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Annette Geiger
Urbild und fotografischer Blick Diderot, Chardin und die Vorgeschichte der Fotografie in der ...
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00042509
Annette Geiger
Urbild und fotografischer Blick Diderot, Chardin und die Vorgeschichte der Fotografie in der Malerei des 18. Jahrhunderts
Wilhelm Fink Verlag
000425O!1
Gedruckt mit fr(:undJich(:r Um(:rstünung d(:r Johanna und Frin Buch-Gedächmissriftung
Umschlagabbildung: J. B. S. Chardin, Dam~ hl'im Tutrinkm, 1735, 80 x 101 cm, Glasgow, Hunmian Mus(:um and Art Gall(:ry
PVA 2004. 1309
Bibliografische Information d(:r Deutschw Bibliorh(:k Di(: D(:ucsch(: Bibliorh(:k verzeichnet diese Publikation in d(:r D(:utsch(:n Nationalbibliografie; detaillierte bibliograEisch(: Dat(:n sind im Interner über hrrp:/ldnb.ddb.dc abrufbar.
Alle R(:(.hte, auch die des auszugsw(:is(:n Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergab(: und der Übersenung, vorbehalr(:n. Dies betrifft auch di(: V(:rvielfältigung und Übertragung dnzelner T(:X(abschnine, Zeichnung(:J\ od(:r Bilder durch all(: V(:mhr(:n wi(: Sp(:i* cherung und Obc:rrragung auf Papi(:r, Transpareß((:, Film(:, Bänd(:r, Planen und ander(: Maii(:n, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestanen.
ISBN 3·7705·3974·5 e 2004 Wilhe1m Fink V(:rlag, München Herstellung: Fetdinand Schäningh GmbH, Paderborn
Bllycrlsche StaalsblbHtllhck München
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INHALT
Einleicung 1. Diderots Kunsttheorie im Kontext
7 11
\.\. Das Bild als Bühne Das Paradox über den Schauspieler Das Paradox über den Autor
11
1.2. Das neue Bild der Alten Über die Wahrnehmbarkeit der Welr Der Ort des inneren Auges Der Stempel der Zeit und das Genie des Primiriven
27
1.3. Diderot zwischen Wort und Bild Wenn die Malerei doch nichr wäre wie die Poesie... Die Zeiclichkeir des Augenblicks "Ur pictura musica" - Auf der Suche nach dem Code der Kunsr
46
2. Chardins Stillleben und die Grenzen der Beschreibungskunsr
65
2.1. Das Sehen sehen Diderots stumme Eloge auf Chardin Stoische Still1eben Chardins Weg wr reinen Sichtbarkeir
69
2.2. "L'ceil recref' - Diderots Auge auf Chardin Das Paradox über die Details Von der Ekphrasis zum "effet de reel"
95
3. Die Aufklärung des Sehens
3.1. Der Höhlenausgang als Umkehrung der Sehnarur Wiedersehenlernen als erste Operation der Moderne: Diderots Traum von Fragonards Höhle
111
111
Die Verdoppelung der Na[ur Das fooene Sehen: Rahmensenung und Lichcaufnahme 3.2. Focografische Malerei und malerische Fo[ografie Der focografische Blick in der Malerei Die Focografie auf dem Weg zur Kuns[
150
3.3. Der komingeme Blick
181
Li cera[u rverzeichn is
197
EINLEITUNG
..Die: Tate wurden im zweiten Jahrtausend v. ehr. erfunden, um die: Bilder zu cn[* magisic:rc:n. wenn sich auch ihre: Erfinder d~n nicht ~[~n sein rnögt:n; die: Fotografie: wurdc. als erstes technisches Bild, im 19. Jahrhundert erfunden. um die: T are wieder m.agisch zu ladc:n, wenn sich :lUch ihre Erfinder dessen nicht bewusst gewesen
sein mögen. Die: Erfindung der Fotografie ist ein ebenso enrscheidendes historisches Ereignis, wie es die Erfindung der Schrift war. Mit der Schrift beginne die: Geschichte
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Sinn, und zwar als Kampf gegen Idolatrie. Mit der Fotografie
'Nachgesc:hichtc', und
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als Kampf gegen Tatolatric:."
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Nach Viltm Flusser erfand man die rcchnischen Bilder um die Krise der Tex« zu überwinden. Dem Bild ist offenbar eine gewisse Macht oder Magie eigen,
die dem Text fehlt. Diese: spezifische Leistung des Bildes von den Texten abzwondem und in einer neuen Art von Bildern zugänglich zu machen, gelang tatsächlich erSt in der Moderne. Aber warum sollte diese Bildauffassung, wie Flusser nahelegt, erst mit der Erfindung einer neuen Technik entstanden sein? Musste erst ein neuer Apparat vorliegen, damit man sich der Magie der Bilder gewahr wurde? Die Geschichte der gemalten Bilder zeigt, dass wir schon viel früher, nämlich um die Mitte des 18. Jahrhunderts, Bilder finden können, die eine fotografische Qualität aufweisen. Der technische Durchbruch der
Fotografie erfolgte erst 1839. aber die Idee des fotogrodischen Effekts war bereits eine Erfindung der Malerei. Die Fotografie hat letztlich zwei Vorgeschichten, eine technische und eine ideelle. Die Resulute ihrer technischen Vorgeschichte würde ich dabei nicht unbedingt als "fotografisch" bezeichnen: Selbst wenn schon AristoteIes die Funktionsweise der Camera obscura beschrieb und wir seit Lconardo wissen, dass Künstler sie bei ihrer Arbeit auch einsetzten, selbst wenn die lange Geschichte der technischen Fortschritte über die Erfindung der Latema magica, des Guckbstens, der Camera lucida u. a. 2 davon :z.cugt, wie man die Technik zu verbessern wusste, ähneln die dabei erzeugten Bilder der Fotografie noch nicht. Ihnen lagen andere Auffassungen von lUusion zugrunde. Die ersten Bilder. die fUr un~r heutiges Auge der Fotografie visuell (und eben nicht der HersteUungstcchnik nach) nahekommen. finden wir in der Malerei der zweiten Hälfte des 18. JahrhundertS - und zwar ohne dass sich die Künstler technischer
I
Vilem Flusse:r: Für eine Philosophie der Fotografie. Göningen: European Photography. 1997.
8. Auflage, S. 16. J
Siehe dazu Wolfgang Baier (Hrsg.): Qudlendustdlungen zur Geschichte der Fotografie. Halle: FOlokinoverlag. 1964. Insbesondere S. 6-20.
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EINLEITUNG
Hilfsminel bediene hänen. Die Malerei ahnee mit ihren ureigennen Mitteln und Verfahren voraus. was die Fotografie später technisch vollziehen wird. Aus dieser überlegung ergeben sich zwei Fragen: Zum einen gih es. in ahinorischer Perspektive zu uneersuchen. was ein focografisches Bild eigendich auszeichnet. Was in das Fomgrafische überhaupt? Mein Ansatz sei dabei so gefasst. dass der fotografische Effekt nicht nur in der Fotografie selbst erscheine. sondern sich auch als Eigenschaft anderer. z. B. gemalter Bilder erweisen kann. Ich verstehe den Begriff somit keineswegs technikgebunden. weshalb ich im Folgenden auch von einem fotografischen Blick oder Effekt sprechen werde. Zum andern sei auch die historische Dimension erörtert: Aus welchem epistemologischen Koneext heraus konmen solche Bilder erstmals um die Mine des 18. Jahrhunderrs emstehen? Welcher Wandel oder gar Umbruch musste in der Ästhetik vollrogen werden. um diese neue Bildauffassung einzuleiten? Die vorliegende Studie versteht sich somit als Beitrag zu einer Philosophie der Fotografie und zu einer Mediengeschichte des Bildes. Methodisch gesehen erweist sich das Vorgehen zunächst als problematisch: Wir müssen uns mit Diskursen beschäftigen. die das Vokabular der Fomgrafie noch nicht kennen konnten. Aber gerade diese Texte vermögen uns heute noch zu helfen, den Sinn jener Bilder zu verstehen und somit nachzuvollziehen aus welchen Intentionen und Erwartungen heraus man die Fotografie erfand. Im Hinblick auf das hauptsächlich theoretische Interesse möchte ich dabei keine vollständige Übersicht zu den fotografischen Tendenzen in der Malerei geben. sondern vielmehr versuchen. anhand ausgewählter Beispiele die relevanten Topoi des focografischen Diskurses zu bestimmen. Ein besonders fruchtbares Zusammentreffen von Kunstbeschreibung und fotografischer Malerei finden wir in der Begegnung zwischen Denis Diderol
(I713-1784) und Jean-BaptiSte-Simeon Chardin (I 699-1 779). Didero[ erkannte in den Stillleben Chardins den Ausdruck einer neuen Bildauffassung. Tatsächlich lag Chardins Arbeitsweise ein bisher ungekanmer Umgang mit der Wahrnehmung zugrunde. die den Betrachter entsprechend überraschte. Diderot beschrieb seine Bilder als ..wahrer" und .. natürlicher", der enielte Realismus-Effekt übertreffe die bisherige Trompe I'reil-Technik bei weitem. Um diesen bei Diderot ebenfalls neu gefassten Wahrheits- bzw. Naturbegriff zu erläutern. müssen wir auf seine Platonlektüre zurückgreifen. die. selbst wenn sie bisher nur wenig Beachtung gdi..mden hat. eine unerlässliche Grundlage für seine Kunsttheorie bildet. Man muss Plaron letztlich nicht so bilderfeindlich interpretieren. wie er vielerorts gelesen wird. Diderot machte sich seinen Ansatz zu Nutze. um wahre von falschen bzw. gute von schlechten Bildern zu unterscheiden. In Abgrenzung zu der kontroversen Rezeptionsgeschichte (1.. B. durch Neuplatoniker und Antiplatoniker in der Frühen Neuzeit) las der Aufklärer den
EINLEITUNG
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antiken Philosophen ausgesprochen wörtlich und pragmatisch: Er sah bei Platon kein Bilderverbot formuliert. sondern vielmehr eine Anleitung, wie man zu legitimen Bildern finden könne. Dem Atheisten und Materialisten Diderot ist dabei gewiss kein mynisches oder gnostisches Transzendenzbedürfnis nachzusagen, er bez.og sich vielmehr auf Placon, um gerade die Unmöglichkeit aufwu:igen, dass die Ideen oder Urbilder in der Welt sichtbar werden. Gleichu:itig befl.irwonete er jedoch, dass die Künstler nach Verfahren suchen, sich dem Urbild zu nähern, zumindest so, dass den Bildern nicht mehr der Vorwurf gemacht werden kann, nur falsche Kopien der Idee zu sein. Diderot verschärfte somit den Gegensatz von Intelligiblem und Visiblem nur, um im Bereich des Sichtbaren eine neue Aufwertung zu erzielen: Die Magie der Bilder hat für ihn nun nichts Trügerisches mehr, sondern bietet im Gegenteil die Chance sich über das Wahre 1.U verständigen. Mit dieser Betonung der kommunikativen Funktion von Archetypen fand Diderot einen Weg, mit Platon 1.U argumentieren ohne dabei seine aufklärerischen Prinzipien an eine "abergläubische" Metaphysik zu verraten. Der fotografische Blick, den ich als Ergebnis einer regelrechten Aufklärung des Sehens darstellen möchte, sollte eben jene Probleme lösen, die Platon für das Bild gestellt hane. Dabei stehen weniger die Inhalte als vielmehr die Abbildungsverfahren im Mittelpunkt der Obe:rlegungen; Begriffe wie Natur, Wahrheit, Echtheit und Authentizität erweisen sich nun als Ergebnis einer medialen Strategie. Der Künstler kann sich - so die durchaus revolutionäre Entdeckung dieser Zeit - als beobachtendes bzw. sehendes Wesen verhalten wie ein Aufnahm~pparat, der teilnahmslos registriert, was seine Augen wahrnehmen. Von dieser neuen Haltung gegenüber den abzubildenden Gegenständen oder Su:nerien war es nur noch ein Schritt bis zur Erfindung einer emsprechenden Technik. Diese voll7.0g jedoch nur, was der Betrachter schon am eigenen Körper, d. h. durch den neuen Umgang mit seinen Augen erfahren hatte. Diese Strategie der vorurteilsfreien Beobachtung versucht Diderot auf alle Kunstgattungen anzuwenden, sie lässt sich sogar bis in seine Auffassung von Religion und Wissenschaft verfolgen. Ich möchte im Folgenden zunächst in Diderors Ästhetik einführen und dabei vor allem die Unterschiede zu seinen Vorgängern aufzeigen. In diesem ersten Teil werde ich mich noch nicht mit den fo[Ografischen Bildern selbst beschäftigen, sondern zunächst nach den theoretischen Prämissen in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts fragen. Als besonders relevant erweisen sich dabei Diderors Schauspiel theorie. seine Haltung gegenüber der Antike und seine Ansätze zu einer Medientheorie. Der zweite Teil wendet sich daraufhin der Begegnung von Diderot und Chardin zu, um den fotografischen Effekt auch an konkreten Bildbeispielen zu beschreiben. Meine These von der Herausarbeitung eines spezifischen
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EINW11JNG
Wahrheitseffekts ermöglicht es in di~m Zusammenhang, für die bisher ungekläne Entwicklung von Chardins Werkphasen ein neucs Erklärungsmodell anzubieten. Das drine Kapitel fühn die von Diderot erwähnten Topoi schließ· lieh ideengeschichtlich auf Platon zurück und zeigt die starke Verwu.rzclung di~r Vorstellungen auch in anderen Wisscnssystemen der Zeit, wie zum Beispiel der Medizin, den Naturwissenschaften und der Erkenntnistheorie.
Abschlidknd verfolge icb in einem kurun Überblick das Fortleben der Topoi bei anderen Künstlern des 18. Jahrhundens, in den frühen Jahren der Fotografie und in ihrer Relevanz bis heure.
1. DIDERoTS KUNSlTHEORJE IM KONTEXT
Diderot formulierte seine Kunsnheoric nicht mehr, wie die meisten seiner Vorgänger. in einer überschaubaren Anzahl von Abhandlungen oder Trak[au~n. Sein Denken en[Wickeite sich standessen in einer Vielzahl von Essays, Briefen, Dialogen und Salonbeschreibungen. SelbSt seinen späten Syntheseversuch, die Ptmlts dltathits tur 14 ptimurt, Ja sculpturt tt Ia poesie (1781). bezeichnete er noch als verstreute Gedanken. Diderot verzichtete bewusst auf
die Ausformulierung eines theoretischen Sysccms. das man als Kunsdehre oder Regelwerk häne I~n können. Sein Schreiben über Kunst versWld er vielmehr als Experimentieren mit der eigenen Empfindungs. und Vorstellungskraft. die er, SU~ts in der direku~n Ausdnandersc:cz.ung mit Werken der bildenden Kunst,
der Literatur, der Musik und des Theaters, als Maßstab für ihre jeweilige Wirkung anführte. Aufgrund dieser Nähe zum Gegenstand, seiner eingehenden Betrachtung und Beschreibung sowie der überprüfung seiner Wirkung auf den Becrachter bezeichnet man Diderot zu Recht als den ersten Kunsdcritiker im modernen Sinne. I Aber was überprüfe man eigenclich. wenn man Bilder auf ihre Wirkung hin befragt? Diderot begnügte sich nicht mehr, wie in der Wirkungsästhetik der ersten Jahrhunderthälfte üblich, jeden beliebigen Reiz eines Kunstwerks als gelungene Stimulation gunuheißen. Die einzige Wirkung. die ihn inter~ierte, war die d« Glaubhaftigkeit. Ein Bild soll« ihn als wahrscheinliche bzw. realistische Darstellung überzeugen. Nur welche Realität liegt Bildern eigentlich zugrunde? Und wie kann von dieser Realität auch noch behauptet werden. dass sie wahr sei?
1. 1. Das Bild als Bühne Das Problem der wahren Darbietung interessierte Diderot nicht nur als Frage nach der Mimesis in der Malerei, wir können seine Awführungen vielmehr als interdisziplinäre Medientheorie verstehen, die sich quer durch die Gattungen der Kunst mit dem allgemeinen Phänomen der Repr.tsenution auseinandersent. Einen geeigneten Einstieg zu unserer Thematik finden wir zum Bc:ispiel , Ich bttiC'hC' mich im FolgC'ndC'n aufAllxrt DresdnC'r. DiC' EntStehung dC'r Kunstkritik. (I915) MilnchC'n: BrucknC'r, 1968, Andre FontainC': Les docrrinC'S d'art C'n Francc. PdntrC'S, amatC'urs, critiquC'S dC' Poussin ~ DidC'rot. (1903) GC'nf. SlatkinC' RC'prinu, 1989 sowiC' Liondlo VenlUri: GC'SChichtC'dC'r Kunstkritik. (1964) München: Piper, 1972.
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1. DIDEROTS KUNSlTHEORIE 1M KONTEXT
in Didecms Nachdenken ülxr das Theater, das ihn sein Leben lang beschäftig. {c. S(~:ine erste Abhandlung zu Wahrnehmung und Ästhetik, der TaubItummmbrüf (unrt !Ur in sou,ds (f mutts) von 1751, beginnt mit }ktr.lchcungen über das Schauspiel und auch seine bc:rühmte Spätschrift Paradoxe Jur k comtdim (1773-78) handelt vom Effekt det Bühne. Nicht nur Didero( wusste um die Krise dieser Kunse: Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde an dem überkommenen Theaterkanon, der seit Moliere keine wesentlichen Neuerungen mehr erlebt haue, Kritik geübt. Stau leerer Formeln und gekünstelter Anitüden verlangte man nun nach echter Rührung. Das steife Verharren der Schauspieler. ihre deklamatorische Sprechweise und das Rezitieren in tragischen Seuh.trn oder emphatischen Gefühlsausbrüchen ließ jegliche Lebensnähe missen. 2 Die schlechte ßeleuchrung und das lärmende Publikum, das es vonog, sich sdbst in Szene zu setzen, hanen die Darsteller gezwungen, sich an den äußersten Bühnenrand w stellen, um gehört und gesehen zu werden. Erst zu Diderots Zeiten suchten die ersten Schawpieler nach neuen Strategien der Natürlichkeit.] Das Theater interessierte Diderot jedoch nicht nur im Hinblick auf eine Schauspidreform, sondern auch als Modell Hir die anderen Künste: Ob in der Malerei, der literarischen Erzählung oder auf der Bühne, sters verfolgt der Rezipient ein für ihn gerahmtes und inszeniertes "Schauspiel", in dem er die auftretenden Protagonisten auf ihre Glaubwürdigkeit hin beurteilt. Gemälde oder Bühnenausschnine kon&ontieren den Betrachter mü sichtbaren Bildern, Literatur und Mwik appellieren eher an innere Welten - in aUen Fällen werden Vorstellungen geweckt, die erfülh ocler ennäwcht werden können. Diderot behauptet somit nicht die Überlegenheit des Theaters gegenüber den anderen Künsten, er sucht vielmehr in seiner Ästhetik eine alle Gattungen übergreifende Theorie des Abbildens und Darsteliens w formulieren. Als grundlegende Frage leitet ihn dabei eine noch zu definierende Vorstellung von Wahrheit.
Das Paradox über den Schauspieler Wie kann man nun die Glaubwürdigkeit eines Schawpiders überprüfen? Diderot empfiehlt z. B. den Galeriebesuch, denn eine schawpielerische Leistung zeichne sich nicht durch den aufgesagten Text aw, sondern durch das visuell Wahrnehmbare. Die Protagonisten eines Gemäldes sind zwar durch das MediZur Situation des französischen Thea[~rs und Did~rou Ra.eption si~h~ Yvon Belaval: L'ES{httiqu~ sa.ns paradox~ de Did~rol. Paris: Gallimard, 1950. } Did~rot bewund~rr~ vor allem d~n ~nglisch~n Schauspid~r David Garrick, d~n ~r zwisch~n 1763 und 1765 m~hrmals (raf. 2
1. I. DAS
BilD
ALS
BOHNE
13
um zum Schweigen verurteilt, aber in ihren Gesten und Haltungen sprechen sie dennoch zum Betrachter. Wie Diderot im Taubstummmbriif ausführt, ist das Studium von Gemälden daher eine gute Schule, um die Stumme Sprache des Darstellens zu erlernen: ..[...) celui qui se promene
11
Siehe dazu Christian Michel: l.es pC'intures d'Herculanum er: la Querelle des Anciens et des Modernes (1740-1760). In: Bulkrin tk SDritrl tk I'HiJUJi/V tk I'Art Frlln(IlU, April 1984, S. 106-117. Ich bttiehe mich im Folgmden aufJean SttnttC Essais sur DiderOi C'I I'Anriquit~. Oxford: aarendon, 1957. Siehe Sanecs K2pitd .L:: sin~ anriquaire·, ibid.• S. 79-96. Dieses Argument steht :mch im Zentrum seiner Ixrühmren Debatte mit d~ Bildhauer Etienne-Mauri« Falconner, der sich erst von der Vorbildfunktion der Alten überz.eu~n las.scn wollte, wenn man ihre überlegenheit an einer vorliegenden Skulptur hätte nachwe:ise:n können. Obwohl weder er noch Diderot je ein Original gesehen hanen, diskutienen sie ausführlich über diese Frage.
