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Kulturland aus Wüstensand Schon wiederholt ist an dieser Stelle von den Problemen die Rede gewesen, die der Menschheit über kurz oder lang aus der Übervölkerung der Erde und der Erschöpfung lebenswichtiger Rohstoffe, wie Kohle und Erdöl, erwachsen können. Im Zeitalter der Weltraumfahrt wird man vielleicht versuchen, auf fremden Planeten neues Siedlungsland zu erschließen. Aber heute ist es noch nicht so weit. und außerdem ist es fraglich, ob die Besiedlung anderer Gestirne in größerem Umfang möglich sein wird. Vorläufig würde die Erde selbst dem Menschen genug Lebensraum bieten können, wenn er es verstände, Ödland in großem Umfang mit den Mitteln einer fortschrittlichen Technik zu kultivieren. Ein breiter Gürtel mächtiger Sandwüsten dehnt sich unter dem nördlichen und südlichen Wendekreis. Man denke nur an das Innere Arabiens, die Indische Wüste, die Wüsten Australiens und die Sahara in Nordafrika, die größte aller Sandwüsten der Welt. Von der geplanten Bewässerung der Sahara wurde schon kurz in der Einleitung zum 18. UTOPIABand berichtet. Zwei Wege wären für die Durchführung dieses Planes denkbar. So könnte man von der Küste des Mittelmeeres aus Meerwasser in die trockenen Gebiete leiten, oder man würde das Wasser aus den unterirdischen Seen heraufpumpen, die – aller Wahrscheinlichkeit nach – in großer Ausdehnung tief unter dem Wüstenboden liegen. Die neue UTOPIA-Erzählung führt uns in eine Zeit, in der das „Sahara-Projekt“ seiner Vollendung entgegengeht – ein Projekt, dessen Verwirklichung der Menschheit rund 6 Millionen Quadratkilometer neues Kulturland bescheren würde.
Von Alf Tjörnsen Noch gut zwanzig Meilen bis Djaret! Maurice Charbonnier schnüffelte mißtrauisch in den eisigen Wind, der über die nächtliche Wüste fuhr. Zum Aufatmen war es wohl noch zu früh. „Orr – wenn alles nur blinder Alarm wäre?“ Der baumlange Unterleutnant der Weltpolizei mit dem zerhauenen Gesicht hielt nicht viel von Wundern. Und er tat gut daran; denn keine Minute später riß Charbonnier den Hubschrauber herunter. Orr nahm sein Fernglas nicht von den Augen. „Gut so – noch zehn Meter –“ Der Wüstenboden ruckte aus dem Zwielicht der sternklaren Nacht heran. Hinter ihnen rauschte ein Schwarm aufgeschreckter Webervögel durch die verlorene Einsamkeit. Die beiden Männer achteten nicht darauf. „Da war doch ein Schatten, verflucht nochmal!“ „Glauben Sie an Wüstengeister, Orr?“ „Mit Verlaub, ich glaube lieber an flüssige Geister“, grinste 3
der Unterleutnant flüchtig. „Ich auch“, nickte der Franzose mit angespanntem Gesicht. „Aber seit einigen Wochen scheint mir alles möglich zu sein. Möchte nur gern wissen, wer hinter diesem verteufelten ‚Hammada-Bund’ steckt, der In Salah und die Djaret-Oase dem Erdboden gleichmachen möchte.“ Der lange WP-Mann hatte sein Urteil fertig in der Tasche. „Die Araber“, sagte er schlicht und tastete jeden Zentimeter des unter ihnen kreisenden Bodens mit den Augen ab. „Sie machen es sich zu einfach.“ Charbonnier stellte die Steuersäule auf Linkskurve. „Es ist gewiß nicht so, daß alle Araber und Berber sich wutentbrannt auf unsere Anlagen stürzen. Der kleine Landarbeiter, der von den selbstherrlichen Kaids abhängig ist. wird Allah in allen Tönen preisen, wenn wir ihm einst Grund und Boden geben …“ „… aber die Kaids, diese alten Sklavenhalter, werden es nicht gern sehen.“ Die Maschine kurvte dicht über dem rötlich schimmernden Boden, der südwärts leicht anstieg. Umsonst! Der Schatten, den beide durch die Nacht huschen sahen, blieb verschwunden. Nur der Wind sang leise – eintönig und geheimnisvoll. „Ich glaube nun doch an Wüstengeister, Monsieur.“ „Oder diese öde Gegend schlägt auf die Augen.“ Charbonnier liebte die Wüste, aber wenn sie sich finster und bedrohlich vor ihm auftat, purzelten seine Gefühle durcheinander. „Hier hat es keinen Zweck mehr.“ „Fliegen Sie weiter.“ Charbonnier spürte die metallene, kühle Steuersäule in seiner Faust, und das tat gut – es war etwas sehr Reales in diesem zwielichtigen Reigen unfaßbarer und teuflischer Gefahren, die seit einigen Wochen über das große Werk hereingebrochen waren. Die Nadeln der Anzeiger pendelten aus. Wieder Südkurs. Orr ließ das Glas sinken und fuhr sich über die schmerzenden Au4
gen. „Verdammtes Gesindel – sie kommen aus der Nacht und verschwinden wieder im Dunkeln, und wo sie gewesen sind, ist alles im Eimer. Man müßte alle Oasen im Umkreis von dreihundert Meilen durchkämmen.“ „Was einbringen würde es bestimmt, wenn eine solche Aktion ganz überraschend käme. Jim Parker müßte wieder ran, der damals auch mit den Brunnenvergiftern abrechnete. Geben Sie mir auch eine, Orr.“ Der Unterleutnant hatte eine Zigarettenpackung aus der Tasche geholt und riß die Glaspapierhülle ab. Dabei starrte er in die Nacht, die schwarz heranschwebte, um hinter ihnen im Wesenlosen zu versinken. „Noch fünf Stationen bis Djaret“, knurrte er mißmutig. „Und jede nur mit zwanzig Mann besetzt. Wenn heute nacht alles ruhig bleibt, will ich weiße Mäuse fressen.“ „Drohungen genug hagelt es ja wieder in der Verwaltung“, nickte der Franzose und nahm eine Zigarette. „Die schöne Zora, die sich immer nach ihrem braunen Achmed sehnt, hat nichts anderes mehr zu tun, als die meisten dieser schmierigen Drohbriefe dem Chef zu verheimlichen.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Da haben wir ja schon ‚In-Salah IV’.“ „In-Salah IV“ – eine der kleineren Bohrstationen mit ihren vier, fünf Gebäuden und dem frierend-kahlen, hohen Bohrturm in der Wüsteneinsamkeit. Vorbei. Noch vier Stationen. „Scheint tatsächlich gut zu gehen.“ Orr stützte seinen Kopf in die Hände und wäre am liebsten für ein paar tiefe Atemzüge eingeschlafen. Es war ein bißchen viel, was von dem kleinen WP-Kommando an Wachsamkeit verlangt wurde, seit man nur noch von Feindseligkeiten und Drohungen lebte. Aber seine Müdigkeit hielt nicht lange an. Der Himmel vor ihm – weit vor ihm – schob sich in einem unruhigen Rot über den Horizont 5
und riß ihn wieder hoch. „Es scheint nur so, Monsieur“, sagte er böse und preßte das Glas wieder gegen die Augen. „Sehen Sie es?“ Charbonnier war nicht blind. „Ich sehe es schon“, erwiderte er hart. „In-Salah V brennt!“ Charbonnier pendelte die Steuersäule etwas zur Seite aus. Die Maschine kletterte mit rotierenden Flügeln auf 800 Meter. „In-Salah V“ brannte! Gewiß nicht, weil mit der Arbeit etwas schiefgegangen war, oder aus Fahrlässigkeit – sonst hätten die Jungen schon Alarm gegeben. Sie waren aber wohl nicht mehr dazu gekommen. „Was werden sie in der Verwaltung sagen?“ „Und in Paris!“ * Paris. Ein Mann beugte sich Ober eine Karte und legte mit schlanker, beringter Hand eine Zigarette in den Ascher. Draußen über dem Boulevard dehnte sich sternenübersät und warm die Nacht. Die Uhren zeigten auf 23.05. Vor genau sechs Minuten hatten mitten über der Wüste zwei einsame das furchtbare Wort gesprochen: „,In-Salah V’ brennt!“ Aber davon wußte dieser Mann noch nichts. „Messieurs“, lächelte er liebenswürdig, und der kostbare Turmalin leuchtete im grellen Schein der tiefstehenden Lampen auf. „Sehen Sie bitte hier.“ Eine Gruppe elegant gekleideter Herren trat an den großen Tisch. Journalisten. Sie brachten jene übereifrige Neugierde mit, die von ihren Redaktionen gefordert wurde. Nur wenige von ihnen zeigten wirkliches Interesse. Einer ließ nervös seinen Bleistift kreiseln. 6
„Wir sind gespannt, Monsieur de Beaumont, wie weit das Sahara-Projekt in den letzten Monaten gediehen ist.“ Der Mann mit den gepflegten Händen und dem schönen Ring lächelte wieder. De Beaumont war der jüngste Direktor im „Weltamt Sahara“, und für ihn war eine Pressekonferenz immer eine willkommene Gelegenheit, seine Person in Szene zu setzen. Er war aber sonst ein netter Kerl und hatte mehr Wüstensand geschluckt als seine Gäste zusammengenommen. Lässig richtete er sich auf und drückte auf einen Knopf, wodurch die große eingespannte Karte mit blauen und roten Glühbirnchen hochklappte. „Hier ist In-Salah.“ Der Finger zeigte auf einen roten Punkt zwischen Tidikelt und Ahaggar-Massiv. „Wir haben diesen an sich uninteressanten Wüstenort zum Ausgangspunkt unserer Arbeit bestimmt, weil der große unterirdische Atlassee mit seinem letzten schmalen und 600 Meter tiefen Ausläufer an ihn heranreicht. In-Salah liegt sozusagen an seinem südlichen Ufer. Was dahinter kommt, ist ohne nennenswertes Grundwasser. Unser Plan geht nun dahin, von In-Salah aus sternförmig gigantische Wasserleitungen auszustrahlen und so nach und nach ein halbkreisförmiges Gebiet von rund 500 Quadratmeilen zu bewässern. An beiden Seiten der Wasserleitungen sollen künstliche Oasen angelegt werden. Die erste Leitung zwischen InSalah und dem 50 Meilen entfernten Djaret ist so weit vollendet, daß hier unsere ‚Djaret-Oase’ bereits im Entstehen begriffen ist.“ Bleistifte hechelten über Notizblöcke. „Auf wieviele Jahre ist das Projekt berechnet?“ „Auf 15 Jahre.“ „Man hofft also – wenn ich Sie recht verstanden habe – auf diese Weise in der Wüste eine fruchtbare Insel anzulegen, mit In-Salah als Mittelpunkt?“ „Sie haben mich verstanden.“ 7
„Wird man auch in anderen Teilen der Sahara ähnliche Vorhaben starten?“ „Gewiß – wenn wir Erfolg haben, und die geologischen Verhältnisse günstig sind.“ Auf den glatten Gesichtern der Pressemeute machte sich die erste Erregung bemerkbar. Einige der Herren zeigten offen ihre Bewunderung. Andere lächelten ironisch. De Beaumont lächelte auch – aber zufrieden. „Das Weltamt hatte bisher über seine Arbeit bedauerlicherweise den Schleier eines Geheimnisses ausgebreitet“, kam die nächste Frage. „Es wird die Öffentlichkeit interessieren, ob die Verantwortlichen mit einem Erfolg dieses gigantischen und sicher kostspieligen Projekts rechnen.“ „Die Arbeiten verlaufen planmäßig.“ „Haben Sie mit irgendwelchen Schwierigkeiten zu kämpfen?“ De Beaumont verlor nichts von seiner Ruhe. „Schwierigkeiten gibt es überall, Monsieur.“ „Wir hörten von der Existenz einer arabischen Untergrundbewegung, die das Projekt und seinen Weltbeauftragten, Doktor Allahdah, bekämpft – mit allen Mitteln –“ Die Bleistifte wurden gestoppt. Die Blicke wurden schärfer. Der Direktor sah ein peinliches Trommelfeuer herannahen, mit dem er nicht gerechnet hatte. Den Brüdern blieb wirklich nichts verborgen. Wenn er jetzt leugnete, gab es todsicher einen heillosen Skandal, der das Ansehen des Weltamtes wie Fensterscheiben zerschlagen konnte. De Beaumont stand vor der ersten persönlichen Entscheidung seiner Laufbahn, und er entschied sich richtig. „Sie sind gut informiert, Monsieur – mein Kompliment! Es gibt tatsächlich eine Organisation, die sich ‚Hammada-Bund’ nennt und bereits durch die Tat bewiesen hat, wie sehr sie uns haßt.“ 8
„Interessant! Können Sie Einzelheiten bekanntgeben?“ „Mit dem größten Vergnügen – wenn ich unter den betrüblichen Umständen so sagen darf. Die Terroristen – eine sanftere Bezeichnung gibt es für diese Halsabschneider nicht – haben vor einigen Tagen eine südlich von In-Salah gelegene Bohrstation überfallen, das Personal umgebracht oder verschleppt und die Anlagen zerstört.“ „Unglaublich!“ stieß ein schnaufender Dicker hervor, und einer seiner Kollegen fügte hinzu: „Und so etwas wird der Öffentlichkeit verheimlicht – wirklich unglaublich –.“ De Beaumont hatte nie entrüsteter ausgesehen. Abwehrend hob er beide Hände. „Aber erlauben Sie – Sie haben mir nur vorgegriffen. Tatsächlich war es meine Aufgabe, Sie entsprechend zu informieren.“ Seine Hände stießen in die Richtung der Tür, die sich gerade öffnete. Einer seiner Mitarbeiter trat herein und winkte verstohlen. „Sie müssen mich für einen Augenblick entschuldigen.“ Die Pressemeute blieb aufgeregt und händereibend zurück. Die Schlagzeile für die Morgenausgabe war gesichert. Draußen aber sank der Direktor aufatmend gegen die Wand. „Rettung im rechten Augenblick, mein Lieber. Diese Schweinerei mit den Hammada-Banditen spricht sich bereits herum. Darum aber brauchen Sie nicht blaß zu werden.“ „Eine entsetzliche Nachricht, soeben aus In-Salah eingegangen“, stöhnte der andere verstört. „Mademoiselle Zora war persönlich am Apparat. ‚In-Salah V’ ist überfallen worden.“ „Auch das noch!“ De Beaumont richtete sich mühsam auf und fühlte eine herzjagende Schwäche in sich aufsteigen. „Tote? Sprechen Sie bitte leise.“ „Vier – der Rest ist verschwunden, wahrscheinlich verschleppt worden, die Anlagen sind dem Erdboden gleichgemacht.“ „Ah, das ist furchtbar!“ Der Direktor taumelte den Gang ent9
lang. Seine Hände waren eiskalt und zitterten. Sie schlugen zu, diese heimtückischen Fanatiker, sie würden wieder zuschlagen – immer wieder. Bis kein Mensch sich mehr in die Wüste um InSalah wagte, bis Doktor Allahdah und das Weltamt klein beigeben würden. Sie verteidigten die Wüste, kein Mensch hatte einen von ihnen gesehen, ohne in der nächsten Minute ihr Opfer zu sein, sie waren unsichtbar und unvorstellbar grausam. „Ich fliege nach In-Salah!“ Er stieß die Tür zu seinem Arbeitszimmer auf, und in seinen Augen leuchtete es zornig. „Jim Parker ist vielleicht schon da – er wollte sich die Arbeiten ansehen, und ich habe ihn gebeten, erst einmal unauffällig die Lage zu peilen.“ „Jim Parker – ja, das wäre der richtige Mann für die Hammada-Helden!“ Und der kleine Beamte bog die Arme durch, als könnte er es dem großen Sternenfahrer gleichtun. * ,In-Salah V’ brannte. Zwei verwegen aussehende Hammada-Terroristen duckten sich hinter dem Steinwall, der die Station zur Wüste hin abgrenzte. Sie trugen dunkelblaue, uniformähnliche Kombinationsanzüge, unterschieden sich aber trotzdem beträchtlich voneinander. Während der eine von einer bulligen, untersetzten Stämmigkeit war, die nur brutal zupacken konnte, war sein jüngerer Kamerad wesentlich auffallender. Hochgewachsen und voll geschmeidiger Kraft war dieser junge Araber, dessen kluges, gutgeschnittenes Gesicht von zwei unsagbar kalten und höhnischen Augen beherrscht wurde. Er zeigte mit der Hand auf die brennenden Stationsgebäude, die gut hundert Meter vor ihnen lagen. „Das bauen sie in zwei Monaten nicht wieder auf, Kabu!“ Der Stämmige leckte sich die aufgesprungenen Lippen. „Mö10
ge Allah sie vernichten, diese Sendboten des Teufels, mögen sie keine Ruhe mehr finden, die Wüste weiter zu schänden.“ In der Ferne verlor sich Hufgetrappel. Sie waren allein – die letzten des Terroristenkommandos. Nur das Feuer spielte vor ihnen und war von einer bösen Emsigkeit, wie es sich durch die Trümmer der Häuser fraß. Kabu wurde unruhig. „Das Feuer ist weit zu sehen, Achmed – wir wollen uns beeilen.“ „Der Bohrturm steht noch!“ „Wir beide allein können ihn doch nicht in die Luft jagen.“ Um den harten Mund des Arabers spielte ein verächtliches Lächeln. „Von der Weltpolizei haben wir noch nicht viel gemerkt; diese feinen Herren teilen ihre Kontrollen so ein, daß wir uns mit der Uhr danach richten können.“ „Allah ist mit uns!“ Durch das Heulen des Feuers drang Motorengeräusch. Kabu fuhr zusammen und hob den Kopf. „Hörst du es, Achmed?“ „Ein Flugzeug.“ „Wir müssen verschwinden!“ „Feinde sind dazu da, um vernichtet zu werden.“ „Ich habe keine Lust, mich abfangen zu lassen“, begehrte der andere auf. „Die Weltpolizei wird uns nicht mit Handschuhen anfassen.“ „Dafür aber der Henker, wenn es soweit ist, mein guter Kabu!“ Kabu schielte flüchtig und schluckte. Was dieser unnahbare Achmed nur Immer hatte! Das Motorengeräusch verstärkte sich, und Kabu schloß die Augen. Wenn das die Weltpolizei war, gab es für sie kein Entrinnen. Plötzlich sagte Achmed leise und zischend: „Paß auf, du Kameltreiber – vor uns ist etwas –“ „Natürlich“, murrte Kabu und verhielt sich ruhig. „Ich sagte ja schon, daß …“ 11
„Still!“ Der junge Terroristen-Führer richtete sich etwas auf und starrte in die Rauchwolken, die aus der Gasse zwischen den Stationsgebäuden zu ihnen herüberquollen. Hatte sich dort nicht ein Schatten bewegt – eine menschliche Gestalt, die gebückt vor den glosenden, zerspringenden Fenstern der brennenden Gebäude dahinschlich? Nun war sie verschwunden. „Kabu!“ Ein unbestimmtes Grauen überkam den jungen Araber, der so spöttisch und überlegen aussah. Wie konnte ein Mensch lebend durch die Flammenhölle dort drüben kommen? Achmed schob seine Kappe aus der Stirn und packte den gar nicht mehr so großmäuligen Kabu am Arm. „Hör zu, ich muß wissen, wer es ist.“ „Allah erhalte deine Gesundheit, du willst doch nicht …“ „Schon gut, Kabu. Wenn ich nicht zurückkommen sollte, verbirgst du dich in der Wüste und rufst in Arrad an. daß sie dich herausholen. Wenn das Flugzeug herunterkommt, mußt du dich verteidigen.“ Kabu war sicher kein Feigling, aber er spürte ein scheußliches Würgen im Halse. Allein in dieser furchtbaren Umgebung, allein mit den Toten, die hinter dem Maschinenhaus lagen und von seinen Männern erschossen worden waren? Nur, weil Achmed noch den Bohrturm sprengen wollte? Er konnte nicht antworten und sah mit weitaufgerissenen Augen zu, wie sein Führer sich robbend über den Steinwall schob. Und er sah auch, wie plötzlich eine Gestalt aus dem Nichts auftauchte und sich gegen Achmed warf. Er sah es, war sofort hoch und feuerte in panischer Angst, was sein Karabiner hergab. „Achmed – Achmed – zurück –“ Aber Achmed hatte sich überrumpeln lassen. Ein furchtbarer Uppercut riß ihm den Kopf nach hinten weg, ließ ihn in die Knie brechen und den Wall hinunterrollen. Gleichzeitig sprang der Unheimliche über Achmed weg, um aus der Feuerlinie zu 12
kommen. Und bevor der edle Wüstenbandit dem fliegenden Menschen mit seiner Knarre folgen konnte, war es aus mit seiner wilden Knallerei. Aus dem Stand schnellte der andere abermals durch die stickige, rauchgeschwängerte Luft und prallte mit dem guten Kabu zusammen, daß diesem der Karabiner aus der Hand flog. „So, du komischer Scheich, nun halte mal schnell die Hände ruhig …“ Kabu dachte nicht daran. Er reagierte mit Routine des abgebrühten Schlägers und ließ sich einfach fallen. Aber der Unheimliche kannte diese Kniffe und fing sich ab, bevor er ins Stürzen kam. „Heiliger Jupiter!“ Bevor der Hammada-Mann wieder aufspringen konnte, warf er sich über ihn und zwang ihn mit einem eisernen Judogriff, hübsch ruhig am Boden zu bleiben. Kabu wandte sich und schielte durch Jims gebeugten Arm zu Achmed rüber, der sich langsam aus seiner halben Betäubung aufstemmte. „Bist du friedlich, du Wüstengespenst?“ Ja, Kabu war friedlich, aber er grinste unter Schmerzen, als der Unheimliche Ihn an Händen und Füßen band. Achmed sah sehr kühl und aufmerksam herüber, sprang plötzlich auf und rannte davon – über den Wall und in das Stationsgebäude hinein. Das fremde Geräusch der herabgetretenen Steinchen ließ den Fremden mit einem handfesten Fluch auffahren. Er nahm den Karabiner hoch, warf ihn mit weitem Schwung in das Feuer und rannte hinterher. „Renn nur, renn nur, der Teufel wird dich holen“, lachte Kabu laut und hohnvoll. „Du Ungläubiger kommst zu spät – Achmed ist schneller –“ Aber der Mann kannte wohl kein „Zu spät“. Drüben hinter dem brennenden Mannschaftsraum reckte sich der 60 Meter hohe Bohrturm, der mit seinem mächtigen Meißel tief unter der 13
