Thomas Koch Macht der Gewohnheit?
Thomas Koch
Macht der Gewohnheit? Der Einfluss der Habitualisierung auf die Fernseh...
62 downloads
1520 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Thomas Koch Macht der Gewohnheit?
Thomas Koch
Macht der Gewohnheit? Der Einfluss der Habitualisierung auf die Fernsehnutzung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl.: Dissertation Universität Erlangen-Nürnberg, 2010
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17571-3
Danksagung
Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg eingereicht habe. Beim Erstellen dieser Arbeit haben mich verschiedene Personen unterstützt, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Zunächst geht mein Dank an Prof. Dr. Christina Holtz-Bacha, die diese Arbeit betreute. Sie gab mir den notwendigen Freiraum, den man als wissenschaftlicher Mitarbeiter unbedingt benötigt, um eine Doktorarbeit einigermaßen zügig beenden zu können; außerdem hatte sie stets ein offenes Ohr für alle Probleme, mit denen ich in jenen Jahren konfrontiert wurde. Ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, die mich seit jeher unterstützen. Den Nürnberger Kollegen Lutz Hofer, Jacob Leidenberger und Dr. Reimar Zeh danke ich für ihre wertvollen Ratschläge und die gute Zeit, die wir miteinander verbrachten. Den Münchener Kollegen Nayla Fawzi, Thomas Zerback, Ilona Ammann und Sven Engesser danke ich, dass sie mir gerade in der stressigen Phase vor der Abgabe immer wieder zeigten, dass es ein Leben außerhalb der Uni gibt. Ohne Euch wären diese Monate ganz schön trist gewesen. Meiner ehemaligen Büronachbarin Hannah Früh danke ich für Ihren fachlichen Rat, ihre Geduld bei all den Fragen und die moralische Unterstützung, die sie mir zukommen ließ. Zuletzt gilt mein Dank meinen Geschwistern, meinen beiden besten Freunden und insbesondere Saskia. Du hast meine Launen mit Gelassenheit ertragen und mich in allen Belangen unterstützt. Vielen, vielen Dank dafür! Thomas Koch München, im Frühling 2010
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ............................................................................................................. 11
2
Fernsehnutzung und Gewohnheiten................................................................... 17 2.1
2.2
2.3
Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung ...................................................... 18 2.1.1
Fernsehnutzung im Alltag...................................................................... 19
2.1.2
Fernsehnutzung als (annähernde) Niedrigkostensituation...................... 23
2.1.3
Fernsehnutzung im stabilen Kontext...................................................... 25
2.1.4
Programmstrukturen .............................................................................. 28
2.1.5
Resümee zur Fernsehnutzung ................................................................ 30
Kennzeichen von Gewohnheiten ...................................................................... 31 2.2.1
Regelmäßige Wiederholung................................................................... 33
2.2.2
Gewohnheiten als Wissensstrukturen..................................................... 35
2.2.3
Automatisierte Auslösung des Verhaltens ............................................. 36
2.2.4
Auslösung durch spezifische Hinweisreize ............................................ 39
2.2.5
Begriffsabgrenzungen ............................................................................ 41
2.2.6
Resümee zu Gewohnheiten .................................................................... 43
Habituelle Fernsehnutzung ............................................................................... 45 2.3.1
Fernsehnutzungsgewohnheiten .............................................................. 47
2.3.2
Abgrenzung zu ritualisierter Fernsehnutzung und Nutzungsmustern..... 56
2.3.3
Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung? ...................................... 59
2.3.4
Gleichsetzung von habitueller und passiver Fernsehnutzung................. 63
2.3.5
Resümee zur habituellen Fernsehnutzung .............................................. 67
8
Inhaltsverzeichnis
3
Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten.......................... 69 3.1
3.2
3.3
4
Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten............................................. 70 3.1.1
Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten..................................... 71
3.1.2
Beenden und Ändern von Fernsehnutzungsgewohnheiten..................... 73
3.1.3
Resümee zur Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten............. 76
Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung .......................................... 77 3.2.1
Intention als Verhaltensprädiktor ........................................................... 77
3.2.2
Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit..................................... 80
3.2.3
Resümee zur intentionalen und habituellen Fernsehnutzung ................. 83
Messung habitueller Fernsehnutzung ............................................................... 84 3.3.1
Methodenheterogenität bei der Messung von Gewohnheiten................. 85
3.3.2
Der Self-Report Habit Index (SRHI) ..................................................... 93
3.3.3
Spezifika bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten ............ 97
3.3.4
Resümee zur Messung habitueller Fernsehnutzung ............................. 101
Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung .......................................... 104 4.1
Zielsetzung der Studie .................................................................................... 104
4.2
Methodisches Vorgehen ................................................................................. 107
4.3
4.2.1
Methodenwahl ..................................................................................... 108
4.2.2
Der Interviewleitfaden ......................................................................... 110
4.2.3
Auswahl der Befragten......................................................................... 113
4.2.4
Durchführung und Transkription der Interviews.................................. 116
4.2.5
Analyse und Interpretation der Daten .................................................. 119
Ergebnisse ...................................................................................................... 120 4.3.1
Habituell-angebotsunspezifischer Beginn der Fernsehnutzung............ 121
4.3.2
Habituell-angebotsspezifischer Beginn der Fernsehnutzung................ 125
4.3.3
Bedeutung spezifischer Hinweisreize .................................................. 129
4.3.4
Folgen der habituellen Fernsehnutzung ............................................... 135
4.3.5
Wahrnehmung und Wertung von Fernsehnutzungsgewohnheiten ....... 141
Inhaltsverzeichnis
5
9
Studie II: Habituelle Fernsehnutzung .............................................................. 147 5.1
5.2
5.3
6
Zielsetzung der Studie .................................................................................... 147 5.1.1
Forschungsfragen I: Habitualisierung und Nutzungsumfang ............... 148
5.1.2
Forschungsfragen II: Habitualisierung und Rezipientenmerkmale ...... 149
5.1.3
Forschungsfragen III: Habitualisierung und Fernsehnutzung .............. 151
5.1.4
Forschungsfragen IV: Habituelle Sendungsnutzung ............................ 153
5.1.5
Forschungsfragen V: Habituelle Nutzung der Medien......................... 154
Methodisches Vorgehen ................................................................................. 155 5.2.1
Methodenwahl und Ablauf der Untersuchung ..................................... 156
5.2.2
Entwicklung und Aufbau des Fragebogens.......................................... 157
5.2.3
Stichprobe ............................................................................................ 163
5.2.4
Transformation der Fragebogendaten .................................................. 166
Ergebnisse ...................................................................................................... 169 5.3.1
Habitualisierung und Nutzungsumfang................................................ 170
5.3.2
Habitualisierung und Rezipientenmerkmale ........................................ 176
5.3.3
Fernsehnutzung von Rezipienten mit festen Gewohnheiten................. 183
5.3.4
Habituelle Nutzung von Sendungen..................................................... 189
5.3.5
Vergleich der gewohnheitsmäßigen Nutzung der Medien ................... 194
Fazit .................................................................................................................... 199 6.1
Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie I ............................................. 199
6.2
Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie II ............................................ 204
6.3
Herausforderungen und Ausblick für zukünftige Forschung .......................... 207
Literaturverzeichnis....................................................................................................... 210 Tabellenverzeichnis........................................................................................................ 231 Anhang.............................................................................................................................232
1 Einleitung
„Die Tagesschau ist keine Sendung, sondern pure Gewohnheit. Die kann man auch in Latein verlesen“ (Ex-RTL-Chef Helmut Thoma, zitiert nach Schleider, 2007, S. 38).
Die skurrile Vorstellung einer in Latein verlesenen Tagesschau meint Helmut Thoma wohl nicht ganz ernst, doch birgt seine Äußerung eine interessante Annahme: Der Zuschauer sieht die Sendung nicht wegen seines Informations- oder Unterhaltungsbedürfnisses, sondern weil er es gewohnt ist, um 20:00 Uhr „Das Erste Deutsche Fernsehen“ einzuschalten. Die Vermutung, dass Rezipienten das Fernsehen oder bestimmte Inhalte habituell1 nutzen, klingt zunächst wenig überraschend, weil wir die meisten Handlungen des täglichen Lebens gewohnheitsmäßig durchführen (vgl. z.B. Aarts & Dijksterhuis, 2000; Ouellette & Wood, 1998; Verplanken, 2005; Verplanken, 2006). Das Zähneputzen am Morgen, das Bereiten des Frühstücks, das Binden der Schuhe oder die Fahrt zur Arbeit: Gewohnheiten bestimmen unseren Alltag. Weshalb sollten nicht auch der Griff zur Fernbedienung, das Sehen der Nachrichten oder bestimmter Serien, wie überhaupt die gesamte Programmauswahl habitualisiert sein? Der Gedanke ist keineswegs neu. Einige Forscher erkannten schon vor Jahrzehnten, dass Gewohnheiten einen erheblichen Einfluss auf die Medien- und speziell auf die Fernsehnutzung haben (vgl. z.B. Berelson, 1949; Greenberg, 1974; Herzog, 1944; Donohew, Nair, & Finn, 1984; Nordenstreng, 1969). Dennoch gibt es kaum Studien, die explizit den Einfluss der Habitualisierung auf die Fernsehnutzung betrachten. Dies kritisieren Stone und Stone (1990, S. 25) schon vor 20 Jahren und vergleichen die Mediennutzungsforschung mit einem unvollendeten Puzzle, von dem man bislang nur die Ränder zusammengesetzt hat. In dieser Metapher sind die Nutzungsgewohnheiten der Rezipienten ein Teilchen, das auf den Boden fiel und deswegen übersehen wird. Bevor man es in das Puzzle einsetzen kann, muss man es erst einmal aufheben und zurück auf den Tisch legen. Diesen längst überfälligen Schritt reklamieren Stone und Stone bereits 1990 für sich – nur nimmt in den folgenden zwei Jahrzehnten kaum jemand 1 Die vorliegende Arbeit nutzt die Begriffe „gewohnheitsmäßig“, „habituell“ und „habitualisiert“ sowie „Gewohnheit“ und „Habit“ synonym.
12
1 Einleitung
Notiz von dem Puzzleteil. Vielmehr scheint es, dass es wieder auf den Boden fiel, wo es erneut verstaubt und abermals darauf wartet, dass es jemand aufhebt. Paradoxerweise sind die Forschungsgewohnheiten des Faches dafür verantwortlich, dass man den Einfluss von Gewohnheiten auf die Fernsehnutzung bislang ignoriert: Meist stehen die „Beschreibung und Erklärung der Wirkungen von Medien(inhalten) auf deren Rezipienten“, also die Folgen der Medienrezeption, und nicht deren Ursachen im Mittelpunkt der Forschung (Vorderer, 1992, S. 9). Die seit Mitte der 70er Jahre in der Tradition des Uses-and-GratificationsAnsatzes entstandenen Untersuchungen tragen zwar zur Schließung dieser Lücke bei, betrachten das Geschehen jedoch aus einer einseitigen Perspektive: Die Forscher konstruieren das Bild eines aktiven, bewusst selektierenden Rezipienten, der intentional seine Bedürfnisse befriedigt, als quasi unumstößliche Prämisse – eine habituelle Nutzung hat hier (auf den ersten Blick) keinen Platz. Umso ironischer ist, dass man auf der Suche nach diesem aktiven, intentionalen Rezipienten den Einfluss der Habitualisierung entdeckte – wenn auch eher zufällig. Danach befragt, warum sie bestimmte Medien oder Inhalte nutzen, erwähnen Teilnehmer häufig Gewohnheiten (vgl. z.B. Greenberg, 1974). Stone und Stone (1990, S. 32) charakterisieren die Entdeckung als „toxic waste“ der Analysen: Ein Abfallprodukt, das bei der Suche nach Zuwendungsmotiven eben anfällt. Weil man deren Existenz nun nicht länger ignorieren konnte, operationalisierte man Habits kurzerhand als eines von mehreren Motiven und begnügte sich fortan mit der vagen Feststellung, dass diese die Mediennutzung irgendwie beeinflussen. Was soll man also von jener Behauptung halten, dass „the ‚habit’ theme has been prevalent in mass media research since media research began“ (Stone & Stone, 1990, S. 26). Ignoriert die Kommunikationswissenschaft nun den Einfluss der Habitualisierung auf die Fernseh- bzw. Mediennutzung, oder war es von Beginn an eines der vorherrschenden Themen? Die Antwort darauf ist komplex, denn tatsächlich „geistert“ die Idee, dass Gewohnheiten die Nutzung des Fernsehens beeinflussen, schon lange durch die Literatur. Doch obgleich man die Relevanz des Themas immer wieder unterstrich, erscheinen Habits weiterhin als Gespenst, das an der Oberfläche vieler Bücher herumspukt, im Kern aber unsichtbar bleibt. Dies führt zu dem grotesken Zustand, dass der Begriff „Habit“ in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur zwar geläufig ist, Untersuchungen darüber jedoch Mangelware sind. Eine oberflächliche Skizzierung findet sich hier und da, eine tiefer gehende Auseinandersetzung vermisst man aber. So existieren zum einen keine Arbeiten, die sich (gründlich) theoretisch mit habitueller Fernsehnutzung auseinandersetzen, zum anderen kaum empirische Beiträge: Entstehung, Folgen und Ausmaß der gewohnheitsmäßigen Nutzung bleiben bis heute weitgehend im Dunkeln. Freilich findet man in manchen Büchern, die sich
1 Einleitung
13
mit Medienselektion oder speziell mit der Programmwahl befassen, ein paar vereinzelte Seiten, auf denen die Autoren beschreiben, dass Gewohnheiten eine Rolle spielen könnten, doch mangelt es meist schon an einer simplen Definition, von einer umfassenden theoretischen Fundierung ganz zu schweigen. Dies hat zur Folge, dass Forscher mitunter ganz verschiedene Vorstellungen von Fernsehnutzungsgewohnheiten haben. Das daraus resultierende begriffliche Chaos störte zunächst kaum, da man ohnehin am Paradigma eines bewusst und intentional auswählenden Rezipienten festhielt. Generell ging die Psychologie bei der Erklärung und Vorhersage von Verhalten jahrzehntelang vorwiegend von einem bewussten und rationalen Abwägungsprozess aus. Dass wir einen großen Teil unseres Verhaltens stetig wiederholen und wiederkehrende Entscheidungen nicht jedes Mal aufs Neue abwägen, blendete man weitgehend aus. Erst seit Mitte der 90er Jahre steht der Einfluss von Gewohnheiten im Fokus mancher Studie. So gibt es mittlerweile sowohl fundierte theoretische Auseinandersetzungen als auch empirische Analysen: Man untersuchte bereits den Einfluss von Gewohnheiten auf verschiedene Alltagssituationen, wie zum Beispiel die Verkehrsmittelwahl (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Bamberg, 1996; Klöckner, 2005a; Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997; Verplanken, Aarts, Knippenberg, & Knippenberg, 1994), das Essverhalten (z.B. Brug, Vet, Nooijer, & Verplanken, 2006; Honkanen, Olsen, & Verplanken, 2005) oder das Umweltverhalten (z.B. Dahlstrand & Biel, 1997). Kommunikationswissenschaftler nehmen davon bislang kaum Kenntnis und integrieren die brauchbaren theoretischen Konzepte und empirischen Befunde nicht in das Fach. Die vereinzelten Arbeiten, die sich mit habitueller Fernsehnutzung bzw. allgemein mit dem Einfluss von Gewohnheiten auf die Mediennutzung befassen, imponieren bestenfalls als „Speerspitze“. Dabei sind Erkenntnisse über die Auswirkungen von Gewohnheiten auf die TV-Nutzung nicht nur von wissenschaftlicher, sondern auch von wirtschaftlicher Relevanz. Die Anzahl an Medienangeboten und Fernsehprogrammen explodiert seit Jahrzehnten geradewegs, der inter- und intramediale Konkurrenzdruck nimmt entsprechend zu (Zubayr & Gerhard, 2008, S. 106). Man benötigt Strategien, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen, denn nur, wenn Fernsehschaffende wissen, warum Rezipienten bestimmte Inhalte nutzen, können sie das Programm optimieren und möglichst viele Zuschauer binden. Zillmann und Bryant (1985b, S. IX) bezeichnen die Fragen nach dem „Warum der Nutzung“ geradewegs als „money questions“: Je mehr Zuschauer einen Werbeblock sehen, umso mehr Werbegelder kann man verlangen. Kenntnisse darüber, wie Fernsehgewohnheiten entstehen und wie sich bereits etablierte Gewohnheiten ändern lassen, würden den Programmplanern helfen, Rezipienten zu einer regelmäßigeren Nutzung ihrer Sendungen zu bringen (vgl. dazu auch Stone & Stone, 1990, S.
14
1 Einleitung
32). So könnte man für ein zuverlässigeres und berechenbareres Publikum programmieren und Werbespots für stetig wiederkehrende Zielgruppen platzieren. Wie Gewohnheiten die Fernsehnutzung beeinflussen, ist die forschungsleitende Frage dieser Arbeit. Sie gliedert sich – neben Einleitung und Fazit – in vier übergeordnete Abschnitte: Zwei Kapitel beleuchten zunächst den theoretischen Hintergrund, die nächsten beiden stellen jeweils eine empirische Studie vor. Diese Untersuchungen basieren nicht aufeinander, sondern erforschen separat unterschiedliche Aspekte von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Die erste Analyse untersucht mit qualitativen Leitfadeninterviews speziell den habituellen Beginn der Fernsehnutzung. Die zweite Studie bedient sich einer standardisierten Befragung und prüft das Ausmaß der gewohnheitsmäßigen Zuwendung zum Fernsehen im Vergleich zu anderen Medien, nimmt die habituelle Nutzung bestimmter Sendungen in Augenschein und analysiert verschiedene Zusammenhänge der Habitstärke mit anderen Variablen. Den genauen Gang der Arbeit schildern die nachfolgenden Absätze. Das an die Einleitung anschließende Kapitel 2 widmet sich dem komplexen Verhältnis von Fernsehnutzung und Gewohnheiten. Zunächst betrachtet es spezifische Merkmale der TV-Rezeption: Durch die feste Integration des Fernsehens in den Alltag vieler Rezipienten hat das Fernsehen den „Eventcharakter“, den es noch in den 50er oder 60er Jahren hatte, längst abgelegt. Die Zuwendung zum Fernsehen und die Wahl einer Sendung geschehen regelrecht beiläufig, in einem stabilen, wiederkehrenden Kontext – einer ausgiebigen Planung und einer begründeten Entscheidungsfindung bedarf es nicht. Das Kapitel berichtet über die wachsende Quantität und Komplexität des TV-Programms, der die Zuschauer entgegentreten, indem sie sich auf wenige Sender konzentrieren und regelmäßig die gleichen Sendungen konsumieren. All diese Spezifika der Fernsehrezeption tragen dazu bei, dass der Einfluss von Gewohnheiten bei der Zuwendung zu dem Medium bedeutend sein könnte. Die Beschäftigung mit habitueller Fernsehnutzung führt unvermeidlich zu der Frage, was Gewohnheiten sind und welche Charakteristika ein habituell gesteuertes Verhalten auszeichnen. Auch dem geht das Kapitel nach, definiert den Terminus und skizziert spezifische Merkmale von Habits. Zuletzt greift das Kapitel die zuvor gewonnenen Erkenntnisse auf und entwickelt eine Definition von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Auf deren Basis hinterfragt es die bis dato häufig anzutreffende Operationalisierung von Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung und die oft implizit vermittelte Gleichsetzung von passiver und habitueller Fernsehnutzung. Kapitel 3 wendet sich verschiedenen Merkmalen der habituellen Fernsehnutzung zu und diskutiert, wie man Fernsehnutzungsgewohnheiten messen kann. Dabei nimmt es zuerst deren Entstehung in Augenschein und skizziert die Entwicklung vom intentionalen Einschalten des Gerätes zu dessen vermehrter habi-
1 Einleitung
15
tueller Steuerung. Auch das Ende und Ändern von Fernsehnutzungsgewohnheiten stehen im Fokus. Der zweite Teil des Kapitels beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass bei wiederholtem Verhalten der bewusste und rationale Entscheidungsprozess kaum Vorhersagewert hat – Gewohnheiten könnten eine der Ursachen dafür sein. Freilich sind Intentionen und Gewohnheiten keine unvereinbare Dichotomie, sondern Pole eines Kontinuums – an den meisten Verhaltensausführungen sind beide Mechanismen beteiligt. Zuletzt steht die Messung von Gewohnheiten im Mittelpunkt: Die Durchsicht verschiedener Studien deckt eine Vielfalt an Methoden, Operationalisierungen und Instrumenten auf, die sich der Messung des Konstrukts annehmen. Allerdings birgt jedes Vorgehen spezifische Probleme, und bislang konnte sich kein Standard durchsetzen. Die möglichen Gründe dafür diskutiert das Kapitel ebenso wie Brauchbarkeit und Grenzen der unterschiedlichen methodischen Zugänge für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Zuletzt beschreibt es verschiedene Hindernisse, mit denen sich Forscher konfrontiert sehen, die das Ausmaß der habituellen Zuwendung zum Fernsehen erfassen wollen. Kapitel 4 beinhaltet die erste der beiden empirischen Studien. Diese widmet sich insbesondere dem habituellen Beginn der Fernsehnutzung. Die Analyse differenziert zwischen dem habituell-angebotsunspezifischen Einschalten des Fernsehers (die Rezeption zielt nicht auf ein konkretes Angebot, sondern nur auf die Tätigkeit des Fernsehens an sich) und dem sendungsspezifischen habituellen Beginn der Rezeption (der Zuschauer wendet sich dem Fernsehen zu, um eine bestimmte Sendung zu verfolgen). Verschiedene Aspekte dieser Zuwendung stehen im Fokus der Analyse: Welche Charakteristika zeichnen den habituellen Beginn der Fernsehnutzung aus? Welche Abläufe und bevorzugten Inhalte sind für eine habituelle Zuwendung typisch? Welche Rolle spielen bestimmte Hinweisreize für die Aktivierung der Rezeption? Welche Folgen hat eine gewohnheitsmäßige Nutzung des Fernsehens? Diesen Fragen geht eine qualitative Befragung von 16 Personen mittels Leitfadeninterviews nach. Kapitel 5 stellt die zweite Studie vor, die sich einer quantitativen Befragung von 500, mittels Quotenauswahl rekrutierter, Personen bedient. Die Untersuchung widmet sich verschiedenen Facetten der habituellen Zuwendung zum Fernsehen, zu bestimmten Sendungen sowie zum Internet, Radio und zu Zeitungen. Zunächst setzt sich die Analyse mit der Frage auseinander, wie Nutzungsumfang und Habitstärke zusammenhängen. Weiterhin widmet sie sich dem Zusammenspiel von Rezipientenmerkmalen und Habitualisierung: Hängt das Ausmaß der Habitstärke mit dem Geschlecht, dem Alter oder der formalen Bildung zusammen? Zudem hinterfragt die Studie den Einfluss von Gewohnheiten auf die Nutzung verschiedener Sendungen und Medien. Sie sucht nach Charakteris-
16
1 Einleitung
tika, die vorwiegend habituell auswählende Rezipienten auszeichnen, und analysiert den Einfluss von Intention und Gewohnheit auf den Nutzungsumfang. Zuletzt stehen ein Vergleich des Ausmaßes der habituellen Zuwendung zu den verschiedenen Medien sowie die Frage nach einer transmedialen Habitualisierung im Fokus.
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Das Fernsehen ist – trotz aller Euphorie über das Internet – immer noch das Leitmedium unserer Gesellschaft und durchdringt nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche (Mikos, 2000, S. 68). Die Deutschen2 verbrachten im Jahr 2008 durchschnittlich 207 Minuten täglich, also ca. dreieinhalb Stunden, vor dem TV-Gerät (Zubayr & Gerhard, 2009, S. 98). Zwar hören die Bundesbürger ebenso viel Radio, doch fungiert dieses insbesondere als Nebenbeimedium – dem Fernsehen schenken die Rezipienten wesentlich häufiger ihre ungeteilte Aufmerksamkeit (Schramm & Hasebrink, 2004, S. 467). Beinahe jeder deutsche Haushalt verfügt über einen TV-Apparat, häufig stehen Zweit- und Drittgeräte in Schlaf-, Arbeitsund Kinderzimmern und die fortschreitende Digitalisierung sorgt dafür, dass man durchschnittlich aus 72 Sendern auswählen kann (Zubayr & Gerhard, 2009, S. 98). Das Fernsehen ist ein solch integraler Bestandteil des Daseins geworden, dass sich viele Menschen ein Leben ohne das Medium nicht mehr vorstellen können. Diese Omnipräsenz bleibt freilich nicht folgenlos, mögliche Wirkungen auf den Einzelnen, spezifische Teilgruppen oder die Gesellschaft untersuchte man bereits extensiv. Weniger Interesse weckten hingegen die psychologischen und situativen Determinanten der Mediennutzung (Schweiger, 2007, S. 11). Dabei gilt, „auch wenn es banal klingt: Bevor Medien irgendwelche Wirkungen auslösen, müssen sie genutzt werden“ (Meyen, 2004, S. 10). Viele Ansätze und Theorien der Medienwirkungsforschung setzen mit einer solchen Selbstverständlichkeit die Nutzung von Medieninhalten voraus, dass man Fragen nach der Mediennutzung außen vorließ und dieser Forschungsbereich zunächst kein eigenes theoretisches Profil gewinnen konnte; zumal die Mediennutzungsforschung, hin- und hergerissen zwischen akademischer Medienwirkungs- und kommerzieller Publikumsforschung, eine „prekäre Zwischenposition“ einnimmt (Hasebrink, 2003, S. 101). So entstand ein weißer Fleck auf der Forschungslandkarte, der zahllose Debatten über Medienwirkungen begleitet. Immerhin treibt man die Erforschung relevanter Determinanten mittlerweile voran und steht nicht mehr weitgehend am Anfang, wie Vorderer (1992, S. 9) zu Beginn der 90er Jahre noch anmerkt, gleichwohl sind „die Folgen der jahrelangen Vernachlässi2 Genauer betrachtet fallen unter diese Nutzungszeiten Deutsche und EU-Bürger, die in Deutschland leben.
18
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
gung […] nicht zu übersehen“ (Hasebrink, 2003, S. 101). Weil der Wirkungsdiskurs in Politik, Ökonomie und Öffentlichkeit seit jeher mehr Beachtung findet, erfolgt eine ausgesprochene Konzentration auf mögliche Folgen der Fernsehnutzung: Insbesondere die Fragen, wie Werbung und Gewaltdarstellungen auf Rezipienten wirken, nahmen und nehmen einen wichtigen Raum in der öffentlichen Debatte ein. Zwar erlebte „die kommunikationswissenschaftliche Beschäftigung mit den Bedingungen und Prozessen der Mediennutzung in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom“ (Schweiger, 2007, S. 12) und der (oben skizzierte) weiße Fleck bekam erste Konturen, doch blieb die Erforschung der habituellen Fernsehnutzung von dem Boom ausgeklammert. Die marginale Beachtung von Gewohnheiten erstaunt umso mehr, wenn man verschiedene Merkmale der Fernsehnutzung betrachtet, die allesamt Hinweise dafür liefern, dass Gewohnheiten eine große Rolle spielen: Das Fernsehen ist fest in den Alltag vieler Rezipienten integriert, die Auswahl bestimmter Angebote gestaltet sich zumeist als Niedrigkostensituation, man sieht in äußerst stabilen räumlichen und zeitlichen Kontexten fern, und auch die Programmstrukturen sollten die Ausbildung von Habits erleichtern. All diese Merkmale diskutiert Kapitel 2.1. Was Gewohnheiten sind sowie eine Abgrenzung von (scheinbar) ähnlichen Begriffen thematisiert Kapitel 2.2. Anschließend definiert Kapitel 2.3 „habituelle Fernsehnutzung“ und grenzt auch diese von (scheinbar) ähnlichen Begriffen ab; zuletzt hinterfragt es die Operationalisierung von Gewohnheiten als Zuwendungsmotiv und die Gleichsetzung von habitueller und passiver TVNutzung. 2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung In der Kommunikationswissenschaft etablierte sich eine analytische Trennung der Fernsehnutzung (bzw. der Mediennutzung im Allgemeinen) in drei Phasen: die präkommunikative (Auswahl), die kommunikative (Rezeption) und die postkommunikative (Aneignung) Phase3 (vgl. Levy & Windahl, 1984; Levy & Windahl, 1985; vgl. dazu auch Donsbach, 1991; Hasebrink, 2003; Wirth & Schweiger, 1999). Bei der Analyse der präkommunikativen Phase steht die Frage nach dem „Warum“ der Fernsehnutzung im Vordergrund: Warum sehen Menschen fern, anstatt andere Verhaltens- oder Medienalternativen zu nutzen? Warum wählen Zuschauer einen bestimmten Sender bzw. ein bestimmtes Programm aus? Die Erforschung der kommunikativen Phase widmet sich der eigentlichen Nutzung des Fernsehens und hinterfragt, was während des Kontaktes zwischen 3
Die Begriffe rezeptiv und kommunikativ verwendet man in diesem Zusammenhang synonym.
2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung
19
Rezipient und Fernsehangebot passiert. Die während der Rezeption ablaufenden kognitiven und emotionalen Prozesse stehen im Vordergrund. Daran schließt sich die durch Aneignungsprozesse gekennzeichnete postkommunikative Phase an; deren Analyse erkundet mögliche Konsequenzen, die aus der TV-Nutzung resultieren. Die Gliederung in drei Phasen mag zwar analytisch korrekt und für die theoretische Auseinandersetzung hilfreich sein, eine klare empirische Trennung ist jedoch kaum realisierbar, da die Phasen in einem äußerst komplexen und dynamischen Wechselverhältnis zueinander stehen. So treten Wirkungen nicht nur nach, sondern bereits während der Nutzung auf, der Ablauf der Rezeption bedingt mögliche Wirkungen, und letztere verändern wiederum zukünftige Selektionen und Rezeptionen. Die vorliegende Arbeit verengt weder im theoretischen noch im empirischen Teil den Blick auf eine der Phasen. So steht nicht nur der Einfluss von Gewohnheiten auf das Auswahlverhalten der Rezipienten im Fokus, sondern auch der Einfluss der Habitualisierung auf die Rezeption und mögliche Auswirkungen einer habituellen Nutzung. Freilich kann kein einzelner Faktor die Fernsehnutzung verlässlich vorhersagen, sondern eine ganze Reihe an Variablen beeinflusst das Geschehen in einem komplexen Wechselverhältnis: Schon deren Systematisierung erweist sich als überaus problematisch (Meyen, 2004, S. 48). Strukturelle Merkmale (z.B. Arbeits- und Lebensbedingungen, Traditionen, Medienangebot, Klima, Freizeitalternativen, etc.) spielen ebenso eine Rolle wie positionelle (z.B. Einkommen, Zeitbudget, Tagesablauf, Bildung, Alter, Geschlecht, etc.) sowie individuelle und soziale Merkmale (z.B. Bedürfnisse, soziales Umfeld, Rezeptionssituation, Einstellungen, Erfahrungen, etc.). Die Grenzen dazwischen sind fließend, eindeutige Zuordnungen nicht immer möglich. Es gibt etliche Studien, die den Einfluss spezifischer Merkmale auf die Nutzung bestimmter Medien und Inhalte untersuchen. Die Isolierung einzelner Variablen kann man kritisieren, weil diese gerade nicht unabhängig voneinander sind, sondern interdependent: Sie ergänzen und kompensieren, verstärken und schwächen sich gegenseitig. Indes ist es ohnehin unmöglich, der Komplexität, Vieldimensionalität und Dynamik der Fernsehnutzung in vollem Umfang gerecht zu werden. So sind auch die spezifischen Merkmale, die das vorliegende Kapitel auflistet, nur ein verkürzter Blick auf dieses vielschichtige Geschehen. 2.1.1 Fernsehnutzung im Alltag „Mir geht es gut. Es ist Samstagabend, ich sitze in der warmen Wanne, im Schaum schwimmt das braune Seeräuberschiff von Playmobil. […] Nachher gibt es ‚Wetten, dass...?’ mit Frank Elstner. Dazu kuschele ich mich in den warmen
20
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Kapuzenbademantel, den meine Mutter vorgewärmt hat, damit ich mich auch wirklich nicht verkühle. […] Es war damals selbstverständlich, dass man ‚Wetten, dass...?’ mit Frank Elstner guckte, niemals wieder hatte man in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun“. Die wehmütige Erinnerung Illies’ (2001, S. 9) an die Mitte der 80er Jahre, und damit an die Kindheit seiner „Generation Golf“, verabschiedet jene Zeiten, in denen man bei der Wahl einer Sendung mit Gewissheit sagen konnte, man tue momentan „genau das Richtige“. Mitte der 80er Jahre steckte der private Rundfunk noch in den Startlöchern – bis zu seiner Entfaltung war das Angebot an Sendern und Sendungen derart gering, dass man sich dieses Gefühls schon deshalb sicher sein konnte, weil es praktisch keine Programmalternative gab (Dussel, 1999, S. 221ff.). Doch diese Zeiten sind passé: Zu präsent ist der Apparat in fast allen Haushalten, zu umfangreich das Angebot, und die Nutzung verteilt sich heute auf etliche Sender und Sendungen.4 Noch bevor einzelne Sendungen ihre exponierte Stellung einbüßten, verlor die Tätigkeit des Fernsehens an sich ihren Zauber: Waren Fernsehabende in den 50er Jahren für viele Deutsche einzigartige Erlebnisse, führte die zunehmende Verbreitung von TV-Apparaten in deutschen Haushalten zum Verlust des Eventcharakters. Gab es 1960 nur in der Hälfte der bundesdeutschen Haushalte einen Fernseher, verfügten 15 Jahre später schon mehr als 95 Prozent über ein TVGerät – ab diesem Zeitpunkt kann man wohl von einer Vollversorgung sprechen (Maurer & Reinemann, 2006, S. 79; vgl. dazu auch Kiefer, 1999). In ihrer Freizeit widmen die Deutschen keiner Tätigkeit – außer dem Schlafen – so viel Zeit wie dem Fernsehen. Dies war zwar schon zu Beginn der 70er Jahre der Fall, doch nahm der Umfang der Fernsehnutzung seitdem nochmals deutlich zu (Mikos, 2000, S. 69). Wie fest das Fernsehen zum täglichen Leben der Deutschen gehört, zeigt sich auch in der Rechtsprechung, die den TV-Apparat als Gegenstand begreift, der zu einer bescheidenen Lebensführung notwendig ist, und den der Gerichtsvollzieher folglich nicht pfänden darf (vgl. z.B. Beschluss des AG Essen vom 25.03.98; AZ: 31M 888/98). „Wenn Alltäglichkeit bedeutet, dass den Handlungen und Ereignissen ihre Besonderheit verloren gegangen ist […], dann ist verständlich, dass das alltägliche Fernsehen ebenfalls seine Einzigartigkeit verloren hat“ konstatiert Mehling (2007, S. 30). In der Tat ist die Nutzung des Fernsehapparats in etwa so „einzigartig“, wie das abendliche Zähneputzen oder das Zubereiten des Frühstücks. 4 Nichtsdestotrotz existieren Sendungen, die Eventcharakter für einen Großteil der Bevölkerung haben und viele Zuschauer binden (vgl. Zubayr & Gerhard, 2008, S. 112). Auch findet man bei Personen, die aus einem sehr großen Senderangebot wählen können, eine Konzentration auf ca. zehn Programme (Relevant Set), wobei den großen Sendern eine Art „Leuchtturmfunktion“ zukommt (Beisch & Engel, 2006).
