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Hundert Tage � Gray Pickett wendet sich zur Schwingtür und tritt in den Alamo Star Saloon der kleinen Rinderstadt Caddo ein. Die Goldstücke an seinen Sporen klimpern melodisch durch die schwere Stille im Saloon. Ja, es ist eine schwere, lastende und drohende Stille. Gray Pickett bleibt jäh stehen. Er sieht binnen einer Zehntelsekunde drei verschiedene Dinge: Sämtliche Gäste haben an den Wänden und hinter den Tischen Deckung gesucht. Die Barkeeper sind hinter dem Schanktisch verschwunden. Ein Mann lehnt am Schanktisch und starrt in den Spiegel. Vor Gray Pickett, mit dem Rücken zu ihm, steht ein zweiter Mann, dessen große Hand griffbereit über dem Coltkolben hängt. Und in die Stille hinein, die jetzt selbst nicht mehr von Grays klimpernden Sporenrädern durchbrochen wird, hört Gray den Mann vor sich sagen: »Geh weg da hinter mir! Zum Teufel, geh weg, Bursche!« Gray Pickett begreift, daß der Mann ihn meint. Er lächelt ernst, stößt mit dem Daumen seinen Hut zurück und murmelt sanft »Nur ruhig, mein Freund – nur ruhig. Ich störe Ihr Vergnügen nicht.« Er bewegt sich langsam nach links und geht dann vorwärts. Er geht an dem Mann vorbei zum Schanktisch, stellt sich an dessen äußerste Ecke und klopft mit dem Fingerknöchel darauf. »Hallo«, sagt er, »wo bleibt die Bedienung?« Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe schon als � Band 190 und im Western-Bestseller als Band 879. �
Im Spiegel beobachtet er den Mann rechts hinter sich im Gang, und er wirft auch einen schnellen Blick zu dem anderen Mann hinüber, der am Schanktisch steht, ein leeres Whiskyglas in der Hand dreht und ebenfalls in den Spiegel starrt. Gray Pickett bemerkt, daß das Gesicht dieses Mannes mit Schweiß überzogen ist. Hinter dem Schanktisch zeigt sich jetzt der haarlose Billardskopf eines Barkeepers. Der Mann flüstert scharf: »Zum Teufel, Fremder, im Moment gibt es keine Bedienung! Ah, er soll nur gleich richtig treffen und mir nicht den teuren Spiegel zerschießen!« Nach diesen ängstlich geflüsterten Worten verschwindet der Kopf des Barmannes wieder in Deckung. Gray seufzt unzufrieden. Er geht um die Ecke des Schanktisches herum und steht nun an der Schmalseite. Er sieht immer noch den schwitzenden Mann am Schanktisch an und holt dabei mit der rechten Hand sein Rauchzeug aus der Hemdtasche. Indes hört er den anderen Mann – den im Gang – sagen: »Nun, Oven Payne – wie lange willst du mich denn noch warten lassen, he? Du bist doch der harte Bursche, den sich die Creek-Rancher für ihre Sammelherde angeworben haben! Nun zeige doch mal, wie hart du bist! Ich bin nun einmal, ein verrückter Kerl, der sich gern mit einem harten Burschen mißt! Los, Mister Oven Payne! Muß ich erst zu dir kommen und dich treten, bevor du dich umdrehst?« Gray Pickett hat seine Zigarette fertig. Er leckt über das Blättchen und steckt sie sich zwischen die schmalen Lippen. Er schnippt ein Zündholz am Daumennagel an und beginnt zu rauchen. Dabei betrachtet er aufmerksam den kampflustigen Sprecher. Und er weiß sofort, daß er einen berufsmäßigen Revolvermann sieht. Er kennt diese mitleidlose Sorte – und dieser da ist ein besonders schlimmer Wolf, der sich seinen
sicherlich nicht niedrigen Revolverlohn verdienen möchte. Jetzt versucht er es nochmals: »Los, Oven Payne! Ich zähle bis drei! Dann schieße ich dir die Ohren weg – und dann wirst du dich wohl endlich umdrehen und wie ein Mann mit einem Gentleman kämpfen.« Gray Pickett wendet seine Aufmerksamkeit nun dem Herausgeforderten zu. Der Mann ist ebenfalls groß, doch breiter, stärker und kräftiger als sein Herausforderer. Er trägt auch einen Colt tief an der Seite. Und doch – Gray erkennt es sofort – ist dieser Mann kein berufsmäßiger Revolvermann. Dieser Oven Payne wirkt zwar hart, stark und zäh – aber er ist wahrscheinlich nichts anderes als nur ein guter Rindermann. Mit der Waffe hat er gegen den Revolverhelden keine Chance. Und weil er das weiß, hat er sich bis jetzt auch noch nicht umgedreht. Doch die Scham hat ihm eine tiefe Röte ins Gesicht und den Schweiß auf die Stirn getrieben. Aber ein richtiger Mann kann in diesem Land der Männer die Dinge nur bis zu einer bestimmten Grenze hinnehmen. Dann muß er etwas tun, um seinen Stolz nicht zu verlieren und weiter ein Mann sein zu dürfen. Bevor sein Herausforderer zu zählen beginnt, sagt Oven Payne heiser: »O’Hara, ich kenne dich zu gut. Ich bin nun einmal nicht so schnell wie du. Wenn ich mich umdrehe und zu der Waffe greife, schießt du mich tot. Ah, leg deinen Waffengürtel ab, und du wirst einen Kampf mit den Fäusten bekommen. Ohne deinen Colt bist du nichts. Tobias Shanessy ist dein Boß! Er will nicht, daß ich für die Creek-Rancher die Sammelherde nach Dodge City treibe! Und er hat dir sicherlich fünfhundert Dollar versprochen, wenn du mich ausschaltest. Denn dann haben die Creek-Rancher keinen Trailboß mehr. Du gemeiner Kerl!« Er sagt es heiser, bitter und voller Haß. Aber noch ist er klug genug und dreht sich nicht um. Er weiß, daß es sich der
Revolvermann nicht erlauben kann, ihn in den Rücken zu schießen. Gray Pickett hat nun endlich den Namen des sommersprossigen Schießers vernommen. Und weil er selbst schon lange genug durch das Land reitet und nach einer Chance sucht, hat er hier und da schon von diesem Revolverhelden gehört. Black Stan O’Hara hat einen schlimmen Ruf. Diesen Ruf hat er sich während des Bürgerkrieges an der Seite gefürchteter Partisanenführer erworben. Gray Pickett weiß jetzt also gut Bescheid – so gut wie Oven Payne und das übrige Dutzend Männer im Raum. Stan O’Hara erwidert mit kaltem Lächeln: »Nun gut, dann werde ich dich nur verprügeln. Jemand wird meine Peitsche vom Sattel meines Pferdes holen müssen. Und dann werde ich dich draußen auf der Straße durch den Staub prügeln. Überdies solltest du nicht solchen Unsinn reden! Ich werde nicht von Tobias Shanessy bezahlt. Ich habe mit diesem Gentleman nichts zu tun. Ich will nur so zum Spaß mit dir einen Kampf haben. Weil du so großspurig aufgetreten bist. Nun, wer wird mir wohl die Peitsche hereinholen?« Sein glitzernder Blick läßt Oven Paynes Rücken los – und wandert schnell durch den Raum. Dabei begegnet er Gray Picketts festem Blick und hält ihn fest. »Ah, Mister, Sie sind der richtige Mann für diesen Auftrag«, sagt er grinsend. »Sie sind eben so stolz hereingekommen. Nun, Satteltramp, ich gebe dir fünf Dollar für den Dienst. Los, geht hinaus und hole die Peitsche von dem schwarzen Wallach. Mach schnell!« Gray Pickett bewegt sich nicht. Die Zigarettenkippe klebt erloschen auf seiner Unterlippe. Er sieht Stan O’Hara aufmerksam an und sagt dann langsam: »Payne, geben Sie mir fünfzig Cent, und ich stutze für Sie diesen großmäuligen Pilger auf die richtige Größe zurecht.
Payne, wollen Sie mir diese Arbeit mit fünfzig Cent bezahlen? Ich tue nichts ohne Lohn – fünfzig Cent erscheinen mir angemessen für diese Arbeit.« Oven Payne bewegt nur seinen Kopf und sieht ihn an. »Es ist Black Stan O’Hara«, sagt er heiser. »Wollen Sie für fünfzig Cent sterben? Überdies lasse ich keinen anderen Mann für mich kämpfen. Passen Sie nur gut auf, Mister! Wenn er mit mir fertig ist, bestraft er Sie dafür, weil Sie die Peitsche nicht holen gingen. Nun, es muß also wohl sein.« Nach diesen Worten seufzt Oven Payne und wendet sich endlich um. »Du hast es erreicht, du Schuft«, sagt er zu O’Hara. »Ich muß jetzt kämpfen, weil sonst der Fremde mit in unseren Streit hineingezogen wird. Wenn ich es nicht schaffe, so wird dich eines Tages ein anderer Mann für mich töten. Und auch dieser Raubrancher, der dich bezahlt, wird eines Tages auf einen härteren Mann stoßen, der ihn zerbricht.« Er verstummt scharf. Dann schiebt er mit der Linken den Hut zurück und greift zugleich mit der Rechten nach dem Colt. Er ist schnell – etwas schneller, als Gray Pickett es ihm zutraute. Aber für Black Stan O’Hara ist er zu langsam. Er bekommt den Coltlauf nicht mehr hoch – und O’Haras Kugel stößt ihn hart gegen den Schanktisch. Eine Handbreit über seinem Herzen erscheint ein dunkler Fleck auf seinem Hemd. Er rutscht langsam am Tisch nieder und fällt auf die Knie. Am Boden versucht er, mit der linken Hand die entfallene Waffe zu ergreifen – doch Gray Pickett ist schneller und tritt die Waffe zur Seite. Er hat das kommen sehen und ist rasch am Schanktisch entlanggeglitten. »Laß es sein! Du kannst nicht mehr gegen diesen Wolf kämpfen. Er schießt dich tot! Und seinen beabsichtigten Zweck hat er ja wohl erreicht. Du bist ausgeschaltet, Bruder! Für fünfzig Cent wäre es mein Kampf gewesen.« Er will sich bücken, um dem Verwundeten wieder auf die
Beine zu helfen, da hört er den leisen Schritt des Revolvermannes neben sich. Er sieht aus der schon etwas gebückten Haltung auf. Es war nicht sein Kampf. Er ist fremd hier. Er hat den Colt nur zur Seite getreten, damit der Revolvermann nicht nochmals schießt. Aber es war nicht sein Kampf. Deshalb griff er nicht zum Colt. Als er jetzt aber aufsieht, begreift er, daß er es hätte tun sollen. Denn Black Stan O’Hara schlägt mitleidlos mit dem langen Coltlauf zu. Er trifft Gray von schräg oben quer über das Gesicht – und dann noch einmal von oben herunter ins Genick. Gray Pickett fällt über Oven Payne. O’Hara tritt mit aller Kraft in seine Rippen. »Das war für das Fünfzig-Cent-Angebot, mich zurechtstutzen zu wollen!« zischt er scharf. Und dann bückt er sich und schlägt Gray ins Gesicht. »Und das war dafür, weil du dich weigertest, meine Peitsche zu holen. Nun, jetzt bin ich fertig hier. Und der Spiegel ist heil geblieben.« Er stößt die leere Hülse aus dem Colt, schiebt eine neue Patrone ein und geht langsam und langbeinig hinaus. Hinter ihm erheben sich die Gäste aus den Deckungen, und eine heisere Stimme ruft bitter: »Herrgott im Himmel, er macht hier, was er will! Und der Sheriff ist mit einer Angelrute aus der Stadt geritten.« * Gray Pickett vermeint zu träumen, daß er aus dunklen Tiefen sich zum Licht emporkämpfen müßte. Und dann ist ganz plötzlich der Schmerz da. Seine Sinne arbeiten wieder. Die Schmerzen in seinem Kopf und im
Gesicht sind höllisch. Plötzlich wird er sich bewußt, daß jemand sein Nasenbein richtet und ein breites Pflaster darüber befestigt. Gray öffnet mühsam die Augen. Er sieht einen alten Mann, dessen billige Nickelbrille auf die Nasenspitze gerutscht ist. »Nun, wie fühlen Sie sich, Junge?« fragt der Mann. »Ich bin Doc Dan Jones, der beste Arzt auf zweihundert Meilen in der Runde – hahaha, weil es weit und breit außer mir keinen anderen Narren gibt, der sich wie ich auf diese Art sein karges Brot verdienen muß. Wie geht es Ihrem Kopf, Junge?« Gray Pickett betastet sein Gesicht und fühlt dann seinen Kopf. Aber dann verspürt er auch die starken Schmerzen in der Seite. Er befühlt auch seine Rippen und spürt einen straffen Verband um die Brust. Langsam kommt er zu der Erkenntnis, daß ihn dieser Black Stan O’Hara auch noch mit aller Kraft getreten hat. »Ich bin wohl noch aus einem Stück«, sagt er heiser und setzt sich mühsam auf. »Aber ich kann mir nicht von Ihnen helfen lassen, Doc«, murmelt er dann. »Ich besitze nur einen einzigen Dollar – und mein Pferd steht gewiß noch hungrig an der Haltestange vor dem Saloon. Meinen Dollar können Sie für Ihre Hilfe haben, Doc.« Er greift in die Tasche und holt das Geldstück heraus. Er hält es dem Doc hin, aber der bewegt sich nicht, sondern studiert ihn aufmerksam. Irgendwie scheint der Doc zu einer Erkenntnis zu kommen; denn er schüttelt langsam den Kopf, legt die Hände auf den Rücken und sagt mit ruhiger Stimme: »Nun gut, Freund – ich behandle das halbe County ohne Lohn. Es soll mir auf einen Mann mehr oder weniger nicht ankommen. Für Ihr Pferd werde ich sorgen. Und…« »Das eben können Sie nicht«, murmelt Gray. »Mister Speck ist nämlich kein richtiges Pferd – er ist eine Kreuzung
zwischen einem Grizzly, einem Wolf, einer Klapperschlange und einem Puma. Vielleicht hat das Biest auch noch was von einem Ziegenbock und einem Esel im Blut. Und es hat als Fohlen Wolfsmilch gesaugt und Schießpulver gefressen. Es gibt außer mir keinen Menschen auf dieser Erde, der es wegführen könnte. Schon wegen meines Mister Specks muß ich aufstehen.« »Solch ein Pferd möchte ich mir mal ansehen«, murmelte Dan Jones nachdenklich und betrachtet Gray dabei. »Und Sie reiten es?« »Der Wallach ist mein Partner. Vor sieben Jahren habe ich ihn einem langbeinigen Comanchen-Krieger weggenommen, weil ich sehr in Eile war.« »Aha«, murmelt der Doc und betrachtet den großen Mann abermals prüfend. Dann sieht er ausdruckslos zu, wie Gray seine Füße in die abgerissenen Stiefel quält, und murmelt: »Sie haben zwei Goldstücke als Sporenräder, Freund. Das sind zwei Cowboy-Monatslöhne!« Gray Pickett hält seinen einen Stiefel noch in der Hand. Er betrachtet den Sporn und nickt. »Sicher, es sind meine Notpfennige – aber ich denke, es ist jetzt an der Zeit, einen davon zu opfern. Haben Sie eine Zange, Doc?« Der schüttelt den Kopf. »Ich habe schon Ihren Dollar nicht gewollt, Junge. Und wenn Sie wollen, so borge ich Ihnen zwanzig Dollar, damit Sie Ihr Pferd unterstellen und sich neue Stiefel kaufen können. Ah, machen wir eine Wette! Ich wette zwanzig Dollar darauf, daß Sie es in diesem Zustand nicht schaffen, Ihr Pferdchen in den Stall zu bringen und von selbst wieder herzukommen. Sie werden unterwegs einfach wie ein Betrunkener umfallen. Dann bekomme ich Ihre Sporen, Mister. Schaffen Sie es aber, so gebe ich Ihnen zwanzig Dollar. Die beiden Goldstücke an Ihren Sporen gegen eines aus meiner Tasche. Ist das kein faires Angebot als Wette?«
»Diese Wette gilt«, murmelt Gray. Er quält auch seinen anderen Fuß in den Stiefel, erhebt sich vorsichtig und hält sich am Bettpfosten fest. Von dort nimmt er seinen Waffengurt und legt ihn um seine schmalen Hüften. Langsam nimmt er seinen Hut vom Stuhl, setzt ihn auf und dreht sich vorsichtig der Tür zu. Seine ersten Schritte sind schwankend. Sein Gleichgewichtsgefühl ist noch gestört. Er preßt seine Hand auf die Rippen und atmet seufzend aus. Gewiß ist ihm schwarz vor den Augen. Bevor er die Tür öffnet, hält er sich einige Sekunden am Drücker fest. Der Doc beobachtet ihn aufmerksam, rührt sich jedoch nicht. Dann geht Gray Pickett schwankend hinaus. Als er verschwunden ist, murmelt der Doc: »Der schafft es und gewinnt meine zwanzig Dollar. Ich habe in meinem Leben schon einige besonders harte Burschen erlebt. Aber dieser da ist der härteste von allen. Ich muß einen solchen Mann bekommen, damit wir ihn für diesen harten Trail nach Dodge City verpflichten können. Die Frage ist nur, ob dieser zweibeinige Tiger auch ehrlich ist und mit dem Erlös der Herde zurückkommen wird. Nun, ich glaube schon, daß er ehrlich ist.« Nach diesem Selbstgespräch geht der Doc hinaus, um einen Boten wegzuschicken. Als er wieder hereinkommt, hört er den schleppenden Schritt eines Mannes. Die Tür wird aufgestoßen. Gray Pickett taumelt herein, und er schafft es gerade noch bis zum Bett. Er fällt bäuchlings darauf und wird bewußtlos. Der alte Doc grinst, zieht ihm die Stiefel aus, nimmt ihm den Waffengurt ab und dreht ihn mit aller Kraft auf den Rücken. Er deckt ihn zu und tritt dann zur anderen Wand des Zimmers, wo Oven Payne in tiefer Bewußtlosigkeit liegt. »Du wirst die Herde nicht treiben können, Payne«, murmelt der Alte, »denn du hast ein Loch in der Schulter und mächtig
viel Blut verloren. Aber wenn ich mich richtig auf Männer verstehe, so wird es dieser Mister da für dich tun. Ganz bestimmt!« * Gray Pickett erwacht am anderen Morgen – und es geht ihm besser. Ja, er besitzt die zähe Lebenskraft eines Wüstenwolfes. Er hat schon immer körperliche Not schnell überwinden können. Zehn Minuten später sitzt er am Küchentisch beim Frühstück dem Doc gegenüber. Als sie fertig sind und sich Zigarren anstecken, schiebt der Doc zwanzig Dollar über den Tisch. »Die sind ehrlich gewonnen«, grinst er. »Warum tun Sie das für mich, Doc?« fragt Gray langsam. »Nur so zum Spaß! Was werden Sie jetzt tun, Sohn?« »Ich kaufe mir neue Stiefel und ein sauberes Hemd.« »Sie wissen ganz genau, was ich meine, Junge!« »Ich heiße Gray Pickett. Und bevor ich diese Stadt und diese Weide verlasse, kaufe ich mir Stan O’Hara.« »Und dann wollen Sie wieder fortreiten?« fragt der Doc sanft. »Ich bin ein Satteltramp, der nach einer Chance sucht.« »Verstehen Sie etwas von Rindern?« »Die Cowboylöhne sind mir zu niedrig.« »Halt, Gray Pickett! – Hören Sie mir gut zu: Es gibt hier ein halbes Dutzend kleine Rancher. Sie sind allesamt mächtig verschuldet, denn bis vor wenigen Wochen waren hier ihre Rinder nichts wert. Aber Sie wissen sicherlich, daß es jetzt in Dodge City und Abilene Absatzmärkte gibt. Ein gewisser Jesse Chisholm hat die erste Herde nach Kansas getrieben – und jetzt sind noch mehr Herden auf den Trail gegangen. In Dodge City und Abilene zahlt man dreizehn Dollar für ein Rind.« »Davon habe ich gehört.«
Der Doc nickt zufrieden. Er spricht nun schnell weiter: »Hören Sie zu, Gray. Die sechs Creek-Rancher haben eine Sammelherde für den Trail nach Norden bereit. Dreitausend Rinder! Und Oven Payne, der als Treibherdenboß einen guten Namen hat und das Land bis nach Laramie hinauf kennt, sollte diese Herde zum Verkauf treiben. Sie wissen selbst, Gray, daß dies eine Arbeit für einen besonderen Mann ist. Ein Mann, der dreitausend Rinder tausend Meilen weit durch die Wildnis treibt – durch Regen, Staub, Berge, Flüsse, durch Sonnenglut und Wasserlosigkeit – durch Indianerland und tausend andere Schwierigkeiten, der muß ein besonderer Mann sein. Er muß eine wilde Mannschaft mit der bloßen Faust beherrschen – und er ist wie ein Kapitän, der ein Schiff durch Stürme und über gefährliche Klippen hinweg zum Ziel bringt. – Jesse Chisholm ist solch ein Mann. – Andere Männer versuchen es jetzt auch. Viele werden versagen. – Nun, Gray, für die Creek-Rancher war Oven Payne ein wichtiger Herdenführer. Jetzt ist er ausgeschaltet. – Die Herde braucht einen neuen Boß. Und die Creek-Rancher zahlen tausend Dollar.« Der Doc verstummt, nimmt die Nickelbrille ab und sieht Gray fest in die Augen. »Das ist ein Job für Sie, Junge. Und es ist noch etwas dabei!« »Was?« »Tobias Shanessy ist hier der große Mann im County! Er hat die Schuldscheine der Creek-Rancher aufgekauft. Unter Druck konnte er sie aufkaufen. Im Herbst sind die Schuldscheine fällig. Wenn die Rancher am Creek die Treibherde nicht nach Dodge City durchbringen – und wenn sie das Geld zum Termin nicht hier zur Verfügung haben –, dann kann Tobias Shanessy sie zum Teufel jagen und ihre Ranches, die zu beiden Seiten des Creeks liegen, einheimsen. Mit den Ranches bekommt er auch den Creek in seine Hand. Und damit das Caddo-County. Um mit Sicherheit sein Ziel zu erreichen, läßt er solche Burschen wie Stan O’Hara für sich arbeiten. Er besitzt eine
ganze Menge solcher Handlanger. Oven Payne hatte unbestritten großen Mut. Er wollte für die Creek-Rancher die Herde nach Norden bringen. Shanessy hat ihn durch Stan O’Hara ausschalten lassen. Jetzt brauchen die Creek-Rancher einen neuen Treibherdenboß – oder sie gehen vor die Hunde. Diese Arbeit kann aber nur von einem besonderen Mann geschafft werden! Ist das eine Arbeit für Sie, Gray Pickett?« Er beugt sich vor und starrt den großen Reiter forschend an. Gray streicht sich über die Augen. »Diese Dinge kommen mir sehr bekannt vor«, sagt er langsam. »Vor dem Krieg verloren meine Eltern auf eine ähnliche Art ihre kleine Ranch. Yeah, es gibt immer wieder solche Burschen wie Shanessy, die einen großen Schatten werfen, allen Widerstand in den Boden treten und mit jedem Bissen, den sie schlucken, großspuriger, unduldsamer und hungriger werden. – Ich kenne diese Sorte.« Bevor die beiden Männer sich noch weiter unterhalten können, wird draußen der eiserne Klopfer betätigt. Der Doc erhebt sich und geht öffnen. Gray sitzt unbeweglich am Tisch und denkt nach. Sechs alte Männer und ein junges Mädchen folgen dem Doc in die Küche. Sie sehen alle Gray an – aber er schaut für einige Sekunden nur in die Augen des Mädchens hinein. – Es sind grünblaue Augen. Und das Mädchen ist schön, rassig und stolz. Ihr Blick ist offen. Die Art, wie sie den Kopf trägt und ihr rotbraunes Haar im Nacken zusammengebunden hat, gefällt Gray sehr. Gray murmelt einen Gruß, den sie mit einem Kopfnicken erwidert. Dann wendet er sich den sechs alten Männern zu. Alle sechs Oldtimer tragen die Zeichen und Spuren eines harten Lebens. Der Doc stellt vor: »Das ist Gray Pickett, Freunde! Ich kenne ihn schon sehr gut, so daß ich für ihn bürgen würde. – Wenn ihr mit ihm einig
werden könntet, so wäre er meiner Meinung nach der Mann, der eure Herde ans Ziel bringen könnte. – Gray, das hier ist Wade Scorby! Das ist Joyce, seine Tochter! Und das sind Oren Texter, Clay McLane, Wes Tucker, Andy Nicol und Dick Harris. – Sie waren die ersten Rancher in diesem Land – und wenn sie die Herde mit gutem Gewinn verkaufen können, sind sie aus allem Kummer heraus.« Nach diesen Worten schweigt der Doc und tritt zurück. Wade Scorby tritt einen halben Schritt vor und sieht Gray aufmerksam an. Gray erwidert den Blick des Oldtimers fest. Dann nickt Scorby. »Vielleicht sind Sie der richtige Mann für uns – und wir haben auch kaum eine Auswahl. Wir müssen froh sein, wenn ein Mann etwas wagt, was Oven Payne schon schlecht bekommen ist. – Wie ist es, Gray Pickett! Ich frage Sie auf Ehre und Gewissen: Getrauen Sie sich, eine Herde auf dem Chisholm Trail nach Dodge City zu bringen?« »Ich bin so gut wie ein paar von jenen Männern, die es Jesse Chisholm jetzt nachmachen wollen, und das ist keine Prahlerei«, erwidert Gray ruhig und sieht weiter in die Augen des Alten hinein. Der nickt langsam. »Ich spreche für uns alle«, sagt er. »Wollen Sie für tausend Dollar unsere Herde nach Dodge City treiben? Versprechen Sie uns, ehrlich und fair zu sein und es mit aller Kraft und allen Mitteln zu versuchen, rechtzeitig mit dem baren Geld zurück zu sein, damit wir unsere Ranches nicht verlieren? – Versprechen Sie das, Gray Pickett?« »Langsam«, murmelt dieser, »nur langsam. Wieviel Tage habe ich Zeit dafür?« »Wenn die Herde übermorgen in Marsch gesetzt werden kann, so müssen Sie in hundert Tagen mit dem Erlös zurück sein! Mit Bargeld! Tobias Shanessy will bares Geld für die Schuldscheine! – Keine Schecks – bares Geld!«
»Hundert Tage also«, wiederholt Gray langsam, und er denkt an den Weg nach Dodge City. Dann stellt er die nächste Frage. »Und wenn ich es nicht schaffe?« »Dann sind wir hier verloren«, sagt Wade Scorby trocken. »Dann müssen wir unsere Siebensachen auf die Wagen laden und in einem anderen Land noch einmal neu beginnen.« Gray Picketts Blick wandert über die Gesichter der anderen Männer. Sie sehen ihn forschend, fest und voll geheimer Sorge an. Keiner von ihnen ist noch jung genug für dieses Treiben. »Ich bin ein Satteltramp – und ich suche schon viele Wochen nach solch einer Chance«, bekennt Gray Pickett ehrlich. Sie nicken ihm zu. Wade Scorby sagt: »Tausend Dollar und unser Vertrauen. Unsere Söhne reiten innerhalb der Mannschaft. Es ist bis auf drei alte Cowboys eine sehr junge Mannschaft. Aber alle Boys sind hart, gut und tapfer. – Wie ist es, Gray Pickett?« »Nicht für tausend Dollar«, murmelt dieser. »Mehr können wir nicht geben. Und wir lassen uns nicht…« »Laß Mister Pickett doch erst einmal ausreden«, sagt die dunkle Stimme des Mädchens in die entstehende Unruhe hinein. Gray sieht sie dankbar an. »Ich bin mißverstanden worden. Ich suche nach einer richtigen Chance. Tausend Dollar sind gut – aber viel lieber wäre mir ein Stück Land, einige Rinder für den Anfang und nachbarliche Hilfe. – Ich bin gestern über den Creek gekommen. Ich habe das Land gesehen. Es ist prächtig! Ist noch Platz für mich, wenn ich fair und treu bin? Wollt ihr mir zu einem soliden Start verhelfen, wenn ich es schaffe in hundert Tagen? Ich kann euch vielleicht retten – und ich suche nach einer Chance! Ich will nicht immer als Satteltramp herumreiten. Für einen Burschen wie mich wird es langsam Zeit, daß er sich nach einem Heim umsieht, nach einem Stück Land, wo er Wurzeln schlagen kann. – Die Weide am Creek
gefällt mir. – Ihr seid sechs Partner! Nehmt mich auf. – Und ich bitte zum ersten Male in meinem Leben um etwas.« Er verstummt etwas heiser. Die sechs alten Männer starren ihn an. Sie zögern. Das Mädchen aber sagt: »Nehmt ihn auf in die Partnerschaft! Er ist gut! Er will sich ein Heim schaffen. Er will für uns kämpfen. Er wird treu und fair sein. Eure Söhne sind noch zu jung – und ihr seid zu alt. – Er ist der richtige Reitboß für unsere Gemeinschaft!« Gray Pickett sieht das Mädchen an. »Danke«, sagt er. »Ich wäre ein Schuft, wenn ich Ihr Vertrauen jemals enttäuschen würde.« Sie schaut frei und gerade in seine Augen hinein. Bevor sie etwas sagen kann, meldet sich der lange, hagere Wes Tucker. »Wir brauchen einen Kämpfer als Treibherdenboß, einen wilden Tiger, der mit Burschen wie O’Hara fertig werden kann. Schon Oven Payne war zu zahm für unsere Sache – er ist ein guter Mann, aber er war zu zahm.« Wes Tucker verstummt brummend, wischt sich erregt über das faltige Gesicht und tritt vor, so daß er Gray Pickett noch näher ist. »Mister, ich habe nichts gegen Sie – gar nichts. Ich weiß auch, daß Sie der beste Mann sind, den wir im Moment für unsere Sache bekommen können. Aber gestern war Ihnen O’Hara überlegen.« »Schon gut«, sagt Gray ruhig. Er wendet sich dem Doc zu und fragt: »Ist dieser Black Stan O’Hara in der Stadt?« Der Doc nickt. »O’Hara steht zwar auf Tobias Shanessys Lohnliste«, murmelt er, »aber er lebt nicht auf der großen DreiPfeile-Ranch. O’Hara ist gewissermaßen Shanessys Statthalter hier in Caddo. Er achtet hier in Caddo darauf, daß sich die Stadt im Schatten des großen Shanessy duckt.« Gray nickt und geht zur Tür:
»Verhandeln wir also weiter, nachdem ich Stan O’Hara gezeigt habe, wie groß er in Wirklichkeit ist. – Gestern hat er mich überrumpelt. Heute wird es anders sein!« Er geht hinaus – und der Doc ruft ihm nach: »Mann, Sie können doch nicht kämpfen! – Sie sind doch noch ein kranker Mann mit einer angebrochenen Rippe und einer Gehirnerschütterung!« Aber er erhält keine Antwort. * Gray Pickett geht ruhig zum Alamo Star Saloon hinüber, und seine Gedanken sind freudlos und bitter. Aber er hat jetzt schon zwei triftige Gründe, um mit Stan O’Hara zu kämpfen: Er trägt dessen Zeichen, und er hat die Chance vor Augen, eine kleine Ranch und einen guten Start bekommen zu können. – Und tief in seinem Innern fühlt er, daß es noch einen dritten Grund gibt. Er kennt Tobias Shanessy noch nicht. Bevor er in diese Stadt kam, hatte er von diesem großen Raubrancher noch nichts gehört. Aber er haßt solch rücksichtslose Burschen wie Shanessy. Seine Eltern verloren damals ihre kleine Ranch, weil sie solch einem Weidepiraten im Weg waren. Gray war damals noch ein Junge, aber er kann sich noch sehr gut daran erinnern, wie es war – wie Revolverleute seinen Vater zusammenschossen und wie dann das vierräumige Blockhaus brannte. Seit diesem Tag haßt er diese Raubrancher. Langsam überquert er die staubige Fahrbahn, geht die zwei Stufen des jenseitigen Gehsteiges hinauf und erreicht die Schwingtür des Saloons. Er kann über die beiden Flügel hinwegsehen – und er sieht Stan O’Hara mit zwei anderen Männern am Schanktisch stehen. O’Hara führt soeben ein Glas, in dem sich eine rosafarbene
Flüssigkeit befindet, zum Mund und trinkt es mit langen Zügen leer. Es ist Milch mit Rotwein. Gray Pickett atmet ein, hebt die Arme und stößt die beiden Flügel der Schwingtür auf. Er hält nicht an, sondern geht ruhig weiter und den Gang entlang zum Schanktisch hin. Stan O’Hara und seine beiden Kumpane wenden sich ihm sofort zu. Die beiden Kerle bei O’Hara sind schlimme Burschen – Gray erkennt sie sofort als solche. Aber diese beiden Burschen sind nicht ganz so hart, nicht ganz so höllisch und nicht ganz so gefährlich wie Stan O’Hara. Alle drei starren Gray an, weichen dabei etwas auseinander und halten ihre Hände griffbereit hinter den Coltkolben. Gray sieht sie ruhig an und stellt sich etwa einen Meter neben sie an den Schanktisch. Er weiß, daß sie vorerst von seiner für sie merkwürdigen Handlungsweise verblüfft sind. – Viel eher hätten sie erwartet, daß er mit gezogenem Colt hereingekommen wäre und sofort geschossen hätte. Der Barmann sieht Gray aus unruhigen Augen an und schiebt ihm dann unaufgefordert ein Glas Whisky zu. Dann tritt er schnell zur Seite und ist sichtlich bereit, in Sekundenschnelle in Deckung zu gehen. Gray Pickett trinkt einen kleinen Schluck. Als er das Glas wieder auf den Tisch stellt, hört er Stan O’Hara sagen: »Nun, was willst du? Du wolltest mich gestern für fünfzig Cent zurechtstutzen. Jetzt trägst du meine Zeichen. Und du bist hergekommen, weil ich hier bin. – Was willst du also? Willst du mit dem Colt Revanche?« »Nein, ich schieße mich nicht mit dir, O’Hara – vielleicht später einmal«, murmelt Gray. Er behält beide Hände auf dem Schanktisch und das Glas zwischen den Fingern. Er rückt jedoch mit zwei kleinen Seitwärtsschritten an die drei Männer heran und murmelt nun noch leiser: »Ich kann Oven Paynes Stelle als Treibherdenboß
bekommen. Und weil das so ist, will ich mit dir sprechen, O’Hara. – Vielleicht können wir uns auf einer Basis einigen. Denn ich habe nun als Treibherdenführer die Chance, eine Menge Geld verdienen zu können. Wie ist das, O’Hara?« Er sieht ihn an – und er hat seine Worte absichtlich so doppelsinnig gewählt. O’Hara ist auch wirklich interessiert. Er stößt den Mann zur Seite, der zwischen ihm und Gray Pickett am Schanktisch steht, und rückt nun dicht an Gray heran. »Laß nur deine Hände auf dem Tisch liegen«, sagt er kalt. »Versuche keinen schlechten Trick mit mir! – Und jetzt sag mir, auf welcher Basis wir uns einigen können?« Sie sehen sich beide an. Sie stehen am Schanktisch. Nur ein Fuß Zwischenraum ist zwischen ihnen. Aber Grays Hände liegen auf dem Tisch – und O’Haras Rechte ruht lässig auf dem Coltkolben. Sein Blick ist voller Wachsamkeit. Er wird beim geringsten Anlaß blitzschnell ziehen. Gray spielt mit seinem Glas. Er sieht O’Hara nun nicht mehr an, hält aber seinen Kopf so, daß er dessen Bewegungen im Augenwinkel noch erfassen kann. »O’Hara«, sagt er sanft und langsam, »es gibt nur eine Basis, auf der wir uns einigen können.« »Welche, Mann, welche?« »Du wirst nicht mehr für deinen Boß die schmutzige Arbeit verrichten – und du wirst den Creek-Ranchern keinen Kummer mehr bereiten. Das ist die Basis, O’Hara! Das ist die richtige Grundlage für dich und mich. – Und wir werden uns darauf einigen, O’Hara!« »Oha, wie denn, du Narr? Ich werde dir jetzt zeigen, daß ich es noch viel rauher machen kann!« Bei den letzten Worten will O’Hara ein Stück von Gray Pickett abrücken, und er zieht dabei schon seinen Colt heraus. Aber er prallt dabei gegen einen seiner Kumpane, die
ebenfalls vom Schanktisch wegspringen. Und Gray Pickett greift zu, als wolle er eine schnelle Klapperschlange dicht hinter dem Kopf erwischen. Und er erwischt ganz genau und sicher Stan O’Haras Colt mit der linken Hand. Grays lange Finger sind wie Stahlklammern. Und dann schlägt Gray mit der rechten Hand zu. Er setzt seine ganze Kraft ein und trifft O’Haras Handgelenk. O’Haras Kumpane sind indes um die kämpfenden Männer herumgelaufen und haben ihre Colts gezogen. O’Hara sank vor Schmerz in die Knie, und Gray hechtete über ihn hinüber. So pfeifen jetzt die Kugeln der Kumpane über ihn hinweg und lassen den großen Spiegel in Scherben zu Boden fallen. Bevor die beiden Revolverleute ihre Läufe senken und nochmals abdrücken können, schießt Gray zweimal. Der Barmann steht wie versteinert hinter dem Schanktisch und ächzt bitter: »Mein Spiegel…« Stan O’Hara lehnt kniend gegen den Schanktisch, drückt seinen verletzten Arm an die Brust und starrt Gray aus einem vor Schmerz verzerrten Gesicht mit großen Augen an. Einer der beiden anderen Männer kniet am Boden und drückt die flache Hand auf seine Schulterwunde. Der andere liegt auf den Sägespänen. »Das ist also unsere Einigung«, sagt Gray Pickett. »Und jetzt weißt du sicherlich auch, O’Hara, wie rauh ich es machen kann. Mach es deinem Boß klar. Bleibt mir nur alle aus dem Weg! Das wär’s also für heute!« Er dreht sich um, legt seinen letzten Dollar, den der Doc gestern nicht haben wollte, auf den Schanktisch und wendet sich der Schwingtür zu. Dort aber stehen die sechs alten Creek-Rancher. Sie haben den größten Teil der Sache gesehen. Er geht ruhig auf sie zu. Sie machen ihm Platz und folgen
ihm auf den Gehsteig. Nach einigen Schritten bleibt er stehen. Er preßt seine Hand gegen die schmerzenden Rippen und fragt: »Nun?« Wade Scorby spricht für alle. »Sie sind unser Partner und Reitboß«, sagt er ernst. »Wenn Sie die Herde durchbringen und mit dem Geld rechtzeitig diese Stadt erreichen, so wird es am Creek nicht mehr sechs, sondern sieben Ranches geben. Und auf dieser Weide, die wir alle gemeinsam benutzen, werden im ersten Jahr hundert trächtige Kühe Ihr Brandzeichen tragen, Mister.« Gray Pickett atmet tief ein. Das ist also die Chance, denkt er. Ich muß nur eine Treibherde nach Dodge City treiben und rechtzeitig mit dem Geld zurückkommen. Und ich muß zu meinen Partnern treu und anständig sein. Die Weide am Creek ist gut – und ich habe also die Chance, für die sich ein langer und harter Kampf lohnt. »Danke«, murmelt er. »Aber ich kann euch nichts anderes versprechen, als daß ich es nach besten Kräften versuchen will. – Denn jetzt kämpfe ich nicht für tausend Dollar Lohn – sondern für meine Zukunft und ein Stück Land, in dem ich Wurzeln schlagen will. – Es gilt!« Er hält Wade Scorby die Hand hin. Sie schlagen ein. * Gray Pickett schläft von Mittag bis zum Abend. Dann geht er ins Restaurant zum Abendessen. Gray trinkt gerade die zweite Tasse Kaffee, als sich die Tür öffnet und ein großer Mann eintritt. Er ist ein großer, gutgekleideter und sichtlich seiner Macht bewußter Mann. Er trägt äußerlich keine Waffe. Sein Überrock steht offen. Auf seiner grünen Weste glänzt eine dicke Uhrkette. Der Mann wirkt etwas zu fleischig. Sicherlich fehlt
ihm die harte Arbeit. Sein gestutzter Bart ist noch schwarz – aber die dicken und langen Bartkoteletten sind bereits ergraut. Er mag fünfundvierzig Jahre alt sein, und er ist ein sichtlich unduldsamer Mann, der über minder wichtige Männer hinwegsieht und der hart gegen seine Untergebenen ist. Gray Pickett erkennt ihn schlagartig. Es ist der Mann, der vor fünfzehn Jahren seinen Eltern die Ranch wegnahm – und dessen Reiter seinen Vater töteten und dann das Blockhaus abbrannten. Es ist der Mann, den Gray Pickett später nicht mehr finden konnte, weil er plötzlich verschwunden war. Es gibt keine Täuschung. Es ist dasselbe Gesicht – nur jetzt etwas fleischiger. Und die Narbe am linken Handrücken ist auch vorhanden. Der Mann ist also Jack Carter. Aber Gray Pickett beginnt schon zu ahnen, daß sich dieser Mann hier Tobias Shanessy nennt. Vielleicht ist dieser Name sogar sein richtiger, und vielleicht hat der Mann damals in Missouri nur eine bestimmte Rolle gespielt. Gray Pickett fühlt, wie der Pulsschlag in ihm härter zu hämmern beginnt. Er sieht dem Mann fest ins Auge und weiß genau, daß der sich an den kleinen Bengel von damals nicht mehr erinnern kann. Ja, wenn Gray damals schon ein Mann gewesen wäre, dann wüßte Jack Carter vielleicht Bescheid. »Sie tragen Stan O’Haras Zeichen im Gesicht«, sagt der Mann zu Gray. »Sie sehen überdies auch noch wie ein harter Bursche aus. Also sind Sie bestimmt jener Gray Pickett, der…« »Der bin ich, Mister – und wer sind Sie?« Grays Stimme klingt sanft und freundlich. Seit Kriegsbeginn und auch danach waren seine Wege rauh und hart. Er hat es gelernt, seine Gedanken zu verbergen und seine Trümpfe nicht vorzeitig zu zeigen. Er ist ein Mann geworden, der seine Trümpfe immer erst im richtigen Moment ausspielen wird.
»Ich bin Tobias Shanessy«, sagt der andere und nimmt einen Stuhl. »Ich habe mit Ihnen zu reden, Mann.« »Ich bin für Sie Mister Pickett, Mister Shanessy«, murmelt Gray. »Stolz sind Sie also auch«, murmelt der Raubrancher und studiert ihn einige Zeit. Dann nickt er und lächelt – aber es ist ein hartes Lächeln. In den dunklen Augen des Mannes erscheinen kalte Lichter. »Sie haben hundert Tage Zeit, Mister Pickett«, beginnt er. »Sie müssen in hundert Tagen eine Herde nach Dodge City bringen und auch noch vor Ablauf dieser Frist mit dem Erlös bis Mittag zwölf Uhr diese Stadt erreichen. Das werden Sie nicht schaffen, Mister. Und weil Sie es nicht schaffen können, werden Sie auch keinen Lohn für Ihre Anstrengung erhalten. Denn Sie schaffen es nicht, weil sie unterwegs totgeschossen werden. Warum wollen Sie also für eine aussichtslose Sache kämpfen? Das ist Dummheit! Sie stellen sich bedeutend besser, wenn Sie in meine Dienste treten. Sie haben Stan O’Hara elegant erledigt. – Ich zahle Ihnen den doppelten Lohn, den O’Hara erhielt. Ich werde sehr bald der mächtigste Mann im Lande sein. Und ein mächtiger Mann benötigt immer gute Kämpfer, damit seine Macht erhalten bleibt und niemals angezweifelt wird.« Er verstummt mit einem Lächeln, das scharf und hart ist. In seinen dunklen Augen zeigt sich ein zwingender Glanz. Er sieht Gray Pickett fest an. Gray Pickett aber schüttelt langsam den Kopf. »Ich reite nicht für Sie, Mister, denn aus verschiedenen Gründen gefallen Sie mir nicht.« »Was für Gründe?« fragt Tobias Shanessy sanft, und in seinen Augen ist eine verstärkte Wachsamkeit zu erkennen. »Wir werden uns darüber unterhalten, wenn ich aus Dodge City zurück bin«, murmelt Gray. »Und wenn Sie während meiner Abwesenheit Ihre Revolverschwinger auf die Creek-
Rancher hetzen, so…« »Nur keine Drohungen«, unterbricht ihn Tobias Shanessy und erhebt sich langsam. »Sie werden aus Dodge City nicht zurück…« »Nun drohen Sie mir wohl?« unterbricht ihn Gray. »Das ist keine Drohung – nur eine nüchterne Feststellung. Schade um Sie, Pickett. Ich bin mir über Ihr Format jetzt ziemlich klar. Sie hätten nach mir der zweite Mann im Land werden können. Sie haben den falschen Weg gewählt.« »Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Shanessy. Wenn Sie mir Kummer und Verdruß bereiten, so werde ich Sie zerbrechen.« Gray Pickett möchte noch mehr sagen, den anderen noch mehr anstacheln. Tobias Shanessy wendet sich langsam ab und geht hinaus. »Es wird ziemlich rauh werden«, murmelt Gray, legt einen halben Dollar auf den Tisch und geht. Als er zum Mietstall geht, um seinen »Mister Speck« zu besuchen, ist er sehr wachsam. Vor dem Hotel sieht er Tobias Shanessy in einen Wagen steigen und die Zügel eines feurigen Gespanns in die Hand nehmen. Drei Reiter, wahrscheinlich Shanessys Leibwache, sitzen soeben auf. Aus dem Hotel kommt ein hochgewachsenes Mädchen und setzt sich zu dem Großrancher in den gefederten Zweispänner. Im Lampenlicht erkennt Gray, daß dieses Mädchen sehr schön ist. Dann fährt der Wagen davon. Gray geht zum Mietstall hinüber. Und er kommt zu dem Entschluß, schon jetzt zum Camp der Treibherde zu reiten. Er sattelt also sein Pferd und reitet dann am Doktorhaus vorbei, um sein Bündel zu holen und den Doc nach dem Weg zu fragen. *
Es ist eine Stunde nach Mitternacht, als er das Campfeuer drunten in der tiefen und weiten Senke sieht. Das Mondlicht spiegelt sich in einem kleinen See wider. Die Sterne leuchten kalt und unirdisch. Gray Pickett reitet langsam hinunter und kommt an einem kleinen Wäldchen vorbei. Im Schatten der Bäume hält er noch einmal an und späht über die Senke. Er hört die Geräusche der ruhenden Herde. Dreitausend Rinder, denkt er, und ich werde sie nach Dodge City treiben. Und da am Feuer ist meine Mannschaft, die ich noch nicht kenne – und die mich ebenfalls noch nicht kennt. Auch das wird hart werden. Nun, es ist eine Aufgabe für einen Mann. Gray Pickett reitet langsam aus dem Schatten der Bäume heraus und auf das Campfeuer zu. Am Rand des Feuerscheins hält er an und ruft: »Hoiii, Feuer!« Drei Männer treten schnell vom Feuer weg und in den Schutz der beiden Wagen. Einige Schläfer regen sich in ihren Dekcken. Nur ein Mann, der sich einen Zuckersack als Schürze umgebunden hat, bleibt am Feuer und ruft zurück: »All right! – Welcher Satteltramp kommt da wieder angeritten?« Gray reitet ziemlich dicht an das Feuer heran und dreht sein Pferd herum. Der Koch starrt ihn aufmerksam an. Er ist klein, muskulös, viereckig und glatzköpfig. »Ah«, sagt er nach einigen Sekunden, »dieser Gent trägt einige Pflaster im Gesicht. – Wenn das nicht der Wunderknabe ist, den sich die sechs Oldtimer als Ersatz für Oven Payne angeheuert haben. Kommt her, Boys, und seht euch den neuen Captain an!« Zuerst nähern sich die Männer, die bei Grays Anruf in den Schutz der beiden Wagen getreten waren. Sie halten Gewehre
in den Armbeugen. Aber auch die Schläfer regen sich in ihren Decken. Einige erheben sich und kommen ans Feuer. Aber eine gereizte Stimme knurrt mürrisch: »Zum Teufel, wer stört meine verdiente Ruhe? Wir werden den Häuptling noch früh genug kennenlernen! – Wenn der Präsident kommt, dann könnt ihr solch einen Rummel machen. Zum Teufel! Weckt Big Bill Tomson nicht noch einmal!« Es ist still geworden. Aber schon wenige Sekunden nach den Worten Big Bills verkünden tiefe und gewaltige Schnarchtöne, daß er sofort wieder eingeschlafen ist. Inzwischen hat sich fast ein Dutzend Männer am Feuer versammelt. Sie starren Gray Pickett wortlos an – und sie studieren, prüfen und taxieren ihn. Gray Pickett hat seine Hände über dem Sattelhorn liegen. Er sieht sie Mann für Mann an. Dann nickt er und sagt lässig: »Sicher, wir werden uns in den kommenden hundert Tagen noch genauer kennenlernen. Ich bin Gray Pickett – und ich bringe diese Herde nach Dodge City. Es wird ein ziemlich hartes Treiben werden.« Nach diesen Worten sitzt er langsam ab, nimmt den Sattel herunter und trägt ihn mit dem Deckenbündel zum Hinterrad eines Wagens. Er muß auf seinem Weg entweder um die Männergruppe herum – oder durch sie hindurch. Als er nur noch einen Schritt vom ersten Mann entfernt ist, weicht dieser zur Seite. Sie machen ihm alle Platz, drehen sich um, und beobachten ihn immer noch. Er kann das verstehen – denn für sie alle hängt sehr viel davon ab, daß er der richtige Mann für diese Aufgabe ist. Als er sein Gepäck abgelegt hat, dreht er sich um und sieht sie nochmals an. »Mister Big Bill Tomson hat recht«, grinst er. »Ihr solltet alle tüchtig schlafen. Bald kommt die Zeit, da ihr es gern möchtet und nicht könnt. – Also!« Die Gruppe löst sich auf. Nur der Koch bleibt stehen und
sieht ihn immer noch aufmerksam an. »Wir haben gehört, Mister, daß Black Stan O’Hara Sie übel zurechtgestutzt hat«, murmelt er. »Und jetzt sind Sie hier im Camp. – Darf ich fragen, ob Sie sich von Stan O’Hara verabschiedet haben?« »Das habe ich.« Gray nickt langsam. Er sieht, daß sich die Gruppe, die sich schon aufgelöst hat, wieder interessiert umwendet. »Ah«, murmelt der Koch schnaufend. »Und wie geht es Mister O’Hara jetzt?« »Er wird seine Revolverhand so rasch nicht wieder gebrauchen können. – Noch etwas, Pfannenschwenker?« »Yeah, noch eine Frage, Mister. – Haben Sie das allein fertiggebracht?« »Ganz allein.« Wieder grinst Gray, und er versteht die Fragen, die der Koch für die ganze Mannschaft stellt, nur zu gut. Diese Mannschaft ist stolz. Und sie möchte keinen Herdenboß haben, der davongeritten ist, ohne es mit O’Hara noch einmal zu versuchen. Als Gray verstummt, sagt eine Stimme aus dem Hintergrund: »Nun, dann ist ja alles all right, meine ich!« Die Männer murmeln durcheinander und suchen ihre Schlafplätze auf. Der Koch aber sieht Gray an und sagt: »Ich bin Chuck Lane, Boß. Ich werde unterwegs für dieses verfressene Rudel kochen. – Nun, Boß, wenn Sie Hunger haben, so mache ich Ihnen jetzt noch schnell…« »Ich habe in Caddo gegessen«, unterbricht ihn Gray und geht zu seinem Pferd, das immer noch ruhig am Feuer steht. »Nun geh schon, Speck«, sagt er, »aber halte dich von den Rindern fern. Die halten dich sonst für einen gescheckten und langbeinigen Wolf.« Er gibt dem Pinto einen leichten Schlag, und Mister Speck trabt schnaubend davon. »Der kommt wohl nicht in den Corral?« fragt einer der beiden alten Cowboys, die beim Koch
am Feuer geblieben sind. »Nein«, sagt Gray, »der ist so schlimm wie eine Pulverladung. Wenn ihr ihn nicht beachtet, tut er euch nichts.« »Aha«, murmelt der krummbeinige Bursche. »Ich weiß schon Bescheid. Ich bin Selby Fox – und das ist Windy Chester. Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert, Boß, aber wir zwei alten Knaben kennen das Land und so ziemlich alle Rothäute bis hinauf nach Laramie. Vielleicht erinnern Sie sich gelegentlich mal daran, daß ich Ihnen das sagte.« »Ich werde es nicht vergessen!« Gray nickt und betrachtete beiden verwitterten Burschen noch einmal sorgfältig. Sie ähneln sich in der Gestalt wie zwei Hühnereier. Sie sind klein, krummbeinig, schiefrückig und so vertrocknet wie zähes Büffelleder. Wenn sie noch etwas kleiner wären, könnte man sie sicherlich als Gartenzwerge verwenden. Aber ihre scharfen Falkenaugen sind flintsteinhart. Sie haben eine Art an sich, die erkennen läßt, daß sie durch nichts mehr auf dieser Welt erschüttert werden können. Sie sind ohne Illusionen. Sie sind zwei hartbeinige Burschen, von denen Gray gewiß in mancherlei Hinsicht noch eine Menge Tricks lernen kann. »Wir gehen übermorgen – nein, es ist ja schon Mitternacht, also, wir gehen morgen vor Tagesanbruch auf den Trail«, sagt er zu ihnen. »Aber erst will ich die Herde, die Remuda, die Wagen und verschiedene andere Dinge sehen. Ich denke mir, daß alles in Ordnung sein wird, aber ihr werdet mir alles zeigen. – Gute Nacht!« Er geht zu seinem Lager, wickelt sich in die Decken und schläft sofort ein. * Als er erwacht, erkennt er, daß ihn der Koch an der Schulter � rüttelt. »Ich weiß nicht, ob ich Sie wecken sollte«, knurrt �
Chuck Lane. »Das war schon richtig«, murmelt Gray und erhebt sich. Mit dem Waschzeug geht er zum See hinunter. Als er dann ans Feuer tritt, hat der Koch schon das Frühstück fertig. Gray ruft laut über das Camp: »Hoiii! – Zum Teufel mit dem Treiber, der auf die Sonne wartet! Nur hoch mit euch! – Hoch mit euch!« Es wird geflucht, geknurrt und gebrummt. Sie gehen nacheinander zum See und treten nacheinander zum Feuer, um ihre Frühstücksportionen zu empfangen. Gray steht am Wagen, lehnt an der Wand, trinkt noch einen Becher Kaffee und beobachtet sie alle. Ganz zuletzt kommt ein Riese – ein rothaariger, uriger und gewaltiger Berg von einem Mann. »Wann wirst du mir zum Frühstück endlich mal ein ganzes Kalb braten, Bauchbetrüger?« brummt Big Bill und nimmt eine große Blechschüssel, die drei Portionen fassen kann. Als sie ihm der Koch füllt, schaut der Riese übers Feuer und zum Wagen hin, an dem Gray steht. »Hallo«, sagt er, »das ist also unser Boß! – He, ich bin Big Bill – der stärkste Mann auf tausend Meilen in der Runde!« »Wir werden unterwegs alles herausfinden.« Gray lächelt, tritt vor und wirft den Zinnbecher in die Spülschüssel. »Wer fährt den Wagen mit der Ausrüstung?« fragt er. »Ich«, meldet sich der Riese. »Ich bin der beste Frachtfuhrmann auf tausend Meilen in der Runde. Und meine sechs grauen Mäuse gehorchen mir aufs Wort.« Gray erwidert nichts. Er fragt weiter: »Wer ist für die Remuda bestimmt?« »Ich«, meldet sich ein junger Bursche. »Ich bin Bob Tucker!« »Du bist noch jung.« »Siebzehn – und deshalb bin ich ja auch nur der Pferdejunge!« »Wenn wir ins Indianerland kommen, wirst du keine Pferde
treiben«, sagt Gray. Und dann erteilt er seine Befehle. Und dieser Tag vergeht in emsiger Arbeit. * Eine Stunde vor Sonnenaufgang, als die Morgennebel aus dem See steigen und über dem nahen Creek wallen, wird das Camp abgebrochen. Die Mannschaft schwingt sich in die Sättel und verteilt sich um die immer unruhiger werdende Herde. Die Rinder wittern instinktiv, daß heute etwas Neues passiert. Gray reitet mit den sechs Ranchern auf einen Hügel hinauf. Sie warten, bis die Mannschaft ihre Positionen eingenommen hat. Wade Scorby hält neben Gray und murmelt: »Also, Sohn! – Hundert Tage haben Sie zur Verfügung! Ich wünsche euch viel Glück! Seid gut und tapfer, hart und entschlossen! Und kommt nach Möglichkeit alle gesund heim!« »Wir werden tun, was wir können«, murmelt Gray. Dann bricht im Osten der erste Sonnenstrahl über die Berge. Gray nimmt seinen Hut ab und stellt sich in den Steigbügeln auf. Er sieht, daß alle Treiber ihn beobachten. Und da schwingt er den Hut und ruft gellend: »Heyoh! Heyoh! Treibt sie nach Norden!« Eine kleine Hölle bricht da unten los. Sechzehn Treiber werden zu wilden Teufeln. Sie gellen ihre Rufe hinaus, und ihre Treiberpeitschen klatschen und knallen wie Coltschüsse. Dann brüllt die Herde vieltausendstimmig. Gehörnte Schädel richten sich aus. Knochige Rücken bilden ein seltsames Gewoge. Und dreitausend Schwänze tanzen wie Schlangenleiber über den knochigen Rücken. Und das vieltausendstimmige Gebrüll schwillt und wächst, übertönt
einige Zeit alle anderen Laute. Die Herde kommt langsam in Marsch. Das Treiben nach Dodge City hat begonnen. Die Herde trottet auf dem Trail. Drüben setzt sich die Pferderemuda in Bewegung. Bob Tucker treibt das große Rudel. Er macht seine Arbeit sehr gut und reitet wie ein Indianer. Hinter der Remuda folgen die beiden Wagen. Der Koch fährt den leichteren Küchenwagen, und ihm folgt der ConestogaSchoner, der mit sechs grauen Maultieren bespannt ist. Big Bill Tomson knallt mit der vierundzwanzig Fuß langen Maultierpeitsche. Dieser Wagen birgt die gesamte Habe der Mannschaft. Gray Pickett beobachtet das alles. Er nickt zufrieden. Was er bisher von seiner Mannschaft sah, gefiel ihm. Er wendet sich noch einmal den sechs Ranchern zu. »Das wär’s also«, murmelt er. »In hundert Tagen sehen wir uns wieder, wenn ich nicht durch eine Kugel aufgehalten werde. – Ich frage mich nur, ob Tobias Shanessy euch die ganze Zeit in Ruhe lassen wird?« »Denke nicht an uns – wir halten schon aus! Denke nur an die Herde und an die Frist von genau hundert Tagen.« Wade Scorby sagt es hart. »Wir kennen dich jetzt, Gray – und wir vertrauen dir. Du bist unser Partner geworden. – In deiner Mannschaft reiten unsere Söhne. – Wenn einer unserer Jungen für diese Sache sterben muß, so begrabt ihn ordentlich.« »Yeah«, erwidert Gray etwas heiser – denn er liest plötzlich in den Augen der sechs Oldtimer, wie sehr es auf ihnen lastet, daß sie zu alt für dieses Treiben sind und nicht mit auf den Trail gehen können. Er winkt kurz mit der Hand, zieht seinen häßlichen Schecken herum und reitet den Hang hinunter. Die sechs Alten sehen ihm nach.