Erde das köstliche Naß des vielfältigen Segens berührt hatte. „Bei allen Planeten – der Bursche ist ja toll geworden“, knurrte der Mann verbissen, während er federnd hinter Achmed herjagte, der tatsächlich um das Mannschaftshaus herumrannte. Hinter ihnen landete mit glosenden Scheinwerfern ein Hubschrauber. Achmed aber triumphierte innerlich, als der Turm vor ihm aufragte. * In der Verwaltung in InSalah schlichen die Minuten. Charbonnier und Unterleutnant Orr gaben für die alarmierte und bereits ausgerückte Fliegerstaffel der WP Leitkommandos. Der Mann hinter dem Schreibtisch hatte den Kopf in die Handflächen gestützt und starrte mit düsterem Gesicht, in das eine unerträgliche Spannung fast schmerzhafte Spuren gegraben hatte, auf den kleinen Empfänger, der vor ihm stand. Doktor Ibrahim Allahdah! Er wollte die Wüste aufblühen lassen, und nun erhob sie sich gegen Ihn. In kurzen Abständen kamen leise die Kommandos. Die Staffel stand nun kurz vor „In-Salah V“. Während die Stimme des Staffelführers unheimlich ruhig die Gegenmeldungen gab, glitten die Hände von dem länglichen, sonst so ener14
gievollen Gesicht, und die Rechte hob einen billigen Notizblock auf. „Termine B 23“ stand mit Bleistift auf dem ersten Blatt. Langsam wurde das Blatt abgerissen und zerknüllt. Diese Termine waren nun sinnlos geworden, und man mußte gut sechs Wochen zulegen, bis man den Arbeitsabschnitt B 23, der unter anderem den ersten probeweisen Wasserdurchfluß durch das gesamte Kanalsystem der neuen Oase vorsah, beenden konnte. Die Hand ballte sich in jäher Selbstverachtung und schleuderte zornig den abgerissenen Zettel in den Bastkorb. Inzwischen kamen aus dem Hubschrauber weitere Mitteilungen. „Achtung, an Chef! Wir haben den Bohrturm umflogen und festgestellt, daß er unversehrt ist. Wir setzen zur Landung an.“ Das war immerhin eine Mitteilung, die die Schwere der neuen Niederlage etwas abdämpfte; denn die Bohrtürme waren die neuralgischen Punkte der ganzen Anlage. Aber auch das konnte den Weltbeauftragten nicht trösten. Bitter lachte er auf, und sein Kopf sank vornüber. Vierzig Meilen von ihm tobte das große Feuer, hetzte der junge Hammada-Führer mit jagendem Herzen in den Bohrturm und ging der Hubschrauber wie ein unbeholfenes Fabelwesen auf dem Stationsplatz nieder. Allahdah wußte nicht, daß der Bohrturm in Gefahr war. Um ihn versank alles in einer wesenlosen Dämmerung. „Herr Doktor – Doktor Allahdah, ist Ihnen nicht gut?“ Wie müde er war! Aus unendlich weiter Ferne plätscherten die Kommandos aus dem Empfänger. Und eine warme Frauenstimme war plötzlich da, die ihn besorgt umtastete. „Sie dürfen es nicht so schwer nehmen, Herr Doktor – man kann das Recht nicht durch Terror beugen –“ „Sie reden wie eine weltfremde Idealistin, Zora“, winkte er ab, und seine Augen schienen die junge Araberin nicht zu sehen, die neben ihn getreten war. Von einer schmalen, zierlichen Schlankheit war sie, aber sie zeigte in ihrem bescheidenen Auftreten den Adel eines alten, vornehmen Geschlechts. „Wer weiß 15
denn, ob es Recht ist, was wir tun?“ „Doktor Allahdah!“ Erschreckt fuhr sie auf und legte Ihre Hand auf die Schulter des großen einsamen Mannes. „Begreifen Sie, wie furchtbar solche Worte aus Ihrem Munde sein können?“ „Warum denn, Zora?“ fragte er gequält. „Sie sprechen damit Ihrem eigenen Werk das Todesurteil.“ Und als er schwieg, brach es aus ihr heraus: „Das wollen Sie doch nicht, Doktor – das können Sie doch nicht wollen – Sie dürfen sich doch nicht Mördern und verhetzten Fanatikern beugen –“ Als er das Zittern der Frauenhand spürte, wurde auch ihm bewußt, was er eben gesagt. Er schüttelte die peinigenden Zweifel, die ihn in den letzten Wochen zu überfallen pflegten, von sich ab und richtete sich auf. Seine Stimme war wieder so kühl und geschäftsmäßig wie sonst. „Vergessen Sie es bitte, Zora.“ Mit gewohnten Bewegungen steckte er sich eine Zigarette an. „Haben Sie Paris verständigt?“ „Ich habe nur mit einem Mitarbeiter von Monsieur de Beaumont gesprochen, aber alles entsprechend mitgeteilt. Der Direktor hielt gerade eine Pressekonferenz ab.“ „Eine ‚auf erfolgreich frisierte’ Pressekonferenz – natürlich.“ Impulsiv sprang Doktor Allahdah auf und war mit wenigen Schritten am Fenster. Er starrte in die Nacht, die nur im Südosten einen schmalen Feuerreif trug. „Und hier bricht der Sturm der Wüste los. Die Herren haben Sorgen! Drei bestens ausgerüstete Bataillone der Weltpolizei brauchen wir und keine Sensationsartikel. Der Hammada-Bund vergießt Blut und nicht Tinte! Sie müssen hier raus, Zora, bevor es zu spät ist. Haben Sie einmal wieder von Ihrem Jugendfreund gehört?“ Zora kannte die sprunghafte Art ihres berühmten Chefs, und sie ging ohne weiteres darauf ein. Nur etwas verlegen wurde sie, als er das Persönliche streifte. „Ich habe Achmed zum letztenmal vor einem halben Jahr ge16
sehen“, erwiderte sie bescheiden. „Er beendet seine Studien an der Sorbonne in Paris.“ „Ein überaus intelligenter junger Mann“, nickte er und kam zurück. „Ich sah ihn vor längerer Zeit, als er mit einer Studentengruppe unsere Anlagen besuchte. Nur – er hält nichts von unserer Arbeit –“ „Ich weiß“, lächelte sie arglos. „Achmed vertritt oft sonderbare Ansichten. Er haßt die Fremden und hat sich nationalistischen Kreisen angeschlossen, Soll ich lauter stellen? – der Empfang wird gestört –“ „Lassen Sie, man wird doch nichts vorfinden als Leichen und ausgebrannte Gebäude.“ Die halbgerauchte Zigarette flog in den Ascher. „Was Sie eben über die Existenz nationalistischer Kreise sagen, ist mir bekannt. Das arabische Selbstbewußtsein war lange nicht so stark wie in diesen Jahren. Leider gibt es gewisse Organisationen, die es bewußt auf die Spitze treiben, und ich fürchte, der Hammada-Bund ist eine von diesen. Charbonnier, was gibt es …?“ Er beugte sich über den Empfänger, der eine erregte Stimme aufpeitschend in das Zimmer schrillte. „Achtung, an Chef! Vor dem Stationswall wurde ein gefesselter Hammada-Angehöriger gefunden. Ein zweiter Terrorist versucht, den Bohrturm zu beschädigen oder zu sprengen und wird von Kommodore Parker verfolgt …“ „Von Jim Parker?“ rief Zora begeistert aus. „Der Kommodore ist in Nordafrika?“ „Seit gestern. Nur ich wußte es bisher. Aber hören Sie …“ „… der Terrorist ist in den Bohrturm eingedrungen …“ * Der gute Charbonnier rief es angstvoll in sein Mikrophon, das er an seiner Jacke befestigt hatte. Er war bleich und rannte 17
ziemlich sinnlos durch die brennende Station. Seine Augen suchten den Himmel ab. In den nächsten Sekunden mußte die Staffel heran sein, aber was waren Sekunden? Ewigkeiten – furchtbare Ewigkeiten, wenn es darauf ankam. Und es kam darauf an! Achmed hatte im Laufen ein längliches Päckchen aus der Tasche gezerrt, das harmlos in altes Papier geschlagen war und eine Energie in sich barg, die ganze Häuser zerfetzen konnte. Wenn es ihm gelang, damit an einen der vier mächtigen Fundamentsockel heranzukommen, von denen aus der Turm 60 Meter gegen den Nachthimmel emporstrebte, riß es den Sockel auseinander und der Turm rutschte in sich zusammen. „Allah – laß es gelingen –“ Aber er hatte einen unbarmherzigen Verfolger, noch härter als er und noch durchtrainierter. Als er in das große Geviert der Bohrstelle jagte, war Jim Parker auf einige Meter herangekommen. Bedenkenlos zog er seinen Atombrenner. „Stehenbleiben und umdrehen – aber sofort –“ Achmeds Gesicht war voller Verachtung. Der Turm sollte auf die Seite, der verdammte Bohrturm! Alles andere war unwichtig. Auch sein Leben! Und den Fremden sollte der Teufel holen. Es ging alles sehr schnell und war so gut berechnet, daß Jim nicht mehr parieren konnte. „Stehenbleiben!“ rief Jim noch einmal. Wenige Schritte vor einem der Sockel stoppte der Araber plötzlich ab, warf sich herum, kam gebückt heran und jagte dem Kommodore die Faust in den Unterleib, daß dieser für Sekunden alles um sich verschwimmen sah und sich luftschnappend krümmte. „Geh zum Satan, Fremder!“ Jim wollte in die Knie gehen, der schmerzende Magen zog ihn herunter, aber er blieb mit verzerrtem Gesicht in der Hocke und verfolgte mit glasigen Augen, wie der andere um den Sockel 18
herumrannte. Da raffte Jim sich wieder hoch. Er wußte genau, was der andere wollte. Ein Loch in den Sand und hinein mit dem Sprengstoffpaket – so etwas dauerte höchstens drei Atemzüge lang. Aber Jim gab nicht auf. „Nun gilt es, heilige Mondsichel!“ Er hob den Atombrenner, schleuderte ihn so über den Fundamentsockel, daß die harte Spitze dem Terroristen gegen die Stirn knallte. Achmed hielt in seiner hastigen Bewegung inne, die kurze Reißschnur entglitt seiner Hand, und er brach lautlos zusammen. „Tut mir leid, old fellow, aber es ging nicht anders.“ * „Der große Herr hält seine Hand doch über unserem Werk“, sagte der Weltbeauftragte warm und dankbar, als wenige Minuten später die Meldung von Jims Sieg über den jungen Terroristen in der Verwaltung eintraf. „Die Tollkühnheit dieser Burschen muß ich anerkennen, aber den Mut des Kommodores bewundere ich.“ „Jim Parker vernichtet alle seine Feinde“, nickte Zora, und ihre Augen leuchteten auf. „Doch er demütigt sie nicht.“ „Er bleibt immer ritterlich, auch wenn es auf Leben und Tod geht.“ Allahdah schaltete den Empfänger ab und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Es half alles nichts, das Werk durfte nicht aufgegeben werden. Er war schließlich für die Rückschläge nicht verantwortlich, er hatte die Weltpolizei bis zur Ermüdung gebeten, doch das In-Salah-Kommando zu verstärken. Nun, wo die ersten zwei schweren Schläge der HammadaFanatiker niedergesaust waren, würden wohl bald die angeforderten Bataillone eintreffen. „Werden Sie noch lange arbeiten, Doktor?“ „Ich möchte die Tiefenberechnung zum letztenmal durch19
nehmen.“ Wieder zündete er sich mit nervöser Hand eine Zigarette an. „Ich will das hinter mir haben, wenn der große Abwehrkampf beginnt.“ „Ob die Terroristen noch viel riskieren werden?“ Sie stand auf, um den zuständigen Ingenieur zu benachrichtigen. „Die Aussagen des ersten Gefangenen werden doch wohl einiges lacht in das Dunkel dieser Organisation werfen.“ „Ich hoffe es.“ „Würden Sie mir gestatten, seiner Vernehmung beizuwohnen?“ „Aber Zora!“ Der Weltbeauftragte lächelte amüsiert. „Wollen Sie Kriminalistin werden, oder träumen Sie von der Romantik des freien Räuberlebens?“ Seine Sekretärin blieb ernst „Ich bin Ihre Mitarbeiterin, Doktor“, erwiderte sie ruhig. „Und mich interessiert alles, was mit unserer Arbeit zusammenhängt – auch Ihre Feinde.“ „Sie sollen den Hammada-Mann kennenlernen.“ Er sah ihr nach, wie sie mit schönen, federnden Schritten durch das Zimmer ging. Zora aber wunderte sich, daß sie draußen auf den Korridoren so viele erregte Männer antraf. Junge Araber in modernen Straßenanzügen standen neben Europäern und Amerikanern. Sogar zwei hünenhafte Sudanneger mit funkelnden Brillen gehörten zum Mitarbeiterstab. Sie waren sehr klug und Wissens durstig. Höflich verneigten sie sich, als Zora an ihnen vorbeiging. „Nachtdienst, meine Herren?“ lächelte sie freundlich. Der eine von ihnen zeigte seine schneeweißen Zähne. „Der Brand Im Süden läßt uns keine Ruhe. Ich wollte, wir hätten einen dieser heimtückischen Banditen vor uns.“ „Der erste Gefangene ist in ‚In-Salah V’ gemacht worden.“ „Ich habe bereits davon gehört. Ein Flieger der WP-Staffel kehrte mit einem Verletzten zurück. Es soll sich um einen arabischen Studenten handeln, der in Paris studiert hat.“ 20
„Um einen Studenten, der in Paris studiert hat?“ sagte sie leise, und ihr Herz Jagte in einem unbestimmten Erschrecken auf. Als sie die prüfenden Blicke der schwarzen Wissenschaftler bemerkte, fügte sie rasch hinzu: „Ein Student als Terrorist?“ „Aber das ist doch nicht so sensationell, Miß Zora. Der Hammada-Bund ist schließlich keine gewöhnliche Verbrecherorganisation, sondern eine weitverzweigte Untergrundbewegung. Ich fürchte nur, wir werden noch mehr Überraschungen erleben.“ „Wir wollen es nicht hoffen, meine Herren.“ Sie nickte Ihnen zu und ging weiter. Nun erst wurde ihr bewußt, was diese Tatsache bedeuten konnte. Aber es gab natürlich viele Araber, die an der Sorbonne immatrikuliert waren, und es bestand wohl vorerst kein Grund, sich aufzuregen. Sie wies den furchtbaren Verdacht, der sie eben faßte, weit von sich und ging zum Konstruktionsbüro C hinüber, wo der Tscheche Horla gewiß noch mit entzündeten Augen über seinen Zeichnungen grübelte. Vor der Tür zur Kantine stieß sie jedoch auf eine seltsame Erscheinung. Es war ein kleiner, unscheinbarer Mann, der das weite weiße Gewand des frommen Muselmanen und einen viel zu großen Tarbusch trug. Er sah sehr mißvergnügt aus und rang entrüstet die Hände. „Bei Allah und seinen Propheten, eine fürchterliche Bruchbude! Kein Whisky, kein Gin, kein Kognak, nur alkoholfreies Sonntagsschulgeläpper.“ Als er der jungen Araberin ansichtig wurde, kreuzte er die Arme über der Brust und verneigte sich ehrerbietig. „Salem aleikum, mein schönes Fräulein.“ Zora mußte lachen. „Salem, mein Herr. Welcher gerechte Zorn erregt Ihr Gemüt in dieser friedlichen Nachtstunde?“ „Na, wenn man das friedlich nennen kann?“ Der kleine Muselman hüllte sich fester in sein Gewand und schielte sie von unten an. „Der Himmel möge mit dir sein, schönste Blume des Orients, aber sage mir, wo ich hier einen anständigen – äh – ein 21
Wasser – ahem – ein Wasser mit Gefühl trinken kann.“ „Wasser mit Gefühl?“ wunderte sie sich und musterte ihn mit unverhohlenem Interesse. „Welchem Stamme gehören Sie an?“ „Einem großen Stamme, oh reizende Perle!“ Er wollte würdevoll die Rechte ausstrecken und in eine imaginäre Richtung zeigen, wo seine Oase liegen sollte. Dadurch löste sich sein Gewand und fiel auseinander wie ein Bettlaken. Er raffte es wieder zusammen, verneigte sich tief und wandelte davon. Belustigt sah sie ihm nach. Aber in ihr heiteres Lachen klang eine ernste Stimme. Ein Sergeant der Weltpolizei war neben sie getreten und salutierte. „Verzeihung, Miß Zora – wer war dieser Mann?“ „Dieser komische Muselmann?“ sagte sie heiter, stutzte jedoch, als sie den Eifer des Sergeanten bemerkte. „Aber was ist denn – der ist doch harmlos –“ „Sieht wenigstens’ so aus“, grinste er. „Er kam jedoch aus der Richtung der Stahlkammern, in denen die neuen Meßtischblätter liegen.“ Sie fuhr auf. „Ja – und – ist dort etwas geschehen?“ „Man hat einen Einbruch verübt – leider nicht ohne Erfolg!“
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Oase Arrad – Irgendwo in der Westsahara. „Der Einbruch hat uns wichtige Unterlagen über das Gelände verschafft.“ Aus einem breitlippigen. häßlichen Munde kamen diese Worte, und der Dicke verzog seine feisten Backen zu einer genießerischen Genugtuung. „Das ist eine gute Nachricht, die Achmeds Festnahme wieder wettmacht.“ „Großer Freund – deine Worte verraten die Zuversicht eines starken Geistes.“ Ein zweiter Araber, fast ebenso wohlbeleibt wie der „große Freund“ und nicht minder protzig gekleidet, richtete sich etwas von seinem Ruhelager auf. Einen Augenblick horchten sie auf die feine, eintönige Musik, die aus dem Nebenraum kam, zu dem eine schmale Tür aus kostbaren Edelhölzern führte. Sie liebten diesen Sing-Sang alter Instrumente, deren klagende Weise von der Nacht aufgesogen wurde, die lau und weich durch das Fenster strich. „Du hast Bedenken, Muhammed?“ „Ich fürchte, man wird Achmed zwingen, uns zu verraten.“ In dem fetten Gesicht des „Großen Freundes“ wetterte es flüchtig auf. „Das wird Achmed niemals tun. Er ist mein Neffe und unser bester Mann.“ „Er war es, oh Omar Kaid!“ „Du bist kleingläubig, Muhammed.“ Der Hammada-Chef nahm eine silberne Klingel und ließ sie ertönen. Ein Diener trat ein, verneigte sich dreimal und wartete in gebückter Haltung. „Bereite den Kaffee!“ Und als der Mann wieder verschwunden war, zu seinem Freunde gewandt: „Achmed wird zurückkehren!“ „Die Weltpolizei wird wissen, was ihr ein Hammada-Mann wert ist.“ „Die Weltpolizei?“ lachte Omar Kaid unsagbar verachtungsvoll. „Eine Truppe der Fremden und der Söldner. Was wissen sie von den Geheimnissen unseres Landes? Haben sie begriffen, was es bedeutet, wenn der Mond sich rundet und seine Geister 23
über die Wüste sendet? Sie sehen wohl das Land, das sie haben möchten, aber sie sind tollpatschiger als junge Hunde und werden nie lernen, wie man seine Feinde unschädlich macht.“ „Aber wir wissen es, oh großer Freund.“ Der Diener trat wieder ein und brachte auf einem Rosenholztablett kleine Töpfe und flache Schalen, die er auf eine niedrige Bank zwischen den Diwans stellte. Es sah alles sehr bequem und träge aus, aber die beiden Araber waren für ihre brutale Energie und ihren fanatischen Fremdenhaß bekannt. Wo sie auftauchten, warfen die Hammada-Krieger die Waffen in die Luft und riefen laute Segenssprüche. Sie hatten die Untergrundbewegung aufgebaut und ließen sie langsam, aber zielbewußt, anlaufen. In den großen Städten am Wüstenrand unterhielten sie eigene Büros, in denen Schreibmaschinen klapperten und sachliche Kartotheken geführt wurden. Sie wußten, warum sie es taten, und ihre verhetzten Anhänger würden vor ihnen ausgespuckt haben, hätten sie es auch gewußt. „Die Fremden sind so blind wie alte Kamele. Auch morgen werden sie wieder in ihren Zeitungen schreiben, daß wir die meisten der In-Salah-Leute aus der Bohrstation verschleppt hätten. Was würden sie sagen, wenn sich ihre Augen öffneten?“ Muhammed mußte lachen. Vorsichtig und langsam goß er das starke und würzige Getränk in seine Schale. „Sie würden verzweifeln, da sie die armen ‚Opfer!’ in unseren Reihen wiederfinden würden. Unsere Taktik ist gut.“ „Wenn wir wollten, könnten wir In-Salah in einer Stunde in unseren Besitz bringen.“ Omar Kaid schob seine Kaffeeschale beiseite und langte nach den schweren Zigaretten. „Leute genug haben wir in der Stadt des Satans“, nickte Muhammed. „Jeder Dritte gehört zum Hammada, und es wäre vielleicht das beste …“ „Es wäre falsch“, unterbrach ihn Omar Kaid in einer sehr bestimmten Art. „Ein solcher Gewaltstreich würde unsere Taktik 24
verraten und nichts einbringen. Wir dürfen es nicht auf einen offenen Kampf ankommen lassen – die Insektenstiche des Kleinkrieges im Dunkeln sind viel wirkungsvoller. Sie machen auch Doktor Allahdah mürbe.“ „Allahdah soll der Teufel holen“, fuhr Muhammed in einer jähen Wut auf. „Er hat die Fremden dazu gebracht, die Wüste zu schänden, er ist ein Verräter an unserem Volk!“ „Du hast recht, Freund.“ „Warum läßt du ihn nicht einfach abknallen wie eine Raubkatze?“ „Das wäre eine Kleinigkeit, wenn ich es wollte“, lächelte Omar Kaid untergründig. „Aber wer läßt seinen Halbbruder von einem Fremden über den Haufen schießen?“ Muhammed starrte ins Wesenlose. Und leise klagten die Instrumente in die zwielichtige Unwirklichkeit der späten Nacht. Eine Uhr tropfte emsig Sekunden in die Zeit. Da endlich fragte Muhammed heiser und ungläubig: „Allahdah ist dein Halbbruder?“ „Es bleibt unter uns, Muhammed!“ „Wenn du es wünschest?“ Omar Kaid antwortete nicht. Schweigend grübelten sie dem Sonnenaufgang entgegen. Omar Kaids Gedanken ließen ihn nicht los – den Mann, der die Wüste aufblühen lassen wollte – * „Wie könnt Ihr nur einen Mann wie Doktor Allahdah mit einem so abgrundtiefen Haß verfolgen?“ Jim Parker schüttelte verständnislos den Kopf. Auch er kannte die Wüste und ihre Geheimnisse nicht, aber sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, daß der hungernde kleine Mann gewiß nichts dagegen haben konnte, daß Gerste und Weizen gedeihen sollten. „Fürchten die großmächtigen Herren der Privatoasen um ihre Vormachtstel25
