Paul Thomas
Und das
Paradies gab es doch!
Die Wahrheit über den Garten Eden
Scannd by Tatanka
Dromer
Besuchen Si...
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Paul Thomas
Und das
Paradies gab es doch!
Die Wahrheit über den Garten Eden
Scannd by Tatanka
Dromer
Besuchen Sie uns im Internet: www.droemer-weltbild.de Die Folie des Schutzumschlags sowie die Einschweißfolie sind PE-Folien und biologisch abbaubar. Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreiem Papier gedruckt.
Copyright © 2001 bei Droemersche Verlagsanstalt 'M. Knaur Nachf., München Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Redaktion: Grusche Juncker Umschlaggestaltung: Agentur Zero, München Gestaltung und Herstellung: Josef Gall, Geretsried Satz: Ventura Publisher im Verlag Druck und Bindung: Franz Spiegel Buch GmbH, Ulm Printed in Germany
ISBN 3-426-27173-7 »Als Junge dachte ich, dass alles offen, ehrlich und frei sei. Im Alter wusste ich, dass dies nur innerhalb des Käfigs gilt, in dem ich körperlich und geistig gefangen bin.« Ali, Eden Archäologe
Inhalt
In der Gesellschaft von Außenseiter-Archäologen 13 Das Auge des Horus 15 Auf geheimen Wegen in Richtung Paradies 19 Hotelboys als Späher 22 Reise in die Anonymität 24 Arabische Hüter uralten Wissens 27 Warten auf Ali 28 Von »guten« und »bösen« Archäologen 32 Archäologischer Fanatismus 34 Ali trifft ein 38 Im Labyrinth der Eden-Archäologie 40 Im Schlepptau der Schmugglerkarawanen 42 Höllische Bedingungen im einstigen Paradies 44 Wann zerfiel das Paradies? 46 Die Anfänge der Suche nach dem Paradies 51 Lawrence von Arabienund ein Orientalist mit Priesterwürde 53 Auf der Suche nach dem Berg Gottes 55 Die Entdeckung der Täler der Propheten und Patriarchen . ..............63 Ein Bann über den Thadra 64 Ein Sprachforscher entdeckt das Heilige Land 65 Wo wurden Adam und Eva begraben? 69
Von den Tücken einer Wüstentour 71 Die Gesetze des Bakschisch 71 Der Schlüssel zum Glück 74
Die Entdeckung der Täler der Propheten und Patriarchen 77 Das Tal der Propheten 78 Das Tal der Patriarchen 79
Überleben in den Wüsten Arabiens 85 Die Kamelstute Viktoria 87 Guten Appetit in der Wüste 89 Rituale der Gastfreundschaft 90 Ein brisantes Wächteramt: das Königshaus von Saudi-Arabien .............................93 Pilgerzentrum Mekka 94 Die Wahhabiten 96 Von der nichtislamischen Welt abgeschottet 98 Der Thron des Kalifen 98
Das wiedergefundene Paradies 101 Der erste Fund im Tal der Patriarchen 101 Das Grab eines Patriarchen? 109 Die erste Grabkammer 110 Die zweite Grabkammer 111 Rätselraten um die Sarkophage 112 Die Geheimbibliothek 113 Mauern und Felsgänge 114 Die Halle der Schrifttafeln 115 Die oberirdischen Tafeln 116 Bigamie der Patriarchen? 117 Abrahams Grab 119 Das Geheimnis der »zwiefachen Höhle« 119 Liegt das Grab Abrahams in Hebron? 121 Das Märchen aus Büraydah 122 Die goldene Kugel von Jerusalem 125 Was das Märchen aus Büraydah über Abraham verrät 128 Das Tal der Propheten 130 Schilder für Riesen? 131 Zweistromland Ägypten? 132 War Ägypten ehedem das sagenumwobene Zweistromland? 135 Waren Mekka, Medina und Äthiopien einst Nachbarn? . ..............................136 Wann und wie ist das Rote Meer in seiner heutigen Breite entstanden?...137 Die Arbeit mit Zirkel und Lineal 139 Die heilige Stadt Büraydah ..............................................................................143 Die geheimnisvolle Zeichnung 147 Die vier Ecken der Welt 149 Würfel: die Kaaba von Mekka 150 Zylinder 1: der Turm von Aleppo 152 Zylinder II: der Turm von Babel 158 Das unbekannte Vierte: Persischer Golf 163 Das Geheimnis der vier Tore zum Paradies 163 Kugel: die symbolische Mitte des Paradieses 164 War Abraham im Pantheon des Paradieses? 165 Rückkehr aus dem Paradies 174 Endzeit in Eden: Zuflucht in Höhlenstädten 176 Die Doppelhöhle 178 Exkurs: Höhlen in Palästina 182 Der Turm mit den Landkarten 185 Ein uraltes Überwachungssystem 193 Osmanische Herrschaft: Gefahr für die heiligsten Stätten? ............. 195 Wahhab der Strenge 195 Die Saudis als heutige Hüter der heiligsten Stätten . . ....................... . 197 Das Schutzsystem funktioniert noch heute 199
Wer vom Tal der Patriarchen wusste 201 Griechen und Römer 201 Alexander der Große 205 Die Römer 205 Der Prophet Muhammad 207 Die Tempelritter 208 Späher des Vatikans 217 Eine Übung zu neutralerer Betrachtungsweise 221 Eine gewagte Zwischenfrage: irdisch oder außerirdisch?.....................................................222 Vielweiberei der Patriarchen? ...................................................224 So könnte es gewesen sein..........................................................225
Ekstasen im Tal der Patriarchen 229 Echnaton 230 Moses 231 Alexander der Große 232 Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth Muhammad 233 Gibt es heute einen Weg ins Tal der Patriarchen? Anhang 237 Hinweis zum Karten- und Textmaterial 237 Ein heiliger Landrover 238 Schlusswort 240
232 234
Einführung: In der Gesellschaft von Außenseiter-Archäologen Ich wage es kaum, Ihnen die Umstände zu beschreiben, unter denen ich in Jordanien fast zwei Monate gelebt habe, weil ich unbedingt dem geheimen Wissen um das einstige Paradies auf die Spur kommen wollte. Die mutigen Forscher, die heimlich an den Plätzen des ehemaligen Garten Eden suchten, haben seit 1960 eine Fülle neuer archäologischer Erkenntnisse zusammengetragen. Was für eine Tragödie für die Welt, dass sie sich wie Räuber und Diebe verstecken mussten, um der modernen Inquisition zu entgehen, die sich quer durch alle mit dem Ort Jerusalem verbundenen Religionen erstreckt. Auf diese Gruppe wird sowohl von staatlichen als auch von weltanschaulichen Fanatikern Jagd gemacht. Fast jeder zivilisierte Mensch, der diese Abenteurer sehen könnte, würde sich sofort umdrehen und versuchen, den Ort zu vergessen, an dem er sie getroffen hat. Wer gibt sich schon im Orient mit verschmutzten, verschwitzten Gestalten ab, auch wenn sie gerade so noch als Europäer erkennbar sind? Die Erfahrung lehrt (und ich war fast dreißig Jahre im Orient für einen Öl konzern tätig), dass man solche Männer gerade wegen ihres europäischen Aussehens meiden muss. Nach landläufiger Meinung sind dies die gefährlichsten Typen überhaupt. Sie sehen aus wie Mitglieder einer mittelalterlichen Bettler- und Diebesbande aus Hollywoodfilmen der fünfziger Jahre. Verschwitzt, Dreitagebart, Hände, die Wasser und Seife seit Tagen nicht gesehen haben. Ein speckiges Käppi auf dem Kopf, am Leib ein fleckiger Kaftan. Wer würde hinter solchem, selbst für orientalische Verhältnisse verkommenen Outfit Akademiker aus dem Abendland vermuten? Hier also saßen sie vor mir, auf der Terrasse eines kleinen Hotels in Akaba - Männer, deren Hunger nach Zivilisation unübersehbar war. Wieder einmal hatten sie einen ihrer illegalen »Ausflüge« nach dem Irak oder nach Saudi-Arabien mit knapper Not überlebt. Wie sehr lechzten sie danach, sich endlich wieder in kurzen Hosen auf einer Sonnenliege zu räkeln und nicht auf die Gefühle von Muslimen Rücksicht nehmen zu müssen. Ebenso gierten sie nach eisgekühlten Bier- oder Coladosen, obwohl sie sich in den letzten Tagen schon ausreichend daran gelabt hatten. Sie hatten sich wochenlang in Regionen aufgehalten, in denen Kühlschränke so unbekannt waren wie Telefon- oder Faxgeräte. Es waren die kleinen Annehmlichkeiten der Zivilisation, die sie glücklich machten und ihnen bewiesen, dass sie wieder im »normalen Leben« waren. Dazu gehörte zum Beispiel auch, eine Zeitung zu lesen - und wäre sie auch sechs Monate alt. Bei dem Anblick, den sie boten, hätte man versucht sein können, ihre Berichte von dem »verwüsteten Paradies der Menschheit« als Produkt kranker Gehirne abzutun. Gehirne, die nach der Extrembelastung in der Sonnenglut und der trockenen Hitze der Wüste hier in Akaba nur noch Wahnbilder produzierten. Doch die Stimmung, die sie verbreiteten, war eine andere: sehr selbstbewusst und sehr mit sich zufrieden. Diese konspirative Gruppe von Archäologen, von denen ich inzwischen wusste, dass ihre heimliche Arbeit einen Religionskrieg auslösen könnte, verfolgte mich seither bis in den Traum. Nicht ihrer vermeintlichen Gefährlichkeit wegen, sondern wegen ihrer Abenteuer und Entdeckungen. All das erinnerte mich an meine Jugend. Als Kind hatte ich geglaubt,
dass es solche Urtypen, die auf unserer Erde »Neuland« entdecken, seit hundert Jahren nicht mehr geben könne, weil alles schon »entdeckt« worden sei. Ich beneidete damals Menschen jener Zeiten, in denen noch spektakuläre Entdeckungen auf dieser Erde möglich waren. Mein Jugendtraum, einmal bei einer solchen Unternehmung dabei zu sein, hatte meine Phantasie beflügelt und meine Lesewut geschürt. Ich verschlang damals Buch um Buch - ohne zu ahnen, dass ich eines Tages leibhaftig solchen Abenteurern gegenüberstehen und aus ihrem Mund Geschichten hören würde, die jedem Außenstehenden wie orientalische Märchen vorkommen mussten. Aber es waren alles andere als Märchen. Die Archäologen besaßen Fotos und Karten, Skizzen und Zeichnungen, Skulpturen und andere Fundstücke. Die zahllosen Einzelheiten, die da zusammengetragen wurden, fügten sich zum Puzzle des so genannten Paradieses. Jawohl, ich meine genau den Ort oder Landstrich, in dem Adam und Eva sich zum ersten Mal begegnet waren. Das Paradies also, wie es in den jüdischen Überlieferungen beschrieben wird und so von der Christenheit übernommen wurde.
Das Auge des Horus Jahrzehntelang hatte ich mir niemals Gedanken darüber gemacht, ob es solch einen Platz wirklich gegeben haben könnte. Mal konnte man lesen, dass die Menschheit aus Zentralafrika, dann wieder, dass sie aus Zentralasien stammen sollte. Meist war dies mit Knochenfunden oder Schädelteilen belegt worden und den Hinweisen, dass hier oder da der erste Homo erectus aufgetreten sei. Mitte der neunziger Jahre ging ich in Kairo und anschließend in Syrien und Jordanien einer alten Legende nach, wonach das ägyptische Fabeltier, der Horusfalke, auf einem Auge erblindet sei und man noch vor Jahrtausenden vom linken und vom rechten Auge des Horus gesprochen habe. In alten Legenden heißt es, dass unter dem Blick seiner beiden Augen einst zwei Reiche erblühten. Das eine Reich war Ägypten, das zweite war untergegangen, nachdem das zweite Auge des Horus erblindet war. Damals in Kairo stieß ich auf einige britische Archäologen, die mir geheimnisvolle Dinge von Tell el-Amarna erzählten, der einstigen Hauptstadt des Pharao Echnaton. Sie hatten bei ihren Ausgrabungen mehrfach Hinweise auf ein Ziel gefunden, das um fünfhundert Kilometer östlich liegen musste, also im heutigen Saudi-Arabien, wo es für sie unerreichbar war. Damals in Kairo wurde mir klar, dass das »erblindete Auge des Horus« entweder irgendwo tief in der Libyschen Wüste - also genau entgegengesetzt - oder auf der Arabischen Halbinsel zu suchen sei. Genau zu dieser Zeit wurde in London ein Buch veröffentlicht, dessen Autor sachkundig nachwies, dass Amenophis IV., genannt Echnaton, mit dem jüdischen Volksführer Moses identisch sei. Kein Aufschrei ging durch die Lande. Das Buch verschwand rasch wieder aus allen Regalen. Diesmal war es anscheinend die arabische Seite, die an neuen Gedanken und Erkenntnissen nicht interessiert war. Einen Zielpunkt in der libyschen Wüste, etwa fünfhundert Kilometer von Tell el-Amarna gelegen, fand ich bei meinen Recherchen nicht. Sicherlich wird diese heutige Wüste in der altägyptischen Hoch-Zeit ein blühender Garten gewesen sein, in dem viele Menschen gelebt haben dürften. Jedoch wissen wir über die Vergangenheit des Landes westlich des Nils so gut wie nichts. Das verwirrt denjenigen, der Ägypten als den Nabel der damaligen Welt sieht und daher erwartet, rechts und links davon die kulturellen Vorgärten vorzufinden. Ganz anders verhält es sich jedoch, wenn man den Blick gen Osten richtet, auf die Arabische Halbinsel jenseits des Roten Meeres. Dort findet man im südwestlichsten Teil den Jemen und im mittleren Teil der Halbinsel Mekka - eine Stadt mit beträchtlicher Vergangenheit. Und weiter östlich finden wir Plätze, von denen gesagt wird, dass sie als Wiege der Zivilisation gesehen werden können: Im äußersten Osten liegt Babylon, wo einst die Assyrer und davor die Sumerer lebten. Nördlich davon finden wir den geschichtsträchtigen Küstenlandstrich am Mittelmeer mit den Städten Jerusalem und Damaskus. Bemerkenswerterweise tauchen schon seit den sechziger Jahren immer wieder Schriften von Autoren auf, die den Garten Eden oder das Paradies im Südwesten Arabiens - im heutigen Asir - suchten. Doch die Leserschaft zeigte nur ein begrenztes Interesse, weil dieses Thema im Abendland in das Reich der Sagen und Märchen gedrängt worden ist. Mich dagegen bewegte die Frage sehr, ob es den Garten Eden etwa wirklich gegeben hat,
zumal ich mich lange Zeit im Nahen Osten aufgehalten habe. Lag das Paradies etwa doch im Zentrum Arabiens? Diese Frage ging mir jahrelang nicht aus dem Kopf. Hätte ich beispielsweise in Rotterdam gelebt, wäre ich vielleicht nie auf die Idee gekommen, dieser Frage ernsthaft nachzugehen. So aber musste ich die Gelegenheiten nur am Schopf packen, sobald ich aus beruflichen Gründen vor Ort war. Wenn das überlieferte Paradies mehr als nur ein tröstliches Märchen ist, so sagte ich mir, müssen Spuren und Überreste bis auf den heutigen Tag zu finden sein. Aber wo befand sich der Platz, wo müsste man ihn suchen, wenn er tatsächlich auf der Arabischen Halbinsel lag? Und wo lagen die Grenzen, oder wie sahen die Grenzmarkierungen des Paradieses aus? Tatsächlich kristallisierte sich für mich mehr und mehr heraus, dass das semitische Paradies - also der Garten Eden, den die Nachkommen des Sem, Sohn des Noah, beschreiben - in Zentral-Arabien gelegen haben muss. Die Semiten sahen sich als Nachkommen des Urvaters und der Urmutter, die wir unter den Namen Adam und Eva kennen. Lässt man den frommen Glauben oder den Stolz auf den Stammbaum, der in dieser Überlieferung mitschwingt, einmal beiseite, dann ergeben sich Anhaltspunkte auf dieses Paradies allein schon dadurch, dass man eine Landkarte mit der Ausbreitung der Nachkommenschaft heranzieht. Die Nachkommen des Sem waren zunächst Nomaden, die innerhalb eines größeren Gebietes umherzogen. Dann drängten diese zu Stämmen angewachsenen Populationen nach allen Seiten, an die Ränder ihres Stammesgebietes, um sich zusätzliche Lebensmöglichkeiten zu erschließen. Auf der Arabischen Halbinsel stießen sie jedoch, wenn sie nach Westen, Süden oder Norden zogen, auf Wasser. Auch in Richtung Osten gab es für sie, bis hinauf zum späteren Bagdad, eine Begrenzung durch den Persischen Golf. So liegt es nahe, dass sie an den Küsten sesshaft wurden, um dort ein bequemeres Leben führen zu können. Im Westen zogen sie an das Rote Meer, im Süden an das Arabische Meer, im Osten an den Golf. Hierbei sollte man im Auge behalten, dass die beiden Flüsse Euphrat und Tigris, die in alter Zeit eine sehr große Rolle gespielt haben, zumindest von Babylon abwärts neues Schwemmland schufen und somit die Küstenlinie dort verkürzten. Sehr bald stellte sich mir aber auch die Frage: Um was für ein Paradies mochte es sich hier gehandelt haben? Ging es nur um das Paradies der Stammväter oder - mit Einschränkungen - auch um das Paradies der Nachkommen eines Sohnes von Noah, eben jenes Sem? Ich versuchte also herausfinden, ob in den Überlieferungen Hinweise auf eine Region zu finden waren, die man mit dem historischen Paradies vergleichen könnte, oder ob es sogar Quellen gab, die direkt das Paradies beschrieben. Ich konzentrierte meine Recherchen auf Jordanien, ein Land, in dem es sich für einen westlich erzogenen Menschen zur damaligen Zeit recht angenehm leben ließ. Eine solche Arbeit fängt in der Regel mit der Suche nach Anklängen in Ortsnamen und Regionen an. Auf Ruinen zu stoßen, wagte ich im Zusammenhang mit dem prähistorischen Paradies nicht zu hoffen. Ob Zufall oder Glücksfall, nach einiger Zeit traf ich auf jene Gruppe von Menschen in Jordanien, die klammheimlich nach den Überresten des Paradieses suchten. Anfangs war ich sehr misstrauisch. Gerade im Orient muss man bei neuen Kontakten anfangs sehr zurückhaltend sein. Je länger ich mich jedoch mit den Ergebnissen dieser Gruppe befasste, desto deutlicher wurde mir, dass ähnliche Teams schon vor hundert, ja vor
zweihundert Jahren in genau derselben Region den Mittelpunkt des Paradieses gesucht hatten. Mit meiner Entscheidung, ob ich dieser Gruppe trauen könnte, ließ ich mir fast ein halbes Jahr Zeit. Dann aber entschloss ich mich, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Fünfunddreißig Jahre nach meinen Jugendträumen von exotischen Abenteuern saß ich 1996 in Akaba, in jenem kleinen Hotel, wohin ich von einem der Abenteurer bestellt worden war.
