GISELA HEIDEN
Eine Perle — tausend Tränen
Roman
Tausend Tränen birgt die schwarze Perle für die junge, hübsche Moni...
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GISELA HEIDEN
Eine Perle — tausend Tränen
Roman
Tausend Tränen birgt die schwarze Perle für die junge, hübsche Monika Deiters. Die Perle, die an einem zarten Goldkettchen ihren weißen Hals schmückt, ist das Verlobungsgeschenk des armen Komponisten Reinhard von Breiten, an dessen Seite ihr einmal großes Leid widerfahren soll. Monika ahnt nicht, daß ihr durch dieses wenig kostbare Schmuckstück die Kraft und der Lebensmut verliehen werden, die es ihr ermöglichen, an ihrem schweren Los nicht zu zerbrechen. Eines Tages nämlich verließ Monika Deiters heimlich ihr Elternhaus, um dem jungen Künstler zu folgen, dem sie ihre Liebe geweiht hat. Aber nichts als Armut und Elend erwartet sie als seine Frau. Sie hätte es gern in Kauf genommen, wenn ihr nur die Liebe ihres Gatten geblieben wäre, ohne die es sich für Monika nicht weiterzuleben lohnt. Ihr Kampf um das Glück aber ist vergebens. Oder doch nicht...?
Umschlagfoto: Verlags-Archiv
GISELA HEIDEN
Eine Perle - tausend Tränen Roman
VERLAG SCHÄLTER & CO. • DEILINGHOFEN Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany. Druck und Verlag: Schälter & Co., 5S72 Deilinghofen
Es sind furchtbare Wochen, in denen Reinhard von Breiten sich unerschrocken, aber mit unbeugsamem Willen, gegen den mit aller Bestimmtheit ausgesprochenen Wunsch der Eltern auflehnt, das väterliche Erbe zu übernehmen. Musik will er studieren, als Komponist will er schaffen können! Vater Breiten findet dafür keine Worte. Er ist erschüttert über das Vorhaben seines Sohnes. Musiker ... Künstler ... fahrendes Volk! Nie und nimmer! »Und wie denkst du dir das alles?« Bittend sieht der Sohn den erzürnten Vater an. »Auf ein Konservatorium möchte ich gehen.« »Und dann?« Die kalte Ruhe des Vaters ist Reinhard unheimlich. »Ich sagte es doch schon, Vater, ich möchte komponieren, die Klänge die durch mein Herz ziehen, aufs Papier bringen. Das ganz allein ist mein Wunsch. Ich liebe die Musik!« Herbert von Breiten hält die Hände auf dem Rücken verschränkt. »So — du liebst die Musik. Das ist schon das Richtige! Nicht wahr? Das paßt dir ausgezeichnet — arbeiten, wenn du gerade Lust hast, die andere Zeit schlafen oder dich herumtreiben. Keine geregelte Tätigkeit, das könnte dir wohl so passen. Nein, mein lieber Sohn, dafür gebe ich mein Geld nicht her. Gewiß, nun wirst du sagen: Du kannst es doch, Vater. Du brauchst nicht auf den Pfennig zu sehen. Aber dafür ist mir mein Geld zu schade, hörst du? Es ist mir ja auch nicht in den Schoß gefallen, ich habe dafür arbeiten müssen, wie jeder andere auch. Schlage dir den Gedanken also ganz und gar aus dem Sinn.« »Vater —«, beginnt Reinhard bittend. Aber eine unwillige Geste heißt ihn schweigen.
