benötigen jedoch – auf die Dauer der Partnerschaft bezogen – mehr Zeit bis zur Heirat als die Paare aus den Clustern ,durchschnittlich‘ und ,harmonisch‘, deren durchschnittliches Alter bei Beginn der Beziehung deutlich höher liegt. Die Ergebnisse dürfen jedoch nicht in der Weise missverstanden werden, dass sich ein geringes Alter bei Partnerschaftsbeginn zwangsläufig negativ auf den weiteren Beziehungsverlauf auswirkt. Dagegen spricht der identifizierte Cluster ,jugendlich‘, in dem das Alter bei Partnerschaftsbeginn ebenfalls sehr niedrig liegt. Gleichzeitig sind jedoch eine hohe Partnerschaftsqualität und auch eine vergleichsweise geringe Betroffenheit von Beschleunigungsfaktoren festzustellen. Die Partnerschaftsstabilität in dieser Gruppe liegt zwar deutlich niedriger als im Cluster ,belastet‘, gleichzeitig jedoch etwas höher als in den beiden Clustern mit dem höchsten Durchschnittsalter. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Partnerschaften im Jugendalter unabhängig von ihrer Qualität eine höhere Instabilität aufweisen, da sie häufig eine Übungs- oder Testphase zum Erwerb von Beziehungskompetenzen darstellen und daher nicht selten relativ kurzlebig und wenig verpflichtend sind (vgl. Walper et al. 2008: 116f.). Die dargestellte Clusteranalyse führt insgesamt zu anschaulichen Ergebnissen und zur Aufdeckung von bedeutsamen Unterschieden im Verfestigungstempo und der Beziehungsstabilität. Auch wenn die analytische Präzision aufgrund der Mehrdimensionalität der Gruppen begrenzt sein mag, erweist sich diese Analysestrategie somit als sinnvolle Ergänzung oder sogar Alternative zu einer auf einzelne Erklärungsfaktoren abstellende Vorgehensweise, die häufig kritisch als ,VariablenSoziologie‘ bezeichnet wird.
Kapitel 7 Netzwerkeinflüsse auf Institutionalisierungs- und Auflösungsprozesse in Partnerschaften
Bisher vorliegende Studien zu intimen Paarbeziehungen konzentrieren sich überwiegend auf individuelle Personenmerkmale oder Eigenschaften des Paares. Die Gestaltung der Partnerschaft beruht auf der Ausgestaltung bzw. Passung der Eigenschaften der beiden Partner. Es ist jedoch eine gute soziologische Tradition immer daran zu erinnern, dass Umwelt- oder Kontextfaktoren bei sozialen Prozessen nahezu durchgängig eine große Rolle spielen. So wird bei einer zu sehr auf die Eigenschaften der Partner abzielende Analyse leicht übersehen, dass Paare in einen sozialen Kontext eingebunden sind, der ihre Entwicklung in vielfältiger Hinsicht beeinflussen kann: Dies gilt für Strukturen und Eigenschaften des Herkunftskontexts wie – um nur zwei Beispiele anzuführen – die Scheidung der Eltern oder die Anzahl der Geschwister. Diese Faktoren können beispielsweise Einfluss auf den Zeitpunkt des Auszugs aus dem Elternhaus und damit wohl auch auf das Timing der Haushaltsgründung mit dem Partner nehmen (Teachmann 2003). Soziale Nahumwelten, Freunde, peer-groups und Netzwerke39 – immer verstanden als handlungsrelevante Kontexte – bilden mit ihren Verhaltensweisen und Einstellungen nicht zuletzt auch Bezugspunkte für Individuen und Paare, die sich mit ihnen vergleichen und unter Umständen konform verhalten oder eben vielleicht auch bewusst abgrenzen wollen. Signifikante Andere wie Eltern oder Freunde können darüber hinaus die Entstehung und die Stabilität intimer Paarbeziehung aktiv durch ihre Unterstützung fördern, oder durch ihre Opposition hemmen (im Überblick Esser 2003). Eine zu sehr auf die beteiligten beiden Partner konzentrierte Sichtweise vernachlässigt den sozialen Charakter der hier beobachtbaren Institutionalisierungsprozesse. Diese Einsicht ist dabei natürlich nicht neu: Auf die Bedeutung der sozialen Einbettung für die Strukturierung und die Entwicklung (ehelicher) Paarbeziehungen 39
Soziale Netzwerke können über verschiedene Definitionskriterien abgegrenzt werden. Während das interaktive Netzwerk etwa aus Personen besteht, mit denen eine wiederkehrende Interaktion ,faceto-face‘ stattfindet, setzt sich das so genannte psychologische Netzwerk aus Personen, signifikanten Anderen, zusammen, die jemandem nahe stehen und wichtig für ihn sind (Surra 1990). Enge Freunde werden hierbei in der Regel sowohl dem interaktiven als auch dem psychologischen Netzwerk angehören. Die empirische Erfassung dieser verschiedenen handlungstheoretischen Kontexte ist dabei in der Regel mit einer Fülle methodischer Probleme verbunden.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
weist bereits die klassische Studie von Elizabeth Bott (1957) hin. Dabei bezieht sich ihre Studie auf einen sehr speziellen Aspekt: den Zusammenhang zwischen typischen Mustern der Netzwerkdichte und der Struktur der Rollensegregation bzw. der ehelichen Arbeitsteilung. Obwohl in den folgenden Jahrzehnten eine Anzahl weiterer empirischer Forschungsarbeiten erschienen ist – hierauf wird weiter unten ausführlicher eingegangen – bleiben auch heute noch viele theoretische und empirische Fragen zum Zusammenhang zwischen der sozialen Einbettung einer Paarbeziehung und ihrer Entwicklung offen. Bisher wurden vor allem Auswirkungen der Netzwerküberlappung sowie von Unterstützungsleistungen oder einer Opposition der Netzwerkpersonen auf den Verlauf von Partnerschaften thematisiert. Eine weitgehend ungeklärte Frage ist dagegen, inwieweit sich Personen bei partnerschaftsbezogenen Übergängen wie Familiengründung oder Eheschließung an signifikanten Anderen in Freundschaftsnetzwerken orientieren, es also zu ,Ansteckungseffekten‘ innerhalb der Netzwerke oder zu so genannten Heirats- oder auch Geburtenwellen kommt. Es ist zunächst davon auszugehen, dass befreundete Paare diese Übergänge allein aufgrund der Altershomogamie (Diewald et al. 2006: 19f.) häufig zeitgleich vollziehen. Über diese Annahme hinaus ist jedoch denkbar, dass befreundete Paare im sozialen Netzwerk als soziale Bezugspunkte fungieren und auf diese Weise das Verhalten von Paaren explizit beeinflussen, indem sie den Blick auf verschiedene familiale Modelle lenken. Der überwiegende Teil der zu dieser Thematik vorliegenden Studien stammt aus einem U.S.-amerikanischen Kontext. Aus diesem Grunde ist es wichtig und interessant, die entsprechenden Mechanismen und Ergebnisse auch in einem anderen kulturellen Kontext zu überprüfen: Ein weiteres Ziel besteht also in der Prüfung und Replikation der in der Literatur berichteten Effekte hinsichtlich der Netzwerkunterstützung und -opposition auf Merkmale der Partnerschaftsqualität und -stabilität. Die vorliegende Analyse unterscheidet sich dabei von anderen Untersuchungen durch die Operationalisierung der abhängigen Variablen. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass der simultane Einfluss von Netzwerkindikatoren wie z.B. der Opposition auf die Veränderung des Institutionalisierungsgrades – operationalisisert durch Haushaltsgründung, Eheschließung sowie entsprechende Zwischenschritte – und gleichzeitig die Trennung der Paarbeziehung geschätzt wird. Dadurch können deutlich differenziertere Aussagen getroffen werden. Führt eine Netzwerkopposition beispielsweise nur zu einer Verzögerung der Verfestigung einer Paarbeziehung, oder erhöht sich darüber hinaus auch die Wahrscheinlichkeit einer Trennung?
Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
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Theoretische Ansätze und Forschungsergebnisse zu Netzwerkeinflüssen auf die Entwicklung von Partnerschaften Zunächst werden im Folgenden verschiedene theoretische Ansätze zu Netzwerkeinflüssen auf die Entwicklung von Paarbeziehungen zusammengefasst. Eine verbreitete These innerhalb der bisherigen Forschung zu Netzwerkeinflüssen lautet, dass eine soziale Anerkennung und Unterstützung der Paarbeziehung durch Eltern oder Freunde ihre Entwicklung positiv beeinflusst, während von einer Netzwerkopposition negative Effekte ausgehen (Kneip 2008). Eine Netzwerkunterstützung kann durch verbale Bekundungen zum Ausdruck kommen. Dazu zählt z.B. die Bestärkung der individuellen Absicht, sich weiter mit dem Partner zu treffen oder die Äußerung, dass die Zielperson und ihr Partner ‚gut zusammen passen’ oder ‚ein schönes Paar’ abgeben. Weitere Unterstützungsformen sind materieller Natur oder äußern sich durch eine soziale Unterstützung – etwa durch Hilfeleistungen in speziellen Situationen. Diese Form der sozialen Einbettung des Paares ist als Sozialkapital der Partner bzw. als Beziehungskapital zu verstehen.40 Eine Netzwerkopposition kann im Fehlen der oben genannten Unterstützungsleistungen bestehen, oder in einer expliziten Ablehnung des Partners durch Netzwerkpersonen. Der förderliche Einfluss einer Netzwerkunterstützung lässt sich mit verschiedenen theoretischen Ansätzen begründen. Im Rahmen der Balancetheorie (Heider 1958) ist eine transitive oder balancierte Beziehungstriade gegeben, wenn drei Personen A, B und C wechselseitig miteinander befreundet sind.41 Bei einer unbalancierten Konstellation bilden beispielsweise die Personen A und B ein Paar, Person B ist mit einer Netzwerkperson C befreundet oder verwandt, Person A mag Person C jedoch nicht oder umgekehrt. Allgemein ist zu erwarten, dass balancierte soziale Beziehungen stabiler und zufriedenstellender sind, während intransitive Beziehungen verstärkt Stress und kognitive Dissonanz hervorrufen. Folglich werden Personen, die in ihrer Paarbeziehung von Eltern oder Freunden unterstützt werden, eine größere kognitive Ausgeglichenheit und Attraktion ihrem Partner gegenüber empfinden als Personen, die sich einer Opposition von Seiten der Netzwerkpersonen ausgesetzt sehen (vgl. Sprecher & Felmlee 1992). Aus der Perspektive des symbolischen Interaktionismus wird eine Paarbeziehung vor allem in ihrem Anfangsstadium dadurch bestärkt, dass signifikante Andere 40
41
Unterstützende Wirkungen hat in erster Linie das von den Partnern geteilte soziale Kapital, das z.B. im Grad der Überlappung der Netzwerke zum Ausdruck kommt. Nur individuell verfügbares soziales Kapital und getrennte Netzwerke können auch destabilisierende Folgen haben, da die hier verfügbaren Unterstützungsleistungen in Konkurrenz zur Paarbeziehung treten können, die relative Macht eines Partners erhöhen oder den Zugang zu alternativen Partnern eröffnen (Kneip 2008: 153f). Die anderen theoretisch denkbaren Möglichkeiten balancierter Triaden, die beispielsweise in der gemeinsamen Ablehnung beider Partner durch Dritte besteht, erscheinen in dem hier diskutierten Zusammenhang nicht weiter bedeutsam.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
das Paar als eine Einheit behandeln, die gute Passung des Paares herausstellen und so die Paaridentität fördern (Lewis 1973). Die feste Rahmung, ein framing, der Beziehung als dauerhaft und beständig begünstigt weitere langfristig bindende Festlegungen, die risikoreich sind und von den Akteuren unter Unsicherheit getroffen werden müssen, wie etwa die Haushaltsgründung, das Schließen einer Ehe oder speziell die Entscheidung für Kinder. Eine Netzwerkunterstützung kann somit die Unsicherheit darüber, ob der gegenwärtige Partner der ,Richtige‘ ist, unabhängig von den individuell gemachten Erfahrungen, reduzieren. Signifikante Andere und gemeinsame Freunde der Partner können darüber hinaus gegen eine individuell beabsichtigte Trennung der Partner opponieren und so als Trennungsbarriere fungieren (Johnson et al. 1999). Die Entstehung einer Netzwerkopposition erklärt Slater (1963) dadurch, dass der Aufbau einer engen Allianz zwischen den Partnern zur Folge hat, dass das soziale Umfeld vernachlässigt wird (Integrations-Rückzugs-Hypothese). Die Verstärkung der Beziehung zwischen den Partnern führt deshalb zu einer abnehmenden Bedeutung der Netzwerkbeziehungen, da die Partner ihre begrenzten Ressourcen zunehmend in ihre dyadische Beziehung investieren, die vorher auch den Netzwerkpersonen zur Verfügung standen wie etwa Zeit oder Zuneigung. Johnson und Milardo (1984) nehmen weiterhin an, dass signifikante Andere ihre Opposition gegen die Partnerschaft in der Regel aufgeben, wenn der Institutionalisierungsprozess der Partnerschaft ,unausweichlich‘ voranschreitet. Ein entsprechendes Signal hierfür liegt beispielsweise dann vor, wenn die Partner einen gemeinsamen Haushalt gründen oder heiraten. Netzwerkpersonen sollten in dieser Situation versuchen, ihren persönlichen Verlust durch eine soziale Integration des Paares, die symbolisch etwa in der Heiratszeremonie zum Ausdruck kommen kann, zu minimieren. In der familiensoziologischen Literatur wird darüber hinaus bisher wenig beachtet, dass soziale Netzwerke Paarziehungen nicht nur durch Unterstützungsleistungen oder Opposition beeinflussen können, sondern möglicherweise auch das Timing partnerschaftsbezogener Übergänge wie Haushaltsgründung, Familiengründung und Eheschließung durch ihre ,Vorbildfunktion‘ steuern. Zur Begründung dieser Hypothese kann auf die Theorie sozialer Produktionsfunktionen (Lindenberg 1996; Esser 1999) zurückgegriffen werden. Hiernach wird davon ausgegangen, dass Menschen individuelle Wohlfahrt, verstanden als Nutzen, indirekt durch die Herstellung und Aufrechterhaltung bestimmter biografischer Zustände erzeugen, zu denen auch die Haushaltsgründung, die Gründung einer Familie oder eine Heirat zählen. Durch die Wahl einer Lebensform können Akteure ihre Grundbedürfnisse befriedigen, denen nach einhelliger Meinung auch ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung zuzurechnen ist. Ob die jeweils gewählte Lebensform für den Akteur instrumentell ist, um innerhalb seines sozialen Netzwerkes anerkannt zu werden, hängt stark von den Normen ab, die im Netzwerk gelten (Otte 2004: 100ff.). Sind die Angehörigen des Freundschaftsnetzwerkes beispielsweise überwiegend kinderlos
Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
105
und unverheiratet, werden Familiengründung und Eheschließung für eine Person wenig instrumentell zur Erzielung von Anerkennung sein, da die Erfordernisse der Kinderbetreuung die gemeinsame Zeit mit Freunden etwa zur gemeinsamen aktiven außerhäuslichen Freizeitgestaltung stark einschränken. Haben dagegen enge Freunde bereits Kinder, steigen auch für ego die Anreize für eine Familiengründung, da in diesem Fall Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsame Probleme besprochen werden können. Unter Umständen können auch Transaktionskosten im Rahmen gemeinsamer familialer Aktivitäten reduziert werden. Insgesamt wird der biografische Zustand ,Familie‘ für ego als Zwischengut zur Wohlfahrtsproduktion attraktiver, wenn auch seine Freunde Eltern geworden sind. Die Hypothese, dass Personen bei partnerschaftsbezogenen Übergängen durch befreundete Personen beeinflusst werden, kann darüber hinaus mit der sozialpsychologischen Theorie des sozialen Vergleichs (Festinger 1954) begründet werden (siehe auch Bongaarts & Watkins 1996). Eine Grundlage dieser Theorie legt Festinger bereits mit seiner Anspruchsniveauforschung. Das Anspruchsniveau ist ein Standard zur Bewertung von Leistungen. Es drückt aus, wie gut jemand in einer Leistungssituation sein will und wird stark von Vergleichen mit anderen Personen beeinflusst. Experimentelle Forschungen zeigen, dass Personen zufriedener sind, wenn ihre Leistung ihr Anspruchsniveau erreicht oder übertrifft, während eine Leistung unterhalb des Anspruchsniveaus Unzufriedenheit hervorruft. Außerdem wird deutlich, dass Personen ihr Anspruchsniveau verringern, wenn sie im Vergleich mit einer für sie relevanten Bezugsgruppe überdurchschnittlich gut abschneiden; liegen sie dagegen unter dem Gruppendurchschnitt, wird das Anspruchsniveau erhöht (vgl. Haisch & Frey 1984: 75-98) Im Rahmen der Theorie des sozialen Vergleichs wird angenommen, dass das soziale Leben mit dem Bedürfnis der beteiligten Individuen verbunden ist, eigene Meinungen und Fähigkeiten zu vergleichen und zu bewerten. Die Ursache dieses Bedürfnisses liegt darin begründet, dass ungenaue Einschätzungen der eigenen Fähigkeiten und Meinungen kurz- oder langfristig negative Konsequenzen haben können; eine präzise Einschätzung hilft also dabei, adäquat auf die Umwelt zu reagieren. Wenn keine objektiven Bewertungsstandards für Meinungen oder Fähigkeiten vorliegen, treten soziale Vergleichsprozesse verstärkt auf. Diese konzentrieren sich auf signifikante Andere, die einer Person ähnlich sind, ihr nahe stehen und daher für sie attraktiv sind wie etwa enge Freunde. Eine Übereinstimmung der Meinungen und Fähigkeiten mit anderen Personen erzeugt ein Gefühl der Angemessenheit der eigenen Meinung oder Fähigkeit. Im Falle von Diskrepanzen gibt es mehrere Verhaltensweisen, deren Wahl von spezifischen Randbedingungen abhängt. Festinger postuliert erstens eine Tendenz, die eigene Position zu ändern, um sie näher an diejenige der Bezugspersonen zu bringen. Zweitens kann versucht werden, die Position der Bezugspersonen zu ändern, um sie näher an sich selbst zu bringen. Drittens besteht die Möglichkeit, den Vergleich aufzugeben und die Ver-
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
gleichspersonen auszuschließen. Der Druck zur Uniformität sollte insbesondere dann wachsen, wenn eine Gruppe für die Gruppenmitglieder sehr attraktiv ist, wenn eine Person oder Gruppe einer bestimmten Meinung oder Fähigkeit hohe Relevanz zumisst und wenn eine Meinung oder Fähigkeit einen engen Bezug zu tatsächlichem Verhalten hat. Übertragen auf den familialen Bereich können die relativen Präferenzen der Akteure in den konkurrierenden Lebensbereichen Arbeit, Familie und Freizeit, die eng mit der Wahl der Lebensform und dem Timing der Familiengründung korrespondieren (Lois 2008), als Anspruchsniveaus verstanden werden. Da diese lebensbereichsspezifischen Prioritäten sich an relevanten Bezugsgruppen orientieren, kann unter anderem erwartet werden, dass die Familienorientierung einer Zielperson steigt, wenn ihre Freunde den Übergang zur Elternschaft vollzogen haben und ihren Lebensstil dementsprechend verändern. Sind befreundete Personen dagegen stark freizeit- oder berufsorientiert, wird auch die Zielperson ein höheres Anspruchsniveau in diesen Lebensbereichen aufweisen, wodurch sich die Übergänge zur Familiengründung und Eheschließung auch bei ihr verzögern können. Darüber hinaus lässt sich vermuten, dass in Freundschaftsnetzwerken der Konformitätsdruck bei partnerschaftsbezogenen Übergängen dadurch erhöht wird, dass es sich z.B. bei der Geburt eines Kindes um direkt verhaltensbezogene Aspekte, etwa im Hinblick auf die Freizeitgestaltung, handelt. Die Theorie des sozialen Vergleichs weist jedoch auch auf eine alternative Reaktion auf Diskrepanzen innerhalb von sozialen Gruppen hin. Neben der Möglichkeit, dass sich Personen an ihre Vergleichspersonen anpassen besteht unter anderem die Möglichkeit, dass sie den Vergleich aufgeben. Es ist folglich ebenso denkbar, dass sich in erster Linie die Zusammensetzung der Freundschaftsnetzwerke ändert, wenn sich etwa im Zuge der Familiengründung Zeitverwendungsmuster und Kontaktmöglichkeiten verändern. Eine gesondert zu klärende Frage besteht ferner darin, inwiefern Trennungen im Freundschaftsnetzwerk die Stabilität einer Paarbeziehung tangieren. Booth et al. (1991) halten auch hier für maßgeblich, welche Normen und Standards innerhalb sozialer Netzwerke vorherrschen. Sie prägen den Begriff der normativen sozialen Integration, verstanden als Ausmaß, mit dem sich Personen mit den etablierten Netzwerkstandards konform verhalten. Kommen also beispielsweise Scheidungen vermehrt im Freundschaftsnetzwerk vor, gilt diese ,Problemlösungsstrategie‘ als gültiger Standard und kann gegebenenfalls auch von ego in Erwägung gezogen werden. Andererseits ist denkbar, dass Personen angesichts des Scheiterns von Paarbeziehungen im Freundschaftsnetzwerk schlagartig erkennen, dass es für partnerschaftliches Glück keine Garantien gibt und sich aufgrund dessen in ihren eigenen Partnerschaften verstärkt bemühen, einem ähnlichen ,Schicksal‘ zu entgehen.
Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
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Ein kurzer Überblick zu bisherigen Studien zu Netzwerkeinflüssen auf Paarbeziehungen Im Folgenden werden einschlägige Forschungsbefunde zum Themenfeld des vorliegenden Beitrages kurz vorgestellt. In Bezug auf den Bereich Netzwerküberlappung kann Milardo (1982) zeigen, dass sich der Anteil gemeinsamer Freunde des Paares im Zuge einer weiteren Institutionalisierung der Paarbeziehung erhöht und bei einer negativen Partnerschaftsentwicklung auch wieder rückläufig sein kann. In verschiedenen Studien konnte zudem bestätigt werden, dass die Partnerschaftsstabilität positiv mit dem Grad der Überlappung der Netzwerke, z.B. mit der Anzahl gemeinsamer Freunde der Partner, korreliert, während nur individuell verfügbares soziales Kapital die Trennungswahrscheinlichkeit eher erhöht (vgl. Parks et al. 1983; Booth et al. 1991; Kneip 2008). Darüber hinaus zeigt sich, dass positive Reaktionen der Eltern oder Freunde auf die Partnerschaft, ein ,Labeling‘ des Paares als Einheit und andere Unterstützungsleistungen sich positiv auf die Partnerschaftqualität (subjektives Commitment, Zufriedenheit), die Verfestigung der Partnerschaft und die Partnerschaftsstabilität auswirken (Lewis 1973; Parks et al. 1983; Felmlee et al. 1990; Sprecher & Felmlee 1992). Dies gilt nicht nur für die Initiationsphase der Partnerschaft, sondern auch für die langfristige Ehequalität und -stabilität (Bryant & Conger 1999; Hartmann 2003). Einige Studien beschäftigen sich mit dem sog. Romeo und Julia-Effekt (Driscoll et al. 1972), wonach eine Netzwerkopposition die affektive Zuneigung der Partner eher weiter verstärkt als abschwächt. Die vorliegende Evidenz spricht gegen einen solchen Zusammenhang, da an mehreren Stellen nachgewiesen wurde, dass sich eine Netzwerkopposition negativ auf das Commitment der Partner auswirkt (Parks et al. 1983; Johnson & Milardo 1984; Surra 1987). Johnson und Milardo (1984) sowie Lois et al. (2009) kommen zudem mit Querschnittdaten zu dem Ergebnis, dass das Ausmaß der Netzwerkopposition mit steigendem Institutionalisierungsgrad der Partnerschaft abzunehmen scheint. Booth et al. (1991) finden Hinweise darauf, dass eine normative Integration Partnerschaften stabilisiert. In der hier untersuchten Stichprobe wurden nur 9 Prozent derjenigen Personen, die keine Scheidung in ihrem sozialen Netzwerk erleben, in einem Zeitraum von acht Jahren selbst geschieden. Dagegen endet die Ehe bei 16 Prozent derjenigen Personen durch eine Trennung, die sowohl die Scheidung eines Freundes als auch eines Geschwisterteils miterlebt haben. Dieser Befund könnte jedoch auch, wie die Autoren zu bedenken geben, durch Drittvariablen wie beispielsweise eine gemeinsame Betroffenheit von Lebenslagen, die sich negativ auf die Stabilität auswirken, erklärbar sein. Es liegen ferner einige Forschungsergebnisse vor, wonach der Übergang zur Elternschaft durch Unterstützungsleistungen seitens des Netzwerks gefördert wird.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Hank et al. (2004) zeigen, dass sich in Westdeutschland die Verfügbarkeit informeller Betreuung durch Großmütter positiv auf die Übergangsrate zum ersten Kind auswirkt; auch nach Hartmann (2003) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Familiengründung, wenn die Frau auf Unterstützung im Netzwerk zurückgreifen kann. Zu der Frage, inwieweit es bei Lebensformübergängen wie Haushaltsgründung und Heirat oder im Rahmen des Fertilitätsverhaltens zu Ansteckungseffekten kommen kann, liegen bisher wohl nur Studien auf der Makroebene vor. Kohler (2000) analysiert die langfristige Fluktuation von nationalen Nettoreproduktionsraten in 13 Ländern zwischen 1930 und 1995. Kohler vermutet eine Beziehung zwischen der individuell gewünschten Kinderzahl und der mittleren Kinderzahl in der Gesamtgesellschaft, die – aufgrund von unterstellten Vergleichsprozessen und Nachahmungsverhalten – zu einem Gleichgewichtszustand tendieren. Im Rahmen der Zeitreihenanalyse werden zwei latente Gleichgewichtszustände, ein „highfertility-regime“ und ein „low-fertility-regime“ unterschieden. Diese Zustände sind zeitlich relativ stabil; Wechsel vollziehen sich jedoch in einem relativ hohen Tempo. Der Übergang von einem „low-fertility-regime“ in ein „high-fertility-regime“ benötigt dabei mehr Zeit als der umgekehrte Fall. Die Analyse von Ansteckungseffekten auf der Individualebene wird zumindest für Deutschland dadurch erschwert, dass in den verfügbaren Längsschnittdatensätzen, die Netzwerkindikatoren enthalten, hier sind vor allem das Familiensurvey und das Sozioökonomisches Panel zu nennen, leider keine Informationen zum Familienstand der Netzwerkpersonen oder zu entsprechenden Ereignissen im Netzwerk wie etwa Heirat oder Familiengründung, enthalten sind.
Methodische Zwischenbemerkungen: Operationalisierung der abhängigen und unabhängigen Variablen Im Rahmen der TIP-Befragung wurden mit der Haushaltsgründung, der Heirat, der Familiengründung und der eventuellen Trennung eines Paares in der zweiten Welle insgesamt vier Ereignisse im Freundschaftsnetzwerk erhoben, die sich zwischen den beiden Messzeitpunkten im Winter 2007 bzw. im Winter 2008 ereignet haben (können). Somit ergibt sich die Möglichkeit eines quasi-experimentellen Designs, in dem Personen, die das ‚treatment’, ein Ereignis im Netzwerk, erlebt haben mit solchen verglichen werden, in deren Netzwerk die entsprechenden Veränderungen nicht eingetreten sind. Technische Details zu den verwendeten Analysemethoden finden sich im Anhang A. Es werden verschiedene abhängige Variable ausgewertet, die eine Institutionalisierung der Partnerschaft in kleinen und großen Schritten anzeigen. Dabei handelt es sich erstens um den Übergang in die Ehe zu t2 von im Winter 2007 ledigen Personen, der mit Hilfe einer Ereignisdatenanalyse analysiert wird. Als zweite abhängige Variable wird ein Anstieg der Institutionalisierungsskala (siehe
Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
109
Kapitel 4) zu t2 im Vergleich zu t1 um mindestens einen Punkt oder eine Trennung zwischen t1 und t2 ausgewertet. Beim verwendeten Analyseverfahren handelt es sich um eine Ereignisdatenanalyse für konkurrierende Risiken. Über objektive Ereignisse hinaus bieten die TIP-Daten die Möglichkeit, die Veränderung subjektiver Pläne und Absichten zu analysieren. Hierbei ergibt sich die Möglichkeit, eine fixed-effectsMethodologie einzusetzen, die in verstärktem Maße Aussagen zu kausalen Zusammenhängen erlaubt. Ausgewertet wird hier erstens die Veränderung der subjektiven Haushaltsgründungswahrscheinlichkeit in den nächsten zwei Jahren (Skala von 0100%) zwischen t1 und t2. Zweitens ist die Veränderung der Absicht zwischen t1 und t2, in den nächsten zwei Jahren ein (weiteres) Kind zu bekommen, Gegenstand der Analyse. Hier handelt es sich um eine vierfach abgestufte Skala zu t1 (von 1 = keine Pläne bis 4 = schon konkrete Pläne) und eine Skala von 0-100 Prozent zu t2. Die Skalen werden vergleichbar gemacht, indem die Skala zu t2 durch 33,3 geteilt und ein Skalenpunkt addiert wird. Folgende, eventuell nicht selbst-erklärende weitere Variablen werden verwendet (vgl. auch Anhang A): x Eine Dummy-Variable zur Familiengründung, welche die Ausprägung 1 annimmt, wenn die Zielperson in ihrer Partnerschaft entweder schon zu t1 oder zwischen t1 und t2 eine Familie gegründet hat bzw. eine Schwangerschaft eingetreten ist. x Jeweils ein Item zur Netzwerkopposition („Gegen eine Heirat spricht, dass Eltern oder Freunde dagegen sind“) und zur Netzwerkunterstützung („Für eine Heirat spricht, dass Eltern oder Freunde dafür sind“), beide mit einem jeweils 5fach abgestuften Antwortformat. x Vier Dummy-Variablen zur Erfassung von Ereignissen im Netzwerk der Zielperson oder des Partners, die jeweils den Wert 1 annehmen, wenn mindestens ein befreundetes Paar den entsprechenden Übergang (Zusammenzug, Familiengründung, Heirat, Trennung) vollzogen hat. Hierbei wurde nicht explizit erfragt, mit wem das Netzwerkpaar befreundet ist (mit beiden Partnern oder nur mit einem). x Die Partnerschaftszufriedenheit wurde mit Hilfe einer einzigen, summierend bewertenden Frage auf einer Skala von 0-100 Prozent erfasst. x Weitere Skalen zur Zukunftsorientierung oder zur Paaridentität, die beide auf mehreren Items beruhen, werden im Anhang A genauer vorgestellt.
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Empirische Ergebnisse: Lassen sich Hinweise zu Netzwerkeinflüssen auf Institutionalisierungs- und Auflösungsprozesse in vorehelichen Partnerschaften finden? Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit verschiedenen Analysen im Quer- und Längsschnitt zu Netzwerkeinflüssen. In einem ersten Schritt wird nun überprüft, inwieweit Personen in Freundschaftsnetzwerken partnerschaftsbezogene Übergänge gemeinsam vollziehen. Dazu werden bivariate logistische Regressionen berechnet, in denen die verschiedenen Übergänge der Zielperson zwischen t1 und t2, z.B. in den gemeinsamen Haushalt, eine Ehe oder eine Familiengründung, die abhängigen Variablen darstellen. Als unabhängige Variable wird in die Regressionsmodelle jeweils eine Dummy-Variable aufgenommen, die misst, ob mindestens ein mit der Zielperson befreundetes Paar den gleichen Übergang zwischen den Messzeitpunkten vollzogen hat. Der erste in Tabelle 7.1 oben links ausgewiesene Koeffizient (eb = 1,13) bedeutet, dass sich die bedingte Chance einer Haushaltsgründung der Zielperson zwischen dem ersten und zweiten Befragungszeitpunkt um 13 Prozent erhöht, wenn ein befreundetes Paar zwischen der ersten und zweiten Welle ebenfalls zusammengezogen ist. Ein exponierter b-Koeffizient (Odds-Ratio) von 1,0 zeigt also an, dass zwischen den Übergängen der Zielpersonen und ihrer Freunde kein Zusammenhang besteht. Koeffizienten kleiner als 1 deuten entsprechend darauf hin, dass die Zielperson das im Netzwerk eingetretene Ereignis selbst mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit erlebt hat. Es wird deutlich, dass insbesondere die Familiengründung befreundeter Paare überzufällig häufig mit einer eigenen Elternschaft der Zielpersonen bzw. einer Verfestigung ihrer Paarbeziehungen zusammentrifft. Hat mindestens ein Paar im Netzwerk den Übergang zur Elternschaft vollzogen, erhöht sich die bedingte Chance einer Heirat der Zielperson auf das 3,7-fache, die Chance einer eigenen Familiengründung auf das 2,2-fache und die Chance eines Anstiegs der Institutionalisierungsskala knapp um das 0,9-fache. Ähnlich starke Zusammenhänge sind für den Fall einer Heirat oder einer Haushaltsgründung von befreundeten Paaren nicht zu beobachten. Dies deutet darauf hin, dass der Übergang zur Elternschaft besonders nachhaltige Veränderungen der innerhalb eines Netzwerks vorherrschenden Normen und der entsprechenden Rahmungen bewirkt und damit auch die Familiengründungsabsichten der Zielpersonen verstärkt. Die Tatsache, dass eine Elternschaft der Freunde auch positiv mit einer Heirat bzw. der weiteren Institutionalisierung der Partnerschaften der Zielpersonen zusammenhängt, ist insofern plausibel, da diese Verfestigungen als vorbereitende Schritte einer Familiengründung interpretiert werden können.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Tabelle 7.1:
Zusammenhänge zwischen partnerschaftsbezogenen Übergängen der Zielperson und ihrer Freunde zwischen den beiden Erhebungswellen (exponierte b-Koeffizienten) Zusammenzug
Übergänge der Zielperson Zusammenzug Heirat Familiengründung Anstieg auf I-Skala1 Trennung
Ereignisse im Netzwerk Heirat Familiengründung
1,13 1,00 ,69 ,69 ,53*
2,09+ 1,28 1,21 ,79 ,33**
1,30 3,70** 2,24* 1,87* ,46*
Trennung
1,13 ,59 ,76 ,68 ,49*
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008) Anmerkungen: + p < .10; * p .05; ** p .01; Ergebnisse bivariater logistischer Regressionen; abhängige Variablen sind die 0/1-codierten Übergänge der Zielperson; unabhängige Variablen sind die 0/1-codierten Übergänge im Netzwerk; 1 bei Kontrolle des Ausgangsniveaus der Institutionalisierung zu t 1
Es steht allerdings aus mehreren Gründen in Frage, ob die Ereignisse im Freundschaftswerk das Verhalten der Zielperson kausal beeinflussen. Ein erstes Gegenargument hierzu lautet, dass die Zielpersonen und ihre Freunde häufig ein ähnliches Alter haben und sich daher auch in vergleichbaren Lebenssituationen befinden, also beispielsweise noch in Ausbildung sind oder bei den Eltern wohnen. Die überzufällige Übereinstimmung der vollzogenen Übergänge wäre damit allein ein Resultat einer ähnlich gelagerten biografischen Situation, ohne dass von einem kausalen Effekt der Ereignisse im Netzwerk auf die Ereignisse der Zielperson ausgegangen werden müsste. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die in Tabelle 7.1 ausgewiesenen Ergebnisse erklärbar, wonach eine Trennung der Zielperson sich signifikant seltener ereignet, wenn befreundete Paare geheiratet haben, zusammengezogen sind oder eine Familie gegründet haben. Bei gegebener Altershomogamie ist davon auszugehen, dass Personen, deren Freunde die genannten Übergänge vollziehen, selbst älter sowie in ihren Partnerschaften stärker institutionalisiert sind und daher eine geringere Trennungswahrscheinlichkeit aufweisen.42 Nicht erklärbar ist hier42
Vertiefende Analysen bestätigen diese Vermutung. Das Durchschnittsalter liegt bei Personen, in deren Freundschaftsnetzwerk sich eine Trennung ereignet hat, signifikant niedriger als in der Referenzgruppe. In Bezug auf die anderen betrachteten Übergänge zeigt sich, dass Personen, deren Freunde heiraten oder eine Familie gründen, selbst im Durchschnitt signifikant älter sind sowie eine höhere Partnerschaftsdauer und einen höheren Institutionalisierungsgrad aufweisen als Personen, in
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
durch jedoch das etwas überraschende Ergebnis, wonach die Chance einer Trennung der Zielperson signifikant sinkt, wenn sich auch im Freundschaftsnetzwerk eine Trennung ereignet hat (eb = ,49). Argumentiert man auch hier über die Altershomogamie, müsste die Effektrichtung genau umgekehrt ausfallen. Darüber hinaus ist insofern eine über die Wahl von Netzwerken gesteuerte Selektion denkbar, da sich Zielpersonen, die zur Heirat und Familiengründung tendieren, möglicherweise Freunde suchen, die ebenfalls eine Elternschaft und Heirat anstreben. Auch in diesem Fall bestünde kein Kausaleffekt der Elternschaft oder Heirat einer Netzwerkperson auf die Übergänge der Zielperson.43 In einem weiteren Analyseschritt wird nun überprüft, inwiefern eine von den Eltern oder Freunden ausgehende Unterstützung bzw. Ablehnung der Paarbeziehung der Zielperson, also aktive Netzwerkeinflüsse, Merkmale der Partnerschaftsqualität wie Zufriedenheit, Paaridentität oder Zukunftsorientierung sowie den Institutionalisierungsgrad tangieren. Die Ergebnisse der Auswertungen, die auf den Querschnittdaten der ersten Welle basieren, sind in Tabelle 7.2 dargestellt. Es können hier Ergebnisse repliziert werden, die – trotz einer etwas anderen Operationalisierung – auch von Sprecher und Felmlee (1992: 894) für eine nordamerikanische Studentenstichprobe berichtet werden. Je stärker Eltern oder Freunde die Paarbeziehung unterstützen – und das heißt im konkreten Fall: Für eine Heirat der Partner sind – desto stärker ist die Paarbeziehung bereits institutionalisiert (Modell 1), desto eher definieren sich die Partner selbst als Einheit (Modell 2), desto stärker rechnen sie mit einer langfristigen gemeinsamen Zukunft mit dem Partner (Modell 3) und desto zufriedener sind sie insgesamt mit ihrer Beziehung (Modell 4). Alle Effekte der Netzwerkunterstützung sind von moderater Stärke, jedoch jeweils hochsignifikant. Die Einflüsse der Netzwerkopposition, also einer Ablehnung der Heirat durch Eltern oder Freunde, zeigen jeweils in die andere Richtung und sind – mit Ausnahme des negativen Effektes auf den Institutionalisierungsgrad – ebenfalls durchgängig hochsignifikant. Unabhängig vom Ausmaß der Netzwerkunterstützung weisen also Paare eine umso geringere Paaridentität, Zukunftsorientierung und Zufriedenheit auf, desto stärker Netzwerkpersonen explizit gegen eine Heirat opponieren. Sprecher und Felmlee (1992) können in diesem Zusammenhang zusätzlich nachweisen, dass die von den Partnern empfundene Liebe, die Partnerschaftszufriedenheit und das Commitment zu t2 umso mehr steigen, je stärker das Paar zu t1 durch
43
deren Netzwerk sich kein entsprechender Übergang ereignet. Diese Befunde sprechen indirekt für eine Homogamie der Freundschaftsnetzwerke. Schließlich wäre zu überprüfen, ob alle Übergänge im Freundschaftsnetzwerk zeitlich vor den Übergängen der Zielperson liegen. Da eine Eheschließung eines befreundeten Paares (z.B. durch die Vorbereitung der Feierlichkeiten), die Familiengründung (durch die Schwangerschaft) und auch eine Trennung (z.B. durch ein vorbereitendes Gespräch mit der besten Freundin) jedoch schon vor dem eigentlichen Ereigniseintritt die Zielperson beeinflussen kann, wurden die Fälle, in denen der Ereigniseintritt beim befreundeten Paar zeitlich nach dem Ereignis der Zielperson datiert ist, in der Analyse belassen.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Netzwerkpersonen unterstützt wird; dies spricht für die Existenz des ursprünglich vermuteten Kausaleffektes.
Tabelle 7.2:
Lineare Regression der Netzwerkunterstützung und Netzwerkopposition auf Indikatoren der Partnerschaftsqualität (BetaKoeffizienten, t-Werte in Klammern) Institutionalisierungsskala
Netzwerkopposition Netzwerkunterstützung Partnerschaftsdauer ln Partnerschaftsdauer Alter der Zielperson r² (korrigiert)
1 -,06+ (-1,7) ,14** (3,9) -,37** (-5,4) ,75** (11,2) ,17** (4,2) ,31
Paaridentität
Zukunftsorientierung Modell 2 3 -,22** -,16** (-5,2) (-3,8) ,12** ,11* (2,7) (2,5) ,00 ,03 (0,1) (0,6) ,10* (2,2) ,05
,09* (2,0) ,04
Zufriedenheit
4 -,20** (-4,6) ,16** (3,7) -,00 (-0,1) ,03 (0,6) ,04
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007) Anmerkungen: + p < .10; * p .05; ** p .01; n = 590.