lung?“ Achmed schien die Worte nicht gehört zu haben. Er übersah auch die Zigarette, die Jim ihm freundschaftlich hinhielt. Omar Kaid hatte recht: er saß nicht wie ein Geschlagener neben dem Kommodore im Hubschrauber, der mit dem wachsenden Licht nach In-Salah zurückraste. In seinem Gehirn jagten sich tollkühne Gedanken. „Keine Zigarette, old fellow? Nun, dann nicht!“ Jim war nicht beleidigt. Er lächelte dem jungen Araber zu und zündete sich umständlich eine der guten ‚Maza Blend’ an. Achmed lief das Wasser im Munde zusammen, aber er schluckte nicht einmal. Er wurde nur um eine Nuance aufmerksamer, als Jims kleiner T-Sprecher aufsummte und der Kommodore den Apparat aus der Tasche zog. „Parker – Saturnring!“ Eine ausgetrocknete Stimme antwortete. „Habe von deinem neuen Abschuß gehört, edle Mondrakete. Herzlichen Glückwunsch. Mir geht es leider nicht so frischfröhlich wie dir.“ „Hast du Durst, Whiskytöter?“ grinste der Kommodore schadenfroh. „Du sagst es, großer Häuptling! Weißt du zufällig, wo man in den nächsten zwei Stunden einen Anständigen auftreiben kann? Sonst findest du mich bei deiner Landung als malerischen Leichnam vor.“ „Es würde mir furchtbar leid tun. Aber warum kaufst du dir denn nichts? In-Salah hat doch eine Kantine!“ „Aber nicht für fromme Muselmanen. Ich wandele doch immer noch in einem weißen Gewand einher, um diesem Nest seine Rätsel zu entreißen. Aber der Durst ist übermächtig und gefährlich, oh großer Häuptling.“ Jim lachte laut auf. „Du mußt ja ein komisches Nachtgespenst abgeben. In zehn Minuten bin ich da, dann sollst du einen anständigen Schluck haben. Sonst was Neues?“ 26
„Das kann man wohl sagen. Die Brüder haben aus der Stahlkammer die wichtigsten Meßtischblätter geklaut.“ Jim pfiff leise durch die Zähne und hielt den T-Sprecher noch fester gegen die Lippen. Aber Achmed verstand trotzdem jedes Wort. Er hatte den berühmten Sternenfahrer längst erkannt. „Da ist ihnen mal wieder eine Überraschung gelungen, mein Alter. Wer in eine Stahlkammer hineinkommt, muß schon ein gewiegter Einbrecher sein. Das läßt gewisse Rückschlüsse zu.“ „Der Hammada scheint einen schweren Jungen für sich arbeiten zu lassen – in In-Salah –“ Achmed verstand alles. Es zuckte in seinem Gesicht, aber er beherrschte sich gut. „Möglich“, antwortete der Kommodore kurz. „Wir müssen eben mal vortasten.“ „Ich habe meine Nase bereits auf die Spur gesetzt, Jim und …“ „Nachher mehr davon“, unterbrach Jim das übereifrige Geplätscher. In der Ferne schoben sich die Türme und Dächer von In-Salah herauf, von denen die aufgehende Sonne die letzten Schatten der Dämmerung vertrieb. „Was liegt sonst noch vor?“ „Nichts – nur die schöne Zora erkundigt sich alle halbe Stunde, wie dein schneidiger Wüstenräuber aussieht …“ Achmed ruckte auf. Der Name saß. Die überhebliche Lässigkeit schwand aus seinem Gesicht. Erschrecken und Unruhe glitten über seine jungen Züge. Jim steckte den T-Sprecher wieder weg. „Nun eine Zigarette, Mister Achmed – der Name Zora scheint Ihnen nicht gleichgültig zu sein?“ Prüfend glitten seine Blicke über den anderen, während er ihm wieder sein Zigarettenetui hinhielt. Achmed schüttelte den Kopf. „Danke.“ *
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„Danke, Zora.“ Doktor Allahdah warf noch einen kritischen Blick auf die graphische Darstellung des Kanalsystems der neuen Oase und verglich sie mit seinen Notizen. Befriedigt nickte er. „Wenn der Hammada-Bund nicht wäre, Horla, bräuchten wir nicht mehr lange auf das Wasser zu warten.“ „Ich bin dafür, daß wir trotz des Terrors mit unseren Arbeiten nicht pausieren.“ Horla galt als ein eiserner Streber, der nur für seine Arbeit lebte und wohl deshalb keine Frau bekommen hatte, weil er bemerkenswert wenig für sein Äußeres tat – er war ebenso lang und dünn wie schmuddelig. Allahdah mußte immer auf seine schreiend häßliche Krawatte sehen. „Das wollen wir auch nicht, Horla, nur dürfte es nicht ratsam sein, in einer der noch stehenden Bohrstationen viel zu unternehmen. Wir gefährden nur das Leben unserer besten Leute dabei.“ Er faltete den länglichen Karton zusammen und gab ihn Zora; die ihn in eine Konferenzmappe steckte. „Warten wir noch einige Tage.“ Zora und der Tscheche sahen sich an. So sprach ein Doktor Allahdah, der sonst für seine mitreißende Energie in ganz Nordafrika bekannt war? Horla räusperte sich und ließ seine langen Finger knacken. „Verzeihung, Chef, aber ich schlage vor, noch heute mit dem letzten Kontrollversuch auf Station III zu beginnen.“ Der Weltbeauftragte fuhr sich über die schmerzenden Augen. „Das wäre unter solchen Umständen sicherer Selbstmord. Horla …“ „Aber der Versuch war doch für heute vorgesehen!“ „Sie vergessen, daß wir nicht mehr allein die Termine bestimmen“, lächelte Allahdah bitter. Seine Sekretärin spielte unruhig mit dem Reißverschluß der Mappe. „Wollten Sie etwas sagen, Zora?“ „Ich – nein. Herr Doktor.“ „Zora!“ Der große, gebeugte Mann spürte förmlich den 28
stummen Vorwurf seiner Getreuen und legte ihr die Hand auf die schmale Schulter. Seine Augen forschten gütig in ihrem erregten Gesicht. „Sagen Sie mir, was Sie jetzt über mich denken.“ „Sie – haben – Angst.“ Allahdah zuckte zusammen. Das Wort saß, und für einen Augenblick sah es aus, als peitsche es ihn auf. Aber er sah nur nachdenklich auf das junge Mädchen, das sehr ratlos und verlegen war. Dann wandte er sich an den Ingenieur. „Und Sie, Horla?“ Horla war weniger befangen. Ihm ging es nur um das Werk. „Ich meine, daß es nicht gut ist, sich stillschweigend dem Willen der Terroristen zu beugen“, erwiderte er nüchtern „Wenn wir die fällige Kontrollprüfung verschieben, streuen wir uns selber Sand ins Getriebe und geben dem Hammada immer mehr Spielraum. Solange wir nicht offen gegen diese heimtückische Bande kämpfen können, kommt es darauf an, ihrer Feindschaft zum Trotz weiterzuarbeiten.“ Allahdahs Hände glitten mit einer müden Bewegung von Zoras Schultern. Er begann, über den kostbaren grünen Teppich hin und her zu gehen. „Das ist schön gesagt, Horla, aber was nützt es, wenn dabei unsere erste Garnitur draufgeht?“ „Kein Mensch ist unersetzbar.“ „Sie sprechen zu leichtfertig.“ Immer schwerer wurden die Schatten, die eich über die Züge des Weltbeauftragten legten. Horla hatte recht, er hatte dreimal recht – aber nur von seinem Standpunkt aus gesehen. „Ich bin Araber und muß mich den Gesetzen meiner Heimat fügen.“ „Und was fordern diese Gesetze?“ „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Horla wurde sehr aufmerksam. „Sie kommen mir – verzeihen Sie meine Offenheit – schon seit einigen Wochen verändert vor, Chef.“ Er nahm eine Zigarette aus einer Packung, steckte sie 29
hastig an und stieß den hageren Kopf vor. „Sagen Sie bitte, Doktor, kennen Sie etwa einen von diesen HammadaHäuptlingen persönlich?“ Allahdah blieb stehen. „Meines Wissens nicht, Horla – wie kommen Sie darauf?“ „Weil Miß Zora es richtig sieht: Sie haben Angst – Sie fürchten nicht eine Organisation, sondern den Menschen, der hinter ihr steht – vielleicht unbewußt …“ „Wen sollte ich fürchten?“ Horla hob die Schultern. Er schien ein überragender Menschenkenner zu sein, Allahdah wandte sich ab, trat an einen Erdglobus und ließ ihn gedankenlos kreiseln. Zora hatte sich mit ihrer Mappe auf eine Sessellehne gehockt. Endlich wandte er sich wieder um – so gelassen und ruhig wie immer. „Sie meinen es gut, Horla, aber mich schmerzt es, daß meine Landsleute mich den ‚Schänder der Wüste’ nennen, da ich doch nur das beste will …“ Ein Klopfen unterbrach ihn. Der kleine Muselman, der Zora gestern abend über den Weg gelaufen war, trat ein und versank in einer tiefen Verbeugung. „Das Flugzeug mit dem HammadaGefangenen ist eingetroffen, o Herr!“ Horla starrte das weiße Gespenst verständnislos an, aber Allahdah schien es bereits zu kennen. Er nickte Zora zu. „Gehen Sie bitte gleich mit ihm, Kind, falls Sie seiner Vernehmung beizuwohnen wünschen – ich möchte mein Gespräch mit Mister Horla zu Ende führen.“ „Ich will Sie nicht länger aufhalten, Doktor.“ Horla legte die Zigarette weg und nahm seine Papiere vom Schreibtisch. „Lassen Sie mich nun nach Station III fliegen?“ „Wer weiß, welche Gefahren Sie dort erwarten“, meinte Allahdah leise und bedrückt. Der Ingenieur reckte sich. „Gefahren fürchte ich nicht, wohl aber untragbaren Zeitverlust.“ 30
Die beiden Männer standen sich gegenüber. Horla wollte den Weltbeauftragten zwingen, ja zu sagen, er wollte ihn aufrütteln, sein Werk zu verteidigen und nicht geheimnisvollen Einflüsterungen nachzugeben. Zora nahm das alles nur wie im Traum wahr. „Ich gehe bereits voraus“, sagte sie. Sie würde ihn gleich sehen, den jungen Terroristen, der in Paris studiert hatte, und ihr Herz peitschte hoch auf, daß es sie im Halse würgte. Wieder verneigte sich der Muselman und öffnete die Tür. Am Schreibtisch reichten sich Allahdah und der Ingenieur gerade die Hände. „Allright, Horla – fliegen Sie nach Station III – ich aber muß darauf verzichten, mitzukommen …“ * „Zum Polizeibüro, meine Gnädigste.“ Der Muselman schloß die Tür und mußte dabei mit der Rechten sein Gewand halten. Zora war heute nicht zum Lachen aufgelegt, aber sie konnte nicht umhin, den Kleinen von der Seite zu mustern. „Sie sind doch kein Araber?“ Den Muselman betrübte diese Feststellung, aber er grinste. „Allah verzeihe mir meine Maskerade, aber ich tue alles, um die Menschheit zu retten, und wenn ich dabei verdursten muß. Wenn es Sie interessiert, Miß – ich bin Deutscher, und mein Name ist Wernicke.“ „Sie sind der Freund des Kommodore Parker?“ fragte sie freundlich. „Mit Jim habe ich schon den Teufel Samba tanzen lassen“, zwinkerte er heiter. „Und wenn man Doktor Allahdah nicht so zusetzen würde, wären wir heute bereits wieder zwischen Weltraumgespenstern und Sternschnuppen.“ 31
„Ich habe schon von Ihren Abenteuern gehört“, sagte sie schwärmerisch, während sie durch das Hauptbüro gingen, wo man ihnen über Schreibmaschinen und Karteikarten hinweg neugierig nachsah. „Abenteuer sind unser tägliches Brot.“ Wernicke warf sich in die Brust und machte eine lässige Handbewegung, wodurch sein frommes Gewand wieder in Gefahr geriet. „Wenn ich Ihnen die Geschichte von der rasenden Mondschlange erzählen darf, die …“ „Jim Parker hat doch den Terroristen festgenommen“, drängte sie ungeduldig. „Haben Sie ihn gesehen?“ „Den Hammadisten, oder wie man diese Burschen nennt – natürlich …“ „Wie sieht er aus?“ „Wie im Film – ein wüster Bursche mit wilden, mordlustigen Augen, die einen Gegner moralisch abzuschlachten scheinen …“ „Sie scherzen“, lächelte sie zaghaft und wunderte sich flüchtig über zwei Männer, die den Gang entlang kamen, der am Hauptbüro vorüberführte. Ein Monteur und ein Rothaariger in Shorts und Polohemd. Solche Gestalten sah man hier täglich, aber irgend etwas gefiel Zora nicht an den beiden. Doch ihre Gedanken wichen gleich wieder ab. Dann standen sie in dem engen Vorzimmer der WP-Dienststelle. Wernicke wies auf einen Stahlsessel. „Warten Sie bitte einen Augenblick, Miß Zora. Der Wüstenschreck wird gleich erscheinen. Hören Sie?“ Zora hörte im Nebenraum Männerstimmen. Jim Parker war es, der gerade in seiner freundschaftlichen, aber bestimmten Art auf jemand einsprach, der wohl nicht antworten wollte. Dann bellte der knurrige WP-Major Hutton dazwischen. „Mit dem Kopf nach unten aufhängen müßte man euch Mordbrenner. Willst du wohl antworten, du elender Kameltreiber …?“ Zora empfand schmerzend diese peitschende Erniedrigung. 32
Vorwurfsvoll sah sie Wernicke an, der verlegen die Schultern hob. Nebenan wurde der tobende Offizier auch schon von Jim unterbrochen. „Erlauben Sie, Major, das dürfte kaum die richtige Art sein. Hören Sie mal zu, mein lieber Achmed …“ Wernicke erschrak, als die Araberin leise aufschrie und gegen die Sessellehne taumelte, aber sie schüttelte den Kopf. Nur ihre Hände, die das Stahlrohr umklammerten, waren weiß und zitterten. Und als im Nebenraum der Gefangene mit hohnvoller Überlegenheit antwortete, wußte sie endgültig, wer es war. „Achmed …“ „Horla fliegt nach ‚In-Salah III’.“ Der Rothaarige sah dem weißen Muselman und seiner schönen Begleiterin nach und sagte es dann leise zu dem Monteur. Der hatte ein schwammiges, ungesundes Gesicht, das wie ein käsiger Vollmond über dem blauen Anzug stand. „Amtlich?“ „Allahdah hat eben seine Einwilligung gegeben. Er hat Angst, der große Pionier der Wüste. Aber Horla wird gewußt haben, was er tat.“ „Euer Nachrichtendienst ist was wert“ Der Monteur angelte aus seiner Brusttasche eine Zigarette und steckte sie in den Mund, ohne sie anzuzünden. Aus den Büros klang die monotone Geräuschkulisse des üblichen Dienstbetriebes. „Und was habe ich nun zu tun?“ Der Rothaarige wies auf eine Fensternische. „Du stellst dich an das Fenster, spielst den Gelangweilten und schaust nach den hübschen Mädchen aus, worin du ja Übung hast …“ Der Monteur grinste geschmeichelt „… wann beginnt dein Dienst?“ „In zwei Stunden.“ „Das genügt. Du wartest, bis ich zurück bin. Sollte Horla kommen, hältst du ihn so lange in einem Gespräch auf.“ 33
Der Monteur glotzte dumm. „Wieso denn – ich denke, Horla gehört zum …“ „Pst, bist du verrückt?“ zischte der Rothaarige scharf. „Streng dein bißchen Gehirn nicht an, Monty, und mach keine Dummheiten!“ Monty zitterte und duckte sich unter dem drohenden Blick des anderen. Für einen Augenblick sah er aus wie ein winselnder Hund, der alles tun mußte, was sein Herr von ihm verlangte. Der Rothaarige musterte ihn verächtlich und ging weiter. „Also bis nachher, old fellow“, rief er ihm noch freundschaftlich zu. „Heute abend in der Kantine“, machte Monty mit verzerrtem Lächeln das Spiel mit. Der Rothaarige bog in einen Seitengang ein, der zu den Konstruktionsbüros führte, die rechter Hand lagen. An diesen schweigenden Räumen ging er mit raschen, sicheren Schritten vorbei. Der Gang wurde durch eine Tür aus undurchsichtigem Milchglas unterbrochen, hinter der er in einem kleinen Trakt mit Privatzimmern auslief, die beiderseits von ihm lagen. Hier war alles still und verlassen. Die Armbanduhr zeigte auf 11 Uhr vormittags. „Klappt alles ausgezeichnet, Horla; das werden wir gleich haben.“ Der Rothaarige zog einen Schlüssel aus der Tasche, trat auf die Tür Nr. 3 zu und schloß sie seelenruhig auf. Das Zimmer gehörte dem nicht sehr ordnungsliebenden Horla, und es sah auch entsprechend aus. Obwohl sich einmal wöchentlich eine Reinmachefrau tapfer ins Gefecht warf, konnte man keinen halben Meter gehen, ohne Bücherberge und Pappkartons umzustoßen, die malerisch verstreut den Teppich bedeckten. Nachdenklich betrachtete sich der Rothaarige diese Hindernisse, dann grinste er und trat vorsichtig über sie hinweg. Dabei suchte sein Auge einen kleinen Koffer, von dem er wußte, daß er Horlas ständiges und einziges Reisegepäck darstellte. „Hoffentlich hat er das Buch wieder eingepackt.“ 34
Seine Hände ließen die billigen Schlösser zurückschnappen und hoben den Deckel auf. Zwischen einigen Kleidungsstücken und einem uralten Necessaire eingebettet lag ein abgegriffener, dicker Wälzer. „Lenzing, Geschichte des Kanalbaues, Handausgabe“ stand in nüchternen Lettern auf dem grauen Leinen. „Ausgezeichnet!“ Der Rothaarige nahm das Buch heraus und legte es beiseite. Dann wickelte er ein Paket auseinander, das er bisher lässig in der Hand getragen hatte. Auf einmal lag ein zweites Buch auf dem Tisch, das ebenfalls grau gebunden war, den Titel „Lenzing, Geschichte des Kanalbaues. Handausgabe“ trug und sich in nichts von seinem Schwesterexemplar unterschied. Die Bücher wurden vertauscht. Der Koffer klappte wieder zu. Wenige Minuten später trat der Rothaarige durch die Milchglastür auf den Seitengang zurück. „Die Reise nach ‚In-Salah III’ kann beginnen“, grinste er zufrieden. * „Achmed!“ In den scharfen Klang der Männerworte im Nebenzimmer wimmerte ihr Herz seinen Namen. Aber sie hielt sich aufrecht und ließ sich nichts anmerken, obwohl der Blick Fritz Wernickes prüfend auf ihr ruhte. Achmed war ihr in diesen Sekunden näher als andere. „Wir werden den Kampf fortführen, bis Sie eingesehen haben, daß kein Fremder das Recht hat, sich am Antlitz unserer Erde zu versündigen …“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte. Unvernünftiger, hingabefreudiger Achmed! Ich muß ihm helfen – ich werde ihm helfen … „Sie mögen mich hängen, meine Herren …“ „Das kann sehr schnell geschehen“, blaffte des WP-Major 35
mit sinnlosem Kraftaufwand dazwischen. „Wir sind nicht alle so weich wie der Kommodore; verzeihen Sie, Parker …“ Jim stand auf und schob seinen Stuhl zurück. „Ich schlage vor, wir setzen die Vernehmung heute nachmittag fort“, erwiderte er kühl. „Kommen Sie, Achmed.“ „Nun können Sie ihn gleich sehen“, sagte Wernicke leise und bedeutungsvoll. Zora ließ ihre Hände von dem Stahlrohr gleiten, sie schluckte und über ihr Gesicht legte sich die Maske einer starren, unverbindlichen Freundlichkeit. Männerschritte kamen heran, und der Kommodore trat mit seinem Gefangenen ein. Hinter ihnen das Nußknackergesicht von Major Hutton und einige weitere WP-Offiziere. „Hallo, Miß Zora!“ Jim blieb bei ihr stehen und verneigte sich höflich. „Es ist schade, daß wir uns immer unter so dramatischen Umständen wiedersehen müssen. Darf ich Ihnen einen jungen Hammada-Führer vorstellen?“ Achmeds Gehirn war ein glühender Vulkan. In überdeutlicher Schärfe sah er, wie Zora den Kommodore begrüßte, und er hätte sie am liebsten an sich gerissen und wäre mit ihr davongestürzt. Aber dann wandte sie sich ihm zu, und ihre Blicke flossen ineinander. „Kennen Sie den jungen Herrn, Miß Zora?“ fragte Jim Parker. ,Ich kenne dich’, sagten ihre Augen, aber das leichte Öffnen und Schließen ihrer Hände warnte ihn gleichzeitig – er verstand sie, und ihre Gesichter blieben fremd. „Ich kenne den Herrn nicht“, schüttelte sie den Kopf. Jim Parker lächelte fein. „Wie schade, Miß Zora. Als unser Freund vorhin Ihren Namen hörte, schien dieser ihm einiges zu sagen.“ „Es wird mehr Frauen geben, die so heißen wie ich.“ Der Nußknacker Hutton verstand nichts und wurde schon 36