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I. DIDERoTS KUNSTTHEORIE IM KONl"'F.xT
Für Diderot lag der Vorbildcharakter der Alten nicht in ihrem technischen Können. sondern allein in einem bestimmten Umgang mit ihren Sujets: Sie hänen es noch verstanden. so seine These, zu dem Idealmodell zu finden, das einer jeden Abbildung wgrunde liegen muss. Erneut geht es ihm also nicht um die Inhalte. sondern um eine gewisse An der Beobachtung. Um diesen Zusammenhang zu erläutern. können wir uns auf Diderots Platonrezeption beziehen. die. selbst wenn sie in der Literatur oft negativ beurteilt wird 2s • eine wichtige Grundlage zu seinem Kunsrverständnis bildet. In der imellektuellen Bibliographie eines Aufklärers mag diese Lektüre zunächst verwundern. Tatsächlich finden wir in Diderots Texten nur wenige direkte Bezüge auf den antiken Philosophen. der sich jedoch in vielfacher Hinsicht als präsenr erweist. In Diderots Werk zeichnen sich generell zwei Arten der Lektüre ab: Zum einen bespricht er einzelne Abhandlungen von Vorgängern oder Zeitgenossen. mit denen er sich in der Regel. strikt dem jeweiligen Text folgend. kritisch auseinandersetzt. Seine positiven Vorbilder erwähnt er hingegen meist nur indirekt und oft auch ohne Quellenangabe. So müssen wir auch im Fall seiner Plaronrezeption eher einer Vorstdlungswelt nachspüren als die Korrektheit der Lektüre zu überprüfen. Als auffällig erweist sich bereits die persönliche Identifikation: Diderot bestimmte zunächst die Figur des Sokrates zu seinem Vorbild, sowie später auch Seneca. 26 Der Auslöser dürfte wohl in Diderots eigener Inhaftierung gelegen haben. Drei Monate verbrachte er nach der Veröffentlichung seiner ersten philosophischen Schrift, der UttTt tur ks avtugki (1749) wegen Atheismusverdacht im Gef3.ngnis von Vincennes. Er nutzte die Zeit. um Schlüsseltexte von Platon. die bisher nur in lateinischer Übersetzung vorlagen, aus dem Griechischen ins Französische zu übersetzen. Ob er Platons Apologit deI Soleraul gar aus dem Gedächtnis übersetzte. bleibt umsrrinen. 27 Der Tod des Sokrates. den dieser nach seiner Verurteilung durch die Einnahme von Gift selbst herbeiführen musste. war im repressiven Klima des Ancien Regime ein beliebtes Motiv - Diderot wäre damit eigentlich kaum aufgefallen. Wie weit er Didc:rolS P!alonre:u:plion wird in der Forschung bisher nur als seine konservalive &i1e angesehen. Hans Körner sprich I z. B. von einer "traditionell chrisdich-ncoplalonischen Ontologie". Siehe Hans Körner: Auf der Suche nach der "wahren Einhc.i(". GanzheilSVorsiellungen in der französischen Malem und Kun51lileratur vom minieren 17. bis zum 19. Jahrhundc:n. Mün· chc:n: Fink. 1988, S. 75. Auch Wolfgang Drost emp6ndn DiderolS Orientierung als unttitgemäß: "Son plalonisme I'emp&:he dc sonir davanlagc de son Cpoque." Siehe Wolfgang DrOSf: Lc rc:gard int~ricur. Du modele ideal cha Didc:rot. In: u "t4rJ n /njn. Ditinor tririql« J'An. hg. von Michel Dclon und Wolfg:mg Drost. He.idc:lberg: Winter. 1989, S. 69-90, S. 74 . .. Siehe Sanc:cs Kapitel "u Socrale im:aginair~", ibid., S. 1-22. r1 Siehe Yersini, I, XXXII. 1$
I. 2. DAS
NEUE
BILD DER ALTEN
29
seine Sokrates-Verehrung jedoch geuieben haben muss, z.eigen die lästernden Bemerkungen seiner engsten Freunde, er würde immer "den Sokrates spielen", so wie Voltaire ihn auch abHülig "Socrate-Dideroc" oder "Frhe Platon" nanme.2.I Zwar berief sich auch Voltaire immer wieder auf Sokrates, um im Namen der Philosophie gegen Kirche und Staat zu protestieren, aber Diderot personalisierte ~inen Sokrates darüber hinaus zu einer privaten Lehre der stoischen Enthaltung, die ihm auch Zurückhalrung in der Politik gebot.7' Wenn wir nun einen Einfluss dieser Lektüren in Diderots Ästhetik behaupten wollen, müssen wir wiederum ein Paradox in Kauf nehmen: Wie konnte es Diderot gelingen, Platon gegen Platon zu verwenden? Er musste schließlich tron dessen Verdikt gegen die Nachahmung nun zu Gunsten der Kunst argumentieren. Ausgehend von den beiden Begriffen der Imitation und der Imagination, zu denen seit Placons Angriffen auf die Mimesis eine jede Bildtheorie Stellung nehmen muss, können wir im Folgenden zeigen, wie Diderot sich diesen Brückenschlag vorstellt. Die Definition der Imitation stellt sich jeweils als die Frage, inwiefern man das Ideal in der sichtbaren Welt finden bzw. daraus ableiten kann. Die Definition der Imagination hat, gewissermaßen komplementär zur ersteren, den Stellenwert der unsichtbaren Vorbilder oder IdealmodeUe fesnulegen. JO Die Theorie des einen ist somit eng mit der des anderen verknüpft, so dass sich die Konzeption des Ideals aus dem Verhälmis beider ergibt. Beginnen wir mit Diderors Auffassung der Imitation, indem wir wiederum festhalten, wie er sich in seinem Ansan von seinen Vorgängern unterscheidet und abgrenzt.
Über die Wahrnehmbarkeir der Welt Neben Du Bos und der durch ihn etablierten Wirkungsästhetik fand Dideroc seinen zweiten großen Konkurrenten in dem Abb~ Charles Batteux und dessen Theorie der Imitation. Seine Abhandlung Lts Btaux-Arts rlduits a un mimt principt war schon 1746, im Jahr ihres Erscheinens, ein literarisches Ereignis. Diderot richtete daraufhin seinen Taubstummenbrief als kritische AntwOrt an Barteux und arbeitete seine Einwände im Salon von 1767 noch weiter aus Siehe Jean Fabrc:: Lumic.res C:l Romantisme: Energie c:r nostalgie dc: RollSSC:lu a MickinviCL Paris: K1incksi«k. 1963. Darin insbesondere das KapiTel: .. Dan: definitions du philosophc:: Voha.irc: c:r Didc:rol-. ibid.• S. 1-8. n Siehe: Raymond TrollSSC:lu: Socr.ue dö"aJll Volta.ire. Didero( c:r Rousseau. La conscic:ncc: en fau du mythe:. Paris; Minard, 1967, S. 50 Fr. )8 Zur allgt:mc:inc:n Entwicldung dieser Begriffe: im 18. Jahrhunde:n siehe: Pc:rer-Eckhard( Knabe:: SchlüsselbegriffC' des kUßSnhc:orc:rischC'n DC'nkc:ns in FranluC'ich von dC'r Spät:k.l.assik bis zum EndC' der Aufklärung. Diissc:ldorf. Sch~n, 1972. S. 320 ff. 21
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I. DIDEROTS KUNSTTHEORIE IM KONTEXT
- nicht von ungefahr wurde gerade in diesem Salon auch seine Anlehnung an Placon deutlicher. Worin bestand nun der Gegensan zwischen den heiden Positionen? Bacceux' Theorie können wir als Versuch verstehen. zwischen der franzö.sischen Klassik des 17. JahrhundertS und der sensualiS[ischen Wirkungsäschetik des 18. JahrhundertS zu vermiueln. JI Er suchte die Erkenntnisse der neuen Wahrnehmungstheorie mit der aristotelischen Mimesisle.hre in Einklang zu bringen. Encsprechend dem uitsatz der Sensualisten. dass nur in den Gedanken sein kann. was zuvor in den Sinnen war. könne auch der Künstler nur wiedergeben. was er vorher in der Natur gesehen habe. Der Mensch vermag sich überhaupt nichcs auszudenken. er reproduziere vielmehr die Vorbilder entsprechend seiner Erfahrung. so Batteux: "Lc g~nie qui trava.ille pour plaire ne doir done ni ne peur sonir des bornes de la nature mcme. Sa fonetion consiste non a imaginer ce qui ne peut etre, mais a nouver ce qui est. Invemer dans les am n'est poim donner I'eue a I'objet, e'esr reconnaitre OU il esc. et comme iJ esr. [...) 1I faut, (... ), que I'industrieux imitaleur air IOUjOUrs les yeux anllleh~ sur dIe (die NllIturl, qu'ill:l comemple sans CC$$C. Pourquoi? Cesr quelle rcnferme IOUS !es plans des ouvragcs regulien: et les dessins de tDW les ornements qui pcuvent now pla.ire. Lcs ans ne ereent point leurs r~es: dIes sont independanres de Inu caprice. et invariablemenr ttactts dans I'exemple de 1:1 narure:.ll
Batteux begreife die sichtbare Welt als ein zur Findung bestimmtes Inventar. Der Kosmos lege seine Ordnungsprinzipien in der materiellen Weh dar, so dass der Künstler diese nur zu erkennen. auszuwählen und geschickt zusammenzufügen halo Das allen gemeinsame und damit "eine Prinzip" der Künne besteht nach Baueux in der Darstellung der "belle nature". d. h. der Künstler greife in der Nachahmung korrigierend ein für den Fall, dass die Natur (hier als nnarura naturata") die in ihr angelegten Prinzipien (der "natura naturans") nicht voll oder fehlerhaft ausgebildet halo Um seinen Optimismus über die Wahrnehmbarkeit dieser "belle nature" zu rechtfertigen, berufe sich Barceux auf die Legende von Zeuxis' Bildnis der Helena. Dem antiken Künstler war es gelungen, das Bildnis der schönnen aller Frauen zu konstruieren, indem er sie aus ausgewählten Merkmalen und Körperteilen der Schönsten seiner Stade zusammensetzte. Encsprechend
Jl
Siehe dazu Ludwig T avc:mier. L'imitation de 1:1 BdJe Nuure. Zum Verständnis des KünsrJers in der Nachahmungnhcorie von Charles Battew:. In: Empfindllnt lind &flexion. Ein Problnn
Je /8.jJn-hunJ=. ;b;d., S. 49·99. ),l
Ich baiebe mich im Folgenden auf Charles Sattem:: Les Beaw: Am r&luirs i un m~mc: principe (l746), insbesondere Teil I, Kapitd 2 und 5. Als QueUenrate wiedergegeben in Sa.inl Girons, ibid.• S. 87·91. Hier S. 89 (
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1. 2. DAS NEUE BilD
DER ALTEN
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dem aris{Oteiischen Emelechie-Gedanken geht Baneux davon aus, dass das einheitsstiftende Prinzip den wahrnehmbaren Dingen innewohne und sich dort langsam entfaltet. Die Idee bleibt nicht wie bei Platon unsichtbar, sondern verwirklicht sich in der Mannigfaltigkeit det Welt. Gerade diese alte Frage nach dem Transzendieren der Idee wird Diderot und Batteux unversöhnlich voneinander trennen. Baneux musste seinen Optimismus bezüglich der Erkennbarkeit des Ideals jedoch auch einschränken. Selbst wenn er die empirische Beobachtung für ausreichend hält, um die Regeln der schönen Natur zu finden, weist er den Künstler auch in seine Schranken: Er sei als zweiter Schöpfer der Natur Gott keineswegs ebenbürtig. Den Preis der "vanitas" werde die Kunst immer zahlen müssen, jede Nachahmung bleibe doch nur Spiel und Schein: ~Qu·csr.tt qu~
la ~inrure? Une imitation des objers visibles. ElI~ n'a ri~n d~ t&1, ti~n d~ vrai, rout est fantöm~ chez dl~, ~t SO!1
48
1, DIDEROTS KUNm'HEORlE IM KONTEXT
in einer einzigen Darsrellung die ganze Geschichre enählen, indem er zum Beispiel aUe relevamen Artribure, Gesten und Hinweise in diesem Ausschnin unterbringe. Lessing kritisierte diese Auffassung in seinem Laokoon (I766) und srellte dieser Sammlung von Momemen das Konzept des "fruchrbaren Augenblicks" gegenüber: Der Künstler habe den "prägnamesten Augenblick zu wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiHichsten wird"60, An die· ser Formulierung wird bereits deudich, dass für Lessing trotz allem noch die Erzählung im Vordergrund stand, Wenn er sich gegen die "Schilderungssucht" und "AJlegoristerei" aussprach, dann nur weil ihm anschaulichere Darstellungsformen die Narration zu erleichrern schienen, Seine Semiorik suchte letzdich, wie er es selbsr formulierte, nach einem möglichst "bequemen Yerhälrnis zum Bezeichneten",61 Die Malerei wird erneur als Mine! zum Zweck aufgefasst, vom Primat des Textes wollte auch Lessing nichr ablassen,62 Diderot, der Lessings Laokoon nichr kannte, formulierte in der Lagrenee·Besprechung im Salon von 1767 eine weit radikalere Absage an den "Ut picrura poesis"-T OpOS,6J In aller Deudichkeit widerspricht er dem Comte de Caylus und allen, die es für ein legirimes Verfahren der Themengewinnung halren, die Dichtung der AJren rexrgerreu in Bilder umzusetzen: ~Ce sont des demandes ou folles ou ridicules ou incompatibles avec la beau re du tech-
nique, Cda sc=rail passable, ecrit, detestable, peint. EI c'est que mes confretes ne sentellt
60
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6J
Schnttmann: Geschichte als Vorbild. Die Modelle der französischen HiSlOrienmaJerei 17471789. Berlin: Akademie Verlag. 1994. Insbesondere S. 35 ff. Gonhold Ephraim Lcssing: laokoon oder über die Grenun der Malerei und Poesie. (1766) SlUllgan: Reclam, 1998, S. 115. ibid., S. 114. Siehe daw Karlheinz Stierle: D:tS bequeme Verhältnis. Lt:ssings Laokoon und die Entdeckung des ästhetischen Mediums. In: Das Lnoltoon·Proj~ltt, hg. von Gunter Gebauer. Srungan: Menler, 1984, S. 23-58. So schreibl Vwe Steiner über Lcssings Poesie-Begriff: "Dichtung verfügt nicht bloß über die Auszeichnung der 'Geistigkeit ihrer Bilder' [... 1. Mehr noch: sie vermag Dinge zu schildern, die der bildenden KunSI versagt bleiben: unmalerische, gar hässliche SujetS {wie der im Schmerz aufgerisscne Mund des laokoon} sind dieser verboten. Zu gmer um wird sogar der scheinbar einzige Vorz.ug der Malerei, die Verfügung über n:uürliche Zeichen, .auf das Komo der Poesie umgebuchr: einer Teleologie der Transparenz folgend, verwandelt sie ihr anfangs arbitrires Material in sckundär n.atüriiche. d. h. dem Bezeichneren ähnliche Zeichen." Uwe C. Steiner: Artikel nLessing". In: ÄJth~tiJr und Kunsfphilosophi~ von d~r Antiltt bis zur Gq,mwan, hg. von Julian Nida.Rümelin und Monika Benler. Stungan: Kröner, 1998, S, 489·494. Hier S. 491. Siehe dazu Hubertus Kohle: VI pietura pocsis non erit - Denis DiderotS Kunslbcgriff. Hildesheim u. a,: Olms, 1989.
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I. 3.
DIDEROT ZWISCHEN WORT UND Ba.D
pas. IIs om dans la [h~ 'Ur picruta poesis ~ril'; ~t ils plus vrai qu' 'ur picrura poesis non ~rjt,.n (IV, 573)
n~
se
doul~m
49 pas qu'il est encore:
Die Passage lässt sich leicht missverstehen als gänzliche Verneinung eines Bezugs von Bild und Text. Daran war Diderot jedoch nicht gelegen, er rühmt sich gleich im nächsten Abschnitt, der einzige Literat zu sein, der Bilder so zu emwerfen und zu beschreiben vermag, dass der Künstler sie direkt umsenen könne, er d'autres m'onl assure, ~t les aniS(es n~ flane:nr poimles liuera[~urs, qu~ j'erais presqu~ l~ seul d'~ntr~ a:ux09
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1. DIDEROTS KUNSlTHEORlE IM KOl'ITEXT
Durch die Verdrängung des Autors, der sich in den inszenierten Ungleichzeitigkeiten bemerkbar gemacht häue. erfolgt eine Neugewichtung des TextBild-Verhälmisses: Diderots Bild zielt nicht mehr auf die Kompatibilität mit der literarischen Enählung, sondern auf die visuelle Dokumentation eines einzigen Augenblicks. Das Bildfragment wird zwar weiterhin einem Höhepunkt der Enählung entnommen. aber das Verfahren. den Moment zur Abbildung zu bringen. ist nun ein anderes. Mit der besonderen Behandlung der Zeit ist eine weitere Voraussetzung für den fotografischen Effekt in der Malerei genannt - was zeichnet die Spezifik dieser neuen Bildauffassung nun weiterhin aus?
"Ut pictuta musica" - Auf der Suche nach dem Code der Kunst Diderot hatte sich schon vor seinem Debüt als Kunstkritiker eingehend mit der Frage des Bildes beschäftigt. Von seinen frühen Schriften zielen insbesondere der Brief üb" dit Blindm (I749) und der Taubstummmbrief(I751) auf eine mögliche Differenzierung von Text und Bild bzw. von Wissen und Sehen. Als Beitrag zum Sensualismus behandelt Diderot in beiden Essays die spezifische Leistung der menschlichen Sinnesorgane. Die Briefe verfolgen jedoch recht unterschiedliche Problemstellungen: Die Ltttrt sur lts 4vtugks fragt nach der Rolle der Sinne für das Zustandekommen unseres Wissens. Diderot analysiert. inwiefern die sinnlichen Erfahrungen in unserem Wissen noch differenziert vorliegen und kommt zu dem Ergebnis, dass die einzelnen Wahrnehmungen durch die Abstraktionsleistung unseres Denkens zusammenfallen. Die Informationen werden in einem Konglomerat verwoben, das nicht mehr unterschei~ den lässt, woher wir unser Wissen letztlich bewgen haben. Unser Vorwissen und unsere Vorstellung ergänzen die sinnlichen Erfahrungen jeweils: Ein Blinder kann über dreidimensionale Raumverhältnisse sprechen. obwohl er sie nie gesehen hat. Er hat sich das Wissen darüber ertastet - er kann also den Raum "wissen", ohne ihn je zu sehen. Dieses reine Wissen absuahiert somit von den ästhetischen Qualitäten und allem, was sich in der Welt sonst noch manifestiert. In der Ltmt mr /es sourds tt muttJ interessiert sich Diderot nun gerade für den Bereich des Sinnlichen und seine erste Erfassung durch die Wahrnehmung und die Sprache - erst hier kommen also die Fragen der Ästhetik ins Spiel. In diesem Zusammenhang diskutierte man im 18. Jahrhundert vielerorts über den Ursprung der Sprache und ihre Verbindung zur Wahrnehmung der Außenwelc. 81 Diderot stellt diese Frage nun in den Rahmen einer generellen 1I
Didero[ nanme seinen Brief daher mit vollem Titel: Uttrtllur kllourdJ tt muttl, a I'wagt dt uu:< qui tnttntUnt tt qui parknt, DU l'on traiu dr l'originr dtl inlJtl'liom, dt l'harmonu du Ityk,
1. 3. DIDEROT ZWISCHEN WORT UND BILD
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Untersuchung der einzelnen Sinnesleistungen und der Codiertheit der Wahrnehmung: ..Mon idee serait donc de decompo~r pour ainsi dire on homme, et de considerer ce qu'iJ tient de chacun des ~ns qu'iI possede." (IV, 15) Auf die Frage des Bildes gelangt er dabei erst auf Umwegen. Er entwickelte ~ine Argumentation zonächsc als Sueicschrift gegen Batteux' ultra sur 10 phrau ftllnfllis~ compllrit IlIJU Ia phrau latin~ (1747). 12 Die Diskussion über die Vor- und Nachteile der modernen und der alten Sprachen muss im 18. Jahrhundert als rhe[Orischer Gemeinplatz angesehen werden. Batteux hatte am Beispiel der grammatikalischen Inversion behaupten wollen, die Sprache der Alten sei näher am "ordre natureI" als das moderne Französisch. Ohne DiderofS Auseinandersetzung mit Batteux im einzelnen nachzeichnen zu wollen, können wir festhalten, dass er einerseits die Unsinnigkeit dieser Frage zu denunzieren suchte, aber andererseits den Topos der primitiven Ursprache keineswegs aufgeben woHte. Unter "Sprache" versteht Diderot im Folgenden drei verschiedene Arten des Bedeutens, die er wiederum so abstrakt fasst, dass sie auf alle Medien wie Bilder, Texte und sogar auf die Musik übertragbar sind: Er differenziert eine logisch linear vorgehende Sprache, die auf geregelte Konventionen zurückgeht, eine emblematisch verschachtelte poetische Sprache, die bildhafte Vorstellungen, Symbole, Hieroglyphen u. a. miteinander verquickt und eine primitive Sprache, die jeweils nur von einem Sinnesorgan wahrgenommen wird. Er versucht daraufhin nachzuweisen, dass bei allen drei Modellen verschiedene Arten des Wissens erzeugt bzw. vorausgesetzt werden, womit er Batteux' These des alle Künste vereinenden .. meme principc" wirkungsvoll widerlegt. Betrachten wir zunächst seine Abgrenzung von rationaler Sprache und Poesie. Die poetische Sprache soll im Gegensatz zur zweckorientierten Sprache des Wissens und der Wissenschaft nicht buchstäblich zu entschlüsseln ~in, wie gerade die Dichtung der Alten zeige: ~Quelque genie qu'on all. on ne dit pas mieux qu'Homere quand il dil bien. Emen-
dons-Ie du moins avant quc de lenler d'cmichir sur lui. Mais il est tdlcmcnt charge de ces hleroglyphes po6:iqucs (...1 que ce n'csl pas a 101 dixitme lcaure qu'on pcul sc flmer d'avoir 10UI vu.~ OV, 40)
Die Poesie der Alten hält Diderot deshalb für kunstvoller als die meisten Werke seiner Zeitgenossen, weil sie sich von der rationalen Sprache noch klarer unterscheidet. Sie hätten nie versucht, ihre Poesie rhetorisch so raffiniert
I.l
dM Jubl;mr tk lituation, tk '1fU/qun IIlN1ntata tk IA IanKfU {ranflliH JU, IA ,lupan da IAnfUD IInnt1lnn ~r mtNkrnn ~t pa' l'omu;on. tk lCepmJ;on paniNlli"~ IIUX IuIlUX-lIrts. Siehe dazu Vc:rslni, IV. 5 f[
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J.
