Mathis Wackernagel William Rees
Unser ökologischer Fußabdruck Wie der Mensch Einfluß auf die Umwelt nimmt Aus dem Amerikanischen von Mathis Wackernagel Illustrationen Phil Testemale
Birkhäuser Verlag Basel · Boston · Berlin
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Wackernagel, Mathis: Unser ökologischer Fussabdruck : wie der Mensch Einfluss auf die Umwelt nimmt / Mathis Wackernagel; William Rees. Aus dem Amerikan. von Mathis Wackernagel. 111. Phil Testemale. – Basel; Boston ; Berlin : Birkhäuser, 1997 Einheitssacht.: Our ecological footprint ISBN 3-7643-5660-X NE: Rees, William:
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© 1997 Birkhäuser Verlag, Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Umschlaggestaltung: Matlik und Schelenz, Essenheim Printed in Germany ISBN 3-7643-5660-X 987654321
Inhalt Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Der ökologische Fußabdruck für Anfänger . . . . . . . . . . . . Was ist der ökologische Fußabdruck? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der globale Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ratschläge der Nachhaltigkeitsexpertin Vreni Füssli . . . . . . . . . . Wir planen eine ökologisch und sozial sichere Zukunft . . . . . . . .
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2. Fußabdrücke und Zukunftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zukunftsfähigkeitsdebatte: ein einfaches Konzept führt zu widersprüchlichen Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Starke Zukunftsfähigkeit: die ökologische Grundbedingung für Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vorschläge der Brundtland-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . Den Fortschritt in Richtung Zukunftsfähigkeit messen . . . . . . . . Was wir von der Ökologie lernen können: Wie viele Menschen trägt die Erde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ökologische Tragfähigkeit auf den Kopf gestellt: der ökologische Fußabdruck der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. So funktioniert der Fußabdruck: Methoden und Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Berechnung des Fußabdrucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsumkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Land- und Landnutzungskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landflächen für kommerzielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konsum-Landflächen-Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . So wenden wir den Fußabdruck an: 22 praktische Beispiele . . .
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4. Auf der Suche nach Zukunftsfähigkeitsstrategien . . . . . . Fragen an die Entwicklungsstrategen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie Nachhaltigkeit entwickelt werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie können alle gewinnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Zyklus der sozialen Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drei mühselige Hürden auf dem Weg zur Nachhaltigkeit . . . . . . Skizzen einer zukunftsfähigen Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort zur deutschen Ausgabe Die deutsche Ausgabe von „Unser ökologischer Fußabdruck“ ist besser als die englische Originalfassung. Mathis Wackernagel hat sie nicht nur übersetzt, sondern auch ergänzt. Es sind neue Daten aufgenommen und wirklichkeitsnähere Rechenverfahren angewendet worden. Vor allem beruhen die Daten nun weitgehend auf Statistiken der Vereinten Nationen. Außerdem haben wir mittlerweile festgestellt, daß bestimmte biologische Produktivitäten, besonders von Wäldern und Weiden, weltweit geringer sind als früher angenommen. Die UNO-Statistiken ermöglichen es darüber hinaus, den Konsum umfassender zu dokumentieren. All dies hat dazu geführt, daß die ökologischen Fußabdrücke der verschiedenen Länder nun größer erscheinen. Sie sind aber immer noch kleiner als die wirklichen Fußabdrücke. Für das Mitwirken an diesem Forschungsprojekt danken wir unseren Kollegen an der University of British Columbia: Peter Boothroyd, Mike Carr, Lawrence Green, Clyde Hertzman, Judy Lynam, Sharon MansonSinger, Janette Mclntosh, Aleck Ostry und Robert Woolard. Wir arbeiten mit ihnen in der Task Force on Healthy and Sustainable Communities zusammen. Wir danken auch dem kanadischen Tri-Council EcoResearch für seinen Forschungszuschuß an die Task Force, der unsere Fußabdruckstudien (eingeschlossen ein Teil von Mathis Wackernagels Doktorarbeit) mit finanziert hat. Die deutsche Ausgabe wurde durch einen Zuschuß des Schweizerischen Bundes für Naturschutz unterstützt. Ein Zuschuß der Umweltabteilung von Ontario Hydro in Toronto sowie ein Forschungsprojekt für das „Rio+5“ Forum des Earth Council in Costa Rica, bei dem die Fußabdrücke von über fünfzig Ländern berechnet werden sollen, haben es ermöglicht, die Daten neu zu bearbeiten. Tatkräftig mitgearbeitet haben an der deutschen Ausgabe Patricia Bello, Alejandro Callejas L., Dorothee Engel vom Birkhäuser Verlag, Anna Knaus, Paolo Lombardi, Iliana Pámanes und Marie-Christine Wackernagel, vor allem aber Guadalupe Suärez Guerrero. Dank Christian v. Ditfurth kommen die Leser in Deutschland, der Schweiz und Öster7
reich in den Genuß eines strafferen und besser verständlichen Textes als die Leser der englischen Originalausgabe. Allen und auch den vielen Freunden und Kollegen, die uns mit Kritik und Anregungen bedacht haben, danken wir von ganzem Herzen. Wir freuen uns über Kritik und andere Fußabdruckstudien. Hier unsere Kontaktadressen: Mathis Wackernagel Centro de Estudios para la Sustentabilidad Universidad Anähuac de Xalapa Apdo. Postal 653 C.P. 91000 Xalapa, Ver. Mexico E-Mail:
[email protected] 8
William Rees School of Community and Regional Planning University of British Columbia 6333 Memorial Road Vancouver, B.C.V6T 1Z2 Kanada E-Mail:
[email protected] Prolog Vor einigen Jahren habe ich von kleinen Waldwespen gelesen, die von Pilzen leben. Die weibliche Wespe fliegt im Wald umher, bis sie zufällig auf die richtige Pilzart stößt. In den Pilz legt sie ihre Eier. Nach kurzer Zeit schlüpfen die Maden und beginnen sich buchstäblich aus dem Pilz herauszufressen. Die kleinen Maden wachsen schnell, bis etwas Seltsames geschieht: Noch nicht ausgewachsen, werden die Maden schon zu Müttern und beginnen in ihren Eierstöcken selbst Maden auszubrüten. Diese parthenogenen1 Maden der zweiten Generation fressen bald von innen her die eigenen Eltern auf. Danach zehren sie vom Pilz. Dieser scheinbar grausame Prozeß kann sich sogar noch in einer weiteren Generation fortsetzen. Bald schon ist der Pilz von Maden zersetzt und verrottet unter der Last ihrer Ausscheidungen. Die explodierende Wespenbevölkerung zerstört ihr Habitat, was für die größten und reifsten Wespen das Zeichen ist, sich zu verpuppen. Einigen wenigen Individuen gelingt es, das Erwachsenenalter zu erreichen. Sie verlassen ihren vermoderten Geburtsort und fliegen davon, um den seltsamen Lebenszyklus an anderem Ort erneut auszulösen. Wir haben dieses Buch geschrieben im Glauben daran, daß der bizarre Lebenszyklus dieser Wespen der Menschheit eine Lehre sein könnte. Das uns befremdlich erscheinende Verhalten der kleinen Wespen ist vermutlich unter starkem Wettbewerbsdruck entstanden. Gastfreundliche Pilze – wie gastfreundliche Planeten – sind eben nur schwer zu finden. Die Evolution hat daher solche Wespen bevorzugt, die sich den Futtervorrat am effizientesten angeeignet haben und ihren Konkurrenten zuvorgekommen sind, indem sie den Pilz als erste besetzt haben. Auch unter Menschen gibt es Wettbewerb. Biologische und soziokulturelle Kräfte haben in der Vergangenheit Individuen und Kulturen bevorzugt, die am erfolgreichsten Ressourcen verwerten und Naturschätze plündern konnten. Es gibt es unzählige archäologische und historische Anzeichen dafür, daß Kulturen unter dem Gewicht des eigenen Erfolgs 1
Parthenogenese: Jungfernzeugung; Entstehung eines Lebewesens aus einer unbefruchteten Keimzelle.
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zusammengebrochen sind – wie die Wespenkultur auf dem Pilz. So zeitlich und räumlich weit voneinander entfernte Gesellschaften wie zum Beispiel die Mesopotamier, die Maya oder die Bewohner der Osterinseln haben sich wahrscheinlich selbst zerstört, indem sie ihre Umwelt über die Nachhaltigkeitsgrenze hinaus beansprucht haben. Wie die Waldwespe haben diese Kulturen ihr Habitat aufgebraucht. Die Menschheit aber hat überlebt, da es an anderen Orten immer noch weitere „Pilze“ gab. Inzwischen ist die Menschheit zu einer „Weltkultur“ zusammengeschrumpft, und zwar zu einer, die immer mehr von Wettbewerb und Wirtschaftswachstum getrieben ist – von einer Lebensweise, die die Erde nicht nur unterwirft, sondern auch auffrißt. Im Gegensatz zur Wespenkultur können aber die fettesten und reichsten, also erfolgreichsten, unter uns die vermoderte Hülle des Pilzes nicht verlassen, und wenig weist daraufhin, daß es in unserem Galaxienwald noch weitere gastfreundliche Pilze gibt. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, daß die Menschen im Gegensatz zu den Wespen fähig sind, sich selbst zu erkennen, und intelligent analysieren können. Das Erkennen unserer Situation ist die Chance zur positiven Veränderung. Der erste Schritt ist die Einsicht, daß die Umweltkrise weniger technische als vielmehr soziale Wurzeln hat. Daher sind soziale und verhaltensorientierte Lösungsansätze erforderlich, um die Krise zu bewältigen. Gewiß ist Wettbewerb eine starke Triebkraft, aber wir besitzen auch kooperative Eigenschaften. Bemerkenswerterweise sind die Gesellschaften am tüchtigsten im Wettbewerb, deren Mitglieder am besten zusammenarbeiten, am besten ausgebildet sind und deren Kultur am weitesten entwickelt ist (das ist eine Wahrheit, die Politikern zu selten einfällt). Mit diesem Buch wollen wir zeigen, daß wir Menschen unseren ökologischen Fußabdruck verkleinern müssen – das ist unsere einzige Überlebenschance. Wir hoffen, daß unser Buch auch verdeutlicht, daß wir an den menschlichen Geist und seinen Einfallsreichtum glauben. Die Menschen besitzen ein großes, bisher noch ungenutztes Potential, das es ihnen ermöglicht, der gewaltigsten Herausforderung in ihrer Geschichte entgegenzutreten, um gemeinsam zu überleben. Wie schon William Catton in seinem Klassiker „Overshoot“ (1980) sagt: „Falls wir, nach10
dem wir über die ökologische Tragfähigkeit hinausgeschossen sind, den Zusammenbruch nicht verhindern können, so vermögen wir in Umständen, die uns sonst dazu verleiten dürften, viehisch brutal zu werden, vielleicht doch menschlich bleiben dank unseres ökologischen Verständnisses der wahren Ursachen.“ Daher glauben wir, daß eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des ökologischen Überziehens uns zwingen wird, die speziellen Fähigkeiten und Qualitäten zu erlernen, die uns von empfindenden Tierarten unterscheiden. Dadurch können wir wirklich menschlich werden. Aus dieser Perspektive mag der weltweite ökologische Wandel, vor dem wir stehen, die letzte große Chance sein, zu zeigen, daß es wirklich intelligentes Leben auf dieser Erde gibt. William Rees Gabriola Island Im Sommer 1995
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Einführung Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Es ist unübersehbar, daß die Ökosysteme der Erde nicht mehr in der Lage sind, das heutige Volumen wirtschaftlicher Aktivität und materiellen Konsums zu tragen. Und jedes Prozent Wachstum macht die Lage dramatischer. Gemessen am Bruttosozialprodukt (BSP), nimmt die Wirtschaftstätigkeit jährlich um durchschnittlich vier Prozent zu, sie verdoppelt sich also alle achtzehn Jahre.2 Ein Faktor, der diese Expansion vorantreibt, ist das Wachstum der Erdbevölkerung: 1950 gab es 2,5 Milliarden Menschen auf der Erde, und heute, im Jahr 1997, sind es schon knapp 6 Milliarden. In weniger als fünfzig Jahren werden es wahrscheinlich über 10 Milliarden sein. Ökologisch noch bedeutender ist, daß der Pro-Kopf-Verbrauch von Energie und Materialien weiter steigt. Er ist in den letzten vierzig Jahren schneller gewachsen als die Weltbevölkerung. Eine ungebändigte Weltwirtschaft überbeansprucht die begrenzte Biosphäre. Weshalb kümmert uns die Zukunftsfähigkeit? Das Wirtschaftswachstum erscheint den meisten Menschen als Schlüssel des Erfolgs, und viele Nationen betrachten es als ein wichtiges Ziel. Freier Handel und unbehinderte Kapitalströme sollen die Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft hineinführen. Das beschleunigt die Industrieproduktion und damit auch den Ressourcenverbrauch. Doch werden die sozialen Schwächen dieses Entwicklungsmodells immer auffälliger. So hat das Wirtschaftswachstum weder die Einkommensunterschiede ausgeglichen noch die Besitzenden glücklicher gemacht, noch die Armen wohlhabend, 2
Das globale Bruttosozialprodukt ist zwischen 1950 und 1994 von 3,8 Milliarden US-Dollar auf 20,1 Milliarden Dollar gewachsen (berechnet nach dem Dollarkurs des Jahres 1987), nach: Lester Brown, Nicholas Lenssen und Hai Kane, Worldwatch Institute, Vital Signs, 1995, New York: W. W. Norton, 1995. Die Zahl 70 dividiert durch das Wachstum in Prozenten pro Jahr ergibt die Verdopplungszeit (für die mathematisch Interessierten: k ist das Wachstum pro Jahr, t die Verdopplungszeit. kt e = 2, somit ist t = ln2/k = 0,69/k. Wird das Wachstum in Prozent ausgedrückt, so ist t = 69/k*100%).
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noch die Hungernden satt. Während zwanzig Prozent der Weltbevölkerung in noch nie dagewesenem materiellem Wohlstand leben, leiden mehr als zwanzig Prozent unter absoluter Armut. Nach Statistiken der Vereinten Nationen verdienen die reichsten Haushalte sechzigmal mehr als die ärmsten Haushalte, und dieser Unterschied hat sich in den letzten dreißig Jahren verdoppelt.3 Dies ist das Ergebnis einer Entwicklungspolitik, wie sie seit den Abkommen von Bretton Woods gegen Ende des Zweiten Weltkriegs betrieben wird. Die bedeutendsten Institutionen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit sind seitdem der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Sie und die Nord-SüdPolitik insgesamt sind von Beginn an kritisiert worden, weil es ihnen nicht gelungen ist, die soziale Ungleichheit auf der Erde auch nur zu mildern und die Umweltkrise abzuwenden. Die Kritik wurde schärfer in dem Maß, wie deutlich wurde, daß die ökologische Tragfähigkeit unseres Planeten überstrapaziert wird. Ressourcenkonsum und Abfallproduktion verbrauchen die Natur schneller, als sie sich regenerieren kann. 1986 hat der Biologe Peter Vitousek von der Universität Stanford in Kalifornien mit seinen Kollegen berechnet, daß zu diesem Zeitpunkt die menschliche Aktivität, direkt oder indirekt, vierzig Prozent der weltweiten biologischen oder photosynthetischen Produktion auf dem Land beanspruchte. Neuere Studien zeigen, daß die Menschen die Meere mittlerweile ähnlich intensiv nutzen. Darüber hinaus wird die Natur noch in anderer Weise geschädigt: so durch die Zerstörung der Ozonschicht und die extreme Ausbeutung nichterneuerbarer Ressourcen. Dazu später mehr. Erst der beschleunigte Ressourcenverbrauch hat das rasante Wirtschaftswachstum und den hohen materiellen Lebensstandard in den Industrieländern ermöglicht. Er hat aber gleichzeitig Wälder, Böden, Wasser, Luft und biologische Arten auf der ganzen Erde in Mitleidenschaft gezogen. Die herkömmliche Wirtschaftsentwicklung zerstört eine
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United Nations Development Programme (UNDP), Human Development Report, New York: Oxford University Press, 1992. Für neuere Statistiken und weitere Erörterungen empfehlen sich auch die Ausgaben von 1994 bis 1996. Ein weiteres nützliches Dokument der UNO ist: United Nations Research Institute for Social Development (UNRISD), States of Disarray: The Social Effects of Globalization, London: Banson, 1995.
Abbildung 0.1: Naturkapital erhalten! – Das ist die ökologische Grundbedingung für unsere Zukunftsfähigkeit: In einer Welt, die ökologisch überladen ist, wirkt die herkömmliche Wirtschaftsentwicklung selbstzerstörend und macht uns ärmer. Damit gefährden wir ein menschenwürdiges Weiterleben unserer Art. (Nach Horst Haitzinger)
Welt, die ökologisch ohnehin schon überlastet ist, und macht uns ärmer. Viele Wissenschaftler sind überzeugt davon, daß wir ein menschenwürdiges Überleben aufs Spiel setzen, wenn wir unseren derzeitigen Kurs weiterverfolgen. Gewiß, es gibt bereits Initiativen, um den Trend zu stoppen. Aber sie reichen nicht aus, denn der Druck auf die ökologischen Systeme und das soziale Gefüge nimmt zu. Wir brauchen wirksamere Programme, Werkzeuge und Strategien – nicht nur um die Lage der Welt besser zu verstehen, sondern auch um viele Menschen zum Mitmachen anzuregen.
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Was wir mit diesem Buch zu erreichen hoffen Dieses Buch beschreibt ein Planungswerkzeug, das helfen soll, die Kritik an der Zukunftsfähigkeit unserer Lebensweise in gemeinsames Handeln umzumünzen. Wir nennen dieses Werkzeug „ökologischen Fußabdruck“. Woher stammt dieses Werkzeug? William Rees, Professor an der Schule für Regional- und Kommunalplanung der University of British Columbia (UBC) in Vancouver, Kanada, vermittelt seinen Studenten schon über zwanzig Jahre grundlegende Fragen der Humanökologie. Seit 1990 konkretisiert Mathis Wackernagel zusammen mit William Rees – und mit Studenten und Mitgliedern der Task Force on Healthy and Sustainable Communities der Universität von British Columbia (UBC) – dessen ursprüngliche Ideen. Dabei ist das Konzept des ökologischen Fußabdrucks entstanden. Das Konzept ist einfach, aber umfassend: Es mißt den Naturverbrauch der Menschen. Es schätzt die Energie- und Materialflüsse in einer Wirtschaftseinheit und rechnet sie um in Wasser- und Landflächen, die nötig sind, um diese Flüsse aufrechtzuerhalten. Dieses Verfahren ist analytisch und pädagogisch zugleich. Es erlaubt nicht nur, die Zukunftsfähigkeit heutiger Aktivität zu beurteilen, sondern kann auch Verständnis fördern und es erleichtern, richtige Entscheidungen zu treffen: Die Bedeutung großer Fußabdrücke ist einfach zu verstehen – im Hinblick auf die eigenen Füße und im Hinblick auf die Wirtschaft. Der ökologische Fußabdruck belegt die dauerhafte Abhängigkeit des Menschen von der Natur, und er verdeutlicht, was wir tun können, um unser Leben heute und in Zukunft in den Grenzen der ökologischen Kapazität der Erde zu führen. Nur wenn wir die ökologischen Grenzen besser verstehen, können wir effiziente und lebensgerechte Strategien entwickeln. Solche Strategien sind den Entscheidungen vorzuziehen, die uns sonst die Natur aufzwingen würde. Weil uns der Fußabdruck ein wirklichkeitsgetreues Bild der ökologischen Gegebenheiten verschafft, bringt er uns gute Nachrichten für eine bessere und sicherere Welt. Die schlechte Nachricht ist die Einsicht in die Tatsache, daß unsere Aktivität auf einem endlichen Planeten nicht unendlich erweitert werden kann. Diese expansionistische Sicht ist nach wie vor für viele attraktiv, aber sie wäre zum Scheitern verurteilt, würde 16
sie weiterhin verwirklicht. Und dieses Scheitern verliefe äußerst schmerzvoll. Es träfe die Armen zuerst, die Reichen etwas später und nicht weniger viele der Tier- und Pflanzenarten, mit denen wir den Planeten teilen. Der ökologische Fußabdruck erkennt an, daß wir vor schwierigen Herausforderungen stehen. Er macht sie sichtbar und lenkt uns in Richtung auf eine zukunftsfähige Lebensweise. Natürlich ist es wenig erbaulich, die düsteren Seiten der menschlichen Existenz anzusprechen. Verdrängung ist eine süße Versuchung. Doch setzen wir in diesem Buch auf die Einsicht, daß heutiges Verdrängen zu größeren Schmerzen in der Zukunft führt. Der erste Schritt hin zur Zukunftsfähigkeit muß damit beginnen, die ökologische und sozialökonomische Wirklichkeit zu akzeptieren. Eine Frage der Perspektive Um einen ökologisch verantwortbaren und gleichzeitig persönlich erfüllenden Lebensstil zu entwickeln, müssen wir unsere Beziehungen zu den Mitmenschen und zur Natur überdenken. Dieses Buch versucht, solches Denken zu unterstützen. Es gibt viele Bücher, die dies zum Ziel haben, aber wir glauben, daß unser Buch ein wenig anders ist. Viele Autoren beschreiben die Umwelt als etwas, das von uns und unserer Gesellschaft getrennt ist. Dies sollte uns nicht verwundern, denn es ist die vorherrschende Sichtweise. Umweltschäden durch Wirtschaftstätigkeit nennt man „negative Externalität“. Damit wird hervorgehoben, daß sich die Umwelt an der Peripherie des modernen Bewußtseins befindet, wie es das Wort „Um-Welt“ selbst ja schon offenbart. Es ist daher nicht erstaunlich, daß herkömmliche Entwicklungsstrategien die Umwelt am Rand der menschlichen Welt ansiedeln. In dieser Logik mag die Umwelt zwar von ästhetischem Wert sein, doch kann sie geopfert werden, wenn wirtschaftliche Interessen dies erfordern. Umweltverluste werden oft als bedauerliche, aber notwendige Kosten des Wirtschaftswachstums akzeptiert. Der Fortschritt sei eben nicht aufzuhalten, heißt es oft. Dieses Buch beruht auf einer anderen Einsicht: Die menschliche Gesellschaft kann nicht von der Natur getrennt werden. Auch nicht in unseren Köpfen, denn diese Trennung existiert nicht – oder nur in 17
Abbildung 0.2: Der ökologische Fußabdruck mißt den Naturverbrauch einer gegebenen Bevölkerung. Er repräsentiert die Land- und Wasserfläche, die notwendig ist, um den gegenwärtigen Ressourcenverbrauch dieser Bevölkerung zu decken und ihre Abfallproduktion zu absorbieren.
unserer Einbildung. Die Wirtschaft ist ein Teilsystem der Biosphäre. Dies bedeutet, daß wir das Verhalten des Menschen in der Natur nicht anders studieren sollten als das Verhalten jedes anderen großen Organismus. Durch ihren Produktions-Konsum-Entsorgungs-Zyklus ist die 18
Menschheit allerdings die Hauptgattung in praktisch allen Ökosystemen der Erde geworden. Die Tatsache, daß die menschliche Gesellschaft zur Biosphäre gehört, ist so elementar, daß sie meist übersehen oder als banal abgetan wird. Nehmen wir diese vermeintliche Banalität aber ernst, dann ergeben sich umwälzende Schlußfolgerungen. Für die Politik bedeutet diese Einsicht zum Beispiel, daß die Kontrolle der Umweltverschmutzung oder eine weitere Verbesserung des Umweltschutzes (beide Produkte des Trennungsmythos) nicht ausreichen. Wenn die Menschen und ihre Zivilisation in die Natur eingebettet sind, dann ist die Umwelt nicht die Kulisse, sondern die Bühne des Theaters. Die Menschheit hängt von der Natur ab und nicht umgekehrt. Die Natur braucht uns nicht. Zukunftsfähigkeit bedeutet zuerst, nicht die Ressourcen, sondern uns selbst besser zu verwalten. Wir müssen lernen, als Teil der Natur zu leben. Dann wird Ökonomie endlich zur Ökologie. Dieses Buch zeigt, daß wir zukunftsfähig leben können. Wir schlagen Werkzeuge und Wege vor, die es uns ermöglichen, Herausforderungen besser zu verstehen, Strategien zu beurteilen und Fortschritte in Richtung Zukunftsfähigkeit zu prüfen. Der Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft wird uns viel Denken und Schweißperlen kosten. Aber warum sollte ein solch spannendes Projekt nicht auch begeistern?
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1. Der ökologische Fußabdruck für Anfänger Viele von uns leben in einer Stadt. Dort vergessen wir besonders leicht, daß die Natur in geschlossenen Kreisläufen arbeitet. Wir gehen zum Laden und kaufen Lebensmittel mit Geld, das wir aus einem Automaten geholt haben. Später stellen wir unseren Mülleimer vors Haus und spülen das Klosett, so werden wir unseren Abfall los – ein linearer Prozeß. Das Großstadtleben bricht viele Materialkreisläufe der Natur und gibt uns wenig Aufschluß über unser intimes Verhältnis mit der Natur. Trotz dieser Entfremdung in der Großstadt sind wir nicht nur mit der Natur verbunden – wir sind Natur. Beim Trinken, Essen und Atmen tauschen wir mit unserer Umwelt Energie und Materie aus. Der menschliche Körper nutzt sich ständig ab und baut sich wieder auf. Jedes Jahr werden praktisch alle Moleküle in unserem Körper ausgetauscht. Die Atome, aus denen wir bestehen, waren zuvor Teile anderer Lebewesen – vielleicht von einem Dinosaurier, vielleicht von Cäsar oder Kleopatra. Die Natur versorgt uns mit allem, was zum Leben erforderlich ist. Wir brauchen Energie zum Heizen und für den Transport, Holz für Bauten, Möbel und Papier, Nahrungsmittel und sauberes Wasser für ein gesundes Leben. Durch die Photosynthese wandeln grüne Pflanzen Sonnenlicht, Kohlendioxid (CO2), mineralische Nährsubstanzen und Wasser in biochemische Energie um. Alle Nahrungsketten, von denen das Tierreich abhängt – inklusive wir Menschen –, beruhen auf dieser pflanzlichen Biomasse. Außerdem nimmt die Natur Abfall auf und sichert lebenserhaltende Funktionen wie zum Beispiel Klimastabilität, Wasserkreisläufe oder Schutz vor Ultraviolettstrahlen aus dem Weltall. Nicht zuletzt spenden die Pracht und Üppigkeit der Natur Freude und geben unseren Seelen Kraft. Abbildung 1.1 zeigt uns, wie dicht unser Leben mit der Natur verwoben ist – eine Verbindung, die wir oft vergessen. Da viele von uns in Städten leben, wo wir Güter aus der ganzen Welt verbrauchen, sehen wir die Natur meist nur als ein Sammelsurium von kommerziell verwert21
Abbildung 1.1: Wir sind Teil der Natur. Sie versorgt uns mit allen Dingen des Lebens, sie nimmt unseren Abfall auf und sichert lebenserhaltende Funktionen wie zum Beispiel die Klimastabilität. Die Natur macht damit die Erde zu einem gastfreundlichen Ort für Menschen, Tiere und Pflanzen.
baren Rohstoffen oder als einen Ort der Erholung. Jedoch nicht als die fundamentale Quelle des Lebens und Grundbedingung für unsere Existenz. Wenn wir so leben wollen, daß unsere Gesellschaft zukunftsfähig ist, dürfen wir die Natur nicht schneller aufbrauchen, als diese sich erneuern kann, und wir dürfen die Natur nicht mit mehr Abfall belasten, als sie aufzunehmen vermag. Unser heutiger Naturverbrauch aber setzt das Wohlergehen kommender Generationen aufs Spiel. Das zeigen die beschleunigte Entwaldung, die Erosion der Böden, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, die zunehmende Konzentration der Treibhausgase und das Wachsen der Ozonlöcher. Trotz dieser unübersehbaren Symptome tut der Mensch so, als ob die Natur ein ersetzbares Verbrauchsgut unserer Wirtschaft wäre. Zum Beispiel betrachten wir Land-, Forst- oder Fischwirtschaft lediglich als ökonomische Ressourcen. Weil sie nur einen kleinen Teil des Bruttosozialprodukts der Industrienationen ausmachen, werden sie meist als nicht besonders wichtig eingestuft. Sie sind aber die Grundbedingung unserer Wirtschaft. Die Produkte der Natur sind für das menschliche Wohlergehen unverzichtbar – trotz ihres oft verschwindend kleinen Anteils am BSP. Manche Leute reduzieren das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie auf Umweltverschmutzung. So erregt zum Beispiel die Luftver22
schmutzung in Großstädten Aufmerksamkeit, weil sie die menschliche Gesundheit erkennbar gefährdet. Das ist eine ernste Sache, aber der Blick allein auf die menschliche Gesundheit lenkt uns ab von einem umfassenden ökologischen Verständnis. Unsere Wirtschaftsweise verpestet nicht nur die Luft, sondern sie läßt auch ganze Ökosysteme kollabieren und gefährdet die zukünftige Produktivität der Natur. Bislang waren die Katastrophen lokal beschränkt, wie die Verwüstung der Sahelzone oder die Vernichtung der Fischbestände an der Nordatlantikküste Kanadas. Aber die Anzeichen einer globalen Klimaänderung warnen davor, daß die lebenserhaltenden Funktionen der Erde insgesamt bedroht sind. Der Treibhauseffekt schadet der Nahrungsmittelproduktion, und in dem Maß, wie er die Meeresspiegel steigen läßt, zerstört er küstennahe Ansiedlungen. Das allein schon sollte Grund genug sein, eine weniger anmaßende Haltung gegenüber unserer Umwelt an den Tag zu legen. Doch was können wir tun? Wie können wir wissen, ob wir mit unserer Lebensweise die Möglichkeiten der Natur überschreiten? Was ist der ökologische Fußabdruck? Der ökologische Fußabdruck ist ein Werkzeug, um unseren Naturverbrauch zu bilanzieren. Mit seiner Hilfe läßt sich der Naturverbrauch der Menschen messen. Die Energie- und Materialflüsse in einer Wirtschaftseinheit werden geschätzt und umgerechnet in Wasser- und Landflächen, die nötig sind, um diese Flüsse aufrechtzuerhalten. Das Werkzeug erlaubt es uns, wichtige Fragen zu beantworten: Wie groß ist unsere Abhängigkeit von globalen Ökosystemen? Wie stark belasten wir Ökosysteme, etwa wenn wir Rohstoffe aus anderen Regionen importieren oder unsere Abfälle entsorgen? Genügt die Produktivität der Natur, um auch im nächsten Jahrhundert die materiellen Bedürfnisse einer wachsenden Erdbevölkerung zu befriedigen? Wer braucht wieviel der globalen Produktivität der Biosphäre? Um die Idee hinter dem ökologischen Fußabdruck aufzuzeigen, betrachten wir, wie die Gesellschaft das vielleicht am meisten gepriesene Symbol der menschlichen Zivilisation wahrnimmt: die Stadt. Wenn wir nach einer Definition der Stadt fragen, werden die meisten Leute auf die hohe Bevölkerungsdichte hinweisen und auf die menschengemachte Zusammenballung von Gebäuden und Straßen. Andere werden sagen, 23
Städte seien rechtlich und politisch klar abgegrenzte Gebilde mit eigener Verwaltung. Andere wiederum sehen in der Stadt eine Konzentration von Kultur-, von sozialen Institutionen und Bildungseinrichtungen, wie sie auf dem Land undenkbar wäre. Andere schließlich bestimmen die Stadt als den Knotenpunkt für einen intensiven Austausch von Waren und Informationen zwischen Individuen und Firmen: als die Stätte von Produktion und Wachstum. Kein Zweifel, die Stadt ist eine der spektakulärsten Errungenschaften der menschlichen Zivilisation. Sie ist ein Kultur-, Wirtschafts-, Informations- und Kommunikationszentrum. Aber es fehlt ein fundamentaler Aspekt der Stadt in allen bekannten Sichtweisen. Wir haben diesen Aspekt zu lange für selbstverständlich gehalten. Deshalb ist er unserem Bewußtsein abhanden gekommen. Mit einem Gedankenexperiment können wir diesen Aspekt wieder finden: Überlegen Sie sich, was geschehen würde, wenn eine moderne
Abbildung 1.2: Das Leben im Terrarium. Wie groß müßte die Plexiglaskuppel sein, damit die überdeckte Stadt sich aus den in der Kuppel befindlichen Ökosystemen erhalten könnte?
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Stadt oder eine städtische Region wie London, Zürich oder das Ruhrgebiet mit einer Plexiglaskuppel abgedeckt würde, die nur Licht, aber kein Material durchläßt (Abbildung 1.2). Eine überdeckte Stadt und ihre Bewohner wären nicht lebensfähig. Sie wären von den meisten lebenswichtigen Material- und Energieströmen und Abfallsenken abgeschnitten, die Menschen müßten verhungern und ersticken. Mit anderen Worten: Die Ökosysteme in der überkuppelten Stadt könnten den ökologischen Druck der eingesperrten Bevölkerung nicht tragen. Dieses Gedankenmodell zeigt, wie groß die ökologische Verwundbarkeit des Menschen ist. Eine weitere Überlegung ist geeignet, unseren Gedankengang zu konkretisieren: Nehmen wir an, daß unsere Stadt von Äckern, Weiden und Wäldern umgeben ist. Nehmen wir weiter an, daß genügend Vorräte an fossiler Energie vorhanden sind, so daß die Menschen in unserer Stadt den heutigen Lebensstil praktizieren und sie über unsere Technologie verfügen können. Die Frage lautet nun: Wie groß müßte die Plexiglaskuppel sein, damit sich die Stadt dauerhaft aus den unter der Kuppel vorhandenen Ökosystemen und Energievorräten versorgen und ihren Abfall in dieser Umwelt entsorgen könnte? Mit anderen Worten: Wieviel Land und Wasserflächen sind notwendig, um die tägliche wirtschaftliche und soziale Aktivität der Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt aufrechtzuerhalten? (Beachten Sie, daß in dieser Berechnung die biologisch produktiven Flächen fehlen, die nötig sind, um Tier- und Pflanzenarten zu erhalten.) Die biologisch produktive Fläche, die die Stadt zu ihrer Versorgung braucht, entspricht ihrem ökologischen Fußabdruck auf der Erde. Der ökologische Fußabdruck einer Stadt verhält sich proportional zu Bevölkerungszahl und Pro-Kopf-Verbrauch. Unsere Schätzungen zeigen, daß der ökologische Fußabdruck moderner Städte eine Fläche umfaßt, welche die Ausdehnung der Städte um einige Größenordnungen übersteigt. Der ökologische Fußabdruck mißt so die „ökologische Tragfähigkeit“ einer Bevölkerung.1 Der Fußabdruck verteilt sich auf alle möglichen 1
Wegen der pyramidenförmigen Altersverteilung der Weltbevölkerung – jeder dritte Erdenbürger ist unter fünfzehn Jahren – wird die Zahl der Menschen selbst dann auf zehn Milliarden steigen, wenn von heute an jede Frau (und jeder Mann) im Durchschnitt nur noch zwei Nachkommen zeugt.
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Regionen der Erde: Moderne Städte und oder gar Länder beziehen dank des modernen Handels ihre Versorgungsgüter von überall her. Da der ökologische Fußabdruck sichtbar macht, wieviel biologisch produktive Fläche notwendig ist, um einen gegebenen Lebensstil dauerhaft aufrechtzuerhalten, belegt er die materielle Abhängigkeit des Menschen von der Natur. Zum Beispiel zeigt Tabelle 3.3 auf Seite 111 dieses Buches die Fußabdrücke der Schweizer, Deutschen und Österreicher. Auch ist der Tabelle zu entnehmen, welche Ökosystemtypen in welchem Maß beansprucht werden. So ergibt sich eine Landfläche, die gebraucht wird, um die Bedürfnisse von Schweizern, Deutschen und Österreichern zu decken. Für eine Schweizerin umfaßt die Fläche 4,6 Hektar, was einem Quadrat von 215 Metern Seitenlänge entspricht. Ein Fußballfeld mißt zwischen einem halben und einem Hektar. Für Kanada haben wir die detailliertesten Berechnungen angestellt. Sie ergeben einen Fußabdruck von 6,6 Hektar Landfläche (siehe Tabelle 3.6 auf Seite 123), zu der wir noch einen knappen Hektar Meeresfläche hinzurechnen müßten. Die Spalte auf der linken Seite der Tabelle 3.6 listet die Konsumkategorien auf, während die erste Zeile die verschiedenen ökologischen Flächen nennt. Die Spalte „Fossilenergie“ in der Tabelle zeigt die Landfläche, die für den Energieverbrauch pro Kopf beansprucht wird. Im Fall der Fossilenergien wird die Fläche berechnet, die nötig ist, um das anfallende Kohlendioxid (CO2) zu absorbieren, in der Annahme, daß Klimastabilität für die Zukunftsfähigkeit wesentlich ist. Es wäre auch möglich, die Ackerfläche zu bestimmen, die für biologische Fossilenergiesubstitute benötigt wird wie zum Beispiel für Äthanol. Diese Berechnung würde einen noch höheren Flächenbedarf ergeben. „Siedlung“ bezeichnet die überbaute Wohn- und Straßenfläche, die der ökologischen Produktion nicht mehr zur Verfügung steht. Ein Beispiel für die Ressourcen, die in „Dienstleistungen“ enthalten sind, ist die Energie, um Krankenhäuser zu betreiben, oder das Papier und die Elektrizität, die nötig sind, um Bankabrechnungen anzufertigen und zu verschicken. Anhand der Tabelle 3.6 können Sie herausfinden, wieviel landwirtschaftliche Nutzfläche nötig ist, um einen Kanadier zu ernähren. Beachten Sie, daß die Landflächen auf durchschnittliche Erträge umgerechnet sind, um die Fußabdrücke in verschiedenen Ländern vergleichbar zu machen. Natürlich ist die Größe dieser Fußabdruckflächen nicht unver26
Abbildung 1.3: Was ist ein ökologischer Fußabdruck? Wie diese Kuh auf der Weide hat auch unsere Wirtschaft einen Stoffwechsel. Wie sie verschlingt die Wirtschaft Ressourcen. Und alles, was hineingeht, muß den Organismus wieder verlassen. Daher sollten wir uns fragen, wie groß die Weide sein muß, um unsere Wirtschaft am Leben zu erhalten. Mit anderen Worten: Wie groß muß die biologisch produktive Fläche sein, um auf lange Zeit und mit heutiger Technologie all das zu produzieren, was die Wirtschaft verschlingt, und all das aufzunehmen, was sie ausstößt?
änderlich. Sie beruhen auf unseren Schätzungen des Pro-Kopf-Verbrauchs in verschiedenen Ländern, meistens im Jahr 1993. Wie wir sehen werden, hängen der individuelle und der nationale ökologische Fußabdruck stark ab vom Einkommen, den Preisen, den Kaufgewohnheiten und den vorherrschenden Technologien.
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Abbildung 1.4: Ein typischer Fußabdruck. Der durchschnittliche Fußabdruck des Westeuropäers mißt zwischen drei und sechs Hektar, was ungefähr drei bis zwölf Fußballfeldern entspricht.
Der globale Kontext Die Wirtschaft nutzt knapper werdende Ressourcen und lebenserhaltende Funktionen der Natur, um unsere wachsende Nachfrage zu befriedigen. Das Werkzeug ökologischer Fußabdruck kann dazu dienen, den heutigen Konsum und die zu erwartende Nachfrage einer Bevölkerung mit den verfügbaren ökologischen Kapazitäten zu vergleichen. So werden ökologische Defizite sichtbar. So lassen sich auch Konsequenzen verschiedener Nutzungsarten der Natur schätzen. Wir können mit Hilfe des Fußabdrucks auch die zeitliche Perspektive beleuchten. Die biologisch produktive Fläche pro Kopf auf der Erde hat in diesem Jahrhundert stetig abgenommen (wie Abbildung 1.5 dokumentiert). Heute stehen dem Erdenbürger im Durchschnitt nur noch 1,45 Hektar fruchtbares Land und 0,55 Hektar produktive (hauptsächlich küstennahe) Meeresflächen zur Verfügung. (Diese Flächen umfassen 28
Abbildung 1.5: Unsere ökologischen Fußabdrücke wachsen stetig, während die Pro-KopfAnteile an der biologisch produktiven Fläche auf dem Planeten schrumpfen. Seit Beginn dieses Jahrhunderts ist die pro Mensch zur Verfügung stehende biologisch produktive Fläche von über sieben Hektar auf zwei Hektar gesunken. Gleichzeitig sind aber die Fußabdrücke der Menschen in den reichen Ländern auf über drei bis sechs Hektar gewachsen. Diese gegenläufigen Entwicklungen münden in einem fundamentalen Konflikt: Der typische Verbrauch in reichen Ländern übersteigt das ökologische Pro-Kopf-Angebot in der Welt um das Zwei- bis Vierfache, in Nordamerika sogar um das Sechsfache. Dies bedeutet, daß die Erde nicht imstande ist, allen Menschen den gleichen Lebensstil zu bieten wie in Europa, Japan oder Nordamerika.
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allerdings auch die Wildnisgebiete, die allein dem Artenschutz dienen sollten.) Gleichzeitig aber ist der ökologische Fußabdruck der Menschen in den reichen Ländern stetig größer geworden. Heute mißt er in Industrieländern im Durchschnitt zwischen 3 und 6 Hektar, was ungefähr dem Zwei- bis Vierfachen dessen entspricht, was uns pro Kopf zusteht. Dies bedeutet, daß zwei bis vier Erden nötig wären, wenn alle Menschen auf der Welt so leben würden wie wir. Wenn die Weltbevölkerung so wächst, wie vorauszusehen ist, und im Jahr 2040 zehn Milliarden Menschen existieren werden, dann wird es für jeden von ihnen weniger als 0,9 Hektar fruchtbares Land und 0,3 Hektar produktive Meeresfläche geben. Diese Rechnung setzt allerdings voraus, daß die biologisch produktive Fläche nicht weiter abnimmt durch Verwüstung, Erosion oder andere Zerstörungen.2 Die Lage wird noch deutlicher, wenn wir für bestimmte Regionen die biologische Fläche berechnen, die erforderlich ist, um den gegebenen Konsum aufrechtzuerhalten. In Kapitel 3 zeigen wir das am Beispiel Italiens. Hier nur soviel: In Italien leben 57 Millionen Menschen auf 301 000 Quadratkilometern. Dies entspricht einer Bevölkerungsdichte von rund 2 Menschen pro Hektar. Obwohl das Land in Italien im Durchschnitt etwa 2,3mal fruchtbarer ist als im Weltdurchschnitt, zeigen die Berechnungen, daß Italien viel zu klein ist, um den Konsum seiner Bevölkerung selbst zu decken. Sogar wenn man die noch höhere Fruchtbarkeit der holländischen Landflächen zum Maßstab macht, beansprucht Italien für Nahrung, Fasern, Energie und Holzprodukte das 2,4fache der ökologischen Kapazität, die es selbst besitzt (siehe Abbildung 3.10). Ein erstaunliches, aber leider nicht untypisches Resultat für viele europäische Länder. Eine Welt, in der sich unsere übergroßen Fußabdrücke überlappen, ist nicht zukunftsfähig. Der Fußabdruck der Menschheit muß insgesamt kleiner bleiben als die ökologisch produktiven Teile der Erdoberfläche. Wenn also alle Regionen oder Länder dem Beispiel Deutschlands, der Schweiz oder Italiens nacheifern wollten, würde dies umgehend im ökologischen Kollaps enden.