Reinhard gibt auf. Wenigstens im Augenblick tut er es. Später wird er dieses Thema noch einmal anschneiden, er wird den Vater so lange quälen, bis er seine Einwilligung gibt, denn die muß er ja schon haben. Seine Ausbildung wird Unsummen verschlingen. So geht die Zeit dahin. Die Jahreszeiten wechseln sich ab, doch im Hause der von Breiten hat sich nichts geändert. Bis auf eine Kleinigkeit: Der Vater hat sich entschlossen, Reinhard zu erlauben, Musiklehrer zu werden. Das will er noch gelten lassen, aber freischaffender Künstler, ein Hungerleiderberuf, wie er ihn nennt, nein, das wird er nicht zulassen. Reinhard überlegt. Er denkt darüber nach, ob er zusagen soll. Kommt Zeit, kommt Rat, heißt es. Aber etwas zu versprechen und es später vielleicht doch nicht halten können, das geht wider seine Natur. Musiklehrer... er weiß und er fühlt es auch ganz genau, daß er sich niemals zum Lehrer eignen wird. Was soll er nur tun? Dem Vater zusagen, er wolle dessen Wunsch erfüllen, oder klaren Wein einschenken und mit Bestimmtheit zugeben, daß er niemals diesen Beruf erlernen wird? Sagt er nein, hat er gar keine Chance. Sagt er ja, dann hätte er schon den ersten Schritt getan. Allerdings würde er immer die Gewißheit mit sich herumschleppen, daß er den Vater hintergangen hat. Was ist nun schwerer zu ertragen? Er rafft sich auf und antwortet dem Vater. »Das Versprechen, Musiklehrer zu werden, das kann ich dir leider nicht geben, Vater. Du mußt mich verstehen, es ist nicht das, was mich ausfüllt, wonach ich mich sehne.« »Gut, so mach, was du willst«, das ist des Vaters letztes Wort. Er tut seit diesem Tage, als ginge ihn die ganze Sache nichts mehr an. Reinhard von Breiten sitzt in der Wildnis des kleinen Mauergärtchens, das immer schon sein Reich gewesen ist. Es ist ein strahlender Sommertag und so schön, daß Reinhard die
Stunden nicht zählt. So ist es schon oft geschehen, und so manches Mal gleiten unbemerkt die Stunden des Tages in die der Nacht über. Seine Gedanken kreisen wie immer darum, wie er es anstellen kann, den Besuch des Konservatoriums möglich zu machen, auch ohne Hilfe des Vaters. Aber wie? Wie kann er es anstellen? Den Vater noch einmal bitten? Nein, das kann er nicht. Er weiß, wie sehr der Vater den von Reinhard so ersehnten Beruf haßt. Langsam erhebt er sich und schreitet den schmalen Weg hinab bis in den breiten Park, der das elegante Haus umsäumt. Er tritt in das Wohnzimmer, in der Hoffnung, hier noch eine Weile ungestört nachdenken zu können. Doch die Mutter sitzt noch beim traulichen Schein der Lampe und stickt. Reinhard setzt sich wortlos in einen Sessel ihr gegenüber und greift zur Zeitung. Eine Weile herrscht Schweigen im Raum, doch dann beginnt die Mutter: »Reinhard, ich habe auf dich gewartet, ich muß einmal mit dir sprechen.« »Was gibt es denn, Mutter?« fragt Reinhard, ohne die Zeitung aus der Hand zu legen. »Sage mal, was ist eigentlich mit dir los? Du bist nicht mehr der alte. Alles, was du tust, geschieht mit einer Unlust, wie ich sie nie an dir gekannt habe.« »Du weißt, Mutter, warum. Du kennst meinen Wunsch, und ich kann nur noch einmal betonen, daß ich nicht dazu geschaffen bin, dieses Erbe hier anzutreten. Ich möchte den Beruf ergreifen, der mir am Herzen liegt, und den kennst du.« Das Mutterauge, das schärfer sieht als jedes andere, bemerkt, daß bei diesen Worten ein Schatten auf dem Antlitz des Sohnes liegt. Doch sie sagt nichts, sie begnügt sich damit, ihrer schmerzlichen Befremdung durch Schweigen Ausdruck zu geben.