Auf geheimen Wegen in Richtung Paradies Was hinter mir lag, war keine Anreise, wie man sie sich üblicherweise vorstellt. Zum Beispiel ein bequemer Flug von London nach Amman, dann weiter nach Akaba. Im Hotel einchecken und fertig. Eine Angelegenheit also, die man in wenigen Stunden bewältigt. Nein, so war es nicht, denn für die Behörden hier in Akaba existierte ich gar nicht. Für die Strecke von London bis Amman hatte ich auf dem Wasser- und Landweg rund vier Wochen gebraucht. Die Gruppe, in deren »Basislager«, wie sie ihr Hotel nannten, ich eingetroffen war, bestand aus »vogelfreien« Archäologen. Solche Gruppen trifft man nicht nur in Akaba, sondern auch an einigen Plätzen in Syrien, im Libanon und in Israel. Kein Fernsehreporter, keine Film-Crew kommt in ihre Nähe. Das hat gute Gründe, die mit ihrer eigenen Sicherheit und der Sicherheit ihrer Helfer vor Ort, in den Wüsten Arabiens, zu tun haben. Das Hotel war also nur einer von etlichen Stützpunkten im Orient, die von AußenseiterArchäologen bevorzugt wurden. Jordanien ist die heimliche Drehscheibe für Archäologen, die unter anderem nach Altertümern aus dem ehemaligen Paradies suchen. Dies zu erkennen war für mich einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg nach Eden. Die Grenze zwischen Jordanien und Saudi-Arabien ist lang und nicht Tag und Nacht konsequent zu kontrollieren. Daher führen von hier aus zahllose geheime Wege in die Wüsten Saudi-Arabiens. Logischerweise wählen die Archäologen ihren Basisstützpunkt jeweils so aus, dass sie auf kürzestem Weg mit dem Kamel ihr Ziel erreichen. Der so genannte kürzeste Weg wird hier allerdings in »Tagesreisen« gemessen. Ein trainiertes Wüstenkamel, nicht zu verwechseln mit den Rennkamelen der Emire und Scheichs, kann etwa 50 Kilometer pro Tag zurücklegen. Die maximale Reichweite eines Kamels beträgt etwa sieben bis acht Tage. Dann muss genügend Wasser und Futter für eine Rast von ein bis zwei Tagen bereitstehen. Auf diese Weise errechnen sich Anreise, Aufenthalt vor Ort und Rückreise auf maximal sechzehn bis achtzehn Tage, was hierzulande als kurze Reise gilt. Noch etwas höchst Interessantes erfuhr ich vor Ort. Es gibt eine Rückholverabredung der Eden-Archäologen untereinander. Nehmen wir an, einige dieser Archäologen planen einen zehntägigen Aufenthalt am Ort ihres Interesses, dann entspricht das einer Gesamtdauer der Exkursion von etwa dreißig Tagen (acht Tage für die Anreise, zehn Tage Aufenthalt, acht Tage Rückreise plus zwei Tage für unkalkulierbare Verzögerungen). Natürlich werden in einem solchen Fall aufwendige Vorbereitungen getroffen und die Reiserouten entlang der geheimen
Wasserstellen sorgsam geplant. Was aber, wenn eine solche Exkursion gleichwohl überfällig wird? Dann tritt ein Alarm- bzw. Rückholplan in Kraft. Die Insider nennen ihn die »Zweiundsiebzig-StundenAktion«. Aus gutem Grund möchte ich hier keine Einzelheiten ausplaudern. Ist aber alles gut gegangen, dann kehren diese Männer aus dem paradiesischen Niemandsland zurück. Meist sind sie dann erst einmal völlig ab- und ausgebrannt. Sie lechzen nach ein paar Tagen Zivilisation. Einige Beauftragte von Sammlern und Händlern aus aller Welt warten schon auf die »Mitbringsel«, so dass sie sich ihre Unternehmungen weitgehend selbst finanzieren können. Sie sind also, wie ich es selbst beobachten konnte, schon nach wenigen Tagen wieder liquide. Diese Beobachtung bestätigte mir einer dieser Insider: »Wenn wir etwas nicht benötigen, dann ist es Geld. Wir brauchen nur für zehn Jahre die Freiheit der Wüste, dann würde ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit geschrieben sein.« Ein anderer machte eine Bemerkung, die mich ebenfalls nachdenken ließ: »Hollywood verfilmt alles, was sich im spekulativen Genre verkaufen lässt - von Außerirdischen und Raumschiffen bis hin zur Bundeslade. An ein Thema aber gehen die dort nicht ran: das Abenteuer, das Paradies zu finden. Warum wohl nicht? Denk mal darüber nach.« Nach einigem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass man in Hollywood wohl die Verantwortung verspürt, diesen »schlafenden Hund« besser nicht zu wecken. Wenn ein Millionenpublikum auf dieses Thema aufmerksam gemacht würde, dann finge das große Rennen auf das Paradies an, einen heiligen (jüdischen, christlichen, muslimischen) Ort in einem streng muslimischen Land. Dadurch aber kämen die Saudis in Schwierigkeiten - und niemand weiß, wie das enden würde.
Hotelboys als Späher Das Hotel in Akaba, in dem diese Abenteurer für ein paar Tage neue Kraft schöpfen, ist nicht etwa eine jener Komfortherbergen, deren Name jeder kennt. Im Hilton oder Sheraton abzusteigen kommt für diese Art von Archäologen aus Sicherheitsgründen nicht in Frage. Ihr Inkognito und damit ihre Bewegungsfreiheit wären gefährdet, denn in den großen Hotels ist praktisch jeder Angestellte ein Späher, beauftragt, für den Staat zu spionieren, für die Religionspolizei, die Geheimdienste oder sonst eine der Interessengruppen, die Jordanien fest im Griff haben. In den großen Hotels wird buchstäblich jeder observiert. Wer trifft sich mit wem? Wer telefoniert mit wem oder tauscht Faxe aus? Wohin geht von hier aus die weitere Reise? Wer sich frei bewegen will, meidet also tunlichst einen solchen Ort. Wer sich außerhalb der Gesellschaft gestellt hat, weiß nur zu genau, dass er in den Luxushotels besonders misstrauisch beobachtet wird. Jeder nur mögliche Trick, sich einer Beobachtung zu entziehen, ist von den Abenteurern und Vogelfreien schon erprobt worden. Da solche Tricks meist nur einmal funktionieren, ist das Repertoire selbst für phantasievolle Tarnungen längst erschöpft. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass es besonders die Einzelreisenden sind, deren Zimmer und Gepäck
unauffällig durchsucht wird. Man hat ein besonderes Augenmerk auch auf einzelne Personen, die eine Touristengruppe als Tarnung benutzen könnten. Vor allem Reisegruppen, die mit eigenem Reiseführer anreisen, erwecken großes Misstrauen. Auch Menschen mit stark wettergegerbter Haut ziehen diskretes Interesse auf sich. Ebenso weckt ein Outfit, das für eine angebliche Treckingtour in die Wüste zu professionell wirkt, in solchen Hotels sofort Verdacht. Der mit Pass, Visum und Stempeln eingereiste Gast merkt kaum etwas von diesem engmaschigen Netz, das im Orient über ihn geworfen wurde. Ich erinnere mich, wie es mir erging, als ich in Akaba nach einer ersten Spur des verwüsteten Paradieses suchte. Durch Kontakte hatte ich mich mit einem Archäologen verabredet, der seit dreißig Jahren im Nahen Osten lebte und dort ein kleines Geschäft betrieb. Um zu überprüfen, wie engmaschig ich bereits überwacht wurde, stellte mein Gesprächspartner die Bedingung, dass ich bei meiner nächsten Einreise, vom Flughafen kommend, mit einem Taxi ins Hotel fahren sollte, um dort wie ein gewöhnlicher Tourist einzuchecken. Beim nächsten Mal tat ich also wie geheißen, meldete mich umständlich an, nahm den Zimmerschlüssel in Empfang, wechselte im hoteleigenen Wechselbüro demonstrativ Geld, kaufte Postkarten und so weiter. Später traf ich mich mit dem Archäologen in einem der vielen Straßencaffes im Zentrum. Ich hatte nichts bemerkt, was mein Misstrauen hätte erregen können. Doch als Nächstes verlangte mein neuer Bekannter von mir, dass ich am folgenden Tag das Hotel wechseln sollte, und zwar ohne ein Taxi zu benutzen. Mir schienen seine Vorsichtsmaßnahmen damals ziemlich übertrieben - wie aus einem James-Bond-Film, wandte ich ein. Meine südafrikanische Naivität nervte ihn sichtlich. Also empfahl er mir, noch eine Nacht in jenem Hotel zu bleiben. Meine persönlichen Reiseutensilien, insbesondere meine schriftlichen Unterlagen, sollte ich nach einer bestimmten Methode unauffällig ordnen. Und siehe da: Schon am zweiten Tag hatte ich den Beweis. Man hatte meine Unterlagen durchsucht. Das Netz war über mich geworfen worden. Danach behauptete ich nie mehr, dass er an Verfolgungswahn leide. Ernüchtert befolgte ich seine weiteren Ratschläge. Wer offiziell eingereist war, musste auch nach den offiziellen Regeln wieder ausreisen, durfte also die erlaubte Aufenthaltsdauer nicht überschreiten und musste seinen Aufenthaltsort nachweisen. Daher verließ ich einige Tage später Amman und kehrte über Zürich nach Südafrika zurück. Nicht lange danach machte ich mich auf die beschwerliche neuerliche Reise, die mich erst nach vierzig Tagen nach Jordanien brachte, wo ich mich frei bewegen konnte.
Reise in die Anonymität Die entscheidende Schnittstelle lag im Niemandsland zwischen der Türkei und Syrien. Zunächst aber flog ich von Südafrika zurück nach London. Dort kaufte ich in einem Vorort ein gebrauchtes Allradfahrzeug und besorgte mir, was in Großbritannien kaum Probleme macht, ein zweites Paar Autokennzeichen für die Ausfuhr. Nun ging es los, und ich fuhr auf dem Landweg von London quer durch Europa, also über Frankreich, Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien bis in die Türkei, wo ich endlich urlaubsreif ankam. Irgendwo auf dem Weg von Europa in den Orient wurden mir
dann die Autopapiere »gestohlen«, und ich konnte mir, den Anweisungen meines Informanten folgend, auf die mitgeführten zweiten Autokennzeichen lautende Ersatzpapiere ausstellen lassen. Wohlgemerkt, es ging nicht darum, in Europa oder in der Türkei mit falschem Kennzeichen zu fahren, das wäre auch wegen der Versicherungen nicht klug gewesen. Anders im Orient. Dort zählt eine Versicherung praktisch nichts. Bei einem Unfall hat grundsätzlich der ältere Wagenlenker Recht! Ist es gar ein deutlich älterer Fahrer, muss man sich sogar bei ihm entschuldigen, dass man ihm im Weg gestanden hat. So gelangte ich schließlich, von Istanbul aus an der Küste entlangfahrend, bis zur Grenze nach Syrien. Die Grenzlinie dort ist zwischen den beiden Ländern politisch sehr umstritten. Die Grenzposten auf beiden Seiten haben offiziell kaum Kontakt zueinander. Daher ist hier die Tür zu einem anonymen Aufenthalt im Orient besonders weit geöffnet. In diesem Niemandsland zwischen Türkei und Syrien tauschte ich meinen südafrikanischen Pass gegen britische Papiere aus. Mit der Einreise nach Syrien begann das Bakschischsystem zu funktionieren, und so verwischte sich nach und nach, je näher ich Damaskus kam, meine Spur in den Dateien der Behörden. Mein Allradfahrzeug, Marke Nissan und anonym eingeführt, war im Orient von hohem Wert. Die Grenze zwischen Syrien und Jordanien zu überschreiten ist kein Problem, wenn man den richtigen Lotsen an Bord hat. Eine Fahrt über eine Wüstenpiste, und man ist in Jordanien. Dort wurde ich in Amman bereits erwartet, und dort war es auch, wo mein Bekannter den Nissan zu einem sehr guten Preis verkaufte. Auf diese Weise hatte ich die Geldmittel, die ich für meinen Aufenthalt in Jordanien benötigte, eingeführt, ohne sie registrieren zu lassen und eine Spur in einem Wechselbüro zu hinterlassen. Ich blieb anonym. Die letzte Etappe war einfach. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Bussen und der Bahn kam ich schließlich nach Akaba und erreichte mit ein paar Tricks unbemerkt das Hotel, das man mir angegeben hatte. Aus Gründen der Fairness gegenüber meinen damaligen Ratgebern und Helfern in Syrien und Jordanien verzichte ich auf eine weiter gehende Beschreibung dieses Wechsels in eine zeitweilige Anonymität im Nahen Osten. Ich konnte mir das ohnehin nur leisten, weil ich Arabisch sprach und nicht mehr berufstätig war. Und all dies geschah nicht aus Abenteuerlust, das will ich hier ausdrücklich betonen, sondern einzig im Interesse der Informationen, die ich aus erster Hand bekommen wollte. Tatsächlich hatten mich die seinerzeitigen Erfahrungen so sehr schockiert, dass ich dieses Buch ursprünglich in Form eines Abenteuerromans schreiben wollte. Anders hätte ich meinen Informanten nicht schützen können, denn es liegt auf der Hand, dass man über diese Publikation mancherorts ganz und gar nicht erfreut sein wird. Durch den überraschenden Tod des Hauptakteurs der Paradiessuchenden, den ich in diesem Buch Ali nenne, bin ich nun aber imstande, wesentlich mehr von seinen Entdeckungen preiszugeben, als ich ursprünglich vorhatte. Trotzdem muss dies aus verschiedenen Gründen, die jeder akzeptieren sollte, sehr behutsam geschehen. Inzwischen bin ich längst wieder in Südafrika. Für mich persönlich sehe ich keine Probleme, die mir aus der Veröffentlichung entstehen können. Meine Freunde und Informanten aus der Zeit von Akaba jedoch, in der ich mit Ali zusammen war, leben zum Teil noch vor Ort. Sie wären angreifbar, wenn man sie anhand meiner Schilderung identifizieren könnte. Ihr Leben wäre dann nur noch wenig wert. Aus diesem Grund habe
ich alle Gespräche und Treffen für dieses Buch nach Akaba verlegt, auch wenn sie in Wirklichkeit Hunderte von Kilometern entfernt stattfanden. Ferner habe ich einige jordanische Ortsnamen verändert.
Arabische Hüter uralten Wissens Noch ein Wort zu der Frage, warum ich mich entschlossen habe, in diesem Buch viele Einzelheiten, die Saudi-Arabien betreffen, zu publizieren. Das hat nichts mit den Monarchen zu tun, die dieses Land heute regieren. Vielmehr gibt es dort Interessengruppen, die vor Jahrhunderten, also lange bevor die Sä ud's und die orthodoxen Wahhabiten das Territorium kontrollierten, schon um ein Geheimnis der Arabischen Halbinsel wussten. Sie sind in Arabien unsichtbar, aber allgegenwärtig, außerhalb jedoch vollkommen unbekannt. Meine Absicht ist es, an dieses uralte Wissen anzuknüpfen. In den Kreisen dieser Geheimnisträger scheint es mehrere Fraktionen zu geben. Von einer ist bekannt, dass ihre Mitglieder alles beseitigt und zerstört haben, was ihrer Meinung und Lehre nicht entsprach. Häufig begnügte man sich auch damit, Hinweise auf noch vorhandene Originale zu verdecken oder zu vertuschen. So oder so werden nachkommende Generationen von Forschern und Archäologen auf diese Weise gezwungen, bei der Erforschung der Vergangenheit mit »Annahmen« zu operieren. Unbewiesene Annahmen oder Hypothesen stehen aber auf schwachen Beinen. Das hat in der Praxis schon oft Hypothesen diskreditiert, die eigentlich die richtige Richtung gewiesen hätten. Nach den Regeln der Wissenschaft gelten die Schlussfolgerungen aus solchen Annahmen erst recht als reine Phantastereien. Und welcher Forscher mit Ehrgeiz und Reputation wäre bereit, an einer solchen Hypothese weiterzuarbeiten? Es könnte das Ende seiner Laufbahn bedeuten. Gerade das Thema des einstigen Paradieses war noch vor wenigen Jahrzehnten hochbrisant. Ich kenne Namen von Professoren, die noch um die Wende zum 20. Jahrhundert massiv unter Druck gesetzt wurden, damit sie ihre »Hypothesen« zurückzogen, wonach sich auf der Arabischen Halbinsel das Zentrum des Garten Eden befunden haben könnte. Und wie sieht es heute aus, fragte ich mich, ein Jahrhundert später? Da gibt es einmal die erwähnten Interessengruppen, die Beweise und Belege zu vernichten versuchen. Daneben gibt es eine zweite Gruppe, zu deren Werkzeug ich mich zähle. Sie versucht, so gut es eben geht, die noch vorhandenen, jedoch gefährdeten Belege und Beweise durch Fotos oder andere Arten der Dokumentation zu sichern. Das erklärte Ziel dieser Gruppe ist es, den nachkommenden Archäologen die Formulierung einer Hypothese zu erleichtern. Mehr kann man zurzeit nicht tun. Es ist ein Spiel, das seit Generationen gespielt wird und sich anscheinend noch einige Zeit hinziehen wird.
Warten auf Ali Nun saß ich also hier in Akaba, anonym in dem kleinen Hotel. Ich wartete das erste Mal auf Ali. Es würde nicht das letzte Mal sein. Ali hatte mir den Weg gewiesen und diesen Ort bestimmt, an dem er mir ungestört Informationen übergeben konnte. Was er wollte, hatte er klar formuliert. Er hatte seine Arbeit gemacht und suchte nun nach einem »Schaufenster«, in dem er das Ergebnis seiner Arbeit ausstellen konnte. Sein Hintergedanke war es, den nachkommenden Generationen von Paradies-Archäologen, die es zweifellos geben würde, Anhaltspunkte zu liefern, wie sie ihre Hypothesen leichter beweisen könnten. Eine grobe Richtung zu kennen kann Jahre erfolgloser Suche ersparen. Forscht man in unwegsamen Gebieten, die nur unter Lebensgefahr bereist werden können, ist dies von eminenter Bedeutung. Ali war zwar ein Einzelkämpfer, aber er hatte sich in den letzten dreißig Jahren zum Kenner der innerarabischen Welt entwickelt und einen großen Freundeskreis aufgebaut. In vielen Beduinenstämmen galt er als vertrauenswürdiger Freund. Hatte er einmal die Staatsgrenze zu Saudi-Arabien überschritten, erwarteten ihn überall gute Freunde. So wusste er stets - oder konnte zumindest begründete Vermutungen darüber anstellen -, was in der innerarabischen Politik demnächst passieren könnte. Hauptsächlich interessierte er sich für die Politik der Sittenwächter und der Religionspolizei, die sich direkt auf die archäologische Exploration des Landes auswirkt. Ali traute auch den Muslimen - ebenso wie allen anderen weltanschaulich motivierten Forschern, gleich welcher Glaubensrichtung - zu, Hinweise zu verschleiern oder deren Identifizierung zu erschweren. Während ich wartete und wartete, wurde meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Wären nicht die tröstenden und beruhigenden Worte der erfahrenen Mitbewohner des Hotels gewesen, die zufällig anwesend waren, ich hätte keine drei Wochen unter diesen Umständen dort aushalten können. Diese drei Wochen wurden für mich mehr als nur eine Geduldsprobe, sie wurden zur Tortur. Schon nach einer Woche ging mir die deprimierende Umgebung auf die Nerven. Das machte mich körperlich krank. Mit einer Spraydose ständig hinter dem Ungeziefer her zu sein ist eine entnervende Situation. Und dann diese Fladenbrote - in den ersten Tagen fand ich sie noch recht schmackhaft, aber nach der zweiten Woche konnte ich sie nicht mehr sehen. Orientalisches Milieu war mir seit Jahren vertraut, aber hier war es mir allzu orientalisch. Drei Wochen können eine lange Zeit sein, wenn man nicht weiß, ob der Gesprächspartner überhaupt noch kommt. Wenn ich die Anreise über Europa mitrechnete, hatte ich sogar fast acht Wochen an Zeit investiert - von Geld und Energien ganz zu schweigen. Fast stündlich fragte ich mich: Wann sollte ich die Warterei abbrechen und wieder abreisen? Die Situation insgesamt wurde für mich von Tag zu Tag stressiger. Natürlich, sagte ich mir auf der anderen Seite immer wieder, konnte Ali aus tausend Gründen verhindert sein. Saß er womöglich in Saudi-Arabien im Gefängnis? Saß er aus anderen Gründen an irgendeiner entlegenen Stelle fest? Oder war er gar ums Leben gekommen? Auf jeden Fall gab es viele unwägbare Umstände, die eine Wüstenexkursion ins Ungeahnte verlängern konnten.
Also weiter warten, beschwor ich mich. Wenn ich nicht gerade in ein lockeres Gespräch eingebunden war, beobachtete ich die Gäste dieses Hotels oder hing meinen Träumen nach. Wie Freibeuter auf Urlaub wirkten diese Gestalten auf mich - nur dass die Zeit der Freibeuterei eigentlich längst vorbei war. Schließlich schrieben wir das Jahr 1996. In der vierten Woche wartete ich immer noch auf Ali. Mir schien es, als ob die anwesenden Archäologen auf einmal bestimmte Themen mieden, etwa die unerträglichen Tage in der Wüste oder die Tage, an denen ihr Körper, von Durst geplagt, oft dem Nierenversagen und damit dem Tod nahe gewesen war. Ich argwöhnte, dass in ihnen langsam der Verdacht aufstieg, dass Ali in Schwierigkeiten geraten war. Um mich aufzumuntern, redeten sie stattdessen über Entdeckungen und Erfahrungen, die sie in letzter Zeit gemacht hatten. Beispielsweise erwähnten sie, dass betende Gestalten Skulpturen oder auf Wandzeichnungen -, die im Zusammenhang mit dem Paradies stehen, immer mit angewinkelten Armen dargestellt würden. Diese Haltung findet man auch in Mesopotamien, bei den Phöniziern, in Karthago oder bei den Kopten. Im Randbereich des Paradieses werden betende Menschen fast durchweg auf diese Weise dargestellt. War das also die Grundhaltung der Demutsbezeugung und Gottesverehrung im Paradies (siehe Abb. 1, S. 31)? Abbildung 1: Die koptische Darstellung einer »Betenden« zeigt eine auffallende Übereinstimmung mit einem der Siegel im Grab des Abraham (li.) und auf einer Münze aus Karthago ca. 800 v. Chr. (re.). Diese Figur lässt sich aus Dreieck oder Pyramide, Kreis oder Kugel und einem halben Viereck mit jeweils 90 Grad Winkel auf die Spitze des Dreiecks gesetzt konstruieren.