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Michael Jacobs, The Green Economy: Environment, Sustainable Development and the Politics of the Future, London: Pluto Press, 1991.
Abbildung 1.6: Zwei weitere Planeten gesucht! Wenn alle auf der Welt wie wir in den Industrieländern leben würden, brauchten wir die Erde dreimal. Doch bis heute ist die Suche nach anderen fruchtbaren Planeten ergebnislos geblieben.
Die Einsicht, daß der heutige Lebensstil der Industrieländer nicht von allen imitiert werden kann, ist für viele bedrückend. Es ist nicht gerecht. Wird aber die herkömmliche Entwicklungspolitik fortgesetzt, ist dies gleichbedeutend mit der Einladung ins weltweite Ökochaos. Die Einsicht, daß nicht alle Menschen wie wir leben können, rechtfertigt nicht, daß die Armen arm bleiben sollen.
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Ratschläge der Nachhaltigkeitsexpertin Vreni Füssli Mit guten Gründen wird dem Konzept des ökologischen Fußabdrucks natürlich hier und da widersprochen. Wir haben daher Frau Vreni Füssli, eine Spezialtherapeutin für Fragen der Zukunftsfähigkeit, eingeladen, um uns beizustehen.
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Wir planen eine ökologisch und sozial sichere Zukunft Der Fußabdruck ist ein Werkzeuge das uns hilft, eine ökologisch und sozial sichere Zukunft vorzubereiten. Der Fußabdruck beschränkt sich nicht darauf, ökologische Übernutzung und ungerechte Verteilung nachzuweisen, sondern hilft auch Individuen und Institutionen, richtig zu entscheiden. Natürlich muß das Konzept weiterentwickelt werden, um alle seine Möglichkeiten in Wirtschaft, Politik und Verwaltung auszuschöpfen. Bereits heute gibt es mehr als zwei Dutzend Anwendungen, einige sind in Kapitel 3 beschrieben. So läßt sich der Fußabdruck in der Umwelterziehung (innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers) nut-
Abbildung 1.7: Die Qual der Wahl: An welcher Zukunft möchten Sie sich beteiligen – und wie erreichen wir sie?
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zen, bei Analysen von Kommunalprojekten und -Programmen, Politikund Technikfolgenabschätzungen, Umweltberichten oder Entwicklungsstudien. Kehren wir zurück zur Plexiglaskuppel. Wenn wir die gesamte Fläche unter der Kuppel, die zur Versorgung der Stadt nötig ist, betrachten, so wird folgendes deutlich: Die geographische Lage der Stadt stimmt nicht überein mit ihrem ökologischen Ort. Moderne Städte und Industrienationen hängen ab von einem riesigen Hinterland, das sich auf der ganzen Erde verteilen kann. Das Bild von der Stadt unter der Plexiglaskuppel macht deutlich, daß wir unsere negativen Einwirkungen auf die Natur einschränken müssen. Zu dieser Antwort kommen wir durch eine einfache Frage: Wie groß müßte die Kuppel sein, um den heutigen Konsum zu gewährleisten?
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2. Fußabdrücke und Zukunftsfähigkeit Über das Konzept der Zukunftsfähigkeit herrscht Verwirrung. Sie widerspiegelt Interessenkonflikte, aber auch Angst und Unsicherheit. In diesem Kapitel versuchen wir, die Verwirrung zu klären. Zukunftsfähigkeit mag ein sperriges Wort sein, doch das Konzept ist einfach.1 Die Zukunftsfähigkeitsdebatte: ein einfaches Konzept führt zu widersprüchlichen Strategien Seit den frühen sechziger Jahren mahnen immer mehr Dokumente und Studien, daß die Biosphäre erodiert. Die Liste der ökologischen Bedrohungen ist beeindruckend lang: Jährlich verwüsten 6 Millionen Hektar ökologisch produktives Land; 17 Millionen Hektar fallen der Entwaldung zum Opfer; die Bodenformation hält mit der Bodenerosion nicht mit, ein Humusverlust von jährlich 26 Milliarden Tonnen ist die Folge; Fischgründe brechen zusammen; Grundwasserspiegel senken sich, und in vielen Gegenden der Welt ist das Wasser verschmutzt; wenn man wissenschaftlichen Studien glauben darf, sterben pro Jahr mehr als 17 000 Arten aus; trotz Gegenmaßnahmen wird die stratosphärische Ozonschicht dünner; in den letzten hundert Jahren der Industrialisierung hat sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre um dreißig Prozent 1
Wieso das Wort „Zukunftsfähigkeit“? Als ein etwas umfassenderer Begriff als „sustainable development“ hat sich im englischen Sprachraum die Bezeichnung „sustainability“ durchgesetzt. Auf deutsch wird dies mit „Nachhaltigkeit“, „Dauerhaftigkeit“ (franz. „durabilite“), „Tragfähigkeit“ oder „Zukunftsfähigkeit“ übersetzt. „Zukunftsfähigkeit“ scheint uns der verständlichste Begriff zu sein, doch ist „Nachhaltigkeit“ mittlerweile der geläufigste. Vergleichen Sie dazu auch den vom Wuppertal Institut für den BUND und Misereor vorbereiteten Bericht „Zukunftsfähiges Deutschland“, Birkhäuser Verlag, Basel, 1996, Seiten 24 ff., oder Bernd Hamm und Ingo Neumanns Siedlungs-, Umwelt- und Planungssoziologie, Leske + Budrich, Opladen, 1996, Seiten 25-31.
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erhöht – zwei Drittel davon ist auf die Nutzung fossiler Energie seit dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen. Alle diese Entwicklungen sind durch Rohstoffübernutzung oder übermäßige Abfallbelastungen verursacht.2 Der Durchsatz an Energie und Materie in der menschlichen Wirtschaft hat das erträgliche Maß überschritten. Gleichzeitig aber können viele Menschen ihre grundlegenden Bedürfnisse nicht befriedigen. Ein Fünftel der Menschheit erhält weniger als 1,4 Prozent des weltweiten Einkommens und hat nicht genug zu essen. 500 Superreiche verfügen über 45 Prozent aller Vermögen der Erde. Während sich der Klub der Milliardäre in den letzten zehn Jahren verdreifacht hat, ist das Los der Armen noch bitterer geworden. Doch trennt uns nicht nur das Einkommen, sondern auch das Geschlecht und die Hautfarbe. Zum Beispiel saßen im Jahr 1990 nur auf 3,5 Prozent der Ministersessel der Welt Frauen. 93 Länder hatten keine Ministerin in ihrer Regierung.3 Und daß Popstar Michael Jackson weiß sein will, ist auch kein Zufall. Wegen dieser und anderer beunruhigender Gegensätze fordern seit einigen Jahrzehnten immer mehr Menschen, sozial und ökologisch verantwortungsbewußter zu handeln. Die Idee der zukunftsfähigen oder nachhaltigen Entwicklung wurde jedoch erst mit einem Bericht populär, den die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter Leitung der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland für die Vereinten Nationen verfaßt hat unter dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft“. Die Brundtland-Kommission hat Vorschläge entwickelt, um gleichzeitig Armut und übermäßigen Konsum zurückzudrängen. Sie spricht von einer zukunftsfähigen Entwicklung als neuem Weg: Die Bedürfnisse heutiger Generationen sollen befriedigt werden, ohne die Bedürfnisse künftiger Generationen zu beeinträchtigen. Diese Entwicklung muß die
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Ausführlichere Berichte zu diesen Themen finden sich in den jährlichen „State of the World“ und „Vital Signs“, New York: W. W. Norton, Berichten des Worldwatch Institute, die auf deutsch unter dem Titel „Zur Lage der Welt“ erscheinen, oder im zweijährlichen World-Resources-Dokument des World Resources Institute, New York: Oxford University Press zusammen mit der UNEP, der UNDP und der Weltbank; darin findet sich eine nützliche Zusammenfassung nationaler Statistiken. Worldwatch Institute, Vital Signs, New York: W.W. Norton, 1995
Biosphäre schützen und menschliches Leid heute und in der Zukunft verringern. Der ökologische Imperativ bedeutet, den Material- und Energiedurchsatz der Wirtschaft zu bremsen, der soziale Imperativ verlangt, die Lebensqualität der Armen zu verbessern. Die Reichen müssen den Armen einen größeren ökologischen Spielraum – gewissermaßen eine größere Plexiglaskuppel – gewähren, und die Gewinne wirtschaftlicher Expansion müssen vor allem jenen zufließen, die sie am nötigsten haben. Damit sind Gerechtigkeit und ökologische Stabilität offizielle Komponenten der Entwicklungspolitik geworden. Nachhaltige Entwicklung heißt, angenehm und sicher innerhalb der ökologischen Möglichkeiten der Natur zu leben. Obwohl dieses Konzept einleuchtet, gibt es darüber politischen Streit (Kasten 2.1). Einige leugnen die Existenz einer Nachhaltigkeitskrise, andere fürchten sich vor den Schritten, die wir einschlagen müßten, um zukunftsfähig zu werden.
Kasten 2.1: Zukunftsfähigkeit und nachhaltige Entwicklung* Die Notwendigkeit für die Menschen, gerecht innerhalb der Möglichkeiten der Natur zu leben, ist das verbindende Element fast aller Nachhaltigkeitsdefinitionen. Doch bleiben Widersprüche in der Interpretation dessen, was nachhaltige Entwicklung konkret bedeutet, sogar innerhalb des BrundtlandBerichts. Das liegt auch am sperrigen Begriff selbst. Viele setzen den Schwerpunkt auf „nachhaltig“ und streben eine Wende an hin zu einer Welt der ökologischen Stabilität und sozialen Gerechtigkeit. Andere legen mehr Gewicht auf „Entwicklung“ und haben ein umweltschonenderes Wirtschaftswachstum im Auge. Der Entwicklungsspezialist Sharachchandra Lele schreibt, daß diese unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs „nachhaltige Entwicklung“ nicht durch ungenügendes Verständnis zu erklären sind, sondern durch sich widersprechende Weltanschauungen und das Widerstreben vieler, die Herausforderungen der Nachhaltigkeit anzunehmen. Vage Definitionen, auch im Brundtland-Bericht, beruhen auf politischen Kräfteverhältnissen und sind Kompromisse. Der englische Entwicklungssoziologe Michael Redelift sagt, daß „die Wirklichkeit der nicht nachhaltigen Entwicklung weiter vorherrschen wird, wenn wir nicht gewillt sind, unsere Annahmen hinsichtlich der Bedeutung von Entwicklung und Umwelt zu hinterfragen und dann den daraus resultierenden Einsichten politischen Umsetzungsdruck geben“.
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Abbildung 2.1: Nachhaltige Nutzung: die Wassereimeranalogie. Stellen Sie sich einen Eimer vor, der von einem kontinuierlichen Wasserstrahl gefüllt wird. Das Wasser im Eimer entspricht dem Kapital. Es sollte nur so stark genutzt werden, wie sich der Eimer wieder füllt. Diese Nutzung ist dem nachhaltigen Einkommen des Eimers angepaßt. Bei der Natur ist es ähnlich, sie wird unablässig von der Sonne „gefüllt“: Photosynthese produziert Pflanzenmaterial. Dieses ist der Grundstoff des gesamten biologischen Kapitals. Auch nichtbiologische Prozesse wie der Wasserkreislauf oder das Klima werden von der Sonne angetrieben. Nachhaltigkeit bedingt, daß das Kapital der Natur nicht schneller aufgebraucht wird, als es sich wiederaufbaut (rechts). Doch haben Welthandel und Technologie der Menschheit erlaubt, die Natur wesentlich schneller auszubeuten, als sie sich regenerieren kann. Heute ist der menschliche Konsum größer als das natürliche Einkommen (die „Zinsen“ des Naturkapitals). Damit hinterlassen wir künftigen Generationen geschädigtes Naturkapital, das in seiner Produktivität weiter abnimmt – während die Bevölkerungszahl weiter wächst (links). (Diana Pámanes, nach Phil Testemale)
Inzwischen erkennen viele Menschen die soziale und ökologische Bedrohung als entscheidende Herausforderung der Menschheit. Dies ist der erste Schritt in eine sichere Zukunft. Nach wie vor allerdings verdrängen Manager und Politiker die ökologische Wirklichkeit aus ihrem Sichtfeld. Viele Politiker, Wirtschaftsleute und Wissenschaftler vertreten gar vehement die These, daß ungehindertes Wirtschaftswachstum der beste Weg zur Nachhaltigkeit sei. Kurz: Interessenkonflikte, die Konsumerwartungen einer wachsenden Weltbevölkerung, gegensätzliche Weltbilder, unvereinbare Analysen und Angst vor Neuem haben die Nachhaltigkeitsdebatte zu einem Verwirrspiel
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gemacht. Nicht alle Interpretationen können gleichermaßen gültig sein. Naiver Pluralismus macht uns gleichgültig. Wen wundert es angesichts dessen, daß kaum praktische Fortschritte erzielt werden? Annahmen und Fakten, auf die sich Interpretationen stützen, müssen immer wieder auf Logik und Wirklichkeitsbezug überprüft werden. * Nachhaltigkeitsdefinitionen finden sich in: Sharachchandra M. Lele, Sustainable Development: A Critical Review, World Development, Vol. 19, Nr. 6 (1991): 607-621; David Pearce, Anil Markandya und Edward Barbier, Blueprint for a Green Economy, London: Earthscan Publications, 1989; William E. Rees, Defining Sustainable Development, The University of British Columbia, Vancouver: Centre for Human Settlements Publication, 1989. Ebenfalls lesenswert ist Herman E. Daly, Elements of Environmental Macroeconomics, in: Robert Costanza (Hg.), Ecological Economics: The Science and Management of Sustainability, New York: Columbia University Press, 1991; Lester W. Milbrath, Envisioning a Sustainable Society: Learning Our Way Out, Albany, New York: State University of New York Press, 1989; Michael Redelift, Sustainable Development: Exploring its Contradictions, London: Methuen & Co., 1987.
Starke Zukunftsfähigkeit: die ökologische Grundbedingung für Nachhaltigkeit Solange die Erde das einzige Heim der Menschen bleibt, müssen wir innerhalb der produktiven Kapazität der Natur leben, um zukunftsfähig zu sein. Oder, in der Sprache der Ökonomie: Die Menschheit muß lernen, von den Zinsen des Naturkapitals zu leben. Das Naturkapital umfaßt alle Rohstoffe und Abfallsenken, die für die menschliche Aktivität benötigt werden, sowie die biophysikalischen Prozesse und ökologischen Beziehungen in der Biosphäre, die die lebenserhaltenden Funktionen sicherstellen (siehe dazu Kasten 2.2). Wenn wir mehr als die Zinsen unseres Naturkapitals konsumieren, verringern wir unser biophysikalisches Vermögen und untergraben unsere Zukunft. Wieviel Naturkapital ist genug? Sollen wir versuchen, das Naturkapital zu erhalten oder gar aufzustocken („starke Nachhaltigkeit“)? Oder sollen wir, wie viele Ökonomen argumentieren, damit zufrieden sein, das verlorene Naturkapital durch menschengemachtes 55
Kasten 2.2: Das Naturkapital* Das Naturkapital umfaßt alle Bereiche der Natur und ihrer Ökosysteme, die einen kontinuierlichen Güter- und Dienstleistungsstrom produzieren. Zum Beispiel kann ein Wald, ein Fischbestand oder eine Süßwasserquelle uns Jahr für Jahr Erträge einbringen. Wald, Fischbestand und Quelle sind Naturkapital, und ihre Erträge sind das natürliche Einkommen. Naturkapital schafft Dienstleistungen wie Abfallabsorption und Klimastabilität. Es verhindert übermäßige Bodenerosion oder Überschwemmungen und schützt vor ultravioletten Strahlen (auch die stratosphärische Ozonschicht ist Naturkapital). Da diese Funktionen oft von intakten Ökosystemen abhängen, gehören die Struktur und Vielfalt dieser Ökosysteme ebenfalls zum Naturkapital. Biologisch erneuerbare Naturgüter wie Tier- und Pflanzenarten oder Ökosysteme erhalten und regenerieren sich selbst dank der von Solarenergie gespeisten Photosynthese. Physikalisch erneuerbar sind zum Beispiel der Wind, das Oberflächen- und Grundwasser und die stratosphärische Ozonschicht. Nicht erneuerbare Formen von Naturkapital sind etwa Fossilenergien, Mineralien oder Erze. Mit jedem Gebrauch verkleinern sich ihre Vorräte. Die Atome dieser Ressourcen gehen beim Gebrauch nicht verloren, sondern werden zerstreut („dissipiert“), so daß sie für den Menschen nutzlos oder gar schädlich werden. Das Naturkapital der Erde ist weit mehr als nur eine Ansammlung industrieller Rohstoffe; es umfaßt auch die Biosphäre und strukturelle Beziehungen, deren Integrität unersetzlich ist, da sie die sich selbst regenerierenden Funktionen des Ökosystems Erde gewährleisten. * Nach: Robert Costanza und Herman E. Daly, Natural capital und sustainable development, in: Conservation Biology, Vol. 1 (1992): 37-45, und William E. Rees, Achieving Sustainability: Reform or Transformation?, in: Journal of Planning Literature, Vol. 9, Nr. 4 (1995).
Kapital von gleicher Menge oder gleichem Wert zu ersetzen („schwache Nachhaltigkeit“). Vergleichen Sie dazu Kasten 2.3. Natürlich kann Technologie Rohstoffe ersetzen. Ein Beispiel dafür sind die Mikrowellenübertragungen und optische Glasfasern, die den Kupferbedarf deutlich gesenkt haben. Aber in vielen Fällen ist ein Austausch nicht möglich. Naturkapital (wie zum Beispiel Wälder, Felder oder Fische) ist oft eine Voraussetzung für menschengemachtes Kapital 56
(wie zum Beispiel für Sägewerke, Erntemaschinen oder Fischerboote). Klimastabilität oder der Schutz vor ultravioletten Strahlen ist mit Hilfe der Technik nicht sicherzustellen. Schon heute reicht das Naturkapital nicht mehr aus, um auf lange Sicht ökologische Stabilität zu garantieren. Und es wird in immer höherer Geschwindigkeit abgebaut. Es ist angesichts dessen zu riskant, auf „Substitutionsstrategien“ zu setzen, selbst
Kasten 2.3: Starke oder schwache Nachhaltigkeit?* Viele Ökonomen denken, daß eine „schwache Nachhaltigkeit“ genügt. Aus dieser Sicht ist eine Gesellschaft dann zukunftsfähig, wenn ihr Gesamtkapital, also das menschengemachte plus das Naturkapital, nicht abnimmt. Es genügt demnach, Naturkapital durch menschengemachtes Kapital zu ersetzen. Der Verlust von Einkommen aus der Forstwirtschaft durch das Waldsterben zum Beispiel wäre demnach so lange nicht gravierend, wie die Einbußen durch Einkommen aus anderen Quellen ausgeglichen werden können. Im Gegensatz dazu unterstellt starke Nachhaltigkeit, daß viele ökologische und lebenserhaltende Funktionen des Waldes nicht wirtschaftlich verbucht werden, obwohl ihr Verlust mit großen Risiken verbunden wäre. So versorgt uns ein Wald nicht nur mit Holz, sondern schützt uns auch vor Erosion und Überschwemmungen, stabilisiert das Klima oder beherbergt einen Großteil der Tier- und Pflanzenwelt. Daher bedeutet starke Nachhaltigkeit, daß das Naturkapital nicht verringert wird, unabhängig von der Menge an menschengemachtem Kapital. Einige Autoren schlagen sogar vor, daß auch das menschengemachte Kapital mindestens konstant gehalten werden solle, um jeglichen Kapitalverlust zu vermeiden. Die Mängel des Konzepts der schwachen Nachhaltigkeit zeigt eine Studie, die David Pearce und Giles Atkinsons von der London School of Economics vorgelegt haben. Sie haben achtzehn Länder im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit klassifiziert und unterstellen dabei, daß menschengemachtes und Naturkapital austauschbar sind. Die Autoren sagen, daß „eine Volkswirtschaft nachhaltig ist, wenn sie (in Geld ausgedrückt) mehr spart, als ihr menschengemachtes und Naturkapital an Wert verlieren“. Japan, Holland und Costa Rica erscheinen in dieser Studie oben auf der Liste der zukunftsfähigen Länder, wohingegen die ärmsten Länder Afrikas am unteren Ende auftauchen. Die Studie ignoriert die Tatsache, daß ein Großteil der Vermögen der reichen Länder nur entstehen konnte, weil Naturkapital in armen Ländern
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verbraucht wurde. So beruht die wirtschaftliche Stärke Japans oder Hollands auch auf massiven Importen (vergleichen Sie dazu Kasten 3.5). Der hohe materielle Lebensstandard im reichen Norden geht einher mit einem gewaltigen ökologischen Defizit im Rest der Welt. Was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun? * Die Unterscheidung zwischen starker und schwacher Nachhaltigkeit haben David Pearce et al., a. a. O., sowie Herman Daly und John Cobb, For the Common Good, Boston: Beacon Press, 1989 vorgeschlagen. Dokumente, die die Nachhaltigkeitskrise abstreiten, erleben gerade einen Aufschwung, besonders die sogenannten Umweltoptimisten. Beispiele sind unter vielen anderen: Marcus Gee, Apocalypse Deferred: The End Isn’t Nigh, in: The Globe und Mail, 9. April 1994, Dl-3; Julian L. Simon und Herman Kahn, eds., The Resourceful Earth: A Response to Global 2000, New York: B. Blackwell, 1984. Eine Diskussion dieses Phänomens der sozialen Verdrängung ist in Andrew Rowell, Green Backlash, London: Routledge, 1996, zu finden. David Pearce und Giles Atkinsons Studie trägt den Titel „Capital Theory and the Measurement of Sustainable Development: An Indicator of ‘Weak’ Sustainability“, in: Ecological Economics, Vol. 8, Nr. 2 (1993): 103-108.
wenn die Bedingungen dafür ideal erscheinen. Es spricht also alles für das Konzept der starken Nachhaltigkeit. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und zunehmender Bedürfnisse müßte das Naturkapital sogar von Generation zu Generation aufgestockt werden. Diese Forderung mag radikal erscheinen, doch ist sie vollkommen anthropozentrisch (auf den Menschen orientiert) und funktionalistisch. Sie betont biophysikalische Minimalbedingungen für das menschliche Überleben, ohne das Überleben von Tier- und Pflanzenarten zu berücksichtigen. Wenn wir das menschliche Überleben sichern, schützen wir allerdings zahlreiche Ökosysteme und damit Teile von Flora und Fauna. Insofern bietet der Überlebensegoismus des Menschen Chancen, die Artenvielfalt und unberührte Naturgebiete zu erhalten. Das ist vermutlich der einzige Weg wenigstens zu schrittweisen Erfolgen. Würde die Menschheit sich aber zu einem ökozentrischen Weltbild – zum Schutz der Umwelt um ihrer selbst willen – durchringen, wären die Zukunftsperspektiven noch weit besser. So wichtig es ist, auf starke Nachhaltigkeit zu setzen, ökologische Grundbedingungen allein genügen nicht, um die Zukunftsfähigkeit zu 58
sichern. Es gibt auch sozialökonomische Minimalvoraussetzungen. Dazu zählt nicht zuletzt ein konstruktiver gesellschaftlicher Konsens. Kurzfristig ermöglicht er notwendige Maßnahmen, langfristig gewährleistet er geopolitische Stabilität. Eine nachhaltige Zukunft erfordert wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit. Dies nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen den Ländern der Welt (ein Ziel, von dem wir uns heute wegbewegen). Auch sollten wir uns verpflichten, unser gemeinsames ökologisches Erbe zu wahren, eine zentrale Idee, die im Stimmengewirr der internationalen Wettbewerbsrhetorik unterzugehen droht. Falls wir die genannten ökologischen und sozialen Bedingungen nicht erfüllen können, wird es uns kaum möglich sein, die erforderlichen weltweiten Veränderungen einzuleiten und die unausweichlichen Konflikte, die dabei entstehen, in humaner und kooperativer Weise zu lösen. Wie können die ökologischen und sozialen Grundbedingungen für eine nachhaltige Zukunft in die Praxis umgesetzt werden? Wir wollen diese Frage vorsichtig beantworten. Denn viele Gefahren von heute sind das Ergebnis vollmundig gepriesener technischer Allheilmittel von gestern. Leider hat die Technikgläubigkeit auch vor dem Bericht der Brundtland-Kommission nicht haltgemacht.
Die Vorschläge der Brundtland-Kommission Viele Kritiker haben festgestellt, daß die Lösungsvorschläge der Kommission der eigenen Nachhaltigkeitsdefinition widersprechen. Und interessanterweise hat die Kommission ihre Definition nicht sonderlich konsequent ausgelegt.4 „Unsere gemeinsame Zukunft“ spricht von „notwendigen Bedürfnissen der Ärmsten der Welt, denen die vorrangigste Aufmerksamkeit geschenkt werden muß“. Der Bericht sagt außerdem, daß uns „durch den Stand der Technik und die soziale Organisation der Umwelt Grenzen gesetzt sind, inwieweit sie [die Umwelt] diese Bedürfnisse befriedigen kann“.
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Die folgenden Zitate sind aus dem Bericht der Brundtland-Kommission „Our Common Future“, S. 43, 9, 89, 213 und 65.
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Das liest sich gut. Die Anerkennung globaler sozialer Ungerechtigkeit und die Skepsis gegenüber dem Wirtschaftswachstum haben der Kommission die Unterstützung vieler Umweltgruppen in Nord und Süd eingebracht. Aber auch die Vorstandsetagen hatten Grund zur Freude. Denn der Bericht erklärt, daß „nachhaltige Entwicklung nicht ein starres Gleichgewicht, sondern eher ein Prozeß des Wandels ist, in welchem die Ausbeutung von Rohstoffen, die Orientierung der technologischen Entwicklung und die institutionellen Veränderungen mit heutigen und zukünftigen Bedürfnissen vereinbar gemacht werden“. Ein genaueres Lesen des Dokuments zeigt gar, daß die Kommission nur soziale und technische Grenzen anerkennt. Nachhaltige Entwicklung hänge ab von breiter Beteiligung bei politischen Entscheidungen, neuen Formen der multilateralen Zusammenarbeit, dem Ausbau und dem Teilen neuer Technologien, mehr internationalen Investitionen, der Verstärkung der Rolle multinationaler Konsortien, der Beseitigung „künstlicher“ Wirtschaftsschranken und der Entfaltung des Welthandels. Die Brundtland-Kommission setzt nachhaltige Entwicklung gleich mit „noch schnellerem Wirtschaftswachstum in Industrie- und Entwicklungsländern“. Sie begründet diese These mit dem Argument, daß „Wirtschaftswachstum und Diversifizierung (...) Entwicklungsländern helfen werden, den Druck von den ländlichen Regionen zu nehmen“. Zu dieser Sicht der Dinge paßt die Prognose, daß „eine Verfünf- bis Verzehnfachung der heutigen Industrieproduktion später im nächsten Jahrhundert, wenn sich die Weltbevölkerung in ihrer Zahl stabilisiert hat, erwartet werden kann“. Dies mag als übertriebenes Wachstum erscheinen, doch entspricht es nur einer jährlichen Expansionsrate von 3,2 bis 4,6 Prozent für die nächsten fünfzig Jahre. Ein Wachstum in dieser Größenordnung hat seit dem Zweiten Weltkrieg die Industrieproduktion verfünffacht. Der Bericht der Kommission äußert sich nicht zu der Frage, ob das angepeilte Wirtschaftswachstum biophysikalisch möglich, geschweige denn nachhaltig ist. Genausowenig analysiert er die Ursachen der Armut und der weltweiten Ungerechtigkeit. Auch die Gefahren, die aus der Liberalisierung des Handels und der weiteren Steigerung der Produktionseffizienz erwachsen, werden nicht erwähnt (vergleichen Sie dazu Kapitel 4). 60
Aus den genannten Gründen haben viele Kritiker der BrundtlandKommission deren wachstumsorientierte Interpretation der nachhaltigen Entwicklung als bedrohlich empfunden, „da ihre Bedeutung von einflußreichen Kräften umgedreht wurde, um viele der zerstörerischsten Aspekte der Wachstumsphilosophie, als etwas Neues maskiert, weiterleben zu lassen“. Andere haben die Bestimmung des Begriffs „nachhaltige Entwicklung“ durch die Kommission verurteilt, weil „diese gefährlichen Worte nun dazu benutzt werden, dasselbe alte ökonomische Denken zu verdecken, das unbegrenzten Konsum predigt und in seinem Kreuzzug immer mehr Land in glorreiche Golfplätze, tödliche außerstädtische Gettos und grundwasserbedrohende Abfalldeponien umwandelt“.5 Die Brundtland-Kommission hat so erheblich zur Verwirrung beigetragen. In der heutigen wachstumsorientierten Welt ist das, was politisch machbar ist, ökologisch verheerend, und das, was ökologisch notwendig ist, politisch unmöglich. Zukunftsfähige Strategien müssen versuchen, den ökologischen Nutzen mit dem politisch Möglichen zu verbinden. Dabei kann der ökologische Fußabdruck eine große Rolle spielen. Mit seiner Hilfe ist es möglich, Bewußtsein zu bilden, ein gemeinsames Verständnis der Herausforderungen und Bedrohungen zu entwickeln und die Folgen von Lösungsvorschlägen abzuschätzen. So kann der ökologische Fußabdruck dazu beitragen, starke Nachhaltigkeit in konkrete Handlungen umzusetzen. Den Fortschritt in Richtung Zukunftsfähigkeit messen Wie läßt sich das Konzept der starken Nachhaltigkeit durchsetzen? Das hängt auch davon ab, ob es ein sinnvolles Meßinstrument gibt, das den Bedarf einer Volkswirtschaft an Naturkapital feststellen kann: Genügt die biologische Produktivität der Natur, um den heutigen und den zu erwartenden Konsum der Menschheit dauerhaft zu decken? So wichtig diese Frage ist, so erstaunlich ist es, daß Politiker und Wissenschaftler sie systematisch ignorieren. 5
Duncan M. Taylor, Disagreeing on the Basics: Environmental Debates Reflect Competing Worldviews, in: Alternatives, Vol. 18, Nr. 3 (1992): 26-33; A. Nikiforuk, Deconstructing Ecobabble: Notes on an Attempted Corporate Takeover, in: This Magazine, Vol. 24, Nr. 3 (1990): 12-18.
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Abbildung 2.2: Ist die Welt eine Scheibe oder eine Kugel? Die konventionellen Wirtschaftswissenschaften sehen in ihren abstrakten Modellen die Welt als eine unendlich ausdehnbare Scheibe: in welche Richtung wir auch schauen, viel Platz für Wirtschaftswachstum. Demgegenüber sieht die ökologische Wirtschaftswissenschaft die Erde als eine begrenzte Kugel. Alle Ressourcen stammen von der Erde und kommen als Abfall wieder zu ihr zurück. Das einzige „Einkommen“ ist das Sonnenlicht, das alle Materialkreisläufe und das Netz des Lebens in Gang hält. Wirtschaftsaktivität wird daher letztlich beschränkt durch die Regenerationsfähigkeit der Biosphäre. Vielleicht sollten wir 2400 Jahre nach den pythagoräischen Gelehrten und 500 Jahre nach Kolumbus’ praktischer Erfahrung auch in den Wirtschaftswissenschaften akzeptieren, daß die Erde eine endliche Kugel ist.
Eine Schwierigkeit besteht darin: Herkömmliche ökonomische Modelle gehen davon aus, daß die Produktionsfaktoren (wie Arbeit, Kapital und Information) sich gegenseitig nahezu perfekt ersetzen können und daß sich die Produktion erhöht, wenn jeder Faktor intensiver genutzt wird. Auch wird angenommen, daß Handel jede Ressourcenbegrenzung überwinden kann. In dieser Vision trägt die Welt jede erdenkliche Belastung. Eine andere Schwierigkeit ist, daß üblicherweise lediglich die Güterund Geldkreisläufe zwischen Haushalten und Firmen analysiert werden; 62
so wird bekanntlich auch das Bruttosozialprodukt errechnet. Die Natur, die aus ihr stammenden Einkommen und die entsprechenden energetischen und materiellen Prozesse kommen in dieser Analyse nicht vor (Abbildung 2.3). Das Verständnis dieser ökologischen Prozesse ist aber maßgebend für eine umfassendere Betrachtungsweise (Abbildung 2.4). Vor allem ignorieren die konventionellen Modelle den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (das Entropiegesetz), wonach auch durch Wirtschaftstätigkeit Energie zwar nicht vernichtet, aber von einem brauchbaren in einen unbrauchbaren Zustand überführt wird. Sie wird „dissipiert“. Oft widersprechen Aussagen der herrschenden Volkswirt-
Abbildung 2.3: Die ökonomische Perspektive: die Kreisläufe der Volkswirtschaft. Konventionelle Wirtschaftswissenschaften legen in ihrer Theorie viel Gewicht auf die scheinbar sich selbst antreibenden Kreisläufe von Geld und Waren zwischen Unternehmen und Haushalten – die Wirtschaft als Perpetuum mobile. Dabei wird aber nicht nur die Aktivität der informellen Ökonomie wie Haushaltsarbeiten oder Nachbarschaftshilfe vergessen, sondern auch die ökologischen Funktionen wie Material- und Energieströme, von denen die Wirtschaft abhängt. (Iliana Pámanes, nach Phil Testemale)
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Kasten 2.4: Das Entropiegesetz und das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (der Entropiesatz) besagt, daß die Entropie (oder Unordnung) in einem abgeschlossenen System zunimmt. Entropie kann als Maß dafür betrachtet werden, wie nahe sich ein System am Gleichgewicht befindet. Jedes System, das nicht von außen versorgt wird, nähert sich dem thermodynamischen Gleichgewicht. Es erreicht schließlich den unumkehrbaren Zustand der Unordnung. Das Entropiegesetz ist für unsere Betrachtung von großer Bedeutung, und zwar aus folgenden Gründen*: –
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Nicht abgeschlossene Systeme, wie der menschliche Körper oder eine Volkswirtschaft, sind ebenfalls den Kräften des entropischen Zerfalls unterworfen. Daher müssen sie stets hochwertige Energie und wohlgeordnete, konzentrierte Materie von außerhalb zuführen. Energie und Materie geben sie nach dem Gebrauch wieder ab als Abwärme und weniger geordnete Materie. Nur so können nicht abgeschlossene Systeme ihre Ordnung und Integrität aufrechterhalten. Für alle praktischen Anwendungen ist dieser Durchsatz an Energie und Materie irreversibel. Alle hochstrukturierten und weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernten Systeme erhalten oder entwickeln sich auf Kosten zunehmender Unordnung und abnehmender verfügbarer Energie in den sie umgebenden Systemen. Eine Volkswirtschaft ist ein solch hochstrukturiertes System, und es ist abhängig von der Produktion von Energie und Materie mit geringer Entropie („Exergie“) in seiner Umgebung. Ab einem bestimmten Punkt können Bevölkerung und menschengemachtes Kapital nur wachsen auf Kosten größerer Unordnung (oder Entropie) in der Biosphäre. Der Punkt ist erreicht, wenn der Ressourcenverbrauch der Wirtschaft die Produktion der Natur übersteigt.
* Vergleiche dazu E. D. Schneider und J. J. Kay, Life as a Manifestation of the Second Law of Thermodynamics, Mathl. Comput. Modelling, Vol. 19, Nr. 6-8 (1994): 25-48.
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Abbildung 2.4: Die ökologische Sicht der Wirtschaft: Die Wirtschaftskreisläufe werden durch ökologische Massen- und Energieströme (das „natürliche Einkommen“) angetrieben, die von der Biosphäre durch die Humansphäre wieder zurück in die Biosphäre fließen. Alle verfügbare Energie und ein Großteil der Massendurchsätze dissipiert für immer in die „Umwelt“. (Iliana Pámanes, nach Phil Testemale)
schaftslehre diesem Naturgesetz: Die klassische Ökonomie betrachtet die Wirtschaft als Perpetuum mobile und nicht als eine komplexe „dissipative Struktur“, die in der Biosphäre eingebettet ist und stetig von ihr versorgt wird (Kasten 2.4 gibt eine ausführlichere Erklärung). Ökologische und thermodynamische Zusammenhänge sind dieser Volkswirtschaftslehre fremd. Das ist genauso, als würde ein Arzt bei seinen Patienten nur den Blutkreislauf untersuchen, aber nicht den Verdauungstrakt, also den Ressourcenstrom durch den Menschen.6 Diesem Arzt würde man zu Recht wenigstens Fahrlässigkeit vorwerfen. Energie, Material und andere Formen natürlichen Einkommens können entweder in physikalischen Einheiten oder in Geld gemessen 6
Herman Daly, The Perils of Free Trade, in: Scientific American, Vol. 269, Nr. 5 (Nov. 1993): 50-57.
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werden. Physikalisch wird das Naturkapital oder werden Einkommen aus Naturkapital in Einheiten wie Kilogramm, Meter, Sekunde oder Kombinationen daraus erfaßt. Die Geldeinheiten hingegen geben den heutigen Wert ökologischer Leistungen oder des Naturkapitals an. Viele öffentliche und private Aufgaben wären nicht zu erfüllen, wenn keine Preise für ökologische Leistungen oder das Naturkapital bestimmt würden. Kein Haushaltsplan wäre ohne dies möglich. Dennoch sind Finanzanalysen nicht in der Lage, zukunftsfähige Entscheidungen vorzubereiten (siehe auch Abbildung 2.5). Und dies aus folgenden Gründen7:
1. Monetäre Indikatoren, wie der Marktwert, erfassen Verluste an Naturkapital nur selten. Einige Ökonomen erklären, daß das Naturkapital so lange erhalten bleibe, wie sein Marktwert – oder auch der Wert des Einkommens, den es produziere – mehr oder weniger gleich bleibe. Gemäß der neoklassischen Theorie steigen die Grenzkosten von knapp werdenden Ressourcen. Aber aufgepaßt: So können steigende Preise den Wert des Naturkapitals insgesamt unverändert lassen, während es physikalisch schrumpft. Denkbar ist auch, daß die Preise fallen (und damit einen Rohstoffüberfluß andeuten), während Naturkapital schnell abgebaut wird, weil Marktfaktoren oder effizientere Technologien die Preise drücken, wie es zum Beispiel bei den Fossilenergien geschehen ist. In beiden Fällen verschleiern die Marktpreise, daß Naturkapital schwindet. 7
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Referenzen und weiterführende Literatur dazu umfassen: Herman E. Daly und Kenneth N. Townsend, (ed.), Valuing the Earth: Economics, Ecology, Ethics, Cambridge, MA: The MIT Press, 1993; Charles A.S. Hall, Economic Development or Developing Economics: What Are Our Priorities, in: Mohan K. Wali, Ecosystem Rehabilitation, Volume 1: Policy Issues, The Hague, the Netherlands: SPB Academic Publishing, 1992; Colin, Price, Time, Discounting und Value, Oxford: Blackwell Publishers, 1993; Andrew Stirling, Environmental Valuation: How Much is the Emperor Wearing?, in: The Ecologist, Vol. 23, Nr. 3 (1993): 97-103; Arild Vatn und Daniel W. Bromley, Choices without Prices without Apologies, in: Journal of Environmental Economics und Management, Nr. 26 (1994): 129-148; Ulrich Hampicke, Neoklassik und Zeitpräferenz: Der Diskontierungsnebel, in: Frank Beckenbachs, Die ökologische Herausforderung der ökonomischen Theorie, Marburg, Metropolis Verlag, 1991.
