Nikki Benjamin
Tage voller Zärtlichkeit
Es ist das Ereignis des Jahres in New York: der Ball zu Ehren des Bürgermeist...
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Nikki Benjamin
Tage voller Zärtlichkeit
Es ist das Ereignis des Jahres in New York: der Ball zu Ehren des Bürgermeisters! Mit äußerst zwiespältigen Gefühlen nimmt Eloise Vale die Einladung an, an der Seite von Bürgermeister Bill Harper das Fest zu eröffnen. Vor vielen Jahren waren sie ein Paar, aber jetzt sind sie Gegner! Eloises Krankenhaus ist von den Subventionen der Stadt abhängig – und genau die sollen gestrichen werden. Doch als sie in Bills Armen über das Parkett schwebt, zählt all dies nicht mehr. Denn sie hat nie aufgehört, Bill zu lieben. Als er sie einlädt, das Wochenende mit ihm am Meer zu verbringen, stimmt Eloise spontan zu…
2003 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Prince Of The City“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
in der Reihe: SPECIAL EDITION
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam
Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1426 (16/1) 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Patrick Hansen
Fotos: Corbis GmbH
1. KAPITEL Eloise Vale blieb ein letztes Mal vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer stehen und musterte sich kritisch. Das schlichte, aber elegante Abendkleid aus schwarzer Seide war knöchellang. Es war am Rücken tief ausgeschnitten und brachte ihre schlanke Figur zur Geltung. Das aschblonde Haar reichte bis zum Kinn und umspielte ihre zarten Gesichtszüge, die durch ein etwas kräftiger als sonst aufgetragenes Makeup betont wurden. Der Schmuck, nicht mehr als funkelnde Brillanten an den Ohren und ein dazu passendes Armband, verlieh ihrer Erscheinung einen Hauch von Glamour. Nicht schlecht für eine reife Frau von zweiundvierzig und die Mutter dreizehn Jahre alter Drillingssöhne, dachte sie lächelnd. Sie sah kühler, ruhiger und mondäner aus, als sie sich eigentlich fühlte. Es war erstaunlich, wie sehr Äußerlichkeiten über den inneren Zustand eines Menschen hinwegtäuschen konnten. Und das war gut so. Denn sie durfte sich unter keinen Umständen anmerken lassen, wie nervös sie schon seit Stunden war. Erst am Nachmittag war ihr klar geworden, worauf sie sich eingelassen hatte. Auf den Ball des Bürgermeisters zu gehen – das herausragende gesellschaftliche Ereignis von New York City –, das war für Eloise keine neue Erfahrung. Vor seinem Tod vor drei Jahren hatte ihr Mann Walter Vale, ein wohlhabender Investmentbanker, sie regelmäßig dorthin begleitet. Aber heute Abend würde sie mit Bill Harper, dem Bürgermeister persönlich, erscheinen. Mit dem Mann, den sie vor siebzehn Jahren geliebt, aber nicht geheiratet hatte. „Vergiss das nicht“, murmelte Eloise und drohte ihrem Spiegelbild mit erhobenem Zeigefinger. In den letzten Monaten hatte Bill Harper bewiesen, dass er kein Freund von ihr oder von Manhattan Multiples war. Er hatte sie vermutlich nur eingeladen, ihn auf den Ball zu begleiten, weil er allen beweisen wollte, wie unvoreingenommen er war. Und sie hatte seine Einladung lediglich angenommen, um die Gelegenheit zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Die aufgebrachten Anrufe in seinem Büro, das Interview, das sie der New York Times gegeben hatte, sowie die anonymen Leserbriefe, die sie an verschiedene andere Zeitungen geschickt hatte, schienen ihn nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Also würde sie es von Angesicht zu Angesicht versuchen und dabei auch noch um öffentliche Unterstützung kämpfen. Trotzig hob Eloise das Kinn, nickte sich zu und dachte daran, was sie sich geschworen hatte. Sie würde alles tun, um Manhattan Multiples, das von ihr gegründete Beratungszentrum für Mehrlingsmütter, vor der Schließung zu bewahren. Selbst wenn sie dazu einen ganzen Abend an Bürgermeister Harpers Seite verbringen musste. Eloise war geistreich und unterhaltsam, und als Ehefrau eines wichtigen New Yorker Geschäftsmanns hatte sie gelernt, sich auch im Kreise von Prominenten gelassen zu bewegen. Sie konnte also das Beste aus ihrem heutigen Auftritt machen. Und das würde sie auch tun. Doch genau das hatte Bürgermeister Harper vermutlich ebenfalls vor. Sie zweifelte nicht daran, dass seine Einladung, ihn auf den Ball zu begleiten, rein politische Gründe hatte. Eloise war nicht naiv genug zu glauben, dass er dort weitermachen wollte, wo sie vor siebzehn Jahren aufgehört hatten. Und sie wollte es auch nicht. Obwohl sie inzwischen verwitwet und er geschieden war. Sie hatte seinen Heiratsantrag
damals abgelehnt, und auch heute stand sie zu ihrer Entscheidung. Sicher, sie beide hatten sich in all den Jahren geändert, aber Bill Harper war noch immer der, der er damals gewesen war – ein Mensch, der in erster Linie für die Politik lebte. Und das würde er immer bleiben. Er würde auch diesen Abend nutzen, um sein Image zu verbessern. Denn sein Vorhaben, die Zuschüsse an wohltätige Organisationen zu streichen und dadurch den Haushalt der Stadt zu sanieren, war nicht auf die erhoffte Begeisterung gestoßen. Indem er sich öffentlich mit ihr zeigte* konnte er den Eindruck erwecken, er hätte die Unterstützung einer der lautstärksten Gegnerinnen seines Sparprogramms gewonnen. Doch auch sie konnte diesen öffentlichen Auftritt für ihre eigenen Zwecke nutzen. Wenn sie geschickt vorging, konnte sie den Eindruck erwecken, als wären ihm Zweifel an seiner Haushaltspolitik gekommen. Und solange es so aussah, als würde der Bürgermeister ihr wenigstens zuhören, konnte sie in ihrem Kampf gegen die Kürzungen bei wohltätigen Organisationen wie Manhattan Multiples Verbündete finden. Eloise kehrte dem Spiegel den Rücken zu, nahm die Abendtasche vom Bett und legte sich den langen schwarzen Seidenmantel, der sie vor der Novemberkälte schützen würde, über den Arm. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass ihre Verabredung erst in einigen Minuten eintreffen würde. Nein, nicht meine Verabredung, korrigierte sie sich. Denn das klang romantischer, als sie und sicher auch Bürgermeister Harper sich diesen Abend vorstellten. Begleiter – das war eine wesentlich sachlichere und angemessenere Bezeichnung. Ihre Nervosität legte sich ein wenig, als sie über den Flur ging. Sie wagte es nicht, im Vorbeigehen einen Blick durch die offen stehenden Türen ihrer Söhne zu werfen. Die Verantwortung für die Kinderzimmer hatte sie Mrs. Kazinsky abgetreten. Die stämmige, grauhaarige Haushälterin kam zwei Mal in der Woche und versuchte, den drei Jungs mit liebevoller Strenge so etwas wie Ordnung beizubringen. Im Durchgang zum großen Wohnzimmer blieb Eloise stehen und schaute auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand. In nicht ganz fünf Minuten würde es an der Tür zum Penthouse läuten. Bill Harper war die Pünktlichkeit in Person. Er stand in dem Ruf, niemals jemanden warten zu lassen, weder die Presse noch politische Rivalen – und erst recht keine Lady. Ihr Blick wanderte zu ihren Söhnen, die vor dem Fernseher saßen, umgeben von leer gegessenen Pizzaschachteln, einem Milchkarton, ausgetrunken Gläsern und zerknüllten Servietten. Wenigstens haben sie Gläser genommen, dachte Eloise lächelnd. Seit ihrer Geburt hielten die Drillinge ihre Mutter auf Trab. Und sie waren der Hauptgrund dafür gewesen, dass Eloise die Organisation Manhattan Multiples ins Leben gerufen hatte. „Wow, Mom, siehst du gut aus“, rief Carl, der einige Minuten älter war als seine Brüder. Mit einem Auge auf einen Boxkampf im Fernsehen schielend, strahlte er Eloise an. John, ihr mittlerer Sohn, betrachtete sie von Kopf bis Fuß und stieß einen lauten Pfiff aus, der Eloise zum Erröten brachte. „Wirklich, Mom, du siehst echt toll aus.“ Henry, der jüngste ihrer Söhne, sprang von der Couch. „Wer sind Sie, und was haben Sie mit unserer Mutter gemacht? Zuletzt wurde sie in ausgebeulten Jeans und einem schlabberigen Sweatshirt gesehen.“ „Hey, Jungs, ihr habt mich doch schon mal in einem Abendkleid gesehen, oder? Obwohl ich zugeben muss, dass es eine Weile her ist“, fügte sie hinzu und
versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie sich über die Komplimente
freute.
„Stimmt. Und du bist noch nie zu einem Date mit irgendeinem wildfremden Mann
gegangen“, erwiderte Carl, der als Ältester die Beschützerrolle übernahm.
„Es ist kein Date, jedenfalls kein richtiges, sondern eher eine… geschäftliche
Verabredung. Wir treffen uns eben nur auf einer Party statt im Büro. Und Bill
Harper ist kein Fremder. Er ist der Bürgermeister von New York und außerdem
ein alter Freund von mir“, protestierte Eloise, bevor ihr einfiel, dass sie diese
Tatsache noch nie erwähnt hatte.
„Ein alter Freund?“ John, der ernsteste der drei Jungs, runzelte besorgt die Stirn.
„Das wird ja immer spannender.“ Henry rieb sich erwartungsvoll die Hände.
„Mom und der Bürgermeister… einst alte Freunde, jetzt bittere Feinde.“
„Wir sind keine Feinde, weder bitter noch sonst wie. Wir haben einfach nur
gegensätzliche Auffassungen“, erklärte Eloise geduldig.
„Also seid ihr Gegner“, folgerte Carl triumphierend.
„Der arme Kerl… Er hat keine Chance, oder?“ vermutete Henry.
„Nicht mit Mom als Gegnerin“, bestätigte John.
Zur Erleichterung von Eloise läutete es, und ihr blieb es erspart, von ihren
Söhnen über ihre Beziehung zu Bill Harper ausgefragt zu werden.
Sie warf den dreien einen warnenden Blick zu, ging zur Sprechanlage und erfuhr
vom Türsteher des Apartmenthauses, dass Bill Harper eingetroffen war.
„Schicken Sie ihn bitte herauf.“
Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten aufgeregt, als sie sich zu ihren
Söhnen umdrehte, die inzwischen jedes Interesse an dem Boxkampf verloren
hatten.
„Muss ich euch daran erinnern, dass ihr euch benehmen sollt?“
„Nein, Ma’am“, antworteten die drei im Chor, aber ihre blauen Augen glitzerten
schelmisch.
„Habt ihr eure Hausaufgaben gemacht?“
„Ja, Ma’am.“
„Kann ich mich darauf verlassen, dass ihr das Wohnzimmer aufräumt, bevor ihr
zu Bett geht?“
„Ja, Ma’am.“
„Spätestens um zehn seid ihr im Bett, klar? Ihr wisst, ihr habt morgen Schule.“
„Ach, Mom…“
Ein kurzes, aber energisches Klopfen schnitt den Widerspruch ihres Zweitältesten
Sohnes ab. Die drei Jungen wechselten verschwörerische Blicke, dann lächelten
sie ihre Mutter an.
„Mom, die Tür“, drängte Carl, als sie nicht auf das Klopfen reagierte.
„Ja, Mom, die Tür“, wiederholte Henry.
„Soll ich aufmachen?“ John machte einen Schritt nach vorn.
„Ich gehe schon“, versicherte Eloise hastig und mit ungewohnt atemloser
Stimme. Schließlich setzte sie sich in Bewegung, und ihre Söhne folgten ihr wie
selbstverständlich.
„He, es ist doch nur ein alter Freund mit einer gegensätzlichen Ansicht“, meinte
Carl aufmunternd, als sie zögerte, die Hand schon am Türknauf.
„Richtig“, murmelte sie und warf ihm einen dankbaren Blick zu.
„Du siehst großartig aus, Mom.“ Henry strich ihr über die Schulter.
„Und du bist klug“, fügte John hinzu.
Eloise atmete tief durch und riss die Tür auf.
Danach stand sie wie versteinert da, starrte Bill Harper an und brachte kein auch
noch so kleines Wort heraus.
Sie hatte geglaubt, darauf vorbereitet zu sein, ihm zum ersten Mal nach siebzehn Jahren wieder gegenüberzustehen. Schließlich hatte sie ihn oft genug in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen. Aber das war eine sichere Entfernung gewesen. Sicher genug, um sich der Wirkung des markanten, ausdrucksvollen Gesichts, der darin funkelnden blauen Augen und der kräftigen, hoch gewachsenen Gestalt zu entziehen. Doch jetzt stand er vor ihr, in einem eleganten Smoking, das kurze, ergrauende Haar sorgfältig gekämmt, der Blick offen und direkt, ein warmes Lächeln um den Mund. Aus dieser Nähe war er einfach atemberaubend, und urplötzlich durchströmte sie eine Flut von Erinnerungen. Sie schaute ihm in die Augen, und die Jahre schmolzen dahin, als sich in ihr eine angenehme Wärme ausbreitete – und eine Sehnsucht, die sie vollkommen unerwartet traf. Erst sah sie in ihm nur den alten Freund, den besten, liebsten Freund, den sie hätte heiraten können. Den sie geheiratet hätte, wenn… Doch dann, nur einen Herzschlag lang, malte sie sich aus, wie es wäre, ihn in die Arme zu schließen, sich an ihn zu schmiegen und von ihm gehalten zu werden. Als Eloise jedoch bewusst wurde, dass ihre Söhne hinter ihr standen und die Szene aufmerksam beobachteten, gab sie sich einen Ruck. Bill Harper war einst ihr Freund gewesen. Jetzt jedoch war er, wie ihr Sohn es treffend ausgedrückt hatte, ihr Gegner. Und als solcher konnte er alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte, mit einem bürgermeisterlichen Federstrich zunichte machen. „Herr Bürgermeister“, begrüßte sie ihn höflich und gab ihm lächelnd die Hand. „Kommen Sie herein, und lernen Sie meine Söhne kennen.“ „Bitte, Eloise, mein Name ist Bill“, erwiderte er, während er ihre Hand mit seiner umschloss und eine Sekunde länger als nötig festhielt. „Natürlich… Bill.“ Sie fühlte, wie ihre Wangen sich erwärmten, und zog die Hand zurück, um auf ihre Söhne zu zeigen. „Carl, John und Henry.“ „Guten Abend, Herr Bürgermeister“, sagte jeder von ihnen, als er ihnen die Hand schüttelte. „Jungs, ich freue mich, euch kennen zu lernen.“ Er sah Eloise an. „Wie um alles in der Welt kann man sie bloß auseinander halten?“ „Es ist nicht immer einfach“, gab sie zu. „Aber ich habe da so meine Tricks.“ „Das glaube ich.“ Bills Lächeln wurde breiter. „Sie ist nicht leicht hereinzulegen, was?“ fragte er ihre Söhne. „Nein, Sir, ganz und gar nicht“, erwiderte Carl. „Gut zu wissen, dass manche Dinge sich nie ändern.“ Bill bedachte Eloise mit einem Blick, der ihr allzu vertraut und irgendwie wissend erschien. Dann schaute er auf seine goldene Uhr. „Ich denke, wir sollten gehen. Wir wollen meine Wähler doch nicht warten lassen, oder?“ „Nicht heute Abend“, stimmte Eloise ihm zu und versuchte, ihre Nervosität zu ignorieren. „Ich mache das“, bot er an, als sie ihren Mantel anziehen wollte, und half ihr hinein. „Danke.“ Sie war sehr aufgeregt, und ihre Finger zitterten zu sehr, um den Mantel zuzuknöpfen. Er legte eine große Hand um ihre Schulter und drückte sie. Es war zugleich beruhigend und erregend, und sie verstand nicht, wie sie etwas so Widersprüchliches empfinden konnte. Eloise zügelte ihre außer Kontrolle geratenen Emotionen, machte einen Schritt von ihm fort und wandte sich ihren Söhnen zu, die gebannt die Szene beobachteten. „Um zehn ins Bett“, befahl sie. „Ja, Ma’am“, antworteten sie wie aus einem Munde.