DIDEROTS KUNSlTIiEORIE IM KONTEXT
anzureichern. bis sie nur noch der Gelehrte verstehe. Für die Kunse gehe es, so seine wiederum paradoxale Forderung. Undndeutigkei( mit überzeugender Einfachheit zu puren. Um die poetische Sprache als Medium zu beschreiben, zieht Dideror das Modell der Hieroglyphe heran. Im Gegensatz. zum linuren Prozess des Lesens und Verstehc:ns bezeichnet sie die Formen des uneigentlichen Ikdeurens. Die Poesie erzeugt nach DidecOl ein multimediales Gemisch von Vorstellungsbildem und Sinneseindrücken, sie bilder somit eine SchninsreUe im Bcreich der Imagination. ,,11 passe alon dans le discours du pobc un esprit qui co mcut CI vivifie toutes les syllabes. Qu'est~ce quc cel esprit? ren a.i qudqucfois $enti la pr6t:nu; mais tour ce que ren sais, C'esl quc c'est lui qui fair quc les choses sam dites CI rcpresemes fOUl a 1a fcis; que dans le meme remps que I'entendement les saisit,l'ame en esl emue, ['imagination les VOil, el I'oreille les entend; el que le discours n'est plus S(:ulernent un enchainernent de termes energiques qui expoS(:nt la pe:nsec avec force et nobltSS(:, mais que c'est encore un tissu d'hieroglyphes enlasses la uns sur [es aU(ta qui la pe:ignent. Je pourrais dire en ce S(:n$ quc (OUle poesie est emblernalique." (lV, 34)
Die Hieroglyphe schafft innerhalb des poetischen Bedeutens komplexe Gesanueindrücke, sie erweist sich nach Diderot als das Medium, das die Ausdifferenzierung von Bild und Text noch nicht kennt. 1J Poesie sollte hier also nicht nur als Dichtung verstanden werden, sie könme auch die Poesie eines Bildes meinen. Nichtsdestotrotz bleibt dje hieroglyphische Kommunilcuion eine auf Vorwissen angewiesene Form des Bedeutens. Die heiden bisher sk.iz.z.ienen Modelle von DiderotS dreistu6ger Semiotik basieren noch auf Konnotationsystemen. die im ersten Fall die Ratio und im zweiten Fall die lmagination ansprechen. Erst das dritte Modell beschäftigt sich mit den verschiedenen Medien als rein materielle Bedeutungsträger (Bilder, Wörter. Töne). die es wahnunehmen gilt. Gegenüber dem poetischen "roret de symboles" mutet djese Sprache der Sinne ausgesprochen primitiv an. Ihre Direktheit und Unminelbarkeit soll in Diderots System garantieren, dass der Mensch nicht nur in einer Welt des Zeichens, des Scheins und der Simulation leben muss. Die Monade ist nun nicht mehr fensterlos: Mittels ihrer primitiven Codierung vermögen uns die Sinne als Rezeptoren eine Schnittstelle zur Außenwelt zu verschaffen.
" Wie ChouiUet nachweist, bonte Didc:rot William Warbunon$ Hieroglyphenmeorie in der französischen Obl::rstnung als EsJAi JMr In Hiboflyphn Jn Egptinu (1744). Siehe duu Jacqua Chouillet: La formation des idks esthetiqucs de Diderot. Paris: Colin. 1973, S. 225
ff.
1. 3. DIDEROT ZWISCHEN WORT UND BilD
61
Diderot umersucht im Folgenden. wie unsere Sinne wahrnehmen, broor es zur Hinzunahme von Ertahrungswissen bzw. von Bedeutung kommt. Während der Briifüb" die Blim:kn deutlich macht, dass zwischen der real existierenden Umwelt und unserer Vorstellung von ihr kein direkter bzw. analoger Baug besteht, sondern unsere Idee der Wirklichkeit an der Sprache. d. h. am Prinzip der arbiträren Vermitteltheit gebrochen ist, sucht Diderot im Bri~f über di, Taubstummen die Wahrnehmungsorgane des Menschen so zu isolieren, dass er sie als naiv aufnehmende Zulieferer beschreiben kann. Das Konzert der Sinne, das unseren Begriff von Realität immer schon verschmolzen hat, gilt es nun wieder aufzulösen. Daher rührt auch sein Imeresse am Taubstummen, der eben nur sehen kann. 84 Ein Taubscummer müsse, so seine These, selbst die rudimentärste Gestensprache als Sinnquelle imerprecieren, da er die anderen Sprachen nicht versteht. Indem sein Verstehen sich auf nur einen Sinn richte, muss alles, was ihm dieser Sinn übermittelt, schon als ..sprachlich", ..zeichenhaft.., kurzum "sinnstiftend", erscheinen. Der Taubstumme sieht um sich herum lauter bewegte Gemälde bzw. stumme Theaterszenen. Um zu erläutern wie er das naive Sehen versteht, unternimmt Diderot in selbigem Taubstummmbriif, seinem Gehörlosen zum Trotz, einen Exkurs in die Musiktheorie. Die Musik galt bis in das 18. Jahrhundert hinein als nicht sprach- bzw. rhetorikfahig und somit als eine niedere Kunstform, die gar als .. Parasit der Sprache" bezeichnet wurde, da sie nur Stimmungen zu erzeugen vermag. aber keine Diskurse. In der ..Querelle des bouffons" , an der sich auch Diderot beteiligte, wurde erstmals die Gleichberechtigung der Musik eingefordert. Es standen sich die Anhänger Giovanni-Battista Pergolesis, dessen La S~rva padrona 1752 einen Skandal an der königlichen Musikakademie auslöste, als BefUrworter des neuen italienischen "bel cantO" und die Anhänger der rigiden französische Harmonielehre, vertreten durch Jean-Philippe Rameau, gegenüber. Diderot wie auch Rousseau nahmen Partei für dje Neuerer (selbst wenn sie zuvor Rameau noch gegen Lully verteidigt ha((en).8s Um den Kunststatus der Musik zu behaupten, berief man sich nun nicht mehr auf die akademischen Regeln, sondern sente vielmehr bei den spezifischen Urklängen an, d. h. man suchte ihrer ..natürlichen Gestik" zuzuhören. Als ..cri de la nature:" seien auch Töne in der Lage die Namr zu imitieren. 14
U
Didcrot gesteht dabd. nie: cine:n WlSKnschaftle:r zum Proble:m des Taubsrumme:n bd"ragr zu haben. Er bq;nilgte: sich fur sein G«Ianke:napcrime:nt mil cirwn konsuuie:rte:n ..mu("( de: conve:ntion", also jc:mande:m, de:r aus rre:ie:n Slüeke:n beschlossc:n hat. nicht zu höre:n und zu spra:hen. Sie:he Versini, IV, 6. Sie:he: ausführlich Beauice: Durand-&ndrail: La Mwique: de: Dide:rot. Essai sur I'hieroglyphe musical. Paris: Kirne. 1994. Sowie: Duurot, In Ixaux-arts ~t Ja musiqur (AclC$ du colloque: ime:rnalional d'Aix-e:n-Provcnce:, dece:mbrc 1984), hg. von der Unive:rsitäl de:r Prove:ncc:. 1986.
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1. DIDEROTS KUNSTfHEORIE IM KONTEXT
Durch ihre Harmonien und Melodien werde auch die Mwik ein autonomer Ausdrucksträger. Diderot wertet die Mwik somit als ..Sprache" auf-allerdings vor einem erweiterten Sprachbegriff, der bei den natürlichen Einheiten oder Codes ansettt und keiner festgelegten Alphabete bedarf. Vor diesem Hintergrund kann er schließlich auch Mwik und Malerei vergleichen: Beiden sei gemeinsam, dass sie zunächst nur den einen Sinn des Auges bzw. des Gehörs beanspruchen und auch ohne die Hinzunahme von Wissen bestimmte Stimmungen und Eindrücke zu eruugen wissen. Diderots bevorzugtes Beispiel für diese primitive Form der Sinnbildung finden wir in dem eigenartigen Instrument des "clavecin oculaire", das der Jesuitenpater Castel 1725 erfand. Eine An Farborgel soll ermöglichen, Töne auch visuell umzuscnen. Das Instrument zielt auf das Sehen und auf das Gehör, indem es bei beiden die natürliche, d. h. nicht durch Konventionen geregelte Wahrnehmung anspricht. 16 Auch Diderot zeigt sich von dem Projekt begeistert, das er allerdings nie gesehen bzw. gehört hat. Er stellt sich die Farborgel als ein Instrument der reinen Emotionseruugung vor: "Vous connaissez au moins de reputation une machine singulihe sur laquelle l'invemeur se proposail d'6:a.:uter des sonales de couleurs. J'imaginai que, s'i1 y avait un cue au monde qui dQt pre:ndre qudque plaisir a de la musique oculaire el qui put en juger sans preve:nlion, c'mir un sourd el muet de naissance. 1...1 Mon sourd s'imagina que ce genie invemeur etaüsourd et muet aussi; que son davecin lui seTV2it a converser avec les auues hommes; que chaque nuance avail SUI le clavier la vaJeur d'une des lenres de l'aJphabet, et: qu'a I'aide des IOuches et: de: I'agjlite des doigu, il combinait ces lemes, en formail des mOlS, des phrases enfin un discours en coule:urs. I...] 11 cnll que la musique mit une: ~on particulihe de communique:r la ~nstt, et: que les insuume:nu, les vidles, les violons, les rrompe:nes ttaie:m eml"C' nos mains d'autres organes de la parole:. [...]l.orsque • Casld kündigte sein Instrument schon in de:r Nove:mbC'rausgabC' des M~,ltu, von 1725 an, Proble:me: bC'i de:r UmSt:t2.ung liclkn ihn die: Recherchen je:doch mehrmals umerbrechen. Obwohl er St:in Projekt lange als "belle chimhe" bcu:ichnet hane, gab er nichl auf, bis im Frühjahr 1751 ein erster Protoryp bespidt werden konnte. Er glaubte an die Kraft sinnlicher Synästhesien, die er in einer "theorie mathematique du plaisir" untersuch ren wollie. Sieche: dazu Julie: C. Hayes: &que:nce and Simuhane:iry in Dide:rOl's Promnuuk Vmur and lJrons tb clawrin. In: Eit.hurnrh-Crntury Studin, No. 3, 809
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2. CHARDINS STILLEBEN UND DIE GRENZEN DER BESCHREIBUNGSKUNST
Das Gemälde spricht offenbar nur zu einem Benachter, der seine Augen einzusenen weiß, dem Künstler zum Beispiel. Aber auch dieser kann die spezifisch visuelle Präsenz nicht beschreiben: "On m'a dir que Greuze, montam au Salon, er apc:rcevam le morceau de Chardin [... J, le rc:garda er passa en poussam un profond soupir. Cer eloge esr plus COUrt, er vaut mieux que le mien." (Salon 1763, IV, 265)
Diderot weiß sich also in bester Gesellschaft, wenn er sich nicht ohne Humor dem Schicksal fügt, bei Chardin an die Grenzen der Beschreibbarkeit zu stoßen: "Qu'eSl-ce que cene perdrix? Ne le yoyez·yOUS pas? C'esr une perdrix. EI edle-la? Cen es[ une encore. Voila, mon ami, six leures er huiu peimres d'expedi6:. E[ diles apres cda que je ne suis pas homme de parole!" (SO/o" 1769, IV, 844)
Versuchen wir aller Unaussprechbarkeit zum Tron nachzuvollziehen, was Diderot an Chardins Werk so faszinierte. Selbst wenn Diderot und Charilin in der Literatur allerorts miteinander in Verbindung gebracht werden, liegt bisher keine genauere Untersuchung dazu vor, welche Gemälde Chardins Diderot wann und wie kommentierte. Nur die Studie Michael Frieds, die Diderot zu Recht als den wichtigsren Theoretiker des Topos der Absorption bzw. der anti-theanalischen Haltung beschreibt, beschäftigt sich eingehender mit diesem Thema. 1I Nach Fried können vor allem Chardins Genreszenen mit ihren "Nichthandlungen" als "echte", d. h. anti-theatralische Handlungen überzeugen: Die Protagonisten werden beim Schlafen, Lesen, Beten, Hausarbeiten oder auch beim Nichtstun beobachtet, ihren Beschäftigungen kann wahrlich kein Ereigniswert zukommen. Selbsrversunken bzw. "absorbiert" verfolgen sie ihre Tätigkeiten, so dass der Betrachter zu der Überzeugung gelangen muss, nicht einer gesrellren Szene, sondern der Realität selbst beizuwohnen. Michael Fried bringr somit in erster Linie die Genreszenen Chardins mit Diderots Pa· radox über den Schauspieler in Verbindung. Dies scheint mir als übergreifender Zusammenhang keineswegs falsch, aber wir müssen doch berücksichtigen, dass Diderot sein Paradoxe ftlr le com!dien erst 1768 veröffentlichte, während Chardin seine Genreszenen bereits zwischen 1737 und 1753 malte. Diderot hingegen begann ersr 1759 seine ersten S3.lonkritiken zu schreiben. Betrachret man genauer, welche Gemälde Chardins er darin erwähne, so wird deutlich, dass er sich nur mit dem Spärwerk des Künstlers beschäftigte. Chardin wandte sich im Lauf der fünfziger Jahre endgültig 11
Siehe Michael Fried: Absorplion and ThealricaJilY. Paiming and Beholder in the Age of Diderot. Berkdeyel 31.: UniversilY ofCalifornia Press, 1980.
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2. I. DAS SEHEN SEHEN
Abb. 6. J~an·BaptiJte Simlon Chardin: LA pOU1VOyewt. /738. 46 x 37 cm. &rlin, Schlou Charlottmburg.
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74
2. CHARDINS STILLEBEN UND DIE GRENZEN DER BESCHREIBUNGSKUNST
von der Genresz.ene ab, um sich wieder ausschließlich dem Stillleben zu widmen. Tarsächlich beziehen sich aUe direkten Aussagen, die uns von Diderot zu Chardin vorliegen, auf seine Stillleben und nicht auf die Genreszenen. Chardin stellte zwar auch in den Salons nach 1759 noch hin und wieder Genresz.enen oder andere Werke aus den frühen Phasen aus, Diderot geht jedoch auf di~ älteren Arbeiten nicht weiter ein. Seine einzige Bemerkung zu einer Genresz.ene - der im Salon von 1769 ausgestellten PourooJnIJ~ (Abb. 6) - Mit darüber hinaus negativ aus: Die Figur sei "un peu colossale de proponion et manicrce d'attitude" (N, 844). Selb$[ wenn wir diese Randbemerkung nicht überbewerten sollten, muss dennoch betont werden, dass sich Diderot an keiner Stelle explizit über die anti-theatralischen Qualitäten von Chardins "Schauspielern" äußert. Seine Faszination für Chardins Malerei scheint andere Ursachen zu haben. Frieds Ansatz erweist sich für unseren Fall als zu begrenzt: Er fasst die Idee des Schauspielers so wörtlich, dass seine Theorie an die Darstellung der menschlichen Figur gebunden bleibt. Begreift: man das Prinzip der Absorption hingegen als ein mediales Abbildungsverfahren, so zeigt sich, dass in Diderocs Theorie auch Gläser, Krüge. Wildbret, Früchte und Blumen das Paradox des Schauspielers zu beherrschen haben. Der Künstler hat auch diese Gegenstände so desinteressiert darzustellen als lägen sie hinter der "vierten Wand" zwischen Bühne und Publikum. Was bedeutet dies nun rur die malerische Umsetzung? Abgesehen von Diderocs Salons kann sich unsere Untersuchung nur auf wenige Quellen stürzen. Chardin selbst hat überhaupt keine schrifclichen Zeugnisse hinterlassen und so bleibt auch ungewiss. ob er Diderocs Besprechungen überhaupt kannte. Sicher i$[ nur, dass die heiden sich privat kannten und einen regen Austausch pflegren. 12 Der Dürftigkeit der Quellen zum Trotz möchte ich dennoch behaupten, dass wir in diesem Zusammentreffen von Malerei und Literatur einen Idealfall der wechselseitigen Erhellung antreffen - unter der Prämisse, dass wir Diderors Text als ebenso srumm wie Chardins Bilder begreifen. Es gilt, die parallelen Bestrebungen von Text und Bild zu erkennen und nach mediaJen ÄquivaJenzen zu suchen, anstatt, wie bisher üblich, eine gegenseitige Illustration oder ErkJärung zu erwanen, die nur unbefriedigend ausfallen kann. I) Diderot verstand aJs einer der ersten, dass Chardins Stillleben keinen allegorischen Subtext mehr enthalten. den er narrativ hätte umsetzen U
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Gita May v~rmuret, dass ~her d~r jüng~r~ Did~rot von Chardin bttinßusst war als umgekdm. Did~rots Ik:ßaion~n zur F:ubc im Eu4i tuT kt pdntu" gdten L B. als von Chardin inspiri~n. Sieh~ dazu Gita May; Chardin vu par Did~rol et par Prowl. In: Publimtions o[l1N Modnn i.tlnf'Ulg~ ASSOCUllion o[Amnica, No. I. Bd. 72. 1957. S. 403-418. In der Literarur u:igt~ man sich bisher von dem nüchtem~n Stil des sonsr so doqu~nr~n Kriti· kers enrtiiuscht. Nach Pi~rre Rosenberg sind Did~rots Chardin-Bespremungw ·d'un~ l«ture assa l"utidietlS(:, tanr ils SORt (••• ) repecitifs dans I~ vocabulaire qu'iJs uriJ&nr pour qualifi~r et: admirer les tableaux d~ Chardin." ChaTJin (1699-1779). Katalog hg. von Pierre Ro~nberg.
2. 1. DAS SEHEN SEHF.N
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können. Er Joh, dass sich diese Werke gegen eine Beschreibung durch Wone sträuben und machte eben dies zum Thema. Gerade Diderot war das inhärente Paradox eines jeden "parler peinrure" eine willkommene Herausforderung.'~ Bevor wir uns Chardins Werk und Diderors Beschreibungen eingehender zuwenden, seien zuvor einige wichtige Aspekte über die gattungsspezifische Eigengesenlichkeit des Stilllebens erwähnt.
Stoische Stillleben Um zu verstehen warum sich der fotografische Blick gerade im Stillleben herausbildete, können wir zum einen den kunstpolitischen Rahmen und zum anderen die dem Genre eigene Medialität heranziehen. Chardins Entscheidung, die menschliche Figur aus seiner Malerei wieder herauszunehmen und sich in seinem SpälWerk nur noch mit dem Stillleben zu beschäftigen, stellt einen klaren Affront gegen die durch den Klassizismus bekräftigte Hierarchie der Gattungen dar. Seit den vierziger Jahren arbeitete die damalige Kunstkritik an der Wiederbelebung der Antike, in der Hoffnung eine neue Blüte der Historienmalerei herbeizuschreiben. Denn nur der Historienmaler sei de:r Maler der Seele, so La Font de Saint Yenne, alle übrigen malen lediglich für die Augen. 'S Als anerkannter Meister der Genresze.ne wäre es nur konsequent gewesen, wenn sich Chardin auch im POrträt oder in der höchsten aller Gattungen versucht häne (wie z. B. Greuze, s.o.). Aber Chardin verzichtete auf einen solchen Aufstieg, was sich in finanzieller Hinsicht merklich auswirkte. Die Preise wurden damals nicht nach Angebot und Nachfrage erminelt, sondern richteten
14
I'
Paris: RMN, 1979, S. 79. Auch Michad Baxandall häme sich mehr erwartet: ~as zeitgenössische Kri(iker über Chardin schreiben, ist manchmal von Intere5S(:, aber nichl fur dicse An von Fr:tgen. Besonders enll2uschend iSI das im Falle Diderots. ~ Mich.ad Bax.and.all: Ursachen der Bilder. (Panerns of Ißlemion, 1985) Berlin: Reimer, 1990,S. 131. Rcnl DemoN hilt Diderol in Ikz.ug auf seine Ch.ardin-8esprechung sogar für ..inc:apable d'en assurer une transcription verbale·, man finde.pa! d'originaliu~. au reste, chale cri(ique, quant aux termesqu'il appLique ~ Chudin." Rem' Demoris: Chardin. La chairet I'ob}et. Puls: Adam Biro, 1991, S. 155. Zur Theorie der Bildbeschreibung siehe Qslur Bätsehmann: Bild-Diskurs. Die Schwierigkeit des Parler Peinrure. Bem: 8endi, 19n. Siehe dazu Marianne Robnd-Michd: Die Scde und die Augen - Die Ausführung und die Idtt. Chardin und die Ganungr:n der Maler~. In: J. O"mJin (1699·1779) - Wt'rk, Ht'rkllnjr, Wirkunl' Katalog hg. von der S(aadichen Kunsthalle Karlsruhc. Osdildern-Ruir; Hatje unn, 1999, S. 13-22.
s.
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2.
CHARDINS STILLEBEN UND DIE GRENZEN DER BESCHREIBUNGSKUNST
sich nach dem abgebildeten Gegenstand. 16 Selbst wenn sich die Sammler um Chardins Gemälde rissen, wollten sie trotzdem nicht mehr bezahlen als für die Gattung des Stilllebens üblich. Mit der Wiederaufnahme dieses Genres in der Spätphase stufte sich Chardin also freiwillig zurück. Aber gerade dies wusste Diderot an ihm zu schämn: ...Connaissez-vous en linera.rure un style propre a tout~ Le genre de Chardin est le plus faeile, mais aucun ~intre ViV2nt, pas mcme Vcrnet, n'est aussi parf.Ut d.ans 1e sien.... (Sau,. /765. IV. 349)
Auch Diderot unterwanderte die Gattungshierarchie auf sehr subtile Weise: Er riet den Künstlern keineswegs. sich aufgrund der außerordentlichen Herausforderung nur in der Historienmalerei zu üben. Im Gegenteil, je geringer der Anspruch, desto höher sei die Aussicht auf ein gelungenes Werk. Ein hervorragender Stilllebenmaler war dem Kritiker lentlieh lieber ab ein schlechter Historienmaler. Sein Aufruf zur Bescheidenheit stellt für das Stillleben ein anderes Genie in Aussicht - das der Technik und der Wahrheit: ...11 faUt, mon ami [gemeint: Grimm). que je vous communique une idtt qui me vient er qui ~ut-C:tre ne me reviendrail pas dans un autre moment, c'est que cette ~inrure qu'on appelle de genre dcvnil cue edle des Yieillards ou de eeux qui sont n6 Yieux; die ne demande que I'etude Cl de Ja patience, nulle verve, peu de ~nie, guhe de pobie. beaucoup de lechnique Cl de virite, Cl puis e'est tOUI.... (Salon /765. IV. 3461
Das Stillleben bringt als Gattung also nicht nur eine eigene ikonographische Tradition mit, es trägt als Medium bereits eine Aussage in sich: Nicht für die Idee oder "invemio" erlangt es Beachtung und Anerkennung. sondern für die WahrheitsdTekte, die es allein seiner Technik verdankt. Die Form selbsl erweist sich hier als ßcdeutungsträger. Wie schon der Name der Gattung verrät, impliziert das Stillleben stets eine paradoxale Form des Abbildens: Ob "Stillleben" oder "Nature morte" - der Begriff drückt. in welcher Sprache auch immer, ein widersinniges Verhältnis aus. Erst Stille bewirke Leben, man bringe die Natur nur zum Leben, wenn man sie "stillhält" oder gar "tötet"Y I.