Auch im Rahmen der vorliegenden Analyse wird eine solche Längsschnittanalyse durchgeführt (Tabelle 7.3). Die hier dargestellten Ergebnisse basieren auf zwei Ereignisdatenanalysen. Modell 1 bezieht sich auf den Übergang in die erste Ehe zwischen den beiden Messzeitpunkten.44 Die Modelle 2 und 3 beziehen sich auf die beiden konkurrierenden Risiken (a) Anstieg der Institutionalisierungsskala und (b) Trennung der Paarbeziehung. Ausgewiesen werden exponierte b-Koeffizienten (Odds-Ratio), die in Modell 1 zeigen, wie sich die Übergangsrate in die Ehe verän44
Die Baselinehazardrate dieser Cox-Regression basiert auf der Zeit bis zur Heirat oder Rechtszensierung in Monaten. Die Partnerschaftsdauer und das Alter fließen als Kovariaten ein. Auf diese Weise wird der Linksstutzung der Panelstichprobe Rechnung getragen; gleichzeitig werden alle monatsgenauen Informationen genutzt. Die Modellschätzung steht unter der Bedingung, dass sich die Partner nicht trennen.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
dert, wenn sich die jeweilige Kovariate um eine Einheit erhöht. In den Modellen 2 und 3 wird dagegen die Veränderung der bedingten Chance des Ereigniseintritts ausgewiesen. Es zeigt sich, dass die zu t1 gemessene Netzwerkopposition die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verfestigung der Paarbeziehung bis zum Zeitpunkt t2 signifikant hemmt (Modell 2, eb = ,66), womit an dieser Stelle der berichtete Querschnittbefund durch die Längsschnittanalyse bestätigt werden kann. Auch die Übergangsrate in die Ehe reduziert sich mit steigender Netzwerkopposition tendenziell (Modell 1).45 Die Auswirkungen der Netzwerkopposition reichen nach Maßgabe der Analysen jedoch nicht soweit, dass die Paarbeziehung destabilisiert wird, da sich kein Zusammenhang zwischen Opposition und Trennungschance zeigt (Modell 3). Eine Netzwerkunterstützung hat bei Kontrolle der weiteren Modellvariablen keinen Effekt auf die analysierten Institutionalisierungs- und Auflösungsprozesse. Darüber hinaus bestätigt sich, dass sich die Übergangsrate in die Ehe und die Chance eines Anstiegs der Institutionalisierungsskala jeweils deutlich (auf das 2,8fache bzw. 2,3fache) erhöhen, wenn ein befreundetes Paar zwischen den beiden Messzeitpunkten den Übergang in die Elternschaft vollzogen hat (Modelle 1 und 2). Außerdem wird erneut deutlich, dass die Chance einer Trennung der Zielperson überzufällig sinkt, wenn sich ein befreundetes Paar getrennt hat (Modell 3, eb=,46).46 Ob die berichteten Effekte kausal sind, lässt sich allerdings auch mit Hilfe der multivariaten Ergebnisse nicht mit Sicherheit beantworten. Da alle erfassten Übergänge im Freundschaftsnetzwerk simultan in das Modell eingehen, kann immerhin ausgeschlossen werden, dass nicht die Familiengründung der Freunde selbst, sondern parallel stattfindende Prozesse wie Haushaltsgründung oder Heirat die Zielperson in ihrem Verhalten beeinflussen. Noch wichtiger erscheint, dass die Netzwerkeinflüsse auch dann stabil bleiben, wenn das Alter, die Partnerschaftsdauer, der Institutionalisierungsgrad und die eigene Familiengründung der Zielperson kontrolliert werden. Unter der Bedingung von Homogamie im Netzwerk weist dies darauf hin, dass die partnerschaftsbezogenen Übergänge der Zielperson und ihrer Freunde nicht nur aufgrund eines ähnlichen biografischen Entwicklungsstadiums überzufällig häufig gemeinsam auftreten.47 45 46
47
Wird der Institutionalisierungsgrad zu t1 nicht kontrolliert, ist der negative Effekt der Netzwerkopposition auf die Übergangsrate in die erste Ehe auf dem 5%-Niveau signifikant (nicht dargestellt). Netzwerkeinflüsse auf den Übergang der Zielperson in die Kohabitation zeigen sich nicht (Modelle nicht dargestellt). Bei der Analyse zum Übergang in die Elternschaft zeigt sich ein schwacher (auf dem 13%-Niveau signifikanter) positiver Zusammenhang zwischen der Familiengründung der Zielperson und einer Elternschaft im Netzwerk (Modellspezifikation wie in Tabelle 3). Die Analyse basiert jedoch nur auf knapp 20 eingetretenen Ereignissen. Die zum Teil ausbleibenden Effekte der Merkmale Alter und Partnerschaftsdauer sind auf eine Konfundierung mit dem Institutionalisierungsgrad zurückzuführen. Wird dieser nicht kontrolliert, ist der positive Effekt des Alters auf die Übergangsrate in die Ehe auf dem 5%-Niveau signifikant.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Tabelle 7.3:
Netzwerkeinflüsse auf Institutionalisierungs- und Auflösungsprozesse in Partnerschaften (exponierte bKoeffizienten, Wald-Statistik in Klammern) Trennung 2
1
Anstieg auf I-Skala 2 Modell 2
1,25 (0,2) 2,78* (6,0) ,67 (0,9) ,61 (1,3)
,65 (1,4) 2,29* (5,5) ,63 (1,5) ,78 (0,6)
,56 (2,1) 1,22 (0,2) ,44+ (3,0) ,46* (4,7)
,59+ (2,7) ,95 (0,1)
,66* (4,1) 1,05 (0,1)
,81 (1,4) 1,21 (2,0)
1,08+ (2,9) 1,00 (0,4) 5,60* (5,8) 3,57** (8,5) 28 262
1,03 (0,5) 1,00 (0,7) ,35** (19,2) 2,70** (6,7) 65
1,01 (0,1) ,99 (0,7) ,37** (18,8) ,31* (4,7) 65
Heirat 1
Netzwerkereignisse Paar zieht zusammen Paar gründet eine Familie Paar heiratet Paar trennt sich Opposition und Unterstützung Netzwerkopposition Netzwerkunterstützung Kontrollvariablen Alter Zielperson (t1) Partnerschaftsdauer (t1) Institutionalisierungsgrad (t1) ZP hat Familie gegründet Ereignisse n
3
302
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008) Anmerkungen: + p< .10; * p .05; ** p .01; 1 Cox-Regression auf den Übergang in die Ehe zwischen t und t ; 1 2 2 Multinomiale logistische Regression: Anstieg der Institutionalisierungsskala zu t (Modell 2 2) oder Trennung der Partner zu t2 (Modell 3); Referenzkategorie: im Vergleich zu t1 unveränderter Status.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Weiterhin ist interessant, ob sich die partnerschaftsbezogenen Pläne und Absichten der Zielperson als Reaktion auf Ereignisse im Netzwerk verändern. In der TIPErhebung wurde hier in der ersten und zweiten Befragungswelle nach der subjektiven Wahrscheinlichkeit gefragt, in den nächsten zwei Jahren zusammenzuziehen, zu heiraten und ein (weiteres) Kind zu bekommen. Da es sich bei den subjektiven Absichten um metrische Variable handelt und zwei Messzeitpunkte zur Verfügung stehen, kann beurteilt werden, wie sich dieselben Personen über die Zeit verändern, wenn sich innerhalb ihrer Netzwerke Veränderungen ergeben. Dieses Design, das auf der Varianz innerhalb von Personen basiert, ist den durchgeführten Ereignisdatenanalysen im Hinblick auf die Identifizierung von Kausaleffekten überlegen, da die Ergebnisse durch alle beobachteten und unbeobachteten zeitkonstanten Unterschiede zwischen Personen nicht beeinflusst werden (Allison 1994, siehe auch Anhang A). Dies bedeutet, dass die Alternativerklärung einer Selbstselektion hier im Gegensatz zu den Ereignisdatenanalysen weitgehend auszuschließen ist. Die durchgeführten Analysen führen zu drei signifikanten Effekten, die im Folgenden – aus Gründen der besseren Anschaulichkeit – grafisch anhand von Mittelwertprofildiagrammen dargestellt werden. In Abbildung 7.1 wird die Veränderung der subjektiv eingeschätzten Wahrscheinlichkeit, in den nächsten zwei Jahren mit dem Partner zusammenzuziehen für Personen dargestellt, in deren Freundschaftsnetzwerken sich entweder eine Familiengründung ereignet hat oder nicht. Zunächst fällt auf, dass diese Wahrscheinlichkeit in beiden Gruppen ansteigt, was wohl unter anderem dem steigenden Alter zugerechnet werden kann. Vor allem wird aber deutlich, dass der Anstieg der Haushaltsgründungsabsicht bei Personen, deren Freunde eine Familie gründen, deutlich stärker ausgeprägt ist als in der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied in der Veränderung der beiden Gruppen ist, nach Maßgabe einer zweifaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung (nicht tabellarisch dargestellt), auf dem 5%-Niveau signifikant (F = 3,7 bei df=1 für den Interaktionseffekt zwischen Messwiederholungsfaktor und der Familiengründung eines befreundeten Paares).
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Abbildung 7.1:
Veränderung der subjektiven Haushaltsgründungswahrscheinlichkeit der Zielperson in Abhängigkeit von der Familiengründung eines befreundeten Paares Befreundetes Paar gründet Familie ja nein
Haushaltsgründungsabsicht (%)
80
75
70
65
60
55 1
2 Befragungswelle
Ein ähnlicher Effekt kann, wie Abbildung 7.2 verdeutlicht, auch für die Heirat eines befreundeten Paares beobachtet werden. Die Haushaltsgründungsabsicht von Zielpersonen, die dieses Ereignis erleben, steigt hier ebenfalls stärker an als in der Referenzgruppe. Die entsprechende Differenz ist auf dem 10%-Niveau signifikant (F = 2,8 bei df=1 für den Interaktionseffekt zwischen Messwiederholungsfaktor und der Heirat eines befreundeten Paares).
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Abbildung 7.2:
Veränderung der subjektiven Haushaltsgründungswahrscheinlichkeit der Zielperson in Abhängigkeit von der Heirat eines befreundeten Paares Ein befreundetes Paar hat geheiratet ja nein
Haushaltsgründungsabsicht (%)
80
75
70
65
60 1
2 Befragungswelle
In Abbildung 7.3 sind die Ergebnisse zur Veränderung der Absicht, in den nächsten zwei Jahren ein (weiteres) Kind zu bekommen, dargestellt. Es zeigt sich, dass der Kinderwunsch bei Personen, die in ihrem Freundschaftsnetzwerk einen Übergang zur Elternschaft erlebt haben, zum zweiten Messzeitpunkt angestiegen ist, während in der Kontrollgruppe ein leichter Rückgang zu beobachten ist. Der Unterschied in der Entwicklung der beiden Gruppen über die Zeit ist auf dem 10%-Niveau statistisch signifikant (F = 3,2 bei df=1 für den Interaktionseffekt zwischen Messwiederholungsfaktor und der Familiengründung eines befreundeten Paares). Ähnliche Effekte können für die Veränderung der subjektiven Heiratswahrscheinlichkeit – bei hier nicht näher dargestellten Analysen – nicht nachgewiesen werden.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Abbildung 7.3:
Veränderung des Kinderwunsches der Zielperson in Abhängigkeit der Familiengründung eines befreundeten Paares Befreundetes Paar gründet Familie ja nein
Kinderwunsch (Mittelwert)
2,40
2,30
2,20
2,10
2,00 1
2 Befragungswelle
An dieser Stelle könnte eingewandt werden, dass ein ausgeprägter Kinderwunsch oder eine hohe subjektive Haushaltsgründungswahrscheinlichkeit nicht bedeuten müssen, dass der Übergang zum ersten Kind bzw. in die Kohabitation auch tatsächlich vollzogen wird. Ergänzende Analysen führen hier zu dem Ergebnis, dass die entsprechenden subjektiven Wahrscheinlichkeiten (zu t1) positive, starke und signifikante Effekte auf die Übergangsrate in die Kohabitation bzw. zum ersten Kind (zwischen t1 und t2) haben. Erhöht sich etwa der über eine vierfach abgestufte Skala erfasste Kinderwunsch in Welle 1 um eine Einheit, steigt die bedingte Chance, dass zwischen Welle 1 und Welle 2 ein (weiteres) Kind geboren wird, um das 5,5-fache. Die bedingte Chance einer Haushaltsgründung steigt, pro Prozentpunkt, den die subjektive Haushaltsgründungsabsicht zu t1 höher liegt, um 3 Prozent. Das PseudoR² (nach Nagelkerke) nimmt für das dargestellte Regressionsmodell zur Haushaltsgründung den Wert ,19 an und bezogen auf den Übergang zur Elternschaft den Wert ,18. Diese Befunde sprechen insgesamt für die prädiktive Validität der ausgewerteten subjektiven Absichten.
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
Welche Einflüsse des sozialen Netzwerkes lassen sich feststellen? Eine Zusammenfassung und Diskussion zentraler Befunde In den hier vorgestellten Analysen wurde untersucht, inwieweit Angehörige des sozialen Netzwerkes wie Eltern oder Freunde Institutionalisierungs- und Auflösungsprozesse in vorehelichen Partnerschaften beeinflussen. Zunächst konnten bereits bekannte Befunde repliziert werden, wonach eine Netzwerkunterstützung sich insofern positiv auf die Partnerschaftsqualität auszuwirken scheint, da sie im Querschnitt positiv mit dem Glauben der Partner an eine langfristige gemeinsame Zukunft, dem Gefühl als Paar eine Einheit zu bilden, der allgemeinen Zufriedenheit mit der Paarbeziehung und auch dem Verfestigungsgrad der Partnerschaft zusammenhängt. Eine Netzwerkopposition korreliert dagegen, auch bei Kontrolle der Unterstützung, negativ mit den genannten Merkmalen. Um Alternativerklärungen über die umgekehrte Kausalrichtung auszuschließen, wurden zusätzlich Längsschnittanalysen durchgeführt. Hier konnte bestätigt werden, dass sich mit dem Ausmaß der Netzwerkopposition die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass die Paarbeziehung durch eine Haushaltsgründung, Eheschließung und entsprechende Zwischenschritte dieser Übergänge weiter institutionalisiert wird. Zusammenhänge mit der Trennungswahrscheinlichkeit zeigen sich dagegen, für die Opposition wie für die Unterstützung, nicht. Es ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass danach gefragt wurde, ob Eltern oder Freunde für oder gegen eine Heirat der Zielperson sind. Diese Form der Operationalisierung lässt offen, ob Netzwerkpersonen entweder nur die Wahl dieser speziellen Lebensform ablehnen – etwa weil sie eine Eheschließung für verfrüht halten – oder grundsätzlich gegen den Partner sind. Das Hauptaugenmerk der Untersuchung lag darüber hinaus auf der Frage, ob partnerschaftsbezogene Übergänge der Zielperson und ihrer Freunde sich nicht nur – bedingt durch Altershomogamie – häufig zeitgleich ereignen, sondern ob die Zielperson in ihrem Verhalten durch die Veränderungen im Freundschaftsnetzwerk beeinflusst wird. Für die zuletzt genannte Hypothese sprechen verschiedene theoretische Argumente, die aus der Theorie sozialer Produktionsfunktionen und sozialpsychologischen Ansätzen zu sozialen Vergleichsprozessen abgeleitet wurden. Empirisch zeigt sich in bivariaten Analysen, dass insbesondere eine Familiengründung im Freundschaftsnetzwerk bedeutsam zu sein scheint. Vollzieht mindestens ein befreundetes Paar im Beobachtungszeitraum den Übergang zur Elternschaft, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Zielperson ihre Partnerschaft durch eine Familiengründung, Eheschließung und vorangehende Schritte weiter verfestigt. Verschiedene Argumente wecken jedoch Zweifel, ob diese Befunde im Sinne einer kausalen Beeinflussung der Zielperson interpretiert werden können. Es erscheint insbesondere wahrscheinlich, dass die Zielperson und ihre Freunde unbeobachtete Merkmale gemeinsam haben, welche die Wahrscheinlichkeit einer Familiengründung und Eheschließung erhöhen. Dabei kann es sich z.B. um eine ähnliche
Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
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biografische Situation – etwa eine noch zu absolvierende Berufsausbildung – oder eine Homogamie bei partnerschaftsbezogenen Einstellungen und Absichten handeln. Für die zuletzt genannte Annahme sprechen die vielfältigen positiven Wirkungen einer Einstellungshomogamie auf die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme und Stabilität sozialer Beziehungen (Mikula & Stroebe 1991). In multivariaten Analysen bleiben die Netzwerkeinflüsse immerhin stabil, wenn verschiedene Merkmale wie unter anderem das Alter, die Partnerschaftsdauer oder der Institutionalisierungsgrad für die Zielperson kontrolliert werden. Außerdem ist auffällig, dass sich die Netzwerkeffekte in konsistenter Weise primär für die Familiengründung befreundeter Paare zeigen, weniger jedoch für Eheschließungen oder Haushaltsgründungen im Freundschaftsnetzwerk. Dies ist über das einfache Argument einer Altershomogamie nicht erklärbar. Dennoch kann im Rahmen der durchgeführten Ereignisdatenanalysen nicht ausgeschlossen werden, dass die Zusammenhänge zwischen den Übergängen der Zielpersonen und ihrer Freunde auf unbeobachtete Drittvariablen zurückführbar sind. Zusätzlich wurden Analysen durchgeführt, in denen die Veränderung partnerschaftsbezogener Pläne und Absichten im Zentrum des Interesses stand. Hier ergeben sich Hinweise darauf, dass die von der Zielperson subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit, in absehbarer Zeit einen Haushalt mit dem Partner zu gründen oder ein (weiteres) Kind zu bekommen, steigt, wenn befreundete Personen eine Familie gründen (bzw. heiraten). Diese Auswertungen haben den methodischen Vorteil, dass sie auf der Varianz innerhalb von Personen basieren, wodurch die oben diskutierten Selektionseffekte weitgehend ausgeschlossen werden können. An dieser Stelle kann also schon eher von kausalen Effekten ausgegangen werden. Ein überraschender Befund besteht darüber hinaus darin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Trennung in den Partnerschaften der Zielpersonen sinkt, wenn sich auch mindestens ein befreundetes Paar im Beobachtungszeitraum getrennt hat. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu einer Studie von Booth et al. (1991), wonach sich Scheidungen im Netzwerk der Zielpersonen positiv auf ihr eigenes Scheidungsrisiko auswirken. Eine Alternativerklärung für den hier beobachteten gegenläufigen Effekt kann darin bestehen, dass die Zielperson die Trennung eines befreundeten Paares, die mit emotionalen und finanziellen Kosten einhergehen kann, in negativer Hinsicht miterlebt und daher in ihrer eigenen Partnerschaft destabilisierende Verhaltensweisen (temporär) vermeidet. Insgesamt deutet auch die vorliegende Analyse darauf hin, dass die Entwicklung vorehelicher Paarbeziehungen nicht losgelöst vom sozialen Kontext gesehen werden kann. Gerade im Anfangsstadium der Paarbeziehung, in dem verschiedene stabilisierende Faktoren wie Investitionen in die Partnerschaft oder eine ausgeprägte Paaridentität noch fehlen, und in dem wichtige Entscheidungen zur Lebensformwahl oder zur Familiengründung zu treffen sind, haben signifikante Andere aus dem sozialen Umfeld offensichtlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf, in
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Netzwerkeinflüsse auf (De-)Institutionalisierung
welche Richtung sich die Partnerschaft entwickelt. Eine Aufgabe zukünftiger Forschungen kann darin bestehen, die vermuteten Ansteckungseffekte innerhalb sozialer Netzwerke vertiefend zu analysieren. Einen vielversprechenden Ansatzpunkt zur besseren Absicherung kausaler Effekte liefern hier neuere methodische Verfahren zur Übertragung einer fixed-effects-Methodologie auf die Ereignisdatenanalyse (Allison & Christakis 2006), die im Rahmen der vorliegenden Analyse fallzahlbedingt leider nicht eingesetzt werden konnten.