wieder ungeduldig. Jim aber zündete sich gelassen eine Zigarette an. „Dann nicht, Achmed – ich hatte gehofft, Ihnen ein freudiges Wiedersehen bereiten zu können …“ „Ich bedauere wirklich außerordentlich.“ Hutton fuhr auf. „Lach nicht so frech, du dreckiger Mistkocher – Kommodore, lassen wir ihn abführen.“ Zora trat zurück, als ein Leutnant ihrem Jugendfreund den herrischen Wink gab, ihm zu folgen. Ohne sie anzusehen, ging Achmed vorbei; nur einige Worte sagte er vor sich hin – leise, fauchend, zischend. Dann schloß sich die Tür. „Haben Sie verstanden, was er sagte?“ fragte der Kommodore, während der Major bereits wieder das Blut in seinen Schläfen hämmern spürte. Zora schien nicht hingehört zu haben. „Ich habe ihn nicht verstanden“, erwiderte sie leise. „Darf ich mich jetzt verabschieden?“ „Bitte, Miß Zora.“ * „Die weiß mehr, als sie sagen will“, knurrte der cholerische Major, als auch die junge Araberin gegangen war, und auf seiner breiten Stirn schwollen die Adern beängstigend an. „Natürlich hat sie den braunen Halunken verstanden und will es nur nicht zugeben.“ „Möglich!“ Jim trat an einen Klubtisch und strich die Zigarette an einem Ascher aus. Nun erst spürte er die Strapazen der letzten Nacht in den Gliedern und sehnte sich nach einigen Stunden Ruhe. Es sollte aber nicht dazu kommen. „Sollen wir uns die Stahlkammern noch einmal ansehen?“ Der Major war von einer überdrehten Lebendigkeit, die sich dadurch äußerte, daß er ständig in Bewegung war und alles umzurennen drohte. „Bin schon zweimal auf dem Bauch durch die verdammten Kammern gerutscht“, knurrte er böse. 37
„Schlage dafür vor, wir beurteilen noch einmal die ganze Situation.“ „Wie Sie wünschen“, lächelte Jim ironisch. Der Major wuchtete bereits durch das Vorzimmer. Dabei fiel sein Blick auf die weiße Gestalt Fritz Wernickes. Alles, was arabisch aussah, wirkte wie Gift auf seine gereizte Seele. Er stutzte und schob den bulligen Kopf vor. „Wer bist du – was schleichst du hier herum?“ Muselman Wernicke sank in eine tiefe Verneigung. „Allah besänftige dein Gemüt, o Herr – ein wundersamer Auftrag schickte mich in das Land der trockenen Kehlen …“ Hutton kaute mechanisch. Jim winkte rasch ab. „Schon gut, Fritz, der Major glaubt dir doch kein Wort. Erlauben Sie, Hutton, daß ich Ihnen meinen Getreuen, Mister Wernicke, vorstelle, der sich diese Maskerade erlaubt, um seiner kriminalistischen Ambition nachzugehen.“ „Wernicke?“ blaffte der Major, während um ihn alles grinste. „Steuermann Wernicke? Oft von Ihnen gehört! Sind mir als trinkfester Mann bekannt. Schätze so etwas. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.“ „Außerordentliche Ehre für mich, Major“, ahmte Wernicke den Telegrammstil des Nußknackergesichts nach. „Bin gern bereit, Ihnen bei einem guten Whisky meine außerordentlich wichtigen Beobachtungen mitzuteilen.“ „Sollen Sie haben – bitte, meine Herren …“ Sie gingen in das Arbeitszimmer des Polizeichefs zurück. Zwei aufmerksame Augen beobachteten die kleine Gruppe, die sich in einer gemütlichen Plauderecke niederließ. Der Major öffnete einen Bücherschrank, der allerdings geistige Nahrung flüssiger Art enthielt. Wernicke bekam Atemstörungen vor Freude. Hutton hob zunächst sein Glas gegen Jim Parker. „Ihr Wohl, Kommodore. Bin Ihnen Dank schuldig. Hoffe, daß es uns gelingen möge, diesen dreimal verfluchten Hammada38
Bund zu vernichten. Irgendwo muß doch das Hauptquartier dieser Geisterarmee aufzufinden sein.“ Der Kommodore sah gedankenlos zu, wie sein ermatteter Freund entzückt mit dem Glas herumfuchtelte. „Geisterarmee?“ meinte er bedächtig. „Vertreten Sie die Auffassung, daß die Anschläge auf die Bohrstationen durch regelrechte Verbände aus der Wüste erfolgen?“ „Selbstverständlich bin ich dieser Auffassung.“ Der Major beugte sich vor. „Oder – Sie etwa nicht?“ „Es fällt mir schwer.“ Die Blicke von Hutton tasteten die breitschultrige Gestalt des jungen Kommodores und seine energischen Züge ab. Er war so überrascht, daß er viel von seiner bulligen Schärfe verlor. Die anderen Offiziere sahen nicht viel geistreicher aus als er. „Verzeihung, Parker – aber es gibt doch keine andere Möglichkeit.“ „Haben Sie Beweise dafür, daß die Stationen regelrecht überfallen werden?“ „Aber ja – man hat Hufspuren gefunden …“ „Ich weiß.“ „Die Araber sind verwegene Reiter, und sie werden es schon verstehen, völlig überraschend aus der Nacht aufzutauchen.“ „So überraschend, daß selbst verstärkte Streifen, die mit Ihren Jeeps um die Stationen fahren, sie nicht rechtzeitig genug herankommen sehen?“ „Ahem – Sie haben eine seltsame Art, Kommodore.“ Der Major schob die Augenbrauen zusammen, was ihm wieder ein drohendes Aussehen gab. „Wollen Sie etwa damit sagen, daß es unmöglich wäre, die Bohrstationen so zu überfallen, daß sie nicht einmal Alarm schlagen können?“ „Sie verstehen mich ausgezeichnet, Major.“ Jim ließ sich noch einmal den berüchtigten Wüstenschnaps „Das sanfte Lä39
cheln“ einschenken – das Zeug war scharf wie Feuer, aber es tat gut. „Ich hatte bereits gestern Gelegenheit, das Alarmierungssystem der Kanalstrecke zu studieren – glauben Sie mir, meine Herren, es ist ausgeschlossen, daß eine Station keine Gelegenheit mehr hätte, die Zentrale zu benachrichtigen.“ „Damned!“ Mit einem Ruck sprang der Major hoch und baute sich vor Jim auf, wobei er die Fäuste in die Hosentaschen bohrte. Minutenlang starrte er den Sternenflieger an, dann nickte er grimmig: „Sie haben recht, mein Lieber.“ Und zu seinen Offizieren gewandt: „Ihre Meinung, meine Herren?“ Betretene Gesichter, mißmutig oder anerkennend. Verlegenes Hin- und Herschieben der Gläser. Dann Unterleutnant Orr, der aus seinem Nickerchen hochgeschreckt worden war. „Mit Verlaub, Major – wir hätten schon längst daran denken sollen.“ „Ich habe daran gedacht, verflucht nochmal!“ begehrte der Major auf. „Aber ich sagte mir immer wieder: Wer weiß, mit welchen Methoden die Brüder arbeiten?“ „Mit ganz raffinierten Methoden“, lächelte Jim. „Sind Ihnen die Namen der Stationsfunker bekannt?“ „Selbstverständlich! Leutnant Varrenta?“ Ein blutjunger, zierlicher Leutnant nannte prompt zwei Namen. „Die beiden Männer befanden sich nicht unter den aufgefundenen Toten“, fügte er hinzu. „Sie wurden verschleppt.“ „Verschleppt?“ lachte das Nußknackergesicht in bitterem Hohn auf. „Verschleppt, mein lieber Varrenta? Ange…“ „Verzeihung.“ Muselman Wernicke konnte es nicht mehr aushalten und lehnte sich lässig zurück. „Ich habe einige Beobachtungen gemacht, die mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig zu sein scheinen.“ „Schießen Sie los.“ Zwei Augen waren immer noch da, die sehr aufmerksam die Besprechung verfolgten – sie wurden unruhig, als Wernicke fragte: „Hat dieser Ingenieur Horla einen rothaarigen 40
Freund?“ „Was soll denn das schon wieder?“ schnappte der Major. „Horla? Streber erster Klasse. Genie mit schmieriger Krawatte. Freund? Da kennen Sie Horla schlecht. Wenn der …“ „Vorsicht! Am Fenster!“ Leutnant Varrenta sprang auf und wies auf den Oberkörper eines Mannes, der sich hinter der Fensterscheibe hochstemmte. Er hatte die Bewegung noch nicht vollendet, als die Scheibe zersprang und irgend etwas Jim oberhalb der Schlafe schrammte, um dann hinter ihm in die Wand zu schlagen. „Heimtückisches Gesindel!“ Der Leutnant war schon am Fenster. Die weißleuchtende Gasse vor ihm ging in einem wilden Aufschrei gestikulierender brauner Arme unter. Ein rasender Mann bahnte sich ellenbogenstoßend seinen Weg. „Haltet ihn – haltet ihn …“ Ohne sich zu besinnen, schlug der kleine Leutnant den Fensterrahmen ein und sprang hinunter. Er sah nicht, wie Jim in wildem Schmerz hochtaumelte und sich gegen Wernicke wehrte, der ihn stützen wollte. „Laß mich, Whiskytöter – laß mich – ich muß ihm nach …“ Wernicke schluckte in aufwürgender Angst. Er sah, wie es seinem Freund rot über das rechte Ohr rann. „Du kannst doch nicht, Jim …“ Nein, Jim Parker konnte nicht mehr. Aufstöhnend fiel er in seinen Sessel zurück. Wernicke winkte dem kreidebleichen Major. „Schnell – einen Arzt!“ „Wird gleich kommen!“ * Varrenta jagte den feigen Burschen. In seinem Arbeitszimmer aber stand Doktor Allahdah am Telefon und hörte die Meldung des Majors, der sich vor sinnloser Wut kaum noch beherrschen konnte. 41
„Der Kommodore muß ins Spital – mindestens für zwei Wochen …“ Die schmale Hand, die den Hörer hielt, zitterte. „Wie ist sein Zustand?“ „Unmittelbare Lebensgefahr besteht zum Glück nicht. Aber die Bande hat ihn erst einmal ausgeschaltet. Und für uns ist es eine riesengroße Blamage, daß man einen Mann wie Parker in unserem Polizeibüro abknallen kann.“ Allahdah lächelte trübe. „Machen Sie sich keine Vorwürfe, Herr Major. Die Wüste steht auf …“ „Wir werden ihn einfangen, Doktor, verlassen Sie sich darauf, und den Hammada werden wir vernichten, und wenn ich die ganze Sahara zentimeterweise durchkämmen soll. So long!“ „So long!“ Mechanisch ließ er die Hand mit dem Hörer sinken und mußte sich mit der Linken am Schreibtisch festhalten. Die Wüste stand auf! Ob WP-Major Hutton mit seinen angelernten Manövern dagegen etwas ausrichten konnte – gegen die unsichtbare Macht fanatisierter Wüstenbewohner? Allahdah zweifelte daran – er fühlte sich so unsicher und deprimiert, wie schon lange nicht mehr. Wenn das der Anfang vom Ende war, so konnte er sich nicht mehr dagegenstemmen. Hinter ihm ging die Tür. Er zuckte zusammen und legte rasch auf. Zora trat ein. „Horla ist eben gestartet, Herr Doktor.“ „Vor dem Attentat?“ Ein jäher Argwohn glühte auf, den er selber, nicht begriff, und dessen er sich sogleich schämte. „Ich meinte nur, Zora – haben Sie keinen Auflauf auf der Gasse bemerkt?“ „Nein, mir ist nichts aufgefallen.“ Zora ging an ihren kleinen Schreibmaschinentisch und begann, in den unerledigten Sachen zu blättern. Allahdah konnte ihr Gesicht nicht sehen, und das war gut so. „Ich habe mich noch in der Bibliothek aufgehalten. Ist etwas geschehen?“ „Man hat auf Jim Parker geschossen.“ 42
Sie senkte den Kopf. „Es ist so furchtbar“, sagte sie leise. Allahdah deutete ihr Verhalten falsch. Verlegen und umständlich zündete er sich eine Zigarette an, wobei er das junge Mädchen nicht aus den Augen ließ. „Ich wurde hier noch unerwartet lange aufgehalten, Zora, und konnte mir deshalb den Hammada-Mann noch nicht ansehen. Aber Sie waren ja drüben bei der Weltpolizei?“ „Ja.“ „Nun ja“, lächelte er verkrampft, „dann hat wenigstens einer von uns beiden bereits einem Terroristen Auge in Auge gegenübergestanden.“ „Ja.“ Sie war unermüdlich beschäftigt, Briefe und Karten zu ordnen, aber es war höchst beunruhigend, daß sie nur ein wüstes Durcheinander anrichtete, Allahdah trat neben sie und sah kopfschüttelnd zu. „Hat die Begegnung mit dem Hammadisten Sie so sehr erschüttert, Zora?“ fragte er gütig und legte seine Hand leicht auf ihren Oberarm. Das wirre Rascheln der Papiere hörte endlich auf – sie schloß die Augen, um sich gleich darauf rasch umzuwenden und ihren Chef groß und hilflos anzusehen. „Es ist – Achmed!“ „Achmed Khalil?“ fragte er ungläubig und befürchtete, die schlanke Gestalt könnte neben ihm zusammenbrechen, sie tat ihm plötzlich unsagbar leid. „Das hatte ich nicht erwartet, Zora.“ „Er sagte mir etwas, was ich Ihnen ausrichten soll.“ „Wieder eine seiner nationalistischen Phrasen? – Das dürfen wir nicht zulassen – er ist kein schlechter Kerl, nur fanatisiert – wir müssen ihm helfen.“ „Nein, Doktor – er sagte mir, daß Omar Kaid auf Sie warte.“ Omar Kaid? Das war die Wüste, das war glimmende Feindschaft von Jugend auf, nur unterdrückt durch die untrennbaren Bande der Familie. Allahdah spürte, wie es über ihn kam – dunkel und grausam. Auf sein Gesicht legte sich die Maske einer Kälte, die Zora erschreckte. 43
„Doktor Allahdah …“ „Ich danke dir, Zora.“ Gefühllos glitt seine Hand von ihr. „Vielleicht können wir Ihrem Jugendfreund noch helfen, nun aber wollen wir an die Arbeit gehen. Haben Sie die Briefe für Südamerika erledigt?“ „Bis auf zwei“, antwortete sie automatisch. „Legen Sie mir die Briefe dann gleich zur Unterschrift vor.“ Er kümmerte sich nicht mehr um seine Mitarbeiterin, nur die erkannte Gefahr nahm sein Denken in Anspruch. Omar Kaid also! Zoras Schreibmaschine hämmerte leise und es hörte sich an, als wenn hunderte Pferdehufe durch die Stadt jagten. Die Wüstenarmee. Omar Kaid also – sein Halbbruder! „Die Briefe sind fertig, Doktor!“ Das Hufgetrappel war verstummt, aber in seinen Ohren hämmerte es weiter. Wie aus weiter Ferne kam Zora an den Tisch, mit angstvollen Augen, und legte die Unterschriftsmappe vor. Ohne zu verstehen, was sie wollte, starrte er auf das rote Leder mit dem Wappen des Weltbundes. Die Hufe der Unsichtbaren wurden immer rasender. Aber das Wappen verschwamm vor seinen Augen. „Wo hat man Achmed untergebracht?“ „In der WP-Dienststelle“, antwortete sie rasch und freudig. „Aber wenn Sie ihn sprechen wollen, wird man ihn bestimmt herkommen lassen. Soll ich Major Hutton anrufen?“ Allahdah schob die Mappe beiseite und wachte wie aus einem Traum auf. Ein verächtliches Lächeln glitt über seine Züge. „Hutton versteht uns so wenig wie unsere Feinde. Ich muß mit Ihrem Jugendfreund zusammenkommen, ohne daß der Major darum weiß.“ Und als er ihre Ratlosigkeit sah, fügte er leise und mit rauher Stimme hinzu: „Wollen Sie, daß Achmed wieder frei wird und man ihn nicht zum Tode verurteilen kann?“ „Ich würde alles geben und alles tun“, schluchzte sie auf. „Dann schweigen Sie über unsere Unterhaltung, Zora, bis 44
ich wieder hier sein werde.“ Aufmunternd nickte er ihr zu und verließ das Arbeitszimmer. Draußen stieß er auf seinen getreuen Maurice Charbonnier, der offensichtlich allerhand auf dem Herzen hatte. Aber Allahdah klopfte ihm nur freundschaftlich auf die Schulter, bat ihn, in vier Stunden wieder zu kommen und galoppierte kurz darauf auf seinem Dreijährigen dem Ortsausgang zu. Ein Posten schrak zusammen und salutierte hastig. „Mit Verlaub, Herr – es ist gefährlich, allein in die Wüste zu reiten.“ Allahdah saß gut zu Pferde. „Ich fürchte mich nicht.“ Stundenlang jagte er seinen Braunen kreuz und quer über die heißflimmernde Öde vor der arbeitsdurchtobten Wüstenstadt. Wilde Gedanken marterten sein Gehirn, und alle wurden sie durchsengt von einem fürchterlichen Namen: Omar Kaid! * Omar Kaid! Da lachte der fette Koloß aus Willenskraft und Brutalität schallend auf, als er minutenlang in das Schweigen der frühen Nachmittagsstunde gehorcht hatte. Der hünenhafte Totschläger mit der grobgeschnitzten Kinnpartie und den eng zusammenstehenden Augen, der ihm gegenüber auf seinem Kissen hockte, blieb so ernst wie sonst. „Du hast etwas gesehen, großer Kaid?“ „Meine Gedanken lassen ihn nicht mehr los, den weichen Freund der Weißen – sie ziehen ihn heran, bis ich ihn vor mir habe.“ Der andere nahm einen grünledernen Würfelbecher zur Hand und schüttelte ihn, so daß es leise klapperte. „Er wird schwerlich kommen, Erleuchteter.“ 45
„Achmed wird ihn bringen.“ Das Klappern im Becher wurde stärker. „Wir könnten sein Schicksal auswürfeln, aber du wirst wissen, was du tust, wenn er vor dir steht.“ „Ich weiß es.“ „Achmed wird ihm persönliche Sicherheit garantieren.“ „Was gilt das Wort einem Verräter gegenüber?“ Und Omar Kaid erhob sich mit erstaunlicher Elastizität. Er trug einen erstklassig gearbeiteten Straßenanzug und wirkte wie ein vornehmer arabischer Kaufmann, der er ja nach außen hin auch war. „Heute soll in der Bohrstation III die große Kontrollprüfung des Kanalsystems beginnen.“ Der braune Hüne mit dem finsteren Gesicht stellte den Würfelbecher wieder weg und zündete sich eine Zigarette an. „Eine Prüfung von großer Bedeutung für das Werk der weißen Teufel?“ „Allerdings. Ich nehme an, daß Horla bereits gelandet ist.“ * Omar Kaid hatte recht. Auf dem Stationsplatz von „In-Salah III“ standen zwei Männer und sahen zu, wie die kleine Reisemaschine landete. Kurt Müller hieß der eine, ein mittelgroßer, sportlicher Deutscher, während sein Kamerad Schweizer war. Aus der Maschine kletterte Ingenieur Horla und hob grüßend die Hand. „Er trägt doch tatsächlich wieder seinen schmierigen Schlips“, grinste Müller sauer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wenn der Bursche auch nur etwas Humor hätte, könnte man sich über diese Abwechslung freuen.“ Der Schweizer litt noch mehr unter der Einsamkeit der kochenden Wüste. Er sah in die Runde, sah nichts als Sand und nochmals Sand und schluckte schnell. Dann reichte er dem 46
Tschechen die Hand. „Willkommen, Mister Horla – ich hoffe, Sie haben den Flug trotz der Hitze gut überstanden?“ „Danke – ausgezeichnet“, murmelte Horla abwesend und begrüßte die beiden Stationsingenieure flüchtig. „Ist alles vorbereitet? Wir wollen noch heute nachmittag beginnen.“ Müller machte ein betretenes Gesicht. „Von uns aus schon, Sir – nur die …“ „Was ist, meine Herren?“ „Seit dem Arbeitsbeginn heute vormittag stimmt hier etwas nicht“, hob Müller die Schultern. „Die meisten Araber werden feindselig und aufsässig.“ „Das heißt – sie streiken?“ „Oh nein, Mister Horla, sie arbeiten weiter, aber langsamer als sonst und mit betonter Abneigung. Ich fürchte, sie werden uns bei der bevorstehenden Kanalprüfung allerlei Schwierigkeiten bereiten.“ Horla sah ihn für einen Augenblick nachdenklich an, machte dann aber eine wegwerfende Handbewegung. „Nicht einschüchtern lassen, Gentlemen. Natürlich werden die Leute aufgewiegelt, und wenn es sein muß, fordern wir Verstärkungen an. Gehen wir zunächst in die Kontrolle.“ Dem Schweizer wurde etwas schwach angesichts so viel trockener Arbeitswut. Nun, in den nächsten Tagen würde die erbarmungslose Sonne auch Horla ruhiger werden lassen. „Wollen Sie nicht lieber erst einen Imbiß nehmen, Sir?“ „Ich habe im Flugzeug gegessen und getrunken. Gehen wir an die Arbeit.“ Er winkte einen kleinen Araberjungen heran, der verlegen und nasebohrend an einem Gerüst lehnt und in der Station als Mädchen für alles ein trinkgeldgesättigtes Dasein führte. „Hier, Adi – trage den Koffer auf mein Zimmer.“ Eine schmierige Jungenhand griff zu und nahm den abgesto47
ßenen Koffer, eine andere fing mit gekonnter Fertigkeit ein Geldstück auf, und dann trabte Adi auf nackten Füßen davon. Die Männer gingen in das weiße, flache Kontrollhaus, das nur aus zwei Bäumen bestand: dem engen Arbeitsraum für den Schweizer, dem die Kanalkontrolle unterstand, und einem Schaltraum, der von zwei Reliefkarten und einem großen Tisch beherrscht wurde. In die Kunststoffplatte des Tisches war eine rechteckige Vertiefung eingelassen, die einen Grundriß des Pumpwerks der Station barg und von kleinen Hebeln und verschiedenfarbigen Lämpchen umgeben war. „Der Wasserstand ist normal?“ Horla schoß wie ein wilder Vogel auf den Schalttisch zu und blinzelte mit kurzsichtigen Augen. Für die wissenschaftlichen Mitarbeiter dieser Station – fünf Araber, ein Neger und ein alter ausgedörrter Weißer – hatte er nur ein Kopfnicken. Der Schweizer trat neben ihn und ließ einen Hebel spielen. „Sehen Sie selber, Mister Horla!“ Auf einer gläsernen Tafel neben der Vertiefung flimmerte eine Zahl auf. 102. Horla kaute an seiner Unterlippe und sah den Schweizer mit einem stechenden Blick an. „Druck?“ „0 – 108.“ „Haben Sie die Zahlen von den anderen Stationen erhalten?“ Auch die anderen Männer kamen auf Fußspitzen über den fliesenbelegten Boden heran, während der Schweizer eine Liste aus der Brusttasche zog. Der Rhythmus harter geistiger Arbeit begann in der brütenden Nachmittagsstunde zu hämmern. Horla dachte nicht mehr an lauernde Gefahren – oder war seine Gelassenheit nur gespielt? Leise surrte der große Ventilator unter der Decke. Nur einer der Araber schien nicht recht bei der Sache zu sein – er sah auf den Stationsplatz hinaus, der vor dem Fenster lag. Er konnte sehen, wie Adi mit dem Koffer im Bürohaus verschwand.
