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Alexander Hamedinger · Oliver Frey Jens S. Dangschat · Andrea Breitfuss (Hrsg.) Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat
Alexander Hamedinger Oliver Frey · Jens S. Dangschat Andrea Breitfuss (Hrsg.)
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-14587-7
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeberlnnen Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Andrea Breitfuss
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Einfiihrung zum Thema Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat - eine Einfiihrung Oliver Frey, Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat
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Begriffliche, planungsgeschichtliche und planungspraktische Grundlagen Einleitung Jens S. Dangschat
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Autobahnen ins Gluck Jens S. Dangschat
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Strategieorientierte Planung in Zeiten des Attraktivitatsparadigmas Uwe Altrock
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Stadtplanung zwischen Umbruch und Kontinuitat Sven-Patrick Marx
87
Die Planung des Unplanbaren Thorsten Wiechmann, Gerard Hutter
102
Govemance-Potentiale der strategieorientierten Stadtund Regionalplanung Einleitung Alexander Hamedinger
124
Mit Projekten planen Hans-Norbert Mayer
128
Strategieorientierte Planung in Wien Alexander Hamedinger
151
Leitbildprozesse in der strategischen Planung Thomas Kuder
178
Regionalplanung: eine Lemende Organisation? Sabine von Lowis
193
Ambivalenzen im „Stadtumbau Ost" Matthias Bernt
207
Partizipation als Strategic Einleitung Andrea Breitfuss
222
Regulierte Selbststeuerung und Selbstorganisation in der Raumplanung Oliver Frey
224
Lokale lebensweltnahe Interessen u. gesamtstadtische Entwicklungsprozesse Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik 250 Governance und Demokratie Marc Dieb acker
266
Strategieorientierte Planung und die Rolle des Planers bzw. der Planerin Einleitung Oliver Frey
284
Modernism Reloaded Friedhelm Fischer
286
Planerlnnen als „deliberative practitioners" Deike Peters
309
Strategieorientierung in der Planung - eine neue Idee? Barbara Zib ell
322
Resumee Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Alexander Hamedinger
352
Autorlnnenverzeichnis
369
Abbildungsverzeichnis
373
Tabellenverzeichnis
374
Vorwort der Herausgeberlnnen Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Andrea Breitfuss
Stadtentwicklungsplanung erlebt seit ungefahr zwei Jahrzehnten eine Wiedergeburt. Erst vor wenigen Jahren sind, teilweise unterstiitzt durch die EU, in den Stadten London, Wien, Barcelona, Zurich und Berlin strategische Konzepte zur gesamtstadtischen Entwicklung erarbeitet worden, die wie eine Neuauflage ambitionierter Stadtentwicklungsplane aus frtiheren Tagen wirken, jedoch urn Nachhaltigkeitsforderungen und zivilgesellschaftliche Elemente erganzt wurden. Die Entwicklung solcher umfassender strategischer Planungsdokumente und Leitbilder ist vor dem Hintergrund des gegenwartigen sozialen und okonomischen Wandels zu sehen. Veranderte Rahmenbedingungen wie die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, eine zunehmende „Supranationalisierung" sowie Vereinheitlichung politischer Entscheidungsfindung und die verstarkte Ausdifferenzierung der Gesellschaft beziiglich der sozialen Lage und der Lebensstile („Individualisierung") erhohen dabei die Notwendigkeit fiir einen Wandel der nachgeordneten politisch-administrativen Systeme und damit auch der Stadt- und Regionalplanung. Dieser Wandel driickt sich im politisch-administrativen System durch den teilweisen Umbau des keynesianisch orientierten und intervenierenden Wohlfahrtsstaats hin zu einem angebotsorientierten, kooperativen Staat aus. Der „kooperative Staat" steht flir ein neues Verstandnis der Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und den Burgerlnnen und eine veranderte Art der Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung. Strategieorientierte Planung kann als Teil dieses Wandels verstanden werden. Planung steht dabei vor der Aufgabe der Aushandlung und Vermittlung zwischen teils widersprUchlichen Interessen. Grosso modo sind strategieorientierte Planungsansatze auch durch die gleichzeitige Berticksichtigung von okonomischen, okologischen, politischen und sozialen Aspekten und durch die Einbeziehung relevanter „stakeholder" in den Prozess der Entwicklung von Leitbildem, Programmplanen und MaBnahmen gekennzeichnet. Mit diesem Buch sollen diese Entwicklungen thematisiert und gleich mehrere Ziele verfolgt werden:
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Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Andrea Breitfuss Nachdem immer wieder von strategischen oder strategieorientierten Ansatzen in der Planung in Theorie und Praxis die Rede ist, wird aufgezeigt, wodurch sich diese Ansatze auszeichnen und ob von einem einheitlichen, neuen „Paradigma" in der Stadt- und Regionalplanung gesprochen werden kann. Strategieorientierte Planung wird im Spektrum verschiedener Planungstheorieansatze verortet, indem Abgrenzungen und Uberschneidungen gegeniiber anderen zentralen Sichtweisen deutlich gemacht werden. Strategieorientierte Planung steht meist im Zusammenhang mit dem Wandel der Staatlichkeit und des Steuerungsverstandnisses auf lokaler und regionaler Ebene. In der vorliegenden Publikation wird diese Verschrankung in verschiedenen Zusammenhangen thematisiert und herausgearbeitet, welche Rolle strategieorientierte Planung im Rahmen von Govemance-Ansatzen spielen kann und soil. Es wird ein Uberblick iiber praktische Ansatze strategieorientierter Planung in Deutschland und in Osterreich gegeben, der allerdings keinen Anspruch auf Vollstandigkeit fiir sich beanspruchen kann. Der Uberblick endet in einer Zwischenbilanz, in der die Herausforderungen und Chancen strategieorientierter Planung thematisiert werden. Auf wissenschaftlicher Ebene geht es um eine kritische Einschatzung der Grenzen und Reichweiten strategieorientierter Planungsansatze. Zudem werden in den Beitragen auch Empfehlungen bezUglich des Umgangs mit solchen Ansatzen in der planerischen und politischen Praxis abgeleitet. Mit der vorliegenden Publikation soil ein Beitrag zur Diskussion tiber die veranderte Rolle des Planers bzw. der Planerin in der Steuerung gesellschaftlicher und raumlicher Entwicklungen geleistet werden. SchlieBlich dient das Buch auch dem Zweck, vor allem „Nachwuchswissenschaftlerlnnen" eine Moglichkeit zur breitenwirksamen Artikulation ihrer Positionen und Uberlegungen zu bieten. Auch damit erhoffen wir uns eine fruchtbare Weiterentwicklung der planungstheoretischen Debatten.
Dieses Buch ist das Produkt einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema „strategieorientierte Planung im kooperativen Staat", die am 30.4. und 1.5. 2004 an der TU Wien stattgefiinden hat. An der Tagung haben ca. 100 Personen aus dem deutschsprachigen Raum, die sich auf theoretischer und praktischer Ebene mit Stadt- und Regionalplanung befassen, teilgenommen. Das damalige lokale Organisationsteam, das jetzt das Herausgeberlnnenteam dieses Buches ist, war flir die inhaltliche Koordination hauptsachlich zustandig, wobei zu betonen ist, dass die Strukturierung der Tagung sowie die Diskussion der eingelangten Paper zusam-
Vorwort der Herausgeberlnnen
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men mit der Redaktion der „Planungsrundschau" erfolgte. Explizit sei hier noch einmal Uwe Altrock, Simon Gunter, Sandra Huning und Deike Peters gedankt. Nach der Tagung wurde gemeinsam festgelegt, dass die spannendsten und innovativsten Beitrage aus den einzelnen Workshops, die auch die Grundlage der Gliederung dieses Buches darstellen, fur eine Buchpublikation ausgesucht werden sollen. Die Verantwortung fiir die Auswahl und die weitere Betreuung der Buchbeitrage lag nunmehr primar in den Handen des Herausgeberlnnenteams. Es wurde ein Expose und eine erste grobe Gliederung des Buches erarbeitet und dem VS Verlag fur Sozialwissenschaft vorgelegt. Dieser befiirwortete die Publikation und der Erarbeitung der einzelnen Beitrage stand nichts mehr im Wege. So dachten wir im Jahre 2004. Dass sich die endgiiltige Publikation so lange hinausgezogert hat, hangt sicherlich damit zusammen, dass es nicht einfach war, neben dem universitaren Alltag mit Lehre, Forschung und Administration ein Buch herauszugeben. Vor allem waren wir - das Herausgeberlnnenteam - gerade dabei, unser damaliges „Institut der Soziologie fiir Raumplanung und Architektur" (heute: Fachbereich Soziologie im Department fiir Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung) aufzubauen und starker in den Studienrichtungen Raumplanung und Raumordnung sowie Architektur zu verankem. In der Rtickschau war dies mit sehr viel Zeitaufwand und SpaB verbunden und geschah auch auBerst erfolgreich. Weitere Griinde fiir die „Verzogerung" der Publikation sind die darauf folgenden organisatorischen Umstrukturierungen an der TU Wien (Bildung des Departments), personelle Veranderungen im Fachbereich sowie die Notwendigkeit des Verfassens von Qualifikationsarbeiten. Nichtsdestotrotz liegt das Buch heute vor und wir mochten explizit alien danken, die uns bei der Herausgabe unterstiitzt haben. Zu danken ist an erster Stelle den Autorlnnen, die uns bis heute alle die „Stange gehalten" und es nicht vorgezogen haben, ihre teilweise schon lange fertig gestellten Beitrage anderswo unterzubringen. In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass die aktuellsten Publikationen zum Thema des Buches in den einzelnen Beitragen nicht immer benicksichtigt werden konnten, da - wie schon erwahnt manche Beitrage schon langere Zeit vorlagen. Weiterhin ist dem VS Verlag fiir Sozialwissenschaft, vor allem Frau Anke Hoffmann und Monika Miilhausen, fiir die Unterstiitzung und die Geduld zu danken. SchlieBlich mochten wir Felix Stemath herzlich danken, der die redaktionelle Uberarbeitung aller Beitrage tibemommen hat und ohne dessen unermiidliche Arbeit das Buch in diesem Jahr sicherlich nicht herausgekommen ware.
Einfiihrung zum Thema
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat eine Einfiihrung Oliver Frey, Alexander Hamedinger, Jens S. Bangs chat
,„Planung' war einst ein Schliisselwort, das die rationale Gestaltung von Raum und Gesellschaft verhieB. Spater geriet das Wort in das Assoziationsumfeld von Bevormundung, Biirokratie und Ineffizienz. Heute sieht man klarer: Raumliche Entwicklung resultiert aus dem Handeln vieler. Kein Plan vermag vorzugeben, wdhin die Entwicklung geht. Dennoch konnen offentliche Akteure, konnen Kommunen und Regionen wesentlich zur Entwicklung von Stadt und Land beitragen. Sie planen, steuem, entwickeln - als Akteure unter anderen, aber mit besonderen Aufgaben und einer Rolle, in der sich hoheitliche, koordinierende und kooperierende Funktionen mischen"(K. Selle2005: 13). „Ja, mach nur einen Plan Sei nur ein groBes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan Geh' n tun sie beide nicht." (Berthold Brecht 1930, Dreigroschenoper) Dass sich die westlichen Industrienationen in einem ftindamentalen Wandel befmden, wird sicherlich kaum bestritten. Okonomische Veranderungen (vom Ubergang zu einer Dienstleistungsgesellschaft bis zur Globalisierung, die lokal umgesetzt w^erden muss), soziodemographische (vom Alterungsprozess bis zur Attraktion und Integration von Migrantlnnen) und soziokulturelle Umbrtiche (Wertvorstellungen aus neuen Arbeitsformen fuhren zu neuen Milieus und Lebensstilen) bewirken als „neue Herausforderungen" einerseits eine neue Dynamik und andererseits partikulare Uberforderungen. Diese Umstrukturierungen haben in massiver Weise die traditionellen Rollen des Staates und der offentlichen Institutionen in Frage gestellt. Damit steht auch die Raumplanung als Teil des politisch-administrativen Systems vor der Aufgabe, ihre Intentionen und Wirksamkeit zu iiberdenken und meist neu zu justieren. Das derzeit in einigen planungstheoretischen Texten diagnostizierte „Revival" einer strategieorientierten Planung in Europa ist sowohl in diesem Zusammenhang als auch im Zusammenhang mit der Existenzangst einer Profession zu sehen, deren gemeinsame ideologische Fundamente (z. B. „Gemeinwohlorientie-
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat - eine Einfiihrung
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rung", „gleiche Lebensbedingungen in jeder Region", „soziale Durchmischung") schon langere Zeit erodieren sowie deren Steuerungsinstrumente an Raumwirksamkeit eingebiiBt haben oder tiberhaupt heute als obsolet erscheinen. Angesichts von sozialen, okonomischen und raumlichen Fragmentierungsprozessen, die im „Dritten Bericht iiber den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt" der Europaischen Kommission (2004) mit dem Hinweis auf das Weiterbestehen und die teilweise Zunahme von raumlichen Disparitaten (national, inter- und intraregional, aber auch innerhalb von Stadten) Erwahnung fmden, erscheint es nur logisch, dass der Ruf nach einer gegensteuemden oder zusammenhaltenden Kraft, die doch traditionellerweise die Stadt- und Regionalplanung ist, lauter wird. AUerdings wird dieser Ruf mit der Forderung verkntipft, konkrete Strategien im Hinblick darauf zu formulieren, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen und wie die Position der Stadte und Regionen im Standortwettbewerb verbessert werden kann. Ahnliches wurde auch in der Betriebswirtschaftslehre im Rahmen des strategischen Managements thematisiert, in welchem vor allem nach der richtigen Strategic gefragt wird, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen (M. E. Porter 1983; H. Hinterhuber 2004). Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen disziplinaren und theoretischen Kontexten der Hinweis darauf, dass auf libergeordneter Ebene eine Instanz („strategos" = griech. General) dariiber entscheiden muss, wie mit bestehenden, knappen Ressourcen liber einen festgelegten, langerfristigen Zeitraum hinweg umgegangen werden kann, damit die vorher definierten Ziele erreicht werden konnen. Strategieorientierte Planung ist daher der Versuch, der Stadt- und Regionalentwicklung eine strategische Richtung, ein Ziel zu geben, gleichzeitig steuerbare Projekte in einen tibergeordneten Rahmen zu setzen und den Einsatz von Ressourcen dafur im Sinne der Erhohung von Effizienz zu steuem. Damit sind strategieorientierte Plane - in Anlehnung an Modemisierungsideologien - der „Dritte Weg" in der Planungstheorie und Planungspraxis. Tatsachlich stehen viele Erscheinungsformen strategieorientierter Plane unter dem „Primat der Okonomie" und dienen vor allem dem Ziel der Verbesserung der Wettbewerbsposition einer Stadt(region). Demgegentiber hat die Herstellung von sozialer Kohasion und die Verbesserung des Gemeinwohls an Bedeutung verloren. Die Frage ist, wie die Umlegung betriebswirtschaftlicher und militarischer Logiken sowie Theorien auf zumeist immer noch offentliche Planungsinstitutionen funktioniert und welche Konflikte und Widerspruche sich aus dem „Primat der Okonomie", der projektbezogenen „Okonomie der Aufinerksamkeit" und der „Logik des am gemeinwohlorientierten Politischen" ergeben. Diese grundsatzlichen Themen werden im Buch in unterschiedlichen Beitragen immer wieder aufgenommen und anhand von empirischen Beispielen kritisch reflektiert.
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Oliver Frey, Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat
Bevor auf einige Kennzeichen und Ansatze strategieorientierter Planung eingegangen wird, erfolgt ein Blick auf die sogenannten „driving forces", die hinter der Entwicklung von strategieorientierten Planen stehen. Welche Begrlindungszusammenhange konnen also identifiziert werden? Sind sie mehr „endogen" Oder „exogen", mehr „akteursbezogen", „institutionenbezogen" oder „strukturell bedingt"? Die Analyse der „driving forces" wird sich im Folgenden entlang dieser Pole bewegen, um eine Typologie dieser Bedingungen zu gewinnen. Dies ist relevant, da sich die Begrundungszusammenhange in weiterer Folge auf die Art und Weise der Entwicklung der strategieorientierten Plane, auf deren Entstehungsprozesse und deren inhaltliche Orientierung auswirken: •
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Prozesse der okonomischen und politischen Umstrukturierung (Globalisierung, Europaische Integration) auf tiberlokaler Ebene, die u. a. zu einer starkeren Ausdifferenzierung der urbanen Okonomie (vor allem im Dienstleistungssektor) fuhren, erzeugen auf Stadte zunehmend einen Druck, sich im „pro-aktiven" Stil im Wettbewerbsraum zu positionieren und vieles daftir zu tun, dass das global mobile Kapital ihren Standort attraktiv fmdet und dann dort investiert wird (im Sinne der lokalen Regulation globaler Herausforderungen; S. Heeg 2001; E. Swyngedouw 1992). Diese tiberlokalen Prozesse konnen weiterhin dazu fuhren, dass sich die geopolitische Lage von Stadten verandert. Dies erfordert strategische Antworten seitens der zentralen stadtischen Akteurlnnen und in vielen Fallen spielen strategieorientierte Plane (z. B. in Wien) in diesem Kontext eine groBe Rolle. Einige Strategieplane wurden erstellt, um mit lokalen Prozessen der okonomischen Umstrukturierung (De-Industrialisierung, Tertiarisierung) und mit der Verfestigung von Strukturkrisen umgehen zu konnen. Strukturkrisen betrafen seit den 1970er Jahren vor allem Stadte, deren Okonomie auf einer fordistisch organisierten Industrieproduktion basierte und die Probleme mit dem Ubergang in eine dienstleistungs- und wissensbasierte Okonomie hatten. Strategieplane sollen diesen Obergang erleichtem, in dem sie eine positive Zukunftsvision kreieren, endogene Potentiale fur die zuktinftige Entwicklung der Stadt entdecken und zusammenfuhren sowie eine groBe Anzahl von Akteurlnnen aus der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft in dieses Zukunftsprojekt einbinden (z. B. Bilbao, Birmingham) (vgl. G. Pirhofer 2005). Raumstrukturelle Veranderungen, wie etwa Suburbanisierungsprozesse oder Prozesse der sozial-raumlichen Fragmentierung der Stadt, konnen dazu beitragen, dass strategische Antworten gesucht werden. Strategieorientierte Plane sind dabei ein Instrument, um zu signalisieren, dass es in Bezug auf die Entwicklung der Stadtregion politische Visionen gibt und dass die Be-
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat - eine Einfiihrung
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reitschaft zur Kooperation mit Umlandgemeinden seitens der Stadt gegeben ist. In den Strategieplanen werden in einigen Beispielen Uberlegungen angestellt, wie die Stadtregion zu defmieren ist, wie die okonomische Position der Stadtregion verbessert werden kann und welciie Formen von Kooperationen dafiir eingerichtet werden miissen (z. B. in Wien oder Stuttgart). Ftir die Stadtplanung bedeutet dies, dass vor allem die Gestaltung von Kooperations- und Kommunikationsprozessen zwischen in mehrfacher Hinsicht unterschiedlichen Partnerlnnen und die Zusammenfuhrung unterschiedlicher politischer Felder ins Zentrum der strategischen Uberlegungen rticken miissen (D. Flirst etal. 2003; W. Salet etal. 2003). Auch fur die Losung des zweiten gravierenden sozial-raumlichen Problems, namlich der raumlichen Konzentration von sozial benachteiligten Gruppierungen in bestimmten Stadtteilen, wird versucht, auf strategischer Ebene den Ausgrenzungen entgegenzusteuem, indem vor allem neue Govemance-Strukturen eingerichtet (Stadtteilmanagement) und stadtteilbezogene Entwicklungsstrategien mit stadtregionalen Strategiekonzepten verkntipft werden (z. B. im Rahmen des New Deal for Communities in GroBbritannien) (M. Alisch 2001; A. Breitfuss et al. 2004, O. Frey/ A. Hamedinger 2004). Wirtschaftspolitische Strategien (mehr oder weniger orientiert an einem „europaischen Neoliberalismus"), die von Institutionen auf iiberlokaler Ebene (global, EU-Ebene, national) im Rahmen der Subsidiaritat initiiert werden, konnen dazu beitragen, dass sich einerseits die fiskalischen Spielraume der Stadte weiter verengen (etwa durch die Kriterien des Stabilitatspaktes) und andererseits der Wettbewerb zwischen den Stadten intensiviert wird (P. Le Gales 2002). Dies hat u. a. dazu beigetragen, dass neue Kooperationen zwischen offentlichen und privaten Akteurlnnen auf stadtregionaler Ebene eingegangen werden. Die Institutionalisierung solch neuer Partnerlnnenschaften wird in vielen strategieorientierten Planen (z. B. in GroBbritannien) sowohl im Entwicklungs- als auch im Umsetzungsprozess weitestgehend unterstiitzt. Die Entwicklung von strategieorientierten Planen kann quasi „von auBen" angeregt werden, wenn sie als Bedingung ftir die Teilnahme an politischen Programmen, mit denen nicht nur monetare Transferleistungen verbunden sind, gelten. Dies konnen sowohl national initiierte Programme (wie etwa der Stadtumbau Ost in Deutschland) als auch regionalpolitische Programme der EU sein. Die EU spielt dabei inzwischen eine herausragende Rolle, da sie etwa im Rahmen ihrer Strategien zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung und zur Erreichung der Ziele von „good governance" die Entwicklung von Strategieplanen anregt. Dieser Begrlindungszusammenhang wird von einem flir die Entwicklung des „ersten" Wiener Strategieplanes wichtigen
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Oliver Frey, Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat Akteur angefiihrt: „Unter diesem Zielsystem fbrderte die Europaische Kommission die Entwicklung der Studien ,The strategic framework of London development' und ,Zukunftsstrategien fiir Berlin', im Weiteren ahnlich konzipierte Studien fur Marseille, Halle/Leipzig und Manchester/Liverpool. Im Rahmen dieser Initiative wurde auch der Strategieplan fiir Wien, ,Qualitat verpflichtet. Innovationen fur Wien', vorgestellt und vergleichend diskutiert," (G. Pirhofer 2005: 19) Bin wesentliches Element der seit Beginn der 1990er Jahre konstatierten „Festivalisierung" der Stadt (H. HauBermann/ W. Siebel 1993) ist die Durchfiihrung von intemationalen GroBveranstaltungen, wie z. B. von Olympischen Spielen oder EXPOs. Diese bieten ftir die Stadtpolitik eine tatsachlich zumeist einmalige Gelegenheit, um sich nach auBen hin zu profilieren und als Wirtschaftsstandort und Reiseziel attraktiver zu werden. Um den Einsatz der dafiir erforderlichen Ressourcen effizient zu gestalten, ein „commitment" der relevanten stadtischen Akteurlnnen zu diesem GroBereignisse zu schaffen sowie dieses einmalige Ereignis in die langerfristige Entwicklung der Stadt einzubetten, wurden Strategieplane erstellt (z. B. in Barcelona oder Turin). Strategieorientierte Plane sind in einigen Kontexten auf Grund von politischen Neupositionierungen (durch einen Regierungswechsel) und auf Grund von „extemen" Diskursen entwickelt worden. Diskurse, die auf europaischer oder intemationaler Ebene an Bedeutung gewinnen, konnen stadtplanerische Akteurlnnen dazu bewegen, Modemisierungsanstrengungen auf strategischer Ebene in die Richtung dieser Diskurse voranzutreiben. So sind etwa die Diskurse tiber eine nachhaltige Stadtentwicklung oder die Verwaltungsmodemisierung, welche auf europaischer Ebene und in Stadtenetzwerken forciert werden, Motoren fiir die strategische Neupositionierung der Stadt. Weiterhin kann die innerhalb der planungstheoretischen Debatte vielfach beschworene „Rennaissance der groBen Plane" (vgl. A. Klotz et al. 2005) als Beitrag zur Losung des schleichenden Legimitationsverlustes politischadministrativer Systeme betrachtet werden, in welchem die Stadt- und Regionalplanung nach wie vor eine zentrale, die Siedlungsentwicklung steuemde Rolle einnimmt. Damit soil der Unzufriedenheit mit bestehenden Steuerungsformen und Planungsinstrumenten und dem Vertrauensverlust seitens der Btirgerlnnen in die Institutionen des Staates begegnet werden. Um die Interessen und Wunsche der Biirgerlnnen zu erfassen, werden in einigen Fallen im Entstehungsprozess Moglichkeiten der Beteiligung eingerichtet. Die Entwicklung und Umsetzung strategieorientierter Plane stehen
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat - eine Einfuhrung
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daher immer im Kontext der Veranderung von Steuerungsformen, oder besser, von Governance. Die neuen Arbeitsbedingungen - Uberwiegend in den kreativen Bereichen des Tertiaren Sektors - erzeugen neue Wertemuster, Milieus und Lebensstile, welche insbesondere innenstadtnahe Wohnstandorte starker ins Blickfeld rlicken (vgl. H. Briihl et al. 2006). Das fiihrt einerseits zu Gentrifizierungen, andererseits zu neuen „vibrant places", an denen nicht nur Cluster der „creative industries", sondem auch neue Formen zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation entstehen (vgl. D. Lapple/ G. Walter 2007); hieraus entstehen neue soziale Bewegungen beispielsweise im Zuge von LA21-Prozessen. Insbesondere an den Orten, an denen groBere Immobilienprojekte im Zuge der „brownfield developments" entstehen, werden jedoch mehr oder weniger offene „gated communities" errichtet; diese sind zwar fiinktional gemischt (Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit), jedoch im sozio-okonomischen und sozio-kulturellen Spektrum sehr schmal. Diese Orte werden gerade von der Lokalpolitik und Stadtplanungsabteilungen tiber MaBnahmen des Quartiersmanagements als „Visitenkarten" ins Zentrum von Revitalisierungsstrategien der Innenstadte geriickt. B' o* CO
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Lokalpolitische Regulationen der globalen Herausforderungen Regulation der okonomischen Umstrukturierung Regulation Raumstrukturelle Veranderungen (Stadtregionen, Quartiersmanagement) Politische Regulation im Rahmen Rahmen europaischer bzw. nationalstaatlicher Subsidiaritat Strategieorientierung durch EU-Stadtpolitik Festivalisierung
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Strategieorientierte Planung: Ein Wandel im Steuerungsverstandnis der Raumplanung
Das Steuerungsverstandnis der Raumplanung hat sich seit ihrem Entstehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erheblich gewandelt: Steuerung durch Raumplanung im Sinne des kooperativen Staates w^ird nicht mehr als einseitige Beeinflussung des Handelns anderer aufgefasst, sondern als ein Interaktionsprozess, in dessen Verlauf die klare Trennung von Steuerungsobjekt und -subjekt aufgehoben ist (vgl. R. Mayntz 2004). Das Verstandnis von Raumplanung als ein interaktiver Steuerungsprozess hatte zur Folge, dass der lineare Ablauf von Problemverstandnis, Informationssammlung und -analyse, Losungsentwicklung und bewertung, Umsetzung und Evaluierung (vgl. J. Friedmann 1986: 37) aufgegeben wurde. Das Steuerungsverstandnis eines „Gottvater-Modells" (W. Siebel 1989: 9If), welches Raumplanung als eine technische Ingenieursaufgabe verstand, um den Siedlungsraum nach rationalen Kriterien optimal zu organisieren und zu nutzen, ging noch von einem „starken Staat" und einer „starken Fuhrung" aus (vgl. Istel 2000 zit. nach D. Fiirst 2005: 16). Planung sollte nichts weniger sein als der „systematische Entwurf einer rationalen Ordnung auf der Grundlage alien verfugbaren Wissens" (Kaiser 1965, S. 7 zit. nach E.-H. Ritter 1998: 10). Dieses Weltbild einer umfassenden Planung hat seine Wurzel in der abendlandischen Aufklarung und basierte auf Fortschrittsvertrauen, verbunden mit einem rationalen Ziel-Mittel-Denken und einem generellen Glauben an die Machbarkeit und Gestaltbarkeit von Zukunft (vgl. E.-H. Ritter 1998: 10).
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat - eine Einfuhrung
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Die Einbettung der Raumplanung in ein positivistisches naturwissenschaftlich-technisches Weltbild ist durch den Paradigmenwechsel der Wissenschaftssicht seit den 1970er Jahren briichig geworden. Der Perspektivenwechsel bin zu einem post-positivistischem Verstandnis von Planung erfolgte als eine Antwort auf planungspraktische Griinde, da die instrumentelle Rationalitat, die in den modemen, verfahrenstechnischen Planungstheorien formuliert wurden, und da die Trennung in substantielle und verfahrensorientierte Planungstheorien (vgl. A. Faludi 1973) den Planerlnnen nicht hilfreich war, um bessere Plane oder Voraussagen zu machen. Aus den theoretischen Erkenntnissen von Kuhn, Hesse und anderen heraus, dass Realitat und Denken ein sozial-historisches Konstrukt darstellt, erfolgte eine Hinwendung der Planungstheorie zu starker normativ, komplex und dynamisch orientierten Vorstellungen von Raumentwicklungen (vgl. P. Allmendinger 2002: 83). Allmendinger (2002: 87) charakterisiert diesen Paradigmenwechsel zum Post-Positivismus, der durch neue Erkenntnisse und Sichtweisen in Physik, Chemie und Biologic eingeleitet wurde, und zeigte, dass „in den hochkomplexen Systemen keine einfachen GesetzmaBigkeiten herrschen, sondem Chaos und Ordnung einander ablosen" (E.-H. Ritter 1998: 11): Dadurch wurde es notwendig, die Theorien und Disziplinen in einen breiteren sozialen und historischen Kontext einzubetten, normative Kriterien zur Entscheidung zwischen konkurrierenden Theorien anzuwenden, die Allgegenwart von Abweichungen in Erklarungen und Theorien zu betonen und ein Verstandnis der Individuen als eigeninterpretative und autonome Subjekte zu entwickeln. Seit den 1980er Jahren nahm die Planungstheorie diese neuen Verstandnisse auf und entwickelte eine Vielzahl von unterschiedlichen Aspekten raumlicher Steuerungsmodelle. Begriffe und Konzepte wie Unbestimmtheit, Nichtlinearitat, Abweichung, Komplexitat, Diversitat, Instabilitat und Selbstorganisation mussen seither in das Steuerungsverstandnis von Planung integriert werden. Im Laufe der Entwicklung neuer planungstheoretischer Ansatze musste erkannt werden, dass zwischen Ursache und Wirkung keine proportionalen Beziehungen bestehen miissen und dass die statistische Berechnung einer Wahrscheinlichkeit, mit der eine Entwicklung eintreten wu"d, unzureichend ist. Planung hat vielmehr die Aufgabe, ein Gefiihl dafiir zu bekommen, was alles passieren kann und Gedanken sowie Ideen zu entwickeln, wie auf unvorgesehene und nicht-steuerbare Entwicklungen reagiert werden kann. Der rationalistische Planungsansatz ging noch davon aus, dass sich der Akteur bzw. die Akteurin eines Problems bewusst wird, dann ein Ziel formuliert und rational die altemativen Umsetzungen abwagt (vgl. A. Etzioni 1967: 42).
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Oliver Frey, Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat
Im Folgenden werden die post-positivistischen planungstheoretischen Ansatze kurz in ihren Abgrenzungen und LFberschneidungen dargestellt, um so die charakteristischen Elemente einer strategieorientierten Planung herauszuarbeiten. 2
Abgrenzungen und Uberschneidungen der Strategieorientierten Planung mit anderen planungstheoretischen Ansatzen
Das Kemverstandnis des disjointed incrementalism (D. Braybrooke/ C.E. Lindblom 1963) ist es, dass Planung in einer „Strategie der unkoordinierten, kleinen Schritte" den besten Erfolg hat, wenn zu Grunde gelegt wird, dass das Losen und Bewerten von Problemen iiberschaubar bleiben muss. Es geht darum, dass sich der Planer bzw. die Planerin an die Aufgabenstellung anpassen muss, um einen Konsens zu erreichen. Die Erkenntnis, dass es leichter ist, sich auf kleine, liberschaubare Planungsschritte zu einigen, nahrt sich aus der praktischen Planungserfahrung, dass groBe umfassende Plane keine Garantie fur konkrete Auswirkungen besitzen. Der groBe langfristige Plan wird bei dieser Strategic abgelehnt, da davon ausgegangen wird, dass es wichtig ist, die „Interdependenzen zwischen Teilproblemen zu beriicksichtigen" (D. Braybrooke/ C.E. Lindblom 1963: 162); und dies ist bei kleinteiligen Schritten eher moglich, als im groBen Ganzen. Diese Planungsstrategie hat sich „mit der Unordnung, der offensichtlichen Nichtbeachtung von Vollstandigkeit und Koordination abgefunden" (D. Braybrooke/ C.E. Lindblom 1963: 162). Baybrooke und Lindblom kommen zu dem Schluss, dass „Fragmentierung ihre Vorteile hat - die Vorziige ihrer Mangel -, beispielsweise im politischen Bereich jederzeit ein breites Spektrum von Eindriicken und Einsichten zu garantieren, wobei freilich die Gefahr besteht, „koordiniert" zu werden, sobald Ubereilt unbegriindete Forderungen nach einem Plan zum gemeinsamen Vorgehen erhoben werden. Es gibt gesellschaflliche Situationen, in denen ein einziger Plan sich als vollig unangemessen erweist" (D. Braybrooke/ C.E. Lindblom 1963: 163). Die Strategic des disjointed incrementalism passt die Entscheidungsprozesse der Planungsakteurlnnen an die begrenzte Entscheidungsfahigkeit an, indem es den Geltungsbereich eingrenzt und so die Informationen reduziert. Die Steuerungsannahme einer „ Strategic der unkoordinierten, kleinen Schritte ist durch die typische Steuerungsorganisation pluralistischer Gesellschaften gepragt, im Gegensatz zur Masterplanung in totalitaren Gesellschaften" (D. Braybrooke/ C.E. Lindblom 1963: 164). Etzoni (1967) kritisiert diesen Ansatz, da seiner Meinung nach a) die Entscheidung in kleinen Schritten genauso grundlegende Steuerungsannahmen beinhaltet und b) gehaufte Entscheidungen kleiner Schritte eine Beziehung zu grundlegenden Entscheidungen besitzt. Er entwickelt den Planungsansatz des mixed scanning,
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bei dem er eine Kombination von Einzelfallsteuemng in einem untibersichtlichen Feld mit einer effektiven rahmensetzenden Strategie anstrebt. Er schreibt: „The strategy combines a detailed (,rationalistic') examination of some sectors which, unlike the exhaustive examination of the entire area, is feasible - with a ,truncated' review of other sectors" (A. Etzoni 1967: 43). Die Planungsstrategie des advocacy planning (P. Davidoff 1965) hat eine Differenzierungsannahme als Grundlage. Unterschiede zwischen Menschen in ihren Bediirfiiissen und ihren Ressourcen, so die Folgerung, machen auch unterschiedliche Planungsstrategien notwendig. Davidoff versteht Raumplanung als einen interaktiven Prozess zwischen dem Planer bzw. der Planerin und der Community, was eine Beteiligung der Betroffenen in den Planungsprozess notwendig erscheinen lasst. Advocacy planning sieht den Planer bzw. die Planerin als Anwalt bzw. Anwaltin fiir die nicht besonders artikulationsstarke, benachteiligte Community. Insofem ist diese Planungsstrategie darauf ausgerichtet, in den Steuerungsprozessen den Planungsbetroffenen zu einem groBeren Stellenwert zu verhelfen. Kern dieses Ansatzes ist die Sichtweise, dass bei Planung Interessensgegensatze existieren konnen und dass im Planungsprozess bislang ungehorte Stimmen deutlicher zum Ausdruck gebracht werden miissen. Die Sichtweise, dass in raumlichen Entwicklungsprozessen eine Zunahme von Interessensgegensatzen und Akteurlnnen beriicksichtigt werden sollte, wird in den Strategien von Public Private Partnerships (W. Heinz 1993) formuliert. Ziel ist es, eine raumliche Steuerung zu erreichen, bei der durch die Verknupfiing der spezifischen Befugnisse, Kenntnisse und Ressourcen von offentlicher und privater Hand neue Partnerlnnenschaften bei der Realisierung von Projekten entstehen konnen (W. Heinz 1993: 180): „Der Begriff ,Public Private Partnership' bringt zweierlei zum Ausdruck: die Beteiligten der damit gemeinten Partnerlnnenschaften - offentliche und private Hand - und die Vorrangstellung des offentlichen Sektors. Letztere beruht vor allem auf der maBgeblichen Rolle offentlicher Akteurlnnen bei der Initiierung und Stimulierung von Partnerlnnenschaftsansatzen." (W. Hemz 1993: 181) Selle und Sinning erweitem diesen Ansatz in einer Strategie, die Planung und Kommunikation (A. Bischof et al. 2001) als untrennbare Eigenschaften in einen umfassenderen Zusammenhang setzen. Die Annahme ist, dass „Planung in Quartier und Stadt ohne Kommunikation nicht auskommt" (K. Selle 1996: 61). Kommunikation ist notwendig, um die Koordination der unterschiedlichen Fachplanungen zu gewahrleisten, Abstimmungsprozesse zwischen offentlichen und privaten Akteurlnnen zu gestalten, den Dialog zwischen planender Verwaltung und Politik zu pflegen sowie die betroffenen Biirgerinnen und Btirger zu beteiligen und die Offentlichkeit zu informieren. Der planungstheoretische Ansatz von Selle und Sinning nimmt die Ausdifferenzierung der an Planung betroffenen
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Akteurlnnen auf und beschreibt die wesentliche Rolle von Kommunikationsprozessen und Koordinationsleistungen. Collaborative planning (P. Healy 1997) nimmt den „communicative turn in planning theory" auf und beschreibt die Diversitat von Erfahrungen der Individuen im stadtischen Leben und in der Umwelt als eine Pluralisierung und Ausdifferenzierung, welche die Steuerungsfrage von Planung im Kern betrifft: „Collaborative Planning is a plea for the importance of understanding complexity and diversity, in a way that does not collapse into atomistic analyses of specific episodes and individual achievements, or avoid recognizing the way power consolidations into driving forces that shape situational specifities." (P. Healy 2003: 117) Sie betrachtet Komplexitat und Diversitat von urban governance als je spezifisch gelagerte Fragen der Steuerung raumlicher Entwicklungen in einem sozialen Prozess. Unter dem Stichwort Planung durch Projekte (D.A.Keller et al. 1996) wurde 1993 ein Internationales Werkstattgesprach initiiert, welches nach der Rolle der Projekte in der Planung fragte. Dort wurde die „Zukunft einer auf kooperatives Handeln ausgerichteten offentlichen Planung" (D.A. Keller et al. 1996: 37) diskutiert. Eine Kemaussage in dieser Auseinandersetzung um die Rolle von Projekten in der Planung war, dass offentliche Rahmensetzungen fiir private Projekte unverzichtbar sind. „Ubergreifende und nicht auf das einzelne Projekt und die Interessen einzelner Beteiligter ausgerichtete Ziele seien notwendig" (D.A.Keller etal. 1996: 42). Eine projektorientierte Planung griindet sich auf der Erkenntnis, dass die Komplexitat der Aufgaben gewachsen ist, die Bedeutung der Kooperation verschiedener Akteurlnnen zugenommen hat und somit auch unterschiedliche Anforderungen an Steuerungsfragen gestellt werden (D.A. Keller etal. 1996: 37). Die LFberschneidung mit den strategieorientierten Planungsansatzen liegen darm, dass Verfahrensweisen im Planungsprozess an Bedeutung gewonnen haben; dass private Akteurlnnen in die Planungen miteinbezogen werden und dass Moderation und Partizipation sowie die Organisation von Lemprozessen im Vordergrund stehen. „Planung ist ein vielschichtiger, offener Prozess geworden, in dem standig neue Formen der Darstellung nach auBen, der Auseinandersetzung und der Entscheidungsfmdung entwickelt werden miissen (vgl. A. Klotz et al. 2006). Die Abgrenzung zur stratgieorientierten Planung besteht darin, dass die langerfristige Rahmensetzung aufgegeben wird. Der perspektivische Inkrementalismus (K. Ganser etal. 1993) verbindet hingegen die Planung durch Projekte mit langerfristigen Strategien. Diese werden in einem kooperativen Prozess entwickelt. Diese Strategien eines projektbezogenen Inkrementalismus wurden im Rahmen der Intemationalen Bauaustel-
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lung Emscher Park entwickelt und ordnen eine projektbezogene Planung in eine iibergeordnete Zielformulierung ein. Im Rahmen dieser tibergeordneten Zielformulierung hat die Formulierung von Leitbildem (vgl. H. Becker et al. 1999) an Bedeutung gewonnen. Leitbilder sollen als Instrument in einem kommunikativen Prozess die Interaktion zwischen Akteurlnnen fordem und eine Orientierung bieten. Bei der Leitbildkonzeption werden in zumeist kooperativen, auf Konsens angelegten Prozessen Zielvorstellungen und Handlungsprinzipien formuliert: „Leitbilder tibemehmen Orientierungs-, Koordinierungs- und Motivationsfunktionen: sie bilden einen gemeinsamen Bezugspunkt im Zukunftsdenken", koordinieren „die Wahmehmungs-, Denk- und Entscheidungsprozesse der Menschen" und aktivieren „immer auch emotionale Potentiale der Menschen", wodurch „Engagement geweckt und zum Handeln motiviert wird" (Kahlenbom etal. 1996 zit. in H. Becker etal. 1998: 38). Eine strategieorientierte Planung entwirft dagegen auch noch konkrete Umsetzungsschritte. Im Rahmen einer Umsetzungsorientierung gewinnt auch das Instrument der Szenarien eine wichtige Rolle. Szenarien als Instrumente zur Kommunikation (vgl. H.E. Arras 1998) liegt die Annahme zu Grunde, dass langerfristige Entwicklungen wieder starker die Steuerungsfrage raumlicher Entwicklungen bestimmen. Dabei sind die qualitativen Aspekte des Verstehens von komplexen Beziigen und Verhaltensweisen der Akteurlnnen im Vordergrund (H.E. Arras 1998: 27). Szenarien - im Gegensatz zu Prognosen - weisen nicht den Weg in eine bestimmte Zukunft, die als richtig aufgezeigt wird, sondem stellen die Vielfalt moglicher Entwicklungen dar: „Dies macht deutlich, dass wir nicht mehr so einfach sagen konnen, welche Entwicklung die richtige ist, und dass wir uns aus dem Wiinschenswerten und Moglichen am besten durch gemeinsame Gesprache dariiber nahem" (H.E. Arras 1998: 28). Im Unterschied zum positivistisch-rationalen Denken, das die Antwort tiber die zutreffende Zukunft kennt, stehen bei den Szenarien der Dialog und ein gemeinsamer Lernprozess im Vordergrund. Die Strategic der Raumplanung, im Rahmen von Projekt- und Regionalmanagement (D. Fiirst 1998) oder von Quartiermanagement (J.S. Dangschat 1999) eine Koordination von Planungsbeteiligten und eine ressortlibergreifende Kooperation zu erreichen, zeigt deutlich, dass der Wandel der Steuerungsformen darin besteht, heterogene und vielschichtige Interessenslagen zusammenzufiihren und in gemeinsamen Handlungszielen zu vereinen. Dabei wird zumeist ein kooperativer und mtegrativer Ansatz verfolgt, der wie bei den Ansatzen der integrierten Stadtentwicklungsplanung langerfristige kooperative Zielsetzungen mit offenen Strukturen verbindet.
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Oliver Frey, Alexander Hamedinger, Jens S. Dangschat Strategieorientierte Planung: Ein Mix aus verschiedenen planungstheoretischen Ansatzen und planungsrelevanten Instrumenten
Die umfassende Entwicklungsplanung, welche auf der Grundlage einer positivistisch-rationalen Analyse eine Entscheidung fiir raumliche Entwicklung getroffen hat und diese mit den klassischen Instrumenten von Flachennutzungsplan, Bebauungsplan und Ausflihrungsplanung in einem zeitlich-linearen Modell steuerte, kann der komplexen sozial-raumlichen Entwicklung von Stadten nicht mehr gerecht werden. Helga Fassbinder schrieb 1993 in einem Aufsatz mit dem Titel „Zum Begriff der strategischen Planung": „Dem grofien Plan fiir das zuktinftige Bild der Stadt, dem Stadtentwicklungsplan, dem Masterplan, dem Stadtplan kommt in dieser Situation eine andere Rolle zu als in der klassischen Bauleitplanung. Der Plan ist nicht mehr Endzustandsbeschreibung, er stellt vielmehr die groBe bildhafte Vision des Ganzen dar und ist als solche Eingabe und Orientierung fiir Diskussion und Interaktion zwischen alien Planungsebenen und alien beteiligten Parteien, den privaten Akteuren mit ihrer unterschiedlichen Herkunft, Interessenlage und Orientierung ebenso wie den gemeinniitzigen Einrichtungen und Organisationen und den verschiedenen offentlichen Instanzen. Der Plan ist Teil einer Strategic, die mit Mitteln betrieben wird, die auf unterschiedlichen Planungsebenen angesiedelt sein konnen und unterschiedliche Konkretisierungsformen annehmen konnen." (H. Fassbinder 1993: 9-18) Die strategieorientierte Planung verbindet gleichwertig den Plan mit dem Prozess. Planinhalt und Planungsprozess verknupfen sich in einer strategischen Orientierung, die der Raumplanung die Rolle einer konzeptionellen Koordination raumlicher Entwicklungen zuschreibt. Dabei entwickelt sie in Kooperations- und Kommunikationsprozessen unterschiedlicher Akteurlnnen strategische Ziele raumlicher Steuerung. Raumplanung entwirft dafur eine leitbildhafte Vorstellung gesellschaftlicher und raumlicher Entwicklungen, bildet diese ab und macht sie so diskutier- und verhandelbar. Einer strategieorientierten Planung bedarf es bei zunehmend unbestimmbareren Problemen und Losungsansatzen (B. Scholl: 2005) Dazu miissen Flexibilitat und Offenheit einen stSndigen Prozess gewahrleisten, in dem das strategische Denken, Handeln und Entscheiden auf unvorhersehbare Entwicklungen reagieren kann. Die Bedeutung einer strategieorientierten Planung wird in Zukunft zunehmen, da die Mittel zur Gestaltung des Lebensraumes knapper werden: „Das Bilden von Schwerpunkten, die Konzentration der stets knappen Mittel auf strategisch bedeutsame Aufgaben ist unerlasslich, um nachfolgenden Generationen moglichst groBe Spielraume und damit moglichst viel Freiheit beim Losen der betreffenden Aufgaben zu lassen." (B. Scholl 2005: 1129)
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Folgende Kennzeichen strategieorientierter Planung konnen vorerst festgehalten werden: 1.
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Strategieorientierte Planung kombiniert langerfristige Planungsziele mit umfassenden Leitbildem und kurzfristig auftretenden unvorhergesehenen Entwicklungen. Ziel einer strategieorientierten Planung ist es, trotz eines vorausschauenden und zielgerichteten Planes auch ungeplante Entwicklungen berticksichtigen zu konnen. Im Gegensatz zu einer umfassenden Zielplanung einer gewtinschten oder prognostizierten Entwicklung bleibt die strategieorientierte Planung gegeniiber neu auftretenden Faktoren im Lauf der Planungsumsetzung also offen. Strategieorientierte Planung lost die Gegeniiberstellung von rein linearen Planungsmodellen, die durch ein objektiv-rationales und positivistisches Planungsdenken bestimmt sind auf der einen Seite und auf der anderen Seite von projektbezogenen Einzelplanungen, denen eine Einordnung in eine Ubergeordnete Zielstellung eher fehlt, auf. Strategieorientierte Planung arbeitet mit konkreten Projektumsetzungen, die in Leitbildem und Strategien eingebettet sind. Strategieorientierte Planung ist auf die Einbeziehung und Mitwirkung unterschiedlichster Akteurlnnen in Verwaltung, Politik, Wirtschaft und ziviler Gesellschaft angewiesen. Ihr liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass Planen ein sozialer Prozess ist, bei dem schon bei der Formulierung der Strategien und spater bei der Umsetzung von Planungszielen die Partizipation verschiedener Akteurlnnen ein notwendiger Bestandteil ist. Der Kern einer strategieorientierten Planung besteht in einer flexiblen, aus formellen und informellen Elementen bestehenden Partizipationsstrategie. „Kooperativer Staat" und „Governance" oder die Frage nach der „richtigen" Steuerung
Uber Governance wurde erstmals in der in der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung (insbesondere bei Ronald Coase und spater der Institutionenokonomie) gesprochen, wobei in diesem Kontext vor allem danach gefragt wurde, wie okonomische Transaktionen am effizientesten organisiert und koordiniert werden konnen (P. Le Gales 2002). Die Bildung von Regelsystemen, die Koordinierung und Steuerung unterstiitzen, stand dabei u. a. im Mittelpunkt des Interesses. Auf einer allgemeinen Ebene bezeichnet ,„Govemance' zumeist eine Gesamtheit von Prozessen, Strukturen, Regeln, Normen und Werten, durch welche kollektive Aktivitaten gesteuert und koordiniert werden sollen. Dabei kon-
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nen unterschiedliche Regelsysteme zur Anwendung kommen (z. B. Markt, Hierarchie), die das Steuem und Koordinieren erleichtem sollen" (A. Hamedinger 2006: 12). Relevant ist in diesem Zusammenhang auch die politisch-okonomische These des tJbergangs vom Government zum Governance, in welcher hervorgehoben wird, wie sich stadtische Steuerungsformen seit den 1970er Jahren verandert haben. „Es wird davon ausgegangen, dass sich die Grenzen zwischen zentralen Institutionen (Staat, Markt und Gesellschaft) zusehends auflosen, und dass eine Mischung von unterschiedlichen Regelsystemen (Markt, Hierarchic, Verhandlungsregel etc.) zu Steuerungszwecken Anwendung fmden (,Mix of Politics')." (A. Hamedinger 2006: 12) Ebenso verweist Benz (2004: 25) auf dieses Spezifikum des „Grenziiberschreitens", das die Idee des Governance so treffend beschreibt: „Prozesse des Steuems bzw. des Koordinierens sowie Interaktionsmuster, die der Govemance-Begriff erfassen will, iiberschreiten in aller Regel Organisationsgrenzen, insbesondere aber auch die Grenzen von Staat und Gesellschaft, die in der politischen Praxis flieBend geworden sind. Politik in diesem Sinne fmdet normalerweise im Zusammenwirken staatlicher und nicht-staatlicher Akteure (oder von Akteuren innerhalb und auBerhalb von Organisationen) statt". Governance unterscheidet sich dadurch von Government, dass mehr und vielfaltigere Akteurlnnen und Institutionen in die politische Entscheidungsfindung miteinbezogen werden, dass umfassendere Kooperationen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen (z. B. Public Private Partnerships) fiir Steuerungszwecke eingerichtet werden und dass sich das Staatsverstandnis grundlegend wandelt, indem mehr vom „untemehmerischen", effizient arbeitenden, modemisierten und „kooperativen" als vom keynesianischen Wohlfahrtsstaat gesprochen wird (D. Grunow/ H. Wollmann 1998; H. Heinelt/ M. Mayer 1997; R. Voigt 1995). Zentrale Elemente von Governance sind (A. Benz 2004; A. Hamedinger 2006; J. Pierre 2000; G. Stoker 2000): • •
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die Bildung von neuen formellen und informellen Netzwerken und Partnerlnnenschaften zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen und Institutionen (z. B. Public Private Partnerships), die Offhung des politisch-administrativen Systems fiir die Interessen und Meinungen von Biirgerlnnen in der Entwicklung, Planung, Entscheidungsfindung und Umsetzung von politischen Programmen und Projekten (Partizipationsverfahren), die Re-Organisation bzw. Modemisierung der Verwaltungsapparate und damit zusammenhangend die Aufteilung und Delegation von politischen Aufgaben an unterschiedliche staatliche und nicht-staatliche Akteurlnnen sowie Institutionen (z. B. durch DezentralisierungsmaBnahmen),
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eine Verandemng des Staatsverstandnisses, weg vom versorgenden Wohlfahrtsstaat hin zum aktivierenden und rahmenschaffenden kooperativen Staat, die Losung von politischen Konflikten und Problemen durch Aushandlungsprozesse, in welchen nicht nur eine Instanz Entscheidungen trifft, sondem das Ziel einer Einigung und der Konsensfindung zwischen den Beteiligten im Mittelpunkt steht sowie eine Entscheidungsflndung und Steuerung nicht nur auf Grund formeller Regelungen (z. B. durch Gesetze), sondem auch durch informelle Regelungen in verschiedenen Verhandlungsforen, Bewusstseinsbildung und Uberzeugungsarbeit.
Zu betonen ist, dass Government, verstanden als das politisch-administrative System, innerhalb von Governance nach wie vor eine entscheidende Rolle spielt, aber gleichzeitig auch Kompetenzen und Ressourcen an andere, nicht-staatliche Akteurlnnen abgibt. Somit wird das politisch-administrative System ein institutioneller Akteur unter anderen. Vor allem der Begriff des „kooperativen Staates", der in diesem Buch deshalb hervorgehoben wird, weil er fur stadt- und regionalpolitische Zusammenhange relevant ist, verweist auf die zunehmende Bedeutung des Steuerungsmodus' der Kooperation (im Gegensatz zum Modus der Hierarchic). „Der Begriff ,kooperativer Staat' ist ursprtinglich fiir diesen engen Zusammenhang zwischen Staat und Wirtschaft entwickelt worden. Bei naherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Entscheidungsverflechtung weit iiber die Wirtschaft im engeren Sinne hinausgeht und sowohl die verschiedenen Ebenen des politischen Systems als auch die Zusammenarbeit mit Parteien, Interessenverbanden und Biirgerinitiativen sowie ggf. auch mit (machtigen) Einzelakteuren einschlieBt." (R. Voigt 1995: 13) Kooperative Regelungssysteme sind vor allem dort eingerichtet worden, wo die alleinige Steuerung durch das politisch-administrative System an seine Grenzen stoBt. In den meisten strategieorientierten Planen spielt dieser Steuerungsmodus - zumindest auf diskursiver Ebene - sowohl im Kontext der Entstehung der Plane als auch bei der Umsetzung der konkreten, Signal gebenden Projekte eine herausragende Rolle. Schon in den unterschiedlichen Begriindungszusammenhangen (siehe oben) wird deutlich, wie wichtig Kooperationen fur die Losung von stadtischen Problemen und fiir die zukiinftige Entwicklung der Stadt sind. Der Aufbau des Buches orientiert sich an zwei zentralen Uberlegungen: der Einbettung strategieorientierter Planung in den planungstheoretischen Diskurs sowie der Analyse der Rolle strategieorientierter Planung im Wandel des Steuerungsverstandnisses auf lokaler und regionaler Ebene. Das Buch gliedert sich sodann in fiinf Kapitel: Die Beitrage im Kapitel 2 „Begriffliche, planungsge-
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schichtliche und planungspraktische Grundlagen" befassen sich mit den Ursachen flir die Einflihrung strategieorientierter Planungen sowie mit deren theoretischen Grundannahmen, wahrend im Kapitel 3 „Govemance-Potentiale der strategieorientierten Stadt- und Regionalplanung" die Frage nach den Steuerungsmoglichkeiten und Steuerungsgrenzen thematisiert werden. Das Kapitel 4 „Partizipation als Strategie" beinhaltet Beitrage, die sich mit Partizipationsverfahren in strategieorientierter Planungen auseinandersetzen. Die Beitrage im Kapitel 5 „Strategieorientierte Planung und die Rolle des Planers bzw. der Planerin" konzentrieren sich wiederum auf den Wandel im Planungsverstandnis und den daraus abzuleitenden neuen Aufgaben und Herausforderungen ftir die Planerlnnen in der Praxis. Eine genauere Beschreibung des Inhalts erfolgt am Beginn jedes Kapitels. Diese „Kapiteleinfuhrungen" beinhalten auch die Kurzfassungen der dann folgenden Beitrage.
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Begriffliche, planungsgeschichtliche und planungspraktische Grundlagen
Einleitung Jens S. Dangschat
Strategische Planung ist ein Modewort in der GroBstadt- und Regionalentwicklung. Doch was steht dahinter? Warum hat dieser Begriff sowohl in der Kommunal- und Regionalpolitik, der Verwaltung als auch in der Planungswissenschaft Konjunktur? Die im folgenden Abschnitt versammelten Beitrage gehen diesen allgemeinen Fragestellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf den Grund und kommen - nicht iiberraschend - zu unterschiedlichen Ergebnissen. Gemeinsamer Nenner ist jedoch, dass die Stadt- und Regionalplanung als Teil offentlicher Verwaltung hier insbesondere auf einen veranderten Kontext von Wirtschaft und Gesellschaft reagiert. Inwieweit die Anpassungsleistungen bereits zu neuen strategisch zu nennenden Positionen geftihrt haben, wird jedoch sehr unterschiedlich gesehen. Jens S. Dangschat vollzieht in seinem Beitrag eingangs nach, warum strategische Planungen fur Stadtregionen und groBe GroBstadte nahe liegend sind. iiberraschend ist das hohe MaB an gleichen Zielsetzungen und Strategien trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen, lokaler Kulturen und der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen im Wettbewerb. Im zweiten Teil seines Beitrags beleuchtet er kritisch, in wie weit die dominanten Wettbewerbsorientierungen auch fllr eine soziale Kohasion forderlich sein konnen und diagnostiziert vor diesem Hintergrund das Verschwinden einer kritischen Sozialwissenschaft. Sven Patzrick Marx konstatiert ebenfalls eine wachsende Bedeutung strategischer Planungselemente in der raumbezogenen Planung, was er vor allem auf das neu zu fmdende Gleichgewicht aus Kontinuitat (der politisch-administrativen Rolle und institutionellen Verankerung sowie dem planungsrechtlichen System) und Umbruch (okonomischer und sozialer Wandel und die Neu-Defmition des Markt-Staat-Verhaltnisses) sieht. Danach ist das Umfeld des politisch-administrativen Systems in Bewegung geraten, auf das dieses reagieren muss. Der hieraus entstandene Ansatz, mehrere Akteurlnnen zusatzlich in den Planungsprozess (von der Zielsetzung von Planung bis zur Umsetzung von Projekten) einzubeziehen wird von ihm am „collaborative planning"-Ansatz verdeutlicht. Thorsten Wiechmann und Gerard Hutter machen eingangs ihres Beitrages deutlich, dass das lineare Planungsmodell der ersten Generation fiir die anstehenden Planungsaufgaben kaum noch geeignet ist. Aber auch das adaptive Strategiemodell sei wenig fiir Planungszusammenhange geeignet. Sie konstatie-
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ren eher auf Kompromissen aufbauende Mittelwege einer kooperativen Strategieentwicklung. An zwei Beispielen - dem Perspektivischen Inkrementalismus und der kommunikativen Planung - versuchen sie einerseits das „neue Planungsverstandnis" in die neue Entscheidungsstruktur einzubetten und schlagen andererseits vor, zu gezielten Themen die Erkenntnisse der wirtschaftlichen strategischen Planung starker heranzuziehen (Emergenz, Kontext und strategischer Wandel sowie Management spannungsreicher Anforderungen). Die starkste Skepsis gegentiber dem modischen Ausdruck der strategischen Planung wird von Uwe Altrock formuliert. Im Rahmen einer Paradigmenverschiebung, die er vor allem in der Verschiebung von einer Rolle als versorgender Staat zu einer eines attrahierenden und ermoglichenden Staates sieht, diskutiert er Erscheinungsformen (Leitbildprozesse), Ursachen und Anlasse (McKinseyisierung, exteme Anreize, okonomische und soziale Umbrtiche) sowie Wirkungen strategischer Planungen. Gerade die Ergebnisse beurteilt er als sehr unterschiedlich vor dem Hintergrund des Anspruches strategischer Planung. Das partielle Scheitem liege vor allem an den tibermachtigen Herausforderungen, er macht allerdings aber auch Vorschlage, wie unter diesen Bedingungen eine strategische Planung moglich sein kann.
Autobahnen ins Gliick Der Miinchhausen-Effekt der Strategischen Raumplanung
Jens S. Dangschat
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Einleitung
Dass urbane Stakeholderlnnen gegenwartig iiber die Rolle ihrer Stadte im nationalen, kontinentalen und haufig auch globalen Netzwerk reflektieren, ist kaum zu iibersehen. Daraus hat sich zum einen eine emeute Leitbilddebatte ergeben (vgl. H. Becker et al. 1998) und es sind zum anderen seit den 1990er Jahren wieder eine Reihe von Stadtentwicklungsstrategien und strategische Raumplanungen entstanden (vgl. P. Healey 1997a). Dieses ist vor allem auf die wachsende Einsicht zuriickzufuhren, dass GroBstadte in einer Zeit raschen und intensiven okonomischen und sozialen Wandels Partnerlnnen brauchen, um eine kontinuierliche Entwicklung gemaB ihrer Zielsetzungen zu gewahrleisten. Man kann sich nun unter Wissenschaftlerlnnen erstens dariiber streiten, ob dieses grundsatzlich „neu" sei oder nur Althergebrachtes lediglich als „neu" verkauft werde\ man kann zweitens iiber die Konsistenz dieser Ansatze oder iiber ein angemessenes Verstandnis innerhalb des politisch-administrativen Systems einer aus dem Militar und der Wirtschaft iibemommenen Terminologie und Vorgehensweisen debattieren oder aber drittens die verschiedenen strategischen Ansatze analysieren und vergleichen - all dieses passiert seit gut zehn Jahren in den Elfenbeintiirmen der Politischen und Verwaltungswissenschaften, der Organisations- und der Stadtsoziologie, der Humangeographie und der Planungstheorie (vgl. W. Salet/ A. Faludi 2000a; ARL/ DASL 2004; G. Pirhofer 2005; J. Becker/ J. Keller 2005 und siehe auch die Beitrage von Marx resp. Wiechmann/ Hutter in diesem Band). Relativ selten werden allerdings die Anlasse, Ursachen und ^driving forces" dieser „Modewelle" reflektiert - es wird sehr haufig eine „neue Planungskultur" beschrieben (vgl. zur tJbersicht J. Ludwig 2005) oder es wird allenfalls plakativ auf die Umstrukturierung in Wirtschaft (Globalisierung) und Bevolkerung (Al^ W. Salet/ A. Faludi (2000b: 1) sehen zwar den Beginn strategischer Stadt- und Regionalplanung in den technischen Planungsinterventionen im Zuge der Industrialisierung und deren Wachstumsfolgen sowie in regionalen Ansatzen der Zwischenkriegszeit; dennoch datieren sie den eigentlichen Beginn strategischer Raumplanung in die 1960er Jahre.
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terung, Flexibilisierung) rekurriert (vgl. B. Scholl 2005). Solche monodimensionalen Ansatze verbleiben jedoch haufig bei der Beschreibung der veranderten Kontexte, auf die die Stadte mit ihren strategischen Planungen und in deren Folge mit veranderter Stadtplanung und Stadtebau zu reagieren haben. In diesem Beitrag soil die Regulationsweise verdeutlicht werden, die sich aus dem Wechsel zu verstarkter strategischer Planung ergibt. Gerade durch die Ansatze der Regulationstheorie riickt das Entstehen neuer flexibler Steuerungsmechanismen von politisch-administrativen, aber auch zivilgesellschaftlichen Einheiten in den Mittelpunkt der Uberlegungen (vgl. A. Lipietz 1994; M. Mayer 1994; L. Kohlmorgen 2004). Es wird damit auf zwei aktuelle Tendenzen der strategischen Raumplanung eingegangen: a) auf die strategischen Planungen im Zuge des Stadtewettbewerbs und dem Herausbilden von Stadtregionen und Netzwerken, die dazu dienen, die eigene wirtschaftliche Position zu starken und auszubauen, und b) auf die Strategien, die der Zielsetzung nachhaltiger Quartiersentwicklung verpflichtet sind, was sich in den Bemlihungen zur sozialen (Re-)Integration, des intensivierten Umweltschutzes, der Ressourcenschonung und der Etablierung zivilgesellschaftlicher Strukturen zeigt. Beim ersten Strategiekomplex geht es vor allem darum, das Wirtschaftswachstum iiber den Ausbau von Forschungs- und Entwicklungskapazitaten sowie Produktionen im Informations- und Kommunikationssegment, den Medien, den „creative industries" und den „Lebenswissenschaften"^ zu starken, sowie Auslandsdu-ekt-Investitionen und (regionale) Headquarters international operierender Untemehmen anzuziehen, was sich dann im Immobiliensektor als Boom auswirkt. Im zweiten Komplex steht hingegen die „social cohesion" in einzelnen stadtischen Quartieren und um die Sicherung des kiinftigen Bestandes veranderter gesellschaftlicher Ordnungen im Vordergrund. Im letzteren Diskurs geht es auch darum, ob mit den neuen strategischen Ansatzen die „territorial cohesion" gestarkt werden kann. Be vor auf die , driving forces' der strategischen Planung eingegangen wird, soil mit einer Ableitung des Begriffs der strategischen Planung aus der „Kriegskunst" und dem unternehmerischen Management begonnen werden; zudem werden grundlegende Positionen der Strategischen Raumplanung diskutiert.
^ Ein sehr euphemistischer Sammelbegriff fiir medizin-technologische Forschung, Entwicklung und Anwendung, die in der Bev5lkerung sehr unterschiedliche Reaktionen hervorruft (Gentechnologie, medizinische Forschung mit Foten etc.); dieser Euphemismus ist sicherlich aber gut geeignet, diese Forschungen trotz der Vorbehalte in der (Wahl-)Bev5lkerung seitens des poHtisch-administrativen Systems umfangreich zu fOrdem.
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Jens S. Dangschat Von strategischen Planungen in Militar und Wirtschaft zu Raumentwicklungsstrategien
Strategische Planungen wurden urspriinglich im Militar eingesetzt und galten als zentraler Bestandteil einer „Kriegskunst" resp. „Kunst der Heerfiihrung" (vgl. W. Salet/ A. Faludi 2000b: 1; B. Scholl 2005: 1122). Unter Beriicksichtigung der Rahmenbedingungen („Umfeld") und insbesondere der Handlungen des Feindes werden dabei die eigene Position bestimmt, die Zielsetzung entwickelt und die Taktiken so gestaltet, dass die Ziele der Kriegsfuhrung moglichst umfangreich und „gtinstig" erreicht und dabei auf Unvorhergesehenes flexibel reagiert werden kann, ohne die Strategie andem zu mtissen. Damit sind Strategien vor allem dafiir geeignet, in einer Kriegs- resp. Konkurrenzsituation auf Unwagbarkeiten und Unvorhergesehenes rasch und flexibel eingehen zu konnen. Bei der Ubemahme strategischer Ausrichtung orientiert man sich im politisch-administrativen System (PAS) jedoch kaum mehr an der urspriinglichen Begrifflichkeit und dem strategischen Kontext, sondem daran, wie der Strategiebegriff in Untemehmenstheorien und -praktiken abgeleitet, angewendet und weitergefiihrt wurde: „Strategische Planung ist ein informationsverarbeitender Prozess zur Abstimmung von Anforderungen der Umwelt mit den Potenzialen des Unternehmens in der Absicht, mit Hilfe von Strategien den langfristigen Erfolg eines Unternehmens zu sichem" (F.X. Bea/ J. Haas 2001:49). Um dieses zu erreichen, stellen Untemehmen mittel- bis langfristige Visionen auf („mission statement"), in denen die kiinftige Positionen der Untemehmen, meist in „Untemehmensphilosophien" eingebettet, formuliert werden. Diese Visionen werden auf Unternehmensleitbilder heruntergebrochen, in denen die Fuhrungsgrundsatze formiert werden, welche den Mitarbeiterlnnen dazu dienen soUen, die Visionen schrittweise zu verwirklichen. Um diese Prozesse im Verlauf kontrollieren und steuem zu konnen, bedarf es prSziser Untemehmensziele (Zeitrahmen, quantifizierte Zwischenschritte), die wiederum in einzelne Geschafts- und Funktionsbereichsziele untergliedert werden. Einer Untemehmensstrategie gehen unterschiedliche Analysen voraus, die sich a) auf die jeweils eigene Marktposition (Evaluation der eigenen Position, Benchmark gegeniiber den wesentlichsten Konkurrentlnnen) und b) auf die vermutete Entwicklung des „Umfeldes" beziehen. Bei einer Marktanalyse steht an erster Stelle die Frage nach der Beschaffenheit der eigenen Produktpalette im Verhaltnis zu moglichen Substituten, an zweiter Stelle die Analyse der Struktur der Nachfragenden der Produkte (Marktpotenzial) und schlieBlich drittens die
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Position der Konkurrenzuntemehmen resp. der potenziellen Kooperationspartnerlnnen (Marktstruktur und Marktabgrenzung). Mit der Umfeldanalyse werden die relevanten technologischen, wirtschafllichen, politischen, okologischen, demographischen, soziookonomischen und soziokulturellen Prozesse im Marktgebiet in ihrer wechselseitigen Verschrankung und regionalen Ausdifferenzierung beriicksichtigt. Diese Analysen sind in einer Phase eines intensiven gesellschafthchen Wandels jedoch extrem schwierig und fallen daher entsprechend grob resp. unsicher aus. Die Ursachen liegen einerseits in erheblichen Wissensdefiziten (gesellschaftliche Zusammenhange im engeren Sinne^) und sind zum anderen von politischen Steuerungsprozessen auf verschiedenen Ebenen abhangig (Regulation)"*. Die Orientierung auf eine zunehmend strategischere Planung bedeutet jedoch auch erhebliche Veranderungen der Organisation des untemehmerischen Managements (Aufstellen der Strategic und deren Controlling, Delegation von Entscheidungen nach unten und auBen und entsprechend flachere Entscheidungshierarchien, eine veranderte Haltung der Mitarbeiterlnnen zu ihrem Verantwortungsbereich, neue Formen der corporate identity nach innen und auBen sowie eine entsprechende Personalentwicklung), eingebettet in ein Mehr an Kommunikation und Partizipation, was wiederum eine Professionalisierung der Prozesssteuerung erfordert. Neben der Personalentwicklung („Lebenslanges Lemen") gewinnt daher auch das Marketing an Bedeutung. Seit etwa 20 Jahren nutzen auch Gebietskorperschaften resp. deren Zusammenschlusse vermehrt strategische Planungen, wobei die Anlasse und die Zielsetzungen nach Stadt- resp. Regionstyp und nach okonomischer Lage variieren. Wahrend sich die bedeutendsten europaischen Stadte in „Metropolregionen" an Schnittpunkten Uberregionaler Verkehrswege aufstellen, kampfen kleinere GroBund Mittelstadte um ihre „Sichtbarkeit", wahrend sich kleinere Stadte und Ge^ Es ist uberraschend, dass uber die Struktur und die Entwicklung der WohnbevOlkerung so wenige sinnvolle statistische Informationen vorliegen, denn die in der Amtlichen Statistik gesammelten Daten beziehen sich ausschliefilich auf soziodemographische Strukturen, deren Erklarungskraft filr Einstellungs- und Verhaltensunterschiede in der Bevolkerung jedoch gering und abnehmend ist. Markt- und Wahlforschung sowie ein Teil der Ungleichheitsforschung bauen daher auf dem Milieuansatz auf, dessen Effektivitat jedoch auf kleinrSumiger Ebene noch nicht belegt werden konnte (vgl. J.S.Dangschat 2007b). ^ In diesem Zusammenhang ist es verwunderlich, welch eine geringe Rolle Gesellschaftsanalysen in der Forschungspolitik spielen. Die Mittel werden in massiver Weise auf die Hoffnungstragerlnnen der technologischen Entwicklung und naturwissenschaftlichen Forschung gelegt, die dem wirtschaftlich-technologischen Wettbewerb dienen, ohne jedoch die Auswirkungen auf die Okologie, die vorhandenen Ressourcen (vgl. A. Keller 2003) oder gar die Auswirkungen auf die BevOlkerung bezuglich der Zunahme von Technik-Risiken (vgl. U. Beck 1986) zu beachten. Zusatzlich schlagt sich die zunehmende Trennung in Modemisierungsgewinnerlnnen und -verliererInnen (vgl. J.S. Dangschat 1999b) zunehmend auch regional differenziert nieder (vgl. H. Kramar 2006).
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meinden zu „Themenregionen" zusammenschlieBen. Dort, wo die Not die Tugend beherrscht, werden Nachhaltigkeit und Traditionsorientierung betont (vgl. H. Liebmann/ T. Robischon 2004), an den groBeren Orten wird eher auf die immer gleichen Wachstumspfade gesetzt: Medizin- und Nano-Technologien, Material- und Werkstoffentwicklung, Informations- und Kommunikationstechnologien, High-Tech-Produktionen, „creative industries", Medien, untemehmensbezogene sowie forschungs- und wissensbasierte Dienstleistungen etc.. Um die Wachstumspfade nutzen zu konnen, bedarf es des Ausbaus des Bildungssystems und der Gestaltung von Mikrostandorten hoher Lebensqualitat. Diese Wachstumsorientierungen werden als Stadt-AuBenpolitik „political correct" zumindest symbolisch in Strategien der kulturellen Vielfalt, der regionalen Spezifik, des Umweltschutzes und der „social cohesion" sowie der individuellen Freiheit konsumgiiterorientierter Lebensstile und der technischen sozialen Kontrolle der zentralen und transitorischen Raume eingebunden (vgl. G. Pirhofer 2005). Die groBen GroBstadte, die Agglomerationen und die Tourismusregionen wenden sich daher mit ihren Strategien eher an „KundInnen" von auBen, um ihren Standort fiir Messen, Kongresse, Direktinvestitionen resp. im Zuge eines bedeutsamer werdenden Stadtetourismus durch Events entsprechend zu positionieren, wahrend sich Mittelstadte und kleinere GroBstadte ebenso wie tourismusfeme Regionen eher an die lokale bzw. regionale Bevolkerung und die ansassigen Unternehmen wenden. Bei alien Strategien geht es vor allem um ein angemessenes Mischungsverhaltnis aus Kooperation und Konkurrenz, denn Strategien basieren in der Regel auf Zusammenschltissen (in der Agglomeration, in neuen Regionen, in Staatenbiindnissen wie der EU etc.), um auf der nachst hoheren MaBstabsebene erfolgreicher konkurrieren zu konnen. Ausloser der strategischen Positionierungen sind in der Regel sehr einheitliche Deutungen der „Herausforderungen durch die Globalisierung", was durchgangig zu einer moglichst raschen und konsequenten Offnung zu den international agierenden MarktkrSften fuhrte, um Arbeitsplatze zu sichem resp. die wirtschaftliche Bedeutung des Standortes auszubauen. Diese dominante Wettbewerbs- und Konkurrenzsicht wird - je nach lokaler Kultur - mehr oder weniger eindeutig mit Zielen der Nachhaltigkeit verbunden^, insbesondere mit dem Umweltschutz (Lebensqualitat), dem sozialen Zusammenhalt (Gerechtigkeit und Sicherheit) sowie der kulturellen Vielfalt (von der Integration von Zugewander^ An dieser Stelle kann bereits bezweifelt werden, ob strategische ZusammenschlUsse auf der nachst hoheren Ebene Kriterien der Nachhaltigkeit erfiillen kOnnen, denn es wird auf diese Weise das Konkurrenzprinzip verscharft und die „Optimierung" wird nahezu ausschlieBlich auf 5konomische Ziele gerichtet.
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ten und der neuen Lebensstile bis bin zum „gender mainstreaming"), ohne jedoch die Widerspruchlichkeiten der Zielsetzungen zu thematisieren, welche gegenwartig in entscheidendem AusmaB das lokale bzw. regionale Governance bestimmen. In dieser zunehmenden strategischen Orientierung hat die Stadt- und Regionalplanung ein unterschiedliches Gewicht gehabt (vgl. W. Salet/ A. Faludi 2000b: 2-3). Zudem wird die Rolle der Stadt- und Regionalplanung aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, je nachdem, wie Planung als „eingebettet" gesehen wird (in den gesellschaftlichen Wandel oder in die Ansatze zur Verwaltungsmodemisierung). In der Literatur zur Planungstheorie werden aktueil drei Ansatze gegeneinander abgegrenzt, die zum einen die „neue Planungskultur" aus unterschiedlichem Blickwinkel betrachtet und die von W. Salet/ A. Faludi (2000b: 7-9) in eine zeitliche Abfolge gebracht werden^: • •
Der interaktive Ansatz seit den 1980er Jahren (vgl. J. Habermas 1993; E.R. Alexander 2000; J. Innes/ D. Booher 2000), der kommunikative resp. Diskursansatz, der wahrend der 1990er Jahre popular wurde (vgl. K. Selle 1994, 2000; P. Healey 1997a; H. Blotevogel 2000; M. Hajer 2000; H. Mastorp 2000; M. Rein/ D. Laws 2000; H. Sinning 2003), und die institutionellen Ansatze (J.G. March/ J.P. Olson 1989; P. Healey 1997b; A. Kreukels 2000; W. Salet 2000; A. Thomley 2000) seit dem Ende der 1990er Jahre.
Der interaktive Ansatz wurde entwickelt, weil sich die Einsicht durchsetzte, dass mit der rationalen, eindeutigen top-down-Planung viele Ziele nicht erreicht werden konnten. Hier ging es darum, den Blick auf weitere zentrale Akteurlnnen auszuweiten, die bei der Raumentwicklung von Bedeutung sind, und sie angemessen in den Planungsprozess zu integrieren - hier gibt es eine Reihe von Parallelen zu der postfordistischen Ausweitung der korporativen Netzwerke. In diesem Zusammenhang wurden auch die bottom-up-Planungsansatze mit der traditionellen top-down-Planung in Zusammenhang gebracht (Gegenstromprinzip). Der kommunikative Ansatz baut auf dem interaktiven auf und stellt die Notwendigkeit erweiterter Kommunikation und Diskurse in den Mittelpunkt, was letztlich den Blickwinkel auf eine Stadt- und Regionalplanung in ihrer moderie^ Hierzu kann eine Parallele zur „policy analysis" gezogen werden: Anfangs stand der institutionelle Aufbau von Verwaltungen und politischen Einheiten im Mittelpunkt, bevor das Pendel zum Blick auf die Aktionen der Akteurlnnen ausschlug. Heute betrachtet man „geframte Akteurlnnen" resp. „akteurszentrierte Netze", d. h. man betrachtet, wie die handelnden Personen ihre Spielraume im Rollenspektrum nutzen, wie sie kooperieren resp. Allianzen schlieBen etc. (vgl. A. H6ritier 1993).
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renden und mediativen Rollen offiiete. In diesem Zusammenhang werden tiber Planungsaufgaben die allgemeinen gesellschaftlichen Herausforderungen diskutiert und zu lokalen bzw. regionalen Diskursen und Leitbilddebatten gestaltet. In beiden Ansatzen stehen die Akteurlnnen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die institutionellen Ansdtze stellen wiederum die jeweiligen Kulturen von Gebietskorperschaften, von Politikfeldem und von Amtem in den Mittelpunkt des Interesses, w^elche die Spannweite des Denkens und Handelns der Planenden in starker Weise pragen. Sie setzen sich daher mit der Analyse von Macht- und Herrschaftsverhaltnissen sowie Legitimationsherausforderungen der Politik, Verwaltung und der Wirtschaft auseinander (vgl. P. Healey 1997b; A. Kreukels 2000; W. Salet 2000; A. Thomley 2000). 3
Herausforderungen durch den „strategic shift"
Wenn sich Stadte, Regionen und Nationalstaaten unter der Zielsetzung einer Verwaltungsmodemisierung an Managementmustem aus der Wirtschaft orientieren, setzt dieses voraus, dass sie sich in einer ahnlichen Rolle wie Wirtschaftsuntemehmen sehen, zumindest, dass Telle der Verwaltung sich starker an Kriterien der Effizienz und Effektivitat orientieren sollten. Diese Neupositionierung ist von verschiedenen Seiten als „Okonomisierung" von Wohlfahrtsstaat und Solidaritatssystemen kritisiert worden, well damit vom Ziel der Mehrung des Gemeinwohls zu Gunsten einer eher betriebswirtschaftlichen Optimierung kommunaler resp. nationaler Haushalte abgegangen wird (vgl. J.S. Dangschat 1999b; B. Scholl 2005). Diese Okonomisierung des Gemeinwesens lasst sich aus grundlegenden Problemen des PAS wie Ineffizienz, Steuerungsverlust, Verlust an Vertrauen und Loyalitat, Verschuldung, Perspektivlosigkeit und iiber eine „Cberforderung" von Steuerungsinstrumenten und -kapazitaten interpretieren („Staatsversagen"). Die Okonomisierung v^urde zudem durch die Reaktion der EU auf die „Herausforderungen der Globalisierung" forciert, die infolge des wirtschaftlichen Interesses an der Schaffiing eines vergroBerten Binnenmarktes zu einer Starkung der Fiskalpolitik und in diesem Zuge zu einem Bedeutungsgewinn okonomischer Kategorien bei der Zielsetzung politisch-administrativer Entscheidung gefiihrt hat. Haben Sozialpolitikerlnnen lange die (fordistische) Politik Europas bestimmt, so wird der Ubergang zum Postfordismus insbesondere durch Etatistlnnen und Wirtschaftspolitikerlnnen bestimmt. Die Folge ist eine strenge Konsolidierungspolitik der Haushalte - haufig und iiberwiegend zu Lasten der Sozial-
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haushalte, zu Lasten „alter Okonomien" und deren Standortregionen und gegentiber den unteren Einkommensschichten (vgl. J. Bogumil/ L. Holtkamp 2004). In diesem Zusammenhang ist auch die hohere Durchlassigkeit nationaler „Erfindungen" von Regulationsweisen bedeutsam. Ideologische Vorreiter waren nicht nur die neoliberale Regierungsform von Margret Thatcher, die zu starken wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten in GroBbritannien beigetragen, wenn diese nicht sogar verursacht hat, sondem auch die Reformen des sog, „Dritten Weges", in deren Zuge Anthony Giddens, mittlerweile Direktor der London School of Economics^, zum „Chefideologen" modemer sozialdemokratischer Parteien aufstieg^. Viele der in GroBbritannien entwickelten Formen der Analysen des „local state", der Politikberatung sowie der Umsetzung in den Feldem von Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Wachstumspolitik auf der einen und denen mit dem Ziel der Verbesserung der „social cohesion" wie Quartiersmanagement („area based initiatives"), Regionalmanagement, Schul- und Integrationspolitik auf der anderen Seite wurden zum Vorbild fur die Administrationen und politischen Entscheidungsgremien in Brtissel (vgL A. Breitfuss et al. 2004; E. Antalovsky et al. 2005). Ein anderer wichtiger AnstoB wurde durch die Verwaltungsreform in der niederlandischen Stadt Tilburg gegeben, welche unter geringfiigiger Modifikation von einer Reihe europaischer Nationalstaaten iibemommen und als „Blaupause" fur die jeweiligen Stadte ausgearbeitet wurde (flir Deutschland vgl. KGSt 1993; J. Bogumil/ L. KiBler 1997; die Stadt Wien hat sich auf Grund der Sonderstellung in dem durch Klein- und Mittelstadte gepragten osterreichischen Stadtesystem ebenfalls dazu entschlossen, das deutsche Modell zu ubemehmen). SchlieBlich wirken sich die strategischen Orientierungen der EU zur Gestaltung einer nachhaltigen europaischen Politik^ ebenso „vereinheitlichend" aus (Vertrage von Lissabon und Goteborg) wie das Prinzip der Subsidiaritat, welches das Prinzip der vertikalen Politikverflechtung regeln und intensivieren soil.
^ Interessant und mehr als nur ein Zufall: Auch sein Vorganger war ein Soziologe; Lord Raif Dahrendorf war jedoch ein Liberaler aus der sozialliberalen Schule, der sich beispielsweise wiederholt gegen den Neoliberalismus als angemessene Antwort auf die Herausforderungen durch die Globalisierung ausgesprochen hat. ^ Eine ahnliche, wenn auch vergleichbar kleinere Rolle spielt in Deutschland Ulrich Beck - zusammen mit Meinhard Miegel, langjahriger Berater und „Kampfgef^hrte" des damaligen Sachsischen Ministerprasidenten Kurt Biedenkopf- als sozialwissenschaftlicher Berater der „Zukunftskonferenz der Freistaaten Bayem und Sachsen", der zusammen mit Anthony Giddens die „Zweite Modeme" analysiert und an dessen LSE eine Gastprofessur innehat; auch er hatte einen zumindest vorubergehenden Beraterstatus fur den damaligen deutschen Bundeskanzler, Gerhard Schroder. ^ Hier kann und soil nicht auf die inhaltliche Bedeutung dieser Zielsetzung eingegangen werden, die nach einer kurzen Phase der Offnung einer breiten Politikausrichtung emeut Wirtschaftswachstum und WettbewerbsfUhigkeit in den Vordergrund riickt.
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Das Ergebnis der „neuen Stadtpolitik" wird meist mit dem Begriff „Govemance" belegt, wobei hiermit sehr unterschiedliche Aspekte angesprochen werden: • • • • •
Die Ausweitung der Zahl und der Art der korporatistischen Akteurlnnen, das Verbinden formaler, rechtlich eindeutiger Entscheidungen mit informellen Aushandlungsprozessen, das starkere Durchdringen oftmals gegeneinander abgeschotteter Verwaltungsstnikturen zwischen den einzelnen Ressorts (horizontale Integration), das starkere Durchdringen der gebietskorperschaftlichen Hierarchien im Zuge der Subsidiaritat durch die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen nach unten und auBen (vertikale Integration) und das Verlagem ehemals staatlicher Aufgaben auf die supranational Ebene (EU) resp. auf die Region (beispielsweise durch die Metropolregionen) oder das Quartier^^.
In jedem Fall wird durch den Ubergang zum Postfordismus der Kreis derer, die in politische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden, schrittweise ausgeweitet (beispielsweise private Wirtschaftsbetriebe im Zuge ausgeweiteter Public Private Partnerships^^ resp. durch organisierte Vertreterlnnen der Zivilgesellschaft) und die Kompetenzen der einzelnen Akteurlnnen werden Anlass bezogen erweitert (vgl. dazu die theoretische Begriindung fur die Notwendigkeit der Ausweitung im flexiblen Postfordismus bei J. Esser/ J. Hirsch 1994; B. Diettrich 1999; L. Kohlmorgen 2004). In diesem Zuge werden auch die Aushandlungsformen vielfaltiger, wobei die Koordination von Netzwerken und verschiedene Formen der Partizipation an Bedeutung gewinnen - zum einen innerhalb entsprechend groBer Programmatiken (wie der Etablierung eines Systems von Metropolregionen oder der Programme zur Intervention in „problematischen Stadtteilen" (nationale Programme, aber auch seitens der EU durch URBAN und Zielgebiet 2), zum anderen durch die Zunahme „freiwilliger" Partizipationsverfahren auf Initiative von Kommunen. Hier allerdings unterscheiden sich die Partizipationskulturen zwischen den Gebietskorperschaften in erheblichem AusmaB. Zudem eroffnen sich zumindest in einigen Politikfeldem die ^' ^ Hierbei entstehen vOllig neue Herausforderungen. Die (west)europaischen Nationalstaaten verfiigen iiber relativ gut etablierte Verwaltungseinheiten auf nationaler, Lander- und Gemeindeebene mit entsprechender demokratischer Legitimation (mit Unterschieden zwischen den Zwei- und DreiEbenen-Systemen). Diese werden nun durch strategische Konstellationen auf den Zwischenebenen (EU, Metropolregion, Stadtquartier) erganzt resp. bisweilen auch ausgehebelt. '^ Hierbei werden nicht nur private Untemehmen haufiger und intensiver in Entscheidungsprozesse eingebunden, sondem die Gebietskorperschaften werden haufig auch von sog. Intermediaren Organisationen vertreten, die durch das Outsourcen von Aufgaben entstanden sind, die vordem innerhalb des PAS durchgefiihrt wurden.
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Moglichkeiten, den top-down vorgegebenen Zielen des „good governance" nachzukommen und hiermit neue politische Kulturen zu entwickeln (vgl. J. Bogumil/ L. Holtkamp 2004: 148-149).
Abbildung 1:
Der tJbergang vom fordistischen Dreieck der Regulation (innen) zum postfordistischen (aussen) (eigene Graphik)
Wie Abb. 1 zeigt, verschiebt sich im Rahmen des „new government" das fordistische (west-)europaische Dreieck aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu einem neuen postfordistischen System, das starker auf Aushandlungen beruht. Dazu sind im ersten Schritt Veranderungen an den Ecken notwendig: neue Managementmodelle in den Untemehmen als Reaktion auf die Herausforderung globalisierter Markte, aber auch neue Formen der Ubemahme von Verantwortung fur das Gemeinwesen bei den Untemehmen (durch
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• •
Jens S. Dangschat Stiftungen resp. MaBnahmen im Zuge einer „corporate social responsibility"), neue Verwaltungsmodelle bei den Gebietskorperschaft (new public management), um Effizienzdefizite zu tiberwinden, Legitimationsprobleme aufzufangen und die fiskalischen Engpasse abzufedem und eine Formierung der privaten Haushalte zu politikfahigen Einheiten der Zivilgesellschaft (von NGOs zu Formen des Ehrenamtes), um eine neue politische Offentlichkeit im Zuge einer deliberativen Demokratie zu etablieren.
Diese institutionellen Verschiebungen bewirken (sind aber auch Folge von) neue(n) Beziehungen entlang der Seiten der Dreiecke, die noch im Fordismus durch fixe Regelungen des Staates und des Arbeitsmarktes gepragt waren. In den aktuellen Regelungen werden insbesondere die den Postfordismus kennzeichnenden neuen Aushandlungsformen des Governance hervorgehoben. „Kooperativer Staat" und eine „neue Planungskultur" bedingen daher einander und finden gleichermaBen in zunehmend strategischen Positionierungen ihren Ausdruck. 4
Warum suchen (fast) alle Stadte ihr Heil in der gleichen Flucht?
Betrachtet man die strategischen Konzepte europaischer GroBstadte vom Ergebnis der Plane resp. der strategischen Positionierungen sowie deren Entstehungsgeschichte her, ist man verwundert, wie ahnlich die „individuellen" Konzepte fur die Gestaltung der Zukunft der Stadte sind. Selbst wenn man in einem Kontinent wie Europa (zumindest in einem vereinheitlichenden Geltungsbereich wie dem der EU) davon ausgehen kann, dass die Globalisierung in ahnlicher Weise wirkt^^, ist dieses Ergebnis vor dem Hintergrund der Notwendigkeit zur Betonung der Alleinstellungsmerkmale der Stadte im Stadtewettbewerb zumindest iiberraschend. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Strategien europaischer GroBstadte lassen sich nach Inhalten, Diskursen und strategischen Allianzen unterscheiden. *^ Bereits hier soil darauf hingewiesen werden, dass zwischen Wirkungsweise (als „driving force" Oder traditionell: als Ursachenkomplex) und Erscheinungsform unterschieden wird (vgl. J.S. Dangschat 1999b; J.S. Dangschat/ B. Diettrich 1999, B. Diettrich 1999). Das bedeutet, dass die Regionen, Branchen und sozialen Gruppen Europas in ahnlicher Weise von Globalisierung „herausgefordert" sind; wie sich das jedoch auswirkt, ist in starkem MaBe von den lokalen und regionalen - nach Branchen, sozialen Gruppen und Stakeholderlnnen unterschiedlichen Bedingungen abhangig und fiihrt als Prozess der „glocalisation" zu durchaus verschiedenen Formen des Arbeitsmarktes, der WettbewerbsfUhigkeit, der sozialen Integration resp. der Steuerungslogik des PAS und der Zivilgesellschaft.
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4.1 Inhalte Die Inhalte der Strategiepapiere der meisten Stadte orientieren sich sehr stark an der vorherrschenden Lesart der „Herausforderungen durch die Globalisierung". Globalisiemng bedeutet eine zunehmende Ablosung der Wertschopftingsketten aus ihrer ortlichen Bindung und damit, dass eine lokale oder auch nationale Steuerung die Standortsicherung der heimischen Untemehmen nicht mehr gewahrleisten kann. Das hat wiederum zur Folge, dass sich Stadte und Regionen in die Konkurrenz um Investitionen, Firmenansiedlungen und die Lebensqualitat des Standorts begeben und die bestehende lokale Okonomie zunehmend umsorgen. Das wiederum ftihrt zu MaBnahmen, die das „wirtschaftsfreundliche Klima" unterstutzen, die kulturellen Highlights fordem, den Freizeitsektor modemisieren und die lokalen Messe-, Event- und Einkaufsgelegenheiten starken. Das Verstandnis einer Gebietskorperschaft mutiert so zu dem eines Untemehmens. Inhaltlich wird demzufolge sehr stark die (Steigerung der) Wettbewerbsfahigkeit betont, was durch MaBnahmen eines effizienteren Mitteleinsatzes sowie eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verwaltungsvorgange erzielt werden soil. Zielsetzungen und MaBnahmen eines new public managements sind demzufolge sowohl Folgen wie auch Voraussetzung zu einer weiteren Starkung der Wettbewerbsfahigkeit. Die Ubemahme von Formen einer betriebswirtschaftlichen Optimierung durch die bislang an der Steigerung des Gemeinwohls orientierten offentlichen Einrichtungen (Verwaltung, offentlicher Wohnungsbau, aber auch die Tragerlnnen der Wohlfahrt, die Kirchen, Kammern und Verbande) fiihrt neben deren „lean management" dort jedoch auch zu veranderten Zielsetzungen. Als Voraussetzung von Wettbewerbsfahigkeit wird vor allem die Wissensentwicklung als wichtigster Ressource der neuen Dienstleistungsgesellschaft angesehen. Dabei wird eine effektivere Vermittlung von fachlich spezialisiertem Wissen durch miteinander konkurrierende Institutionen (Universitaten vs. Fachhochschulen vs. private Institutionen) als Daueraufgabe angesehen (lebenslanges Lemen). Wissen wird in diesem Zusammenhang jedoch meist auf das berufsqualifizierende Wissen reduziert, wobei das technisch-naturwissenschaftliche Wissen fiir wesentlich bedeutsamer gehalten wird als das Wissen um sozialwissenschaftliche, padagogische, juristische oder historische Zusammenhange. Zudem scheinen Alltagswissen, Lebenserfahrung, soziales und kommunikatives Wissen in diesen Debatten keine Bedeutung mehr zu haben. Wie fatal das ist, erkennt man darin, dass jene Wissensvorrate in ihrer Qualitat tiber die Zeit zunehmen und eben keine kiirzer werdenden Halbwertszeiten aufweisen. Wer also von einem (zunehmenden) Verfall des Wissens spricht, reduziert seine Sichtweise auf die zur Steuerung modemer Gesellschaften notwendigen Wissensvorrate erheblich.
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Trotz alien Glaubens an die zentrale Bedeutung einer elektronischen Vernetzung wird die physische Erreichbarkeit (Ausbau der Flughafen, Anbindung der Flughafen, TEN-Knoten, Kreuzungspunkt von Hochgeschwindigkeitsstrecken und Autobahnen, System von Gtiterverteilzentren) betont. Der Personen- und Warenverkehr soil auch dann noch ungehindert flieBen, wenn die erwarteten Steigerungsraten der Verkehrsentwicklung eintreffen sollten. Allenfalls im Personenverkehr soil der Modal Split zu Gunsten des Offentlichen Personennahverkehrs (OPNV) verschoben werden - keine Rede ist von einer Steuerung des Freizeitverkehrs oder einer veranderten Form des Guterverkehrs. Gegen die Tendenz der Vereinheitlichung - hier wird interessanterweise mehr auf die Architektur, die Lebensstile, die Normen und Werte verwiesen soil das „Lokale" in seiner Eigenart gefordert, gestarkt und hervorgekehrt werden. Die Identitaten der Bewohnerlnnen, die corporate identity des Standortes, die Betonung der Eigenart und des kulturellen Erbes sowie die Nische der eigenen Starken dienen hierbei als Bezugspunkte. Die Unterschiede innerhalb der Teilstrategien sind gegeniiber den enormen Gemeinsamkeiten eher gering. Sie beziehen sich vor allem auf das Gewicht, das den einzelnen Aspekten beigemessen wird, was wiederum von den lokalen Gegebenheiten abhangig ist. Eine Stadt mit massiven Arbeitsmarktproblemen stellt die Schaffung von Arbeitsplatzen und die Qualifikation der Beschaftigten in den Vordergrund, Stadte mit massiven Infrastrukturproblemen thematisieren den investiven Bereich oder die Entwicklungsschritte der Logistik besonders stark. Gut situierte Stadte bzw. Stadtregionen betonen die Freizeit- und Wohnqualitat. Eine nachhaltige Entwicklung der Stadt(region) wird in alien StSdten proklamiert, jedoch mit einem deutlich unterschiedlichen Gewicht und Verstandnis des Nachhaltigkeits-Begriffes. Dabei reicht die Spanne der Verwendung des Begriffes von der Verbeugung vor aktueller political correctness und tagesaktueller Begrifflichkeit bis hin zu ansatzweiser Emsthaftigkeit der Umsetzungsziele (insbesondere im Zusammenhang mit Umweltschutz und Lebensqualitat). Insbesondere Barcelona thematisiert die nachhaltige Entwicklung in besonderer Weise; die Ursache hierflir liegt aber auch in der lange vemachlassigten Umweltdimension, die auch hier eindeutig im Nachhaltigkeitsdiskurs iiberwiegt. Auch die Problematik der Entwicklung der gegenwartigen (Stadt-)Gesellschaften wird angesprochen, aber hier in noch starkerem MaBe in unterschiedlicher Intensitat und Differenziertheit. Das ist insbesondere auf das unterschiedliche AusmaB der wahrgenommenen sozialen Problematik zurlickzufiihren. Demographische Strukturen (Uberalterung und Zuzugskontrolle) stehen hierbei im Vordergrund, Arbeitslosigkeits- und Armutsentwicklung, Integrationsprobleme von Zuwandererlnnen und deren Familien und insbesondere die raumliche Konzentration sozialer Problematik wird bisweilen sogar ausgeklammert.
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4.2 Diskurse und Events Erhebliche Unterschiede zwischen den Stadten gibt es ganz offensichtlich hinsichtlich der Form der Diskussion der Strategiepapiere und deren Instrumentalisierung - das soil an den Beispielen von Wien und Berlin naher erlautert werden. Das Strategiepapier „Qualitat verpflichtet - Innovationen fur Wien" (Stadt Wien 2000)^^ ist aus der Initiative des politisch-administrativen Systems der Stadt Wien entstanden. Vor dem Hintergrund einer immer noch starken traditionellen fordistischen Strukturierung des umfangreichen offentlichen Sektors der Stadt ist dieses als ein deutlicher Hinweis auf das Bemiihen um modemisierte Verwaltungsstrukturen zu sehen. Diese Eigeninitiative zeigt jedoch auch, dass die Interessens- und Machtstrukturen des ohnehin weit gespannten korporatistischen Systems der Stadt Wien durch die Modemisierung von innen erhalten und gestarkt und nicht (zu sehr) der Einflussnahme von auBen ausgesetzt werden sollen (vgl. kritisch SeiB 2007). Enge Verknupfungen zwischen (Partei-)Politik und Verwaltung haben zu einem Motivationsschub der Verwaltung gefiihrt, der in einer breiten und differenzierten Liste von Ideen, Vorschlagen und Wiinschen miindete. Zudem wurden die strategischen Ziele mit einer Reihe von Projekten verkntipft, die teilweise bereits genehmigt, zumindest aber in der planerischen Vorbereitung waren. Ein sichtbares Umsetzen der Ziele wurde also gegentiber dem Vorwurf priorisiert, man verkaufe alten Wein in neuen Schlauchen. Die ursprtingliche „Wunschliste" wurde in der nachsten Runde jedoch iiber ein „Konsensverfahren" der Koalitionsparteien SPO und OVP an vielen Stellen dezimiert, indem Aspekte oder ganze Themenfelder herausgenommen wurden (beispielsweise die Integrationspolitik). Der anschlieBende Offtiungsprozess zur Beteiligung umfasste lediglich eine kleinere Gruppe interessierter Fachleute (inkl. der parteipolitischen Opposition) und war nicht als dauerhafter Diskurs intendiert. Die Rolle der Beraterlnnen wurde neben der Presentation und Diskussion der fachspezifischen Sichtweisen vor allem iiber die strategische Linie zwischen einer emeuten Ausweitung der Inhalte und MaBnahmen und der Akzeptanz der Regierungskoalition bestimmt. Diese Gruppe war insofem erfolgreich, als bereits gestrichene Themen wieder aufgenommen wurden und es ansatzweise gelang, die Zusammenhange zwischen den Trends und den Entwicklungszielen in ihrer Ambivalenz zu verdeutlichen. Bereits kurz darauf musste das Strategiepapier jedoch tiberarbeitet werden (vgl. Stadt Wien 2004). Die Erweiterung der EU nach Stidosteuropa, die Schaf^^ Die Strategiepapiere sind im Kontext mit den Stadtentwicklungsplanen (STEP) von 1994 und 2005, welche die Entwicklungsraume nach der Art und Intensitat der Nutzung zum Gegenstand haben, sowie den Masterplanen fur die Verkehrs- und GrUnraumentwicklung sowie dem Klimaschutzprogramm (KliP) zu sehen.
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fung der GroBregion „Centrope", die Gebiete aus vier Nationalstaaten umfasst, und veranderte Wachstumsraten der Bevolkerung^"* und des Arbeitsmarktes haben dieses notwendig gemacht. Der Anlass war jedoch, dass die Parteifarbe des Amtsfuhrenden Stadtrates fiir Planung und Verkehr gewechselt hat. Das Berliner Strategiepapier hingegen hat einen ganz anderen Verlauf genommen. Die EU zeigte ein unmissverstandHches Interesse an dieser Stadt, welche nicht nur die Vereinigungserfahrung unmittelbar erlebt und erarbeitet hatte, sondem die auch einen enormen okonomischen und administrativen Modemisierungsbedarf aufwies. SchlieBlich ist sie als die neue deutsche Hauptstadt ein Ort rascher Entwicklung im investiven, administrativen, kulturellen, wirtschaftlichen und demographischen Bereich. Die Stadt nahm die Herausforderung zur Formulierung einer Entwicklungsstrategie nur zogerHch und in sehr unterschiedlicher Intensitat an. Sie beauftragte dazu ein Team renommierter Wissenschaftlerlnnen, das zu diesem Zwecke zusammengestellt wurde. Das Berliner Papier thematisiert sehr deutlich die Ambivalenz der gegenwartigen und absehbar kiinftigen Entwicklungen, indem die Zusammenhange zwischen Wirtschaftswachstum und soziookonomischer Differenzierung, Individualisierung und Integration aufgezeigt werden. Es beinhaltet dabei unterschiedliche Positionen (entsprechend der Bandbreite der Diskurse zur Stadtentwicklung in den Sozialwissenschaften, der sozialen Ungleichheitsforschung sowie zur Steuerungsrolle des „lokalen Staates"). Dass dieser wissenschaftliche Diskurs erstens in einer Zeit groBer Entwicklungsdynamik keine eindeutigen Ergebnisse erbringen kann („neue Uniibersichtlichkeit") ist ebenso eindeutig wie die Tatsache, dass diese Ergebnisse ungefiltert nicht in das PAS libemommen werden. In diesem Zusammenhang hat ein externes, von Dritten finanziertes Gutachten jedoch besondere Durchsetzungsschwierigkeiten. Daher wurde darauf im PAS der Stadt BerUn sehr unterschiedHch reagiert (von dem Abtun als unleserliches Elaborat von „Eierkopfen" bis zur Ubemahme von Teilen der Argumente in der Fachpolitik und -verwaltung). Gegenwartig geht der Regierende Biirgermeister davon aus, dass nur diejenigen Aspekte aus dem Gutachten weiterverfolgt werden, die nicht im Widerspruch zur Koalitionsaussage der regierenden Parteien stehen. Telle der Gutachterlnnen haben sich jedoch - diese Reaktion vorausahnend - um eine groBe Verbreitung des Gutachtens innerhalb der auBerparlamentarischen zivilgesellschaftlichen Strukturen bemiiht, in der Hoffiiung, einen breiten und lang andauemden Diskurs auszulosen. Strategiepapiere sind also nicht der „Wahrheit" verpflichtet. Das Ziel ist vielmehr eine bestimmte Sichtweise auf Probleme und deren Losungsmoglichkeiten einzunehmen resp. zu verandem, damit daraus fiir die Stadtregion Vorteile Die Stadtverwaltung geht in ihren Prognosen davon aus, dass Wien bis zum Jahr 2035 durch den Zuwachs von ca. 236.000 Menschen nahezu die 2-MilIionen-Grenze erreicht (vgl. Fellner 2007: 1).
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entstehen. Die Vertreterlnnen des PAS der jeweiligen Stadte sehen dieses vor allem durch gute Selbstdarstellungen gewahrleistet. Das wirft jedoch lediglich ein gutes Licht auf die Verwaltung und mag im nachsten Kommunalwahlkampf zur Selbstdarstellung dienen. Als „forerunner" lasst sich auch das Image der Stadt verbessem, indem Strategiepapiere als Beweis erfolgreicher Modemisierung herangezogen werden. Das LFbersehen von Zusammenhangen (insbesondere zwischen der Wettbewerbsorientierung und der Kohasion) beeintrachtigt jedoch die Steuerbarkeit der Entwicklungen, eine (parteipoHtische) Schere im Kopf, ein Denk- und Diskussionsverbot der Tabuthemen und ein Ausblenden der Probleme kann die Situation der Stadt jedoch weiter verschlechtern. Strategiepapiere zu entwickeln, einen hohen Konsens innerhalb des PAS herzustellen und die gesamte Aktivitat offensiv zu vermarkten, reicht also nicht aus; es miissen die nahe liegenden Fehler vermieden werden. 4.3 Strategische AIHam en GroBstadte und Stadtregionen folgen nahezu ausschlieBlich der Idee des strategischen Zusammenschlusses, um erfolgreicher zu konkurrieren. Dabei liegen die Zusammenschliisse vor allem auf zwei Ebenen: der lokalen bzw. regionalen und der „auBenpolitischen". Beim ersteren geht es darum, die Kemstadt-Umland-Beziehungen neu zu formulieren. Dies stellt die „dritte Phase" der Beziehungen^^ dar, bei der die Partnerlnnen „auf gleicher Augenhohe" verhandeln und die Synergieeffekte zu nutzen verstehen. Auf dieser Ebene wird haufig das Ziel verfolgt, den unzureichenden Finanzausgleich in der Interessensgemeinschaft „Region" angemessener zu gestalten, gleichzeitig aber auch, um Verkehrs- und Siedlungsentwicklung zu koordinieren und einigermaBen nach Kriterien der Nachhaltigkeit zu organisieren^^. Die zweite, eher strategische Ebene wird entweder durch die geographische Nahe (klassische Regionsbildung, als „Metropol-Region" in groBerem MaBstab und mit veranderten Zielen, siehe unten) oder durch wirtschaftliche Verflechtun-
*^ Phase I: Starkes wirtschaftliches und Bev5lkerungswachstum der Kemstadt bei eher schwachem, wenn auch heterogenem Umland; Eingemeindungen fiihren zu einer Ausweitung auch des Verwaltungshandelns; Phase II: „SpeckgUrter'-Effekte mit tendenzieller Desurbanisierung, Abwanderung von Kaufkraft und Arbeitsplatzen, Autonomic von (starken) Umlandgemeinden; vgl. K. Brake et al. (2001). '^ Das weitest gehende Model! stellt in Deutschland die Region Hannover dar, wobei die Kemstadt zugleich Landeshauptstadt von Niedersachsen - einen groBen Teil der gebietskOrperschaftlichen Rechte und Pflichten an die Region Hannover abgegeben hat (vgl. A. Priebs 2002).
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gen bestimmt^^ (Netze, keine durchgangige Regionen, branchengleich resp. Synergien durch vor- und nachgelagerte Produkte und Dienstleistungen). Hier lassen sich zwei grundsatzliche Modelle unterscheiden: Stadtenetzwerke zwischen eher gleich starken, eher mittelgroBen Stadten (Tourismusregionen, aber auch „Stadtebander" wie in Thiiringen) resp. GroBstadte zumindest europaischer Bedeutung, die ihr Hinterland vergroBem und dort versuchen win-win-Strategien zu erreichen. Gerade die Metropolregionen gelten momentan auf nationaler und EUEbene als ideale Aktionsebene. Ihnen wird nicht nur zugetraut, dass sie sich erfolgreich im europaischen Wettbewerb aufstellen, sondem auch die EU als Wirtschaftsraum wettbewerbsfahig entwickeln („Starken starken"). Ihnen wird auch die Aufgabe der „territorialen Kohasion" zugetraut, d. h., dass durch sie der soziale Zusammenhalt in der Region gewahrleistet wird. Diese Annahme ist auf Grund dreier Aspekte hochst problematisch: 1.
2.
3.
Die zentrale These ist, dass eine Metropolregion eine neue „Solidargemeinschaft" werden kann und soil - wie die Anteile von Investitionen und Einnahmen aufgeteilt werden ist jedoch Verhandlungssache; zudem ist die Frage, wie die vorhandenen Mittel eingesetzt werden, vollig offen. Damit wird die Solidargemeinschaft „Nationalstaat" ausgehebelt, zumindest geschwacht, d. h. die Forderung nach national gleichwertigen Lebensverhaltnissen gilt nicht mehr - die Folge ist, dass die Unterschiede zwischen den Teilregionen eines Landes deutlich zunehmen werden; insbesondere die Raume auBerhalb der Metropoh-egionen werden deutlich verlieren. Zudem ist eine verbesserte Konkurrenzlage durch die Organisation in Metropolregionen fragwiirdig, wenn alle Regionen in gleicher Weise besser aufgestellt sind - dieser Wettbewerb erhoht sicherlich den Ressourceneinsatz aller Beteiligten, vergroBert aber zugleich das Risiko der Fehlinvestitionen fur schwachere Metropolregionen.