Kapitel 8 „Values of Cohabitation“: Struktur, Dynamik und Vorhersagekraft subjektiv antizipierter Nutzen- und Kostenaspekte des gemeinsamen Haushaltes
Zusammen mit dem Rückgang der Fertilität und dem steigenden Scheidungsrisiko stellt die Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften (NEL), also Partnerschaften, in denen Paare unverheirat in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, wohl die wichtigste oder zumindest augenfälligste Veränderung der Familiendemographie der letzten Jahrzehnte dar. Nichteheliche Lebensgemeinschaften haben in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen und sich mittlerweile als feste Institution in der Zeit des jungen Erwachsenenalters, als Teil des ‚script of life’ etabliert.48 Dies lässt sich anhand von demografischen Maßzahlen verdeutlichen, wonach nicht nur eine Zunahme der absoluten Häufigkeit der NEL festzustellen ist, sondern gleichzeitig auch ein Anstieg des Heiratsalters sowie eine Abnahme der Zeit in der Erstehe bis zum Lebensalter 35 (Brüderl & Klein 2003; Klein 1999b). Der Übergang in die erste Kohabitation verschiebt sich zwar ebenfalls etwas weiter nach hinten im Lebensverlauf, der Aufschub der ersten Eheschließung ist jedoch deutlich stärker ausgeprägt (Müller 2006: 124f.). Darüber hinaus nimmt der Anteil von Personen, die direkt, also ohne vorheriges nichteheliches Zusammenleben, heiraten, über die Kohorten beständig ab. Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ist damit fast obligatorisch der erste größere Teilschritt im Institutionalisierungsprozess. Insofern stellt sich zuerst die Frage nach den Determinanten des Übergangs in einen gemeinsamen Haushalt, bevor das Heiratsverhalten in das Blickfeld rückt. Die Bedeutungszunahme nicht- bzw. vorehelicher Lebensformen hat sich – insbesondere in Deutschland – bisher nicht in einer Intensivierung der Forschung in diesem Bereich niedergeschlagen. Statt dessen findet sich erstaunlicher Weise relativ häufig eher allgemein gesellschaftstheoretisch zu verortende Diskussionen über die Frage, ob nichteheliche Lebensgemeinschaften eher eine Vorstufe und Testphase für eine Ehe sind oder doch eher eine eigenständige Lebensform und eine Alternative zur Ehe und somit ein Zeichen für neue und alternative Lebens- und Famili48
Empirisch ist es dabei teilweise durchaus problematisch, die jeweilige Konstellation einer Partnerschaft korrekt zu erfassen, da schon die Meinungen innerhalb einer Beziehung hier durchaus unterschiedlich sein können (vgl. Knab 2005 oder Knab & McLanahan 2007).
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„Values of Cohabitation“
enmodelle (vgl. für eine kurze und klare Darstellung dieser Diskussion Klein 1999b). Letztlich sind derartige Diskussionen wenig zielführend; eine Modellierung der einzelnen individuellen Übergangsprozesse und Entscheidungen – wann wird eine Partnerschaft eingegangen, wann und unter welchen Umständen ein Haushalt oder eine Familie gegründet und geheiratet – zeigt rasch, dass beispielsweise die Bildungsexpansion und die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen zu einer Verzögerung der Eheschließung und Familiengründung führt, jedoch keinen allzu großen Einfluss auf die Paar- und Haushaltsbildungsprozesse haben sollte. Nichteheliche Lebensgemeinschaften entstehen so – als nichtintendierte Folgen absichtsvollen Handelns – ohne direktes Kalkül (vgl. für eine derartige Modellierung Hill & Kopp 1999). Während nun der Übergang in die erste Ehe relativ gut erforscht ist (im Überblick Hill & Kopp 2006: 183ff.), liegen zu den Determinanten der Haushaltsgründung bisher nur wenige Studien vor. Hierbei handelt es sich in der Regel um quantitative Ereignisanalysen, in denen die Effekte von verschiedenen soziodemografischen Variablen wie etwa das Bildungsniveau, der Erwerbsstatus oder eine Familiengründung auf die Übergangsrate analysiert werden (vgl. beispielsweise Müller et al. 1999; Müller 2006; Kley & Huinink 2006). Die hier identifizierten Effekte geben allerdings meist keinen unmittelbaren Aufschluss darüber, welche Motive Personen dazu bewogen haben, den Übergang in die Kohabitation früher oder später zu vollziehen. Häufig werden die identifizierten Effekte daher mit meist ungeprüften Annahmen darüber begründet, wie die Akteure ihre Situation wohl definiert und welche Handlungsalternative sie entsprechend gewählt haben (zur Diskussion siehe Rössel 2005: 153ff.). Man kann also durchaus kritisieren, dass eine wirkliche Tiefenerklärung der beobachtbaren Prozesse bislang unterblieben ist. Als Reaktion auf den genannten Forschungsbedarf sind mittlerweile vorwiegend in den USA einige explorativ ausgerichtete Arbeiten entstanden, in denen die forschungslogische Vorgehensweise gewissermaßen umgekehrt wird: Zuerst werden die Personen direkt befragt, warum sie den Übergang in die Kohabitation vollzogen haben und erst anschließend wird überprüft, welche typischen Eigenschaften Personen mit bestimmten Motivlagen aufweisen (Sassler 2004; Rhoades et al. 2009; zu den „Values of Marriage“ siehe Schneider & Rüger 2007; Lois et al. 2009). Die vorliegenden Überlegungen schließen direkt an diese Arbeiten an und bearbeiten einige wichtige Fragestellungen, die derzeit noch ungeklärt sind. Da in den bisherigen Studien ausschließlich bereits kohabitierende Personen retrospektiv nach den Gründen für ihre Haushaltsgründung befragt werden, ist unklar, ob die subjektiven Motivlagen zeitlich stabil sind oder sich als Reaktion auf biografische Übergänge wie beispielsweise den Erwerbseinstieg oder die Haushaltsgründung selbst verändern. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Beitrag analysiert, inwieweit die Values of Cohabitation zeitlich veränderbar sind und ob sie den tatsächlichen Übergang in den gemeinsamen Haushalt mit dem Partner vorhersagen. Darüber hinaus
„Values of Cohabitation“
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werden auch subjektiv antizipierte Kosten der Kohabitation mit einbezogen, die in der bisherigen Forschung weitgehend ausgeblendet bleiben. Bevor jedoch diese Analysen mit Hilfe der TIP-Daten vorgestellt werden können, soll noch ein Blick auf die gerade erwähnten bisherigen Studien über Motive des Zusammenlebens gegeben werden.
Bisherige Studien zu den „Values of Cohabitation“ Der folgende Abschnitt umfasst eine Zusammenfassung der bisher vorliegenden Forschungsarbeiten, die sich mit den „Values of Cohabitation“ beschäftigen. Dabei handelt sich größtenteils um explorative oder qualitative Studien (Sassler 2004; Manning & Smock 2005; vgl. als Ausnahme Rhoades et al. 2009). Manning und Smock (2005) befragen 115 Personen mit Kohabitationserfahrung im Rahmen von qualitativen Interviews. Der wichtigste Befund dieser Analysen ist, dass der Übergang in die Kohabitation in der Regel nicht auf einer bewusst gefällten, zeitlich eng eingrenzbaren Entscheidung basiert, sondern sich schrittweise, langsam und teilweise ‚schleichend’ vollzieht. In Kapitel 4 dieses Buches wurden bereits verschiedene Zwischenschritte beschrieben, die diesen Prozess charakterisieren. Dazu zählen unter anderem das Deponieren von Gegenständen wie Zahnbürste oder Kleidung in der Wohnung des Partners, das Tauschen der Wohnungsschlüssel oder zunehmend häufigere gemeinsame Übernachtungen der Partner in derselben Wohnung. Der schrittweise Übergangsprozess äußert sich darin, dass die befragten Paare häufig ganz unterschiedliche Wahrnehmungen hinsichtlich des genauen Zustands ihrer Beziehung haben und damit zwangsläufig auch ein unterschiedliches Datum angeben, an dem sie zusammengezogen sind. Darüber hinaus kommen die Autoren zu der wichtigen Erkenntnis, dass sich die Frage ,gemeinsamer Haushalt oder Ehe?‘ für die Befragten so nicht stellt. Vielmehr wird erst über den Zusammenzug nachgedacht, bevor dann später und meist unabhängig davon die Frage nach einer Eheschließung aufkommt. Somit ist – wie oben bereits vermutet – von zeitlich aufeinander folgenden Entscheidungsprozessen (1. getrennte Haushalte Ⱥ gemeinsamer Haushalt, 2. gemeinsamer Haushalt Ⱥ Ehe) auszugehen. Vor dem Hintergrund dieses sequentiellen Entscheidungsmusters ist das Design von quantitativen Ereignisdatenanalysen in Frage zu stellen, in denen erstens eine direkte Eheschließung und zweitens die Haushaltsgründung als unverheiratetes Paar als konkurrierende Risiken aufgefasst werden (siehe z.B. Thornton et al. 1992; Müller et al. 1999).49 Auch die mit der genannten Analysestrategie verbundene Diskussion, ob es sich bei der NEL um eine Vorstufe oder eine Alternative zur Ehe handelt, ist ange49
In der Studie von Müller et al. (1999) werden Personen, die mindestens einen Monat nichtehelich kohabitieren, in die Kategorie NEL klassifiziert. Die Kategorie „direkte Ehe“ reduziert sich somit auf Personen, die entweder vor oder fast zeitgleich mit der Haushaltsgründung heiraten.
126
„Values of Cohabitation“
sichts des Ablaufs von Lebensformwahlprozessen immer weniger angemessen – wenn sie dies überhaupt jemals war. Eine weitere explorative Studie zum Übergang in die Kohabitation stammt von Sassler (2004). Die Grundlage dieser Untersuchung bilden qualitative Interviews mit 25 Studenten, die seit mindestens drei Monaten mit ihrem Partner zusammenwohnen. Die Autorin identifiziert drei Gruppen, die sich vor allem im Hinblick auf das Tempo des Übergangs unterscheiden. Personen aus der ersten Gruppe sind relativ schnell mit ihrem Partner zusammengezogen, d.h. im Durchschnitt innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Kennenlernen. Personen in dieser Gruppe zeichnen sich durch eine hohe Partnerschaftsqualität und einen intensiven Kontakt in der Zeit vor der Haushaltsgründung aus, der sich durch häufige gemeinsame Übernachtungen in einer Wohnung äußert.50 Die zweite identifizierte Gruppe hat den Übergang langsamer vollzogen, weil die Befragten sich längere Zeit darüber im Unklaren waren, ob die Gründung eines gemeinsamen Haushaltes die richtige Entscheidung ist. Im Vergleich zur ersten Gruppe bestand hier vor dem Zusammenziehen weniger Kontakt mit dem Partner, zum Teil aufgrund von wechselseitigen beispielsweise beruflichen Verpflichtungen. Die dritte Gruppe weist die langsamste Übergangsgeschwindigkeit auf; durchschnittlich wurde die Haushaltsgründung hier erst ein Jahr nach dem Kennenlernen vollzogen. Bei diesen Paaren handelt es sich überwiegend um Wochenendbeziehungen. Die Befragten haben hier – wenn auch nicht immer freiwillig – die Möglichkeit und den Anspruch, ihrer Partnerschaft die Zeit zur Entwicklung zu geben, die sie braucht. Verzögerungen beim Zusammenziehen kommen in dieser dritten Gruppe auch dadurch zustande, dass die Partner sich über das Timing des Zusammenziehens nicht einig sind. Sassler hat die Teilnehmer der Studie darüber hinaus explizit nach den Gründen befragt, warum sie mit ihrem Partner zusammengezogen sind. Mit Abstand am häufigsten genannt werden finanzielle Vorteile des gemeinsamen Haushaltes und praktische Vereinfachungen des alltäglichen Lebens. Hinsichtlich der finanziellen Vorteile wird vor allem die Möglichkeit erwähnt, sich Miete und andere Lebenshaltungskosten zu teilen.51 Praktische Vereinfachungen bestehen darin, dass Gegen50
51
Im Rahmen der Clusteranalyse in Kapitel 6 konnte ebenfalls eine Personengruppe (Cluster ,harmonisch‘) identifiziert werden, die sich durch eine hohe Partnerschaftsqualität und gleichzeitig eine relativ hohe Übergangsrate in die Kohabitation auszeichnet. Die finanziellen und praktischen Vorteile des gemeinsamen Haushaltes lassen sich mit der Familienökonomie (Becker 1993) theoretisch gut begründen. Aus der Perspektive dieses Ansatzes spricht für den Zusammenzug, dass sich innerhalb eines gemeinsamen Haushaltes bestimmte Basisgüter (sog. „commodities“) effizienter produzieren lassen, die materieller und immaterieller Natur sein können, nicht auf dem Markt zu erwerben sind und daher von den Akteuren unter Zeit- und Geldeinsatz selbst hergestellt werden müssen. Zu diesen commodities kann z.B. eine effiziente Aufteilung der häuslichen Arbeitsaufgaben (Mahlzeiten, Kinderbetreuung) oder eine sexuelle Anpassung der Partner gehören. Um den Effizienzvorteil des gemeinsamen Haushaltes gegenüber dem Alleinleben zu quantifizieren, prägt Becker den Begriff „Ehegewinn“ (gain from marriage, Becker 1973). Entscheidend für die Nutzenproduktion ist für ihn hierbei der gemeinsame Haushalt und weniger der Famili-
„Values of Cohabitation“
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stände des alltäglichen Gebrauchs wie Hygieneartikel oder Kleidung am selben Ort sind und dass auch das ständige Pendeln zwischen den Wohnungen entfällt. Weitere Gründe für den Zusammenzug beziehen sich auf die vorhergehende Wohnsituation. Die Befragten wollen beispielsweise eine als beengt erlebte Wohngemeinschaft verlassen, vertragen sich nicht mit neuen Mitbewohnern oder müssen (etwa infolge einer Scheidung) aus dem Elternhaus ausziehen. Auch die Tatsache, dass der aktuelle Partner gerade selbst eine Wohnung sucht, kann die gemeinsame Haushaltsgründung beschleunigen. Etwa ein Viertel der Befragten erwähnt eine problematische Situation im Elternhaus, die sich zum Teil in ständigen Konflikten mit den Eltern äußert, als Grund für die Haushaltsgründung mit dem Partner. Nur selten wird dagegen von den Befragten erwähnt, dass sie zusammengezogen sind, um das Zusammenleben mit dem Partner im Rahmen einer Probeehe zu testen. Dieses Motiv, so vermutet Sassler, scheint höchstens latent vorhanden zu sein. Schließlich behandelt Sassler die Zukunftspläne der bereits kohabitierenden Paare hinsichtlich einer Eheschließung und Familiengründung. Hier zeigt sich in recht konsistenter Weise und auch in Übereinstimmung mit Manning und Smock (2005), dass die Paare über diese Zukunftspläne in der Regel nicht diskutieren, bevor sie zusammengezogen sind. Das Thema Eheschließung kommt bei vielen Paaren erst ein oder zwei Jahre nach der gemeinsamen Haushaltsgründung zur Sprache und wird bei einigen Paaren auch nach einer Kohabitationsdauer von mehreren Jahren noch nicht thematisiert. Gerade für junge Personen ist die Ehe noch „weit weg“ und wird – wie die geäußerten Statements zeigen – erst dann in Erwägung gezogen, wenn die Schulausbildung beendet oder bestimmte berufliche Ziele erreicht werden bzw. man sich „erwachsen fühlt“. Die wenigsten Paare fühlen sich veranlasst, den Übergang in die Kohabitation mit schon bestehenden Heiratsabsichten zu rechtfertigen. Eine quantitative Analyse der individuellen Motivlagen, die der Haushaltsgründung zugrunde liegen, stammt von Rhoades et al. (2009). Es handelt sich um eine Befragung von 120 bereits kohabitierenden Paaren aus Nordamerika und England, die – methodisch sicherlich problematisch – mit Hilfe einer Online-Befragung und anschließender Schneeballstichprobe rekrutiert wurden. Die Autoren stellen – auch auf der Basis der bereits zitieren Studien von Manning und Smock (2005) sowie Sassler (2004) – einen Pool von insgesamt 29 Items potentieller Gründe für eine Haushaltsgründung zusammen. Mit Hilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse können drei Dimensionen verifiziert werden, die diesem Pool zugrunde liegen. Die erste Dimension wird mit „convenience” (Zweckmäßigkeit) betitelt. Sie bezieht sich auf finanzielle und praktische Vorteile der Haushaltsgründung und umfasst beienstand, da er in seine Ehedefinition auch „Einverständnis-Gemeinschaften“ ohne Trauschein explizit mit einschließt (Becker 1993: 233). Insgesamt hat die Kohabitation im Hinblick auf die wechselseitige Verfügbarkeit der Partner, ihre Zeitbudgets und die Kosten der Haushaltsführung Effizienzvorteile gegenüber dem Alleinleben (vgl. Hill & Kopp 2006: 180).
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„Values of Cohabitation“
spielsweise die Aussagen „I moved in with my partner to share household expenses“, „because I could not afford rent on my own“, oder „because it was inconvenient to have some of my stuff at my place and some at my partner’s“. Die zweite Dimension trägt den Titel „test” und spricht die Probeehe-Funktion der NEL als Vorstufe der Ehe an und umfasst Items wie „I moved in with my partner because I want a trial run to marriage” oder „because I had doubts about us making it for the long haul”. Die dritte Dimension (“time together”) enthält Items, die das Verbringen von Zeit mit dem Partner als Vorteil des gemeinsamen Haushaltes herausstellen wie „I moved in with my partner because I love spending time with him/her“ oder „to improve our sex life together“. Ein Vergleich der Mittelwerte zeigt, dass die Befragten der „time-together“Skala am stärksten zustimmen (der Mittelwert beträgt hier 5,03 bei einem Range von 1-7). Die zweitstärkste Zustimmung weist die Skala „convenience“ auf (Mittelwert von 3,60 bei einem Range von 1-6,5). Die Test-Funktion des gemeinsamen Haushaltes wird von den Befragten am wenigsten als Vorteil wahrgenommen (Mittelwert von 2,46 bei einem Range von 1-6). In weiterführenden Analysen werden Zusammenhänge zwischen den drei Skalen und verschiedenen Individual- und Paarmerkmalen aufgedeckt. Es zeigt sich, dass die Test-Skala positiv mit einer Depressivitäts-Skala, einem negativen Interaktionsverhalten des Paares und negativ mit einer Skala zur Partnerschaftszufriedenheit und dem Wunsch, mit dem Partner in Zukunft zusammenbleiben zu wollen, korreliert. Die „time-together“-Skala korreliert negativ mit der Anzahl vorhergehender Sexualpartner, dagegen positiv mit Indikatoren zur Partnerschaftsqualität. Kritisch ist zu den vorliegenden Studien zu den Motivlagen bei der Haushaltsgründung anzumerken, dass Kostenaspekte unberücksichtigt bleiben. Studien aus dem Bereich der Jugendforschung geben Anlass zu der Vermutung, dass eine Haushaltsgründung vor allem für diejenigen Personen (kognitive) Kosten verursacht, die Wert auf ihren persönlichen Freiraum legen. Viele Jugendliche haben in der frühen Adoleszenz nur kurze Beziehungen, bei denen selten eine ausgeprägte Bindung zwischen den Partnern entsteht (Feiring 1996). Eine engere Bindung an den Partner, wie sie bereits die Haushaltsgründung mit sich bringt, ist für Jugendliche häufig noch von geringer Bedeutung (Furman & Wehner 1997). Die positive Altersabhängigkeit des Übergangs in die Kohabitation (siehe z.B. Müller 2006: 239f.) lässt sich teilweise so begründen.
„Values of Cohabitation“
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Was spricht für und gegen eine Haushaltsgründung? Operationalisierung der Values of Cohabitation Im nun folgenden Abschnitt wird dargestellt, wie die Values of Cohabitation in der vorliegenden Untersuchung operationalisiert werden. Der erste Schritt bei der Instrumentenkonstruktion bestand darin, einen Pool von Aussagen zusammenzustellen, die Vor- und Nachteile der Haushaltsgründung zum Ausdruck bringen. Die hier formulierten Items orientieren sich am im vorangehenden Kapitel zusammengefassten Forschungsstand, vor allem an der Studie von Sassler (2004). Die Untersuchung von Rhoades et al. (2009) ist leider erst nach Abschluss der TIP-Erstbefragung erschienen und konnte daher nicht als Orientierungspunkt dienen; bei vielen Aspekten ergeben sich jedoch, wie gleich zu sehen sein wird, große inhaltliche Ähnlichkeiten.52 In Tabelle 8.1 sind die Ergebnisse einer konfirmatorischen Faktorenanalyse zu insgesamt 14 Kosten- und Nutzenaspekten des gemeinsamen Haushaltes dargestellt (siehe Reinecke 2005: 99ff.). Die genauen Itemformulierungen sind im Anhang B dargestellt, die Korrelationsmatrix der identifizierten Faktoren in Tabelle 8.2. Insgesamt lassen sich zwei Kosten- und drei Nutzendimensionen nachweisen. Die in der ersten Spalte dargestellte erste Kostendimension wird mit „Freiheitsverlust“ betitelt. Die entsprechenden Aussagen bringen zum Ausdruck, dass die Haushaltsgründung mit Autonomieverlusten verbunden ist und die potentiellen Reibungs- und Konfliktpunkte zwischen den Partnern erhöht. Der inhaltliche Hintergrund sind die zitierten Befunde aus der Jugendforschung, wonach eine enge Bindung an den Partner insbesondere bei Jugendlichen häufig noch nicht gewünscht ist. Der zweite Kostenfaktor in der zweiten Spalte bezieht sich auf verschiedene biografische Unsicherheiten, die eine Haushaltsgründung verzögern können. Diese können durch ein berufsbedingtes Pendeln oder durch eine Ausbildungsphase hervorgerufen werden, in der noch keine ökonomische Unabhängigkeit erreicht wurde bzw. in der noch unklar ist, ob, wann und wo der Erwerbseinstieg vollzogen wird. Den empirischen Hintergrund für diesen Faktor bilden die zitierten Forschungsergebnisse, wonach eine Ausbildungsphase die Übergangsrate in die Kohabitation reduziert (z.B. Müller 2006: 239f.).