„Falls ihr mich braucht, ich habe das Handy in der Tasche.“ „Werden wir nicht“, versicherte Carl. „Ich glaube nicht, dass es sehr spät werden wird.“ „Hoffentlich, Mom. Du musst morgen zur Arbeit, und wir wissen alle, wie übellaunig du bist, wenn du nicht ausgeschlafen hast“, erwiderte John mit übertrieben strenger Miene. „Aha, also braucht die Lady noch immer acht Stunden Schlaf, um zu funktionieren“, stellte Bill mit einem Lachen in der Stimme fest. „Das werde ich mir merken.“ Er gab ihren Söhnen die Hand und öffnete die Tür. „Eloise…“ Sie rang sich ein – wie sie hoffte – souveränes Lächeln ab. „Danke, Bill.“ Eloise wusste nicht mehr, wie sie sich diesen Abend vorgestellt hatte, aber sie war schon jetzt nicht mehr sicher, ob sie die Situation im Griff hatte. Bill führte sie zum Fahrstuhl. Auf dem Weg nach unten schwieg er, und zu ihrem Erstaunen fand sie die Stille keineswegs angespannt. Kurz darauf öffnete der Chauffeur ihr die Tür der langen, schwarzen Limousine, und Bill half ihr hinein. Als sie beide auf dem weichen Lederpolster saßen und die Tür sich mit dumpfem Laut schloss, schlug Eloises Herz plötzlich schneller. Sie waren allein. Und Bürgermeister Harper – Bill Harper, ihr einstiger Freund und Liebhaber, jetzt der Mann, dessen Politik alles zunichte machen konnte, wofür sie zwölf Jahre lang gekämpft hatte – nahm ihre schmale, kalte Hand und legte seine große, warme darum. „Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie schön es ist, dich wieder zu sehen, Eloise? Es ist wirklich gut. Nein, nicht nur gut, sondern großartig, wirklich großartig…“, flüsterte er mit jener sanften, tiefen und unglaublich erotischen Stimme, die sie noch heute bis in so manchen Traum verfolgte. Sie wusste, dass sie ihm eine kurze, ironische Antwort geben sollte. Stattdessen ließ sie ihre Hand in seiner, und es gelang ihr nicht, ihre wahren Gefühle zu unterdrücken. Sie hatte Bill Harper geliebt, und diese Liebe war nie völlig erloschen. Aber sie war einfach zu ehrlich, um so zu tun, als würde sie nichts mehr für ihn empfinden. „Ja, ich finde es auch schön, dich wieder zu sehen, Bill“, gestand sie schließlich. „Wirklich, wirklich gut.“
2. KAPITEL Bis zu dem Moment, in dem Eloise Vale im Fond seiner Dienstlimousine den Kopf hob, ihn ansah und zugab, dass sie froh war, ihn wieder zu sehen, war Bill Harper nervös und unsicher gewesen. Siebzehn Jahre waren vergangen, seit sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Er hatte nicht zu hoffen gewagt, dass sie sich auch nur einen Hauch ihrer einstigen Gefühle für ihn bewahrt haben könnte. Zudem hatte ihre unverhohlene, öffentlich geäußerte Kritik an seinem Sparprogramm ihn befürchten lassen, dass sie ihm unfreundlich begegnen würde. Bill wusste selbst nicht genau, warum er Eloise eingeladen hatte, ihn auf den Ball des Bürgermeisters zu begleiten. Wochenlang hatte er gezögert. Aber irgendwann war ihm klar geworden, dass er es nicht ertrug, von ihr als Feind angesehen zu werden. Er wollte, dass sie ihn als Freund akzeptierte. Natürlich war er ehrlich genug, sich einzugestehen, dass er sich nach weit mehr als nach Freundschaft sehnte. Und wenn es auch nur die geringste Chance gab, ihre Zuneigung zurückzugewinnen, so musste er schnell handeln. Er hatte erwartet, dass Eloise seine Einladung höflich, aber bestimmt ablehnen würde. Und selbst nachdem sie ihm geantwortet hatte, hatte er noch mit einer weiteren Nachricht gerechnet, in der sie wieder absagte. Aber das hatte sie nicht getan. Eloise Vale war eine Frau, die stets ihr Wort hielt – etwas, was Bill aus eigener Erfahrung wusste. Schließlich hatte sie vor siebzehn Jahren ihr Versprechen gehalten, Walter Vale zu heiraten. Und obwohl er sehr darunter gelitten hatte, hatte er ihre Loyalität bewundert. Das tat er auch jetzt noch, obwohl ihm im Grunde klar war, dass sie ihn nur auf den Ball begleitete, um etwas für ihre Organisation Manhattan Multiples zu tun. Einige Mitarbeiter hatten ihn davor gewarnt, sie und ihren Protest gegen seine Politik aufzuwerten, indem er sich mit ihr in der Öffentlichkeit zeigte. Doch als er jetzt neben ihr im Wagen saß, atmete er den frischen Duft ihres Parfüms ein, sah die Wärme in ihren hellgrauen Augen und spürte, dass sie wirklich froh war, ihn wieder zu sehen. „Darf ich dir sagen, dass du heute Abend sehr schön aussiehst?“ fragte Bill. Er war jetzt endlich sicher, dass seine Entscheidung richtig gewesen war, also nahm er sich vor, die kurze Fahrt zum Hotel zu nutzen. Er wollte versuchen, den politischen Streit zwischen ihnen in den Hintergrund zu drängen. Er wollte, dass Eloise und er an diesem Abend zwei ganz normale Menschen waren, eine Frau und ein Mann, die zusammen auf einen Ball gingen und sich zum zweiten Mal in ihrem Leben kennen lernten. Und er wollte glauben, dass auch Eloise die Anziehung zwischen ihnen gespürt hatte, als er ihr in den Mantel half. „Nur, wenn du es wirklich meinst“, erwiderte sie lächelnd. „Sonst hätte ich es nicht gesagt.“ „Danke.“ Sie senkte kurz den Blick und wirkte fast ein wenig verlegen, bevor sie ihn wieder ansah. „Sie selbst sehen auch sehr gut aus, Herr Bürgermeister. Sehr elegant und würdevoll.“ „Ich weiß das Kompliment zu schätzen, Eloise. Aber sei bitte nicht so förmlich“, tadelte er sanft, um nicht zuzulassen, dass sie auch nur die kleinste Barriere zwischen ihnen errichtete. „Vielleicht wäre es besser“, erwiderte sie. „Du hast dir den Titel redlich verdient und solltest ihn genießen.“ Ihre Augen blitzten, und plötzlich stockte ihm der Atem. Er hatte ganz vergessen,
was für eine hervorragende Gesprächspartnerin sie sein konnte – geistreich, schlagfertig und voller Humor. Oft hatte er sie küssen müssen, um ihre Wortgefechte zu beenden. Das durfte er jetzt natürlich nicht wagen. Aber er konnte versuchen, das Thema zu wechseln. „Ich habe mich gefreut, deine Söhne kennen zu lernen. Du musst sehr stolz auf sie sein.“ „Das bin ich auch. Sehr, sehr stolz sogar. Manchmal können sie allerdings ein wenig anstrengend sein. Da sie gerade erst ins Teenageralter gekommen sind, stehen mir vermutlich ein paar harte Jahre bevor. Aber die drei sind gute Jungs und scheinen meistens zu verstehen, wie sehr ich mich seit dem Tod ihres Vaters auf sie verlassen muss.“ „Das mit Walter tut mir sehr Leid.“ „Ihn so zu verlieren war für uns alle sehr schwer“, gab Eloise zu. „Er war immer völlig gesund gewesen und hatte sich gerade gründlich untersuchen lassen. Der Arzt hat mir versichert, dass die Ergebnisse sämtlicher Tests negativ gewesen waren. Es gab keinen Grund, mit einem Herzinfarkt zu rechnen.“ „Ich wünschte, ich hätte zur Beerdigung kommen können“, sagte Bill. Er hatte allerdings im Norden des Staates in einem Schneesturm festgesessen. „Ich habe erst von seinem Tod erfahren, als es zu spät war.“ „Die Blumen, die du geschickt hast, waren wunderschön, und deine Karte hat mir viel bedeutet.“ Sie zögerte einen Augenblick. „Walter hat immer viel von dir gehalten. Er hat deine Arbeit ehrlich bewundert.“ „Ich habe auch immer viel von Walter gehalten. Und von dir, Eloise…“ Zaghaft nahm er ihre Hand und drückte sie. Zu seiner Überraschung ließ sie es geschehen. Fast schien es, als wäre sie dankbar für die Berührung. „Auch in deinem Leben gab es Höhen und Tiefen“, erwiderte sie. „Es tat mir sehr Leid, als ich las, dass deine Ehe mit Marnie Hartwell geschieden wurde.“ „Sie ist eine wunderbare Frau, hat wieder geheiratet und bekommt gerade ihr drittes Baby. Wir haben uns in Freundschaft getrennt.“ Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um Eloise mehr als die geschönte, für die Öffentlichkeit formulierte Version der Ereignisse zu geben. Nicht, dass es irgendwelche dunklen Geheimnisse gab, aber hoffentlich würde er ihr eines Tages erzählen können, woran seine so lange glückliche Ehe gescheitert war. „Und seitdem bist du überzeugter Junggeselle geblieben, was?“ fuhr Eloise fort und zog eine Augenbraue hoch. „Obwohl du bei wichtigen gesellschaftlichen Anlässen immer eine attraktive Frau am Arm zu haben scheinst.“ „Du verfolgst meine Auftritte, Eloise? Ich bin geschmeichelt.“ „Dazu hast du absolut keinen Grund. Dein Foto ist ständig in sämtlichen Zeitungen. Jeder in der Stadt kann deine Auftritte verfolgen, ob er es will oder nicht.“ „Stimmt, aber ich bin nun mal der Bürgermeister.“ Er drückte ihre Hand ein zweites Mal, als die Limousine vor dem Waldorf Astoria Hotel hielt und die wartenden Fotografen ihre Kameras hoben. „Und heute Abend habe ich die attraktivste Frau, die ich kenne, an meinem Arm. Ich kann dir nicht sagen, wie stolz und glücklich ich mich fühle.“ Er nutzte ihr verblüfftes Schweigen, beugte sich zu ihr und küsste sie leicht auf die Wange. „Mrs. Vale, es ist mir eine Ehre, Sie auf den Ball zu begleiten.“ „Ich wette, das sagen sie zu allen Frauen, Herr Bürgermeister“, erwiderte sie trocken. „Zu keiner anderen, Eloise. Das schwöre ich.“ „Dann danke… Herr Bürgermeister.“ Er warf ihr einen enttäuschten Blick zu. Sie wich ihm nicht aus, schwieg aber.
„Okay, wie du willst“, sagte er lächelnd, als der Chauffeur die Tür öffnete. „Bist du bereit?“ „Ja, das bin ich“, erwiderte sie und hielt seine Hand fest, während er ihr aus dem Wagen half und um sie herum Blitzlichter aufflackerten. Bill legte den Arm um ihre Schultern und lächelte selbstsicher in die Kameras. Neben ihm Wirkte Eloise kein bisschen nervös. Im Gegenteil – sie schenkte den Reportern ihr strahlendstes Lächeln. Und auf diese Weise ließ sie ihren Begleiter wissen, dass er sie nicht unterschätzen durfte. Obwohl sie nicht zu ihrem Vergnügen auf den Ball zu Ehren des Bürgermeisters gegangen war, konnte Eloise sich nicht erinnern, jemals so viel Spaß gehabt zu haben. Sie hatte mit ihrem Mann an vielen gesellschaftlichen Ereignissen teilgenommen, sich jedes Mal darauf gefreut und war stets enttäuscht worden. Doch seit sie Bill Harper die Tür zu ihrem Apartment geöffnet hatte, schien sich vor ihr eine Welt voller überraschender Möglichkeiten zu erstrecken – nicht nur an diesem Abend, sondern auch in der nächsten Zukunft. Der Bürgermeister wirkte in ihrer Gegenwart vollkommen entspannt, und sie teilten so viele schöne Erinnerungen, dass ihre Versuche, zu ihm eine förmliche Distanz zu wahren, ihr zunehmend alberner vorkamen. Und je länger sie mit Bill Harper zusammen war, desto schwerer wurde es, in ihm einen erbitterten Gegner zu sehen. Irgendwann gab sie auf und beschloss, den Abend einfach nur zu genießen. Er schien wirklich stolz darauf zu sein, mit ihr gesehen zu werden, und ließ sich gern mit ihr fotografieren. Nicht nur vor dem Hotel, sondern auch in dem großen, festlich geschmückten Ballsaal. Natürlich profitierte er vom Interesse der Medien an diesem Auftritt, aber das galt auch für sie. Denn es würde ihr erleichtern, die öffentliche Meinung für Manhattan Multiples und andere wohltätige Organisationen einzunehmen. Je mehr sie sich jedoch vom Glamour und der Aufregung anstecken ließ, desto mehr rückte der eigentliche Grund ihrer Anwesenheit in den Hintergrund. Denn sie war zu sehr damit beschäftigt, sich in Bill Harpers liebevoller Aufmerksamkeit zu sonnen. Vielleicht war es genau das, was er wollte, aber auch er schien sich zu amüsieren. Nachdem Bill ihr aus dem schwarzen Seidenmantel geholfen und ihn für sie an der Garderobe abgegeben hatte, nahm er zwei Gläser mit Champagner vom Tablett eines Kellners und führte sie durch den Ballsaal, in dem sich die einflussreichsten Männer und Frauen der Stadt drängten. Alle waren sie höchst elegant gekleidet und eifrig darauf bedacht, vom Bürgermeister wahrgenommen zu werden. Bill begrüßte jeden gleich freundlich und versäumte es nie, Eloise vorzustellen. Als seine liebste Freundin. Und wenn er das sagte, lag in seinem Lächeln eine Wärme, die ihr ans Herz ging und sie glauben ließ, dass es keine leere Floskel war. Manche Leute schienen überrascht, andere schienen irgendwie bestürzt zu sein, aber die meisten reagierten einfach nur erfreut. Schließlich war es durchaus möglich, dass zwei Menschen trotz ihrer gegensätzlichen Meinungen Freunde waren. Und obwohl nur wenige es wussten, hatten Eloise und Bill eine enge Beziehung gehabt, lange bevor es zwischen ihnen zum Streit um die Sparmaßnahmen der Stadt gekommen war. Schließlich hatte er seine Pflicht als Ehrengast des Balls erfüllt und führte Eloise zum Büffet, wo er verlockende Leckerbissen auf einen Teller häufte. Dann ging er mit ihr in das für sie beide reservierte Separee, wo ein für zwei Personen gedeckter Tisch sie erwartete.