Fritz Wegelin (Vizedirektor Eidgenossisches Department fiir Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK) hat es auf einer ARL-Tagung zu Metropolregionen auf den Punkt gebracht: „Wer Starken starkt, starkt Starke starker". '^ Ein Beispiel fiir eine strategische Netzwerkstruktur ist die Strategie der Wahi der Partnerstadte der Freien und Hansestadt Hamburg, die sich nicht auf kulturelle oder historische Grundlagen beruft, sondem die Auswahl trifft, um die Handelsbeziehungen zu starken und auszubauen. So ist die Wahl von Chicago (Nordamerika, ursprOnglich wichtigster Handelspartner), Osaka (Japan als erste Boomwirtschaft Ostasiens) und Shanghai (aktuell wichtigster Handelspartner; Hamburg als Europahub fiir chinesische Untemehmen) dem Welthandel „verpflichtet", wahrend die Partnerstadt St. Petersburg die Hegemonic auch Ober die Ostsee sicherstellt (Hamburg ist zweitwichtigster Hafen Polens) und Dresden und Prag den Zugang zu den Binnengewassem Europas offen halt.
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Ich wtirde hinzuftigen „...und schwacht die Schwachen zusatzlich", um die aktive und verursachende Wirkung der Wettbewerbsstrategien zu verdeutlichen. 5
Gibt es Alternativen zum Mainstream oder sind Hoffnungen von Planerlnnen nur in Nischen okonomischen Desinteresses moglich?
Uberraschend ist, dass es zum Mainstream, sich moglichst marktkonform im Wettbewerb aufzustellen, kaum eine, wenn nicht sogar keine Alternative zu geben scheint. Alle Gebietskorperschaften sehen sich in einem unausweichlichen globalen Wettbewerb, woraus in einer Sachzwanglogik die einzelnen Schritte in gleicher Weise abgeleitet werden. Auch aus der Wissenschaft gibt es allenfalls punktuelle Alternativen. Es gibt innerhalb der regulationstheoretischen Ansatze eine Beschreibung des Ubergangs zum Postfordismus in den Facetten des Arbeitsmarktes, des Regierungshandelns, der Rollen der Stadte (als Ort, Verursacher und Opfer von Globalisierung) und der Zivilgesellschaft. Die kritischen Tone (Verschlankung des keynesianischen Wohlfahrtsstaates, neoliberaler Politikstil durch Privatisierung, Entsolidarisierung ausgehend von den Milieus der Mittelschichten, Armuts-Reichtums-Gegensatze etc.) sind zudem leiser geworden. Parallel dazu gibt es den Govemance-Diskurs, der vor allem von der Optimierung der Effizienz- und Effektivitatsstrategien gekennzeichnet ist, weitgehend ohne die Reflektion dartiber, welchen Zielen die „Optimierung" ntitzt. Dieser Diskurs wird auf Grund der in GroBbritannien und den Niederlanden vorangetriebenen Aspekte der Verwaltungsmodemisierung vor allem von Wissenschaftlerlnnen dieser zwei Lander dominiert. Das ist insofem problematisch, als die dort gewonnnen MaBstabe und Kategorienschemata sowohl in die europaische wissenschaftliche Debatte iibemommen werden, als auch diese Wissenschafllerlnnen in ihrer Beratungsrolle gegenuber der EU-Administration wirkmachtig sind. Auf diese Weise sind die Strategien, die im Zuge des „Dritten Weges" in GroBbritannien entwickelt wurden, leitend fur die EU-Mitgliedsstaaten. Diese Phanomene zeigen sich beispielsweise sehr deutlich in den Strategien des Quartiersmanagements (zu einem intemationalen Vergleich vgl. A. Breitfuss et al. 2004). Wissenschaftlerlnnen, die in diese Projekte involviert sind (als Evaluatorlnnen, wissenschaftliche Begleiterlnnen oder Umsetzerlnnen), sind vor alem am Managementstil und der Umsetzung der MaBnahmen orientiert resp. orientieren sich bei der Einschatzung der Strategien auf die Erscheinungsformen und lokalen Auswirkungen innerhalb der Problemgebiete (vgl. beispielsweise die Beitrage in S. Geiffenhagen/ K. Neller 2005; kritisch hierzu J.S. Dangschat 2005).
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Dennoch ermoglichen die neuen Govemance-Modelle verstarkt bottom-up-Prozesse. Diese dienen jedoch in der Regel dazu, die Integrationspolitiken von der Ebene der Systemintegration (staatsbtirgerliche Rechte, freier Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystemen sowie zum Arbeits- und Wohnungsmarkt) auf die der Sozialintegration (Partizipation an Kommunalpolitik, StadtplanungsmaBnahmen insbesondere im Rahmen der Stadtemeuerung, wechselseitige Anerkennung unterschiedlicher Kulturen, Starkung der „weak-ties" etc.) zu ermoglichen (vgl. J.S. Dangschat 2007a). Daruber hinaus wird mit der Starkung der regionalen bzw. lokalen Ebenen (Regionen, Stadte und Quartiere) die Hoffiiung verbunden, einen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration zu leisten (vgl. J. Bogumil/ L. Holtkamp 2004). Kommunikation, Mediation und Kooperation in zunehmend haufiger angewandten Partizipationsprozessen (z. B. in Lokalen Agenda 21-Prozessen oder im Zuge des Quartiersmanagements in „Quartieren mit besonderem Emeuerungsbedarf) sind Hoffiiungstrager sowohl einer deliberativen resp. kooperativen Demokratie, wie auch einer neuen Planungskultur im Sinne des „col" laborative planning" (vgl. P. Healey 2006). L. Albrechts (2006) sieht in solchen partizipationsbezogenen Planungsansatzen eine Moglichkeit, Raumplanung mit den strategischen Konzepten der Stadte bzw. Regionen zu verbinden. Im Kern dieser Annahmen steht die These, dass iiber Govemance-Prozesse Kommunen in der Lage sind, zusatzliche Ressourcen iiberwiegend aus der Zivilgesellschaft, ansatzweise auch aus der lokal gebundenen Okonomie zu erzielen. Ob daraus in der Tat positive Beitrage zu einer starkeren Kohasion erzielt werden konnen oder ob es eine (geschickte) Integration in neoliberale Regulationsweisen ist, die der Ubergang zum Postfordismus mit sich bringt, ist jedoch sehr stark von den spezifischen lokalen Bedingungen abhangig (vgl. B. van Dyk/ A. Verhetsel 2007). Noch einen Schritt weiter in der Hoffiiung auf innovative gesellschaftliche Prozesse im Zuge der bottom-up-Entwicklungen gehen F. Mouleart/ J. Nussbaumer (2005). Sie sehen jenseits der Diskussion um „lernende Regionen bzw. Institutionen" sowie des Sozialkapitalansatzes Moglichkeiten zu einer innovativen Neuerfindung des Sozialen, aus der ein neuer Widerstand gegen eine top-downNeoliberalisierung moglich werde. Wie P. van den Broeck (2007) deutlich macht, ist auch diese Hoffiiung jedoch stark von den lokalen Bedingungen abhangig, die einerseits akteursgebunden sind und andererseits von der Art der Projekte abhangen: Je wirtschaftlich bedeutsamer das strategische Projekt ist, desto eher wird von oben im Sinne der Developerlnnen „durchregiert". Es darf also bei diesen „Gehversuchen" einer kooperativen Demokratie nicht wirklich die Sachzwang-Rhetorik in Frage gestellt werden (wie auch bei LA-21-Prozessen). Innerhalb der strategischen Ansatze, die ausnahmslos vor allem das Wettbewerbsziel verfolgen, sind die Projekte und Planungsprozesse, in
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denen integrative und kooperative Formen verfolgt werden konnen, nicht nur in der Minderzahl, sondem vom politischen und wirtschaftlichen Gewicht her eher „peanuts". Strategische Projekte, bei denen es vor allem um eine stadtebauliche und zunehmend gesellschaftliche Reparatur geht, haben ganz andere Vorzeichen als die „groBen Strategien". Hier ist man sich daruber im Klaren, dass die Fachleute eher ratios sind, die gesellschaftlichen Ressourcen nicht in ausreichendem MaBe bereitgestellt werden und der tjbergang von der Sichtweise als „soziales Problem" zu sinnvollen empowerment-Strategien ein steiniger Weg ist. Dennoch entstehen in diesen Prozessen gesellschaftliche Innovationen, die in andere Politikfelder und Strategien diffimdieren konnen. Ob, wann und in welcher Weise dies passieren wird, hangt jedoch davon ab, wie die nahezu einseitige Forcierung des Wettbewerbsgedankens im Zuge der Entwicklungsstrategien als zu einseitig und Ressourcen vemichtend wahrgenommen werden wird - ob dies auch von einer kritischen Wissenschaft abhangig sein wird, bin ich auf Grund des allgemeinen „Mainstreamings" eher skeptisch. Literatur Akademie fur Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (2005): ARL-Handworterbuch der Raumplanung. Hannover: ARL Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL)/ Deutsche Akademie der Stadtund Landesplaner (DASL) (Hrsg.) (2004): Strategien fur GroBstadtregionen im 21. Jahrhundert. Empfehlungen fiir ein Handlungsfeld von nationaler Bedeutung. Positionspapier der ARL und DASL, Nr. 57. Hannover: ARL Albrechts, Louis (2006): Bridge the Gap: From Spatial Planning to Strategic Projects. In: European Planning Studies 14/10. 2006. 1487-1500 Alexander, Ernest R. (2000): Inter-organizational Coordination and Strategic Planning: the Architecture of Institutional Design. In: Salet/ Faludi (Hrsg.) (2000a): 159-174 Amin, Ash (Hrsg.) 1994: Post-Fordism. A Reader. Oxford/ Cambridge: Blackwell Antalovsky, Eugen/ Dangschat, Jens S./ Parkinson, Michael (Hrsg.) (2005): European Metropolitan Governance. Cities in Europe - Europe in the Cities. Wien: Europaforum Bea, Franz X./ Haas, Jiirgen (Hrsg.) (2001): Strategisches Management, 3. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp Becker, Heidede/ lessen, Johann / Sandner, Rolf (Hrsg.) (1998): Ohne Leitbild? Stadtebau in Deutschland und Europa. Stuttgart: Karl Kramer Becker, Jens/ Keller, Jascha (2005): Netzwerkbasierte StadtauBenpolitik. In: Derive 26. 2005. 5-10
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Strategieorientierte Planung in Zeiten des Attraktivitatsparadigmas Uwe Altrock
In der planungstheoretischen Debatte wird von einer „Renaissance" der strategieorientierten Planung ausgegangen. In diesem Beitrag sollen drei Ziele verfolgt werden: Erstens soil der gesellschaftspolitische Rahmen umrissen werden, in dem die strategieorientierte Planung stattfindet. Zweitens sollen davon ausgehend einige Ursachen und Erscheinungsformen einer solchen Renaissance beleuchtet und danach gefragt werden, ob letztere aus den veranderten Rahmenbedingungen zu erklaren sind. Drittens soil schlieBlich ein Ausblick auf die Herausforderungen gegeben werden, denen sich die Praxis strategieorientierter Planung heute stellen muss und wie sie hierauf reagiert bzw. reagieren konnte. 1
Strategieorientierte Planung
Bemd Scholl (2005) weist darauf bin, dass der Begriff „strategische Planung" in der Raumplanung nicht einheitlich verwendet wird. So werde darunter „beispielsweise langfristige Planung, tibergeordnete Planung oder auch konzeptionelle Planung verstanden". „Durch Rahmenplane, Entwicklungsplane, Leitplane, Richtplane und neuerdings Masterplane" werde versucht, „die wesentlichen Punkte, Aufgaben und Losungen darzustellen". Obwohl die Wirkungen als gering eingeschatzt werden, sei der Einsatz von Strategien in der Raumplanung durchaus von Bedeutung, um angesichts der „groBen Zeitspannen zwischen raumbedeutsamen Entscheidungen und dem Eintreffen ihrer beabsichtigten Wirkungen (...) uber Richtschnure fur koordiniertes Handeln und Entscheiden (...) verfugen zu konnen" (B. Scholl 2005: 1123). Mit dem Begriff „strategieorientierte Planung" soil der Anspruch an die strategische Ausrichtung der Planung etwas zuriickgenommen werden. Er soil hier in einer Weise verstanden werden, dass in der raumlichen Planung Ansatze verfolgt werden, die sich strategischem Handehi so weit wie moglich annahem. Um keine Assoziationen in Richtung auf Begriffe aus anderen Wissenschaften auszulosen, soil dieser deshalb im Folgenden verwendet werden. Hiermit wird ein Handeln der offentlichen Hand bezeichnet, das auf der Ebene der Gesamt-
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Uwe Altrock
stadt die absehbaren Belange der Stadtentwicklung raumwirksam koordiniert, auf einen mittel- bis langfristigen Zeitraum in zwischen den offentlichen und privaten Akteurlnnen abgestimmten Zielen und MaBnahmen niederlegt und Vorsorge fiir deren Umsetzung trifft (vgl. P. Healey et al. 1997: 5). Strategieorientierte Planung ist nicht zwangslaufig statisch. Dennoch sollten Veranderungen ihrer Teilziele und MaBnahmen nur dann vorgenommen werden, wenn deren absehbare Wirkungen die Oberziele nicht grundsatzlich in Frage stellen. Strategieorientierte Planung kommt dem Begriff der „Stadtentwicklungsplanung" sehr nahe (B. Scholl 2005). Beiden Ansatzen ist der Vorsorge- und Umsetzungsaspekt gemein, der sie zudem von der formellen „Negativplanung" (Bauleitplanung) abgrenzt. Als „Formen" der strategieorientierten Planung werden in diesem Sinne vorwiegend informelle Planungsvorhaben beleuchtet, die auch die Gestalt von verbalisierten Programmen annehmen konnen, sofem sie sich auf die raumliche Stadtentwicklung beziehen. Mitunter findet sich auch der Begriff der „strategischen Stadtentwicklungsplanung" (A. Ziesemer 2004). Er bezeichnet eine langfristige Planung, die sich durch die Merkmale Bediirfnisorientierung, Starken-Schwachen-Analyse, diskursive Leitbildentwicklung, Alternativenabwagung, MaBnahmen- und Umsetzungsorientierung, Ressourcenbezug und Weiterentwicklungsfahigkeit auszeichnet (A. Ziesemer 2004: 13-14). Wegen des sehr anspruchsvollen Programms, das sich hierunter verbirgt, soil ein solches Verstandnis im Folgenden lediglich als eine sehr „ausgepragte" Vorstellung von strategieorientierter Planung verstanden werden. 2
Zeitenwende oder: Vom Versorgungsparadigma zum Attraktivitatsparadigma und die Folgen fiir die Planung
Stadtentwicklung folgt heutzutage in Deutschland vielfach einem Attraktivitatsparadigma - im Gegensatz zu langen Zeitraumen des 20. Jahrhunderts, in denen sie eher einem Versorgungsparadigma folgte. Das hat weit reichende Konsequenzen fur die mittel- und langfristige Planung. Um diese Behauptung zu verdeutlichen und die verwendeten Begrifflichkeiten naher zu erlautem, ist der gesellschaftliche Wandel in seinem Zusammenhang mit Stadtentwicklung in den Blick zu nehmen, der zu diesen Veranderungen gefiihrt hat. Ich versuche dabei, einen bestimmten, fiir die weitere Diskussion und insbesondere fiir die strategische Planung besonders relevanten Teilaspekt der jiingeren Stadtforschung herauszuheben (vgl. fiir den gr5Beren Zusammenhang insbesondere T. Hall 1998; E. Soja 2000; M. Dear 2000; G. Wood 2003; G.R. Teisman 2000).
Strategieorientierte Planung in Zeiten des Attraktivitatsparadigmas
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Die Moglichkeiten von Stadtentwicklung und Stadtplanung stehen in einem engen Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen far raumliche Entwicklung. Dies liegt nicht nur daran, dass in der Planung versucht wird, raumrelevanten Herausforderungen gerecht zu werden, sondem auch daran, dass Planung jeweils nur iiber eine gewisse Ressourcenausstattung und formale Aufgabenzuweisung verfiigt. Nicht nur das Selbstverstandnis von Planerlnnen und der Planungsprofession ist also ausschlaggebend dafur, welchen Fragestellungen sich Planung zuwendet, sondem auch die Einordnung in das Repertoire gesellschaftlicher Regulationsmechanismen. Albers (1993) und Selle (1995) reflektieren dies in ihren Periodisierungsversuchen, die den Wandel des Planungsverstandnisses in den Mittelpunkt stellen. Betrachtet man die Entwicklungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, so wird deutlich, dass die Planung sich auf Grund der Veranderungen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen zu verandem beginnt (vgl. auch U. Altrock 2005). Dies gilt vor allem fur den „Epochenbruch" am Ende des dritten Viertels des 20. Jahrhunderts. Er ist von der Ablosung der Hegemonic der keynesianistischen Nachfragesteuerung zugunsten einer Hegemonic der Angebotspolitik gekennzeichnet. Diese Ablosung ist nicht rein wirtschaftspolitisch bestimmt, sic kann ebenso als Versuch verstanden werden, der Uberschuldung der offentlichen Haushalte eine Austeritatspolitik entgegenzusetzen, die nicht mehr so umfassende finanzielle Interventionen der offentlichen Hand erlaubt wie zuvor. Diese LFbergangsphase ist jedoch sowohl durch „noch/ wieder alte" und „schon neue" Interventionen gekennzeichnet. Die Planung und die Stadtentwicklungspolitik folgen genau diesem Epochenbruch. Hierbei ist es jedoch notwendig, die Periodisierungsschemata von Albers und Selle zu vergrobem, um auf den wesentlichen Punkt hinzuweisen, der das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts und das beginnende 21. Jahrhundert planerisch charakterisiert: die Abwendung von einer politischen „Versorgungslogik" durch eine „Attraktivitatslogik". Aus ihr resultieren mannigfache Konsequenzen, die einige der heutzutage immer wieder zu lesenden Interpretationen der planungspolitischen Tendenzen begrifflich zusammenfassen. Was bedeutet dies nun im Einzelnen, und was sollen die beiden Begriffe „Versorgungslogik" und „Attraktivitatslogik" bedeuten? Wahrend des zweiten und dritten Viertels des 20. Jahrhunderts gelang es in (West-)Deutschland, die Wohnungsfrage zu einer wesentlichen kommunalen Aufgabe zu machen. Dies lasst sich an den beiden quantitativen Schiiben des standardisierten Wohnungsbaus deutlich ablesen, die in den 1920er Jahren und in den 1950er bis 1970er Jahren den Siedlungsbau an der Peripherie (west-)deutscher Stadte bestimmten. Die Zeitspanne ist von einer Steigerung des Massenwohlstands gepragt, die in
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Deutschland vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte. Eine Standardisierung von Konsumgiitem erlaubte eine preiswerte Massenfertigung. Die Grundlagen hierflir waren zwar bereits im spaten 19. Jahrhundert gelegt worden, doch wurden sie im Rahmen des kommunalen Wohnungsbaus erstmals in breitem Umfang von der Stadtpolitik aufgegriffen. Sie wandelte sich dabei, so dass nicht mehr die Bereitstellung von Infrastruktur und polizeiliches Ordnungsrecht im Mittelpunkt standen. Die Versorgung der breiten Masse mit Wohnraum wurde zumindest in einigen Stadten zu einem herausragenden Ziel der stadtischen Investitionspolitik. Die Herausbildung des Sozialen Wohnungsbaus steht stellvertretend fur dieses Planungsverstandnis. Hier wurden nicht nur WohnungsgroBen und Wohnungszuschnitte standardisiert, die sich an der Versorgung der Massen mit einem Mindeststandard an Wohnraum und Wohnumfeldqualitat orientierten, sondern es bildete sich auch eine Stadtpolitik heraus, die auf einem auBerst differenzierten System von „Orientierungswerten" aufbaute. Sie waren beispielsweise fiir die Versorgung mit sozialer und griiner Infrastruktur iiber eine lange Zeit bestimmend, gerieten aber schlieBlich - wie der Wohnungsbau selbst - immer scharfer in die Kritik. Die Argumentationsfiguren der Kritikerlnnen sind dabei zeitlos und nicht nur im ausgehenden 20. Jahrhundert zutreffend: Standardisierung kann zu Monotonie fuhren, Quantitat muss nicht automatisch Qualitat bedeuten. Doch sie gewannen erst an Relevanz, als der Kampf gegen die schlichte quantitative Unterversorgung wenigstens einigermaBen erfolgreich zu Ende gebracht worden war. Inzwischen ist der Soziale Wohnungsbau jedoch langst beendet. Dies ist zwar vorrangig politischen Griinden zu „verdanken", doch hat das gesamtgesellschaftliche Umfeld dazu beigetragen, dass seine Abwicklung durchsetzbar wurde. Der hohe quantitative Versorgungsstandard der Bevolkerung hat ein zunehmendes Qualitatsbewusstsein ermoglicht. Wie die „Fresswelle" der Nachkriegszeit schlieBlich von einem hoch entwickelten Qualitatsbewusstsein im Lebensmittelbereich abgelost wurde, so besteht angesichts von unterschiedlichen Wohnungsbestanden, veranderten Haushaltstypen und Suburbanisierung langst ein hoch differenziertes Qualitatsbewusstsein auch im Bereich der Wohnstandorte. Bei einem Uberangebot an Wohnraum werden schlechte, bisweilen auch mittlere Qualitaten kaum noch nachgefragt. Ahnliches gilt ftir den offentlichen Raum, der haufig von der offentlichen Hand betrieben wird oder von ihr subventioniert worden ist - nicht zuletzt eine Folge der vorausgehenden Stadtentwicklungsphase. Freiflachen werden nicht mehr nach Quadratmetem, sondern nach Vielfalt der Nutzungsmoglichkeiten geschaffen. In dieser Situation sind Bestande schlechter Qualitat leerstandsgefahrdet. Selbst dann, wenn gesamtstadtisch die beschriebenen Phanomene nur ansatz-
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weise vorherrschen, verandert sich doch der Immobilienmarkt tendenziell vom „Verkaufer-" zum „Kaufermarkt". Stadte, die mittelmaBige Immobilien besitzen, konnen diese nicht mehr einfach in der Hoffhung auf immer wahrende Steigerungen der Wohnraumnachfrage am Markt anbieten und auf Nutzerlnnen warten. Ahnliches gilt auch fiir den offentlichen Raum, wenngleich sich hier der Marktaspekt nur indirekt in der Nutzung auBert. Zunehmend verabschieden sich Stadte - wie etwa Berlin im Rahmen seiner Privatisierung offentlicher Wohnungsbaugesellschaften - in einer solchen Situation vom Ziel der Versorgung breiter Bevolkerungsgruppen bzw. der Haushalte mit niedrigen Einkommen. Sie werden dafiir kritisiert, insbesondere wenn zumindest ein Teil der Gesellschaft weiterhin auf die Versorgungspolitik angewiesen ist. Bestande werden aufgewertet und/ oder privatisiert, um auf die neuen Marktgegebenheiten zu reagieren und in Zeiten knapper Kassen nicht zu viel offentliches Geld vermeintlich ineffizient einzusetzen. In einem veranderten politischen Umfeld werden Weichen neu gestellt, die es immer schwieriger machen, ein angemessenes MaB an Rest-Versorgungspolitik zu halten, vor allem wenn wie in der Wohnungspolitik liberalistische Positionen in der Debatte allmahlich an Starke gewinnen. Hier soil nicht behauptet werden, dass die Stadtentwicklungspolitik einen kompletten Schwenk vollzogen hat. Vielmehr geht es darum, den Hintergrund fur eine Neujustierung von Stadtentwicklungsplanung im Rahmen einer Stadtpolitik zu beschreiben, die vollzogen wird, ohne dass dagegen groBere Widerstande erkennbar waren. Bevor nun erlautert wird, auf welche Weise sich diese Neujustierung auf die Planung auswirkt, sollen noch einige wesentliche Merkmale des „alten" und des „neuen" Paradigmas einander zusammenfassend gegeniibergestellt werden. Mit dem Versorgungsparadigma wird ein integrativer Anspruch verbunden. Es bezieht alle Nutzungen und alle Akteurlnnen in die tJberlegungen ein, um ausgehend vom technisch-rationalen Planungsverstandnis - zu einer planerischen Optimierung zu gelangen. Die Akteurlnnen werden zwar konsultiert, aber daruber hinaus nicht grundsatzlich in das Verfahren einbezogen. Dieses Vorgehen generiert einen Vorschlag der Raum-Ordnung, der in engem Zusammenhang mit dem gesamten Ressourceneinsatz der offentlichen Hand steht. Zwar hat sich ein solches Vorgehen erst mit der Ausreifung des Versorgungsparadigmas herausgebildet, doch es wird deutlich, dass die aufwendige Mobilisierung von Ressourcen fur die Forderung des Massenwohlstands eine genauere Abstimmung des Ressourceneinsatzes nahe legt und daher die traditionelle Stadtentwicklungsplanung den Kulminationspunkt des Versorgungsparadigmas darstellt. Beispielhaft kann dies nachvollzogen werden, wenn in Stadtentwicklungsplanen die Versorgung mit sozialer und griiner Infrastruktur auf der gesamtstadtischen Ebene analysiert
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wird und daraus komplizierte MaBnahmenprogramme zur Herstellung „raumlich gerechter" Ausstattungsgrade eingeleitet werden sollen, fiir die beispielsweise ein inkrementalistisches, projektbezogenes Vorgehen unangemessen ware, da es mit dem Anspruch der quantitative!! Versorgungsgerechtigkeit nur schwierig und sehr verz5gert in Einklang zu bringen ist. Das Attraktivitdtsparadigma unterscheidet sich nicht nur beztiglich des mit ihm verbundenen Anspruchs, sondem auch in den angewandten Planungs- und raumlichen Regulationsmethoden deutlich vom Versorgungsparadigma. Nicht mehr der umfassende Bedarfsiiberblick, sondern die Koordination manifest werdender Nutzerlnnenziele wird jetzt in den Mittelpunkt gestellt. Die mit scheinbar „objektiven" Methoden durchgefuhrte fursorgliche Ermittlung von BedarfsgroBen in Zeiten des Versorgungsparadigmas weicht tendenziell einer Abschatzung der auf die Stadt zukommenden Nachfragetendenzen. Bei der Einbeziehung der Betroffenen in die planerische Bestandsanalyse steht nicht mehr allein die Konsultation im Vordergrund. Zu ihr treten die „Mobilisierung" einerseits (vgl. das Aufkommen von Empowerment), wenn die Artikulation von Wiinschen und Zielen stimuliert werden soil, sowie die „Moderation" andererseits, wenn schwer miteinander vereinbare Ziele verschiedener Akteurlnnen bereits erkennbar sind. Das Vorgehen dient also auch dazu, den Ressourceneinsatz der offentlichen Hand zu begrenzen und mithin projektorientierte Planung mit strategischer in Einklang zu bringen - seit den 1990er Jahren durch den Begriff „Perspektivischer Inkrementalismus" (K. Ganser 1991; KGanser etal. 1993) durchaus gangigWenn es aber in Zeiten begrenzter Ressourcen Ziel ist, sehr sorgfaltig die zu realisierenden Projekte auszuwahlen, die in eine Gesamtstrategie „eingeklinkt" werden, dann hat das auch Auswirkungen auf die bei der Erarbeitung der Strategic verwendeten Methoden (W. Siebel et al. 1999). Im Gegensatz zur konventionellen Stadtentwicklungsplanung ist die Strategic nicht unbedingt mehr eine komplexe Verkntipfung vielfaltigster Projekte, mit der die Hoffhung verbunden wird, Versorgungsdefizite konnten weitgehend behoben werden. Vielmehr muss sie in einer Optimierung zwischen moglichst gut politisch durchsetzbaren (bzw. finanzierbaren) und moglichst wirksamen Projekten eine kleine Zahl von Schliisselprojekten identifizieren, die die offentliche Hand weiterhin handlungsfahig erscheinen lassen und dariiber hinaus die weitergehenden Aktivitaten privater Akteurlnnen katalysieren und kanalisieren. Der Schwerpunkt ist zwar - zumindest rhetorisch - die Erzielung von Nachhaltigkeit, doch verschiebt sich deren Interpretation deutlich hin zu einer Forderung der wirtschaftlichen Dynamik (vgl. S. Frank 2005). Von einer „umfassenden" Stadtentwicklungsplanung kann dann nicht mehr die Rede sein, denn „strategisch" bedeutet nunmehr gerade die zielgerichtete
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Selektivitat - das moglichst effiziente Drehen an den wenigen beeinflussbaren Stellschrauben der Stadtentwicklung, die in Zeiten begrenzter Ressourcen und Ausrichtung auf Attraktivitatssteigerung geblieben sind: „Die Hoffnung der Modeme auf eine breite Ubereinstimmung hinsichtlich einer ,vemtinftigen' Gesellschaflsgestaltung hat sich in den postmodemen Sozialstmkturen weitgehend verfliichtigt. Denn je heterogener und individualisierter die Sozial- und Wertestruktur wird, desto starker wird jedes Regulierungsinteresse zu einem Minderheiteninteresse" (H. HauBermann 1997: 11). Der Staat zieht sich zumindest an den Stellen zuriick, an denen die Schaffiing von Attraktivitat der privaten Seite eher zugetraut wird als der offentlichen Hand: „Auflosung groBer Systeme, Dezentralisierung, Deregulierung, Selbstregulierung - der Ruckzug in die relativ konfliktfreien Raume unterhalb der Ebene umfassender Probleml5sungsversuche, (...) dieser ganze Aufbruch in die Projektpolitik (...) fiihrt aber nicht aus den genannten Dilemmata heraus, denn es handelt sich dabei nicht nur um Probleme der Planung oder der Stadtpolitik, sondem um die Handlungsfahigkeit des Staates tiberhaupt." (H. HauBermann 1997: 9-10) So lasst sich auch die weit verbreitete unkritische Zustimmung zu groBen innerstadtischen Konversionsprojekten erklaren, die von Developerlnnen mit einer Dichte realisiert werden, die in Zeiten des Versorgungsparadigmas als unzumutbar fur die Bewohnerlnnen erachtet worden waren, wahrend sie heute mit Verweis auf Zielgruppen, die eine solche Dichte gerade schatzen, mit ganz anderen Konzepten als noch vor wenigen Jahren - bis hin zu Wohnhochhausern - umgesetzt werden (vgl. als ein Beispiel die Donau-City in Wien). Der bloBe Verweis auf die Fahigkeit von Developerlnnen, den Markt am besten einzuschatzen, legitimiert so die unterschiedlichsten Mischnutzungskonzepte, von denen keineswegs alle schlecht sind. 3
Eine Renaissance der strategieorientierten Planung? Erscheinungsformen, Ursachen und Wirkungen
3.1 Anzeichen und Erscheinungsformen Wenn die Einschatzung von HauBermann zutrifft, dass „projektorientierte Planung" dominiert, dann sind die Moglichkeiten zu einer strategieorientierten Planung sehr gering. Der Erfolg strategischer Entwicklungsplanung ist offenbar von einer Reihe von Voraussetzungen abhangig, insbesondere von der Bereitschaft der Akteurlnnen des politisch-administrativen Systems, sich auf einen strategischen Ansatz einzulassen und sich an ihn ein Stiick weit zu binden (H. Keppel 2004: 36-37; Chr. Meyer zum Alten Borgloh 2003: 125-128). Vor diesem Hin-
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tergrund erstaunt die vielerorts konstatierte „Renaissance" der strategieorientierten Planung. Bevor auf deren Ursachen und ihren moglichen Umgang mit den im vorigen Kapitel erwahnten gesellschaftlichen Umbrtichen eingegangen wird, soil im Folgenden etwas naher beleuchtet werden, was es mit dieser „Renaissance" auf sichhat. Anzeichen fur eine „Renaissance" der strategieorientierten Planung sind vielfaltiger Natur (S. ReiB-Schmidt 2003; U. Altrock 2004). So wird neben der emeuten oder gar erstmaligen Aufstellung von Stadtentwicklungsplanen in den 1990er Jahren (H. Janzer/ A. Schwedler 2004: 49-51) von der zunehmenden Verbreitung von Leitbildprozessen berichtet (K. Spiekermann 1999, 2002). Im Stadtumbau Ost schicken sich die Stadte Ostdeutschlands fast durchwegs an, zur Einwerbung von Fordermittel integrierte Stadtentwicklungskonzepte zu entwickeln (BMVBW/ IRS 2001; BMVBW/ BBR 2002, 2003). Alternative oder erganzende Strategien werden von Stadten oder ihren Biirgerlnnen in Form von Stadtmarketingkonzepten oder Lokale-Agenda-Prozessen erarbeitet (H. Janzer/ A. Schwedler 2004: 53-59). In der kollaborativen Planungstheorie wird in der Strategic des „Place-Making" (P. Healey 2002) eine Verknupfiing von partizipativen und strategischen Planungsansatzen postuliert. Auf eine Komplementaritat verschiedenster Planformen, Programme und Projekte, im Rahmen derer keine Hierarchic der Instrumente auszumachen ist, wie sie sich etwa aus der MaBstablichkeit der formalen Planungsinstrumente ergibt, weist Helga Fassbinder (1993) hin. Trotz aller Euphoric dtirften Stadtentwicklungsplane gegenwartig nicht so haufig sein wie noch in den 1960er und 1970er Jahren (vgl. K. Spiekermann 1999: 16, 20). Bei einer Umfrage in Baden-Wtirttemberg (H. Janzer/ A. Schwedler 2004: 48) zum Stand der Stadtentwicklungsplanung stellte sich beispielsweise heraus, dass mehr als die Halfte (55%) der antwortenden Stadte keine Stadtentwicklungsplanung betreiben. Wenn man annimmt, dass vor allem jene Stadte eher geantwortet haben, die eine Stadtentwicklungsplanung betreiben, wird deutlich, dass die tatsachliche Verbreitung dieser Planform damit noch niedriger ist. Die Hoffiiungen, die mit der aufkommenden Stadtentwicklungsplanung verbunden wurden, waren jedoch eher ein Zeichen einer Ausnahmeperiode in der Planung. So resiimiert Stephan ReiB-Schmidt (2003: 4): „Tatsachlich wurde nur wenig wirklich umgesetzt. Auch deshalb ging unmittelbar mit der institutionellen Etablierung integrierter Stadtentwicklungsplanung bereits ihr rapider Legitimationsverlust einher". Dennoch gibt es auch Stadte, die offensichtlich gute Erfahrungen mit der Stadtentwicklungsplanung gemacht haben: Wo die Stadtentwicklungsplanung bereits „friiher" existierte, hat sie teilweise in „alltagstauglichen" und wenig spektakularen Formen in den Stadtverwaltungen als gangige
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Praxis „uberwintert" - beispielsweise bei einer Stadtentwicklungsplanung im Vor- Oder Nachlauf der Flachennutzungsplanung, aber mit begrenztem Einfluss auf die Realentwicklung, Rahmenplane als Briicke zwischen Flachennutzungsund Bebauungsplanen (vgl. H. Janzer/ A. Schwedler 2004: 49, 82-83, 99 fur baden-wiirttembergische Stadte; Magistral der Stadt Frankfurt am Main 1997: V. a. 71-85 fiir wichtige GroBstadte im deutschsprachigen Raum). Die Verbreitung von Leitbildprozessen ist insofem als weiterer Hinweis auf eine „Renaissance" anzusehen, als es auch Leitbilder bereits in frtiheren Epochen vielfach gegeben hat, sie aber offenbar insbesondere in den 1980er Jahren nicht so beliebt waren (vgl. die Erwahnung von Leitbildem auch schon bei N. Lenort 1960). Ihre Wirkung wird sehr unterschiedlich bewertet, von einer Bekraftigung ihrer Bedeutung bis hin zum fast volligen Gegenteil davon (K. Spiekermann 1999: 31-35). Im Rahmen der Diskussion um eine Renaissance wird mitunter darauf verzichtet, genauer zu reflektieren, ob Leitbilder mehr sind als ein zahnloses Instrument, das lediglich eine wohlfeile Hoffnung auf strategische Koordination der Raumnutzung bedient (vgl. in dieser Richtung etwa H. Becker et al. 1998). Selbst in einem solchen Fall kann aber der Diskussionsprozess bei der Erarbeitung eines Leitbilds vor Ort „identitatsstiflend" wirken (vgl. A. Ziesemer 2004: 223). In eine ahnliche Richtung gehen Stadtforen oder Moderationsverfahren in der Vorbereitung von Stadtentwicklungsprozessen (Perspektivwerkstatten, Planungszellen usw.), die strategisches Handeln vor allem auf Stadtteilebene zum Ziel haben. Eine interessante neue Entwicklung sind „Studien", mit denen Stadte von sich reden machen und den Begriff der Stadtentwicklung teilweise iiber die Regelung der Raumnutzung hinaus spannen. Die haufig auf die Initiative von Burgermeisterlnnen aufbauenden Positionierungen legen den inhaltlichen Schwerpunkt und Motivationshintergrund nicht selten in den Bereich der Wirtschaftsforderung. Damit wird die Flachennutzungssteuerung eher zum „Instrument", um nicht-raumliche Stadtentwicklungsziele zu erreichen. Am weitesten in diese Richtung geht wohl das Konzept der Freien und Hansestadt Hamburg „Metropole Hamburg - Wachsende Stadt", das vom Ersten Biirgermeister der Stadt vorangetrieben wird und die Forderung wirtschaftlicher „Cluster" in den Mittelpunkt stellt (FHH 2002, ftir eine eingehende Analyse vgl. U. Altrock 2003; U. Altrock/ D. Schubert 2004), doch auch andere Stadte haben in eine ahnliche Richtung gearbeitet (Der Regierende Biirgermeister von Berlin 2000; Magistral der Stadt Wien 2000; H. Keppel 2004b; K. Brake 2002; K.-H. Hubler 2002a, 2002b; U. Altrock 2002).
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3.2 Motivationen und Ursachen Auffallig sind die unterschiedlichen Motivationshintergrlinde, die in die Erarbeitung solcher Studien eingehen. Sie reichen von einer „McKinseyisierung" der Stadtentwicklungspolitik, bei der Stadtentwicklung um Ziele der Wirtschaflsfbrderung herum betrieben wird und Globalisierung sowie Stadtewettbewerb als wichtiger Katalysator ftir gesamtstadtische oder gar stadtregionale Strategien auszumachen sind (A. Ziesemer 2004: 168-173; FHH 2002; A. Thomley 2000), tiber den gut gemeinten Versuch einer intensiven Einbeziehung der Bevolkerung schon in die vorbereitende Planung bis hin zu einem exogen auferlegten Zwang zur Vorlage eines strategischen Planungsdokuments. Meist spielen hier Fordermittelgeber wie die EU (BerlinStudie) oder die Bundesregierung (Stadtumbau Ost, Stadt 2030) eine wichtige Rolle als AnstoBgeber, die teilweise sogar die Zuteilung ihrer Mittel an ein konsistentes Entwicklungskonzept koppeln wollen. Die genannten AnstoBe kommen nicht vorrangig von den vor Ort zustandigen „strategischen Planerlnnen", oftmals ist nicht einmal die Stadtpolitik Ausloser mit teilweise problematischen Auswirkungen flir die Umsetzbarkeit (vgl. U. Altrock 2002). Anreizstrukturen erweisen sich als besonders wichtige Voraussetzung dafiir, dass strategische Stadtentwicklungsplane aufgestellt werden - also insbesondere von Programmen hoherer Verwaltungsebenen, die die Zusage von Fordermitteln an den Abgleich von Antragen mit zuvor beschlossenen strategischen Planen koppeln. Sie erklart neben den Studien auch die Entstehung der Stadtentwicklungskonzepte in Ostdeutschland (Bundeswettbewerb und Bundesprogramm „Stadtumbau Ost") sowie die Forderung von Konzepten auf Landerebene wie etwa im Fall von dortmund-project (A. Ziesemer 2004: 213). Offenbar besteht in hoheren Verwaltungsebenen der Wunsch nach strategischer Integration von Einzelprojekten. Die wieder steigende Bedeutung der Stadtentwicklungsplanung kann aber dariiber hinaus auf ein ganzes Biindel von Ursachen zurtickgefuhrt werden. Mit an vorderster Front ist dabei wohl die Tatsache zu nennen, dass gravierende Veranderungen der stadtentwicklungspolitischen Rahmenbedingungen intensives planerisches Handeln auf gesamtstadtischer Ebene erst wieder nahe legen. Wirtschaftlicher Strukturwandel, Massenarbeitslosigkeit und drohender Attraktivitatsverlust lokaler Standorte losen einen Handlungsdruck aus (vgl. Senator fiir Bau, Verkehr und Stadtentwicklung Bremen 1999: 8; M. Wentz 1997). Wo sich dagegen Stagnation ohne tiefer gehende Krisenwahmehmung breit machte, bestand kaum Anlass, auf gesamtstadtischer Ebene koordinierend-planerisch einzugreifen. In teihaumlichen, problemorientierten Konzepten wurde eine groBere Chance zur wirkungsvollen Problembearbeitung gesehen (H. Glaser 1997;
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D. Zimmermann 1997). Darin liegt wohl wenigstens eine Teilerklarung ftir die zwischenzeitlich geringe Verbreitung von Stadtentwicklungsplanen in den 1980er Jahren (als die erste Generation von Stadtentwicklungsplanen noch nicht voUig veraltet war!). Im oben genannten Zusammenhang werden daher auch die Umbriiche durch die deutsche Vereinigung und die Nachhaltigkeitsdebatte als Ausgangspunkte ftir neue strategische Aktivitaten genannt (H. Janzer/ A. Schwedler 2004: 17-18; M. Wentz 1997). ReiB-Schmidt (2003: 6-10) und Helga Fassbinder (1993: 324) erganzen riickschwingende Pendelreaktionen auf den Neoliberalismus der 1980er Jahre und die Okonomisierung von Stadtverwaltungen. Stellte die Planungseuphorie mit dem Boom von Stadtentwicklungsplanen eine erste Uberreaktion dar, so wurde in der Zeit von Reagan, Thatcher & Co. das „Kind mit dem Bade ausgeschtittet". Die neuerliche Hinwendung zur strategischen Planung ist in diesem Sinne wohl als eine Form der „Normalisierung" zu verstehen. Unter dem Stichwort „Stadtentwicklungsplanung als Integrationsmotor" im Rahmen von Verwaltungsreformbemuhungen thematisiert ReiB-Schmidt (2003: 10) weiter die ktinftigen Aufgaben der Stadtentwicklungsplanung eher auf die Verwaltung selbst bezogen, wenn er „Informations- und Innovationsmanagement, Wissenstransfer, Strategieentwicklung, Organisation von Kooperation, Moderation von Prozessen, Entwicklung, Durchfuhrung und Evaluierung von Modellprojekten, Qualitatsmanagement" nennt. Zum Zusammenhang zwischen Verwaltungsreform und strategischer Planung passt auch der neuerliche Einfluss der Betriebswirtschaftslehre auf die Planung, der spatestens Anfang der 1990er Jahre eingesetzt hat (vgl. A. Ziesemer 2004:14-16; J. Bryson 1995; P.C. Nutt/ R.W. Backoff 1992). 5.3 Wirkungen Die Wirkung der strategischen und insbesondere der Stadtentwicklungsplanung wird heute vielfach als begrenzt eingeschatzt. 1. 2. 3. 4.
„The ways strategic plans are developed lead to vague texts with a limited governance capacity \...)\ Public organizations that produce the plans often do not use it as a dominant guideline themselves; Only a small portion of project development and investment decisions are guided by the plans; (...)
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5.
Plans, defined as written texts about desirable futures with pictures and schemes adopted at a certain moment, are not reliable guides for implementation or operational decision-making.
It can even be assumed that the attention for strategic plans can distract public organizations from more effective strategic governance activities." (G.R. Teisman 2000: 231) Ob bei der Umsetzung von Einzelprojekten der von hoherer Verwaltungsebene geforderten strategischen Plane tatsachlich die Ansprliche der Mittelgeberlnnen zum Tragen kommen, ist zu bezweifeln. Die Entwicklungen im „Stadtumbau Ost" geben Anlass zur Vermutung, dass den Planen weniger Lenkungsals Thematisierungswirkung zukommt. Die Planinhalte werden haufig durch die tatsachliche Entwicklung iiberholt, doch wird zumindest sichergestellt, dass ein gewisses MaB an Abstimmung zwischen den Hauptbeteiligten stattfmdet (fur eine pessimistische Einschatzung ob des Umfangs dieser Abstimmung im Stadtumbau Ost vgl. M. Bemt 2005). H.J.M. Mastop (2000) weist darauf hin, dass die Umsetzungsprobleme und der Schwerpunkt auf der Thematisierungswirkung vor allem bei den Planen aus friiheren Phasen strategischer Planung nicht im Widerspruch zu deren derzeitiger Renaissance stehen. Plane seien immer darauf angewiesen, in der Umsetzungspraxis interpretiert zu werden. Da eine Umsetzung der einzelnen Planaussagen damit ohnehin nicht zu garantieren sei, komme es darauf an, die eigentliche Funktion der strategischen Planung in der Bildung von Institutionen zu suchen. Mastop flihrt dazu den Begriff der performance von Planen ein: Ihre Existenz sichere im giinstigen Fall eine politische Thematisierung der von ihnen behandelten Probleme und Ziele und trage dazu bei, dass die unterschiedlichsten am Stadtentwicklungsprozess beteiligten Akteurlnnen sich auf eine gemeinsame Problemsicht verstandigten. Durch diesen Verstandigungsprozess konne auch die gemeinsame Problemlosungskapazitat gesteigert werden, wenn die eingespielten, traditionellen Institutionen anstehende Herausforderungen nicht mehr bewaltigen konnen. Diese Weiterentwicklung von Institutionen kann als verbindende Klammer der genannten Ursachen und beobachteten Wirkungen begriffen werden. Aus ihr lassen sich auch Hinweise fiir einen Umgang mit den veranderten Rahmenbedingungen gewinnen.
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Zeitgenossische strategische Planung, ihre Verarbeitung aktueller Herausforderungen und deren Probleme
Ftir die Profession Stadtplanung hat die Verbreitung des Attraktivitatsparadigmas zwei wesentliche Folgen. Erstens wird der umfassende Ansatz von raumlicher Planung von unterschiedlichen Seiten in Frage gestellt, der sich in Zeiten des rationalen Planungsmodells in der anspruchsvollen Vision einer umfassenden Stadtentwicklungsplanung niederschlug. Stellvertretend sei hier die Kritik am „Gott-Vater-Modell" von Walter Siebel (1989) erwahnt. Die Herausforderung, die sich daraus ergibt, ist die der Suche nach einem angemessenen Selbstverstandnis der Planungsprofession in Zeiten des Attraktivitatsparadigmas. Dabei geht es damm zu rechtfertigen, warum Planung uber den Marktmechanismus hinaus in einer Zeit der projektorientierten Stadtentwicklung weiterhin gebraucht werden konnte. Zweitens soil nach den Moglichkeiten einer Ausgestaltung der Instrumente von strategischer Planung gefragt werden. Die hierzu unten angestellten Uberlegungen bewegen sich bewusst auf einer eher abstrakten Ebene. Sie gehen davon aus, dass zumindest die klassische Stadtentwicklungsplanung nicht auf breiter Front neu belebt werden kann. Derzeit betriebene strategische Planungsansatze sind ein komplexes Resultat der Interaktion vielfaltiger Emfliisse. Zu ihnen zahlen weiterentwickelte Partizipationsforderungen, pragmatische Versuche einer Vorbereitung und vorsichtigen Lenkung projektorientierter Stadtentwicklung, die Nachhaltigkeitsdebatte und schlieBlich andere Steuerungsformen, die die Kompetenz der raumlichen Planung eher negieren. Zeitgenossische strategische Planung verkniipft instrumentelle Elemente aus der Epoche des Versorgungsparadigmas mit neueren Elementen. Sie zieht eine Reihe von Anspriichen auf sich, die zu erfiillen nicht immer leicht ist. Berticksichtigt man zusatzlich, dass pluralisierte und damit sehr schwer vorhersehbare Individualziele der Nutzerlnnen von Stadt zu koordinieren sind und die Planung als tendenziell vereinfachende normative Setzung von „Bedarfsgrol3en" aus der Zeit der Versorgungslogik vielfach nicht mehr legitimiert werden kann, wird deutlich, wie anspruchsvoll strategische Planung auf gesamtstadtischer Ebene wirklich ist. Mit diesem hohen Anspruch hat sich die „strategische Planung" (J.L. Kaufman/ H.M. Jacobs 1996: 330) auseinandergesetzt. Im Gegensatz zur „linearen" Planung Mherer Epochen versucht sie, keinen abschlieBenden Plan, sondem Handlungen, Ergebnisse und deren Umsetzung in den Mittelpunkt zu stellen. Die Einbeziehung der Starken und Schwachen der jeweiligen Gebietskorperschaft, die Abschatzung der Chancen und Risiken, die sich aus den Umfeldbedingungen ergeben, und die Partizipation von Betroffenen und Beteiligten liefem eine zusatzliche Absicherung. Strategische Planung wird nicht mehr als hoheitli-
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ches Staatshandeln, sondem als „Wettbewerbsverhalten von politisch-administrativen Institutionen" verstanden. Dennoch ist die strategieorientierte Planung mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, die im Folgenden kurz dargestellt werden soUen. Sie reichen von der Informationsverarbeitung iiber die Prognosefahigkeit von Entwicklung, die Frage der Bindungswirkung langerfristiger Planung und deren Koordinierungsanspruch bei Einbindung von Partnerlnnen bis hin zur Operationalisierung von Nachhaltigkeit und schlieBlich der Selektivitat der Planung. Herausforderung Informationsbeschqffiing und Informationsverarbeitung: Die Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Bedtirfiiisse tragt zur Komplizierung der Informationslage in der strategischen Planung bei. Die Veranderungsdynamik der Gesellschaft kompliziert die Lage weiter. Trotz aller technologischen Fortschritte bei der Fahigkeit zur Informationsverarbeitung ist die Wahrscheinlichkeit begrenzt, dass einE handelndeR Akteurin iiber annahemd umfassende Informationen verfugt (G.R. Teisman 2000: 235). Herausforderung qualitative Prognoseunsicherheit: Die Problematik unzuverlassiger Prognosen ist in der Planung hinlanglich bekannt. Offenbar erlangt sie auf Grund der oben beschriebenen Entwicklungen noch eine zusatzliche Brisanz: Zu den quantitativen Unsicherheiten von Prognosen tritt wie erwahnt die Vervielfaltigung von Anspriichen und Bedlirfhissen - mit der Folge der UnUbersichtlichkeit auch der qualitativen Einschatzung der Zukunft. Mit Hilfe von Szenarien anstatt von Prognosen ist versucht worden, die quantitative Fixierung der Vorausschaumethoden abzumildem. Mit einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Lebensstile scheint auch dieses Vorgehen mehr und mehr an Grenzen zu stoBen. Vorausschau, soil sie denn Grundlage von Planung sein - und im Rahmen strategieorientierter Planung ist davon auszugehen -, muss sich dann mehr und mehr auf interaktive Methoden stutzen und eine Korrigierbarkeit ihrer Ergebnisse friihzeitig in den Planungsprozess einbeziehen. Herausforderung Bindungswirkung, Kontinuitdt und Integration: Die langerfristige Anlage von strategieorientierter Planung birgt die Gefahr der allmahlichen Erosion von Planungszielen und MaBnahmen ihrer Umsetzung. Eine hohe Bindungswirkung von Planen und Programmen ist voraussetzungsreich. Sie hangt u. a. am Verhaltnis der Akteurlnnen im politisch-administrativen System, der Fragmentierung (vgl. A. Ziesemer 2004: 213-221 zum Beispiel Duisburg) des Akteursspektrums sowie an der Moglichkeit, iiber einen langeren Zeitraum immer wieder projektbezogene Umsetzungserfolge erzielen zu konnen. Herausforderung Koordinierungsanspruch: Angesichts des hohen Ausdifferenzierungsgrads des politisch-administrativen Systems und der Einbeziehung unterschiedlichster Akteurlnnen mit spezialisierten Bediirfnissen, die nicht mehr uber eine „Bedarfslogik" standardisiert befriedigt werden konnen, kann (und
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haufig auch: will) die strategische Planung keinen umfassenden Koordinierungsanspruch mehr reklamieren: „Die Erortemng und Festlegung strategischer Optionen flir Gebietskorperschaften ist eine Aufgabe der zentralen Steuerungs- und Koordinierungsinstanzen. (...) Die raumbezogene Planung ist hingegen i.d.R. bestimmten Ressorts (...) zugeordnet. Schon insofem erscheint die Annahme, sie konne durch die strategische Planung ihren alten umfassenden Koordinierungsanspruch zuriickgewinnen, ziemlich illusionar." (H.H. Blotevogel 1999: 6) Zu bestimmen, wie weit dieser jedoch reichen und wie er umgesetzt werden soil, ja, allein zu bestimmen, wie planerische QualitatsmaBstabe festgelegt werden sollen, stellt sich als komplexe Herausforderung dar. Herausforderung Partnerlnnenschaften: Es liegt nahe, dass durch eine starkere Einbeziehung der Adressatlnnen von Planung und „Ko-ProduzentInnen" von Stadt das Dilemma uniiberschaubarer, ausdifferenzierter Bediirfhisse und Nachfragestrukturen zielgruppenorientiert angegangen wird. Das ist gewissermaBen einer der Ausgangspunkte ftir den communicative turn in der Planung. Das vieldiskutierte Phanomen der offentlich-privaten Partnerlnnenschaften steht flir eine ahnliche Motivation. Mit der Starkung privater Akteurlnnen stellt sich jedoch unmittelbar das Problem der Selektivitat von Beteiligung. Konflikte mit dem „Gemeinwohlanspruch" strategischer Planung sind die potentielle Folge, gerade wenn groBere private Schliisselinvestitionen zur Realisierung ehrgeiziger Entwicklungsziele in bestimmten Teilraumen der Stadt unverzichtbar sind. Herausforderung Okonomisierung und Nachhaltigkeit: Mit dem Ubergang zum Attraktivitatsparadigma geht tendenziell eine Okonomisierung der strategischen Planung einher (G.Wood 2003; A. Thomley 2000; S.Frank 2005). Gleichzeitig wird sie mit dem Anspruch der Nachhaltigkeit konfrontiert. Fiir die Bearbeitung der potentiellen Widerspriiche zwischen okonomischen, okologischen und sozialen Zielen von strategischer Planung existiert kein Patentrezept. Versuche, tlber eine indikatorengesttitzte Erfolgskontrolle die Mehrdimensionalitat des Nachhaltigkeitsbegriffs einzufangen, erfordem die Bereitschaft der Entscheidungstragerlnnen, sich auf komplizierte und im Einzelfall schwer durchschaubare Bewertungsverfahren einzulassen und vermeintlich „weiche" Ziele gleichwertig mit den „harten" okonomischen Zielen zu verhandeln. Ob dies vor dem Hintergrund politischer „Krisenwahmehmung" jeweils auf der lokalen Ebene gelingt, muss derzeit bezweifelt werden - zu dominant scheint die Arbeitsplatzproblematik, wahrend okologische Fragen nur noch selten im Mittelpunkt stehen und die zunehmende soziale Polarisierung droht, von der Politik als Teilproblem einer vorwiegend okonomisch motivierten Stadtpolitik begriffen zu werden (vgl. auch D. Lapple 2002). Herausforderung Selektivitat: Mit dem bewussten Bekenntnis zur Verengung des Handelns auf Schliisselorte (H. Fassbinder 1993) wachst die Gefahr,
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dass nachteilige Entwicklungen - seien sie schleichend oder unmittelbare Folge der Aufwertung anderer Orte in der Stadt - aus dem Blickfeld der Stadtpolitik verschwinden. Bin Ansatz, der die „Starkung von Starken" zum Ziel hat, kann die Zunahme sozialer Polarisierung und eine drastische raumliche Ungleichverteilung des offentlichen Mitteleinsatzes damit legitimieren, dass verteilungspolitische Ansatze wirkungslos seien und auf „Uberschwappeffekte" der Entwicklung an Schltisselorten zu hoffen ist. Ab wann ein solches Vorgehen unverantwortlich wird oder gar der Entwicklung florierender Orte schadet, ist schwer vorhersehbar und muss Gegenstand politischer Auseinandersetzung sein. 5
Perspektiven und Innovationen: Wie die strategische Stadtentwicklungsplanung auf die Veranderungen reagieren kann
Strategische Raumplanerlnnen werden unter diesen Voraussetzungen aus unterschiedlichen Griinden kritisch beaugt: von marktw^irtschaftlich orientierten Akteurlnnen wegen ihrer Skepsis ob der Vorhersagbarkeit von Trends und Bediirfnissen, von Politikerlnnen wegen der Bindungen, die strategische Planung bei Entscheidungen iiber Einzelprojekte unflexibel zu machen drohen, und von Burgerlnnen, die wohlmeinende Planungsziele in die Wirklichkeit umgesetzt sehen wollen. Gleichwohl wird ein MindestmaB an strategischer Koordination der Stadtentwicklungspolitik heute fur unabdingbar erachtet. In diesem Dilemma entwickeln sich strategische Ansatze weiter und suchen eine neue Balance zwischen Abgestimmtheit und Vorhersehbarkeit auf der einen Seite sowie Flexibilitat und Offenheit auf der anderen. Hans Mastop und Andreas Faludi (1997: 819) haben dazu deutlich gemacht, wie sich projektbezogene und strategische Plane unterscheiden. Insbesondere verweisen sie darauf, dass letztere eine kontinuierliche Interaktion der Beteiligten bedeuten, also insbesondere auch nach dem Beschluss eines Plans. Strategische Plane verweisen eher auf offene Zuktinfte, beziehen den Zeitaspekt in die Planung auf grundsatzliche Weise ein und aktualisieren den Plan immer wieder neu. Oder zusammengefasst: „Strategic planning concerns processes, whereas project planning deals with products." (H.J.M. Mastop 2000: 148) Ob strategieorientierte Planung so weit gehen sollte, ist zu diskutieren. Auch sie ist dazu gezwungen, irgendwann einmal zur Zielfestlegung zu kommen und aus Offenheit nicht Beliebigkeit werden zu lassen. Vor dem Hintergrund der angestellten Uberlegungen zeichnen sich aus meiner Sicht folgende Perspektiven im Umgang mit dem veranderten gesellschaftlichen Umfeld ab. Sie versuchen, Hinweise fiir die geforderte neue Bilanz zu geben -- wenngleich auf eher abstrakter und explorativer Ebene.
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Riicknahme des Steuerungsanspruchs: Ich pladiere mit Lorenz Rautenstrauch (1997: 69-70; vgl. auch W.G.M. Salet 2000: 22) vor diesem Hintergrund fur Bescheidenheit in der Planung: „Ein wichtiger Unterschied gegeniiber dem Diskurs iiber die Entwicklungsplanung von 1970 besteht darin, daB heute niemand (...) der Illusion anliang[t], daB sie mit Entwicklungsplanung das ,Gesetz des Handelns' an sich ziehen konnten. Es ist von vomeherein eher ein Akt der Verzweiflung; bei wirklich dramatisch sich verschlechtemden Bedingungen soil ein wenig Politikfahigkeit gerettet werden. (...) Die Erfahrungen (...) haben gezeigt, dass die iibergreifende Politik mit sehr viel bescheideneren Ansprlichen hinsichtlich Langfristigkeit, Widerspruchsfreiheit und unmittelbarer Umsetzungsfahigkeit formuliert werden muB. Dies hat etwas damit zu tun, dass die Moglichkeiten von Wissenschaft, etwas verlaBlich tiber Zukunft zu sagen, realistisch, d.h. bescheiden eingeschatzt werden. Vor allem aber: in einer pluralistischen Gesellschafl wird es keine konsistenten Entwicklungsplane - jedenfalls nicht fiir groBe Stadte oder gar Regionen - geben konnen." Damit meine ich also die Beschrankung der raumlichen Planung auf Bereiche, in denen sie iiberhaupt Relevantes beitragen kann, bei gleichzeitiger Behauptung eines - wenn auch reduzierten - Steuerungsanspruchs. Es geht weniger darum, grundsatzlich den Regelungsgehalt der Planung zurtickzufahren, wie mitunter gefordert wird. Vielmehr sollte dieser in Abhangigkeit von der Sensibilitat des zu regelnden baulich-raumlichen Zusammenhangs situationsabhangig defmiert werden. Ein solcher Ansatz ist bereits teilweise im „Perspektivischen Inkrementalismus" verankert gewesen: „Die Ziele werden lediglich auf dem Niveau gesellschaftlicher Grundwerte vorgegeben und nicht weiter differenziert; die Zieltreue wird vielmehr am einzelnen Planungsfall nachgewiesen; an die Stelle abstrakter Programme treten Projekte fiir Einzelaufgaben und tiberschaubare Zeitraume; das bedeutet zugleich Schwerpunktbildung anstelle flachendeckender Realisierung."(G.Albers 1995: 883) Weitergehend lieBe sich fordem, die Rolle der Planung durch Reduktion der hohen Anspriiche an ihren Regelungsgehalt zu „stabilisieren". Das bedeutet, dass die Sphare der Planung mit anderen gesellschaftlichen Spharen, etwa der der Wirtschaftspolitik, eine Vereinbarung dariiber erzielt, dass die Schaffung attraktiver stadtischer Lebensraume nicht allein dem Markt iiberlassen wird, daflir aber klar defmiert werden muss, an welchen Stellen „Marktversagen" zu erwarten und daher Eingriffe der raumlichen Planung als legitim anzusehen sind. Steigerung von Politikfahigkeit und Umsetzungsorientierung: Politikfahigkeit ist deshalb ein Schltissel fiir den Erfolg strategischer Planung, weil strategische Planung von ihrer Natur her iiber Legislaturperioden und politische Aufmerksamkeitszyklen hinaus Wirkung erlangen will. Mit dem Begriff „Politikfa-
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higkeit" soil mithin eine Eigenschaft bezeichnet werden, die ein Uberleben „fachlich-planerischer" Uberlegungen im Widerstreit mit anderen Rationalitaten - hier vor allem der der Politikerlnnen - erlaubt. Strategische Uberlegungen und Beschltisse werden im politischen Alltagsgeschaft aus mehreren Griinden in Frage gestellt: Erstens stehen bei politischen Wechseln mitunter Abgrenzungen gegeniiber Vorgangerlnnen an, und dabei werden die Bindungen langfristig angelegter Strategien und Programme immer wieder grundsatzlich in Frage gestellt (H. Keppel 2004b: 35). Zweitens verfugen der alten These von der „Dominanz der Verwaltung iiber die Politik" (vgl. D. Furst 1975; R. Mayntz 1985; B. Bachmann 1993: 82; St. ReiB-Schmidt 2003: 4-5) zufolge Politikerlnnen gegeniiber der professionalisierten, spezialisierten und durch hohere personelle Kontinuitat gekennzeichnete Fachverwaltung strukturell iiber eine geringere Informationsverarbeitungskapazitat im Detail. Das ware prinzipiell ein Vorteil fiir die Durchsetzung von langfristig angelegten Strategien. Doch wenn Politikerlnnen unabgestimmte Einzelprojekte verfolgen, ist deren Grad der Konkretheit tendenziell hoher als die komplexe Abwagung und Argumentation komplexer Strategien. Letztere drohen dann, als wirkungslos Oder iibermaBig im politischen Handebi einschrankend abgestempelt zu werden, gerade wenn sie bei begrenzten Ressourcen Projekte nach Prioritaten stark differenzieren mussen (vgl. auch J.-J. Hesse 1972). Eine komplizierte Nutzwertanalyse moglicher Planziele etwa lieB sich im Rahmen der Berliner Stadtentwicklungsplanung zu mehreren Zeitpunkten aus diesen Griinden nicht durchsetzen und verlief „im Sand". Eine „politikfahige" strategische Planung sollte versuchen, eine solche Infragestellung langfristiger Bindungen von fachlicher Seite zu antizipieren. Argumentativ konnte das durch eine starkere Ausrichtung auf eine Ex-AnteEvaluierung moglicher Wirkungen von EinzelmaBnahmen und Projekten geschehen. Die Reduzierung der Komplexitat von Bewertungsverfahren wiederum tragi dazu bei, die politische Diskutierbarkeit von bestimmten Zielen zu verbessem. Weiterhin ist eine Mobilisierung von Partnerlnnen gerade in Zeiten begrenzter Handlungsfahigkeit der offentlichen Hand immer wieder zu Recht als wichtiges Ziel formuliert worden. Sie hat auBerdem das Potential, die Informationslage iiber die uniibersichtlich gewordenen Lebensstile und Bediirfriisse der Nutzerlnnen von Stadt zu verbessem. Wahrend aber die Partnerlnnenschaftsrhetorik gerade im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen haufig nebulos bleibt, gibt es inzwischen vielfaltige Versuche einer mobilisierenden Einbeziehung der Zivilgesellschaft „von oben" oder „von unten" (stellvertretend seien der Leitbildprozess in Siidkalifomien, vgl. www.socalcompass.org, oder die Einbeziehung der Bevolkerung auch iiber neue
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Medien, vgl. z. B. in Hamburg www.wachsende-stadt.de, www.insel-im-fluss.de, genannt). Die Herrschaft des Attraktivitatsparadigmas legt uberdies neue Mechanismen der Einbeziehung nahe, die den Informationsgehalt von Umfragen mit der identitatsstiftenden Funktion von demokratischer Teilhabe kombinieren und die sich pluralisierenden Lebensstile einzufangen versuchen. Ein Beispiel dafiir konnte der Ansatz der „Stadtplanung als Reportage" darstellen (vgl. Stadt Leipzig 2004: 101-102). SchlieBlich ist alle Strategie nichts, wenn sie nicht wenigstens in sichtbaren Ansatzen und Weiterentwicklungen implementiert wird. Umfassende Planung, die mehr ist als eine Summe von unverbunden wirkenden Einzelprojekten, sollte dazu Priorisierungsiiberlegungen anstellen, Effizienzgesichtspunkte berlicksichtigen und Initiierungsmechanismen definieren. Strategie und Taktik sollten also aufeinander bezogen sein. Dies mag ftir viele Akteurlnnen in erfolgreichen strategischen Planungsverfahren selbstverstandlich erscheinen. Im schwierigen Umfeld schrumpfender Stadte, wo der Gestaltungsspielraum der strategischen Planung gering zu sein scheint, lasst sich an den erfolgreichen Referenzbeispielen wie etwa dem Stadtumbau in Leinefelde (vgl. www.leinefelde.de/stadtumbau; BMVBW/ BBR 2003) zeigen, dass die Projektformigkeit von strategischer Planung im Sinne der Definition von umsetzbaren Leitprojekten erforderlich und keineswegs selbstverstandlich ist - um bei Skeptikerlnnen Vertrauen in strategische Ansatze erstmals zu wecken, Indifferente bei der Stange zu halten und Untersttitzerlnnen bestandig neu zu motivieren. Dynamisierung der Strategieentwicklung: Bereits heute sind strategische Ansatze flexibler als noch vor 30 Jahren. Vom Ziel eines „festen" strategischen Plans, der im Entwurf vorliegt und dann in mehreren Schritten in ein Endergebnis iiberfuhrt wird, wird zugunsten einer starkeren Prozessorientierung abgegangen. G.R. Teisman (2000: 236-239) geht noch weiter, indem er dafiir pladiert, den Entwurfsprozess selbst stark zu offiien. Ausgehend von einem „interaktiven" Planungsansatz, in dem die Sequenz Problemdefmition-Losungssuche zugunsten von deren simultaner Bearbeitung aufgegeben wird, formuliert er eine Laborsituation fiir den Stadtentwicklungsprozess: „Problems are assumed to be intertwined into a complex problem flow, which redefines itself ad infinitum. Solutions then should be designed to address future problems, in contrast to planning processes which aim to solve the problems of the past. (...) [T]wo parallel processes must be organized and managed. In the first stream of decisionmaking, many organizations, particularly citizen groups, private lobbyists and politicians will formulate their preferences and prioritize a series of government actions towards a better future. The second stream (...) is to define interesting solutions for future sets of problems. Not all solutions will be implemented. This depends on the ability of one group to design a better solution than competing
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groups. (...) At (...) a crucial decision-making moment the actors in the problem flow can give their opinions on the proposals. (...) As soon as there is sufficient support from social, economic and political groups the proposal can be implemented." (G.R. Teisman 2000: 237) Biirgerlnnen erhalten die Motivation, sich zu beteiligen, da die Wirkungschancen ihrer Beteiligung steigen. Die Einbeziehung in die Auswahl der formulierten Losungsalternativen zwingt sie tiberdies zur intensiven Auseinandersetzung. Eine Lemumgebung ftir den Prozess entsteht, wenn im Prozess so die Moglichkeit der Diskussion zwischen offentlicher Hand, Eigentiimerlnnen, Investorlnnen und Biirgerlnnen geschaffen wird. Ftir eineN Akteurin, der bzw. die ein Projekt befiirwortet, das auf Widerstand stoBt, gilt es ,Kompensationsangebote ftir die Gegnerlnnen zu machen - diese mtissen nicht, konnen aber fmanzieller Natur sein. In der Stadtentwicklung sind solche Ansatze noch wenig verbreitet, aber versprechen doch, im engsten Sinn strategisch insofem zu wirken, als sie Strategien aus der Kommunikation der Beteiligten heraus interaktiv generieren helfen - mit dem Vorteil, dass bereits Vor- und Nachteile abgeglichen und Weiterentwicklungen von „Roh-Strategien" im Prozess denkbar werden. Die Urform eines solchen Vorgehens auf regionaler Ebene ist das Raumordnungsverfahren, das nicht mit raumlichen Planen „passfahige" Vorhaben durch Prtifiing ihrer moglichen Wirkungen und deren Berlicksichtigung in Plananderungen zu integrieren versucht. Weiterentwicklungen fmden sich im laufenden Stadtentwicklungsprozess von Cleveland/ Ohio („Connecting Cleveland 2020 Citywide Plan", vgl. http://planning.city.cleveland.oh.us/cwp/), in der biirgerorientierten Ideenproduktion ftir die Entwicklung Hamburgs und insbesondere der Elbinsel (vgl. www.wachsende-stadt.hamburg.de/grafikversion/projekte/buergerideen/buergerideen.html; www.insel-im-fluss.de) oder der bottom-up-Initiative zur Stadtentwicklung in Bologna (vgl. www.celestini.it). Hier wird deutlich, dass teilweise die Initiative von Biirgerlnnen selbst ausgehen kann, wenngleich noch nicht systematisch erforscht ist, unter welchen Rahmenbedingungen Btirgerlnnenengagement so intensiv wird, dass daraus wegweisende Impulse fiir die Stadtentwicklung hervorgehen. Ausgewogene Balance von Problemlosungsanspruch und Projektorientierung: Um auf konkrete Probleme eingehen zu konnen und sich der Erfolgsbewertung von stadtentwicklungspolitischen MaBnahmen in einem hochst komplexen Wirkungsumfeld auf gesamtstadtischer Ebene iiberhaupt realistisch stellen zu konnen, wurde in Zeiten des Versorgungsparadigmas liber die Einfiihrung von BedarfsgroBen zu einem Trick gegriffen: Anhand der Messung von „Versorgungsgraden" war politischer Erfolg scheinbar messbar geworden, wie etwa durch den Indikator „Wohnflachenverbrauch pro Kopf. Wenn derart einfache
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Indikatoren nicht mehr allein angemessen scheinen, aber sowohl die Zahl potentieller Erfolgsindikatoren von Politik uniiberschaubar ist als auch deren Monitoring die Ressourcen der offentlichen Verwaltung iibersteigt, ist die Balance von Problemlosungsanspmch und Projektorientierung in der strategischen Planung neu zu justieren. Hier bietet sich der „Syndromansatz" (F. Reusswig 1999) zumindest zeitweise fiir eine Biindelung von Projekten unter einem Oberziel an. Syndromorientierte verflochtene Problemlosungsstrategien gehen davon aus, dass das eigentliche Ziel strategischer Planung gar nicht ein „umfassender" Plan ist, der samtliche wichtige und weniger wichtige raumbezogenen MaBnahmen der Stadtpolitik integriert. Vielmehr wird er dann strategisch, wenn er klare Prioritaten fur den Ressourceneinsatz der offentlichen Hand formuliert, aber sicherstellt, dass diese nicht im Widerspruch zueinander stehen. In Zeiten begrenzter Ressourcen, in denen sich die Stadtentwicklung von einem umfassenden Regelungsanspruch verabschiedet, bleibt die Moglichkeit bestehen, Schliisselthemen zu formulieren, die dann handlungsleitend werden konnen.*^ Ansatze zu einem solchen Vorgehen lieBen sich zuhauf benennen, etwa die Leitprojekte des Stadtentwicklungskonzepts Stuttgart oder der „Perspektive MUnchen" (vgl. H. Keppel 2004b), der Vorschlag einer Ausrichtung der Stadtpolitik auf die Forderung sowohl der Alten- als auch Kindergerechtigkeit in einer „Stadt des neuen Generationenvertrags" oder die Idee der „Innenstadt als Kaufhaus", in der alle in einer Altstadt angesiedelten Laden sich gemeinsam positionieren, um gegen die „Grtine Wiese" bestehen zu konnen, indem sie ahnliche Qualitaten wie ein Shopping Center in ihrer Zusammenarbeit schaffen (vgl. www.perspektive-memmingen.de). Selbstverstandlich ist dieses Vorgehen nicht. Im ungiinstigen Fall sind zwar viele Projektideen auf Leitbilder und Leitziele bezogen, aber der Schwung zur Durchsetzung eines leitprojekthaften Zusammenhangs fehlt. Die Umsetzbarkeit eines solchen Ansatzes hat auch organisatorische Voraussetzungen. John Bryson (2000: 213-214) schlagt dazu den Aufbau von „Strategic issues management systems" vor, also die Einrichtung von relativ unab18 Am Beispiel des Verkehrs sei dieses Vorgehen kurz eriautert (das Beispiel verdanke ich Markus Hesse): Verkehrstote sind die schlimmste Konsequenz von Verkehr. So lange es noch Verkehrstote gibt, ware es eine sinnvolle Herangehensweise, die Verkehrspolitik darauf auszurichten, vorrangig todliche Unf^lle zu vermeiden. Das gesellschaftliche „Syndrom" - kompliziertes Zusammenwirken von Umstanden, die Verkehrstote hervorbringen - steht leitbildhaft am Beginn der Ausarbeitung einer ProblemlOsungsstrategie. Durch die Verflechtung mehrerer solcher Einzelstrategien kOnnte mOglicherweise ein pointiertes Entwicklungsprogramm fiir die Stadtpolitik entstehen. Ein „Leitbild", das sich aus den operationalisierbaren, am Ursprung der Einzelstrategien stehenden Oberzielen ergibt (wie im Beispiel die drastische Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten), hatte dann den Vorzug einer unmittelbaren „Ubersetzung" in Teilziele und schlieBlich MaBnahmen. Auf diese Weise lasst sich die Gefahr bannen, dass Leitbilder vorwiegend aus sehr allgemeinen und austauschbar wirkenden Anspruchen bestehen und zu verpuffen drohen.
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hangigen Verantwortungsbereichen, die jeweils fur einen bestimmten strategischen Themenbereich zustandig sind. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass die Verantwortungsbereiche offenbar gerade nicht klassische Ressorts sein konnen, sondem eher den Charakter von projektbezogenen Task Forces haben soilten. Nichtsdestoweniger ist ihre zentrale Koordination erforderlich, um eine wirkliche Verflechtung der Einzelstrategien zu gewahrleisten. In deren Rahmen wird auch mit zwischen den Einzelstrategien auftretenden Widerspriichen umzugehen sein. Ob die beschriebenen Ansatze erfolgreich sein konnen, ist nicht immer sofort abzusehen. Sie stellen aber einen Versuch dar, angesichts der Schwierigkeiten, auf die strategische Planungsansatze immer wieder stoBen, intensiv auf die Herausforderungen des Attraktivitatsparadigmas einzugehen. Eine RUckkehr zu vermeintlich goldenen Zeiten, in denen das Gott-Vater-Modell von Planung das berufliche Selbstverstandnis der Planungsprofession ausmachte, ist wohl nicht zu erwarten. Das Risiko einer weiter fortschreitenden Marginalisierung der raumlichen Planung (K. Selle 2005) sollte jedenfalls Anlass genug dafiir sein, iiber die Moglichkeitsraume strategischer Planung immer wieder zu reflektieren. Literatur Akademie ftir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (2005): Handworterbuch der Raumordnung. 4. Auflage. Hannover. ARL Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (1995): Handworterbuch der Raumordnung. 3. Auflage. Hannover: ARL Albers, Gerd (1995): Stadtentwicklungsplanung. In: Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (1995): 881-884 Albers, Gerd (1993): Uber den Wandel im Planungsverstandnis. In: Raumplanung 61. 1993. 97-103 Altrock, Uwe (2005): Stadtumbau in schrumpfenden Stadten - Anzeichen fiir ein neues Governance-Modell? In: Altrock et al. (Hrsg.) (2005): 155-176 Altrock, Uwe (2004): Anzeichen fiir eine „Renaissance" der strategischen Planung? In: Altrock et al. (Hrsg.) (2004): 221-238 Altrock, Uwe (2003): Hamburg als Insel der Seligen im Meer schrumpfender Stadte? In: Planungsrundschau 7. 2003. 127-145 Altrock, Uwe (2002): Die Berlin-Studie vor ihrer Umsetzung? In: Planungsrundschau 3/4. 2002. 85-108 Altrock, Uwe/ Giintner, Simon/ Huning, Sandra/ Peters, Deike (Hrsg.) (2005): Zwischen Anpassung und Neuerfmdung. Raumplanung und Stadtentwicklung in den Staaten der EU-Osterweiterung. Berlin Altrock, Uwe/ Giintner, Simon/ Huning, Sandra/ Peters, Deike (Hrsg.) (2004): Perspektiven der Planungstheorie. Berlin: Leue Verlag
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Stadtplanung zwischen Umbruch und Kontinuitat Sven-Patrick Marx
„Und ob alles in ewigem Wechsel kreist, Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist." Als Friedrich Schiller diesen Vers 1797 niederschrieb, dachte er - so darf mit Fug und Recht unterstellt werden - keineswegs an die Entwicklungsgeschichte der Stadtplanung im spaten 20. und beginnenden 21. Jahrhundert. Nichtsdestotrotz deutet die Gegeniiberstellung von „ewigem Wechsel" und „ruhigem Geist" metaphorisch auf die jiingere Planungsentwicklung hin. Denn diese ist in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung von einer zentralen Antinomic bestimmt, bei der der These eines wechselvollen, von Zasuren gepragten Verlaufs die Gegenthese gegentibersteht, dass es diese Zasuren nicht oder zumindest nicht in einer die Planungsentwicklung dominierenden Form gab. Im vorliegenden Beitrag wird versucht, die Antinomic unter Einbeziehung des planungsrelevanten gesellschaftlichen Kontexts in einen Erklarungszusammenhang einzuordnen, der unterschiedliche Entwicklungsstrange der Planung differenziert. Bezogen auf die Planungsentwicklung der letzten gut fiinf Jahrzehnte entsteht im Ergebnis das Bild einer „differenzierten Dichotomic", die auf der Koexistenz der beiden die heutige Planung gleichermaBen pragenden Entwicklungsstrange des Umbruchs und der Kontinuitat griindet und ein fiir die aktuelle Planungsentwicklung bedeutendes Spannungsfeld aufzeigt. Am Beispiel des collaborative planning-Ansatzes soil abschlicBend verdeutlicht werden, dass die in dem Spannungsfeld angesiedelten Kontroversen richtungsweisend fiir die Zukunft der Planung sind nicht zuletzt fur eine strategieorientierte Planung im kooperativen Staat. 1
Problemstellung
Dass die Entwicklungsgeschichte der Stadtplanung seit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts von Wandel und Veranderung gepragt ist, lasst sich mit Blick auf den gesamten Zeitraum nicht von der Hand weisen. Vordergrlindig scheint diese Entwicklungsgeschichte einem „essentialistic life-cycle model of planning's birth, growth, maturation and midlife-crisis" (S. Campbell/ S. Fainstein 1996: 5) zu entsprechen, das bei genauerer Analyse zur Definition
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einzelner, recht klar unterscheidbarer Planungsperioden bzw. -phasen fiihrt (G. Albers 1993). Es ist vor allem die uniibertroffene Klarheit, mit der sowohl das in den einzelnen Phasen jeweils vorherrschende Planungsverstandnis als auch die Phasentibergange erklarenden Zasuren dargestellt werden, die die groBe Popularitat dieses Erklarungsansatzes begrlindet. So ergibt sich fiir die Planungsentwicklung seit 1945 ein wechselvoller Verlauf, bei dem auf die Phase der Auffang- bzw. Angebotsplanung in den 1960er und 1970er Jahren die Phase der integrierten Entwicklungsplanung folgt, bei der die Formulierung abstrakter Ziele und ZielverkniipfUngen sowie ihre Ubertragung in Handlungskonzepte in den Vordergrund riicken. Die damit verbundene und einst euphorisch dargelegte Auffassung, dass sich staatHche und zum Teil auch privatwirtschaftHche Aktivitaten ressortiibergreifend steuem lassen, schlagt allerdings angesichts einer stark eingeschrankten Umsetzbarkeit bald in Emuchterung um. Die folgende Zasur wird von einer Orientierung auf einzelne stadtebauHche Projekte statt auf Zielkonzepte der raumlichen Entwicklung und ebensolche Leitbilder gepragt und begrifflich mit Bezug auf Charles E. Lindblom (1959) als Inkrementalismus gefasst. Gerade Leitbilder und Entwicklungskonzepte erleben anschlieBend eine Renaissance, indem sich viele Stadte langfristiger Zielorientierungen und -formulierungen selektiv wieder annehmen, wenngleich diesmal ohne einen all umfassenden staatlichen Steuerungsanspruch (H. Becker et al. 1998). Stattdessen pragen kooperative Elemente diese Phase der sog. Perspektivplanung. Das Bild eines wechselvollen, durch zahlreiche Zasuren gepragten Verlaufs der Planungsentwicklung ruft seit langerem Widerspruch hervor. Die Beispiele retrospektiver Relativierungen sind vielfaltig, wenngleich sie zumeist bei der Entwicklungsplanung ansetzen, die als nicht reprasentativ fur die tatsachliche Planung der 1960er und 1970er Jahre angesehen wird (z. B. S.Campbell/ S. Fainstein 1996: 9; J.L. Kaufman/ H.M. Jacobs 1987: 328). Besonders umfassend stellt Klaus Selle (1998) die phasengeleitete Entwicklung der Planung in Frage. Auch seiner Meinung nach hat es die Entwicklungsplanung, weil sie zum groBen Teil nur in Konzepten und nicht als Planung existierte, nicht gegeben - „zumindest nicht im Sinne des sog. ,geschlossenen' Modells und zumindest nicht in dem Sinn wie es Anpassungs- und Auffangplanung gab." (1998: 57) Gleichsam entkraftet er die Gleichsetzung des Inkrementalismus mit einer Riickkehr zur „schlechten Normalitat" (1998: 59) und weist darauf hin, dass Braybrooke und Lindblom (1972) mit dem Inkrementalismus statt einer blinden Projektorientierung eine Strategic fragmentierter (disjointed) und fehlerfreundlicher Entscheidungsprozesse meinten, deren Inkremente (begrifflich korrekt) auf positive Veranderungen ausgerichtet sind. Damit ist praktisch automatisch eine Orientierung, eine Perspektive verbunden, wenn die kleinen Schritte nicht mit einer gewissen Absichtlichkeit „im Kreis, zuriick oder in die Irre" fuhren sollen (K. Selle 1998:
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60). Entsprechend ist laut Selle die von Ganser eingebrachte Bezeichnung des perspektivischen Inkrementalismus nicht als Leitmotiv einer neuen Planungsphase zu sehen, sondem vielmehr als Verdeutlichung des „solide[n] Kem[s] des Planungsgeschehens der letzten Jahrzehnte" (1998: 60). Folgt man diesen retrospektiven Relativierungen, so wird insgesamt deutlich, dass ein iiberwiegender Teil der raumlichen Planung, wenn man so will der „Mainstream" der Planungspraxis, in den letzten knapp ftinf Jahrzehnten eher mit einiger Geradlinigkeit zwischen den Extremen der vordergriindig so wechselvollen Planungsentwicklung verlief, als dass diese Extreme tatsachlich intensiv durchlaufen worden waren. Dies verdichtet sich zu einer bedeutenden Antinomie: Der vordergriindig einleuchtenden These, dass Veranderungen und einschneidende Wechsel in Form klar definierbarer, serieller Zasuren die Planung bestimmten, steht die nicht minder schliissig begrtindete Gegenthese gegeniiber, dass es diese Zasuren nicht oder zumindest nicht in einer die Planungsentwicklung dominierenden Form gab. Der leicht nachvollziehbare Schluss, die Phasen der Planungsentwicklung als Schichten zu begreifen, die sich iiberlagem, aufeinander aufbauen und sich zu einer von hoher Kontinuitat gepragten Entwicklung der Planung verdichten, ist zunachst eine uberzeugende Auflosung der Antinomic und erklart treffend die „Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem" in der heutigen Planung (K. Selle 1998: 54-57). Dennoch bleibt die Frage, ob es neben dieser „Ubersetzung" der seriellen Zasuren in ein additives Kontinuum nicht noch andere Moglichkeiten gibt, die Planungsentwicklung der letzten gut fiinf Jahrzehnte zu verstehen. Die Antinomic in ihrer Auspragung und moglichen Auflosung konnte nicht „nur" eine Frage der Wahmehmung und Deutung der Planungsentwicklung sein, sondem weitaus tiefer in ihr verankert sein und auf ihren heterogenen Charakter hindeuten. Dann wurde es sich mit Blick auf die heutige Planung nicht mehr „nur" um die „Gleichzeitigkeit von Ungleichz^/r/gem'\ sondem womoglich um die „Gleichzeitigkeit von Ungleich-, d. h. Verschicdenartigem" handeln. Dieser Fragestellung soil im Folgenden nachgegangen werden. Dabei wird in einem ersten Schritt versucht, sich der Antinomic iiber den gesellschaftlichen Kontext, in den die Planung eingebettet ist, zu nahem, um festzustellen, welche Zasuren fur die Planung in den letzten Jahrzehnten iiberhaupt von einschneidender Bedeutung gewesen sind. Vor diesem Hintergrund wird dann im zweiten Schritt versucht, die Entwicklung der Planung zu differenzieren, um beide Seiten der Antinomic beleuchten zu konnen.
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Von den Veranderungen im gesellschaftlichen Kontext zum Umbruch im Planungsverstandnis
Auf der Suche nach Zasuren, die die Planung nachdnicklich und umfassend pragen, kommt man nicht umhin, den Blick auf den breiten gesellschaftlichen Kontext zu richten, in den Planung eingebettet ist und der die Entwicklung der Planung maBgeblich beeinflusst. Waren die 1960er und 1970er Jahre bereits im Rahmen der retrospektiven Relativierungen der Ausgangspunkt wichtiger (relativierender) Uberlegungen, so erlangt dieser Zeitraum mit Bezug auf die gesamtgesellschaftlichen Veranderungen nunmehr eine auch real herausragende Bedeutung, da in dieser Zeit zahlreiche planungsrelevante Transformationsprozesse erstmals in den Vordergrund traten. Mit soziookonomischen und soziokulturellen Transformationen sowie Transformationen im Verhaltnis zwischen Markt und Staat konnen sie in drei bedeutenden planungsrelevanten Kategorien zusammengefasst werden, von denen zwei in der nachfolgenden tabellarischen Kurzubersicht mit ihren wesentlichen Auswirkungen auf die Stadtplanung stichpunktartig umrissen werden (die dritte wird weiter unten aufgegriffen). Sozio-okonomische Transformationen allgemeiner Transformationsprozess: Seit den 1970er Jahren tief greifender soziookonomischer Umbruch (vgl. z. B. die Regulationstheorie nach Boyer). Pragend sind vor allem: • Deindustrialisierung und Tertiarisierung; • Massenarbeitslosigkeit und wachsende Einkommensunterschiede sowie als Folge wachsende soziale und sozialraumliche Differenzierung insbes. in den Stadten; • neue Stadtehierarchien mit einer intensivierten, zum Teil globalisierten Stadtekonkurrenz. Hinzu kommen mittlerweile einschneidende demographische Veranderungen.
Auswirkungen auf die Stadtplanung: • Aufgabenspektrum: Brachfallende Industrie- und Infrastrukturareale als bedeutende Entwicklungspotentiale werden zu zentralen stadtplanerischen Aufgabenstellungen. • Handlungsmoglichkeiten: Einschrankungen vor allem durch drastische Mittelverknappung der offentlichen Haushalte. • Zielrichtung der Stadtentwicklung: Konzentration auf die sich verscharfende Standortund Stadtekonkurrenz (Wettbewerbsorientierung).
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Transformationen im Verhaltnis Markt-Staat allgemeiner Transformationsprozess: Auswirkungen auf die Stadtpla• Bis in die 1970er Jahre: Dualismus nung'. zwischen Markt und Staat als weit- • Kooperationen nehmen an gehend stabiles Paradigma. Bedeutung zu, bis hin zu in• Spatestens seit Mitte der 1980er stitutionalisierten Public PriJahre: grundsatzliche struktur- und vate Partnerships. ordnungspolitische Umkehr in • Somit insgesamt starkere Ausrichtung der offentlichen Staat und Verwaltung, intensiv Stadtplanung auf die Bedtirfverkniipft mit den Phanomenen nisse der privatwirtschaftliPrivatisierung, Deregulation, chen Akteurlnnen. Kooperation, New Public Management. Tabelle 2: Planungsrelevante Transformationsprozesse in der Kurziibersicht Auf Grund der relativen Gleichzeitigkeit sowie der enormen Wirkungsbreite und -tiefe dieser Veranderungen wird klar: Wenn man bei der Betrachtung der Planungsentwicklung in den letzten fiinf Jahrzehnten eine bedeutsame Zasur auszumachen vermag, dann muss sie hier verankert sein. Aber welcher Gestalt ist diese Zasur und was bedeutet und bewirkt sie in der Planung? Beginnend mit dem letzten Teil der Frage haben diese vielschichtigen Veranderungen - neben den oben genannten Einzelaspekten - ihre Wirkung am eindeutigsten und nachvollziehbarsten im Denken iiber und im Verstandnis von Planung hinterlassen. Philip Allmendinger (2002a: 13) sieht darin den Ubergang („broad trajectory") von einer positivistischen zu einer post-positivistischen Planungstheorie und einem entsprechenden Planungsverstandnis. Begrifflich kniipft er damit vor allem an die soziokulturellen Transformationen an, die allgemein mit den Begriffspaaren Modeme/ Postmodeme, Strukturalismus/ PoststrukturaHsmus sowie mit wissenschaftstheoretischem Einschlag als Positivismus/ Post-Positivismus gefasst werden. So ist im Positivismus die Gultigkeit menschlicher Erkenntnis auf objektiv erfahrbare und somit verifizierbare „Tatsachen" beschrankt und die oblektiv-wissenschaftliche Feststellung von Gesetzmafiigkeiten wird als Ideal der Erkenntnis angesehen. Dementsprechend auBert sich ein positivistisches Planungsverstandnis besonders augenfallig in der von Andreas Faludi seinerzeit vertretenen Auffassung, dass Planung kaum mehr ist als „the application of scientific method - however crude - to policy making" (1973: 1). Dies macht in radikaler Form deutlich, was im Mittelpunkt dieses Planungsverstandnisses steht: Dem Planer bzw. der Planerin wird eine technokratische Rolle zugewiesen, indem er bzw. sie sich auf die fachlich korrekte Durchftihrung von Planungsver-
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fahren und -prozessen konzentrieren und so die von der Politik defmierten Ziele umsetzen soil. Daraus erwuchs laut Philip Allmendinger (2002b: 27) die paternalistische Idee der Gegenliberstellung von „denen" (der Offentlichkeit) und „uns" (den fachlich qualifizierten Planerlnnen). Insgesamt reicht die dominierende Wirkung des Positivismus vom 19. bis weit ins 20. Jahrhundert und erlebte mit den rationalen Planungsmodellen und -konzepten der 1960er und 1970er Jahre („nur") ihren Hohepunkt. Fast zeitgleich setzte eine tief greifende Erschiitterung dieses die Planung tiber viele Jahrzehnte pragenden Verstandnisses gleich in zweierlei Hinsicht ein (P. Allmendinger 2002b: 27-28). So gewannen zum einen neue wissenschaftstheoretische Ansatze, insbesondere von T. Kuhn (1962) und P.K. Feyerabend (1978), zunehmend an Bedeutung, deren paradigmengeleitete Sicht der Wissenschaftsentwicklung wegweisend fiir den starken Bedeutungszuwachs subjektiver und normativer Aspekte war. Sie begriindeten auf diese Weise eine stark relativierende Wissenschaftssicht, die den Positivismus in seinen Grundfesten ins Wanken brachte. Zum anderen wurde auch unmittelbar das positivistische Planungsverstandnis erschtittert, well die technokratischen Ansatze genau jene (vor allem sozialraumlichen) Probleme nicht adaquat behandeln konnten, die Planerlnnen und Telle der Offentlichkeit langst wahmahmen und auf (nach damaligem Verstandnis) eher unwissenschaftliche, direkte Weise bearbeiten wollten. Rasch entstand nicht nur eine scharfe Kritik an raumlicher Planung und dem, was sie real, d. h. raumlich, bewirkt, sondem es wurden dariiber hinaus alternative Planungsansatze entwickelt, die zumeist versuchten, die Planung aus ihren positivistischen Fesseln zu losen. Das Spektrum ist weit reichend und umfasst im Wesentlichen (hier stichpunkthaft aufgezahlt): die auMttelnde Urbanismus-Kritik (J. Jacobs 1961; R. Sennett 1973); die Skizzierung altemativer Planungsstile (C.E. Lindblom 1959; A. Etzioni 1967); die eingehende Auseinandersetzung mit „advocacy" und „equity planning" (P. Davidoff 1965; N. Krumholz et al. 1979); den Ansatz des „transactive planning" (J. Friedmann 1973) sowie - wenngleich mit einer ganzheitlich planungskritischen Zielrichtung - die neomarxistische Planungskritik (D. Harvey 1973; M. Castells, 1977). Diese bedeutenden und zumeist sehr fundierten „Angriffe" auf das alte, positivistische Planungsverstandnis bereiteten schlieBlich den Weg fiir ein neues Verstandnis von Planung, das Allmendinger als post-positivistisch beschreibt. Dabei charakterisiert er den aus der Sozial- und Wissenschaftstheorie entlehnten Begriff des Post-Positivismus allgemein anhand von vier zentralen Merkmalen (2002a: 7): Dies sind
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die Ablehnung positivistischer Auffassungen und entsprechender Methoden sowie die gleichzeitige Hinwendung zu Ansatzen, die Theorien und Disziplinen in groBere soziale und historische Kontexte einbetten; die Verwendung normativer Kriterien, um zwischen konkurrierenden Theorien entscheiden zu konnen; die Allgegenwart einer Vielfalt von Erklarungsansatzen und Theorien sowie das Verstandnis von Individuen als autonome Subjekte.
Unter diesen Pramissen wird der/die Planerin zu einem/einer fehlbaren und keineswegs mehr von der OffentHchkeit getrennt zu sehenden Ratgeberin (Moderatorln, Mediatorin usw.), der/die in einer komplexen Welt agiert, in der es typischerweise keine eindeutig richtigen Antworten gibt, aber eine Vielzahl moglicher, zunachst unbestimmter Optionen. Die aus post-positivistischer Sicht charakteristische Vielfalt von Erklarungsansatzen und Theorien spiegelt sich in der Planung wider und gibt dem post-positivistischen Planungsverstandnis eine breite Basis. Als Hauptrichtungen defmiert Allmendinger (2002a: 13-17) die postmodeme Planung (u. a. M. Dear 1986; R.A. Beauregard 1989; E.W. Soja 1997); den Neo-Pragmatismus (u. a. C. Hoch 1994; N. Verma 1996) sowie die ohne Zweifel bedeutendste post-positivistische Richtung der kommunikativen, kollaborativen (bzw. kooperativen) Planung (u. a. J. Forester 1989; P. Healey 1997; [K. Selle 1994]). Diesen Planungsansatzen ist nicht nur gemein, dass sie sich mehr oder weniger deutlich gegen ein positivistisches Planungsverstandnis wenden bzw. davon abheben, sie sind dartiber hinaus aufs Engste mit den oben erwahnten Transformationsprozessen verkniipft und griinden damit auf vielen realen Veranderungen, die die Planung in den letzten Jahrzehnten tatsachlich durchlaufen hat bzw. weiterhin durchlauft (vgl. exemplarisch Tab. 2). Insgesamt wird so zunachst deutlich, welch weit gefasste, libergeordnete Veranderung im Planungsverstandnis sich hier vollzieht, die auf Grund ihres Umfangs und ihrer Intensitat jenseits der oft auf einzelne Planungsstil- und Planungsleitmotivwechsel reduzierten Zasuren der Phasen geleiteten Planungsentwicklung angesiedelt ist. Daher erscheint es gerechtfertigt, diese ftindamentale, libergeordnete Zasur als Umbruch zu begreifen. Allerdings handelt es sich bei diesem Umbruch, entgegen anderer begrifflich nahe liegender Assoziationen, um einen vielschichtigen und bisher nicht abgeschlossenen Prozess und nicht etwa um den Ad-hoc-Beginn einer neuen Ara oder Epoche. Entsprechend verbindet sich mit ihm trotz weitreichender Wirkungen und vieler realer Bezugspunkte in Planungsalltag und Planungspraxis kein diesbeziiglich allgemeiner Geltungs- und Umsetzungsanspruch, etwa im Sinne einer einzelnen neuen, nun alleine vorherrschenden Planungsart oder -kultur.
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Sven-Patrick Marx Kontinuitat als Pendant des Umbruchs
Diese Relativierung des skizzierten Umbruchs deutet bereits darauf hin, dass dieser allein die Planungsentwicklung der letzten gut ftinf Jahrzehnte nicht hinreichend zu beschreiben vermag, denn bedeutende Elemente der Planung unterlagen tatsachlich keinen solch tief greifenden Veranderungen. Sie entwickelten sich stattdessen mit hoher Kontinuitat und koppeln sich somit zunachst deutlich vom Umbruch des Planungsverstandnisses ab. In diesem Zusammenhang stehen zwei konstituierende, hochst formale Elemente der Planung im Vordergrund. Dies ist zum einen die politisch-administrative Verankerung der Planung, denn Planung als formal nach wie vor hoheitlich-regulative Aufgabe des Staates - vor allem der Kommunen - bedarf nach wie vor politischer Entscheidungsgremien, entsprechender Beschlussfassungen und administrativer Strukturen. Diese Verankerung, die eine Orientierung am Allgemeinwohl voraussetzt und nach einer Legitimation des planerischen, weil staatlichen Handelns verlangt, ist mit einigen Variationen in alien westeuropaischen Landem stabil vorzufmden (P. Newman/ A. Thomley 1996: 27-38). Hohe Kontinuitat bestimmt dartiber hinaus auch das hier inhaltlich weit gefasste planungsrechtliche System, das im Laufe der letzten Jahrzehnte zwar durchaus signifikante Veranderungen erfuhr, in seinen Grundstrukturen - von den Zustandigkeiten der staatlichen Ebenen, auf denen sich Planung vollzieht, bis hin zu den zentralen Verfahren und Instrumenten (z. B. Bauleitplane) - jedoch weitgehend unverandert blieb. Immerhin werden im Planungsrecht vor allem instrumentelle Anpassungen an veranderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen sowie einen mitunter veranderten Planungsalltag in langeren Zeitraumen vorgenommen. Diese reichen z. B. in Deutschland von der Aufiiahme stadtebaulicher Gebote (§§175ff BauGB) bis hin zur Regelung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§12 BauGB) und stadtebaulicher Vertrage (§11 BauGB). Dass es sich dabei, wie etwa im Falle der stadtebaulichen Vertrage, zum Teil um nachtragliche Aufiiahmen in der Praxis langst etablierter Elemente handelt (G.Walker 1999: 2), unterstreicht die insgesamt vergleichsweise hohe Kontinuitat der planungsrechtlichen Entwicklung. Diese fmdet sich bezogen auf die formalen Grundstrukturen - auch in vielen anderen westeuropaischen Landem (zu den Ausnahmen und Unterschieden vgl. S.-P. Marx 2003: 55-59). Weil das politisch-administrative und planungsrechtliche System in der Regel in emem stabilen konstitutionellen und institutionellen Kontext verankert sind, kann es insgesamt nicht Uberraschen, dass sie in ihren Grundstrukturen viel weniger intensiv und - wenn tiberhaupt - mit langerfristigen Anpassungsprozessen statt mit fundamentalen Umbriichen auf Veranderungen in Gesellschaft und Planungsverstandnis reagieren. Mit Bezug auf den im vorangehenden Abschnitt
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skizzierten Umbruch im Planungsverstandnis wird somit die Koexistenz der beiden unterschiedlichen Entwicklungsstrange des Umbruchs und der Kontinuitat deutlich. Diese aus der Differenzierung verschiedener konstituierender Elemente der Planung und ihrer verschiedenartigen Entwicklung abgeleitete Dichotomic (zur begrifflichen Verwendung vgl. F. Tonkiss 1998) zeigt nicht nur rein deskriptiv die „Gleichzeitigkeit von Ungleich-, d. h. Verschiedenar^/gem" in der Planung, sondem impliziert zudem ein fiir die heutige Planung bedeutendes Spannungsfeld (vgl. Abb. 2). Denn ein post-positivistisches Planungsverstandnis steht mit dem nach wie vor in formalen Systemen verankerten hoheitlich-regulativen Charakter der Planung bereits potentiell im Widerspruch, mit einem paternalistischen Einsatz hoheitlich-regulativer Instrumente und Verfahren befmdet es sich dann spatestens in realem Widerstreit.
Abbildung 2:
Die dichotome Entwicklung der Planung und das implizite Spannungsfeld
Die Tatsache, dass sich unter den stark veranderten Rahmenbedingungen allein hoheitlich-regulativ und patemalistisch viele Aufgaben der Planung nicht mehr hinreichend bewaltigen lassen und somit enorme Steuerungs- und Legitimationsdefizite auftreten, ist zudem ja einer der Hauptanlasse fur den sich vollziehenden Umbruch im Planungsverstandnis, wie er in vorangehenden Abschnitt dargelegt wurde. Seit den 1970er bis 1980er Jahren lassen sich daher viele einschneidende Veranderungen der Planungspraxis und bedeutende Diskurse der Planungstheorie in dieses Spannungsfeld mit semer ftir zahlreiche Planungsaufgaben relevanten Steuerungs- und Legitimationsproblematik einordnen, deren
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Ziel in der Kegel die Losung bzw. Uberwindung der Problematik ist. Mit Blick auf die Planungspraxis umfasst dies z. B. den zunehmenden Einsatz informeller Planungsinstrumente und -verfahren sowie die Etablierung z. T. breit angelegter offentlich-privater Kooperationen im Stadtebau; mit Blick auf die Planungstheorie sind dies neben der politikwissenschaftlich motivierten Auseinandersetzung mit Fragen von Government und Governance (im Sinne von B. Jessop 1995) vor allem die dem post-positivistischen Planungsverstandnis zuzuordnenden Planungsansatze, die an den „communicative turn" (P. Healey 1992) ankntipfen. Letztgenannte dienen im folgenden Abschnitt einer kurzen Illustration des Spannungsfelds. 4
Illustration am Beispiel des „collaborative planning"-Ansatzes
Auch wenn sich das post-positivistische Planungsverstandnis charakteristischerweise nicht auf einen oder wenige Planungsansatze beschrankt, so sind es die in der Tradition des „communicative turn" (P. Healey 1992) stehenden Ansatze, die bisweilen als neues, dominierendes Paradigma der Planungstheorie angesehen werden (J.E. Innes 1995; E.R. Alexander 1997). Obgleich diese Theorierichtung eine groBe Bandbreite unterschiedlicher Variationen umfasst (vgl. P. Allmendinger/ M. Twedwr-Jones 2002: 206-207), soil hier nur auf den popularen Typus des von Patsy Healey (1997) begriindeten „collaborative planning" eingegangen werden. Die gesamte kommunikativ-kollaborative Planungsrichtung nimmt mit wenigen Ausnahmen Bezug zur Theorie des kommunikativen Handelns von Jlirgen Habermas (1985a, 1985b), in dessen Mittelpunkt die auf Verstandigung und gegenseitigem Einverstandnis griindende soziale Interaktion von Individuen steht. Dabei bedingt die kommunikativ rationale Herstellung von EinverstSndnissen, dass die Teilnehmenden mit keiner „systematischen Verzerrung ihrer Kommunikation" rechnen miissen (J. Habermas 1985b: 225). In der Planungstheorie wurden diese Uberlegungen aufgegriffen und im Rahmen der ..communicative planning theory" zu einem planungstheoretischen Kanon verarbeitet, in dessen Mittelpunkt der unter Beteiligung moglichst aller Planungsbeteiligten und -betroffenen kommunikativ zu erreichende Konsens steht (u. a. J. Forester 1989; P. Healey 1992; J.E. Innes 1995). In dieser Tradition nach wie vor verhaftet versucht Healey mit ihrem Entwurf eines ..collaborative planning'' durch die Integration zahlreicher weiterer planungsrelevanter Aspekte jenseits eines rein theoretischen Ansatzes ein „Modell fiir die Praxis" zu entwickeln (1997: xii). Dabei macht sie deutlich, dass es bei der praktischen Etablierung des Planungsansatzes keine Beschrankung auf die „weiche Infrastruktur" in Form sozialer
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Kollaborationen geben darf, sondem dass auch Planungssysteme und institutionalisierte Prozesse einschneidende Veranderungen erfahren miissen (1997: 286). Ankniipfend an die im vorangehenden Abschnitt dargelegte Betrachtung der Planungsentwicklung ist dies der Versuch, die auf formalen Systemen griindende Kontinuitat der Planung in den Umbmch des Planungsverstandnisses starker einzubeziehen, sie auf eine kommunikativ-kollaborative Planung auszurichten und damit das Spannungsfeld zwischen Umbruch und Kontinuitat weitgehend zu iiberbrlicken bzw. aufzulosen. Diese Haltung offenbart einen groBen Optimismus in die Anderbarkeit politisch-administrativer und planungsrechtlicher Systeme, der den Vertreterlnnen des „collaborative planning"-Ansatzes oft zum Vorwurf gemacht wird. Letztere erkennen zwar den enormen Umfang dieser Aufgabe und die auBerordentlichen Schwierigkeiten, aber, wie N. Harris (2002: 38) treffend formuliert: „[T]he possibilities of these [difficulties] being overcome are exaggerated." Darin wird - wie auch in vielen anderen Aspekten - der normative Charakter des Ansatzes deutlich, der bereits die Theorie des kommunikativen Handelns charakterisiert (J. Habermas 1985b: 583). Er gibt weitreichenden Anlass zur Kritik, am intensivsten von den Vertreterlnnen der ,4(^rk side of planning theory" wie Bent Flyvbjerg (1998) oder Tim Richardson (1996) (B. Flyvbjerg/ T. Richardson 2002). Sie attackieren mit Bezug auf Foucault (sowie Machiavelli und Nietzsche) den idealisierten, letztlich utopischen, von verzerrenden Machteinfliissen befreiten Rahmen, den es in Habermas' Theorie ftir die Konsensbildung braucht (2002: 46). Diese Distanz zwischen Ideal und Wirklichkeit spiegelt sich in der die gesamte Planungstheorie pragenden Flucht vor der Auseinandersetzung mit Macht und Machtspielen wider (B. Flyvbjerg/ T. Richardson: 61), wie sie fiir Interaktionen zwischen Menschen, vor allem aber fur die politische Arena in vielerlei Hinsicht charakteristisch sind und einer regelmaBigen Konsensbildung entgegenstehen. Flyvbjerg und Richardson (2002: 6If) pladieren daher fur eine intensivere Auseinandersetzung mit Macht und einem anders gelagerten Konzept politischer Kultur, das auch Konflikte mit einschlieBt, damit die Mehrheit der Planungstheoretikerlnnen nicht nur - wie bisher - weiB, wohin sie will, sondem auch, wie sie dorthin gelangen kann. Es ist leicht zu erkennen, dass diese Kontroverse unmittelbar in das Spannungsfeld zwischen Umbruch und Kontinuitat fallt. Denn der „dark side of planning theory" folgend laufen Ansatze, die auf der kommunikativen Rationalitat bemhen und damit einem post-positivistischen Planungsverstandnis zuzuordnen sind, ins Leere, weil sie auf originare (Macht-)Strukturen, die nicht nur, aber in hohem MaBe mit der politisch-administrativen Verankerung der Planung verkntipft sind, nicht hinreichend eingehen.