2. Die Börsenkurse von Rohstoffen oder kommerziellen Energien sagen ebensowenig aus über die Größe des Naturkapitals. Auch nichts darüber, wo die kritische Minimalgröße von Vorräten liegt, unterhalb der sich Naturkapital nicht mehr erholen kann, oder wie nahe wir schon an dieser Grenze sind. Kurse und Preise geben keine Auskunft darüber, wie groß das Naturkapital oder wie stark angeschlagen ein System ist. Sie zeigen lediglich an, ob ein Produkt gerade knapp ist auf dem Markt oder nicht. Marktknappheit aber wird von vielen nichtökologischen Faktoren bestimmt wie von der momentanen Nachfrage, der Ernte-, Produktions- und Verteilungstechnologie, der Wettbewerbsintensität oder der Verfügbarkeit von Ersatzrohstoffen. Zum Beispiel befähigen Subventionen, niedrige Brennstoffkosten und hochtechnisierte Schiffe die Fischer, bis dahin unzugängliche Fischgründe bis zu deren Erschöpfung auszubeuten – wie dies etwa mit dem Kabeljau im Nordatlantik passiert ist. Das Marktangebot (und die verhältnismäßig niedrigen Preise) können bis zum Kollaps der Fischbestände aufrechterhalten werden. Die zunehmende ökologische Knappheit erschwert das Geschäft der supereffizienten Fischdampfer zunächst nicht sonderlich, da ihre Erträge mehr durch Fangquoten als durch Fangkapazitäten bestimmt werden. Auch müssen Fischpreise mit den Preisen für andere Nahrungsmittel konkurrieren: Solange Schweine- und Hühnerfleisch billig bleiben, schießen die Fischpreise nicht in den Himmel, nicht einmal im Fall eines Fischereikollapses. Jeder vorstellbare Nutzen des Marktpreises als Indikator für ökologische Knappheit wird schließlich zunichte gemacht durch die Tatsache, daß sich komplexe Systeme nicht vorhersehbar entwickeln. Die einfachen Modelle der Ökonomen sind wirklichkeitsfremd. Sie gehen aus von gleichförmigen, vorausberechenbaren Systemänderungen. In der Realität aber unterliegen komplexe Systeme plötzlichen Veränderungen oder auch Verzögerungen. Darauf können Marktpreise nicht angemessen reagieren. 3. Finanzanalysen gehen von einem Wertverlust in der Zukunft aus, denn Menschen ziehen das Heute dem Morgen vor. Je größer der Zeitabstand ist, desto geringer erscheint der Wert des Naturkapitals.8 Leben hängt aber von ökologischer Permanenz ab: Soweit wir wissen, werden zukünftige Generationen pro Kopf ähnliche 67
Mengen ökologischer Güter und Funktionen benötigen, was auch immer deren gegenwärtiger und zukünftiger Geldwert sein mag. Dennoch opfern wir weiterhin Natur für unsere heutigen Entwicklungsprojekte, um kurzfristige Gewinne zu erzielen. Ein Beispiel: Wenn wir auf landwirtschaftlich nutzbarem Land einen Supermarkt bauen, setzen wir voraus, daß der Gewinn, den uns dieser Supermarkt einbringen wird, den Verlust an ökologischer Produktivität und dem entsprechenden Marktwert mehr als ausgleichen wird. Doch diese Annahme ist riskant. Nicht nur, daß die Erwartung, Gewinn aus menschengemachtem Kapital (hier des Supermarkts) zu ziehen, oft genug eine trügerische Sache ist. Noch weniger wissen wir über die Nahrungsmittelnachfrage der Zukunft: Wie dienlich wären die Produkte und ökologischen Dienstleistungen gewesen, die auf der für den Supermarkt betonierten Fläche hätten angebaut werden können? Die Nützlichkeit des Naturkapitals für das Leben der Menschen wird mit großer Wahrscheinlichkeit schneller zunehmen als die des menschengemachten Kapitals. Dies wird sich spätestens dann zeigen, wenn die Zeichen des ökologischen Zusammenbruchs deutlicher werden. 4. Die Nützlichkeit von monetären Indikatoren wird auch durch die unvermeidbaren Marktschwankungen eingeschränkt: Dabei bewegen sich zwar die Marktpreise des Naturkapitals mit, aber seinen ökologischen Wert oder seine Integrität berührt dies nicht. Preisschwankungen auf dem Weltmarkt gehen in der Regel nicht auf örtliche Umstände zurück, beeinflussen aber die relative ökonomische Stärke von Regionen und damit den monetären Wert von regionalem Naturkapital. Die Geldflüsse auf den Weltmärkten können daher die Bewirtschaftung von Naturkapital, wie etwa landwirtschaftlichen Nutzflächen, stark beeinflussen, wobei aber die Produk-
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In der Tat sind uns Dinge in der Zukunft weniger wert als in der Gegenwart. Bei einem Bankzins von 5 Prozent pro Jahr erwächst aus 2,5 Pfennig binnen 76 Jahren 1 Mark. Obwohl die Mark von morgen vierzigmal mehr wird kaufen können als die heutigen 2,5 Pfennige, geben wir sie genauso leicht weg wie die Pfennige. Das Naturkapital der Zukunft ist um so weniger wert, je weiter es in der Zukunft liegt.
tivität des Naturkapitals und sein potentieller Beitrag zu langfristiger Lebensmittelsicherheit unverändert bleibt. 5. Geldwerte unterscheiden nicht zwischen nicht ersetzbaren und komplementären Gütern. Besonders in Bilanzen und bei der Budgetplanung werden Beträge unabhängig davon abgezogen und dazugezählt, ob sie unentbehrlich oder ersetzbar sind. Ein Posten von einer Mark wird immer gleich bewertet, egal ob er lebenswichtig, unbedeutend oder zerstörerisch ist. Viele Waren und Leistungen der Natur sind unverzichtbar für das menschliche Leben und daher nicht mit beliebigen Industrieprodukten vergleichbar, auch wenn sie auf dem Markt gleich viel kosten. 6. Die Geldmenge kann theoretisch unbeschränkt wachsen. Dies verschleiert die oft verdrängte Wahrheit, daß es biophysikalische Grenzen des Wirtschaftswachstums gibt. Um Herman Dalys Metapher zu benutzen, erkennen Finanzanalytiker die Marke auf dem Schiffsrumpf nicht, welche die maximale Ladungskapazität anzeigt. Irgendwann wird das Schiff überladen sein und sinken, obwohl alles im Lot ist, folgt man den Regeln der reinen Lehre. 7. Vielleicht der gewichtigste Einwand gegen die Reduktion aufs Geld ist, daß es keine Märkte gibt für kritisches Naturkapital und seine lebenserhaltenden Funktionen. Man denke nur an die Ozonschicht, den Stickstoffkreislauf, die weltweiten Wasserkreisläufe und Meeresströmungen oder an die Klimastabilität. Viele Naturschutzbemühungen konzentrieren sich auf marktfähige Gebrauchsartikel wie Holz oder Holzfaser. Es fällt dagegen schwer, immaterielle (und vielleicht wichtigere) Funktionen des Naturkapitals in die ökonomischen Gleichungen einzubeziehen, wie etwa das Zusammenspiel der verschiedenen Arten im Ökosystem Wald. Oft genug kollidiert die vermeintlich nachhaltige Holzwirtschaft (es wird nicht mehr gefällt, als nachwächst) mit der Notwendigkeit, das Ökosystem Wald intakt zu halten. Obwohl eine Menge von Fakten und Argumenten gegen monetäre Nachhaltigkeitsindikatoren spricht, wollen Ökonomen mehr denn je „der Natur einen Preis geben“. Aber gerade sie sollten wissen, daß diese Rechnung viel zu viele Unbekannte hat. Preise und Kosten ignorieren die Grundbedingungen ökologischer Nachhaltigkeit. Sie können biophy69
Abbildung 2.5: Geld blendet. Wenn wir die Welt in Geldeinheiten messen, werden wir blind für die ökologischen Bedingungen der Nachhaltigkeit. Erkennen wir den beschränkten Nutzen von Geldanalysen für die Nachhaltigkeit, so sehen wir auch die Unzulänglichkeit des „schwachen Nachhaltigkeitskonzepts“. Es geht davon aus, daß Naturkapital durch menschengemachtes Kapital ersetzbar ist. Es erlaubt also, daß Naturkapital, von dem wir in so fundamentaler Weise abhängen, aufgebraucht wird. Daher ist der alternative Ansatz vorzuziehen, unser Naturkapital in ökologischen oder biophysikalischen Einheiten zu messen. (Diana Pámanes, nach Phil Testemale)
sikalische Knappheit, soziale Gerechtigkeit, ökologische Kontinuität und andere lebenswichtige Aspekte nicht erfassen.
Was wir von der Ökologie lernen können: wie viele Menschen trägt die Erde? Ist es sinnvoll, von einer Tragfähigkeit der Erde für den Menschen zu sprechen? Beim Großwild wird ökologische Tragfähigkeit als die höchste Bevölkerungszahl definiert, die dauerhaft in einem Revier leben kann, ohne dessen Produktivität zu beeinträchtigen. Kleinere Populationen nehmen zu, weil das Futterangebot reichhaltig ist. Zu große Populationen schrumpfen, weil es zuwenig Nahrung gibt. Kommt eine Tierart in ein futterreiches Revier, so wächst sie derart schnell, daß sie schließlich die Tragfähigkeit des Reviers überschreitet – sie frißt das Revier kahl. Damit zerstört sie die eigene Lebensgrundlage, und ihr Bestand verringert sich schlagartig. Solches „Invasionsverhalten“ zeigt sich nicht nur bei Großwild, sondern auch bei Hefe, die mit frischem Zucker versorgt wird. Und wie sieht es beim Menschen aus? Wir können die uns nützliche ökologische Produktivität erhöhen, indem wir Tier- und Pflanzenarten zurückdrängen, örtlich knappe Ressourcen einführen und Technologien 70
Abbildung 2.6: Ökologische Tragfähigkeit wird von Biologen gewöhnlich als die maximale Population einer Tierart definiert, die ein gegebenes Habitat langfristig am Leben erhalten kann.
einsetzen. Manche behaupten daher, daß es beim Menschen keine Grenzen der ökologischen Tragfähigkeit gebe. Dies ist ein tragischer Irrtum, denn das Überschreiten der ökologischen Tragfähigkeit kann bald die wichtigste Frage sein, mit der die Menschheit sich jemals auseinandersetzen mußte. Die Gefahr wird deutlich, wenn wir Tragfähigkeit bestimmen als die höchste „Ladung“ oder „Last“, die der Mensch langfristig der Biosphäre ohne Risiko auferlegen kann, wie William Catton es vorschlägt. Es geht also nicht nur um die Bevölkerungszahl, sondern auch um den Pro-Kopf-Naturverbrauch. Der Naturverbrauch nimmt sogar schneller zu, als die Bevölkerungszahl wächst – gerade wegen der Handelsbeziehungen und des technologischen Fortschritts. Catton sagt, daß „die Welt aufgefordert ist, nicht nur mehr Menschen, sondern auch ‘schwerere’ Menschen unterzubringen“.9 Im Ergebnis steigt der ökologische Druck schneller, als dies die dramatischen Bevölkerungszahlen allein andeuten. Der Naturverbrauch übertrifft längst das natürliche Einkommen. 71
Ökologische Nachhaltigkeit ist nur möglich, wenn Wirtschafts- und Finanzanalysen auf ökologischen und biophysikalischen Daten aufbauen. Die grundlegende Frage für eine ökologisch orientierte Ökonomie ist, ob die Tier- und Pflanzenpopulationen, die Ökosysteme und deren biophysikalische Prozesse sowie die abfallabsorbierende Kapazität der Biosphäre die ökologische Last der menschlichen Ökonomie im nächsten Jahrhundert tragen können, ohne daß die lebenserhaltenden Funktionen der Biosphäre gefährdet werden. Das ist eine überlebenswichtige Frage, und dennoch wird sie in konventionellen Analysen ignoriert.10 Kasten 2.5: Eine kurze Ideengeschichte des Konzepts der ökologischen Tragfähigkeit der Menschen auf der Erde* In der Kultur der mündlichen Überlieferungen ist die Beziehung der Menschen zum Land, von dem sie leben, schon seit Abertausenden von Jahren Gegenstand vieler Geschichten. Bereits frühe chinesische Denker und christliche Philosophen haben sich Gedanken gemacht über die Zerstörung von Lebensräumen. Plato war vielleicht der erste, der sich schriftlich zur ökologischen Tragfähigkeit des Menschen geäußert hat. Im fünften Buch seiner „Gesetze“ steht, daß „die geeignete Zahl der Bürger nicht ohne Berücksichtigung des eigenen Landes und das der Nachbarstaaten festgesetzt werden kann. Das Land muß groß genug sein, um eine gegebene Zahl von Menschen in bescheidendem Wohlstand erhalten zu können. Und kein Fuß mehr ist nötig.“ Zu den ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen gehört John Evelyns Buch „Sylva: A Discourse of Forest, Trees and the Propagation of Timber“ (Sylva: Eine Abhandlung über Wald, Bäume und die Vermehrung von Holz), das 1664 in England erschienen ist. Im deutschen Sprachraum mag es ähnlich alte Dokumente geben, jedenfalls stammt aus dieser Zeit das Wort „nachhaltig“; es bezog sich zunächst nur auf die Waldnutzung. In den USA hat 200 Jahre später George Perkins Marshs Studie „Man and Nature“ die erste wissenschaftliche Debatte provoziert über die Frage, ob die begrenzte Kapazität der Natur die menschliche Nachfrage befriedigen könne.
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William Catton, Carrying Capacity and the Limits to Freedom, für den XI. World Congress of Sociology, New Delhi, India, 18. August 1986. William E. Rees, Achieving Sustainability: Reform or Transformation?, Journal of Planning Literature, Vol. 9, Nr. 4: 343-361 (1995); Revisiting Carrying Capacity: Area-based Indicators of Sustainability, Population & Environment, Vol. 21: 224-30 (1996).
Die ökologische Buchhaltung, die Grundlage für die Bestimmung der Tragfähigkeit, gibt es seit 1758. In diesem Jahr ist François Quesnays Werk „Tableau Économique“ erschienen, in dem der französische Ökonom das Verhältnis zwischen Landproduktivität und industrieller Wertschöpfung erörtert. Seither haben viele Forscher weitere Konzepte und Buchhaltungssysteme entwickelt, um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur darzustellen. Einige von ihnen haben die Energieströme untersucht, die notwendig sind, um die menschliche Aktivität zu gewährleisten. So hat Stanley Jevons 1865 in seinem Buch „The Coal Question“ (Die Kohlenfrage) analysiert, wie die Energieressourcen dazu beitragen, die Wirtschaftskapazität des britischen Königreichs zu erhalten. Im späteren 19. Jahrhundert legten Serhii Podolinsky und Eduard Sacher die ersten landwirtschaftlichen Energiestudien vor, in denen sie den Energieeinsatz in der Produktion mit dem Energiewert der Ernte verglichen. In den folgenden Jahrzehnten begannen die bekannten Physiker Rudolf Clausius und Ludwig Boltzmann, später auch der Chemienobelpreisträger Frederick Soddy, die Bedeutung des Entropiegesetzes für die Wirtschaftsentwicklung zu untersuchen. Alfred Lotka führte in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Energiestudien in die Biologie ein, und in den siebziger Jahren hat der Wirtschaftswissenschaftler Nicholas Georgescu-Roegen die Ökonomie unter Beihilfe der thermodynamischen Hauptsätze neu gedeutet. Andere haben explizit die ökologische Tragfähigkeit der Erde für den Menschen untersucht. So hat der Pfarrer Thomas Malthus 1798 mit seinem „Essay on the Principles of Population as it Affects the Future Improvement of Society“ (Essay über die Bevölkerungsprinzipien, und wie sie den zukünftigen Wohlstand der Gesellschaft beeinflussen) eine Diskussion über die Frage ausgelöst, wie eine scheinbar begrenzte Landwirtschaft immer mehr Menschen ernähren könne. Doch hat er für seine Forderung, die Bevölkerungszahl zu stabilisieren, harsche Kritik geerntet. Auch der ökologische Fußabdruck hat geistige Vorläufer. Im Buch von Stanley Jevons etwa heißt es, daß „die großen Flächen Nordamerikas und Rußlands unsere [britischen] Maisfelder sind; Chicago und Odessa unsere Kornkammern; Kanada und die baltischen Staaten sind unsere Holzproduzenten; Australasien enthält unsere Schafherden; Argentinien und die westliche Prärie Nordamerikas weiden unsere Ochsen; Peru sendet uns sein Silber, und das Gold Südafrikas und Australiens fließt nach London; die Hindus und die Chinesen produzieren Tee für uns, und unsere Kaffee-, Zucker- und Gewürzplantagen sind in Ost- und Westindien; Spanien und Frankreich sind unsere Weinfelder und die Mittelmeerländer unsere Frucht-
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gärten, und die Baumwollfelder, die lange den Süden der Vereinigten Staaten bedeckt hatten, weiten sich nun in allen warnten Regionen der Erde aus. „ Knapp vierzig Jahre später, 1902, berechnete der österreichische Physiker Leopold Pfaundler die ökologische Tragfähigkeit der Erde. Er glaubte, daß ein Hektar Land maximal fünf Menschen ernähren könne. In Nordamerika haben sich William Vogt (1948) und Fairfield Osborn (1953) geäußert. G. Borgstrom hat in den sechziger und frühen siebziger Jahren den Rohstoffkonsum im Hinblick auf die sogenannten „Geisterflächen“ untersucht, also auf jene landwirtschaftlichen Nutzflächen im Ausland, deren Produkte eingefühlt werden. William Rees hat in den siebziger Jahren das Modell der „regionalen Kuppel“ erdacht, den direkten Vorläufer des ökologischen Fußabdrucks. Damit wollte er seinen Studenten helfen, über die ökologische Tragfähigkeit des Menschen nachzudenken. 1980 hat der Soziologe William Catton mit seiner Overshoot-These eine neue Dimension in der Tragfähigkeitsdebatte erschlossen. G. Higgins und seine Mitarbeiter veröffentlichten 1983 einen technischen Report für die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), in dem untersucht wird, welche Möglichkeiten die Länder des Südens haben, ihre Bevölkerung aus der eigenen Landwirtschaft zu ernähren. 1985 empfahl Ragnar Overby, damals Mitarbeiter der Weltbank, Volkswirtschaften im Hinblick darauf zu vergleichen, wie sie die ökologische Tragfähigkeit belasten. M. A. Harwell und T. C. Huchinson berechneten 1986, wie groß die Verluste an ökologischer Tragfähigkeit durch einen Atomkrieg sein können. Mittlerweile haben die „Friends of the Earth“, eine international tätige Ökogruppe, das Konzept des „Umweltraums“ entwickelt. Dieser Ansatz folgt einer Idee des holländischen Ökonomen Johannes Opschoor. 1993 haben die „Friends of Earth“ in der Studie „Sustainable Netherlands“ (Zukunftsfähiges Holland) und in weiteren Arbeiten über europäische Länder zu klären versucht, welchen Anteil am globalen Ressourcenverbrauch und an der Abfallproduktion Staaten und Individuen haben. * Plato, nach: David F. Durham, Carrying Capacity Philosophy, Focus, Vol. 4, Nr. 1 (1994): 5ff.; frühe christliche und chinesische Denker in: William Ophuls und A. Stephen Boyan Jr., Ecology und the Politics of Scarcity Revisited, New York: W. H. Freeman und Company, 1992; überarbeitete Originalausgabe von 1977; John Evelyn, nach: James Garbarino, Toward a Sustainable Society: An Economic, Social, und Environmental Agenda for our Children’s Future, Chicago: The Noble Press Inc., 1992; Alfred James Lotka, Elements of Physical Biology, Baltimore: Williams & Wilkins, 1925;
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Nicholas Georgescu-Roegen, The Entropy Law und the Economic Process, Cambridge, MA: Harvard University Press, 1971; Leopold Pfaundler, Die Weltwirtschaft im Lichte der Physik, in: Deutsche Revue, Richard Fleischer (Hg.), Vol. 27, Nr. 2 (April-June 1902): 29-38, 171-182; William Vogt, Road to Survival, New York: William Sloane, 1948; Fairfield Osborn, The Limits of the Earth, Boston: Little, Brown und Co., 1953; Georg Borgstrom, Harvesting the Earth, New York: Abelard-Schuman, 1973; William E. Rees, An Ecological Framework for Regional and Resource Planning, The University of British Columbia, Vancouver: UBC School of Community and Regional Planning, 1977; William R. Catton, Overshoot: The Ecological Basis of Revolutionary Change, Urbana: University of Illinois Press, 1980; G. Higgins, A. H. Kassam, L. Naiken, G. Fischer und M. Shah, Potential Population Supporting Capacities of Lands, in: the Developing World, Technical Report of FAO, IIASA und UNFPA Project Int/75/P13, Land Resources for Populations of the Future, Rome: FAO, 1983; Ragnar Overby, The Urban Economic Environmental Challenge: Improvement of Human Weifare by Building and Managing Urban Ecosystems, für POLMET 85, Urban Environmental Conference, Hong Kong, 1985; M.A. Harwell und T.C. Hutchinson, Environmental Consequences of Nuclear War, Vol. II, SCOPE 28, Chichester, UK: John Wiley, 1986; Maria Buitenkamp, Henk Venner und Theo Wams (Hg.), Action Plan Sustainable Netherlands, Amsterdam: Dutch Friends of the Earth, 1993. Eine faszinierende Ideengeschichte dieser Debatte mit Hintergrundberichten der Vordenker wie Serhii Podolinski, Eduard Sacher, Ludwig Boltzmann, Rudolf Clausius, Frederick Soddy in: Juan Martinez-Aliers, Ecological Economics: Energy, Environment, und Society, Oxford: Basil Blackwell, 1987. Ein deutscher Auszug ist im lesenswerten Sammelband „Die ökologische Herausforderung der ökonomischen Theorie“, Marburg, Metropolis Verlag, 1991, der von Frank Beckenbach herausgegeben.
Ökologische Tragfähigkeit auf den Kopf gestellt: der ökologische Fußabdruck der Menschen Aus zwei Gründen ist es schwierig, die Zahl der Menschen zu bestimmen, die von einer gegebenen Region erhalten werden kann: Erstens variiert die ökologische Last einer Bevölkerung; sie wird beeinflußt durch Faktoren wie dem durchschnittlichen Einkommen, den Bedürfnissen oder den angewendeten Technologien sowie deren Energie- und Rohstoffeffizienz. Die ökologische Tragfähigkeit des Menschen ist ebensosehr ein Produkt kultureller Umstände wie der ökologischen Produktivität. Zweitens existieren in einer integrierten Weltwirtschaft keine isolierten Regionen mehr. Menschen haben Zugang zu Ressourcen aus aller Welt – besonders das reiche Fünftel, das über vier Fünftel der Rohstoffe beansprucht. 75
Weitere Aspekte machen die Sache noch komplizierter. Der Verbrauch des Menschen wird nicht allein von seiner Biologie bestimmt, wie dies bei Tieren der Fall ist. Dank der Technologie übertrifft der industrielle Stoffwechsel den biologischen um ein Vielfaches. Die Menschen benutzen Kleidung, Autos, Papier und Wohnungen. Die meisten Lebensmittel sind so verfeinert, daß mehr Energie in Aufbereitung und Transport steckt, als der biochemische Nährwert ausmacht. Die einzige
Abbildung 2.7: Der ökologische Fußabdruck stellt das Tragfähigkeitskonzept auf den Kopf. Da Menschen Ressourcen und ökologische Funktionen von weither verbrauchen können, ist die Frage nicht, wie viele Menschen in einer Region leben können, sondern wieviel Region, „Habitat“ oder Land pro Person notwendig ist, um mit heutiger Technologie ihren Konsum zu decken. (Iliana Pámanes, nach Phil Testemale)
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Grenze unserer Konsumkultur ist die Kaufkraft, die bis zum Gehtnichtmehr ausgeschöpft wird. Außerdem ist der menschliche Konsum nicht überall gleich: Ein Landarbeiter in Indien lebt bekanntlich anders als der Vorstandsvorsitzende eines US-Konzerns. Der ökologische Fußabdruck versucht die ökologische Bedeutung des menschlichen Konsums zu messen. Dabei umgeht die Fußabdruckanalyse die typischen Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man das Konzept der ökologischen Tragfähigkeit auf den Menschen anwendet: Es stellt dieses Konzept auf den Kopf. Der ökologische Fußabdruck geht davon aus, daß jeder Konsum produktive und absorbierende Kapazitäten einer bestimmten Land- und Wasserfläche erfordert. Wenn wir die Land- und Wasserflächen für alle Konsumgüter und Abfalle einer Bevölkerung zusammenzählen, dann ist das so zustande gekommene Gesamtgebiet der ökologische Fußabdruck dieser Bevölkerung auf der Erde, ganz gleich, ob die Bevölkerung in diesem Gebiet lebt oder nicht. Kurz, der ökologische Fußabdruck mißt das Gebiet pro Kopf und nicht die Köpfe pro Gebiet. Wie wir sehen werden, ist diese einfache Umkehrung weit lehrreicher als das traditionelle Tragfähigkeitskonzept aus der Biologie. Der ökologische Fußabdruck einer gegebenen Bevölkerung (oder deren Wirtschaft) kann als das Gebiet von biologisch produktivem Land (und Wasser) in verschiedenen Kategorien wie Ackerland, Weiden, Wäldern usw. definiert werden, das erforderlich wäre, um mit der heutigen Technologie für diese Bevölkerung 1. alle konsumierte Energie und alle materiellen Ressourcen bereit zu stellen und 2. allen Abfall zu absorbieren, wo auch immer auf der Erde sich die Flächen befinden. Eingeschlossen sind der Verbrauch der Haushalte, Unternehmen und Verwaltungen. Der ökologische Fußabdruck bestimmt so nicht nur die beanspruchten natürlichen Einkommensflüsse, sondern auch die Fläche, die dieses natürliche Einkommen möglich macht. Somit verweist die Fußabdruckanalyse auf Einkommensströme und das sie produzierende Naturkapital. Eine vollständige Fußabdruckanalyse muß sämtliche Folgen aller Material- und Energieverbräuche einschließen. Dazu zählen das Gebiet 77
anderer Ökosysteme, das gebraucht wird, um erneuerbare Ressourcen und lebenserhaltende Funktionen zu produzieren; die Verluste an biologischer Produktivität durch Verschmutzung, Verstrahlung, Erosion, Versalzung und städtische Versiegelung; nicht erneuerbare Rohstoffe, insofern bei ihrem Abbau, ihrer Verarbeitung und ihrer Entsorgung Energie verbraucht wird und Verschmutzungen entstehen. Gegenwärtig beruhen unsere Rechnungen erst auf einer begrenzten Zahl von Verbrauchsartikeln und Abfallen. Jeder zusätzliche Artikel würde die Fußabdrücke vergrößern. Außerdem nehmen wir an, daß das erforderliche Land zum Beispiel in der Forst- oder Landwirtschaft nachhaltig genutzt wird. Wie wir wissen, ist dies oft nicht der Fall. An vielen Orten zum Beispiel erodiert Ackerboden bis zu zehnmal schneller, als er sich regenerieren kann. Aus diesen Gründen unterschätzen die berechneten ökologischen Fußabdrücke den wirklichen Naturverbrauch, auch wenn sie für Industrieregionen und Länder beeindruckend groß erscheinen. Unsere Methode erfaßt die Naturbelastung durch eine Bevölkerung, indem sie deren gesamten Verbrauch analysiert. Die ökologische Gesamtlast der Menschen wird erkennbar im Produkt aus Bevölkerungszahl mal Pro-Kopf-Verbrauch.11 Das Produkt rechnen wir in eine biologisch produktive Fläche um. So können wir die ökologische Nachfrage des Menschen in einer sinnvollen Zahl zusammenfassen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Tragfähigkeitsanalysen berücksichtigt diese Analyse Handelsflüsse und den Stand der Technologie. Der berechnete ökologische Fußabdruck kann schließlich mit der biologisch produktiven Fläche der Region, in der die Bevölkerung lebt, verglichen werden. Dann zeigt sich, ob und, falls ja, inwieweit die lokale Tragfähigkeit überschritten worden ist. Der ökologische Fußabdruck kann auch dazu verwendet werden, Regionen miteinander zu vergleichen, Wirkungen unterschiedlicher Einkommensniveaus zu zeigen und Technologie auf ihren Naturverbrauch hin zu untersuchen.
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Dies entspricht Paul Ehrlichs und John Holdrens IPAT-Formel (Impact = Population × Affluence × Technology, oder auf deutsch: Auswirkung = Bevölkerung × Wohlstand × Technologie). Doch fassen wir die beiden letzten Faktoren in einem zusammen, den wir schlicht Pro-Kopf-Verbrauch nennen.
Abbildung 2.8: Unser Erdanteil ist die biologisch produktive Fläche, die durchschnittlich pro Kopf zur Verfügung steht. Der Anteil entspricht 1,45 Hektar Land und 0,55 Hektar Meer. Diese Fläche von 2 Hektar gäbe jedem eine kreisrunde Insel von 135 Metern Durchmesser, umgeben von 12 Metern Meer. Ein Sechstel wäre kultivierbares Land, der Rest Weiden, Wälder, Wildnis und überbaute Siedlungsfläche. Rein mathematisch zeigt sich, daß für jeden Menschen, dessen Fußabdruck dreimal größer ist als der durchschnittliche Erdanteil (wie bei Bürgern der Industrieländer), drei andere Menschen sich mit dem Drittel eines Erdanteils begnügen müssen, damit alle innerhalb des nachhaltigen Natureinkommens leben können. (Iliana Pámanes, nach Phil Testemale)
Der ökologische Fußabdruck dient auch anderen Aufgaben. Zum Beispiel kann er helfen zu berechnen, wieviel ökologische Tragfähigkeit in den Importen einer Region steckt und wieviel Tragfähigkeit die Region aufgibt, um Exportgüter zu produzieren, mit denen die Importe bezahlt werden. Auch können die ökologischen Fußabdrücke von Individuen oder die durchschnittlichen Pro-Kopf-Fußabdrücke einer Nation verglichen werden mit dem Anteil an der globalen ökologischen Kapazität, der pro Weltbürger zur Verfügung steht. Dieses Land nennen wir den „Pro-Kopf-Anteil an unserem Planeten“ oder schlicht den „Erdanteil“. Er beträgt heute 2 Hektar – was einer Scheibe von 160 Metern Durchmesser entspricht. 0,55 Hektar sind produktive Meeresflächen. Der Rest 79
ist Land, doch nur 0,25 Hektar davon eignen sich zum Ackerbau (Abbildung 2.8). Vielleicht am wichtigsten: Analysen des ökologischen Fußabdrucks erlauben es uns, das Ausmaß des weltweiten Überziehens und die ökologischen Defizite jeder Region und jedes Landes zu schätzen. Überziehen bedeutet, daß ein Teil des menschlichen Naturverbrauchs die ökologische Tragfähigkeit der Erde übersteigt – der ökologische Fußabdruck der Menschen ist also größer als die biologisch produktive Landund Meeresfläche auf unserem Planeten (vergleichen Sie dazu Abbildung 2.9). Ab einem bestimmten Punkt kann die Weltwirtschaft nur wachsen zu Lasten des Naturkapitals und seiner lebenserhaltenden Funktionen. Das Maß des Überziehens entspricht der Fläche, mit der der ökologische Fußabdruck einer Region oder eines Landes die eigene Fläche überragt. Wenn wir den ökologischen Fußabdruck verschiedener menschlicher Tätigkeiten messen, können wir deren Naturverbrauch vergleichen. Eine solche Analyse zeigt uns die ökologischen Gesamtwirkungen dieser Tätigkeiten, im Gegensatz zu herkömmlichen projektbezogenen Umweltverträglichkeitsprüfungen. Jede Wirtschaftstätigkeit verbraucht Natur, und der ökologische Fußabdruck zeigt, wie die Nachfragen nach Lebensmitteln und Fasern konkurrieren mit nicht erneuerbaren Ressourcen, der Abfallabsorption, Siedlungsflächen und auch mit dem Schutz der biologischen Artenvielfalt um ökologischen Raum. Die Benutzung von produktiven Land- und Meeresflächen als Maßeinheit macht die ökologische Fußabdruckanalyse vereinbar mit den Grundsätzen von Chemie und Physik, besonders mit den Hauptsätzen der Thermodynamik und dem Satz von der Erhaltung der Energie. Ökosystemflächen sind besser als Energiemengen geeignet, die Wirkungen der Wirtschaft zu messen. Denn sie erfassen nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Energie- und Massenströme. Die Landflächen des ökologischen Fußabdrucks repräsentieren nicht nur die Endlichkeit unseres Planeten und seiner Energie- und Massenströme, sondern auch die lebensunterstützenden Funktionen der Natur wie den Gasaustausch mit der Atmosphäre und die Nährstoffzyklen. Der Zustand der biophysikalischen Welt hängt ab von der Gesundheit des Naturkapitals, das die lebensunterstützenden Funktionen aufrechterhält. Dieses Kapital entspricht der biochemischen Energie, die in der Biosphäre angehäuft ist. Landflächen bieten den Raum für die Photosynthese, 80
Abbildung 2.9: Überziehen – Wachstum über die Tragfähigkeitsgrenze. Die Tragfähigkeitsgrenze kann unmerklich überschritten werden, da immer noch große Mengen Naturalkapital vorhanden sind, die abgebaut werden können. Ernten können das natürliche Einkommen weit übertreffen, und Geldflüsse immer weiter zunehmen. Zwar mag es Anzeichen ökologischen Stresses geben – doch alles andere scheint normal zu sein. Schließlich werden aber die Konsequenzen der Erosion des Naturkapitals in der Form von Ökokatastrophen und Bevölkerungszusammenbrüchen spürbar.
den Energielieferanten allen Lebens auf der Erde, abgesehen von jenen Pflanzen und Tieren, die in der Tiefsee von der Erdwärme leben. Ohne Photosynthese keine Nahrungsketten und keine Ökosysteme. Die Photosynthese hat in wunderbarer Weise die unwirtliche Oberfläche der Erde verwandelt in eine sich selbst erneuernde und ordnende, reiche und vielfältige Biosphäre. 81
Der ökologische Fußabdruck erlaubt es, die Produktion der Biosphäre mit dem Verbrauch von Volkswirtschaften zu vergleichen. Das zeigt, ob es ökologischen Raum für Wirtschaftsexpansion gibt oder ob die regionale oder gar globale Tragfähigkeit schon überschritten ist. Im letzteren Fall enthüllt der ökologische Fußabdruck das Nachhaltigkeitsdefizit. So weist die Fußabdruckanalyse die Richtung für das künftige Handeln und verdeutlicht, was vermieden werden muß, um ein Überziehen zu vermeiden. Nun haben wir eine Meßlatte, mit deren Hilfe wir den Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit überwachen können. Aus der Analyse des ökologischen Fußabdrucks ergibt sich keineswegs, daß ein Leben nahe an der Tragfähigkeitsgrenze ein wünschenswertes Ziel sei. Ganz im Gegenteil: Der ökologische Fußabdruck beweist, wie gefährlich wir längst leben. Es wäre besser für unser Leben und das Ökosystem Erde, wenn die ökologische Last der Menschheit deutlich unter dem bliebe, was unser Planet maximal ertragen kann. Leben am Rand des Abgrunds gefährdet die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme, ihre Robustheit, ihre Regenerationsfähigkeit und damit auf lange Sicht die Existenz der Menschheit. Das Erkennen von biophysikalischen Grenzen und die Tatsache, daß die verschiedenen Nutzungsarten der Natur miteinander konkurrieren, weisen auf zentrale soziale und ökonomische Fragen hin. So sind wir Konsumfetischisten zum Beispiel gezwungen, uns mit der Beziehung zwischen Reichtum und Armut und dem menschlichen Leiden anderswo auseinanderzusetzen. Sollten wir das Ziel einer gerechteren Verteilung nicht mindestens genauso energisch verfolgen, wie wir heute ökonomische Effizienz und Wirtschaftswachstum fördern? Wir wissen, daß nicht jeder Mensch auf der Erde den materiellen Reichtum der Nordamerikaner oder Europäer erreichen kann, weil dies unsere biologischen Lebensbedingungen zerstören würde. Dies sollte die Verantwortung der Reichen für eine gerechtere Welt unterstreichen. Und die Armen sollten Analysen des ökologischen Fußabdrucks nutzen, um ihre Entwicklungsstrategien im Hinblick darauf zu überdenken, wie sie mit ihrem Naturkapital die beste Lebensqualität absichern können, und um in internationalen Verhandlungen bessere finanzielle Bedingungen, gerechtere Handelsabkommen und andere Maßnahmen zum Abbau des Wohlstandsgefälles zu fordern.
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3. So funktioniert der Fußabdruck: Methoden und Anwendungen In der Theorie schätzt der ökologische Fußabdruck ab, wieviel Landund Wasserfläche nötig ist, um für eine Bevölkerung kontinuierlich die Güter herzustellen, die sie verbraucht, und den Abfall abzubauen, der beim Verbrauch anfallt. Würden wir alle möglichen Konsumartikel, alle denkbaren Abfallarten und alle bekannten ökologischen Funktionen in diese Berechnungen einbeziehen, dann würden wir in einer Informationsflut ertrinken. Daher benutzen wir in unseren konkreten Anwendungen eine vereinfachte Methode und –
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stützen unsere Berechnungen auf die Annahme, daß die heutige industrielle Erntepraxis in der Land- und Forstwirtschaft nachhaltig ist, obwohl das oft nicht zutrifft; berücksichtigen bisher nur grundlegende Funktionen der Natur: erneuerbare Ressourcen; nichterneuerbare Ressourcen, die die Natur mit Abfällen oder durch Energieverbrauch belasten; Raumbelegung durch menschliche Infrastruktur und, in einigen Fällen, Abfallabsorption. Bei genaueren Berechnungen können weitere Naturfunktionen einbezogen werden wie die Nutzung von Frischwasser, die Verschmutzung von Böden und Gewässern, die Schädigung durch Luftverschmutzung oder die Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht. Wir konzentrieren uns auf die Beanspruchung von nichterneuerbaren Ressourcen, den Abfall, die Belastungen durch Infrastruktur und den Wasserverbrauch; klammern in unseren Schätzungen die zusätzlichen Naturfunktionen aus, die gleichzeitig von ein und derselben ökologischen Fläche gewährleistet werden, um den Fußabdruck nicht rechnerisch zu vergrößern. Zum Beispiel kann eine Fläche von einem Haus beansprucht werden. Dessen Dach kann aber genutzt werden, um mit photovoltaischen Zellen Elektrizität zu produzieren. Diese Fläche darf nur einmal in die Fußabdruckrechnung einbezogen werden, denn sie bietet zwei Funktionen gleichzeitig. Ein anderes Beispiel: 83
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Ein Wald produziert Holz und sammelt gleichzeitig Wasser für die Landwirtschaft. In diesem Fall würden wir nur die dominante Funktion bewerten, die Holzproduktion. Falls aber das Wasserspeichern die Holzproduktion beeinträchtigt, muß der Holzverlust berücksichtigt werden; benutzen eine stark vereinfachte Klassifizierung der ökologisch produktiven Flächen, die je nach Berechnung zwischen vier und neun Kategorien umfaßt; beginnen erst damit Meeresflächen einzubeziehen. Die produktivsten Meeresflächen werden aber heute schon fast so intensiv genutzt wie landwirtschaftliche Flächen, und der menschliche Einfluß hat schon spürbare Schäden hinterlassen (siehe Kasten 3.1).
Unsere Berechnungsmethode unterschätzt den wirklichen Flächenverbrauch der Menschen. Die industrielle Landwirtschaft zerstört die Böden dauerhaft. Der Agrarexperte David Pimentel von der Cornell-Universität schätzt, daß die Böden in Nordamerika für jedes Jahr industrieller Bewirtschaftung zehn bis zwanzig Jahre brachliegen müßten, um sich zu erholen. Der Fußabdruck für Ackerflächen müßte demnach mindestens zehnmal größer sein, als wir unterstellen. Auch die heutige Waldwirtschaft ist nicht nachhaltig. An vielen Orten zeigt sich, daß Rotationsperioden von fünfzig bis siebzig Jahren in Wäldern in gemäßigten Klimazonen (und kürzere in den Tropen) die Holzerträge sinken lassen. Außerdem können Feuer oder Insekten die Produktivität schmälern.1 Wir nennen das Verhältnis zwischen der Landfläche, die für den Anbau eines Produkts mit ökologisch verträglicher Bewirtschaftung nötig wäre, und der, die durch die heute vorherrschenden Anbaumethoden beansprucht wird, den „Nachhaltigkeitsfaktor“. (Im obigen Beispiel der landwirtschaftlichen Bodenübernutzung wäre der Faktor 10 bis 20). Die Größe dieses Faktors ist proportional zu der Geschwindigkeit, mit der das Naturkapital abgebaut wird.
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Aubrey Diem, Clearcutting British Columbia, in: The Ecologist, Vol. 22. Nr. 6, S. 261-266, 1992. Mario Giampietro und David Pimentel, Energy Analysis Models to Study the Biophysical Limits For Human Exploitation of Natural Processes, in: C. Rossi und E. Tiezzi (Hg.), Ecological Physical Chemistry – Proceedings of an International Workshop, S. 139-184, Amsterdam: Elsevier, 1990.
Generell könnte unser methodischer Ansatz dafür kritisiert werden., daß er nur eine beschränkte Menge ökologischer Funktionen berücksichtigt. Wir glauben aber nicht, daß dies die Überzeugungskraft des Fußabdruckkonzepts beeinträchtigt. Einfachheit ist eine Tugend. Keine Theorie kann alle Aspekte der Wirklichkeit widerspiegeln. Jedes Modell ist abstrakt und interpretiert eine komplexere Wirklichkeit. Das Modell muß das Wesentliche der Realität darstellen: die Schlüsselvariablen und die limitierenden Faktoren. Eine gute Theorie muß ein Gleichgewicht zwischen Komplexität und Einfachheit finden. Ein Modell muß die wesentlichen Merkmale der Wirklichkeit erfassen und einfach genug sein, um verständlich und anwendbar zu sein. Sonst kann es die Entscheidungsfindung nicht unterstützen. Zum Beispiel ist die Körpertemperatur ein guter Indikator der menschlichen Gesundheit. Die Theorie, die sagt, daß „Temperaturen über 3 7 Grad Celsius ungesund sind“, stellt eine enorme Vereinfachung dar, ist aber gut anzuwenden. Ebensowenig brauchen Fußabdruckanalysen alle Aspekte der Realität darzustellen, um diagnostisch wirksam zu sein. Die Berechnung des Fußabdrucks Wenn wir die Fläche schätzen, die benötigt wird, um eine Bevölkerung zu versorgen, müssen wir den Landverbrauch jeder wichtigen Konsumkategorie bestimmen. Aus den genannten Gründen beschränken wir uns auf die wesentlichen Kategorien und die wichtigsten Verbrauchsgüter. Um den Fußabdruck zu schätzen, müssen wir zuerst den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch einer Bevölkerung bestimmen. Die Daten dazu erhalten wir aus diversen Statistiken über Energieverbrauch, Nahrungsmittelkonsum, Forstproduktion und Haushaltsausgaben. Der nationale Verbrauch läßt sich in folgender Formel zusammenfassen2: Nationaler Verbrauch = Produktion + Importe – Exporte
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Genaugenommen ergibt sich so für spezifische Rohstoffkategorien nur der „scheinbare Verbrauch“. Der Grund ist, daß einige Subprodukte wieder exportiert und nicht im Land verbraucht werden. Oder es werden in anderen Kategorien klassifizierte Produkte importiert, die aber auch mit diesen Rohstoffen hergestellt worden sind.
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Kasten 3.1: Unser Fußabdruck im Meer* Lange Zeit haben wir die Meeresflächen nicht berücksichtigt, die vom Menschen beansprucht werden. Warum? Die riesigen Meere produzieren nur einen kleinen Teil dessen, was vom Menschen konsumiert wird. Trotz dieses relativ bescheidenen Anteils an der Produktion von Konsumgütern ist das Meer schon heute übernutzt. Es scheint auch weniger Interventionsmöglichkeiten zu geben, um die Produktivität des Meeres positiv zu beeinflussen, als dies bei Ökosystemen an Land der Fall ist. Aus diesen Gründen ist es eigentlich nicht notwendig, Meeresflächen zu bestimmen, um zu zeigen, daß die Menschheit die Tragfähigkeit des Planeten überzogen hat. Dennoch haben Kollegen und wir mittlerweile in neueren Studien die durch Fisch- und Meeresfrüchtekonsum beanspruchten Meeresflächen in die Fußabdruckberechnungen mit einbezogen. Das erleichtert es, den Fußabdruck von Staaten und Regionen miteinander zu vergleichen. Bei der Berechnung der Fußabdrücke im Meer haben wir uns auf die folgenden Überlegungen gestützt: 2,5 Prozent seiner Nahrung bezieht der Mensch aus den natürlich vorkommenden Fischbeständen der Meere. Fisch ist die wichtigste erneuerbare Ressource der aquatischen Ökosysteme. 16 Prozent des tierischen Eiweißes in der menschlichen Nahrung stammen von Fisch. Es ist unwahrscheinlich, daß die Erträge aus Ozeanen, Seen und Flüssen noch wesentlich gesteigert werden können. Das wäre schon rein wirtschaftlich nicht erstrebenswert, wird doch der Fischfang weltweit subventioniert, und zwar im Durchschnitt mit einer Mark für jede Mark, die beim Verkauf erlöst wird. Solche Unterstützungsmaßnahmen für die Fischer schaden den ohnehin schon übernutzten Meeren nur weiter. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, daß der weltweite Speisefischfang die Maximalgrenze der Nachhaltigkeit schon heute um neunzig Prozent übertrifft, wenn nicht um mehr. Lester Brown vom Worldwatch Institute sagt deshalb voraus, daß die Fischerträge pro Kopf bis zum Jahr 2030 auf elf Kilogramm pro Person sinken werden. 1989 hatten sie mit neunzehn Kilogramm pro Person ihren höchsten Stand erreicht. Manche hoffen, daß die Knappheit mit Hilfe von Fischfarmen überbrückt werden kann. Doch wird damit die Nachfrage nur auf andere Ökosysteme verlagert, denn Fischfarmen beanspruchen Ackerflächen für die Futterherstellung oder Wasserflächen für die Algenproduktion. Der Humanökologe Carl Folke und seine Kollegen am Beijer-Institut in Stockholm haben gezeigt, daß intensiv produzierende Lachsfarmen Flächen für die Planktongewinnung beanspruchen, die 50 000mal größer sind als die Flächen der Käfige, in denen die Lachse leben.