»Mutter«, fragt Reinhard nach einiger Zeit, »hat dich meine Antwort verletzt? Es tut mir leid, aber du mußt mich auch verstehen, gerade du müßtest es. Ich bin nicht mehr der willenlose Knabe, den man dirigieren kann, wie es einem paßt. Nein, Mutter, ich bin zum Manne herangewachsen und weiß recht gut, was ich zu tun habe.« »Dann würdest du jetzt anders denken. Du würdest dir Gedanken darüber machen, wie du aus unserem Besitz noch mehr machen könntest. Aber statt dessen sitzt du und grübelst darüber nach, wie du es möglich machen kannst, deinen Willen durchzusetzen.« »Mutter, ich habe den Plan, Musiker zu werden, gefaßt, und ich werde ihn durchführen. Gegen euren Willen, wenn es sein muß. Ich gebe diese Hoffnung nicht auf, mag kommen, was will. Jedes weitere Wort wäre überflüssig. Oder bist du auch der Meinung, daß der Beruf eines Komponisten geringer wäre als das, was hier auf mich wartet?« »Ja, mein Sohn, auch ich bin dieser Meinung.« Reinhard sieht sie betroffen an. »Dann ist es ja zwecklos, daß ich noch weiter mit dir rede.« »Du solltest dich schämen, das Erbe deines Vaters so zu mißachten. Glaubst du nicht, daß es ihn schmerzt zu wissen, daß sein Lebenswerk einmal in fremde Hände übergeht? Wofür hat er sich all die Jahre geplagt und es zu Reichtum und Wohlstand gebracht?« »Ich werde schon später dafür sorgen, daß alles erhalten bleibt.« »Dich interessiert doch etwas ganz anderes als das, was deine Aufgabe sein sollte.« »Mutter«, ruft Reinhard gereizt, »nachdem ich all die Jahre mit all meiner Kraft euch zur Seite gestanden habe, möchte ich doch wenigstens jetzt so viel Recht und Freiheit haben, über meine Zukunft selbst verfügen zu dürfen.« »Diese Freiheit kannst du haben«, erwidert die Mutter ruhig,
»aber vergiß nicht, daß du eine sichere Zukunft vor dir haben könntest, während du bei dem Beruf, den du nun mit aller Gewalt ergreifen willst, nicht einmal weißt, ob du das Nötigste zu Leben hast. Denn mit der Unterstützung des Vaters brauchst du unter gar keinen Umständen zu rechnen.« Reinhard beißt sich auf die Lippen. »Es ist schmerzlich für mich, wenn ich daran denke, daß zwischen uns beiden wegen dieser Sache ein Mißverständnis entstehen sollte. Ich habe immer darauf gehofft, daß gerade du mich verstehen würdest. Ich kann es einfach nicht begreifen, daß du nicht mit mir fühlst, daß ich nun zu etwas Höherem berufen bin, als hier das Erbe meines Vaters anzutreten. Begreifst du das nicht, Mutter?« »Nein, bei aller Liebe, das werde ich nie verstehen.« »Dann dürften wir uns nichts mehr zu sagen haben, Mutter.« Reinhard erhebt sich und wünscht ihr eine gute Nacht. Auf seinem Zimmer angekommen, sinnt er noch eine Weile nach. Er hat sich der Erfüllung seines Wunsches noch niemals so weit entfernt gefühlt wie in diesem Augenblick. Monika Deiters, ein hübsches, blondhaariges Mädchen, ist seit langem Reinhards Freundin. Sie kommt aus sehr reichem Hause und ist das einzige Kind des Industriellen Werner Deiters. Alles, was ihr Herz begehrt, bekommt sie von den Eltern. Doch Freunde begehrt sie keine. Der einzige Mensch, dem sie sich angeschlossen hat, ist Reinhard von Breiten. Sie kennen sich schon seit der Zeit, als sie noch als Kinder miteinander spielten. Werner Deiters hat große Pläne. Er duldet wohl die Kameradschaft zwischen den beiden jungen Menschen, doch heiraten soll Monika einmal einen bekannten Industriellen. Es ist der Sohn eines alten Geschäftsfreundes. Noch ist es dem Mann zu früh, die Tochter darauf