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Dariiber hinaus sind weitere wichtige Kontroversen ebenfalls in diesem Spannungsfeld angesiedelt. Eine der bedeutenderen betrifft die im „collaborative planning"-Ansatz ausfiihrlich behandelte Strategiebildung (P. Healey 1997: 243-283). Diese ist vor dem Hintergrund kollaborativer Planung ohnehin mit der Schwierigkeit behaftet, aus den Beratungen offener Diskussionsforen klare Strategien im Sinne sog. „deliberative paradigm changes" zu entwickeln (P. Healey 1997: 244). Twedwr-Jones und Thomas (1998) verweisen dariiber hinaus auf die mindestens gleichrangige Schwierigkeit, entwickelte Strategien in existierende politisch-administrative Strukturen zu integrieren. Da erst die Beseitigung beider Schwierigkeiten eine erfolgreiche Strategiebildung sicherstellt, steht auch hier dem „collaborative planning"-Ansatz in seiner Umsetzung das im Vergleich zum Planungsverstandnis viel schwerer veranderliche politisch-administrative System gegenuber. Diese Beispiele unterstreichen die zentrale Rolle, die dem im vorangehenden Abschnitt dargestellten Spannungsfeld hinsichtlich wichtiger Auseinandersetzungen der heutigen Planung zukommt. 5
Fazit
Die im vorangehenden Abschnitt exemplarisch aufgezeigte Rolle des skizzierten „zwischen Umbruch und Kontinuitat" angesiedelten Spannungsfeldes als Aktivzone wichtiger Kontroversen der heutigen Planung macht einmal mehr deutlich, warum die hier gewahlte „Ubersetzung" der fur die Planungsentwicklung charakteristischen Antinomic in eine „differenzierte Dichotomic" eine sinnvolle Alternative zu den etablierten Erklarungsansatzen darstellt. Dabei handelt es sich weniger um eine Umdeutung der dort beschriebenen und kontrovers diskutierten Planungsentwicklung, als vielmehr um den Versuch, die Planungsentwicklung aus einer anderen, starker kontextualisierenden und differenzierenden Perspektive zu betrachten. Der Perspektivwechsel ermoglicht diesbezuglich nicht nur Auskunft liber Entstehung und Verortung planungstheoretisch bedeutender Kontroversen zu geben, sondem er macht gleichermaBen deutlich, dass eine sinnvolle Uberbriickung bzw. dauerhafte Verringerung des Spannungsfeldes sowohl fiir die Planungstheorie als auch flir die Planungspraxis richtungweisend ist. Wenn gerade mit Blick auf die Planungspraxis die Veranderungskraft eines in normativen Planungsansatzen formulierten Optimismus zurecht zunehmend kritisch gesehen wird, dann zwingt dies zu einer noch intensiveren Auseinandersetzung mit den existierenden Strukturen und Systemen, die eine kommunikativkollaborative Planung zum Teil wesentlich behindem. Der „collaborative planning"-Ansatz zeigt hier im Vergleich zu vielen seiner planungstheoretischen Vorganger bereits wichtige Fortschritte. Dennoch wurde im vorangehenden Ab-
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schnitt offensichtlich, dass vor allem hinsichtlich einer starker kooperativen Ausrichtung des Staates und einer entsprechenden Entwicklung von Strategien noch bedeutende Hindemisse bestehen. Insbesondere mit Blick auf eine strategieorientierte Planung im kooperativen Staat wird also deutlich, dass es noch viel Raum gibt, um weitere Schritte zu unternehmen - auch im Sinne von Flyvbj ergs und Richardsons Aufforderung: „take a walk on the dark side" (2002: 61). Aber unabhangig davon, wie man sich der Problemstellung nahert: Eine strategieorientierte Planung im kooperativen Staat kommt um eine intensive Auseinandersetzung mit dem hier skizzierten Spannungsfeld nicht umhin, denn in der Planung verbinden sich Umbruch und Kontinuitat, Kooperation und Konflikt, basisdemokratisch-konsensorientiertes und hoheitlich-regulatives Vorgehen oder in den Worten von Schiller: „ewiger Wechsel" und der darin beharrende „ruhige Geist". In der alles andere als einfachen Bewaltigung dieser Vielschichtigkeit liegt die Zukunft der Planung, aber eben auch in hohem MaBe die Attraktivitat der Auseinandersetzung. Damit bleibt die Zukunft der Planung in vielerlei Hinsicht vor allem eines: spannend. Literatur Albers, Gerd: Uber den Wandel im Planungsverstandnis. In: RaumPlanung 61. 1993. 97-103 Alexander, Earnest R.: A mile or a millimetre? Measuring the „planning theory-practice gap". In: Environment and Planning B: Planning and Design 24. 1997. 3-6 Allmendinger, Philip (2002a): The Post-Positivist Landscape of Planning Theory. In: Allmendinger/ Twedwr-Jones (2002): 3-17 Allmendinger, Philip (2002b): Planning Theory. Basingstoke: Palgrave Allmendinger, Philip/ Twedwr-Jones, Mark (Hrsg.) (2002): Planning Futures. New Directions for Planning Theory. London/ New York: Routledge Beauregard, Robert A.: Between modernity and postmodemity. The ambiguous position of US planning. In: Environment and Planning 7. 1989. 381-395 Becker, Heidede/ lessen, Johann/ Sander, Robert (Hrsg.) (1998): Ohne Leitbild? - Stadtebau in Deutschland und Europa. Stuttgart/ Zurich: Karl Kramer Benko, Georges/ Strohmayer, Ulf (Hrsg.) (1997): Space and Social Theory. Interpreting Modemity and Postmodemity. Oxford: Blackwell Braybrooke, David/ Lindblom, Charles E. (1972): Zur Strategic der unkoordinierten kleinen Schritte (Disjointed Incrementalism). In: Fehl et al. (Hrsg.) (1972): 139-166 Campbell, Scott/ Fainstein, Susan (Hrsg.) (1996): Readings in Planning Theory. Maiden/ Oxford: Blackwell Castells, Manuel (1977): The Urban Question. London: Arnold Davidoff, Paul (1965): Advocacy and Pluralism in Planning. In: Faludi (Hrsg.) (1973): 277-296
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Sven-Patrick Marx
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Stadtplanung zwischen Umbmch und Kontinuitat
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Die Planung des Unplanbaren Was kann die Raumplanung von der Strategieforschung lemen?
Thorsten Wiechmann, Gerard Hutter
1
Europaweite Renaissance strategischer Planung
Im Kontext von Stadt- und Regionalentwicklung steht eine Renaissance strategischer Planung (P. Healey et al. 1997; W. Salet/ A. Faludi 2000; J. Friedmann 2004) auBer Zweifel. Dies machen parallele Entwicklungen in Theorie und Praxis deutlich. Europaische Stadte und Regionen befassen sich in jungster Zeit wieder mehr mit methodischen und prozessualen Fragen strategischer Planung. In der Theorie zeigt sich eine neue Debatte tiber strategische Planung als sozialer Prozess zur Erarbeitung von Inhalten und Strategien ftir das Management raumlichen Wandels (P. Healey et al. 1997: 5). Ziel ist es, den lokalen und regionalen Akteurlnnen Orientierung zu verschaffen und Schltisselakteurlnnen zu aktivieren und zu motivieren. Trotz vielfaltiger Unterschiede im Detail lasst sich ein gewisser Konsens dartiber feststellen, was heutzutage unter strategischer Planung verstanden wird. Dabei unterscheiden sich aktuelle strategische Plane trotz der vergleichbaren Grundvorstellung einer gesamthaften Steuerung von der integrierten Entwicklungsplanung der 1970er Jahre. Aktuelle strategische Plane sind danach weniger formale Dokumente, als vielmehr Rahmen fiir kunftige Entscheidungen. Sie streben eine Aufbruchstimmung an, verfiigen liber eine klare Zielorientierung (z. B. in Form eines Leitbildes) und zeigen eine enge Verbindung von Vision und Handlung. Generell machen sie den Versuch, die Stadt Oder die Region als lemendes System zu interpretieren und zu organisieren. Nach Bryson und Roering (1989) lasst sich der Wert strategischer Planung durch staatliche Akteurlnnen an drei Punkten festmachen: Erstens lenkt sie die Aufmerksamkeit der Schltisselakteurlnnen auf Prioritatenfragen, sie hilft zweitens Handlungsprioritaten zu bestimmen und drittens diese Handlungen zu generieren. Strategien liefern damit Bezugspunkte, an denen sich Akteurlnnen in bestimmten Situationen orientieren konnen. Im Gegensatz zur angelsachsischen Raumplanungsdebatte hat der Begriff „strategische Planung" in der deutschsprachigen Raumplanungsdiskussion er-
Die Planung des Unplanbaren
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staunlicherweise kaum Widerhall gefunden^^. Die in der Managementtheorie erarbeiteten theoretischen Grundlagen zur Strategieentwicklung fmden daher kaum Beachtung. Der Beitrag setzt an dieser Schwachstelle an. In Abschnitt 2 erfolgen zunachst grundlegende Ausfiihrungen zum Stand der Strategieforschung. Abschnitt 3 widmet sich den neueren theoretischen Ansatzen in der Raumplanung, ehe sich Abschnitt 4 abschheBend mit der Frage befasst, was die Raumplanung vom strategischen Management lemen kann. 2
Strategieentwicklung als unplanbarer Prozess
Wie ist die „wieder entdeckte" strategische Planung theoretisch einzuordnen? Die in den vergangenen drei Jahrzehnten erarbeiteten theoretischen und methodologischen Grundlagen zur Strategieentwicklung und strategischen Planung stammen in weiten Teilen aus der angelsachsischen Organisations- und Managementtheorie. Diese unterscheidet prinzipiell zwei einander diametral gegenuberstehende Strategiemodelle: das lineare und das adaptive Modell (E.E. Chaffee 1985; vgl. auch R. Whittington 1993; H. Mintzberg et al. 1999). Folgende Tabelle stellt die beiden Modelle in einer komparativen Ubersicht dar:
Akteurlnnen Ausgangsbasis
lineares Strategiemodell rational und informiert interne und exteme Analyse
Zeitperspektive prognostisch Vorgehen formale Planung Strategievollstandig und explizit formulierung zentrale Implementation Steuerungsmodus auf Strategen und Interaktion Expertlnnen beschrankt
adaptives Strategiemodell begrenzt rational und intuitiv Entdecken konsistenter Handlungen retrospektiv kollektives Lernen unvollstandig und implizit adaptives, graduelles Justieren partizipativ in kollektiven Prozessen
'^ Das Stichwort wird allerdings erstmalig in die 2005 erscheinende Neuauflage des von der ARL herausgegebenen HandwOrterbuchs der Raumordnung Eingang finden. Interessante Anknijpfungspunkte finden sich zudem in der neueren Diskussion uber strategische Entwicklungskonzepte von GroBstadten (K. Brake 2000; O. Frey et al. 2003) sowie in jungeren Beitragen zur Planungstheorie (U. Altrock et al. 2004; G. Hutter/ Th. Wiechmann 2005).
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Thorsten Wiechmann, Gerard Hutter lineares Strategiemodell Ziel-Mittel-Prozess
adaptives Strategiemodell Mittel-Ziel-Prozess
Ziel-MittelVerhaltnis Verhaltensmuster und Strategieinhalte definierte Ziele und Routinen erforderliche Mittel Entscheidungshilfe und Zweck Entscheidungsheuristik, absichtsvolle Steuerung Mobilisierungseffekt Tabelle 3: Lineare und adaptive Strategiemodelle im Vergleich (verandert nach Wiechmann 2005)
2.7 Lineare Ansdtze in der Strategieforschung Oft wird mit dem Begriff Strategic einfach ein Plan, cine systematischc Absicht assoziiert. Dies entspricht auch im Wesentlichen dem am weitesten verbrciteten, klassischen Denkansatz der Strategieforschung, dem linearen Modell. Diesem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass Strategien mittels eines iiberlegten und bewussten Planungsprozesses absichtsvoll umgesetzt werden. Dieser lineare Prozess bestehe aus einer formalisierten Analyse, einer darauf beruhenden Strategieformulierung und einer sich anschlicBenden Umsetzungsphase, der Strategieimplementierung. Methodisches Grundgertist der meisten analytisch-rationalen Ansatze ist das SWOT-Modell. Lineare Ansatze bauen auf einer Reihe von PrSmissen auf: 1. 2. 3.
4.
Strategiefmdung ist ein bewusster Entscheidungsprozess rational handelnder Akteurlnnen, der gesteuert werden muss. Strategien miissen auf einer umfassenden Analyse auft^auen. Die Verantwortung fur die Strategieformulierung liegt beim Strategen bzw. der Strategin, der bzw. die als Fiihrungskraft „oben" in der Organisationshierarchic angesiedelt ist und den Prozess kontrolliert. Die aus dem Entscheidungsprozess hervorgehenden Strategien sind explizit und vollstandig zu formulieren. Im letzten Arbeitsschritt wird die Strategic umgesetzt.
Um der Komplexitat der realen Welt zu begegnen, schlagen die Vertreterlnnen linearer Ansatze vor, Modelle zu konstruieren, welchc die fiir den Strategen bzw. die Strategin wichtigen Faktoren abbilden. Unter der Annahme voUstandiger Informationsversorgung und -verarbeitung soil die Komplexitat durch zweckgerichtete Planung und ein Ordnungssystem zur Zielerreichung beherrscht werden.
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Fiir Whittington (1993: 17) lassen diese Pramissen ein Bild entstehen, in dem der planende Stratege als General in seinem Zelt sitzt und Befehle an die Front sendet. 2.2 Adaptive Ansatze in der Strategieforschung Adaptive Ansatze erlebten eine weite Verbreitung in den 1970er Jahren, als das stabile soziookonomische Modell der Nachkriegszeit, der Fordismus, in eine anhaltende Krise geriet und mit ihm eine Planung, die die Krise weder vorhergesagt hatte, noch ihr Erfolg versprechende Strategien entgegen setzen konnte. Adaptive Strategieansatze setzen insbesondere an der empirischen Beobachtung an, dass lineare strategische Planungsansatze regelmaBig „versagen" (A. Wildavsky 1973). Betrachtet man einmal Strategien nicht im Hinblick auf die in die Zukunft gerichteten Ziele und das, was sie leisten sollen, sondem hinsichtlich ihrer tatsachlichen Ergebnisse, so zeigt sich in der Regel, dass nur ein Teil der realisierten Strategien bewusst geplant war. Der Begriff „Strategie" bekommt hier eine neue Bedeutung: Er steht fiir ein Endscheidungsmuster, ein konsistentes Verhalten. Aus der beabsichtigten Strategie werden nach Mintzberg etal. (1999: 23) einige Aspekte erfolgreich realisiert, andere hingegen nicht verwirklicht. Realisierte Strategien beruhen zu einem erheblichen Anteil auch auf sich herausbildenden, „emergenten" Strategien^^. Dies ist dann der Fall, wenn ein realisiertes Entscheidungsmuster zwar mit der Zeit ein konsistentes Verhalten zeigt, dieses aber im Vorfeld nicht explizit geplant war. Auch die adaptiven Ansatze bauen auf bestimmten Pramissen auf: 1. 2. 3. 4.
Monokausales Ursache-Wirkung bzw. Ziel-Mittel-Denken wird den Interdependenzen in komplexen Systemen nicht gerecht. Eine bewusste Kontrolle der komplexen realen Umwelt ist ausgeschlossen. Strategieentwicklung muss die Form eines Prozesses annehmen, in der Formulierung und Umsetzung letzten Endes nicht unterschieden werden konnen. Strategieentwicklung erfolgt nicht top-down, sondem durch kollektives Lemen und Anpassen.
^" Mit „Emergenz" wird allgemein das Entstehen neuer Qualitaten in komplexen Systemen beschrieben. ,„Emergenz' heiBt, dass in einem System Merkmale entstehen oder Ereignisse auftreten, die sich nicht unmittelbar aus den Eigenschaften der Elemente des betreffenden Systems ableiten lassen: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" (R. Mayntz 2000).
106 5.
Thorsten Wiechmann, Gerard Hutter Aufgabe des Strategen bzw. der Strategin ist es nicht, bewusste Strategien zu konzipieren, sondem den Prozess des strategischen Lemens so zu gestalten, dass neue Strategien entstehen konnen.
Der lineare Ziel-Mittel-Prozess verkehrt sich in adaptiven Strategieansatzen in einen Mittel-Ziel-Prozess um. Statt nach den geeigneten Mitteln zur Erreichung vorgegebener Ziele zu fragen, werden in einem kontinuierlichen Prozess der Anpassung an die Umwelterfordemisse nur jene Ziele ausgewahlt, von denen man vemiinftigerweise annehmen kann, dass sie mit den gegebenen Mittel realisiert werden konnen. Strategisches Verhalten konzentriert sich in diesem Verstandnis auf das graduelle Justieren von Routinen als Reaktion auf eine dynamische Umwelt. Artikulierte Strategien konnen sich in Handlungsroutinen spiegeln und so Entwicklungspfade beeinflussen. 2.3 Ein Entscheidungsprozessmodell der Strategieentwicklung Es ist offensichtlich, dass beide Denkansatze Schwachen aufweisen und sich daher seit einigen Jahren fundamentaler Kritik ausgesetzt sehen. In der Strategieforschung gilt seit den 1980er Jahren die Hneare strategische Planung als diskreditiert (G. Hamel 1997: 22). Dem umfassenden Steuerungsanspruch rationaler Ansatze wird widersprochen und ein inkrementelles, anpassungsbereites Verhalten gefordert. Auf Grund der begrenzten kognitiven Fahigkeiten der handelnden Akteurlnnen erscheinen alle Versuche, die fiir die Strategieentwicklung wichtigen Daten zu sammeln und zu analysieren, fehlerhaft und unvollstandig. Kritik an der adaptiven Denkschule macht sich v. a. an der mangelnden Anwendbarkeit ihrer Schlussfolgerungen fest. Die grundsatzliche Skepsis gegeniiber absichtlichen Steuerungsversuchen lasst wenig Spielraum fur die handelnden Akteurlnnen. Die Kunst des sich „Durchwurschtelns" als eine Variante des adaptiven Ansatzes kann zu einer Richtungslosigkeit fuhren, der jede strategische Komponente fehlt. Kurzfristige Nutzenerwagungen konnen vorausschauend argumentierende Konzepte dominieren. Die Kritik an beiden Denkansatzen lasst keine einfachen Antworten auf die Grundprobleme strategischer Steuerung zu: „Certainty is stolen away from every side." (R. Whittington 1993: 134) Heutige Ansatze basieren deshalb nicht mehr allein auf einem der beiden Strategiemodelle. Anders als im klassischen Planungsmodell gehen sie davon aus, dass sich die eigentliche Strategiebildung einem zentral gesteuerten Entscheidungsprozess entzieht. Wenn Strategien „auftauchen" konnen und sich herausbilden, dann entfallen zentrale Pramissen rationaler Planung. Strategieentwicklung wird „unplanbar".
Die Planung des Unplanbaren
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Von Strategien wird jedoch erwartet, dass sie eine wichtige Funktion erfiillen: Sie sollen Komplexitat reduzieren und dabei konsistentes Verhalten fordem. Sie sollen die groBen Fragen losen und die handelnden Akteurlnnen entlasten, damit diese sich auf die Details, die konkreten Handlungen und Routinen, konzentrieren konnen. Fiir Mintzberg etal. (1999: 258) liegt daher der SchlUssel zum Erfolg darin, einerseits das kollektive Lemen aufrechtzuerhalten und andererseits fiinktionierende Strategien weiterzuverfolgen. Bereits 1967 hatte Amitai Etzioni in Reaktion auf Lindbloms „disjointed incrementalism" das Konzept des „mixed scanning" entwickelt, das ein inkrementelles Vorgehen im Rahmen einer Ubergeordneten Perspektive vorsah. Daran zeigt sich exemplarisch, dass es nicht darum geht, zwischen linearem oder adaptivem Modell der Strategieentwicklung zu wahlen, sondem um ein Verstandnis der Strategieentwicklung, dass die von beiden Ansatzen vorgetragenen Argumente zu integrieren erlaubt. Die folgende Abbildung skizziert ein solches Gmndverstandnis:
Abbildung 3:
Das lineare und das adaptive Strategiemodell (vgl. Tab. 3) verwenden sehr unterschiedliche Grundannahmen daniber, wie Akteurlnnen Entscheidungen treffen bzw. treffen sollten. Das in Abb. 3 skizzierte Gmndverstandnis setzt deshalb bei den einzelnen Entscheidungshandlungen an und bettet diese in den weiteren Zusammenhang von Entscheidungsmodi, Problemwahmehmung und Kontext ein. Das Treffen einer Entscheidung ist ein vielschichtiger, kontextabhangiger
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Prozess: Institutionen, beispielsweise die Rechtsnormen der Planung, beeinflussen strategische Entscheidungsprozesse maBgeblich. Der physische und institutionelle Kontext einer Strategie andert sich dabei zumeist nur mittel- bis langfristig. Stellt man Entscheidungen in den Mittelpunkt, sind die dazugehorigen Akteurlnnen bzw. Akteurskonstellationen dem Kontext zuzurechnen^\ Entscheidungsmodi, wie rationale Analyse und kooperatives Lernen, vermitteln zwischen dem Kontext, der Problemwahmehmung der Akteurlnnen und den einzelnen Entscheidungshandlungen. Sie sind deshalb fiir grundlegende Anderungen des Kontexts auf mittlere Sicht von zentraler Bedeutung. Das Prozessmodell nennt neben der rationalen Analyse, die dem linearen Planungsideal entspricht, funf weitere Entscheidungsmodi (vgl. B. Tonn et al. 2000: 170ff), mit denen die Pramissen des adaptiven Strategieverstandnisses beriicksichtigt werden konnen: Adhoc-MaBnahmen, Routinen, elitare Beratung, Konfliktmanagement und kooperatives Lernen. Eine leistungsfahige Strategieentwicklung erfordert neben der strategischen Planung auch den kontextabhangigen Einsatz der genannten alternativen Modi und ihre situationsspezifische Kombination. Das Prozessmodell verdeutlicht, dass zur Strategieentwicklung weit mehr gehort als Planung im Sinne linearer Steuerung. Analysen und hierauf beruhende Planaussagen bleiben dabei jedoch ein wichtiger Entscheidungsmodus. Der folgende Abschnitt zeigt, dass nicht nur in der Managementforschung, sondem auch in der Raumplanung das traditionelle Planungsverstandnis zunehmend um adaptive Elemente erweitert wird. 3
Kooperative Strategieentwicklung in der Stadt- und Regionalplanung Die Planungsdiskussion hat sich lange Zeit zwischen zwei idealtypischen Modellen bewegt: dem geschlossenen Modell einer umfassenden Entwicklungsplanung und dem offenen Modell der Stiickwerkstechnik, zwischen Comprehensive Planning und Disjointed Incrementalism. (W. Siebel et al. 1999: 163)^^
Parallel zur Entwicklung in der okonomischen Strategieforschung im angelsachsischen Sprachraum zeigte sich auch in der raumwissenschafllichen Planungs^' Diese Perspektive kontrastiert mit einem akteurszentrierten Planungsmodell, wie es z. B. SchOnwandt (2002: 37ff) entwickelt hat. Eine Ubersetzung der einen Systematisierung in die andere ist nicht ohne Weiteres m5gHch, da ihnen unterschiedHche Fragestellungen und Intentionen zu Grunde Hegen und die Relationen zwischen den Komponenten entscheidend sind, nicht die einzelne Komponente. ^^ Vereinfacht gesprochen, entspricht das geschlossene synoptische Planungsmodell dem linearen Strategiemodell. Der offene, inkrementelle Planungsansatz kann als Variante des adaptiven Strategiemodells verstanden werden.
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theorie ein Paradigmenwandel. Dabei ist auffallig, dass sich noch bis in die 1970er Jahre hinein Planungstheorie und Strategieforschung teilweise auf gemeinsame Grundlagen stiitzten, so z. B. auf die Arbeiten liber „disjointed incrementalism" von David Braybrooke und Charles Lindblom (1963) sowie „bounded rationality" von Herbert A. Simon (1969). Spater haben sich die Diskussionsstrange weitgehend entkoppelt. Ursache hierfiir diirfte nicht zuletzt der Umstand sein, dass - wie Fiirst (1990: 512) schreibt - die planungstheoretische Diskussion „etwa 1975 abrupt zu Ende gegangen" ist. Der Planungseuphorie der 1960er und 1970er Jahre folgte ab Ende der 1970er Jahre eine anhaltende Phase der Planungserntichterung. Die Moglichkeit einer synoptischen Planung wurde zunehmend vemeint und ein technisches, vom politischen Prozess abgekoppeltes Planungsverstandnis abgelehnt. Feststellbar war ein verstarkter Ubergang zu projektorientierten Formen politisch-administrativen Handelns. Nach dem Motto „Planung durch Projekte" wurde ein kleinteiliges, inkrementelles Vorgehen gefordert, das die Nachteile sowohl des geschlossenen als auch des offenen Planungsmodells zu vermeiden sucht. In den letzten Jahren hat sich die Diskussion um Entwicklung und Stand der raumlichen Planung wieder belebt. Konstatiert wurde das Entstehen einer neuen Planungskultur, die mit der vermehrten Anwendung informeller, kooperativer, kommunikativer und umsetzungsorientierter Planungsstrategien verbunden ist. Raumliche Planung folgt traditionell einer rationalistischen Handlungslogik und tendiert daher grundsatzlich zum linearen Strategiemodell. Durch das sich wandelnde Strategieverstandnis sieht sich die Raumplanung zunehmend gezwungen, ihr Handlungsfeld und ihr Instrumentarium den neuen Anforderungen anzupassen. Im Folgenden sollen vor diesem Hintergrund die beiden im deutschen Sprachraum einflussreichsten planungstheoretischen Ansatze der letzten Jahre beleuchtet werden: perspektivischer Inkrementalismus und kommunikative Planung. 3.1 Perspektivischer Inkrementalismus Der von Karl Ganser vor dem Hintergrund der nordrhein-westfalischen Stadtentwicklungspolitik der 1980er Jahre gepragte Begriff des „perspektivischen Inkrementalismus" beschreibt die Planungsstrategie der IB A Emscherpark, die als Modellfall projektorientierter Planung in Deutschland gilt. Die starke Beachtung, die dieser Ansatz erfuhr, steht allerdings in einem Missverhaltnis zu den doch eher sparlichen Ausfiihrungen, die sich in der Fachliteratur fmden (K. Ganser 1991; K. Ganser etal. 1993; Th. Sieverts/ K. Ganser 1993; H. HauBermann/ W. Siebel 1994). Umfassender als die Initiatorlnnen selber setzen
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sich andere Planungswissenschaftlerlnnen mit dem Ansatz auseinander (u. a. K. Selle 1994; H. Kilper 1999; BBR 1999). Ganser etal. (1993: 114) verstehen unter dem perspektivischen Inkrementalismus den „kleineren Bruder" und „erfolgreicheren Nachkommen" der umfassenden Entwicklungsplanung der 1960er und 1970er Jahre, der „den Anspruch auf Integration von Fachplanungen und Fordermitteln nicht aufgibt, aber diese in uberschaubaren Schritten und Projekten biindelt." Einerseits wird auf eine flachendeckende, umfassende und langfristige Regulierung verzichtet. Planung zieht sich auf raumlich, zeitlich und inhaltlich begrenzte Interventionen zusammen. Andererseits wird ein neuer Steuerungsanspruch formuliert, der sich iiber eine Wertediskussion, medial aufbereitete visionare Leitbilder und punktuelle Interventionen an alle relevanten Akteurlnnen einer Stadt oder Region richtet. Mit den vemetzten Einzelprojekten betreibt die IB A Emscherpark fiir Mayer und Siebel (1998: 9) einen „Pointillismus": „Sie setzt Nadelstiche in die Region und hofft auf die Selbstheilungskrafte, die dadurch ausgelost werden." Sieben Prinzipien kennzeichnen nach Ganser et al. (1993: 114f) den perspektivischen Inkrementalismus: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Zielvorgaben werden nicht operationalisiert, sondem bleiben auf dem allgemeinen Niveau gesellschaftlicher Grundwerte. Symbolische Einzelfallentscheidungen sollen die Zieltreue nachweisen. Konkrete Projekte treten an die Stelle abstrakter Programme. tjberschaubare, mittelfristige Etappen ersetzen langfristige Programmstrukturen. Auf eine flachendeckende Realisierung wird bewusst verzichtet. Nicht Programme, sondem die spezialisierten Rechts- und Finanzinstrumente sollen projektbezogen gebiindelt werden. Okonomische Interventionen werden den rechtlich kodifizierten Ge- und Verboten vorgezogen.
Dariiber hinaus setzt der perspektivische Inkrementalismus bei groBeren innovativen Projekten auf die Motivierung und Mobilisierung der Beteiligten durch eine Projektorganisation jenseits hierarchischer Institutionen und Verwaltungsroutine. In innovativen Milieus sollen „Sach-Kreativitat" und „Verfahrens-Kreativitat" eine „sozial und okologisch orientierte Reformpolitik mit Anspruch auf Rationalitat und Transparenz" ermoglichen (K. Ganser et al. 1993: 114^. Der perspektivische Inkrementalismus steht damit in einer Tradition planungstheoretischer Ansatze, die einen Mittelweg zwischen dem offenen und dem geschlossenen Planungsmodell, zwischen linearem und adaptivem Strategieverstandnis suchen. Allerdings schranken die Initiatorlnnen die Leistungsfahigkeit
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ihres Ansatzes von vomherein ein, weisen auf Schwachen hin und betonen, dass er angesichts formaler Machtlosigkeit auf den „richtigen historischen Moment" und ein „optimales Konfliktniveau" angewiesen sei (K. Ganser et al. 1993: 116). Der Problemdruck mtisse so stark sein, dass er mobilisierend wirke. Harte Konflikte konnten jedoch mit dem Ansatz nicht gelost werden. Als weiche Strategic sei er „auf schones Wetter angewiesen" (H.-N. Mayer/ W. Siebel 1998: 9). Kritikerlnnen sehen gerade in der Beschrankung auf die Erfolg versprechenden Vorhaben das Erfolgsgeheimnis des perspektivischen Inkrementalismus. Projektorientierte Planung sei angemessen bei der Organisation von Innovationen. Die Wirkung in die Breite werde aber ebenso wie die in die Zukunft der „Propaganda der guten Tat" iiberlassen (H.-N. Mayer/ W. Siebel 1998: 11). Ftir Wegener (1999: 169) verklart der perspektivische Inkrementalismus nur die „Ohnmacht und faktische Selbstaufgabe der einst mit hohem Reformanspruch angetretenen Disziplin Raumplanung." Der perspektivische Inkrementalismus kann in der Tat nur wenig zur klassischen Ordnungs- und Ausgleichsfunktion von Raumplanung beitragen und lasst die tradierten Machstrukturen einer Region weitgehend auBcr Betracht. Insofern darf er auch nicht als Ersatz der traditionellen Raumordnung iiber rechtsverbindliche Plane missverstanden werden. Als „altemative Raumordnungspolitik" (M. Krautzberger 1999: 127) bietet er aber einen neuen Ansatz raumlicher Entwicklungspolitik mit strenger Orientierung an tibergeordneten Zielstellungen. Allerdings bleibt weitgehend unklar, wer die Zielvorstellungen formuliert und damit auch Prioritaten definiert. Planungstheoretisch steht er dem inkrementellen Modell naher als dem geschlossenen Modell einer synoptischen Planung. 3.2 Kommunikative Planung Die Erkenntnis, dass Planung immer auch Kommunikation ist und Kommunikationsprozesse im Mittelpunkt jeder Planungsaufgabe stehen, ist nicht neu. Die Emtichterung iiber die begrenzten Moglichkeiten einer synoptischen Planung und die Erfahrung einer zunehmenden Handlungsunfahigkeit des Staates (F.W. Scharpf 1991) fiihrten jedoch in den 1990er Jahren neben einer Projektorientierung der Planung auch zu einer zunehmenden Betonung von kommunikativen Aushandlungsprozessen in der Raumplanung. Dem ordnungspolitischen, von Ge- und Verboten gepragten Agieren des Staates und der Konfrontation widerspriichlicher Interessen wurden konsensorientierte Verhandlungen (Diskurse) entgegengesetzt (Th. Wiechmann 1998). Damit fielen der Planung auch neue Aufgaben zu: Sie wurde zur Vermittlerin und Moderatorin in offenen Planungsprozessen.
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Im deutschsprachigen Raum haben sich viele Arbeiten in den vergangenen Jahren mit kommunikativer Planung befasst. Ihre Ursprtinge liegen bereits in der synoptischen Entwicklungsplanung der 1960er und 1970er Jahre mit der Forderung nach einer Demokratisierung der Planung durch eine bessere Information der Offentlichkeit und eine starkere BUrgerlnnenbeteiligung. Insbesondere Selle (1994, 1996) entwickelte den Ansatz der kommunikativen Planung in Abgrenzung zum autoritaren Planungsverstandnis hierarchischer Planung. Die angelsachsische Debatte zum strategic planning ist gepragt durch Konzepte der kommunikativen Planung, wie sie in den USA durch John Friedmann, John Forester und Judith Innes oder in England durch Patsy Healey vertreten werden. Der „communicative turn in planning theory" (P. Healey 1992) basiert wesentlich auf den Vorstellungen kommunikativer Rationalitat von Habermas und seiner Theorie kommunikativen Handelns. Gefragt wird nach normativen Prinzipien, wie strategische Konsensbildung in fragmentierten Gesellschaften gelingen kann. Planung soil dabei durch die Macht des besseren Arguments in hierarchiefreien Verhandlungssituationen demokratischer werden, der Planer bzw. die Planerin selber zum „Ermoglicher" bzw. der „Ermoglicherin" von Kommunikationsprozessen. In der Praxis entztindet sich Kritik an den kommunikativen Planungsformen V. a. an der begrenzten Konfliktregelungskapazitat konsensorientierter Gremien (D. Fiirst 1993), denen zudem eine demokratische Legitimation fehle. AUgemein anerkannt ist, dass „weiche" Kooperationsverfahren die „harten" rechtlich bindenden Instrumente nur erganzen, nicht aber ersetzen konnen. Konsensorientierte Netzwerke laufen naturgemaB Gefahr, sich lediglich auf den ohnehin unstrittigen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Gerade in den politisch brisanten Themenfeldem wird der angestrebte Konsens Utopie bleiben. Selle (2004) setzt sich in einer aktuellen Veroffentlichung dezidiert mit der, insbesondere im angelsachsischen Sprachraum, aufkommenden Kritik an den Ansatzen kommunikativer Planung auseinander. Zu den wichtigsten Kritikpunkten gehoren: kommunikative Planung sei weitgehend wirkungslos, die Ausrichtung am Konsens wiirde Zielkonflikte ausblenden, Reden und Handeln fielen regelmaBig auseinander, kommunikative Planungsprozesse wiirden die Betroffenen nur selektiv beteiligen, die Vertreterlnnen kommunikativer Planung wiirden kritische Analysen durch moralische Postulate ersetzen. Damit wird aber weniger das Ideal kommunikativer Planung, als vielmehr die Planungsrealitat und die „Realitatsblindheit" der Theorie kritisiert. Fiir Selle (2004: 251) zeigt sich hier die tibliche „Pendelbewegung" der Planungstheorie. Ein neues Paradigma wird begrtindet mit der verabsolutierenden und verkiirzenden Kritik am herrschenden Paradigma. So sei es in den 1970er Jahren dem rationalistischen, geschlossenen Planungsmodell gegangen und so gehe es nun dem kommunikativen Planungs-
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modell. Die Kritik, der Planung generell ausgesetzt sei, wtirde nun auf die kommunikative Planung libertragen. Es fallt auf, dass sich beide planungstheoretischen Ansatze, der perspektivische Inkrementalismus und die kommunikative Planung, als Erganzung zu nach wie vor unverzichtbaren Planung iiber rechtsverbindliche Raumplane verstehen. Darin spiegelt sich letztlich die in Abschnitt 2 dargestellte Notwendigkeit, das kritisierte lineare Strategieverstandnis der Raumplanung zu modifizieren und die traditionelle Planungslogik um weitere Entscheidungsmodi zu erweitem. Dabei wird mit der Darstellung der kommunikativen Planung deutlich iiber den Stand der meisten vorliegenden deutschsprachigen Arbeiten zur strategischen Planung (z. B. M. Bose 1994) und zu strategischen Entwicklungskonzepten (K. Brake 2000) hinausgegangen. Wie kann dieser Stand der Raumplanungsdiskussion durch Beriicksichtigung des strategischen Managements weiterentwickelt werden? 4
Was kann die Raumplanung vom strategischen Management lernen?
In jtingster Zeit mehren sich die Stimmen, die von einer Anwendung des Managements auf Fragen strategischer raumlicher Planung innovative Beitrage erwarten (vgl. J.M. Bryson 2004; G. Hutter/ Th. Wiechmann 2005). Eine systematische Analyse konkreter Lemmoglichkeiten steht indes noch aus. Ohne Anspruch auf Vollstandigkeit geben die folgenden Ausfiihrungen Hinweise und machen Vorschlage fur drei Themen. 4.1 Die Emergenz strategischer Entscheidungen In vielen Untemehmen werden zahlreiche, wenn nicht gar die zentralen strategischen Entscheidungen, von Untemehmen (Markteintritts- oder Austrittsentscheidungen, Investitionen in langlebiges Anlagevermogen u. a.) auBerhalb des formalen strategischen Planungsprozesses der Gesamtorganisation getroffen. Sowohl Entscheidungen hinsichtlich bestehender Markte, insbesondere aber auch Entscheidungen und Initiativen fur zukiinftige Markte bediirfen des kontinuierlichen, intensiven Kundlnnenkontaktes und einer offenen intemen Diskussion, die nicht gesamthaft und rational-analytisch im Rahmen der strategischen Planung determiniert werden konnen. Der Begriff „Strategie" bekommt hier eine neue Bedeutung: Er steht fur ein konsistentes Muster des Entscheidens und Verhaltens. Will man den Unterschied zwischen linear entworfenen Strategien und sich
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herausbildenden konsistenten Verhaltensmustem betonen, kann man letztere als emergente Phanomene bezeichnen. Die Einbeziehung emergenter Strategien in den Strategiebegriff hat weit reichende Folgen fur die Strategieentwicklung. Es geht nicht mehr nur darum, ein Ziel zu definieren und die zur Umsetzung notwendigen Mittel einzusetzen. Neben die formale Planung treten andere Moglichkeiten, eine Strategie zu entwickeln (K.E. Weick 1987). Strategien entstehen auch aus alltaglichen Handlungsroutinen^^ und durch spontane Entscheidungen „aus dem Bauch heraus". Damit gewinnt die Aufgabe an Bedeutung, sich herausbildende Strategien zu erkennen (H. Mintzberg et al. 1999). Emergente und geplante Strategien mussen jedoch nicht als Gegensatze verstanden werden. Geplante Emergenz ist sowohl theoretisch plausibel als auch empirisch nachweisbar (R.M. Grant 2003). Hierbei ist es wichtig zu bestimmen, aus wessen Perspektive Strategien als emergent bezeichnet werden. Im Kontext des Stadtumbaus ostdeutscher Stadte (vgl. G. Hutter/ Th. Wiechmann 2005) stellen sich die Strategien der Wohnungsuntemehmen aus Sicht der Kommunen als teilweise emergente Phanomene dar, mit denen erstere vor allem ihre okonomischen und sozialen Probleme im Kontext des gesamten kommunalen Strategieprozesses zu losen suchen. Aus Sicht der Stadtplanung hingegen kann es darum gehen, diesen strategischen Prozess nicht von seinem Ende her zu bestimmen, beispielsweise im Sinne eines fixen Leitbildes der Siedlungsstruktur, sondem in Bezug auf seinen Prozess. Sie versucht dann vorrangig zu bewirken, dass die Untemehmen strategische Planaussagen der Stadtplanung als Gesichtspunkt bei ihren Entscheidungen iiber Abriss oder Sanierung und Modemisierung berticksichtigen. Die Stadtplanung verfolgt eine Stadtumbaustrategie der geplanten Emergenz. Sie lemt kategorial, well die Anwendung des Konzepts „geplante Emergenz" die Bezeichnung eines bisher mehr intuitiv verstandenen Phanomens mit einer neuen, systematisch begriindeten Kategorie erlaubt. 4.2 Kontext und strategischer Wandel Welche Strategien zur Steuerung des raumlichen Wandels verfolgt werden, hangt von dem Kontext ihrer Formulierung und Implementierung ab, beispielsweise von der Akteurskonstellation und ihrem Machtgefiige soweit weit verbreiteten Auffassungen, wie geplant werden sollte. Unter bestimmten Umstanden kristallisiert sich ein dominantes Planungsverstandnis heraus. In diesem Sinne skizziert " Routinen spiegeln aber auch institutionelle Rahmenbedingungen und Strategien wider. In der Raumplanung betont Patsy Healey eindrucklich diesen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Kontext, strategischen Orientierungen und Routinen (P. Healey 2003).
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Gerd Albers (1993) den Wandel des Planungsverstandnisses vom linearen Ansatz der integrierten Entwicklungsplanung in den 1960er und 1970er Jahren zum perspektivischen Inkrementalismus in den 1980er Jahren. Heinz (1998) beschreibt die Stadtentwicklungsplanung gar als abhangige Variable soziookonomischer und politischer Rahmenbedingungen, die ubergreifend oder kommunalspezifisch sein konnen. Raumplanung und strategisches Management unterscheiden sich im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Kontextabhangigkeit von Planung in substantieller aber subtiler Weise: Erstere schlieBt eher vom Kontext von Stadten und Regionen (z. B. der Bevolkerungsentwicklung) auf erforderliche Strategien der Raumentwicklung. Letzteres interessiert sich mehr fur die Dynamik der Strategieentwicklung, in der bestehende und neue Kontexte und diesbezugliche Strategien gleichermaBen verarbeitet werden mtissen (z. B. bestehende und emergierende Marktchancen)/ Die Frage, wie Untemehmen zugleich Strategien zur Reduktion von Uberkomplexitat verfolgen und Impulse fiir neue Strategien kreativ verarbeiten konnen, ist eine Kemfrage des Managements strategischen Wandels (R.A. Burgelman 2002; A. Pettigrew et al. 2003). Ein Untemehmen der Olindustrie kann beispielsweise unter weitgehend vorhersehbaren Entwicklungstendenzen des Branchenumfelds detaillierte strategische Plane zur umfassenden Vorsteuerung des Handelns der einzelnen spezialisierten Geschaftsbereiche entwickeln (vgl. R.M. Grant 2003). Dies war tendenziell die Situation Ende der 1960er Jahre. Kommt es dann zur Beschleunigung des Wandels wie auch zur nur sehr eingeschrankten Moglichkeit der Vorhersage von Entwicklungen kritischer Variablen im extemen Umfeld (z. B. dem Olpreis), so liegt ein LFbergang zur „Entfeinerung" und zur starkeren Prozesssteuerung der Strategieentwicklung nahe. Hierbei tibemimmt die strategische Planung primar Integrations-, Koordinations- und Kontrollfunktionen und stellt die emergenten Strategien der Geschaftsbereiche in einen Planungskontext ftir die Gesamtorganisation und die diesbeziigliche strategische Kommunikation. Die zentralen inhaltlichen strategischen Entscheidungen hingegen werden in den einzelnen Geschaftsbereichen weitgehend autonom getroffen. Das Top-Management steuert vor allem tiber fmanzielle und formale Leistungskriterien und Ziele. Diese empirischen Ergebnisse Grants (2003) wirken retrospektiv iibersichtlich. Im konkreten Verlauf des strategischen Wandels haben vermutlich detaillierte strategische Planungen und Versuche zur Vereinfachung, Fokussierung und Starkung des diskursiven Aspekts strategischer Planung spannungsreich nebeneinander bestanden (A. Pettigrew et al. 2003). Praxis und Theorie der Raumplanung sehen die Frage nach den Moglichkeiten des Managements von strategischem Wandel durchaus als wichtig an (z. B. H. Mading 1999: 22; O. Ibert 2004; G. Hutter 2005). Im Vergleich zur
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Managementforschung mange It es jedoch bisher an Untersuchungen, die diesen Zusammenhang theoretisch spezifisch genug (A. Benz/ D. Ftirst 2002 sind eine Ausnahme) und empirisch ausarbeiten. Vom strategischen Management konnte die Raumplanung lemen, welche Arbeiten hohe Erfolgschancen haben (vermutlich vergleichende Langsschnittfallstudien, vgl. A. Pettigrew et al. 2003). Dabei geht es weniger um kategoriales Lemen, um mit neuen Etiketten zu arbeiten. Vielmehr geht es um „semantisches Lemen" (vgl. K. Corley/ D.A. Gioia 2003), also ein Lemen, dass sich von der Managementforschung anregen lasst und weitgehend mit den bestehenden Mitteln der raumlichen Planung den dynamischen Zusammenhang zwischen Kontext(en) und Planung(en) interpretiert (ahnlich P. Healey 2003). 4.3 Management spannungsreicher A nforderungen Die lineare Strategieplanung ist der Idee gesamthafter Konsistenz aller Entscheidungen und Handlungen einer Organisation verpflichtet. Langfristige Koordination unterschiedlicher offentlicher Aufgabenbereiche und der Entscheidungen privater und offentlicher Akteurlnnen in Bezug auf die Nutzungsanspriiche an Flachen und Raumqualitaten ist ein zentrales Merkmal der Raumplanung. Gewandelt hat sich das Verstandnis, was mit Erfolgsaussichten wie und in welchem Kontext koordiniert werden kann. So fokussiert z. B. der perspektivische Inkrementalismus kurz- und mittelfristig auf die Integration und Koordination iiber Projekte, langfristig gleichwohl auch auf Beitrage zu konsistenten strategischen Planen. In der Untemehmensforschung ist bereits seit geraumer Zeit eine Loslosung vom Ideal konsistenter strategischer Steuerung zu sehen. Es wird deutlicher zwischen dem Prozess der Entwicklung von Strategien einerseits und einzelnen Strategien als konsistenten Mustern unterschieden (A. Pettigrew et al. 2003). Der Prozess selbst muss kontinuierlich widerspriichliche Anfordemngen verarbeiten. Van de Ven und Poole (1988: 22ff) nennen hierfiir vier Moglichkeiten: 1. 2. 3. 4.
Akzeptanz spannungsreicher Fordemngen als reaktive Moglichkeit, simultanes Bearbeiten aber auf verschiedenen Ebenen bzw. in verschiedenen Teilprozessen der Strategieentwicklung {Mehr-Ebenen-Architektur), sukzessives Beachten der Anfordemngen {zeitliche Separierung) und Management durch das Entwickeln und Verbreiten von neuen Ideen und Kategorien {Synthese).
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Auch die Raumplanungsdiskussion thematisiert den Umgang mit inharent spannungsreichen Steuerungszusammenhangen, insbesondere bei Problemen mit mehreren raumlichen Ebenen und administrativen Kontexten (z. B. bei der Regionalisierungsdebatte, vgl. A. Benz etal. 1999: 113ff). Fiir Mayer und Siebel (1998: 11) besteht der eigentliche Grund fiir die Unlosbarkeit planerischer Probleme in der Tatsache, dass sie es mit widerspriichlichen Anforderungen zu tun hat: Eine gute Planungsstrategie miisse „in Paradoxien handeln", im Spannungsfeld verschiedener Rationalitaten, wobei als Beispiel auf den perspektivischen Inkrementalismus verwiesen wird. Die Raumplanung vermittelt jedoch mehr den Eindruck, dass sie die Notwendigkeit des Managements komplexer Anforderungen und des Wandels akzeptiert und die Offenheit des Planungsprozesses betont, die aktiven Moglichkeiten jedoch nicht zielstrebig und umfassend ausschopft. „In sum, planning theorists can learn from a considerable amount of work in a variety of fields relevant to strategic planning for places." (J.M. Bryson 2004: 57) Die Planungswissenschaft tate gut daran, das Potential des semantischen und kategorialen Lemens von der Managementforschung zukiinftig starker zu nutzen. Mit der Verkniipfung rationaler Analysen mit weiteren Entscheidungsmodi der Strategieentwicklung zeichnet sich ein Strategicverstandnis ab, dass jenseits von rationaler Planung und inkrementellem Vorgehen die Rolle der Planung in der Strategiebildung neu defmiert. Literatur Albers, Gerd (1993): Uber den Wandel im Planungsverstandnis. In: RaumPlanung 61. 1993. 97-103 Altrock, Uwe/ Glinter, Simon/ Huning, Sandra/ Peters, Deike (Hrsg.) (2004): Perspektiven der Planungstheorie. Berlin: Leue Verlag Altrock, Uwe/ Giintner, Simon/ Huning, Sandra/ Peters, Deike (Hrsg.) (2004): Innovationen und Planung. Berlin Benz, Arthur/ Ftirst, Dietrich (2002): Policy Learning in Regional Networks. In: European Urban and Regional Studies 9/1. 2002. 21-35 Benz, Arthur/ Fiirst, Dietrich/ Kilper, Heiderose/ Rehfeld, Dieter (1999): Regionalisierung. Theorie - Praxis - Perspektiven. Opladen: Leske + Budrich Bose, Michael. (1994): Strategische Planungsansatze fiir Stadte und Stadtregionen. In: DISP118. 1994. 16-20 Brake, Klaus (2000): Strategische Entwicklungskonzepte fiir GroBstadte - mehr als nur eine Renaissance der 'Stadtentwicklungsplane'? In: Archiv fiir Kommunalwissenschaften. 2. 2000. 269-288 Braybrooke, David/ Lindblom, Charles (1963): A Strategy of Decision. New York: Free Press
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Governance-Potentiale der strategieorientierten Stadtund Regionalplanung
Einleitung Alexander Hamedinger
In den meisten Govemance-Ansatzen wird zumeist thematisiert wie sich im Zuge des sozialen und okonomischen Wandels Steuerungsformen, Steuerungsprozesse sowie Steuerungsobjekte und -subjekte verandem und ausdifferenzieren. So wird etwa sowohl in der Politikwissenschaft als auch in der Stadtsoziologie seit geraumer Zeit dariiber diskutiert, welches der geeignete Begriff und die passende Theorie ist, urn neue Formen der Steuerung und der Koordinierung gesellschaftlicher Interaktionen zu erfassen. In der diesbeziiglichen politikwissenschaftlichen Diskussion wird dabei vom Paradigma der Steuerung, das bis Ende der 1970er Jahre die Debatte dominierte, abgegangen. Dies deswegen, weil Kemelemente des Paradigmas, wie etwa die am Gemeinwohl orientierte Intervention des Staates in soziale und wirtschaftliche Prozesse, die Konzentration auf den Staat als zentraler, alleiniger Lenkungsinstanz, die klare Trennung zwischen Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt sowie die geringe Beriicksichtigung der Eigendynamik des Steuerungsobjektes, zunehmend in Frage gestellt werden. Anstatt dessen wird inzwischen vielfach der Begriff „Govemance" verwendet, der dieser zunehmenden Komplexitat und Ausdifferenzierung von Regelungs- und Koordinierungsformen besser gerecht wird. Durch die GovemancePerspektive rticken die Regelungssysteme, d. h. der institutionelle Rahmen fur die Koordinierung und Lenkung von Interaktionen sowie die damit verbundenen Regelungsprozesse in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Regelungssysteme sind etwa der Markt, Hierarchien, Kooperationen oder Netzwerke. Letztendlich scheint dabei das „Politische" in den Hintergrund zu rticken, wahrend Prozesse und institutionelle Settings in der wissenschaftlichen und politischen Debatte an Bedeutung gewinnen. Instrumente der strategieorientierten Planung werden in diesem Kapitel in doppelter Hinsicht in die Govemance-Perspektive eingebettet. Einerseits ist strategieorientierte Planung als Planungsansatz selbst, in Form, Inhalt und Zustandekommen, eine planungspolitische Widerspiegelung des tJbergangs vom Government zum Governance (oder von der staatlichen Alleinsteuerung zum kooperativen Governance). Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass in alien Beitragen Prozesse und die institutionellen Rahmenbedingungen, also implizit die Regelungsstrukturen, in den Vordergrund der Analyse gestellt werden, da sie
Einleitung
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zentraler Bestandteil dieser planungspolitischen Ansatze sind (etwa in der Leitbildentwicklung, oder in der integrierten Stadtentwicklung). Andererseits werden in verschiedenen Planungskontexten unterschiedliche Elemente von Governance angesprochen, die in der politik- und sozialwissenschaftlichen Diskussion, aber auch - in einem normativen Sinne - in politischen Konzepten (z. B. der EU) immer wieder hervorgehoben werden: die Erweiterung des Akteursspektrums bei der Entwicklung dieser Plane (Partizipation), die Integration politischer Felder in der inhaltlichen Ausrichtung, Aspekte der Verwaltungsmodemisierung, die Bildung neuer Kooperationsformen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen (z. B. Public Private Pamterships) sowie die zunehmende Bedeutung des kollektiven Lemens im Prozess der Planerstellung. Gleichzeitig wird in alien Beitragen eine empirisch fundierte und kritische Reflexion bezUglich des Wandels von Governance geboten, indem Konflikte und Widersprtiche im Politikfeld der Stadt- und Regionalplanung deutlich gemacht werden. SchlieBlich wird in alien Beitragen implizit nach den Govemance-Potentialen der unterschiedlichen Erscheinungsformen strategieorientierter Planung gefragt. Von Interesse ist demnach, welche Regelungsformen Anwendung fmden, welche Elemente von Governance eine Rolle spielen und welche Herausforderungen sich damit im konkreten Kontext der Stadt- und Regionalplanung ftir Akteurlnnen und Institutionen ergeben. Thomas Kuder verfolgt in seinem Beitrag die Fragen, welche Anforderungen sich im Kontext des kooperativen Staates an eine strategisch ausgerichtete Entwicklungsplanung stellen und wie Leitbilder und Leitbildprozesse in den neuen Steuerungszusammenhang passen bzw. welche Bedeutung Leitbilder fiir die strategische Planung haben konnen. Den aktuellen Anforderungen, die sich aus dem zunachst betrachteten Wandel steuerungs- und planungstheoretischer Auffassungen ergeben, werden anschlieBend die spezifischen Leistungen gegeniibergestellt, die Leitbildem und Leitbildprozessen heute aus einem normativtheoretischen Blickwinkel heraus zugeschrieben werden. Sein Beitrag behandelt damit die Frage, welche Rolle Leitbilder und Leitbildprozesse heute im Rahmen einer strategischen Planung in einem kooperativen Staat iibemehmen konnen. Aber auch die problematisch erscheinenden Eigenschaften von Leitbildem und Leitbildprozessen werden in die Betrachtung einbezogen und im Sinne einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung in verschiedene Anforderungen eingebettet. Dem Beitrag Sabine von Lowis' zufolge sollten Akteurlnnen in Stadten und Regionen Fahigkeiten entwickeln, mit denen sie sich kontinuierlich auf neue und sich verandemde Rahmenbedingungen einstellen konnen. Regionale Planungsinstitutionen sind unweigerlich starken Veranderungen in ihrer Umwelt ausgesetzt. Um diesen gerecht zu werden, muss kollektives Lemen in regionalplanerischen
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Alexander Hamedinger
Institutionen als ein strategisches Element im Rahmen von erfolgreichen Entwicklungsprozessen stattfmden. Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, wie Lemprozesse im politisch-administrativen System der (Raum-)Planung verstanden werden konnen. Am Beispiel der Regionalplanung in SchleswigHolstein werden Veranderungen vor dem Hintergrund des Konzepts der Lemenden Organisation anschaulich gemacht. In seinem Beitrag geht Matthias Berndt der Frage nach, ob im Kontext des Bund-Lander-Programmes „Stadtumbau Ost" eine Wiederbelebung strategischer Planung beobachtet werden kann. Die in diesem Rahmen eingereichten „integrierten Stadtentwicklungskonzepte" liefem sowohl in Bezug auf den verwendeten Planungsansatz als auch in Bezug auf die Frage der Einrichtung von Governance-Elementen ambivalente Ergebnisse. Die integrierten Stadtentwicklungskonzepte vereinen einerseits Elemente einer komprehensiven und inkrementalistischen Planung und andererseits im Prozess der Planerstellung Elemente einer zentralstaatlichen und einer kooperativen Steuerung. Kooperationen beziehen sich dabei vor allem auf die Beteiligung von Akteurlnnen aus der Wohnungswirtschaft. AbschlieBend betont Mattias Berndt kritisch, dass in der Praxis der „integrierten Stadtentwicklungsplanung" im Kontext der Schrumpfiing von Stadten eine Kombination unterschiedlicher Steuerungs- und Planungsansatze zu einer Vervielfachung von Problemen und Widersprtichen bei der Planerstellung fiihrt. Hans-Norbert Mayer beschaftigt sich in seinem Beitrag mit einem zentralen Element strategieorientierter Planung, namlich den „Projekten", die diesen umfassenden Planen konkrete Gestalt und entsprechende Signalwirkung geben sollen. Er skizziert die Vor- und Nachteile einer „Planung uber Projekte", indem er darstellt, welche Anforderungen sich aus einer projektformigen Organisation von Planung fur mteme Verwaltungsablaufe und historisch gewachsene Planungskulturen ergeben. Weiterhin verweist er auf die Notwendigkeit eines starker strategischen Umgangs mit Projekten. Projekte sollten demnach besser in ubergeordnete Entwicklungsstrategien eingebunden sein. Dafiir sollten zusatzliche Handlungsspielraume eroffiiet und mehr „Verfahren als Produkte" vorgegeben werden (etwa durch die Organisation von Kommunikationsprozessen). SchlieBlich miissen Qualitatsstandards eingefordert werden (z. B. in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit), damit Projekte erfolgreich umgesetzt werden konnen. In Bezug auf Governance-Potentiale halt Mayer fest, dass projektorientierte Planung wesentlich zur Verbesserung von Effizienz, Effektivitat und Legitimation staatlichen Handelns beitragen kann, wobei kritisch zu beriicksichtigen sei, dass diese strategischen Ziele zueinander in Widerspruch geraten konnen. Am „Fallbeispiel Wien" analysiert Alexander Hamedinger in seinem Beitrag, welche Zusammenhange zwischen strategieorientierte Planung und dem
Einleitung
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Ubergang vom Government zum Governance hergestellt werden konnen. Nach der Darstellung zentraler okonomischer und demographischer Entwicklungstrends sowie der Kennzeichen der bestehenden Form von lokalem Governance wird der Strategieplan 2004 diskursanalytisch betrachtet. Dabei wird deutlich gemacht, dass eine zentrale Diskursstrategie des Planes die Betonung der Veranderung von Staatlichkeit im Sinne des Governance ist. Governance bezieht sich allerdings vor allem auf die Etablierung neuer Kooperationen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen sowie auf die weitere Durchfiihrung von MaBnahmen der Verwaltungsmodemisierung, die in Wien beinahe zeitgleich mit der Entwicklung des ersten Strategieplanes aus dem Jahre 2000 eingesetzt hat. Die inhaltliche Ausrichtung sowie der Entstehungsprozess des Strategieplans widerspiegeln die bestehenden Vorstellungen zentraler lokalstaatlicher Akteurlnnen und Strukturen des Governance. Die gewahlte Strategic im Hinblick auf die Steuerungsfrage wird als der Weg einer „sanften Modemisierung" bezeichnet.
Mit Projekten planen HanS'Norbert Mayer
Projekte sind eng verbunden mit der seit den 1990er Jahren gefuhrten Diskussion um eine neue Planungskultur, einen neuen Planungsmodus (z. B. in: J. Brech 1993; DISP 1993; M. Wentz 1996; K. Selle 1996; H.Becker et al. 1998; T. Harlander 1998; D. Furst/ B. Miiller 2000). Wenn Begriffe wie Kommunikation, Kooperation, Leitbilder, Offenheit, Lemprozesse, Ortsbezug oder Wettbewerb fielen, dann war gleichzeitig immer auch von Projekten die Rede. Projekte sind gewissermaBen der gemeinsame Nenner der antizipierten neuen Planungsformen, sie sind der geeignete Rahmen fur die Anwendung der weichen Steuerungsinstrumente einer „kooperativen Planung" (vgl. R. Stierand 1993; K. Selle 1994; R. Kestermann 1997; D. Ftirst 1998). Die Bedeutung von Projekten im Handlungsrepertoire der raumlichen Planung hat im genannten Zeitraum zweifellos zugenommen. Auch in der planungswissenschaftlichen Literatur ist die Projektorientierung in der Planung langst zu einem Topos geworden. Einige Veroffentlichungen haben sich dabei explizit mit Projekten als einer neuen Planungsform beschaftigt (z. B.: R. Gutter 1993; H. HauBermann/ W. Siebel 1994; D. Keller et al. 1994; L. Buchmuller et al. 2000; D. Furst 2002; T. Kruger 2004), andere thematisierten in den letzten Jahren die Eigenheiten und Konsequenzen speziell von GroBprojekten (z. B.: A. Bunzel/ R. Sander 1999; J.Becker 2001; Planungsrundschau 2003; K. Simons 2003). Die Abkehr von der klassischen integrierten Entwicklungsplanung einerseits, die Unzulanglichkeit der Aneinanderreihung unverbundener Projekte andererseits haben in den 1990er Jahren die Suche nach planungstheoretischen Konzepten wiederbelebt, die visionarer Zielorientierung und inkrementalistischem Pragmatismus gleichermaBen gerecht werden konnten (vgl. T. Sie verts/ K. Ganser 1993; P. Healey etal. 1999; O. Frey etal. 2003). Die heute diskutierte Renaissance der groBen Plane wird insofem kein Ende der Phase der Projektorientierung bedeuten, zeigt aber die Notwendigkeit einer starkeren strategischen Einbindung projektformig organisierter Planungsvorhaben. Projekte, so wie der Begriff hier verwendet werden soil, sind fur die Stadtbzw. Regionalentwicklung relevante Planungsvorhaben, deren Realisierung unter maBgeblicher Beteiligung offentlicher Akteurlnnen vorangetrieben wird und die deshalb auch auf politisch-administrativer Seite projektformig organi-
Mit Projekten planen
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siert werden. In der Praxis lassen sich verschiedene Anwendungsfalle projektorientierter Planung beobachten: Zentrale Fldchenentwicklungen: Stadterweiterungen durch Siedlungsbau (vgl. K. Gudzent/ T. Sieverts 1995; J. lessen 1998) oder, viel haufiger, Umnutzungen brachgefallener Flachen und Gebaude (z. B. F. Roost 1998; H. Beierlorzer 1999; H. HauBermann/ K.Simons 2000; W. Reuter 2001; D. Schubert 2002). In diesen Fallen haben die Stadte ein starkes Interesse an der ziigigen und vollstandigen Wiedemutzung dieser Standorte und sorgen deshalb nicht nur fiir die Schaffung besonders attraktiver infrastmktureller Voraussetzungen, sondem iibemehmen oft auch noch die untemehmerische Rolle der aktiven Vermarktung mit eigenen Entwicklungsgesellschaften oder im Rahmen eines Public Private Partnership. Grofie Investitionsvorhaben: Neue Biirohauskomplexe, Messegelande, Einzelhandelszentren oder Freizeiteinrichtungen (vgl. L. Basten 1998; U. Hatzfeld 1998; K. Ronneberger 2001; F. Roost 2003). Hier fmden sich die Akteurlnnen der planenden Verwaltung als Verhandlungs- und Kooperationspartnerlnnen von privaten Investorlnnen bzw. Developerlnnen wieder, die fertige Konzepte fiir solche Bauvorhaben an Stadte herantragen (vgl. K. Wachten 1996; D. Zimmermann 1999; F. Moulaert et al. 2001). Big Events: Die Ausrichtung von intemationalen Sportwettkampfen, stadtischen Kultur- und Festveranstaltungen, Bauausstellungen und anderen GroBereignissen (vgl. H. HauBermann/ W. Siebel 1993; M. Meyer-Kunzel 2001; E. Ehrenberg/ W. Kruse 2001). Explizit als Mittel zur Stadtentwicklung wurden etwa die Weltausstellungen in Lissabon und Hannover interpretiert (vgl. J. Thiel 2000; R. Lecardane 2003; H. Mayer 2000; H. Muller/ K. Selle 2002). Festivals bieten einen zeitlichen Fixpunkt und eine inhaltliche Klammer fiir die Durchsetzung gleich mehrerer entwicklungsplanerisch gewtinschter Bauvorhaben. Entwicklungsprogramme: Leitprojekte, die Bestandteile heutiger integrierter Stadt- bzw. Regionalentwicklungskonzepte sind (vgl. B. Miiller 1999; K. Brake 2000), strukturpolitische Veranstaltungen nach dem Muster der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (vgl. R. Kreibich et al. 1994; D. Kurth et al. 1999; A. Benz et al. 1999; H. Lehmbrock/ G. Lintz 2003), die lokalen Agenda-21-Prozesse (vgl. G. Warsewa 1997; U. Weiland/ S. Lustig 1998) oder die Quartiersentwicklungsplanungen im Rahmen des Bund-Lander-Programms Soziale Stadt (vgl. U. Walther 2002; DIfU 2003). Die Konstruktion von Entwicklungsprogrammen ermoglicht es, Projekte zu initiieren und in einen strategischen Zusammenhang zu stellen. Modellprojekte: Mit ihnen werden gezielt Probleme angegangen, Themen aufgegriffen, fiir die innovative Losungen gesucht oder hohere Qualitatsstandards propagiert werden sollen. Modellprojekte konnen im Kontext von Ent-
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Hans-Norbert Mayer
wicklungsprogrammen oder Events (z. B. H. Beierlorzer et al. 1999; O. Ibert/ H. Mayer 2002) prasentiert werden oder auf Initiative von privaten Tragerlnnen, Kommunen oder staatlichen Institutionen entstehen (z. B. M. Fuhrich 1993; H. Gatzweiler 1999). Die folgende Argumentation untergliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil werden einerseits die Kennzeichen der Projektorientierung auf organisatorischer und entwicklungsplanerischer Ebene beschrieben, mit denen sie sich vom Planungsalltag abhebt und neue Chancen eroffnet; andererseits werden aber auch die Ambivalenzen und Problematiken benannt, die einem Planen mit Projekten innewohnen. Bezug nehmend auf diese Potentiale und Risiken der neuen Planungsform werden im zweiten Teil des Artikels dann Empfehlungen ftir den Umgang mit Projekten in der Planungspraxis gegeben: die notwendigen strategischen Uberlegungen auf der Ebene der Stadt- und Regionalentwicklungsplanung, die fiir jedes Projekt zu treffenden politischen Vorentscheidungen sowie geeignete Verfahren und Kriterien, um Uber Projekte hohere Qualitaten zu erzielen. Der dritte Teil behandelt die Frage, inwieweit ein projektorientierter Planungsansatz den Anforderungen an neue Formen staatlicher Steuerung gerecht wird: Was konnen Projekte dazu beitragen, um die Handlungsmoglichkeiten offentlicher Planung in den Dimensionen Effektivitat, Effizienz und Legitimation zu erweitem.^^ 1
Projekte als Organisationsform und Entwicklungsstrategie
Die Organisation wichtiger stadtebaulicher Vorhaben als Projekte ist ein neues strategisches Element, mit dem heute in der Stadt- und Regionalplanung gearbeitet wird. Eine Planung durch Projekte weist dabei spezifische Eigenschaften auf, die sie deutlich von traditionellen Planungsformen abheben. 1.1 Kennzeichen projektorientierter Planung Als Organisationsform sind Projekte auf der Ebene einzelner stadtebaulicher Vorhaben vor allem eine ambitionierte Bearbeitungstechnik zur effizienten und effektiven Abwicklung nicht-alltaglicher Aufgaben. Die projektfbrmige Organisation bestimmter Bauobjekte, Flachenentwicklungen oder MaBnahmengruppen ^^ Dieser Beitrag beruht auf Ergebnissen von empirischen Erhebungen in Rahmen des von der DFG gefOrderten Forschungsprojekts „Die Organisation von Innovationen - Neue Formen der Stadt- und Regionalplanung", das von der Arbeitsgruppe Stadtforschung an der Carl von Ossietzky Universitat Oldenburg durchgefiihrt wurde. Fur Kritik und Anregungen danke ich Oliver Ibert und Walter Siebel.
Mit Projekten planen
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ermoglicht fur jeden Einzelfall die Reduktion der planerischen Aufgabenstellung auf eine handhabbare Problemdefinition, ein raumlich eingeschranktes Handlungsfeld und einen befristeten Realisierungszeitraum. Indem sich offentliche Planung dieser Organisationsform bedient, beschreitet sie neue Wege: Sie versucht, in diesen Fallen die traditionelle Trennung von Planung und Umsetzung zu iiberwinden. Wahrend raumliche Planung sonst nur einen rechtlichen Rahmen vorgibt, der dann von privaten baulichen Aktivitaten ausgefullt werden muss, ergreift der/die offentliche Akteurin hier selbst die Initiative, ist an der Entwicklung von Investitionsvorhaben beteiligt und begleitet sie bis zu den Details der Durchfuhrung. Damit modifiziert sich bei diesen Vorhaben auch die klassische Arbeitsteilung zwischen Markt und Staat: Grundstiickseigentiimerlnnen bzw. Investorlnnen werden starker in Zielbestimmung und Planung einbezogen, dafur erweitert die offentliche Seite ihren Einfluss auf das Ob und Wie der Realisierung. Typische Kennzeichen einer Projektorganisation in der Planung sind: Verdnderte PIanungsorganisation: Es werden Sonderorganisationen, insbesondere fiir das Projektmanagement, geschaffen. Eine projektbezogene Zusammenarbeit aller Beteiligten findet in interdisziplinaren, ressortlibergreifenden Gremien statt. Das zeitliche Nacheinander der Planungsphasen Bestandsaufnahme, Zielformulierung, Mittelwahl und Ausfuhrung wird zugunsten einer integrierten Bearbeitung aufgegeben. Neue Planungsinstrumente: Hoheitliche Regulierungsmoglichkeiten bleiben als Steuerungsmacht im Hintergrund zwar unverzichtbar, verlieren in Projekten aber an Bedeutung bzw. werden mit nicht-hierarchischen Instrumenten kombiniert. Vieles vollzieht sich tiber informelle Verfahren wie Aushandlungsprozesse, Konsensentscheidungen, Personenkontakte und Uberzeugungsarbeit. Hinzu kommen marktformige Steuerungsprinzipien wie Auswahlverfahren, Wettbewerbe, Forderanreize, privatrechtliche Vertrage oder Privatisierung. Sonderbedingungen: Jedes Projekt wird als individueller Fall betrachtet, fur dessen erfolgreiche Realisierung eine Ausnahmesituation geschaffen wird: prioritare Behandlung des Projekts in der Verwaltung; erhohter Planungsaufwand an Personen, Zeit und zusatzlichen Planungsleistungen; Ausnahmeregelungen zur Beseitigung rechtlicher u. a. Restriktionen; Mobilisierung projektspezifischer Sondermittel; hervorgehobene offentliche Presentation des Projekts. Als Entwicklungsstrategie bedeuten Projekte auf der Ebene der Stadt- und Regionalentwicklung eine bewusste Konzentration auf die Umsetzung einiger ausgewahlter Vorhaben. Die Beschrankung auf punktuelle Interventionen ist eine Abkehr vom umfassenden, flachendeckenden und langfristigen Charakter traditioneller Planwerke, nicht aber vom Anspruch, politisch zu steuern. Der strategische Ansatz einer Planung durch Projekte sttitzt sich zum einen nur auf solche stadtebaulichen Vorhaben, deren erfolgreiche Realisierung eine iiber sich selbst
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Hans-Norbert Mayer
hinausreichende, Impulse gebende Wirkung auf Stadt und Region erwarten lasst. Zum anderen setzt er auf die strategische Vernetzung mehrerer Projekte mit ahnlicher Ausrichtung. Auf diese Weise sollen strukturelle Entwicklungen eher in Gang zu setzen und iibergeordnete Ziele besser zu erreichen sein als iiber die herkommliche Angebotsplanung. Typische Kennzeichen einer Projektstrategie in der Entwicklungsplanung sind: Thematische Schwerpunktsetzung: Die Projektstrategie eignet sich nicht dafur, Daueraufgaben der Planung zu bewaltigen, sondem richtet sich auf Problemlosungen, die als richtungsweisend far die zuktinftige Stadt- und Regionalentwicklung eingeschatzt werden. Ausgewahlt werden Schltisselprojekte, die auf Grund ihrer GroBe, ihrer Lage oder ihres Gegenstandes von zentraler Bedeutung sind, oder Modellprojekte, mit denen neue Themen und innovative Zielsetzungen beispielhaft angegangen werden konnen. Rdumliche Schwerpunktsetzung: Durch die Auswahl von Flachen und Objekten schafft eine Projektstrategie privilegierte Orte. Projektplanung ist immer zugleich auch Standortbestimmung: Besondere Standorte werden konstruiert, indem Planungsgebiete oder -regionen neu zugeschnitten und in ihrer Einmaligkeit und ihren Potentialen neu defmiert werden. Konzentration von Ressourcen: Wesentliche personelle, fmanzielle und materielle Kapazitaten werden fur die Umsetzung einiger Projekte gebtindelt. Die Bindung dieser offentlichen Ressourcen ftir bestimmte Aufgaben, Standorte und Zeitraume ist eine planungsstrategische und eine politische Entscheidung. 1.2 Problematiken einer Projektorientierung Die beschriebenen Kennzeichen machen die Vorteile und Starken einer Planung durch Projekte gegeniiber traditioneller Planung aus, sie sind aber auch mit spezifischen Nachteilen und Schwachen verbunden. Typische Problematiken einer Projektorientierung der Planung lassen sich in sechs Dimensionen identifizieren. Selektivitdt der Inhalte: Mit Projekten werden bevorzugt erfolgversprechende, kurzfristig realisierbare und medienwirksam prasentierbare Themen und Falle aufgegriffen. Andere stadtentwicklungspolitisch wichtige Aufgaben und Vorhaben, die konflikttrachtiger, langwieriger oder weniger ausstellungsfahig sind, werden von einer Projektstrategie systematisch vemachlassigt. Eigendynamik: Projekte mit ihren gesonderten Organisationsstrukturen entwickeln schnell eine Eigendynamik, die zu Verselbstandigungstendenzen gegentiber offentlichen Zielvorgaben fiihren kann. Auch die Anpassung an Marktbedingungen und private Kooperationspartnerlnnen kann in Widerspruch zu gesamtstadtischen Interessen geraten.
Mit Proj ekten planen
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Oaseneffekte: Projekte werden flachenmaBig und konzeptionell getrennt von ihrer stadtraumlichen Umgebung bearbeitet. Daraus ergeben sich potentiell die Gefahren eines mangelnden Ortsbezugs des neuen Standortimages, einer fehlenden stadtebaulichen und nutzungsmaBigen Vemetzung oder eines Oaseneffekts durch die Vemachlassigung der unmittelbaren Nachbarschaft. Administrative Reibungsverluste: Viele Kennzeichen einer guten Projektorganisation - separate Organisationseinheiten, flache Hierarchien, Biindelung von Zustandigkeiten, Flexibilitat, integrierte Planungsablaufe, Informalitat, Marktkriterien - sind geradezu Gegenbegriffe zum traditionellen Verwaltungshandeln und konnen mit dessen Routinen und Kompetenzen in Konflikt geraten. Legitimationsdefizite: Eigenstandige Organisationsstrukturen, Public Private Partnership, Verhandlungen im kleinen Kreis, Expertlnnengremien, informelle Verfahren, Marktanpassung, Zeitdruck - das lasst eher politikfeme Prozesse erwarten. Projekte entziehen sich starker der Kontrolle durch den Rat, arbeiten nicht gerade transparent gegeniiber der poUtischen Offentlichkeit, wirken selektiv hinsichtlich der Embeziehung schwacherer Interessen und sind alles andere als offen fiir BtirgerlnnenbeteiHgung. Die politische Legitimation von Proj ekten geschieht weniger iiber demokratische Verfahren, dafiir mehr tiber Vertrauen in Personen. Und nachtraghch iiber den Erfolg. Verstetigung: Die Erfolge von Proj ekten sind unter Ausnahmebedingungen entstanden. Fallen diese weg, drohen die Besonderheiten verloren zu gehen, die das Projekt so wertvoll gemacht haben. Nach Abschluss der Projekte mlissen aber die entstandenen Produktqualitaten bewahrt, die aufgebauten Kapazitaten ausgelastet, die Modelle verallgemeinert, die Erfahrungen der Beteiligten weitergetragen und die Verfahrensneuerungen institutionalisiert werden. Das Problem der Verstetigung ist das Problem der Veralltaglichung des AuBeralltaglichen. 2
Empfehlungen fiir den Umgang mit Projekten
Die Problematiken eines Planens mit Projekten, so wie sie oben beschrieben wurden, sind in Ambivalenzen begriindet, die der Logik des Projektansatzes innewohnen. Damit steht das Handehi in der Planungspraxis immer wieder vor unvermeidlichen Dilemmata. Es lassen sich nicht einfach die Vorteile einer projektfbrmigen Organisation nutzen und gleichzeitig ihre Nachteile vermeiden. Vielmehr scheint jeder Versuch, den Schwachpunkten von Projekten entgegenzuwu*ken, auch die Entfaltung von deren Starken zu untergraben. Daraus gibt es keinen einfachen Ausweg. Zunachst ist es wichtig, dass sich die Akteurlnnen iiber die Ambivalenzen einer Projektorientierung der Planung wirklich im Klaren sind. Vor diesem Hintergrund miissen sie dann allerdings einseitig Entscheidun-
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gen treffen, offen Prioritaten setzen, bewusst Risiken eingehen und gezielt Schaden begrenzen. Zu diesem reflektierten und aktiven Umgang mit Projekten in der Planungspraxis sollen die folgenden Empfehlungen einen Beitrag leisten. 2.1 In eine Entwicklungsstrategie integrieren Ziele definieren. Projekte ersetzen keine Entwicklungsplanung. Sie stehen nicht fur sich, sondem mussen ausgewahlte Vorhaben als Teil einer Entwicklungsstrategie sein. Ohne politisch diskutierte Vorgaben auf iibergeordneter Ebene ist die Gefahr groB, dass mit Projekten kein Steuerungsgewinn verbunden ist, sondem nur Vorhaben aneinandergereiht werden, die auf aktuelle Marktanforderungen reagieren oder als Renommierprojekte zur Demonstration politischer Handlungsfahigkeit dienen. Deshalb miissen iiberhaupt erst einmal solche Ziele der Stadt- bzw. Regionalentwicklungsplanung aufgestellt werden, die eine Projektorientierung der Planung erlauben. Dabei handelt es sich um Leitbilder, Visionen, Prinzipien und Qualitatsanspriiche, die die Projekte nicht einengen und festlegen sollen, sie aber in Werte und Perspektiven einbinden. Weniger ist mehr. Eine Projektstrategie fonktioniert nicht, wenn sie inflationar angewendet wird. Sie unterliegt vor allem drei Begrenzungen: Erstens: Projekte erfordem eine Konzentration von Geld, Arbeitsleistungen und KnowHow, aber diese Kapazitaten sind raumlich und zeitlich immer nur in einem bestimmten AusmaB verfugbar. Zweitens: Je mehr in einer Stadt oder Region mit Projekten Planung betrieben wird, desto mehr gehen Einmaligkeit und Besonderheit der einzelnen Aktivitaten - und damit auch ihre Mobilisierungseffekte verloren. Drittens: SchlieBlich machen auch ihre politischen Legitimationsdefizite die Projektorganisation fiir offentliche Planungsaufgaben nur in begriindeten Ausnahmefallen, nicht aber als Regel, akzeptabel. Alle diese Grlinde sprechen daftir, mit einer Planung durch Projekte eher sparsam umzugehen. Auswahlkriterien entwickeln. Um eine begrenzte Zahl von Projekten auszuwahlen und sie in eine Entwicklungsperspektive einzubetten, muss jede Kommune oder Region eigene MaBstabe zur Beurteilung von Projektvorschlagen entwerfen. Wie kann offentliche Planung auf Initiativen von auBen reagieren, die fertige Konzepte fiir Projektentwicklungen vorlegen? Wie kann der Nachfragedruck auf bestimmte Flachen kanalisiert werden? Wie lassen sich GroBprojekte in die Stadtentwicklung einbinden? Welche Themen sollen in Zukunft vorrangig aufgegriffen werden, welche nicht? Welche Flachen bzw. Objekte lassen sich, lange be vor eine Umsetzungschance besteht, bereits als zukiinftige Schltisselprojekte identifizieren und konzeptionell vorbereiten? Die offentlichen Akteurlnnen mussen, kurz gesagt, fur einen spateren Einstieg in die
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projektfbrmige Organisation bestimmter stadtebaulicher Vorhaben ihre Verhandlungsposition einerseits klaren und andererseits starken. Rahmenprogramme inszenieren. Eine Moglichkeit, Auswahlkriterien transparent zu gestalten und offensiv anzuwenden, ist die Veranstaltung zeitlich gebundener Feste, Events, Ausstellungen, Wettbewerbe, FordermaBnahmen oder anderer Programme. Auf diese Weise werden strategische Zusammenhange fiir die Durchfuhrung von Projekten geschaffen. Der ktinstlich gesetzte Rahmen bietet Anlasse fiir die Aktivierung und Vemetzung von regionalen Akteurlnnen, gibt AnstoBe fiir neue und mutige Projektinitiativen, kreiert raumliche Einheiten und ein neues Image und fiingiert nicht zuletzt als Biihne fiir die Presentation der Produkte. Aber auch hier gilt: Solche auBeralltaglichen Ereignisse lassen sich nicht beliebig wiederholen und verlieren ihre Zugkraft, wenn sie geballt auftreten. 2.2 Handlungsspielrdume eroffnen Ergebnisoffenheit akzeptieren, Projekte sind nicht vollstandig kontrolHerbare Prozesse, sondem Prozesse mit offenem Ausgang: Offen im positiven Sinne, weil ganz neue Losungen erst im Prozess entwickelt werden konnen, offen im negativen Sinne, weil sie einer eigenen, oft marktorientierten Logik folgen konnen, die ab einem bestimmten Punkt nicht mehr revidierbar ist. Wenn man mit einer Projektstrategie Stadt- und Regionalentwicklung betreiben will, muss das politisch gewollt sein und politisch verantwortet werden. Man muss dann akzeptieren, dass die Zielvorgaben fiir das Projekt nur grob, absichtlich unprazise formuliert sein dtirfen, damit Spielraum bleibt fur fallbezogene Ergebnisse und fiir Reaktionen auf veranderte Rahmenbedingungen. Man muss den Mut haben, unkonventionelle Ideen aufzugreifen oder eine konzeptionelle Linie durchzuhalten. Eine zentrale Rolle spielt bei alledem das Projektmanagement: Ihm muss die Politik bewusst Freiraume schaffen, damit es personell, organisatorisch und beziiglich der verfugbaren Mittel optimale Arbeit leisten kann. AufPersonen setzen. Der Erfolg von Projekten hangt in erheblichem MaBe auch von der Qualitat der Akteurlnnen und ihrem Zusammenwirken ab. Projekte sind im positiven wie im negativen Sinne personenabhangiger als die tiblichen Bearbeitungsformen der Linienorganisation. Jedes Projekt bietet die Chance, die Karten der eingefahrenen Akteurskonstellationen neu zu mischen und von dieser Gelegenheit, Alliierte zu sammeln und Blockaden zu umgehen, sollte Gebrauch gemacht werden. Dazu gehort die Auswahl besonders kompetenter und motivierter Mitarbeiterlnnen fiir das Projektmanagement, Entfaltungsmoglichkeiten fiir kreative und unorthodoxe Mitarbeiterlnnen, der Import von Personen, Wissen
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und Ideen von auBerhalb in ein etabliertes ortliches Milieu. Jedes Projekt braucht zudem eine Leitfigur, eine Schliisselperson, die das Projekt verantwortet, reprasentiert und immer wieder vorantreibt. Die Tatsache, dass sich die Qualitat der Kooperationsprozesse fiir die einbezogenen Akteurlnnen nur in dem MaBe erhohen lasst, in dem die Zahl der einbeziehbaren Akteurlnnen beschrankt wird (vgl. A. Benz 1994, 1997), ist der Preis in Form von mangelnder Transparenz und Biirgerlnnenbeteiligung, der fiir eine erfolgversprechende Akteurskonstellation gezahlt wird. Entscheidungskompetenzen zugestehen. Je informeller die Verfahren, je indirekter die Steuerungsinstrumente, desto wichtiger wird es fur die Projektleitung, selbstandig und flexibel als Verhandlungspartnerin agieren zu konnen. Das Projektmanagement ist der Motor des Prozesses. Politik und Verwaltungsspitze mtissen deshalb seine Ermessensspielraume erweitem, Rlickendeckung fur Ausnahmeregelungen geben und formell oder informell konkrete Verantwortungsbereiche iibertragen. Wichtig sind die Sicherheit, mit der die Projektmanagerlnnen ihre Freiraume ausschopfen konnen, und die Verbindlichkeit ihrer Entscheidungen. Budgetierung. Projekte mlissen zwar nicht immer teurer sein, aber sie milssen teurer sein dtirfen als normale Vorhaben: Die Infrastrukturausstattung fur neue, hochwertige Standorte muss iiberdurchschnittlich gestaltet werden, besondere Qualitaten und Neuerungen verursachen mehr Ausgaben, die Personalkosten fur Projektmanagerlnnen und exteme Beraterlnnen fallen hoher aus und die Offentlichkeitsarbeit ist ein eigenstandiger Posten. Daneben braucht das Projektmanagement fiir innovative Wege Mittel zur freien Verwendung, die nicht an spezialisierte Topfe gebunden sind und ein flexibles Reagieren auf unvorhersehbare Handlungsbedarfe wahrend des Planungsprozesses erlauben. Die Budgetierung des Projekts bedeutet einerseits die Freiheit, in diesem Rahmen marktwirtschaftlich und problemadaquat zu handeln, andererseits aber die Verpflichtung, dass sich das Projekt ab diesem Zeitpunkt betriebswirtschaftlich selbst tragen muss. Zusdtzliche Ressourcen aktivieren. Durch das Anzapfen und Umverteilen weiterer offentlicher Mittel kann ein Projekt noch zusStzlich untersttitzt werden. Grundstticke im offentlichen Eigentum konnen als Eigenkapital in das Projektbudget eingebracht werden sowie dem Projektmanagement iiber das Instrument der Kaufvertrage eine bessere Verhandlungsposition verschaffen. Haushaltsmittel aus verschiedenen Fachressorts konnen fur Vorhaben in bestimmten Stadtgebieten gebtindelt werden. Andere offentliche Institutionen oder Untemehmen im offentlichen Besitz konnen durch Starterinvestitionen und die tJbemahme der weniger rentierlichen Projektbestandteile einen Beitrag zur Projektentwicklung
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leisten. Projekte konnen fiir interessierte private Investorlnnen attraktiv werden, wenn sie einen vorrangigen Zugang zu offentlichen Fordergelder eroffiien. Handlungsspielrdume politisch kontrollieren. Je groBziigiger die politisch zugestandenen Freiraume und Ressourcen ausfallen, desto eher besteht die Gefahr, dass sich der vom Projektmanagement eingeschlagene Kurs von den urspriinglichen Planungsabsichten entfemt. Reichen da die gewissenhafte Auswahl und die Selbstkontrolle der beteiligten Personen aus? Im Prinzip ja, derm in dem MaBe, in dem die tiblichen politischen Kontrollmechanismen auf Projekte angewendet werden, werden die Freiheiten des Projektmanagements wieder eingeengt und damit der Vorsprung von Proj ekten gegeniiber traditionellen Organisationsformen wieder reduziert. Es gibt gute Grtinde, Projekten groBere Handlungsspielraume zu gewahren und die politische Entscheidung dafiir lasst sich fur eine beschrankte Zahl von Ausnahmefallen vielleicht auch verantworten. Trotzdem muss Uber verschiedene MaBnahmen nachgedacht werden, mit denen das Risiko von Verselbstandigungstendenzen begrenzt und die politische Legitimation von Projekten verbessert werden kann. Dazu gehoren: Transparenz vor Beginn des Projekts iiber Zielvorgaben und gewahrte Sonderbedingungen; strikte zeitliche Begrenzung der Dauer des Projekts, seiner SonderroUe und der Existenz des Projektmanagements; die Einrichtung von formellen oder informellen Gremien, die im Laufe des Planungs- und Umsetzungsprozesses gewissermaBen anstelle von Rat, Offentlichkeit und Biirgerlnnenbeteiligung eine Art Aufsichtsratsfiinktion ausiiben; die Festlegung von Zeitpunkten wahrend des Planungsprozesses, an denen das Erreichen bestimmter Teilziele iiberpriift wird, Entscheidungen sich noch revidieren lassen oder das Projekt gegebenenfalls sogar noch abgebrochen werden kann; die Evaluierung des Projektverlaufs, der eingesetzten Verfahrensinstrumente und der erreichten Qualitaten nach Abschluss des Projekts. SchlieBlich ist grundsatzlich der Wechsel der Personen und der Personenkonstellationen bei eventuell folgenden Projekten zu empfehlen, um filzverdachtige Strukturen bei reduzierter politischer Kontrolle erst gar nicht entstehen zu lassen - hier gilt das Motto: „Always change a winning team." 2.3 Verfahren vorgeben statt Produkte Lernfdhige Projekte konstruieren. Mit dem Zuschnitt der Projekte und ihrer Planungsaufgaben konnen bereits in der Konzeptphase Ausgangsbedingungen geschaffen werden, die unabhangig von den jeweiligen konkreten Zielen die Chancen fur hohere Qualitaten verbessem. Wenn innovative Losungen gefunden oder erprobt werden sollen, muss die Zahl der beteiligten Akteurlnnen iiber-
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schaubar und miissen die Konsequenzen der Umsetzung kalkulierbar bleiben. Experimentelle, kreative Planungsprozesse sind deshalb nur im Rahmen kleiner Projekte durchfuhrbar. Bei GroBvorhaben ist die Aufteilung in mehrere unabhangige Teilprojekte mit jeweils eigenen Aufgabenstellungen und eigenen Realisierungshorizonten eine Moglichkeit, das Risiko veranderter Rahmenbedingungen und eines frtihen „point of no return" zu begrenzen. Allgemein miissen GroBprojekte so konzipiert werden, dass sie okonomisch und stadtebaulich torsofahig sind. Mit Projektreihen, die iiber einen langeren Zeitraum mehrere Projekte mit ahnlichen Aufgabenstellungen, Zielsetzimgen, Organisationsformen und Instrumenten initiieren, kann verhindert werden, dass Modellprojekte Einzelfalle bleiben. Projektfamilien sind organisierte Lemprozesse fur ein bestimmtes Thema. Kommunikative Prozesse organisieren. Ein Projekt bildet mit seiner inhaltlichen, raumlichen und zeitlichen Begrenztheit, seinen ambitionierten Zielen, seinen Sonderorganisationen und seiner speziellen Akteurskonstellation voriibergehend einen Rahmen, in dem Machtunterschiede zwischen den Beteiligten zumindest nicht mehr allein ausschlaggebend sind, sondem Entscheidungen iiber formal gleichberechtigte, vor allem argumentative Auseinandersetzungen erfolgen konnen. Im giinstigsten Fall gelingt in solchen Aushandlungsprozessen zwischen Akteurlnnen aus offentlicher und privater Sphare eine positive Koordination (vgl. R. Mayntz 1993; F.W. Scharpf 1993), d. h. nicht nur ein Interessensausgleich, sondem eine neue Problemlosung, die im gemeinsamen Interesse ist und zu der alle Beteiligten einen aktiven Beitrag leisten. Das setzt voraus, dass die Akteurlnnen mit einer gewissen Unabhangigkeit von ihren Herkunftsorganisationen agieren konnen. Es setzt ferner voraus, dass es neben dem formalen Planungsverfahren Orte, wie etwa Runde Tische, fiir diese Verhandlungen gibt, die nach Konsensprinzip verbindliche Entscheidungen treffen konnen. Und es setzt voraus, dass von der linearen Reihenfolge formaler Verfahrensschritte abgewichen wird, um einen offenen Prozess zu ermoglichen, in dem bis zum Schluss Zielentwicklung, Informationsbeschaffung und Ausfiihrungsplanung miteinander verschrankt sind. Mechanismen zur Qualitdtssicherung einbauen. Neben dem Vorbehalt planungsrechtlicher Regelungen sollten weitere Instrumente der Qualitatssicherung ins Verfahren eingebaut werden: Auswahlverfahren nach dem Wettbewerbsprinzip und Planen in Altemativen als die Regel bei der Durchfiihrung von Projekten; Hinzuziehung von unabhangigen Gremien bei alien Entscheidungen bzw. obligatorische Begutachtung aller MaBnahmen durch externe Fachleute; Fixierung der Ziele und Qualitaten, iiber die sich die Kooperationspartnerlnnen geeinigt haben, in privatrechtlichen Vereinbarungen; gezielte Offentlichkeitsarbeit
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und damit erhohte Aufmerksamkeit der Fach- und Medienoffentlichkeit, die einen produktiven Erfolgs- und Qualitatsdruck auf die Projektbeteiligten erzeugt. Verwaltung umstrukturieren. Die Bildung selbstandiger Organisationsformen ist vor allem fiir das Projektmanagement notig, nicht zuletzt um mit neuen, unabhangigen Organisationseinheiten die Tragheit des alltaglichen Verwaltungshandelns kurzfristig zu umgehen. Wichtig ist aber eine eindeutige, fiir alle Beteiligten transparente Aufteilung von Kompetenzen und Zustandigkeiten zwischen Projektmanagement und „Normalverwaltung". Gleichzeitig mtissen Verfahrensregelungen vorgesehen werden, die verhindem, dass der Faden zwischen Projektorganisation und Linienorganisation abreiBt. Es bedarf organisatorischer Briicken, wie z. B. Runder Behorden-Tische, liber die die Verwaltungsvertreterlnnen in die Projektlogik mit einbezogen werden. Wird die Durchfuhrung des Projekts organisatorisch zu stark von den Verwaltungsstrukturen abgekoppelt, konnen auBerdem auch weniger Lemprozesse innerhalb der Verwaltung stattfmden. Die zunachst nur auf ein Projekt bezogenen Umstrukturierungen konnen langfristig zu einer Modemisierung der Verwaltung beitragen. Entscheidend ist, dass eine ortliche Verwaltung in Zukunft darauf vorbereitet ist, wenn neue Projekte auf sie zukommen: dass dann das Wissen darliber, wie Projekte genau fiinktionieren, weiter verbreitet ist, dass die Fahigkeiten zu kooperativem und ressorttibergreifendem Arbeiten gewachsen sind und dass genligend kompetente Mitarbeiterlnnen zur Verftigung stehen, die Managementaufgaben tibemehmen konnen. 2.4 Qualitative Kriterien einfordern Anspriiche hochhalten. Fiir Projekte gelten hohere Qualitatsanforderungen und ambitioniertere Ziele als bei normalen Planungsvorhaben, denn nur daflir scheint der Aufwand dieser besonderen Organisationsform gerechtfertigt und nur dadurch konnen die Projekte iiber sich selbst hinausgehende Wirkungen entfalten. Das Mindeste ist, iiber dem Durchschnitt liegende Standards vorzugeben. Das Maximale sind sicherlich Experimente, die den Stand der Kunst auf eine noch unbestimmte Art erweitem. Fiir die Auswahl der Investorlnnen und Nutzerlnnen kann das heiBen, warten zu konnen, nur mit denjenigen zu kooperieren, fiir die es attraktiv ist, die eigenen Interessen mit den Ansprtichen des Projekts zu verbinden. Ubertragbarkeit. Oft scheitert die Verbreitung von vorbildlichen Losungen aus Modellprojekten allein daran, dass sich die fiir Projekte typischen Sonderbedingungen im Alltag nicht wieder herstellen lassen. Ganz ohne Ausnahmesituation wird es in Projekten aber nicht gehen, denn nur dadurch kann Neues entste-
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hen. Die Alternative besteht daher nicht im Verzicht auf Sonderbedingungen, sondem eher darin, iiber sie und ihren Einfluss auf das Projekt Rechenschaft abzulegen, um daraus lemen zu konnen. Orte schaffen. Projekte erschaffen identifizierbare und identifikationsfahige Orte erst durch die Bestimmung neuer raumlicher Einheiten iiber vorhandene Grenzen hinweg, durch die Neudefinition des Problems, also das Umdeuten von Defiziten und Potentialen, und schlieBlich durch architektonische Symbole, die die neue Identitat des Standorts nach auBen reprasentieren. Das bedeutet Planung im Sinne von „Place-making" (vgl. P. Healey 2001, 2002), denn es soil aus milieuspezifischen Raumnutzungen und Wahmehmungen ein neuer Ort konstruiert werden, der als Kooperationsraum unterschiedlicher Akteurlnnen verstanden wird. Es ist zugleich ein Dekonstruktionsprozess, mit dem vorhandene Raumvorstellungen und Bedeutungszuweisungen in Frage gestellt werden. Wichtig ist dabei, dass der Bezug zur Geschichte des Ortes gewahrt bleibt und die Beziehung zu den vorgefundenen Strukturen der unmittelbaren Umgebung nicht abreiBt. Sichtbare und unsichtbare Qualitdten. Jedes Projekt muss sichtbare, einpragsame, auch spektakulare Ergebnisse hervorbringen, mit denen die Offentlichkeit erreicht werden kann. Weil ein Projekt, das uber sich selbst hinaus etwas bewegen soil, Symbole und greifbare Erfolge braucht, sind diese als notwendige Bestandteile des inhaltlichen Konzepts einzuplanen. Genauso wichtig sind jedoch zugleich die unsichtbaren Qualitaten, etwa Wohnqualitaten, soziale Beziehungen oder Verhaltensanderungen, die nur verbal zu beschreiben und schwer zu iiberprtifen sind. Diese Qualitaten gehoren aber oft zu den eigentlichen Zielsetzungen eines Planungsprojekts und bediirfen deshalb - statt der Aufmerksamkeit der Offentlichkeit - einer besonderen Aufmerksamkeit der Bearbeiterlnnen. Wirtschaftlichkeit. Mit Blick auf das Projekt und seine Befristung kann man sich leicht um die Frage der Folgekosten herumdriicken. In einem realistisch kalkulierten Konzept miissen aber neben den Investitionskosten auch die hoheren Kosten fur den Erhalt und die Nachbetreuung der besonderen Qualitaten und spektakularen Highlights beriicksichtigt werden. Es muss geklart werden, wie hoch vermutlich die Betriebskosten sein werden und wodurch bzw. durch wen sie nach Abschluss des Projekts finanziert werden sollen. Projekte sollten von Anfang an so konzipiert werden, dass sie sich anschlieBend selbst tragen konnen. Dauerhafte Bewdhrung, Auch wenn sich Projekte durch ihre Abgeschlossenheit auszeichnen, existieren ihre Produkte danach weiter. Projekte, in die soviel Energien, Ideen und Mittel investiert wurden, konnen nach dem Prasentationstermin nicht einfach sich selbst iiberlassen werden. Es ist dariiber nachzudenken, wie sie mit einer weichen Landung in die Normalitat iiberfuhrt werden konnen und welche Sonderbedingungen eventuell doch noch verlangert werden
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miissen. Es ist aufmerksam zu beobachten, wie sich die entwickelten Losungen auf Dauer bewahren, ob die besonderen Qualitaten einer besonderen Pflege bediirfen, um erhalten zu bleiben. Kurz gesagt, fiir Qualitaten braucht man einen langeren Atem als der Projektgedanke suggeriert. 3
Projektorientierte Planung und staatliche Steuerung
Die strategische Orientierung auf bestimmte stadtebauliche Vorhaben und ihre Verfolgung mit Hilfe einer projektformigen Organisation auf Seiten der offentlichen Akteurlnnen ist eine besondere Planungsform, uber die einige der Aufgabenstellungen angegangen werden konnen, mit denen sich kommunale und regionale Entwicklungsplanung heute konfrontiert sehen. Wo ein Nachfragedruck auf dem Immobilienmarkt vorhanden ist, auf den die Verwaltung mit den iiblichen Verfahren und Kapazitaten nicht mehr lenkend reagieren kann, bildet Projektplanung in dem hier bezeichneten Sinne einen geeigneten Rahmen, um die stadtentwicklungsrelevanten Vorhaben in Kooperation mit privaten Grundsttickseigentiimerlnnen bzw. Investorlnnen bis hin zur konkreten Umsetzung intensiv zu begleiten. In Stadten und Regionen, wo die Konkurrenzfahigkeit als Standort erst wieder hergestellt werden muss, muss offentliche Planung die fehlenden Marktimpulse zunachst durch eigene Inszenierungen ersetzen und punktuell neue Projekte generieren. Wenn planerische Aufgaben in Zukunft vermehrt im Bestand auftreten werden, dann lassen sich komplexe Emeuerungsprozesse ganzer Quartiere, schwierige Umbauten und Umnutzungen groBer Objekte oder das Wiederauffullen von „L6chem" in der Stadt vielleicht eher durch strategisch eingesetzte Projekte und fallbezogene Organisationsformen bewaltigen als durch herkommliche Planwerke. Weiche, schwer zu operationalisierende Zielsetzungen der Stadt- oder Regionalentwicklung konnen in einzelnen Projekten exemplarisch konkretisiert werden, hohere Qualitatsanforderungen konnen fiir herausgehobene Vorhaben und tiber projektspezifische Kooperationsstrukturen leichter durchgesetzt werden. SchlieBlich kann auch die Entwicklungsflinktion heutiger Planung, in bestimmten regionalen Milieu- und Marktkonstellationen von offentlicher Seite her Innovationen anzustoBen, aufgegriffen werden: Denn projektorientierte Planung ermoglicht es, dazu Planungssituationen mit offenem Ausgang herzustellen, AuBeralltaglichkeit zu schaffen und Lemprozesse zu organisieren (vgl. W. Siebel et al. 2001; O. Ibert 2003). Die Projektorientierung lasst sich aber nicht nur als erne Antwort auf die Anforderungen gewandelter Aufgabenstellungen und Zielsetzungen in der Planung verstehen, sondem kann gleichzeitig auch als eine Ausdrucksform veranderten staatlichen Handelns interpretiert werden. Die wissenschaftliche Diskus-
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sion um politische Steuerung hat eine Krise regulativer Politik und einen Formenwandel von der direkten in Richtung einer indirekten Steuerung diagnostiziert (vgl. C. Offe 1987; F.W. Scharpf 1991; R. Mayntz/ F.W. Scharpf 1995; R. Mayntz 1996). Durch Dezentralisierung, Abgabe von Entscheidungskompetenzen, Verhandlungssysteme und Politiknetzwerke nimmt demnach der kooperative Staat partiell seinen Steuerungsanspruch zuriick und schafft so Raum fur die Vorteile gesellschaftlicher Selbstorganisation. Bezogen auf die raumliche Planung haben in ahnlichem Sinn Ansatze der Govemance-Theorie neue Formen flexibler, offener und kooperativer Regelungsstrukturen beschrieben, die auf einer Vemetzung der Handlungsoptionen von politisch-administrativem, wirtschaftlichem und zivilgesellschaftlichem Sektor aufbauen (vgl. R.A.W. Rhodes 1996; J. Pierre 1999; P. Healey 2000). Projekte bieten sich in diesem Kontext als eine Planungsform an, mit der der lokale Staat trotz oder gerade mit Hilfe eines teilweisen Riickzugs punktuell Handlungsfahigkeit zuriickgewinnen kann. Flir den kooperativen Politikmodus gilt, dass er den hoheitlichen nicht einfach ersetzt, sondem beide komplementar zu denken sind, ja dass die horizontale Koordination nur funktionieren kann, wenn die hierarchische Steuerungsmacht des Staates im Hintergrund prasent bleibt. Entsprechend gilt fur die projektorientierte Planung, dass durch sie die rechtlichen Instrumente und regulativen Verfahren lokaler Politik nicht uberfliissig werden, sie treten aber teilweise gegentiber Partizipations- und Verhandlungsformen zuriick und wandeln ihre Funktion zum Mindeststandard, Faustpfand oder Tauschmittel. Steuerungstheoretisch betrachtet kann die projektmaBige Bearbeitung ausgewahlter stadtebaulicher Vorhaben dazu beitragen, die Effektivitat, die Effizienz oder die Legitimation planerischen Handelns zu erhohen und damit die Handlungsspielraume offentlicher Planung in diesen Fallen zu erweitem. 3.1 Effektivitat Ihre Effektivitat kann offentliche Planung steigem, wenn sie liber die Festlegung rahmensetzender Vorgaben hinausgeht und unmittelbaren Einfluss auf die konkrete Ausfiihrung eines Vorhabens gewinnt. Ziele, die nicht mehr tiber flachendeckende und verallgemeinerbare Regelungen zu erreichen sind, werden in Einzelfallen, denen eine Schliisselfiinktion zugeschrieben wird, konzentriert verfolgt. Die projektfbrmige Organisation erlaubt eine umsetzungsorientierte Behandlung dieser Vorhaben auch von offentlicher Seite und sie verlagert somit programmatische Entscheidungen auf die Ebene fallbezogener Entscheidungsprozesse, die sehr viel zielgenauere Ergebnisse hervorbringen konnen.
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Eine Moglichkeit besteht darin, dass die offentliche Hand selbst untemehmerisch tatig wird, indem sie etwa durch eine eigene Entwicklungsgesellschaft die Vermarktung besonders grower, komplexer oder schwieriger Standorte aktiv gestaltet. Bin mit Kompetenzen und Know-how entsprechend ausgestattetes Projektmanagement kann dann den privatwirtschaftlichen Akteurlnnen auf Augenhohe gegeniibertreten. tJber das professionelle Agieren auf dem Markt werden neue Entscheidungsspielraume jenseits der planungsrechtlichen Instrumente erschlossen. Mit solchen Projekten werden jedoch immer auch untemehmerische Risiken eingegangen und die betriebswirtschaftliche Logik kann gegeniiber den urspriinglichen Zielsetzungen an Gewicht gewinnen. Eine andere Moglichkeit, auf die Durchfiihrung stadtentwicklungsrelevanter Vorhaben Einfluss zu nehmen, liegt auf der Ebene privatrechtlicher Absprachen, Vereinbarungen oder Vertrage mit Eigentiimerlnnen, Nutzerlnnen oder Investorlnnen. Vertreterlnnen der planenden Verwaltung sind hier in der Rolle von Verhandlungspartnerlnnen. Ihre Verhandlungsposition dabei kann fiir ausgewahlte Projekte durchaus deutlich gestarkt werden, etwa durch fruhzeitigen Grundstuckserwerb, hochwertigen Infrastrukturausbau, Wettbewerbe, Fordergelder oder Ausnahmegenehmigungen. Im Rahmen von projektspezifisch organisierten Planungsablaufen ist es so moglich, mit kooperationsbereiten privatwirtschaftlichen Akteurlnnen Konsensbildungsprozesse in Gang zu bringen, uber die anspruchvolle Ziele zuverlassiger als tiber starre Vorschriften umzusetzen sind. Problematisch bleibt die begrenzte Transparenz solcher formellen oder informellen Verhandlungen. 3.2 Effizienz Ihre Effizienz kann offentliche Planung steigem, wenn eine Beschleunigung und Flexibilisierung der Verfahren gelingt und zusatzliche personelle bzw. fmanzielle Ressourcen mobilisiert werden konnen. Indem fur jedes Projekt neue, an die Bedurfiiisse des jeweiligen Planungsvorhabens angepasste Organisationseinheiten gebildet werden und dariiber die verschiedenen Akteurlnnen in horizontale Kooperationsstrukturen einbezogen werden, andem sich die Planungsablaufe. Sie entwickeln sich in Richtung offener, interaktiver Prozesse, innerhalb derer sich die einzelnen Verfahrensschritte integriert behandeln lassen. Konkrete gemeinsame Ziele unterhalb der programmatischen Ebene, die Konzentration der Anstrengungen aller Beteiligten auf die Umsetzung des besonderen Vorhabens und der Zeitdruck der Befi'istung erleichtem im Rahmen von Projekten die Zusammenftihrung verschiedener Interessen ebenso wie die Bundelung verschiedener Mittel.
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Eine groBere Effizienz planerischen Handelns setzt auf der einen Seite interne Veranderungen in den tradierten Organisationsstrukturen voraus. Elemente, die auch in der Debatte um Verwaltungsreform eine Rolle spielen, wie flachere Hierarchien, Abgabe von Verantwortung nach unten, ressorttibergreifende Zusammenarbeit oder budgetorientiertes Wirtschaften, fmden sich auch in den Organisationsformen von Projekten wieder. Mit Projekten lassen sich allerdings nur kurzfristig Effizienzerfolge erzielen, indem vorhandene Ressourcen auf bestimmte Vorhaben umgelenkt und mit dem Projektmanagement als einer Art Bypass die behabigen, schwer reformierbaren Verwaltungsstrukturen umgangen werden. Offen bleibt, in welchem Mal3e die Projektorientierung der Planung langfristig auch zu Lemprozessen in der Verwaltung fuhrt. Auf der anderen Seite kann die Effizienz der Steuerung durch die Einbeziehung von Akteurlnnen von auBerhalb des politisch-administrativen Systems erhoht werden, sei es durch die Auslagerung von Planungsaufgaben an private Untemehmen oder durch die Organisation von Netzwerken. Im Rahmen von GroBprojekten kann beispielsweise flir Teilflachen ein privatwirtschaftlicher Entwicklungstrager mit Prozesssteuerung und Umsetzung beauftragt werden, gebunden an offentHche Zielvorgaben etwa tiber einen „StadtebauHchen Vertrag". Von der teilweisen Aufgabenerfullung tiber den Markt verspricht man sich eine ztigigere Realisierung, einen Input an professionellem Know-how und nicht zuletzt Mitteleinsparungen und Risikominderung bei den Vorinvestitionen wie bei den Folgekosten. Eine andere Art und Weise, durch erweiterte Akteurskonstellationen Planungsaufgaben effizienter zu bearbeiten, besteht darin, iiber befristet gebildete Runde Tische, Werkstatten, Arbeitsgruppen, Planungsforen etc. neben den Projekttragerlnnen auch Behordenvertreterlnnen, Investorlnnen, spatere Nutzerlnnen und exteme Fachleute aktiv in den Planungsprozess einzubinden. LFber solche projektbezogenen Netzwerke werden Kapazitaten gesellschaftlicher Selbstkoordination aktiviert und losungsorientierte Diskussionsprozesse initiiert. Der groBere Kommunikationsaufwand verspricht, letztlich effizienter zu sein, weil die Planungssicherheit fur alle Beteiligten wachst und die weiteren Verfahrensschritte kalkulierbarer, konfliktfreier und schneller ablaufen. Die Rolle der Planerlnnen wandelt sich in diesen Fallen in Richtung auf die Moderation der Vielzahl von Akteurlnnen und Interessen, die heute bei wichtigen Planungsvorhaben involviert sind.