2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung
21
Daher sollten Modelle und Theorien, die sich mit der TV-Nutzung oder der Programmwahl beschäftigen, diese nicht als außergewöhnliche, singuläre Entscheidungssituationen konzipieren, sondern berücksichtigen, dass die Zuschauer das Fernsehen – oder bestimmte Inhalte – zumeist regelmäßig nutzen. Ausnahmen gibt es gewiss zahlreiche, und jeder kann sicher eine ganze Reihe an Nutzungssituationen aufzählen, die gerade kein täglich wiederkehrendes Verhalten sind: Zum Beispiel das nächtliche Aufstehen, um das letzte Rennen der Formel-1 Saison zu verfolgen, die lang ersehnte Rezeption eines bestimmten Spielfilms, das Einschalten des TV-Gerätes um 18:00 Uhr am Wahlabend oder der Auftritt eines Bekannten im Regionalfernsehen. „TV-Ereignisse“, die wir subjektiv als etwas Besonderes erleben, durchbrechen den individuellen Alltag. Meist fehlt der Fernsehnutzung aber diese Einmaligkeit. Die täglich wiederkehrende Rezeption führt zu einer ganz selbstverständlichen Integration des Mediums in den Alltag, die Nutzung ist häufig untrennbar mit dem Tagesablauf verwoben. Größtenteils widmen die Rezipienten dem Fernsehen ihre volle Aufmerksamkeit, doch fungiert es immer häufiger als Nebenbeimedium und begleitet die Durchführung bestimmter Tätigkeiten: Immerhin 30 Prozent des gesamten TV-Konsums entfallen auf die Nebenbeinutzung. Zuschauer erledigen während der Rezeption oftmals Hausarbeiten oder nehmen ihre Mahlzeiten ein (Kuhlmann & Wolling, 2004, S. 409). Weil das Publikum besonders häufig neben solch alltäglichen Tätigkeiten fernsieht, sind „Programm und Alltag auf eine sehr beiläufige Art und Weise parallelisiert“ (Mehling, 2007, S. 22). Das stetige „Parallelisieren“ zweier Tätigkeiten (z.B. Bügeln und Fernsehen) kann feste Assoziationen implementieren („Wenn ich bügle, sehe ich fern“). Dies gilt nicht nur für die Nebenbeinutzung: Auch das Ende einer bestimmten Tätigkeit kann mit dem Einschalten des TV-Gerätes assoziiert werden („Nach dem Abspülen sehe ich fern“). So integriert manche Hausfrau das Fernsehen als Zwischenpause in ihren Arbeitsrhythmus (Cornelißen, 2000, S. 32) und Soap Operas schaffen „einen festen Raum für Muße in einem sonst nicht von äußeren Faktoren strukturierten Tagesablauf“ (Röser & Großmann, 2008, S. 99). Rezipienten richten einerseits die Fernsehnutzung nach ihrem Arbeitsrhythmus, andererseits passen sie den Arbeitsrhythmus auch an das TVProgramm an (vgl. z.B. Luger, 1989, S. 228ff.). Dieses trägt durch die festen Programmstrukturen zur Strukturierung des Alltags bei, und einzelne Sendungen helfen, „der zeitlich eher amorphen Gestalt des Alltags Konturen zu geben, Fixpunkte und eine Art ‚Stundenplan’ einzurichten“ (Mehling, 2007, S. 21). Die präsentierten Beispiele beschreiben allesamt eine einzelne Person, die Fernsehen und Alltag verschränkt. Rezipienten binden das Medium jedoch vielschichtig in ihren sozialen Alltag und nutzen es keineswegs immer alleine; sie sehen mit dem Partner, den Kindern, Geschwistern oder Peers gemeinsam fern (vgl. z.B. Holly
22
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
& Baldauf, 2001, S. 41; Kronewald, 2007, S. 151). Besonders in Familien nimmt das Fernsehen einen wichtigen Stellenwert in der gemeinsamen Freizeitgestaltung ein (Westerik, Renckstorf, Wester, & Lammers, 2005) und soll den familiären Alltag vertiefen (Barthelmes & Sander, 1997, S. 329). Fernsehen ist – wenn man einmal vom Schlafen absieht – der Deutschen intensivste Freizeitbeschäftigung. Und dies wird sich, der Prognose von Gerhards und Klingler (2007, S. 301) zufolge, in den nächsten Jahren nicht ändern: „Fernsehen bleibt für den Durchschnitt der Bevölkerung Alltagsmedium. Dies gilt für eine hohe Nutzungsfrequenz in der Woche, für eine hohe Tagesreichweite und für eine in den nächsten Jahren unverändert hohe Nutzungsdauer“. Empfinden die Bundesbürger das Fernsehen als so attraktiv, dass sie den größten Teil ihrer freien Zeit diesem Medium widmen möchten? Dies scheint zweifelhaft, da doch das Freizeit-Ideal der Deutschen „unter dem Motto ‚weg von zu Hause’ und vom ‚Alltagstrott’“ steht; Familie und generell der Bezug zu anderen Menschen spielen im Wunschbild der Bundesbürger eine zentrale Rolle (Opaschowski, 2006, S. 22). So strotzen die Vorstellungen, welche die Deutschen spontan mit dem Freizeit-Ideal assoziieren, vor Aktivität: Körperliche Betätigungen liegen klar an der Spitze, „für Nichtstun und Fernsehen ist im Freizeit-Ideal kaum Platz – dafür um so mehr in der Realität!“ (Opaschowski, 2006, S. 22). Den offenkundigen Widerspruch, dass Intensität und Extensität der Fernsehnutzung „weder dessen (empirisch erhobener) Attraktivität, noch seiner offensichtlichen – die meisten Zuschauer nicht befriedigenden – Wirkung entspricht“, kann man nur unzureichend erklären, wenn man davon ausgeht, dass die Rezeption nutzenorientiert zustande kommt (Vorderer, 1992, S. 12). Eine mögliche und plausible Erklärung für diesen Antagonismus sind Effekte der Habitualisierung. Welche Implikationen ergeben sich aus der Verschränkung von Alltag und Fernsehnutzung? Zum einen ist die Gleichförmigkeit des Alltagslebens ein zentraler Aspekt für die Herausbildung von Gewohnheiten (vgl. z.B. Neal, Wood, & Quinn, 2006). Werden wir aus diesem Alltag herausgerissen, zum Beispiel durch ein Krisenereignis, über das wir uns in den Nachrichten genauer informieren möchten, suchen wir sehr bewusst nach geeigneten Sendungen. So geht die Zuschreibung eines hohen Nachrichtenwertes, wie bei den Ereignissen des 11. Septembers, mit intensiven Bedürfnissen nach aktuellen Informationen einher (Emmer, Kuhlmann, Vowe, & Wolling, 2002). Solche Situationen durchbrechen die Gleichförmigkeit des Alltags, und Rezipienten können nur bedingt auf habituelle Auswahlstrategien zurückgreifen. Weil diese Ausnahmesituationen aber höchst selten auftreten, sollten Gewohnheiten bei der Fernsehnutzung recht etabliert sein. Zum Zweiten führen wir Verhalten, das wir regelmäßig wiederholen, zunehmend habituell durch (Fuchs, 2007; Verplanken, 2006). Auch dies ist bei der Fernsehnutzung äußerst relevant: Beim Einschalten des Gerätes und der
2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung
23
Wahl bestimmter Inhalte handelt es sich häufig um „repetitives Wahlverhalten“ (Doll & Hasebrink, 1989, S. 46, Hervorhebung im Original); dies begünstigt wiederum eine Steuerung durch Gewohnheiten. 2.1.2 Fernsehnutzung als (annähernde) Niedrigkostensituation „Watching television is exceedingly easy to do“ (Kubey & Csikszentmihalyi, 1990, S. 137): Der Zuschauer begibt sich vor das Gerät, nimmt die Fernbedienung in die Hand und wählt eine oder mehrere Sendungen aus.5 In dieser Situation würde dem Rezipienten eine möglichst umfassende Kenntnis des Programmangebotes bei der Entscheidung für eine bestimmte Sendung helfen. Doch versuchen die Zuschauer tatsächlich, das Programmangebot von A bis Z zu kennen? Es ist wohl „unrealistisch anzunehmen, dass die Vorinformation einer feinen Gegenüberstellung von Programmalternativen gleichkommt“; die Rezipienten nehmen suboptimale Entscheidungen sogar bewusst in Kauf (Jäckel, 1992, S. 256). Zuschauer haben nicht das Gefühl, ein „schlechtes Geschäft“ (Jäckel, 1992, S. 257) zu machen, wenn sie sich auf wenige Sender konzentrieren (vgl. dazu Beisch & Engel, 2006) oder aus einem großen Angebot eine Sendung auswählen, ohne die Alternativen zu kennen. Schönbach (1997, S. 281) sieht den Anreiz für das Fernsehen gerade darin, dass das Publikum nicht ständig Entscheidungen treffen möchte. Warum findet sich der Rezipient mit einer „gewissen Unsicherheit“ (Schweiger, 2007, S. 72) ab und strengt sich nicht sonderlich an, eine optimale Entscheidung aus dem ihm zur Verfügung stehenden Angebot zu treffen? Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass es sich bei der Programmwahl zumeist um Niedrigkostensituationen handelt (zumindest annähernd; s. u.). Diese liegen vor, wenn eine Entscheidung keine Opportunitätskosten beinhaltet, der Nutzen aller betrachteten Alternativen also gleich hoch ist. In einer solchen Situation gibt es keine suboptimale, keine falsche Alternative; für das Individuum steht relativ gesehen nichts auf dem Spiel (Mensch, 2000, S. 248). Bei der Festlegung auf ein bestimmtes Programm sind die Opportunitätskosten zwar nicht gleich null, weil mit großer Sicherheit zeitgleich verschiedene Sendungen laufen, die den Rezipienten mehr oder weniger ansprechen – dennoch sind die Opportunitätskosten recht gering (Jäckel, 2003, S. 37). Dies wird deutlich, wenn man die möglichen Folgekosten einer suboptimalen Entscheidung betrachtet: Eine potentielle „Fehlentscheidung“ zieht im Normalfall weder mittel- noch langfristig negative Konsequenzen nach sich. Verpasste Nachrichten kann man auf einem 5
Ein „Hopper“ kann zwei oder mehr Sendungen gleichzeitig verfolgen, indem er im laufenden Programm systematisch zwischen verschiedenen Sendern umschaltet (Niemeyer & Czycholl, 1994, S. 40-41).
24
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
anderen Programm oder zu einem späteren Zeitpunkt ansehen, einen versäumten Film leiht man sich als DVD aus, und die meisten Showhighlights liegen wenige Stunden nach deren Ausstrahlung zum Download auf verschiedenen Internetplattformen bereit. Entscheidungen für oder gegen einen Sender sind zudem reversibel, man kann sie im Laufe der Nutzung jederzeit korrigieren, indem man zu einer anderen Sendung um- oder den Apparat ausschaltet (Jäckel, 2003, S. 37). Auch fallen bei der Auswahl einer Sendung keine zusätzlichen monetären Kosten an, wenn man von den (zumindest in Deutschland) kaum verbreiteten Pay-per-View-Angeboten absieht. Rundfunkgebühren oder das Pay-TV-Entgelt sind laufende Ausgaben, die bei der Entscheidung für die Nutzung des Mediums oder eines spezifischen Programms keine Rolle spielen. Während unangemessenes Verhalten in einer Hochkostensituation erhebliche Konsequenzen für den Akteur nach sich zieht, verschmerzt man die Folgen möglicher Fehlentscheidungen in Niedrigkostensituationen leichter (Zintl, 1989, S. 62). Freilich kann auch eine suboptimale Programmwahl spürbare Auswirkungen haben: beispielsweise die Außenseiterrolle auf dem Schulhof, wenn man am Vorabend eine bestimmte Sendung verpasste oder die Blöße vor Kollegen, wenn man unzureichend über die Nachrichtenlage informiert ist. Auch stufen Zuschauer die Rezeption aktueller Sendungen über ein Extremereignis wie den 11. September als Hochkostensituation ein (Emmer et al., 2002, S. 167). Rezipienten wenden also nicht immer minimale Ressourcen auf, wenn sie eine Auswahl treffen, sondern aktivieren unter bestimmten Umständen (z.B. in neuartigen Situationen, bei wichtigen Ereignissen, bei persönlicher Relevanz…) eine elaborative und bewusste Handlungsplanung (Hartmann, 2006, S. 50). Eine generelle Konzeption der Fernsehnutzung (bzw. der Mediennutzung allgemein) als Niedrigkostensituation ist unzulässig, zumal Hoch- und Niedrigkostensituationen keine Dichotomie, sondern ein Kontinuum sind (Mensch, 2000, S. 253), auf dem sich die TV-Nutzung, abhängig von individuellen, strukturellen, positionellen und situativen Faktoren, einordnet. Trotz all dieser Beispiele gilt jedoch: Fehlentscheidungen bei der Programmwahl sind meist reversibel, haben selten negative Konsequenzen, und wenn doch, sind diese größtenteils kurzfristig und geringfügig. Daher lässt sich die Fernsehnutzung in den allermeisten Fällen im Bereich der Niedrigkostensituation verorten. Natürlich kann auch eine Nutzen-Kalkulation die Zuwendung zum Fernsehen oder bestimmten Inhalten steuern (vgl. dazu umfassend Merten, 1984). Es ist allerdings abwegig, dass Rezipienten stets systematisch Vor- und Nachteile für das Sehen einer bestimmten Sendung berechnen und sorgfältig mögliche Freizeitalternativen zur Fernsehnutzung abwägen. Denn gerade in einer Niedrigkostensituation ist eine derart durchkalkulierte Entscheidung überhaupt nicht notwendig und keinesfalls ökonomisch. Deswegen lösen in Niedrigkostensituatio-
2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung
25
nen häufig Gewohnheiten das Verhalten aus (Jäckel, 1992, S. 254). Dies bedeutet keineswegs, dass allein Gewohnheiten die Fernsehnutzung steuern, doch erscheint die Konzeption der TV-Nutzung als (annähernde) Niedrigkostensituation als weiterer Hinweis für die Bedeutung, die der Habitualisierung in diesem Prozess zukommt. Denn „developing a viewing habit is made even easier by the fact that television is extremely inexpensive“ (Kubey & Csikszentmihalyi, 1990, S. 138). 2.1.3 Fernsehnutzung im stabilen Kontext Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein bestimmtes Verhalten im Laufe der Zeit habituell durchführen, ist höher, wenn wir dieses stetig in ähnlichen Situationen und unter vergleichbaren Umständen zeigen (Ouellette & Wood, 1998; Wood, Tam, & Witt, 2005). Führt man es in immerfort wechselnden Kontexten durch, dauert es wesentlich länger, bis sich Gewohnheiten etablieren; man steuert die Ausführung länger intentional. Das vorliegende Kapitel diskutiert, inwiefern die Fernsehnutzung in einem solch stabilen Kontext stattfindet; dies betrifft die räumliche Umgebung sowie zeitliche und soziale Bedingungen (Stone & Wetherington, 1979, S. 554). Die räumliche Stabilität beginnt damit, dass der TV-Apparat in den meisten Wohnungen einen festen Platz hat; zumeist nehmen Rezipienten sogar die gleiche Position vor dem Gerät ein. Würde der größte Teil der Fernsehnutzung in den eigenen vier Wänden stattfinden, wäre eine sehr stabile räumliche Umgebung gegeben. Die telemetrisch ermittelten Daten der Fernsehforschung von AGF/GfK helfen hier nicht weiter, weil sie Einschaltquoten nur in Privathaushalten messen. Zwar erfassen die Analysen von AGF/GfK auch den TV-Konsum von Gästen, nicht jedoch die Nutzung in öffentlichen Einrichtungen (z.B. Hotels, Krankenhäuser, Altenheime) sowie Public Viewing, Handy-TV oder das Fernsehen in Gaststätten. Zu diesen Formen der Außer-Haus-Nutzung existieren nur wenige valide Daten. Eine Untersuchung, die dieser Problematik gerecht wird, ist die Langzeitstudie Massenkommunikation, die das Nutzungsverhalten der deutsch sprechenden Bevölkerung stichtagbezogen mittels Befragung erhebt. Die Studie zeigt im Zeitraster von 1970 bis 2005 eine deutliche Dominanz der TVNutzung zu Hause und zwar für alle acht Erhebungswellen (Klingler & Turecek, 2008, S. 351). Der Umfang der Außer-Haus-Nutzung lässt sich auch elektronisch mit Radio-Control-Uhren erfassen, wie es die Analyse „Medien im Tagesablauf“ (MiT) macht (Dubrau, 2004, S. 55-56). Zwar sind die Daten nicht bundesweit repräsentativ, weil man nur Personen von 14-69 in vier Großstädten teilnehmen ließ, doch enthüllt die Untersuchung eine sehr eindeutige Tendenz: Die Teilneh-
26
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
mer nutzen das Fernsehen überwiegend zu Hause (Dubrau, 2004, S. 61-62). Nur knapp elf Prozent der Fernsehnutzung finden außerhalb des eigenen Domizils statt (bei der Stichprobe sind es 21 von 194 Minuten), was im Umkehrschluss heißt, dass über 89 Prozent der TV-Nutzung daheim erfolgen. Weil die Untersuchung sehr junge und sehr alte Personen ausschließt und nur Einwohner aus Großstädten betrachtet, ist das Sample etwas mobiler als der Durchschnitt der bundesdeutschen Bevölkerung, weshalb der tatsächliche Wert der Zu-HauseNutzung über 90 Prozent liegen könnte. Dies ist eine Trendwende im Vergleich zu den 50er und 60er Jahren, als man zum Fernsehen häufig zu Freunden oder in Gaststätten ging (Cornelißen, 2000, S. 28) – heute nutzen die Rezipienten es fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden. Ob zunehmendes Public Viewing oder „der seit einiger Zeit erwartete Durchbruch des Handy-TV“ daran etwas ändern werden, bleibt abzuwarten (Klingler & Turecek, 2008, S. 351); in den nächsten Jahren ist dies unwahrscheinlich. Auch der zeitliche Kontext der Fernsehnutzung wirkt stabil. Das Fernsehen dient als sozialer Zeitgeber, gibt durch die festen Programmschemata einen klaren Takt vor, erleichtert die zeitliche Orientierung im Alltag und verleiht ihm Struktur (Beck, 1999; Neverla, 1992)6. Etliche Rezipienten richten ihre Tagesplanung nach den zeitlichen Vorgaben des TV-Geräts und beginnen zum Beispiel ihren Feierabend stets mit einer bestimmten Sendung. Beispielsweise gelten die Hauptnachrichten von ARD und ZDF als „Prototypen“ gesellschaftlicher Zeitmarken (Neverla, 1992, S. 153). Die in Teilen der deutschen Gesellschaft übliche Konvention, nach 20 Uhr niemanden mehr anzurufen, hängt eng mit der Ausstrahlung der Tagesschau zusammen, die vielerorts den Feierabend einläutet. Räumliche und zeitliche Beständigkeit bedingen sich zweifellos gegenseitig: Weil man nur an bestimmten Orten fernsehen kann, entsteht ein begrenztes Korsett für mögliche Nutzungszeiten. Zum Beispiel hat ein Berufspendler morgens in der Straßenbahn gar nicht die Möglichkeit fernzusehen.7 Während man eine Zeitung theoretisch überallhin mitnehmen und zu jedem nur erdenklichen Zeitpunkt lesen könnte,8 ist die räumliche und zeitliche Flexibilität bei der Fernsehnutzung immens eingeschränkt. Auch deshalb gibt es eine „zu festen Zeiten verankerte[n] Fernsehnutzung“ (Schmidt, Bruns, Schöwer, & Seeger, 1989, S. 99). Ob eine zunehmende Verbreitung des mobilen Fernsehens tatsächlich die zeitliche Stabilität erschüttern könnte, sei dahingestellt – es ist fraglich, ob Rezi6 Diese Funktion erfüllen auch die Tageszeitung (Bentley, 2000; Bentley & Len-Rios, 2002; Berelson, 1949; Bock, 1980; Elliott & Rosenberg, 1987; Kimball, 1959) und das Radio (Herzog, 1944; Larsen, 2000; Rubin & Step, 2000). Neben der Zeitstrukturierung befriedigen die Medien auch andere zeitbezogene Motive (vgl. z.B. Beck, 1994; Beck, 1999; Neverla, 1992). 7 Wenn man vom „Nischenmedium“ Handy-TV einmal absieht (Breunig, 2008, S. 610). 8 Doch auch die Leser von Tageszeitungen verzichten auf diese „Freiheit“ und nutzen ihr Blatt zumeist am selben Ort und zur gleichen Zeit (Stone & Wetherington, 1979).
2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung
27
pienten räumliche und zeitliche Flexibilität der TV-Nutzung überhaupt für erstrebenswert erachten. Betrachtet man den sozialen Kontext der Fernsehnutzung, sollte man sich zunächst von der Vorstellung lösen, dass sich die ganze Familie um das Gerät versammelt „wie sich einst die Urhorde um das Lagerfeuer gesetzt haben mag“ (Krotz, 1994, S. 505). Ganz im Gegenteil sprechen sogar mehrere Indizien für ein zunehmendes „Alleine-Sehen“ in Deutschland: Die Zahl der in einem Haushalt lebenden Personen nimmt seit den 50er Jahren tendenziell ab, seit drei Jahrzehnten dominieren Einpersonenhaushalte alle anderen Haushaltsgrößen, und deren Anteil wird sich wohl in den kommenden Jahrzehnten relativ und absolut vergrößern (Statistisches Bundesamt, 2007). Hinzu kommt, dass fast 50 Prozent aller Haushalte über Zweit- und Drittgeräte verfügen (Reitze & Ridder, 2006, S. 24), in Mehrpersonenhaushalten sind es weit mehr als die Hälfte. Selbst 44 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen haben in Deutschland ein eigenes Gerät im Kinderzimmer stehen (Feierabend & Klingler, 2007, S. 200). Daher entfällt in einem deutschen Haushalt nur ein Drittel der Gesamtlaufzeit auf die Gemeinschaftsnutzung (Krotz, 1994, S. 509). Wenn man das Fernsehen aber gemeinsam nutzt, dann zumeist mit dem Partner bzw. der Partnerin oder im Familienkreis. Gerade in vielen Beziehungen gehört das gemeinsame Fernsehen fest zur Freizeitgestaltung und gilt als gemeinschaftliches Erlebnis (Röser & Großmann, 2008). Die gemeinsame Rezeption mit dem Partner findet durchaus regelmäßig statt: Auch wenn Paare mehrere Fernseher besitzen, sehen sie nur selten getrennt auf zwei Geräten fern (Krotz, 1994, S. 510). Einige sehen sogar „Sendungen mit, die sie eigentlich nicht interessieren, um Zeit mit dem Partner bzw. der Partnerin zu verbringen“ (Röser & Großmann, 2008, S. 100). Zwar überwiegt in Deutschland das Alleinsehen, doch wenn Personen das Medium gemeinsam nutzen, integrieren sie dies fest in ihren gemeinschaftlichen Alltag; das gilt insbesondere für Paare (Krotz, 1994, S. 510). Insofern gilt, dass der soziale Kontext der TVNutzung – wenn vorhanden – meist aus den gleichen Personen besteht und folglich äußerst stabil ist. Resümierend kann man festhalten, dass räumlicher, zeitlicher und sozialer Kontext der Fernsehnutzung überaus stabil sind: Rezipienten nutzen das Fernsehen überwiegend am selben Ort, häufig zu festen Nutzungszeiten und – sofern vorhanden – mit denselben Personen. Bei einem Verhalten, das stetig in ähnlichen Situationen und unter ähnlichen Umständen abläuft, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Habits dessen Steuerung übernehmen (Ouellette & Wood, 1998). Auch der stabile Kontext stützt demnach die Vermutung, dass Gewohnheiten bei der TV-Nutzung eine Rolle spielen.
28
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
2.1.4 Programmstrukturen Zu Beginn der 50er Jahre schenkten die Deutschen einem einzigen Sender ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, „Fernsehen“ war gleichbedeutend mit das Programm von „Deutsches Fernsehen“9 schauen. Die Erforschung der Programmselektion war weder praktisch noch theoretisch relevant. Erst 1963 etablierte sich mit dem ZDF die erste (deutsche) Programmalternative, und zwischen 1964 und 1969 starteten die sog. Dritten Programme – je nach Region konnte man nun immerhin zwischen drei Sendern wählen (vgl. z.B. Kiefer, 1999, S. 431ff.). Die Einführung des privaten Rundfunks Mitte der 80er Jahre sowie die rasante Ausbreitung neuer Übertragungswege (Kabel, Satellit) führten zu einer rapiden Vervielfachung des Programmangebots (Krüger, 2001, S. 141). Fortschreitende Digitalisierung und Globalisierung taten und tun ihr Übriges und tragen vehement dazu bei, dass der durchschnittliche Fernsehhaushalt aus einer immer größeren Fülle verschiedener Sender und Sendungen auswählen kann. Diese Angebotsexplosion wird wohl in naher Zukunft kein Ende finden (Zubayr & Gerhard, 2008, S. 106). Die Anzahl der empfangbaren Sender hat sich von durchschnittlich 3,8 im Jahr 1985 (Maurer & Reinemann, 2006, S. 79) auf 63 im Jahr 2007 (Zubayr & Gerhard, 2008, S. 106) mehr als versechzehnfacht. Fast alle strahlen ihr Programm 365 Tage im Jahr, 24 Stunden täglich aus. Dem Zuschauer stehen rund um die Uhr aus beinahe jedem Genre diverse Angebote zur Verfügung, zumal die Zunahme an Spartensendern eine Diversifizierung der Inhalte zur Folge hat. Rezipienten, die mit einer solch großen Anzahl an Sendern und Sendungen konfrontiert werden, könnten nun sehr bewusst auswählen und dem Motto folgen: Je umfangreicher das Angebot, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auf einem der verfügbaren Sender genau die Sendung läuft, die man momentan am liebsten sehen möchte. Etliche Untersuchungen legen jedoch nahe, dass genau das Gegenteil der Fall ist und ein anderes Prinzip greift: Je mehr Möglichkeiten bei einer Entscheidung zur Verfügung stehen, desto weniger gründlich überprüft man diese (Gigerenzer, Todd, & ABC-Research-Group, 1999). Die „Alltagsweisheit: Je größer das Angebot, desto schwieriger die Entscheidung“ kommt zur Geltung (Schweiger, 2007, S. 72). Zuschauer nehmen das Übermaß an Angeboten als Informationskosten wahr, und Jäckel (2003, S. 40) mutmaßt, dass „ein Bedürfnis nach Gewohnheit mit dem bewussten Verzicht auf vollständige Information“ einhergeht. „Even though one might wish to explore all the variables before selecting one product from among many, often people ‚statis9
Die Umbenennung in „Erstes Deutsches Fernsehen“ erfolgte erst 1984.