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Abbildung 3.1: Unser ökologischer Fußabdruck im Meer. Trotz der riesigen Meeresflächen ist nur ein kleiner Teil wirklich produktiv: Etwa 10 Prozent der Fläche liefern uns über 95 Prozent des Fischfangs. Im Hinblick auf den Fischfang ist das Meer heute schon übernutzt. Das Meer dient nicht nur als Proteinlieferant, sondern wird auch als Abfallhalde und Rohstofflieferant mißbraucht. (Iliana Pámanes, nach Yoshihiko Wada und Francisco Jarez Suntla)
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Die Meere werden auch als Abfallhalden genutzt, und diese Funktion sollte sich in zukünftigen detaillierteren Fußabdruckberechnungen niederschlagen. In unseren neueren Studien beziehen wir die Meeresproduktion folgendermaßen in die Fußabdruckrechnung ein (diese Methode geht zurück auf Arbeiten von Yoshihiko Wada von der University of British Columbia)**: Wir dividieren den weltweit bei optimaler Nutzung dauerhaft möglichen Fischfang durch den Teil der Meeresfläche, der die ökologische Produktivität weitgehend gewährleistet. Nach FAO könnten ungefähr hundert Millionen Tonnen Fisch pro Jahr gefangen werden, ohne die Bestände zu gefährden. Das Meer bedeckt 71 Prozent der Erdoberfläche (362 Millionen Quadratkilometer). Doch werden auf weniger als 8,2 Prozent (oder 29,7 Millionen Quadratkilometern) der Meeresfläche mehr als 96 Prozent der Salzwasserfische gefangen. Das ergibt im Mittel 33 Kilogramm Fisch pro Hektar ökologisch produktiver Meeresfläche oder 0,03 Hektar pro Kilogramm Fisch. Von diesen 33 Kilogramm landen 24 auf dem Teller, der Rest wird als Tierfutter und für „Non-food“-Produkte verarbeitet oder geht verloren. Die durchschnittlich verfügbare ökologisch produktive Meeresfläche beträgt demnach 0,55 Hektar pro Weltbürger, was einem Endverbrauch von 13 Kilogramm Fisch entspricht. In Japan wird am meisten Fisch gegessen: 92 Kilogramm pro Person im Jahr. Damit belegt der Durchschnittsjapaner 3,8 Hektar produktive Meeresoberfläche, siebenmal mehr, als pro Weltbürger vorhanden ist. * Lester R. Brown, Facing Food Insecurity, und Peter Weber, Safeguarding Oceans, beide in: Worldwatch Institute, State of the World, New York: W. W. Norton, 1994. Carl Folke und Ann Marie Jansson, The Emergence of an Ecological Economics Paradigm: Examples from Fisheries and Aquaculture, in: U. Svendin und B. Aniansson (Hg.), Society and the Environment, Dordrecht: Kluwer Academic Publisher, 1991. Michelle Hibler, Our Common Bowl: Global Food Interdependencies, Ottawa: International Development Research Centre (IDRC), 1992. Yoshihiko Wada, Doktorand an der School of Community and Regional Planning der University of British Columbia, ist daran, Japans ökologischen Fußabdruck auf dem Land und im Meer abzuschätzen. Erste Resultate präsentiert seine Arbeit „Assessing the Sustainability of Japan: The Ecological Footprint of the Consumption of an Average Japanese“. ** Ähnlich könnte auch die Nutzung der Frischwasserfische analysiert und in Fußabdruckanalysen integriert werden.
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Im nächsten Schritt kalkulieren wir, wieviel ökologische Fläche pro Kopf (fl) für jedes Gut (i) belegt wird. Wir dividieren dazu den jährlichen Verbrauch des Guts i (vi, in Kilogramm pro Person) durch die entsprechende ökologische Produktivität oder Ernte (pi, in Kilogramm pro Hektar und Jahr). Somit ist fl i = v i /p i Einige Verbrauchsgüter haben nicht nur einen ökologischen Input. In Kleidern oder Möbeln stecken verschiedene Rohstoffe. Daher berechnen wir die Landflächen fli für die diversen ökologischen Kategorien wie Wald oder Ackerfläche zuerst unabhängig voneinander und zählen sie erst später zusammen. Der ökologische Fußabdruck einer Person (öf, in Hektar pro Person) ist die Summe aller Teilflächen, die von n Konsumgütern einer Person belegt werden. Es ist die Fläche, die dauerhaft benötigt wird, um den Konsum einer Person aufrechtzuerhalten:
Wenn wir für eine Bevölkerung den Durchschnittsfußabdruck berechnen, wird der Unterschied zwischen den Individuen eingeebnet. Wir werden aber später sehen, daß es möglich ist, solche Fußabdruckschätzungen im Hinblick auf Individuen zu konkretisieren. Der Fußabdruck einer Bevölkerung (ÖF, in Hektar) ergibt sich, wenn man die Bevölkerungszahl (N) mit dem Durchschnittsfußabdruck (öf) multipliziert: ÖF = öf × N Die meisten unserer Schätzungen beruhen auf nationalen Verbrauchsstatistiken. Bei der Bestimmung der ökologischen Produktivität stützen wir uns auf den Weltdurchschnitt. Diese standardisierte Methode erlaubt es, zwischen Regionen und Ländern zu vergleichen. Auch entspricht der Bezug auf Weltdurchschnittsdaten für ökologische Produktivität in vielen Fällen der Wirklichkeit, da die Weltwirtschaft in wachsendem Maß den lokalen Konsum prägt. Außerdem wirken einige wesentliche ökologische
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Funktionen wie Wetter, Biodiversität oder Schutz vor ultravioletten Strahlen global. Für feinere Analysen können lokale Verbrauchs- und Produktionsdaten herangezogen werden. Falls genügend Daten vorhanden sind, lassen sich auch Fußabdrücke von Gemeinden, Firmen und Individuen bestimmen. Oft ist es hilfreich, Schätzungen des nationalen Fußabdrucks mit lokalen Schätzungen zu vergleichen, um so Abweichungen bei Lebensstilen und der Ressourcennutzung aufzudecken. Wir finden es nützlich, die lokalen ökologisch produktiven Flächen in Flächen mit Weltdurchschnittsproduktion umzurechnen. So können wir nicht nur ökologische Potentiale von Regionen einander gegenüberstellen, sondern auch den Fußabdruck einer Bevölkerung mit der lokal vorhandenen ökologischen Kapazität vergleichen. Konsumkategorien Um das Datensammeln zu vereinfachen, haben wir uns an die Klassifizierung der offiziellen Statistiken gehalten. Den Konsum haben wir in fünf Hauptkategorien aufgeteilt: 1. 2. 3. 4. 5.
Nahrung Wohnen Transport Konsumgüter Dienstleistungen
Für genauere Analysen können diese Konsumkategorien weiter unterteilt werden. Zum Beispiel kann man bei der Nahrung Pflanzen- und Tierprodukte unterscheiden. Oder beim Transport ist es möglich, den öffentlichen vom privaten Verkehr zu trennen. Für jede Konsumkategorie wird eine Ökobilanz benötigt, die angibt, wieviel Ressourcen und Energie während des Lebenszyklus eines Produkts verbraucht werden – von der Wiege bis zum Grab3: Man spricht 3
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In einer nachhaltigeren Wirtschaft wird ein altes Produkt wieder zu einem neuen. Daher sprechen die Industrieökologen nun von „Von-der-Wiege-bis-zur-Wiege-Betrachtungen“.
Abbildung 3.2: Wie der menschliche Konsum in Landflächen übersetzt wird: Das Herstellen und der Gebrauch jedes Gutes und jeder Dienstleistung, die von einer bestimmten Bevölkerung beansprucht werden, hängen von verschiedenen Typen ökologischer Funktionen ab. Wenn man die ökologischen Produktivitäten dieser Funktionen bestimmt, können die Funktionen in Landflächen umgerechnet werden. Indem wir die Landflächen aller wichtigen Konsum- und Abfallkategorien zusammenzählen, erhalten wir den ökologischen Fußabdruck einer Bevölkerung.
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in diesem Zusammenhang von „grauer Energie“ oder „grauen Ressourcen“. Die „Energieintensität“ drückt die graue Energie pro Produkteinheit aus. Man kann auch den „grauen Fußabdruck“ eines Guts bestimmen: den Beitrag des Produkts zum Fußabdruck des Verbrauchers. Unsere Fußabdruckberechnungen gelten auch für Dienstleistungen, obwohl Dienstleistungen oft als „nichtmateriell“ bezeichnet werden. Dienstleistungen wären aber ohne ständige Energie- und Materialflüsse nicht möglich. Sogar die Übermittlung von Information benötigt Energie und materielle Träger wie zum Beispiel Papier, Kabel oder das Plastik von Disketten, ganz zu schweigen von Radios, Bildschirmen und Computern, ohne die Informationen nicht wahrgenommen oder verarbeitet werden könnten. Banken produzieren nichts direkt Materielles, doch hängen alle ihre Operationen von Energie und Materialflüssen ab: von der Elektrizität, den Computern, den Briefumschlägen für die Korrespondenz, vom Bauen und dem Unterhalt von Bankgebäuden und anderer Infrastruktur bis hin zu den Ausdrucken der Kontoauszüge. Zahlreiche Literaturquellen dokumentieren die Menge grauer Energie und anderer Ressourcen, die erforderlich sind, um ein bestimmtes Gut herzustellen, zu nutzen und zu entsorgen. Außerdem können zur Berechnung Statistiken über Abfallmengen, Staatsausgaben, Nahrungsmittelkonsum, Handel und Rohstoffnutzung herbeigezogen und miteinander abgeglichen werden (vergleichen Sie dazu Kasten 3.2).
Land- und Landnutzungskategorien Unsere Berechnungen des ökologischen Fußabdrucks stützen sich auf acht wesentliche Land- und Meereskategorien (siehe Tabelle 3.1). Diese Klassifizierung beruht auf Vorgaben der World Conservation Union in Gland.4 Die Land- und Meereskategorien stellen eine Vielzahl ökologischer Funktionen sicher. Ihr Naturkapital liefert der Menschheit alles, was sie braucht. 4
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The World Conservation Union, United Nations Environment Programme und the World Wide Fund for Nature, Caring for the Earth: A Strategy for Living Sustainably, Gland, Schweiz: IUCN, UNEP und WWF, 1991.
Tabelle 3.1: Die acht Land- und Landnutzungskategorien und zwei Meereskategorien, die für Fußabdruckschätzungen dienen.
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Tabelle 3.2: Produktivität verschiedener Energiequellen. Der Energieanteil des Fußabdrucks ist umgekehrt proportional zur Produktivität einer Energiequelle: Je größer die Produktivität, desto kleiner der Fußabdruck.
Die „Fossilenergiekomponente“ des Fußabdrucks kann (wie unten genauer erläutert wird) auf verschiedene Weise kalkuliert werden. Eine Methode erlaubt es zu schätzen, wieviel Land nötig wäre, um eine bestimmte Menge Brennstoff agrarwirtschaftlich zu erzeugen. In der Tat ist Fossilenergie ja nichts anderes als ein spätes Produkt von durch Photosynthese entstandener Biomasse. William Catton nennt dieses Land „Phantomland“.5 Catton weist darauf hin, daß die Menschheit diese Produkte der Photosynthese abertausendmal schneller aufbraucht, als die Natur sie ersetzen kann. Künftige Generationen werden über weniger Fossilenergie verfügen und außerdem unter einer höheren CO25
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William R. Catton Jr., Overshoot: The Ecological Basis of Revolutionary Change. Urbana: University of Illinois Press, 1980.
Konzentration in der Atmosphäre zu leiden haben, inklusive aller klimatischen Folgen. Nicht alle Kategorien von biologisch produktivem Land sind gleichermaßen zugänglich oder können direkt vom Menschen genutzt werden. Im Hinblick auf die zunehmende Gefahr der Klimaänderung müssen wir dem relativ unberührten Ökosystem Urwald besondere Beachtung schenken. Waldökosysteme klassifizieren wir als Landkategorie f. Die Abholzung der Urwälder würde einen massiven CO2-Ausstoß hervorrufen, der erst nach 200 Jahren ökologischer Produktion auf diesem Land wettgemacht wäre.6 Urwälder sind für den Menschen überlebenswichtig: Sie absorbieren Kohlenstoff aus der Atmosphäre und dienen zudem als Lebensraum unzähliger Arten. Land der Kategorie g umfaßt Sandwüsten und Eisfelder wie die Sahara und die Antarktis. Für den Menschen sind sie biologisch fast unproduktiv. Möglicherweise sind Wüsten künftig nutzbar, um mit Sonnenenergie Elektrizität oder Wasserstoff zu produzieren. Die anderen Land- und Meereskategorien bieten eine Vielzahl ökologischer Funktionen. Dieses Naturkapital liefert der Menschheit alles, was sie braucht. Wie lassen sich nun die verschiedenen Nutzungsarten in ökologische Flächenäquivalente umrechnen?
Landflächen für kommerzielle Energie Nun zu den Details. Zuerst widmen wir uns der Frage, wieviel Land der Verbrauch von Fossilenergie, Atomkraft und erneuerbaren Energieressourcen belegt (siehe auch Tabelle 3.2). Die Energie, die das menschliche Leben auf unserem Planeten antreibt, stammt fast ausschließlich von der Sonne: Die Erde empfängt 175 000 Terawatt Solarenergie, was reicht, um die Biosphäre zu erhal-
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E. Mark Harmon, William K. Ferrell und Jerry F. Franklin, Effects on the Carbon Storage of Conversion of Old Growth Forests to Young Forests, in: Science, Vol. 247, S. 699-702, 1990. Gregg Marland und Scott Marland, Should We Store Carbon Trees?, in: Water, Air and Soil Pollution, Vol. 64, S. 181-195, 1992. Maria Wellisch, MB Carbon Budget for the Alberni Region: Final Report, Vancouver: The Research and Development Department of MacMillan Bloedel Limited, 1992.
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Kasten 3.2: Datenquellen für Fußabdruckanalysen Eine Vielzahl von Datenquellen kann zu Fußabdruckanalysen herangezogen werden. Für grobe Schätzungen genügen Statistiken, wie sie im alle zwei Jahre erscheinenden Kompendium „World Resources“ des World-Resources-Instituts zusammengestellt sind. Leider konzentrieren sich viele internationale und nationale Statistiken auf Wirtschaft und Handel, während sie den Konsum ausklammern. Zudem wird vieles in US-Dollar und nicht in biophysikalischen Einheiten angegeben, was für unsere Rechnungen aber nützlicher wäre. Die folgende Liste umfaßt mögliche Datenquellen für Fußabdruckanalysen. Lassen Sie es uns wissen, falls Sie auf andere nützliche Daten stoßen. Globale und nationale Statistiken: – Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO), „The State of Food and Agriculture“; „FAO Yearbooks“: Trade, Production, Forestry Products, Fisheries, Fertilizer; alle jährlich – International Road and Transportation Union (IRTU), „World Transportation Data“; jährlich – United Nations Development Programme (UNDP), „Human Development Report“; jährlich – World Resources Institute (WRI), „World Resources“; alle zwei Jahre, kompletter Datensatz auf Diskette erhältlich – Worldwatch Institute, „State of the World“ (deutsche Ausgabe: „Zur Lage der Welt“), „Vital Signs“; jährlich, auch auf Diskette erhältlich – Statistiken der Vereinten Nationen (UNSTAT, UNCTAD, International Trade Statistics) und verwandter Organisationen wie des International Panel on Climate Change (IPCC) – Statistiken der OECD und der Europäischen Union („Europe’s Environment“) – Regierungsstatistiken – Umweltberichte – Verkehrs-, Stadt- und Raumplanungsdokumente – Energie- und CO2-Emissionsstatistiken – Daten zur Land- und Forstwirtschaft Nachschlagewerke und Handbücher: – Ingenieurwissenschaften, Ökologie, Ressourcenverwaltung, forst- und landwirtschaftliche Bände – Handbücher zu Landwirtschaft, Biologie, Energieanalysen, Chemie, Verkehrswesen, regionalen Metabolismen usw.
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Handbücher zu Ökobilanzen und Produktlinienanalysen Ingenieurhandbücher zu Energieaspekten, Effizienzpotentialen und dem Design von Wohngebäuden, Transportsystemen, Industrieprozessen, technologischer Effizienz Enzyklopädien, Almanache und Jahrbücher Kochbücher mit Tabellen der Lebensmittelnährwerte
Forschungsarbeiten: – Berichte in populären und wissenschaftlichen Publikationen über Konsum, Energieeffizienz, ökologische Produktivität usw. – Dokumente von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Behörden, Instituten usw. (wie zum Beispiel die Studienreihe der „Friends of the Earth“ über die Zukunftsfähigkeit von Ländern oder Greenpeace-Statements zu Autos, Papierkonsum, CO2-Ausstoß usw.)
ten. Das ist das 175 000fache der Leistung, die gebraucht wird, um jede Sekunde eine Million Tonnen hundert Meter hochzuheben. Der Strom kommerzieller Energie durch unsere Wirtschaft beträgt „nur“ 10 Terawatt, also ein 17 500stel der Sonneneinstrahlung auf die Erde. Wenn wir diese 10 Terawatt landwirtschaftlich produzieren müßten, brauchten wir dazu riesige Gebiete. Von den 175000 Terawatt der Sonne wandelt die Photosynthese weniger als 150 Terawatt in Pflanzenbiomasse um (dieser Zuwachs an Biomasse ist die Nettoproduktivität der Biosphäre). Nur wenig davon kann geerntet werden, und der Teil, der in Brennmaterial umwandelbar ist, ist noch geringer. Das Energie-Land-Verhältnis gibt an, wieviel kommerzielle Energie ein Hektar biologisch produktives Land pro Jahr liefern kann. Die Energiemenge wird ausgedrückt in Gigajoule pro Hektar und Jahr, kurz: GJ/ha/Jahr. Ein Gigajoule ist eine Milliarde Joule; 1000 Gigajoule pro Sekunde sind ein Terawatt. Wir benutzen drei verschiedene Ansätze, um den Landbedarf fossiler Energie zu berechnen. Jeder beruht auf einem anderen Grundprinzip, aber alle drei führen zum ungefähr gleichen Ergebnis: Der Verbrauch von achtzig bis hundert Gigajoule fossiler Energie pro Jahr belegt einen Hektar biologisch produktives Land. 97
Die erste Methode berechnet die Fläche, die erforderlich wäre, um einen Ersatz für flüssigen fossilen Brennstoff landwirtschaftlich herzustellen: Cattons „Phantomland“. Gemäß diesem Ansatz müßte eine nachhaltige Wirtschaft ihre Energie selbst produzieren, statt fossiles Kapital zu vernichten. Sofern Kohlenstoff benutzt würde, dann vorzugsweise jener, der bereits in der Biosphäre zirkuliert. So würde vermieden, daß sich noch mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre anreichert. Als potentiell erneuerbare Energiequelle bietet sich Äthanol an. Dieser Brennstoff ist dem fossilen Brennmaterial technisch und qualitativ annähernd gleichwertig: Er ist homogen, konzentriert, leicht aufzubewahren und zu transportieren und ähnlich anwendbar wie die fossilen Brennstoffe. Aus diesem Grund wird Äthanol an einigen Orten als Benzinzusatz und in Brasilien sogar als Benzinersatz benutzt. Man kann also den Verbrauch an fossiler Energie gut umrechnen in jene Fläche, die nötig wäre, um die gleiche Menge an Energie durch Äthanol zu erzeugen. Das bezieht sich nicht allein auf das Pflanzenmaterial (oder die Biomasse), die als Ausgangsrohstoff für das Äthanol dient, sondern auch auf die Prozeßenergie, die gebraucht wird, um den Rohstoff zu verarbeiten. Nach optimistischen Schätzungen ließe sich eine Nettoproduktivität von achtzig Gigajoule pro Jahr und Hektar erreichen.7 Methanol ist ein anderer möglicher Ersatzstoff für fossiles Brennmaterial. Pro Kilogramm Holz könnten 10,5 bis 13,5 Megajoule Methanol gewonnen werden. (Ein Megajoule ist eine Million Joule oder ein tausendstel Gigajoule). Neuseeländische Waldfarmen gehören mit Erträgen um 12 Tonnen Holz pro Hektar und Jahr zu den produktivsten „Wäldern“ der Welt und könnten ein Energie-Land-Verhältnis von 120 bis 150 Gigajoule pro Hektar und Jahr erzielen. Typische kanadische, russische oder skandinavische Wälder erbrächten dagegen nur 17 bis 30 Gigajoule.8 7
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Mathis Wackernagel, Ecological Footprint and Appropriated Carrying Capacity: A Tool for Planning Toward Sustainability, Doktorarbeit. Vancouver: University of British Columbia, School of Community and Regional Planning, 1994. Yoshihiko Wada, Biophysical Productivity Data for Ecological Footprint Analysis, Vancouver: Report to the UBC Task Force on Healthy and Sustainable Communities, 1994. New Zealand Forest Owner Association Inc., Forestry Facts and Figures 1994, Wellington, New Zealand: New Zealand Forest Owner Association in co-operation with the Ministry of Forestry, 1994.
Bei der zweiten Methode wird das Gebiet geschätzt, das gebraucht würde, um das Kohlendioxid zu absorbieren, das beim Verbrennen von fossiler Energie ausgestoßen wird. Waldökosysteme und Torfmoore gehören zu den bedeutendsten CO2-Assimilatoren, denn sie können CO2 über lange Zeiträume speichern. Wälder unter fünfzig bis achtzig Jahren weisen die höchsten CO2-Absorptionsraten auf – bei älteren Wäldern kann die Rate stark zurückgehen. Ein Durchschnittswert für Wälder der tropischen, gemäßigten und kalten Zonen liegt bei ungefähr 1,8 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar und Jahr.9 Dies bedeutet, daß ein Hektar Wald soviel CO2 aus der Luft filtern kann, wie bei der Verbrennung von hundert Gigajoule fossiler Energie jährlich emittiert wird.10 Bei der dritten Methode wird bestimmt, wieviel Fläche erforderlich ist, um den Verlust durch die Nutzung von Fossilenergie auszugleichen, indem eine energetisch äquivalente Menge Naturkapital geschaffen wird. Diese Idee beruht auf einem Argument des Weltbankökonomen Salah El Serafy: Wenn wir akzeptieren, daß Abbildung 3.3: Erneuereine Gesellschaft nur dann zukunftsfähig ist, bare Energiequellen könwenn sie ihren Reichtum (sprich: ihr Naturkanen stark dazu beitragen, pital) nicht verringert, dann sollte jede Gesellunseren Fußabdruck zu schaft, die nicht erneuerbare Rohstoffe verwenverringern.
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Yoshihiko Wada, a. a. O. Dies ist ein Durchschnittswert. Der wahre Wert variiert mit dem Energieträger und dem Aufarbeitungsprozeß. Ohne Berücksichtigung der Verluste, die bei der Bereitstellung dieser Nutzenergieträger entstehen, läge der Wert für Steinkohle bei nur etwa 76 Gigajoule und für Methangas bei 120 Gigajoule pro Hektar und Jahr.
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det, einen Teil ihrer Einkommen in den Verlustausgleich investieren.11 Kurz: Wir sollten ersetzen, was wir verbrauchen. Diese Idee deckt sich mit dem Prinzip des konstanten Naturkapitals. Für jeden Liter Öl, den wir verbrennen, sollten wir Naturkapital mit der gleichen biochemischen Energie aufbauen. Berechnungen zeigen, daß man in einem durchschnittlichen Hektar Wald pro Jahr ungefähr achtzig Gigajoule Biomassenenergie erwirtschaften kann. Wenn wir das verbrauchte fossile Naturkapital durch Biomasse ersetzen, dann beträgt also das Energie-Land-Verhältnis achtzig Gigajoule pro Hektar und Jahr. (Sobald die Reserven fossiler Energie aufgebraucht sind und wir anfangen, das Energieland zu bewirtschaften, verfahren wir nach der ersten Methode). Die Rechenmethode, die auf der CO2-Absorption beruht, führt zum kleinsten fossilen Fußabdruck. Viele, die uns bei der Entwicklung des Fußabdruckkonzepts beraten haben, erklärten, daß diese Methode die breiteste öffentliche Akzeptanz finden würde. Die CO2-Methode setzt beim Abfall an. Sie enthält zwar nicht die Forderung, mit der heutigen Fossilwirtschaft radikal zu brechen, aber sie weist daraufhin, daß wir der Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre entgegenwirken müssen. Aus den genannten Gründen verwenden wir in diesem Buch die CO2-Methode, um das Energie-Land-Verhältnis für Fossilenergie zu bestimmen. Der Umrechnungsfaktor für Fossilenergie beträgt somit hundert Gigajoule pro Hektar und Jahr. Bei der Erzeugung von Elektrizität wächst der Fußabdruck pro Einheit Nutzenergie auf das Dreifache an, weil der Wirkungsgrad der eingesetzten Fossilenergie etwa bei dreißig Prozent liegt. Erneuerbare Energiequellen können dagegen eine wesentlich höhere Produktivität (also kleinere Fußabdrücke) erzielen. Für die Wasserkraft sind Fußabdruckschätzungen besonders einfach: Der jährlich erzeugte Strom wird dividiert durch die Fläche des überschwemmten Gebiets hinter den Dämmen plus der Landfläche, die 11
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Salah El Serafy, The Proper Calculation of Income from Depletable Natural Resources, in: Ernst Lutz und Salah Serafy, Environmental Resource Accounting and Their Relevance to the Management of Sustainable Income, Washington, D. C: The World Bank, 1988.
von den Korridoren der Hochspannungsüberlandleitungen beansprucht werden.12 Vaclav Smil, Geograph an der Universität von Manitoba, schätzt die Produktivität von Flußwasserkraft im Flachland auf 160 bis 480 Gigajoule pro Hektar und Jahr. Höherliegende Flußkraftwerke bringen es auf 1500 bis 5000 Gigajoule, Kraftwerke in den Alpen erzielen gar 15 000 Gigajoule. Zu ähnlichen Resultaten kommen der Ingenieur Michael Narodoslawsky und seine Kollegen an der Technischen Universität Graz. Sie schätzen die Produktivität typischer Wasserkraftwerke auf durchschnittlich 1500 Gigajoule pro Hektar und Jahr, allerdings ohne Überlandleitungen zu veranschlagen. Werden deren Korridore in die Rechnung eingeschlossen, so sinkt das Energie-Land-Verhältnis auf ungefähr 1000 Gigajoule pro Hektar und Jahr. Im Gegensatz dazu gehen David Pimentel und seine Gruppe an der Cornell University bei ihrer Berechnung der durchschnittlichen Wasserkraftproduktivität der USA von nur 47 Gigajoule pro Hektar und Jahr aus. In ihren Kalkulationen schwankt die Produktivität zwischen 4,5 Gigajoule bei im Flachland liegenden Flußkraftwerken und 7300 Gigajoule bei Staudämmen in Berggebieten. (Wasserkraftwerke, die weniger als 80 Gigajoule pro Hektar und Jahr erwirtschaften – und damit nicht den Wert von landwirtschaftlich erzeugtem Brennstoff erreichen –, sind ökologisch ineffizient. Dies gilt besonders für Dämme im Flachland mit niedriger Elektrizitätsproduktivität, die große Flächen Land mit hoher biologischer Produktivität überschwemmen).13 Alle genannten Daten weisen darauf hin, daß es vernünftig ist, bei Wasserkraft ein Energie-Land-Verhältnis von tausend Gigajoule pro Hektar und Jahr anzusetzen. Dieser Umrechnungsfaktor bewirkt eher,
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Nur das Land der Überlandleitungen wird gezählt, das für keinen anderen Zweck gebraucht werden kann. In den Waldschneisen der Korridore gibt es einen Verlust der Holzproduktion. Wenn jedoch die Korridore zum Beispiel als Weiden benutzt werden, ist Vorsicht geboten, um doppeltes Zählen zu vermeiden. Vaclav Smil, General Energetics: Energy, in: the Biosphere and Civilization, New York: John Wiley, 1991. David Pimentel, Achieving a Secure Energy Future: Environmental and Economic Consequences, in: Ecological Economics, Vol. 9, Nr. 3, S. 201-219, 1994. Michael Narodoslawsky und Christian Krotscheck, The Sustainable Process Index Case Study: The Synthesis of Ethanol from Sugar Beet, Technische Universität Graz, Austria: Institut für Verfahrenstechnik, 1993.
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daß die für den Fußabdruck zu veranschlagenden Flächen zu klein ausfallen, da ökologisch negative Effekte wie die Beeinträchtigung von Fischbeständen, die Baukosten der Kraftwerke oder die Folgen der Sedimentation nicht berücksichtigt werden. Die Fußabdruckflächen der Wasserkraft zählen wir zur Kategorie b: überbautes Land. In unseren gröberen Fußabdruckberechnungen haben wir oft den Wasserkraftanteil nicht berücksichtigt, da er im Verhältnis zu anderen Flächen klein ist. Hier eine Schätzung für Kanada: Laut World Resources Institute wurden 1993 dort 1,165 Millionen Gigajoule Elektrizität aus Wasserkraft gewonnen.14 Nimmt man an, daß diese Energie in Kanada verbraucht wurde und daß die Wasserkraftwerke (inklusive des überschwemmten Landes und der Korridore für die Überlandleitungen) im Durchschnitt 1000 Gigajoule Strom pro Hektar und Jahr lieferten, so errechnet sich daraus ein Beitrag zum kanadischen Pro-Kopf-Fußabdruck von 400 Quadratmetern.15 Andere Formen erneuerbarer Energie erreichen beeindruckende Erträge. Wissenschaftler schätzen, daß großflächige photovoltaische Anlagen zwischen 100 und 1000 Gigajoule Elektrizität pro Hektar und Jahr produzieren können. Dies hat eine zwei Hektar große photovoltaische Anlage in den Schweizer Alpen bestätigt, die im ersten Betriebs jähr ungefähr 1000 Gigajoule ins Netz einspeiste.16 Gute Sonnenkollektoren im Niedrigtemperaturbereich, zum Beispiel für die Warmwasseraufbereitung im Haushalt, können zwischen 10 000 bis 40 000 Gigajoule pro Hektar und Jahr erzeugen.
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Falls nicht anders vermerkt, sind alle unsere Energiedaten dem World Resources Report, New York: Oxford University Press, entnommen. 1 165 000 000 [Gigajoule pro Jahr]/1000 [Gigajoule pro Hektare und Jahr]/28 800 000 2 [Kanadier] = 0,04 [Hektar pro Kanadier] oder 400 [m pro Kanadier]. Berechnungen von Mathis Wackernagel und Yoshihiko Wada (unter Benutzung der Studie von Carl-Jochen Winter und Joachim Nitsch, Hydrogen as an Energy Carrier: Technologies, Systems, Economy Berlin: Springer Verlag, 1988 ergeben eine photovoltaische Produktivität von 100 bis 500 GJ/ha/Jahr. Michael Narodoslawsky, Christian Krotscheck und Jan Sage, The Sustainable Process Index (SPI): A Measure for Process Industries, Technische Universität Graz, Austria: Institut für Verfahrenstechnik, 1993, haben die Produktivität als 430 GJ/ha/Jahr abgeschätzt. David Pimentel et al., a. a. O., nennt 1200 GJ/ha/Jahr als. Alle folgenden Abschätzungen zu erneuerbaren Energien stammen Vaclav Smil, a.a.O.
Auch die Windenergie gewinnt an Bedeutung. In den am günstigsten gelegenen kalifornischen Windfarmen werden 250 bis 500 Gigajoule pro Hektar und Jahr erzielt. Wenn wir die Tatsache einbeziehen, daß die physischen Fußabdrücke von Windmühlen nur zwei Prozent des Gebiets einer Windfarm bedecken und somit auf ihrer Fläche noch andere Aktivität möglich ist, steigt die Produktivität von Windmühlen auf 12 500 bis 25000 Gigajoule pro Hektar und Jahr. In Dänemark, dem Pionierland der modernen Windkraftanlagen, werden die Windmühlen über das ganze Land verteilt, statt sie an bestimmten Orten zu konzentrieren. Dies spart Platz und ist ästhetischer; außerdem senkt es die Verteilungskosten und die Netzverluste der Elektrizität. Solche erneuerbaren Energiequellen wie Sonnenkollektoren und Windturbinen verringern den fossilen Anteil unseres heutigen Fußabdrucks wesentlich. Darüber hinaus belegen diese Quellen nicht zwangsläufig biologisch produktives Land. In bisherigen Fußabdruckberechnungen ist die Atomenergie nur oberflächlich und stark vereinfacht berücksichtigt. Da Atomenergie im Erdreich gespeichert ist, können wir für sie ähnliche Landflächenschätzungen anstellen wie für Fossilenergien. Ein wesentlicher Unterschied ist aber, daß Atomenergie weniger CO2 freisetzt als Kohle, Öl oder Gas. Doch ist Atomenergie mit anderen Risiken wie Strahlung, langlebigem Müll und der Gefahr von Unfällen behaftet, deren ökologische Kosten bedeutend sein können. Daher benutzen wir für die Atomenergie die gleichen Flächenbeanspruchungswerte wie für Fossilenergien.17 Das ist wirklichkeitsgetreuer, als wenn man den Flächenbedarf der Atomenergie auf Null setzen würde, weil man ihre genauen ökologischen Kosten nicht kennt. Manche sehen das anders und erklären, die Atomenergie beanspruche nur wenig Platz auf der Erdoberfläche. Wenn man den Flächenbedarf des vollständigen Brennmaterialkreislaufs vom Bergbau über die Verarbeitung von Uranerzen, die Urananreicherung, die Produktion von Brennstäben, die Wiederaufbereitung ausgebrannter Stäbe bis hin zur Lagerung von Atommüll unter der Voraussetzung eines unfallfreien 17
100 Gigajoule thermische Nuklearenergie (oder 33 Gigajoule nuklear produzierte Elektrizität) entsprechen in unseren jetzigen Berechnungen der Flächenbelegung von einem Hektar für ein Jahr.
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Betriebs bestimmt, produziert die Atomindustrie über 50 000 Gigajoule Elektrizität pro Jahr und Hektar. Die Produktivität von gutfunktionierenden Kernkraftwerken überträfe demnach die Ergiebigkeit der leistungsfähigsten Äthanoltechnik um zwei bis drei Größenordnungen – wenn man unterstellt, daß es keine Unfälle gibt und reichlich Uran zur Verfügung steht. Sobald wir aber die Wirkung von Unfällen einbeziehen, sieht das Bild anders aus. Für die zehn Jahren nach dem Tschernobyl-GAU schätzen wir, daß die weltweite Atomkraftproduktivität im Hinblick auf die Stromerzeugung auf vielleicht 10 Gigajoule pro Hektar und Jahr gesunken ist.18 Die Atomkraft stellt ohnehin keine besonders zukunftsfähige Energieoption dar. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit dieser Technik ist erschüttert, zivile und militärische Nutzung sind offenbar nicht zu trennen, und der Atommüll dürfte eine unverantwortliche Last für künftige Generationen bleiben. Weitere Faktoren, die die Größe des ökologischen Fußabdrucks mitbestimmen, sind Landzerstörung, Wasserverbrauch, Abfall und die Gefahrdung der Artenvielfalt. Zugepflastertes, überbautes, erodiertes oder anderweitig degradiertes Land hat sein biologisches Potential verloren, es ist verbraucht. Seine zukünftige Bioproduktivität ist beschränkt. Dies ist besonders gewichtig, da Siedlungsflächen oft die fruchtbarsten Böden belegen – auf ihnen wurden viele Städte gegründet. Da die Ressourcennachfrage weiter steigt, wird es notwendig sein, weniger ergiebiges Land aufzuwerten, um verlorene Produktivität wettzumachen.19 Damit wird das Fußabdruck18
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Als grobe Abschätzung: Nach Statistiken des World Resources Institute betrug die kumulative weltweite Stromproduktion der Nuklearindustrie zwischen 1986 und 1996 zirka 73 000 Petajoule. Der Flächenbedarf des Tschernobyl-Unfalls entspricht, konservativ gerechnet, einem Zehntel der europäischen Agrarproduktion des Jahres 1986 (34 Millionen Hektar-Jahre, was bedeutet, daß ein Hektar 34 Millionen Jahre belegt ist oder 34 Millionen Hektar ein Jahr beansprucht werden) und der Zone mit einem Radius von vielleicht 30 Kilometern um den Tschernobyl-Reaktor, die für den Menschen für ungefähr 25 000 Jahre verseucht bleibt (7000 Millionen Hektar-Jahre). Damit ergibt sich eine durchschnittliche Elektrizitätsproduktivität von 73 000 PJ/7 034 000 000 Hektar-Jahre = 10 GJ/ha/[ahr oder 30 GJ/ha/Jahr thermisch. Dies wird schon an vielen Orten praktiziert: Unsere Lebensmittelproduktion wird immer abhängiger von einer intensiven Landwirtschaft, deren Fossilenergie- und Nährstoffbedarf subventioniert wird, während das Naturkapital abnimmt.
konto zusätzlich belastet, denn es werden Energie und Ressourcen eingesetzt, um biologische Produktivität aufzubauen. In vielen Regionen der Welt konkurriert der Trinkwasserverbrauch des Menschen mit anderen Nutzungsmöglichkeiten von Wasser. Die Trinkwassergewinnung beansprucht Landflächen, und der Wassertransport benötigt Energie und Material. Diese ökologischen Kosten müssen in die Fußabdruckrechnung einbezogen werden. (Das kann man tun, indem man die Landfläche schätzt, die zusätzlich gebraucht wird, um die verlorene biologische Produktivität der Wassersammelgebiete auszugleichen.) Wassersammelgebiete sollten allerdings nur berücksichtigt werden, wenn die Wassergewinnung die dominierende Aktivität in einer Region ist. Sonst würde man Flächen doppelt zählen. In trockenen Gegenden können Wassersammelgebiete beträchtliche Ausmaße annehmen. Zum Beispiel beansprucht das Sammeln von Wasser in vielen Gegenden Australiens zwischen 0,27 und 0,37 Hektar Land pro Stadtbewohner.20 Zum Abfall: Die Kapazität der Natur, menschliche Abfallstoffe aufzunehmen, ist beträchtlich, aber doch beschränkt. Die Natur kann Nährstoffe und Haushaltsabfalle abbauen, wenn sie organisch sind und nicht zu stark konzentriert sowie richtig verteilt werden. Sie kann das zersetzte Abfallmaterial ohne großen zusätzlichen Flächenbedarf in lokale Ökosysteme einbauen. (So muß für Abwasser nur die Fläche der Kläranlagen und ihres Energiebedarfs berechnet werden, sofern die Umgebung die Nebenprodukte der Wasserreinigung wie etwa Schlamm schadlos aufnehmen kann.) Was aber nicht absorbiert wird, sammelt sich an oder wird vom Wasser und der Luft weggetragen, um sich woanders anzureichern, sei es im Meer oder in Nahrungsketten. Die Verschmutzung von Böden, Wasser und Luft kann die ökologische Produktivität senken oder Erträge so stark mit Schadstoffen belasten, daß sie sich nicht mehr für den menschlichen Gebrauch eignen. Diese für den Menschen verlorenen Landflächen sollten daher zum Fußabdruck hinzugerechnet werden. Das gilt nicht weniger für Regionen, wo die biologische Produktivität leidet, weil die Zerstörung der Ozonschicht die ultraviolette Strahlung verstärkt. 20
Barney Foran, CSIRO, Australia, Division of Wildlife & Ecology, persönliche Mitteilung, November 1994.
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Schließlich zur Artenvielfalt. Sie wird bedroht durch den unwiderruflichen Verlust und das Zersplittern von Wildnisgebieten auf allen Kontinenten. Noch immer wird darüber diskutiert, wieviel Wildnis die Erde braucht, um Artenvielfalt und ökologische Stabilität zu sichern. Der amerikanische Ökologe Eugene Odum sagt, daß ein Drittel jedes Ökosystemtyps erhalten werden müsse, um die Artenvielfalt zu gewährleisten. Die Brundtland-Kommission hat empfohlen, mindestens zwölf Prozent der Landfläche der Erde (etwa zwei Milliarden Hektar) für diese Aufgabe zu reservieren, aber hier handelt es sich wohl eher um einen politischen Kompromiß als um eine ökologisch begründbare Zahl. Es bleibt eine Tatsache, daß wir nicht wissen, wieviel Natur erforderlich ist, um die Artenvielfalt zu schützen und uns ökologische Sicherheit zu bieten. Wir wissen ebensowenig, welchen Beitrag intensiv genutzte Ökosysteme wie Nutzwälder dazu leisten können. Unsere Landkategorie/umfaßt die nahezu unberührten Waldökosysteme mit einer Gesamtfläche von ungefähr 1,5 Milliarden Hektar.21 Das sind gerade einmal neun Prozent der biologisch produktiven Landfläche der Erde, und nur ein Drittel davon steht unter Schutz. Gesunder Menschenverstand, gewürzt mit etwas Vorsicht, sagt uns, daß wir diese Gebiete nicht zerstören sollten. Die Konsum-Landflächen-Matrix Sobald die wichtigsten Verbrauchs- und Landkategorien definiert sind, muß die Beziehung zwischen jeder Verbrauchskategorie und ihrer Landbelegung bestimmt werden, wobei wir das oben geschilderte Berechnungsverfahren anwenden. Die Daten werden dann in einer Matrix zusammengestellt, in welcher der Verbrauch (in den Zeilen) mit den Landflächen (Spalten) verknüpft wird. (Tabelle 3.6 zeigt beispielhaft eine etwas ausführlichere Übersicht für den Durchschnittskanadier). Jede Zelle in der Matrix steht für die Landfläche einer definierten Kategorie, die von einem bestimmten Konsumgut belegt wird.
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World Resources Institute, World Resources, New York: Oxford University Press, 1992. Sandra Postel und John Ryan, Reforming Forestry, in: Worldwatch Institute, State of the World, New York: W. W. Norton, 1991.
Die Zeilen werden in unsere fünf Konsumkategorien geteilt: Lebensmittel, Wohnen, Transport-, Konsumgüter und Dienstleistungen. Beachten Sie, daß die Daten für jede Kategorie nicht nur die Fläche darstellen, die direkt von einem Konsumartikel belegt wird, sondern auch das Land, das notwendig ist, um ihn zu produzieren, zu nutzen und zu entsorgen. Es handelt sich also um die Lebenszyklusanalyse oder Ökobilanz eines Verbrauchsguts. Die Wohnkategorie zum Beispiel enthält das Land, auf dem ein Haus steht (einschließlich seines proportionalen Anteils an der städtischen Infrastruktur), die Waldfläche für das Bauholz und die Möbel, Energieland für die Ziegel- und Zementherstellung wie auch für die Raumheizung. Wie in Tabelle 3.1, stehen die Matrixspalten A bis F für je eine Landkategorie. Spalte a widerspiegelt die Fossilenergie und deren CO2Produktion. Die Fossilenergie, die in allen Gütern und Aktivitäten steckt, wird entsprechend des Energie-Land-Verhältnisses von hundert Gigajoule pro Hektar und Jahr in Land umgerechnet. Spalte B zeigt die Fläche überbauten und degradierten Lands. Spalte C umfaßt Ackerland und Spalte D die Weideflächen für Tierprodukte wie Milch, Fleisch, Leder und Wolle. Säule E stellt die Waldfläche für Holz und Faserproduktion dar. Die Spalte Total faßt zusammen, wieviel Fläche jede Konsumkategorie beansprucht. Die Fußabdruckdaten in Tabelle 3.6 beruhen auf weltweiten ökologischen Durchschnittsproduktivitäten. Das beschriebene Berechnungsverfahren ist konzeptionell einfach und relativ leicht anzuwenden. Wir beginnen meistens mit zusammenfassenden Zahlen (seien sie nun global, national oder regional), so wird es möglich, Größenordnungen abzuschätzen. Die Analyse kann dann mit genaueren Daten für Gemeinden, Regionen oder Technologien konkretisiert werden. So wenden wir den Fußabdruck an: 22 praktische Beispiele Nach der Theorie die Praxis. Wir beginnen mit einem Vergleich der Pro-Kopf-Fußabdrücke des typischen Schweizers, Österreichers und Deutschen und zeigen auch, wieviel des jeweiligen Naturverbrauchs national gedeckt werden kann.