„Wie schön“, schwärmte Eloise, als sie saßen. „Wie hast du das geschafft?“ „Nun ja, immerhin bin ich der Bürgermeister.“ „Und der Mittelpunkt eines Balls, der dir zu Ehren gegeben wird. Ich hätte nicht gedacht, dass es zulässig ist, sich bei einem solchen Ereignis zurückzuziehen.“ Sie nahm sich eine winzige Quiche und biss hinein. „Selbst der Bürgermeister von New York braucht hin und wieder eine Erholungspause. Oder sollte ich sagen, gerade er.“ Auch Bill nahm sich eine der Köstlichkeiten. „Vermutlich geht es dir bei deinen vielen Wohltätigkeitsveranstaltungen auch oft so.“ „Manchmal möchte ich lieber allein zu Hause sein, in bequemen Klamotten, auf der Couch, mit einem guten Buch und einer Tasse Tee“, gestand sie. „Ich hoffe, dies ist kein Abend, den du lieber zu Hause verbringen würdest.“ „Nein, ganz sicher nicht“, erwiderte sie und versuchte gar nicht erst, ihre Begeisterung vor ihm zu verbergen. „Zu meiner Überraschung macht mir dieser Abend großen Spaß.“ „Weißt du, mir auch“, gab Bill zu und klang selbst ein wenig verwundert. „Ich kann mich nicht erinnern, wann das zuletzt der Fall war. Es muss an unserer Gesellschaft liegen, was?“ „Muss wohl“, stimmte sie ihm lächelnd zu, während sie sich das letzte Appetithäppchen nahm. „Hast du genug gegessen, oder soll ich einen zweiten Vorstoß ans Büffet unternehmen?“ „Im Moment nicht, aber du könntest mich nachher mit einem sündhaft leckeren Dessert in Versuchung führen.“ „Wie wäre es dann mit einem Tanz?“ schlug Bill vor, da das Orchester gerade eine sanfte, erotische Ballade anstimmte, die Eloise immer besonders gemocht hatte. „Ein Tanz wäre nett.“ Sie erinnerte sich an eine Nacht vor vielen Jahren, in der sie sich in einem verrauchten Club irgendwo in Greenwich Village eng aneinander geschmiegt zu einem ähnlich langsamen Rhythmus gedreht hatten – Welten vom Ballsaal des Waldorf Astoria entfernt. „Es ist eine ganze Weile her“, bemerkte er leise und schien ebenfalls an ihren letzten Tanz zu denken. Dann stand er auf und nahm ihre Hand. „Ich habe mir sagen lassen, dass Tanzen wie Radfahren ist“, scherzte sie. „Man vergisst nicht, wie es geht.“ „Es gibt viele Dinge, die ich nicht vergessen habe, Eloise“, murmelte Bill, als sie die Tanzfläche erreichten und er sie in seine Arme zog. „Dich so zu halten steht auf der Liste ganz oben.“ Wortlos und mit klopfendem Herzen schmiegte Eloise sich an ihn und ließ sich führen. Sie hatte ebenfalls nie vergessen, wie es sich in seinen Armen anfühlte, auch wenn sie es manchmal verzweifelt versucht hatte. Und jetzt, während er mit seinem großen, schlanken Körper ihre kleine, zarte Gestalt schützend zu umschließen schien, fühlte sie seine Wärme und atmete den frischen, klaren Duft seines After Shaves ein. Plötzlich spürte sie tief in sich ein Glück und einen Frieden, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie vermisst hatte. Es war so gut, so richtig, sich von Bill Harper halten zu lassen. Und obwohl ihr bewusst war, dass dieser Moment nur flüchtig sein konnte, schloss sie die Augen und tat so, als würde er nie enden. Nach dem dritten langsamen Stück, zu dem sie schweigend tanzten, ging das Orchester zu einem Rhythmus aus alten DiscoZeiten über. „Die schnelleren Schrittfolgen kann ich noch immer nicht so gut“, gab Bill mit
offensichtlichem Bedauern zu. „Ich auch nicht“, sagte Eloise. Sie löste sich aus seinen Armen, zog die Hand jedoch nicht aus seiner, als er sie nicht losließ. „Wie wäre es mit einem zweiten Glas Champagner?“ schlug er vor, während sie die Tanzfläche verließen. „Oder mit einem Dessert?“ Bevor Eloise antworten konnte, wurden sie von einem Investmentbanker, einem Geschäftspartner ihres verstorbenen Mannes, und seiner mit Juwelen behängten Frau aufgehalten. Während sie sich mit ihnen unterhielt, winkte Bill einem Kellner und ließ sich zwei Gläser mit Champagner geben. Danach tauchten noch andere, später eingetroffene Gäste auf, die sich dem Ehrengast und seiner hübschen Begleiterin präsentieren wollten. Als sie endlich wieder allein waren, führte Bill Eloise zu dem Büffet, wo eine Vielfalt von Torten und Süßspeisen auf die Gäste wartete, und half ihr, eine kleine, aber ausgewählte Kollektion zusammenzustellen. . Dieses Mal gelang es ihnen jedoch nicht, sich unbemerkt zurückzuziehen. Stattdessen wurden sie eingeladen, sich an einen Tisch zu gesellen, an dem diverse Wirtschaftsgrößen saßen. Beide waren sie klug genug, sich diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Dies waren die Personen, von deren großzügigen Spenden wohltätige Organisationen wie Manhattan Multiples abhingen. Natürlich waren sie auch diejenigen, denen die Sparmaßnahmen des Bürgermeisters sympathisch waren, weil sie bedeuteten, dass ihre Unternehmen keine höheren Steuern zahlen mussten. Zum Glück war niemand so taktlos, das Thema anzusprechen. Dennoch spürte Eloise, wie erstaunt alle waren, sie an Bill Harpers Seite zu sehen. Denn jeder wusste, dass sie und er zu diesem äußerst brisanten Thema völlig gegensätzliche Meinungen vertraten. „Wie wäre es mit einem letzten Tanz… für heute Abend?“ fragte Bill, als das höfliche Gespräch am Tisch ins Stocken geriet und das Orchester mit einer langsamen Melodie begann. „Ja, bitte.“ Obwohl ihr Herz schneller schlug, bemerkte sie die nach oben gezogenen Augenbrauen der anderen Frauen, als sie beide aufstanden und er ihre Hand nahm. Offenbar waren auch den anderen die Worte „für heute Abend“ nicht entgangen. Im Unterschied zu ihnen wusste Eloise allerdings, dass Bill nur charmant sein wollte. Nach diesem Abend würden sie beide keine Zeit mehr miteinander verbringen, es sei denn, einer von ihnen wechselte seinen politischen Standpunkt. Und es war höchst unwahrscheinlich, dass das geschah. „Entschuldigen Sie uns“, sagte Bill in die Runde, bevor er sie hastig auf die Tanzfläche und in seine ausgebreiteten Arme zog. „Tut mir Leid, dass ich es so eilig hatte“, sagte er kurz darauf. „Aber es ist schon spät, und ich wollte noch mal mit dir tanzen, bevor wir aufbrechen.“ „Kein Problem“, versicherte sie ihm lächelnd. „Gut.“ Er zog sie noch fester an sich, und seine Wange streifte ihr Haar. Plötzlich konnte Eloise sich vorstellen, wie Aschenputtel sich gefühlt haben musste, als Mitternacht und die Rückkehr in die raue Wirklichkeit immer näher rückten. Bald würde auch ihr Ball vorbei sein. Und am Morgen danach würde sie sich wieder ihrer eigenen Realität stellen müssen. Sie hatte mehrere Stunden mit Bürgermeister Harper verbracht und mehr als nur eine Gelegenheit gehabt, mit ihm über seine Sparmaßnahmen zu sprechen. Aber sie hatte es nicht getan und würde es auch jetzt nicht mehr tun. Nicht während sie ein letztes Mal miteinander tanzten. Und nicht auf der kurzen
Fahrt zu ihrem Apartmenthaus, im Fond seiner luxuriösen Limousine. Doch auch sie hatte sich eine Atempause verdient. Und es war ihr gutes Recht, eine solche Pause mit einem alten und sehr lieben Freund zu verbringen und eine Bekanntschaft zu erneuern, die ihr und damit auch Manhattan Multiples nützen würde. Jedenfalls sagte sie sich das, während ihr Kopf an Bills Schulter lag und sie ihre Hand in seiner ließ. Auch er schien die Harmonie zwischen ihnen nicht gefährden zu wollen, denn im Wagen und im Fahrstuhl zu ihrem Penthouse schwieg er. Aber er ließ ihre Hand nicht los. Für beides war sie ihm dankbar. Es war für sie ein ganz besonderer Abend gewesen, einer, den sie nie vergessen würde. Doch wie Aschenputtel wusste sie, dass er bald enden musste. „Es war ein wirklich schöner Abend“, brach Bill das Schweigen, als die Fahrstuhltür aufglitt. Langsam gingen sie über den von Wandlampen im ArtdecoStil in mildes Licht getauchten Korridor. „Das finde ich auch“, antwortete Eloise und wagte es, ihn anzusehen, als sie vor ihrer Tür stehen blieben. Ihre Blicke trafen sich, und sofort wusste sie, dass sie einen großen Fehler begangen hatte. Sie wusste auch, was jetzt kommen würde und dass sie die Pflicht hatte, es zu verhindern. Aber das Verlangen in seinen Augen, gepaart mit einem fast jungenhaften Schalk, machte es ihr unmöglich, etwas so Vernünftiges zu tun. Also stand sie einfach nur stumm da und wartete auf den unausweichlichen Moment, auf den sie beide sich den ganzen Abend lang hinbewegt hatten. „Ich bin so froh, dass wir uns endlich wieder gesehen haben“, fuhr er ein wenig leiser fort und lächelte gewinnend, als wäre er sich seiner Sache viel zu sicher. „Ja“, erwiderte sie. Seine Zuversicht hatte sie jäh auf die Erde zurückgeholt. „Ich auch.“ Sie streckte die Hand aus. „Danke für den schönen Abend, Bill.“ „Ich danke dir, Eloise.“ .Sein Lächeln wurde noch breiter. „Du hast ihn viel mehr als schön gemacht.“ Bevor sie auch nur daran denken konnte, ihn abzuweisen, senkte er den Kopf und legte seine Lippen mit sanftem Druck auf ihre. Eloise hatte vergessen, wie herrlich selbst der schlichteste Kuss sein konnte. Zumal wenn sie ihn von einem begehrenswerten Mann wie Bill Harper bekam. Nicht, dass die Erinnerung an ihn jemals ihr Eheglück gestört hätte, und sie war auch nie verrückt nach ihm gewesen. Aber es hatte eine Zeit gegeben, in der Bill ihr sehr, sehr viel bedeutet hatte. Also war es keineswegs erstaunlich, dass die Anziehung überlebt hatte, sicher verborgen in den hintersten Winkeln der Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit. Und daher überraschte es sie nicht, dass sie seinen Kuss mit einer Leidenschaft erwiderte, die sie sich bei keinem anderen Mann gestattet hätte. Eine innere Stimme mahnte sie zur Vernunft, aber Eloise wollte jetzt nicht mehr vernünftig sein und wehrte sich nicht, als er den Kuss noch vertiefte. Seufzend schmiegte sie sich an ihn und kam seiner tastenden Zunge mit ihrer entgegen. Er legte seine Arme immer fester, fast besitzergreifend um sie, und Eloise stellte sich auf die Zehenspitzen, um noch mehr von ihm zu fühlen. Sie sehnte sich so sehr nach der erregenden Wärme, die von seinem Körper ausging, dass sie sich beherrschen musste, um nicht an seiner Kleidung zu zerren und seine bloße Haut zu ertasten. Plötzlich verspürte sie einen Luftzug, der nur von einer aufgerissenen Tür stammen konnte. Doch Bills Kuss war einfach zu berauschend, und sie reagierte
nicht annähernd so schnell, wie sie es hätte tun sollen. Daher erwischten ihre
Söhne sie in flagranti.
„He, Mom“, sagte ihr Jüngster, „du kommst spät.“
„Genau, Mom, ganz schön spät“, tadelte der Mittlere. „Wir haben dich schon vor
Stunden erwartet.“
„Hast du eine Ahnung, was für Sorgen wir uns gemacht haben?“ fragte Carl, der
Älteste der drei, in einem Ton, den sie selbst oft genug den Jungen gegenüber
verwendet hatte. „Ab jetzt hast du Ausgehverbot“, fügte er belustigt hinzu.
„Striktes Ausgehverbot“, ergänzten Henry und John und hatten Mühe, ein Lachen
zu unterdrücken.
Entsetzt löste sie sich aus Bills Armen.
„Sieht aus, als hätten wir Publikum“, murmelte Bill schmunzelnd. Ohne den Arm
von ihren Schultern zu nehmen, drehte er sich mit ihr zu ihren Söhnen um, die
sich in der offenen Wohnungstür drängten.
„Tut mir Leid, Jungs, es ist meine Schuld, dass eure Mom so spät nach Hause
kommt. Wir hatten so viel Spaß zusammen, dass wir gar nicht an die Zeit
gedacht haben.“
„Klingt glaubwürdig“, erwiderte Carl grimmig, aber seine Augen funkelten
belustigt, genau wie die seiner Brüder.
„Ihr drei solltet spätestens um zehn im Bett sein“, ging Eloise zum Gegenangriff
über.
Ihre Sohne sahen in ihren roten Trainingshosen und dünnen TShirts, die sie
statt Schlafanzügen trugen, so süß aus, dass Eloise sie am liebsten in die Arme
genommen hätte.
„Gut, dass wir es nicht waren“, erwiderte John ernst. „Wer weiß, was hier
draußen auf dem Flur sonst noch passiert wäre?“
„Ja, Mom, wer weiß?“ wiederholte Henry.
„Keine Angst, bei mir ist sie sicher“, konterte Bill. „Aber ich muss zugeben, die
Versuchung, ihr einen kleinen Gutenachtkuss abzuluchsen, war einfach zu groß.“
Er wechselte ein verschwörerisches Lächeln mit ihren drei Söhnen, bevor er
Eloise wieder ansah. „Danke für einen wunderbaren Abend, Mrs. Vale.“
„Es war mir ein Vergnügen, Herr Bürgermeister“, murmelte sie und wich seinem
Blick aus.
Er küsste sie auf die Wange. „Ich rufe dich an“, flüsterte er und drückte ihre
Schulter.
Dann wandte er sich wieder ihren Söhnen zu und salutierte. „Gentlemen, seien
Sie nicht zu streng mit ihr.“
„Werden wir nicht“, antwortete Carl für sie alle.
„Und du nicht zu ihnen“, bat er Eloise, bevor er sich lächelnd umdrehte und zum
Fahrstuhl ging.
„Ja, Mom, sei nicht zu streng zu uns“, verlangte Henry belustigt, während sie die
drei hastig in die Wohnung scheuchte.
„Wir haben nur auf dich aufgepasst, Mom“, meinte John.
„Weil wir dich lieb haben“, fügte Carl hinzu.
„Ihr werdet morgen früh nicht aus dem Bett kommen“, sagte sie mit gespielter
Strenge. „Ich bezahle doch nicht so viel Geld für eine Privatschule, damit ihr im
Unterricht einschlaft.“
„He, wir könnten doch einfach aufbleiben“, schlug Henry vor.
„Ganz bestimmt nicht. Ihr geht jetzt sofort zu Bett, und ich will kein Gejammer
hören, wenn eure Wecker um sechs Uhr klingeln.“
„Als ob du dann überhaupt schon auf bist“, murmelte Carl auf dem Weg in sein
Zimmer.
„Oh, ich werde auf sein.“ Eloise dachte an den langen Arbeitstag, der ihr bevorstand. Und daran, dass sie an diesem Abend nichts für Manhattan Multiples getan hatte. „Und ich werde ein wenig missmutig sein.“ „Nein, bitte, nicht missmutig, Mom“, flehte Henry scherzhaft, als er davoneilte. „Das ist die Höchststrafe“, erklärte John und folgte seinen Brüdern. „Gute Nacht, Jungs“, rief sie und steuerte ihr eigenes Schlafzimmer an. „Gute Nacht, Mom“, antworteten sie im Chor. Es sind tolle Kinder, dachte sie, während sie den Mantel auszog und ihn in den Schrank hängte. Aber sie hätten um zehn zu Bett gehen sollen. Obwohl John vielleicht Recht hatte und es besser war, dass sie nicht gehorcht hatten. Wer konnte wissen, was Bill und sie vor ihrer Tür noch alles getan hätten, wenn sie nicht gestört worden wären? Vielleicht hätte sie ihn sogar auf einen Gutenachtdrink eingeladen. Allein die Vorstellung ließ ihr Gesicht warm werden, während sie die Pumps abstreifte und am Rücken nach dem Reißverschluss tastete. Der Kuss auf dem Korridor ließ vermuten, dass sie nicht sehr lange nebeneinander auf der Couch gesessen und an ihren Drinks genippt hätten. Das Problem, an dem sich ihr Streit entzündet hatte, war im Laufe des Abends verblasst. Aber kein Wunschdenken und kein noch so leidenschaftlicher Kuss änderte etwas daran, dass sie sich wieder darum kümmern musste, sobald sie morgen früh in ihrem Büro eintraf. Auch wenn Bill Harper und sie keine Erzfeinde waren, sie konnten nicht wirklich Freunde werden, und erst recht kein Liebespaar. Nicht, wenn er die Macht besitzt, alles zu zerstören, was ich in den letzten zwölf Jahren aufgebaut habe, dachte sie grimmig, während sie sich wusch und kurz darauf unter die Decke schlüpfte. Zwar verstand sie, warum der Bürgermeister die Zuschüsse an wohltätige Organisationen streichen wollte, aber eine persönliche Beziehung mit ihm kam unter diesen Umständen nicht infrage. Von ihr und Manhattan Multiples hingen einfach zu viele gute und engagierte Menschen ab. Sie hatte sich eine Atempause gegönnt und sie gründlich genossen. Aber morgen früh begann wieder der Alltag, und sie musste alles unternehmen, um das Beratungszentrum für Mehrlingsmütter zu retten. Auch wenn das bedeutete, dass sie sich in Zukunft von Bürgermeister Harper fern halten musste. Und das würde sie tun. Wirklich. Ab morgen früh. Doch jetzt, mit geschlossenen Augen, unter der warmen Decke, die Arme um ihr weiches Daunenkissen gelegt, durchlebte sie noch mal den leidenschaftlichen Kuss und malte sich beim Einschlafen aus, was daraus hätte werden können.