2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung
29
fice’ than maximize their information“ (Neuman, 1991, S. 95-96). Brosius (1998) folgert, dass durch die zunehmende Quantität und Komplexität von Medieninhalten eine aktive Informationssuche in den Hintergrund tritt und der beiläufigen Auswahl ein höherer Stellenwert zukommt. So liegt die Vermutung nahe, dass wachsende Verfügbarkeit und Komplexität die Herausbildung von Gewohnheiten zur Steuerung der Angebotsauswahl begünstigen (Cooper, 1996; Weibull, 1985, S. 142; Wirth & Schweiger, 1999). Dem Angebotszuwachs versuchen Programmschaffende auf vielfältige Weise zu begegnen, zum Beispiel durch vermehrte Werbung für eigene Sendungen oder durch Maßnahmen zur schnellen Wiedererkennbarkeit des Programms (Bleicher, 1998; Bleicher, 2000). Eine der wichtigsten Strategien ist aber die periodische Programmierung von Sendungen (Newell & LaRose, 2004). Dies betrifft zum einen die Uhrzeit: Die Ausstrahlung der meisten Sendungen erfolgt zu festen Zeitpunkten. Besonders Nachrichten starten häufig sekundengenau, nur besondere Ereignisse, wie die zeitgleiche Übertragung von Fußballländerspielen, dürfen diesen Terminplan außer Kraft setzen. Zum anderen betrifft die Periodizität den Tagesrhythmus: Neben täglichen (z.B. Nachrichten), findet man werktägliche (z.B. Daily Soaps), wöchentliche (zumeist Magazine, Polittalk), aber auch jährliche Sendungen (z.B. der Jahresrückblick). Selbst wenn Programmverantwortliche nicht die gleichen Inhalte auf einem bestimmten Platz wiederholen, setzen sie zumindest ähnliche Formate auf die Sendeplätze; dadurch entstehen Slots wie das „Montagskino“ oder das „Spielfilmhighlight am Dienstag“. Das Programm der meisten Sender ist durch ein strenges Schema strukturiert. Hoff (2007, S. 26) sieht die Gründe für den Erfolg von RTL in seinen früheren „Glanzjahren“ zum großen Teil in der Beständigkeit des Programmschemas, das „in seinen besten Zeiten einer präzisen Wochenuhr“ entsprach. Damit befriedigen die Sender das Orientierungsbedürfnis der Rezipienten. Eine solche Programmierung hilft dem Zuschauer, sich in einer Programmwelt zurechtzufinden, die durch immer mehr Sender, Sendungen und Programmstunden unübersichtlich wurde. So fungiert das Fernsehen als sozialer Zeitgeber, wie eine „präzise Wochenuhr“, und bietet den Rezipienten „eine konkrete Matrix für die Synchronisation ihres sozialen Handelns“ (Neverla, 1992, S. 59; vgl. dazu auch Neverla, 1990). Während über Jahrhunderte hinweg Kirchenrituale (Sonn- und Feiertage, das Abend- und Morgenläuten der Glocken) Fixpunkte im Jahres- und Tagesverlauf setzten, übernahmen im Zuge der Industrialisierung zunehmend „profane“ Einrichtungen diese Rolle (z.B. öffentliche Verkehrsmittel, Medien). Das Angebot des Fernsehens, unseren Tag zu strukturieren, nimmt der Zuschauer dankend an. Die zeitliche Flexibilität, die ein Video- oder Festplattenrekorder bietet, lehnen die meisten Rezipienten ab: So verfügten zu Beginn der 90er Jahre zwei
30
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Drittel der deutschen Haushalte über einen Videorekorder, sein Einsatz als „Zeitmaschine“ machte aber nur zwei Prozent der Fernsehnutzung aus (Schönbach, 1997, S. 283). Eine eindeutige Kausalität besteht bei diesen Synchronisationsprozessen freilich nicht: Das Fernsehen strukturiert zwar den Alltag der Rezipienten, doch orientieren sich die Programmverantwortlichen auch an deren Tagesabläufen. Die Fernsehverantwortlichen sind machtlos, wenn die Rezipienten zum Sendetermin auf der Arbeit sind oder andere (soziale) Verpflichtungen haben. Greifen die Rezipienten auf der anderen Seite nicht auf Video- oder Festplattenrekorder zurück, sind sie geradezu gezwungen, ihren Tagesablauf am Programm zu orientieren, wenn sie eine bestimmte Sendung sehen möchten (Mehling, 2007, S. 21-23). Derart „regelmäßig wiederkehrende Angebote sind der Ausgangspunkt von Gewohnheitsbildungen“ (Jäckel, 2005, S. 81). Weil wir insbesondere Verhalten habitualisieren, das wir immer wieder regelmäßig durchführen (vgl. z.B. Aarts & Dijksterhuis, 2000; Verplanken & Orbell, 2003), begünstigen die spezifischen Programmstrukturen die Ausbildung von Gewohnheiten. Man erlernt die festen Programmschemata von Kindheit an; Grundkenntnisse über die Programmstrukturen findet man bei allen Gesellschaftsmitgliedern (Neverla, 1992, S. 153). So resümiert Hoff (2007, S. 26): „Regelmäßigkeit wird belohnt. Manche sagen gar, dass alles, was nur oft genug kommt, ein Erfolg wird. Es wird etwas so lange gesendet, bis der Zuschauer die Gegenwehr einstellt“. Die Fernsehinhalte selbst begünstigen, wegen der Periodizität des Programms und seiner wachsenden Quantität und Komplexität, die Habitualisierung und festigen die Bedeutung von Gewohnheiten als Erklärungsvariable für die TV-Nutzung. 2.1.5 Resümee zur Fernsehnutzung Kubey und Csikszentmihalyi (1990, S. 138) bemerken, „television viewing is unquestionably habit forming“. Ihre Behauptung belegen sie zwar nicht, doch scheint einiges für deren Richtigkeit zu sprechen. Zum einen ist das Fernsehen fest in das tägliche Leben vieler Deutscher integriert: Die Einzigartigkeit, die dem Medium in seinen Anfangsjahren noch innewohnte, hat es längst abgelegt. Die Regelmäßigkeit, mit der die Rezipienten das Medium im Alltag nutzen, ist eine zentrale Voraussetzung für die Herausbildung von Gewohnheiten. Hinzu kommt, dass es sich bei der Fernsehnutzung nicht um Hochkostensituationen handelt, in denen ein wohlüberlegtes, intentionales Verhalten notwendig wäre; vielmehr sind es annähernd Niedrigkostensituationen: „Fehlentscheidungen“ in der Programmwahl können Rezipienten schnell korrigieren. Falls eine Korrektur nicht mehr möglich sein sollte, lassen sich die Folgen einer Fehlentscheidung
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
31
leicht verschmerzen, mittel- oder langfristige negative Konsequenzen müssen Zuschauer kaum befürchten. Daher steuern wir Verhalten in Niedrigkostensituationen häufig habitualisiert. Auch die Stabilität des räumlichen, zeitlichen und sozialen Kontextes der Fernsehnutzung unterstützt die Herausbildung einer gewohnheitsmäßigen Nutzung. Zuletzt begünstigen die Inhalte selbst Habitualisierungseffekte: Wachsende Quantität und Komplexität des Programms sowie die Programmierung von Sendungen in einem festen Rhythmus sind der Entstehung von Gewohnheiten zur Steuerung von Fernsehnutzung und Angebotsauswahl dienlich. Wie viel trägt die Einnahme einer funktionalen Perspektive zur Erklärung der Fernsehnutzung bei? Es ist unstrittig, dass die Zuwendung zum Medium oder bestimmten Inhalten einen spezifischen Nutzen für die Rezipienten hat, auch wenn er den Zuschauern nicht immer bewusst ist. Die intentionale, bedürfnisgesteuerte Zuwendung spielt daher eine wichtige Rolle, und es ist ein immenser Beitrag, den der Uses-and-Gratifications-Ansatz (Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974) zur Erklärung von Fernsehnutzung geleistet hat. Man kann ihm die Relevanz für die kommerzielle und akademische Forschung nicht absprechen; aber Motive und Gratifikationen reichen nicht aus, um die Fernsehnutzung situationsübergreifend vollends zu erklären. Obwohl etliche Indizien dafür sprechen, dass Gewohnheiten die Zuwendung zum Fernsehen oder spezifischen Inhalten erheblich beeinflussen könnten, gilt in der Mediennutzungsforschung nach wie vor das zwei Jahrzehnte alte Zitat von Neumann und Charlton (1989, S. 364): „Mit dem Phänomen, daß die Rezeption von Massenmedien in die gewohnheitsmäßige Gestaltung des Alltagslebens eines jeden geradezu ‚eingewoben’ ist […], mit dieser Tatsache tut sich die Medienforschung – gleich welcher Herkunft – bis heute schwer“. 2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten „Imagine yourself in a completely new environment. You would probably feel a desperate need for habits and routines. Life is awkward and difficult without them“ (Verplanken, 2006, S. 639). Es würde enorme mentale Ressourcen beanspruchen, sämtliche Aktivitäten im Alltag immer bewusst und wohl überlegt durchzuführen; daher wiederholen wir einen großen Teil unseres Verhaltensrepertoires beständig und zeigen selten ein neues Verhalten (Verplanken & Orbell, 2003; Aarts & Dijksterhuis, 2000; Ouellette & Wood, 1998). Wenn wir dies doch einmal tun, können wir uns oft – wenn auch nicht immer – gut daran erinnern, wie zum Beispiel an den ersten Kuss oder die erste Fahrt im neuen Auto. Diese „jungfräuliche“ Ausführung geschieht meist sehr bewusst: Wir planen das
32
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Verhalten (wenn möglich) vorher, machen uns während der Durchführung Gedanken und bewerten es hinterher (Verplanken, 2005, S. 99). Wenn wir aber einen bestimmten Handgriff immer wieder benötigen, dann planen, durchdenken und bewerten wir diesen immer weniger und führen ihn irgendwann ganz automatisch durch. Tagebuchstudien (Wood, Quinn, & Kashy, 2002) und Feldbeobachtungen (vgl. z.B. Barker & Schoggen, 1978) zeigen, dass wir ca. 45 Prozent des täglichen Verhaltens am gleichen Ort und zur gleichen Zeit wiederholt ausführen. Townsend und Bever (2001, S. 2) pointieren dies folgendermaßen: „Most of the time what we do is what we do most of the time. Sometimes we do something new“. Dennoch vernachlässigen psychologische Handlungsmodelle stetig wiederkehrendes Alltagsverhalten und fokussieren singuläre Entscheidungssituationen, wie dies zum Beispiel die „Theory of Reasoned Action“ (Fishbein & Ajzen, 1975) oder deren Erweiterung, die „Theory of Planned Behavior“ (Ajzen, 1985; Ajzen, 1991) machen. Diese sollen Verhalten insbesondere vorhersagen, wenn es neu ist oder geändert wird; man darf sie daher nicht einfach für alltäglich wiederkehrende Situationen heranziehen. Obwohl die Wiederholung eines Verhaltens in vielen lernpsychologischen Ansätzen eine zentrale Stellung einnimmt (z.B. im Bereich der klassischen oder operanten Konditionierung), führte das Konzept der Habitualisierung lange ein Schattendasein und geriet erst in den letzten zehn Jahren verstärkt in den Fokus einiger Forscher. Dabei beschäftigen sich bereits Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, also zu jener Zeit, als sich die Psychologie zu einem eigenständigen wissenschaftlichen Forschungsgebiet entwickelte, einige Forscher mit Gewohnheiten (vgl. z.B. Dewey, 1922; James, 1890; Watson, 1914). Habits konzipieren sie als eine gelernte Verknüpfung zwischen einem Reiz und der darauf folgenden Reaktion. Im Gegensatz zu geerbten, biologisch bedingten Trieben, die bei Anregung durch externe Stimuli bestimmte fixierte Verhaltensweisen auslösen, müssen diese Reaktionen erst durch eine Verstärkung des jeweiligen Verhaltens gelernt werden (Watson, 1914). Doch betrachten die Forscher Gewohnheiten vorwiegend aus einer tierpsychologischen Perspektive (vgl. z.B. James, 1890; Watson, 1914). Die in der Tradition des radikalen Behaviorismus entwickelten Theorien und Modelle stoßen bei der Erklärung von menschlichem Verhalten teilweise an ihre Grenzen, da die Forscher kognitive und motivationale Bedingungen weitgehend ausblenden (z.B. Hull, 1943; Skinner, 1938; Watson, 1913; Watson, 1919). Erst die Erforschung von Schemata und Skripten (Abelson, 1981; Bartlett, 1932) führt zur Ablösung der strikt biologischen Betrachtung von Gewohnheiten durch ein dynamischeres, kognitionspsychologisches Verständnis (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 397). Mittlerweile beschäftigen sich insbesondere die Forschergruppen um Verplanken, Aarts und
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
33
Wood damit, Gewohnheiten theoretisch zu konzeptualisieren und empirisch zu ergründen. Dieses Kapitel stellt zunächst die zentralen Charakteristika von Habits vor und definiert Gewohnheiten. Die Begriffsbestimmung orientiert sich insbesondere an dem Verständnis von Aarts, Verplanken und Knippenberg (1998, S. 1359) sowie an dem von Verplanken und Aarts (1999, S. 104).10 Letztere begreifen Habits als „learned sequences of acts that have become automatic responses to specific cues, and are functional in obtaining certain goals or end-states“. Aarts, Verplanken und Knippenberg (1998, S. 1359) definieren Habits als „goaldirected automatic behaviors that are mentally represented. And because of frequent performance in similar situations in the past, these mental representations and the resulting action can be automatically activated by environmental cues“. Die Definitionen ähneln sich und bestimmen vier Aspekte, die für Gewohnheiten konstitutiv sind:
Man erlernt Gewohnheiten durch regelmäßige Wiederholung (Kapitel 2.2.1) Gewohnheiten sind Wissensstrukturen und kein tatsächlich gezeigtes Verhalten (Kapitel 2.2.2). Gewohnheiten lösen das entsprechende Verhalten (und damit verbundene mentale Prozesse) automatisiert aus (Kapitel 2.2.3). Die Auslösung erfolgt durch spezifische Hinweisreize (Kapitel 2.2.4).
2.2.1 Regelmäßige Wiederholung Man erlernt Gewohnheiten über einen bestimmten Zeitraum; sie haben also eine geschichtliche Entwicklung hinter sich, und es bedarf einer gewissen Praxis, um sie auszubilden (Verplanken, 2005, S. 100). Die wiederholte Ausführung eines Verhaltens basiert aber nicht unbedingt auf Habits, man kann ein Verhalten auch mehrmalig intentional durchführen; ferner führt die Wiederholung nicht zwingend zur Herausbildung einer Gewohnheit (Verplanken, 2006, S. 640). Hull (1943) konstatiert schon vor Jahrzehnten, dass eine Gewohnheit umso intensiver ausgeprägt sei, je häufiger man sie wiederholt hat – dies bestätigen auch einzelne Studien (vgl. Aarts & Dijksterhuis, 2000; Verplanken & Orbell, 2003). Allerdings demonstriert Verplanken (2006), dass dies keineswegs generell gilt und 10 Vgl. zudem die Ausführungen bei Aarts und Dijksterhuis (2000), Klöckner (2005a), Verplanken (2005; 2006), Verplanken, Aarts und Knippenberg (1997), Verplanken und Faes (1999) sowie Verplanken und Orbell (2003).
34
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
aus einer häufigeren Verhaltensausführung nicht unbedingt eine stärkere Gewohnheit resultiert. Der Zusammenhang zwischen Auftretenshäufigkeit und Gewohnheitsstärke ist komplex, zumal man zwischen Wiederholung und Regelmäßigkeit bzw. Rhythmik differenzieren muss (Fuchs, 2007, S. 8). Wie zentral diese Unterscheidung ist, zeigt das Beispiel der Einnahme von Mahlzeiten: Jemand, der nur zweimal täglich isst, allerdings stets zur gleichen Zeit, dürfte eine stärker ausgeprägte Gewohnheit haben, als eine Person, die fünfmal täglich zu unregelmäßigen Zeiten (und evtl. an wechselnden Orten) speist. Nicht allein die Wiederholung des Verhaltens ist das zentrale Kriterium, sondern vielmehr dessen regelmäßige Wiederholung. Obwohl Aarts, Verplanken und Knippenberg (1998, S. 1359) dies in ihre Definition berücksichtigen („frequent performance“) und explizit auf diese Differenzierung hinweisen („habit strength only increases as a result of frequent repetitions“), schenkt die Forschung dieser Unterscheidung nur wenig Beachtung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Fuchs, 2007; Verplanken, 2006), haben sich diese Überlegungen bislang kaum in der Literatur niedergeschlagen. Es gibt keinen universellen Grenzwert, wie oft und in welchem Rhythmus man ein Verhalten ausführen muss, damit eine Gewohnheit entsteht. Ronis, Yates und Kirscht (1989, S. 213) schlagen vor, ein Verhalten müsse mindestens zweimal im Monat und wenigstens zehnmal wiederholt werden, um das Kriterium der regelmäßigen Wiederholung per definitionem zu erfüllen. Zwar verstehen die Autoren dies als vorsichtigen Richtwert, doch verwirren die Zahlen mehr, als dass sie Licht ins Dunkel bringen: Zu viele verschiedene Faktoren (Art des Verhaltens, ausführende Person, Situation…) beeinflussen die Entwicklung. Ohne eine Spezifizierung dieser Faktoren bleiben die Werte ziemlich nutzlos. Ob und wie schnell eine Gewohnheit entsteht, hängt zudem maßgeblich von den Konsequenzen des Verhaltens ab. Die Habitualisierung ist umso wahrscheinlicher, wenn die Durchführung zufrieden stellende Konsequenzen nach sich zieht (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997, S. 1359; Verplanken & Faes, 1999, S. 594).11 Menschen tendieren dazu, positive Erlebenszustände zu erinnern und diese wenn möglich zu wiederholen (vgl. z.B. Kahneman, 1999; Rozin, 1999). Daher führen sie Tätigkeiten, denen positiv erlebte Konsequenzen folgen, immer wieder aus, wodurch mentale Verknüpfungen zwischen einem erwünschten Ziel und dem dafür notwendigen Verhalten entstehen (vgl. z.B. Anderson, 1993). Hingegen meidet oder modifiziert man Verhalten, das negativ erlebte Konsequenzen nach sich zieht.12 11
Dies ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für die Etablierung einer Gewohnheit. Wenngleich manche Tätigkeiten (längerfristig) negativ erlebte Konsequenzen nach sich ziehen und dennoch regelmäßig ausgeführt werden (vgl. Kapitel 2.2.6). 12
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
35
Neben der zufrieden stellenden Durchführung ist es für die Etablierung von Gewohnheiten hilfreich (aber keine zwingende Voraussetzung), wenn die wiederholte Ausführung zumeist in ähnlichen Situationen erfolgt (vgl. Kapitel 2.1.3). Vergangenes Verhalten hat dann den größten Vorhersagewert für die zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit, wenn man es regelmäßig und immer wieder in gleich bleibendem Kontext ausführt; bei ständig wechselnden Umständen steuern wir es länger intentional (Ouellette & Wood, 1998; Wood, Tam, & Witt, 2005). Der aus der regelmäßig wiederholten Durchführung resultierende Lernprozess ist eine notwendige, aber nicht allein ausreichende Bedingung für die Entstehung einer Gewohnheit. 2.2.2 Gewohnheiten als Wissensstrukturen Gewohnheiten sind kein tatsächlich gezeigtes Verhalten, sondern spezifische Wissensstrukturen, welche die Auslösung eines Verhaltens steuern. Vor allem die Kommunikationswissenschaft hat diese Differenzierung bislang nur partiell wahrgenommen, was (mit) ursächlich für das dort vorherrschende Begriffschaos ist (vgl. die Diskussion in Kapitel 2.3.4). Derzeit bestehen insbesondere drei Auffassungen, wie Habits im Gedächtnis repräsentiert sind: als neuronal assoziierte Antwortmuster (z.B. Ouellette & Wood, 1998; Wood, Quinn, & Kashy, 2002), Entscheidungsheuristiken (z.B. Enste, 1998) oder Verhaltensskripte (z.B. Verplanken & Aarts, 1999; Verplanken et al., 1994). Das Verständnis von Gewohnheiten als neuronal assoziierte Antwortmuster vertreten zum Beispiel Wood, Quinn und Kashy (2002) oder Ouellette und Wood (1998). Deren Konzeption nähert sich der Vorstellung von Habits als erlernte Reiz-Reaktions-Muster an, wie man sie in den Anfangstagen der Psychologie hatte (z.B. Hull, 1943; Watson, 1914). Sie sehen Prozesse der Konditionierung zwischen einem (zielführenden) Verhalten und einem situativen Hinweisreiz als Grundlage der Gewohnheitsbildung. Die Verbindung von aktivierten Neuronen der Sensorik „mit entsprechenden Neuronen der Motorik durch ein dazwischen liegendes neuronales Netzwerk [wird] zunehmend stärker“ (Klöckner, 2005a, S. 8). Ist die Etablierung dieser Verbindung ausreichend, erfolgt die Auslösung eines Verhaltens direkt durch die Erregung des sensorischen Systems, ohne die Aktivierung weiterer kognitiver Prozesse. Enste (1998) sieht Gewohnheiten hingegen als Entscheidungsheuristiken im Gedächtnis repräsentiert. Ein vorgeschalteter Filterprozess entscheidet, ob man eine Entscheidungsfindung habitualisiert durchführt und so handelt, wie in ähnlichen Situationen zuvor (dazu ausführlicher Klöckner, 2005a, S. 11-12).
36
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Eine dritte Konzeption der Repräsentation von Gewohnheiten ist die als spezifische Schemata bzw. Skripte (vgl. z.B. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998; Verplanken et al., 1994). Die Schematheorie dient seit vielen Jahrzehnten als Erklärungsmodell für Kognitionsstrukturen (Bartlett, 1932; Neisser, 1976; Piaget, 1976); sie besagt, dass sich bestimmte Regelmäßigkeiten der Lernumgebung in Bedeutungsstrukturen niederschlagen. Das Individuum vereint einzelne Komponenten von Objekten, Verhalten, Zuständen, Ereignissen und Situationen in zusammenhängenden Wissensstrukturen (vgl. z.B. Taylor & Crocker, 1981). Das Schema „Auto“ beinhaltet zum Beispiel gewisse Erwartungen, wie ein solches normalerweise aussieht (z.B. vier Räder, Lenkrad, Sitze, etc.) aber auch Informationen über Tätigkeiten, die man damit verknüpft (z.B. fahren, putzen, etc.) oder Erinnerungen an persönliche Erfahrungen (z.B. die Fahrten zur Arbeit, die letzte Reifenpanne, etc.). Eine spezifische Form von Schemata sind EreignisSchemata bzw. Skripte (Abelson, 1981; Schank & Abelson, 1977). Die wiederholte Ausführung eines Verhaltens lässt im Gedächtnis ein Skript entstehen, das dessen Ablauf repräsentiert. Die so gespeicherten stereotypen Handlungsabfolgen enthalten Erwartungen darüber, wie eine bestimmte Situation beschaffen ist. Bekanntestes Beispiel dafür ist das Restaurant-Skript, das (abhängig vom sozialen und kulturellen Umfeld einer Person) Attribute wie „Betreten des Restaurants“, „Suchen eines Tisches“, „Hinsetzen“, „in die Speisekarte schauen“ usw. beinhaltet (Schank & Abelson, 1977). Die Struktur der Abläufe bleibt im Großen und Ganzen gleich, auch wenn einzelne Objekte und Abfolgen durchaus variieren können. Trotz der ausdrücklichen Differenzierung von Abelson (1981) zwischen Skripten und Gewohnheiten, wobei er letztere „in Abgrenzung zur Wissensstruktur Skript als reine Antwortmuster definiert“ (Klöckner, 2005a, S. 13), orientieren sich Verplanken et al. (1994) bei ihrer Habit-Konzeption an diesem Verständnis und bezeichnen ihr Habit-Maß als „script-based“. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Frage, ob Gewohnheiten als neuronal assoziierte Antwortmuster, Entscheidungsheuristiken oder strukturiertes Wissen im Gedächtnis repräsentiert sind, bietet Klöckner (2005a, S. 7-16). 2.2.3 Automatisierte Auslösung des Verhaltens Gewohnheiten bewirken die automatisierte Auslösung eines Verhaltens (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 53). Das Konzept der Automatisierung unterteilt Bargh (1994) in vier Komponenten: Die Aktivierung erfolgt (1.) unbewusst und (2.) unbeabsichtigt, zudem sind das entsprechende Verhalten und die damit verbundene mentalen Prozesse (3.) schwer zu kontrollieren und (4.) mental leistungseffizient (man kann parallel anderen Tätigkeiten nachgehen). Nicht jede dieser
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
37
Komponenten ist eine konstitutive Voraussetzung für die Automatisierung, weshalb man verschiedene Typen unterscheidet (Verplanken, 2005, S. 101). Habits erfüllen meist drei dieser Komponenten: Sie erfolgen unbewusst, sind schwer (aber nicht unmöglich) zu kontrollieren und zeichnen sich durch mentale Leistungseffizienz aus (Verplanken, 2006, S. 640; Verplanken & Orbell, 2003). Das Beispiel „Zähneputzen“ soll die drei Komponenten veranschaulichen: Ein Erwachsener fragt sich morgens im Bad nicht, ob er Zähne putzen soll oder nicht – er nimmt die Bürste in die Hand, ohne bewusst darüber nachzudenken. Bei kleinen Kindern läuft das noch nicht automatisiert ab, weshalb der Prozedur oft ein quälend langer Entscheidungsprozess vorausgeht (Fuchs, 2007, S. 6). Die schwere Kontrollierbarkeit zeigt sich, wenn man an dem zumeist strikten Ablauf im Badezimmer etwas ändert und seine Zähne entgegen der üblichen Reihenfolge (z.B. vor statt nach dem Duschen) putzt. Dann passiert es häufig, dass man später erneut zur Zahnbürste greift – einem kleinen Kind würde das wegen der nicht etablierten Gewohnheit kaum passieren. Während sich Kinder schon bei den vorbereitenden Aktivitäten (Griff nach der Bürste, Auftragen der Zahnpasta, Vorbereiten des Spülbechers…) konzentrieren müssen, können „habitualisierte Putzer“ ihre Aufmerksamkeit währenddessen zum Beispiel voll auf die Radionachrichten fokussieren – das automatisierte Verhalten spart mentale Ressourcen. Es ist strittig, ob die ganze Durchführung eines habitualisierten Verhaltens oder nur dessen Auslösung automatisiert erfolgt. Wood, Quinn und Kashy (2002) argumentieren, die gesamte Umsetzung laufe automatisiert ab; man denke ja während der Ausführung häufig an ganz andere Dinge: Der Erwachsene im eben präsentierten Beispiel kann seine Aufmerksamkeit während des gesamten Zähneputzens dem Radiohören widmen, während sich das Kind konzentrieren müsste, um sämtliche Zähne zu säubern. Dem widersprechen Holland, Aarts und Langendamm (2006) und sehen nur die Auslösung als automatisierten Vorgang, räumen jedoch ein, dass bestimmte Teilaspekte der Durchführung automatisiert ablaufen können. Zumindest bei komplexem und lange andauerndem Verhalten ist nur diese Argumentation zutreffend. Fuchs (2007, S. 5) verdeutlicht dies anschaulich am Beispiel der Gewohnheit „morgens mit dem Rad zur Arbeit fahren“: Lediglich die automatisierte Auslösung macht dieses umfassende Verhalten zur Gewohnheit. Wenn man das Haus am Morgen verlässt, aktivieren bestimmte Hinweisreize (vgl. Kapitel 2.2.4) das Verhalten „zur Arbeit radeln“. Das Radfahren muss nicht automatisiert erfolgen, obwohl denkbar wäre, dass verschiedene Teilaspekte davon auch automatisiert ablaufen, wie zum Beispiel das Treten der Pedale. Dies sind allerdings „nur“ über Prozesse des motorischen Lernens erworbene, automatisierte Teilbewegungen (Blischke & Munzert, 2003). Das Fahren im dichten Verkehr könnte volle Konzentration und schnelles Reagieren
38
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
erfordern, und man würde ohne bewusstes Nachdenken und Lenken manchmal nicht weit kommen. Ein anderweitiges Beispiel wäre die habituelle Zuwendung zur Zeitung: Der Griff zum Blatt würde automatisiert erfolgen, jedoch nicht zwangsläufig das Lesen der Artikel.13 Das Automatische bezieht sich daher nicht notwendig auf die Durchführung des Verhaltens, sondern auf dessen Auslösung: Ein Abwägen vor der Umsetzung im Sinne einer „Soll-ich-oder-soll-ich-nichtFrage“ findet nicht statt (Fuchs, 2007, S. 6). Ist die von Gewohnheiten ausgelöste Ausführung ein Verhalten oder eine Handlung? Eine Handlung kann man als Spezialfall von allgemeinem menschlichem Verhalten betrachten (Greve, 1994, S. 13). Man verbindet mit ihr „einen subjektiven Sinn“ und führt sie zielgerichtet durch (Weber, 1984, S. 19; vgl. dazu auch Groeben, 1986, der „Handeln“, „Tun“ und „Verhalten“, je nach dem Ausmaß der die Tätigkeit bestimmenden Intentionalität unterscheidet). Der Handelnde orientiert sich an den erwarteten Folgen der Durchführung, er hat Vorstellungen über die Situation entwickelt, auf deren Basis er handeln kann (Scherer, 1997, S. 41). Wird eine habituell gesteuerte Ausführung aber deshalb zur Handlung, weil Gewohnheiten auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet sind (vgl. dazu die Argumentation von Scherer, 1997, S. 54-57)? Erfüllt diese Zielgerichtetheit bereits das Kriterium eines mit der Handlung verbundenen subjektiven Sinns? Problematisch an dieser Argumentation ist, dass die Auslösung automatisiert geschieht, man ist sich im Moment der Auslösung jenes Zieles nicht bewusst. Auch Weber (1984, S. 44) betrachtet dies kritisch und beschreibt das „traditionale Verhalten“ (in seiner Klassifikation als „durch eingelebte Gewohnheit“ entstanden) ebenso wie die rein reaktive Nachahmung als „ganz und gar an der Grenze und oft jenseits dessen, was man ein ‚sinnhaft’ orientiertes Handeln überhaupt nennen kann. Denn es ist sehr oft nur ein dumpfes, in der Richtung der einmal eingelebten Einstellung ablaufendes Reagieren auf gewohnte Reize“. Insofern sieht er die Grenze zwischen sinnhaftem Handeln und dem nicht mit einem subjektiven Sinn verbundenen Sichverhalten als „durchaus flüssig“ und der größte Teil aller Ausführungen „steht auf der Grenze beider“ (Weber, 1984, S. 542). Dass die meisten Tätigkeiten des täglichen Lebens auf dieser Grenze liegen, sollte jedoch nicht davon abhalten, eine rein habituelle Durchführung entweder als Handlung oder als Verhalten zu klassifizieren. Weil der Ausführende im Moment der Auslösung nicht bewusst einen subjektiven Sinn damit verbindet, betrachtet die vorliegende Arbeit eine rein habituell gesteuerte Durchführung als „jenseits dessen, was man ein ‚sinnhaft’ orientiertes Handeln nennen kann“ (s. o.) und klassifiziert es entsprechend als Verhalten. 13
Freilich können auch Aspekte des Rezeptionsprozesses habituell ablaufen, z.B. die Reihenfolge in der man die Ressorts oder Artikel liest (Rogall, 2000, S. 119).