Erst nach einer Weile murmelt Wade Scorby: »Nachbarn, ich denke, daß wir einen guten Treiberboß haben.« Die anderen nicken langsam. Gray reitet indes der Herde nach. Als er ihr Ende umreitet und an der rechten Flanke nach vorn will, sieht er das Mädchen drüben aus der Hügellücke reiten. Er zögert, aber dann reitet er ihr langsam entgegen. Als sie ihre Pferde voreinander verhalten, greift er an den Hut. Er sieht Joyce eine Weile stumm an. Sie wird etwas verlegen, und sie sagt: »Viel Glück, Gray Pickett! – Das wollte ich Ihnen noch von Herzen wünschen.« Er nickt und murmelt: »Sie haben von Anfang an daran geglaubt, daß ich zu meinem Wort stehen werde. Warum?« Sie sieht ihn ernst an. »Ich hatte sofort Vertrauen zu Ihnen, Gray. Das ist es!« »Danke«, murmelt er und sieht sie eine Weile an. »Ihre Augen sind also doch grünblau«, sagt er nach einigen Atemzügen. »Gibt es schon einen Mann in Ihrem Leben – ich meine, sind Sie noch frei, Joyce? Oh, verzeihen Sie mir diese Frage!« »Ich bin noch frei«, erwidert sie herb und schaut immer noch gerade in seine Augen. Er nickt und knetet sein Sattelhorn. »Wenn ich es schaffe«, murmelt er, »wenn ich…« »Was aus uns werden könnte, Gray, wird nicht davon abhängen, ob Sie es schaffen«, unterbricht sie ihn fest. »Ein Mann kann einen Kampf verlieren – und wenn er gut gekämpft hat, so darf er seinen Stolz und seine Selbstachtung nie verlieren, Gray! Und weil ich mir dessen sicher bin, werde ich auf den Tag Ihrer Rückkehr warten. Dann werden wir bald herausfinden, was zwischen uns werden könnte.« Er atmet tief ein, hebt die Hand und fährt mit den Fingerspitzen über die Pflaster auf seinem Gesicht. »Ich – ich bin häßlich«, murmelt er verwirrt.
»Sie sind ein Mann – ein richtiger stolzer und echter Mann, Gray Pickett«, sagt sie ernst. »Ich habe es von Anfang an gefühlt.« Da greift er an den Hut, denn er hält es nun nicht mehr länger aus. »Bei Gott, ich werde mit aller Kraft versuchen, jener Mann zu sein, für den Sie mich halten, Joyce! Ich…« Er bricht ab, zieht sein Pferd herum und reitet der Herde nach. Und die Stimme des Mädchens holt ihn ein: »Sei gut, Cowboy! Komm gesund heim, Gray Pickett! Ich werde die Tage zählen!« Er verschwindet in der Staubwolke, die über der Herde wallt. Am 24. August sind die hundert Tage abgelaufen. Wird Gray Pickett es schaffen? * An der Spitze der Herde reiten die beiden alten Cowboys Selby Fox und Windy Chester. Als er zu ihnen reitet, drängen sie ihre Tiere näher heran. Sie studieren ihn aufmerksam, und Selby Fox sagt trocken: »Nun, Tobias Shanessy wird sich etwas Prächtiges ausdenken. Was meinst du, Boß?« Gray grinst hart, er hat ein blitzendes Lächeln. »Wir haben noch Zeit«, sagt er dann. »Und wir müssen diese Zeit nutzen. Wir treiben jeden Tag fünfzehn Meilen – und wenn möglich noch einige Meilen mehr. Ich weiß, daß die Rinder mächtig an Gewicht verlieren werden, aber es werden Tage kommen…« »Zehn Meilen sind schon viel für eine Treibherde«, murmelt Windy. »Wir haben nur hundert Tage zur Verfügung – einschließlich des Rückweges. Deshalb müssen wir die tausend Meilen in achtzig Tagen schaffen.«
»All right, Boß«, knurren die beiden Oldtimer. * Zwei Tage später durchfurten sie den Brazos River, und sie haben Glück dabei, denn es hat nirgendwo geregnet. Der Fluß führt Niedrigwasser. Sie werden jedoch gegen Mitternacht durch ein starkes Gewitter geweckt. Fluchend bringen sie ihre Bettenrollen in Sicherheit und klettern dann eilig in die Sättel. Die Herde brüllt schon wild durcheinander. Als die gesamte Mannschaft endlich die wenigen Herdenwachen verstärkt hat, bricht das Gewitter mit voller Wucht los. Nur im grellen Licht der Blitze erkennen sie manchmal die Rinder. Und dann passiert es! Mit einem gewaltigen Donner und gleißender Helle schlägt es mitten in der Herde ein. Das Gebrüll übertönt nun das Donnern und Rauschen. Die Herde bricht binnen weniger Sekunden aus. Zwölftausend Rinderhufe bringen die Erde zum Erzittern. Und die Mannschaft ist machtlos! Gray Pickett befindet sich mit einigen Reitern nördlich der Herde, als das Unglück losbricht. Er sitzt auf seinem »Mister Speck«, und dieser ist so schlau wie ein Wolf. Deshalb wartet er gar nicht erst, bis er den Schenkeldruck oder ein Kommando des Herrn fühlt oder hört, sondern bricht sofort aus. Es gibt auch nichts anderes als rasche Flucht. Gray rast auf seinem Pinto einige Yard vor den ersten Rindern her. Dann bringt ihn das kluge Tier aus der Fluchtrichtung der verrückten Herde. Im Aufzucken der Blitze sieht Gray zwei oder drei Reiter rechts von sich. Er hofft, daß niemand von der Herde zertrampelt wurde. Als er den ersten Reiter erreicht, erkennt er diesen an der kreischenden Jungenstimme. »Stampede! Hölle, es ist eine richtige Stampede!« heult Bob
Tucker. Gray ist jetzt dicht bei dem Jungen und beugt sich zur Seite. »Zum Teufel, du Rotznase!« brüllt er wütend. »Scher dich zu deinen Pferden zurück! Ich reiße dir die Ohren ab, wenn die Remuda nicht schnell genug wieder beisammen ist!« Der Junge stößt einen wilden Schrei aus und biegt ab, bleibt zurück. Gray holt den nächsten Reiter ein. Sie erkennen sich beim Aufzucken des nächsten Blitzes. Es ist Selby Fox. Sie stoßen heisere Schreie aus und reiten dann wie wilde Indianer neben der Herde her. Bald haben sie kein Zeitgefühl mehr. Sie spüren nur an ihren Pferden, daß sie viele Meilen durch das Unwetter reiten. Manchmal sind Rinder dicht an ihrer Seite, dann wieder vor ihnen, aber der Hauptteil der Herde bildet links von ihnen eine Riesentraube, die ständig ihre gewaltige Form verändert, die mit vielen tausend Hufen den Boden zerstampft und die wie eine Lawine ihre irrsinnige Flucht nach Norden fortsetzt. Und dann sind sie plötzlich aus der Gewitterzone heraus. Über ihnen taucht der Rand der schwarzen Wolkenwand auf. Sterne funkeln wieder. Weit im Süden, weit hinter ihnen zurück, da zucken die Blitze, grollt der Donner und rauscht die Flut auf die Erde nieder. Ganz allmählich läuft die Herde langsamer. Einzelne Rinderrudel bleiben zurück. Gray und Selby reiten nun zur Spitze vor. Hier treffen sie drei weitere Reiter, die von der anderen Seite nach vorn gekommen waren. In einer weiten Senke gelingt es ihnen dann, die Herdenspitze herumzudrücken und die Rinder zum Kreisen zu bringen. Fluchend reiten sie bis zum Anbruch des Morgens um die immer ruhiger und durch die Nachzügler immer zahlreicher werdende Herde. Dann geht die Sonne auf. Die Rinder ruhen im feuchten Gras oder weiden, als wäre nichts geschehen, aber im Süden tauchen immer noch kleine Herden von Nachzüglern auf, die von
einzelnen Reitern getrieben werden. Und so treffen sie nacheinander alle ein und versammeln sich an einem Feuer. Die Pferderemuda taucht auf, von Bob und Tom Tucker getrieben. Weiter hinten kommen die beiden Wagen. Da weiß Gray, daß die Mannschaft keine Verluste hatte. Sie sind alle rechtzeitig der ausbrechenden Herde aus dem Weg geritten. Vier Tage später ziehen sie an Fort Worth vorbei und beziehen nördlich des Ortes, etwa vier Meilen entfernt, ein Camp. Hier muß Gray Pickett zum ersten Male seiner Mannschaft zeigen, daß nur er allein der Boß ist. Es beginnt damit, daß Big Bill Tomson und einige andere Burschen sich saubere Hemden aus ihrem Gepäck holen und sichtlich Vorbereitungen für einen Ausflug in den Ort treffen. »Ich werde ein ganzes Faß von der Pumaspucke trinken, die sie in Fort Worth als Whisky verkaufen«, verspricht Big Bill. Bruce Harris aber ruft: »Ah, ihr habt wohl alle noch nichts von Red Lou gehört, die im Alamo Saloon auftritt. Und wenn ihr beim Poker unverschämtes Glück habt, so…« »Halt mal«, sagt Gray langsam, leckt dann über den Rand des Zigarettenblättchens, vollendet die Zigarette, steckt sie an und raucht erst einige Züge, bevor er weiter zu den Männern spricht. »Ihr habt etwas vergessen«, sagt er. Seine Worte gelten sichtlich nur der Gruppe, die sich für den Stadtbesuch fertigmacht. Es wird still im Camp. Nur Selby Fox, der am Feuer kauert, läßt einmal ein trockenes Kichern hören. Big Bill Tomson wendet sich grinsend um, setzt sich dabei den Hut auf und sieht Gray an. »Ah, Boß, was haben wir vergessen? Wir sind für jeden guten Tip dankbar. Kannst du uns vielleicht sogar eine Empfehlung an eine Schöne mitgeben?«
»Ihr habt vergessen, mich um Erlaubnis zu fragen, ob ihr überhaupt in den Ort reiten dürft«, sagt Gray sanft. Die ganze Gruppe wendet sich ihm nun richtig zu. Selby Fox kichert wieder am Feuer und murmelt: »Jetzt passiert es also.« Big Bill tritt langsam vor. Er will sich sichtlich zum Sprecher der anderen Boys machen. Er stemmt seine gewaltige Brust heraus und ballt die riesigen Fäuste. »Sicher«, sagt er grollend, »das haben wir wirklich vergessen. Wir fragen also jetzt. Diese fünf hungrigen Wölfe und ich, wir sind heute nacht wachfrei. Wir wollen etwas Whisky trinken und ein wenig Vergnügen haben. Wie ist es also damit?« »Nein«, sagt Gray sanft. Big Bill schiebt den Kopf vor, neigt ihn zur Seite und hält seine Hand wie eine Schaufel hinters Ohr. »Habe ich richtig gehört?« »Ihr bleibt im Camp«, sagt Gray noch sanfter. »Ah! Und warum?« »Weil ich es so will.« »Aha! Nun, was mich betrifft, so will ich etwas anderes! Ich bin Bill Tomson, und ich habe mir noch nie von einem Boß Vorschriften darüber machen lassen, wie ich meine Freizeit verbringe! He, ich mache meine Arbeit ordentlich! – Ich fahre für diese Crew den Wagen, und ich bringe ihn bestimmt bis nach Dodge City. Mich kann nichts aufhalten. Aber ich bin kein Maultier, das man nach verrichteter Arbeit in einen Corral sperren kann. – Ich bin Big Bill Tomson!« Der Riese hat sich richtig in Zorn geredet. Zum Schluß hebt er seine Fäuste, die so groß wie zwei braune Kokosnüsse sind. Dann will er sich abwenden, um sich aus dem Seilcorral eines der immer bereitstehenden Sattelpferde zu holen. »Warte«, murmelt Gray Pickett und setzt sich langsam in Bewegung. Er geht um das Feuer herum und auf den Riesen
zu. Die Männer um sie herum weichen zur Seite. Selby Fox, der immer noch am Feuer hockt, kichert wieder und sagt ein zweites Mal: »Jetzt passiert es also.« »Du wirst nicht nach Fort Worth reiten – niemand wird reiten«, sagt Gray scharf, als er vor Big Bill anhält. »In Fort Worth könnte schon Tobias Shanessys Meute auf euch warten. Ihr würdet bestimmt Streit bekommen. Ich brauche aber jeden Mann dieser Mannschaft. Shanessys rauhes Rudel ist bestimmt irgendwo in den Städten und Siedlungen, an denen wir vorbeikommen. Niemand reitet also aus dem Camp – das ist ein Befehl, Big Bill!« Der schnauft schwer. Heute mittag ist ihm ein Rad gebrochen, und er hat sich schwer bemüht, ein neues einzusetzen. Dann ist sein Wagen im Treibsand eines Bachbettes steckengeblieben – und er hat wiederum mit seinen sechs Maultieren schwere Arbeit verrichtet. Er war schon vorher ziemlich wütend. Und weil er Big Bill Tomson ist, der sich für den stärksten Mann auf tausend Meilen in der Runde hält, will er jetzt nicht nachgeben. »Mister«, knurrt er zu Gray, »du kannst mir morgen bei Sonnenaufgang Befehle erteilen. Jetzt bin ich sozusagen Privatmann. Nicht einmal der Präsident der Staaten könnte mir seinen Willen aufzwingen. – Also!« Er wendet sich wieder ab. Aber als Gray ihn an der Schulter zurückhalten will, wirbelt er herum und will einen mächtigen Schwinger an Grays Kopf landen. Aber der Schwinger zischt durch die Luft. Dann packen Grays Hände wie Stahlklammern das breite Handgelenk des Riesen. Und dann gibt es einen wilden Ruck, dem Big Bill nachgeben muß, wenn er sich nicht den Arm auskugeln lassen will. Gray zieht den schweren Mann mit einem machtvollen Kraftausbruch über die Schulter. Er hat sich in den letzten
Tagen gut genug erholen können, um solch einen Kampf zu wagen. Er weiß, daß Big Bill ihm das Genick brechen könnte – aber er vertraut auf seine Schnelligkeit, und er weiß genau, daß er sich jetzt gegenüber diesem prächtigen, aber sehr wilden und aufsässigen Burschen durchsetzen muß, wenn er die Mannschaft auch in Tagen der Not und Gefahr fest in der Hand behalten will. Big Bill Tomson brüllt urig und wild, indes er durch die Luft segelt und dann seine zweieinhalb Zentner krachend auf den Boden wuchtet. Er stemmt sich auf und wirft sich aus einer geduckten Haltung nach vorn, um Grays Hüften zu erreichen. Er macht dabei eine wilde Greifbewegung mit den Armen. Aber Gray Pickett tanzt zur Seite, entkommt den mächtigen Armen. Der Riese stolpert an ihm vorbei ins Leere – und bevor er zu Boden fällt, ist Gray wieder neben ihm und wuchtet ihm beide Handkanten mit mächtigem Holzfällerschlag in das starke Genick. Dann fällt Big Bill mit dem Gesicht auf den Boden. Er grunzt, wälzt sich herum und richtet sich auf ein Knie auf. Gray geht langsam um ihn herum und sagt dabei hart: »Ich werde es dir schon einhämmern, Freund, daß ich dir und dieser Mannschaft zu jeder Tageszeit und auch bei Nacht Befehle erteile. Steh auf, Heldenvater!« Big Bill reibt sich schnaubend sein Genick und dreht den Kopf. »Das war gut«, grunzt er. »Du bist der erste Mann, mit dem ich richtig kämpfen muß, jetzt weiß ich Bescheid!« Mit einem Ruck erhebt er sich und stürmt gegen Gray an. Der duckt sich unter zwei wilden Schwingern weg, stößt sich ab und rammt seine Schulter gegen Bills Knie. Der Riese stürzt brüllend über ihn hinweg, überschlägt sich und landet mit den Beinen im Feuer. Er reißt den Kaffeekessel vom Dreibein, und der Dampf wallt zischend wie eine Wolke über das Camp. »Jetzt passiert es also!« kreischt Selby Fox. »Der stärkste
Mann von Texas wird geschlagen! – Ich setze einen Dollar auf den Boß! Wer hält dagegen?« Die Mannschaft wird nun richtig lebendig. Wetten werden in Sekundenschnelle abgeschlossen. Aber die beiden Kämpfer hören und sehen nichts davon. Als Big Bill hochkommt, trifft ihn Gray mit zwei Schwingern an den Kopf. Dann rammt er ihm die Schulter in die Magenpartie. Als er sich mit einem Ruck aus Bills zugreifenden Händen losreißt, geht sein Hemd in Fetzen. Dann bekommt er Bills Faust von rechts aufs Ohr. Der Schlag läßt ihn zur Seite taumeln. Er prallt gegen den Küchenwagen und stößt sich wieder ab. Big Bill kommt geduckt wie ein Büffel herangestürmt. Mit Mühe kann Gray noch einmal ausweichen. Und dann packt er den Mann hinten am Hosenbund, wuchtet ihm die andere Faust ins Genick, so daß Bills Kopf noch mehr vorgestreckt ist. Mit einem wilden Ruck zieht er den gebückten Mann gegen den Wagen und zwängt den Kopf des nun halb betäubten Mannes in das V hinein, das von zwei Speichen gebildet wird. Er hat ihn nun richtig fest. Big Bills Kinn liegt auf der Innenseite des Rades auf dessen Nabe – und er kann seinen Kopf nicht aus dem V ziehen, weil seine Kinnbacken zu breit sind. Er müßte den Kopf heben können, um aus dieser Klemme entkommen zu können. Aber Gray drückt ihn mit aller Kraft nieder. Neben dem Wagen steht ein kleines Wasserfäßchen. Gray nimmt es mit einer Hand auf und schiebt es über Big Bills Kopf zwischen die Speichen. Nun braucht er Big Bills Kopf nicht einmal mehr in den spitzen Winkel zu drücken. Big Bill Tomson sitzt mit dem Kopf fest. Er müßte das Rad abreißen oder das Fäßchen, das ihn festkeilt, entfernen können. So kniet er nun und seufzt schwer. Gray steht neben ihm und hält lässig und ohne Kraftaufwand das Fäßchen in der richtigen Lage.
Die Mannschaft aber bildet einen Kreis um sie und sieht sich die Sache an. Selbst Fox sagt zufrieden: »Ich habe vier Dollar gewonnen! Ihr seht selbst, daß der Boß diesem Bullen den ganzen Wagen an den Hals gehängt hat. Will jemand darauf wetten, daß Big Bill aus der Klemme kommen kann? Ah, er gleicht einem Grizzly, der seinen Kopf in einen gespaltenen Baum gesteckt hat.« »Er hat ihn tatsächlich festgesetzt«, sagt Chuck Lane, der Koch. »Aber vielleicht reißt er gleich, wenn er wieder etwas erholt ist, das ganze Rad ab!« »Er würde sich höchstens den Kopf abreißen«, kichert eine jüngere Stimme. Gray Pickett klopft indes dem grunzenden Riesen sanft den breiten Rücken. »Hallo, Heldenvater!« »Uuuuaaaah!« macht Big Bill und beginnt unbeholfen, seine seltsame »Krawatte«, in der sein Kopf steckt und an der ein ganzer Wagen hängt, zu betasten. »He, willst du immer noch nach Fort Worth reiten?« fragt Gray. »Oder muß ich dich bis zum Sonnenaufgang hier festhalten?« Big Bill Tomson hat seine Lage nun anscheinend richtig begriffen. »Ah, ich werde das Rad zerbrechen und den ganzen Wagen auf dich werfen«, grunzt er. Seine tastenden Hände haben nun erfühlt, daß er nur das kleine Holzfäßchen entfernen muß, um seinen Kopf heben und aus der Klemme ziehen zu können. Er beginnt sofort am Fäßchen zu reißen. Gray hält es mit der einen Hand fest, zieht seinen Colt und klopft mit dem Kolben auf Big Bills breite Fingerspitzen. »Ich gewöhne dir heute alle Mucken richtig ab!« sagt er dabei scharf. Einige Sekunden überlegt Big Bill regungslos. Dann keucht er wieder:
»Laß mich raus, du Feigling! Kämpfe wie ein richtiger Mann mit mir – laß mich den Kopf rausnehmen!« »Wenn ich nicht ordentlich gekämpft hätte, säßest du jetzt nicht so prächtig fest, Bruderherz«, erwidert Gray. Inzwischen hat Big Bill zwei Radspeichen ergriffen und beginnt daran zu reißen und zu rütteln, daß sich der Wagen bewegt. Aber er schafft es nicht. Er seufzt schwer. Wahrscheinlich beginnt er zu ahnen, daß er geschlagen ist. In seiner gebückten Haltung, den Kopf fest in der Falle, hat er wirklich keine Chance. »Du hast die Wahl, Big Bill!« sagt Gray zu ihm. Er spricht jetzt ruhig, denn sein Atem hat sich inzwischen beruhigt. »Du hast die Wahl, du Büffel! Entweder halte ich dich bis zum Sonnenaufgang in dieser Klemme – oder du gibst mir dein Wort, daß du im Camp bleibst und keine neue Revolution mehr anfängst. Wie willst du es haben, Heldenvater?« Big Bills Antwort ist ein grollendes Knurren. Er versucht nochmals, das Fäßchen wegzureißen. Aber Gray schlägt abermals mit dem Coltkolben auf Big Bills Hände. Da gibt Big Bill endlich auf. »Du hast gewonnen, Boß«, gurgelt er heiser. »Ich bin geschlagen worden! Ich bleibe im Camp.« Als Gray ihn losläßt, weicht der dichte Kreis der Mannschaft schnell zurück. Das Fäßchen poltert zu Boden. Big Bill zieht vorsichtig seinen runden Kopf heraus. Er richtet sich auf und lehnt sich schwer an den Wagen. Mit beiden Händen massiert er seinen Hals. Dann wendet er sich langsam um. »Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben besiegt worden«, seufzt er schwer. »Aber es war kein richtiger Kampf. Du hast mich mit einem windigen Trick reingelegt, Boß! Ich hätte Lust, es noch einmal von vorn zu beginnen!« Gray Picketts Stimme klingt nun mit einem Male hart und kalt. Jetzt erst zeigt er eine mitleidlose Härte.
»Schluß damit, Bill! Bis jetzt war es für mich nur ein rauher Spaß! Aber nun habe ich genug davon! Ich bringe eine Herde nach Dodge City! Und ich weiß, daß wir alle noch unsere allerletzten Kräfte benötigen werden. – Wenn wir in achtzig Tagen das Ziel erreichen, so muß ich fit genug sein, um in zwanzig Tagen den Rückweg zu schaffen. Ich muß mit dem Erlös am 24. August in Caddo sein. Ich lasse mich durch solche Späße nicht um die Chance bringen, diese Arbeit richtig erledigen zu können. – Hämmert euch diese Dinge in eure Schädel ein! Wenn mich jemand von dieser Mannschaft noch einmal angreift, so werde ich schießen! Ist das klar? Nach dem 24. August erst werde ich mich wieder mit zweibeinigen Büffeln herumprügeln! Legt euch jetzt schlafen! Wir treiben morgen vor Sonnenaufgang weiter!« Nach diesen Worten wendet er sich langsam ab und geht zu seiner Deckenrolle. Es wird still im Camp. Nur die Herdenwachen reiten um die Herde und singen ihre Lieder. * Der Aufbruch am anderen Morgen ist wie immer. Noch vor Sonnenaufgang schlingen die Reiter ihr Frühstück herunter und reiten zur Herde hinüber, die von den Herdenwächtern bereits ausgerichtet und langsam in Marsch gesetzt wurde. Nun beginnt das Treiben wieder. An diesem Morgen reitet Gray Pickett zur Straße nach Fort Worth hinüber. Er folgt ihr einige Meilen und stößt bald auf einen Wagenzug. Die Wagen gehören einem Büffeljägertrupp. Sie sind hoch mit Büffelfellen beladen. Gray spricht eine Weile mit dem Anführer der BüffeljägerMannschaft. Binnen weniger Minuten hört er alles, was für ihn und seine Treibherde wichtig ist. »Büffel?« grinst der alte Trapper. »Nun, ihr werdet auf die
ersten Herden stoßen, sobald ihr den Wichita durchfurtet habt. Und am Red River ist das ganze Land voller Büffel! – Nichts als Büffel und Rothäute. Sie ziehen alle nach Norden.« Gray verabschiedet sich, erreicht eine Stunde später die Herde und überholt sie. An der Spitze reiten wie immer die beiden alten Cowboys Selby Fox und Windy Chester. Er erzählt ihnen, was er gehört hat, und fügt nach einer Weile ruhig hinzu: »Nun könnt ihr zwei alten Füchse mal zeigen, was ihr auf dem Kasten habt. Wenn wir heute abend unser Camp aufschlagen, werdet ihr es nach Anbruch der Nacht wieder verlassen. Ihr werdet das ganze Land ständig vor uns erkunden müssen. Reitet nur in der Nacht und legt euch bei Tag auf die Lauer. Irgendwas wird nun bald passieren. Es wäre gut, wenn ihr es zur rechten Zeit herausfinden könntet.« Selby und Windy grinsen sich an. »Auf diesen Befehl haben wir schon gewartet«, sagt Selby dann. »Wenn irgendwas vor der Herde auf uns wartet, so werden wir es schon herausfinden. – Yeah, wir werden in der Nacht reiten und am Tag von günstigen Stellen aus beobachten.« * Es hat zu regnen begonnen. Mitten in der Nacht kracht ein Schuß. Die Herde brüllt sofort erschreckt auf, aber sie bricht zum Glück nicht aus. Die gesamte Mannschaft ist sofort auf den Beinen. Östlich der Herde krachen nun noch weitere Schüsse. Die Mannschaft schwingt sich fluchend auf die stets in Bereitschaft gehaltenen Sattelpferde, und Gray ruft schnelle Befehle. »Ben! Tom! Ihr reitet zu Bob und bewacht die Remuda! Big Bill, du bleibst bei Chuck im Camp! Haltet die Schrotflinten bereit! Frank! Bruce! Ihr verstärkt die Herdenwachen auf
dieser Seite! Ihr anderen Boys folgt mir!« Er reitet in die Regennacht hinein. Das Rudel folgt ihm. Sie jagen an der Südflanke der Herde entlang, und ihr Hufgetrappel wird von den brüllenden Rindern übertönt. Dann werden sie angerufen. Ein undeutlicher Schatten taucht vor ihnen auf. An der brüllenden Stimme erkennen sie Monty Sanders. »Sie haben Jack vom Pferd geschossen! Ich habe Jack bei mir!« brüllt er. »Jack ist tot!« Es trifft Gray Pickett wie ein Schlag. Das ist also der erste Tote auf diesem Trail, und Jack ist der jüngste Sohn von Dick Harris, einem der sechs Creek-Rancher. »Bring ihn ins Camp, Monty!« Er ruft es hart und reitet weiter. Sie umreiten die halbe Herde und sind nun östlich von ihr. Hier sind die Rinder in wilder Verwirrung. Hundert Yard vor Gray blitzt Mündungsfeuer auf. Er begreift, daß da einige Reiter sind, die immer wieder in die Herde hineinschießen. Es ist ein wirkliches Wunder, daß die Herde noch nicht in Stampede geraten ist. Gray hält an, zerrt das Gewehr aus dem Sattelschuh und beginnt auf die Mündungsfeuer zu schießen. Aber schon nach wenigen Schüssen reitet er weiter. Er findet kein Ziel mehr. Die Reiter sind in Nacht und Regen unsichtbar. Aber dann blitzt es rechts von ihm auf. Sicherlich haben die Banditen die Flucht ergriffen. Reiter der Mannschaft tauchen neben Gray auf. Eine Stimme brüllt: »Da sind sie! Sie ergreifen die Flucht! Geben wir es ihnen! Ho, reiten wir sie nieder!« »Hiergeblieben!« gellt Grays Stimme; denn ihm ist inzwischen klargeworden, daß dieser Überfall nicht die Hauptsache sein kann. Er weiß plötzlich mit Sicherheit, daß durch diese Sache nur die Mannschaft vom Camp weggelockt werden sollte.
Er denkt an die Wagen mit dem Proviant und der Ausrüstung. Und er denkt an die wichtige Pferderemuda. Er entschließt sich für die Remuda. »Folgt mir! Sie wollen unsere Pferde rauben!« Seine Stimme ist so schneidend und scharf, daß er von allen Reitern trotz des Lärms verstanden wird. Sie folgen ihm. Nun jagen sie an der Nordflanke der Herde entlang. Als sie nach Süden einbiegen, sehen sie wieder die Mündungsfeuer schießender Reiter. Sie wissen, daß dort bei dem Wäldchen die Remuda sein muß. Auch Grays Reitern wird die Sache nun richtig klar. Die Hauptmacht der Banditen hat die Remuda angegriffen! Am Hufgetrommel und dem vielstimmigen Wiehern hört Gray, daß die Remuda bereits ausgebrochen ist. Dann taucht vor ihm ein schießender Reiter auf. Gray sieht die geduckte Gestalt ganz plötzlich dicht vor sich. Er stößt einen gellenden Schrei aus und schießt, rast an dem ausbrechenden Pferd vorbei und gelangt zwischen zwei weitere Reiter, die in seiner Richtung reiten und sich etwas zubrüllen. Gray schießt wieder. Er kann erkennen, wie die undeutliche Gestalt eines Reiters aus dem Sattel fällt. Der andere Mann reißt plötzlich sein Pferd herum und will es gegen Grays Pinto prallen lassen. Dabei brüllt er wild. Er wirft einen Gegenstand nach Gray – es muß der leergeschossene Colt sein. Das Wurfgeschoß streift nur Grays Schulter. Dann krachen die Pferde gegeneinander. Grays Pinto ist in solchen Dingen sehr erfahren. Er bringt es fertig, auf den Hufen zu bleiben. Gray beugt sich aus dem Sattel und schmettert dem Gegner seinen Colt an den Kopf. Dann treibt er sein Tier wieder an. Reiter sind neben ihm – aber er hört an ihrem »Jiiippiii! Jiiippiii! Braaaaah! Braaaaah!«, daß es seine eigenen Leute sind, die wieder ein Rudel bilden. Sie jagen hinter der Remuda her, deren Hufschlag im Süden zu hören ist.