Siehe dnu Anloine Schnapper: Biern CI revcnus de Chardin. In: Chardin (1699·1779), ibid.,
5.55-59. So Schnapper über die Situation Ch:udins:
..[...1i! n'avait pas enliht:men( (on de sc plaindrc dc ses ga.ins: a niveau de (alent com·
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parablc, la nature mone enrichissa.il bcaucoup moins que la peimurc d'histoirt: ou que le ponrait.... ibid., S. 58. Zur Begriffi:. und Thcoricgeschichle des Srilllebens siehe Ebcrhard König. Christine Schön (Hrsg.): S[iUlebc:n. (Geschichte du klassischen Bildg:mungen in QuellcnlOlten und Kom· ment:uen, Bd. 5) Berlin: Reimu, 1996.
2. I. DAS SEHEN SEHEN
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Wie sehr dieses "Leben" bzw. die Wahrheit des Stilllebens zu überzeugen vermag, drücken bereiu die antiken Ursprungsmythen der Gattung aus. Die Geringschänung der abgebildeten Objekte brachte den Künstler immer schon in ein Dilemma um die Anerkennung seiner KunsL So ~richtet Plinius von dem berühmten Maler Protogenes. der als Ikiwerk auf einem seiner Gemälde ein Rebhuhn dargeste.llt hatte. Dieses Rebhuhn rief bei den Betrachtern weit mehr Bewunderung hervor als der eigentliche Bildgegenstand. Der Künstler fühlte sich in seinem Können verkannt und übermalte schließlich die niedere Dekoration - ein Eingriff, den Kunsttheoretiker wie Franciscus Junius. Samuel van Hoogstraten u. a. bis in das 18. Jahrhundert hinein gutheißen werden. Der Künstler musste die Konkurrenz der schlichten Faktizität fürchten, da diese offenbar mehr Überzeugungskraft besaß als die von ihm ersonnene Kompositionen. Warum ist diese Kraft nun allein an das niedere Genre gebunden? Das Rebhuhn mag uns in diesem Zusammenhang als Wappentier des Stilllebens dienen, nicht nur, weil Diderot es zur Veranschaulichung des Beschreibungsparadox aufführt (s. o. "Qu'est-ce que cette perdrix? Ne le voyez-vous pas? C'est une perdrix. Et celle-la? C'en est une encore." Salon 1769, IV, 844), sondern weil e~n jener Vogel seit der Antike mit einem Mythos verbunden ist, der das Paradox dieser Gattung bestens zu erzählen weiß. Perdrix, der dem Tier seinen Namen gab, war der Gehilfe des Dädalus.· 9 Zum Verdruss des Meisters galt sein Helfer als geschickter als er. Wie Protogenes sein Rebhuhn suchte auch der eifersüchtige Dädalus seinen Konkurrenten zu eliminieren und stürzte ihn von einem Felsen. Der Knecht wurde daraufhin von Minerva in einen Vogel verwandelt, der jedoch nicht Riegen kann - das Rebhuhn. Der Ingenieur wird mit seinem Sohn daraufhin immer gewagtere HöhenRüge unternehmen und bei dem unvermeidlichen Absturz umso häreer aufschlagen. Dem Rebhuhn blieb diese Lehre erspart, Perdrix denkt noch an den einstigen Sturz und fürchtet fortan die Höhe. Weil er in Bodennähe blieb, lebte er letztlich länger.2O!1
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2.
CHAROINS STillEREN UND DIE GRENZEN DER BESCHREIBUNGSKUNST
ce qu'il ade s6r, c'est que je n'ai jamais connu personne qui I'ait vu travailler." (Salon 1765, IV, 593) Ihm und vielen anderen Kritikern blieb somit nur die eingehende Betrachtung der Gemälde. Als auffaJligstes Merkmal erweist sich der unsaubere Farbauftrag, den Dide· rot als rau, unregelmäßig, abgehackt ("un faire rude et heurtee" IV, 218) und gar als unfertig (,,11 y a longremps que ce peimre ne finit plus rien." IV, 218) beschreibt. Der Abbe Raynal folgert seinerseits, Chardins Bilder bestünden aus illusionistisch zusammengewebten Farbpartikeln:4~ "Sa manihe de peindre est singulihe. Il place ses couleurs I'une apres I'aum: sans presque les m~ler; de sone que son ouvl"2ge ressemble un peu ~ la mosaique de pieas de rappon, comme la tapisserie faite ~ I'aiguille qu'on appelle point carre."~
Diese farbigen Kärnungen galt es jedoch nicht aus nächster Nähe zu betrachten, Diderot wies den Betrachter an, einen gewissen Abstand einzuhalten, damit der visuelle Effekt sich emfalten könneY Schon damals beschrieben die Betrachter Chardins Abbildungsverfahren eher als eine An: Drucktechnik denn als Malerei. )aques Lacombe vermerkt zum Beispiel:
a
"On peut comparer aue Icchnique la manihe noire de 1a gravure, compos&, comme on sait, de pctiu grains qu'on use et qu'on polit plus ou moins, suivant les ombres et les c1airs."'"
Dass Chardins Malweise schon als quasi-mechanischer Abdruck interpretiert wurde, zeigen insbesondere auch die Bemerkungen, Chardin bilde alles mit ab, was sein Auge wahrnimmc Chardin häh sich streng an seinen Seheindruck und gibt auch a11 jenes wieder, was der wissende bzw. tastende Blick immer schon wegdenken würde. Ein untrügliches Anzeichen dafür ist die strenge Gleichbehandlung von harter Materie und immateriellen Elementen wie Licht und Lutt.. Der Kritiker )acques Lacombe bemerkt in diesem Zusammenhang einen gewissen Dampf auf Chardins Bildern:
4~ Wie Gila May und Pierre Roscnberg nahclegen, kann man in Chardin bereits einen Vorläufer
der impressionistischen oder poinriJljnischen Techniken sehen, wir sollten dabei aber nicht vergessen, dass nicht die Auflösung des Gegenstandes, sondern die visuelle Wahrhaftigkeit das Ziel von Chardins Strategie bildeie. Er setzte diese Technik also nur ein, um sie vergessen zu machen. Siehe dazu May, ibid., S. 403 ff. und Rosenberg (1979), ibid., S. 296. 016 Abbt Guiliaume-Thomas-Fl"2nc;ois Raynal: Correspondence lineraire (1750). Hier zitien nach Roscnberg (1979), ibid.• S. 81. 47 So Diderot: ,,11 a de commun avcc la manihe heunee que de pres on ne sair t t que c'est, et qu'~ mesurc qu'on s'eloigne I'objel sc cree el finit par ctre cclui de la nature [...]." (Salon J765, IV, 349) '" Jacques Lacombe: Le salon en vers el en prose ou jugemem des ouvl"2ges expos6 au Louvre en 1753. Hierzitiert nach Roland·Michel (1994), ibid., S. 117.
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2. 2 ... L'ruL RECRU" - DIDEROTS AUGE AUF CHAROIN
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,.l.a 10uch~ ~t les t~intes d~ ces differentes morceaw: sont des plw singulihcs. C'est un
mvail qui n~ produit tout son dret qu'a un~ ttrtain~ distaD«; d~ pres I~ tableau n'offrc qu'un~ sone de vapnlr qui semble envdopper tow les objas."'"
Und auch Diderot meint Nebd und Schaum zu sehen: ..On n'entend nen a ettte magie. Ce som des couches q>aisses de couleur, appliquh$les unes sur les aU(lCS, et dont I'effet [ranspire dt dcs.sow ~n dc:ssw. D'auues fois on dirait que c'est: un~ vapeur qu'on a soum~ sur la loile; ailleurs. une «ume I~re qu'on y a
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2. CHARDINS STILLEREN UND DIE GRENZEN DER BESCHREIBUNGSKUNST
nCdui qui ~Ieint la lumiere s'impose la n6c:cssil~ de donner du corps ~ I'alr me:me, er d'apprendre 11. mon (Eil 11. mesurer I'espace vide par des objers inrerpos6 er gradudJement afhiblis. Quel homme, s'il sait se passer du grand agent, el produire 5anS $On secour un grand effet!" (Essais sur Ja pt/nturt, IV, 481)
Chardin, so können wir zusammenfassen, zeigt durch das Mitabbilden des Funktionslosen, des diffusen Lichts und der Zwischenräume, dass er nicht an seinem körpereigenen Sehapparat manipuliert, sondern die Dinge so aufnimmt, wie er sie sieht. Das Ursprungserlebnis zu seiner Malweise hatte Chardin schon in jungen Jahren. Cochin erwähnt in seinem Essai sur la vie de Chardin eine Anekdote, die der Künstler wohl des öfteren erzählte, da auch Diderot sie in dem Salon von 1767 einbringt. Der kurze Bericht fasst die Medienrevolution des Abbildungsverfahrens pointiert zusammen: Chardin hat im Atelier von Pierre ]acques Casez, seinem ersten Lehrer, zunächst gelernt Gegenstände auch ohne ein dreidimenisonales Modell täuschend echt wiederzugeben. Casez war davon ausgegangen, dass nur der Künstler, dem es an Genie fehle, die Gegenstände aus dem Kopf zu malen, auf ein Modell zurückgreifen müsse. Chardin studierte daher auf den Gemälden anderer die Kunst der Illusion, um ihre Technik entsprechend zu kopieren. Dies entsprach in der Tat der gängigen Ausbildungsmethode, ob in der Akademie oder andernorts. 52 Erst sein zweiter Lehrer, Noel Nicolas Coypel, legte ihm erstmals einen Gegenstand zur Abbildung vor, die Begegnung mit dem realen Objekt erwies sich als Schock: Chardin musste alles vergessen, was er bisher gelernt harre. Erst jetzt konnte er zu seiner Methode finden, nur den tatsächlich gesehenen und nicht den gewussten Gegenstand abzubilden. So berichtete er Cochin: .. Voil~, [... l, un objel qu'il c:.51 quesrion de rendre. Pour n'em occu~ que de le rendre vrai, il faUl que j'oublie lOut ce que j'ai vu, el meffie jusqu'~ la maniere dont ces objelS Ont l!:lt (raires par d'autres. 11 faUl que je Jes pose ~ une [elle disrance que je n'en voie plus Jes details. Je dois m'occuper SU"OUI d'en bien imi[er el avec la plus grande vtrilt les masses generales, ces rons de la couleur, le rondeur, les effets de la lumiere el des ombres."S)
SI
Chardin harte sich in einem Gespräch mil Dideror schon früher zu diesem Problem geäußert. Er bar den Kritiker um Versrilndnis ßir die jungen Künstler, deren Ausbildung das Sehen lange vernachlässigt: "On nOU5 met (... ) 11. rage de sept 11. huir ansle pone-cnlyon ~ la maln. Nous commem;ons 11. dessiner d'apres I'exemple des yeux, des bauches, des nez. des oreilles, ensuite des pieds el des ma.ins. Nous avons eu longtempsle dos courhe sur le ponefeuille, lorsqu'on nous place devanr I'Hercule ou le Torse (... ). Apres avoir s&ne des journees el passe des nuits 11. Ja lampe devanr la nature immobile el inanimee, on nous pr6ente la nature vivame, et [out 11. coup le trava.il de toulesles annees precedenles sembJe se reduire 11. rien; on ne ftJ( pas plw emprunte la premihe fois qu'on prit le crayon." (Salon /765. IV. 292)
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2.2. "L'<ElL RECRtt" - DIDEROTS AUGE AUF CHARDIN
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Uns mag es als selbsrverständlich erscheinen, dass ein Künstler die Distanz zum Modell nach seinem Belieben festlegt. Aber Chardins Absicht, die Details seines Gegenstandes durch eine entsprechende Entfernung übergehen zu wollen, schockierte die damaligen Kritiker, wie zum Beispiel Pierre-Jean Mariette: .,Faule d'etre assa fond dans le dessin el de pouvoir &ire ses emdes et ses preparouions sur le papier, M. Chardin est oblige d'avoir oominuellement sous les yeux I'objet qu'il se propose d'imiter, depuis la premihe ebauche jusqu'~ ce qu'il ait donne les derniers coups de pinceau [... I."~
Chardin brach offenbar mit einem Tabu: Gemeinhin nutzte der Künstler sein Modell, um auch die kleinsten Details daran festzuhalten, denn deren Erwähnung im Bild sol1te den Eindruck von Echtheit erzeugen. Seine Arbeitsweise kehrte diesen Ansatz hingegen um: Er brauchte das Modell wie kein anderer - aber nicht etwa, weil er ein schlechtes Gedächtnis hatte oder seine Darstellung aufgrund zeichnerischer Mängel nicht hätte beenden können. Er sah auf sein Modell, um es als gesehenes Bild zu sehen. Er wollte es vor Augen haben, um die Details der Szenerie eben nicht wiederzugeben. Dieses Paradox über die Details können wir mit Hilfe der Unterscheidung von Wissen und Sehen verorten: Der wissende Blick auf das Objekt zeigt die Details als Eigentümlichkeiten und Besonderheiten der Dinge, sie stehen daher im Zentrum der Darstellung. Der sehende Blick hingegen "sieht" die jeweilige Situation als Bild, wobei das naive Auge all jene Details übergeht, die das Denken aufgrund von Erfahrungswerten kennen müsste. Wie sehr Chardin mir dieser Technik auf den permanenten Anblick seines Modells angewiesen war, belegt die folgende Anekdote Diderors im Salon von 1769: .,Chardin est un si rigoureux imitareur de nature, un juge si s6rhe de lui-meme, que j'ai vu de lui un ubleau de Gibier qu'il n'a jamais achcve, parce que dc petitSlapins d'apres Icsquels il travaillait etam venus a se pourrir, il d6sespera d'aneindre avcc d'autres a I'harmonie dom il avait I'idec. Tous cc:ux qu'on lui appom etaiem ou uop bruns ou trOP c1airs." (Salon /769, IV, 884)
Chardin gibt also einen Wahmehmungseindruck wieder, der auf präzise Angaben über die Oberfläche verzichtet. Geht man hingegen an ein von Oudry, Desportes oder Delaporte gemaltes Tierfell näher heran, kann man deutlich den Willen des Künstlers erkennen, dort so viele einzelne Haare abzubilden, wie auf dem ausgewählten Leinwandausschnirr Platz finden. Wie auf einer
Cochin zitiert nach Roland-Michel (1994), ibid., S. 267. ~ Pierre-Jean Mariene: Abecedario (1749). Hier zitiert nach Rosenbcrg (1979), ibid., S. 81.
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2. CHAROINS STlu.EBEN UND DIE GRENZEN DER BESCHREJBUNGSKUNST
Landkarte werden dort Repräsenramen nellvertretend für all die anderen Haare eingetragen. Auch diese Art von Entsprechung kann als der Wirklichkeit »ähnlich" gewertet werden. Aber es handelt sich um ein gänzlich anderes Verfahren als bei Chardin. Chardin bemüht sich in seiner Kunst den reinen Seheindruck wiederzugeben, indem er sein sehendes Auge von dem Wissen über das Gesehene isoliert und nur das festhält, was ihm das Organ übermittelt. Er bilder nur ab, was sein unvoreingenommenes und damit vorurteilsfreies Auge sieht. Indem er all sein Wissen über den Gegenstand unrerdrückt, verhält er sich wie ein neutraler Aufnahmeapparat. Er entdeckt damit erstmals die Autonomie des Auges, dessen Leistung durch kein anderes Organ und auch nicht durch das Vorwissen des Verstandes ersetzt werden kann. In diesem Blick entsteht eine Fotografie vor der Fotografie, noch ohne den enrsprechenden Apparat konzentriert sie sich allein auf eine bestimmte Sehleisrung des Auges. Diese Gleichsetzung des Auges mit einem kameraähnlichen Aufnahmegerät muss dabei nicht als nachträgliche Interpretation unsererseits gelten, sie galt seit dem 17. Jahrhundert als wissenschaftlich bewiesen.~~ Die Beschreibung des Auges als ein mechanischer Apparat zur Lichtregistrierung findet man daher auch vielerorts in der Enzyklopädie. Voltaire erläutert zum Beispiel in dem Enzyklopädieartikel Sm!, dass das menschliche Auge eine Linse enrhält, das wie ein Objektiv bzw. wie eine Brille funktioniert. ..Nous devons consider~r qu~ nos y~ux n~ sam qu~ des [un~nes narurdles, qu~ I~urs humeurs fonll~ mcm~ ~ff~( qu~ les v~rres d~ lun~ttes, ~I que selon la siruation qu'ils g2rd~m ~mr'~ux [...] nous voyons les choses diff~remment."
Wie bewusst man das Auge mit der Camera obscura, der einzigen damals bekannten "Kamera'" verglich, zeigt auch der Artikel (Eil: ~[ ...l
en un mOt, tout [~corps d~ r~il esl un~ espee~ de [orgn~n'~ qui transmet n~tt~m~nt les images jusqu'a son fond. Mais pour se form~r un~ idee d~ la Struetur~ de I'~i[, ~t du mteanism~ d~ la vision, on peut employer I'ex~mpl~ de Ja chambr~ obscur~ dont I'ail esr une espec~."
Nachdem wir nun anhand der genannten Kriterien das Fotografische an Chardins Malerei beschrieben haben, können wir abschließend fragen, wie Diderots Bildbeschreibungen als Texte auf diese neue Bildform reagieren.
S~ Sieh~
dazu
Auflag~.
H~rben:
Schober: Das
Seh~n.
2 Bd., Lc=ipzig: Fachbuchverlag, 1970, 4.
erw~i(~n:~
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2. 2. "L'CEll RECRt~" - DIDEROTS AUGE AUF CHARDIN
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Von der Ekphrasis zum "elfer de reel" Wir hatten eingangs behauptet, zwischen Chardins Abbildungsverfahren und Diderocs Beschreibungsverfahren bestehe eine Paral1ele. Didero[ passe seine Beschreibung dem Gesehenen an, die Sprache werde gewissermaßen dem Sehen umergeordnec. Ta[sächlich lässc sich der Bruch, den Chardin gegenüber der älteren Scilllebemradicion vollzieh[, mir jenem Bruch vergleichen, den Diderocs neuer Beschreibungsmodus mi[ der rhewrischen Ganung der Ekphrasis aufweise. Die Ekphrasis reiche als literarisches Genre, das Personen, Oree, Bauwerke und Kunsewerke würdigend beschreibe, zurück bis in die Ancike. S6 Der Grundgedanke der rhecorischen Ekphrasis basieree auf der wechselseicigen überse[zbarkei[ von Tex[ und Bild. An der Vergleichbarkei[ beider Medien hegte man keinen Zweifel, selbs[ wenn sie durchaus mi[einander konkurrieren konnten und solhenY Die Aufgabe des Auwrs bescand darin, den Inhal[ des Gemäldes in jene narracive Verlaufsform zu bringen, die Bilder per Definicion nicht dar· stellen können. Das beschriebene Szenario ergänze und kompensien somit die
Mängel des Bildes. Auch bei Didero[ finden sich noch zahlreiche in diesem Sinne ekphrascisch angeleg[e Beschreibungen (z. B. zu Verne[s Landschaf[en s.o., 2. 1.). Die Einflüsse dieser rhetorischen Tradi[ion auf DideroLS Schreiben hat Louis Marin in seinem Aufsan L~ tkscripuur famaisisu ausführlich umersuche. 58 Sie ziehen sich durch die gesarme Kunsdaicik, so dass wir kein konkretes Damm angeben können, zu dem sich ein Bruch ereignet härte. Didero[ spiel[ vielmehr mi[ den Beschreibungsparadigmen, die er je nach vorgefundenem Sujet wechsele. In der ekphrascischen Beschreibung läss[ der Redner das Bild himer seiner Handlung verschwinden. Er erläu[en nicht, wie das Bild angeleg[ in, sondern was darauf passiere. Die Ekphrasis such[ durch Bilder Affek[e auszulösen und nu[Z[ daher die größere Unminelbarkei{ des Bildes gegenüber der sachlichen
S6
'7
)I
Ich baiehe mich im Folgenden auf Gonfried Böhm, Helmut pforenhauer (Hrsg.): Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart. München: Fink, 1995. $0 Böhm: "Das Stumme Bild und die blinde Rede hanen im jeweils anderen Medium ihre Ergänzung. Die Fn.ge des Tn.nsfers vom einen ins andere schien dahet unproblematisch. Der n Name der Ekphrasis stand rur diese Gleichung von Bild und WOrt. Gottfticd Böhm: Bildbeschreibung. Ober die Grenzen von Bild und $pn.che. In: Böhm, PfOlenhauer. ibid., $. 2-40. Hier S. 9. Louis Marin: Lc descripteur fanraisiste. In: Ders.: Des pouvoirs de I'image. Paris: Lc Seuil, 1993, S. 72·\ 0 I.