52
In den zitierten Studien von Sassler (2004) und Rhoades et al. (2009) werden bereits zusammenwohnende Paare retrospektiv nach den Gründen befragt, warum sie zusammengezogen sind. In der TIP-Befragung wurden dagegen allgemeine Gründe erhoben, die aus Sicht der Befragten für oder gegen eine Haushaltsgründung sprechen; auf diese Weise können auch Personen in der Lebensform LAT einbezogen werden. Außerdem wurde eine persönliche Formulierung nicht gewählt, da personenbezogene Items (z.B. „gegen eine Haushaltsgründung spricht, dass ich meine Schulausbildung noch nicht beendet habe“) an vielen Stellen „trifft nicht zu“-Kategorien erfordert hätten, wodurch der Anteil fehlender Werte gestiegen wäre.
130
„Values of Cohabitation“
Der erste Nutzenfaktor in der dritten Spalte lässt sich mit „Nähe und Intimität“ umschreiben. Er korrespondiert mit der von Rhoades et al. (2009) entwickelten „time-together“-Skala und bezieht sich auf die Stärkung der emotionalen Bindung und die wechselseitige Verfügbarkeit der Partner für gemeinsame Aktivitäten. Der zweite und dritte Nutzenfaktor beziehen sich auf die Transaktionskosten und das Nestbaumotiv. Es wurde vermutet, dass die Items zur Transaktionskostenreduzierung (Transport von Gegenständen, Pendeln zwischen den Wohnungen) mit dem Item „Miete und Lebenshaltungskosten teilen“ zusammen auf einem Faktor laden, der die ökonomischen Vorteile des gemeinsamen Haushaltes erfasst. Im Zuge einer – hier nicht dargestellten – ergänzenden explorativen Faktorenanalyse stellte sich jedoch heraus, dass das Item zum Teilen von Miete und anderen Kosten mit dem Item „Kindern ein Zuhause bieten“ einen eigenen Faktor bildet. Dieser vierte Faktor wird mit „Nestbaumotiv“ betitelt und erfasst die von der Familienökonomie postulierten Effizienzvorteile des gemeinsamen Haushaltes, zu denen auch gemeinsame Kinder gezählt werden können. Ein eigenständiger Nutzenaspekt der Kohabitation besteht darüber hinaus in der Reduzierung von Transaktionskosten (Faktor fünf), die dadurch erreicht wird, dass die Partner nicht mehr zwischen den Wohnungen pendeln müssen und auch alltäglich benötigte Gegenstände wie Hygieneartikel und die Kleidung an einem Ort platziert sind. Die ökonomischen und praktischen Vorteile zählen in der Studie von Sassler (2004) zu den am häufigsten genannten Vorteilen des gemeinsamen Haushaltes. In der Untersuchung von Rhoades et al. (2009) werden diese Nutzenaspekte in der „convenience“-Skala, die dort allerdings eindimensional ist, abgebildet. Die Faktoren „Transaktionskostenreduzierung“ und „Nestbaumotiv“ korrelieren moderat positiv miteinander (siehe Tabelle 8.2). Obwohl der signifikante Ʒ²-Wert auf Abweichungen zwischen Modell und Daten hinweist, zeigen die übrigen Indizes einen guten Fit an. Dieser Befund kann dahingehend interpretiert werden, dass die eingesetzten Indikatoren die modellierten Konstrukte klar und eindeutig – und das heisst vor allem: Ohne bedeutsame Nebenladungen – repräsentieren. Zusätzlich wurde zur Überprüfung der internen Konsistenz der Konstrukte der Koeffizient Cronbachs Alpha berechnet. Er nimmt für die Skala „Freiheitsverlust“ den Wert ,79, für die Skala „biografische Unsicherheit“ ,76, für den Nutzenfaktor „Intimität und Nähe“ ,61, für das „Nestbaumotiv“ ,54 und für die Transaktionskostenreduzierung den Wert ,56 an. Unter Berücksichtigung der Itemzahl ist die Reliabilität aller Skalen somit zufriedenstellend.
131
„Values of Cohabitation“ Tabelle 8.1:
Values of Cohabitation: konfirmatorische Faktorenanalyse
Gegen ein Zusammenziehen spricht… Verlust von Rückzugsmöglichkeiten Viele Dinge werden alltäglich Partner sind weniger unabhängig Häufiger Streit über alltägliche Dinge Liebe wird nicht „frisch gehalten“ Noch kein Berufseinstieg Berufsbedingtes Pendeln Noch keinen Arbeitsplatz gefunden Für ein Zusammenziehen spricht… Sich näher sein Ungestörter sein Kindern ein Zuhause bieten Miete und andere Kosten teilen Pendeln zw. Wohnungen entfällt Transport von Gegenständen entfällt
FREI
BIO
Faktor NÄH
,64 ,67 ,78 ,59 ,65 -
,77 ,57 ,89
-
-
-
-
-
,85 ,57 -
,50 ,78 -
,67 ,71
NB
TRA
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007) Anmerkungen: n = 581 (Personen in den Lebensformen LAT und NEL); MLR-Schätzung; es sind standardisierte Ladungskoeffizienten dargestellt; alle Faktorladungen sind mindestens auf dem 1%-Niveau signifikant; Nebenladungen sind auf den Wert 0 restringiert; Modellfit: Ʒ² = 145,7 (df = 67), p < .01; CFI: ,95; TLI: ,94; RMSEA: ,045; SRMR: ,046. Die Abkürzungen bedeuten: „FREI“ = Kostenfaktor Freiheitsverlust, „BIO“ = Kostenfaktor biografische Unsicherheit, „NÄH“ = Nutzenfaktor Nähe und Intimität, „NB“ = Nutzenfaktor „Nestbaumotiv“, „TRA“ = Nutzenfaktor Transaktionskostenreduzierung
Rhoades et al. (2009) identifizieren zusätzlich einen Nutzenfaktor des Haushaltes, der darin besteht, das Zusammenleben mit dem Partner in der Form einer Probeehe zu testen. Diese Dimension lässt sich mit der TIP-Daten nicht abbilden, da entsprechende Items nicht abgefragt wurden. Allerdings nennen die Befragten diesen Testaspekt, wenn sie direkt nach den Gründen für ihre Haushaltsgründung gefragt werden, nur selten (Sassler 2004). Auch in der Studie von Rhoades et al. (2009) weist
132
„Values of Cohabitation“
die „test“-Skala (im Vergleich mit der „convenience“ und „time together“-Skala) den geringsten Mittelwert über alle Befragten auf. Insgesamt findet sich die TestFunktion der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die in der wissenschaftlichen Literatur eine zentrale Rolle spielt (Klijzing 1992; Hall 1999), kaum in den Motivlagen der Akteure wieder. Möglicherweise handelt es sich hierbei eher um eine unintendierte oder zumindest unerwähnte Nebenfolge der Kohabitation.
Tabelle 8.2:
Korrelationsmatrix der Values of Cohabitation 1
(1) Freiheitsverlust (2) Biografische Unsicherheit (3) Nähe und Intimität (4) „Nestbaumotiv“ (5) Transaktionskostenreduzierung
2 ,12**
3 -,23** ,29**
4 ,04 ,29** ,31**
5 -,14** ,21** ,36** ,33**
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007) Anmerkungen: * p .05; ** p .01
Unterscheiden sich die „Values of Cohabitation“ in verschiedenen Bevölkerungsgruppen? Einige deskriptive Statistiken Vor den multivariaten Analysen werden im folgenden Abschnitt einige deskriptive Statistiken zu den Mittelwerten der „Value of Cohabitation“-Skalen insgesamt und in verschiedenen Bevölkerungsgruppen berichtet (siehe Tabelle 8.3). Eine Betrachtung der Gesamtmittelwerte zeigt, dass die Kosten infolge von biografischen Unsicherheiten von den Befragten am stärksten wahrgenommen werden. Der Mittelwert beträgt hier 3,47 bei einem Skalenrange von 1-5. Autonomieverluste spielen dagegen insgesamt eine etwas weniger wichtige Rolle (Mittelwert: 2,80). Im Hinblick auf die Nutzenseite stimmen die Befragten allen drei Dimensionen stark zu, was sich darin manifestiert, dass alle Mittelwerte auf bzw. über dem Wert 4 liegen. Die stärkste Zustimmung erfährt die Dimension „Nähe und Intimität“. Hierin besteht eine Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Rhoades et al. (2009), in deren Untersuchung die „time-together“-Skala ebenfalls den höchsten Mittelwert über alle Befragten aufweist. Die Befragten sehen es also in besonderem
„Values of Cohabitation“
133
Maße als Vorteil des gemeinsamen Haushaltes an, dem Partner näher zu sein. Auf den Plätzen zwei und drei folgen mit geringem Abstand die Nutzendimensionen Transaktionskostenreduzierung und „Nestbaumotiv“. Zusätzlich sind in Tabelle 8.3 Mittelwerte für einzelne Subgruppen der Bevölkerung ausgewiesen. Im Text wird im Folgenden nur auf Mittelwertunterschiede eingegangen, die nach Maßgabe von Varianzanalysen (nicht dargestellt) mindestens auf dem 5%-Niveau signifikant sind. Dies wird in der Tabelle mit einem Stern gekennzeichnet. Ein zentrales Ergebnis besteht darin, dass Personen, die bereits mit ihrem Partner zusammenwohnen, signifikant weniger Kosten und signifikant mehr Nutzen des gemeinsamen Haushaltes wahrnehmen als Personen in der Lebensform LAT. Die Mittelwertunterschiede bei allen fünf Skalen sind hier hochsignifikant. Eine nahe liegende Erklärungsmöglichkeit für diesen Befund besteht darin, dass kohabitierende Personen einen Haushalt gegründet haben, weil sie mehr Nutzen und weniger Kosten wahrnehmen. Andererseits ist jedoch denkbar, dass sich die Kosten- und Nutzenwahrnehmungen erst durch die Haushaltsgründung verändert haben. Welche der beiden Möglichkeiten überwiegt, wird weiter unten zu klären sein. Weiterhin nehmen Personen, die bereits eine Familie gegründet haben, signifikant weniger Kosten durch biografische Unsicherheiten wahr. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass der Übergang zur Elternschaft eine gewisse biografische Festlegung bewirkt und damit Sicherheit schafft (Friedman et al. 1994). Eine Alternativerklärung besteht darin, dass Personen, die wenige biografische Unsicherheiten aufweisen, mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Familie gründen. Auch das „Nestbaumotiv“ ist bei Personen mit mindestens einem Kind erwartungsgemäß signifikant stärker ausgeprägt. Ebenfalls den theoretischen Erwartungen entspricht der Befund, dass Vollzeit erwerbstätige Personen signifikant weniger biografische Unsicherheit wahrnehmen als Personen, die noch in Schul- oder Berufsausbildung sind. Auch das „Nestbaumotiv“ sowie der Nutzenfaktor Transaktionskostenreduzierung werden von Personen in Ausbildung – verglichen mit den voll Erwerbstätigen – in signifikant geringerem Maße als Nutzenaspekte des gemeinsamen Haushaltes wahrgenommen. Ein statistisch bedeutsamer Unterschied besteht im Hinblick auf die Transaktionskostenreduzierung zwischen Paaren, bei denen entweder keiner oder beide Partner zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln müssen. Pendeln beide Partner, erscheint die Reduzierung von Transaktionskosten durch eine Haushaltsgründung den Befragten als besonders attraktiv. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese Kosten speziell von Personen in den so genannten Wochenendbeziehungen zu tragen sind und sie daher verstärkt den Wunsch haben, diese durch die Gründung eines gemeinsamen Haushaltes zu reduzieren.
134 Tabelle 8. 3:
„Values of Cohabitation“ Deskriptive Statistik zu den Values of Cohabitation BIO
Männer Frauen Lebensform LAT Lebensform NEL Personen mit Kind Personen ohne Kind Voll erwerbstätige Personen Personen in Ausbildung Keiner der Partner pendelt Beide Partner pendeln 1 Übernachtung pro Woche 2 Übernachtungen pro Woche Insgesamt (Standardabweichung)
3,47 3,47 3,70* 3,19 3,03* 3,59 3,29* 3,77 3,46 3,64 3,56 3,70 3,47 (1,02)
FREI
TRA Mittelwerte 2,80 4,00 2,81 4,15 2,91* 3,94* 2,67 4,24 2,76 4,17 2,81 4,07 2,74 4,22* 2,92 3,85 2,85 4,00* 2,78 4,33 2,83 3,69* 2,93 4,13 2,80 4,09 (0,86) (1,02)
NÄH
NB
4,44 4,42 4,34* 4,54 4,43 4,43 4,40 4,54 4,39 4,55 4,40 4,41 4,43 (0,78)
4,01 3,99 3,87* 4,16 4,36* 3,90 4,10* 3,74 3,95 4,24 3,57 3,95 4,00 (0,96)
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007) Anmerkungen: Mit einem Stern gekennzeichnete Mittelwerte unterscheiden sich signifikant zwischen den jeweiligen Gruppen. Die Abkürzungen bedeuten: „BIO“ = Kostenfaktor biografische Unsicherheit „FREI“ = Kostenfaktor Freiheitsverlust „TRA“ = Nutzenfaktor Transaktionskostenreduzierung „NÄH“ = Nutzenfaktor Nähe und Intimität „NB“ = Nutzenfaktor „Nestbaumotiv“
Personen, die zwar noch nicht mit ihrem Partner zusammengezogen sind, jedoch bereits mehr als zweimal wöchentlich mit ihm in einer Wohnung gemeinsam übernachten, antizipieren ebenfalls in verstärktem Maße Nutzenvorteile des gemeinsamen Haushaltes durch eine Reduzierung von Transaktionskosten. Letztere erscheinen in diesem Fall wahrscheinlich deshalb als vermeidbar, da der Schritt zum endgültigen Zusammenzug nicht mehr groß ist.
„Values of Cohabitation“
135
„Values of Cohabitation“: zeitkonstante oder dynamische Konstrukte? In der bisherigen Forschung werden die Befragten in der Regel im Anschluss an die Haushaltsgründung retrospektiv dazu befragt, warum sie zusammengezogen sind (Sassler 2004; Rhoades et al. 2009). Ähnliche Vorgehehensweisen finden sich auch in Untersuchungen zu den „Values of Marriage“ (Schneider & Rüger 2007) oder „Values of Children“ (z.B. Nauck 2007). Im Rahmen dieses retrospektiven Forschungsdesigns wird implizit von einer zeitlichen Konstanz der subjektiven Motivlagen ausgegangen. Es ist jedoch denkbar, dass der Übergang selbst, im hier betrachteten Fall also die Haushaltsgründung, zu einer Veränderung der Kostenund Nutzeneinschätzungen führt. Beispielsweise ist zu erwarten, dass Personen, die über eine gewisse Zeit hinweg positive Erfahrungen mit dem gemeinsamen Haushalt gemacht haben, die Nutzenaspekte der Kohabitation im Nachhinein höher und die Kostenaspekte niedriger bewerten, als sie es noch vor dem Zusammenzug mit dem Partner getan hätten. Eine Veränderung der Values of Cohabitation kann darüber hinaus auch durch zentrale biografische Übergänge wie die Familiengründung bedingt sein. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden die zeitliche Dynamik der subjektiven Sinnzuschreibungen analysiert. Dies wird dadurch ermöglicht, dass die Values of Cohabitation in der zweiten Welle der TIP-Befragung erneut in unveränderter Form abgefragt wurden, womit ein quasi-experimentelles Design realisierbar ist. Es kann überprüft werden, wie sich die Kosten- und Nutzeneinschätzungen zu t2 im Vergleich zu t1 bei den Personen entwickeln, deren Lebenssituation sich zwischen t1 und t2 verändert. Gegenstand der folgenden Analysen sind Teilnehmer an der zweiten Welle, die sich zu t1 im Ausgangszustand befinden, zu diesem Zeitpunkt also noch keinen gemeinsamen Haushalt mit dem Partner gegründet haben (n = 168). Beim verwendeten Analyseverfahren handelt es sich um DifferenzscoreRegressionen (siehe Anhang A). Zunächst wird überprüft, ob sich die in den vorangehenden Abschnitten beschriebenen Nutzen- und Kostendimensionen in Abhängigkeit von verschiedenen Ereignissen, die sich zwischen t1 und t2 ereignet haben, verändern. Berücksichtigt werden der Zusammenzug mit dem Partner, die Familiengründung, ein Erwerbseinstieg bzw. die Beendigung der Schulausbildung sowie die Haushaltsgründung eines mit der Zielperson befreundeten Paares. Als zentrales Ergebnis kann zunächst festgehalten werden, dass die Haushaltsgründung selbst zumindest kurzfristig nicht mit einer Veränderung der Values of Cohabitation einhergeht (Ergebnisse nicht tabellarisch dargestellt). Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die zu t2 befragten Personen, die zusammengezogen sind, häufig erst wenige Monate mit ihrem Partner kohabitieren. Der Maximalwert beträgt wie dargestellt aus erhebungstechnischen Gründen 12 Monate. Eine Veränderung der
136
„Values of Cohabitation“
Kosten- und Nutzeneinschätzungen könnte sich möglicherweise erst mittel- und langfristig ergeben. Dies kann mit den vorliegenden Daten jedoch nicht überprüft werden. Weiterhin zeigen die Analysen, dass auch dann keine Veränderung der Motivlagen über die Zeit festzustellen ist, wenn die befragten Personen zwischen t1 und t2 ihre Schulausbildung beenden oder ins Erwerbsleben einsteigen. Theoretisch wäre es denkbar gewesen, dass sich insbesondere die Kosten der Haushaltsgründung, die in biografischen Unsicherheiten bestehen, infolge der genannten Übergänge reduzieren; auch hier ist allerdings der zeitlich begrenzte Beobachtungszeitraum in Rechnung zu stellen. Signifikante Veränderungen von subjektiven Kostenaspekten des Haushaltes zu t2 ergeben sich jedoch, wenn die befragten Zielpersonen zwischen t1 und t2 eine Familie gegründet haben. In Abbildung 8.1 ist die Veränderung der Kostendimension „biografische Unsicherheit“ zwischen den beiden Messzeitpunkten getrennt für Personen dargestellt, die zwischen den Wellen entweder den Übergang zur Elternschaft vollzogen haben (treatment-Gruppe) oder nicht (Kontrollgruppe). Es zeigt sich zum einen, dass die subjektiv antizipierten Kosten in beiden Gruppen zum zweiten Messzeitpunkt niedriger liegen, was auf Alterseffekte zurückzuführen sein kann. Zum anderen wird deutlich, dass sich die Kosten bei Personen mit Familiengründung zum zweiten Messzeitpunkt stärker reduziert haben als in der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied in der Entwicklung der beiden Gruppen ist nach Maßgabe einer Differenzscore-Regression, auch dieses Ergebnis ist aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht tabellarisch dargestellt, statistisch auf dem 5%-Niveau signifikant (t = 2,5).53 Somit können Querschnittbefunde abgesichert werden, wonach Personen mit mindestens einem Kind in signifikant geringerem Maße der Meinung sind, dass biografische Unsicherheiten gegen eine Haushaltsgründung mit dem Partner sprechen. Die auf der Varianz innerhalb von Personen basierende Längsschnittanalyse spricht dafür, dass die Familiengründung tatsächlich kausal zu einer Reduzierung dieser biografischen Unsicherheiten führt.
53
Die Grundlage der berichteten t-Werte ist ein multivariates Regressionsmodell, in das neben dem Alter der Zielperson zu t1 alle untersuchten Veränderungen (Haushaltsgründung, Familiengründung, Erwerbseinstieg, Ende der Schulausbildung, Zusammenzug eines befreundeten Paares) gemeinsam eingehen. In den Abbildungen werden die bivariaten Effekte ausgewiesen.