Sie finden das große Pferderudel gegen Morgen in einer tiefen Mulde zwischen rauhen Hügeln. Tom Tucker kommt ihnen entgegengeritten. »Bob ist verwundet«, berichtet er. »Wir wissen nicht, wo Ben Texter geblieben ist, der am Anfang bei uns war. Wir haben gekämpft, aber dann brach die Remuda aus, und wir folgten ihr, obwohl wir dadurch den Kampfort verlassen mußten.« »Ihr seid prächtige Jungens«, murmelt Gray, und er sieht, wie Bob Tuckers Augen aufleuchten. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang erreichen sie das Camp. Die Herde in der Senke hat sich längst beruhigt und wird von einigen Reitern bewacht. Chuck Lane tritt langsam den Reitern entgegen. »Da liegen vier tote Männer«, sagt er. »Einer davon ist Jack Harris. Wir haben außerdem noch drei Verwundete, die aber sämtlich noch im Sattel sitzen und bei der Herde sind. – Ah, Jack Harris war ein guter Junge!« Gray und die Reiter sitzen langsam ab. Sie gehen zu Jack Harris, der unter einer Decke liegt. Sie nehmen die Hüte ab. Noch vor Mittag trottet die Herde wieder auf dem Trail – auf der meilenbreiten Furche, die von vielen anderen Herden und Wagenzügen durch das Land gezogen wurde. Sie haben einige Rinder und einige Pferde verloren. Und ein Grab blieb zurück. Auf dem Brett steht geschrieben: JACK HARRIS Er starb für die Herde � auf dem Weg nach Dodge City. � Aber das Treiben geht weiter. � Zwischen den Hügeln verläßt Gray Pickett die Herde. � Er will wissen, ob die Bande ihnen folgt. � Zwei Stunden später sieht er das Rudel weiter im Osten aus �
einem Canyon kommen und eine weite Senke durchreiten. Sie halten sich dem Chisholm Trail fern. Gray zählt elf Mann, und zwei davon sitzen schief in den Sätteln. Er zieht das Fernglas aus und richtet es auf den ersten Reiter. Er erkennt ihn sofort. Es ist Stan O’Hara. Für ihn ist dieser Ritt bestimmt nicht einfach. Sein Unterarm ist bis zu den Fingerspitzen geschient. Aber der Mann ist hart und voller Rachsucht. Obwohl er zur Zeit nicht mehr der gefährliche Revolvermann ist, führt er das Rudel an. Gray Pickett sieht ihnen lange nach, bis sie wieder zwischen den Hügeln verschwunden sind. Dann reitet er seiner Herde nach. Er folgt der breiten Fährte des Chisholm Trails, die sich wie ein aufgewühlter Acker nach Norden zu durch die Hügel windet. Er reitet vorsichtig am Rand des Trails entlang – und als er an einer Hügellücke vorbeikommt, stößt er auf die frische Fährte unbeschlagener Pferdehufe. Vom Sattel aus erkennt er, daß es sich um acht bis zehn Indianer handeln muß. Die Hufspuren verlieren sich in der Herdenfährte. Gray reitet nun schneller. Es erscheint ihm wie ein Wunder, daß ihn die Rothäute nicht entdeckt haben. * Big Bill Tomson flucht so schlimm, wie nur ein Frachtwagenfahrer fluchen kann, wenn ihm beim Durchfurchten eines steinigen Creeks ein Rad zerbrochen ist. Drüben am anderen Ufer hält Chuck Lane seinen leichteren Küchenwagen an und kommt zurück. »He, ich habe mal gehört, daß du der beste Frachtwagenfahrer auf tausend Meilen in der Runde bist«, sagt er zu Big Bill. Der starrt ihn wütend an und knurrt böse:
»Hör auf damit, du Bauchbetrüger! Sieh dir diesen Wagen an, und wenn du nicht blind bist, so kannst du erkennen, wie alt er ist. Das ist kein Vorwurf gegen die Creek-Rancher – aber dieses mistige Ding ist einfach nicht mehr gut genug für einen solchen Treck. Ah, mit deinem leichten Küchenwagen ist das ein Kinderspiel! – Scher dich zum Teufel, du grinsender Nußknacker! Ich werde hier schon allein fertig. Hoffentlich sind wir in Dodge City, bevor ich die drei Reserveräder auch noch zerbrochen habe.« Er knurrt etwas Unverständliches und nimmt das Rad herunter. Er geht damit zum gebrochenen Vorderrad und sieht sich nach einem starken Hebel um. Drüben am Ufer liegt ein Baumstamm, so dick wie ein Männerhals und lang genug, um den Wagen hochzuheben. Da Big Bill die Kraft dreier normaler Männer besitzt, ist das kein Problem für ihn. »Nun gut«, sagt er zu Chuck, »da du schon einmal hier bist und mir mit deinen Fragen die Zeit stiehlst, so kannst du das Rad auswechseln, indes ich den Wagen hochheben werde.« Er geht hin, holt sich den Stamm und macht sich sofort an die Arbeit. Chuck Lane hilft ihm eifrig. Als sie sich nach zehn Minuten keuchend aufrichten, haben sie es geschafft. Chuck Lane wischt sich über das schwitzende Gesicht – und Big Bill will den Baumstamm zum Ufer tragen. Aber dann sehen sie beide im selben Moment, daß sie nicht mehr allein sind. Während ihrer Arbeit haben sie nicht genügend auf ihre Umgebung geachtet. Jetzt halten neun bemalte und durchaus nicht freundliche Gentlemen von roter Hautfarbe zu beiden Seiten des Creeks. Sie erfreuen sich sichtlich an der gelungenen Überraschung, und einer sagt kehlig: »Good Day, Weißhäute. – Wir nehmen eure Skalps! – Warum seid ihr blind, dumm und ohne Ohren?« Der Sprecher scheint ein Mann zu sein, der irgendwo die
Missionsschule besucht hat, um dann wieder ein Wilder zu werden. Chuck Lane grinst plötzlich, hebt langsam die Hand und nimmt seinen Hut ab. »Ihr roten Affen«, sagt er freundlich, »ihr werdet nicht wissen, wo ihr meinen Skalp anfassen sollt, was? Seht mal, ich habe keine Haare. Meine Stirn reicht bis zum Genick. Ah, ihr angemalten Schufte, ihr seid Kiowas, nicht wahr? Nun, ich habe im Laufe der Jahre eine ganze Menge von euch zur Hölle geschickt, jetzt habt ihr also eine feine Chance, mich zu erledigen.« Er setzt seinen Hut wieder auf und nimmt die Hand herunter. Unter seiner Jacke steckt sein Colt im Hosenbund. Er ist fest davon überzeugt, daß er noch einen oder zwei Burschen mitnehmen wird. Der Indianer übersetzt indes kehlig seinen Stammesgenossen Chuck Lanes Worte. Die roten Gentlemen werden sichtlich böse. »Eure Seelen werden bald im Schattenland umherirren«, wendet sich ihr Sprecher wieder an Chuck. »Auf deinen haarlosen Skalp werden wir spucken. Dafür ist der rote Skalp des ›Büffels auf zwei Beinen‹ so gut wie das Fell eines Grizzly. Hoffentlich werdet ihr gut kämpfen, Weißhäute, damit wir voller Stolz sein können, wenn wir euch getötet haben.« Er sieht bei seinen kehligen Worten Big Bill Tomson an, in dessen Augen immer mehr ein wilder Zorn zu erkennen ist. Big Bill hat sein Gewehr im Wagen liegen. Er trägt keinen Colt. Nur ein großes Bowiemesser steckt in seinem Gürtel. Aber er denkt gar nicht an das Messer, sondern packt den Hebebaum schon einmal vorsorglich mit beiden Händen. »Dieser rote Kerl quatscht mir viel zu lange«, knurrt er. »Wie ist es, Chuck? Wollen wir ihnen die Schädel einschlagen?« »Nur langsam, Kamerad, nur langsam. Die wollen diesen Spaß richtig auskosten«, murmelt Chuck Lane.
Er wendet sich wieder an den kleinen Häuptling, und seine Rechte tastet sich dabei am Rocksaum entlang. »Ihr seid viele – und wir sind nur zwei. Ihr werdet nicht stolz sein können. Wie heißt du denn überhaupt, rotes Großmaul? Hast du schon einen Namen?« Der Rote reißt seine Streitaxt hoch, als wolle er sie werfen. Aber er hält inne. Er richtet sich stolz auf seinem Pferd auf und stößt kehlig hervor: »Ich bin ›Zwei Pferde‹! Mein Name ist groß! Viele Skalps hängen in meinem Tipi! Macht euch zum Sterben bereit!« Nach diesen Worten stößt er seine Fersen in die Weichen seines Mustangs und gellt den Angriffsschrei der Prärieindianer heraus. Das ganze Rudel fällt ein. Und sie treiben ihre Kriegspferde ins Creekbett hinein und auf den Wagen zu, vor dessen rechter Breitseite die beiden Weißen stehen. Es fliegen keine Pfeile – und es krachen keine Schüsse von Seiten der Indianer. Das hat seinen besonderen Grund. Ein Indianer tötet gerne im Nahkampf, wenn er sich seinem Gegner sehr überlegen fühlt. Im Nahkampf seinen Feind getötet zu haben ist eine besondere Ehre. Ihn berührt zu haben zählt soviel wie viele tote Gegner, die aus sicherer Entfernung getötet wurden. Und diese Indsmen wollen alle einen »Coup« machen – den Gegner berühren. Sie fühlen sich ihrer Sache so sicher, daß sie darauf verzichten, ihre kurzen Kriegsbögen und die Gewehre abzuschießen. Als sie anreiten, stößt Big Bill Tomson einen wilden Schrei aus und springt ihnen im knietiefen Wasser entgegen. Er schwingt seinen Hebebaum wie einen gewaltigen Wäschepfahl. Big Bill ist nun richtig in Zorn, und er weiß, daß er wahrscheinlich, wenn nicht ein allzu großes Wunder geschieht, gleich tot sein wird. Es ist also sein letzter Herzenswunsch,
möglichst viele der Angreifer zu erschlagen. Mit dem ersten Schwung seines Riesenprügels fegt er einen Angreifer aus dem Sattel. Dann schlägt er einen zweiten Krieger mitsamt dem Pferd zusammen. Und er holt abermals zu einem neuen Heumacher aus. Inzwischen hat Chuck Lane längst seinen Colt unter dem Rock hervorgeholt. Er schießt prächtig damit. Er braucht sich auch nicht erst die Mühe zu machen, sorgfältig zu zielen. Die Roten sind so dicht heran, daß sie mit Lanzen und Äxten an die Arbeit gehen können. Den Anführer schießt er zuerst aus dem Sattel – und dann noch einen brüllenden Krieger. Dann trifft er ein sich aufbäumendes Pferde. Als er zum vierten Male abdrückt, streift ihn ein geworfener Tomahawk. Er taumelt, fällt ins Wasser und verliert seinen Colt. Die Strömung trägt ihn unter den Wagen. Er prallt mit dem Kopf dagegen. Der heftige Stoß bringt ihn wieder zur Besinnung. Er taucht unter und kommt auf der anderen Seite des Wagens wieder zum Vorschein. Als er sich keuchend und prustend hochkämpft, hört er Big Bill Tomson auf der anderen Seite immer noch brüllen. Er beeilt sich mächtig, zieht sich am Wagen entlang und erreicht dessen Vorderteil. Mit einem Griff holt er Bills Schrotflinte unter dem Kutschbock hervor, klettert zugleich hinauf und greift wieder in den Kampf ein. Aber Big Bill steht nicht mehr. Chuck Lane sieht ihn im Wasser knien. In Big Bills Rücken steckt ein Pfeil, und er zieht sich soeben eine abgebrochene Lanze aus der Schulter. Einige Krieger gleiten von ihren Pferden und wollen sich mit gezückten Messern auf ihn werfen. »Tauch unter, Bill!« gellt Chuck Lanes Stimme. Big Bill gehorcht unwahrscheinlich schnell dem Kommando. Er taucht unter. Nur der Pfeil in seinem Rücken ragt noch aus dem Wasser.
Da drückt Chuck Lane fluchend beide Läufe der Schrotflinte ab. Und am Südufer des Creeks erscheint plötzlich Gray Pickett auf seinem narbigen Schecken. Vier oder fünf Indianer sitzen noch auf ihren Mustangs. Sie sind jetzt nicht mehr so scharf darauf, einen der beiden furchtbaren Gegner im Kampf zu berühren. Sie spannen ihre Kriegsbogen und legen ihre Gewehre an. Sie wollen Chuck Lane vom Bock des Wagens schießen. Überdies tanzen die sechs verrückt gewordenen Maultiere schreiend herum. Der Wagen schwankt schlimm im Creekbett. Da aber die Bremsen fest angezogen sind, können sie das Gefährt nicht wegziehen. Bevor die Indianer Chuck Lane vom Bock holen können, taucht also Gray Pickett auf. Er reitet schießend zum Wasser hinunter – und Chuck Lane, der die Schrotflinte abgeschossen hat und nichts anderes mehr tun kann als zusehen, reißt Mund, Nasenlöcher und Augen auf. Gray Pickett kommt wie der Teufel. Und dabei schießt er schnell! Und jeder Schuß sitzt richtig. Die Indianer haben ihn sofort als den gefährlichsten Mann erkannt. Sie verzichten auf Chuck Lane. Sie richten ihre Bogen und ihre Gewehre auf den neuen Angreifer. Zwei Pfeile zischen, und ein Schuß aus einem SpencerGewehr kracht. Dann aber sind es nur noch drei Indianer – und als Gray Pickett bis auf vier Yard heran ist, sind es nur noch zwei. Einer schießt noch einen Pfeil ab, der an Grays Schulterspitze zupft. Dann trifft ihn Grays Kugel. Und der letzte Krieger wendet sich zur Flucht. Nur noch einige reiterlose Indianermustangs sind auf den Beinen. Im Wasser treiben tote Krieger. Nun ist es still. Sogar die sechs Maultiere vor dem Wagen
stehen mit hängenden Köpfen im Wasser, als hätten sie begriffen, daß der Kampf vorbei und keine Gefahr mehr vorhanden ist. Big Bill Tomson läßt ein schnaufendes Stöhnen hören. »Ah, ich habe einen Zahnstocher im Rücken«, keucht er. Er steht auf, hält sich am Wagen fest und drückt die linke Hand gegen die blutende Schulterwunde. In seinem Rücken, hoch in der anderen Schulter, steckt ein abgebrochener Pfeil. Aber Big Bill grinst jetzt Gray Pickett an. »Nun, Boß, wir haben sie anständig bedient, nicht wahr? Und weil du rechtzeitig gekommen bist, um unsere Skalps zu retten, so will ich dir verzeihen, daß du meinen Kopf mal zwischen zwei Speichen geklemmt hast.« Er stößt ein schmerzvolles Lachen aus, setzt sich dann in Bewegung und erreicht mühsam das Ufer. Dort setzt er sich auf einen Stein und beginnt grimmig über den »Zahnstocher« in seinem Rücken zu fluchen. Gray sitzt neben ihm ab. Chuck Lane ist inzwischen zu seinem Küchenwagen geeilt und kommt mit dem Verbandskasten herbei. »Beiß mal die Zähne zusammen, Bill«, murmelt Gray, und reißt ihm das Hemd herunter. Er kann fühlen, daß die Pfeilspitze vorn dicht unter der Haut sitzt. Zurück kann er sie unmöglich ziehen, da dann die Widerhaken die Wunde noch größer reißen würden. Chuck Lane hält den Oberkörper des Riesen fest, so gut er vermag. Dann stößt Gray den Pfeil vollends durch Bills Schulter. Er kann die Spitze erfassen und zieht den abgebrochenen Schaft nach vorn heraus. Der Riese stöhnt heftig und erzittert einmal. Dann schwankt er auf seinem Sitz. Chuck läßt ihn aus der Whiskyflasche trinken. Nach einer Weile keucht Bill zufrieden: »All right – ich habe schon immer eine gute Heilhaut gehabt. Paßt nur auf, wie schnell dieses Loch zuwachsen wird. Was ist
mit dem Lanzenstich? Wieviel Blut hat denn ein Mensch?« »Keine Sorge, Junge«, knurrt Chuck, der nun geschickt die Verbände anlegt, »nur keine Sorge, Heldenvater! – Du hast mehr Blut als ein Riesenbüffel. Ich werde dich schon wieder hochpäppeln.« Als sie Big Bill verbunden haben, hören sie die Hufschläge einiger Reiter. Die halbe Mannschaft fegt herbei. Man hatte bei der Herdennachhut doch noch die Schüsse hören können. Die Cowboys staunen, als sie die vielen Indianer sehen. »Haben sie sich alle selbst umgebracht?« fragt Ben Texter staunend. »Yeah«, knurrt Big Bill grimmig und verzieht schmerzvoll sein rundes Gesicht. »Sie haben sich über Chucks Glatze totgelacht.« * Die Tage sind heiß. Die Treiber fluchen. Sie Sitzen jeden Tag manchmal mehr als sechzehn Stunden in den Sätteln und reiten dann noch Herdenwache. Das Land wird immer trockener. Nur in einzelnen Schlammjöchern wälzen sich Büffel. Ganze Herden ziehen hier und da nach Norden. Längs des Trails liegen immer wieder bleiche Gerippe von Rindern und Büffeln. Einmal findet die Mannschaft die verbrannten Überreste eines Wagenzuges und dazwischen die Gerippe von Menschen, die gekämpft hatten und dennoch sterben mußten. Zweimal sehen sie kleine Kriegstrupps der Comanchen und Kiowas. Und Tag für Tag legt die Herde ihre Meilen zurück. Gray Pickett ist ein harter Boß. Im Lauf der Woche taucht Windy Chester zweimal im Camp auf. Aber er bringt nie schlechte Nachrichten. Wieder folgt Camp auf Camp. Und jeden Tag treibt Gray Pickett die Mannschaft in die Sättel. Sie haben alle an Gewicht verloren. Sie sind hagerer geworden, noch härter, wilder und
grimmiger. Als die Herde dann nur noch einen einzigen Tagesmarsch vor dem Red River lagert, tauchen Windy Chester und Selby Fox wieder einmal auf. Selby Fox’ Kopf ist verbunden, und Windy Chesters Hosenbein ist aufgeschlitzt. Man sieht unter der Hose einen Verband. »Wir hatten einen kleinen Kampf mit einigen Comanchen, die uns den Rückweg verlegen wollten«, berichten sie trocken und fallen wie hungrige Wölfe über das Essen her, das Chuck ihnen bringt. Die ganze Mannschaft wartet gespannt auf den Bericht der beiden Oldtimer. Endlich wischt Selby Fox sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Wir haben mächtig Glück – und mächtiges Pech«, knurrt er und grinst grimmig. »Black Stan O’Hara hat Verstärkung durch eine andere Bande erhalten. Als sie vorgestern jedoch zwanzig Mann stark den Red River durchschwammen, gerieten sie in einen Hinterhalt, den hundert Comanchen gestellt hatten. Wir haben es genau gesehen. – Die Bande hat prächtig gekämpft, und es gab viele Tote. Wenn die halbe Mannschaft nicht im Fluß gewesen wäre, hätten sie die Kriegshorde schlagen können. Stan O’Hara hat eine Menge guter Coltschützen bei sich. Aber jetzt hat er wieder die halbe Mannschaft verloren. Sie sind nach Norden zu mitten durch die Indianer durchgebrochen, weil sie nicht zurück in den Fluß wollten. Ich glaube nicht, daß wir O’Hara und sein Rudel noch vor Dodge City zu Gesicht bekommen. Ich wette, sie haben darauf verzichtet, unsere Herde zu übernehmen. Sie werden sich irgendwie darauf vorbereiten, den Erlös der Herde zu bekommen, wenn wir mit einigen Rindern wirklich Dodge City erreichen sollten. Aber das wird schwer sein. Denn am Red River sind noch zumindest siebzig Indianer – und bis morgen gewiß noch mehr kleinere Trupps dazu. Boß, ich weiß nicht, wie wir ohne Verluste über den Fluß kommen
sollen.« Nachdem Selby Fox alles gesagt hat, trinkt er seinen Kaffeebecher leer und dreht sich dann eine Zigarette. Windy Chester sagt nun, nachdem er dem Partner das Reden überlassen hatte: »Nun, er hat nicht übertrieben. Stan O’Hara und seine Bande sind wir vorerst los. Aber dafür werden hundert Indianer auf uns warten, wenn wir den Fluß durchfurten. Vielleicht hat Stan O’Hara aufgegeben, weil er uns nicht die geringste Chance gibt. Er kann es sich jetzt einfach machen und braucht in Dodge City nur auf den kümmerlichen Rest zu warten, der von unserer Mannschaft und von dieser Herde vielleicht – vielleicht, sage ich – Dodge City erreichen wird. Ah, du mußt dir jetzt einen feinen Trick ausdenken, Boß! Was werden wir tun?« Nun starren sie alle Gray Pickett an. Der fühlt ihre Blicke. Mit einem Male lastet die Verantwortung schwer auf Gray. Er sieht die Männer an. Die meisten sind jung. Bob Tucker wird achtzehn. Sein Bruder Tom ist neunzehn. Frank Nicol ist zwanzig. Und Bruce Harris und Ben Texter sind auch nicht älter. Und sie sind die Söhne der Creek-Rancher, deren Partner er geworden ist. Aber kann er vor die Creek-Rancher treten, wenn ihre Söhne unterwegs sterben mußten? Und kann er nach Caddo reiten, wenn er am Red River die Herde verliert? Gray Pickett erhebt sich aus der Hocke. Er wirft den Zigarettenrest ins Feuer. »Nun«, sagt er ruhig, »wir sind doch alle Texaner, nicht wahr? Und wir treiben eine Herde nach Dodge City. Wir werden kämpfen! – Big Bill, du bleibst mit Bob und Tom im Camp. Haltet die Remuda und die Herde zusammen, so gut ihr
es könnt. Wir anderen reiten jetzt zum Red River. Im Morgengrauen greifen wir die Indianer an und machen die Furt für die Herde frei. In die Sättel, Jungens!« Auch Chuck Lane schwingt sich in den Sattel. Langsam reitet er zu Big Bill hinüber, der sichtlich unzufrieden beim Feuer steht. »Bill«, sagt er, »du wirst nicht meine Vorräte auffressen. Ich weiß ganz genau, wieviel Pflaumen und Rosinen ich habe. Wenn du an meine Vorräte gehst, so brate ich dir bis Dodge City jeden Tag einen Kuhfladen zum Frühstück.« »Kommt nur alle wieder«, murmelt Big Bill heiser. »Ich achte mit den beiden Boys schon auf alle Dinge. Wir bringen die Herde nach Dodge City! Aber, zum Teufel, ich habe doch gezeigt, daß ich kämpfen kann. Warum darf ich nicht mitreiten?« Die letzten Worte gelten Gray Pickett. Der sagt: »Das Camp, die Remuda und die Herde sind bei dir in besten Händen, Bill. Wenn du angegriffen wirst, so kannst du wie eine ganze Mannschaft kämpfen. Wenn wir nicht zurückkommen, so reitest du mit den Boys heim. Dann ist alles verloren.« Gray zieht nach diesen Worten sein Pferd herum und reitet in die Nacht hinaus. Selby Fox und Windy Chester folgen. Dann schließt sich Chuck Lane an – und dann folgt die ganze Mannschaft. * Sie durchschwimmen noch vor Morgengrauen den Red River und nähern sich von Norden her dem Lager. Sie besetzen die Uferhügel und hören dabei das hämmernde Tacken einiger Trommeln. Sie hören den wilden Kriegsgesang, und dann sehen sie den wilden Tanz am großen Feuer drunten in der Senke. Sie sehen auch einige Whiskyfäßchen beim Feuer.
Selby Fox hält sich dicht neben Gray Pickett. Ihre Pferde stehen unterhalb des Hügelkammes, so daß die Reiter gerade noch über den Kamm und zum Feuer hinunterspähen können. Rechts und links von Gray und Selby hat sich die Mannschaft zu einer Kette formiert. Der Wind kommt vom Fluß, streicht über das Feuer und hier oben über den Kamm, über den die Männer hinwegspähen. »Sie feiern einen Sieg und machen sich Mut für den Kampf gegen uns. Die Burschen fühlen sich sicher und erwarten uns gegen Nachmittag mit der Herde«, knurrt Selby Fox. Er kichert heiser und knurrt dann zufrieden: »Ah, sie sind nicht auf den Gedanken gekommen, daß wir unsere Herde fast ohne Bewachung zurücklassen könnten, um ihre Übermacht anzugreifen. Es wird rauh werden.« Gray nickt. »Wir greifen an«, sagt er. »Wir nehmen die Colts zur Hand und reiten über das Lager hinweg. Wenn wir durchgeritten sind, machen wir sofort kehrt und geben es ihnen noch mal. Dann jagen wir den Rest beim dritten Mal mitsamt ihren Pferden in den Fluß.« Der Befehl wandert nach rechts und links von Mann zu Mann. Als die Klarmeldung zurückkommt, zieht Gray seinen Colt und treibt seinen »Mister Speck« langsam und vorsichtig über den Kamm des Hügels. Die Kette der Mannschaft bleibt mit ihm rechts und links in gleicher Höhe. Sie reiten im Schritt. Sie machen kaum ein Geräusch. Überdies verursachen die wilden Tänzer unten immer noch einen gewaltigen Lärm. Die Trommeln hämmern stetig ihren hackenden Rhythmus in das Morgengrauen. Als sie nur noch knapp fünfzig Yard von der wilden Horde entfernt sind, gellt der schrille Warnschrei aus einer Comanchen-kehle. Der hackende Rhythmus der Trommeln bricht jäh ab. Dann gellt Gray Picketts Stimme in die kurze Stille:
»Jiiippiii! Vorwärts, Texaner!« Ihre Pferde springen jetzt aus dem Schritt in einen wilden Galopp hinein. Die ganze Mannschaft brüllt nun wild und rauh, wie eine Mannschaft von fünfzehn Teufeln. Ihre Pferde wiehern, und ihr Hufschlag ersetzt nun die verstummten Trommeln. Zehn – fünfzehn Yard stürmen sie vorwärts und den Hang hinunter. Dann aber bricht die Hölle los. Die zuerst wie erstarrten Rothäute haben jetzt begriffen. Selbst viele Betrunkene werden durch das gellende Kriegsgeschrei wieder wach und taumeln hoch. Die ersten Pfeile zischen. Tomahawks fliegen. Einige Lanzen sausen. Aber die Männer aus Texas sind nicht aufzuhalten. Der Ansturm ihrer galoppierenden Pferde ist gewaltig. Fünfzehn Colts beginnen ihr Blei zu spucken. Und sie können alle sehr gut mit ihren Sechsschüssigen umgehen. Sie reiten die Roten nieder, schießen dabei auf bemalte Körper und heulende Fratzen. Sie lassen ihre Pferde arbeiten und schlagen auch mit den langen Coltläufen zu. Zwei oder drei von ihnen haben noch Schrotflinten mitgenommen, und fast die Hälfte besitzt einen zweiten Colt. Die Macht ihres Ansturms trägt sie über das Feuer hinweg, durch die Roten hindurch. Hier und da flüchten bereits die ersten Gruppen. Gray erreicht zuerst die andere Seite des Lagers. Er reißt »Mister Speck« auf der Hinterhand herum. Das narbige Kriegspferd trompetet wild. Es hat schon wie ein wilder Grizzly gekämpft. Nun steckt Gray seinen leergeschossenen Colt weg und nimmt seinen Reservecolt aus dem Gürtel. Dabei beobachtet er, wer alles von der Mannschaft durchgekommen ist. Selby Fox ist schon neben ihm – und dann kommen Windy
Chester, Monty Sanders, Bruce Harris. Und Chuck Lane taucht auf, reißt sein Pferd herum und schiebt zwei große Schrotpatronen in seine Schrotflinte. Noch mehr kommen aus dem Wirrwarr heraus. Gray gibt wieder das Zeichen. »Jiiippiiih! Vorwärts, Texaner!« Und sie werden wieder zu einer höllischen Lawine, die noch einmal über das Lager rollt. Es ist ein blutiger Morgen. – Aus dem Red River steigen die Nebel dichter. Im auseinandergerissenen Feuer der Roten liegen leblose Körper. Und die Texaner kämpfen den Weg für ihre Herde frei. Sie wollen nach Dodge City und über diesen Fluß. * Je mehr die Sonne ihren höchsten Stand einnimmt, um so unruhiger wird Big Bill Tomson. Fluchend reitet er auf einem großen Wallach mit dem jungen Cowboy um die Herde und hält sie nach besten Kräften zusammen. Der andere Junge bewacht drüben die Pferderemuda. Am Vormittag kommt Bob Tucker von der Remuda einen Moment herübergeritten. »Bill«, sagt der Junge heiser, und in seinen hellen Augen tanzen unruhige Lichter, »Bill, sie werden es doch geschafft haben? – Zum Teufel, Bill, ich halte es nicht mehr aus! Sollte nicht einer von uns nach Norden reiten und vielleicht…« »Wir bleiben hier – wie es der Boß befohlen hat«, unterbricht ihn der Riese grimmig. »Und mach dir keine Sorgen, Junge! Dieser Gray Pickett weiß ganz genau, was er tun kann. – Ah, ich habe noch keinen besseren Mann erlebt. Und jetzt schere dich zu deiner Remuda hinüber. Wir müssen eben warten!« Der Junge schluckt, starrt den Riesen seltsam an und reitet dann wortlos zurück.