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Abbildung 3.4: Das Schätzen von Fußabdrücken macht Spaß. Ein Taschenrechner und ein paar statistische Handbücher wie das „World Resources“-Kompendium reichen, um einfache Anwendungsbeispiele zu errechnen.
1. Der ökologische Fußabdruck der Schweiz, Deutschlands und Österreichs.22 „Wie groß sind unsere Fußabdrücke?“ Das ist oft eine der ersten Fragen, wenn wir unser Konzept erklären. Wie groß ist also der Fußabdruck der 22
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Alle nationalen Fußabdruckberechnungen und Abschätzungen der lokal vorhandenen ökologischen Produktivität, die in diesem Kapitel vorgestellt werden, hat Mathis Wackernagel in Zusammenarbeit mit Patricia Bello und Alejandro Callejas L. erarbeitet. Sie sind im Report „Ecological Footprints of Nations“ für das „Rio+5“ Forum, 1997, Xalapa: Universidad Anähuac de Xalapa, 1996, ausführlicher besprochen. Frühere Kalkulationen dieser Länder: Ingo Neumann von der Universität Trier hat schon 1994 den Fußabdruck seiner Region abgeschätzt (Der ökologische Fußabdruck der Region Trier, Diplomarbeit der Universität Trier, 1994); Dieter Zürcher und Thomas von Stokar vom Büro Infras in Zürich erarbeiteten die ersten Fußabdruckschätzungen für die Schweiz (Quantitative Aspekte einer zukunftsfähigen Schweiz, WWF SBN, Greenpeace, SGU, SES, Erklärung von Bern, Arbeitsgemeinschaft Swissaid / Fastenopfer / Brot für alle / Helvetas / Caritas, 1995). Für Österreich hat Herfried Gaszl von der Technischen Universität Graz den nationalen Fußabdruck ermittelt (Der Fußabdruck Feldbachs, basierend auf dem Fußabdruck Österreichs, Grobentwurf, Graz, 1995).
Schweizer, Deutschen und Österreicher? Um eine Antwort zu geben, haben wir aus Produktionsdaten und Handelsbilanzen für jedes der drei Länder den Konsum geschätzt. Für die meisten Länder enthalten unsere Import-Export-Bilanzen rund sechzig Handelskategorien. Dann haben wir den Verbrauch der dreißig wichtigsten biotischen Ressourcen bestimmt (vor allem Nahrungsmittel, aber auch Forstprodukte und Textilfasern). Den direkten Energieverbrauch haben wir Statistiken des World Resources Institute entnommen, die auch angeben, wieviel davon auf Fossilenergie, Atom- oder Wasserkraft zurückzuführen ist. Zudem haben wir die Energiebilanz korrigiert, indem wir die graue Energie, die in den Handelsgütern steckt, berücksichtigt haben. Länder wie die Schweiz, die kaum eigene Schwerindustrie besitzen, verbrauchen ansehnliche Mengen Energie in Form von importierten Fertigwaren. Dagegen fließt in Ländern wie Deutschland oder Schweden viel Energie in die Exportproduktion; diese Energie muß den Ländern zugeschlagen werden, die diese Produkte importieren. Das Resultat pro Durchschnittsbewohner der genannten Länder sieht folgendermaßen aus:
Tabelle 3.3: Der Fußabdruck der Deutschen, Schweizer und Österreicher.
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Natürlich können Fußabdrücke innerhalb einzelner Länder stark variieren, denn sie hängen wesentlich ab von Faktoren wie Einkommen, persönlichen Wertvorstellungen, Verhalten, Konsumgewohnheiten und benutzten Technologien. Interessanterweise zeigt es sich, daß sich die durchschnittlichen Fußabdrücke der drei Länder in einem ähnlichen Rahmen bewegen.
Kasten 3.3: Einige Beispiele, wie Konsum in Landflächen umgerechnet wird Fossilenergie und CO2-Absorption Frage: Wieviel biologisch produktives Land (wie kohlenstoffabsorbierender Wald) sind notwendig, um das CO2 aufzunehmen, das durch den Fossilenergieverbrauch eines Schweizers in die Atmosphäre gelangt? Antwort: Laut World Resources Institute hat die Schweiz 1993 nicht weniger als 985 Millionen Gigajoule (oder 985 Petajoule) kommerzielle Energie verbraucht. Davon sind 132 PJ mit Wasserkraft erzeugt worden, 255 PJ Wärmeenergie entstammen Atomreaktoren (um 85 PJ Strom zu erzeugen). Die graue Energie der Nettoimporte beläuft sich auf 126 PJ: 985 – 132 – 255 + 126 PJ 7 000 000 Schweizer
= 103 GJ im Jahr pro Schweizer
Bei einem Energie-Land-Verhältnis von 100 Gigajoule pro Hektar und Jahr ergibt sich: 103 GJ / Jahr / Person 1,03 Hektar pro Person, um das CO2 der = 100 [GJ / ha / Jahr] verbrauchten Fossilenergie zu absorbieren Der Fußabdruck der Atomenergie beträgt 0,37 Hektar pro Person. Zusammen ergibt sich also ein Fußabdruck von 1,4 Hektar pro Schweizer. Produktive Waldfläche für den Papierkonsum Frage: Wieviel produktive Waldfläche ist notwendig für das Papier, das ein Deutscher verbraucht? Antwort: In Deutschland werden pro Jahr und Kopf 200 Kilogramm Papier verbraucht. Um eine Tonne Papier herzustellen, werden in Deutschland 0,8 Kubikmeter Holz verarbeitet, Recyclingpapier inbegriffen. In Kanada ist der Recyclinganteil viel kleiner, und es wird wahrscheinlich weniger sparsam produziert, so daß etwa doppelt soviel Holz benötigt wird. Die weltweite
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Holzproduktivität erreicht im Durchschnitt 1,48 Kubikmeter pro Hektar und Jahr. Somit ergibt sich: 200 kg / Jahr / Person × 0,8 m3 / t = 0,11 ha pro Person für Papier 1000 kg / t × 1,48 m3 / ha / Jahr
Siedlungsfläche Frage: Wieviel Siedlungsfläche braucht eine Französin? Antwort: Die Siedlungsfläche in Frankreich, inklusive der Straßen, Plätze, Häuser und Fabriken, wird vom World Resources Institute mit 2 910 000 Hektar angegeben. Bei knapp 58 Millionen Franzosen und Französinnen macht dies: 2 910 000 Hektar = 0,05 Hektar für jede Französin 58 000 000 Personen
2. Wieviel Platz gibt es auf der Welt für unsere Fußabdrücke? Um ökologische Fußabdrücke interpretieren zu können, sollten wir wissen, wieviel biologisch produktives Land vorhanden ist. Unser Planet hat eine Oberfläche von 51 Milliarden Hektar. 13,3 Milliarden Hektar Tabelle 3.4: Eine grobe Einteilung der Landflächen auf der Erde.*
* Adaptiert nach Statistiken von Robert H. Whittaker, 1975, Communities and Ecosystems, 2. Auflage, New York: MacMillan Publishing und Daten der FAO, in: FAO Yearbook: Production 1994, Vol. 48, Rom: FAO, 1995.
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Abbildung 3.5: Wieviel Land gibt es, das für den Menschen vitale ökologische Funktionen gewährleisten kann? Die Oberfläche der Erde umfaßt 51 Milliarden Hektar. Davon sind 36,2 Milliarden Hektar Meer, dessen biologische Produktion sich zum Großteil auf einem Zehntel seiner Fläche konzentriert. Die Landfläche mißt insgesamt 14,7 Milliarden Hektar. Doch von diesen sind nur 8,3 Milliarden biologisch produktiv. Die übrigen 6,4 Milliarden Hektar (von denen 1,4 Milliarden mit Eis bedeckt sind) sind für menschliche Zwecke nur wenig oder ganz unfruchtbar. (Iliana Pámanes, nach Phil Testemale)
sind frei von Eis oder Wasser. Von dieser Fläche sind etwa 8,3 Milliarden Hektar biologisch produktiv: hauptsächlich Felder (1,45 Milliarden Hektar), Weiden (3,36 Milliarden Hektar) und Wälder (3,44 Milliarden Hektar). Die anderen 5 Milliarden Hektar Land setzen sich zusammen 112
aus 1,5 Milliarden Hektar Wüsten (nicht mit eingeschlossen die 1,4 Milliarde Hektar der Antarktis), 1,2 Milliarden Hektar Trockengebieten, 0,8 Milliarden Hektar Gebüschlandschaften, 1,3 Milliarden Hektar für Viehzucht ungeeignete Graslandschaften und 0,2 Milliarden Hektar Siedlungs- und Straßenflächen (die letztgenannte Position entspricht 0,03 Hektar pro Kopf). Von den 8,3 Milliarden Hektar biologisch produktivem Land kann der Mensch nicht alle direkt nutzen. So befinden sich darunter 1,5 Milliarden Hektar Wildnis, die unter allen Umständen unberührt bleiben sollten. Wenn wir davon ausgehen, daß 1 Milliarde Hektar Wildnis in die Kategorie der biologisch produktiven Landflächen fällt, dann stehen uns nur 7,3 Milliarden Hektar für die Nutzung zur Verfügung.23 Um diese Zahlen ein wenig faßbarer zu machen, teilen wir 8,3 Milliarden Hektar biologisch produktives Land plus 0,2 Milliarden Hektar Siedlungsfläche in Pro-Kopf-Quoten auf. Wieviel steht pro Erdbewohner zur Verfügung? Mit einem Taschenrechner ist dies leicht zu berechnen. Bei einer Weltbevölkerung von 5,8 Milliarden Menschen macht das 1,45 Hektar pro Person. Davon sind, wie Abbildung 2.8 zeigt, 0,25 Hektar Ackerflächen, 0,58 Hektar Weiden, 0,59 Hektar Wald und 0,03 Hektar Siedlungsfläche. Dazu kommen noch etwa 0,55 Hektar ökologisch produktive Meeresfläche. 3. Vergleich des schweizerischen, deutschen und österreichischen Fußabdrucks mit der lokalen und globalen ökologischen Kapazität Bevor wir die lokal und global verfügbaren Flächen dem schweizerischen, deutschen und österreichischen Fußabdruck gegenüberstellen, müssen wir zeigen, wie menschlicher Konsum mit der lokalen ökologischen Kapazität verglichen werden kann. Aus FAO-Statistiken wissen wir, wieviel Fläche der verschiedenen ökologischen Kategorien in jedem Land vorhanden ist. Auch können wir aufgrund dieser Statistiken schätzen,
23
Wir sind uns des unbarmherzig anthropozentrischen Tons dieses Abschnitts bewußt. Der Grund ist nicht, daß wir die intrinsischen Werte anderer Tier und Pflanzenarten ignorieren. Wir wollen damit nur die ökologische Realität aufzeigen, daß der Mensch schon heute die dominante biologische Art in der Biosphäre ist und daß Wirtschaftsnarzißmus immer noch unsere Geisteshaltung bestimmt.
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wieviel produktiver ein lokaler Hektar gegenüber einem Hektar des Weltdurchschnitts ist. Wahrscheinlich überschätzen diese Vergleiche jedoch die Produktivität in Industrieländern, da diese durch massiven Düngereinsatz (mit großem ökologischem Fußabdruck) erkauft werden. Es gibt allerdings Hinweise darauf, daß eine biologische Landwirtschaft ohne Kunstdünger, aber mit wesentlich mehr Arbeitseinsatz ähnlich hohe Erträge erzielen könnte. Da Meer schwierig abzugrenzen ist, gehen wir von globalen ProKopf-Meeresflächen aus. Hier nun die Vergleiche:
Tabelle 3.5: Die schweizerische, deutsche und österreichische Nachfrage, verglichen mit dem ökologischen Angebot.
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4. Ein weltweiter Vergleich der Fußabdrücke: Könnten alle Menschen so leben wie wir in den Industrienationen? Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat die ökologische Fläche pro Kopf stark abgenommen. Statt 5 Hektar zu Beginn dieses Jahrhunderts sind es nur noch 1,45 Hektar. Mit dem wachsenden materiellen Wohlstand haben sich die ökologischen Fußabdrücke der Menschen in den Industriestaaten, aber auch in Ballungszentren des Südens auf drei bis neun Hektar ausgedehnt (Abbildung 1.5). Die ökologischen Fußabdrücke der Einwohner reicher Länder übertreffen die ihnen zustehende ökologische Fläche um das Zwei- bis Sechsfache. Die Vorstellung, daß alle Menschen – geschweige denn die zehn Milliarden im Jahr 2050 – so leben können wie wir im reichen Norden, ist absurd. Dazu brauchten wir mehr als drei Erden. 5. Wie groß ist der Fußabdruck der Menschheit? Solange es genügend biologisch produktives Land auf der Erde gibt, kann ein örtlicher Verbrauch, der die örtliche Produktion übersteigt, ausgeglichen werden, indem man Überschußprodukte aus anderen Regionen einführt. Wie groß ist die ökologische Überschußproduktion auf diesem Planeten, und wie groß ist der Naturverbrauch der Menschen? Schon eine grobe Schätzung zeigt, daß mehr natürliche Rohstoffe verbraucht werden, als die Ökosysteme der Erde vertragen können. So 115
Abbildung 3.6: Der ökologische Fußabdruck der Menschheit ist nach groben Rechnungen fast dreißig Prozent größer als das Kapital, das die Natur langfristig reproduzieren kann. Mit anderen Worten: Der heutige Konsum übersteigt das natürliche Einkommen um dreißig Prozent und braucht daher Naturkapital auf. Die verschwenderische Party der reichen Weltmittelschicht heute wird in der Zukunft allen eine saftige Rechnung bescheren.
erstreckt sich die Landwirtschaft über 1,45 Milliarden Hektar Anbaugebiete und 3,36 Milliarden Hektar Weideland. Eine nachhaltige Produktion in der Holzwirtschaft würde ein produktives Waldgebiet von 2,3 Milliarden Hektar erfordern. Um den CO2-Ausstoß zu neutralisieren, müßten weitere 3 Milliarden Hektar Wald als Kohlenstoffsenke verfügbar sein. Das sind nur drei Beispiele, aber schon sie allein benötigen rund 10 Milliarden Hektar Land. Es gibt für die genannten Zwecke jedoch nur 7,3 Milliarden Hektar. Die ökologische Tragfähigkeit wird also um dreißig Prozent überzogen. (Unter Umständen könnten Artenschutz und Kohlenstoffsenken auf den gleichen Flächen sichergestellt werden. Aber selbst wenn in diesem Fall 8,3 Milliarden Hektar ökologischer Fläche verfügbar wären, würde die Tragfähigkeit immer noch um zwanzig Prozent überzogen.)
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Auch ein Fußabdruck, der so groß ist wie das biologisch verfügbare Land, ist nicht zukunftsfähig, denn er bietet keine Sicherheitsreserve und auch keinen Platz für die Tier- und Pflanzenarten, die nicht in vom Menschen genutzten Ökosystemen leben – und das ist die Mehrzahl aller biologischen Arten. Mit einer solch simplen Fußabdruckberechnung läßt sich zeigen, daß der gegenwärtige Material- und Energiedurchsatz der Weltwirtschaft nicht langfristig aufrechterhalten werden kann. Wie kann der Fußabdruck der Menschheit größer sein als das verfügbare Land auf unserem Planeten? Ähnlich wie Finanzkapital kann Naturkapital stärker genutzt werden, als es Zinsen abwirft. Überschreitet ein Fußabdruck das verfügbare Land, dann bedeutet dies, daß das Naturkapital abgebaut wird. Besonders beeindruckend zeigt sich das im Nord-Süd-Vergleich. Die 25 reichen Länder der Erde mit weniger als 20 Prozent der Weltbevölkerung haben einen ökologischen Fußabdruck von der Größe der weltweit verfügbaren biologisch produktiven Fläche. Hier die Rechnung: Das reiche Fünftel konsumiert 80 Prozent der Weltrohstoffe. Dieser Verbrauch entspricht heute schon einem Fußabdruck von mehr als 120 Prozent der biologisch produktiven Landflächen der Erde (inklusive der Gebiete, die eigentlich unberührt bleiben sollten!). Folglich beansprucht der Fußabdruck der Industrieländer mindestens 0,8 x 1,28 = 0,96 (oder 96 %) der ökologischen Tragfähigkeit der Erde. Es bleibt für die anderen 80 Prozent der Weltbevölkerung nicht viel übrig. 6. Wie groß ist der ökologische Fußabdruck eines Kanadiers? Wir haben unsere ersten Fußabdruckberechnungen mit kanadischen Daten durchgeführt. Diese Kalkulationen sind immer noch die detailliertesten, die wir bis heute erstellt haben. Auch sie untersuchen, wieviel biologisch produktives Land gebraucht wird, um die Rohstoffe und Leistungen zur Verfügung zu stellen, die von einem durchschnittlichen Kanadier beansprucht werden. Wir haben zu diesem Zweck jährliche nationale Statistiken zu den fünf Hauptkategorien des Konsums und den entsprechenden Abfallsorten gesammelt. Die Summe der Mengenangaben haben wir durch die Einwohnerzahl Kanadas geteilt, um Pro-Kopf-Werte zu erhalten. 117
Abbildung 3.7: Hinterlassen wir einen guten Eindruck? Eine Kanadierin belegt durchschnittlich ungefähr 6,6 Hektar verschiedener Landkategorien. (Diana Pámanes, nach Phil Testemale)
Nachdem wir so den Konsum bestimmt hatten, haben wir seine ökologische Last geschätzt, indem wir den Verbrauch in die entsprechenden Landflächen relevanter Ökosystemtypen umgerechnet haben. Wie Tabelle 3.6 zeigt, erhalten wir den ökologischen Fußabdruck des Durchschnittskanadiers, indem wir die Landflächen aller Verbrauchskategorien zusammenzählen. Wie die Schweizer, Deutschen oder Österreicher sind auch die Kanadier starke Verbraucher. So verzehrt jeder Kanadier im Mittel 3450 Kilokalorien, 1125 davon in Form von Tierprodukten wie Milch, Käse, Eier oder Fleisch. Ein Großteil der Nahrungsmittel stammt aus hochindustrialisierter Landwirtschaft und wird intensiv verarbeitet, bevor es auf den Eßtisch gelangt. 118
Gemäß Daten des World Resources Institute umfassen die kanadischen Siedlungs- und Straßenflächen 55 000 Quadratkilometer – 0,2 Hektar pro Kopf –, und die meisten davon wären landwirtschaftlich nutzbar. Ein Kanadier fahrt 18 000 Kilometer pro Jahr mit seinem Auto, verbraucht 200 Kilogramm Verpackung und gibt 2700 kanadische Dollar für Konsumgüter sowie 2000 Dollar für Dienstleistungen aus.24 Der Energie- und Materialverbrauch in Kanada ist vier- bis fünfmal höher als im Weltdurchschnitt. Wie Tabelle 3.8 zeigt, liegt der Pro-Kopf-Verbrauch in den USA in den meisten Kategorien sogar noch darüber.25 Jedes Jahr werden in Kanada pro Kopf 279 Gigajoule kommerzieller Energie benötigt. Dies entspricht ungefähr der Energie, die in sieben Kubikmetern Benzin enthalten ist – die meiste Energie stammt aus fossilen Quellen. Der Kanadier ist außerdem Spitzenreiter beim Wasserkraftverbrauch: 40 Gigajoule pro Jahr. Der Landbedarf dafür ist in Tabelle 3.6 der Siedlungsfläche zugerechnet. Regierungsstatistiken geben den Energieverbrauch der verschiedenen ökonomischen Sektoren an, allerdings berücksichtigten die Datensammlungen nicht die graue Energie in den Import- und Exportgütern. Unsere Schätzungen ergeben für Kanada bei grauer Energie eine negative Handelsbilanz von 42 Gigajoule pro Jahr und Person. Mit anderen Worten exportiert Kanada 42 Gigajoule Waren pro Jahr und Kopf mehr, als es durch importierte Güter zurückbekommt. Somit verringert sich sein tatsächlicher Fossilenergieverbrauch auf 236 Gigajoule pro Jahr und Kopf – immer noch weit über dem europäischen Durchschnitt. Nun zum anderen wesentlichen Aspekt der Fußabdruckanalyse: dem Umrechnen des Verbrauchs in Landgebiete. Dies erfordert, daß wir die ökologische Produktivität jeder Landkategorie kennen: zum einen den Weltdurchschnitt dieser Kategorie für die Fußabdruckflächen, zum anderen den lokalen oder nationalen Durchschnitt, um den Fußabdruck mit der lokalen ökologischen Kapazität vergleichen zu können.
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1993 hatte der kanadische Dollar den Wert eines Schweizer Franken. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), FAO Yearbook: Production, Vol. 48, Rome: FAO, 1995. World Resources Institute, World Resources: Data Base Diskette, Washington, D. C: World Resources Institute, 1994. Statistics Canada data.
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Praktisch alle unsere Produktionsziffern haben wir aus Dokumenten der FAO herausgesucht. Für die wichtigsten Pflanzenproduktivitäten gibt es detaillierte Angaben. Hinsichtlich der Weiden haben wir die Milch- und Rindfleischproduktion durch die Weidefläche dividiert und so deren Produktivität geschätzt. Bei der Rundholzproduktivität haben wir errechnet, daß in den 3,44 Milliarden Hektar Wald, die es auf der Welt gibt, jedes Jahr durchschnittlich 1,5 Kubikmeter brauchbares Holz pro Hektar erwirtschaftet werden kann.26 Wie oben dargestellt, beziehen wir auch die Absorption des durch das Verbrennen von Fossilenergie entstehenden CO2 in die Rechnungen ein. Dazu benutzen wir das Energie-Land-Verhältnis von 100 Gigajoule Fossilenergie pro Hektar und Jahr. (Wir haben andere Absorptionsprozesse und die Schäden der Umweltverschmutzung auch hier nicht berücksichtigt. Dies bedeutet, daß die wahren Fußabdrücke größer ausfallen, als wir errechnen.) Das Ergebnis unserer Berechnungen ist in Tabelle 3.6 dargestellt. Wie ist diese Tabelle zu lesen? Wenn wir zum Beispiel in der Zeile 4.3 Lesematerial & Papier zur Spalte E Wald hinüberwandern, sehen wir, daß für diese Kategorie 0,17 Hektar Wald erforderlich sind. Die graue Energie, die in Büchern, Zeitungen, Magazinen und anderem Papiermaterial steckt, entspricht 0,06 Hektar CO2-Absorptionsfläche. Dies bedeutet, daß für die Durchschnittskanadierin 0,23 Hektar Land dauerhaft belegt wird, um ihren Papierverbrauch zu gewährleisten. Unten rechts in der Tabelle 3.6 sehen wir, daß der Fußabdruck dieser Kanadierin insgesamt 6,6 Hektar umfaßt, allein 2,36 Hektar für die Kohlendioxidassimilation. Zu diesen 6,6 Hektar Land kommen noch
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Die Schätzung aller tropischer Wälder entstammt der FAO-Studie „Tropical Forest Resources Assessment Project“, Rom: FAO, 1981. Flächen und die Waldproduktivität Europas wurden dem „State of the World’s Forests“, Rom: FAO, 1995 entnommen. Die europäische Produktivität wurde auch allen anderen Wäldern in gemäßigten Klimazonen zugrunde gelegt, eingeschlossen die entsprechenden Wälder Asiens, Afrikas und Amerikas. Für die nördlichen Wälder Kanadas und Rußlands wurde der Annual Allowable Cut (jährlich zulässiger Holzschlag) Kanadas als der nachhaltige Ertrag angenommen. Der gesamt mögliche Ertrag wurde so bei einer Waldfläche von 3,44 Milliarden Hektar auf etwas über 5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr abgeschätzt – bei hundertprozentiger Ausnutzung aller nachhaltigen Möglichkeiten.
Tabelle 3.6: Die Konsum-Landflächen-Matrix des Durchschnittskanadiers (1993). Die Konsum-Landflächen-Matrix des Durchschnittskanadiers zeigt die Größe seines ökologischen Fußabdrucks auf dem Land und dessen Zusammensetzung. (0,01 ha entspricht 100 m2; leer = wahrscheinlich vernachlässigbar; die Zahlen der Hauptkategorien wurden neu berechnet, die Detailzahlen sind extrapoliert anhand unserer ersten Studie, die hauptsächlich auf Daten von 1990 basiert. Fossilenergie zeigt die Fläche an, die notwendig ist, um das durch ihre Verbrennung entstandene CO2 wieder zu absorbieren.)
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0,96 Hektar ökologisch produktive Meeresfläche dazu. Das macht zusammen stolze 7,6 Hektar. 7. Wie groß ist der Fußabdruck der Region Vancouver? Mit den Daten des Pro-Kopf-Fußabdrucks können wir schätzen, wieviel auf der ganzen Welt verstreutes Hinterland die Bewohner typischer Industrieregionen brauchen, um ihren Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Unser erstes Rechenbeispiel ist das Lower Fraser Valley, welches sich östlich von Vancouver, B. C, über 144 Kilometer Länge und durchschnittlich 30 Kilometer Breite erstreckt. Diese fruchtbare und für diese Ecke der Welt flache Region ist im Süden durch die USA und im Norden durch eine Bergkette begrenzt. Das Tal umfaßt ungefähr 4000 Quadratkilometer (400 000 Hektar) städtischen und landwirtschaftlich genutzten Boden, auf dem 1 800 000 Menschen leben. Die Siedlungsdichte des Lower Fraser Valley beträgt somit 4,3 Menschen pro Hektar. Wir gehen davon aus, daß die Bewohner des Tals soviel verbrauchen wie der kanadische Durchschnittsbürger. Multipliziert man also den ProKopf-Fußabdruck von 6,6 Hektar Land mit der Einwohnerzahl des Lower Fraser Valley, dann kommt man auf einen regionalen Fußabdruck von 120 000 Quadratkilometern. Diese Fläche ist dreißigmal größer als das Tal. Da die Region aber fruchtbarer ist als im Weltdurchschnitt, sollte
Tabelle 3.7: Vancouvers Fußabdruck, ausgedrückt in lokaler Produktivität.
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Abbildung 3.8: Der ökologische Fußabdruck der Region Vancouver. Die Bewohner des Lower Fraser Valley, der am dichtesten besiedelten und ökologisch produktivsten Region von British Columbia (gepunktete Fläche), belegen durch Handel und andere grenzüberschreitende Material- und Energieströme eine ökologisch produktive Fläche, die dreißigmal größer ist als die Region. Die lokale Produktivität ist allerdings etwa viermal größer als im Weltdurchschnitt. Somit verbraucht die Bevölkerung im Tal siebenmal mehr Produktivität, als lokal verfügbar ist.
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der Fußabdruck dem lokalen biologischen Potential gegenübergestellt werden, um ein genaueres Bild zu erhalten. Was zeigen diese Zahlen? Die Region Vancouver beansprucht von den 83 Millionen Quadratkilometern biologisch produktivem Land auf unserem Planeten 120 000 Quadratkilometer für sich. Je Bewohner im Lower Fraser Valley ist das viereinhalbmal mehr, als pro Erdenbürger existiert. Die Tabelle zeigt aber auch, daß das Land im Tal knapp dreimal fruchtbarer ist als im Weltdurchschnitt. Deshalb verringert sich der regionale Fußabdruck auf 27 000 Quadratkilometer. Verglichen mit der Produktivität des Tals, ist das immer noch siebenmal mehr, als das Lower Fraser Valley ökologisch bieten kann. Abbildung 3.8 zeigt einen graphischen Vergleich zwischen lokalem ökologischem Angebot und Nachfrage und damit das ökologische Defizit dieser Region gegenüber dem Rest der Welt: Nur knappe fünfzehn Prozent des lokalen Konsums könnten heute aus dem Tal gedeckt werden. Daher würde das Lower Fraser Valley ein Gebiet seiner Größe vom menschlichen Naturverbrauch entlasten, wenn es auf fünfzehn Prozent seines Konsums verzichtete. 8. Angebot und Nachfrage: ein Vergleich der USA, Kanadas, der Schweiz, Deutschlands, Indiens und der Welt Im Vergleich der Industriestaaten steht die Schweiz vorerst gut da, was darauf zurückzuführen ist, daß sie wenig Schwerindustrie besitzt. Wird dieser Umstand aber in den Fußabdruckanalysen bereinigt, so zeigt sich, daß die Schweiz auch nicht glänzt. Nur der Wasserkonsum ihrer Haushalte ist bescheidener als im Weltdurchschnitt. Die Fußabdrücke sind nach der gleichen Methode berechnet worden wie die erste Fallstudie dieses Kapitels. Sie variieren stark, und doch haben alle Länder außer Kanada etwas gemeinsam: Sie überschreiten die ökologische Kapazität ihres Landes. Sogar im riesigen Kanada mit seiner geringen Bevölkerungsdichte sind die Reserven nicht mehr groß. Kanada weist eine relativ bescheidene ökologische Produktivität auf, da ein Großteil seines Territoriums nördlich der gemäßigten Klimazone liegt. Mit anderen Worten: Die meisten von uns leben ökologisch auf Pump.
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Tabelle 3.8: Angebot und Nachfrage – ein Vergleich (die Fußabdruckflächen und das lokal verfügbare Land beziehen sich auf Weltdurchschnittserträge).
Kasten 3.4: Sind die Wirkungen des Menschen ökologisch immer nur negativ? Die meisten menschlichen Tätigkeiten verbrauchen Natur. Sogar das Träumen, denn auch dabei wird der Körper mit Nährstoffen und Luft am Leben gehalten. Im Prinzip ist ein solcher Naturverbrauch nicht bedenklich. Die Erde verfügt über eine beträchtliche Kapazität, um uns Rohstoffe anzubieten und Abfall aufzunehmen. Ernst wird es erst, wenn die Summe unserer Wirkungen die Kapazität der Natur übersteigt, sich zu regenerieren. Menschliches Handeln hat schon immer Ökosysteme verändert. Oft wird ihr natürliches Gleichgewicht bewußt gestört, um die biologische Produktion
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auf Tier- und Pflanzenarten auszurichten, die uns nützlich sind. Europa war ursprünglich zu achtzig Prozent von Urwald bedeckt, aber der Mensch hat ihn fast vollständig in Ackerflächen, Weiden und Nutzwälder umgewandelt. Aus ökologischer Sicht ist dies eine massive Störung, doch freuen wir uns über Ernten, die Urwald auf der gleichen Fläche nicht liefern könnte. Die gestörten Ökosysteme in Europa sind recht stabil – manche Ackerflächen mögen schon über tausend Jahre genutzt werden. Allerdings sind einige Arten ausgestorben, und die chemoindustrielle Landwirtschaft droht in noch rasanterem Maß weitere Arten auszulöschen. Auch scheint sie die Bodenerosion zu beschleunigen. Woanders ist die Lage ähnlich. In China etwa gibt es viele Reisfelder mit geringer Artenvielfalt, die noch viel älter sind als die Äcker in Europa. Einige drastische Veränderungen von Ökosystemen haben unumkehrbare Schäden hinterlassen. Besonders in den Tropen zeigt es sich, daß gerodeter Urwald nur für kurze Zeit als Agrarland taugt. Starker Regen schwemmt den exponierten und oft dünnen Boden im Nu weg. Die Erosion läßt die Produktivität solcher Landwirtschaftsflächen rasch sinken. Oft kann sich auf den bald brachliegenden Ackerflächen der Urwald nicht mehr regenerieren. Die meisten Stadtmenschen haben einen großen Fußabdruck, und sie tragen kaum dazu bei, ökologische Flächen zu sichern. Aber es gibt Beispiele von Kulturen, die einen Großteil ihrer Fußabdruckfläche nahezu unfruchtbaren Gebieten abgerungen haben. Die Bewohner des Ladakhs, eines Tals im Himalajamassiv, haben durch Terrassenbau, raffinierte Bewässerungssysteme, Kompostierung und geschlossene Nährstoffkreisläufe biologisch hochproduktive „Oasen“ gebaut – auf Land, auf dem zuvor fast nichts gewachsen ist. Sicher hatte auf diesen wüstenartigen Flächen eine beeindruckende Artenvielfalt existiert (die wahrscheinlich in benachbarten Regionen immer noch gedeiht). Doch waren die photosynthetische Produktion und damit die Ernten der Menschen wesentlich geringer. Jeder Mensch hat einen ökologischen Fußabdruck – einige einen beeindruckend kleinen, wie am Beispiel Indiens gezeigt wurde, und andere einen beschämend großen. Für wohlhabende Nordamerikaner kann man zehn bis zwanzig Hektar veranschlagen. Die Frage ist nicht, ob man einen Fußabdruck hat, sondern wie groß er ist im Verhältnis zur biologisch produktiven Fläche, die in der Welt pro Kopf zur Verfügung steht.
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9. Der Fußabdruck Großbritanniens Frage: Was ist 120mal größer als London? Antwort: sein ökologischer Fußabdruck. So beginnt die Zusammenfassung einer detaillierten Studie, die das International Institute for Environment and Development (IIED) 1995 fertiggestellt hat. Der Bericht beschreibt den Nutzen des Fußabdruckkonzepts für Großbritannien und untersucht, welchen Beitrag das Konzept leisten kann für die staatliche Politik und für Bürgerinitiativen. Ein Ziel war es, „Fallstudien einiger Fußabdruckbeispiele des britischen Konsums, der Produktion, des Handels und von Auslandinvestitionen“ zu erstellen und „zu klären, wie diese Information der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, so daß Bürger positiv handeln können, um Großbritanniens Fußabdruck zu verkleinern und auch um eine nachhaltige Entwicklung in armen und verwundbareren Länder unterstützen zu können“. Der IIED-Bericht notiert, daß das Interesse an den Wirkungen der britischen Lebensweise in fernen Ländern seit 200 Jahren rege ist. Als führende Imperialmacht zu Zeiten der industriellen Revolution war „Britannien fähig, in einem in der menschlichen Geschichte noch nie dagewesenen Maß Rohstoffe aus allen Ecken der Welt zu nutzen“. So schrieb im frühen 19. Jahrhundert der Buchautor Robert Southey in seinen „Letters from England“, daß „alle Teile der Erde geplündert werden, um den Eßtisch des Engländers zu füllen“. Und George Orwell hat in seiner Reportage „Der Weg nach Wigan Pier“ aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise berichtet: „Während England in relativem Komfort leben kann, müssen hundert Millionen Inder am Hungertuch nagen – eine üble Situation, die Sie stillschweigend billigen, jedesmal wenn Sie in ein Taxi steigen oder einen Teller Erdbeeren mit Schlagsahne essen.“ Die IIED-Analyse zeigt, daß diese „üble Situation“ immer noch die ökologischen Beziehungen zwischen Ländern von unterschiedlicher Wirtschaftskraft charakterisiert, auch wenn es nicht offensichtlich zu sein scheint. In mehreren Fallstudien zeigt der Report, in welchem Ausmaß Großbritannien nach wie vor abhängt von der ökologischen Kapazität anderer Länder. Zum Beispiel ißt jeder Brite jedes Jahr 10 Kilogramm Bananen, bei einer Bevölkerung von 58 Millionen importiert Großbritannien per anno 580 000 Tonnen. Bei einem Durchschnittsertrag von 12 Tonnen Bananen pro Hektar ist der britische Bananenfußabdruck 127
ungefähr 48 300 Hektar groß. Das sind zwei Prozent des Waldes in Großbritannien. Ähnlich sieht es beim britischen Verbrauch von Rohbaumwolle aus; es sind jährlich 1 160 000 Tonnen. Das entspricht 892 300 Hektar für die Baumwollproduktion, sofern die Ernte auf Ackerflächen mit hohem Ertrag (1300 kg/ha) stattfindet, oder 1 450 000 Hektar bei durchschnittlicher Bodenproduktivität (800 kg/ha). Das sind 22 Prozent des Akkerlands Großbritanniens. Der ökologische Fußabdruck der in Großbritannien eingeführten Forstprodukte ist vielleicht am beeindruckendsten. Die Analyse faßt das Handelsvolumen der verschiedenen Forstproduktkategorien zusammen und rechnet sie in Rundholzäquivalente um. So kann man Großbritanniens ökologische Wirkung auf die Wälder der Welt schätzen: Das Land belegt 6,4 Millionen Hektar Wald, und 67 000 Hektar Boden müssen jedes Jahr entwaldet werden, um den britischen Holzkonsum zu befriedigen. Die Entwaldung vollzieht sich zu 75 Prozent in Ländern des Südens. Großbritanniens Fußabdruck für Forstprodukte ist dreimal so groß wie der eigene produktive Wald. Anders gesagt: Gerade einmal ein Viertel des produktiven Waldes, von dem Großbritannien abhängt, befindet sich im Land! Wenn man die Nachhaltigkeitskriterien der IIED zugrunde legt, dann übertrifft Großbritanniens Pro-Kopf-Verbrauch an Forstprodukten die Erträge, die pro Weltbürger in den Wäldern der Welt durchschnittlich erzielt werden könnten, um 66 Prozent. So eindrucksvoll diese Daten auch sind, die IIED betont (wie wir das auch für unsere Analysen tun), daß ihre Rechnungen den wahren Fußabdruck des britischen Verbrauchs wahrscheinlich beträchtlich unterschätzen: „Sollten neben den Holzprodukten zum Beispiel noch andere ökologische Güter und Funktionen des Waldes wie Kohlenstoffabsorption zur Kompensation des britischen Fossilenergieverbrauchs, Schutz wesentlicher Tier- und Pflanzenarten, mit einbezogen werden, dann würde klar werden, daß Großbritannien von einer Waldfläche abhängt, die wesentlich größer ist als das Dreifache der lokalen Waldfläche.“ Rechneten wir den durch britische Umweltverschmutzung zerstörten Wald mit ein, so würde der Fußabdruck noch größer. „So leiden zum Beispiel zwanzig Prozent der norwegischen Wälder an Absterbeerscheinungen, die durch Umweltverschmutzung bedingt sind, und viele dieser Partikel stammen aus Großbritannien.“ 128
Die IIED-Studie verdeutlicht, daß simple Fußabdruckberechnungen (die sich besonders auf die Landflächen zur Produktion von Rohmaterialien konzentrieren) zahllose direkte und indirekte Effekte menschlicher Aktivität vernachlässigen wie „die weiteren Umwelt- und sozialen Auswirkungen, wie zum Beispiel Abfallproduktion, Umweltverschmutzung und Gesundheitsschäden, die zu den interessantesten Umweltaspekten [der Bananenproduktion] gehören“. Und: „Es ist wichtig, die Erschöpfung sowohl von menschlicher als auch von ökologischer Kapazität für nachhaltige Entwicklung zu prüfen: Der ‘ökologische’ Fokus des Fußabdrucks verdeckt die Tatsache, daß Großbritanniens Auswirkung in fernen Ländern ebenso den Lebensunterhalt dieser Menschen als auch natürliche Ökosysteme bedrohen kann.“ Wichtig erscheint den Autoren der Studie daher, daß in Großbritannien „die Fußabdruckidee dazu benutzt wird, um alle Arten der Auswirkungen der Regierungsprogramme, Investitionen, Produktions- und Konsummuster eines Landes auf die nachhaltige Entwicklung anderer Länder in einem Ausdruck zusammenzufassen.“ Wir sehen es genauso. Mit dem Konzept des ökologischen Fußabdrucks kritisieren wir das vorherrschende Entwicklungsparadigma. Wir wollen helfen, die internationale Entwicklungsdebatte wegzuführen von der Fixierung auf das Bruttosozialprodukt hin zur ökologischen Wirklichkeit und wesentlichen Fragen der Lebensqualität. Der Fußabdruck faßt nur die ökologischen Bedingungen der Zukunftsfähigkeit zusammen. Sie sind Grundvoraussetzung für eine langfristige akzeptable Lebensqualität, das eigentliche Ziel nachhaltiger Entwicklung. Die soziale Komponente ist von großer Bedeutung, und deshalb begrüßen wir es, wenn das Fußabdruckkonzept um soziale Aspekte erweitert wird. 10. Der ökologische Fußabdruck Hollands und Italiens Die internationalen Schwesterorganisationen des World Wide Fund for Nature haben am 1. Oktober 1996 ihre „WWF 2000 Living Planet-Kampagne begonnen. Ihre fünf Millionen Mitgliederwollen die Wälder durch bessere Nutzungsformen schützen, ein Netzwerk von Meeresreservaten einrichten, dem Aussterben von Fischpopulationen entgegenwirken, Feuchtgebiete und bedrohte Arten schützen und daraufdrängen, daß die Industrieländer ihren CO2-Ausstoß um zwanzig Prozent verringern. 129
Der WWF Italien ist noch einen Schritt weitergegangen. Im Mittelpunkt seiner „Initiative für eine zukunftsfähige Nation“ steht unsere ressourcenverschlingende Lebensweise.27 Die italienischen Naturschützer zeigen, daß die herkömmliche Entwicklung, die nur auf Wirtschaftswachstum setzt, eine nachhaltige Zukunft verstellt. Mit Hilfe des ökologischen Fußabdrucks hat der WWF gezeigt, daß Italien weit über seinen ökologischen Möglichkeiten lebt. Außerdem hat er für Italien den „Index of Sustainable Economic Weifare“ (ISEW: Index für nachhaltige ökonomische Wohlfahrt) berechnet. Diesen Index haben Clifford Cobb, Herman Daly und John Cobb 1989 entwickelt. Der ISEW korrigiert das Bruttosozialprodukt, indem er Kosten einbezieht, die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sonst nicht berücksichtigt werden. So werden unbezahlte Arbeit im Haushalt oder die Leistungen der öffentlichen Gesundheits-, Ausbildungs- und Infrastrukturinvestitionen zum BSP hinzugezählt und die „Defensivausgaben“ für Gesundheit und Ausbildung, Verkehrschaos, Einkommensgefälle, Umweltschäden, Lärm, Verbrauch von Ressourcen usw. abgezogen. Auf diese Weise entsteht ein realistischeres Bild der Lage eines Landes. ISEW-Berechnungen für Großbritannien zeigen, daß die Lebensqualität trotz steigenden Bruttosozialprodukts seit 1973 abnimmt und mittlerweile wieder fast auf den Stand von 1960 zurückgefallen ist – und das bei einer seitdem stark gewachsenen Bevölkerung. In den USA hat sich der ISEW seit 1970 ungefähr stabilisiert; pro Kopf gerechnet, sinkt er aber seit 1980. Auch in Italien wächst die Kluft zwischen dem Bruttosozialprodukt und der Lebensqualität, wie der WWF gezeigt hat. Obwohl ISEW und BSP um 1960 fast gleich waren, entspricht der ISEW Italiens heute seinem BSP von 1970. Wir haben für den WWF und die italienische Ausgabe dieses Buches den ökologischen Fußabdruck Italiens berechnet. Dabei haben wir uns auf offizielle Statistiken gestützt, meistens auf Daten der FAO. Es zeigt sich, daß der durchschnittliche Italiener 2,89 Hektar Landfläche und 0,87 Hektar Meeresfläche belegt, sein Fußabdruck umfaßt 3,76 Hektar. Obwohl sie einen geringeren Fußabdruck haben, also weniger Natur 27
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WWF Italia, Italia 2000: Iniziative per un paese sostenible, WWF Living Planet campagna per un futuro sostenible. Mailand: Edizioni Ambiente, 1996.