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2. CHARDINS STlUEBEN UND DIE GRENZEN DER BESCHREIBUNGSKUNST
Beschreibung. Die eigentliche Beschaffenheit des Kunstwerks interessiert dabei nichc Der Autor appelliert allein an die Imaginationskraft des Lesers. sich eine lebendige Geschichte auszumalen. In diesem Sinne ist es nicht einmal von Bedeutung, ob der Beschreibung überhaupt ein Bild zugrundelag. Der Autor kann ebensogut ein Bild seiner Phantasie beschreiben.'9 Selbst wenn Diderot immer wieder auf dieses Schema zurückgreift, folgt er vielerores auch einem anderen Beschreibungsmodus: Er praktiziere die Wie· dergabe des Gesehenen durch ein sprachliches Abschildern im fotografischen Sinne. So emhäJt auch die bei Marin als ekphrastische Beschreibung erwähme Kritik zu Francisco·Giuseppe Casanovas March~ d'Ann!~ (Salon J765) zahlreiche Merkmale von "fotografischer" Sprache: Diderot beginnt seine Säne immer wieder mit einem "Man sieht.. ," ("On voit au sommet des roches.. .", ,.A droit du spectateur, imaginez une masse de grandes roches de hauteurs inegales...", "Passons aux details..." usw., IV, 368), so wie er die Besprechung mit der lapidaren Bemerkung beendet ,,11 [das GemäJde] est de 11 pieds de long
sur 7 de haur." (IV, 369). Er mahnt den Leser durch solche Einbrüche der Objektivität immer wieder, sich das gemalte Bild vorzusteHen (und nicht nur die dargestellte Handlung). Geradezu pedamisch und detailversessen bemüht er sich alles zu erwähnen, was das Bild ausmacht, womit er wiederum an die Grenzen des Sagbaren stößc 60 Während die Ekphrase absichtlich mit der Vermischung von Fiktivem und Gesehenem arbeitet, um das Geschehen möglichst reich und anschaulich auszumalen, liefert Diderot eine An Polizei protokoll, das den Tathergang seines Sehens nüchtern und emotionslos rekonstruiere. Er zieht sich als Amor wiederum himcr sein Sehen zurück. Um die beiden Paradigmen der rhetorischen Ekphrasis und der "fotografischen" Beschreibung als Modelle voneinander abzugrenzen, können wir Roland Banhes Aufsatz L '4ftt dt ritt (1968) heranziehen. Barthes beschreibt darin den historischen Umbruch zur Moderne, indem er das ältere Beschreibungsmodell des "reeit" von der modernen "description" umerscheidec 61 Der "recit" erweist sich nach Barehes als durch den Diskurs des Autors geregelt: s, Bis heute bleibl ungeklän, ob die Bilder, die Philosrrat in einet det berühmtesten Ekph~n
ISO
61
der Antike beschrieb, latsächlich exisrien haben. Siehe daz.u 0([0 Schänberger: Die 'Bilder' Philosrrats. In: Böhm, Pfotenh:mer, ibid., 5.157-76. So kommemien Didero[ sein Unterfangen angesichts von Chardins Gemälden nicht ohne Ironie: "Je m'anluse iei 2 C2user ave(:ut dir(: qu(:, a chaqu(: articulation du syntagm(: narl"atif, quclqu'un dit au heros (ou au 1(:C[(:ur, j>(:'U import(:): si vous agissa d(: rdl(: manier(:, si vous choisissa tdl(: pani(: d(: l'a1r(:rnariv(: voici ce qu(: vous alla obt(:nir [... J."("l
Die Ekphrasis. die Barthes als Prototyp für den "recit" aufführt. sorgt mit der Figur der Hypotyposis für das Anschaulichwerden der Vorstellungen, die sich zwar im Rahmen des Wahrscheinlichen, aber nicht des Wahren bewegen müssen. 63 Dem stellt Barmes die gänzlich andere Struktur der "description" gegenüber: "Tour auu(: (:Sr la descriplion: dl(: n'a aucun(: marqu(: predicicv(:; 'analogiqu(:', sa Struc· tur(: al pur(:m(:m sommatoirc cr n(: comicm pas ce tt2j(:t dc choix (:t d'alt(:rnativ(:$ qui donnc a la nart2rion 1(: dasin d'un vasr(: disparching, pourvu d'un(: I(:mporalit~ r~f~rcn. ridl(: (a non S(:ul(:rn(:nt discursiv(:). [...) La d(:SCriplion apparah ainsi commc un(: SOrt(: d(: 'propr(:' da langag(:$ diu sup!:rieurs, dans la mesure, appar(:mm(:D[ paradoxal(:, Oll dl(: n'ar jUSrih&: par aucune finalit~ d'action ou d(: communication."'"
Barthes betont in diesem Zusammenhang. dass das moderne Beschreibungsverfahren in Literatur und Geschichtsschreibung gleichzeitig mit der Epoche der Fotografie (die er freilich erst für das 19. Jahrhundert ansetzt) entstand: Beschreiben dieme nun nicht mehr dem würdigenden Gedenken, sondern allein dem Sehen bzw. Wiedersichtbarmachen.6~ Es ging nur noch um die ,,'representation' pure et simple du 'reeI', la relation nue de 'ce qui est' (ou a ete)".66 Eine Strategie, die sich nach Barmes als Motor der Moderne erweisen wird: ,,11 se produit un effet de red, fondement de ce vraisemblable inavoue qui forme
62 6)
64 61
66
ibid., S. 480. So Banhes: "[...\ il n'y 2 2ucun gene a placer des lions ou des olivi(:[S d2ns un P2YS nordiqu(:; S(:ul(: compte 12 conrrainte du gcnr(: descriprif; le vt2iscmblablc n'est pas ici refer(:ntid, mais ouv(:[((:m(:nt discursif: ce sont la regIes g~n~riques du discours qui font 1210i." ibid., S. 481. ibid., S. 483. So Barthes: ,,[ ...] il esl logiqu(: que Ic rhlisme lin~raire ait ~I~, a qudqua d~a:nnies pres. contcmporain du regn(: de I'hislOire 'objenive'. a quoi il bur 2jomer le dbodopj>(:'rnent 2CfUd da ttthniques, da cruvres er des institutions fond~ sur le besoin incessam d'authenriher le 'red': 1a photographi(: (remoin brut d(: 'ce qui 2 et~ Ia'), 1(: r~ponage, 1(:$ aposüions d'objets 2nciens (...]. le lOurism(: da monuments et da H(:ux historiques." ibid., S. 480. ibid., S. 483.
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2. CHARDINS SnLl.EBEN UND DIE GRENZEN DER BESCHREIBUNGSKUNST
I'esthetique de toutes les c:ruvres courantes de la modernite."67 Die bei Barthes genannten Aspekte dieses Paradigmenwechsels können wir auch schon für das 18. Jahrhundert nachweisen. Diderots Methode den Realitätseffekt zu erzeugen, entspricht letztlich der Chardins: Er erwähnt nicht nur, was er deuten kann, sondern bildet auch das mit ab, was keine Funktion für die Handlung hat (z. B. die Größe des Bildes). Die Dinge werden registriert und aufgenommen, bevor sie einen Sinn ergeben können. Die Beschreibung selektiert nicht, indem sie nur das Sinnvolle abbildet, sondern füllt die Zwischenräume mit den scheinbar überflüssigen Details, die dort zu sehen sind. Auch Barthes bezeichnet die "notation reeUe" als "parcellaire" und "interstitielle". Wie Barthes fortfährt, bricht in dieser ungesteuerten Strategie des "effet de reel" die linguistische Einteilung des Zeichens in Signifikat und Signifikant in sich zusammen, die "description" führe zu einem direkten Zusammenswß von Referent und Zeichen. Ohne Inrerpretationsverluste erlebe der Leser "la pure rencontre d'un objet et de son expression": ~[ ...lle
'detail concrer' est CQnsrirue par la collusion direae d'un referent er d'un signjfl~ anr; le signiht esr cxpulse du signe. er, avec lui. bien entendu, la possibilite de developper une forme du siginife. c'esr~a~dire. en hit, la strucmre namuive e1le~mcme... ~61
Der Realismus in der Darstellung oder Beschreibung, so können wir mit Barthes schlussfolgern, sucht nach Methoden, die Arbitrarität des Zeichens zu umgehen. 69 Nichtsdestotrotz bleibt zu betonen, dass die tatsächliche Abbildung der Realität auch mit diesem Verfahren nie erreicht werden kann - es bleibt bei einem "Effekt" des Realen! Diderot findet auf diesem Weg einen Modus der Beschreibung, der nicht von der Sprache bzw. der Narration her denkt, sondern von spe'lifisch visuellen Kriterien. Er unterwirft seine Sprache den Mechanismen des Sehens und vollzieht somit als Betrachter, was Chardin malend gelang. Die Ausdifferenzierung von Bild und Text, die Diderot einforderte und praktizierte, bedeutet somit nicht, dass sich die beiden Medien voneinander emfernen müssen oder gar unversöhnlich gegenüber stehen. Wie wir gesehen haben, können Bilder texruell bzw. narrativ angelegt sein (wie in dem Bildverständnis Le Bruns u. a.), so wie andererseits auch Texte visuelle Strategien verfolgen können (wie bei Diderot). Mit dem Paradox über die Details, der neuen Behandlung des Lichts, dem Mitabbilden der Luft und der immateriellen Zwischenräume, dem pointillistischen Farbauftrag und dem Verzicht auf die Perspektive haben wir bei 67
ibid.• S. 484.
ibid.• S. 484. " Wir werden auf diesen Zusammenhang im Kapitel 3. 3. noch ausführlicher zurückkommen. 61
2.2. "L'<EIl. RECRtt" - DIDEROTS AUGE AUF CHARDIN
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Chardin ~in Abbi1dungsv~rfahr~n k~nnengel~rnt. das tatsächlich ges~h~ne Bild~r (anstatr gewusste G~g~nstandsdaten) aufnimmt und auch ohne Apparat den Prinzipi~n d~r Fotografi~ ~r~its nah~kommt. Mit Did~ro[$ Kunstkritik und Chardins Stilll~~n sind damit zwei Ikispiele des fotografischen Blicks beschri~})(n. der~n Hintergrund ich nun aus ein~m grölkr~n Kontext heraus erk1är~n möcht~. um d~n Brückenschlag von Platons Bildtheori~ zur Epist~mo logie des 18. Jahrhunderts vornehmen zu können.
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3.
DIE AUFKlÄRUNG DES SEHENS
Den spezifischen Zusammenhang von Aufnahmeverfahren und Wahrheitseffekt haben wir bei Diderot in textuelIen und bei Chardin in visuellen Strategien nachgewiesen. so dass nun zu beancworten bleibt, aus welchem Erkenntnisinteresse heraus man sich im 18. Jahrhundert so sehr für das Wahre und Authemische imeressierte. Ich möchte daher noch einmal bei Diderots Metapher von der Wiedergeburt des Auges ansenen. Sie weist aufschlussreiche Parallelen zu den damals neusten medizinischen Erkenntnissen über die Funktionen des Auges auf und lässt sich zudem mit einer bestimmten Lektüre des Höhlengleichnisses in Beziehung senen, die ich Diderot im Folgenden unterstellen möchte. Der Topos vom Wiedersehenlernen verweist im 18. Jahrhundert auf einen epistemologischen Zusammenhang, der weit über den Rahmen der Kunstbetrachrung hinausreicht. indem er auch das anthropologische und naturwissenschaftliche Denken der Zeit berühn:.
3. 1. Der Höhlenausgang als Umkehrung der Sehnarur Der Topos des "cx:i1 recret" führt uns zu der Frage, was die Wissenschaft zu dieser Zeit überhaupt über den Sehvorgang wusste. Wenn das Auge, wie oben gesehen, einer Kamera gleichen sol1, wie arbeitete dieses Instrument bzw. Organ dann eigentlich? Darauf eine AnCWOrt zu finden, erwies sich als umso dringlicher, da sich die möglichen Sehweisen 7.U vervielfliltigen begannen: In der Gegenüberstellung von Chardins und Delaportes Stillleben hatten wir bereits zwei Blicke unterschieden, die gleichermaßen wiedergeben was man sehen kann. Von Delaportes tastendem bzw. wissendem Blick harren wir den flach bzw. primitiv sehenden Blick Chardins abgegrenzt - aber welche Sehform entspricht nun der eigentlichen Natur unseres Auges? Und wenn es solch ein natürliches Sehen überhaupt gibt, wie und wann verfügen wir darüber?
Wiedersehenlernen als erste Operation der Moderne Die Neubewertung des Sehens erfolgte in der Aufklärung - wie ihr Name bereits andeutet - im Rahmen einer Verherrlichung des Lichts. des Beleuchtens, Erleuchtens und mündigen Wahrnehmens. Doch selbst wenn das Auge zum König aller Sinne erhoben wurde, geschah dies im Zuge der Entdeckung seiner
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3. DIE AUFKLARUNG DES SEl-IENS
Schwächen. Man hatte dem Sehen zuvor sehr viel mehr Intelligenz zugeschrieben: Das Sehbild allein sollte z. B. alle räumlichen Informationen über unsere Umwelt enthalten, was impliziere, dass bereits ein Säugling in der Lage sein müsste, bei seinem ersten Augenaufschlag dreidimensionale Gegenstände zu erkennen. Diese nie bewiesene, aber allgemein akz.eptieree Annahme wurde vor allem seit William Molyneux stark in Zweifel gezogen. In Übereinstimmung mit John Locke argumemiefte er in seinen Dioptries (1692), dass der Mensch erst aufgrund von Erfahrung und Erziehung lerne, seine Umweh sinnvoll wahrzunehmen. 1 Molyneux vermutete als erster, dass dabei der Tastsinn und nicht das Auge die wesentlichen Erfahrungen mache und den Erkennrnisprozess anstoße. Für Didecot war diese Annahme, wie in der LeffTe sur Les avrogLes gesehen (s. I. 3.), bereits eine unumstößliche Tatsache. Den eigentlichen Beweis für Molyneux' These hatte die Medizin aber erst im Lauf des 18. Jahrhundert erbringen können. Dem britischen Arzt WiI1iam Cheselden gelang es 1727, mit einer Star-Operation, einem von Geburt an blinden Jungen das Augenlicht zurückzugeben. Das Ereignis erregte die Gemüter in ganz Europa 2: Der Junge, der in den Jahren seiner Blindheit durch Ertasten gelernt hane, sich in seiner räumlichen Umwelt zurechtzufinden, war bei seinem ersten Augenaufschlag keineswegs in der Lage, die Weh in ihrer Dreidimensionalität zu erkennen. Cheselden beschrieb seine Beobachtungen in den Philosophical Tramactions wie folgt:3
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Siehe dazu Michel J. Morgan: Molyneux's Quescion: Vision, Touch and the Philosophy of Perception. Cambridge: Cambridge Universiry Press, J977. Voltaire, Diderot, La Mettrie, Euler, Mendelssohn, Herder, Nicolai und andere gingen auf die spektakuläre Nachrichr ein. Siehe Joachim Gessinger: Auge und Ohr. Smdien zur Erforschung der Sprache am Menschen. 1700~ 1850. !krlin, Ncw York: Oe Gruyter, 1994, S. 19 fT. und 38 ff. Die Enzyklopädisren !rugen diesem Ereignis u. a. in dem Artikel Sms Rechnung, der den folgenden !kricht von Vorraire enrhälr: ~[ ... I Lc jeune homme, d'environ 14 ans, villa lumiere pour la premiere fois. Son 0 perience confirma raut ce que Locke er Bcrkeley avaient si bien prtvu. 11 ne disringua de longremps ni gr.mdeurs, ni distances, ni siruarions, ni meme figures. Un objer d'un pouce mis devam I'cril, el qui lui cachair une maison, lui paraissait aussi grand quc la maison. Taut ce qu'il voyait.lui scmblait d'abord elfe sur ses yeux, Cl les roucher comme les objers du tact tOuchent Ja pe09
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3.
DIE AUFKI.J.RUNG DES SEHENS
gebrauchen sie nur als Abbilder und suchen die Urbilder an sich zu erkennen, die man nur durch das reine Denken erkennt."ll
Die Geomeerie arbeieee also nicht mit Bildern, die sie in der Namr beobachtet und nachahmt; sie beschäftigt sich keineswegs damie, alle in der Namr vorliegenden Kreisformen zu vergleichen und daraus - gewissermaßen als kleinstem gemeinsamen Nenner - eine wie auch immer gewonnene Normfigur "Kreis" zu gewinnen. Wie in Diderots Absage an Baeeeux' Vorstellung, der Künstler müsse sich nur die sichebare Namr halten, um das Ideal zu finden (s. I. 2.), weiß auch der Mamemaciker um die absoluee Form eines Kreises, ohne diesen jemals sichtbar vorgefunden zu haben. Er kann ihn daher in dieser Vollkommenheit auch nicht zeichnen. An den Darsrellungen der Geomeerie sind jeweils nur die Urbilder wahr und niche die Abbilder. So nehme man z. B. die Definition eines Punkres oder einer Tangence: Zwei Linien sollen sich in einem Punke schneiden oder berühren. Keine noch so genaue Zeichnung könnce dies im Bild so umserzen, dass der Punkt, wie seine Definicion verlangt, keine Ausdehnung hä[(e. Dennoch ise die Definieion eines Punkces nicht anders möglich als durch dieses Bild. Wir führen kein arbiträres Zeichen ein, sondern halten uns an die Analogie und Performanz des Ideogramms, das allein mit seinem Bild die zugrundeliegende Idee auszudrücken vermag. Das Ideogramm veranschaulicht eine Wahrheie bzw. Idee, die zwar im Bild niche empirisch beobachrbar vorliege, die aber ohne ihr Erscheinen als Bild weder wahrnehmbar noch denkbar wäre. Die Geomerrie, so das ihr innewohnende Paradox, entspringe der Anschauung und dem Denken in Bildern, ihrem Ziel nach ise sie aber doch wieder ikonoklaseisch. Placons Philosophie des Bildes bzw. seine in Bildern denkende Philosophie beschreibr Raffael Ferber daher als von einer "ami~empirischen Revolurion" geprägr. 12 Die Bilder werden nichr dadurch wahr, dass sie eine sichrbare Realirär ereffend wiedergeben, sondern weil sie einem dahinrer liegenden Urbild encsprechen. Dabei in es müßig zu fragen was zuerse vorlag, die Vorseellung des Kreises als erinnenes Urbild (wie in Placons Anamnese) oder die Beobachmng von Kreisformen in der Natur, die uns zur gedanklichen Absrrakrion des vollkom~ menen Kreises anregt (so die Theorie der Sensualisren). Das Urbild können wir uns jeweils nur sehend vorstellen, wobei der Sehende dabei so blind sein kann wie der Seher Tireisias in der Antike oder der blinde Marhemariker Nicholas Saunderson im 18. ]ahrhunden, der die Geomerrie vorzüglich beherrschee, obII
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ibid., 510 c-0 Pbton nur z.um Teil abgewertet wird, eh es als "Ober. Rächc cincr Ticfc· auch Anerkennung findet: "Dic T:iuschung "crwtüt nicht nur aufdie Wahrheit. sondern dic Wahrheit lebt auch in dcr Täuschung fon. Kun: Die Pha..inomcna m:hen nicht nur im Schattcn. sondern auch im lichtc der Ideen. Plal05 Himmd ist auch auf Erden," ibid.• S. 55.
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3.
DIE AUFKlÄRUNG DES SEHENS
Die zunächst sinnlich-körperlichen Sehapparate und spätcr auch tc:chni· sehen bzw. elektronischen Medien haben die Funktion. anschauliche Bilder der Welt zu liefern, ohne die wir keinen kommunikativen Zugang zu den Ideen härten. Dennoch ist Vorsicht geboten ob ihrer doppelten Sehnatur: Je nach· dem wc:lches Auge zum Zuge kommt. liefert es uns Schatten und IlIwionen oder ehen wahre Bilder. Stau den eigenen Beobachtungen blind zu glauben und eim:m naiven Positivismus zu verfallen. heißt es immer zu hinterfragen mit welchem Auge man gerade sieht. Nur die T eilnahmslosigkeir des Ur-Auges, das nicht schon beurteilend denkt. sobald es sieht, vermag Formen der Objektivität zu garantieren. In der AufkJärung suchte man also, durch die Domesrizierung der Sinne und die Entwicklung entsprechender Sehtechniken praktikable Verfahren der Beobachtung zu gewinnen, die ihre Legitimität wiederum in der platonischen Logik der Teilhabe begründen. Platons Ansatz, so können wir mit Ferber zusammenfassen, zieht durch die Verdoppelung der Weh in eine sichtbare materielle und eine unsichtbare ideelle einen "ontologischen Komparativ"lof nach sich. Es gibt mit dem unveränderlichen Urbild ein seiendes Sein und mit der beobachtbaren Natur ein gewordenes bzw. stetig werdendes und veränderliches Sein. Eine Vorstellung, die sich auch in den Bildtheorien unserer Tage noch finden lässt: So spricht zum Beispiel Gernot Böhme von Bildern als einem "Riss im Sein", sie produzieren eine ontologische Differenz, da sie über die Unterscheidung von intelligiblem UrbiJd und visiblem Abbild nicht nur Inhalt und Form trennen, sondern über ihren Wahrheirsanspruch auch in vollständige Idee und unzureichende Reali· sierung zerfallen. 15 Bleiben wir jedoch im 18. Jahrhundert um zu fragen, wie sich Platons logik aus der damaligen Sicht anwenden ließ. Geht man von einer wönlichen Lektüre des Höhlengleichnisses aus, so kann man es auch ganz ohne metaphy. sische Rückgriffe auslegen: Eine tatsächliche Verdoppelung der Natur hatte die damalige Medizin durch die Entdeckung der zwei Naturen des Sehens auf einem rein rationalen und empirischen Weg nachgewiesen. Die Wissenschaft gab, allein auf das Diesseits bezogen, Aufschluss über die Beschaffenheit eines lernenden und damit veränderlichen Alltagsauges und eines konstanten, aber unerreichbaren Ur-Auges: Das Alltagsauge des Menschen sieht aufgrund der abgespeicherten Erfahrungswerte die Dinge in einer Air ihn sinnvollen räumlichen Anordnung, obwohl ~ine Augen dies überhaupt nicht so sehen können, da die eigentliche Funktion dieses Organs nur eine Rache Weitsicht ermöglicht. Diese ursprüngliche Namr des Auges hat der Mensch allerdings immer schon verloren, wenn er sich ihrer bewusst werden kann, denn die EnrwickJung 14
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Siehe FerNT. ibid.• S. 39 K. Gernol Böhme: Theorie des Bildes. München; Fink, 1999. S. 7 ff.
3. 1. DER HOHLENAUSGANG ALS UMKEHRUNG DER SEHNATUR
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seiner Sinne folgt der werdenden Natur, die von der seienden wegführe Die Automatismen der Biologie führen den Menschen :tunächst in die Höhle hinein, aus der er sich erst durch die Reßaion der eigentlichen Sinnesleistung seiner Augen - gewissermaßen als Leistung der Kultur in Abgren:tung :tur Natur - wieder befreien kann. Gegenüber den neuplamnischen Traditionen hat sich der Akzent in dieser Platonrezeption deutlich verschoben: Nun steht nicht mehr die Frage im Vordergrund, wie man das Unsichtbare tron allem sichtbar machen kann, sondern wie sich im Bereich des Sichtbaren möglichst wahre Bilder erzeugen lassen. Das Neue an diesem Platonismus liegt somit in dem expli:titen Baug auf das reale Sehen: Die Sinne, die in der Philosophie der Sensualisten maßgeblich am Zustandekommen der Ideen beteiligt sind, erweisen sich als Zulieferer von Erkenntnis, so dass sich die Frage nach dem richtigen und falschen Sehen wnächst für das äußere Auge stellen muss. Der ersehnte Höhlenausgang kann nur über die ein:tige Schnittstelle erfolgen, die wir zur Außenwelt haben: Die Sinne selbst. Dem Auge galt dabei aufgrund seiner doppelten Natur die besondere Aufmerksamkeit - nirgends sonSt ließ sich der Unterschied von vorurteilsbehafteter und legitimer Wahrnehmung klarer belegen. Erkenntnis ist nun tacsächlich (und nicht mehr nur metaphorisch wie bei Platon) an bestimmte Verfahren des Sehens gebunden. Den Topos über die Verdoppelung der Natur finden wir jedoch nicht nur im direkten Umkreis des Höhlengleichnisses bzw. der damaligen Sehtheorie. Das anti-empirische Paradox, dass man sich im Anschaulichen doch wieder auf Bilder beziehen muss, dje man gar nicht als solche beobachten kann, bzw., dass nur das Auge authentisch und wahr sehen kann, das wir schon Ia.nge verloren haben, lässt sich auch in anderen Zweigen der Wissenschaft des 18. Jahrhunderts nachweisen. Betrachten wir kurz einige Beispiele, um anschließend w fragen, wie dieser Diskurs auch in Diderots Anthropologie Gestalt a.nnehmen konnte.