Eine halbe Stunde vergeht. Die Sonne nähert sich ihrem höchsten Punkt. Plötzlich gellt Bob Tuckers Freudenschrei von der Remuda herüber. Der Junge hält auf einem Hügel und hat somit bessere Sicht als Bill und Tom, die tiefer in der Senke mit den Rindern zu tun haben. »Sie kommen! Sie kommen!« brüllt der Junge. Big Bill wischt sich den Schweiß von dem Gesicht. Tom kommt zu ihm, und dann sehen sie die Mannschaft. – Aber es sind nur acht müde Reiter. Gray Pickett, Selby Fox und Windy Chester fehlen. Auch Monty Sanders ist nicht dabei. Chuck Lane führt das Rudel an. Big Bills Stimme dröhnt heiser die Frage heraus: »Zum Teufel, wo ist der Boß? Wo sind die anderen Boys? Ah, sagt mir nur nicht, daß sie…« Chuck Lane winkt müde ab. »Wir haben sie geschlagen, diese roten Affen! – Monty Sanders ist tot. Windy, Frank und Ben sind verwundet. Der Boß ist mit Selby und Bruce an der Furt geblieben. Und wir treiben jetzt die Herde! Los, Big Bill! Unsere beiden Wagen übernehmen die Spitze!« Eine halbe Stunde später zieht die Herde dem Red River entgegen. Zuerst fährt Chuck Lane mit seinem Kochwagen. Dann folgt Big Bill mit dem Conestoga-Schoner. Links von ihnen treibt Bob Tucker die Remuda, und hinter ihm trottet die Herde – dreitausend Rinder. Im vordersten Wagen singt Chuck Lane mit heiserer Stimme immer wieder dasselbe Lied: »Hundert wilde Teufel! Hoiii, wir haben sie geschlagen! Jetzt fahren wir durch die Hölle! Mit Mann und Roß und Wagen! Dreitausend wilde Stiere,
die treiben wir nach Norden! Und wer sich in den Weg uns stellt, dem werden wir’s besorgen!« Als er zum dritten Mal anstimmt, dröhnt Bills Baß die zweite Stimme mit. * Als die Abendsonne den Himmel rötet und der Wind sich legt und vom Osten her sich die Nacht ausbreitet, da sieht Gray Pickett vom anderen Ufer des Flusses, wie sich drüben der Strom der Rinder den Hang herunter ergießt. Er hört das dumpfe Brüllen, das Klatschen der Treiberpeitschen und die heiseren Rufe der Reiter. Der alte Leitstier trottet brüllend ins Wasser, und die lange Schlange, die aus gehörnten Köpfen und knochigen Rücken besteht, trottet ihm nach, gerät bald in tiefes Wasser, schwimmt, wird abgetrieben und staut die Strömung des Flusses sichtlich an. »Ich bringe sie nach Dodge City«, murmelt Gray vor sich hin. »Denn diese Mannschaft kann kämpfen. Hoffentlich bin ich dann auch gut genug, um mit dem Geld den Rückweg zu schaffen.« Sie lassen den Wolf Creek hinter sich und nähern sich stetig dem Ziel. Drei Tage später meldet Selby Fox, der mit Windy immer noch den Weg nach Norden auskundschaftet, daß vor ihnen eine schlimme Mannschaft in einem Camp lagert. Gegen Morgengrauen erfolgt dann der Angriff. Die Kerle aus dem versteckten Camp sind sogenannte Stampeders – also Viehdiebe, die eine Treibherde in Stampede versetzen, um dann, bevor die Mannschaft die auseinandergesprengte Herde wieder sammeln kann, Rinder abzutreiben und mit diesen in den Bergen zu verschwinden.
In dieser Nacht gibt es jedoch keine Stampede, obwohl die Herde beim Krachen der Schüsse sehr erregt wird. Die Stampeders reiten genau in die auf sie wartende Texasmannschaft hinein. Als sie am achtundsechzigsten Tage den Mulberry Creek erreichen, wissen sie, daß es bis Dodge City nur noch eine Tagesstrecke ist. Gray Pickett bestimmt: »Ich reite jetzt gleich nach Dodge City! Windy wird die Herde nachbringen. Du, Selby, wirst mit mir zur Stadt reiten. Aber wir schleichen uns ein. Ich möchte die Herde verkauft haben, bevor Stan O’Hara überhaupt erfährt, daß ich schon in der Stadt bin. Ich denke, er wird die Stadteingänge beobachten lassen, damit er mich nicht mehr aus den Augen verliert, sobald ich in Dodge City auftauche.« Eine halbe Stunde später reiten Selby Fox und Gray Pickett in die Nacht hinaus. Die Mannschaft bleibt schweigend zurück. Chuck Lane spricht wohl die Gedanken der meisten Männer dieser Texasmannschaft aus: »Irgendwie schafft es der Boß, Jungens!« * Kurz vor Tagesanbruch halten Gray Pickett und Selby Fox ihre Pferde an. Vor ihnen liegt die wilde Stadt. »Selby«, flüstert Gray, »ich reite um die halbe Stadt herum und versuche, möglichst unbemerkt von Osten her einzudringen. Du wirst von Norden her in die Stadt reiten. Du brauchst nichts anderes zu tun, als unauffällig im Hintergrund zu bleiben. Wenn ich das Pech habe, daß Stan O’Haras Leute mich stellen, so mußt du mir den Rücken decken. Mit den Dingen, die von vorn kommen, werde ich schon fertig.« »Keine Sorge, Gray – ich bin so unauffällig und unansehnlich
wie eine graue Maus unter hundert anderen Mäusen«, kichert Selby Fox grimmig. »Also, viel Glück! – Ich habe gehört, daß die ›Tamalan & Haynes Company‹ faire Geschäfte macht. Ich würde zuerst in dieses Büro gehen.« Sie wechseln noch einige kurze Worte, dann reiten sie auseinander. Am Himmel werden die Sterne blasser. Der Morgen kündigt sich im Osten an. Gray Pickett reitet einen großen Bogen. Vor einer Gassenmündung sitzt er ab und geht zu Fuß weiter. Sein häßliches Pferd folgt ihm lautlos. Nach wenigen Yard erreichen sie die Mündung zur Hauptstraße. Gray bleibt, sich noch im Schatten der Gasse haltend, stehen. Sein Schecke stößt mit dem Maul sanft gegen seinen Rücken. »Warte«, brummt Gray leise und studiert dann die Umgebung. Gerade will Gray sich zu seinem Pferd wenden, um wieder aufzusitzen, da hört er die sporenklingenden Schritte zweier Männer rechts von sich. Er weicht dann schnell zurück und legt seinem Schecken die Hand auf die Nüstern. Dann tritt er wieder vor und preßt sich an der Hausecke gegen die Wand. Nun tauchen vor seinen Blicken zwei Schatten auf. Ein großer und ein kleiner Mann bleiben an der Ecke stehen. Der Große lehnt sich gegen den Pfosten und der kleine gegen die Hauswand. Wenn Gray Pickett mit dem Arm um die Ecke langen würde, könnte er dem kleinen Burschen die Nase langziehen. Er bewegt sich nicht, atmet leise und freut sich wieder einmal über seinen Mister Speck, der nur drei Yard weiter in der Gasse steht und von dem man nichts hört. Gray hört den langen Mann gähnend sagen: »Stan O’Hara ist sehr nervös. Warum sollte dieser Gray Pickett schon jetzt in die Stadt kommen? Der wird bestimmt bei seiner Herde bleiben und diese erst näher an die Stadt heranbringen. Morgen mittag wird er vielleicht herangeritten
kommen. Und dann ist immer noch Zeit, ihn in einen Streit zu verwickeln. Ich verstehe ohnehin nicht, warum O’Hara das will, bevor er die Herde verkauft hat. Er soll Pickett doch ruhig gewähren lassen. Er muß mit dem Geld tausend Meilen reiten. Wir erwischen ihn schon eines Tages. Wir werden ihm und seiner Mannschaft schon den richtigen Hinterhalt stellen.« Als der Lange verstummt, schnaubt der Kleine mitleidig. »Charly«, brummt er, »du warst mit dem Kopf noch nie besonders rege und über dem Durchschnitt. Du kannst nicht richtig denken – nur höllisch schnell schießen. Aber das ist nicht genug! – O’Hara will diesen Gray Pickett erschießen, damit ein anderer von der Mannschaft die Führung übernehmen muß. Und ohne diesen Pickett ist die Mannschaft aus dem Caddo County nur noch die Hälfte wert. Wir könnten sie leichter erledigen und ihnen müheloser das Geld abnehmen, wenn dieser wachsame Tiger Gray Pickett sie nicht mehr führt. Deshalb soll Pickett in einen scheinbar zufälligen Streit geraten und erledigt werden, sobald er seine Nasenspitze in diese Stadt steckt. – Das ist es also. Hast du richtig begriffen, Charly?« Der Lange flucht nur und murmelt dann: »Nun gut, gehen wir also weiter die Straße hinunter.« Er kommt langsam die Stufen des Gehsteigs herunter. Der Kleine bleibt an seiner Seite. Als sie mitten in der Gassenmündung sind, springt Gray Pickett sie an. Der Kleine ist ihm am nächsten. Er trifft ihn mit dem Coltlauf quer über den Hinterkopf. Der Große wirbelt indes herum. Er ist überrascht. Instinktiv schnappt er nach dem Colt – aber Gray Pickett ist schneller. Er trifft den Mann in den Magen, und als der Lange voller Schmerzen eine Verbeugung macht, hat Gray bereits wieder seinen Colt hochgerissen und läßt ihn von oben auf den großen Hut des Mannes sausen. Er wirbelt sofort herum, denn der Kleine, den er zuerst erwischte, ist zäh. Dieser drahtige Bursche kämpft sich am Boden auf die Knie und stößt ein heiseres Krächzen aus. Seine Hand will den Colt
hochschwingen. Da trifft ihn Gray noch einmal, und diesmal noch härter. Als er die beiden Männer nacheinander in die dunkle Gasse zerrt und dabei an seinem Pinto vorbei muß, schnaubt dieser seltsam, als wollte er sagen: Nun, Mister Pickett, du hast es also wieder einmal geschafft. »Komm weiter, Partner«, sagt Gray trocken zu ihm und tritt auf die Straße hinaus. Es wäre Unsinn, sich jetzt noch verstecken zu wollen. Wenn O’Hara noch mehr Leute auf dieser Straße postiert hat, so haben diese ganz gewiß den kurzen Kampf vor der Gassenmündung beobachten können. Aus der Tür des Marshal’s Office tritt ein drahtiger Mann. Es ist heller geworden. Gray erkennt auf der Weste des Mannes den Marshalstern. Er bleibt stehen. »Morning, Marshal«, murmelt er. Der Mann sieht ihn scharf an, und Gray weiß, daß er wie ein Satteltramp wirkt. Er ist abgerissen und unrasiert. »Morning«, nickt der Marshal, und sein Blick wird noch forschender. »Meine Treibherde wird am Nachmittag die Stadt erreichen«, sagt Gray ruhig. »Wo finde ich das Büro von Tamalan und Haynes?« »Hundert Yard weiter. Sie haben es sehr eilig, Mister, finde ich. Tamalan hat zwar wieder einmal die ganze Nacht an seinem Schreibtisch durchgearbeitet. Sie sollten erst nach dem Frühstück mit ihm verhandeln. – Wie ist Ihr Name, Mister?« »Pickett, Gray Pickett. Ich bringe eine Sammelherde von dreitausend Rindern aus dem Caddo County. Und ich bin in Eile, Marshal. Meine Auftraggeber warten auf das Geld für die Herde. Sie müssen ihre Schuldscheine einlösen. Und in Ihrer Stadt, Marshal, gibt es einige Burschen, die mich aufhalten möchten.« »Ah, Sie wollen, daß ich Ihnen helfe?«
»Ich erzähle Ihnen das, damit Sie den Grund kennen, wenn ich hier meinen Revolver abfeuern muß«, murmelt Gray Pickett und geht weiter. Gray Pickett erreicht das Büro der Viehaufkäufer. Aus einem der Fenster schimmert Licht durch den Schlitz eines Vorhangs. Gray klopft an die Tür. Indes er wartet, sieht er sich um. So scharf auch Gray seine Umgebung prüft, von Selby Fox ist nichts zu sehen. Und dennoch ist der kleine Oldtimer gewiß schon längst in der Stadt. Gray klopft ein zweites Mal. Jetzt ertönen langsame Schritte. Die Tür wird geöffnet. Ein grauhaariger Mann mit einem Walroßbart wird sichtbar. Der Mann hält einen Colt vorsorglich in der Hand und sieht den Besucher wortlos und scharf an. »Ich habe dreitausend Texasrinder zu verkaufen«, sagt Gray langsam und sieht den Mann ruhig an. Weiter unten wird es auf der Straße laut. Wahrscheinlich sind die beiden Burschen, die Gray zusammengeschlagen hatte, wieder aufgewacht. Gray späht über die Schulter. Auf der anderen Straßenseite wird die Tür des Lonestar Saloons aufgestoßen. Ein langer, dürrer und knochiger Mann tritt auf den Gehsteig. Gray erkennt diesen Mann sofort. Es ist Black Stan O’Hara. Seit dem Tag in Caddo sind nun zehn Wochen verstrichen. Gray ist sich darüber klar, daß O’Haras Revolverhand wieder in Ordnung ist. Und jetzt sieht O’Hara Gray Pickett. Weiter unterhalb der Straße, von dort, wo Gray die beiden Revolverhelden zusammenschlug, brüllt jetzt eine wilde Stimme: »Hölle! Wo ist der Kerl, der mich zusammengeschlagen hat?« O’Hara hört es – Gray Pickett hört es – und auch der Viehaufkäufer hört es. Dieser Mann starrt aufmerksam in
Grays Gesicht und wirft einen schnellen Blick zu Stan O’Hara hinüber. Stan O’Haras Stimme klingt scharf über die Straße: »Nun, Gray Pickett, du bist wohl jetzt mächtig stolz darauf, daß du die Herde ans Ziel gebracht hast? Aber ich werde dich schon noch zur Hölle schicken, Pickett!« O’Hara wendet sich ab und tritt in den Saloon zurück. Gray sieht den Viehaufkäufer an. »Dieser Tiger ist schlimm«, sagt Tamalan ruhig. »Er ist schon sehr bekannt hier in Dodge City. Nun, Mister, ich mache sonst um diese Zeit keine Geschäfte. Aber kommen Sie herein!« Zehn Minuten später sind sich die beiden Männer einig. »Pickett, meine Mannschaft übernimmt Ihre Herde also drei Meilen vor der Stadt«, faßt Tamalan noch einmal ihre Abmachungen zusammen. »Wir werden die Herde bis morgen mittag durchgezählt haben. Da Sie aber Bargeld wünschen, müssen Sie mir bis übermorgen Zeit lassen. Vierzigtausend Dollar sind auch für mich nicht binnen weniger Stunden aufzutreiben, denn ich habe in den letzten Wochen für mehr als zweihunderttausend Dollar Rinder verfrachtet. Aber ich werde die Summe in großen Scheinen übermorgen mittag für Sie bereit haben. Brauchen Sie einen Vorschuß?« »Heute abend hätte ich gerne zweitausend Dollar«, nickt Gray. Er starrt den Viehhändler eine Weile unschlüssig an – und dabei lauscht er in sich hinein und wartet auf ein Warnsignal seines Instinktes. Aber es bleibt alles ruhig in ihm. Gray Pickett hat sich schon immer auf seinen Instinkt verlassen können. Dieser Nelson Tamalan ist wahrscheinlich verläßlich. »Übergeben Sie mir bitte übermorgen mittag ein Paket, in dem sich nur alte Zeitungen befinden«, sagt er sanft. »Wenn ich dann diese Stadt verlassen habe, wird eine Stunde später ein rotköpfiger Riese zu Ihnen kommen, der auf den Namen
Big Bill Tomson hört. Dem geben Sie dann das Geld. Kann ich mich auf Sie verlassen, Mister Tamalan?« »Das können Sie, junger Mann. Ihre Auftraggeber haben in Ihnen einen guten Mann gefunden. Hätten Sie vielleicht Lust, später für mich zu arbeiten? Ich brauche dringend einen Mann wie Sie, der den praktischen Teil unseres Geschäfts erledigt. Mein Partner ist noch älter als ich. Wir brauchen einen Vormann, der eines Tages unser Junior-Teilhaber werden könnte.« »Danke, Mister Tamalan, danke für Ihre gute Meinung. Aber die Rancher, für die ich diese Herde hergebracht habe und die auf das Geld warten, haben mich als Partner aufgenommen. Ich werde bald eine kleine Ranch haben. Eines Tages sehnt sich ein Mann wie ich nach einem festen Heim.« »Und nach einer Frau – und nach Kindern.« Tamalan nickt. »Schade, Pickett! Nun, ich werde Ihnen hier helfen, so gut ich kann, aber dieser O’Hara ist ein schlimmer Bursche. In der kurzen Zeit, da er in Dodge City ist, hat er schon zwei Männer getötet; und er hat es immer so einrichten können, daß seine Gegner zuerst nach dem Colt griffen. Unser Marshal geht ihm aus dem Weg und…« »Ich kann schon für mich sorgen«, erwidert Gray ruhig und erhebt sich. Mit einem festen Händedruck verabschieden sich die beiden Männer. Als Gray Pickett die Tür zur Straße hinter sich schließt, wischt sich Nelson Tamalan über die Augen. »Er erinnert mich an meinen Jungen, der im Krieg gefallen ist«, murmelt er. »Ah, als er draußen vor der Tür stand, dachte ich beinahe an einen Geist. Und er ist hart, schlau und entschlossen und seinen Partnern treu. Schade, denn ich hatte sofort das Gefühl, als wäre er der Mann, auf den ich schon lange wartete, damit die Firma endlich einen Junior bekommt. – Hoffentlich wird er mit diesem Tiger O’Hara und dessen Revolverschwingern fertig.«
Gray Pickett reitet langsam die Straße hinauf. Er sucht den Mietstall. Sein Pinto muß in den nächsten zwei Tagen kräftiges Kornfutter bekommen. Der Schecke muß fit für einen langen Ritt sein, wenn das Rennen losgeht. Dann taucht der Mietstall links der Straße auf. Der Stallmann steht am Brunnen und wäscht sich. Er trocknet sich ab, als Gray absitzt. »Ich brauche die beste Box, das beste Heu und das beste Korn«, sagt Gray. »Die zweite Box rechts ist frei«, sagt der Stallmann. »Ich komme gleich nach, Mister.« Gray führt den Pinto in den Stall. Plötzlich wirft Mr. Speck den häßlichen Kopf hoch und schnaubt warnend. Gray dreht sich um und legt die Hand an den Colt. Im offenen Doppeltor sind drei Männer aufgetaucht – und im Gang ertönen von hinten die schnellen Schritte anderer Männer. Gray weiß mit einem Mal, daß O’Hara die Sache hier im Mietstall austragen will. O’Hara hat die Falle aufgestellt, und Gray ist wie ein Dummkopf hineingegangen. Gray bleibt neben seinem Pinto stehen. Die Männer im Tor grinsen in das Halbdunkel hinein. Sie können Gray gut erkennen. »Pickett, ich will dir eine Chance geben«, erklingt O’Haras Stimme. »Wie sieht denn diese Chance aus, O’Hara?« »Gib uns dein Wort, daß du uns den Scheck oder das Bargeld übergeben wirst. Dein Wort würde mir genügen. Ich will keinen Kampf. Ich könnte sogar einige Dinge vergessen, die zwischen uns sind. Ich will das Geld. Wie ist es mit deinem Wort, Gray Pickett?« »Mein Wort ist gut, Stan O’Hara. Aber was wird aus mir, wenn ich euch das Geld geben würde?« »Dann bekommst du tausend Dollar und kannst gesund durch
die Welt irgendwohin reiten, Freund.« »Das ist ein Versprechen, das du nicht halten würdest, Mister!« Gray grinst kalt. Er ist sich jetzt darüber klar, daß sie ihn richtig gestellt haben. Selbst wenn er noch so gut kämpfen würde – aus dieser Falle kommt er nicht mehr heraus. »Mein Wort ist genausogut wie deines, Pickett«, sagt O’Hara heiser. »Und du hast jetzt wirklich nur noch die Wahl, ob du mit uns gemeinsame Sache machst, so daß wir nicht gegen deine Mannschaft kämpfen müssen, oder ob du hier zur Hölle fahren willst, damit deine Mannschaft ohne Führung ist. Wie willst du es also haben, Pickett?« »Fangt nur an, ich werde einige von euch schon mit auf die lange Reise nehmen«, sagt Gray langsam und schwer. Er fühlt sich am Ende seines Lassos. Nun, er wird ihnen einen guten Kampf liefern. Ein guter Kampf, das ist die letzte Sache, auf die ein Mann noch stolz sein kann, wenn die letzte Minute angebrochen ist. Der grimmige Zorn macht Gray Picketts Stimme heiser, als er nun noch sagt: »O’Hara, du willst doch ein berühmter Revolvermann sein, nicht wahr? Warum bringst du dir eine kleine Armee mit, du gemeiner Kerl? Wir könnten auf den Hof gehen und uns dort aufstellen. Ich werde dich zuerst ziehen lassen.« »Wir haben dich so sicherer«, erklingt O’Haras Stimme. »Wir fangen also an. Ich zähle bis zehn! – Pickett, du hast also noch zehn Sekunden Zeit, es dir zu überlegen. Dein Wort würde uns wirklich genügen. Also: Eins! – Zwei! – Drei! – Vier! – Fün…« Weiter zählt Stan O’Hara nicht, denn jetzt ertönt eine andere Stimme im Stall. Gray Pickett erkennt diese heisere, kichernde und trockene Stimme sofort. Sein Herz macht einige schnellere Schläge, und in ihm ist plötzlich die Hoffnung, daß hier im Stall vielleicht doch noch nicht das Ende seines Weges ist.
»Nun habt ihr genug Spaß gehabt«, kichert Selby Fox. »Nun wird es allmählich Zeit, daß es wieder ernsthaft und seriös zugeht! Halt, O’Hara! Das ist kein Forkenstiel! Das ist der Doppellauf einer kurzen Schrotflinte! Wenn ich abdrücke, so hast du ein Loch im Rücken, durch das ein Hase hindurchspringen könnte! Los, Langer, nun sag schon deinen Spielkameraden genau Bescheid! Wenn sie die Nerven verlieren, bist du so tot wie ein Lachs, der drei Tage in der Sonne liegt!« Einige Sekunden lang ist es still. Dann beginnt Stan O’Hara erstickt zu fluchen. Und einer der Männer im offenen Stalltor fragt: »Was ist das, O’Hara?« »Das ist eine giftige Kröte! Er hält mir ‘ne Schrotflinte in den Rücken! Macht keine Dummheiten! Dieser Gartenzwerg drückt ab, wenn ihr etwas anfangt!« So zischt O’Hara, und in seiner Stimme liegt die ganze Sorge eines Mannes, der noch eine Weile auf dieser Welt leben möchte. Selby Fox läßt wieder sein Kichern hören. »Du bist nicht besonders hart, Black Stan O’Hara! Du bist wohl nur hart und rauh, wenn dir ein langsamer Mann vor den Colt gerät, was? Nun, Leute, der Spaß ist beendet! Geht nach Haus und trinkt einen Whisky auf diesen Schock. Wenn ihr etwas beginnt, so wird O’Hara tausend Jahre in der Hölle auf euch fluchen. Ich schieße ihn mit meiner Kugelspritze in zwei Stücke. Ich bin der kleine Selby Fox, der lustigste Bursche auf tausend Meilen in der Runde! Wie gefällt euch mein Spaß?« Wieder ist es einige Sekunden lang still. Einer der drei Männer im offenen Stalltor übernimmt jetzt das Kommando. Er ruft zu den anderen Kerlen im Hintergrund des Stalles: »Könnt ihr den Witzbold erwischen, Jube?« »Nein, Jim! O’Hara versperrt uns die Sicht! Und diese
kichernde Kröte kauert überdies auch noch hinter der Futterkiste. Der ist gut gedeckt! Er könnte den zweiten Lauf der Kugelspritze auf uns abfeuern, wenn er mit O’Hara fertig ist.« Das ist eine Antwort, die klar und deutlich ist. In die nun wieder entstehende Stille des Nachdenkens hinein kichert abermals Selby Fox’ Stimme: »Ihr habt es klar erkannt, Freunde! Ich kenne euch! Ihr seid die Parkers! Ihr seid Jim, Jube, Reece und Curly Parker! Stan O’Hara ist sicherlich ein alter Freund von euch. Er hat euch für dieses Geschäft interessiert, nicht wahr? – O’Hara, was ist denn mit den Burschen, die du aus Caddo mitgebracht hast? Sind sie dir weggelaufen? Ich sehe nur Lee Cotton als einzigen Mann der alten Mannschaft bei dir!« Nun mischt sich Gray Pickett ein. »Es sind noch zwei Burschen bei der Mannschaft«, sagt er. »Ich habe sie vor einer guten halben Stunde niedergeschlagen. Achte nur gut auf O’Hara, Selby!« »Wie eine Mom auf ihr Baby«, kichert Selby Fox. Gray Pickett wendet sich nun an Jim Parker, der den Gerüchten nach der Anführer seiner drei anderen Brüder sein soll. »Jim«, sagt er, »wollt ihr Stan O’Hara opfern? Ihr könnt mich nicht einschüchtern! Ich werde kämpfen! Und wenn ich mit dem Geld nach Texas unterwegs bin, so…« »Wir wissen schon gut genug über dich Bescheid, Gray«, murmelt Jim Parker vom Tor her. »Stan O’Hara war ein Narr. Er konnte uns davon überzeugen, daß du, um dein Leben zu retten, uns dein Wort geben würdest, uns kampflos das Geld zuzuspielen. Nun, jetzt wissen wir besser Bescheid über dich, Gray Pickett. Das Geld muß am 24. August in Caddo sein. Du kannst dir keinen Scheck mitgeben lassen und diesen in Fort Worth oder irgendwo anders einlösen. Du mußt mit der Barsumme aufbrechen, um zur rechten Zeit zu kommen. Nun,
wir holen uns unterwegs diesen fetten Bissen. Kommt, Brüder! Diesen Spaß hier haben wir verloren! He, was macht ihr mit O’Hara?« »Wenn ihr diese Sache hier aufgebt, so rettet ihr sein Leben. Ich werde ihn wahrscheinlich verprügeln.« »Es war seine Idee, dich im Stall zu stellen. Wenn du ihn verprügelst, Gray Pickett, so hat er doch wohl die faire Möglichkeit, sich zu wehren, wie?« Jim Parker wartet gar nicht erst auf Gray Picketts Antwort. Er dreht sich auf dem Absatz um und verläßt den Stall. Seine beiden Brüder folgen ihm; auch Jube, der mit Lee Cotton im Gang steht, setzt sich in Bewegung und verläßt den Stall. Lee Cotton bleibt zurück und zögert noch sichtlich. Er sieht zu Stan O’Hara hin, hinter dem sich Selby Fox jetzt erhoben hat. »Stan«, sagt Lee Cotton heiser, »ich kann hier nichts für dich tun, nachdem die Parkers sich zurückzogen und diese Kröte dich vor der Schrotflinte hat. Ich möchte hier nicht bluten. Ich denke, ich mache es wie die Parkers.« Er verläßt sporenklingend den Stall. Black Stan O’Hara ruft ihm einige böse Flüche nach. Gray Pickett schreitet langsam aus der Box, geht den Gang hinunter und wendet sich O’Hara zu. »Pech gehabt, Mister«, sagt er trocken. »Immer wieder Pech gehabt! Aber jetzt ist es in ganz Dodge City bekannt, daß wir mit einem Barvermögen den Heimweg nach Texas antreten. Alle schlimmen Burschen in dieser Stadt werden sich auf unsere Fährte setzen oder uns den Weg verlegen. Wenigstens diesen Gefallen hast du deinem Boß Tobias Shanessy erwiesen.« »Ich hasse dich wie die Pest, Pickett«, faucht O’Hara heiser. »Und wenn nicht dieser Schuft hinter mir die Schrotflinte in meinen Rücken drücken würde, so…« Gray Pickett unterbricht ihn.