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
39
Dieses muss nicht notwendigerweise offen gezeigt werden, sondern kann im Weberschen Sinne (1984, S. 19) auch „innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden“ umfassen: Gewohnheiten können ebenso „nur“ mentale Vorgänge in Gang setzen, und ohnehin sind an die Ausführung eines offen gezeigten Verhaltens eine ganze Reihe mentaler Prozesse (z.B. Erwartungen) geknüpft, die vor, während und nach der Durchführung ablaufen (Verplanken, 2006, S. 653). Die Komplexität des entsprechenden Verhaltens spielt dabei keine Rolle – Gewohnheiten vermögen vermeintlich einfaches (z.B. Schuhe binden) und sehr komplexes (z.B. Auto fahren) Verhalten zu steuern (Verplanken, 2005, S. 100). 2.2.4 Auslösung durch spezifische Hinweisreize Habits sind – trotz ihrer automatisierten (und damit unbewussten) Auslösung – darauf ausgerichtet, bestimmte Ziele oder Zustände zu erreichen (Verplanken, 2005, S. 101). Um die Habitualisierung in einer konkreten Situation zu verstehen, ist es hilfreich, die Konsequenzen des jeweiligen Verhaltens zu analysieren. Obwohl das entsprechende Ziel beim Vorliegen einer etablierten Gewohnheit keine bewusste Rolle spielt (die Auslösung erfolgt ja unbewusst), zielt die Ausführung auf zufrieden stellende Folgen ab (vgl. Wood, Quinn, & Kashy, 2002). Als konkretes Beispiel sei an dieser Stelle auf das Anlegen des Sicherheitsgurtes verwiesen: Der Fahranfänger führt dies intentional durch und verfolgt bewusst das Ziel, ein Höchstmaß an Sicherheit zu erhalten (oder einer potentiellen Strafe durch die Polizei zu entgehen). Das dadurch erreichte Sicherheitsgefühl erlebt er als positive Konsequenz. Geübte Fahrer legen den Gurt zunehmend aus Gewohnheit an; dennoch zielt das Verhalten immer noch auf das Erreichen eines erhöhten Sicherheitsstandards ab. Doch was aktiviert das Anlegen des Gurtes? Bei Fahrschülern ist es entweder eine intentionale Entscheidung oder zum Beispiel der Hinweis des Fahrlehrers. Wenn das Verhalten aber habitualisiert ist, übernehmen spezifische Hinweisreize dessen Auslösung (vgl. z.B. Wood & Neal, 2007, S. 844). Meist entstehen Gewohnheiten aus einer zunächst intentional durchgeführten Handlung (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 54), doch nach und nach führen wir diese nicht mehr aufgrund der Motivation, ein bestimmtes Ziel zu erreichen durch, sondern Hinweisreize fungieren als Cues und initiieren die Ausführung fortan (vgl. z.B. Wood, Tam, & Witt, 2005, S. 918). In dem eben skizzierten Beispiel könnten das Herumdrehen des Zündschlüssels oder das Herausfahren aus der Garage das habituelle Anlegen des Sicherheitsgurtes aktivieren. Ursächlich dafür ist eine Verknüpfung zwischen dem Erreichen eines bestimmten Zieles (ein Mehr an Sicherheit) oder Zustandes und des dafür notwendigen Verhaltens (Anlegen des
40
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Gurtes). Die Hinweisreize primen also bestimmte Ziele, wobei dieses Priming unbewusst erfolgen kann (Bargh & Chartrand, 1999). Die Vorstellung, dass ein mentaler Link über einen bestimmten Zeitraum stärker wird (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 54f.), geht eng mit dem Verständnis von Gewohnheiten als neuronal assoziierte Antwortmuster einher (s. o., vgl. auch Ouellette & Wood, 1998; Wood, Quinn, & Kashy, 2002): Führt man ein Verhalten immer wieder in einem stabilen Kontext (z.B. gleicher Ort, gleiche Zeit etc.) durch, entstehen Assoziationen zwischen bestimmten Reizen und der Ausführung (Wood, Tam, & Witt, 2005). Spezifische Lernprozesse stärken oder schwächen diese Verbindung (die Prozesse der Aktivierung durch externe Reize beschreiben z.B. Bargh, 1997; Bargh & Gollwitzer, 1994). Ji und Wood (2007, S. 262) unterscheiden vier Gruppen von Hinweisreizen: „specific times, locations, moods and interaction partners“. Die Aufteilung birgt indes zwei Desiderate: Zum einen erscheint der Begriff „locations“ zu spezifisch. Nicht nur ein bestimmter Ort ist als Auslöser einer Gewohnheit denkbar, diverse externe Reize könnten als spezifische Cues fungieren. Das Betreten des Wohnzimmers lässt den Raucher vielleicht noch nicht zur Zigarette greifen, doch der Anblick der Schachtel auf dem Tisch könnte das Rauchen initiieren. Ein Ort kann ebenso als Hinweisreiz wirken wie eine Person, die diesen betritt (dies erfassen Ji und Wood separat), ein Geruch in einem Raum oder ein bestimmtes Geräusch. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass der Jingle, der die Verkehrsnachrichten im Radio ankündigt, bei manchen Personen die Gewohnheit aktiviert, das Gerät lauter zu drehen. Eine Beschränkung auf spezifische „locations“ sowie auf rein visuelle Reize ist demnach unzulässig. Zum Zweiten erfasst die Aufzählung der Autoren nicht vorausgehendes und momentanes Verhalten als mögliche Hinweisreize. Sowohl die Aufnahme als auch das Ende eines Verhaltens können die Auslösung einer Gewohnheit aktivieren. Um bei den oben skizzierten Beispielen „Auto fahren“ und „rauchen“ zu bleiben: Die beginnende Fahrt im Auto könnte beim Fahrer ein Reiz für das Anzünden einer Zigarette sein. Die vorliegende Arbeit knüpft an die Zusammenstellung von Ji und Wood (2007, S. 262) an, unterscheidet ebenso zwischen Zeiten und Stimmungen als relevante Hinweisreize, ersetzt das zu spezifische „locations“ jedoch durch sämtliche externe Gegebenheiten, worunter auch die Anwesenheit dritter Personen fällt, und nimmt vorausgehendes bzw. momentanes Verhalten als weitere Oberkategorie auf. Insgesamt existieren somit vier Gruppen an Hinweisreizen:
Externe Gegebenheiten Zeiten Stimmungen Vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
41
Diese können einzeln oder in Interaktion auftreten. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Rolle von Hinweisreizen bei der Fernsehnutzung liefert Kapitel 2.3.1. 2.2.5 Begriffsabgrenzungen Eine große Anzahl verschiedener Begriffe schwirrt durch die Literatur, die sich mit Gewohnheiten auseinandersetzt. Vergangenes, wiederholtes, automatisiertes Verhalten, Routine und Ritual tauchen hier und da als Synonyme für Habits auf. Die vermeintlich ähnlichen Begriffe bedeuten aber oftmals sehr Unterschiedliches. Ihre undifferenzierte Verwendung trägt dazu bei, dass Unklarheiten und Missverständnisse entstehen. Dieses Kapitel stellt die häufig auftretenden Termini vor und grenzt sie von Gewohnheiten ab. Unter vergangenem Verhalten versteht man den „Gesamtkorpus des Verhaltens […], das vor der aktuellen Situation gezeigt wurde“ (Klöckner, 2005a, S. 5). Es ist gleichgültig, welche Mechanismen dessen Ausführung initiierten, es könnte intentional, habituell oder von Normen gesteuert sein. Auch ist einerlei, ob es einmalig, sporadisch oder regelmäßig auftrat. Jegliches Verhalten, das jemals von einer bestimmten Person ausgeführt wurde, gehört zu dieser Kategorie. Vergangenes Verhalten ist damit der umfassendste Begriff. Wiederholtes Verhalten ist eine Unterart des vergangenen Verhaltens, das eine bestimmte Verhaltensfrequenz aufweist. Ronis et al. (1989) schlagen vor, dass es sich dann um (regelmäßig) wiederholtes Verhalten handelt, wenn es mindestens zweimal im Monat und mindestens schon zehnmal ausgeführt wurde (s. o.). Andere Autoren fordern hier eine wesentlich häufigere Ausführung: Anderson (1982) nimmt wiederholtes Verhalten erst an, wenn es mindestens hundertmal auftrat. Doch spielt es wiederum keine Rolle, welche Mechanismen die Ausführung steuerten, ob man es zum Beispiel intentional oder habituell ausführte. Ein Arzt könnte zum Beispiel einen bestimmten Eingriff zum hundertsten Mal sehr bewusst und intentional durchführen, während er die dafür anfallenden Protokolle rein gewohnheitsmäßig ausfüllt: Es handelt sich beide Male um wiederholtes Verhalten. Wenn dem wiederholten Verhalten keine aktiven Entscheidungsprozesse zu Grunde liegen, es schwer zu kontrollieren und mental leistungseffizient ist sowie unbewusst und unbeabsichtigt erfolgt, spricht man von automatisiertem Verhalten (Bargh, 1994). Nicht all diese Voraussetzungen müssen allerdings erfüllt sein, damit es sich um automatisiertes Verhalten handelt. Die schwere Kontrollierbarkeit und die mentale Leistungseffizienz beurteilen manche Autoren ohnehin eher als Folgen der Automatisierung. Gewohnheitsmäßig ausgeführtes Ver-
42
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
halten läuft automatisiert ab, automatisiertes Verhalten muss hingegen nicht durch Gewohnheiten gesteuert werden. Nicht nur umgangssprachlich nutzt man die Begriffe Routine und Gewohnheit synonym, auch viele Forscher differenzieren sie nicht. Dies ist problematisch, weil „Routine“ auf zwei vollkommen unterschiedliche Weisen konzeptualisiert wird. Einerseits versteht man darunter „die Alternative, die einer Person als Lösung in den Sinn kommt, wenn sie erneut einer Entscheidungssituation begegnet“ (Betsch, 2005, S. 262). Demnach ist eine Routine die mentale Repräsentation eines Verhaltens (oder einer Verhaltenssequenz), das dominant mit der Repräsentation eines Entscheidungshandelns verknüpft ist. Dieser Ansicht nach unterschieden sich Routinen zumindest in zwei wichtigen Punkten von Gewohnheiten: Zum einen müssten sie nicht „durch häufige[n] Wiederholung des Verhaltens in der Vergangenheit“ erlernt worden sein, sie können auch durchaus durch „one trial learning“ oder durch eine Anleitung erworben werden (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005, S. 233). Zum anderen enthält das Konzept der Routine keine Annahmen über deren Auslösung; eine Aktivierung durch Hinweisreize, wie bei Gewohnheiten, ist keine konstituierende Voraussetzung (Betsch, 2005, S. 262). Eine andere Auffassung von Routinen skizziert zum Beispiel Klöckner (2005a, S. 6): Er erkennt darin den „Ausschnitt des automatisierten Verhaltens, der durch Gewohnheiten kontrolliert wird“. Nach diesem Verständnis steuern Gewohnheiten die Ausführung von Routinen. Während man also einerseits Routinen explizit von Gewohnheiten abgrenzt (z.B. Betsch, 2005), sehen andere in Routinen das durch Gewohnheiten gesteuerte Verhalten selbst (Klöckner, 2005a; Klöckner & Matthies, 2004). Aus dem jeweiligen Verständnis ergeben sich vollkommen unterschiedliche Konsequenzen. Aufgrund der Unschärfe des Begriffes sollte man ihn bei der Erforschung von Gewohnheiten meiden. Ähnlich unscharf ist auch der Terminus Ritual. Fuchs-Heinritz (1994, S. 566) definiert Rituale als „sozial geregelte, kollektiv ausgeführte Handlungsabläufe, die nicht zur Vergegenständlichung in Produkten oder zur Veränderung der Situation führen, sondern die Situation symbolisch verarbeiten und häufig religiöse, immer aber außeralltägliche Bezüge haben“. Man nutzt den Begriff auch „allgemein in der Bedeutung von fest gefügten Modellen und Spielregeln des sozialen Verhaltens“ (Fuchs-Heinritz, 1994, S. 566). Sowohl Gewohnheiten als auch Rituale sind also weitgehend festgelegte Verhaltensweisen. Zentraler Unterschied zwischen beiden Begriffen ist die stärker kollektivbezogene und sozial verbindlichere Funktion des Rituals – letzteres hat eine formale Gestalt, ein Regelwerk, dessen Einhaltung von Bedeutung ist. Rituale erfordern mehr kognitive Beteiligung und „ihre Durchführung bedeutet für den Beteiligten ganz bewusst etwas“ (Mehling, 2007, S. 32). Die Unterscheidung von Gewohnheiten
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
43
und Ritualen ist analytisch notwendig, empirische Trennschärfe ist indes nicht immer gewährleistet: Sieht eine Familie jeden Sonntag gemeinsam den „Tatort“, ist es schwierig, habituelle und ritualisierte Anteile dieser Nutzung präzise abzustecken. Eine weitergehende kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff liefert Kapitel 2.3.2. Zudem muss man Habituation und Habitualisierung strikt unterscheiden. Während letztere den Vorgang des „Zur-Gewohnheit-Werdens“ bezeichnet, beschreibt Habituation die Gewöhnung an einen Reiz. Die wiederholte Auslösung ein- und desselben Stimulus führt zu einer kontinuierlichen Abnahme der darauf folgenden (motorischen oder sensorischen) Reaktion (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 193; vgl. dazu auch Hinde, 1970). Sowohl Reaktionsstärke als auch Reaktionshäufigkeit können nachlassen. Ein lauter Knall mag beim ersten Mal eine Schreck- und Orientierungsreaktion herbeiführen, in einer Silvesternacht fährt man jedoch nicht bei jeder Explosion eines Feuerwerkskörpers verängstigt zusammen. Nach längerem Ausbleiben des Reizes kann eine Erholung eintreten, und die ursprüngliche Reaktion erfolgt erneut in voller Intensität (vgl. z.B. Hinde, 1970). Gerade die Kommunikationswissenschaft nimmt diese Differenzierung nicht immer vor: Die wiederholte Betrachtung von Fernsehgewalt und die daraus resultierende Gewöhnung daran thematisieren viele Autoren unter dem Begriff Habitualisierung (z.B. Brosius, 2006; Kunczik & Zipfel, 2006; Schenk, 2002). Kern dieser Theorie ist, dass mit der dauerhaften Rezeption medialer Gewaltdarstellungen Effekte der Desensibilisierung einhergehen, emotionale Reaktionen abnehmen und bisweilen ausbleiben. Die Befürchtung, dass dies auch zum Abstumpfen gegenüber realer Gewalt führe, ist nur unzureichend belegt – eine überzeugende empirische Untermauerung fehlt bislang (vgl. z.B. Kunczik & Zipfel, 2006, S. 113ff.). Weil es sich bei diesen vermuteten Prozessen um eine Gewöhnung handelt, trifft der Terminus „Habitualisierung“ nicht zu; man sollte ihn zukünftig durch „Habituation“ ersetzen. 2.2.6 Resümee zu Gewohnheiten Psychologische Handlungsmodelle beschreiben meist singuläre Entscheidungssituationen und vernachlässigen, dass wir einen Großteil unseres Verhaltens stetig wiederholen. Daher schenkte man dem Konzept der Habitualisierung lange Zeit wenig Beachtung und begann erst Ende der 90er Jahre mit umfänglichen empirischen Analysen. Vier Aspekte sind für Gewohnheiten konstitutiv: (1) Man erlernt sie durch regelmäßige Wiederholung; eine wiederholte Ausführung basiert jedoch nicht notwendigerweise auf Gewohnheiten – man kann ein Verhalten durchaus mehrfach intentional durchführen. Für die Etablierung von Habits ist es
44
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
hilfreich, wenn die Ausführung des entsprechenden Verhaltens regelmäßig, zufrieden stellend und zumeist im stabilen Kontext erfolgt. (2) Gewohnheiten sind Wissensstrukturen und kein tatsächlich gezeigtes Verhalten. (3) Gewohnheiten lösen ein entsprechendes Verhalten (und damit verbundene mentale Prozesse) automatisiert aus. Die Aktivierung erfolgt daher unbewusst, das entsprechende Verhalten ist schwer zu kontrollieren und mental leistungseffizient. Das Automatische bezieht sich nur auf die Auslösung, nicht zwangsläufig auf die Durchführung (wobei bestimmte Teilaspekte davon durchaus automatisiert sein können). (4) Die Auslösung des Verhaltens erfolgt durch spezifische Hinweisreize. Dies können externe Gegebenheiten, Zeiten, Stimmungen oder vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten sein. Auf diesen vier Komponenten baut die Definition der vorliegenden Arbeit auf: Gewohnheiten sind durch regelmäßige Wiederholung erlernte Wissensstrukturen, die ein entsprechendes Verhalten (und damit verbundene mentale Prozesse) beim Vorliegen spezifischer Hinweisreize automatisiert auslösen. Mit der Aussage „Habit is a tremendously powerful force not to be trifled with“ kreieren Bentley und Len-Rios (2002, S. 1) ein düsteres Bild von Gewohnheiten: Eine mächtige Kraft, mit der man nicht spaßen sollte. Auch der deutsche Volksmund rät, man solle die Macht der Gewohnheit nicht unterschätzen. Diese Redensart hat meist eine negative Konnotation und dient als Entschuldigung für die versehentliche Ausführung einer vertrauten Tätigkeit. Man steigt beispielsweise am Samstagmorgen in sein Auto, um Brötchen zu kaufen, und schlägt versehentlich den Weg zur Arbeit ein. Der Grund dafür ist die automatisierte (und damit unbewusste) Aktivierung des Verhaltens „Zur Arbeit fahren“ durch bestimmte Reize, wie zum Beispiel „Frühmorgens im Auto sitzen“ (eine detaillierte Auseinandersetzung mit sog. „action slips“ findet man bei Norman, 1981; Reason & Mycielska, 1982). Bei einer etablierten Gewohnheit können wir uns wegen der unbewussten und unbeabsichtigten Aktivierung kaum gegen die Durchführung des Verhaltens „wehren“ (Bargh, 1994; Bargh, 1997). Die automatisierte Aktivierung ist dafür verantwortlich, dass wir Verhaltensweisen mit längerfristig negativen Konsequenzen stetig wiederholen, selbst wenn wir uns vornehmen, diese nicht mehr auszuführen. Verstärkt wird dies durch die Ausrichtung von Habits auf einen – zumindest kurzfristigen – positiven Zustand. Das fällt umso mehr bei „schlechten Gewohnheiten“ auf. Ein Beispiel für die kurzfristige, positive Verstärkung eines Verhaltens, bei dem längerfristige negative Konsequenzen in den Hintergrund treten, ist das Rauchen (Verplanken, 2005, S. 103). Auf-
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
45
fallend ist, dass man im Alltag meist von „schlechten Gewohnheiten“ und selten von „guten Gewohnheiten“ hört. Dieses Kapitel zeigt, dass dies unangebracht ist, weil man die positiven Effekte von Habits jeden Tag nutzt – nur bemerkt man dies eben kaum. 2.3 Habituelle Fernsehnutzung Die in der Einleitung geschilderte Metapher vergleicht die Mediennutzungsforschung mit einem unvollendeten Puzzle und beschreibt Gewohnheiten als ein nicht eingesetztes Teilchen, das vom Tisch fiel (vgl. dazu Stone & Stone, 1990, S. 25). Verschiedene Forscher sahen dieses Teilchen auf dem Boden liegen und forderten, man solle es in das Puzzle einsetzen; doch genauso regelmäßig verschwanden diese Forderungen wieder. Newell und LaRose (2004, S. 3) schildern dies spöttisch als „periodic ‚rediscoveries’ of the concept“. Man entdeckte den Einfluss der Habitualisierung nicht einmalig, und fortan gehörten Habits zum festen Bestandteil der Forschung. Vielmehr brachte man Nutzungsgewohnheiten immer wieder aufs Neue ans Licht, jedes Mal erstaunt über die vermeintliche Neuentdeckung. Diese Entwicklung beginnt in den 40er und 50er Jahren mit Untersuchungen zur Rezeption von Zeitungen und Hörfunk und setzt sich insbesondere in den 70er und 80er Jahren mit Studien zur Fernsehnutzung fort. Als „erste Vertreterin des noch nicht ‚erfundenen’ Nutzen- und Belohnungsansatzes“ (Schweiger, 2007, S. 51) ermittelt Herzog (1944) in einer explorativen Studie, warum Frauen Soap Operas im Radio hören. Die Autorin zeigt, dass die Seifenopern unter anderem dazu dienen, den Tag zu strukturieren. Dieses „bracketing the day“ deutet Herzog implizit als habituelle Nutzung des Mediums (vgl. Rosenstein & Grant, 1997). Auch beim Griff zur Tageszeitung entdeckte man früh den Einfluss von Gewohnheiten: In seiner Untersuchung „What ‚Missing the newspaper’ means“ nutzt Berelson (1949) die Gelegenheit eines Zeitungsstreiks und befragt Personen, wie sie den Ausfall der täglichen Lektüre erleben. Die Analyse zeigt, dass der Streik einen festen Bestandteil des Alltags erschüttert: die Lesegewohnheiten. „At least half the respondents referred to the habit nature of the newspaper“ resümiert Berelson (1949, S. 126) und listet einige der Aussagen auf: „It’s a habit…when you’re used to something, you miss it…I had gotten used to read it at certain times…It’s been a habit of mine for several years […] The habit’s so strong...It’s just a habit and it’s hard to break it“. Die Leser greifen also keineswegs nur intentional nach dem Blatt, sondern stark habitualisiert („ritualistic and near-compulsive character“, Berelson, 1949, S. 126) und nehmen den auferlegten „Verzicht als Eingriff in die Gewohnheiten“ wahr (Jäckel, 2003, S. 15). Kimball (1959) bestätigt in einer ganz ähnlichen
46
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Untersuchung den habituellen Charakter der Nutzung von Tageszeitungen ebenso wie diverse andere Studien in den folgenden Jahren und Jahrzehnten (z.B. Bock, 1980; Elliott & Rosenberg, 1987; Stone & Wetherington, 1979). Bereits in den 40er und 50er Jahren wiesen also Untersuchungen auf den Einfluss von Gewohnheiten auf die Radio- und Zeitungsnutzung hin – und auch die Habitualisierung der Fernsehnutzung entdeckte man nicht erst in den letzten Jahren. Vor allem die Studien, die in der Tradition des Uses-and-GratificationsAnsatzes in den 70er und 80er Jahren entstanden, brachten immer wieder Nutzungsgewohnheiten als „Motiv“ der Fernsehnutzung (vgl. Kapitel 2.3.3) ans Licht. Dass der Ansatz während jener Jahre in den USA regelrecht aufblühte, ist der Verbreitung des Kabelfernsehens in den Vereinigten Staaten und den damit verbundenen vermehrten Auswahlmöglichkeiten geschuldet. Erst diese machten die Erforschung von TV-Nutzungsmotiven relevant: „Warum wählen Rezipienten ein bestimmtes Programm?“ war plötzlich eine Frage, die auch aus ökonomischen Gründen interessierte. So entstand eine ganze Reihe von Studien, die allesamt nach verschiedenen Motiven suchten und dabei auf Gewohnheiten stießen (z.B. Bock, 1980; Greenberg, 1974; Perse & Rubin, 1988; Rubin, 1983). Die meisten der Untersuchungen ähneln einander in mehreren Gesichtspunkten: Sie sind deskriptiv, haben die Vorstellung eines aktiven, bewusst auswählenden Publikums und suchen nach Nutzungsmotiven bzw. Gratifikationen. Dabei zeigen sie, dass Gewohnheiten bei der Fernsehnutzung eine Rolle spielen. Dennoch rücken nicht Habits in den Fokus der Forschung, sondern „andere Motive“: Insbesondere das Unterhaltungs- und Informationsmotiv stehen im Mittelpunkt vieler Studien, auch eskapistische Mediennutzung nahm man genauer unter die Lupe. Gewohnheiten operationalisierte man kurzerhand als ein Motiv unter anderen; deren Bedeutung innerhalb der Motiv- bzw. Gratifikationskataloge bringt aber einige Forscher ins Grübeln. So resümiert zum Beispiel Blumler (1979) nach Durchsicht der bis dato in der Tradition des Uses-andGratifications-Ansatzes durchgeführten Studien, dass die Medienpublika wohl weniger zielgerichtet agieren als bislang angenommen und deren Mediennutzung mehr durch Gewohnheiten bestimmt werde. Gleichwohl beachtet man diese kaum, und es existieren nur wenige empirische Arbeiten, die sich mit habitueller Fernsehnutzung auseinandersetzen. Dies ist aber nicht die einzige Lücke, die hier klafft: Mindestens ebenso gravierend ist der Mangel einer theoretischen Fundierung. Man beleuchtet bisher Randaspekte eines Phänomens, dessen Kern im Dunkeln liegt. Dies beginnt damit, dass Definitionen rar sind und einige scheinbar ähnliche Begriffe durch die Literatur schwirren. Dieses Kapitel definiert Fernsehnutzungsgewohnheiten (Kapitel 2.3.1) und entschlüsselt das Durcheinander verschiedener Bezeichnungen (Kapitel 2.3.2). Zudem hinterfragt und kritisiert es die Konzeption von Gewohnheiten
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
47
als eines von mehreren Motiven (Kapitel 2.3.3) sowie das Gleichsetzen von passiver und habitueller Fernsehnutzung (Kapitel 2.3.4). 2.3.1 Fernsehnutzungsgewohnheiten Nur selten explizieren Autoren, was sie unter Medien- bzw. Fernsehnutzungsgewohnheiten verstehen; die wenigen existierenden Ausführungen sind vage und heterogen (vgl. Rosenstein & Grant, 1997, S. 325). Präzise Begriffsbestimmungen mied man bisher regelrecht. Manche Arbeiten begnügen sich auch mit zirkulären Definitionsphrasen: „Als habituell wird eine Fernsehnutzung aus Gewohnheit verstanden, wobei das Medium häufig zur Strukturierung des Tagesablaufs benutzt wird und/ oder als Hintergrundmedium bei gleichzeitiger Verrichtung anderer Tätigkeiten fungiert“ konstatieren Schmidt, Bruns, Schöwer und Seeger (1989, S. 96). Wenn man bei einer Definition das Wort „habituell“ durch dessen Synonym „aus Gewohnheit“ ersetzt („idem per idem“), stiftet man nur Verwirrung, und es hilft bestenfalls gar nicht weiter. Bei der Logik der Definition eines Begriffes durch sich selbst, könnten die Autoren genauso gut schreiben: „Als gewohnheitsmäßig wird eine habituelle Fernsehnutzung verstanden“. Der zweite Teil der Definition verwirrt zusätzlich: Natürlich kann das Fernsehen den Tagesablauf strukturieren oder als Hintergrundmedium fungieren – das ist aber kein konstituierendes Element der habituellen Nutzung. Man könnte den Tagesablauf auch intentional mit Hilfe des TV-Gerätes strukturieren, indem man sich zum Beispiel fest vornimmt, nach verrichteter Arbeit den Fernseher einzuschalten. Auch Consbruch (1995, S. 65) versucht sich an einer Definition und konstatiert: „Unter habitueller oder ritueller Mediennutzung versteht man in diesem Sinne in bestimmten Abständen gleichförmig auftretende Mediennutzungsmuster“. Sie setzt also die wiederholte Nutzung eines Mediums mit Nutzungsgewohnheiten gleich. Dass „gleichförmig auftretende“ Rezeptionen auch intentional gesteuert sein können, übersieht sie und missachtet weitere wesentliche Merkmale von Habits (vgl. Kapitel 2.2). Den wenigen Versuchen, den Begriff Fernsehnutzungsgewohnheiten zu definieren, steht aber viel häufiger ein vollkommen unreflektierter Umgang mit dem Konstrukt gegenüber: Die Forscher benutzen die Begriffe, ohne zu explizieren, was sie darunter verstehen, wodurch ein begriffliches Chaos vorprogrammiert scheint. Die hier entwickelte Konzeption von Fernsehnutzungsgewohnheiten zieht die in Kapitel 2.2 beschriebenen Merkmale von Habits heran und überträgt diese auf die Spezifika der Fernsehnutzung.
48
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Fernsehnutzungsgewohnheiten erlernt man durch regelmäßige Rezeption Gewohnheiten haben eine geschichtliche Entwicklung hinter sich; man führte das von ihnen gesteuerte Verhalten bereits in der Vergangenheit mehrmals durch (Verplanken, 2005, S. 100). Auch Fernsehnutzungsgewohnheiten entstehen nicht aus dem Nichts; man erlernt sie über einen bestimmten Zeitraum. Das wiederholte Einschalten des Fernsehgerätes oder die mehrfache Rezeption eines bestimmten Inhalts können zum Aufbau von Gewohnheitsstrukturen führen. Wiederum ist es notwendig, zwischen Wiederholung und Regelmäßigkeit zu differenzieren (Fuchs, 2007; Verplanken, 2006): Schaut zum Beispiel jemand viermal die Woche fern, allerdings an verschiedenen Orten, zu wechselnden Zeiten und unterschiedliche Inhalte, hat er vielleicht eine weniger ausgeprägte Gewohnheit als eine Person, die nur einmal pro Woche fernsieht, den Apparat aber stets Sonntagabend um 20:15 anschaltet, um den „Tatort“ zu verfolgen. Ein Mehr an Nutzung bedeutet also nicht generell eine ausgeprägtere Habitualisierung. Dennoch drängt sich die Vermutung auf, dass Nutzungsumfang und Habitstärke positiv korrelieren, doch wies man den Zusammenhang bislang nicht empirisch nach (oder setzte Nutzungsumfang und Habitstärke gleich). Es ist schwierig, generelle Schlüsse über Häufigkeit und Rhythmik der Nutzung zu ziehen, bis eine Gewohnheit etabliert ist. Zunächst wäre ohnehin fraglich, ab welchen Grenzwerten man von einer „Etablierung“ reden könnte; man müsste zudem soziodemographische, psychographische und situative Faktoren berücksichtigen. Ein einheitliches Maß, um dem Kriterium der regelmäßigen Wiederholung zu genügen, kann und wird es nicht geben – dennoch sollte es Ziel zukünftiger Forschung sein, Näherungswerte dafür zu bestimmen. Wie bei anderen Gewohnheiten auch (vgl. z.B. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998; Verplanken & Faes, 1999), ist es für die Entstehung von TVHabits förderlich, wenn der Rezipient die Konsequenzen der Fernsehnutzung als subjektiv zufrieden stellend erlebt. Die Tendenz, positive Erlebenszustände zu wiederholen (vgl. z.B. Kahneman, 1999; Rozin, 1999), spielt bei der Fernsehnutzung generell eine wichtige Rolle. Kubey und Csikszentmihalyi (1990, S. 137) begreifen das Fernsehen bzw. die Rezeption bestimmter Inhalte als Verstärker im Sinne einer operanten Konditionierung (Skinner, 1969), weil die Zuschauer die Konsequenzen der Rezeption (z.B. Entspannung) als unmittelbare, positive Belohnung erleben. Das regelmäßig wiederholte Einschalten des Fernsehapparates ist ein Indikator für eine Gewohnheit, aber allein nicht konstitutiv, um Fernsehnutzungsgewohnheiten zu beschreiben. Fernsehnutzungsgewohnheiten sind spezifische Wissensstrukturen Fernsehnutzungsgewohnheiten sind spezifische Wissensstrukturen, die das entsprechende Verhalten (das Einschalten des Gerätes bzw. die Auswahl bestimmter
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
49
Inhalte) steuern. Diese Differenzierung ist für die Kommunikationswissenschaft essentiell: Habituell gesteuertes Einschalten lässt zwar bestimmte Nutzungsmuster entstehen, doch eine intentional gesteuerte Selektion kann ebensolche „viewing patterns“ hervorbringen. Kapitel 2.2.2 skizzierte die Diskussion, wie Gewohnheiten im Gedächtnis repräsentiert sind: Während Wood, Quinn und Kashy (2002; vgl. auch Ouellette & Wood, 1998) Habits als neuronal assoziierte Antwortmuster verstehen und von Konditionierungsprozessen zwischen einem (zielführenden) Verhalten und einem Hinweisreiz ausgehen, konzipiert Enste (1998) Gewohnheiten als Entscheidungsheuristiken. Verplanken und Aarts (1999; vgl. z.B. auch Verplanken et al., 1994) vertreten hingegen die Auffassung von Habits als Ereignis-Schemata bzw. Skripte (Bartlett, 1932; Neisser, 1976; Piaget, 1976). Rosenstein und Grant (1997) folgen dieser Konzeption und gehen davon aus, dass Fernsehnutzungsgewohnheiten als Skripte im Gedächtnis repräsentiert sind, welche die grobe Struktur der Abläufe speichern. Ein solches FernsehsnutzungsSkript kann zum Beispiel die Vorgänge „Fernseher einschalten, Fernbedienung nehmen, auf die rechte Seite der Couch setzen, RTL wählen“ beinhalten. Auch hier können situative Determinanten sowie bestimmte Abläufe durchaus variieren (vgl. Abelson, 1981): Ob man tatsächlich RTL oder einen anderen Sender einschaltet oder mit der linken Seite der Couch vorlieb nehmen muss, weil die andere okkupiert wird, stört den prototypischen Ablauf der Fernsehnutzung nicht oder nur unwesentlich. Fernsehnutzungsgewohnheiten lösen die Nutzung automatisiert aus Bei einer von Gewohnheiten gesteuerten Fernsehnutzung erfolgt das Einschalten des Gerätes bzw. die Wahl eines bestimmten Inhalts automatisiert. In Anlehnung an Bargh (1994) bedeutet dies, dass die Auslösung (1.) unbewusst erfolgt und die Fernsehnutzung (2.) schwer zu kontrollieren ist; zudem (3.) spart die habitualisierte Nutzung kognitive Ressourcen, sie ist mental leitsungseffizient14. Wie oben beschrieben, ist nicht jede dieser Komponenten eine notwendige Voraussetzung (Verplanken, 2005, S. 101). Zentral ist, dass lediglich die Auslösung automatisiert erfolgt, nicht die gesamte Rezeption. Die Nutzung kann angebotsspezifisch und angebotsunspezifisch erfolgen Man muss zwischen „watching programs“ und „watching TV“ unterscheiden, also dem gezielten Sehen bestimmter Inhalte und dem unspezifischen Einschalten des Fernsehgerätes, unabhängig vom inhaltlichen Angebot (Hirsch, 1980, S. 87). Die in der Tradition des Uses-and-Gratifications-Ansatzes entstandenen Studien untersuchen sowohl die angebotsspezifische als auch die angebotsunspe14 Die unbeabsichtigte Auslösung, die Bargh (1994) als vierte Komponente angibt, ist für Gewohnheiten nicht konstitutiv (vgl. Verplanken, 2006, S. 640; Verplanken & Orbell, 2003).
50
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
zifische Auswahl, wenngleich einige die Differenzierung nur unzureichend vornehmen (Weibull, 1985, S. 142); viele Analysen fragen recht allgemein nach der Mediennutzung. Vorderer (1992, S. 61ff.) greift diese Differenzierung auf und unterscheidet drei Varianten der Selektivität gegenüber Fernsehangeboten: Man könne das Medium instrumentell-angebotsspezifisch (man schaltet den Fernseher intentional ein, um einen bestimmten Inhalt zu rezipieren), instrumentellangebotsunspezifisch (man schaltet intentional ein, um ein bestimmtes Motiv, z.B. das nach Unterhaltung zu befriedigen) und habituell (man schaltet das Gerät aus reiner Gewohnheit an) nutzen. Diese Unterteilung ist wesentlich, doch übersieht Vorderer, dass die Differenzierung von angebotsspezifischer und unspezifischer Zuwendung ebenso für die habituelle Nutzung gilt. Nordenstreng (1969, S. 257) weist schon vor Jahrzehnten darauf hin, dass man die gewohnheitsmäßige Nutzung eines Mediums von der gewohnheitsmäßigen Nutzung bestimmter Inhalte abgrenzen muss – dies findet jedoch bislang keine Beachtung. So könnte ein Rezipient die Gewohnheit haben, immer den Fernseher einzuschalten, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt – welche Sendung er auswählen wird, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht; er nutzt das Medium habituell-angebotsunspezifisch. Ein anderer Zuschauer mag die Gewohnheit haben, um 19:00 Uhr die Nachrichten des ZDF zu verfolgen – auch er schaltet das TV-Gerät habituell ein, jedoch weil ein bestimmter Inhalt zu diesem Zeitpunkt gesendet wird. Er nutzt das Medium habituell-angebotsspezifisch. Ob die meisten Rezipienten unabhängig von spezifischen Inhalten oder gerade wegen bestimmter Inhalte den Fernseher einschalten und wie viele dies (eher) habituell bzw. (eher) intentional durchführen, ist weitgehend ungeklärt. Indizien für eine habituell-angebotsunspezifische Nutzung des Fernsehens liefern Studien, die spezifische Nutzungsmuster untersuchen. So zeigt Zubayrs (1996, S. 156) Analyse von Programmbindungsraten bei Sendeplatzverschiebungen, dass „ein bedeutsamer Anteil der Zuschauer auf dem alten Sendeplatz“ bleibt – wenngleich etwas größere Zuschauerwanderungen zwischen den alten und neuen Sendeterminen stattfinden als zuvor. Ob man diese Effekte vorrangig oder partiell auf eine habituell-angebotsunspezifische Nutzung des Fernsehens zurückführen kann oder ob andere Ursachen dies verantworten (z.B. Kanaltreue), verraten die Daten freilich nicht; Zubayr bleibt bei der Interpretation der Daten vorsichtig und will die Zuschauer nicht als inhalts- oder medienorientiert einordnen. Allerdings stützen auch die Ergebnisse von Rosenstein und Grant (1997) die Annahme einer ausgeprägten habituell-angebotsunspezifischen Nutzung: Grundidee ihrer Studie ist die Beobachtung, dass das Fernsehprogramm an Werktagen eine deutliche Konstanz aufweist (vgl. Kapitel 2.1.4), viele Sender aber an Wochenenden (und Feiertagen) von dem werktäglichen Programmschema abwei-
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
51
chen (vgl. z.B. Rott & Schmitt, 2000, S. 542). Ein Blick in die Programmzeitschrift zeigt zwar, dass die Nachrichtensendungen der Vollprogramme meist auf den wochentäglichen „time slots“ bleiben, doch das restliche Programm unterscheidet sich erheblich. „If viewing is a purely rational and volitional activity, the clear structural and programmatic differences between weekends and weekdays should result in very unique viewing patterns during each those periods“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 333). Nimmt man aber einen starken Effekt der Habitualisierung an, der zu fest verankerten Nutzungszeiten führt, müssten die Nutzungsmuster am Wochenende trotz des veränderten Tagesablaufs und der Programmunterschiede den wochentäglichen Zeitmustern gleichen. In einer ReAnalyse von Tagebuchdaten erkennen die Autoren deutliche Parallelen zwischen den Uhrzeiten, zu denen am Wochenende und an Werktagen ferngesehen wird. Diesen Effekt interpretieren sie als von Gewohnheiten gesteuert: „The model provides strong evidence for habitual viewing in the early morning and evening hours, independent of programmatic content. One possible interpretation for this is that people habitually wake up in the morning, or return home from whatever their daytime activities are, and turn on their television sets heedless of what shows might be on“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 340). Dass die Rezipienten aus Gewohnheit zu diesen Zeiten fernsehen, können die Daten zwar nicht zweifelsfrei belegen, doch wäre dies eine stimmige Interpretation der Befunde. Gewohnheiten vermögen nicht nur das Einschalten des Fernsehgerätes (gleich, ob angebotsspezifisch oder -unspezifisch) zu steuern, sondern beeinflussen auch das Umschalten während der Rezeption. Der regelmäßige Griff zur Fernbedienung (z.B. zu bestimmten Zeitpunkten oder beim Auftauchen bestimmter Inhalte) führt zu dessen zunehmender Automatisierung. Das Ende einer Sendung, indiziert durch den Abspann, könnte zum Hinweisreiz für ein sofortiges Umschalten werden: Der Zuschauer wählt entweder aus Gewohnheit einen anderen Sender oder beginnt ein nachfolgendes „Flipping“, um sich einen Überblick über das Programmangebot zu verschaffen (Niemeyer & Czycholl, 1994, S. 41). Der Griff zur Fernbedienung würde in diesem Beispiel durch die Gewohnheit aktiviert, die Entscheidung für eine bestimmte Sendung jedoch intentional getroffen. Gewohnheiten könnten nicht nur das programmselektive Umschalten beeinflussen, sondern auch das Verhalten bei Werbeunterbrechungen. Ein Teil der Zuschauer meidet Werbeblöcke durch physische (z.B. Verlassen des Raumes) und psychische Abwesenheit (Wegsehen, Unterhaltung mit Dritten) oder mittels Zapping (vgl. z.B. Niemeyer & Czycholl, 1994; Ottler, 1998). Inwiefern diese Strategien intentional oder habituell erfolgen, hat man bislang nicht erforscht. Weil Werbeunterbrechungen aber wiederholt auftauchen und Rezipienten ein etwaiges Vermeidungsverhalten entsprechend regelmäßig zeigen, sollten Gewohnheiten eine bedeutende Rolle spielen.