Muhammad, der Begründer des Islam, ist zumindest mit den Kopten in Berührung gekommen. Seine Anhänger beten mit dieser Armhaltung beziehungsweise beugen sich vor und berühren mit ihrer Stirn den Boden. Inwieweit, fragten sich die Archäologen, war Muhammad in die Geheimnisse um das einstige Paradies eingeweiht? In den Gesprächen ging es auch um die Frage, ob Muhammad die Überreste des Zentrums von Eden durch persönlichen Augenschein gekannt hatte. Am brennendsten war man jedoch daran interessiert, zu klären, ob Teile des Systems, das wir als Paradies bezeichnen, noch voll funktionsfähig waren. Als eine Woche später ein Experte für Babylon und Grabungen im Irak eintraf, verlagerte sich das Gespräch auf Türme und Gärten. Ich notierte in meinem Tagebuch, dass ich dem Zusammenhang zwischen dem Garten Eden und den Hängenden Gärten im Euphrat- und Tigrisgebiet nachgehen sollte. Über drei Abende zog sich die Diskussion hin, ob diese Hängenden Gärten der Semiramis ein versuchter Nachbau des Garten Eden gewesen sein können. Die Mehrheit der Runde bejahte dies, es war für sie nahe liegend. Warum sollte es nicht Vorfahren gegeben haben, die noch über genügend Sachkenntnis verfügten, um aus den Resten des Garten Eden eine Kopie zu erbauen?
Von »guten« und »bösen« Archäologen In der Archäologie gibt es keine heile Welt. Vielmehr herrscht dort ein gnadenloser Kampf um attraktive Grabungsbezirke, der mit Geldmitteln und politischer Einflussnahme ausgetragen wird. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hat sich kaum etwas geändert. Damals fand eine der größten wissenschaftlichen Expeditionen aller Zeiten statt, die französische Expedition nach Ägypten, die vom Parlament der jungen Republik in Paris beschlossen und unter Leitung Napoleons durchgeführt wurde. Bis heute herrscht immer dann, wenn es darum geht, als Erster an bedeutungsvollen Plätzen Ausgrabungen vorzunehmen, Krieg unter den Archäologen. Damals konzentrierte sich der Wettkampf auf Briten und Franzosen. Heute haben die Amerikaner die Nase vorn, befehdet von einer Vielzahl von Interessengruppen weltweit. Denn die USA können mit eigens dafür konstruierten Satelliten mögliche Fundstätten lokalisieren und ihre Leute dorthin schicken. Mir fiel ein, was Ali mir einmal über die »guten« und die »bösen« Archäologen erzählt hatte. »Angenommen, du wärst Ägyptologe«, sagte er damals. »Wenn du als Ägyptologe oder Archäologe in ein Wespennest stechen willst, dann fahre nach Kairo und organisiere einen Kongress, in dem es um die Frage geht, ob Pharao Echnaton der Moses der jüdischen Schriften war. Die Konsequenz wäre, dass Nofretete die Frau von Moses war. Die Beweise für die Richtigkeit dieser These liegen übrigens sicher in den Kellern des Kairoer Museums sowie zum Teil auch in den Magazinen des Britischen Museums. Aber an diese Beweise kommt niemand heran. Als Ägyptologe wärst du daher für den Rest deines Lebens unten durch. Vom Establishment verachtet und geächtet, könntest du dich nur noch einer Gruppe wie dieser hier in Akaba anschließen oder als Einzelkämpfer deine Annahmen zu beweisen versuchen. Fortan würde man dich der Fraktion der so genannten bösen Archäologen zurechnen. Unsere heutige Fachwelt ist nämlich in gute und böse Archäologen eingeteilt. Die Betroffenen wissen davon und bekommen es zu spüren, die Außenstehenden merken nichts davon. Fangen wir mit den bösen Archäologen an«, fuhr Ali damals fort, »alle hier in diesem Hotel gehören in diese Kategorie. Es sind die Aussteiger und gleichzeitig sind es die Rebellen unter den Archäologen, weil sie irgendwann das System durchschaut und sich dagegen aufgelehnt haben. Das sind alles ehrenwerte Leute, die ausgestiegen sind. Doch in gewisser Weise sind sie sogar tatsächlich die Bösen. Listig lauern sie, den Fetzen einer alten Landkarte in der Hand, auf den großen Finanzier, der sie als Privatgelehrte unterstützen kann. Wehe dem, der sich darauf einlässt, sie zu finanzieren. Seine Konten wären schnell überzogen. Bei Forschungsreisen orientiert man sich in diesem Kreis an morgenländischen Zeitvorstellungen. Aus der Sicht der staatlich gesponserten Archäologen sind diese Außenseiter aus einem anderen Grund die Bösen: Sie haben eine Möglichkeit gefunden, legal oder illegal, über Staatsgrenzen hinweg an geheime Orte zu gelangen, um dort unabhängige Forschung zu betreiben. Die staatlichen Wissenschaftler werfen ihnen vor, unsachgemäß vorzugehen, Funde zu zerstören, wertvolle Informationen dadurch zunichte zu machen und so weiter. Sie selbst sehen sich natürlich als >die Guten«Großen MutterAusgangEingeweihter< mit voller Absicht dafür gesorgt hatte, dass ich dieses Märchen zu hören bekam.«
Die goldene Kugel von Jerusalem Während ich noch über seine Worte nachdachte, sprach Ali schon weiter. Seine Erklärung des möglichen Verbleibs der goldenen Kugel möchte ich meinen Lesern nicht vorenthalten, da sie sehr plausibel erscheint. »Die islamische Welt«, sagte er, »kennt Familien, die ihre Abstammung auf Muhammad
zurückverfolgen können. Dazu gehören heute unter anderem der König aller jordanischen Stämme und der König aller Marokkaner. Es gibt wesentlich mehr Familien im Orient, die auf ein solches Privileg pochen, doch das tut hier nichts zur Sache. Die Familie des heutigen Königs von Jordanien hatte noch bis vor einigen Jahrzehnten direkten Zugriff auf Mekka. Durch die Gründung des Königreiches Saudi-Arabien ging zumindest politisch dieser Zugriff verloren. So verblieben ihnen nur der Tempelberg und die AlAqsa-Moschee in Jerusalem, die sie auch in den vierziger Jahren verteidigten. König Hussein II. von Jordanien ließ die Kuppel auf dem achteckigen Unterbau restaurieren und vergolden. Warum? Eine Antwort, die heute als allgemein richtig angesehen wird, lautet, dass er als Schirmherr einer der großen heiligen Stätten des Islam diesem Symbol eine angemessene Präsenz verschaffen wollte.« Ali schaute mich aus dem Augenwinkel an. »Fällt dir etwas auf?« »Nein«, antwortete ich ihm damals verständnislos, »vielleicht wollte er sich nur ein Denkmal setzen?« »Ich merke, dass du mit dem Tempelberg und seiner Geschichte nicht allzu vertraut bist.« Ich nickte. »Du solltest dich einmal näher mit dem Tempel Salomons und dem dort praktizierten jüdischen Ritus beschäftigen. Im Tempel stand nämlich ein von den Juden als >ehernes Meer< bezeichnetes Kultgefäß von recht beachtlichem Ausmaß. Sticht dir das nicht geradezu ins Auge? Ich meine, dass dies der unteren Hälfte der goldenen Kugel aus dem Garten des Märchens entspricht oder symbolisch entsprechen könnte.«
Abbildung 10: Entspricht das eherne Becken im Tempel Salomons (linke Seite unten) der einen Hälfte der Kugel und die Kuppel des Felsendoms (Abbildung oben) der anderen? Ich sah ihn skeptisch an. »Warte«, sagte er. »Nun kommt König Hussein II. von Jordanien ins Spiel. Symbolisch restauriert er die Kuppel auf dem Tempelberg, wo einst das >eherne Meer< stand. Er lässt diese Kuppel mit Mitteln aus seinem Privat- oder Familienvermögen vergolden. Ist das vielleicht, wiederum symbolisch, der Versuch, vor aller Augen zu dokumentieren, dass man die obere und untere Hälfte der goldenen Kugel wieder zusammenbringen sollte?« Er wartete einen Moment, während ich über seine Worte nachdachte. »Schau dir die Situation auf dem Tempelberg nur aus der Sicht des Märchens an«, fuhr er fort. »Lass die aktuelle Tagespolitik um Jerusalem völlig außer Acht. Dann erkennst du Folgendes: Salomon ist ein Abkömmling desjenigen Sohnes aus dem Garten, der die untere Hälfte der goldenen Kugel bekommen hat. Damit ist keine Wertung verbunden. Beide Hälften einer gleichmäßig gearbeiteten Kugel, hohl oder massiv, aus purem Gold oder vergoldet, müssten gleich wertvoll sein. Nur hat jeder der beiden seine Hälfte auf andere Weise eingesetzt. Was also wussten die Vorfahren der Haschemiten, die sich bis auf Muhammad zurückführen, über den Verbleib des zweiten Sohnes aus dem Garten, der mit der oberen Hälfte der Kugel davongezogen ist? Hat Hussein II., ohne es in die Welt hinauszuschreien, versucht (symbolisch), die obere Hälfte der goldenen Kugel nach Jerusalem zu bringen, um die Einheit, wie sie einst in dem Garten herrschte, (symbolisch) wiederherzustellen?« »Man könnte darüber nachdenken«, sagte ich damals nur. Heute jedoch, nachdem ich in diese Richtung lange Zeit recherchiert habe, bin ich persönlich davon überzeugt, dass Ali Recht hatte. Zumindest das jeweilige Oberhaupt der
jordanischen Königsfamilie weiß um die Existenz der Orte und Überreste des biblischen Paradieses, das auch die Grundlage zu jenem Märchen bildet. Was das Märchen aus Büraydah über Abraham verrät Seinerzeit, als ich mit Ali über das Märchen aus Büraydah diskutierte, fiel mir sofort Abraham mit seinen beiden Söhnen ein. Aber wie passten die vier Töchter dazu? Wäre der Vater aus dem Märchen Abraham, so wären die beiden Söhne jedenfalls Ismael und Isaak, die in Streit geraten und sich die goldene Kugel teilen. Wobei die Kugel das Erbe Abrahams - was man auch immer darunter zu verstehen hat - symbolisiert. Wenn dies zutrifft, dann wäre das Becken im Tempel des Salomon auf dem Tempelberg tatsächlich die untere Hälfte der Kugel - von Isaak dorthin gebracht, der sich ja in die nördliche Richtung wandte. Es würde auch erklären, weshalb in Hebron nur die Nachfahren der Linie Isaaks aufgeführt wurden: Sein Halbbruder Ismael wandte sich mit der oberen Hälfte der goldenen Kugel in eine andere Richtung, vermutlich in Richtung Südwesten. Weshalb schließlich auch zu erwarten wäre, dass sich das Grab des Abraham, der Hagar, des Ismael und seiner Nachkommen an einem anderen Ort befindet. Natürlich wendet der fromme jüdisch-orthodoxe Gläubige sofort ein, dass das alles nicht sein kann, weil er diese oder eine ähnliche Geschichte in seinen Überlieferungen nicht findet. Das wäre für mich jedoch kein Grund, darüber nicht weiter nachzudenken und zu forschen. Denn die Indizien sprechen durchaus für Alis und meine Hypothese: Die Nachkommen des erstgeborenen Sohnes von Abraham, Ismael, wie auch seines Halbbruders Isaak haben offenbar darauf verzichtet, ihren Vater Abraham und ihre Mütter aus der wahrhaftigen zwiefachen Höhle in ihre Heiligtümer umzubetten. Es war anscheinend der erklärte Wunsch ihres Vaters Abraham, gemeinsam mit Adam und Eva in dieser Höhle und im Duft des Garten Eden zu ruhen. Keine tausend Hohepriester der Synagoge von Jerusalem oder selbst ein Prophet vom Rang Muhammads hätten sie sonst vom Fluch Abrahams für diesen Frevel freisprechen können. Und wer wäre bereit gewesen, einen solchen Fluch auf sich zu laden, nur damit die Nachkommen in der Nähe ihres Vaters und der Mütter ruhen konnten? Falls sie weise gehandelt haben, und daran sollte man nicht zweifeln, errichteten sie zwei Kopien der Originalgruft: eine für Abraham und Hagar und eine für Abraham und Sara. Dort konnten sie die Nachkommen ihrer Mütter vorübergehend bestatten, solange es keine Möglichkeit gab, diese ebenfalls in der Originalgruft beizusetzen. Die Kenntnis des genauen Ortes der zwiefachen Höhle hatten sie verloren.
Das Tal der Propheten Wenden wir uns nun der Entdeckung zu, die Ali im Tal der Propheten gemacht hat. Die Anreise dorthin verlief unter ähnlich mühseligen Bedingungen wie die Touren ins Tal der Patriarchen, das nur wenige Meilen davon entfernt ist. Wieder wurde Ali von seinen beiden Helfern begleitet. Die einzige Entdeckung, die ihm in diesem Tal geglückt ist, verdankt er seiner Kameldame Viktoria, der »Mutter aller Kamele«. In der mit Geröll und Schutt übersäten Schlucht, durch die Ali mit seinen Begleitern gezogen war, hatten sie Felszeichnungen entdeckt. Es waren merkwürdige Gestalten mit sehr langen Oberkörpern und auffällig kurzen Beinen, die an Höhlenzeichnungen in Europa erinnerten. Nun suchte er in der Nähe einer Felswand nach Markierungen, Schriftzeichen oder was auch immer, das auf menschliche Eingriffe hinwies. »Im Nachhinein«, sagte Ali, »muss ich annehmen, dass Viktoria mich beobachtete und glaubte, ich würde nach Wasser suchen. Sie streifte umher, blieb, wie uns nach einiger Zeit auffiel, an einer Stelle stehen und scharrte ständig im Geröll.« Einer der erfahrenen Begleiter von Ali ging daraufhin zu ihr und räumte die Steine beiseite. Zum Vorschein kamen künstlich bearbeitete Bodenplatten, so dass auch der Begleiter im ersten Augenblick glaubte, es handle sich um die Abdeckung eines Brunnens. Das stellte sich jedoch rasch als Irrtum heraus. Sie hoben die drei Platten beiseite. Doch darunter war nichts - außer einer Felsspalte.
Schilder für Riesen? Unter den üblichen Sicherheitsvorkehrungen drangen sie in die Felsspalte ein. Sie gelangten in einen Gang, der etwa 27 Meter lang und zwischen 3 und 5 Metern breit sowie etwa 4 bis 5 Meter hoch war. Dieser Gang führte jedoch nirgendwohin. Es war ein natürlicher Riss, der mit Werkzeugen erweitert worden war. Infolge von Erdbeben, die in dieser Region nicht selten sind, hatten sich Steinbrocken von der Decke und von den Wänden gelöst. Geröll lag auf dem Boden, ebenso Sand und Staub. Oberhalb von 3 Metern befanden sich in den Seitenwänden Nischen. Doch diese Nischen waren leer. Zwischen den Nischen aber fanden Ali und seine Begleiter zahlreiche Tafeln mit Abmessungen von etwa 55 mal 80 Zentimetern. Die Tafeln waren unterschiedlich groß und nicht auf Augenhöhe angebracht, sondern in etwa 3 Meter Höhe. Unterhalb von 2 Metern waren überhaupt keine Verzierungen oder Schriftzeichen zu erkennen. Ali berichtete, dass er aus Zeltstangen, Zelttuch und Fixierbändern ein provisorisches Gerüst zusammenbinden musste, um diese Tafeln fotografieren und sicherheitshalber auch abzeichnen zu können. Natürlich wurde im Hotel der Außenseiter-Archäologen auch in meiner Gegenwart über die Körpergröße der ehemaligen Bewohner spekuliert. Es macht offenkundig keinen Sinn, zum Beispiel ein Schild »Zutritt verboten« in 3 Meter Höhe zu befestigen, wenn man möchte, dass dieses Gebot beachtet wird. Der Gang im Felsen könnte demnach von Menschen eingerichtet worden sein, die eine Augenhöhe zwischen 2,70 und 3,30 Metern hatten. Damit wären auch die leeren Flächen unterhalb
von 3 Metern zu erklären. Dem hielt Ali entgegen, dass nirgends in der Umgebung auch nur der geringste Hinweis auf Menschen mit Übergröße zu sehen war. In Akaba stellte er seine Kopie der einen Tafel zur Diskussion. Er wies darauf hin, dass er sie nicht auf den Millimeter genau anfertigen konnte. Um es vorwegzunehmen, seine Zeichnung führte zu einer Änderung der Sichtweise in dieser Runde.
Zweistromland Ägypten? Teatime im Hotel der Außenseiter-Archäologen in Akaba. Ali saß herum und befragte jeden, der in seine Nähe kam, ob er verstehe, was er da vor sich liegen habe. Das ging schon eine ganze Weile so. Einer seiner Kollegen verschwand auf sein Zimmer und kam mit ein paar Karten von Ägypten und Arabien wieder, die nach Satellitenaufnahmen gefertigt worden waren. »Ali, das kostet dich einen Pfefferminztee.« Es war eine unbeschreibliche Situation. Hier saß Ali, keinen Cent in der Tasche, aber gut Freund mit Emiren, Scheichs und Würdenträgern in den Wüsten Arabiens, Besitzer von zehn bis zwölf Kamelen. Dort werkelte jemand an einem Fotokopierer herum. Ein Mann, dessen Bedeutung ich nicht einschätzen konnte. Und Ali warf mit seinen Geheimnissen aus der Wüste nur so um sich. Der Kollege kopierte die Blätter, die er mitgebracht hatte, nahm eine Schere und schnitt, zur Verblüffung der Anwesenden, einfach -das Rote Meer aus. Dann legte er die Küstenkonturen deckungsgleich aneinander und siehe da, fertig war ein Zweistromland, das den Umrissen auf Alis Kopie genau entsprach. Wenn man vom Sinai-Bereich einmal absieht, fügte sich alles wunderschön zu einem Land mit zwei Strömen (siehe Abbildung 12, S. 134).
Abbildung 11: Satellitenaufnahme von Ägypten, Äthiopien und Saudi-Arabien.
Abbildung I2: Dieselbe Aufnahme -jedoch ohne das Rote Meer.
Jetzt aber schrien ein paar Anwesende durcheinander. »Das ist die Lösung! So bekommt alles einen Sinn! Abessinien, das heutige Äthiopien, und Teile der arabischen Küstenlinie am Roten Meer gehören zusammen. Was wir in Südwestarabien vergeblich suchen, finden wir im heutigen Äthiopien.« Ein Experte der Templergeschichte in Jerusalem, der zufällig auch anwesend war, meinte verblüfft, dass das wiederum das große Interesse der Templer an Äthiopien erkläre. Man glaubt allgemein, dass es ihnen damals um die Bundeslade ging. Aber vielleicht haben sie etwas anderes gesucht: das Paradies, besser gesagt Teile des biblischen Eden. Noch etwas wurde offenkundig. Wenn man, das Rote Meer ignorierend, eine Verbindungslinie von den Pyramiden von Sakkara nach Mekka zog und von diesen beiden Endpunkten einen rechten Winkel konstruierte, dann ergab sich ein besonderes Muster, wenn man hierbei die Orte berücksichtigte, die in der Bibel erwähnt wurden. Ali schloss die Augen und sagte, dass er das Zentrum des Paradieses vor seinem geistigen Auge sehe.
War Ägypten ehedem das sagenumwobene Zweistromland? Alis Kopie der Tafel aus dem Tal der Propheten zeigte offensichtlich das Land, das wir als Ägypten kennen - darüber waren sich alle aus der Runde in Akaba einig. Zumindest ließ sich auf der einen Seite ein Flusslauf ausmachen, der von Süd nach Nord verlief und dem des Nils ähnelte. Aber uns verwirrte, dass es sich um ein Land mit zwei Flüssen zu handeln schien. Was sollte das für ein zweiter Fluss sein, der von Norden nach Süden verlief und den es heute offensichtlich nicht mehr gab - ebenso wenig wie das Bett, in dem er geflossen sein müsste? Der Kollege, der vorhin das Rote Meer aus der Kartenkopie geschnitten hatte, untersuchte Alis Kopie nochmals sorgsam. »Kein Zweifel«, sagte er, »diese Skizze hat mit dem Gebiet, das wir normalerweise als Zweistromland bezeichnen, nichts zu tun.« Wie sich herausstellte, beschäftigte dieser Archäologe sich intensiv mit der Hypothese, dass Echnaton und Moses ein und dieselbe Person gewesen seien. Erregt überprüften nun alle Anwesenden Details ihrer Arbeit, auf die auf einmal ein ganz neues Licht fiel. Wie sich zeigte, warf diese Hypothese fürs Erste mehr Fragen auf, als sie beantwortete.