»Selby, nimm die Flinte weg und geh zur Seite! – Ich will ihm eine Chance geben!« Nun stehen sich die beiden Männer gegenüber. Sie sehen sich an. O’Hara trägt zwei Colts. Sein bleiches Gesicht verzerrt sich. Gray Pickett lächelt ihn scharf an. Seine Linke hängt über dem Colt. »Nun, Freund, du kannst anfangen«, sagt er. »Du bist doch der gefährliche Black Stan O’Hara! Du kannst jetzt für alle Niederlagen Revanche nehmen! Was willst du noch? – Also!« Stan O’Hara beugt sich aus den Hüften heraus vor. Ein leichtes Zittern läuft durch seine lange, knochige Gestalt. Gray sieht fest in die Augen des Mannes. Plötzlich erscheint der Ausdruck von Zweifel in O’Haras Augen. Er seufzt ungewollt, und er erkennt an diesem Seufzer, daß ihm das nötige Selbstvertrauen fehlt. Zum ersten Mal in seiner – traurig-berühmten und berüchtigten – Laufbahn als Revolvermann passiert es ihm, daß er einem Mann gegenübersteht, dessen eiskalte Ruhe und Nervenkraft ihn zermürben. Wenn Gray Pickett jetzt nach dem Colt griffe, würde Stan O’Hara natürlich ziehen – aber er bringt es nicht fertig, selbst den Anfang zu machen und sein Glück herauszufordern. In Caddo und auf dem Weg nach Dodge City sind zu viele Dinge passiert, die diesem Banditen sein Selbstvertrauen genommen haben, aber nur gegenüber Gray Pickett. »Soll ich Selby Fox hinausschicken?« fragt Gray sanft. »Nein, ich gebe es für heute auf – ich werde dich zu einer anderen Stunde und an einem anderen Ort stellen«, murmelt O’Hara und bewegt sich langsam auf Gray zu. Der versperrt ihm den Weg. Nun stehen sie sich nur zwei Schritte gegenüber. Gray lächelt freudlos. »O’Hara«, sagt er, »du wirst jetzt immer wieder vor mir kneifen. Wenn du es eines Tages gegen mich versuchen wirst,
dann nur aus dem Hinterhalt. Du bist ein feiger Kerl geworden, Stan O’Hara. Dein Haß auf mich wird mit jeder Stunde wachsen. Wenn du an mich denkst, so wird dir immer wieder einfallen, daß du vor mir gekniffen hast. Aber du wolltest mich hier im Stall stellen. Du wolltest mich hier zerbrechen. Ich sollte euch den Erlös der Herde in die Hände spielen. Ohne meinen prächtigen Partner Selby Fox wäre ich jetzt tot. Du kommst nicht so leicht davon.« Die letzten Worte stößt Gray warnend aus. Dann springt er Stan O’Hara an. Der will jetzt doch mit beiden Händen die Waffen aus den Halftern reißen. Aber Gray Pickett trifft ihn schon rechts und links. Als er keuchend abläßt, da sagt Selby Fox heiser: »Das war also für Jack Harris, der beim Überfall auf die Herde getötet wurde. Und es ist zuwenig, was wir diesem Tiger dafür zahlen. Wenn er doch mit den Colts gekämpft hätte, Gray!« »Vielleicht hätte er mich aber getötet«, murmelt dieser bitter und sieht den kleinen Cowboy an. »Du warst zur richtigen Zeit am richtigen Ort, Selby.« »Das stimmt«, knurrt Selby. Er sieht ernst zu Gray Pickett auf, legt ihm die Hand auf den Arm und sagt bitter: »Weil er und der Rest seines Rudels zu schwach waren, hat er die ›Höllen-Parkers‹ für diese Sache interessiert. Ich weiß genug über diese vier Brüder, um etwas von der Hölle zu ahnen, die sie uns noch bereiten werden. Und sie machen es nicht allein. Es wird eine schlimme Bande sein, die uns das Geld…« »Wir werden sehen.« Gray grinst. * Gray Picketts Treibmannschaft bezieht eine halbe Meile vor � der Stadt am Rand eines Baches und im Schutz eines kleinen �
Wäldchens ihr letztes Camp. Da auch die mitgeführte Pferderemuda bis auf ein Ersatzpferd für jeden Mann verkauft wird, gibt es nichts mehr zu bewachen außer den Pferden und den beiden Wagen. Gray Pickett versammelt die Mannschaft um sich. In den Augen der meisten Boys erkennt er ein gieriges Verlangen nach Vergnügen. Er weiß, daß er sie nicht davon abhalten kann. »Nun gut«, sagt er zu ihnen. »Wir reiten jetzt in die Stadt. Ich brauche euch nicht zu sagen, daß es eine schlimme Stadt ist. Eine ganze Menge Wölfe und Hyänen warten darauf, euch die Dollars wieder abnehmen zu können. Wir bleiben zwei Tage. Dann werdet ihr mit Windy Chester den Heimweg antreten. Windy bringt all die Burschen nach Caddo zurück, die heim wollen. Ich selbst werde schneller als ihr reiten müssen.«, »He, willst du ohne uns das viele Geld nach Caddo bringen?« fragt Windy Chester. »Yeah, so habe ich mehr Chancen«, nickt Gray. »Du bringst die Söhne der Creek-Rancher heim. Du wirst Mühe genug haben, sie fort von der Whiskytränke und den Mädchen in die Sättel zu bekommen. Ich habe keine Zeit dazu, mich darum zu kümmern. Macht euch fertig. Wir reiten in zehn Minuten in die Stadt.« Als die Mannschaft jubelnd auseinanderläuft, winkt Gray Big Bill, Windy Chester und Selby Fox zu sich heran. Er geht mit ihnen ein Stück vom Camp weg und bleibt stehen. »Bill«, sagt er, »du wirst im Saloon mit mir Streit beginnen. Wir werden uns etwas prügeln müssen. Du kannst mich besiegen. Es soll so aussehen, als hätten wir unterwegs eine Menge Verdruß miteinander gehabt. Und dann pfeifst du auf mich und die Mannschaft. Verstehst du das?« »Ich verstehe nur, daß ich dich verprügeln kann«, grinst Bill. »Das freut mich mächtig!« »Du darfst es nicht sehr schlimm machen, denn ich muß aus
einem Stück bleiben, damit ich den Heimweg nach Texas antreten kann«, lächelt Gray. »Ich werde nämlich von Mister Tamalan, das ist unser Viehaufkäufer, ein Paket erhalten, in dem sich kein Geld, sondern nur wertloses Zeitungspapier befindet. Damit werde ich höllisch schnell losreiten und die ganze Bande, die es auf dieses Geld abgesehen hat, hinter mir herlocken. Ich denke, daß ich alle hungrigen und zweibeinigen Wölfe eine Weile beschäftigen und ihnen einige Tricks zeigen kann. Auf diese Weise wird der Weg für dich und Selby frei. Denn du, Bill, holst das richtige Geldpaket von Mister Tamalan. Du und Selby, ihr bringt das Geld nach Caddo. Habt ihr mich verstanden?« Sie antworten nicht gleich, sondern starren ihn schweigend an. Erst nach einer Weile knurrt Selby bitter: »Du willst also den Anschein erwecken, als hättest du das Geld. Du willst eine ganze Meute hungriger Wölfe hinter dir herlocken, damit wir gefahrlos mit dem Geld nach Texas zurückreiten können?« Gray grinst. »Es wird nicht ganz gefahrlos sein. Ihr dürft die Indianer nicht vergessen. Und wenn mich meine Verfolger schnell erwischen oder ich bald in einen Hinterhalt reite, so dürfte euer Vorsprung nicht sehr groß sein. Denkt auch an Tobias Shanessy, der gewiß einen netten Empfang vorbereitet hat.« Big Bill klatscht sich plötzlich gegen die Stirn. »Oha, ich soll also mit dir einen Streit beginnen, damit niemand von den schlechten Burschen dieser Stadt auf die Idee kommt, daß ich der Mann bin, der…« »Richtig, dich darf niemand mehr mit der Caddo-Mannschaft in Verbindung bringen. Wenn du dann die Stadt verläßt, wird Selby erst unterwegs zu dir stoßen. Windy wird den Rest der Mannschaft nachbringen. Wenn ihr mit dem Geld allein reitet, so könnt ihr euch leichter verbergen. Selby kennt das Land und die Indianer. Vielleicht könnt ihr durchkommen, ohne kämpfen
zu müssen, und vielleicht kann ich die ganze Bande lange genug an der Nase herumführen. Wenn die ganze Mannschaft geschlossen heimreiten würde, ginge es langsamer. Eine solche Menge Reiter kann sich schlechter verbergen. Es würde Kämpfe geben. Wir haben Jack Harris und Monty Sanders unterwegs verloren. Viele Boys wurden verwundet. Nein, dies hier ist unsere Sache.« »Ich werde mein Bestes tun«, murmelt Big Bill. »Wenn du mir das Geld anvertraust, so ist das wohl eine Anerkennung?« »Du bist treu, du kannst kämpfen. Und Selby heißt nicht nur Fuchs, er ist auch einer. Ist das klar?« Selby Fox grinst, und Big Bill Tomson fragt: »Darf ich dir ein blaues Auge schlagen, Boß?« »Wenn nur mein Kopf dabei auf den Schultern bleibt«, sagt Gray und grinst. * Zwei Stunden später betritt Gray Pickett den Lonestar Saloon. Er hat sich eben von Mister Tamalan zweitausend Dollar auszahlen lassen. An dem langen Schanktisch hat sich seine Mannschaft aufgereiht. Sie trinken schon auf Vorschuß, und alle sind rasiert und tragen neue Hemden. Sie begrüßen ihn brüllend vor Freude, nur Big hält sich etwas abseits und zeigt ein mürrisches Gesicht. Er spielt die ihm zugedachte Rolle schon sehr gut. Bevor Gray Pickett sich an einen Tisch setzt, um seine Reiter auszuzahlen, sieht er sich in dem großen Raum schnell um. Er entdeckt Jim Parker. Auch Parkers drei Brüder sind da. Sie sitzen in der Ecke an einem runden Tisch und pokern. Gray zahlt die Boys aus, erhebt sich dann und ruft: »Jungens, nachdem nun alles erledigt ist, spendiere ich erst einmal die ersten drei Runden Whisky!« Inmitten seiner Reiter tritt er an die Bar. Sie bilden eine
bewegte Gruppe, die Witze reißt. Die Barkeeper bedienen schnell. Als es einmal eine halbe Sekunde ruhig ist, dröhnt Big Bills tiefer Baß. Er spricht zu einem Barkeeper, der ihm ein Glas zuschiebt, und sagt: »Für mich keinen spendierten Whisky, Freund. Ich lasse mir von diesem großspurigen Treiberboß keinen Whisky einschenken. Ich bin Big Bill Tomson, der beste Frachtwagenfahrer auf dieser Erde. Und ich bin mächtig froh, daß mein Vertrag nun beendet ist und ich für diesen großmäuligen Mister Pickett nicht mehr zu arbeiten brauche!« Schon bei Big Bills ersten Worten wurde es still. Seine tiefe Stimme reichte bis in die Ecken des Raumes. Alle Augen richteten sich auf Gray Pickett. Die Boys, die ihm zunächst stehen, weichen zur Seite, so daß zwischen ihm und Big ein freier Raum ist. An den Tischen erheben sich neugierige Männer. Es bildet sich ein großer Halbkreis, als Gray Pickett fragt: »Was ist los, Bill? Ich denke, du hast es unterwegs vergessen, daß ich dich zurechtstutzen mußte?« »Nichts habe ich vergessen, großmächtiger Mister Pickett. Ah, ich hatte in Fort Worth ein gutes Mädel sitzen, und du hast mir keinen Urlaub gegeben, als wir daran vorbeizogen. Du bist ein Drecksack, Mister Pickett!« Big Bill ergreift während seiner Rede eine volle Whiskyflasche und schlägt ihr an der Schanktischkante den Hals ab. Dann trinkt er, ohne Gray dabei aus den Augen zu lassen. Es ist immer noch still im Saloon. Aber dann erklingt von dem Tisch der Parkers eine leise und kichernde Stimme herüber. »Er hat ihn wahrhaftig Drecksack genannt! Oh, dieser Pickett muß wohl unterwegs ein sehr harter Boß gewesen sein. Ob er ihn dafür jetzt totschießt?« Gray sieht Big Bill an und löst dabei langsam die Schnalle
seines Waffengurtes. »Du bist so groß und so stark wie ein Ochse, Big Bill«, sagt er scharf. »Aber ich werde dich jetzt zum zweiten Mal verprügeln. Und dann wirst du meinen Whisky trinken. Du warst unterwegs noch dickschädeliger als deine Maultiere. Los, Bursche, komm schon!« Er springt den Riesen an, und er trifft ihn rechts und links mit schweren Schwingern. Bill Tomson brüllt heiser auf, schnauft, geht zurück und wirft sich dann wieder knurrend vor. Der Kampf sieht sehr echt aus. Jeder Zuschauer hat den Eindruck, als würde hier ein auf dem Treibweg entstandener Groll bereinigt werden. Big Bill hämmert seine riesige Faust gegen Grays Kinnwinkel. Er stößt Gray mit der Linken von sich und schlägt die Rechte nochmals an Grays Kopf. Gray muß sich am Schanktisch festhalten. Aber er duckt im letzten Moment Bills Linke ab, stößt ihm die Rechte in die Achselhöhle und zieht einen linken Aufwärtshaken hoch. Als Bill zurücktaumelt, folgt ihm Gray. Sie tauschen wilde Schläge aus. Bill fällt mit dem Rücken über einen Tisch, wälzt sich herunter und wirft sich vom Boden aus knurrend gegen Grays Beine. Der stürzt, und sie wälzen sich knurrend und schnaufend über die mit Sägespänen bestreuten Bretter. Aber dann kniet Big Bill über seinem Gegner. Er trifft ihn rechts und links. Dann stemmt er sich hoch, reißt Gray auf die Füße und trifft abermals hart. Gray spielt den angeschlagenen Mann, und er muß sich dabei nicht mal besonders anstrengen, denn in seinem Kopf summt es. Big Bill treibt ihn mit Schlägen auf die Schwingtür zu. Gray marschiert rückwärts durch die Schwingtür und setzt sich draußen mit hörbarem Krach auf die Bretter. Er starrt mühsam zu Big Bill hoch, der breit in der Schwingtür steht und die Flügel geöffnet hält. »Hier kommst du nicht mehr herein, du lausiger
Kuhschwanzverdreher. In einen Saloon, in dem ich Gast bin, da kommst du nicht mehr hinein!« So brüllt Big Bill. Gray aber meint, daß es nun genug wäre. Er legt sich auf den Rücken und breitet die Arme aus. Er wirkt ganz wie ein geschlagener Mann, der aufgibt und sich nicht mehr erheben kann. Und weil Big Bill ein solch gewaltiger Riese ist, wirkt die ganze Sache sehr echt. Big Bill lacht voller Triumph. Er wendet sich wieder in den Saloon zurück und geht zu seiner Flasche. Als er getrunken hat, starrt er die Mannschaft an. »Jetzt habt ihr gesehen, was ich mit ihm mache, wenn er keinen Colt zur Hand hat. Soll ich euch auch noch verprügeln? Ihr habt doch manchmal faule Witze über mich gemacht, weil ich nur ein Frachtkutscher bin und ihr Kuhtreiber euch für eine besondere Klasse haltet! He, wie wollt ihr es haben?« Einige Burschen, die ja nicht wissen, daß dieser Kampf nur ein abgemachtes Spiel war, wollen sich schon in Bewegung setzen. Aber Windy Chester ruft: »Laßt diesen Bullen! Laßt ihn nur! Kein Mensch, der etwas auf sich hält, kämpft gegen einen solchen Steinzeitmenschen. Ah, Selby! Wir müssen nach dem Boß sehen!« Er nimmt Grays Waffengürtel vom Schanktisch und geht hinaus. Chuck Lane und Selby Fox folgen ihm. Übrigens – Selby Fox hat immer noch seine Schrotflinte bei sich, deren Kolben und der Doppellauf abgesägt sind. Sie gehen also hinaus. Die anderen Boys der Mannschaft bezahlen grimmig ihre Zeche und gehen dann zum Tanzsaal hinüber. Nur Big Bill bleibt zufrieden am langen Schanktisch stehen. Als er wieder einmal die Flasche absetzt, tritt ein Mann zu ihm. Es ist Jim Parker. »Du kannst kämpfen, Freund«, sagt Parker, und er starrt aufmerksam in Big Bills Gesicht. Aber er sieht deutlich die
Spuren von Gray Picketts Fäusten. Big Bills Gesicht sieht übel aus. Jim Parker erkennt, wie hart Gray Pickett diesen Riesen getroffen hat. »Willst du in Dodge City bleiben, Freund?« fragt er. »Ich bin nicht dein Freund«, knurrt Big Bill, zahlt seine Zeche und verläßt den Saloon. Er geht mit langsamen Schritten zum nächsten Speisehaus hinüber. Dort setzt er sich hinter einen Tisch und beschäftigt sich drei Stunden damit, möglichst viele Portionen zu vertilgen. * Indes erreichen Gray Pickett, Selby Fox, Chuck Lane und Windy Chester ihr Camp vor der Stadt. Gray schwankt noch, als er aus dem Sattel rutscht. »Verdammt«, knurrt er, »dieser Bulle hat es sehr echt gemacht. Und es hat ihm wirklich Spaß bereitet, mich verprügeln zu können. Ich werde bis übermorgen mittag nichts anderes tun als mich ausruhen und tüchtig essen. Ihr werdet euch um meinen Mister Speck kümmern müssen, der im Mietstall Kräfte sammelt.« Er holt sich seine Bettenrolle, legt sich unter den Wagen und schläft ein. * Als Gray am späten Vormittag erwacht, sind die Boys immer noch nicht aus der Stadt zurück. Windy Chester ist zu den Verladekorrals hinüber, um das Zählen der Herde zu überwachen. Chuck Lane kommt aus der Stadt zurück. Er hat etwas Proviant eingekauft und sich nach den Boys umgesehen. Als Chuck aus dem Sattel rutscht und Gray sich aus den Decken rollt, da kommt auch Selby Fox mit seiner jetzt unvermeidlichen Schrotflinte unter den Bäumen hervor.
Chuck Lane grinst. »Ich habe einige von den Jungens gesehen«, berichtet er. »Bruce Harris sitzt bei einem scharfen Pokerspiel. Er hat eben sieben- und achthundert Dollar gewonnen, und es sieht nicht so aus, als würde die Pokerrunde sich vor den nächsten zwei Tagen auflösen. Und Frank Nicol ist bei Bruce Harris und spielt den wachsamen Wolf. Ben Texter liegt vollkommen betrunken im Stroh des Mietstalls. Bob und Tom Tucker sind bei Windy und helfen ihm bei der Zählkontrolle. Von den anderen Boys habe ich nichts gesehen und nichts gehört. Halt! Bill McLane soll gestern abend noch mit einem Mädchen aus der Stadt geritten sein. Und Big Bill Tomson hat sich zum Frühstück einen Puter braten lassen.« Gray Pickett grinst nur wortlos. Darauf wäscht und rasiert er sich. Wenig später reitet er mit Selby Fox zu den Verladecorrals hinüber. Windy tritt ihnen entgegen und grinst. »Zweitausendneunhundertundsiebzig Rinder und siebenundfünfzig Pferde sind es«, meldet er. »Hier ist die Quittung von Tamalans Vormann.« Gray Pickett nickt. Dann reiten sie alle zur Stadt hinüber. Gray besucht den Viehaufkäufer und hört, daß er morgen mittag bestimmt das Bargeld bekommen wird, das heißt, Gray wird nur ein Paket bekommen, in dem sich Papier befindet. Tamalan lächelt, als er sagt: »Ich habe gehört, daß Sie gestern mit diesem Big Bill Tomson, der das richtige Geldpaket übernehmen soll, eine Prügelei hatten. Das war geschickt gemacht. Dieser Big Bill hat mich im Speisesaal angesprochen. Er will mir seinen Frachtwagen und das Sechsergespann verkaufen. Ich habe ihn morgen eine Stunde nach Mittag zu mir bestellt. Bei dieser Gelegenheit kann ich ihm unauffälliger die rund vierzigtausend Dollar übergeben.« Gray Pickett ist mit diesen Nachrichten zufrieden. Als er bald
danach seinen neubeschlagenen Pinto aus dem Hof der Schmiede führt, kommt ihm der Marshal entgegen. »Es hat sich herumgesprochen, daß Tamalan Ihnen morgen mittag den Erlös der Herde in bar auszahlen will«, sagt der Marshal ernst. »So ist es«, nickt Gray. Der Marshal betrachtet sich Grays Pferd. Dann nickt er. »Nun, dieser scheckige Wolf ist wohl für zweihundert harte Meilen gut«, murmelt er. »In dieser Stadt wird Ihnen nichts passieren, Mister. Aber sobald Sie mit dem Geld die Stadt hinter sich haben, werden einige schlimme Burschen sich auf ihre Fährte setzen. Und niemand kann Ihnen helfen. Zum Teufel, warum lassen Sie sich keinen Scheck auf eine Bank in der Heimat geben?« »Meine Partner in Texas, leben in einem einsamen County. Sie müssen das Bargeld am 24. August zur Verfügung haben. Durch Banküberweisungen geht es zu langsam. Und wenn ich mir das Geld in Fort Worth hole, verliere ich fünf Tage Zeit. Ich werde schon durchkommen, Marshal. Deshalb reite ich ja auch allein. Diese zweibeinigen Wölfe werden meine Fährte verlieren.« »Vielleicht«, murmelt der Marshal. »Viel Glück, Mister.« Er geht weiter. Gray nimmt seinen Schecken diesmal mit zum Camp, holt sich aus dem Mietstall jedoch vorher einen Sack mit Kraftfutter. Schon jetzt sieht Mister Speck bedeutend besser aus als gestern. Sein struppiges Fell hat bereits einen gewissen Glanz bekommen. * Am Mittvormittag des nächsten Tages ist die gesamte Mannschaft bis auf Big Bill im Camp versammelt. Gray Pickett sitzt unter einem Baum und reinigt seine Waffen, als sie sich
alle nähern und einen Halbkreis um ihn bilden. »Boß«, sagt Selby Fox, »du mußt es ihnen selbst einhämmern, warum du allein reiten willst. Sie bilden sich ein, daß sie dich nicht allein reiten lassen dürfen. Sie wollen dich und das Geld beschützen. Und sie sind alle ziemlich nüchtern und haben sich ausgetobt, so daß ihr Verstand deine Rede vielleicht erfassen kann.« Gray sieht die Boys an. »Ihr alle reitet mit Windy Chester und Chuck Lane heim«, sagt er. »Ich will es so haben. Und ich will es euch ganz genau erklären. Das kann ich jetzt tun, denn bevor ihr euch wieder betrinkt und damit die Gefahr besteht, daß ihr meinen Trick in eurer Trunkenheit verraten könntet, bin ich schon über alle Berge und habe alle bösen Buben hinter mir hergelockt.« Er erklärt ihnen nun alles. Als sie erfahren, daß sein verlorener Kampf mit Big Bill nur abgemachte Sache war, grinsen sie erleichtert. Es hat ihnen sichtlich nicht gepaßt, daß ihr Boß geschlagen wurde. Gray Pickett schließt mit den Worten: »Ich reite also in einer Stunde. Nach einer weiteren Stunde wird Big Bill aufbrechen. Unterwegs wird Selby Fox zu ihm stoßen. Sie werden schnell nach Süden reiten. Ihr aber brecht morgen in aller Frühe auf. Chuck wird auch den Küchenwagen verkaufen. Ihr reitet mit Packpferden. Vielleicht gelingt es mir, das gierige Rudel lange genug hinter mir herzulocken. Ich werde weit nach Osten ausweichen und dann wieder nach Südwesten abbiegen. Durch meinen Umweg haben Big Bill und Selby die Chance, vor mich und meine Verfolger zu kommen. Vielleicht finde ich unterwegs eine gute Verteidigungsstelle. Dann wird mich das Rudel belagern. Da ihr aber ganz zuletzt kommt, werdet ihr vielleicht Schüsse hören. Und wenn ihr dann unbedingt kämpfen wollt, so könnt ihr mich ja aus der Patsche holen. Wenn wir dann schnell genug reiten, können wir vielleicht Big Bill und Selby
einholen.« Er grinst und spricht dann weiter. »Ich wollte erst mit Big Bill und Selby die ganze Sache allein machen, damit ihr nicht nochmals kämpfen müßt. Aber ich sehe ein, daß ihr ein Anrecht darauf habt, an dieser Sache beteiligt zu sein. Und nun wißt ihr ganz genau, wie wir es machen werden. Es gehört jedoch eine Menge Glück dazu, wenn dieser Plan klappen soll.« Die Augen der Männer leuchten. Dann holen sie sich alle ihre Pferde, sitzen auf und reiten in die Stadt. Vor dem Büro warten sie dann. Auf der Straße haben sich einige Menschen angesammelt. Drüben beim Lonestar Saloon stehen die vier »Höllen-Parkers«. Lee Cotton und einige andere Kerle sind bei ihnen. Sie beobachten scheinbar ganz träge und gelangweilt. Es sieht so aus, als lümmelten sie nur in der Sonne herum, um auf die Zeit des Mittagessens zu warten. Aber die lange Reihe von Pferden, die an den Haltestangen steht, spricht für sich. Hinter jedem Sattel ist ein Bündel aufgeschnallt. In allen Sattelhalftern stecken Gewehre. Die Besitzer dieser Pferde haben sich für einen langen Ritt ausgerüstet – für eine lange Jagd. Und die Tatsache, daß sie hier in der Stadt erst einmal abwarten und nicht schon vorausgeritten sind, um irgendwo einen Hinterhalt zu stellen, beweist, daß sie damit rechnen, daß Gray Pickett nicht den üblichen Weg reiten wird. Gray betritt allein das Büro. Mister Tamalan nickt ihm ernst zu und deutet auf zwei Satteltaschen, die sichtlich gefüllt sind. »In jeder Tasche ist ein Paket mit wertlosem Papier«, sagt er. »Und ich habe gestern Ihrem Wunsche entsprochen und einigen Leuten erzählt, daß sie sich jetzt das Geld holen, um allein zu einem Gewaltritt nach Texas aufzubrechen. Pickett, ich weiß nicht, ob Ihr Plan klappen wird. Ich kann Ihnen nur Glück wünschen.«
»Danke, Tamalan, danke. Geben Sie Big Bill nur unauffällig das Geld. Und meine Mannschaft wird mich aus der Stadt geleiten. Wenn ich erst einige Meilen hinter mir habe, ist mein Pferd nicht mehr zu schlagen. Mein Pinto wird nach zehn Meilen erst richtig warm. Wir werden sehen.« Sie drücken sich die Hände. »Viel Glück auf dem Weg nach Texas, Gray Pickett!« Er bringt ihn bis zur Tür. Er sieht die wartende Mannschaft. Er sieht, wie Gray Pickett die Satteltaschen festschnallt und aufsitzt – und er sieht auch die wachsame Gruppe der Langreiter und Revolverhelden drüben vor dem Lonestar Saloon. Gray sitzt auf. Die Mannschaft folgt ihm. Als Gray am Lonestar Saloon vorbeireitet, sieht er Jim Parker an. Der grinst, zeigt blitzend seine Zähne und wirkt mit seiner dunklen und geschmeidigen Erscheinung wie ein schwarzer Panther. Er hebt sogar die Hand, winkt lässig und ruft: »Viel Glück, Texasmann! Vielleicht sehen wir uns mal gelegentlich wieder!« »Vielleicht, alter Freund, vielleicht! Und grüße den netten Stan O’Hara von mir!« Gray ruft es halblaut zurück. Dann schweift sein scharfer Blick schnell über die Gesichter der anderen Männer, die hier vor dem Saloon so lässig in der Sonne herumlümmeln. Er liest Gier und eine wilde Freude in ihren Augen. Zehn Minuten später erreichen sie das Camp. Hier bringt Chuck Lane ein zweites Pferd für Gray. Es ist ein starkknochiger Wallach, der sehnig und mager wirkt. Dieses Tier ist fast so schnell und so ausdauernd wie Grays Pinto. Er wird die beiden Tiere unterwegs abwechselnd reiten. »Also, Boys, macht alles richtig! Wir sehen uns eines Tages irgendwie und irgendwo!« Er ruft es kurz und reitet an. Sie sehen ihm nach.
Windy Chester knurrt nach einer Weile: »Oh, er wird ihnen viele Tricks zeigen und Rätsel aufgeben, bevor sie merken, daß er sich von ihnen nur stellen läßt, damit wir über sie herfallen. Hoffentlich klappt alles nach Maß.« Als er verstummt, kommt Big Bill Tomson ins Camp geritten. »Na, ihr Armleuchter«, sagt er rauh, »ihr habt ja noch gar keine Tränen in den Augen. Euer lieber Boß ist weg; er hat das ganze Geld bei sich. Daran könnt ihr sehen, was er von dieser lausigen Mannschaft hält. Er macht es lieber allein. Da braucht er nur auf sich selbst aufzupassen.« »Du brauchst vor uns deine Rolle nicht mehr zu spielen, wenn wir unter uns sind«, grinst Chuck Lane. »Was willst du überhaupt hier, du Büffel?« »Ich hole den alten Wagen und meine sechs Maultiere«, knurrt Big Bill. »Ich verkaufe sie an Mister Tamalan… Ah, warum hat der Boß euch nur erzählt, daß mein Kampf mit ihm nicht ernst war? Bildet euch nur nicht ein, daß ich ihn nicht hätte schlagen können!« Brummend und fluchend spannt er seine sechs Maultiere an den Wagen und fährt in die Stadt. Sein Sattelpferd hat er hinten angebunden. Er fährt vor Tamalans Büro und geht hinein. Wenig später kommt er mit dem Viehhändler heraus. Tamalan sieht sich die Maultiere an und sagt laut genug, so daß es einige umherstehende Neugierige hören können: »Also, dreißig Dollar für jedes Maultier. Für den Wagen gebe ich fünfzig Dollar.« »Gemacht«, grinst Big Bill und folgt dem Mann ins Büro. Hier übergibt Tamalan ihm einige flache Pakete, die Big Bill an verschiedenen Stellen in seiner Kleidung verbirgt, »Jim Parker, seine Brüder und ein Dutzend anderer Kerle sind vor einer halben Stunde nach Norden zu aus der Stadt geritten«, sagt Tamalan. »Die ganze Stadt weiß, daß die Bande einen Bogen schlagen und sich auf Gray Picketts Fährte setzen
wird. Aber niemand im ganzen Land wird eines Tages beweisen können, was unterwegs in der einsamen Prärie geschieht. Passen Sie nur gut auf sich und das Geld auf, Bill Tomson.« »Ich bin Big Bill«, grinst dieser und geht hinaus. Er setzt sich auf sein riesiges Sattelpferd und reitet aus der Stadt. Er reitet durch den westlichen Ausgang. Er hat gestern schon in einem Saloon zu neugierigen Fragern gesagt, daß er bald nach Denver reiten wolle, wo ein Freund von ihm eine neue Frachtlinie eröffnet hätte. Dicht hinter dem Stadtausgang beginnt ein Wäldchen, in dem Selby Fox auf ihn warten soll. Als Big Bill in den Hohlweg reitet, kommt ihm ein Reiter entgegen. Er hält sein Pferd an und wartet, bis der Reiter vor ihm anhält. Es ist Black Stan O’Hara. Und obwohl sein Gesicht von Gray Picketts Fäusten immer noch stark gezeichnet ist, grinst er Big Bill an. Bill grinst zurück und sagt: »Hallo, Bruderherz! Du bist also nicht bei der Bande, die Gray Pickett das viele Geld wegnehmen will? Bist du denn ein anständiger Mensch geworden?« »Ich bin nur schlauer als die anderen«, Stan O’Hara grinst triumphierend. »Die Sache mit dem Geld war mir zu offensichtlich. Er hat vor den Augen der ganzen Stadt das Geld geholt und ist davongeritten. Und du hast dich mit ihm geprügelt. Ah, es kann alles wirklich so sein, wie es aussieht, aber es kann auch wieder ein neuer Trick sein, Bulle. Ich habe da ein paar bestimmte Ideen. Vielleicht gehören mir die vierzigtausend Dollar schon in einer halben Minute!« Er zieht plötzlich seinen rechten Colt. Das geschieht so schnell, daß es Big Bill wie ein Zauberkunststück vorkommt. Er läßt Big Bill in die Coltmündung sehen und sagt: »Also, laß mal sehen, was du in deinen Taschen hast. – Los, du Büffel! Heraus mit dem Geld!«
Big Bill schnauft. Aber dann sieht er Selby Fox zwischen den Bäumen auftauchen. »Paß auf, O’Hara!« ruft der kleine Reiter scharf. O’Hara läßt sich beim ersten Wort sofort aus dem Sattel fallen. Noch bevor er die Erde berührt, wirft er sich herum und schießt. Aber er trifft den kleinen Mann nicht. Selby Fox und Big Bill schießen beide zur selben Sekunde. Und sie treffen beide. Als sie dann weiterreiten, meint Selby Fox grimmig: »O’Hara hatte eine ganz gute Idee, aber sie war nicht gut genug. Er hatte vergessen, daran zu denken, daß ich hier auf dich warten könnte.« * Indes reitet Gray Pickett schnell nach Osten. Er hält sich in der Nähe des Arkansas River und durchfurtet diesen zehn Meilen östlich von Dodge City. Er reitet bis zum Anbruch der Nacht nach Osten. Alle zwei Stunden wechselt er die Pferde. Das Land um ihn herum ist wild und unübersichtlich – und das ist gut. Bei Dunkelheit rastet er auf einem flachen Hügel. Er sorgt gut für die Pferde, reibt sie ab und massiert sie, ißt ein kaltes Abendbrot und raucht eine Zigarette. Eine halbe Stunde liegt er dann bewegungslos auf dem Rücken und starrt zu den Sternen hoch. Er denkt an seine Aufgabe, an den langen Heimweg – an Big Bill und Selby, an die Mannschaft – an seine Verfolger und an alle noch bevorstehenden Schwierigkeiten. Gray überlegt sich alles noch einmal ganz genau. Plötzlich aber schweifen seine Gedanken in eine ganz andere Richtung. Das Gesicht eines Mädchens entsteht vor seinen Augen.
