Detlev G. Winter Terra Astra Band 403
Und die Zeit steht still
Die GOOD WILL ist auf dem Weg zu den Casonen, einem hoc...
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Detlev G. Winter Terra Astra Band 403
Und die Zeit steht still
Die GOOD WILL ist auf dem Weg zu den Casonen, einem hochentwickeltem Volk, die allerdings die Raumfahrt nicht beherrschen. Ihr Volk ist dem Untergang geweiht, da das casonische Sonnensystem auseinander zu brechen droht. Als sich die GOOD WILL im Hyperraum befindet, tritt ein gravierender Defekt an den Maschinen auf und das Schiff muss den übergeordneten Raum verlassen. Bewaffnete Männer stürmen alle neuralgischen Punkte des Schiffes und verlangen einen Kontakt zur Erde, wo ebenfalls terroristische Attentate den Augenblick bestimmen. Die ausführende Gruppe verlangt, das Amerikaner den australischen Kontinent verlassen, wo diese einen grossen Raumhafen erbaut hatten. Auf der GOOD WILL gelingt es der Besatzung, die Angreifer zu überwältigen, werden jedoch dabei wieder in den Hyperraum gerissen - als sie ihn nach einiger Zeit verlassen können, erkennen sie ihr Universum nicht mehr...
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Die Hauptpersonen des Romans: Liz Carton – Kommandantin einer Hilfsexpedition. Phil Verst – Parawissenschaftler an Bord der GOOD WILL. Ishimo Katsaku – Ein Mutant. Kerman Toth – Anführer einer Terroristengruppe. Thorm Lues – Der Astronom macht eine schicksalhafte Entdeckung. Oberst Rotex – Leiter von Nullarbor-Süd.
Die Zeit und die Ewigkeit hatten es entstehen sehen. Äonen waren vorübergegangen, während es aus Zerfall und Auflösung wuchs und zur Vollkommenheit gedieh. Es war alles. Es war nichts. Es war fähig, zu denken und sich seiner selbst doch nicht bewußt. Es mochte das Ende sein oder der Anfang. Unendlich oder Null. Existenz. Substanzlose, nackte Existenz. Nicht Augen zum Sehen, noch Ohren zum Hören oder Hände zum Fühlen. Kein Gehirn zum Denken und kein Körper zum Leben. Aber es sah, hörte, fühlte, dachte und lebte. Es WAR. Unendlich UND null. Alles UND nichts. Ende UND Anfang.
1. Nothalt Der Flug begann mit einer Katastrophe. Die rasende Fahrt auf der Quintadim-Paraspur währte kaum zwei Monate, als die Alarmsirenen schrill zu heulen begannen. Augenblicklich spannten sich die Nerven der Frauen und Männer in der Zentrale bis zum Zerreißen. Zwei Funktionsanzeigen sprangen um und glühten in düsterem Rot. Unwillkürlich krampfte Liz die Hände um die Lehnen des Kommandosessels. Mehrere Erschütterungen fuhren durch die Schiffszelle, irgendwo krachten zuschlagende Sicherheitsschotte. Erregtes Stimmengewirr kam auf. Auf einem Monitor entstand das verzerrte Abbild eines Ingenieurs. „Strukturwandler vier und sieben!” schr ie er über den Lärm hinweg. „Sie geben zuviel Leistung ab. Hören Sie, Kommandantin, wir müssen die Paraspur verlassen! Rücksturz!” Trotz des Tumults und der aufkeimenden Panik bemühte sich Liz, die Übersicht zu behalten. Mehrere Bildschirme flammten auf. Die Leiter der einzelnen Abteilungen wollten wissen, was vorgefallen war; wild und aufgeregt redeten sie durcheinander. Mit der flachen Hand hieb die Kommandantin auf zwei Kontaktfelder. Das Wimmern der Sirene verstummte sofort, zugleich war eine Rundumscha ltung hergestellt worden. „Zentrale an alle! Achtung, wir bereiten den Rücksturz in den Normalraum vor. Wiederhole: außerplanmäßiger Rücksturz! Alles auf Bereitschaftsposten! Reparaturtrupps fertigmachen! Zentrale Ende.” In fliegender Hast betätigte sie zwei weitere Schaltungen. Laufend beobachtete sie die Kontrollen, die ihr bestätigten, daß die Geschwindigkeit des Sternenschiffs in Relation zum Normalkontinuum beständig sank. Die Gefahrenanzeigen blinkten noch immer. Dumpfes Rumoren der überlasteten -4-
Maschinen erfüllte das Rund der Zentrale. Jedermann hatte in diesen Augenblicken seine Arbeit. Zu vielfältig waren die Aufgaben, die bei einem außerplanmäßigen Rücksturz ausgeführt werden mußten, um von einer Person allein wahrgenommen werden zu können. Liz registrierte zufrieden, daß die Zusammenarbeit hervorragend funktionierte. Das harte und unerbittliche Gefahrentraining zahlte sich in einer solchen Situation voll aus. Ein weiteres Kontrollelement sprang auf Rot. Die Kommandantin spürte Angst in sich aufsteigen. „Maschine! Was ist los bei euch?” Das Gesicht des Ingenieurs zeigte deutlich, daß er selbst nicht mehr wußte, was er von allem zu halten hatte. „Strukturwandler drei außer Kontrolle”, rief er. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß. „Hier unten ist die Hölle los! Seht zu, daß wir endlich zurückfallen!” Wild schüttelte Liz den Kopf. „Zu früh!” rief sie zurück. „Wir sind noch zu schnell. Wenn wir jetzt die Paraspur verlassen, zerreißt es das Schiff!” Der Ingenieur blickte gehetzt um sich. „Fünf Minuten, länger können wir die Situation nicht mehr stabilisieren. Danach bricht hier alles zusammen!” „Fünf Minuten!” keuchte der Erste Offizier auf. „Das reicht nicht!” Die Kommandantin warf einen schnellen Blick auf die Kontrollen. „Es muß reichen”, bestimmte sie hart. „Wir beschleunigen den Austritt!” Das Bild aus dem Maschinenraum verblaßte, während Liz fieberhaft bemüht war, die Geschwindigkeit des Schiffes den Gegebenheiten des Normalraums anzugleichen. Viel zu drastisch bremste sie den rasenden Flug weiter ab. Das -5-
Kreischen überanspruchten Materials gellte durch die Räume. Mächtige Stöße erschütterten den Giganten. Die Andruckabsorber waren nicht mehr in der Lage, die freiwerdenden Kräfte völlig abzufangen. Mehrfach wurden die Menschen hart in ihre Kontursessel gepreßt. „Eins Komma eins LG”, gab Liz bekannt. „Wir schaffen es!” Harp Kelley an den Kontrollen des Ersten Offiziers lachte gequält. Sie besaß einen unverwüstlichen Optimismus! Das Sternenschiff schüttelte sich unter der Belastung. Das vierte Warnlicht blinkte auf. „Achtung, Rücksturz!” schrie Liz über die Rundrufanlage. Mit immer noch atemberaubender Geschwindigkeit – annähernd 300.000 Kilometer pro Sekunde – schoß das Sternenschiff aus dem Pararaum und raste in stark relativistischen Bereichen weiter. Sofort flammten die normalenergetischen Bremstriebwerke auf und spien ihre Korpuskelströme mit brachialer Gewalt von sich. Der Raumer verzögerte stark, alle verfügbare Energie wurde aufgeboten, um den Koloß zum relativen Stillstand zu bringen. In der Kommandozentrale waren, nachdem die Parafelderzeuger abgeschaltet worden waren, die Warnlichter erloschen. Liz atmete auf, obwohl die Gefahr noch nicht beseitigt war. Wahnsinnige Kräfte rissen an der Stabilität der Kugelzelle, während die Bremstriebwerke unermüdlich ihre Energien ausstießen. Dann – endlich! – war es überstanden. Schlagartig verstummte das Röhren der Triebwerke; die Good Will driftete antriebslos dahin, mit einer so weit reduzierten Geschwindigkeit, daß die gefährlichen Effekte der Zeitdilatation vernachlässigbar gering wurde. Aufatmend lehnte Liz sich zurück. Zeitweise hatte sie geglaubt, der Raumer würde die Belastung nicht überstehen. Außer dem unerwarteten Ausfall von vier Strukturwandlern -6-
schienen jedoch keine Schäden aufgetreten zu sein. Es war schlimm genug! „Maschine!” tastete sie eine Verbindung, nachdem es ihr gelungen war, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken, „Wie sieht es aus?” Der Ingenieur blickte mit rußgeschwärztem Gesicht vom Bildschirm. Er wirkte unglücklich. „Schlecht, sehr schlecht”, berichtete er. „Wir hatten einige kleinere Brände, die aber leicht unter Kontrolle zu bringen waren. Die Strukturwandler drei, vier, sieben und neun bedürfen der Reparatur, bevor wir den Flug fortsetzen. Das wird einige Monate in Anspruch nehmen, denke ich.” Liz nickte stumm. Mit einer ähnlichen Hiobsbotschaft hatte sie gerechnet. In seinem jetzigen Zustand glich das Sternenschiff, obwohl äußerlich intakt und durchaus raumflugtauglich, einem Wrack. Ohne funktionierende Strukturwandler waren sie nicht in der Lage, in die Paraspur einzudringen, in jenes übergeordnete Medium, in dem allein eine diskutable Reisegeschwindigkeit erreicht werden konnte. Gelang die Reparatur nicht, waren sie dazu verdammt, auf ewige Zeiten im Normalraum durch die Galaxis zu kreuzen, vielleicht ohne die Hoffnung, innerhalb der Lebensspanne eines Menschen ein Sonnensystem mit bewohnbaren Planeten zu finden. Der Anruf aus der parawissenschaftlichen Abteilung lenkte die Kommandantin ab, bevor ihre Gedanken in uferlosen Spekulatio nen versanken. Vom aufflammenden Monitor lächelte das Abbild Phil Versts, und selten hatte so deutliche und hintergründige Ironie im Blick des Wissenschaftlers gelegen. Unwillkürlich setzte Liz sich bequemer, um zu hören, was der Freund zu sagen hatte. „Weißt du, Mädchen”, begann er, und sein Lächeln verbreiterte sich zu unverhohlenem Grinsen, „du hast ein seltenes Talent, deine Schiffe zu Schrott zu fliegen!” -7-
Es war in der Tat eine Mission des guten Willens, die dem Sternenschiff seinen Namen verliehen hatte. Die Ereignisse, die zu dem Unternehmen Anlaß und Verpflichtung gaben, lagen nahezu zwei Jahre zurück. Damals hatten Liz Carton und ihre Leute Kontakt mit einem Volk aufgenommen, dessen Heimatwelt Cas sich auf dem Weg zum Abgrund befand: Der Einschlag eines Meteors hatte den Planeten in den Grundfesten erschüttert; seine nunmehr instabile Umlaufbahn führte ihn allmählich in immer bedrohlichere Nähe der Sonne. Nicht nur alles organische Leben, die Stabilität des gesamten Systems war bedroht! Von den Casonen, technisch hochstehend und dem Geheimnis des Überlichtantriebs dennoch nie auf die Spur gekommen, hatte die Menschheit seinerzeit die theoretischen Berechnungsgrundlagen erhalten, die die Abwehr jener tödlichen Bedrohung gestatteten, die unter der Bezeichnung „Parafront” in die Annalen der terranischen Geschichte einging. Als Gegenleistung hatte Liz den Fremden zugesagt, bei den Bemühungen um die Stabilisierung der Planetenbahn behilflich zu sein, wenn zu diesem Zeitpunkt auch noch niemand wußte, wie dies praktisch bewerkstelligt werden könnte. Bei der Operation Parafront wurde Liz' Sternenschiff allerdings so schwer angeschlagen, daß es als funktionsfähiges Objekt nicht länger angesehen werden konnte. Dennoch vergaß sie ihre moralische Verpflichtung gege nüber den Fremden nicht. Nach zähen Verhandlungen mit den verantwortlichen Politikern erreichte Liz, daß innerhalb von zwei Jahren ein Schiffsneubau von der Werft lief, der die besten terranischen Wissenschaftler zur Unterstützung des befreundeten Volkes nach Cas transportieren sollte. Mit vereinten Kräften mochte es gelingen, den drohenden Untergang der Casonen abzuwenden. Das Sternenschiff, wieder unter Liz Cartons Kommando, erhielt den beziehungsreichen Namen Good Will. Einige üble Spötter unter den Besatzungsmitgliedern freilich hatten nach -8-
dem katastrophalen Rücksturz in den Normalraum nichts Eiligeres zu tun, als mittels wirkungsvoller Flüsterpropaganda eine neue, ebenso beziehungsreiche Variante dieser Bezeichnung in Umlauf zu setzen: Last Will. Liz hörte das, bei allem vorhandenen Humor, hingegen nicht gern, drückte es doch die unterschwellige Befürchtung aus, daß ihre Mission zu jenen gehörte, deren Teilnehmer nie wieder nach Hause zurückkehrten. Die Casonen, die sich von der Hilfe der Terraner so viel versprochen hatten, mußten warten, ahnten nicht einmal, daß bereits eine Expedition zu ihnen aufgebrochen war. Die Menschen an Bord des vor kurzem noch so stolzen Raumers dagegen setzten ihre ganze Hoffnung auf die Reparaturmannschaften – und sie wußten, daß sie dabei dem Tod bereits ins Auge sahen. Die Stimme schien unmittelbar aus dem Nichts in die Realität zu dringen. Sie war dumpf, hohl und knarrend und jagte den Anwesenden einen eisigen Schauer über den Rücken. Phil Verst mußte sich zusammennehmen, um nicht in plötzlich aufkeimender Panik das Labor zu verlassen. Etwas verkrampfte sich in ihm, während er den Patienten beobachtete, der mit unnatürlich weit geöffneten Augen auf seinem Lager zitterte wie im Krampf, seine Hände schlossen sich zu Fäusten. „Die Mission scheitert. Wir werden im Nichts versinken, Vergangenheit und Zukunft werden sich um uns schließen. Unser Leben wird verlöschen wie eine Kerzenflamme im Sturm. Keiner von uns wird die Erde jemals wiedersehen.” Eine unbestimmbare Drohung schien im Raum zu stehen und diese entsetzliche Stimme festzuhalten, nachklingen zu lassen, bis sie sich langsam verlor, durch Körper und Materie sickerte – und verhallte. Der Mann auf dem Untersuchungstisch schwieg. In seinen Augen lag ein wahnsinniger Glanz, der jetzt allmählich -9-
verblaßte. Benommen richtete Ishimo Katsaku sich auf und musterte die Anwesenden verständnislos. Schließlich blieb sein Blick an Phil hängen. „Was ist geschehen?” Der Leiter der parawissenschaftlichen Abteilung überwand die plötzlich wieder aufflammende Abneigung gegen den japanischen Mutanten und trat einige Schritte näher. Die unheimliche psionische Aura umhüllte Ishimo wie ein Schutzschild, und mit jedem Meter, den Phil näherkam, wuchs dessen kreatürliche Angst. Er bemühte sich, nichts davon zu zeigen, doch bezweifelte er, daß es ihm vollkommen gelang. „Sie haben eine Andeutung über unsere Zukunft gemacht”, berichtete er, während er die Reaktionen des Japaners aufmerksam beobachtete. „Erinnern Sie sich nicht daran?” „Nein.” Ishimo ließ sich schwer auf die Liege zurücksinken. Die permanente Drohung, die von ihm ausging, ließ etwas nach. Er entspannte sich. „Ich spürte, wie etwas Grauenvolles meinen Geist umhüllte und mich von der Umwelt isolierte. An mehr erinnere ich mich nicht.” Er sprach jetzt wieder völlig normal, wenn man davon absah, daß sein Tonfall von Natur aus eine seltsam nachhallende Resonanz aufwies. Zusammen mit der spürbaren psionischen Ausstrahlung des mutierten Gehirns, war er durchaus geeignet, Furcht und Abwehrbereitscha ft zu erzeugen. Phil war jedoch nicht gewillt, diesen kreatürlichen Emotionen nachzugeben. Der Japaner hatte sich freiwillig für Untersuchungen in der parawissenschaftlichen Abteilung zur Verfügung gestellt, und in den vergangenen Wochen hatte man einige Erfolge in der Analyse der Aktivitätszentren seines Gehirns erzielen können. Die Aufzeichnungen während des Anfalls würden weitere, wertvolle Erkenntnisse liefern. „Sie waren bereits früher in der Lage, zukünftige Ereignisse vorauszusagen”, erinnerte der Wissenschaftler. „Wir sind inzwischen sicher, daß Unregelmäßigkeiten oder Verzerrungen -10-
im Raum- Zeit-Gefüge Sie in die Lage versetzen, unbewußt Einblick in andere Kontinua zu nehmen. Sie ahnen in solchen Momenten eine mögliche Zukunft – eine von unendlich vie len denkbaren Entwicklungen.” Ishimo nickte verstehend. „Was war diesmal der Anlaß?” „Wir hatten einen kleinen Unfall. Vier Strukturwandler sind durchgebrannt, und ich nehme an, daß bei diesem Vorgang beachtliche Mengen mehrdimensionaler Streustrahlung nach außen gedrungen sind, die den paranormal entwickelten Sektor Ihres Gehirns enorm beeinflußt haben. Eine einleuchtende Erklärung finde ich augenblicklich nicht.” „Es wird auch nicht nötig sein”, sagte Ishimo. „Ich denke, daß Sie recht haben. Ich habe einen Paraschock erlitten. Was waren meine Worte?” Phil sagte es ihm. Zufrieden registrierte er, daß der Japaner von Minute zu Minute ausgeglichener wirkte. Er hatte längst gelernt, seine Ausstrahlung so weit zu kontrollieren, daß er sie bewußt abschwächen konnte, um die Menschen in seiner Umgebung nicht unnötig zu beunruhigen. Seine Fähigkeit, die Emotionen anderer Personen zu erfassen, hatte der Menschheit bereits wertvolle Dienste geleistet. Ihm war es als einzigen gelungen, mit den Casonen, jenem Volk, dem die Mission galt, Kontakt aufzunehmen. Die Fremden kannten keine Verständigung auf akustischer Basis. Sie waren natürliche Telepathen, und ohne Ishimos Anwesenheit wäre ein Gespräch mit ihnen vermutlich niemals zustande gekommen. Die Notwendigkeit, ihn auc h bei diesem Unternehmen als Dolmetscher zur Verfügung zu haben, ergab sich von selbst. Isimos linke Hand zuckte jetzt unkontrolliert. Während ihrer Expedition nach Cas hatte er einen Arm verloren. Erst nach der Rückkehr zur Erde war ihm eine naturgetreue Prothese angepaßt worden. Noch hatte er nicht gelernt, sie in großer Erregung unter Kontrolle zu halten. -11-
„Wenn ich wirklich, wie Sie sagen, Einblick in eine mögliche Zukunft genommen habe”, murmelte er, „sollten Sie meine Äußerungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dann besteht höchste Gefahr für das Schiff und seine Besatzung!”