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3.3 Legitimation Ihre Legitimation kann offentliche Planung steigem, wenn sie ihre Entscheidungen transparenter macht bzw. ilber formale Beteiligungsverfahren hinaus mehr Einfluss auf ihre Entscheidungen zugesteht. Wird die Krise regulativer Politik auch als Legitimationsproblem gesehen, dann kann ein Steuerungsgewinn auch durch die Enthierarchisierung des Verhaltnisses von Staat und Biirgerlnnen erzielt werden. Ein Ausbau der Partizipationsmoglichkeiten fiir bestimmte Projekte ist der Versuch, eine hohere Zustimmung fur strategische Interventionen offentlicher Planung zu schaffen oder mehr noch, sogar zivilgesellschaftliche Selbsthilfepotentiale dafur zu nutzen. Insbesondere bei groBen, konflikttrachtigen oder innovativen Planungsvorhaben muss eine Verstandigung dariiber erst hergestellt werden. Auf regionaler oder gesamtstadtischer Ebene werden die Leitbilder neuer Entwicklungskonzepte haufig in Stadtforen, Konferenzen o. a. zur Diskussion gestellt und anschlieBend einer breiteren Offentlichkeit prasentiert. Die anvisierten Leitprojekte fungieren dabei als konkretes Pendant zu den relativ abstrakten Zielformulierungen. Sie sind die identifizierbaren und identifizierungsfahigen Kristallisationspunkte der beschlossenen Entwicklungsstrategie. Auf Stadtteilebene kann eine projektorientierte Quartiersentwicklung durch Stadtteilbiiros, Biirgerlnnenversammlungen, Stadtteilbeirate, Arbeitskreise oder andere extra eingerichtete quartiersbezogene Beteiligungsformen begleitet werden. Konkrete Projekte, die aus dem Stadtteil vorgeschlagen und dann fiir alle sichtbar erfolgreich umgesetzt wurden, spielen eine groBe Rolle fiir Zustimmung und Mitwirkungsbereitschaft von Bewohnerlnnen eines Quartiers. Auf der Ebene einzelner Projekte erscheint es am leichtesten moglich, mit erweiterten Partizipationsformen, darunter auch niedrigschwelligen Beteiligungsangeboten fiir sonst schwer erreichbare Bevolkerungsgruppen, Legitimationsdefizite abzubauen. Hier besteht noch ein Spielraum fiir orts- und fallbezogene Losungen und mit Hilfe von Biirgerlnnen, die als die Expertlnnen vor Ort zu betrachten sind, kann die inhaltliche Qualitat dieser Planungsentscheidungen verbessert werden. Andererseits sperren sich aber in der Praxis oft gerade andere typische Eigenschaften von herausgehobenen und projektfi)rmig organisierten Planungsvorhaben, wie untemehmerisches Handeln, enge Kooperation mit privatwirtschaftlichen Akteurlnnen, Aushandlungsprozesse unter Professionellen, zeitliche Befristung etc., gegen eine Ausweitung der Biirgerlnnenbeteiligung. Hier geraten Ansatze zur Erhohung der Effektivitat und der Effizienz planerischen Handelns offensichtlich in Widerspruch zu Bemuhungen um die Steigerung der Legitimation.
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So wie die neuen Steuerungsformen von Governance oder kooperativem Staat nicht alle einfach addiert und beliebig angewandt werden konnen, well sie in Konflikt zueinander geraten konnen, so lasst sich auch mit der Projektorientierung die Handlungsfahigkeit offentlicher Planung nicht in jeder Hinsicht und nicht in alien Fallen verbessem. Das Planen mit Projekten ist als ein Vehikel zur Erfiillung von Entwicklungsfimktionen der Planung zu betrachten, d. h., dass es nicht den Konigsweg fiir alle Anforderungen an heutige Planung, sondem nur einen geschickten, manchmal erfolgversprechenderen Umweg um die traditionellen Planungsformen darstellt. Es ist ein Planen durch die gezielte Herstellung punktueller Ausnahmesituationen und erfordert deshalb einen sparsamen Einsatz im Bewusstsein seiner Potentiate und Risiken.
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Strategieorientierte Planung in Wien Der Weg einer „sanften" Modemisierung?
Alexander Hamedinger
1
Einfiihrung
Seit den 1990er Jahren erfreuen sich Strategieplane, deren primares Ziel die Steuerung raumlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen ist, auf der Ebene von Stadtregionen in Westeuropa wieder groBerer Beliebtheit. In der Literatur (A. Faludi/ W. Salet 2000; P. Healey et al. 1997) wird davon ausgegangen, dass gravierende Umstrukturierungen der stadtischen Wirtschaft und Prozesse der Globalisierung sowie der Europaischen Integration zentrale Herausforderungen sind, denen sich die Stadt- und Regionalplanung auf strategischer Ebene stellen muss. Zunehmende fiskalische Engpasse, das Weiterbestehen und die Zunahme von Umweltproblemen, eine starkere Ausdifferenzierung der Lebensweisen sowie die Zunahme sozial-raumlicher Polarisierungen werden als weitere Grtinde fiir das Aufkommen einer strategieorientierten Stadtplanung angefiihrt. Im planungstheoretischen Diskurs (vgl. U. Altrock 2004; S. Campbell/ S. Fainstein 1996; A. Faludi/ W. Salet 2000) steht die strategieorientierte Planung im Zusammenhang mit der Abkehr von rational-wissenschaftlichen und zumeist zentralistisch sowie hierarchisch erzeugten Planungsmodellen. Vor allem angesichts der Veranderung von Akteurskonstellationen und der Pluralisierung sowie Diversifizierung von Akteursinteressen wird die Frage nach der Legitimitat und Effektivitat von Planung emeut thematisiert. In den Vordergrund riickt daher weniger das exakte Ziel, sondem der „Prozess" der Entwicklung und Umsetzung strategieorientierter Plane, in welchem die unterschiedlichen Interessen und WUnsche stadtischer Akteurlnnen zusammengebracht werden. Der Prozess, bei dem der Kreis der Akteurlnnen ausgeweitet wird, wird letztendlich zum entscheidenden Faktor in Hinblick auf die Legitimitat sowie die Qualitat der praktischen Umsetzung der Planung. Strategieorientierte Planung ist ein weitgehend offener, reflexiver sozialer Prozess, wobei die strategieorientierten Plane als Kommunikations- und Motivationsinstrumente gesehen werden. „This process generates not merely formal outputs in terms of poHcy and project proposals, but a decision framework that may influence relevant parties in their future investment and regulatory activities. It may also generate ways of under-
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Alexander Hamedinger standing, ways of building agreement, of organizing and of mobilizing to influence in political arenas. This social process, we assume, is shaped by both, the dynamics of urban region change and by the formal law and procedures of existing spatial and land-use planning systems" (P. Healey et al. 1997: 5).
Planung wird in dieser Sichtweise als kontextgebundenes, an bestehende politische Strukturen, an Akteurskonstellationen und deren Verhandlungsstrukturen gebundenes Unterfangen charakterisiert. Die zu Grunde liegenden Annahmen dieses planungstheoretischen Zuganges sind u. a. einer soziologischen Theorie der Institutionen entnommen, in welcher - verktirzt gesagt - Institutionen als Muster sozialer Regulierungen angesehen werden (J.G. March/ J.P. Olsen 1989). In der institutionalistischen Perspektive ist der Prozess der Entwicklung, Entscheidungsfindung und Umsetzung strategieorientierter Planung ein entscheidender Qualitatsfaktor. Dadurch geraten das jeweilige politisch-administrative System mit seinen Organisations- und Entscheidungsstrukturen, den Wertorientierungen der relevanten Akteurlnnen sowie den Akteurskonstellationen in den Mittelpunkt des Interesses. „(...) A strategy or a plan by itself does not much to coordinate. It is the social process of articulating and using it that achieve this. These involve organizational coordination as much as analytical and conceptual coordination." (P. Healey et al. 1997: 11) Strategieorientierte Planung stellt eine Herausforderung far politisch-administrative Systeme dar, da zumeist horizontal Kooperationen und Arbeitszusammenhange innerhalb des traditionell hierarchisch und vertikal gegliederten Verwaltungsapparates, in zunehmenden MaBe Kooperationen mit privaten Akteurlnnen aus der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sowie die Integration unterschiedlicher politischer Felder angestrebt werden. Strategieorientierte Planung steht damit im Kontext des vielfach erwahnten (jbergangs vom „Govemment" zum „Govemance", wobei sich inzwischen in vielen Stadten auf Grund von unterschiedlichen historisch gewachsenen politischen Strukturen und Kulturen verschiedene Erscheinungs- und Ubergangsformen von „urban governance" herausgebildet haben. Vor dem Hintergrund eines institutionalistischen Zuganges werden in diesem Beitrag die folgenden Punkte diskutiert: 1. 2.
In welcher Form und mit welchen Inhalten wurde strategieorientierte Planung in Wien durchgefuhrt? Inwiefem ist strategieorientierte Planung im Zusammenhang mit einem Ubergang vom „Govemment" zum „Govemance" in Wien zu sehen?
Strategieorientierte Planung in Wien 3.
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Welchen Stellenwert hat strategieorientierte Planung in der Steuerung stadtischer Entwicklung in Wien?
Nach einer theoretischen Reflexion der Govemance-Debatte und der Darstellung des Ansatzes der „kritischen Diskursanalyse" sowie einer kurzen Skizzierung der Wiener Situation in Bezug auf demographische, raumliche und okonomische Trends wird diesen Fragen anhand der Beschreibung und Analyse des Strategieplans 2004 nachgegangen. Im abschlieBenden Fazit wird u. a. diskutiert, welche Form von Governance sich in Wien entwickelt hat, und welche Steuerungspotentiale sich aus den Strategieplanen entfaltet haben. 2
Der theoretische und methodische Ansatz
2.1 Governance in der Stadt- und Regionalplanung Raumplanung und strategieorientierte Planung sind in unterschiedliche Kontexte von Governance eingebettet. Vor allem die strategieorientierte Planung ist auf Kooperationen und Verhandlungen zwischen einer Vielzahl von Akteurlnnen und Institutionen angewiesen, um an Legitimitat und Durchsetzungskraft zu gewinnen, weil im Implementationskontext zumeist weder auf rechtliche Sanktionsmoglichkeiten noch auf zusatzliche fmanzielle Ressourcen zurtickgegriffen werden kann. Damit wird deutlich, dass die jeweiligen Erscheinungsformen von Governance liber die Qualitat und Moglichkeiten von strategieorientierten Planen mitentscheiden. Als Beitrag zur theoretischen Fundierung des Begriffs „Govemance" entwickelten R. Boyer und R.G. Hollingsworth (1998: 5ff) eine differenziertere Typisierung von Govemance-Formen, die institutionelle Mechanismen fur die Koordination okonomischer Aktivitaten darstellen. Markt, Hierarchic (z. B. in Organisationen oder Untemehmen), „Communities", der Staat, Netzwerke und Assoziationen sind Koordinationsmechanismen, die sich vor allem in Bezug auf die Verteilung von Macht (horizontal-vertikal oder hierarchisch) und auf Motive fiir das Handeln (Selbstinteresse oder Verpflichtung) unterscheiden. Diese Koordinationsmechanismen treten naturlich nicht in dieser typologisch reinen Form auf, sondem iiberlagem sich. Als Regelungs- und Koordinationsmechanismen unterliegen sie allerdings alle bestimmten Formen von „Versagen". „The growing interest in governance mechanisms as a solution to market failure or state failure should not lead to neglect of governance failure." (B. Jessop 2000: 17)
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Alexander Hamedinger
Weiterhin verweist P. Healey (1997: 230-239) auf drei unterschiedliche Trends bestimmter Erscheinungsformen von Governance, in welchen die strategieorientierte Planung eine zentrale Rolle spielt: •
•
•
Trend 1 „criteria-driven approach": Im Rahmen einer „Neoliberalisierung" der Politik, in welcher vormals staatliche Aufgaben zunehmend an private Akteurlnnen abgegeben werden („devolution"), werden Kriterien und Indikatoren (sowohl output- als auch outcome-orientiert) entwickelt, welche die Leistungen von offentlichen und privaten Akteurlnnen und Institutionen messbar und transparenter machen sollen. Ziel ist es, politische Entscheidungen so effizient und so nachvollziehbar wie moglich zu gestalten. Die Einfuhrung von „Vertragskulturen" in das politisch-administrative System soil zur Effizienzsteigerung beitragen (angewandt etwa in der Stadtpolitik in GroBbritannien im Rahmen von „City Challenge" und „Single Regeneration Budget") und eine „technokratische" Kontrolle der Modemisierung der Gesellschafl quasi „von oben" ermoglichen. Trend 2 „ entrepreneurial consensus ": Die Entwicklung von Partnerlnnenschaften zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen steht im Mittelpunkt dieser Governance-Form. Dabei geht es um die Mobilisierung von lokalen, zumeist korporatistischen Netzwerken fur die Verbesserung der okonomischen Position einer Stadt oder Region im intemationalen Wettbewerb. Lokale Allianzen zwischen zentralen stadtischen Akteurlnnen und Institutionen werden geschmiedet, um in konsensualer Art und Weise gemeinsam Strategien fiir die zukiinftige Entwicklung der Stadt oder Region zu erarbeiten. Solche Allianzen spielen eine bedeutende Rolle in der Festlegung der strategischen Ausrichtung der Stadtentwicklungspolitik (Beispiel: „Essener Modell"). Trend 3 „inclusionary argumentation": Im Modell der „kollaborativen Planung" spielt die Entwicklung einer partizipativen Demokratie eine zentrale Rolle. Die Inklusion einer Vielzahl von Akteurlnnen in alien Phasen des Politikprozesses bildet den Kern dieses Modells, das an die Vorstellung einer „participatory governance" anschlieBt.
Diese Trends in Bezug auf Govemance-Formen sind als Verallgemeinerungen zu verstehen, die in Reinform auf stadtischer Ebene nicht vorzufmden sind, wobei der letzte Govemance-Typ mit seinem stark partizipatorischen Anspruch eher als eine zukiinftige Vision denn als bereits vorfmdbare Form von Governance auf stadtischer Ebene zu verstehen ist. Im Folgenden wird die spezifische Erscheinungsform von Governance in Wien im Zusammenhang mit der Entwicklung und der inhaltlichen Ausrichtung
Strategieorientierte Planung in Wien
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des Strategieplans 2004 analysiert. Die oben genannten Trends dienen als Rahmen zum besseren Verstandnis und zur Einordnung der Wiener Form von Governance im europaischen Kontext. 2.2 Kritische Diskursanalyse Diskurse werden in der Tradition einer kritischen Diskurs analyse von Michel Foucault als soziale Praktiken angesehen, die einerseits soziale Realitaten produzieren und andererseits selber von diesen Realitaten bestimmt werden. „Dabei besteht eine dialektische Beziehung zwischen Diskursen und der ihren Kontext bildenden Sozialstruktur: beide wirken wechselweise als Bedingungen und Effekte. Diskurse konstituieren Welt, und sie werden umgekehrt durch sie konstituiert; sie (re-)produzieren und transformieren Gesellschaft; sie leisten die Konstruktion sozialer Identitaten, die Herstellung sozialer Beziehungen zwischen Personen und die Konstruktion von Wissens- und Glaubenssystemen." (R. Keller 2004: 28) Diskurse umfassen eine Vielzahl von Aussagen, Themen und „Diskursstrangen", die etwa in Form von Texten Ausgangsdaten fiir eine Diskursanalyse sein konnen. Auf dieser Basis sind die Interessens-Positionen zu analysieren. Texte, wie eben Strategieplane oder Stadtentwicklungsplane, sind Teil einer diskursiven Praxis, die in einen gesellschaftlichen und institutionellen Kontext eingebettet ist und die ein bestimmtes Thema anspricht. Im Rahmen einer solchen diskursanalytischen Zugangsweise wird danach gefragt, „(...) was (jeweils gtiltiges) Wissen tiberhaupt ist, wie jeweils giiltiges Wissen zustande kommt, wie es weitergegeben wird, welche Funktion es ftir die Konstituierung von Subjekten und die Gestaltung von Gesellschaft hat und welche Auswirkungen dieses Wissen fiir die gesamte gesellschaftliche Entwicklung hat." (S. Jager 2001:81) In der Analyse des Strategieplanes wird daher das Augenmerk auf folgende Zusammenhange gelenkt: •
In den Texten werden bestimmte Wahmehmungen und Sichtweisen von stadtischen Problemen und Herausforderungen sowie bestimmte Losungsstrategien deutlich gemacht, die dazu dienen sollen, gemeinsame Anstrengungen einer Vielzahl von Akteurlnnen anzuleiten. Im Text erfolgt eine spezifische Konstruktion und Interpretation von Realitat, eine spezifische Darstellung von Wissen iiber die Entwicklung der Stadt und damit eine
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•
•
Alexander Hamedinger Produktion von „Sinn", auf welchen sich die Aktivitaten der Akteurlnnen beziehen sollen. Damit dienen der Text und das in ihm vorfindbare Wissen der Regulation der Interaktionen zwischen den beteiligten Personen und gesellschaftlichen Gruppen. In diesen Sichtweisen und Interpretationen von Realitat drtickt sich ein Machtanspruch bestimmter hegemonialer gesellschaftlicher Gruppierungen aus, denn „Diskurse sind parteiisch und auf spezifische soziale Positionen bezogen." (N. Fairclough 2001: 342) Damit wird der Zusammenhang zwischen der Produktion von Diskursen zur wiederum Reproduktion von Machtverhaltnissen, die die stadtische Gesellschaft strukturieren, angesprochen. Die Darstellung der Aussagen im Text als objektive, zumeist auf der Basis von Expertlnnen-Wissen erarbeitete Wahrheiten dient der Regulation von Konflikten, die sich aus unterschiedlichen Interpretationen und Sichtweisen iiber die zuktinftige Entwicklung der Stadt entwickeln konnten. Diese Unterschiede sind Folge der Artikulation der Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen, die wiederum beztiglich ihrer Ausstattung mit Machtressourcen, mit okonomischem, sozialen und symbolischen Kapital Differenzierungen aufweisen. Die Herstellung einer „gemeinsamen" Realitat dient der Einbindung dieser sozialstrukturell differenzierten gesellschaftlichen Gruppierungen und damit der Verdrangung von Konflikten im Sinne der Durchsetzung hegemonialer Ansprtiche. Wie Konflikte im Text angesprochen, welche Widerspriiche im Text deutlich sowie welche Aussagen ausgeklammert werden, sagt uber die „Machtwirkungen" des Diskurses sehr viel aus. In der Tradition einer Foucaultschen Diskurstheorie steht auch die Frage nach dem „Regelsystem", das der Produktion eines Textes zu Grunde liegt. Regelsysteme sind an institutionelle Strukturen und an Formen der Interaktion (kooperativ, netzwerkartig, hierarchisch etc.) zwischen Akteurlnnen gebunden. Die Einbettung eines Textes in vorhandene Govemance-Strukturen, in historisch entwickelte politische Kulturen und Sichtweisen auf Institutionen/Akteurlnnen spielt fur die konkrete Form des Regelsystems eine zentrale Rolle. Das, was im Diskurs erscheint, ist abhangig von den „institutionellen Logiken" sowie von den Logiken der Formen der Interaktion, die auf Grund ihrer intemen Strukturen, Prozesse und Akteurskonstellationen bestimmte „Wahrheiten" erscheinen lassen. Im Kern wird also der Blick auf die Rolle der Akteurlnnen und der Institutionen in der Produktion eines Textes gelenkt. Relevante Fragen dazu sind: Welche Akteurlnnen und Institutionen wurden in welcher Form in die Entstehung des Textes eingebunden, wie wurde mit den unterschiedlichen Sichtweisen im Prozess der
Strategieorientierte Planung in Wien
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Entstehung umgegangen, wer wird im Text als zentrale Akteurlnnen oder Institutionen fiir die Umsetzung angefiihrt? Damit wird deutlich, dass es eben nicht das Ziel der Analyse ist, „falsche" bzw. „wahre" inhaltliche Aussagen herauszuarbeiten oder Wahrheiten herzustellen, die aus einer bestimmten Sichtweise als legitim erscheinen. Vielmehr werden die Texte als Telle eines Diskurses iiber die zukiinftige Entwicklung der Stadt Wien angesehen, welcher eine bestimmte gemeinsame Sichtweise auf die Stadt Wien herstellen, institutionelle Praktiken verandem, Kooperationen zwischen unterschiedlichen Akteurlnnen herstellen und das Selbstverstandnis aller involvierten Akteurlnnen mitformen soil. Aus diesen diskurstheoretischen GrundUberlegungen ergeben sich konkrete Fragestellungen, die die Analyse der Texte des Strategieplans 2004 anleiten: 1. 2.
3.
4.
5.
6.
Welche Probleme der gegenwartigen und zukiinftigen Stadtentwicklung werden angesprochen? Welche Probleme werden ausgespart? Welche Strategien zur Losung dieser Probleme werden vorgeschlagen? Welche Grunde fiir die Entwicklung dieser strategischen Plane sowie der darin enthaltenen Strategien werden erwahnt (Frage nach den „driving forces"), handelt es sich mehr um exogene oder um endogene Begriindungszusammenhange? Welche Akteurlnnen und Institutionen wurden in den Entstehungsprozess des Textes in welcher Form eingebunden? Welchen Einfluss hatten diese Akteurlnnen auf die inhaltliche Ausrichtung der Strategieplane? Welche Rolle spielen diese Akteurlnnen bei der Umsetzung des Planes? Wie wurde mit auftretenden Konflikten, die sich aus unterschiedlichen Sichtweisen und Interpretationen ergeben, im Prozess der Entstehung der Plane umgegangen? Werden in den Texten selbst Widerspriiche und Konflikte deutlich gemacht, oder werden solche ubergangen? Welche Formen von Governance werden fur die Umsetzung der Strategien vorgeschlagen? Werden institutionelle Neuerungen vorgeschlagen (Kooperationen, Partnerlnnenschaften etc.)? Welche Rolle spielt das klassische „Govemment", welches Bild iiber die zukiinftige Rolle des Staates und damit iiber die Form von Staatlichkeit wird vermittelt? Welchen Stellenwert haben diese Plane in der Stadtpolitik? Handelt es sich nur um ein „nachahmendes" planerisches Ritual oder entfalten die Strategieplane auf Grund ihrer integrierenden Vision eine eigene Steuerungskraft? Welcher Weg der Modemisierung wird deutlich gemacht?
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Alexander Hamedinger Der Wiener Kontext: Skizze der okonomischen und demographischen Entwicklungen sowie Kennzeichen des „Urban Governance"
Der Beitritt zur Europaischen Union im Jahre 1995 und der Zusammenbruch des COMECON sind die zentralen politischen Ereignisse, welche die okonomische und demographische Entwicklung in den letzten Jahren gepragt haben. Wien wurde dadurch Teil des Europaischen Integrationsprozesses und erfiihr eine Veranderung seiner geopolitischen Lage. 3.1
Okonomische Entwicklung
Die okonomische Position Wiens im europaischen Kontext hat sich vor allem durch diese Ereignisse betrachtlich verstarkt. Wahrend durch den Beitritt zur Europaischen Union die bestehenden starken wirtschaftlichen Verflechtungen mit EU-Staaten, vor allem mit Deutschland, weiter intensiviert wurden, erzeugte die politische Wende im Jahre 1989 einen regelrechten Boom beziiglich der Investitionen osterreichischer Firmen in den ehemaligen Ostblock-Landem. Seit den 1990er Jahren ist eine zunehmende „AuBen- und Exportorientierung" der Wiener Wirtschaftsuntemehmen festzustellen. Sowohl im Dienstleistungsbereich als auch im Handel konnte die Wiener Wirtschaft von der „Ostoffiiung" profitieren. Seit den letzten Jahrzehnten erfolgte eine grundsatzHche Umstrukturierung der Wiener Wirtschaft, die mit den Begriffen „De-Industrialisierung" sowie „Tertiarisierung" umschrieben werden kann. Einige Firmen im sekundaren Sektor (z. B. Textilindustrie, Metallwarenerzeugung) mussten die Produktion einstellen, wahrend andere Firmen ihre Produktion in die suburbanen Gebiete Wiens verlagerten (auch einige Bereiche des Dienstleistungssektors, z. B. der GroBhandel, verlagerten ihren Sitz). Die Jobverluste im sekundaren Sektor konnten durch Entwicklungen im tertiaren Sektor nicht kompensiert werden. Sich gut entwickelnde Sub-Sektoren sind etwa untemehmensbezogenen Dienstleistungen sowie der Tourismus, wahrend die Bauindustrie sowie der Bereich der offentlichen Dienstleistungen, der ein traditionell pragender Teil der Wiener Wirtschaft ist, Arbeitsplatzverluste hinnehmen mussten. Dass die Stadt im Vergleich zu anderen europaischen Stadten eine positive Entwicklung der Produktivitatsgewinne verzeichnen konnte, ist vor allem den technologic- und humankapitalintensiven Branchen und Betrieben zu verdanken (vgl. P. Mayerhofer 2002). Dennoch hat sich die Zahl der Arbeitsplatze nur maBig entwickelt, was u. a. dazu geftihrt hat, dass der Anteil der Arbeitslosen auf den permanent hochsten Wert in
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Osterreich angestiegen ist (1990: 5,8%, 2004: 9,8%, http://www.wien. gv.at/statistik/daten/grafik/arbeitsmarkt.gif; 14. 11.2006). Grundsatzlich zeigt sich das Bild einer wettbewerbsstarken Wirtschaft mit einer stark positiven Entwicklung des BIP/Kopf (Magistrat der Stadt Wien 2005: 344), allerdings auch mit einer maBigen Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens und einer Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik seit Mitte der 1990er Jahre. Ursachen flir diese Relativierung sind die Liberalisierung der Markte, welche einen Modemisiemngs- und Rationalisierungsdruck erzeugte, Untemehmensfiisionen am Wiener Standort sowie die Erfordemisse der Budgetkonsolidierung, die sich aus dem Stabilitats- und Wachstumspakt ergeben haben (vgl. P. Mayerhofer2002:218). 3.2 Demographische Entwicklung Wien hatte im Jahre 1914, zur Zeit der Osterreichisch-Ungarischen Monarchic, 2,1 Millionen Einwohnerlnnen. Auf Grund negativer Wanderungsbilanzen und niedriger Geburtenraten reduzierte sich diese Zahl bis ins Jahr 1981 um ca. 500.000 Personen (vgl. Magistrat der Stadt Wien 2005: 24). Diese negative Bevolkerungsentwicklung konnte durch eine verstarkte Zuwanderung Mitte der 1980er Jahre gestoppt werden. Die Intensitat und Form der Zuwanderung veranderte sich in den letzten Jahrzehnten (politische Fltlchtlinge in den 1950er und 1960er Jahren, Gastarbeiterlnnen in den spaten 1960er und 1970er Jahren) und erreichte im Jahre 1994 einen Hohepunkt mit ca. 300.000 Personen nicht-osterreichischer Herkunft (R. Giffmger/ H. Wimmer 2002). Seit Mitte der 90er Jahre stabilisierte sich der Anteil von Zuwandererlnnen mit ca. 280.000 Personen. Die Anzahl von Auslanderlnnen im Jahre 2004 betrug 293.356 Personen (vgl. Magistrat der Stadt Wien 2005: 37) und liegt damit mit einem Anteil von 18,0% betrachtlich tiber dem osterreichischen Durchschnitt. Damit wird deutlich, dass die demographische Entwicklung stark von einer Zuwanderung gepragt ist. Die raumliche Verteilung dieser demographischen Entwicklung zeigt, dass sich die Bevolkerungszunahme der osterreichischen Bevolkerung auf innenstadtnahe Bezirke und auf suburbane Gebiete bezieht, wahrend im Rest der Kemstadt der Verlust osterreichischer Bevolkerung durch Zuwanderung von Personen nicht-osterreichischer Herkunft kompensiert wurde (vgl. H. Fassmann 1999). Der Prozess der Suburbanisierung setzte in Wien im Vergleich mit anderen europaischen Stadten relativ spat ein. Seit den 1970er Jahren nimmt die Wohnbevolkerung in den suburbanen Gebieten betrachtlich zu (vgl. URBS PANDENS WP2 2003). Weitere Kennzeichen der demographischen Entwicklung sind eine zu erwartende Zunahme an Personen im Alter von (iber 60 Jahren sowie eine
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gleichzeitige Abnahme von Personen im erwerbsfahigen Alter (http: //www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/demographische_prognosen/ bevoelkerungsprognosen/index.html. Abgerufen am 5.7.2007). 3.3 Kennzeichen des Urban Governance Wien ist gleichzeitig Bundesland und Gemeinde und vereint damit zentrale Raumplanungskompetenzen, die in Osterreich auf der Ebene der Gemeinden und Bundeslander angesiedelt sind. Neben den Flachenwidmungs- und Bebauungsplanen wurden umfassende Stadtentwicklungsplane (1984, 1994 und 2005) erarbeitet, die die raumliche Entwicklung der Stadt steuem sollen. Damit gibt es eine Tradition der Erstellung von gesamtstadtischen und teilweise strategieorientierten Entwicklungsplanen, deren Zustandekommen und Inhalte von der spezifischen Governance-Form Wiens gekennzeichnet sind. Historisch betrachtet sind die politische Kultur Wiens, die stadtebaulichen und raumplanerischen Programme sowie die Struktur des politisch-administrativen Systems stark durch sozialdemokratische Elemente gepragt. Die Wiener Sozialdemokraten (friiher: Sozialistische Partei) kontrollieren bis heute den lokalen Staat und setzten lange Zeit auf eine austrokeynesianische Wohlfahrtspolitik (etwa im Bereich des Wohnbaus und der Daseinsvorsorge). Die politische Kultur ist durch klientelistische Beziehungen zwischen versorgendem Staat und der Biirgerlnnenschaft gekennzeichnet, durch ein Fehlen von Partizipationstraditionen, durch die Dominanz der Verwaltung, durch top-down-Entscheidungsstrukturen sowie durch eine Haltung der „Konfliktvermeidung", die ihre Wurzeln in einer Politik der Einbindung und der Kooptierung potentiell widerstandiger Gruppen der Zivilgesellschaft hat. Nach einem Prozess der politischen Dekonzentration in den 1990er Jahren, welcher die dominante Position der Sozialdemokratie schwachte (und zu einer Koalition mit der OVP fiihrte), konnte die SPO bei den letzten zwei Gemeinderatswahlen (2001 und 2005) die absolute Mehrheit an Stimmen und Sitzen wieder zuriickgewinnen. Seit einigen Jahren gibt es Bestrebungen, dieses System des fordistischen „Govemment" zu reformieren und zu modemisieren. Neben einigen MaBnahmen der Dezentralisierung in den 1980er und 1990er Jahren, welche den geringen Kompetenzbereich der Gemeindebezirke etwas erweiterte, der Ausgliederung von Organisationseinheiten (z. B. der Wiener Stadtwerke), der Grtindung von stadteigenen Fonds (wie etwa des Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadtentwicklungsfonds, des Wiener Arbeitnehmerlnnen-Forderungfonds, des Wiener Integrationsfonds und des Fonds Soziales Wien) sowie der Deregulierung im Bereich der Wohnungspolitik sind hier vor allem Bemtihungen zur Verwal-
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tungsmodemisierung sowie - im Bereich der Stadtplanung - zur Verbesserung der Beteiligungsmoglichkeiten fur Biirgerlnnen zu nennen. Die Verwaltungsmodemisierung wurde Ende der 1990er Jahre begonnen und hat das Ziel, aus dem Magistral einen modemen Dienstleistungskonzem zu machen. Uber Anwendung eines Kontraktmanagements, das die Etablierung fixer Vertrage fur die Leistungserbringung einzelner Magistratsabteilungen vorsieht, soil ein Wandel in der Untemehmens- und Fiihrungskultur eingeleitet werden. „Dabei sind die folgenden Schritte vorgesehen: Definition der Leistungen, Erfassen der Globalziele, Festlegen der Kundlnnen, Zuordnung der Arbeitszeit zu Produkten und Kundlnnen, Installierung einer Kosten-Leistungsrechnung und Aufbau eines Controllings und Berichtswesens." (A. Breitfuss et al. 2004: 80) Die Forderung von Partizipationsmoglichkeiten an Planungsprozessen bezieht sich wiederum vor allem auf die Veranderung der Aufgabengebiete der Gebietsbetreuungen, die zentraler institutioneller Bestandteil der sanften Wiener Stadtemeuerung sind, und auf die Durchflihrung von fiir Wiener Verhaltnisse innovativen Beteiligungsverfahren im Rahmen der EU-Programme URBAN und Ziel 2 (etwa innerhalb von URBAN 1: Griindung eines Nachbarschaftsbeirates, innerhalb von Ziel 2: Implementierung eines Gratzelmanagements). Damit wurden Akzente in Richtung eines partizipativen, bottom-up gesteuerten und integrativen Verstandnis von Stadtemeuerung gesetzt, die es in dieser Qualitat in Wien bisher nicht gab. 4
Die Analyse - Der Strategieplan 2004
4.1 Entstehungsprozess und Begrundungszusammenhdnge Der Wiener Strategieplan 2004 hat den Untertitel „Strategieplan fiir ein erweitertes Europa". Er baut auf dem ersten Wiener Strategieplane (MA 18 2000: „Qualitat verpflichtet - Innovationen fiir Wien") sowie auf Recherchen tiber Strategieplane anderer europaischer Stadte (beispielsweise Barcelona oder London), die etwa zeitgleich entstanden sind, auf Daher basiert der neue Strategieplan auf einigen Grundannahmen seines Vorgangerplanes, gleichzeitig gibt es allerdings auch einige inhaltliche Neuerungen und Akzentverschiebungen in Hinblick auf die zukiinftige strategische Ausrichtung der Stadt Wien. Der erste Strategieplan wurde vor allem auf Initiative des OVP-Planungsund Zukunftsstadtrates der Stadt Wien und des SPO-Biirgermeisters entwickelt, wahrend die Entstehung des zweiten Strategieplanes auf die Initiative des neuen
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SPO-Planungsstadtrates, ebenso des SPO-Burgermeisters und der Gruppe Planung in der Magistratsdirektion der Stadt Wien zuruckgeht. In den meisten offiziellen Interviews und Dokumenten wurde der integrative, ressorttibergreifende und partizipative Charakter des ersten Planes hervorgehoben. Eine Offhung des politisch-administrativen Systems gegentiber den Anregungen und Interessen unterschiedlicher staatlicher sowie nicht-staatlicher Akteurlnnen erfolgte in diesem Plan durch die Offerierung von Beteiligungsmoglichkeiten bei der Planerstellung auf verschiedenen Ebenen: •
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fiir Magistratsabteilungen, Geschaftsgruppen und Btiros der Stadtratlnnen, vor allem im Rahmen von thematisch ausgerichteten, geschaftsiibergreifenden, verwaltungsintemen Arbeitsgruppen, in denen Ziele, MaBnahmen und Leitvorstellungen formuliert wurden; fur Expertlnnen aus der Wissenschaft im Rahmen einer eigenen Beraterlnnengruppe, deren Mitglieder teilweise an den Sitzungen der Arbeitsgruppen teilnahmen und in die Konzeption sowie Durchfiihrung der „Wiener Stadtdialoge" involviert waren; fiir Institutionen und Akteurlnnen des korporatistischen Systems (Wirtschafts- und Arbeiterkammern) wiederum im Zusammenhang mit den Wiener Stadtdialogen sowie in informellen Konsultationen und Gesprachen mit Verwaltungsabteilungen (keine direkte Einbindung); fiir die Bevolkerung im Rahmen der „Wiener Stadtdialoge", in denen ausgesuchte Themen des Strategieplanes in zehn Podiumsveranstaltungen („Stadtforen") in jeweils unterschiedlichen Bezirken diskutiert wurden.
Die inhaltliche Steuerung lag in den Handen einer Lenkungsgruppe, die aus Vertreterlnnen aller Geschaftsgruppen sowie einer Kontaktperson zum Biirgermeister bestand. Die Koordinationsarbeit leistete primar die Gruppe Planung der Magistratsdirektion und das Biiro der Koordinationsstelle, das aus den externen Buros „KDZ—Managementberatung- und WeiterbildungsGesmbH" und „Zukunfts.Station.Wien" gebildet wurde. Wahrend die Koordinationsverantwortlichen primar fur die konkrete Textproduktion und fiir die Moderation von Sitzungen verantwortlich waren, wurden in der Lenkungsgruppe Entscheidungen Uber inhaltliche Fragen und Vorschlage gefallt, die aus den Arbeitsgruppen kamen. Die Lenkungsgruppe hatte primar eine Kommunikationsfunktion in die gesamte politische Ebene hinein. Nach drei Jahren endete dieser Prozess der Erstellung des ersten Strategieplanes durch seine Annahme in einer Regierungsklausur Anfang des Jahres 2000. Der erste Strategieplan unterlag keinem Gemeinderatsbeschluss und entfaltete keine formalen Wirkungen fiir die Arbeit der Magistratsabteilungen. Al-
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lerdings wurde von offizieller Seite darauf hingewiesen, dass eine hohe Identifikation mit den Inhalten des Strategieplanes und damit eine indirekte Bindungswirkung fiir das Verwaltungshandeln durch die Art und Weise des Zustandekommens des Planes erzeugt wurden. Auch nach der Fertigstellung dieses ersten Wiener Strategieplanes blieb die Lenkungsgruppe installiert, um den Umsetzungsprozess zu beobachten. Das KDZ wurde wiederum damit beauftragt, diesen Prozess zu evaluieren. Nachdem in einem intemen Bericht festgestellt wurde, dass es in einigen Themenfeldem betrachtliche Entwicklungen gegeben hat, wurde der definitive Beschluss gefasst, den „alten" Plan zu aktualisieren. Im Gegensatz zum Entstehungsprozess des ersten Strategieplanes wurde fiir die Erarbeitung des neuen Planes vor allem auf magistratsinternes Fachwissen zuriickgegriffen, das von der Gruppe Planung federfuhrend zusammengefiihrt wurde; ressortiibergreifende Arbeitsgruppen wurden diesmal ebenso wenig installiert wie fiir die Offentlichkeit zugangliche Stadtdialoge. Der Entwurf wurde nach dem verwaltungsintemen Entstehungsprozess im Friihjahr 2004 den verschiedenen politischen Parteien vorgestellt, die in der Stadtentwicklungskommission des Gemeinderates vertreten waren. Politische Stellungsnahmen wurden tiber den Sommer eingearbeitet, sodass die Endfassung des Planes im Herbst noch einmal prasentiert werden konnte. Der Gemeinderatsbeschluss zum Strategieplan erfolgte schlieBlich im November 2004. Damit sollte signalisiert werden, dass der Strategieplan auf alien politischen Ebenen getragen wird und dass er einen Rahmenplan fiir die zukiinftige Entwicklung der Stadt darstellt, welcher sich in alien nachgeordneten, ressortspezifischen Konzepten wieder fmden muss. Der Strategieplan wird als Orientierungsrahmen fiir das Handeln aller Akteurlnnen des politisch-administrativen Systems betrachtet. Die Begriindungszusammenhange flir die Initiierung der beiden Strategieplane sind einerseits akteursbezogen und unterliegen damit dem Ziel der Durchsetzung von Interessen bestimmter Personen und deren Klientel, sowie andererseits strukturell bedingt, da sich okonomische, soziale, raumliche und politische Strukturen (etwa der Einfluss der EU auf die Stadtpolitik) verandert haben. Der erste Strategieplan ist u. a. vom OVP-Planungsstadtrat initiiert worden, um in einem Planungsdokument erstmals zumindest einige Aspekte der ideologischen Positionen der konservativen Volkspartei verankern zu konnen, wahrend der Nachfolge-Plan die Schwerpunkte der neuen Regierung und des neuen SPOPlanungsstadtrates widerspiegelt. Neben der Nachahmung anderer groBer europaischer Stadte gibt es einige inhaltliche Begriindungen fur die Entwicklung des ersten Strategieplanes:
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Alexander Hamedinger „Nach den Veranderungen der geopolitischen Lage am Beginn der 90er Jahr fur die Stadt Wien waren ab Mitte der 90er Jahre neuerliche Anderungen der Rahmenbedingungen erkennbar, die deutliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Stadte, auch auf Wien, hatten. Es waren dies die sprunghafte Entwicklung neuer Technologien, insbesondere im Telekommunikationsbereich, geanderte Anforderungen and die Verkehrs- und Standortpolitik durch die bevorstehende Erweiterung der Europaischen Union sowie die Veranderung der Lebensstile und Arbeitswelt." (A. Klotz 2005:85)
Die beiden Strategieplane unterscheiden sich in ihren Akzentsetzungen, wie beispielsweise beziiglich der Themen Verwaltungsmodemisierung, Nachhaltigkeit und Diversitatspolitik. Parallel zur Uberarbeitung der strategischen Richtung wurde das politisch-administrative System modemisiert, letztlich auch, um die Legitimation des Systems (wieder) zu erhohen. 4.2 Struktur und Inhalte Im Strategieplan 2004 wurde die Verbindung zwischen Rahmen gebenden politischen Visionen bzw. Strategien und konkreten, umsetzungsbezogenen Projekten deutlich, welche die Funktion von „flagships" oder „hot spots" fur die zukunftige Entwicklung der Stadt tibemehmen. Den strategischen Projekten wird ein „Modellcharakter" zugeschrieben. Sie sollen als Innovationsmotoren dienen. Alle Strategiefelder werden sowohl einer Leitidee untergeordnet, als auch einem Handlungsprogramm mit strategischen Zielen, Umsetzungsiiberlegungen und konkreten Projekten zugeordnet. Der Strategieplan dient gegentiber lokalen Akteurlnnen aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik dem Ziel, die Qualitaten und Starken der Stadt hervorzuheben und damit dem Ziel, eine positive Stimmung zu erzeugen. Nach „auBen", d. h. vor allem gegentiber Akteurlnnen anderer politisch-administrativer Systeme und auslandischer Untemehmen, dient der Strategieplan vor allem der Positionierung der Stadt im europaischen Stadtewettbewerb und dem Erzeugen eines Bildes von einer „untemehmerischen", pro-aktiven und attraktiven Stadt. Wien stellt sich dabei als innovativer, kreativer Standort mit hoher Umwelt- und Lebensqualitat dar, welcher mit den groBen europaischen Metropolen konkurrieren kann. Dem Anlass entsprechend wird die inhaltliche Ausrichtung von den neuen geopolitischen Gegebenheiten bestimmt. Der Titel „Strategieplan in einem erweiterten Europa" verweist auf eine „Europaoffiiung" in der Positionierung der Stadt und fmdet sich auch im ersten Strategiefeld wieder: „Wien engagiert sich in Europa und verstarkt regionale Kooperationen", Die weiteren Strategiefelder
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sind: 2. „Wien schafft neue Perspektiven fur Wirtschaft und Arbeit", 3. „Wien investiert in Wissen, Bildung, Kultur und Freizeit", 4. „Wien starkt die Qualitat von Naturraum und Stadtraum", 5. „Wien bleibt Stadt der Lebens- und Umweltqualitat". In alien Strategiefeldem wird versucht, okonomische, okologische und soziale Aspekte von der Leitidee bis zu konkreten Projekten zueinander in Beziehung zu bringen. Damit wird den Leserlnnen suggeriert, dass das Thema „Nachhaltigkeit" das zentrale Querschnittsthema des Strategieplanes ist: „Im Strategieplan fiir Wien sind die Zielsetzungen zukunftsfahiger bzw. nachhaltiger Entwicklung ein Kemelement des Leitbildes und dienen zur Orientierung fur strategische Ziele, Programme und Projekte. Somit stellt der Strategieplan eine Grundlage fur eine nachhaltige Gesamtentwicklung der Stadt und der Region dar. Er ist dariiber hinaus ein aktiver Beitrag Wiens zur Entwicklung eines nachhaltigen Osterreichs." (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 10) In den einzelnen Unterkapiteln der Strategiefelder gelingt die Beriicksichtigung aller drei Dimensionen der Nachhaltigkeit allerdings nur bruchstiickhaft. Wesentlich deutlicher wird im Text von der Verwaltungsmodemisierung gesprochen, ein Thema, das im Vergleich zum ersten Strategieplan sicherlich eine hohere Bedeutung aufweist. Das zeigt sich etwa darin, dass sich das Vorwort des Magistratsdirektors explizit auf das Ziel der Verwaltungsmodemisierung bezieht. Die Veranderung des Bildes des politisch-administrativen Systems in Richtung eines dynamischen, effizient und kundenorientiert agierenden Untemehmens steht im Mittelpunkt dieser zentralen strategischen Positionierung. Im Text wird die Veranderung des Verstandnisses von Staatlichkeit im Sinne des Ubergangs vom „Govemment" zum „Govemance" in diesem Aspekt der Verwaltungsmodemisierung immer wieder deutlich gemacht: „Der Magistrat der Stadt Wien definiert sich als grofier Dienstleistungskonzem, dessen Kundlnnen die Menschen dieser Stadt sind. (...) Die Verwaltungsmodemisierung ist daher ein permanenter Optimierungsprozess zur Anpassung von Organisations-, Entscheidungs- und Verfahrensstrukturen. (...) Die Rahmenbedingungen unserer Zeit erfordem zunehmend Partnerschaften zwischen offentlicher Verwaltung, dem privatwirtschaftlichen Sektor und den Biirgerinnen und Btirgem. (...) Wie die Verwaltungsmodemisierung ist auch der Strategieplan kein ,fertiges Programm' im konventionellen Verstandnis. Beide bediirfen einer permanenten Optimierung." (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 9) In dieser Textstelle wird auch ein anderer Aspekt von Governance hervorgehoben, der vor allem bei der Umsetzung der Projekte auBerst relevant erscheint: die Etablierung von neuen Kooperationsformen, etwa zwischen verschiedenen lokalen politisch-administrativen Systemen (z. B. Wien und Bratislava) oder, allge-
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meiner, zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen bzw. Institutionen. Im Vergleich zum ersten Strategieplan wurde insbesondere das Thema „Gender Mainstreaming" sowie „leistbares Wohnen", „Regionalisierung der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik", „Integrations- und Diversitatspolitik" und die Starkung der Position Wiens als Wirtschaftsstandort in der EU sowie die Verwaltungsmodemisierung hervorgehoben. Als zentrale Herausforderungen fiir die zukunftige Stadtentwicklung werden die Themen regionale Kooperationen, Starkung des Wirtschaftsstandortes, Vermeidung sozialer Disparitaten, Verbesserung der Integration, Gleichstellung der Geschlechter, Losung der Verkehrsproblematik, Erzeugung von Sicherheit sowie Erhalt bzw. Verbesserung der Umweltsituation genannt. 4.3 Diskursstrategien: Begrundungen und Konflikte Anhand von zwei Strategiefeldem („Wien engagiert sich in Europa und verstarkt regionale Kooperationen", „Wien bleibt Stadt der Lebens- und Umweltqualitat") soil nun deutlich gemacht werden, was als Herausforderung fiir die Stadt angeflihrt wird, welche Begrtindungen fiir konkretes Handeln und fiir Strategien vorgeschlagen werden und wie mit eventuellen Konflikten bzw. Widersprtichen umgegangen werden soil. Im Strategiefeld „Wien engagiert sich in Europa und verstarkte regionale Kooperationen" wird in der Leitidee ein positives Bild von Europa und dem Integrationsprozess gezeichnet, wobei vor allem auf die Chancen hingewiesen wird, die sich fiir Wien aus der Erweiterung ergeben. Um diese Chancen auch entsprechend zu nutzen, bedarf es regionaler, aber auch grenziiberschreitender Kooperationen etwa im Rahmen des Twin-City-Konzeptes mit Bratislava oder der Positionierung der neuen Europaregion CENTROPE. Es fehlt eine kritische Sichtweise auf die EU mit ihrem primar wirtschaftspolitischen Ziel der Herstellung eines moglichst fi-eien Binnenmarktes, auf die negativen Konsequenzen ihrer Liberalisierungspolitik sowie auf das Funktionieren der politischen Entscheidungsfmdung auf EU-Ebene. Es wird in diesen Textpassagen deutlich gemacht, dass sich aus dem Europaischen Integrationsprozess fiir Wien vor allem okonomische Vorteile ergeben konnen. Lediglich die Moglichkeit zu einer „nachhaltigen kommunalen Daseinsvorsorge", ein Bereich, der fiir die Legitimation lokalstaatlichen Handelns ausschlaggebend ist, wird gegeniiber einer vereinheitlichenden EU-Politik kritisch gesehen^^: ^^ Im Bereich der Daseinsvorsorge wird die kritische Haltung auch gegeniiber EU-Institutionen und in EUROCITIES hervorgehoben (vgi. dazu H. Bartik und A. Woiffhardt 2005: 33-48)
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„Eine Liberalisierung darf nicht zu negativen Auswirkungen auf die kommunalen Dienste fiihren. Die Leistungen der Daseinsvorsorge mtissen, wie bisher, am Gemeinwohl orientiert erbracht werden." (Magistral der Stadt Wien, MA 18 2004: 27) Grundsatzlich werden in diesem Strategiefeld einige Widersprtiche und mogliche konflikthafte Positionen offensichtlich, aber wie mit diesen Widerspriichen umgegangen werden kann und wie unterschiedliche Positionierungen tiberbrlickt werden konnen, wird nicht konkret thematisiert. Die folgende Formulierung macht das deutlich: „Eine zukunftsfahige urbane Entwicklung erfordert ein faires, menschenwiirdiges Gleichgewicht zwischen Marktwirtschaft und Wettbewerb auf der einen Seite und sozialer Sicherheit, Gesundheit, Integration, gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Wissenschaft, leistbarem Wohnraum und breitem kulturellem Angebote auf der anderen Seite." (Magistral der Stadt Wien, MA 18 2004: 26) Im Kapitel „Engagement fiir eine grenztiberschreitende Europaregion" wird das Projekt CENTROPE vorgestellt. Beim Lesen des Textes wird offensichtlich, dass es hier vor allem um die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen einer Region geht, deren Akteurlnnen und Institutionen sich bisher mehr in einer Konkurrenz- als in einer Kooperationssituation befunden haben. „Ein Ziel ist die Starkung des Wirtschaftsraumes zwischen den Stadten Wien, Brno, Bratislava, Tmava, Gyor, Sopron, Eisenstadt und St. Polten sowie der ihnen zugeordneten Teilraume." (Magistral der Stadt Wien, MA 18 2004: 31) Andere Themen als die Wettbewerbsvorteile werden wesentlich unklarer formuliert: „Zugleich soil sich die Europaregion zum Qualitatsstandort ftir alle Lebensbereiche entwickehi." (Magistral der Stadt Wien, MA 18 2004: 31) Ausgeblendet werden in diesem Themenkomplex problemalische Aspekte wie: der Einfluss nationaler Fiskal- und Wirlschaftspolilik auf die Bereilschaft zur Bildung von grenziiberschreitenden Kooperalionen, Hindemisse fiir die Bildung von Kooperalionen, die sich aus den hislorisch gewachsenen, nalionalen Instilutionengefiigen ergeben konnlen (z. B. Verhaltnis zwischen Bund und Landem; Fragen der Umverleilung von Kompetenzen zwischen den slaallichen Ebenen), das Zusammenlreffen unlerschiedlicher verwallungsinlemer Ablaufe und unlerschiedlicher Organisationskulturen, der Aufbau von Verlrauensbeziehungen zwischen den moglichen Kooperationsparlnerlnnen sowie die Frage der demokralischen Legitimation einer Europaregion, resp. auch die sprachlichen Gren-
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zen. Zudem werden Themenbereiche wie etwa das Verhaltnis zwischen Bund, Landem und Gemeinden hinsichtlich der Gesetzgebungen und Kompetenzverteilungen ausgespart. Inhaltliche Abstimmungsprobleme, die sich etwa zwischen dem Wiener Stadtentwicklungsplan STEP05 und dem niederosterreichischen Landesentwicklungskonzept ergeben konnten, werden nicht angesprochen. Lediglich die Thematik der Einkaufszentren wird als moglicher Konfliktherd thematisiert. Zur Losung dieser Problematik wird eine Verbesserung der Kooperations- und Kommunikationskultur zwischen den betreffenden Gemeinden (Wien und Umland) vorgeschlagen. Im Strategiefeld „Wien bleibt Stadt der Lebens- und Umweltqualitat" werden im Kapitel „Stadt der Gleichstellung der Geschlechter, des Miteinander und der Vielfalt" Aussagen uber die zukiinftigen integrations- und sozialpolitischen Weichenstellungen der Stadt gemacht. Migrantlnnen werden dabei vor allem als Innovationsmotoren gesehen, die einen Beitrag zur Starkung der stadtischen Wirtschaft und zur Entfaltung von stadtischer Kreativitat leisten konnen. Gleichzeitig wird betont, dass eine „geregelte Zuwanderung" wesentlich fiir eine „offene, urbane Gesellschaft, eine Gesellschaft, die Vielfaltigkeit, Offenheit und Toleranz fordert" (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 148), ist. In diesem Zusammenhang werden wiederum problematische Aspekte wie etwa rassistische Ubergriffe, parteipolitisch motivierte Ausgrenzungen, sozialraumliche Polarisierungen auf Grund von wohnungspolitischen Regulierungen, die Ethnisierung von nachbarschaftlichen Konflikten sowie die Zunahme von religios motivierten Desintegrationsprozessen nicht angesprochen. Eine Strategic der Konsensbildung, der vorwegnehmenden Einbeziehung von moglichen Widerstanden, die der historisch gewachsenen politischen Kultur Wiens entspricht, wird reproduziert, wenn Migration als positiver Beitrag zur innovativen und kreativen Stadtgesellschaft gesehen, gleichzeitig aber auf eine geregelte Zuwanderung bestanden wird. Die Frage, was dies derm genau bedeutet, wird ebenso wenig beantwortet wie die Frage, wie die soziale Lage der Migrantlnnen zukunftig verbessert werden kann. Die strategische Bedeutung einer Diversitatspolitik, die vor allem das Handeln und Denken der Akteurlnnen aus der Verwaltung betrifft, wird an dieser Stelle betont. Deutlich wird, dass in diesem Bereich offensichtlich Handlungsbedarf besteht und dass Wien noch nicht die offene, tolerante Weltstadt ist, von der die strategischen Planerlnnen traumen. In diesem Strategiefeld wird auch von „gemeinsamem, nachhaltigen Handeln" gesprochen und auf die Rolle der Lokalen Agenda 21 -Prozesse in Wien verwiesen. Die Stadt des Miteinander erfordert, „dass Offenheit, Reflexivitat, Fehlertoleranz, Partizipation und institutionelle Innovation gefordert werden" (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 156). Auch in diesem Punkt wird viel liber mogliche positive Entwicklungen, die es in den Agenda-Bezirken geben
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konnte, spekuliert, wahrend problematische und konflikthafte Themen, die eine realistischere Einschatzung der Rolle und des Einflusses von Agenda-Prozessen in Wien offenbaren wtirde, ausgespart werden. Die Kluft zwischen Realitat und Fiktion bzw. Vision wird also nicht angesprochen. Kritische Punkte, die einer Erwahnung bedlirfen, sind etwa: die geringe fmanzielle Ausstattung der AgendaTragerlnnen, die bestehende Machtstrukturen in den Bezirken, die manchmal zu geringe Konzentration auf die Durchfiihrung von Beteiligungsprozessen, die geringe Verkniipfung von Beteiligungsprozessen als Teil einer partizipativen Demokratie mit dem bestehenden System der reprasentativen Demokratie sowie die teilweise immer noch beteiligungsskeptische Haltung von Vertreterlnnen des politisch-administrativen Systems. In beiden Strategiefeldem werden inhaltliche Widerspruche und damit eventuelle Konflikte nur indirekt angesprochen. Eine zusatzliche Diskursstrategie besteht in der vorausgeschickten Einbindung und Kooptierung von moglichen widerstandigen Positionierungen in das Gesamtbemuhen der Herstellung eines stadtweiten Konsenses. An einigen Stellen geht dies auf Kosten von inhaltlichen Zuspitzungen und strategischer Profilbildung („Sowohl-als auchStrategie"). 4.4 Die Wahl der Regelsysteme: Akteurlnnen und Institutionen Wie die Rekonstruktion der Entstehung des Strategieplanes 2004 gezeigt hat, kamen im Gegensatz zu der des Strategieplanes 2000 primar verwaltungsinterne Regelsysteme, deren institutionelle Logiken und Interaktionsstrukturen zur Anwendung. Wahrend im ersten Strategieplan zumindest der Versuch gemacht wurde, Interessen und Wiinsche einer „breiten Offentlichkeit" einzuarbeiten (etwa im Rahmen der offentlichen Veranstaltungen der „Stadtdialoge", die allerdings lediglich von einer „qualifizierten Fachoffentlichkeit" besucht wurden), ist der Entstehungsprozess des zweiten Strategieplanes eindeutig verwaltungsdominiert. Eine Erweiterung des Akteursspektrums liber Akteurlnnen aus dem administrativen System hinaus erfolgte lediglich durch die Berucksichtigung der Interessen der im Gemeinderat vertretenen politischen Parteien im Rahmen der Stadtentwicklungskommission. Damit wird offensichtlich, dass der Entstehungsprozess des Strategieplanes 2004 mehr im Stile des „Govemment" als im Sinne von „Govemance" abgewickelt wurde und als Rtickschritt gegeniiber dem 2000er Plan interpretiert werden kann. Obwohl informelle Gesprache zwischen den Institutionen und Akteurlnnen des lokalen Staates und den Akteurlnnen/Institutionen aus der Privatwirtschaft sowie dem korporatistischen Umfeld immer wieder stattgefunden haben, konzentrierte sich die Beteiligung auf Insti-
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tutionen und Akteurlnnen des Staates sowie auf die Regulation von Konflikten im Rahmen der Moglichkeiten der reprasentativen Demokratie. Geringe fmanzielle Spielraume sowie die zeitgleiche Erarbeitung des Stadtentwicklungsplanes 2005 haben zur effizienten und Kosten sparenden Nutzung von bestehendem magistratsintemen Fachwissen gefuhrt. Dennoch sind im Entstehungskontext beider Strategieplane Elemente des Governance zu fmden: • • • •
die Kooperation zwischen den einzelnen Dienststellen und Geschaftsgruppen des Magistrats, (aber auch betreffend der Zusammensetzung der Arbeitsgruppen des ersten Strategieplanes), die Regulation von Konflikten iiber die Moderation von Sitzungen (der Arbeitsgruppen und der Lenkungsgruppe), die Einbettung des Entwicklungsprozesses in die laufende Verwaltungsmodemisierung und die Querschnittsorientierung in der Bearbeitung des Textes. Dies wird einleitend noch einmal unterstrichen: „Der Strategieplan fur Wien beruht auf einem integrativen Ansatz." (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 19)
Im Text wird der Strategieplan 2004 selbst als ein „weiches Steuerungsinstrument" dargestellt, das ganz im Sinne des Ideals vom kooperativen Staat den Rahmen fiir das zukiinftige Handeln aller stadtischen Akteurlnnen setzen soil. Dazu der Btirgermeister der Stadt Wien in seinem Vorwort: „Der neue Strategieplan fiir Wien soil einen Rahmen fur Dialog und Praxis aller gesellschaftlichen Gruppen bilden. Er ist cine Einladung zur kreativen Mitarbeit an der Entwicklung Wiens." (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 7) Von einem intervenierenden und regulierenden Staat wird im Text nicht gesprochen, vielmehr wird darauf verwiesen, dass die Umsetzung der einzelnen Ziele des Strategieplanes vor allem durch Kooperationen mit nicht-staatlichen Akteurlnnen und Institutionen erfolgen sollte. Schliel31ich wurde im Text selbst und in Interviews die „Prozesshaftigkeit" des Planes immer wieder betont. Es wurde davon gesprochen, dass der Strategieplan kein fertiges Produkt sei, sondem dass er offen fiir neue Entwicklungen und Anpassungen sein mtisse: „Wie die Verwaltungsmodemisierung ist auch der Strategieplan kein ,fertiges Programm' im konventionellen Verstandnis. Beide bediirfen einer permanenten Optimierung. (...) Dies erfordert auch, gemeinsam mit den Akteurlnnen der Stadt, die permanente und nachhaltige Weiterentwicklung der Kommunikations- und Kooperationskultur." (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 9)
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Im Strategiefeld, in dem es um die Positionierung Wiens im europaischen Stadtewettbewerb geht, findet sich die „Govemance-Rhetorik" wieder, da von der Bildung regionaler sowie grenziiberschreitender Kooperationen zwischen Stadten und Verwaltungen gesprochen wird. Im Text wird haufiger die Bildung von Partnerlnnenschaften (etwa zwischen der EU, den Nationalstaaten, den Regionen und Stadten, vgl. Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 25), Netzwerken (etwa fiir die Durchsetzung von stadtischen Interessen in Brtissel liber EUROCITIES, vgl. Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 26) und Kooperationen (etwa im Rahmen von CENTROPE) thematisiert. Die angeftihrten bestehenden Projekte sind durchwegs Netzwerke („Urban Technology Network" oder etwa „Local Governments Network of Central and Eastern European Countries") oder Kooperationen (z. B. EdGate oder OkobusinessPLan Wien-Gyor, INTERREGSekretariate in Wien oder das Stadt-Umland-Management Wien). Andere Elemente von Governance, wie etwa die Schaffung von Beteiligungsmoglichkeiten fur Burgerlnnen, werden in diesem Kontext ausgeblendet. Dies ware vor allem in den Punkten 1.1.8 „Nachhaltige Stadtentwicklung" sowie 1.1.4 „Vielfalt und Miteinander von Kulturen und Lebensweisen" zu erwarten gewesen. Generell wird der Eindruck vermittelt, dass die Adressatlnnen dieses Strategiefeldes vor allem aus den Verwaltungen, der Politik und der Privatwirtschaft kommen. Dies wird auch deutlich, wenn das Stadt-Umland-Management (SUM), das als Instrument zur Erreichung einer koordinierten Siedlungspolitik in der Stadtregion eingerichtet wurde, folgendermaBen defmiert wird: „Das SUM sol! als Schnittstelle zwischen Verwaltung und Kommunen vor allem die iiber die Bundeslandergrenzen hinausgehenden Kooperation bei Standortfragen, in der Griinraumplanung und Infrastruktur forcieren." (Magistrat der Stadt Wien, MA 18 2004: 40) Weitere Hinweise auf die Absicht der Etablierung von Governance-Strukturen gibt es auch im zweiten analysierten Strategiefeld: •
In der Leitidee wird erwahnt, dass fur die Sicherung und Weiterentwicklung der hohen Lebens- und Umweltqualitat sowohl regulierende Krafte des Staates als auch selbstregulierende Krafte der Gesellschaft zum Einsatz kommen mtissen. Dies entspricht einer Govemance-Diktion, in welcher es um die Einbindung nicht-staatlicher Akteurlnnen in die Erbringung offentlicher Leistungen und um die Abgabe von ehemals staatlichen Aufgaben an nicht-staatliche Organisationen geht: „Dies stellt nicht nur neue Anforderungen an die offentlichen Leistungen, sondern betrifft zunehmend auch den privaten Sektor. Diejenigen Strukturen innerhalb der
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Alexander Hamedinger Gesellschaft, die ein nachhaltiges Miteinander im Wirtschafts- und Lebensraum sicherstellen, miissen untersttitzt und gestarkt werden." (Magistral der Stadt Wien, MA 18 2004: 147) Die strategische Orientierung an der Verwaltungsmodemisierung wird zudem im Zusammenhang mit der Einrichtung der Diversitatspolitik hervorgehoben. Die Integrationsproblematik wird dabei als Managementproblem im Rahmen der Diversitatspolitik dargestellt, zu deren Unterstutzung ganz in der Tradition des Government eine eigene Magistratsabteilung eingerichtet wurde. Die Managementorientierung in diesem Bereich wird u. a. an folgender Stelle deutlich: „Die Stadt als Dienstleistungsbetrieb soil in der Lage sein, ihre Leistungen alien Biirgerlnnen personen- und fachgerecht anzubieten. Diversitatsmanagement muss daher als notwendiger Bestandteil von Qualitatsmanagement verstanden und gelebt werden." (Magistral der Stadt Wien, MA 18 2004: 153) Passend dazu wird im Kapitel „Nachhaltige soziale Sicherheit" die Notwendigkeit zur Neustrukturierung der Gesundheits- und Sozialaufgaben der Stadt Wien betont. Die Zusammenfiihrung von zwei Magistratsabteilungen ist ebenso im Sinne der Verwaltungsmodemisierung. Die strategische Regulierung dieses Bereiches soil allerdings in der Hand der Politik bleiben, wahrend das operative Geschaft vermehrt von nicht-staatlichen „Kooperationspartnerlnnen" durchgeftihrt werden soil. SchlieBlich ist auffallig, dass im Kapitel „Wohnbau, Wohnbauforderung und Wohnhaussanierung", in welchem zentrale Aspekte der zukUnftigen Stadtentwicklungspolitik angesprochen werden, bedeutsame strategische Ziele wie etwa die Forderung integrativen Wohnens oder die fiinktionale und soziale Durchmischung in einer unkritischen Art aufgelistet werden. Welche Herausforderungen sich etwa aus diesen beiden Postulaten ergeben, wird nicht angesprochen: „Grundsatzliches urbanistisches Ziel von Wohnbau und Wohnbauforderung ist die fiinktionale und soziale Durchmischung, indem verschiedene Formen des Wohnens (Miete, Eigentum, verschiedene Forderungs- und Finanzierungsformen) ebenso gemischt werden wie die moglichst konfliktfi-eien unterschiedlichen Nutzungen von Wohnen und Arbeiten." (Magistral der Stadt Wien, MA 18 2004: 173) In diesem Kontext fehlen wiederum konkrete Hinweise auf Beteiligungsmoglichkeiten fur Biirgerlnnen im Rahmen des Neubaus und der Revitali-
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sierung von Stadtgebieten sowie auf die zunehmende Bedeutung des Konfliktmanagements und des Stadtteilmanagements. Auf der diskursiven Ebene wird also der Eindruck erweckt wird, dass in Wien der Cbergang vom Government zum Governance angestrebt wird. Die Reformstrategie bezieht sich jedoch vor allem auf die interne Modemisierung der Verwaltung, wahrend die Einbindung von Akteurlnnen aus anderen politisch-administrativen Systemen, der Privatwirtschaft und des korporatistischen Systems nur teilweise angestrebt wird. 5
Fazit: geplante Strategien fiir eine „sanfte Modemisierung"
Strategieorientierte Planungen werden notig, um sich im zunehmenden Wettbewerb als Stadtregion zu positionieren (vgl. O. Frey 2005: 176). Sie sollen Orientierungsrahmen fur das Handeln der Akteurlnnen aus dem politisch-administrativen System, aus der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft sein. Sie verkntipfen daher zumeist Modemisierungsvisionen mit konkreten Handlungsprogrammen, versuchen durch die Einbindung einer Vielzahl stadtischer Akteurlnnen und Institutionen die Legitimitat der geplanten Strategien zu erhohen und geben Anhaltspunkte, wie mit gesellschaftlichen Widersprtlchen umgegangen werden soil. Weiterhin sollen sie ein positives und engagiertes Klima im Hinblick auf die Bewaltigung von gegenwartigen und zukiinftigen gesellschaftlichen Herausforderungen schaffen. Dabei entscheiden die Qualitat des Entwicklungs-, Umsetzungs- und Adaptionsprozesses sowie die historisch gewachsenen politischen Strukturen und Kulturen iiber die Akzeptanz der Strategien, iiber den Grad der Identifikation mit diesen sowie iiber ihre Rolle als „Kommunikationsinstrument". Anhand der Analyse der Entstehung und der Diskursstrategien des Strategieplanes 2004 wurde deutlich gemacht, dass strategieorientierte Planung in Wien diesen Anforderungen weitgehend gerecht werden will. Der Strategieplan schafft zwischen Strategien und Handlungsprogrammen Verbindungen und versucht einen Orientierungsrahmen zu geben. Seine Funktion als Kommunikations- und Steuerungsinstrument erfullt der Strategieplan 2004 jedoch nur bedingt. Der neue Strategieplan ist eher ein Beispiel fur eine lineare, geplante Strategieentwicklung, in welcher wenig Raum ftir offene und kontingente Prozesse zur Verfugung gestellt wurde, die quasi „ungeplante" Strategien erzeugen konnten (und offene Prozesse sowie ungeplante Strategien sind wesentliche Bestandteile strategieorientierter Planung). Dies zeigt sich einerseits am Entstehungsprozess des Strategieplanes, der eher ein
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primar verwaltungsintemer, top-down-gesteuerter Prozess war. Das kollektive Lemen, das noch im ersten Strategieplan eine wichtige Rolle gespielt hat, blieb weitgehend ausgeblendet und dadurch wurde auch der im ersten Strategieplan angelegte Versuch der Etablierung konsistenter Handlungsmuster konterkariert. Andererseits zeigt sich das auch an der Art und Weise, wie gesellschaftliche Widersprtiche angesprochen werden. Falls diese tiberhaupt erwahnt werden, wird dann nicht thematisiert, wie mit diesen Widerspriichen und den unterschiedlichen Anforderungen, die heutzutage an die Planung herangetragen werden, umgegangen werden soil. Das Verschweigen von problematischen, moglicherweise konflikthaften Themen dient der Herstellung eines stadtweiten Konsenses, der die relevanten stadtischen Akteurlnnen sowie Institutionen in die zuktinftige Entwicklung der Stadt einbinden soil. In einigen strategischen Feldem werden zwar Vorbehalte benannt (z. B. bezUglich der „Daseinsvorsorge"), allerdings werden diese dann nicht ausgetragen. Diese Diskursstrategie entspricht ganz der Tradition der Konfliktvermeidung und der Kooptierung von widerstandigen Akteurlnnen, wie sie so bezeichnend fur die Wiener politische Kultur ist. Die Entwicklung beider Strategieplane ist vor allem im Zusammenhang mit dem Bestreben der Modemisierung der Verwaltung zu sehen. Sowohl die ersten Uberlegungen zur Verwaltungsmodemisierung als auch die ersten Vorarbeiten zum Strategieplan 2000 erfolgten beinahe zeitgleich Ende der 1990er Jahre. Die fur die Verwaltungsmodemisierung so kennzeichnende „Management-Rhetorik" dominiert die inhaltliche Ausrichtung der Strategiefelder. Damit verbundene mogliche inhaltliche Widersprtiche, z. B. zwischen der Okonomisierung des Verwaltungshandelns und der Demokratieentwicklung oder zwischen Nachhaltigkeit und Verwaltungsmodemisierung, werden wiedemm nicht erwahnt. Flir die Wiener Strategieplane gilt: „Implizit oder explizit verkniipft mit ,Verwaltungsmodemisierung', dominiert in diesen Planen und Programmen ein Leitbild oder Zielsystem, das mit Begriffen oder Topoi wie innovation, Synergie, nachhaltige Entwicklung' be- oder umschrieben werden kann. Es geht dabei weniger um unmittelbare ,Problemlosungen' oder neue sektorale Ziele, sondem um Erhaltung und weiteren Ausbau der urbanen und regionalen Gesamtqualitaten." (G. Pirhofer 2005: 17) Auch im Hinblick auf die Frage der Modemisiemng des Staates (und damit hinsichtlich der Etabliemng von Govemance-Strukturen) zeigt sich in den Texten der Einfluss der tradierten Stmkturen und Kulturen. Damit die strategischen Ziele erreicht werden konnen, setzt der lokale Staat weiterhin auf bewahrte Reguliemngen und auf die Signalwirkung der strategischen Projekte. Im Gegensatz zu anderen Formen der urban governance in Europa (z. B. in GroBbritannien) bleibt die zentrale Steuemngsinstanz der lokale Staat, auch wenn es gleichzeitig
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Hinweise auf das Zulassen von Formen des Governance (z. B. die Bildung von Netzwerken und Kooperationen) gibt. Das Vertrauen in die Qualitat der Prozesse und der Ergebnisse von Govemance-Formen (etwa im Zusammenhang mit Partizipation) scheint seitens der Politik und Verwaltung gering zu sein. Beriicksichtigt man weiterhin die Konzentration auf das Thema der Verwaltungsmodemisierung, so ergibt sich fur Wien ein Govemance-Typ, der Elemente des „criteriadriven approach" und des „entrepreneurial consensus" verbindet und daher weniger als koUaborativ und partizipativ bezeichnet werden kann (was auch als techno-korporatistische Governance-Form interpretiert wird; vgl. P. Healey 1997). Letztlich zeigt sich in den vorgeschlagenen Strategien der Modemisierung ein fiir Wien typisches Bild, nicht zuletzt auch in Bezug auf den Ubergang vom „Govemment" zum „Govemance". Die herausgearbeiteten Strategien soUen den Weg einer „sanften" Modemisierung ermoglich. „Sanft" verweist dabei auf die „konservativen" bzw. bewahrenden Aspekte dieser sozialdemokratischen Modemisierungsstrategie, die die Notwendigkeit einer Modemisierung anerkennt, allerdings auf den Erhalt von „urbaner" Qualitat und der Steuerungskraft eines am Gemeinwohl orientierten „Govemment" baut. Diese konsequent durchgezogene „Sowohl-Als-Auch-Strategie" birgt einerseits die Gefahr, dass im Endeffekt kein klares stadtisches Profil erkennbar wird. Dies ist aber geradezu eine Voraussetzung, um im europaischen Stadtewettbewerb, der Differenzierungen belohnt, retissieren zu konnen. Letztendlich ist durch unklare strategische Positioniemngen der Steuemngsgewinn des Planes in Frage zu stellen. Andererseits ist gerade die Verkniipfung zwischen Elementen des Government und des Governance, zwischen eher liberal ausgerichteten und gemeinwohlorientierten Strategien ein Weg, der im Vergleich zu Entwicklungsstrategien anderer europaischer Stadte erfolgreich sein kann (und dies wird auch durch zentrale okonomische sowie soziale Daten zu Wien bestatigt). Das fiir die Stadt Wien typische Profil besteht dann genau in der Verkniipfung unterschiedlicher Strategien und Regelsysteme. Literatur Altrock, Uwe (2004): Anzeichen fiir eine „Renaissance" der strategischen Planung? In: Altrock et al. (2004): 221-238 Altrock, Uwe/ Giintner, Simon/ Huning, Sandra/ Deike, Peters (Hrsg.) (2004): Perspektiven der Planungstheorie. Berlin. Leue Verlag Antalovsky, Eugen/ Dangschat, Jens S./ Parkinson, Michael (Hrsg.) (2005): European Metropolitan Governance. Cities in Europe - Europe in the Cities. Wien: Europafo-
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Strategieorientierte Planung in Wien
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Leitbildprozesse in der strategischen Planung Thomas Kuder
„Gefragt ist nicht nur das Risiko einer Vision, sondem die Bereitschaft einer Biirgerschaft die sagt: So einen Visionar wollen wir haben, der uns eine Idee von der gesamten Stadtmitte vorstellt. Man konnte sie immer noch zum Teufel jagen, wenn sie nicht gefallt." (P. Schneider 1994: 29) Welche Anfordemngen stellen sich an Steuerungsprozesse in einem kooperativen Staat? Welche Anfordemngen stellen sich in diesem Kontext an eine strategisch ausgerichtete Entwicklungsplanung? Und wie passen Leitbilder und Leitbildprozesse in das sich ergebende Bild? Diese Fragen verfolgt der vorliegende Beitrag. Den aktuellen Anfordemngen, die sich aus dem zunachst betrachteten Wandel steuemngs- und planungstheoretischer Auffassungen ergeben, werden anschlieBend die spezifischen Leistungen gegeniiber gestellt, die Leitbildem und Leitbildprozessen heute aus einem normativ-theoretischen Blickwinkel heraus zugeschrieben werden. Der Beitrag behandelt damit die Frage, welche Rolle Leitbilder und Leitbildprozesse heute im Rahmen einer strategischen Planung in einem kooperativen Staat iibemehmen konnen. Aber auch die problematisch erscheinenden Eigenschaften von Leitbildem und Leitbildprozessen werden in die Betrachtung einbezogen und im Sinne einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung in verschiedene Anfordemngen gekleidet, die - wie in dem voran gestellten Zitat angedeutet - an eine „veranderte Planungskultur" im Umgang mit Leitbildem und Leitbildprozessen zu richten sind (vgl. dazu: K. Keim et al. 2002). 1
Vom Wandel steuerungstheoretischer Auffassungen
In aktuellen steuemngstheoretischen Diskursen wird weitgehend einvemehmlich konstatiert, dass angesichts der globalen Verwerfungen und der weit reichenden gesellschaftlichen Transformationen der letzten Jahrzehnte die zuvor lange Zeit bewahrte, (iberwiegend sektoral und hierarchisch organisierte „wohlfahrtsstaatliche" Steuemng, in Deutschland auf den verschiedenen Ebenen des Bundes, der Lander und der Kommunen angesiedelt, gleich in mehrfacher Hinsicht an Macht, Einfluss und Leistungsfahigkeit eingebiiBt hat.
Leitbildprozesse in der strategischen Planung
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Zum Einen sind heute viele der frliher in staatlicher Zustandigkeit liegenden Steuerungsvorgange der staatlichen Alleinverantwortung faktisch entzogen und werden stattdessen tiber vielfaltig ausgestaltete Formen des kooperativen Zusammenwirkens der gesellschaftlichen Krafte Markt, Staat, Zivilgesellschaft (und Individuen) erbracht (K. Selle 1997: 29-38). Zum Anderen werden auch die weiter bestehenden und teilweise modernisierten Kembereiche der klassischen staatlichen bzw. hierarchischen Steuerung heute mit einer groBen Anzahl von neuen Problemen konfrontiert, die sich durch fruher bewahrte Qualitaten nur noch begrenzt bewaltigen lassen (vgl. dazu die zusammenfassenden Ausfuhrungen von P. Healey et al. 2002: 6-28). Bedingt durch den raumstrukturellen Wandel und den verscharften Wettbewerb der Stadte untereinander hat sich, so die Einschatzung, der politische und exekutive Aufgabenfokus grundlegend verandert. Wahrend es in der Vergangenheit in erster Linie sektorale Qualitaten waren, die es zu erbringen gait, so sind es heute vor allem ortsbezogen integrierte und sektorubergreifende stadtische Qualitaten, die dringender denn je nachgefragt werden. Kritisiert wird daher, dass die sektorale und hierarchische Organisation der politisch-administrativen Aufgabenbewaltigung erhebliche Koordinationsprobleme zwischen verschiedenen Leistungssektoren aufwirft, dass die sektorale und hierarchische Programmstruktur gegeniiber den kurzfristigen Prioritaten der Kommunen nur trage zu reagieren vermag und die Kommunen als integriertes Ganzes dadurch nicht ausreichend gesttitzt werden. Die klassische staatliche Steuerung hat somit erheblich an Effizienz verloren und versteht es zudem nicht, potentielle Synergien zur Effizienzsteigerung zu nutzen. Letztendlich ist sie, so die Schlussfolgerung, in einer sich verandemden Welt an die Grenzen ihrer Leistungsfahigkeit gestoBen. Eine sektoral und hierarchisch organisierte Steuerung wird heute, so wird weiter kritisiert, aber auch den Bediirfhissen der Stadtbewohnerlnnen und deren Sicht der Notwendigkeiten oft nicht mehr gerecht. Zudem versteht sie es nicht, die potentiell vorhandenen lokalen Steuerungskapazitaten zu aktivieren und zum gegenseitigen Nutzen einzubinden. Staatliche Steuerung im klassischen Sinne kann somit heute auch erhebliche legitimatorische Defizite bewirken. Die politische und exekutive Steuerung ist daher, so die bilanzierende Schlussfolgerung, einem erheblichen Anpassungs- und Emeuerungsdruck ausgesetzt (P. Healey et al. 2002: 6-28). Abhilfe erhofft man sich angesichts dieser konstatierten Steuerungsprobleme von einem kooperativen Staat, der es vermag, Elemente der gesellschaftlichen Eigendynamik und Selbstregulierung mit Elementen der staatlichen Steuerung zu einem neuen, von den herkommlichen Routinen abweichenden „Steue-
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Thomas Kuder
rungsmix" in den vielfaltigsten Erscheinungsformen zusammenzufligen (K. Keim et al. 2002: 7). Erreicht werden sollen auf diese Weise flexibel veranderbare Steuemngsmodelle im Spannungsfeld zwischen Government und Governance, die der aufgezeigten Kritik gerecht zu werden und damit ein hohes MaB an gesamtgesellschaftlicher Legitimitat und an sektoriibergreifender Leistungseffizienz zu erzielen vermogen. Die einzelnen Steuerungsvorgange erfolgen dabei vomehmlich in einem intermediaren Bereich, in welchem die Krafte des Marktes, der Zivilgesellschaft, der Individuen und der Hierarchie jeweils in unterschiedlichen Akteurskonstellationen vertreten sind und verschiedenste, zwar durchaus konflikthafte, letztlich aber auf Konsens und Kooperation ausgerichtete Aushandlungsprozesse anstrengen (K. Selle 1997: 35f). Steuerungsvorgange dieser Art lassen sich nicht eindeutig umreiBen oder generalisieren. Vielmehr lassen sich darunter auf normativ-theoretischer Ebene alle neuen und vieMltigen Formen lokaler Steuerung subsumieren, die sich von etablierten, meist formalen staatlichen Steuerungsvorgangen letztlich durch ein qualitatives und quantitatives Mehr an Kooperation unterscheiden, z. B. pluralistische Verhandlungssysteme, problemorientierte Partnerlnnenschaften, erganzende informelle Steuerungsverfahren, problemspezifisch gebildete Akteurskonstellationen oder neue ortsbezogene bzw. integrierte Sichtweisen usw. Auch empirisch gestiitzte Verallgemeinerungen werden diesbeztiglich auf Grund der groBen Spannbreite an Steuerungsvorgangen im kooperativen Staat nur behutsam getroffen. Als erwiesen gilt nur, dass die Einbeziehung von Individuen und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in lokale Steuerungsvorgange eine signifikante Erganzung formaldemokratischer Prozesse darstellt, dass dem Ort in seiner vielschichtigen Gesamtheit im Diskurs um integrative lokale Steuerungsaktivitaten eine bedeutsame Rolle zugesprochen wird und dass die Qualitat der lokalen Steuerung sowie die Fahigkeit zum kooperativen Handeln fiir die gesellschaftliche Zukunft als besonders bedeutsam erachtet werden (vgl. dazu: P. Healey et al. 2002: 6-28). Den normativ-theoretischen Erwartungen an die Leistungsfahigkeit und Effizienz des kooperativen Staates auf der einen Seite steht allerdings auch eine empirisch gestiitzte Skepsis gegeniiber, die vor allem die mitunter konstatierte Diskrepanz zwischen dem hohen normativen Anspruch und der oft emtichtemden Wirklichkeit eines kooperativen Staates in den Blick nimmt. Analytisch hinterfi'agt wird dabei nicht nur das AusmaB, bis zu welchem der kooperative Staat tatsachlich realisiert wird, sondem auch die Leistungsfahigkeit der neuen Akteurskonstellationen, die Qualitat der neuen Steuerungsverfahren (auch unter Gesichtspunkten der Ergebnis- und Verfahrensgerechtigkeit), ihre Koordinati-
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onseffizienz sowie die Legitimitat von Akteurskonstellationen, Prozessen und von daraus resultierenden Ergebnissen. 2
Zum planungstheoretischen Wandel
Der skizzierte Wandel in den vorherrschenden steuerungstheoretischen Auffassungen schlug sich etwa im gleichen Zeitraum und in ahnlicher Weise auch in der Planungstheorie nieder. Insbesondere der entscheidungstheoretische Diskurs war in den letzten Jahrzehnten von phasenweise vorherrschenden normativen Auffassungen gepragt, in denen sich dieser Wandel nachvollziehen lasst. Allerdings diirften sich die zeitweise vorherrschenden Auffassungen in der Planungsrealitat zwar deutlich widergespiegelt haben, kaum aber in der einseitigen Zuspitzung, wie es die an dieser Stelle nur kurz zu skizzierenden Modelle vielleicht nahe legen und vermuten lassen (K. Selle 1998: 54). Die klassische wachstumsorientierte Entwicklungsplanung der 1960er Jahre, noch deutlich gepragt von einer hierarchischen Steuerungsauffassung, folgte in ihrem Planungsverstandnis im Wesentlichen dem Modell des „comprehensive planning". Dieses Modell ist charakterisiert durch eine zentralistisch organisierte und deduktiv abgeleitete Zielsetzung und Projektrealisierung. Es hat den Anspruch, umfassend zu steuem, flachendeckend zu planen und dabei einer langfristigen Orientierung zu folgen. Zu Grunde liegt ihr ein spezifisches Konzept der technischen Rationalitat des planerischen Handelns: Planung ist dann rational, wenn sie tiber vollstandige Information verfiigt, widerspruchsfreie Ziele verfolgt und aus einer Tabula-rasa-Situation heraus agiert (M. Rodenstein 1982: 20ff; siehe dazu und im Folgenden auch: H. HauBermann/ W. Siebel 1993: 141f). Ende der 1960er Jahre ist im Kontext einer sich verandemden, nunmehr starker auf komplexe Emeuerungsprozesse ausgerichteten Planung dieses Modell aus vielen Griinden in die Kritik geraten, insbesondere, weil das hierarchische und technisch-rationale Vorgehen sowie die resultierenden Planungen, hervorgebracht von „allgiiltigen, allwissenden und allmachtigen Planerlnnen", den betroffenen Menschen haufig nicht nachvollziehbar erschienen und auch ihren Interessen, vor allem den kurzfristigen, haufig nicht gerecht wurden, was letztlich erhebliche Legitimitatsprobleme, Infragestellungen und Konflikte nach sich zog. Das aus der Kritik heraus formulierte Konzept des „disjointed incrementalism", normativ vorherrschendes Modell im Planungsverstandnis der 1970er und friihen 1980er Jahren, versteht dagegen das Entscheidungshandeln als „Durchwursteln" und empfiehlt eine fehlerverzeihliche „Strategie der kleinen Schritte" (D. Braybrooke/ C. Linbloom 1972: 140f). Vor dem Hintergrund unvoUstandiger
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Information und ungenauer Zielausrichtung basiert das Modell auf der Erkenntnis, dass Planen und Entscheiden unter demokratisch-pluralistischen Verhaltnissen, bedingt durch den Zwang zu Kompromiss und Interessensausgleich, nicht durch den „groBen Wurf, sondem eher iiber eine Vielzahl unkoordinierter kleiner Schritte erfolgt. Es erschien daher auch besonders geeignet fiir die erfolgreiche Bewaltigung einer Vielzahl kleinteiliger SanierungsmaBnahmen. Die Reichweite von Planung ist nach diesem Verstandnis allerdings eher kurz und auf Abhilfe einzelner Probleme, nicht aber auf umfassende Problemlosung mit langfristiger Orientierung ausgerichtet. Anerkannt werden bei diesem Planungsverstandnis die Existenz unterschiedlicher Interessen und die Notwendigkeit der Kooperation verschiedener Akteurlnnen untereinander. Dementsprechend ist es der pluralistischen Machtstruktur und den emanzipatorischen Bestrebungen der Menschen in Demokratien angepasst. Rationalitat ist dabei allerdings weniger an technischer Efflzienz, als am konsensorientierten Zustandekommen einer auf Ausgleich bedachten Problemlosung orientiert. In die Kritik geraten ist die kooperationsfreundliche „Politik der kleinen Schritte" vor allem auf Grund ihrer Ausrichtung an kurzfristigen Interessen und Losungen, mit der sich grundlegende und langfristig erforderliche Innovationen nicht bewerkstelligen lieBen, weshalb ihr die dafiir erforderliche Rationalitat abgesprochen wurde. Die strategische Planung, wie sie sich seit den frtihen 1990er Jahren im Kontext neuer Fragestellungen einer zukunftsorientierten und innovativen Stadtentwicklung in vielfaltigen Varianten herausgebildet hat, vereint nunmehr mit einem konkreten, ftir Kooperationsangebote niederschwelligen Projektbezug einerseits, eingebettet in einen weit reichenden und langfristigen Orientierungsrahmen andererseits, wesentliche Merkmale der klassischen Entwicklungsplanung und einer inkrementaUstischen Planung (H. Fassbinder 1993: 324f). Die strategische Planung lieBe sich aus planungstheoretischer Sicht dem allerdings nur grob gefassten Ansatz des „perspektivischen Inkrementalismus" zuordnen, der, so vage seine theoretische Ausarbeitung letztlich sein mag, eine Art Kompromiss oder Synthese aus den verschiedenen Stationen des entscheidungstheoretischen Diskurses der Vergangenheit darstellt (K. Ganser et al.l991: 59ff). Ein „perspektivischer Inkrementalismus" und eine meist etwas zielscharfere strategische Planung mtissten also, dem normativen Verstandnis nach, durch einen Mix induktiver und deduktiver Elemente und eine - in beiden Fallen ahnlich angelegte - Unterstutzung sozialer Konstruktionsprozesse in der Lage sein, zentrale Schwachstellen frtiherer Modelle und Planungsverstandnisse zu beheben. Dies gilt zum Einen fiir das angesprochene Legitimitatsproblem bei der klassischen Entwicklungsplanung, dem durch konkret greifbare, leicht nachvollziehbare so wie auch kurzfristig realisierbare Einzelprojekte mit niedriger Legi-
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timitatsschwelle und der dadurch erleichterten Partizipation aller beteiligten Akteurlnnen abgeholfen werden soil. Und es gilt fur das Innovationsproblem bzw. das Problem der langfristigen Orientierung bei der Politik der kleinen Planungsschritte, das durch einen vorgelagerten oder projektbegleitenden Prozess der Verstandigung unter den verschiedenen Akteurlnnen iiber grundlegende Wertvorstellungen und langfristige Zielorientierungen gelost werden soil. Wenn Klaus Selle recht hat mit seiner Feststellung von der permanenten, gleichzeitigen Uberlagerung verschiedener Planungsauffassungen, d. h. wenn Planung tatsachlich immer tiber einen inkrementalistischen Kern verfugt, aber gleichzeitig auch unabdingbar einer langfristigen Orientierung bedarf, dann durfte der Begriff des „perspektivischen Inkrementalismus" und in Folge die strategische Planung mit ihren vielfaltigen kooperativen Steuerungselementen dem Gemeinten recht nahe kommen (K. Selle 1994:47, 53f). Auch wenn die Realitat letztlich ja doch weitaus komplexer ist, als es in den Modellen und Ansatzen wiedergegeben werden kann. 3
Leitbilder als strategisches Planungsinstrument
Stadtebauliche und stadtplanerische Leitbilder (und -gedanken) sind allgemein anerkannte, wtinschbare und machbare sowie anschauliche Konkretisierungen von komplexen normativ-antizipierenden Zielvorstellungen. Sie geben den erst noch genauer zu formulierenden Zielvorstellungen, wie auch den einzelnen, aus den Zielvorstellungen abgeleiteten Entwtirfen, Planungskonzepten und personlichen Gestaltungspraferenzen einen gemeinsamen Hintergrund und binden sie in einen zu bildenden oder bereits bestehenden Konsens uber „WertmaBstabe" ein, der die Grundlage fur eine umfassende Schau der wiinschenswerten raumlichen Ordnung und eine wiinschenswerte Gestaltung von Planungsprozessen bildet (vgl. dazu W. Durth/N. Gutschow 1988: 214; T. Kuder 2004, 56f). Leitbilder und Prozesse, die Leitbilder hervorbringen, gewinnen immer dann an Bedeutung, „(...) wenn das integrierende Normengefuge und die sich daraus ergebenden Orientierungsfixpunkte und Handlungsmuster abhanden gekommen sind und durch einen neuen (...) Orientierungsrahmen ersetzt werden mussen." (B. Streich 1988: 135) Angesichts der aktuellen Diskurse zur Globalisierung, zur weltweiten Restrukturierung der Okonomie, zu den einhergehenden gesellschaftlichen Verwerfiingen, zur Transformation Osteuropas oder der neuen Bundeslander in Deutschland sowie zu den daraus resultierenden raumlichen Anpassungsprozessen und neuen Problemlagen, z. B. zur regionalen Peripherisierung oder zu stadtischen Schrumpfungsprozessen, erscheint das Erfordemis einer intensivierten
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Suche nach neuen Orientierungen auf der Grundlage veranderter Rahmenbedingungen evident. In diesem Kontext konnte Leitbildprozessen als zukunftsweisenden Verfahren in der strategischen Planung eine wesentliche Bedeutung zukommen. In der neueren Leitbildforschung wird Leitbildprozessen und Leitbildem eine Vielzahl von spezifischen Leistungen zugesprochen, die gerade auch fiir den Erfolg einer strategischen Planung unabdingbar erscheinen. Leitbilder werden, so der normative Anspruch, als besonders geeignet erachtet, in einem auf Kooperation basierenden, Legitimitat erzeugenden Prozess insbesondere durch ihre kognitiven und kooperativen, individuativen und kommunikativen Eigenschaften neues Wissen bzw. allgemein anerkannte Werte und grundlegende Handlungsorientierungen hervorzubringen Die kognitiven Leistungen zielen dabei auf die Erkenntnis und die individuativen Leistungen auf die „innere" Einbindung der Akteurlnnen, wahrend sich die kommunikativen Leistungen auf ihre „auBere", auf Konsens und Kooperation mit anderen Akteurlnnen abzielende Orientierung beziehen. Sie alle sind fiir diskursive Leitbildprozesse bzw. erfolgreiche kooperative Planungen von besonderer Bedeutung (vgl. dazu: M. Dierkes et all992: 27-52). Die kreativen Entstehungsprozesse von Leitbildem und deren Strukturen, denen heute wissenschaftlich betrachtet sehr viel mehr Bedeutung beigemessen wird als den resultierenden anwendungsorientierten Leitbildem (T. Kuder 2004: 197), sind, so die Erwartung, in der Lage, alle moglichen Formen von „institutionellem Immobilismus" (F.W. Scharpf), von Beharmngstendenzen, lethargischresignativer Passivitat oder Pfadabhangigkeit zu iiberwinden und ein neues, fur notwendig erachtetes Orientiemngs- und Handlungswissen hervorzubringen. Eine keinesfalls selbstverstandliche Voraussetzung dafur ist allerdings, wie sich z. B. in den neuen Bundeslandem in Deutschland vielfach zeigt, das Vorliegen innovativer Ideen, ohne die letztlich kein Leitbildprozess erfolgreich sein kann. Von Leitbildprozessen verspricht man sich dariiber hinaus, dass sie genau jene Erfordemisse erfiillen, die sich steuemngstheoretisch und in verschiedenen Planungsauffassungen als besonders bedeutsam erwiesen haben: Auf Gmnd ihrer Anschaulichkeit, leichten Nachvollziehbarkeit und guten Kommunizierbarkeit erlauben sie, so erwartet man, eine erleichterte Mobilisiemng, intensive Beteiligung und feste Einbindung der Akteurlnnen. Anhand der verstandlichen und einpragsamen Leitbilder und Ideen konnen die Akteurlnnen in den formellen oder informellen Steuemngsprozessen auch dann miteinander kooperieren, wenn sie nicht „vom Each" sein sollten. Auf diese Weise konnen liber das herkommliche MaB hinaus endogene Steuemngspotentiale aktiviert und Synergien hervorgemfen werden, was sich wiedemm positiv auf die Effizienz von Steuemngsprozessen auszuwirken verspricht. Zudem kann eine heute mehr denn je geforderte
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breite Beteiligung von Akteurlnnen an gesellschaftlichen Steuerungsprozessen zu deren Legitimationssteigerung beitragen. Leitbildprozesse erlauben, so die normative Erwartung weiter, die Erarbeitung und Kommunikation gerade auch von integrierten ortsbezogenen oder langfristigen Zielvorstellungen, wie sie in Steuerungsprozessen zunehmend mehr nachgefragt werden, Kann tiber diese in den Herausbildungsprozessen ein allgemeines Einvemehmen erzielt werden, lassen sich auch sektoral begrenzte oder kurzfristige Handlungsorientierungen iiberwinden und, wie spatere Einzelvorhaben, ohne zu erwartende groBere Konflikte in diesen Orientierungsrahmen einbinden. Uber ein solches koordiniertes und kooperatives Vorgehen konnen vor allem auch langfristig erforderliche, kurzfristig aber schwer zu vermittelnde Innovationen befordert werden. In eine „strategische Planung" (im Sinne des „perspektivischen Inkrementalismus") diirften sich Leitbilder und Leitbildprozesse also ihrem normativen Anspruch nach wie folgt einfugen: Leitbilder, wie sie sich in breit angelegten Beteiligungsprozessen herausbilden konnen, stellen eine Verstandigung liber grundlegende Wertvorstellungen und langfristige, Rahmen setzende Handlungsorientierungen her, die das Problem der fehlenden Orientierung bei einem inkrementalistischen Vorgehen (im Sinne des „disjointed incrementalism") zu losen vermogen. In einen solchen allgemein anerkannten und um wesentliche Konflikte reduzierten Orientierungsrahmen eingebettet, lassen sich reaktionsschnell bediirfiiisnahe Einzelprojekte umsetzen, die wesentliche Probleme der klassischen Entwicklungsplanung (im Sinne des „comprehensive planning"), z. B. ihre Behabigkeit und Bedtirfhisfeme, entscharfen bzw. losen konnen. Betrachtet man vor diesem normativ-theoretischen Hintergrund die stadtplanerische Praxis, so verwundert es demnach kaum, dass Leitbilder und Leitbildprozesse heute tatsachlich ein fast schon selbstverstandlicher Bestandteil der Stadtplanung (iberhaupt und insbesondere der heutigen Entwicklungsplanung geworden sind, und auch, wie Heidede Becker es einmal formulierte, aus dem Planungsgeschehen kaum mehr wegzudiskutieren sein dtirften (H. Becker 1998: 456). Trotz der bedeutsamen Rolle, die Leitbilder damit als ein Planungsinstrument in der strategischen Planung einzunehmen versprechen, konnen gleichwohl auch in emem kooperativen Staat erhebliche Diskrepanzen zwischen den normativ erwarteten Fahigkeiten und der alltaglichen Realitat liegen. Unrealistisch erscheinen jedenfalls, so die auch auf Leitbildprozesse anwendbare Kritik, Erfordemisse wie z. B. eine vollstandige Information, eine zwar anzustrebende, kaum aber erreichbare machtfreie Kommunikation (J. Habermas 1997) oder ein faires, auf gleichberechtigte Aushandlung im intermediaren Bereich abzielendes und ggf. subjektive Partikularinteressen zahmendes Verfahren.
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Thomas Kuder Kritische Leitbildanalyse - ein Beitrag zu einer veranderten Planungskultur
Angesichts dieses Dilemmas erscheint es geboten, der kritischen Leitbildanalyse Aufinerksamkeit beizumessen und fiir Leitbildprozesse normative Mindestanforderungen, Bedingungen und Regeln zu formulieren und im Sinne einer veranderten Planungskultur zu befordem. Ziel muss es dabei sein, die Starken von Leitbildprozessen zu sttltzen und die Schwachen zu mildem. Einige zentrale, recht einfach klingende, aber keineswegs selbstverstandliche Ansatzpunkte dafiir lassen sich aus der sozialwissenschaftlichen Leitbildkritik und wissenschaftstheoretisch aus dem Wesen von Normen und Leitbildem ableiten. Der Soziologe Hans Paul Bahrdt forderte z. B. bereits 1964 eine kritische Leitbildanalyse. Bahrdt betont zwar, dass die analytische Sozialwissenschaft tiberfordert ware, wtirde man von ihr die Produktion von planungsbezogenen Leitbildem erwarten, verweist aber zugleich auf die folgenden Aufgaben, namlich die Analyse der Normen, Leitbilder und Ideologien, die in Planungstheorien und Planen eine Rolle spielen, das Aufzeigen der in Leitbildem enthaltenen Interessen, die Priifung der Richtigkeit von Leitbildaussagen und der mit Leitbildem verknupften Wirklichkeitsbilder und die Erfolgskontrolle bei konkreten MaBnahmen (H.P. Bahrdt 1964: 16f). Zu den gmndlegenden Bedingungen, die fur Leitbilder gelten, gehoren u. a. die folgenden: Zielvorstellungen, die in Leitbildem unter Reduktion ihrer Komplexitat veranschaulicht und damit handhabbar gemacht werden, enthalten zukunftige „Soll-Zustande", die fur wiinschbar und fiir machbar zugleich gehalten werden. Diese „Soll-Zustande" sind dem Bereich der Normen zuzurechnen und werden gmndsatzlich vom Bereich der Tatsachen bzw. der „Ist-Zustande" unterschieden. Normen sind, wie auch Leitbilder, handlungsorientierte MaBstabe oder Vorschriften, denen die gmndlegende Funktion zugesprochen wird, bewusste, zielorientierte Tatigkeiten des Menschen zu initiieren und zu steuem. Sie sind also unverzichtbar, wenn man den Bereich der Analyse und der Erkenntnis verlasst und das Feld des bewussten Handelns betritt. Im Gegensatz zu Tatsachen, flir die ggf. ein Nachweis erbracht werden kann, dass sie „wahr" sind, kann die „Richtigkeit" einer Norm oder eines Leitbildes grundsatzlich nicht nachgewiesen werden. Dies wirft besondere Begrundungs- und Rechtfertigungsprobleme auf. Nach wissenschaftlichem Anspmch miissen Normen oder Leitbilder daher, um Legitimitat zu erlangen, aus anderen Normen ableitbar sein, auf allgemeinen Wtinschen und Bediirfhissen basieren, miissen vor allem aber allgemein anerkannt werden (H. Seiffert/ G. Radnitzky 1989:231ff,381ff).
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Normen und Leitbilder sind also keine Tatsachen, sondern sich in Bewertungs- und Anerkennungsprozessen herauskristallisierende Ideen und Vorschlage unter einer Vielzahl von anderen denkbaren Moglichkeiten. Sie miissen daher, so eine der Grundbedingungen, unter Bezugnahme auf andere Wertvorstellungen und Normen, aus denen sie sich ableiten lassen, und analog zu einem politischen Vorschlag oder Konzept moglichst gut und nachvollziehbar begriindet sein, um liberzeugen zu konnen und Legitimitat zu erlangen. Die Begrtindung gilt als das unverzichtbare und zentrale Element der Rechtfertigung von Normen und Leitbildem. Leitbilder und Normen lassen sich, weil sie allgemein anerkannt werden miissen, zwar initiieren, befordem und auch inhaltlich gestalten, kaum aber erstellen oder einfach durchsetzen. Auch wenn man nattirlich so tun kann, als lieBe sich eine allgemeine Anerkennung einfach herstellen. Selbst im ARLHandworterbuch der Raumordnung wird eine Machbarkeit durch eine „Leitbildmethode" suggeriert (M. Lendi 1995: 625). Zu einer anerkannten wirklichen Norm oder zu einem Leitbild werden anfanglich ja immer nur subjektive, ggf. von Partikularinteressen geleitete regulative Ideen und Handlungsvorschlage aber erst durch eine nicht aktiv machbare, sondern eben nur passiv erreichbare, sich in vielfaltigen, oft konflikthaften Aushandlungs-, Entscheidungs- und Anerkennungsprozessen herausbildende „Geltung" in einer bestimmten Akteurskonstellation oder Gemeinschaft. 5
Qualitatsanspriiche an Leitbilder: Kann man einen Tiger reiten?
Die wissenschaftstheoretischen Grundbedingungen, denen Leitbilder unterliegen, verdeutlichen, dass ein Prozess, aus dem ein Geltung beanspruchendes Leitbild resultieren soil, problematische Fragen aufwirft und ein anspruchsvolles Unterfangen darstellt, vergleichbar dem waghalsigen Versuch, einen Tiger reiten zu wollen. Vor allem aber ist ein solches Unterfangen vielen mehr oder weniger rationalen Einfliissen unterworfen, die den Prozess der Herausbildung erschweren, blockieren oder aber in eine kaum berechenbare „irrationale" Richtung lenken konnen. Die Reduktion der Komplexitat, die in Leitbildem vorgenommen wird eine im menschlichen Denken durchaus iibliche, fast immer stattfmdende Form der Bewaltigung komplexer Sachverhalte - birgt immer auch das Risiko von unbotmaBigen Verallgemeinerungen, Unklarheiten und Missverstandnissen. Auch werden moglicherweise subjektive Interessen oder verkleidete Ideologien artikuliert, Macht wird eingesetzt, verselbstandigte Handlungssysteme mit eigener Rationalitat, z. B. Biirokratie oder Okonomie, versuchen ihre Handlungslogik
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durchzusetzen. Technische Rationalitaten werden vorgetragen, die den Menschen und die Umwelt auBer acht lassen, asthetische Anspruche werden eingefordert oder es kommen psychologische Faktoren zum Tragen, wenn sich beispielsweise Autoritaten oder Personlichkeiten zu Wort melden. Diese Einflusse miissen zwar keinesfalls, konnen aber durchaus zur Irrationalitat der Anerkennungsprozesse und der resultierenden Leitbilder beitragen, daflir lieBen sich viele Beispiele benennen. Man denke z. B. an den ideologischen Gehalt und die systemverwirklichenden Absichten, die im Nationalsozialismus mit der Nachbarschaftskonzeption transportiert und autoritar durchgesetzt wurden, einer vermeintlich anerkannten Idee, die sich etwa zur gleichen Zeit in den USA auf Grund ihrer demokratischen und kommunikativen Starken groBer Beliebtheit erfreute (G. Albers 1996: 62). Trotz dieser absehbaren Schwierigkeiten sollte man aber durchaus den Versuch wagen, Leitbilder und vor allem Leitbildprozesse anzustreben, auch wenn man damit tatsachlich den waghalsigen Versuch untemimmt, einen Tiger reiten zu wollen. Leitbilder, die komplexe Sachverhalte verstandlich aufbereiten, die sich kritisch an Vergangenheit und Gegenwart reiben und weiterentwickeln, scheinen auf Grund der begrenzten menschlichen Natur und des wissenschaftstheoretischen Wesens vom „Sein" und „Sollen", vom Erkennen und Handeln, kaum verzichtbar zu sein. Vor allem in weit reichenden Umbruchzeiten, in denen die bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die darauf basierenden Leitbilder und Handlungsorientierungen an Relevanz verlieren, wahrend die neuen Kontextbedingungen des Handelns noch weitgehend unklar sind, bleibt oft kaum eine andere Wahl, als auf breiter Basis Prozesse der Entwicklung, Selektion und Anerkennung neuer problembezogener Losungsideen und Handlungsorientierungen zu initiieren und zu befordem. Allerdings sollte man auf Grund der aufgezeigten, problematisch erscheinenden Eigenschaften auch einen konstruktiv-kritischen Umgang mit Leitbildem pflegen. Dabei gilt es zunachst, einige grundlegende Erkenntnisse festzuhalten sowie fiir wichtig erachtete normative Qualitatsansprtiche zu formulieren und zur Diskussion zu stellen, die einen moglichen Beitrag zu einer veranderten Planungskultur leisten konnen. Dazu sollten gehoren: 1. 2.
Leitbilder lassen sich nicht „machen", sondem nur initiieren. Sie konnen sich nur prozesshaft sowie durch allgemeine Anerkennung herausbilden und so zu „Geltung" gelangen. Leitbilder sind von politischem, d. h. nicht beweisbarem sondem nur begriindbarem Charakter. Dies impliziert eine gewisse Anfalligkeit fiir
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3. 4.
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Fehler und Interessen, die eine stetige Selbstkritik, Infragestellung und eine kritische (sozialwissenschaftliche) Kontrolle verlangt. Die Begrilndung und ausflihrliche Herleitung von Leitbildansatzen sowie Offenheit und Transparenz sind Elemente von zentraler Bedeutung in Leitbildprozessen. Eine letztlich zwar fiktive, trotzdem aber erstrebenswerte kommunikative Rationalitat ist als Grundlage von Leitbildprozessen unabdingbar.
Vorsicht bleibt trotzdem geboten: Viele, die versucht haben, einen Tiger zu reiten, sind dabei gescheitert. Leitbilder haben die Eigenschaft, in der Zeit ihrer Reife ein enormes MaB an Hegemonie zu entfalten. In einer Mischung, die immer Freiwilligkeit und ein gewisses MaB an Zwang beinhaltet, entfalten Leitbilder einen Alleingeltungsanspruch, dominieren liber andere Ideen mit Leitbildpotential, andere Meinungen und Interessen usw. in einem AusmaB, das auch kritische Grenzwerte, z. B. der Demokratie oder Rationalitat, tiberschreiten kann (E.Konter 1997:53ff). Diese Hegemonie hat zwar auch Vorteile, wie Foucault in seiner „Ordnung des Diskurses" aufzeigt (M. Foucault 1998). Kein charismatischer „Baumeister" kann auf Dauer subjektive Ideen als Leitbild darstellen und gegen bestehende Normen und Werte durchsetzen, wenn sie nicht den Anforderungen geniigen. Und es wird sich letztlich keine spektakulare, aber wenig durchdachte Idee im Diskurs gegentiber den beharrlichen, hegemonialen, aber eben auch bewahrten Leitbildem durchsetzen, selbst wenn man im schlimmsten Fall sehr viel Geduld, mitunter mehr als zumutbar erscheint, aufbringen muss, bis sich die Vemunft durchzusetzen vermag. Die Hegemonie bestehender Leitbilder bringt vor allem in frtihen Phasen groBerer Umbriiche den Nachteil mit sich, dass ggf. drangende Innovationen Oder angemessene Reaktionen iiber lange Zeit behindert oder sogar verhindert werden konnen. Wie viele Jahre hat es zum Beispiel gedauert und wie viel Kritik war erforderlich, bis das wohl bekannteste planerische Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt" letztendlich zeitgemaBen Auffassungen gewichen ist, obwohl es zu dieser Zeit bereits seit langem seine friihere Evidenz verloren hatte? Und wie bedenklich ist die Hegemonie von Leitbildem, wenn z. B. einer der frtihen Kritiker der stadtebaulichen Modeme, J. Siedler, heute als Vordenker der Postmodeme gefeiert, nach der AuBerung seines Unbehagens an den vorherrschenden stadtebaulichen Normen der Modeme u. a. wegen Fortschrittsfeindlichkeit zum Austritt aus dem Deutschen Werkbund gedrangt wurde (W.J. Siedler/ E. Niggemeyer 1993: 5)?