3. KAPITEL Das gedämpfte, aber monotone Summen eines Staubsaugers holte Eloise langsam aus dem Schlaf. Zu ihrem größten Bedauern verblassten die letzten Bilder eines äußerst angenehmen Traums, als sie widerwillig die Augen öffnete und in die Sonnenstrahlen blinzelte, die durch die Jalousien drangen. Am liebsten wäre sie liegen geblieben, aber Mrs. Kazinsky, die mittwochs und freitags pünktlich um neun im Penthouse eintraf, war bereits fleißig. Das wiederum bedeutete, dass Eloise um mindestens drei Stunden verschlafen hatte! Offenbar hatte sie vergessen, den Wecker zu stellen. Wütend auf sich selbst schlug sie die Decke zurück und setzte sich auf, um einen Blick auf die zwar sehr dekorative, aber leider nicht voll automatische Uhr auf dem Nachttisch zu werfen. Viertel nach zehn! Das konnte nicht wahr sein. Leider doch, dachte sie auf dem Weg zum Badezimmer, aber dann blieb sie wie angewurzelt stehen, machte kehrt und eilte auf den Flur. Sie war dafür verantwortlich, dass Carl, John und Henry jeden Morgen pünktlich zur Schule aufbrachen. Diese Aufgabe nahm sie sehr ernst, und egal, wie spät sie am Abend nach Hause kam, noch nie hatte sie versäumt, die drei rechtzeitig zu wecken. Bis jetzt. Als sie über den Flur hastete, sah sie Mrs. Kazinsky rückwärts aus Carls Zimmer kommen, eine Hand am Staubsauger, die andere am Kabel. Die Haushälterin schaute über die Schulter, lächelte freundlich und schaltete den Sauger aus. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt, Mrs. Vale. Aber ich musste mit den Kinderzimmern anfangen.“ „Das war gut so, denn sonst hätte ich wahrscheinlich bis Mittag geschlafen“, erwiderte Eloise. „In der Küche ist frischer Kaffee, und ich habe Ihnen etwas aus der polnischen Bäckerei in meiner Nachbarschaft mitgebracht.“ „Klingt wunderbar, Mrs. Kazinsky.“ Eloise lächelte dankbar. „Wie es aussieht, sind die Jungs allein aufgestanden und zur Schule gegangen.“ „Sie waren weg, als ich ankam, und im Becken stehen Schüsseln und Gläser, alle gespült. Es sind prima Jungs, Mrs. Vale.“ „Ja, das sind sie.“ Voller Vorfreude auf den starken Kaffee von Mrs. Kazinsky und eins der ungemein leckeren Zimtbrötchen ging Eloise in die Küche. Sie hätte wissen müssen, dass Carl, John und Henry inzwischen selbstständig genug waren und nicht mehr zur Schule gescheucht werden mussten. Schließlich passte auch abends kein Erwachsener auf sie auf, wenn ihre Mutter einen Termin hatte. Sie werden groß, dachte sie mit einem Anflug von Wehmut, während sie mit ihrem Frühstück ins Schlafzimmer zurückkehrte. Sie war stolz auf ihre Söhne und wusste, dass sie ihnen vertrauen konnte. Was würde sie tun, wenn die drei sie nicht mehr brauchten? Wenn sie dann vielleicht nicht mal mehr Manhattan Multiples hatte? Die Vorstellung, nicht nur allein, sondern ohne ihre geliebte Arbeit zu leben, behagte ihr absolut nicht. Eine Sekunde lang dachte sie an den Kuss vor ihrer Wohnungstür – und daran, dass sie nicht unbedingt allein bleiben musste. Aber sie konnte sich nicht guten Gewissens auf eine Beziehung mit dem Mann einlassen, der vielleicht dafür verantwortlich sein würde, dass das Beratungszentrum die Türen schließen musste. Noch war der Kampf jedoch nicht verloren. Vorausgesetzt, sie kam endlich in die Gänge, zog sich an und machte sich auf den Weg ins Büro.
Wenn der schlimmste Fall eintraf und sie die drei Stockwerke an der Madison Avenue aufgeben musste, würde sie Manhattan Multiples notfalls von ihrem Penthouse aus weiterbetreiben. Das Netzwerk aus Ärzten, Krankenschwestern, Hebammen, Psychologen und anderen Kräften, die rein ehrenamtlich vielen werdenden und frisch gebackenen Mehrlingsmüttern halfen, ließ sich auch von dort aus organisieren. Das Geld, das sie bereits gesammelt hatte, würde ausreichen, um für eine Weile andere, billigere Räume zu mieten. Nach einer heißen Dusche, einer zweiten Tasse Kaffee und einem weiteren Zimtbrötchen bürstete Eloise ihr Haar und legte ein dezentes Makeup auf. Dann zog sie eine graue Hose, einen schwarzen Kaschmirpullover und flache, schwarze Stiefel an. Eine schlichte Perlenkette und passende Ohrringe komplettierten das Outfit. Obwohl der Wetterbericht Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt gemeldet hatte, entschied sie sich, den kurzen Weg zu ihrem Büro zu Fuß zurückzulegen. Die frische Luft und der helle Sonnenschein würden ihr helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie hatte heute viel zu tun und musste in Topform sein. „Guten Morgen, Mrs. Vale“, begrüßte Tony Martino, der Wachmann von Manhattan Multiples, sie und hielt ihr die Eingangstür auf. Sie hatte ihn eingestellt, nachdem sie anonyme Drohbriefe bekommen hatte. Sein Zwillingsbruder Frank würde ihn später ablösen und die Nachtschicht übernehmen, was Eloise immer wieder amüsierte. „Guten Morgen, Tony. Obwohl ich wohl eher Guten Tag sagen sollte. Ich bin heute spät dran.“ „Kein Problem, Mrs. Vale. Sie sind die Chefin. Niemand wird Sie zur Rede stellen“, erwiderte er lächelnd. „Und falls doch, sagen Sie es mir, ich kümmere mich darum.“ „Danke, Tony, das werde ich.“ Ihre Laune wurde noch besser, als sie Josie Dunnigan, die Empfangssekretärin, und Allison Baker Perez, ihre Assistentin, zusammen lachen hörte. Josie, frisch verheiratet mit Michael Dunnigan, einem Feuerwehrmann, würde bald Mutter werden. Auch Allison, die den bekannten Staatsanwalt Jorge Perez geheiratet hatte, war schwanger. Seit mehreren Monaten lag bei Manhattan Multiples Liebe in der Luft, und Eloise freute sich von ganzem Herzen für ihre Mitarbeiterinnen. Die beiden arbeiteten unermüdlich für das Wohl anderer Mütter und hatten es verdient, selbst Mutter zu werden. Romantisch, wie sie nun mal war, hatte Eloise sich eingestanden, dass auch sie sich nach so einem Glück sehnte. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie Bill Harper am Abend zuvor so anziehend gefunden hatte. „Tut mir Leid, dass ich so spät komme“, sagte sie zu den beiden jungen Frauen. „Es hätte mich gewundert, wenn Sie heute pünktlich gewesen wären“, erwiderte Allison lächelnd. „Mich auch“, pflichtete Josie ihrer Kollegin bei. Eloise schaute in ihre strahlenden Gesichter und fragte sich, warum die beiden so vergnügt waren. Sie bekam eine Antwort, als sie sich vorbeugte, um ihre Nachrichten von Josies Schreibtisch zu nehmen, und ihr Blick dabei auf die Zeitungen fiel. Alle waren sie aufgeschlagen, und die Fotos vom Ball des Bürgermeisters waren nicht zu übersehen. Jedes einzelne davon zeigte Bill und sie – beim Eintreffen vor dem Hotel, im Ballsaal und sogar auf der Tanzfläche. Die Bilder bewiesen, wie viel Spaß der
Ehrengast und seine Begleiterin gehabt hatten. Aber nicht nur das. Was Eloise in ihren Gesichtern wahrnahm, ließ sie bis zu den Wurzeln ihrer aschblonden Haare erröten. „Oh, nein…“, murmelte sie, und ihre Hände zitterten, als sie den Ausdruck in Bills und ihren eigenen Augen registrierte. Er berührte gerade ihr Champagnerglas mit seinem, und sie lächelte ihn an. Genauso verräterisch war ein Foto, das sie eng aneinander geschmiegt auf der Tanzfläche zeigte. Eloise konnte nicht glauben, dass zwei erwachsene Menschen, für die Auftritte in der Öffentlichkeit nichts Ungewöhnliches waren, so sorglos und leichtsinnig gewesen waren. Sie wusste nicht, wie Bill es sah, sie jedenfalls hatte ihre Gefühle nicht so offen zur Schau tragen wollen. Vor ihr und ganz New York City lag der unumstößliche Beweis, dass sie noch immer in Bill Harper verliebt war. Und wenn sie sich nicht sehr täuschte, beruhte das auf Gegenseitigkeit. Offenbar waren auch diejenigen, die die Überschriften verfasst hatten, zu diesem Ergebnis gekommen. Der Bürgermeister und die Wohltäterin – keine Feinde mehr? lautete eine Titelzeile. Mrs. Vale kontra Bürgermeister – Kriegsbeil begraben? stand unter einem anderen Foto. Eloise wagte kaum, die Artikel zu lesen. „Sie sehen auf den Fotos wunderschön aus“, bemerkte Allison, als würde sie spüren, dass ihre Chefin dringend ein wenig Aufmunterung brauchte. „Und die Artikel, die ich gelesen habe, sind sich uneins, wer von Ihnen beiden die Seite gewechselt hat.“ „Nun ja, das ist ein schwacher Trost“, erwiderte Eloise und überflog den ersten Bericht, in dem behauptet wurde, dass sie jetzt mit den Sparplänen des Bürgermeisters einverstanden war. Der nächste Artikel deutete an, dass Bill Harper ihrem Charme erlegen war und seine Meinung geändert hatte. „So, wie ich auf den Fotos aussehe, müssen doch alle annehmen, dass ich diejenige bin, die umgefallen ist.“ „Sie sehen aus wie eine verliebte Frau“, entgegnete Josie. „Und Bürgermeister Harper scheint das Gefühl durchaus zu erwidern. Das kann uns doch nur nützen, oder?“ „Bürgermeister Harper ist nicht der Typ, der sich in seiner Politik von persönlichen Beziehungen beeinflussen lässt“, erwiderte Eloise. Das hatte sie vor siebzehn Jahren auf schmerzliche Weise erfahren müssen. Damals war ihm seine politische Karriere wichtiger gewesen als alles andere. „Vielleicht hatte er nur noch nicht die Richtige getroffen“, meinte Allison mit einem wissenden Lächeln. „Ich bezweifle, dass das Leuchten in seinen Augen etwas mit Zuneigung zu tun hat“, wehrte Eloise ab. „Er genießt es, mit einer Kontrahentin zu tanzen und dadurch zu beweisen, wie fair und tolerant er ist.“ Da sie am Abend zuvor nicht über ihre Differenzen gesprochen hatten, tat sie ihm vielleicht Unrecht. Aber sie wollte nicht, dass bei Manhattan Multiples über eine sich anbahnende Romanze zwischen Bill Harper und ihr spekuliert wurde. „Also glauben Sie nicht, dass Sie ihn dazu gebracht haben, seine Sparmaßnahmen noch mal zu überdenken?“ fragte Allison besorgt. „Nein“, antwortete Eloise ehrlich und hoffte, dass ihre Wangen nicht so rot waren, wie sie sich anfühlten. Was würden Allison und Josie denken, wenn sie wüssten, dass ihre Chefin sich mit dem Bürgermeister amüsiert hatte, anstatt ihn zur Rede zur stellen? Die beiden jungen Frauen brauchten nicht nur das Geld, sondern auch die Hilfe, die das Beratungszentrum ihnen bot. Ebenso wie viele andere Frauen.
„Wenigstens scheinen eine Menge Leute es zu glauben.“ Josie zeigte auf die Zeitungen. „Man traut Ihnen viel zu, sonst hätte Ihr Auftritt mit Bürgermeister Harper nicht solche Wellen geschlagen.“ „Und das sollte ich ausnutzen, bevor er eine endgültige Entscheidung trifft.“ Eloise schob die Zeitungen zur Seite und nahm die pinkfarbenen Notizzettel mit den Nachrichten, die Anrufer für sie hinterlassen hatten. „Allison, besorgen Sie mir für heute Nachmittag einen Termin beim Bürgermeister. Wie es so schön heißt, muss man das Eisen schmieden, solange es heiß ist.“ „Sofort“, erwiderte Allison. Sie schlug die Zeitungen zu, klemmte sie sich unter den Arm und folgte Eloise über den Korridor. In ihrem Büro begann Eloise damit, so viele Anrufe wie möglich zu erwidern. Am frühen Nachmittag bekam sie Besuch von Leah Simpson, der jungen Obdachlosen, der das Personal von Manhattan Multiples während der letzten Monate geholfen hatte. Leah hatte jetzt eine kleine Wohnung und arbeitete als Sekretärin im Beratungszentrum. Im Moment war sie jedoch im bezahlten Mutterschaftsurlaub und kümmerte sich um ihre neugeborenen Drillingstöchter, denen sie aus Dankbarkeit die Namen Eloise, Allison und Josie gegeben hatte. Die Babys saßen in dem dreisitzigen Buggy, den Eloise ihr geschenkt hatte, und strahlten vor Gesundheit. Auch ihrer Mutter schien es gut zu gehen, obwohl sie verständlicherweise müde war. Endlich war Leah selbstbewusst genug, um die Versöhnungsversuche ihres alkoholabhängigen und gewalttätigen Ehemanns zurückzuweisen. Der einzige Wermutstropfen an diesem Tag kam in Gestalt eines weiteren Drohbriefs. Der anonyme Absender warf Eloise und Manhattan Multiples vor, eine Familie zerstört zu haben. Vermutlich handelte es sich um den Ehemann einer Klientin. Ein Mal mehr war Eloise froh, Tony und Frank eingestellt zu haben. Sie wollte ihre Mitarbeiterinnen nicht in Panik versetzen, aber sie würde ein paar diskrete Nachforschungen anstellen müssen. Vielleicht kannte jemand von ihnen eine Schwangere oder eine junge Mutter, die von Problemen mit ihrem Partner erzählt hatte. Als sie mit ihrer Post fertig war, knabberte sie an einem Tunfischsandwich und schaute auf die Uhr. Es war schon nach drei. Überrascht, wie schnell die Zeit verflogen war, lehnte sie sich zurück. Plötzlich fiel ihr wieder ein, worum sie Allison gebeten hatte. Sie wollte gerade auf den Knopf der Sprechanlage drücken, da ging die Tür auf, und ihre Assistentin kam herein. „Ich weiß, ich weiß. Ich sollte für Sie einen Termin bei Bürgermeister Harper arrangieren“, begann Allison und setzte sich in einen der beiden Lehnstühle vor dem Schreibtisch. „Kein Glück gehabt?“ „Ich habe stundenlang versucht, seinen Stabschef zu erreichen, wurde aber immer wieder in die Warteschleife gesteckt. Als Wally Phillips sich endlich dazu herabließ, mit mir zu sprechen, erklärte er mir, dass der Bürgermeister komplett ausgebucht sei. Nicht nur heute, sondern auch die nächsten zwei Wochen. Es tut mir Leid, Eloise, aber ich weiß nicht, was ich noch tun kann.“ „Mir fällt auch nichts ein“, erwiderte Eloise. „Aber danke für den Versuch.“ Entschlossen stieß sie sich von der Schreibtischkante ab. „Ich werde die Sache wohl selbst in die Hand nehmen müssen.“ „Wie wollen Sie das tun?“ fragte ihre Assistentin erstaunt. „Termin oder nicht, ich gehe jetzt zum Büro des Bürgermeisters. Und dort werde ich dafür sorgen, dass sämtliche Reporter und Fotografen, die im Rathaus herumhängen, es mitbekommen. Bill Harper wird mich empfangen müssen, sonst nützen ihm all die hübschen Fotos in den Zeitungen gar nichts mehr. Ich glaube
nicht, dass eine Schlagzeile wie ,Sitzen gelassene Ballbegleiterin verlangt
aufgebracht Audienz beim Bürgermeister’ bei seinen Wählern gut ankommen
würde.“
„Nein, ganz sicher nicht“, antwortete Allison lachend.
„Soll ich Ihnen eine Limousine bestellen?“
„Gute Idee“, meinte Eloise. „Zu Fuß wäre ich wahrscheinlich schneller da, aber
dann würde ich nicht annähernd so viel Aufsehen erregen, nicht wahr?“
„Stimmt.“ Noch immer lachend, stemmte ihre Assistentin sich ein wenig
schwerfällig hoch.
„Zwillinge“, meinte Eloise.
Allison blieb in der Tür stehen. „Ja, Zwillinge“, bestätigte Allison mit besorgtem
Blick. „Dabei weiß ich nicht mal, wie ich mit einem Baby zurechtkommen soll.“
„Sie werden viel Hilfe bekommen. Dazu habe ich Manhattan Multiples schließlich
gegründet. Und deshalb werde ich dafür kämpfen, dass unsere Türen offen
bleiben – um Frauen wie Sie zu unterstützen. Aber erst werde ich mir den
Bürgermeister vorknöpfen.“
„Ich rufe den LimousinenService an.“ Allison war ein wenig grün im Gesicht
geworden. Sie verdrehte die Augen und eilte davon.
Mit einem fröhlichen Lachen sah Eloise ihr nach.