Die Verdoppelung der Natur Ein für Diderot wichtiger Vermittler der oben skizzierten Platon-Rezeption war sicherlich John Locke. Dass Diderot sich eingehend mit dem Begründer des Sensualismus beschäftigt harte, lässt der Enzyklopädie-Artikel schließen, den er über ihn verfasste. Locke als Platoniker zu beuichnen mag sonderbar erscheinen, denn er gilt allem voran als Gegner a11 jener Theorien, die dem Menschen eingeborene Ideen :tuschreiben. 16 Was der leibnizsc.hen 16
Gerade für Diderol war locke daher ein wichligeres Vorbild als zum Ik:lspid Shaftesbury
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DIE AUFKl..ARUNG DES SEHENS
Monadenlehre noch selbstverständlich war, musste der Aufklärer kategorisch ablehnen: Wenn die Wahrheiten schon mit der Geburt vorlägen, bräuchte man sich um die Ausbildung und Erziehung des Verstandes nicht mehr zu bemühen. Es würde vielmehr ausreichen, das zu übernehmen, was die vorangehenden Generationen schon als wahr erkannt harren. Um den Menschen aus dieser Unmündigkeit zu befreien, öffnete Locke die Monade und schrieb unseren Sinnen die Fähigkeit zu, die Dinge tatsächlich wahrzunehmen. 17 (Selbst wenn wir dabei stecs nur die Einzeldinge sehen und nicht die Dinge an sich.) Auch Locke bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das anti-empirische Paradox der Geometrie: MZweifdlos wird man ohne weiteres zugeben, dass unser Wissen von den muhem;nischen Wahrheiten niche nur ein gesichenes, sondern auch eine reales und nicht nur die inhahslosc Einbildung von eitlen und nichtssagenden Hirngespinsten darstdlr. Trondem werden wir bei einer Betrachtung (esmeIlen, dass es nur ein Wissen von unseren eigenen Ideen ist. Der Mamematiker betrachtet die Regelmäßigkeit und die Eigenschaften eines Rechtecks oder Kreises so, wie sie als Ideen in seinem eigenen Geiste vorhanden sind. Denn es ist möglich, dass er keine der beiden erwähnten Figuren im Leben je mathematisch, das heißt genau richtig existierend, angetroffen hat. Dennoch sind seine Kenntnisse [...] wahr und gewiss, weil reale Dinge für alle Sänc jener Art nur insoweit betrachtet werden und durch sie nur insoweit bez.cichnet werden sollten, wie sie wirklich den Urbildern im Geist des Mathematikers entsprechen."ll
Er folgert somit: "Damit unser Wissen ein reales werde, müssen die Ideen ihren Urbildern [eng!. "archetypes"] entsprechen."l9 Diese Archetypen sind jedoch nicht von aUeine im Menschen angesiedelt, sondern kommen ihm erst durch die Sinne zu. Erst die Betrachtung der realen Einzeldinge bringt uns dazu, den Archetyp davon bilden zu können. 2o Trotz Täuschung und Illusion verhelfen uns die Kopien auf den richtigen Weg. Der Sensualismus lockescher Denkart mündet also keineswegs im blinden Positjvismus einer rein empirischen Wissenschaft, das neue Vertrauen in die Sinne gründet sich vielmehr in dem festen Glauben, dass es den Sinnen gelingen kann, uns zu der Idee zu führen. Wir kommen nicht mit fertigen Ideen auf die Welt, sondern nur mü den sinnlichen oder andere Sensualisren wie Berkelcy, die an der Theorie der eingeborenen Idet=n festhid· ren. 17 Siehe John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. (An Essay concerning Human Understanding, 1689) Hamburg: Meiner, 1988. Hier insbesondere S. 218 ff. 11 ibid., S. 220 f. ibid., S. 221. :ro Gerade die Diskussion um die Idet=nlehre erhob den Begriff des Archeryps im 18. Jahrhunden zu einem zentralen Modell. Zusammenfassend siehe den Anikel .,Archeryp~ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 1971, Bd. I, S. 497·500.
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3. I. DER HÖHUNAUSGANG ALS UMKEHRUNG DER SEHNATUR
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Kapazitäten, um zu ihnen zu finden. Erst wenn wir gur und richtig denken, entsprechen unsere Erkenntnisse als teilhabende Abbilder den Archetypen. 2I Einen weiteren Vertreter des aufgeklärten Platonismus finden wir in Isaac Newton, dem Begründer der Experimentalphysik und der klassischen Mechanik. 22 In Frankreich wurde Newton vor allem durch Voltaires tlJmms d~ L:z. philosophi~ tk NtUfOn (t 738) rezipiert und entsprechend populär. Newton, der bei den ..Cambridger Platonikern" studiert hatte23, revolutionierte die Mechanik, weil er sie nicht mehr mechanizistisch verstand: So wie bei Locke nicht mehr eingeborene Ideen den Menschen ausmachen sollten, so läuft die Welt nach Newton auch nicht wie ein Räderwerk von alleine ab. GOtt sei kein Schöpfer, der sich aus seinem Werk nach der Erschaffung zurückziehe, um es dem Lauf der Dinge zu überlassen, den er dafur vorgesehen hat. Newton behauptete vielmehr, dass der erste Beweger der Welt bzw. die erste Ursache aller Dinge keinen mechanischen Ursprung haben kann. Entsprechend konzipierte er in seiner revolutionären Theorie der Gravitation diese als eine Kraft, die als irreduzibles Grundprinzip immer und überall am Wirken sei. Sie habe keine Ursache, keinen Anfang und kein Ende, die Wissenschaft könne daher auch nicht erklären, woher sie komme. Folglich kann es auch keinen ersten Beweger mehr geben, der von dem Uhrwerk verschieden wäre und dieses Uhrwerk ex nihilo geschaffen und zum Laufen gebracht hätte. Newton erbringt in diesem Zusammenhang einen ganz anderen Gottesbeweis: Um den Gravitationskollaps zu verhindern, der bei einem steten Weiterwirken der Kraft auftreten würde, müssen die Anziehungskräfte im Gleichgewicht gehalten werden. Es bedarf nach Newton daher eines Gottes, der in der Welt präsent bleibt und das Spiel der Kräfte aktiv ausbalanciert. 2•
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Bei Locke ist selbSt die Idee Gones nur über die Sinne zu erfahren: ..Gon hat uns zwar keine angeborenen Ideen von sich selbst mitgegeben. er hat unserem Geis[ keine ursprünglichen Schriftzeichen eingeprägt, aus denen wir sein Dasein ablesen könnten; dennoch aber hat er sich nicht unbeu:ugr gelassen, indem er uns nämlich die Fiihigkei[en verlieh, die unsere geistige Ausrüstung bilden. Wir besirun Sinne, Wahrnehmung und Vernunft (... ) Gon hat uns reichlich mit den Mitteln versehen. die es uns ermöglichen, ihn zu emdccken und zu erkennen." ibid.• S. 295. leh beziehe mich im Folgenden auf Horst-Heino Borz.enkowski, Renate Wahsner: Newton und Volnire. Berlin: Akademie Verlag, 1980. Siehe dazu Alexandre Korre: Von der geschlossenen Weh zum unendlichen Universum. (From [he Closed World [0 [he Infinite Universc, 1957> Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1969. HierS. 147 f. So schrc.ib[ Newton in seinem Hauptwerk Philosophia Naturalis Principia MalhfflUll;ca (1686), "Der höchste Gon in ein unendliches, ewiges und durchaus vollkommenes Wesen; ein Wesen aber, wie vollkommen es auch sei, wenn es keine Herrschaft ausübt, würde nicht Gort sein. (... ) Er ist weder die Dauer noch der Raum, aber wähn fon und is( gegenwär-
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3.
DIE AUFKL\RUNG DES SEHENS
Die Wissenschaft müsse sich in ihren Messungen daher begnügen, die Unendlichkeit der Erscheinungsformen fesnustellen, denn das dahinter liegende urbildhafte Prinzip der Gravitation könne sie empirisch nicht erfassen, da es in dem beobachtbaren Sein nicht abgeschlossen existiert. Auch Newton verdoppelte also dje Welt in eine sichtbare Realität und ihre intelligible Idee oder Ursache, die wissenschaftlich nicht zu erklären ist. Die Beobachtung der Welt hat demnach nicht das Ziel, dort die Dinge selbst zu erkennen. Die Sinne als unsere Öffnung zur Außenwelt haben nur die Funktion, uns durch die unvollkommene Annäherung bzw. Teilhabe an die Wahrheit heranzuführen, die wir nur denkend vollenden können. n Newton gab uns dafür ein simples, aber folgenschweres Beispiel: Er forderte als erster Wissenschaftler (was vor ihm schon viele ahnten, aber noch nicht zu behaupten wagten), dass das Weltall unendlich sein müsse - es ist offensichtlich, dass er dies nie hat messen können. Und schlimmer noch: Das menschliche Vorstellungsvermögen kann sich die Unendlichkeit des Raumes nicht einmal vorstellen. Aber Newton wusste aufgrund seiner empirischen Beobachtungen, dass sich dieses a-priorische Postulat als unumgänglich erweist. 26
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tig; er währt SleLS fort und ise überall gegenwärtig, er existiert SteLS und überall, er macht den Raum und die Dauer aus. (...] Ebenso ist Gou überall und bcständigein und derselbe Gon. Er ist überall gegenwärtig, und zwar niche nur virtuell, sondern auch subslanzieil; denn man kann nicht wirken, wenn man nicht ist. Alles wird in ihm bewegr und iSI in ihm enthalten, aber ohne wechselseitige Einwirkung; denn GOtt erleidet nichts durch die Bewegung der Kör~r I...]." Zitien nach Borzeszkowski, Wahsner, ibid.. 129 f. Dazu schreibt Newton in seinen Opticlu (1704): "isl nicht das Sensorium [... ) jener Ort, an dem sich die sensitive Substanz befindet und 1.0 dem die wahrnehmbaren Eigenarten der Dinge durch die Nerven und das Gehirn geleitet werden, damit sie hier, indem sie dieser Substanz unmittelbar gegenwärtig sind, wahrgenommen werden? Und wcnn diese Dinge auf die rechte Art benachtce wcrden, zeigt sich dann nicht aus den Erscheinungen. dass es ein unkörpcrliches, intelligentes und allgegenwärtiges Wesen gibt, das im unendlichen Raum, als wäre er in seinem Sensorium, die Dinge in ihrem Innersten durchschaut und sie direkt wahrnimmt und sie völlig begreift, weil sie unmittelbar in ihm gegenwärtig sind, während nur Abbildungen dieser Dinge durch die Sinnesorgane zu unserem kleinen Sensorium geleitet werden, die dort durch das, was in uns wahrnimmt und denkt, gesehen und betrachtet werden. Und obwohl nichr jeder wabre Schrirt, der in dieser Philosophie getan wird, uns unmirrclbar zur Kenmnis der ersten Ursache fuhrt, so bringt er uns ihr doch näher, und aus diesem Grunde muss er sehr hoch gewertet werden. Zitiert nach Bonenkowski, Wahsner, ibid., S. 146. Zur Göchichec der UnendlichkeitsVorsrdlung in der Wissenschaft siehe Alexandre Karrt, ibid. Zu Newlons Entdeckung schreibt Koyrt: ,,[...] Der Umerschied zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen ist kein Unter~ schied zwischen 'mehr' und 'weniger'; er ist kein quantitativer, sondern ein qualitativer Unterschied, und obwohl er von Mathematikern untersucht wird, ist er ein metaphyM
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3. I. DER HOHLENAUSGANG ALS UMKEHRUNG DER SEHNATUR
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Auch hier liegt wieder das obige Paradox zugrunde: Die platonische Wende in der Wissenschaft ermöglichte es mit Phänomenen umzugehen, die man als solche nicht beobachten kann, aber denkend doch annehmen muss. Damit wir sie aber richtig denken, müssen wir von sinnlichen Beobachtungen ausgehen und nicht von unserem vorurteilsbehafteten Vorwissen. 27 Das zentrale Problem der platonischen Bildtheorie, dass Empirie-Kritik und die Norwendigkeit der empirischen Beobachtung ineinander greifen müssen, wird hier zum neuen Paradigma für Erkenntnis und Wissenschaft erhoben. An diese hier nur kurz skizzierten Modelle knüpfte auch Diderot in seiner Naturphilosophie und Anthropologie an. Betrachten wir seinen Ansatz daher eingehender um zu klären, wie sich sein Denken vom metaphysischen Idea~ lismus älterer Platonlektüren abgrenzt. Anders gefragt: Wie konnte Diderot einen diesseits gewandten Materialismus vertreten, ohne seinen aufklärerischen Optimismus hinsichtlich eines möglichen Höhlenausgangs zu verraten? In seinem Menschenbild bekennt er sich klar zu Locke, indem auch er die auf Platon zurückgehende Vorstellung von den eingeborenen Ideen strikt zurückweist. So schrieb er bereits 1752 in seiner Suiu tk l'Apologie tk M. l'Abbt de Prades: "L'homme factice er imaginaire. c'esr celui a qui I'on accorde des notions amerieurs a I'usage de ses sens. Ce fut la chimhe de Platon, de Saint Augustin et de Descartes." (I, 524) Nach Diderot ist der Mensch in seinem ursprünglichen Zustand nicht mehr als eine "tabula rasa", in diesem Urzustand umerscheidet er sich daher auch noch nicht vom Tier. So fahrt Diderot fort: ..I...] jc ~nsc tres sinchcmcnl [...] quc l'hommc n'apportc en naissant ni connaissances, ni reflexion, ni idees. Je suis sGr qu'il reslerait comme une bete brme, un automate, une machine en mouvement, si 1'unge de ses ~ns materids nc mcttait cn excrcicc les f.tcuhes de son ime. C'est le sentimcnt de Locke; C'CSI cdui de I'exptrience el de la verite. [... ) Nous passons de la notion positive du fini a la no[ion negalive de I'infini, que sans les ~nsations nous n'aurions ni la connaissancc de Dieu, ni cclle du bien el du mal moral; en un mot, qu'il n'r a aucun principc, soh de sptculation, soit de pratique, inne." (1, 524)
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sischer. Gerade diese Umerscheidung bewahrt uns, sofern et völlig begriffen wird, vor dem Irnum einer pantheistischen Verwechslung des Schöpfergoltcs mit der gcschaf~ fenen Welt, und eben dieser Unterschied verschafft uns eine sichere Grundlage zum Studium der nahezu unendlichen Vielfali der geschaffenen Dinge." ibid., S. 184. ~r Wissenschaftshistoriker Bechler fasst den pluoni.schen Paradigmenwcchscl in Bezug auf Newton wie folgt zusammen: ..Platonism is indccd empirial in üs method in (he scn~ that it depends on the phe~ nomena tO SCt up ilS problems of research and [he mOSI general scheme of the ob~rvcd realm. But it is not and annO[ bc empirial in the ~nsc of limiting il$ allowcd entitics [0 tho~ found in the obscrvcd world." Zev Bcchler: Newton's Physics and [he Conceptual Ctrucmre of rne Scientific Revolution. Dordrccht: K1uwcr Aademic. 1991, S. S08.
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DIE AUfKl..ÄRUNG DES SEHENS
Der zu Inhaftierung und Ünsur führende Atheismusverdacht gegen Dideror und die Enzyklopädisten zeigt. dass Gedanken dieser An nicht ungd'ahrlich waren, denn sie steUen die angeborene Überlegenheit des Menschen als vollendetes GcschöpfGoncs radikal in Frage. Didecor ließ sich jedoch nicht beirren und zog die Konsequenttn in einer nunmehr vom materialisüschen Monismus geprägten Nacurphilosophie. 2' Die Natur, so die zentrale These. organisiere sich von selbst; auf sich gesrellt und ohne jeden Gon vermag sie sich durch die diversen Prozesse der Umwe!tanpassung. des Auswenens, Erfahrens und urnens aus sich heraus zu ordnen. AJles Seiende wird in dem einen Prinzip der Materie verankere und bedarf keines transzendentalen Prinzips mehr. Diesen frühen Materialismus der Aufklärung sollte man jedoch nicht mit seinen Nachfolgern im 19. Jahrhundert verwechseln. Im Anschluss an Spinoza, der erstmals auch Gott als Substanz beschrieb29 , vertraten Diderot und viele seiner Mitstreiter wie Maupenuis. Holbach und Buffon vielmehr eine hylo· zoistische Auffassung der Materie. JO Diese auf die ionische Naturphilosophie zurückgehende Vorstellung lehrt, dass die Substanz aller Dinge aus einem belebten Urstoff hervorging. Nicht die Verabsolulierung der Materie stand somit im Vordergrund dieses Monismus. sondern die Annahme eines vitalen Prinzips. das auf die Gesa.rmhdt des Vorhandenen baogen wird: Wenn auch nicht in gleichmäßiger Verteilung, SO befindet sich doch eine Art von Geist oder "Bewußtsein" in jedem noch so kleinen Atom. Das Prinzip der Allgegenwärligkeit von Leben kann durchaus als Parallele zu Newtons überall vorhandener Durchdringung durch die Schwerkraft aufgefasst werden. Jedoch ist das geistige oder vitale Prinzip natürlich nicht allerorts in demselben Maße vorhanden. Selbst wenn Diderot davon ausgeht. dass jedes Molekül dem Prinzip nach empfindungsfähig ist ("la pierre sem"), so verfügt die einfache Materie natürlich nur über ein Minimum, während sich erst bei Tieren und vor allem beim Menschen so ecwas wie "rnrelligenz" herausbildet. Während Leibniz allein die Monade, d. h. die nicht-materielle Seele des Lebewesens als real ansah und die harte Materie zu einer Einbildung eben jener Monade degradierte. und auch Descartes die Außenwelt noch als Phantasie des Subjekts beschrieb, so hanen sich die Verhältnisse nun umgekehrt: Das geistige Prinzip kann keine Gabe GOttes mehr sein. sondern muss ebenfalls aus • !lI
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Siehe ausführlich Man W. Wanofsky. Didc:rOl and the Dc:vdopmc:nt of Matuialistic Monism. In: DitJmJr SruJin. No. 2, 1952. S. 279-329. Zur Spinoza-Rcz.cpcion im 18. Jahrhundc:n sie:he: Paul VernihC': Spinoza e:lla pensee fran~isc: a~ßl la Revolution. Pans: PUF. 1954. Sic:he dazu Mich~le Duche:t: Anthropologie: e:t Hisloire: au siede: des Lumi~res. Buffon. Voll2ire:. Roussc:au. Hdvbius. Dide:rm. Paris: Maspc:ro. 1971.
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3. I. DER HOHLENAUSCANG AlS UMKEHRUNG DER SEHNATUR
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der Materie heraus erklärt werden. Indem die einfachen Substanzen wie auch die komplexen Lebewesen auf ein und denselben vitalen Urstoff zurückgehen. bleibt nur die rad.ika.le Schlussfolgerung. dass der Mensch kein Wunder der Schöpfung mehr ist. sondern schlichtweg das Ergebnis einer Evolution. ll In DiderotS biologisch-dynamisch und nicht mehr mechanisch bzw. deterministisch denkendem Materialismus spielt die Unendlichkeit der Entwicklungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle. In deutlicher Abgrenzung zur mechanizistischen Weitsicht. die von prinzipieU vorhersehbaren Kausalitäten ausgeht (wie z. B. La Mettrie in seinem L'Homm~ machin~). fordert Diderot in seinen P~müI sur l'int~rprltation d~ Ia natur~ (I753) eine Naturbeobachmng, die davon ablässt. nach vorschnellen Ordnungsmustern zu suchen, und die es sogar in Kauf zu nehmen wagt, dass die sich selbst schöpfende Welt ihre Kreationen auch wieder verwirft; "11 sembl(: qu(: la narur(: se soir plu avarie:r 1(: m€m(: mecanism(: d'un(: infinirl! de: mani~ res diH'l!r(:ntes. ElI(: n'ahandonn(: un g(:nre: de: production qu'aprb: (:n avoir mu!tiplil! Ic::s individus sous (Cutes les &ces possibles: (I, 565)
Da der Kosmos sich durch Auslese und Anpassung stetig verändert, vermag er an keiner Stelle seine Ordnungsprinzipien darzubringen. so dass auch nicht mehr auf die Existenz eines göttlichen Prinzips geschlossen werden kann. Diderot hält daher lapidar fest: ..L'univers se tait. W (I, 395) Er kennt im Anschluss an Newton und Buffon (und viele frühere Vorläufer) nur eine wgrande
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Sie:he duu die Einleitung von Laure:nt Versini, I, 3--12. Für Versini stehl vor aJlem die Spinou-R(:Uprion im Hime:rgrund dieses ne:u(:n De:nke:ns: .Sans en d&ider pour I'instanl, on nor(:ra Ja rbl!Jation du contaet cene fois assure avc-le:ibnil.ianisme: de: Wolff ridiculisl! par Voltair(: dans Cmditk, ou que: le nb>-platonisme: de Dide:rol, qui sera. un macl!riaJisme:. t...]Diderot d&:ouvr(: avc:c l!m(:rve:ille:me:m un(: mari~r(: cr6uric(:, (:ffe:rv(:SCe:me:, bouillonnanle:, qui ~ur figur(:r Ie: princi~ de tour, er concilie:r Ie: dl!rerminisme: e:r bolutionnisme:: c'csr Ie: nro-spinOl.ism(:. (... ) Did(:ror fur e:nf(:rm~ au donjon d(: Vinc(:nncs lout aUf2ßt pour C(: coßt(: liccnciöJX que: pour le manifesr(: couragcux (:t imprude:nt du marl!rialisme: bio1ogique: qu'CSt lA uttr~ l~r In IlWUf,1n (I749). (...} La bcautl! ordonn~ du monde, a laqudle I'avcugle est ißS(:nsiblt. n'cst plus la praJvc CO$mol~que de: I'ajsrence: dt DiaJ, le dtism(: csr ruinl! er r(:mplad par un atJ,6sme: marmalisr(: pour Ic:qud I'homm(: s'i09
3. I. DER HOHI.ENAUSGANG ALS UMKEHRUNG DER SEHNATUR
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Diese Nobilitierung der Sinne bedarf in der Aufklärung keiner metaphysischen Begründung mehr. sie betrifft zunächst das diesseitige. äußere Auge und wird erst in einem zweiten Schritt auf das innere Auge der Imagination bewgen. Damit müssen Platonimus und Materialismus vor dem Hintergrund einer wörtlichen Lektüre des Hählengleichnisses auch keinen Widerspruch mehr bilden.