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Teilt man trotzdem die Auffassung von der Unabdingbarkeit von Leitbildem als Bestandteil menschlicher Denkweisen und will diesen Umgang kultivieren, so bleibt eine weitere und letzte wichtige Schlussfolgerung vorzuschlagen: 5.
Im Umgang mit Leitbildem muss man sich der kaum zu bandigenden hegemonialen Krafte bewusst sein, die sich herausbilden konnen, und muss entsprechend eine Kultur der Kritik, Selbstkritik und Revision pflegen, will man nicht letztlich noch von genau jenem Tiger gefressen werden, den man doch eigentlich nur hatte reiten wollen.
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Fazit
Steuerungsprobleme im Zuge der klassischen staatlichen Steuerung lassen heute einen kooperativ agierenden Staat unabdingbar erscheinen, will man die Effizienz und die Legitimitat von Steuerungsvorgangen auch weiterhin sicherstellen und auf einem hohen Niveau aufrecht erhalten. Insbesondere auf Grund kognitiver und kooperativer, individuativer und kommunikativer Eigenschaften von Leitbildem und Leitbildprozessen konnen diese, so die normative Erwartung, eine wesentliche Bereicherung von strategischen Planungsprozessen (im Sinne eines „perspektivischen Inkrementalimus") gerade auch in einem kooperativen Staat darstellen. Vor allem versprechen sie, wesentliche Mangel und Defizite frtiherer Steuerungsvorstellungen und Planungsauffassungen vermeiden zu helfen und somit zu einem Gelingen einer strategisch ausgerichteten Entwicklungsplanung und kooperativen Steuerung beizutragen. Dies kann umso mehr der Fall sein, je emsthafter, rationaler und konstruktiv-kritischer man sich auch mit den problematisch erscheinenden Eigenschaften von Leitbildem auseinandersetzt und bezogen auf Leitbilder und Leitbildprozesse, die man fur die Entwicklung tragfahiger Zukunftsvorstellungen mitunter dringend benotigt, auf eine entsprechende inhaltliche Ausgestaltung einer diesbeziiglich veranderten Planungskultur hinwirkt. Literatur Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (1995): Handworterbuch der Raumordnung. Hannover: ARL Albers, Gerd (1996): Stadtebau und Utopie im 20. Jahrhundert. In: Die alte Stadt 23. 1996. 56-67
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Regionalplanung: eine Lernende Organisation? Sabine von Lowis
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Die Regionalplanung im Wandel
Die Regionalplanung in Deutschland steht unter Verandemngsdruck. Es wird liber neue Plane wie den „Schlanken Regionalplan" nachgedacht. Die EU fordert eine starkere Offentlichkeitsbeteiligung in und die Umweltprtifung von Planen und Programmen. Wissenschaftlerlnnen und Praktikerlnnen der Planung setzen sich im Rahmen der Thematik „Zukunftsaufgabe Regionalplanung" (ARL 1995) mit dem notwendigen Wandel der Regionalplanung auseinander. Raumstrukturelle Entwicklungen wie Schrumpfungsprozesse von Stadten sowie etwa der demographische Wandel stellen die Planung vor neue Herausforderungen. Veranderung und die Fahigkeit zu lemen wird derzeit aus unterschiedlichen Perspektiven wichtig (vgl. D. Fiirst 2000a: Iff). Fiir Regionen entsteht durch die Folgen der Globalisierung und EU-Integration ein harterer Wettbewerb mit anderen Regionen. Raumplanung als staatliche Akteurin muss sich mit ihrer zunehmend eingeschrankten Handlungsfahigkeit auseinandersetzen und gleichzeitig mtissen raumplanerische Akteurlnnen auf regionaler Ebene Handlungsfahigkeit herstellen, um im Wettbewerb der Regionen zu bestehen. Das erfordert eine strategische Koordination gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und staatlicher Akteurlnnen in der Region. Die Einflusse der EU-Politik auf die Raum- und Umweltplanung durch rechtliche Vorgaben bedingen Veranderungen, z. B. die starkere Offentlichkeitsbeteiligung in Planen und Programmen bedingt durch das Raumordnungsgesetz von 1998 oder die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Prtifling von Umweltwu-kungen bestimmter Plane und Programme (BBR 2003); nicht zu vergessen das Europaische Raumentwicklungskonzept (EUREK) und die Europaische Regionalpolitik. Neue Leitbilder und Zielstellungen wie die einer nachhaltigen Raumentwicklung (§ 1 Abs.3 ROG) oder die derzeit diskutierte Forderung von Wachstumskemen im Unterschied zur lange giiltigen Ausgleichsorientierung wirken auf die Raumplanung auf alien Ebenen (H. Zimmermann 2003). Diese Entwicklungen erzeugen Verandemngsdruck fur die Regionalplanung. Alternative Handlungstragerlnnen, wie regionale Initiativen unterschiedlicher Verfassung (Regionale Entwicklungskonferenzen, Regionale Vereine etc.)
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fullen die Liicke der schwachen regionalen Steuerung auf staatlicher Ebene, um regionale Aufgabenstellungen zu bewerkstelligen. Veranderungen stehen gleichzeitig im Kontext des Regional-GovemanceVerstandnisses. Govemance-Formen haben sich als Ausdruck des kooperativen Staates auf Grund der eingeschrankten staatlichen Steuerungsfahigkeit entwickelt und kennzeichnen die Vielfalt neuer Interaktionsbeziehungen zwischen Zivilgesellschaft, Staat, Wirtschaft und Politik (M. Piitz 2004). Regionalplanung und regionale Steuerung haben nicht-verrechtlichte, nicht-regulative, informelle und kooperative Planungsmechanismen entwickelt, die durch Diskursivitat und Kommunikation gepragt sind (D. Peters 2004: 9). Planungstheoretisch ist der anglo-amerikanische Ansatz des collaborative/ communicative planning (P. Healey 1997: 263) bestimmend. Der Ansatz beruht insbesondere auch auf lokalen und regionalen Wissensressourcen, die durch Kommunikation und Diskurs in adaquat gestalteten Planungsprozessen weitergegeben und entwickelt werden. Wissen und gegenseitiges Verstandnis entsteht durch Lernprozesse interagierender Akteurlnnen und eine sozial konstruierte Wirklichkeit (place making) bildet sich heraus. Steuerung und Planung im Kontext von Governance, collaborative planning und der lemenden Organisation ist weniger durch fertige Losungen und Antworten gekennzeichnet als vielmehr durch die Entwicklung von kollektiver Problemlosungsfahigkeit. D. h. Entscheidungen und Handlungen mtissen hinsichtlich Wirkung und Passfahigkeit reflektiert und ggf. revidiert werden (H. Fichter et al. 2004: 310). Damit verbunden sind die Herstellung sozialer Beziehungen, die Mobilisierung lokaler und regionaler Akteurlnnen und Stakeholder sowie die Nutzung und Entwicklung vorhandener Beziehungsressourcen. Vor diesem Hintergrund geht es in der vorliegenden Betrachtung um tJberlegungen hinsichtlich der Veranderungsfahigkeit von Planungsorganisationen und damit verbundener Lernprozesse. Lemen und damit Veranderung ist kein neues Thema in der Regionalplanung. Veranderungen basierend auf Lemprozessen finden kontinuierlich statt. Regionalplanerische Institutionen sind wie individuelle und kollektive Akteurlnnen Veranderungsanforderungen ausgesetzt, auf die sie reagieren. Die Reaktionen konnen eine positive Anpassung und Veranderung hin zu angemessenen Losungen (positives Lemen) oder negative Anpassungen durch Verharren in Routinen und der Verfestigung (negatives Lemen) umfassen. Anpassungsprozesse in der Regionalplanung fmden auf unterschiedlichen Ebenen statt: die inhaltliche Orientierung und Aufgabenstellung, die zur Verandemng von Normen und Werten und schlieBlich auch zu veranderten Prozessen fiihrt - so genanntes Doppelschleifenlemen - sowie die Verandemng von Instmmenten und Verfahren der Regionalplanung zur Erreichung hoherer Effektivitat oder Effi-
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zienz - so genanntes Einschleifenlemen (C. Argyris/ D.A. Schon 1999). Beispielhaft dafiir ist die aktuelle Diskussion liber die Aufrechterhaltung der Ausgleichsorientierung. Die Ausweisung von zentralen Orten wird in einzelnen Bundeslandem auf Grund von Schrumpfungsprozessen angepasst (z. B. Sachsen). Anliegen des vorliegenden Beitrags ist es, Lemprozesse in der Regionalplanung in die fachliche Diskussion zu bringen, da konkrete Vorstellungen und Kenntnisse zu Lernprozessen m. E. nicht vorliegen. Zentrale Fragen, die sich stellen, sind: Wie fmden Veranderungsprozesse im komplex organisierten System der Planung statt, welche Lemprozesse finden hinsichtlich der Organisation und Struktur sowie Normen und Werten bei Planerlnnen, Regionalplanung, Landesplanung und Bundesraumordnung statt und wie bedingen sich diese Ebenen im Lemprozess gegenseitig? Im Folgenden werden Lemprozesse diskutiert, wie sie in der Organisationstheorie verstanden werden, um dann die Regionalplanung als lemendes System zu interpretieren. Anhand der Entwicklung der Regionalplanungsstmkturen und Planungsprozesse in Schleswig-Holstein werden der kontinuierliche Wandel und die Merkmale von Lemprozessen in der Regionalplanung verdeutlicht. 2
Aspekte des Organisationslernens
Lem- und Verandemngsfahigkeit sind in der Untemehmensentwicklung und Organisationswissenschaft ein viel beachtetes Thema. Verandemngen von Untemehmen und deren Umwelt fiihrten zum Ansatz der lemenden Organisation. Das Organisationslemen ist durch vielfaltige theoretische Zugange gepragt. Die Fundamente des organisationalen Lemens gehen dabei auf einen entscheidungstheoretischen Zugang von James G. March und Johan P. Olson (1979), der im besonderen die Beziehung von Umwelt und Organisation im Entscheidungsverhalten betrachtet, sowie auf den kognitionstheoretischen Zugang von Chris Argyris und Donald A. Schon (1999)^^, der inteme organisationale Lemprozesse berlicksichtigt und unterschiedliche Lemtypen unterscheidet, zuruck. In beiden Ansatzen entstehen organisationale Lemprozesse durch reflexive Auseinandersetzung mit Wirkungen organisationalen Handelns und entsprechend veranderten Handlungsstrategien (G. Schreyogg/ P. Eberl 1998: 517). Verandemngsprozesse fmden durch Menschen in Organisationen statt, die ihr Handeln und ihre Umwelt reflektieren. Verandemng ist ein Komplex gleichzeitiger Reaktionen in verschiedenen Teilen der Organisation (J.G. March 1990: ' Originalausgabe 1996, deutsche Ubersetzung 1999
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190). Eine Veranderung wird aber erst dann wirksam, wenn das Individuum seine Erkenntnis und Reflexion fiir die Organisationsstrukturen, in denen es sich befmdet, nutzbar machen kann. D. h. ein Regionalplaner bzw. eine Regionalplanerin, der/die auf Grund von Schrumpfiingstendenzen in seiner/ihrer Region an den Zielen und Grundsatzen seines/ihres Regionalplans zweifelt und dariiber hinaus iibergeordnete Landesplanungsvorgaben in Zweifel zieht, wird sehr unterschiedlichen Erfolg mit der Vermittlung seiner/ihrer Wahmehmung haben. Die Veranderung von operativen Strukturen, Geschaftsprozessen und strategischer Ausrichtung der Organisation wird so als generelle Kompetenz verstanden und ist nicht (ausschlieBlich) durch Exteme gestaltbar (G. Schreyogg 2004: 564). Die Literatur zu organisationalem Lemen unterteilt sich in zwei groBe Gruppen^^: Die praxisorientierte, normative Literatur tiber die lemende Organisation, die von Beraterlnnen und Praktikerlnnen verfasst wird, und die skeptische fachwissenschaftliche Debatte zu organisationalem Lemen (C. Argyris/ D.A. Schon 1999: 190). In der jiingeren Diskussion der lemenden Organisation bzw. des organisationalem Lemens ist Wissen und die Wissensbasierung von Lemprozessen wichtiger geworden (G. Schreyogg/ P. Eberl 1998: 519). Das organisationale Lemen wird als Verandemng der organisationalen Wissensbasis verstanden. Organisationales Wissen entsteht durch Handlung und Verandemng. Es kann in den Kopfen der Einzelnen verankert und in Routinen, Stmkturen und Prozessen der Organisation gespeichert sein und ist somit individuell und organisational (C. Argyris/ D.A. Schon 1999: 28). Diese Erfahrungen gestalten die Wissensbasis und bestimmen so weitere Entscheidungen mit. Die Wissensbasis wiedemm gestaltet und bestimmt Denkweisen bzw. kognitive Muster (mentale Modelle) mit, die dazu dienen, die Komplexitat der Umwelt zu filtem. So bestimmt die Erfahrung mit vergangenen Planungsfallen das Verhalten und die Wahmehmung oder auch die Gestaltung weiterer Planungs- und Entscheidungsprozesse mit. Organisationales Lemen ist der Prozess, durch den Organisationen Wissen erwerben, speichem und ftir zuktinftige Problemlosungserfordemisse organisieren. Sodann wird die Unterscheidung zwischen dem expliziten, kodifizierbaren und artikulierbaren Wissen und dem impliziten (tacit), unbewussten Verstehen und Konnen, das nicht in Worte fassbar ist, unterschieden (M. Polanyi 1985; I. Nonaka/ P. Reinmoller 1998). Diese Bestandteile von Wissen sind komplementar, wobei die Herausfordemng darin besteht, dass implizite Wissen zu explizieren und somit nutzbar und gestaltbar zu machen. Andere Akteurlnnen konnen es ^^ Eine umfassende Aufarbeitung des Themas der Prozesse organisationalen Lemens stehen durch Martin Wiegand (1998) und die VerOffentlichungen des Wissenschaftszentrums Berlins zu organisationalem Lemen (H. Albach et al. 1998; M. Dierkes et al. 2001) zur Verfilgung.
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dann wieder anwenden und so intemalisieren. So macht jeder/jede einzelne Planerln Erfahrungen in Erstellung, Umsetzung und Abstimmung von Planen, die nicht fiir jeden zuganglich sind. Gleichzeitig hat die planende Verwaltung als kollektive Akteurin Routinen und Regeln gespeichert, die Ablaufe effizient gestagen, die auch durch direkte Kontakte zueinander und weniger formelle Routinen gepragt sind und so implizites Wissen darstellen. In der Diskussion des organisationalen Lernens gewinnt derzeit auch die Form des narrativen Wissens an Bedeutung, um insbesondere impHzites Wissen weitergeben zu konnen. Es kann iiber Berichte von Erfolg und Misserfolg, Erfahrungen sowie Vorstellungen transportiert werden. In Erfahrungskreisen teilen Expertlnnen so gemeinsames Wissen (G. Schreyogg/ D. Geiger 2003). Gesprachsrunden zwischen Regionalplanerlnnen unterschiedlicher Planungsverbande eines Bundeslandes und vielleicht sogar zwischen Fachplanerlnnen konnen so zu einem Austausch von Erfahrungen fiihren. Regionalplanerlnnentagungen, wie sie in den meisten Bundeslandem stattfmden, konnten zu einem entsprechenden Austausch fiihren. Lemen kann in Typen differenziert werden, die einen unterschiedlichen Grad an Aktivitat bzw. Gestaltungsfahigkeit beinhalten (P. Pawlowsky 1998: 19). Das Anpassungslemen (Einschleifenlemen) umfasst die Prozesse, die zu einer Fehlerkorrektur und einer hoheren Effektivitat bezogen auf die Regelbefolgung von Prozessen in der Organisation fiihren (C. Argyris/ D.A. Schon 1999). Lemobjekt sind die Routinen, die eine alltagliche Funktionsfahigkeit der Organisation garantieren und zur Erreichung der Ziele der Organisation beitragen. Lemergebnisse sind Anpassungen der Routinen und Regeln zur optimalen Erflillung der Ziele der Organisation. Hier lassen sich informelle Prozesse der Planerstellung einordnen, die maBgeblich ihren Ursprung in der Unzulanglichkeit formaler Planungsprozesse haben. Prozesse, die zu einer Uberpriifung der Tauglichkeit der angewandten Routinen und Regeln gegentiber von Altemativen und sich verandemder Umweltsituationen entstehen, rufen komplexe Lemprozesse (Doppelschleifenlemen) hervor (C. Argyris/ D.A. Schon 1999). Gegenstand ist das Wissenssystem der Organisation, das operative Regeln, normative Pramissen und kognitive Annahmen bewahrt. Es umfasst die Befahigung der Organisation zur Verbesserung ihrer Funktionsfahigkeit im Sinne von Anpassung an veranderte Bedingungen in der sozialen Umwelt. Lemergebnisse in diesem Kontext sind die Gestaltung von Strategien und Annahmen bzw. der Normen, die dem Regelsystem und den Routinen zu Grunde liegen. Als entsprechender Lemprozess hierzu ist die Veranderung der Leitbilder der Raumordnung (z. B. von der Ausgleichsorientierung hin zu einer starkeren Wachstumsorientierung) zu erwahnen.
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Da Organisationen, wie z. B. die Regionalplanung, keine vollstandig abgeschotteten Systeme sind, konnen weitere Lernformen unterschieden werden. Ausgehend von ungenauen Grenzen von Organisationen (H. Wiesenthal 1995: 145ff) werden drei weitere Lemqualitaten unterschieden, die besonders auf die Bedeutung von Akteurlnnen in Organisationen zuriickzufiihren sind. Lemeffekte entstehen durch Sinnimport iiber individuelle Akteurlnnen in drei Formen: „Invasion" bedeutet das Einbringen von Wissensbestanden durch nicht kontrollierten Zutritt neuer MitgHeder in die Organisation. „Dissidenz" entsteht durch abweichendes Verhalten von Organisationsmitgliedem. Und schlieBlich kann „Intersektion" durch die „tFberlappung von eigenlogischen Sinnbildungen innerhalb einer Organisation, die jeweils mit eigenstandigen Wissenssystemen auBerhalb der Organisation verbunden sind" zu VeranderungsanstoEen fiihren (H. Wiesenthal 1995: 147ff). Diese Formen des Lemens kennzeichnen Aspekte des interorganisatorischen Lemens, die im Besonderen fiir die Regionalplanung von Interesse sind, da sie formell und informell mit einer Reihe von individuellen und kollektiven Akteurlnnen (Fachplanung, Untemehmen, Gemeinden etc.) in Verhandlung steht. 3
Regionale Lernprozesse und Regionalplanung als Lernende Organisation
Seit den 1980er Jahren hat in der Regionalplanung eine Reihe von Veranderungen hinsichtlich der Funktion, der Handlungsmuster und Steuerungsformen stattgefunden (D. Fiirst 2000b: 15). Kemaufgabe der Regionalplanung ist die „Koordinierung staatlicher, gesellschaftHcher, wirtschaftHcher und kommunaler Planungsabsichten fiir konkrete Raumanspriiche und deren Abstimmung bzw. Vereinbarmachung mit den regionalen Ordnungs- und Entwicklungsvorstellungen, und zwar im Sinne einer Frtihkoordinierung bis zur Aufstellung des Regionalplanes einerseits und danach im konkreten Einzelfall als Koordinierung zur Umsetzung der Planungsziele andererseits." (G. Schmitz 1996: 823) Fiir die Regionalplanung stellt diese Koordinierungsaufgabe die zentrale Lemherausforderung dar, da dynamische Rahmenbedingungen Veranderungen sowohl in den Strukturen und Prozessen als auch in der inhaltlichen Ausrichtung erforderlich machen: Konfliktregelungsfunktion bei widerstreitenden Raumnutzungszielen, Umsetzung groBraumiger landesplanerischer Ziele, Akzeptanzgewinnung und tiberfachliche wie auch interkommunale Integrationsfunktion, Vermittlung zwischen den Raumordnungsbehorden der Bundes- und Landesebene und der kommunalen Ebene (G. Schmitz 1996). In Abhangigkeit der Situ-
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ation der offentlichen Kassen, der Akzeptanz und Bedeutung von Planungsanliegen, dem AusmaB der Konflikte oder der Dringlichkeit der Themen stellen sich der Regionalplanung Anforderungen der Veranderung und Anpassung. Die Wissensbasis und mentalen Modelle der Regionalplanung bauen auf Erfahrungen, die im Rahmen der Koordinationsaufgabe gemacht werden, und aus den Entscheidungen, die getroffen werden, auf. Wissen und Lemen ist handlungsbezogen. Entscheidungen in der regionalplanerischen Praxis ftihren zu Ergebnissen und Wirkungen, die reflektiert durch die Planerlnnen zu Lemprozessen und somit zu Wissen tiber Erfolg und Misserfolg der Entscheidungen fiihren. Entscheidend fur eine lemende Regionalplanung ist, wie aktiv dieses Wissen genutzt wird und damit weitere Lemprozesse untersttitzt werden konnen. Regionalplanung ist neben ihren Government-Strukturen durch Netzwerkbeziehungen und somit Govemance-Strukturen gekennzeichnet. Regionale Planungsinstitutionen sind auf Grund ihrer politisch-administrativen Formalisierung einerseits gut abgrenzbare Organisationen, die durch individuelles und organisationales Lemen gekennzeichnet sind. Andererseits sind sie offene Stmkturen, die z. B. durch Netzwerkbildungen oder die Anwendung von Planungsgrundlagen durch „Exteme" bestimmt sind. Das regionale Lernsystem wird durch die formalen Bedingungen der Raumplanung bestimmt. Das Gegenstromprinzip in der Raumplanung kommt einer institutionellen Ordnung gleich. Die tibergeordneten Planungsebenen gestalten den Kontext flir Lemprozesse, da sie die Rahmen setzenden Organisationen der untergeordneten regionalplanerischen Koordination sind. Die Regelungskompetenz flir die Regionalplanung liegt bei den Landesplanungen. Die Bundesraumordnung erhalt durch ihre Rahmenkompetenz beztiglich inhaltlicher und gesetzlicher Vorgaben Einfluss. Es stellt sich bei diesem formalen und stmkturierten Rahmen die Frage, inwieweit fur die Regionalplanung komplexe Lemprozesse tiberhaupt moglich sind, wenn ihre gmndsatzlichen Normen (Gmndsatze und Ziele, Formalien der Planungsprozesse) auf Grund der Regelungsverantwortung der Landesplanung nicht direkt in Frage gestellt werden konnen. Insofem ist fur Verandemngen auf der regionalen Planungsebene eine Verandemng auf den ubergeordneten Ebenen erforderlich. Je komplexer und groBer Organisationen sind und je starker Verandemngen in grundlegenden Normen und Werten vorgenommen werden, umso bedeutungsvoller werden Doppelschleifenlemprozesse, die das ganze Planungssystem betreffen (J.G. March 1990). Entsprechend der Lemtypen (C. Argyris/ D.A. Schon 1999) wird angenommen, dass komplexes Lemen (Doppelschleifenlernen) in der Regionalplanung auf Gmnd sowohl inhaltlicher Rahmenvorgaben als auch formaler Regelungen der Landesebene sowie des Gegenstromprinzips ein vielschichtiger Pro-
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zess ist. Hingewiesen sei hier z. B. auf Prozesse wie die Entwicklung und Anwendung des EUREK und dessen strategische Bedeutung fur die Raumplanung in Deutschland als auch die derzeitige Diskussion um neue raumordnerische Leitbilder, die einen nachhaltigen Einfluss auf Inhalte und Strategien raumlicher Planung auf alien Ebenen erhalten werden (MKRO 2005). MaBgebliche Lernprozesse auf der Ebene der Regionalplanung konnen im Bereich des Anpassungslemens (Einschleifenlemen) stattfinden, namlich im Vollzug und der Optimierung der Koordinationsaufgabe, die Interessen und Ziele zwischen Land, Region und Einzelinteressen zu balancieren, jedoch nicht grundsatzlich Routinen und Ziele in Frage stellen. Demzufolge ist davon auszugehen, dass Neuerungen wie Regionalmanagement, Kooperationsorientierung Oder Moderation der Regionalplanung sowie die Einbeziehung von REKs in Raumordnungsprogramme Anpassungslemprozesse sind, um Routinen zu verbessem. Aber auch interorganisationale Lernprozesse (H. Wiesenthal 1995) sind insbesondere in der Regionalplanung auf Grund ihrer Vernetzung mit vielfaltigen Akteurlnnen anderer Organisationen erwartbar. So ist das Einbringen externer Wissensbestande (Invasion) wesentlicher Bestandteil regionaler Plane. Das abweichende Verhalten von Akteurlnnen (Dissidenz) ist z. B. durch das Schaffen von baulichen Tatsachen oder die Einleitung eines Planabweichungsverfahrens keine uniibliche Erscheinung in der Regionalplanung. Und schlieBlich fmdet die Uberschneidung der Logiken (Intersektion) von integrativer und ganzheitlicher Regionalplanung mit der Logik von Fachplanungen oder wirtschaftlichen Akteurlnnen kontinuierlich in der Koordination der Planung statt. 4
Regionalplanung am Beispiel Schleswig-Holstein
Die Beschreibung der Entwicklung und der Eigenschaften der Regionalplanung in Schleswig-Holstein soil dazu dienen, Lernprozesse zu verdeutlichen. Lernprozesse sind nicht sichtbar. In der Regel weisen nur Ursachen und Ergebnisse auf stattfmdende Veranderungen hin (G. Schreyogg 2003). Eine fundierte Methodik zur Untersuchung von organisationalen Lemprozessen gibt es bisher nicht (G. Schreyogg/P. Eberl 1998). Anhand der Regionalplanung in Schleswig-Holstein wird aufgezeigt, wie Veranderung stattfmdet. Hierfiir liegen Darstellungen und empirische Auswertungen zur Landesplanung (vgl. A. Priebs 1987; Th. Wiechmann 1998), empirische Untersuchungen zur Organisation und Problemlosungsfahigkeit (A. Benz 1982) sowie zur Koordinationsfahigkeit (D. Furst et al. 2003) der Regionalplanung vor, auf die zuruckgegriffen wu-d.
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Im Gesetz iiber die Grundsatze zur Entwicklung des Landes (Landesentwicklungsgrundsatze) werden in Schleswig-Holstein die zentralen raumordnerischen Zielstellungen festgelegt und der inhaltliche Rahmen fiir die Raumentwicklung gesetzt. Die Landesentwicklungsgrundsatze sind auf regionaler Ebene ein Rahmen, der wenig Flexibilitat in der Koordination zulasst und Lemprozesse begrenzt. Wie diese Zielstellungen entstehen und wie sie im Prozess der Aushandlung an aktuelle Umweltveranderungen angepasst werden, ist ein Lemprozess, der zwischen regionaler und Landesebene stattfindet. Die Regionalplanung Schleswig-Holstein ist laut Landesplanungsgesetz von 1995 staatlich organisiert und derzeit beim Innenministerium angesiedelt. Die Landesregierung tibemimmt die Koordinationsfunktion und stellt die Regionalplane auf. Sie erhalten ihre Wirksamkeit durch eine Feststellung des zustandigen Ministeriums auf der Grundlage eines Kabinettsbeschlusses, dem eine abschlieBende Beteiligung von Landesplanungsrat und Ministerien vorausgeht. Im Verfahren der Planerstellung eines Regionalplans werden die Landkreise und kreisfreien Stadte zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Landkreise ihrerseits miissen die kreisfreien Gemeinden einbeziehen. Diese Regelungen bestimmen den formalen Rahmen. Die Strukturierung durch Rahmensetzungen lasst vermuten, dass Anpassungslemprozesse stattfinden. Die Entwicklung von Netzwerken kann als Optimierung der Routinen und Prozesse der Regionalplanung angesehen werden. Zu formalen Strukturen werden weitere entwickelt, die eine Erreichung der Zielstellungen der Regionalplanung untersttitzen sollen. „Entgegen den formalorganisatorischen Rahmenbedingungen ist die staatliche Regionalplanung in Schleswig-Holstein in ihrer tatsachlichen Organisation nicht zentralisiert, sondem nahert sich weitgehend der Form eines interorganisatorischen ,Netzwerks' an." (A. Benz 1982: 276) Ahnlich formuliert es A. Priebs (1987: 47), wenn er die Starke der schleswig-holsteinischen Landes- und Regionalplanung in der kommunalen Vertrauensbasis und der positiv zu wertenden, sachlichen und als hilfreich anerkannten Beratungsqualitat in der kommunalen Zusammenarbeit sieht. Generell hat sich eine Prozessorientierung herausgebildet und es fmden zahlreiche Abstimmungen auf dem nicht formellen Weg statt. D. FUrst et al. heben in ihrer Studie die Entwicklung von Govemance-Strukturen hervor: „Typisch flir die Regional- und Landesplanung in Schleswig-Holstein ist die Verbindung einer zentralisierten, akademisch gepragten Struktur auf der institutionellen Ebene mit der klaren Hinwendung zu dezentral-kooperativen Strukturen und informeller Steuerung durch Netzwerke im strategischen Handeln." (D. Furst et al. 2003: 131) Das Verhaltnis von Landesplanung zu Kommunen ist durch vertrauensvolle Beziehungen auf informeller Ebene und die Mittlerfunktion der Kreise, die in
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den Kreisentwicklungsplanen die Gemeinden einbeziehen, gekennzeichnet (A. Priebs 1987). Ausschlaggebend ftir die Beschreibung dieses Verhaltnisses (A. Benz 1982; A. Priebs 1987; D. Fiirst et al. 2003) sind die personelle Kontinuitat in der Landesplanungsbehorde, die Bemtihung um objektive und sachliche Beurteilung regionaler und lokaler Problemlagen, die Schaffung von Grundlagen in Form von Orientierungsdaten und Prognosen sowie ein auf Kommunen orientiertes Verhalten durch rechtzeitiges, informelles Kontaktieren und Informieren. Der Landesplanung ist es gelungen, eine direkte Verbindung zu den Kommunen aufzubauen, sicherlich auch bedingt durch die iiberschaubare GroBe des Landes (A. Priebs 1987: 47). Inhaltlich spielt die Ordnungsfunktion hinsichtlich der Siedlungsentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung eine Rolle. Technokratische Begriffe der Raumordnung werden zunehmend vermieden. Damit lasst sich ein verandertes Selbstverstandnis der Raumplanung in Schleswig-Holstein beschreiben (D. Ftirst et al. 2003: 128). Die Planung kniipft Netzwerke und ist Impulsgeberin. Dadurch gelingt es der Landesplanung, mehr Einfluss auf die raumliche Entwicklung zu gewinnen. Sie bemiiht sich verstarkt um kooperative Prozesse und wendet informelle, akteursbezogene Strategien an (D. Ftirst etal. 2003: 128). Ordnungspolitisch werden neue Formen entwickelt, wie z. B. interkommunale Vertrage. Die kommunikative Kompetenz in den Planungsprozessen hat sich erhoht. Die Landesplanung versteht sich verstarkt als Moderatorin und versucht aktiv regionale Akteurlnnen zu vernetzen. Dariiber hinaus trifft sie gleichzeitig ordnungspolitische Festsetzungen und formuliert fur die regionalplanerische Ebene verstarkt entwicklungspolitische Grundsatze (D. FUrst et al. 2003: 130). Derzeitiger Impuls fur komplexere Veranderungsprozesse ist die Novellierung des Landesplanungsgesetzes (Landesregierung Schleswig-Holstein 2004a). Die Regionalplanung soil auf Grund veranderter Umweltbedingungen in die kommunale Verantwortung ubertragen werden. Damit soil insbesondere der Vielfalt von informellen Koordinationsmechanismen und der Bedeutung der Regionalisierung Rechnung getragen werden (Landesregierung Schleswig-Holstein 2004b). Diese Moglichkeit gab es bereits mit dem ersten Landesplanungsgesetz von 1961. Mit dem Landesplanungsgesetz von 1971 wurde die Regionalplanung wieder in die zentrale staatliche Organisation ubertragen, da die Kommunen aus Sicht der Landesplanung die Verantwortung fur die Regionalplanung nicht zufrieden stellend ausgefuhrt hatten (A. Benz 1982: 250f). Die Darstellung der Regionalplanung in Schleswig-Holstein lasst anhand der beschriebenen Entwicklungen zwei Hinweise ftir die Charakteristik von Veranderungen deutlich werden: die relativ langsame Veranderung formalorganisatorischer Regelungen und die sich altemativ dazu bzw. im Gegenzug dazu herausbildende Entwicklung von informellen und flexiblen Lernstrukturen in
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Netzwerken. Durch Letzteres wiederum erhalt aber die Landes- und Regionalplanung wesentliche Veranderungsimpulse. 5
Schlussbetrachtung zur Regionalplanung als Lernende Organisation
Vier Einsichten werden vor dem Hintergrund der Lemenden Organisation und der Entwicklung der Regionalplanung in Schleswig-Holstein deutlich: •
• • •
Veranderung ist eine Kompetenz jeder Organisation und so auch der Regionalplanung. Sie wird nicht extern gesteuert und von Expertlnnen eingefiihrt, sondem sollte als Fahigkeit des planerischen Systems verstanden und entwickelt werden. Die Gestaltung eines Wandels in der Planung ist nicht initiierbar und zeitlich begrenzbar. Er kommt aus dem Alltag der planenden Institution. Sowohl die Veranderung planerischer Paradigmen als auch planerischer Instrumente und Vorgehensweisen sind keine punktuellen Geschehnisse, sondem finden kontinuierlich im Planungsalltag statt. Planerische Innovationen oder die Einfuhrung neuer Formen in Planungsprozessen sind nicht als Sonderfall, sondem als die Regel zu verstehen.
Von dieser Sichtweise sind Theorie und Praxis der Raumplanung zum Teil jedoch weit entfemt. Das mag in der Profession der Planung begrtindet sein, die gmndsatzlich staatszentriert ist und handelt. So ist vielen Kritiken gemein, dass der Staat und demnach die Planung nicht mehr die alleinige Steuemngshoheit besitzt, aber dennoch Wege gesucht werden mtlssen, wie der als berechtigt angesehene Steuemngsanspmch und die planerische Steuemngsrichtung umgesetzt werden konnen. Diesem naturgemaB sehr planerischen Vorgehen widerspricht das Verstandnis der lemenden Organisation. Insofern sind Fragen beziiglich der Differenzierung von Lemfahigkeit im Kontext unterschiedlicher Organisationsstmkturen (Verwaltungen, Netzwerke, Untemehmen etc.) von Bedeutung. Was bis hierher zunachst verdeutlicht werden konnte, ist, welche Entscheidungsprozesse gestaltbar sind und ob und insbesondere inwieweit durch die formalorganisatorische Festlegung der Regionalplanung und der Zuweisung von Kompetenzen iiberhaupt Freiraume vorhanden sind, um zu gestalten und zu verandem. Die Veranderungsfahigkeit von Regionalplanung muss im Kontext der Gesamtorganisation Raumordnung konzipiert werden, um zu realistischen Einschatzungen hinsichtlich moglicher Lemprozesse zu kommen.
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Zu einer weiteren Analyse und Modellierung der Regionalplanung als lernender Organisation bedarf es vertiefender theoretischer Uberlegungen und empirischer Betrachtungen und somit der Entwicklung eines Forschungsansatzes. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang die Ableitung von Komponenten der Lemfahigkeit und des vorhandenen Wissens in der regionalplanerischen Organisation bezuglich der inhaltlichen Ausrichtung und der operativen Strukturen. Anhand der abgeleiteten Komponenten ist es dann erforderlich, ein Untersuchungsmodell und Indikatoren zu entwickeln, um begleitende Untersuchungen in regionalplanerischen Institutionen vorzunehmen, durch welche Wissen und Lemprozesse identifiziert werden konnen. Dartiber hinaus sind Unterscheidungen zu finden, die eine Bestimmung von Qualitaten und AusmaB der Lemprozesse in der komplexen und hierarchischen Organisation der Raumplanung und Raumordnung ermoglichen. Literatur Akademie fur Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (1996): Handworterbuch fur Raumordnung. Hannover: ARL Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (1995): Zukunftsaufgabe Regionalplanung. Anforderungen - Analysen - Empfehlungen. Forschungsund Sitzungsberichte der ARL. Band 200. Hannover: ARL Albach, Horst/ Dierkes, Meinolf/ Berthoin Antal, Ariane/ Vaillant, Kristina (Hrsg.) (1998): Organisationslemen - institutionelle und kulturelle Dimensionen. WZB Jahrbuch 1998. Berlin: Edition Sigma Altrock, Uwe/ Giintner, Simon/ Huning, Sandra/ Peters, Deike (Hrsg.) (2004): Perspektiven der Planungstheorie. Edition stadt und region 9 = Planungsrundschau 10. Berlin: Leue Verlag Argyris, Chris/ Schon Donald A. (1999): Die lemende Organisation. Grundlagen, Methode. Praxis. Stuttgart: Klett-Cotta Benz, Arthur (1982): Regionalplanung in der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Untersuchung zur Organisation und Problemlosungsfahigkeit. Miinster: Selbstverlag des Instituts fiir Siedlungs- und Wohnungswesen und des Zentralinstituts fur Raumplanung der Universitat Miinster Bundesamt fiir Bauwesen und Raumordnung (BBR) (2003): Offentlichkeitsbeteiligung bei Planen und Programmen der Raumordnung. Schriftenreihe Forschungen 113. Bonn. Selbstverlag Bundesraumordnungsgesetz in der Fassung von 1998 Butzin, Bemhard (2000): Netzwerke, Kreative Milieus und Lemende Region. In: Zeitschrift fiir Wirtschaftsgeographie 3/4/44. 2000. 149-166 Dierkes, Meinolf' Berthoin Antal, Ariane/ Child, John/ Nonaka, Ikujiro (Hrsg.) (2001): Handbook of Organisational Learning and Knowledge. Oxford/ New York: Oxford University Press
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Ambivalenzen im „Stadtumbau Ost" Strategische Schrumpfungsplanung oder Schrumpfen der strategischen Planung?
Matthias Bernt
Der Schrumpfungsprozess ostdeutscher Stadte ist in den letzten Jahren zu einem Topthema urbanistischer Debatten geworden. Mit Planungen flir den Abriss von 350.000 Wohnungen und dem Umbau von 260 ostdeutschen Gemeinden ist der „Stadtumbau Ost" gegenwartig das vermutlich groBte Programm in der deutschen Stadtentwicklungspolitik. Ziel des Stadtumbaus ist nicht nur eine Beseitigung der massiven Wohnungsleerstande, sondem auch ein strategisches Umsteuem der Stadtpolitik, das ostdeutsche Stadte an eine sinkende Bevolkerungszahl anpasst. Die planerische Grundlage fiir dieses Vorhaben stellen allerorts „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte" dar, die in den letzten Jahren in nahezu alien ostdeutschen Stadten erarbeitet wurden. Der „Stadtumbau" wird dabei in einer Situation in Angriff genommen, in der sich die Modi staatlichen Steuerungshandelns deutlich gewandelt haben. Unter der Formel ,,Von Government zu Governance'' sind bekanntlich in den letzten Jahren Ansatze des Regierens popular geworden, die sich nicht mehr ausschlieBlich auf staatliche Instanzen beziehen. Unter dem Terminus „ Governance" vollzieht sich vielmehr in vielen Bereichen eine Offiiung des Staates gegentiber Wirtschaft und Gesellschaft sowie die verstarkte Einbeziehung nichtstaatlicher Akteurlnnen in Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse^^. Neue Kooperationsformen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen sowie neue Formen der horizontalen Koordination und Integration gelten dabei als Chance flir die Entwicklung politischer Gestaltungsspielraume. Dieser Wandel widerspiegelt sich auch in der Veranderung von Stadtplanung, in der in den letzten Jahrzehnten ein deutlicher Wandel von Planungskulturen stattgefiinden hat. Aktuelle strategische Plane gelten dabei meist als deutlich vielfaltiger, angepasster und flexibler als ihre Vorgangergeneration (vgl. U. Altrock 2004; W. Salet/ A. Faludi 2000; O. Frey et al. 2003; P. Healey 2004). Sie werden vor allem als „weiche" Kommunikations-, Orientierungs- und Moti^* Obwohl der Begriff Governance mittlerweile eine immense Attraktivitat erlangt hat, bleibt er als wissenschaftliche Kategorie - gerade auf Grund seines mittlerweile inflationaren Gebrauchs in unterschiedlichsten Kontexten - unklar (vgl. Kooiman 2000, der nachweist, dass der Begriff in mindestens elf unterschiedlichen Konzipierungen verwendet wird).
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vationsinstrumente beschrieben, die von einem kooperativen Grundansatz, einer projektorientierten Philosophic sowie einer Betonung von Bildem und Kommunikation gekennzeichnet seien. Folgt man dem Gros der Literatur, so wirkt die neue Planungsgeneration damit erheblich „reifer" und scheint gelemt zu haben, flexibel den jeweils passenden Mix aus den zur Verfiigung stehenden Planungsansatzen heranziehen zu konnen. Obwohl der „Stadtumbau Ost" vor diesem Hintergrund allein schon von der Masse her einen schlagenden Beweis fur die neue Relevanz strategischer Planung zu bieten scheint, wirkt cr auf den zweiten Blick Icicht befremdlich. DeutHche Unterschiede zum beschriebenen Bild ergeben sich dabei nicht nur aus der anderen Problemlage, sondem auch der Planungsansatz unterscheidet sich deutHch. Die mit dem Ziel eines strategischen Umsteuems der Kommunalentwicklung in nahezu alien ostdeutschen Stadten erarbeiteten „Integrierten Stadtentwicklungskonzepte" sind so weniger als Kommunikationsinstrument gedacht denn als MaBnahmenplanung mit konkreten Zielaussagen, teilweise bis hin zu hausnummemkonkreten Angaben von abzureiBenden und aufzuwertenden Gebauden. Sic erinnem damit in ihrer Anlage eher an konventionelle Stadtentwicklungsplane als an die „Planwerke", „Masterplane" und „Bauausstellungen", die in den letzten Jahren so viel Beachtung gefunden haben. Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich Kontext, Zielsetzung und Vorgehensweise des Stadtumbaus aber so deutlich von den „ublichen" Fallen strategischer Planung, dass es fraglich erscheint, ob man hier noch von dem gleichen Thema spricht. Das in planungstheoretischen Diskussionen der letzten Jahre beschriebene Revival strategischer Planung (U. Altrock 2004; W. Salet/ A. Faludi 2000; O. Frey et al. 2003; P. Healey 2004) zumindest bezieht sich eher auf andere Problemkomplexe. Angepasst an postfordistische Steuerungsmodi (vgl. M. Mayer 1995), wird die Rolle der Planung dabei weniger als hierarchisch und zielsetzend, denn als „enabling" begriffen. Wie ist die neue Welle von integrierten Stadtentwicklungskonzepten in Ostdeutschland also zu beurteilen? Deutet sie auf ein Ende der „kommunikativen Welle" in der Stadtplanung hin? Kehrt die Planung bei der Bewaltigung von Schrumpfungsproblemen zuriick zu den hierarchischen Steuerungskonzepten der 1970er Jahre? Der vorliegende Artikel beantwortet diese Fragen mit „Jein". Er argumentiert, dass der radikale Wandel des Kontexts in Ostdeutschland zu einem neuen Hybridtyp von Planung geftihrt hat, der traditionelle komprehensive und neuere kooperative Planungsansatze in einer sehr fragilen Art und Weise vereint. Dabei verursacht die Kombination unterschiedlicher Steuerungsmodi eine Reihe von spezifischen Ambivalenzen und Problemen. Diese werden allerdings weniger als Problem der Planungsmethodik interpretiert, denn als Ausdruck der Tiefe der
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Problemlagen und der mangelnden Fahigkeit, eine Stadtentwicklung unter SchrumpfUngsbedingungen mit dem vorhandenen Instrumentarium zu steuern. Um diesen Beflind zu verdeutlichen, wird in mehreren Schritten vorgegangen. Zunachst wird die ostdeutsche Schrumpfungssituation skizziert. Daran anschlieBend werden wesentliche Konturen des Bundeswettbewerbes „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte" vorgestellt und seine Ergebnisse diskutiert. Auf dieser Grundlage wird der „Stadtumbau Ost" schlieBlich in planungstheoretische Grundrichtungen eingeordnet. Aus dieser Einordnung werden schlieBlich Schltisse gezogen. 1
Die ostdeutsche Schrumpfungslandschaft und Probleme der Planung
Die Entwicklung ostdeutscher Stadte ist heute insgesamt von einem auBerordentlichen Problemdruck bestimmt. Die Transformation „von der sozialistischen zur kapitalistischen Stadt" (H. HauBermann 1995) fiihrte in der ehemaligen DDR bis Ende der 1990er Jahre nicht zu den gewtinschten „blUhenden Landschaften", sondem nahezu flachendeckend zu massivem wirtschaftlichen Abbau, hoher Arbeitslosigkeit und anhaltender Abwanderung. „Schrumpfung" statt Wachstum ist heute der Normalfall ostdeutscher Stadtentwicklung (vgl. C. Hannemann 2003, 2004; W. Prigge 2004; H.-P. Gatzweiler et. al 2003). Im Ergebnis der hohen Bevolkerungsverluste (bei gleichzeitiger Ausweitung des Wohnungsangebots^^) bildete sich ab Mitte der 1990er Jahre ein rasant anwachsender Wohnungsleerstand heraus, der gegenwartig rund 1,3 Millionen Wohnungen, etwa ein Sechstel des Gesamtbestandes, umfasst. Der Leerstand beschrankt sich dabei nicht nur auf (in der offentlichen Meinung oft stigmatisierte) Plattenbaukomplexe aus der DDR-Zeit, sondem er trifft auch Griinderzeitgebiete, Zwischenkriegsbauten und in wachsendem MaBe sogar neu errichtete Wohnparks im Umland der Stadte(vgl. Tab. 4). Die umfangreichen Leerstande fiihren nicht nur zu ausgepragten wohnungswirtschaftlichen Problemen, sondem sie ziehen auch Hypothekenbanken, Versorgungsuntemehmen, Verkehrsbetriebe, Nahversorgungs- und Infi-astruktureinrichtungen in Mitleidenschaft. Der Wohnungsleerstand ist damit nicht nur ein sektorales Problem der Wohnungswirtschaft, sondem er vemrsacht eine Reihe von Kettenreaktionen, die auf Dauer die Lebensfahigkeit der betroffenen Stadtgebiete gefahrdet. Insgesamt entstanden zwischen 1991 und 1999, in Reaktion auf hohe steuerliche FOrderung, 773.368 neue Wohnungen (Expertenkommission 2000) - zu 85% als Neubau, meist „auf der griinen Wiese".
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Gebaudetyp Leerstand Bin- und Zweifamilienhauser 7,1% Klein- und vorstadtische Geschosswohnungen 24,5% Innerstadtische Geschosswohnungen 32,9% Plattenbauten 8,4% Neugebaute Geschosswohnungen 15,4% Tabelle 4: Verteilung der Wohnungsleerstande auf verschiedene Gebaudetypen in Ostdeutschland 1998 (Expertenkommission 2000) Raumplanerische Interventionen stehen damit in Ostdeutschland schon allein quantitativ vor auBerordentlich umfangreichen Problemlagen. Hinzu kommt, dass der Wechsel von der Steuerung von Wachstum zur Steuerung von Schrumpfung zu vollig neuen Herausforderungen fiihrt. Gerade in Bezug auf umfangreiche und eingreifende EntwicklungsmaBnahmen, wie sie mit dem Stadtumbau verbunden sind, stammt das Handwerkzeug der deutschen Stadtplanung groBtenteils aus den Zeiten fordistischer Wachstumsplanung. Dominante Aufgabe des in dieser Zeit entwickelten Planungssystems war es, Investitionen anzuregen, ihre Verteilung raumlich zu steuem und dabei auftretende soziale und okologische Spannungen abzumildem. Dreh- und Angelpunkt der Steuerung waren Wachstumsprozesse, die es zu lenken und mit sozialen und okologischen Schutzund AusgleichsmaBnahmen zu begleiten gait. Stadtplanung funktionierte dabei, well Stadtentwicklung (resp. Schaffung von neuen Bauflachen und Neubau) als privates Geschaft funktionierte, das geniigend Rendite abwarf, um auch den Erfordemissen der gesellschaftlichen Reproduktion gentigen zu konnen. Unter Schrumpfungsbedingungen andem sich diese Rahmenbedingen grundlegend: Denn anders als in wachsenden Stadten geht es nicht mehr darum, neue Nutzungen zu steuem oder vorhandene Strukturen anzupassen, sondern es gilt, den Ruckzug aus der Flache zu organisieren. Mit dieser Umorientierung wird aber auch der Sockel, auf dem die Mehrzahl der zur Verfligung stehenden Planungsinstrumente steht, vakant. Denn der Abriss nicht mehr benotigter Strukturen schafft keinen Gewinn, sondern nur Kosten. Wenn das „Planungsspiel" aber statt aus einer Beteiligung an Gewinnen nur noch aus einer Verteilung von Verlusten besteht - wer sollte dann Lust haben, an ihm teilzunehmen? Zu diesem grundsatzlichen Dilemma kommen „TrittbrettfahrerInnenprobleme" hinzu. Auch diese sind aus der Geschichte der Stadtemeuerung bereits bekannt, im Kontext des Stadtumbaus erhalten sie aber eine starkere Relevanz. Da es theoretisch fur jeden/jede einzelnen/einzelne Wohnungseigentiimerin am besten ware, wenn alle anderen Wohnungseigentiimerlnnen so lange ihre Bestande vom Markt nahmen, bis wieder geniigend Nachfrage fur die eigenen lee-
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ren Bestande vorhanden ist, bewirkt die Subventionierung von Abrissen alleine nicht eine Aufwertung der Lage, die auch andere Eigenttimerlnnen zu Investitionen motiviert. So lange das Wohnungsangebot die Wohnungsnachfrage ubersteigt, bleibt es im Gegenteil fur jeden/jede Wohnungsmarktakteurin am vorteilhaftesten, nichts zu tun und abzuwarten. Mit der Bereinigung des Wohnungsmarktes wird auf diese Weise leicht das Nicht-Handeln auf Seite derer pramiert, die sich nicht an den dafiir aufzubringenden Kosten beteiligen, aber von dem Ergebnis der Anstrengungen profitieren. Die Schrumpfiing flihrt also zu einer volligen Veranderung des Kontexts, in dem Stadtplanung steht: Anders als in vergangenen Planungsepochen geht es nicht mehr darum, zu mildem, zu steuem und auszugleichen, sondem der Staat steht nunmehr vor der Aufgabe, gleichzeitig handlungsunwillige Akteurlnnen zur Hinnahme von Verlusten zu bewegen und den dadurch moglichen Ruckbau von Strukturen so zu steuern, dass er in eine sinnvolle Stadtentwicklung mtindet. Parallel zur Verschiebung von Steuerungsansatzen „von Government zu Government" steht die Planung in Ostdeutschland also vor der Aufgabe, einen enormen Umbruch des Kontexts bewaltigen zu mtissen, in dem Planung stattfmdet. Sowohl horizontal als auch vertikale Steuerungsansatze sehen sich damit einer neuen Belastungsprobe ausgesetzt. 2
Stadtumbau und „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte"
Nach einer kurzen Schockphase reagierte die deutsche Stadtentwicklungspolitik Ende 2001 auf diese Herausforderung mit der Auflage eines neuen Forderprogramms, dem Bund-Lander-Programm „Stadtumbau Ost", das erstmals in der Geschichte der deutschen Wohnungspolitik den ersatzlosen „Ruckbau" von Wohnraum mit offentlichen Mitteln fordert. Ziel ist der Abriss von 350.000 Wohnungen im Zeitraum von 2002 bis 2009, der mit einer Fordersumme von 2,7 Milliarden Euro subventioniert wird. Das Programm ist dabei zweigeteilt: Um die Uberhange des Wohnungsangebots abzubauen, fordert es zwar maBgeblich^^ den Abriss von Wohnraum dieser soil aber gleichzeitig mit einer Aufwertung der Verbleibebestande, des Umfeldes und der Infrastruktur einhergehen. „Mehr Stadt durch weniger Hauser" ist ein bekannter Slogan, der die Zielsetzung in gedrangter Form umreiBt.
In letzter Zeit haben sich dabei die Relationen zwischen Abriss und Aufwertung verschoben. Sollten anfangs je die Halfte der Mittel fiir Abriss bzw. Aufwertung zur Verftigung gestellt werden, werden inzwischen in den meisten Landem etwa 80% der Mittel fiir Abriss und nur noch 20% fiir Aufwertung ausgereicht.
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Um die Verkntipfiing von Riickbau-, Umbau- und AufwertungsmaBnahmen durchzusetzen und sicherzustellen, dass sich geplante Gebaudeabrisse in das jeweilige Stadtgefiige einpassen, verbinden Bund und Lander die Vergabe von Fordermitteln mit der Verpflichtung zur Vorlage „Integrierter Stadtentwicklungskonzepte". Ziel dieses Vorgehens ist es, nach Aussagen verantwortlicher Politikerlnnen, „die einzelnen MaBnahmen des Stadtumbaus zu einem zukunftsfahigen, sinnvollen Ganzen [zu] verbinden" (BMVBW 2001: S.3, Auslobung) und damit die „Chancen", durch sinnvolle Gestaltting von Abrissen und Nachnutzungen, hohere stadtische Qualitaten zu schaffen, zu nutzen. Aufgabe der neuen Stadtentwicklungskonzepte ist es damit, eine „kommunalpolitische Gesamtstrategie" zu implementieren, die „konsequent auf eine nachhaltige Entwicklung orientiert" ist und dabei die Losung der Probleme nicht dem Markt iiberlasst, sondem sie mit erhohter kommunaler Planungskompetenz strukturiert und koordiniert vorantreibt (A. Buttolo 2001). Um die schnelle Erarbeitung dieser neuen Konzepte zu unterstiitzen, schrieb die Bundesregierung Ende 2001 einen Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost" aus, in dessen Folge die Erarbeitung „Integrierter Stadtentwicklungskonzepte" in 259 Kommunen, d. h. in nahezu alien Stadten Ostdeutschlands, gefordert wurde. Obwohl der Terminus „Integriertes Stadtentwicklungskonzept" bis 2001 auch in der Fachoffentlichkeit kaum bekannt war, ist es in der Folge des Wettbewerbs zu einer hohen Standardisierung der vorgelegten Konzepte gekommen. Als inhaltliche Anforderungen waren fur die Wettbewerbsbeitrage vorgegeben (A. Roding/ K.Veith 2003: 658): Gesamtkonzept (mit Planungshorizont von etwa acht Jahren): Prognosen zur Einwohnerlnnenentwicklung und Entwicklung der Haushalte Abschatzung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung sowie der Finanzausstattung der Gemeinde Erfassung und Prognose der Wohnungsnachfrage, des Wohnungsbestandes und des Eigenheimbaus Erfassung und Prognose zu den Bestanden technischer und sozialer Infrastruktur und Gewerbe Untersuchung der Baulandentwicklung in Kommune und Umland Untersuchung der Kooperationspotentiale mit den umliegenden Gebietskorperschaften und den Wohnungseigentiimerlnnen Darlegung zur Beteiligung der Wohnungseigentiimerlnnen und der Umlandgemeinden an der Erarbeitung und der Umsetzung des Stadtentwicklungskonzeptes
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Darstellung weiterer im Einzelfall fur die Entwicklung der Kommune wichtiger Faktoren Beschreibung der Ziele fiir die gesamtstadtische stadtebauliche und wohnungswirtschaftliche Entwicklung unter Berticksichtigung der Prognose Uberpriifiing und ggf. Anpassung bestehender gesamtstadtischer Planungen Festlegung von Schwerpunktgebieten ftir den Stadtumbau (Gebietstypologie) sowie erster grober teilstadtischer Entwicklungsziele und gebietsbezogener Handlungsprioritaten Erarbeitung von MaBnahme-, Durchflihrungs- und Finanzierungskonzepten fiir die Gesamtstadt (Riickbau von Wohnungen, Aufwertung) Vorbereitung einer indikatorengesttitzten Erfolgskontrolle auf gesamtstadtischer Ebene
Stadtteilkonzept: Vertiefung der teilraumlichen Bestandsaufhahme und Zielsysteme Erarbeitung stadtebaulicher Konzepte fur die Schwerpunktgebiete des Stadtumbaus Uberpriifung und ggf. Anpassung bestehender teilraumlicher Planungen, Konzepte und Projekte Erarbeitung von MaBnahme-, Durchflihrungs- und Finanzierungskonzepten des Gebietes (Riickbau von Wohnungen, Aufwertung) Darlegung zur Beteiligung von Wohnungseigenttimerlnnen und Gebietsbevolkerung an der Erarbeitung und Umsetzung des Stadtteilkonzeptes Darstellung der erwarteten und beabsichtigten Wirkungen der MaOnahmen auf den Stadtteil und auf die Gesamtstadt Diese Anforderungen waren in alien „Integrierten Stadtentwicklungskonzepten" abzuarbeiten, sodass die planerische Bewaltigung der Schrumpfung fast tiberall auf ahnliche Weise erfolgte. Schon am vorgegebenen Aufbau der „Integrierten Stadtentwicklungskonzepte" lasst sich eine Anzahl von Problemen und Widerspriichlichkeiten erkennen, die es im Detail zu diskutieren lohnt: Liest man die Anforderungen an die „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte" aufmerksam durch, fallt zunachst vor allem auf, dass sie auBerordentlich zahlreich sind. Die kommunalen Planungsamter wurden (innerhalb eines knapp bemessenen Zeitraums von weniger als einem Jahr) nicht nur verpflichtet, neue Einwohnerlnnenprognosen vorzulegen, sondern diese sollten auch mit einer Abschatzung der wirtschaftlichen Entwicklung, einer Untersuchung der Infrastruktur und einer Reflexion des regionalen Kontextes verbunden werden. Die Analyse war dabei gleichzeitig so konkret zu halten, dass sie die Ableitung von
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MaBnahme-, Durchfiihrungs- und Finanziemngskonzepten moglich machte. Dem integrativen und strategischen Anspmch entsprechend wurde also eine auBerordentlich hohe Zahl an recht komplexen Themen aufgerufen. Schon eine Prognose der Wohnungsnachfrage - um einen Punkt in der langen Liste der Anforderungen herauszugreifen - kann eine Gemeindeverwaltung dabei leicht an den Rand ihrer Arbeitsfahigkeit bringen. Denn sie enthalt nicht nur eine Reihe von kaum mit Sicherheit in ihrer Entwicklung zu prognostizierenden und interdependenten Wirkungszusammenhangen (z. B. natiirliche Bevolkerungsentwicklung, Wanderungen, Haushaltsbildungsverhalten, Eigentumsbildung, Einkommensentwicklung), sondem diirfte gerade in kleineren Gemeinden auch mit einem Mangel an zur Verfugung stehenden Daten und qualifiziertem Personal konfrontiert sein. Soil die Nachfrageprognose zudem nicht nur eine GlobalgroBe fxir den abzubrechenden Wohnungsiiberhang errechnen, sondem auch Begrtindungsgmndlagen flir stadtteilkonkrete Entwicklungskonzepte liefem, potenzieren sich diese Probleme. Schon der relativ simpel erscheinende dritte Punkt des Anforderungskatalogs beinhaltet also eine Reihe von potentiellen „Minenfeldem". Geht man zu den weiteren Themen, wie wirtschaftliche Entwicklung, Gewerbeaufkommen, Arbeitsmarkt und Infrastrukturbedarfe liber, so wird die Aufgabe eher noch anspruchsvoller (vgl. M. Bemt 2002). Eine weitere zentrale Auflage des Wettbewerbs beinhaltete die „Beteiligung der WohnungseigentUmerlnnen und der Umlandgemeinden an der Erarbeitung und der Umsetzung des Stadtentwicklungskonzeptes". Auch in diesem Punkt erscheint die Anfordemng leichter gestellt als erfiillt. Schon die Fordemng nach mehr regionaler Kooperation thematisiert ein seit Jahrzehnten ungelostes Dauerproblem der Raumplanung. Noch mehr Fragen wirft die Anfordemng zur „Beteiligung der Wohnungseigentiimerlnnen" auf: Welche WohnungseigentUmerlnnen sind eigentlich gemeint? Welches Interesse sollen diese selbst an einer Kooperation haben? In welchem Spannungsverhaltnis steht ihr Interesse zu den Zielaussagen des Stadtentwicklungskonzeptes? Die pauschale Fordemng nach mehr Kooperation rekurriert in der Realitat auf derart heterogene Adressatlnnen, sodass sie von vomeherein eigentlich nur selektiv zu realisieren ist^^ Eine weitere Schwierigkeit fur die Planung ergibt sich aus der Unsicherheit tiber die mittelfristig den Gemeinden zur Verfugung stehenden Ressourcen. Gerade die am meisten von Schmmpfungsprozessen betroffenen Gemeinden ha^' Typische Probleme sind dabei die ublicherweise groBe Zahl an einzubeziehenden Wohnungseigentiimerlnnen, die gegenlaufigen Interessen von Marktkonkurrentlnnen und die sich aus der Lage der Immobilie, dem Sanierungszustand, der Kreditbelastung und der allgemeinen wirtschaftlichen Situation des/der jeweiligen Eigentumers/Eigentumerin ergebenden Okonomischen Zwange, die in der Praxis zu einer sehr unterschiedlichen Bereitschaft und Fahigkeit zur Kooperation fuhren.
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ben stark unter zuruckgehenden Steuereinnahmen zu leiden und sind daher meist nicht nur auf Mittel aus dem allgemeinen Finanzausgleich, sondem dartiber hinaus auf die Inanspruchnahme von zahlreichen Sonderprogrammen (wie „Soziale Stadt", „Weiterentwicklung groBer Neubaugebiete", „ESF"/ „EFRE" etc.) angewiesen. Diese Programme sind aber im Allgemeinen nur auf Zeit angelegt, haben wechselnde Forderziele und vergeben ihre Mittel mitunter nur im Wettbewerb. In Folge dieser Umstande wissen die Kommunen oft nur wenig darliber, wann sie welche Mittel wofiir zur Verftigung haben. Zusatzlich zu Informations-, Komplexitats- und Kooperationsproblemen steht ihre Planung also unter dem Vorzeichen einer Unsicherheit tiber zuktinftige Ressourcen. Die Erstellung „Integrierter Stadtentwicklungskonzepte" befand sich damit in einer Reihe nur schwer losbaren Dilemmata. Etwas salopp formuliert standen die Kommunen vor der Aufgabe, mit knappen Planungsressourcen bei unsicheren Prognosen, ungentigendem Informations stand und ohne sicheres Wissen um die Durchfiihrbarkeit innerhalb kiirzester Zeit eine vollig neue Planung vorzulegen, die auf das Mitwirken eigeninteressierter Dritter (Wohnungsunternehmen, Umlandgemeinden) baut und dabei zu einem Konsens flihren sollte, der einen „nachhaltigen Stadtumbau" moglich macht. 3
Neue oder alte Planung?
Bezieht man diese Planungspraxis zuriick auf planungstheoretische Diskussionen, lassen sich „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte" sowohl als klassisch rationalistische Globalsteuerung als auch als perspektivisch inkrementalistisch arbeitendes Leitbildprojekt interpretieren. Einerseits bearbeiten sie ihre Aufgabe in einer auBerordentlich traditionellen Weise und vereinen, in einer an die Hochzeit der keynesianischen Steuerungseuphorie erinnemden Art, einen flachendeckenden Steuerungsanspruch mit einer rationalen, aus der Problemanalyse erarbeiteten Festlegung von Steuerungszielen. Sie beziehen sich dabei nicht auf Einzelprojekte sondem auf die gesamte Stadt, sind auf lange Frist angelegt und versuchen, verschiedenste Ressorts und Akteurlnnen zu integrieren. Gegenstand der Planung ist nicht die „weiche" Stimulation von Prozessen oder die Orientierung und Motivation von Akteurlnnen, sondem die „harte" Entscheidung uber den Abriss von Wohnungsbestanden. Diese wird in deduktiver Weise auf eine eingehende Problemanalyse gegrundet, in der Prognosen zur Einwohnerlnnenentwicklung, zur Arbeitsmarktlage, zum Wohnungsangebot und zur technischen und sozialen Infrastrukturentwicklung so miteinander verkniipft werden, dass ein mengenmaBiger Abrisskorridor hergeleitet werden kann. Das so ermittelte Abrissvolumen wird raumlich verortet und
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in einen Zeit- und MaBnahmenplan iiberfuhrt. Stadtentwicklungskonzepte erscheinen hier als komprehensive Fixzielmodelle, denen ein linear-kausales Steuerungsverstandnis, das von einer moglichst vollstandigen Erfassung der relevanten Umfeldeinfltisse, der adaquaten Instrumente und der zu erreichenden Zielzustande ausgeht, zu Grunde liegt. In krassem Widerspruch zu diesem Herangehen steht allerdings die intensive Beteiligung der Wohnungswirtschaft an der Planerstellung. Diese wurde nicht nur von Bund und Landem zum Bewilligungskriterium fur die Vergabe von Fordermitteln gemacht, sondem auch in der Praxis in den meisten Gemeinden realisiert. Im Ergebnis wurden die Stadtentwicklungskonzepte in einem MaBe von den groBen Wohnungsuntemehmen miterarbeitet, die bisher in Deutschland unbekannt war (vgl. B. Hunger 2003). Die Art und Weise, wie die Integration wohnungswirtschaftlicher Interessen erfolgte, ist dabei vor Ort recht unterschiedlich: Wahrend in einigen Kommunen die Stadtentwicklungskonzepte direkt von der groBen Wohnungsuntemehmen entwickelt wurden, wurden in anderen Gemeinden thematische Arbeitsgruppen von Wohnungswirtschaft und Stadtverwaltung oder sogar „Runde Tische" gebildet. Wieder andere Gemeinden erarbeiteten zunachst in der Stadtverwaltung ein Planungskonzept und bezogen erst in einer zweiten Phase die Wohnungswirtschaft mit ein (vgl. BMVBW 2003b: 27ff). Bei unterschiedlichen Wegen war die frtihzeitige Einbeziehung der Wohnungswirtschaft jedoch in fast alien Fallen grundlegend. Gleichlaufend zur rationalistischen Zielerarbeitung sind die „Integrierten Stadtentwicklungskonzepte" dadurch von einem durch und durch kooperativen Steuerungsverstandnis gepragt. Weit entfemt von fordistischen Planungskonzepten tritt der Lokalstaat dabei nicht mehr als Steuerungszentrum, sondem eher als „primus inter pares" auf. Der Stadtumbau steht damit fiir eine gmndlegende Verschiebung des Verhaltnisses von offentlichen und privaten Interessen in der Steuerung der Stadtentwicklung: Stadtplanung wird hier nicht mehr als Korrektiv gegentiber Entwicklungsproblemen, die durch Markte nicht zu losen sind, verstanden und mit den dafiir notigen Ressourcen ausgestattet, sondem sie orientiert sich im Kem auf Public Private Partnerships und richtet ihre Handlungsprioritaten nach den sich daraus ergebenden Erfordemissen aus. Das „Machbare" wird damit zum Ausgangspunkt der Planung. Analysiert man die „Integrierten Stadtentwicklungskonzepte" zudem nicht allein planungsmethodisch, sondem aus den Interessen der beteiligten Akteurlnnen heraus, so wird deutlich, dass vor allem die Interessen der groBen, altschuldenbelasteten Wohnungsuntemehmen mit groBen Bestanden im industriellen Wohnungsbau Gegenstand der Planung geworden sind (ausfiihrlicher in M. Bemt 2005).
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Zusammenfassend kann man also festhalten, dass die Steuerung des Stadtumbaus nahezu paradigmatisch Merkmale unterschiedlicher Planungstypen enthalt. „Integrierten Stadtentwicklungskonzepte" konnen daher als Versuch einer pragmatischen Kombination von komprehensiven und inkrementalistischen Planungsansatzen interpretiert werden. Die verwendeten Planungsansatze lassen sich in Tabellenform wie folgt beschreiben: Traditionelle strategische Planung Steuerung „von oben" Verwissenschaftlichung umfassend, hohe Komplexitat flachendeckend sektoreniibergreifend, integrativ langfristig angelegt undemokratisch, autoritar unterkomplex, informationelle ^ Oberforderung s unflexibel Umsetzungsdefizite
so
-S
^ ^ durchsetzungsstark sachrational
Diskursive, projekthafte Planung Kooperation Projekte statt Programme Konzentration auf das Machbare punktuell schrittweises, inkrementalistisches Vorgehen „muddling through" verschiedene Durchsetzungsstarke von Interessen „Insellosungen", Zusammenhang der Projekte Aufgabe von Steuerungsansprtichen Beschrankung auf widerstandsarme Projekte durchfiihrungseffizient diskursive Rationalitat
id
Tabelle 5: Planungstypen (eigene Darstellung) Auf der einen Seite scheint die Planung dabei aus den Fehlem der Vergangenheit gelemt zu haben und prasentiert sich sowohl handlungsorientiert, als auch flachendeckend und integrativ. Sie versucht also, sowohl die Wirklichkeitsfeme umfassender, wie die Inselhaftigkeit projektbezogener Planungstypen zu umschiffen. Auf der Kehrseite tragen die Konzepte zur Bewaltigung der Schrumpfung aber gerade durch diese Hybriditat auch die Probleme beider Planungstypen in sich: Durch ihren rationalistischen, umfassenden und auf lange Zeit angelegten Horizont haben sie eine offene Flanke gegeniiber Prognoserisiken jeder Art und durch den kooperativen Ansatz werden sie anfallig gegeniiber Storversuchen.
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Matthias Bemt Zwischenbilanz: Planung der Schrumpfung oder Schrumpfen der Planung?
Der hohe Anspruch, mit einer Kombination aus widersprtichlichen Planungsansatzen „eine kommunalpolitische Gesamtstrategie" zur Steuerung der Schrumpfung in die Wege zu leiten, ist nicht nur in der Theorie problematisch. Vielmehr zeigen bislang pubHzierte Auswertungen (BMVBW 2003; BMVBW/ BBR 2003a, 2003b; W. Eichstadt/ R. Emge 2003) deutlich, dass bereits in der Planerarbeitung weitgehende Abstriche von dem Anspruch auf einen „nachhaltigen Stadtumbau" gemacht werden mussten. Fasst man die zuganglichen Berichte zusammen, muss davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl der Integrierten Stadtentwicklungskonzepte schon in der Planerstellung nahezu klassische Prognoseprobleme aufweisen: Einwohnerlnnen- und Haushaltsprognosen sind in den „Integrierten Stadtentwicklungskonzepten" oft zu einfach gestrickt, Leerstandsentwicklungen werden extrapoliert, wohnungswirtschaftliche Aspekte bleiben unterbeHchtet und Infrastrukturprobleme werden nur selten thematisiert. Mangelhaft ist aber nicht nur der Bereich der Prognose, sondem auch die Kooperation scheint sich nur auf einen kleinen Ausschnitt von stadtischen Akteurlnnen zu konzentrieren. Klare Kooperationsergebnisse liegen bislang fast ausschlieBlich zwischen Kommunalverwaltungen und kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsuntemehmen vor. Die Einbeziehung privater Kleineigenttimerlnnen im Altbaubereich und die Abstimmung zwischen Nachbargemeinden bleiben hingegen „weiBe Flecken". Die Kooperationsbeziehungen sind also systematisch „schief'. Dieser „schiefen" Verteilung der Kooperation entspricht auch eine Engfuhrung der Konzepte, die sich raumlich und thematisch auf den Abriss von Plattenbauten konzentrieren. Die Wechselwirkung zwischen Riickbau und Leitungsnetzen werden dabei ebenso wenig beleuchtet wie die Zukunft der sozialen Infrastruktur oder die Nachnutzung der entstehenden Freiraume. Obwohl die Bereitschaft zum Paradigmenwechsel, befordert durch die „Integrierten Stadtentwicklungskonzepte", in der stadtebaulichen Planung mittlerweile breite Resonanz gefunden hat, bestehen also erhebliche Probleme. Diese widerspiegeln nahezu lehrbuchartig die jeweiligen Schwachstellen von komprehensiven und inkrementalistischen Planungsansatzen. In der Bilanz wird damit deutlich, dass die Verkntipfung widerspriichlicher Planungsansatze nicht zur Neutralisierung, sondem zur Verdoppelung der Storfaktoren gefiihrt hat. Wahrend hierarchische Steuerungseiemente die Planung dabei mit umfassenden Steuerungsanspriichen und hohen Informationskosten belasten, bewirkt die kooperative Grundorientierung einen hohen Grad an Abhangigkeit von Kooperati-
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onspartnerlnnen. Der „Stadtumbau Ost" verdeutlicht damit die Grenzen, die einer Kombination gegensatzlicher Steuerungsansatze gesetzt sind. Hohe Steuerungsziele bleiben ohne die dafiir notigen Steuerungsmittel (Geld, Macht und Eigentum) ein Widerspruch, der auf Dauer kaum auszuhalten sein wird. Das Revival strategischer Planung steht in Ostdeutschland daher auf „tonernen Ftissen". Ungeloste Probleme bei der Kombination verschiedener Planungsansatze, Begrenzung auf problemarme Felder, Unterfmanzierung und mangeInde Ressourcen ftihren dazu, dass sich hinter dem Rticken des Versuchs „Schrumpfung" strategisch zu planen vor allem eine Schrumpfling der Planung selbst vollzieht.
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Partizipation als Strategic
Einleitung Andrea Breitfuss
Planung als Teil der hoheitlich-staatlichen Verwaltung basiert traditionell auf hierarchisch strukturierten Entscheidungsprozessen. Die Einbeziehung weiterer Akteurlnnen in diese Entscheidungsprozesse im Rahmen kooperativer Governance-Strategien (Partizipation als Strategic) wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie laufen diese Entscheidungsprozesse ab? Wer wird wann, in welcher Form und mit welchen Entscheidungskompetenzen einbezogen? Wie werden die Ergebnisse partizipativer oder kooperativer Entscheidungsprozesse in das alltagliche Verwaltungshandeln eingebunden? Welche Rolle kann und soil Planung in kooperativen Entscheidungsprozessen einnehmen? Welche demokratiepolitischen Effekte konnen von kooperativ ausgehandelten Entscheidungen unter welchen Rahmenbedingungen erwartet werden? Die Abkehr von einer umfassenden und rationalen Planung ist seit geraumer Zeit deutlich, aber welche Konsequenzen eine Abkehr vom „groBen Plan" nach sich zieht und wie mit dem zunehmenden Druck zur Kooperation umgegangen wird, bedarf einer genaueren Analyse. Zu dieser Analyse soUen die Beitrage des folgenden Kapitels einen Beitrag leisten. Oliver Frey denkt iiber die traditionelle Diskussion hinaus und diagnostiziert einen Ubergang von der „linearen Planung" uber „urban governance" hin zu Selbststeuerungsprozessen. Er stellt in seinem Beitrag die grundlegende Frage nach dem Sinn und Unsinn planerischer Steuerung und stellt damit das Grundverstandnis der Planungsdisziplin in Frage: Kann und vor allem soil man weiterhin in traditioneller Weise planen? Frey pladiert flir die Zurlicknahme des Steuerungsanspruchs von Planung, er mochte Raum vorhanden wissen fur Formen der Selbstorganisation sozialer Gruppen im Raum und der Selbststeuerung ihrer Bedurfiiisse und Ansprtiche. Er wtinscht sich eine Planung, die offen ist f^r chaotische, unplanbare und eigendynamische raumliche Entwicklungen und mochte mit seinem Beitrag ein neues, visionares Planungsverstandnis vorantreiben, das den heutigen, untibersichtlich gewordenen gesellschaftlichen und raumlichen Entwicklungen entspricht.
Einleitung
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Marc Diebdcker zeigt im ersten Teil seines Beitrags auf, dass strategieorientierte Planung eng mit einer neuen Art der Entscheidungsfindung verknupft ist, die weniger stark auf den gewohnten vertikalen (hierarchischen) Wegen beruht und stattdessen starker in horizontalen, netzwerkartigen Strukturen ablauft. Diese Vorstellung, die mit dem Begriff des „kooperativen Staates" verknlipfl ist, verortet Diebacker in der postfordistischen Diskussion um neue staatliche Steuerungsmodelle. Im zweiten Teil seines Beitrags argumentiert Diebacker, dass die mit den neuen Steuerungsmodellen verbundene Erwartung einer starkeren Demokratisierung gesellschaftlicher Entscheidungen erst noch einzulosen ist. Ausgehend von einer Darstellung der Kritik am herrschenden Govemance-Diskurs, die er auf ihre Implikationen fur strategische Planung bin untersucht, und basierend auf dem Ansatz der partizipatorischen Demokratietheorie entwickelt er Uberlegungen einer strategieorientieren Planung, die dem Anspruch einer starkeren Demokratisierung, wie sie der Diskussion um neue Steuerungsmodelle oftmals inharent ist, gerecht werden konnen. Die Frage nach der Verkntipfling zwischen hierarchischer Steuerung im alltaglichem Verwaltungshandeln und den Ergebnissen aus Prozessen von der Basis werden in der Planungsliteratur meist unter dem Gegensatzpaar top-down versus bottom-up gestellt. Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik analysieren die Verkniipfiing von bottom-up- und top-down-Ansatzen anhand eines Praxisbeispiels. Sie untersuchen den Prozess der Erarbeitung des Wiener Stadtentwicklungsplans 2005 (STEP 05) und die Einbindung der Sichtweisen der Bevolkerung in dieses Instrument strategischer Stadtentwicklung. Im Abschluss entwickeln sie Uberlegungen uber Chancen und Grenzen des Aufeinanderbeziehens von bottom-up- und top-down-Ansatzen. Aus alien drei Beitragen, die sich zentral mit Steuerungsformen gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse und der Einbindung und Mobilisierung lokaler Akteurlnnen befassen, wird deutlich, dass Partizipation bzw. Kooperation immanente Bestandteile aktueller Planungsstrategien sind.
Regulierte Selbststeuerung und Selbstorganisation in der Raumplanung Von der linearen Planung tiber Partizipation als eine integrierte Strategie von ,,Urban Governance'' zur regulierten Selbststeuerung und Selbstorganisation in der Raumplanung
Oliver Frey
„Die Aufgabe der sozialistischen Revolution besteht in der Umwandlung des ganzen staatlichen Wirtschaftsmechanismus in eine einzige groBe Maschine, in einen Wirtschaftsorganismus, der so arbeitet, dass sich Hunderte Millionen Menschen von einem einzigen Plan leiten lassen." (Politische Okonomie 1955, S. 473 zit. nach E.-H. Ritter 1998: 9) „Warum mir aber in neuester Welt Anarchie gar so gut gefallt? Ein jeder lebt nach seinem Sinn, das ist nun also auch mein Gewinn! Ich laB' einem jeden sein Bestreben, um auch nach meinem Sinn zu leben." (Johann Wolfgang v. Goethe 1821, Zahmen Xenien) 1
Einleitung
Der vorliegende Beitrag steht im Spannungsverhaltnis der beiden Zitate aus der Politischen Okonomie und von Johann Wolfgang von Goethe, die der Planung einen unterschiedlichen Stellenwert einraumen. Auf der einen Seite wird eine umfassende Steuerungskultur durch den Staat betont, auf der anderen Seite wird den gesellschaftlichen und individuellen Kraften einer Selbststeuerung und Selbstorganisation eine groBere Bedeutung zugeschrieben. Planung verandert sich, Abkehr vom linearen, wissenschaftlich begrlindeten und eindeutigen Planungsverstandnis tiber ein Planungsverstandnis, das Partizipation im Rahmen von Govemanceprozessen zulasst und Moglichkeiten fur flexible Aushandlung und Steuerung fmdet/ schafft. In diesem Beitrag gehe ich einen Schritt welter und pladiere dafiir, dass es notwendig ist, Raum ftir lokale Selbststeuerungs- und Selbstregulierungsprozesse in der Planung zu schaffen/ geben. Wie kann das aussehen? Nicht „planen" oder „nicht planen" ist hier die Frage, die am Anfang aufgeworfen wird, sondem wie kann sich Planung in einem flexiblen Vorgehen
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zeigen. Planen sollte auch Raume fiir Ungeplantes und fiir Initiativen von unten freilassen, ist die Antwort. Es ist also noch viel zu tun. Planung wird iibereinstimmend als sozialer und politischer Prozess verstanden, in dessen Zusammenhang die Frage nach den Entscheidungs- und Steuerungsstrukturen in einer Gesellschaft und ihrer Staatsorganisation gestellt wird (P. Healey 2003: 104). Die Akteurlnnen von Raumplanung stehen dabei in ihren Entscheidungen vor der Herausforderung, inwieweit sie selbst die Entwicklungen steuem konnen bzw. inwiefem Krafte jenseits ihrer Einflussmoglichkeiten die raumlichen Entwicklungen mitpragen sollen. Ein zentraler Faktor, der dieses Kraftespiel regelt, ist das Verhaltnis zwischen Staat und Gesellschaft. Der soziale und politische Wandel dieses Verhaltnisses ftihrt in unterschiedlichen zeitlichen Phasen zu einer Neustrukturierung der sozialen Ordnungsprinzipien zwischen Staat, Markt und Gesellschaft. Mit dem Begriff des „kooperativen Staates" wird in diesem Buch die strategieorientierte Planung als ein interaktiver Prozess in eine veranderte Govemancestruktur eingebettet. Neue Formen von Governance strukturieren die spezifischen Interaktionen von Raumplanung in komplexen und dynamischen institutionellen Ordnungen, die wiederum durch okonomische, soziale und kulturelle Krafte beeinflusst werden. Die Frage nach der Rolle von Planung in Staat und Gesellschaft sowie nach der Steuerbarkeit von Raumentwicklungen wird vor dem Hintergrund von Steuerungs- und Legitimationsdefiziten des hoheitlichen Staates seit langerem kontrovers diskutiert (vgl. N. Luhmann 1966; J. Forrester 1969, F.W. Scharpf/ F. Schnabel 1979; R. Klostermann 1985; D. Furst 1993, 1998, 2005; E.-H. Ritter 1998; K.Einigetal. 2005). Beschaftigten sich Luhmann und Forrester in den 1960er Jahren noch mit der Rationalitat von Planungsentscheidungen (N. Luhmann 1966) und mit langfristigen Prognosen und Planungen unter dem Einfluss komplexer sozialer Systeme (J. Forrester 1969), so stellen Scharpf und Schnabel (1997) 30 Jahre spater die Frage, ob die staatliche Politik nicht eher durch die tatsachliche Raumentwicklung gesteuert wird, statt diese selbst aktiv zu steuem. Klostermann (1985) kommt zu dem Schluss, dass es eine offene Frage sei, ob Raumplanung einen hohen Grad an hoheitlicher Regelung braucht, oder ob andere professionelle Gruppen und institutionelle Gefuge wie z. B. Einrichtungen des Quartiersmanagements sozialraumliche Entwicklungen besser lenken konnen (vgl. A. Breitftiss et al. 2004). Ritter (1998) erklart die Planungssysteme der „politische Planung" in der alten Bundesrepublik und in den sozialistischen Staaten fiir tot. Was folgt nun? Identifiziert man die zuvor beschriebenen einzelnen Phasen der Planungsdiskussion, so lassen sich eine Phase 1 mit einem „umfassenden Steuerungsanspruch" kennzeichnen, der dann in der Phase 2 zuriickgefahren bzw. aufgehoben
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wird und in der Phase 3 im Rahmen von urban govemance-Modellen uber strategieorientierte Planungsinstrumente wieder zuriickgewonnen wird. SchlieBlich so die These dieses Beitrages - mtindet die Weiterfiihrung der Partizipationsmodelle im Rahmen von urban governance in einer Phase des starkeren Zulassens von Selbstorganisation in der Raumplanung. Die derzeitige Renaissance strategieorientierter Raumplanung basiert auf einem neuen Verstandnis verstSrkt kooperativer Regelungsstrukturen sozialer Ordnungen, welche durch urban govemance-Modelle beschrieben werden. In dem vorliegenden Beitrag wird Partizipation als der Kern einer strategieorientierten Planung angesehen, welche im Rahmen von urban govemance-Modellen neue Formen der Planungsstrategien auf der kommunalen Ebene hervorgebracht hat. Der Kern dieses neuen Planungsverstandnisses besteht in einer flexiblen, aus formellen und informellen Elementen bestehenden Partizipationsstrategie. Es wird in diesem Beitrag die These entwickelt, dass diese vielfaltigen Partizipationsansatze ein integriertes Element von urban govemance-Modellen darstellen, welche auf verschiedenen Ebenen einer lokalen Steuemngspolitik neue Kooperationsbeziehungen herstellen und die schlieBlich zu einem Paradigmenwechsel im Planungsverstandnis fiihren (mussen). Als Konsequenz der Weiterentwicklung partizipativer Planungsstrategien im Rahmen von urban govemance wird das Modell einer „regulierten Selbststeuerung und Selbstorganisation" der Raumplanung als Zielvorstellung entwickelt. Somit tangiert die strategieorientierte Planung den Kem der traditionellen Planungsdisziplin: Ziel von Raumplanung war es seit ihren Anfangen, die zukunftige raumliche Entwicklung von Gesellschaft umfassend zu prognostizieren und in eine gewiinschte Richtung zu lenken. Die sozialraumliche Realitat war und ist in ihrer widerstandigen Eigenentwicklung, den irrationalen und „unbeabsichtigten Folgen absichtvollen Handelns" (E.-H. Ritter 1998: 18) nur bedingt mit einem festgelegten Plan zu steuem. In die Rationalitat von Planung zieht nun bedingt durch die Irrationalitat der Subjekte von Planung und die unplanbaren und chaotischen Gegenstande von Planung eine neue Dimension ein. Die strategieorientierte Planung stellt insofem einen Paradigmenwechsel dar, als sie unerwartete Ereignisse und Entwicklungen anerkennt und den Anspmch auf Ordnung relativiert. Die Zuriicknahme des Anspmchs auf umfassende Regulation und Planung der raumlichen Entwicklungen ermoglicht eine starkere Riicksichtnahme auf Eigenentwicklungen, Formen der Selbstorganisation sozialer Gmppen im Raum sowie der Selbststeuemng ihrer Bedtirfnisse und Anspriiche. Auf der anderen Seite besteht die Innovation strategieorientierter Planung darin, dass eine tibergeordnete Rahmensetzung und Zielformuliemng innerhalb eines Planes nicht ganz aufgegeben wird. Dazu dient ein „flexibler Plan" als
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Rahmensetzung, der Dynamik und Beharrung nicht als Gegensatze formuliert und der die Unterscheidung in Planungsinhalt und Planungsprozess sowie die Gegeniiberstellung von Planungssubjekt und Planungsobjekt aufgibt. Stattdessen lenkt strategieorientierte Planung ihr Augenmerk auf die sozialraumlichen Kontexte, die institutionellen Prozesse sowie die Diversitat sozialraumlicher Bediirfnisse und Interessen der Akteurlnnen (vgl. F. Kessel et al. 2005). Der Beitrag ist so aufgebaut, dass Partizipation eingangs als Kooperation im Rahmen einer govemance-orientierten Formulierung strategischer Planungsziele, der Beteiligung und Zusammenarbeit bei der innovativen Bewaltigung gesellschaftlicher Probleme sowie als Teilhabe an Entscheidungsprozessen verstanden wird. Urban governance wird daher als eine geregelte, aber dennoch flexible Form kooperativer Politik des Staates auf lokaler Ebene defmiert, die Akteurlnnen aus Staat/ Kommune, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenfiihrt. 2
Die Ablosung der Konzeption einer „umfassenden Planung" durch Modelle der Selbststeuerung und Selbstorganisation
Das obige Zitat aus der Politischen Okonomie charakterisiert die Bliitezeit der Modeme mit ihren Grundiiberzeugungen von Gewissheit, Stabilitat und mit ihrem Vertrauen in ein System von rationaler Objektivitat. Die Instrumente und Methoden der „modemen" Raumplanung der Nachkriegszeit folgten mathematisch basierten Prognosen, hierarchischen Baumstrukturen der Entscheidungsablaufe und Rationalitatsvorstellungen linearer Modelle. Die zielorientierte Steuerung durch einen Plan erfolgte Uber Instrumente der Flachensteuerung, Ansiedlungs- und Investitionsverbote sowie -gebote und offentliche Infrastrukturplanungen (F.W. Scharpf/ F. Schnabel 1979). Planung war das Herz der Biirokratie in ihren hierarchischen Verwaltungsstrukturen, in denen klar defmierte Regeln, Anordnungen, Zustandigkeiten und Arbeitsprogramme festgelegt wurden. Max Weber beschreibt den Charakterzug dieser Organisationsform wie folgt: „Ein veil entwickelter biirokratischer Mechanismus verhalt sich wie eine Maschine. Frazision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Erspamisse an Reibung, sachlichen und personlichen Kosten." (M. Weber 1976: 56If) Im Gegensatz hierzu steht das eingangs erwahnte Zitat Goethes in der Tradition der humanistischen Philosophic, welche als Grundprinzip einen toleranten Umgang mit Ungewissem, Vieldeutigem und Vielfaltigem pflegte. Flir dieses Denken gilt die Wertschatzung individueller Erfahrungen und subjektiver Sinndeu-
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tungen ebenso wie eine Anerkennung der begrenzten kognitiven Fahigkeiten der Individuen (vgl. M. Reihlen 1999). Das Weltbild jener oben skizzierten modemen, rationalen und umfassenden Raumplanung hat an tjberzeugungskraft eingebiiBt, da deren Grenzen in einer postmodemen Wissensgesellschaft deutlich wurden. Der Begriff der Postmodeme wurde 1968 von Etzioni in die Sozialwissenschaften eingeftihrt und von ihm als eine „aktive Gesellschaft" mit einer pluralistischen Verfasstheit und einer standigen Dynamik und Selbstentwicklung beschrieben. Die Ausdifferenzierung, Pluralisierung und Heterogenisierung sozialer Strukturen in der postmodemen Wissensgesellschaft stellen auch die Raumplanung vor neue Herausforderungen. Eine postmodeme Stadtplanung muss neue Antworten auf die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Lagen, die Heterogenisierung von Lebenswelten und Lebensstilen sowie die neuen Formen okonomischer und sozialer Organisation von Arbeit, Wohnen und Freizeit finden. Die okonomischen Umstrukturierungen in der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft gehen mit einem Bedeutungszuwachs von Wissen, Kultur und Kreativitat bei der Herstellung von Giitem und der Entwicklung von Produktideen einher. Dahinter steht die Annahme, dass das Grundprinzip des modemen Kapitalismus nicht allein die Herstellung materieller Giiter ist, sondem die Gesellschaft ebenso mit neuen Formen der Produktion und der Kombination von unterschiedlichen Wissensformen bei der Entwicklung neuer Techniken konfrontiert ist. Wissen wird zu einem Produktionsfaktor, als eine kulturelle Ressource durchzieht es immer weitere Bereiche der Gesellschaft (vgl. J. Dangschat 2006). Die Betonung des Faktors Wissen bei der Produktion und Reproduktion von Okonomie und Gesellschaft geht mit der gesellschaftlichen Analyse des (Jbergangs vom Industriezeitalter in eine Dienstleistungsgesellschaft (D. Bell 1973) einher. Castells (1996) hat mit dem Begriff des ^informational capitalism" einen Bedeutungsgewinn von Wissen in der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft diagnostiziert. Die gesellschaftliche und auch stadtische Entwicklung - so die Annahme - sind starker auf wissensbasierte und kulturell vermittelte Okonomien angewiesen (vgl. O. Frey 2006). In der Modeme wurde unter Raumplanung noch eine „allgemein wissenschaftliche Rationalitat, Zukunftsorientiemng, Steuemng und Koordination" (D. Ftirst 1993: 108) verstanden. In der Neuauflage des ARL-Handbuches schreiben Ftirst und Ritter (2005: 768), dass „(...) die gegenwartigen Tendenzen der Planungsentwicklung (...) durch neue Erkenntnisse und Sichtweisen (...) (iberholt sind. Komplexitat, Nichtlinearitat, Unsicherheiten und Selbstorganisation sind Leitbegriffe dieses neuen Denkens." Durch die Berichte des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums wurde das Ende des Zeitalters einer rationalistisch orientierten und auf Planbar-
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keit sowie Machbarkeit eines „grenzenlosen Wachstums" ausgerichteten Steuerungsstrategie angekiindigt. Die Frage nach der adaquaten Steuerung und den Govemance-Formen gesellschaftlicher und stadtischer Entwicklung hat dort ihren Ursprung. Der Abschied von der auf einem „mechanistisch-deterministischen Weltbild" basierenden Entwicklungsplanung und dem mit dem Rationalitatsbegriff der Aufklarung verbundenen Orientierungspfad hat sich iiber verzweigte Wege vollzogen (vgl. Einleitung in diesem Band): iiber den Weg des „perspektivischen Inkrementalismus" einer „Planung durch Projekte" bis hin zum „communicative turn" einer argumentativen, kommunikativen und kooperierenden Planung (vgl. P. Healey 1996; S.S. Fainstein 2000). Es geht im Folgenden darum, die „neue Untibersichtlichkeit" (J. Habermas 1985) und die „Eskalation der Ungewissheit" (W. vandenDaele 1998) gesellschaftlicher Entwicklung in eine Orientierung und raumliche Ordnung schaffende Raumplanung zu integrieren. Die Ansatze einer veranderten Planungsstrategie im Sinne einer „Planung des Unplanbaren" (vgl. T. Wiechmann/ W. Hutter in diesem Band) oder auch von Barbara Zibell (1995) im Sinne von „Chaos als Ordnungsprinzip im StSdtebau" stellen den Planer bzw. die Planerin vor die Frage, wie die Bedingungen von Selbstregulation und Selbstorganisation raumlicher Prozesse in eine Planungsvorstellung einflieBen konnen. Das Gemeinsame beider Ansatze besteht aber in der Aufgabe, die Planung fur Moglichkeiten chaotischer, unplanbarer, eigendynamischer und irrationaler raumlicher Entwicklungen offen zu halten. Ziel dieses Beitrages ist es, ein neues Planungsverstandnis voranzutreiben, das diesen Prozessen einen eigenen Entwicklungsraum bietet. 3
Die Wurzeln der Modelle von Selbstregulierung und Selbstorganisation
Forschungsergebnisse der letzten zwei bis drei Jahrzehnte vor allem in den Naturwissenschaften (Physik, Mikrobiologie, Neurophysik), der Kognitionswissenschaft sowie der Linguistik haben das herkommliche Verstandnis davon, wie Individuen die Welt verstehen, in Frage gestellt. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die Interaktionen zwischen Menschen untereinander und mit ihrer Umwelt iiberwiegend nicht nach objektiven, linearen, rationalen und deterministischen Regeln ablaufen (W. Jones/ H.H. Hughes 2003). Insbesondere die Arbeiten des Neurophysiologen McCuUoch (1945: 89ff) postulierten eine Form des Nervensystems in neuronalen Netzen, das eine parall e l Arbeitsweise ermoglicht. Diese von McCulloch als „Heterarchie" bezeichnete Organisationsform beschreibt Strukturen, welche neben- bzw. parallel ge-
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ordnete Komplexitat besser erfassen konnen als hierarchische Systeme. Diese Konzepte der dezentralen, flexiblen Anordnung und Organisation wurden von den Sozialwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre auf institutionelle Organisationen jedoch bisher nur vereinzelt angewandt. Heterarchie definiert sich dabei als „the relation of elements to one another when they are unranked or when they posses the potential for being ranked in a number of different ways" (C.L. Crumley 1995: 3). Fiir die Raumplanung ist dieses Organisationsprinzip interessant, weil damit mehrere voneinander unabhangige Akteurlnnen oder Entscheidungstragerlnnen in einem Handlungs- und Verhaltenssystem erfasst werden konnen, in dem es keine zentrale Steuerung gibt. Die Steuerung eines solchen Systems erfolgt immer wieder durch neue Aushandlungsprozesse, in denen Konkurrenz und Konflikt, Kooperation und Dominanz, Sukzession und Substitution verhandelt werden. Diese Formen der Aushandlungen konnen in einem zwar bestimmten, aber mit wechselnden Konstellationen und Hierarchien arbeitendem Gefiige leichter und flexibler auf plotzlich auftretende Ereignisse reagieren. Auch in der Raumplanung treten innerhalb eines Planungsprozesses Emergenzen auf, da die Individuen als Planungsbeteiligte oder -betroffene sowie die zu Grunde liegenden sozialen Prozesse oft eine unvorsehbare oder unplanbare Richtung einnehmen konnen. Bei einer starkeren Beriicksichtigung von Selbstregulierung und Selbstorganisation gesellschaftlicher Subsysteme in der Raumplanung wird der Anspruch einer AuBensteuerung etwas zurtickgenommen. Die Formen der self-governance sozialer oder soziopolitischer Systeme haben ihren Ursprung in der Autopoiesis von biologischen Systemen. Das System einer Selbstregulation in den Naturwissenschaften erlebte durch die Forschungen des Biologen Humberto Maturana eine intensive Auseinandersetzung. Er behauptete, dass fiir Lebewesen eine autopoietische Organisation und eine daraus folgende Autonomic charakterisierend sind: „Unser Vorschlag ist, dass Lebewesen sich dadurch charakterisieren, dass sie sich buchstablich - andauemd selbst erzeugen. Darauf beziehen wir uns, wenn wir die sie definierende Organisation autopoietische Organisation nennen (griech. autos = selbst; poien = machen)." (H. Maturana 1987: 50) Von Selbstorganisation spricht man, wenn es sich um uberwiegend autonome Entitaten handelt, die sich selbst erzeugen und erhalten. Wesentlich in der Planungsdebatte ist dabei, dass prinzipiell keine Eingriffe von auBen zur Erhaltung und Erzeugung notwendig sind. Jan Kooimann (2006) bemerkt fiir die Steuerungstheorie, dass „Systeme nur das ,sehen', was sie in ihrer eigenen Begriffssprache interpretieren konnen, und zwar einschlieBlich der Kommunikationsimpulse von auBen." (J. Kooimann 2006: 158) Er folgert daraus:
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„Die ,objektive Qualitat' von Steuerungshandlungen ist deswegen nicht von entscheidender Bedeutung, well ihre Wirkung sich erst durch die Zuschreibung von ,Bedeutung' durch soziale Systeme entfaltet. (...) Autopoietische Systeme konnen daher nur gemaB ihrer internen, selbstreferentiellen Organisations- und Operationsmodi gesteuert werden." (J. Kooimann 2006: 158) Das wachsende wissenschaftliche Interesse in den Naturwissenschaften zu Fragen der eigengenerierenden Systeme von Selbstorganisation und -regulation hat mehrere Wurzeln: Zum einen ist sicherlich die Abnahme von positivistisch-rationalen Weltbildem daftir verantwortlich. Andererseits tragen die Erfolge der Kognitionswissenschaften bei der Erklarung von Informationsgewinnung und -verarbeitung, die Ubemahme von Konzepten aus der digitalen Computertechnik und ktinstlicher Intelligenzen und nicht zuletzt die zunehmende Bedeutung von Modellen des personlichen und gesellschaftlichen Ausdrucks von Individualitat in der postmodemen Wissensgesellschaft dazu bei (vgl. P. Karoly 1993: 24). Auch in der jungeren rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung wird den Herausforderungen der Wissensgesellschaft insofem Rechnung getragen, als Uberlegungen zur Schaffting neuer Rechtsinstrumente angestellt werden, die einen „gestaltenden Beitrag" des Rechts zur Ermoglichung von Innovationen und gleichzeitig eine Beriicksichtigung von Gemeinwohlinteressen nachkommen (vgl. W. Hoffmann-Riem 2003). Fiir diese „weichen" Rechtsformen fmdet der Begriff „regulierte Selbstregulierung" (Die Verwaltung 2001) Verwendung. Diese Formen werden als „ermoglichendes Recht" (G.V. Schuppert 1993: 96f) bezeichnet, das Rahmensetzungen vorgibt, Korridore rechtlich erlaubten Verhaltens markiert, aber das Verhalten im Einzebien nicht genauer regelt. Hier ist eine deutliche Parallele des Ubergangs von Prognosen zu Szenarien in der Raumplanung zu sehen. Anstelle der Eindeutigkeit der zu entwickelnden Zukunft werden „Bilder moglicher Zukiinfte" entworfen, die dann einen Diskurs liber die „wtinschbare Zukunft" erzeugen. Diese veranderte Rechtsauffassung liegt in der praktischen Erfahrung begriindet, dass es „nicht oder nur begrenzt gelingt, Zwecke mit Hilfe des Rechts zu erreichen, die den Interessen der Regulierten zuwiderlaufen." (W. Hoffhiann-Riem 2003: 95) Ziel dieser innovativen Rechtsauffassung ist es, Anreize zu schaffen, um eine Rechtsbefolgung auch unter veranderten gesellschaftlichen Bedingungen zu erreichen. Diese Anreize werden in Verhandlungen und Interessenabstimmungen vorgenommen. Auch gibt es die Form des „Rechtsfi'eien Raumes", der z. B. mit Selbstverpflichtungen bzw. Selbstbeschrankungsabkommen eine gesellschaftliche Selbstregulierung ermoglicht. Im Falle, dass auf diesem Wege das gewiinschte Ziel nicht zu erreichen ist, kann zusatzlich regulativ eingeschritten werden (vgl. W. Hoffmann-Riem 2003: 96). Das entspricht ergebnisoffenen Partizipationsverfahren, wo ebenfalls der „fixe Rahmen" vorgegeben wird.
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Flir die Informationsgesellschaft und den rechtlichen Umgang mit Fragen des Datenschutzes und des IT- und Telekommunikationsrechts werden auch Konzepte der Co-Regulation verwendet, welche beschreiben, dass der Staat sich in den rechtlichen Regulierungen nicht vollkommen zuriicknimmt, aber die konkrete Ausgestaltung den gesellschaftlichen Akteurlnnen iibertragt (vgl. J. Bizer et al. 2002). Im Kontext der Medienregulierung lassen sich die Schliisselbegriffe der neuen Strukturen folgendermaBen definieren: Selbstorganisation bezeichnet den Prozess der Erstellung von Regeln und den Inhalt dieser Regeln, die nur in einer bestimmten Institution oder Organisation Anwendung finden. Selbst aufgestellte Regeln, die flir die Medienbranche bindend sind, werden als eine Steuerungsform der Selbstregulierung verstanden. „Regulierte Selbstregulierung" oder „Co-Regulierung" sind Arrangements, in denen die Formulierung, Aufstellung und Durchsetzung von Regeln in Zusammenarbeit zwischen den Medienunternehmen und den staatlichen Akteurlnnen vorgenommen werden (vgl. P. Donges 2004). 4
Urban governance-Modelle und die Partizipation als integrierte Strategic
Das Verstandnis von Partizipationsstrategien als integrierter Bestandteil von urban govemance-Modellen fiihrt dazu, dass als Folge des Zusammenspiels staatlicher und nichtstaatlicher Akteurlnnen die Konzeption hierarchischer Steuerung verlassen wird und wodurch die Rolle von Planenden erweitert und bisweilen neu definiert wird: Die klassische top-down-Planungsrolle einer hierarchischen Steuerung wird zugunsten einer kooperativ-koordinierenden Verhandlungsrolle aufgegeben. Fiir die kommunale Verwaltung bedeutet dies eine Rollenerweiterung um Moderation und Verhandlung in verwaltungsextemen und verwaltungsintemen Netzwerken. Im Folgenden wird Governance als eine „neue interaktive Form der Steuerung" verstanden, „in der private Akteure, verschiedene offentliche Organisationen, Biirgergemeinschaften oder andere Arten von Akteuren an der Verarbeitung von Politik teilnehmen" (G. Marcou et al. 1997 zit. nach J. Ferry 2003). Die Governance-Modelle basieren auf der zentralen Annahme, dass das Zentrum der effektiven politischen Steuerung nicht mehr durch den Staat reprasentiert ist, sondem Marktmechanismen als Steuerungssysteme sowie horizontale Selbstorganisation von Akteurlnnen als Altemativen und in Erganzung zum bestehenden hierarchischen System entwickelt werden: „Govemance indicates a new kind of social-political steering logic in the public sector characterised by a differentiated and multicentered political system with a mix
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of private and public actors participating directly in the decision making process without any clear hierarchic relation between the many centers and actors." (K. Sehested2001: lOf) In den folgenden Uberlegungen wird das Govemance-Konzept als eine folgenreiche Erweiterung der politischen Steuerungstheorie verstanden. Es wird hier nicht nur als Wechsel von Government zu Governance beschrieben, sondem es wird als eine grundsatzlich neue Steuerungsform begriffen, bei der neue Arrangements gesellschaftlicher Koordination in den Vordergrund treten. Das Governance-Modell beschreibt einen Wechsel in der Form des Regierens, der die Ablosung hierarchischer Modelle durch starker kooperativ vemetzte Strategien darstellt. Dariiber hinaus verwende ich das Govemance-Konzept als eine erweiterte Theorie zur Steuerung sozialer Ordnung, bei der die klare Trennung von Steuerungsobjekt und Steuerungssubjekt aufgehoben ist (vgl. R. Mayntz 2004). Governance benennt jede soziale Ordnungsform, die durch eine kollektive Regelung gesellschaftlicher Beziehungen entsteht, „von der institutionalisierten zivilgesellschaftlichen Selbstregelung iiber verschiedene Formen des Zusammenwirkens staatlicher und privater Akteure bis hin zu hoheitlichem Handeln staatlicher Akteure." (R. Mayntz 2003: 72) Das erweiterte Govemance-Konzept benennt fiir die staatliche Steuemng, die politische Regelung und eine planerische Umsetzung unterschiedliche Modi des Governance: Die sozialen Ordnungen von Staat, Markt und Gemeinschaft werden nach Streek und Schmitter (1985) von idealtypischen Prinzipien der Koordination und Allokation geleitet: Hierarchische Kontrolle (Staat), atomistische Konkurrenz (Markt) und spontane Solidaritat (Gemeinschaft) sind die Logiken der Regelungsstmktur. Der gesellschaftliche Stmkturwandel bringt eine neue Form von lokal verankerten, sozialen Netzwerkstmkturen hervor, wahrend gleichzeitig eine Abnahme hierarchischer staatsbezogener Steuemngsft)rmen eingesetzt hat (O. Frey 2006). Dieser gesellschaftliche Stmkturwandel flihrt zu einem Bedeutungsgewinn des Lokalen auf Kosten eines Einflussverlustes des Staates. Dadurch verandem sich die Reichweiten der Govemance-Modi und werfen die Frage nach der Moglichkeit der lokalen Ebene zur Steuerung sozialer Ordnungen auf. Der Rolle, welche die lokale Steuemng spielt, um die sozialraumliche Organisation unterschiedlicher Akteursgmppen zu berucksichtigen, geht dieser Artikel nach und versucht eine Erklarung dazu im Sinne von Hollingworth und Boyer (1997) zu fmden: „Specifically, we are interested in understanding the interaction of spacially-based forms of coordination with social systems of production. Economic coordination varies by territory, for social institutions are rooted in local, regional, national, or
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Oliver Frey even transnational political communities with their shared beliefs, experiences, and traditions." (J. Hollingsworth/ R. Boyer 1997: 25)
Durch diese Veranderung des klassischen hierarchischen Steuerungsverhaltnisses zwischen Staat und Gesellschaft verandert sich die Reichweite der jeweiligen Governance-Modi. Es erfordert im Rahmen des urban governance neue Verfahren, um die auf der sozialraumlichen stadtischen Ebene durch lokale Ortsgebundenheit hervorgebrachten sozialen Ordnungen zu beschreiben und zu steuem. „Govemance kann sich sowohl auf eine Handeln regelnde Struktur als auch auf den Prozess der Regelung beziehen; unabhangig von der Wortwahl im Einzelfall sind immer beide Aspekte impliziert." (R. Mayntz 2004: 5) Die Steuerungstheorien der Policy-Forschung gehen von einem akteursfokussierten Blick aus, der sich insbesondere auf Fragen der gesamtgesellschaftlichen Planung durch eine staatliche Lenkungsinstanz richtet (vgl. R. Mayntz 2004: 2), wobei jedoch das Wechselspiel zwischen Akteurlnnen und dem institutionellen Kontext (framing) bedeutend ist. Das erweiterte Govemance-Konzept beschreibt alle wesentlichen Formen der Handlungskoordination. Dieser Govemance-Ansatz wurde im Rahmen der Transaktionskostentheorie von Williamson (1979) entwickelt, der eine marktformige und eine hierarchische Koordinationsform okonomischen Handelns unterscheidet. Die Erganzung dieses Gegensatzpaares „Markt" und „Hierarchie" um Verbande (W. Streeck/ P. Schmitter 1985) und Netzwerke (W. Powell 1990) erweitert dann das Governance-Verstandnis um „die wie auch immer zustande gekommene Regelungsstruktur und ihre Wirkung auf das Handeln der ihr unterworfenen Akteure" (R. Mayntz 2004: 4f). In den Hintergrund tritt das Steuerungshandeln bestimmter Akteurlnnen. Dabei interessieren insbesondere die Formen der Handlungskoordination, die jenseits von Markt und Staat aufgebaut werden. Als typische Erscheinungsformen der Interaktion und Allokation von Gemeinschaft, Markt und Staat als soziale Ordnungen werden von Streeck und Schmitter (1985) „spontane Solidaritat", „unkoordinierte Konkurrenz" und „hierarchische Kontrolle" genannt. Der Govemance-Begriff wurde auch gewahlt, um einen Gegenbegriff zu „hierarchischer Steuerung" zu entwickeln. Durch das Zuriickdrangen der staatlichen Regelung und Steuerung, das mit Hilfe hierarchischer Modelle erfolgte, wurde eine Steuerung, die starker die Selbstorganisation von Communities im Blick hat, ermoglicht, so die These. Die Selbstorganisation der Communities oder lokaler Gemeinschaften basiert auf Vertrauen, Gegenseitigkeit und Verpflichtungen in einem Netzwerk. Diese Netzwerke sind durch einen vielfaltigen Mix aus Eigeninteressen und sozialer Verpflichtung unter Akteurlnnen gekennzeichnet, die formal unabhangig und gleichrangig sind.