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* Adi liebte Trinkgelder. Und das ließ ihn etwas tun, was er bei Allah, dem Allgegenwärtigen, nicht durfte. Er stellte den abgeschabten Koffer in dem für den Ingenieur reservierten Wohnraum nicht einfach nieder, um sich dann zu entfernen – oh nein, Adi tat mehr. „Ich habe tausend Frauen und noch eine“, pfiff er unbekümmert vor sich hin, während seine flinken Hände vorsichtig den Koffer öffneten und den Wälzer „Lenzing, Geschichte des Kanalbaues, Handausgabe“ herausnahmen. Von Büchern verstand Adi nichts, aber er wußte, was er tun sollte. Hinter dem Buchrücken war ein scharfgefaltetes hartes Papier eingeklemmt, das etwas kürzer war als das Buch. Mit spitzen Fingern zog Adi es hervor und schob es unter seinen Hosenbund. Dann legte er den Wälzer sorgfältig wieder zurück und verließ den Raum. Adi liebte Trinkgelder mehr als alle guten Sprüche des Korans. Pfeifend schlenderte er durch das winzige „Büro“, zwinkerte grinsend und mit verschmitzten Augen dem mageren Stationsschreiber zu und spazierte dann, betont lässig, am Fenster des Kontrollhauses vorbei. Neben dem Fenster blieb er stehen, lümmelte sich gegen die Wand und gab sich hoffnungsvollen Betrachtungen über die Höhe des zu erwartenden Bakschisch hin. Gedämpft klang die Stimme Horlas aus dem Schaltraum. „… es kommt darauf an, meine Herren, daß die Ansaugungen auf allen Stationen gleichzeitig erfolgen. Ich habe diese Station für den Versuch zum Mittelpunkt einer längeren Strecke gemacht, weil die Stationen IV und V ausfallen und die Zentrale es nicht allein schaffen würde …“ „Von der Zentrale aus erfolgen keine Saugungen?“ fragte eine sonore Stimme verwundert, und Adi erkannte, daß sie dem netten Herrn gehörte, der ihm guten, guten Bakschisch versprochen 49
hatte. Horla räusperte sich ungeduldig. „Selbstverständlich auch von der Zentrale aus, Mister Mustafa, nur kann sie eine Überlastung nicht stundenlang allein tragen. Ist sonst alles klar?“ „Gewiß.“ „Dann werden wir beide. Mister Mustafa, uns in die Saugkammer begeben. Ich möchte die Saugung selber überwachen.“ „Wie Sie es wünschen.“ Horla gab noch eine ganze Reihe von Anweisungen, wiederholte alles dreimal, ließ an der Reliefkarte die große Erprobung theoretisch durchexerzieren, und als er endlich seine Mitarbeiter in einen Zustand geistiger und körperlicher Erschöpfung versetzt, hatte, raffte er seine Notizzettel zusammen und gab sich zufrieden. Gleich darauf kam er aus der Tür geschossen, den Kragen mit dem berüchtigten Schlips aufgerissen und das Haar wirr in der Stirn. Horla war auf achtzig. Mustafa – ein stämmiger Mann mit ausdruckslosen Gesichtszügen – folgte ihm und beachtete den heftig zwinkernden Adi kaum. Adi seufzte enttäuscht. Hatte der Herr etwa einen Scherz mit ihm gemacht? Aber er würde das Papier mit den seltsamen Zeichnungen aufbewahren. Horla sah auf seine Armbanduhr. Es war drei Uhr nachmittags und höchste Zeit, wenn die Erprobung noch heute anlaufen sollte. Vor ihnen reckte sich der Bohrturm in den glasigen Himmel. „Die Stimmung unter den Arbeitern soll nicht gut sein?“ „Davon ist mir nichts bekannt, Sir.“ Mit verschlagenem Lächeln sah Mustafa nach oben. „Aber es ist möglich, daß wir bald einen Samum bekommen.“ „Einen Sandsturm? Kann ich nicht gebrauchen.“ „Der Himmel sieht ganz danach aus.“ *
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Die Zeiger auf der Marmoruhr glitten lautlos weiter und hatten die Drei überschritten, als Fritz Wernicke zusammenzuckte. Hinter ihn war eine Krankenschwester getreten. Sie sah seine Angst und lächelte gutmütig. „Mister Parker geht es den Umständen nach sehr gut, Mister Wernicke. Er möchte Sie sprechen.“ „Seid gepriesen, ihr Götter des Weltalls!“ Wernicke, der seine überflüssige Maskerade abgelegt hatte und nun aussah wie ein normaler Amerikaner, atmete tief auf und machte Anstalten, die hübsche Schwester zu umarmen, aber sie wich auflachend zurück. „Sie sollten sich um den Kommodore kümmern.“ „Unterschätzen Sie mich nicht“, grinste er heiter. „Ich kann beides. Wenn Jim erst einmal energisch nach mir verlangt, hat er Freund Hein wieder mal k.o. geschlagen.“ Jim Parker saß aufrecht im Bett und war damit beschäftigt, auf dem freien Rand einer Zeitung Notizen zu machen. Über dem rechten Ohr klebte ein großes Pflaster, und er sah noch recht bleich aus. Die Sache hätte schlimmer ausgehen können, wenn er um Millimeter anders gestanden hätte. Es war natürlich ein Zufall, daß es bei dieser Schramme blieb, aber von solchen Zufällen hing oft sein Leben ab. „Hallo, Whiskytöter, nett von dir, daß du mir deine Aufwartung machst. Hast du mir was mitgebracht?“ Wernicke schielte die Schwester an, die mißtrauisch auf seine prall gefüllte Tasche sah. Dann schritt er mit gespreizter Würde auf das Bett zu. „Ahem – laß dir die Hand schütteln, teurer Freund, laß uns dem Schicksal danken, daß es gnädig und …“ „Schon gut, Fritz, streng dich nicht an.“ Jim legte seinen Bleistift weg und kreuzte die Arme hinter dem Kopf. „Gibt es etwas Neues?“ „Natürlich gibt es Neues“, zischte Wernicke und preßte die Hand fest auf seine Hosentasche. „Aber das niedliche Girl dort 51
drüben dürfte allerhand dagegen haben.“ Der Kommodore sah seinen Kameraden verständnislos an. „Wogegen denn, bei allen Planeten?“ Die Schwester drehte ihm den Rücken zu und beschäftigte sich mit den Fenstervorhängen. Wernicke zauberte blitzschnell eine Taschenflasche ‚Old Chicagoer’ hervor und steckte sie unter das Kopfkissen. Dann räusperte er sich. „Verzeihung. Schwester, würden Sie – äh – so liebenswürdig sein – ahem – uns einige Zigaretten zu besorgen?“ Sie wandte sich um und zeigte ihre schneeweißen Zähne. „Das Rauchen ist in unseren Krankenzimmer nicht gestattet, aber eine Erfrischung will ich Ihnen gern holen lassen. Vielleicht ein Milchgetränk?“ Jim grinste stillvergnügt, und Wernicke drehte sich der Magen um. „Wirklich sehr reizend von Ihnen, Schwester“, ächzte er mühsam. „Milchgetränke sind – ah – meine besondere Spezialität.“ „Oder – wenn Sie lieber etwas Alkoholisches trinken?“ „Mein Freund ist Antialkoholiker“, sagte Jim ernst. „Er würde es mir sehr übelnehmen, wenn ich hier etwa Kognak auffahren ließe.“ „Dann hole Ich Ihnen ein schönes Milchgetränk“, lächelte sie bezaubernd und eilte hochbeinig hinaus. Die Männer sahen ihr nach. Fritz seufzte gottergeben. „Sie ist selbst viel schöner, als ein Getränk, ich würde lieber …“ „Mäßige deine Phantasie.“ Jim holte die Flasche unterm Kopfkissen hervor und reichte sie ihm voller Mitgefühl. „Stärke dich, bevor sie dir das landwirtschaftliche Erzeugnis vorsetzt.“ Wernicke ließ sich nicht lange nötigen. Zwischen zwei tiefen Zügen gab er den Lagebericht. „Varrenta hat den Heckenschützen nicht erwischt. Er hat ihn durch die Basare gejagt und ziemlich viel Kleinholz dabei gemacht, aber ohne Erfolg.“ „Dumm.“ Der Kommodore spielte nachdenklich mit der Zei52
tung. „Wenn ich nur etwas von ihm gesehen hätte, aber der Bursche hat uns wirklich übertölpelt.“ Fritz schüttelte die Flasche, die bereits zur Hälfte geleert war. „Ich habe flüchtig ein Gesicht gesehen …“ Jim richtete sich wieder auf. „Würdest du es wieder erkennen?“ „Mit Sicherheit kaum, Jim – das Gesicht erinnerte mich allerdings an einen der hiesigen Ingenieure – Horla heißt er …“ „Unmöglich!“ rief Jim aus. „Du wirst dich geirrt haben, Fritz.“ Draußen auf dem Korridor wurden Stimmen laut. „Nanu, das ist doch Major Hutton.“ Bevor Fritz die Flasche wieder wegstecken konnte, wurde die Tür aufgerissen und herein stürmte der rasende WPHäuptling, der sich mit der Schwester balgte, die ihn verzweifelt an den Schultern zurückhalten wollte. „Es geht nicht, Herr Major – der Kommodore ist noch leidend …“ Das Nußknackergesicht glühte wie der Vesuv bei einem Ausbruch. „Der Kommodore ist der einzige, der uns noch retten kann, sonst finden wir uns noch in einem Negerkral wieder.“ Jim wurde sehr aufmerksam, und alles an ihm straffte sich wieder. „Ist schon wieder was geschehen, Major?“ „Der Teufel ist los – dieser Achmed – dieser stinkende Kameltreiber, dieser höhnische Satan – ist verschwunden …“ Der Kommodore winkte der Schwester, den Major gewähren zu lassen. „Machen Sie bitte die Tür zu – es braucht niemand zu hören.“ Zögernd ließ sie Hutton frei und schloß die Zimmertür. Der Major ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Das ist zuviel, Parker – wenn hier noch ein Bett frei ist, lege ich mich sofort rein – ich bin doch erledigt! – Abschied – Kranz und Schleife – Friedhof für Selbstmörder!“ Fritz Wernicke holte wieder die Flasche unter dem Kopfkissen hervor und hielt sie dem armen Kerl unter die Nase. Die 53
Schwester sah es mit Staunen. Jim zog die Knie an, als wolle er jeden Augenblick aus dem Bett springen. „Ein schwerer Schlag, Herr Major, aber bestimmt kein Grund, um an Selbstmord zu denken.“ Hutton goß den restlichen Flascheninhalt herunter. „Sie wissen noch nicht alles.“ „Dann schießen Sie los.“ Die leere Flasche wurde mit voller Kraft auf den Fußboden geworfen. „Doktor Allahdah ist – ebenfalls – verschwunden.“ Jim gab sich keinen überflüssigen Verzweiflungsausbrüchen hin. Nur sein Gesicht wurde scharf, und seine Augen forderten, daß der Major sich ihm unterordne. „Seit wann?“ „Seit etwa einer Stunde. Ich nehme an, daß die beiden gemeinsam – ahem – abgereist sind. Unter welchen Umständen, ist mir noch schleierhaft. Ich habe bereits Zora ausgefragt, aber dieses listige Frauenzimmer spielt die ahnungslose Unschuld.“ „Dann werde ich mir unsere schöne Araberin einmal vornehmen.“ * „Hoffentlich ist Zora dem Ansturm der Vernehmungen gewachsen“, meinte Doktor Allahdah besorgt, während sich die Maschine leicht der Oase entgegensenkte, die geheimnisvoll und palmenumrauscht aus der felsigen Einöde heranwuchs. Achmed saß neben ihm am Steuerknüppel. „Ich verlasse mich auf die Ritterlichkeit der Weltpolizei!“ „Keine höhnischen Bemerkungen, mein Lieber.“ Allahdahs Augen fingen das Bild auf, das sich ihnen bot. Zwischen den Palmen lagen ein größeres, modernes Gebäude und eine Anzahl Lehmhütten. Am uralten Brunnen standen einige Männer in ihren weiten blauen Gewändern. Sie schienen die Maschine zu hören; denn sie blickten auf und rannten dann plötzlich fort. 54
„Zora wird kein Leid zugefügt werden – die Weltpolizei ist keine Terrororganisation.“ „Ich danke für den freundlichen Hinweis, Herr.“ Um den Mund des jungen Terroristen spielte wieder sein ironisches Lächeln, das ihn oft so unsympathisch sein ließ. Und doch spürte Allahdah, daß er es in seiner Art ehrlich meinte – sein abweisendes Verhalten steigerte sich niemals zu einem kalten Zynismus. Mit ruhigen Händen zündete sich der Weltbeauftragte eine Zigarette an. Das tat gut und ließ das beklemmende Gefühl in der Magengegend nicht so wirksam werden. „Ich hoffe, man wird mich auch dann zurückbringen, wenn die Aussprache zwischen Omar Kaid und mir erfolglos verlaufen sollte.“ „Sie haben unser Wort.“ Achmed bediente den Steuerknüppel. Die Maschine legte sich etwas backbord. Wahrscheinlich wollte er in der Nähe der Oase niedergehen. Und während sie landeten, sagte Achmed etwas, was Allahdah nie erwartet hätte: „Glauben Sie mir bitte, Doktor, gegen Sie persönlich hege ich nur deshalb Feindschaft, weil Sie mit Europäern und Amerikanern – mit Fremden – zusammenarbeiten.“ Allahdah verbarg sein Erstaunen. „Ich muß mit Ihnen zusammenarbeiten, damit die Wüste aufblüht, damit diese ganze nichtssagende Öde dort unten sich in ein Kulturland verwandelt.“ „Mit dem Feind zusammen schafft man kein Paradies.“ „Wie philosophisch Sie sein können.“ Unten wurde ein Jeep sichtbar, der aus der Oase kommen mußte und auf die Wüste hinausfuhr. Ein Mann stand in ihm und winkte heftig. Allahdah nahm es kaum wahr, denn ein überraschender Gedanke kam ihm plötzlich. Er sah Zoras Jugendfreund aufmerksam an. „Und – wären Sie auch gegen das Projekt, wenn man es ohne die Hilfe der Weißen durchführen könnte?“ „Vielleicht nicht.“ „Eine aufschlußreiche Antwort“, sagte der Weltbeauftragte 55
freundlich. „Dann ist es also tatsächlich nur der Fremdenhaß, der Sie in den Hammada-Bund getrieben hat?“ „Fremde sind Feinde.“ „Das ist die Sprache eines Muselmanen aus dem neunzehnten Jahrhundert.“ Unten hatte der Jeep den Landeplatz markiert, und Achmed ließ das Fahrgestell ausfahren. „Sie vergessen, daß der Mensch inzwischen den Bannkreis der Erde durchbrochen hat, und daß es für seine Stellung im Kosmos gleichgültig ist, ob er als Araber oder Engländer, als Japaner oder Norweger geboren wurde. Außerdem sind Ihre Befürchtungen unbegründet – niemand denkt daran, uns Arabern das Recht auf die Verwaltung unserer eigenen Heimat streitig zu machen.“ „Wir sind für die Weißen nur Menschen zweiter Klasse.“ „Geben Sie sich nur keinen Minderwertigkeitskomplexen hin. Denken Sie bitte daran, daß drei Araber im Zentralrat des Weltbundes der freien Nationen sitzen.“ „Renegaten hat es immer gegeben.“ „Sie werden noch einsehen, wer von uns beiden recht hat. Und nun achten Sie auf die Maschine.“ Die Räder berührten den Felsboden. Die Kiste holperte etwas, aber Achmed war kein schlechter Flugzeugführer. Nach wenigen Minuten stand Doktor Allahdah bereits auf dem Wüstenboden und sah sich einigen nicht sehr freundlichen Männern gegenüber. Muhammed, der engste Freund des Hammada-Chefs, verneigte sich reserviert. „Willkommen auf dem Boden der Gerechtigkeit, Doktor Allahdah – möge Allah auch deine Seele erleuchten, daß du den weisen Worten des großen Omar Kaid zu lauschen vermögest.“ Allahdah spürte die finstere Feindschaft dieser Männer, er sah, wie es in ihren Augen dunkel und haßvoll aufglühte, aber er spürte keine Furcht, er mußte sogar ein Lächeln unterdrücken. „Weise Worte können viel bedeuten – es kommt darauf an, wie sie gesprochen und verstanden werden. Führt mich bitte zu 56
dem großen Omar Kaid.“ Sie gingen zu dem Jeep. Achmed mußte sich noch um die Maschine kümmern. Sein Blick tastete den Himmel ab, der eine eigenartige Färbung annahm. Lag ein Unwetter in der Luft? Seine Gedanken aber waren bei Zora – der kleinen, schmalen und tapferen Zora. * „Mister Parker!“ Überrascht fuhr Zora hinter ihrer Schreibmaschine hoch, als der Kommodore in das Arbeitszimmer Allahdahs trat. Mit Mühe hatte er Major Hutton zurückhalten können, ihn zu begleiten, und das war gut so; denn der Nußknacker hätte das junge Mädchen nur eingeschüchtert. Jim Parker aber lachte freundlich. „Sie sind überrascht, mich zu sehen, Miß Zora?“ „O, ja“, gestand sie atemlos. „Man hat Sie feige überfallen und verletzt, und der Arzt sagte uns, daß er mindestens drei Wochen brauche, um Sie wieder herzustellen.“ „Drei Wochen Urlaub wären nicht so übel gewesen“, nickte er und setzte sich auf einen Stuhl, den sie ihm rasch hingeschoben hatte. „Aber die Ereignisse überschlagen sich in Ihrer schönen Stadt. Nicht einmal Ihr hoher Chef läßt mir Ruhe.“ Zora erkannte plötzlich, worauf der Kommodore hinauswollte. Sie wußte alles, sie wußte, wie es Allahdah gelungen war, ihren Jugendfreund aus der WP-Dienststelle herauszuholen und mit ihm davonzufliegen – aber sie würde nichts sagen. Etwas unsicher und beeindruckt von der starken Persönlichkeit Jim Parkers lehnte sie sich gegen den Schreibtisch. Durch das geöffnete Fenster kam der schwüle Atemzug eines heißen Windes. „Das riecht nach einem ausgewachsenen Sandsturm.“ Jim 57