Waren Mekka, Medina und Äthiopien einst Nachbarn? Ein Spezialist für Sunniten und Alewiten, zwei geistige Richtungen innerhalb des Islam, schaltete sich in das Gespräch ein. Er hatte in der Landkarte, aus der das Rote Meer herausgeschnitten worden war, eine Übereinstimmung ganz anderer Art entdeckt. Wäre dort das Rote Meer einst nicht gewesen, erläuterte er, so wäre das auch eine Erklärung für die Maslama, eine rätselhafte Gestalt, die vollständig verhüllt auftrat, ständig von einer Anzahl Begleiter umringt war und nur in Gebärden sprach, die von den Begleitern gedeutet und in Sprache umgesetzt wurden. Könnte es nicht sogar sein, überlegte er weiter, dass diese Maslama dem Propheten Muhammad geholfen hat, in das Gebiet der Täler der Patriarchen und Propheten zu gelangen? Hier der Hintergrund dieser Überlegungen. Auf der Karte, aus der das Rote Meer ausgeschnitten wurde, findet man das heutige Äthiopien und Eritrea benachbart zu Mekka und Medina. Dort aber, im Raum von Mekka und Medina, soll zu Zeiten des Propheten eine Gestalt aufgetreten sein, die Mariam genannt wurde. Sie war verschleiert, mit Amuletten und Zierrat behängt, von Begleitern umringt und sprach nur in Gebärdensprache, die von den Begleitern übersetzt und verkündet wurde - genau wie die Maslama, mit der Muhammad Kontakt gehabt haben soll. Die Äthiopier sagen, dass die Maslama aus der Gegend zwischen Mekka und Medina stamme. Umgekehrt trug sowohl der letzte Kaiser von Äthiopien als auch der Offizier, der ihn gestürzt hat, den Beinamen Mariam. Hierzu noch ein weiterer Hinweis. Der Prophet hat den Frauen des Islam vorgeschrieben, in der Öffentlichkeit nur tief verschleiert aufzutreten. Darin wird eine Schutzmaßnahme vor lüsternen Blicken der Männerwelt gesehen. Die Weisen des Islam sollten aber einmal
darüber nachdenken, ob in der Verschleierung der Frauen nach Art der Mariam oder Maslama nicht ein Ehrenkleid der Frauen zu sehen ist. Eine Art stummer Huldigung der »Großen Mutter« und Auszeichnung einer jeden Frau. Dass die Rolle der Frauen im Islam eine ganz andere Entwicklung genommen hat, hängt mit den Übeltätern zusammen, die nach dem Tod des großen Propheten die amtierende Maslama und ihre gesamte Anhängerschaft ausgerottet haben. Damit wurde die Rolle der Frau im Islam auf verhängnisvolle Weise verändert.
Wann und wie ist das Rote Meer in seiner heutigen Breite entstanden? Eine Antwort auf diese Frage können nur die Geologen geben. Folgt man der herrschenden Lehrmeinung, dann löste sich vor etwa zwanzig Millionen Jahren die Arabische Halbinsel von Afrika, also lange vor dem Erscheinen des Homo sapiens sapiens - der erschien erst vor etwa 150000 Jahren in Afrika. Diese Antwort wird den Historikern nicht gefallen, denn die Traditionen diesseits und jenseits des Roten Meeres müssen älter sein. Aber da gibt es noch eine andere Hypothese. Demnach war das Rote Meer ursprünglich ein Becken unterhalb des Meeresspiegels, also ein Pendant zum Mittelmeer. Eines Tages lief dieses Becken voll, ähnlich wie zwischen dem heutigen Gibraltar und Marokko die Wasser des Atlantik einbrachen. Dadurch könnte auch das Rote Meer entstanden sein, indem Wasser zwischen dem Horn von Afrika und dem Jemen in das vorher leere Becken einfloss. Das könnte auch erklären, warum die Grabstätten der Patriarchen und Propheten auf einem Hochplateau errichtet wurden. Kam es in der Folge zur Klimaveränderung in Arabien, in deren Endphase das Paradies durch die unbarmherzig brennende Sonne ausgetrocknet und verwüstet wurde? Ich vermute, dass es eines Tages nicht nur Eden-Archäologen, sondern auch EdenGeologen geben wird, die sich unter anderem mit dieser Frage beschäftigen werden. 6. Kapitel:
Die Arbeit mit Zirkel und Lineal Um zu erklären, warum Ali sich plötzlich von den Tälern der Patriarchen und Propheten abwandte und das Zentrum des Paradieses zu suchen begann, muss ich noch etwas ausholen. Er hatte in einem Beduinenzelt ein Stück Pergament geseIwen, auf dem mathematische Körper skizziert waren. Normalerweise hätte er kaum auf diese Zeichnung geachtet, die auf den ersten Blickwie eine Vorlage für Teppichmuster aussah. Aber das Pergament schien außerordentlich alt zu sein. Er sah es genauer an und konnte sich keinen Reim darauf machen. Sicherheitshalber fertigte er damals eine Kopie für sein Archiv an (siehe Abbildung 13, S. 140). Die Skizze enthielt einen Oktaeder, einen Würfel, eine Kugel, einen Kegel und einen Zylinder. Die Positionen dieser Körper waren offensichtlich genau festgelegt. Als Ali mir seine Kopie zeigte, konnte ich keinen Zusammenhang mit mir bekannten Strukturen oder
Verhältnissen erkennen. Ali kramte ein Lineal hervor und drehte das Blatt mit seiner Skizze, so dass der Oktaeder etwa bei elf Uhr zu liegen kam. 1)a n n zog er einen Strich vom Oktaeder zum Würfel. Ich verstand
noch immer nicht. Vermutlich schaute ich ihn an wie ein Mensch, dem man ein Stück Löschpapier mit Tintenflecken überreicht hatte und der nun einen Vortrag darüber halten soll. Ali kannte diese Reaktion, daher holte er eine Karte vom Nahen Osten und legte seine Skizze darauf. »Stell dir vor, der Oktaeder steht für die Pyramiden in Ägypten und der Würfel für die Kaaba in Mekka. Wenn ich die Grundlinie zwischen den Pyramiden und dem Würfel gezogen habe, also eine Linie von Kairo nach Mekka, dann wird sich alles Weitere mit Zirkel und Lineal schon finden.« Er holte eine weitere Karte hervor, auf der er diese Linien schon eingezeichnet hatte. »Spielte Geometrie im Paradies eine Rolle?« fragte er mich und antwortete sich selbst: »Ja, ich bin heute fest davon überzeugt, dass die Rekonstruktion von, wie ich es nenne, sensitiven Punkten des Paradieses mit Zirkel und Lineal möglich sein muss.« Er demonstrierte mir, was er meinte. »Nimm die Linie von Kairo nach Mekka als Grundlinie und zieh durch die Position des Tals der Patriarchen eine parallele Linie. Auf diese Weise kannst du auch weitere heilige Orte des Islam zuordnen. Ihre Lage lässt sich in einem schachbrettähnlichen Gitternetz definieren.« Auf der Karte zeigte er mir drei Orte von größter Bedeutung für den Islam, und siehe da, es ergab sich ein Dreieck - »das Heilige Dreieck des Paradieses«, wie Ali es nannte. Mit Hilfe eines Zirkels konstruierte er sodann ein gleichseitiges Dreieck, wobei die Seitenlänge der auf der Karte gemessenen Distanz zwischen Medina und dem Tal der Patriarchen entsprach. Der dritte Punkt lag in der Nähe der heiligen Stadt Büraydah. »Ob
du diesen Punkt zum Mittelpunkt eines Kreises machst oder den Mittelpunkt des Dreiecks konstruierst«, erklärte er, »in beiden Fällen stößt du auf Orte von religiöser Bedeutung.« Nimmt man das Tal der Patriarchen, die Kaaba in Mekka und die heilige Stadt Büraydah als Eckpunkte, dann erhält man das erste Heilige Dreieck des historischen Paradieses in Arabien (siehe Abbildung 14, S. 142). Sein Mittelpunkt weist direkt auf den Ort hin, an dem Muhammad seine Erleuchtung hatte. Dieser Ort ist von Medina bequem zu erreichen, bedeutete also für Muhammad einst keine Weltreise. Um ihn rankt sich übrigens eine Legende: Danach soll Jahrhunderte nach Muhammad wieder einmal eine Periode vulkanischer Aktivitäten diese Region heimgesucht haben. Es begann plötzlich und unvermutet. Große Mengen Lava ergossen sich aus den Kratern und begruben das Land unter sich. Auch der Ort, an dem Muhammad zum Propheten wurde, war in Gefahr, von Lava bedeckt zu werden. Die Gläubigen wandten sich im Gebet an Allah. Da gebot Allah im
letzten Augenblick der Lava Einhalt, so dass der Ort verschont wurde. Die Frage, warum die heilige Stätte Mekka in relativer Nähe zu einem Bereich mit häufiger vulkanischer Aktivität angelegt wurde, wird so gut wie nie gestellt. Hat das mit den Gasen zu tun, die durch Spalten und Risse aus der Erde aufsteigen? Mekka selbst ist ja frei davon. Warum empfiehlt der Prophet Muhammad jedem Muslim, wenigstens einmal in seinem Leben nach Mekka zu pilgern? Warum soll er gerade dort
nach einem bestimmten Ritus verweilen -.teilweise auch außerhalb Mekkas -, um nach seinem Tod in den siebten Himmel einzugehen? Für den westlich erzogenen Christen ist Mekka unerreichbar und von seinen vordergründigen Interessen ebenso weit entfernt wie von seiner Vorstellung eines Lebens nach dem Tod. Er wird solchen Fragen nicht auf den Grund gehen. Dem Muslim dagegen sind solche Fragen nicht erlaubt, denn er hat die Gebote des Propheten zu erfüllen, aber darf sie nicht hinterfragen. Das Phänomen, dass man im weiteren Umkreis von Mekka und Medina zur Erleuchtung kommt, kann derzeit einzig durch Gase, die aus der Erde austreten, erklärt werden. Schon in Griechenland bereiteten sich die Seherinnen in den Orakelstätten auf ihre Visionen vor, indem sie Dämpfe einatmeten, die aus der Erde aufstiegen. Offenbar werden die Sinne dadurch angeregt. Seine Arbeit mit Zirkel und Lineal, so berichtete mir Ali, ging über Jahre weiter. Er hatte wie beschrieben ein Gitternetz über ganz Arabien gelegt, wobei die Strecke Kairo-Mekka die Grundlinie bildete. Parallel zog er weitere Linien durch alle ihm bekannten mysteriösen Orte. Der dritte Punkt in dem heiligen Dreieck war neben dem Tal der Patriarchen und Medina nun Büraydah (siehe Abbildung 15, S. 144). Die heilige Stadt Büraydah
Büraydah gilt als heiliger Ort des Islam, in dem »Wissen im Sinne Allahs« gepflegt und gelehrt wird. Um beurteilen zu können, ob Büraydah ihm bei seiner Arbeit weiterhelfen würde, reiste Ali
Anfang der neunziger Jahre dorthin. Es war die Zeit der Besetzung Kuwaits durch Truppen des Irak, was für ihn ohnehin eine Zwangspause bedeutete. Bei diesem Besuch der heiligen Stadt Büraydah hörte er auch das Märchen von dem Garten und der goldenen Kugel, das uns beiden so bedeutungsvoll erschien. Während alle Welt Mekka kennt und weiß, dass nur Gläubige dort geduldet werden, nimmt kaum jemand Notiz von Büraydah und der dortigen Verbotszone. Auch hier gibt es Bezirke, in denen Ausländer, ja selbst Muslime unerwünscht sind. Ali reiste im Gefolge eines Emirs, mit dem er »sehr gut bekannt« war, wie man der Landessitte entsprechend sagt, um den Ausdruck »befreundet« zu vermeiden. Solange er, wie es sich für jemanden im Tross eines reisenden Emirs ohnehin ziemte, schweigsam war, erkannte niemand in ihm den Ausländer. Damals registrierte Ali sofort, dass Eingeweihte in Büraydah vom »verlorenen Paradies« wussten. Doch die Gesetze des Islam verboten ihnen, die Lehre des Propheten in Frage zu stellen und die betreffenden Plätze aufzusuchen, zumal dann, wenn diese unter der Erde lagen. Eines wurde Ali jedoch damals klar: Die Überreste des biblischen Paradieses mussten genau dort zu finden sein. Statt vom Paradies sprachen die Schriftgelehrten in Büraydah in Anwesenheit des Emirs über Dinge, die sie selbst und ihre hehrer nie mit eigenen Augen gesehen hatten. Ali schilderte mir diese Zeit in Büraydah als ein nicht enden wollendes Herumsitzen,
blumenreiches Palavern und gegenseitiges Belauern. In Anwesenheit des Emirs durfte sich Ali sowieso nicht an den Gesprächen beteiligen, was diesem quicklebendigen, unternehmungslustigen Menschen sehr schwer fiel. Er hatte offiziell den Rang eines »Teaboy«, was nach unseren Begriffen etwa dem eines Kammerherrn im Mittelalter entspricht. Später, wenn sich die Runde aufgelöst hatte, konnte Ali mit dem Emir in dessen Räumen einige Worte wechseln und seine Fragen stellen, damit der Emir sie am nächsten Tag in das Gespräch einbringen konnte. Zwischendurch erfolgten einige Ausfahrten mit dem Jeep und diverse Ausritte. Unter anderem besuchten sie eine Steinwüste, in der Allah »die Riesen ge- und zerschlagen« haben soll. Dort lagen unförmige Trümmer riesiger Skulpturen umher. »Wie groß muss eine Statue gewesen sein«, fragte mich Ali, »wenn der Überrest eines Fingerglieds des Mittelfingers bereits vier Meter lang war?« Die kleine Karawane, die den Ausritt machte, ritt an den Fragmenten hochmütig vorbei und bespuckte symbolisch diese Überbleibsel der Gottlosen, die hier einst gelebt hatten. Für die nun hier lebenden Moslems waren diese Trümmer eher unangenehme Relikte einer frevlerischen Zeit, »die man am liebsten in die Luft sprengen würde«. Ali musste einsehen, dass es wenig Sinn hatte, hier eines Tages aufzutauchen und eben das zu tun, was den Hiesigen verboten war: zu suchen und zu graben. Aufgrund der Nähe Büraydahs gab es eine Vielzahl kleiner »wilder« Siedlungen mit Pfaden, Wegen und Pisten. Außerdem gab es dort noch die staatlichen Autostraßen, die sich wie ein Netz um Büraydah gelegt hatten. Ali benötigte zwischen seinen Grabungsplätzen und der nächsten arabischen Siedlung eine Distanz von mindestens sechs Tagesritten mit dem Kamel. Das müssen nicht unbedingt die erwähnten 50 Kilometer pro Tag sein, die ein trainiertes Wüstenkamel zurücklegen kann, vielmehr kommt es auf die Schwierigkeiten des Geländes an. In der Gegend um Büraydah aber konnte man mühelos 150 Kilometer mit dem Auto und 60 Kilometer mit dem Kamel in jede Richtung reisen. Daher hätte Ali dort nicht ungestört arbeiten können. So blieb er auf die Überlieferungen und Märchen angewiesen, die er in Begleitung des Emirs zu hören bekam. Der Ort selbst ist eine Stadt der islamischen Gelehrten. Die Traditionen sind einzig auf den islamischen Weg zu Gott ausgerichtet. An weltlichen Wissenschaften ist man nicht interessiert. Und Archäologie, die Entweihung von Grabstätten, ist im streng islamischen Saudi-Arabien ohnehin verboten. Trotzdem gab es auch in Büraydah Eingeweihte, die mehr wussten, aber schwiegen. Alis Rolle als Teaboy erlaubte ihm ohnehin nicht, mit diesen Eingeweihten in Kontakt zu treten. So ging die Reise zu Ende, und er kehrte über Riad nach Amman zurück. In Akaba machte er mir gegenüber eine Bemerkung, dass man wohl etwa dreißig bis fünfzig Kilometer nordwestlich von Büraydah auf die »eigentliche Stelle« stoßen werde, die er mit Zirkel und Lineal als Eckpunkt des Heiligen Dreiecks ermittelt hatte. Damit verblieb nur noch eine Region, die auffälligerweise in der relativen Nähe zu einem Lavafeld liegt. Die Umgebung von Ha'il. Dort waren auch die Voraussetzungen für Alis Arbeit etwas besser. Und dort wurde Ali schließlich fündig. Ob er jedoch wirklich das Zentrum des biblischen Paradieses gefunden hat, konnte - oder wollte - er bis zuletzt nicht sagen.