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Unterschiedlichste Akteurlnnen (Firmen, staatliche Institutionen oder soziale Gemeinschaften) bilden und fiillen diese Netzwerkraume (vgl. J. Hollingsworth/ R. Boyer 1997). 5
Formen der Partizipation und des Empowerments in der Raumplanung
Die Strategien der Partizipation bestehen in • • •
einer Beteiligung der Verwaltung in enger Kooperation ihrer unterschiedlichen Ressorts im Sinne einer ressortiibergreifenden Steuerung von Planungsaufgaben, der Einbindung/ Zulassung privatwirtschaftlicher Akteurlnnen im Sinne von Public Private Partnerships und der Beteiligung von Akteurlnnen der Zivilgesellschaft mit dem Ziel, die Biirgerlnnen als aktive Mitgestalterlnnen zukunftsweisender und nachhaltiger Entwicklungsmoglichkeiten zu gewinnen.
Hier wird argumentiert, dass sich vor dem Hintergrund der urban govemanceModelle grundlegende Veranderungen im Selbstverstandnis europaischer Stadte und Gemeinden voUzogen haben. Im Rahmen der integrierten Stadtentwicklung, der sozialen Stadterneuerung (vgl. das Programm „Soziale Stadt" in Deutschland, „Politique de la Ville" in Frankreich etc.) und des Stadtumbaus haben sich vielfaltige Ansatze zur partnerschaftlichen Einbeziehung der Zivilgesellschaft herausgebildet (vgl. ftir Frankreich: O. Frey 2007c). Die Herausbildung einer aktiven Rolle der Stadtburgerlnnen hat sich im Zuge der 1970er Jahre und der oppositionellen Bewegungen innerhalb der Stadterneuerung in den meisten europaischen GroBstadten entwickelt. Dabei ging es nicht nur um die Mitentscheidung am Budget, sondem um Beteiligung an kooperativen und kommunikativen Prozessen der Mitwirkung in Planungstheorie und -praxis (vgl. H. Sinning 2006: 88). Sinning betont, dass durch diese Erfahrungen eine Belebung der lokalen Demokratie stattgeftmden hat, welche die „Mitverantwortung der Burger ftir die Gestaltung ihrer Stadte und Gemeinden" in den Blickpunkt geruckt hat (H. Sinning 2006: 88). Partizipation ist schrittweise also zu einem zentralen Bestandteil integrativer Stadt(teil)entwicklung, um Wirtschaftuntemehmen, Institutionen und Bewohnerlnnen geworden, nicht nur Uber MaBnahmen der Stadtentwicklung zu informieren, sondem auch aktiv einzubinden und zur Mitgestaltung einzelner Projekte zu gewinnen. Die intensive Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteurlnnen wird damit zum zentralen Bestandteil von urban governance. Dabei unterschei-
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den sich die europaischen Stadte beziiglich ihrer Beteiligungskultur deutlich einerseits von der Gewahrung von Mitspracherechten durch Politik und Verwaltung und andererseits beziiglich des Einfordems dieser Rechte durch die Biirgerlnnen selbst. Je umfangreicher die Problematik ist und je langer die Prozesse bereits andauem, umso umfangreicher und tiefer greifend sind in der Regel die Partizipationsverfahren. Erganzend zu den sektoralen top-down-Planungen werden im Rahmen der sozialintegrativen Stadt(teil)entwicklung im Zusammenwirken von Quartiersbevolkerung, lokalen Organisationen, Initiativen, Untemehmen, Verwaltungsressorts und der Politik verstarkt bottom-up-Strategien eingesetzt, welche eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den benachteiligten Quartieren zum Ziel haben. Die Bewohnerlnnnen werden in diesen Ansatzen verstarkt als die eigentlichen Expertlnnen vor Ort angesehen, die durch Partizipation in die Ziele und MaBnahmen eingebunden werden sollen. Partizipation, Aktivierung und Empowerment werden dadurch zu Schltisselfeldem der Stadt(teil)entwicklung, zumal in diesen Politik- und Verwaltungsfeldem in der Regel die Innovationen der stadtischen Beteiligungskultur entwickelt werden (vgl. fur Wien: O. Frey/ K. Smetana 2007 und M. El Khafif et al. 2005). Partizipation, Aktivierung und Empowerment konnen sehr unterschiedliche Formen annehmen. An unterster Stelle steht die Information betroffener Bevolkerungsgruppen. Uber Formen der Mitwirkung schon im Vorfeld von Entscheidungen (Ideenfmdung) bis hin zur kooperativen Mitentscheidung, der Selbstverwaltung und Eigenstandigkeit konnen schrittweise eigene Kompetenzen entdeckt, entfaltet und eingebracht werden (vgl. M. Liittringhaus 2000: 44). Empowerment ist dabei ein Konzept, mit dessen Hilfe Veranderungen des Ist-Zustandes anstrebt werden, indem durch spezifische Organisations- und Kooperationsformen eigene Ressourcen fur eine Selbstbestimmung aktiviert werden. Gerade in den ausgegrenzten und benachteiligten Stadtquartieren erfordem solche Sichtweisen eine Umkehr des Denkens von Benachteiligung und (staatlicher) Untersttitzung: Im Gegensatz zur Defizitorientierung erfordert ein Empowerment-Ansatz, die Ressourcen des Quartiers und dessen Bevolkerung zu entdecken, sie mit einer (neuen) Wertschatzung zu versehen und zu aktivieren, indem die vorhandenen sozialen Netzwerke und gemeinschaftlichen Beziehungen gestarkt und die Fahigkeiten der Individuen gefordert werden (empowerment).
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5.1 Ressortubergreifende integrierte Beteiligung der Verwaltung Die stadtische Verwaltung wird haufig im Partizipationsdiskurs „ubersehen". Zur Umsetzung der intemen Verwaltungsmodemisierung (horizontale und vertikale Integration) ist die Partizipation der Mitarbeiterlnnen der Verwaltung unerlasslich, ebenso zur Erfiillung ihrer Aufgabe als Organisatorin der neuen und intensivierten Kommunikationsprozesse, als Fordererin von mehr Selbstbestimmung und schlieBlich zur Optimierung nicht nur der Effizienz, sondem auch der Effektivitat von Verwaltungshandeln. Erst eine verstarkte Einbindung unterer Hierarchiestufen resp. nachgeordneter Ebenen der Verwaltung in Entscheidungen gibt den Mitarbeiterlnnen vor Ort die Moglichkeit, die notwendigen Raume fur Partizipation zu offiien. Da die Problemlagen vielschichtig miteinander verkntipft sind, braucht es vielschichtige Ansatzpunkte und Losungsvorschlage, die nicht von einer Institution allein geleistet werden konnen. Von daher ist es wichtig, bestehende Institutionen ressourcenorientiert miteinander zu vemetzen und sektorale Zustandigkeiten in der Verwaltung durch ressortiibergreifende Gremien zu ersetzen (vgl. J.S. Dangschat 1999). 5.2 Partizipation unterschiedlicher Bevolkerungsgruppen in der Stadtentwicklung Wichtig, mitunter aber auch schwierig ist es, in Frage kommende Gruppen oder Einzelpersonen anzusprechen und ftir eine Mitarbeit in welcher Form auch immer zu gewinnen. Auf einige in dieser Hinsicht wichtige Aspekte soil hier naher eingegangen werden. Es handelt sich dabei um: • • •
zielgruppenspezifische Beteiligungsformen, „schwierige" Partizipation „von schwierigen Bevolkerungsgruppen" sowie Biirgerlnnen als zivilgesellschaftlich organisierte Akteurlnnen.
Erfolge von Partizipationsprozessen sind davon abhangig, wie „organisierbar" die lokale Bevolkerung ist. Das Herausarbeiten gemeinsamer Sichtweisen und Bediirfiiisse sozialer Gruppen in Quartieren ist zentral; dabei ist aber auch in einem offenen Prozess der Beteiligung darauf zu achten, dass die Heterogenitat der individuellen Bediirfhislagen von Gruppen und die Lebenswelt der sozialen Akteurlnnen in den jeweiligen Beteiligungsmodellen berlicksichtigt werden. Besonders wichtig ist die Mobilisierung jener Bevolkerungsgruppen, die nicht iiber Postwurfsendungen zur Teilnahme motivierbar sind. Sei es, dass ihre Alltagssituation die Beteiligung zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten
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erschwert, sei es, dass sie eine andere Sprache sprechen und andere kulturelle Erfahrungen mitbringen und daher solche Partizipationsansatze anders bewerten. Um auch diese Bewohnerlnnen zu aktivieren, miissen seitens der Prozessverantwortlichen geeignete Wege der Beteiligung und Kommunikation gesucht werden. Die Einbindung schwierig zu beteiligender Gruppen (Migrantlnnen, Kinder, Jugendliche, altere Menschen, Menschen mit niedriger Schulbildung oder geringer kommunikativer Kompetenz) sollte iiber Multiplikatorlnnen, aktivierende Befragung und generell iiber das Eingehen auf die momentane Lebenssituation der Zielpersonen und deren jeweilige individuellen Bediirfiiisse und Probleme erfolgen. Wichtig fur eine erfolgreiche Aktivierung unterschiedlicher Bevolkerungsgruppen ist die Herstellung eines Klimas der Vertrautheit und Ehrlichkeit. Dieses Klima muss schon im Vorfeld der AktivierungsmaBnahmen herrschen, um auch diejenigen Personen einbinden zu konnen, welche eher mit Skepsis solchen Verfahren gegeniiberstehen. Gerade bei der Gruppe der Migrantlnnen ist es zudem wichtig, schon im Vorfeld die Unterschiedlichkeit innerhalb dieser Bevolkerungsgruppe in Betracht zu ziehen. Partizipation besitzt stets zwei Aspekte: zum einen die Personen oder Gruppen, die beteiligt werden wollen und eine gesellschaftliche Teilhabe einfordem, zum anderen die der politischen Institutionen, die uber die Entscheidungsmacht verfiigen und partizipative Prozesse zulassen, fordem oder blockieren. Dass eine Gruppe „schwierig zu beteiligen" ist, ist vor allem eine AuBenwahmehmung. Es geht letztlich immer um die Frage: Wer entscheidet, wer sich beteiligen darf? Bei alien Beteiligungsprozessen muss zuerst eine Abklarung von Rahmenbedingungen stattfmden. In dem Beteiligungsprozess braucht es Vermittlerlnnen zu „leisen" Gruppen: Beispielsweise mtissen Wtinsche der Kinder von Erwachsenen iibersetzt werden. In Beteiligungsprozessen braucht es flexible Partnerlnnen in der Verwaltung, welche die notige Geduld und das erforderliche Vermogen besitzen, das Gewicht und die Berechtigung auch „leise" und zuriickhaltend vorgetragener Argumente zu erkennen (vgl. A. Breitfiiss et al. 2004). 6
Creative governance und die Integration von Heterarchien in der strategieorientierten Planung
Die jiingste Govemance-Literatur beschaftigt sich mit den Fragen einer „kreativen urban governance", mit der man in der Lage ist, auf die Herausforderungen der Wissensgesellschaft zu reagieren, indem durch neue Govemance-Ansatze in den jeweils spezifischen sozialraumlichen Arrangements Kreativitat und Innovation gefbrdert werden. Als eine Voraussetzung dafur wird gefordert, dass sich
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der Staat zunehmend aus der direkten Kontrolle und Regelung gesellschaftlicher Ablaufe zuruckzieht und sich im Sinne des Konzeptes von urban governance verstarkt zu „heterarchischen" (G. Hedlund 1996: 1 zit. nach K. Einig etal. 2005: II), netzwerkartigen Formen der Koordination hinwendet (D. Fiirst 2003: 443 zit. nach K. Einig et al. 2005: II). Die veranderte Rolle von Stadtplanung in der Wissensgesellschaft (vgl. B. Streich 2005) ist auf den Wandel von Government mit seinen traditionellen Instrumenten und Methoden der top-down-Planungen hin zu Governance mit starker kooperativen, koordinierenden und vermittelnden Methoden und Instrumenten zuriickzufiihren. Die KontroUfunktionen der Stadtplanung im Rahmen der Entwicklung des dynamischen stadtischen Prozesses mit Bebauungs- und Masterplanen sowie regulierenden Normen werden zumindest erganzt und erweitert. Durch die zunehmende Heterogenitat sozialer stadtischer Lebenswelten und ihrer sozialraumlichen Verankerung wird die Stadtplanung vor die Aufgabe gestellt, neue Instrumente und innovative Strategien der Intervention zu suchen. Dabei sind kreative Mischungsformen und eine unkonventionelle Kombination unterschiedlicher Strategien gefordert. War Stadtplanung lange Zeit durch eine Interventionsstrategie an konkreten baulich-raumlichen Orten gekennzeichnet, um dort Eingriffe in die baulich-physische Materialitat des Stadtraumes vorzunehmen, so mtissen heute verstarkt Interventionen in zum Teil ortslose und raumlich entbettete, zum Teil aber auch ortsgebundene Netzwerke erfolgen. Die Starkung sozialer Strukturen - jeweils in ihrem spezifischen Wechselverhaltnis zu den baulich-raumlichen Verankerungen - durch Empowerment oder Vemetzungsstrategien ist zu einem weiteren Aufgabenfeld der Stadtplanung geworden. Es mtissen hierbei Strategien entwickelt werden, die auch nicht-investive (im Sinne der Investition in sozial-raumliche Strukturen) MaBnahmen einschlieBen. Im Sinne eines kreativen Govemance-Modelles innerhalb der Stadtplanung geht es vor allem darum, neue Denkansatze zu entwickeln, wie sich durch Stadtplanung nicht nur materielle Verbesserungen in der stadtischen Struktur, z. B. durch Baugesetze oder Nutzungsplane, durchsetzen lassen. Mogliche MaBnahmen oder Wege zur Herstellung immaterieller oder ideeller Verbesserung in den stadtischen Lebensbedingungen konnen z. B. zur Schaffung einer toleranten urbanen Kultur und dem Zulassen temporarer Experimente oder kurzfristiger Pilotprojekte fiihren. 7
Ein neues Verstandnis: Raumplanung jenseits von Eindeutigkeiten
Grundlage der Entwicklung von den hier im Mittelpunkt stehenden urban governance-Modellen ist die Aufhebung der klaren Trennung von Steuerungsobjekt
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und Steuemngssubjekt. Dazu konnte es kommen, well die positivistische Auffassung einer uber rationales Verhalten und Handeln gesteuerten Entwicklung gesellschaftlicher Zusammenhange ins Wanken geraten ist, weil es sich wiederholt als unzureichend erwiesen hat. Das rationale Planungsverstandnis, welches von dem Bild eines planenden Fachmannes gepragt war, der unter Zuhilfenahme objektiver wissenschaftlicher Methoden und Instrumente einen „guten" Plan entwickelt und umsetzt, wurde durch die Erkenntnis eingeschrankt, dass Wissenschaft, Politik und Okonomie durch subjektive, emotionale und individuelle Faktoren viel starker als angenommen in ihren Wertsetzungen und Normen gepragt sind. Dadurch wurden die Grenzen einer objektiven rationalen Planung sichtbar: Fachliche Kompetenzen reichen nicht mehr aus, um die vielfaltigen und heterogenen Lebenswelten der Planungsbetroffenen zu verstehen. Informationen iiber die Entwicklungen von Lebenswelten unterschiedlicher Milieus und deren Bedtirfiiisse, veranderte Nutzungsstrukturen und Verhaltensweisen sind nicht ausreichend aus „objektiven" Statistiken ablesbar. Umgesetzte PlanungsmaBnahmen stoBen vermehrt auf den Widerstand Planungsbetroffener. Gesellschaftliche und raumliche Entwicklungen sind untibersichtlich geworden: Polaritaten haben sich aufgelost: nicht mehr die Planerlnnen „dort oben" und die Betroffenen „dort unten". Die Vemetzungen, Gemengelagen und Verbindungen der Betroffenen untereinander sind dabei verstarkt ins Blickfeld geraten. Dabei ist auch deutlich geworden, dass der jeweils spezifische raumzeitliche Kontext eine wesentliche Rolle bei der Auspragung dieser Vemetzungen und Vermengungen spielt. Planung kann daher nicht mehr eindeutig sein. In der Planungstheorie werden diese Prozesse jedoch erst rudimentar wahrgenommen. Dort wird von einem Ubergang von der Entwicklungsplanung zu Perspektivenplanung geschrieben (vgl. G. Albers 1993: 97) oder „vom Denken, orientiert am technischen Planemachen', zum Denken in Planungsprozessen" (D. Fiirst 2005: 21). Die Raumplanung als Disziplin verwendet zwar neue Begriffe flir Handlungen, Denkweisen, ihre Instrumente und Methoden. Im Prozess dieser Neupositionierung von Planerlnnen und ihrer Disziplin wird deutlich, dass sich das Selbstbild verandert. Die These memes Beitrages ist, dass im Rahmen des eingebunden Seins in Prozesse des urban governance auch starker die Grenzen des Planens in den Vordergrund gertickt werden mussten. Dabei kristallisiert sich immer mehr die Doppelrolle des bzw. der Planenden heraus: Die des bzw. der Planenden als Subjekt und die vermeintlich objektive Rolle der Profession. Im postmodemen Weltbild bietet sich nun mehr Platz ftir den Menschen als widersprtichliches, fragmentiertes Wesen, das als Kopf und Korper gemeinsam existiert und dabei die Trennung von Subjekt und Objekt obsolet wird, da eine Subjektivierung aller Aspekte des Lebens, inklusive der Wissenschaft erfolgt.
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„Die Postmodeme denkt den Menschen von der Seite seines Anderen her, von einer kulturgeschichtlich impragnierten und biographiegeschichtlich verborgen gemachten Schattenseite. Dies ist auch die Seite der Empfindungen, der Leiblichkeit, der Affekte - es ist die Seite jener Eindriicke, die ebenso zur Irritation fiihren wie zur Kreativitat, zur Passivitat wie zur Aktivitat." (J. Hasse 2003: 27) Fiirst beschreibt das Selbstbild des Planers bzw. der Planerin als tJbergang von einem „,Gottvater-Modeir mit rationalem Steuerungsanspruch" (D. Fiirst 2005: 20) zum Planer bzw. zur Planerin als Managerin und Prozessbegleiterln. Dieser Wandel des Selbstbildes ist (oft unfreiwillige) Folge einer Zunahme von Uneindeutigkeit und einer Abnahme an Steuerbarkeit. Planung reagiert damit starker auf auftretende Veranderungen. Die Strategic der Planung sollte darin bestehen, unterschiedliche subjektive Sichtweisen, unterschiedliche Erfahrungen und divergierende Interessen durch eine weit gefasste Partizipation einzubeziehen. In einem Aufsatz mit dem Titel „Tun und Lassen: Ein koplementares Konzept der Lebenskunst" betont Belscher (2001) aus Sicht der intentionalen Selbstentwicklung, dass das „Selbst" ein aktives autopoietisches System sei, welches seine Kontinuitat und Konsistenz sichert und gegen Bedrohungen verteidigt. Im Rahmen dieses Prozesses gewinnt das „Lassen" und Nicht-Planen an Bedeutung. Ftir die Planerlnnen konnte dies eine Anerkeimung von ungesteuerten und unplanbaren Prozessen bedeuten, denen bewoisst ein Entwicklungsraum zugestanden wird: „Nicht-Tun meint also: Das eigene absichtsvolle Wollen muss aufgegeben werden; das planende Ich muss zuriicktreten; der Wunsch nach Kontrolle muss aufgegeben werden. Unter solchen Vorraussetzungen entsteht ein Zustand des Bewusstseins, in dem die Person einerseits hellwach ist und gleichwohl nicht mehr von ihrem ichhaften Wollen bestimmt ist." (W. Belscher 2001: 6) Es geht nicht mehr darum, dass die hoheitliche Planung Strategien entwirft, wie lokale Gemeinschaften und Milieus sowie zivilgesellschaftliche Strukturen zu steuem sind, sondem im Kern geht es um eine Strategic daflir, den Rahmen so zu setzen, dass sich Selbststeuerung und Selbstorganisation entfalten konncn. Ziel ist es, eine Starkung der zivilgesellschaftlichcn Strukturen gegenuber Markt und Staat zu erreichcn. Um cine Akzeptanz dieser neuen Sicht von Planung zu fordem, sind neue Aspekte des Verfahrens aufzugreifen. Hierunter fallen insbesondere Gesichtspunkte wie: Planung der „Nicht-Planung", als eine planerische Rahmung des nicht Geplanten; Zielvereinbarungen zwischen den Akteurlnnen, der Ausgleich zwischen Gemeinwohl und partikularen Interessen, Absicherung und Verantwortung evt. auch Haftung, der Umgang mit dem „Recht" des bzw. der Starkeren (vgl. O. Frey 2007a).
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Oliver Frey Regulierte Selbststeuerung in der Raumplanung und die Kunst des Planens von „Nicht-Planung"
Kreative urban governance durch die Stadtplanung bedeutet auch, Offenheit gegeniiber zukiinftigen Entwicklungen zuzulassen. Flexibilitat und Diversitat in der raumlichen Entwicklung zu ermoglichen, bedeutet fur den Einsatz von Regelungen und Normsetzungen, dass zukiinftige Entwicklungsmoglichkeiten fur vielfaltige Nutzungen und Bebauungen offen gehalten werden, indem die Stadtplanung nicht eindeutig vorgibt, innerhalb welchen Rahmens weitere kiinftige Entwicklungen stattfinden. Die uneindeutige und unklare Definition von Nutzungs- und Bebauungsregelungen kann indes auch vielfaltige Formen von Konflikten um den stadtischen Raum hervorrufen. Urban governance verlangt dann auch das Aushalten und Austragen von Konflikten sowie eine vermittelnde Position, die schwachere Personen und Gruppen durch die Beriicksichtigung in Planen und Regulationen starkt. Aufgabe ist es, der zunehmenden Heterogenitat sozialen Lebens in Regulationsformen Rechnung zu tragen und nicht nur dominanten Gruppen zur Durchsetzung ihrer Interessen zu verhelfen. Um die vielfaltigen Konzeptionen des sozialen und kulturellen Lebens in einer Stadt durchzusetzen, muss die Stadtplanung jedoch verlassliche Rahmen fiir die ungeplanten, spontanen, in der Zukunft liegenden Prozesse lassen. ZeitgemaBe Planung wird Instrumente vorsehen mtissen, welche den Verzicht auf liickenlose Durchplanung ermoglichen und die Zulassung planungsfreier Raume gewahrleisten. Diese „begrenzte Offenheit" einer „Planung des Nicht-Planens" lasst flexiblere Reaktionen auf gesellschaftlichen und gruppenspezifischen oder auch individuellen Wandel der Bedtirftiisse und Lebenslagen zu. Die dadurch entstehenden Spielraume - untersttitzt durch die neu zu schaffenden Instrumente der ,J^icht-Planung" - konnen von den Akteurlnnen selbst gestaltet, selbst organisiert und flexibel bespielt werden. Die Stadtplanung im Sinne einer „Nicht-Planung" wird „unauffallig" sein, nicht vorgeben, sondem ermoglichen. Die Entwicklung stadtischer Gesellschaften ist in vielen Bereichen unvorhersehbar und kaum planma13ig festlegbar (vgl. O. Frey 2007b). Patsy Healey formuliert die Aufgabe einer Starkung der Selbstorganisation innerhalb der unterschiedlichen stadtischen Milieus folgendermaBen: „Govemance practices would encourage self-management and self-regulation, but without downloading responsibility for skilled tasks such as maintaining financial accounts and ensuring compliance with necessary regulations." (P. Healey 2004: 17) Sie weist also darauf hin, dass das Zulassen von bottom-up-Prozessen der Selbstregulierung nicht mit einem Laissez-faire zu verwechseln ist.
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Forderung urbaner Vielfalt und Toleranz in den Quartieren und Nachbarschaften, eine soziale Mischung und Heterogenitat von sozialen und kulturellen Lebensentwiirfen sowie die Erzeugung einer anregenden Urbanitat im stadtebaulichen und sozialen Sinn konnen durch neue Planungsansatze erreicht werden. Zu diesem Zweck mlissen neue Formen der kreativen urban governance eingesetzt werden, um neue kreative Institutionen und Akteurlnnen zu unterstutzen. Es miissen aber auch Investitionen in innovative sozialraumliche Netzwerke gewagt werden. Strategien der Stadtplanung konnen dabei sein: Etablierung stadtischer Plattformen, Foren, think-tanks oder Netzwerke von innovativen stadtischen Akteurlnnen (vgl. fiir creative governance in regionalen Kontexten: K.R. Kunzmann 2004: 7). Diese Starkung kreativer und innovativer Ideen braucht auch ganz konkrete Orte mit einem offenen Zugang und flexiblen raumlichen Strukturierungen und Anordnungen. Lemprozesse und Innovationen verlangen vielfaltige Begegnungsmoglichkeiten und oftmals offene Raumstrukturen. Fiir das Entstehen von Innovationen miissen neue Wege eingeschlagen werden, die zu einer Forderung jenes Denkens hinflihren, das sich eher ein experimentelles Lemen zu Eigen macht als sofort die mit einem innovativen Projekte verbundenen Schwierigkeiten zu betonen. Kunzmann sieht in der Errichtung neuer Institutionen eine Chance neue Wege einzuschlagen: „(...) [it] require[s] the estabhshment of new institutions, as the existing ones do not have the credibiHty of being able to cope with innovative action. Only newly established institutions, with new persons in leading positions, seem to have the required momentum for coping with new challenges." (K.R. Kunzmann 2004: 9) Literatur Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (2005): Handworterbuch der Raumordnung. Hannover: ARL Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (1988): Methoden und Instrumente raumlicher Planung. Hannover: ARL Albers, Gerd (1993): Uber den Wandel im Planungsverstandnis. In: Raumplanung 61. 1993.97-103 Allmendinger, Philip: Towards a post-positivist typology of planning theory. In: Planning Theory 1/1.2002. 77-99 Arras, Hartmut E. (1988): Szenarien als Instrumente zur Kommunikation, In: Institut fur Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS) (Hrsg.) (1988): 27-38 Bechmann, Armin (1981): Grundlagen der Planungstheorie und Planungsmethodik. Bern/ Stuttgart: Verlag Paul Haupt
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Lokale lebensweltnahe Interessen u. gesamtstadtische Entwicklungsprozesse Verkniipfung ohne gegenseitige Vereinnahmung
Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik
1
Einleitung
Die Verkniipfung von bottom-up- mit top-down-Zugangen ist eine der groBen Herausforderungen, der sich Politik, Verwaltung, Stadtentwicklung und -planung sowie Gemeinwesenarbeit derzeit stellen. Die Untersttitzung der Teilhabe lokaler Akteurlnnen wird derzeit aus einer zivilgesellschaftlichen Logik als bottom-uporientierter Prozesse genauso betrieben (z. B. innerhalb der Lokalen Agenda 21/^, wie als top-down Strategie der Beteiligung an der Stadt(teil)entwicklung (etwa die Einbindung bei der Erstellung von Entwicklungsplanen). Es besteht die Herausforderung, beide Zugange ftir Verwaltung, Politik, und lokale Akteurlnnen befriedigend und Nutzen bringend zu verkniipfen. Denn die Notwendigkeit, Burgerlnnen in lokale und gesamtstadtische politische Prozesse einzubinden, hat sich in den letzten Jahren auf Grund von europaischen Programmen (Beriicksichtigung partizipativer Elemente bei der Stadt- und Regionalentwicklung im Rahmen von EFRE, Zielgebiet 1+2, ESF, URBAN etc.) und zivilgesellschaftlichem Druck^^ erhoht (vgl. auch M. LUttringhaus 2000): Die Anspriiche von Btirgerlnnen steigen, dass ihre Interessen in den politischen Entwicklungs- und Planungsprozessen Gehor erhalten. Darliber hinaus nimmt die Diversitat der Interessen der Burgerlnnen zu und differenziert sich entlang von Milieus und Lebensstilgruppen aus. Diese Ausdifferenzierungen sind begleitet und verursacht durch ein wachsendes soziales Ungleichgewicht zwischen Milieus und Schichten und durch einen geringer werdenden Spielraum staatlicher Institutionen. Wir stehen daher heute vor der Frage, wie die Teilhabe von Btirgerlnnen auf welchen Handlungsebenen unterstiitzt werden kann. Der Weg dahin fiihrt ^^ Die Lokale Agenda 21 in Wien ist zwar als top-down-Prozess zu verstehen, da er politisch initiiert wurde, aber in der Ausrichtung der Wiener Prozesse in der operativen Arbeit sind vielerorts bottomup-orientierte Vorgehensweisen zu finden. So kOnnen Agenda-Prozesse als soziale Raume, in denen Interessen von Burgerlnnen handlungsanleitend sind, verstanden werden (vgl. M. Diebacker 2004a; F. Astleithner et al. 2002; Wissenschaftszentrum Wien 2002) ^^ Als Beispiel soil hier der Konflikt urn die Flachenwidmung des Sportgelandes Sensengasse genannt werden (vgl. E. Hammer 2004a).
Lokale lebensweltnahe Interessen u. gesamtstadtische Entwicklungsprozesse 251 iiber die Frage, wie bottom-up-Zugange mit top-down-Strategien verkniipft werden konnen. 2
Teilhabemoglichkeiten fiir Burgerlnnen
Die Beteiligung von Burgerlnnen an der Entwicklung „ihrer" Stadt und „ihres" Stadtteils wird daher von zwei Entwicklungen maBgeblich beeinflusst: von der zimehmenden Ausdifferenzierung der Interessen von Biirgerlnnen entlang von Milieus und von der zunehmenden Armut in den Stadten. Die Lebensstile werden vielfaltiger, und damit die Interessen unterschiedlicher Milieus (vgl. u. a. U. Beck 1986; J. Habermas 1981). In den Staddteilen treffen „ruhebediirftige" autochthone Bevolkerungsgruppen auf „bewegungshungrige" allochthone Jugendliche, mit dem Stadtteil verkniipfte weniger gebildete auf raumlich sehr mobile, kosmopolitische Bewohnerlnnengruppen. Die Ungleichheiten zwischen den Milieus wachsen. Je nach Kapitalausstattung (kulturelles, soziales, okonomisches und symbolisches) und ihrer Milieuzugehorigkeit verfiigen Individuen tiber mehr oder weniger Moglichkeiten der Interessensdurchsetzung (P. Bourdieu 1985). Gleichzeitig verliert die Politik an Einflussmoglichkeiten, einerseits auf Grund einer neoliberalen Wirtschafts- und Steuerpolitik, andererseits auf Grund der Verschiebung nationalstaatlicher Agenden in supranationalen Institutionen (EU, GATS,...). Zusatzlich verursachen demographische Entwicklungen mehr Kosten und bringen weniger Einnahmen fiir staatliche Aufgaben^"^. Die damit einhergehende Demokratiekrise starkt die einen Akteurlnnen gegeniiber anderen. Burgerlnneninteressen verlieren gegeniiber okonomischen Interessen groBer Investorlnnen an Bedeutung. Die Verkntipfung der direkten Demokratie mit einer zu entwickelnden partizipativen Demokratie konnte die Biirgerlnnen-Interessen wieder starken. Damit ursachlich verkniipft ist die zweite Entwicklung: Die Armut in Stadten wachst. Die Anzahl der Sozialhilfebezieherlnnen^^ steigt, die Unterschiede zwischen Arm und Reich wachsen^^, die soziookonomische Segregation (vgl. A. Breitfiiss et al. 2004) steigt und die soziale AusschlieBung nimmt an Bedeutung zu (vgl. H.-U. Otto/ H. Ziegler 2004). Die Beteiligung der Burgerlnnen soil ^'^ vgl. Bundesministerium fiir soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2004): Bericht uber die Soziale Lage 2003-2004. Wien ^^ vgl. Braitenthaller, Rudolf/Kellner, Johannes /Monschein, Johannes /Miiller, Stephan /Neubauer, Nicole (2006): Die Umstrukturierung des Wiener Sozialhilfevollzuges und ihre Auswirkungen auf die Sozialarbeit. Forschungsbericht im Rahmen der Forschungswerkstatt am fh-campuswien, Studiengang Sozialarbeit. Wien 36 vgl. Bundesministerium fiir soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2004): Bericht iiber die Soziale Lage 2003-2004. Wien
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Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik
einen Beitrag zur Entwicklung benachteiligter Stadtteile leisten"^^ - Armut soil durch endogene Ressourcen und durch die Teilhabe lokaler Akteurlnnen an Entscheidungen bekampft werden. Tatsachlich hangen diese beiden Aspekte eng zusammen: Teilhabe an gesellschaftlichen Teilsystemen hat mit der Ausstattung der Individuen und Gruppen mit kulturellem, sozialen, okonomischen und symbolischen Kapital zu tun. Es geht um die Teilhabemoglichkeiten von Biirgerlnnen, es geht darum, wer Einfluss auf die Stadtentwicklung haben soil, es geht darum, ob und wie stark reprasentative Politik steuem soil und wie die Macht von Investorlnnen kontrolliert werden kann. Wenn aber die Teilhabemoglichkeiten von Biirgerlnnen unterstiitzt werden sollen, macht es Sinn, dass die unterschiedlichen Ebenen der Ausgrenzungen und Integration, bzw. Teilsysteme, Beriicksichtigung fmden - die okonomische, die politische, soziale und kulturelle Integration auf den Ebenen der EU, der Nationalstaaten, der Stadt, des Quartiers und der Individuen (vgl. J.S. Dangschat 2000). Politische Teilhabe kann nicht abgetrennt von wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe betrachtet werden. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es mehr als legitim, partizipative Stadtentwicklung in Verknlipfung mit lokaler Armutsbekampfung zu diskutieren. Teilhabemoglichkeiten werden vielfach auf lokale politische Beteiligung reduziert: Menschen wtirden sich erst beteiligen, wenn sie okonomisch und sozial abgesichert seien. Das stimmt so nur, wenn die gesellschaftliche Teilhabe eben auf hochschwellige Beteiligungsverfahren reduziert wird. Wenn von den Interessen der Betroffenen ausgegangen wird, deren Lebenswelten und strukturellen Determinierungen berticksichtigt werden und entsprechende Methoden zur Anwendung kommen, dann beteiligen sich auch Biirgerlnnen, die soziookonomisch nicht abgesichert sein. Dann geht es dabei um die Frage, wie Menschen sich beteiligen konnen, damit sich ihre okonomische und soziale Absicherung verbessert (vgl. auch C. Munsch 2003). Zu beriicksichtigen ist, dass die Ursachen sozialer Ungleichheiten im sozialen Raum nicht im Lokalen zu fmden sind (vgl. P. Bourdieu 1997; J. Dangschat 2000; F. Kessel et al. 2002). Soziale Ungleichheiten manifestieren sich allerdings im sozialen und geographischen Raum, ausgedriickt durch einen Habitus, durch milieuspezifische Teilhabechancen und -hindemisse oder durch die Ausformung des physischen Raums (Architektur). Um soziale Ungleichheiten zu bearbeiten, muss an verschiedenen Handlungsebenen angesetzt werden. Einerseits miissen die Eigenheiten, die Lebenswelten, die Beschrankungen und Ressourcen, die sich in den Milieus finden, berticksichtigt werden. Andererseits miissen Zugange zu Bildung, Arbeit, Lebenserhaltung, Infrastruktur und politischer Teilhabe ge37 beispielsweise durch das Bundesdeutsche Bund-Lander-Programm Soziale Stadt, oder das Wiener Pilotprojekt Gratzelmanagement (vgl. u. a. H.A. Ries etal. 1997; M. Alisch 2001: 7f; M. Krummacher et al. 2003: 17-50; C. Stoik 2005)
Lokale lebensweltnahe Interessen u. gesamtstadtische Entwicklungsprozesse 253 schaffen und geschutzt werden. Sozialraumliches Vorgehen muss mit sozialpolitischen Strategien verzahnt werden (vgl. u. a. J.S. Dangschat 2000, M. Knimmacher et al. 2003). Diese Zugange konnen nicht nur lokal geschaffen werden, sondem sind gesamtstadtische, nationale und supranationale Aufgaben. Sie mussen allerdings der lokalen und milieuspezifischen Logik angepasst werden, um Lebenswelten gerecht werden zu konnen und diese zu erreichen. Daraus ergeben sich mehrere Handlungsebenen in Bezug auf die Stadtentwicklung: 1. 2. 3. 4.
die Lebenswelten mit ihren sozialraumlichen Logiken und geographischen Auspragungen in den Stadtteilen, die Entwicklung der lokalen Stadtteile (Quartiere, Viertel) und der Bezirke, Gesamtstadtische Stadtentwicklung und nationale und supranationale Schaffung und Sicherung von Teihabemoglichkeiten.
Im Folgenden soil betrachtet werden, wie gehandelt und gesteuert werden kann, um mehr Teilhabe von Blirgerlnnen zu ermoglichen. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die ersten drei der beschriebenen Handlungsebenen und die Verkntipfungsmoglichkeiten zwischen ihnen. 3
Die Lebenswelt - der bottom-up orientierte Zugang
Die Lebenswelt als erste Ebene ist untrennbar mit bottom-up-Prozessen verkniipft, denn die Lebenswelt ist der Bereich, in dem die Interessen von Menschen im lokalen Raum zum Ausdruck kommen. Diese Interessen ergeben sich aus individuellen Vorstellungen und sind verbunden mit dem Umfeld, mit den Handlungsmoglichkeiten und -einschrankungen der Individuen. Sie sind also mit dem Individuum und den sozialen Prozessen zwischen den Individuen verkniipft. Menschen sind im Allgemeinen daran interessiert, von ihrer sozialen Umgebung respektiert und akzeptiert zu werden. Diese lebensweltlichen verstandigungsorientierten Interessen werden jedoch von den Systemwelten Politik und Okonomie Uberlagert, die nach einer anderen Logik funktionieren (z. B. die Nutzung einer Freundschaft, um sich berufliche Vorteile zu ermoglichen, oder die Anwendung verstandigungsnaher Gesprachsfiihrung bei der Anwerbung von Kundlnnen). Dariiber hinaus entkoppelt sich die Lebenswelt von den beiden Systemwelten. Allerdings handeln Menschen in ihren Lebenswelten nicht ausschlieBlich verstandigungsorientiert (ausgerichtet auf ein gegenseitiges Verstehen und Respektieren), sondem auch strategisch, mit dem Interesse nach einem Zugewinn an
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Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik
okonomischem oder sozialem Kapital bzw. Macht. Lebensweltliche verstandigungsorientierte Interessen in den Stadtteilen verlieren dadurch an Relevanz gegeniiber gewinnorientierten und machtsteigemden Interessen in den Systemen Staat und Okonomie (vgl. u. a. J. Habermas 1981; K. Grunwald/ H.Thiersch 2005). Aus dieser Perspektive macht es Sinn, zwischen bottom-up- und top-downProzessen zu unterscheiden, da sie auf unterschiedlichen Logiken basieren. Fiir eine Verkntipfiing von bottom-up- und top-do wn-Prozessen mils sen diese Logiken aufeinander bezogen werden. Diese Verkniipfiing herzustellen, fallt in den Arbeitsbereich der Gemeinwesenarbeit als professionelles Handeln zwischen Lebenswelten und Systemwelten. Der Gemeinwesenarbeit geht es einerseits darum, aus den Lebenswelten heraus Interessen sichtbar und wirksam zu machen, andererseits geht es um die Organisation von Austauschprozessen zwischen den Welten. Im Folgenden werden Zugang, Selbstverstandnis und Handlungsoptionen der Gemeinwesenarbeit beschrieben^^. Das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit, wie es Dieter Oelschlagel schon Anfang der 1980er Jahre defmiert hat, bietet auf der Handlungsebene der Lebenswelten und Milieus einen Zugang fur professionelles Handeln (vgl. u. a. J.J. Boulet etal. 1980; M. Ltittringhaus 2001; H.A. Ries 1997; aber auch K. Grunwald/ H. Thiersch 2005). Das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit wird als integriertes Handlungskonzept verstanden, das unterschiedliche Teilsysteme und Lebensbereiche der Menschen beriicksichtigt. Durch die Interdisziplinaritat werden Sichtweisen und Logiken unterschiedlicher Disziplinen und Professionen beriicksichtigt (v. a. Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre. Psychologic, Sozialarbeit, Planung, Architektur). Bin niedrigschwelliger, lebensweltnaher Zugang zu den Interessen der lokalen Akteurlnnen wird gesucht. Die Gemeinwesenarbeiterlnnen^^ handeln zuerst ergebnisoffen, interessiert an den Interessen und Lebenswelten der Menschen im Stadtteil. Dabei geht es darum, in die sozialen Raume „hineinzuhoren", die relevanten Interessen und Bedtirfhisse aufzuspliren, ohne die Eigensinnigkeiten der Lebenswelten gleich in Frage zu stellen bzw. diese verandem zu wollen. Die Steuerung der Aushandlungsprozesse auf dieser sozialraumlichen bzw. lokalen Ebene liegt nicht ausschlieBlich bei den Gemeinwesenarbeiterlnnen, sondem vor allem auch bei den betroffenen Menschen vor Ort. In einem diskursiven Verfahren ^* Bottom-up-Prozesse, bei denen professionelle Unterstutzung keine Rolle spielt (z. B. bei den meisten Burgerlnneninitativen) werden in diesem Beitrag nicht vertieft. ^^ Im folgenden wird nur von Gemeinwesenarbeiterlnnen geschrieben, gemeint sind auch „StadtteilarbeiterInnen", „QuartiersmanagerInnen" und „GratzelmanagerInnen", wenn ihr Handeln in der Tradition des Arbeitsprinzipes GWA verstanden wird.
Lokale lebensweltnahe Interessen u. gesamtstadtische Entwicklungsprozesse 255 werden Interessen abgeklart, Widerspruche und Konflikte offen gelegt und gemeinsam weitere Schritte geplant. Dabei geht es nicht darum, Probleme im sozialen Raum zu losen, deren Ursachen nicht im sozialen Raum zu suchen sind, sondem die Menschen dabei zu unterstiitzen, ihre Interessen zu artikulieren. Sie konnen Handlungsspielraume entwickeln, wenn ihnen nicht von auBen gesagt wird, wie es richtig geht, sondem wenn sie bestarken werden, sich selbst zu organisieren und sich zu emanzipieren. Den Gemeinwesenarbeiterlnnen fallt dabei die Aufgabe zu, diese Selbstorganisations-, SoHdarisierungs- und Emanzipationsprozesse zu begleiten. Sie reflektieren die Prozesse mit den Menschen, sie vermitteln zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen, sie schaffen Zugange zu Informationen und Wissen sowie zu relevanten Kontakten. Gemeinwesenarbeiterlnnen untersttitzen also nicht nur die Bildung horizontaler Netzwerke (bounding social capital, vgl. F. Kessel 2002), sondem auch vertikaler Netzwerke mit Entscheidungstragerlnnen (Fordemng von linking social capital). Ausgehend von der Betroffenheit und den endogenen Ressourcen werden dadurch soziale Raume geschaffen, in denen Anliegen, die als vereinzelte individuelle Bediirfiiisse erlebt werden, offentlich im Stadtteil diskutiert werden und als kollektive Interessen formuliert werden konnen. Der Gemeinwesenarbeiter bzw. die Gemeinwesenarbeiterin tibemimmt dabei die Funktion der Zuhorerin, der Vemetzerin, aber er bzw. sie gestaltet auch Raume, in denen Austauschprozesse stattfmden konnen und verschafft Zugange zu Wissen und Kontakten auBerhalb der Milieus und Stadtteile (linking social capital). Gemeinwesenarbeiterlnnen gehen demnach nicht nur ergebnisoffen (und „neutral") in den Stadtteil, sondern sie sind dazu verpflichtet, Teilhabemoglichkeiten benachteiligter Gmppen zu unterstutzen"*^. Gemeinwesenarbeiterlnnen tibemehmen aber auch intermediare Aufgaben: Sie vermitteln zwischen den Interessen in den Stadtteilen und den Ressourcen bzw. Logiken sektoraler Politik und Verwaltung (vgl. u. a. G. Litges et al. 2005; W. Hinte 1994). Durch mtermediare Prozesse werden die Interessen, die bottomup formuliert und offentlich werden, mit top-down Entscheidungsfmdungsprozessen verkntipft. Diese Aushandlungsprozesse zwischen bottom-up- und topdown-Logiken sind nicht konfliktfrei, weder fiir die involvierten Akteurlnnen noch fiir die Gemeinwesenarbeiterlnnen (vgl. M. Diebacker 2004b). Gemeinwesenarbeit beflndet sich daher als offentlich fmanzierte MaBnahme im Spannungsverhaltnis zwischen staatlichem Steuemngsinstrument und zivilgesellschaftlicher Logik, in der demokratische und emanzipatorische Ziele verfolgt werden. Diese zivilgesellschaftliche Logik ist aus einer professionellen und dis^° GWA folgt u. a. einer Tradition der Settlementbewegung (vgl. W. Muller 1991), dem „community organizing" (S. Alinsky 1984; M. Mohrlock 1993) und der „educa9ao popular" (P. Freire 1972).
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ziplinaren Argumentation zu begriinden und mit politischen Auftraggeberlnnen zu verhandeln. Gemeinwesenarbeit hat somit zumindest zwei Aufgaben: Einerseits geht es darum, BUrgerlnnen dabei zu unterstutzen, ihre Interessen zu formulieren, wahrzunehmen und selbst zu vertreten, andererseits unterstiitzt sie Blirgerlnnengruppen, gleichwohl, ob sie sich mit oder ohne professionelle Unterstiitzung organisiert haben, dabei, dass deren Interessen in den Systemwelten Politik (und Okonomie"*^) gehort werden. In der Wiener Praxis ist eine Vielzahl an Beispielen fiir beide Aufgaben zu finden. Vor allem Projekte im Rahmen der bezirksbezogenen Lokalen Agenda 21 (z. B. Lokale Agenda 21 am Alsergrund oder in Margareten: www.agenda21.or.at, www.agenda-wien5.at), aber auch die Arbeit des Stadtteilzentrums Bassena am Schopfwerk (www.bassena.at) konnen hier beispielgebend sein. Dass diese Prozesse nicht konfliktfrei sind, liegt in der Natur der Sache, da Logiken aufeinander treffen, die in Widerspruch geraten konnen. Lebensweltliche Verstandigungsorientierung und Machtinteressen treffen aufeinander und iiberlagem sich gegenseitig. Interessen aus den Lebenswelten organisieren sich, Einflussnahme wird gefordert und Machtanspriiche gestellt. Machtstrukturen im politischen System werden in Frage gestellt"^^. Wie sich die Situation aus der Perspektive des politischen Systems darstellt, wird im Folgenden behandelt. 4
Die Stadtteilentwicklung - top-down-initiierte Beteiligung
Aus der Perspektive der Planung und Stadtentwicklung stellt sich die Frage, wie die Interessen und Bediirfhisse von Biirgerlnnen in gesamtstadtische Planungen einflieBen sollen: Wie sind die Entscheidungsfmdungsprozesse gestaltet? Wer soil beteiligt werden? Wer koordiniert die Prozesse? Und wie werden Interessen und Bediirfhisse, die im Nahraum relevant sind, mit gesamtstadtischen Entwicklungsprozessen verhandelt? Die politische Zielsetzung defmiert, welche Dialoggruppen angesprochen werden und welche Entscheidungsspielraume iiberhaupt bestehen. Es macht einen Unterschied, ob Entscheidungsablaufe im Sinne einer Verwaltungsmodernisierung und Effizienzsteigerung naher an die Btirgerlnnen gebracht werden sollen, oder ob es um die Nutzung sozialraumlicher Ressourcen im Sinne der ^^ In diesem Beitrag werden die Austauschprozesse zwischen Lebenswelt und Politik betrachtet. Zu den Austauschprozessen zwischen Lebenswelt und Okonomie kOnnten u. a. die Arbeiten von Susanne Elsen herangezogen werden (vgl. u. a. S. Elsen 1998). ''^ An dieser Stelle ist zu betonen, dass auch Politikerlnnen lebensweltlich verstandigungsorientiert handeln, das System Politik aber der Handlungslogik mit dem Steuerungsmedium Macht unterworfen ist.
Lokale lebensweltnahe Interessen u. gesamtstadtische Entwicklungsprozesse 257 Entwicklung der sog. Biirgerlnnengesellschaft geht, oder um die Demokratisierung von Stadtentwicklungsprozessen (vgl. u. a. E. Hammer 2004a). In der Praxis ist davon auszugehen, dass es sich um eine Mischung unterschiedlicher Zielsetzungen handelt. In Burgerlnnenbeteiligungsverfahren sollte daher folgendes geklart werden, bevor an die Biirgerlnnen herangetreten wird: • • •
Welche Entscheidungsspielraume gibt es? Welche Gruppen sollen beteiligt werden? Welche Intensitat der Beteiligung macht Sinn?
Relevant ist in diesem Zusammenhang auch die raumliche und zeitliche Dimension. Wahrend im Stadtteil die lokale raumliche Dimension tiberschaubar bleibt und die direkte Betroffenheit des BUrgers bzw. der Biirgerin relativ einfach wirksam wird, ist dies bei gesamtstadtischen Prozessen schwieriger. Je nach Zielsetzung, Entscheidungsspielraumen und Dialoggruppen sowie raumlicher und zeitlicher Dimension, muss von den Prozessverantwortlichen defmiert werden, wie die Prozessarchitektur angelegt wird und mit welchen Methoden mit den Biirgerlnnen kommuniziert bzw. verhandelt werden soil. Dabei sind die jeweiligen Kommunikationskulturen und -ressourcen der Gruppen zu berticksichtigen. Wenn bei der Stadtentwicklung eine Verbesserung der Lebensqualitat in der Stadt im Vordergrund steht, dann haben auch benachteiligte Biirgerlnnen ein Interesse an der Entwicklung ihres Stadtteils. Sie haben allerdings weniger Zugang und Moglichkeiten, ihre Interessen zu artikulieren, oder deren Artikulation wird nicht gehort bzw. verstanden. Es stellt sich also weniger die Frage, ob Benachteiligte einbezogen werden sollen, sondem viel eher wie, Benachteiligte Schichten werden schlecht erreicht, weil sie weniger Zeit haben und mehr mit der Existenzsicherung beschaftigt sind bzw. andere Zugangsbarrieren bestehen. Unbestritten ist, dass die Einbeziehung Benachteiligter ungleich schwieriger ist und neben spezifischen Methoden auch ausreichend Zeit braucht. Methoden wie aufsuchende, nachgehende Arbeit, aktivierende Befragung, zielgruppengerechte Veranstaltungen und Versammlungen, Arbeit mit Klein- und GroBgruppen (bestehende und neu gegriindete), Arbeit mit Multiplikatorlnnen, Einsatz von Kunst und aktionsorientierten Veranstaltungen, Forumtheater oder planning for real sind den jeweiligen Milieus und Alltagssowie Kommunikationskulturen anzupassen. Die Prozessbegleitung bewegt sich dabei zwischen Steuerung, Vermittlung und Unterstiitzung. Sie soil gewahrleisten, dass eine faire Aushandlung stattfmden kann (vgl. E. Hammer et al. 2004; C. Munsch 2003).
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In der Praxis behindem mitunter zu enge Rahmen ein derart strukturiertes Vorgehen: Hoher Zeit- und Erfolgsdruck macht „beteiligungsfaur'. Die Planung tritt an jene Btirgerlnnen heran, die relativ leicht zu erreichen sind, also an besser gebildete Dialoggruppen. Bei top-down initiierten Prozessen, also bei Planungs- und Stadtentwicklungsvorhaben, bei den Btirgerlnnen einbezogen werden, bleibt oft im Dunklen, welche Interessen und Bedtirfiiisse die Menschen von sich heraus formuliert hatten. Der Fokus des Interesses der Planerlnnen und Gemeinwesenarbeiterlnnen beschrankt sich auf das Interesse der Btirgerlnnen in Bezug auf das Planungsvorhaben. Gefi*agt wird, was die Menschen genau dazu zu sagen haben („Ftir Anderes sind wir nicht zustandig"). Unbeachtet bleiben meist die Interessen und Bedtirfiiisse, wie auch Ideen und Vorschlage, die die Burgerlnnen dartiber hinaus haben. Aus diesem Grund macht es Sinn, Btirgerlnnen auch grundsatzlich dabei zu untersttitzen, ihre eigenen Interessen und Bedtirfiiisse unabhangig vom konkreten Vorhaben zu artikulieren, gleichzeitig diese Befindlichkeiten aber auch mit aktuellen Planungsvorhaben in Beziehung zu setzen. Aus dieser Sicht besteht keine Alternative zur systematischen Verkntipfiing eines lebensweltlichen bottom-up-orientierten Vorgehens mit einem top-down-orientierten Vorgehen (vgl. u. a. auch G. Litges et al. 2005), zu linking social capital (s. o.). Auf dem Weg zu einem guten Verfahren gilt es, einige Qualitatskriterien fiir die Prozessarchitektur zu beachten (hier handelt es sich um konkrete Praxiserfahrungen): a.
b.
c.
Die Verwaltung sollte sich vor dem Projektstart Orientierung und Optionen in Richtung moglicher tauglicher Prozessarchitekturen verschaffen (tiber Ausschreibungen, Reflexion, Beratung, interne Prozesse,...). Eine effektive Prozessarchitektur ist immer MaBarbeit. Das Beteiligungsverfahren muss personell und institutionell klar an die fachliche Arbeit angedockt werden: Lokales Wissen muss in der fachlichen Arbeit an Planungsentscheidungen tatsachlich wirksam werden konnen. Dazu muss bereits im Prozessdesign angelegt sein, wann, wie und in welcher Qualitat die Meinungen und Interessen Betroffener von den fachlichen Instanzen gewtirdigt, bearbeitet, eingebracht und berticksichtigt werden (oder eben auch nicht). Die Beteiligten konnen sich erwarten, in angemessener Zeit zu erfahren, ob und wie ihre Beitrage das fachliche Ergebnis beeinflusst haben. Hier ist der Flaschenhals oft die Bereitschaft der Fachleute, sich mit diesen Inputs tatsachlich emsthaft auseinander zu setzen. Die Ebenen der Diskussion sollten moglichst zusammenpassen: Raumliche und zeitliche MaBstabe der Planungsaufgabe miissen sich auch in der Beteiligungsarbeit widerspiegeln. Wenn Interessen und Bedtirfiiisse auBerhalb
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d. e. f. g. h. i.
j.
dieses Rahmens artikuliert werden, muss klar sein, wo und wie diese weiterbearbeitet werden konnen. Die klare Trennung von Projektmanagement und inhaltlicher Arbeit hat sich bei dieser Dimension/ Komplexitat von Prozessen bewahrt. Prozessarchitekturen iiber mehrere Jahre brauchen ein strukturelles „Ruckgrat", aber auch „Spielbeine", d. h. Anpassungen miissen moglich bleiben. Verantwortliche fur Querschnittsthemen (etwa Gender Mainstreaming) zu benennen ist effektiv, wenn es auch eine klare Struktur, ein „Basiscommitment" und Ressourcen dafiir gibt. Reflexion von Prozessen ist notwendig als Qualitatssicherung und zur Sicherung von organisationalem Wissen uber die Zeit (um etwa personelle Wechsel zu verkraften). Die verantwortliche Ebene der Stadtpolitik muss die Prozessarchitektur abnehmen und „gutheiBen". Es braucht zu Beginn eine Klarung iiber die Rolle qualifizierter Offentlichkeiten: Planung profitiert von der Verkniipfung mittelbarer und unmittelbarer Beteiligung. Die Verzahnung der Einbindung qualifizierter Offentlichkeiten (etwa NGOs) mit offenen, niedrigschwelligen Beteiligungsformen stellt fiir die unmittelbar Betroffenen eine wichtige Moglichkeit der „Erdung" sachlicher Interessen dar. Umgekehrt kann durch diese Verkniipfung das Manko fehlenden fachlichen Wissens auf Seiten der Biirgerlnnen mitunter ausgeglichen werden. Es wird so auch unmittelbar Betroffenen moglich, Ideen iiber ihre „BotschafterInnen" einzubringen. Wie erfolgt die Anbindung an die lokale Bezirks- bzw. Stadtteilpolitik? Wenn ein gesamtstadtische Entscheidung oder Perspektive ansteht, besteht die Gefahr, durch intensive Beteiligungsprozesse und/oder Gemeinwesenarbeit die Ebene der lokalen Politik zu „iibergehen". Letztlich hangt die alltagliche Umsetzung grundlegender Stadtentwicklungsvorgaben nicht seiten maBgeblich von dieser Ebene ab. Um entsprechenden „Abwehrreflexen" von Seiten der Bezirkspolitik vorzubeugen, braucht es moglichst zu Beginn eine Klarung und die laufende Einbindung, jedenfalls qualitatsvoile Information.
Zu diesen grundlegenden Elementen des Prozessdesigns kommen selbstverstandlich Aspekte der Prozessethik, wie etwa Rollenklarheit, Wertschatzung, Vereinbarungskultur, Dokumentationsqualitat, Beachtung von Genderaspekten etc. (vgl. W. Gerlich/ J. Posch 2004).
260 5
Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik Die Verbindung von top-down und bottom-up am Beispiel des STEP Wien 05
Die Verknupfting der lebensweltlichen Logiken mit top-down-orientierten Entscheidungsprozessen durch intermediare Instanzen wurde bereits angesprochen. Im Folgenden wollen wir anhand eines Beispiels erlautem, wie gesamtstadtische Steuerung aus einer top-down-Logik mit lebensweltlichen bottom-up-Prozessen verkntipft werden kann. Bei der Erstellung des Stadtentwicklungsplanes Wien 2005 (STEP Wien 05) wurde dieser Versuch untemommen. Die Stadt Wien erarbeitet seit 1984 Stadtentwicklungsplane zur Steuerung der sozialraumlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, Der STEP Wien 05 wurde im Zeitraum von 2002 bis 2005 unter Federftihrung der Magistratsabteilung 18 der Stadt Wien fachlich betreut. Die Entwicklung und Durchfiihrung eines Modells zur Konsultation verschiedener Stakeholder oblag dem Wiener Btiro PlanSinn. Der STEP Wien 05 alias Leitbild der Stadtentwicklung bietet eine Vorausschau in die Zukunft. Im Uberblick zeigt er, wo welche Entwicklung gewiinscht, ermoglicht und gefbrdert wird. Ein effektiver Stadtentwicklungsplan braucht auch den Dialog zwischen Fachleuten, Interessensvertretungen und engagierten Btirgerlnnen. Die Inhalte des STEP Wien 05 entstanden von 2002 bis 2005 in intensiven Dialogen auf Fachebene (vier Tagungen, zehn Fachworkshops) und auch im Gesprach mit interessierten Btirgerlnnen. Als Kern der Biirgerlnnenkonsultation fanden von November bis Dezember 2005 in Kooperation mit den Tragerlnnen der Lokalen Agenda 21 (LA 21) insgesamt sechs Dialogveranstaltungen zur Stadtentwicklung statt. Die Btirgerlnnendialoge fanden zu verschiedenen Themenbereichen statt: Kooperation Wien-Umland, Wirtschaft, Griinraume, bauliche Entwicklung, Partizipation, Diversitat, Lebensqualitat, Nachhaltigkeit und Verkehr. Im Rahmen dieser Veranstaltungen wurde der Versuch untemommen, die fachlichen Diskussionen zu „erden", die Schliisselinhalte der top-downStadtplanung mit den Schlusselakteurlnnen eines bottom-up-Prozesses der nachhaltigen Stadtentwicklung - der Lokalen Agenda 21 - zu verkniipfen. Diese Veranstaltungen fanden etwa zur Halbzeit der fachlichen Arbeit statt. In Vorgesprachen mit den lokalen Tragerlnnen der LA 21-Prozesse wurden mogliche thematische Schwerpunksetzungen diskutiert: Welche Fragen interessieren die derzeit aktiven Agenda-Gruppen am ehesten? Klar war, dass die Diskussionen auf einer gesamtstadtischen Ebene laufen sollten, also die lokalen Interessen mit den regionalen LFberlegungen verkntipft werden. Dabei sollte dieser Perspektivwechel, dieser Austausch von Sichtweisen beiden Seiten nutzen. Die Veranstaltungen begannen mit einer kompakten Presentation des Bearbeitungsstandes durch Mitglieder des fachlichen Bearbeitungsteams, daran an-
Lokale lebensweltnahe Interessen u. gesamtstadtische Entwicklungsprozesse 261 schlieBend wurden die gebotenen Inhalte intensiv diskutiert. Neben der Moderation wurde noch ein neutraler Kommentator bzw. eine neutrale Kommentatorin eingeladen, in der Regel erfahrene Kommunaljoumalistlnnen, die Einschatzungen „von der Seite" beisteuerten. Die Fragen und Anregungen der Biirgerlnnen wurden gesammelt, soweit moglich ad hoc beantwortet, protokolliert und dem STEP Team iibergeben. Dieses verpflichtete sich, in einem abschlieBenden Resixmee alle Anregungen und die (Nicht-)Berucksichtigung im STEP schriftlich festzuhalten und alien teilnehmenden Biirgerlnnen zu ubermitteln. Dies geschah tatsachlich, wenn auch mit erheblicher Verzogerung. Die Erfahrungen dieses Prozesses zeigten, dass eine direkte Begegnung anders wirkt als die gegenseitige LFbermittlung von Informationen via eines „Filters" wie Agenda-Tragerlnnen oder Bezirksvertretungen. Zu beobachten war einerseits der groBe Respekt der Fachleute vor kritischen Biirgerlnnen, die ihrerseits mit erheblichem Misstrauen in die Diskussionen einstiegen. Dass hier die emotionale Komponente so stark hervortrat, mag damit zu tun haben, dass es keine gelemte Tradition der systematischen Verkniipfung von Lokaler Agenda mit top-down-Prozessen der Stadtentwicklung gibt. Die konkreten Wirkungen auf das Produkt STEP waren tatsachlich eher gering. Eher lasst sich eine Wirkung auf die involvierten Menschen vermuten, die eine Lemerfahrung im Umgang miteinander machten. Grundsatzlich brauchen diese Verkniipfungen Kontinuitat. Eine Moglichkeit dazu wSre es, dem fachlichen Monitoring des STEP eine regelmaBige „Erdung" in Form eines Beirates engagierter Biirgerlnnen beizustellen. Durch diese sanfte Institutionalisierung bzw. durch eine prazise und klare Vereinbarung konnte auch eine der schwierigsten Fragen in diesem Zusammenhang besser gelost werden: „Wer ist wessen Dienstleisterin?" 6
Resiimee
Die Existenz von top-down- und bottom-up-„Paralleluniversen" fiihrt zwangslaufig zu Reibungen, Konflikten und Auseinandersetzungen. Das ware an sich ja nicht bedrohlich, im Gegenteil: Wo eine lebendige Diskussion uber Entwicklung entsteht, konnen auch tragfahige Konzepte, Planungen und Entscheidungen gemeinschaftlich erarbeitet und umgesetzt werden. Dazu braucht es die effektive Verschneidung von top-down- und bottom-up-Zugangen. Wahrend einerseits ein lebensweltnaher Zugang gefragt ist, sind andererseits qualitatsvolle Prozessarchitekturen der Schliissel zu effektiver Beteiligung. Wahrend die lebensweltlichen Zugange auch benachteiligten bzw. weniger lauten Gruppen Raum geben, sind top-down-Beteiligungsangebote nach wie vor ein Rahmen flir besser gebil-
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Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik
dete und okonomisch starkere Schichten. Bottom-up-Prozesse dtirfen nicht nur in einer dienenden Funktion fiir top-down-Planung definiert werden, quasi als komplementares Prozesselement zur Kompensation von Legitimitatsdefiziten der top-down-Prozesse. Ein gemeinwesenorientierter lebensweltnaher Zugang verfolgt das Ziel, die Artikulation der Interessen lokaler Akteurlnnen, besonders benachteiligter Menschen, zu unterstutzen. Dass dabei viel Relevantes fur topdown-Stadt(teil)entwicklungsprozesse entsteht, liegt auf der Hand. Eine topdown-orientierte Burgerlnnenbeteiligung hingegen benotigt Klarheit tiber Entscheidungsspielraume und ein gezieltes methodisches Vorgehen. Letztlich braucht es, einem demokratischen Grundprinzip folgend, ein gleichzeitiges Neben- und vor allem auch Miteinander von Beteiligungs- und Aushandlungsraumen lokaler Akteurlnnen, einen Paternoster lokaler Politik. Damit dies gelingen kann, sollte bei jeder Form der Untersttitzung lokalen Engagements (Lokale Agenda 21, Gebietsbetreuungen, Gratzelmanagement etc.) eine Klarung der Anbindung an top-down-Prozesse der Stadtentwicklung von Beginn an gegeben sein. Umgekehrt sollten Biirgerlnnen in ihrem lokalen Engagement so untersttitzt werden, dass sie sich auch eigenstandig in top-down-Prozesse einbringen konnen. Dazu braucht es auch effektive Vermittlungsinstanzen, die aus der Verkntipfung von top-down und bottom-up fast zwangslaufig entstehenden Reibungen mtissen produktiv werden konnen. Um die lebensweltlichen bottom-up-orientierten Prozesse nicht den topdown-Prozessen unterzuordnen, mtissen die eigenstandige Handlungslogik und eigene Autonomic dieser Raume von Vertreterlnnen aus Politik und Verwaltung respektiert werden. Die kontinuirliche An- und Entkoppelung lebensweltlicher Raume an die Systemwelt Politik ist daher notwendig. Die Austauschprozesse zwischen Lebenswelt und Systemwelt Politik sollten zwar institutionalisiert werden, aber auch nur zeitlich begrenzt zum Einsatz kommen. Denkbar ware beispielsweise, dass aktive Agenda-Btirgerlnnen oder Schopfwerk-Bewohnerlnnen einmal pro Jahr einen Workshop gemeinsam mit Stadtpolitikerlnnen und hochrangigen Verwaltungsmitarbeiterlnnen absolvieren. Nach der Durchfuhrung dieser Austauschraume, die lokal (z. B. auf Bezirksebene) organisiert werden miissten, handeln die Akteurlnnen wieder im Rahmen ihrer Ebenen und Systembzw. Lebenswelten. Das verhindert, dass engagierte Biirgerlnnen bzw. die begleitenden Profis ihr Handeln der top-down-Logik unterwerfen und ermoglicht weiterhin, dass Interessen aus den Lebenswelten heraus formuliert werden konnen. Voraussetzung ist, dass innerhalb der Politik und Verwaltung respektiert wird, dass Biirgerlnnen widerstandig handeln, auch wenn es zu kommunikativen Austauschprozessen kommt. Andererseits miissen Biirgerlnnen respektieren, dass demokratisch legitimierte Politikerlnnen Entscheidungen treffen, die nicht immer den lokalen Biirgerlnneninteressen entsprechen.
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Wolfgang Gerlich und Christoph Stoik
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Governance und Demokratie Die Frage nach dem Wer steuert wen und warum?
Marc Diebdcker
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Der kooperative Staat und strategieorientierte Planung
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat stellt einen weiterentwickelten, ambitionierten Ansatz der Stadtentwicklungsplanung im deutschsprachigen Raum dar und muss als Weiterfiihrung der neueren strategischen Planungsansatze, die seit Mitte der 1980er Jahre an Aufmerksamkeit gewonnen haben, betrachtet werden. Diese Konzepte zeichnen sich u. a. durch die Abkehr von einem starren Planungsverstandnis, offene Beteiligungsformen, die Entwicklung gesamtstadtischer bzw. regionaler Visionen und Leitbilder oder durch die Realisierung von Projekten aus. Patsy Healey defmiert den Ansatz folgendermaBen: „A social process through which a range of people in diverse institutional relations and positions come together to design plan-making processes and develop contents and strategies for the management of spatial change. This process generates (...) a decision framework that may influence relevant parties in their future investment and regulatory activities. It may also generate ways of understanding, ways of building agreement, of organizing and mobilizing to influence in political arenas." (R Healey 2003: 5) Bereits in Healeys Definition ist angedeutet, dass der Ansatz der strategieorientierten Planung theoretisch in der postfordistischen Diskussion um eine neue Art des Regierens und Regulierens verortet werden kann. Inhalte und Strategien einer lokalen bzw. regionalen Raumplanung sollen iiber netzwerkartige, horizontale (also wenig hierarchische) Prozesse entwickelt werden und einen Entscheidungs- bzw. Orientierungsrahmen fur Verantwortliche in Institutionen der reprasentativen Demokratie bilden. Es wird deutlich, dass Healey, wie auch andere Befurworterlnnen der strategieorientierten Planung, kontinuierlich Beziige zu Verfahren des sog. kooperativen Staates herstellen. Dahinter steht, wenn auch nicht immer explizit gemacht, die Bezugnahme auf den Govemance-Begriff, mit all seinen unterschiedlichen Auslegungen und Unscharfen, der ebenfalls seit den 1980er Jahren in der akademischen Fachdiskussion auftaucht (vgl. U. Brand2004: 111).
Governance und Demokratie
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Der strategieorientierten Planung liegt die Einschatzung zu Grunde, dass im postindustriellen Zeitalter einer globalisierenden Wirtschaft und einer wachsenden „Netzwerkgesellschaft" (vgl. M. Castels 2001) auch die regionale und lokale Ebene enormen dynamischen Veranderungen ausgesetzt sind. Konfrontiert mit diesen gesellschaftlichen, politischen und okonomischen Umbriichen kann in der Planung nicht mehr langer an einem technischen, rationalistischen Expertlnnentum mit seinen linearen Ziel-Mittel-Szenarien und Planen festgehalten werden. Zur Entwicklung von politischen Programmen benotigt es stattdessen einen integrierenden Zugang in der Raumplanung, der dabei das Wissen von „Schlusselakteurlnnen" und Btirgerlnnen als zentrale Ressource nutzt (vgl. P. Healey 2000: 745-746). Strategieorientierte Planung reagiert damit auf gesellschaftliche Herausforderungen und auf die Krise der reprasentativen Demokratie mit ihren Biirokratisierungstendenzen und Steuerungsdefiziten. Dementsprechend liegt dem Govemance-Diskurs - wie Ulrich Brand zu Recht feststellt - „die zentrale Pramisse zu Grunde, es sei effizienter, Probleme kooperativ und dialogisch zu bearbeiten" (2004: 112). Im folgenden Artikel soil der wenig explizit gemachte Govemance-Bezug strategieorientierter Planung kritisch reflektiert und begrtindet werden, dass bei der demokratietheoretischen Verortung strategieorientierter Planungsansatze Nachholbedarf besteht. Der vorliegende Beitrag gliedert sich daher in zwei Telle: Im ersten Abschnitt wird der starke Govemance-Bezug von strategieorientierter Planung erlautert, aktuelle Kritik an der Govemance-Debatte angeflihrt, um daraus Legitimationsdefizite und weitergehend erste zentrale Bezugspunkte fiir einen strategieorientierten Planungsansatz abzuleiten. Im zweiten Abschnitt wird weiter argumentiert, dass sich strategieorientierte Planung auch grundsatzlich ihrer demokratischen Rlickbindung versichern muss, da sonst ihre hohen - wenn auch nur fiinktional begriindeten - Zielvorstellungen einer kooperativen und dialogischen Problembearbeitung demokratischen Standards in Theorie und Praxis nicht standhalten wird. Um langerfristig Legitimationsdefizite zu vermeiden, wird die Nahe zur Partizipatorischen Demokratietheorie kurz erlautert und anhand des idealtypischen Modells einer verstandigungsorientierten Demokratie von Jtirgen Habermas wird eine Alternative zur Reflexion und Bezugnahme kurz vorgestellt. Daraus werden abschlieBend einige Anforderungen an lokale Strukturen und die Praxis strategieorientierter Planungen abgeleitet.
268 2
Marc Diebacker Die strategieorientierte Planung und das weite Feld von Governance
Die offensichtlichste theoretische Bezugnahme von strategieorientierter Planung ist der Govemance-Diskurs, der seit den 1990er Jahren auch in vielen anderen Bereichen und Politikfeldem als Orientierung flir neue Formen der Steuerung herangezogen wird. In dieser weiten Debatte von „Govemment zu Governance" ist u. a. die Rede von „good governance", „corporate governance", „public governance" oder „global governance" und nur selten werden die dahinter stehenden Begrifflichkeiten und Konzepte ausgewiesen und kritisch reflektiert. In der Folge entsteht ein undifferenziertes Bild in dem Sinne, dass gesellschaftliche Probleme und Steuerungsdefizite mittels „flacherer" Organisation des Betriebes, des offentlichen Sektors oder des Staates zu beheben seien. Grundsatzlich lassen sich die diversen Govemance-Konzepte in einen politik- bzw. sozialwissenschaftlichen Zugang und einen wirtschaftswissenschaftlichen Zugang unterscheiden. Achim Brunnengraber et al. differenzieren den Govemance-Begriff in dreierlei Hinsicht: seine spezifische Verwendung, die Bezugnahme auf unterschiedliche politisch-territoriale Ebenen und hinsichtlich politischer Aktionen einer Vielzahl von Akteurlnnen (vgl. A. Brunnengraber et al. 2004: 1-4): 1.
2.
3.
In seiner spezifischen Anwendung kann Governance zwischen „sectoral governance" (Fokus auf einzelne Wirtschaftssektoren), „good governance" (bezogen auf entwicklungspolitische Diskurse und Konditionalitaten), „corporate governance" (Fokus auf Untemehmen und Untemehmensfuhrung) und „public governance" (Effizienz biirokratischer Ablaufe und den damit verbundenen Umstrukturierungen) unterschieden werden. Wird der Fokus auf die politisch-territorialen Ebenen gelegt, wird gelaufig zwischen „local", „regional", „national" und „global governance" differenziert. Da in der Kegel davon ausgegangen wird, dass viele gesellschaftliche Problemlosungen nur ilber die Integration der verschiedenen politischen Ebenen erreicht werden konnen, wird dies in dem Terminus „multi-levelgovemance" ausgedriickt. Rticken die politischen Aktionen von Akteurlnnen in den Mittelpunkt, dann umreiBt der Govemance-Begriff politische Prozesse durch Netzwerkbildungen, Partizipations- und „Stakeholder-Verfahren" mit oder auch ohne staatliche Instanzen. „Im Idealfall werden kollektive, horizontale Entscheidungsprozesse unter der Beteiligung aller Bevolkerungsgruppen initiiert." (A. Brunnengraber et al. 2004: 4)
Governance und Demokratie
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Es zeigt sich bereits an dieser Klassifizierung, dass mit dem Govemance-Begriff unterschiedliche und teilweise kontrare Konzepte verbunden werden. So hat z. B. der normativ hochbesetzte Begriff des „good governance" aus dem entwicklungspolitischen Diskurs mit seinem Pladoyer ftir Partizipationschancen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf den ersten Blick wenig gemeinsam mit einer effizienten Untemehmensfiihrung, Transparenz gegeniiber Shareholdem oder Untemehmenskodices des „corporate governance" in der Okonomie. Doch wenn Weltbank und IWF z. B. „good governance" als Bedingung flir die Strukturanpassungsprogramme in Entwicklungslandem defmieren, verbindet sich marktwirtschaftHche Logik mit poHtisch-pragmatischen Wertsetzungen. Der Ansatz der strategieorientierten Planung scheint seinen zentralen Fokus auf einen politisch-territorialen Govemance-Begriff zu legen und betont die Wichtigkeit von „multi-level-govemance" fiir die Raumplanung, (vgl. P. Healey 2000: 746), was sich auch in den INTERREG-Programmen der Europaischen Union widerspiegelt. Hinsichtlich der sektoralen Differenzierungen kann sich der Ansatz weniger klar positionieren. Strategieorientierte Planung bezieht sich sowohl auf normative Zielorientierungen des „good governance", wie ein Mehr an Partizipation und Demokratie, als auch teilweise auf Leitsatze des „public governance" nach mehr Effektivitat und Effizienz im Verwaltungshandeln. Wenn Patsy Healey die Dominanz des offentlichen Sektors und seine fehlende Offenheit gegeniiber Biirgerlnnen und wirtschaftlichen Akteurlnnen kritisiert, dann geht es ihr in erster Linie um eine neue Beziehung zwischen Staat, Markt und Gesellschaft. Hierbei soil die friihere Dominanz des offentlichen Sektors reduziert werden, was die Moglichkeit einer groBeren Einflussnahme von Wirtschaft und Zivilgesellschaft impliziert. Ein Mehr an horizontaler Netzwerksteuerung soil an die Stelle von hierarchisch-organisierter und wenig pluraler Steuerung des formalisierten Systems der reprasentativen Demokratie treten (vgl. P. Healey 2000: 745-746). 3
Die Kritik am Governance-Diskurs und ihre Relevanz fiir die strategieorientierte Planung
In den letzten Jahren wird zunehmend Kritik am teilweise undifferenzierten Governance-Diskurs laut. Das angestrebte neue Verhaltnis von Staat, Markt und Zivilgesellschaft wird kritischer reflektiert und die postulierte hohe demokratische Qualitat der „neuen, nichthierarchischen, -zentralistischen -dirigistischen Formen des Regierens" wird ofter in Frage gestellt (vgl. E. Swyngedouw 2004; U. Brand 2004; N. Eraser 2003; M. Diebacker/ E. Hammer 2004). Im Folgenden
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Marc Diebacker
werden einige zentrale Aspekte erortert, um daraus einige konkrete Orientierungspunkte fiir die strategieorientierte Planung abzuleiten. 3.1 Governance ah harmonistisch hooperatives Modell Die meisten Governance-Ansatze gehen laut Ulrich Brand von der Annahme aus, dass es keine grundsatzlichen Interessengegensatze zwischen sozialen Gruppen, Milieus oder Klassen mehr gabe. Er kritisiert, dass „Govemance fur ein dialogisches und kooperatives Politikmodell [stehe], das nicht nur Interessensgegensatze, sondem auch die ungleiche Ressourcenverteilung der in den Verhandlungsprozess einbezogenen Akteure sowie asymmetrische Machtverhaltnisse ausblendet." (2004: 114) Fiir die strategieorientierte Planung bedeutet diese Kritik die Aufforderung, das Verstandigungsprinzip der konfliktuellen Diskursregelung mehr als bisher in den Mittelpunkt ihres prozessorientierten und netzwerkartigen Steuerungsverstandnis zu stellen. Der kontinuierliche Aufbau von moglichst partizipativen Plattformen und Struktureinheiten, die an Schnittstellen zwischen formalisierten Entscheidungsstrukturen des reprasentativen Systems agieren, tragen zu einer offentlichen Kritik- und Konfliktkultur bei. Mit einer moglichst groBen Autonomic ausgestattet, konnen diese Instanzen einem verschleiemden gesellschaftlichen Konsens- und Harmoniebedurfiiis aktiv begegnen. 3.2 Governance als strategischer Funktionalismus Oft wird der angestrebte Wechsel von Government zu Governance mit einer effektiveren Steuerung von Gesellschaft begriindet. Die Integration von Ressourcen (wie Wissen oder Zeit) der zu beteiligenden Btirgerlnnen oder Akteurlnnen in Entscheidungsprozesse wird dabei als zentrales Mittel zur Problemlosung angesehen. Netzwerkartige Prozesse und partizipative Verfahren werden damit tiber ihre ZweckmaBigkeit und Effektivitat hinsichtlich der Problemstellung definiert und auf diese verktirzt. Aussagen zum Eigenwert politischer Beteiligung als einem zentralen Aspekt der Partizipatorischen Demokratietheorie"^^ (M.G. Schmidt 2000: 251) fmden sich nur selten, um das neue institutionelle Arrangement zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft zu legitimieren. ^^ Hierunter sollen trotz ihrer Unterschiede die politischen Theorien von Benjamin Barber, Jurgen Habermas und Carole Pateman verstanden werden. Ahnliche Positionen bzw. verbindende Aspekte sind aber auch in den Werken von Franz L. Neumann, Hannah Arendt, Robert A. Dahl oder auch in den neomarxistischen Ansatzen von Antonio Gramsci oder Bob Jessop erkennbar.
Governance und Demokratie
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Eine breitere Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungen kann das Legitimationsdefizit der reprasentativen Demokratie verringem. In der Partizipatorischen Demokratietheorie wird Demokratie auch dadurch begriindet, dass chancengleiche Teilnahme an Prozessen der Meinungs- und Willensbildung garantiert werden miissen, damit die Menschen ihre politische Autonomie in Handeln umsetzen und legitimes Recht setzen konnen. Politische Autonomie, gleiche subjektive Handlungsfreiheiten, freiwillige Assoziation etc. werden als normative Ziele gesetzt, die vom Staat grundrechtlich abgesichert werden sollen (vgl. J. Habermas 1992: 155-156). Diese Ziele stehen aber oft im Widerspruch zur wachsenden Effizienzlogik und rein flinktionellen Argumentationen in Zeiten der zunehmenden Okonomisierung des Sozialen (vgl. U. Brockling et al. 2000), die auch in Govemance-Diskursen nicht beriicksichtigt werden. Wenn strategieorientierte Planung fur neue institutionelle Arrangements zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft eintritt, sollte sie in ihren Zielformulierungen viel starker als bisher fiir den demokratiepolitischen Eigenwert eines partizipativen Politikstils eintreten. Dies gilt es dann auch in Organisationsund Umsetzungsfragen von Partizipationsprozessen zu verankem und zu tiberprtifen, wenn sich strategieorientierte Planung nicht selbst und zu Recht Vorwtirfen eines Legitimationsdefizits aussetzen mochte. 3.3 Governance als Individualisierung von Verantwortungfur gesellschaftliche Risiken Die Govemance-Diskurse der postfordistischen Zeit vertrauen laut Nancy Eraser viel starker als das fordistische Regulierungsmodell auf marktfbrmige Ordnungsmechanismen. „Unter dem Banner des NeoHberaHsmus weitet er [der ReguUerungsmodus, Anm.j den Anwendungsbereich okonomischer Rationalitat stark aus, flihrt das Wettbewerbsprinzip in den Bereich der Sozialleistungen ein, macht aus Empfangem Konsumenten und unterwirft Experten marktwirtschaftlicher Disziplin." (N. Fraser (2003:254) Menschen werden so zu aktiven und kollektiven Akteurlnnen, die sich im Sinne von Konsumentlnnen (mit der ihnen unterstellten Rationalitat) dazu verpflichten, ihre Lebensqualitat durch eigene Beteiligung und Entscheidung zu verbessem mit dem Ergebnis, dass sich „aktivierte" Individuen (oder auch Institutionen) in Zukunft „Kosten und Folgelasten selbst zurechnen lassen miissen." (U. Brand 2004: 115; vgl. N. Fraser 2003: 255) 1st das Prinzip der individuellen Selbstver-
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antwortung gesellschaftlich gestarkt und einmal eingefuhrt, wird es daruber hinaus auch auf die Nichtbeteiligten und „Nichtaktivierten" ausgedehnt. Damit sich strategieorientierte Planung langfristig nicht dem Vorwurf aussetzt, sich als Wegbereiterin fiir die Individualisierung gesellschaftlicher Risiken einspannen zu lassen, ist sie gefordert, ihr normatives Verstandnis und ihre politisch-ideologische Position zu scharfen und offen zu legen. Andemfalls besteht die Gefahr - in Zeiten hegemonialer Ideologien (z.B. Neoliberalismus) - als sozialtechnologisches Herrschaftsinstrument zur Kolonialisierung, Kontrolle und Disziplinierung des Sozialen benutzt zu werden, womit sie ihre demokratische Legitimation verloren hatte. Insofem sind heutzutage neue PoHtikansatze gefordert, strukturelle und gesamtgesellschafthche Entwicklungen auf den jeweiligen poHtisch-territorialen Ebenen zu analysieren und kritisch zu reflektieren - poHtikwissenschaftHche Begleitforschung ist daher fiir strategieorientierte Planungsansatze unverzichtbar. Gestaltungs- und MitbestimmungsmogHchkeiten auf lokaler bzw. regionaler Ebene sowie politische Verantwortung, Zustandigkeiten und Netzwerke mtissen in ihrem lokalen und politisch-historischen Kontext erforscht werden, um Art und Weise von Interventionen im sozialen und politischen Raum begrlinden zu konnen. Dem schmalen Grat, durch netzwerkartige oder partizipatorische Regierungsformen den Handlungsspielraum von Individuen zu erhohen und nicht zugleich der allumfassenden Risiko- und Verantwortungstibertragung an Individuen im neoliberalen Sinn Vorschub zu leisten, gilt es sich ktinftig zu stellen. 3.4 Governance und die Gefahr von intransparenten Netzen im Staat Die neuen Netzwerke sind beztiglich ihrer Organisation und ihrer kommunikativen EinfluBnahme nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Analysen (N. Eraser 2003:256). Es stellt sich daher die Frage, wer die „neuen" Akteurlnnen sind, die zunehmend ihren Einfluss geltend machen konnen, um dann in einem zweiten Schritt beurteilen zu konnen, ob „alte" Machtasymmetrien der reprasentativen Demokratie zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft zugunsten pluraler und kommunikativ weniger hierarchischer Organisation reduziert werden oder womoglich nur durch nicht-plurale, informelle und daher wenig transparente Strukturen neuer Machtungleichheit abgelost werden. Erik Swyngedouw erkennt seit den 1990er Jahren ein „system of governance beyond the state", in dem ohne Zweifel einige marktorientierte Organisationen an Einfluss und Macht gewinnen konnten, wahrend „the participatory status of groups associated with social-democratic or anti-privatisation-strate-
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gies" (2005: 2003) an Einfluss verloren hatten. Swyngedouw argumentiert, dass zivilgesellschaftliche wie auch marktorientierte Krafte aus unterschiedlicher Perspektive fiir ein neues und hierarchiereduziertes Verhaltnis zum Staat eintreten, allerdings ohne (zumindest aus zivilgesellschaftlicher Perspektive) die Folgen der veranderten Konstellation kritisch zu reflektieren. Denn wahrend sich der Einfluss des Markts auf Entscheidungen des Staats zunehmend (vor allem auf hoheren Ebenen) durchsetze, werden seiner Meinung nach kritische, zivilgesellschaftliche Positionen weiter an Einfluss verlieren (2004: 1991, 2003-2004). Strategieorientierte Planung wird also in Zukunft aufgefordert sein, in alien partizipativen oder netzwerkartigen Prozessen plurale und vielfaltige Beteiligungsformen zu garantieren und den Zugang, die Zusammensetzung und den Verlauf der Verfahren offentlich zu begleiten. Uber eine kontinuierliche und offentliche Vermittlungsarbeit zu Transparenz und Repolitisierung von Raumplanungsfragen in einer weiten Offentlichkeit beizutragen, scheint unverzichtbar. Erst offentliche Netzwerke dieser Art konnen der schwindenden Steuerungsfahigkeit des Staates im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels als auch der Krise der reprasentativen Demokratie begegnen (vgl. M. Diebacker/ E. Hammer 2004: 19-22). 4
Partizipatorische Demokratietheorie und offentlicher Dialog als demokratietheoretischer Bezug von strategieorientierter Planung
Das Governance-Konzept selbst wird zunehmend mit Fragen seiner Steuerungsfahigkeit und politischen Legitimation konfrontiert. Die eigenen hohen Ziele werden einer kritischen Prlifung unterzogen und Governance wird in Zukunft unter Beweis stellen miissen, inwieweit es wirklich zu einer besseren demokratischen Steuerung und Entwicklung von Gesellschaft beitragt. Dabei werden die Verteidigerlnnen der reprasentativen Demokratie alten Zuschnitts skeptisch die Finger in die Wunden legen. Ftir die strategieorientierte Planung geht es daher, wie auch fur andere Konzepte mit starkem Govemance-Bezug, darum, sich viel starker als bisher demokratietheoretisch zu verorten. Bezug nehmend auf zentrale Begrifflichkeiten strategieorientierter Planung wie Governance, kooperativer Staat, Partizipation oder Netzwerke konnten Ansatze partizipatorischer Demokratie, die ihrerseits das Teilnehmen, Teilhaben und Seinen-Teil-Geben sowie die innere Anteilnahme am Gemeinwesen als zentral betonen, als ein theoretischer Bezugspunkt der Auseinandersetzung fungieren. Auch die Mitwirkung der Biirgerlnnen an diskursiven „Beteiligungsprozessen" und die damit verbundene selbstbefahigende Funktion von Biirgerlnnen
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fmden sich sowohl in der strategieorientierten Planung als auch im weiten Feld der Partizipatorischen Demokratietheorie (vgl. M.G. Schmidt 2000: 251-258). Im folgenden werden einige Kempunkte der Partizipatorischen Demokratietheorie dargestellt, indem exemplarisch auf den Idealtypus einer verstandigungsorientierten Demokratie nach Jtirgen Habermas eingegangen wird, der einen moglichen Bezugsrahmen fiir Governance-nahe Steuerungsansatze darstellen konnte. Ausgangspunkt der Partizipatorischen Demokratietheorie ist unter anderem die vehemente Kritik am Reprasentationsprinzip, das zu Teilnahmslosigkeit der BUrgerlnnen fiihrt. Demnach ist dieser Prozess der Entfremdung nur aufzuhalten, wenn die BeteiHgungschancen in der Gesellschaft kontinuierHch erweitert werden. Charakteristisch fiir die partizipatorische Demokratietheorie sind ein weit reichender Politikbegriff, ein positives Menschenbild, eine starke Prozessorientierung und der Glaube, dass modeme Gesellschaften und die reprasentative Demokratie reformier- und entwickelbar sind (vgl. M.G. Schmidt 2000: 255-257). Beruhend auf kritischen Analysen des Strukturwandels von Offentlichkeit entwickelte Jtirgen Habermas ein idealtypisches Modell partizipatorischer Demokratie. Im Zentrum steht die Auffassung, dass Verstandigung sowie Meinungs- und Willensbildung iiber offentliche Angelegenheiten grundsatzlich entwickelbar ist, sodass das Ergebnis dieses Prozesses von den Beteiligten als verniinftig erachtet wird. Das Niveau dieses offentlichen, kommunikativen Prozesses bzw. Diskurses ist laut Habermas eines der zentralen Elemente fur eine funktionierende Demokratie (1997: 285-286). Fiir Habermas bilden die Kommunikationsstrukturen der Offentlichkeit ein weit gespanntes Netz von Sensoren, die auf den Druck gesamtgesellschaftlicher Problemlagen reagieren und einflussreiche Meinungen stimulieren. Die kommunikative Macht offentlicher Meinung kann nicht selber herrschen, aber sie kann den Gebrauch der administrativen-politischen Macht „kontrollierend" oder „programmierend" in bestimmte Kanale lenken. Die politische Offentlichkeit ist demnach eine Arena fiir die Wahmehmung, Identifizierung und Behandlung gesamtgesellschaftlicher Probleme (1997: 288-291). Die reprasentative Politik steht tiber formelle Verfahren der institutionalisierten Meinungs- und Willensbildung oder tiber die informellen Netzwerke der politischen Offentlichkeit in Verbindung mit den Kontexten der Lebenswelt. Jtirgen Habermas betont dabei die besondere Rolle der Lebenswelt:
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„Gerade die deliberativ'*'* gefilterten politischen Kommunikationen sind auf Ressourcen der Lebenswelt - auf eine freiheitliche politische Kultur und eine aufgeklarte politische Sozialisation, vor allem auf die Initiativen meinungsbildender Assoziationen - angewiesen, die sich weitgehend spontan bilden und regenerieren, jedenfalls ihrerseits politischer Steuerung nur schwer zuganglich sind." (J. Habermas 1997: 292) Es wird also davon ausgegangen, dass „AktivburgerInnen" wichtige Impulse fiir die Offentlichkeit setzen. Dadurch wird Offentlichkeit transformiert, indem sie zimehmend durchlassiger fur Argumente von emanzipatorischen Gruppen wird. Am Ende stehen dann eine wechselseitige Bindung und Integration der Konfliktbeteiligten, was allerdings nicht zu Einstimmigkeit und Homogenitat der Interessen fiihren muss, aber zumindest zu einer gegenseitigen Anerkennung der Beteiligten als gleichermaBen berechtigte Diskussionsteilnehmerlnnen (vgl. J. Habermas 1997: 318-324). In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass sich eine Gesellschaft durch die Ausdehnung offentlichen Raums demokratisiert. Ganz wesentlich fiir das Funktionieren des deliberativen Demokratieansatzes von Habermas ist das Zusammenwirken vom nicht verfassten, wenig formalisierten vor-reprasentativen Bereich mit dem verfassten und stark formalisierten Bereich der reprasentativen Demokratie. Der erste ist von einer nicht-vermachteten"*^ Offentlichkeit gepragt, die durch freiwillige Zusammenschlusse der Zivilgesellschaft entstanden ist; der zweite ist durch die vermachtete Offentlichkeit der institutionalisierten und massenmedial gepragten Meinungs- und Willensbildung des reprasentativen Systems bestimmt (vgl. J. Habermas 1997: 291-292; J. Habermas 1990: 45-50). Um das Funktionieren der Demokratie zu verbessem, muss es also darum gehen, Strukturen zu schaffen, die die offentlichen Verstandigungsprozesse innerhalb der Zivilgesellschaft als auch den offentlichen Dialog zwischen Zivilgesellschaft und politisch-administrativem System starken.
dem „liberalen" und dem „republikanischen", eine dritte normative Konzeption entwickelt, die er die „deliberative" nennt (vgl. J. Habermas 1997: 277-292). ^^ Jiirgen Habermas beschreibt in seinem Werk „StrukturwandeI der Offentlichkeit" den Zerfall der biirgerlichen Offentlichkeit. Massenmedial gepragte Offentlichkeit ist dagegen dadurch gepragt, dass Kommunikationswege starker kanalisiert und die Zugangschancen zur Offentlichen Kommunikation stark eingeschrankt sind. Demnach begannen Massenmedien im 19. Jahrhundert immer starker ihren Einfluss geltend zu machen und die Offentlichkeit vorzustrukturieren und zu beherrschen. Offentlichkeit, die durch den Einflussfaktor Medienmacht gekennzeichnet ist, nennt Habermas „vermachtet" (vgl. J. Habermas 1962; J. Habermas 1990: 27-28).
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Marc Diebacker Strategieorientierte Planung zwischen Partizipatorischer Demokratietheorie und lokaler Praxis
Fiir das Funktionieren des deliberativen Demokratie-Modells von Habermas werden einige konkrete Voraussetzungen genannt, wie die Wahrung autonomer Offentlichkeit, erweiterte Mitwirkungs- und Mitsprachemoglichkeiten von Burgerlnnen, Eingrenzen der Medienmacht sowie die Vermittlungsfunktion nichtverstaatlichter Instanzen (vgl. hierzu auch M.G. Schmidt 2000: 260-261). Im Folgenden werden einige Erfahrungen von lokalen Partizipationsprozessen zu diesen Voraussetzungen in Bezug gesetzt, woraus sich weiterfuhrende Zielformulierungen und strukturelle Erfordemisse fur strategieorientierte Planung ableiten lassen. 5.1 Zur Erweiterung der Mitwirkungsmoglichkeiten durch intermedidre Instanzen Das Schaffen intermediarer Strukturen im Stadtteil bzw. in der Gemeinde ist eine zentrale Bedingung, um offentlich-transparente Dialogprozesse in Gang zu setzen und zu begleiten. Dies gilt in der Stadtplanung, Stadtsoziologie und Gemeinwesenarbeit derzeit als gleichermaBen unbestritten. Als zentrale Strukturelemente agieren vielerorts Stadtteilbtiros, denen unter anderem Funktionen wie die Information und Mobilisierung von Btirgerlnnen, die Initiierung, Moderation und Begleitung von Blirgerlnnengruppen und Initiativen oder gegebenenfalls die Vermittlung zwischen den Btirgerlnnen und Vertreterlnnen der reprasentativen Demokratie iibertragen werden. Die Entwicklung von ausgewogenen Prozessdesigns, das Schaffen von Transparenz oder auch die Bereitstellung von Ressourcen zur offentlichen Bearbeitung der Themen sind weitere Aufgaben dieser intermediaren Strukturen. Auf der kleinraumigen (lokalen) Ebene lassen sich offentlich-transparente Partizipationsprozesse aus mehreren Grlinden einfacher und besser umsetzen: Der lokale Kontext ist ein wesentlicher Bezug in der Identitat der einzelnen Person und bewirkt haufig eine hohe individuelle Motivation, sich aktiv und politisch handelnd an Planungsprozessen zu beteiligen. Die Entwicklung gemeinsamer kollektiver Bezugspunkte und Diskursstrange und das Schaffen bestandiger lokaler Netzwerke sind daher im Stadtteil oder in kleinen Gemeinden am leichtesten moglich. Zudem zeichnen sich vielerorts die Vertreterlnnen der reprasentativen Demokratie, seien es Bezirks- oder Gemeindepolitikerlnnen oder Mitarbeiterlnnen dezentralisierter Verwaltung (sofem eine solche vorhanden ist), durch eine relative Nahe zur Bevolkerung aus. Obwohl die traditionelle Stadt-
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teiloffentlichkeit von einer eher losgelosten traditionellen oder parlamentarischen Offentlichkeit und von entkoppelten, an offentlichen Belangen nicht beteiligten Teiloffentlichkeiten gekennzeichnet ist, sind die Chancen zur Vemetzung dieser beiden Spharen ungleich groBer als auf Stadt- oder Landerebene (vgl. M. Diebacker 2004: 53-59). Bei dem Ziel, bestandige, offentliche Dialogprozesse zu entwickeln, ist auf groBtmogliche Autonomie der neuen intermediaren Schnittstellen zu achten. Die oben beschriebenen Funktionen eines Stadtteilbtiros mtissen im konfliktreichen Spannungsfeld zwischen reprasentativem System und Zivilgesellschaft umgesetzt werden und konnen nur dann zum Abbau bestehender Machtungleichheiten beitragen, wenn sie in der Lage sind, nicht-vermachtete und kritische Teiloffentlichkeiten zu vemetzen. Hohere politische Ebenen sind durch Informationsvorsprtinge, formalisierte und nichtoffentliche Entscheidungsverfahren, informelle und intransparente Einflussnahme sowie zunehmende Interdependenzen zwischen Medien und Politik gekennzeichnet, die zu Machtungleichheiten zwischen Akteurlnnen des reprasentativen System, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft gefiihrt haben. Daher mtissen Strukturen geschaffen und abgesichert werden, die sich dem Zugriff etablierter Vertreterlnnen des reprasentativen Systems als auch neuer machtvoller Lobbyistlnnen verweigem konnen. „Eine aus Motiven und Wertorientierungen gespeiste liberale politische Kultur bildet gewiB einen gtinstigen Boden fur spontane offentliche Kommunikationen. Aber noch wichtiger sind die Verkehrs- und Organisationsformen, sind die Institutionalisierungen von Tragern einer nichtvermachteten politischen Offentlichkeit." (J. Habermas 1990:45) Das bedeutet flir die intermediaren Plattformen und ihre zentrale Position zwischen reprasentativen System und Zivilgesellschaft aber auch, dass sie sich mit ihren eigenen Aufgaben und Tatigkeiten, ihrem Handeln kritisch auseinandersetzen, um nicht selbst zur Kontrolle zivilgesellschaftlicher Diskurse beizutragen. 5.2 Zum Umgang mit der massenmedialen Struktur moderner Gesellschaften Das idealtypische Habermassche Verstandnis einer symmetrischen und machtfreien offentlichen Kommunikation beruht auf kritischen Zustandsanalysen, die zu Recht ein skeptisches Bild von der Struktur medialer Massenkommunikation in modernen Gesellschaften zeichnen (vgl. J. Habermas 1962). Diese massenmedialen Strukturen wirken sich negativ auf Akteurlnnen des reprasentativen Systems, auf die „Qualitat" offentlicher Kommunikation und auch auf die Rezepti-
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ons- und Handlungsfahigkeit der Menschen aus (vgl. M. Horkheimer/ T. Adomo 1944; J. Habermas 1962; N. Chomsky 2002). Dabei ist das Verhaltnis von Politik und Medien von starken wechselseitigen Abhangigkeiten gekennzeichnet. Publizitat fiir Politikerlnnen wird mit Information fiir Joumalistlnnen und Herausgeberlnnen getauscht, die gemeinsam einen gesellschaftlichen Grundkonsens vermitteln. Ein konstitutives Prinzip der Demokratie - die Gewaltenteilung - wird dabei untergraben, da die offentliche Kritik- und Kontrollfiinktion der Medien weiter verschwindet (vgl. M Kaase 1986; U. Saxer 1981; J. Habermas 1990; N. Chomsky 2002). Gerade auf hoheren politischen Ebenen entsteht eine immer groBere Kluft zwischen der „Herstellung von Politik im Entscheidungsprozess und der Politikdarstellung im Vermittlungsprozess" (U. Sarcinelli 1992: 47). Ftir die representative Demokratie bedeutet das eine Legitimationsfalle, da der Bevolkerung ein unzutreffendes Bild von Politik vermittelt wird, das Erwartungen erweckt, die aber von der Politik selbst nicht eingelost werden konnen (vgl. U. Sarcinelli 1994: 36). Fiir partizipative Prozesse im Rahmen der strategieorientierten Planung geht es um den Spagat, Offentlichkeit zu schaffen und zugleich den Massenmedien gegeniiber Autonomic zu wahren, wobei je nach lokalen und strukturellen Voraussetzung die Verantwortung daflir jeweils unterschiedlichen Akteurlnnen zukommt. Auch hier scheint der Stadtteil oder die Gemeinde als politische Handlungsebene bevorteilt: Erstens ist diese Ebene von Skandalisierungen tagesaktueller Medien wie Femsehen, Rundfunk und Zeitungen weitestgehend geschtitzt und die Abhangigkeiten zwischen Lokalpolitikerlnnen und Medienakteurlnnen sind deutlich reduziert. Zweitens sind Quartiersmedien wie Bezirkszeitungen oder Bezirksradio offener fur Themen als ihre Compagnons auf hoheren Ebenen. Drittens ist der Einsatz eigener Medien wie Stadtteilzeitungen oder selbst produzierter Radiosendungen mit entsprechenden fmanziellen Mitteln und vorhandenen lokalen Strukturen oft leist- und durchftihrbar (vgl. M. Diebacker 2004, 53-58). Gegentiber den stadt- oder landerweiten Massenmedien scheint eine transparente Vermittlungsstrategie durch die intermediare Instanzen angebracht: Kontakte, Hintergriinde, Argumente und Positionen der handelnden Gruppen und Institutionen sollten offentlich bereitgestellt werden. Gelingt es zudem, die politischen Parteien an eine verstandigungsorientierte offentliche Vermittlungsstrategie zu binden, so kann Skandalisierungen von Konfliktfallen vorgebeugt werden. Das konnte z. B. bedeuten, dass im Vorfeld eines Partizipationsprozesses die intermediare Instanz klare Vereinbarungen mit Entscheidungstragerlnnen von Politik und Verwaltung als auch mit Vertreterlnnen von Blirgerlnnengruppen iiber den Informationsprozess der Massenmedien vereinbart und diese ent-
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sprechend informiert werden. Wichtige Kriterien wie Transparenz, Gleichzeitigkeit, Abbau von Informationsungleichgewichten, Art und Form der Vermittlung von Presseinformationen etc. konnten im Vorfeld ausgehandelt werden, um einen begleitenden offentlichen Vermittlungsprozess durch Massenmedien bestmoglich zu unterstiitzen, ohne allerdings die Meinungsvielfalt im Willensbildungsprozess einzuschranken. Auch wenn es auf stadtweiter oder regionaler Ebene oftmals unrealistisch ist, Verstandigungsprozesse kontinuierlich massenmedial an Nichtbeteiligte weiterzuvermitteln, scheint es aber zumindest moglich, etablierte und flir verstandigungsorientierte Prozesse schadliche Muster aufzubrechen und die neuvemetzten Teiloffentlichkeiten vor massenmedialen Zugriffen zu schutzen. 5.3 Zur Entwicklung rechtlich abgesicherter Mitbestimmungsmoglichkeiten Im letzten Jahrzehnt sind vielerorts stadtteilorientierte und partizipative Prozessstrukturen entstanden, die wertvoUe Erfahrungen bei der Etablierung von Schnittstellen und offentlich geftihrten Dialogprozessen zwischen Lebenswelt und reprasentativen System sammeln konnten. Verwiesen sei hier auf erfolgreiche Projekte im Rahmen von Stadtemeuerung, Quartiersmanagement oder Lokaler Agenda 21. Bei der Zusammenfuhrung von formalisierten Entscheidungsfmdungsprozessen des reprasentativen Systems und den wenig-formalisierten offentlichen Partizipationsprozessen ist es zu einer Vielzahl an funktionierenden Abstimmungen gekommen, die die Habermassche These einer kontrollierenden und programmierenden kommunikative Macht bestatigt. An manchen Orten wurden formalisierte Gremien des reprasentativen Systems durch Btirgervertreterlnnen erweitert oder auch Gesetzgebungsverfahren abgeandert: In Bezirkskommissionen referieren Agenda-Gruppen, in Jurys zu Bauvorhaben bekommen gewahlte Btirgerlnnen ein Stimmrecht, die Erstellung zukunftsorientierter regionaler Entwicklungskonzepte und Leitlinien ist ohne die Beteiligung der Bevolkerung fast nicht mehr denkbar und gesetzlich geregelte Flachenwidmungsverfahren werden iiberraschend ausgesetzt, um sie durch Ubereinkiinfte von Mediationsverfahren zu erganzen. Diese zahlreichen positiv bewertbaren Beispiele partizipatorischer Demokratie werden allerdings nur sehr selten formalisiert bzw. rechtlich abgesichert. In konfliktreichen Politikbereichen oder konkreten Anlassfallen hat dies zu Folge, dass sich Entscheidungstragerlnnen der reprasentativen Demokratie jederzeit ohne Angabe von Grtinden auf ihre gesetzlich legitimierte Rolle und auf nicht-offentliche, formalisierte Verfahren zunickziehen konnen - das, obwohl gerade in Konfliktsituationen partizipative Prozesse eine besondere Problemlo-
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sungsqualitat entfalten und sich dort die Belastbarkeit von verstandigungsorientiertem offentlichen Dialog beweist. Die Dominanz von etablierten „harten" und gesetzlich definierten Verfahren gegentiber in der Praxis bewahrter „weicher" Partizipationsprozesse muss daher verringert werden. Gerade im gesetzlich stark ausformulierten und von linearen Ziel-Mittel-Szenarien und Dokumenten gepragten Planungsbereich mtissen die partizipativen Verfahren gestarkt und rechtlich abgesichert werden. Diese Institutionalisierung partizipativer Prozesse beugt politisch motivierten und massenmedialen Skandalisierungen vor und fordert eine kontinuierliche, verstandigungsorientierte Dialogkultur in der Stadt. Strategieorientierte Planung ist daher gefordert, die Institutionalisierung bewahrter Beispiele nicht-vermachteter partizipativer Strukturen und Prozesse einzufordem. Ansonsten werden sich die positiven Beispiele des Zusammenwirkens von auBerparlamentarischer und parlamentarischer Verstandigung nicht dauerhaft etablieren konnen. Wiederkehrende Disziplinierungs- und Ausgrenzungsmechanismen und der Ausschluss wenig-organisierter und wenig-vermachteter Bediirfnislagen waren dann die Folge. Literatur Brand, Ulrich (2004): Governance. In: Brockling et al. (Hrsg.) (2004): 111-117 Brockling, Ulrich/ Krasmann, Susanne/ Lemke, Thomas (Hrsg.) (2000): Gouvemmentaliat der Gegenwart. Studien zur Okonomisierung des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Brunnengraber, Achim/ Dietz, Kristina/ Hirschl, Bemd/ Walk, Heike (2004): Interdisziplinaritat in der Govemance-Forschung. Diskussionspapier http://www.ioew.de/home/downloaddateien/DP6404.pdf Abgerufen am 15.03.2006 Castels, Manuel (2001): Information Technology and Global Capitalism. In: Hutton/ Giddens (eds.) (2001): 52-74 Chomsky, Noam (2002): Media Control. Wie die Medien uns manipulieren. Hamburg/ Wien: Europa Verlag Diebacker, Marc (2004): Briicken bauen zwischen Lebenswelt und Politischem System. Zum Wandel lokaler Offentlichkeit. In: Diebacker (Hrsg.) (2004): 51-61 Diebacker, Marc (Hrsg.) (2004): Partizipative Stadtentwicklung und Agenda 21. Diskurse - Methoden - Praxis. Wien: Edition Volkshochschule Diebacker, Marc/ Hammer, Elisabeth (2004): Die Lokale Agenda 21: Ein Instrument demokratiepolitischer Innovation? In: Diebacker (Hrsg.) (2004): 17-26 Eraser, Nancy (2003): Von der Disziplin zur Flexibilisierung? Foucault im Spiegel der Globalisierung. In: Honneth/ Saar (Hrsg.) (2003): 239-258
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Strategieorientierte Planung und die RoUe des Planers bzw. der Planerin
Einleitung Oliver Frey
Strategieorientierte Planung ist in den Kontext eines Paradigmenwechsels hin zu postmodemen und postpositivistischen Planungsverstandnissen einzuordnen. Dabei spielen die Kommunikations- und Beteiligungsformen, die Einordnung von Planung in einen sozial-politischen Kontext sowie die Entwicklung von neuen Kooperationsformen eine wesentliche Rolle. Das linear-technisch-praktische Modell von Planungsablaufen wird in ein komplexes, dynamisches Verstandnis uberfiihrt. Solch ein Verstandnis von Planung bringt auch neue Rollen und Aufgaben von Planerlnnen hervor. Unflexible und relativ enge Planungsinstrumente miissen durch Verfahren und Strategien erganzt werden, welche Beweglichkeit abbilden und aufiiehmen konnen. Raumplanung steht vor der Aufgabe, ein neues Planungsverstandnis zu entwickeln, welches die Planung als einen schrittweisen sozialen Prozess auffasst und in dessen Verlauf Konsensbildung und Koordination der unterschiedlichen Interessenslagen und Anspriiche im Raum erfolgt. Raumplanung muss Abschied nehmen von der umfassenden Planentwicklung hin zu leistbaren Zielund Rahmensetzungen und der Vermittlung von strategischer Orientierung. Auch die (Weiter)Entwicklung von flexiblen Instrumenten und Methoden, um nichtsteuerbare Entwicklungen und Selbstorganisationen im sozialen Raum zu verstehen, steht auf der Tagesordnung. SchlieBlich soil sich eine strategieorientierte Planung auch selbst um die Umsetzung ihrer Ziele bemtihen, stets mit in dem Wissen, dass sie eine Orientierungsfunktion fur gesellschaftliche Entwicklungen besitzt. Barbara Zibell fragt in ihrem Beitrag nach den zu Grunde liegenden Konzepten einer strategieorientierten Planung. Sie weist auf den Ursprung des Begriffs aus der strategischen Untemehmensfuhrung hin und untersucht die Rolle von Leitbildem, die Bedeutung von Innovation und Selbstorganisation sowie informelle Netzwerke als Charakteristika einer strategieorientierten Planung. Zum Abschluss ihres Beitrages stellt sie die neue Rolle von Planerlnnen dar, indem sie in der Formulierung von Leitbildem und Zielsystemen, in der Beachtung von Kontexten und in der Anwendung „weicher" kommunikationsorientierter Methoden eine wesentliche Aufgabe von Planung sieht. Sie schlieBt ihren Beitrag mit dem Fazit, dass strategieorientierte Planung in pluralistischen, demokratischen Gesellschaften eine wichtige Funktion in der Sicherung einer Ge-
Einleitung
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meinwohlorientierung hat: „Dabei spielt die Kommunikation von Leitbildem und Zielsystemen und der Einbezug auch und gerade derjenigen, die sich nicht selbst zu Akteurlnnen machen (konnen), als zentraler Bestandteil jeder politisch legitimierten Strategie eine zentrale Rolle." Deike Peters legt in ihrem Beitrag den Schweq)unkt auf die planungstheoretische Begrtindung von Beteiligungs- und Kommunikationsmodellen einer strategieorientierten Planung. Sie hinterfragt kritisch die theoretische Anlehnung von Beteiligungs- und Kommunikationsmodellen an die Habermannsche „Theorie des kommunikativen Handelns" und sein Konzept der „idealen Sprechsituation" durch eine Gegentiberstellung des Foucaultschen Ansatzes der Verkntipfung von Diskursen mit Machtfragen und der Wissensproduktion. Am Ende ihres Beitrages nimmt sie den Begriff des „deliberative planning" von John Forester auf und zeigt daran, dass die diskursorientierte Wende in der strategieorientierten Planung einen wesentlichen Beitrag zur Uberwindung des technokratisch-rationalistischen Ansatzes von Planung leistet. Sie schreibt, dass deliberative Planungs- und Politikansatze „die Rolle von Kommunikation nicht als Selbstzweck [betonen], sondem explizit zur Normsetzung." Der Beitrag von Friedhelm Fischer zeigt anhand einer Fallstudie zur australischen Hauptstadt Canberra den Wandel der Stadtentwicklungsplanung auf. Er teilt diesen in die Phasen „Fruhmodeme", „klassische Modeme", „Postmodeme", „katastrophale Modeme" und schlieBlich „Nachmodeme" ein. Er setzt dabei den Wandel und die Funktion unterschiedlicher Planungsphasen und Plane, Leitbilder und die Rolle von Architektur zu einem gesellschaftlich-politischen Strukturwandel in Bezug. Am Ende seines Beitrages wirft er die Frage auf, ob die gegenwartige Phase einer planerischen Neuorientierung in Canberra in die aktuelle Debatte um strategieorientierte Planung eingeordnet werden kann und welche Rolle dabei prozess- und partizipationsorientierte Modelle spielen.