Abbildung 3.9: Italiens Fußabdruck auf unserem Planeten – so erkennt man ihn aus dem All. Italien setzt im Vergleich zu anderen Industrienationen zwar einen etwas bescheideneren Fußabdruck auf die Erde, doch ist sein Landanteil immer noch doppelt so groß wie die Fläche, die in der Welt pro Kopf verfügbar ist. (Diana Pámanes)
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Abbildung 3.10: Wie groß ist der italienische Fußabdruck im Vergleich zu Italien? Um Italiens heutigen Verbrauch aufrechtzuerhalten, bedarf es eines Gebiets, das bei einer ähnlichen biologischen Produktivität pro Hektar 2,4mal so groß ist wie Italien. Außerdem beanspruchen die Italiener eine sechzig Prozent größere Meeresfläche, als ihnen pro Kopf zustände. (Diana Pámanes)
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verbrauchen, als ihre Nachbarn im Norden, kann man nicht behaupten, daß die Italiener schlecht leben. Im Gegenteil. Ein größerer Fußabdruck bringt demnach nicht unbedingt mehr Lebensfreude. Vielleicht ist „dolce vita“ – gut leben statt viel haben – eine gute Nachhaltigkeitsstrategie. Allerdings überziehen auch die Italiener die ihnen zustehende ökologische Kapazität. Von den 2,89 Hektar Landfläche des Fußabdrucks jedes seiner Einwohner bietet Italien selbst gerade 1,21 Hektar (in Fläche mit weltweiter Durchschnittsproduktivität umgerechnet), also nur vierzig Prozent. 11. Analyse einer Region in Australien Professor Rod Simpson und sein Team an der Griffith-Universität in Brisbane haben begonnen den ökologischen Fußabdruck des Südostens von Queensland (SEQ) zu kalkulieren.28 Sechs der am schnellsten wachsenden Kommunen Australiens liegen in SEQ, alle mit jährlichen Zuwachsraten von mehr als 4,5 Prozent. 1991 lebten dort 1,85 Millionen Personen, 2010 werden es ungefähr 3 Millionen sein. SEQ umfaßt 2,22 Millionen Hektar, 827 000 Hektar werden landwirtschaftlich genutzt. Nach ähnlichen Berechnungsverfahren wie in diesem Buch hat Simpsons Team mit Daten Australiens, Queenslands und von SEQ den ökologischen Fußabdruck des durchschnittlichen Bewohners von SEQ auf 3,74 Hektar geschätzt. Warum fällt der Fußabdruck relativ klein aus? Das erklärt sich wohl dadurch, daß australische Produktivitätsdaten zugrunde gelegt wurden statt Weltdurchschnittszahlen. Unsere Schätzung ergeben eine Flächenbelegung von 6,93 Hektar pro Kopf. Trotz dieser Abweichungen lassen sich einige interessante Unterschiede zwischen dem Bewohner von SEQ und zum Beispiel dem Kanadier feststellen. So brauchen die Bewohner von SEQ mindestens doppel soviel Fossilenergie für den Gütertransport wie die Kanadier, aber beträchtlich weniger Bauholz für ihre Häuser. Das liegt an klimatischen
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Rod Simpson, Katherine Gasche und Shannon Rutherford, Estimating the Ecological Footprint of the South-East Queensland Region of Australia (draft report). Brisbane: Faculty of Environmental Studies, Griffith University, 1995.
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Kasten 3.5: Hollands ökologischer Fußabdruck Um die Rechnung einfach zu halten, konzentrieren wir uns auf vier Hauptkategorien: Siedlungsland, Essen, Forstprodukte und Fossilenergie. Wir gehen von folgenden Hauptdaten des Jahres 1993 aus: Bevölkerung: Landfläche: Siedlungsfläche: Holzkonsum: Essen (pro Person und Tag): Kommerzieller Energieverbrauch:
15 300 000 33 920 km2 5380 km2 0,7 m3 pro Person 2200 Kilokalorien pflanzliche Produkte 1022 Kilokalorien Tierprodukte 3306 Petajoule, davon 43 Petajoule Atomkraft. 645 Petajoule verlassen das Land als graue Energie in Handelswaren.
Die Berechnung sieht wie folgt aus: Wald: Für 0,7 m3/Person Holz werden bei einer weltweiten Durchschnittsproduktion von 1,48 m3/ha/Jahr 0,47 ha Wald pro Person benötigt. Fossilenergie: Pro Person in Holland werden (3306 – 43 – 645 =) 2618 PJ Fossilenergie verbraucht. 2 618 000 000 GJ/15 300 000 Einwohner = 171 GJ pro Person und Jahr. Mit einem Energie-Land-Verhältnis von 100 GJ/ha/Jahr ergibt dies eine Flächenbeanspruchung von 1,71 ha/Person. Es ergeben sich folgende Pro-Kopf-Fußabdrücke: Essen: Forstprodukte: Fossilenergie: Siedlungsfläche: Total:
0,55 ha Ackerfläche 1,86 ha Weiden 0,47 ha Wald 1,71 ha Wald 0,04 ha Ackerfläche 4,63 ha
Hollands Fußabdruck zu Land umfaßt somit 15 300 000 × 4,63 ha × 0,01 km2/ha = 710 000 km2. Das ist das Zwanzigfache des eigenen Territoriums. Das Land in Holland ist allerdings wesentlich fruchtbarer als der Weltdurchschnitt: dreimal bei Ackern, fünfmal beim Wald und zwanzigmal bei Weiden. Somit erreicht der Fußabdruck 0,74 Hektar pro Person. Dies entspricht dem 3,4fachen der lokalen biologischen Kapazität.
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und geographischen Differenzen. Aber es zeigt auch, welche Möglichkeiten die Fußabdruckanalyse bei regionalen Vergleichen bietet. Simpsons Daten zeigen, daß der Gesamtfußabdruck von SEQ, in lokaler Produktivität gemessen, rund 6,91 Millionen Hektar beträgt. Damit überschreitet die Bevölkerung dieser Region die lokale Tragfähigkeit um den Faktor 3. Wenn wir jedoch die regionalen Daten auf das ganze Land extrapolieren, dann sieht es so aus, als besäße Australien für reiche Industrieländer ungewöhnlich große ökologische „Überschüsse“. Doch wie im Fall Kanadas dürften die „Überschüsse“ von Fußabdrücken anderer Länder belegt sein. 12. Was bedeutet ökologische Abhängigkeit für den Welthandel? Kanadier im Lower Fraser Valley leben von einem Fußabdruck, der die regionale ökologische Produktion um den Faktor 10 überschreitet. Die Japaner erreichen den Faktor 8. Italien könnte nur zwei Fünfteln seiner Bevölkerung den heutigen Konsum bieten, dürfte es allein die eigene ökologische Produktivität nutzen. Einige Länder leben auf viel zu großem Fuß. Diese fast parasitäre Beziehung zwischen solchen Ländern und dem Rest der Welt läßt sich mit dem Entropiegesetz gut erklären (siehe Kasten 2.4). Alle energie- und materialintensiven Volkswirtschaften hängen ab von Exergie (oder konzentrierter, hochwertiger Energie), die der Biosphäre entnommen werden muß. Nun werden aber viele dieser Länder mit großem Fußabdruck als Vorbilder gepriesen, und sie rühmen sich selbst wegen ihrer positiven Handels- und Zahlungsbilanzen. Ihre Bewohner gehören zu den Reichen der Erde. Unsere Analyse zeigt jedoch, daß gerade diese Länder ökologische Defizite im Rest der Welt verursachen. Das bedeutet, daß unsere bisherigen Entwicklungsmodelle, die ja ganz auf die Industriestaaten zugeschnitten waren, untauglich sind. Die Zukunftsfähigkeit der Welt kann nicht durch ökologische Schulden finanziert werden. Fußabdruckschätzungen sollten Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft helfen, die langfristigen Zwänge besser zu verstehen, denen nationale und internationale Wirtschaftssysteme unterworfen sind, wenn Bevölkerungen und Pro-Kopf-Verbrauche weiter zunehmen. So kann eine Fußabdruckanalyse zum Beispiel die Energie- und Materialflüsse
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Tabelle 3.9: Leben auf Pump – die ökologischen Defizite einiger Länder. Die Tabelle belegt, daß zahlreiche Länder beachtliche ökologische Defizite verursachen. Neben der Bevölkerungszahl zeigt die Tabelle die biologisch produktive Fläche der Länder (in Hektar mit Weltdurchschnittsproduktivität) und den Pro-Kopf-Fußabdruck ihrer Bewohner. Die beiden letzten Spalten geben das Defizit in absoluten Werten (Hektar pro Kopf) und relativ zur lokalen ökologischen Kapazität (in Prozent) wieder. Zahlen in Klammern sind negativ. Doch solche finden wir nur für Kanada, Australien und Schweden, die zu den wenigen Ländern gehören, deren lokaler Konsum kleiner ist als das Einkommen aus ihrem Naturkapital. So offenbart die Tabelle, daß, wenigstens nach unseren Rechnungen, der schwedische Konsum sechzig Prozent der lokalen ökologischen Produktion beansprucht. Doch wird das Naturkapital Kanadas, Australiens und Schwedens möglicherweise trotzdem abgebaut durch übermäßigen Export von Forst- und Landwirtschaftsprodukten sowie von Fossilenergie. So wird die vermeintliche Energiereserve aufgebraucht von Ländern, die sich Importe aus Australien, Kanada oder Schweden leisten können.
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bilanzieren, die entstehen, wenn mit Gütern gehandelt wird und Naturkreisläufe beansprucht werden. Dies veranschaulicht die Kosten und den Nutzen von Handel sowie mögliche Konfliktherde der Zukunft, die jeder monetären Analyse entgehen würden. Der Vergleich zwischen der ökologischen Tragfähigkeit einer Region und ihrer ökologischen Nachfrage zeigt die Nachhaltigkeitslücke. Gegenwärtig wird sie überbrückt, indem Naturkapital vor Ort abgebaut oder von woanders importiert wird. Wenn wir diese Zusammenhänge erkennen, werden wir auch die Beziehung zwischen ökologischer Sicherheit und geopolitischer Stabilität besser begreifen. Nicht zuletzt werden wir lernen, welche Rolle der Handel in der Welt spielt und welche er spielen sollte. Die ökologischen Defizite der reichen Länder dürften denjenigen Teilnehmern der Weltwirtschaft zunehmende Sorgen bereiten, die die fehlende ökologische Kapazität zur Verfügung stellen müssen. Dabei handelt es sich vor allem um arme Staaten. Das globale ökologische Defizit wird in Folge von internationalen Handelsabkommen wie des GATT (General Agreement of Tariffs and Trade: Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) weiter wachsen. Freihandel nutzt am Ende vor allem dem Stärkeren. Aber der nicht nur ökologisch unausgeglichene Handel wird über kurz oder lang auch für die Industriestaaten zur Herausforderung werden. Sie werden nämlich zunehmend abhängig von der ökologischen Tragfähigkeit anderer Länder. Wie sicher ist die Versorgung mit Ressourcen und Energie? Wird es neue Rohstoffkonflikte geben? Müssen internationale Abkommen geschlossen werden, um die ökologischen Beziehung zwischen Regionen zu regeln? Wie können lebenswichtige Ressourcen und ökologische Funktionen vor steigender weltweiter Nachfrage geschützt werden angesichts immer größerer Knappheit? In einer kleiner werdenden Welt kann gegenseitige Abhängigkeit eine stabilisierende Kraft sein. Solange aber ökologische und ökonomische Ungleichheit die internationalen Beziehungen beherrscht, dürfte größere Abhängigkeit eher destabilisierend wirken.29 29
Thomas Homer-Dixon, Jeffrey H. Boutwell und George W. Rathjens, Environmental Change and Violent Conflicts, in: Scientific American, S. 38-45, February 1993. Clive Ponting, A Green History of the World: The Environment and the Collapse of Great Civilizations, New York: St. Martin’s Press, 1992.
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Kasten 3.6: Indiens Fußabdruck Wir konzentrieren uns wieder auf vier Hauptkategorien: Siedlungsland, Essen, Forstprodukte und Fossilenergie. Wir gehen von folgenden Hauptdaten des Jahres 1993 aus: Bevölkerung: 900 000 000 Inder und Inderinnen. Landfläche: 2 973 190 km2 Holzkonsum: 0,32 m3 pro Person, 90 Prozent davon Feuerholz Essen (pro Person und Tag): 2223 Kilokalorien pflanzliche Produkte 171 Kilokalorien Tierprodukte Kommerzieller Energieverbrauch: 8088 PJ, davon 254 PJ Wasserkraft und 74 PJ Atomkraft. Die Nettoeinfuhr grauer Energie ist gering. Die Berechnung sieht wie folgt aus: Wald: Für 0,32 m3/Person Holz benötigt man (bei einer weltweiten Durch3 schnittsproduktion von 1,48 m /ha/Jahr) 0,32/1,48 = 0,22 ha Wald pro Person. Fossilenergie: Es werden jährlich (8088–254–74 =) 7760 Petajoule Fossilenergie verbraucht. 7 760 000 000 GJ/900 000 000 Inder = 8,6 GJ pro Person und Jahr. Mit einem Energie-Land-Verhältnis von 100 GJ/ha/Jahr ergibt dies eine Flächenbeanspruchung von 0,09 ha/Person. Es ergeben sich folgende Pro-Kopf-Fußabdrücke: Essen: Forstprodukte: Fossilenergie: Siedlungsfläche (geschätzt): Total:
0,12 ha Ackerfläche 0,15 ha Weiden 0,22 ha Wald 0,09 ha Wald 0,01 ha Ackerfläche 0,59 ha
Der Fußabdruck eines Inders entspricht nur vierzig Prozent der Landfläche, die im Weltdurchschnitt auf unserem Planeten existiert. Der Fußabdruck Indiens auf dem Land berechnet sich so: 900 000 000 Personen × 0,59 ha/Per-
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son x 0,01 km2/ha = 5 310 000 km2. Das ist mehr Fläche, als in Indien vorhanden ist. Grobe Schätzungen zeigen, daß in Indien der Boden etwa 15 Prozent fruchtbarer ist als im Weltdurchschnitt. Somit stehen (1.15 x 2 973 190 =) 3 400 000 Quadratkilometer Land zur Verfügung. Fazit: Indiens Fußabdruck übertrifft die ökologische Kapazität seines Territoriums um 55 Prozent. Ein großer Teil des indischen Fußabdrucks im Ausland sind die 810 000 Quadratkilometer, die benötigt werden, um den CO2-Ausstoß zu absorbieren. Ein anderer Teil ist auf Waldübernutzung zurückzuführen. Beide Zahlen offenbaren das ökologische Defizit Indiens. Allerdings: Nicht alle Inder konsumieren gleich viel. Nach Verbrauchsstatistiken des Indira-Gandhi-Instituts mißt der Fußabdruck der ärmeren fünfzig Prozent der Bevölkerung nur etwa 0,2 bis 0,3 Hektar pro Person. Ein kleiner Fußabdruck ist aber nicht unbedingt gleichzusetzen mit schlechter Lebensqualität. Kerala, ein Staat im Südwesten Indiens, ist ein inspirierendes Beispiel. Trotz seines niedrigen Pro-Kopf-Einkommens von nur einem Dollar pro Tag (fünfzigmal weniger als der europäische Durchschnitt) liegt Kerala hinsichtlich Lebenserwartung, Kindersterblichkeit und Alphabetisierungsgrad nicht weit hinter den Industriestaaten zurück. Die Menschen in Kerala erfreuen sich eines guten Gesundheits- und Ausbildungssystems, einer blühenden Demokratie und einer stabilen Bevölkerungszahl. Es scheint, daß Keralas außergewöhnlicher Lebensstandard einem reichen Geflecht sozialer Beziehungen zu verdanken ist und nicht menschengemachtem Kapital. Die Welt kann von den Leuten in Kerala einiges lernen.* * William M. Alexander, Humans Sharing the Bounty of the Earth: Hopeful Lessons from Kerala, International Congress on Kerala Studies in: Thiruvanathapurum, Kerala, 1994, oder: Exceptional Kerala: Efficient Use of Resources and Quality of Life in a Non-Affluent Society, GAIA Vol. 3. No. 2 (1994): 211-217.
Solche Einsichten sind gleichbedeutend mit Kritik an den bekannten Globalisierungsmodellen, wie sie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF), die Welthandelsorganisation (WTO: World Trade Organization)30 und das Harvard-Institut für Internationale Entwick30
Früher hatte sich diese Organisation GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) genannt. Heute bezieht sich dieser Name nur noch auf das Abkommen. Die verwaltende Organisation nennt sich seit 1994 World Trade Organization (WTO, Welthandelsorganisation).
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lung vertreten. Es gibt einfach nicht genug Naturkapital, um weiter solchen Entwicklungsmythen zu folgen. Das hindert viele Politiker und Wissenschaftler nicht daran, so zu tun, als gäbe es keine Grenzen des Wachstums. So schreibt Michael Roemer vom Harvard-Institut, daß „Wirtschaftswachstum der einzige Mechanismus ist, durch den die Wohlfahrt der Armen nachhaltig verbessert werden kann“.31 Einmal mehr werden Bruttosozialprodukt und menschliche Wohlfahrt gleichgesetzt. Einmal mehr wird ignoriert, daß der Material- und Energieverbrauch der Reichen reduziert werden muß, um Nachhaltigkeit in einer ökologisch „vollen“ Welt zu erreichen, weil es sonst keinen Raum gibt für einen höheren Konsum der Armen. Solche mangelhaften Expansionsmodelle setzen auf mehr Handel – nicht zuletzt, um den Industriestaaten einen besseren Zugang zu den Rohstoffen der Welt zu verschaffen. Wachstumskonzepte unterstützen die gefährliche Illusion, daß alle Menschen einen ressourcenintensiven Wohlstand wie wir erreichen könnten. Und sie verdecken den immer härteren Wettbewerb zwischen den Reichen und den Armen um die abnehmende ökologische Tragfähigkeit der Welt. 13. Individueller ökologischer Fußabdruck und persönliches Einkommen Die Perspektive weiteren Wirtschaftswachstums ist für viele attraktiv. Sie suggeriert den Menschen, die bereits viel konsumieren, daß sie ihre Lebensweise nicht der ökologischen Wirklichkeit anpassen müssen. Viele Experten behaupten sogar, daß der Mehrverbrauch der Reichen den Armen zugute komme, da er das Wachstum beschleunige und Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft der ärmeren Länder schaffe. So benutzt Lawrence Summers, Vizepräsident und Chefökonom der Weltbank, die Metapher, daß „das Steigen der Gezeiten alle Boote anhebt“.32 Finanzanalysen kennen keine Wachstumsgrenzen, Geld ist im Prinzip beliebig vermehrbar. Jeder kann alles besitzen, sofern er Geld hat, es zu kaufen. Die ökologische Perspektive stellt diese bornierte Sicht aber 31 32
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The Economist, 4. Juni 1994, S. 6. In: Robert Goodland und Herman E. Daly, Why Northern Income Growth Is Not the Solution to Southern Poverty, in: Ecological Economics, Vol. 8, Nr. 2, S. 85-101, 1993.
Abbildung 3.11: Soziale Gerechtigkeit: In einer ökologisch überladenen Welt konkurrieren wir alle um die endliche Menge des natürlichen Einkommens, das die Biosphäre produziert. In den Worten des ökologischen Fußabdrucks: Der Überkonsum der Reichen belegt ökologischen Raum, der sonst den Armen zur Verfügung stehen könnte. Auch nimmt der Überkonsum Tier- und Pflanzenarten Platz weg.
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in Frage. Das natürliche Einkommen, das eine Person verbraucht, kann eine andere Person nicht mehr nutzen. Wenn die ökologische Tragfähigkeit der Welt bereits überschritten ist, dann begräbt der Konsum der Reichen die Zukunftsaussichten der Armen. Die verschiedenen Nachfragen nach Naturkapital konkurrieren miteinander. Die heutige Weltwirtschaft bietet aber den Reichen den besten Zugang zu den begrenzten Ressourcen der Welt. Das so in Gang gehaltene Wirtschaftswachstum häuft menschengemachten Reichtum in immer weniger Händen an, wenig davon wird in den Aufbau von Naturkapital investiert. Die Akkumulation menschengemachten Kapitals beschleunigt sich selbst, und sie zerstört das Naturkapital – sie wäre ohne
Abbildung 3.12: Städte als Lösung: Falls wir uns dazu durchringen können, unsere Siedlungen kompakter zu gestalten und so auch Heiz- und Transportenergie zu sparen, könnten wir den ökologischen Fußabdruck verkleinern. Dies würde die sozialen Kontakte verbessern – ein geringerer Fußabdruck und mehr Lebensqualität.
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dessen intensive Nutzung nicht möglich. Je größer der menschengemachte Reichtum, desto größer der Naturabbau. Nach UNO-Statistiken verbrauchen 1,1 Milliarden Reiche (und dazu zählen wir Autoren und viele Leser dieses Buches) 75 bis 85 Prozent der Weltressourcen. Die verbleibenden 4,7 Milliarden – 80 Prozent der Menschheit – müssen sich mit weniger als einem Viertel begnügen. Schon allein der Verbrauch der 1,1 Milliarden Reichen überschreitet die Tragfähigkeit des Planeten. Die Frage ist, ob die Menschheit den moralischen und politischen Willen aufbringt, einen Weltvertrag auszuhandeln, der allen Menschen gleichen Zugang zu ökologischen Gütern und Dienstleistungen garantiert. Die Fußabdruckanalyse kann noch andere interessante Fakten aufdecken: zum Beispiel den beträchtlichen Unterschied zwischen individuellen Fußabdrücken innerhalb reicher Länder. Schätzungen weisen darauf hin, daß in Kanada die ärmsten zwanzig Prozent der Bevölkerung einen ökologischen Fußabdruck von durchschnittlich weniger als drei Hektar pro Kopf belegen, wohingegen die reichsten zwanzig Prozent mehr als zwölf Hektar beanspruchen. Wir könnten unseren Fußabdruck aber verkleinern, ohne an Lebensqualität zu verlieren. Beispiele sind lokal produzierte und weniger verpackte Lebensmittel, biologisch gewachsenes Gemüse, bessere Wärmedämmung von Gebäuden, Förderung des Fahrrads und öffentlicher Transportmittel, auto- und flugfreie Ferien, Reparatur von Gebrauchsgegenständen usw. 14. Wie beeinflußt das Wohnen unseren Fußabdruck? Die Größe des Fußabdrucks einer Person wird nicht allein durch ihr Einkommen bestimmt. Sie hängt stark davon ab, wie dieses Einkommen ausgegeben wird. In vielen Fällen sind die Wohnform und der Wohnort ein bestimmender Faktor des Naturverbrauchs. Das liegt nicht nur an den Infrastruktur-, Bau- und Betriebskosten, sondern auch daran, daß Siedlungsstrukturen den Verkehr prägen. Dichter bewohnte Städte haben einen kleineren Pro-Kopf-Fußabdruck: Die Anforderungen an die Infrastruktur sind geringer, die Wege kürzer und die Häuser kleiner, was auch den Heizenergieverbrauch senkt. Eine Studie über die Region von San Francisco hat festgestellt, daß bei doppelter Wohndichte der private 143
Transportbedarf um zwanzig bis dreißig Prozent sinkt. Freistehende Häuser benötigen bis zu fünfzig Prozent mehr Heizenergie als zusammenstehende Gebäude.33 Lyle Walker, ein Student des Faches Stadtplanung, hat für die UBC Task Force on Healthy and Sustainable Communities untersucht, wie Wohnformen und andere Lebensstilentscheidungen den ökologischen Fußabdruck von Haushalten in Vancouver in verschiedenen Einkommensklassen beeinflussen.34 Er hat die Wirkung von Einkommen, Wohnungstyp, Wohndichte und Verkehrsmittelwahl berechnet. Um verschiedene Wohnformen, Wohndichten und Verkehrsmittel miteinander zu vergleichen, wurden Beispielfälle auf die gesamte Stadt extrapoliert (wir nennen diese Extrapolation „mirrored density“ oder „gespiegelte Wohndichte“, wie Abbildung 3.13 zeigt). Walkers Schätzungen zeigen, daß für eine typische Kleinfamilie die Wohn- und Transportfußabdrücke um den Faktor 3 verkleinert werden können, wenn die Familie in einer zentrumsnahen Eigentumswohnung lebt statt in einem Haus ähnlichen Marktwerts in einem Vorort und einen energiesparenden Kompaktwagen fahrt. Außerdem erfreuen sich die Innenstadtbewohner einer höheren Lebensqualität: Sie können oft zu Fuß zur Arbeit zu gehen, sind näher bei Freunden und Verwandten, genießen ein größeres Kultur- und Freizeitangebot und sonstige Vorzüge des Stadtlebens. Unsere Stadtbewohner können auch ihren Fußabdruck für Güter und Nahrungsmittel auf ein Drittel verkleinern, ohne an Lebensqualität zu verlieren. Sie müßten sich eher vegetarisch ernähren (die asiatischen Küchen beweisen, daß dies kein Leidensweg sein muß) und Lebensmittel kaufen, die weniger verarbeitet und verpackt sind. Wenn wir Gebrauchsgegenstände anschaffen, sollten wir mehr auf Qualität, Lebensdauer und Reparierbarkeit achten. In diesem Sinn sollten 33
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In: Mark Roseland, Toward Sustainable Communities, Ottawa: National Round Table on the Environment and the Economy, 1992. Eine Gratiskopie können Sie direkt von dieser Organisation beziehen. Telefon: 613-992-7189, Fax: 613-992-7385. Lyle Walker, The Influence of Dwelling Type and Residential Density on the Appropriated Carrying Capacity of Canadian Households, Master Thesis, University of British Columbia, 1995. Eine Zusammenfassung (mit William Rees) ist unter dem Titel „Urban Density and the Ecological Footprints of Canadian Households“ erschienen in: Mark Roseland (Hg.), Eco-City Dimensions: Healthy Communities, Healthy Planet, Gabriola Island, New Society Publishers, 1996.
Abbildung 3.13: Gespiegelte Wohndichte. Um den Beitrag eines Haushalts zur Wohndichte einer Stadt besser schätzen zu können, extrapolieren wir, wie die ganze Stadt funktionieren würde, wenn sie mit der Wohndichte dieses Haushalts gebaut wäre. Auf diese Weise können wir die entsprechenden Material- und Energieverbräuche schätzen, die durch das urbane System bedingt sind. So zeigen sich die systemischen Wirkungen einzelner Tätigkeiten vor Ort (in Durchschnittserhebungen könnten diese Wirkungen nicht betrachtet werden).
wir materialistischer werden und unser Eigentum hegen und pflegen, so daß es nicht unnötig früh in der Mülltonne landet. Falls man Fußabdruckrechnungen benutzt, um Gemeinden miteinander zu vergleichen, muß man folgendes beachten: Es führt leicht zu falschen Schlußfolgerungen, wenn man die kommunalen Fußabdrücke am Territorium der Gemeinden mißt. Dichtbesiedelte Gemeinden haben nämlich größere ökologische Defizite als weniger dichtbesiedelte, wobei aber die Fußabdrücke ihrer Bewohner im Mittel kleiner sind. So erscheint es sinnvoller, die lokalen Fußabdrücke mit nationalen und internationalen Durchschnittswerten zu vergleichen. Der Energiehunger macht die ökologischen Fußabdrücke von Industrieländer besonders groß. Jeder Ingenieur kann ein Lied singen von der Verschwendung wertvoller, aber unter Wert gehandelter Energie. Es ist billig, Wasser im Haushalt mit Fossilenergie zu heizen, das Ergebnis ist 145
Abbildung 3.14: Der ökologische Fußabdruck eines Pendlers, der zweimal am Tag 5 Kilometer zurücklegt (10 Kilometer pro Tag). Nimmt er das Fahrrad, so belegt er rund 130 Quadratmeter; steigt er in den Bus, so sind es 310 Quadratmeter; zieht er das Auto vor, so beansprucht er 1250 Quadratmeter.
jedoch ein übermäßig großer Fußabdruck. Eine der vielversprechendsten Strategien zur Verringerung unserer Haushaltsfußabdrücke ist die Wende hin zu erneuerbaren Energiequellen. So kann Wasser für den täglichen Hausgebrauch mit einem bis zu hundertmal kleineren Fußabdruck geheizt werden, als dies mit Fossilenergie möglich ist. 15. Der Fußabdruck des Pendelverkehrs Die Analyse der Ökoeffizienz von Fahrrädern, Bussen und Autos zeigt das folgende Bild: Eine Person, die täglich fünf Kilometer zu ihrer Arbeitsstelle fährt, belegt 70 Quadratmeter biologisch produktives Land, wenn sie mit dem Rad fährt, 310 Quadratmeter, wenn sie den Bus nimmt, oder 1250 Quadratmeter, wenn sie das eigene Auto benutzt. Für den Radfahrer wird Land veranschlagt, weil er Extrakalorien braucht, während das meiste Land für die Bus- und Autofahrer dazu dient, Kohlendioxid zu absorbieren (siehe Kasten 3.7). 16. Auch Tomaten hinterlassen ökologische Fußabdrücke Das Fußabdruckkonzept kann auch den Ressourcenverbrauch konkurrierender Technologien gegeneinander abwägen. So läßt sich bestimmen, ob neue Technologien tatsächlich ökologische Verbesserungen mit 146
Kasten 3.7: Der Fußabdruck der Pendler Wir vergleichen drei Optionen für das Pendeln zur Arbeit: Fahrrad, Bus und Auto. Wir nehmen eine Fahrleistung von 10 Kilometern pro Arbeitstag an (5 km hin und 5 km zurück), und dies an 230 Arbeitstagen pro Jahr. Die Rechnungen stützen sich zwar auch auf nordamerikanische Daten, doch sollten sie im Prinzip für Europa ebenfalls gültig sein. Fahrrad: Nach Daten von M. Pyke* verbraucht ein Radfahrer 500 Kilojoule, wenn er 10 Kilometer zurücklegt. Diese Energie nimmt er mit seinem etwas kräftigeren Frühstück zu sich. Das benötigt Extraland für den Anbau der Haferflocken und auch Prozeßenergie (vom Dünger über die Verarbeitung und Verpackung bis hin zum Kochen). Gewöhnlich belegt Prozeßenergie etwa eine halb so große Fläche, wie zum Anbau erforderlich ist. Der Nahrungsmittelfußabdruck ist demnach eineinhalbmal größer als die Anbaufläche. Die belegte Straßenfläche wird vernachlässigt, da sie verschwindend klein ist. Haferflocken haben einen Nährwert von etwa 13 000 Kilojoule pro Kilogramm; die durchschnittliche Ernte betrug im Jahr 1993 weltweit 1844 Kilogramm pro Hektar. Es ergibt sich folgende Rechnung: 500 [kJ / Arbeitstag] × 230 [Arbeitstage / Jahr] × 1,5 = 13 000 [kJ / kg] × 1844 = 0,007 ha oder 70 m2 pro Radpendler Auto: Der Durchschnittsverbrauch eines europäischen Autos liegt bei 10 Litern Benzin pro 100 Kilometer. Autoproduktion und Straßeninfrastruktur erhöhen den Energieverbrauch um 50 Prozent. Benzin hat einen Energieinhalt von 35 Megajoule oder 0,035 Gigajoule. Demnach ist der Fußabdruck des Autofahrers so groß: 1,5 x 10 [l] × 0,035 [GJ / l] × 10 [km / Arbeitstag] × 230 [Arbeitstage / Jahr] = 100 [km] x 100 [GJ / ha / Jahr] = 0,12 ha oder 1200 m2 pro Pendler Allerdings braucht der Autofahrer auch noch Straßenfläche. In den USA gibt es ungefähr 350 m2 Straßenfläche für jedes Auto. Doch liegt die Autonutzung durch das Pendeln nur etwa bei einem 1/8 des durchschnittlichen Autoge-
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brauchs. Somit belegt das Pendeln eine Straßenfläche von (350/8 =) 45 m2, wahrscheinlich auf vorher fruchtbarem Ackerland. Der Gesamtfußabdruck des Autopendlers beträgt damit 1245 m2. Bus: Der Durchschnittsverbrauch eines städtischen Busses beträgt 0,9 Megajoule pro Kilometer und Passagier. Busproduktion und Straßeninfrastruktur erhöhen den Energieverbrauch um weitere 50 Prozent. Somit haben Buspendler folgenden Energiefußabdruck: 1,5 × 0,0009 [GJ /1] × 10 [km / Arbeitstag] × 230 [Arbeitstage / Jahr = 100 [GJ/ha/Jahr] = 0,031 ha oder 310 m2 pro Pendler Auch der Bus belegt Straßenfläche, doch pro Passagier nur etwa ein Zwanzigstel des Autos, also 2 m2. Der Gesamtfußabdruck des Buspendlers beträgt somit 312 m2. * Nach: David und Marcia Pimentel, Food, Energy and Society, revidierte Ausgabe, Niwot, Colorado: University Press of Colorado, 1996.
sich bringen. So verglich Yoshihiko Wada den ökologischen Fußabdruck von zwei industriellen Tomatenanbaumethoden. Yoshihiko Wada wollte wissen, wieviel „graues“ Land in Tomaten steckt, die in geheizten Treibhäusern wachsen, und wieviel in denen, die in Feldpflanzungen intensiv produziert werden.35 In beiden Fällen maß er die Landfläche, die die jeweilige Anbaumethode direkt belegt, und das Land, das benötigt wird, um das Material und die Energie für die Tomatenproduktion bereitzustellen. Im Hinblick auf das direkt belegte landwirtschaftliche Gebiet scheint das Treibhaus sieben- bis neunmal produktiver zu sein als intensive 35
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Yoshihiko Wada, The Appropriated Carrying Capacity of Tomato Production: The Ecological Footprint of Hydroponic Greenhouse versus Mechanized Open Field Operations. Vancouver: Master Thesis an der UBC School of Community and Regional Planning, 1993.
Abbildung 3.15: Ist die Landwirtschaft im Treibhaus die Lösung der Zukunft? Die ökologische Effizienz verschiedener Technologien kann mit Fußabdruckanalysen geschätzt werden. In diesem Beispiel werden zwei Arten der Tomatenproduktion in British Columbia miteinander verglichen: Feldtomaten und „hors-sol“-Tomaten aus dem geheizten Treibhaus. Die direkte Flächenbelegung des Treibhauses pro produziertes Kilogramm Tomate ist wesentlich kleiner als die des Feldes. Wenn man aber alle Ressourcenzugaben wie Dünger, künstlichen Boden, Heizenergie und technische Anlagen hinzurechnet, dann zeigt sich, daß der Flächenbedarf der Treibhaustomate zehn- bis zwanzigmal größer ist als der Flächenbedarf der Feldtomate.
Feldproduktion. Wadas Arbeit zeigt aber, daß die Warmhäuser in British Columbia einen zehn- bis zwanzigmal größeren ökologischen Fußabdruck pro geerntetem Kilogramm Tomate haben als die intensive Feldproduktion. Es sieht so aus, als wären Treibhäuser Fabriken: Tomaten werden auf zugepflastertem Land mit meist von weither geholten Ressourceninputs und Energie „montiert“. Diese Fallstudie illustriert den Unterschied zwischen scheinbarer ökonomischer Effizienz und tatsächlicher ökologischer Ineffizienz: Treibhäuser sind zwar wirtschaftlich oft wesentlich rentabler als der 149
konventionelle Anbau, sie brauchen aber mehr Energie und Ressourcen. Gemüsetreibhäuser in kälteren Regionen „rechnen“ sich, weil die Ressourcen viel zu billig sind und die ökologischen Kosten nicht berücksichtigt werden. Eine komplette Buchführung würde ein anderes Bild zeigen. Ökonomischer Erfolg und ökologische Vernunft sind oft zweierlei Dinge. 17. Der ökologische Fußabdruck von Brücken Umweltverträglichkeitsprüfungen erhalten mit dem ökologischen Fußabdruck eine neue Dimension, besonders bei Megaprojekten. Kraftwerke, Verkehrsinfrastruktur oder Industrieansiedlungen können weitreichende Konsequenzen für den zukünftigen Energie- und Materialverbrauch haben. Aber diese Folgen werden in herkömmlichen Umweltverträglichkeitsprüfungen gewöhnlich ignoriert. Analysen des ökologischen Fußabdrucks hingegen verdeutlichen nicht nur direkte Wirkungen solcher Projekte, sondern auch deren indirekten Effekte, wie etwa Veränderungen im Lebensstil der betroffenen Bevölkerung. Studenten der Simon Fraser University in Burnaby, einem Stadtteil Vancouvers, haben zwei Studien vorgelegt, in denen sie die direkten und indirekten ökologischen Wirkungen von geplanten Brückenprojekten untersuchen.36 Gavin Davidson und Christina Robb analysieren die ökologischen Folgen einer Verbreiterung der Lions Gate Bridge zwischen Vancouver Zentrum und Nordvancouver von drei auf fünf Fahrspuren. Sie errechneten den Fußabdruck eines äußerst zurückhaltenden Szenarios der möglichen Lebensstilveränderungen: Das Modell geht aus von einer gleichbleibenden Bevölkerungszahl, vom Ausbleiben zusätzlichen Freizeitverkehrs und unterstellt auch keine Lebensstilveränderungen außerhalb Vancouvers und seiner Vororte. Die tatsächlichen ökologischen Folgen dürften größer sein als im Modell. Im Szenario wird lediglich berechnet, wieviel Mehrverbrauch der zusätzliche Pendelverkehr und die verringerte Wohndichte verursachen
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Gavin Davidson und Christina Robb, The Ecological Footprint of the Lions Gate Bridge, und David Maguire, Calvin Peters und Macy Saprowich, An Evaluation of the Sustainability Impacts of a Fixed Link to Prince Edward Island, alle von der SFU School for Resource Management, Kurs MRM 642, Regional Planning, Simon Fräser University, Burnaby, 1994.
Abbildung 3.16: Der ökologische Fußabdruck von Brücken oder anderen Infrastrukturprojekten. Neue oder verbreiterte Brücken für den Privatverkehr fördern die unkontrollierte Ausdehnung der Stadt und verstärken unsere Autoabhängigkeit. So wächst der ökologische Fußabdruck der betroffenen Bevölkerung weiter.
würden. Sie wären beide zurückzuführen auf die durch die verbreiterte Brücke hervorgerufene Bevölkerungsverlagerung. Das Ergebnis: Die neuen Fahrspuren würden den ohnehin schon zu großen Fußabdruck der Region um 20 000 Hektar biologisch produktives Land wachsen lassen. Die offizielle Umweltverträglichkeitsprüfung dagegen hatte lediglich darauf verwiesen, daß während der Bauphase Fischpopulationen auf einer Fläche von hundert Quadratmetern gestört würden. Die zweite Studie stammt von David Maguire, Calvin Peters und Marcy Saprowich. Sie untersuchten, wie groß der Fußabdruck einer festen Verbindung zwischen Prince Edward Island, der kleinsten Provinz Kanadas, und New Brunswick auf dem ostkanadischen Festland wäre. Ihre auf Daten des Federal Environmental Assessment Review Office gestützte Rechnung ergab, daß dieses Brückenprojekt 16 000 Hektar biologisch produktives Land belegte, auch wenn der Fährverkehr eingestellt würde. So zeigt sich einmal mehr, daß Fußabdruckanalysen zu einem wichtigen Hilfsmittel der Politik werden können. 151
18. Fragen der Zukunft im Klassenzimmer und draußen Das Fußabdruckkonzept ist auch gut geeignet. Jugendlichen die ökologischen Konsequenzen der Konsumgesellschaft zu erklären. Einige Personen und Organisationen haben schon Schulmaterial und Anleitungen zum ökologischen Fußabdruck zusammengestellt. Hier einige Beispiele: -
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Wie groß ist ein Hektar Wald? Vermeßt einen quadratischen Hektar Wald und setzt ein Fähnchen in jede Ecke. Wie lange braucht man, wenn man um diesen Hektar herumgeht? Zählt die Bäume mit Stämmen von mehr als zehn Zentimetern Dicke in diesem Hektar. Die Gesamtzahl kann auch geschätzt werden, indem man nur in einem Teilgebiet zählt, so etwa auf einem Zehntel der Fläche. Wie groß könnte das Holzvolumen dieser Bäume sein, und mit welchen geometrischen Formeln läßt es sich berechnen? Wie kann das Durchschnittsalter dieser Bäume geschätzt werden? Versucht in örtlichen Unterlagen herauszufinden, wie groß die jährliche Produktivität von Wäldern in einem Gebiet ist. Ein Kilogramm Holz enthält ungefähr die chemische Energie von 20 Megajoule – welche Energiemenge häuft ein Hektar Wald jede Stunde an? Wie weit könnte ein Auto mit dieser Energiemenge fahren (bei einem Verbrauch von 10 Litern pro 100 Kilometer würde es 3,5 Megajoule pro zurückgelegtem Kilometer verbrauchen)? Ein typisches Auto in Europa fährt 15 000 Kilometer im Jahr – wieviel Waldfläche belegt es (im Hinblick auf die Energieerzeugung oder auf die CO2-Absorption)? Warum entspricht die Energieproduktion ungefähr der Kohlenstoffassimilation? Welche Funktionen und Werte hat Wald, einmal abgesehen von Holzproduktion und Kohlenstoffabsorption? Wie groß ist unser individueller ökologischer Fußabdruck (vergleichen Sie dazu auch S. 110)?37 Wie groß ist der Gesamtfußabdruck aller Schüler einer Klasse oder der Schule? Könnt ihr diesen Fußabdruck in einem Stadtplan oder einer Landkarte der Gegend einzeichnen? Wievielmal hat darin das Gelände des Schulhauses Platz? Wie Jim Merkel hat in seinem sechswöchigen Global Living Project, einem Kurs über nachhaltiges Leben, seine Studenten aufgefordert, ihre Fußabdrücke zu messen. Davon hat auch die Entwicklung der Fallstudie 21 profitiert.
groß ist der Fußabdruck der Gemeinde, wenn man vom nationalen Durchschnittskonsum ausgeht? Zeichnet auch diesen Fußabdruck in der Landkarte ein. Wieviel größer als die Gemeinde ist ihr ökologischer Fußabdruck? Findet heraus, woher eure Verbrauchsartikel stammen und die Rohstoffe, aus denen sie hergestellt sind: Möbel (und das entsprechende Holz), Autos und Fahrräder, Fernseher, Kühlschränke, Beton, Kleider, Lebensmittel. Steckt auf einer Weltkarte Fähnchen ein, wo überall ein Stück eures Fußabdrucks zu finden ist. In wieviel Ländern und Kontinenten stecken eure Fähnchen. Wieviel kommt aus der Heimatregion? Solche Übungen vermitteln Schülern Fähigkeiten zur Kritik. Sie können kleine Forschungsprojekte organisieren und dabei Daten sammeln und analysieren. Sie können den ökologischen Fußabdruck in ihrer Umgebung praktisch anwenden: im Wald, auf dem Schulgelände und in der Stadt. Alle diese überschaubaren Aufgaben verbinden Fächer wie Chemie, Physik, Mathematik, Algebra, Biologie, Geographie, Geschichte oder Gesellschafts- und Wirtschaftskunde miteinander und machen sie erfahrbar. Hier einige Beispiele38: CoEd Communications, eine kleine Firma in Toronto, die Schulmaterial konzipiert, hat ein integriertes Modul für Umwelterziehung entwickelt mit dem Namen „EcoQuest: Reducing our Ecological Footprint“ (Öko-Suchpfad: Wir verringern unseren ökologi38
Hier einige Kontaktadressen: CoEd Communications in Toronto, Fax: 416-955-0815, E-Mail:
[email protected], Mark DiMaggio in Cambria, Kalifornien, E-Mail:
[email protected], Tim Turner, Sea to Sky Outdoor School, Britisch Kolumbien, Fax: 604-886-2015. Einige Dokumente: Julian Griggs, Tim Turner und Mathis Wackernagel, Connections: Towards a Sustainable Future. A Four-Day Program on Sustainability (Zusammenhänge sehen: Ein viertägiges Schulprogramm für eine nachhaltige Zukunft), Gibsons, B. C: Sea to Sky Outdoor School for Environmental Education, 1993. ESSA Technologies Ltd., Teacher’s Guide to the State of the Environment Report for British Columbia, Victoria, B. C: Province of British Columbia, Ministry of Environment, Lands and Parks, Environment Canada, 1994. Jim Wiese, Energy Education – Module 4: Conservation Potential (Ein Kapitel über ökologische und energetische Fußabdrücke), Vancouver: BC Hydro, 1995. Der zweimonatliche Newsletter der Ontario Hydros Environment and Sustainable Development Division trägt den Namen „Footprints“ und ist mit dem „Reduce your footprint“-Logo versehen.