Die geheimnisvolle Zeichnung Ali kramte in seinen Unterlagen die Kopie der Skizze heraus, die er damals von dem alten Pergamentstück kopiert hatte (siehe Seite 140). »Passt diese Skizze nicht«, fragte er, »ganz genau zur Beschreibung des Gartens in dem Märchen, das ich in Büraydah gehört habe?« Und dann legte er los: »Die vier Schlüssel, die die Töchter erhielten, wären demnach die Pyramide in Ägypten, der Würfel in Mekka, der Kegel oder Turm in Aleppo oder Babel und ein unbekanntes viertes Monument in der rechten unteren Ecke. Dem Vater gehörte einst die Kugel in der Mitte. Die beiden Söhne brachten die eine Hälfte nach Jerusalem, wo sie zum Becken im Tempel Salomons wurde, und die andere an einen unbekannten Ort, eventuell in den Jemen. All das zusammengenommen«, schloss Ali, »war die Beschreibung der Markierungen des Paradieses.« Viele mochten schon nach dem Zentrum des Paradieses gesucht haben, sagte er dann, aber wahrscheinlich sei vor ihm in jüngerer Zeit niemand dem Ziel so nahe gewesen wie Professor Alois Musil, der katholische Priester aus Prag. Seine Reiserouten ließen die wahre Absicht oder seinen Auftrag deutlich erkennen. »Ob er im Auftrag des Wiener Institutes für Orientalistik reiste oder ob der Vatikan ein vages Interesse an der Klärung dieser Frage hatte, bleibe dahingestellt.« »Du meinst also, dass auch Musil das Heilige Dreieck kannte?« fragte ich. »Ganz bestimmt«, erwiderte Ali. »Sieh es dir nur an: Musil hält sich in Aleppo auf - bei dem Turm oder Kegel, wie man ihn auf einem Gemälde mit Dante sieht, demnach in der linken oberen Ecke der Skizze. Dann bereist er Mesopotamien. Also eine weitere Reise im Zeichen eines Turmes, des Turms von Babel. Von Damaskus aus versucht er auf einer anderen Reise in das Innere Arabiens vorzustoßen - zum Zentrum des Paradieses, was der Kugel auf der Skizze entspricht. Dann wendet sich Musil dem nördlichen Hijaz zu, wo er bis auf 65 Kilometer an die Täler der Propheten und Patriarchen herankommt! Ich als Kenner der Materie«, sagte Ali, »versichere dir, das war ein systematisches Vorgehen, wie ich es auch geplant hätte, wenn ich über Istanbul und Damaskus nach dem Paradies gesucht hätte.« Dann kam er auf jenen Dr. Seetzen zu sprechen, den ich weiter oben (siehe Seite 52) schon erwähnt habe. »Seetzen wählte hundert Jahre früher eine ganz ähnliche Reiseroute: über Aleppo, Jerusalem, Kairo, Medina/Mekka und den Jemen. Also zum Kegel, zur Halbkugel, dann zu Pyramide, Würfel und zur zweiten Halbkugel. Beide scheinen genau gewusst zu haben, was es an diesen Orten zu ergründen gab. Und die Beduinen, die Musil am Ende seiner Reise in das Herzstück des Paradieses überfielen und ausraubten, taten es nicht wegen der Wertgegenstände, sondern wegen seiner kartographischen Aufzeichnungen. Die Beduinen übten ihr Wächteramt aus. Was Dr. Seetzen betrifft«, schloss Ali mit ernster Miene, »der hatte sich in Mekka wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt. Meiner Ansicht nach befand auch er sich auf dem Weg zum Zentrum des biblischen Paradieses, als er vergiftet wurde. Oder sollen wir es als Zufall betrachten, dass er, seine Ausrüstung und seine Aufzeichnungen seither verschollen sind?«
Die vier Ecken der Welt Was könnte für die Hypothese sprechen, nach der die vier Ecken des einstigen Paradieses mit auffälligen Körpern markiert wurden? Also mit Kugel, Würfel und Zylinder, die uns heute als platonische Körper bekannt sind? In weltanschaulichen Überlieferungen wird von einer Stadt Gottes berichtet. An den vier Ecken befinden sich Türme und jeweils in der Mitte zwischen zwei Türmen ein Tor. Ob es sich nun um Nachbauten im großen Stil handelt, wie einst von Diokletian um 300 n. Chr. in der heutigen Stadt Split in Kroatien, oder um Forts in der jordanischen Wüste - sie alle könnten einem uralten Vorbild entsprechen. Vielleicht ist es das gewaltige Ausmaß dieses Paradieses, das von der Antike bis heute den Blick für diese Möglichkeit trübte. Immerhin handelt es sich um ein Gebiet, das sich über viele tausend Quadratmeilen erstreckt und Teile Ägyptens, ganz Arabien und Teile des mesopotamischen Gebietes umfasste. Ich möchte hier nicht apodiktisch behaupten, dass dieses ganze Gebiet in vorgeschichtlicher Zeit als »Garten Eden« bezeichnet wurde. Über diese Möglichkeit nachzudenken lohnt sich aber auf jeden Fall. Schauen wir uns also die Ecken des Paradieses im Einzelnen an. Würfel: die Kaaba von Mekka Unübersehbar für denjenigen, der den möglichen Zusammenhang zu erkennen beginnt, markiert ein Kubus die südwestliche Ecke des Gebietes, das ich als Land des einstigen Paradieses ansehe. Der Überlieferung nach hat der Patriarch Abraham zusammen mit seinem Sohn Ismael dieses Bauwerk errichtet. Möglicherweise haben aber Abraham und sein Sohn Ismael nur ein bereits bestehendes Bauwerk mit ihren Mitteln restauriert. Der markante Punkt könnte schon vor ihrer Zeit bekannt gewesen sein. Diese Feststellung sollte man nicht als Angriff auf Abraham oder den Propheten Muhammad sehen. Es sollte nur ein Hinweis sein, dass der Prophet des Islam genau wie Abraham gute Gründe hatte, entweder diesen Ort oder das Gebilde an diesem Ort zu markieren. Muhammad bestimmte den Ort sogar zum Mittelpunkt für die Versammlung im Geiste: Bis heute beten alle muslimischen Gläubigen in Richtung Mekka. Die Kaaba, das kubische Gotteshaus in Mekka, hat folgende Abmessungen: eine Höhe von etwa 15 Metern, eine Grundfläche von zirka 10 mal 12 Metern. Wer heute eine Übertragung des Gebets während des Ramadan aus dieser Moschee am Fernsehen mitverfolgt, sieht nicht mehr die ursprüngliche Anlage. Um möglichst vielen Gläubigen gleichzeitig die Möglichkeit zum Gebet zu geben, hat man eine gewaltige, über mehrere Stockwerke verteilte Versammlungsfläche errichtet. Auf alten Darstellungen ist aber noch zu sehen, dass das ursprüngliche Prinzip an die Anlage in Ägypten erinnert, in deren Mittelpunkt die Stufenpyramide von Sakkara des Pharao Djoser stand. In Ägypten war eine Pyramide von einem rechteckigen Hof umgeben. In Mekka ist es ein Kubus, der ursprünglich von einem rechteckigen Hof begrenzt wurde. Eine solche Anlage, also der Mittelpunkt und die Umzäunung zusammen, wurde als Haus bezeichnet. Der Name Pharao wird unter anderem mit »Herr des Großen Hauses« oder »Vater des Hauses« übersetzt. Es ist sicher kein Zufall, dass auch die Kaaba unter anderem als Bait Allah (Haus Gottes) oder Bait al-haram (geheiligtes Haus) bezeichnet wird.
Noch einen Bezug zu Ägypten gab es bis in das 20. Jahrhundert hinein. Die Kaaba ist mit einem Behang aus schwarzem Brokat oder schwarzer Seide bedeckt. Stickereien mit Gold- und Silberfäden zitieren Koranverse. Seit den Mameluken im 13. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung hatte Ägypten das Privileg, den Behang der Kaaba jährlich zu erneuern. So ergibt sich eine Verbindung von Ägypten nach Mekka und zurück. Ist das wirklich nur Zufall? Oder wollten Eingeweihte der damaligen Zeit einen Hinweis geben? Mit der erwähnten Tradition wurde erst im Jahr 1924 gebrochen, aus politischen Gründen im Zusammenhang mit der nationalen Souveränität Saudi-Arabiens. In Ägypten erfahren heute die Pyramiden keinen besonderen Schutz durch staatliche oder religiöse Führer, und der heilige Ort Heliopolis wurde schon vor zweitausend Jahren dem Erdboden gleichgemacht. Dagegen wird der Ort, an dem die Kaaba steht, in höchsten Ehren gehalten. Die Ehre, Hüter der heiligen Stätten zu sein, fiel an die Wahhabitische Dynastie der Banü Sa'üd, die im Westen heute als Saudis bezeichnet werden. Das Bauwerk, zu dem ein Nichtmuslim keinen Zutritt hat, ist aus gräulichem oder graublauem Stein aus der Umgebung von Mekka errichtet worden. Zwei Meter oberhalb des Bodens befindet sich der schwarze Stein, den jeder Pilger während seiner Pilgerreise zu küssen hat. Ursprünglich soll der Stein ein weißer Hyazinth gewesen sein, der sich durch die Sünden der Menschen langsam schwarz verfärbt hat. Der Stein selbst ist mit einer ovalen Einfassung versehen, der auf das ursprüngliche Ritual - aus welcher Zeit auch immer stammend - verweist. Die Kaaba wird übrigens als »weiblich« angesehen. Eingeweihte sagten mir, dass man mit ihrer Hilfe der Mütterlichkeit huldigt, der Quelle allen Lebens. Aber da ist noch etwas, das für das Thema dieses Buches von großer Bedeutung ist. Es befindet sich im Inneren der Kaaba. Hierzu schreibt Ibn Battütta (1304-1377 n. Chr.): Der erlauchten Kaaba Inneres ist mit Marmor in den Farben Weiß, Blau und Rot ausgelegt. Die Wände sind mit Marmor verkleidet. Sie besitzt drei sehr hohe Säulen aus Teakholz, die im Abstand von vier Schritten voneinander stehen. Sie sind in der Mitte des Raums, der das Innere der erlauchten Kaaba bildet. Die mittlere Säule liegt gegenüber der Mitte der Seiten zwischen den beiden Ecken, die in Richtung Irak (Jemen) und Syrien zeigen. Das Erstaunliche für denjenigen, der nach den Ecken des Paradieses Ausschau hält, ist die Richtungsangabe. Welchen Sinn die Innenausstattung der Kaaba einst auch gehabt haben mag, wir haben in diesem rund siebenhundert Jahre alten Reisebericht genau das gefunden, was wir brauchen, um eine weitere Linie zu ziehen, diesmal von Mekka aus: Es ist die Diagonale, die durch das verwüstete Paradies geradewegs auf das Gegenstück des ovalen, weiblichen Symbols der Kaaba weist, auf den Zylinder. Dies entspricht der Anordnung auf der Zeichnung (siehe Abbildung 13, S.140).
Zylinder 1: der Turm von Aleppo Wenn wir die Kaaba/Mekka als »weibliche« Komponente ansehen, liegt es natürlich nahe, Zylinder oder Türme als ihr Gegenstück aufzufassen, als männliche Komponente. Das ist allerdings keine Vorbedingung, um die einzelnen Ecken des Paradieses zu identifizieren. Von allen Orten, die als Eckpunkte des Paradieses angesehen werden können, gehört Aleppo zu den am wenigsten bekannten. Diesen Platz scheinen die Altvorderen bewusst unkenntlich gemacht zu haben, oder er wurde etwa durch Naturereignisse für immer verschlossen. Nichts weist heute in Aleppo darauf hin, dass hier vor fünftausend Jahren ein auffälliges Monument gestanden haben könnte, das als Markierung für das Areal des Paradieses gedient hat. Unter den Gästen im Hotel der Außenseiter-Archäologen in Akaba befand sich auch ein Syrer. Er brachte mir auf meine Bitte hin einige Unterlagen mit, die er im Basar einer kleinen Stadt nördlich von Damaskus besorgt hatte. Wir beide diskutierten nächtelang, als ich wieder einmal auf Ali wartete, wie und aufgrund welcher Merkmale sich zumindest ein Ansatz für die weitere Suche nach einem Monument ergeben könnte. Ich konnte die Zurückhaltung des Syrers verstehen. Er wollte weder Christen noch Juden auf Dinge aufmerksam machen, aus denen sie Rechte ableiten würden, im heutigen Syrien eine christliche oder jüdische Enklave zu errichten. Man muss auch diese Sichtweise akzeptieren. Der Schock der Staatsgründung Israels in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts und die Methoden, die dabei angewendet wurden, stecken den meisten Intellektuellen des Vorderen Orients noch in den Knochen. Ihre Vernunft hat bei ihnen zu einer Haltung geführt, die ich als eine Art arabischer Koexistenz bezeichnen möchte: Man redet über Tatsachen, die durch Gewalt geschaffen wurden, erst dann, wenn ein Zeichen Allahs allen deutlich macht, dass nun gehandelt werden soll. Dieses Warten auf ein Zeichen Allahs ist so typisch für den gesamten muslimischen Raum, dass man damit vieles erklären kann. Dass politische Gruppen Allah zuweilen helfen, ein Zeichen zu setzen, sieht man allerdings auch, wenn man die Augen offen hält. Wenn sich Syrien von der westlichen Welt abgeschottet hat, dann hat das Gründe, die von Eingeweihten hinreichend in Büchern beschrieben wurden. Aber sie alle beachten ein Tabu, nämlich die jüdische und christliche Geschichte dieses Landes nach Möglichkeit nicht zu erwähnen. Nach Meinung des Syrers wurden bisher alle Bewegungen der Christen, Kopten und Juden, die sich in Syrien formierten, stillschweigend wieder eliminiert. Man nannte das Kind nie beim Namen, sondern führte als Anlass für das Durchgreifen der Regierung stets politische Unruhen oder Rebellion der eigenen Muslimbrüder an. Es geht in diesem Buch nicht darum, innenpolitische Angelegenheiten Syriens zu erörtern, obwohl ich nächtelang mit dem Syrer über diese diskutierte. Es geht mir darum, dass uns im Westen heute kaum mehr bewusst ist, dass der ganze Landstrich Syriens am Mittelmeer entlang von jüdischen Flüchtlingen bewohnt war, und zwar schon lange vor Alexander dem Großen. Als 70 n. Chr. der Tempel in Jerusalem durch die Römer zerstört wurde, wandte sich ein Teil der jüdischen Gläubigen in Richtung Ägypten, also nach Alexandrien. Das kann man nachvollziehen. Der andere Teil aber, und sogar die Mehrheit, wandte sich in Richtung Antiochien. Warum?
Anscheinend bot das Gebiet, das heute zu Syrien gehört, genügend Platz und fruchtbare Erde. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass es dort auch eine Art Ersatzheiligtum gab, um das sich Juden und jüdische Christen scharten, nachdem sie aus ihrem Hauptheiligtum vertrieben worden waren. Warum aber gingen sie nicht nach Mekka? Schließlich gab es dort zu der damaligen Zeit noch keine Moscheen, denn der Islam war noch nicht gegründet. Vater Abraham hatte dort aber, der Überlieferung nach, ein Bauwerk errichtet - eben die Kaaba. Genau genommen wäre man dort vor dem Zugriff Roms relativ sicher gewesen, denn von Mekka aus war und ist Rom weit entfernt. Es gibt eine Hypothese, wonach der innere Zirkel der Vertriebenen tatsächlich in Richtung des heutigen Mekka ausgewichen ist und den geringeren Glaubensbrüdern Alexandrien und Aleppo überließ. Hierfür lassen sich gute Gründe finden, denn die weitere Region war damals schon sehr kärglich, so dass dort größere Flüchtlingsströme auf Dauer keine ausreichenden Lebensgrundlagen gefunden hätten. Aleppo und seine Umgebung, insbesondere zum Mittelmeer hin, waren dagegen noch sehr fruchtbar. Eines Tages werden auch im heutigen Syrien die Touristenströme wieder fließen, und viele Besucher werden sich davon überzeugen können, dass dort mehr gut erhaltene, aber verschüttete Ruinen und Überreste des Christentums zu sehen sind als in Rom! Erinnert sei auch an die Kreuzritter-Festungen, die den Landweg nach Jerusalem sichern sollten. Was hat Aleppo heute noch Besonderes zu bieten? Wenn man nicht weiß, wonach man sucht, eigentlich gar nichts. Auf den zweiten Blick aber könnte die heutige Zitadelle auf dem Sockel, also dem Überrest des gesuchten Turms errichtet worden sein. Das Plateau des Tafelbergs erstreckt sich über 150 mal 250 Meter und beträgt am Fuß der natürlichen Böschung 200 mal 300 Meter. Es handelt sich hierbei um einen Felsen, der sich sehr impo-
Abbildung 16.• Steht die Zitadelle von Aleppo auf den Überresten des Turmes?
sant erhebt. In den vergangenen zwei Jahrtausenden wurde dieser Sockel in erster Linie als Schutzburg für die Mächtigen und als militärische Einrichtung gesehen. Er präsentiert sich heute als Zitadelle mit zwei Moscheen und einem Palast. Geschichtlich lässt sich zurückverfolgen, dass noch vor den Hethitern die Amoriter diesen Berg für religiöse Kulte benutzten. Zwei aus Basalt gehauene Löwen aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. belegen dies. Im Zuge der Befestigung baute man ab 1211 einen Zugang zum Plateau, eine mächtige Brückenanlage. Doch schon der Sockel allein macht Eindruck. Stellt man sich vor, dass auf diesem
Felsen nochmals ein (vermutlich ovaler) Turm von 150 Metern Höhe errichtet wurde, dann übertrifft der optische Eindruck den Effekt der Pyramiden in Ägypten um ein Vielfaches. Nur: Die Pyramiden stehen heute noch, von einem Turm in Aleppo ist dagegen nichts mehr zu sehen. Dennoch lässt der Berg von Aleppo noch heute erkennen, dass er durchaus als Basis für ein gewaltiges Bauwerk gedient haben konnte. Ein Kegel oder Zylinder von mindestens der doppelten Höhe der Kaaba in Mekka wäre hier möglich gewesen und hätte dem Berg ein monumentales Aussehen verliehen. Werfen Sie bitte auch einen Blick auf die Abbildung 17. Auf diesem Gemälde sind Dante und der Turm von Babel zu sehen. Es ist weniger ein Turm im herkömmlichen Sinn, das Bauwerk wirkt auf den heutigen Betrachter mehr wie ein Hochhaus. Genau ein solches Bauwerk hätte man auf dem Hang über Aleppo errichten können, um dann auf dem Plateau weiter nach oben zu bauen. So wäre der optische Eindruck eines Turms entstanden. Dantes Familie übrigens stellte seinerzeit Kreuzritter. Hatte einer seiner Vorfahren Informationen aus dem Morgenland mitgebracht, über die man außerhalb der Familie nicht sprechen durfte, um die Inquisition nicht auf den Plan zu rufen? Wollte Dante aber mit diesem Gemälde für die Nachwelt ein Zeichen setzen? Wir wissen es nicht.
Abbildung 17.• Dante und der Turm von Babel. Der Turmbau zu Babel jedenfalls war für die Christen des Mittelalters eher ein Symbol des Bruches mit Gott als ein Zeichen der Versöhnung mit dem Schöpfer. Kurzum, alles, was mit dem Turmbau zu Babel zusammenhing, war damals mit dem Makel der Sünde behaftet und tabu. Für unsere Überlegung, ob wir es hier mit einer der Ecken des Paradieses zu tun haben, ist es nützlich, uns die Situation mit den Pyramiden, also die nordwestliche Ecke, vor Augen zu halten. Dort wurden über einen ganzen Landstrich, am Nil entlang, nicht nur eine, sondern zahlreiche Pyramiden gebaut. Hier in der nordöstlichen Ecke des Paradieses muss in der Folgezeit eine Vielzahl von Türmen entstanden sein. Es sieht so aus, als ob das erste, monumentale Bauwerk vielfach kopiert wurde.
Zylinder II: der Turm von Babel Im alten Bab-ilu, der »Pforte des Herrn«, stand ein Turm. Nichts ist Zufall, auch der Name eines Ortes nicht - und vor allem dann nicht, wenn dieser Ort, wie ich vermute, eine der vier Ecken des Paradieses gebildet haben könnte. Zu der Zeit, als ich mich 1996 in Akaba aufhielt, sprachen die dort anwesenden EdenArchäologen immer von zwei Türmen, so genannten Zwillingstürmen. Einer der Anwesenden, der ein sehr kritisches Verhältnis zu seinem Heimatland USA hatte, verglich die Zwillingshochhäuser des World Trade Centre mit diesen Zwillingstürmen des antiken Babylon. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass er von Babylon sprach, wenn er New York meinte. Bei der Durchsicht der Liste berühmter Personen, die in das antike Babylon gereist waren, erstaunt es nicht, Herodot zu finden, der ja bekanntlich mehrmals auch in Ägypten weilte. Herodot wird von vielen Forschern der Neuzeit beneidet. Nichts ist uns geblieben von dem historischen Babylon mit seinen Gärten, Kanälen und seiner Pracht. Öde, Wüste, nachts durchdrungen vom Geheul der Schakale, so beschrieben es Forscher schon um die Jahrhundertwende, nachdem Robert Koldewey um 1900 den Turm von Babel ausgrub. Zwischen Ägypten und Babylon gibt es eine interessante Übereinstimmung. Das altägyptische Weset oder Nut, das in der Bibel No heißt, wurde vom Griechen Homer als das tausendtorige Theben bezeichnet. Ähnlich wird auch Babylon als hunderttorige Stadt mit einer Doppelmauer beschrieben. Innerhalb des Vierecks, in dem das Paradies durch auffällige Bauwerke markiert wurde, gab es auf jeder Seite ein Tor oder einen Zugang. Demnach war das Babylon gegenüberliegende Tor - Theben in Ägypten! Wenn das antike Babylon beschrieben wird, ist stets auch von prachtvollen Tempeln voll goldener Bildsäulen, gewaltiger Wandreliefs, von gepflegten Häusern mit bis zu vier Dächern, von Gärten und Schatten spendenden Palmenhainen die Rede. Außerdem gab es dort der Überlieferung nach den »Nabel der Welt«. Er wurde auch der Hochtempel Etemenanki genannt, die Zikkurat von Babylon, von den Bewohnern bezeichnet als »Haus, das die Fundamente des Himmels und der Erde trägt«. Schon der Turm, den Herodot vor unserer Zeitrechnung sah, war längst nicht mehr jenes Bauwerk, dessen Spitze bis an den Himmel reichte und das die Phantasie der Christen so nachdrücklich über zweitausend Jahre beschäftigt hat. Der Turm wurde in der Vergangenheit gern als Argument gegen alles Neue, den Fortschritt, Erfindungen und neue Ideen angeführt. Die Bewahrer unter den Christen malten das Schicksal der Gotteslästerer von Babel in allen nur denkbaren Versionen aus. Aber nirgends steht, dass ich, wenn ich etwas bewahre, auch wirklich die Wahrheit bewahre. Es könnten auch eine Fälschung oder ein Irrtum sein, um nur diese beiden Möglichkeiten zu nennen. Herodot sah einen Nachbau des Turms, entweder an derselben Stelle errichtet, wo der alte, sagenumwobene Turm gestanden hat, oder sogar nur einen Nachbau des Nachbaus, der einfach in die Hauptstadt verlegt wurde, um so diese Stätte als zentralen Ort des Kultes zusätzlich hervorzuheben. Ob nun Pyramide, Zylinder, Kegel, die prächtigsten Tempel in der Kapitale eines Reiches wurden errichtet, um dem Volk zu beweisen, dass der Souverän mit dem Gott, den das Volk verehrte, in enger Verbindung stand. Bei dem Turm dagegen, den wir als Markierung einer Ecke des einstigen Paradieses suchen, muss es sich nicht unbedingt um einen Turm handeln, der in unmittelbarer Nähe
des Mittelpunktes eines solchen Reiches steht. Auch die Pyramide beispielsweise, die als Markierung in Ägypten zu suchen ist, hat mit Sicherheit nicht im Mittelpunkt des alten Ägypten gestanden. Herodot, der irgendwann um 500 v. Chr. Babylon und sein Umland besuchte, sah dort die Überreste eines Bauwerkes, das zu diesem Zeitpunkt 350 Jahre alt gewesen wäre. Der gesuchte Turm müsste aber so alt wie die Cheops- oder ChephrenPyramide sein, also mindestens zweitausend Jahre älter. Ägyptenreisenden ist bekannt, dass es dort eine Vielzahl von Versuchen gegeben hat, die großen Pyramiden nachzubauen. Die kläglichen Überreste sind besonders in der Umgebung von Sakkara als Schutthaufen zu besichtigen. Man geht nach wie vor von der Annahme aus, dass besagter Turm, den Herodot sah, auf den Fundamenten früherer Rundbauten der Zikkurat stand. Die ersten dieser Bauart werden bis in die Zeit der Sumerer datiert. Damit kommen wir in eine Zeitperiode, in der in Ägypten die Pyramiden entstanden. Die Sumerer bauten ihre »Gottesberge«, wie sie ihre Türme nannten, wie die Ägypter ihre Pyramiden vor fünftausend Jahren auch. Irgendwo dort jedenfalls, wenn auch nicht gerade da, wo sich Herodot aufhielt, stand auf der Linie zwischen dem heutigen Aleppo und Babel ein Turm oder Zylinder an der nordöstlichen Ecke des Paradieses. Warum der große Eckturm des einstigen Paradieses heute nicht mehr steht, möchte ich mit einer Geschichte erklären, die ich von dem Syrer zu hören bekam. »In der orientalischen Phantasie«, erklärte er mir, »waren die Monumente von Babylon Türme des Hochmuts und der Eitelkeit seiner Erbauer. Zumindest in den Augen derjenigen, die zu solchen bautechnischen Höchstleistungen nicht fähig waren. Umso mehr Versionen ranken sich um den Fall oder die Zerstörung des Turms und seiner Erbauer. In den Herzen der Menschen wohnen von Anfang an, einer alten Mär der Wüste zufolge, zwei Brüder. Der eine Bruder sagt: >Ich muss bauen.< Der andere Bruder: >Ich muss zerstören.< Ob diese Brüder die Vorbilder der Geschichte um Kain und Abel bei den jüdischen Stämmen der Wüste waren, ist nicht nachzuweisen. Auf jeden Fall geht es hier um Hochmut und Neid. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diejenigen, die den wahren Turm nicht erbaut hatten, ihn aus Neid zu zerstören versuchten, um niemals daran erinnert zu werden, dass sie geringer waren als diejenigen, deren Land sie soeben erobert hatten. Sie taten alles, um die Erbauer in Zukunft zu verunglimpfen. Was ihnen ja gelungen ist.« So weit mein syrischer Gewährsmann. Warum konnte der Turm zerstört werden? Innen sind unsere heutigen Hochhaustürme hohl, weil sie Büroräume oder Wohnungen enthalten müssen. Entsprechend ist der Druck auf den Untergrund deutlich geringer, als wenn sie ganz aus Stein wären. Der Druck auf jeden Quadratzentimeter Grundfläche, wie er beim Auftürmen eines weitestgehend massiven Turms von, sagen wir, 145 Meter Höhe auftreten würde, wäre fast doppelt so hoch wie der Druck bei den von den alten Ägyptern realisierten Pyramiden, deren Spitzen gleichfalls bis zu 145 Meter in den Himmel ragen. Allein dieser Umstand dürfte die Erbauer der Gottestürme im Raum Aleppo bis Babylon und der weiteren Umgebung gezwungen haben, Türme mit verhältnismäßig vielen Hohlräumen zu erbauen. Diese wiederum waren der Hohlräume wegen leichter zu zerstören, zum Einsturz zu bringen und abzutragen als die Steinkolosse in Ägypten.