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2. Sabotage Die Reparatur eines Strukturumwandlers war umständlich und zeitraubend. Die für den Flug auf der Paraspur unentbehrlichen Aggregate lagen tief im Innern der haushohen Wandlerblöcke, verborgen hinter meterdicken, abschirmenden Wänden, um kein Quant der fünfdimensionalen Strahlung nach außen dringen zu lassen. Die engen Wartungsschächte boten die einzige Möglichkeit, die beschädigten Einheiten zu erreichen. Zusätzlich durch Schutzanzüge gesichert, gestaltete sich das Vorwärtskommen der zwei Mann starken Reparaturgruppe höchst schwierig. Sie krochen mehr als sie gingen durch den schwach beleuchteten Tunnel, der sich aus ihrer Perspektive bis in die Unendlichkeit hinzuziehen schien. Schweigend, von den zurückliegenden Ereignissen noch tief betroffen, arbeiteten sie sich Meter um Meter voran. Beide Männer waren nicht frei von Furcht. Die Frage, wie es möglich war, das vier von insgesamt zwölf mehrfach geprüften Strukturwandlern in ihren wichtigsten Elementen gleichzeitig versagten und durchbrannten, beschäftigte in diesen Stunden jedes Besatzungsmitglied mehr oder weniger stark. Die wenigsten wußten, daß sie an der Schwelle des Todes gestanden hatten: Wäre der Rücksturz in den Normalraum nicht rechtzeitig gelungen, hätte die Paraspur sie nie wieder losgelassen! Endlich weitete sich der Wartungsschacht zu einer geräumigen Nische, in der sich die Männer erleichtert aufrichteten. Die Zerstörungen waren nicht mit einem Blick zu erfassen. Insgesamt drei mannshohe Aggregate wiesen Brandspuren auf, zum Teil war das Material geschmolzen und später in bizarren Formen wieder erstarrt. Eines der Elemente -13-
mußte explodiert sein, denn in der Wand klaffte ein mehrfach faustgroßes, gezacktes Loch. Die automatische Löschanlage hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet, sonst wären die Schäden weitaus umfangreicher ausgefallen. Die Mariner machten sich an die Arbeit. Sie benutzten Prüfsonden, Oszillatoren und Strahlungsmesser ebenso wie winzige Steckverbindungen und gewichtige Schweißbrenner. Beschädigte Teile wurden sorgfältig herausgelöst und gegen Ersatzelemente ausgetauscht. Elektronische und hypertonische Verbindungen wurden überprüft und teilweise instand gesetzt. Als sie schließlich schwitzend, hungrig und durstig den Rückweg antraten, hatten sie dennoch erst einen Bruchteil der notwendigen Reparaturen vorgenommen. Die Zerstörung hatte weit um sich gegriffen, bevor die überlasteten Maschinen hatten ausgeschaltet werden können, und es würde noch eine Menge Schweiß und Arbeit kosten, bis das Sternenschiff wieder überlichtflugtauglich war. Die beschädigten Elemente wurden unmittelbar nach Ablieferung durch die einzelnen Reparaturtrupps einer Untersuchungskommission übergeben. Man mußte der Ursache des Ausfalls auf die Spur kommen, um weitere Unfälle von vornherein ausschließen zu können. Das erwies sich zunächst als wenig einfach. Die meisten Teile waren so stark verschmort, daß eine Analyse unmöglich wurde. Andere, die noch einigermaßen erhalten waren, lieferten ebenfalls keine Anhaltspunkte, da sie lediglich in Mitleidenschaft gezogen, jedoch nicht die Urheber der Katastrophe waren. Es dauerte zehn Tage, während der die Good Will weiter antriebslos durch die Galaxis flog, bis man einen ersten Anhaltspunkt fand, und der glich, in Relation zu dem, was man erwartet hatte, einer Sensation. „He, Leute, seht euch das an!” war die erste Reaktion des Technikers, der das beschädigte Teil untersuchte. Auf einem kleinen Monitor war, von einer Prüfsonde übermittelt, das -14-
Schaltbild zu sehen. „Was gibt's?” Der Leiter der Untersuchungskommission trat heran und wartete auf eine Erklärung. Der Techniker deutete auf eine eingeschmolzene Verbindung, die, vom Fachmann sofort zu erkennen, eigentlich nicht existieren durfte. „Hier!” kommentierte er erregt. „Das Ding mußte durchbrennen!” Mit zusammengekniffenen Augen musterte Kinsley das Bild. „Das darf nicht wahr sein!” murmelte er. „Das gibt es nicht!” „Ein Fabrikationsfehler”, vermutete einer seiner Mitarbeiter. Es klang nicht sehr überzeugend. „Fabrikationsfehler?” echote Kinsley aufgebracht. „Die Elemente – jedes einzelne, Damen und Herren! – wurden vor dem Einbau auf Herz und Nieren überprüft! Eine solche Schlamperei hätte auffallen müssen. Bereits beim Test wäre die Einheit durchgefallen!” „Offensichtlich”, warf der Techniker ein, „ist aber bei drei weiteren Wandlern, wenn nicht bei allen, der gleiche Konstruktionsfehler aufgetreten. Eine andere Erklärung als Nachlässigkeit in der Serienproduktion finde ich nicht.” „Ich schon!” meinte Kinsley grimmig. Entschlossen ging er zum Visifon und stellte eine direkte Verbindung zur Kommandozentrale her. Versammlungen, gleich welcher Art, waren Phil ein Greuel – und das um so mehr, wenn es sich um Besprechungen handelte, zu deren Verlauf er ohnehin nichts würde beisteuern können. Als er den Konferenzraum betrat, der unmittelbar an die Zentrale angrenzte, war bereits eine lebhafte Diskussion im Gang. Niemand schien seine Ansicht bis zur offiziellen Diskussion für sich behalten zu können, jeder wollte seinen Argumenten bereits jetzt eher lautstark als überzeugend Geltung -15-
verschaffen. „Hallo”, grüßte Phil einfach, während er sich auf dem letzten freien Platz, unmittelbar neben der Kommandantin, niederließ. Er lächelte anzüglich. Liz lächelte, wie es ihre Gewohnheit war, in der gleichen Art zurück. „Nachdem du als letzter den verschlungenen Weg in diesen Saal wider Erwarten doch noch gefunden hast, können wir anfangen.” Der Parawissenschaftler machte eine großzügige Geste und begann wieder einmal, über das Verhältnis zwischen sich und Liz nachzudenken. Sie kannten sich seit mehreren Jahren, und es war kein Geheimnis, daß sie sich auch privat glänzend verstanden. Manchen wilden Spekulationen, daß zwischen ihnen insgeheim auch intime Beziehungen bestünden, traten sie kalt lächelnd entgegen. Es war nicht der Fall, obwohl Phil weiß Gott nichts dagegen gehabt hätte. Doch in gewisser Weise war Liz trotz ihrer offenen Herzlichkeit unnahbar. Als die Kommandantin die Versammlung eröffnete, verstummten die Gespräche fast schlagartig. Sie besaß die Autorität, die nötig war, ein Sternenschiff mit seiner fast sechshundert Personen starken Mannschaft zu führen, obwohl sie keineswegs übertrieben autoritär war, wie man es gerade weiblichen Offizieren noch immer gern nachsagte. Das Gegenteil war der Fall: Objektiv und den Problemen ihrer Mitarbeiter stets aufgeschlossen gegenüberstehend, erfreute sie sich bei nahezu allen Besatzungsmitgliedern großer Beliebtheit, und ihre offene, unkomplizierte Art trug ein weiteres zu diesem Eindruck bei. Außerdem sah sie, wie insbesondere Phil immer wieder feststellte, bestechend gut aus: Schlank, günstig gekleidet und die gerade über den Nacken reichenden, rötlich schimmernden Haare durchaus jugendlich frisiert, erschwerte sie die Bestimmung ihres Alters ungemein. Irgendwo zwischen dreißig und fünfunddreißig angelangt, bewegten sich die Schätzungen ihrer Mitarbeiter um gut sechs Jahre niedriger. -16-
Der Leiter der Untersuchungskommission begann einen einleitenden Bericht vorzutragen, während Phil seine philosophischen Betrachtungen beendete. Kinsley schilderte zunächst die Schwierigkeiten, die sich bei den Tests ergeben hatten, und kam schließlich auf die entscheidende Entdeckung zu sprechen. „Diese Schmelzverbindung, die zwangsläufig zu einer Überhitzung des Strukturwandlers führen muß, hätte spätestens bei den Funktionsprüfungen auffallen und beseitigt werden müssen. Dies ist nicht geschehen, und die Tatsache, daß das bezeichnete Element offenbar bei allen Aggregaten den gleichen Fehler auf weist, läßt nur den Schluß zu, daß die Meßergebnisse bewußt verfälscht wurden. Die Katastrophe war damit vorprogrammiert! Ich halte das für einen eindeutigen Fall von Sabotage!” Erregtes Gemurmel entstand unter den Sitzungsteilnehmern. Der Verdacht war ungeheuerlich! Wer sollte ein Interesse daran haben, den Flug der Good Will auf diese Weise in einem Fiasko enden zu lassen? Wer mochte sich einen Vorteil davon versprechen, wenn das Sternenschiff, weitab von der Erde, antriebslos durch die Galaxis streifte? Ein Ingenieur meldete sich zu Wort, den die Äußerungen des Kommissionschefs anscheinend kaltließen. Zumindest gelang es ihm hervorragend, etwaige Unsicherheit zu verbergen. „Darf man aus Ihrem Bericht schließen, daß auch die Schalteleme nte der noch intakten Wandler diesen Fehler aufweisen?” „Ich kann es nur vermuten”, antwortete Kinsley bereitwillig, „aber ich fürchte, daß eine entsprechende Untersuchung dies bestätigen wird.” „Dann können wir von Glück reden, daß die Maschinen rechtzeitig abgeschaltet wurden. Wäre der Rücksturz später erfolgt, hätten wir noch mehr Ausfälle. Ist das richtig?” „Ich denke, ja.” „Wie sieht es mit den Ersatzelementen aus?” wollte die -17-
Kommandantin wissen. „Wurden sie nochmals überprüft?” „Selbstverständlich. Wir fanden den gleichen Fehler, den wir vor dem Einbau jedoch beseitigt haben. Nach der Instandsetzung werden die Wandler einwandfrei arbeiten, wobei wir allerdings nicht ausschließen können, daß andere Elemente ebenfalls manipuliert wurden und uns später in ähnlicher Weise zu schaffen machen.” „Keine rosigen Aussichten. Gibt es Anzeichen, wer die Sabotage verübt haben könnte?” Kinsley hob die Schultern, und auch Harp Kelley, Erster Offizier und verantwortlich für Sicherheitsfragen, wußte keine Antwort. „Ich halte nichts von dieser Theorie”, warf ein Wissenschaftler ein. „Niemand kann ein Interesse daran haben, den Flug zu sabotieren. Ich glaube eher an eine Kette unglückseliger Zufälle. Wir hatten großes Pech.” „Zufälle! Pech! Daß ich nicht lache!” Kinsley hatte seine eigene unnachahmliche Art, Leute, die nicht seiner Meinung waren, zu verspotten. „Wie denken Sie sich das, Herr Kollege? Eine ganze Serie von Para-Elementen weist einen gravierenden Fehler auf, der unweigerlich zur Überlastung führen muß. Und bei keinem dieser Elemente fällt das bei den Tests auf! Nennen Sie das Zufall? Ich nenne es Sabotage – wenn nicht gar versuchten Mord!” „Ich hatte Sie nicht hergebeten, damit Sie übereinander herfallen”, bremste Liz den Redefluß des Kommissionschefs. Sie konnte, wenn es nötig war, sehr energisch auftreten. „Was hältst du davon, Phil?” „Nun, ich denke…” Er war verwirrt, weil er nicht damit gerechnet hatte, um seine Meinung gefragt zu werden. „Wir können sowohl die eine als auch die andere Tatsache nicht ausschließen. Es bedarf wahrscheinlich weiterer Untersuchungen, obwohl ich nicht weiß, wie weit die Kollegen -18-
bereits fortgeschritten sind.” „Weit genug”, bekräftigte Kelley aufgebracht, „weit genug!” „Dann sollten wir als Bilanz festhalten”, resümierte Liz, um einen weiteren Streit von vornherein zu unterbinden, „daß zumindest der begründete Verdacht besteht, daß unser Unfall auf bewußte Manipulation zurückzuführen ist.” Harp Kelley erhob sich und verschaffte sich so ohne Probleme Gehör. Er liebte spektakuläre Auftritte. „Und wir müssen die Möglichkeit einkalkulieren, daß sich Saboteure oder Attentäter sogar unter der Besatzung aufhalten.” Während er sich setzte, hieb er mit der Faust auf den Tisch. „Mitten unter uns!” Liz warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. „Der Verdacht besteht, gewiß”, versuchte sie die harten Worte aufzuweichen, „aber wir sollten ihn für uns behalten und alle Gegenmaßnahmen insgeheim zu treffen. Andernfalls wird in Kürze jeder jeden verdächtigen und zu überführen suchen. Ein Chaos wäre die Folge.” Harp nickte verbissen. Er hatte den Wink verstanden. „Eines sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben”, meldete sich Phil zu Wort. Seine Ausführungen, glaubte er, besaßen die Durchschlagskraft einer Bombe. „Während der Katastrophe müssen einige 5-D-Emissionen durchgekommen sein, die unseren Dolmetscher und freiwilliges Studienobjekt Ishimo Katsaku in unerhörter Weise beeinflußt haben. Er erlitt eine Art Paraschock, wie er selbst es bezeichnet, und während der Bewußtlosigkeit machte er einige Andeutungen über unsere Zukunft. Er sprach davon, daß das Nichts uns verschlingen würde und daß keiner von uns die Heimat jemals wiedersähe…” Der Tumult, den Phil erwartet hatte, blieb aus. Statt dessen machte sich betretenes Schweigen breit.
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Der Drohbrief war in Melbourne aufgegeben worden, von scheinbar zittriger Hand geschrieben und von der bislang unbekannten Aktion Freies Australien unterzeichnet. Spezialisten von Kriminalämtern und Geheimdiensten hatten ihn untersucht und doch keinen Anhaltspunkt auf die Absender finden können. Das Schreiben war das Werk einer Gruppe, von der man bis heute nie etwas gehört hatte und über deren Absichten und Ziele nichts bekannt war. Um so schwerer wog die Ankündigung, im soeben fertiggestellten Gerüst des jüngsten Schiffsneubaus sei eine Bombe versteckt, die zu einer nicht näher bestimmten Zeit innerhalb der nächsten fünf Tage explodieren werde. Sofort waren die Bauarbeiten eingestellt und der Raumhafen in der Nullarbor-Ebene evakuiert worden. Sprengstoffexperten machten sich auf die Suche nach dem versteckten Explosionskörper. Zwei Tage und zwei Nächte durchforsteten sie jeden Winkel und jeden Hohlraum innerhalb des Gerüsts und der wenigen bereits eingezogenen Decks. Sie fanden nichts. Von dem Moment an, in dem er den Untersuchungsbericht der Expertengruppe in den Händen hielt, sank die Stimmung Oberst Rotex' auf den Tiefstpunkt. „Was bezwecken sie damit?” grollte der Leiter der Hafensektion Nullarbor-Süd. „Was soll diese Drohung, die offensichtlich eine Falschmeld ung ist?” „Jemand versucht uns einzuschüchtern”, vermutete ein Vertreter des Sprengstoffkommandos. Rotex verzog spöttisch die Lippen. „Tatsächlich! Ich wäre nicht darauf gekommen!” Er war unerträglich an diesem Tag. Der Zorn saß ihm in den Knochen. „Nennen Sie mir einen Grund! Will jemand die Zusammenarbeit zwischen den Sowjets sabotieren?” „Das vermutlich auch.” Alek Guntrim, der Chefwissenschaftler des Para-Forschungszentrums, sprach ruhig -20-
und überlegt. Für ihn schien die Angelegenheit klar. „Es liegt auf der Hand, worum es den Unbekannten geht. Sie zeichnen mit Aktion Freies Australien, erinnern Sie sich!” „Sie wollen, daß wir verschwinden”, spann Rotex den Gedanken weiter. „Ganz richtig. Wir sollten uns nichts vormachen: Es gab schon immer Gruppen, die den Raumhafen, die Stadt der Astronauten und das Para-Forschungszentrum als einen Dorn im Auge betrachteten. Sie sehen die Unabhängigkeit ihres Landes gefährdet, und jetzt nehmen sie den Kampf auf.” „Das ist widersinnig!” fuhr Rotex auf. „Wir verhalten uns völlig neutral und werden uns hüten, uns in die inneren Angelegenheiten Australiens einzumischen. Der Raumhafen und die Siedlung in diesem unfruchtbaren Landstrich stören keinen. Zudem haben die meisten Firmen der Zulieferungsindustrie ihre Werke hier errichtet und damit sichere Arbeitsplätze geschaffen.” Alek Guntrim hielt den Abdruck des Drohschreibens hoch. „Machen Sie denen das klar!” Der Oberst schüttelte unwillig den Kopf. So kamen sie nicht weiter. Die Absender des Briefes waren anonym, und momentan deutete alles darauf hin, daß sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt hatte. Am vernünftigsten war es vermutlich, die Drohung der Unbekannten zu ignorieren. Als die Erschütterung durch den Raum fuhr, wußte er es besser. Die lärmschützende Bauweise des Kontrollgebäudes gestattete das Eindringen von Schallwellen nicht. Die einzigen Anzeichen, daß etwas geschehen war, waren die kurz klirrenden Gläser und das sekundenlange Zittern aller Gegenstände. Es gab keine Fragen. Rotex hastete aus dem Raum in die Kontrollzentrale, von wo aus er über Monitore das Unglück beobachten konnte. Verhindern konnte er jetzt nichts mehr. Draußen, auf dem geräumten Landefeld, brannte der -21-
Schiffsrohbau aus. Glühende Trümmer waren über den Stahlplastikbelag des Raumhafens verteilt, die provisorischen Landestützen der Riesenkugel waren eingeknickt, und das Gewicht des stählernen Gerüsts hatte sie unter sich begraben. Dichter Qualm stieg über der Unglücksstelle auf, schemenhaft waren die Fragmente des Sternenschiffs zu erkennen; gleich drohenden Fingern reckten sie sich in den rußgeschwärzten Himmel. „Also doch”, murmelte Oberst Rotex betroffen, bevor er sich setzte. Erst das Geräusch des Paraschreibers weckte seine Lebensgeister wieder. Die Good Will meldete sich! Es konnte nichts Gutes bedeuten, denn allen Berechnungen zufolge müßte sich das Sternenschiff noch auf der Paraspur befinden. Von dort war eine Verbindung zum Raumhafen unmöglich. Wenn sich Liz Carton außerplanmäßig meldete, mußte etwas schiefgelaufen sein. Eine Katastrophe jagte die nächste, überlegte er in einem Anflug von Galgenhumor, während er den Streifen mit dem Klartext entgegennahm. Er mußte ihn dreimal lesen, um ihn aufzunehmen, so verwirrt waren seine Gedanken. good will unter liz carton an zentrale kontrolle nullarbor – außerplanmäßig rücksturz wegen vier defekter strukturwandler erforderlich – untersuchungen ergaben sabotage in der fertigung und manipulation in der endkontrolle – bitten um überprüfung und mitteilung des ergebnisses – reparaturen laufen zügig – ende Rotex lehnte sich zurück. Alles paßte zusammen. Die Unbekannten, die für die Zerstörung des Schiffsneubaus verantwortlich waren, hatten offensichtlich auch das Unternehmen Guter Wille sabotiert. Es würde nicht lange dauern, bis sie zum Generalangriff gegen den Raumhafen ansetzten. Augenblicklich kam Bewegung in den Oberst. Mit zwei, drei schnellen Handbewegungen stellte er eine Verbindung zur -22-
Polizei- und Militärzentrale des Raumhafens her. „Rotex”, meldete er sich. „Die Sicherheitschefs sofort in Konferenzraum Delta! Der Raumhafen wird abgeriegelt. Sicherheitsstufe A-Eins mit sofortiger Wirkung! Rotex Ende.” Für schnelle, konsequente Handlungen war der Oberst bekannt. Er selbst bezweifelte jedoch, daß seine Anweisungen viel nützen würden. Die Unbekannten wußten um die scharfen Sicherheitseinrichtungen auf Nullarbor. Sie würden nicht so töricht sein, sich nach dem mißglückten Anschlag noch hier aufzuhalten.
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3. Terror Gedämpftes Licht und flotte Musik erfüllten den Raum. Einige Paare tanzten auf der sorgsam freigehaltenen Fläche, andere unterhielten sich mehr oder weniger angeregt, lachten, tranken. Es herrschte eine seltsame, unbeschwerte Fröhlichkeit, die vermutlich dem Zusammentreffen des Festes mit der Beendigung der Reparaturarbeiten an den defekten Wandlern zuzuschreiben war. Phil Verst erkannte den Wohntrakt der Kommandantin kaum wieder. Sie hatte die Räume geschmackvoll hergerichtet und mit Girlanden und Lampions geschmückt. Eine provisorisch aufgebaute Lichtorgel sorgte für zusätzliche Effekte. Einen Moment blieb der Wissenschaftler stehen und sah sich staunend um. „Ich freue mich, daß du gekommen bist”, hörte er Liz' Stimme durch die Geräuschkulisse. Die Kommandantin kam auf ihn zu und begrüßte ihn lächelnd. Er zog sie zu sich heran und drückte ihr einen kameradschaftlichen Kuß auf die Wange. „Alles Gute zum Geburtstag”, dozierte er und reichte ihr das kleine Päckchen, das er unter dem Arm getragen hatte. Demonstrativ sah er sich um. „Wenn ich mir anschaue, welchen Einfallsreichtum du wieder beweist, ärgere ich mich um so mehr, daß ich nirgends auf diesem verdammten Kahn einen Strauß Blumen auf treiben konnte.” „Mach dir nichts daraus.” Sie führte ihn zu einem freien Platz und setzte sich neben ihn. „Ich habe das Zeug geschmuggelt, wenn du es so nennen willst. Ich habe in der Gepäckkontrolle einige gute Freunde.” -24-
Er lachte. „Deine Beziehungen möchte ich haben! Vielleicht wüchsen dann in den botanischen Abteilungen ein paar Rosen.” „Du bist unmöglich! Wenn du mir ein Kompliment machen willst, kannst du es mir auch ins Gesicht sagen.” Phil schnappte nach Luft und räusperte sich auffallend gekünstelt. Beinahe verlegen strich er mit den Fingern durch die Haare. „Dein psychologisches Feingefühl ist bemerkenswert und unübertroffen”, stellte er erheitert fest. „Deine Verlegenheit ebenfalls”, gab sie schlagfertig zurück. Sie musterte ihn mit einem gleichermaßen belustigten und nachdenklichen Blick. Phil antwortete nicht. Je länger er mit dieser Frau zusammenarbeitete, desto stärker wurde seine Sympathie für sie. Manchmal fragte er sich, ob dies wirklich nur Kameradschaft sein konnte – oder ob nicht inzwischen sehr viel mehr dahintersteckte. Aus einigen scherzhaft verkleideten Bemerkungen Liz' glaubte er oftmals herauszuhören, daß sie sich über ihre wahren Emp findungen ebenso im unklaren war. Es würde die Zeit kommen, dies klarzustellen. Vorerst war daran jedoch nicht zu denken. Die Kommandantin war den ganzen Abend damit beschäftigt, ihre Gäste zu bewirten, hier und da ein Gespräch zu führen, mit dem einen oder anderen Kollegen zu tanzen und sich in regelmäßigen Abständen bei Harp Kelley in der Zentrale rückzuversichern, daß alles in Ordnung sei und es keine Schwierigkeiten gebe. Für mehr als oberflächliche Vertrautheit war hier kein Platz. Erst später, als die Turbulenz sich legte und die Feier sich mit Diskussionen und Gesprächen dem Ende zuneigte, fand Liz Zeit, sich intensiver um den befreundeten Kollegen zu kümmern. Sie setzte sich neben ihn, und Phil sah ihr lange in die Augen. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, keinesfalls unangenehm, aber auch nicht eindeutig. -25-