Er stellt sich Joyce Scorby vor und versucht, sich an ihre Stimme zu erinnern. Ein frohes Gefühl ist in ihm. Er ist plötzlich fest davon überzeugt, daß auch sie in dieser Minute an ihn denkt. »Vielleicht sieht sie jetzt ebenfalls zu den Sternen hinauf«, murmelt er. Und er wünscht sich stark, daß er gesund heimkehren könnte. Als er kurz nach Mitternacht die Wasserscheide eines Passes überreitet, ist der 28. Juli angebrochen. Und in genau achtundzwanzig Tagen sind die »hundert Tage« abgelaufen. Dann muß das Geld in Caddo sein. – Oder Tobias Shanessy übernimmt die sechs Ranches am Creek. Indes er reitet, denkt Gray auch an Tobias Shanessy, der sich damals in Missouri Jack Carter nannte und dessen Reiter Grays Vater töteten und die kleine Ranch der Picketts abbrannten. Irgendwie fühlt Gray Pickett schon jetzt, daß er mit Tobias Shanessy noch zusammenstoßen wird. * Als er gegen Anbruch des Tages auf eine Ebene kommt, wendet er sich nach Süden. Es gibt keine Wege in diesem Land. Gray sieht viele Büffelfährten. Die Ebene ist mit Bauminseln bedeckt. Es gibt einige Senken und kleine Bodenwellen. Er rastet gegen Mittag an einem Creek und hält dabei immer wieder scharf Ausschau. Am späten Nachmittag erreicht er eine neue Bergkette und findet sofort den alten Büffelweg, der ihn mit Sicherheit über den richtigen Paß nach Süden bringen wird. Unterwegs zur Wasserscheide hält Gray auf einer grünen Bergterrasse an. Und da sieht er im Norden die Staubwolke. Sein erfahrenes Auge erkennt sofort, daß diese Staubwolke von Reitern erzeugt wird. Er holt das Fernglas hervor, zieht es auseinander und hält
es vor das rechte Auge. Nachdem er es auf einem Keil zwischen den fernen Bodenwellen eingestellt hat, wartet er. Dann sieht er das Rudel. Es sind siebzehn Mann. Sie reiten schnell. Sie reiten auf Grays Fährte. – Siebzehn schlimme Banditen, von denen die meisten in vielen Staaten steckbrieflich gesucht werden und die sich in der offenen Treibherdenstadt Dodge City zusammengefunden haben. Gray Pickett erkennt Jim Parker an der Spitze des Rudels. Er lächelt hart, steckt das Glas weg und dreht sich eine Zigarette. Rauchend wartet er, bis er das Rudel auch mit bloßen Augen gut erkennen kann. Damit geht er vorläufig kein Risiko ein, denn seine beiden Reitpferde haben sich inzwischen erholen können, und der Paßanstieg wird den Tieren der Verfolger den Rest geben. Er will sicher sein, daß sie ihm auch wirklich folgen. Er will sich ihnen zeigen. Als das Rudel den Aufstieg zum Paß beginnt, wirft Gray die zweite Zigarettenkippe weg und sitzt auf. Er nimmt das andere Pferd an die Leine und reitet erst einmal bis zum Rand der Terrasse. Es ist dunkler geworden. Die Sonne steht wie ein roter Ball in einem fernen Keil zwischen den Bergen im Westen. Aber es ist noch hell genug, daß die Bande den Reiter auf der Terrasse erkennen kann. Die Entfernung beträgt nur eine halbe Meile. Gray sieht, wie sie zu ihm hinaufdeuten, wie sie sich verständigen. Dann sieht er Jim Parker mit der Hand winken. Gray grinst und winkt zurück. Er weiß Jim Parkers Winken gut zu deuten. Es heißt soviel wie: Wir erwischen dich, Mister! Du entkommst uns nicht! Der Weg ist noch lang! Und sein Zurückwinken sagt dem Anführer des Rudels: Versucht es nur, Gents! Versucht es nur! Ich nehme die Wette an! Meile um Meile legt Gray zurück. Er reitet die ganze Nacht. Gegen Morgen kommt er in ein weites Tal.
Und im Osten des Tals liegt eine große Ranch. Er sieht sie im Morgenlicht einige Meilen entfernt am Fuß eines Hügels liegen. Sofort flucht er bitter, denn er weiß, daß nun das Rudel sehr bald mit frischen Pferden hinter ihm aufrücken wird. Als die Nacht anbricht, sind sie dicht hinter ihm. Seine beiden Pferde, die er stündlich wechselt, sind am Ende ihrer Kraft. Die Tiere stolpern, und sie stöhnen und keuchen. Die Dunkelheit kommt zur rechten Zeit. Nach fünf weiteren Meilen mündet die Schlucht in eine weite Ebene. Gray folgt dem Lauf eines Creeks. Der Mond leuchtet. Bei einer Bauminsel hält er an. Er ist sattelmüde und erschöpft, aber er reibt seine Pferde ab, massiert die verkrampften Muskeln der keuchenden Tiere und läßt sie nur wenig trinken. Dann wirft er sich auf den Boden und schläft sofort ein. Im Morgengrauen macht er sich zwischen den Büschen ein kleines Feuer. Er muß endlich einmal etwas Warmes in den Magen bekommen. Er kocht sich Kaffee und brät sich ein Steak. Dann bereitet er einen tüchtigen Stapel Pfannkuchen, die er im Laufe des Tages kalt essen will. Als er sich in den Sattel schwingt, ist es Tag. Die Sonne kommt über die Berge. Seine Pferde haben sich einigermaßen erholt, aber um wieder vollkommen fit zu sein, müßten die Tiere zwei bis drei Tage Ruhe haben. Er redet mit ihnen wie zu guten Partnern, und sie spitzen und drehen ihre Ohren, schnauben und sind willig. Bald stößt er auf einen Arroyo. Von Zeit zu Zeit treibt er Mister Speck zum Rand empor und betrachtet scharf das Land ringsum. Zwei Stunden später sieht er hinter sich die Staubwolke. Die Bande sitzt also wieder auf seiner Fährte. Der Arroyo steigt nun ständig an. Das Land wird zerklüftet und bergig. Bald muß er das ausgetrocknete Creekbett verlassen. Aber nun decken ihn die Hügel, so daß ihn die Verfolger noch nicht sehen können. Hier zwischen den Hügeln stößt er plötzlich auf einen
schlammigen See, in dem nur sehr wenig Wasser ist. Schilf und Weiden umgeben den großen Tümpel, doch das Wasser ist nur handtief. Er läßt die Pferde trinken. Als er sich plötzlich aus dem Sattel beugt, um eine Hufspur im Wasser zu betrachten, die unmöglich von seinen Pferden stammen kann, zischen zwei Pfeile über ihn hinweg. Und von der anderen Seite kracht ein Gewehr. Die Kugel streift Grays Rücken. Einen Sekundenbruchteil später hört er das gellende »Hiiieeehaaah« von vier oder fünf Indianern. Er zieht seinen Colt und reitet an – genau auf zwei brüllende Krieger zu, die ihm den Weg nach Südwesten versperren. Bevor die Kerle ihre kurzen Kriegsbogen im Anreiten noch einmal spannen und die Pfeile abschießen können, spricht Gray Picketts Colt. Es sieht so aus, als würde er gar nicht zielen. Aber er trifft und jagt dann zwischen den beiden Indianermustangs hindurch. Pfeile zischen an ihm vorbei. Er wendet sich im Sattel und schießt zurück. Beim ersten Schuß holt er einen weiteren Krieger vom Pferd. Zugleich aber fährt ein Pfeil mit hörbarem Zischen in sein Ersatzpferd. Da dieses stürzt und seine Leine an Grays Sattelhorn befestigt ist, wird Grays Pinto herumgerissen. Einen Moment sieht es so aus, als würden Reiter und Pferd sich überschlagen. In diesem Moment löst sich die Leine. Mister Speck stolpert nur einige Yards, fängt sich und wiehert wild. Die restlichen zwei Indianer haben die Sache inzwischen aufgegeben. Die tödliche Schießkunst des Weißen ist ihnen unheimlich. Noch nie sahen sie einen Mann vom Rücken eines galoppierenden Pferdes so höllisch genau und sicher schießen. Gray Picketts Weg ist also frei – aber er hat sein Reservetier verloren. Nun ist er nur noch auf »Mister Speck« angewiesen. Der häßliche Pinto muß jetzt zeigen, daß in ihm die Zähigkeit eines Wüstenwolfes steckt. Und die Bande, die Jim Parker auf Grays Fährte anführt, wird
bald das tote Pferd finden. Die Kerle werden sich eine gute Chance ausrechnen und ihre Anstrengungen verdoppeln. Er reitet auf seinem Pinto in die von Schluchten und Canyons zerfurchten Berge hinein. Er hofft, daß er nun bald auf den Chisholm Trail stößt. – Wenn er sich dort verschanzen kann, könnte er die Bande vielleicht lange genug aufhalten, bis die Caddo-Mannschaft eingreifen kann. Und wenn er den Trail wirklich erreicht, werden Big Bill und Selby Fox längst viele Meilen vor ihm sein. Er hat einen großen Bogen geschlagen und die Banditen hinter sich hergelockt. Und nichts anderes wollte er. In den nächsten Tagen und Nächten zeigt er der Bande viele Tricks und führt sie auch einige Male an der Nase herum. Aber er kann ihnen nicht entkommen. Es sind zu viele Reiter, und sie haben einige gute Fährtenleser bei sich. Am 3. August, keine drei Stunden vor Sonnenuntergang, da haben sie ihn gestellt. Natürlich ist die Bande nicht mehr vollzählig. Viele Verfolger sind ausgefallen, weil ihre Pferde nicht mehr laufen konnten. Es sind noch sieben oder acht Mann auf Gray Picketts Fährte. Die vier »Höllen-Parkers« sind dabei. Gray reitet auf seinem stolpernden Pinto durch ein fast kreisrundes Tal. Der Chisholm Trail führt wie eine breite Ackerfurche durch dieses Tal und verschwindet im Süden in einem breiten Canyon. Im Norden ist wildes, zerklüftetes und unübersichtliches Land, durch das sich die breite Fährte von Hunderttausenden von Rindern ihren Weg sucht. Mister Speck ist erledigt. Von Zeit zu Zeit sieht Gray sich um. Das Rudel ist eine Viertelmeile hinter ihm. Aber auch ihre Pferde taumeln und stolpern. Gray beobachtet Jim Parker, der einen riesigen Rappen reitet. Dieser Rappe ist noch gut für einen kurzen Endspurt. Gray fragt sich, ob Jim Parker es riskieren wird.
Als Gray dann nach vorne sieht, wo der Trail im Canyon verschwindet, beginnt er sofort heiser und bitter zu fluchen. Büffel kommen aus dem Canyon. Es sind vorerst nur wenige Tiere, aber sicherlich sind sie die Vorboten einer größeren Herde, die nach Norden zieht und sich bald in diesem Trail über die saftige Weide zerstreuen wird. Der Weg nach Norden ist für Gray also versperrt. Er biegt nach rechts ab und treibt seinen Pinto zum letzten Male an; denn da er nun die Richtung ändert, haben die Verfolger wieder die Möglichkeit, ein Stück des Weges zu verkürzen und näher an ihn heranzukommen. Er lacht einmal trocken, heiser und grimmig auf, als er daran denkt, daß die ganze Anstrengung der Bande nur den wertlosen Papierschnitzeln gilt, die sich in seinen Satteltaschen befinden. Wenn sie mich wirklich erledigen können und sich dann die Beute teilen wollen, so werden sie mächtig zu fluchen beginnen, denkt er bitter. Als er sich wieder umsieht, erkennt er, daß sich Jim Parker von seinem Rudel gelöst hat. Der Bandit treibt seinen großen Rappen mitleidlos vorwärts. Es ist klar, daß er Gray den Weg verlegen will. So nähern sie sich einigen Schluchtmündungen. Als Gray nach wenigen Minuten aus einer Felsengruppe herauskommt und wieder bessere Sicht hat, da sieht er Jim Parker hundert Yard rechts von sich. Sie halten beide zu gleicher Zeit an und reißen ihre Gewehre aus den Sattelhalftern. Aber Grays Schuß kracht einen Sekundenbruchteil früher. Jim Parkers Rappe bäumt sich sofort auf und wirft den Reiter ab. Parkers Kugel pfeift irgendwohin. Gray reitet weiter, kommt in Deckung eines Wäldchens, reitet durch eine Felsgruppe und sieht den Eingang zu einer Schlucht vor sich. Rechts und links von der Schluchtmündung sind viele Felsen, Büsche und Bäume. In den Felswänden sind
Risse, Höhlen und Spalten. Plötzlich pfeifen Kugeln um den Flüchtling. Er sieht sich hastig um. Drei seiner Verfolger sind um eine Bauminsel herumgekommen. Sie haben angehalten und schießen jetzt. Als Gray sich aus dem Sattel schwingt, um die Schüsse zu erwidern, hört er die Kugeln in den Hals seines Pintos klatschen. Mister Speck bäumt sich nicht auf – er bricht nur seufzend in die Knie und legt sich auf die Seite. Gray leert das Magazin seines Gewehrs. Es ist eine der neuen Waffen, ein Winchester-Gewehr. Drüben bäumt sich ein Pferd auf. Die Banditen ziehen sich eilig in die Deckung des Wäldchens zurück. Gray kniet bei seinem Pferd nieder. Es sieht ihn mit einem Auge an, und es seufzt fast wie ein Mensch. Gray schluckt trocken. »Kamerad«, sagt er heiser, »vielleicht bin ich ein Schuft, daß ich das alles von dir verlangt habe. Du hättest es verdient, dein Leben auf einer grünen Weide verbringen zu können. Speck, ich bleibe in deiner Schuld.« Der häßliche und narbige Pinto schnaubt noch einmal. Es ist die letzte Antwort auf die Stimme seines Herrn. Dann ist er tot. Gray löst die Satteltaschen. Obwohl ihr Inhalt wertlos ist, will er das Spiel noch weiter beibehalten. Als er mit seinem Bündel, den Satteltaschen und dem Gewehr in die Schlucht läuft, pfeifen Kugeln um ihn herum. Aber er erreicht die Schlucht. Er braucht nur einen einzigen Blick hineinzuwerfen, um zu erkennen, daß es keine Schlucht, sondern nur eine tiefe Felsspalte ist. Er sitzt also fest. Die Bande hat ihn gestellt. Eigentlich ist alles planmäßig verlaufen, denkt er. Sie haben mich am Chisholm Trail gestellt und festgenagelt. Wenn ich nur wüßte, ob meine Mannschaft rechtzeitig genug eingreifen
kann, bevor mich die Bande erwischt. Während er das denkt, sucht er sich eine gute Deckung hinter einigen Felsen im Eingang. Sein Atem keucht. Er trinkt etwas Wasser aus der Flasche, lädt sein Gewehr auf und wartet ab. Von der Bande ist nicht viel zu sehen. Nach etwa zwanzig Minuten jedoch tritt drüben ein Mann aus den Felsen. Er winkt mit seinem Halstuch. Es ist Jim Parker. »He, Pickett! Ich will mir dir friedlich reden!« So klingt es herüber. Gray hat inzwischen begriffen, daß die Bande ihre erschöpften Pferde hinter dem Wäldchen links von ihm stehen hat, sich aber selbst hinter den Felsen genau vor ihm aufhält. Er ist auch sicher, daß noch vor Dunkelheit einige zurückgebliebene Nachzügler der Bande eintreffen werden, so daß sie bald wieder ziemlich vollzählig ist. Gray muß Zeit gewinnen. Deshalb ruft er zurück: »He, Parker! Du kannst kommen! Ich werde dir vorläufig den Kopf nicht abschießen!« Der Desperado kommt langsam, und obwohl ihm der lange und harte Ritt bestimmt gleichfalls in den Knochen steckt, bewegt er sich immer noch geschmeidig. Dieser dunkle Mann ist doch wahrhaftig wie ein zweibeiniger Panther. Gray erhebt sich hinter der Deckung. Er lehnt sein Gewehr gegen den Felsen und tritt Jim Parker zwei Schritte entgegen. Parker kommt bis auf zwanzig Schritte heran und bleibt dann stehen. Er bindet sich sein schwarzes Halstuch wieder um und schiebt dann mit dem Daumen seinen schwarzen Stetson zurück. Sein Lächeln ist scharf, blitzend, hart und anerkennend. Sein Gesicht und seine Kleidung sind mit einer Staub- und Schmutzschicht überzogen. »Nun«, sagt er, »ich habe einen Mann noch nie so lange verfolgen müssen, bevor ich ihn gestellt hatte. Meine
Anerkennung, Gray! Wir sind ein großes Rudel, und wir haben unterwegs frische Pferde eintauschen können. Wir haben auch die toten Indianer gesehen. Du bist schon mächtig hart und kannst kämpfen. Aber willst du es jetzt nicht doch lieber aufgeben? Mann, ich habe nichts gegen dich! Ich will nur die vierzigtausend Dollar. Gib sie mir! Tausend Dollar kannst du behalten. Und ein Pferd bekommst du auch! Was willst du noch? Ist das kein faires Angebot? Und ich mache es nur, weil ich eine Menge Achtung und Respekt vor dir habe. Irgendwie gefällst du mir, Gray. Ich möchte nicht gerne mit dem ganzen Rudel auf dich losgehen. Diese Meute läßt von dieser Sache nicht mehr ab. Alles, was ich tun kann, ist dieses Angebot an dich. Es ist keine Schande für dich, wenn du einem ganzen Rudel unterlegen bist; denn wir haben Dakota-Charly bei uns, den besten Fährtenleser in diesem Land. Also?« Er lächelt wieder scharf und blitzend. In seinen dunklen Indianeraugen funkelt es. Gray schüttelt sanft den Kopf. Er lächelt zurück; und auch sein Lächeln ist scharf und hart. »Ich kann es noch eine Weile aushalten«, sagt er dann. »Ich kämpfe noch eine Weile. Einige von euch Burschen werden nicht in den Besitz ihrer Anteile kommen. Vielleicht verbrenne ich auch das viele Geld, bevor ihr mich erwischt. Ja, das ist ein guter Gedanke, nicht wahr? Ich könnte mit letzter Kraft das Geld verbrennen. Auf diese Art könnte ich euch noch einen letzten Streich spielen. Wie gefällt dir das, Jim Parker?« Der lacht metallisch. »Du gefällst mir mächtig, Freund. Du bist von meiner Sorte. Wir sind Gegner, aber du bist schon all right. Nun, wir müssen es also riskieren! Vielleicht erwischt dich eine Kugel so schnell, daß du unser Vermögen nicht mehr anzünden kannst. Das Leben ist voller Zufälle und Spaß. Also, Bruderherz! Wenn es dunkel wird und wir unser Abendbrot gegessen haben, werden wir uns deinen Skalp holen – und das Geld. Und
ich bin nicht böse, wenn du einige Burschen erschießt. Um so größer werden die Anteile der Überlebenden. Ich gehe eine Wette ein, daß du mich nicht erwischen wirst. Eine alte Indianerin hat mir aus der Hand gelesen, daß ich eines Tages in einem Fluß ertrinken werde. – Viel Glück, Pickett« Er wendet sich ab und geht langsam davon. Aber nach dem dritten Schritt wirbelt er herum. Das geht so schnell wie bei einer Katze, der man eine Blechbüchse an den Schwanz gebunden hat und die das Ding erwischen möchte. Er duckt sich dabei, und seine beiden großen Colts liegen wie durch Zauberei in seinen geschmeidigen Händen. Aber so schnell er auch ist und so überraschend er zu handeln glaubte – als er abdrückt, sieht er in Gray Picketts Mündungsfeuer. Gray Pickett war wachsam. Als Jim Parker herumwirbelte, zog er so schnell wie noch nie im Leben. Seine Kugel trifft den Knopf von Jim Parkers linker Brusttasche. Eine von Parkers Kugeln zupft an seiner Schulterspitze. Die andere reißt ihm das Ohrläppchen weg. Dann fällt Jim Parker auf das Gesicht. Seine beiden Colts spucken noch einmal Feuer, aber die Mündungen sind schon auf den Erdboden gerichtet. Gray gelangt rechtzeitig in Deckung, bevor die Gewehre der Bande krachen. Die Kugeln klatschen gegen den Felsen. Und er hört das wilde Geheul. Als es still wird und er vorsichtig hinter dem Felsen hervorspäht, sieht er Jim Parker mühsam auf sich zukriechen. Bis auf zehn Schritte kommt Jim Parker an Grays Deckung heran, dann gibt er es auf. Er hebt mühsam den Kopf und krächzt: »Gray! Gray Pickett?« »Ich sehe und höre dich«, erwidert Gray. »Wenn deine Freunde nicht auf mich schießen würden, so könnte ich dich verbinden.« »Bleibe nur schön in Deckung«, ächzt Jim Parker. »Selbst
meine Brüder könnten das Rudel nicht davon abhalten, dich mit Blei zu füllen. Du könntest mich auch nicht am Leben erhalten. Kein Doc könnte das. Du hast mich gut getroffen. Ich hätte nicht gedacht, daß du schneller sein könntest. Nun, ich kam als Unterhändler, aber ich habe auf dich geschossen. Verzeihe mir, Gray Pickett. Als du mir drohtest, das Geld zu verbrennen, sah ich nur noch diese Möglichkeit. – Ah, das schäbige Geld – man will es immer möglichst leicht und schnell verdienen. Und dabei wird man zu einem Banditen. Ich – bin – am Ende meines Lassos, Bruderherz.« Er drückt seine Stirn auf die Erde, streckt sich und ist tot. * Gray wechselt die Deckung; zehn Minuten später weiß er, daß sie kommen. Er hört leise Geräusche; es ist ein fast unhörbares Schaben. Er weiß, daß die ganze Bande im Halbkreis auf seine einstige Deckung zukriecht. Bald hört er das leise Geräusch deutlicher. Ein Mann kommt auf ihn zugekrochen. Gray hört es am Schaben seiner Kleidung, am Kratzen der Stiefelspitzen. Dann knackt ein Gelenk, und endlich hört er scharfes Atmen. Der Mann kann nur noch einen halben Meter von ihm entfernt sein. Langsam hebt Gray sein Gesicht – aber nur so weit, daß er unter seiner Stirn entlang nach vorn sehen kann. Wenn Gray sich hastig bewegen würde, müßte ihn der Mann entdecken. Aber so hält er ihn wohl für einen Teil der beiden Felsrücken. Dann kriecht der Mann weiter. Bevor sich ihre Stirnen berühren, richtet Gray sich etwas auf. Sein Colt wuchtet nieder. Er trifft den Hut und somit auch den Kopf des Mannes. Gray meint, daß der dumpfe Schlag eine Meile weit zu hören wäre. Im selben Moment aber bricht ein Gebrüll los. Colts krachen. Die ganze Bande bis auf diesen Mann ist anscheinend
dicht herangekrochen. Sie versuchen es nun auf den letzten Metern mit einem schnellen Angriff. Gray tastet sich über den Bewußtlosen hinweg und huscht gebückt auf das Wäldchen zu, in dem er die Pferde der Bande weiß. Als er die Felsgruppe erreicht, hinter der das kleine Campfeuer der Bande brennt, sieht er einige Männer drüben aus den Schatten anderer Felsen kommen. Er hält jäh inne und hebt seinen Colt. Aber bevor er abdrückt, erkennt er Windy Chesters unverkennbare Gestalt. Hinter ihm, wo er die Satteltaschen und sein Bündel zurückgelassen hat, ertönt immer noch Gebrüll. Die Entfernung beträgt nur knapp achtzig Yard. Man kann jedes Wort verstehen. Eine Stimme kreischt: »Hölle, er hat sich irgendwo in den Boden verkrochen!« Eine andere Stimme brüllt: »Zum Teufel, er wird an der Felswand hochgeklettert sein! – He, hier ist sein Gepäck! – Pickett, du Schuft, wo bist du?« Es wird noch viel mehr gerufen. Die ganze Bande dort drüben ist durcheinander und verblüfft. Gray grinst zufrieden. Er winkt nun Windy und den anderen Boys zu, die ihre Waffen auf ihn angelegt hatten – ihn dann aber wohl doch im Feuerschein erkannten. »Nun, Heldensöhne, ihr kommt zur rechten Zeit! Gleich kommt der wilde Verein wieder zurück. Zwei von euch sollten die Pferde der Burschen wegtreiben. Und ihr anderen legt euch wieder hinter die Felsen, bis sie zurück ans Feuer kommen.« »Bei Gott, es ist der Boß«, stöhnt Windy Chester. »Und wir dachten, wir kämen schon zu spät. Wir hörten die Schüsse, trauten uns aber nicht weiter, als es plötzlich still wurde. Wir dachten schon, sie hätten dich erwischt. Und wir wollten jetzt das Camp der Burschen überfallen, um dich zu rächen.« »Los, versteckt euch wieder«, zischt Chuck Lane. »Tom!
Bob! Ihr treibt die Pferde der Kerle weg!« Und so geschieht es auch. Aufgeregt durcheinanderrufend, kehrt die Bande einige Zeit später zum Feuer hinter den Felsen zurück. Sie haben Grays Gepäck und auch seine beiden Satteltaschen bei sich. Zwei der Parkers tragen ihren toten Bruder Jim. Der Mann, den Gray bewußtlos schlug, ist nicht dabei. »Vielleicht hat er die Satteltaschen mit dem Geld zurückgelassen, damit wir ihn entkommen lassen!« ruft eine Stimme. Aber die Stimme eines der drei Parkers antwortet: »Nein, wir folgen ihm durch alle Höllen! Er hat unseren Bruder getötet!« Jemand tritt mit den Satteltaschen an das Feuer und öffnet sie. Die ganze Bande umringt diesen Mann. Und gerade in dem Moment, da der Mann die wertlosen Papierpäckchen aufreißt, ruft Gray Pickett aus den Felsen: »Ihr habt keine Chance! Ihr seid umstellt! Die Waffen weg, sage ich! Dann dürft ihr zu Fuß nach Dodge City zurück…« Weiter kommt er nicht. Die Bande brüllt auf wie ein wilder Indianerstamm. Vielleicht glauben sie an einen Bluff. Sie ziehen ihre Waffen und schießen in Richtung von Grays Stimme. Dabei stürmen sie in loser Gruppe vorwärts. Sie rennen in das Blei zweier Schrotflinten. Und dann beginnt die übrige Caddo-Mannschaft zu schießen. Sie haben ein gutes Ziel, da die Bande zumeist ihr eigenes Campfeuer im Rücken hat. Zwei Mann werden getötet und fünf verwundet. Die restlichen sehen ein, daß sie wirklich umstellt sind, und werfen die Waffen weg. *
Um die Mittagszeit des 12. August nähern sich Selby Fox und Big Bill Tomson dem Red River. Sie reiten durch ein Hügelland, aber das Gelände senkt sich langsam zum RedRiver-Tal hinunter. »Sie haben uns nur den Weg zum Red River offengelassen«, knurrt Selby. »Und wenn wir zwei armen Schweine ins Wasser müssen, werden es die angemalten Gentlemen versuchen. Vielleicht aber wartet auch eine andere Überraschung am River auf uns. Ich will dir etwas sagen, du rothaariger Sohn einer guten Mutter: Wir bleiben hier! Wenn wir uns hier in den Creek stellen, sind seine Uferwände gute Brustwehren. Hier haben wir mehr Chancen als am Red River. Und wenn uns die Bande heute nicht mehr angreift, so wird sie es erst tun, wenn die Nacht vorbei ist und die Morgennebel steigen. Die Roten kämpfen nicht in der Nacht. Sie fürchten sich vor den Geistern der Toten. Sie möchten nicht in dunkler Nacht von einer ruhelosen Seele angespuckt werden – oder was weiß ich. Wir bleiben also hier, Mister Tomson.« Er starrt einige Minuten schweigend nach Norden. Plötzlich sieht er etwas. Er nimmt seinen alten Hut ab und sagt mit feierlicher Stimme: »Dem lieben Vater sei gedankt! Er hat uns zwei arme Burschen nicht vergessen. Bill, bevor du den ganzen Creek leerst, könntest du dir einmal die prächtigen Burschen ansehen, die da weit im Norden über den Hügelkamm kommen.« »Deine Witze sind schlecht«, knurrt Bill. Er starrt aber zu Selby hoch. Und dann glaubt er ihm. »Da ich schon lange keinen Whisky mehr getrunken habe und mich sehr gesund fühle«, sagt er feierlich, »muß alles stimmen, was ich im Moment sehe. – Da kommt also der Boß! Und da ist Windy Chester und Chuck, der glatzköpfige Pfannenschwenker. Und da sind die prächtigen Jungens. Selby, haben wir jetzt noch Sorgen mit den roten Gentlemen?«
»Wir sind alle Glückspilze! Die ganze Mannschaft besteht aus Glückspilzen«, ruft Selby Fox und schwingt den Hut. * Camp reiht sich an Camp. Gray Pickett führt nun wieder seine Mannschaft. Sie reiten schnell; sie haben genügend Reservepferde bei sich. Und die Boys der Mannschaft sind alle sehr stolz. Unterwegs ist fast jeder von ihnen verwundet worden. Einige waren sogar so schlimm verwundet, daß sie in Big Bills Wagen fahren mußten. Und nun haben sie alles überstanden. Sie bringen den Erlös der Herde. Sie legen jeden Tag viele Meilen zurück. Wenn sie unterwegs nicht durch unüberwindliche Hindernisse aufgehalten werden, kommen sie vor Ablauf der HundertTage-Frist ans Ziel. Und Gray Pickett denkt an Tobias Shanessy, an die CreekRancher und an das Mädchen Joyce Scorby. Am 20. August, als sie nur noch drei scharfe Tagesritte bis zum Ziel hinter sich bringen müssen, sichten sie in der Ferne drei Reiter. * Es sind drei der Creek-Rancher, die der Mannschaft entgegenkommen. Ihre Pferde sind abgetrieben. Man sieht den drei alten Männern den harten Ritt an. Gray läßt die Mannschaft anhalten. Die drei Rancher kommen schnell näher und zügeln ihre Pferde. Es sind Wes Tucker, Andy Nicol und Dick Harris. Dick Harris’ Augen fliegen über die Männer, aber sosehr er auch sucht, er sieht nur seinen Sohn Bruce. Der jüngere Jack fehlt.