4. KAPITEL „Ja, James, ich verstehe, wie wichtig es ist, in dieser Frage hart zu bleiben. Ich hätte die Kürzung der Zuschüsse für wohltätige Organisationen nicht in Betracht gezogen, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass sie im Interesse der ganzen Stadt liegt.“ Der Bürgermeister lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und unterdrückte nur knapp einen Seufzer. James Hargrove, Vorstandschef von Power Industries – einem Konzern, der von einer Belebung der Konjunktur enorm profitieren würde –, wirkte besänftigt. „Nun ja, ich mache mir eben Sorgen, Herr Bürgermeister“, erwiderte der Anrufer. „Sie und Eloise Vale schienen sich auf dem Ball gestern Abend ziemlich gut zu verstehen. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der sich fragt, ob sie es geschafft hat, Sie auf ihre Seite zu ziehen. Die kleine Lady kann verdammt energisch sein. Und sie hat kein Hehl daraus gemacht, was sie von den geplanten Sparmaßnahmen hält.“ „Ich verstehe Ihre Besorgnis, James. Ich gebe zu, Mrs. Vales Gesellschaft war äußerst vergnüglich. Und ja, sie kann sehr charmant und überzeugend sein. Aber ich versichere Ihnen, meine Einstellung zu den städtischen Ausgaben hat sich durch unseren gemeinsamen Ballbesuch nicht geändert. So gut müssten Sie mich inzwischen kennen.“ „Natürlich, Herr Bürgermeister.“ „Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen, James, und halten Sie mich auf dem Laufenden.“ „Das werde ich, Herr Bürgermeister.“ Bill beugte sich vor, legte den Hörer auf und erlaubte sich den Seufzer, den er seit Stunden unterdrückt hatte. Sein Arbeitstag hatte um kurz nach sechs begonnen – nach einer kurzen Nacht, in der er kaum ein Auge zugetan hatte, weil er Eloise Vale nicht aus seinem Kopf bekam. Kurz vor Morgengrauen hatte er schließlich aufgegeben und war aufgestanden. Die Zeit mit ihr – von dem Moment, in dem sie ihm die Tür geöffnet hatte, bis zu dem Kuss, den ihre Söhne unterbrochen hatten – war wirklich wunderbar gewesen. Er hatte mit einem kühlen, distanzierten Empfang gerechnet, sich jedoch schnell von seiner Überraschung erholt und ihre offene, warmherzige und entspannte Art genossen. Eloise hätte sich entschließen können, ihre gemeinsamen guten Zeiten zu vergessen. Doch sie schien sich ebenso gern wie er daran zu erinnern. Fast kam es ihm vor, als würde sie ihre eingeschlafene Freundschaft wieder beleben wollen. Und zu seinem größten Erstaunen hatte sie den Abend nicht genutzt, um mit ihm über seine Sparpolitik zu diskutieren. Im Gegenteil, sie hatte sich nur zu gern an das erinnern lassen, was sie beide einst geteilt hatten. Als er dann später allein in seinem Bett lag, hatte er daran gedacht, wie leidenschaftlich sie seinen Kuss erwidert hatte, bevor ihre Söhne ihn unterbrochen hatten. Sie hatte ihn nicht nur so sehr genossen wie er, sondern auch offensichtlich bedauert, dass nicht mehr daraus werden konnte. Die Vorstellung, wozu der Kuss hätte führen können, nahm ihm die letzte Hoffnung auf Schlaf. Also stand er auf, zog sich an und spazierte durch die noch leeren Straßen von Manhattan zum Rathaus. Dort angekommen, überflog er die Zeitungsberichte über den Ball im Waldorf
Astoria. Sie waren ausgewogen. Nur in jedem zweiten Artikel wurde vermutet, er hätte sich von Eloise überreden lassen, von seinen Sparmaßnahmen abzurücken. Die andere Hälfte spekulierte darüber, ob er Eloise von der Notwendigkeit seiner Politik überzeugt hatte. Die Fotos, die sie beide zusammen zeigten, waren dagegen so verräterisch, dass ihm etwas passierte, was er seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte: Er spürte, wie er errötete. Auf jedem einzelnen Bild schien er seine Gefühle wie auf dem Präsentierteller zu offenbaren. Er hatte geglaubt, sie geschickt verbergen zu können, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Aber am vergangenen Abend hatte seine sorgfältig gepflegte Fassade tiefe Risse bekommen. Er hatte die Gesellschaft von Eloise so sehr genossen, dass er gar nicht auf die Idee gekommen war, es zu verheimlichen. Nachdem Bill die neugierigen Fragen seiner nacheinander eintreffenden Mitarbeiter und der zahlreichen Anrufer abgewehrt hatte, lehnte er sich erschöpft zurück und atmete tief durch. Doch die kurze Erholungspause dauerte nicht lange. Als die Sprechanlage beharrlich summte, schaute er auf die Uhr. Es war bereits nach vier. Er hatte einen Zehnstundentag hinter sich und wusste nicht, ob er die Geduld aufbringen würde, noch einen besorgten Parteifreund zu besänftigen. „Was gibt es?“ fragte er gereizt. „Tut mir Leid, Sie schon wieder zu stören, Sir“, begann Wally Phillips, sein Stabschef. „Schon gut, Wally. Was ist denn?“ „Ich habe Frances Wegner, den Präsidenten von Construction Services, auf Leitung eins. Er will mit Ihnen über die Haushaltspolitik reden. Große Überraschung, was? Und Charles Goodwin, ein Reporter vom Daily Express, möchte einen Termin für ein Interview. Ich könnte ihn für den nächsten Montag eintragen. Ich finde, Sie sollten mit ihm sprechen. Er war uns gegenüber immer fair.“ „Okay. Montagmorgen. Sagen Sie dagegen Wegner, dass ich nicht da bin. Ich rufe ihn morgen zurück.“ „Sind Sie…“ „Ich bin sicher, Wally.“ „Also gut, Sir.“ Sein Stabschef zögerte, und Bill versuchte, ruhig zu bleiben. „Gibt es noch etwas?“ „Nun ja, Mrs. Vale ist hier“, erwiderte Wally nervös. „Hier?“ wiederholte Bill und setzte sich auf, während sein Herz spürbar einen Satz machte. „Ja, Sir. Hier und jetzt. Ihre Sekretärin hatte mehrfach angerufen, um einen Termin für sie zu vereinbaren. Ich habe ihr gesagt, dass in den nächsten zwei Wochen keiner frei ist. Das stimmt zwar nicht ganz, aber wir wissen ja längst, was sie von Ihren Sparplänen hält. Außerdem waren Sie beide erst gestern Abend zusammen.“ „In der Tat, das waren wir“, murmelte Bill. „Und dann taucht Mrs. Vale persönlich hier auf und verlangt, Sie zu sprechen. Sie ist ziemlich aufgebracht und gibt sich keinerlei Mühe, es zu verbergen. Für die Reporter ist das natürlich ein gefundenes Fressen. Sie lässt sich fotografieren und gibt ein Interview nach dem anderen. Vielleicht sollten Sie sie ein wenig beruhigen und danach mit ihr vor die Presse treten – mit glücklichen Gesichtern. Wie gestern Abend.“ Das Letzte, was Bill jetzt wollte, war eine weitere Konfrontation, schon gar nicht
mit Eloise. Er hatte sich den ganzen Tag anhören müssen, dass er ein viel zu weiches Herz hatte. Jetzt sollte er sich von ihr vorwerfen lassen, dass er ein gefühlloser Hardliner war. Dabei ging es ihm einzig und allein darum, die Stadt aus der wirtschaftlichen Krise zu manövrieren. Er wusste, wie wichtig ihr Manhattan Multiples war. Aber ihm war es genauso wichtig, New York City den dringend benötigten Aufschwung zu ermöglichen. Wäre dies ein privater Besuch, hätte er Eloise allerdings mit offenen Armen in seinem Büro willkommen geheißen. „Sir? Sind Sie noch da?“ fragte Wally. „Natürlich. Obwohl ich im Moment lieber ganz woanders wäre“, entgegnete Bill und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Ich auch, Sir“, gab sein Stabschef zu. „Aber…“ „Aber wir sind beide hier. Führen Sie Mrs. Vale herein, und ich werde tun, was ich kann, um sie glücklich zu machen.“ Bill bezweifelte stark, dass ihm das gelingen würde. Als Wally sie hereinbegleitete und er ihre blitzenden Augen und die schmalen Lippen sah, ahnte er, dass jeder Versuch sinnlos war. „Eloise, wie schön, dich wieder zu sehen.“ Er stand auf, streckte die Hand über die Papierstapel hinweg aus und schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Ich wollte dich nachher anrufen.“ Sie musterte ihn lange und gründlich, unbeeindruckt von der herzlichen Begrüßung. Dann ignorierte sie seine Hand, zog ihren Mantel aus, warf ihn über einen der Ledersessel vor seinem Schreibtisch und setzte sich in den anderen. Wütend war sie fast so hübsch wie am Abend zuvor, aber er war klug genug, das nicht auszusprechen. „Wie ich sehe, hast du die Presse von heute gelesen“, begann sie und zeigte auf die Zeitungen auf dem Schreibtisch. „Ja, das habe ich. Viele Fotos von uns. Wir sehen aus, als hätten wir einen angenehmen Abend miteinander verbracht“, erwiderte er mit sanfter Stimme und einem aufmunternden Lächeln. „Ich habe mich jedenfalls so amüsiert wie schon sehr lange nicht mehr. Der Abend mit dir war wirklich wunderschön, Eloise.“ Bill wusste, dass er sich auf dünnem Eis bewegte. Aber er musste sie daran erinnern, dass auch sie Spaß gehabt hatte. Und dass die Anziehung zwischen ihnen so gewaltig gewesen war wie vor siebzehn Jahren. Ihre Augen weiteten sich, ihre grimmige Miene wurde sanfter und die schmalen Lippen voller. Doch sie riss sich zusammen. „Zugegeben, es war ein schöner Abend. Nicht so schön war allerdings die Nachwirkung. Ich musste mich den ganzen Tag hindurch mit besorgten Menschen auseinander setzen, die die Fotos in den Zeitungen gesehen haben. Sie alle glaubten, ich wäre in dein Lager übergelaufen, und wir wissen beide, dass das nicht wahr ist.“ „Genau solche Anrufe habe ich auch bekommen. Aber das bedeutet doch nicht, dass wir nicht Freunde sein können“, erwiderte er. „Es gibt viele prominente Paare, bei denen der eine Republikaner und der andere Demokrat ist und die trotzdem glücklich verheiratet sind.“ „Genau das ist der Punkt, Bill. Politisch liegen wir gar nicht so weit auseinander. Jedenfalls bis jetzt nicht. Ich habe dich jedes Mal gewählt, wenn du dich im Staat New York um ein Amt beworben hast“, entgegnete Eloise aufgebracht. „Und was die städtischen Zuschüsse angeht, brauchen wir auch keine Gegner zu sein. Du weißt, wie viel wohltätige Organisationen wie Manhattan Multiples für die Menschen dieser Stadt tun. Wir bieten Arbeitsstellen und Dienstleistungen, die es ohne uns nicht geben würde. Aber ohne die finanzielle Hilfe werden wir nicht weiterarbeiten können.“
„Das ist mir klar, Eloise, wirklich. Aber mein Ziel ist es, die Stadt als Ganzes aus dem wirtschaftlichen Tief zu holen und damit für einen besseren Lebensstandard aller Bürger zu sorgen.“ „Selbst wenn du dadurch alles zunichte machst, was ich in den letzten zwölf Jahren aufgebaut habe?“ fuhr Eloise ihn mit funkelnden Augen an. „Ich will gar nichts zunichte machen. Erst recht nicht etwas, was dir am Herzen liegt“, beteuerte Bill. „So ein Unmensch bin ich nicht. Und ich finde nicht, dass ich mich vor dir rechtfertigen muss. Aber als Bürgermeister muss ich nun mal entscheiden, wofür die Steuergelder ausgegeben werden, und im Moment habe ich keine andere Wahl. Wie ich es sehe, sollte eine Organisation, die drei Stockwerke in einem teuren Bürogebäude an der Madison Avenue einnimmt, durchaus in der Lage sein, den Wegfall städtischer Zuschüsse durch eigene Einsparungen auszugleichen.“ Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, wusste er, dass er zu weit gegangen war. Eloises Gesicht spiegelte erst Enttäuschung, dann unverhohlene Empörung wider. „Unterstellst du mir, dass ich den Kontakt zu normalen Menschen mit wirklichen Problemen verloren habe, weil Manhattan Multiples zufällig an der Madison Avenue liegt?“ Sie stand auf, machte einen Schritt auf ihn zu und blieb stehen, als sie die Schreibtischkante erreichte. Dann beugte sie sich vor und wedelte mit dem Zeigefinger. „Eins kann ich dir sagen, Bill Harper. Ich weiß genau so viel über normale Menschen mit wirklichen Problemen wie du. Vielleicht sogar mehr, weil ich ihnen jeden Tag begegne, während du in deinem eleganten Büro sitzt und Memos diktierst…“ Bill konnte nicht anders. Er sprang auf, packte ihren ausgestreckten Zeigefinger, beugte sich ebenfalls vor und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Und es war keine flüchtige Berührung der Lippen, denn wenn er sich schon eine Ohrfeige einhandelte, sollte es sich wenigstens gelohnt haben. Eloise erstarrte und legte die freie Hand auf seine Schulter, schob ihn jedoch nicht von sich. Als sie seine Zunge an ihren Lippen spürte, schnappte sie nach Luft, bevor sie sich ein wenig entspannte und seiner Zunge mit ihrer entgegenkam. Dabei festigte sie den Griff um seine Schulter, was ihn nur noch mehr ermutigte. Er schob die Finger in ihr Haar und drängte ihren Kopf behutsam nach hinten, um den Kuss etwas zu vertiefen. Wieder ließ Eloise es nur geschehen. Bill war nicht überrascht. Sie war immer eine leidenschaftliche Frau gewesen – auch im Einsatz für die Ziele, die ihr wichtig waren, und für die Menschen, die ihr etwas bedeuteten. Und nie war sie jemand gewesen, der seine Gefühle versteckte. Sie verstellte sich nicht mal dann, wenn es ihr genützt hätte. Dazu war sie viel zu ehrlich. Die Sprechanlage summte. Augenblicklich löste Eloise sich von ihm und wich zurück. Er wollte um den Schreibtisch herumgehen, sie in den Arm nehmen und ihr versprechen, dass alles gut werden würde. Doch er wagte es nicht. Stattdessen schob er eine Hand in die Tasche und drückte auf eine Taste. „Was gibt es, Wally?“ erkundigte er sich ein wenig unwirsch. „Tut mir Leid, Sie zu stören, Herr Bürgermeister, aber es ist nach fünf. Sie müssen los, um das Basketballspiel zwischen der Feuerwehr und der Polizei zu eröffnen. Die Limousine steht in fünf Minuten bereit.“ „Danke, Wally. Das hatte ich ganz vergessen.“ „Dazu bin ich da, Sir.“
Während Bill mit seinem Stabschef sprach, hatte Eloise ihren Mantel und die
Tasche genommen. Jetzt hielt sie sich beides vor die Brust und starrte auf einen
Punkt über seiner linken Schulter.
„Danke für deine Zeit“, sagte sie förmlich. „Ich hoffe, du denkst noch mal über
deine…“
„He, Eloise, hast du nicht Lust auf ein Basketballspiel?“ unterbrach er sie. „Wir
werden die besten Plätze der ganzen Halle haben. Ich spendiere dir sogar einen
Hot Dog und ein Bier.“
„Oh, wirklich, das kann ich nicht“, begann sie, und ihr Blick war misstrauisch, als
sie ihn wieder ansah. „Die Jungs…“
„Können gern mitkommen“, unterbrach er sie fröhlich. „Wir könnten sie abholen.
Sie mögen Basketball doch, oder?“
„Ja, das tun sie“, gab Eloise zu. „Und seit einer Woche hören sie einen lokalen
Radiosender, um Tickets zu gewinnen, da das Spiel gleich nach Beginn des
Vorverkaufs ausverkauft war.“
„Na, dann ist heute ihr Glücksabend. Und meiner, wenn du die Einladung
annimmst“, erwiderte Bill und ging nun doch um den Schreibtisch herum. Er
legte eine Hand an ihre Wange und schob ihr eine Strähne hinters Ohr. „Komm
schon, Eloise, wir werden Spaß haben. Und“, fügte er lächelnd hinzu, „du
verschaffst deiner Sache noch mehr Öffentlichkeit.“
„Genau das brauche ich – noch einen Tag voller besorgter Anrufe.“
„Außerdem vergiss nicht, wie du bei deinen Söhnen ankommen wirst.“
„Stimmt. Sie würden es mir nie verzeihen, wenn ich deine Einladung ablehne.“
„Dann solltest du es auch nicht tun.“
„Na gut, wir kommen mit.“
„So gefällst du mir.“
Begeistert zog Bill Eloise an sich. Er wollte sie gerade wieder küssen, als es
erneut summte.
„Komme schon, Wally“, murmelte er und ließ Eloise los, um Jackett und Mantel
vom Garderobenständer in der Ecke zu nehmen.
„Ich rufe die Jungs an und sage ihnen, dass wir unterwegs sind.“ Eloise holte ihr
Handy heraus. „Dann können sie unten vor dem Haus auf uns warten.“
„Gute Idee.“ Hastig zog er den Mantel an.
Ihr freudiges, aufgeregtes Lächeln ließ sein Herz schneller schlagen, und als sie
beim Hinausgehen wie selbstverständlich seinen Arm nahm, fühlte er eine
wohltuende Wärme in sich aufsteigen.
Oft hatte er sich bei öffentlichen Auftritten einsam gefühlt, selbst inmitten seiner
glühendsten Anhänger und engsten politischen Freunde. Aber nicht heute Abend,
dachte er. Heute Abend würde er Eloise und ihre Söhne bei sich haben. Und für
eine kurze Zeit würde er sich einbilden können, sie wären so zusammen, wie er
es sich am sehnlichsten wünschte.