sah sie aufmerksam an. „Es ist nicht gut für Flugzeuge, die jetzt in dieser Gegend unterwegs sind.“ Zora biß sich auf die Unterlippe, und ihre Hände glitten an der Tischkante hin und her. Unwillkürlich sah sie auf die Wanduhr und atmete auf. Sie mußten schon da sein. Er war ihrem Blick gefolgt. „Mit einer Reisemaschine, und wenn man Umwege fliegt, um Verfolger zu täuschen, gut 200 Meilen“, stellte er trocken fest. „Wie meinen Sie das?“ fragte sie erschreckt, und ihr unbeherrschter Gesichtsausdruck sagte ihm alles. Er stand auf, trat vor sie und nahm ihre Arme. „Zora, wollen Sie nicht lieber dieses Spiel mit unwägbaren Gefahren aufgeben? Können Sie es zulassen, daß Doktor Allahdah sich freiwillig in die Höhle des Löwen begibt, der ihn zerfleischen will?“ Seine Augen waren ernst und durchdringend, von ihnen ging eine Kraft aus, die das Mädchen erschauern ließ. Sie empfand den Wunsch, er möge sie in seine Arme schließen, aber dann dachte sie an Achmed. „Ich weiß nichts“, sagte sie leise. „Aber ich kann es Ihnen sagen“, fuhr er ruhig fort. „Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um in diesem Falle den roten Faden zu erkennen – er geht über Sie zu Achmed und von diesem …“ Das durfte nicht sein, oh, das durfte ja nicht sein. Mit letzter Willenskraft stemmte sie sich gegen die Beweisführung des Kommodore. Wenn sie Achmed wieder einfingen, würden sie ihm einen kurzen Prozeß machen. Sie riß sich von seinem Blick los und sah angestrengt auf das kleine WP-Abzeichen, das er am Kragen trug. „Sie müssen sich irren, Kommodore. Weshalb sollte der Doktor gemeinsam mit Achmed abgereist sein? Allahdah ist schließlich ein freier Mann, der gehen kann, wohin er will.“ 58
„Auch in den Tod?“ „Quälen Sie mich doch nicht so.“ „Kleines Mädchen, werden Sie vernünftig – ich verspreche Ihnen, daß ich …“ Das Aufsummen des Fernsprechers unterbrach ihn. Sie zuckte zusammen, und er ließ sie rasch frei und trat zurück. Mit einer unsicheren Bewegung wandte sie sich um und hob ab. Die Vermittlung meldete sich, gleich darauf eine weiche, biegsame Männerstimme. Zora schloß die Augen, als wollte sie sagen: auch das noch! „Doktor Allahdah wird sehr erfreut sein, Sie in In-Salah zu wissen, Monsieur de Beaumont – ich kann Ihnen jedoch leider nicht sagen, wann er zurück sein wird.“ Wieder die Männerstimme, diesmal etwas tiefer und offensichtlich mißmutig. Zora hob die Schultern. „Er ist verreist, Monsieur – ja privat – dazu bin ich nicht befugt, ich weiß es auch nicht – auf Wiedersehen.“ „Direktor de Beaumont vom Weltamt?“ Hart fiel der Hörer auf die Gabel. „Ja, Mister Parker, und er will – er will – er verlangt von mir, daß ich ihm den Aufenthaltsort Allahdahs bekanntgebe …“ „Ein sehr ehrgeiziger junger Mann“, lächelte Jim und zwinkerte ihr gutmütig zu. „Sie schwindeln mir ja auch tapfer die Taschen voll, aber Sie haben es nicht verdient, daß man Ihnen Schwierigkeiten bereitet. Seien Sie ruhig – ich werde Ihnen helfen.“ „Es geht nicht um mich“, schluckte sie und wandte sich ab. „Ich weiß es, Zora – es geht um einen hübschen Jungen, den Sie angeblich nicht kennen.“ Sein Schädel brummte, und von der gelben Seidentapete ging ein eigenartiges Flimmern aus, das sogar die Beine zu lähmen schien. Nur nicht schlappmachen, Jim – nur nicht schlappmachen. Rasch zog er eine „Maza Blend“-Packung aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an. „Aber trotzdem werde ich Ihnen helfen. Nur eines verlange 59
ich von Ihnen, Zora: Sie müssen mir offen sagen, wo die beiden sich aufhalten.“ Zora trat an das Fenster und sah hinaus. Er ließ ihr Zeit. Sie preßte die Rechte gegen die Scheibe und atmete schwer. Heiß war der Wind, der das drohende Unwetter ankündigte. Unten auf der Gasse war aus dem Gehwege der Wüstenstadt, diesem munteren Durcheinander aus sachlichen Uniformen und farbenfrohen Gewändern, nur ein müde fließendes Bächlein geworden. Zwei arabische Techniker schäkerten mit einem Tanzmädchen, ohne sich darum zu kümmern, daß ihre Schicht – sie trugen auf ihren Kombinationen das rote Rechteck der sogenannten B-Schicht – längst begonnen hatte. War es nur diese beklemmende Schwüle, oder steckte etwas Gefährlicheres in ihrem Verhalten? „Ich weiß wirklich nicht, wohin die beiden geflogen sind, aber wenn es wirklich sein muß, werde ich Ihnen sagen, was ich weiß.“ „Sie können ganz offen zu mir sein, Zora. Ich kann schweigen – auch den Behörden gegenüber. Es kommt mir nur darauf an, Allahdah vor einem schrecklichen Ende zu bewahren.“ Bevor sie antworten konnte, schrillte der Fernsprecher schon wieder. Diesmal hob Jim ab und meldete sich. Horla war in der Leitung, und seiner miserablen Laune nach zu urteilen, mußte in „In-Salah III“ so ziemlich alles schiefgehen. „Die Sauganlage funktioniert nicht, und die Araber stehen daneben und grinsen. Natürlich Sabotage, die uns wieder um Wochen zurückwirft. Mustafa ist verschwunden, dieser Schleicher.“ „Einer der Ingenieure?“ „Der Bohrfachmann. Schicken Sie mir eine WP-Abteilung, Kommodore, oder kommen Sie selber. Ah – diese verdammte Schwüle! Wahrscheinlich will man uns heute nacht wieder ein 60
Feuerwerk vorzaubern.“ Jim Parker drückte seine Zigarette aus. „Ich komme selber, Mister Horla!“ * Auch Omar Kaid legte seine Zigarette weg, unbeachtet purzelte sie in eine goldene Schale, aber in seinen Augen lauerte ein lächelnder Abgrund. „Dein Besuch bereitet mir den größten Augenblick meines Lebens, o Ibrahim Allahdah.“ Doktor Allahdah schritt über einen roten Teppich bis zur Mitte des pompösen Wohngemaches und verneigte sich mit gemessener Höflichkeit. „Trotz aller Bedenken bin ich deinem Rufe gefolgt, o Omar Kaid, und ich hoffe, daß Allah diese Stunde segnen möge.“ Omar Kaid reichte seinem Halbbruder die Hand und lud ihn mit einer großartigen Geste zum Sitzen ein. Er war sehr selbstbewußt, der alte Wüstengangster, und er hätte viel darum gegeben, wenn Wochenschau und Presse die malerische Szene festgehalten hätten: er und der stille Ibrahim Allahdah in der Mitte, und um sie im Halbkreis seine „Getreuen“ in ihren kostbaren Gewändern. Aber er wollte mit seinem Gast allein sein. „Ihr könnt gehen, meine Freunde. Mein Ruf wird euch erreichen.“ Sie verneigten sich mit undurchdringlichen Gesichtern und schritten nacheinander durch eine reichverzierte Tür. Nur einer blieb zögernd stehen. Auf den fragenden Blick Omar Kaids sagte er leise: „Es ist eine wichtige Meldung eingegangen, großer Kaid.“ Sofort wandte sich der Hammad-Chef an Allahdah. „Entschuldige mich für einige Minuten, Ibrahim.“ Draußen fragte er 61
scharf: „Was gibt es?“ „Meldung aus ‚In-Salah III’“, berichtete der Mann mit militärischer Sachlichkeit. „Mustafa hat die Nerven verloren und ist aus der Station verschwunden.“ „Niemand überlebt seine Feigheit.“ „Durch Mustafas Verhalten und seine ungeschickte Führung der zu uns gehörenden Arbeiter hat man Verdacht geschöpft und die Weltpolizei alarmiert.“ Omar Kaid sah den Mann an, als wolle er ihn für die schlechte Nachricht verantwortlich machen. Angstvoll wich der Mann zurück. Aber der Hammada-Chef beherrschte sich. „Wir werden ihnen zuvorkommen. Gib das Losungswort aus. Wie lautet es?“ „Allah ist groß!“ „Es muß sein, obwohl ich einen offenen Kampf vermeiden wollte. Aber auch so bieten sich uns noch genug Möglichkeiten, nach der Zerstörung von In-Salah im Geheimen weiterzuarbeiten.“ „Dein Entschluß sei gesegnet, oh großer Kaid, was aber wirst du mit Allahdah machen?“ Omar Kaids Gesicht war kalter Hohn. „Das laß meine Sorge sein.“ Während er das sagte, betrat Achmed den Raum. Er hatte das Flugzeug gegen den drohenden Samum gesichert und grüßte bescheiden. Omar Kaid trat impulsiv auf ihn zu. * „Tod und Hölle über diese Schweinehunde!“ Das mächtige Pumpwerk in der sogenannten Saugkammer stand stumm und steif, man hatte ihm ein wichtiges Organ aus dem metallenen Leib genommen, und es würde Wochen dauern, Wochen … 62
Horla wandte sich ab. Er sah grau und verfallen aus, und seine Hände zitterten. Neben ihm schritten Müller und der Schweizer die Stufen der Stahltreppe hinauf. Müller spielte mit dem Verschluß seiner Maschinenpistole. „In ‚In-Salah III’ glückt es ihnen aber nicht! Holzauge, sei wach! Ich habe mir schon einen schneidigen Abwehrplan zurechtgelegt.“ Der Schweizer lachte unfroh auf. „Der dürfte uns auch nicht viel nützen, wenn nicht die Weltpolizei bald kommt …“ Horla wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich habe vorhin mit Kommodore Parker gesprochen. Er kommt mit einer WP-Abteilung. Und vorläufig ist ja noch alles ruhig.“ „Hier unten schon“, grinste der Schweizer und zeigte hinter sich. Die längliche Kammer, die mit ihren stählernen Wänden und dem Gestänge des Pumpwerks einen unsagbar trostlosen Eindruck machte, und deren Luft schon den kalten Atem des unterirdischen Sees ahnen ließ, war leer. Nur ihre Schritte hallten unheimlich wider. Aber über ihnen lag der Gang zum Bohrturm. Und als Müller, der als erster auf die drittoberste Stufe trat, den roten Knopf drückte und die schwere Luke seitwärts ausschwenkte, fuhren sie zurück. „Hände hoch, meine Herren!“ Oben stand Mustafa und hielt in jeder Hand einen Revolver. Hinter ihm grinsten braune Gesichter. Es war soweit! „Verdammtes Gesindel!“ Müller riß blitzschnell die Maschinenpistole hoch, aber er konnte von Glück sagen, daß er mit dem Leben davonkam. Die Kugel Mustafas fuhr ihm in das Handgelenk, daß er sich stöhnend krümmte. Horla und der Schweizer griffen zu. „Überflüssiger Leichtsinn“, murrte der Ingenieur. „Die Wüste hätte dich behalten sollen, du Kameltreiber!“ „Es ist nicht alles Feigheit, was danach aussieht“, lachte der Terrorist. „Ich weiß, wie man Weiße in die Falle lockt. Kom63
men Sie, bevor ich mein Mitleid verliere.“ „Sparen Sie sich Ihren Hohn“, fuhr ihn der Schweizer verächtlich an. „Geht es, Müller?“ „Natürlich.“ Müller war schließlich kein Weichling, aber er markierte den Schwerverletzten und handelte instinktiv richtig. Die Araber waren vielleicht eine Idee zu arglos. Als er anscheinend kraftlos vorwärtstaumelte, warf er sich plötzlich mit der Schulter gegen den Auslöseknopf. Bevor die Araber begriffen, was geschah, sauste die Luke an ihren Köpfen vorbei und in ihre Verschlüsse zurück. Einer von ihnen wurde von der großen Stahlplatte erfaßt und stürzte an den drei Ingenieuren vorbei in die Tiefe. „Luke sichern!“ schrie Horla und legte zwei Hebel um. Über ihnen brach ein Wutgeheul los. Unten auf dem harten Boden wimmerte der schwerverletzte Hammada-Mann, der sich am Pumpengestänge die Schulter eingeschlagen hatte. Und drei Männer sahen sich an. „Hier holen sie uns nicht raus“, lachte der Schweizer. „Lebendig begraben“, schüttelte Horla erschüttert den Kopf. Aber auch Müller war trotz seiner Verletzung zuversichtlich. „Wenn Jim Parker alarmiert ist, wird er uns schon heraushauen. Und nun müssen wir uns erst einmal um den armen Kerl dort unten kümmern.“ Wieder stiegen sie die Treppe hinab. Es war kalt und die Luft schmeckte nach der geheimnisvollen Tiefe des unterirdischen Wassers. Leise wimmerte der Hammada-Mann. Der Schweizer war als erster neben ihm und prallte zurück. „Jim Parker kommt!“ * Auf dem Flugfeld von In-Salah stand die Alarmstaffel der WP mit laufenden Motoren. Zwei leichte Kampfflugzeuge und ein 64
großer Hubschrauber. „Meine Herren!“ Jim Parker sah auf die Armbanduhr. Neben ihm die Flugzeugführer. Einer von ihnen war Wernicke, der Parkers Maschine führen sollte. „Es ist jetzt 18 Uhr 28. Bei dem drohenden Unwetter werden wir in reichlich zwanzig Minuten am Einsatzort sein. Sollte ich abschwenken müssen, übernimmt Leutnant Ursin das Kommando. Alles klar?“ „Alles klar!“ „Dann an die Maschinen!“ Sie rannten los und schwangen sich auf die Tragflächen. Die Staffel war vollbesetzt – in den Maschinen saßen 30 schwerbewaffnete und ausgesuchte Weltpolizisten. Sie sahen neugierig auf den kleinen Führer des Hubschraubers, der als einziger stehengeblieben war und verzweifelt die Hände rang. „Mein Whisky – mein Bettlaken – he da, ihr Weihnachtsmänner …“ Die „Weihnachtsmänner“ waren kleine Araberjungen, die aufgeregt herankamen und Wernicke ein weißes Gewand in die ausgestreckten Hände warfen, das er blitzschnell überstreifte. Schon stand ein frommer Muselman wieder da. Schallendes Gelächter aus rauhen Kehlen. Nur der Kommodore wurde wütend. „Was soll diese dämliche Maskerade schon wieder, verflucht nochmal?“ Wernicke verstaute noch mit Affengeschwindigkeit eine kleine Batterie von Taschenflaschen und winkte ihm zu. „Der Feind wird geschlagen!“ Gleich darauf saß er neben Jim und bediente das Gaspedal. Die wilde Jagd ging ab. „Diese nichtsnutzigen Jünglinge hatten doch tatsächlich meine wertvollsten Waffen vergessen“, schimpfte der Steuermann und grinste seinen großen Kameraden etwas verlegen an. Jim sah angestrengt geradeaus. „Das Unwetter kommt naher!“ 65
* Der Samum heulte in der Ferne. Durch das kostbare Glasfenster konnte Achmed erkennen, wie eine Wetterfront aus Sandstaub am Horizont entlangraste. „Allah beschütze die, die draußen sind“, sagte Omar Kaid unwillkürlich. „Uns wird das Unwetter verschonen.“ „Es ist aber doch gut, daß ich die Maschine mit Planen geschützt habe.“ Achmed verneigte sich. „Ich bin glücklich, o Herr, daß du mir die Rückkehr gestattetest.“ „Du warst kämpfend in die Hände der Weltpolizei gefallen.“ Der Hammada-Chef klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. „Unsere Klugheit war stärker als die Überheblichkeit des Feindes. Du hast mir einen langerwarteten Gast gebracht und eine wertvolle Flugmaschine dazu.“ Achmed lächelte stolz, und doch tat ihm der Tonfall seines Oberhäuptlings irgendwie weh und ließ ihn aufhorchen. „Die Maschine brauche ich nachher, o Herr, um den Freund der Fremden in sein Gebiet zurückzubringen.“ Über den verschlagenen Blick Omar Kaids legten sich die schweren Augenlider. „Allah wird es fügen, mein Sohn. Aber du wirst müde sein.“ „Ein wenig abgespannt bin ich – die letzten Tage waren schwer.“ „Geh nur und erfrische dich.“ Noch ein Händedruck, dann war der junge Terrorist entlassen. Omar Kaid wandte sich ab und betrat wieder sein Gemach, wo Doktor Allahdah mehr beunruhigt als gelangweilt auf ihn wartete. Achmed zögerte, steckte sich eine Zigarette an und sagte zu einem der wartenden Unterführer: „Wird wohl ein langes Palaver werden, dort drinnen?“ Der andere grinste und machte eine Bewegung, als wolle er 66
jemand erdolchen. „Der Chef wird kurzen Prozeß mit dem Verräter machen.“ Aber er beendete rasch seine alberne Spielerei, als Achmed ihm empört in den Arm fiel. „Beherrsche gefälligst deine Zunge. Willst du etwa behaupten, der große Omar Kaid werde die heilige Unantastbarkeit seines Gastes verletzen?“ „Man hört es, Achmed, man hört es“, wehrte sich der Unterführer ziemlich kläglich. Achmed lachte verächtlich auf. „Ihr seid mir die richtigen Klatschmäuler. Noch einmal eine solche Unverschämtheit und ich bringe dich zur Ruhe, verstanden?“ Der Unterführer stöhnte unter seinem zornigen Griff’ und nickte. Achmed ließ ihn los und ging weiter. Seine Schläfen hämmerten noch von der jähen Aufregung. Als er in sein kleines Zimmer trat, das modern mit sportlicher Note eingerichtet war, war seine Müdigkeit verflogen. Ruhelos ging er auf und ab. „Man hört es, man hört es“, hatte der schäbige Unterführer gegrinst. Omar Kaid würde niemals das Recht eines Gastes antasten. Aber warum hatte der Herr vorhin so ausweichend geantwortet, als er ihm sagte, er müsse das Flugzeug noch einmal benutzen, um Allahdah in das Gebiet von In-Salah zu bringen? Als er schon über eine Stunde so auf und ab gewandert war, klopfte es. Ein uniformierter Hammada-Mann trat ein und sagte: „Allah ist groß!“ * „Allah ist groß!“ In der Kantine von In-Salah schlenderte ein Mann von Tisch zu Tisch und sang die Hammada-Parole leise vor sich hin. Man konnte ihn für einen Sektenprediger halten, der Anhänger sucht. 67