„Weißt du”, sagte sie leise, „manchmal habe ich Angst, dieses Schiff zu kommandieren. Man weiß nie, wohin der Flug führen wird und trägt doch die ganze Verantwortung.” „Das liegt in der Natur der Sache.” Es verwirrte ihn, daß sie plötzlich derart melancholische und selbstgrüblerische Gedanken hegte. Bisher hatte er nie den Eindruck gehabt, daß sie innerlich so gefühlsbetont auf ihr Amt reagierte, das sie ansonsten souverän ausübte. „Wie kommst du jetzt darauf?” Im gleichen Augenblick hatte sie sich wieder gefangen. Sie lachte schulterzuckend. „Keine Ahnung. Es schoß mir einfach durch den Kopf. Vergiß es.” Phil vergaß es nicht. Die kurze Bemerkung hatte ihm eine Kleinigkeit ihres inneren Wesens verdeutlicht, und er ahnte, daß sie es mit Absicht getan hatte. Dennoch fand der Wissenschaftler nicht den Mut, die Gefühle der Kommandantin auf die Probe zu stellen. Er fürchtete sich vor einer Enttäuschung. Irgendwann würde er sich darüber klar werden, auch über sich selbst und seine Empfindungen. Er ahnte noch nicht, daß es bald, aber nicht in dieser Welt geschehen würde… Etwas lag in der Luft. Mit seinen paranormalen Sinnen spürte Ishimo die Gefahr, ohne sie jedoch lokalisieren zu können. Es war nichts Konkretes, nichts Faßbares – eine unterschwellige, disharmonische Strömung inmitten der vielfältigen Emotionen der Menschen an Bord. Vergeblich bemühte sich der Mutant, den vagen Eindruck festzuhalten und zu verfolgen, seine Herkunft zu bestimmen und seine Bedeutung zu ergründen. Es gelang ihm nicht. „Entspannen Sie sich”, drang Phils Stimme in das Bewußtsein des Japaners. „Wenn Sie sich geistig verkrampfen, werden unsere Messungen nichts taugen.” -26-
Ärgerlich wandte Ishimo der Kopf. Die Aufforderung des Wissenschaftlers hatte seine Gedanken gestört und den seltsamen Eindruck verwischt. Irgendwo im Sternenschiff braute sich Unheilvolles zusammen – mehr als diesen Verdach vermochte er nicht mehr zu erfassen Dennoch war er nicht bereit, sein« Ahnung für sich zu behalt en. „Eine gefährliche Entwicklung bahnt sich an”, stieß er hervor, während er den Oberkörper ruckhaft von der Untersuchungsliege aufrichtete. Mit den.an einigen Stellen seines Körpers angebrachten Sensoren wirkte seine Erscheinung grotesk. „Die Sicherheit des Schiffes und der Besatzung wird bedroht!” Phil starrte ihn nur an. Er war so überrascht von der Äußerung des Japaners, daß er lange Zeit kein Wort hervorbrachte. „Tun Sie etwas!” Ishimos Stimme wurde drängender, fordernd. Steile Falten bildeten sich auf seiner Stirn. „Sie haben nicht viel Zeit!” Mittlerweile hatte sich Phil gefangen. Er machte einige beruhigende Gesten und ließ sich demonstrativ auf einem Stuhl nieder. „Ich werde mich hüten”, eröffnete er dem Mutanten, „aufgrund Ihrer mysteriösen Andeutungen einen Alarm auszulösen. Die Reparatur der Strukturwandler wurde gestern beendet, und in der Zentrale ist man damit beschäftigt, den Eintauchwinkel für die Fortsetzung unserer Reise zu berechnen. Ein blinder Alarm würde den Start unnötig verzögern. Vielleicht erklären Sie mir die Angelegenheit zunächst genauer.” Ishimo schien in sich hineinzuhorchen. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, und in diesen Sekunden verstärkte sich jene furchterregende Aura, die schon zu vielen Mißverständnissen Anlaß gegeben hatte, spürbar. Der Parawissenschaftler mußte sich zusammenreißen, um nicht von Panik überwältigt zu werden. -27-
„Ich… ich kann es jetzt deutlicher spüren…”, stammelte der Mutant wie in Trance. „Da geschieht etwas…!” Phil beobachtete ihn fasziniert. Er kannte die Begabung des Mannes, die Emotionen seiner Mitmenschen zu erfassen und oftmals auch unmittelbar bevorstehende Ereignisse zu ahnen. Eindeutige Ergebnisse hatten die Untersuchungen seiner Gehirntätigkeit jedoch noch nicht erbracht. Der Japaner wirkte jetzt zerfahren und nervös, als wisse er nicht recht, wie er ausdrücken sollte, was ihn bewegte. „Mein Gott!” brach es dann aus ihm hervor. „Die Zentrale! Sie stürmen die Zentrale!” Da, endlich, war der konkrete Hinweis, auf den Phil gewartet hatte. Er sprang auf, um eine Sichtverbindung zur Kommandozentrale herzustellen. In diesem Augenblick begannen die Alarmsirenen zu heulen, der Bildschirm erhellte sich, und das gespannte Gesicht der Kommandantin erschien auf dem Monitor. „Kommandant an alle!” begann Liz zu schreien. Im Hintergrund erkannte Phil zehn, elf Personen, die mit schußbereiten Gewehren in den kuppelförmigen Saal eindrangen. „Überfall auf die Zentrale! Überfall…” Einer der Eindringlinge schoß sofort. Ein greller Blitz zuckte auf, dann erlosch die Verbindung schlagartig. Eine Weile stand Phil wie gelähmt, die Hände auf die Kommunikationskonsole gestützt und fassungslos die schwarze Sichtscheibe des Monitors anstarrend. Dann fuhr er ruckartig herum und richtete den Blick auf den japanischen Mutanten. Ishimo trennte die Meßsonden von seinem Körper und erhob sich langsam von der Liege. In beinahe entschuldigender Geste breitete er die Arme aus und trat neben den Wissenschaftler. „Ich hatte Sie gewarnt”, erinnerte er. Hektik befiel den Leiter der Abteilung. Er mußte etwas tun, -28-
um Liz und den Leuten in der Zentrale zu helfen – aber was? Während seine Mitarbeiter sich halbkreisförmig hinter den beiden Männern gruppierten, beschäftigte sich Phil verzweifelt mit dem Versuch, eine erneute Sichtverbindung zum Kommandostand herzustellen. Schließlich wurde ihm die Sinnlosigkeit seines Unterfangens klar. Die Eindringlinge hatten den Visifonanschluß der Zentrale mit ihrem Schuß wirkungsvoll zerstört. Kalter Schweiß stand auf der Stirn des Wissenschaftlers, als er sich umwandte und sich rücklings gegen die Konsole lehnte. „Was geht da vor sich?” murmelte er fassungslos. Alle Aktivität schien aus ihm gewichen. „Sie kontrollieren die Zentrale und damit das Schiff”, stellte Ishimo nüchtern fest. Phil ließ sich das Erlebte durch den Kopf gehen. Es bestand die Gefahr, daß die Meuterer auch andere Abteilungen kontrollierten oder zumindest versuchen würden, weitere Sektionen des Sternenschiffs in ihre Gewalt zu bekommen. Von einer Sekunde zur anderen wurde der Wissenschaftler wieder lebendig. „Los!” bellte er. „Das Schott verriegeln! Wir dürfen sie nicht hereinlassen!” Einer seiner Mitarbeiter stürmte los, um den Verriegelungsmechanismus des einzigen Zugangs zu betätigen. Kaum drei Schritte weit war er gekommen, als sich das stählerne Tor, von außen geöffnet, zur Seite schob. Zwei Männer, deren entschlossene Blicke und entsicherte Strahlgewehre keine Zweifel an ihre Absichten offenließen, betraten den Raum und sahen sich sichernd um. „Niemand rührt sich!” forderte einer der Eindringlinge. „Wir fackeln nicht lange!” Phil spürte, daß sie es ernst meinten. Der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, warum Ishimo die Emotionalmuster der beiden -29-
Männer nicht aufgenommen und rechtzeitig vor ihnen gewarnt hatte. Vermutlich hatten ihn die Vorgänge in der Zentrale zu sehr abgelenkt. Der Wissenschaftler beobachtete, wie der zweite Mann das Schott wieder schloß und von innen verriegelte. Damit war auch die parawissenschaftliche Abteilung von der Außenwelt abgeschlossen. Niemand würde von außen eindringen können. „Was wollen Sie?” wagte er einen Vorstoß. „Ruhe!” Einer der Männer kam auf Phil zu, packte ihn hart am Arm und stieß ihn von der Gruppe seiner Mitarbeiter weg. „Du redest, wenn du gefragt wirst!” Der zweite Eindringling hielt sein Strahlengewehr schußbereit auf die anderen gerichtet. Eine Krümmung des Zeigefingers, ein kurzer Schwenk von links nach rechts oder umgekehrt – und keiner der Frauen und Männer wäre mehr am Leben. „Dort hinüber!” kommandierte der Mann und machte eine knappe Kopfbewegung in die Richtung, in der Phil sich jetzt aufhielt. Ishimo machte den Anfang. Schweigend und krampfhaft bemüht, keinen der Meuterer anzusehen, damit sie nicht vorzeitig erführen, mit wem sie es zu tun hatten – wenn sie es nicht ohnehin wußten -, ging er die wenigen Schritte zur Sitzgruppe hinüber, wo er sich scheinbar in aller Ruhe niederließ. Die anderen folgten seinem Beispiel wortlos. Phil war nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. Was bezweckten die Eindringlinge mit ihrem Vorgehen? Welches Ziel verfolgten sie? Erkannten sie nicht die Sinnlosigkeit ihres Tuns? Es fehlte nicht viel, und der sonst so beherrschte Wissenschaftler wäre aufgesprungen und hätte sich auf die beiden Männer gestürzt – da fing er einen triumphierenden Blick des neben ihm sitzenden Mutanten auf. Ishimo lächelte mild vor sich hin. Phil starrte ihn verständnislos an. -30-
Der Überfall auf die Zentrale war wesentlich weniger unblutig verlaufen. Liz Carton hatte sich angewöhnt, wenn sie das Geräusch des sich öffnenden Hauptschotts hinter sich hörte, einen Blick auf einen desaktivierten Monitor zu werfen. Die dort sichtbaren Spiegelungen vermittelten ihr, ohne daß sie sich umzudrehen brauchte, einen recht deutlichen Eindruck dessen, was innerhalb der Zentrale vor sich ging. Als das knappe Dutzend Personen in den Saal eindrang, erkannte die Kommandantin auf die beschriebene Weise sofort, daß sie schwere Strahlwaffen im Anschlag mit sich führten und Anstalten machten, sich auf strategisch günstige Punkte zu verteilen. Sie empfand es als gewisses Risiko, mit dem Rücken zu den Leuten zu verweilen, dennoch handelte sie sofort. Ihre flache Hand preßte sich auf die Kontaktplatte der Rundrufanlage. Eine grün glimmende Leuchtdiode zeigte Sendebereitschaft an. „Kommandant an alle!” rief sie, während panische Angst in ihr hochstieg. Wenn die Eindringlinge unbesonnen waren, würden sie nicht zögern, sie von hinten niederzuschießen. „Überfall auf die Zentrale! Überfall…” Weiter kam sie nicht. Ein greller Blitz zuckte aus dem Hintergrund auf, daß häßliche Fauchen erhitzter und verdrängter Luft ertönte – und im gleichen Augenblick schlug die freigesetzte Energie in die Visifonanlage ein. Als sie die Hitze spürte, warf Liz sich instinktiv aus dem Sessel und flach auf den' Boden. Ein Bildschirm barst und schleuderte glühende Glassplitter von sich, das Steuerpult der Sprechanlage schmolz unter starker Rauchentwicklung. „Keine voreiligen Reaktionen, Kommandantin!” empfahl eine ruhige, aber befehlsgewohnte Stimme aus der plötzlich einsetzenden Stille heraus. -31-
Liz hob den Kopf und blickte genau in die Abstrahlmündung eines Gewehrs. „Aufstehen!” kommandierte der Mann, ohne die Waffe einen Zentimeter zur Seite zu bewegen. Die Kommandantin zögerte nicht, dem Befehl nachzukommen. Dennoch war sie entschlossen, Standfestigkeit und Widerstandswillen zu demonstrieren – obwohl die Furcht in ihr nagte. „Was soll das?” fragte sie. Die Festigkeit ihrer Stimme überraschte sie selbst. „Ist das eine Meuterei?” Der Mann begann laut zu lachen. Er war einen guten Kopf größer als Liz und besaß, wie die Kommandantin erkannte, einen leidlich durchtrainierten Körper. Unter der engen Kombination zeichneten sich die respektabel ausgebildeten Muskelstränge deutlich ab. Er war eher das Gegenteil dessen, was sie sich hinter einem Meuterer oder Anführer vorgestellt hatte. Dennoch ließ sie sich von dem geradezu sympathischen Gesichtsausdruck, von den bläugrünen Augen unter sorgfältig gepflegten, dunkelblonden Haaren nicht in die Irre führen. Dieser Mann war gefährlich! „Nennen Sie es, wie Sie wollen”, sagte der Fremde. „Nur unterschätzen Sie uns nicht.” Liz ließ sich in ihrem Sessel nieder. Verzweifelt bemühte sie sich, ruhig zu bleiben. „Also”, begann sie, und insgeheim hoffte sie, daß in den anderen Abteilungen, wo ihr Hilferuf gehört worden war, bereits Pläne zur Befreiung der Zentralbesatzung geschmiedet würden. Es galt, Zeit zu gewinnen. „Was wollen Sie?” Das war der Moment, den zwei Sicherheitsoffiziere für richtig hielten, einen Angriff auf die Eindringlinge zu starten. Die beiden Männe r mußten sich mit Blicken verständigt haben, denn sie befanden sich an entgegengesetzten Punkten des Zentralerunds. Wie auf ein geheimes Kommando sprangen sie -32-
auf, rissen die Waffen aus dem Gürtel, warfen sich zu Boden und feuerten. Einer der Eindringlinge wurde tödlich getroffen. Die anderen reagierten, bevor ein weiterer Schuß von den Offizieren abgegeben werden konnte. Von mehreren Strahlgarben erfaßt, schlitterten ihre Körper, vom Druck getrieben, über den Bodenbelag. Sie hatten nicht einmal mehr Zeit gefunden zu schreien, so schnell kam der Tod über sie. „Soviel zu den Voraussetzungen, unter denen wir hier arbeiten”, bemerkte der Anführer kalt. „Wir gehen keine Kompromisse ein. Jedem, der sich gegen uns stellt, wird es ergehen wie diesen vermeintlichen Helden.” Liz fühlte unbändigen Zorn in sich aufsteigen. „Sie sind brutal und unmenschlich”, flüsterte sie bebend. „Brutal oder nicht”, sagte der Anführer ohne jegliche erkennbare Regung in der Stimme, „Sie kennen nun unsere Methoden und sind hoffentlich klug genug, keine ähnlichen Dummheiten zu begehen.” Erschüttert wandte sich die Kommandantin ab. Einmal mehr erkannte sie, daß die Eindringlinge vor nichts zurückschrecken würden, um ihre noch unbekannten Ziele zu erreichen. Der Anführer winkte jetzt nach dem Ersten Offizier. Harp Kelley wirkte noch immer wie versteinert. „Verschwinden Sie!” herrschte der Eindringling ihn an. „Sie werden im Moment nicht gebraucht.” Harp warf der Kommandantin einen hilfesuchenden Blick zu. „Tun Sie, was er sagt”, forderte Liz ihn auf. Im Augenblick blieb ihm nichts übrig, als alle Befehle zu befolgen. Harp erhob sich und zog sich in den Hintergrund der Zentrale zurück, an seiner Stelle nahm der Anführer der Meuterer seinen Platz ein. „Weiter!” forderte Liz ihn auf. Es hatte keinen Sinn, untätig abzuwarten, was die Fremden unternehmen wollten. Je eher man -33-
erfuhr, was sie eigentlich vorhatten, welches ihre Absichten waren, desto leichter ließen sich vielleicht Gegenmaßnahmen ergreifen. „Was geschieht jetzt?” Der Hochgewachsene griff in die Außentasche seiner Kombination und reichte der Kommandantin einen Zettel. „Ich möchte, daß Sie diesen Text zur Erde senden”, erläuterte er. „Und zwar wortgetreu, ohne irgendwelche Änderungen. Haben wir uns verstanden?” Liz brauchte eine Weile, um die undeutliche Handschrift, mit der der Text abgefaßt war, zu entziffern. Als es ihr gelungen war, lachte sie unwillkürlich auf; aber in ihrem Lachen lag keine Heiterkeit. „Sie sind närrisch!” entfuhr es ihr. „Glauben Sie, Nullarbor würde darauf eingehen?” Der Anführer sprang auf und kam drohend einen Schritt näher. „Ihre Beurteilung meines Geisteszustands interessiert mich nicht! Ich habe Ihnen befohlen, diesen Text zu senden. Tun Sie es und enthalten Sie sich jeden Kommentars!” Liz schwieg verbissen und studierte die Sendekontrollen. Die Vernichtung der Konsole war so exakt erfolgt, daß nur die bordinterne Visifonverbindung unterbrochen war. Alle anderen Funktionen wie Normalfunk und insbesondere der Parafunk nach außen waren intakt. Innerlich widerstrebend, tastete sie den Text in den Speicher und ließ ihn über den Parasender abstrahlen. Ohne meßbaren Zeitverlust würden die Forderungen der Eindringlinge auf der Erde eintreffen. Die Frage war, wie die Verantwortlichen darauf reagierten. „Was weiter?” wollte Liz wissen. „Nichts weiter. Wir warten die Antwort ab. Und Gnade Ihnen Gott, wenn Rotex nicht darauf eingeht!”
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Der kleine Mann wirkte nicht wie ein Draufgänger, schon gar nicht wie ein Mensch, der sich für eine bestimmte Sache oder eine Idee selbst in Unannehmlichkeiten bringt. Er schien verschüchtert und verängstigt. Zusammengekauert saß er auf dem Stuhl, den grellen Strahl der Lampe im Gesicht, und harrte der Dinge, die kommen würden. Es durfte nicht schwierig sein, die Wahrheit von ihm zu erfahren. Oberst Rotex leitete das Verhör selbst. Bei der offensichtlichen Entschlossenheit der Saboteure wollte er sich nicht den kleinsten Fingerzeig entgehen lassen. Wenn er dabei recht altmodische Methoden anwandte, so geschah es in diesem Fall nur deshalb, weil er überzeugt war, von diesem verschüchterten Mann alles zu erfahren, was er wissen wollte. „Wie heißen Sie?” begann der Oberst die Befragung. Ein Tonbandgerät war eingeschaltet, um alle Aussagen aufzuzeichnen. Der Verhaftete schwieg zunächst. „Eines sage ich Ihnen”, fuhr Rotex ihn an. „Wenn Sie meine Fragen nicht freiwillig beantworten, finden wir Wege, Sie dazu zu zwingen! – Also?” „Zerm Chubb”, stotterte der Mann, während er in das grelle Licht blinzelte. „Sie haben meine Personalpapiere und wissen das.” Rotex lächelte. Natürlich war er über die Identität des Verhafteten informiert, wenn freilich auch die Möglichkeit bestand, daß der Paß und die anderen sichergestellten Unterlagen gefälscht waren. Die Frage hatte einzig dem Zweck gedient, seine Bereitwilligkeit zur Aussage zu testen. In einer großangelegten Aktion waren vor wenigen Stunden die Mitarbeiter der Raumschiff- Endkontrolle überprüft worden. Es hatte kaum Schwierigkeiten bereitet, jene Personen festzustellen, die für die gefälschten Meßwerte der Good Will verantwortlich waren. Fünf Verhaftungen waren erfolgt. -35-
Inzwischen wurde weiter nach den Leuten gefahndet, die die Manipulation der Strukturwandler bei der Herstellung selbst vorgenommen beziehungsweise die elektronisch gesteuerten Fertigungsanlagen mit fehlerhaften Programmen gespeist hatten. „Sie haben die Meßergebnisse der Endkontrolle bewußt gefälscht”, fuhr Rotex fort. „Taten Sie das aus eigenem Antrieb?” „Ich wurde beauftragt.” „Von wem? Wer ist Ihr Auftraggeber?” Zerm Chubb zögerte. Es schien, als überlege er, ob er es riskieren könne, die Wahrheit zu sagen. „Reden Sie, Mann!” Der Oberst beugte sich drohend über den Schreibtisch. „Ich warne Sie zum letzten Mal.” Das wirkte. „Es war eine Organisation, die sich Aktion Freies Australien nennt”, erklärte der Verhaftete. Rotex nickte nachdenklich. Seine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. „Sie wurden gekauft”, riet er spontan. Zerm Chubb schüttelte protestierend den Kopf. „Nein!” Es erweckte den Anschein, als fasse er die Bemerkung als Beleidigung auf. „Sie haben eben erklärt, daß Sie nicht aus eigenem Antrieb handelten. Und dann wollen Sie nichts für Ihre gemeine Arbeit bekommen haben?” „Nein.” Zerm Chubb wirkte jetzt bereits ruhiger und ausgeglichener als zu Beginn des Verhörs. „Die Vertreter der AFA haben mir ihre Ziele erläutert, und ich halte diese Ziele für richtig. Deshalb habe ich den Auftrag ausgeführt.” „Wer sind die Leute, die sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt haben?” -36-
„Ich weiß es nicht. Die Kontakte erfolgten über Visifon, ohne Bildverbindung. Namen wurden keine genannt.” „Welches sind die Ziele der Organisation?” „Die Befreiung der Insel von dem Einfluß der Amerikaner und Sowjets.” „Und Sie glauben, das erreichen zu können, indem Sie Hunderte von Menschen in Lebensgefa hr bringen, ihnen vielleicht die Möglichkeit nehmen, die Erde jemals wiederzusehen?” Der Verhaftete schwieg, gab jedoch durch nichts zu erkennen, daß er seine Handlungsweise bereute. „Sie wollen nichts dazu sagen?” bohrte Rotex. „Nein.” Der Oberst nickte verbissen und gab den beiden Sicherheitsoffizieren, die mit geschulterten Gewehren rechts und links von ihm standen, einen Wink. Zerm Chubb wurde in die Untersuchungshaft zurückgeführt. Klarer als zuvor erkannte der Leiter der Hafensektion Süd, daß sie erst am Anfang einer bedrohlichen Entwicklung standen. Die Aktion Freies Australien hatte deutlich zu machen verstanden, welches ihre Absichten waren und auf welche Weise sie sie durchzusetzen gedachten. Darüber hinaus hatte die Befragung des bislang vermutlich integren und ehrlichen Kontrolleurs gezeigt, daß es unter der Bevölkerung der Insel eine kaum zu schätzende Anzahl von Menschen gab, die mit der AFA sympathisierten und deren Aktionen unterstützten. Rotex war so in Gedanken versunken, daß er erschrocken auffuhr, als die Tür zum Verhörraum sich öffnete. Ein Offizier stürzte herein, einen Papierstreifen über dem Kopf schwenkend. Atemlos überreichte er ihn dem Oberst. „Nachricht von der Good Will, Sir.” Sein Tonfall sprach Bände. Es mußte etwas passiert sein. -37-
Auf alles gefaßt, nahm Rotex den Streifen auf. good will unter liz carton an zentrale kontrolle nullarbor – das schiff ist in unserer gewalt – wir verlangen die auflösung des raumhafens nullarbor und den rückzug aller amerikanischen und sowjetischen astronauten, wissenschaftler und militärs – für die ausführung geben wir ihnen einen monat zeit – ein entsprechender beschluß ist jedoch sofort zu fassen – unser freund, der sich bei ihnen melden wird, wird innerhalb von drei tagen bestätigen, daß alle erforderlichen maßnahmen eingeleitet sind – bei nichterfüllung unserer forderung haben wir die möglichkeit, das schiff zu vernichten – Stichzeit ist der fünfundzwanzigste mai um achtzehn null null uhr – Unterzeichner ist die aktion freies australien, kerman tot – stop – ende – Rotex legte den Textstreifen wortlos auf den Tisch und lehnte sich zurück. Die AFA schien zu allem entschlossen. Sie begann mit sanfter Gewalt, die innerhalb kürzester Zeit zum blanken Terror eskalierte, der in der Geiselnahme der sechshundert Menschen an Bord der Good Will seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Rotex nickte still; die Kopfbewegung war kaum zu erkennen. Er hatte es geahnt!