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3. DIE AUFKlJ..RUNG DES SUIENS
3. 2. Fotografische Malerei und malerische Fotografie Wie werden die bisher skizzierten Topoi nun in Malerei und Fotografie fonbestehen? Betrachten wir zunächst weitere Beispiele. indem wir den Kreis um Diderot und Chardin verlassen. um nach der Weitcrenewicklung des fotografischen Blicks auch bei anderen europäischen Künstlern des 18. und beginnenden 19. )ahrhundercs zu fragen. In der folgenden Übersicht können freilich nicht alle Künsder aufgefUhrt werden, die sich vor 1839 mit Kriterien der Authentiz.ität auseinander setzten. Die anschließende Auswahl soll vielmehr deutlich machen, wie heterogen die stark individuell geprägten Arbeitsweisen ausfielen. Ich möchte daher eher phänomenologisch vorgehen. um zu zeigen unter welchen Aspekten sich das Fotografische überhaupt manifestieren konme. Dabei lasse ich jedoch außer Acht, ob in den dokumemarischen Strategien auch noch andere Kriterien, wie z. B. die Überhöhung der Natur oder die Erhabenheit einer Ruine mitschwingen. So wie sich parallel zu der neuen Bildauffassung auch das allegorische Prinzip noch lange halten konnte, so wird auch der traditionelle Ansan des Pittoresken)) in der formalen Komposition immer wieder herangezogen - aber eben in zunehmendem Kontrast zu den fotografischen Tendenzen, die sich immer deutlicher abzeichnen. Als auffällig erweist sich hier auch die Tatsache. dass der fotografische Effekt zunächst nur in Skizzen, Studien oder eben niederen Genres erprobt wurde. Die meisten Künstler arbeiteten darüber hinaw zweigleisig: Neben ihren Experimemen mit neuen Abbildungsverfahren folgten sie in ihrem ..offiziellen" Werk, dem Geschmack der Auftraggeber entSprechend. nach wie vor der herkömmlichen Bildauffassung. In einem zweiten Schrin sei schließlich nach den Anf'angen der Fotogra.fie gefragt: Wie veränderte sie den Blick der Künstler? T acsächlich hinterließ die technische Erfindung nicht sofort ihre Spuren. In steter Auseinandersenung mit dem jeweils anderen Medium bezogen Malerei und Fotografie ihre neuen Positionen erSt langsam, insbesondere als es galt, den KunstStatus der Fotografie anzuerkennen. Betrachten wir jedoch zunächst die weitere Entwicklung des fO[Qgrafischen Blicks in der Malerei.
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Ich V(:fS(eM den Ikgriff des Pittoresken im Fol~nden als die dem fotografischen Blick emgegengesettte Str:l.legie. da der Autor sich in diesem Verf.ahren durch seine Eingriffe sichtbar macht. S. 3. 1., Fußnote 47.
3. 2. FOTOGRAFISCHE
MA1.EREI
UND MALERISCHE FOTOGRAFIE
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Der forografische Blick in der Malerei Als Initiator einer neuen Landschaftsauftassung, auf di~ sich auch di~ nachfolg~nd~n G~n~ration~n stark bc:z.i~h~n w~rd~n, sei zunächst V~rn~t g~nannt. Er mag in unser~n Aug~n noch nicht awgesproch~n fotografisch g~malt haben, aber s~in~n Zcitg~no~n fiel ~r als ungewöhnlich realistisch auf. La Font d~ Saint-Y~nn~ nannt~ ihn .. phisici~n habil~. scrutat~ur d~ la natur~" und auch Did~rot ~rhob ihn zum wichtigsten Vertreter der neuen Naturbeobachtung {s. 0., 2. 1.). Vern~t kommt vor all~m das Verdienst zu, di~ .. PI~in air"-Studie, die er seinem großen Vorbild Lorrain nachempfand, wieder ~ingeführt und verbr~it~t zu haben. S6 Vernet haue 1753 den Auftrag erhalten als königlich~r ..peintre de marine" die wichtigSten Hafenanlagen Frankreichs zu malen. In diesem Projekt kam er zwar auch den Propagandaabsichcen seiner Auftraggeber entgegen, was ab~r Did~rot und andere Betracht~r an dies~n G~mälden - wi~ z. B. d~m bereits erwähnten Port ek 10 Rochclk (Abb. 22) - so fuszinierte. war die Art und Weis,
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Abb.37. William Hmry Fox Ta/boI: Tlu 0pm dOOT. Enchimm in: The pmcil o[Nature (J 8-(4·46).
für den Verzicht auf Fokussierung. 81 Die Kunst, so die Vortragenden, müsse sich von der nüchtern und kalt analysierenden Wissenschaft grundlegend unterscheiden, sie beruhe immer auf einer Abstraktion von der Natur und dürfe daher von den Einzelhei[(~n absehen. Der bekanmesre Vcnrctcr der "out of foeus"-Fotografie. Perer Henry Emerson (1856-1936), knüpfte an dieses neue Paradigma an und neUe in seinem vielzicierten Buch Naturalisric Pholography (1889) wiederum den Bezug zur Wahrnehmung her. Wenn die Focografie ihrem Ziel nahekommen soll, das Sehen (und eben nicht die sichtbare Weid nachzuahmen, müsse sie gezielt mit Unschärfen arbeiten: ~ Wie
wir oben sagten, muss der Hauptgegensl:lnd des Bildes genügend scharf erscheinen, genauso scharf wie das Auge ihn sieht und nicht schärfer, aber alles andere, alle anderen Ebenen des Bildes müssen herabgemilden werden, so dass das fertige Bild dem Auge einen Eindruck gibt, der demjenigen, den die Naturszene vermim:lt, so nah wie möglich kommt. {... ] Nichts in der Natur hat einen harten Umriss, sondern jeder
1I
Zum Hintergrund und entsprechenden QudJc:n siehe: Fotografie in künstlerischer Hinsicht betrachte!. Diskussion in der 'Photographic Society ofLondon'. (1853) In: Kemp, ibid., S. 88·94.
3.2. FOTOGRAFlSOlE MALEREI UND MALERISCHE FOTOGRAFIE
171
Gq;~nnand
wird vor d~r Farlx: ~ines and~r~n g~h~n, und S(:in~ UmriSS(: gd\~n sanft in di~n and~rcn über, oft so subtil, dass man nur schw~r di~ Obergäng~ ~rkennt. In di~r Mischung aus Entsehied~n~m und Un~nuchied~n~m, aus Fest~m und Unfesl~m liegt d~r ß2llzc Reiz und das G~h~imnis d~r Natur begründet. Es ist di~ Qualität, di~ d~r Künsd~r zu ~rr~ich~n sucht und di~ d~r normal~ FOlogr.afin d~r Rcgd mit Eif~r zu v~rmeid~n mchlet." u
Emersen erhebt die Fotografie zur Kunst, indem er sie als eine Kunst des Sehens präsentiere - eben jenes "reinen" Sehens, das nur unwissende, naive Bilder liefere. In diesem Zusammenhang solhen wir auch auf Baudelaire verweisen, der gemeinhin als Gegner der Fotografie eingestuft wird. Betrachtet man seine Schriften näher, ergibt sich jedoch ein weitaus differenzierteres Bild, das ebenfalls um das Problem der Schärfe kreist. In seiner Salonkritik von 1859. Lt public mockrne tt Ia photographie, zeigt sich Baudelaire nur über jenes Publikum entrüstet, das in der Fotografie nach wissenschaftlicher Genauigkeit suche. Er wenene somit gegen einen bestimmten Gebrauch des Mediums, nicht aber gegen das Medium selbst. Wie sehr auch er von der Möglichkeit fasziniere war, durch die Fotografie "wahre" Bilder zu erhalten, zeigt sein Wunsch ein Porerät seiner Mutter w besitzen - aber unscharf müsse es ~in! So schrieb er
ihr 1865: J~
voudrais bi~n avoir ton ponra.it. C'est un~ id& qui s'est ~mpar& d~ moi. 11 y a un acell~nt pholographe au Havrc. Mais je crains bien que ccla ne soil pas possible main· tenant.1I l2udra.ir qu~ j~ fussc prtKnt. Tu n~ t'y connais pas. Et tOUS les photogr.aphes, mime acell~nts, ont des manies ridicules; ils pr~nnenl pour un~ bonn~ image ou IOUles les v~rrues, mutes les rides, 10US les dtf:aUlS, lOutes les uiviaJilCs du visag~ SOn! r~ndw rrts visibles. rrts QJlIg~r6; plus I'imag~ esl dure, plus ils som cont~ms. D~ plus, j~ voudr.ais qu~ 1~ vi.u~ ~at au moinsla dimension d'un ou deux pouces. 11 n'ya guhe qu'll Paris qu'on .uch~ fajr~ ce qu~ j~ dCsir~, c'est·ll-dir~ un ponr.ait c:xaCl~, mais ayam l~ Rou d'un dessin. Enfin. nous y pen~rons, n'esl ce pas~""
Vor diesem Hintergrund war nun auch den Künstlern ein neuer Blick auf die Fotografie möglich. Die Präraffaeliten, deren verträumte Visionen nach Motiven des Mittelalters oder der Frührenaissance kaum auf den Einsatz von moderner Technik schließen lassen, arbeiteten ganz ungenjert nach den Effekten jener neuen Kunstfotografie, die sich im Anschluss an das Unschärfeparadigma
Peter H~nry Emerson; Di~ GesetU: d~r opliscllen Wahrndlmung und die Kuns(J~gdn. di~ steh daraus ableit~n lassen. (1889) In: K~mp, ibid., S. 167. u Bri~f an Mme Aupic.k, Briissd, 23. Dttt:mber, 1865. Zilien nach LA PholDfTllphinn Frll1K~. TaUf n Omrrowrm. Un~ ilnthofoti~. 1816-1871, hg. von Andrt Rouilltt. Paris; Macula,
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1989. S. 329.
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3. DIE AUFK1.ARUNG DES SEHENS
um den Begriff des Pikrorialismus sammeltc. Sc4 Die Focografc:n Oscar
GUSt3VC:
Rcjlander und ]uJia Margarcr Cameron. der Schriftsteller Uwis Caroll, die Maler Dame Gabrid und William Michael Roscru u. a. sahen keinen Widerspruch mehr zwischen Kunst und Technik, solange man sie nur demselben Bildprogramrn unterordne:. So geht Dame: Gabrid Roscrus B~ata B~lllTix (1864-70) recht eindeutig auf eine: Fotografie von Julia Margarcr Cameron mit dem Titel CaIJ, I fOllow. I fOllow - kt mt dit zutück." Wie sehr Rosettis Idealfiguren von real existierenden Personen angeregt waren, zc:igr auch seine: Arbeit
mit dem Modell Jane Morris. Er ließ sie jeweils von dem Fotograf John R Parsons nach seiner Anleitung fowgrafieren, um von den Abzügen nochmals idealisierende Gemälde anzufercigen. Michael Bartram schreibt daher: "In his drawings and paintings Roseeei eicher banished or myulOlogized the disturbing qualicy in these images. R~v~ri~ (t868) and Th~ Roul~af(1870) are boeh exer~ cises in preetificaeion of phoeographs."86 Die Malerei steigert nun den Effekt der Fotografie, indem sie vor allem die Unschärfe des neuen Blicks nune. Ob die Fotografie nur geisclose Kopien der sichtbaren Wele liefert oder als Kunse an die Urbilder heranzureichen vermag, emscheidee allein die Are und Weise, wie die Kamera eingesetzt wird - entweder die bis auf Pla[Qn zurückgehenden Topoi um das "wahre" Bild werden in dem Abbildungsverfahren berücksichtige, oder es entstehen Bilder, die anderen Inter~n, z. B. denen des empirischen Vermessens folgen. Die Technik allein ise also noch keine Garamie dafür, dass ein Kunstwerk entsteht. Das sehende Sehen der Kunst (ob in der FO[Qgrafie oder der Malerei) unterscheidee sich von dem wissenden Blick nach wie vor durch ihre Arbeit an Idee und Archecyp - nur die Methoden, sich dieser Idee anzunähern haben sich seit der Mine das 18. Jahrhunderts dahingehend gewandeIe, dass sie zunehmend "foeografisch" geworden sind. Es brauchee also einige Zeit bis die Fotografie als eigenseändige Kunst zu sich finden konnte, ihr "Rückstand" in den erseen Jahrzehnten wird vor allem deudich. wenn man exemplarisch einige Gemälde dagegen hält, die jusf vor
.. Ich bezi~h~ mich hic:r auf Michael Banram: Thc: Prc:.RaphaelilC: Camc:ra. Aspects ofVictorian Pholography. London: Wdde:nfc:ld/Nicolson, 1985. Zum Ikgriff des Piktorialismus sie:he: auch Anne: Hammond: Naturalismus und Symbolismus. Die: pikloriaJisli.sche: FOlografie:. In: Michel Frizor (Hrsg.): Nc:ue: Geschichte: der Fotografie:. Köln: Köne:mann. 1998. S. 292·
309. as Dazu Banram: ..Thc: blurral background and g10w around rne: had in [his idc:a.l.ized portrait of Ihc: anist's dead wifc:. Elisabc:th SiddaJ. havc: b«n anributed to Ihe: inßuc:n« of Camcron's pholography. Thc image was published by the: AUlol)'pC Company at the: time: Rosm:i was woIking on &Iltll &arrix. 11 may hav~ imprascd hirn sincc: il has a plascicity rare: in h~r imaginalive: work (... )." ibid.• S. 132. 16 ibid.• S. 135.
3. 2. FOTOGRAFISCHE MALEREI UND MAllRlSCHE FOTOGRAFIE
173
der Erfindung des neuen Mediums entstanden. Die nach unserer heurigen Auffitssung der Fotografie eigenen Bildqualitäten lagen hier schon sehr viel deutlicher vor - das Fotografische wurde somit in der Malerei und nicht in der Fotografie erfunden. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen die genannten Topoi des fotografischen Blicks eine Zuspitzung bzw. Radikalisierung erfahren: Die Fragmentarisierung der Ausschnitte, der anti-narrative Charakter der Motive und ihre anti-kompositorische Darstellung nehmen sichtbar zu. n Zwar bleiben diese Tendenzen auch weiterhin oft auf Skizzen und Studien beschränkt, aber diese nehmen an Format zu und sind in den Werken der Maler nun von größerer Bedeutung. John Consrable (I776-1837) malte um 1821 eine Studie von einem Baumstamm, die ihre Sehenswürdigkeit wohl kaum aus dem abgebildeten Ausschnitt, sondern allein aus der Art der Darstellung bezieht (Abb. 38). Die unerhörte Nahaufnahme zerstört den eigentlichen Bildgegenstand. Das gänzliche Fehlen allegorischer oder romantischer Momente macht es unmöglich, interpretierend über diesen Baumstamm zu sprechen, allein die schlichte Materialität der Rinde steht im Zentrum des Bildes. Der fotografische Effekt der abgebildeten T atur lässt zweifelsohne darauf schließen, dass es dem Künstler um das Festhalten seines Seheindrucks ging. Ein halbes Jahrhundert später wird der FotografEadweard Muybridge in seinen Baumstudien eben jene antinarrativen Ausschnitte erneut verwenden (Abb. 39) - man mag darin nur einen Zufall sehen, aber es scheint doch, als ob der fotografische Blick als Medium und als Mentalität zu solchen Aufnahmen tendiert. Das Prinzip von radikalem Ausschnitt und übertriebener Großaufnahme findet sich auch bei anderen Künstlern, wie zum Beispiel bei dem Berliner Maler Adolf Henning (1808-1900). Seine Olstudie vom Chor der Zisterzienserkirche Altenberg von 1833 zeigt kaum etwas von dem Bau selbst, er konfrontiert den Betrachter mit dem schmucklosen Gemäuer einer uninteressanten Rückansicht (Abb. 40). Die fast schon chaotisch herausragenden Regenrinnen vermeiden zudem als Zeichen einer wenig romantischen Funktionalität, dass der Betrachter noch nach einer pittoresken Ruine sucht. Neben der Strategie, mit der Nahaufnahme eines Motivs den Rahmen des Bildes zu sprengen, erweist sich auch das Gegenteil als fruchtbar rur den neuen Blick: Der Norweger Johann ChriStian OahJ (I 788-1857) malte z. B. um 1830 zwei Kopenhagener lGrchrurmspirzcn vor einem Abendhimmel, die Ansicht schneidet die Türme so hart ab, dass man sich fragen darf, was er eigentlich ~ Di~ hi~r 2ufgdUhn~n Iklspid~ sowi~ ~i(~r~
sind komm~nti~n in H~inn'ch SJJUNlrz.: An anti Plxllography. Formmnm anti InJlumm. hg. VQn Willi:un E. P:uker. Chic:ago. London: Univ~rsiry of Chic:ago Press. 1985. Sowi~ Bifo" PhotogrAphy. PAintint Anti tlN Inwnrion of PhotogrAphy. Katalog hg. von Pet~r GaJassi. N~ Yorlc Museum ofMod~m An. 1981.
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3. DIE AUFWRUNC DES 5EHENS
Abb. 38. lohn Constabk: Elm Tru. Ca. /82/. London. Vutornr anti A/bm Musntm.
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3. 2. FOTOGRAfiSCHE MALEREI UND MALERlSCI-IE FOTOGRAfIE
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Abb. 39. Eadwtard MUJbridg~: Stutly oftrm. Cl. /869, 7.6 x 7,6 cm. Londcn. Bancroft Library.
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3.
DIE AUFKlÄRUNG DES SEHENS
Abb. 40. Ado/fHmlling: Chor tkr Zuurz"mmJrirch~Altmb~rg. 1833,35,8 x 26 cm. Brrlin, SlllJllliehe S.h/(jJJ~r lind GiirUll.
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3. 2. FOTOGRAFISCHE MALEREI UND MALERISCHE FOTOGRAFIE
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Abb. 4 J. johalln Christian Daht: KopmhagnuT Kir(htürm~ vor Abmdh;mm~l. 0. D.• JJ,5 x J5.4 cm. Hamburg. KumthaJk.
abbilden wollte (Abb. 41). Es ist fast nur Himmel zu sehen und kaum etwas von den Kirchen. In dieser Momentaufnahme reduzieren sich die Gegenstandsdaten auf ein gerade noch erkennbares Minimum, das atmosphärische Stimmungsbild gewinnt daher um so mehr. Das kJeinformatige Bild entstand im übrigen in Dahls Dresdner Zeit, als er mit seinem Mentor Caspar David Friedrich (den wir hier ebenfalls als Meister des Fragmems nennen könmen) das Haus teilte. Nicht nur in der experimentellen Skizze finden wir fO[ografische Merkmale dieser An. Valenciennes Schüler Jean Baptiste Camille Corot (17961875) erhielt um 1833 von Philibert Paulin Henry, dem Besirz.er einer Textilmanufaktur, den Auftrag sein Wohnhaus und das Werkgelände zu malen (Abb. 42). Ohne jede Beschönigung oder gar Werbung stellt Corot einen unbedeutenden Augenblick im Arbeirsalltag dar. Der Betrachter taucht in einen konkreten Ort ein, der von einem realen Standpunkt aufgezeichnet wurde. Nichts scheint willentlich angeordnet: Der lichtüberßutete, aber karge Plan bleibt leer, keine Hügel zieren den Horizont und auch der Himmel bleibt wolkenfrei. Nur einige Arbeiter und eine Spinnerin befinden sich wie zufällig auf dem Gelände verstreut. Corot
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3. DIE AUFKlARUNG DES SEHENS
Abb. 42. J~an Baptisu Otmj/k c"rot: Soissons. "",UDn tl1uzbitlltitm n fabriqUL tk M. Ht7Iry. Ca. 1833. 80 x 98 rm, PhitamlphiA. MUHUm 0/Art.
verzichtet dalxi weitgehend auf Details, er reduziert die Figuren auf einfache Schemata. so wie man sie aus der Entfernung auch wahrnehmen würde. Aller Medienkonkurrenz und dem technischen Fortschrin zum Tron behalten bestimmte Topoi offensichtlich ihre Kontinuität. Ob in der Fotografie oder in der Malerei - Plawns aher Traum vom Blick in den Himmel blieb zum Beispiel auch weiterhin eine ästhetische Herausforderung. an welches Abbildungsverfahren auch immer. DiderotS Vorschlag, sich durch die hohle Hand ein Stück des Himmels auszuschneiden und ihn somit zum alleinigen Bildgegensrand werden zu lassen, finden wir auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder realisiert (Abb. 43-44): Constable drängte in seinen zahlreichen Wolkensmdien dic Landschaft immer weiter in den Hintergrund, so dass er die Grenzen zur Abstraktion bereits streifte. Eadweard Muybridge und andere ließen sich als erstc Fotografen von diesem Motiv faszinieren, und auch Alfred Stieglitz emd«ktc es in seinem Spärwerk aufs Neue. Er verfolgte über neun Jahre, von 1923 bis
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3. 2. FOTOGRAFISCHE MALEREI UND MALERISCHE FOTOGRAFIE
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Abb. 43. John Comtabk: Study ofCkJudJ and T,us. /82/. 24,3 x 3Ocm. London, Royal Acaaemy ofAns.