5. KAPITEL „Gemeinsam können wir fortfahren, unsere großartige Stadt wieder aufzubauen, aber nur, wenn wir die Steuergelder unserer Bürger anders ausgeben. Das Wohl der gesamten Bevölkerung muss wichtiger sein als das von Interessengruppen, so verdienstvoll ihre Arbeit auch sein mag.“ Bill machte eine Pause, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, und ließ seinen Blick durch die voll besetzte Halle wandern. Wie alle anderen Zuschauer, so saß auch Eloise ruhig und konzentriert da. Er war ein erfahrener Redner, verzichtete auf Notizen und stand vollkommen entspannt hinter den zahlreichen Mikrofonen. Er biederte sich nie bei seinem Publikum an, aber er strahlte eine Wärme und Einfühlsamkeit aus, der selbst Eloise sich in diesem Moment nicht entziehen konnte. Als könnte er ihre Gedanken lesen, sah Bill sie an und lächelte aufmunternd. Vertrau mir, schien sein Blick zu sagen. Vertrau mir einfach, und alles wird gut. Und wie sehr wünschte Eloise, sie könnte genau das tun. Aber wenn sie sich auf seine ehrenwerten Absichten verließ und sich in ihm täuschte, wäre der Preis zu hoch. Und sie wäre nicht die Einzige, die ihn zahlen musste. Viele unschuldige Menschen würden es ebenfalls tun müssen. „He, Mom, ich glaube, er mag dich“, flüsterte Carl und stieß sie an. Neben ihm auf der Bank direkt am Spielfeld grinsten auch Henry und John. Eloise fühlte, wie ihre Wangen sich erwärmten. Sie warf ihren Söhnen einen warnenden Blick zu und drehte sich wieder zu Bill hin. „Mein Ziel ist nicht, dass die wohltätigen Organisationen dieser Stadt ihre Türen schließen müssen. Dazu ist ihre Arbeit zu wichtig. Aber ich bin überzeugt, dass sie mit Hilfe privater und Firmenspenden sowie der Umstrukturierung ihrer eigenen Haushalte auch weiterhin dringend benötigte Dienstleistungen für unsere Bürger erbringen können. Wenn wir alle an das Gemeinwohl denken, werden wir alle Gewinner sein“, fuhr der Bürgermeister fort. Bill räusperte sich kurz. „Das gilt auch für die beiden Mannschaften des heutigen Abends. Durch die Teilnahme an dieser ganz besonderen Veranstaltung wird jeder Spieler, egal ob Feuerwehrmann oder Polizist, zum Gewinner. Natürlich wird ein Team Sieger sein und den Pokal erringen, aber alle bleiben sie Kameraden, die an jedem Tag ihr Leben für einander und für die Menschen dieser Stadt einsetzen. Folgen wir also alle dem Beispiel dieser Männer und Frauen. Arbeiten wir zusammen für das Wohl unserer Mitmenschen und unserer wunderbaren Stadt.“ Um Eloise herum brandete Applaus auf, als Bill das Podium verließ. Er winkte den Zuschauern zu, die wie ein Mann aufgestanden waren, um ihrem Bürgermeister zuzujubeln. Auch Eloise sprang auf und klatschte, zusammen mit ihren Söhnen, die auch noch begeisterte Pfiffe von sich gaben und „weiter so“ riefen. Widerwillig gestand sie sich ein, dass Bill nicht ganz Unrecht hatte. Unternehmen und reiche Privatleute unterstützen Manhattan Multiples schon jetzt mit großzügigen Spenden, und das Beratungszentrum musste nicht unbedingt an der Madison Avenue residieren, um auch weiterhin Bedürftigen zu helfen. Dennoch, ohne die städtischen Zuschüsse würde das Zentrum sich erheblich einschränken müssen und viel weniger erreichen können, als sie sich für die Zukunft vorgenommen hatte. Als Bill wieder neben ihr stand, sah sie ihn an. Er war so verdammt attraktiv, charmant und sexy. Und es war so schwer, ihm zu widerstehen. „Wie wäre es mit einem Waffenstillstand?“ hatte er vorgeschlagen, als sie im
Rathaus nach unten fuhren, wo die Limousine auf sie wartete.
„Nur für heute Abend.“
„Und wer wird das Spiel gewinnen?“ hatte er auf der kurzen Fahrt zu ihrem
Apartmenthaus gefragt, wo sie ihre Söhne abholen würden.
„Die Feuerwehrleute“, hatte sie ohne Zögern geantwortet.
„Warum?“
„Weil sie keine Burger essen“, erwiderte sie fröhlich.
„Die armen Polizisten müssen sich dauernd ihre Essgewohnheiten vorhalten
lassen.“
„Die Wachmänner bei Manhattan Multiples sind ehemalige Polizisten und bringen
uns auch dauernd Burger mit“, erwiderte Eloise lächelnd.
„Ihr habt Wachmänner?“ fragte er mit plötzlicher Besorgnis. „Gab es etwa
Probleme?“
„Ich habe sie nur als Vorsichtsmaßnahme eingestellt“, wich sie aus, weil sie Bill
nicht von den Drohbriefen erzählen wollte. Stattdessen schaute sie zu ihren
Söhnen hinüber, die sichtlich aufgeregt vor dem Eingang des Apartmenthauses
warteten. „Sie scheinen sich auf den Abend zu freuen.“
„Damit sind wir schon zu viert“, erwiderte er und warf ihr einen fragenden Blick
zu.
„Zu fünft“, verbesserte sie und drückte seinen Arm.
„Also zu fünft.“ Bill hatte erleichtert gelächelt und die Tür der Limousine geöffnet.
„Hallo, Jungs, rein mit euch“, hatte er gut gelaunt gerufen, und lachend hatten
die drei um die allerbesten Sitze gerungen.
„Tolle Rede“, bemerkte Carl jetzt und holte Bill in die Gegenwart zurück.
„Ja, großartig, Sir“, meinten John und Henry und beugten sich vor, um ihm die
Hand zu schütteln.
„Danke, Carl. Und euch, John und Henry, auch“, erwiderte Bill und schaffte es zu
ihrer Verblüffung, die Drillinge auseinander zu halten.
„Wie hast du das gemacht?“ murmelte Eloise.
„Was? Meine Rede?“ fragte Bill, während sie ihre Plätze wieder einnahmen.
„Nein. Du hast ihre Namen auseinander gehalten.“
„Sie tragen die gleichen Hemden, aber jeder in einer anderen Farbe“, erklärte er
nicht ohne Stolz. „Und meine Rede… Wie fandst du sie?“
„Gut. Sie… hat mich nachdenklich gestimmt“, gab Eloise zu.
„Das freut mich.“ Er legte den Arm um ihre Schultern. „Ich versuche immer,
möglichst viele Leute zum Nachdenken anzuregen.“
„Und warum überrascht mich das nicht?“ Sie zog eine Augenbraue hoch.
„Weil du mich zu gut kennst.“
„Nicht wirklich“, widersprach sie, denn nach siebzehn Jahren Trennung waren sie
einander in vielerlei Hinsicht fremd.
„Dann werden wir das ändern müssen, nicht wahr?“
Eloise war nicht sicher, was sie darauf antworten sollte. Auf privater Ebene wollte
sie Bill Harper intim kennen lernen. Aber auf beruflicher Ebene wäre es besser,
zu Bürgermeister Harper diskreten Abstand zu wahren.
Doch was immer sie erwidert hätte, es wäre im Jubel der Menge untergegangen.
Denn zu den Klängen einer Blaskapelle betraten die Teams das Spielfeld. Die
Spieler hatten sich bereits aufgewärmt, und die Nationalhymne war schon vor
Bills Rede angestimmt worden, also konnte das Match sofort beginnen.
Obwohl Eloise für die Feuerwehrleute war, beklatschte sie wie Bill und ihre Söhne
jeden erfolgreichen Korbwurf auf beiden Seiten. Den Spielern so nahe zu sein
machte das Match für sie noch aufregender. Und das Ereignis mit Bill und ihren
Söhnen zu erleben gab ihr ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie seit Walters
Tod nicht mehr empfunden hatte.
Wie auf dem Ball sorgte Bill auch hier dafür, dass es ihr und den Jungs an nichts
fehlte. Eloise war hungriger, als sie erwartet hatte, und aß gleich zwei Hot Dogs.
Sie gönnte sich sogar ein eiskaltes Bier dazu.
In den Spielpausen ging Bill seinen bürgermeisterlichen Pflichten nach und
begrüßte die zahlreich erschienene Prominenz, wobei er Eloise und ihre Söhne
allerdings stets vorstellte.
Carl, John und Henry zeigten sich von ihrer besten Seite, schüttelten lächelnd die
vielen Hände und gaben ihrer Mutter allen Grund, stolz zu sein. Natürlich
strahlten sie in jede Kamera, aber wenigstens zogen sie keine Grimassen.
Am nächsten Tag würden die Fotos in den Zeitungen erscheinen. Darüber war
Eloise nicht gerade begeistert, aber es ließ sich wohl nicht vermeiden. Außerdem
war es ein kleiner Preis für all den Spaß, den sie zusammen hatten.
Wie sie vorhergesagt hatte, gewann die Feuerwehr. Unter donnerndem Applaus
übergab Bill dem Mannschaftskapitän den Pokal.
Danach leerten sich die Ränge, und ‘Bill, Eloise und ihre Söhne wurden zur
wartenden Limousine geführt.
„Hat jemand Lust auf Eiscreme?“ fragte Bill und nahm die Hand von Eloise,
während ein Streifenwagen sie durch den dichten Verkehr eskortierte.
Die Jungs jubelten, und Eloise widersprach nicht.
Bill bat den Chauffeur, sie vor einem Cafe in Little Italy, dem italienischen Viertel
von New York City, abzusetzen. Da es schon spät und mitten in der Woche war,
brauchten sie nicht auf einen Tisch zu warten. Natürlich erkannten die anderen
Gäste den Bürgermeister, aber niemand störte die harmonische Atmosphäre der
fünf Besucher.
Die Jungs bestellten sich riesige Eisbecher, Bill nahm eine Scheibe Fürst Pückler
und einen Kaffee, Eloise eine Portion Sorbet und einen Cappuccino. Während sie
es sich schmecken ließen, sprachen sie angeregt über das Spiel, die besten
Korbwürfe und die schlimmsten Fehlpässe. Alle waren sich einig, dass es eins der
spannendsten Basketballspiele gewesen war, die sie seit langem gesehen hatten.
Ihre Becher waren längst leer, als die Jungs zu gähnen begannen.
„Zeit, euch Burschen nach Hause zu bringen“, meinte Bill und steckte seine
Kreditkarte ein.
„Ja, das ist es“, stimmte Eloise ihm zu. „Sie müssen morgen zur Schule, und dies
ist für sie der zweite lange Abend hintereinander.“
„Ach, Mom, es ist ja noch nicht mal Mitternacht“, meinte Carl.
„Stimmt, aber es wird sogar noch später sein, bis wir nach Hause kommen“,
erwiderte Eloise gelassen.
„He, wir waren es doch nicht, die heute verschlafen haben. Außerdem waren wir
rechtzeitig in der Schule“, warf John ein.
„Und keiner von uns ist im Unterricht eingenickt“, versicherte Henry.
„Alles schön und gut, aber ihr braucht euren Schlaf. Ihr habt ein anstrengendes
Wochenende vor euch. Ihr wollt doch nicht schon erschöpft sein, bevor ihr
aufbrecht.“
„Wir werden gar nicht erst aufbrechen, wenn du die Erlaubnis nicht endlich
unterschreibst“, beschwerte Carl sich. „Morgen ist Abgabeschluss.“
„Oh, habe ich das gestern Abend schon wieder vergessen?“ Eloise warf ihren
Söhnen einen entschuldigenden Blick zu, während Bill sie zu seiner Limousine
führte.
„Wohin fahrt ihr denn?“ erkundigte er sich, als sie im Fond saßen.
„Washington D.C. Am Freitagnachmittag geht es von der Schule aus los. Wir
wollen ins Smithsonian und uns so viel ansehen, wie wir an einem Wochenende
schaffen können“, antwortete Carl. „Es ist ein riesiges Museum. Ich weiß noch, wie überwältigt ich bei meinem ersten Besuch war“, sagte Bill. „Fährst du mit?“ fragte er Eloise. „Nein. Ich habe im September das Essen für die freiwilligen Schulhelfer organisiert“, erklärte sie. „Also habe ich für dieses Semester meine elterlichen Pflichten erfüllt.“ „Dann wirst du am Wochenende allein sein.“ „Ja, das werde ich…“ Erst jetzt dachte Eloise daran, wie es sein würde, ein komplettes Wochenende ohne ihre Söhne zu verbringen. Hin und wieder übernachteten sie bei Freunden, aber da sie zu dritt waren, fanden die Pyjamapartys meistens bei ihr zu Hause statt. Und Eloise mochte den Trubel. Jetzt bereute sie es plötzlich, dass sie sich nicht als Begleiterin für den Schulausflug eingetragen hatte. Andererseits waren ihre Söhne vermutlich froh, der Obhut ihrer Mutter mal für eine Weile zu entkommen. Sie würde also die Zeit nutzen, um ihren Papierkram aufzuarbeiten. Davon hatte sich jede Menge angesammelt. „Hast du Pläne?“ wollte Bill jetzt wissen. „Oh, ich habe viel zu tun“, erwiderte Eloise rasch und wich seinem forschenden Blick aus. „Sehr viel sogar.“ „Hm, das kann ich mir vorstellen.“ Seine Stimme hörte sich an, als würde er ihr nicht recht glauben. „Ihr könntet euch doch zu einem Date oder so treffen“, schlug Henry mit einem schelmischen Lächeln vor. „Oh, ich glaube nicht“, wehrte Eloise ab. „Keine schlechte Idee“, meinte Bill dagegen. „Ein Date ,oder so’ hört sich viel versprechend an.“ Eloise wollte erwidern, dass es absolut keine gute Idee war, aber ihr fiel keine Begründung ein. Zum Glück hielt der Wagen gerade vor ihrem Haus, und sie brauchte nicht zu antworten. Bill hatte alle Hände voll zu tun, ihre Söhne aus der Limousine, ins Gebäude und in den Fahrstuhl zu scheuchen, und sie hoffte, dass er in der Hektik Henrys Vorschlag vergessen würde. Er musste doch wissen, dass sie beide sich nicht als Paar in der Öffentlichkeit zeigen durften. Ihre Differenzen in der Frage um die städtischen Zuschüsse waren einfach zu groß, um sie zu ignorieren. Noch gab es in New York City viele Leute, deren wohltätige Arbeit von dieser finanziellen Unterstützung abhing. Sie war deren Sprachrohr und ihnen damit verpflichtet. Eloise war so vertieft in ihre Überlegungen, dass sie gar nicht bemerkte, wie ihre Söhne sie und Bill vor der Wohnungstür zurückließen. Erst die plötzliche Stille ließ sie aufsehen. „Sie hätten sich wenigstens bedanken und dir eine gute Nacht wünschen können“, murmelte sie. „Das haben sie“, versicherte Bill lächelnd. „Alle drei. Du warst nur ein wenig abgelenkt.“ „Ja, das stimmt“, gab Eloise verlegen zu. Sie standen auf dem Korridor genau wie am Abend zuvor. Gestern hatte er sie geküsst. Würde er es auch jetzt wieder versuchen? Und wollte sie das? Aber noch wichtiger, würde sie es zulassen? „Du wirkst schon wieder abgelenkt“, bemerkte Bill mit einem belustigten Glitzern in den Augen. „Was beschäftigt dich so sehr? Ich hoffe, es ist etwas Gutes, aber ich bin sehr gespannt.“
„Ich denke, dass ich auf keinen Fall vergessen darf, die Erlaubnis zu unterschreiben“, wählte sie die erste Ausrede, die ihr in den Sinn kam. „Ich habe das Gefühl, dass die drei dir das Formular hinhalten werden, sobald du die Wohnung betrittst.“ „Vermutlich hast du Recht. Und ich sollte es gleich tun.“ Sie machte einen Schritt von ihm weg. „Es war ein schöner Abend.“ „Für mich auch. Wir könnten ein ebenso schönes Wochenende haben. Nur wir zwei“, fuhr er fort. „Ich habe ein Haus in den Hamptons. Es ist klein, liegt aber direkt am Meer. Und sehr einsam. Nur wenige wissen davon – und niemand bei der Presse. Ich könnte dich am Freitagabend abholen“, schlug er vor. „Es ist keine lange Fahrt, und um diese Jahreszeit gibt es kaum Verkehr in die Richtung. Wir könnten unbeobachtet sein, uns von den letzten siebzehn Jahren erzählen und wieder Freunde werden. So gute Freunde, wie wir es mal waren.“ Bill legte eine Hand an ihre Wange. „Komm mit, Eloise“, drängte er sanft. „Ich verspreche, du wirst es nicht bereuen.“ Sie zögerte. Ihr erster Impuls war, Ja zu sagen, aber sie gab ihm nicht nach. Sie hatte ihn einst geliebt und könnte sich allzu leicht erneut in ihn verlieben. Aber das wäre genauso leichtsinnig wie damals. Noch immer stand für ihn seine politische Karriere an erster Stelle. „Ich denke wirklich…“, begann sie und wich seinem durchdringenden Blick aus. „Du denkst viel zu viel“, unterbrach er sie. „Und ich habe das Gefühl, dass du an Dinge denkst, die nichts mit unserem Privatleben zu tun haben. Können wir denn nicht einfach zwei normale Menschen sein? Ein Mann und eine Frau, die zusammen ein schönes Wochenende verbringen?“ „Ich bin nicht sicher, dass wir das können“, gestand Eloise. „Na, dann brenn doch einfach mit mir durch, damit wir es herausfinden“, schmeichelte er. „Oh, Bill, ich…“ „Du musst dich nicht jetzt entscheiden. Überleg es dir einfach, ja? Ich fahre auf jeden Fall am Freitag. Ich komme um sieben bei dir vorbei. Wenn du mitkommst, okay. Wenn nicht, auch okay.“ Sie wollte protestieren, wollte ihm sagen, dass er sich keine Hoffnungen machen sollte, doch bevor sie den Mund aufmachen konnte, zog er sie an sich und küsste sie so stürmisch wie in seinem Büro. Und wie dort, so schmiegte sie sich in seine Arme und hieß seine tastende Zunge mit einem leisen, lustvollen Seufzer willkommen. Sie wusste nicht, warum sie in seinen Händen zu Wachs wurde, aber sie wurde es. Jedes Mal. Seine Küsse hatten etwas Forderndes, dem sie nicht widerstehen konnte. Sie versprachen so viel von dem, was sie in ihrem Leben brauchte und haben wollte. Und von dem sie geglaubt hatte, dass sie es nie wieder erleben würde. Sie fühlte sich einfach nur einsam, und eigentlich hätte doch jeder anständige, respektable Single ihr reichen müssen. Aber von den infrage kommenden Männern, denen sie in letzter Zeit begegnet war, hatte sie keinen küssen wollen. Nur Bill… So wie jetzt. „Mom, komm schon, du musst die Erlaubnis unterschreiben“, bat Carl, der die Tür geöffnet hatte. „Vorher gehen wir nicht zu Bett.“ „Was habe ich dir gesagt? Sie stehen hinter der Tür und warten auf dich. Du hättest dir um deine Unterschrift keine Sorgen zu machen brauchen“, murmelte Bill, als sie den Kuss beenden mussten. „Offenbar nicht“, murmelte sie zurück. „Wir sehen uns am Freitagabend“, fuhr er leise fort. Dann zwinkerte er Carl zu.