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4. Turbulenzen „Das sehe sich einer an! Die Kommandozentrale ist in der Hand von Meuterern, mit der parawissenschaftlichen Abteilung gibt es keine Verbindung, und unser Fachgenie hat nichts Besseres zu tun, als zweifelhafte astronomische Beobachtungen aufzuzeichnen.” Der das sagte, war Tullio Ermelli, ein Astronom italienischer Abstammung, der gemeinsam mit neun Kollegen seinen Arbeitsplatz in der äußeren Peripherie des Sternenschiffs hatte. Hier, hinter der in der Kugelhülle des Raumers eingelassenen, spiegel- und verzerrungsfreien Panzerglaswand gestaltete sich die Beobachtung des umgebenden Teiles der Galaxis am effektivsten. „Sei still, Mann!” forderte der Angesprochene unwirsch. Thorm Lues war der älteste Mitarbeiter im Team der Astronomen, dennoch war ihm die Leitung der Abteilung nicht übertragen worden. Diese Maßnahme, die nicht selten zu Reibereien zwischen ihm und Tullio führte, war offiziell nicht begründet worden. Jeder wußte aber, daß die Verantwortlichen, insbesondere Liz Carton, ihn wegen seiner impulsiven und streitsüchtigen Art in eine zweitrangige Funktion gedrängt hatten. Seinem Fachwissen und der Bereitschaft zur Mitarbeit tat dies freilich keinen Abbruch. „Kannst du uns wenigstens sagen, worauf du dich nun seit Stunden derart verbissen konzentrierst?” stichelte Tullio weiter. „Zum Teufel mit euch!” Thorm hob den Kopf und reichte ihn den Abteilungsleiter. „Sieh dir die Kurve an und sage mir, was du davon hältst.” Tullio studierte den Streifen minutenlang, ohne einen -39-
Kommentar abzugeben. Die anderen beobachteten ihn interessiert und schweigend. Sie ahnten, daß hier eine bedeutsame Entdeckung gemacht worden war. „Na und?” keifte Thorm, als die Stille unerträglich zu werden drohte. „Was sagst du dazu?” Tullio sah auf und blickte seine Kollegen der Reihe nach an. „Eine periodisch auftretende, achtzehn Sekunden andauernde Erhöhung des Hyperenergiepotentials in einer Entfernung von weniger als einer Lichtminute”, kommentierte er das Meßergebnis. „Wie bist du darauf gekommen, Thorm?” „Man kann es sehen! Es äußert sich in einer bläulichen Verfärbung des Raumes.” Der Wissenschaftler deutete auffordernd auf sein Beobachtungsgerät „Überzeuge dich!” Tullio blickte auf die Uhr. „Wann ist die nächste Amplitude fällig?” „In zwei oder drei Minuten.” Beinahe hastig setzte sich der Abteilungsleiter auf den Beobachtungsplatz und blickte durch das Okular. Vergessen war die Bedrohung, die von den Terroristen in der Zentrale ausging; in diesen Minuten beherrschten nur wissenschaftliche Neugier und der Verdacht, einer bedeutenden Entdeckung auf der Spur zu sein, die Atmosphäre in der astronomischen Abteilung. Da sie den Eingang zum Beobachtungszentrum von innen verriegelt hatten, konnten sie sich ohnehin einigermaßen sicher fühlen. Zunächst vermochte Tullio nichts zu erkennen als die ungeheure Sternenfülle der Galaxis. Doch dann schien sich ein Schleier vor das Objektiv zu schieben; in einem eng begrenzten Bereich verwischte sich die Schärfe des wiedergegebenen Bildes, ein bläulicher Schimmer überzog einen Teil der Lichtpunkte – ein undefinierbares, nebelhaftes Etwas. „Das ist ungeheuerlich”, war Tullios erster Kommentar, nachdem er den Blick vom Beobachtungsgerät gelöst hatte. „So -40-
was gibt's nicht!” Thorm lachte trocken. „Du siehst doch, daß es das gibt. Die Frage ist nur, ob wir es in unserer Situation nicht vielleicht gebrauchen könnten.” Der Italiener horchte auf. „Was willst du damit sagen?” „Nun, es ist mittlerweile bekannt, daß hyperphysikalische Verzerrungen oder ähnliche Phänomene auch auf den Normalraum beträchtliche Auswirkungen haben. Das äußert sich bereits darin, daß wir diese Erscheinung mit bloßem Auge wahrnehmen können. In der Regel verursachen solche Turbulenzzonen auch gravitationelle Verschiebungen.” „Das würde bedeuten…” „Genau das! Sollte das Schiff näher an das Verzerrungsfeld herankommen, könnte es ganz schön rumpeln. Trotz Antigrav und künstlich gerichteter Schwerkraft.” Es war förmlich zu sehen, wie es hinter der Stirn des Abteilungsleiters zu arbeiten begann, während Thorm den Gedanken weiterspann: „Das wäre für die Leute in der Zentrale die Chance, die Eindringlinge zu überwältigen.” „Die Chancen stünden fünfzig zu fünfzig. Der Überraschungseffekt ist für beide Parteien gleich groß.” „Es wird uns etwas einfallen.” Nachdem er seinen Plan für ausgegoren hielt, sprühte Thorm Liles vor Optimismus. „Da ist noch ein Problem”, erinnerte Tullio weniger zuversichtlich. „Wie bringen wir das Schiff dorthin?” „Nichts leichter als das!” meinte Thorm fröhlich. „Wir zünden ein Triebwerk!” Es gab keine Diskussionen. Die Verteilung der Zuständigkeiten in der Zentrale war eindeutig gekennzeichnet durch die flirrenden Abstrahlmündungen vorgehaltener Waffen. Niemand wagte den Versuch einer Gegenwehr. Zu deutlich -41-
stand allen der schreckliche Tod der beiden Sicherheitsoffiziere vor Augen. Liz Carton hegte dennoch leise Hoffnung. Die Terroristen hatten die Kommandozentrale mit elf Männern gestürmt. Es war kaum anzunehmen, daß die Anzahl aller an Bord befindlichen Aufrührer bedeutend größer war. Sie konnten unmöglich alle Abteilungen so vollkommen kontrollieren wie diesen Saal. Die Wahrscheinlichkeit, daß irgendwo im Schiff bereits Pläne zur Überwältigung der Terroristen ausgeknobelt wurden, durfte entsprechend hoch eingeschätzt werden. Dabei kam Liz und ihren Mitarbeitern zugute, daß die Eindringlinge die Bordsprechverbindung zur Zentrale unterbrochen hatten. Die Leute in den verschiedenen Schiffssektionen würden sich also ungestört miteinander unterhalten können, ohne daß im Kommandoteil etwas davon bekannt wurde. Die Chancen standen nicht schlecht. Wie groß allerdings die Möglichkeit war, die Terroristen tatsächlich wirkungsvoll zu schlagen, wagte Liz nicht abzuschätzen. Die Kommandantin war noch in Gedanken versunken, als die Typen des Paraschreibers zu hämmern begannen. Sofort sprang Kerman Toth auf und riß den aus einem Schlitz laufenden Druckstreifen ab. Den Text las er mit deutlicher Erregung. „Sie versuchen uns hinzuhalten”, rief er schließlich, während er die Nachricht zornerfüllt zerknüllte. „Nicht mit mir!” Wachsam beobachtete Liz sein Mienenspiel. Es war deutlich, daß Kerman Toth durch den Funkspruch verunsichert war. Der Mann mußte sich darüber im klaren sein, daß er auf dem eingeschlagenen Weg nichts erreichen konnte, wenn die Verantwortlichen auf der Erde sich nicht einschüchtern ließen. „Sie sollten wissen”, wagte sie einen Vorstoß, „daß man nicht innerhalb von drei Tagen den Beschluß fassen kann, einen Raumhafen aufzulösen. Zumal zwei Machtblöcke an einer -42-
solchen Entscheidung beteiligt sein müßten.” Anklagend streckte der Anführer der Eindringlinge einen Arm aus. „Was ist denen das Leben von sechshundert Menschen wert?” wollte er wissen. Liz gelang es, ein Lächeln zustande zu bringen. „Was ist es Ihnen wert?” „Die Verantwortung”, wich der Terrorist; aus, „liegt nicht bei mir, sondern bei Oberst Rotex und den anderen, die auf Nullarbor das Sagen haben.” „Sie machen es sich sehr einfach. Sie entführen ein Sternenschiff, drohen mit dessen Vernichtung und schieben die Verantwortung auf andere. Halten Sie das für logisch?” „Es gibt keinen anderen Weg, Australien zu befreien.” „Merken Sie nicht, daß Sie sich mit leeren Phrasen rechtfertigen wollen?” hakte Liz nach. „Haben Sie überhaupt versucht, einen anderen Weg zu gehen? Haben Sie mit den Verantwortlichen verhandelt?” „Glauben Sie im Ernst, Rotex würde mit uns verhandeln?” „Sicher nicht auf diese Weise. Lieber Himmel, Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß Sie eine Minderheit vertreten. Sie haben sich etwas in den Kopf gesetzt, das einer genauen Betrachtung nicht standhält. Sie wollen mit brutaler Gewalt und Erpressung eine Entwicklung rückgängig machen, die Ihrem Kontinent wirtschaftlichen Aufstieg, Vollbeschäftigung und Wohlstand gebracht hat. Was, glauben Sie, würde aus Ihrem freien Australien, wenn der Wirtschaftsfaktor, den Nullarbor mit seinem internationalen Gepräge darstellt, plötzlich wegfiele?” Es war nicht zu erkennen, ob Liz' Argumentation den Mann nachdenklich stimmte. Seine Haltung blieb weiterhin kalt und abweisend. „Es ist nicht meine Art, über meine Vorgehensweise -43-
zu diskutieren”, erklärte er verschlossen. „Sie werden sehen, daß ich Erfolg damit habe.” Liz nickte verbissen. Wie sie befürchtet hatte, war den Terroristen mit vernünftigen Argumenten nicht beizukommen. Sie waren so in ihren Ideen geblendet, daß sie in ihrem unmenschlichen Vorgehen den einzig beschreitbaren Weg sahen. Dabei gab es keine Zweifel, daß sie trotz möglicher Teilerfolge auf lange Sicht scheitern mußten. Während sie Kerman Toth dabei beobachtete, wie er eine Antwort auf den Funkspruch von der Erde formulierte, mußte sie unwillkürlich an Phil denken. Sie fragte sich, warum ihr der Parawissenschaftler ausgerechnet jetzt in den Sinn kam, doch angesichts des beinahe mehr als freundschaftlichen Verhältnisses, das zwischen ihnen bestand, wunderte es sie kaum. Vielleicht brauchte sie die Gedanken an ihn, um in der schrecklichen Situation, in der sie sich befanden, nicht zu verzweifeln. Insgeheim hoffte sie wohl auch, daß Phil eine Möglichkeit fand, gegen die Terroristen vorzugehen. Sie hatte freilich nicht die kleinste Idee, wie er das hätte bewerkstelligen können. Der Parawissenschaftler seinerseits brach die nachdenklichen und sorgenvollen Gedanken an die Kommandantin, die er in vielen Jahren der Zusammenarbeit kennen- und schätzengelernt hatte, gerade in diesem Moment ab. Ishimo hatte sich auffallend laut geräuspert. Sofort wandten die beiden Eindringlinge sich ihm zu und hoben die Waffen in drohender Geste. Sie sind nervös! schoß es Phil durch den Kopf. Klaym und Darson, wie sie sich selbst anredeten, waren ihrer Sache keineswegs so sicher, wie sie sich im Schutz der entsicherten Strahler gaben, sonst hätten sie auf die reine Lautäußerung eines ihrer Geiseln nicht derart scharf reagiert. Es schien kein Problem zu sein, sie abzulenken oder ihre Aufmerksamkeit auf eine -44-
bestimmte Person zu konzentrieren. Dieser Umstand erhöhte die Chancen für die Abteilungsbesatzung ungemein. Phil war sicher, daß das übertriebene Hüsteln des Mutanten den Auftakt zu einer Befreiungsaktion darstellen sollte. Wie der Japaner vorgehen wollte, war ihm zunächst noch unklar. Er wußte, daß Ishimo unter Umständen in der Lage war, anderen Menschen seinen Willen aufzuzwingen. Dies hatte er in der Vergangenheit mehrfach bewiesen und auf diese Weise gefährliche Situationen für sich entschieden. Die Frage war, ob sich die Eindringlinge von ihm überrumpeln ließen. Vermutlich waren sie ebenfalls über die Fähigkeiten des Mutanten informiert. Die innere Spannung, unter der Ishimo stand, war für den Parawissenschaftler fast körperlich spürbar, obwohl der Mutant es sorgsam vermied, ihn anzusehen und ihm mit Blicken ein Zeichen zu geben. Zu leicht hätte das den Terroristen auffallen können. Doch Phil, der in den vergangenen Wochen gelernt hatte, die unheimliche psionische Aura des Mutanten zu akzeptieren, ohne Furcht davor zu empfinden, und sogar in der Lage war, einzelne Qualitätsunterschiede wahrzunehmen, war sicher, daß Ishimo den Zeitpunkt für günstig hielt. Er würde es riskieren! „Ich habe Durst!” erklärte er in die Stille hinein, und obwohl Phil mit irgendeiner Aktion gerechnet hatte, fuhr er innerlich zusammen. Viele n seiner Mitarbeiter würde es ähnlich ergehen. Die Terroristen hatten die Waffen noch nicht wieder gesenkt. Klaym, der größere und kräftigere der beiden, kniff mißtrauisch die Lider zusammen. „Versuch nicht, uns reinzulegen!” sagte er drohend, während Darson seine Blicke wachsam über die Versammlung der übrigen Gefangenen schweifen ließ. Unbewußt vermuteten sie einen Hinterhalt, und doch ahnten sie nicht, auf welche Weise ein möglicher Angriff gegen sie ausgetragen werden könnte. -45-
„Meine Güte, ich möchte etwas trinken, weiter nichts!” beteuerte Ishimo. „Das wird erlaubt sein.” Die Terroristen verständigten sich durch kurzes Kopfnicken. Während Darson zum Getränkeautomaten ging, um den Wunsch des Japaners zu erfüllen, beobachtete Klaym weiter die Gefangenen. Sein besonderes Augenmerk galt Ishimo, den er mit Recht für besonders gefährlich hielt. Dies mochte an der Ausstrahlung des Mannes liegen, die er unbewußt spürte. Phil sah, wie sich Klaym innerlich versteifte, als er dem Mutanten in die Augen sah. Es war deutlich, daß Ishimos Willen nach ihm griff und er sich gegen die Beeinflussung zu wehren versuchte. Der geistige Kampf fand völlig lautlos statt; der zweite Terrorist, der nur wenige Meter von Phil entfernt am Getränkeautomaten hantierte und den Geiseln im Vertrauen auf die Wachsamkeit seines Partners den Rücken zuwandte, konnte nichts davon bemerken. Es war nicht auszuschließen, daß Klaym trotz der geistigen Klammer, die sich um ihn legte, die Kraft besaß, seine Waffe zu schwenken und abzudrücken. Dennoch hatte Phil keine andere Wahl, als jetzt einzugreifen. Die Chance war zu groß, um sie zu vertun. Zuviel stand auf dem Spiel. Entschlossen, wie von einer Sehne geschnellt, sprang der Wissenschaftler auf. In Sekundenbruchteile überwand er den Abstand zum Getränkeautomaten. Darson mochte die Unruhe bemerkt haben, die hinter seinem Rücken plötzlich entstand, doch seine Reaktion kam zu spät. Bevor er sich zur Gänze umwenden und die Waffe heben konnte, war Phil heran und hieb ihm mit aller Kraft die Faust in den Nacken. Der Terrorist stieß einen röchelnden Laut aus. Fauchend löste sich ein Schuß; die Glutbahn schmolz eine häßliche Furche in die Decke, während Darson schmerzerfüllt zu Boden ging. Mehr reflexartig denn überlegt wollte er das Gewehr heben, um den unverhofften Angreifer auszuschalten, doch Phil trat ihm mit -46-
einer schnellen Bewegung gegen den Arm. Schreiend öffnete der Terrorist die Hand, der Strahler schlitterte ein Stück über den Boden. Blitzartig hob der Wissenschaftler die Waffe auf und richtete sie auf den Besiegten, der im Bewußtsein seiner Unterlegenheit jede Gegenwehr einstellte. Phil riskierte es, seinen Gegner kurz unbeobachtet zu lassen, um sich über die weitere Entwicklung bei dem Japaner zu informieren. Klaym war es offensichtlich nicht gelungen, sich aus der geistigen Umklammerung zu befreien, sonst hätte er den Parawissenschaftler nicht unbehelligt gewähren lassen. Dennoch war der Kampf noch nicht entschieden. Phil beobachtete, daß Ishimo langsam, ohne den Blick von dem Terroristen zu wenden, aufstand und behutsam die Hand ausstreckte. Seine ohnehin unnatürlich großen Augen waren unter dem Druck der inneren Anspannung weit geöffnet, kleine Schweißperlen hatten sich auf der Stirn des Mutanten gebildet. Klaym stand verkrampft da, den Finger am Auslöser des Strahlers und das Gesicht verzerrt. „Das Spiel ist aus”, klang Ishimos Stimme auf, mit jenem drohenden, unwirklichen Timbre, das allein schon geeignet war, Furcht zu erzeugen. Schweigend verfolgten Phil und seine Mitarbeiter die paramentale Auseinandersetzung. Aus den Augenwinkeln konnte der Wissenschaftler erkennen, daß der am Boden liegende Darson sich nicht rührte. Er schien die ganze Sinnlosigkeit eines Gegenwehrversuchs zum jetzigen Zeitpunkt einzusehen. Ishimo trat einen weiteren Schritt auf Klaym zu. Die mentale Aura verstärkte sich nochmals. Selbst Phil vermochte die dräuende Düsternis, die von diesem Mann ausstrahlte, als lähmende Schwingung zu erfassen. Da die Aktion des Mutanten jedoch nicht gegen ihn gerichtet war, gelang es ihm mühelos, sich der Umklammerung zu entziehen. Das, was er spürte, war nur ein lauer Abglanz dessen, was auf den Terroristen einstürmte, und Phil fragte sich, welch unbeugsamen Willen -47-
Klaym besitzen mußte, um den Impulsen noch immer standhalten zu können. „Laß den Strahler sinken!” forderte Ishimo. Es war ihm anzusehen, wie sehr ihm die Anstrengung zusetzte. Lange würde er nicht mehr durchhalten. Klaym schien das auch zu wissen – trotz des mentalen Bannes, unter dem er sich befand -, denn er ließ nicht erkennen, daß er der Forderung nachkommen würde. Er wehrte sich mit aller Kraft. Insgeheim bewunderte Phil den Mut des Mutanten. In einer vergleichbaren Situation, die bereits zwei Jahre zurücklag, war es ihm ebenfalls nicht völlig gelungen, eine Widersacherin unter seine Kontrolle zu bringen. Die Folge war gewesen, daß er durch einen Strahlschuß den Arm verloren hatte, der heute durch eine Prothese ersetzt war. Die Gefahr, daß seine geistigen Kräfte auch gegenüber diesem willensstarken Mann letztlich versagten, war groß. Allerdings hatte der Mutant in der vergangenen Zeit gelernt, die Mentalenergien zielgerichteter und mit mehr Effektivität einzusetzen. Phil fragte sich, ob er dem Japaner helfen sollte, indem er den Terroristen einfach niederschoß. Niemand hätte ihm deswegen einen Vorwurf gemacht, und aus der gegenwärtigen Situation heraus wäre es ihm ein leichtes gewesen, die Gefahr auf diese Weise zu beseitigen. Seine innere Abneigung gegen das gewaltsame Töten von Menschen hinderte ihn jedoch daran. Noch einmal verstärkte sich der psychische Druck. Ishimo mobilisierte seine letzten Kräfte. Ein dunkler Schatten schien jetzt über den Leuten zu schweben und sich träge niederzusenken. Und es geschah! Klaym begann am ganzen Körper zu zittern, unfähig zu weiterem Widerstand, ließ er den Strahler sinken. Schnell trat Ishimo heran und entwand ihm die Waffe. Erschöpft ließ der Mutant sich dann auf einen Stuhl sinken. Er war kaum noch in der Lage, sich aufrecht zu halten. Noch immer rührte -48-
sich keiner der Anwesenden. Sie alle standen unter dem Bann dessen, was sie eben erlebt hatten. „So helft mir doch!” stieß Ishimo hervor, während der dumpfe Druck, der die ganze Zeit im Raum gestanden hatte, sprunghaft schwand. „Ich kann nicht mehr!” Da kam Bewegung in die Wissenschaftler. Drei von ihnen sprangen auf und packten den Terroristen, in dessen Augen soeben der Wille zum Widerstand aufblitzte. Phil wandte sich wieder Darson zu, der den Vorgang fassungslos verfolgt hatte. „Los!” herrschte er ihn an. „Aufstehen!” Darson mochte kaltblütig und verblendet sein. Aber er wußte, wann er verloren hatte und sich geschlagen geben mußte. Schwerfällig erhob er sich, während er den schmerzenden Nacken massierte. Phil dirigierte den Terroristen zu seinem Mitstreiter, der sich jetzt verbissen, aber erfolglos wehrte. Einer der Wissenschaftler hatte aus dem angrenzenden Lagerraum Stahlbänder besorgt, die dazu benutzt wurden, den beiden Männern die Hände zu binden. Anschließend verfrachtete man die Gefangenen auf zwei Stühle, die so aufgestellt wurden, daß man sie laufend im Auge behalten konnte. Phil legte den erbeuteten Strahler erleichtert auf eine Schaltkonsole und setzte sich neben den völlig erschöpften Mutanten. Aufmunternd legte er ihm eine Hand auf die Schulter. „Danke”, sagte er einfach. Ishimo atmete schwer. Die Aktion gegen den Terroristen hatte ihn stark mitgenommen, dennoch gelang es ihm, ein Lächeln zustande zu bringen. „Ich glaube, es war meine Pflicht”, flüsterte er. Phil spürte, daß sich aus der anfänglichen Abneigung oder Furcht, die er dem Japaner insgeheim entgegengebracht hatte, eine tiefe Freundschaft zu entwickeln begann. Der Parawissenschaftler kannte das wahre Ich dieses Mannes, den so viele Menschen aufgrund seiner ungewöhnlichen Ausstrahlung instinktiv verurteilten oder gar haßten. Im Grunde seines -49-
Wesens war Ishimo ein friedliebender, verträglicher Mensch, der unter seiner mutativen Begabung mehr litt, als er sich selbst vielleicht eingestehen mochte. Seine Fähigkeiten machten ihn zum Außenseiter, zu einem Verstoßenen inmitten einer verständnislosen, allem Fremden zugänglichen und ablehnend gegenüberstehenden Gesellschaft. Eine wirkliche, Integration dieses Mannes war schwierig, wenn nicht unmöglich. Phil war entschlossen, ihm zu helfen, diese Mauer zu überwinden. Die innere Spannung, unter der Ishimo stand, schien sich, obwohl die unmittelbare Gefahr beseitigt war, nicht legen zu wollen. Das Gesicht des Mutanten wirkte verkrampft, die Augen blickten stumpf und glanzlos. „Ich spüre es wieder”, raunte er unvermittelt, und der unheimliche Tonfall seiner Stimme erzeugte einen eisigen Schauer auf Phils Rücken. „Der Tod ist nahe. Das Nichts wird über uns zusammenschlagen und uns verschlingen.” Der Wissenschaftler packte ihn hart am Arm. „Was reden Sie da! Kommen Sie zu sich!” Ishimo drehte unsicher den Kopf und blickte ihn an. Es war förmlich zu sehen, wie er in die Wirklichkeit zurückfand. „Eine Ahnung, weiter nichts”, versuchte er sich zu entschuldigen. „Irgendein grauenvolles Schicksal braut sich über uns zusammen. Ich spüre es, wenn auch sehr schwach.” Phil hatte gelernt, solche Äußerungen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Die übersinnlich anmutende Wahrnehmungsfähigkeit des Japaners hatte ihn schon oft Dinge ahnen lassen, die für den weiteren Verlauf der Zukunft von entscheidender Bedeutung waren. „Können Sie das konkretisieren?” wollte der Wissenschaftler wissen. „Nein.” Die Erfahrung, daß seine Warnungen bisher erst dann ernst genommen worden waren, wenn es bereits zu spät war, schien ihn zu veranlassen, nicht weiter auf das Thema -50-
einzugehen. Statt dessen konzentrierte er sich auf die aktuellen Erfordernisse der gegenwärtigen Situation. „Wie soll es weitergehen? Wir haben die Terroristen überwältigt, aber was haben, wir damit gewonnen?” Phil war nicht wohl bei dem Gedanken, daß der Mutant etwas verschwieg, was für das Wohlergehen der Besatzung unter Umständen wichtig war. Dennoch drang er nicht weiter in ihn. Zunächst galt es, seinen psychischen Zustand zu stabilisieren. „Eine berechtigte Frage”, sagte er deshalb und ging damit auf die letzte Bemerkung des Japaners ein. „Aber ich weiß keine Antwort.” Die Leute der parawissenschaftlichen Abteilung hatten sich aus der Gewalt der Terroristen befreit, doch niemand wußte, wie es in den anderen Sektoren des Sternenschiffs aussah. Hatten die Aufrührer auch andere Abteilungen besetzt? Patroullierten draußen, auf den Verbindungsgängen und –korridoren Wachen, oder konnte man sich dort ungehindert bewegen? Wie sah die Situation in der Kommandozentrale aus? Unwillkürlich schweiften Phils Gedanken ab. Er fragte sich, wie es Liz Carton ergangen sein mochte. Sie war nicht der Typ, der sich widerspruchslos alles gefallen ließ. Wenn sie in einer Phase von Trotz oder Überdruß die Meuterer provozierte, war es denkbar, daß sie längst nicht mehr lebte. „Ich hätte es nicht getan. Sie sehen, wo es hinführt, wenn man versucht, sie hinzuhalten.” Oberst Rotex fuhr herum und sah den Sprecher verblüfft an. Den Funkspruch, in dem die Entführer des Sternenschiffs mit der Ermordung von zehn Offizieren drohten, falls ihre Forderungen nicht in der gesetzten Frist erfüllt würden, hielt er noch in den Händen. „Was wollen Sie damit sagen?” Der andere lehnte sich bequem zurück, seine Gestik zeugte von selbstsicherer Überlegenheit. Der Oberst kannte ihn als -51-