Modernism Reloaded Von der sozialstaatlichen Hauptstadt zur neoliberalen Stadt und dariiber hinaus. Das Beispiel der australischen Hauptstadt, Canberra.
Friedhelm Fischer
1
Einleitung
Es dtirfte schwer fallen, eine Fallstudie zu finden, an der signifikante Wandlungen der (Stadtentwicklungs-)Planung wahrend der letzten 100 Jahre deutlicher in Erscheinung treten als am Beispiel der australischen Hauptstadt Canberra. Das gilt fiir die Phase der Mh-modemen GroBstadtplanungen nach 1900, flir die top-down orientierte Expertlnnenkultur der Modeme, die Hochkonjunktur der Stadtentwicklungsplanung der 1970er Jahre ebenso wie fiir deren Niedergang in Nachmodeme und planungsfeindlichem Neoliberalismus sowie schlieBlich fiir ihre Wiedererfmdung als strategieorientierte Entwicklungsplanung um die Jahrtausendwende. Dass Canberra in diesem Zusammenhang eine so aufschlussreiche Fallstudie ist, erklart sich aus dem politischen und kulturellen Auftrag, den die Stadt seit ihrer Griindung um 1900 zu erfullen hatte: Es ging nicht einfach darum, eine Verwaltungshauptstadt zu bauen. Vielmehr sollte Canberra als Aushangeschild der Nation die sozialpolitischen Uberzeugungen der gerade gegrtindeten australischen Nation verkorpem. Ziel war nichts weniger als die Verwirklichung der „idealen Stadt", „the Pride of Time" (P. Harrison 1995). Der Stadt und ihrer Planung wurde daher ein MaB an politischer und fmanzieller Untersttitzung sowie an weitreichenden Vollmachten auf der Grundlage offentlichen Landbesitzes zuteil, von dem Kommunen sonst nur traumen konnen. Vor allem aus England und den USA wurden die jeweils aktuellen Planungsmodelle und Leitbilder ubemommen und mit leichter Anpassung an die australischen Verhaltnisse mit solcher Konsequenz verwirklicht, dass Canberra geradewegs zu einem Freilichtmuseum der Stadtplanung wurde. Zudem erwies sich die Stadt dabei in jeder Entwicklungsphase als aussagekraftiges Spiegelbild der jeweils dominanten politischen Zielvorstellungen. Die Metamorphosen des „Sozialen Kontinents" der Griindungsphase (A. Manes 1914) zum Land der „leisure society" nach dem Zweiten Weltkrieg, die seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert nach Position und Orientierung im globalisierten Konkurrenzgefiige sucht, fanden deutliche Entsprechungen in den Wandlungen
Modernism Reloaded
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der Planung bis zur Wiedergeburt der Stadtentwicklungsplanung zu Beginn des 21. Jahrhunderts (F. Fischer 1999). Die ideale Stadt ist Canberra dabei nattirlich nicht geworden. Die hohen Zielsetzungen der Grtindungsphase sind im Laufe der Zeit zunehmend zerbroselt. Als immerhin fast ideal empfmdet die mittelstandische Zielgruppe, auf die sich die Planung ausrichtete, die Stadt: eine Stadt der Parks und Garten, der Bungalows und Autos, Stadtautobahnen und Einkaufszentren - eine optimierte und subventionierte Vorortlandschaft mit einem kiinstlichen See, einem eher kleinen CBD und einem weitlaufigen Regierungsviertel als Mitte. Die Stadt lasst sich als perfektionistisch realisierte New Town mit phasenweise ausgepragten sozialen Ambitionen beschreiben. Sie ist das Ergebnis einer Abfolge von Ansatzen der Stadt(entwicklungs)planung, die sich einer begrenzten Zahl von planungskulturell gepragten Phasen zuordnen lassen und die sich bildhaft-plakativ mit zeitlich und inhaltlich orientierten Uberschriften wie den folgenden verknupfen lassen: einer ^^Fruhmoderne" (vor dem Ersten Weltkrieg), einer „klassischen Moderne'\ die sich tiber ihre Krisen in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts zur „Postmoderne" und zur „katastrophalen Moderne" (symbolisiert in der Ikone der einsturzendenden Neubauten von Pruitt Igoe) sowie schlieBlich zur „neoliberalen Nachmodeme" wandelte (vgl. Abb. 4).
Abbildung 4:
Friihmodeme; Modeme; katastrophale Modeme; neoliberale Nachmodeme
Einen Oberbegriff fur die gegenwartige Phase zu fmden, fallt nattirlich besonders schwer, da wir uns noch in ihr befmden. Selbst im Bereich der Planung ist der Neoliberalismus mit seinem scheinbar naiven Vertrauen in die Selbstheilungskrafte des Marktes durchaus keine Sache der Vergangenheit. Aber zugleich sind ja jene Ansatze zu verzeichnen, die nach Wegen zur Weiterentwicklung sozial verantwortlicher strategischer Entwicklungsplanung im kooperativen Staat suchen und die Gegenstand dieser Veroffentlichung sind. Die Tatsache, dass diese auf Grundlagen fuBen, die sich im Rahmen einer sozial orientierten Modeme bewahrt haben, gab den AnstoB fur die Uberschrift „ Modernism reloaded". FUr jede dieser Phasen sind unterschiedliche Ansatze der Stadtentwicklungsplanung kennzeichnend - von der „ExpertInnenkultur" der „klassischen Modeme" bis zu der eher partizipatorisch und prozessorientierten Planung spate-
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rer Phasen (zu denen auch Praktiken wie die integrierte und die behutsame Stadtemeuerung gehoren) - aber auch unterschiedliche Entwurfsstrategien und Ikonographien (vgl. Abb. 5). So kann es sich bei den zugehorigen Ikonen, je nach Akzentsetzung, um architektonische Inkunabebi, Personlichkeiten und ihre Posen, Plane oder auch um abstrakte Diagramme handeln, in denen sich Wesensmerkmale dieser Ansatze anschaulich verdichten.
Abbildung 5:
Expertlnnenkultur; integriert; behutsam; Partizipation, Prozess
Wenden wir uns nun vor dem Hintergrund dieser Uberlegungen den Wandlungen der Stadtentwicklungsplanung am Beispiel der Fallstudie Canberra und ihrer Ikonographie zu (Zitate, sofem nicht anderweitig gekennzeichnet, nach F. Fischer 1984). 2
Canberra - Hauptstadt des „sozialen Kontinents"
Die Grtindung Canberras spiegelt die Ziige der emanzipatorischen und sozialreformerischen Phase der ehemaligen Kolonie wider. Errungenschaften wie Frauenwahlrecht, 40-Stunden-Woche und Mindestlohnabkommen, frtiher als in den meisten Landem der tibrigen Welt durchgesetzt, brachten damals Australien den Namen „der soziale Kontinent" ein (A. Manes 1914; F. Fischer 1986). Jenseits der Rivalitaten zwischen Sydney und Melbourne, die die Grundung einer „neutralen" Bundeshauptstadt nahe legten, zog der neue Bundesstaat 1901 in Canberra seine Lehren aus den bitteren Erfahrungen mit der Bodenspekulation der GroBgrundbesitzer, indem er das erste umfassende Experiment der Bodenreform in einem kapitalistischen Land realisierte. Grund und Boden des Hauptstadtterritoriums wurden in ein System der Erbpacht uberfiihrt, das immerhin gut 70 Jahre bis zu seiner Verstiimmelung im Neoliberalismus tiberlebte (F. Fischer 1984, 1989, 1999).
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Auch im Plan des Chicagoer Landschaftsarchitekten Walter Burley Griffin, Ergebnis eines intemationalen Wettbewerbs (1911; vgl. Abb. 6), konnten sich die dominanten politischen Stromungen Australiens wiederfinden. Neben planerischem Sachverstand schienen daraus Demokratie und Egalitat, aber auch ein der etablierten imperialen Tradition verpflichteter Nationalstolz zu sprechen.
Abbildung 6: Wettbewerbsentwurf fiir die Hauptstadt; Plan und Ansicht des Stadtzentrums So ist es durchaus angemessen (und zeittypisch), dass der Plan sich eines Formenrepertoires bediente, das fur Residenzstadte und imperiale Hauptstadte kennzeichnend ist. Zentrale stadtebauliche Motive von Achse und Sichtpunkt, Monument und ParadestraBe oder Mall rufen nicht nur die Vorbilder von Washington und Versailles in Erinnerung, sondem entsprechen auch recht genau dem des Planes der nur ein Jahr spater gegriindeten Imperialhauptstadt Neu Delhi. Doch der Plan, aus Elementen der amerikanischen City Beautiful und der englischen Gartenstadt kombiniert und an Otto Wagners Entwiirfe ftir Wien und ahnliche Plane der „Fruhmodeme" erinnert, ist mehr als nur ein Abklatsch stadtebaulicher Klischees. Er ist ein abgerundeter, ausgereifter Entwurf fast vom Charakter eines Idealstadtschemas, der viele Betrachterlnnen seit seiner Entstehung durch die Ausgewogenheit von formalen und freiziigigen Elementen, von Klassischem und Romantischem, durch den Kontrast von dichter Bauweise entlang der HauptstraBen, die zu einem deutlichen Gefiihl von Urbanitat fiihrt, und abgeschiedenen, gartenstadtisch-ruhigen Wohngebieten dahinter, beeindruckt hat. Er ist zugleich erstaunlich „modem": Bis hin zu den 1960er Jahren gibt es kaum ein stadtebauliches Prinzip, das Griffin hier nicht schon vorwegnehmend formuliert hatte, vom Nachbarschaftskonzept iiber die Trennung der Verkehrsflachen fiir Kraftfahrzeuge und FuBganger, iiber Prinzipien der grob- und feinkomigen funktionalen und sozialen Mischung, bis hin zu einem StraBenbahnsystem mit Nulltarif Der geschickte Einsatz von Topographic und Raum als Gestaltungselement, ganz im Sinne chinesischer und japanischer Prinzipien der Verwendung von Landschaftselementen zur Raumdefmition, veranlasste spater den US-amerikani-
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schen Stadtebauer Edmond Bacon sogar dazu, Canberra als „statement of world culture" und „one of the greatest creations of mankind" zu preisen (E. Bacon 1968). „One of the treasures not only of Australia but of the entire world", legte John Reps 1995 nach. Wahrend Grundelemente des Plans durchaus noch im heutigen Stadtbild abzulesen sind, veranderte sich die Konzeption der Stadt nach dem Ersten Weltkrieg erheblich, als die Elemente einer urbanen City Beautiful fast vollstandig dem Bild einer vorstadtischen Gartenstadt wichen - Ausdruck des Siegeszuges des Bungalows, dem bald der des Automobils folgte. Aber auch die politische Situation des Landes hatte sich radikal gewandelt und mit ihr die lokale Planungskultur. Die Posen, die jene fxir die Planung Canberras Verantwortlichen fiir ihre Fotos wahlten, machen dies teilweise auf amtisante Weise deutlich:
Abbildung 7: Griffin, der Kiinstler-Architekt (1913); gegen die kemigen Burschen der lokalen Beamtenschaft (1920); Butters, der Macher im Sinne der technokratischen Modeme Zunachst Griffin, der sich, 1913 als Baudirektor nach Canberra berufen, ganz als Kiinstler-Architekt mit Fliege prasentierte (vgl. Abb. 7). In der nach dem Ersten Weltkrieg zusehends militarisierenden Beamtenschaft (nur Kriegsveteranen stand der Weg ins Beamtentum offen) hatte der sensible Landschaftsplaner, der nicht gelemt hatte, sich in der rauen Pioniergemeinschaft durchzusetzen, keine beruflichen Uberlebenschancen. Sein Vertrag wurde 1920 nicht verlangert. Danach wurde die Aufgabe der Stadtentwicklung zunachst von den zustandigen Verwaltungsabteilungen iibemommen, deren Vertreter hier eine Selbstdarstellung als derbe Naturburschen bevorzugten, die Stadt aber nicht nennenswert weiterbrachten. Das anderte sich grundlegend, als 1925 eine Kommission mit hoch zentralisierten Zustandigkeiten der Planung, Entwicklung und Verwaltung eingerichtet wurde. Diese reichten von der Weiterentwicklung des Stadtplans unter technischen und sozialtechnischen Aspekten tiber die Organisation von Konsumgenossenschaften bis zur Verhangung der Alkoholprohibition in der Hauptstadt. Die
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Kommission ubte damit eine Machtfiille aus, wie sie zur gleichen Zeit nur Ernst May in Frankfurt besaB und die ihr Vorsitzender selbstbewusst in Posen zu inszenieren beliebte, die an Chicago in der Prohibitionszeit erinnem. In Bezug auf Planungsvollmachten, Geldfluss und Bauvolumen jedenfalls begann damit flir Canberra ein „goldenes Zeitalter". Ganz im Sinne einer technokratischen Modeme beschrieben die Experten der Kommission ihre Aufgabe als ingenieurtechnisches GroBprojekt. In diesem Geist gelang es ihnen, ihre Hauptaufgabe, die Eroffiiung des Parlaments in Canberra bis 1927, zu erflillen. Mittlerweile allerdings war das Bild einer an Monumentalbauten reichen, architektonisch eindrucksvollen Stadt einem wirtschaftlich bescheideneren, starker pragmatischen Konzept gewichen. Mehrere der groBen Verwaltungsbauten, deren Errichtung zu Beginn des Jahrhunderts Teil des Hauptstadtkonzeptes gewesen war, waren bereits in der „provisorischen" Hauptstadt, Melbourne und auch in Sydney entstanden. So wurde das Leitbild der Stadt, zumindest fur deren erstes Entwicklungsstadium, als „Gartenstadt mit einfachen, meist einstockigen Gebauden" defmiert - eine Zielvorstellung, die auf lange Zeit unbeschrankte Giiltigkeit haben sollte. Die Reduzierung der Gartenstadt-Idee auf die Aspekte niedriger Wohndichte und visuell ansprechender Durchgriinung entsprach der breiteren australischen Gesellschaftsentwicklung, in der die Leitbilder sozialer Reformen durch die der aufstrebenden mittelstandischen Vorstadt- und Konsumgesellschaft verdrangt wurden. Damit setzte eine Entwicklung ein, die von der im Griffmschen Plan implizierten dichten Bebauung und stadtischen Atmosphare zur Bungalow-Siedlungsweise, von der urspriinglich urbanen Konzeption zu einer suburbanen, antistadtischen Konzeption fiihrte. Freistehende Vorstadtbungalows drangen nun bis an die Alleen, bis an den (zu jener Zeit noch in Planung befindlichen) See, sogar bis an das Stadtzentrum vor, verdrangten die dreigeschossige Blockrandbebauung, die Griffin hinter der HauptgeschaftsstraBe auf dem Nordufer des Sees vorgesehen hatte und die mit ihrer spektakularen Aussicht tiber See, Regierungsbauten und sudliche Bergketten fur eine Mehrheit der Bevolkemng bestimmt waren - in Griffins Worten „for the most general democratic purpose of ,the greatest good for the greatest number'"(W.B. Griffin 1913, 58). Die HauptgeschaftsstraBe selbst, in Griffins Plan eine Seeuferpromenade von weltstadtischem Glanz, degenerierte zur Hauptverkehrsstrasse, um in den 1960er Jahren schlieBlich zur Stadtautobahn zu mutieren. Die zentrale Nord-Siid-Achse, in Griffins Plan eine „FlanierstraBe" mit „Casino", und die angrenzenden „playgrounds of the city" wurden zum Spielfeld des Militars, einer militarischen Kultzone mit einem Kriegsmuseum am Ende einer Aufhiarschachse, deren Auflage aus zerkleinerten roten Ziegelsteinen einen auch
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akustisch wirkungsvollen Untergrund fur die marschierenden Veteranenstiefel abgibt.
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Abbildung 8:
Das Zentrum der Hauptstadt, mit „Landachse" im Norden und Regierungsviertel siidlich des Sees: oben: Entwurf Griffin 1913, unten: Ansicht im Jahr 2000
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Stagnation und Nachkriegsaufschwung
Die „Goldenen 20er" endeten in Australien, wie in weiten Teilen der westlichen Welt, in der Weltwirtschaftskrise. Ftir Canberra bedeutete dies eine lang anhaltende Stagnation, die auch in der Zwischenkriegszeit fortdauerte. Erst das Wirtschaftswachstum der 1950er Jahre und die Zentralisierung des bundesstaatlichen Steueraufkommens veranderten die Entwicklungsperspektiven fiir die Hauptstadt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der iiberragende australische Nachkriegspolitiker, der konservative Premierminister John Menzies (19491966), der, ganz ahnlich Konrad Adenauer in Bonn, sein Herz ftir das „Bundesdorf entdeckt und beschlossen hatte, Canberra zum neuen Symbol der australischen Politik zu machen. Und Menzies machte Nagel mit Kopfen: Um dem Generationenprojekt der Hauptstadtentwicklung langfristige politische Untersttitzung zu sichern, auch tiber wechselnde Mehrheiten und Wahlperioden hinweg, setzte Menzies die Grtindung einer auBergewohnlich handlungsmachtigen neuen Organisation durch (1957): Lediglich dem Nationalparlament gegenuber verantwortlich, war die National Capital Development Commission (NCDC) zustandig ftir „die Planung, ErschlieBung und Entwicklung der Stadt als Hauptstadt des Commonwealth of Australia". In diesen diirren Worten waren ihre Aufgaben in einer Verfassung umrissen, die ebenso kurz und vieldeutig war wie die ideale Verfassung Napoleons. Bundesstaatliche Gesetzgebung und groBzugige Finanzzuweisungen direkt durch das Parlament machten die NCDC zu einer Organisation, auf die auch die britischen New Town Corporations nur mit Neid blicken konnten. Solche Voraussetzungen und die Planungsvollmachten auf der fortbestehenden Grundlage offentlichen Landbesitzes versetzten die Planerlnnen in die Lage, quasi kompromisslos ihre Vision einer idealen Hauptstadt und New Town zu realisieren. Ausgesprochen hilfreich erschien dabei die Tatsache, dass die Stadt seit ihrer Grtindung ohne kommunale Selbstverwaltung war. War die Nachkriegszeit allenthalben eine Phase, die sich nicht gerade durch ein hohes MaB an Btirgerlnnenbeteiligung in der Planung auszeichnete, so gait dies in besonderem MaBe in Canberra. Die NCDC spielte ihre Rolle wie in einer wohlwollenden Diktatur, bis ihre Vision einer idealen New Town fest auf dem Boden und in den Kopfen der Biirgerlnnen verankert war. So sehr die restriktive Informationspolitik der Planerlnnen der Nachkriegszeit auch Telle der Biirgerlnnenschaft verargerte, so gering war deren Interesse an der Einftihrung kommunaler Selbstverwaltung, war ihnen doch klar, dass damit auch eine hohere Eigenfmanzierung der Stadt durch ihre Biirgerlnnen verbunden sein wurde. Und so kam es erst 1988 zur Einftihrung der kommunalen Selbstverwaltung in Canberra.
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Die groBe Aufgabe bestand zunachst ab 1958 in der Umsiedlung zahlreicher Ministerien, die mittlerweile ein halbes Jahrhundert lang eine „provisorische" Existenz in Melbourne und Sydney gefuhrt batten - mitsamt ihren Beamtlnnen, die ihrem Umzug in das „Bundesdorf' wenig begeistert gegentiber standen. Umso mehr war die Regierung geneigt, nicht nur die Stadtentwicklung groBzligig als offentliches Projekt zu fmanzieren, sondem auch die Bewohnerlnnen durch die Subventionierung aller moglichen Bereiche bei Laune zu halten. Die Grundlage dafur lieferten das australische Wirtschaftswunder, das sich seit der Korea-Krise wesentlich aus den Rohstoffquellen des Kontinents speiste, und das Pachtsystem, das den Hausbau ausgesprochen erschwinglich machte. Tatsachlich erwies sich das Umsiedlungsprojekt als erfolgreicher als erwartet. Wachstumsraten der Einwohnerlnnenzahlen um 10% bis fast zur Mitte der 1970er Jahre und der einsetzende Automobilisierungsboom konfrontierte die Planerlnnen mit Herausforderungen, die in diesen GroBenordnungen in Australien noch nicht aufgetreten waren. Doch das Gefuhl von Wachstumspanik sollte bald von der im Rtickblick viel lebendigeren und haufiger zitierten Wachstumsund Planungseuphorie abgelost werden. Denn „Science and Technology made in USA" versprachen Rettung. Die ersten neuen Nachbarschaftseinheiten und Zentren der Nachkriegszeit waren noch den Prinzipien der britischen New Towns gefolgt: gegliederte und aufgelockerte Stadt, wie sie in den 1950er Jahren allenthalben gebaut wurde. Und wie in Howards Gartenstadtmodell war zunachst ein Kranz von Satellitenstadten rings um die bestehende Central City geplant worden: Um allerdings die Verkehrskonsequenzen einer solchen Planung zu prognostizieren, dazu schienen die technischen Moglichkeiten von „01d Europe" Anfang der 1960er Jahre nicht auszureichen. Den Siegeszug computergesttitzter Methoden des „traffic engineering", der bereits aus den USA auf Europa iibergegriffen hatte, konnte auch Australien nicht ignorieren. In Canberra schienen seine Triumphe sogar noch einmal steigerungsfahig zu sein. Da sich Grund und Boden in offentlicher Hand befanden, konnte Land scheinbar „zum Nulltarif als Verkehrsflache Ubemommen werden. Das Landpachtsystem bot zugleich die Moglichkeit, die raumliche Verteilung von Wohnbevolkerung, Arbeits- und Einkaufszentren und anderen Nutzungselementen mit weit groBerer Genauigkeit vorherzubestimmen als dies in Stadten mit geringerer Planungskontrolle moglich ware. Die Situation schien einzigartig: „(•••) We are unique - we are in a better position to meet the challenge of this 'growth pressure' than any other capital city. We have the opportunity to benefit from the mistakes made in other capitals and the methods that they use in endeavours to find a solution untrammeled by any of the normal inhibitions of planning, and aided by modem science and technology." (NCDC 1964: 2)
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So lieB sich ein Ziel anstreben, das sich „in anderen autoabhangigen Stadten ahnlicher GroBe" als unerreichbar erwiesen hatte: namlich ein StraBensystem zu entwerfen, das jederzeit, auch in den Spitzenzeiten (!), den Anforderungen eines stetig ansteigenden Verkehrsaufkommens gewachsen war. Die Plane, die in dieser Situation entwickelt wurden, waren extrem in ihren Konzessionen an das „Bungalow-Automobil-Syndrom". Der erste Plan (1963) sah einen Ring von Satellitenstadten vor, deren Zentren iiber radiale Stadtautobahnen miteinander und mit dem expandierenden CBD des alten, Griffmschen Canberra verbunden waren (vgl. Abb. 9). Fur eine Stadt von 250.000 Einwohnerlnnen projektierte er ein Stadtautobahnnetz, das Los Angeles alle Ehre gemacht und die im Mittelpunkt des Verkehrsbedarfs liegende Innenstadt in eine Asphaltwuste mit kleinen besiedelten Inseln zerteilt hatte.
Abbildung 9:
Stadtentwicklungsplan 1963: Centre & Satellites; innerstadtischer Highway und Subzentrum der Autostadt (Planung 1963); der Y-Plan (1967/ 1970er) Bandstadt aus New Towns
Doch der nachste Plan (1967), vom Typus der Land Use Transportation Studies, dem die Stadtentwicklung de facto bis in die jiingste Vergangenheit folgte, war in Bezug auf Raumanspriiche nicht weniger extravagant. Der Verkehrsstau, der das „alte Canberra" im Zentrum des Spinnennetzes aus Autobahnen erstickt hatte, sollte nun dadurch vermieden werden, dass die Satellitenstadte der Regionalstadt als New Towns mit je eigenen Stadtzentren in einem bandformigen Korridor aufgereiht und die Stadtbautobahnen an die Peripherie verlegt wurden. Das hohe MaB der dezentralisierten Verteilung von Funktionen in die Zentren der New Towns hinein sollte die City verkehrstechnisch entlasten. In der heutigen Realitat erstreckt sich das Stadtband der Hauptstadt liber eine Lange von fast 40 km - bei einer Emwohnerlnnenzahl von 300.000. Kein Wunder, dass die Stadt nicht nur Raum, sondem auch groBe Mengen von Transportenergie frisst.
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selbst wenn alle Vorziige, die sich aus der Bandform fiir den offentlichen Nahverkehr ergeben, eines Tages durch die Einrichtung einer zentralen Schnellbahn ausgenutzt werden soUten. Grundriss und funktionale Struktur der Stadt sind weitgehend das Produkt von Entscheidungen auf dem Gebiet der Verkehrsplanung. So hatten die Modellrechnungen auch ergeben, dass sich das Potential des offentlichen Nahverkehrs steigern lieBe, wenn sich die Bandstadt nordlich der Innenstadt in der Form eines Y aufspaltet. Optimale Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Balance des Verkehrssystems waren die messbaren ZielgroBen, denen sich die wiederum an den gleichen systemtheoretischen Idealen orientierte Einzelhandels-Strukturplanung unterordnete. Die Bausteinstruktur der Stadt sollte es erlauben, innerhalb des solchermaBen optimierten Wachstums-Rasters eine beliebige Anzahl identischer Nachbarschafts-Module in vorherbestimmte Positionen einzufiigen und im Stadtemeuerungsprozess auch auszuwechseln. Die flachendeckende und von der Warte der Planerlnnen aus makellos fehlerfreie Anwendung einschlagiger Planungsprinzipien bis in Details der sozialen Mischung - tiber Jahrzehnte hinweg und fiir eine Stadt von gut einer Viertelmillion Einwohnerlnnen in den 1980er Jahren - gereichte der NCDC zu betrachtlichem Stolz auf die eigene vorzeigbare Leistung. In der Selbstdarstellung der Behorde gipfelten mechanistische und technokratische Idealvorstellungen in dem Bild des Stadtentwicklungsprozesses als „established, repetitive, industrialized sequence". 4
Stadt als Ergebnis der Massenproduktion
Canberra in den 1970er Jahren schien ein wahr gewordener planerischer Traum, den die Behorde als vorbildlichen Prozess der industriellen Massenproduktion stadtischer Umwelt propagierte. Die Stadt wurde aber auch als das Produkt einer alptraumhaften „Wurstmaschine" empfiinden, die unablassig identische Nachbarschaftsmodule fur eine ebenso standardisierte Bevolkerung hervorbrachte: „We plan for 3 bed rooms, a Holden and a motor mower", wie es ein Planer zusammenfasste. Der Holden, das ist das australische Gegenstiick zum Opel. Besser noch ware, ihn als das Gegenstiick zum Ford zu beschreiben. Denn diese optimierte und subventionierte Vorortlandschaft, die sich um eine sorgfaltig austarierte Hierarchic von Zentren lagerte, war eine perfektionistische Manifestation planerischer Idealvorstellungen im Zeitalter des Fordismus - in einer Stadt fi-eilich, in der es praktisch keine Industrie gab.
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Die Kartierung der realen Flachennutzungen der spaten 1970er Jahre ist geradezu eine Ikone ftir diese Phase (vgl. Abb. 10). Sie verdeutlicht, mit welchem Perfektionismus die hierarchischen Planungsprinzipien angewandt wurden. Was aussieht wie eine Schemazeichnung aus dem Planungslehrbuch, war die gebaute Realitat einer Stadt der technokratischen Modeme; aber auch einer Stadt des New Town Blues und des fehlenden Burgerlnnengeistes; einer Stadt mit weit reichenden und rigide gehandhabten Prinzipien der Funktionstrennung, deren perfektionistische Durchsetzung in absurden Aktionen Gestalt annahmen: etwa im Einsatz eines Rollkommandos der Stadtverwaltung, das die wenigen Sttihle vor dem Laden des Wiener Cafehausbesitzers in einer Nacht-und-Nebel-Aktion konfiszierte. Aber vielleicht war eben dies auch der Anfang vom Ende der autokratischen Phase technokratischer Triumphe in Canberra.
Abbildung 10: Flachennutzungskartierung (1979); Suburbia mit Subzentrum (1970): Blick auf die New Town Woden; Teil des Stadtzentrums (1970) Tatsachlich zeigte dieser Ansatz zur Planung einer „Schonen Neuen Welt" bereits gegen Ende der 1970er Jahre Risse. Die sorgfaltig austarierte Pyramide von Einkaufszentren geriet ins Wanken, als die Eigendynamik des Marktes sich dem planerischen Zugriff entzog. Zudem kollidierten die Zielvorstellungen der USamerikanischen Einzelhandelsberaterlnnen, die die systemtheoretisch motivierte Vorstellung einer perfekten Pyramide von Einkaufszentren propagierten, in der auf jedes Zentrum ein sorgfaltig berechneter und stabiler Umsatz entfallt, mit der Vorstellung der NCDC, dass die Zentren auf unterschiedliche Weise gestaltet werden und mit der Zeit ihre eigenen Wesensmerkmale entwickeln sollten. Bei aller Kritik am technokratischen Charakter der Stadtentwicklungsplanung soil deren Leistung nicht unterbewertet werden, fur ein jahrliches Bevolkerungswachstum in der GroBenordnung von 10% die gesamte stadtische Infrastruktur ohne nennenswerte Engpasse bereitzustellen und die Stadt „zu planen, zu erschlieBen und zu entwickeln". Das Konzept war sogar so erfolgreich, dass
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die zeichnerische Vision, die Ende der 1960er Jahre entworfen wurde, fast fur ein Luftbild des heutigen Canberra gehalten werden konnte (vgl. Abb. 11). Was die Zeichnung noch nicht darstellen konnte, ist das 1988 eroffiiete postmodeme Parlamentsgebaude innerhalb des groBen Verkehrskreisels auf der Stidseite des Sees. Es ist neben dem Museum of Australia (2002) eines der relativ wenigen herausragenden Werke der Architektur in Canberra. Tatsachlich lasst sich Canberra zwar als bemerkenswerte Manifestation stadtplanerischer und auch landschaftsplanerischer Idealvorstellungen sehen. Entsprechendes gilt aber nicht flir die Architektur. Dieser Kontrast steht im Zusammenhang mit den Schwerpunkten der offentlichen Ausgaben im Baubereich: 75% der Haushaltsmittel gab die NCDC Uber lange Zeit fur „normal basic community requirements" aus, sprich: technische Infrastruktur, Schulen, Gemeinbedarfseinrichtungen und Grtin. Fiir aufwendige Vorzeigearchitektur und monumentale Regierungsgebaude blieb daher nicht viel. Der Gegensatz zwischen der Stararchitektur Brasilias beispielsweise und den Slums der Vorstadte, in denen dort die Mehrzahl der Bevolkerung haust, fehlt daher im alles andere als architektonisch aufregenden Canberra.
Abbildung 11: Gezeichnete Vision (1969); fast deckungsgleich: Realitat (2000); Parlamentsgebaude (1988); Museum of Australia (2002) Die Architektur der australischen Hauptstadt rangierte in der Prioritatenliste lange Zeit weit hinter den Zielen einer Stadtentwicklungsplanung, deren Augenmerk primar auf den Verkehr und die Befriedigung der materiellen Alltagsbedtirfiiisse der Bevolkerung in den Bereichen Wohnen und Infrastruktur gerichtet war. In diesem Sachverhalt spiegeln sich zum einen egalitare, ausgesprochen anti-elitare Grundziige der australischen Konsum- und Freizeitgesellschaft wider. Zum anderen spricht daraus das historisch gewachsene Ziel der Planerlnnen eines „Bundesdorfes", eine reibungslos funktionierende Stadtlandschaft fiir die umworbenen Beamtlnnen der Verwaltungshauptstadt zu schaffen. Die Subventionen nicht nur fiir die hohen Standards der Stadtentwicklung sondem auch ftir billige Verbraucherpreise fur Wasser und Elektrizitat (in den Anfangsjahren sogar flir einen Gratis-Heckenschneide-Service) kamen aus dem Bundesetat, ohne dass zwischen den kommunalen Kosten und den Hauptstadt-spezifischen Ausgaben differenziert wurde.
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Tatsachlich behandelte die NCDC die Hauptstadt nicht als „Zwei-Komponenten-Stadt" mit Regierungsbezirk und „Alltags-Stadt", wie es die meisten Hauptstadte der Welt tun, sondem als eine zusammenhangende Stadtlandschaft von durchgangig hohem Design-Standard. Welcher Anteil an diesen Kosten konnte der lokalen Bevolkerung zugemutet werden? Und wo war andererseits die Grenze zur LFbersubventionierung zu ziehen? Das Versaumnis, diese Frage beizeiten grundsatzlich zu klaren - die Bewohnerlnnen der Hauptstadt zogen die materiellen Vorteile des Status Quo gegentiber kommunaler Selbstverwaltung und fmanzieller Selbstverantwortung vor - fiihrte angesichts knapper werdender offentlicher Mittel und neoliberaler Politikansatze zu MaBnahmen, die die Grundlagen der Planung radikal veranderten. Von entscheidender Bedeutung war die bereits in den 1970er Jahren einsetzende Verstiimmelung des Pachtsystems durch den konservativen Premierminister Gorton - ein populistischer Schachzug, der die jahrlichen Pachtzahlungen aussetzte und durch eine rein ausgabenorientierte Grundsteuer ersetzte. Ein wunderbares Wahlgeschenk fiir die Immobilienbesitzerlnnen, die damit auf immer von ihren Pachtzahlungen mitsamt den vereinbarten Steigerungsraten befreit wurden und sich als Eigentlimerlnnen von Grundstiicken wiederfanden, fiir die sie nie einen Kau^reis im engeren Sinne bezahlt hatten! Vergleichsweise bedauerlich fur die Neueinsteigerlnnen auf dem Immobilienmarkt! (Bedauerlich auch fiir Gorton, dem diese Privatisierungsaktion nicht den erhofften Wahlsieg einbrachte.) 5
Die neoliberale Phase
Dieser Verschleuderung offentlicher Ressourcen folgte ein sprunghafter Anstieg der Immobilienpreise, der die 1980er Jahre iiber fortdauerte und in den 1990er Jahren noch einmal einen neuen Schub erhielt: Das unter der neoliberalen Regierung gegnindete Amt fur Immobilienmanagement nahm den Preisanstieg nicht einfach als Konsequenz verscharfter Marktorientierung hin. Im Gegenteil: Als Makler der offentlichen Liegenschaflen sah es seine Aufgabe in der Maximierung der Erlose beim Baulandverkauf, u. a. durch eine Politik der restriktiven Baulandausweisung. So konnte die Behordenleiterin zu Beginn des neuen Jahrtausends stolz verklinden, im kleinen Canberra das Bodenpreisniveau der teuersten australischen Metropole, Sydney, erreicht zu haben. Eine wahrhaft nachhaltige Leistung, denn mittlerweile haben die Mieten auf dem privaten Wohnungsmarkt in Canberra jene in Sydney sogar weit iiberfliigelt und die Hauspreise sind zwischen 1997 und 2007 zwischen 200% (Durchschnitt) und 700%
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im teuersten Vorort gestiegen (http://canberraproperty.com.au, abgerufen am 11.02.2007; eigene Kalkulationen). Das ursprtingliche Ziel der Griinderlnnengeneration der Hauptstadt, liber den kommunalen Landbesitz erschwingliche Wohngrundstiicke fiir eine breite Einwohnerlnnenschaft zur Verfiigung zu stellen, hatte sich in sein radikales Gegenteil verkehrt. Und mit der gleichen Konsequenz, mit der Canberra in Zeiten sozialstaatlicher Orientierung die jeweils aktuellen planerischen Leitvorstellungen realisiert hatte, verfolgte die Stadtpolitik mit dem Aufkommen des Neoliberalismus einen Kurs der Deregulierung und Privatisierung, der 1988 zur weitgehenden Demontage der Stadtplanung fiihrte: Verkniipft mit der - lange tiberfalligen - Einfuhrung kommunaler Selbstverwaltung in jenem Jahr war die Auflosung der fiir ganz Canberra zustandigen Planungsbehorde, der NCDC. Da das Projekt der Hauptstadtentwicklung als im Wesentlichen abgeschlossen deklariert wurde, ging es nun darum, die offentlichen Zustandigkeiten so weit wie moglich von der Planung auf das reine Management von Aufgaben zu verlagem, die liber Outsourcing an die Privatwirtschaft zu vergeben waren. Fiir diese Arbeit schienen Okonomlnnen und Managerlnnen viel besser geeignet zu sein als Baufachleute und Stadtplanerlnnen. Die NCDC wurde durch zwei Nachfolgeinstitutionen ersetzt: eine kommunale Behorde fiir Stadtmanagement und limitierte Planungsfunktionen (PALM = Plannning and Land Management) und eine Behorde, die speziell fiir die National Area Functions zustandig war (NCPA = National Capital Planning Authority). Da allerdings - angesichts der neoliberalen Aversion gegen Planung - der Buchstabe „P" noch zu haufig vertreten war, wurde die NCPA bald durch die als schmerzhaft empflindene Abtrennung ihres „P" zur NCA versttimmelt. Tatsachlich schienen diese Beschneidung und die Konzentration ihres Aufgabenspektrums primar auf die Grtinraume im Umfeld des Sees uber die Errichtung einzelner offentlicher Bauten hinaus zunachst nicht viel an planerischen Spielraumen zu belassen. Insgesamt fiihrte die Strategic, „die Planungsfunktionen (...) streng zurtickzuschneiden", zur Abwanderung von Architektinnen und Planerlnnen aus der relativ kleinen Stadt und damit auch zu unersetzlichen Verlusten an praktischen Fahigkeiten, Erfahrungswissen und (nicht zuletzt iiber die Auslagerung der Bibliothek und der Aktenbestande der NCDC) zu Verlusten des institutionellen Gedachtnisses, die bald schmerzhaft in Erscheinung treten sollten. Unter dem Druck neoliberaler Politik engten sich die Handlungsspielraume des verbliebenen professionellen Mitarbeiterlnnenstabs in einer Weise ein, die unmittelbar im Stadtbild sichtbar wurde. Um beispielsweise Planungs- und ErschlieBungskosten zu reduzieren, wurden weite Telle des Entwurfs vorstadtischer Bebauungsplane privaten Baufirmen tiberlassen, deren Desinteresse an stadte-
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baulichen Aspekten sich aus ihrer (durchaus legitimen) Konzentration auf Gewinnmaximierung erklarte und sich z. T. in dicht zusammengedrangten Hausern und hochst problematischen ErschlieBungsstrukturen niederschlug. Gewinnmaximierende Sparsamkeit unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit und unzureichende Genehmigungspraktiken einer verschlankten Behorde lieBen in den neuen Vororten stellenweise desolate StraBenbilder entstehen. Hatten der Bauzeichner bzw. die Bauzeichnerin sich nicht um die Orientierung des B-Plans gekiimmert, dann konnte der zur Sonne hin orientierte Ausblick auf die freie Landschaft eben nur von den geschlossenen Wanden der Garagen aus genossen werden. Und eine Art Bauwirtschaftsfunktionalismus bemachtigte sich selbst der Architektur der Wohnhauser, deren traditionell-australische Merkmale wie Veranda und Dachtiberstand aus Sparsamkeitsgrtinden in Vergessenheit gerieten. Der postmodemen Desintegration der Stadtentwicklungsplanung entsprach eine Beschrankung auf isoliert konzipierte Einzelprojekte, die von Korruptionsskandalen liberschattet wurden. SchlieBlich fiihrten die die Tendenzen des institutionalisierten Gedachtnisverlustes und der De-Professionalisierung in den spaten 1990er Jahren zu einer jener Katastrophen, von denen das neoliberale Australien mehrere erlebt hat. Ausgangspunkt war die Standortentscheidung der NCA, das neue Museum of Australia an der Spitze einer Halbinsel im See anstelle des stadtischen Krankenhauses aus den 1940er Jahren zu bauen. Diese stieB bei Teilen der Bevolkerung auf Widerspruch, nicht zuletzt auf Grund emotionaler Verbundenheit mit diesem traditionellen Bau, in dem viele Bewohnerlnnen geboren worden waren oder selbst Kinder zur Welt gebracht hatten. Um diese Gefuhle zu iiberspielen, wurde beschlossen, den Abriss des Krankenhauses als GroBereignis zu inszenieren. Die einstiirzenden Neubauten von Pruitt Igoe, die als Ikone den „Tod der Modeme" symbolisierten, sollten durch eine relativ neuartige Sprengtechnik in den Schatten gestellt werden. Die Implosion des Gebaudes sollte es ermoglichen, in relativ geringer Entfemung von den Ufem des Sees und von Booten aus beim Picknick dem Spektakel beizuwohnen. Bedauerlicherweise wurde der Sprengauftrag vor dem skizzierten neoliberalen Hintergrund an eine unerfahrene Firma vergeben, der es gelungen war, die etablierte Konkurrenz zu unterbieten. Und die Praxis der De-Professionalisierung, die Architektinnen durch Baufirmen ersetzt hatte und Planerlnnen durch Projektmanagerlnnen, hatte dazu beigetragen, auch die Uberpriifiing der professionellen Qualifizierung der Sprengfirma auf die leichte Schulter zu nehmen. Fachleute, die man hatte konsultieren konnen, waren abgewandert. Der institutionelle Gedachtnisverlust hatte weiterhin zu Problemen gefuhrt, die Bauakten und Konstruktionsplane des Krankenhauses aufzufmden. Waren diese zu Rate gezogen worden, dann hatte sich kaum iibersehen lassen, dass die Wande des im Zweiten Weltkrieg errichteten Gebaudes aus enorm dickem, stahlbewehrtem
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Beton bestanden. Aber wie die Dinge an jenem 13. Januar 1997 standen, entdeckte die Sprengfirma die auBergewohnliche Soliditat des Gebaudes zu spat. Buchstablich in letzter Minute versuchten die Mitarbeiterlnnen, den lacherlichen Effekt einer kleinen Explosion ohne Wirkung zu vermeiden, indem sie die Sprengstoffmenge vervielfachten.
Abbildung 12: Katastrophale Nachmodeme: Die misslungene Implosion des Krankenhauses; auf der Suche nach dem Siindenbock Das Ergebnis war katastrophal: Statt zu implodieren und ordentlich in sich zusammenzufallen, explodierte das Gebaude (vgl. Abb. 12). Die Triimmer flogen quer iiber den See, verletzten Menschen, schlugen wie Bomben in die Boote ein und enthaupteten ein Madchen, das in einer Zuschauerreihe am Ufer stand. Es folgte die iibliche Untersuchung, die nach juristisch Verantwortlichen suchte. Aber es gab auch Stimmen, die anerkannten, dass das Problem jenseits einzelner Siindenbocke im deregulierenden Kontext und in einer Planungskultur lag, die auf einen katastrophalen Tiefstand gesunken war. 6
Neuanfang im 21. Jahrhundert
Ende 2001 brachte ein Regierungswechsel die Labor Party ins Amt. Stadtplanung war eines der zentralen Wahlkampfthemen und ein ausschlaggebender Faktor fiir den Wahlsieg gewesen. Noch wahrend seines ersten Amtsjahres formulierte der neue Planungsminister ein Programm, das viele der Idealvorstellungen umfasste, die die Internationale Leitbilddiskussion der 1990er Jahre charakterisieren. In drei zentralen Planwerken geht es seit 2002/03 um soziale Inklusion, ein hoheres MaB an Nachhaltigkeit durch den Ausbau des offentlichen Nahverkehrs und um innovative Formen der Einbeziehung unterschiedlicher Akteurlnnen im Rahmen offentlich-privater Partnerlnnenschaften sowie zivilgesellschaftlicher Govemance-Srukturen: Ein sozialer Plan, ein Wirtschaftsplan und ein raumlicher Plan (ACTPLA 2004) sollen in interaktiven Prozessen zwischen Regierung und
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Bevolkemng entwickelt werden. Dazu gehoren Teilplane bezuglich der Einfiihmng der StraBenbahn, neuer, partizipativer Nachbarschafts-Entwicklungskonzepte sowie ein Btindel von Ansatzen, die in gemeinsamen Workshops von Bevolkerung, lokalen Planerlnnen und Expertlnnen der OECD erarbeitet wurden (OECD 2002). Noch im Jahr 2000, also noch vor dem lokalen Politikwechsel, hatte das „Territorial Branch" der OECD Canberra in die Reihe ihrer Urban-RenaissanceProjekte aufgenommen. Weitere Fallstudien waren Belfast, Berlin, Glasgow, Krakau und Kitakyushu. Der Ansatz der OECD bestand darin, auf der Basis eingehender Untersuchungen mit Hilfe eines intemationalen Teams von Fachleuten und unter breiter Beteiligung der lokalen Akteurlnnen ortsspezifische Losungen zur nachhaltigen Gestaltung des Strukturwandels zu entwickeln. Im Mittelpunkt stand die Arbeit an innovativen Strukturen fur Partizipation, der Mobilisierung von Sozialkapital, der Vemetzung offentlicher und privater Partnerlnnen im zivilgesellschaftlichen Kontext, der Verbindung von projektorientierten mit gesamtstadtisch-strategischen Handlungsansatzen und letztlich der Entwicklung und Umsetzung neuer Visionen - kurz gesagt: ein Ansatz auf der Hohe der strategieorientierten Entwicklungsplanung der Jahrtausendwende. Freilich stehen die eingehende Analyse der Urban-Renaissance-Studien, ebenso wie Evaluationen des Projektes, noch aus und fiir qualifizierte Einschatzungen beztiglich der seither in Canberra entwickelten AnsStze ist es allemal noch zu Mh. Zu konstatieren ist jedenfalls (ohne vorschnell Kausalbeziehungen herzustellen) eine deutliche Belebung der Diskussion um die Weiterentwicklung der Stadt, und zwar von Seiten unterschiedlicher Akteurlnnen: Die kommunale Behorde (PALM) mit ihren neuen Planwerken und sozial und prozessorientierten Strategien wurde bereits angesprochen. Weiter traten nun, gestarkt durch die neoliberale Phase, private Investorlnnen mit neuartigem Rollenverstandnis in Erscheinung. Zwar hatten diese auch wahrend der eher etatistischen, „modemen" Phase der Stadtentwicklung eine nicht zu unterschatzende Rolle gespielt. Nun aber legte der Property Council (2004) ein strategisches Alternativ-Konzept zur Stadtentwicklung vor, und Canberras grofite individuelle Investoren (und Mazene), die Gebrtider Snow, denen die australienweite Welle der Privatisierung der Flughafen zu nicht gekannter okonomischer und stadtentwicklungspolitischer Macht verholfen hatte, prasentierten ein umfangreiches Programm zur Revitalisierung des Stadtzentrums. Und schlieBlich erwachte die Hauptstadtbehorde, die NCA, aus ihrem scheinbaren Domroschen-Dasein, das manchem auf „lawn mowing and flag pole design" beschrankt schien. Tatsachlich aber hatte ja bereits die Entwicklung des Museum of Australia anstelle des Krankenhauses in der ruhigen, griinen Mitte Canberras eingeschlagen wie eine Bombe. Und am Siidufer des Sees, im Stadt-
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teil Kingston, war die NCA weiterhin an einem der ftir das ausgehende 20. Jahrhundert so charakteristischen Projekte der Quartiersentwicklung am Wasser beteiligt. 2004 aber ging sie mit der Veroffentlichung einer umfangreichen Studie iiber die Revitalisiemng und Re-Urbanisierung der Gebiete in der Mitte der Stadt einen groBen strategischen Schritt weiter - im Mittelpunkt: die Rtickkehr zu den urbanistischen Prinzipien des ursprtinglichen Planes von W.B. Griffin. Dies ist zumindest das formulierte Ziel einer stadtebaulichen Studie, die unter dem Titel „The Griffin Legacy" veroffentlicht wurde (NCA 2004). Kern des aufwendig gestalteten Prachtbands ist eine detaillierte Aufarbeitung der Planungen Griffins sowie ihrer Verandemngen wahrend und nach dessen Arbeit in Canberra. Darauf bauen stadtebauliche Ideenskizzen auf, die in Planen, Grundrissen und Aquarell-Ansichten neue Baumassen im Bereich der zentralen Knotenpunkte, der Uferzonen und der City-Beautiful-Boulevards mit ihren StraBencafes visualisieren (vgl. Abb. 13). Sie beschworen jene Elemente der Vision einer kompakten, an europaischen Vorbildem orientierten Innenstadt herauf, die bereits die Betrachterlnnen des Griffmschen Planes bezauberte und die als vollkommene Antithese zu dem im heutigen Canberra realisierten Leitbild der modemen, autogerechten und radikal funktionsentmischten BungalowStadt erscheint.
Abbildung 13: Skizzen zur Reurbanisierung der Gebiete im Herzen der Stadt Mit einem Schlag verwandelte diese Vision einen Teil der weitlaufigen Parks im Bereich von Stadtmitte und See, deren Bewasserung in Zeiten von Klimawandel und Wasserrationierung als zunehmend problematische Hypothek empfunden v^urde, in ein gigantisches Potential der Innenentwicklung, machte aus der „Lady of the Lawns" (die Behordenleiterin ist eine Dame) eine Managerin von Immobilienkapital von unschatzbarem Wert.
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Es kann nicht uberraschen, dass augenblicklich der Property Council, die Vereinigung der Immobilieninteressen, auf die offentliche Biihne trat - mit Lob, Interessensbekundungen und der Forderung, nicht zimperlich bei anvisierten Hohen von bis zu acht Etagen zu verharren, sondem gleich 20 bis 30 Stockwerke vorzusehen - und natiirlich ein groBziigig dimensioniertes Parkplatzangebot. Dass derartige Vorstellungen grotesk tiberzogen sind und eine weitere Vergewaltigung des Griffin-Planes darstellen, steht auBer Zweifel. Nahe liegend sind auch Zweifel am Realisierungshorizont der NCA-Studie (25 bis 30 Jahre), selbst wenn der aktuelle Biiromarkt-Boom anhalt. (Im Widerspruch zu alien verbalen Aussagen Uber die Verschlankung des Behordenapparats expandiert namlich die Bundesregierung in Canberra dramatisch - vor allem im Bereich nationale Sicherheit.) Von Interesse als langfristig orientierte Richtschnur fiir die mogliche Weiterentwicklung der Hauptstadt ist das „Griffm-Vermachtnis" vor allem im stadtebaulichen Bereich im engeren Sinne. Zwar wurden wirtschaftliche und ingenieurstechnische Gutachten eingeholt, aber durchaus nicht in ausreichender Tiefe. Unterbelichtet bleiben Verkehr, Okologie, soziale Aspekte (Griffins Ideen fur einen sozial durchmischten Wohnungsbau im Zentrum werden nicht einmal erwahnt) sowie strategische Fragen.. Die skizzierten baulichen Dichten, die Hohenentwicklung, die Einschrankungen von Sichtbeziehungen und die Eingriffe in die gewachsene Stadtlandschaft sind offentlich hochsensible Themen, die nach Bearbeitung in einem qualifiziert begleiteten Diskussionsprozess verlangen. Hier scheint es zur Zeit noch zu hapem, obwohl alle Voraussetzungen dafur vorhanden sind. Versteht man die Studie in diesem Zusammenhang als arbeitsteilige Erganzung zu den strategischen Planwerken der kommunalen Behorde, mit der sie abgestimmt wurde, dann lasst sich der von NCA und PALM verfolgte Neuanfang als viel versprechende Konstellation von stadtebaulichen und sozial orientierten Strategieans^tzen interpretieren. Diese eroffiien auf der Basis iibergeordneter strategischer Ziele und in einem erweiterten Akteursumfeld Perspektiven fur Einzelprojekte, die ihrerseits eingehangt sind in einen flexiblen gesamtstadtischen Entwicklungsrahmen. Das Ergebnis ist ein integrativer Orientierungs- und Handlungsrahmen, den es seit der Phase der etatistisch konzipierten Modeme nicht mehr gegeben hat - keine schlichte Neuauflage allerdings, sondem als strategische Entwicklungsplanung ein Fall von „Modemism Reloaded". Der Erfolg und die Bewertung des Ansatzes hangen natiirlich an einer Vielzahl von Faktoren - nicht zuletzt daran, in welchem MaBe sich die stadtische Entwicklungspolitik in der Praxis nicht nur der Einflussnahme der wirtschaftlich potentesten Akteurlnnen offiiet. Auch ist die Aufgabe der Planung seit der Verstiimmelung des Pachtsystems nicht leichter geworden. Problematisch sind weiterhin die aktuellen politi-
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schen Konflikte zwischen dem Labor-regierten Stadtstaat Canberra und der konservativen Bundesregierung unter Premier J. Howard, der nicht nur in den U.S.amerikanischen Wahlkampf hineinredet, sondem nach Moglichkeit auch in die Gesetzgebung der Hauptstadt eingreift - zuletzt durch eine Intervention gegen die Neuregelung im Bereich gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften. Aber insgesamt ist seit der Jahrtausendwende die Chance untibersehbar, dem Pendel der Planungspolitik eine neue Wendung zu verleihen - nicht zuriick dahin, wo es vor dem neoliberalen Desaster war, sondem in eine qualitativ neue Richtung. Das gleiche gilt fiir die Voraussetzungen fur die Entwicklung einer lebendigen Planungskultur. Diese bestehen a. b. c.
aus dem politischen Willen zum Neuanfang in obigem Sinne, aus dem bestehenden, hoch entwickelten Planungsdiskurs in Australien und aus dem lokalen Potential einer auBergewohnlich hoch qualifizierten Bevolkerung aus Universitaten, Verwaltung, Wirtschaft und auch Fachleuten, die auch nach dem Prozess des Outsourcing in der Stadt verblieben sind.
Abzuwarten bleibt, wie diese Chancen und Potentiale genutzt werden und ob die gegenwartige Phase ebenso wie die vorangegangenen als prononcierter Ausdruck von Idealvorstellungen, Leitbildem und Trends der aktuellen Planungsdebatte gesehen werden konnen: •
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Wahrend der ersten Phase, von 1900 bis zu den spaten 1970/1980er Jahren, war Canberra eine perfektionistische Manifestation planerischer Idealvorstellungen des 20. Jahrhunderts. Die Art und Weise, teilweise auch das MaB an Perfektionismus, in der alle relevant erscheinenden Planungsprinzipien und Leitbilder tiber Jahrzehnte hinweg umgesetzt warden, machte Canberra zu einer Art Freilichtmuseum der Stadtplanung. Das Ergebnis war allerdings nicht, wie erhofft, die ideale Stadt oder die am besten geplante Stadt der Welt, sondem moglicherweise „die geplanteste Stadt", wie Canberra manchmal ironisch genannt wird - eine Stadt jedenfalls, die eine nahere Betrachtung wert ist, weil die Potentiale ebenso wie die Probleme der angewandten Planungsansatze mit besonderer Deutlichkeit aufscheinen. Mit einer gewissen ironischen Logik lasst sich konstatieren, dass die Stadtpolitik ihrer jahrzehntelang verfolgten Tradition des Perfektionismus bei der Umsetzung planungspolitischer Leitbilder auch weiter treu blieb, als die Leitvorstellungen des Neoliberalismus das Ende der Planung postulierten. Keine andere groBere australische Stadt hat so radikal die Demontage der Stadtplanung betrieben wie Canberra. Das Ergebnis war eine Stadt, die
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stellenweise buchstablich zu Bruch ging - allerdings, so konnte man sagen, wiederum in exemplarischer Weise: De-Professionalisierung, Demontage von Planung, Verlust des institutionellen, offentlichen und fachlichen Gedachtnisses durch kurzsichtige Marktorientierung sowie damit verbundene katastrophale Konsequenzen sind Phanomene, die der Neoliberalismus allenthalben mit sich gebracht hat, die aber selten mit solch exemplarischer Klarheit in Erscheinung treten wie in Canberra. Und seit 2002/2003 sieht es so aus, als konnte Canberra wiederum eine Stadt sein, deren Erfahrungen bei der Suche und bei der Anwendung der neuen Planungsparadigmen, diesmal auch im Rahmen sozial verantwortlicher Stadtentwicklungsplanung, innerhalb prozess- und partizipationsorientierter, zivilgesellschaftlicher Strukturen, besonders aufschlussreich sein werden. Modernism Reloaded?
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Friedhelm Fischer
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Planerlnnen als ^deliberative practitioners" Auf dem Weg zu einem neuen, diskursiven Pragmatismus in der Planung(stheorie)?
Deike Peters
Strategieorientierte Planung in ihrer neuesten Inkamation setzt viel auf Beteiligungs- und Kommunikationsmodelle. Der folgende Beitrag untersucht diese Aspekte vor einem allgemeineren planungstheoretischen Hintergrund. Denn auch den pragmatischsten, praxisorientiertesten sozialwissenschaftlichen Neuorientierungen tut es gut, wenn sie sich nicht nur aus einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext heraus ableiten lassen, sondem auch auf einen soliden theoretischen tJberbau verweisen konnen. Wie steht es also um das sozialwissenschaftliche Theoriegebaude, das sich iiber das neue Biirgerlnnenparadies eines strategieorientierten Staates rankt, der nun angeblich alien zuhort, alle mitdiskutieren lasst und alles kooperativ aushandelt? Berlin lasst seine stadtplanerischstadtebaulichen Zukunftsvisionen seit iiber zehn Jahren in einem offentlichen Stadtforum diskutieren, definiert als „Versuch einer diskursiven Beteiligung interessierter Btirgerlnnen an der stadtischen Politik""^^. Hannover beteiligt erstmals auch Btirgerlnnen an der Erstellung seines neuen Regionalen Raumordnungsprogramms. Und in 17 Berliner „Problemkiezen" von Wedding bis Neukolln durften ausgewahlte Biirgerlnnenjurys gar tiber die konkrete Verwendung von je einer halben Millionen Euro fiir diverse Stadtteilprojekte entscheiden. Nur drei von vielen Beispielen fur neue Beteiligungsansatze in der Stadtund Regionalplanung. Zu optimistisch, wer glaubt, Beispiele wie diese seien lediglich einer benevolenten Eingebung einsichtiger Staatsdienerlnnen, und insbesondere Planerlnnen, geschuldet, die plotzlich ein fiir alle Mai verstanden hatten, dass die Btirgerlnnen oft selbst am besten wissen, was fiir sie und ihr unmittelbares Lebensumfeld am wichtigsten ist, und dass man sie daher immer fragen, mitdiskutieren und mitentscheiden lassen sollte, um Planung und Politik zu verbessem. Selbstverstandlich spielt es eine wichtige Rolle, dass der Staat, und damit im weiteren
'*^ Eigene Definition der Berliner Senatsverwaltung fUr Stadtentwicklung, siehe auch http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/forum2020/index_stadtforum.shtml, abgerufen am 24.01.2005
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Deike Peters
Sinne auch die Planung"^^, in Zeiten eingeschrankter Handlungs- und Steuerungsfahigkeit gar nicht anders kann, als sich kooperativer zu verhalten und neue Legitimationsgrundlagen zu entwickeln, um angestrebte Entwicklungsziele zu verwirklichen. Zu zynisch jedoch, wer meint, die neue Beteiligungs- und Kommunikationswut der offentlichen Hand bringe keine wirklich substantiellen Veranderungen in den Entscheidungs- und Akteurskonstellationen mit sich und schiaue Stadt- und Quartiersmanagerlnnen nutzten kommunikative Foren, Biirgerlnnengutachten und dergleichen mehr nur zur nachtraglichen Sanktionierung Oder Verzierung von bereits in den tiblichen Hinterzimmem beschlossenen Konzepten. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. Wie weit reichend die durch das neue kommunikative Planungs- und Politikverstandnis angestoBenen Veranderungen im Resultat wirklich sein konnen, mochte ich in diesem Beitrag allerdings dahingestellt lassen. Stattdessen mochte ich lieber eine genauere theoretische Einordnung und Prazisierung des dazugehorigen veranderten Planerlnnenselbstbildes versuchen. Hierbei kann neben der ublicherweise von Planungstheoretikerlnnen bemlihten Theorie des Kommunikativen Handelns von Jurgen Habermas auch der diskursanalytische Ansatz Michel Foucaults entscheidende, erganzende Impulse liefem. Inwieweit diese beiden Ansatze ausschlieBlich als gegensatzliche oder eben auch als potentiell komplementare Konzepte zu verstehen sind, wird derzeit in der angloamerikanischen planungs- und politiktheoretischen Literatur kontrovers diskutiert. Hier fmdet sich auch eine im Vergleich zur deutschsprachigen Diskussion sehr viel breiter angelegte Debatte um die „argumentative Wende in Politikanalyse und Planung" (F. Fischer/ J. Forester 1993) und deren Beziehung zur neuen Generation post-positivistischen und postempiristischen"^^ Forschens und Denkens in den Sozialwissenschaften allgemein. Von besonderem Interesse ist hier das pragmatische Konzept des ..deliberative planning", welches Planerlnnen explizit dazu aufruft, sich wieder starker in „abwagende Fachmanner/frauen" zu verwandeln - und eben nicht nur in unbeteiligte Moderatorlnnen (vgl. J. Forester 1999; M. Hajer/ H. Wagenaar 2003, F. Fischer 2003/^. Kurzum: Es lohnt sich anscheiNeben „Planung" als politisch-administrativ verankerter, formaler Tatigkeit im Rahmen der hoheitlich-regulativen Aufgaben des Staates gibt es selbstverstandlich auch diverse Formen von nicht hoheitlicher Planung. ^^ Das Wort „postempiristisch" wird insbesondere von Frank Fischer (2003) verwendet und versteht sich vor allem im Kontext seiner Forderung, dass sich die Politik- und Sozialwissenschaften insgesamt von einem allzu positivistischen, rationalistischen, d. h. empiristischen und vomehmlich quantitativ orientierten Wissenschaftsparadigma verabschieden sollten und starker auf qualitative und interpretative Ansatzen bauen sollten. Siehe auch meine Ausfiihrungen zur Postmodeme weiter unten. 49 Das englische Wort „deliberative" ist von den beteiligten Autorlnnen wohliiberlegt (d. h. deliberately) gewahlt worden, da es eine Vielzahl von Bedeutungen und Konnotationen hat. „Deliberative" heiBt vor allem „abwagend" oder „beratend", das stark verwandte Wort „deliberate"
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nend, iiber Channel und Atlantik hinweg ein paar theoriebeladene Anregungen zu holen, um das etwas diffuse Bild des bzw. der neuen - postmodemen? - Planers bzw. Planerin hierzulande ein wenig aufzumischen und zu bereichem. Der folgende Aufsatz mochte dies in drei Schritten leisten: Zunachst wird zusammengefasst, wie und warum sich derzeit eine Mehrheit von beteiligungsorientierten Planungstheoretikerlnnen dem sog. kommunikativen Modell verschrieben haben, das sich an das philosophische Werk Jiirgen Habermas' anlehnt. Daraufhin werden die vor allem von Michel Foucault inspirierten Einwande einer (wachsenden) planungstheoretischen Minderheit skizziert. Ein dritter Teil beschreibt dann das gemeinsame Anliegen einer neuen, pragmatischen, postempiristischen Planungstheorie und untersucht die Ntitzlichkeit des Konzeptes des ..deliberative planners'' in diesem Zusammenhang. Am Ende wird auch der Zusammenhang mit aktuellen Rufen nach einer wieder starker strategieorientierten Planung deutlich. 1
Kommuiiikative Planung als neuer Mainstream in der Zunft: Ein willkommener Rettungsanker fur Planung in postmodernen Zeiten?
Planungstheoriegeschichte im Zeitraffer: Planerlnnen haben sich innerhalb von zwei bis drei Generationen von allmachtsphantasierenden, hierarchisch-technokratisch-sektoral denkenden Alleinentscheiderlnnen in kooperativ handelnde, flexible Allround-Talente verwandeln miissen, die nun als Prozessmanagerlnnen in der Moderation und Mediation von demokratischen Entscheidungsfmdungen auf lokaler und regionaler Ebene brillieren sollen. Theoretikerlnnen konstatieren eine fast vollige Umkehrung des planerischen Selbstverstandnisses weg vom Ideal eines/einer Experten/Expertin, der/die unter Anwendung zweckrationaler, wissenschaftlicher Methoden durch moglichst flachendeckende planerische Interventionen das offentliche Interesse fordert hin zu einer kommunikativ versierten Mittlerperson, die sich nur mehr auf das Gelingen einzelner Planungskonzepte und deren gesellschaftlicher Akzeptanz konzentriert. Inkrementalismus statt Strategic, Projekte statt Programme, Vermittlung statt Entscheidung? Die „mittlere", also die „68er"-Generation progressiver planerischer Weltverbessererlnnen hat sich allerdings von der Kurzlebigkeit der Planungseuphorie der friihen siebziger Jahre mit ihrem Anspruch (all)umfassender kommunaler Entwicklungsplanung nie so recht erholt und beaugte den sich in den 1980er Jahren gemutlich breitmachenden projektorientierten Inkrementalismus immer mit - durchaus berechtigter - Skepsis. Recht haben sie: Mussten Staat und Plakann aber neben „bedachtig", „wohI erwogen" oder „bewusst" auch „absichtlich" oder „vorsatzIich" meinen.
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nung denn wirklich bei den ersten Anzeichen der Krise des Wohlfahrtsstaates gleich die Segel streichen und ihren umfassenden Steuerungsanspruch weitestgehend aufgeben? Muss denn eine zunehmend auf partnerlnnenschaftliches, kooperatives Aushandeln angewiesene Planung notwendigerweise inkrementalistisch ausfallen, oder kann sie trotzdem noch strategisch und perspektivisch sein? Wie konnte die Legitimitatsgrundlage planerischen Handelns erfolgreich umdefmiert werden, sodass sich Planerlnnen, Politikerlnnen und Biirgerlnnen wieder wohl(er) fuhlen konnen in ihren zugedachten Rollen? Und: Welchen Beitrag liefem neue Beteiligungs- und Kommunikationsmodelle hierbei? Bewusst polemisch formuliert, dient dieser Fragenkatalog in erster Linie dazu, den oft zu pauschal formulierten Zusammenhang zwischen Umfassendheit, programmatischer Inflexibilitat, Technokratie, sowie Btirgerlnnenfeme auf der einen Seite und Inkrementalismus, projektorientierter Flexibilitat und partizipativer Kommunikation auf der anderen Seite zu problematisieren. Obwohl die groBere Kooperationsbereitschaft und Burgerlnnennahe der offentlichen Hand als positive Errungenschaft der letzten Jahrzehnte angesehen werden muss, sieht es bei der oft direkt damit assoziierten Projektorientierung in der Planung ein wenig anders aus: Offentliche Planung verliert bei einem zu inkrementalistisch, stUckwerkhaft-opportunistisch angelegten Vorgehen zunehmend ihre Legitimitatsgrundlage. Es sollte also einerseits darum gehen, Planung wieder mehr in ein strategieorientiertes Handeln mit langfi-istiger, gesamtgesellschaftlicher Vision zuriickzuverwandeln, und dieses Handeln andererseits gleichzeitig fiir die Offentlichkeit transparenter und mitgestaltbarer zu organisieren. Das im deutschen Sprachraum in diesem Zusammenhang seit den 1990er Jahren so oft bemiihte Konzept des „perspektivischen Inkrementalismus" (vgl. bes. K. Ganser 1991) wird diesem Anspruch leider nur ansatzweise und meist nur in rhetorischer Hinsicht gerecht. Meist uberwiegt der Inkrementalismus, „Strategie" meint in diesem Kontext oft nur „strategische Selektion auf Grund begrenzter Ressourcen" (vgl. hierzu bes. U. Altrock 2005 in diesem Band) und Beteiligung ist eigentlich kein inharenter Teil des Konzeptes, obwohl sie oft parallel eingefordert wird. Claus Offe (1972) hatte schon Anfang der 1970er Jahre in seinem klassischen Aufsatz auf die zentrale Funktion von Partizipation zur Legitimation von Planung hingewiesen. Offes Theorie war allerdings eingebettet in eine strukturalistische Perspektive, die davon ausging, dass Planerlnnen prinzipiell eher Teil des krisenbehafteten kapitalistischen Systems seien und vor allem durch die politisch-administrativen Reaktionen und durch staatlich gewollte Umverteilungseffekte unter Legitimationsdruck gerieten. Verwaltungshandeln wurde weniger verstanden als Handeln zur Behebung marktbedingter Fehlallokationen oder sozialer Ungleichheiten, sondem als Ausloser neuer dramatischer Folgekonflikte, um deren Abwehr oder Beschwichtigung sich Planerlnnen dann bemtihen
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mussten. Neben Offes Verdienst, viele Formen von Partizipation lediglich als „Scheinlegitimation" entlarvt zu haben, ist vor allem seine Unterscheidung in Flmrnngsinteressierte, d. h. Untemehmen, Verbande, Parteien, Tragerlnnen offentlicher Belange und Flmmngsbetroffene, d. h. in erster Linie nicht-strategisch organisierte Biirgerlnnen, interessant. Hinzuzuftigen ware lediglich die Rolle der Flaxmngsverantwortlichen (Stadt, Region, Land etc.). Wie aber nun eine bloBe „Scheinlegitimation" vermeiden und einen moglichst gleichberechtigten Dialog von Planungsverantwortlichen, Planungsinteressierten und Planungsbetroffenen erreichen? Hier bot nun (Claus Offes Doktorvater) Jiirgen Habermas eine - zumindest theoretische - Alternative, die die Planungstheoriegemeinde seither nicht losgelassen hat. Gestiitzt auf Habermas' 1981 veroffentlichte „Theorie kommunikativen Handelns" wird die in Planungsund Entscheidungstheorien vormals zentrale Zweck-Mittel-Rationalitat um die Dimension der Verstdndigungsrationalitdt erganzt, die davon ausgeht, dass Handeln erst dann rational wird, wenn es kommunikativ zustande gekommen ist. Neben der Handlungsorientierung tritt daher nun die Verwendung von Sprache ins Zentrum des Blickfeldes; eine „argumentative Wende" wird ausgerufen (vgl. F. Fischer/ J. Forester 1993). Kommunikative Planungstheoretikerlnnen verstehen Diskurs als Weiterfiihrung kommunikativen Handelns auf einer reflexiven Ebene und betonen die Habermasschen Kriterien der Verstandlichkeit, Wahrhaftigkeit, Legitimitat und Wahrheit (vgl. bes. J. Forester 1989). Praktisch miindet der neue theoretische Uberbau dann vielfach in dem Aufruf, die fiir eine erfolgreiche Planung notwendigen kommunikativen Prozesse in moglichst naher Anlehnung an Habermas' Konzept der „idealen Sprechsituation" zu organisieren, in dem jeder bzw. jede a. b. c.
die Chance hat, Diskurse zu eroffnen, etwas behaupten und den Geltungsanspruch anderer Behauptungen problematisieren kann und die gleiche Chance hat, representative oder regulative Sprechakte zu verwenden (vgl. J. Habermas 1981).
Selbstverstandlich wissen auch die optimistischsten Vertreterlnnen der kommunikativen Planungstheorie, dass dies in der Realitat eine zutiefst unrealistische Annahme ist und dass bestehende Machtungleichgewichte zwischen verschiedenen Akteurlnnen nicht einfach ausgeblendet werden konnen. Sie bestehen dennoch darauf, dass die konkrete Ausgestaltung von Kommunikations- und Kooperationsprozessen und die personliche, rhetorisch-strategische Haltung der Planerlnnen darin einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Qualitat und gesellschaftliche Konsensfahigkeit von Planungsentscheidungen haben.
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Um es ganz deutlich zu sagen: Habermas' Glaube daran, dass in einem verstandigungsrationalen Diskurs letztendlich gemeinsame Entscheidungen nicht per Machanspruch der verschiedenen Teilnehmerlimen getroffen werden, sondem sich in einem intersubjektiven, kommunikativen Prozess die sog. „Macht des besseren Arguments" durchsetzen kann, ist ftir Planerlnnen nicht nur pragmatisch von Bedeutung, sondem rettet die Zunft in postmodemen Zeiten auch aus einer viel groBeren theoretischen Bredouille. „Postmodeme" steht ja nicht nur fur postfordistische Okonomien, fiir flexibilisierte Steuerungsmodelle und fur diversifizierte Lebensstile, sondem in erster Linie auch ftir eine Krise neuzeitlichen Denkens, die die zentralen konstituierenden Elemente der Aufklarung wie Fortschritt, Universalitat und die Vorherrschaft vemunftgeleiteten, objektivrationalen wissenschaftlichen Denkens allgemein in Frage stellt. Lyotard hat postmodern als „incredulity towards metanarratives" (1984) defmiert und die Verallgemeinerbarkeit lokaler, individueller Erfahrungen und Standpunkte verneint. Planung war als eine zukunftsgerichtete, zweckrational-technokratisch orientierte Wissenschaft eine Paradedisziplin der Modeme und wurde daher durch die postmodemen Attacken der 1970er Jahre in den Grundfesten ihrer Daseinsberechtigung erschiittert. In einer postmodemen Welt multipler Wahrheiten, in der jeder subjektive Standpunkt - insbesondere auch der von gesellschaftlichen Minderheiten - eigentlich einem jeden anderen gleichberechtigt ist, erscheinen zweckrationale Entscheidungsstrategien nur als Rechtfertigung hegemonialer Herrschaftsverhaltnisse. Planung als Handlung zum Wohle des „offentlichen Interesses" wird entweder als unmoglich oder als scheinheilig interpretiert. Genau hier liegt die zentrale Bedeutung der Habermasschen kommunikativen Theorie, die das Prinzip der Intersubjektivitat zum Rettungsanker vemunftgeleiteten Entscheidens macht. Die Modeme - und mit ihr die planerische Zunft - muss nicht abdanken, sie muss nur ihre instmmentell-zweckrationale Rationalitat durch eine kommunikative Rationalitat ersetzen und sich ihrer eigenen Reflexivitat besser bewusst werden. Ohne hier noch mehr ins sprachphilosophische und wissenschaflstheoretische Detail gehen zu konnen, wird jedoch die theoretische Attraktivitat einer durch Habermas reformierten, kommunikativ ausgerichteten Planungstheorie schon sehr deutlich. Die kommunikative, diskursive Wende beschert Planerlnnen also nicht nur ein hoffentlich verbessertes, reformiertes Verhaltnis zur Offentlichkeit und zu anderen Akteurlnnen und dadurch „bessere" Planungsergebnisse, sondem sie stellt Planung auch theoretisch auf eine neue Legitimationsbasis, die vielen zentralen postmodemen Vorwtirfen begegnet.
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Foucault statt Habermas? Die Macht des besseren Arguments versus Machtausiibung durch Diskurs
Unbeantwortet blieb allerdings die Frage, ob eine vomehmlich auf die Verbesserung kleinteiliger, kommunikativer Prozesse ausgerichtete Planungstheorie gleichzeitig auch in der Lage sein kann, den gesamtgesellschaftlichen Riickzug der Planung in strategielosen Projektaktionismus und perspektivarmen Inkrementalismus erfolgreich zu thematisieren oder gar umzukehren. Und eben dieser Riickzug der planungstheoretischen Diskussion auf vergleichsweise mikrosoziale Problemlagen ist der zentrale Kritikpunkt, den eine wachsende Minderheit von Planungstheoretikerlnnen derzeit gegen die dominante Version kommunikativer Planungstheorie einbringt. In der Tat sind viele prominente Vertreterlnnen dieser Richtung augenscheinlich so sehr mit der Analyse von planerischem Tagesgeschaft - z. B. von beispielhaften lokalen Beteiligungs- und Kooperationsprozessen, speziellen Stadt- und Regionalentwicklungsforen, runden Tischen und dergleichen mehr - beschaftigt, dass fur eine angemessene Problematisierung der diese Prozesse umrankenden gesellschaftlichen und okonomischen Machtstrukturen wenig Raum zu bleiben scheint (vgl. z. B. A. Bischoff et al. 1996; K. Selle 1996; K. Selle 2000; H. Sinning 2003 in der deutschsprachigen und z. B. J. Throgmorton 1996; J. Innes 1995; J. Innes/ D. Booher 2003 in der englischsprachigen Literatur). Planungstheorie scheint somit ihren in den 1970er Jahren vorherrschenden politokonomischen, substantiellen Einschlag weiterhin zugunsten von eher prozessorientierten Ansatzen verloren zu haben. Auf dem FuBe folgt dann der noch explizitere Vorwurf einer angeblichen Machtblindheit der von Habermas inspirierten kommunikativen Planungsansatze. Dieser Vorwurf wird vor allem von Theoretikerlnnen erhoben, die sich von Michel Foucault inspirieren lassen, fur den „Diskurse" immer in intimster aber eben auch problematischer - Weise mit Macht und Wissen(sproduktion) verbunden sind, und welcher zudem Macht sehr postmodern und poststrukturalistisch als etwas Diffuses, nicht an Einzelpersonen Festzumachendes, versteht, das durch „diskursive Regime" wirkt. Autorlnnen wie Bent Flyvbjerg (1998, 2000) oder Tim Richardson (1996) sehen in der Anwendung von Foucaults diskursanalytischer Methode und den dazugehorigen Theorien eine bessere Alternative, Planungsvorgange zu verstehen und zu analysieren. Hierbei argumentiert insbesondere Richardson (1996: 281-282) recht ausschliefilich, in dem er die Moglichkeit einer Habermas und Foucault kombinierenden Theorie vemeint^^. ^^ Im Original: "These are, after all, deeply opposed philosophies. Communicative rationality may be posited as an idealized form of policy debate, but Foucault reaches deeper towards an understanding of the deployment of power in the real world. This dilemma reflects the tensions between competing philosophies in the critique of modernity. (...) It cannot be enough to side-step the problem by
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Dies steht im Gegensatz zu der sehr viel versohnlicheren Position vieler kommunikativer Planungstheoretikerlimen, die in Antwort auf die Kritik der Foucaultianerlnnen durchaus bereit sind, sich auf einer (meta-)theoretischen Ebene in Bezug auf die zentrale, immer wiederkehrende Frage der Machtausiibung in Entscheidungsprozesses auch von Foucault und anderen postmodemen Denkerlnnen inspirieren zu lassen (vgl. bes. P. Healey 1992; J. Forester 1999; J. Hillier 2002). Es ist im Rahmen dieses Aufsatzes selbstverstandlich weder moglich noch notwendig, diese mittlerweile recht ausufemde und lebhafte Debatte in der angloamerikanischen Planungstheoriediskussion auch nur in Ansatzen adaquat nachzuzeichnen. Die meines Erachtens brauchbarste und zutreffendste Zusammenfassung der Debatte hat Frank Fischer (2003:229) in seinem Buch „Reframing Public Policy: Discursive Policies and Deliberative Practices" gehefert, in dem er betont, dass die beiden Lager schlicht auf verschiedenen Ebenen diskutieren: Foucaultianerlnnen argumentieren makroorientiert historisch-kontextuell, verlieren aber den Blick fur „agency" d. h. das konkrete „Wer tut was?", wahrend die Habermasianerlnnen sich mit einer zu mikrosozialen Analyse eben dieser Frage begniigen und nicht genug kontextualisieren^^ Es muss also in Zukunft um die Entwicklung einer Planungstheorie auf der Meso-Ebene gehen, die beides leistet, d. h. eine Theorie, die einerseits wieder expliziter an politische und politokonomische Problemlagen ankntipft und die andererseits auch versucht, in dem gegebenen Rahmen konkrete Handlungsanweisungen flir Planung und der dazugehorigen Politikentwicklung zu geben. Denn es ist am Ende die explizit prdskriptive, wenngleich wohl allzu idealisierende Komponente der von Habermas inspirierten Theorien, die diese Ansatze von politik- oder sozialtheoretischen Beitragen in Richtung einer ambitionierten, umfassenden Planungstheorie erhebt. Mit anderen Worten: Kommunikative Planungstheorie ist letzten Endes eben keine rein prozessorientierte Planungstheorie, sondem birgt durchaus auch einen neuen, substantiellen Ansatz in sich, der allerdings auf breitere FtiBe gestellt werden muss und sich nicht allein aus kleinteiligen Einzelfallbeobachtungen konkreter Planungsbeispiele speisen darf Auf der anderen Seite bleiben constructing a composite Habermasian-Foucauldian theory from such contradictory positions. (...) [T]he Foucauidian analysis offers critical insights into policy making which illuminate the wider significance of the policy process. Habermasian argumentative planning, focusing on the policy process in isolation, does not seem to grasp this wider discursive dimension of policy making." ^^ Fischer formuliert seine Zusammenfassung im Original wie folgt: „Whereas the Foucauldians emphasize the large historical questions, they have neglected the normative questions of agency in the social life-world. On the other hand, it is just these micro communicative struggles that the Habermasians take on, but too often at the expense of the larger socio-historical contexts in which it takes place. The task ahead for critical planners and policy analysts is to develop a theory of agency that is appropriately situated in the larger macro political contexts in which the micro struggles take place."
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foucaultorientierte Kritikerlnnen auch nur scheinbar auf der makroanalytischen Ebene verhaftet. So birgt etwa Bent Flyvbjergs (1998) vielbeachtete (und iibrigens ebenfalls sehr kleinteilig angelegte) Fallstudie zu Verkehrsplanung in der danischen Stadt Aalborg eine Reihe interessanter Aussagen dazu, wie Planung denn (idealerweise) sein soll(te). 3
„Deliberative Planning" als neue Zauberformel? Die versohnliche Vision eines/einer pragmatischen, postempiristische Planers/Planerin der Zukunft
Einig sind sich Habermas- und Foucaultanhangerlnnen in der Planungstheorie jedenfalls in einem: Die diskursorientierte Wende in Planung und Politkanalyse darf nicht aufgegeben werden, denn sie dient der erfolgreichen Uberwindung einer technokratisch-rationalistischen Version von Planung, die in einer spatoder nachmodemen, postempiristischen Ara nicht mehr zeitgemaB ist. Der verbleibende Disput rankt sich dann darum, auf welcher Ebene diese neue Diskursorientierung vorrangig angewendet werden sollte. Geht es vomehmlich um .first-order local discourses''' also um das Jistening to stories'' oder eher um „second-order discourses'' und das identifying and problematizing of storylines and disciplines" (vgl. auch F. Fischer 2003)? Wie gesagt, eine neue Jheory of agency" miisste halt beides verbinden. .yAgency" im Sinne einer aktiven Einbeziehung aller Akteursgruppen wird von beiden Lagem eingefordert und die generelle Notwendigkeit eines politischen Verhandelns von Planungsinteressen auf alien Ebenen (mikro, meso und makro) ist im Grunde auch unstrittig.Einigkeit besteht weitestgehend eigentlich auch daruber, dass Planungstheorie eine pragmatische (wenn auch nicht immer zu explizit praskriptive) Komponente haben sollte. Es ist daher nicht iiberraschend, dass sich eine relativ groBe Schnittmenge von Theoretikerlnnen im englischen Sprachraum derzeit an dem Begriff des ..deliberative planning" abzuarbeiten sucht, der ja bereits sprachlich das „Wie" der Planung per Adjektiv zum Programm erhebt. Es tiberwiegen hier unter den Planungstheoretikerlnnen zwar wiederum die Habermasianerlnnen, aber der Ansatz ist zusatzlich von genug anderen Sozialtheoretikerlnnen inspiriert, um so die allzu einengende - und manchmal gar kleinlich gefiihrte - planungstheoretische Habermas-Foucault-Debatte weitestgehend tiberwinden zu konnen. John Forester hat den Begeriff des ..deliberative practitioner" schon 1999 in seinem gleichnamigen Buch umfassend eingefuhrt. Er orientiert sich theoretisch neben Habermas u. a. an maBgeblichen Autorlnnen der amerikanischen Pragmatik. Forester stellt fur die Entwicklung planungstheoretischer Erkenntnisse das
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Jistening to practice stories" klar in den Vordergrund, d. h., fiir ihn muss die Theorie in erster Linie aus der Praxis lemen. Methodisch geschieht dies durch eine ausfiihrliche Aufzeichnung, Wiedergabe und anschlieBende Analyse von Interviews mit erfahrenen Planungspraktikerlnnen, die verschiedene Planungssituationen und die dazugehorigen Verhandlungsvorgange beschreiben. Interessant ist hier vor allem Foresters Lesart der einzelnen Beispiele, so wie sein Insistieren, dass ..deliberative planning'' eben keine neutrale Vermittlung oder Moderation von Prozessen bedeutet, sondem eine aktive Einmischung und selbstbewusste Positionierung des Planers bzw. der Planerin auch in schwierigen politischen Kontexten erfordert. Die politische Dimension von Planung wird also keineswegs negiert, sondem bewusst aufgenommen und - wenn auch zunachst wieder nur im mikrosozialen Kontext - theoretisch-pragmatisch weiterentwickelt. Uber den Begriff des einzelnen ..deliberative practitioner'' hinaus bedient sich dann auBerdem eine neu formierte Gemeinde von Theoretikerlnnen des Wortchens ..deliberative", um insgesamt eine neue Richtung in der Planungsund Politikanalyse zu beschreiben und zu begriinden. Etablierte Planungstheoretikerlnnen wie Patsy Healey, Judith Innes oder Jim Throgmorton erscheinen (vor allem auch durch ihre eigenen Beitrage in den entsprechenden Sammelbanden) durchaus als Teil dieser Gemeinde. Nach eigener Aussage (vgl. bes. das Einfuhrungskapitel in M. Hajer/ H. Wagenaar 2003) sieht sich „deliberative Planungsund Politikanalyse" einerseits zwar weitestgehend in der Tradition makrosozialer Theorien der neuen Netzwerkgesellschaft und neuer bzw. reflexiver Modemitat, so wie sie von z. B. Ulrich Beck, Anthony Giddens, Scott Lash und Manuel Castells vertreten werden, versucht aber andererseits eine Anwendung und/oder Ausgestaltung dieser oft abstrakten Ansatze auf der konkreten Ebene lokalen Planungs- und Politikgeschehens. Deliberative Planungs- und Politikanalyse betont die Rolle von Kommunikation nicht als Selbstzweck, sondem explizit zur Normensetzung. Interpretative bzw. narrative Ansatze sollen nicht dazu dienen, um (subjektiv) Probleme zu relativieren, sondem um Argumente im konkreten, praktischen Kontext zu beleuchten. Als neue analytische Kategorie erscheint hier vor allem unter Riickgriff auf Aristoteles' BQgriif ^QX phronesis die „praktische Abwagung" {practical judgment) als theoretische Altemative zur Zweck-Mittel Rationalitat. Phronesis als Qualitat wird mit Adjektiven wie umgehend, intuitiv, konkret, interaktiv, personlich und aktionsorientiert umschrieben. Teilweise scheint der neue pragmatische Ansatz allerdings schlicht auf die Notwendigkeit einer Rtickkehr des common sense in planerischen Entscheidungsmechanismen zu zeigen. Schon fruher verwendete Begrifflichkeiten kommunikativ orientierter Planungsansatze wie ..collaborative planning' (vgl. bes. P. Healey 1997; J. Innes/
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D. Booher 2003) werden hier durchaus weiter- bzw. wiederverwandt. Was in der englischsprachigen Literatur in diesem Kontext allerdings weniger problematisiert zu werden scheint ist der in der deutschen Literatur viel ausfiihrlicher diskutierte Unterschied zwischen Beteiligung und Kooperation (vgl. bes. K. Selle 1996: 61-78), d. h. die Frage „Deliberation mit wem?". Denn das Eintreten in verhandlungsorientierte Verhaltensmuster seitens der Planerinnen birgt selbstverstandlich auch neue Risiken der Ausgrenzung, je nachdem, ob es sich um eine gesamtgesellschaftliche Offtiung bin zur Allgemeinheit oder eben nur zu bekannten privilegierten Gruppen handelt. Zusammenfassend lasst sich jedoch zumindest eines mit Sicherheit sagen, namlich dass der Begriff des deliberative planning insgesamt die in der jtingsten Vergangenheit so oft missverstandlich ausgerufene neue Rolle des Planer bzw. der Planerin als neutraleN Vermittlerin und Moderatorin erfolgreich negiert und Planung wieder starker als strategisches Intervenieren etabliert. Hier scheuen sich insbesondere Judith Innes und David Booher (1996: 461) nicht einmal, die konsensorientierte, deliberative Vorgehensweise optimistisch gar als Nachfolgemodell des comprehensive planning auszurufen: „The emergence of consensus building as a method of deliberation has provided the opportunity to formulate comprehensive planning." Sie argumentieren, dass es erst durch die Anwendung diskursiver Verfahren wieder moglich geworden sei, komplexe und kontroverse Planungsaufgaben umfassend anzugehen und diese trotz einer gesamtgesellschaftlich gesehen eingeschrankteren planerischen Handlungsmacht erfolgreich abzuschlieBen. Ihr Votum geht also eindeutig in die Richtung, dass kommunikative bzw. diskursive Ansatze durchaus nicht als resignierte Komponente einer zunehmend inkrementalistischen Planung anzusehen seien, sondem dass sie ganz im Gegenteil das notwendige methodische und theoretische Beiwerk zu einer Renaissance ambitionierterer, umfassenderer, strategieorientierter Planung liefern (konnen). Obwohl diese optimistische Einschatzung sicherlich nicht von alien Planungstheoretikerlnnen geteilt wird, kann sich offensichtlich trotzdem eine Mehrheit der Zunft in der englischsprachigen Welt mit dem Begriff des deliberative planner als neuem, postempiristisch und pragmatisch orientierten Selbstbild des Planers bzw. der Planerin recht gut anfreunden. Vielleicht sollten wir uns also im deutschsprachigen Raum in der Zukunft verstarkt von diesen theoretischen Entwicklungen inspirieren lassen. Denn, wie oben bereits angedeutet, bringt der Begriff des ..deliberative practitioners'' vor allem eines auf den Punkt: Egal, ob inkrementalistisch oder perspektivisch-visionar veranlagt, Planerlnnen miissen sich am Ende immer irgendwie „strategisch" verhalten, d. h., das planerische Selbstverstandnis schlieBt uber eine kommunikativ-vermittelnde Dimension hinaus auch immer eine inhaltliche Positionierung mit ein, die dann im Dialog mit anderen Akteurlnnen ausgefochten werden muss. Planung bleibt
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also im Kern politisch und Planerlnnen konnen sich kaum (mehr) darauf berufen, lediglich ausfiihrende Organe oder „HandlangerInnen" des - zunehmend an Bedeutung verlierenden - hoheitlich-regulierenden Staates zu sein.
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Lyotard, Jean-Frangois (1984): The postmodern condition: A report on knowledge. Minneapolis: University of Minnesota Press Offe, Claus (1972): Strukturprobleme des kapitalistischen Staates. Frankfurt am Main: Suhrkamp Richardson, Tim (1996): Foucauldian discourse: power and truth in urban and regional policy-making. In: European Planning Studies 4. 1996. 279-292 Selle, Klaus (2000): Was? Wer? Wie? Warum? Voraussetzungen und Moglichkeiten einer nachhaltigen Kommunikation. Dortmund: Dortmunder Vertrieb flir Bau- und Planungsliteratur Selle, Klaus (Hrsg.) (1996): Planung und Kommunikation. Wiesbaden/ Berlin: Bauverlag Sinning, Heidi (2003): Kommunikative Planung - Leistungsfahigkeit und Grenzen am Beispiel nachhaltiger Freiraumpolitik in Stadtregionen. Opladen: Leske + Budrich Throgmorton, Jim (1996): Planning as Persuasive Storytelling: The Rhetorical Construction of Chicago's Electric Future. Chicago: University of Chicago Press
Strategieorientierung in der Planung - eine neue Idee? Barbara Zibell
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Einfiihrung
Der Begriff „strategieorientierte Planung" wird - zumindest im deutschsprachigen Raum - in der raumlichen Planungsdisziplin bisher nicht verwendet, auch wenn vor dem Hintergrund des gegenwartigen sozialen und okonomischen Wandels sowie im Zusammenhang mit dem Wandel von Staatlichkeit, welcher sich wie es die Herausgeber dieses Bandes postulieren - im Konzept des „kooperativen Staates" ausdriickt, strategische Elemente in der Planung an Bedeutung gewinnen. Man findet den Begriff bisher eher im Zusammenhang mit betrieblichen Informations- und Kommunikationssystemen (M. Klotz/ P. Strauch 1990) Oder der Innovationsberatung von Untemehmen (C. Spemer/ H. Kohlberger 2001). Die strategieorientierte - oder: strategische - Untemehmensfiihrung dient heute vielerorts als Controlling-Instrument in Wirtschaftsbetrieben. Damit wird auf die wachsende Veranderungsgeschwindigkeit reagiert, mit der die verschiedenen Umweltfaktoren auf die Untemehmen einwirken, woraus fur die Unternehmen selbst v^ie ftir die Produktion ein erheblicher Veranderungsbedarf resultiert. In den Wirtschaftswissenschaften wird dieses Phanomen mit dem Terminus „dynaxity" umschrieben - aus „dynamic" und „complexity": Gesellschaft und Wirtschaft entwickeln sich in immer dynamischeren und komplexeren Strukturen mit zunehmenden Wechselbeziehungen und Wirkungszusammenhangen zwischen den Elementen und Teilsystemen (H. Rieckmann 2000). Komplexe und dynamische Strukturen bzw. Systeme sind seit den 1960er Jahren Untersuchungsgegenstand der naturwissenschaftlichen Chaosforschung (vgl. deren popularwissenschaftliche Verbreitung z. B. durch: P. Davies 1987; J. Gleick 1987 u. a.). Diese das Denken revolutionierende Forschung wurde zum Ausgangspunkt fur neue Werthaltungen in alien gesellschaftlichen Bereichen, sie beeinflusste auch die Sozialwissenschaften (N. Luhmann 1984) und wurde schlieBlich in den Planungs- und Ingenieurwissenschaften aufgegriffen (B. Zibell 1990, 1995, 1996, 1997).
Strategieorientierung in der Planung - eine neue Idee?
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Informationsvemetzung und Globalisierung, die Entwicklung der Weltmarkte sowie die Dynamik und Harte des Wettbewerbs und die steigende Erwartungshaltung der Kundschaft sind zu groBen Herausforderungen geworden, auf die nicht nur Unternehmen, sondem auch Kommunen und Regionen reagieren. Neue Planungskulturen und neue Steuerungsformen werden seit den 1980er und 1990er Jahren diskutiert und erprobt und nehmen neben den traditionellen Instrumenten einer formellen und rechtsverbindlichen Planungstatigkeit mittlerweile einen groBen Stellenwert ein. Wahrend unter dem Schlagwort „strategieorientierte" oder „strategische Planung" neue Konzepte in den Wirtschaftswissenschaften jedoch bereits seit den 1960er Jahren entwickelt und angewandt werden (vgl. W.H. Staehle 1989: 392ff), spielen veranderte theoretische Fundierungen in der raumlichen Planung bis in die 1990er Jahre hinein kaum eine Rolle. Strategien bildeten selbstverstandlich immer einen wichtigen Bestandteil raumlicher Planungstatigkeit, z. B. im Rahmen der umfassenden Entwicklungsplanungen in den 1970er Jahren, mit denen versucht wurde, die Zielvorstellungen aller Ressorts mit den raumlichen Entwicklungsvorstellungen und der mittelfristigen Finanzplanung zu verbinden; auch gab es einzelne Stadte, die im Rahmen konkreter Schltisselprojekte der Stadtentwicklung strategische Diskussionen iiber den Umgang mit den neuen stadtebaulichen Rahmenbedingungen fiihrten. Im Zuge der postmodemen Neuorientierungen geht die Uberzeugung, dass sich eine alles voraus denkende, umfassende Gesamtplanung unmittelbar in raumliche Konzepte und MaBnahmen umsetzen lieBe, in den 1980er Jahren zugunsten der Bedeutung punktueller Interventionen verloren. In der Praxis dominieren in den 1990er Jahren inkrementalistische Vorgehensweisen, wie exemplarisch im Zusammenhang mit der Internationalen Bauausstellung IBA Emscher Park entwickelt, sowie punktuelle Festivalisierungsstrategien, die im Zusammenhang mit einmaligen Anlassen wie Weltausstellungen und Sportereignissen durch GroBprojekte lanciert und zum Teil - unter dem Stichwort „innovationsorientierte Planung" - auch wissenschaftlich untersucht wurden (O. Ibert 2003; H. Miiller/ K. Selle 2002; H.-N. Mayer 2000). Erst die weltweite Einfiihrung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung fiihrt nach und nach auch zu einem Bewirtschaftungsdenken von - allgemein knapper werdenden - Ressourcen in der raumlichen Planung, Leitbildorientierungen, wie sie in Stadtebau und Raumordnung in friiheren Jahrzehnten bereits zum planerischen Standardrepertoire gehorten, werden wieder gesellschaftsfahig, allerdings weniger als Ausdruck stadtebaulicher Grundhaltungen oder als Gesamtheit gesellschaftlicher Oberziele, sondem mehr als programmatische Bezugspunkte fachlicher Auseinandersetzung. Einen Wendepunkt markiert die intemationale Veranstaltung „Ohne Leitbild?" in der raumlichen Planung, die am
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Deutschen Institut ftir Urbanistik in Berlin ausgerichtet und in einem beachtlichen Tagungsband dokumentiert worden ist (H.Becker et al. 1998). Daneben gewinnen Konzepte des New Public Management an Bedeutung; strategisches Denken halt Einzug in die bisher von hierarchisch organisierten Ablaufen und hoheitlichem Amtshandeln gepragten Planungs- und Verwaltungsstrukturen. In Verbindung mit den neuen Strategieorientierungen erhalt Planung auch gesamtgesellschaftlich wieder an Bedeutung. Seit den 1990er Jahren werden in den Raumwissenschaften neue Govemance-Konzepte fur die lokale wie die regionale Ebene thematisiert (D. Ftirst 2004; J. Knieling 2000), kommunikative Planungsmodelle, zum Teil seit den 1960er Jahren entwickelt, werden aufgegriffen und fiir die neuen Planungsprozesse modifiziert (vgl. H. Sinning 2006; A. Bischoff et al. 2005). Diese spielen sich nicht langer allein zwischen Staat bzw. Kommune und Burgerin ab, sondern involvieren in verschiedenen Formen von Public Private Partnerships auch neue privatwirtschaftlich motivierte Akteurlnnen. Der Begriff der strategieorientierten Planung, der im Zusammenhang mit diesem Buchprojekt bzw. der vorangegangenen Tagung des ISRA im Mai 2005^^ lanciert wurde, fordert zu einer neuen planungstheorischen Debatte in den Raumwissenschaften auf, die im Folgenden vor dem Hintergrund der aktuellen Okonomisierungsprozesse und Leitorientierungen zwischen Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit sowie system- bzw. chaostheoretischen Erkenntnissen reflektiert werden soil. 2
Strategisches Denken und strategische Planung
Der Begriff „Strategie" bezeichnet ein langerfristig ausgerichtetes, planvolles Anstreben einer vorteilhaften Lage oder eines Ziels. Br stammt aus dem Griechischen und bedeutet dort Heeresftihrung („stratos" = Heer, „agein" = ftihren). Strategisches Handeln ist zielorientiertes Vorgehen nach einem langfristigen Plan. „Strategie ist die Kunst, zur rechten Zeit die richtigen Dinge zu tun. Fiir den Erfolg ist sie bedeutender als alle Arbeitsmethoden zusammen. (...) Strategisch zu denken ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Es geniigt nicht, strategische ,Rezepte' zu kennen. Strategie-Wissen reicht nicht!! Man muss sein Bewusstsein erweitern, sein Wissen gegenwartig halten. Deshalb nicht nur Fakten, sondern Training." (www.methode.de. Abgerufen am 1.2.2007) 52 Tagung des ISRA, Fachbereich Soziologie des Department fur Raumentwicklung, Infrastrukturund Umweltplanung der TU Wien: „Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat", 30. 4. bis 1. 5. 2004, TU Wien, Prechtlsaal
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Der Strategiebegriff wurde in den 1950er Jahren von Professoren der Harvard Business School eingefiihrt und gilt seit jener Zeit als wichtiger Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Managem. In der Raumplanung wurde der Strategiebezug im deutschsprachigen Raum insbesondere von Jakob Maurer hergestellt (z. B. J. Maurer 1995: 50ff), der in den 1970er bis 1980er Jahren am Institut fur Orts-, Regional- und Landesplanung der ETH Zurich lehrte und den Aufbau des dortigen Nachdiplomstudiums in Raumplanung ganz wesentlich mitgepragt hat. Er bezog sich - wie heute auch einer seiner Schiller, Bemd Scholl dabei stark auf die militarischen Schriften von Moltke und Clausewitz, kooperierte mit Psychologen wie Dietrich Domer, hat jedoch keine eigentliche strategische Planungstheorie begriindet. An konkreten Planungsfallen - wie zum Beispiel den verschiedenen Entwicklungsplanungen in Frankfurt oder Wien - hat er diese Beztige allerdings immer wieder hergestellt und zusammen mit anderen Praktikem und Wissenschaftlem wie Heinrich Klotz, Albert Speer, Thomas Sieverts u. a. angewendet und modifiziert. 2. / Strategische Planung als unternehmerisches Konzept Das Konzept der strategischen Planung wurde im Bereich der Untemehmensfuhrung schon in den 1970er Jahren kritisiert (vgl. Ansoff/ Declerk/ Hayes 1976, zit. nach W.H. Staehle 1989: 393f) und eine Schwerpunktverlagerung von der strategischen Planung zum strategischen Management gefordert: Wahrend die strategische Planung (zu) stark auf sichtbare Erfolge auBerhalb der Untemehmung abzielte, nahmen Managementkonzepte auch die inneren Strukturen der Unternehmen, insbesondere die personellen Kapazitaten und Ressourcen, ins Visier und beriicksichtigten damit auch die erforderlichen Voraussetzungen fur potentiellen Output, sprich: Erfolg. Staehle entwickelt bereits 1989 seinen Ansatz der integrativen Untemehmensentwicklung, der weder zu stark auf marktorientierte Strategien setzt wie die strategische Planung noch allein von den inneren Ressourcen ausgeht wie das strategische Management. Staehle entwickelt stattdessen ein Modell, in dem Strategic, Struktur und Personal in einen simultanen, interaktiven Lemprozess der Untemehmensentwicklung eingebunden sind, und schlagt vor, die drei bis dahin getrennt behandelten Problembereiche - die strategische (bzw. marktorientierte) Untemehmensplanung, die ressourcenorientierte Personalplanung und die strukturorientierte Organisationsentwicklung - in einem integrativen Ansatz zusammenzufiihren. Die strategische Planung als betriebswirtschaftliches Konzept wurde einige Jahre spater von dem kanadischen Wirtschaftswissenschaftler Henry Mintzberg neu positioniert (H. Mintzberg 1994);
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seither gilt als unbestritten, dass es keine universell effizienten Organisationsstrukturen gibt, sondem dass diese an die jeweiligen Situationen (und Planungsaufgaben) anzupassen sind (A. Kieser/ M. Woywode 1999). Die raumliche Planung hatte am Ende der 1980er Jahre, als solche AnsStze in den Wirtschaftswissenschaften diskutiert wurden, gerade die Euphorie kommunaler Gesamtentwicklungsplanungen abgestreift und befand sich - nach der Wende um 1985, die mit dem Europaischen Denkmalschutzjahr markiert wird auf dem Weg zu einer emeuerungsorientierten Planungstatigkeit der kleinen Schritte: Stadtentwicklung nach innen wurde zum neuen Programm, groBe interaktive Lemprozesse oder innere Emeuerungsprozesse von Planungsamtern und behorden waren damit zunachst nicht verbunden. Solche Umstrukturierungen wurden erst im Zuge der Einfiihrung der New Public Mangement Modelle eingeleitet, nicht jedoch immer zugunsten der Gemeinwohlorientierung offentlicher Planung. 2.2 Anwendungsfelder strategischer Planung in Politik und Verwaltung Verfolgt man die Geschichte der strategischen Planung, so trifft man zum einen auf planwirtschaftliche Elemente wie das sozialistische Komplexprogramm als „strategischer Plan fur die sozialistische Integration" (I. Dudinski 1973), zum anderen auch auf strategische Planungen, z. B. fiir den Einsatz von Atomwaffen, in marktwirtschaftlichen Systemen (A.F. Gablik 1996). In den USA wurde im Zusammenhang mit der Graswurzelrevolution ein strategischer Rahmenplan als Aktionsplan fur soziale Bewegungen erarbeitet (B. Moyer 1989). Das Beziehungsfeld politischer Planung und strategischer Untemehmensplanung wurde 1985 im Rahmen einer empirischen Untersuchung der Planungsentwicklung in der deutschen Bundesregierung iiber einen Zeitraum von mehreren Legislaturperioden analysiert (H. Bebermeyer 1985). Einsatz und Verwendung des Begriffs der strategischen Planung sind insgesamt offenbar unabhangig von der politischen Ausrichtung der Systeme, auf die er angewendet wird. Neben dem originaren Anwendungsfeld der Untemehmensfiihrung und langfristigen Untemehmensentwicklung fmdet die strategische Planung heute zunehmend auch Anwendung in offentlichen Wirtschaftsbetrieben, wie z. B. Stromversorgem (vgl. hierzu: T. von Werner 2001) und Nahverkehr (MATHEON 2002-06) sowie Verwaltungen (z. B. Statistisches Bundesamt 2005). Strategische Kulturpolitik steht als kommunale Aufgabe auch im Mittelpunkt von Tagungsveranstaltungen (Loccum 2006). Die Stadt Wolfsburg hat bereits in den 1990er Jahren eine Dienststelle „Strategische Planung/ Stadtentwicklung" eingerichtet; hier dtirfte die Besonder-
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heit spielen, dass die Stadt Wolfsburg als Stammsitz des Weltkonzerns VW, der bestimmenden wirtschaftlich und stadtpolitisch relevanten GroBe am Ort, eine originare Untemehmensaffmitat besitzt und es von daher nahe liegt, dass unternehmerische Gepflogenheiten sich hier recht M h auf die stadtischen Strukturen und Arbeitsweisen tibertragen haben. Die kommunaie Strategische Planung/ Stadtentwicklung, wozu auch Statistik/Stadt- und Regionalentwicklung gehoren, muss sich hier jedoch gleichzeitig gegen die Wolfsburg AG behaupten, ein Gemeinschaftsuntemehmen (Public Private Partnership) der Stadt Wolfsburg und der Volkswagen AG. Die Wolfsburg AG existiert seit 1999 und ist angetreten, Impulse fiir die Entwicklung der Kompetenzfelder Mobilitat, Freizeit/ Tourismus und Entertainment in der Region zu setzen. Weiter initiiert sie Untemehmensgriindungen und -ansiedlungen, generiert Geschaftsideen, baut als Projektentwicklerin den Dienstleistungssektor aus und bietet umfassende Personaldienstleistungen an. Ziel ist es, ein wettbewerbsfahiges Untemehmensumfeld zu schaffen und Wachstumsmarkte zu erschlieBen. Diese Aktivitaten scheinen in Stadt und Region viel mehr Wirkung zu erzielen als die weniger fmanzstark abgefederten Bemiihungen der kommunalen strategischen Planung. Strategische Planung ist auch ein Thema in Braunschweig, der Stadt, in der die Region Zweckverband GroBraum Braunschweig (ZGB), zu der u. a. auch die Stadt Wolfsburg gehort, ihren Sitz hat. Braunschweig hat im Jahre 2005 bereits zum zweiten Mai unter dem Titel der strategischen Planung einen Programmund Handlungsrahmen fiir die Entwicklung der Stadt beschlossen (Oberblirgermeister der Stadt Braunschweig 2005), in dem die Ziele der Stadtpolitik in zehn Punkten niedergelegt sind. An erster Stelle steht hier die Entwicklung als Kulturstadt, gefolgt von der eher emiichtemden zweiten Zielsetzung des sparsamen Haushaltens. Insgesamt handelt es sich bei der hier sog. „Strategischen Planung" eher um ein kommunales Zielsystem, das mehr Leitbild ist als umsetzbare Strategien bietet. Als Vision ist sie jedoch offenbar geeignet, in der Stadt wirtschaftliche und politische Krafte zu biindeln sowie Btirgerlnnenidentitat erfolgreich zu mobilisieren. In der Stadt Btdxtehude, im nordlichen Niedersachsen gelegen, ist der Begriff der strategischen Planung mit der kommunalen Haushaltsflihrung verbunden. Mit der Einfuhrung des Produkthaushalts 2002 hat sich die Stadt hier gleichzeitig fur eine ziel- und ergebnisorientierte Steuerung entschlossen. Diese Steuerung setzt Kontrakte, d. h. Ziel- und Leistungsvereinbarungen, zwischen den politischen Gremien und der Verwaltung voraus. Die sog. „Produkte" werden nach Qualitat und Quantitat (Leistungsziele) sowie Budget (Finanzziele) fur einen bestimmten Zeitraum festgelegt (Stadt Buxtehude 2006). Diese Art der strategischen Planung entspricht den aktuellen Reformen des New Public Management (NPM) oder der „Wirkungsorientierten Verwaltungs-
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fuhrung" (WoV, in der Schweiz), die das Handeln der Verwaltung vermehrt tiber Leistungen und Wirkungen (output und outcome) steuem und legitimieren wollen, im Gegensatz zur herkommlichen Verwaltung, die tiber die Regeln und Formen des Rechtsstaates und der Demokratie gesteuert wird. Diese Reformen verfolgen verschiedene strategische Ziele; dazu gehoren: • • •
Kundenorientierung Wirkungsorientierung Kopplung von Finanzen und Leistung.