hinzuweisen. Er sieht sie immer noch als Kind an und weiß nicht, daß die junge Liebe bereits in ihrem Herzen erwacht ist, daß sie sich nicht nur in Freundschaft zu Reinhard hingezogen fühlt, sondern daß zarte Bande sie mit dem Jugendfreund verbinden. So treffen sich die beiden jungen Menschen immer wieder. Sie kennt Reinhards Neigung zur Musik, und sie versteht ihn, daß er nur noch einen Wunsch hat, dieser Neigung nachzukommen. Wieder ist eine Stunde der Begegnung da. Reinhard ist auf dem Wege zu Monika. Es geht ihm durch den Kopf, daß eigentlich Monika der einzige Mensch ist, der ihm helfen könnte. Sie hat zwar sein Wort, daß er sie niemals verlassen will, aber an der Erfüllung dieses Wortes darf der Daseinszweck eines Menschen nicht scheitern. Niemals hat er sich zu etwas berufener gefühlt, als sein Leben der Musik zu weihen. Dieser Stimme muß er folgen. An dieser seiner eigenen Lebensaufgabe wird er ja erst erstarken und ein ganzer Mann werden. Er weiß, daß er dieser Aufgabe gewachsen ist, und auch, daß er Monika von allem überzeugen kann, was ihm ja bis jetzt schon gelungen ist. »Willst du denn nun wirklich Komponist werden?« fragt Monika ihn eines Tages. Er nimmt ihre Hände zwischen seine eigenen, und dann spricht er eindringlich und voll Innigkeit davon, wie er sich die Zukunft denken würde. Doch ein Problem bleibt offen. Wie soll er die Kosten tragen? Wer wird ihm das Geld dazu geben? Er ist doch nicht volljährig und kann nicht über sein eigenes Kapital verfügen. Diese Frage quält ihn bei Tag und Nacht, und er findet kaum Ruhe. »Ich werde alles für dich schreiben, Monika. Und unsere Kinder werden es ihren Kindern zeigen: Sieh einmal hier, das schrieb der Vater, der Urgroßvater und so weiter.«
Auch Monika erkennt das Großartige dieses Zukunftplanes und sinnt darüber nach, wie sie Reinhard helfen könnte. Den Vater fragen? Wie wird er sich dazu stellen? Aber er hat ihr selten einen Wunsch versagt. »All meine Stücke werden nach dir benannt werden, Monika, und so wirst du noch in späteren Geschlechtern weiterleben. Es wird viel Schweiß und Anstrengung kosten. Alle Ansprüche, die wir einmal an das Leben stellen werden, wenn wir heiraten, müssen daneben versinken. Aber was ist das schon, wenn ich Erfolg habe?« Monika sinnt einen Augenblick nach. »Weißt du, Reinhard, ich will versuchen, dir zu helfen. Ich werde meinen Vater um Geld bitten, und so wird es dir möglich sein, das Konservatorium zu besuchen. Ich will auch gern später ein bescheidenes Leben auf mich nehmen, denn ich weiß, daß es nicht umsonst sein wird, daß du es ganz bestimmt zu etwas bringst.« Reinhard starrt auf Monika, als könne er all ihren Worten nicht glauben. Aber ihre Augen leuchten, und über ihrem sonnigen Antlitz liegt so viel Seligkeit, daß er sich erschüttert in ihre Haare greift, als wolle er dort Halt suchen. Er neigt ihren Kopf zu sich hinab, behutsam und zärtlich, und küßt sie voller Dankbarkeit. »Das alles willst du für mich tun, Monika?