Dann sieht er Gray wortlos und fragend an. »Wir mußten unterwegs oft kämpfen«, murmelt Gray. »Jack war tapfer! Auch Monty Sanders war tapfer. Und fast alle tragen die Zeichen und Narben der Kämpfe. Jack war ein guter Junge, Dick Harris.« »Yeah«, murmelt dieser. »Jetzt habe ich nur noch Bruce! – Ah, es konnte ja auch nicht sein, daß ihr alle gesund heimkehren würdet! Es ist schon ein wahrhaftiges Wunder, daß ihr die ganze Herde durchbringen konntet. Ich will nicht darüber klagen, daß es meinen Jack getroffen hat, ausgerechnet Jack und nicht andere Männer von dieser Mannschaft. Und alle waren sie bereit, diesen Preis zu zahlen. Ich klage also nicht.« Er sieht seinen Sohn Bruce an. »Junge, deine Mutter wird es nur schwer überwinden können. Du wirst ihr nun Jack ersetzen müssen.« »Yeah, Vater«, murmelt der junge Cowboy. »Jack starb wie ein richtiger Cowboy für die Herde. Das steht auch auf dem Brett im Grabhügel. Und wir hatten den besten Treibherdenboß, den eine Mannschaft haben konnte.« »Partner«, sagt Wes Tucker zu Gray, »du hast deine Pflicht getan. Du hast unsere Ranches mit dieser Mannschaft gerettet. Du gehörst nun zu uns. Aber wir alle werden jetzt nochmals kämpfen müssen! Wir sind euch entgegengekommen, weil schon vor Tagen die Nachricht kam, daß die Herde in Dodge City eingetroffen und verkauft worden wäre. Die Pony-ExpreßPost von Dodge City nach Fort Worth ist schnell. Überdies verkehrt jetzt jeden Tag eine Postkutsche von Fort Worth nach Caddo. Tobias Shanessy hat zwei Dutzend Revolverschwinger angeworben. Sie sind nur zwei Stunden hinter uns. Shanessy will euch hier aufhalten. Wir sollen am Fälligkeitstag nicht zahlen können. Gray, du hast die Mannschaft gut geführt, und ihr hattet auf dem harten Weg wenig Verluste. Aber jetzt müssen wir mit Shanessys Revolverleuten kämpfen.« »Zum Teufel, dann kämpfen wir eben!« ruft Big Bill, und die
Mannschaft, die um die drei Rancher einen Halbkreis gebildet hat, nickt mit harten Gesichtern. »Langsam«, sagt Gray Pickett, »nur langsam. Dieses Spiel wird auf meine Art zu Ende gespielt. Meine Eltern besaßen in Missouri eine kleine Ranch. Sie wurde angezündet. Mein Vater wurde getötet. Das geschah vor dem Krieg. Und es war alles so wie hier. Ein rücksichtsloser Pirat wollte sich mit Gewalt ein Rinderreich erobern. Der Mann hieß damals Jack Carter. Hier nennt er sich Tobias Shanessy! Welcher Name sein richtiger ist, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, daß ich mir diesen Burschen vornehme! Und ihr werdet nicht kämpfen. Mein Plan ist anders!« Er klatscht mit der Hand gegen die lederne Tasche, die an seinem Sattelhorn hängt. »Hier ist das Geld. Ich werde damit zur Straße nach Fort Worth reiten und die Postkutsche abfangen. Ich reise mit der Kutsche nach Caddo. Ich nehme das Geld mit und bringe die Sache in Ordnung!« Sie starren ihn alle an. Dick Harris fragt: »Wie willst du es machen? Das mußt du uns erklären!« Gray nickt. »Es ist ganz einfach. So, wie ich Tobias Shanessy kenne, wird er sich nicht bei der Mannschaft befinden, die euch hier aufhalten und erledigen soll, nicht wahr?« »Nein, er wird auf seiner Ranch sitzen und die Arbeit durch seine Handlanger verrichten lassen. Sein Vormann Steve führt das Rudel. Und der macht genau das, was sein Herr ihm aufträgt.« »Na also«, grinst Gray. »Ihr flüchtet tief in die Berge hinein. Da sie fest daran glauben, daß ihr das Geld bei euch habt, werden sie euch nur bis zum 24. August bedrängen. Der 24. August ist doch der Tag, an dem eure Schuldscheine eingelöst werden müssen. Wenn die Mannschaft das verhindert zu haben glaubt, werden sie wieder abziehen. – Ihr braucht also gar nicht
richtig zu kämpfen. – Wissen die Kerle, daß ihr uns…« »Nein. Wade Scorby hat es von dem Barmann erfahren. Und dann sind wir sofort losgeritten, um euch zu warnen, daß ihr heiß empfangen werden sollt. Wade Scorby, Oren Texter, Clay McLane und der kleine Rest unserer Cowboys achten auf die Ranches und unsere Herden. Wir haben jetzt viele Viehdiebe im Land, die Tobias Shanessy unterstützt. Ah, Gray, wie willst du ihn erledigen?« »Ich besuche ihn auf seiner eigenen Ranch! Ich werde den Sheriff mitnehmen! Ich werde einige Tricks anwenden! Und mein Bluff wird gut sein, verlaßt euch darauf!« Wieder starren ihn die Männer an. Dann knurrt Wes Tucker bitter: »Weißt du nicht, daß unser Sheriff gegen Tobias Shanessy keine Hilfe ist? Immer dann, wenn Shanessys Leute eine Hölle loslassen, ist Robin Jones weit weg vom Schuß. Dann ist er dienstlich unterwegs oder auf einem Jagdausflug, oder er angelt irgendwo. Shanessy hat den Sheriff irgendwie in der Hand.« »Das ändert sich von dem Moment an, da Shanessy erledigt ist«, erwidert Gray hart. »Ich verschaffe euch die gelöschten Schuldscheine! Vertraut mir, wie ihr es schon einmal tatet!« Die drei Rancher sehen sich an. Dick Harris murmelt: »Damals hat Joyce Scorby sofort an dich geglaubt. Und bevor wir aufbrachen, um euch abzufangen, rief sie uns nach, daß wir auf dich hören sollen. Sie läßt dich grüßen, Gray. Ich denke, wir werden auf dich hören.« »Danke«, nickt dieser und sieht nach Osten. »Wo könnte ich ungefähr auf die Postkutsche stoßen?« »Du mußt nach Osten reiten. Siehst du dann im Südosten zwei große, rötliche Felsen, die wie Riesenpilze wirken, so reitest du genau darauf zu und zwischen ihnen hindurch. Du reitest in dieser Richtung weiter und stößt nach fünf Meilen auf
die Poststraße zwischen Fort Worth und Caddo. Es gibt einige Stationen unterwegs, wo die Gespanne ausgewechselt werden. Wenn du gegen Mittag, ich meine übermorgen mittag, die Kutsche anhalten und einsteigen kannst, so bist du spät in der Nacht in Caddo. Dann hast du noch einen ganzen Tag Zeit, die Schuldscheine einzulösen. Wenn du es nicht schaffen solltest, so stecken wir hier immer noch in den Bergen. Und Tobias Shanessy jagt uns mit Hilfe des Sheriffs von unseren Ranches. Und dabei wird ihm sogar der Bezirksrichter helfen müssen. – Denke daran, Gray Pickett.« Dick Harris verstummt besorgt. »Ich werde es schaffen«, erwidert nun Gray und zieht sein Pferd herum. Er winkt noch einmal und verschwindet dann zwischen den Hügeln. Dick Harris übernimmt das Kommando. »Also machen wir es so, wie Gray es haben will. Wenn das Rudel von Revolverschwingern in Sicht kommt, flüchten wir in die Berge. Selby, kennst du einen guten Ort in der Nähe, wo wir uns festsetzen können?« »Ich kenne dieses Land wie meinen leeren Tabaksbeutel«, grinst Selby Fox. »Ich führe euch an einen Ort, wo wir uns bis zum 24. August erholen können. Und dann wird die Belagerung wohl aufhören. Ah, ich gehe jede Wette ein, daß Gray Pickett es schaffen wird! Ich wette einen Monatslohn!« * Zwei Tage später, es ist um die Mittagszeit, nimmt Gray seinem Pferd den Sattel ab. Er jagt das Tier die Senke hinunter, wo eine Wasserstelle lockt. Grinsend lädt er sich den Sattel auf die Schulter, nimmt sein Gewehr in die Hand und klettert auf die andere Seite des Hügels zur Poststraße hinunter. Die Staubfahne der Postkutsche hat er schon vor zehn Minuten in der Ferne gesichtet. Als er die Straße erreicht, legt
er Sattel und Gewehr ab und winkt. Dann hält die Kutsche mit kreischenden Bremsen. Der Begleitfahrer hält seine Schrotflinte schußbereit und überprüft scharfäugig die Umgebung. Der Fahrer fragt: »Nun, Mister?« »Mein Pferd hat sich ein Bein gebrochen«, erwidert Gray. »Und ich bin reich genug, um den Fahrpreis zahlen zu können. Ich möchte nach Caddo.« Der Fahrer nickt und schiebt seinen Priem in die andere Backentasche. Gray reicht dem Begleiter den Sattel hinauf und steigt in die Kutsche. Hier findet er eine dicke Frau mit zwei kleinen Jungen, einen Whiskyreisenden und ein auffällig gekleidetes Mädchen. Er lehnt seinen Kopf in die Ecke, zieht sich den Hut über die Augen und schläft sofort ein. * Sheriff Robin Jones hat die Ankunft der Postkutsche abgewartet, und er hat auch den großen, sehnigen Mann bemerkt, der sich den Sattel vom Dach holte. Er hatte jedoch mehr Interesse für das üppige Mädchen, das ihn sofort nach dem Alamo Star Saloon fragt. »Schräg gegenüber«, grinst Robin Jones und nimmt den Lederkoffer des Mädchens. »Ich bringe ihn hin und Sie auch, Mädel! Werden Sie für eine Weile hier tanzen und singen, Mary?« »Ich heiße Daisy Maryland, und ich finde Sie ausgesprochen nett, Sheriff. – Ja, ich werde singen!« Robin Jones ist glücklich. Als er dann eine halbe Stunde später in sein Büro kommt, summt er zufrieden vor sich hin. Er zündet die Lampe an, und als er sich umwendet, sieht er den Fremden.
Er kennt Gray Pickett noch nicht vom Ansehen. Als Gray vor mehr als hundert Tagen in diese Stadt kam, war der Sheriff nicht anwesend. »He, wer sind Sie? Und woher nehmen Sie die Frechheit…«, beginnt der Sheriff und greift an den Colt. Aber dann sieht er, daß der Fremde, der lässig im Drehstuhl sitzt, bereits seinen Coltlauf auf der Tischkante liegen hat. Die Mündung zeigt genau auf Robin Jones’ Brust. Es ist eine ziemlich breite Brust, auf der ein Stern glänzt. Robin Jones ist ein hübscher Kerl. Er ist nur wenige Jahre älter als Gray, und der Hauptzweck seines Lebens ist schon immer gewesen, möglichst vielen Mädchen das Herz zu brechen. Als er vor einigen Jahren nach Caddo kam, wurde ein Hilfssheriff benötigt. Da niemand das Amt übernehmen wollte, bekam er den Stern. Sein Amt war ohne Einfluß und eigentlich nur eine Formsache gegenüber den Behörden in der Hauptstadt. Das änderte sich jedoch, als Tobias Shanessy sich in diesem Land ankaufte und bald die wichtigste Persönlichkeit wurde. Sheriff Robin Jones mußte nach der Pfeife des Großranchers tanzen. Er verstummt also und starrt verblüfft in Grays Coltmündung. »Was soll das?« ächzt er. »Ich bin Gray Pickett, mein Freund«, grinst dieser. »Gib mir mal deinen Colt.« »Das ist ein Überfall! Das ist ein Angriff auf das Gesetz«, keucht Robin Jones. »Und ich habe schon genug von Ihnen gehört, Pickett!« »Dann weißt du ja Bescheid, Bruder!« Der Sheriff starrt ihn an. Seine Unterlippe zuckt. Dann gehorcht er und legt vorsichtig seinen Colt auf den Tisch. Gray nimmt die Waffe und entlädt sie. Dann muß Robin Jones auch die Patronen aus den Schlaufen seines Waffengurtes ziehen und auf den Tisch legen. Als dies geschehen ist, erhebt sich Gray und gibt ihm den leeren Colt zurück. »Steck ihn ein, Jones! Und jetzt reiten wir zur Drei-Pfeile-
Ranch und besuchen Mister Tobias Shanessy. Ich will die Schuldscheine der Rancher einlösen, und ich brauche dich als Zeugen.« Robin Jones’ Blick wird für einen Moment so dumm wie der von einer sich wundernden Kuh. Dann atmet er erleichtert auf. »Aber – aber warum entwaffnen Sie mich denn da, wenn…« »Nur wir beiden Gentlemen wissen, daß du zwar einen Colt hast, aber nicht damit schießen kannst«, grinst Gray. »Ich möchte dich nämlich nicht in Versuchung bringen, wenn Mister Tobias Shanessy etwas böse werden sollte. – Jetzt kommen Sie, Sheriff! Wir holen uns im Mietstall zwei Reitpferde!« »Auf jeden Fall fühle ich mich bedroht«, knurrt der Sheriff. »Das ist Ihre Sache«, erwidert Gray. »Vorwärts!« Der Sheriff starrt einen Moment in Grays kalte und harte Augen. Er kann dem zwingenden Blick nicht standhalten. Er gehorcht. Als sie auf die Straße treten, fragt eine Stimme aus der Dunkelheit einer Hausnische: »Können Sie Hilfe gebrauchen, Gray Pickett?« Gray bleibt stehen. »Wer ist das?« »Ich bin Oven Payne – jener Mann, dessen Job Sie übernahmen. Und ich bin auch noch nach meiner Gesundung in der Stadt geblieben, weil ich gerne an dem Endspiel teilnehmen möchte. Sie haben es also geschafft, Gray! Meine Anerkennung! Was ist aus O’Hara geworden?« »Der ist tot«, murmelt Gray und merkt, wie der Sheriff neben ihm erschrocken zusammenzuckt. »Wir können zu dritt reiten, Oven«, murmelt er. »Und Sie können zusehen und Zeuge sein, wenn wir den Mann besuchen, der O’Hara auf Sie hetzte. Holen Sie sich also ein Pferd, Oven.«
* � Tobias Shanessy ist ein Mann, der früher acht Wochen lang das gleiche Hemd trug, ohne es zu waschen, und der sich jetzt jeden Luxus gönnt. Als ihm jemand die wunderschöne Bettdecke wegzieht, erwacht er und wird sich darüber klar, daß jemand die Lampe angezündet hat. Er verflucht den guten Wein, denn dieser ist wahrhaftig der Grund für seinen festen Schlaf. »Zur Hölle«, knurrt er und will nach seinem Colt greifen, den er immer neben sich auf den Nachttisch legt. »Die Kanone habe ich schon«, sagt Gray Pickett trocken. »Stehen Sie auf, Mister Shanessy! Ich habe das Geld für die Schuldscheine bei mir. Und den Sheriff habe ich überdies ebenfalls mitgebracht. Er wird als Zeuge unterschreiben.« Tobias Shanessy sitzt einige Sekunden regungslos im Bett und verdaut diese Nachricht. Und weil er ein ganz schlauer Mann ist, verschwendet er keine Zeit damit, gegen diese Art von Besuch zu protestieren. Er steht auf und murmelt: »Ich habe es damals schon geahnt, daß Sie ein gefährlicher Mann sind. – Konnte meine Revolvermannschaft…« »Ich bin mit der Postkutsche gekommen! Ihre Revolverhelden, die Sie der heimkehrenden Mannschaft entgegenschickten, leisten nutzlose Arbeit. Ich bin hier und löse die Schuldscheine ein! Vorwärts, Mister!« Tobias Shanessy geht vor ihm hinaus und betritt sein Arbeitszimmer. Hier wartet Sheriff Robin Jones. Sein Gesicht ist bleich. Er sieht Tobias Shanessy unruhig an. Aber er sagt nichts. Von Oven Payne ist nichts zu sehen, doch die Tür zum Nebenzimmer ist nur angelehnt. Gray deutet auf einige Geldscheinpäckchen, die er vorher auf
den Tisch gelegt hat. »Da ist eine Menge Geld, mehr, als wir benötigen. Also holen Sie jetzt die Schuldscheine. Es wird alles richtig nach Recht und Gesetz abgewickelt. Der Sheriff ist ja bei uns!« Er sagt es ernst. Shanessy starrt den Sheriff an. Dessen Augen irren zur Seite. Einige Sekunden zögert Shanessy. Dann holt er ein dünnes Kettchen aus dem Ausschnitt seines Schlafanzuges. Er geht damit in die Ecke des Zimmers und öffnet einen Geldschrank. Der Schlüssel hängt an jenem Kettchen, das der Großrancher am Hals trägt. Außer dem Schloß, das er mit dem Schlüssel entsperrt, muß er noch ein zweites Schloß entriegeln, indem er an einer kleinen Walze einige Zahlen einstellt. Dann ist die Verriegelung des Geldschranks frei. Shanessy betätigt den Knebelgriff. Die Tür öffnet sich. Shanessy nimmt einige Papiere heraus und kommt damit zum Schreibtisch. »Machen Sie nur alles richtig fertig, und nennen Sie mir die Endsumme«, lächelt Gray. Er richtet den Colt auf den Rancher und nähert sich dem Geldschrank. »Ich muß mich leider selbst überzeugen, ob Sie nicht gar einen Schuldschein im Schrank vergessen haben.« Da brüllt Tobias Shanessy wütend auf. »Sie Bandit! Sie haben kein Recht, in meinem Geldschrank herumzuschnüffeln! Zum Teufel, Sheriff! Sie tragen doch einen Colt! Warum verhaften Sie diesen üblen Burschen nicht?« Obwohl Tobias Shanessy droht und flucht, beginnt Gray den Inhalt des Schrankes zu untersuchen. Dabei behält er jedoch die beiden Männer scharf im Auge und seinen Colt schußbereit in der Hand. Immer wieder wirft er einen schnellen Blick auf Shanessy. Er findet viele Papiere, die ihm eine Menge über den Umfang von Shanessys Geschäften verraten. Als er dann aus dem
untersten Fach einen alten Karton herausnehmen will, beginnt Shanessy wieder wütend zu fluchen. »Sie Schuft! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß alle Schuldscheine, die ich aufkaufen konnte, hier auf dem Tisch liegen! Lassen Sie…« »Nur ruhig, Mister Jack Carter«, sagt Gray, nimmt den Karton heraus und bringt ihn zum Tisch. Shanessy ist bei der Nennung seines anderen Namens zusammengezuckt. Und dann strafft er sich. Er wirkt mit einem Male hart und gefährlich. Erst jetzt begreift er, daß es hier noch um ganz andere Dinge geht, um Dinge, die schon viele Jahre zurückliegen und die er längst vergessen glaubte. »Was soll das bedeuten?« fragt er heiser. Gray öffnet indes den Pappkarton. – Alte Bilder, Briefe, Urkunden und Ausweise sind hier enthalten. Der Besitztitel einer Ranch ist dabei. Und dann findet Gray ganz zuunterst einen alten Steckbrief. Gesucht wird Jack Carter! � Fünftausend Dollar Belohnung für � JACK CARTER � Unter diesen beiden fett gedruckten Überschriften ist das Bild eines Mannes zu sehen. Es ist eine Zeichnung, aber sie ist gut gedruckt und weist eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Tobias Shanessy auf. Darunter folgt eine genaue Beschreibung. Gray grinst. Er reicht den Steckbrief dem Sheriff. »Sehen Sie sich das an, Jones. Da wird ein gewisser Jack Carter in Missouri wegen verübten Terrors, Landfriedensbruchs, Brandstiftung und Bandenführung gesucht. Als Kennzeichen ist auch eine Narbe auf dem linken Handrücken angegeben. Sehen Sie sich Tobias Shanessy an, Sheriff, und Sie haben die Möglichkeit, fünftausend Dollar zu
verdienen. Hinter diesem Burschen sind die US Marshals her, und er hat es nur gut verstanden, während des Krieges unterzutauchen. Sicherlich ist er irgendwie für tot erklärt worden. Aber er ist es!« Gray wendet sich dem Rancher zu, den er bisher nur aus dem Augenwinkel beobachtete. Nun kreuzen sich ihre Blicke. In Shanessys Augen glitzert eine wilde Wut und böse Mordlust. Gray sagt: »Ich habe darauf gehofft, daß es die Steckbriefe von Ihnen gab, Shanessy oder Carter. Ich habe es gehofft. Und ich wußte, daß Sie, wenn es solche netten Steckbriefe gegeben hat, sich einen davon zur Erinnerung an wilde Zeiten aufheben würden. Sie sind eitel und gefallsüchtig, Shanessy! Sie waren in Missouri ein großer Mann! Aber nachdem Sie die Ranch meiner Eltern abgebrannt hatten und Ihre Handlanger es noch toller trieben, hat man Ihnen wohl das Handwerk gelegt. Nun, meine Mutter war zu dieser Zeit mit mir nach Texas gezogen. Es hätte uns gefreut, wenn wir gehört hätten, daß Sie Ihr Spiel zu scharf und zu weit getrieben hätten, so daß Sie zum steckbrieflich gesuchten Landfriedensbrecher und Banditen wurden. Sie werden mich nicht erkennen, Shanessy, aber es gab in Missouri einen kleinen Rancher, den Sie zuallererst zertreten ließen.« Er verstummt bitter und sieht den Mann fest an. Tobias Shanessy setzt sich langsam auf den Stuhl hinter dem breiten Schreibtisch. Er lächelt kalt und wendet sich an den Sheriff, der ihn unruhig anstarrt. »Nun gut«, sagt er, »erledigen wir erst einmal die Sache mit den Schuldscheinen. Die Gesamtschuld der Creek-Rancher beläuft sich auf siebenundzwanzigtausend Dollar. Ich werde diese Schuldscheine löschen, und der Sheriff wird als Zeuge unterschreiben.« Wie beiläufig öffnet er eine Schublade und greift ruhig hinein. »Ich habe hier sogar schon eine Quittung vorbereitet, die ich
nur noch unterschreiben muß«, sagt er dabei. Aber als er die Hand aus der Schublade nimmt, liegt ein kleiner Colt Derringer darin. Er richtet.die kleine Waffe auf Gray Pickett und sagt: »Jetzt ist also Schluß damit! Los, Jones, ziehen Sie Ihren Colt!« Er sieht Gray dabei wachsam und mordlustig an. In diesem Moment öffnet sich die Tür hinter Gray Pickett. Es ist die Tür, die zum Wohnraum und zur Treppe führt. Gray wendet seinen Kopf. Und er sieht das große und schöne Mädchen, das damals in Caddo zu Tobias Shanessy in den Wagen stieg, nachdem Shanessy im Speisesaal mit Gray Pickett gesprochen hatte. »Vater«, sagt das Mädchen, »ich habe alles gehört. Und ich lasse nicht zu, daß du einen Mord anstiftest! Du hast mir damals nie erzählt, warum meine Mutter dich verließ. Jetzt weiß ich es! Also war alles, was du mir erzähltest, als du mich aus dem Pensionat holtest, eine Lüge! – Sheriff, Sie werden nach Recht und Gesetz handeln! Ich werde nicht dulden, daß hier…« Weiter kommt das Mädchen nicht. Tobias Shanessy brüllt plötzlich wütend auf. Und dann schießt er. Seine kalte Beherrschung hat ihn nun verlassen. Seine wilde Mordlust und der Wunsch, den Mann, der ihn bloßstellte, zu töten, haben Überhand bekommen. Gray bekommt die erste Kugel in den Arm und taumelt zur Seite. Er zieht seinen Colt – aber bevor er schießen kann und bevor Tobias Shanessy zum zweiten Male abdrückt, öffnet sich die andere Tür, die nur angelehnt war. Oven Paynes Colt kracht dumpf im Raum. * Es ist gegen Mittag des nächsten Tages, als Gray Pickett die �
Ranch von Wade Scorby in Sicht bekommt. Als er in den Hof reitet, tritt ihm der Alte entgegen. Grays rechter Arm ist verbunden und ruht in einer Schlinge vor der Brust. Er sitzt langsam ab und wendet sich dem einarmigen Alten zu. »Alles ist ausgekämpft«, sagt er. »Die Schuldscheine sind eingelöst. Und Tobias Shanessy ist tot. Oven Payne hat ihn erschossen, um mich zu retten. Diesmal wäre ich nicht schnell genug gewesen. Oven Payne und Shanessys Tochter haben das Blatt gewendet. Dieser Sheriff taugt nicht viel. Wir werden ihn bald durch einen besseren Mann ersetzen müssen. Miß Shanessy wird die Ranch ihres Vaters verkaufen. Und unsere Mannschaft wird in den nächsten Tagen eintreffen.« »Du redest ziemlich durcheinander«, sagt Wade Scorby, »aber ich kann mir alles gut zusammendenken. Du hast schon Wundfieber! Warum bist du mit diesem blutigen Arm noch so lange geritten?« Aber da merkt er, daß Gray über ihn hinweg zur Tür des Hauses sieht. Er folgt Grays Blick und sieht seine Tochter. Da versteht er, warum Gray nicht in die Stadt zum Doc, sondern hierhergeritten kam. »Mädel«, ruft er, »Gray ist verwundet! Und es ist alles gut für uns ausgegangen! Gray redet so, als brauchten wir uns keine Sorgen mehr zu machen!« Joyce kommt schnell gelaufen. »Ich habe die Tage wirklich gezählt! Jetzt sehe ich dein Gesicht endlich richtig, und ich weiß nicht, was dir daran nicht gefällt. Komm, Gray, ich werde dir zeigen, wie gut ich für einen verwundeten Mann sorgen kann. Du brauchst ja nicht schon morgen wieder eine Herde nach Dodge City zu treiben! Wir haben eine ganze Menge Zeit!« Sie tritt an Grays Seite und führt den leicht schwankenden Mann zum Haus hinüber. Wade Scorby sieht seiner Tochter und dem großen Reiter
einige Sekunden nach. Dann murmelt er: »Oh, wir brauchen wahrscheinlich gar keine siebente Ranch am Creek abzutreten. Ich denke, daß er bald diese Ranch hier übernehmen wird. Wie schnell das mit diesen jungen Leuten geht! Der war ja ganz durcheinander! Zum Teufel, ich muß nach Caddo, damit ich den Sheriff und Oven Payne sprechen kann.« Und in der Stadt erfährt Wade Scorby dann, daß Maureen Shanessy die Leitung der Ranch übernommen hat und sicherlich als Erbin verhindern kann, daß auf dieser Weide noch einmal gekämpft wird. Shanessys angeworbene Revolverleute werden ohnehin verschwinden, sobald es ihnen klar wird, daß sie keinen Revolverlohn mehr bekommen, weil ihr Auftraggeber plötzlich verstorben ist. Zur selben Zeit, da Wade Scorby dies alles klar wird und er dem Sheriff sagt, daß dieser besser nach Erledigung der noch notwendigen Dinge sein Amt niederlegen und verschwinden sollte, zur selben Zeit also, da liegt Gray Pickett auf einem bequemen Sofa. Er spürt die Schmerzen in seinem nun ordentlich verbundenen Arm gar nicht mehr, sondern fragt: »Hast du manchmal nach den Sternen gesehen und an mich gedacht, Joyce?« »Ich habe ständig an dich gedacht, Gray.« »Und hast du schon herausfinden können, ob ich ernsthafte Chancen bei dir habe?« »Hätte ich dich sonst geküßt, Mister?« »Dann küsse mich bitte noch mal, Lady!« ENDE
Auch in der kommenden Woche begeistert der große G. F. Unger seine Leser mit einem Spitzenwestern! Band 702 trägt den Titel:
Steamboat-Ritter � Robin Monyhan und Blake Scotthunter, die beiden Dampfschiffkapitäne, waren Partner und Freunde. Bis die schöne Bea sie in eine wilde Goldjagd verwickelte und zu Todfeinden machte…