52
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Spezifische Hinweisreize fungieren als Auslöser der Rezeption Fernsehnutzungsgewohnheiten entstehen (meist)15 aus einem zunächst intentional durchgeführten Einschalten des TV-Gerätes bzw. einer intentionalen Selektion bestimmter Inhalte. Erlebt der Rezipient die Konsequenzen der Nutzung subjektiv zufrieden stellend (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998; Verplanken & Faes, 1999), wird er die Rezeption wiederholen und versuchen, die positiven Erlebenszustände wiederkehren zu lassen (vgl. z.B. Kahneman, 1999; Rozin, 1999). Folgen hingegen negativ erlebte Konsequenzen, wird der Rezipient andere Inhalte auswählen oder die Fernsehnutzung durch eine andere (mediale oder nicht-mediale) Tätigkeit substituieren. Die Konsequenzen können einerseits unmittelbar positiv sein, wie zum Beispiel die Minimierung unangenehmer und die Maximierung angenehmer Stimmungen. Der Mood-Management-Ansatz von Zillmann (1988a; 1988b; 2000) erklärt beispielsweise die Regulierung von Emotionen durch die Auswahl geeigneter Medieninhalte: Rezipienten versuchen Erregungszustände, die sie als angenehm erleben, herbeizuführen und aufrecht zu erhalten und solche, die sie als aversiv empfinden, zu vermeiden. Welche Stimmung der Nutzer jeweils anstrebt, hängt von verschiedenen personalen und situativen Faktoren ab. Die Theorie geht davon aus, dass die Menschen das Fernsehen (und andere Reize16) dazu nutzen, ein interindividuell unterschiedliches optimales Erregungsniveau hervorzurufen und aufrechtzuerhalten: Wer erschöpft und gestresst ist, sucht Entspannung, wer gelangweilt ist, sucht Erregung. Der Ansatz demonstriert an dieser Stelle exemplarisch, wie Rezipienten affektive Konsequenzen der Fernsehnutzung als zufrieden stellend wahrnehmen. Neben unmittelbar positiven Folgen kann die Rezeption auch mittel- oder langfristig zufrieden stellen, wie das Lob des Chefs, wenn man aufgrund des täglichen Nachrichtenkonsums stets bestens informiert ist. Die (positiv erlebten) Konsequenzen der Rezeption müssen also nicht affektiv sein; auch kognitive, soziale oder identitätsstiftende Folgen kommen in Frage. Beim Vorliegen einer etablierten Gewohnheit verfolgt der Rezipient das Erreichen des jeweiligen Zieles nicht bewusst, da Hinweisreize die Nutzung des Mediums bzw. des Inhalts direkt auslösen (vgl. z.B. Wood & Neal, 2007, S. 844). Wie in Kapitel 2.2.4 dargestellt, differenziert die vorliegende Arbeit vier Gruppen von Hinweisreizen, die jeweils einzeln oder in Interaktion miteinander die Fernsehnutzung bzw. die Nutzung eines bestimmten Inhalts auslösen können: 1. 2. 15
externe Gegebenheiten Zeiten
Vgl. dazu die Diskussion in Kapitel 3.1.1. Obwohl sich die Theorie anfangs auf das Fernsehen bezog, kann man ihre Annahmen auf verschiedene Medien sowie soziale Kontexte übertragen (Schweiger, 2007, S. 350).
16
2.3 Habituelle Fernsehnutzung 3. 4.
53
Stimmungen vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten
1.
Zu den externen Gegebenheiten, welche die Nutzung des Fernsehers aktivieren können, zählen nicht nur Räume („specific locations“, vgl. Ji & Wood, 2007, S. 262), wie das Betreten des Fernsehzimmers oder des Wohnzimmers, auch spezifische Objekte können als Hinweisreize fungieren (vgl. dazu Collins & Loftus, 1975). Zum Beispiel könnten die mit positiven Vorerfahrungen assoziierten Medien selbst, wie der in vielen Wohnzimmern präsente Fernsehapparat, der „Erinnerungen an positive Erlebensqualitäten“ wachruft, solche Hinweisreize sein (Hartmann, 2006, S. 49). Während der Rezeption könnten verschiedene programmimmanente Cues (optische und/ oder akustische Reize) das habituelle Umschalten aktivieren. Die vom Rundfunkstaatsvertrag (§ 7 III; vgl. auch EG-Fernsehrichtlinie Art. 10 I) vorgeschriebene Einblendung optischer Mittel zur Trennung der Werbung von anderen Programmteilen, mag bei manchen Rezipienten zum Hinweisreiz für ein sofortiges Zappen geworden sein – man vermeidet die Werbung aus Gewohnheit (Rossmann, 2000, S. 48). Das Ende einer Sendung könnte das Wechseln des Senders, das Ausschalten des Fernsehers oder einen Tätigkeitswechsel initiieren: Wenn zum Beispiel ein Kind die Gewohnheit hat, unmittelbar nach einer Nachmittagssendung die Hausaufgaben zu erledigen (Mehling, 2007, S. 21). Auch soziale Interaktionspartner zählen zu den externen Hinweisreizen: Das Nachhausekommen des Partners löst vielleicht das Einschalten des Fernsehers oder einen automatisierten Wechsel des Senders aus.
2.
Die periodische Programmierung von Sendungen sorgt dafür, dass diese meist zu festen Zeitpunkten – häufig sekundengenau – starten. Die daraus resultierende Beständigkeit der Programmschemata hat zur Folge, dass das TV-Programm einer präzisen Uhr gleicht und Zuschauer dieses als sozialen Zeitgeber nutzen (Neverla, 1990; Neverla, 1992). Gerbner und sein Team (1979, S. 180) mutmaßen bereits Ende der 70er Jahre, dass Rezipienten „by the clock rather than by the program“ auswählen. Man kann also annehmen, dass zeitliche Hinweisreize bei der Fernsehnutzung eine wichtige Rolle spielen; 20:00 Uhr könnte beispielsweise für viele Deutsche der Auslöser zum Sehen der Tagesschau sein. Doch nicht nur einzelne Sendungen beginnen fortwährend zur gleichen Zeit, Fernsehschaffende lassen feste Programmblöcke stets zu landesweit einheitlichen Zeiten starten: In Deutschland steht zum Beispiel 20:15 Uhr für den Beginn des Abendprogramms der meisten Sender und läutet für zahlreiche Deutsche den Feierabend ein
54
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten (Gerlach, 2004, S. 236). Um die Verknüpfung einer Uhrzeit mit dem Beginn einer Sendung im Gedächtnis der Zuschauer zu etablieren und zu festigen, achten Programmplaner auf einen möglichst pünktlichen Sendestart. Der Hinweisreiz „Zeit“ beschränkt sich sicherlich nicht nur auf sekundengenaue Zeitpunkte; auch die grobe Feststellung „es ist Abend“ könnte das Einschalten des TV-Gerätes aktivieren.
3.
Diverse Untersuchungen zeigen, dass Emotionen und Stimmungen17 die Fernsehselektion, -rezeption und daraus resultierende Wirkungen intensiv beeinflussen (vgl. z.B. Hullett, 2005; Schramm & Wirth, 2006; Schwarz, Bless, & Bohner, 1991; Zillmann, 1988a; Zillmann, 1988b). Ji und Wood (2007, S. 264) zählen Stimmungen zu den „environmental cues“; dies ist jedoch problematisch: Zwar werden Emotionen durch Umweltreize ausgelöst, Stimmungen kann man jedoch nicht derart konkret auf spezifische externe Ereignisse zurückführen. „Umweltreize“ bzw. „externe Reize“ sind (wie oben dargestellt) ein mögliches Bündel an Cues, doch auch „innere“ Reize könnten als Auslöser fungieren. Wenn man beispielsweise regelmäßig in melancholischer Stimmung das Fernsehgerät einschaltet, weil dies zufrieden stellende Konsequenzen nach sich zieht (z.B. Ablenkung), kann die spezifische Stimmung zum Hinweisreiz werden und das Einschalten des Gerätes von nun an automatisiert auslösen. Der Mood-Management-Ansatz erklärt die auftretenden Lerneffekte durch Mechanismen der operanten Konditionierung (Zillmann, 1988a; Zillmann, 1988b; Zillmann, 2000); ebenso plausibel können aber Prozesse der Habitualisierung dies begründen. Entsprechend mutmaßt Mikos (1995, S. 93), dass es ein habituelles Wegschalten bestimmter Genres oder Sendungen gibt, „von denen man weiß, dass sie einem nicht unbedingt zu einem vergnüglichen Fernsehabend verhelfen“.
4.
Auch die Initiierung oder das Beenden eines Verhaltens können als Hinweisreize die Fernsehnutzung oder die Nutzung bestimmter Inhalte auslösen. Kapitel 2.1.1 wies darauf hin, dass Rezipienten fernsehen, während sie alltägliche Dinge erledigen; der TV-Apparat fungiert häufig als Hintergrund- und Nebenbeimedium (Kuhlmann & Wolling, 2004, S. 396-398). Es gibt keine expliziten Zahlen, wie stabil das der Fernsehnutzung vorausgehende und währenddessen durchgeführte Verhalten ist. Allerdings legen die von Kuhlmann und Wolling (2004) ermittelten Tagebuchdaten nahe, dass es
17 Während Stimmungen ein längerfristiges, kontinuierliches Konstrukt mit relativ schwacher Intensität sind und keine spezifische Ursache haben, sind Emotionen hingegen von relativ kurzer Dauer und schwächerer Intensität, treten episodisch auf und werden von bestimmten Ereignissen ausgelöst (vgl. Parkinson, Totterdell, Briner, & Reynolds, 2000; Schramm, 2005; Zillmann, 2004).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
55
durchaus bestimmte Tätigkeiten gibt, denen Zuschauer regelmäßig während der Rezeption nachgehen. Insbesondere die Einnahme von Mahlzeiten und das Erledigen von Hausarbeiten bestimmen die Nebenbeinutzung und spannen einen Rahmen für die Rezeption auf (Gauntlett & Hill, 1999, S. 69). Es entstehen feste Assoziationen zwischen dem Einschalten des Fernsehers und der durchgeführten Tätigkeit. Die regelmäßige wiederholte Kombination kann zur Gewohnheitsbildung führen, die Aufnahme der spezifischen Tätigkeit ist dann der Hinweisreiz, der die habitualisierte Fernsehnutzung auslöst. Doch nicht nur die Aufnahme einer Tätigkeit vermag die gewohnheitsmäßige Nutzung des Apparates zu aktivieren, genauso kann das Ende eines bestimmten Verhaltens der Anlass zum Anschalten des TV-Gerätes sein. Die erledigten Hausaufgaben oder die beendete Hausarbeit könnten solche Hinweisreize sein: So bauen zum Beispiel manche Hausfrauen „das Fernsehen als wohlverdiente Pause in ihren Tagesablauf“ ein (Cornelißen, 2000, S. 32). Es gibt kaum Forschung darüber, welche Hinweisreize bei der Fernsehrezeption von zentraler Bedeutung sind und welche eine eher untergeordnete Rolle spielen. Vermutungen und Spekulationen kann man auf Basis der oben stehenden Überlegungen zwar anstellen, doch mangelt es an konkreten Ergebnissen. Es ist schwer möglich, einen direkten „Nachweis“ zu erbringen, ob ein bestimmter Hinweisreiz den Fernsehkonsum in einer spezifischen Situation auslöst und inwiefern andere Faktoren dafür (mit) verantwortlich sind. Behutsam konzipierte experimentelle Designs und Leitfadeninterviews könnten hier Licht ins Dunkel bringen. Definition Die oben skizzierten Merkmale von Fernsehnutzungsgewohnheiten lassen sich in folgender Definition zusammenführen: Fernsehnutzungsgewohnheiten sind durch regelmäßige Rezeption erlernte Wissensstrukturen, welche die Nutzung des Fernsehens (angebotsunspezifisch) oder bestimmter Inhalte (angebotsspezifisch) beim Vorliegen spezifischer Hinweisreize automatisch auslösen. Ein Beispiel soll die hier entwickelte Definition veranschaulichen: Eine Person sieht regelmäßig die „Tagesschau“, um sich abends über die aktuelle Nachrichtenlage zu informieren. Die regelmäßige Wiederholung der Rezeption setzt einen Lernprozess in Gang und führt zu einer Automatisierung des Verhaltens: Die
56
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Aktivierung erfolgt zunehmend unbewusst, ist schwer zu kontrollieren und mental leistungseffizient. Der Rezipient verknüpft zum Beispiel die Zeit 20:00 Uhr mit dem Sehen der Nachrichten. Das Informationsbedürfnis tritt zunehmend in den Hintergrund und die Intention aktiviert nicht länger das Sehen der Tagesschau, sondern der Hinweisreiz „20:00 Uhr“ löst die Rezeption aus (Verplanken, 2005, S. 100). Dennoch verfolgt die Person – wenn auch nicht intentional – das Ziel „informiert werden“: Sah der Rezipient um 19:00 Uhr heute, würde er die 20:00 Uhr Nachrichten wahrscheinlich trotz vorliegender Habitualisierung nicht mehr ansehen. Diesen Vorgang des „Zur-Gewohnheit-Werdens“ bezeichnet man als Habitualisierung (Bergius, 1982a). 2.3.2 Abgrenzung zu ritualisierter Fernsehnutzung und Nutzungsmustern Die mit dem Terminus der habituellen Fernsehnutzung verbundene begriffliche Unschärfe durchzieht einen großen Teil der kommunikationswissenschaftlichen Literatur, sorgt für Missverständnisse und hemmt den Forschungsfortschritt. Als Synonyme für die gewohnheitsmäßige Nutzung tauchen insbesondere die Begriffe „Nutzungsmuster“ und „ritualisierte Fernsehnutzung“ auf, doch auch „vergangene“, „wiederholte“, „automatisierte“ und „routinierte“ Fernsehnutzung sollte man von der habituelle Nutzung abgrenzen (vgl. dazu auch Kapitel 2.2.5). Vergangene Fernsehnutzung umfasst jegliche Nutzung des Mediums vor der aktuellen Situation (vgl. dazu umfassend Klöckner, 2005a, S. 5). Ob man diese intentional oder habituell durchführt, spielt keine Rolle. Auch ist es gleichgültig, ob die Rezeption einer bestimmten Sendung einmalig oder wiederholt geschieht und ob man regelmäßig oder unregelmäßig einschaltet. Die wiederholte Fernsehnutzung ist eine Unterart der vergangenen Fernsehnutzung, weist jedoch eine bestimmte Frequenz auf. Ob die Rezeption intentional oder habituell gesteuert wird und ob sie regelmäßig oder unregelmäßig stattfindet, ist wiederum irrelevant. Erfolgt der wiederholte TV-Konsum unbewusst und unbeabsichtigt, handelt es sich um automatisierte Fernsehnutzung. Weitere Kennzeichen der automatisierten Nutzung des Mediums sind die schwere Kontrollierbarkeit und die mentale Leistungseffizienz (Bargh, 1994). Die Nutzung des TV aus Gewohnheit erfolgt automatisiert, eine automatisierte Nutzung muss hingegen nicht habitualisiert sein. Die synonyme Verwendung von habitueller und routinierter Fernsehnutzung, ist kaum problematisch, sofern man dem begrifflichen Verständnis von Klöckner (2005a, S. 6) folgt, der Routinen als den „Ausschnitt des automatisierten Verhaltens, der durch Gewohnheiten kontrolliert wird“ definiert. In diesem Sinne wäre eine Fernsehnutzungsroutine das Muster, das die habitualisierte Rezeption entstehen lässt. Allerdings grenzt zum Beispiel Betsch (2005, S.
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
57
262) Gewohnheiten explizit von Routinen ab und konzipiert letztere als mentale Repräsentation eines Verhaltens, das dominant mit der Repräsentation eines Entscheidungshandelns verknüpft ist. Sie unterscheiden sich zumindest dadurch von Gewohnheiten, dass man sie nicht durch regelmäßige Wiederholung erlernen muss und sie nicht durch Hinweisreize aktiviert werden. Die beiden unterschiedlichen Konzeptionen zeigen, dass der Begriff „Routine“ unscharf ist und man ihn daher meiden sollte. Auch ritualisierte Fernsehnutzung taucht oft als Synonym für habituelle TV-Nutzung auf (z.B. Rubin, 1984). Kapitel 2.2.5 zeigte, dass der Ritualbegriff komplex und schwierig zu bestimmen ist; man nutzt den Terminus oft „allgemein in der Bedeutung von fest gefügten Modellen und Spielregeln des sozialen Verhaltens“ (Fuchs-Heinritz, 1994, S. 566). Wimmer und Schäfer (1998, S. 9) mutmaßen, dass die „Attraktivität des Ritualbegriffes vielleicht gerade mit seiner Komplexität“ zusammenhängt. Neben einer stabilisierenden (Reduzierung der Umweltkomplexität und Hilfe bei der Alltagsbewältigung) und einer dynamischen Funktion (Wirklichkeitskonstruktion, Erleichterung der kognitiven Verarbeitung neuer Informationen), haben Rituale einen restriktiven und kollektiven Zweck (Fürsich, 1994, S. 30-31). Genau wie Gewohnheiten sind sie weitgehend festgelegte Verhaltensweisen, doch insbesondere die beiden zuletzt genannten Charakteristika unterscheiden Rituale von Habits. Die restriktive Funktion weist dem Ritual einen „zwingenden Charakter“ zu, Abweichungen werden durch Isolation und Verachtung bestraft – ein Mechanismus, den erst die Interaktion von Individuen hervorbringt. Die kollektive Funktion trägt zur Stabilisierung von Gruppenstrukturen bei, festigt Freundschaftssysteme oder Familienstrukturen und sorgt für soziale Nähe und Integration (Fürsich, 1994, S. 31; Mehling, 2007, S. 31). Man legt das Abendessen zum Beispiel so, dass man mit seiner Familie das Sandmännchen sehen kann (Hackl, 2001, S. 29).18 Neben dem stärkeren Kollektivbezug und der ausgeprägten sozialen Verbindlichkeit erfordern Rituale zudem mehr kognitive Beteiligung und haben meist eine tiefere Bedeutung für den Ausführenden (Mehling, 2007, S. 32). Der rituelle Charakter reicht über die rezeptive Phase hinaus: In der prärezeptiven Phase erfolgen zum Beispiel vorbereitende Aktivitäten, wie das Bereitstellen des Essens, nach der Rezeption können sich Gespräche der Beteiligten über das Gesehene anschließen. Mehling (2007, S. 32) präzisiert die Unterschiede anhand eines Beispiels: „Eine Gewohnheit ist es, wenn beim Abendessen der Fernseher läuft, ein Ritual, wenn zum sonntäglichen Krimiabend eine Platte Häppchen vorbereitet und eine Flasche 18
In der Deutung des Beispiels verwirrt Hackl mit der Aussage, das Ritual nehme im Gegensatz zur Gewohnheit „im Alltag einen festen Stellenwert ein“. Jedoch webt man auch Gewohnheiten in den Alltag ein. Sie interpretiert den Begriff des Alltags wohl im Sinne eines „sozialen Alltags“, was Fürsich (1994) als soziales Leben bzw. Gruppenleben bezeichnet.
58
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Wein kalt gestellt, wenn Aschenbecher und Zigaretten bereitgelegt werden etc.“. Das Exempel zeigt zugleich die Schwierigkeit der Differenzierung von ritualisierter und habitueller Fernsehnutzung: Nur weil man eine Sendung mit weiteren Personen verfolgt oder „eine Platte Häppchen vorbereitet“, muss die TVNutzung nicht ritualisiert sein. Das Differenzierungskriterium ist, dass bei Ritualen die kollektive und die restriktive Funktion klar im Vordergrund stehen: Würde beispielsweise ein Vater die Sportschau am Samstagabend vor allem ansehen, um die familiären Kontakte zu pflegen und seine Abwesenheit würde von den Kindern missbilligt werden, tritt deutlich der rituelle Charakter hervor (vgl. dazu auch Boekmann & Hipfl, 1992, S. 45-47). So liegt es auf der Hand, dass es sich hierbei um eine analytische Differenzierung handelt: Mitunter kann man nicht genau sagen, ob eine ritualisierte oder habituelle Nutzung vorliegt. Ob die ritualisierte Nutzung des Fernsehens im Laufe der Jahrzehnte abnahm, ist eine auf vielen Hinweisen basierende Vermutung, die man bislang empirisch nicht fundiert untermauerte.19 Einige Autoren setzen Habits mit Nutzungsmustern oder dem wiederholten Einschalten einer Sendung gleich (vgl. z.B. Bilandzic, 2004; Consbruch, 1995; Robinson, 1980; Zubayr, 1996; Zubayr & Gerhard, 2008). Gewohnheiten sind jedoch kein tatsächlich gezeigtes Verhalten, sondern Wissensstrukturen, die allenfalls bestimmte Nutzungsmuster entstehen lassen oder aufrechterhalten. Demzufolge muss man letztere von Fernsehnutzungsgewohnheiten abgrenzen. Nutzungsmuster sind „nichts anderes als wiederholt auftretende Typen bestimmter Nutzungsepisoden“ (Schweiger, 2007, S. 234). Solche Episoden sind durch ihre Einmaligkeit gekennzeichnet, und erst im Laufe der Zeit lässt die (möglicherweise regelmäßige) Wiederholung von Episoden bestimmte Mediennutzungsmuster entstehen (Schweiger, 2007, S. 31). Diese umfassen eine Vielzahl möglicher Aspekte: Man kann darunter inhaltliche Muster verstehen (zum Beispiel eine Person, die stets die gleichen Genres, Sendungen oder Themen im Fernsehen rezipiert), zeitliche Muster (wenn jemand meist an den gleichen Wochentagen oder zu festen Zeiten fernsieht), situative Muster (z.B. könnte jemand stets bei den gleichen Freunden oder meist alleine zu Hause fernsehen), Muster hinsichtlich der Auswahl der Kanäle (bevorzugte und kaum beachtete Sender) oder der Reihenfolge der Senderwahl – die Reihe ließe sich problemlos fortsetzen (vgl. z.B. Barwise, Ehrenberg, & Goodhardt, 1982; Hasebrink & Krotz, 1996; Hawkins, Reynolds, & Pingree, 1991; Krotz & Hasebrink, 1998; Perse, 1986; Staab & Hocker, 1994). Wie bereits oben dargestellt, kann man eine wie19 Teilweise argumentieren Autoren sogar andersherum: Für einige Rezipienten soll das Fernsehen zunehmend eine rituell-religiöse Funktion gewinnen, da religiöse Rituale in modernen pluralistischen Gesellschaften an Bedeutung verlieren (eine Zusammenfassung dieser Diskussion findet man bei Günter, 1998; Günter, 2000).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
59
derholte, regelmäßige Rezeption aber nicht zwangsläufig auf (ausgeprägte) Habitualisierungseffekte zurückführen: „A series of intentional decisions might produce a pattern of past behavior similar to one produced by a series of habitual actions“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 401). Erschwert wird die Differenzierung, weil beide in einem engen Verhältnis zueinander stehen: Eine entsprechend habituelle Fernsehnutzung lässt eine (systematische) Abfolge von Episoden entstehen, zum Beispiel das stetige Verfolgen der Tagesschau; Habits spielen bei der Herausbildung mancher Nutzungsmuster also eine zentrale Rolle. Ob man letztere aber auf Gewohnheiten zurückführen kann, ist eine Frage, die bislang keine empirische Arbeit hinlänglich beantwortet hat. Die Beobachtung von Nutzungsmustern kann bei der Erforschung von Gewohnheiten durchaus hilfreich sein – vor allem ein gleichzeitiges Erheben telemetrischer Daten oder Tagbuchaufzeichnungen und eine Befragung der Rezipienten verspricht bei der Erforschung von Gewohnheiten weiterführende Erkenntnisse. Beschränkt sich die Datenerhebung jedoch auf die Ermittlung telemetrischer Daten, analysiert der Forscher „nur“ wiederholte Nutzungsepisoden. Inwiefern er diese auf Gewohnheiten zurückführt, bleibt – zumindest beim derzeitigen Forschungsstand – die vage Interpretation des Forschers. 2.3.3 Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung? Neben begrifflichen Unschärfen erschwert eine weitere Unbestimmtheit die Auseinandersetzung mit der habituellen Fernsehnutzung: die Einordnung von Gewohnheiten als Motiv der Mediennutzung (vgl. dazu LaRose & Eastin, 2004; Newell, 2003). Diese findet ihren Ursprung in den zahlreichen Gratifikationskatalogen, welche den Uses-and-Gratifications-Ansatz empirisch handhabbar machen sollen. Die methodische Herangehensweise bei ihrer Erstellung folgt zumeist ähnlichen Mustern: Zunächst fragen die Forscher offen, warum Rezipienten bestimmte Medien nutzen und sammeln und systematisieren die Antworten. In einem zweiten Schritt legen sie den Probanden zahlreiche Items vor, die mögliche Motive der Mediennutzung, meist fünfstufig skaliert, abfragen. Diese verdichten sie mittels Faktoren- und Clusteranalysen auf wenige zentrale Motivgruppen. Ein solches Vorgehen wählt zum Beispiel Greenberg (1974), dessen Untersuchung prototypischen Charakter hat: Zunächst lässt er 180 Schüler ein Essay zum Thema „Why I like to watch television“ schreiben, wertet diese Aufsätze inhaltsanalytisch aus und weist die Aussagen mittels Clusteranalyse acht Motivgruppen zu (Entspannung, Geselligkeit, Zeitfüller, Selbstfindung, Spannung,
60
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Eskapismus, Information und Gewohnheit).20 Diese fragt er in einer nachfolgenden quantitativen Befragung von 726 Schülern mit je drei bis vier Items ab und überprüft die Dimensionen faktorenanalytisch. Greenberg (1974, S. 78) zeigt, dass der Faktor „Habit“ den höchsten Durchschnittswert aufweist, die Teilnehmer den Gewohnheiten also einen ganz erheblichen Einfluss zuschreiben. Allerdings ist zweifelhaft, ob die von ihm genutzten Items tatsächlich Gewohnheiten messen. Auf dem Faktor „Habit“ laden insgesamt vier Statements: Die Aussage „I watch TV because it’s a habit“ fragt geradewegs nach dem Einfluss der Habitualisierung, dabei ist unklar, ob Teilnehmer diese direkte Frage hinlänglich beantworten können (vgl. Kapitel 3.3). Die übrigen drei Items „I watch TV because I just like to watch“, „I watch TV because it’s so much fun“ und „I watch TV because I just enjoy watching“ fragen weniger das Konstrukt Gewohnheit, sondern eher eine Dimension wie Unterhaltung oder Vergnügen an der Rezeption ab. Ein Rezipient, der auf der Suche nach Unterhaltung intentional den Fernseher oder eine bestimmte Sendung einschaltet, könnte diesen Aussagen ebenso zustimmen wie jemand, der dies habituell tut. Ferguson und Perse (2000) nutzen in ihrer Studie vergleichbare Items und kommen bei der explorativen Faktorenanalyse zu einem ähnlichen Ergebnis: Folgerichtig und anders als Greenberg nennen sie diesen Faktor jedoch nicht „Habit“, sondern „Entertainment“. Bei genauer Betrachtung dieser Dimension erkennt man, dass von den hier zusammengefassten Items dasjenige, das nach der Gewohnheit fragt („It’s a habit, just something I do“), die mit großem Abstand geringste Ladung aufweist und so gar nicht zu den übrigen zu passen scheint. Die Vermischung von Items, die nach Gewohnheit und Unterhaltung fragen, treiben Stone und Stone (1990) auf die Spitze: Während Greenberg (1974) jede Motivgruppe über mehrere Items abfragt, ziehen Stone und Stone die Statements, die auf den einzelnen Faktoren am höchsten laden, kurzerhand zu einem Item zusammen. So entsteht aus den drei Statements „Because I just like to watch“, „Because I just enjoy watching“ und „Because it’s a habit“ das Item „It’s an enjoyable habit I like doing“. Sie erheben folglich in einem Statement zwei Dinge, die nur bedingt etwas miteinander zu tun haben: zum einen das Vergnügen an der Fernsehrezeption, zum anderen die Gewohnheit. Die Forscher erkennen zwar selbst die großen Schwierigkeiten, die eine solche Messung mit sich bringt, doch hält sie das nicht von ihrem Vorgehen ab (Stone & Stone, 1990, S. 29). Sie begründen die Vermengung kurioserweise damit, dass sich das Vorgehen in den letzten 20 Jahren etabliert hätte und in der Vergangenheit ein großes Maß an Varianz aufklären konnte. Von den acht Motiven erfährt jenes, das sie 20
Greenberg ist nicht der Erste, der Gewohnheiten als Motiv der Mediennutzung beschreibt. Bereits in den 40er Jahren entstanden Studien, die Habits z.B. als Motiv für das Radiohören (Herzog, 1944) oder das Zeitungslesen (Waples, Berelson, & Bradshaw, 1940) ermitteln.