« »Ja, ich werde dir helfen. Wenn niemand da ist, der dich versteht, so will ich es tun. Ich will dir helfen und werde es auch schaffen. Ich will nicht, daß die Leute sagen können, du jagtest einer verrückten Idee nach. Nein, sie sollen sich überzeugen, daß du auch wirklich etwas schaffen wirst.« »Und wenn ich eine Niederlage erleide? Ich meine, wenn ich es nicht schaffe?« »Nun, ich glaube, Reinhard, daß in jeder Niederlage schon ein Stück Sieg verborgen ist. Du kannst nun, wenn ich dir dazu
verhelfe, eines Tages auf herrliche Art über all die Menschen siegen, die heute noch über deinen Plan lachen werden. Du wirst den Triumph erleben, daß du das geworden bist, was du dir immer erhofftest.« Die beiden scheiden voneinander in der stillen Hoffnung, daß sich ihr Wunsch erfüllen möge. Doch Monika weiß es schon, sie wird ihm helfen können. Sie wird heimlich von ihrem eigenen Konto etwas abheben. Es wird nicht umsonst sein, sie weiß, sie fühlt es ... Reinhard von Breiten sitzt an einem kleinen Rauchtischchen und zählt blaue Scheine darauf. Dabei kann er sich nicht enthalten, das Gesicht des Vaters heimlich zu beobachten. Vater Breiten starrt auf die Scheine, als könne er sich deren Vorhandensein nicht recht erklären. Dann überzieht sich sein Gesicht mit einer brennenden Röte. Schweigend, mit zusammengekniffenen Lippen verfolgt er, wie Reinhard die Scheine wieder aufnimmt und sie in seiner Tasche verschwinden läßt, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Plötzlich springt Vater Breiten auf. »Woher hast du das Geld?« schreit er in einem Ton, als sei er überzeugt, daß Reinhard sich diese Summe auf unrechtmäßige Weise angeeignet hat. »Vater, es ist nicht dein Geld. Und die Hauptsache ist«, weicht er der Frage des Vaters aus, »daß es mir gelungen ist, das Geld für das Konservatorium zu beschaffen.« »Von wem du das Geld hast, will ich wissen.« In der Stimme des Mannes liegt ein drohender Ton. »Geliehen habe ich es mir. Habe ich da vielleicht etwas Unrechtes getan?« Breiten lacht hell auf. »Geliehen? Das ist ja ein Witz! Es scheint auf der Welt doch wahrhaftig noch leichtsinnige Menschen zu geben, daß man dir Geld leiht ohne eine Sicherheit, und dann noch einem halben Kind,
denn immerhin bist du nicht einundzwanzig.« Reinhard unterdrückt eine unbeherrschte Erwiderung. »Es ist von jemandem, der ganz genau weiß, daß ich sein Vertrauen nicht enttäuschen werde. Willst du denn nun immer noch nicht einsehen, Vater, daß es mir ernst ist? Ich schaffe es, aus mir etwas zu machen. Das Geld ist nicht hinausgeworfen, wie du zu sagen pflegst.« »Hör doch auf mit deinen dummen Reden!« kommt die höhnische Antwort des Vaters. »Du glaubst auch, unregelmäßige Arbeit und Herumlungern sind der sicherste Weg zu Reichtum und Wohlstand!« »Vater, ich werde lernen müssen wenn ich mein Ziel erreichen will. Es ist harte, anstrengende Arbeit, aber sie ist immer noch besser, als einem Beruf nachzugehen, der einem keine Freude und keinen Spaß macht. Zwinge mich doch nicht zu etwas, was ich nicht kann, wozu ich nicht berufen bin. Willst du denn mit aller Gewalt zusehen, wie das Unglück seinen Lauf nimmt? Du wirst keine Freude an mir haben, glaube mir das.