Aber Bully Smith, der Kantinenwirt, war auch nicht von vorgestern. Er stand hinter der Theke, polierte hingebungsvoll seine Gläser und sah sich den geheimnisvollen Zauber an. Unauffällig winkte er einem der stämmigen Kellner. „Was ist das für ein seltsamer Heiliger, der meinen Gästen was vorsingt?“ Der Kellner kniff die Augen zusammen und wischte sich über die Glatze. „Ein Marokkaner, Boß. Scheint Reklame für eine neue Sekte zu machen. Werden wohl bald einen neuen Tempel einweihen können.“ „Quatsch!“ Er nahm dem Kellner das Tablett aus der Hand und tat, als erledige er eine Bestellung. „Sehen Sie sich das an.“ Der Kellner war gewitzt, er drehte sich nicht um, sondern blickte aufmerksam in den Spiegel des Zigarettenschranks. Die Kantine war gut besucht, es war kurz nach dem Schichtwechsel. Man spülte sich den Sand des Tages aus der Kehle und trank friedlich seinen Schnaps oder sein deutsches Bier. Nun aber sang sich der Marokkaner durch die Reihen, und wo er gewesen war, sahen sich die Männer an. Dann tranken sie aus, legten Geld auf den Tisch und verließen den Schankraum. „Entweder will der Bursche sie gleich taufen“, murmelte der Kellner, „oder …“ „Unsinn, so harmlos ist die Sache nicht. Da – schon wieder …“ „Allah ist groß!“ sang er nun in einer anderen Ecke. Vier Araber, drei Neger und zwei Weiße erhoben sich. Bully Smith genügte es. Er tat es seinen Gästen gleich, verließ ebenfalls unauffällig den Schankraum und hielt den ersten besten WP-Mann an, der ihm über den Weg lief. „Da drinnen stimmt was nicht.“ *
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„Da stimmt doch was nicht!“ In das verzweifelte Jammern des schwerverletzten Hammada-Mannes hinein sagte es Müller zu dem Schweizer, der sich bemühte, das blutige Hemd von der zerschmetterten Schulter zu streifen. Über ihnen in der Station tobte sich Mustafa mit seinem Räuberhaufen aus und war bereits eifrig damit beschäftigt, auseinanderzuhauen, was sich auseinanderhauen ließ. „Wieso?“ „Nach meiner Schätzung müßte Parker mit seiner Staffel schon heran sein.“ Und zu dem Tschechen: „Fassen Sie doch mal mit an, Horla.“ Horla war erschüttert. Der sonst so beherrschte Mann flog am ganzen Körper, daß ihm die Zähne klapperten, und die Arme hilflose Schlenkerbewegungen machten – er war fertig, einfach fertig. Grau im Gesicht faßte er zu und schluckte, als seine Hand über brennende Wunden tastete. „Wenn wir wenigstens Wasser für ihn hätten“, seufzte der Schweizer. Sie kannten den Hammadisten, er war sicher ein heimtückischer Geselle, aber nun fieberte in seinen weitaufgerissenen Augen die Not der weinenden Kreatur. „Es ist doch zum Kotzen, soviel Wasser dort unten, und für ihn …“ „Still!“ Müller horchte auf. Von draußen drang ein zischendes Pfeifen herein. Der Schweizer schloß die Augen, und Müller umfaßte gottergeben sein verletztes Handgelenk. „Ein Samum!“ „Herzliches Beileid alle miteinander. Dann ist es kein Wunder, daß Parker nicht kommt.“ Und der Hammada-Mann wimmerte, als habe er ihre Worte verstanden. „Helft mir doch – Wasser – helft mir doch …“ *
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Weiter pfiff der Samum. Die Wüste brach los. Lachte in dem Toben des Sandsturms nicht die grausame Schadenfreude Omar Kaids? War es sein Wille, der den Sturm seine Richtung ändern und nordwärts rasen ließ? Mit einer breiten Front von Sandstaub, die wie eine pulverartige Mauer den Wüstenboden rasierte. „Siehst du die Schweinerei, Jim?“ Fritz Wernicke stemmte die Füße in die richtige Lage, denn in Sekunden würde der Jahrmarktstanz beginnen. „Hängen Ursin und Manna noch hinter uns?“ Jim sah sich flüchtig um und nickte. Die Zahlen seiner Armbanduhr leuchteten in der fahlen Dämmerung grünlich auf. „Wir kommen zu spät.“ „Ich kann es nicht ändern.“ „Das weiß ich, mein Alter.“ Der Kommodore fluchte in sich hinein. Gleich war die Hölle heran. Eine wirbelnde Finsternis. Jim beugte sich vor. „Mit der Schnauze rein, Fritz – stur rein – um Gottes willen nicht abdrehen! Hältst du?“ Wernickes Hände waren straff und zeigten weiße Knöchel. Mechanisch kaute er, bis die Unterlippe blutete. „Ich halte, Jim.“ Dann hieben sie mit der Sturmfront zusammen. * „Hast du Order für mich?“ fragte Achmed unwillkürlich den Hammada-Mann, der ihm die Losung bekanntgegeben hatte. Er kannte das seltsame, halbmilitärische Gebaren des Bundes, und er wußte, daß Omar Kaid ihm niemals unmittelbar seine Anweisungen erteilen würde. Doch der Mann schüttelte den Kopf. „Mir wurde nichts aufgetragen, Herr.“ 70
„Dann kannst du gehen.“ Achmed beherrschte sich, um nichts von der Unruhe zu verraten, die ihn erfaßte. Erst als der Uniformierte die Tür geschlossen hatte, stemmte er die Hände in die Taschen und atmete tief durch. Warum gab Omar Kaid schon jetzt den Befehl zum offenen Kampf? Mit einer hastigen Bewegung stellte er den Ventilator ab und horchte in die Stille, die sich über das kleine Zimmer ausbreitete. Die Uhr zeigte auf 18.50. Und ihre Zeiger glitten weiter, überschritten die siebente Nachmittagsstunde und wiesen auf den Abend hin. Achmed hatte sich auf sein Bett gesetzt und wartete auf seinen Einsatz. Er hörte, wie die Hammada-Abteilungen dieser Oase mit ihren Jeeps und Reitern ausrückten. Nur ihn hatte man anscheinend übersehen. Und das Zimmer durfte er nicht verlassen, solange er keine Order hatte. Die Uhr zeigte auf 19.24. Wie mochte es in In-Salah aussehen? Ob Zora auch Gefahren durch seine eigenen Mitkämpfer ausgesetzt war? Ob er jetzt überhaupt noch Aussichten hatte, Doktor Allahdah in das Gebiet um In-Salah zurückbringen zu können, ohne unterwegs abgefangen zu werden? Da endlich schrillte der kleine Fernsprecher auf, der sein Zimmer direkt mit dem Privatgemach Omar Kaids verband. Achmed sprang auf und hörte den Befehl, sofort zum Hammada-Chef zu kommen. Wenige Minuten später trat er bei Omar Kaid ein. Sein Blick suchte sofort den Platz, auf dem Allahdah gesessen haben mußte. Der Sessel war leer. Nur der alte Wüstengangster war da, und er verstand den erstaunten Blick des Jungen richtig. „Du wunderst dich, mein Sohn, unseren erleuchteten Gast nicht mehr vorzufinden?“ Achmed spürte, wie sein Herz in einem jähen Entsetzen auf71
jagte, und er gab eine ausweichende Antwort. Omar Kaid musterte ihn mit lächelnder Verschlagenheit. „Ich habe Wichtiges mit dir zu besprechen, Achmed.“ Er streifte die ganze Umständlichkeit des Orientalen ab, und was er sagte, hörte sich erstaunlich kalt und geschäftsmäßig an. „Setzen wir uns.“ „Du hast die Losung ausgegeben, Herr?“ Omar Kaid wies auf seine Papiere, die auf einem niedrigen Tischchen lagen. „Unser Generalangriff ließ sich nicht mehr hinauszögern, da ein selbstsüchtiger Einsatzführer – Mustafa – in ‚In-Salah III’ einen schweren Fehler begangen und es nicht verstanden hat, unsere nächtliche Aktion gegen jene Station einwandfrei vorzubereiten. Da ich unsere Entlarvung befürchtete, gab ich vorzeitig die Losung.“ „Wir werden die Oase verlassen müssen?“ „Wahrscheinlich, aber auf jeden Fall hoffe ich, In-Salah zu zerstören und die Durchführung der Bewässerungen auf Jahre hinaus zu verhindern.“ „In der Stadt wird gekämpft?“ „Nach den ersten Meldungen geht es hart auf hart. Major Hutton setzt uns erbitterten Widerstand entgegen.“ * In der Wüstenstadt hatte sich inzwischen folgendes ereignet: Um 18.15 – wenige Minuten nach dem Start der WP-Staffel – war Major Hutton im Bilde. Was immer er bisher auf seinem In-Salah-Posten erlebt hatte – diese war die schwerste Stunde seiner Laufbahn. Er vergaß sogar, zu fluchen, als zwei atemlose Leutnante ihm die Bescherung meldeten. „Die Arbeiter des Kraftwerks sind in den Ausstand getreten. Ein Teil von ihnen ist plötzlich bewaffnet.“ Hutton kaute mechanisch und stemmte sich schwerfällig am 72
Schreibtisch. „Die Brüder sind nicht so dumm! Und was haben Sie, Varrenta?“ „Die Arbeiter des Bohrwerks A verweigern – bis auf rund hundertfünfzig Mann – die Arbeit. Auch sie sind zum größten Teil bewaffnet. Ähnliches kann man aus allen Abteilungen und Werken berichten. Sogar aus der Kantine haben die Hammadisten ihre Leute herausgeholt.“ „Also – Aufstand“, stellte der Major mit brüchiger Stimme fest, und seine Faust fiel schwer auf die Schreibmappe. „Kommodore Parker hat recht behalten. Das Personalamt ist bei der Auswahl der Leute viel zu vertrauensselig vorgegangen.“ Er legte die Hand über die Augen. Von draußen fielen Schüsse. Da straffte sich seine Gestalt. „Varrenta!“ Der zierliche Leutnant nahm Haltung an. „Herr Major?“ „Sie kämpfen mit der 2. Hundertschaft den Weg zum Kraftwerk frei. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Erbarmen! Und Sie …“ Ein energisches Klopfen unterbrach ihn. Direktor de Beaumont vom Weltamt segelte herein. In der Rechten hielt er einen Revolver, und er sah recht unternehmungslustig aus. Er ließ sich nicht viel Zeit zu einer förmlichen Begrüßung. „Haben Sie bereits Verstärkungen und Luftstreitkräfte angefordert?“ „Ich war gerade im Begriff, es zu tun.“ Ihre Augen trafen sich. „Wenn es Ihnen recht ist, können wir uns gleich einmal den Rummel von draußen ansehen.“ „Was meine Person anbelangt, so ist das selbstverständlich“, nickte der Franzose schnell. „Aber Sie sollten lieber von hier aus die Abwehroperationen führen.“ Der Major stand bereits am Fernsprecher und hetzte die Vermittlung zu Überschallgeschwindigkeit auf. „Das kann ich vorn viel besser“, lachte er, und dann begann er, warm zu werden, und bekam einen seiner vollkommensten Wutanfälle. 73
Der Direktor klopfte ihm auf die Schulter. „Kommen Sie, Major – wer Sie so scharf geladen sieht, vergißt das Schießen!“ * Und daß Hutton kein Dummkopf war, sollte sich zeigen. In der Oase Arrad saßen sich Omar Kaid und Achmed gegenüber. Der junge Hammada-Führer war ein schlechter Zuhörer – er konnte seinen Blick nicht von dem Sessel losreißen, auf dem vorhin Doktor Allahdah gesessen hatte. Schließlich verlor der alte Wüstengangster die Geduld. „Ich hoffe nicht, daß du dich trüben Gedanken hingibst“, lächelte er mißmutig und schob ihm eine Flasche zu. „Komm – trink und denke nicht an deinen vornehmen Flugpassagier von heute nachmittag.“ Achmed faßte gedankenlos nach der Flasche. „Es war doch abgemacht, daß ich Doktor Allahdah zurückbringen sollte, Herr“, meinte er befangen. Omar Kaid zog die Augenbrauen zusammen und stützte seine Hand auf das Knie. Das Wohlwollen wich von seinem breiten Gesicht. „Die Behandlung Allahdahs muß natürlich von dem Maß seines Verständnisses für unsere Bedenken abhängen – leider bringt er kein Verständnis für uns auf.“ Für Achmed brach die Welt zusammen – ein Zittern lief durch seinen trainierten, straffen Körper, und er ließ den Kopf sinken. „O Herr, das soll doch nicht etwa heißen, daß Doktor Allahdah nun unser Gefangener ist?“ „Müßte dich das nicht mit Genugtuung erfüllen?“ Kalt und unsagbar höhnisch war seine Stimme, sie peitschte den Jugendfreund Zoras, daß er sich duckte, aber sie peitschte weiter, bis er wach wurde, und seine beleidigte Ehre sich aufbäumte. Er hob seinen Blick und fand den Mut, dem Gefürchte74
ten zu widersprechen. Noch hoffte er, alles wäre nur ein Mißverständnis. „Herr, verzeiht meine jugendliche Unerfahrenheit, aber ich war es, der Allahdah sein Ehrenwort gab. daß seine Person für uns unantastbar sei. Verlangt Ihr, daß ich mein Leben als ehrloser Lump beschließen muß?“ „Sei unbesorgt, mein Sohn – einem Verräter gegenüber gilt ein Ehrenwort nicht.“ „Ein Manneswort gilt in jedem Falle, Herr!“ Von einer Welle maßloser Empörung ergriffen und seiner Sinne nicht mehr Herr, sprang Achmed auf. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und in seine Augen trat ein fremder, abweisender Schimmer. Und vor ihm saß Omar Kaid und lächelte amüsiert. „Achmed Khalil hat Gewissensbisse, sieh mal einer an!“ Omar Kaid spielte nachdenklich mit dem Zigarettenetui, das er vom Tisch genommen hatte. „Du weißt, daß ich von den Männern des Hammada unbedingten Gehorsam erwarte – auch von dir …“ „Ich habe alles getan, was man von mir verlangte“, stieß der junge Terrorist heftig hervor, „aber ich bin niemals heimtückisch und feige dabei gewesen.“ Ohne sich eine Zigarette zu nehmen, legte der HammadaChef das Etui wieder zurück. „Aber ich bin es – willst du sagen?“ „Verzeiht, Herr – aber wenn einer von mir verlangt, daß ich mein Wort breche …“ Omar Kaid unterbrach ihn mit einer herrischen Handbewegung. „Wir wollen uns nicht über Nebensächlichkeiten unterhalten.“ Er sah ihn streng und drohend an. „Ich will vergessen, was du gesagt hast. Setz dich wieder.“ Achmed schüttelte den Kopf. Er wollte eine scharfe Antwort geben. Niemals würde er so etwas zulassen. Aber kaum hatte der alte Wüstengangster es gesagt, als ein Hammada-Führer eintrat und sich kurz verneigte. 75
„Meldung aus In-Salah, o Herr. Der Rote ist im Kampf um das Kraftwerk erschossen worden.“ Omar Kaid wurde bleich. Nun waren seine Leute in der Wüstenstadt ohne Führer. „Hast du noch mehr zu melden?“ fragte er kurz. „Ja, Herr – unsere Männer wollen gesehen haben, wie man dem Roten seine Papiere abnahm.“ „Es ist gut – du kannst gehen – melde nach In-Salah, daß ich einen neuen Führer schicken werde.“ Mit hastigen Schritten entfernte sich der Hammadist und Omar Kaid wandte sich sofort wieder an Achmed, der regungslos dastand. „Du bist einer meiner besten Männer, Achmed, du mußt versuchen …“ Achmed reckte sich. „Ich soll nach In-Salah, Herr, aber das werde ich nur tun, wenn ich Doktor Allahdah mitnehmen kann.“ „Allahdah wird nie nach der Wüstenstadt zurückkehren.“ Ohne ein Wort zu erwidern, warf Achmed sich herum und stürzte aus dem Gemach. Hinter ihm wurde ein Stuhl umgeworfen, und eine Kugel schrillte auf. Mit wildklopfendem Herzen jagte der junge Hammadist den Korridor entlang. Da stellten sich ihm auch schon einige uniformierte Burschen tn den Weg. „Halt – niemand darf passieren!“ Achmed lachte wütend auf, und in diesem Lachen machte sich die erste große Enttäuschung eines jungen Idealisten Luft. Die wollten ihn zurückhalten – diese schmierigen Gestalten? Seine Fäuste schlugen zu. „Schert euch zum Teufel!“ * „In fünf Minuten haben wir es geschafft!“ Jim Parker hatte mit seiner Staffel den ersten Ansturm des Samum, der immer der schwerste war, überwunden und konnte 76
wieder auf Kurs gehen. Aber noch wirbelte es um sie wie ein johlender Qualm aus Sand und Sturm. Fritz Wernicke atmete dreimal tief auf. „Wenn du mir einen Gefallen tun willst, Jim – der Gin steckt in der linken Brusttasche – der Kognak in der rechten – das ‚Sanfte Lächeln’ in der …“ „Schon gut“, lachte Jim und wollte zufassen, als der Bordfunker des Hubschraubers, der hinter ihm saß, einen Zettel herüberlangte. „Meldung von Major Hutton.“ „Danke.“ Der Kommodore nahm das knisternde Papier und las im Schein seines Taschenscheinwerfers: „Zentrale des Hammada in Oase Arrad, 80 Meilen südlich von ‚In-Salah III’. Wahrscheinlicher Aufenthaltsort Allahdahs. Möglichst ausheben. Französische Luftstreitkräfte alarmiert. Hutton. O/155.“ „Was ist, Jim?“ Jim Parker sah schon auf seine Karte, und sein Zeigefinger tippte auf einen winzigen Punkt. „Verdammt öde Gegend dort, Arrad. Dort müssen wir uns rasch einmal umsehen.“ „Ist da auch was los?“ „Komische Frage, mein Alter. Arrad soll der Mittelpunkt der Hammada-Bewegung sein.“ Er wandte sich an die Weltpolizisten, die auf zwei Seitenbänken saßen. „Habt ihr gehört, Jungs?“ „So ziemlich“, nickte ein Sergeant. „Und was machen wir jetzt, Kommodore?“ Jim hatte bereits einen Entschluß gefaßt. „Wir steigen um. Ottens geben Sie mal durch.“ Der Funker setzte sich zurecht und sah Parker aufmerksam an. Keine Minute später, und kurz vor ‚In-Salah III’ gingen die drei Maschinen mitten im Sandsturm nieder. Luken klappten auf, Gestalten liefen geduckt durch die tobende Hölle. Dann fielen die Luken in ihre Verschlüsse zurück. Die Maschinen 77
kämpften sich wieder hoch, hielten sich aber in einer Höhe von nur 40 Metern. „Geschafft!“ rief in der Kanzel des Hubschraubers Leutnant Ursin aus, lachte dabei und spuckte Sand. „Nun werden wir ihnen mal was zeigen!“ Und sie zeigten ihnen was! Tief raste die Meute auf die sturmumtosten Dächer der wildgewordenen Station zu. Wie ein plumpes Untier taumelte der Hubschrauber herab.