137
„Values of Cohabitation“ Abbildung 8.1:
Veränderung des Kostenaspekts „biografische Unsicherheit“ in Abhängigkeit von einer zwischenzeitlichen Familiengründung Familiengründung ja nein
Biografische Unsicherheit (Mittelwert)
4,50
4,00
3,50
3,00
2,50
2,00 1
2 Befragungswelle
Ein ähnlicher Effekt der Familiengründung ist auch bei der Kostendimension „Freiheitsverlust“ zu beobachten (Diagramm nicht dargestellt). Hier reduzieren sich ebenfalls die subjektiv wahrgenommenen Kosten zum zweiten Messzeitpunkt bei denjenigen Personen, die eine Familie gründen, stärker als in der Referenzgruppe ohne einen Übergang zur Elternschaft. Dieser Effekt ist statistisch auf dem 5%Niveau signifikant (t = 2,0). Befürchtungen, durch den Zusammenzug persönliche Freiheit und Ungebundenheit einzubüßen, verlieren also an Bedeutung, wenn eine Familie gegründet wird und sich die Notwendigkeit ergibt, die Kinderbetreuung effizient zu organisieren.
138
„Values of Cohabitation“
Nutzenfaktor: Nähe und Intimität (Mittelwert)
Abbildung 8.2:
Veränderung des Nutzenaspekts „Nähe und Intimität“ in Abhängigkeit von einer zwischenzeitlichen Haushaltsgründung eines befreundeten Paares Befreundetes Paar zieht zusammen ja nein
4,60
4,50
4,40
4,30
4,20 1
2 Befragungswelle
Ferner ergeben sich Hinweise darauf, dass auch Ereignisse im Freundschaftsnetzwerk der Zielpersonen zu einer Anpassung der Values of Cohabitation führen können. In Abbildung 8.2 ist die Veränderung der Nutzendimension „Nähe und Intimität“ zwischen den beiden Messzeitpunkten getrennt für Personen dargestellt, in deren Freundschaftsnetzwerk entweder mindestens ein Paar zwischen den Wellen zusammengezogen ist oder nicht. Es wird deutlich, dass der subjektiv antizipierte Nutzen in beiden Gruppen angestiegen ist. Gleichzeitig ist zu erkennen, dass der Anstieg der Nutzeneinschätzung bei Personen, die den Zusammenzug eines befreundeten Paares erlebt haben, stärker ausgeprägt ist als in der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied in der Entwicklung der beiden Gruppen ist statistisch auf dem 5%-Niveau signifikant (t = 2,1). Beobachten also die Zielpersonen, wie sich befreundete Paare im Zuge der Haushaltsgründung näher kommen, nehmen sie diesen Nutzenaspekt offensichtlich auch selbst stärker wahr. Dies spricht dafür, dass es im Hinblick auf partnerschaftsbezogene Übergänge zu ,Ansteckungseffekten‘ innerhalb von sozialen Netzwerken kommen kann (siehe Kapitel 7).
„Values of Cohabitation“
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Bisher wurde auf die Veränderung der Values of Cohabitation in Abhängigkeit von verschiedenen Ereignissen, die zwischen t1 und t2 eintreten, eingegangen. Darüber hinaus wurde im Rahmen der TIP-Befragung erhoben, wie sich subjektive Beziehungswahrnehmungen, z.B. die Zukunftsorientierung der Partner, zwischen den beiden Messzeitpunkten verändern. In Tabelle 8.4 sind hierzu die Ergebnisse von Differenzscore-Regressionen dargestellt. Deren abhängige Variable sind die Veränderungen der fünf Kosten- bzw. Nutzendimensionen des gemeinsamen Haushaltes zwischen den Messzeitpunkten. Die jeweilige Ausprägung zu t2 wird von der Ausprägung zu t1 abgezogen. Der Wert 0 bedeutet also, dass sich der entsprechende Nutzen- bzw. Kostenaspekt nicht verändert hat. Positive Werte zeigen eine Erhöhung an, negative Werte eine Reduzierung. Bei den unabhängigen Variablen handelt es sich um eine Skala zur Zukunftsorientierung (siehe hierzu Anhang A) sowie um die subjektiven Wahrscheinlichkeiten, innerhalb der nächsten 2 Jahre mit dem Partner zusammenzuziehen bzw. ihn zu heiraten, beide gemessen auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent. Die genannten unabhängigen Variablen gehen ebenfalls in der Form von Differenzscores in die Analyse ein (t2-t1). Gegenstand der Analyse sind Personen, die sich zu t1 in der Lebensform LAT befinden und bis t2 weder mit ihrem Partner zusammengezogen sind, noch sich von ihm getrennt haben (n = 82). Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere eine Veränderung der Zukunftsorientierung, also des subjektiven Glaubens an eine langfristige gemeinsame Zukunft mit dem Partner, mit einer Anpassung der Values of Cohabitation einhergeht. Verstärkt sich die Zukunftsorientierung zwischen t1 und t2, werden Kosten der Haushaltsgründung, die in einem Freiheitsverlust bestehen, in signifikant geringerem Maße wahrgenommen (Beta = -,45). Eine subjektive Destabilisierung der Partnerschaft, also eine Reduzierung der Zukunftsorientierung über die Zeit, geht also mit einer Verstärkung der Befürchtung einher, im Zuge der Haushaltsgründung die eigene Freiheit und Ungebundenheit einzubüßen.54 Neben einer Reduzierung der Kosten führt eine Verstärkung der Zukunftsorientierung dazu, dass sich die Wahrnehmung des Kohabitationsnutzens durch eine Transaktionskostenreduzierung (Beta = ,25) und durch mehr Intimität und Nähe (Beta = ,27) über die Zeit verstärkt. Diese Ergebnisse korrespondieren mit der aus der Austauschtheorie abgeleiteten Annahme, dass Akteure soziale Beziehungen verdichten, die eine beiderseitige Nutzensteigerung, hier ausgedrückt durch eine hohe Zukunftsorientierung, versprechen.55 54
55
Darüber hinaus ist ein Unterschied zwischen Personen festzustellen. Unabhängig von der differierenden Veränderung der Gruppen über die Zeit, weisen diejenigen Personen, deren Zukunftsorientierung zwischen t2 und t1 entweder sinkt oder unverändert bleibt, einen höheren Ausgangsmittelwert bei diesem Kostenfaktor auf (nicht dargestellt). Im Falle der Veränderung von metrischen Indikatoren über die Zeit ist im vorliegenden ZweiWellen-Ansatz nicht abschließend zu klären, ob eine Veränderung des Prädiktors (z.B. der Zu-
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Tabelle 8.4:
Entwicklung der Values of Cohabitation in Abhängigkeit von Veränderungen in der Partnerschaft (Beta-Koeffizienten, t-Werte in Klammern)
BIO Differenz (t2-t1) Zukunftsorientierung Haushaltsgründungsabsicht Heiratsabsicht Alter Zielperson (t1) r² (korrigiert)
,15 (1,3) ,01 (0,1) -,15 (-1,0) -,03 (-1,1) ,02
FREI
Differenz (t2-t1) TRA NÄH
-,45** (-4,1) ,19 (1,3) -,10 (-0,8) ,00 (0,0) ,15
,25* (2,0) ,40** (2,9) -,16 (-1,2) -,02 (-0,8) ,17
,27* (2,2) -,02 (-0,2) -,02 (-0,1) ,08 (0,7) ,02
NB ,11 (0,9) ,10 (0,7) -,37* (-2,6) ,06 (0,5) ,05
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008) Anmerkungen: + p < .10; * p .05; ** p .01; n = 82; OLS-Regression; Personen, die in Welle 1 in der Lebensform LAT sind und sich bis t2 nicht getrennt haben.
In Tabelle 8.4 ist weiterhin ersichtlich, dass ein starker positiver Zusammenhang zwischen einer Erhöhung der Haushaltsgründungsabsicht und einer verstärkten Wahrnehmung der Nutzendimension „Transaktionskostenreduzierung“ besteht (Beta = ,40). Diejenigen Personen, deren Haushaltsgründungsabsicht zwischen den Messzeitpunkten stark angestiegen ist, nehmen auch deutlich mehr Nutzen durch eine Transaktionskostenreduzierung im Zuge des Zusammenzugs wahr. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die (antizipierten) praktischen Vereinfachungen des Alltags einen Anreiz darstellen, der dazu führt, dass die Haushaltsgründung verstärkt in Erwägung gezogen wird. Schließlich wird deutlich, dass eine sich zwischen den Messzeitpunkten verstärkende Heiratsabsicht damit einhergeht, dass das „Nestbaumotiv“, also die Funktion des gemeinsamen Haushaltes als Zuhause für gemeinsame Kinder, in verringertem Maße wahrgenommen wird. Dieser Befund deutet darauf hin, dass an dieser Stelle von einem Konkurrenzverhältnis zwischen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft und der Ehe auszugehen ist. Personen, die zu einer Heirat tendieren, sehen offen-
kunftsorientierung) zu einer Veränderung der Values of Cohabitation führt, oder ob die kausale Effektrichtung umgekehrt ist. Um hier genauere Aussagen treffen zu können, sind mehr als zwei Wellen erforderlich.
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sichtlich in erster Linie die Ehe als Lebensform an, die im Falle von gemeinsamen Kindern angemessen ist.
Sagen die „Values of Cohabitation“ den Übergang in den gemeinsamen Haushalt vorher? Die Ergebnisse von Ereignisdatenanalysen Im folgenden Abschnitt gilt es nun zu klären, ob die subjektiv antizipierten Kostenund Nutzenaspekte des gemeinsamen Haushalts den tatsächlichen Übergang vorhersagen. Erweisen sich die Values of Cohabitation hierbei als prädiktiv, kann dies als Hinweis darauf gewertet werden, dass der Zusammenzug zumindest teilweise auf eine rationale Entscheidung zurückzuführen ist, in der Kosten und Nutzen gegeneinander abgewogen werden. Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Analyse liegt nicht auf einer deskriptiven Beschreibung des Übergangsprozesses, für die andere Datenquellen wesentlich besser geeignet sind. Dennoch sei zum allgemeinen Prozessverlauf auf Kapitel 4 verwiesen, in dem in Abbildung 4.1 eine Überlebensfunktion zur Haushaltsgründung ausgewiesen wird (basierend auf zu t1 gemessenen Retrospektivdaten). Nach Maßgabe dieser Analyse aus der Paarperspektive sind nach einer Partnerschaftsdauer von einem Jahr 25 Prozent der hier untersuchten Paare zusammengezogen. Der Median der Überlebenszeit, also der Punkt der Prozesszeit, an dem die Hälfte aller Paare zusammengezogen sind, wird im 30. Monat nach Beginn der Partnerschaft erreicht. Fünf Jahre nach dem Kennenlernen sind 76 Prozent der Paare zusammengezogen. Da die TIP-Daten regional begrenzt sind56, sei kurz auf eine einschlägige aktuelle Studie von Kley und Huinink (2006: 137) verwiesen, die auf repräsentativen Daten basiert. Die Autoren berichten komplementäre Überlebensfunktionen für den Übergang ostdeutscher Männer und Frauen zum ersten Zusammenzug über das Alter; die Datengrundlage ist die Lebensverlaufsstudie des MPI. Es zeigt sich, dass von allen ostdeutschen Frauen im 22. Lebensjahr etwa 50 Prozent und zum 26. Lebensjahr circa 75 Prozent erstmals in ihrem Leben mit einem Partner zusammengezogen sind. Bei ostdeutschen Männern wird der Median der Überlebenszeit mit 25,5 Jahren etwa drei Jahre später erreicht. Westdeutsche Männer und Frauen vollziehen den Übergang in die Kohabitation zudem – im Vergleich mit ostdeutschen – langsamer.
56
Zudem ist zu bedenken, dass im Rahmen der TIP-Befragung nur Personen zum Übergang in die Kohabitation retrospektiv befragt wurden, die sich zum Befragungszeitpunkt in einer Partnerschaft befinden. Bei dieser Vorgehensweise kann eine Überrepräsentation stabiler Partnerschaften und möglicherweise eine Überschätzung der Übergangsrate nicht ausgeschlossen werden.
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„Values of Cohabitation“
Methodische Anmerkungen Bevor die Ergebnisse der Ereignisdatenanalysen mit vorliegenden Daten der TIP-Untersuchung vorgestellt werden, sollen hier einige methodische Vorbemerkungen zusammengefasst werden: Die in Tabelle 8.5 dargestellte CoxRegression umfasst einen Beobachtungszeitraum von Partnerschaftsbeginn bis zur Haushaltsgründung bzw. bis zur Rechtszensierung zu t1. Die Baselinehazardrate basiert auf der Partnerschaftsdauer in Monaten. Da die Annahme proportionaler Hazardraten für die Variable Geschlecht und für den Nutzenfaktor „Nestbaumotiv“ nicht erfüllt ist, wird das Modell stratifiziert nach Geschlecht geschätzt sowie ein entsprechender Interaktionseffekt mit der Verweildauer berücksichtigt. Neben den insgesamt fünf Skalen zu den Values of Cohabitation, die als Mittelwert der Einzelitems gebildet werden, gehen folgende weitere unabhängige Variable in das Modell ein: x Eine Dummy-Variable, die mit 1 codiert wird, wenn die Zielperson oder ihr Partner die Familiengründung vollzogen haben. Diese Variable wird im Rahmen eines Episodensplittings zeitabhängig gemessen. Aus diesem Grund ist die Zahl der Spells größer als die Zahl der Personen. x Eine Dummy-Variable, die den Wert 1 annimmt, wenn die Zielperson zu t1 in Schul- oder Berufsausbildung ist. x Eine Dummy-Variable, die mit 1 codiert wird, wenn sich die Eltern der Zielperson getrennt haben bzw. geschieden sind (zum Zeitpunkt t1). x Das Alter bei Partnerschaftsbeginn, das erwartungsgemäß einen positiven Effekt hat.
In Tabelle 8.5 ist die Cox-Regression dargestellt, in der nun getestet wird, welchen Effekt die Values of Cohabitation auf die Übergangsrate in die Kohabitation haben. Zunächst ist festzustellen, dass sich die Übergangsrate in die Kohabitation – zumindest in Modell 3 – in Abhängigkeit aller Nutzenaspekte signifikant erhöht. In ergänzenden Analysen stellt sich heraus, dass der positive Effekt des Nutzenfaktors „Nestbaumotiv“ auf die Übergangsrate über die Prozesszeit nicht proportional ist. Daher fließt zusätzlich ein Interaktionseffekt zwischen dieser Variablen und der Prozesszeit (+1 Monat) in das Modell ein. Der konditionale Haupteffekt des Nutzenfaktors „Nestbaumotiv“ in Modell 1 (b = 1,90) bezieht sich auf den ersten Monat nach dem Kennenlernen der Partner. Der dabei signifikante negative Interaktionseffekt (b=-,06) zeigt, dass sich der positive Effekt dieses Nutzenfaktors mit steigender Partnerschaftsdauer abschwächt.
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„Values of Cohabitation“ Tabelle 8.5:
Einflüsse der Values of Cohabitation auf den Übergang zum ersten gemeinsamen Haushalt bis t1 (Cox-Regression, bKoeffizienten, t-Werte in Klammern) 1
Values of Cohabitation (t1) Freiheitsverlust Biografische Unsicherheit Mehr Intimität und Nähe Transaktionskostenreduzierung „Nestbaumotiv“ „Nestbaumotiv“ * Verweildauer
,10 (1,2) -,25** (-4,1) ,15 (1,6) ,23** (3,1) 1,90** (14,6) -,06** (-16,6)
Soziodemografie Alter bei Partnerschaftsbeginn Eltern getrennt bzw. geschieden
-
Zielperson ist in Ausbildung
-
Zielperson hat Familie gegründet
-
Reduzierung der Log-Likelihood Anzahl der Ereignisse Anzahl der Spells Anzahl der Personen
696,4**
Modell 2 ,09** (6,3) ,08 (0,6) -,38* (-2,0) ,77** (2,6) 71,2** 275 591 579
3 ,08 (1,0) -,19** (-3,0) ,23* (2,2) ,22** (2,9) 1,80** (13,7) -,06** (-16,4) ,04* (2,4) ,24+ (1,8) -,62** (-3,2) ,64* (2,0) 722,7**
Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008) Anmerkungen: + p < .10; * p .05; ** p .01; Cox-Regression auf den Übergang in die Kohabitation vor t1; Personen in den Lebensformen LAT und NEL in Welle 1; geschichtete Schätzung nach Geschlecht.
Im Vergleich der Modelle 2 und 3 wird darüber hinaus deutlich, dass sich der in Modell 2 relativ starke, positive Effekt einer Familiengründung auf die Übergangsrate (b = 0,77) in Modell 3 reduziert (b = 0,64), wenn die Kosten- und Nutzenein-
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schätzungen kontrolliert werden. In vertiefenden Analysen zeigt sich, dass hierfür in erster Linie der Nutzenaspekt „Nestbaumotiv“ verantwortlich ist. Der Vorteil des gemeinsamen Haushalts, Kindern ein Zuhause zu bieten, ist also erwartungsgemäß für all diejenigen Personen von verstärkter Bedeutung, die den Übergang zur Familiengründung vollziehen. Im Hinblick auf die Kostenaspekte fallen die Ergebnisse gemischt aus. Der Kostenfaktor „biografische Unsicherheit“ hat einen relativ starken negativen Einfluss auf die bedingte Wahrscheinlichkeit eines Zusammenzugs. In diesem Zusammenhang zeigt sich darüber hinaus in Übereinstimmung mit der vorliegenenden Forschung, dass eine Ausbildungsphase den Zusammenzug verzögert (Müller 2006: 239f.). Die Wahrnehmung von biografischen Unsicherheiten scheint jedoch nicht ausschließlich auf die Tatsache zurückzuführen zu sein, dass sich eine Person noch in Schul- bzw. Berufsausbildung befindet. Dafür spricht das Ergebnis, dass sich der negative Effekt dieses Kostenaspekts im Vergleich der Modelle 1 und 3 nur leicht reduziert (von b = -,25 auf b = -,19). Die hier präsentierten Ergebnisse sprechen insgesamt für die prädiktive Validität der Values of Cohabitation, die – mit Ausnahme des Kostenaspekts „Freiheitsverlust“57 – jeweils statistisch bedeutsame Effekte auf die Übergangsrate ausüben. Die Einflüsse der gemessenen Motivlagen sind jedoch nicht nur signifikant, sondern tragen auch in starkem Maße zur Erklärungskraft des Regressionsmodells bei. Dies wird offensichtlich, wenn man die Reduzierung der Likelihood-Funktion bei Einführung von Kovariaten in das Modell betrachtet. Diese fällt für den Variablenblock mit den Values of Cohabitation stärker aus als in Modell 2, in dem die soziodemografischen Variablen Ausbildungsstatus, Familiengründung und Scheidung der Eltern enthalten sind. Dies ist allerdings, wie vertiefende Analysen zeigen, hauptsächlich auf den Interaktionseffekt zwischen der Prozesszeit und dem Nutzenfaktor „Nestbaumotiv“ zurückzuführen. Bei Ereignisdatenanalysen auf der Basis von Retrospektivdaten kann zwar auf eine relativ große Fallzahl zurückgegriffen werden. Es besteht jedoch das Problem, dass die Values of Cohabitation zu einem Zeitpunkt gemessen werden, zu dem einige Personen bereits zusammengezogen sind. Damit ist nicht auszuschließen, dass die Haushaltsgründung selbst die Kosten- und Nutzeneinschätzungen verändert hat. Ein weiterer Nachteil dieser Analyse besteht darin, dass hier nur zu t1 bestehende Partnerschaften einfließen. Mit dieser Vorgehensweise kann eine Positivselektion stabiler Paare verbunden sein. Aus diesen Gründen wird im Folgenden zusätzlich eine Analyse auf der Basis von Paneldaten vorgenommen. Hier wird überprüft, inwieweit die zu t1 gemessenen Motivlagen den Übergang zwischen t1 57
In einem reduzierten Modell übt auch dieser Kostenfaktor einen signifikanten negativen Effekt aus. Werden jedoch zusätzlich die Faktoren „Nähe und Intimität“ sowie „biografische Unsicherheit“ kontrolliert, mit denen der Kostenfaktor „Freiheitsverlust“ signifikant korreliert, wird der entsprechende Effekt insignifikant.
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und t2 vorhersagen. Die Panelanalyse umfasst mit der Trennung der Partnerschaft darüber hinaus ein ,konkurrierendes Risiko‘ zur Haushaltsgründung. Auf diese Weise kann direkt überprüft werden, ob die Values of Cohabitation mit dem Trennungsrisiko zusammenhängen und es insofern zu Selektionseffekten kommt.