Die damit verbundene „Okonomisierung" kommunaler und staatlicher Verwaltungstatigkeit orientiert sich am Modell des privatwirtschaftlichen Unternehmens und wird vor allem in den offentlichen Diensten und in den klassischen Bereichen hoheitlicher Tatigkeit umgesetzt, dazu gehort insbesondere auch die raumliche Planung. Die Forderung nach einer Marktorientierung in diesen Bereichen lasst jedoch die Frage aul3er Acht, inwiefem eine Steigerung der Effizienz (im Sinne der betriebswirtschaftlichen Mitteloptimierung) eine Erhohung der Effektivitat (im Sinne der Zielerfullung) garantieren kann. Gleichzeitig setzt diese voraus, dass innerhalb der Verwaltung oder zwischen ihr und Dritten ein Markt Oder marktahnliche Situationen entstehen konnen (www.socialinfo.ch). 2.3 Strategische Ansdtze in der rdumlichen Planung Strategien und strategische Planung sind in den Raum- und Planungswissenschaften bis ins 21. Jahrhundert hinein kaum ein Thema, zumindest nicht als systematische oder wissenschaftlich gestiitzte Kategorie. Misst man ihre Bedeutung zumindest am Grundlagenwerk der deutschen Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL), dem Handworterbuch der Raumordnung, stellt man fest, dass entsprechende Stichworte in der Ausgabe von 1995 noch fehlen. In der jUngsten Ausgabe sind dagegen Fachbeitrage zur strategischen Planung (B. SchoU 2005: 1122ff) wie auch zu planerischen Strategien und Taktiken (J. Maurer 2005: 758ff) enthalten. Dasselbe gilt fiir den Leitbildbegriff, der - mit Ausnahme des spezifischen Leitbildes der raumlichen Entwicklung des Bundes - 1995 noch keine Erwahnung fmdet, in der neuen Ausgabe jedoch als „strategisches Planungsinstrument" (ARL 2005: 608, 613f) behandelt wird. Diese unterschiedlichen Befunde in den Ausgaben von 1995 und 2005 sind deutliche Indikatoren dafiir, dass Planungsformen und Planungskulturen sich in der Zwischenzeit gewandelt haben. Jedoch sind Strategien und strategische Planung noch nicht zu einheitlich verwendeten Begriffen in der Raumplanung avan-
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ciert. Dies stellt auch Scholl in seinem Beitrag zur jtingsten Ausgabe des Handworterbuchs der Raumordnung fest: Unter „strategischer Planung" werde beispielsweise langfristige Planung, iibergeordnete Planung oder auch konzeptionelle Planung verstanden. Jedoch kommentiert er weiter, dass - auch wenn solche Planungen meist schnell veralten oder ohne groBe Wirkung bleiben - sie dennoch als Richtschniire fur koordiniertes Handeln und Entscheiden von Bedeutung seien, sie dienten den Akteurlnnen zur Orientierung. Im Unterschied zum militarischen und zum okonomischen Bereich konnten im Feld der raumlichen Planung taugliche Strategien jedoch nur gemeinsam mit den von einem schwierigen Problem betroffenen Akteurlnnen entwickelt werden. Dabei sei die Moglichkeit zur Verwirklichung gemeinsamer Interessen der springende Punkt (B. Scholl 2005: 1123f). Bei Ftirst wird die strategische Planung von der operativen Planung und im Hinblick auf das jeweilige Steuerungsniveau unterschieden (D.Furst 2005: 766). Im Vorfeld der aktuellen Versuche, die neuen Planungsansatze nun auch wissenschaftlich zu fassen, sind neben die hoheitlich organisierte formelle Planung verschiedene markt- und strategieorientierte informelle Planungsformen getreten, die das Verhaltnis zwischen Btirgerln und Staat bzw. Kommune verandert haben. Im Forschungsvorhaben des deutschen Bundesamtes fiir Bauwesen und Raumordnung (BBR) „3stadt2. Neue Kooperationsformen in der Stadtentwicklung" (BBR 2004) wurde deutlich, dass sich nicht nur die Schwergewichte zwischen offentlichen und privaten Akteurlnnen verlagert haben, sondem die Wirtschaft als dritte Partnerin in das Verhaltnis zwischen Staat bzw. Kommune und Biirgerin eingestiegen ist. Mit diesem Einstieg hat sich nicht nur der Kreis der Planungsbeteiligten erweitert, es sind auch neue - okonomisierte - Formen entstanden, die das bipolare Verhaltnis zwischen offentlicher Hand und privaten Biirgerlnnen verandert haben. BUrger und Biirgerin sind zu Kundlnnen geworden, deren Nachfrageverhalten haufig mehr aus marktstrategischen denn aus sozialpolitischen Grunden von Interesse zu sein scheint. Vorbereitet wurden diese Veranderungen durch entsprechende Planungsansatze und Diskussionen in Europa, die insbesondere durch Helga Fassbinder in den deutschen Sprachraum eingefiihrt worden sind. Inhalt dieser Debatten waren weniger die stadtebaulichen Zielsetzungen und realisierten Planungen, sondem vielmehr die Art und Weise des Zustandekommens der Plane sowie die Form ihrer Ausarbeitung: „ein Wirrwarr von Verfahrensablaufen, allenthalben scheinbar unkoordinierte planerische Aktivitaten, ein Chaos beziiglich der zeitlichen Abfolge" (H. Fassbinder 1993: 9). Nicht von ungefahr werden Begriffe wie Chaos und Wirrwarr zu diesem Zeitpunkt immer wieder bemiiht, um den wahrgenommenen Veranderungen im Planungsgeschehen Ausdruck zu verleihen (vgl. J. Maurer 1991, 2007; B. Zibell 1990, 1995, 1996, 1997). Deren Verwen-
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dung scheint jedoch weniger ein Indikator fiir tatsachliches Durcheinander innerhalb der einzelnen Planungsprozesse, sondem bringt vielmehr eine Offenheit gegentiber neuen kooperativen Verfahren zum Ausdruck, die weniger auf finale Planungen setzen, sondem Prozesse mit offenem Ausgang moderieren und damit eine Fiille an neuen Planungsformen erzeugen; in der Schweiz wird in den 1990er Jahren der Ausdruck der „massgeschneiderten" Instrumente und Verfahren kreiert (Michel 1991; zit. nach: B. Zibell 1993). Dies ist gleichzeitig Ausdruck einer Abkehr vom linearen Denken, das mit der Entdeckung des Schmetterlingseffektes durch den Meteorologen Edward Lorenz 1960 am MIT begonnen hatte und seit den 1980er/90er Jahren zunehmend auch gesamtgesellschaftlich voUzogen wird. Der Beginn der Chaosforschung bzw. der Erforschung der GesetzmaBigkeiten komplexer dynamischer Systeme, die mit der neuen Computertechnik erst moglich geworden war, hatte den allgemeinen Zeitgeist erreicht und war auch in der Planung angekommen. Neue Planungsmodelle wurden erprobt, das Management der postmodemen Stadt (L. Buchmtiller etal. 1993) wurde zum neuen Thema in Publikationen und auf Kongressen. Als eine Form strategischer Planung sind daneben auch die Marketingansatze einzuordnen, die seit den 1980er und 90er Jahren zum festen Bestandteil kommunaler und regionaler Politiken geworden sind. Sie dienen im wachsenden Konkurrenzkampf als WerbemaBnahmen und sollen Imagegewinne erzielen bzw. tourismusfbrdemd wirken. In diesem Zusammenhang werden Stadte erstmals als „Untemehmen" bezeichnet (vgl. J. Maier/ G. Troger-Weiss 1990: 34), unternehmerisches Denken halt Einzug in das Selbstverstandnis von Stadtpolitik und Verwaltung. Strategische Planung wurde damit jedoch noch nicht zum allgemein gUltigen Programm. Ein fruhes Dokument ausdriicklich strategisch orientierter Planung war der „Strategic Housing Plan for London", der ausgehend von der ambitiosen Zielsetzung einer bedarfsgerechten Wohnraumversorgung fiir alle Bewohnerlnnen von Greater London die wohnungspolitischen Strategien fiir die nachsten zehn bis 15 Jahre formulierte (Greater London Council 1974: 13ff). In Deutschland fmden sich erste strategische Planungsansatze im Zusammenhang mit den Entwicklungsproblemen peripherer Regionen (K. Schafer/ C. Jiirgensen 1978). Strategien werden nach der deutschen Wiedervereinigung auch zum zentralen Begriff neuer Planungsansatze und Konzepte, die fur die Entwicklung der neuen Bundeslander entwickelt werden (vgl. MSWV Brandenburg 1995). Im Rahmen der rechtlichen Fixierung umweltpolitischer Anliegen kommen in den 1990er Jahren Probleme der Umweltplanung und Umweltvorsorge hinzu (C. Jacoby 1996), die EU-weit von Uberlegungen fiir eine strategische Umweltprtifung (SUP) begleitet werden. Die im Juni 2001 eingefiihrte Richtlinie 2001/42/EG des Europaischen Parlamentes und des Rates liber die Priifung der
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Umweltauswirkungen von Planen und Programmen ist in Deutschland 2005 mit dem Gesetz zur Einfiihrung einer Strategischen Umweltpriifung (SUPG) umgesetzt worden. Hiemach ist kiinftig filr Raumordnungsplane, deren Aufstellung nach dem 20. Juli 2004 eingeleitet wurde, eine Umweltpriifiing durchzufuhren. Anders als bei der Umweltvertraglichkeitspriifling (UVP) fiir einzelne Planungen und MaBnahmen wird hier bereits im Vorfeld konkreter Projekte eine Auseinandersetzung mit moglichen Konfliktpotentialen zwischen verschiedenen Flachennutzungsansprtichen gefordert. Inwieweit die rechtliche Fixierung eines solchen Priifungsinstrumentariums jedoch geeignet ist, der Idee einer strategischen Planung mit ihren Anforderungen an Einigkeit der Akteurlnnen betreffend komplexe Leitbildorientierungen und gebundeltes Vorgehen zu entsprechen, scheint fraglich. Zumindest ist die Umweltplanung der erste Bereich, in dem die Strategieorientierung ausdriicklich und als formelles Instrumentarium international verordnet und auf nationaler Ebene rechtlich umgesetzt wurde. Im Laufe der 1990er Jahre taucht im Zusammenhang mit dem tiefgreifenden Strukturwandel in friih industrialisierten Regionen bzw. im Kontext Internationaler Bau- und Weltausstellungen die Frage von Strategien fiir Stadte und Regionen zunehmend auf. So wurde die IBA Emscher Park zum Lehrstiick fur die Entwicklung neuer Strategien fiir alte Industrieregionen (vgl. F. Lehner et al. 1995), an intemationalen Konferenzen in Wien 1996 (INTA) und Berlin 2000 (URBAN) wurden unter dem Eindruck der Anforderungen nachhaltiger Entwicklung Strategien ftir Stadte im 21. Jahrhundert thematisiert. Die verschiedenen Strategien zur Modemisierung der Stadt(-Region) wurden jtingst in einer wissenschaftlichen Publikation zusammengetragen (H. Sinning 2006). In den letzten Jahren werden Strategien immer mehr zu einem positiv besetzten und ausdriicklich benannten Element raumlicher Planung, wenn z. B.: • • •
strategische Planungsansatze in der Waldentwicklung (M. Kovac 2002) Oder der Freiraumentwicklung (M.F. Lehmann 2003) beschi*ieben und postuliert, im Rahmen von Vorhaben anwendungsorientierter Forschung Basisstrategien ftir die Zukunft von Regionen entwickelt (vgl. B. Zibell et al. 2004) Oder strategische Stadtentwicklungsstudien, wie fiir die „Science City", den ETH Campus auf dem Ziircher Honggerberg, erarbeitet (Studio di Architettura 2004) bzw. Planungs- und Gestaltungsstrategien im Sinne der Nachhaltigkeit fiir Amsterdam (A. Pitts 2004) formuliert werden.
Im Rahmen von Forschungsprogrammen werden in Deutschland seit einigen Jahren regelmaBig Projekte zum kommunalen oder regionalen Flachenmanage-
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ment und in diesem Zusammenhang auch Strategien, z. B. zur Vemetzung planerischer Instrumente (T. Weith 2004) oder zur Verknlipfiing mit anderen Politiken (UFZ Leipzig-Halle 2004), besonders gefordert. Die verschiedenen Vorhaben zur Flachenkreislaufwirtschaft des BBR oder der Forderschwerpunkt REFINA^^ des Ministeriums Bildung und Forschung (bmb+f) tragen mit ihren Forschungen zur Unterstiitzung der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bei. In der Schweiz werden im Rahmen der neuen Agglomerationspolitik des Bundes seit 2001 Anreize ftir eine verbesserte interkommunale Zusammenarbeit als strategisches Instrumentarium zur Umsetzung iibergeordneter Zielvorstellungen eingefiihrt. Ziel ist neben der Unterstiitzung der vertikalen Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Stadten die Forderung der interkommunalen und interkantonalen Zusammenarbeit innerhalb der Agglomerationsraume sowie die Umsetzung einer nachhaltigen raumlichen Entwicklung durch eine koordinierte Siedlungs- und Verkehrsentwicklung. Im Zentrum steht die Unterstiitzung von Modellvorhaben und die Einflihrung von Agglomerationsprogrammen, die dazu beitragen sollen, dass die Agglomerationen ihre Probleme koordiniert, effizient und wirksam losen und sich entsprechend den Grundsatzen der Nachhaltigkeit entwickeln (vgl. ARE 2003). 3
Strategieorientierung in der raumlichen Planung: Chancen und Risiken
Es sind weniger die groBen Planwerke, die die administrative Planungspraxis heute pragen. Formelle Planungen, wie die Bauleitplanung nach deutschem Baugesetzbuch (BauGB), treten in den Hintergrund; sie bilden zwar nach wie vor den notwendigen rechtlichen Rahmen fiir Planungssicherheit, jedoch langst nicht mehr den Hauptbestandteil planerischer Entwicklungstatigkeit. Ziel des Planens ist immer weniger der finale Plan, der sich im hoheitlichen Vollzug realisiert, als vielmehr die Konsensfindung in kommunikativen Prozessen, in denen mit kleinen Schritten, projektbezogenen Weichenstellungen, im besten Fall orientiert an zuvor kommunizierten Leitbildem, Entscheidungen vorbereitet werden. Dabei werden haufig Strategien verwendet, ohne dass dies explizit als strategisches Planen kommuniziert wird.
^^ Forderschwerpunkt des bmb+f zur Entwicklung und Erprobung innovativer Konzepte fiir die Reduzierung der Flacheninanspruchnahme und ein nachhaltiges Flachenmanagement (REFINA), Ausschreibung: Okt. 2004, Laufzeit Projekte: seit April 2006
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3. J Die Rolle von Leitbildern Gleichwohl scheint die strategische Planung mittlerweile allgemeine Realitat der Planungspraxis geworden zu sein. So wird nach und nach registriert, dass sich mit dem gewandelten Aufgaben- und Planungsverstandnis seit Ende der 1980er Jahre neue Planungsformen etabliert haben, die neben die traditionellen Instrumente und Verfahren getreten sind. Dabei nehmen Leitbilder als Instrumente der Zielfmdung und Zieldefinition einer strategischen Planung sowohl in der Stadtals auch in der Regionalentwicklung eine wichtige Rolle ein (ARL 2005: 613). Aber auch auf Bundesebene werden heute vermehrt Leitbilder fur die raumliche Entwicklung formuliert. So ist zum Beispiel der bundesdeutsche „raumordnungspolitische Orientierungsrahmen" zu verstehen, der zu Beginn der 1990er Jahre entwickelt wurde und die Gleichwertigkeit der Lebensverhaltnisse als langfristige Entwicklungsaufgabe bzw. „Leitbild Ordnung und Entwicklung" in den Vordergrund rtickte (BMBau 1993: 21). Diese Zielsetzung spielte im gerade wieder vereinigten Deutschland eine besondere Rolle fiir die Neuausrichtung der Raumordnungspolitik, gerade in einem sich erweitemden Europa. Erstmals seit der nationalsozialistisch gepragten zentralistischen Raumordnungspolitik der 1930er Jahre wurde ein nationales Zielsystem vorgelegt, das auch durch die neue Europaische Raumentwicklungskonzeption (EUREK, vgl. Europaische Kommission 1999) beeinflusst wurde. Entsprechende Zielvorstellungen auf Bundesebene wurden als „Grundzuge der raumlichen Entwicklung" (GRO-CH) 1996 auch in der Schweiz formuliert. Aus Grunden des in der Eidgenossenschaft besonders stark ausgepragten Foderalismus waren diese als nationales Leitbild der Raumordnung zwar umstritten. Als Strategic der schweizerischen Raumordnung spielten sie fur die Politik des Bundesamtes fur Raumentwicklung (ARE) und die Kantone als Trager der Raumplanung jedoch eine bedeutende Rolle. Der neue Raumentwicklungsbericht 2005 (ARE 2005) beschreibt vier Szenarien als mogliche Zukunfte des Landes im Jahre 2030. Damit wird beabsichtigt, neue kommunikative Modelle der Raumentwicklung einzufuhren, die iiber den Diskurs im engeren fachlich-politischen Rahmen hinaus auch weitere Kreise der interessierten Offentlichkeit erfassen sollen. Leitbilder als Elemente einer strategischen Ausrichtung nationaler Raumordnungspolitik tragen im Zeitalter der Globalisierung zur politischen Positionierung und Profilierung bei, gleichzeitig auch zur Integration in Ubergeordnete supranational Raumordnungskonzeptionen, die angesichts wachsender, zunehmend auch nationale Grenzen iiberschreitender Siedlungsraume an Bedeutung gewinnen.
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Auf kommunaler Ebene gehoren Leitbilder als politische Zielsysteme in der Schweiz seit den 1980er Jahren zum Standardrepertoire kommunaler Planungstatigkeit. In Deutschland sind sie dagegen als planerisches Instrumentarium erst in den letzten Jahren entdeckt worden. Hier haben sie jedoch in kiirzester Zeit, haufig als Bestandteile informeller Entwicklungskonzepte, alle Planungs- und Verwaltungsebenen erobert. Anders als die traditionellen stadtebaulichen Leitbilder, die - wie einst die gegliederte und aufgelockerte Stadt oder heute die Stadt der kurzen Wege - grundlegende fachliche Planungsprinzipien vermitteln, soUen die neuen Leitbilder jedoch in erster Linie der Steuerung raumrelevanter Akteurlnnen und Institutionen dienen. Dabei wird dem Leitbildprozess als Plattform fur das Aushandeln gemeinsamer Ziele eine besondere Rolle zugesprochen (J. Knieling 2000). In einzelnen Modellverfahren wurden in solchen Prozessen auch neue Formen der BUrgerlnnenbeteiligung erprobt (vgl. BurgerInnendialog, Forschungsverbund Stadt+Um+Land 2030 Region Braunschweig 2004). Diese Prozesse sind mehr als projektorientierte Planungen, die sich stochastisch-inkrementalistisch von Problem zu Problem weiter entwickeln; sie setzen vielmehr das Vorhandensein von Zielsystemen bzw. in kommunikativen Prozessen entwickelten Leitbildem voraus. Die neue Leitbildorientierung ersetzt die traditionelle Zielorientierung rationaler Planungstatigkeit und verbindet diese im besten Fall mit entsprechenden Strategien politischer Steuerung (vgl. A. Goschel 2003). Leitbilder gewinnen eine neue Funktion - sie dienen heute jedoch weniger als fachliche Verstandigungsmittel im klassischen Sinne, sondem iibemehmen im konkreten Einzelfall als Instrumente kommunaler oder regionaler Planungstatigkeit Orientierungsfiinktion fiir die Entwicklung entsprechend abgestimmter Strategien. Daneben erhalten Leitbilder auch Bedeutung im Zusammenhang mit Werbe- und Marketingstrategien (vgl. T. Sieverts 1998). 3.2 Die Bedeutung von Innovation und Selbstorganisation Neben den beschriebenen Ansatzen einer Strategieorientierung und neuen Formen der Leitbildorientierung in der Planungspraxis ist im planungstheoretischen Diskurs in jiingster Zeit vor allem das Phanomen der innovationsorientierten Planung untersucht worden (O. Ibert 2003). Innovation - wie auch die strategische Planung bisher eher Thema privater Untemehmungen denn offentlicher Institutionen - wird hier beschrieben als das Unplanbare, das durch systematisches Aussparen „absichtsvoller Liicken und Leerstellen" (Kocyba 2000, zit. nach O. Ibert 2005: 605) dem planenden Handeln zuganglich gemacht wird.
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3.2.1 Die Planung und das Unplanbare Die Auseinandersetzung mit dem Unplanbaren in der raumlichen Planung ist seit den politisch motivierten Selbstorganisationstheorien in Folge der 1968er Jahre kaum mehr thematisiert worden. Eine Ausnahme bilden hier die von Zibell initiierten Beitrage zu einer Chaosforschung im Bezug auf Stadt und Stadtebau bzw. stadtische Planung (B. Zibell/ Giirtler Berger 1997). Die Stadt und deren Entwicklung wird in einem Pladoyer am Ende dieses Bandes zwischen Komposition und Improvisation positioniert, zwischen der Baukunst und dem Traum perfekter Stadtbilder und dem offenen Kunstwerk mit seinen spontan sich verandemden Ausdrucksformen, wie sie zum Beispiel auch im Jazz Verwendung fmden (M. Albers 1997: 278f). Vor dem Hintergrund der modemen Chaosforschung erhalt die Bedeutung des Unplanbaren in der raumlichen Planung eine neue Bedeutung. Ohne Chaos, das wissen wir heute, kann nichts Neues entstehen; ohne (deterministisches) Chaos, defmiert als der Zufall oder die Stoning im - komplexen dynamischen System, ist Innovation und Veranderung, d. h. Evolution resp. Weiterentwicklung, unmoglich. Dabei spielt die Selbstorganisation als Entwicklungsfaktor eine zentrale Rolle, jene gebtindelte Kraft, die durch das spontane Zusammenwirken einzelner Elemente im gegebenen System (d.i. Innovation) zur (Neu-)Bildung von Strukturen beitragen kann (vgl. B. Zibell 1995, 1997). Die Wirkungsmacht der Selbstorganisation wird mit dem Phanomen des makroskopischen Chaos, dem sog. „deterministischen Chaos", beschrieben. Anders als das mikroskopische Chaos, einem Zustand volliger Strukturlosigkeit, bezeichnet das makroskopische oder deterministische Chaos den Ubergang von einem Ordnungszustand in einen anderen (vgl. B. Zibell 2004: 5Iff, 2005: 7If). Als Grundlage fiir das Verhalten sozialer Systeme ist vor allem das von dem Physiker Hermann Haken in den 1970er Jahren entwickelte Konzept der Synergetik geeignet, das sich mit dem Zusammenhang von Selbstorganisation und Phasenubergangen in Nichtgleichgewichtssystemen befasst (vgl. H. Haken 1981). Fiir die Gestaltung und Strukturierung bzw. Planung und Entwicklung von Stadt und Region zieht Zibell drei SchlUsse aus diesem Wissen: • •
Chaos ist ein immanentes Phanomen komplexer dynamischer Systeme, es ist nicht wegzudiskutieren, also auch relevant fiir die Entwicklung raumlicher Systeme. Chaos hat verschiedene Gesichter: Als mikroskopisches Chaos (Zustandsbeschreibung) ist es immer prasent, im taglichen Leben wie in der Stadtlandschaft; als makroskopisches Chaos (Veranderungsphanomen)
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•
Barbara Zibell kommt es hier und da vor, ob spontan entstanden oder bewusst, z. B. durch Planung, induziert. Makroskopisches Chaos stort zwar das reibungslose Funktionieren von Systemen, ist aber auch notwendig, um Veranderung, Innovation zu erzeugen und damit Evolution (auf einer hoheren Entfaltungsstufe des Systems) zu ermoglichen.
Diese Erkenntnisse ftihren zu Konsequenzen fiir die Weiterentwicklung von Planungstheorie und Planungspraxis, die mit dem Streben nach Gleichgewicht, d.h. Verteilungsgerechtigkeit, und der Bevorzugung kleiner, flexibler gegeniiber groBen, schwer revidierbaren Losungen, d.h. Fehlerfreundlichkeit, einhergehen. Ziel ware ein nachhaltiger Umgang mit den gebauten und sozialen Strukturen, die bei Zibell in zwei Planungsstrategien miinden: die eine bezogen auf den Umgang mit der raumlichen Struktur, den gebauten Raumen, die andere bezogen auf den Prozess der raumlichen Entwicklung, in der den sozialen Raumen eine groBere Bedeutung zukommt. Dabei handelt es sich um die Neuauflage und Umdeutung altbekannter Bewirtschaftungs- und Aushandlungsstrategien: Dreifelderwirtschaft und Gegenstromprinzip (vgl. B. Zibell 2005a: 82ff). 3.2.2 Dreifelderwirtschaflt: eine Planungstheorie zur Bewirtschaftung der gebauten Raume Jede Stadt, jedes raumliche System weist auch Chaos an den Randem auf, in der Zwischenstadt, entstanden aus zahlreichen, in sich geordneten, aber untereinander unkoordinierten Entscheidungsprozessen, weil hier unzahlige Einzel-Bauherren und politische Systeme (Gemeinden) am Werk sind (mikroskopisches Chaos). Dazwischen gibt es zahlreiche Gebiete, die ablesbare Strukturen aufweisen, Orientierung und Identifikation vermitteln, und es gibt Gebiete, in denen bauliche oder soziale Missstande herrschen, in denen dringender Handlungsbedarfbesteht. Die Strategic der Dreifelderwirtschaft (vgl. B. Zibell 1996, 2004, 2005; Stadt St. Gallen 1997) setzt am Handlungsbedarf dieser unterschiedlichen Stadtfelder an und umfasst drei Gebietskategorien, die - anders als in der bauerlichen Dreifelderwirtschaft^"^ - nicht nacheinander, sondem gleichzeitig, jedoch mit unterschiedlicher Intensitat bewirtschaftet werden, bezieht aber - im Gegensatz
54 Das landwirtschaftliche Prinzip der Dreifelderwirtschaft bearbeitet die Flur in dreijahrigem Wechsel, friiher: Winter-, Sommergetreide und Brache; heute anstelle der Brache Hackfriichte oder Futterpflanzen (Brockhaus 1999).
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zur tiblichen Bewirtschaftungsform - die Brache als ein wesentliches Element ein: •
•
•
Bereiche intensiver Planungstatigkeit (Auslosung von makroskopischem Chaos): Gebiete, in denen der Investitions- oder Entwicklungsdruck sehr groB ist, weil entweder eine erstmalige Bebauung angestrebt wird oder weil Veranderungen auf Grund von Umnutzungen oder Umstrukturierungen zu erw^arten sind. Bereiche pflegender Weiterentwicklung (Eingriffe in das mikroskopische Chaos): Sanfte Eingriffe zur Entwicklung und Qualifizierung des Bestandes, die sich sowohl auf die Nutzung als auch auf die Bebauung, die ErschlieBung oder die Qualitat der AuBenraume beziehen konnen, sie verandem aber nichts an der gegebenen Grundstruktur. Bereiche, die sich selbst uberlassen bleiben (Selbstorganisation): Hier handelt es sich um Bereiche, die so wie sie sind, sich selbst uberlassen werden konnen, oder denen bewusst Moglichkeiten zur sich selbst organisierenden Veranderung eingeraumt werden (okologischer/sozialer Wildaufwuchs; „Brachland").
Anders als eine umfassende und perfektionierte Entwicklungsplanung geht die Planungsstrategie der Dreifelderwirtschaft vom Handlungsbedarf aus und setzt auf dieser Basis unterschiedliche Schwerpunkte. Das erfordert eine gute Kenntnis der baulich-raumlichen Strukturen des Systems Stadt oder Region sowie der gebauten (und sozialen) Teilsysteme. Ein intelligentes Controlling und Monitoring, als eine Anzeigefunktion, die durch Beobachtung, Spaziergange, Gesprache mit Bewohner- und Nutzerlnnen gewahrleistet werden kann, erfordert ein verandertes Planungsverstandnis und ist Voraussetzung fiir eine entsprechend ausgeloste Planungstatigkeit. 3.2.3 Gegenstromprinzip: eine Planungstheorie fiir Aushandlungsprozesse uber gebaute Raume Im Allgemeinen verstehen wir unter dem Gegenstromprinzip die Beriicksichtigung der Planungsziele einer oberen Planungsebene, z. B. Bund oder Land, durch eine untere, z. B. Stadt oder Region, und umgekehrt: die Anpassung der Ziele einer unteren Planungsebene an die oberen.
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Dieser Planungsansatz lasst sich in abgewandelter Form auf die Planungskultur einer Stadt oder Region tibertragen^^. Dabei wird Planung nicht als ein technischer Vorgang verstanden, in den Fachleute und politische Entscheidungsinstanzen eingebunden sind und der sich vor allem iiber gezeichnete, in der Regel final verstandene Plandarstellungen abwickelt, die in Rechtsform gegossen das Instrumentarium fur den anschliefienden Vollzug darstellen. Dieses klassische Planungsverstandnis kommt in aller Regel auch heute noch bei den gesetzlich vorgeschriebenen Planungen, bei der Bauleitplanung wie bei regionalen Raumordnungsplanungen, Planfeststellungsverfahren etc., zum Tragen. Es hat sich jedoch in den vergangenen Jahren gezeigt, dass dieses Planungsverstandnis den realen Anforderungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Umstrukturierung vormals industriell genutzter Gebiete, nicht mehr (oder nicht mehr allein) gerecht werden kann. Planung ist hier vielmehr als ein sozialer Prozess zu begreifen, mit dem und durch den Stadt und Region sich immer wieder emeuem und verandem. Diese Prozesse sind in aller Regel nicht nach Schema F zu organisieren; sie brauchen das Ohr an der Basis, das heiBt dort, wo zuvor nicht nur unberiihrte Erde und reine Topographic, sondem bereits ein komplexes Gefiige von baulichen, rechtlichen, okonomischen und sozialen Strukturen existierte, das sich in seiner Gesamtheit im Umbruch befindet und entsprechend empfmdlich auf Eingriffe von oben reagiert. Das so umgedeutete Gegenstromprinzip setzt an der Schnittstelle zwischen den Planungsabsichten von oben und den Nutzungsbedtirfhissen an der Basis an und bezieht sich auf die permanente gegenseitige Abstimmung zwischen „topdown" und „bottom-up". Beide Seiten waren in einen Prozess des wechselseitigen Zusammenspiels einzubeziehen, und zwar in Form kooperativer Verfahren, die einen permanenten Kreislauf zwischen „top-down" und „bottom-up" vollfuhren. Es handelt sich in einem solchen Planungsverstandnis nicht um eine Neuauflage der alten Partizipation, sondem um mehr: Im Gegenstromprinzip agieren zwei gleichwertige und gleichberechtigte Partnerlnnen miteinander. Dabei waren nicht nur institutionell verankerte Akteurlnnen einzubeziehen, sondem vor allem auch die zahlreichen NGOs aus Stadt und Region: Biirgerlnnenorganisationen und Frauengruppen, Vereine und Interessengmppen aller Art (B. Zibell 2005a: 85f). Dieser Ansatz des Gegenstromprinzips ware im Zeitalter von „3stadt2 Kooperationen" jedoch entsprechend zu erweitem; die Verantwortung bleibt in diesem Ansatz jedoch bei der politisch verantwortlichen und administrativ zu-
55 Der folgende Abschnitt ist einem Vortrag zum Thema „Perspektiven fur die Stadtentwicklung. Planen im Gegenstromprinzip" entnommen, den die Autorin am 24. Oktober 1997 anlasslich des 7. Easier Workshops zur Zukunft des Wohnens zum Thema „Wohnen in der Stadt. Planen, Bauen und Emeuem im Quartier" in Basel gehalten hat.
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standigen, well gemeinwohlorientierten kommunalen oder regionalen Planungsbehorde. 3.2.4 Strategische Interventionen Innovationen tragen als sog. „strategische Interventionen" auch zum Erfolg von Untemehmensgeschichten (O. MuBmann 2004) oder im Rahmen innovationsorientierter Wirtschaftspolitiken zum Erfolg von Volkswirtschaften bei (s. Bsp. Finnland: vgl. W. Sengenberger 2005). Als Idee punktueller Interventionen werden sie in jiingerer Zeit auch in der stadtebaulichen Planung angewandt, um in bestimmten Stadtquartieren neue Entwicklungen zu induzieren. (U. Giseke/ E. Ltitke-Daldrup 2002) Im Rahmen des BBR Forschungsfeldes „Innovative Projekte zur Regionalentwicklung" wurden unter dem Leitthema „Umstrukturierung statt Zuwachs" jtingst verschiedene Aktivitaten im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie und zur Bewaltigung des demographischen Wandels ausgelost (vgl. H.-P. Gatzweiler/ K. Mensing 2006), die durch eine Aktivierung endogener Potentiale bzw. sich selbst organisierender Krafte einen aktiven Umgang mit dem Strukturwandel in Gang setzen sollen. 3.3 Informelle Netzwerke als strategische Bundnisse Neben Leitbild- und Innovationsorientierung bzw. strategischen Interventionen nimmt im Zuge von Globalisierung und Deregulierung auch die Bedeutung strategischer Btindnisse und anderer Formen informeller Akteursnetzwerke zu. Dabei entstehen neue Netzwerke und von der Basis haufig eher abgehobene Sozialraume, die iiber einzelne Personlichkeiten politisch und wirtschaftlich im Raum verankert sind, jedoch ohne demokratische Legitimation agieren. Die Akteurlnnen emennen sich weitgehend selbst, damit entfallt Transparenz, die demokratische KontroUfunktion geht verloren. Inwiefem diese abnehmende Verankerung an der lokalen und regionalen Basis auf Dauer dazu fuhrt, dass sozialraumliche Disparitaten zunehmen, kann nur vermutet werden. Zumindest scheint die Unabhangigkeit politischer Organe zugunsten einer Okonomisierung politischer und administrativer Strukturen auch hier zu schwinden. Dies lasst sich am Beispiel der neuen Metropolregionen anschaulich verfolgen: Bei dieser aktuellen Neukonstruktion von Raumen, die sich im globalen Wettbewerb der Stadte und Regionen aufstellen, um international wahrgenommen zu werden und mithalten zu konnen, stehen personliche Netzwerke und Wissensaustausch bzw. Kooperationen von Wirtschaft, Wissenschaft und For-
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schung im Mittelpunkt regionaler Standortpolitik. Statt Einfiihrung einer neuen administrativen und politischen interkommunalen bzw. -regionalen Ebene werden hier neue Raumgebilde erzeugt, die zum einen eine Herausforderung an die politischen Akteurlnnen darstellen und diesen eine Chance bieten, wirtschaftliche und wissenschaftliche Potenziale im Raum effektiver zu vemetzen. Zum anderen setzt diese neue Raumkonstruktion alle bisherigen demokratischen Regeln auBer Kraft: Mitwirkung geschieht nicht mehr auf Grund rechtlich flxierter Grundlagen, sondem auf Grund von Beziehungen bzw. sozialer und kultureller Kompetenz. Zum Eintritt in diese neuen informellen Strukturen bedarf es der Bekanntheit bzw. der Mitgliedschaft in traditionellen politischen, wirtschaftlichen Oder wissenschaftlichen Netzwerken, in denen die Mehrheit der Btirgerlnnen, aber z. B. auch Frauen, generell weniger vertreten sind. Ohne die Einftihrung eines ethisch und systemtheoretisch begriindeten Prinzips der Beteiligung, Mitwirkung und Mitbestimmung, die mehr umfasst als die bloBe Nachfrageorientierung einer ansonsten weiterhin passiven Planungskundschaft, diirften diese Strukturen zu einer schleichenden Entdemokratisierung und zur konflikttrachtigen Polarisierung in die Einen, die dazu gehoren und immer und tiberall dabei sind, und die Anderen, die ausgeschlossen sind und ausgegrenzt bleiben, ftihren. Ob eine demokratisch gegriindete Gesellschaft sich eine solche Entwicklung auf Dauer leisten kann und will, ist fraglich. So wird das Problem der neuen Governance-Modelle bzw. Akteursnetzwerke in der Fachwelt im Bezug auf die fehlende Legitimation institutionalisierter Strukturen bereits kritisch diskutiert (vgl. hierzu D. Kiibler 2003), good governance zumindest in Frage gestellt. Die Einfiihrung eines neu verstandenen Gegenstromprinzips ftir die weiterhin transparente Aushandlung von Planungsinhalten und -entscheidungen, wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, konnte hier Moglichkeiten bieten ftir politisch gewoUtes Biirgerlnnenengagement und Strategien sozialer Integration. 3.4 Strategieorientierte Planung: Chancen undRisiken Wenn die Okonomisierung offentlicher Verwaltungen um sich greift, Stadte und Regionen heute zunehmend als Unternehmen gefuhrt werden und gleichzeitig neue informelle Strukturen ohne politische Legitimation entstehen, dann wird strategisches Management auch in der raumlichen Planung zum gangigen Modus der Aufgabenbewaltigung. Angesichts der prekaren Situation der offentlichen Haushalte und der wachsenden Bedeutung von Ziel- und Leistungsvereinbarungen nehmen Privatisierung und Outsourcing vormals offentlicher Aufgaben und damit Abhangigkeiten
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von privaten Investitionen zu. Inwiefem vor diesem Hintergrund die Gemeinwohlorientiemng kommunaler Planung aufrecht erhalten werden kann, welche Chancen die Orientierung an einem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung oder die Umsetzung von Gleichstellungsstrategien wie des Gender Mainstreaming noch haben, wird immer mehr zu einer Frage der Krafteverhaltnisse und der dominanten Werthaltungen. Diese miissen in einer pluralistischen Gesellschaft nicht nur kodifiziert, sondem insbesondere auch kommuniziert und in politischen Verfahren bzw. an der Basis, d. h. auch liber Bildungsprozesse, verankert werden. In einer Gesellschaft, in der immer mehr nur das, was sich rechnet, zum MaBstab ftir Entscheidungen gemacht wird und langfi-istige Ziele den Einschrankungen kurzfi-istiger Wahlperioden unterliegen, ist dies eine der groBten Herausforderungen. Der raumlichen Planung mit ihrer traditionell kommunalen bzw. administrativen Verankerung kommt hier eine tragende Rolle zu: Die Frage der Beteiligten und zu Beteiligenden stellt sich in den zunehmend informellen Verfahren zumindest auf neue Weise. Die Einbindung der Biirgerlnnen, die in der Folge der 1968er Jahre in vielen europaischen Landern ausgebaut worden war, hat in den neuen informellen Verfahren keine rechtliche Basis mehr. Sie wird zum „good will" der Verantwortlichen, Partizipation oder gar Mitsprache zum Gliick oder Vorrecht derjenigen, die uber ausreichend soziale Kompetenz, Einflussvermogen, Formulierungsgabe etc. verfugen und sich politisch Gehor verschaffen konnen bzw. durch verantwortungsvolle Akteurlnnen explizit in Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Neben Empowermentstrategien fur die nicht in den alten Strukturen und den neuen Netzwerken vertretenen Anteile der Bevolkerung geht es daher im Wesentlichen darum, Ideen zu entwickeln, Kreativitat zu entfalten. Innovation zuzulassen, um Synergien zwischen Anspriichen und Ressourcen entdecken und spielen zu konnen. Strategische Planung - ist das eigentlich etwas substantiell Neues gegenuber filiheren Planungsformen? Planung kam nie aus ohne Leitbilder und Zielsysteme, ohne die Setzung von Schwerpunkten und Prioritaten. Nur wurden sie nicht immer umfassend und durchgreifend kommuniziert. Im Rahmen der allseitigen Okonomisierung und des Schwindens der Bedeutung und Durchsetzungskraft politischer Strukturen besteht nun jedoch auch die Gefahr, dass die Leitbildorientierung als Entscheidungshilfe fiir Investitionen entfallt. Dies gilt auch ftir die Einfiihrung der New Public Management Modelle in Verwaltungsstrukturen. Ohne eine nach auBen wie auch intern kommunizierte Verpflichtung auf die Gemeinwohlorientierung offentlicher Planungen und Entscheidungen bedeuten diese neuen Entwicklungen mehr Risiko als Chance (siehe D. Klooz/ M. Stlinzi 2006).
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Barbara Zibell Planung in einer okonomisierten Welt: Die (neue) Rolle der Planerlnnen
Insgesamt lasst sich feststellen, dass Planung sich mit dem Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft, auch vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Paradigmen, verandert hat. Gleichzeitig lasst sich feststellen, dass sich die Aktivitaten der Vertreterlnnen der Fachdisziplinen zwischen Architektur und Planung verschoben haben: Wahrend es noch Architektinnen (und Ingenieurlnnen) waren, die zum Ende des 19. Jahrhunderts den Stadtebau und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Landesplanung „erfunden" haben, ubemahmen die Stadt- und Regional- bzw. Raumplanerlnnen mit der Grtindung entsprechender Studiengange seit den 1970er Jahren mehr und mehr das Ruder bei der administrativen Steuerung komplexer raumlicher Entwicklungsaufgaben. Die Konzentration auf den sog. „Vollzug" fmaler Plane, die Verschiebung der Planungsaufgaben in Richtung Emeuerung und Projektorientierung und letztendlich die gesamtgesellschaftliche Abkehr von Planung flihrte jedoch dazu, dass Architektinnen sich ab Mitte der 1980er Jahre nicht nur der brachliegenden Stadt- und Planungsdiskussionen bemachtigen konnten, sondem das entstandene Vakuum auch mit neuen und spektakularen Architekturprojekten fullten (s. H. Fassbinder 1993; vgl. auch: Arch+ 1990). Die Stadt- bzw. Raumplanung, die nicht in erster Linie von medial wirksamen Produkten, sondem von der Steuerung unsichtbarer Prozesse lebt und ihren Erfolg zudem haufig auch daran misst, ein Projekt - am ungeeigneten Ort Oder in einer unangemessenen Dimension - verhindert zu haben, konnte dagegen nur schlecht aussehen. Erst mit der aufkommenden Okonomisierung entstehen hier potentielle Synergien: So verstehen Architektinnen mittlerweile, dass es lohnenswert ist, sich fiir Managementaufgaben und Moderationsftinktionen zu schulen, Planerlnnen verstehen, dass sie auch mit Bildem arbeiten miissen, um sich in der Offentlichkeit verstandlich machen bzw. die Offentlichkeit flir ihre Ideen gewinnen zu konnen. Eine (Jberbriickung der beiden Ansatze - hier Produkt-, da Prozessorientierung - scheint, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung strategischer Planungstatigkeit, angezeigt. Planung als Instrument gesellschaftlicher Problembearbeitung und Steuerung, das politische Handlungsspielraume erweitert (D. Ftirst 2005: 766), wird mit der neuen Projektorientierung in Architektur und Stadtebau keineswegs obsolet. Im Gegenteil: Auch Architektinnen werden sich - angesichts demographischer Veranderungen und neuer Anforderungen der Wissensgesellschaft - mit der Identifikation und Definition von Problemlagen beschaftigen mtissen, um auf Dauer noch Auftrage generieren zu konnen. Dabei wird der Anteil klassischer Bauaufgaben zugunsten wachsender Anteile an Um- und Rtickbauprojekten eher
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zuriickgehen. Auf der anderen Seite kommen auch planerische Konzepte fur kunftige Siedlungsentwicklungen nicht mehr ohne die Integration dreidimensional wirksamer Raumqualitaten aus. Raumliche Planung und Architektur miissen sich (wieder) aufeinander zu bewegen, um zukunftsfahige Konzepte und Strategien fiir eine sich verandemde Gesellschaft zwischen Schrumpfen und Wachsen entwickeln zu konnen. Dabei geht es nicht mehr um die beiden klassischen Pole planungstheoretischer Diskussionen „Plan und Markt", sondem um ein Planungsverstandnis, das das offentliche - kommunale und staatliche - Handeln in die neuen marktwirtschaftlichen Realitaten zwischen globalen und lokalen Erfordemissen integriert, ohne die Verpflichtung auf das Gemeinwohl aufzugeben. Die neue Leitlinie des „Weniger ordnen und planen, mehr entwickeln und moderieren" ist dabei keine Rtickzugsposition frustrierter Planerlnnen, sondem die Einsicht in die GesetzmaBigkeit systemischer Zusammenhange und die Unmoglichkeit perfekter Planung. Dazu gehort es, Entscheidungen nicht losgelost zu treffen, sondem diese in eine Vision bzw. Gesamtstrategie einzubinden und allgemeine Spielregeln zu formulieren, im Rahmen derer sich Entwicklungen vollziehen konnen (B. Zibell 1995: 154ff), dies jedoch nicht blind gegentlber den drei Medien der Steuemng: Macht, Geld und Wissen (nach H. Willke 2001), sondem mit einer intelligenten und ethisch fundierten Integration dieser Medien bei jeder Konzeption von Planungs- und Leitbildprozessen. Dazu gehoren ebenso auch deren Kehrseiten, namlich: Ohnmacht, Armut und Nicht-Wissen bzw. Ignoranz. Drei Gmndregeln sollte eine kunftige strategieorientierte Planung sich zu Eigen machen: •
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Strategieorientierte Planung - nicht ohne Ziel- bzw. Leitbildorientiemng. Strategische Planung fimktioniert nicht ohne die Ausrichtung auf eine Vision, ein Leitbild oder ein Zielsystem: Jede Strategic muss auf irgendeine Leitvorstellung hin ausgerichtet sein. In einem demokratischen System ist diese entsprechend zu kommunizieren und zu verankem. Gleichzeitig eriibrigt sich im Kontext strategischer Planung die minutiose Durcharbeitung aller Teilgebiete von Stadt/Kommune und Region. Strategische Planung entspricht eher der Vorstellung einer Bewirtschaftung des jeweiligen Planungsraums, z. B. im Sinne einer neu interpretierten „Dreifelderwirtschaft" wie im Abschnitt 3.2.2 beschrieben. Dabei konnten z. B. die nachhaltige Entwicklung und/oder die Geschlechtergerechtigkeit als Bewertungsrahmen dienen. Strategieorientierte Planung - nicht ohne System-Umwelt-Beziehung. In seiner Theorie sozialer Systeme stellt Niklas Luhmann (1984) die Bedeutung der System-Umwelt-Beziehung in den Vordergmnd. Danach handeln
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Barbara Zibell offene, d. h. komplexe und dynamische Systeme, so auch Stadte und Regionen, mit Vorteil operativ geschlossen und kognitiv offen. Die interkommunale Kooperation wird - auch als Prinzip der nachhaltigen Entwicklung im Stadtebau (vgl. BfLR 1996) - zwar seit einigen Jahren postuliert und hier und da auch mehr oder weniger erfolgreich erprobt, die kommunale Kirchturmpolitik ist jedoch nach wie vor eine zentrale Realitat auch bei der Entscheidung iiber interkommunal wirksame Ansiedlungen. Strategien sind nicht nur auf kommunaler, sondem auf jeder Planungs- und Entscheidungsebene zu entwickeln und mit den jeweiligen Betroffenen, Nachbargemeinden wie angrenzenden Grundeigenttimerlnnen, Pachterlnnen und anderen Nutzerlnnen zu kommunizieren. Strategieorientierte Planung - nicht ohne Kommunikation: Die neuen Modelle kommunikativer Planung setzen die Moglichkeit der Einflussnahme voraus - diese ist aber nicht jeder und jedem gegeben. Durch die informellen, „weichen" Strukturen, Managementmodelle und Akteursnetzwerke werden neue Ausgrenzungsprozesse erzeugt, die durch kompensatorische Strategien sozialer Integration, wie sie z. B. das Konzept des Gender Mainstreaming darstellt (vgl. hierzu: B. Zibell 2005b), minimiert werden konnten. Voraussetzung ist neben einem entsprechenden politischen Willen die strategische Umsetzung neuer Tragerschaften von Public Private Partnerships unter Beteiligung von Biirgerlnnen, die als Expertlnnen fiir Lokales und Stadtteilfragen heranzuziehen waren. Partizipation und Empowerment liegen in einer okonomisierten Gesellschaft mehr als je zuvor in der besonderen Verantwortung der offentlichen Akteurlnnen.
Fazit
Jede Form der Planung, auch der sog. „strategieorientierten", kommt ohne den formulierten politischen Willen, der in Zielsystemen, Beschliissen, Verbindlichkeiten niedergelegt ist, nicht aus. Anders herum bedarf es strategischer Konzepte und Projekte, um planerische Ziele und Leitbilder umsetzen zu konnen. In einer demokratisch verfassten Gesellschaft kommt Planung auch ohne verlassliche Entscheidungsstrukturen und transparent organisierte Kommunikation nicht aus, dies umso mehr, je komplexer die Systeme werden. Zielsysteme und Leitbilder sind gerade in komplexen Systemen auf vielfaltige Weise zu kommunizieren, um sie an der lokalen Basis zu verankem und Identitat mit dem Gemeinwesen zu erzeugen. Dies erfordert mehr (strategische) Kommunikation und die Erfmdung und Erprobung kommunikativer Strategien in kooperativen Verfahren. Die ungleiche Verteilung von Entscheidungs- und Gestaltungsmacht lasst sich dadurch
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zwar nicht aufheben, jedoch besteht die Chance, dass sich ein Maximum an Positionen Gehor verschaffen kann und dass Losungen gefunden werden konnen, die ein Maximum an Bediirfiiissen befriedigen. Dazu gehort eine Grundhaltung, die sich auf Seiten aller Beteihgten durch Toleranz, Flexibilitat und Offenheit gegeniiber anderen als den vorab praferierten Losungen auszeichnet. Das bedeutet ein Sttick angewandter Chaostheorie: Chaos als Stoning im System zu akzeptieren, auf Uberraschungen flexibel zu reagieren, Unerwartetes zu integrieren, erfordert Innovationsbereitschaft und die Permanenz kommunikativer Planungsprozesse und ist gleichzeitig Voraussetzung fur Akzeptanz, Identitat und Integration. In komplexen, pluralistischen und demokratischen Systemen bleibt raumliche Planung mit der ihr eigenen Verantwortung im Sinne des Gemeinwohls eine besondere Herausforderung. Dabei spielt die Kommunikation von Leitbildem und Zielsystemen sowie der Einbezug auch und gerade derjenigen, die sich nicht selbst zu Akteurlnnen machen (konnen), als zentraler Bestandteil jeder politisch legitimierten Strategic eine zentrale Rolle. Strategieorientierung bedeutet vor diesem Hintergrund nicht nur, Konzepte und Projekte im Sinne kommunizierter Ziele und Leitbilder zu entwickeln und zu platzieren, sondem die Prozesse selbst als Bestandteile der Strategieorientierung zu begreifen und zu gestalten. Literatur Akademie fiir Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) (2005): Handworterbuch der Raumordnung, 4. neu bearb. Aufl. Hannover: ARL Albers, Martin (1997): WerkStadt. Zwischen Komposition und Improvisation. In: Zibell/ Giirtler Berger (Hrsg.) (1997): 275-294 Albertz, Jorg (Hrsg.) (2005): Evolution zwischen Chaos und Ordnung, Schriftenreihe Freie Akademie Bd. 24. Berlin: Selbstverlag FA Mercedes-Druck Berlin Arch+ (1990): ChaosStadt. Stadtmodelle nach der Postmodeme. Zeitschrift fiir Architektur und Stadtebau 105/106 ARE Bundesamt fiir Raumentwicklung (Hrsg.) (2005): Raumentwicklungsbericht 2005. Zusammenfassung. Bern ARE Bundesamt fiir Raumentwicklung (Hrsg.) (2003): Agglomerationsprogramm. Kurziibersicht iiber Zweck, Charakter und Inhalt. Bern Bundesamt fiir Bauwesen und Raumordnung (BBR) (2004): 3stadt2. Neue Kooperationsformen in der Stadtentwicklung. ExWoSt Forschungsfeld, Kurzfassung. Bonn - Bad Godesberg Bebermeyer, Hartmut (1985): Das Beziehungsfeld politische Planung und strategische Untemehmensplanung. Frankfurt am Main u. a. Diss. Techn. Univ. Berlin 1985 Becker, Heidede/ lessen, Johann/ Sander, Robert (Hrsg.) (1998): Ohne Leitbild? Stadtebau in Deutschland und Europa. Stuttgart und Zurich: Karl Kramer
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Resiimee
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat
Herausforderungen und Chancen
Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Alexander Hamedinger
„Jeder dieser Planer kann auch Stratege sein - ein Spezialist fur besondere Strategien Oder gar Schopfer strategischer Visionen - obwohl all dies nichts mit Planung, Planen oder dem Planer-Sein an sich zu tun hat." (H. Mintzberg 1995: 450) Strategien, die ganz allgemein als das planvolle Vorgehen zur Erreichung bestimmter Ziele der Entwicklung von Gesellschaften, Wirtschaftssystemen, Organisationen, Stadten und Regionen interpretiert werden konnen, wird seit den 1960er Jahren sowohl in der „Managementliteratur" (vgl. H. Mintzberg 1995) als auch in planungstheoretischen Ansatzen groBerer Stellenwert beigemessen. Im „goldenen Zeitalter" des Fordismus, das vom stetigen okonomischen Wachstum europaischer Volkswirtschaften, vom Aufbau des keynesianischen Wohlfahrtsstaates und vom Siegszug des „Taylorismus" in der Produktions- und Arbeitsorganisation dominanter Industrien gepragt war, ging es um die Entwicklung von Strategien im Rahmen „groBer Plane", die das Wachstum in die „richtige" Bahnen lenken sollten (etwa im Sinne des Fortschreitens der Industrialisierung, der Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen etc.). Dartiber wurde vor allem innerhalb der politisch-administrativen Systeme auf der Basis von rationalen Analysen entschieden. Nachdem in den 1970er Jahren die „Wachstumsbedingungen" fur die meisten Volkswirtschaften - wenn auch in unterschiedlichem AusmaB und Intensitat - eingebrochen sind und Planung zu Beginn des „Postfordismus" unter „Krisenbedingungen" (okonomische Krise, Krise des Sozialstaates, Legitimitatskrise; vgl. K. Offe 2006) erfolgen musste, fand eine bemerkenswerte „Offiiung" einer an Strategien orientierten Planung gegenilber der Logik und der Sprache der Okonomie statt. Dies geschah einerseits auf diskursiver („Wettbewerbsrhetorik"), andererseits auf organisatorischer Ebene (Umsetzung des New Public Managements, Public Private Partnerships im Rahmen der Stadtplanung). Im Vordergrund stand die Verbesserung der Wettbewerbsposition der Stadt bzw. Region. Gleichzeitig zeigte sich bald ein intensiveres Bemiihen um die Einbindung von Akteurlnnen aus der Zivilgesellschaft. Die gegenwartig dominante Erscheinungsform strategieorientierter Plane zeigt sich beispielsweise durch Strategiepapiere, die seit den 1990er Jahren in einigen europaischen Stadten entwickelt wurden. Planung wird dabei zumeist als
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sozialer Prozess gesehen, der nicht mehr absolut durch staatliche Akteurlnnen alleine steuerbar ist. Aus der Perspektive einer institutionalistischen Interpretation strategieorientierter Planung ist die Einbettung in lokale „Governance-Formen" ausschlaggebend fiir den Erfolg bzw. Misserfolg strategieorientierter Planung (vgl. P. Healey etal. 1997). Neben dieser „institutionalistischen" Sichtweise sind die Strategiepapiere auch einem „diskursiv/ kommunikativen Ansatz" zu zuordnen, in welchem weniger auf die Regelungsstrukturen als vielmehr auf die zentrale Funktion von strategieorientierten Planen als Kommunikationsinstrumente Bedacht genommen wird (vgl. A. Faludi/ W. Salet 2000). Eine Einteilung strategieorientierter Planung fallt allerdings angesichts der Vielzahl von planungspraktischen Ansatzen, in denen Strategien eine Rolle spielen, schwer (LA 21-Prozesse, Leitbildprozesse etc.). Auch die von Faludi und Salet (2000) vorgeschlagene Einteilung, wonach zwischen einer institutionalistischen, einer diskursiv/ kommunikativen und einer interaktiven Variante strategischer Planung als Idealtypen unterschieden werden kann, hat vor allem einen analytischen Wert, da sich in der Planungspraxis zumeist ein „Mix" aus diesen Ansatzen ergibt. Eine mogliche Einteilung konnte sich darauf beziehen, wie „stark" die raumliche Dimension in die strategieorientierte Planung eingebracht wird (vgl. F. Sartorio 2005), d. h. es konnte zwischen allgemeinen, umfassenden stadtischen Strategieplanen und konkreten strategischen Planen zur raumlichen Entwicklung unterschieden werden (z. B. im Fall Wien zwischen den Strategieplanen 2000 und 2004 einerseits und dem Stadtentwicklungsplan 2005 andererseits; s. Beitrag von Hamedinger in diesem Band). Allerdings wtirde diese Systematisierung darunter leiden, dass als Einteilungskriterium lediglich die inhaltliche Schwerpunktsetzung dient, wahrend andere Kennzeichen strategieorientierter Planung, wie z. B. die Verkniipfung von allgemeinen Visionen mit konkreten Projekten sowie die Betonung des „Prozesscharakters" zu kurz kommen wiirden. In den einzelnen Beitragen dieses Buches ist deutlich geworden, dass strategieorientierte Planung nicht als einheitlicher und eigenstandiger planungstheoretischer Ansatz oder gar als „neues" Paradigma aufgefasst werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine „Familie" von Planungsansatzen, die einige theoretische wie planungspraktische Gemeinsamkeiten aufweisen. Strategieorientierte Planung wird in diesem Sinne als „flexibel und variantenreich" interpretiert. Hutter (2004) sieht strategische Planung „als einen Oberbegriff fiir sehr verschiedene Konzepte und Werkzeuge, deren Effektivitat bei unterschiedlichen lokalen und regionalen Rahmenbedingungen auch unterschiedlich einzuschatzen ist. (...) Wie und warum man strategisch plant, wird wichtiger, als die Beantwortung der Frage, ob jemand strategisch plant. Neu ist hier das situative Verstand-
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nis ftir die Einsatzmoglichkeiten strategischer Planung, nicht der Begriff an sich."(G.Hutter 2004: 211) Trotzdem seien hier noch einmal - in Anlehnung an die ersten Hinweise in der Einftihrung dieses Bandes - einige aus Theorie und Empirie gewonnen Gemeinsamkeiten aufgezahlt. 1
Gemeinsamkeiten strategieorientierter Planungsansatze
1.1 Begrundungszusammenhdnge Zumeist beziehen sich die Planungen auf „exteme" Rahmenbedingungen, die Herausforderungen fur die Stadte darstellen; dafiir werden integrierte Losungsansatze gesucht. Anlasse sind • •
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die Interpretationen der „Herausforderungen durch die Globalisierung", welche zu einem intensivierten Wettbewerb zwischen den Stadten/ Stadtregionen gefuhrt hat; die zunehmenden gesellschaftlichen Probleme (wachsende ArmutsWohlstands-Gegensatze, zunehmende Integrationsherausforderungen von Menschen mit Migrationshintergrund und mit „abweichenden" Lebensstilen, zunehmende „Unterjungung" und „tFberalterung"), die jedoch auf regionaler und lokaler Ebene unterschiedlich sichtbar werden und unterschiedlichen Problemkonstellationen darstellen; die Erkenntnis, dass die kommunale/ regionale Steuerung dieser Prozesse zunehmend problematisch wird; das Herausbilden lokaler/ regionaler Identitaten sowie die Bewahrung der lokalen/ regionalen kulturellen Eigenarten und Eigenstandigkeiten auf Grund eines gestiegenen Druckes, „Alleinstellungsmerkmale" zu produzieren, (unique local preposition) sowie sehr haufig das zumindest formale Bemiihen um eine nachhaltige Entwicklung.
1.2 Steuerungsformen Der Modus der Regelung der Interaktionen zwischen den an strategieorientierter Planung beteiligten Akteurlnnen ist weniger hierarchisch und hoheitlich-imperativ als kooperativ und verhandlungsorientiert. Strategieorientierte Planung ist ein prozedurales, strukturierendes Steuerungsinstrument (vgl. K. Schubert/ N.C. Bandelow 2003; K. Selle 2005), das Bestandigkeit im Verhalten liber einen ge-
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wissen Zeitraum hinweg gewahrleisten soil. Steuerung erfolgt dabei im Sinne des Governance, d. h. es wird auf den „Bindungs- und Uberzeugungseffekt" gesetzt, der sich aus dem gemeinsamen Lemprozess ergeben soil. Strategieorientierte Planung versucht einen Bezugs- und Orientierungsrahmen fiir die vielfaltigen Entscheidungen zu entwickeln, die in der Stadt- und Regionalentwicklung anstehen. Sowohl in der Entwicklung als auch in der Umsetzung der Planung wird auf die Bildung von Netzwerken und die Herstellung von Kooperationen hingewiesen. Die vorhandenen, historisch entwickelten Kennzeichen der stadtischen Governance, d. h. die lokale politische Kultur, die politischen Prozesse und Strukturen fuhren im Sinne einer „Pfadabhangigkeit" zu unterschiedlichen Erscheinungsformen strategieorientierter Planung. 1.3 Aufbau In vielen strategieorientierten Planungsansatzen, vor allem in einigen stadtischen Strategiepapieren, wird auf die „Umsetzungsorientierung" der Planung groBen Wert gelegt. Die allgemeineren, stadtischen Strategien werden mit konkreten, raumlich begrenzten Projekten verkntipft, die quasi als „flagships" die Strategic sichtbar und kommunizierbar machen sollen. Die strategischen Projekte fungieren dabei als Impulsgeber und Motoren der stadtischen Entwicklung. Die Konzentration auf bestimmte Themen und Projekte erfolgt dabei aus einer Optimierungs- und Effizienzsteigerungslogik, die ganz im Sinne der Verwaltungsmodernisierung erfolgen soil. Zielsetzungen und MaBnahmen der Verwaltungsmodernisierung sind sowohl Folgen wie auch Voraussetzung zu einer weiteren Starkung der Wettbewerbsfahigkeit. Die tJbemahme von Formen einer betriebswirtschaftlichen Optimierung durch die bislang an der Steigerung des Gemeinwohls orientierten offentlichen Einrichtungen (Verwaltung, Politikfelder, offentlicher Wohnungsbau, aber auch die Tragerlnnen der Wohlfahrt, die Kirchen, Kammem und Verbande) fuhrt neben deren „lean management" jedoch auch zu veranderten Zielsetzungen. Die Projektorientierung ist damit Teil des Wandels im Verstandnis des staatlichen Handelns (vom interventionistischen zum rahmensetzenden, aktivierenden und kooperativen Staat) (zur Projektorientierung s. Beitrag von Mayer in diesem Band). Eine integrative Betrachtungsweise der Herausforderungen und Losungsansatze ist ein weiteres Merkmal dieser Planungsansatze. Dies geht in vielen Fallen mit der Starkung ressortiibergreifenden Arbeitens und mit der Bildung von Kooperationen einher. Wie weit die Einbindung unterschiedlicher Ressorts (z. B. Finanzen) in die strategieorientierte Planung erfolgt, ist wiederum vom lokal vorfmdbaren Governance-Regime abhangig (vgl. S. Lange/ U. Schimank 2004),
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d. h. die Problemwahmehmungen, Strategievorstellungen und Interaktionsorientiemngen der zentralen Akteurlnnen entscheiden iiber das AusmaB der Integration unterschiedlicher Politikfelder. 1.4 Inhalte Die meisten Strategiepapiere orientieren sich sehr stark an der vorherrschenden Lesart der „Herausforderungen durch die Globalisierung"^^. Globalisierung bedeutet eine zunehmende Ablosung von Elementen der Wertschopfiingsketten aus ihrer jeweiligen ortlichen Bindung und eine freiere Standortwahl von Produktionsschritten innerhalb von Orten/ Regionen gleicher Bedingungsgunst. Das bedeutet, dass eine lokale oder auch nationale Steuerung die Standortsicherung nicht mehr gewahrleisten kann. Das wiederum hat zur Folge, dass sich Stadte und Regionen in die Konkurrenz um Investitionen, Firmenansiedlungen, kaufkraftkraftigere Haushalte und Touristlnnen begeben. Dazu wird die bestehende lokale Okonomie zunehmend umsorgt und die „verkaufbare" Lebensqualitat des Standorts abgesichert und ausgeweitet. Das wiederum fiihrt zu MaBnahmen, die das „wirtschaftsfreundliche Klima" untersttitzen, die kulturellen Highlights fordem, den Freizeitsektor modemisieren und die Messe-, Event- und zentralisierten Einkaufsgelegenheiten starken. Das Verstandnis einer Gebietskorperschaft mutiert so zu dem eines Untemehmens (vgl. J.S. Dangschat 2007). Bei den Inhalten wird demzufolge sehr stark die (Steigerung der) Wettbewerbsfahigkeit betont. Die nachhaltige Entwicklung der Stadt(region) wird in alien Stadten proklamiert, jedoch mit einem deutlich unterschiedlichen Gewicht. Dabei reicht die Spanne der Verwendung des Begriffes von der Verbeugung vor aktueller „political correctness" und tagesaktueller Begrifflichkeit bis hin zu einer ansatzweisen Emsthaftigkeit der Umsetzungsziele (insbesondere im Zusammenhang mit Umweltschutz und Lebensqualitat). Auch die Problematik der Entwicklung der gegenwartigen (Stadt-) Gesellschaften wird angesprochen, aber hier in noch starkerem MaBe in unterschiedlicher Intensitat und Differenziertheit. Das ist insbesondere auf das unterschiedliche AusmaB der wahrgenommenen sozialen Problematik zuriickzupraxistaugliche Alternativ-Vorschlage zu dem „highway" des (neoliberalen und wettbewerbsorientierten) „Erfolges" kommen. Sie erschOpfen sich einerseits in einer grundlegenden Zuriickweisung des globalisierten Kapitalismus oder mtinden in Argumente, die im Nachhaltigkeitsdiskurs gebiindelt sind. Dabei werden in der Regel jedoch partikulare Ziele angesprochen, kaum aber auf Interdependenzen und Ambivalenzen einzelner Optimierungsstrategien relativ wohlhabender Stadtregionen hingewiesen und die formalen Management-Methoden werden als durchgangig positiv angesehen (vgl. J.S. Dangschat 2002).
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fuhren. Demographische Strukturen (Uberalterung und Zuzugskontrolle), Arbeitslosigkeits- und Armutsentwicklung, Integrationsprobleme von Menschen mit Zuwanderungshintergrund und insbesondere die raumliche Konzentration sozialer Problematik stehen hierbei im Vordergrund. 1.5 Prozessorientierung Planung wird als gemeinsamer, offener Lemprozess gesehen, in welchem die entwickelten Strategien und deren Umsetzung fortlaufender Adaption in Folge veranderter Rahmenbedingungen bediirfen. Der Lernprozess bezieht sich dabei sowohl auf die Rollen und Sichtweisen der involvierten Akteurlnnen als auch auf das „Lemen von Institutionen", die in ihren Organisations- und Kommunikationsstrukturen durch den Strategiebildungsprozess beeinflusst werden (s. Beitrag von von Lowis in diesem Band). Der Prozess soil die Erarbeitung von ungeplanten und „intuitiven" Strategien ermoglichen (s. dazu den Beitrag von Hutter und Wiechmann in diesem Band). Wissen wird dabei nicht nur intern von Fachexpertlnnen aus den politisch-administrativen Systemen auf der Basis von rationalen Analysen entwickelt, sondem unterschiedliche Formen von Wissen (auch „tacit knowledge", Laienwissen) werden zusammengefuhrt, um Strategien zu erarbeiten. Strategien konnen nicht „von oben" verordnet werden, sondem bediirfen einen prozesshaften Entwicklung, um ihre „Geltung" entfalten zu konnen (s. Beitrag von Kuder in diesem Band). 7.6 Einbindung und Mobilisierung von lokalen Akteurlnnen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft Strategieorientierte Planung will lokale Akteurlnnen durch unterschiedliche Beteiligungsangebote in die Strategienentwicklung einbinden, um die Legitimitat dieser Strategien zu erhohen und um die strategischen Ziele besser erreichen zu konnen. Wiederum variiert das AusmaB und die Intensitat der Beteiligung je nach Planungsansatz und Governance-Regime, wobei vor allem strategische Plane durch eine relativ selektive Partizipation gekennzeichnet sind (s. Beitrag von Matthias Bemt in diesem Band). Ob dadurch auch ein Beitrag zur „Demokratisierung" der lokalen politischen Systeme geleistet wird, und wie die Verkniipfung von hierarchischer mit kooperativer Steuerung gelingt, ist eine Frage, die nur empirisch geklart werden kann (s. Beitrag von Diebacker sowie von Gerlich und Stoik in diesem Band).
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Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Alexander Hamedinger Welches sind Herausforderungen strategieorientierter Planungen?
2.1 Wissensliicken und „ Unsicherheiten'' Innerhalb der wissenschaftlichen Analysen der gegenwartigen Situation der Stadte als Gebietskorperschaften, der stadtregionalen Okonomien, die Stadtregionen als Natur-Siedlungs-Einheiten und der stadtischen Gesellschaften gibt es sehr unterschiedliche Positionen beziiglich der Einschatzung der aktuellen Situation sowie der dahinterstehenden Prozesse und ursachlichen Zusammenhange. Im Mainstream der jeweiligen Disziplinen wird die Notwendigkeit zur Effizienzsteigerung der (stadtischen) Gemeinden, die Notwendigkeit zu einer starkeren Kundlnnenorientierung und die Beschleunigung von Verwaltungsentscheidungen - kurz: ein neues Verwaltungsmanagement - gefordert. Gleichzeitig sollen sich der Staat und die nachgeordneten Gebietskorperschaften aus vielen der angeeigneten Bereiche zurtickziehen, es solle die Staatsquote gesenkt und der Markt nicht langer in seiner Entfaltung gehindert werden. Zudem solle sich die regionale Okonomie dem globalen Wettbewerb starker stellen. Dazu benotige sie u. a. eine bessere Verkehrsanbindung, einschlieBlich einer besseren Vemetzung mit Informationsmedien. Sie selbst mtisse neue strategische (branchenspezifische und/ oder regionale) Kooperationen bilden und flexibler auf veranderte Kundlnnenwiinsche eingehen. Die Analyse der (stadtischen) Gesellschaft fallt demgegeniiber sehr viel negativer aus; man geht davon aus, dass die Armuts-Wohlstands-Gegensatze zunehmen, dass sich verstarkt unterschiedliche Lebensstile herausbilden, die zu einer normativen Vielfalt, bisweilen Unvereinbarkeit ftihren, dass die Integrationsbereitschaft vor dem Hintergrund unsicherer Berufsperspektiven fur viele Bewohnerlnnen nachlasst, was sich vor allem in einer stSrkeren Ablehnung des Fremden ausdriickt. Gerade die Berufsperspektive Jugendlicher ist oftmals unsicher, so dass soziale Probleme zunehmen. Eine besondere Problematik erhalten Polarisierung und Ausdifferenzierung durch deren raumlichen Konzentrationsprozesse, so dass von „sozialen Brennpunkten" die Rede ist. Auch die okologische Situation scheint sich nicht zu verbessem, zumindest werden die kleinen Schritte zu okologischer Nachhaltigkeit mit sehr viel Aufwand „erkauft". Gegen eine Verbesserung stehen das Wachstum der Wirtschaft (mit einem hoheren Stoffdurchsatz und einem Mehr an Abfallen), ein deutlich steigendes Verkehrsaufkommen und die Verhaltensweisen vieler Menschen. Nimmt man die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zum MaBstab, dann ist die gegenwartige Entwicklung entmutigend; die Wirtschaft setzt auf das Prinzip der Flucht nach vom, das politisch-administrative System modemisiert sich oft nur schleppend und die Integrationskraft der Gesellschaft lasst rapide nach.
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Gleichzeitig nehmen in vielen Bereichen die okologischen Probleme zu. In den letzten 20 Jahren ist es in der westlichen Welt keiner Stadt(region) gelungen, die okonomische Wettbewerbssituation und gleichzeitig die Integration der Stadtgesellschaft zu verbessem sowie die Ziele des Kyoto-Abkommens umzusetzen. Wenn bei den „GewinnerInnen" des globalen Wettbewerbs die Absicherung der jeweiligen Position wegen der EinbuBen im sozialen und okologischen Sektor schon starke Ambivalenzen erzeugt, wie problematisch ist erst die Situation der „VerliererInnen", zu Lasten derer die relativen Vorteile erstritten werden? In diesem Zusammenhang ist es sehr problematisch, dass alle Stadt(regionen) mit nahezu den gleichen Mitteln und Strategien die gleichen Ziele anstreben. Gerade in einem so engen Markt um die gleichen knappen Giiter, muss es - gemessen an den Investitionen - zwangslaufig iiberwiegend zu Verlusten kommen. Damit wird deutlich, dass es wichtig ist, noch viel mehr Wissen daruber zu erarbeiten, in welchem interdependenten Verhaltnis die aktuellen okonomischen, politisch-administrativen, okologischen, sozialen und kulturellen Prozesse des Ubergangs zum Post-Fordismus stehen und welche Rolle dabei die strategische Planung spielt. Genau dieses wird in der Kegel innerhalb der Diskurse jedoch ausgeblendet. Gemessen an dem unsicheren und/ oder einseitigen Wissen sind die Schlussfolgerungen und Strategien, wie sie insbesondere in den Strategiepapieren abzulesen sind, iiberraschend eindeutig. Es besteht insbesondere eine durchgangige Forderung nach Intensivierung und Beschleunigung. Die vorhandenen Wissensliicken und „Unsicherheiten" in Bezug auf die zuktinftige Entwicklung von Gesellschaften sind allerdings nicht als „Achillesfersen" strategieorientierter Planung zu sehen. Angesichts der Vielzahl von Akteurlnnen sowie von Institutionen, die einen Einfluss auf die raumliche Entwicklung von Stadten und Regionen haben, ist es fur die Planenden immer schwieriger geworden, Entwicklungen zu kontrollieren und genaue Prognosen zu erstellen. Strategieorientierte Planung muss daher flexibel und offen genug gestaltet werden, um sich an veranderte Umweltbedingungen anpassen zu konnen, ohne dabei den strategischen Handlungsbedarf aus den Augen zu verlieren. 2.2 Risiken „ weicher Steuerungsinstrumente "; Governance Failures? Strategieorientierte Planungen sind als „weiche Steuerungsinstrumente" zu interpretieren, da die Steuerung tiber die Wege der Kommunikation, der Verhandlung sowie der Argumentation erfolgt. Hinzu kommt, dass die „SteuerungsadressatInnen" an der Entwicklung des Steuerungsinstrumentes selbst mitwirken, so dass sich das Verhaltnis zwischen Steuerungsobjekten und Steuerungssubjekten in Richtung einer starkeren Kooperation verschiebt. Viele strategieorientierte Pla-
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nungen haben keinen rechtlich verbindlichen Charakter und sind in der Umsetzung auf das „Commitment" aller beteiligten Akteurlnnen angewiesen. Weiche Steuerungsinstrumente sind damit zentrale Bestandteile von Governance. Governance erscheint in all diesen Debatten, vor allem aber in seiner normativen Verwendung, als ein Allheilmittel fur die Losung von Steuerungsproblemen, fur die Bekampfung des Vertrauensverlustes in die politisch-administrativen Systeme und deren Akteurlnnen und fur die Behebung von demokratiepolitischen Defiziten. An dieser Stelle muss allerdings auch auf die Risiken und Grenzen von Governance hingewiesen werden: • • •
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In auf Konsens und Kooperation ausgerichteten Verhandlungsverfahren konnen leicht Entscheidungsblockaden entstehen, die dann zu einer begrenzten Handlungsfahigkeit im Steuerungskontext fiihren konnen. Die Konfliktregulierungsmechanismen sind vielfach begrenzt (was u. U. zum Ausklammem oder Vertagen von Themen fiihren kann). Die Legitimitat von Govemance-Prozessen ist umstritten; Machtverhaltnisse konnen sich zugunsten von „Nicht-Legitimierten" verschieben und Entscheidungen konnen an formalen, legitimierten Gremien vorbei getroffen werden. Die Organisationsstrukturen von Governance konnen schwach oder briichig sein, da Kommunikation, Interaktion und Vertrauensbildung prekare, immer wieder herzustellende Fundamente dieser Strukturen sind. Netzwerke, die sich eventuell auch raumlich schlieBen, konnen sich zu Abschottungsinstrumenten entwickeln. Die Bindungskraft von den in Govemance-Strukturen gefallten Entscheidungen fiir den administrativen Vollzug ist nicht immer gegeben; die Verkntipfung zwischen der Funktionsweise des Systems der reprasentativen Demokratie und den in partizipativen Verfahren gefallten Beschliissen ist oft nicht vorhanden. Weiterhin entziehen sich die Entscheidungen, die innerhalb von stadteigenen Untemehmungen oder von Public Private Partnerships gefallt wurden, vielfach weitgehend der parlamentarischen Kontrolle. Immer wieder zeigt sich, dass die Einbindung von lokalen Akteurlnnen nur sehr selektiv erfolgt und dass sich damit in der Strategieentwicklung vor allem Partikularinteressen durchsetzen. Angestrebte Kooperationen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteurlnnen werden nur teilweise verwirklicht. Gleiche Ziele mit gleichen Mitteln zu verfolgen verscharft die Wettbewerbssituation zwischen Stadtregionen. Um sich im Wettbewerb „aller gegen alle" durchzusetzen, mtissen strategische Allianzen in Form von Netz-
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werken, Partnerlnnenschaften und regionalen Clustem geschlossen werden. Kooperationen werden dabei nicht mit „hoheren" Zielen geschlossen, sondem sind strategische AUianzen auf Zeit, so lange es den Partnerlnnen gelingt, eine ausgewogene win-win-Situation herzustellen. Im Falle eines (relativen) Misserfolges drohen diese Kooperationen also zu zerbrechen; zudem besteht die Gefahr, dass einzelne Mitglieder die Kooperation verlassen, well sie sich in anderen Konstellationen groBere (relative) Vorteile versprechen. Die EU-weite Strategie zur Bildung von wettbewerbstauglichen Metropolregionen („Starken starken") kann auch als Auflosung der Solidargemeinschaft „Nationalstaat" interpretiert werden. Strategieorientierte Planung als „dritter Weg" in der Planungs- und Steuerungstheorie steht vor der Herausforderung, mit diesem moglichen „Versagen" von Governance umgehen zu miissen. „Heterarchic arrangements are said to permit long-term strategic guidance (lacking in markets) whilst still retaining flexibility (lacking in hierarchies with their rulegoverned procedures). This is also the site of a dilemma: that between govemability (the capacity for effective guidance) and flexibility (the capacity to adapt to changing circumstances." (B. Jessop 2000: 22) Die Hoffiiung, dass durch Governance die Probleme des Markt- und Staatsversagens gelost werden konnen, erweist sich in der Praxis vielfach als folgenschwerer Irrtum. Vor allem wird zuwenig danach gefragt, wer die Profiteurlnnen der Einfuhrung neuer, weicher Steuerungsinstrumente sind, und ob dadurch nicht eher eine „verschleierte" Reproduktion ungleicher Macht- und Sozialstrukturen erfolgt. 3
Rollen und Aufgaben des Planers bzw. der Flanerin in strategieorientierten Planungsansatzen
Angesichts der verschiedenen BezUge zu und Uberscheidungen mit anderen planungstheoretischen Ansatzen (z. B. dem perspektivischen Inkrementalismus), die verschiedene Aufgaben und Rollen fur Planerlnnen vorsehen, und der Unterschiedlichkeit von praktischen strategieorientierten Planungsansatzen ist der Katalog an Aufgaben fiir Planerlnnen betrachtlich. Planerlnnen in der strategieorientierten Planung sind „SpezialistInnen fiir alles", Generalistlnnen mit interdisziplinarem Hintergrundwissen, die in ihrem alltaglichen Arbeiten nur noch am Rande mit konkreten Planen zu tun haben. Die Aufgaben umfassen dabei
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Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Alexander Hamedinger die Analyse der bestehenden raumlichen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen sowie deren Veranderungen. Die Basis der meisten strategieorientierten Planungsansatze ist eine grundlegende Analyse sowie eine Einschatzung der zukiinftigen Entwicklung dieser Strukturen auf lokaler/ regionaler Ebene. Neben den „klassischen" planerischen Analysemethoden (GIS) gewinnen dabei Methoden der qualitativen empirischen Sozialforschung an Bedeutung. Vor allem wenn es darum geht, den Erfolg und die Grenzen unterschiedlicher raumlicher Steuerungsinstrumente sowie von Kooperationsformen einzuschatzen, wird vermehrt auf qualitative Analysen (z. B. policy analysis) zuriickgegriffen. Akteurs- und Interaktionsanalysen sind im Rahmen strategieorientierter Planungsansatze hilfreiche Methoden, um die Interessen, Handlungslogiken und Ziele der beteiligten Akteurlnnen identifizieren, diesbeziigliche Unterschiede herausarbeiten und daraus strategieorientierte Verhaltensweisen entwickeln zu konnen. das Entdecken von Strategien zur Bewaltigung von lokalen/ regionalen Herausforderungen. Dies kann auf der Basis der vergleichenden Analyse von „best practice"-Beispielen erfolgen oder durch die Einbindung von lokalen und regionalen Akteurlnnen im Strategiebildungsprozess. Im Zentrum dieser Aufgabenstellung steht die Entwicklung von innovativen Losungen fiir unterschiedliche raumliche Problemstellungen. Der Planer bzw. die Planerin wirkt dabei selbst an der Entwicklung von Innovationen mit, gleichzeitig hat er bzw. sie vermehrt dafiir zur sorgen, dass die Rahmenbedingungen forderlich fiir innovative Entwicklungen sind („innovatives Milieu"). die Entwicklung und Steuerung von Strategiebildungsprozessen. Da der Prozess der Strategiefmdung ganz wesentlich iiber die Qualitat und letztlich auch uber die Legitimitat sowie die Akzeptanz der gewonnen Strategien entscheidet, haben Planerlnnen die Aufgabe, die Interaktionen und die Kommunikation zwischen den Prozessbeteiligten zu steuem, indem entsprechenden „Formalisierungen", d. h. eine Festlegung von Interaktionsund Kommunikationsregeln, erfolgen (wer sind die Akteurlnnen, welche Rolle und Kompetenzen haben diese im Prozess, wie werden Entscheidungen getroffen, wie werden Konflikte ausgetragen?). Dazu mtissen Planerlnnen iiber das entsprechende Spektrum kommunikativer Techniken verfligen (z. B. Moderation, Mediation). Neben den analytischen und formalisierenden Aufgaben spielt dabei die Aufgabe der Forderung von Kreativitat im Prozess und der flexiblen Anpassung auf veranderte Situationen eine wichtige Rolle (Verbindung von Analyse und Intuition). die Koordination raumwirksamen Handelns. Die Abstimmung des Verhaltens unterschiedlicher Akteurlnnen aus dem politisch-administrativem System (aus den verschiedenen Ressorts, aus tibergeordneten Planungssyste-
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men), aus der Wirtschaft sowie aus der Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Verwirklichung der gemeinsam entwickelten Strategien ist zentraler Bestandteil der meisten strategieorientierten Planungsansatze. Strategieorientierte Planung dient dabei der Forderung von abgestimmten Verhaltensmustem, die Unsicherheiten reduzieren und die Identifikation mit den Strategien unterstiitzen soUen. Die Koordinationsaufgabe wird angesichts der Ausdifferenzierung der Gesellschaft, der Globalisierung der Wirtschaft, der Erweiterung und Integration der Europaischen Union und der Etablierung von „weichen" Steuerungsformen immer schwieriger. Planerlnnen begeben sich damit „in die vielgestaltige Welt des Aushandelns, Vereinbarens, Kooperierens, des Zusammenfiihrens verschiedener Akteure und des Bemiihens, in den Schnittmengen ihrer Aktivitaten zu abgestimmten Handeln zu kommen" (K. Selle 2007: 4). Da sich die meisten strategieorientierten Planungsansatze ganz allgemein auf die strategische Steuerung raumlicher Entwicklungen beziehen, ist die Koordination des Verhaltens vielfaltiger Akteurlnnen vor Ort erforderlich. die Bildung von institutionellen Strukturen zur Erreichung strategischer Ziele. Nicht zuletzt nehmen Planerlnnen vermehrt die Aufgabe war, Strukturen vorzuschlagen und zu entwickeln, welche das Management der Interaktionen und der Kommunikation zwischen relevanten raumlichen Akteurlnnen unterstiitzen sollen (z. B. Quartiersmanagement, Regionalmanagement, ressortubergreifende Projektgruppen etc.). Fazit: Die Zukunft strategieorientierter Planungen
Die in der Einleitung zu diesem Band diagnostizierte Krise der Profession der Raumplanung hat ihre Ursache in einer gesellschaftlichen Komplexitatssteigerung als „Ausdehnung und Verdichtung von Interdependenzen zwischen Ereignissen, Handlungen und Strukturen" (U. Schimank/ R. Werle 2000: 9), der die Raumplanung mit ihren traditionellen Methoden und Instrumenten nicht mehr gerecht werden kann. Raumplanung wurde in den 1970er Jahren noch uberwiegend als eine Ingenieursaufgabe betrieben, die mit ihren zumeist rationalen Modellen, Methoden und Instrumenten die Interessen des hoheitlichen Staates umsetzte. Der Staat wurde als zentrale Lenkungsinstanz und als alleiniger Akteur gesehen, der mit Hilfe der Raumplanung versuchte, seine Interessen umzusetzen. Mit dem Ansatz einer strategieorientierten Planung rtickte seitdem die Komplexitat von raumlicher Steuerung in den Vordergrund: Es ist nicht mehr von einem singularen Akteur die Rede, sondem von Konstellationen kollektiv oder kooporativ Handelnder, die jeweils eine koordinierte Steuemngsfahigkeit erreichen
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miissen. Mit der Erstellung von strategischen Konzepten wird versucht, die verschiedenen Akteurlnnen auf gemeinsame Leitbilder und MaBnahmen raumlicher Entv^icklung festzulegen. Die Vorstellung eines „kooperativen Staates" beriicksichtigt dabei unterschiedliche Partizipationsformen verschiedener Akteurlnnen im Verlauf des Steuerungsprozesses. Dieses erweiterte Steuerungsparadigma, welches auch der „Familie" strategieorientierter Planungen zugrunde liegt, beriicksichtigt Steuerungsformen uber Netzwerke, Verhandlungssysteme, gesellschaftliche Selbstregulation und dezentrale Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse. Damit gewinnt die Planung potentiell einen politischen Gestaltungsanspruch zuriick. Erschopfte sich die Raumplanung in den 1970er Jahren zumeist in der Umsetzung politischer raumlicher Ziele, so wird mit der strategieorientierten Planung der politische Prozess der Steuerung selbst in den Vordergrund geriickt. Strategieorientierte Planung als politischer Prozess der „Vemetzung und Abstimmung staatlicher und nichtstaatlicher Handlungspotentiale" (U. Schimank/ R. Werle 2000: 13) verknupft dabei unterschiedliche Elemente: Die formale Organisation politischer Entscheidungen und des administrativen Vollzuges, wie sie im Rahmen von Government - auch im Sinne eines hierarchischen top-down-Modells - beschrieben werden, wird um komplexe Formen des Regierens unter Einbezug gesellschaftlicher Akteurlnnen (Governance) erganzt. Strategieorientierte Planung ordnet sich in den Paradigmenwechsel ein. Bei der Erstellung und Umsetzung raumlicher Strategien ist dabei von entscheidender Bedeutung, dass dies in einer Kombination zwischen horizontalen, netzwerkartigen Aushandlungsprozessen offentlicher und privater Akteurlnnen und einem hierarchischen Modus des Governments erfolgt. Strategieorientierte Planung wirft den Blick auf die Rolle von Akteurlnnen, deren Interessen, Logiken, Wahmehmungen und Interpretationen. Diesem handlungsbezogenenen Ansatz liegt dementsprechend kein einfaches Ursache-Wirkungs-Beziehungsgeflecht zugrunde, sondem ein „System von Wirkungszusammenhangen" (R. Mayntz 2002: 23). Weiterhin wird beriicksichtigt, dass der institutionelle Kontext den gesamten Ablauf der Strategieformulierung und Handlungsorientierung pragt (vgl. M. Haus 2004: 11). Im Verlauf dieser Aushandlungsprozesse werden iibergeordnete Strategien mit konkreten Projekten, die einen „Leuchtturmeffekt" ausstrahlen sollen, verbunden und so in einen strategischen Rahmen gesetzt. Dabei kommt es oft zu uniibersichtlichen Konstellationen unterschiedlicher Interessen und zu Deutungskonflikten zwischen Akteurlnnen, welche durch die Planungsinstanz moderiert und ausgehandelt werden miissen. Die Rolle der Planungsinstanz reduziert sich aber nicht auf die des Moderierens unterschiedlicher Interessenlagen, sondem impliziert einen strategischen Handlungsimperativ, der in Planen und Stra-
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tegiepapieren formuliert ist. Strategieorientierte Planung verbindet daher zwei gegensatzliche Mechanismen: Struktur und Prozess, Statik und Dynamik im Rahmen einer Plan- und einer Prozessorientierung. Sie bietet einen Rahmen fur Entwicklungen, welcher durch Flexibilitat und Offenheit gegentiber sozialen Prozessen gekennzeichnet ist. Soziale Prozesse sind haufig nichtlinearer Natur und stellen die Planung vor die Aufgabe, auch spontane, unerwartete Entwicklungen und Wirkungen bzw. Verlaufe einzubinden (vgl. R. Mayntz 2002: 25). Strategieorientierte Planung bewegt sich in diesem Spannungsraum zwischen strategischer Rahmensetzung und einer Zunahme an Flexibilitat und Offenheit, durch die Eigenregulation ermoglicht wird (vgl. Beitrag von Frey in diesem Band). Strategieorientierte Planung erreicht im Idealfall durch ein von den Beteiligten gemeinsam akzeptiertes System an politischen, okonomischen und sozialen Werten eine Legitimitat zur Erreichung der raumlichen Entwicklungsziele. Strategieorientierte Planung hat dabei auch die Aufgabe, das Ziel des politischen Gemeinwohls gegentiber eventuell ortlich dominierenden privaten Wirtschaftsinteressen zu verteidigen und einen Ausgleich zwischen privaten und offentlichen Interessen zu finden. Im Rahmen dieses Ausgleichs braucht die Gemeinwohlorientierung eine tibergeordnete Steuerung seitens offentlicher Handlungsinstanzen. Die strategieorientierte Planung bietet daher eine vielversprechende Moglichkeit, um Handlungsspielraume der offentlichen Akteurlnnen zu erweitem und wirtschaftliche Akteurlnnen auf bestimmte gemeinwohlorientierte Ziele festzulegen. Dabei bleibt festzustellen, dass eine Voraussetzung fiir dieses Ziel darin besteht, die Strategien der unterschiedlichen Akteurlnnen und hier vor allem der privatwirtschaftlichen zu kennen. Strategisch orientierte Planung versucht, die in gesellschaftlichen Teilbereichen vorhandene Entwicklungsdynamik zu erkunden und fur die eigenen Gestaltungsziele auszunutzen. Im Rahmen dieser Erkundungen und Festlegungen strategischer Ziele gewinnen die Binnenstrukturen gesellschaftlicher Subsysteme an Bedeutung (vgl. J. Bogumil 2002: 11). Strategieorientierte Planung verkntipft damit einige sich gegeniiberstehende Positionen und Begriffe, die teilweise grundsatzlich von einer Dichotomie zwischen „privat" und „6ffentlich" gepragt sind: Government und Governance, topdown und bottom-up, hierarchische Koordination und horizontale Selbstorganisation, tibergeordnete Strategie und projektorientiert Einzellogik, Kooperation und Wettbewerb, Offenheit und SchlieBung, Steuerbarkeit und Flexibilitat, Analyse und Intuition. Diese Unterscheidungen haben allerdings als „Idealtypen" primar analytisch-theoretischen Wert, denn die planerische Praxis ist zumeist durch eine Verkntipfiing der Positionen gekennzeichnet. Ftir strategieorientierte Planungen im kooperativen Staat ist neben dieser „bridging-Funktion" eine „re-
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flexive Rationalitat" grundlegend, die sich sowohl von der prozeduralen und profitmaximierenden Rationalitat der Wirtschaft als auch von einer gemeinwohlund zielorientierten Rationalitat der politischen Systeme unterscheidet. Um die Probleme dieser „Rationalitaten" zu umgehen (wie z. B. Opportunismus oder begrenztes Wissen), wird in der strategieorientierten Planung auf die Einbindung von Akteurlnnen und die Institutionalisierung von Verhandlungen und Dialogen rund um ein gemeinsam zu erreichendes, langfristiges Ziel gesetzt. Strategieorientierte Planung umfasst letztlich eine Familie von Ansatzen, mit denen in Theorie und Praxis weiterhin gearbeitet werden soil, weil damit • •
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in Zeiten zunehmender Untibersichtlichkeiten, Fragmentierungen und sozialer Konflikte ein umfassender Steuerungsanspruch signalisiert wird, dieser Steuerungsanspruch mit „weichen" Formen der Regelung von Interaktionen, der Konfliktlosung, der Entscheidung liber kollektive Angelegenheiten umgesetzt wird und damit (unter Umstanden) eine Erhohung der Legitimitat des Steuerungshandelns erreicht werden kann, die Inklusion verschiedener Akteurlnnen aus den politisch-administrativen Systemen, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft angestrebt wird und dadurch Moglichkeiten der „Kolonialisierung" der „Systeme" durch die Lebenswelten eroffiiet werden sowie Planung als kollektiver Lemprozess gesehen wird, in welchem „adaptive" Beziehungen zwischen top-down- und bottom-up-Strategien hergestellt werden miissen.
Literaturverzeichnis Benz, Arthur/ Czada, Roland/ Simonis, Georg (Hrsg.) (2002): polis Nr. 54/2002. Bogumil, J5rg (2002): Zum Verhaltnis von Politik- und Verwaltungswissenschaft in Deutschland. In: Benz et al. (Hrsg.) (2002): 1-30 Dangschat, Jens S. (2007): „Untemehmen Stadt" - Ausweg fur wen? In: Kaindl (Hrsg.) (2007): im Druck Dangschat, Jens S. (2002): Soziale Aspekte der nachhaltigen Stadtentwicklung. In: Klotz et al. (Hrsg.) (2002): 43-62 Faludi, Andreas/ Salet, Willem G.M. (Hrsg.) (2000): The Revival of Strategic Spatial Planning. Amsterdam: Koninklijke Nedelandse Akademie van Wetenschappen Haus, Michael (2004): Lokale Institutionenpolitik in Deutschland zwischen strategischen Entscheidungen und kulturellen Deutungsprozessen - Versuch einer konzeptionellen Annahrung. Arbeitspapier fur die Tagung „Institutionen und Strukturen lokaler Politik in der Bundesrepublik Deutschland, veranstaltet vom Arbeitskreis Lokale Politikforschung in der DVPW, am 11. 10. 2004 in Darmstadt, Mimeo
Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat
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Autorlnnenverzeichnis
Uwe Altrock, Prof. Dr.-Ing., geb. 1965. Studium der Stadt- und Regionalplanung und Mathematik an der SEMO State U Cape Girardeau (MO)/ USA und der TU Berlin. Seit 2006 Professor fur Stadtumbau und Stadtemeuerung an der Universitat Kassel, Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung. Forschungsschwerpunkte: Planungstheorie, Planungspolitik, Urban Governance, Stadtemeuerung, Stadtumbau, Theorie des Stadtebaus, Mega-Cities. Matthias Bernt, Dr., geb. 1970. Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universitat Berlin. Seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtzzentrum flir Umweltforschung - UFZ. Forschungsschwerpunkte: Urban Governance, Stadtemeuerung/ Stadtumbau, residentielle Segregation. Andrea Breitfuss, Dipl.-Ing., geb. 1962. Studium der Stadt- und Regionalplanung und Soziologie an der TU Berlin. Von 1998 bis 2004 Assistientin an der TU Wien, Fachbereich Soziologie; seit 2004 Inhaberin des Btiros kon-text; Lektorin an der FH des WIFI Wien, Studiengang Immobilienwirtschaft. Tatigkeitsschwerpunkte: Stadtemeuemng und Stadtteilmanagement, Moderation und Prozesssteuerung, Wohnen, sozialer Wandel, Lokale Agenda 21, sozialvertragliche Projektentwicklung. Jens S. Dangschat, Prof Dr., geb. 1948. Studium der Soziologie, Psychologic, Volkswirtschaftslehre und Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Hamburg. Seit 1999 Professor fur Soziologie an der TU Wien, Department fur Raumentwicklung, Infrstruktur- und Umweltplanung, Fachbereich Soziologie. Forschungsschwerpunkte: Theorien der Soziologie, Stadtsoziologie (Segregation/ Gentrification), Qualitative und quantitaive Methoden der empirischen Sozialforschung, Regionaldemographie, Nachhaltigkeit, Soziale Ungleichheit, Armut, Raumtheorie, Planungstheorie, Local-State- und Regulationstheorie, New Public Management, Policy-Analysis, Kommunikation und Partizipation Marc Diebdcker, Dipl.-Soz.-Wiss., geb. 1969. Studium der Politikwissenschaft, Sozialarbeit und Geschichte an der Gerhard-Mercator-Universitat Duisburg und der University of Edinburgh. Seit 2005 an der Fachhochschule FH Campus Wien, Studiengang Sozialarbeit.
370 Forschungsschwerpunkte: Stadt- und Regionalentwicklung, Demokratie und Partizipation, Sozialraum/ Politischer Raum, Lokaler Sozialstaat, Okonomisierung und Fachlichkeit der Sozialen Arbeit. Friedhelm Fischer, Dr., geb. 1947. Studium der Stadtplanung in Aachen, Berkeley, Canberra und Manchester. Seit 1992 Akademischer Rat an der Universitat Kassel (Stadtbaugeschichte, Stadtemeuerung/ Stadtumbau); seit 2007 Vertretungsprofessur fur Kultur und Geschichte der Metropole an der HafenCity Universitat Hamburg. Oliver Frey, Dipl.-Ing. Mag., geb. 1971. Studium der Stadt- und Regionalplanung sowie der Soziologie und Neueren Geschichte an der TU Berlin. Seit 2000 Assistent an der TU Wien, Department fur Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung, Fachbereich Soziologie; seit 2007 Stipendiat der Heinrich-BollStiftung im Graduiertenkolleg des Georg-Simmel-Zentrums der HU Berlin „Zur Zukunft der europaischen Stadt". Forschungsschwerpunkte: Urban Governance, Partizipation in der Stadtemeuerung, Soziale Ungleichheit, Raumtheorien, Planungstheorien, Kreative Milieus und amalgame Stadt. Wolfgang Gerlich, Dipl.-Ing.., geb. 1966. Studium der Landschaftsplanung an der Universitat fur Bodenkultur Wien. Trainer fiir Moderation, PR und Kreativitat. Lektor an der BOKU Wien, TU Wien und der HSA Luzem. Griinder und Gesellschafter des Btiro PlanSinn in Wien. Arbeitsschwerpunkte: Prozesssteuerung, Partizipation, kooperative Verfahren, Wissenschaftskommunikation. Alexander Hamedinger, Dr., geb. 1968. Studium der Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversitat Wien sowie der Soziologie, Philosophic und Padagogik an der Universitat Wien. Seit 1998 Assistent an der TU Wien, Department fur Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung, Fachbereich Soziologie. Forschungsschwerpunkte: Urban and Regional Governance, Nachhaltige Raumentwicklung, Soziale Ungleichheit, Raumtheorien, Planungstheorie, Aktionsforschung. Gerard Hutter, Dipl.-Volkswirt, geb. 1966. Studium der Volkswirtschaft. Wiss. Mitarbeiter am Leibniz-Institut fiir okologische Raumentwicklung (lOR), Dresden.
371 Arbeitsschwerpunkte: Bestandsorientierte Strategieentwicklung von Kommunen, Strategien des Hochwasserrisikomanagements in Stadten und Regionen, Strategisches Management und Organisationslemen. Thomas Kuder, Dr.-Ing., geb. 1959. Studium der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin. Seit 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fur Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner (bei Berlin), Forschungsabteilung 4 „Regenerierung schrumpfender Stadte". Forschungsschwerpunkte: Planungstheorie, Stadtentwicklung, Stadtebaulicher Denkmalschutz, Planerische Orientierung und Steuerung im Kontext gesellschaftlicher Transformations- und Umbauprozesse. Sabine von Lowis, Dipl.-Geogr., geb. 1974. Studium der Geographie, Stadt- und Regionalplanung sowie Verkehrsplanung/ -politik/ -okologie an der TU Dresden. Seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HafenCity Universitat Hamburg, Department Stadtplanung, Institut fur Stadt-, Regional- und Umweltplanung, Lehrstuhl Stadtplanung und Regionalentwicklung. Forschungsschwerpunkte: Lemende Regionen, Wissensregionen, Metropolitan and Regional Governance, Nachhaltige Regionalentwicklung, Planungsfragen. Sven Patrick Marx, Dipl. Ing. Dipl.-Oec. Studium der Stadt und Regionalplanung an der Universitat Kassel. Ehemaliger Mitarbeiter im Fachbereich 06 Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung. Hans-Norbert Mayer, Dr., geb. 1958. Studium der Geographie und Soziologie an der Universitat Erlangen sowie der Stadt- und Regionalplanung an der Universitat Oldenburg. Seit 2001 Lehrtatigkeit, Auftragsforschung, freiberufliche Tatigkeit mit dem eigenen Btiro „Stadtforschung + Stadtplanung". Forschungsschwerpunkte: Strategien der Stadt- und Regionalentwicklung, Planungstheorie, Sozialraumanalyse, Kommunale Integrationspolitik, Soziale Stadtemeuerung. Deike Peters, Dr., geb. 1970. Masters in Stadtplanung und in Intemationalen Beziehungen (Columbia University, 1995/6), Promotion in Stadtplanung und Politikentwicklung (Rutgers, 2003). Von 2000 bis 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut fur Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Seit Marz 2005 Post-Doc Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Centrum ftir Metropolenforschung an der TU Berlin.
372 Forschungsschwerpunkte: Vergleichende Stadt- und Regionalforschung, Planungstheorie, GroBprojekte, Netzwerkgesellschaft und Urban Governance, nachhaltige Verkehrs- und Siedlungspolitik. Christoph Stoik, Dipl.Soz.Arb., MA, geb. 1971. Studium der Sozialarbeit an der Bundesakademie fur Sozialarbeit Wien und Masterstudium zu Gemeinwesenentwicklung, Quartiersmanagement und lokale Okonomie u. a. an der FH Mtinchen. Seit 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am FH Campus Wien, Studiengang Sozialarbeit. Arbeitsschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, Sozialer Raum, Stadt- und Regionalentwicklung, Partizipation, Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit. Selbstandig in der Gemeinwesenentwicklung, Stadtteilarbeit und Fortbildung. Thorsten Wiechmann, Dr., geb. 1968. Diplom-Studium und Promotion in Geographic und Stadtebau an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn. Seit 1998 Projektleiter am Leibniz-Institut fur okologische Raumentwicklung (lOR) Dresden sowie Lehrbeauftragter der TU Dresden. Forschungsschwerpunkte: Raumplanung, Regional- und Stadtentwicklung in Europa, Strategische Planung, Kommunikative Planung, Evaluation und Monitoring. Barbara Zibell, Prof. Dr. sc. techn., geb. 1955. Studium der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin. Seit 1996 Professorin an der (seit 1.7.2006: Leibniz) Universitat Hannover, Fakultat fur Architektur und Landschaft, Abteilung Planungs- und Architektursoziologie. Forschungsschwerpunkte: Sozialwissenschaftliche Aspekte in der raumlichen Planung, Planungstheorie und Nachhaltige Entwicklung, Gender Mainstreaming in Architektur, Stadtebau und Raumordnung.
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Der LFbergang vom fordistischen Dreieck der Regulation (innen) zum postfordistischen (aussen) (eigene Graphik) 47 Abbildung 2: Die dichotome Entwicklung der Planung und das implizite Spannungsfeld 95 Abbildung 3: Ein Entscheidungsprozessmodell (G. Hutter/ Th. Wiechmann 2005) 107 Abbildung 4: Fruhmodeme; Modeme; katastrophale Modeme; neoliberale Nachmodeme... 287 Abbildung 5: Expertlnnenkultur; integriert; behutsam; Partizipation, Prozess 288 Abbildung 6: Wettbewerbsentwurf flir die Hauptstadt; Plan und Ansicht des Stadtzentrums 289 Abbildung 7: Griffin, der Kiinstler-Architekt (1913); gegen die kemigen Burschen der lokalen Beamtenschaft (1920); Butters, der Macher im Sinne der technokratischen Modeme 290 Abbildung 8: Das Zentrum der Hauptstadt, mit „Landachse" im Norden und Regierungsviertel stidlich des Sees: o.: Entwurf Griffin 1913, u.: Ansicht imJahr 2000 292 Abbildung 9: Stadtentwicklungsplan 1963: Centre & Satellites; innerstadtischer Highway und Subzentrum der Autostadt (Planung 1963); der Y-Plan (1967/ 1970er) Bandstadt aus New Towns 295 Abbildung 10: Flachennutzungskartierung (1979); Suburbia mit Subzentrum (1970): Blick auf die New Town Woden; Teil des Stadtzentrums (1970) 297 Abbildung 11: Gezeichnete Vision (1969); fast deckungsgleich: Realitat (2000); Parlamentsgebaude (1988); Museum of Australia (2002) 298 Abbildung 12: Katastrophale Nachmodeme: Die misslungene Implosion des Krankenhauses; auf der Suche nach dem Siindenbock 302 Abbildung 13: Skizzen zur Reurbanisiemng der Gebiete im Herzen der Stadt 304
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Typologie der „driving forces" strategieorientierter Planungen Tabelle 2: Planungsrelevante Transformationsprozesse in der Kurzubersicht Tabelle 3: Lineare und adaptive Strategiemodelle im Vergleich (verandert nach Wiechmann 2005) Tabelle 4: Verteilung der Wohnungsleerstande auf verschiedene Gebaudetypen in Ostdeutschland 1998 (Expertenkommission 2000) Tabelle 5: Planungstypen (eigene Darstellung)
20 91 104 210 217