„Viel Spaß in D.C.“
„Den werden wir haben, Sir. Und nochmals danke für heute Abend.“
„Ja, danke für heute Abend“, wiederholte Eloise völlig benommen, ohne Bill
anzusehen.
„Es war mir ein Vergnügen.“
Er gab ihr einen letzten, freundschaftlichen Kuss auf die Wange, winkte ihren
Söhnen zu und ging zum Fahrstuhl.
„Und? Habt ihr nun ein Date am Wochenende?“ fragte Carl fröhlich und
verschwand in der Wohnung, als Eloise ihm einen strengen Blick zuwarf.
„Das geht euch nichts an. Wo ist denn nun diese Erlaubnis?“
„Hier.“ Henry schwenkte sie über dem Kopf.
„Zu schade, dass ihr nur ein Wochenende fort sein werdet.“
„Mann, du würdest uns schrecklich vermissen, wenn wir länger weg wären.“
„Im Moment denke ich, dass eine Militärschule doch keine so schlechte Idee
wäre. Manchmal macht ihr mich wirklich verrückt“, bemerkte Eloise
kopfschüttelnd.
„Halt, das ist unser Job. Wir sind deine Kinder.“
Das scheint auch Bills Job zu sein, dachte Eloise, während sie das Formular
unterschrieb und ihre Jungs ins Bett scheuchte.
Sie konnte nicht mit ihm in sein Haus fahren. Nun, sie konnte, aber sie sollte es
nicht tun.
Na ja, sie sollte nicht, aber sie…
Eloise nahm sich vor, darüber nachzudenken, wenn sie nicht mehr unter dem
berauschenden Einfluss seines Kusses stand. Und dann würde sie eine
vernünftige Entscheidung treffen.
Es sei denn, sie ginge ins Risiko und entschied sich, wenigstens dieses eine Mal
in ihrem Leben ihr Gefühl über den Verstand siegen zu lassen.
6. KAPITEL „Also haben Sie noch immer vor, heute Abend zu Ihrem Haus in den Hamptons zu fahren?“ fragte Wally Phillips. Der Stabschef klang missbilligend, denn er würde mehrere Auftritte des Bürgermeisters absagen müssen. Und Wally hasste es, schlechte Nachrichten zu überbringen. Darauf konnte Bill jedoch keine Rücksicht nehmen. Er hatte schon am Mittwochabend beschlossen, dass nur eine Naturkatastrophe ihn dazu bringen würde, seine Pläne für das Wochenende zu ändern. „Ja, Wally, genau das werde ich tun.“ Bill sah auf die Uhr. „In etwa dreißig Minuten. Selbst der Bürgermeister von New York City hat ein wenig Freizeit verdient.“ „Das ist mir klar, Sir. Aber bisher haben wir Ihre Kurzurlaube immer lange im Voraus terminiert, um Probleme zu vermeiden“, erwiderte sein Stabschef und gestattete sich einen leicht verärgerten Unterton. „Und ich habe mich in den letzten zwei Jahren sklavisch an diese Abmachung gehalten. Seit meiner Wahl stehen meine Amtspflichten für mich an erster Stelle, das wissen Sie. Jetzt nehme ich mir ein Wochenende frei – ein einziges Wochenende. Und ja, einige Leute werden enttäuscht sein, weil ich nicht zu ihren Veranstaltungen erscheine, aber ich weigere mich, deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben.“ Bill mochte kurzfristige Absagen ebenso wenig wie Wally und wollte niemanden enttäuschen, aber die Wahl zwischen ein paar unwichtigen Auftritten und einem ungestörten Wochenende mit Eloise war leicht zu treffen. Nicht, dass er davon ausgehen konnte, dass sie mit gepackter Tasche auf ihn wartete, wenn er in weniger als einer Stunde an ihrer Tür klopfen würde. Aber noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben. Und so wie er es ihr nach dem Kuss am Mittwochabend gesagt hatte, würde er auf jeden Fall fahren, auch ohne sie. „Das Wetter soll miserabel werden“, warnte Wally. „Wolkig, kalt und vielleicht sogar verregnet. Für die Nacht von Samstag auf Sonntag wird sogar mit Schnee gerechnet. Was, wenn Sie dort draußen festsitzen?“ „Umso besser“, erwiderte Bill lächelnd. „Für Sie vielleicht“, murrte Wally und stand auf. „Am Montagmorgen kommt Charles Goodwin, der Reporter vom Daily Express, um Sie zu interviewen. Und am Nachmittag haben Sie ein Treffen mit Francis Wegner, dem Präsidenten von Construction Services.“ „Keiner der beiden wird etwas gegen eine Verschiebung haben, falls ich wegen des Wetters nicht rechtzeitig zurück bin.“ Bill erhob sich ebenfalls und reichte Wally die Briefe, die er während des Gesprächs unterschrieben hatte. „Und ich möchte nicht, dass Sie das ganze Wochenende im Büro verbringen.“ Er zog sich das Jackett an. „Gönnen Sie sich zur Abwechslung mal etwas Spaß.“ „Ja, sicher.“ Wally lächelte matt. In diesem Moment erinnerte der Stabschef Bill daran, wie er selbst in dem Alter gewesen war. Er hatte Tag und Nacht und an jedem Wochenende an seiner politischen Karriere gearbeitet und in seinem Leben wenig Energie oder Zeit für etwas anderes gelassen. Hätte er damals gewusst, was er jetzt wusste, hätte er einiges anders gemacht. „Im Ernst, Wally, Sie müssen mal raus hier. Treffen Sie sich mit Freunden, oder besuchen Sie Ihre Familie.“ „Fahren Sie deshalb weg? Um sich mit Freunden zu treffen, genauer gesagt, mit einer ganz bestimmten Freundin?“ fragte Wally. „Mit Mrs. Vale vielleicht?“
Bill runzelte die Stirn. „Ich bin nicht sicher, ob Sie das etwas angeht.“ „Das wird es, wenn irgendein Fotograf Sie beide zusammen entdeckt und sein Foto auf den Titelseiten der Boulevardpresse landet. Ich sehe die vieldeutigen Schlagzeilen schon vor mir.“ „Keine Angst, Wally. Sie werden weder Fotos noch anzügliche Überschriften sehen. Ich mag der Bürgermeister sein, aber ich kann meine Privatsphäre schützen, wenn es nötig ist. Und jetzt lassen Sie uns von hier verschwinden und ein wenig Spaß haben.“ „Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, Sir. Sehen wir uns am Montag?“ „Ja, wir sehen uns am Montag. Wenn das Wetter es zulässt.“ Froh, endlich wegzukommen, zumal er spät dran war, fuhr Bill nach unten. Er hatte den Chauffeur gebeten, den Geländewagen aus der Garage von Gracie Mansion, der Residenz des New Yorker Bürgermeisters, zu holen und spätestens um sechs vor dem Rathaus zu parken. Jetzt war es fast halb sieben, dabei hatte er Eloise versprochen, um sieben bei ihr zu sein. Er würde sich beeilen müssen. „Hallo, Ray. Tut mir Leid, dass Sie so lange warten mussten“, begrüßte er seinen Fahrer, der ihm die Tür des Geländewagens aufhielt. „Ich bin wie immer zu spät.“ „Kein Problem, Sir. Der Tank ist voll, der Reifendruck geprüft. Ihr Koch hat eine Kühlbox mit Sandwichs und Getränken mitgeschickt, damit Sie unterwegs nicht anhalten müssen, um zu essen.“ „Großartig. Kann ich Sie irgendwo absetzen?“ „Nein, Sir. Ich bin mit Freunden zum Essen in Chinatown verabredet. Das Restaurant ist nur ein paar Blocks von hier. Und ich kann etwas Bewegung gut gebrauchen.“ Lächelnd klopfte Ray sich auf seinen üppigen Bauch. „Dann viel Spaß. Und nochmals danke, dass Sie so geduldig waren.“ „Es war mir ein Vergnügen, Sir. Genießen Sie das Wochenende.“ „Das werde ich. Wir sehen uns am Montag.“ Ray schlenderte davon. Bill stieg in den Wagen und startete den Motor. Endlich allein, lenkte er den Vierradantrieb durch den Verkehr, der nicht so dicht wie befürchtet war, und überlegte sich, ob Eloise ihn begleiten würde. Seit seiner spontanen Einladung am Mittwoch hatte er nicht über seine Motive nachgedacht. Und erst recht nicht über die Gründe, aus denen sie – natürlich höflich – ablehnen würde. Bisher hatte er selten, wenn überhaupt, aus seinen Gefühlen heraus gehandelt. Erst jetzt wurde ihm klar, was für ein Fehler das gewesen war. Doch außer Eloise hatte noch keine Frau ein so heftiges Verlangen in ihm geweckt, und sie hatte sich vor siebzehn Jahren entschlossen, einen anderen Mann zu heiraten. Jetzt jedoch war sie frei, genau wie er. Sie waren älter geworden, und er zumindest wusste, dass jemanden zu brauchen etwas anderes war, als jemanden zu begehren. In einer perfekten Welt hätte er sich mehr Zeit gelassen, ihre Zuneigung zurückzugewinnen, und sie erst dann zu einem gemeinsamen Wochenende eingeladen. Aber sie lebten nicht in einer perfekten Welt. Sie hatten beide eine Menge unaufschiebbarer Verpflichtungen. Eloise hatte drei Söhne, die einen Großteil ihrer Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchten. Es würde nicht viele Gelegenheiten geben, mit ihr allein zu sein. Eine davon zu verpassen wäre ein großer Fehler. Eloise hatte ihn nicht angerufen und abgesagt, also bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie mit gepackter Tasche auf ihn wartete. Und sich vermutlich fragte, wo zum Teufel er blieb. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast zehn nach sieben. Er konnte sein Handy herausholen und sie anrufen. Aber in zehn Minuten würde
er ohnehin bei ihr sein. Und ihm war es lieber, von ihr weggeschickt zu werden, als übers Telefon zu hören, dass er gar nicht erst vorbeizukommen brauchte. Um genau zwanzig nach sieben hielt Bill vor dem Apartmentgebäude, in dem Eloise wohnte. Er nahm das amtliche Schild mit der Aufschrift „Dienstfahrzeug im Einsatz“ aus dem Handschuhfach und legte es aufs Armaturenbrett. Das Letzte, was er brauchen konnte, war ein Strafzettel, auf dem ihre Adresse stand. Er holte tief Luft, öffnete die Tür und stieg aus. Ein feuchtkalter Windstoß ließ ihn frösteln, als er zu der gläsernen Flügeltür rannte. Ein Portier hielt sie ihm auf. Bill gab dem eisigen Wetter die Schuld daran, dass seine Hände zitterten. Er war schon lange nicht mehr nervös gewesen, aber vielleicht hatte er jetzt einen wirklichen Grund dazu. Langsam ging Eloise von einem Ende des Wohnzimmers zum anderen. Das tat sie bereits seit fast dreißig Minuten. Bei Manhattan Multiples war am Donnerstag und Freitag ungewöhnlich viel los gewesen, und am Donnerstagabend hatte sie ihren Söhnen beim Packen geholfen. Sie hatte gar keine Zeit gehabt, nervös zu sein. Das holte sie jetzt nach. Ihre eigene Reisetasche stand neben der Wohnungstür, zusammen mit der marineblauen Daunenjacke, passenden Handschuhen und einem Kaschmirschal. Nach einer kurzen Dusche hatte sie ihr Makeup erneuert, sich das Haar gebürstet und saubere Jeans, ein TShirt, einen schwarzen Wollpullover mit V Ausschnitt, warme Socken und hohe Schnürstiefel mit flachen Absätzen angezogen. Hoffentlich das richtige Outfit für ein entspanntes Winterwochenende am Meer, dachte sie und warf einen kritischen Blick in den Spiegel. Ob ihr überhaupt ein entspanntes Winterwochenende am Meer bevorstand? Die Uhr auf dem Kaminsims zeigte fast Viertel nach sieben – spät, aber nicht zu spät. Außer, dass Bill Harper eigentlich immer pünktlich war. Was vielleicht bedeutete, dass er gar nicht kommen würde. Ihr Mund wurde trocken, und sie eilte in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Eloise wusste nicht, welcher Gedanke sie nervöser machte. Dass er sie gleich abholen würde. Oder dass er ihre Worte am Mittwoch ernst genommen und das gemeinsame Wochenende längst abgeschrieben hatte. Das Läuten des Telefons ließ Eloise zusammenzucken, fast hätte sie das Glas in die Spüle fallen lassen. Ein Anruf wegen ihrer Söhne würde übers Handy kommen, denn dessen Nummer hatte sie in der Schule angegeben. Also war es vermutlich Bill, der ihr sagen wollte, dass sie nicht auf ihn zu warten brauchte. Enttäuscht stellte sie das Glas hin, nahm den Hörer des Wandapparats ab und bemühte sich, einen fröhlichen Ton anzuschlagen. „Oh, gut. Sie sind zu Hause“, sagte Allison Baker Perez, ihre Assistentin. „Allison? Ist etwas nicht in Ordnung?“ Die Erleichterung darüber, dass es nicht Bill war, wich der Besorgnis um die junge Frau. Allison hatte sie noch nie an einem Freitagabend zu Hause angerufen. „Ganz im Gegenteil. Jorge und ich haben überlegt, ob Sie vielleicht mit uns essen möchten. Falls Sie noch nichts vorhaben. Wir könnten Sie in zwanzig Minuten abholen. Nichts Besonderes – Pizza oder chinesisch oder ein Burger mit Pommes frites. Suchen Sie sich etwas aus. Ich dachte mir nur, Sie sind das ganze Wochenende allein und fühlen sich vielleicht einsam, weil die Jungs weg sind…“ „Allison, wie nett von Ihnen und Jorge“, erwiderte Eloise, und ihr wurde warm ums Herz. Spontan entschied sie sich, die Einladung anzunehmen. „Ich würde sehr gern…“, begann sie und brach ab, als der Summer der Sprechanlage ertönte. „Bleiben Sie einen Moment dran, Allison?“
„Natürlich.“
Eloise schaltete ihre Assistentin weg, bevor sie mit dem Portier sprach. „Ja,
Carlton?“
„Mrs. Vale, Bürgermeister Harper ist da. Soll ich ihn nach oben schicken?“
„Ja… ja, natürlich“, antwortete sie, während die Nervosität sie wieder überkam.
Er war tatsächlich gekommen. Er hielt sein Versprechen.
Sie schaltete Allison wieder zurück und versuchte, sich die Aufregung nicht
anmerken zu lassen. „Wie gesagt, ich würde sehr gern mit Ihnen und Jorge
essen gehen, aber ich habe schon etwas vor. Vielleicht ein anderes Mal?“
„Oh ja, ganz bestimmt“, erwiderte Allison sofort. „Vielleicht nach meiner
nächsten Ultraschalluntersuchung .;.“
„Die ist am nächsten Donnerstag, richtig?“
„Ja. Dann werden wir wissen, ob mit den Zwillingen alles in Ordnung ist, nicht
wahr?“
„Ich bin mir da völlig sicher, Schätzchen. Machen Sie sich keine Sorgen, Allison.“
„Eloise, was würde ich ohne Sie und Manhattan Multiples bloß tun?“
„Sie würden es auch ohne uns schaffen, meine Liebe, aber ich freue mich, dass
ich Ihnen eine Hilfe sein kann.“
„Eine Hilfe? Sie sind viel mehr als das. Sie sind mir eine wunderbare Freundin“,
sagte Allison.