Neben der Muskelkraft der Menschen war auch eine geistige Höchstleistung erforderlich, um solche Bauwerke zu errichten. Welche menschlichen Leistungen des Geistes aber stammen aus dieser Region? Damit landen wir wieder bei den Sumerern, denn dieses Kulturvolk: • • • • •
besaß eine Keilschrift, betrieb Astronomie, legte die Grundlage der Mathematik, verfügte über eine Technik des Ziegelbaus und besaß eine Gesetzgebung zur Führung eines Volkes.
Es liegt nahe zu vermuten, dass die Sumerer all dies gar nicht selbst erfunden haben, sondern von ihren Vorfahren vermittelt bekamen, die noch im einstigen Paradies lebten. Wir haben keinen Grund, die Berichte um den Turmbau zu Babel, so wie sie im Alten Testament stehen, anzuzweifeln. Man sollte sie heute jedoch noch um einige jüdische Texte ergänzen. Die im Westen vorherrschende christliche Weltanschauung bedingt, dass noch immer nur das als Wahrheit gilt, was von den damaligen jüdischen Stämmen überliefert ist. Diesem Dogma beugt sich selbst der Entdecker Sumers, Sir Leonard Woolley, wenn er ausführt, dass alle materielle und geistige Kultur des Abendlandes von den Völkern des Zweistromlandes ausgegangen sei. (Sir Woolley gehörte nach der in diesem Buch getroffenen Unterteilung zu den »guten Archäologen« - siehe Seite 32.) Man mag versucht sein, ihm zugute zu halten, dass er es zu seiner Zeit nicht besser wusste. Mir dagegen ist durch Mitteilungen seitens der »bösen Archäologen« bekannt, dass er sich einer britischen Weisung hatte beugen müssen. Noch einmal zurück zum Turm von Babel: Herodot konnte nur berichten, was er sah und was ihm selbst berichtet wurde. Demnach war der sagenumwobene Turm zu Babel an seinem Sockel, umgerechnet in heutige Maße, etwa 90 Meter breit. 2r x 3,14 = 282,6 Meter - somit betrug der Umfang des Turms an seiner Basis um die 300 Meter. Aus Gründen der Statik war er verschachtelt gebaut: Herodot beschreibt, dass das Bauwerk aus sieben auf- und ineinander geschachtelten Türmen bestand. Um den ganzen Turm herum verlief eine Treppe, auf der man den Turm bestieg. Auf halbem Weg soll es Ruhebänke gegeben haben. Ein Besucher von heute sieht jedoch keinen imposanten Turm mehr, so wenig wie Gärten, Brücken, Paläste. Die ganze Pracht ist zu Wüstenschutt und Sand geworden, der vom Wind Tag für Tag weiter verweht wird. Auch diese ersten Stätten der Auswanderer aus dem Paradies sind also, wie das Paradies selbst, durch die Veränderung des Klimas im Sinne des Wortes verwüstet worden.
Das unbekannte Vierte: Persischer Golf Die vierte Ecke des Paradieses ist wie einst Atlantis im Meer versunken. Konstruiert man sie aus den bekannten drei Punkten, dann liegt sie im Wasser des Persischen Golfs. An seinen Ufern suchen Archäologen nach einer alten Zivilisation, von der schon 4300 Jahre alte Gräber gefunden wurden. Leider liegt mir jedoch kein Material vor, das irgendwelche Rückschlüsse auf die einstige bauliche Beschaffenheit dieser vierten Ecke des Paradieses zulässt.
Das Geheimnis der vier Tore zum Paradies In manchen christlichen Überlieferungen wird, wie oben schon kurz erwähnt, eine »Stadt Gottes« beschrieben. Stets ist dort von Ecktürmen die Rede, ebenso von vier Toren, nach jeder Hirnmelsrichtung eines. Für den einen mag diese Übereinstimmung Zu fall sein, für mich ist es ein Punkt, über den die künftigen EdenArchäologen noch nachzudenken haben. Drei dieser Tore wären demnach bekannt: 1. Zwischen den durch Pyramide und Würfel gebildeten Ecken, also der Strecke Heliopolis-Mekka, liegt das gesuchte Tor im oder bei dem tausendtorigen Theben in Ägypten. Der Eingang liegt jedenfalls zwischen Kairo und Mekka. Wenn es nicht Theben in Ägypten war, könnte es auch in der Region mit den Gräbern der Patriarchen und Propheten gewesen sein. Dies passt auch zu der traditionellen Ansicht, dass im Osten (Sonnenaufgang) das Leben beginnt und im Westen (Sonnenuntergang) der Tod. Würde das Tor als solches erkannt, wäre es ein Heiligtum. 2. Zwischen den durch Pyramide und Zylinder (Turm) gebildeten Ecken, also auf der Strecke Heliopolis-Aleppo, ist Jerusalem das gesuchte Tor. Dort errichtete später Salomon einen Tempel, eingeweihte Muslime erstellten einen Kuppelbau. Eigentlich müsste es ein Heiligtum sein. 3. Zwischen den Ecken, die durch den Zylinder (Turm) und die unbekannte vierte Komponente im Persischen Golf gebildet werden, ist es Babylon oder ein Ort in der Region Assyriens. Diesem Eingang zum Paradies soll Gott selbst zwei Säulen errichtet haben. Wäre es nicht zerstört worden, müssten wir das Heiligtum kennen. 4. Zwischen den durch Mekka (Würfel) und den Persischen Golf gebildeten Ecken, irgendwo nördlich des Jemen, liegt die vierte, noch unbekannte Pforte zum Paradies. Sie wäre das Pendant zu Jerusalem. Würden wir diesen Ort kennen, wäre die Welt um ein Heiligtum des Wissens reicher.
Kugel: die symbolische Mitte des Paradieses Als letzten Punkt auf der Zeichnung müssen wir nun nur noch die Mitte des Paradieses identifizieren. Für sie wurde das Symbol der Vollkommenheit gewählt, die Kugel. In den Tälern der Patriarchen und Propheten hatte Ali bemerkenswerte Entdeckungen
gemacht, die ich in den voranstehenden Kapiteln geschildert habe. Im Zentrum des Paradieses aber scheint er nicht so weit gekommen zu sein. Bei unserem letzten persönlichen Kontakt sprach er ständig von zwiefachen Höhlen, die er mir mehrfach skizzierte, um mir Details zu erklären. Aber die »große Kuppel oder Kugel« fand er meines Wissens nicht. Bei den Grabungen vor Ort erlitt er bei einem schweren Unfall eine Querschnittsverletzung und weitere innere Verletzungen. Er verstarb noch auf der Rückreise durch die Wüste, auf das Kamel Viktoria gebunden, in hilflosem Zustand und sicher fast besinnungslos vor Schmerzen. Armer Ali. Aber er hatte einen solchen Tod vorausgesehen: als Opfer seiner Leidenschaft, seines archäologischen Fanatismus, dem sein ganzes Leben gewidmet war. Sein Unfall dürfte für Jahrzehnte jede Möglichkeit verschüttet haben, mehr über das Zentrum des Paradieses zu erfahren. Auffällig ist jedoch, dass die Zeichnungen aus der zwiefachen Höhle, die Ali in der Mitte des Paradieses entdeckt hatte, mit der Lage der Ecken und Eingänge übereinstimmen. Eine Erklärung hierfür gibt es bis heute nicht. Daran wird sich erst dann etwas ändern, wenn das Areal des zentralen Ortes im Paradies vollständig von Wüstensand und Geröll befreit worden ist.
War Abraham im Pantheon des Paradieses? Abraham kannte das Paradies seiner Ahnen höchstwahrscheinlich nicht aus eigener Anschauung, er wusste aber, wo es lag. Das mag manchen Gläubigen erschüttern, aber er erfuhr es in Zwiesprache mit Gott. Das wiederum mag manchen Ungläubigen aufhorchen lassen: Wie geschah das? Es war weit nach Mitternacht in unserem kleinen Hotel in Akaba. Die Abkühlung der Nachtstunden beflügelte den Geist der immer noch Tee trinkenden Gäste Alis. Es ging um »Abram, den Ausländer«, der in 1. Mose 14 in Zusammenhang mit dem König von Salem erwähnt wird. Erstaunlich, was der zusammengewürfelte Haufen von Außenseiter-Archäologen, deren Arbeitsgebiete in Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien und dem Jemen liegen, im Laufe einer kühlen Nacht so alles besprach. Worüber werden die wohl erst reden, wenn ich nicht dabei bin? fragte ich mich. Von Ali wusste ich, dass sich dann meist alles um Funde und Entdeckungen drehte, um die Frage etwa, in welcher Position oder innerhalb welchen erkennbaren Systems die Objekte gefunden worden waren. In meiner Anwesenheit jedoch waren es allgemeinere Themen, über die man unbekümmert sprach. Ali hatte die Runde informiert, dass ich mich um die Ecken und den Mittelpunkt des Paradieses bemühte, wie sie in der Bibel beschrieben werden. Sie versuchten also ihre Erkenntnisse, ihr Know-how auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet in das Gespräch einzubringen. Besonders ergiebig waren für mich die Beiträge eines etwa vierzig Jahre alten Syrers, der seit Jahren die Sitten in der Region südlich Mekkas und des Jemen erforschte. Er war dabei, wie ich von Ali wusste, sehr erfolgreich und hatte in alten Urkunden, die er in Medina gefunden hatte, Hinweise auf eine Zivilisation entdeckt, die mindestens 3500 v. Chr. existiert hat. Fundstücke aus dieser Zivilisation befinden sich bereits in einigen Privatsammlungen.
Bei unserem Gespräch ging es unter vielem anderem um die Tischsitten, also um die Rituale während des Essens in einem Beduinenzelt. Ich erfuhr, dass der Gast auch heute noch »ein Mund voll des Angebotenen isst«. Nun gilt die Speise, die dem Gast angeboten wird, seit alters her als etwas Besonderes. Der Beitrag des Syrers in dieser Diskussion lautete: »1. Mose 14-18 muss so gelesen werden, dass Abraham wie folgt geehrt wurde: >Und der König von Salem trug ein Mund voll des Angebotenen, Brot und Wein herbei und er ist Priester von El'Elyon.VerwandtenGroße MutterReform< genötigt waren.« Die Miene des Briten machte mir deutlich, dass er dieser Ansicht keineswegs zustimmte. »Wer hier im Vorderen Orient«, fuhr er fort, »die Templer systematisch erforscht, erkennt, dass die Soldaten Christi bis auf die Zeit der Geheimbünde der christlichen Legionäre im vorchristlichen Rom zurückgehen. Ich habe mich mit den Templern ursprünglich nicht aus wissenschaftlichem Interesse beschäftigt, sondern der Zuordnung der Fundstücke wegen, für die ich Kunden in aller Welt habe. Das erleichtert mir die
Bestimmung des Wertes. Stöbert man nur ein wenig weiter in der Geschichte, dann sieht man, dass sich die Nachfolger der römischen Soldaten Christi in Ordensgemeinschaften zu organisieren begannen. Etwa um 600 n. Chr. gingen sie dazu über, den Kampf mittels Gebeten und Weihrauch, Prozessionen und Gesängen, also ohne Schlachtgetümmel, fortzusetzen. Als dann im Jahr 1095 der erste Kreuzzug organisiert wurde, war es mit den Lippenbekenntnissen und der gegenseitigen Verleihung von Ehren und Ordenstiteln allerdings wieder vorbei. Die Schlacht um das Heilige Land wurde als Weg zum Heil proklamiert, und die Zeit begann, in der es als ehrenvoll galt, für den christlichen Gott zu kämpfen und zu töten. Aber schon mit den ersten Wellen christlicher Ritter wurden auch die Suchenden nach Wahrheiten und Beweisen in den Orient gespült. Die Ritter und ihr Gefolge hatten viel Zeit für das Gebet, aber auch, um nachzudenken und zu recherchieren. Und die Summe aller Recherchen über mehrere Generationen hinweg war es, die die Templer so mächtig im Wissen und im Glauben werden ließ, dass das Papsttum Gegenmaßnahmen ergreifen musste. Wenn du also fündig werden willst«, schloss der Brite, »dann schau dir die Entstehungsgeschichte der Tempelritter genau an. Weder die Orthodoxen noch die Kopten oder Juden werdendich zu den christlichen Geheimnissen des Orients führen können. Betrachte als Erstes die Merkwürdigkeiten bei den Tempelherren, Templern oder wie du sie auch immer nennen willst.« Und er begann, mir eine dieser »Merkwürdigkeiten« zu entwickeln: Im Jahr 1119 kommt Hugues de Payns, Herr des burgundischen Schlosses Martigny, zusammen mit acht anderen Rittern unangemeldet zu Balduin II., König von Jerusalem. Die Umstände und der Zeitpunkt sind durch Erzbischof William von Tyrus belegt, der schriftlich niederlegte, dass dieses Treffen entgegen jeglicher höfischer Sitte stattfand. Die burgundischen Ritter unterwerfen sich wie gewöhnliche Geistliche dem obersten Patriarchen, um Christus zu dienen, und erhalten von ihm das zeitweilige Wohnrecht in seinem Palast. Die Geistlichkeit des Tempels von Jerusalem bestimmt daraufhin einen Hof in der Nähe als Platz für den Ritterorden. Im Gegenzug geloben die neun westeuropäischen Rittersleute, dass sie all ihre Kräfte einsetzen werden, um auf den Wegen und Straßen die Pilger vor Überfällen durch Räuber und Diebe zu schützen. Nun aber die nächste Merkwürdigkeit: In den ersten neun Jahren haben sie nichts dergleichen getan! Vielmehr haben sie ihr Quartier überhaupt nicht verlassen, obwohl die Pilger bis vor die Tore Jerusalems von Dieben und Mördern verfolgt wurden. Was aber machten sie all die Jahre dort? Diese Frage lässt sich leichter beantworten, wenn man erfährt, wo sich ihr Quartier befand: Es war die Al-Agsa-Moschee am südlichen Teil des Tempelbergs, der Ort, wo der Überlieferung nach der salomonische Tempel gestanden haben soll - daher auch der Name des Ordens, die Templer. Während der neun Jahre blieben sie unter sich und nahmen keine neuen Mitglieder auf. Aber damit noch lange nicht genug der Ungereimtheiten. Offizielles Gründungsdatum des Ordens ist nach Angaben der Templer-Historiker das Jahr 1118. Aus dem Briefwechsel zwischen Adligen und Bischöfen geht jedoch hervor, dass schon 1114 »um die Erlaubnis nachgesucht wurde, in den Orden eintreten zu dürfen«. Was also wurde da seit Jahren im Geheimen vorbereitet? Und was wurde sodann, auf dem Tempelberg von Jerusalem, in die Tat umgesetzt? Unter ihrem Quartier und östlich
der Al-AqsaMoschee lagen die ehemaligen Ställe des Salomon - ein riesiges unterirdisches Labyrinth. »Die Frage muss also nicht lauten«, sagte der Brite, »was die Templer neun Jahre in der Moschee taten, sondern mit welchem geheimen Projekt sie sich neun Jahre lang unter der Erde befasst haben. Hier liegt auch der Schlüssel zum Verständnis der Doppelfunktion dieses Ordens.« Dann nannte er mir verschiedene Erklärungsversuche. Als Erstes liegt es nahe anzunehmen, dass die Templer in den ehemaligen Stallungen Ausgrabungen machten beziehungsweise nach Fundstücken aus der Zeit Salomons suchten. Möglicherweise nutzten sie die Gänge darüber hinaus auch, um unbemerkt ihr Quartier zu verlassen. Der dritte Erklärungsversuch geht am weitesten: Danach nutzten die Templer ihr Quartier mit den diskreten Ein- und Ausgängen als Stützpunkt für geheime Operationen in den Wüsten Arabiens, und zwar mit Genehmigung von allerhöchster Stelle oder sogar auf Weisung. Dies würde außerdem erklären, warum ihr Anführer unangemeldet beim König von Jerusalem vorsprechen konnte, sofort empfangen wurde und Quartier erhielt. »Man kann also vermuten«, sagte der Brite, »dass es sich bei den neun vermeintlichen Ordensrittern um vorinformierte, sehr vertrauenswürdige Personen handelte, die ins Heilige Land kamen oder geschickt wurden, um hier gewisse Geheimnisse zu erforschen. Was genau sie fanden, ist unbekannt. Im 19. Jahrhundert wurden Vermessungsarbeiten unter dem Tempelberg durchgeführt. Man fand viele Gegenstände, darunter Artefakte aus dem 12. Jahrhundert, die unzweideutig Tempelrittern gehört haben müssen.« »Und sonst fand man nichts?« fragte ich. »Nein, gar nichts. Hartnäckig hält sich aber das Gerücht, die Templer hätten seinerzeit einen großen Schatz gefunden und fortgeschafft.« Ich sah ihn fragend an. »Und stimmt das Gerücht, deiner Meinung nach?« »Zur Hälfte bestimmt«, antwortete er. »Die Templer haben etwas gefunden, allerdings nicht unter dem Tempelberg, sondern dort, wohin es auch Ali immer wieder zieht.« Für den Fall, dass Sie an dem möglichen Wissen der Templer um das Geheimnis des Paradieses zweifeln, sehen Sie sich bitte die folgenden Abbildungen an. Das Fotodokument (Abbildung 18, S. 216) aus den Unterlagen der Templer belegt, dass diese am Grab Abrahams und der anderen Patriarchen des Alten Testaments gestanden haben. Sie kannten das Geheimnis. Templer ebenso wie Christen aus Antiochien haben Zeichen hinterlassen, die belegen, dass sie dort waren (Abbildung 19, S. 217). Die Kreuzzüge brachten viel Unruhe und Leid über die Muslime im Nahen Osten. Versuche, sich mit den Christen zu arrangieren, wurden hintertrieben oder scheiterten aufgrund von Vertragsbrüchen. In erster Linie war es eine sehr unrühmliche Zeit für die Christen. Von dem Ägypter in der Runde um Ali, der sich häufig als Reiseleiter in Medina und Mekka aufhielt, erfuhr ich, dass es in den Archiven von Medina Unterlagen über Geheimabkommen gibt, die auf ein Arrangement zur Beendigung der Kreuzzüge hinausliefen. Einer der Punkte sah vor, freien Zugang zu den Stätten im Heiligen Land zu vereinbaren. Ausdrücklich ausgenommen waren aber alle Kreuzritter, also auch die Tempelritter, für die das Gebiet südlich von Akaba tabu gewesen wäre. Der Unmut der Muslime soll dann dadurch geschürt worden sein, dass sich die Christen an diese Bedingung nicht hielten. Dies leitete das Ende der Templer und somit der christlichen Präsenz im Heiligen Land ein.