zuverlässigen, gewissenhaften Mitarbeiter. Hutch Samsky hatte ihm nie Anlaß zu Rügen oder Verweisen gegeben. Jetzt deutete er auf die Apparatur des Paraschreibers, der erst vor wenigen Minuten verstummt war. „Die Entführer sind nicht zu Kompromissen bereit”, sagte er. „Jeden Versuch, sie zu hintergehen, werden sie durchschauen.” Rotex brauchte den Mann nicht länger zu mustern, um zu wissen, was gespielt wurde. Er begriff augenblicklich. „Sie sind der Verbindungsmann, von dem in der ersten Botschaft die Rede war”, erriet er. Samsky nickte lächelnd und erhob sich. „So ist es. Die Frist, die meine Freunde auf der Good Will Ihnen gesetzt haben, ist fast verstrichen, und ich kann nicht erkennen, daß irgend jemand den ernsthaften Versuch gemacht hat, die Forderungen zu verwirklichen. Sie erinnern sich, daß ich dies bestätigen müßte?” Der Oberst erkannte, daß er einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen hatte. Die anfänglichen Fahndungserfolge hatten ihn unvorsichtig und leichtsinnig werden lassen. Er war davon ausgega ngen, daß die Entführer an Bord des Sternenschiffs sich täuschen lassen würden. Er hatte nicht einmal versucht, den Anschein zu erwecken, auf die Bedingungen der Terroristen einzugehen. Die Chance, den Verbindungsmann zu täuschen und ihn zu einer falschen Berichterstattung zu verleiten, war vertan. Entschlossen winkte er zwei Sicherheitsoffizieren. „Nehmen Sie diesen Mann fest!” befahl er. Samsky leistete keinen Widerstand, als die Beamten mit entsicherten Waffen auf ihn zutraten und ihm Handschellen anlegten. Auch sein überlegenes Gebaren legte er nicht ab. „Sie halten sich für ungemein clever, nicht wahr?” sagte Rotex verbissen. „Dabei wissen Sie selbst, daß der Traum der -52-
AFA ausgeträumt ist. Ihre Organisation ist zerschlagen, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir auch die führenden Köpfe Ihrer Truppe gefaßt haben. Daß Sie lebenslanger Haft entgegensehen, dürfte Ihnen ebenfalls bekannt sein. Ich in Ihrer Situation würde versuchen, diese Aussichten etwas rosiger zu gestalten.” Der Verhaftete läche lte noch immer. „Im Gegensatz zu Ihnen, Oberst, besitze ich Charakter. Ich werde meine eigenen Kameraden nicht verraten.” Rotex trat einen Schritt näher. „Sie werden! Sie werden Ihren Leuten versichern, daß auf Nullarbor alle geforderten Schritte eingeleitet sind! Andernfalls werde ich persönlich dafür Sorge tragen, daß Sie der Staatskasse nicht sehr lange zur Last fallen. Will sagen, Ihr kümmerliches Leben wird unter Haftbedingungen so unerträglich sein, daß Sie, beispielsweise, einen Selbstmord als wohltuende Erlösung betrachten werden.” Einen Augenblick glaubte der Oberst, Panik im Gesichtsausdruck des Terroristen erkennen zu können. Doch gleich darauf hatte sich Samsky wieder in der Gewalt. „Sie drohen mir”, stellte er fest und blickte sich beinahe triumphierend im Kontrollzentrum um. „Sie alle haben es gehört! Das sind die Methoden, mit denen hier gearbeitet wird! Ein Gefangener wie ich, der sich für eine gute und gerechte Sache einsetzt, der aus moralischer und politischer Überzeugung handelt, verliert offensichtlich alle Menschenrechte! Wenn ich mich nicht einsichtig zeige, werde ich eines Tages tot in meiner Gefängniszelle aufgefunden werden, und jeder wird behaupten, ich habe Selbstmord begangen. Sie haben sich verrechnet, Oberst Rotex! Jeder hat Ihre Drohung gehört. Sie haben sich als Leiter dieses Raumhafenkomplexes selbst disqualifiziert.” Der Oberst war klar, daß seine Laufbahn tatsächlich beendet sein würde, wenn die verantwortlichen Kontrollorgane seine provozierenden Äußerungen für bare Münze na hmen. Solche -53-
Ankündigungen über einen möglichen Strafvollzug vertrugen sich nicht mit den Auffassungen und dem Bild des Staates, den er hier in offizieller Funktion vertrat. Sollte dieses Gespräch jemals an die Öffentlichkeit gelangen, würde eine weltweite Diskussion über die Wahrung von Menschenrechten ausbrechen. Er selbst würde zur Rechenschaft gezogen werden. Rotex war jedoch entschlossen, sein verbales Spiel weiter zuspielen. Er jonglierte mit dem Feuer, aber er wußte, daß das Leben von sechshundert Menschen davon abhing, ob er den Gefangenen wirkungsvoll genug bearbeiten konnte. Jenes entwaffnende Lächeln lag jetzt auf Rotex' Gesicht, als er eine weitschweifende Handbewegung machte. „Sehen Sie sich um, Mr. Samsky! Jeder meiner Leute haßt Sie für das, was Sie unterstützt haben. Keiner von ihnen würde auch nur einen Finger rühren, wenn ich Sie auf der Stelle erschösse. Jeder würde bestätigen, ich hätte in Notwehr gehandelt. Glauben Sie, ein einziger dieser Männer und Frauen würde Sie unterstützen, wenn Sie behaupteten, ich hätte Sie bedroht?” Samsky zeigte erste Unsicherheit. Rotex hatte es erwartet. Sofort stieß er weiter vor: „Hier gibt es niemanden, der mich belasten würde. Im Gegenteil, jeder würde es befürworten, wenn Sie mehr oder weniger auf sanfte Weise aus dem Verkehr gezogen würden! – Sie kennen mein Angebot. Senden Sie Ihren Leuten auf der Good Will die Bestätigung!” Samskys Gesicht glich einer Maske. Wohin er blickte, sah er entschlossene Menschen, die Rotex' Vorhaben zu unterstützen und gutzuheißen schienen. „Los!” bellte der Oberst und deutete auf den Paraschreiber. „Retten Sie Ihr Leben!” Wild schüttelte Samsky den Kopf. „Nein!” stieß er hervor. „Ich tue es nicht, ganz gleich, was Sie mit mir anstellen wollen.” Rotex' Wangenknochen traten hervor, als er sich bedächtig in -54-
seinem Sessel niederließ und den Sicherheitsoffizieren winkte. „Führen Sie ihn ab”, sagte er leise. „Es ist seine Entscheidung.” Als die Beamten mit dem Gefangenen den Raum verlassen hatten, kam erregtes Gemurmel unter den Offizieren auf. Sie, die die Szene gespannt und schweigend verfolgt hatten, diskutierten jetzt über die Äußerungen und Methoden ihres Vorgesetzten. Inbrünstig hoffte Rotex, daß sie klug genug waren, seine Worte als Versuch zu werten, den Terroristen zur Abgabe des entscheidenden Funkspruchs zu veranlassen. Aus langen Jahren der Zusammenarbeit mußten sie wissen, daß dies nicht seine Überzeugung sein konnte. Einer der Offiziere kam auf ihn zu und reichte ihm die Hand. „Großartig!” lobte er enthusiastisch. „Ich stehe voll hinter Ihnen, Oberst. Was Sie gesagt haben, war das einzig Richtige. Solche Elemente verdienen es nicht, von unseren Steuergeldern bis ans Ende ihres Lebens königlich versorgt zu werden. Man muß sie vernichten! Sie haben keinen Anspruch auf Leben! ” Rotex starrte ihn an, ohne die dargebotene Hand zu ergreifen. Dann drehte er den Sessel, bis er dem Mann den Rücken zuwandte. „Sie Narr”, murmelte er betroffen. „Sie gedankenloser Narr…”
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Mit Beseitigung der Schuldigen bekämpft ihr nicht die Schuld, die Todesstrafe ist die schlimmste Form von Ungeduld. (Georg Danzer) 5. Kontrolle Es war eine komplizierte Arbeit gewesen, die viel Fingerspitzengefühl und ein gerüttelt Maß an technischem Sachverstand erforderte, doch schließlich konnte die Herstellung einer provisorischen Universalleitung als erfolgreich beendet angesehen werden. Schnaufend und schwitzend kroch der Spezialist unter der Konsole hervor und richtete sich auf. „Es müßte funktionieren”, sagte er, während er dem Anführer der Terroristen furchtsame Blicke zuwarf. Zunächst hatte er den Reparaturversuch an der bordinternen Visifonanlage abgelehnt, weil er der Ansicht war, daß die Geräte durch den Beschuß so nachhaltig zerstört seien, daß eine Instandsetzung unmöglich war. Kerman Toth hatte ihm jedoch deutlich zu verstehen gegeben, daß sein Leben nichts mehr wert sei, wenn er die Apparatur nicht innerhalb kürzester Zeit in eine funktionstüchtige Einheit verwandele. Derart unter Druck gesetzt, war es ihm gelungen, eine Überbrückungsschaltung einzurichten, die den Ausfall des defekten Aggregats neutralisierte. „Sie sollten beten, daß es funktioniert”, gab Toth hart zurück und schwenkte seine Waffe. „Verschwinden Sie!” Liz Carton beobachtete die Szene aufmerksam. Allen Beteiligten stand die Angst im Gesicht geschrieben, dennoch glaubte sie zu erkennen, daß eine gewisse Ruhe oder Gelassenheit sich ausgebreitet hatte. Man wußte, daß es nichts -56-
zu tun gab, daß die Eindringlinge das Heft fest in der Hand hatten und alles Handeln diktierten. Man wartete auf eine Antwort von der Erde. Kerman Toth schien sich seiner Sache freilich nicht so sicher, wie er sich gab. Die Eile, mit der er die Reparatur der Visifonanlage forcierte, redete eine recht deutliche Sprache. Er war sich im unklaren darüber, was außerhalb der Zentrale vor sich ging, machte sich vielleicht Gedanken, daß irgendwo eine Aktion des Widerstands vorbereitet werden könnte. Ohne das zerschossene Gerät war er nicht in der Lage gewesen, die Situation in anderen Abteilungen zu überblicken und zu kontrollieren. Das hatte sich jetzt grundlegend geändert. Als das Bereitschaftszeichen für die Rundum- Bordverbindung aufleuchtete, gewann der Anführer der Eindringlinge seine Überlegenheit zurück. Er zog ein Mikrophon zu sich heran und begann zu sprechen. „Zentrale an alle! Unser kleiner Betriebsunfall ist behoben, und ich kann Ihnen mitteilen, daß sich die Spitzenköpfe dieses Schiffes, wie Sie wahrscheinlich längst vermutet haben, in unserer Gewalt befinden. Ich fordere Sie auf, jegliche Gegenmaßnahmen zu unterlassen. Nach der Instandsetzung des Visifonanschlusses sind wir nunmehr in der Lage, jeden Sektor zu kontrollieren und zu überwachen. Täuschungsmanöver sind sinnlos. Um sicherzugehen, daß unsere Anforderungen befolgt werden, wird jede Abteilung innerhalb der nä chsten halben Stunde kontrolliert. Alle Mitarbeiter haben sich vollzählig vor dem Aufnahmegerät vorzustellen – und ich verspreche Ihnen bereits jetzt, daß für jede Person, die sich nicht in ihrer Abteilung befindet, ein Offizier der Zentralebesatzung sterben wird. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.” Es war eine klare Sprache. Liz schauderte bei dem Gedanken, daß sich hier und da Widerstandgruppen gebildet haben könnten, die nun nicht in der Lage waren, die Fachabteilungen -57-
rechtzeitig zu erreichen. Daß die Terroristen zur Durchsetzung ihrer Forderungen keine zimperlichen Mittel anwandten, hatten sie bereits bewiesen. Andererseits zeigte der Rundspruch Kerman Toths, daß sie den Raumer keineswegs so vollkommen zu kontrollieren in der Lage waren, wie sie es sich vielleicht gewünscht hätten. Die Kommandantin beobachtete den Anführer weiter aufmerksam. Er hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und tastete jetzt eine Verbindung zur parawissenschaftlichen Abteilung. Vermutlich wußte er um die Existenz des japanischen Mutanten und um dessen Gefährlichkeit. Die Kontrolle in diesem Sektor zu beginnen, schien sinnvoll. Um so erstaunter war sie, als sie erkannte, daß Toth offenbar die Meldung eines seiner Mitarbeiter erwartete. In Phil Verts Abteilung hielten sich also ebenfalls Terroristen auf, vermutlich um den Mutanten in sicherem Gewahrsam zu wissen. „Zentrale an parawissenschaftliche Sektion”, sprach Toth ins Mikrofon. „Gefährte Klaym, bitte Situationsbericht.” Augenblicklich packte Liz die Sorge um ihren Freund Phil. Wenn die Eindringlinge dort ebenso rigoros und brutal vorgegangen waren wie in der Zentrale, konnten sie ein grauenhaftes Massaker angerichtet haben. Sie spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen, als der Angesprochene sich meldete. Unwillkürlich starrte sie auf den Monitor, um zu sehen, ob Phil und die anderen, die die Kamera erfassen würde, noch am Leben waren. Doch der Bildschirm blieb dunkel. „… deutlich genug ausgedrückt.” Wie erstarrt standen sie vor dem Monitor und beobachteten das verblassende Abbild des Sprechers. Einige lange, endlose Sekunden herrschte fassungsloses Schweigen. Ernüchterung, Resignation… nur auf den Gesichtern der gefesselten Terroristen zeichnete sich leiser Triumph ab. Damit -58-
hatte niemand gerechnet! Phil war der erste, der sich aus der Starre löste: „Zum Teufel…”, murmelte er, die nackte Angst aus den Mienen seiner Kollegen ablesend. „Das hat uns gefehlt.” „Sie haben sich zu früh gefreut!” ließ Darson vernehmen. „Ich wußte, daß die Zeit kommt, wo Sie Ihre Handlungen bereuen.” Aus dem Hintergrund trat Ishimo Katsaku an Phils Seite. Er hatte sich von den überstandenen geistigen Strapazen weitgehend erholt und wirkte erfrischt. Lange sahen sich die beiden ungleichen Männer in die Augen. Es mußte einen Weg geben, die Terroristen in der Zentrale zu täuschen… Er bot sich an, drängte sich geradezu auf… „Ich könnte es versuchen”, murmelte Ishimo leise. „Alles andere wäre unser Verhängnis.” Phil wußte es. Wenn bekannt wurde, daß sie die Eindringlinge überwältigt hatten, durften sie keine Nachsicht erwarten. Schlimmstenfalls würden die Terroristen in der Zentrale aus einem übersteigerten Rachebewußtsein heraus ihre Drohung wahrmachen und einen oder mehrere Offiziere töten. Falls die Beeinflussung der Gefesselten fehlschlug oder der Anführer der Rebellen Verdacht schöpfte, konnte es kaum schlimmer aussehen. Der Leiter der Abteilung überlegte deshalb nicht lange. Beinahe verbissen nickte er dem Mutanten zu. „Versuchen Sie es!” Bedächtig ging Ishimo auf die überwältigten Terroristen zu. Seine Erscheinung strahlte wieder jene spürbare, beklemmende Drohung aus. Es war zu erkennen, wie Klaym und Darson sich innerlich versteiften. Doch der Mutant drang mit seiner paramentalen Macht unerbittlich in ihren Geist. „Ihr Chef in der Zentrale wird von Ihnen wissen wollen, ob hier alles seine Richtigkeit hat”, sagte er mit gefährlicher -59-
Sanftmut in der Stimme. „Sie werden ihm das bestätigen.” „Niemals!” stieß Darson hervor, während er verzweifelt versuchte, sich dem Blick des Unheimlichen zu entziehen. „Keine Sorge, niemand wird Sie zu sehen bekommen, weil Sie sich nur mündlich mit Ihren Leuten verständigen werden. Sollte dies jemand nicht recht sein, werden Sie ihm erklären, daß durch Ihre Unbesonnenheit die Aufnahmekamera zerstört wurde.” Niemand wußte, wen der Anführer in der Zentrale würde sprechen wollen, deshalb hielt Ishimo seine geistige Einflußnahme noch in Grenzen. Bereitete ihm die Kontrolle einer Person schon Schwierigkeiten, so war eine Manipulation zweier Menschen gänzlich ausgeschlossen. Erst wenn sich die Zentrale erneut meldete, würde er sich voll auf einen der beiden konzentrieren. Phil wußte, daß sie ein Spiel mit dem Feuer trieben. Die kleinste Unachtsamkeit des Mutanten konnte zur Katastrophe führen. Dennoch würden sie versuchen, den Anführer zu täuschen. Es war ihre einzige Chance. „Zentrale an parawissenschaftliche Sektion”, erklang Kerman Toths Stimme. Sein freundliches und doch hartes Gesicht zeichnete sich auf dem Monitor ab. „Gefährte Klaym, bitte Situationsbericht.” Ishimo reagierte augenblicklich. Sein geistiger Druck verstärkte sich, konzentrierte sich auf den Angesprochenen, dessen Augen ihren überlegenen Glanz verloren. Phil reichte ihm ein Mikrofon, während zwei seiner Leute den anderen Terroristen sorgsam beobachteten. „Kein falsches Wort, Darson!” drohte Phil. „Sonst hat Ihr letztes Stündchen geschlagen.” Der mentale Druck, der sich, von Ishimo ausgehend, über den Raum legte, wurde nahezu unerträglich. Auf Klayms Stirn standen Schweißtropfen. -60-
Der Kommandantin war, als Klaym zu sprechen begann und der Bildschirm dunkel blieb, sofort klar, daß in der parawissenschaftlichen Abteilung Unvorhergesehenes geschehen sein mußte. Auf irgendeine Weise mochte es Phil und seinen Mitarbeitern gelungen sein, die eingedrungenen Terroristen zu überwältigen und in Schach zu halten. Liz war überzeugt, daß der Berichterstatter unter Zwang sprach, und da sie über die Fähigkeiten des japanischen Mutanten hinreichend informiert war, vermochte sie sich lebhaft vorzustellen, auf welche Art dieser Zwang ausgeübt wurde. Kerman Toth mochte ähnliche Überlegungen anstellen. Noch während sein Mitstreiter versicherte, es sei alles in Ordnung und es gäbe keinerlei Schwierigkeiten, die Wissenschaftler unter Kontrolle zu halten, verschloß sich sein Gesicht. Er kniff die Lider zusammen und runzelte die Stirn. Er wirkte wie das personifizierte Mißtrauen. „Warum bekomme ich kein Bild von euch?” fuhr er dem Berichterstatter in die Rede. „Zeigt euch gefälligst! Ich will sehen, daß alles okay ist!” Liz wagte kaum zu atmen. Das Spiel, das Phil und Ishimo inszenierten, konnte schwerlich mit einem Sieg enden. Es schien undenkbar, daß Kerman Toth es nicht ebenso klar durchschaute wie sie selbst. „Es tut mir leid, Chef”, versuchte sich Klaym zu rechtfertigen. „Es hat hier eine kleine Schießerei gegeben, und dabei ist das Aufnahmegerät in Mitleidenschaft gezogen worden.” Es war deutlich, daß Toth ihm kein Wort glaubte – obwohl natürlich die Möglichkeit bestand, daß es sich tatsächlich so zugetragen hatte und die parawissenschaftliche Abteilung fest in der Hand der Terroristen war. Doch das Mißtrauen blieb. „Wie ist unser Kennwort?” wollte Toth wissen. Die Antwort kam ohne Zögern. „Western Union.” -61-
Der Anführer nickte nachdenklich. Offenbar stellte er die Überlegung an, daß es für einen parapsychisch beeinflußten Mann nur schwer möglich war, ein geheimes Kennwort ohne lange Überlegung aus seinem Gedächtnis herauszukramen. „Ich melde mich wieder”, unterbrach er den Dialog und stellte eine Verbindung mit der biologischen Abteilung her. Liz spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Die Nervenbelastung, unter der sie stand, war ungeheuerlich. Sie war fast sicher, daß überall im Schiff Pläne zur Befreiung der Kommandozentrale geschmiedet worden waren, daß einzelne Mitarbeiter unterwegs waren, um die Theorie in die Tat umzusetzen, und daß es einigen nicht gelungen sein mochte, die Stammabteilung befehlsgemäß rechtzeitig aufzusuchen. Es war kaum zu verhindern: Diese Kontrolle durch den Terroristenführer mußte zur Katastrophe führen. Die Biologen waren vollzählig vor der Linse der Kamera versammelt. Neun Frauen und sieben Männer – komplett. Liz wagte es, erleichtert aufzuatmen. Der verächtliche Blick, den sie daraufhin von Toth erntete, legte ihr Innerstes frei und entblößte alle Befürchtungen und Ängste. Sie begann diesen Mann zu hassen. Physikalische Abteilung – komplett. Mineralogische Abteilung – komplett. Technische Überwachung – komplett. Jedesmal lächelte Toth selbstzufrieden. Er schien genau zu wissen, wieviel Personen den verschiedenen Sektionen zugeteilt waren. Liz hatte den Eindruck, daß er die Liste der Besatzungsmitglieder vollständig auswendig kannte. Oder bluffte er…? Die Kontrolle ging weiter. Bordlazarett – komplett. Medizinische Abteilung – komplett. -62-
Das System, nach dem Toth vorging, war einfach und logisch. Er begann mit den Sektoren, die, dem Zug der künstlichen Schwerkraft entsprechend, unten plaziert waren, arbeitete sich kreisförmig und von außen nach innen durch die einzelnen Decks, um dann eine Etage höhe r von neuem zu beginnen. Mit jeder Abteilung, die er vollzählig vorfand, vergrößerte sich seine Zufriedenheit. Im gleichen Maß sank Liz' Spannung. Offensichtlich hatte sie ihre Leute überschätzt. Nirgendwo fehlte auch nur eine Person. Deck 17, etliche Etagen über der Kommandozentrale gelegen… Hangarkontrolle – komplett. Orter- und Funküberwachung – komplett. Astronomische Abteilung – „Ermelli und acht Wissenschaftler weisungsgemäß versammelt”, meldete sich der Leiter der Sektion. Das Bild auf dem Monitor baute sich auf. Die Oberkörper dreier Leute waren zu erkennen. „Treten Sie zehn Schritte zurück!” befahl Toth. Er hatte sofort Verdacht geschöpft. „Ich will Sie alle sehen!” Liz mußte ein gequältes Stöhnen unterdrücken. Es war soweit! Ein neues Spiel begann. „Entschuldigen Sie”, bat Tullio Ermelli unterwürfig. Er machte einige Schritte nach hinten. Nach und nach kamen alle in der astronomischen Abteilung Versammelten ins Bild. Liz zählte neun Personen. „Es fehlt einer!” rief Toth gereizt. „Wo ist er?” Tullio gelang es, ein verblüfftes Gesicht aufzusetzen. „Es fehlt niemand. Wir sind komplett.” „Sie lügen! Laut Mannschaftsliste arbeiten zehn Leute in Ihrer Abteilung. Ich habe Sie gewarnt.” Kerman Toth hob die Waffe und winkte einem seiner -63-
Mitstreiter, der daraufhin einen Techniker packte und unsanft zum Kommandostand stieß. Der Anführer der Terroristen richtete den Strahler auf den Mann und sah die Kommandantin forschend an. Aus seinen Blicken sprühte tödliche Kälte. „Wieviel Personen sind in der astronomischen Abteilung beschäftigt?” fragte er. Liz sah den in panischer Angst erstarrten Techniker an. Was würde geschehen, wenn sie die Wahrheit sagte? Was, wenn sie log? Wäre das Ergebnis nicht dasselbe? Wenn sich einer der Astronauten so weit von seiner Abteilung entfernt hatte, daß er nicht rechtzeitig zum Kontrollruf zurückkehren konnte, mußte er eine Aktion in Angriff genommen haben, die möglicherweise in der Befreiung des Sternenschiffs enden würde. Es war ein Risiko wert! Der bedrohte Techniker wartete nicht, bis sie ihre Überlegungen abgeschlossen hatte. Er vertuschte ihr Zögern, indem er seine Angst herausschrie. „Sagen Sie's ihm!” Sein Gesicht war zur Grimasse verzerrt. „So sagen Sie's ihm doch!” „Na los!” drängte Toth. „Wieviel?” „Neun”, sagte Liz. Toth lachte auf. „Sie glauben, Sie können mich täuschen! Aber Sie irren sich, Kommandantin! Ich weiß genau, daß in der Abteilung zehn Leute beschäftigt sind.” Mittlerweile hatte Liz herausgefunden, daß der fehlende Mann Thorm Liles war, und in aller Hast entwickelte sie eine plausible Ausrede dafür. „Ich dachte mir, daß Sie mir nicht glauben würden”, sagte sie mit gespieltem Ärger. „Oberst Rotex hat auf Nullarbor in letzter Minute entschlossen, daß Mr. Liles den Flug nicht mitmachen wird. In der Mannschaftsliste ist das nicht vermerkt.” „Die Gründe?” -64-
„Liles war der älteste unter den Astronauten, doch wegen seiner eigenwilligen Art sollte ihm das Kommando über die Abteilung nicht übertragen werden. Er drohte damit, die Arbeit zu behindern. Deshalb wurde er aus der Mannschaft gestrichen.” Toth glaubte ihr kein Wort. Dennoch blieb ihm nichts übrig, als die Ausrede zu akzeptieren. Wenn der Beschluß, Liles die Teilnahme an dem Flug zu versagen, tatsächlich erst in letzter Minute gefallen war, konnte er nichts davon wissen. „Nun gut”, murmelte er verbissen und schickte den Techniker, dem er eben noch die Exekution angedroht hatte, auf seinen Platz zurück. Die Kontrolle war noch nicht beendet, und Liz schauderte bei dem Gedanken, daß in einer der restlichen Abteilungen ebenfalls jemand fehlen könnte. Noch einmal würde es ihr nicht gelingen, den Terroristen zu täuschen. Doch die astronomische Abteilung blieb ein Einzelfall. Nirgendwo sonst hatte sich jemand zu einer Aktion durchringen können. Es blieb die Frage, wo sich Thorm Liles tatsächlich aufhielt – und welchen Plan er verfolgte.