„Danke. Sie sind mir auch eine wunderbare Freundin und eine echte
Bereicherung für Manhattan Multiples. Ich könnte mir keine bessere Assistentin
wünschen.“ Eloise lächelte, obwohl die Aufregung sich noch steigerte, als es an
der Tür läutete. „Ich muss jetzt Schluss machen. Bis Montag.“
„Es sei denn, wir sind eingeschneit.“
„Eingeschneit?“ Eloise hatte seit Tagen keinen Wetterbericht mehr gesehen.
„Für das Wochenende ist Schnee angekündigt.“
„Oh…“
„Viel Spaß heute Abend, Eloise. Bis dann.“
„Bis dann…“
Eloise starrte eine Sekunde auf den Hörer in ihrer Hand, bevor sie auflegte und
zur Tür eilte. Plötzlich schossen ihr mindestens ein halbes Dutzend Gründe durch
den Kopf, warum es doch keine so gute Idee war, mit Bill Harper in die Hamptons
zu fahren.
Ganz oben rangierte die Möglichkeit, dass sie vielleicht am Sonntagabend nicht in
die Stadt zurückkehren konnten. Was würde dann geschehen?
Ihre Stirn lag in Falten, als sie die Tür öffnete und ihr Blick Bills begegnete. Seine
Augen leuchteten, und sein jungenhaftes Lächeln ging ihr ans Herz. Doch sofort
wurde seine Miene besorgt.
„Stimmt etwas nicht? Abgesehen davon, dass ich fast eine halbe Stunde zu spät
bin?“ fragte er. „Was mir übrigens sehr Leid tut.“
„Ich wusste nicht, dass es an diesem Wochenende schneien soll“, erwiderte sie.
„Und was deine Verspätung betrifft, du bist sonst immer pünktlich, also habe ich
schon fast nicht mehr mit dir gerechnet.“
„Aber was davon erklärt das Stirnrunzeln, mit dem du mir geöffnet hast?“
„Beides“, erwiderte sie, und er lachte.
„Wie gesagt, die Verspätung tut mir Leid. Ich musste geradezu darum betteln,
dass mein Stabschef mir das Wochenende freigibt, und das hat ein wenig länger
gedauert, als ich erwartet hatte. Mach dir aber wegen des Schnees keine Sorgen.
Unsere örtlichen Wetterleute rechnen immer mit dem Schlimmsten, damit man
ihnen hinterher nicht vorwerfen kann, sie hätten uns nicht gewarnt. Vermutlich
gibt es nur ein paar Flocken, und da mein Geländewagen einen Allradantrieb hat,
werden wir notfalls auch mit mehr Schnee fertig.“
„Ich möchte nur zu Hause sein, bevor die Jungs von ihrer Fahrt nach D.C.
zurückkommen.“
„Das kann ich dir fast garantieren. Aber wenn es anders kommen sollte, werde
ich dafür sorgen, dass sie gut betreut werden, bis du wieder da bist. Wie klingt
das?“
„Beruhigend“, gab sie zu.
„Heißt das, du willst also mit mir durchbrennen?“
„Ich weiß, ich hätte dich anrufen sollen, aber ich habe mich erst vor einer Stunde
entschieden. Und ich habe schon gepackt und bin bereit.“ Sie zeigte auf ihre
Reisetasche und nahm sich die Jacke.
„Kein Problem“, scherzte er, und sein Lächeln wurde immer breiter, während er
ihr in die Jacke half. „Hin und wieder genieße ich es, eine schlaflose Nacht zu
haben.“
„Sehr komisch.“ Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Ich bin gleich zurück. Ich
muss nur noch nachsehen, ob die Timer für die Lampen gestellt sind.“
Mit einer geradezu mädchenhaften Vorfreude, wie Eloise sie seit Jahren nicht
mehr empfunden hatte, machte sie eine letzte Runde durch das Penthouse. Als
sie zu Bill zurückkehrte, hatte er eine Hand um den Griff ihrer Tasche, die andere
im Mantel.
Sein Blick war ebenso fragend wie sein Lächeln, und das ließ ihn fast ein wenig
verlegen wirken. An jemandem, der ihr immer so selbstsicher erschienen war,
fand sie diesen neuen Charakterzug äußerst liebenswert.
Er mochte der Bürgermeister von New York sein, aber offenbar war er genauso
nervös wie sie. Aus irgendeinem Grund fand sie das beruhigend.
„Können wir?“ fragte er nach einem kurzen Schweigen.
„Ja.“ Sie nahm Handtasche, Schlüssel, Schal und Handschuhe vom Tisch.
Und auf dem Weg zum Fahrstuhl verspürte sie plötzlich so etwas wie freudige
Erwartung.
7. KAPITEL Nachdem Eloise auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, ging Bill um den Geländewagen herum. Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass er die einzige Frau, die er je geliebt hatte, zwei Tage und zwei Nächte ganz für sich allein haben würde. Was er während dieser Zeit sagte und tat, würde sich entscheidend auf den Rest seines Lebens auswirken. Doch zum ersten Mal in seinem Leben hatte er keinen ausgefeilten Plan geschmiedet. Natürlich hatte er dafür gesorgt, dass die Betten in beiden Schlafzimmern gelüftet und der Kühlschrank gefüllt sein würde. Aber er hatte sich nicht überlegt, was er Eloise sagen wollte, weil er nicht sicher gewesen war, ob er die Chance bekommen würde, seine Gedanken und Gefühle mit ihr zu teilen. Dieses Wochenende würde sie beide entweder einander näher bringen oder sie für immer trennen. Er konnte jede Menge Fehler begehen, die ihre Beziehung vielleicht beendete, bevor sie richtig begonnen hatte. Als er die Fahrertür öffnete, bemerkte er erneut, dass seine Hand leicht zitterte. Er hatte sich nur entspannen und das Wochenende mit Eloise genießen wollen, aber plötzlich ließ die Nervosität, die ihn befallen hatte, dieses Vorhaben unrealistisch erscheinen. Er setzte sich ans Steuer, startete den Motor und sah Eloise an. Ihre Blicke trafen sich, doch ihr Lächeln wirkte noch zaghafter als zuvor. Fragte auch sie sich, worauf sie sich eingelassen hatte? Bereute sie ihre Entscheidung etwa schon? Wünschte sie, sie könnte aussteigen, bevor er losfuhr? Obwohl Bill es nicht fertig brachte, diese Fragen laut auszusprechen, legte er keinen Gang ein, sondern zog seine Handschuhe aus und warf sie zusammen mit dem Schal auf die Rückbank. Das Schweigen war kaum noch auszuhalten. Er legte die Hände aufs Lenkrad, starrte einige Sekunden lang nach vorn und warf Eloise wieder einen Blick zu. Sie sah angespannt auf ihre eigenen Handschuhe, die auf dem sorgsam gefalteten Schal in ihrem Schoß lagen, und strich sie immer wieder glatt, als würde es sie beruhigen. Verunsichert wandte er sich ab und bemerkte dabei die Kühlbox. „Hast du Hunger?“ fragte er und sprach weiter, bevor sie antworten konnte. „Denn Ray, mein Chauffeur, hat erzählt, dass Dennis, mein Koch, uns Sandwichs und etwas zu trinken eingepackt hat. Nichts Besonderes, da bin ich sicher. Vermutlich Hühnchensalat in Fladenbrot. Dennis weiß, dass das mein Lieblingssnack ist.“ Nach kurzem Zögern lächelte Eloise erleichtert. „Ehrlich gesagt, ich habe tatsächlich Hunger. Und ich liebe Hühnchensalat in Fladenbrot.“ „Stört es dich, wenn wir essen, während ich fahre?“ „Überhaupt nicht.“ Bill erwiderte ihr Lächeln. Dann nahm er die Kühlbox vom Rücksitz und stellte sie auf die Konsole zwischen ihnen. Darin fand er unter zwei Stoffservietten nicht nur ein Sandwich und eine Saftpackung für jeden, sondern auch ein halbes Dutzend einzeln eingewickelter Schokoladenkuchen in einem Frischebeutel. „Toll, das sieht lecker aus“, rief Eloise, als sie ihr gefülltes Fladenbrot vorsichtig auswickelte. „Es ist immer wieder verblüffend, was Dennis aus wenigen Zutaten zaubert“, meinte Bill. Er stellte ihre Säfte in die Becherhalter und legte sein Sandwich auf die Konsole, während Eloise die Box vor sich in den Fußraum stellte.
„Hm, du hast Recht“, schwärmte sie nach dem ersten Bissen.
„Warte, bis du den Kuchen probiert hast“, sagte er und fuhr endlich los. Nachdem
er den Geländewagen in den fließenden Verkehr eingefädelt hatte, biss auch er in
sein Sandwich.
Schweigend aßen sie. Als sie Manhattan hinter sich hatten, holte Eloise die
Kuchen heraus. Sie nahm sich einen, und ihr genießerisches Seufzen brachte Bill
zum Lachen.
„Hab ich doch gesagt“, meinte er.
„Hast du“, bestätigte sie und lächelte. „Und jetzt erzähl mir von deinem Haus.“
„Was willst du wissen?“ fragte er und nahm sich ebenfalls einen Kuchen.
„Alles, was du mir erzählen möchtest.“
„Also, erst mal die Fakten.“
„Okay, die Fakten.“
„Eigentlich ist es eher ein Cottage. Ein richtig altmodisches Cottage. Keins von
diesen aufgeblähten Dingern mit mehreren Ebenen, die von Neureichen als
Cottage bezeichnet werden. Es gibt einen großen Raum, der die Küche, die
Essecke und den Wohnbereich umfasst. Die Wand zum Meer hin besteht aus
großen, vom Boden bis zur Decke reichenden Fenstern und der Tür zur hölzernen
Terrasse. Oben sind zwei etwa gleich große Schlafzimmer, jedes mit einem
kleinen Bad.“
„Oh, Bill, das hört sich hübsch an.“
„Ich finde es jedenfalls“, gab er zu. „Obwohl es in ziemlich schlechtem Zustand
war, als ich es vor fünfzehn Jahren gekauft habe. Ich habe bei jeder Gelegenheit
daran gearbeitet, und jetzt ist es bewohnbar. Die Küche ist klein, aber modern.
Die Badezimmer sind komplett renoviert, mit heißem Wasser rund um die Uhr.
Die Böden sind geschliffen und poliert, die Wände frisch gestrichen.“
Er lächelte. „Die Möblierung ist etwas spärlich, aber es gibt genügend Stühle,
Tische, Betten und sogar eine große Ledercouch vor dem Kamin. Ich habe
allerdings nicht sehr oft Gäste dort, aber ich finde es gemütlich und hoffe, dass
du dich wohl fühlen wirst.“
„Bestimmt“, versicherte sie ihm. „Ich brauche nicht viel. Ich bin nicht gerade im
Luxus aufgewachsen, weißt du.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wir haben
übrigens kaum über unser Leben vor New York gesprochen.“
„Du hast mir nur erzählt, dass du aus einem Vorort von St. Louis stammst“,
erinnerte er sich.
„Stimmt. Als ich nach New York umzog, habe ich nicht im Traum damit
gerechnet, dass ich mal in einem Penthouse an der Park Avenue wohnen würde.
Zugegeben, es ist schön, aber ich würde auch mit weniger glücklich sein. Obwohl
das wohl nie passieren wird, denn Walter hat dafür gesorgt, dass unsere Söhne
und ich immer in finanzieller Sicherheit leben können.“
„Das freut mich“, bemerkte Bill, während er von der Schnellstraße abfuhr. „Ich
wollte nur, dass du weißt, dass mein Cottage wirklich nur ein Cottage ist.“
Er drückte ihre Hand, und sie lächelte ihm dankbar zu.
„Meinetwegen kann es eine Bruchbude mit nur einem Raum sein. Hauptsache, es
ist warm und trocken.“
„Erstaunlich“, murmelte er.
„Was?“
„Wie friedlich du sein kannst.“
„Natürlich kann ich friedlich sein. In mancher Hinsicht“, fügte sie spitz hinzu.
Bill hob eine Hand. „He, das sollte kein Vorwurf sein. Ich habe nur gemeint, dass
du keine überzogenen Ansprüche an mein bescheidenes Wochenendhaus stellst.“
„Ach so…“ Sie zuckte mit den Schultern und warf ihm einen Blick zu.
„Gut.“
Wieder griff er nach ihrer Hand und drückte sie. Zu seiner Erleichterung
erwiderte sie die zärtliche Geste, und ihre Miene entspannte sich.
„Könnten wir uns an diesem Wochenende, was bestimmte Meinungsunterschiede
betrifft, auf einen Waffenstillstand einigen?“ schlug sie nach einem kurzen
Schweigen vor.
„Natürlich“, erwiderte er und war froh, dass sie ausgesprochen hatte, worauf er
gehofft hatte.
„Bist du häufig in deinem Cottage?“
„Leider nicht häufig genug“, sagte Bill. „Jedenfalls nicht seit meiner Wahl zum
Bürgermeister. Kaum jemand weiß, dass ich ein Haus in den Hamptons habe.
Und da ich will, dass das auch so bleibt, kann ich in der Hochsaison nicht dorthin.
Meistens fahre ich nur raus, wenn jeder vernünftige Mensch in der Stadt bleibt.“
„Zum Beispiel an einem verregneten Novemberwochenende, an dem auch noch
Schnee in der Luft liegt?“
„Genau.“ Er schaltete den Scheibenwischer ein, als die ersten Tropfen fielen.
Sie schwiegen ein paar Minuten, dann schnitt er ein neues Thema an. „Deine
Söhne sind wirklich drei gestandene junge Männer“, begann er. „Du hast gute
Arbeit geleistet.“
„Warten wir es ab.“
„Wie dumm, ich habe gar nicht daran gedacht, dir die Telefonnummer des
Cottages zu geben, damit du im Notfall erreichbar bist.“
„Kein Problem. Die Schule hat meine Handynummer. Aber erinnere mich daran,
es aufzuladen, sobald wir angekommen sind.“
„Das müsste in höchstens fünf Minuten sein.“
Er bog von der zweispurigen Landstraße auf einen Schotterweg ab, der gerade
breit genug für den Geländewagen war. Etwa eine halbe Meile vor ihnen drang
Licht durch die dicht stehenden Bäume.
„Du hast gesagt, dass es einsam liegt“, sagte Eloise. „Das war offenbar nicht
übertrieben. Obwohl es gar nicht so weit von der kleinen Stadt ist, durch die wir
gerade gekommen sind.“
„Etwa fünfzehn Minuten. Höchstens zwanzig an einem Abend wie diesem.“
Als er auf einer Lichtung hielt, starrte Eloise mit großen Augen auf das Cottage.
„Oh, Bill. Das ist ja… wunderschön“, murmelte sie.
„Na ja, nichts Ungewöhnliches. Weißes Holz mit schwarzen Fensterläden und rot
gestrichener Tür. Die Veranda führt ums ganze Haus, erweitert sich aber auf der
Meerseite zu einer Terrasse.“
„Ich kann kaum abwarten, es. bei Tageslicht zu sehen. Aber dann ist es vielleicht
schon unter Schnee begraben“, scherzte sie.
„Ich glaube, dazu ist es noch nicht kalt genug. Aber wenn doch, machen wir es
uns drinnen gemütlich. Ich beschäftige ein Ehepaar, das hier nach dem Rechten
schaut. Gestern habe ich die beiden angerufen. Die Schlafzimmer sind gelüftet,
die Heizung an, der Kühlschrank gefüllt, und die Timer müssten die Lampen
eingeschaltet haben, damit wir nicht über unsere eigenen Füße stolpern.“
„Perfekt geplant.“ Hastig wich sie seinem Blick aus.
Bill fragte sich, ob er etwas Falsches gesagt hatte, aber was sollte das gewesen
sein? Vermutlich war Eloise einfach nur müde. Bestimmt hatte sie einen ebenso
langen und harten Tag hinter sich wie er. Und dann noch die Fahrt durch den
winterlichen Abend.
„Ich bringe dich erst mal hinein. Dann hole ich die Taschen. Wie klingt das?“
fragte er.
„Gute Idee“, erwiderte sie matt.
Bill hoffte, dass ihr plötzlicher Stimmungsabfall tatsächlich nur an ihrer
Erschöpfung lag. Er stellte den Motor ab und griff nach dem Regenschirm, der
neben dem Fahrersitz lag.
„Warte mit dem Aussteigen, bis ich den hier aufgespannt habe.“
„Stets der Gentleman“, murmelte sie.
„Ich gebe mir die größte Mühe…“
Unter dem Schirm und seinem schützend um ihre Schulter gelegten Arm
gelangte sie auf die Veranda, ohne allzu nass zu werden. Kaum hatte er jedoch
die Tür aufgeschlossen, machte sie einen Schritt von ihm weg.
Er warf ihr einen fragenden Blick