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Abbildung 3.17: Raus aus dem Klassenzimmer! Der ökologische Fußabdruck ist schon in viele Unterrichtseinheiten für drinnen und draußen integriert worden: in Spiele, kleine naturwissenschaftliche Projekte, Geschichten, Lebensstil- und Lebensqualitätsüberlegungen und körperliche Betätigungen. Auch kann der Fußabdruck spezielle Programme unterstützen. Auf diese Weise verbindet er organisch Biologie, Geographie, Sozialkunde, Mathematik und Physik.
schen Fußabdruck); es wurde von Lever Kanada finanziell unterstützt, und viele Umweltspezialisten und Pädagogen haben fachlichen Beistand geleistet. Der Kurs richtet sich an das 6. bis 9. Schuljahr und führt alle Fächer zusammen in der Aufgabe, den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Im Mittelpunkt steht eine Geschichte von drei jungen Helden, die mit Hilfe eines alten, knorrigen Ahorns faßbare Aspekte der heutigen Naturbelastungen erkunden: Wasser, Verkehr, Energie, Nahrung und Abfall. Nach ersten Erfahrungen mit einem Rohkonzept in ungefähr 20 Schulklassen hat im Oktober 1996 ein Versuch mit 500 Klassen begonnen. Danach soll dieses Material Schulen in ganz Kanada zur Verfügung gestellt werden. Mark DiMaggio, Naturwissenschaftslehrer an der Paso Robles High School in Kalifornien, hat einen detaillierten Kurs für seine Oberstufen154
schüler entworfen. Der Titel des Projekts beschreibt das Lernziel: „The Ecological Footprint: a curriculum unit designed for high school students who wish to move their school and Community towards a sustainable future“ (Der ökologische Fußabdruck: eine Lehreinheit für Oberstufenschüler, die ihre Schule und ihre Gemeinde in Richtung Nachhaltigkeit verändern wollen). Das Programm umfaßt viele unterschiedliche Tätigkeiten; es gibt Diskussionen mit Stadtplanern, einfache Computermodelle werden entwickelt und Programmvorschläge für die eigene Gemeinde ausgearbeitet. DiMaggio hat durch sein Vorbild andere inspiriert, zum Beispiel Second Nature, eine bekannte Organisation in den USA, die Lehrern Kurse zur Nachhaltigkeit anbietet und die englische Ausgabe unseres Buches als Kurstext verwendet. Das Buch wird auch in vielen anderen Veranstaltungen über Ökologie und Umweltlehre an nordamerikanischen Universitäten und Colleges benutzt. An einigen Orten haben Studenten Fußabdruckberechnungen durchgeführt. (In Folge wurden uns zahlreiche Kommentare und Ergebnisse zugeschickt, vielen Dank dafür!) Tim und Wendy Turner von der Sea to Sky Outdoor School in Gibsons, B. C, unternehmen unzählige Fußabdruckaktivitäten in ihrer Freiluftschule. Dort bieten sie in dreitägigen Unterrichtseinheiten achtbis vierzehnjährigen Schülern vielfältige Möglichkeiten an, sich mit Fragen der Zukunftsfähigkeit auseinanderzusetzen. Im Verlauf dieser abwechslungsreichen Tage erleben die Teilnehmer die Beziehung zwischen menschlichem Verbrauch und ökologischer Produktion, sie spüren die Quelle von Lebensmitteln und Gütern auf und informieren sich über den Wettstreit der Menschen um Güter und Dienstleistungen der Natur. Außerdem können die Schüler mit verschiedenen Lebensstilen experimentieren – der Fußabdruck wird dabei als Monitor benutzt. Die Umweltberatungsfirma ESSA Technologies in Vancouver hat für das Umweltministerium von British Columbia einen Leitfaden für Lehrer durch den Umweltbericht des Ministeriums erarbeitet. Ein Kapitel zeigt, wie mit einer einfachen Methode die Fußabdrücke unserer Nahrung berechnet werden können. Jim Wiese hat zusammen mit B. C. Hydro, dem Elektrizitätswerk von British Columbia, im Rahmen des „Power Smart“-Stromsparprojekts einen Energieratgeber für Schüler zusammengestellt. Dieser soll 155
unsere tägliche Abhängigkeit von Energie und mögliche Energiesparmaßnahmen aufzeigen. Mit Hilfe einer simplen Checkliste kann im Ratgeber der ökologische Fußabdruck verschiedener Haushaltsoptionen geschätzt werden. Die Umweltabteilung von Ontario Hydro, dem Elektrizitätswerk Ontarios, ist noch wesentlich weiter gegangen. Sie hat für ihre Öffentlichkeitsarbeit den Slogan „Reduce your Footprint“ (Verkleinere deinen Fußabdruck) gewählt und in Kampagnen darauf hingewiesen, daß wir unsere ökologischen Möglichkeiten überziehen. Mit Ansteckknöpfen, Baseballmützen, Tassen aus rezykliertem Plastik und Baumwolltragetaschen, die alle diesen Slogan und ein Fußabdrucksignet tragen, hat das Elektrizitätswerk begonnen, die Fußabdruckidee in Schulen und auf Veranstaltungen zu vermarkten. 19. So könnten Umweltberichte aussehen Viele Beispiele haben gezeigt, daß der ökologische Fußabdruck als wirksamer Nachhaltigkeitsindikator und Maßstab benutzt werden kann. So hat das Konzept auch das Interesse des kanadischen Teams auf sich gezogen, das den nationalen Umweltbericht erarbeitet. Statt weiter mit einem eher eklektischen Indikatormodell zu operieren, will das Team herausfinden, welche Ergebnisse ein integriertes humanökologisches Konzept bringt. Zu diesem Zweck hat es den Biologen Colin Duffield eingeladen, ein solches Konzept mit Hilfe des ökologischen Fußabdrucks zu entwickeln.39 Duffield schlägt vor, städtische, vorstädtische und ländliche Lebensweisen miteinander zu vergleichen, den Trend zu kleineren Haushaltsgrößen zu analysieren und die ökologischen Kosten verschiedener Stadtplanungs- und Verkehrs Varianten einander gegenüberstellen. Auch hat er empfohlen, den so berechneten Gesamtfußabdruck in seine Komponenten zu zerlegen, um den Naturverbrauch der Landwirtschaft, der Industrieproduktion oder von Lebensstilen (von der Diät bis hin zur Freizeitgestaltung) zu veranschaulichen.
39
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Colin Duffield, Putting the Ecological Footprint, in: Print: Applications of the Appropriated Carrying Capacity Concept to SOE Reporting, Ottawa: Report to Strategie Planning and Analysis of SOE Reporting, 1993.
Abbildung 3.18: Haben wir Fortschritte erzielt? Der ökologische Fußabdruck ist ein ideales Werkzeug, um über die erzielten Fortschritte oder anhaltenden Probleme bei der Entwicklung einer nachhaltigen Zukunft zu berichten. Länder, Regionen oder industrielle Prozesse können verglichen und die ökologischen Konsequenzen der heutigen Tendenzen und Sachverhalte abgeschätzt werden.
Auch andere wollen ökologische Fußabdrücke für das „Begutachten der Nachhaltigkeit aus einer ökologischen Weltsicht“ einsetzen. So der „Environmental Scan“ (Umweltcheckbericht) von 1993 für den Rat der kanadischen Umweltminister und ein Bericht für den Verwaltungsrat des Fraser-Deltas. Beide Arbeiten stammen von der bekannten Treuhandfirma Peat Marwick Stevenson and Kellogg.40 Mittlerweile hat das Konzept auch in vielen anderen Dokumenten Fuß gefaßt. In Diskussionen über die lokale Umsetzung der Agenda 21, des Maßnahmenkatalogs der UNO-Umweltschutzkonferenz von Rio 1992, wird immer wieder auf den Fußabdruck verwiesen, besonders in Großbritannien; aber auch in Finnland, wie ein Dokument der Mikkeliregion zeigt. Sogar im Entwurf der Resolution der Habitat-2-Konferenz, die im Sommer 1996 in Istanbul stattgefunden hat, wurde auf den ökologischen Fußabdruck der menschlichen Siedlungen hingewiesen. Doch in 40
Peat Marwick Stevenson & Kellogg, Sustainability Indicators Methodology, Report prepared for the Fräser Basin: Management Board in Vancouver, 1993, und 1993 Environmental SCAN: Evaluating Our Progress toward Sustainability, Ottawa: Canadian Council of Ministers of the Environment, 1993.
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der letzten Überarbeitungsrunde ist der Fußabdruck der Realpolitik zum Opfer gefallen. 20. Interpretationen der Zukunftsfähigkeit – der Fußabdruck als psychologischer Test Viele Aktivisten und Fürsprecher der Zukunftsfähigkeit überschätzen das öffentliche Interesse an ökologischen Fragen. Ambivalenz oder schwache öffentliche Unterstützung für Nachhaltigkeitsinitiativen kann nur teilweise mit Unwissenheit erklärt werden. Öfter haben wir es mit psychologischen und institutionellen Schranken, Interessen- und Zielkonflikten oder widersprechenden Weltvorstellungen zu tun. Das Fußabdruckkonzept kann helfen, diese Schranken, auf die wir in vielen Foren und Diskussionen gestoßen sind, abzubauen. Wenn es gelingt, Widerstände und Reibungspunkte zu verstehen, dann können Planer, Politiker und Umweltschützer sich im Interesse ihrer Nachhaltigkeitsinitiativen besser auf das konkrete Umfeld und Widerstände einstellen und die richtigen Argumente finden. Das Fußabdruckkonzept hat es uns immer wieder erleichtert, anderer Menschen Bedenken, Wahrnehmungen und Vorstellungen zur Zukunftsfähigkeit zu begreifen. Weil die Fußabdruckanalyse die ökologischen Herausforderungen konkret und anschaulich darstellt, ermöglicht sie eine konstruktive Kommunikation. Die Frage, wie wir unseren ökologischen Fußabdruck verringern und gleichzeitig unsere Lebensqualität verbessern können, bietet eine günstigere Basis für Diskussionen als viele der üblichen Nachhaltigkeitsphrasen. Zu oft wird Nachhaltigkeit in wohlklingenden Formulierungen propagiert, um ein paar Sätze später das Wirtschaftswachstum zu preisen. Fragwürdig ist auch ein beliebtes Nachhaltigkeitsmodell, in dem ein magisches Gleichgewicht zwischen drei sich überlappenden Kreisen – Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt – „Ganzheit“ beschwören soll. Dieses Modell findet zwar schnell breite Zustimmung, doch ist sie nur auf Mehrdeutigkeit und Mißverständnisse zurückzuführen. Das Kreismodell meidet die zentralen Fragen der Zukunftsfähigkeit und trägt nur dazu bei, sie zu verdrängen. Sind die drei Sphären wirklich gleichwertig und austauschbar? Welches sind die funktionalen Beziehungen zwischen
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ihnen? Können wir Natur gleichwertig durch menschengemachtes Kapital ersetzen? Ist die Ökonomie Mittel oder Zweck? Die Wahrheit ist anders: Wir brauchen die Biosphäre, die Biosphäre braucht uns nicht. Gewiß sind Wirtschaft und Gesellschaft wichtig für den Menschen. Aber wir müssen die systemischen Abhängigkeiten verstehen, sonst können wir keine funktionsfähigen Nachhaltigkeitsprogramme entwerfen. Wir müssen die Wirtschaft so strukturieren, daß sie der Gesellschaft nutzt, nicht umgekehrt. Ein etwas präziseres Bild dieser systemischen Beziehungen zeigt das Schema mit konzentrischen Kreisen: innen die Humansphäre, also die Gesellschaft mit der Wirtschaft als Teilsystem; außen, als das umfassendere System, die Biosphäre (siehe Abbildungen 1.1 und 2.4). Nur wenn wir diese hierarchische Abhängigkeit anerkennen, haben Nachhaltigkeitsprogramme eine Chance. Statt der Wirtschaft zu erlauben, die Gesellschaft auf Kosten der Biosphäre zu beherrschen, sollten wir die Wirtschaft sozial und ökologisch verträglich machen. Aus dieser Sichtweise hilft der ökologische Fußabdruck, meßbare Grundbedingungen der Zukunftsfähigkeit zu definieren. Darüber und über die nächsten Schritte in Richtung Nachhaltigkeit läßt sich fruchtbarer diskutieren als über nichtssagende Definitionen oder nur scheinbar plausible Schaubilder. Das Erkennen wirklicher ökologischer Zwänge stimuliert das Suchen von Lösungswegen, um innerhalb der Möglichkeiten der Natur zu leben, es zeigt gesellschaftliche Schranken auf, die es zu überwinden gilt, und, vielleicht am wichtigsten, es veranlaßt uns, über Lebensqualität nachzudenken. Allerdings unterstützen erst wenige den Vorschlag, daß reiche Länder ihren Ressourcenverbrauch massiv reduzieren müssen. Dieses dürfte das bedeutendste Hindernis auf dem Weg zur Nachhaltigkeit sein: Obwohl wir die ökologischen und sozialen Zwänge im allgemeinen anerkennen, scheuen wir uns, konkrete Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Fragen Sie bei der nächsten Feier doch einmal ihre Tischnachbarn, ob sie eine ökologische Steuerreform befürworten. Eine, die den Ressourcenkonsum in den Industrieländern massiv verringern, aber die Lebensqualität zu bewahren versuchen würde. Sie werden feststellen, daß sogar Leuten, die das Nachhaltigkeitsdefizit anerkennen, plötzlich erstaunlich phantasiereiche Gegenargumente einfallen. So sorgen sich 159
etwa Menschen, die nie zuvor wegen eines sozialen Engagements aufgefallen sind, um das Schicksal der Armen, die sich höhere Preise nicht leisten könnten (obwohl bei einer klugen Steuerreform auf soziale Gerechtigkeit geachtet würde). Passen Sie auf, daß Sie vom bunten Abend nicht mit einem blauen Auge nach Hause kommen. Fassen wir zusammen: In unseren Diskussionen mit Bürgergruppen, Studenten oder Gremien hat das Fußabdruckkonzept uns geholfen, Interesse für Nachhaltigkeitsfragen zu wecken. Es hat es uns auch erleichtert, sozialpsychologische Schranken zu erkennen. Es verdeutlicht außerdem die Kluft zwischen unseren ökologischen und sozialen Zukunftssorgen und unserer Handlungsbereitschaft. So haben wir zu lernen begonnen – und stehen immer noch am Anfang –, wie unbequeme Ideen wirksamer verbreitet werden können. 21. Wir berechnen den eigenen Fußabdruck! In der englischen Ausgabe dieses Buches haben wir nur skizziert, wie wir den eigenen Fußabdruck berechnen können. Mittlerweile hat Mathis Wackernagel begonnen seinen Fußabdruck Monat für Monat nachzumessen. Das Prinzip ist einfach und läßt sich gut mit einem Haushaltsbuch kombinieren. Alles, was Sie brauchen, ist eine Waage am Hauseingang und eine Tabelle, in der Sie alle Güter, die hereinkommen, und alle Abfälle, die das Haus verlassen, verbuchen. So können Sie Ihren Konsum in Hauptkategorien wie Essen, Wohnen, Verkehr, Güter und Dienstleistungen nicht nur in Mark oder Franken, sondern auch in Litern, Kilogramm, Personenkilometern und anderen Maßeinheiten festhalten. Die Elektrizitäts- und Gasrechnungen klären Sie über den Energieverbrauch ihres Heims auf. Wenn Sie ein Auto besitzen, können Sie dessen Verbrauch in einem Abrechnungsbuch festhalten, für das das Handschuhfach ein idealer Aufbewahrungsort wäre. Auch sollten Sie Dienstleistungen registrieren wie Gesundheitsfürsorge oder Weiterbildung, deren Kosten Sie nicht voll bezahlen. Wenn Sie anschließend Daten und Tabellen des durchschnittlichen Verbrauchs zugrunde legen, wie sie beispielsweise in Tabelle 3.6 für die Durchschnittskanadierin angeführt sind, können Sie Ihre Verbrauchsdaten in Landflächen umrechnen. Für genauere Studien benötigen Sie 160
Abbildung 3.19: Leben auf großem Fuß. Wenn wir unseren Konsum und Abfall messen, haben wir nicht nur eine bessere Übersicht über unsere Haushaltsausgaben, sondern können auch unseren ökologischen Fußabdruck berechnen. (Phil Testemale und Iliana Pámanes)
zusätzlich Daten zur grauen Energie der verschiedenen Konsumkategorien. Mathis Wackernagel verfolgt seinen Haushaltskonsum in 42 Untergruppen, 14 davon gehören zur Nahrungsmittelkategorie. Unvermeidlicherweise werden Sie einige Daten nicht oder nur schwer erheben können, und oft werden Sie sich mit Schätzungen abfinden oder weitere Nachforschungen anstellen müssen, um Lücken zu füllen. Erst nach etwa einem Jahr werden sich zuverlässige Durchschnittswerte berechnen lassen, da die Konsumgewohnheiten den Jah161
reszeiten folgen: Weihnachtseinkäufe, Heizkosten, Sommerferien, Winterkleider usw. Eine Warnung: Seien Sie sorgfaltig mit den Maßeinheiten und den Zeitintervallen. Zum Beispiel wird die ökologische Produktivität oft in Jahreserträgen angegeben. Um sie in ein Verhältnis zum monatlichen Konsum setzen zu können, müssen Sie diese Erträge durch zwölf teilen. Erinnern Sie sich auch daran, daß ein Fußabdruck von vier biologisch produktiven Hektar bedeutet, daß Sie diese Fläche ununterbrochen zur Ressourcenproduktion und Abfallabsorption nutzen. Ihr durchschnittlicher monatlicher Verbrauch entspricht in diesem Fall also der durchschnittlichen Monatsproduktion der vier belegten Hektar, Ihr täglicher Verbrauch der durchschnittlichen Tagesproduktion. In einem typischen Monat der ersten Hälfte des Jahres 1996 hat Mathis Wackernagel einen Fußabdruck von 3,6 Hektar belegt. 1,3 Hektar sind allein auf Flugreisen zurückzuführen (pfui!). Damit übertrifft sein Konsum die Fläche, die pro Erdenbürger existiert, um achtzig Prozent. Wie groß ist Ihr Fußabdruck? Wir freuen uns auf Ihre Resultate! 22. Der Fußabdruck wird zum Ökostempel: Ist Ihr Produkt nachhaltig? Vielleicht sind Sie überrascht, wenn Sie erfahren, daß die meisten Produkte nachhaltig sein könnten. Ausnahmen sind natürlich solche Güter, deren Produktion, Gebrauch oder Entsorgung nicht abbaubare, giftige Substanzen wie radioaktives Material oder Schwermetalle in die Biosphäre freigeben. Bei der Nachhaltigkeit geht es nicht um Verbrauch per se, sondern um Verbrauchsraten. Zum Beispiel kann es nachhaltig sein, einen benzinverprassenden Rolls-Royce zu unterhalten, falls die Luxuskarosse mit zwanzig Freunden geteilt und durch sorgfaltige Pflege lange am Leben erhalten wird. Im Gegensatz dazu muß es keineswegs zukunftsfähig sein, wenn alle fröhlich mit ihrem Elektromobil herumkutschieren. Traditionelle Gütezeichen, vom blauen Engel bis zum grünen Punkt, sagen uns nur, ob ein Produkt minimalen Umweltstandards genügt. Über die kumulative Wirkung des Massenkonsums erfahren wir aber nichts. Fußabdruckanalysen könnten solche Gütezeichen mit mehr Inhalt versehen: Sie könnten zeigen, welcher Anteil der globalen ökologischen Produktion, die im Durchschnitt pro Kopf zur Verfügung steht, beim Verbrauch eines bestimmten Produkts belegt wird. 162
Nachhaltig (und gerecht) leben könnte heißen, daß man als Individuum innerhalb der ökologischen Möglichkeiten dieser durchschnittlich zur Verfügung stehenden Land- und Meeresfläche konsumiert (zur Erinnerung: 1,45 Hektar Land und 0,55 Hektar Meer pro Person, siehe Abbildung 2.8) . So verbraucht der Rolls-Royce im Lauf seines Lebens ungefähr 5000 Gigajoule Energie, wenn er 500 000 Kilometer zurücklegt. Damit beansprucht er jedes Jahr 50 Hektar ökologisch produktives Land. Falls Sie nun Ihren Rolls-Royce mit 19 Freunden teilen und 30 Jahre nutzen, so belegt dieser kleine Luxus 6 Prozent ihres Landflächenanteils. Diese 6 Prozent entsprechen 1,4 Stunden der Tagesproduktion ihres Pro-KopfAnteils. Diese Rechnung unterscheidet sich etwas von anderen Fußabdruckkalkulationen: Gewöhnlich bestimmen wir, wieviel Land- und Meeresfläche der Verbrauch von Energie oder Gütern belegt. Hier gehen wir von einer gegebenen Fläche von 1,45 Hektar Land aus (wie in Abbildung 2.8 gezeigt), und wir benutzen die Fußabdruckrechnung, um zu schätzen, welchen Zeitanteil ein Konsumprodukt an der ökologischen Tagesproduktion einnimmt. Diese Überlegungen können uns helfen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir uns organisieren könnten, um innerhalb der ökologischen Möglichkeiten unseres Anteils zu leben. Wir können unseren durchschnittlichen Anteil nicht vergrößern (es sei denn, wir machen Ödland fruchtbar), wir können aber festlegen, wie schnell wir seine ökologische Produktion verbrauchen. Nach wieviel Stunden haben Sie heute das 24-Stunden-Budget ihres persönlichen Anteils aufgebraucht? Der Ökostempel auf einer Zeitung könnte sagen: „Dieses Produkt hat zwei Stunden Ihres Pro-Kopf-Anteils an der globalen ökologischen Produktion verbraucht. Falls Sie innerhalb ihrer ökologischen Möglichkeiten leben wollen, sollten Sie nun für zwei Stunden nichts mehr konsumieren.“ Wenn Sie beim Zeitunglesen eine Tasse Kaffee trinken, sollten Sie Ihre konsumfreie Zeit um eine halbe Stunde verlängern. Wird die Zeitung aber recycelt, dann dürfen Sie bis zu einer Stunde abziehen. Am Abend können Sie dann ihre Nachhaltigkeit überprüfen: Ist die Summe der von Ihnen verbrauchten Stunden größer als 24?
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Kasten 3.8: Der ökologische Fußabdruck einer Zeitung: Oder wieviel des durchschnittlichen Erdanteils (1,45 ha/Person) verbraucht Ihre Tageszeitung? Der ökologische Fußabdruck ihrer 300 Gramm schweren Zeitung setzt sich vor allem aus zwei Komponenten zusammen: Prozeßenergie und Holzfasern. Energie: Um einen Kilogramm Papier herzustellen, benötigt man ungefähr 61 Megajoule Energie, also (61 × 0,3 =) 18,3 MJ pro Zeitung. Bei einem Energie-Land-Verhältnis von 100 Gigajoule pro Hektar und Jahr könnte ein 1,45 ha Erdanteil jährlich 145 GJ (145 000 MJ) produzieren. Ein Jahr hat 8760 Stunden. Somit entsprechen diese 18,3 MJ graue Energie in der Zeitung (8760 h/Jahr × 18.3 MJ/145 000 MJ/Jahr =) 1,07 Stunden Belegung des Erdanteils. Holzfasern: Weil relativ viel Altpapier verwendet wird, braucht man in Deutschland pro Tonne Papier „nur“ 0,8 m3 Holz. Statistiken der FAO ergeben eine Weltdurchschnittsproduktivität für Holz von 1,48 m3 pro Hektar und Jahr. Ein Erdanteil von 1,45 ha könnte somit maximal (1,48 x 1,45 =) 2,15 m3 Holz produzieren, genug für 2,7 Tonnen Papier. Somit beanspruchen die Holzfasern in 300 Gramm Papier in einem fiktiven Wald einen Erdanteil von (8760 [h/Jahr] × 300 [g Papier]/2,7 [t Papier]/1 000 000 [g/t] =) 0,97 Stunden. Nun wissen wir es: Eine 300 Gramm schwere Zeitung beansprucht (1,07 + 0,97 =) 2 Stunden des 24-Stunden-Erdanteils, der pro Erdenbürger zur Verfügung steht. Wenn die Zeitung rezykliert oder geteilt wird, kann dieser Wert auf etwa die Hälfte verkleinert werden.
Ein anderes Beispiel, es stammt vom Wuppertal Institut: Orangensaft.41 Material- und Energieflußstudien zeigen, daß ein Liter Orangensaft täglich vier bis acht Prozent Ihres 1,45-Hektar-Anteils (oder 1 bis 2 Stunden der 24-Stunden-Produktion) belegen würde, sofern er aus Brasilien stammt. Ein Liter Saft von einer mechanisierten Orangenfarm in Florida würde aber 26 bis 30 Prozent Ihres täglichen Anteils (oder 7 bis 8 Stunden) beanspruchen. So müßten Sie für ein einziges Glas Orangensaft aus Florida 1,5 Stunden verbuchen.
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Friedrich Schmidt-Bleek, Wieviel Umwelt braucht der Mensch: MIPS – das Maß für ökologisches Wirtschaften, Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 1994.
Abbildung 3.20: ÖKO-INFO: „Dieses Produkt hat zwei Stunden Ihres Pro-Kopf-Anteils an der globalen ökologischen Produktion verbraucht. Falls Sie innerhalb ihrer ökologischen Möglichkeiten leben wollen, sollten Sie nun für zwei Stunden nichts mehr konsumieren.“ Der Ökostempel dieser Zeitung verknüpft die globale ökologische Produktivität mit dem individuellen Verhalten.
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4. Auf der Suche nach Zukunftsfähigkeitsstrategien Es gibt nur noch wenige Ökosysteme, die der Mensch nicht verändert hat. Langfristig gesehen, hat der Mensch die Tragfähigkeit dieses Planeten überschritten. Wir befinden uns in einem Teufelskreis: Mindestens in den armen Ländern ist Wachstum nötig, aber jede weitere Erhöhung des weltweiten Material- und Energiedurchsatzes gefährdet die Zukunft unserer Art noch stärker. Es ist nicht leicht, diese Herausforderung anzuerkennen. Wir können nicht so weitermachen wie bisher, obwohl unser Kurs bisher scheinbar unglaublich erfolgreich gewesen ist. Die heutige Gesamtnachfrage der Menschheit gefährdet das Leben zukünftiger Generationen. Tiefgreifende Veränderungen sind erforderlich. Besonders wir, die reichen Mitglieder der menschlichen Familie, stehen einem moralischen Dilemma gegenüber: Während wir durchschnittlich das Zwei- bis Vierfache der ökologischen Pro-Kopf-Produktion der Welt beanspruchen, bleiben eineinhalb Milliarden Menschen arm. Wie können wir den ökologischen Druck der Menschheit verringern und gleichzeitig die Bedürfnisse aller Menschen angemessen befriedigen? Wer muß seinen ökologischen Fußabdruck verkleinern, und wem sollte das Recht eingeräumt werden, ihn zu vergrößern? Wie können wir uns motivieren, unsere Fußabdrücke zu verringern? Welche Mechanismen stehen uns dazu zur Verfügung? Reichen neue Wohlstandsmodelle, oder brauchen wir Umkehr und Verzicht? Mit anderen Worten: Wie können wir einen globalen Gesellschaftsvertrag erarbeiten, der die Schwächsten von den größten Lasten unserer sozialen und ökologischen Krise befreit und allen Menschen eine akzeptable Existenz ermöglicht?
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Kasten 4.1: Bevölkerungszahl und ökologische Fußabdrücke Kein Zweifel: Größere Bevölkerungen brauchen mehr ökologische Kapazität. Doch diese zusätzliche Last ist nur ein Teil der Gleichung, denn der Fußabdruck der Menschheit setzt sich aus der Summe aller individuellen Fußabdrücke zusammen. Die Reichen, zwanzig Prozent der Menschheit, überziehen schon allein die ökologische Tragfähigkeit unseres Planeten. Die anderen achtzig Prozent der Weltbevölkerung haben einen Fußabdruck, der etwa dreißig Prozent der biologisch produktiven Fläche der Erde einnimmt. Die größte globale Gefahr ist nicht das Bevölkerungswachstum im Süden, sondern die „Weltmittelschicht“. Vermutlich dehnt sich der Gesamtfußabdruck der Ärmsten gar nicht aus: Der Pro-Kopf-Fußabdruck verringert sich in vielen Fällen mit dem Wachstum der lokalen Bevölkerung, der Lebensstandard sinkt weiter. Dieses Bevölkerungswachstum ist eine soziale Tragödie. Oft bleibt den verarmten Menschen nichts anderes übrig, als sich am Rand der Großstädte oder in ökologisch mariginalen Gebieten niederzulassen, die dann durch Übernutzung schnell zerstört werden. Im Gegensatz zur „Weltmittelschicht“ verbrauchen arme Menschen vor allem lokale Rohstoffe. Die Reichen leisten sich dagegen den Schutz ihrer Ökosysteme, da sie mit ihrer Kaufkraft die Ökosysteme ferner Gebiete ausbeuten können. Um die Lebensqualität im Süden zu verbessern, muß das Bevölkerungswachstum dort so bald wie möglich aufhören. Dazu sind erforderlich: bessere Gesundheitsvorsorge, besonders für Frauen; bessere Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen; mehr wirtschaftliche Sicherheit für Frauen und mehr Mitspracherecht für Frauen. Besser ausgebildete und selbstbewußtere Frauen sind auch ökonomisch stärker. Je länger mit der Besserstellung der Frauen gewartet wird, um so mehr Frauen gibt es, deren Lebenssituation verbessert werden muß. Wenn dies gelingt, wächst auch der Fußabdruck des Südens. Wie kann für ihn Platz geschaffen werden, und was kostet es, noch länger zu warten? Nichts zu tun ist für die reiche „Weltmittelschicht“ kurzfristig billiger. Rasches Bevölkerungswachstum im Süden verschärft das Nord-Süd-Gefälle. Dies bedeutet für uns: weniger Konkurrenz um gut bezahlte Arbeitsplätze und ökologische Produktivität, billige, ungelernte Arbeitskräfte und günstige Ferienangebote im warmen Süden. Doch der Druck im Kessel steigt, und menschenwürdige Lösungen werden mit jedem verlorenen Tag schwieriger. Falls die „Weltmittelschicht“ weiterhin so ressourcenintensiv leben will, muß sie ihre Zahl massiv senken. Es ist unsere Verantwortung gegenüber heutigen und zukünftigen Generationen, innerhalb der ökologischen Möglichkeiten der Erde zu leben. Aber: Mehr Sorgen als das Überschreiten ökologischer Grenzen bereitet es vielen, daß die Renten gefährdet sind, weil immer
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weniger junge Menschen für die Altersversorgung von immer mehr alten Menschen aufkommen müssen. Es ist geradezu zynisch, daß manche Politiker und Demographen* deshalb das Bevölkerungswachstum im Norden fördern wollen. Haben wir nicht genug Wohlstand angehäuft, um daraus eine Verringerung unserer Bevölkerung zu finanzieren? Dazu müssen wir unseren Fußabdruck nicht noch vergrößern. Eine solche Reduktion wäre eine der humansten und ökologisch wirksamsten Investitionen für die Zukunft. * Herwig Birg, Die Weltbevölkerung – Dynamik und Gefahren, München: Beck, 1996.
Fragen an die Entwicklungsstrategen Viele preisen technische Lösungen an wie zum Beispiel „emissionslose“ Autos. Manche sprechen gar von einer Effizienzrevolution, mit deren Hilfe ökologischer Raum für fortgesetztes Wirtschaftswachstum zu schaffen sei. Kann Technik ökologische Grenzen hinausschieben? Nein, auch unter den besten Umständen vergrößern technologische Neuerungen die ökologische Tragfähigkeit nicht, sondern allenfalls die Effizienz, mit der ökologische Güter und Dienstleistungen genutzt werden. In der Theorie sollen energie- und materialeffizientere Technologien es erlauben, eine gegebene Bevölkerung mit einem höheren materiellen Wohlstand oder eine wachsende Bevölkerung mit gleichbleibendem Wohlstand zu versorgen. In Wirklichkeit bleibt der menschliche Naturverbrauch konstant, und zwar jenseits der ökologischen Grenzen. Außerdem führen uns Effizienzgewinne angesichts der heutigen ökonomischen Anreize weg von der erhofften Ressourcenschonung. Viele Faktoren tragen zu diesem nur auf den ersten Blick erstaunlichen Resultat bei, vorneweg die Preis- und Einkommenseffekte von Einsparungen durch Technologie. Eine bessere Energie- und Materialeffizienz erlaubt es Firmen, Löhne zu erhöhen, bessere Dividenden zu bezahlen und/oder Produkte zu niedrigeren Preisen anzubieten. Dies steigert den Konsum der Angestellten und Aktionäre. Technologiebedingte Einsparungen sind gleichbedeutend mit höherer Nachfrage nach anderen Konsumgütern, was den ökologischen Gewinn gestiegener Effizienz teilweise oder ganz rückgängig macht. Am Ende stehen höherer Verbrauch und be169
Abbildung 4.1: Heutige Entwicklungsstrategien bringen uns jeden Tag weiter von der Zukunftsfähigkeit weg. Wir verlieren ökologisches und soziales Kapital. Wir müssen aber den Armen größere ökologische Kapazitäten für Wachstum einräumen.
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Kasten 4.2: Kann uns die Effizienzrevolution retten?* Viele Ökonomen und Umweltschützer denken, daß Fortschritte der technischen Effizienz ein Wundermittel seien gegen die Nachhaltigkeitskrise. Unterstützt wird diese Idee unter anderem durch die „Mehr-aus-weniger“-Doktrin des brillanten Architekten und Erfinders Buckminster Füllers, die unterstellt, daß ein Effizienzgewinn automatisch den Rohstoffverbrauch senkt. Stefan Schmidheiny, ein Vordenker in Sachen Ökologie unter den Schweizer Großunternehmern, hebt beispielsweise hervor, daß der Chemieindustrie in den letzten Jahrzehnten eine Einsparung durch Effizienz um den Faktor 2 gelungen sei. Er hat nur vergessen hinzuzufügen, daß sich im selben Zeitraum die Produktion mehr als verdoppelt hat. Auch der Bericht der Brundtland-Kommission ist dem „Gospel der globalen Effizienz“ verfallen, wie der Entwicklungsanalytiker Wolfgang Sachs diese Weltsicht nennt. Einige Autoren haben erkannt, daß eine Erhöhung der technologischen Effizienz den Ressourcenverbrauch beschleunigen kann. Bereits der Club-ofRome-Report „Grenzen des Wachstums“ von 1972 hat daraufhingewiesen, daß eine Verdopplung der landwirtschaftlichen Produktion bei sich fortsetzendem Wirtschaftswachstum die Grenzen gerade um zwanzig Jahre hinausschieben würde. Damit wären wir bei höherem Konsumniveau in einer noch schwierigeren Lage. Lester Brown vom Worldwatch Institute stellt fest, daß anhaltendes materielles Wachstum – Zahl der Autos, Klimaanlagen, verbrauchtes Papier usw. – alle Effizienzgewinne zunichte mache, „was den Gesamtrohstoffverbrauch (und die ihn begleitenden Umweltschäden) noch weiter vergrößert“. Statistiken bestätigen diese Perspektive: In allen Industrieländern wird heute trotz beeindruckender Effizienzsteigerung mehr Energie verbraucht als vor der ersten Ölkrise im Jahr 1973.** Welche Mechanismen führen zu diesem Phänomen? Im Mikrobereich hilft eine bessere Energie- und Materialeffizienz den Firmen, Löhne zu erhöhen, mehr Dividende auszuschütten und/oder die Preise zu senken. Alle drei Maßnahmen stimulieren zusätzlichen Konsum. Ökonomen sprechen vom „rebound effect“ (Rückschlageffekt). Und: Sparen private Haushalte Geld ein durch effizientere Technologie, dann geben sie es für andere Zwecke aus – ein ökologischer Nutzen wird dadurch kaum erzielt. Der amerikanische Systemanalytiker Bruce Hannon führt dazu das folgende Beispiel an: Ein umweltund energiebewußter Mitbürger, der statt mit dem Bus mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, spart zwei Megajoule Energie pro Franken. Wenn er nicht vorsichtig ist und diesen Franken für etwas ausgibt, das mehr als zwei Mega-
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joule pro Franken graue Energie in sich trägt, dann ist dieser Wechsel vom Bus aufs Fahrrad ökologisch nutzlos gewesen. Im Mesobereich, der regionalen Ebene, sieht es ähnlich aus: Gewöhnlich importieren die meisten Industrieländer einen Großteil der kommerziellen Energie, hauptsächlich in Form von Fossilenergie. Das schwächt die Kaufkraft auf dem Binnenmarkt und damit die Wirtschaft. Im Gegensatz dazu würden viele Ausgaben für energiesparende Technologien im Inland getätigt, und dort würden auch die Gewinne der Energieeinsparung erzielt. Dies käme einem Nachfrageschub gleich, der das Wachstum der Binnenwirtschaft steigern und den Ressourcenkonsum weiter ankurbeln würde. In der Wirtschaftslehre wird dies „Multiplikatoreffekt“ genannt, er beschreibt die Dynamik sich gegenseitig stimulierender Investitionen im Binnenmarkt. Im Makrobereich, der Weltwirtschaft, sind vergleichbare Phänomene erkennbar. Der amerikanische Ökonomienobelpreisträger Robert Solow hat herausgefunden, daß technische Innovationen oder Effizienzgewinne 75 Prozent des Wirtschaftswachstums verursachen. Sein Kollege Harry Sanders kommentiert, daß „Energieeffizienzsteigerung den Energiekonsum auf zwei Arten erhöhen kann: durch das Verbilligen der Energie im Verhältnis zu anderen Produktionsfaktoren und durch das Anheizen des Wirtschaftswachstums, was den Energieverbrauch anschwellen läßt“. Oft wird das Argument vorgebracht, daß Wirtschaftswachstum nicht zwingend mit erhöhtem Energie- und Materialverbrauch verknüpft sein müsse. In der Theorie mag das denkbar sein; die Praxis jedoch zeigt, daß sich das Bruttosozialprodukt vom Energiekonsum kaum entkoppelt hat. Der amerikanische Energiespezialist Robert Kaufmann hat dokumentiert, daß technischer Wandel oder Substitutionsprozesse einen relativ kleinen Einfluß auf den Energieverbrauch haben. „Einen viel größeren Einfluß hat die Wahl der Energieträger und der verbrauchten Güter und Dienstleistungen.“ Mit anderen Worten: Wirtschaftsaktivität und Energieverbrauch sind stärker miteinander verbunden, als die meisten neoklassischen Volkswirtschaftler glauben. Fassen wir zusammen: Technische Effizienzsteigerungen, die den Gewinn erhöhen, ziehen Investitionen an und regen dadurch die gesamte Wirtschaft an. Stanley Jevons hat dies schon 1865 in „The Coal Question“ beschrieben: „Der Fortschritt jeglicher Wirtschaftsbranche stimuliert neue Aktivitäten in fast jeder anderen Branche und führt so indirekt zu schnellerem Verbrauch unserer Kohlenflöze.“ Die Konsequenz: Profitable Effizienzsteigerungen bewirken höhere Gewinnerwartungen und damit größere Investitionen in innovative Firmen. So beschleunigt sich die Verbreitung der Effizienztechnologie in anderen Firmen und Sektoren, was eine höhere Nachfrage von Rohstoffen
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nach sich zieht. Ironischerweise sind es die ökonomischen Gewinne der verbesserten technischen Effizienz, die den Ressourcendurchsatz steigern. Es stellt sich also die Frage: Können wir uns kostensparende Energieeffizienz leisten? Die Antwort lautet: Nur dann, wenn soviel Kaufkraft aus dem Wirtschaftskreislauf entfernt wird, wie die Effizienzgewinne ausmachen. Idealerweise sollte dieses Geld in Naturkapital investiert werden. Eine solche Verlagerung ist kurzfristig wahrscheinlich nur möglich, wenn Ressourcenabbausteuern und Ressourcenquoten verabschiedet werden und der Ressourcenverbrauch besteuert wird. Gleichzeitig müßten die Einkommenssteuer gesenkt und diejenigen entlastet werden, die Rohstoffe sparen und Güter reparieren oder rezyklieren, um nur von diesen Teilen einer ökologischen Steuerreform zu sprechen. Falls wir keine Gesetze einführen, die uns zwingen, mehr aus weniger zu machen, wird uns die Natur zwingen, dies zu tun – dann allerdings nach ihren Spielregeln und auf der Grundlage eines noch stärker verringerten Naturkapitals. * Stefan Schmidheiny, Kurswechsel, München: Arterais und Winkler Verlag, 1992; Wolfgang Sachs, The Gospel of Global Efficiency, Nyon, Switzerland: IFDA Dossier 68, 1988; Donella Meadows et al., Limits to Growth, New York: Universe Books, 1972; Lester Brown et al., From Growth to Sustainable Development, in: Robert Goodland, Herman E. Daly und Salah El Serafy (Hg.), Population, Technology, and Lifestyle: The Transition to Sustainability, New York: Island Press, 1991/1992; Bruce Hannon, Energy Conservation and the Consumer, in: Science, Vol. 189 (1975): 95-102; Robert Solow, in: Paul Samuelson und William Nordhaus, Economics, 12th edition, New York: McGraw-Hill, 1985; Harry Sanders, The Khazzoom-Brooks Postulate and Neoclassical Growth, in: The Energy Journal, Vol. 13, Nr. 4 (1992): 131-148; Charles A. S. Hall, Cutler J. Cleveland und Robert Kaufmann, Energy and Resource Quality, New York: John Wiley & Sons, 1986; Robert Kaufmann, A Biological Analysis of Energy, in: Ecological Economics, Vol. 6, Nr. 1 (1992): 35-56. ** World Resources Institute, World Resources 1996-1997, New York: Oxford University Press (1996): 284-287.
schleunigte Rohstoffnutzung. Typischerweise vergrößern Effizienzgewinne unseren ökologischen Fußabdruck (siehe auch Kasten 4.2). Schlimmer noch: Viele industrielle Technologien vergrößern den ökologischen Fußabdruck direkt, trotz gegenteiliger Versprechungen. Dies ist besonders offensichtlich in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Bergbau. Neue Technologien erhöhen allenfalls kurzfristig die Erträge. Wir lassen uns gerne vom Glauben verführen, daß solcherart gestei173
gerte Erträge einer verbesserten Produktivität des Naturkapitals gleichkommen. Das ist aber ein Irrtum: So mag die industrielle Landwirtschaft auf kurze Sicht ergiebiger sein als schonendere und weniger ressourcenintensive Anbauweisen. Die industrielle Landwirtschaft mit ihrem massiven Energieeinsatz läßt jedoch die Böden erodieren und senkt den Grundwasserspiegel. Die Gesellschaft wird zunehmend von nicht erneuerbaren Rohstoffen abhängig, während sie gleichzeitig die Tragfähigkeit des Planeten schwächt. Die Folgen dieses Wunderglaubens an den technischen „Fortschritt“ haben die Kubaner grausam erfahren müssen: Ihre landwirtschaftliche Produktion geht seit 1990 massiv zurück, weil ihre Versorgung mit Fossilenergie zusammengebrochen ist. Im richtigen gesellschaftspolitischen Rahmen kann Technologie dazu beitragen, eine zukunftsfähige Gesellschaft aufzubauen. Wie in Kapitel 3 vorgerechnet, läßt sich unser Energiefußabdruck etwa mit Hilfe der Solartechnik massiv verringern. Energiesparende Technologie ist sinnvoll, wenn die durch sie erzielten Einsparungen nicht in andere Konsumformen umgeleitet werden. Schwieriger verhält es sich mit Vorschlägen wie zum Beispiel dem „emissionslosen“ Auto. Alle Versuche, die Luftverschmutzung in städtischen Gebieten zu verringern, sind zu begrüßen. Aber es genügt nicht, Stickoxide und unvollkommen verbrannte Kohlenwasserstoffe in Autoabgasen per Katalysator umzuwandeln, denn es bleiben das Treibhausgas CO2 und die Tatsache, daß die Auspuffemissionen nur einen Teil der ökologischen Wirkungen eines Autos ausmachen. Ein Auto, fährt es auch noch so schadstoffarm, braucht Rohstoffe für Bau, Betrieb und Entsorgung. Und wenn „Ökoautos“ zum Verkaufsknüller werden, wird unser ökologischer Fußabdruck noch schneller wachsen – auch weil sich die Städte dann ausdehnen. Der Handel ist ebenfalls kein Allheilmittel. Gewiß, wir können uns einen ökologisch stabilen und ausgewogenen Handel vorstellen: wenn jede Nation nur ihre wirklichen ökologischen Überschüsse exportieren würde, Überschüsse also, deren Nutzung die lokale biologische Produktion nicht schwächen. Im Gegensatz dazu dürfte unregulierter Handel die langfristige ökologische Tragfähigkeit der Regionen der beteiligten Handelspartner unterminieren. Der Zugang zu billigen Rohstoffen (wie Lebensmittel oder Holz) im Ausland senkt nicht nur den Anreiz, eigenes Naturkapital (wie landwirtschaftliche Flächen oder Wälder) zu erhalten. 174
Abbildung 4.2: Hat Effizienz unseren Fußabdruck verkleinert? „Höhere Effizienz!“ lautet der Schlachtruf vieler Umweltschützer und Planer, die eine zukunftsfähige Gesellschaft mitgestalten wollen. Funktioniert es? Nicht immer. Wie schon der Ökonom Stanley Jevons vor hundert Jahren warnte, ist es ein Irrtum, zu glauben, daß erhöhte Effizienz den Ressourcenkonsum drossele. Im Gegenteil: Effizientere Maschinen sind ökonomischer und werden daher mehr gebraucht – und verbrauchen so mehr.