Methodische Anmerkungen Bevor die Ergebnisse berichtet werden, erscheinen zunächst einige methodische Vorbemerkungen notwendig. Die in Tabelle 8.6 dargestellte komplementäre loglogistische Regression basiert auf einem Datensatz, in dem für jeden einzelnen Monat ab t1, zu dem ein Ereignis eintreten kann, eine einzelne Beobachtung (Personen-Monat) gebildet wird. Zieht eine Person also zwischen Winter 2007 und Winter 2008 nicht mit ihrem Partner zusammen und trennt sich auch nicht von ihm, fließen für diese Person maximal 13 rechtszensierte Personen-Monate in den Datensatz ein. Der Beobachtungszeitraum endet durch eines der konkurrierenden Ereignisse Haushaltsgründung oder Trennung bzw. durch eine Rechtszensierung zu t2. Analysiert wird in den Modellen 1-3 der Übergang in den gemeinsamen Haushalt (Bedingung: keine Trennung) bzw. in Modell 4 der Übergang in eine Trennung (Bedingung: keine Haushaltsgründung). Folgende Kovariate fließen in das Regressionsmodell ein: x Zur Modellierung der Verweildauerabhängigkeit wird die zeitabhängige Partnerschaftsdauer in Monaten berücksichtigt. Diese hängt signifikant negativ mit der Übergangsrate in eine Trennung zusammen. Für den Übergang in die Kohabitation zeigt sich entgegen den Erwartungen kein Zusammenhang. Dies gilt auch für alternative Formen der Operationalisierung (Einteilung der Partnerschaftsdauer in Kategorien, linearer + logarithmierter Term). x Weiterhin wird eine zeitabhängige Dummy-Variable berücksichtigt, die misst, ob die Zielperson im jeweiligen Monat in Berufs- oder Schulausbildung ist. x Ebenfalls monatsgenau wird gemessen, ob die Zielperson in ihrer Partnerschaft den Übergang zur Elternschaft vollzieht. x Darüber hinaus ist eine Dummy-Variable zur Scheidung bzw. Trennung der Eltern der Zielpersonen zum Zeitpunkt t1 enthalten. x Eine weitere Variable, die in bisherigen Studien selten berücksichtigt wurde, ist die Anzahl der wöchentlichen gemeinsamen Übernachtungen der Zielperson mit ihrem Partner in einer Wohnung (6fach abgestuftes Antwortformat von 1 = gar nicht bis 6 = jeden Tag). Diese Frage wurde nur Personen in der Lebensform LAT zu t1 gestellt.
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„Values of Cohabitation“
Im Rahmen der Panelanalyse können zunächst zwei Beschleunigungsfaktoren beim Übergang in einen gemeinsamen Haushalt identifiziert werden. Es zeigt sich, dass sich die bedingte Wahrscheinlichkeit eines Zusammenzugs zwischen t1 und t2 umso mehr erhöht, desto häufiger die Partner im unmittelbaren Zeitraum vor t1 bereits wöchentlich in einer Wohnung gemeinsam übernachtet haben (b = ,47, Modell 2). Dieser interessante Befund korrespondiert direkt mit dem von Sassler (2004) berichteten Ergebnis, wonach das Tempo des Zusammenzugs vor allem davon abhängt, wie eng der Kontakt der Partner im vorangehenden Zeitraum mit getrennten Haushalten war. Außerdem kann – im Unterschied zu der Analyse auf der Basis von Retrospektivdaten – ein positiver Effekt einer Scheidung bzw. Trennung der Eltern auf die Übergangsrate nachgewiesen werden (b = ,77, Modell 2), der ebenfalls forschungskonform ist (vgl. Teachmann 2003). Von den Values of Cohabitation erweisen sich in Modell 1 lediglich der Kostenfaktor „biografische Unsicherheit“ sowie der Nutzenfaktor „Transaktionskostenreduzierung“ als prädiktiv. Dass die Nutzenfaktoren „Intimität und Nähe“ sowie „Nestbaumotiv“ – im Unterschied zur retrospektiven Ereignisdatenanalyse – nicht mehr bedeutsam sind, kann einerseits durch die geringe Fallzahl bedingt sein (41 Zusammenzüge zwischen den Wellen). Andererseits ist aber auch denkbar, dass diese Aspekte nicht Gegenstand des individuellen Entscheidungsprozesses sind, sondern eher nicht intendierte Folgen der Kohabitation. Ein Vergleich der Modelle 1 und 3 führt zu dem Ergebnis, dass der positive Effekt des Nutzenfaktors „Transaktionskostenreduzierung“ auf die Übergangsrate bei Kontrolle der weiteren Variablen im unteren Tabellenteil insignifikant wird. Dies ist nach vertiefenden Analysen vor allem darauf zurückzuführen, dass Personen, die zu t1 bereits häufig mit ihrem Partner in einer Wohnung übernachtet haben, mehr Nutzen des gemeinsamen Haushaltes durch eine Transaktionskostenreduzierung wahrnehmen (siehe auch Tabelle 8.3). Verbringen die Partner also bereits ohnehin viel Zeit miteinander in einer Wohnung, liegen die praktischen Vereinfachungen des alltäglichen Lebens durch eine endgültige Zusammenlegung der Haushalte besonders nahe und werden nach den Ergebnissen der Ereignisdatenanalyse häufig auch in die Tat umgesetzt.
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„Values of Cohabitation“ Tabelle 8.6:
Einflüsse der Values of Cohabitation auf den Übergang zum ersten gemeinsamen Haushalt und die Partnerschaftsstabilität zwischen t1 und t2 (komplementäre log-logistische Regression, b-Koeffizienten, t-Werte in Klammern) Haushaltsgründung Modell 1 2 3
Values of Cohabitation (t1) Freiheitsverlust Biografische Unsicherheit Mehr Intimität und Nähe Transaktionskostenreduzierung „Nestbaumotiv“
-,19 (0,9) -,66** (-3,4) ,01 (0,0) ,41* (2,1) ,22 (1,2)
Soziodemografie Eltern getrennt bzw. geschieden
-
Zielperson ist in Ausbildung
-
Zielperson hat Familie gegründet
-
Anzahl Übernachtungen mit Partner Partnerschaftsdauer (Monate)
,00 (0,0)
Anzahl der Ereignisse Anzahl der Spells Anzahl der Personen
,77* (2,3) -,05 (0,1) ,81+ (1,8) ,47** (3,4) ,00 (0,0) 41 1618
Trennung 4
-,38+ (-1,7) -,59** (-3,0) ,03 (0,1) ,16 (0,8) ,13 (0,7)
,07 (0,4) ,18 (0,9) ,03 (0,2) -,23+ (-1,7) -,07 (-0,5)
,85* (2,2) ,19 (0,5) ,78 (1,5) ,39** (2,6) -,01 (-0,5)
,45 (1,4) -,19 (0,6) ,40 (0,6) -,12 (1,4) -,03** (-2,7) 58 1623
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Quelle: TIP-Befragung (1. Welle 2007 und 2. Welle 2008) Anmerkungen: + p> .10; * p .05; ** p .01; Komplementäre log-logistische Regression auf den Übergang in die Kohabitation zwischen t1 und t2 (Modelle 1-4) bzw. auf die Trennung zwischen t1 und t2 (Modell 4); Personen in der Lebensform LAT in Welle 1
Weiterhin ist auffällig, dass in Modell 3 ein tendenziell signifikanter negativer Einfluss des Kostenfaktors „Freiheitsverlust“ auf die Übergangsrate besteht, der in
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„Values of Cohabitation“
allen vorangehenden Analysen nicht zu beobachten war. Verantwortlich hierfür ist ein Supressionseffekt, der sich über die Variable „Scheidung der Eltern“ vermittelt. Personen, deren Eltern getrennt oder geschieden sind, antizipieren verstärkt die Kosten des gemeinsamen Haushaltes, die in Autonomieverlusten bestehen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass das Scheidungsereignis häufig zu einer Auflösung des Elternhaushaltes in seiner ursprünglichen Form führt und die Scheidungskinder zu einer eigenen Haushaltsgründung gedrängt werden, obwohl sie sich subjektiv noch nicht dazu bereit fühlen. Ebenso ist denkbar, dass dadurch eine generelle Skepsis der Scheidungskinder gegenüber einer engen partnerschaftlichen Bindung zum Ausdruck kommt, da sie das Scheitern der elterlichen Ehe bereits miterlebt haben. Der Nettoeffekt des Kostenfaktors Freiheitsverlust auf die Übergangsrate, d.h. nach Kontrolle der Scheidung der Eltern, ist signifikant negativ. Schließlich ist in Modell 4 zu erkennen, dass die Values of Cohabitation kaum mit der bedingten Wahrscheinlichkeit einer Trennung zusammenhängen. Nachzuweisen ist lediglich ein tendenziell signifikanter Effekt, wonach Personen, die sich von der Haushaltsgründung eine Reduzierung von Transaktionskosten versprechen, ein geringeres Trennungsrisiko aufweisen.
Ist mit den „Values of Cohabitation“ ein Erkenntnisgewinn verbunden? Eine kurze Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wurden verschiedene Nutzen- und Kostenaspekte der Kohabitation direkt gemessen, die sich in insgesamt fünf Dimensionen einteilen lassen. Von den Akteuren antizipierte Kosten des Haushaltes bestehen – absteigend nach ihrer Relevanz geordnet – in biografischen Unsicherheiten (z.B. aufgrund einer noch nicht abgeschlossenen Berufsausbildung) sowie in Autonomieverlusten. Nutzenvorteile der Kohabitation erwachsen aus einem Zugewinn an Nähe und Intimität, einer Reduzierung von Transaktionskosten durch praktische Vereinfachungen des Alltages und durch die Möglichkeit, Kindern im Rahmen einer kosteneffizienten Haushaltsführung ein Zuhause bieten zu können. Die verschiedenen Kosten- und Nutzenwahrnehmungen hängen systematisch mit soziodemografischen Merkmalen der Befragten zusammen. Kosten der Haushaltsgründung infolge von biografischen Unsicherheiten werden z.B. verstärkt von Personen wahrgenommen, die noch in Schul- oder Berufsausbildung sind. Vorteile der Kohabitation durch eine Reduzierung von Transaktionskosten erscheinen Personen als besonders attraktiv, die zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln müssen oder die – trotz getrennter Haushalte – bereits häufig mit ihrem Partner gemeinsam in einer Wohnung übernachten. Die weiteren Analysen zeigen, dass es sich bei den identifizierten Motivlagen um zeitlich dynamische Konstrukte handelt. Veränderungen der Values of Cohabitation
„Values of Cohabitation“
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ergeben sich zum einen infolge von verschiedenen Ereignissen: Die Kostenfaktoren „biografische Unsicherheit“ und „Freiheitsverlust“ verlieren an Bedeutung, wenn der Übergang zur Elternschaft vollzogen wird. Außerdem ergeben sich Hinweise auf Ansteckungseffekte innerhalb von Freundschaftsnetzwerken, da der Nutzenfaktor „Nähe und Intimität“ als Reaktion auf den Zusammenzug eines befreundeten Paares verstärkt wahrgenommen wird. Auch Veränderungen der Partnerschaft gehen mit einer Anpassung der antizipierten Kosten- und Nutzenaspekte einher. Steigt z.B. die Zukunftsorientierung, wird auch der Nutzen des gemeinsamen Haushaltes, der in einer Transaktionskostenreduzierung und einem Zugewinn an Nähe und Intimität besteht, verstärkt antizipiert. Eine Destabilisierung der Partnerschaft, die in einer Reduzierung der Zukunftsorientierung über die Zeit zum Ausdruck kommt, führt dagegen zu einer verstärkten Relevanz der Kosten einer Haushaltsgründung, die in Autonomieverlusten bestehen. Die Analysen im vorliegenden Beitrag ergeben allerdings keine Hinweise darauf, dass der Zusammenzug die Values of Cohabitation beeinflusst; die Befunde haben jedoch insofern einen vorläufigen Charakter, da der Beobachtungszeitraum vergleichsweise kurz ist. Die relativ aufwendige Erhebung subjektiver Einschätzungen zur Haushaltsgründung ist vor allem dann gerechtfertigt, wenn sich mit ihrer Hilfe der tatsächliche Übergang in die Kohabitation vorhersagen lässt. Ereignisdatenanalysen auf der Basis von Retrospektivdaten führen hier zu dem Ergebnis, dass alle Kosten- und Nutzendimensionen – mit Ausnahme des Kostenaspektes „Freiheitsverlust“ – in erwarteter Weise, unabhängig voneinander und bei Kontrolle einiger soziodemographischer Merkmale mit der Übergangsrate zusammenhängen. Diese Ergebnisse sind jedoch insofern mit Vorsicht zu betrachten, da in der entsprechenden Stichprobe knapp die Hälfte der befragten Personen zum Zeitpunkt der Erhebung der Values of Cohabitation bereits zusammengezogen ist. Zusätzlich wurden daher Analysen durchgeführt, in denen die zu t1 gemessenen Kovariaten den Übergangsprozess zwischen t1 und t2 vorhersagen. Hierbei erweisen sich der Kostenfaktor „biografische Unsicherheit“ sowie der Nutzenfaktor „Transaktionskostenreduzierung“ als nach wie vor prädiktiv. Außerdem zeigt sich multivariat ein tendenziell signifikanter negativer Einfluss des Kostenfaktors „Freiheitsverlust“ auf die Übergangsrate. Die genannten Einflüsse der Values of Cohabitation sprechen insgesamt dafür, dass der Übergang in die Kohabitation zumindest teilweise auf rationalen KostenNutzenabwägungen der Akteure basiert, in welche die biografische Planung, wahrgenommene Vorteile durch praktische Vereinfachungen des alltäglichen Lebens und antizipierte Kosten durch Autonomieverluste einfließen. Insofern kann die direkte Messung der genannten Motivlagen durchaus dazu beitragen, den Entscheidungsprozess, welcher der Haushaltsgründung zugrunde liegt, besser zu verstehen.
Kapitel 9 Subjektive Ursachen von Trennungen in nichtehelichen Partnerschaften
Trotz der über die vergangenen Jahrzehnte deutlich gestiegenen Scheidungsraten (Hill & Kopp 2006) gibt es keine empirischen Hinweise auf einen allgemeinen Bedeutungsverlust von Partnerschaft und Familie. Im Gegenteil wird eheliche Instabilität bisweilen gerade als Resultat der besonderen Bedeutung und der hohen Ansprüche an die Qualität von Ehen angesehen (Nave-Herz 2002). Mehr denn je, so könnte spekuliert werden, sehen und nutzen Akteure Partnerschaften als reiche Quelle der Befriedigung affektiver und sozialer Bedürfnisse. Die Entstehung und erfolgreiche Aufrechterhaltung von Paarbeziehungen sind daher erwartungsbeladen. Ihr Scheitern bringt vielfältige und einschneidende Beeinträchtigungen mit sich und wird häufig als persönlicher Misserfolg wahrgenommen (Weber 1998). Damit ist ein Spannungsfeld zwischen gleichbleibend hohem Affiliationsmotiv und einer hohen oder gar gestiegenen Fragilität von Partnerschaften zu konstatieren, das – nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen „Investitionsrisikos“ – partnerschaftliche Institutionalisierungsprozesse überschatten kann. Der bisherige Schwerpunkt dieses Bandes sollte nicht etwa in dem Sinne missverstanden werden, dass Partnerschaftsentwicklung stets in eine Richtung, nämlich die einer unwiderruflich fortschreitenden Institutionalisierung, verläuft. Vielmehr sind auch Prozesse der Deinstitutionalisierung möglich, die im Extremfall die Entscheidung zur Auflösung der Paarbeziehung umfassen können. Im Folgenden wird untersucht, welche Motive und Deutungen Akteure dazu veranlassen, den Verlust der vielfältigen partnerschaftsbezogenen Gratifikationen in Kauf zu nehmen bzw. welche Ursachen für das Scheitern der Partnerschaft aus Sicht desjenigen Partners, der verlassen wird, wahrgenommen werden. Trennungsmotive und -ursachen lassen sich nur sehr eingeschränkt aus der Außenperspektive herkömmlicher Scheidungsstudien beurteilen. Der Grund hierfür besteht primär darin, dass in diesen Arbeiten meist entsprechende implizite Brückenannahmen und eine Handlungstheorie wie etwa die Theorie rationaler Wahl vorgegeben sind, durch welche die individuellen Situationsdefinitionen und deren subjektive Spiegelungen nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. In jüngerer Zeit sind auch im Bereich der klassischen Scheidungsforschung wieder vermehrt Versuche zu verzeichnen, diesen stärker subjektorientierten Untersu-
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Subjektive Ursachen von Trennungen
chungsansatz zu berücksichtigen.58 Obgleich das Erklärungspotential sozialstruktureller Merkmale für den skizzierten diachronen Anstieg der Scheidungsraten durchaus nicht zu unterschätzen ist, gibt es theoretische und empirische Hinweise darauf, dass zur Erklärung zusätzlicher Varianz in den zeitlichen Trends und vor allem zur Erklärung synchroner Unterschiede ein Rekurs auf Kognitionen und normative Überzeugungen der Akteure sinnvoll sein kann. Hier sind insbesondere kognitive Ehemodelle, so genannte Eheframes, zu nennen, welche die Überzeugung umfassen, dass die eigene Ehe einen dauerhaften oder gottgewollten Bund darstellt, der keinesfalls aufgrund zeitweiliger Unzufriedenheiten aufgelöst werden darf (Esser 2002a, 2002b; Roussell 1980). Eine die klassische sozialstrukturelle Scheidungsforschung ergänzende Forschungsstrategie besteht darin, die handlungsrelevanten subjektiven Sinndeutungen und Interpretationen der Akteure zu untersuchen, die mit partnerschaftlicher Instabilität in Zusammenhang stehen. Zum einen sind Arbeiten – z.T. aus dem paartherapeutischen Bereich – vorgelegt worden, in denen Abwägungs- und Entscheidungsabläufe im Trennungsprozess rekonstruiert werden (vgl. Donovan & Jackson 1990; Salts 1985). Zum anderen, und diese sollen nachfolgend ausführlicher referiert werden, existieren verschiedene Studien, in denen die subjektiven Trennungsgründe aus Sicht der Akteure retrospektiv eingeschätzt und zu sozialen Merkmalen in Beziehung gesetzt werden.
Welche Trennungsgründe nennen Betroffene? Eine Skizze des Forschungsstands Welches sind die zentralen Gründe, die Befragte für Trennungen angeben? Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst auf die Bedeutung des Entstehungszeitpunkts der Studien hinzuweisen (vgl. Schneider 1990): Während in älteren Studien (vgl. etwa Goode 1965; Levinger 1966) vorwiegend personale (z.B. Alkoholkonsum) und rollenbezogene Probleme (z.B. autoritäres Verhalten des Mannes) genannt werden, gewinnen in jüngeren Arbeiten (Kayser 1990; Schneider 1990; Bodenmann et al. 2002) verstärkt interpersonale Ursachen (z.B. Kommunikationsprobleme, schlechte Passung und mangelndes Zusammengehörigkeitsgefühl) an Bedeutung. Dieser Befund steht in Einklang zu der eingangs erwähnten These, dass die Bedeutung von Rollenerwartungen insgesamt abgenommen hat, während die Ansprüche an das partnerschaftliche Belohnungspotential, welches sich primär in der Kommunikation der Paare manifestiert, gestiegen sind. Der zuletzt genannte Aspekt deckt sich mit systemtheoretischen Familiendiagnosen, nach denen aufgrund einer „Rezeptierung von Aufrichtigkeit und ‚self-disclosure‘“ (Luhmann 1982: 160) familiale Kommunikation zunehmend enthemmt wird, woraus gravierende Belastungen für 58
Erste Arbeiten, die die subjektive Gründe von Scheidungen untersuchen finden sich allerdings schon zu Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Familien (vgl. Goode 1965).