Abbildung 19: In Stein gemeißelt die Kennung für orthodoxe Christen und Templer im
Tal der Patriarchen. Was aber, so wäre noch einmal zu fragen, zog die frommen Ritter aus dem Tempel von Jerusalem überhaupt in die Gegend südlich von Akaba? Waren es die Täler der Patriarchen und Propheten? Die Muslime der damaligen Zeit wussten offenbar über das Plateau der heiligsten Stätten Bescheid. Sie wussten auch, warum sie keinen Christen oder Juden dort haben wollten. Dies hätte nur zur Ausdehnung des Territoriums der Religionskriege geführt.
Späher des Vatikans Ali erzählte mir, dass im 20. Jahrhundert neben T E. Lawrence und ihm selbst auch zwei »Späher des Vatikans« bis in die Täler des Lavafeldes vorgestoßen seien. Das muss irgendwann zwischen 1930 und 1955 gewesen sein. Ihre Ausrüstung war mangelhaft, da sie offenbar nicht wussten, auf welch feindliche Lebensbedingungen sie stoßen würden. Von der »Großen Mutter« hatten sie anscheinend keine Erlaubnis erbeten oder erhalten, das Gebiet zu betreten. Sie wussten nichts von diesem Sicherheitssystem, hatten also auch keine Ahnung von der »Hüterin«. Laut Ali war das eine Expedition unter dem Motto »Gott ist mit uns, darum kann uns nichts passieren«. Aber vielleicht war Gott doch nicht mit ihnen. Die »Große Mutter« jedenfalls soll mit ihren Helfern nicht eingegriffen haben, als die beiden Nierenversagen infolge von Wassermangel erlitten. Wäre das Tun dieser Reisenden Allah wohlgefällig gewesen, mag sich die »Große Mutter« gesagt haben, dann wären sie nicht in diese Situation geraten. Ohnehin, meinte Ali, seien die beiden nur deshalb bis in das Tal der Propheten gekommen, weil sie die Nordroute nahmen, also an den Tempelruinen des Alexander vorbei in das Tal mit den Felsengräbern zogen. Zur Entdeckung der unterirdischen Nekropole dürfte ihre Zeit nicht mehr ausgereicht haben. Dennoch stellt sich die Frage, woher der Vatikan von der Existenz der Täler der Patriarchen und Propheten überhaupt wusste. Die Antwort muss meiner Ansicht nach lauten: Vermutlich aus seinen Archiven. Als ich mich in der britischen Hauptstadt aufhielt, um die Rolle zu durchleuchten, welche die City of London seit Jahrhunderten in dieser Angelegenheit spielt, diskutierte ich mit einem Eingeweihten und Mitglied desselben Clubs, dem Ali angehört hatte. In seiner typisch britischen Art lenkte er das Thema auf die Kreuzzüge, die Kreuzritter und schließlich auf die Templer als Gesamtorganisation. Seine entscheidende Frage damals lautete: »Was wäre, wenn es keinen Islam gäbe und gegeben hätte?« Ich dachte nicht lange nach. »Dann hätte es auch keine Kreuzzüge gegeben, somit auch keine Templer und keine Orientreisenden wie Professor Musil.« »Stattdessen«, sagte der Gentleman, »hätten wir zwei mehr oder weniger friedlich nebeneinander existierende Religionen. Die ost- und weströmischen Christen und deren Länder mit dem Schwerpunkt Neues Testament, also der Ausrichtung auf Jesus Christus. Und eine organisierte semitische und jüdische Religion, deren Schwerpunkt in den
Überlieferungen des Alten Testaments liegt, sich somit auf Abraham, Noah, Moses und David stützt. Für die einen wäre Jerusalem und seine Umgebung, für die anderen wären die Täler der Patriarchen und Propheten von größter Bedeutung. Sie hätten sicher auch längst das Zentrum des Paradieses gefunden und in der Folge das heutige Ersatz-Jerusalem aufgegeben. Was ist ein Ersatz-Jerusalem schon gegen den real existierenden Platz, wo ihr Baum des Lebens gestanden hat?« Ich stimmte ihm zu. »Die Christen dagegen«, sagte ich, »würden heute in Jerusalem und dem Heiligen Land ihr Heil suchen. Nur kam es eben, aus welchen Gründen auch immer, anders: Muhammad trat auf und begründete den Islam.« »Nun sind die Muslime ja nicht die Bösewichter, als die man sie bei uns im Westen so gerne hinstellt«, fuhr der Gentleman aus der City of London fort. »Wer das behauptet, hat nichts verstanden. Nehmen wir einmal an, als Muhammad in die Rolle des Propheten gedrängt wurde, hatte er auch von den Geheimnissen der heiligen Stätten erfahren. Wenn er wollte, konnte er in das Tal der Patriarchen gehen und vor dem Grab seiner Stammeltern Abraham und Hagar beten. Wenn er wollte, konnte er auch in das Tal der Propheten pilgern. Vieles spricht dafür, dass er dies auch getan hat. Wem ist er dort begegnet? Was hat er dort erlebt? Nannte er sich selbst Prophet, oder wurde er nach seinen Erlebnissen im Tal der Propheten zum Propheten ernannt?« Es waren genau die Fragen, die auch mich immer wieder beschäftigten. In der Antwort, die der Brite mir gab, kam aber die Maslama nicht vor. Für ihn war es Muhammad selbst, der aus eigenem Antrieb zu einem folgenschweren Entschluss kam. »Aus seiner Sicht«, sagte der Brite zu mir, »musste er das Territorium seiner heiligen Ahnen mit allen Mitteln beschützen und bewahren. Auch der mächtigste Mensch der Welt kann jedoch nicht garantieren, dass ein von ihm begründetes Wachsystem bis zum Ende unserer Tage einen solchen Schutz gewährleistet. Anders aber, wenn man eine religiöse Gemeinschaft gründet, die dazu bestimmt wird, diese Wächterrolle zu spielen, und zwar so, dass selbst die höchsten Würdenträger dieser Gemeinschaft in das Geheimnis nicht unbedingt eingeweiht sein müssen. Möglicherweise begründete Muhammad also den Islam, um das Territorium sowohl vor seinen eigenen Anhängern und Gläubigen als auch vor den Anhängern und Gläubigen seiner Halbbrüder und schwestern zu schützen, die von Sara abstammen. Erst recht aber sah er sich veranlasst, die Heiligtümer seiner Ahnen vor denen zu schützen, die überhaupt nicht von ihnen abstammten - vor den Christen.« Eine solche Sichtweise verblüffte mich doch sehr, zumal sie mir mitten in London so unverblümt dargeboten wurde. Ich schluckte, denn ich begann zu ahnen, dass diese Deutung meiner Absicht, Alis Erkenntnisse zu publizieren, nicht gerade förderlich war. Leider war der englische Sir noch nicht am Ende. »Wundern Sie sich noch immer, warum der Vatikan nach wie vor neugierig ist und Späher schickt? Mich erstaunt es nicht«, sagte er. »Bis jetzt hat das Sicherungssystem, das Ihnen bekannt ist, funktioniert. Jetzt liegt es an Ihnen, Mr. Thomas, wie weit Sie bei Ihrem Vorhaben gehen wollen. Ich hoffe nur sehr, dass Sie nichts preisgeben werden, was es verantwortungslosen Personen oder skrupellosen Institutionen erleichtert, die heiligsten Stätten aufzufinden.«
9. Kapitel:
Eine Übung zu neutralerer Betrachtungsweise Lebten die Patriarchen mit mindestens zwei Frauen zusamen? Vom Propheten Muhammad wissen wir, dass er den Gläubigen gestattet hat, bis zu vier Frauen zu »heiraten«. Der Prophet hat eine solche Regel sicherlich nicht erlassen, um die Fleischeslust der männlichen Gläubigen zu steigern. Neben handfesten Gründen, etwa dem Überleben einer Familie oder eines Stammes, dürfte Muhammad auch das Vorbild für die so genannte Vielweiberei im Auge gehabt haben, das er unmittelbar vor oder nach seiner Erleuchtung in den Anlagen der Patriarchengräber gesehen haben muss. Vermutlich hat ihn die »Große Mutter« dorthin bringen lassen, um ihm die Zusammenhänge zu zeigen. Obwohl Ali nur in einen kleinen Teilbereich einer solchen Anlage eingedrungen ist, wurde ihm bald klar, dass man nicht von Gräbern oder von Grabanlagen sprechen kann. Es handelt sich vielmehr um eine Stätte der Ausbildung in dem Wissen, das der dort Ruhende im Laufe seiner körperlichen Existenz zusammengetragen, gelehrt und nun hinterlassen hat. Wie mir Ali sagte, scheint dieses Prinzip, die Lehre und die Originale des Wissens weiterzugeben, untrennbar mit den Patriarchen verbunden zu sein, deren Vorfahren noch im einstigen Paradies gelebt hatten. Für künftige Eden-Archäologen werde es vor allem darum gehen, nicht nach Ruinen zu suchen, sondern nach den Räumen des hinterlassenen Wissens, die überall über das Areal verstreut sein müssten. »Wir können zwar die hinterlassenen Dokumente derzeit nicht lesen oder ihre Funktion verstehen«, sagte er, »aber auch ihnen gegenüber werden sich die Augen der Forscher eines Tages öffnen.« Ich fragte mich noch, woher er diese Zuversicht nahm, da sprach er schon weiter. »Nachdem ich die Entdeckung im Tal der Patriarchen gemacht hatte«, sagte er, »hatte ich keine Zeit mehr, mich systematisch im Tal der Propheten umzusehen. Wäre ich dort zuerst fündig geworden, hätte ich dir möglicherweise Bilder wie dieses präsentieren können.« Er zeigte mir die Schwarzweißaufnahme eines verwitterten Steinreliefs, auf dem ein fremdartig anmutendes Flugzeug zu sehen war. Ich stutzte. Ob er mir etwas verheimlichte? Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich solche Steinplatten sogar außerhalb der Gräber finde«, fragte er eher sich selbst als sein Gegenüber, »was werden erst die Gräber enthalten, die bis heute verschlossen sind?« Eine gewagte Zwischenfrage: irdisch oder außerirdisch? Zwangsläufig standen wir nun vor der Frage einer möglichen außerirdischen Einflussnahme. Die Darstellung eines Flugobjekts auf einem uralten Steinrelief - wie sollte man das anders erklären? Befand sich also im Gebiet des wahren Horeb-Sinai einst ein vorzeitlicher Weltraumbahnhof? Bekanntlich wird die Beschreibung der »Himmelfahrt« des Propheten Elias, der mit einem feurigen Wagen entschwunden sein soll, gern als Beleg für solche Thesen herangezogen. Von Muhammad wird ebenfalls berichtet, er sei in Jerusalem in den
Himmel aufgestiegen. Islamische Gläubige meinen, dass es sich hierbei um das palästinensische Jerusalem handle. Das muss aber nicht so sein. Jedenfalls ist in dem heutigen Jerusalem nichts zu erkennen, was auf einen prähistorischen Weltraumbahnhof hindeutet. Wie steht es aber mit dem (Jeru-)Salem im Zentrum des Paradieses? Ali hatte nur wenig von dort mitgebracht, darunter drei Kopien von Tafeln, die er dort fand. Sie alle zeigen merkwürdige Fahrzeuge, für die ich in keiner vergangenen Zivilisation ein Vorbild gefunden habe. Bei der Vorbereitung dieses Buches musste ich immer wieder erleben, wie leicht eine gläubige Seele Verbindungen zu außerirdischen Geschöpfen zu erkennen glaubt. Zum Beispiel: Wie sprach Moses mit Gott? Mit außerirdischer Technologie wären alle Probleme der Kommunikation mühelos zu lösen. In dem mir von Ali überlassenen Material kann ich aber bis zur Stunde keine Hinweise finden, die einen solchen außerirdischen Einfluss bestätigen würden. Das schließt allerdings nicht aus, dass andere Forscher nach Ali in den Gräbern solche Indizien finden könnten. Meines Wissens ist Ali, der ja mit seinen Mitteln und unter den beschriebenen Umständen nur Stichproben sichten und im Fall der Grabanlage Abrahams erste Einblicke gewinnen konnte, so nahe an das Erbe der Patriarchen herangekommen wie kaum jemand vor oder nach ihm. Diejenigen aber, die vor ihm möglicherweise noch tiefer in das Geheimnis eindringen konnten, scheinen alle geistig ver- oder entrückt geworden zu sein. Dies dürfte ein weiterer triftiger Grund sein, warum man den Zugang zu den Tälern der Patriarchen und Propheten so hermetisch abriegelt. Jedenfalls scheint es mir durchaus möglich, dass die Herkunft des dort deponierten Wissens, das manch einem den klaren Verstand raubte und andere zu Propheten machte, außerhalb unseres Planeten zu suchen ist. Vielweiberei der Patriarchen?
Eines Abends kam Ali auf ein heikles Thema zu sprechen: die Polygamie der Beduinen, die auf die Bräuche der Patriarchen zurückzuführen ist. »Noch heute haben die Beduinen mehrere Frauen«, sagte er. »Wie viele Gerüchte kursieren über diesen Brauch! Wer weiß schon, dass unter den Bedingungen, wie sie in den heißen Regionen Arabiens herrschen, die Frauen höchstens viermal in ihrem Leben schwanger werden können? Das gilt natürlich nicht mehr für die Frauen, die in klimatisierten Häusern und Palästen leben. Generell war es aber so bis vor fünfzig Jahren. Überhaupt ist es lebensgefährlich, als Beduinenkind zur Welt zu kommen. Die Infektionsgefahr ist sehr groß. Es gibt kaum Wasser und manch harte Lebensbedingung mehr.« Wenn eine Frau kurz vor der Niederkunft steht, etwa zwei Wochen vorher, erzählte Ali weiter, wird einem weiblichen Kamel ein Holzpflöckchen in die Harnröhre eingeführt, so dass es sich nicht mehr entleeren kann. Unmittelbar nach der Geburt legt man das Kind auf den Bauch der Mutter. Das Kamel wird über Mutter und Kind in Position gebracht, der Verschluss der Kamelblase entfernt, und der Urin ergießt sich über Mutter und Kind. Damit desinfizieren die Beduinen sowohl das Kind als auch die Mutter. Ein relativ dicker gelblicher Rückstand schützt den Säugling dann vor Ungeziefer und vermutlich auch vor Infektionen. Der Rückstand wird vier Monate lang nicht abgewaschen.
Aber nicht nur das Kind, auch die gebärende Frau schwebt in der Wüste in ungleich größerer Gefahr als in gemäßigteren Regionen. »Daher ist die Gebärfreudigkeit der Frauen hier oft sehr gering«, sagte Ali. »Wer es nicht glaubt, möge in der Bibel nachlesen, wie es Sara ergangen ist.« Die nachfolgende Geschichte, wie sie mir Ali erzählte, ist eine Kombination aus Märchen und ersten Schlüssen, die man aus der Grabanlage des Abraham ziehen kann. Es geht hier nicht darum, eine neue Theorie um den Glauben zu entwickeln, sondern darum, unseren Geist für Denkmöglichkeiten zu öffnen. So könnte es gewesen sein
Es war einmal eine Zeit, da mussten die Männer mehrere Frauen zum Weibe nehmen, da die Umstände und die Zeiten sehr schlecht waren und nur wenige Kinder in das Alter kamen, in dem sie selbst heiraten konnten. In dieser Zeit lebte ein Mann, der hatte nur zwei Frauen zum Weibe genommen. Zusammen mit seinem Gesinde, seinen Tieren und dem Hausrat zog er durch die Wüste. Blieb hier ein wenig, dort einige Zeit, und die Tage gingen dahin. Die Frauen gebaren ihm Töchter, aber keine Söhne. Da haderte der Mann mit seinem Schicksal, sah er doch für sich und seine Frauen ohne Söhne das Leben im höheren Alter gefährdet. Nun geschah es, dass beide Frauen wieder schwanger waren. Erst kam eine der Frauen nieder und brachte einen Knaben zur Welt, einige Monate später wollte es das Schicksal, dass die andere Frau ebenfalls einen Sohn gebar Da freute sich der Mann, hatte er doch nun schon zwei Söhne, die eines Tages ihn und seine Frauen im Alter ehren würden. Die Zeit verging, mit ihr kamen und gingen Zwistigkeiten, wie sie in jeder Familie üblich sind. Die Zeit forderte ihren Tribut, und der Mann und die beiden Frauen starben irgendwann im gesegneten hohen Alter. Ihre Söhne und Töchter bauten ihnen eine Grabstätte. Der Vater wurde in einem Felsen beigesetzt, in den man für die beiden Müttergleich große Kammern schlug, wo sie gleichberechtigt nebeneinander beigesetzt wurden. Die Jahrhunderte vergingen. Die Geschichte des Stammvaters und der beiden Stammmütter wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Mit den Jahrhunderten und Jahrtausenden veränderten sich aber die Lebensumstände der Nachkommen. Sie lebten nicht mehr in der heißen Wüste, sondern suchten sich bessere Lebensräume, wo es nicht mehr erforderlich war, dass ein Mann des Stammes mehr als eine Frau zum Weibe nahm. Wieder vergingen Generationen. Zweifel beschlich die Herzen der Nachkommen. Diejenigen, denen die Lebensumstände des Urahns nicht mehr bekannt waren, fingen an, sein Tun, wie es in den Überlieferungen erzählt wurde, zu kritisieren. Sie sahen und beurteilten ihn mit ihren Augen und nach ihren Umständen. Sie schämten sich seiner, weil er zwei Frauen zum Weibe genommen hatte. So kam es, dass die Nachkommen der beiden Frauen in Streit miteinander gerieten, welche von beiden das rechtmäßige Weib des Mannes und welche die Konkubine gewesen sei. Die Nachkommen beider Mütter beanspruchten für sich, die rechtmäßigen Söhne und Töchter zu sein. Erst stritten sie mit Worten, dann schafften sie Beweise für ihre Argumente herbei, schließlich stritten sie mit Waffen. Der Sieg mit der Waffe über den Bruder entschied, welche der Nachkommen der beiden Mütter zu schweigen und welche Nachkommen ihre erstrittene Rechtmäßigkeit der Herkunft in der Öffentlichkeit
feiern durften. Der Sieg bedeutete nicht die Wahrheit. An dieser Stelle müsste nun stehen, dass, wenn die beiden Stämme nicht ausgestorben sind, der eine noch immer zu schweigen hat und der andere weiterhin öffentlich feiert. Aber dieses Märchen ist noch nicht zu Ende. Wieder vergingen Jahrhunderte, Generationen kamen und sanken in die Gräber Die einen Nachkommen mussten schweigen, die anderen schwelgten im Adel ihrer Abkunft. Aber die Abkömmlinge beider Frauen brachten kluge Köpfe hervor Diejenigen, die schweigen mussten, suchten und fanden Beweise für das große Unrecht, das ihnen einst angetan worden war Die klugen Köpfe der anderen Gruppe durchschauten gleichfalls den Fehler, der in der Vergangenheit von den Vorfahren gemacht worden war Eine Rückkehr und Versöhnung schien jedoch nicht möglich, weil beide Zweige sich in ihren Riten und Kulten seit Jahrtausenden sehr auseinander gelebt hatten. So blieb also den klugen Köpfen derjenigen Nachkommen, die sich in ihrer Herkunft sonnten, nichts anderes übrig, als für den Tag und die Stunde vorzubeugen, da die Fälschung an die Öffentlichkeit kommen würde. Wenn man das Grab des Urvaters und die Grabkammern der beiden Urmütter fin-den würde und somit erkennen könnte, wie es sich wirklich ehedem verhalten hatte, käme die Wahrheit ans Licht. In dieser Angst leben sie seit Jahrtausenden. Wer nun meint, dass die Besiegten alles daransetzten, um das Grab zu finden und die Beweise für die Wahrheit zu veröffentlichen, der irrt. Auch sie taten alles, um zu verhindern, dass das Grab entdeckt und die Beweise gefunden würden. Denn es hieß, dass es ein uraltes Gebot gebe, das Grab derAhnen nicht zu suchen. Dennoch lebten die Prächtigen, von ihrer Abkunft Eingenommenen in ständiger Unruhe. Also fingen sie an, nach Belegen zu suchen, die eine andere Wahrheit als die ihrige ans Licht bringen könnten. Eines jedoch wagten sie nicht: Hand anzulegen an das Grab ihres Urvaters und der gleichberechtigten Mütter Also belegten sie die Grabanlage bis zum heutigen Tag mit einem Bann. Wann immer Nachkommen dieser Linie auf das Grab der drei stießen und voll Schrecken die Wahrheit sahen, taten sie alles, um den Zugang und die Gegend, wo sich diese Wahrheit befand, wieder zu verbergen. Das ist das Tun der Nachfahren der Sieger bis zum heutigen Tag. Die anderen klugen Köpfe, die zum Schweigen verdammt sind, hüten das Geheimnis der drei Gräber und vermeiden jede Auseinandersetzung um den Besitz des Geländes, auf dem sich diese drei Gräber befinden. Auch sie tun alles, damit selbst die eigenen Brüder und Schwestern nicht auf den Gedanken kommen, die Beweise in die Öffentlichkeit zu bringen, um ihre Abkunft klarzustellen. Der Summe der Fälschungen, auf welcher Seite auch immer begangen, und der geschickten Tarnung des Unantastbaren ist das Chaos zu verdanken, das entstanden ist. Wie Ali immer wieder betonte, dürfe man bei der lückenlosen Aufklärung weder auf die Gefühle eines Rabbiners noch auf die Bedenken eines Großmuftis Rücksicht nehmen. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis aus dieser fiktiven Geschichte eine auf vorgefundene Fakten aufgebaute Hypothese wird, die dann durch andere Funde belegt oder verworfen werden kann. Ali war überzeugt, dass noch einige Überraschungen auf uns warten.