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Er überbeansprucht auch die Exportrohstoffvorkommen in anderen Ländern, weil niedrige Preise die Nachfrage nach Ressourcen steigern. Der Wettbewerb der Rohstoffexporteure untereinander drückt auf die Preise. Die Globalisierung der Wirtschaft und die zunehmende Urbanisierung erschweren es uns, die Wirkungen unseres Handelns wahrzunehmen. Weil die Menschen in den Städten der reichen Nationen Rohstoffe in der ganzen Welt kaufen können, wähnen sie sich immun gegenüber den Folgen der Land- und Ressourcenübernutzung – mindestens für die überschaubare Zukunft. So entfremdet uns die moderne Welt räumlich und psychisch vom Land, das uns mit allem versorgt. Die Bewohner der Industrienationen leiden an einer kollektiven ökologischen Blindheit.
Abbildung 4.3: Wie steht es mit der ökologischen Handelsbilanz? Finanzanalysen zeigen uns zwar Vermögensentwicklungen, aber sagen wenig aus über die Material- und EnergieStröme, die sie möglich machen. Analysen des ökologischen Fußabdrucks jedoch bringen diese Abhängigkeit ans Licht. Sie zeigen, wie Industrienationen sich diese Flüsse durch Handel aneignen und wie Ressourcenökonomien ihr Naturkapital verschachern, um mit dem erstandenen Einkommen verarbeitete Güter zu importieren. Im Gegensatz zu Finanzbilanzen werden diese Flüsse weder kontrolliert noch ausgeglichen. Was kostet es, wenn wir weiterhin die Langzeitfolgen dieses ökologisch unausgeglichenen und damit zerstörerischen Welthandels mißachten?
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Wir sind in Gefahr, weil wir vergessen haben, daß wir von den Ökosystemen der Erde abhängen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Handel das globale Wirtschaftswachstum beachtlich gefördert. Weniger offensichtlich ist, daß dieser Handel es den Reichen ermöglicht hat, sich einen Großteil der ökologischen Tragfähigkeit der Welt anzueignen. Internationale Handelsabkommen sollten überprüft und verändert werden, um sicherzustellen, daß der Handel gerecht ist und sich darauf begrenzt, ökologische Überschüsse auszutauschen. Es geht zuerst um Vereinbarungen, die verhindern, daß erneuerbare Ressourcen weiter erschöpft werden. Die Gewinne eines solchermaßen ökologisch unbedenklichen Handels sollen denen zufließen, die sie am meisten brauchen. Exportsteuern und Einfuhrzölle könnten sicherstellen, daß Preise die ökologische Wirklichkeit widerspiegeln. Fußabdruckanalysen könnten genutzt werden, um neue Handelsabkommen vorzubereiten und umzusetzen. Wenn regionale ökologische Konten (in biophysikalischen Einheiten) eingerichtet würden, könnte dies helfen, das ökologische Gewicht von Bevölkerungen auf unserem Planeten zu errechnen und das ökologische Handelsgleichgewicht zu kontrollieren. Solche Konten würden gewährleisten, daß der weltweite Durchsatz an Energie und Materie das erneuerbare Natureinkommen nicht übertrifft und die Menschheit innerhalb der Tragfähigkeit der Erde lebt. Wie Nachhaltigkeit entwickelt werden kann In Hunderten von Büchern und Dokumenten schlagen Wissenschaftler, Politiker und Nichtregierungsorganisationen zahllose phantasievolle Strategien zum Aufbau einer zukunftsfähigen Welt vor. Doch die Entwicklung von Zukunftsfähigkeit hängt nicht nur davon ab, was wir tun, sondern wie wir es tun. Die besten Vorschläge werden keine Früchte tragen, wenn sie nicht in den politischen und sozialen Zusammenhang passen oder wenn die Bevölkerung sie nicht unterstützt. Bevor wir daher Ideen und Visionen für eine zukunftsfähige Welt erörtern, befassen wir uns mit der Frage, wie sich unsere Strategien verwirklichen lassen. Die folgenden Konzepte haben uns geholfen bei unserer Arbeit mit lokalen Organisationen, die wir im Rahmen der UBC Task Force on Healthy and Sustainable Communities in Kanada durchgeführt haben. 177
Die notwendigen Bedingungen zur Entwicklung von Nachhaltigkeit sind eindeutig. In den Industriestaaten muß unser ökologischer Fußabdruck verringert werden (der ökologische Imperativ), und gleichzeitig muß die Lebensqualität aller gewährleistet werden (der sozialökonomische Imperativ). Im Spannungsfeld dieser beiden Pole bewegt sich der Kampf für eine zukunftsfähige Welt: –
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Die ökologische Nachhaltigkeit ist der einfachere Teil des Zukunftsfähigkeitskonzepts. Trotz der Differenzen darüber, wo genau die ökologischen Grenzen sind, verbindet die verschiedenen Positionen ein Grundkonsens: Wir müssen lernen, innerhalb der Möglichkeiten der Natur zu leben. Scheitern wir, so gefährden wir ein menschenwürdiges Weiterleben unserer Art. Fußabdruckanalysen können dazu benutzt werden, unsere ökologischen Fortschritte zu messen. Fußabdruckanalysen demonstrieren nicht nur ökologische Grenzen, sondern schlagen auch konkrete Maßnahmen vor auf regionaler, kommunaler oder individueller Ebene. Die sozialökonomische Nachhaltigkeit ist ein schwierigeres und umstrittenes Konzept. Die Minimalposition fordert einen materiellen Standard, der allen ein emotional und geistig befriedigendes Leben erlaubt. Natürlich haben gegenwärtig viele Menschen in den Industrienationen diesen Standard längst übertroffen. Die Herausforderung ist klar: Wie kann die Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich abgebaut werden, gerade heute, da wir an der Grenze der ökologischen Stabilität stehen, und dies in einer Weise, die gesellschaftlich und politisch annehmbar ist? Ungerechtigkeit wird zum Kern der Nachhaltigkeitsdebatte. Wer bekommt was (und wie)? Diese Frage weist auf die Gefahr von Konflikten innerhalb und zwischen Nationen hin. Die Aufgabe drängt so stark, wie sie schwierig ist: Wie können wir eine gerechte und solidarische Weltfamilie schaffen? Das ist kein frommer Wunsch, sondern eine überlebenswichtige Notwendigkeit.
Viele Unruhen und internationale Konflikte werden durch ökologische Knappheit verursacht oder verschärft, besonders wenn soziale Ungerechtigkeit herrscht. Viele Wissenschaftler warnen davor, daß Ressourcen178
Abbildung 4.4: Ökologische Nachhaltigkeit verlangt eine Verringerung unseres Fußabdrucks: Helfen unsere Entscheidungen mit, dieses Ziel zu erreichen?
knappheit und der Kollaps von Ökosystemen nicht nur lokale Unruhen provozieren, sondern sogar die weltweite politische Stabilität ins Wanken bringen können. 179
Alle Menschen wollen ein sicheres und erfülltes Leben. Dazu brauchen sie materielle Güter wie gesunde Lebensmittel, Wohnung und Kleidung, aber auch soziale Voraussetzungen wie Gesundheitsfürsorge, Ausbildung und Kontakt mit Menschen. Wenn wir mit sozialen Konflikten konstruktiv umgehen und Fortschritte in Richtung sozialökonomischer Nachhaltigkeit erzielen wollen, müssen wir besser begreifen, was Lebensqualität ausmacht. Wie aber läßt sich Lebensqualität bestimmen, hat sie doch zahlreiche subjektive Aspekte? Von außen kann man bestenfalls annähernd sagen, was bestimmte Bevölkerungsgruppen unter Lebensqualität verstehen. Das wissen nur die Menschen selbst. Ohne Gespräche mit den Betroffenen ist es unmöglich, Lebensqualität zu analysieren und Wirkungen von Regierungsprogramme zu bewerten. Der chilenische Ökonom Manfred Max-Neef hat eine nützliche Klassifizierung von Grundbedürfnissen vorgeschlagen. Einige Bedürfnisse hat er in allen Kulturen und allen historischen Umständen beobachtet: Dauerhaftigkeit, Schutz, Zuneigung, Verständnis, Teilnahme, Muße, schöpferische Betätigung, Identität und Freiheit.1 Ein solcher Katalog kann helfen, Situationen vor Ort zu begutachten. Wie können alle gewinnen? Es scheint fast unmöglich zu sein, die Lebensqualität aller Menschen zu verbessern und gleichzeitig unseren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Die Finanzberaterin Vicki Robin von der New Road Map Foundation, einer Organisation für ein weniger konsumorientiertes Leben in Seattle, behauptet aber, daß es geht – ja, daß sich sogar Maßnahmen in dieser Richtung gegenseitig ergänzen können. Tatsächlich gibt es einige wissenschaftliche Studien, die ihre These stützen. Deren Grundaussage 1
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Manfred Max-Neef, Human Scale Economics: The Challenges Ahead, in: Paul Ekins (Hg.), The Living Economy, New York: Routledge, 1986. Andere Ansätze zur Lebensqualität in: Ian Miles, Social Indicators for Human Development, London: Frances Pinter Publishers, 1985; UBC Task Force on Healthy and Sustainable Communities, Tools for Sustainability: Iteration and Implementation, in: Cordia Chu und Rod Simpson (Hg.), The Ecological Public Health: From Vision to Practice, Centre for Health Promotion, University of Toronto in Kanada und Institute of Applied Environmental Research an der Griffith University in Australien, 1994.
ist: Sobald unsere materiellen Belange gesichert sind, vergrößert ein höheres persönliches (oder nationales) Einkommen das Glücksgefühl der Menschen nicht mehr. Es ist in der Tat ein Trugschluß, Lebensqualität mit quantitativem Zuwachs zu verwechseln. Viele haben realisiert, daß die besten Dinge des Lebens nicht die Dinge sind. In der Tat mündet weniger Besitz nicht unbedingt in Entbehrung, sondern viel öfter in Befreiung. (Natürlich, das wußten wir schon, doch es fällt uns schwer, danach zu handeln). Erfüllung bekommt unser Leben vor allem durch soziale Kontakte. Tausenden ist es gelungen, aus dem Konsumexpreß auszusteigen. Sie haben keine Schulden und mehr Zeit zum Leben. Sie haben Unabhängigkeit gewonnen. Der Trick ist simpel: ein erfülltes Leben statt die Jagd nach Geld.2 Befreiend ist die Einsicht, daß man sich Lebenserfüllung nicht durch mehr Haben erkauft, sondern durch weniger Benötigen. So bekommen wir unsere Zeit und Lebensenergie wieder zurück – unsere kostbarsten Rohstoffe. Nur durch sie können wir die Dinge unternehmen, die uns am meisten bedeuten. In den Industrieländern müssen wir den Gemeinschaftssinn stärken und wiederbeleben. Der amerikanische Soziologe Amitai Etzioni fordert einen neuen Gemeinschaftsgeist, der auf gemeinsamen Werten und gegenseitigem Verständnis aufbaut, um so unserer Gesellschaft ein menschliches Gesicht zu geben. Sein „Gemeinschaftsprogramm“ beruht auf der Beobachtung, daß die Betonung individueller Rechte die Bedürfnisse einer menschenwürdigen Gesellschaft bedroht. Es muß ein Gesellschaftsvertrag geschaffen werden, in dem Rechte Hand in Hand mit Pflichten gehen. Wahrscheinlich ist die wichtigste soziale Bedingung für Nachhaltigkeit die Pflicht zur Gemeinschaft, regional und weltweit. 2
Vicki Robin, A Declaration of Independence from Overconsurnption, Seattle: The New Road Map Foundation, 1994. Mehr über Werkzeuge und Ideen, um finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen und damit einen erfüllten und weniger konumsorientierten Lebensstil zu erlangen, in: Joe Dominguez und Vicki Robin, Your Money or Your Life, New York: Viking Penguin, 1992; Mark A. Burch, Simplicity: Notes, Stories and Exercises for Developing Unimaginable Wealth, Gabriola Island: New Society Publishers, 1995.
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Der Zyklus der sozialen Veränderung Wenn wir allerdings stur darauf bestehen, daß die Nachhaltigkeitsidee moralisch überlegen ist, werden wir nicht an Zukunftsfähigkeit gewinnen. In einer fragmentierten und konkurrenzbeherrschten Welt bewirken moralische Appelle das Gegenteil von dem, was sie sollen. Es geht vielmehr darum nachzuweisen, daß durch Nachhaltigkeit alle gewinnen und niemand verliert. Am Anfang von Veränderung stehen nicht Tadel und Scham, sondern Hoffnung und realisierbare Ziele. Wir müssen klarstellen, wo die Konflikte liegen auf dem Weg vom heutigen Lebensstandard hin zur ökologischen Stabilität. Die Entwicklung dorthin wird nicht geradlinig verlaufen, es geht vielmehr um immer neue
Abbildung 4.5: Der Zyklus der sozialen Veränderung. Oft braucht es einige Runden im Zyklus der sozialen Veränderung, bis die Sorgen der Gemeinschaft in Taten umgesetzt sind.
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Kreisläufe von sozialem Lernen und Überprüfen. Nur so begreifen Menschen, wie sie Kritik in Handeln umsetzen können (siehe Abbildung 4.5). Dieser Prozeß kann damit beginnen, daß eine Interessengruppe oder Gemeinde sich ein ökologisches oder soziales Ziel setzt oder die Notwendigkeit erkennt, auf einen Wunsch der Bevölkerung zu reagieren. Da kollektive Lösungen am meisten Erfolg versprechen, gilt es, potentielle Konflikte und Kompromisse zu erkennen und Wege zu finden, um das Interesse einer breiten Öffentlichkeit zu gewinnen. Damit hat das Planen schon begonnen. Die Gruppe oder die Gemeinde muß sich Ziele setzen, Prioritäten klären und strategische Optionen zum Erreichen der Ziele bestimmen. Wenn sich die Gruppe oder Gemeinde für ein Vorgehen entschieden hat und beginnt die vereinbarten Maßnahmen durchzuführen, muß sie immer wieder überprüfen, ob sie sich den gesetzten Zielen nähert. Die Strategie muß an neue Bedingungen angepaßt werden, oft dürften weitere Maßnahmen erforderlich sein. Der Kreislauf der Veränderung öffnet und schließt sich fortwährend. Der Schlüssel zum Erfolg sind attraktive und transparente Strategien. Ohne sie gibt es keinen konstruktiven Dialog. Ohne Rückkoppelung zwischen Politik und Bevölkerung sind die besten Strategien zum Scheitern verurteilt. Fußabdruckanalysen können die Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien unterstützen. Auch, indem sie helfen, Vorschläge zu vergleichen. Die Herausforderung besteht darin, jene Vorschläge auszuwählen, die den Fußabdruck verkleinern und gleichzeitig die Lebensqualität der Menschen verbessern. Drei mühselige Hürden auf dem Weg zur Nachhaltigkeit Leider erschweren drei Hürden den Weg zur Nachhaltigkeit: die erste ist das Gekochte-Frosch-Phänomen, die zweite die geistige Apartheid und die dritte die Tragödie des Gemeinguts.3
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Robert Ornstein und Paul Ehrlich, New World, New Mind: Moving Toward Conscious Evolution, New York: Doubleday, 1989; Garrett Hardin, The Tragedy of the Commons, in: Science, Vol. 162 (1968): 1243-1248; Fikret Berkes (Hg.), Common Property Resources: Ecology and Community Based Sustainable Development, New York: Belhaven Press, 1989.
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Die erste Hürde geht auf unsere Neigung zurück, uns auf Symptome oder auf Einzelereignisse zu konzentrieren. Das lenkt uns davon ab, das Ganze in seinem Zusammenhang zu erkennen. Wir ignorieren die kumulative Wirkung von Ereignisketten – oder zumindest sind wir nicht imstande, sie vorauszusehen. Der Neurologe Robert Ornstein und der Biologe Paul Ehrlich erklären, daß diese Ignoranz etwas mit physiologischen Funktionen des menschlichen Gehirns zu tun hat: Wir nehmen langsame Veränderungen und systemische Verknüpfungen nur schwer wahr. Nicht viel anders als Frösche. Ornstein und Ehrlich schildern, daß „Frösche, die in einer Pfanne voll Wasser langsam erhitzt werden, unfähig sind, den allmählichen, aber tödlichen Trend zu erkennen. (...) Wie die Frösche scheinen viele Leute unfähig, den allmählichen, aber tödlichen Trend zu erkennen, mit dem das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum die menschliche Zivilisation langsam zum Sieden bringt.“ Wenn uns die stetige Verschlechterung unserer Lage nicht aufweckt, werden wir Opfer der „Tyrannei des Jetzt“. Wir brauchen das Naturkapital scheibchenweise auf, um heutige Bedürfnisse zu befriedigen – das ist das Feuer unter dem Topf, in dem der Frosch langsam, aber sicher gekocht wird. Hinzu kommt, daß der Zwangscharakter unserer wirtschaftlichen Expansion alle Anstrengungen zu entwerten droht, in den Grenzen der Natur zu leben.4 Wir hoffen, daß die klare Aussage des ökologischen Fußabdrucks hilft, uns aus der lähmenden Konsumtrunkenheit zu befreien. Das zweite Hindernis ist die psychologische Schranke zwischen dem modernen Menschen und dem Rest der Wirklichkeit. Die geistige Apartheid beherrscht unser Denken. Dieser Dualismus unserer Wahrnehmung wird besonders deutlich in unserer Sprache. Zum Beispiel unterstellt das Wort „Umwelt“, daß es eine wesentliche Innenwelt – das sind wir – gibt und eine weniger bedeutende Außenwelt – das ist die Welt um uns herum. Unsere vermeintliche Sonderstellung zeigt sich auch im verbreiteten Unwillen, die Menschheit als eine von aber Millionen von Arten zu sehen, als einen Teil der Natur. Die Trennung von Geist und Materie 4
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W. Odum, Environmental degradation and the tyranny of small decisions, in: BioScience 32 (9, 1982): S. 728f.
Abbildung 4.6: Das Phänomen des gekochten Froschs. Frösche, die in einer Pfanne voll Wasser langsam erhitzt werden, sind unfähig, den allmählichen, aber tödlichen Trend zu erkennen. Und wir? Wie steht es mit den allmählichen Trends der Bodenerosion, der Entwaldung, der Klimaveränderung und des Altensterbens?
im heutigen Verständnis geht auf den französischen Aufklärungsphilosophen Rene Descartes zurück. Nach Descartes existiert die äußerliche, materielle Welt nur, damit der Mensch sie verstehen, verändern und ausbeuten kann. Diese künstliche Trennung von Verstand und Körper 185
verträgt sich jedoch nicht mit einer ökologischen Sicht auf eine endliche Welt. Wir täten daher gut daran, unsere geistige Apartheid zum Alteisen zu werfen. Nachhaltigkeit ist nur möglich, wenn wir einsehen, daß das Schicksal der Biosphäre auf diesem Planeten gleichzeitig auch das Schicksal der Menschheit ist. Mit anderen Worten: Wir haben keinen Körper, wir sind ein Körper; wir sind nicht von einer Umwelt umgeben, sondern ein Teil der Biosphäre. Der ökologische Fußabdruck kann helfen, unser Verständnis, daß wir zur Natur gehören, wiederherzustellen. Denn im Gegensatz zu den meisten „Umweltanalysen“ zeigt er nicht die Wirkung des Menschen auf die Natur, sondern unser dominantes Auftreten in der Natur. Geistige Apartheid offenbart sich auch in anderen Verhaltensweisen. So zeigen wir gerne mit dem Finger auf andere. Uns selbst empfinden wir als kleine Rädchen im großen Weltgetriebe. Unsere Taten hätten kein Gewicht, im Guten nicht und nicht im Bösen, davon sind wir überzeugt. Ja, gewiß, die Welt muß anders werden. Aber anfangen sollen doch die anderen. Gerne geben wir Ratschläge, doch selten sind wir bereit, unsere Weisheiten auf uns selbst anzuwenden. Da gibt es die Jet-set-Experten des Nordens, die den Menschen im Süden Nachhaltigkeit predigen; Städter, die Landwirten Nachhilfestunden in ökologisch vernünftigem Leben geben; Europäer und Amerikaner, die den Chinesen vom Auto fahren abraten; Bürokraten mit Pensionsanspruch, die die Armen drängen, weniger Kinder zu gebären; Großverbraucher im Norden, die sich über den Verlust des Amazonasregenwalds bei der brasilianischen Regierung beschweren. Schöne Worte statt gute Taten. „Wir haben den Feind gefunden, und das sind wir selbst“, hat Pogo, eine amerikanische Cartoonfigur, schon vor zwanzig Jahren gewußt. Doch die meisten verschließen immer noch Augen und Ohren vor dieser Einsicht. Wir, Angehörige der Weltmittelklasse, müssen unsere geistige Apartheid überwinden, wenn wir je zukunftsfähig werden wollen. Ökologische Fußabdrücke könnten zur Therapie beitragen. Sie zeigen nicht nur unsere Abhängigkeit von der Natur, sondern auch, wieviel vom ökologischen Kuchen der Welt schließlich auf unserem Teller landet. Plötzlich liegen wir unterm Mikroskop. Natürlich ist es einfacher und weniger beunruhigend, anderes zu untersuchen: Elektronen, Moleküle, Maschinen, Tiere, Leichen, Patienten oder uns fremde soziale Gruppen. 186
Wenn wir aber Nachhaltigkeit erreichen wollen, brauchen wir eine wissenschaftliche Revolution: Wir müssen uns selbst studieren! Die dritte Hürde ist die Tragödie des Gemeinguts; der Begriff stammt von dem amerikanischen Ökologen Garrett Hardin. Sie sollte genauer Tragödie des freien Zugangs heißen. Schon Aristoteles hat erkannt: „Was der größten Zahl gemein ist, wird am wenigsten geschont.“ Die Tragödie tritt immer dann auf, wenn ein Individuum auf Kosten des Gemeinwohls gewinnt. Konkret: Wenn ein Individuum mehr Gewinn aus der (Über-)Nutzung öffentlich zugänglicher Ressourcen zieht, als sein Anteil am Schaden ausmacht. Hardin führt das Beispiel einer öffentlichen Weide an. Der Hirt vergrößert seine Herde, auch wenn er damit die öffentliche Weide übernutzt. Lieber ein Schaf mehr, auch wenn alle Schafe (seine und die der anderen) ein wenig magerer werden. Obwohl die Allgemeinheit (und damit auch der Hirt) Schaden nimmt, bleibt dem Hirten ein Nettogewinn. Daraus ergibt sich für ihn ein wirtschaftlicher Anreiz, immer mehr Tiere auf die öffentliche Weide zu stellen – bis die Weide zerstört ist. Auch wenn eine gute Hirtin die bevorstehende Tragödie erkennt, gibt es für sie keinen Anreiz, sich einzuschränken, da sich sonst nur ein anderer auf die Weide drängt. Dieser Mechanismus ist ein bedeutender Faktor des globalen ökologischen Teufelskreises. Hardin tritt dafür ein, diese Tragödien durch neue Gesellschaftsverträge zu beenden: durch „gegenseitige Kontrolle in gegenseitigem Einvernehmen“. Dieser Ansatz stimmt überein mit dem Gemeinschaftsprogramm Etzionis. Die Fußabdruckanalyse kann zum Verständnis der Tragödie des freien Zugangs beitragen: Sie zeigt das Ausmaß, in dem der Mensch schon heute das „weltweite Gemeingut“ belegt hat. Skizzen einer zukunftsfähigen Vision Welche Art Gesellschaft soll uns die Umsetzung der sozialen und ökologischen Imperative bringen? Wie kann sich durch einen verkleinerten Fußabdruck eine lebenswerte Zukunft entwickeln? Solche Fragen verlangen Antworten, schreibt Wolfgang Sachs in der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“, „weil sonst die soziale Phantasie zur Veränderung kümmerlich bleibt; denn Reduktionsziele allein informieren höchstens, 187
begeistern aber niemanden. Neugierde, Experimentierlust und Engagement kommen dann ins Spiel, wenn der Möglichkeitssinn der Menschen geschärft ist, wenn Veränderungsbilder in vielen Lebensbereichen an Boden gewinnen, die Geschmack machen und nebenbei auch den Charme haben, mit den biophysikalischen Grenzen zu rechnen.“5 Was sind die heutigen politischen Rahmenbedingungen? Die Politik steht unter zunehmendem Druck, mehr Dienstleistungen bei geringeren Steuereinnahmen anzubieten. Regierungen verlieren aber immer mehr Handlungsfreiheit, vor allem durch die wachsenden Staatsschulden. Die Arbeitslosigkeit hat sich zu einer massiven Dauerherausforderung entwickelt. Vor diesem Hintergrund ist es leicht erklärlich, warum Initiativen zur Förderung des Wirtschaftswachstums solche Anziehungskraft ausüben. Aber dieser Kurs endet in einem ökologischen Minussummenspiel. Der Gewinn für die Gesellschaft ist schließlich geringer als die anfallenden Kosten. Wie können wir in den Industriestaaten vernünftiger leben? Wir haben gezeigt, daß drei bis fünf Hektar biologisch produktives Land gebraucht werden, um den Verbrauch des Durchschnittseuropäers zu decken. Für den Nordamerikaner sind gar sechs bis sieben Hektar erforderlich. Dies übersteigt nicht nur in Städten die lokal vorhandenen Landflächen beträchtlich. Diese Defizite können aber strategische Hebel des Handelns sein: Wird in einer Region, in der der ökologische Fußabdruck die lokale Tragfähigkeit um den Faktor 10 übersteigt6, der Material- und Energiedurchsatz um 10 Prozent verringert, dann verkleinert sich der Fußabdruck um die Größe der gesamten Region! Was für ein Sparpotential hat angesichts dessen etwa die Stadt Basel, deren Fußabdruck ihren 37-Qua-
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Misereor / BUND, Zukunftsfähiges Deutschland, Basel: Birkhäuser Verlag 1996, S. 150. Ökologische Fußabdrucksanalyse unterstützen die Befunde zahlreicher anderer Studien, die zur Erreichung weltweiter Nachhaltigkeit innerhalb der nächsten fünfzig Jahre in den industrialisierten Ländern eine vier – bis zehnfache Reduktion des Pro-Kopf Materialdurchsatzes für erforderlich halten. Sehen Sie dazu Friedrich Schmidt-Bleek, Faktor 10 Club, Carnoules Deklaration, Wuppertal: Wuppertal Institut; oder Paul Hawken, The Ecology of Commerce: A Declaration of Sustainability, New York: Harper-Collins, 1993.
dratkilometer-Kanton 200fach übertrifft. Ein halbes Prozent weniger Konsum spart schon ein ganzes Basel ein. Eine geschickte Kommunalpolitik würde unzählige Möglichkeiten eröffnen: Wenn zusammen mit den Einwohnern im Rahmen einer neuen Stadtplanung kompakte, energieeffiziente Wohnformen sowie fußgänger- und fahrradfreundliche Verkehrswege gefördert werden, sinkt der kommunale Rohstoffverbrauch kräftig, und gleichzeitig verbessert sich die Lebensqualität. Solche Programme beeinträchtigen die städtische Wirtschaft nicht. Im Gegenteil, da die Transport- und Bodenkosten sinken, werden die Wirtschaftskraft der Region und ihre Konkurrenzsituation gestärkt. Der weitere Ausbau der städtischen Infrastruktur nach dem traditionellen Muster muß eingestellt werden. Sonst wird für Generationen ein rohstoffintensiver Lebensstil zementiert, werden die autoorientierten Strukturen zur sozialen Falle: Sie verdammen die nächste Generation zu einer Lebensweise, die sie sich ökologisch und ökonomisch nicht mehr wird leisten können. (Die durch den Autoboom der fünfziger und sechziger Jahre verursachten Strukturen werden ohnehin noch jahrzehntelang unsere Städte prägen). Es gibt viele Möglichkeiten, unsere Städte zukunftsfähig zu machen: höhere Wohndichten, verbunden mit dem Wiederbeleben der Innenstädte; energiesparende und durch nachhaltige Energiequellen versorgte Gebäude; Gärten und Begrünung, um das städtische Klima zu verbessern und Nahrungsmittel zu produzieren; Neuverteilung des städtischen Raums weg von Straßenflächen und anderen autoorientierten Strukturen, hin zu erschwinglichen und kompakteren Wohnungen sowie zu öffentlichen Parks; Erschwernisse für den Autoverkehr7 und Anreize für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie Erleichterungen für Fußgänger und Radfahrer; Förderung von zukunftsfähigen Stadtentwicklungsprojekten im Wohn-, Arbeits- und Transportbereich durch Steuerbegünstigungen bzw. Steuerstrafen.
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Unzählige Strategien unterstützen dieses Ziel: Reduktion und Verteuerung der Parkplätze, Verkehrsberuhigung, Steuern und Abgaben, Entschleunigung des Verkehrstroms zugunsten öffentlicher Verkehrsmittel und vieles mehr. Ein inspirierendes und lesenswertes Buch dazu ist: David Engwicht, Reclaiming our Cities and Towns: Better Living with Less Traffic, Gabriola Island: New Society Publishers, 1993.
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Um Städte innerhalb ökologischer Grenzen zu halten, muß sich die Stadtplanung von ihrer traditionellen Aufgabe abwenden, immer mehr Kapazität zu schaffen. Sie muß statt dessen versuchen, die ökologischen Grenzen fühlbar zu machen, sei es durch wirtschaftliche Anreize oder durch künstliche Engpässe in der städtischen Infrastruktur.8 Dies ist eine Variation zum Thema Management der Nachfrage statt des Angebots. Kurz: Die Städte müssen mehr Lebensqualität bieten und gleichzeitig ihre Rohstoff- und Autoabhängigkeit zurückschrauben. Die positiven Effekte nachhaltiger Stadt- und Regionalplanung werden gesteigert, wenn die Bevölkerung neue, ökologisch verträgliche Lebensstile annimmt. Fußabdruckanalysen zeigen, daß es besser ist, sich aus der Region zu ernähren, als global zu konsumieren.9 In vielen Orten ist es immer noch möglich, angenehm von der Produktion des Umlands zu leben, ergänzt durch den Handel mit ökologischen Überschüssen. Und wie schön ist es, auf der Fahrradfahrt nach Hause Freunde zu treffen, statt im muffigen Auto im Stau zu stehen. Die Volkswirtschaft wurde einst als Mittel angesehen, um unser Leben angenehmer zu machen. Heute ist sie nicht mehr Mittel, sondern Zweck der modernen Gesellschaft. Menschen und „Umwelt“ sind Randbedingungen der Wirtschaft geworden. Für den Erdenbürger erscheint die fortschreitende Globalisierung als „machtlose Orte, kontrolliert von ortlosen Mächten“. Nachhaltigkeit verlangt, daß die Ökonomie im Dienst der Menschen arbeitet. Wirtschaftstätigkeit soll zu materieller Sicherheit und erfülltem Leben beitragen. Es mag paradox erscheinen, aber weltweite soziale und ökologische Sicherheit hat ihre Wurzeln in der Stärkung der Gemeinden und Regionalwirtschaften. Keine Macht ist imstande, die Welt zu verwalten. Wenn aber die unzähligen Bioregionen der Erde es lernen, innerhalb ihrer ökologischen Möglichkeiten zu leben, ergänzt durch
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Weiter führt: Mark Roseland, Toward Sustainable Communities, National Round Table on the Environment and the Economy, Ottawa, 1992; Herbert Girardet, The Gaia Atlas of Cities: New Directions for Sustainable Urban Living, New York: Doubleday, 1993. Vergleichen Sie beispielsweise: Van Andruss et al. (Hg.), Home! A Bioregional Reader, Gabriola Island: New Society Publishers, 1990, und andere Publikationen der New Society Publishers.
Abbildung 4.7: Wie wäre es mit einem Leben in und aus der Region? Ein höherer Grad an regionaler Selbstversorgung gibt uns nicht nur einen größeren Anreiz, unsere lokalen Ressourcen zu schonen und zu schützen, sondern verringert auch unsere Abhängigkeit von weit entfernten und unserer Kontrolle entzogenen Ökosystemen.
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ökologisch ausgeglichenen Handel, dann wäre das Ergebnis globale Nachhaltigkeit.10 Dieses Ideal verlangt, ein neues Gleichgewicht zwischen lokaler und fremder Kontrolle über regionale Ressourcen zu schaffen und die regionale Güterproduktion und Verteilung zu fördern. Wir wollen keineswegs zurück zu irgendeinem Nationalismus. Doch fordern wir, daß der herrschende Zentralismus zugunsten der Regionen abgebaut wird. Wir wollen, daß die Bindungen der Menschen zu den sie erhaltenden lokalen Ökosystemen gefestigt werden. Das hätte auch den Vorteil, daß Menschen, deren Arbeit heute abhängt von weit entfernten Ressourcen und Investoren, besser verwurzelt würden in ihrer Region. Auch in einer dezentralisierten Welt sind demokratisch kontrollierte Regierungsfunktionen notwendig. Lokale, regionale und globale Interessen müssen vielfältig aufeinander abgestimmt werden. Nur so kann die Biosphäre geschützt und, wo erforderlich, wiederbelebt werden. Dies setzt allerdings einen Grundkonsens über die politischen Aufgaben voraus und den politischen Willen, sie zu bewältigen. Vor allem am politischen Willen mangelt es heute. Fußabdruckanalysen machen uns bewußt, daß großen Industrieregionen enorme Herausforderungen bevorstehen, um zukunftsfähig zu werden. Je stärker die Verstädterung voranschreitet, desto größer die Abhängigkeit der urbanen Regionen von außen. Aber wie verläßlich ist der Fluß von fremden Naturgütern? Wie wirkt die Klimaveränderung auf die Ressourcenproduktion? Was geschieht, wenn die Regionen, aus denen lebenswichtige Ressourcen importiert werden, gezwungen sind, ihre Überschüsse zu behalten, um die eigene Bevölkerung zu versorgen? Im Zeitalter zunehmender Ungewißheit und weltweiter Veränderungen sollten die abhängigen Regionen ihre Beziehungen mit ihren Rohstofflieferan-
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Dies widerspricht dem heutigen globalen Entwicklungsmodell, das annimmt, daß alle Regionen Nettoimporteure ökologischer Produktivität sein könnten –, daß also der ganze Planet auf ökologischen Pump leben könne. William E. Rees und Mathis Wackernagel, Ecological Footprints and Appropriated Carrying Capacity: Measuring the Natural Capital Requirements of the Human Economy, in: A. M. Jansson, M. Hammer, C. Folke und R. Costanza (Hg.), Investing in Natural Capital: The Ecological Economics Approach to Sustainability, Washington: Island Press, 1994.
ten regeln. Gleichzeitig sollten sie aber auch versuchen, die lokale biologische Produktion zu erhöhen und ihre Nachfrage zu senken. Zukunftsfähig wäre ein loser Verbund regionaler Wirtschaften, deren gesamter Energie- und Materialdurchsatz deutlich geringer ist als die maximal mögliche Tragfähigkeit des Planeten. Darüber hinaus darf es kein materielles Wachstum der Weltwirtschaft geben. Wir müssen allerdings im Norden beträchtliche ökologische Kapazitäten freigeben, damit sich die Armen aus dem Elend befreien können. Optimisten begrüßen die Nachhaltigkeitskrise als letzte Chance der Menschheit, auf der Erde heimisch zu werden. Wir müssen uns darauf konzentrieren, wie man die menschliche Wohlfahrt durch andere Mittel als schieres Wachstum verbessern kann. Selbst jene, die an der Debatte um nachhaltige Entwicklung beteiligt sind, vergessen oft, daß „Wirtschaftswachstum“ nichts anderes bedeutet als „immer größer“, wohingegen „Entwicklung“ übersetzt werden kann mit „immer besser“. Es gibt Grund zur Hoffnung, daß die Industriegesellschaft ihre leichtsinnige Jugend hinter sich läßt und sich dem Stadium verantwortungsvoller Reife nähert. Ein Beispiel dafür ist „Det Naturliga Steget“ in Schweden11, der „Natural Step“ in Kanada und den USA und hoffentlich bald auch der „Natürliche Schritt“ in Deutschland, der Schweiz und Österreich. „Det Naturliga Steget“ hat einfache Verfahren entwickelt, mit deren Hilfe die Wirkung der Wirtschaft auf die Natur verringert werden kann. Dank erfolgreicher Schulungsprogramme wenden schwedische Kommunalverwaltungen, Unternehmen und Schulen diese Verfahren schon umfassend an. Sie stützen sich auf das Konzept der ökologischen Tragfähigkeit: Vom Menschen künstlich produzierte und aus der Erdkruste entnommene Stoffe sollen nicht in der Biosphäre angehäuft werden; industrielle Prozesse sollen alle Veränderungen der Biosphäre vermeiden, die ihre Produktivität oder Vielfalt vermindern könnten.12 Das sind klare Wegweiser.
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„Det Naturliga Steget“ ist in Stockholm unter der Telefonnummer ++46-8-678 0099 oder der Faxnummer ++46-8-611 7311 zu erreichen. John Holmberg, Karl-Henrik Robert und Karl-Erik Eriksson, Socio-Ecological Principles for a Sustainable Society, in: Robert Costanza, Olman Segura and Jvan Martinez Alier (Hg.). Getting Down to Earth: Practical Applications of Ecological Economics, Washington DC: Island Press, 1996.
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Denen, die sagen, daß solche Zukunftsvorstellungen wirtschaftlich utopisch und politisch unrealistisch seien, können wir nur antworten, daß die heute herrschende Sichtweise ökologisch zerstörerisch und moralisch ruinös ist, wenn nicht gar tödlich. Was politisch realistisch ist, entscheiden die Umstände. Aber diese werden mit dem weltweiten ökologischen Niedergang einem radikalen Wandel unterworfen. Die heutige Herausforderung besteht darin, das Interesse der breiten Öffentlichkeit an der sozialen und ökologischen Wirklichkeit zu stimulieren, so daß sich ein politischer Konsens über notwendige Maßnahmen herausbilden kann. Die Alternative dazu wäre, auf dem gegenwärtigen Kurs zu bleiben, bis der soziale und ökologische Zerfall auch den letzten Zweifel daran zerstreut hat, daß wir in einer weltweiten Krise stecken. Dann aber wäre es wohl zu spät, um durchdacht, weltweit koordiniert und wirksam zu reagieren. Glücklicherweise verliert das Katastrophenszenario an Boden, denn viele beginnen die ökologische Grundbedingung unserer Existenz zu verstehen: ohne Biosphäre keine Gesellschaft und keine Volkswirtschaft. Oder, für wirtschaftsorientierte Geister: ohne Planet kein Profit.
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