« Herr von Breiten hat die versteckte Anklage nur allzugut verstanden, doch sagt er in gereiztem Ton: »Geh nur, geh! Du wirst schon einsehen, daß du einen falschen Weg gegangen bist und daß die Rückkehr das einzige ist, was dir übrigbleibt. Du tust ja gerade, als müßtest du dich hier totarbeiten, dabei hast du weiter nichts zu tun, als die Zügel hier fest in die Hand zu nehmen, wenn ich einmal nicht mehr in der Lage dazu bin. Aber das willst du ja alles nicht einsehen, nur weil du dir Flausen in den Kopf gesetzt hast. Geld pumpen, wie kommst du nur auf diese Idee? Wie kannst du nur so gewissenlos sein, wo du nicht einmal weißt, ob du es jemals zurückgeben kannst? Wer ist denn er Dummkopf, der leichtgläubig genug war, sich von dir herumkriegen zu lassen?« Reinhard zögert einen Augenblick, doch dann sagt er
spontan: »Monika Deiters!« Von Breiten stockt der Atem. Er starrt den Sohn an, als wolle er ihn mit seinen Blicken verschlingen. »Was sagst du da? Monika Deiters? Ja, sag mal, schämst du dich nicht, von den Deiters etwas anzunehmen? Also, das schlägt doch dem Faß den Boden aus.« »Warum bist du nur so erregt, Vater? Weshalb traust du mir nicht zu, daß ich ein tüchtiger Mensch bin? Warum läßt du mich nicht erlernen, was ich gern möchte? Hast du so wenig Vertrauen zu deinem eigenen Fleisch und Blut?« »Papperlapapp! Monika Deiters sollte ihr Geld für nützlichere Dinge gebrauchen. Womöglich hat sie es noch ihrem Vater abverlangt! Das wäre dann ja wohl das letzte. Glaubst du daran, daß ich mich lächerlich mache? Oder bist du gar im ganzen Dorf umhergelaufen und hast um Geld gebettelt? Mein Gott, was für einen mißratenen Sohn habe ich! Wahrhaftig, stolz kann ich auf dich sein!« Reinhards Gesicht verschließt sich. »Ich hoffe, daß du diese Worte einmal im Ernst sagen wirst, Vater!« sagt Reinhard und verläßt das Zimmer. Herr von Breiten steht lange unbeweglich. In seinem Innern nagen Bitterkeit und Zorn. Aber noch etwas brennt in seinem Herzen, das er verzweifelt niederzuringen versucht: Er ahnt dumpf die Kraft, die in Reinhard steckt. Daß diese Kraft sich gegen ihn richtet, verbittert ihn. Immer hat er davon geträumt, einmal sorglos seine Tage zu beschließen, denn er hat ja einen Sohn. Aber dieser Sohn ist nicht aus seinem Holz, er ist nicht aus dem gleichen Blut, nein, niemals! Daß der Junge ihm all die schönen Hoffnungen zerstört, das trifft ihn am schwersten. Das Ergebnis all dieser Überlegungen ist, daß Vater Breiten
sich das Jackett anzieht und nach kurzer Zeit mit bedachtsamen Schritten die Dorfstraße hinabschreitet. Für empfindliche, nervöse Naturen, für die das Vergangene immer ein wenig der Gegenstand der Reue ist, sind die ersten Augenblicke des Erwachens am Morgen sehr schwer. Das so plötzlich erwachte Bewußtsein klammert sich mit aller Gewalt an die unangenehmen Dinge. Aber wenn man richtig erwacht ist und das Blut in den Adern zu kreisen beginnt, sind die schlimmen Gedanken verbannt, und Frohsinn nimmt ihre Stelle ein. Auch an diesem Morgen kommen Reinhard von Breiten wieder die Dinge ins Bewußtsein, die ihm in der Aufregung des vergangenen Abends und in der glücklichen Vergessenheit des Schlafes eine Zeitlang entschwunden waren. Der bittere Schmerz, den er tags zuvor bei der Nachricht vom Tode des Vaters empfunden