10. Kapitel:
Ekstasen im Tal der Patriarchen U m es gleich zu sagen: Ali war nicht erleuchtet worden. Anders dagegen Muhammad, der Begründer der islamischen Religion. Er wurde hierfür ausgebildet, von wem auch immer. Dies mögen seine Anhänger heute anders sehen, aber der Ruf, für Allah zu sprechen, traf ihn nicht unvorbereitet. Er bekam offensichtlich die Erlaubnis, sich in dem Zentrum irgendwo zwischen dem Berg Horeb-Sinai und dem Tal der Patriarchen aufzuhalten. Vermutlich wurde er dort hingeführt. Die Überlieferungen sprechen davon, dass er »erleuchtet« zurückkam. Was dort vorgefallen war, wissen wir nicht und können es so lange nicht rekonstruieren, wie wir nicht an dem »Platz der Plätze« innerhalb der Anlage im Tal der Patriarchen waren. Fest steht jedoch, dass die meisten, die tiefer in das Geheimnis eindrangen, geistig mehr oder weniger ver-rückt wurden: • Sie entwickelten ein Sendungsbewusstsein. • Sie stellten die traditionellen Ansichten ihrer Zeit in Frage. • Sie propagierten den Monotheismus mit einem allmächtigen Gott. • Notfalls zerstörten sie mit Gewalt alte Strukturen, von deren Falschheit sie fanatisch überzeugt waren. Es lohnt sich also, sich einen Überblick über diejenigen zu verschaffen, die im Tal der Patriarchen gewesen sein könnten oder müssen. Was ist aus ihnen geworden beziehungsweise was wurde von ihnen überliefert? Echnaton
Pharao Amenophis IV. (um 1350 bis 1334 v. Chr.), der Echnaton genannt wurde, brach mit den Riten der mächtigen Priester von Karnak und führte während seiner Regierungszeit den Monotheismus ein. Über mehrere Jahre seiner Regentschaft war er verschwunden, so dass man meinte, er sei bereits tot. In dieser Zeit führte seine Ehefrau Nofretete die Regierungsgeschäfte. Später hieß es, Echnatons Kopf sei immer größer geworden. Ein Mediziner könnte daraus schließen, dass er unter einer Krankheit gelitten habe, etwa dem so genannten Wasserkopf. Ägyptologen meinen aber, dass dies eine symbolische Umschreibung dafür sei, dass Echnaton geistig nicht mehr die Realität erkannt habe, also verrückt geworden war. Echnaton steht in Ägypten für die Periode des Kultes um den Gott Aton. Hielt er sich, so können wir nun fragen, in der Zeit, in der er als verschollen galt, im Tal der Patriarchen auf? Auf Echnaton treffen folgende der oben genannten Punkte zu, die typisch für Kenner des Geheimnisses sind:
• Eintreten für Monotheismus, • Änderung der traditionellen Kulte zu Gunsten eines allmächti gen Gottes und • geistige Ver-rücktheit. Moses
Moses führte die Anhänger des Glaubens an einen allmächtigen Gott aus Ägypten und wanderte mit ihnen vierzig Jahre in der Wüste umher, bis die folgende Generation die alten Riten und die Vielgötterei Ägyptens vergessen hatte. Er bestieg einen Berg Gottes, von dem angenommen werden kann, dass er sich ganz in der Nähe des Tals der Patriarchen befand. Aus den Überlieferungen weiß man, dass Moses mit Gott direkt oder indirekt sprach. Ein Hinweis, der auch so erklärt werden kann, dass Moses von dem Irdischen hin zu Gott ver- oder entrückt wurde. Auf ihn treffen folgende Merkmale zu: • •
Eintreten für Monotheismus, Änderung der traditionellen Kulte durch Auswanderung aus Ägypten und Neuinstallation des Kultes um einen Gott, • Verkündung der Gebote eines allmächtigen Gottes, • mehrfache geistige Ver-rückung hin zu diesem Gott. Alexander der Große Mancher mag hierüber erstaunt sein, aber auch Alexander könnte in dieses Schema passen. Ali hatte ja die Ruine eines kleinen alexandrinischen Tempels nahe dem Tal der Patriarchen gesehen. Von Alexander weiß man vor allem, dass er die Schmach rächen wollte, die von den Persern über seinen Vater und die Griechen gebracht worden war. Verfolgt man aber seinen Weg, nachdem er von Ägypten weggezogen war, dann erkennt man einige der charakteristischen Merkmale wieder: • • •
Er beginnt überall, wo er hinkommt, die alten Traditionen zu zerstören. Zeitweilig soll er geistig umnachtet gewesen sein. Sein Sendungsbewusstsein umspannt im wahrsten Sinn die ganze Welt.
Diese Veränderung seines Charakters und Verhaltens lässt sich unter Umständen als Folge seines Besuchs im Tal der Patriarchen verstehen. Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth Beide wurden in der Wüste erleuchtet. Beide lebten in der Tradition eines Gottes. Jesus versuchte, die traditionellen Riten zu verändern und auf einen Ursprung zurückzuführen. Von Johannes dem Täufer weiß man, dass er im Untergrund leben musste, weil er die Traditionen des Judentums ändern wollte. Mit der Taufe führen beide gemeinsam auch ein neues Ritual ein. Von beiden ist ein vierzigtägiger Wüstenaufenthalt mit Entrückungserscheinungen, Verklärung, dämonischer Versuchung etc. überliefert. Auf beide hier Genannten trifft also zu:
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Bekenntnis zum einen allmächtigen Gott, Änderung der traditionellen Riten, Entrücktsein, Verklärung, Erleuchtung, also Ver-rückung zu Gott hin, Sendungsbewusstsein und Ausbreitung der Lehre, gewaltlose Umsetzung ihrer Erkenntnisse. Muhammad
Auch auf den Propheten und Begründer des Islam treffen, wie bereits ausführlich erläutert, die genannten Merkmale zu: • • • •
Bekenntnis zu einem allmächtigen Gott, den er Allah nennt, Veränderung der Riten des alten und Neuinstallation des neuen Kults, Entrückung zu Allah, Erleuchtung im Tal der Patriarchen, Sendungsbewusstsein und Ausbreitung seiner Lehre.
Jeder muss für sich entscheiden, inwieweit er oder sie diese Auffälligkeiten bemerkenswert findet. Je fester man seinem Weltbild verbunden ist, desto schwerer ist es zu akzeptieren, dass alle Wege zum Heil möglicherweise einen gemeinsamen Ursprung haben. Noch schwerer wird für die meisten zu begreifen sein, dass man diesen Ursprung möglicherweise heute genau identifizieren kann. Gibt es heute einen Weg ins Tal der Patriarchen? Ob die Vorgenannten alle im Tal der Patriarchen waren oder einige von ihnen nicht, bleibt uns bis auf weiteres verborgen. Falls sie dort waren, werden sie jedenfalls ein deutliches Zeichen für die Nachwelt hinterlassen haben. Auch die Annahme, dass sie sich in nächster Nähe dort bestatten ließen, liegt nahe. Dies scheint für Abraham und seine Söhne und Enkel zu gelten, könnte aber auch auf Moses und Echnaton zutreffen: Deren vermeintlich letzte Ruhestätten an anderen Plätzen sind leer, und es ist nicht bekannt, ob ihre Leichname jemals dort gelegen haben. Von grauer Vorzeit bis in die Antike versuchten die Nachfahren der Patriarchen, sich in deren Nähe bestatten zu lassen. Daher nahm Ali an, dass man eines Tages eine ganze unterirdische Totenstadt unter der Lava finden werde, wenn erst die technischen Möglichkeiten bestünden, nach den Eingängen zu dieser Nekropole zu suchen. Neben den genannten »Größen« muss es aber, auch davon war Ali überzeugt, in den letzten zweitausend Jahren eine Vielzahl von Einzelreisenden gegeben haben, die jene Gegend erreichten und deren Absicht dem Rest der Welt verborgen geblieben ist. Denn »der Zugang zu den Tälern der Propheten und Patriarchen ist prinzipiell jedem Einzelreisenden möglich«, so Ali, »vorausgesetzt, er gelangt lebend dorthin«. Leicht gesagt, doch schwer getan. Nach Saudi-Arabien zu gelangen ist schon nicht ganz einfach, wie in diesem Buch geschildert wurde. Sodann benötigt man die Erlaubnis des Königs, der wiederum von den muslimischen Gesetzeshütern in seinen Entscheidungen beraten wird. So geht das weiter - bis zu den letzten 60 Kilometern vor dem Eingang zum Tal. An dieser hürdenreichen Prozedur dürften 99,99 Prozent aller Versuche scheitern, die Täler zu erreichen. Ali hat also Recht: Prinzipiell kann jeder
dorthin gelangen. Im konkreten Fall aber dürfte es auf absehbare Zeit kaum einem Abenteurer gelingen. »Hast du es geschafft, dann geht es erst richtig los«, setzte der erfahrene Ali hinzu. Auf den letzten 60 Kilometern werden die Einzelreisenden von ungezählten Augen beobachtet. Die »Große Mutter«, die Hüterin der Gräber, ist über jeden Schritt der Reisenden auf wundersame Weise informiert. Die einheimischen Reisebegleiter wurden auf den letzten Etappen immer schweigsamer. Ali wusste, dass auch sie Angst hatten, als er sich das erste Mal dieser Bannzone näherte. Auf den letzten zwölf Kilometern vor dem Ziel fällt die Entscheidung, ob der kleinen Gruppe gestattet wird, weiterzuziehen oder nicht. Dort befindet sich eine Wasserstelle, an der man zwangsläufig lagern muss. Bei seinem ersten Trip dorthin hatte Ali vom zuständigen Stammesführer mehrere Helfer gestellt bekommen. Sie schlugen ihr Lager auf und waren nicht bereit, mit Ali weiterzureisen. Alle denkbaren arabischen Tricks wandten sie an, um die Kamele nicht reisefertig machen zu müssen. Ali sagte mir später, dass es hierbei um seine Prüfung durch die »Große Mutter« in den Lavabergen der Ebene ging. Er hat sie nie zu sehen bekommen, auch nicht nach dreißig Jahren. Die »Große Mutter« ließ ihm endlich - aus welchen Gründen auch immer mitteilen, dass er die Überprüfung bestanden habe. Zwei Beduinen besuchten ihn eines Abends an seinem Lagerplatz und überbrachten ihm indirekt die Erlaubnis: Von nun an, erklärten sie, werde er von ihnen begleitet, wenn er in das Gebiet der beiden Täler wolle. Darauf entlohnte Ali die Männer, die ihn bis hierher geführt hatten und die geradezu fröhlich davonzogen. Ali musste von nun an stets erst die beiden Männer, die ihm von der »Großen Mutter« zugewiesen worden waren, an dem jeweiligen Lagerplatz der Familie aufsuchen. Dann wurde eine ihm unbekannte Person zur »Großen Mutter« gesandt. Meist war sie nach zwei bis drei Tagen wieder zurück. Erst dann waren die beiden Männer bereit, Ali in das Tal hinein zu begleiten. Einer von ihnen war für die Wasserversorgung und das Lager sowie für die Kamele vor Ort zuständig. Dieses Lager befand sich etwa eine Meile vor dem eigentlichen Ziel. Der andere begleitete Ali, indem er »meine Augen war«, wie es Ali umschrieb. Er war für Alis Gesundheit und Unversehrtheit verantwortlich. Wir haben uns mehrfach darüber unterhalten, welchen Grund die »Große Mutter« gehabt haben könnte, ihm die Genehmigung zum Betreten des Tals der Patriarchen zu erteilen. Doch wir sind zu keinem Resultat gekommen. Ali ist jedenfalls unter dem Schutz der »Großen Mutter« nie etwas zugestoßen. Im Laufe der dreißig Jahre wurde er allerdings zweimal aufgefordert, sich von dem betreffenden Ort in der Wüste zu entfernen. Bei der einen Gelegenheit kam eines Abends ein Beduine ins Lager und unterhielt sich mit Alis beiden Begleitern. Als er nach dem üblichen Zeremoniell des Teetrinkens und Redens wieder weggeritten war, rückten die Helfer mit der Sprache heraus. Sie baten Ali, am nächsten Morgen mit ihnen in die Zivilisation zurückzukehren. Die andere Situation war sehr viel dramatischer. Ali und sein Helfer waren mitten in der Arbeit, als zwei Reiter angaloppiert kamen und seinen Begleiter aufforderten, sofort die Arbeit abzubrechen und abzureisen. Die Gründe? Auch sie hat Ali nie erfahren.
Anhang Hinweis zum Karten- und Textmaterial Sie finden in diesem Buch Karten, die das Territorium des heutigen Saudi-Arabien hinreichend genau darstellen. Auf diesen Karten sind Auffälligkeiten bestimmter Orte sichtbar gemacht. Trotzdem sind die Punkte nicht generalstabsmäßig genau dargestellt. Eine Suche, wenn sie überhaupt möglich wäre, würde drei Regionen von je 50 mal 50 Kilometern betreffen. Das hieße immer noch, eine Nadel im Wüstensand zu suchen, oder mit anderen Worten, kein Suchender hätte eine Chance, wenn er nicht über weiter gehende Informationen verfügte. Bei der textlichen Darstellung benutze ich außerdem einen Trick, der zwischen Ali und mir abgesprochen war. Die Idee der Suche nach dem verlorenen Paradies ist wesentlich älter, als man vermuten würde. Wenn man etwa sieht, dass Alexander der Große vor Ort war, bevor er nach Assyrien weitergezogen ist, sollte man nachdenklich werden. Ich habe mich also in Archiven auf die Suche gemacht und einige Forscher und Besucher des verwüsteten Paradieses in der Literatur gefunden. Deren Reiseberichte sind authentisch. Ich habe aber ihre Geschichten unmerklich um den Tatsachenstand ergänzt, wie er sich Mitte der 1990er Jahre ergab. Wer ein Gespür dafür hat, kann mit viel Fleiß an die Sache herangehen und an die herausgefilterten Informationen gelangen. Betonen möchte ich, dass es hier um keinerlei Geheimnisse von politischem oder militärischem Inhalt oder Wert geht. Wenn dieses Buch etwas auslösen kann, dann sind es Korrekturen weltanschaulicher Art. Sehr schmerzhaft möglicherweise für die betreffenden Gläubigen und daher gefährlich für die Ruhestörer, die das Wohlbehagen der vermeintlich Rechtgläubigen stören könnten. Ein heiliger Landrover
Dass heilige Stätten wie Mekka von Ungläubigen nicht betreten werden dürfen, ist allgemein bekannt. Es gibt aber Orte und Landstriche in Saudi-Arabien, von denen außerhalb der Arabischen Halbinsel niemand etwas weiß und die ebenfalls für jeden Ungläubigen hermetisch abgeschlossen sind. Selbst der Intelligenzschicht der gläubigen Muslime sind nur einige wenige bekannt. Dazu zählen Wüstenregionen in zentraler Lage, die heute zu der Provinz der Familien Raschid gehören. Hier lag das Zentrum des Paradieses, in einem Bergmassiv, von dem heute trockene Flusstäler nach den vier Himmelsrichtungen in die Steinwüste führen. Das Plateau des Berges erinnert sehr stark an das palästinensische Jerusalem, ist jedoch unbebaut. Um dieses Plateau herum finden sich weitere Berggipfel und Felsmassive gruppiert, deren höchste Punkte maximal das Niveau des Plateaus erreichen. Die Annäherung mit einem spezialbereiften Jeep, der für eine extreme Gerölifahrt ausgerüstet wurde, ist möglich. Ali berichtete von einer inoffiziell genehmigten beziehungsweise geduldeten Unternehmung, bei der ein schrottreifer Landrover aus alten Armeebeständen eingesetzt wurde. Es soll das einzige Fahrzeug sein, das bisher bis zum Mittelpunkt des Paradieses vorgedrungen ist. Für die An- und Abreise wurden drei Sätze
Spezialreifen verschlissen. Das Fahrzeug ist heute eine Art »geheimes Heiligtum«, weil es mit Bestimmtheit als erstes technisches Gerät dort war und auch wieder zurückgekommen ist. Der Saudi, dem das Fahrzeug heute gehört, hat es vollkommen restaurieren lassen. Die unsichtbaren Metallteile wurden verchromt, die sichtbaren vergoldetet. Und trotzdem wissen nur die Beteiligten, was es mit dem Fahrzeug auf sich hat. Hier Namen zu veröffentlichen wäre für die Betreffenden zu gefährlich, weil ihr Tun als solches schon ein Frevel war. Sie sind Muslime. Das Ergebnis ihrer Reise blieb unter anderem auch aus diesem Grund im Dunkeln. Da Ali trotz bester Kontakte nichts darüber erfahren konnte, sah er sich seinerzeit gezwungen, selbst mit seinen Kamelen dorthin zu ziehen. Wir leben heute im Zeitalter der Satelliten. Die Frage, die ich mir oft stelle, lautet: Haben die Satelliten das Zentrum des Paradieses nicht längst schon ausgemacht? Meine Antwort: Vermutlich ja. Doch zwischen einer optischen Aufklärung und einer körperlichen Anwesenheit vor Ort liegen Welten. Schlusswort
Ali hat mich gebeten, folgendes Schlusswort von ihm abzudrucken:
Was haben Sie erwartet? Das Paradies, das Ihnen wie ein Schlaraffenland zufällt? Wenn dem so wäre, hätte Paul Thomas dieses Buch nie schreiben müssen. Alles wäre bekannt. Alles wäre bewiesen. Dieses Buch ist auch nicht für Sie geschrieben worden, wenn Sie nicht derjenige sind, für den der Inhalt bestimmt ist. Sie dürfen es lesen. Sie dürfen davon träumen, dass sie noch in Ihrem Leben mehr Information über das Paradies erhalten werden. Aber Sie dürfen nicht handeln. Mit diesem Buch taucht eine Information aus der Vergangenheit auf, die in den Köpfen der Massen vergessen worden war Mehr nicht. Wie es weitergehen wird? Ich weiß es nicht. Allahs Wille geschehe.