1931, Wolkenaufnahmen. die er Equiva/mtJ nanme. 88 Den Traditionalisten der pikrorialistischen Schule, die noch dem Gegenständlichen verhaftet waren. gingen diese Studien offenbar zu weit, aber Stieglitz wusste. dass sich gerade in der Abbildung des Himmels ein Augenblick des Sehens greifen lässt, der die
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Zu diesen FotOgrafien schreibt Rosalind Krauss: ..Es handelt sich um Arbeiten, die am radikalsten und nacktesten auf einem Ausschnei. dc:n beruhen, auf dc:m Effekt des, so könnte man sagen, Herausstanz.cn des Bildes aus dem kominuierlichen Gefüge eines umfusenden Himmels. [...) Nicht nur, dass der Himmel endlos ist und dass die Photographien nur einen begrenzten Teil davon zeigen. Der Himmel ist in einem wesentlichen Sinne auch nicht komponiert. Die Photographi. en vermitteln nicht SO sehr ein Gefühl von gefundener oder zut'a1liger Komposition, also des Glücks eines zut'a1ligen Arrangements; viel eher stellt sich ein Gefühl für den Wider· stand des Objekts gegenüber dem inneren Arrangemem ein. Es wird eine Irrelevanz der Komposition postuliert {...]." Rosalind Krauss: Das Photographische. Eine Theorie der Abnände. (Lc Phorographiquc:. Pour une theorie des &::ans. Paris, 1990) München: Fink, 1998, S. 134 f.
180
3. DIE AUFKLARUNG DES SEHENS
Abb. 44. A~J Stülün; Equ;lIIlknr. 1930, G~wtin 1i/"," pn'nr. 9.2 x J 1,8 (711.
Wahrnehmung und die Repräsentation der Eindrücke selbst thematisiert. So berichtet er über die Rez.eption seiner Arbeiten: ~Only som~
'pictorial phOlogl';1phers' whc:n (hey came
tO
the exhibition Sttmed
the c10ud picturcs. My pholOgraphs look like pholographs - :lnd in ,heil eres (hey therefore can't be aft. (...1 My aim is increasingty ro make my phmographs look as much likc phOlOgr:tphs ,hat unless one has cycs aod sees, Ihey won't be.sttn (... 1...., IOlally blind
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Stieglin unterscheidet - ganz wie Dideror angesichts von Chardins Stillleben - in ein Alltagsauge. mit dem jeder unreflektiert sehen kann, und ein ..wahres" Auge, das uns erst durch ooummtc Bilder oder Aufnahmen gegeben bzw. zurückgegeben wird. Wieder treffen wir auf den Topos der doppelten Natur: Erst wenn sich das Auge aus der placonischen Höhle seiner ReRexe befreit, könne es sich öffnen für die zweite Natur in der Kunst. "
A1rr~
Scicglitt: How I am~ ro phorogn.ph c1ouds. (1923) Hi~r ziric.n nach Naman lyons (Hrsg.); Phorograph~rs on Phorography. Engl~ Cli#fs; Prc.nriu-HaJl, 1966. S. 112.
3. 3.
DER KONTINGENTE BUCK
181
3. 3. Der kontingente Blick Wie entwickelte sich nun die Frage nach der Wahrheit von Bildern in unserem Jahrhundert weiter? Wahrheits- und Absolutheitsanspruche zeigen sich in den Avantgarden der ersten Jahrhunderthälfte allerorts, wenngleich sie in einem Maße ausgereizt und gesteigert wurden, das es zweifelhaft werden lässt, ob den Autoren das Paradox über die Unerreichbarkeit des Urbilds überhaupt noch bewusst war. Es darf daher nicht verwundern, dass in der Nachkriegszeit bzw. mit der beginnenden Postmoderne, also nachdem man das Aufgehen solcher Ansprüche in totalitären Systemen hat miterleben müssen, die Frage nach der Wahrheit offen in Verruf geriet - vor allem in der Theorie. Gerade am Beispiel der Fotografie wird deutlich, wie sehr sich Philosophie und Kunsttheorie nun weigerten, auf diesen impliziten Diskurs des Bildes überhaupt noch einzugehen. Mit dem SiegeS7.ug der semiotischen Theorien war an jene Qualitäten, die Diderot mit "magie" oder "verite" beschrieb, nicht mehr zu denken. Im Kontext der Ideologiekritik empfand man das Gelingen von visueller Oberz.eugungskraft nicht mehr als ein seltenes Gut, sondern als eine Strategie, die unsere Freiheit zu beschneiden vermag. Susan Sontag schrieb in ihren Taten über die Macht der visuellen Medien insbesondere der Fotografie die Fähigkeit zu, unsere Auffassung von der Wirklichkeit zu kontrollieren und durch entsprechende Normen zu maßregeln: ~ While
a painting or a prosc description an ncver ~ Olher man a narrowly scleaivc interpretation. a photograph an ~ trcated as a n2frowly sclcccivc tr.lOsparcncy. (... ) Therc is an aggression implicit in cvcry ~ of mc camcra. "'"
Die Verhältnisse haben sich geradezu umgekehrt: Während Diderot es noch euphorisch begrüßte, wenn ihn ein Bild in der Masse der missglückten Abbildungsversuche als ..wahr" üben.eugte, wird eben jene Qualität im Zeitalter der Massenmedien als eine Einschränkung denunziert, die uns in die Unmündigkeit zurücktreibe. Die einst gefeierte Kraft der Bilder war der Medientheorie als unkontrollierbare Macht unheimlich geworden. Wie Mary Warner Marien aus heutiger Sicht festhält, erklärt sich dieses Theorieproblem der frühen Postmoderne vor allem aus ihrer äußerst pessimistischen Vision über die Simulations- und Serialitäts-Effekte der als übermächtig empfundenen Medien: ~( ...)
in mc 1970s and the 1980s, the unique trum value assigncd lO me photographie copy or f.taimlle was rcvcrscd. Thc vicw rn.:u pholographs rcplicatcd an authentie mo"" Susan Sonag: On Photography. (1973) Ncw York.: Farrar/StrauslGirow:. 1978,6. Auflage,
S.6-7.
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3.
DIE AUFKlARUNG DES SEHENS
ment of human o::pcri~ncc txame swpcct. The notion of me simulacn., proposed by cntics such as Jean Baudrillud, inuoduced t:he ida. mat ndm~r me photograph not mau media such as 61m and television was m~ ~ of a prior-uiscing real.il)'. (... ) The concqu ofthe simulacn. undermined m~ pillars of photogn.phic originaliry: m~ connec· tion of sight and insight and me conapt of neutral vision. This inßuential poSlmod~rn position turned on a aucial diffuencc betwttn m~ o::pcrirncc of photogn.phy in its c:uJy dec:ades and me o::peri~ncc of photography in m~ en. of mass media, mal is, from me late nin~tttnm «ntury tO the presem. Simulation assumes m~ condition of mau media, with me media's unceasing reproduetion ofimagcs mat do not describc: o::tunal rca.lil)' .so much as mey refer tO om~r picrures. In me early years of photogr.lphy, how. ('Ver, the multiple was not understood as synonymow wim the copy. The copy referred to rne making of a single likeness, nOt numerow r(:productions. "'I
Im Begriff des Index suchte die Medientheorie schließlich einen Kompromiss: Man modellierte eine Definirion für das forografische Bild, die der Moriviertheit dieses uichens zwar Rechnung trägt, es aber durch die rein physikaJische Ursache-Wirkung-Beziehung wieder auf einen empirisch belegbaren und somit kontcollierbaren Vorgang reduziert. Der Terminus hatte ursprünglich mit Charles Sanders Peira Eingang in die Semiotik gefunden. Allerdings sollten wir zwischen seiner Definition, auf die wir noch zurückkommen werden. und ihrer Rezeption seit den siebziger Jahren deutlich unterscheiden. Rosalind Krauss definierte zum Beispiel den Index als eine Spur, die dem Ding ähnlich sehen kann, aber nicht muss. 92 So sieht Rauch als Index für Feuer dem Feuer keineswegs ähnlich. Das Kriterium der Ähnlichkeit, so Krauss, habe Peirce vor allem dem Ikon zugeschrieben. Ihrer Ansicht nach liegt dem Ikon jedoch nur eine subjekriv abstrahierte Ähnlichkeit zugrunde. so wie z. B. in der Beziehung einer realen Landschaft zu der über sie angefertigten Landkarte." 91
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Mary Warner Marien: Phot'ogn.phy and its Critics. A Cullural Hinory 1839-1900. umbridge, New Vork et al.: Cambridge Univmity Press, 1997, S. 41 f. So Krauss: "Indem der Index Ref~renz verminels der Spur einfühn, lässt er einen Typus von Zdchen entslehen, die dem Ding, das von ihnen r~ptäsentien wird. ähnlich sehen kllnn. Obwohl in gewissen Klassen von Indexen ein Zustand der Ähnlichkeit emhahen ist. 2.. 8. bei einem Schlagschatten, bc:i Fußabdrücken oder bei kreisrunden Ringen, die kahe Gläser auf einem Tisch hinterlassen. spielt bei :anderen Typen des Indexes, medizinischen Symptomen zum Ikispid Ähnlichkeit übc:rhaupt k~ine Rolle." ibid., S. 79. Die an dieser Stdle wieder aufgegriffene Theori~ übc:r du Indaikalische in der Kunst fonnulien~ Rosalind MUSS erstmals in: NOIes on me Indo:: Sev~nties An in America. In: Onobn-, No. 3, 19n, S. 68-81. So f.ihn sie an obiger Stelle fon: "In der Konstruktion seiner T axinomie von Zcich~n - in der die hauptsächlichen Kategorien das Symbol, der Inda und das lkon sind - wein Peit« d~m Zc:ichenryp des lkons die Verbindung rom Referenten verminds visueller Ähnlichkeit zu. Phorogn.phien ähndn natürlich ihren Rdert:nten (den Objekten, die si~ repr2sentiert:n). Man haI
3. 3. DER KONTINGENTE BUCK
183
Die Ähnlichkeit des lkon sei somit weitgehend arbiträr im Verhälmis zum Refe~men - ganz im Gegensatz zum Index: .. Bei Fotografien ist die visuelle Ähnlichkeit jedoch physisch erzwungen und es ist diese formbildende Dimension, die sie indexikalisch werden lässt."904 Für Kcauss ist es allein diese indexikalische Dimension, die den Ec.hmeitscharakter des Bildes garantiert und nicht, wie gemeinhin üblich, die ikonische, die sie als subjektiv bzw. selektiv abwertet. Die Frage nach einem Höhlenausgang auch im Mimetischen bzw. Ähnlichen emf'ällt in dieser Bildmeorie somit, da nur die empirische nachweisbare Beziehung zählt. In ihrer historischen Analyse verweist Krauss schließlich auf Marcel Duchamp, dessen einßussreiche Readymades die Tendenz. eingeleitet hätten, in der Kunst des 20. Jahrhundetts 09
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3. DIE AUFKlJ..RUNG DES SEHENS
Um zu belegen. dass in der Fowgrafie heide Ebenen eigendich untrennbar und unauAösbar ineinandergreifen 1004 , können wir uns direkt auf den Begründer des dreisrufigen Modells von lkon. Index und Symbol beziehen. Als ein Haupcverrreter der pragmatischen Common-sense-Philosophie ging auch CharIes Sanders Peirce vom dem grundsätzlich amropomorphen Charakter unserer Zeichensysteme aus. lOS Neben der klassischen Zeichenrelation mit klarer, weil arbiträrer Bedeutungszuweisung behandelt Peirce das Ikon und den Index als motivierte bzw. "entartete Formen" des Zeichens {wobei das lkon bei Peirce als motivierter gilt als der Index}.l06 Das Symbol wird neben Ikon und Index noch als willkürlicher konnotierr beschrieben, da es auf kulturellen Konventionen beruht. die auch anders hänen ausfallen können. 107 Peirce liegt somit daran, die Grade der Motiviertheit von Bildern bzw. Zeichen entsprechend dem Kriterium der Arbitrarität zu unterscheiden. Wir können daran anknüpfen und fragen, welche Art von .. Höhlenausgang" die ..Entartung" des jeweiligen Zeichens anbietet: Wie kann es sich durch seine Motiviertheit als wahre Schnittstelle zur Außenwelt erweisen? Wie die Beispiele bei Peirce zeigen, kommen Index und Ikon in der Praxis nur selten in Reinform vor. Gerade die Fotografie erweist sich als das Medium, in dem beide gleichzeitig auftreten: So iSI ein Foro ein Index, weil die physiluJische Wirkung des Lichts beim Belichten eine exislentielle eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen den Teilen des Fotos und den
1~ Zum Verhä.lmis von Ikon und Index in der Fotografie siehe auch Beat Wyss: Das indexikali-
sehe Bild. In: Fotognchichu (8dträg~ zur G~chichu und A;thuiJr tUr Fotografi~). Bd. 20, No.
76, 2000, S. 3·11. Siehe die Einleitung von Helmut Pape zu CharIes Sanders Peirce: Phänomen und l.lJgiJr d~r hichrn, hg. von Helmut Pape. Frankfun a. M.: Suhrkamp, 1983. Hier insbesondere S. 8 ff. 106 So schreibt Peirce in seinen Nnun EumrnJrn (In: ders.: Narurordnung und hichrnprozns. Schrifun üb~r !innioJiJr und NtlJurphilosophir, hg. und iiberserzt von Helmut rape. Frankfun a. M.: Suhrkamp. 1991.): ~Bei Zeichen gibl es zwei verschiedene enu.nele Formen. Aber obwohl ich ihnen diesen pejorativen Namen gebe, sind sie von größlem Nunen und dienen Zwecken, denen echle Zeichen nicht dienen können. Die entanetere der beiden Formen (so wie ich es sehe) ist das Ikon." Hier zitien nach der Quellensammlung: hichm üb" hichm. Tau zur &mioJiJr von Char/n Santkn P~irct bis Umbmo &0 und Jacqun Dl'rridtJ, hg. von Dieter Mersch. München: De. Taschenbuch Verlag, 1998. S. 41. 107 So Peirce: ..Ein Symbol ist ein Zeichen, dessen zeichenkonSlitutive Beschaffenheit ausschließlich in der TalSache besieht, dass es so interpretiert werden wird. [...] Was [...] den 12glichen Gebr.auch betrifft, ist der einzige Grund dafür. dass das WOrt die Idee zu vermitteln in der Lage ist. der, dass sich der Sprecher gewiss ist, dass es so interpretiert werden wird." Phänomen und Logik der Zeichen, ibid., S. 65 f. lOS
3. 3. DER KON1lNGENrE BUCK
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T ~i1~n des Obj~kl$ h~rttcllt. und genau dies in es. was an Fotografien oft am m~ist~n geschänt wird. Doch darülKr hinaus lid~rt ein Fom ein Ikon des Obj~ktS. ind~m genau di~ Relation d~r Teil~ es zu ein~m Bild des Objdcu macht."··
Für d~n Fall d~r Focografie unt~rscheidet P~ircc somit di~ physikalische Ursach~ und di~ Ähnlichkeit ~rzcug~nde relationale Entsprtthung d~r T ~i1~. B~uacht~n wir sein~ Ddinition~n von Index und Ikon nun im Einzelnen. Zum Index hält Peirce fest: _Ein Inda: ist ein Zeichen, dessen z.eichenkoßStitutive Beschaffenheit in einer Zweiheit oder einer a:istenricllen Relation zu seinem Objekt liegt:. Ein Inda: erfordert desh:a.lb. dass sein Objekt und er selbst individuelle Existenz besinen müssen. Er witd zu einem Zeichen aufgrund des Zuf.Uls. dass er so aufgefasst wird, ein Umstand. der die Eigenschaft. die ihn erst zu einem Zeichen macht. nicht berührt. Ein Ausruf wie .Hd', ,Sag bloß!' oder ein .H:a.llo!' ist ein Index. Ein deutender Finger ist ein Inda:. Ein Krankheitssymptom ist ein Inda:. Das indizierte Objekt muss tatsächlich vorhanden sein: dies macht den Unterschied zwischen einem Inda: und einem Ikon aus. "I"
Im G~g~nsan zur Definition von Rosalind Krauss ist d~r Index nach Peirce nicht zwingend an eine physikalische Ursache-WirkunG-Beziehung gebunden. Er fasst d~n Begriff so w~it, dass er auch zu dem sprachlich~n Zeichen passt. T ron d~r Mocivi~nh~it des Aufz.eigens bleibt dem Index eine gewisse Zufallskomponente eigen: Er wird zu einem Zeichen, weil der Rezipi~nt ihn durch sein~ Erhhrung und s~in Vorwiss~n als Zeich~n zu les~n weiß. Auch in der Fotografie gilt es e:bs Verfahren zu kennen, bevor man die Abzüge als Lichtaufnahmen zu int~rpr~tieren weiß. Di~ von Rosalind Krauss als Ikon aufgeRlhne Landkarte wäre nach Peirce letztlich ein Index: Anders als im Ikon und im Symbol existiert d~r Ref~rent tatsächlich und wird aufgrund bestimm{~r Konvention~n ~ntsprechend darg~ stellt. Die fundamentale Zweiheit von Landschaft und Landkarte bedingt, dass die Karte nur als ein sicheres ..Symptom" für die Landschaft- anges~hen wird und ihr daher nicht wirklich ähnlich sieht. Das Lesen beruht hi~r auf Interpretationsprozessen, di~ nicht auf dem Sehen od~r der Anschauung beruhen, sond~rn auf vorg~wussten indexikalischen Entsprechungen. D~r durch den Index gcl~ist~te Höhlenausgang, so können wir Peirce ~rgän zen, b~ruh{ I~ndich auf d~m Prinzip d~r Empiri~: In d~r sichtbar~n Wdt wurd~n Anttichen beobachtet, di~ sich auch nach wiederholt~r Beobachrung als wahr und damit existent erwiesen haben. Auf die sich~re Abfolg~ von Ursach~ und Wirkung ist im indcxika1isch~n Zeichen somit V~rlass. 110 Phänome:n und Logik de:r Zeichen, ibid.• S. 65. telI Phänome:n und Logik de:r Zeichen, ibid.• 65. 11' Wie: Ge:orges Didi.Huberman konsequent folgen, muss daher auch das Schweißtuch der heiligen Veronika. mit dem die Tradition der "vera icon" eigentlich lKgtünde:t wurde. nach
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3. DIE AUFKLÄRUNG DES SEHENS
Dieser Beleg. dass der Referent existiert, reicht aber nicht aw um gleichzeitig zu ~ei~n. dass wir ihn SO sehen, wie er tatsächlich aussiehe. Es bedarf daher einer weiteren Dimension, die dem uichen erlaubt, dem Referenten ähnlicher zu sehen als ein Index. Bei Peirce wird dieser Aspekt in der Definition des Ikom bO!1
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3.
DIE AUFKl.J.RUNG DES SEHENS
Auch Tillmans problematisiert in seinen Inszenierungen die Frage nach der Authentizität, er spielt mit den Erwartungen seiner Betrachter, indem er sie gleichuitig bestätigt und mit Überraschungsmomenten durchsetzt. Die Fotografie wird, wie bei JeffWall, als manipulierendes Medium vorgeführt, das aber stets auch Momente des Wahren durchschimmern lässt. So äußerte sich auch Tillmans: "Obwohl ich weiß, dass die Kamera lügt, halte ich doch fest an der Idee von einer fotografischen Wahrheit."I18 Wie könnte man nun den gemeinsamen Ansatz der hier vorgestellten Bildtheorien zusammenfassen? Wie immer sich die Medien auch entwickelten, es scheint eine Grundeigenschaft des Bildes zu sein, den Betrachter durch das jeweilige Verfahren von seiner Echtheit und Rechtmäßigkeit überzeugen 1.0 wollen - in dieser Hinsicht leistet das Bild stets mehr als ein konventionel1 definiertes Zeichen. Ganz gleich ob es um den Beweis des Gewesenseins eines sichtbaren Phänomens geht oder um die Behauptung des Soseins eines eventuell sogar unsichtbaren Phänomens, ein Bild sucht seinen Anspruch auf das Richtig-Vorstellen mit eben jener Wahrheit zu begründen, die Platon für die Logik der Geometrie beansprucht hatte. Die Erfindung der Fotografie mag man dabei als die pragmatische Antwort werten, bei der Aufnahme von gesehenen Bildern ebenso neutrale und subjektlose Verfahren 1.0 verwenden wie in einer technikgestü(Zten geometrischen Zeichnung. Die Voraussetzung für die Entstehung des fotografischen Blicks waren erst im 18. Jahrhundert mit der Entdeckung der doppelten Natur des Auges gegeben: Es galt Sehprothesen zu entwickeln, die jene ursprüngliche Funktion des Auges wieder zugänglich machen, die wir durch unser selektierendes Erfahrungswissen immer schon verloren haben. Auch die modernen Abbildungstechniken sind somit nicht mehr als geläuterte Weiterentwicklungen der körpereigenen Sehapparate. Die Kultur unserer Medien, so die optimistische Vision der Aufklärung, werde die Sinneswahrnehmungen dahingehend ergänzen und verbessern, dass sie uns einen echten Höhlenausgang zur Außenwelt verschaffen können. Selbst wenn es nie möglich sein wird tatsächlich zu überprüfen, ob unsere Monaden nun offen oder geschlossen sind, suchte man die fundamentale Kontingenzerfahrung des Sehens zu nutzen: Wir sitzen nicht nur in einer Höhle, sondern sind frei zwischen unterschiedlichen Höhlen zu wählen, die im einen Fall mehr, im anderen weniger Sonnenlicht eindringen lassen. Es liegt somit allein an uns, durch die weitere Erziehung unseres Sehens schließlich doch das T ageslicht zu erblicken. In diesem Fortschrittsdenken stellt die Fotografie natürlich eine besondere Errungenschaft dar: Über die Interaktion von Index und Ikon 111
Zilien nach Hanno RaUlenberg: Perfeklionist des Hingeschludenen. In: Die Zeil, No. 47. 26. Okwber 2000, S. 47.
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3. 3. DER KONTINGENTE BUCK
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vermag sie gleich zwei Höhlenausgänge miteinander zu verbinden. Aufgrund jener Ansprüche bleibt diese Bildthcorie für die Wisscnschah jedoch cin Problcm: lhr käme es natürlich entgegen, wenn man das Bild, wie so häufig geschehen, auf einen lnda: reduzieren könnte. denn dessen Beweiskraft ist auch empirisch nachvollziehbar. Nur entfallen dann jene Qualitäten, die unseren Mediengebrauch nach wie vor entscheidend bestimmen. Will man diese Aspekte [fOtz allem miteinbeziehen, kommt man nicht umhin, sich wie Diderot, angesichts von Chardins Stil1lebcn, an die Grenzen der Beschreibbarkeit heranzuwagen.
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