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
61
„Habit“ nennen, am meisten Zustimmung durch die 296 telefonisch Befragten. Ob die Teilnehmer dem Statement beipflichten, weil es nach der Gewohnheit fragt oder ob der Begriff „enjoyable“ und der Zusatz „I like doing“ für die große Zustimmung zu diesem Item verantwortlich sind, können die Forscher nicht klären. Einen enormen Einfluss auf die Resultate hat zudem, dass sie nur Personen befragen, die regelmäßig bestimmte „evening television dramas“ sehen. Die Frageformulierung und die Stichprobenzusammensetzung lassen die Ergebnisse wenig aussagekräftig erscheinen. Im Prinzip replizieren Stone und Stone bloß Studien, die schon viele Jahre vorher entstanden (z.B. Perse & Rubin, 1988; Rubin, 1983; Greenberg, 1974; Rubin, 1981a), nur dass sie die Anzahl der Items (mit fraglichen Konsequenzen) reduzieren. Verdienst der Autoren ist es, den Blick überhaupt wieder auf Habits gelenkt zu haben und deren Vernachlässigung anzuprangern. Dem verheißungsvollen Titel „Another look at media habits“ wird der Aufsatz jedenfalls nicht gerecht. Forscher vermischen jedoch nicht nur Items der Dimensionen Unterhaltung und Gewohnheit, sondern mixen partiell auch Habit und „to pass time“ in einem Konstrukt zusammen (z.B. Conway & Rubin, 1991; Perse & Rubin, 1988; Rubin, 1983; Rubin & Step, 2000). Hier liegt der Fokus dieser Dimension stets auf dem Zeitfüller-Element: Bei Rubin und Step (2000, S. 642) sowie Conway und Rubin (1991) fragen zum Beispiel vier von fünf Items des Faktors nach „to pass time“, nur eines fragt nach der Gewohnheit; Perse und Rubin (1988) fragen ebenso nur mit einem Item nach der Gewohnheit (wobei unklar ist, ob das Statement „because it’s on“ tatsächlich Habits misst), hingegen mit dreien nach dem Motiv Zeitvertreib. Eine Durchsicht der verschiedenen Studien zeigt ferner, dass die Forscher in der Interpretation ihrer explorativen Faktorenanalysen nicht behutsam genug vorgehen (vgl. dazu auch Newell, 2003, S. 15): Zwar scheinen sowohl Unterhaltung als auch Zeitvertreib mit der habituellen Nutzung in Zusammenhang zu stehen – eine schlichte Vermengung der Items zu einem Konstrukt erweist sich jedoch als forschungslogischer Schnell- und Fehlschuss. „Habit and the pass time gratification are distinct constructs“ ist das Ergebnis von Newell (2003, S. 60), dessen Studie die Vermischung der beiden Konstrukte unter die Lupe nimmt. Auch La Rose und Eastin (2004) kommen zu dem Ergebnis, dass Gewohnheiten ein unabhängiger Prädiktor der Mediennutzung sind und man diesen nicht mit den „to pass time“-Items vermengen sollte. Je mehr Untersuchungen man betrachtet, desto diffuser erscheint die Konzeption von Gewohnheiten als Motiv der Fernseh- bzw. Mediennutzung: Einmal messen die Forscher eher das Konstrukt Unterhaltung, das andere Mal eher das Konstrukt Zeitvertreib. Das Gewohnheitselement drängt man gänzlich an den Rand und fragt häufig nur mit einem einzigen Item (direkt) nach dem Einfluss von Habits. Während manche Studien zeigen, dass Gewohnheiten das wichtigste
62
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
„Motiv“ der Fernsehnutzung sind (z.B. Greenberg, 1974; Stone & Stone, 1990), findet sich der hohe Stellenwert nicht in allen Untersuchungen: In der Analyse von Rubin (1984, S. 71) geben beispielsweise nur 15 Prozent der Befragten an, dass sie dem Statement, aus Gewohnheit fernzusehen, zustimmen bzw. absolut zustimmen; auf der fünfstufigen Skala erreicht das Item einen durchschnittlichen Wert von 2,27 und ist somit einer der irrelevantesten Gründe. Diese Heterogenität verwundert jedoch wenig, da die Autoren teilweise vollkommen unterschiedliche Konstrukte erfassen und ganz verschiedene Stichproben befragen. Generell ist die Einordnung von Gewohnheiten als Motiv der Fernseh- oder Mediennutzung bedenklich21. Es ist zweifelhaft, ob Habits in einer Reihe neben Informations-, Unterhaltungs- oder Eskapismusmotiv etc. stehen sollten (Brosius, Rossmann, & Elnain, 1999, S. 168). Gewohnheiten stehen in einem komplexen Wechselverhältnis zu Motiven. Aus der regelmäßigen Befriedigung bestimmter Motive durch die Fernsehrezeption (z.B. Befriedigung des Informationsbedürfnisses durch regelmäßiges Verfolgen der Nachrichten) entstehen Gewohnheiten, welche die Auslösung der Rezeption steuern können. Durch die Mediennutzung wird jedoch weiterhin das entsprechende Bedürfnis22 (z.B. nach Informationen) befriedigt – die Gewohnheit würde ja beendet, wäre sie nicht mehr zielführend. Der Zusammenhang ist so vielschichtig, weil durch die Befriedigung von Bedürfnissen Gewohnheiten entstehen, Menschen jedoch auch ein Bedürfnis danach haben, Gewohnheiten entstehen zu lassen, um den Alltag zu vereinfachen und zu strukturieren (vgl. Verplanken, 2006). Das rein empiriegeleitete Vorgehen bei der Erstellung der meisten Gratifikationskataloge ist ursächlich für das kuriose Nebeneinander von „echten“ Motiven und Gewohnheiten: Während zum Beispiel „Unterhaltung“ ein echtes menschliches Bedürfnis ist, sind Habits dies keineswegs (Schweiger, 2007, S. 82). Befragt nach den Gründen der Rezeption, geben die Probanden natürlich an, (auch) aus Gewohnheit fernzusehen, allein die Interpretation als Motiv ist problematisch (H.-B. Brosius, 2002, S. 402). Dieses Wechselverhältnis weiter zu erkunden ist eine notwendige und lohnende Aufgabe für zukünftige Forschung. Rosenstein und Grant (1997, S. 324) weisen auf diesen Missstand hin und fordern einen längst überfälligen Perspektivwechsel. Den zahlreichen Gratifikationskatalogen ist in dieser Hinsicht we21 Die Klassifikation von Gewohnheiten als Motiv einer Verhaltensdurchführung ist aber nicht genuin kommunikationswissenschaftlich: Zum Beispiel operationalisieren Knussen, Yule, MacKenzie und Wells (2004) bei ihrer Untersuchung über Abfallrecycling Habits ebenso als Motiv. 22 Ein Großteil der Literatur nutzt die Begriffe Motiv und Bedürfnis synonym, einige grenzen sie jedoch hinsichtlich ihrer zeitlichen Abfolge voneinander ab: Zuerst entsteht ein Bedürfnis, ein generelles Mangelgefühl (z.B. Hunger), das die Person in Handlungsbereitschaft setzt; daraus erwachsen Motive, die sich auf ein spezifisches Ziel hin richten (etwas essen) und Denken und Handeln aktivieren (Meyen, 2004, S. 16-17).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
63
nigstens zugute zu halten, dass sie maßgeblich zur „Entdeckung“ von Mediennutzungsgewohnheiten beitrugen – einige der Studien fördern bekanntlich das „überraschende“ Ergebnis zu Tage, dass die Rezipienten Habits bei ihrer Medienauswahl als äußerst relevanten Einfluss einschätzen. 2.3.4 Gleichsetzung von habitueller und passiver Fernsehnutzung „Habit is a controversial issue within audience research because it is commonly identified as an indication of audience passivity“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 326). Nutzt ein Rezipient, der habituell fernsieht, das Medium zwangsläufig passiv? Nur selten hinterfragt die Literatur den Zusammenhang zwischen Aktivität bzw. Passivität und Habitualisierung, manch einer nutzt die beiden letzteren Begriffe gar synonym. Folgt man konsequent dieser Gleichsetzung, wäre jede passive Nutzung durch Gewohnheiten gesteuert und jede habituelle Nutzung müsste passiv erfolgen. Dies stellt das vorliegende Kapitel in Frage, indem es zunächst „Aktivität“ bzw. „Passivität“ näher betrachtet und diese in einem zweiten Schritt mit dem oben skizzierten Verständnis von gewohnheitsmäßiger Fernsehnutzung in Beziehung setzt. Aktivität und Passivität bei der Fernsehnutzung Wie aktiv oder passiv das Fernsehpublikum ist, beschäftigt die Kommunikationswissenschaft bereits seit Jahrzehnten (vgl. z.B. Biocca, 1988; Gunter, 1988; Hasebrink & Krotz, 1991; Levy & Windahl, 1985; Rubin, 1984; Vorderer, 1992) und ist auch heute noch Gegenstand heißer Debatten (vgl. z.B. Bilandzic, 2004; Hartmann, 2006; Schönbach, 1997). Die Komplexität der Diskussion ist wohl mit ursächlich für die kommunikationswissenschaftlichen „Grabenkämpfe“, die bei den Vertretern bestimmter Mediennutzungs- und Medienwirkungsansätze zu verhärteten Fronten führen: Einige Ansätze basieren klar auf der Prämisse eines passiven Publikums, wie zum Beispiel die Forschung, die sich rund um die Kultivierungsanalyse entwickelte (Gerbner & Gross, 1976; Gerbner, Gross, Morgan, & Signorelli, 1980; Gerbner et al., 1979; Signorielli, 1986); das Modell des passiven Rezipienten impliziert, dass dieser Medieninhalte „unmotiviert und inhaltsunabhängig rezipiert, ohne sie zu hinterfragen“ (Zubayr, 1996, S. 48). Andere Autoren (z.B. Katz, 1959; vgl. auch Katz, Gurevitch, & Haas, 1973) stellen hingegen einen aktiven Rezipienten in den Mittelpunkt und schaffen damit (in Kombination mit der Theorie des symbolischen Interaktionismus bzw. Handlungstheorien) die Grundlage für den Nutzen- (Renckstorf, 1973) und den Usesand-Gratifications-Ansatz (Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974). Die in dieser Tradition entstandenen Arbeiten konzipieren einen bewusst und selektiv auswäh-
64
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
lenden Rezipienten, der zielgerichtet seine Bedürfnisse befriedigt, als (weitgehend) unumstößliche Prämisse; inzwischen begreifen die meisten Vertreter des Ansatzes das Publikum aber als differentiell und nicht universell aktiv (Rubin, 2000; Windahl, 1981). Die angenommene Aktivität bzw. Passivität von Rezipienten hat direkte Auswirkungen auf die Annahme von starken oder schwachen Medienwirkungen (Rubin, 2000, S. 143): Das Paradigma eines passiven Konsumenten, der den Medien hilflos ausgeliefert ist, impliziert die Mutmaßung, dass spezifische Inhalte besonders stark auf ihn wirken (insbesondere auf Einstellungen und Verhalten); hingegen würde auf Grundlage dieser Vorstellung ein Großteil der Wirkungen am aktiven Publikum gleichsam abprallen (vgl. auch Biocca, 1988, S. 51). Aktivität ist ein diffuser Begriff, dessen Bedeutung gerne als wohlbekannt vorausgesetzt wird; dies erklärt auch die heterogene Verwendung des Wortes. Roscoe, Marshall und Gleeson (1995, S. 88) folgern gar, dass der Begriff „active audience has been so widely circulated within media research that it has come to be taken for granted, part of the ‚shared knowledge’ and language of media studies“. Es ist geradezu auffällig, wie sehr es Forscher in den 60er und 70er Jahren vermieden, ihren Aufsätzen eine klare Begriffsdefinition voranzustellen – dabei bleibt das Identifizieren eines Publikums als „aktiv“ oder „passiv“ relativ nutzlos, wenn man nicht bestimmt, was man unter diesen Begriffen versteht (Roscoe, Marshall, & Gleeson, 1995). Ein wahlloses Nebeneinander verschiedener Begriffe hat dazu beigetragen, dass sich das Chaos in der Literatur vergrößerte: So tauchen die Begriffe „intentional“, „bewusst“ oder „selektiv“ als Synonyme für aktive Nutzung auf; als gleichbedeutend für die passive Nutzung findet man Worte wie „habitualisiert“, „unbewusst“, „ritualisiert“ oder „routiniert“. Was ist Aktivität? Der Terminus beschreibt eine ganze „Reihe von Zuständen und Prozessen beim Rezipienten“ und ist demnach kein einheitliches Konzept, sondern ein mehrdimensionales Konstrukt (Bilandzic, 2004, S. 11). So identifiziert Blumler (1979) vier Konzepte, die der Begriff des aktiven Rezipienten umfasst: Selektivität, Nützlichkeit, Intentionalität und Involvement. Biocca (1988) ergänzt zudem die Immunität gegenüber medialer Beeinflussung. Levy und Windahl (1985) differenzieren hingegen drei Konzepte (Selektivität, Intentionalität und Involvement), differenzieren aber zusätzlich die präkommunikative, kommunikative und postkommunikative Phase: Dadurch entsteht eine neun Felder umfassende Matrix der Rezipientenaktivität. Meist steht jedoch nur das Konzept der Selektivität, also die Auswahl eines Mediums oder eines Inhalts, im Mittelpunkt der Aktiv-Passiv-Debatte. Die Differenzierung in drei wesentliche Dimensionen von Rezipientenaktivität hat sich weitgehend durchgesetzt, auch wenn „verschiedene Autoren unterschiedliche Begriffe benutzen und damit ge-
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
65
ringfügige Bedeutungsunterschiede verbunden sind“.23 Die Dimensionen sind unabhängig voneinander, und jede stellt ein Kontinuum dar, auf dem sich das Publikum zwischen sehr aktiv und sehr passiv bewegt (vgl. Blumler, 1979, S. 13). Rezipienten treten mal mehr, mal weniger selektiv auf, setzen sich mal recht intensiv, mal nur marginal mit den Inhalten auseinander und sind das eine Mal sehr motiviert, ein anderes Mal aber kaum – diese Konzepte variieren bei jedem Zuschauer und jeder Nutzung (Schweiger, 2007, S. 166). Völlige Passivität ist auf keiner der Dimensionen möglich, ein Mindestmaß an Aktivität selbstverständlich – das „hyperaktive“ Publikum verbleibt jedoch eine Illusion (Schönbach, 1997; vgl. dazu auch Hasebrink & Krotz, 1991, S. 120). Bilandzic (2004, S. 15) schließt folgerichtig, dass es nicht um die Frage geht, „ob der Rezipient aktiv ist, sondern in welchem Maße“ (Hervorhebung im Original). Warum manche Arbeiten einen passiven Rezipienten als Befund präsentieren (z.B. Barwise, 1986; Barwise, Ehrenberg, & Goodhardt, 1982; Ehrenberg & Wakshlag, 1987), andere hingegen das Publikum als aktiv konzipieren (z.B. Blumler, 1979; Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974; Levy & Windahl, 1984) lässt sich teilweise durch methodische Differenzen erklären. Die Methodenwahl beeinflusst wesentlich, welche der Konzeptionen eine Studie bestätigen wird: Ein passives Publikum findet man eher, wenn man Tagebuchdaten oder Verlaufsanalysen auswertet, Befragungen stoßen oft auf sehr aktive Rezipienten. Ursächlich dafür ist, dass Zuschauer ihre eigene Aktivität überschätzen und sich gerne als kontrolliert, zielgerichtet und intentional auswählend darstellen und sich ungern in der Rolle des passiven Re-Agens sehen (vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.3.3). Bei telemetrischen Messungen oder Tagebuchaufzeichnungen werden auf der anderen Seite bestimmte Aspekte der Aktivität nicht erfasst, und Forscher interpretieren die Daten leichtfertig und voreilig als eher passive Nutzung des Mediums (Haerns, 1989). Passive und habituelle Fernsehnutzung Einige Forscher bringen beim Gebrauch des Begriffs „habituelle Fernsehnutzung“ eine passive Haltung im Umgang mit den Medien zum Ausdruck (Neverla, 1992, S. 96). Wenn beispielsweise Rubin (1984, S. 68) die habituelle Fernsehnutzung einen „counterpoint to the active audience concept“ nennt, deutet er implizit an, dass habituelle und passive Nutzung einerlei sind. Auch Newell und LaRose (2004) werfen die Begriffe durcheinander, wenn sie die Intenti23 So unterscheidet Bilandzic (2004, S. 13) „nach logischen Gesichtspunkten“ die drei Dimensionen Verhaltensaktivität (selektive Nutzung), kognitive Aktivität (Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeitsprozesse) und motivationale Aktivität (willentliche Lenkung der Verhaltens- und kognitiven Aktivität); Schweiger (2005) differenziert zum Beispiel Selektionshäufigkeit, Entscheidungsqualität und Rezeptionsgrad.
66
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
on als einen volitionalen Prozess beschreiben, der „the opposite end of the activity continuum from habit“ einnimmt. Die damit implizierte Abgrenzung der gewohnheitsmäßigen Nutzung von der aktiven Nutzung erhält einen „negativen Beigeschmack“ (Schramm & Hasebrink, 2004, S. 475) und ist überaus bedenklich. Sind passive und habituelle Nutzung tatsächlich einerlei, erfolgt jede passive Nutzung habitualisiert und jede habitualisierte Nutzung passiv? Betrachtet man die drei Dimension des Aktiv-Passiv-Kontinuums, die Bilandzic (2004, S. 13) differenziert (Verhaltensaktivität, kognitive Aktivität und motivationale Aktivität), so ist fraglich, ob diese Dimensionen überhaupt in Zusammenhang mit Gewohnheiten stehen. Bei der Verhaltensaktivität ist „der aktive Pol die häufige Selektion, der passive Pol die seltene Selektion“ (Bilandzic, 2004). Natürlich kann man das Fernsehen „stundenlang passiv und ohne jede Selektionshandlung nutzen“ (Schweiger, 2007, S. 109), doch muss diese Passivität keineswegs auf einer Gewohnheit basieren – der Zuschauer könnte auch einfach nur zu träge sein, um die Fernbedienung in die Hand zu nehmen oder bewusst entscheiden, den Sender über einen längeren Zeitraum anzusehen. Ein mehrmaliges Umschalten über den ganzen Abend hinweg, bei dem der Rezipient habituell nach dem Ende einer Sendung zur nächsten wechselt und bei Werbepausen aus Gewohnheit durch die Programme zappt, wäre hingegen äußerst aktiv. Der habituelle „Vielzapper“ ist auf der Verhaltensdimension zweifellos aktiver als der Rezipient, der intentional eine bestimmte Sendung auswählt und diese bis zum Ende sieht. Auch die zweite Dimension, die kognitive Aktivität bzw. Passivität, hängt keineswegs mit der habituellen Nutzung des Fernsehens zusammen: Nur im Moment der Zuwendung beansprucht der habituelle Rezipient kaum kognitive Ressourcen, die Aktivierung der Gewohnheitshandlung erfolgt mental leistungseffizient (vgl. z.B. Verplanken, 2006, S. 640; Verplanken & Orbell, 2003). Es ist aber unrealistisch anzunehmen, dass der Zuschauer, der jeden Abend habituell eine Daily Soap sieht, während der Rezeption weniger kognitive Mühe aufwendet, seine Informationsverarbeitung weniger intensiv abläuft und er dem Geschehen weniger Aufmerksamkeit schenkt als eine Person, die diese Episode intentional ansieht. Lediglich bei der Dimension „motivationale Aktivität“ steht der passive Pol in engem Zusammenhang mit der Habitualisierung. Gleichgültig, ob man die motivationale Aktivität als rationale oder als intentionale Entscheidung interpretiert,24 kann der passive Gegenpol die habituelle Steuerung sein. Allerdings muss eine nicht-intentionale bzw. nicht-rationale Entscheidung keineswegs auf gewohnheitsmäßig gesteuertem Verhalten basieren, sondern könnte auch spontanes oder reaktives Verhalten sein (Bilandzic, 24
Eine rationale Entscheidung hat zwar eine intentionale Komponente, eine intentionale Entscheidung muss jedoch nicht rational sein, der Ausführende könnte sich z.B. „bewusst gegen die Handlung entscheiden, die ihm den größten Nutzen bringt“ (vgl. Bilandzic, 2004, S. 18).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
67
2004, S. 17-18). Selbst wenn sich die motivationale Aktivität auf dem AktivPassiv-Kontinuum dem passiven Pol nähert, müssen keineswegs habituelle Strukturen zugrunde liegen. Daher ist die Gleichsetzung von habitueller und passiver Mediennutzung inakzeptabel. Eine gewohnheitsmäßige Nutzung kann sowohl passive als auch aktive Komponenten enthalten, und eine passive Nutzung des Mediums muss keineswegs auf Gewohnheiten basieren: Eine Person, die sehr unregelmäßig fernsieht und keinerlei Nutzungshabits hat, mag nach einem harten Arbeitstag wahllos einen Sender einschalten und sich von diesem den ganzen Abend berieseln lassen, was man als passive Nutzung von Fernsehinhalten verstehen kann – habituell ist diese Auswahl aber in keiner Weise. Dennoch wäre eine Diskussion darüber, ob habitualisierte Nutzer passiver sind als intentionale, durchaus spannend und gewinnbringend: Zwar muss eine gewohnheitsmäßige Nutzung nichts mit der Passivität der Rezipienten zu tun haben, das bedeutet aber nicht, dass es keinen Zusammenhang gibt. Weil man die Aktiv-Passiv-Debatte lange Zeit mit der Frage nach Fernsehnutzungsgewohnheiten verwechselte, überlagerte und hemmte die Diskussion die Forschung zur habituellen Mediennutzung. 2.3.5 Resümee zur habituellen Fernsehnutzung Schon bei der Bestimmung dessen, was habituelle Fernsehnutzung ist, offenbart die einschlägige Literatur zahllose Lücken und Unklarheiten: Allzu oft verschweigen Autoren (bewusst oder unbewusst), was sie unter dem Begriff verstehen. Die vorliegende Arbeit definiert Fernsehnutzungsgewohnheiten als durch regelmäßige Rezeption erlernte Wissensstrukturen, welche die Nutzung des Fernsehens (angebotsunspezifisch) oder bestimmter Inhalte (angebotsspezifisch) beim Vorliegen spezifischer Hinweisreize automatisch auslösen. Man erlernt TV-Habits demnach über einen bestimmten Zeitraum, jedoch basiert nicht jede regelmäßig wiederholte Rezeption auf Gewohnheiten: Zuschauer können Sendungen auch mehrmalig intentional verfolgen. Ebenso wie die intentionale kann auch die habituelle Nutzung angebotsspezifisch oder -unspezifisch erfolgen, das heißt, man muss zwischen dem gewohnheitsmäßigen (angebotsunspezifischen) Einschalten des Fernsehers und dem gewohnheitsmäßigen (angebotsspezifischen) Sehen bestimmter Inhalte differenzieren; bei einer etablierten Gewohnheit lösen spezifische Hinweisreize die Nutzung automatisiert aus. Die vorliegende Arbeit unterscheidet vier Gruppen solcher Cues: externe Gegebenheiten, zeitliche Hinweisreize, Stimmungen und vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten.
68
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Insbesondere ritualisierte Fernsehnutzung und Nutzungsmuster halten (neben zahlreichen anderen Begriffen, wie wiederholte, routinierte, automatisierte Nutzung) häufig als Synonyme für habituelle TV-Nutzung her. Die Termini sind jedoch strikt voneinander abzugrenzen: Die ritualisierte Nutzung des Mediums ist stärker kollektivbezogen und sozial verbindlicher, sie erfordert mehr kognitive Beteiligung und hat meist eine tiefere Bedeutung für den Ausführenden. Es ist schwierig, präzise zwischen ritualisierter und habitueller TV-Nutzung zu unterscheiden, weshalb die Differenzierung analytisch notwendig, empirisch jedoch schwer zu handhaben ist. Während TV-Habits als spezifische Wissensstrukturen definiert werden, sind Nutzungsmuster wiederholt auftretende Typen bestimmter Nutzungsepisoden. Überaus bedenklich ist die Einordnung von Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung. Um den Uses-and-Gratifications-Ansatz empirisch fassbar zu machen, befragen Forscher Rezipienten wiederholt nach deren Gründen für die Mediennutzung und spüren dabei auch Habits auf, welche sie kurzerhand in ihre Motivkataloge aufnehmen. Weil Items, die „Unterhaltung“ und „Zeitvertreib“ messen, häufig mit den Items, die nach der habitualisierten Nutzung fragen, auf einem Faktor laden, vermischte man diese in einer Dimension. Gewohnheiten sind jedoch ein von Unterhaltung und Zeitvertreib unabhängiger Prädiktor der Mediennutzung, der in einem komplexen Wechselverhältnis zu Motiven und Gratifikationen steht. Ebenso verfehlt ist die Gleichsetzung von passiver und habitueller Fernsehnutzung. Aktivität und Passivität sind die Endpunkte eines Kontinuums und mehrdimensional, wobei sich in den letzten Jahren insbesondere eine Differenzierung in drei Dimensionen herauskristallisierte. Habituelle Fernsehnutzung kann auf diesen drei Dimensionen sowohl eher aktiv als auch eher passiv erfolgen, und auch eine passive Nutzung des Mediums muss keineswegs auf Gewohnheiten basieren. Die Ausführungen zeigen, dass kein einheitliches Verständnis von Mediennutzungsgewohnheiten existiert, sondern eine Vielzahl verschiedener Perspektiven auf das Konstrukt blickt. Einige der Ursachen, wie die Theorielosigkeit, das Fehlen präziser Definitionen, begriffliche Unschärfen, die fragliche Operationalisierung von Gewohnheiten als Motiv der Mediennutzung sowie die unzulässige Gleichsetzung von passiver und habitueller Fernsehnutzung benannte dieses Kapitel und zeigte Möglichkeiten auf, diesen entgegenzuwirken.
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Der fatale Irrglaube, die Kommunikationswissenschaft habe Fernsehnutzungsgewohnheiten bereits intensiv analysiert, könnte das bislang größte Hindernis bei deren Erforschung gewesen sein. Erfreulicherweise greifen andere Disziplinen das Thema auf, wenngleich eher beiläufig. Vor allem die Psychologie beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit Gewohnheiten und nimmt dabei auch die Fernsehnutzung ins Visier. Sie ist in den meisten Studien nur Mittel zum Zweck: Weil die Autoren regelmäßig wiederkehrendes Verhalten suchen, um zum Beispiel verschiedene methodische Zugänge zu testen, greifen sie – neben „Klassikern“, wie Verkehrsmittelwahl, Sport treiben, essen und trinken – auf die Mediennutzung zurück. Wegen der stabilen Kontextbedingungen und weil die meisten Menschen es ausgiebig und regelmäßig rezipieren, bietet sich das Fernsehen für die Analyse von Gewohnheiten an. Verplanken und Orbell (2003, Studie 3) befragen zum Beispiel Studenten nach deren Nutzung der Daily Soap „Goede Tijden, Slechte Tijden“, um die Validität ihres Self-Report-Habit-Index zu testen.25 Wood, Tam und Witt (2005) testen, ob das mit einem Umzug einhergehende Verschwinden bestimmter (externer) Hinweisreize die Gewohnheiten zum Erliegen bringt und überprüfen dafür, neben der sportlichen Betätigung der Probanden, deren Zeitungs- und Fernsehnutzung. Auch Ouellette (1996) zieht in ihrer Studie „How to measure habit“ die TV-Nutzung exemplarisch heran.26 Es ist grotesk, dass einige der existenten Studien nicht der kommunikationswissenschaftlichen Sphäre entstammen und auch nicht die Analyse des Fernsehverhaltens zum Ziel hatten, sondern „Abfallprodukte“ von Untersuchungen sind, die der Frage nachgingen, wie man Gewohnheiten adäquat messen kann. Eine Zusammenstellung dieser Studien sowie verschiedener kommunikationswissenschaftlicher Arbeiten bildet die Grundlage für das vorliegende Kapitel. Dieses betrachtet zunächst, wie Fernsehnutzungsgewohnheiten entstehen und hinterfragt, wie man Fernsehnutzungsgewohnheiten beenden oder ändern 25 Zudem nehmen sie den Verzehr von Süßigkeiten und den Musikkonsum der Befragten unter die Lupe. 26 Außerdem analysiert sie Fitnesstraining, Alkoholkonsum, Kondomeinsatz, Recycling und Anschnallverhalten der Probanden.
70
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
kann (Kapitel 3.1). Kapitel 3.2 skizziert das Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit bei der TV-Nutzung. Eine Vielfalt an Möglichkeiten, wie man Gewohnheiten messen kann, präsentiert Kapitel 3.3 und diskutiert, ob diese Heterogenität eine Chance oder hinderlich für die Forschung ist. Daneben stellt es eine bereits etablierte Skala zur Erfassung der Habitstärke vor und weist auf Spezifika bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten hin. 3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten „Media managers need to learn more about audiences’ mass media habits to determine if these habits can be altered and if so, what it takes to change a media use habit. Media managers also need to understand the psychological implications of forming habits“ (Stone & Stone, 1990, S. 32). Wie sich Fernsehnutzungsgewohnheiten bilden, welche Folgen eine habituelle Nutzung nach sich zieht und wie man bereits etablierte Gewohnheiten beenden bzw. ändern kann, blendete die Forschung bislang aus. Dabei zeigt das Zitat von Stone und Stone, welch praktische Relevanz gerade in diesen Fragen steckt: Wenn Gewohnheiten die Fernsehnutzung beeinflussen, sind Kenntnisse über deren Entstehung, Entwicklung und Auswirkungen von unschätzbarem Wert. Ebenso hilfreich ist ein grundlegendes Verständnis dafür, wie sich gefestigte Gewohnheiten ändern lassen. Gerade bei diesem Themenkomplex geht es um die einleitend erwähnten „money questions“ (Zillmann & Bryant, 1985b, S. IX). Fernsehschaffende plagen sich mit dem Problem, Menschen zum Sehen einer Sendung zu bewegen, die nicht fernsehen (vgl. z.B. Adams, 2000, S. 88) – es erscheint einfacher, die Personen, die ohnehin vor dem Bildschirm sitzen, zum Sehen des eigenen Programms zu bewegen als neue Rezipienten zu gewinnen. Doch auch dies ist ein aufwändiger, mehrstufiger Prozess: Bereits etablierte Sehgewohnheiten müssen durchbrochen, neue Intentionen implementiert und bestenfalls frische Gewohnheiten aufgebaut werden. Nur das Verständnis der Mechanismen, nach denen Habits funktionieren, schafft die Voraussetzungen, um diese Prozesse in Gang zu setzen. Kapitel 3.1.1 analysiert zunächst die Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten und skizziert den Weg von der intentionalen zur habituellen Rezeption. Das Beenden und Ändern etablierter Fernsehnutzungsgewohnheiten steht im Fokus von Kapitel 3.1.2.
3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
71
3.1.1 Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten Die Psychologie widmete der Entstehung von Gewohnheiten bislang kaum Beachtung; zwar gibt es einige Untersuchungen, die sich mit der Entstehung und Implementierung von Intentionen auseinandersetzen (Bamberg, 2002; Gollwitzer, 1999; Orbell, Hodgkins, & Sheeran, 1997; Sheeran & Orbell, 1999), doch selten thematisieren sie, wie sich Habits bilden. Diese Forschungslücke klafft auch in der Kommunikationswissenschaft; lediglich die Grundvoraussetzung für die Herausbildung einer habitualisierten Nutzung ist bekannt: eine regelmäßige Rezeption über einen gewissen Zeitraum hinweg. Dieser Lernprozess hängt eng mit den Interessen und Vorlieben der Rezipienten zusammen (Bilandzic, 2004, S. 117): Man wiederholt die Mediennutzung oder die Rezeption bestimmter Inhalte, wenn sie (kurzfristig oder langfristig) positive Konsequenzen nach sich ziehen und meidet sie, wenn negativ erlebte Auswirkungen folgen. Wenn noch keine Gewohnheiten etabliert sind, initiieren wir neues Verhalten meist27 durch eine bewusste Entscheidung (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 54). Beispielsweise plant man den ersten Besuch im Fitnessstudio Tage oder Wochen im Voraus, klärt detailliert zahlreiche Fragen im Vorfeld: Wie gelange ich dorthin? Welche Kleidung benötige ich? Wie sind die Öffnungszeiten? Sucht man aber fortan jeden Montag und Donnerstag zur gleichen Zeit das Studio auf, könnte sich eine Gewohnheit etablieren, die das Verhalten zukünftig steuert. Es ist kaum noch notwendig abzuwägen, ob man nun trainiert oder es bleiben lässt; den besten Weg dorthin und die Öffnungszeiten hat man ohnehin im Kopf. Die Gewohnheit ersetzt zunehmend die Intention (Triandis, 1977, S. 205), Hinweisreize übernehmen die Auslösung des Verhaltens, „die Handlungskontrolle geht von der Intention auf die situativen Parameter über“ (Fuchs, 2007, S. 13). Auch die habituelle Fernsehnutzung entsteht (meist) aus ursprünglich intentional durchgeführten Rezeptionen, die sich im Laufe der Zeit „verselbständigen“ (Vorderer, 1992, S. 124f.). Eine Person fühlt sich zum Beispiel über das tagesaktuelle Geschehen zu wenig informiert und beschließt deshalb, jeden Abend nach dem Essen die Tagesschau zu sehen. Die regelmäßig wiederholte Rezeption im gleich bleibenden Kontext (in diesem Beispiel stets zu Hause um 20:00 Uhr, nach dem Beenden des Abendessens) lässt Verknüpfungen zwischen bestimmten Hinweisreizen (z.B. Uhrzeit, Ende des Essens) und dem Einschalten der Tagesschau entstehen (vgl. z.B. Wood, Tam, & Witt, 2005, S. 918). Zunehmend steuern diese Cues die Auslösung des Verhaltens: Die Absicht, sich zu informieren, mag zwar weiterhin bestehen, doch ist sie nicht notwendig, um die Rezeption zu initiieren: Die Auslösung des Verhaltens erfolgt von nun an automatisiert. Diddi 27 Neues Verhalten könnte zum Beispiel auch reaktiv, spontan oder zwanghaft erfolgen (Aronson, Wilson, & Akert, 2009, S. 214ff.).