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6. Szenenwechsel Als die Aufforderung der Terroristen durch die Korridore des Schiffes hallte, war Thorm Liles bereits zu weit von seiner Abteilung entfernt, um den Rückweg in der geforderten halben Stunde bewerkstelligen zu können. Es blieb ihm nur die Flucht nach vorn. Vielleicht gelang es ihm, den Raumer in die Turbulenzzone zu bringen, bevor die Meuterer sein Fehlen entdeckten. Die Ausführung seines Planes hatte er selbst in die Hand genommen. Angesichts der jüngsten Entwicklung war er froh, jede Hilfe seiner Kollegen abgelehnt zu haben. Je mehr Personen unterwegs waren, desto größer wurde das Risiko, und die vorgesehene Manipulation konnte er sehr gut allein ausführen. Ebenso beglückwünschte er sich zu seinem Entschluß, die Triebwerkskontrolle aus dem Spiel zu lassen. Jede von dort gesteuerte Inbetriebnahme einer Einheit ließ in der Zentrale ein Kontrollicht aufflammen. Es hatte Stimmen gegeben, die behaupteten, daß durch die Zerstörung der Kommandokonsole auch die Überwachungsinstrumente der verschiedenen Funktionseinheiten in Mitleidenschaft gezogen worden seien, doch darauf hatte Thorm sich nicht verlassen wollen. Die Tatsache, daß die Rundrufanlage innerhalb kurzer Zeit repariert worden war, gab seinen Überlegungen recht. Wenn niemand die Manipulation bemerken sollte, mußte er das Aggregat an Ort und Stelle zünden. Durch Seitenkorridore, Reparaturstollen und Klimaschächte hatte er sich vorangearbeitet, immer darauf bedacht, niemandem zu begegnen, der sein Vorhaben vielleicht ungewollt verraten könnte. -66-
Unter Zuhilfenahme des abteilungseigenen Rechners hatten Thorm und seine Kollegen in kurzer Zeit das Triebwerk bestimmt, dessen Zündung die Flugbahn und die Geschwindigkeit des Sternenschiffs – unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Drift und des Fehlwinkels zum Objekt – so beeinflußte, daß es nach einer Spanne von weniger als einer Stunde die Randzonen des beobachteten hyperphysikalischen Phänomens durchstoßen würde. Der Lokalisation folgte die Ausführung des Planes. Mittlerweile freilich bezweifelte Thorm, daß die Manipulation ohne größere Schwierigkeiten betrieben werden konnte. Mehrere Minuten stand er schweigend und reglos vor dem gewaltigen Kontrollblock, starrte das Gebilde nur an, ließ seinen Blick von unten nach oben und wieder zurück wandern und versuchte, die nagenden Zweifel an der Durchführbarkeit seiner Aufgabe zu unterdrücken. Schließlich atmete er tief durch, entspannte sich, sah sich nach Werkzeug um… „Also los!” sagte er zu sich selbst, um sich neuen Antrieb zu geben. „Versuchen wir's!” Er arbeitete verbissen – und konnte bereits nach wenigen Minuten zufrieden feststellen, daß ihm die Tätigkeit leichter von der Hand ging, als er zunächst befürchtet hatte. Selbstverständlich hatte Thorm, wie jedes Mitglied der Schiffsbesatzung, einen intensiven grundlegenden Lehrgang absolviert, der ihn im Notfall befähigen sollte, nach kurzer Einarbeitungszeit jede eventuell ausfallende Person zu ersetzen. Der Grundsatz, daß in einer Extrem – oder Gefahrensituation jeder für jeden sollte einspringen können, hatte sich bereits bei mehreren Gelegenheiten bezahlt gemacht. Jetzt half die Grundausbildung dem Wissenschaftler, die gewünschte Manipulation vorzunehmen. Zudem war an dem Kontrollblock eine Tafel befestigt, welche die wichtigsten Reparaturarbeiten – und dazu gehörte auch die Überbrückung der Zentralsteuerung – detailliert beschrieb. -67-
Dennoch war es keine leichte Arbeit. Thorm begann zu schwitzen, als er die Verbindung zur Triebwerkskontrolle unterbrach. Nervös wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. In diesem Augenblick würde auf dem Pult des Leitenden Ingenieurs eine Warnlampe aufleuchten. Der Astronom konnte nur hoffen, daß die Leute dort intelligent genug waren, keine Meldung an die Zentrale abzusetzen. Thorm spürte, wie seine Hände plötzlich zu zittern begannen. Nicht auszudenken, wenn jetzt eine Patrouille der Terroristen den Raum betreten würde! Er merkte, wie seine Konzentration nachließ. Innerlich begann er zu fluchen. Warum hatte er diese Arbeit nicht jemandem überlassen, der stärkere Nerven besaß als er! Doch daran war jetzt nicht mehr zu denken. Langsam richtete sich Thorm aus seiner hockenden Haltung auf und lehnte sich rücklings gegen die Wand des Kontrollblocks. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich zu sammeln. Er wußte, daß das Schicksal der Zentralbesatzung möglicherweise davon abhing, ob er es fertigbrachte, dem Sternenschiff einen neuen Kurs zu geben. Vielleicht war es die letzte Chance, die Terroristen zu überwinden, bevor sie ein schreckliches Blutbad unter den Besatzungsmitgliedern anrichteten. Der Gedanke trieb ihn erneut an. Mit zitternden Fingern arbeitete er weiter. Und als er schließlich die Verkleidungsplatte wieder vor die Schaltungen montierte, atmete er erleichtert auf. Wenn er in seiner Nervosität keinen Fehler gemacht hatte, mußte sich das gewünschte Triebwerk von hier aus zünden lassen. Thorm blickte kurz auf seine Uhr und preßte entschlossen die Handfläche auf die Kontaktplatte. Es schien sich nichts zu ändern. Nur das Aufflammen eines -68-
Kontrolllichts bewies ihm, daß seine Manipulation erfolgreich gewesen war. Irgendwo hinter meterdicken, abschirmenden Wänden begann ein Wandler zu arbeiten, setzte sich ein komplexes Gefüge in Betrieb, das Sekundenbruchteile später den weißglühenden Korpuskelstrom von sich stieß. Hier war nichts davon zu spüren. Die Andruckabsorber arbeiteten einwandfrei. Nirgendwo würde man bemerken, daß das Schiff seinen Kurs geringfügig änderte – höchstens in der Zentrale, falls überaus wachsame Augen ständig die Fahrtkontrollen überprüften, und das hielt selbst Thorm für unwahrscheinlich. Wieder sah der Astronom auf die Uhr an seinem Handgelenk. Nach den Berechnungen des Computers mußte das Triebwerk exakt 3 Minuten und 07,88 Sekunden arbeiten, um. den gewünschten Kurs zu erzielen und dem Schiff die nötige Geschwindigkeit zu verleihen. Es verstand sich von selbst, daß menschliche Sinn nicht in der Lage waren, eine derart präzise bestimmte Zeitspanne abzupassen. Es genügte dem Wissenschaftler jedoch zu wissen, daß die geforderte Zeit zumindest annähernd richtig war. Nach 3 Minuten und 08 Sekunden schaltete er erneut. Das Kontrollicht erlosch. Das Triebwerk war wieder still. Eine Weile stand er mit hängenden Schultern da. Die Manipulation war durchgeführt, das Sternenschiff trieb mit leicht erhöhter Geschwindigkeit auf die hyperphysikalische Turbulenz zu. Ob der erhoffte Effekt eintreten würde und ob er helfen konnte, die Terroristen in die Zentrale zu bezwingen, würde sich zeigen. Eine Stunde Flug, eine Stunde des Wartens und der Ungewißheit. Dann würden sie es wissen. „Das ist doch…” Unbeherrscht fuhr Kerman Toth herum und richtete die Waffe -69-
auf den Ersten Offizier. „Ruhe!” rief er schneidend. „Sie reden, wenn Sie angesprochen werden!” „Verzeihung”, murmelte er und senkte scheinbar ergeben den Kopf, nicht ohne der Kommandantin einen bedeutsamen Blick zuzuwerfen. Liz kannte ihren Mitarbeiter gut genug, um beurteilen zu können, daß dessen Ausruf mit den eingedrungenen Terroristen nichts zu tun hatte. Sein flüchtiger Blick sagte zudem mehr als alle Worte. Dem Ersten Offizier war etwas aufgefallen, was Toth bisher offenbar entgangen war. „Ich warne Sie nochmals! Ich dulde keinen Widerspruch. Jede unbesonnene Handlung Ihrerseits wird mit aller Härte bestraft!” Während Toth das sagte, drehte er der Kommandantin halb den Rücken zu. Liz hatte Gelegenheit, ihre Kontrollanzeigen aufmerksam zu mustern. Und sie entdeckte sofort, was ihren Kollegen so erregt hatte. Das Schiff hatte beschleunigt und den Kurs geringfügig geändert! Es dauerte nicht den Bruchteil einer Sekunde, bis sie die Zusammenhänge durchschaute. Irgendwo mußte, unabhängig von der Zentralkontrolle, ein Triebwerk gezündet worden sein, und bei dem Urheber dieser Aktion konnte es sich nur um Thorm Liles, den fehlenden Mann aus der astronomischen Abteilung, handeln. Innerlich beglückwünschte sie sich, daß Toth ihren Ersten Offizier so barsch daran gehindert hatte, weiterzusprechen. Wäre er nicht gestoppt worden, hätte er in seiner Überraschung die Beobachtung verraten. Liz zweifelte nicht daran, daß eine bedeutsame Entwicklung bevorstand. Nicht umsonst würde Liles sich die Arbeit gemacht haben, ein Aggregat an Ort und Stelle so zu zünden, daß es einem halbwegs unaufmerksamen Beobachter entgehen mußte. Mittlerweile war ihr klargeworden, daß nur die -70-
Kommandozentrale sich voll in der Hand der Terroristen befand. Der Plan des Astronomen mußte also auf eine Befreiung der hier beschäftigten Personen ausgerichtet sein – und er bezog vermutlich das Überraschungsmoment mit ein. Wenn sie nur wüßte, was geschehen würde! Immerhin war sie vorbereitet. Kaum eine Sekunde ließ sie Toth noch aus den Augen, sie verfolgte jede seiner Bewegungen, um im entscheidenden Augenblick handeln zu können. Dem Terroristen blieb das nicht verborgen, aber er bemühte sich, seine Unsicherheit nicht allzu offen zeigen. Noch immer wartete er auf eine Antwort von der Erde, und je länger sie ausblieb, desto unruhiger wurde er. Die ständige Musterung durch die Kommandantin setzte ihm ebenfalls zu. Von Minute zu Minute wurde er nervöser. Liz konnte damit nur zufrieden sein. Es wurde kaum noch gesprochen. Eine geradezu eisige Stille hatte sich über dem Rund der Kommandozentrale ausgebreitet. Keinem, weder der Besatzung noch den Terroristen, entging die ständig steigende Spannung, jenes psychologische Fluidum, das letztlich dazu führen konnte, daß irgendwann jemand die Nerven verlor und zur Waffe griff. Toth erkannte diese Gefahr. Die kleinste Unbesonnenheit würde zu einem Blutbad führen, zu dessen Opfer auch er und seine Leute gehören konnten. Er mußte etwas tun, um die unerträgliche Spannung abzubauen. „Wir werden eine letzte Warnung an die Erde absetzen”, verkündete er. „Sie scheinen noch nicht begriffen zu haben, daß es uns ernst ist.” Ein Zittern lief durch das Schiff. Einen Moment lang schien alles leise zu vibrieren, begleitet von einem drohenden Brummen. Eine halbe, vielleicht eine Sekunde, länger dauerte das Phänomen nicht. Dem Anführer der Terroristen genügte es. -71-
„Was war das?” rief er, während er überhastet aufsprang und die Waffe in Anschlag brachte. Diese Haltung verschaffte ihm innere Sicherheit, aber sie war zugleich sein entscheidender Fehler. Liz war zutiefst aufgewühlt, doch nach außen hin bemühte sie sich, Gelassenheit zu zeigen. „Die Antigravs haben unregelmäßig gearbeitet. Das kommt schon mal vor.” Sie hätte fluchen mögen. Das konnte nicht alles gewesen sein! Nur wegen dieser kurzen, kaum spürbaren Vektorschwankung der künstlichen Schwerkraft konnte Thorm Liles das Triebwerk nicht gezündet haben! Ihre Hoffnung bestätigte sich innerhalb weniger Augenblicke. Das Schauspiel setzte sich fort! Von außen mußte eine ungeheuerliche Kraft auf das Sternenschiff einwirken. Die Andruckneutralisatoren waren nicht länger in der Lage, die Belastung hundertprozentig zu absorbieren. Ein donnernder Schlag fuhr durch die Kommandozentrale. Kerman Toth, der noch immer ohne Halt hinter seinem Sessel stand, riß es von den Beinen; er schrie, als er zu Boden stürzte, die Waffe löste sich aus seinen Händen und schlitterte meterweit davon. „Achtung!” gellte Liz' Kommando durch das Rund. Die Hände krampfte sie um die Lehnen, um nicht aus dem Sitz geschleudert zu werden. Die Hölle brach los. Die meisten Terroristen, die, überall in der Zentrale verteilt, Posten gestanden hatten, waren von der ersten Erschütterung ebenso überrascht worden wie ihr Anführer. Fast alle hatten den Halt verloren und waren gestürzt. Die Besatzung reagierte sofort. Die Leute erkannten ihre Chance. Nicht minder verblüfft, aber infolge der Tatsache, daß die meisten in ihren Sesseln saßen, mit hinreichendem Halt versehen, hatten sie den Schlag vergleichsweise schadlos überstanden und stürzten sich auf die Eindringlinge. -72-
Ihre Überlegenheit war deutlich. Gegen fünfzig Personen hatten die überraschten Terroristen kaum eine Möglichkeit zur Gegenwehr. Liz' Hoffnung, daß der Kampf schnell entschieden sein würde, erfüllte sich jedoch nicht. Kaum hatte sich die Situation etwas stabilisiert, fuhr ein weiterer Schlag durch das Schiff. Warnanzeigen leuchteten auf. Mehrere Sekunden lang legte sich ein übermächtiger Druck auf Liz' Körper, der ihr fast den Atem nahm. Wieder und wieder schüttelte sich der Raumer. Irgendwo begann eine Alarmpfeife zu schrillen. Liz verlor den Überblick. Durch das Schreien von Frauen und Männern drang das helle Kreischen beanspruchten Materials, das kratzende Knirschen überlasteter Verstrebungen. Der Boden der Zentrale schien rhythmisch auf und ab zu schwingen. Die Front der Kontrollen und Monitore verschwamm vor dem Blick der Kommandantin. Irgendwo inmitten des Infernos entstand das Gesicht Thorm Liles', der sich wieder in seiner Abteilung befand. „Ruhe bewahren!” rief der Astronom mit entstellter Miene. „Es handelt sich um eine hyperphysikalische Turbulenz. Wir sind gleich durch!” Liz wollte sich darauf nicht verlassen. Es gelang ihr, eine Kontaktplatte zu berühren. „Zentrale an Maschine”, versuchte sie, den Lärm zu durchdringen. „Triebwerke zünden! Seht zu, daß wir da rauskommen!” Ein Warnlicht nach dem anderen blitzte auf. Das Schiff schien sich in Krämpfen zu schütteln. „Maschine! Was ist los bei euch? Warum tut ihr nichts?” „Keine Reaktion, Kornmandantin!” Die Stimme des Leitenden Ingenieurs klang keuchend. Ein Bild entstand nicht. „Die Wandler nehmen keine Energie auf!” „Zum Teufel, Liles! Was haben Sie uns eingebrockt!” -73-
Der Astronom taumelte vor der Aufnahmeoptik hin und her. Nur schwer fand er festen Halt. „Es kann nicht lange dauern. Es ist gleich vorbei.” Die Zentrale schwenkte in eine Schräglage. Krampfhaft klammerte sich Liz fest, um nicht endgültig den Halt zu verlieren. Mit einem kurzen Blick über die Schulter mußte sie feststellen, daß die meisten Menschen hilflos über den Boden schlitterten. Schreie, die zu ihr vordrangen, nahmen kein Ende. Das Chaos war ausgebrochen. Eine weitere Alarmsirene fiel in den Lärm ein, irgendwo knallten zerschlagene Sicherheitsschotte. Verzweiflung packte die Kommandantin. Warum nahmen die Triebwerke keine Energie mehr auf? Die Unfähigkeit, etwas zur Rettung des Schiffes zu unternehmen, schnürte ihr fast die Kehle zu. Sie waren kosmischen Gewalten ausgeliefert, gegen die die Maschinen des Raumers machtlos waren. Der Schwerkraftvektor verschob sich erneut. Der Boden der Zentrale kippte in die Horizontale zurück. Ein helles Singe n drang durch den Saal. „Zentrale an Maschine! Versucht es weiter! Wir müssen da raus!” „Negativ! Wiederhole: negativ! Keine Energieaufnahme!” Es klang wie das Todesurteil für Schiff und Besatzung. Harte Schläge dröhnten durch die Zentrale. Der Boden schwankte. Liz, einen Augenblick unvorsichtig, rutschte nach vorn und prallte mit dem Kopf gegen die Kontrollkonsole. Rasender Schmerz breitete sich in ihr aus. Auf den Lippen schmeckte sie Blut. Da war es vorbei. Die Sirenen verstummten, die künstliche Schwerkraft stabilisierte sich. Liz hörte, durch einen Schleier wirbelnder, ungeordneter Gedanken hindurch, hart gesprochene Befehle. -74-
Ihr Schädel dröhnte, als sie sich aufrichtete. Mit einer automatischen Bewegung wischte sie sich das Blut aus dem Gesicht und sah sich um. Überall hatten ihre Leute Waffen ergriffen und hielten die Terroristen in Schach. Trotz des plötzlichen Durcheinanders hatte die Besatzung im entscheidenden Augenblick die Nerven behalten und die bessere Übersicht bewiesen. Liz nickte zufrieden. „Führt sie ab!” Große Erleichterung bemächtigte sich ihrer. Ein Sanitäter eilte herbei und behandelte die leichte Kopfwunde, während erste Meldungen aus den verschiedenen Abteilungen eintrafen. Sie hörte kaum hin. Harp Kelley, der Erste Offizier, nahm die Berichte über Verletzte und beschädigtes Gerät entgegen. Der Sanitäter sprühte flüssiges Bioplast auf die Wunde der Kommandantin. In weniger als zwei Stunden würde sie bereits verheilt sein. Liz dankte dem Mann lächelnd und wandte sich den Kontrollen zu. Obwohl ihr Schädel noch immer schmerzte, ging sie sorgfältig die verschiedenen Anzeigen durch. „Wir sind auf der Paraspur!” stellte sie verblüfft fest. „Unmöglich”, widersprach Harp Kelley ruhig. Er schrieb, die Bemerkung der Kommandantin der eben überstandenen Verwirrung zu. „Wie sollten wir ohne Energieschub die Spur erreichen?” Liz deutete erregt auf die Funktionsanzeige. „Wenn ich es sage, Harp! Wir sind auf der Paraspur!” Es war zu sehen, wie das Blut aus Kelleys Gesicht wich. „Das gibt es nicht!” versuchte er schreiend zu verdrängen, was seine Augen sahen. „Unsere Relativgeschwindigkeit ist gleich null! Verstehen Sie: NULL.” Liz starrte ihn entsetzt an. Sie verstand. Fluchend rieb Phil eine schmerzende Stelle seines Unterarms. -75-
„Das war hart”, brummte er, sichtlich erleichtert, daß das Chaos beendet war. „Verdammt hart.” Immerhin konnte er nach einem flüchtigen Rundblick feststellen, daß keiner seiner Mitarbeiter ernsthaft verletzt worden war. Einige Prellungen oder Schürfwunden stellten die einzigen sic htbaren Zeichen der eben überstandenen Katastrophe dar. Lediglich die an ihre Stühle gefesselten und infolgedessen des freien Gebrauchs ihrer Arme und Beine beraubten Terroristen waren weniger glimpflich davongekommen. Einer der beiden blutete stark am Kopf, der andere hatte sich offenbar ein Bein gebrochen. Zwei der Wissenschaftler behandelten sie notdürftig. Ächzend erhob sich Phil aus dem Winkel, in den ihn die letzte Erschütterung so unsanft befördert hatte, und forderte über die medizinische Abteilung Sanitäter an. Als er sich umwandte, bemerkte er Ishimo Katsaku, der sich mühsam in einen Sessel hob. Die Augen des Mutanten waren unnatürlich weit geöffnet und schienen in unendlicher Ferne zu blicken. Beunruhigt ließ der Wissenschaftler sich neben ihm nieder. „Was ist los?” „Ich habe es geahnt…”, murmelte Ishimo so leise, daß Phil ihn kaum verstand. „Wir versinken im Nichts. Keine Macht der Welt wird uns helfen können.” Ein eisiger Schauer rieselte den Rücken des Wissenschaftlers hinab. Namenloses Entsetze n griff nach ihm. Dies war keine auf die Zukunft gerichtete Voraussage mehr, wie sie der Mutant während des Fluges schon mehrfach gemacht hatte. Seine kaum verständlichen Worte schienen vielmehr eine Entwicklung zu umschreiben, die jetzt, in diesem Augenblick, nach dem Schiff und seiner Besatzung griff. Er achtete kaum auf die Sanitäter, die eben den Raum betraten, kümmerte sich nicht weiter um den Mutanten, sondern stellte kurzentschlossen eine Verbindung mit der Zentrale her. -76-
Der Erste Offizier meldete sich. „Ich muß Liz sprechen.” Harp Kelley lächelte boshaft. „Ihre geschätzte Freundin ist beschäftigt”, säuselte er übertrieben süffisant. „Sie müssen mit mir vorliebnehmen.” „Ich habe keine Zeit für schlechte Scherze”, rief Phil erzürnt. „Es ist wichtig!” „Ja doch, ja! Sie lebt, es geht ihr gut, und sie denkt an Sie.” Seine Stimme wurde um eine Spur schärfer. „Glauben Sie nur nicht, daß wir hier keine Probleme haben, Mann! Momentan ist keine Zeit für private Flirts.” Phils Gesicht versteinerte sich. Es war ihm bewußt, daß insbesondere Harp Kelley nicht mit der Art einverstanden war, wie Liz und er miteinander auskamen. Oft genug hatten sie die Dienstleitung für private Gespräche und freundschaftliche Wortspiele benutzt. Es war deutlich, daß der Erste Offizier eine gewisse, wenn auch unbegründete Eifersucht gegen ihn hegte, doch jetzt ging er entschieden zu weit. „Hören Sie, Kelley”, sagte der Wissenschaftler, für seine sonstige Art eine Spur zu ernst. „Wenn Sie Liz nicht augenblicklich an die Kontrollen holen, hänge ich Ihnen ein Disziplinarverfahren an den Hals, das Sie Ihre Stellung als Raumfahrer kosten wird! Bin ich verstanden worden?” Sicherlich war Harps Reaktion, der einen Schrecken überstanden hatte und gleich darauf mit dem nächsten konfrontiert worden war, in gewisser Weise verständlich. Den Parawissenschaftler, der die aktuelle Situation noch nicht kannte, brachte seine Erwiderung zur Weißglut. „Sie sind ein Grünschnabel, Mr. Verst.” „Das lasse ich mir nicht bieten!” brauste Phil auf und schickte sich an, die Verbindung zu trennen und persönlich die Zentrale aufzusuchen, als er aus dem Hintergrund die Kommandantin näherkommen sah. -77-
Liz mußte den scharfen Wortwechsel zumindest teilweise mitbekommen haben, denn sie nickte ihrem Ersten Offizier zu und bedeutete ihm, das Gespräch ihr zu überlassen. „Du mußt das entschuldigen, Phil”, sagte sie, doch das gewohnte Lächeln erschien nicht auf ihrem Gesicht. „Wir alle sind mit den Nerven ziemlich am Ende. Es kommt schon vor, daß hin und wider einer durchdreht. – Was gibt es?” „Einiges.” Die Schärfe in Phils Stimme ließ erkennen, daß er den Zorn noch nicht verdaut hatte. „Du weißt, daß Katsaku vor einiger Zeit düstere Andeutungen über unser weiteres Schicksal gemacht hat. Jetzt redet er, als befände sich die Gefahr unmittelbar vor dem Ausbruch. Höchste Aufmerksamkeit ist geboten!” Liz lachte humorlos auf. „Sag ihm, daß er recht hatte. Wir befinden uns bereits mitten in den Schwierigkeiten.” Phil schwieg erschrocken. Neben sich sah er den Mutanten, der mit schleppenden Bewegungen herankam und sich mit den Händen am Visifonpult abstützte. Mit leeren Augen musterte er das Abbild der Kommandantin. „Das Nichts…”, murmelte er abwesend. Nur sein Körper mutete gegenständlich und real an; der Geist des Mannes hingegen schien in einer fremden Daseinsebene zu verharren, seine Stimme drang aus dem Irgendwo in die Gegenwart. „Es läßt uns nicht mehr los. Es frißt unsere Seelen und höhlt unsere Körper aus. Es vernichtet uns alle.” Hart packte Phil ihn am Arm, um ihn in die Wirklichkeit zurückzureißen, doch der Mutant löste sich aus dem Griff und wandte sich mit hängenden Schultern zum Gehen. „Vielleicht hat er recht”, bemerkte Liz sorgenvoll. „Was redest du! Es gibt immer einen Ausweg!” „Du bist immer noch der unerschütterliche Optimist.” Kein Funken Hoffnung schimmerte in ihrem Blick. „Phil, unsere Triebwerke nehmen keine Energie auf! Wenn wir den -78-
Instrumenten glauben wollen, befinden wir uns auf der Paraspur – und unsere Geschwindigkeit ist null!” Phil erstarrte. Was die Kommandantin behauptete, hatten alle Wissenschaftler bisher für eine physikalische Unmöglichkeit gehalten. Der Pararaum, den die Sternenschiffe für die Fortbewegung mit Überlichtgeschwindigkeit benutzten, gestattete die Existenz von Objekten nicht, deren Schnelligkeit – in bezug auf den Normalraum – geringer war als die des Lichtes. Körper, die diese Bedingung nicht erfüllten, wurden in den Normalraum zurückgestoßen. Fassungslos setzte sich Phil und starrte das Abbild seiner Kollegin an. Wenn Liz etwas mit solcher Sicherheit behauptete, mußte sie die Meßwerte überprüft haben. Es konnte keinen Zweifel geben. Unwillkürlich mußte er an Ishimos düstere Voraussagen denken. Der Mutant hatte recht behalten! Das Nichts hatte sich um sie geschlossen. Sie waren von einer hyperinstabilen Zone, einer paraenergetischen Turbulenz in den Überraum gestoßen worden. Das Schiff stand ohne Fahrt inmitten der absoluten Unwirklichkeit. „Haben wir eine Chance?” Liz hob nur die Schultern. Phil fühlte sich benommen und unendlich müde. Stumm und fassungslos schüttelte er den Kopf, schloß verbittert die Augen.