Die beiden Kampfmaschinen aber jaulten weiter in das Halbdunkel hinein, südwärts. In einer der beiden hielt nun Jim Parker den Steuerknüppel in der Hand. Neben ihm der whiskylutschende Wernicke. „Ruf mal In-Salah an, Fritz!“ * „Scher dich zum Teufel!“ Achmed wischte einen der uniformierten Gesellen gegen die Wand. Der rutschte hinunter und sah ihn vorwurfsvoll und glasig an. Sie trugen beide das Hammada-Abzeichen, aber nun waren sie Feinde. 78
„Und du auch!“ Der zweite beugte die Knie durch und plumpste vornüber. Achmed hatte Sekunden gewonnen, aber nichts mehr, denn der rasende Omar Kaid würde inzwischen laut genug Alarm geschlagen haben. Er fuhr sich über die Stirn und sah sich verzweifelt um. „Wo mag er Allahdah gelassen haben?“ Hinter ihm waren wieder Schritte. Ohne sich zu besinnen, jagte er weiter und verbarg sich in einer Nische. Und in das Herankommen der Schritte hämmerte sein Gehirn die Frage: „Wo mag er Allahdah gelassen haben?“ * „Wenn nur Doktor Allahdah hier wäre!“ Der Ansturm der Hammadisten auf die wichtigsten Gebäude und Anlagen der Wüstenstadt steigerte sich noch immer. Die Franzosen waren unterwegs, aber die Wüste spie ihnen wütend Sand und Sand und nichts als rasenden Sand entgegen. „Allah ist mit uns!“ jauchzten die Hammadisten und stürmten verbissen gegen die Barrikaden der drei WPHundertschaften und der wenigen bewaffneten Werksangehörigen, die zu Allahdah hielten. Vor dem Kraftwerk fing man zwei von ihnen. Man spie sie an, brannte ihnen das Wort „Verräter“ auf die Stirn und steinigte sie, bis sie sich nicht mehr rührten. Dazu sangen einige fromme Lieder. Das war der Hammada. Grausam, fanatisch. Und die Wüste heulte dazu. Der Samum hatte In-Salah erreicht, deckte die Stadt wie tausend Teufel mit seinen rötlichen Wolken ein und johlte weiter. In der Dokumentenkammer riß Zora alle Fächer auf und warf die Papiere in den Zerreißwolf. Unterleutnant Orr, der mit ver79
schmiertem Gesicht die Runde machte, sah die Tür offen stehen und trat ein. „Sie haben Nerven, Miß“, schüttelte er den Kopf. „Wissen Sie auch, daß die Banditen jeden Augenblick hier hereinstürmen können?“ Zora ließ einen Stapel Hefte in die Trommel fallen, und über ihr schmales Gesicht flog der nackte Schrecken. „Können Sie sie nicht mehr halten?“ fragte sie rauh. „Zehn oder zwanzig Minuten schon noch“, grinste er wütend und steckte sich eine Zigarette an. „Aber dann ist Feierabend. Und die dort draußen werden mit einer Frau nicht anders verfahren als mit den armen Kerlen, die ihnen bereits in die Hände fielen.“ „Und was hat man mit diesen gemacht?“ Orr sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Es gibt Dinge, die man einer Frau nicht sagen kann. Ich habe auf dem Dach noch einen Hubschrauber stehen, der eben noch intakt war. Es wäre das beste, Sie würden diese interessante Gegend fünf Minuten vor Zwölf verlassen. Einen Piloten könnte ich Ihnen noch beschaffen.“ „Ich danke Ihnen, Orr“, lächelte sie schwach. „Aber ich muß hierbleiben.“ „Das wäre falsch verstandenes Pflichtgefühl, Miß Zora. Sie sind eine Frau.“ Sie sah ihn mit großen Augen an, dann schloß sie ein Kabel an den Zerreißwolf und ging an ihm vorbei. Orr atmete auf. „Gott sei Dank, daß Sie vernünftig sind – es wird höchste Zeit.“ „Es geht nicht, Orr“, sagte sie leise. „Ich muß noch das Safe des Chefs ausräumen. Aber Sie können mitkommen, damit ich jemand bei mir habe, wenn es – soweit – ist.“ Schweigend folgte er Ihr. Er nahm seine MP von der Schulter und sah mißtrauisch den kurzen, breiten Gang entlang. Kei80
ne hundert Meter vor ihnen schlugen sich die Weltpolizisten mit den rasenden Teufeln der Wüste. Zora schauderte zusammen. „Haben Sie Angst, Miß Zora?“ schluckte er und warf die Zigarette weg. Sie nickte. „Ein wenig, Orr, aber es muß ja sein; nur ich kann an das Safe ran und weiß, was den Hammadisten nicht in die Hände fallen darf. Und der Doktor ist noch nicht zurückgekehrt.“ * Die Schritte waren gleich heran. Achmed duckte sich noch tiefer in die Nische hinein. Das war der großmäulige Muhammed, dem wohl schon ein unheimliches Gefühl im Nacken saß, er kannte diese schwerfälligen und doch unruhigen Schritte, die bezeichnend für diesen Häuptling waren. Muhammed hatte es eilig. Er ging vorbei, ohne Achmed zu bemerken, und betrat sein Privatzimmer, das nur wenige Schritte weiter lag. Achmed schnalzte zufrieden mit der Zunge. „Der Schleicher weiß natürlich bereits, was Allahdah bevorsteht.“ Muhammed hatte noch nicht die Tür hinter sich geschlossen, als der junge Araber mit wenigen Schritten über den Korridor war. „Einen Augenblick, Herr!“ Muhammed war wirklich kein Held. Als er die zischende Stimme hörte blieb er wie angewurzelt mitten im Zimmer stehen. In einem golden eingerahmten Wandspiegel sah er, wie Achmed mit erhobenem Revolver hinter ihm stand. „Was willst du von mir, Achmed?“ stieß er angstvoll hervor. „Ich will wissen, was ihr mit Doktor Allahdah vorhabt!“ „Er wird sterben.“ „Also lebt er noch“, stellte Achmed befriedigt fest. „Und ich hoffe, großer, erhabener Muhammed, du wirst mir nicht ver81
schweigen, wo ich ihn finde.“ Motorengeräusch war plötzlich in der unruhigen Luft, schwoll zu einem tosenden Orkan an, der mit zwei pfeilschlanken, blau-weißen Körpern die Dattelkronen halb auf den Boden peitschte. Muhammeds Gesicht fiel ein. „Was war das?“ „Weltpolizei“, grinste Achmed ironisch, obwohl es ihn würgte, daß nun alles aus sein sollte, wofür er gekämpft hatte. „Ob man dich mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe davonkommen läßt, Herr?“ Muhammed schwankte und schluchzte wie ein furchtgeschütteltes Kind. „Was kann ich denn noch tun, Achmed – was kann ich noch tun?“ „Du sollst mir sagen, wo ihr Allahdah eingeschlossen habt.“ „Er ist ganz in unserer Nähe – nur zwei Zimmer weiter …“ Achmed hatte genug gehört. Er war schon draußen, verschloß die Tür und rannte weiter. * „Ich kann die Schlüssel nicht finden.“ Zora hatte das kostbare Wandbild zur Seite geschoben und sah den Unterleutnant bittend an. „Schießen Sie das Schloß auf, Orr, es wird Zeit …“ Sein Blick fiel auf das Fenster, hinter dem sich in der hereinbrechenden Dämmerung aufspringende und sich niederwerfende Gestalten abzeichneten. „Ja, es wird Zeit“, sagte er schwer. „Sie sind gleich heran.“ „Dann schießen Sie!“ Orr hob mit einer entschlossenen Bewegung die MP, aber er kam nicht mehr dazu, durchzudrücken. Das Schicksal bremste das Unheil ab, bevor es sich in der Erfüllung überschlagen konnte. Mit einem Schlage verstummte das Bellen der Feuerwaffen und ging in ein brausendes Hurrageschrei über. Zwei 82
Menschen sahen sich an. „Was – bedeutet das, Orr?“ „Verflucht will ich sein“, würgte er fassungslos, „wenn das nicht …“ Der Fernsprecher schrillte. Major Hutton meldete sich, und noch nie hatte seine Stimme so unsicher geklungen. „Die Franzosen sind da!“ * „Jim Parker ist da!“ Der Hammada-Bund war verloren. Das wußte Achmed, als er den Korridor weiter entlangjagte, und auch er würde sich vor einem Richter wiederfinden. Aber zunächst einmal mußte er Allahdah herausholen, bevor man ihn in der letzten Panik abknallte. Als er das von Muhammed bezeichnete Zimmer erreicht hatte, hieb ein grausiger Schreck ihn gegen die Wand, daß er aufschrie. Die Tür stand weit offen, und die Tische und Stühle zeigten jene Unordnung, die von einem Handgemenge zurückzubleiben pflegt. Das Zimmer war leer. Verzweifelt raffte er sich auf, aber er kam nicht mehr weiter. Rechts von ihm knatterte eine flüchtige Schießerei auf, und aus dieser heraus kam eine kleine, weiße Gestalt herangejagt. „Da steht ja unser herzlieber Freund. Schnell die Hände hoch, mein Junge!“ Achmed machte eine müde Handbewegung. „Schießen Sie mich ruhig ab, Mister Wernicke, es hat doch alles keinen Zweck mehr, nicht einmal Allahdah konnte ich mehr rausholen.“ „Nehmen Sie lieber die Hände hoch“, grinste Fritz freundschaftlich. „Vorsichtshalber, verstehen Sie. Und um Allahdah machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben ihn schon.“ 83
Achmed fühlte, wie es schluchzend und hoffnungsvoll in ihm aufstieg. „Sie scherzen mit mir – wo?“ „Na sehen Sie doch – oder sind Sie blind?“ Tatsächlich – den Korridor entlang kam eine Gruppe von Männern. Jim Parker und ein Fliegeroffizier führten eine Anzahl Gefangener in ihrer Mitte, unter denen sich so erlauchte Gestalten wie Omar Kaid und der „Totschläger“ befanden. Nebenher ging Doktor Allahdah, sehr müde, sehr bleich und offensichtlich auch seelisch mitgenommen. Aber als er den beschämten jungen Araber sah, lächelte er freundlich und reichte ihm die Hand. „Heimlich haben wir uns weggeschlichen, und mit Pauken und Trompeten holt man uns hier wieder heraus. Ich freue mich, daß Sie diesen letzten Kampf glücklich überstanden haben.“ „Doktor Allahdah!“ Achmed schluckte heftig, hatte sich dann aber wieder in der Gewalt. „Ich bin erschüttert, daß man Ihnen das antun konnte. Glauben Sie mir bitte – ich bin an diesem Wortbruch nicht beteiligt.“ „Ich hatte niemals an Ihrer Ehrenhaftigkeit gezweifelt, Achmed.“ Er senkte den Kopf „Allerdings auch nicht an der meines Halbbruders.“ Omar Kaid hörte es und lachte kalt auf. Er hatte überraschend schnell verspielt, nur durch einen dummen Zufall, durch die Unfähigkeit dieses Mustafa und nicht zuletzt durch das energische Zupacken des jungen Kommodores. Aber er lachte kalt und er würde mit dieser Haltung eines Unmenschen in den Tod gehen, wenn es soweit war. Jim Parker legte dem Ex-Hammadisten und Studenten der Rechte Achmed Khalil die Hand auf die Schulter. „Sehen Sie sich diese Figuren an, old fellow. Egoisten. Raffinierte Organisatoren mit guten Verbindungen zu gewissenlosen politischen Kreisen – glauben Sie noch, daß diese Männer geeignet gewe84
sen wären, Ihrer Heimat eine neue Ordnung zu geben?“ In Achmeds Augen standen Abscheu und Ekel. „Nein“, sagte er hart. „Und für diese Organisation haben Sie mit Ihrem Leben eingestanden, sind Sie zum Saboteur und Verschwörer geworden und haben Ihr Studium vernachlässigt.“ Achmed sah den Kommodore an, der nicht viel älter war als er, und es war wie ein heimliches Verstehen zwischen ihnen. „Einmal und nie wieder, Parker!“ * Gegen 21 Uhr war auch in In-Salah der ganze Spuk vorbei. Nur Major Hutton war noch groß in Fahrt. Er raste wie ein gutgelauntes Raubtier durch die Abteilungen seiner Dienststelle, ließ sich von grellen Blitzen abtasten und von Pressevertretern – der Himmel mochte wissen, wie die Burschen es geschafft hatten, schon hier zu sein – die Seele aus dem Leib fragen. Dabei strahlte er Wohlwollen aus wie noch nie. „Der Kampf um In-Salah wird in die Geschichte der Sahara eingehen, wie einst der Kampf der, der – na – der …“ Er unterbrach sich und blickte auf Leutnant Varrenta, der an der Tür stand und eifrig winkte. „Telefon?“ Der Leutnant nickte. Froh, seinem etwas waghalsig begonnenen Vergleich entronnen zu sein, wuchtete er in sein Arbeitszimmer und nahm einem Angestellten den Hörer aus der Hand. Ingenieur Horla meldete sich. „Ich muß mich bei Ihnen bedanken, Major“, sagte er, und seine Stimme klang unsagbar frei und erlöst. „Die Hubschrauberbesatzung hat uns großartig herausgeholt. Sogar für einen schwerverletzten Hammada-Mann war es noch früh genug.“ „Gern geschehen“, grinste der Nußknacker. „Würde mich 85
kolossal freuen, wenn Sie bald wieder an die Arbeit gehen könnten.“ „Die Schäden sind enorm. Man hat in der Station furchtbar gehaust. Aber spätestens morgen nachmittag wird der Dienstbetrieb provisorisch wieder aufgenommen.“ „Na, na, warten Sie lieber bis übermorgen.“ „Unmöglich, das wäre ein Zeitverlust von 12 Stunden.“ Das war echt Horla. „Dann wünsche ich Ihnen viel Glück, Mister Horla! Der Chef wird auch bald wieder hier sein; der Kommodore hat ihn aus der Höhle des Löwen geholt. Also bis – das heißt, Augenblick mal …“ Hutton holte eine Liste aus der Brusttasche und entfaltete sie. Dann griff er wieder zum Hörer. „Ist Ihnen ein gewisser Schonul, angeblich Hilfsangestellter in der Bibliothek bekannt? Ein rothaariger Mann.“ „Den kenne ich flüchtig“, antwortete Horla sofort. „Das heißt, ich habe ihn, menschlich gesehen, nie gemocht, aber wir trafen uns einmal zufällig in der Kantine und stellten fest, daß wir beide eine gewisse Ähnlichkeit miteinander hatten – bis auf die roten Haare natürlich. Ich habe dann noch einige Runden ausgegeben. Das ist alles.“ „So also ist das. Nun, dieser Schonul war nämlich der hiesige Hammadaführer.“ „Was???“ „Da staunen Sie, mein Lieber! Er zeichnete – inzwischen ist er nämlich ein Opfer seiner eigenen Verbrechen geworden – für den ganzen Rummel hier mitverantwortlich. Hat auch auf Kommodore Parker geschossen. Ein ganz übler Bursche. Na, bis morgen, Mister Horla.“ * Ein gutes Jahr später. Vor einem funkelnagelneuen Häuschen mitten in der Wü86
stenstadt stand ein junges Paar. Der Mann strich rasch noch einmal über das blitzblanke Schild mit der Aufschrift: „Dr. jur. Achmed Khalil, Rechtsabteilung Sahara-Projekt.“ „Sie müssen gleich kommen, Zora.“ Zora hatte den großen Mercedes schon erspäht, der nun in die neuangelegte breite Straße einbog. Vier Männer saßen in ihm: Jim Parker, Doktor Allahdah, dessen engster Mitarbeiter Maurice Charbonnier und der unverwüstliche Fritz Wernicke. Sie winkten schon von weitem, und Jim bremste scharf. „Guten Tag, die Herrschaften. Hallo, Khalil, ich beneide Sie um Ihr stilles Glück.“ Man schüttelte sich herzhaft die Hände. „Ich bin auch zu beneiden“, erwiderte der junge Araber tiefernst. „Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint.“ „Das Schicksal hilft nur dem, der es verdient“, sagte Doktor Allahdah warm. „Achmed ist heute einer meiner besten Mitarbeiter.“ „Wir wollen uns die gesamte Anlage noch einmal von oben ansehen“, sagte Jim. „Hätten Sie Lust, mitzufliegen.“ Und zu Zora gewandt: „Es dauert nur einige Stunden.“ „Gut, dann bin ich einverstanden“, lachte sie. „Aber ich hoffe, daß Sie anschließend unsere Gäste sind.“ „Herzlich gern – abgemacht!“ * „Das Leben kämpft sich durch“, sagte Doktor Allahdah feierlich, als wenig später ein braver Hubschrauber sie langsam über die Kanalstrecke In-Salah – Djaret dahintrug. „Können Sie es sehen?“ Schnurgerade lief der Kanal durch die Einöde, die er mit seinen Wassern überwinden wollte. Durch kleine Rinnsale lief das segenspendende Naß in die Wüste und ließ die ersten Dattelpalmen hochschießen, die man hier angepflanzt hatte. 87
„Die Wüste weicht zurück“, nickte Jim Parker voll Bewunderung für diese großartige Pioniertat der neuen Zeit. „Wann soll die Djaret-Oase stehen?“ „In fünf Jahren hoffe ich, soweit zu sein, daß wir mit der Besiedelung beginnen können. Unser Werk ist noch lange nicht vollendet, wahrscheinlich wird es sich über mehrere Generationen erstrecken. Aber was ist ein Menschenleben einer solchen Aufgabe gegenüber?“ Die Männer sahen nachdenklich auf das eigenartige Bild unter ihnen. In der Ferne wuchs ‚In-Salah IV’ über den Horizont heran, das wieder aufgebaut worden war. Unter ihnen aber die endlose Kette der ersten Sendboten kommender Fruchtbarkeit. Da standen die jungen Palmen. Noch warfen sie einen rührend-schmalen Schatten, aber sie würden wachsen, der Sonne entgegen. Der Sonne der neuen Sahara! – Ende –
Verlag und Druck: Erich Pabel, Rastatt in Baden, 1954 (Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.) Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Scan by Brrazo 08/2010
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Sie fragen – UTOPIA antwortet UTOPIA-BRIEFKASTEN Liebe UTOPIA-Freunde! Ein Wort zuvor: Schwere Verkehrsunfälle ereigneten sich in den letzten Wochen. Vollbesetzte Flugzeuge stürzten ins Meer oder in friedliche Dörfer. Und sofort waren sie wieder da, die Besorgten und Grübler unter uns, und sprachen von der bevorstehenden Vernichtung des Menschen durch das „Phänomen Technik“. Man könnte darüber lachen, aber das wäre bequem und auch ungerecht. Es ist besser, man setzt sich ernsthaft mit diesen Fragen auseinander. „Phänomen Technik!“ Ist es wahr, daß die Technik der robotergesichtige Götze einer anbrechenden seelenlosen Zeit sein wird? Ist es möglich, daß das, was der Mensch schuf, sich von ihm losreißt, um seinen Schöpfer zu vernichten? Ist die Technik überhaupt ein Phänomen? Wir werden uns im weiteren Verlauf unserer Serien mit diesen Fragen noch eingehender zu befassen haben. Für heute nur soviel: Die Technik ist kein Wesen, das im guten oder im bösen selbständig zu handeln vermöchte. Hinter ihr steht der Mensch, und auf ihn kommt es an, nur auf ihn. Er kann seine eigene Schöpfung immer noch dirigieren – im guten oder im bösen. * Und hier unsere Antwort an einige Leser: Siegfried K. in Berlin-Lichterfelde:
Wann die erste bemannte Weltraumrakete starten wird, ist noch ganz unbestimmt. Nach Ansicht des Hayden-Planetariums in New York könnte es 1975 so weit sein. Zunächst wird man natürlich den Mond besuchen. Das Ziel der ersten interplanetarischen Expedition dürfte der Mars sein. Rolf P. in Nürnberg: S. A. T. – Raketen werden auf kürzeren Fahrtrouten mit chemischen, bei Planetenfahrten mit atomaren Treibstoffen betrieben. Der Bau einer Außenstation würde – nach Dr. Eugen Sänger – etwa 1/10 des jährlichen Betrages kosten, den die USA für ihre militärischen Aufwendungen ausgeben. Dietrich B. in Adelsheim/Baden: Das Projekt eines Weltraum-Spiegels wurde von Oberth bereits in den zwanziger Jahren propagiert. Neben den von Ihnen erwähnten nützlichen Anwendungen (u. a. Beeinflussung des Klimas) hätte es aber auch eine gefährliche Kehrseite, wenn sich Generalstäbe dafür interessieren würden. Peter B. in Hadamar: Es war kein Irrtum! In unserer Antwort in Heft 14 hieß es, daß von einem neuen deutschen Raumfahrtfilm nichts bekannt sei. In Amerika sind jedoch nach dem Kriege verschiedene utopische wie auch Raumfahrtfilme – auch der von Ihnen erwähnte – gedreht worden. Udo P. in Eichbichl bei Grafing: Besten Dank für die freundliche Anerkennung, auch seitens Ihres Lehrers, die uns gefreut hat. Dank für die Vorschläge für die Jim-Parker-Nadel, an deren Herausgabe vorläufig aber nicht
gedacht wird. Josef W. in Landshut: Das Sternbild des Orion steht in den Winternächten (Januar/Februar) hoch am Südhimmel. Wir wissen es nicht hundertprozentig sicher, aber mit großer Wahrscheinlichkeit hat sich der Mond in grauer Vorzeit, als die Erde noch feuerflüssig war, aus ihr gelöst. Der Halleysche Komet befindet sich das nächstemal Ende April/Anfang Mai 1986 in Sonnennähe. Er wird jedoch schon vorher am Himmel zu finden sein. Den genauen Zeitpunkt der Wiederentdeckung kann man noch nicht angeben; er hängt u. a. von der Größe der Schweifbildung und von der Helligkeit des Kometen und der verwendeten Optik ab. Der größte deutsche Refraktor befindet sich im Astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam (Durchmesser: 31.5 Zoll, ungf. gleich 80 cm. Brennweite: 12 Meter). ,Jim Parker’ lebt sicherlich schon unter der heutigen jungen Generation. Schönen Dank für den netten Raumschiff-Entwurf! Allerdings sollte die innere Aufteilung möglichst achsensymmetrisch sein. Selbstverständlich interessiert uns auch Dein Entwurf einer Außenstation, und Du kannst ihn ruhig einsenden. Unsere Leser erreichen uns über den Pabel-Verlag, Rastatt/Baden, (UTOPIA-Briefkasten). Freundliche Grüße! Ihre UTOPIA-Schriftleitung.
Lesen Sie im nächsten (23.) UTOPIA -Band: Rätselhafte Dinge gehen in dem großen, hypermodernen Sanatorium vor, das der Nervenarzt Dr. Finlay in den DiavoloBergen, auf der Rückseite des Mondes, eingerichtet hat. Unübersteigbare Mauern und ein Heer von künstlichen Maschinenmenschen schließen diese Stätte des Schweigens hermetisch gegen die Außenwelt ab, und es wird still um jeden Menschen, der sich im ferngesteuerten Hubschrauber als Patient dem Sanatorium nähert. – Als in Orion-City ein schwerer Verdacht gegen Dr. Finlay aufkommt, beschließt Kommodore Parker, mit seinen treuesten Gefährten den Ort des Geheimnisses und des Grauens auf eigene Verantwortung zu erkunden. Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 21 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel Rastatt (Baden). Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pfg.) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.
Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 22) Das größte Rätsel des Mars Die „Marskanäle“ wurden im Jahre 1877 durch den italienischen Astronomen Schiaparelli entdeckt. Im Fernrohr erscheint Mars zuzeiten von einem Netzwerk aus feinen, dunklen, geraden Linien überzogen, die besonders im Mars-Sommer deutlich hervortreten, wenn die weißen Polkappen des Planeten abschmelzen. Manche dieser Linien sind bis zu Tausenden von Kilometern lang, und einige von ihnen haben eine Breite von über 100 Kilometer. Nicht selten geschieht es, daß einzelne Kanäle sich plötzlich verdoppeln. Die Kanäle verbinden kreisrunde, dunkle Flecke miteinander, die man „Oasen“ nennt. Schiaparelli hatte ursprünglich das Wort „Kanäle“ nur deshalb gewählt, weil ihm kein besserer Vergleich einfiel. Seine Zeitgenossen nahmen es jedoch allzu wörtlich und sahen in den rätselhaften Linien ein gigantisches Bewässerungssystem, durch welches die hochintelligenten Marsbewohner ihren Planeten vor dem völligen Austrocknen bewahren wollten. Andere Astronomen versuchten wiederum, die Kanäle kurzweg als „optische Täuschungen“ abzutun. Heute steht es außer Zweifel, daß zumindest einige Marskanäle wirklich existieren. Was es mit ihnen für eine Bewandtnis hat, wissen wir allerdings immer noch nicht. Nach Ansicht des amerikanischen Astronomen Tombaugh, des Entdeckers des Planeten Pluto, sind die runden „Oasen“ nichts anderes, als die Aufschlagstellen, an denen kleine Planeten auf die Marsoberfläche abgestürzt sind. Die Kanäle wären dann Risse, die dabei im Marsboden entstanden. In ihrem Schutz mag sich später Pflanzenwuchs ausgebreitet haben. (Fortsetzung folgt)