72
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
und LaRose (2006, S. 195) nehmen entsprechend an, dass die dem Uses-andGratifications-Ansatz zu Grunde liegenden Annahmen lediglich in den ersten Phasen der Nutzung eines neuen Mediums oder neuer Inhalte greifen. Sobald der Rezipient gelernt hat, dass ihn zum Beispiel die Tagesschau besser informiert als die SAT.1-Nachrichten, hört er auf, sich den Kopf über die Auswahl der Nachrichtensendung zu zerbrechen; er trifft keine bewusste Entscheidung mehr, sondern wählt habituell aus. „Jede erstmalige Ausstrahlung eines seriellen Formats und jede Veränderung seines Sendeplatzes setzt von neuem einen Prozess in Gang, in dem sich die Sendung etablieren muss. Denn der dauerhafte Erfolg eines Programms hängt stark davon ab, dass sich beim Kernpublikum ein Gewohnheitseffekt einstellt“ (Karstens & Schütte, 2005, S. 142). Sendungen, die neu in das Programmschema aufgenommen werden, fehlen die habituell auswählenden Zuschauer. Lediglich vom vorherigen (abgesetzten oder ausgelaufenen) Format könnte ein kleines Stammpublikum dem Sendeplatz aus Gewohnheit treu geblieben sein. Weil dies aber nur ein geringer Teil aller Zuschauer ist, setzen Fernsehschaffende alles daran, dass potentielle Rezipienten zunächst die feste Intention entwickeln, eine Sendung wiederholt anzusehen. Zur Implementierung von Intentionen sollen Marketing-, PR- und Werbemaßnahmen (z.B. Programmvorschau, Plakate, Fernsehzeitschriften) dazu beitragen, Personen auf die neue Sendung aufmerksam zu machen und deren Absicht zu wecken, die nächste Folge zu sehen. Die bewusste Festlegung situativer Bedingungen (an welchem Ort, zu welcher Zeit sehe ich welche Sendung an) sichert die Initiierung des neuen Verhaltens. Gollwitzer (1993; 1999; Gollwitzer & Schaal, 1998) bezeichnet diese mentale Verknüpfung zwischen einer antizipierten Situation und einer dafür notwendigen Handlung als „Implementierungsintentionen“. Sie zielen darauf ab, die Ausführung eines intendierten Verhaltens mit spezifischen Kontextfaktoren zu koppeln: Wenn Situation X eintritt, führe ich Handlung Y aus. So wird die automatisierte Auslösung durch Hinweisreize, wie sie bei Gewohnheiten erfolgt, imitiert. Das Erlernen geschieht jedoch nicht durch regelmäßige Wiederholung, sondern durch einen einmaligen „Programmiervorgang“ (Klöckner, 2005a, S. 20). Diverse Studien zeigen, dass Implementierungsintentionen geeignet sind, neues Verhalten dauerhaft zu etablieren sowie entgegenstehende Gewohnheiten zu beenden (Bamberg, 2002; Holland, Aarts, & Langendam, 2006; Orbell, Hodgkins, & Sheeran, 1997; Sheeran & Orbell, 1999). Derart erlerntes Verhalten kann langfristig bestehen, und Gewohnheiten vermögen sukzessive dessen Steuerung zu übernehmen (Holland, Aarts, & Langendam, 2006). Potentielle Zuschauer, die man zum Anschauen einer Sendung bewegen möchte, sollten nicht nur auf die Existenz dieser Sendung hingewiesen, sondern dazu gebracht werden, spezifische Kontextfaktoren, wie Wochentag, Uhrzeit, Sender, Ort der Re-
3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
73
zeption etc. mit dem Sehen der Sendung zu verknüpfen. Wie lange es dauert, bis Zuschauer eine Sendung nicht mehr vorwiegend intentional, sondern habituell verfolgen, ist abhängig von zahlreichen Variablen (strukturelle, individuelle und soziale Merkmale, sowie verschiedene Eigenschaften der Sendung und des Slots, auf dem sie platziert wird) – da es hierzu kaum Erfahrungswerte gibt, wäre weiterführende Forschung auch für Fernsehschaffende relevant. Zuletzt ist fraglich, ob die regelmäßige Rezeption (als zentrale Voraussetzung für die Entstehung von Fernsehnutzungshabits) intentional erfolgen muss, da auch andere Gründe für wiederholte Zuwendungen denkbar sind. Beispielsweise könnte ein (sozialer) „Zwang“ zum mehrmaligen Sehen einer Sendung führen, wenn zum Beispiel die Eltern der Ansicht sind, ihr Kind solle abends die Tagesschau verfolgen.28 Allerdings ist unklar, ob daraus eine habituelle Nutzung entstehen könnte; derartige Umstände sind ohnehin eher Sonderfälle. „In welchem Maß sich bereits bei Kleinkindern Schemata und Routinen der Mediennutzung entwickeln, die auch im späteren Medienumgang fortbestehen bzw. ihn prägen, ist ungeklärt“ (Schweiger, 2007, S. 299). Weil man die Programmstrukturen von Kindheit an erlernt und Grundkenntnisse darüber bei allen Gesellschaftsmitgliedern findet (Neverla, 1992, S. 153), bilden sich wohl schon bei sehr jungen Rezipienten bestimmte Nutzungsgewohnheiten, vorausgesetzt die Rezeptionen finden regelmäßig statt. 3.1.2 Beenden und Ändern von Fernsehnutzungsgewohnheiten „Die Gewohnheit ist ein Seil. Wir weben jeden Tag einen Faden, und schließlich können wir es nicht mehr zerreißen“ (Thomas Mann). Die Fäden in dieser Metapher stehen für die regelmäßige Wiederholung eines Verhaltens, die dessen zunehmende Automatisierung bewirken. Diese sorgt dafür, dass wir habitualisierte Tätigkeiten initiieren, ohne bewusst darüber nachzudenken; daher ist es so schwierig, das „Seil“ wieder zu zerreißen. Das vorhergehende Kapitel verdeutlichte die Ambivalenz von Gewohnheiten: Wir erfahren die schwere Kontrollierbarkeit einmal als Vorteil, ein anderes Mal als Nachteil. Wir bemühen uns daher, positiv erlebte Habits zu formen und aufrechtzuerhalten und Habits, denen negative Konsequenzen folgen, zu unterdrücken. Doch egal, ob erwünscht oder unerwünscht: Es fällt schwer, etablierte Gewohnheiten wieder zu beenden (Aarts & Dijksterhuis, 2000; Heckhausen & Beckmann, 1990; Verplanken & Faes, 1999; Verplanken & Wood, 2006). Noch komplizierter ist die Änderung von Gewohn28
Dies ist nicht zu verwechseln mit der Bildung einer Intention durch sozialen Druck, wenn z.B. mehrere Personen regelmäßig Fußball sehen möchten und man sich diesen anschließt, um nicht ausgegrenzt zu werden. Im Gegensatz zum „Zwang“ bildet sich hier klar eine Intention.
74
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
heiten: Alte Habits müssen deaktiviert und durch neue ersetzt werden, daher ist die Veränderung von habituellem Verhalten ein zeitaufwändiger und mehrstufiger Prozess (Klöckner, 2005a, S. 20). Zuschauer beenden Gewohnheiten, sobald sie realisieren, dass diese nicht mehr mit den (primär verfolgten) Zielen vereinbar sind (Wood & Neal, 2007). Kapitel 2.2.4 wies auf das komplexe Verhältnis von automatisierter Auslösung und dem Erreichen bestimmter Ziele oder Zustände hin: Trotz der unbewussten Aktivierung zielt die Ausführung auf zufrieden stellende Konsequenzen ab (Verplanken, 2005, S. 101; Wood, Quinn, & Kashy, 2002); die Gewohnheit „wird ohne das Bewusstsein ausgeführt, dass dieses Verhalten zielgerichtet ist“ (Sniehotta, Winter, Dombrowski, & Johnston, S. 155). Sieht jemand habituell die Tagesschau, hat jedoch das unbefriedigende Gefühl, die Sendung informiere ihn nicht ausreichend, wird er eines Tages die Gewohnheit ändern und möglicherweise die Tagesthemen ansehen. Rezipienten korrigieren ihre Gewohnheiten also einerseits, wenn sich die mit der Nutzung des Mediums oder eines bestimmten Inhalts verbundenen Ziele ändern. Auf der anderen Seite könnten die Ziele gleich bleiben, doch eine Veränderung bestimmter Inhalte bewirkt, dass die originäre Ausführung der habituell gesteuerten Nutzung jene Ziele nicht mehr erreicht: Ein Rezipient, der stets um 19:45 Uhr eine bestimmte Daily Soap sieht, wäre gezwungen, seine Gewohnheit zu ändern, wenn die Serie auf einen neuen Timeslot verlegt würde – vorausgesetzt, er möchte sein Ziel, die Soap zu sehen, aufrechterhalten. Ein Wechsel oder Unterbrechen des Kontextes kann den Anstoß zum Ändern oder Beenden einmal etablierter Gewohnheiten bewirken (Diddi & LaRose, 2006, S. 195; vgl. auch Dahlstrand & Biel, 1997; Heatherton & Nichols, 1994). Ob der Wechsel zufällig oder absichtlich erfolgt, ist unerheblich. Die Veränderung kann den Alltag temporär durchbrechen, wenn Zuschauer zum Beispiel eine Sendung nicht mehr sehen, während sie auf einer Reise sind und die Gewohnheit während dieser Zeit „verblasst“; es kann aber auch ein permanenter Wechsel sein, wenn beispielsweise die Geburt eines Kindes zur Folge hat, dass man seine abendliche Freizeit mit diesem nutzen und nicht mehr die werktägliche Soap verfolgen möchte. Fuchs (2007, S. 14) nennt es eine „Alltagserfahrung, dass es einem dann am leichtesten fällt, eine Gewohnheit zu ändern (z.B. das Rauchen aufzugeben), wenn man sich auf Reisen befindet oder wenn sich aus irgendeinem anderen Grund die Alltagsumstände geändert haben, etwa bei einem Umzug. Das, was uns am alten Wohnort so schwer fiel, gelingt uns am neuen Wohnort unter den veränderten situativen Bedingungen plötzlich ganz leicht“. Solche einschneidenden Veränderungen bezeichnet man als Key Events; deren Einfluss beim Beenden und Ändern von Gewohnheiten beschreiben zahlreiche Studien (z.B. Klöckner, 2005b; Stanbridge, Lyons, & Farthing, 2004; Verhoeven, Arent-
3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
75
ze, Timmermans, & Waerden, 2005; Verhoeven, Arentze, Timmermans, & Waerden, 2007). Auch der Effekt von Key Events auf die Nutzung des Fernsehens ist bereits dokumentiert: Umzüge, der Abschluss des Studiums, das Verlassen des Elternhauses, Ehescheidung oder Arbeitslosigkeit haben starke Auswirkungen auf den Umfang der Fernsehnutzung und die Auswahl bestimmter Inhalte (Gauntlett & Hill, 1999, S. 79). Wood, Tam und Witt (2005) zeigen, dass das Unterbrechen der täglichen Routine (mit)ursächlich für eine veränderte Mediennutzung ist. Sie befragen Studenten einen Monat vor und einen Monat nach deren Wechsel an eine neue Universität nach dem Ausmaß ihrer Gewohnheiten und Intentionen sowie der Kontextstabilität beim Lesen von Tageszeitungen und der Fernsehnutzung. Es erweist sich, dass der Umzug die Habits durchbricht und Intentionen wieder vermehrt die Steuerung des Verhaltens übernehmen. Natürlich ergeben sich diese Effekte auch, weil die Ausführung in der neuen Umgebung an Barrieren scheitert (Louis & Sutton, 1991): Empfängt man zum Beispiel in der neuen Wohnung den benötigten Sender nicht mehr, kann man die Sendung nicht mehr verfolgen. Doch diese Barrieren sind nicht die alleinige Ursache für das Beenden von Gewohnheiten nach einer Kontextveränderung; eine zentrale Rolle spielt das Wegfallen spezifischer Hinweisreize. Existieren die auslösenden Reize in einer neuen Umgebung nicht, wird die Gewohnheit nicht mehr aktiviert; man ist gezwungen, über das jeweilige Verhalten erneut nachzudenken und es intentional zu steuern (sofern man es aufrecht erhalten möchte). „Because habits are triggered by the environment, successful interventions must focus on changing the environmental features that maintain those habits“ (Verplanken & Wood, 2006, S. 95). Auch ohne Kontextänderung kann die Etablierung neuer Intentionen alte Gewohnheiten beenden oder ändern. Um Habits zu deaktivieren, muss man sich des entsprechenden Verhaltens erneut bewusst werden, um der automatisierten Aktivierung entgegenzuwirken. Während Fernsehschaffende keinen Einfluss auf Änderungen der täglichen Routine im Leben der Rezipienten haben, können sie zur Etablierung neuer Intentionen durchaus beitragen. Dafür müssen sie die potentiellen Rezipienten dazu bewegen, sich mit dem Programm vorab zu beschäftigen (Karstens & Schütte, 2005, S. 284). Durch PR- und Werbemaßnahmen können sie „Zuschauer hinzugewinnen, die sonst aus alter Gewohnheit vielleicht einen anderen Kanal aussuchen und damit ein Programm verpassen würden, das doch wie eigens für sie geschaffen ist“ (Karstens & Schütte, 2005, S. 234). Die Rezipienten sollen nicht nur auf den Inhalt aufmerksam werden, sondern verschiedene Kontextfaktoren gemeinsam mit der Intention abspeichern. Die bewusste Kopplung spezifischer Kontextfaktoren an das intendierte Verhalten hilft die alten (Rezeptions-)Gewohnheiten zu beenden und neue entstehen zu lassen (Gollwitzer, 1993; 1999; Gollwitzer & Schaal, 1998).
76
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
3.1.3 Resümee zur Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten Voraussetzung für die Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten ist eine regelmäßige (angebotsspezifische oder -unspezifische) Rezeption über einen gewissen Zeitraum hinweg. Wenn keine etablierten Habits vorliegen, initiieren meist bewusste Entscheidungen die Nutzung eines Mediums oder eines bestimmten Inhalts: Man beschließt zum Beispiel eine Nachrichtensendung zu sehen, weil man sich über das tagesaktuelle Geschehen zu wenig informiert fühlt. Erfolgt die Rezeption fortan regelmäßig, automatisiert das Verhalten mit der Zeit, die Intention tritt in den Hintergrund, spezifische Hinweisreize übernehmen die Verhaltenskontrolle und lösen die Rezeption künftig aus. Die Annahme des Uses-and-Gratifications-Ansatzes, dass Rezipienten ihre Bedürfnisse bewusst durch die Auswahl bestimmter Medien oder Inhalte befriedigen, wird dadurch nicht obsolet; sie bleibt (insbesondere während der ersten Episoden) ein zentraler Prädiktor der Nutzung. Sobald diese Auswahl jedoch wiederholt stattfindet, muss der Entstehung und Entwicklung von Gewohnheiten Rechnung getragen werden. Habits sind darauf ausgerichtet, bestimmte Ziele oder Zustände zu erreichen, wenngleich die automatisierte Auslösung bewirkt, dass sich der Ausführende des entsprechenden Ziels im Moment der Aktivierung nicht bewusst ist. Sobald das habituell aktivierte Verhalten nicht mehr zielführend ist, beendet oder ändert man die Gewohnheit. Dies ist bei etablierten Habits ein komplexer und zeitaufwändiger Prozess. Eine temporäre oder permanente Kontextveränderung kann den Vorgang unterstützen: Zum einen scheitert die Ausführung des habituellen Verhaltens in einer neuen Umgebung bisweilen an Barrieren, zum anderen fallen durch die Kontextveränderung Hinweisreize weg. Dies bewirkt, dass die Verhaltensaktivierung entfällt und der Ausführende gezwungen wird, über das jeweilige Verhalten erneut nachzudenken – vorerst steuern wieder Intentionen die Durchführung. Daher haben einschneidende Lebensveränderungen, so genannte Key Events, einen entsprechenden Einfluss auf Umfang und Inhalte der Fernsehnutzung. Neben der Kontextänderung trägt die Etablierung neuer Intentionen zur Änderung von Habits bei. Fernsehschaffende können die Intentionsbildung beeinflussen, indem sie potentielle Zuschauer dazu bringen, sich vorab mit dem Programm zu beschäftigen. Für die Implementierung einer Intention ist es hilfreich, wenn Rezipienten die Absicht, eine Sendung zu sehen, mit bestimmten Kontextfaktoren gekoppelt abspeichern (zum Beispiel wo, wann und mit wem sie die entsprechende Sendung anschauen werden).
3.2 Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung
77
3.2 Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung „…less attention [should be paid] to what media do to people and more to what people do with the media“ (Katz, 1959, S. 2) lautet einer der bekanntesten Sätze der Kommunikationswissenschaft, der in den letzten 50 Jahren so oft zitiert wurde, „dass er schon beinahe zu einer Plattitüde verkommen ist“ (Mehling, 2007, S. 11). Doch trotz der nachdrücklichen Aufforderung von Katz stand die Erforschung des Selektionsverhaltens lange Zeit im Schatten der Medienwirkungsforschung und erlebte erst in den letzten Jahren einen Boom (Schweiger, 2007, S. 12). In dieser kurzen Zeit sammelte sich jedoch „eine kaum überschaubare Menge an Studien […], die aus unterschiedlichen Perspektiven untersuchen, warum und wie wir fernsehen“ (Fahr & Böcking, 2005, S. 5). All diese Perspektiven beschreiben aber nur selten das Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung; man erklärt die Nutzung vorwiegend als aktive, zielgerichtete und motivgeleitete Zuwendung. Kapitel 3.2.1 weist entsprechend auf den Missstand hin, dass die Forschung zu lange ignorierte, dass wir einen Großteil des Verhaltens stetig wiederholen und Entscheidungen wiederkehrend treffen. Dies gilt in besonderem Maße für die Forschung zur Fernsehnutzung und Programmwahl. Wie Habits und Intentionen dabei zusammenspielen, warum es so kompliziert ist, die Nutzung des Mediums oder eines Inhalts nur auf Intentionen oder nur auf Gewohnheiten zurückzuführen diskutiert Kapitel 3.2.2. 3.2.1 Intention als Verhaltensprädiktor Jahrzehntelang erklärte die Psychologie zielgerichtetes Verhalten vorwiegend als Resultat eines bewussten, intentionalen und meist rationalen Entscheidungsprozesses (vgl. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998, S. 1356). Eines der bekanntesten und am häufigsten getesteten Modelle, das volitionales Verhalten erklärt, ist die „Theory of Reasoned Action (TORA)“ (Ajzen & Fishbein, 1980; Fishbein & Ajzen, 1975). Diese basiert auf der Prämisse „that human beings are usually quite rational and make systematic use of the information available to them“ (Ajzen & Fishbein, 1980, S. 5). Gemäß der Theorie ist die Intention die einzige direkte psychologische Determinante für die Ausführung eines Verhaltens. Je stärker die Absicht, ein Verhalten auszuführen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dieses tatsächlich umsetzt. Die Intention hängt wiederum von zwei konzeptionell unabhängigen Determinanten ab: der Einstellung gegenüber der Verhaltensweise und der subjektiven Norm. Die Einstellung manifestiert sich in der affektiven Bewertung eines Verhaltens als günstig oder ungünstig und hängt von der subjektiv wahrgenommenen Auftretenswahrschein-
78
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
lichkeit potentieller Konsequenzen und deren Bewertung ab. Die subjektive Norm ist die Annahme des Ausführenden, wie für ihn bedeutsame Personen das fragliche Verhalten bewerten würden; sie hängt davon ab, wie man die Erwartungen der anderen Personen wahrnimmt (Würden sie der Ausführung zustimmen oder sie ablehnen?) und wie viel Bedeutung der Ausführende dem Urteil der anderen Personen beimisst (Wie groß ist die Bereitschaft, den wahrgenommenen Erwartungen zu entsprechen?). Ajzen erweitert (1985; Ajzen, 1991) die TORA zur „Theory of Planned Behavior“ (TOPB), um auch den Teil des Verhaltens zu erfassen, der nicht unter volitionaler Kontrolle steht. Hierfür ergänzt er das Modell um den Prädiktor der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, also die subjektiv erlebte Schwierigkeit, ein Verhalten auszuführen. Interne (z.B. die eigenen Fähigkeiten) und externe Faktoren (z.B. Ermangelung bestimmter Ressourcen) bedingen diese: Selbst wenn subjektive Norm und Einstellung eine Person zur Nutzung des Autos forcieren würden, könnte das in Ermangelung eines Autos oder der Fähigkeit, dieses zu steuern, scheitern (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998, S. 1357). Das Entstehen einer Verhaltensintention erklärt die TOPB also als Ergebnis des Zusammenwirkens von Einstellung, subjektiver Norm und wahrgenommener Verhaltenskontrolle. Die Intention eine Handlung auszuführen ist Ergebnis einer bewussten gedanklichen Auseinandersetzung mit diesen Prädiktoren. Alle drei Komponenten beeinflussen sich zudem gegenseitig, wobei sich die wahrgenommene Verhaltenskontrolle auch auf das Verhalten direkt auswirken kann. Die TOPB geht ebenso wie die TORA davon aus, dass die Intention die wichtigste und stärkste Determinante eines Verhaltens ist. Zahlreiche Studien, auch Metaanalysen, bestätigen zwar den direkten Einfluss der Intention auf verschiedene Verhaltensbereiche (Armitage & Conner, 2001; Sheeran, 2002; Sheeran & Taylor, 1999), doch meist erklärt sie nur etwas über 30 Prozent der Varianz – der Zusammenhang ist also nicht so stark, wie man es gemäß der Theorie erwarten würde. Dies zeigt auch kommunikationswissenschaftliche Forschung: Zum Beispiel erklärt die Intention, ein Videospiel zu nutzen, „nur“ 23 Prozent der Varianz (Hartmann & Vorderer, 2006). Obwohl sich Verhalten ohnehin nie perfekt vorhersagen lässt, „ist der Befund, dass die Theorie des geplanten Verhaltens im Durchschnitt lediglich ein Drittel der Verhaltensvarianz erklären kann, unbefriedigend“ (Bamberg, 2002, S. 144). Die Ursachen für die eher schwach ausfallende Intentions-Verhaltens-Beziehung sind vielschichtig. Zum einen hängt es stark von dem jeweiligen Verhalten ab, das ausgeführt wird: Beispielsweise wird ein Besuch der Oper meist intentionaler erfolgen als das Putzen der Zähne. Zum anderen beeinflussen reichlich andere Variablen, die man unmöglich alle kontrollieren kann, das hoch komplexe Geschehen.
3.2 Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung
79
Ein weiterer Grund für die unbefriedigende Varianzaufklärung könnte – zumindest bei wiederholtem Verhalten – der Einfluss von Gewohnheiten sein. Wenn Verhalten regelmäßig und unter ähnlichen Bedingungen auftritt, müssen wiederkehrende Entscheidungssituationen nicht stetig durch die Bildung einer Intention gelöst werden. Triandis (1977, S. 205) stellt schon vor über drei Jahrzehnten klar: „When a behavior is new, untried, and unlearned, the behavioralintention component will be solely responsible for the behavior […] as behavior repeatedly takes place, habit increases and becomes a better predictor of behavior than behavioral intentions“. Auch Ajzen (1985) zieht bei der TOPB in Betracht, dass ein Verhalten wiederholt auftreten kann, nimmt jedoch an, dass sich durch die Wiederholung lediglich die Prädiktoren der Intention ändern: Zum Beispiel würde eine mehrmalig erfolgreiche Nutzung des Autos auf dem Weg ins Kino die Einstellung zu dieser Verkehrsmittelwahl entsprechend stärken. Dieser Gedanke widerspricht jedoch der Erkenntnis, dass die Intentionsbildung bei wiederholtem Verhalten zunehmend in den Hintergrund tritt (Ji & Wood, 2007; Ouellette & Wood, 1998). Zu verschiedenen Verhaltensbereichen führten Psychologen bereits Untersuchungen durch und erforschten die Anteile der Gewohnheit und der Intention (vgl. z.B. Verplanken, Aarts, Knippenberg, & Moonen, 1998; E. Ferguson & Bibby, 2002; vgl. auch Diskussion bei Ouellette & Wood, 1998, S. 56-57). Generell zeigen die Studien, dass die Verhaltensintention umso mehr in den Hintergrund tritt, je stärker die jeweilige Gewohnheit ist und umgekehrt. Das gilt auch für die Nutzung von Nachrichten: „Participants’ intentions did not predict future performance when they had […] repeatedly watched news on TV in the same context“ (Ji & Wood, 2007, S. 273). Die nach mehrmaliger Wiederholung schwächer ausfallende Intentions-VerhaltensBeziehung zeigt, dass andere Mechanismen die Intention ersetzen oder ergänzen können. Dies dient wiederum als Argument für das Postulat zweier Systeme der Verhaltenssteuerung: ein habituelles und ein intentionales System, denen jeweils unterschiedliche kognitive Mechanismen zu Grunde liegen (Ouellette & Wood, 1998; Ronis, Yates, & Kirscht, 1989; Wood & Quinn, 2004; Wood, Quinn, & Kashy, 2002). Der Befund, dass Gewohnheiten separat von der Intention im Gedächtnis gespeichert werden, scheint die Existenz dieser beiden Systeme zu bestätigen (vgl. Killcross & Coutureau, 2003). Allerdings ist eine Dichotomie „Intention vs. Gewohnheit“ bei näherer Betrachtung zu simpel, denn die Konzepte schließen sich keineswegs gegenseitig aus. „Despite the separate nature of habitual and intentional guides, it would be a mistake to conclude that most behavior is a product of strictly habitual tendencies or of intentional thought. Any given behavior likely involves multiple aspects of memory and motor performance systems, and some of these aspects may be well practiced and proceed automatically, whereas others may be more novel
80
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
and require intentional guidance“ (Wood & Quinn, 2004, S. 66). Eine Gegenüberstellung ist erlaubt, doch muss ein Verhalten nicht entweder intentional oder von Gewohnheiten gesteuert werden: Beide Verhaltenssteuerungen stehen in enger Wechselbeziehung und können kaum losgelöst voneinander betrachtet werden. Das Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit tritt besonders dann zu Tage, wenn die beiden nicht in Einklang stehen und es zu einem Konflikt zwischen Intention und Gewohnheit kommt. Die Konzeption zweier Pole birgt stets die Gefahr eines „Entweder-oderDenkens“. Dieses ist mit ursächlich für die „Aversion“ (Newell, 2003), Gewohnheiten in die genannten Theorien zu integrieren. Bezieht man sowohl Intentionen als auch Gewohnheiten in die Modelle ein, zeigt sich ein Zusammenspiel beider Mechanismen, das interindividuell verschieden, abhängig von der situativen Einbettung und der Art des Verhaltens auftritt. Die Intention ist mithin ein wichtiger Prädiktor, wenn das Verhalten besonders wichtig und unvertraut ist (Wood, Tam, & Witt, 2005). Gewohnheiten treten vor allem bei regelmäßig wiederholtem Verhalten in Niedrigkostensituationen in den Vordergrund (vgl. Kapitel 2.1.2). 3.2.2 Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit Die Forschung betrachtet das „Warum der Fernsehnutzung“ zumeist aus einer funktionalen Perspektive und greift oft auf den Uses-and-Gratifications-Ansatz (oder Varianten davon) zurück; diese Perspektive dominierte über viele Jahre die Nutzungsforschung (Schweiger, 2007, S. 21). Grundannahme des Ansatzes ist, dass Zuschauer die Medien nutzen, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen (Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974). Medien sind dabei nur eine mögliche Alternative zur Bedürfnisbefriedigung und konkurrieren mit anderen Tätigkeiten: Wer beispielsweise nach Unterhaltung sucht, könnte den Fernseher einschalten, aber ebenso gut mit dem Partner Karten spielen. Die Vertreter des Ansatzes konzipieren das Bild eines aktiven Rezipienten, der sich seiner Bedürfnisse bewusst ist (sie auch verbalisieren kann) und versucht, diese intentional und zielgerichtet durch die Nutzung bestimmter Medien und Inhalte29 zu befriedigen. Nach der Entwicklung des Ansatzes zu Beginn der 70er Jahre folgen Jahrzehnte der andauernden Kritik an vielen seiner zum Teil impliziten Annahmen und Vorstellungen (z.B. Rubin, 1994). Doch trotz der vehementen Vorwürfe prägen viele der Annahmen die Forschung bis heute maßgeblich.
29
Diese notwendige Differenzierung nehmen viele Autoren gar nicht vor.
3.2 Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung
81
Die oben skizzierte „Theory of Planned Behavior“ weist große Parallelen zum Uses-and-Gratifications-Ansatz auf: Beide sehen das Verhalten des Individuums als Ergebnis einer bewussten Auseinandersetzung mit der Situation und einer durchdachten Abwägung möglicher Alternativen. Die Intention ist in beiden Ansätzen der einzige Prädiktor des Verhaltens, und der Einfluss von Gewohnheiten macht den zwei Ansätzen zu schaffen. Diese Konfrontation „lösen“ sie unterschiedlich: Die „Theory of Planned Behavior“ ignorierte zunächst die Existenz von Gewohnheiten, auch mit dem Argument, dass sie von Gewohnheiten gesteuertes Verhalten ja gar nicht erklären möchte. Erst viele Jahre später gibt es vereinzelt Versuche, Gewohnheiten als einen zusätzlichen unabhängigen Prädiktor in das Modell zu integrieren (vgl. z.B. Bamberg, 1996). Die Forschung um den Uses-and-Gratifications-Ansatz ignoriert Habits hingegen keineswegs, sondern nimmt sie kurzerhand in die Motivkataloge auf. Dort vermengt man die Items mit jenen, die nach Unterhaltung und Zeitvertreib fragen. Dies diskutierte Kapitel 2.3.3 als Resultat des empiriegeleiteten Vorgehens bei der Erstellung der Gratifikationskataloge. Vorderer (1992, S. 125) charakterisiert die rein gewohnheitsmäßige Fernsehnutzung, als „denjenigen Gegenstandsbereich, der dem Uses-andGratifications-Ansatz bislang die größten Erklärungsschwierigkeiten bereitete“. Ein Verhalten, das in einer konkreten Situation nicht mehr eindeutig auf bestimmte Ziele und Motive zurückgeführt werden kann, widerspricht der Grundannahme des Uses-and-Gratifications-Ansatzes, wonach Rezipienten Medieninhalte ihren Bedürfnissen entsprechend gezielt und bewusst auswählen. Einen mehrstufigen Entscheidungsprozess, wie ihn zum Beispiel Donsbach (1989, S. 402) „gegenüber Inhalten von Pressemedien“ darstellt,30 gibt es nur, wenn keine Gewohnheiten etabliert sind – bei einem habituellen Nutzer erfolgen diese Schritte nicht bewusst und sind empirisch kaum voneinander zu trennen. Ob die Mehrzahl der Rezipienten tatsächlich abwägt, abends zur Tageszeitung zu greifen oder den Fernseher einzuschalten, ist zweifelhaft. Die Vorstellung einer durchgeplanten Entscheidungsfindung mag für wissenschaftliche Modelle hilfreich sein, doch ein gewohnheitsmäßiger Nutzer der Tagesschau fragt sich nach dem Einschalten des Gerätes eben nicht, ob er nun die Tagesschau oder die RTL2-News sehen möchte.
30
Zunächst müsse man sich entscheiden, ob man „überhaupt am Massenkommunikationsprozess teilnehmen will oder nicht“; es folgt die Auswahl eines Mediums, die intermediäre Selektion (z.B. Fernsehen oder Tageszeitung lesen) und im Anschluss die intramediäre Auswahl eines redaktionellen Angebots (z.B. die Tagesschau oder eine Soap); „schließlich kann als kleinste Selektionseinheit die einzelne Information oder Kognition unterschieden werden, der sich der Rezipient zuwendet, die er aufnimmt oder behält“ (Donsbach, 1989, S. 402; Donsbach, 1991).