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7. Traufe Eine Astronomin ergriff den Abteilungsleiter am Arm und deutete fragend auf Thorm Liles, der mit dem Rücken zu den anderen am Rechner saß und ein Programm nach dem anderen eingab. „Er arbeitet”, beantwortete Tullio Ermelli die unausgesprochene Frage. Mit wenigen Schritten trat er hinter den Kollegen und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Gib es auf! Du wirst nicht mehr Erfolg mit deinen Kombinationskünsten haben als der Kommandostab. Es ist nicht zu ändern.” „Laß mich in Frieden!” bat Thorm, ohne sich umzudrehen. Tullio konnte sich leicht ausmalen, wie es in dem Mann aussah. Schließlich war er es gewesen, der das Triebwerk gezündet und das Schiff in die gegenwärtige Lage gebracht hatte. Es war sein Plan gewesen… war es auch seine Verantwortung? „Ich begreife das nicht”, murmelte er vor sich hin. Beinahe hilflos hob er die Arme und schwenkte den Sessel herum. „Ich verstehe es einfach nicht!” „Wer hat schon Einblick in die Gesetzmäßigkeiten des Universums”, philosophierte Tullio. Er war bemüht, den Kollegen innerlich etwas aufzurichten. „Wir wollten die Randzonen des Feldes durchstoßen, es sollte etwas rumpeln – schön. Niemand weiß genau, warum der Effekt so verheerend war. Mag sein, daß wir zu Nahe am Zentrum der Turbulenz vorbeigeschaukelt sind. Kein Mensch konnte die berechnete Zündzeit sekundenbruchteilgenau einhalten. Niemand macht dir Vorwürfe.” -80-
Thorm blickte durch die Panzerglaswand nach draußen – zum wievielten Mal? – und schüttelte den Kopf. Uneingeschränkte Schwärze, konturlose Einöde… das Nichts in seiner absoluten Vollkommenheit, in der unendlichen Potenz seiner selbst… Der Pararaum! „Ich habe es für eine schwache hyperenergetische Turbulenz gehalten”, sinnierte der Wissenschaftler vor sich hin. „Für eine ungefährliche Sache.” „Eine Turbulenz war es sicherlich, wenn auch keine ungefährliche. Wir haben eine Krümmung im Raum- ZeitGefüge passiert, wenn du es so ausdrücken willst, eine Falte im ungewohnten Universum.” „Das brauchst du mir nicht zu erklären”, entgegnete Thorm barscher als beabsichtigt. „Hältst du mich für einen Dummkopf?” Tullio brachte ein Lächeln zustande. „Quäle dich nicht selbst! Immerhin haben wir es dir zu verdanken, daß die Terroristen überwältigt und in sicheren Gewahrsam gebracht werden konnten.” Wütend sprang Thorm auf. „Ja, das könnt ihr! Tut es gut, sich über andere lustig zu machen? Erleichtert es euch? Gibt es euch Sicherheit in diesem entsetzlichen Universum?” Die anderen sahen ihn entgeistert an. Der Astronom war bekannt dafür, daß er oft aufbrausend und streitsüchtig reagierte, doch mit einer so scharfen Reaktion hatte niemand gerechnet. „Kein Mensch macht sich über dich lustig”, versicherte Tullio, aber er spürte, daß seine Worte den anderen nicht mehr aufzurichten vermochten. „Es ist meine Schuld”, bekräftigte Thorm die Vorwürfe, die er sich selbst machte. Wieder sah er nach draußen. „Nur meine Schuld.” Dann verließ er die Abteilung. Ehe Tullio etwas entgegnen -81-
konnte, hatte sich das Schott hinter ihm geschlossen. „Ich hatte keine Ahnung, daß er so sensibel ist”, murmelte der Leiter der Abteilung voller Beklemmung. Er sah sich um, blickte in die betroffenen Gesichter seiner Mitarbeiter. Niemand hätte den zanksüchtigen Liles so eingeschätzt. Und er, Tullio Ermelli, hatte seine Leute – jeden einzelnen! – genau zu kennen geglaubt. Er hätte es wissen müssen. Eine Stunde später standen sie erschüttert in Thorm Liles' Apartement. Niemand vermochte es zu fassen. „Ich hätte es verhindern können”, stammelte Tullio. „Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Ich habe gewußt, wie sehr er sich innerlich grämte. Das hätte nicht passieren brauchen.” Liz legte ihm eine Hand auf den Arm. „Ich glaube nicht, daß Sie eine Schuld trifft”, sagte sie. „Sie waren sein Diens tvorgesetzter, weiter nichts. Für den persönlichen Bereich trägt jeder selbst die Verantwortung.” Der Astronom schüttelte den Kopf. Krampfhaft vermied er es, den Toten anzusehen. „Mir war, als er die Abteilung verließ, klargeworden, welch sensibler Mensch er in Wahrheit sein mußte. Ich hätte es verhindern können.” „Niemand konnte wissen, daß seine Selbstvorwürfe ihn dazu bringen würden, sich das Leben zu nehmen.” Beinahe beschwörend redete Liz auf den Astronomen ein, aber sie merkte, daß er noch einige Zeit brauchen würde, bis er den Schock überwunden hatte. Sie selbst stand der Entwicklung hilflos gegenüber. Thorm hatte mit seiner Aktion dafür gesorgt, daß die Zentralbesatzung sich von der Bedrohung durch die Terroristen befreien konnte, und damit hatte er das Schiff und seine sechshundert Personen umfassende Mannschaft in eine weitaus größere Gefahr gestürzt. Er hatte die Good Will vom Regen in die Traufe geführt und -82-
sich selbst für die mißliche Situation, in der jetzt alle steckten, verantwortlich gemacht. Er hatte kein Verständnis gefunden, weil er insgeheim keines erwartet hatte. Sein Ausweg war der Freitod gewesen… Es war das erste Mal in Liz' Laufbahn, daß sie nicht wußte, wie es weitergehen sollte. Innerlich zerschlagen, begab sie sich in die Kommandozentrale, um ihren Bericht für das elektronische Logbuch abzugeben. Den fragenden Blick ihrer Mitarbeiter, denen sie auf dem Weg begegnete, wich sie aus. Sie wußte keine Antworten. Die Lage war hoffnungslos. Das Sternenschiff schwebte antriebs- und bewegungslos im Pararaurn, in einer Art Überuniversum, das das Nichts in seiner absoluten Bedeutung darstellte. Hier gab es keine Energie im herkömmlichen Sinn, keine Materie, Temperatur oder Strahlung, keine Atome, Positronen, Elektronen, Neutronen… nichts! Zumindest stellte sich dieser Raum den Sinnen des Menschen so dar. Was er wirklich war, welches seine Geheimnisse, seine Gesetzmäßigkeiten, seine Dimensionen waren, würde dem Verständnis eines vierdimensional denkenden Wesens stets verschlossen bleiben. Bestenfalls durch mathematischlogische Rechenprozesse ließ sich etwas von dem ergründen, was dieses Medium ausmachte. Ähnlich dem sprichwörtlichen zweidimensionalen Wesen, das seine heimatliche Kugeloberfläche verließ, sich in den Weltraum hinauswagte und dort nach seiner Vorstellungs- und Aufnahmekraft nichts vorfinden würde, standen die Frauen und Männer der Good Will hier ihrem unfaßbaren Nichts gegenüber. Liz hatte die Zentrale erreicht und ließ sich in den Kommandosessel fallen. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Sie verlor sich in Gedankenspielereien, die naturgemäß ergebnislos bleiben mußten. Doch was konnte sie anderes tun? Die entsetzliche Situation, die keinen Ausweg vorsah, lähmte ihre Entschlußkraft. -83-
Überall waren Spezialisten damit beschäftigt, nach einer Lösung zu forschen, aber bereits jetzt war abzusehen, daß alle Experimente und Versuche ergebnislos bleiben würden. Die Frage, warum die Triebwerke sich weigerten, Energie aufzunehmen, war noch immer ungeklärt; ein technischer Fehler lag, den ersten Untersuchungen zufolge, nicht vor. Die Ursache mußte im umgebenden Medium liegen, wobei sich sogleich das Paradoxon einstellte, daß beim gezielten Flug durch den Pararaum, auf jener imaginären Paraspur, die Triebwerke mit höchster Leistung einwandfrei zu arbeiten pflegten. Lag es an der Eintauchgeschwindigkeit? Niemand wußte es im Moment. Als Liz bemerkte, daß der Erste Offizier sie unverwandt von der Seite musterte, gab sie sich einen Ruck. Es war sinnlos, in philosophische Grübeleien zu verfallen. Ruhig sprach sie ihren Vermerk ins Logbuch. Sie wollte aufstehen, um einige Stunden ihrer dienstfreien Zeit in ihrem Apartement zu verbringen, doch Harp Kelley sprach sie an. „Die Stimmung unter der Besatzung ist kritisch”, stellte er fast beiläufig fest. Warum fing er ausgerechnet jetzt davon an? Nach den überstandenen Strapazen sehnte sie sich nach Ruhe und etwas Entspannung, vielleicht nach einem Gespräch mit ihrem Freund Phil. „Ich weiß”, antwortete sie knapp. „Ich habe mich ein wenig umgehört”, fuhr Harp fort. „Es kriselt an allen Ecken und Enden. Die einen verfallen in Depression und Untätigkeit, mit den anderen gehen die Nerven durch. Niemand glaubt wirklich, daß wir die Situation bewältigen können.” „Glauben Sie es, Harp?” „Wenn ich ehrlich bin, nein. Der Pararaum hält uns fest und wird uns, wie es im Moment aussieht, nicht wieder freigeben. Was ich sagen will, ist, daß wir etwas tun müssen, die Moral der -84-
Leute aufzurichten und zu festigen. Wir müssen uns mit dem Schicksal abfinden, gewiß, aber wir müssen auch versuchen, das Beste daraus zu machen.” Liz lächelte mitleidig. Wie sollte sie ihre Leute innerlich aufrichten, wenn sie selbst noch nicht damit fertig geworden war! „Die Good Will ist eine kleine Welt für sich”, sagte Harp. „Solange sich das Medium dort draußen neutral verhält, können wir im Sternenschiff leben, als befänden wir uns auf einer großen Reise. Es wird uns an nichts fehlen. Atmosphäre und Nahrung stehen durch immerwährenden Kreislauf ständig zur Verfügung. Wir leiden weder Not noch Hunger. Der einzige Unterschied ist, daß wir nicht auf der Oberfläche eines natürlich entstandenen Planeten leben, sondern im Innern eines künstlichen Gebildes. Unsere Existenz ist nicht beendet, lediglich deren Form hat sich gewandelt. Das ist es, was wir der Besatzung bewußt machen müssen.” „Sie vergessen den psychologischen Faktor, Harp. Der Mensch ist ein freies, ungebundenes Leben gewohnt, er ist ein Produkt seiner Umwelt und braucht diese Umwelt. Sicherlich kann dieses Schiff die Natur nachahmen oder ersetzen. Die Tatsache aber, daß sich der Lebensbereich nicht mehr in einer durch Evolution entstandenen Umgebung befindet, sondern im Innern einer technischen Konstruktion, werden Sie nicht aus dem Bewußtsein verdrängen können. Glauben Sie, es gäbe so viele Sternenfa hrer, wenn diese Menschen nicht wüßten, daß sie, und sei es erst nach Jahren, in ihre natürlich Heimat zurückkehren würden?” „Ich gebe zu, daß Sie wahrscheinlich recht haben. Dennoch müssen wir zumindest versuchen, den Leuten ein neues Bewußtsein zu vermitteln. Gelingt es nicht, sehe ich ein Chaos auf uns zukommen.” „Gewiß.” Liz erhob sich schwerfällig und wandte sich zum -85-
Gehen. „Wir sollten ein anderes Mal ausführlich darüber reden.” Harp sah ihr nach, als sie die Zentrale verließ. Die Kommandantin wußte, daß seine Argumentation nicht von der Hand zu weisen war. Irgend etwas würde sie tun müssen, um die psychologische Situation in den Griff zu bekommen. Aber nicht jetzt, nicht hier. Sie selbst spürte, daß sie mit den Nerven am Ende war. Sie mußte abschalten und alles zu verdrängen suchen. Danach konnte sie weitersehen.
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Die Todesstrafe ist kein Schild, der unser Leben schützt, sie ist nur das Schwert der Rache, das der Mächtige benützt. (Georg Danzer) 8. Rücksturz Der Wachtposten hatte noch Gelegenheit, einen Warnimpuls an die Zentrale abzugeben, dann ergriff die Lähmung seinen Körper. Er stürzte zu Boden wie ein gefällter Baum. Er sah und hörte, was geschah, aber er war unfähig, sich zu rühren. Vier Männer bogen um die Korridorkreuzung, hinter der sie gelauert hatten. Sekundenbruchteile, bevor der lähmende Schuß ihn erfaßte, hatte der Sicherheitsoffizier die Mündung eines Gewehrs sehen und die Warnung absetzen können. Alles Weitere erlebte er aus der Passivität heraus. Einer der Männer beobachtete ihn von oben mit einem mitleidigen Blick. Er erkannte den Techniker Mark Beiton. „Tut mir leid, Freund, es ließ sich nicht anders einrichten.” Beiton winkte einem seiner Komplizen, „Drück ihm die Augen zu!” „Warum?” protestierte der andere. „Er lebt noch! Wir haben ihn nur betäubt!” „Eben deshalb, Narr! Das längste Leben nützt ihm nichts, wenn seine Augen austrocknen.” Der Mann tat, wie ihm geheißen. Unterdessen betätigte Beiton die Ruf anläge des Apartements, vor dem der Posten Wache gestanden hatte. „Was wollt ihr noch?” drang es aus dem Gitterwerk der Verständigungsapparatur. -87-
Beiton sah sich fast am Ziel seines Vorhabens. Er lächelte triumphierend. „Toth, sind Sie das?” Eine Weile blieb es still. Der Terrorist schien mit dem Gedanken fertig werden zu müssen, daß jemand Kontakt mit ihm suchte, der nicht hundertprozentig sicher war, in welchem Apartement er isoliert wurde. Bereits jetzt würde er wissen, daß es niemand vom Kommando- oder Sicherheitsstab sein konnte. „Ja”, antwortete er schließlich einsilbig. „Alles klar, Toth!” rief Beiton. „Treten Sie von der Tür zurück und gehen Sie irgendwo in Deckung. Wir kommen!” Zwei seiner Leute nahmen vor der Tür Aufstellung, richteten ihre Strahlwaffen darauf und drückten ab. Sie waren sich darüber im klaren, daß die Verriegelung des Schotts vielfach abgesichert war. Kein Uneingeweihter würde auf normalem Weg eindringen können. Sie mußten Gewalt anwenden. Fauchend brachen Bahnen greller Energie aus den Waffenläufen und fraßen sich durch das Material. Glühende Funken sprühten davon, die Luft erhitzte sich innerhalb weniger Augenblicke bis an die Grenze des Erträglichen. Zwei, drei Minuten währte der Punktbeschuß, dann gab Mark Beiton das Zeichen, aufzuhören. Die beiden Männer traten einige Schritte zurück. Knisternd kühlte das Metall ab. „Toth!” rief Beiton. „Sie müßten das Schott jetzt von innen öffnen können. Versuchen Sie es!” Eine Weile tat sich nichts. Der Techniker wurde ungeduldig, denn er konnte nicht ausschließen, daß der Sicherheitsoffizier noch eine Warnung hatte absenden können, bevor er niedergestreckt worden war. Die Zeit drängte. Schließlich schob sich das Schott zur Seite. Kerman Toth, der Terrorist, stand fassungslos auf der anderen Seite. „Wie kommen Sie dazu, mir zu helfen?” fragte er verblüfft. Beiton stieß ihn mit dem Strahler unsanft zurück. Seine drei -88-
Komplizen folgten ihm. „Von helfen kann keine Rede sein!” Erst jetzt begann der Terrorist zu begreifen, was sie wirklich mit ihm vorhatten. Panik trat in seinen Blick. Abwehrend streckte er die Arme aus. „Das…”, stammelte er, „das kann nicht Ihr Ernst sein…!” Beiton drückte ihn in einen Sessel. „Warum nicht?” Der Terrorist sah sich in der Sackgasse. Vier entsicherte Strahler waren auf ihn gerichtet. Wild schüttelte er den Kopf. „Sie können doch keinen Menschen erschießen, der völlig wehrlos ist”, brach es aus ihm hervor. Beiton setzte ein diabolisches Lächeln auf. Es gefiel ihm, mit dem Verängstigten zu spielen. „Sie können es auch, nicht wahr! Trauen Sie uns weniger zu?” Wie ein in die Enge getriebenes Tier fühlte sich Toth. Er spürte, daß die Männer es ernst meinten. Er hatte nur noch wenige Minuten zu leben. Sie würden nicht zögern, denjenigen hinzurichten, der für das. ganze Dilemma der momentanen Situation verantwortlich war. „Seht ihn euch an!” forderte Beiton seine Komplizen auf. „Seht ihn euch genau an, wie er dasitzt und um sein armseliges Leben bettelt. Wie er jammert und zur Kreatur wird! Er, der seine irrsinnigen Forderungen mit der Ermordung von Menschen durchsetzen wollte, die ebenso hilflos waren, wie er es jetzt ist!” Irgendwo regte sich Toths kühler, nüchterner Verstand. Vielleicht sollte er ihnen ein Angebot machen, das sie von ihrem wahnwitzigen Vorhaben abbringen würde… „Jetzt weiß er, was Todesangst ist, eine Angst, die er regelmäßig um sich verbreitet hat und die nun nach ihm selbst greift.” „Wir sollten vernünftig miteinander reden”, warf Toth ein. „Wenn Sie mich töten, wird man Sie fassen und ebenfalls -89-
inhaftieren. Wenn Sie aber mit mir zusammenarbeiten…” „Zusammenarbeiten, höre ich recht!” spottete der Techniker. In diesem Moment, das wußte er, hatte der Terrorist seine Furcht überwunden oder zumindest verdrängt. Nicht mehr lange, und er würde dem Tod lachend ins Auge sehen. Damit wurde die Exekution für Mark Beiton reizlos. „Sie täuschen sich erneut, Mr. Toth. Wir arbeiten nicht mit Mördern zusammen.” Er hob die Waffe und sah zufrieden, daß die Angst den Terroristen wieder packte. Er zielte kurz… Da fühlte er plötzlich Müdigkeit, die ihn ergriff. Sämtliche Glieder wurden gefühllos, die Muskeln seiner Beine versagten ihm den Dienst. Polternd schlug er auf dem Boden des Apartements auf. Innerlich fluchend, mußte er mit ansehen, daß es seinen Komplizen nicht anders erging. Irgend jemand drückte ihm die Augen zu. „Wir sind keine Sekunde zu früh gekommen!” sagte Harp Kelley und richtete sich auf. „Sie wollten mich töten!” rief Kerman Toth aus. Der Erste Offizier deutete zum Eingang, wo sich der Sicherheitsposten langsam erholte. Er stand schwankend in der Öffnung und hielt sich am Rahmen fest. „Wenn unser junger Freund nicht so aufmerksam gewesen wäre und eine Warnung an die Zentrale herausgegeben hätte”, erläuterte Harp, „wären Sie jetzt vermutlich bereits tot. Sie sollten sich darüber im klaren sein, daß Sie sich auf diesem Schiff beachtlich viele Feinde geschaffen haben.” Der Terrorist atmete schwer. Harp bedeutete einigen seiner Leute, ihn in ein anderes Apartement zu bringen. Dann betrachtete er die am Boden liegenden Aufrührer. „Was sind das für Menschen”, murmelte er verbittert, „die in unserem Zeitalter die Todesstrafe befürworten und selbst zur Lynchjustiz greifen? Die sich so auf eine Stufe mit denen -90-
stellen, die sie verurteilen? Was geht in ihnen vor?” Er hatte keine Antwort erwartet, doch einer seiner Leute trat zu ihm. „Wir alle stehen unter einer ungeheuren psychischen Belastung. Ich finde es verständlich, wenn Kurzschlußreaktionen wie diese auftreten.” „Verständlich?” Harp schüttelte den Kopf. „Selbst wenn sie ihr Vorhaben hätten ausführen können, was wäre ihnen geblieben? Hätte es die Situation verändert?” Langsam wandte er sich zum Gehen. „Ich begreife es nicht…”, murmelte er. Das sorgenvolle Gesicht der Kommandantin blickte vom Bildschirm auf Phil herab. „Soeben haben vier Männer versucht, den Anführer der Terroristen zu töten”, berichtete sie, und fast schien es, als klinge ihre Stimme vorwurfsvoll. „Es gab eine Zeit, da erfaßte Mr. Katsaku die negativen emotionellen Ströme solcher Leute. Diesmal wurden wir nicht gewarnt. Was ist los mit dem Mutanten?” Phil lachte. „Offenbar ist Ishimo bereits ein fester Bestandteil unseres Sicherheitssystems geworden, dessen Ausfall unersetzlich ist”, meinte er vergnügt. Es war deutlich, daß er hinter seiner Maske aus Fröhlichkeit alle anderen Empfindungen zurückdrängte. „Sicher hast du recht; unter normalen Umständen hätte er es bemerkt. Aber die Umstände sind alles andere als normal. Der Mutant befindet sich noch immer in Trance. Er ist nicht ansprechbar und murmelt pausenlos düstere Ahnungen vor sich hin.” „Warum habt ihr keine ärztliche Behandlung veranlaßt?” „Ich glaube kaum, daß das helfen würde. Ishimo leidet an -91-
keiner organischen Krankheit. Wie wir wissen, ist sein Gehirn in der Lage, mehrdimensionale Strahlungen zu erfassen. Sein Zustand ist die Folge unseres Aufenthalts im Pararaum. Von allen Seiten strömt dieses Medium mit seinen Impulsen, die nur ihm zugänglich sind, auf ihn ein.” „Ich verstehe. Vermutlich ist er bei euch noch am besten aufgehoben.” Phil setzte sein breitestes Grinsen auf. „So ist es, Mädchen. Mich würde interessieren, ob es an anderer Stelle Fortschritte gibt.” „Du machst Witze, Phil! Die Spezialisten für Paraphysik sitzen in deiner Abteilung. Wenn von euch nichts Produktives kommt, von wem dann?” „Wir sind genausoweit wie vorher. Unsere einzige Hoffnung bleibt, daß der Pararaum uns irgendwann als Fremdkörper einstuft und uns wieder ausstößt – wie wir es von ihm erwarten würden.” Im Bild war kurz der Erste Offizier zu erkennen, der die Kommandantin offenbar auf etwas Wichtiges hinwies. „Ich melde mich wieder, Phil”, sagte sie hastig und unterbrach die Verbindung. Der Parawissenschaftler grübelte.noch, was die plötzliche Hektik im Kommandozentrum bedeuten mochte, als aus dem Hintergrund einer seiner Mitarbeiter nach ihm rief. Phil fuhr herum und sah seine Leute wie eine Traube um den Mutanten gruppiert. Ishimo hatte sich verkrampft und atmete schwer. „Wir wissen nicht, was das zu bedeuten hat.” „Schon gut.” Phil setzte sich neben den Japaner und versuchte, ihn durch Zureden zu beruhigen. Es half nicht. Ishimos Gesicht verzerrte sich mehr und mehr zu einer Fratze, die Brust hob und senkte sich unter stoßweisem Atem. Er röchelte mit halb geöffnetem Mund. -92-
Dann löste sich seine Spannung in einem lauten, grauenvollen Schrei. Im gleichen Moment hatte Phil den Eindruck, als glitte sein Geist aus der Leere, in der er Zeit seines Lebens verharrt hatte, in etwas hinein. Auf mentaler Ebene vollzog sich ein Vorgang, der am ehesten mit dem Eintauchen eines Landbewohners in Wasser zu vergleichen war. Der Landmensch sah, hörte, fühlte und atmete wie bisher – aber er befand sich in einem anderen, fremdartigen Medium. Phil schüttelte wild den Kopf, um das Unheimliche abzustreifen, während der Mutant seine geistige Not gellend herausschrie. „Was ist das?” hörte er die entsetzte Stimme eines seiner Mitarbeiter. „Mein Gott, was geschieht mit uns?” Phil wußte es selbst nicht. Es war keine Beeinflussung, keine Suggestion, keine Behinderung des freien Denkens – eher das Hineinstoßen in eine mentale Substanz, das teilweise Verdrängen dieser Substanz hinter die Schranken des eigenen Bewußtseins. „Es lebt!” gellte Ishimos Stimme durch den Raum. „Es lebt und hat Angst!” Noch wußte niemand etwas damit anzufangen. Doch schon hatte Phil sich an das unbestimmte Etwas gewöhnt, wie der Landmensch, der nach kurzer Zeit lernt, sich im Wasser zu bewegen, der den Unterschied zwischen Land und Wasser nicht mehr bewußt wahrnimmt… „Es hat Angst und haßt uns!” Ishimo hörte nicht auf, zu schreien. Sein Gesicht war gerötet, den Arm des Abteilungsleiters, der ihn beruhigen wollte, stieß er heftig zurück. „Los!” Phil winkte seinen Leuten zu. „Er braucht ein beruhigendes Medikament!” -93-
Sie alle hatten sich ebenso schnell von dem Schock erholt. Nichts deutete mehr auf die kurze Verwirrung hin. Einer der Wissenschaftler reichte Phil eine Injektionspistole. „Es haßt uns, und es wird uns vernichten…!” Hart packte Phil den Mutanten am Arm und preßte ihm die Injektion in den Nacken. Langsam beruhigte sich Ishimo. Er sank förmlich in sich zusammen, die Atmung wurde flacher. Mit fiebernden Auge n blickte er in die Unendlichkeit. „Es haßt uns…”, murmelte er, wieder und wieder. „Es haßt uns…” „Das ist es!” rief Harp Kelley, nachdem die Kommandantin den Dialog mit der parawissenschaftlichen Abteilung abgebrochen hatte. Begeistert deutete er auf die sich veränderte Anzeige eines Kontrollelements: „Wir fallen zurück!” Liz fand keine Gelegenheit, zu antworten oder die Aussage des Ersten Offiziers zu überprüfen. Für den Bruchteil einer Sekunde waren ihre Gedanken gelähmt; ihr Geist tauchte in die aufgewü hlten Wogen eines mentalen Mediums, wurde umschwemmt von fremdartigen Assoziationen – und bildete eine Insel inmitten eines parapsychischen Ozeans. Momentan war sie maßlos verwirrt, dann verdrängten die Erfordernisse der neuen Situation die aufflammenden Fragen und Unsicherheiten. Dem Ersten Offizier und den übrigen Mitarbeitern der Zentralebesatzung erging es nicht anders. Sie alle betrachteten ungläubig das Bild, das die Aufnahmegeräte von draußen hereingaben. „Wo sind wir?” sprach Harp aus, was alle bewegte. Das Schiff stand im Leerraum. Am rechten Bildrand flammten die gleißenden Spiralarme einer Galaxis, das Licht anderer, weiter entfernter Sterneninseln glomm in Form winziger, weißer Pünktchen. Liz faßte sich so schnell, wie man es von ihr gewohnt war. Sie -94-