hat, erfaßt ihn wieder mit aller Macht. Er fühlt sich ein wenig beschämt, obwohl er sich immer wieder sagt, daß es für ihn keinen anderen Weg gab als diesen, den er gegangen ist. Auch den Schrecken beim unvermuteten Eintreffen des Telegramms spürt er wieder und ist erschüttert. Was soll nun werden? Wird die Mutter es allein schaffen, den Gutshof zu führen? Er macht sich bereit, den Weg nach Hause anzutreten. Der Vater ist zur letzten Ruhe gebettet. Reinhards schmales Gesicht ist weiß wie Kalk. Die dunklen, tränenlosen Augen brennen. Unter dem Gittertor, das den Friedhof abschließt, bleibt er noch einmal stehen. Seine Hände krampfen sich ineinander. Was wird nun kommen? — Was wird nun werden? Das Ende des Vaters war kein Scheiden in Frieden, so sagte die Mutter. Mitten heraus aus dem Leben wurde er gerissen, aber er hatte noch so viel Zeit, sich an den Sohn zu erinnern, auf den er all
seine Hoffnungen setzte. Monika Deiters steht abseits auf dem Friedhof. Sie hat nicht der Beerdigung des Herrn von Breiten beigewohnt, aber aus der Ferne nahm sie Anteil daran. Sie blickt Reinhard an, der mit gesenktem Kopf auf sie zukommt, mit gesenktem Kopf und bitterem Blick. Sein Rücken ist gebeugt. Aber die Last, die er mit sich herumschleppt, ahnen die anderen nicht. Aber sie weiß es, sie ganz allein. Sie fühlt, wie sehr er darum bangt, seinen Wunsch, Komponist zu werden, aufgeben zu müssen. Jetzt steht er ganz nahe vor ihr. »Monika, wie lieb, daß du hergekommen bist.« »Es war doch selbstverständlich, Reinhard.« »Wir haben nicht lange Zeit, Monika, ich habe eine Bitte an dich. Ich muß mit dir sprechen, irgendwann.« Mitleid liegt in den Augen des Mädchens. Sie weiß, wie sehr er sie jetzt braucht. »Reinhard, ich komme zu dir. Ich werde dich besuchen, wenn du wieder zurück bist. Ich meine, wenn du wieder zum Konservatorium gehst.« Sie sieht den schmerzlichen Zug um seinen blutleeren Mund. Ein Schreck durchfährt sie. »Oder willst du gar nicht mehr zurück? Willst du gar alles aufgeben, jetzt, wo du es schon zu etwas gebracht hast?« Reinhard streicht ihr zärtlich über die rosige Wange. »Was soll ich denn tun? Glaubst du, ich könnte die Mutter mit allem allein lassen?« »Du darfst nicht aufgeben, Reinhard, jetzt nicht mehr. Du mußt das Ziel erreichen, das du dir gesetzt hast, hörst du? Du mußt es!« »Und... du willst wirklich zu mir kommen? Was wird dein Vater dazu sagen?« »Er wird nicht wissen, wohin ich gehe. Ich werde schon einen Vorwand finden, um fortzukommen.« »Ich danke dir, Monika. Ich werde wieder zurückgehen —
mag da kommen was will.« Sie nickt stumm und sieht hinter der Gestalt des Mannes her, für den sie bereit ist, alles zu tun. Nach dem Mittagessen bittet Reinhard die Mutter um ein kurzes Gespräch. »Mutter, was soll ich tun? Ich weiß jetzt nicht, was geschehen soll. Wirst du allein mit • allem hier fertig werden? Oder wünschst du...?« »Nein, nein, nimm keine Rücksicht auf mich, ich werde es schon schaffen.