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die Partnerschaft resultieren. Unklar bleibt allerdings, inwieweit diese scheinbaren Veränderungen auf eine entsprechende Vorauswahl der Items zurückzuführen ist; nicht in allen Untersuchungen wird ein offenes Antwortformat benutzt. In der Studie von Amato und Previti (2003), in der die Trennungsgründe inhaltsanalytisch aus offenen Antworten generiert wurden, stehen die „klassischen“ Scheidungsgründe Untreue mit 21,6 Prozent der Fälle sowie Alkoholkonsum mit 10,6 Prozent an erster bzw. dritter Stelle und werden damit insgesamt deutlich häufiger genannt als etwa Kommunikationsprobleme (8,7%), Liebesverlust (4,3%) oder Unglücklichsein (2,9%). Die in dieser Studie verwendeten Daten wurden zwischen 1980 und 1997 erhoben, potentielle zeitliche Trends werden nicht berichtet. Daneben hat die bisherige Forschung gezeigt, dass die angegebenen Trennungsgründe mit verschiedenen Merkmalen der Befragten und der Beziehung zusammenhängen. So zeigen sich zum Teil Geschlechtsunterschiede im Antwortverhalten, die sich häufig in einer vergleichsweise stärkeren allgemeinen Zustimmungstendenz (unabhängig vom konkreten Trennungsgrund) seitens der Frauen manifestieren (Bodenmann et al. 2002). Ähnliche, jedoch statistisch nicht bedeutsame Trends berichtet Schneider (1990); in einer Studie mit dyadischen Daten (Sprecher 1994) ergeben sich allerdings keine Geschlechtsunterschiede. Amato und Previti (2003) finden, dass einige der Scheidungsursachen wie beispielsweise Untreue und Alkoholprobleme häufiger von Frauen genannt werden und dass diese allgemein seltener mit „weiß nicht“ antworten; eine Ausnahme stellen Kommunikationsprobleme dar, die überraschender Weise häufiger von Männern angeführt werden. Der Befund, dass Frauen in der Regel mehr Trennungsgründe nennen als Männer, lässt sich unter Rekurs auf die kognitiv-sozialpsychologischen Forschung erklären, nach der Frauen beziehungsbezogene Informationen genauer verarbeiten als Männer und quantitativ mehr Kognitionen über ihre Partnerschaft abrufen können (Hassebrauck 2003). Da Frauen insgesamt zu einer kritischeren Beurteilung ihrer Paarbeziehung neigen als Männer (vgl. Arránz Becker 2008) und Trennungen unilateral initiiert werden können, sind die beschriebenen Geschlechtsunterschiede durchaus erwartbar. Aus der Studie von Schneider (1990) ergeben sich Hinweise, dass die Anzahl wahrgenommener Trennungsgründe mit dem Institutionalisierungsgrad der Beziehung kovariiert: In hoch institutionalisierten Paarbeziehungen – d.h. in Langzeitbeziehungen, bei Paaren mit (vs. ohne) Kindern und Ehen (gegenüber NEL, auch unter Kontrolle der Beziehungsdauer) – werden signifikant mehr Gründe genannt. Insgesamt deutet das Effektmuster darauf hin, dass die Hemmschwelle einer Trennung in hoch institutionalisierten Lebensformen erhöht ist und daher mehr Belastungsfaktoren wahrgenommen werden müssen, bevor es zu einer Auflösung der Partnerschaft kommt. Eine alternative oder vielleicht auch ergänzende Erklärung besteht darin, dass Beziehungskognitionen und -einstellungen bei Langzeitpaaren elaborierter sind, da hier mehr beziehungsrelevante Informationen im Gedächtnis
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repräsentiert sind. Weiterhin scheinen in Langzeitpartnerschaften zum Teil andere Gründe für die Trennung Ausschlag gebend zu sein als in Beziehungen kurzer Dauer: Ursachen, die auf einen Mismatch zwischen den Partnern hindeuten, werden mit zunehmender Partnerschaftsdauer seltener genannt (z.B. Inkompatibilität oder eine schwierige Persönlichkeit), während häufiger berichtet wird, dass man sich auseinander gelebt hat (Amato & Previti 2003). Daneben finden sich vereinzelt Zusammenhänge zwischen Anzahl oder Art von Trennungsursachen und sozioökonomischem Status. In der Untersuchung von Amato und Previti (2003) berichten höher Gebildete häufiger von „Inkompatibilität“, was durch höhere Ansprüche an ihre Partner erklärbar sein könnte. Die Autoren begründen diesen Befund damit, dass Personen mit hohem sozioökonomischen Status weniger zu einer Nennung instrumenteller Trennungsgründe (z.B. mangelnde finanzielle Möglichkeiten des Mannes) neigen und stattdessen häufiger beziehungsrelevante Probleme (z.B. Kommunikationsschwierigkeiten) angeben (vgl. Goode 1965; Levinger 1966). Ob diese Tendenz in Unterschieden der Partnerschaften selbst oder eher auf sozialer Erwünschtheit und der unterschiedlichen Akzeptanz bestimmter Ursachen beruht, bleibt offen. Einfluss hat schließlich auch die Initiatorrolle im Trennungsprozess: Vermutlich aufgrund der verstärkten kognitiven Beschäftigung mit den Beziehungsproblemen im Rahmen des Trennungsprozesses (vgl. Donovan & Jackson 1990) werden von den Initiatoren der Trennung häufig mehr Ursachen berichtet (Schneider 1990). Insgesamt muss bei der Bewertung der Forschungsbefunde in Rechnung gestellt werden, dass in bisherigen Studien überwiegend Geschiedene und damit eben getrennte Ehepartner befragt wurden. Es ist zu erwarten, dass sich die quantitative Bedeutung der einzelnen Trennungsgründe zwischen verschiedenen Lebensformen unterscheidet. So wird in hoch institutionalisierten Ehen die Toleranz gegenüber Beziehungsproblemen aufgrund der höheren Trennungskosten deutlich stärker ausgeprägt sein, sodass bei den im Folgenden untersuchten gering institutionalisierten Beziehungstypen möglicherweise verstärkt mit spezifischen Problembereichen (z.B. Mismatch, Kommunikationsprobleme) zu rechnen ist. Aus den obigen Ausführungen wird deutlich, dass noch dringender Bedarf an empirischen Untersuchungen zu Trennungsgründen in geringer institutionalisierten Partnerschafttypen besteht.
Eingesetzte Operationalisierungen Die Gründe, warum Beziehungen, Partnerschaften und Ehen sich auflösen sind sicherlich subjektiv so vielfältig wie Gründe, diese Bindung einzugehen. Im Rahmen des hier im Mittelpunkt stehenden Forschungsprozesses war es nun nicht möglich, durch vielfältige Vorstudien selbst ein entsprechendes Instrument explorativ zu
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entwickeln. Vielmehr wurde zur Erfassung der potentiellen Trennungsgründe auf Grundlage der bisherigen Literatur und der dort genannten Motive insgesamt 12 verschiedene Items vorgegeben, die auf einer Skala von 1 „stimmt ganz und gar nicht“ bis 5 „stimmt voll und ganz“ bei einer eingetretenen Trennung genannt werden konnten. In Tabelle 9.1 ist der genaue Wortlaut dieser Antworten wiedergegeben.
Tabelle 9.1:
Indikatoren zu subjektiven Trennungsgründen
Wir haben uns getrennt, weil… …wir uns auseinander gelebt haben …unsere Liebe verschwunden ist …wir uns über das Zusammenziehen nicht einig waren …ich bzw. mein Partner sich vernachlässigt fühlte …wir uns über eine Heirat nicht einig waren …mein Partner bzw. ich untreu war …wir uns nicht einig waren, ob wir (weitere) Kinder wollen …ich bzw. mein Partner sich ausgenutzt fühlte (z.B. bei Geld, Sex, der Hausarbeit) …wir häufig Streit hatten …wir Kommunikationsprobleme hatten …es Handgreiflichkeiten gab …wir unterschiedliche Einstellungen hatten Um die korrelative Struktur zwischen den zur Erfassung subjektiver Trennungsursachen eingesetzten Items in den Analysen berücksichtigen zu können, werden die entsprechenden Indikatoren faktorisiert (vgl. Tabelle 9.2).
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Tabelle 9.2:
Faktorenanalyse zu Trennungsgründen (n=71)
Mangelnde WertschätIndikator zung durch Partner Ausgenutzt gefühlt ,70 Handgreiflichkeiten ,68 vernachlässigt gefühlt ,56 Untersch. Einstellungen ,06 Liebe verschwunden -,32 Kommunikationsprobleme ,35 uneinig über Zusammenzug ,15 uneinig über Heirat -,20 uneinig über Familienplanung ,30 auseinander gelebt -,01 Häufiger Streit ,26
Faktora AllgeDivermeiner gente MisPerspekmatch tiven ,39 -,36 -,22 ,11 ,16 -,27 ,82 -,20 ,69 ,26 ,56 -,23 -,09 -,75 ,14 -,69 ,32 -,68 ,03 -,03 ,14 -,06
Entfremdung/ Konflikte ,19 ,05 ,45 -,10 ,23 ,39 -,07 ,26 ,03 ,78 ,68
Quelle: TIP-Befragung (2. Welle 2008) Anmerkungen: a Nicht enthalten ist das Item Untreue. Abgebildet sind standardisierte Ladungskoeffizienten.
Nach dem Kaiser-Guttman-Extraktionskriterium, nach dem der kleinste Eigenwert größer als 1 sein muss, ergibt sich eine vierfaktorielle Lösung, die insgesamt rund 60 Prozent der Gesamtvarianz erklärt.59 Der erste Faktor, der mit „mangelnde Wertschätzung durch den Partner“ überschrieben wird, klärt 22,8 Prozent der Varianz auf; charakteristisch für diesen Aspekt sind Vernachlässigung durch den Partner, Handgreiflichkeiten sowie ein Gefühl des Ausgenutztwerdens. Der zweite Faktor (14,2%) wird als „allgemeiner Mismatch“ bezeichnet und umfasst paarbezogene Ursachen, die nicht einem Partner allein zugeschrieben werden können (z.B. unterschiedliche Einstellungen). Die dritte Dimension, „divergente Perspektiven“ (13,2% Varianzaufklärung), kennzeichnet Uneinigkeit über partnerschaftsbezogene Zukunftspläne (z.B. im Bereich Familienplanung). Der vierte Faktor („Entfrem59
Unter Verwendung einer orthogonalen (Varimax) und einer obliquen (Oblimin) Rotation resultieren ähnliche faktorielle Strukturen; da das Ladungsmuster in der Variante mit Oblimin-Rotation jedoch klarer interpretierbar ist, sind diese Ergebnisse in Tabelle 9.2 dargestellt.
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dung/Konflikte“, Varianzaufklärung 10,1%) schließlich umfasst Anzeichen für Entfremdung und Paarkonflikte. Der Trennungsgrund „Untreue“ lässt sich nicht in diese dimensionale Struktur einfügen, sondern konstituiert einen eigenen Faktor; er wird in den Analysen separat behandelt. Über Mittelwerte wurden pro Faktor aus den jeweils zugehörigen Indikatoren entsprechende Skalenvariablen gebildet. Zusätzlich wurde eine Variable zur Anzahl genannter Trennungsgründe codiert; dabei wurde ein Grund gezählt, sofern dem entsprechenden Item eindeutig zugestimmt wurde (Ausprägungen 4 „stimmt“ und 5 „stimmt voll und ganz“ auf der fünfstufigen Antwortskala).
Deskriptive Befunde In Anlehnung an die in der Literatur diskutierten Fragen wird im Folgenden zunächst überprüft, von welchem Partner die Trennung ausgeht bzw. ob diese Einschätzung mit dem Geschlecht zusammenhängt. Tabelle 9.3 illustriert die entsprechenden Häufigkeiten. Es zeigt sich, dass unabhängig vom Geschlecht rund drei Viertel der Befragten der Meinung sind, sie selbst hätten die Trennung initiiert. Diese Tendenz zur starken Selbsteinschätzung erweist sich als unabhängig vom Geschlecht (F²=0,37, p=0,54). Demnach werden Befunde, dass Frauen häufiger die Trennungen initiieren (z.B. Jordan 1988), in der vorliegenden Studie nicht bestätigt.
Tabelle 9.3:
Mann Frau Gesamt
Angaben zum Initiator der Trennung nach Geschlecht der Befragten
(n) (%) (n) (%) (n) (%)
Initiator der Trennung Ego Partner 22 6 78,6 21,4 31 12 72,1 27,9 53 18 74,7 25,3
Quelle: TIP-Befragung (2. Welle 2008)
Gesamt 28 100,0 43 100,0 71 100,0
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Diese Tendenz, eigene Beiträge relativ zu denen des Partners zu überschätzen, kann Ausdruck einer kognitiven Dissonanzreduktion sein: Vom anderen Partner ausgehende Trennungen werden möglicherweise nachträglich rationalisiert, indem die Partnerschaft abgewertet wird bzw. indem das Trennungsereignis durch internale Attribution als von Ego herbeigeführt interpretiert wird. Es könnte auch sein, dass bei einigen Trennungsereignissen tatsächlich beide Partner unabhängig voneinander initiativ werden und die Wahrnehmungen demnach korrekt sind. Zur genaueren Analyse möglicher Verzerrungen wären dyadische Daten notwendig (vgl. Sprecher 1994). Als nächstes werden die subjektiven Gründe für die Trennung deskriptiv untersucht. Die bestehende Forschung verweist auf eine hohe Bedeutung von Begründungen über mangelhafte Passung sowie Kommunikationsprobleme. Da es in der Literatur Hinweise auf Geschlechtsunterschiede in den jeweiligen Einschätzungen gibt (Bodenmann et al. 2002), wird in Abbildung 9.1 die mittlere Zustimmung zu den abgefragten Trennungsursachen jeweils getrennt für Männer und Frauen wiedergegeben. Die abgebildeten Mittelwerte zeigen, dass deutliche Unterschiede60 hinsichtlich der Zustimmung zu den verschiedenen Trennungsursachen bestehen: Insbesondere die Nennung von Kommunikationsproblemen, Streit und unterschiedlichen Einstellungen ist vergleichsweise populär. Ferner wird häufig eine allmähliche Erosion der Partnerschaft über die Zeit angegeben, die sich in nachlassendem Liebesempfinden und mangelnder Zuwendung (Vernachlässigung) manifestiert. Auffällig ist, dass die bisher genannten Ursachen überwiegend nicht in der Person eines Partners verortet sind, sondern eher die allgemeine Passung zwischen den Partnern sowie zeitliche Entwicklungen betreffen. Möglicherweise kommt hierin das Bemühen der Befragten zum Ausdruck, ihrer Trennung eine entlastende, „schicksalhafte“ kognitive Deutung zu geben. Demgegenüber sind interessanterweise Abstimmungsprobleme hinsichtlich partnerschaftsbezogener Übergänge von geringerer Bedeutung. Dies könnte am vergleichsweise niedrigen Institutionalisierungsgrad der untersuchten Paare liegen; möglicherweise sind längerfristige Pläne der Partnerschaftsentwicklung hier noch von untergeordneter Bedeutung. Entsprechende bivariate Korrelationen weisen allerdings nicht auf positive Zusammenhänge mit der Partnerschaftsdauer,61 sondern mit dem Alter hin, und zwar für Uneinigkeit über Heirat (r=0,37, p=0,001), Uneinigkeit über Familienplanung (r=0,25, p=0,03), Uneinigkeit über Zusammenzug (r=0,17, p=0,15). Mit zunehmendem Alter scheinen Divergenzen hinsichtlich des Wunsches nach Institutionalisierung der Beziehung demnach als subjektive 60
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Die Analyse entsprechender Kontraste im Rahmen einer MANOVA belegt u.a., dass die Zustimmung zu den im ersten Block genannten Gründen (bis einschließlich häufiger Streit) bei Männern und Frauen signifikant höher ausfällt als zu denen im zweiten Block. Ein multivariater Vergleich zwischen den Mittelwertprofilen der Lebensformen LAT und NEL deutet ebenfalls nicht auf signifikante Abweichungen hin (Hotellings T²=18,4, F12,57=1,28, p=0,25).
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Ursache von Trennungen an Bedeutung zu gewinnen. Eher selten werden Handgreiflichkeiten genannt; dies ist durch Antworttendenzen im Sinne sozialer Erwünschtheit erklärbar und steht in Einklang zu anderen Studien, die sich mit Gewalt in Paarbeziehungen beschäftigen (vgl. Arias & Beach 1987).
Abbildung 9.1:
Mittlere Zustimmung von Männern und Frauen zu verschiedenen Trennungsgründen (inkl. 95%-Konfidenzintervalle)
1: Kommunikationsprobleme; 2: unterschiedliche Einstellungen; 3: Liebe verschwunden; 4: auseinander gelebt; 5: vernachlässigt gefühlt; 6: häufiger Streit; 7: Untreue; 8: ausgenutzt gefühlt; 9: uneinig über Zusammenzug; 10: uneinig über Heirat; 11: uneinig über Familienplanung; 12: Handgreiflichkeiten; 13: Anzahl genannter Trennungsgründe
Ein multivariater Vergleich der Mittelwertprofile der von den Männern und Frauen genannten Trennungsursachen ergibt keine Hinweise auf signifikante Geschlechts-
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unterschiede (Hotellings T²=10,69, F12,57=0,74, p=0,70). Zusätzlich durchgeführte univariate Einzelvergleiche zeigen, dass keiner der in Abbildung 9.1 visualisierten Geschlechtsunterschiede signifikant ist. Wider Erwarten findet sich auch hinsichtlich der Anzahl genannter Trennungsgründe kein signifikanter Geschlechtsunterschied (t=-0,26, p=0,46). Insgesamt scheinen somit die Wahrnehmungen von Männern und Frauen hinsichtlich der Ursachen ihrer Trennungen keine systematischen Unterschiede aufzuweisen. Allerdings ist hier zu bedenken, dass die Stichprobe relativ klein ist (n=29 Männer und n=43 Frauen) und keine dyadischen Daten zur Verfügung stehen, die bezüglich der Analyse einer möglichen Geschlechtsspezifik des Erlebens von Trennungen noch aussagekräftiger wären (vgl. Sprecher 1994).
Bi- und Multivariate Analysen zu den Determinanten subjektiver Trennungsursachen Im Hinblick auf die erfragten Trennungsgründe stellt sich zunächst die Frage, ob systematische Zusammenhänge zu Individualmerkmalen und Merkmalen der Partnerschaft bestehen. So haben die wenigen existierenden Studien beispielsweise die Frage aufgeworfen, ob in Langzeitpartnerschaften andere Trennungsgründe genannt werden als in Beziehungen kurzer Dauer. Über die bestehende Forschung hinaus interessiert im Folgenden insbesondere, welche Bedeutung dem Institutionalisierungsgrad der Partnerschaft zukommt. In Tabelle 9.4 und Tabelle 9.5 werden entsprechende Analysen wiedergegeben, in denen die verschiedenen Blöcke von Trennungsgründen auf unterschiedliche Einflussfaktoren zurückgeführt werden. Insgesamt resultieren nur wenige signifikante Zusammenhänge, der Anteil aufgeklärter Varianz ist als niedrig einzustufen: Der zeitliche Abstand zur Trennung spielt nur für den Trennungsgrund „allgemeiner Mismatch“ eine Rolle; je länger die Trennung her ist, desto eher wird diesem Grund zugestimmt. Entgegen den Erwartungen finden sich keine Geschlechtsunterschiede, weder in den einzelnen Blöcken von Trennungsgründen noch hinsichtlich der Anzahl genannter Gründe (s. hierzu die letzte Spalte in Tabelle 9.5). Auch die Vermutung, dass Befragte mit steigendem Bildungsniveau eine zunehmende Anzahl subjektiver Ursachen generieren, lässt sich nicht bestätigen; lediglich die Zustimmung zum Trennungsgrund „Untreue“ ist bei höher Gebildeten durchschnittlich stärker ausgeprägt, was möglicherweise durch bessere Chancen auf dem Partnermarkt erklärt werden kann. Der Einfluss der verschiedenen Institutionalisierungsindikatoren manifestiert sich interessanterweise ausschließlich in zwei Effekten der Institutionalisierungsskala. Erstens wird mit zunehmender Institutionalisierung häufiger der Trennungsursache „Untreue“ zugestimmt. Dies lässt sich u.U. dadurch erklären, dass Untreue erst später, infolge einer zunehmenden „Routinisierung“ der Partnerschaft, an Bedeutung gewinnt. Da es sich – angesichts des starken normativen Exklusivitätsgebots von Paarbeziehungen – um einen vergleichsweise gravierenden Trennungsgrund
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handelt, steht dieser Befund zudem in Einklang mit der These, dass gerade in Langzeitpartnerschaften die Hemmschwelle für eine Trennung nur überschritten wird, wenn tatsächlich gravierende „Verstöße“ vorliegen (vgl. Schneider 1990). Mit anderen Worten: In gering institutionalisierten Beziehungen ist die Nennung von Untreue möglicherweise schlicht deshalb unterrepräsentiert, weil sie seltener zur Trennung führt (Selektion). Tabelle 9.4:
Lineare Regressionsanalyse zu Determinanten von Trennungsgründen (b-/Ƣ-Koeffizienten, t-Werte in Klammern)
Untreue Anzahl seit der Trennung vergangener Monate Geschlecht: Frau Bildungsjahre Zielperson Kind(er) vorhanden gemeinsamer Haushalt Institutionalisierungsskala Partnerschaftsdauer (Monate) Initiator der Trennung: Partner neuer Partner vorhanden r² (korrigiert) n
-,10 (-,80) -,14 (-,37) ,49** (4,31) ,78 (1,27) -,02 (-,03) ,33* (2,60) -,17 (-,96) -,17 (-,38) ,20 (,63) ,24 63
Trennungsgrund mangelnde Wertschätzung ,03 (,24) ,23 (,76) ,07 (,52) ,36 (,72) -,82 (-1,38) ,14 (,98) ,12 (,61) -,34 (-1,03) ,50* (2,10) ,01 62
Mismatch ,30* (2,38) ,05 (,20) ,04 (,36) -,27 (-,63) ,18 (,35) -,18 (-1,38) ,00 (,00) -,41 (-1,41) ,37+ (1,83) ,16 62
Anmerkungen: + p