82
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Eine offensichtliche Dichotomie zwischen habitueller und instrumenteller Nutzung nehmen die meisten Autoren nicht an. Zwar stellt Rubin (1981b; 1983; 1984; vgl. auch Rubin & Rubin, 1982) die Konzepte gegenüber und differenziert ausdrücklich zwei grundlegend verschiedene Arten der Fernsehnutzung, schlussfolgert aber, dass „ritualized and instrumental television use may not be clearly dichotomous“ (Rubin, 1984, S. 76). Wie bei der Steuerung der meisten alltäglichen Verhaltensweisen spielen bei der Fernsehnutzung habituelle und intentionale Mechanismen zusammen (Newell, 2003, S. 85). Dieses Zusammenspiel ist komplex, und äußerst selten steuern nur Gewohnheiten oder nur Intentionen die Ausführung. Das Entweder-oder-Denken verstellt den Blick auf die Realität der Fernsehnutzung. Diese lässt „sich durch die reine Ermittlung von Motiven und gesuchten Gratifikationen nicht umfassend beschreiben“ (Brosius, Rossmann, & Elnain, 1999, S. 174) – ebenso wenig können Gewohnheiten die Fernsehnutzung vollständig erklären. Und auch das Zusammenspiel von Habits und Intentionen begründet sie keineswegs erschöpfend. Die zahlreichen zeitstabilen und situativen Merkmale und deren Interaktionen erfordern umfassende Modelle (vgl. z.B. Webster & Wakshlag, 1983), wobei auch diese der Dynamik und Komplexität des Geschehens nur teilweise gerecht werden. Überprüfen sollte man allerdings, wie viel die intentionale bzw. habituelle Zuwendung zum Fernsehen oder zu bestimmten Inhalten tatsächlich erklärt. Das Bestimmen der jeweiligen Anteile fällt schwer. Dies liegt zum einen an der Dynamik des Kontinuums, die sich situativ und situationsübergreifend auswirkt: Während des gleichen Mediennutzungsvorgangs können verschiedene Mechanismen nacheinander oder gleichzeitig greifen: Eine Person könnte zum Beispiel zunächst gewohnheitsmäßig den Fernseher einschalten, dann aber ganz intentional eine Sendung suchen, bei einer Werbeunterbrechung zappt sie aus Gewohnheit weiter, sucht daraufhin intentional nach einem Format, das ihr gefällt, um nach fünf Minuten habituell wieder zur unterbrochenen Sendung zurückzuschalten. Zudem entwickeln sich Habits anhaltend, das Zusammenspiel mit der Intention ist einem permanenten Wandel unterworfen. Ein und derselbe Vorgang kann teils durch die Intention, teils durch die Gewohnheit gesteuert werden. Dies zeigt sich auch bei der Entstehung von Gewohnheiten: Die habituelle Nutzung entwickelt sich aus der intentionalen heraus, die Übergänge sind fließend. Wie lange die Nutzung intentional erfolgt, und ab wann man von einer habituellen Nutzung sprechen kann, ist diffizil und hängt von den zugrundeliegenden theoretischen Überlegungen ab. Hinzu kommt, dass einmal etablierte Gewohnheiten wieder schwächer werden, verblassen und schließlich ganz verschwinden können. Ebenso kann ein Rezipient dieselbe Sendung an einem Tag mehr aus Gewohnheit, am nächsten vermehrt intentional sehen – abhängig von verschiedenen
3.2 Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung
83
situativen Bedingungen. Einzelne Nutzungsepisoden lassen sich nicht immer miteinander vergleichen: „Es zeigt sich nämlich, dass die Mediennutzung im Allgemeinen und die Fernsehrezeption im Speziellen das eine Mal (eher) instrumentell und bewusst, das andere Mal (eher) gewohnheitsbestimmt und automatisiert ablaufen“ (Vorderer, 1992, S. 12). Sieht der Rezipient die gleiche Sendung zum wiederholten Mal unter gleich bleibenden Bedingungen an und nimmt die Wahl der Sendung als Niedrigkostensituation wahr, so ist eine vornehmliche Steuerung durch Gewohnheiten wahrscheinlich. Ist „die Wahl einer Medienzuwendung aus subjektiver Nutzersicht mit suffizienten Kosten verknüpft, zudem womöglich auch noch besonders komplex und persönlich relevant, dann ist es wahrscheinlich, dass eine bewusste und rational kalkulierte Entscheidungsfindung und Handlungsplanung einsetzt“ (Hartmann, 2006, S. 50). 3.2.3 Resümee zur intentionalen und habituellen Fernsehnutzung Zur Vorhersage von zielgerichtetem Verhalten nutzte die Psychologie jahrzehntelang Modelle und Theorien, die einen intentionalen und rationalen Entscheidungsprozess beschreiben. Insbesondere die „Theory of Reasoned Action (TORA)“ (Ajzen & Fishbein, 1980; Fishbein & Ajzen, 1975) und deren Erweiterung, die „Theory of Planned Behavior (TOPB)“ (Ajzen, 1985; Ajzen, 1991) wurden vielfach getestet. Sie basieren auf der Prämisse, dass Menschen in Entscheidungssituationen rational und wohl überlegt agieren und vor der Ausführung eine Intention ausbilden. Diese hängt gemäß der TOPB von drei Prädiktoren ab: der Einstellung gegenüber dem Verhalten, der subjektiven Norm sowie der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle. Die Intention entsteht nach einer bewussten Auseinandersetzung des Individuums mit diesen Prädiktoren und ist der Theorie zufolge die wichtigste Determinante der Verhaltensausführung. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass die Intention durchaus Vorhersagewert besitzt; allerdings klärt sie durchschnittlich nur ca. 30 Prozent der Verhaltensvarianz auf (Bamberg, 2002, S. 144). Dieser unbefriedigende Befund lässt sich unter anderem durch die Existenz von Gewohnheiten erklären: Nach mehrmaliger Wiederholung wird die Intentions-Verhaltens-Beziehung schwächer und der Einfluss von Habits entsprechend stärker. Dabei zeigt sich ein Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit: Verhalten wird selten nur intentional oder nur habituell gesteuert. Indes findet eine enge Wechselbeziehung zwischen beiden Steuerungsmechanismen statt, weshalb man sie kaum isoliert betrachten kann. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz, demzufolge Rezipienten Medien intentional nutzen, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen, dominierte – trotz der vehementen Kritik an vielen seiner teilweise impliziten Annahmen – über Jahre
84
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
die Nutzungsforschung. Er weist deutliche Parallelen zur „Theory of Planned Behavior“ auf: Beide konzipieren die Handlung einer Person als Folge der Intentionsbildung nach einer bewussten gedanklichen Auseinandersetzung mit spezifischen Faktoren. Der Einfluss von Gewohnheiten brachte beide Ansätze in Erklärungsschwierigkeiten, da eine Ausführung, die man nicht auf bestimmte Motive zurückführen kann, den Grundannahmen dieser Ansätze widerspricht. Weder Intention noch Gewohnheiten können die Zuwendung zum Fernsehen oder bestimmten Inhalten alleine erklären, dem weit verbreiteten Entweder-oderDenken sollte man entsprechend entsagen. Das Ausmaß von Intention und Gewohnheit zu bestimmen ist schwierig, da es sich um ein dynamisches Kontinuum handelt: Nutzungshabits entstehen aus einer intentionalen Zuwendung heraus, etablierte Gewohnheiten können verblassen und (ebenso wie Intentionen) ganz verschwinden. Verschiedene Variablen tragen dazu bei, dass Zuschauer eine Sendung das eine Mal mehr aus Gewohnheit, das nächste Mal vermehrt intentional rezipieren. Ist es aber „besser“, Selektionsentscheidungen intentional zu treffen und die Bildung von Gewohnheiten zu verhindern? Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM, 2008) vertritt die Ansicht, es „sollte nicht Gewohnheit, sondern die überlegte Auswahl darüber entscheiden, welche Fernsehsendung man sich ansieht“; vor allem junge Zuschauer müssen die Fähigkeit erlernen, „Medien bewusst zu nutzen und Medieninhalte gezielt auszuwählen“. Die Autoren geben den Gewohnheiten damit einen negativen Beigeschmack: Eine habituell gesteuerte Entscheidung sei schlechter als eine bewusst getroffene. Bei derartigen Generalisierungen ist allerdings Vorsicht geboten, denn auch Inhalte, welche die Bundesprüfstelle potentiell als pädagogisch wertvoll erachten würde, könnten habituell gesehen werden. Kapitel 2.2.6 wies bereits auf die Tendenz hin, dass man im Alltag meist von schlechten und nur selten von guten Gewohnheiten spricht. Die negative Konnotation von Habits tritt bei der Fernsehnutzung deutlich hervor: Aus Gewohnheit fernzusehen ist regelrecht verpönt; Rezipienten geben lieber an, es intentional zu nutzen (Jäckel, 2003, S. 16) – diese Problematik thematisiert unter anderem das nächste Kapitel. 3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung „Considering the attention that habit has drawn during recent years, it is surprising that the operationalization of habit has never been solved adequately. Many different concepts of measuring habit have been used. Each one is problematic in some aspects“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 400). Zahlreiche Studien widmen sich der Messung von Gewohnheiten und greifen auf vielfältige
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
85
Methoden, Instrumente und Operationalisierungen zurück. Keine der Messungen konnte sich bislang durchsetzen, von der Etablierung eines Standards ist man weit entfernt. Dies erstaunt zunächst kaum: Auch bei anderen psychologischen Konstrukten, wie Einstellungen oder persönlichen Normen, herrscht kein universeller Konsens, wie man diese optimal erfasst. Dennoch existieren bei deren Messung bestimmte Methoden und Instrumente, die immer wieder – häufig bis auf wenige Nuancen unverändert – zum Einsatz kommen. Bei Gewohnheiten ist das Gegenteil der Fall: Hier besteht eine solche Heterogenität an Methoden und Instrumenten, dass es schwer fällt, den Überblick zu behalten. Dabei wären Messstandards äußerst nützlich, weil sie es erleichtern, Studien miteinander zu vergleichen und deren Ergebnisse in Beziehung zu setzen. Forderungen nach einheitlichen Verfahren verhallten bislang jedoch ungehört. Warum sich (noch) kein Standard durchsetzen konnte, diskutiert Kapitel 3.3.1 und stellt die unterschiedlichen methodischen Zugänge vor, die Psychologen nutzen, um Gewohnheiten zu messen. Es schildert Vor- und Nachteile der Methoden und hinterfragt die Chancen und Probleme dieser Heterogenität; zudem erörtert es den möglichen Einsatz der jeweiligen Methoden für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Ein viel versprechendes und gut entwickeltes Instrument, der Self-Report Habit Index (SRHI), steht im Fokus von Kapitel 3.3.2. Neben den Vorzügen, die dieser Index bietet, prüft es auch die Unzulänglichkeiten, die der Skala noch innewohnen. Kapitel 3.3.3 befasst sich mit spezifischen Problemen, auf die man bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten trifft. 3.3.1 Methodenheterogenität bei der Messung von Gewohnheiten Schon viele und sehr unterschiedliche methodische Zugänge kamen zum Einsatz, um das Ausmaß von Gewohnheiten zu bestimmen. Manche Autoren operationalisieren die Habitstärke über die Auftretenshäufigkeit des entsprechenden Verhaltens in der Vergangenheit (mittels Befragungen, Tagebuchstudien oder Beobachtungen, z.B. Yzer, Siero, & Buunk, 2001; Conner & Armitage, 1998; Landis, Triandis, & Adamopoulos, 1978; Triandis, 1980), andere fragen die Probranden schlichtweg direkt, wie häufig sie dieses oder jenes Verhalten aus Gewohnheit durchführen (z.B. Kahle & Beatty, 1987). Qualitative Interviews fanden genauso Anwendung (z.B. Stanbridge, Lyons, & Farthing, 2004; Luger, 1989) wie die von Verplanken et al. (1994) entwickelte – und mehrfach getestete – „Response Frequency Measure“ (z.B. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003; Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997). Auch quantitative Befragungen setzten die Forscher ein, um Habit-
86
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
stärke zu messen (Bruijn, Kroeze, Oenema, & Brug, 2008; Honkanen, Olsen, & Verplanken, 2005; Verplanken, 2005; Verplanken, 2006; Verplanken & Orbell, 2003). Brauchbarkeit und Grenzen der jeweiligen Methoden stellt das vorliegende Kapitel detailliert vor. Auftreten des Verhaltens in der Vergangenheit „The standard measure of habit strength is past performance frequency“ behaupten Ji und Wood (2007, S. 263). Klöckner, Matthies und Hunecke (2003, S. 401) konstatieren, es sei zumindest die am häufigsten benutzte Methode. In der Vergangenheit ermittelten tatsächlich zahlreiche Untersuchungen die Stärke der Gewohnheit durch die Auftretenshäufigkeit des entsprechenden Verhaltens (z.B. Bentler & Speckart, 1979; Landis, Triandis, & Adamopoulos, 1978; Triandis, 1980), und auch gegenwärtig wählt manche Studie dieses Vorgehen (z.B. Yzer, Siero, & Buunk, 2001; Conner & Armitage, 1998). Meist bestimmen die Untersuchungen das vergangene Auftreten mittels Befragungen (z.B. „Wie oft haben Sie im letzten Jahr das Auto genutzt?“). Die Reliabilität solcher Selbstauskünfte ist allerdings nicht zufrieden stellend, insbesondere wenn das Verhalten längere Zeit zurückliegt und einen großen Zeitraum betrifft. Bei der Interpretation solcher Retrospektiven ist daher Vorsicht geboten (Schwarz, 1999). Zuverlässigere Daten liefern Tagebuchaufzeichnungen (z.B. Schlich & Axhausen, 2003), Beobachtungen (z.B. Landis, Triandis, & Adamopoulos, 1978) oder telemetrische Messungen. Auf den ersten Blick scheint die Operationalisierung über die wiederholte Ausführung in der Vergangenheit verheißungsvoll: Es liegt nahe, aus einem tatsächlich gezeigten Verhalten Inferenzschlüsse zu ziehen, zumal man Habits durch regelmäßige Wiederholung in der Vergangenheit erlernt. Diverse Studien zeigen, dass vergangenes Verhalten großen Einfluss auf die zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit hat (z.B. Bagozzi & Kimmel, 1995; Bentler & Speckart, 1979; Boldero, 1995; Wittenbraker, Gibbs, & Kahle, 1983); dies bestätigt auch eine Metaanalyse von Ouellette und Wood (1998). Der Effekt verbleibt selbst dann, wenn man die übrigen Variablen kontrolliert (Ouellette & Wood, 1998; Verplanken, 2005). Das vergangene Verhalten als Prädiktor für dessen zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit erklärt oft einen größeren Teil der Varianz als Einstellungen oder Intentionen (Ouellette & Wood, 1998; Sutton, 1994). Die Audience-Duplication-Forschung (Cooper, 1996; Goodhardt, Ehrenberg, & Collins, 1987) versucht diesen Effekt zu nutzen. Mit telemetrischen Daten ermitteln die Forscher die Überschneidung des Publikums zweier Sendungen („Wie viele Zuschauer einer Sendung sehen eine bestimmte andere Sen-
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
87
dung“) und leiten aus den Erfahrungswerten Prognosen ab.31 Darf aber eine Korrelation zwischen der Häufigkeit des Auftretens in der Vergangenheit und der Auftretenswahrscheinlichkeit in der Zukunft überhaupt als Erklärungsvariable dienen? Besitzt wiederholtes Verhalten an sich schon Erklärungswert? Vorausgegangenes Verhalten könnte genauso gut eine Proxyvariable für eine Reihe psychologischer Einflussfaktoren (z.B. Einstellung oder Intention) sein, die für die Kontinuität der Ausführung verantwortlich sind: „Past behavior itself might be determined by the same predictors as present and future behavior“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 401). Die Debatte über die Legitimität des Prädiktors „vergangenes Verhalten“ für die zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit ist komplex (Anmerkungen dazu findet man z.B. bei Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005), für das vorliegende Kapitel ist sie indes kaum relevant: Es hinterfragt nicht, ob wiederholtes Verhalten Erklärungswert besitzt, sondern ob man durch dessen Messung die Stärke von Gewohnheiten valide erfasst. Für die Kommunikationswissenschaft würde dies bedeuten, dass man TV-Gewohnheiten bequem über individuelle Nutzungsdaten (z.B. GfK/AGF-Einschaltquoten) messen könnte: Je häufiger eine Person in den vergangenen Wochen oder Monaten eine bestimmte Sendung angesehen hat, desto fester wäre die Gewohnheit. Gewohnheiten sind jedoch mehr als vergangenes Verhalten, sie sind ein psychologisches Konstrukt, das die Verhaltensausführung steuert (Verplanken & Orbell, 2003, S. 1314). Eine Reichweitenmessung kann demnach nur bedingt Auskunft über das Ausmaß der Habitualisierung geben. Eine solche Messung setzt implizit voraus, dass wiederholtes Verhalten vorrangig von Gewohnheiten gesteuert wird – diese Annahme ist jedoch umstritten (Ajzen, 2002). Das wiederholte Auftreten eines Verhaltens ist zwar durchaus ein Kennzeichen von Habits (wie oben dargestellt) und eine notwendige Vorraussetzung für deren Entstehung, doch nur, weil man ein Verhalten in der Vergangenheit mehrfach wiederholte, muss es nicht habitualisiert sein – man kann es auch immer wieder intentional ausführen (Verplanken, 2005, S. 101). Eine Gewohnheit muss auch nicht ausgeprägter sein, nur weil man das Verhalten häufig wiederholt: Es kann durchaus sein, dass ein Verhalten, das man drei Mal täglich durchführt (aber z.B. zu wechselnden Zeiten und an verschiedenen Orten) wesentlich schwächer habitualisiert ist als eines, das man nur einmal pro Woche zeigt (vgl. auch Kapitel 2.2.1). 31
Zum Beispiel Vererbungseffekte („Audience Flow“: Wie viele Zuschauer einer Sendung sehen die auf dem gleichen Sender danach ausgestrahlte Sendung an), die Sendungsloyalität („Repeat Viewing“: Wie viele Zuschauer einer seriellen Sendung sehen die daraufhin folgende an“), Wiederholungssehen („Rerun Watching“: Wie viele Zuschauer einer Sendung sehen die Wiederholung dieser Sendung) oder Kanalloyalität („Channel Loyalty“: Wie treu ist der Zuschauer einem bestimmten Sender).
88
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Wie ließe sich mit einer Reichweitenmessung der Grad der Habitualisierung verschiedener Medien miteinander vergleichen? Erfolgt das Lesen der Zeitung etwa wesentlich intentionaler, nur weil man sie kürzer nutzt als zum Beispiel das Radio? Haben zwei Personen genau die gleiche Gewohnheit, nur weil beide jeden Sonntag den Tatort sehen? Eine Reichweitenmessung käme zwangsläufig zu diesem Ergebnis. Es existiert ja ohnehin kein proportionaler Zusammenhang zwischen der Stärke der Gewohnheit und der Auftretenshäufigkeit des davon gesteuerten Verhaltens: Jemand, der ein Verhalten tausend Mal ausführt, hat keine zehn Mal stärkere Gewohnheit als jemand, der das gleiche Verhalten nur hundert Mal ausführt. Man kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, wer aus diesem Beispiel eine ausgeprägtere Gewohnheit hat (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005, S. 236). Wie gut die Einschaltquote einer Sendung die Quote der nächsten Ausgabe voraussagt, ist für die Frage nach der habituellen Nutzung kaum relevant. Bei dem in dieser Arbeit begründeten Verständnis von Gewohnheiten kann man die Diskussion getrost außen vorlassen: Eine solche Operationalisierung hilft nicht weiter. Dies schmälert keineswegs die Ergebnisse und den Nutzen der kommerziellen und akademischen Reichweitenforschung, es sind schlichtweg zwei Paar Schuhe. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Debatte bietet Verplanken (2006), der den Kern der Messproblematik schon in der Überschrift auf den Punkt bringt: „Beyond frequency: Habit as mental construct“. Somit gilt auch für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten das Resümee von Brujin et al. (2008, S. 318): „Because equating habit with past behavior faces several methodological and theoretical problems, a measure of habit strength that has discriminant validity over behavioral frequency is needed“. Wiederholtes Verhalten im stabilen Kontext Auch die Forschergruppe um Wood (Ji & Wood, 2007; Wood, Quinn, & Kashy, 2002; Wood, Tam, & Witt, 2005) misst die Habitstärke über die Auftretenshäufigkeit des Verhaltens in der Vergangenheit, „verfeinert“ die Messung aber, indem sie die Stabilität des jeweiligen Verhaltenskontext in den Index einbezieht. Die Studie von Ji und Wood (2007), die den Einfluss von Gewohnheiten auf die Verkehrsmittelwahl, den Fastfood-Konsum und das Sehen von Fernsehnachrichten untersucht, soll die Messung exemplarisch verdeutlichen: Zunächst geben die Teilnehmer an, wie oft sie das jeweilige Verhalten pro Woche ausführen und beurteilen dann die jeweilige Stabilität von Ort, Zeit, Personen und Stimmung auf einer dreistufigen Skala (z.B. „1 = seldom in the same place, 3 = often in the same place“; 1 = seldom at the same time of day, 3 = always at the same time of day). Die von den Probanden angegebene Ausführungshäufigkeit multiplizieren die Autoren jeweils mit diesen Zahlen und erhalten so für jedes
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
89
Verhalten vier Einzelwerte. Sieht eine Person zum Beispiel fünf Mal in der Woche fern und bewertet die räumliche Stabilität sehr hoch (mit dem Wert 3), die zeitliche Stabilität hingegen sehr niedrig (mit dem Wert 1), ergäbe dies einen „physical-location-habit-Wert“ von 15 sowie einen „same-time-of-day-habitWert“ von 5. Die Messung schließt im Gegensatz zu allen anderen Methoden die Stabilität des Kontextes mit ein. Ob man damit die Stärke einer Gewohnheit valide erfasst, ist aber fraglich, denn der Index birgt zahlreiche Probleme. Schon die Multiplikation der Werte ist diskussionswürdig: Eine Person, die stets montags an der gleichen Haltestelle den Bus nimmt, hätte einen „habit-physical-location“Wert von 3 (1x3); jemand, der drei Mal pro Woche von dieser Haltestelle abfährt, bekäme schon einen Wert von 9 (3x3) und jemand, der zwei Mal täglich den Bus ab diesem Halt nutzt, hätte einen kurios hohen Wert von 42 (14x3).32 Was verraten diese Zahlen aber über den Habitualisierungsgrad der Verkehrsmittelwahl? Die Werte unterscheiden sich zwar extrem, sagen aber nur bedingt etwas über die Stärke der Gewohnheit aus, da eine häufigere Durchführung nicht unbedingt eine ausgeprägtere Gewohnheit bedingt. Problematisch an dem Index ist zudem, dass durch ihn vier (oder mehr: z.B. könnte man auch die Stabilität des vorausgehenden Verhaltens einbeziehen) verschiedene Kennziffern entstehen: Man muss sämtliche Berechnungen mit den einzelnen Werten anstellen und erhält entsprechend vier unterschiedliche Ergebnisse. Die notwendige Diskussion, ob man aus diesen vier Zahlen einen Gesamtwert bilden könnte, klammern die Autoren aus. Der Index vernachlässigt zudem die automatisierte Auslösung des Verhaltens. Bei der Erfassung von Fernsehnutzungsgewohnheiten birgt die Messung weitere Probleme. Vielen Probanden dürfte es schwer fallen, eine präzise Schätzung abzugeben, wie oft sie pro Woche den Fernseher einschalten; zumal manch einer den Fernseher anstellt und bis zum Abend laufen lässt, ein anderer schaltet das Gerät zehnmal täglich ein und aus. Dieses Beispiel verdeutlicht ein weiteres Problem: Hat jemand, der den Fernseher morgens einschaltet und laufen lässt, tatsächlich eine deutlich schwächer ausgeprägte Gewohnheit als eine Person, die das Gerät zehnmal täglich ein- und ausschaltet? Und können die Befragten beurteilen, ob sie das TV-Gerät meist in der gleichen Stimmung einschalten? Das Instrument, das die Forscher um Wood konstruieren, ist eine anregende Ergänzung, doch in dieser Version unpraktikabel und für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten kaum geeignet. Eine Weiterentwicklung könnte sich aber durchaus lohnen. 32
Ji und Wood (2007, S. 266) schließen entsprechend die Extremwerte zweier Personen aus ihrer Untersuchung aus.
90
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Response Frequency Measure Eine Alternative zur Messung der Habitstärke durch die Auftretenshäufigkeit eines Verhaltens in der Vergangenheit bietet die „Response Frequency Measure of Habit (RFM)“ (vgl. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Verplanken et al., 1994; Verplanken et al., 1998). Ihr liegt die Idee zu Grunde, dass die Stärke der Gewohnheit mit der Beständigkeit der Aktivierung eines Verhaltens korreliert. Die Autoren demonstrieren dies mit mehreren Experimenten zur Verkehrsmittelwahl: Sie legen den Teilnehmern unterschiedlich weit entfernte Ziele vor (z.B. Innenstadt, Kino, Einkaufzentrum etc.) und lassen ihnen die Wahl zwischen mehreren Fortbewegungsmitteln (z.B. Auto, Fahrrad, Bus, Zug). Die Probanden müssen möglichst schnell eines der Verkehrsmittel wählen, um das jeweilige Ziel zu erreichen. Die habituelle Nutzung des jeweiligen Vehikels gilt als umso ausgeprägter, je öfter die Probanden dieses auswählen. Weil man möglichst schnell antworten muss, kann man mögliche Vor- und Nachteile kaum abwägen und hat keine Zeit, eine bewusste, wohl überlegte Intention zu bilden. Die Autoren nehmen an, dass die Teilnehmer stattdessen auf leicht verfügbare Skripte zurückgreifen, die durch die jeweiligen Stimuli (z.B. die Reiseziele) aktiviert werden. Beispielsweise könnte die Aktivierung des Skripts „ins Kino gehen“ unmittelbar das Teilelement „mit dem Auto hinfahren“ auslösen. Die Vorteile der Methode liegen auf der Hand: „(a) to measure habits, no self-report is needed; (b) it is not retrospective; (c) it meets the demands of the theoretical concept of habit better than do other approaches; (d) it is easy to use in a questionnaire“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 402). Doch birgt auch diese Messung Probleme: Zahlreiche intervenierende Variablen müssen kontrolliert sowie ein zu dem entsprechenden Verhalten passendes Situationsset gefunden werden. Bei der Messung der habituellen Verkehrsmittelwahl muss man beispielsweise sicherstellen, dass alle Teilnehmer nicht nur die gleichen Zielvorgaben bekommen, sondern auch am selben Ort wohnen (z.B. im gleichen Studentenwohnheim) – andernfalls wären die Ergebnisse unbrauchbar. Somit ist die Methode bei der Messung von Reisezielen oder zum Beispiel bei der Wahl von Lebensmitteln durchaus geeignet, stößt bei anderen Tätigkeiten allerdings an ihre Grenzen. Weil sich ihr Einsatz auf Verhalten in Wahlsituationen beschränkt, das Probanden in verschiedenen Kontexten ausführen (Verplanken & Orbell, 2003, S. 1316), ist die Brauchbarkeit des Instrumentes bei der Erfassung von habitueller Fernsehnutzung enorm eingeschränkt. Die Komplexität der Messung erschwert die praktische Umsetzung, große Stichproben sind nur schwer zu befragen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der RFM findet man bei Klöckner, Matthies und Hunecke (2003), die Modifikationen an der Messung und verschiedene Weiterentwicklungen vorschlagen und testen.
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
91
Direkte Frage nach der Gewohnheit Die wohl einfachste Möglichkeit der Messung von Habitstärke ist, Probanden direkt zu fragen, für wie ausgeprägt sie die jeweilige Gewohnheit halten und dies auf einer Ratingskala einschätzen zu lassen. Allerdings ist fraglich, ob eine solche Messung valide Ergebnisse liefert. Verschiedene Gründe sprechen dagegen: Zunächst ist es generell schwierig, ein komplexes Konstrukt über ein einzelnes Item abzufragen. Zudem könnten die Befragten vollkommen unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, was Gewohnheiten sind. Einige Forscher verbinden diese direkte Frage nach der Gewohnheit mit einer Schätzung über das vergangene Verhalten: Sie fragen die Probanden, wie oft sie in der Vergangenheit ein Verhalten aus Gewohnheit oder unbewusst durchgeführt haben33 (Kahle & Beatty, 1987; Mittal, 1988; Towler & Shepherd, 1991; Wittenbraker, Gibbs, & Kahle, 1983). Das gleichzeitige Schätzen von Auftretenshäufigkeit und Grad der Habitualisierung in einer Frage führt jedoch zu systematischen Verzerrungen, ganz abgesehen davon, dass es für Probanden ohnehin schwierig ist, über weit vergangene psychologische Zustände Auskunft zu geben (Nisbett & Wilson, 1977; Wilson & Dunn, 2004). Inwieweit können Personen in qualitativen Leitfadeninterviews das Ausmaß von Gewohnheiten beschreiben? Probanden sind zumindest in der Lage, bestimmte Facetten der habituellen Nutzung zu schildern. Die oben skizzierten Probleme (Zugänglichkeit der Information, Verständnis von Gewohnheiten) bestehen auch bei einer Befragung mittels qualitativer Leitfadeninterviews; allerdings können gezielte Fragen nach der Regelmäßigkeit, dem Grad der Automatisierung und bestimmten Hinweisreizen durchaus Licht ins Dunkel bringen. Ob man dadurch eine adäquate Messung erhält, ist zweifelhaft, doch kann man zumindest verschiedene Randphänomene auskundschaften: Zum Beispiel ist es notwendig zu überprüfen, was Befragte überhaupt unter dem Begriff „Gewohnheit“ verstehen, und ob dieser eher positiv oder negativ konnotiert ist. Quantitative Befragung „However, although the self-reported habit strength measures used so far are problematic, there is no reason why habit strength might not be measured by means of self-reports“ (Verplanken & Orbell, 2003, S. 1316). Zwar ist es für Befragte schwierig, die direkte Frage nach der Habitstärke zu beantworten, doch können sie die Ausprägungen einzelner Kennzeichen von Gewohnheiten durchaus einschätzen: Ob sie zum Beispiel ein bestimmtes Verhalten regelmäßig zei33 Wittenbraker, Gibbs und Kahle (1983, S. 411) fragen die Probanden beispielsweise: „How many times in the last two weeks when driving a car have you put on a seat belt by force of habit?“. Mittal (1988, S. 1001) meidet hingegen die direkte Frage nach der Gewohnheit: „During the past 4 weeks, when I got into my car, I was not even aware and I put on my seatbelt“.
92
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
gen, ob sie es initiieren, ohne darüber nachzudenken oder ob es ihnen schwer fallen würde, auf das Verhalten zu verzichten (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005). Eine theoretisch fundierte Skala, welche nach den verschiedenen Facetten von Habits fragt, sollte ein valides Instrument sein. So entstanden in den letzten Jahren einige Untersuchungen, die quantitative Befragungen zur Messung der Habitstärke benutzen (z.B. Bruijn et al., 2008; Diddi & LaRose, 2006; Honkanen, Olsen, & Verplanken, 2005; LaRose, Lin, & Eastin, 2003; Verplanken, 2005; Verplanken, 2006; Verplanken & Orbell, 2003). Allerdings variieren sowohl die benutzten Items als auch die Skalierung der Antwortvorgaben (fünf-, sieben- und elfstufig) von Studie zu Studie, weshalb man noch nicht einmal die standardisierten Befragungen miteinander vergleichen kann. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der am häufigsten genutzten Skala bietet das nachfolgende Kapitel. Zwischenfazit Ein Messstandard wäre äußerst hilfreich, um die Ergebnisse verschiedener Studien in Beziehung setzen und die Stärke der Gewohnheit unterschiedlichen Verhaltens vergleichen zu können. Es bestehen insbesondere zwei Hindernisse, welche die Etablierung eines Messstandards behindern: Zum einen liegt die Problematik in der Natur der Gewohnheiten selbst. Habits lösen ein entsprechendes Verhalten automatisiert aus, setzen es also unbewusst in Gang (Bargh, 1994). Während zum Beispiel Einstellungen, Intentionen oder persönliche Normen den Befragten (zumindest teilweise) bewusst und dadurch (teilweise) zugänglich sind, ist es Sinn und Zweck der Automatisierung, mentale Ressourcen zu sparen, indem die Habits „unbemerkt“ arbeiten; Befragte können diese Gedächtnisinhalte nicht wie gelernte Vokabeln abrufen. Ein zweiter zentraler Grund für das Fehlen eines Messstandards ist wohl das Schattendasein, das die Erforschung von Gewohnheiten lange Zeit führte (s. o.); man trieb deren Untersuchung erst in den letzten zehn Jahren voran. Das Testen verschiedener Zugänge, das Suchen nach dem „besten“ Weg ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert und bei diesem Forschungsgebiet noch andauert. Auch hindern Diskussionen darüber, ob man das Ausmaß von Gewohnheiten überhaupt messen kann, den Fortschritt: Eagly und Chaiken (1993, S. 181) vertreten beispielsweise die Ansicht, dass das Ausmaß von Gewohnheiten unbestimmt bleiben muss, weil eine adäquate Messung undenkbar wäre. Trotz der vielen Versuche, das Ausmaß von Gewohnheiten zu bestimmen, ziehen Klöckner, Matthies und Hunecke (2003, S. 400) ein nüchternes Fazit: Die Operationalisierung wurde bislang nicht zufrieden stellend gelöst. Gibt es aber eine Methode, die zur Messung von Gewohnheiten am besten geeignet scheint? Hier gilt es zu differenzieren, denn jede der vorgestellten Methoden birgt spezifi-
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
93
sche Vor- und Nachteile. Das Auftreten des entsprechenden Verhaltens in der Vergangenheit misst das Konstrukt Gewohnheiten nicht adäquat und sollte daher gemieden werden. Ebenso problematisch ist die Messung des wiederholten Auftretens im stabilen Kontext: Das Missachten der automatisierten Auslösung, die fehlende Differenzierung zwischen Häufigkeit und Regelmäßigkeit, das mühsame Arbeiten mit mehreren Einzelwerten und die Multiplikation, durch die teilweise kuriose Werte entstehen – all dies verdeutlicht, dass die Messung (noch) nicht ausgereift ist. Eine sinnvolle Alternative bietet die Response Frequency Measure of Habit. Allerdings ist diese nur für Verhalten in Wahlsituationen, das die Probanden in verschiedenen Kontexten zeigen, geeignet; zudem muss man ein passendes Situationsset finden und zahlreiche Variablen kontrollieren. Bei der Erfassung von Fernsehnutzungsgewohnheiten stößt die Methode an ihre Grenzen. Auch Befragungen eignen sich nicht uneingeschränkt, um Gewohnheiten zu messen: So erhält man keine validen Ergebnisse, wenn man Probanden direkt fragt, für wie ausgeprägt sie eine Gewohnheit halten oder wie oft sie ein bestimmtes Verhalten aus Gewohnheit zeigen. Das folgende Kapitel stellt ein mehrfach getestetes Instrument für quantitative Befragungen vor und skizziert damit verbundenen Kritikpunkte. 3.3.2 Der Self-Report Habit Index (SRHI) Verplanken und Orbell (2003) entwickeln eine zwölf Items umfassende Skala zur Messung von Habitstärke, den Self-Report Habit Index (SRHI). Basierend auf der von Verplanken und Aarts (1999, S. 104) vorgestellten Definition von Gewohnheiten, erfragen sie in diesem Index die regelmäßige Wiederholung des Verhaltens in der Vergangenheit, die schwere Kontrollierbarkeit, die unbewusste Auslösung, die mentale Leistungseffizienz und die Identifikation mit dem entsprechenden Verhalten. Während die ersten vier Elemente per definitionem konstitutiv für Gewohnheiten sind, fügen die Autoren mit dem „identity element“ einen neuen Aspekt hinzu, begründen diesen Schritt jedoch unzureichend (s. u.). Auf Grundlage dieser „core elements“ konstruieren die Urheber zwölf Items, die den SRHI bilden, wobei sie darüber schweigen, welches der Items zu welchem der „core elements“ gehört. Während sich einige der zwölf Fragen offensichtlich einem der Elemente zuordnen lassen, kann man über die Zugehörigkeit anderer Items nur spekulieren (vgl. Tabelle 1). Verplanken und Orbell (2003) nutzen sieben- (Studie 1&2) bzw. elfstufige (Studie 3&4) Likert-Skalen als Antwortvorgaben (1=„agree“; 7 bzw. 11=„disagree“). In Folgestudien setzen sie aber auch fünfstufige Skalen ein (vgl. z.B. Verplanken, 2006).
94
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Tabelle 1: Items des SRHI und deren (mögliche) Zuordnung zu den Core Elements ITEM: „Behavior X is something…“
Core element
…I do frequently.
history of repetition
…I do automatically. …I do without having to consciously remember. …that makes me feel weird if I do not do it.
--lack of awareness
…I do without thinking.
lack of awareness / efficiency
…that would require effort not to do it. …that belongs to my (daily, weekly, monthly) routine. …I start doing before I realize I’m doing it.
the difficulty of controlling history of repetition
…I would find hard not to do.
the difficulty of controlling
…I have no need to think about doing.
lack of awareness / efficiency
…that’s typically „me“.
identity element
…I have been doing for a long time.
history of repetition
identity element
lack of awareness
Tabelle 1: Items des SRHI und deren (mögliche) Zuordnung zu den Core Elements
Verplanken und Orbell (2003) testen Reliabilität und Validität des Instruments in mehreren Studien: Die Studien ergeben eine hohe Test-Retest-Reliabilität (.91) und eine zufrieden stellende Validität. Letztere ermitteln sie durch einen Vergleich der Ergebnisse der SRHI-Befragung mit denen einer Response Frequency Messung (Verplanken et al., 1994), wobei diese deutlich (r=.58) und höchst signifikant (p