« Sie verschweigt ihm, wieviel Sorge und Angst ihr die Zukunft macht. Sie bringt ihn zur Bahn am späten Nachmittag und löst ihm ein Billett zweiter Klasse. Reinhard nimmt es hin als etwas Selbstverständliches. Aber er weiß nicht, wie schwer es ihr wird, dieses Fahrgeld zu opfern. Der Tod des Vaters und alles, was vorher war, wovon Reinhard nichts ahnt, hat eine ungeheure Lücke in die Kasse gerissen. Was weiß Reinhard schon davon, daß der Gutshof immer mehr dem Ruin zugeht? Von allen Seiten scheint sich das Unheil wie Gewitterwolken zusammenzuballen. Je mehr sie versucht, es abzuwenden, desto schneller und sicherer hat es sie befallen. »Mutter, zürnst du mir auch nicht, daß ich fortgehe?« versichert er sich noch einmal. Sie hält seine beiden Hände zwischen ihren kalten, zitternden Fingern. »Warum sollte ich dir zürnen? Wenn es nun mal nicht anders geht«, sagt sie bedrückt. Sie weiß ja von vornherein, daß es niemals wahr werden wird, daß er zurückkehrt. Sie weiß, daß er bei seinem Studium bleiben wird. Er wird sicherlich jetzt, da der Vater sein Leben aufgegeben hat, daran denken, sie um etwas Geld zu bitten für sein Studium. Obwohl er sich nebenbei noch Geld verdient,
wird es auf die Dauer nicht reichen. Aber was soll sie ihm sagen? Jeder Pfennig muß in Rechnung gezogen werden. Bald darauf flattern beider Taschentücher zum Abschied im Wind. Die Lokomotive biegt ratternd und puffend um eine Kurve, die Wagen nach sich ziehend. Eine Rauchwolke, die zurückbleibt, ist alles was sie noch sieht. Irene von Breiten ist allein. Ein paar schwere Tränen rollen unter dem schwarzen Schleier auf die blassen Wangen. Ihr Gang ist schleppend, als sie das Bahnhofsgebäude verläßt... »Was möchtest du, mein Kind?« fragt Werner Deiters ungläubig. »Ein paar Tage verreisen? Aber wohin denn, mein Kind?« Monika windet sich ein wenig, sie weiß bei Gott nicht, was sie antworten soll. Krampfhaft überlegt sie. Plötzlich findet sie eine Lösung. »Irgendwohin, Vater. Ich möchte nur ein wenig hier heraus. Kann ich mir nicht einmal ein Hotelzimmer mieten für ein paar Tage?« Erstaunt richtet der Mann den Blick auf seine Tochter. »Ein Hotelzimmer? Aber Kind, doch nicht allein. Du kannst Grete, unser Hausmädchen, mitnehmen, dann habe ich nichts dagegen.« »Vater, du traust mir nicht, nicht wahr?« »Aber, Kind, gewiß glaube ich dir. Nur eines möchte ich dich fragen: Wie kommt es, daß du plötzlich auf diese Gedanken kommst? Steckt etwa ein Mann dahinter?« Eine dunkle Blutwelle schießt in das Mädchengesicht. Sie schweigt. Wieder die Stimme des Vaters: »Darf ich das nicht wissen?« Seine Stimme klingt ein wenig betrübt. »Ich ... gewiß, ich habe einen Freund, aber das — das hat mit der ganzen Sache nichts zu tun.« »Kennst du ihn schon lange?«
»O ja, sehr lange, Vater.« Er horcht auf. »Und du hast niemals darüber gesprochen?« Der Blick des Mannes liegt prüfend auf seiner Tochter, als er fortfährt: »Sag mal, Monika, es wird doch nicht jener sein, den du schon von Jugend auf kennst?« Verlegen schaut Monika den Vater an. »Aber wen meinst du denn, Vater?« »Ach, ich meine das ja nicht, es war nur so ein Gedanke. Ich denke da an diesen Reinhard von Breiten, den einzigen Sohn des alten Breiten, der erst kürzlich verstorben ist. Es ist manchmal kaum zu glauben. Eine grundanständige Familie, aber der Sohn ... verdorben, verkommen...« »Das ist nicht wahr, Vater!« wehrt Monika, doch im gleichen Moment hält sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Woher willst denn du das wissen, mein Kind?