aktivierte die Rundrufanlage und gab Erklärungen ab. „Soeben sind wir in den Normalraum zurückgefallen. Standort noch unklar. Mögliche Erkenntnisse bitte unmittelbar an die Zentrale durchgeben.” Sie brauchte nicht lange zu warten, bis die ersten Meldungen eintrafen. Man konnte förmlich spüren, wie der nicht mehr erwartete Rücksturz die Besatzung zu pulsierender Hektik verleitete. Das Gesicht des Leitenden Ingenieurs der Triebwerkskontrolle strahlte Erleichterung aus, seine Stimme überschlug sich fast. „Maschine an Zentrale: Unsere Wandler nehmen wieder Energie auf! Probelauf erfolgreich! Keine Ausfälle!” „Astronomische an Zentrale.” Tullio Ermelli hatte sich von dem Schock erholt. Er wirkte frisch und ausgeglichen. „Die sichtbare Galaxis ist nicht identisch mit der Milchstraße! Die Anordnung der Spiralarme läßt vermuten, daß es sich um ein sehr altes Sternengebilde handelt. Bestimmung unseres Standorts ist noch nicht möglich.” Liz nickte verbissen. Sie hatte es geahnt! Der Pararaum hatte sie freigegeben, aber sie befanden sich in einem unbekannten Sektor des Universums. Selbst wenn eine Standortbestimmung gelingen würde, bestünden vermutlich keine Aussichten, die heimatliche Milchstraße innerhalb der Lebensspanne eines Menschen zu erreichen. Die Situation war kaum günstiger als während ihres Aufenthalts im Pararaum. Immerhin befand sich eine Galaxis in unmittelbarer Nähe. Notfalls würde sich ein Planet finden lassen, auf dem sie sich eine neue Heimat schaffen konnten… „Verst an Zentrale.” Phils Fröhlichkeit war verschwunden. Große Besorgnis sprach aus seinem Blick. „Mr. Katsaku hat einen Paraschock erlitten. Wir erfassen eine noch nicht näher analysierte parapsychische Grundströmung.” -95-
„Könnt ihr die Richtung, bestimmen, in der die Quelle der Strahlung liegt?” hakte Liz ein. Sie erinnerte sich der Eindrücke, die während des Rücksturzes auf sie eingestürmt waren. Sie mußten etwas damit zu tun haben. Phil schüttelte bedauernd den Kopf. „Es gibt keine Quelle, soweit wir das bisher feststellen können. Die Strahlung ist überall, sie erfüllt den umgebenden Raum in seiner Gesamtheit.” „Danke.” Es war der erste Teil einer Erklärung. Das Universum war an dieser Stelle mit parapsychischer Strahlung angefüllt. Der menschliche Geist hatte gespürt, wie er hineinglitt. „Astronomische an die Zentrale. Wir haben einige merkwürdige Entdeckungen gemacht.” „Ja?” Tullio Ermelli wirkte verstört, beinahe ängstlich. „Wir… wir müßten alles noch genauer untersuchen, um eindeutige Aussagen machen zu können. Es scheint unmöglich…” Liz kannte diese Art. Tullio und seine Mitarbeiter mußten Beobachtungen gemacht haben, die in ihrer Tragweite so erschreckend schienen, daß sie selbst nicht daran glauben wollten. „Raus damit!” forderte sie den Astronomen auf. Tullios Gesicht wurde noch eine Spur blasser. „Wir haben uns ein wenig umgesehen und umgehört und sind auf einige Ungereimtheiten gestoßen. Feststellung eins: Es existiert kein kosmisches Störungsrauschen, nicht den Bruchteil eines Grades. Feststellung zwei: Bei den weiter entfernten Galaxien ist kaum, bei den näheren absolut keine Rotverschiebung zu beobachten. Feststellung drei: Die vor uns liegende, in ihren Einzelsternen analysierbare Galaxis besitzt einen ungewöhnlich hohen Anteil an Weißen Zwergen.” Der Astronom holte tief Luft. Es war ihm -96-
anzusehen, wie erleichtert er war, die Neuigkeiten an den Mann gebracht zu haben. „Das ist vorläufig alles. Ich melde mich wieder.” Das Bild erlosch. Noch während er gesprochen hatte, war Harps Kopf herumgefahren. Entgeistert starrte der Erste Offizier die Kommandantin an. Liz' Gedanken wirbelten haltlos durcheinander. „Warum sagt er nicht, was er denkt?” polterte Harp aufgebracht. Wütend deutete er auf die erblaßte Bildscheibe. „Warum sagt er es nicht?” „Weil er Angst hat.” Liz wirkte unnatürlich ruhig. Es wurde zuviel! „Haben Sie keine?” Harp antwortete nicht – Die Wangenknochen traten hervor, als er langsam die Hände ausstreckte und in der Waagerechten hielt. Sie zitterten. Es war nicht nötig, daß Tullio Ermelli oder irgendein anderer weitere Erklärungen abgab. Jeder wußte, was die Beobachtungen zu bedeuten hatten. Die Schlußfolgerung war ebenso einfach wie niederschmetternd. Dies war nicht das bekannte Universum! Das Sternenschiff war der Störfaktor im Gefüge der allgegenwärtigen mentalen Existenz. Ishimo erfaßte die Zusammenhänge. Sein mutiertes Gehirn war in der Lage, das Erlebens- und Denkschema der parapsychischen Strömung aufzunehmen, zu deuten, zu verstehen. Längst hatte er die Bestürzung und die Panik abgestreift. Er hatte begriffen. Interessiert hatte Phil die Wandlung verfolgt, die mit dem Mutanten vor sich gegangen war. Nach Verabreichung der Injektion und Anmessung der mentalen Strahlung war der Mutant zusehends ruhiger geworden. Konzentration hatte ihn beherrscht. Er wuchs über sich selbst hinaus, sein Geist tastete -97-
nach draußen, in jenes ihm selbst verwandte Medium hinein. „Irgendwann”, berichtete er leise, fast verträumt, und ohne das unheimliche, furchteinflößende Timbre in der Stimme, das ihn sonst auszeichnete, „irgendwann haben viele, unzählige Welten dieses Universums intelligentes Leben getragen. Entwicklungen, wie wir sie an uns selbst beobachten können, vollzogen sich. Zivilisationen wuchsen heran, entdeckten die Raumfahrt, stießen in die Unendlichkeit vor und fanden Kontakt. Von den vielfältigsten Formen und Arten bevölkerte Galaxien entwickelten ein intergalaktisches Nachrichtennetz untereinander, tauschten Erfahrungen, Werte und Daten aus. Kein materiell existenter Körper vermochte jedoch den Abgrund zwischen den Sterneninseln zu überbrücken.” Phil und die übrigen Wissenschaftler hörten fasziniert zu. Sie ahnten, wie das Ende der Schilderung aussehen würde, und doch unterbrach niemand den Mutanten. Die geistige Verbindung mit jenem Etwas, in das sie beim Rücksturz hineingeglitten waren, vermochte kaum jemand verstandesmäßig voll zu erfassen. Diese Art der Kommunikation war für gewöhnliche Sterbliche eine Ebene zu hoch. „In Jahrtausenden, Jahrmillionen entwickelte sich das Leben zur Vollkommenheit. Die Natur hörte nicht auf, ihren unermeßlichen Erfindungsreichtum auszuschöpfen. Es entstanden die ersten geistigen Verbindungen, die auf einen organischen Körper oder die Technik nicht länger angewiesen waren. Die Trennung von Körper und Geist war der nächste logische Schritt der Evolution, und in der Folge, nach weiteren Jahrmillionen, die Entstehung von galaktischen und letztlich die Bildung der universellen Intelligenz.” Phil fühlte sich winzig und unbedeutend angesichts dieser atemberaubenden Perspektiven. „Aus der geistigen Substanz ungezählter Generationen und Völker entstand in Milliarden von Jahren ein Wesen”, -98-
kommentierte er ergriffen. „Ein einziges Geisteswesen, eine Gemeinschaftsintelligenz, die das gesamte Universum ausfüllt!” Erst jetzt schien Ishimo in die Realität seiner eigenen, winzigen, unbedeutenden Welt zurückzufinden. Sein Blick klärte sich. „Ich weiß kaum, wie ich es ausdrücken soll… dieses Universum ist.” „Es ist schwer zu begreifen mit unseren gewohnten Vorstellungswerten”, meinte Phil, eine Spur nüchterner. „Dieses Universum ist angefüllt mit toten Planeten und ausgebrannten Sonnen – und zugleich mit dem Maximum an intelligenter Existenz. Spürt das Wesen unsere Anwesenheit?” Ishimo nickte. „Es haßt uns. Wir sind in seine geistige Stabilität eingedrungen, haben mit unseren Gedanken seine mentale Substanz teilweise verdrängt. Und dabei kann es nichts gegen uns tun.” „Es kann nur Gefühle ausdrücken”, ergänzte Phil, „und das beherrschende Gefühl ist Haß.” Ishimo erhob sich und ging einige Schritte auf und ab. Vor einer Sternkarte der heimatlichen Galaxis blieb er schließlich stehen. „Es sollte uns gelingen, dieses Universum zu verlassen. Dann hat es seinen Frieden wieder.” Er drehte sich um und lächelte dem Wissenschaftler zu. „Einen ewigen Frieden! Irgendwann werden die Galaxien ihre Fluchtgeschwindigkeit aufgezehrt haben, dann beginnt die Kontraktion. Jahrmilliarden lang werden sie auf einen gemeinsamen Punkt zustreben, um in einem Ur-Knall ein neues Universum zu gebären. Und in jedem Atom wird ein Teil dieser gewaltigen geistigen Substanz enthalten sein…” „Unvorstellbar”, murmelte Phil, „unvorstellbar und phantastisch…” „Es ist die Realität”, berichtigte Ishimo. „Eine Realität, die auf dem Höhepunkt der Evolution angelangt ist und deren -99-
Entwicklung
dennoch
niemals
-100-
zum
Stillstand
kommt.”
9. Heimat Einige eilig niedergeschriebene Notizen dienten dem Leiter der astronomischen Abteilung als Gedankenstütze. Er hatte kaum Mühe, seine Zusammenfassung aus dem Stegreif zu formulieren. Er wußte, wovon er sprach. „Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir in ein Universum geschleudert wurden, das sich am Endpunkt seiner Entwicklung befindet. Schon die unverhältnismäßig große Zahl Weißer Zwergsterne deutet auf ein sehr hohes Alter hin. Hinzu kommt das völlige Fehlen eines kosmischen Störungsrauschens.” „Wie ist das zu verstehen?” wollte ein Arzt wissen. „Ziehen wir zum Vergleich unser heimatliches Universum hinzu. Dort existiert eine mit modernen Geräten leicht meßbare isotrope Strahlung von etwa drei Grad Kelvin. Sie erfüllt das Weltall völlig gleichmäßig und wird allgemein als Reststrahlung des Explosionsblitzes angesehen, mit dem unser Universum in einem Ur-Knall vor 13 Milliarden Jahren entstand.” „Das ist doch bloße Theorie”, protestierte einer der Konferenzteilnehmer. Tullio hatte ein nachsichtiges Lächeln für ihn übrig. „Es wurde bereits 1965 bewiesen. – Worauf ich hinauswill, ist folgendes: Das Universum, in dem wir treiben, weist eine solche Reststrahlung nicht auf. Da es kaum einen Zweifel gibt, daß es ebenfalls in einem Ur-Knall entstanden ist, bleibt nur die Erklärung, daß es wesentlich älter sein muß als unser eigener Kosmos. Das Störungsrauschen ist völlig abgeklungen.” Die kurze Pause, die er einlegte, diente den Zuhörern, die Ausführungen zu verarbeiten. Viele, deren Spezialität auf -101-
anderen naturwissenschaftlichen oder technischen Gebieten lag, verstanden ohnehin nur die Hälfte. „Ein weiteres Indiz für das hohe Alter dieses Kosmos”, fuhr Tullio schließlich fort, „haben wir entdeckt, als wir die sichtbaren Galaxien genauestens auf Spektralverschiebungen hin untersuchten. Wie Sie wissen, ist der Grad der Rotverschiebung ein Anhaltspunkt, mit welcher Geschwindigkeit sich eine Sternenballung vom Beobachter wegbewegt. Nun, Sie kennen das Resultat bereits. Bei den am weitesten entfernten Galaxien haben wir nur eine minimale Verschiebung feststellen können, die näher gelegenen weisen überhaupt keine auf! Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß sich dieses Universum im absoluten Stillstand befindet!” Die Folgerung war eindeutig. Die leichte Rotverschiebung, die man an den am weitesten entfernten Galaxien beobachten konnte, gab einen Zustand wieder, wie er vor etlichen Milliarden Jahren herrschte, als die Substanz des Universums noch nach allen Richtungen auseinanderstrebte. Das Licht, das heute hier ankam, hatte für seinen Weg maßlos viel Zeit benötigt. Mittlerweile hatte die Bewegung der Materie aufgehört, die Energie, die beim Entstehen dieses Kosmos bewirkt hatte, daß alle Substanz auseinanderstob, war erloschen. Für Jahrmillionen stand die Zeit still – so lange, bis die gegenseitigen Anziehungskräfte ihre Wirkung entfalten konnten. Dann würde die umgekehrte Entwicklung einsetzen. Jegliche materielle Substanz würde sich aufeinander zubewegen, sich zu einem Punkt verdichten, aus dem mittels eines weiteren UrKnalls ein neues Universum entstand… Es waren Vorgänge von ungeheurer, nicht mehr erfaßbarer Größenordnung, und Liz sah, nachdem sie wie viele andere den anfänglichen Schock überwunden hatte, keine Veranlassung, hierüber tief ergehende naturwissenschaftliche oder gar philosophische Betrachtungen anzustellen. Sie erhob sich, nachdem sie dem Astronomen für seine Ausführungen gedankt -102-
hatte. „Es hat sich inzwischen herumgesprochen”, sagte sie, „daß wir im Umfeld unseres Standorts eine hyperenergetische, intervallartig pulsierende Turbulenz feststellen konnten, die jener ähnelt, welche zum Ausgangspunkt unserer Irrfahrt wurde. Damit erledigt sich auch die hin und wieder geäußerte Theorie, wonach wir im eigenen Universum, jedoch in die Zukunft geschleudert sind. Eine derartige Turbulenz ist nicht über längere Zeit stabil. – Wir halten dieses Phänomen für eine Art Brücke zwischen den Universen, oder, um es anschaulicher auszudrücken, für einen Ort, an dem sich die beiden Kontinua im gemeinsam umgebenden Pararaum berühren. Das würde auch erklären, warum unser Aufenthalt im Hyperraum so lange gedauert hat. Wir hingen praktisch zwischen den Universen, und es war nichts als Pech, daß uns der Pararaum in diesen Kosmos ausgestoßen hat. Wir halten daher eine Wiederholung der Aktion für sinnvoll. Wir wollen die Turbulenz durchstoßen, und wir hoffen, daß wir in der Heimat herauskommen. Zu diesem Unternehmen erbitte ich Ihre Zustimmung.” Eine Diskussion kam nicht auf. Niemand meldete sich, der dem Plan des Kommandostabs widersprochen hätte. Zwar gab es keine Garantie, daß Liz' Theorie richtig war. Genausogut war es möglich, daß sie diesmal für immer im Pararaurn hängenblieben oder in ein weiteres, ebenso fremdes Universum verstoßen wurden. Aber es war eine Chance, die Heimat wiederzusehen, das vertraute Kontinuum zu erreichen. Die Chance und die Hoffnung waren das Risiko wert. Der Schock saß tief. Elf Stunden hatte der neuerliche Aufenthalt im Pararaurn gedauert, elf Stunden waren sechshundert Menschen im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Zuversicht erstarrt – nur um nach dem Rücksturz voller Bitterkeit und Resignation -103-
feststellen zu müssen, daß das übergeordnete Kontinuum sie wieder in jenen grauenvollen, intelligenzgeschwängerten Kosmos geschleudert hatte. Ans Ende der Zeit, in ein denkendes, fühlendes Universum, das am Wendepunkt der Entwicklung angelangt war. Die Erkenntnis lähmte jede Initiative. Nur vereinzelt wurde der Vorschlag geäußert, den Durchgang durch die Turbulenzzone so oft zu wiederholen, bis man die Heimat endlich erreicht hatte. Schon begannen die Statistiker vorzurechnen, daß der Aufenthalt im Pararaurn sich gegenüber dem ersten Übergang fast verdoppelt hatte. Irgendwann, wurde die Befürchtung ausgesprochen, würde dieses absolute, unfaßbare Nichts sie für immer festhalten. Andere, Pragmatiker, vermuteten eine Fehlberechnung im Eintauchwinkel, in der Startgeschwindigkeit und ähnlichen Faktoren. Phil Verst, der Parawissenschaftler, hatte eine andere Theorie. „Wir können es sooft versuchen, wie wir wollen. Das Ergebnis wird immer das gleiche sein.” Er wirkte nicht glücklich bei seinen Ausführungen. „Meine Mitarbeiter und ich haben lange darüber nachgedacht, und wir glauben den Grund dafür zu kennen. Beide Universen, unseres ebenso wie das fremde, sind in einem gemeinsamen Überkontinuum eingebettet, eben jenem Pararaum, den wir auch für Reisen zwischen den Sternen benutzen. Die für unsere Sinne bläulich erscheinende Turbulenz kann, wie bereits bekannt ist, als Brücke zwischen den Universen betrachtet werden, eine Brücke, die durch den Pararaum führt. Wer den Übergang benutzt, wird für eine Weile festgehalten und schließlich wieder ausgestoßen. Und der Ausstoß erfolgt naturgemäß in den Kosmos, der dem Vorgang den geringsten Widerstand entgegensetzt. Dies ist paraphysikalisch leicht nachzuweisen.” Liz und Harp hörten dem Wissenschaftler schweigend zu. Niemand unterbrach seine Ausführungen. -104-
„Unser Universum”, fuhr Phil fort, „ist verhältnismäßig jung, seine Galaxien streben auseinander, es bestehen vielfältige energetische und gravitationeile Beziehungen und Wechselwirkungen. Der Kosmos, in den unsere Reise geführt hat, hingegen ist, wenn man es so ausdrücken kann, tot. Jegliche Bewegung ist für eine noch unbestimmte Zeitspanne zum Stillstand gelangt, sein Energiehaushalt ist völlig ausgeglichen, die Gravitationswirkungen sind in diesem Zustand zwischen Ausdehnung und Kontraktion gleich null. Der hyperphysikalische Widerstand, den er unserem Eindringen entgegensetzt, ist geringer als der unseres heimatlichen Universums. Der Pararaum, der uns nach kurzem Festhalten unkontrolliert ausstößt, schleudert uns hierher. Jedesmal, wieder und wieder – sooft wir den Durchbruch auch versuchen!” „Ist das sicher?” Die Kommandantin wollte es nicht wahrhaben. Ihr Gefühl klammerte sich an eine tief verborgene, schwache Hoffnung. „Der Bordrechner hat meiner Theorie eine Wahrscheinlichkeit von 96 Prozent zugebilligt.” „Ich weigere mich, das zu glauben”, begehrte Harp Kelley auf. „Wir dürfen nicht aufgeben!” Liz schüttelte müde den Kopf. „Wir werden nicht aufgeben. Wir werden es nochmals versuchen. Aber wir sollten uns bereits überlegen, wie wir das Leben in diesem Teil der Welt so angenehm wie möglich gestalten können.” „In dieser Beziehung sehe ich keine Schwierigkeiten”, sagte Phil. „So alt dieses Universum sein mag, es besitzt Sonnen und Planeten. Wir werden eine Welt finden, auf der es sich leben läßt.” „Es gibt noch eine Möglichkeit”, warf Ishimo ein. Seit seinem Kontakt mit der Gemeinschaftsintelligenz wirkte er völlig ruhig und ausgeglichen. Er hatte zu einem inneren Frieden gefunden, wie er selten einem Menschen zuteil wurde. „Dieser Kosmos ist -105-
angefüllt mit Geist. Wir müssen lernen, unser Ich zu kontrollieren. Irgendwann werden wir reif sein, mit dem Universum eine Verbindung einzugehen, unsere mentale Substanz in die Gemeinschaft einzugliedern…” „Was reden Sie da!” fuhr Harp ihn an. Spekulationen dieser Art verletzten seinen Realitätssinn. „Wir spüren die Existenz dieser Lebensform zwar beim Eindringen, aber ihre Gegenwart belastet uns nicht. Wir sind geistig völlig frei, können uns bewegen, wie und wohin wir wollen. Wie stellen Sie sich eine Integration in die Gemeinschaftsintelligenz praktisch überhaupt vor?” „Es war nur eine Überlegung”, wehrte Ishimo ab. „Noch besitzen wir die geistige Reife nicht, die erforderlich wäre, um von dem universellen Medium akzeptiert zu werden.” „Insbesondere Sie, Harp, werden noch viel an sich arbeiten müssen.” Liz erhob sich lachend. Inmitten der Trostlosigkeit glomm etwas von ihrem gewohnten, spitzbübischen Humor auf. Plötzlich war sie zuversichtlich, daß sie jede Situation meistern konnten – wenn sie nur wollten. Mit diesmal höherer Geschwindigkeit war das Sternenschiff in die Turbulenz eingetaucht. Mit Nullfahrt hing es seit zwanzig Stunden im Pararaum. „Noch einmal können wir es nicht riskieren”, murmelte Liz mutlos. „Sonst besteht nämlich die Gefahr, daß der Pararaum uns für die Ewigkeit festhält.” Innerlich hatte sie sich längst damit abgefunden, daß sie aus dem Bann des toten Universums nicht mehr entkommen würden. Nachdenklich beobachtete sie einige Techniker, die ein Gerät instandsetzten, das bei den Erschütterungen des Eintauchvorgangs zu Bruch gegangen war. An die zahllosen Verletzten, die in der Krankenabteilung gepflegt wurden, durfte sie nicht denken. „Wie lange werden wir noch hier festhängen?” Harp kaute -106-
nervös an einem Schreibstift. Niemand antwortete. Die Gesetzmäßigkeiten des Pararaums waren zu wenig bekannt, um einigermaßen genaue Aussagen machen zu können. Vielleicht war die hyperenergetische Aufladung der Schiffshülle bereits so stark, daß das übergeordnete Kontinuum sie bereits jetzt nicht mehr losließ. Von übermäßiger Spannung oder ähnlichen Gefühlsregungen war zumindest in der Zentrale kaum etwas zu spüren. Sie alle waren ausgelaugt, müde und erschöpft. Fast ohne Unterbrechung hatten sie vor den Kontrollen ausgeharrt, um den Rücksturz mitzuerleben. Wenn es einen Rücksturz gab… Auch Phil hatte es in die Zentrale gezogen. Schweigend und gefaßt saß er neben der Kommandantin, beobachtete abwechselnd die Kontrollen und Liz' unbewegliches Gesicht. Zu Scherzen war er jetzt nicht aufgelegt, jeder Versuch der Aufmunterung wäre mit Sicherheit fehlgeschlagen. Hin und wieder fragte er sich, zum wiederholten Mal, was ihn außer der tiefen Freundschaft und Sympathie zu dieser Frau hinzog. Und je länger er darüber nachdachte, desto stärker wurde er sich bewußt, daß er sie liebte. Harp Kelley war dagegen sichtbar nervös. Oft stand er auf und lief mehrmals das Zentralrund entlang, bevor er sich wieder setzte, um irgendwelche überflüssigen Kontrollschaltungen durchzuführen. Im Gegensatz zu Phil und der Kommandantin verkörperte sein Verhalten die Hoffnung, die die Mehrzahl der Besatzungsmitglieder hegte: daß der lange Aufenthalt im Pararaum Indiz dafür war, daß der Ausstoß diesmal ins heimatliche Universum erfolgen würde. Argumente dafür gab es genug, wenn sie auch, nachdem sich Phils Überlegungen herumgesprochen hatten, wenig stichhaltig schienen. Liz Carton fühlte sich von einer selten erlebten inneren Ausgeglichenheit ergriffen. Sie ahnte, was ihnen bevorstand, und sie war froh, daß der Parawissenschaftler in ihrer Nähe war. -107-
Jetzt und hier wurde ihr erstmals bewußt, wie stark die gefühlsmäßige Verbindung mit ihm tatsächlich war. Ohne ihn, den langjährigen Kollegen und Freund, hätte sie die Situation vermutlich nicht so gefaßt meistern können. Längst hatte sie alle Bestürzung und Nervosität abgelegt. Geblieben war der zuversichtliche Blick nach vorn. „Da!” Der Erste Offizier sprang auf und deutete mit steigender Erregung auf die Anzeige, deren Wert sich plötzlich veränderte. Phil streckte die Hand aus und legte sie der Kommandantin auf den Arm. „Der Rücksturz”, murmelte er. Liz bemerkte die menschliche Wärme und Zuneigung, die seine Berührung ausdrückte. Sie spürte, wie ihr Geist in etwas hineinglitt. Während Harp sich mit enttäuschtem Aufschrei in den Sessel zurückfallen ließ und schluchzend die Hände vors Gesicht schlug, wandte sie langsam den Kopf und lächelte Phil an. ENDE
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